Der Leuchtende Pfad in Peru (1970-1993): Erfolgsbedingungen eines revolutionären Projekts 9783412214043, 9783412207205

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Der Leuchtende Pfad in Peru (1970-1993): Erfolgsbedingungen eines revolutionären Projekts
 9783412214043, 9783412207205

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LATEINAMERIKANISCHE FORSCHUNGEN Beihefte zum Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas

Herausgegeben von

Silke Hensel, Ulrich Mücke, Renate Pieper, Barbara Potthast Begründet von

Richard Konetzke (†) und Hermann Kellenbenz (†) Fortgeführt von

Günter Kahle (†), Hans-Joachim König, Horst Pietschmann, Hans Pohl, Peer Schmidt (†)

Band 39

Der Leuchtende Pfad in Peru (1970–1993) Erfolgsbedingungen eines revolutionären Projekts

von

Sebastian Chávez Wurm

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Per/le Sentier Luminneux-Actions, Graffitis BAC RA. © 70951369 ullstein bild – SIPA, Berlin

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20720-5

„I feel a certain unease about writing on the Andes and the Shining Path. „Senderology“ – the study of the guerrillas – is a thriving enterprise. In my view, a sense of the intense human suffering caused by the war too often disappears in this work. The terror becomes simply another field for scholarly debate.“ (Orin Starn, Missing the Revolution)

Inhaltsverzeichnis Einleitung ..............................................................................................

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1. Revolution und widerständige Politik ........................................... 1.1. Ansätze der Revolutionsforschung .............................................. 1.2. Alternative Forschungsansätze.....................................................

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2. Peru, 1970–1993 ............................................................................... 2.1. Die Wirtschaft ............................................................................ 2.2. Politische Entwicklungen ............................................................

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3. Die oranisatorischen Leistungen des Leuchtenden Pfads ........... 3.1. Rekrutierung .............................................................................. 3.2. Finanzierung............................................................................... 3.3. Bewaffnung ................................................................................

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4. Die ideellen Leistungen des Leuchtenden Pfads .......................... 4.1. Die kollektive Identität des Leuchtenden Pfads........................... 4.2. Der Personenkult ........................................................................ 4.3. Die Ideologie ..............................................................................

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Schlussbetrachtung ............................................................................. 243 Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................................... 273

Danksagung Die vorliegende Arbeit wäre ohne die Unterstützung und den Zuspruch vieler hilfsbereiter Menschen nicht zustande gekommen. Ich hoffe, dass all diese Personen ebenso großzügig wie sie mir ihre Hilfe haben zukommen lassen auch über die kleinen und großen Schwächen dieses Buches hinwegsehen, die allein der Autor zu verantworten hat. An erster Stelle darf ich Herrn Prof. Dr. Ulrich Mücke für seine Geduld und seinen klugen Rat danken, mit denen er die Arbeit begleitet und gefördert hat. Ich danke Herrn Volker Kröning, der mir als seinem früheren Mitarbeiter verständnisvoll alle Freiheiten und seine Unterstützung gewährte, um die Arbeit beginnen zu können. Bedanken möchte ich mich auch bei Frau Ruth Elena Borja Santa Cruz, der Direktorin des Centro de Información para la Memoria Colectiva y los Derechos Humanos in Lima, und ihrer Mitarbeiterin Frau Karina Fernández. Sie halfen mir nicht nur bei der Orientierung durch die Akten der peruanischen Wahrheitskommission, sondern auch durch ihr kritisches Hinterfragen, durch Diskussionen sowie mit ihren eigenen Expertisen und persönlichen Erfahrungen aus der in dieser Arbeit untersuchten Epoche. Besonders verpflichtet bin ich Herrn Dr. Pablo Talavera Elguera, ehemaliger Präsident der Sala Penal Nacional, und seiner Mitarbeiterin Frau Dr. Marcelita Gutierrez. Herr Talavera ermöglichte mir den Zugang zu den bisher unter Verschluss gehaltenen Polizei- und Gerichtsakten des zwischen 2005 und 2006 an seinem Gericht durchgeführten Verfahrens gegen den Gründer und Anführer des Leuchtenden Pfads, Abimael Guzmán. Mein Dank geht auch an Frau Dr. Luz del Carmen Ibáñez Carranza, die mir in ihrer Funktion als Fiscal Superior gestattete, die entsprechenden Unterlagen der Staatsanwaltschaft einzusehen. Herrn Benedicto Jiménez Bacca danke ich für die mir vermittelten Einblicke in die Arbeit der Sicherheitskräfte, vor allem des Grupo Especial de Inteligencia, dem unter dessen Kommando im September 1992 die Verhaftung Abimael Guzmáns gelang. Ein spezieller Dank geht an meine Freundinnen und Freunde Marie Manrique, Michelle Leiby, Christa Wetzel und Gabriel Salazar Borja, mit denen ich nicht nur ceviche und manchen pisco sour genoss, sondern die mich in langen und intensiven Diskussionen immer wieder forderten und mir so halfen, meine Argumente zu schärfen und mein Verständnis für die peruanischen Geschichte weiter zu entwickeln. Ermöglicht wurde die Studie durch ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung, die ihren Stipendiaten auf seinen manchmal verschlungenen Wegen wohlwollend und unbürokratisch unterstützte – Danke! Dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und seiner Präsidentin, Frau Prof. Jutta Allmendinger Ph.D, gebührt mein tiefer Dank für die großzügige finanzielle Unterstützung, die den Druck dieses Ban-

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Danksagung

des erst möglich machte. Schließlich aber danke ich meiner Familie, die mir alle Täler zu durchqueren half, durch die mich diese Arbeit führte, und auf deren Zuspruch und Zuneigung ich immer und uneingeschränkt zählen durfte. Ihr ist dieses Buch gewidmet.

Einleitung „nos lleva de la tiniebla a la luz, esa es la solución, esa es la gran llamarada que quemará la inquietud y nos hará indoblegables espadas por siempre jamás camaradas, eso es lo que tenemos que hacer y tenemos que hacerlos pronto, por qué pronto? Porque está maduro y como está maduro, no podemos perder tiempo camaradas. Un minuto perdido camaradas, es un cargo de conciencia, un día perdido es un infierno. [...] Bien, me parece camaradas, que el momento entonces que tenemos es sencillamente histórico, histórico y decisivo, es la ruptura en definitiva [...]“.1 Im April 1980 bereitete Manuel Rubén Abimael Guzmán Reinoso mit diesen Worten die Mitglieder des Zentralkomitees und andere hohe Anführer des von ihm gegründeten und angeführten Leuchtenden Pfads auf den unmittelbar bevorstehenden Beginn des bewaffneten Kampfes gegen den peruanischen Staat vor. Zehn Jahre nach der Gründung der Partei in der Provinzhauptstadt Ayacucho und mehreren Jahren im Untergrund sah der ehemalige Universitätsprofessor Guzmán den Augenblick für seine Organisation gekommen, die von Beginn an propagierte guerra popular zu starten und mit ihr den gewaltsamen Systemwechsel im Land herbeizuführen. Die ersten Aktionen des Leuchtenden Pfads besaßen jedoch zunächst einen eher symbolischen denn militärischen Charakter. Am 17. Mai 1980, einen Tag vor den ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen Perus nach dem Ende einer zwölfjährigen Militärherrschaft, überfiel eine kleine Gruppe senderistas das Wahllokal der Ortschaft Chuschi und verbrannte einige der dort aufgestellten Wahlurnen. Am 15. Juni 1980 detonierte ein Sprengkörper am Grab von Juan Velasco Alvarado, dem ersten Präsidenten der soeben abgetretenen Militärregierung. Und im Dezember des gleichen Jahres, dem Geburtsmonat des ideologisch-militärischen Vorbildes des Leuchtendenden Pfads Mao Tse-tung, hingen in der Hauptstadt Lima plötzlich tote Hunde an den Straßenlaternen, denen Schilder mit der Aufschrift „Teng Siao-Ping. Hijo de Puta!“ um den Hals gelegt worden waren. Angesichts solch sonderbar anmutenden Aktionen wurde der Leuchtende Pfad von der Öffentlichkeit, der Presse sowie der offiziellen Politik zunächst als provinzielle, rätselhafte und exotische Erscheinung aufgefasst, deren Ankündigung eines bewaffneten Kampfes angesichts der aktuellen Rückkehr des Landes zur Demokratie zudem merkwürdig anachronistisch wirkte.2 Zwar besaßen die 1 2

DINCOTE, DH-SL-0152, PCP-SL (03/04 1980): II. Sesión Plenaria del Comité Central. Palabras finales del camarada Gonzalo en la sesión ampliada del CC. Quellenzitate entsprechen, falls nicht anders vermerkt, der Ortographie der Quelle. Vgl. Stern (1998): Enigma, S. 1.

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staatlichen Sicherheitsbehörden schon frühzeitig erste Erkenntnisse über die Planungen der Partei. Im Hochbetrieb des System- und Regierungswechsels sowie aufgrund persönlicher und institutioneller Rivalitäten gingen derartige Informationen jedoch unter bzw. erreichten die entscheidenden Stellen nicht.3 Stattdessen wurden die Aufständischen im September 1980 von Perus führendem Nachrichtenmagazin Caretas noch als „Senderito Luminoso“ belächelt.4 Und im Dezember 1980 schien Caretas die aktuellen Geschehnisse in Ayacucho noch immer mit dem Plot eines zweitklassigen Westernfilms zu verwechseln, als es einen Artikel mit „Bim Bam Bum en Ayacucho“ betitelte.5 Aber nicht nur die Presse, sondern auch die Politik zeichnete sich durch eine Fehlwahrnehmung des Leuchtenden Pfads aus. Während etwa Vertreter der politischen Linken konservative Kreise als Drahtzieher der ersten Aktionen beschuldigten, bezichtigten Regierungsvertreter und Angehörige der politischen Rechten ausländische Mächte, vor allem Kuba, der Urheberschaft des Leuchtenden Pfads. Noch im September 1981 bezeichnete der Staatspräsident Fernando Belaúnde Terry die Aktionen des Leuchtenden Pfads als „plan dirigido, organizado y financiado desde el exterior“6 – eine unhaltbare Theorie, die Belaúnde aber auch in der Folgezeit immer wieder auch öffentlich vertrat.7 Von der Universität zur Revolution

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte sich der Leuchtende Pfad 1970 in Ayacucho, der Hauptstadt des gleichnamigen Departements, gegründet und sich in den Folgejahren der Entwicklung seines Organisationsaufbaus und des ideologischen Überbaus gewidmet. Der Leuchtende Pfad war das Produkt eines mehrstufigen Abspaltungsprozesses innerhalb des Partido Comunista del Perú (PCP) in der Folge des chinesisch-sowjetischen Zerwürfnisses von 1963. Während der pro-sowjetische Teil der Abspaltung, PCP-Unidad, als Einheit bestehen blieb, brach der pro-chinesische Teil, PCP-Bandera Roja, dagegen immer weiter auseinander (vgl. Abbildung Nr. 1). 1967 spaltete sich der PCP-Patria Roja ab, und 1970 führten Spannungen innerhalb der Führungsspitze des PCP3 4 5 6 7

Den besten Überblick über die frühen Kompetenzstreitigkeiten der staatlichen Behörden gibt Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero. Caretas (1980a): Senderito, S. 23. Caretas (1980b): Ayacucho, S. 28. Zitiert nach Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 26. Nach Ansicht einiger Beobachter lagen der Ignoranz der hauptstädtischen Eliten auch ethnosoziale und rassistische Wurzeln zugrunde; vgl. de Wit und Gianotten (1992): Failures, S. 53f.

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Bandera Roja zu der Gründung des PCP-Por el Sendero Luminoso de Mariátegui in Ayacucho durch Abimael Guzmán, der den Namenszusatz einer Parole der komiteenahen Studentenorganisation Frente Estudiantil Revolucionario entlehnt hatte.8 Abbildung Nr. 1:

Vorgänger des Partido Comunista del Peru – Por el Sendero Luminoso de Mariátegui 1930–1970 PCP Partido Socialista Partido Comunista del Peru - 1928 -

Partido Comunista „Bandera Roja“ (pro-chinesisch) - 1964 -

Partido Comunista del Perú „Patria Roja“ - 1967 -

Partido Comunista del Perú „Bandera Roja“ - 1970 -

Partido Comunista „Unidad“ (pro-sowjetisch) - 1964 -

Partido Comunista del Perú „Bandera Roja“ - 1967 -

Partido Comunista del Perú - Por el Sendero Luminoso de Mariátegui - 1970 -

Quelle: Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 94.

Nach eigenem Selbstverständnis verstand sich der Leuchtende Pfad als politische Partei – dies bedeutete jedoch nicht, dass er sich einem parlamentarischen Wettbewerb auf regionaler oder nationaler Ebene zu stellen bereit war. So blieb der Leuchtende Pfad bis zu seinem Ende eine Partei „that would radically affect the future of Peru without ever fielding an electoral candidate“.9 Tatsächlich blieben der Aktionsraum sowie die öffentliche Präsenz des Leuchtenden Pfads in den ersten Jahren seiner Existenz vor allem auf die lokale Universität Ayacuchos, die Universidad Nacional San Cristóbal de Huamanga (UNSCH) beschränkt. Die UNSCH, 1677 als zweite Universität des Landes 8 9

Für einen Überblick über die parteipolitische Entstehung des Leuchtenden Pfads und seine Entwicklung an der Universität von Ayacucho vgl. Chang-Rodríguez (1988): Origins und Degregori (1990a): Surgimiento. Tarazona-Sevillano (1990): Sendero, S. 2.

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gegründet und 1884 während des Chilenisch-Peruanischen Krieges geschlossen, wurde im Juli 1959 wiedereröffnet10 und sollte für Ayacucho und seine Region fortan eine bedeutende Rolle spielen. Sowohl in akademischer als auch in sozialpolitischer Hinsicht verstand sich die Universität von Beginn an als moderner und aktiver Akteur innerhalb der regionalen Gesellschaft. Neuartige Curricula-Modelle, die Pflicht, Quechua zu erlernen, intensive Feldarbeit der Anthropologen und spezielle Programme in den Ingenieurs- und weiteren Sozialwissenschaften sollten nicht nur den Studenten, sondern auch der Region insgesamt von Nutzen sein. In den Anfangsjahren erhielt die UNSCH dabei auch Unterstützung ausländischer Regierungen und internationaler Hilfsorganisationen.11 Von Anfang an konzentrierte sich die Arbeit Abimael Guzmáns darauf, innerhalb der UNSCH die eigene Anhängerschaft zu vergrößern und die ideologischen Grundfesten der Organisation weiter zu entwickeln und zu schärfen. Zwischen 1971 und 1972 gründete der Leuchtende Pfad den Centro de Trabajo Intelectual Mariátegui (CTIM), in dem Studenten und Parteikader die intensive Exegese des Werkes des Gründers der Sozialistischen Partei Perus betrieben. Der Einfluss des Leuchtenden Pfads innerhalb der UNSCH erreichte zu Beginn der 1970er Jahre ihren Höhepunkt. Dank seiner Stellung im Verwaltungsrat setzte Guzmán Veränderungen des Lehrplans zugunsten marxistischer Kurse und Seminare sowie die Einstellung neuer Professoren durch, wobei die Auswahlkriterien vorrangig nach politischer Ausrichtung gesetzt wurden. Gleichzeitig dominierte der Leuchtende Pfad die Dozentengewerkschaft Sindicato Docente de la Universidad San Cirstóbal de Huamanga und einen Teil der organisierten Studenten.12 Bereits in den frühen 1970er Jahren gelang es der Partei, mithilfe der Studentenverbände auch in anderen Hochschulen des Landes Fuß zu fassen.13 Auch wenn das Aktionsfeld des Leuchtenden Pfads während der 1970er Jahre vornehmlich auf die universitären und schulischen Einrichtungen des Landes beschränkt blieb, gehörte der Ruf nach einem Volkskrieg zur Durchsetzung eines umfassenden Systemwechsels im Land zu den Kernpunkten seines politischen Forderungskataloges. Immer wieder machte die Parteispitze deutlich, dass der Aufbau der eigenen Partei untrennbar mit der Vorbereitung eines bewaffneten Kampfes verbunden war. Entsprechend hieß es in einem Dokument von 1975: 10 Vgl. Pareja Pflücker (1981): Terrorismo, S. 2. 11 Vgl. Palmer (1986): Rebellion, S. 135f.; Harding (1987): Rise, S. 182 und Granados (1992): Ideología, S. 146. 12 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 581–583. 13 Vgl. Chang-Rodríguez (1988): Origins, S. 71.

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„Retomar el Camino de Mariátegui es Reconstituir el Partido Comunista, su Partido; es trabajar por su construcción ideológico-política, desarrollando los fundamentos que le diera su fundador y es, simultáneamente, pugnar por su construcción organizativa reajustando lo orgánico y lo político. Reconstruir el Partido es hoy, en síntesis, impulsar su reconstitución Retomando a Mariátgui y apuntando al desarrollo de la guerra popular.“14

Wie sich einige Jahre später zeigen sollte, handelte es sich bei solchen Forderungen nicht um inhaltsleere Parolen. Im Unterschied zu vielen anderen Akteuren der politischen Linken war der Leuchtende Pfad gewillt, den bewaffneten Kampf nicht nur zu propagieren, sondern auch umzusetzen. Neben der inhaltlichen Ausarbeitung der ideologischen Leitlinien im CTIM, der organisatorischen Expansion an den unterschiedlichen nationalen Universitäten begann die Partei schon früh damit, sich mit den sozioökonomischen Begebenheiten der Region vertraut zu machen. Angespornt von Abimael Guzmán strömten Parteikader zurück in ihre Herkunftsregionen, aber auch in andere Gemeinden des südlichen Hochlandes, um mithilfe eigener sozialer Netze weitere Kontakte zur Bevölkerung zu knüpfen, politische Schulungen durchzuführen und sich eine solide Informationsbasis über zukünftige militärische Operationsgebiete zu schaffen.15 Auf Grundlage dieser Informationen entstand mit der Zeit ein detailliertes Lagebild, dass für die Durchführung des angestrebten Volkskrieges von erheblicher Bedeutung war16: „The party leadership received precise and detailed information on the area’s geographic and topographic reality, the internal structure of the communities, the aims of the peasants, and, above all, the local power and authority networks whose key figures were to be removed or co-opted once the armed struggle began“.17 In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre begann der Leuchtend Pfad, sich aus seinem akademischen Umfeld zurückzuziehen, die öffentliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu reduzieren und den Weg in den Untergrund anzutreten. Abimael Guzmán und seine engsten Mitstreiter zogen sich von Ayacucho in die Hauptstadt Lima zurück, von wo aus die Parteiführung den bewaffneten Kampf steuerte. Am Ende des Jahrzehnts stand für die Partei die Überzeugung unverrückbar fest, dass eine politische und wirtschaftliche Neuordnung des Landes allein durch die militärische Umwerfung des herr14 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1975a): Mariátegui, S. 91. 15 Vgl. Poole und Rénique (1992): Peru, S. 40f. 16 Vgl. DINCOTE, DH-SL-0122, PCP-SL (1979): Sintesis de la investigación en las tres zonas del Regional Principal; DINCOTE, DH-SL-0068, PCP-SL (1977): Información economía general und DINCOTE, DH-SL-0132, PCP-SL (Ohne Datum): Cuestionario para las organizaciones partidarias. 17 de Wit und Gianotten (1992): Failures, S. 47.

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schenden politischen Systems möglich sei. Am 1. Mai 1980 schließlich zeigte sich der Leuchtende Pfad ein letztes Mal öffentlich am Ort seiner Entstehung. Umrahmt von einem roten Fahnenmeer hatten sich seine Mitglieder auf dem Campus der UNSCH versammelt, um den Beginn des bewaffneten Kampfes zu verkünden: „Pusieron Banderas en las esquinas […], estilo chino. […] me quedé, llegó más gente y empezaron los discursos bélicos, ‘vamos a reconstruir la historia’, discursos proféticos, me dicen que Edith Lagos habló allí [...] Casanova, Zorrilla, Durand hablaban del futuro que había de construir, recuerdo las palabras de Durand que digo algo parecido a esto, ‘nuestros hijos cosecharan lo que hagamos, aunque muramos, ellos verán nuevo futuro’, un discurso para irse a luchar, luego de esa reunión desaparecieron.” „Despidiendo a Mezzich que se iba al campo con toda la parafernalia de China, de la guerra popular, con imágenes de Mao Tse Tung, banderas, estrellas, bosque de banderas, ya sabíamos que estaban iniciando a su guerra.“18

Die Expansion der guerra popular

Anfänglich verkannt von der breiten nationalen Öffentlichkeit, entpuppte sich der Leuchtende Pfad schon bald als ein dauerhaftes Phänomen, das sich nicht auf seine Ursprungsregion eingrenzen ließ, das eine hohe organisatorische und ideologische Schlagkraft zu entwickeln in der Lage war und das den peruanischen Staat zu Beginn der 1990er Jahre militärisch in die Knie zu zwingen schien. Bereits ein Jahr nach der Urnenverbrennung von Chuschi erhielt das in Lima operierende Zentralkomitee der Partei Berichte erster Aktivitäten untergeordneter Parteieinheiten aus Jaén, Cangallo, Arequipa, Ancash, Chiclayo, Puno, Cuzco, Iquitos und Huaráz, mithin also aus fast allen Teilen des Landes.19 In den Folgejahren trug der Leuchtende Pfad seinen bewaffneten Kampf in alle Landesteile und erzeugte in zunehmendem Maße den Eindruck militärischer Omnipräsenz. Ausgangspunkt der Expansion war die Geburtswiege der Organisation, das Departement Ayacucho, sowie dessen Nachbardepartements Huancavelica und Apurímac. Die Verwurzelung des Leuchtenden Pfads in diesen ländlich geprägten Hochlandsregionen hatte zur Folge, dass verschiedene Untersuchungen aus der Anfangsphase des bewaffneten Kampfes die Partei als eine vornehmlich bäuerlich-indigene Organisation interpretierten, deren Entstehung mit Verweis auf eine ökonomische Subsistenzkrise der Bauernschaft 18 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 392. 19 DINCOTE, DH-SL-0158, PCP-SL (7.–16.5.1981): IV. Sesión plenaria del Comité Central. Desplegar la guerra de guerrillas.

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sowie auf nur unzureichende staatliche Reformbemühungen erklärt wurde.20 Angesichts der stetigen Expansion des Leuchtenden Pfads auch in andere Regionen des Landes hinein, wurde diesen Ansätzen in den Folgejahren durch eine Reihe weiterer Studien widersprochen, die auf den universitären Ursprung, der daraus resultierenden hohen Anzahl von Studenten und Akademikern in den Reihen des Leuchtenden Pfads, die unerfüllten Erwartungen dieses Personenkreises auf soziale Mobilität sowie auf verschiedene soziale, ökonomische und politische Krisensymptome des gesamten Landes hinwiesen.21 Mit Beginn der Gegenoffensive durch das peruanische Militär im Dezember 1982 erlebten die drei Kerndepartements des Leuchtenden Pfads bis in die Jahre 1983/84 einen enormen Anstieg der Anzahl der Todesopfer (vgl. Abbildung Nr. 2). Militärisch schwer unter Druck geraten, wich der Leuchtende Pfad in andere Landesteile aus, wobei er zur Mitte der 1980er Jahre in die Departements San Martín und Huánuco vorstieß, in denen sich mit dem Valle del Alto Huallaga das größte Drogenanbaugebiet Perus befand. Abbildung Nr. 2: Anzahl der gegenüber der Wahrheitskommission berichteten Todesopfer und verschwundenen Personen, 1980–1994

Quelle: Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Anexo 4, S. 22.

20 Vgl. Taylor (1983): Maoism; Favre (1984): Peru; McClintock (1984): Peasants und Palmer (1986): Rebellion. 21 Vgl. Degregori (1985): Sendero; Degregori (1990a): Surgimiento und Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 41–64.

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Im Valle del Alto Huallaga etablierte sich der Leuchtende Pfad als aktiver Teilnehmer im Drogenhandel, an den u.a. Bauern und Drogenhändler Gebühren für den Anbau und die Nutzung von Landebahnen abzuführen hatten. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verstärkte der Leuchtende Pfad seine Präsenz in den Departements der Zentralanden, Junín und Pasco. Vor allem Junín besaß eine erhebliche strategische Bedeutung für den Leuchtenden Pfad, da von hier aus große Teile der Versorgung Limas etwa mit Elektrizität und Trinkwasser geleistet wurden. Seit 1987 erlebte Junín einen stetigen Anstieg der Aktivitäten des Leuchtenden Pfads, und 1991 realisierte die Partei in Junín so viele Aktionen wie nie zuvor in einem einzelnen Departement seit 1983 in Ayacucho.22 Nur sehr langsam konnte sich der Leuchtende Pfad dagegen im äußersten Süden des Landes, im Departement Puno, festsetzen.23 Erst gegen Ende der 1980er Jahre gelang es der Partei, Breschen in die lange Zeit erfolgreiche Barriere zu schlagen, die ein Bündnis von Gewerkschaften, Kirchen, politischen Parteien und Bauernverbänden gegen sie gebildet hatte. Wie verschiedene Studien aufzeigen, wies die Expansion des Leuchtenden Pfads in allen Regionen gewisse Parallelen auf. So gelang es der Partei u.a. immer wieder, bestehende Spannungen innerhalb der verschiedenen lokalen sozialen Gruppen zu verschärfen und für seine eigenen Interessen zu nutzen sowie durch die Übernahme ehemals staatlicher Hoheitsaufgaben, wie etwa die Sicherung der öffentlichen Ordnung, zunächst an Sympathie zu gewinnen. Aufgrund der eigenen rigiden Weltanschauung und des hohen Maßes an Gewalteinsatz stieß sie aber immer wieder auch auf Grenzen und Widerstand.24 Ebenfalls gegen Ende der 1980er Jahre intensivierte die Partei – trotz heftiger interner Auseinandersetzungen über die Richtigkeit dieser Strategie – ihre Aktivitäten in der Hauptstadt Lima. Die Auseinandersetzung im politischen und wirtschaftlichen Zentrum des Landes besaß für alle Konfliktparteien eine hohe militärische und eine immense psychologische Bedeutung. Innerhalb weniger Jahre erhöhte die Partei die Anzahl ihrer Aktionen beträchtlich – Autobomben, gezielte Ermordungen politischer Gegner, Sabotageakte auf zentrale Infrastrukturenrichtungen u.ä. schürten zu Beginn der 1990er Jahre in der Öffentlichkeit ein Klima der Furcht und nährten die Befürchtung eines nahenden Zusammenbruchs des peruanischen Staates.25 Eine Dekade nach dem Beginn seines bewaffneten Kampfes schien der ehemals als „Senderito“ verspottete Leuchtende Pfad dem militärischen Sieg nahe, 22 Vgl. Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 187–226. 23 Zur Expansion des Leuchtenden Pfads in Puno vgl. Rénique (1998): Apogee. 24 Vgl. Balbi (1992): Sendero; Berg (1992): Responses; Degregori (1996): Rondas; Burt (1998): Shining Path; del Pino (1998): Family und Burt (2007): Violence. 25 Zum Kampf um Lima vgl. Burt (2007): Violence.

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der Staat in Auflösung. Diese Entwicklung verursachte zunehmende Besorgnis auch bei internationalen Beobachtern: Hochrangige Beamte des U.S.-Außenministeriums etwa gingen soweit, im amerikanischen Kongress die Möglichkeit einer militärischen Intervention zu erörterten, um einen „third genocide“26 zu verhindern. Tatsächlich waren die Opferzahlen des Konflikts enorm: Die peruanische Wahrheitskommission beziffert die Anzahl der Todesopfer auf 69.280, von denen der größte Teil durch Aktionen des Leuchtenden Pfad starb.27 Die Entwicklung des Leuchtenden Pfads von einer studentischen Lesegruppe zur „most brutal and fanatical guerrilla group in Latin America”28 lenkt den Blick auf die organisatorischen Fähigkeiten der Partei. Trotz ihres raschen Zusammenbruchs in Folge der Verhaftung von Abimael Guzmán und anderen Mitgliedern des Zentralkomitees im September 1992 deutet die fortwährende Expansion der Organisation dennoch darauf hin, dass sie über viele Jahre hinweg und innerhalb unterschiedlicher lokaler und regionaler Rahmenbedingungen kontinuierlich in der Lage war, die für ihren Kampf notwendigen Ressourcen – Menschen, Finanzen und Kampfgerät – zu mobilisieren und ihren Unterstützern zugleich ein überzeugendes politisch-ideologisches Angebot zu machen. Diese Leistung des Leuchtenden Pfads wird von verschiedenen Beobachtern unterstrichen: So konstatiert Michael L. Smith „What is unique about Sendero is that it has set off on this Andean jihad without first having a slice of power and resources. It is also striking to see this strategy played out on the Peruvian map with almost Prussian precision.“29 Und Iván Hinojosa ergänzt: „[Sendero Luminoso, SCW] ha podido crear una estructura sorprendentemente eficaz para los estándares de un país caracterizado por su ineficiencia y ha desarrollado una capacidad de iniciativa política insospechada.“30 Gabriela Tarazona-Sevillano bemerkt: „Shining Path [...] stands out among guerrilla and terrorist groups worldwide for its strong and complex organization [...] These defining characteristics have helped Sendero adapt to changing circumstances in Peru and maintain itself as a viable, expanding insurgency.“31 David Scott Palmer hält schließlich fest: „Shining Path defines the setting in the ways that make revolutions the only possible outcome, and then wages revolution on its

26 Zitiert nach Ibid., S. 101. 27 Der von der Wahrheitskommission untersuchte Zeitraum erstreckt sich von 1980 bis 2000. Zur Berechnung der Opferzahlen vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Anexo 3. 28 Graham (1992): APRA, S. 157. 29 Smith (1992): Ground, S. 29. 30 Hinojosa (1992): Poder, S. 92. 31 Tarazona-Sevillano (1990): Sendero, S. 171.

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own terms. Thus insurgency itself becomes the independent variable, not dependent on social, economic, or external factors.“32 Diese Befunde stehen in einem auffälligen Gegensatz zu den Lehrsätzen der einflussreichsten Theorien zur Erklärung der Ursachen von Revolutionen. Wie im folgenden Kapitel noch detaillierter zu zeigen sein wird, betont die Revolutionsforschung nicht so sehr die organisatorischen Leistungen der Revolutionäre, sondern vor allem strukturalistische Erklärungsmodelle, in denen in erster Linie die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen als entscheidende Ursachen gewaltsamen Protests in den Mittepunkt der Analyse rücken. Paradigmatisch für diese Sichtweise steht Theda Skocpol, die in ihrem Standardwerk States and Social Revolutions zu dem Urteil kommt: „It will simply not do [...] to try to decipher the logic of the processes or outcomes of a social revolution by adopting the perspective or following the actions of any one class or elite or organization – no matter how important its participatory role“.33 Dieser Lesart zufolge stellen handelnde Akteure lediglich Randfiguren innerhalb größerer historischer Prozesse dar, die durch sie nicht beeinflusst werden können. Die Voranstellung vor allem ökonomischer Variablen findet sich auch in der bisher einzigen Studie, die das Beispiel des Leuchtenden Pfads in die revolutionstheoretische Debatte stellt. Obwohl Cynthia McClintock bereits im Titel ihrer Studie „Revolutionary Movements in Latin America. El Salvador’s FMLN and Peru’s Shining Path“ von 1998 auf die revolutionären Akteure verweist und auch der Darstellung einiger ihrer organisatorischen Merkmale Platz einräumt, kommt sie zu dem Ergebnis, dass die „sine qua non in Peru’s revolutionary experience“ in dem „economic debacle“ des Landes zu finden sei.34 Zwar ist McClintock deutlich eher als Skocpol bereit, den revolutionären Akteuren eine eigenständige Rolle zuzubilligen. Dennoch sind auch für sie letztlich die äußeren Rahmenbedingungen von entscheidender Bedeutung. So stellt McClintock fest, dass ihre Arbeit „undermines voluntarist interpretations of revolution by emphasizing that what matters is not the organisation, but the fit between the organisation and its contexts“.35 Wie die vorliegende Untersuchung zeigt, greift McClintock mit dieser Annahme jedoch zu kurz. Neben dem Leuchtenden Pfad propagierten auch andere Gruppierungen vor allem der politischen Linken die Notwendigkeit eines bewaffneten Kampfes. Und auch diese Gruppen bewegten sich innerhalb des gleichen ökonomischen und politischen Kontextes wie der Leuchtende Pfad, hatten also grundsätzlich den gleichen „fit“. Dennoch 32 33 34 35

Palmer (1992): Introduction, S. 13. Skocpol (1979): States, S. 18. McClintock (1998): Movements, S. 14. Ibid., S. 16.

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war es allein der Leuchtende Pfad, der den bewaffneten Kampf aufnahm. Wie darzustellen sein wird, ist der Grund hierfür in seinen spezifischen organisatorisch-ideellen Eigenschaften zu suchen, die ihn von anderen politischen Gruppen deutlich unterschieden. Der Untersuchungszeitraum

Die Jahre zwischen 1970 und 1993 stecken das Zeitfenster von der Entstehung des Leuchtenden Pfads bis zur Verkündung eines Friedensangebots durch Abimael Guzmán an den peruanischen Staatspräsidenten Alberto Fujimori ab. In diesen 23 Jahren entwickelte sich der Leuchtende Pfad von einer studentischen Lese- und Exkursionsgruppe an der Universität von Ayacucho zu einer der weltweit am meisten beachteten Aufstandsbewegungen. Alle wesentlichen organisatorischen und ideellen Leistungen der Partei fallen daher naturgemäß in diesen Zeitabschnitt. Nach der Verhaftung Guzmáns und weiterer Mitglieder des Zentralkomitees am 12. September 1992 sowie nach Guzmáns Angeboten von September und Oktober 1993 an den peruanischen Staat, den bewaffneten Konflikt zu beenden, brach die Partei organisatorisch und ideologisch fast vollständig zusammen. Zwar existiert der Leuchtende Pfad noch immer. Aufgrund verschiedener interner Spaltungen, diverser Führungswechsel, der sehr geringen Mitgliederzahl sowie seiner Entwicklung hin zu einer gewöhnlichen kriminellen Bande unterscheidet sich die aktuelle Formierung jedoch signifikant von ihrem Vorläufer. Aus diesem Grund berücksichtigt die vorliegende Arbeit die Entwicklung des Leuchtenden Pfads nach1993 nicht mehr. Fragestellung, Relevanz und Verortung der Arbeit in der wissenschaftlichen Diskussion

Die vorliegende Arbeit bestreitet die Erkenntnisse strukturalistischer Modelle grundsätzlich nicht. Die Grundannahme der vorliegenden Arbeit ist jedoch, dass die Entstehung und der Verlauf des bewaffneten Konflikts in Peru zwischen 1980 und 1993 mit dem Verweis auf die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen des Landes nicht ausreichend erklärt werden können. Zweifellos bildeten die zunehmende wirtschaftliche Talfahrt des Landes, die daraus resultierenden gravierenden sozialen Disparitäten sowie die fast vollständige Auflösung des Parteiensystems und der Zerfall der staatlichen Integrität die notwendigen Bedingungen für den erfolgreichen Aufstandversuch eines gewaltbereiten Akteurs. Ausreichend waren sie jedoch nicht. Erst ihr Zusammentref-

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fen mit dem zum militärischen Kampf entschlossenen sowie organisations- und mobilisierungsfähigen Leuchtenden Pfad, der zudem die sich ihm bietenden Gelegenheitsstrukturen zu erkennen und auszunutzen im Stande war, führte zum Ausbruch und dem Andauern des bewaffneten Kampfes. Eine derartige Entwicklung war 1980 allerdings nicht zu erwarten. Das Ende der Militärdiktatur und die daran im Anschluss folgende Öffnung des politischen Systems ließen zwar einen verstärkten Wettbewerb der politischen Akteure durchaus erwarten. Gestützt durch demokratisch und transparent verfasste Institutionen und eingebettet in einen rechtsstaatlichen Rahmen existierte nunmehr eine ganze Reihe von rechtlich sanktionierten Möglichkeiten der politischen Mobilisierung und Partizipation.36 Deren Intensität und Beschaffenheit hätte jedoch durch die liberaldemokratische Normierung der neuen Verfassung kanalisiert und diszipliniert werden sollen. Anders als noch wenige Jahre zuvor, erschien ein Rückgriff etwa auf gewaltsame Formen der Interessensdurchsetzung politisch weder sinnvoll noch notwendig. Die Existenz eines politischen Akteurs, dessen Handeln sich jedoch nicht so sehr nach der politischen Konjunktur, sondern in erster Linie entlang eines eigenen Planungshorizontes ausrichtete, setzte die Wirksamkeit der demokratischen Grundmechanismen allerdings weitgehend außer Kraft. Dies beförderte in der Folge nicht nur die zunehmende Erosion der bestehenden Grundordnung, sondern auch die Neuerrichtung eines autoritären Regimes.37 Um diese Durchschlagskraft zu entwickeln, musste ein solcher Akteur spezifische Bedingungen erfüllen und Fähigkeiten besitzen, die ihn klar von allen anderen Akteuren unterschieden und ihm zugleich ein gewisses Maß an Autonomie von den ihn umgebenden Konjunkturzyklen ermöglichten. Wie die Ergebnisse dieser Studie zeigen, trafen diese Voraussetzungen auf den Leuchtenden Pfad zu. Er entwickelte unterschiedlich erfolgreiche Mechanismen zur Mobilisierung materieller und personeller Ressourcen, was sich direkt auf seine militärischen Fähigkeiten, sein operatives Vorgehen und somit auf den Gesamtverlauf des Konflikts übertrug. Parallel dazu erbrachte die Partei eine ganze Reihe ideeller Leistungen, die wesentlich zu ihrer organisatorisch-ideologischen Kohäsion beitrugen, materielle Defizite kompensierten, die Außenwahrnehmung der Organisation wesentlich prägten und daher ebenfalls direkten Einfluss auf den Gesamtkonflikt besaßen. Zu diesen ideellen Leistungen gehörten etwa die Konstruktion der kollektiven Identität der Par36 Entsprechend billigt die Forschung dem Land für die Jahre von 1980 bis 1992 trotz aller politischen Inkonsistenzen und zunehmenden Menschrechtsverletzungen den Status einer Demokratie zu; vgl. Ibid., S. 93-155. 37 Zur Diskussion über die Mobilisierung gewaltsamen Protests und Revolutionen in Demokratien vgl. Rapoport und Weinberg (2000): Elections und Hegre, Ellingsen, Gates und Gleditsch (2001): Peace.

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tei, die Gestaltung parteieigener Symbole und Kulturformen sowie der Aufbau eines Personenkults um Abimael Guzmán. Eingerahmt von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes hingen Erfolg und Misserfolg des Leuchtenden Pfads somit maßgeblich von seinen innerorganisatorischen Fähigkeiten und Leistungen ab: Während sich die Partei mithilfe ihrer organisatorisch-militärischen und ideellen Eigenschaften deutlich von allen anderen politischen Akteuren des Landes abgrenzte und so für eine kleine, radikale und gewaltbereite Personengruppe des Landes zum idealen Vehikel ihrer Protestbereitschaft wurde, führten sie mit zunehmendem Konfliktverlauf allerdings zu einer ansteigenden Ablehnung der Partei durch die gesellschaftliche Mehrheit des Landes. Vor allem innerhalb der für den Leuchtenden Pfad wichtigen Gruppe der Bauernschaft wandelte sich die anfängliche Sympathie zu einem bewaffneten Widerstand, der wesentlich zu der militärischen Niederlage der Partei im Hochland beitrug. Nicht nur der militärische Verlauf des Konflikts, sondern wesentliche Aspekte der Entwicklung Perus innerhalb des Untersuchungszeitraums wurden durch die organisatorische und ideologisch-politische Verfasstheit des Leuchtenden Pfads in hohem Maße beeinflusst. Für die theoretische Neubewertung des Leuchtenden Pfads und seines Kampfes gegen den peruanischen Staat müssen daher die bisherigen Untersuchungen der strukturellen Rahmenbedingungen um eine genaue Analyse der internen Organisation des Leuchtenden Pfads ergänzt werden. Mit diesem Ergebnis schließt die vorliegende Arbeit in einem ersten Schritt an neuere Ansätze der Revolutionsforschung an, die im Gegensatz zu den strukturalistischen Modellen die Bedeutung der Revolutionäre für die Entstehung und den Verlauf von Revolutionen herausstreichen. Als einer der führenden Vertreter dieses Ansatzes erklärt etwa Eric Selbin in klarem Gegensatz zu Skocopol: „Revolutions are human creations – with all the messiness inherent in such a claim – rather than inevitable natural processes. The focus, therefore, needs to be on people, not structures; choices, not determinism […].“38 Selbins Forderung folgend, steht die Herausarbeitung der akteursspezifischen Leistungen des Leuchtenden Pfads und seiner Parteimitglieder im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung. Die Leitfragen, denen dabei nachgegangen werden soll, sind: Auf welche Art und Weise gelang es dem Leuchtenden Pfad, die für die Organisation und Durchführung seines bewaffneten Kampfes notwendigen materiellen Ressourcen zu mobilisieren? Wer trat dem Leuchtenden Pfad als Mitglied auf welche Weise bei und warum? Mit welchen ideellen Instrumenten und Mechanismen gelang es der Partei, ihre Mitglieder dauerhaft an die Organisation zu binden? Wie grenzte sich der Leuchtende Pfad von anderen politi38 Selbin (1997): Revolution, S. 123.

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schen Akteuren ab? Welche Vorteile und Beschränkungen ergaben sich für den Leuchtenden Pfad und seinen bewaffneten Kampf aus seiner organisatorischideellen Verfasstheit? Derartige Fragen sind mit dem theoretischen Instrumentarium der klassischen Revolutionsforschung nur sehr eingeschränkt zu beantworten. Wie im ersten Kapitel näher beleuchtet, werden aus diesem Grund auch akteurs- und kulturbezogene Konzepte anderer Disziplinen, insbesondere der Bewegungsforschung, herangezogen, so dass ein verbesserter Zugang zu den formulierten Fragen geschaffen wird. Mit diesem Vorgehen greift die vorliegende Arbeit einen ersten Vorstoß von James Ron auf, der bereits 2001 die „tactical escalation“ des Leuchtenden Pfads, d.h. dessen Entscheidung über den Beginn des bewaffneten Kampfes, überzeugend mithilfe verschiedener Konzepte der Bewegungsforschung untersucht hat.39 Rons Hinweise aufnehmend, leistet die vorliegende Arbeit auf Basis einer breiten empirischen Erhebung in einem zweiten Schritt auch einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über ein konzeptionelles Neuverständnis bisher getrennt voneinander betrachteter Formen politischen Protestes. Wie beispielsweise anhand des von Doug McAdam, Sidney Tarrow und Charles Tilly vorgeschlagenen Konzepts der widerständigen Politik („contentious politics“) deutlich wird, lassen sich signifikante Gemeinsamkeiten etwa zwischen sozialen Bewegungen und Revolutionen identifizieren, die eine theoretisch-konzeptionelle Zusammenlegung dieser Protestphänomene rechtfertigen und deren Untersuchung zu einem deutlich höheren Erkenntnisgewinn führt, als die bisherigen monodisziplinären Zugänge.40 Die Quellenbasis der Arbeit

Jede wissenschaftliche Untersuchung einer klandestinen Organisation sieht sich unweigerlich mit der Schwierigkeit konfrontiert, einen Zugang zu deren Dokumentation zu erhalten. Aufgrund ihres in der Regel illegalen Charakters, ihres Ausweichens in den Untergrund sowie ihrer eigenen Sicherheitsinteressen gewähren revolutionäre Bewegungen, terroristische Verbände oder kriminelle Vereinigungen externen Beobachtern nur selten Einblick in ihr organisatorisches Innenleben. Gleichzeitig sind auch die mit der Bekämpfung dieser Organisationen beauftragten staatlichen Sicherheitsdienste meist nicht daran interessiert, der Forschung ihre Informationen offen zu legen – häufig auch dann nicht, wenn der Gegner erfolgreich bekämpft wurde. Auch die vorliegende Ar39 Vgl. Ron (2001): Ideology. 40 Vgl. McAdam, Tarrow und Tilly (2001): Dynamics.

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beit mit ihrem Fokus auf die internen Mechanismen des Leuchtenden Pfads sah sich grundsätzlich diesem Dilemma gegenübergestellt. Dennoch bildet die Auswertung von Quellenmaterial unterschiedlicher Provenienz den empirischen Kern der Arbeit. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Umstand, dass erstmals umfangreiche, für die Forschung bisher nicht zugängliche Unterlagen des Leuchtenden Pfads aus den Beständen der peruanischen Antiterrorpolizei, der Dirección Contra el Terrorismo (DIRCOTE), ausgewertet werden konnten.41 Das eingesehene Quellenmaterial deckt den gesamten Untersuchungszeitraum ab und setzt sich u.a. zusammen aus Berichten der einzelnen Parteigliederungen und Regionalkomitees, Zusammenfassungen von Treffen zwischen der Parteiführung und Vertretern der Regionalkomitees, politischen Berichten der Parteiführung, Regionalanalysen, Übersichten über die Anzahl und die regionale Verteilung von Mitgliedern sowie Waffen und Munition, Lehrplänen, Unterwerfungserklärungen von beitrittswilligen Personen, Urkunden, parteiinternen Verwaltungsakten, Akten des Parteikongresses von 1988, Aussagen verhafteter Parteimitglieder gegenüber der Polizei sowie von der Parteiführung gesammelten biographischen Informationen über Parteimitglieder. All diese Dokumente wurden in den 1980er Jahren, vor allem aber zwischen 1989 und 1992 im Rahmen verschiedener Operationen der DIRCOTE beschlagnahmt. Das Archiv der DIRCOTE kann als die umfangreichste Sammlung von Dokumenten, Ton- und Bildaufnahmen sowie anderem Quellenmaterial des Leuchtenden Pfads gelten. Bis heute sind die Bestände für Öffentlichkeit und Forschung unzugänglich und ihr genauer Umfang unbekannt; selbst die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission konnte für ihre Arbeit nur auf wenige der hier beherbergten Dokumente zurückgreifen.42 Auch dem Autor untersagte die DIRCOTE den Zugang zu ihrem Archiv. Gleichwohl konnten mithilfe der Genehmigung des Vorsitzenden Richters Dr. Pablo Talavera Elguera umfangreiche Teile des DIRCTOE-Bestands in den Räumen der Sala Penal Nacional in Lima eingesehen werden. Dort lagen die Dokumente vor, da sie den Grundstock des so genannten megajuicio gegen Abimael Guzmán und die engste Führungsspitze 41 Die Quellenverweise richten sich nach dem zeitgenössischen Namen der Behörde, DINCOTE. Ebenfalls auf einer sehr breiten Basis von DIRCOTE-Materialien basieren die Arbeiten von Benedicto Jiménez Bacca (2000 und 2004), dem Gründer derjenigen Polizeieinheit, der am 12. September 1992 die Verhaftung Abimael Guzmáns gelang. Allerdings mangelt es ihnen an wesentlichen formal-wissenschaftlichen Erfordernissen, wie etwa der Kenntlichmachung von Zitaten oder der Nennung der Quellenangaben. 42 Allerdings ist auf entsprechende Nachfrage ein kleines Museum in der Zentrale der DIRCOTE zu besichtigen, in dem eine Auswahl von Handwerksarbeiten, Trophäen und anderen Devotionalien ausgestellt ist, die Mitglieder und Sympathisanten des Leuchtenden Pfads hergestellt und der Parteiführung gewidmet hatten.

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des Leuchtenden Pfads bildeten, der an dieser Strafkammer vom September 2005 bis zum Oktober 2006 verhandelt worden war. An diesem Gericht einzusehen waren zudem die bisher ebenfalls der Forschung nicht zugänglichen Sitzungsprotokolle und Gerichtsakten des genannten Verfahrens. Neben der Anklage- und Urteilsschrift wurden für die vorliegende Arbeit die schriftlichen Verteidigungen der Angeklagten sowie die Aussagen des langjährigen Parteimitglieds und Nachfolgers Guzmáns als Anführer des Leuchtenden Pfads, Oscar Alberto Ramírez Durand (alias Feliciano) ausgewertet. Die Aussagen Felicianos sind deswegen von besonderem Interesse, da Ramírez Durand bis heute die einzige Führungsperson des Leuchtenden Pfads ist, die sich öffentlich kritisch mit der eigenen Organisation, vor allem aber mit Abimael Guzmán auseinandersetzt. Der dritte bearbeitete Quellenbestand ist die Colección Gustavo Gorriti, die im Instituto de Estudios Peruanos aufbewahrt wird (IEP-CGG) und die den Quellenkorpus für Gorittis eigenes Buch über den Leuchtenden Pfad bildete.43 Den Kern der auf Microfiche gespeicherten Kollektion, die bis vor kurzem nur in den Vereinigten Staaten einsehbar war, bilden eine Reihe interner Dokumente des Leuchtenden Pfads sowie verschiedene geheime Berichte und Vermerke der peruanischen Sicherheitsorgane. Die Dokumente stammen aus den ersten Jahren des bewaffneten Konflikts und geben einen guten Eindruck über die frühen Lagebewertungen der staatlichen Nachrichtendienste. Weiteres genutztes Quellenmaterial stammt aus dem Centro de Información para la Memoria Colectiva y los Derechos Humanos in Lima, das die Archivbestände der peruanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission beherbergt. Innerhalb dieses sehr großen Bestandes (es umfasst u.a. ca. 17.000 Aussagen von Opfern und Tätern des bewaffneten Konflikts), finden sich auch 700 Aussagen ehemaliger und aktuell inhaftierter Parteimitglieder gegenüber Vertretern der Wahrheitskommission. 100 dieser Aussagen wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ausgewertet. Formal und inhaltlich unterscheiden sich diese Aussagen deutlich von einander. So umfasst die überwiegende Mehrheit der Akten nur wenige Seiten und konzentriert sich (aufgrund der von der Wahrheitskommission gewählten Themenagenda) inhaltlich auf den Werdegang der Befragten nach ihrer Verhaftung durch die Sicherheitskräfte. Dagegen spielen für das Augenmerk der vorliegenden Untersuchung relevante Aspekte, wie etwa Beschreibungen des Innenlebens der Partei oder der persönlichen Beitrittsmotivation, meist eine untergeordnete Rolle. Von großem Wert sind dagegen die standardisierten Angaben u.a. über Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und soziale Herkunft der Befragten. Insgesamt stellt der Bestand des Zentrums die größte 43 Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero.

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bekannte sozialstatistische Datenbasis über Mitglieder des Leuchtenden Pfads dar, die jedoch von der internationalen Sendero-Forschung bisher kaum genutzt wurde.44 Schließlich wurden für die vorliegende Untersuchung auch die Dokumente herangezogen, die der Leuchtende Pfad seit den 1970er Jahren selbst veröffentlichte. Von Beginn an streute die Organisation ihre politischen und ideologischen Kernüberzeugungen in der Öffentlichkeit als Mittel der Propaganda und um ihren bewaffneten Kampf argumentativ einzurahmen. Neben der Verteilung auf Flugblättern erschienen die Texte u.a. auch in der parteieigenen, in bestimmten Zeiträumen auch öffentlich erscheinenden Zeitung „El Diario“, die 1988 auch das einzige Interview mit Abimael Guzmán publizierte. Der Herausgeber der Zeitung, Luis Arce Borja, veröffentlichte zudem die wichtigsten dieser Dokumente 1989 in Brüssel unter dem Titel „Guerra popular en el Perú. El Pensamiento Gonzalo“.45 Mittlerweile lassen sich diese Parteidokumente auch gut im Internet finden. Ergänzend wurden auch die Parteidokumente und Äußerungen von Parteimitgliedern herangezogen, die zwischen 1980 und 1993 in dem wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazin Caretas abgedruckt wurden. Gliederung der Arbeit

Das erste Kapitel führt ein in den theoretischen Rahmen der Arbeit. Ausgehend von den strukturalistischen Erklärungsmodellen der Revolutionsforschung, in denen politische und ökonomische Variablen im Vordergrund stehen, werden auch gegensätzliche Ansätze dargestellt, die auf die Bedeutung der handelnden Akteure für die Entstehung und den Verlauf von Revolutionen abheben. Daran schließt die Darstellung derjenigen Lehrmeinungen an, die nicht nur für eine Zusammenführung strukturalistischer und akteursbezogener Modelle, sondern für eine konzeptionelle Verschmelzung bisher weitgehend getrennt von einander untersuchten Phänomene wie etwa Revolutionen und soziale Bewegungen plädieren. Schließlich werden eine Reihe von Konzepten und Erklärungsansätzen unterschiedlicher Disziplinen, vor allem aber der Bewegungsforschung, betrachtet, die in Ergänzung der klassischen Revolutionsforschung ein besseres Verständnis der Entwicklung des Leuchtenden Pfads versprechen. Im zweiten 44 Dem Autor ist mit Ausnahme der eigenen Arbeit bisher nur eine einzige andere Untersuchung bekannt, die diesen Quellenbestand bisher systematisch hinsichtlich der Beitrittsmotivation ausgewertet hat; vgl. Portugal (2008): Voices. 45 Arce Borja (1989): Guerra.

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Kapitel folgt ein kurzer Überblick über die wichtigsten politischen und ökonomischen Entwicklungslinien Perus innerhalb des Untersuchungszeitraums. Die wirtschaftliche Talfahrt, die weitgehende Auflösung des Parteiensystems sowie die gegen Ende der 1980er Jahre massiv zunehmende institutionelle Schwäche des peruanischen Staates waren wichtige Elemente, die die Expansion des Leuchtenden Pfads erleichterten und die zugleich die grundsätzliche Aussagekraft strukturalistischer Erklärungsmodelle untermauern. Um die organisatorischen und ideellen Leistungen des Leuchtenden Pfads geht es in den Kapiteln 3 und 4. Zunächst geht das dritte Kapitel der Frage nach, auf welche Weise der Leuchtende Pfad die für die Durchführung seines bewaffneten Kampfes wichtigsten materiellen Ressourcen mobilisierte: Menschen, Finanzen und Bewaffnung. Besonders erfolgreich gelang der Organisation die Rekrutierung neuer Parteimitglieder. Mithilfe sozialer Netzwerke und eines rigorosen Auswahlprozesses wurden nur die Personen in die Partei aufgenommen, die ihre ideologische und persönliche Verpflichtungsbereitschaft erfolgreich bewiesen. Neben der Motivation werden in diesem Unterabschnitt des Kapitels auch die Motivation der Beitrittswilligen sowie die Rolle der Frauen innerhalb des Leuchtenden Pfads untersucht. Deutlich schlechter als die Rekrutierung entwickelte sich die Generierung von Geldmitteln. Diese deckten den Finanzbedarf trotz der Beteiligung am Drogenhandel nur unzureichend, so dass der Partei auch der Zugang zum internationalen Waffenschwarzmarkt versperrt blieb. In der Folge beschränkte sich die Bewaffnung der Revolutionäre auf eine überschaubare Anzahl von Gewehren, Pistolen und Maschinengewehren; vielfach wurden Waffen und Munition in Eigenproduktion hergestellt. Trotz seines überschaubaren Waffenarsenals gelang es dem Leuchtenden Pfad in Sicherheitskreisen, vor allem aber in der Öffentlichkeit, den Eindruck erheblicher militärischer Stärke zu erwecken. Er erreichte dies, da er sein militärisches Vorgehen anpasste und durch präzise Einzelaktionen, wie z.B. der Unterbrechung der Stromversorgung, eine enorme psychologische Wirkung erzielte. Ziel des vierten Kapitels ist es, die ideellen Leistungen des Leuchtenden Pfads zu analysieren. Dabei geht es vor allem um die Frage, mit welchen ideellen und kulturellen Mechanismen es der Organisation gelang, ihre Mitglieder dauerhaft an sich zu binden und so eine ideologische und organisatorische Kohäsion zu erreichen, die sie von allen anderen gesellschaftlichen Akteuren des Landes unterschied. Im Mittelpunkt des Kapitels stehen die Untersuchung der kollektiven Identität, der Rolle des Personenkults um Abimael Guzmán, der Bedeutung der Ideologie sowie das Gewaltverständnis des Leuchtenden Pfads und dessen völlige Ignoranz der ethnischen Realität Perus.

1. Revolution und widerständige Politik 1.1 Ansätze der Revolutionsforschung Revolutionen in Lateinamerika und in anderen Teilen der Welt stehen seit Jahrzehnten im Blickpunkt der Wissenschaft. Standen lange Zeit vor allem die großen Revolutionen, wie sie sich etwa in Frankreich, China und Russland ereigneten, im Zentrum des Interesses, so hat die Forschung mittlerweile den gesamten Globus kartografiert, sodass unser Revolutionsatlas nunmehr von Kuba und Nicaragua über den Iran und Algerien bis nach Vietnam und Kenia reicht. Soziologen, Anthropologen, Politikwissenschaftler, Historiker und Ökonomen haben unser Wissen über die Ursachen und Verlaufsformen von Revolutionen derart anwachsen lassen, dass eine erschöpfende Darstellung der in der Literatur existierenden Erklärungsmodelle eine eigene Monografie verlangen würde. So wie bereits der Terminus Revolution den dynamischen und prozesshaften Charakter dieses sozialen Phänomens verdeutlicht, so hat sich auch die Revolutionsforschung in den letzten Jahren dynamisch entwickelt und stetig neue konzeptionelle, definitorische und empirische Ansätze erstellt, um sich ihrem Untersuchungsgegenstand adäquat annähern zu können.1 Allerdings lässt sich feststellen, dass die verschiedenen Zugänge zu unterschiedlichen Erklärungsmodellen geführt haben, die häufig in direkter Konkurrenz zueinander stehen. Während etwa einige Modelle vorrangig politische Variablen zur Erklärung von Revolutionen ins Feld ziehen, heben andere Ansätze vor allem wirtschaftliche Aspekte hervor. Wie in der Einleitung formuliert, geht die vorliegende Arbeit jedoch davon aus, dass strukturelle Rahmenbedingungen allein nicht ausreichen, um eine Revolution zu verursachen. Neuere Ansätze heben denn auch die Bedeutung handelnder, revolutionärer Akteure für die Entstehung von Revolutionen hervor. Zwar handeln Akteure nicht gänzlich losgelöst von den sie umgebenden strukturellen Rahmenbedingungen. Angesichts der Dominanz strukturalistischer Erklärungsmodelle bedarf es jedoch einer Neubewertung der Bedeutung der revolutionären Akteure, ihrer Organisation und ihrer ideellen Leistungen für die Entstehung und Entwicklung von Revolutionen.

1

Für einen Überblick über die Entwicklung der Revolutionsforschung vgl. Foran (1997): Revolution; Foran (2003): Future und Goldstone (2001): Generation.

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Strukturalistische Ansätze

Als einflussreichste Arbeit der Revolutionsforschung der letzten Jahrzehnte kann ohne Zweifel die Studie States and Social Revolutions von Theda Skocpol aus dem Jahr 1979 gelten.2 Am Beispiel von China, Frankreich und Russland untersucht Skocpol die Ursachen der großen Revolutionen und stellt dabei, wie bereits der Titel intendiert, die Verfasstheit des Staates in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Folgerichtig lassen sich ihrer Ansicht nach die Ursachen einer Revolution in erster Linie in dem Zusammenbruch der staatlichen Strukturen finden. Für alle drei Länder diagnostiziert Skocpol das gleichzeitige Zusammentreffen einer politisch-institutionellen Krise des Ancien Régime mit Bauernaufständen und Umwälzungen in der Agrarstruktur sowie einem internationalen (militärischen) Druck durch wirtschaftlich weiter entwickelte Staaten: „revolutionary political crises, culminating in administrative and military breakdowns, emerged because the imperial states became caught in cross-pressures between intensified military competition or intrusions from abroad and constraints imposed on monarchical responses by the existing states agrarian class structures and political institutions.“3 Revolutionen definiert Skocpol als „rapid, basic transformations of a society’s state and class structures; and they are accompanied and in part carried through by class-based revolts from below.“4 Mit ihrer Fokussierung auf die „state organisations“5 als Hauptgegenstand ihrer Untersuchung unterstreicht Skocpol ihre Ablehnung von „ökonomischen und klassenanalytischen aber auch [...] „voluntaristischen“ Ansätzen, die psychologische, kulturelle und ideologische Faktoren als primäre revolutionäre Treibkräfte ansehen.“6 Stattdessen plädiert sie für einen strukturalistischen Zugriff: „Less obvious, perhaps, but equally pressing is the need for investigators of contemporary as well as historical revolutions to take a structural perspective, to emphasis objective relationships and conflicts among variously situated groups and nations, rather than the interests, outlooks or ideologies of particular actors in revolutions. […] revolutionary crises […] have come about only through inter- and intranational structural conditions and conjunctural occurrences beyond the deliberate control of avowed revolutionaries.“7 In den Augen Skocpols bestimmen somit strukturelle politische Rahmenbedingungen Entstehung und Entwicklung ei2 3 4 5 6 7

Skocpol (1979): States. Ibid., S. 285. Ibid., S. 4. Ibid., S. 291; Hervorhebung im Original. Spohn (2005): Soziologie, S. 210. Skocpol (1979): States, S. 291.

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ner Revolution – handelnde Akteure mitsamt ihren ideellen, kulturellen und sozialen Denk- und Handlungsmustern spielen dagegen keine Rolle. Wendell Phillips zitierend hält Skocpol paradigmatisch fest: „Revolutions are not made; they come.“8 Zu den neueren Arbeiten, die den Staat als vorrangige Analyseeinheit in den Mittelpunkt stellen, gehört Jeff Goodwins No other way out von 2001.9 Goodwin vergleicht verschiedene Revolutionen zwischen 1946 und 1991 in Südostasien, Zentralamerika und Osteuropa. Zwar ist Goodwin im Unterschied zu Skocpol bereit, auch den revolutionären Bewegungen und Akteuren eine gestaltende Rolle innerhalb der bewaffneten Auseinandersetzung zuzugestehen. Gleichwohl stellt er klar, dass die Revolutionäre lediglich Ausfluss historisch-politischer Rahmenbedingungen sind: „My claim is that revolutionary movements are largely artifacts or products of historically contingent political contexts. To be sure, the state itself does not literally or intentionally construct revolutionary movements […]; revolutionaries do that. But they do so, and can only do so, in particular political contexts. […] State structures and practices invariably matter […] for the very formation of revolutionary movements, not just for their success or failure – and they generally do so in quite unintended ways.“10 Besonders günstige Voraussetzungen für die Entstehung revolutionärer Bewegungen bieten nach Ansicht Goodwins vor allem solche Regime, deren Macht im eigenen Land weder geografisch noch gesellschaftlich konsolidiert ist und die einen hohen Grad an politischer Exklusion sowie polizeilich-militärischer Repression aufweisen. Solche Regimemerkmale stellen jedoch zunächst nur die notwendigen Voraussetzungen für die Existenz revolutionärer Bewegungen dar. Ob deren Kampagne auch erfolgreich mit dem Sturz der entsprechenden Machthaber endet, hängt darüber hinaus davon ab, welche besonderen Charaktereigenschaften das jeweilige autoritäre System aufweist und mit welchen Mitteln es auf die Bedrohung reagiert. Denn obwohl z. B. starke revolutionäre Bewegungen die Regime in El Salvador, Nicaragua und Guatemala bekämpften, gelang lediglich den nicaraguanischen Sandinistas die erfolgreiche Machtübernahme. Als Grund für diese Entwicklung, so Goodwin, lässt sich für Nicaragua ein ausgesprochen stark personalistisches Regime nennen, das selbst den eigenen Eliten den Zutritt in die politische Arena erschwerte (weshalb es deren Unterstützung zunehmend verlor) und somit den Revolutionären die Möglichkeit bot, eine breite Oppo8 Ibid., S. 17. In späteren Arbeiten gelangt Skocpol zu einer etwas differenzierter Beurteilung der Leistungen der Revolutionäre, ohne allerdings von der grundsätzlichen Vorrangigkeit von Strukturen abzuweichen; vgl. Goodwin und Skocpol (1989): Revolutions. 9 Goodwin (2001): Way. 10 Ibid., S. 25.

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sitionskoalition zu schmieden und auch internationale Unterstützung zu mobilisieren. Dagegen gelang es den Regimes in El Salvador sowie in Guatemala durch eine eingeschränkte Öffnung des politischen Systems und mithilfe der Unterstützung sowohl der einheimischen Eliten als auch der USA, die Aufständischen zu schwächen und die eigene Macht zu erhalten. Während Skocpol und Goodwin politische Variablen zur Ursachenklärung heranziehen, stellt eine Reihe anderer Autoren wirtschaftliche und psychologische Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Zu den bekanntesten Studien dieses „misery matters“11-Ansatzes gehört Ted Robert Gurrs Why Men Rebel von 1970. Nach Ansicht von Gurr hängt die Wahrscheinlichkeit eines „internal war“ von der Intensität und dem Ausmaß des Phänomens der relativen Deprivation ab.12 Hierbei handelt es sich um eine subjektiv empfundene Statusinkonsistenz, die sich aus der Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen und dem erhofften (und einem als legitim zustehend aufgefassten) materiellen Status quo einer Person ergibt und die zu Unzufriedenheit und Feindseligkeit gegen andere führt: „Relative deprivation is defined as a perceived discrepancy between men’s value expectations and their value capabilities. Value expectations are the goods and conditions of life to which people believe they are rightfully entitled. Value capabilities are the goods and conditions they think they are capable of attaining or maintaining, given the social means available to them. Societal conditions that increase the average level or intensity of expectations without increasing capabilities increase the intensity of discontent.“13 Hauptauslöser relativer Deprivation ist für Gurr wirtschaftlicher Niedergang, da „economic values are more salient for most people than other values, partly because some minimal level of economic goods is necesary for continued physical existence. Men also tend to me more sensitive to small changes in econocmic value position than to changes on other values.“14 Wie Cynthia McClintock unterstreicht, konzentrieren sich viele Arbeiten, die auf die ökonomischen Ursachen von Revolutionen abheben, häufig auf die Analyse der Situation der Bauernschaft als in der Regel sozial schwächste Gruppe.15 Übereinstimmende Ergebnisse lassen sich in der Literatur allerdings nicht finden. Dies gilt vor allem für die beiden Fragen, welche Teile der Bauernschaft besonders mobilisierungsfähig für die Revolution sind und welche Ursachen sich als Mobilisierungsmotivation identifizieren lassen. James Scott kommt in 11 12 13 14 15

McClintock (1998): Movements, S. 29. Vgl. Gurr (1970): Men, S. 335. Ibid., S. 13. Ibid., S. 130. McClintock (1998): Movements, S. 31–33.

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seinem Werk The Moral Economy of the Peasant zu dem Ergebnis, dass Revolutionen vor allem von Kleinbauern getragen werden, wenn diese die ihnen nach den eigenen Wertvorstellungen zustehende Autonomie und den eigenen Lebensunterhalt durch das Handeln des Grundherren oder des Staates gefährdet sehen.16 Dagegen sind nach Jeffrey Paiges Überzeugung in erster Linie lohnabhängige Landarbeiter ohne eigenen Landbesitz mobilisierungsfähig, da sie u.  a. nur wenig zu verlieren haben. Paige identifiziert einen Klassenkonflikt zwischen „an agricultural proletariat and capitalist landowners“: „In Vietnam the conflict was between landowners and share tenants, in Guatemala it is between military agribusinessmen and migratory proletariats“.17 Paiges Überlegung, dass Landbesitzlosigkeit bzw. ungleiche Landverteilung als maßgebliche Mobilisierungsmotoren fungieren, wird von anderen Autoren aufgegriffen. Die Revolutionen in Frankreich, Russland, China und den USA betrachtend, kommt Manus Midlarsky zu dem Ergebnis, dass hohes Bevölkerungswachstum zu einer existenzbedrohenden Landbesitzverknappung führte, die von den Bauern nicht mehr hingenommen werden konnte.18 An anderer Stelle stellen Midlarsky und Kenneth Roberts fest: „Where land scarcity and inequality exist, there is a possibility that class-based, redistributive revolutionary pressures will emerge, taking the form of peasant opposition to the prevailing property system and its pattern of inequality.“19 Dagegen argumentieren Edward Muller und Mitchell Seligson, dass „the more important direct cause of variation in the rates of political violence crossnationally is inequality in the distribution of income rather than maldistribution of land.“20 Während es etwa im Iran trotz einer Landreform zu einer Revolution gegen den Schah kam, ereignete sich ein solches Phänomen weder in Costa Rica noch in Venezuela trotz der dortigen konstant hohen Konzentration von Landbesitz in den Händen weniger in den 1960er- und 1970er-Jahren. Nach Meinung der Autoren lag dies vor allem daran, dass es den Regierungen in Costa Rica und Venezuela gelang, die Einkommensverteilung drastisch zu verbessern, wohingegen das iranische Regime keine diesbezüglichen Anstrengungen unternahm.

16 17 18 19 20

Vgl. Scott (1976): Economy.. Paige (1983): Theory, S. 733f. Vgl. auch Paige (1975): Revolution. Midlarsky (1982): Scarcity, S. 14–22. Midlarsky und Roberts (1985): Class, S. 166. Muller und Seligson (1987): Inequality, S. 427.

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Akteursbezogene Ansätze

Die Dominanz strukturalistischer Erklärungsmodelle stößt seit einigen Jahren auf wachsende Kritik. Wie wir sahen, gestehen die Anhänger der strukturalistischen Schule den handelnden Akteuren eine nur sehr eingeschränkte und ausgesprochen passive Rolle (wenn überhaupt) bei der Entstehung und dem Verlauf von Revolutionen zu – diese, so ließe sich etwas überspitzt formulieren, werden so als „action without actors“21 verstanden. Dieser Sichtweise wird von einigen Forschern die Überzeugung entgegengesetzt, dass Revolutionen in erster Linie kulturelle Phänomene sind, die durch menschliches Handeln und ideelle Leistungen erzeugt und geformt werden – ökonomische und politische Rahmenbedingungen rücken in dieser Perspektive in den Hintergrund.22 Entsprechend postuliert Eric Selbin als einer der wichtigsten Vertreter dieses Ansatzes: „ideas and actors, not structures and some broad sweep of history, are the primary forces in revolutionary processes. Revolutions are human creations [...] rather than inevitable natural processes. The focus, therefore, needs to be on people, not structures; choices, not determinism; and the transformation of society, not simply transitions“.23 Und Abdulkader Sinno lenkt den Blick auf die Gestaltungs- und Organisationskraft revolutionärer Organisationen: „Ethnic groups, social classes, civilizations, religions, and nations do not engage in conflict or strategic interaction – organizations do. When Samuel Huntington tells us that civilizations clash, he is merely informing us that there are organizations (states and nonstates alike) that are engaged in conflict across what he believes to be borders of civilizations. When Marxists talk of class revolt, they envision it as instigated by a dedicated organization that mobilizes the toiling masses.“24 Selbin und Sinno machen deutlich, dass Menschen bzw. deren Organisationen Revolutionen organisieren und steuern. Entsprechend definiert Selbin Revolutionen als „the successful overthrow of a ruling elite by a revolutionary vanguard that has mobilized broad popular support and undertaken the transformation of a society’s political, economic, and social structures in a contemporaneous and mutually reinforcing fashion.“25 Nach dieser Sichtweise sind die handelnden Akteure Teil eines dynamischen und komplexen Prozesses, der auch eine ideelle Dimension besitzt. Vom Beginn bis zum Ende ihrer Unternehmung werden Revolutionäre von ih21 Melucci (1989): Nomads, S. 18. 22 Nach Jack Goldstone bildet dieser Ansatz die vierte Generation von Revolutionstheorien; vgl. Goldstone (2001): Generation. 23 Selbin (1997): Revolution, S. 123. 24 Sinno (2008): Organizations. 25 Selbin (1997): Revolution, S. 11.

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ren politischen Zielen, ideologischen Vorstellungen, persönlichen Moral- und Wertekodexen oder religiösen Überzeugungen geleitet. Hierbei handelt es sich um einen kulturell geprägten Orientierungsrahmen, der maßgeblich das Verständnis und das Verhältnis der Revolutionäre von bzw. zu der sie umgebenden Umwelt prägt. Ein derartiger Orientierungsrahmen ist dabei in aller Regel nicht statisch. Vielmehr wird er durch die ständige Interaktion zwischen den Revolutionären und den anderen sozialen Gruppen beeinflusst, die ihrerseits über eine ganze Reihe eigener, verschiedener kultureller Orientierungsrahmen verfügen. Das wechselseitige, dynamische Verhältnis von Revolutionären und Umgebung unterstreicht Forrest Colburn: „Through their language, images, and daily political activity, revolutionaries strive to reconfigure society and social relations. They consciously seek to break with the past and to establish a new nation-state. In the process, they create new social relations and, often, novel ways of practicing politics. […] it is important to acknowledge that the participants make the crucial difference between a potentially revolutionary situation and an actual revolution. Once the revolution is under way, their thinking and behavior influence the revolutionary process. In turn, the course of the revolution, its ebbs and turns, inescapably shapes the outcome.“26 Nach Ansicht Colburns beeinflussten die „intellektuelle Kultur“ der Revolutionäre – also ihre Ideen, Wertvorstellungen, Symbole, Diskurse und Traditionen – die zeitgenössischen Revolutionen weit mehr als die „imperatives of social structure.“27 Sowohl die strukturalistischen als auch die akteursbezogenen Erklärungsmodelle führen überzeugende Argumente ins Feld. Notwendigerweise ist der maßgebliche Bezugspunkt jeder Revolution der Staat, dessen soziale, wirtschaftliche und politische Textur modifiziert oder vollständig neu gestaltet werden soll. Auch kann es keinen Zweifel daran geben, dass die strukturelle Integrität des Staates, also etwa dessen administrative Organisations- und Kontrollfähigkeit oder der Konsolidierungsgrad der jeweiligen Machteliten, den Vormarsch einer Revolution erleichtert oder erschwert. Genauso plausibel sind die Überlegungen, dass wirtschaftliche Ungleichheit und politische Repression einen fruchtbaren Nährboden für kollektive Unzufriedenheit bereiten. Strukturelle Rahmenbedingungen können somit als notwendige Voraussetzungen für das Entstehen einer Revolution betrachtet werden. Sind sie aber auch ausreichend? Nein. Erst das Auftreten handlungswilliger und -fähiger, die strukturellen Rahmenbedingungen erkennender und sie ausnutzender Menschen lässt eine Revolution an Form, 26 Colburn (1994): Vogue, S. 12–13. 27 Vgl. Ibid., S. 14; hier auch die Zitate. Um die Ideenwelt der Aufständischen einordnen zu können, spricht John Foran alternativ von der „political culture of resistance and opposition“; vgl. Foran (1997): Discourses.

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Dynamik und Zukunftsfähigkeit gewinnen. Ohne Akteure ist eine Revolution unmöglich. Revolutionäre befeuern kollektive Unzufriedenheit und setzen sie in kollektiven Protest um. Diesem geben sie einen ideellen Rahmen, und sie treten in einen dynamischen, von Symbolen, Mythen, religiösen oder politischen Metaphern und Ritualen geprägten Dialog mit ihrer Umwelt. Dabei sind die handelnden Akteure keine bloßen Ausführenden höherer Gewalt, sondern entscheidungsfähig, rational und selbstbestimmt. Erfolg und Misserfolg einer Revolution liegen damit maßgeblich in den Händen von Menschen. Diese Sichtweise negiert die Erkenntnisse strukturalistischer Ansätze nicht. Allerdings relativiert sie deren Kernaussagen und umfassenden Geltungsanspruch zugunsten einer dynamischen und akteursbezogenen Perspektive. Erst die Zusammenführung beider Ansätze eröffnet die Möglichkeit, Revolutionen vollumfänglich verstehen und analysieren zu können. Wie Jack Goldstone feststellt, ergeben sich aus dieser Diagnose neue Anforderungen an die zukünftige Revolutionsforschung: „revolution theory therefore needs to reverse all of Skocpol`s key stipulations. It would treat stability as problematic, see a wide range of factors and conditions as producing departures from stability, and recognize that the processes and outcomes of revolutions are mediated by group identification, networks, and coalitions; leadership and competing ideologies; and the interplay among rulers, elites, popular groups, and foreign powers in response to ongoing conflicts.“28

1.2. Alternative Forschungsansätze Eine dynamische und akteursbezogene Perspektive geht davon aus, dass die organisatorischen und ideellen Leistungen von Akteuren maßgeblich den Erfolg der Revolution mitbestimmen. Wie aufgezeigt, ist der stark strukturalistisch geprägte konzeptionelle Instrumentenkasten der Revolutionsforschung jedoch nur von eingeschränktem Nutzen für die analytische Umsetzung einer solchen Perspektive. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, den bisherigen konzeptionellen Rahmen um Ansätze anderer Disziplinen zu erweitern und so zu einem verbesserten Verständnis von Revolutionen im Allgemeinen und der Akteursebene im Besonderen zu gelangen. Wie zu zeigen sein wird, bietet sich für eine solche Rahmenerweiterung die Bewegungsforschung mit ihren feinen Messinstrumentarien zur Untersuchung der organisatorischen und ideellen Mechanismen, mit deren Hilfe Akteure ihr Handeln steuern und entwickeln, besonders gut an. Mit dieser Integration folgt die vorliegende Arbeit neueren Studien, die sich für die Zusammenführung von Revolutions- und Bewegungsforschung aussprechen. 28 Goldstone (2001): Generation, S. 172.

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Plädoyers für einen integrativen Ansatz

Revolutionen und soziale Bewegungen lassen sich grundsätzlich als Formen kollektiven Handelns und Protests begreifen, denen sich die Wissenschaft in der Vergangenheit in Form der Revolutions- bzw. der Bewegungsforschung jedoch auf unterschiedlichen, voneinander getrennten Wegen genähert hat. Sidney Tarrow kritisiert: „Too often scholars have focused on particular theories or aspects of movement to the detriment of others. An example is how the subject of revolution has been treated until quite recently. It is mainly studied in relation to other revolutions, and almost never compared with cycles of protest that it in some ways resembles or with social movements.“29 Doug McAdam, John McCarthy sowie Mayer Zald ergänzen: „The important implication of the question is that the various types of movements are simply different forms of collective action rather than qualitatively different phenomena requiring distinct explanatory theories. This is more germane to the study of revolutions, a form of collective action that has, in recent years, come to be studied as a phenomenon distinct from other categories of movements. We demur. Rather than assuming difference, we need to treat movement type as a variable and seek to account for variation in type on the basis of particular combinations of opportunities, mobilizing structures, and collective action frames.“30 Die konzeptionelle Zusammenlegung von sozialen Bewegungen und Revolutionen erscheint deshalb attraktiv, da sich die Erklärungs- und Untersuchungsansätze der entsprechenden Disziplinen – Revolutions- und Bewegungsforschung – sinnvoll ergänzen. Während die Revolutionsforschung bisher vor allem nach dem warum kollektiven Handelns fragte, erforscht die Bewegungsforschung in erster Linie das wie.31 Wichtige Hinweise, dass sich grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen Revolutionen und sozialen Bewegungen finden lassen, sind bereits verschiedenen Definitionen von sozialen Bewegungen zu entnehmen. So definieren Doug McAdam und David Snow soziale Bewegungen als „a collectivity acting with some degree of organization and continuity outside of institutional channels for the purpose of promotion or resisting change in the group, society, or world order of which it is a part.“32 Und Paul Wilkinson versteht als soziale Bewegung „a deliberate collective endeavour to promote change in any direction and by any means, not excluding violence, illegality, revolution or withdrawal into “utopian” community […]. A social movement must evince 29 30 31 32

Tarrow (1998): Power, S. 3. McAdam, McCarthy und Zald (1996): Perspectives, S. 9. Zur Entwicklung der Bewegungsforschung vgl. Hellmann (1998): Paradigmen, S. 10–17. McAdam und Snow (1997): Movements, S. xviii.

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a minimal degree of organization, though this may range from a loose, informal or partial level of organization to the highly institutionalized and bureaucratized movement and the corporate group […] A social movement’s commitment to change and the raison d´étre of its organization are founded upon the conscious volition, normative commitment to the movement’s aims or beliefs, and active participation on the part of the followers or members.“33 Nach Ansicht von Alberto Melucci verfügen soziale Bewegungen über drei Kerneigenschaften: 1.) Sie erzeugen in ihren Reihen Solidarität, durch die die einzelnen Aktivisten sich der gleichen Gruppe zugehörig fühlen. 2.) Sie befinden sich in einem Konflikt und in Opposition mit und zu einem oder mehreren Kontrahenten, die einen gleichrangigen Anspruch auf bestimmte Werte und Güter erheben. 3.) Sie durchbrechen den Rahmen konventioneller Konfliktaustragungen und fordern so den Kontrahenten zu einer Reaktion heraus.34 Auch Revolutionen, so Jack Goldstone, weisen drei zentrale Elemente auf: „(a) efforts to change the political regime that draw on a competing vision (or visions) of a just order, (b) a notable degree of informal or formal mass mobilization, and (c) efforts to force change through noninstitutionalized actions such as mass demonstrations, protests, strikes, or violence.“35 Aus diesen Zusammenstellungen lassen sich verschiedene Elemente herauslösen, die sich in sozialen Bewegungen und Revolutionen gleichermaßen finden lassen: Beide verfügen 1.) über ein Mindestmaß an organisatorischer Struktur, besitzen 2.) eine eigene politische Agenda, durch die sie in Konfrontation zu konkurrierenden Interessen und Machtansprüchen Dritter stehen, bewegen sich 3.) auch außerhalb des sie umgebenden (legalen) institutionellen Gefüges und erzeugen 4.) innerhalb der eigenen Reihen ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das zur Sicherung des eigenen Bestands beiträgt. Diese grundsätzlichen Gemeinsamkeiten haben einige Autoren dazu bewogen, soziale und revolutionäre Bewegungen als verwandte, zum Teil auch als wesensgleiche Phänomene zu konzeptionalisieren. Für Jeff Goodwin stellen revolutionäre Bewegungen einen besonderen Typus sozialer Bewegungen dar, der sich vor allem durch seinen klaren Machtanspruch auf die Staatsgewalt auszeichnet.36 Ähnlich argumentiert auch Jack Goldstone: „If their goal is to overthrow the state, then, ipso facto, we are dealing with an attempt at “revolution”.” If their goal is to change a policy of the state or to influence the attitudes of some social group or society in general, we are dealing with a “social movement”.“37 Nicht 33 34 35 36 37

Zitiert nach Tilly (1978): Mobilization, S. 39. Vgl. Melucci (1989): Nomads, S. 27–29. Goldstone (2001): Generation, S. 142. Vgl. Goodwin (2001): Way, S. 10. Goldstone (1998): Movements, S. 125; Hervorhebung im Original.

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immer jedoch, so Goodwin, lässt sich eine derartige Unterscheidung trennscharf vornehmen: „There is no hard and fast line […] that separates revolutionary movements from reform-oriented social movements. Under certain circumstances […], social movements may become revolutionary, and revolutionary movements may become social movements (or political parties).“38 Folgt man Goldstone, täuscht die Möglichkeit unterschiedlicher Verlaufsformen jedoch nicht über die Gemeinsamkeiten beider Bewegungsarten hinweg: „successful revolutions, social movements leading to reform, cycles of protest, and guerrilla or terrorist activities are not different genera of social phenomenon, each requiring a distinct kind or basis of explanation. Instead, they are best thought of as family of related phenomena, originating in a similar set of circumstances, but evolving and diverging in consequence of distinct patterns in the interplay between protest movements, state response, the broader social environment, and cultural evaluations of state and protest actions.“39 Für Doug McAdam, Sidney Tarrow und Charles Tilly unterscheiden sich soziale Bewegungen und Revolutionen im Kern vor allem durch den Grad ihrer Intensität, mit der sie jeweils ihr Anliegen in der Realität austragen: „In short, social movement cycles and revolutions fall on the same continuum, the difference in position being to what extent challenges put the existing structure of power at risk.“40 Revolutionen stellen so verstanden die radikalste Form der Entwicklung einer sozialen Bewegung dar, bei der die Erringung der Staatsmacht als politisches Endziel formuliert wird und nicht allein die politische Anerkennung durch den Gegner oder ein punktueller Politikwechsel innerhalb eines klar umrissenen Themenfeldes.41 Ausgehend von den Gemeinsamkeiten zwischen Revolutionen und sozialen Bewegungen, führen McAdam, Tarrow und Tilly in einem nächsten Schritt den Begriff der „contentious politics“ in die Diskussion ein, mithilfe dessen sie nicht mehr nur Revolutionen und soziale Bewegungen, sondern auch andere Formen kollektiven Handelns in ein umfassendes, einheitliches Konzept zu gießen versuchen.42 Als widerständige Politik definieren sie „episodic, public collective interaction among makers of claims and their objects when (a) at least one government is a claimant, an object of claims, or a party to the claims and (b) the claims would, if realized, affect the interests of at least on of the claimants.“43 Diese 38 39 40 41 42

Goodwin (2001): Way, S. 10; vgl. auch Goldstone (1998): Movements, S. 127. Goldstone (1998): Movements, S. 142f.; Hervorhebung im Original. McAdam, Tarrow und Tilly (1997): Perspective, S. 165. Vgl. McAdam, Tarrow und Tilly (1996): Politics, S. 24. Vgl. Ibid.; McAdam, Tarrow und Tilly (1997): Perspective und McAdam, Tarrow und Tilly (2001): Dynamics. Zur Kritik an diesem Konzept vgl. Diani, Rucht, Koopmans, Oliver, Taylor, McAdam und Tarrow (2003): Symposium. 43 McAdam, Tarrow und Tilly (2001): Dynamics, S. 5.

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Definition ermöglicht es, „similar mechanisms and processeses“44 zu erkennen, die den unterschiedlichen, bisher getrennt voneinander untersuchten Formen kollektiven Handelns zugrunde liegen, und die entsprechenden theoretischen Zugänge zu harmonisieren. Wie die Autoren selbst bemerken: „In these terms, wars, revolutions, rebellions, (most) social movements, industrial conflict, feuds, riots, banditry, shaming ceremonies, and many more forms of collective struggle usually qualify as contentious politics.“45 Grundsätzlich unterscheiden die Autoren zwischen a) contained und b) transgressive contention. Damit sind Konstellationen gemeint, in denen (a) die Konfliktparteien schon vor ihrer Auseinandersetzung als politische Wettbewerber anerkannt sind oder aber (b) zumindest eine Partei erstmalig mit Beginn der Auseinandersetzung auf der politischen Bühne erscheint und ggf. innovative, d. h. bisher beispiellose oder illegale Handlungsmuster verfolgt.46 Dieser Definition folgend, stellt das in dieser Arbeit zu untersuchende Szenario zweifelsfrei ein Beispiel von transgressive contention dar, in dem sich der Leuchtende Pfad als unvermittelt auftretende, illegale, die verfassungsmäßige Grundordnung militärisch bekämpfende Untergrundorganisation in einem öffentlich ausgetragenen Konflikt mit dem Staat sowie anderen gesellschaftlichen und politischen Gruppen befand, deren Eigeninteressen im Falle eines Sieges des Leuchtenden Pfads massiv berührt worden wären. Konzepte zur Untersuchung der organisatorischen und ideellen Leistungen handelnder Akteure

Insgesamt lassen sich also überzeugende Argumente dafür finden, Revolutionen und soziale Bewegungen als artverwandte Phänomene zu bewerten und für deren Untersuchung eine Synthese der unterschiedlichen Zugänge von Revolutions- und Bewegungsforschung zu nutzen. Folgt man darüber hinaus dem Konzept der widerständigen Politik, können auch empirische und methodische Erkenntnisse anderer Disziplinen, etwa der Konflikt- und Terrorismusforschung, nutzbar gemacht werden.47 Die vorliegende Arbeit wird daher im Fol44 45 46 47

Ibid., S. 4. McAdam, Tarrow und Tilly (1997): Perspective, S. 143. McAdam, Tarrow und Tilly (2001): Dynamics, S. 7f. Albert Bergesen verweist auf die Gründe, weswegen auch der Terrorismus in den konzeptionellen Rahmen der vorliegenden Untersuchung integriert werden kann: „[…] it seems clear that terrorist organizations, violent attacks, and sustained campaigns of attacks, represent an intersection of collective violence, social movement activity, and contentious politics, and therefore are legitimate objects for social movement research. […] It would seem that if there are political opportunity structures, or framing processes, or resource mobiliza-

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genden eine Reihe von Konzepten und Erklärungsansätzen unterschiedlicher Disziplinen aufgreifenund diese mit einander zu verknüpfen versuchen – wohl wissend, dass es sich dabei in Teilen auch um bisher miteinander konkurrierende Erklärungsansätze handelt. Mobilizing Structures

Das massive Auftreten sozialer Bewegungen in den westlichen Industriestaaten in den 1960er- und 1970er-Jahren führte innerhalb der Sozialwissenschaften zu einer beginnenden Abkehr von den bis dahin dominierenden Erklärungsmodellen sozialen Protests. Phänomene wie die von Gurr und anderen Autoren beschriebene relative Deprivation wurden zunehmend als eher vernachlässigbare Variablen bei der Entstehung kollektiven gewaltsamen Protests verstanden.48 Stattdessen brach sich die Überzeugung Bahn, soziale Bewegungen und deren Aktivisten in erster Linie als rational Akteure zu begreifen, deren Handeln durch zweckorientierte Überzeugungen und Kalkulationen gesteuert würde: „Im Mittelpunkt stand dabei die Auffassung, dass es sich bei Protestaktivitäten um politische, zweckrational begründete und strategisch ausgerichtete Unternehmen von Bewegungsorganisationen handelt.“49 Um die eigenen Interessen erfolgreich durchzusetzen und die eigene Lebensfähigkeit dauerhaft zu sichern, so die Annahme, benötigen soziale Bewegungen ein bestimmtes Maß an und eine bestimmte Form von Organisation, zu denen z. B. Führerschaft, administrative Strukturen, Anreize zur Partizipation und Mittel zur Mobilisierung materieller Ressourcen und Unterstützung gehören.50 Diese Elemente werden an manchen Stellen zusammenfassend als mobilizing structures bezeichntet, die als „those collective vehicles, both formal and informal, through which people come together and engage in collective action“51 definiert werden. John McCarthy führt in seiner Definition etwas weiter aus: „By mobilizing structures I mean those agreed upon ways of engaging in collective action which include particular “tactical repertoires”, particular “social movement organizational forms”, and “modular social movement repertoires”. I also mean to include the range of everyday life micromobilization structural social locations that are not

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tion processes for SMO’s [Social Movement Organizations, SCW], certainly they must also exist for terrorist organizations. And if so, why don’t we study them as much?“; Bergesen (2007): Introduction, S. 109. Eine Diskussion hierzu findet sich bei McAdam (1982): Process, S. 5–19. Hellmann (1998): Paradigmen, S. 13. Vgl. McAdam und Scott (2005): Organization, S. 6. McAdam, Tarrow und Tilly (1997): Perspective, S. 155.

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aimed primarily at movement mobilization, but where mobilization may be generated: these include family units, friendship networks, voluntary associations, work units, and elements of the state structure itself.“52 In Anlehnung an diese Definitionen sollen im Folgenden zunächst die Mobilisierung von Ressourcen und anschließend die Mechanismen betrachtet werden, mit deren Hilfe Aktivisten und Mitglieder rekrutiert und mobilisiert werden. Ressourcenmobilisierung

Der von John McCarthy und Mayer Zald53 in den 1970er-Jahren in die Diskussion eingeführte Ansatz der Resource Mobilization (RM-Ansatz) lenkt in Abgrenzung zu den oben erwähnten älteren Erklärungsansätzen das Augenmerk auf die „(politische) Rationalität“54 sozialer Bewegungen, womit als zentrales Element deren Fähigkeit zur Mobilisierung von Ressourcen gemeint ist. Zwar identifiziert auch der RM-Ansatz sozioökonomische sowie politische Missstände und Unzufriedenheit innerhalb der untersuchten Gruppen. Dennoch bilden diese Faktoren keine ausreichenden Bedingungen für das Entstehen sozialer Bewegungen. John McCarthy und Mayer Zald geben die diesbezügliche Marschrichtung des RM-Ansatzes vor: „We want to move from a strong assumption about the centrality of deprivation and grievances to a weak one, which makes them a component, indeed, sometimes a secondary component in the generation of social movements.“55 Dieser Zielsetzung folgend, stellen Craig Jenkins und Charles Perrow in ihrer Arbeit über die amerikanische Farmarbeiterbewegung zwischen 1946 und 1972 fest: „We do not deny the existence of discontent but we question the usefulness of discontent formulations in accounting for either the emergence of insurgent organization or the level of participation by the social base. What increases, giving rise to insurgency, is the amount of social resources available to unorganized but aggrieved groups, making it possible to launch an organized demand for change.“56 Nach Ansicht des RM-Ansatzes stellt gesellschaftliche Unzufriedenheit einen dauerhaften Zustand dar, sodass sie nicht als entscheidender Impulsgeber für soziale Bewegungen betrachtet wer52 McCarthy (1996): Constraints, S. 141. Dieter Rucht spricht in diesem Zusammenhang dagegen von movement structure, die er, etwas breiter gefasst als „organizational bases and mechanisms serving to collect and use the movement´s resources“ definiert; vgl. Rucht (1996): Impact, S. 186. 53 McCarthy und Zald (1977): Mobilization. 54 Hellmann (1998): Paradigmen, S. 22. 55 McCarthy und Zald (1977): Mobilization, S. 1215. 56 Jenkins und Perrow (1997): Insurgency, S. 38.

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den kann.57 Gleichzeitig betonen McCarthy und Zald, dass Missstände sogar manipuliert oder erfunden werden können: „grievances and discontent may be defined, created, and manipulated by issue entrepreneurs and organizations.“58 Alternativ wird der Erfolg einer sozialen Bewegung von dem Maß der mobilisierten Ressourcen abhängig gemacht. Für die Mobilisierung zeichnen dabei vor allem Bewegungsorganisationen (Social Movement Organisations, SMOs) verantwortlich. Diese sind deswegen bedeutsam, da Ressourcenmobiliserung ein Mindestmaß an Organisation benötigt.59 Daneben stellen Organisationen „eine längerfristige, wenn auch nicht dauerhafte Verdichtung von Interaktion und Entscheidungsfindung zur Verfügung“, wodurch sie „Handlungsfähigkeit und (bewegungsinterne) Rationalität ermöglichen.“60 Zwei Kerngedanken also bestimmen den RM-Ansatz: „erstens, dass bei einem Verständnis sozialer Bewegungen Organisationsmomente wichtiger sind als grievances; und zweitens, dass die Mobilisierung bestimmter Ressourcen den Verlauf und Charakter spezieller Organisationen innerhalb breiter sozialer Bewegungen bestimmt.“61 In diesem Sinne konstatiert denn auch Herbert Kitschelt: „Grievances in society are ubiquitous, but movement entrepreneurs and protest organizations are the catalysts which transform amorphous masses and their demands into concerted and purposive movements. Although social movements are not identical with movement organizations, the latter are the “backbone” of collective struggles.“62 Der RM-Ansatz versteht soziale Bewegungen als rational handelnde Akteure, deren Erfolg entscheidend davon abhängt, verschiedene Ressourcen zu akquirieren und einzusetzen: „Resource theory is at root aimed at better understanding how groups are able to overcome prevailing patterns of resource inequality in their efforts to pursue social change goals.“63 Als Ressourcen kann dabei zunächst „anything that SMOs need to mobilize and deploy in pursuit of their goals“64 verstanden werden. Die Frage, was genau als Ressource zu verstehen sei, wurde lange Zeit nur ansatzweise beantwortet. In ihrer Pionierarbeit sprachen z. B. John McCarthy und Mayer Zald lediglich von „time and money“.65 Erst neuere Studien zeich-

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Vgl. Ibid., S. 50 und McCarthy und Zald (1977): Mobilization, S. 1215. McCarthy und Zald (1977): Mobilization, S. 1215. Ibid., S. 1216. Hellmann (1998): Paradigmen, S. 22. Zimmermann (1998): Ressourcenmobilisierung, S. 55. Kitschelt (1991): Mobilization, S. 329. Edwards und McCarthy (2004): Resources, S. 118. Cress und Snow (1996): Moblization, S. 1090. McCarthy und Zald (1977): Mobilization, S. 1224.

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nen ein differenzierteres und vielschichtigeres Bild.66 John McCarthy und Bob Edwards identifizieren beispielsweise fünf Ressourcentypen, die es zu mobilisieren gilt: 1.) Moralische Ressourcen, zu denen z. B. Legitimität des eigenen Handelns, Solidarität, Unterstützung und Bekanntheitsgrad zählen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie meist außerhalb der sozialen Bewegung entstehen und diesen häufig von externen Quellen, denen ein moralischer Wert bereits zugeschrieben wird, zugewiesen, aber auch wieder entzogen werden. 2.) Als kulturelle Ressourcen beschreiben die Autoren sowohl operationelle als auch konzeptionelle Fähigkeiten, wie etwa die Handhabung des Internets oder das Wissen, Versammlungen, Demonstrationen u. Ä. zu organisieren und durchzuführen. Im Gegensatz zu den moralischen Ressourcen sind sie weitflächig verfügbar und unabhängig von externen Werturteilen einsetzbar. 3.) Zu der Kategorie der sozial-organisatorischen Ressourcen zählen z. B. Infrastruktur, soziale Netzwerke und Organisationen, die allerdings aus Sicht einer jeweiligen Bewegung unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten aufweisen. Denn während infrastrukturelle Elemente, die die tägliche Arbeit erleichtern, keiner Zugangsbeschränkung unterliegen, hängt etwa der Zugang zu sozialen Netzwerken und anderen Organisationen entscheidend von der Einstellung der in diesen Netzwerken und Organisationen versammelten Gruppen ab. 4.) Die personellen Ressourcen bestehen aus den Aktivisten einer Bewegung, ohne deren Hilfe kein kollektives Handeln möglich ist. In der Regel verfügen die einzelnen Aktivisten über unterschiedliche Qualifikationen und Spezialkenntnisse, die je nach Erfordernis unterschiedlich eingesetzt werden können. 5.) Materielle Ressourcen schließlich umfassen sowohl Finanzmittel als auch Sachgüter wie etwa Bürofläche und technische Ausstattung.67 Bei Gewaltverbänden sind daneben auch Waffen und militärische Ausrüstung von Bedeutung. 66 Zur Diskussion und zu Alternativen zu der hier dargestellten Typologie vgl. Cress und Snow (1996): Moblization; McCarthy und Zald (2002): Vitality, S. 544f. und Jenkins (1983): Mobilization, S. 533. 67 Vgl. Edwards und McCarthy (2004): Resources, S. 124–128. Bei der Mobilisierung von Ressourcen lässt sich, wie die Edwards und McCarthy deutlich machen, eine Ungleichverteilung von Ressourcen konstatieren, die sich auf verschiedenen Ebenen niederschlägt. Wichtige Ressourcen lassen sich z.B. eher in urbanen Ballungsgebieten als in der ländlichen Peripherie finden, und Industrieländer verfügen über einen größeren Ressourcenpool als Entwicklungsländer. Gleichzeitig verfügt etwa die ökonomisch abgesicherte soziale Mittelklasse über einen deutlich besseren Ressourcenzugang als sozialschwache Bevölkerungsgruppen. Beide Aspekte haben weit reichende Folgen: Zum einen kann die Entstehung von sozialen Bewegungen eher durch einen besseren Ressourcenzugang als durch die Existenz von Missständen und Ungerechtigkeit erklärt werden. Zum anderen scheinen soziale Bewegungen eher die Interessen derjenigen zu artikulieren, die über die besten Ressourcenzugänge verfügen; vgl. Edwards und McCarthy (2004): Resources, S. 119f.

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Wie aber verschaffen sich soziale Bewegungen Zugang zu den genannten Ressourcen, um sie dann erfolgreich für die eigenen Zielsetzungen mobilisieren zu können? Bob Edwards und John McCarthy nennen vier Zugangsmechanismen: 1.) Aggregation, 2.) Eigenproduktion, 3.) Kooptation/Aneignung und 4.) Schirmherrschaft. Als Aggregation wird dabei die kollektive Zusammenführung disperser Ressourcen verstanden, die bisher bei einzelnen Individuen zu finden waren. Moralische Ressourcen können z. B. zusammengeführt werden, indem soziale Bewegungen Listen erstellen und veröffentlichen, aus denen hervorgeht, welche Personen oder Organisationen das eigene Anliegen unterstützen. Die Aggregation personeller Ressourcen besteht dagegen in deren Rekrutierung. Die Eigenproduktion von Ressourcen umfasst eine Vielzahl verschiedener interner Mechanismen. Dazu gehören z. B. die Fortbildung der eigenen Aktivisten, die Herstellung von Publikationen oder Emblemen sowie die Ausarbeitung der eigenen taktischen Vorgehensweisen. Bei der Kooptation bzw. Aneignung handelt es sich um die Ausnutzung von Ressourcen, über die originär fremde Individuen oder Organisationen verfügen. So ist etwa die Rekrutierung von Mitgliedern anderer Organisationen denkbar oder die Einstellung von Weblinks auf der eigenen Homepage, die auf von Dritten produzierte Informationen und Materialien verweisen. Schließlich ist auch die Infiltration fremder Organisationen möglich, um deren Ressourcen zu kontrollieren. Unter dem Stichwort der Schirmherrschaft lässt sich schließlich die Übertragung von Ressourcen durch Dritte auf die Bewegung oder SMO verstehen. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind u. a. Geld- und Sachspenden, Stellenfinanzierungen oder auch die Verleihung von Ehrenauszeichnungen wie etwa dem Friedensnobelpreis.68 Mobilisierung und Netzwerke

Innerhalb des Ressourcenpools kann die Ressource Mensch als die wichtigste gelten, ist doch ohne sie keine widerständige Politik möglich. Es ist daher nicht überraschend, dass auf der Frage nach der Mobilisierung bzw. Rekrutierung von individuellen Akteuren ein besonderes Augenmerk der Forschung liegt. Eine weit akzeptierte Erkenntnis ist dabei, dass soziale Netzwerke, und hierbei vor allem bestehende Kontakte zu bereits gesellschaftspolitisch aktiven Personen, eine besondere Rolle bei der Rekrutierung von Aktivisten und Mitgliedern spielen. In ihrer 1980 veröffentlichten Pionierarbeit zeigten z. B. David Snow, Louis Zurcher und Sheldon Ekland-Olsen, dass zwischen 60 und 90 Prozent 68 Vgl. Edwards und McCarthy (2004): Resources, S. 131–135.

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der Mitglieder verschiedener politischer und religiöser Gruppen aufgrund bereits existierender sozialer Netzwerke in die jeweiligen Gruppen eingetreten waren. Gleichzeitig wurde innerhalb der Gruppe von nicht aktiven Sympathisanten der Umstand, keinen Aktiven persönlich zu kennen, als wichtigster Grund für den Nichtbeitritt genannt.69 Wie verschiedene empirische Studien zu zeitgenössischen und historischen sozialen Bewegungen in den Folgejahren zeigten, können sowohl soziale Netzwerke als auch frühere eigene Beteiligungen an anderen sozialen Bewegungen die Rekrutierung und Mobilisierung von Aktivisten begünstigen:70 In ihrer Untersuchung über die Mailänder Umweltbewegung ermittelten z. B. Mario Diani und Giovanni Lodi, dass 78 Prozent der Umweltaktivisten der 1980er-Jahre mithlfe persönlicher Kontakte und Freundschaften rekrutiert worden waren.71 Die Bedeutung sozialer Netzwerke und vorheriger Organisationsmitgliedschaften scheint sich allerdings nicht nur auf low-risk-Bewegungen zu beschränken, sondern auch für Bewegungen zu gelten, deren Aktivisten aufgrund ihres Engagements erhebliche Risiken drohen. Roger Gould macht deutlich, welche relevante Bedeutung nachbarschaftliche Netzwerke beim Aufstand der Pariser Kommune 1871 spielten.72 In seiner Vergleichsstudie der Revolutionen im Iran, in Nicaragua und auf den Philippinen unterstreicht Misagh Parsa den Einfluss persönlicher Freundschaften und Bekanntschaften bei der Mobilisierung kollektiven Protest.73 Donatella della Porta stellt in ihrer Arbeit über den italienischen und deutschen Terrorismus der 1970er- und 1980er-Jahre u. a. fest, dass von 1214 untersuchten Aktivisten der Roten Brigaden 843 mindestens einen Freund hatten, der bereits vor ihnen Mitglied der Organisation geworden war.74 Und Doug McAdam weist am Beispiel der Aktivisten des Freedom Summer von 1964 in Mississippi darauf hin, dass Teilnehmer dieser Bewegung – im Gegensatz zu den Kandidaten, die zwar zunächst ausgewählt worden waren, ihre Teilnahme dann aber wieder absagten – sich zuvor schon häufiger und stärker in anderen politischen oder gesellschaftlichen Gruppen engagiert hatten und über enge Freundschaften zu anderen Freedom-Summer-Teilnehmern verfügten.75 Schließlich scheinen auch die Forschungsergebnisse von Timothy Wickham-Crowley zu den latein-

69 Snow, Zurcher und Ekland-Olson (1997): Networks. 70 Für einen Überblick über die Forschungsliteratur vgl. Kitts (2000): Boxes und Diani (2004): Networks. 71 Vgl. della Porta und Diani (2006): Movements. 72 Vgl. Gould (1997): Networks. 73 Vgl. Parsa (2000): States. 74 Vgl. della Porta (1995): Movements, S.167f. 75 Vgl.McAdam (1986): Recruitment.

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amerikanischen Guerillabewegungen seit Mitte der 1950er-Jahre auf ähnliche Rekrutierungs- und Mobilisierungsmuster hinzudeuten.76 So augenfällig die Beobachtung auch ist, dass Aktivisten oftmals aufgrund sozialer Bindungen – d. h. durch jemanden, den sie persönlich kennen – selbst aktiv wurden, resultiert aus ihr doch zunächst nur ein eingeschränkter Erkenntnisgewinn. So ist z. B. nichts darüber ausgesagt, wie etwa die Mobilisierung ganz zu Beginn einer sozialen Bewegung funktioniert – zu einem Zeitpunkt also, an dem es noch niemanden gibt, der andere in diese Bewegung „hineinüberzeugen“ kann. Zum anderen wird übersehen, dass einzelne Akteure in der Regel innerhalb verschiedener sozialer Netzwerke agieren, von denen einige den Akteur an der Teilnahme an einer bestimmten sozialen Bewegung auch hindern können. Gleichzeitig fehlt eine genaue Erklärung der tatsächlichen Funktionsweise des Mobilisierungseffekts.77 Daneben zeigen andere Studien, dass Mobilisierung auch außerhalb sozialer Netzwerke stattfindet bzw. auch trotz Vorhandenseins sozialer Netzwerke nicht immer stattfindet.78 Roger Gould stellt daher treffend fest: „Simply observing that social ties affect mobilization is not much of a contribution. It is a bit like noticing that people who are stricken with plague have had contact with other plague victims, but failing to relate this fact to their having breathed the air into which the latter have coughed, or to connect either of these facts to broader germ theory that accounts for both.“79 Neuere Arbeiten fragen deshalb nach der genauen Rolle und Funktion, die soziale Bindungen und soziale Netzwerke bei der Mobilisierung erfüllen.80 Erste Hinweise hierzu gibt Florence Passy, die in ihrer Arbeit zu den Bewegungsorganisationen Die Erklärung von Bern und World Wildlife Fund drei Funktionen sozialer Netzwerke herausarbeitet: 1.) socialization function; 2.) structural-connection function und 3.) decision-shaping function.81 Mit der socialization-Funktion ist gemeint, dass soziale Netzwerke auf die Identitätsbildung der in ihnen agierenden Akteure einwirken, deren politisches Bewusstsein für das jeweilige Protestanliegen schärfen und damit die grundsätzliche Bereitschaft zur individuellen Teilnahme schaffen. Die Aufgabe, latent existierende Teilnahmebereitschaft in konkrete Handlung zu übersetzen, erfüllt die structural-connection-Funktion. Danach verbinden persönliche Bekanntschaften und Freundschaften potenzielle Akteure mit praktischen 76 77 78 79 80

Vgl. Wickham-Crowley (1992): Guerrillas, S. 19–29. Vgl. McAdam (2003): Analysis, S. 286f. Vgl. Diani (2004): Networks, S. 342. Gould (2003): Networks, S. 237. Vgl. u.a. Ibid.; McAdam (2003): Analysis; Passy (2003): Networks und Diani (2004): Networks. 81 Passy (2003): Networks.

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Protestmöglichkeiten wie etwa Demonstrationen oder Aufständen, die von sozialen Bewegungen organisiert und durchgeführt und so gewissermaßen zur Verfügung gestellt werden. Bevor die potenziellen Akteure jedoch schließlich an einer ganz bestimmten politischen Auseinandersetzung teilnehmen, treffen sie eine Reihe verschiedener Entscheidungen, was auf die decision-shapingFunktion sozialer Netzwerke verweist. Bei diesen Entscheidungen geht es vor allem um eine Kosten-Nutzen-Abwägung für die Teilnahme am Protest. Da die Entscheidung, selbst teilzunehmen, häufig von dem Verhalten anderer beeinflusst wird, wirken soziale Netzwerke in besonderer Weise auf diesen Entscheidungsprozess ein. Die große Bandbreite der Rekrutierungs- und Netzwerkforschung macht eine zusammenfassende Ergebnisschau nicht einfach. Es kann daher nicht überraschen, wenn Mario Diani bei einer derartigen Zusammenfassung lediglich recht allgemeine Feststellungen macht und dabei vorausschickt, dass die existierenden Forschungsergebnisse nicht immer eine überzeugende Konsistenz vorweisen und auch nicht in jedem Fall miteinander vergleichbar sind. Er zählt u. a. folgende Ergebnisse auf:82 1.) Je nachdem, mit welchen persönlichen Risiken die Teilnahme verbunden ist, scheint die Bedeutung sozialer Netzwerke zu variieren. Einer Rekrutierung etwa in terroristische Organisationen scheinen stärkere und spezifischere Netzwerke zugrunde zu liegen als einer Rekrutierung in friedliche und risikoärmere Bewegungen und Organisationen. 2.) Die Effektivität sozialer Netzwerke unterscheidet sich offensichtlich je nachdem, wie sehr die politischen und kulturellen Zielsetzungen der jeweiligen Bewegung von dem gesellschaftlich dominanten politischen Konsens abweichen. 3.) Die Bedeutung von Netzwerken bestimmt sich nicht allein aus ihrer Fähigkeit zur Rekrutierung eines Einzelnen, sondern sie erwächst aus der Schlagkraft als Gesamtheit. Demnach scheinen z. B. zentral gesteuerte Netzwerke eher in der Lage, stärkeren kollektiven Protest zu entfachen, als lose Netzwerke. Ideelle Leistungen

Verschiedene Arbeiten weisen darauf hin, dass neben der Bedeutung struktureller Rahmenbedingungen und personeller und materieller Ressourcen auch die ideelle Dimension widerständiger Politik adäquat bewertet werden muss.83 Im Kern dieser Ansätze stehen dabei zwei Überlegungen: 1. Strukturelle Rah82 Vgl. zum Folgenden Diani (2004): Networks, S. 350f. 83 Für einen Überblick zum cultural turn vgl. Johnston und Klandermans (1995): Analysis und Williams (2004): Contexts.

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menbedingungen vermögen sozialen Akteuren zwar bestimmte allgemeine Handlungsfelder und -grenzen vorzugeben; ihre Rolle und ihr konkretes Handeln – und damit ihr Einfluss auf soziale Entwicklung – erklären sie dagegen jedoch nur unzureichend. 2. Soziales Handeln besitzt nicht allein eine materielle und politische, sondern auch eine ideelle und kulturelle Dimension. Es ist diese Dimension, mit deren Hilfe die Akteure das eigene Handeln nicht nur verstehen und in den sie umgebenden Kontext einordnen, sondern aus der sie auch Motivation und Sinn für dauerhaftes Engagement ableiten können.84 Eric Selbin erklärt: „I contend that, along with the material or structural conditions which commonly guide our investigations, it is imperative to recognize the role played by stories, narratives of popular resistance, rebellion and revolution which have animated and emboldened generations of revolutionaries across time and culture.“85 Donatella della Porta und Mario Diani ergänzen: „social actors act in the context of structural constraints, which not only have to do with material resources but also with cultural ones. Actors´ interpretations of their situation, their preconceptions, their implicit assumptions about social life and its guiding principles, about what is worthy or unworthy, all drastically constrain their capacity to act and the range of their options.“86 In klarem Gegensatz zu Skcopols These, Revolutionen seien in erster Linie das Ergebnis politischer Variablen, plädiert Forrest Colburn: „The resulting deduction of politics from social structure is too mechanistic, ignoring the reality that revolutionary politics do not merely follow from social structural preconditions. […] Through their language, images, and daily political activity, revolutionaries strive to reconfigure society and social relations. They consciously seek to break with the past and to establish a new nation-state. In the process, they create new social relations and, often, novel ways of practicing politics. […] it is important to acknowledge that the participants make the crucial difference between a potentially revolutionary situation and an actual revolution. Once the revolution is under way, their thinking and behavior influence the revolutionary process. In turn, the course of the revolution, its ebbs and turns, inescapably shapes the outcome.“87 Ebenfalls in Ablehnung der Schlussfolgerungen Skocpols hebt Eric Selbin die entscheidende Rolle der Akteure und ihrer Ideen für den Verlauf der Erhebungen hervor: „Profoundly human creations rather than inevitable natural processes, revolutions do not 84 Zu dem Verhältnis zwischen Kultur und handelnden Akteuren vgl. Emirbayer und Goodwin (1994): Analysis und Emirbayer und Mische (1998): Agency. 85 Selbin (2003): Horse, S. 84. 86 della Porta und Diani (2006): Movements, S. 66. 87 Colburn (1994): Vogue, S. 12–13.

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come, they are made […].“88 An anderer Stelle hält er fest: „The ideals of justice, liberty, equality, democracy, opportunity, and freedom (from fear, from hunger, from disease; of assembly, of speech of religion) remain powerful and compelling in a world where many people’s daily lives reflect none of these. These ideals become, in a very real sense, the touchstone of the revolution, and they carry the revolutionaries and the population through the arduous struggle. Idea streams, historically connected, transcendent ideas, are powerful, pervasive, and timeless.“89 Die Zitate verdeutlichen, dass konkretes Handeln und ideelle Konfigurationen nicht voneinander zu trennen sind. Verschiedene Arbeiten haben in den letzten Jahren das wechselseitige Verhältnis zwischen beiden Elementen herausgearbeitet und auf den Einfluss „that cultural and societal formations have upon social actors and the transformative impact that social actors, for their own part, have upon cultural and societal structures“ hingewiesen.90 Folgt man Ann Swidler, steht Akteuren eine ganze Reihe ideeller und symbolischer Elemente zur Verfügung, nämlich „of such symbolic vehicles of meaning, including beliefs, ritual practices, art forms, and ceremonies, as well as informal cultural practices such as language, gossip, stories, and rituals of daily life.“91 Swidler hebt die praktisch-interaktive Dimension von Kultur hervor, die sie als Werkzeugkasten beschreibt, mit dessen Hilfe sich Akteure lageabhängig mit ideellen Ressourcen versorgen können, um ihre Handlungsleitlinien zu erstellen: „A culture is not a unified system that pushes action in consistent direction. Rather, it is more like a „tool kit“ or repertoire from which actors select differing pieces for constructing lines of action.“92 Vor allem die Bewegungsforschung hat in den letzten Jahren verschiedene „Paradigmen“93 entwickelt, die die ideellen Leistungen der Akteure widerständiger Politik untersuchen.

88 89 90 91

Selbin (2003): Horse, S. 83. Selbin (1993): Revolutions, S. 139. Emirbayer und Goodwin (1994): Analysis, S. 1442. Swidler (1986): Culture, S. 273. An dieser Stelle kann keine Diskussion über die mannigfaltigen Erklärungsmodelle, was Kultur ist, geführt werden. Für einen Überblick über die Entwicklung des Konzepts Kultur vgl. Johnston und Klandermans (1995): Analysis; Swidler (1995): Power und Sewell (2005): Logics. Für einen kurzen Überblick über die Entwicklung des „cultural turns“ in der Revolutionsforschung vgl. Foran (1997): Discourses. 92 Swidler (1986): Culture, S. 277. 93 Hellmann (1998): Paradigmen.

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Framing

Zu den einflussreichsten dieser Paradigmen gehört der framing-Ansatz, der sich mit der „symbolischen Konstruktion von Wirklichkeit“ durch Akteure befasst.94 Framing „bezeichnet die Art und Weise, wie Ereignissen und Sachverhalten eine besondere Bedeutung zugewiesen wird, wie sie als problematisch interpretiert und unter welchen Bedingungen zum Widerstand mobilisiert werden kann.“95 Doug McAdam, John McCarthy und Mayer Zald beschreiben framing als „conscious strategic efforts by groups of people to fashion shared understandings of the world and of themselves that legitimate and motivate collective action.“96 Im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht also die Überzeugung, dass soziale Wirklichkeit nicht sinnneutral, sondern lageabhängig in Form eines dynamischen und interaktiven Prozesses auf ganz bestimmte Art und Weise wahrgenommen und interpretiert wird.97 Vor diesem Hintergrund kann die Fähigkeit sozialer Bewegungen, „die Frage nach der Deutungskompetenz, der Definitionsmacht oder auch der kulturellen Hegemonie“98 bzgl. der Realität zu ihren Gunsten zu beantworten, als wichtiger Baustein für ihren Erfolg gewertet werden. Um erfolgreich zu sein, ist es erforderlich, einen ideellen Deutungsrahmen zu konstruieren, der die Außenwelt auf genau den Interpretationsausschnitt festlegt, der für die Ziele und Absichten der jeweiligen Bewegung relevant ist. Nach Ansicht von Snow und Benford dient ein solcher Deutungsrahmen, den sie „collective action frame“ nennen, als Interpretationsschema, mithilfe dessen die „world out there“ vereinfacht, kondensiert und gemäß dem aktuellen und historischen Bewegungskontext interpretiert wird.99 Es gehört zu den konstitutiven Merkmalen sozialer Bewegungen, auch als Produzenten eigener, neuartiger Deutungsmuster aufzutreten und nicht nur bereits bestehende Ideen und Überzeugungen zu übernehmen oder zu modifizieren. Entsprechend stellt David Snow fest: „In contrast to the traditional view of social movements as carriers of extant, preconfigured ideas and beliefs, the framing perspective views movements as signifying agents engaged in the production and maintenance of meaning for protagonists, antagonists, and bystanders.“100 Und Richard Kreissl und Fritz Sack heben hervor: „Soziale Bewegungen sind (und begreifen sich) als kollektive Akteure im Kampf um die 94 95 96 97 98 99 100

Kreissl und Sack (1998): Framing, S. 42. Kliment (1998): Dramatisierung, S. 69. McAdam, McCarthy und Zald (1996): Introduction, S. 6. Vgl. Snow (2004): Processes, S. 384. Hellmann (1998): Paradigmen, S. 20. Vgl. Snow und Benford (1992): Frames, S. 137. Snow (2004): Processes, S. 384.

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soziale Wirklichkeit.“101 Als soziale Wirklichkeit gestaltende Akteure, so John McCarthy und Mayer Zald, können soziale Bewegungen zur Mobilisierung z. B. Unzufriedenheit und Missstände konstruieren und definieren.102 Allerdings beschränken sich soziale Bewegungen bei der symbolischen Konstruktion von Wirklichkeit nicht nur darauf, vermeintliche gesellschaftspolitische Missstände zu identifizieren, sondern sie bieten auch eigene Lösungsvorschläge an, um diese Missstände zu beheben. Die Zusammengehörigkeit beider Elemente – Diagnose und Therapie – ist, wie Bert Klandermans feststellt, von besonderer Bedeutung: „Interpreting grievances and raising expectations of success are the core of the social construction of protest.“103 Allerdings müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit der entsprechende Deutungsrahmen auch erfolgreich ist. Denn je „kohärenter und je kompatibler die Elemente eines solchen Frames mit den lebensweltlichen Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erfahrungen der potentiellen Aktivisten sind“104, desto besser stehen die Chancen, erfolgreich zu mobilisieren. Snow und Benford nennen drei Dimensionen, die ein erfolgreicher Deutungsrahmen beinhalten muss: 1.) „A diagnosis of some event or social life as problematic and in need of alternation; 2.) a proposed solution to the diagnosed problem that specifies what has to be done; and 3.) a call to arms or rationale for engaging in ameliorative or corrective action.“105 Sidney Tarrow stellt fest: „Inscribing grievances in overall frames that identify an injustice, attribute the responsibility for it to others, and propose solutions to it is a central activity of social movements.“106 Gleichzeitig steigt die Erfolgschance des Deutungsrahmens, wenn er, a), empirisch vorhandene Sachverhalte (in den Augen der Aktivisten) glaubwürdig und sinnvoll abbildet, b), mit den individuellen Alltagserfahrungen der Anhänger und Aktivisten in Einklang zu bringen ist und wenn, c), in ihm Erzählstrukturen zu finden sind, in denen traditionelle oder mythische Erzählungen mitschwingen.107

101 102 103 104 105

Kreissl und Sack (1998): Framing, S. 42. Vgl. McCarthy und Zald (1977): Mobilization, S. 1215. Klandermans (1989): Interpretation, S. 122. Kreissl und Sack (1998): Framing, S. 44. Snow und Benford (1988): Ideology, S. 199; Hervorhebung SCW. Die Autoren setzen in der gleichen Arbeit den einzelnen Elementen entsprechende frames gleich: Der „diagnostic frame“ entspricht Element eins; der „prognostic frame“ Element zwei und der „motivational frame“ dem dritten Element. 106 Tarrow (1998): Power, S. 111. 107 Vgl. Snow und Benford (1988): Ideology, S. 208–211.

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Kollektive Identität

Eng mit dem framing verbunden ist der Ansatz der kollektiven Identität (collective identity), bei dem es sich ebenfalls zu allererst um ein ideelles Phänomen handelt, denn: „Fundamentally, collective identities are talked into existence.“108 Während das framing jedoch in erster Linie darauf abzielt, eine bestimmte Betrachtungsweise der Realität zu schaffen und damit ein Bild der anderen zu zeichnen, geht es der kollektiven Identität vor allem darum, eine genaue Vorstellung des wir zu konstruieren, um sich als zusammengehöriges Kollektiv zu verstehen und als solches auf Grundlage gemeinsamer Deutungsmuster zu handeln: „Individuals must realize not only that they can act together and that the collective action is likely to produce positive results but also that they feel part of a collectivity. Only this feeling can provide the solidarity needed for collective actions.“109 Nach Ansicht von Alberto Melucci handelt es sich bei der kollektiven Identität um „an interactive and shared definition produced by several interacting individuals who are concerned with the orientations of their action as well as the field of opportunities and constraints in which their action takes place.“110 Verta Taylor und Nancy Whittier zielen in die gleiche Richtung, wenn sie kollektive Identitäten als „shared defintion of a group that derives from members` common interests, experiences, and solidarity“111 bezeichnen. Demzufolge handelt es sich bei kollektiven Identitäten also um „einen interaktiven Prozess, in dem eine Reihe von Individuen und Gruppen die Bedeutung ihres Handelns, ihr Möglichkeitsfeld und die Grenzen ihrer Handlungen definieren.“112 Als Produkt eines derartigen Prozesses, der sowohl eine kognitive als auch eine moralische und eine emotionale Dimension besitzt, handelt es sich bei kollektiven Identitäten um ein eher disperses Phänomen, das sich aus vielen verschiedenen Versatzstücken zusammensetzt, weshalb Roland Roth auch von einem „patch-work“113 spricht und die Bandbreite von „Kristallisationskernen für die Ausbildung von kollektiven Identitäten“ andeutet: „Habitus, Erfahrungen, Lernprozesse, Bewusstsein, Interessen, Konflikt, Kampf, Kultur, Solidarität, Organisation, askriptive Merkmale (wie Geschlecht und Rasse), expressive Aktionen, Symbole, Rituale, Wertmuster, emotionale Bindungen, Orte, Milieus und Gemeinschaften.“114 108 109 110 111 112 113 114

Hunt und Benford (2004): Identity, S. 445; Hervorhebung im Original. della Porta (1995): Movements, S. 205, Hervorhebungen im Original. Melucci (1989): Nomads, S. 34. Taylor und Whittier (1995): Approaches, S. 172. Haunss (2001): Welt, S. 262. Roth (1998): Identitäten. Ibid., S. 52.

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Bei dem Aufbau und der Aufrechterhaltung kollektiver Identitäten handelt es sich nicht um eine statische Angelegenheit, sondern um einen fortlaufenden Prozess, der durch eine Vielzahl verschiedener Faktoren beeinflusst wird. Verta Taylor und Nancy Whittier identifizieren dabei drei Prozesse, die für die Herausbildung einer Bewegungsidentität von Bedeutung sind: „(1) the creation of boundaries that insulate and differentiate a category of persons from the dominant society; (2) the development of consciousness that presumes the existence of socially constituted criteria that account for a group’s structural position, and (3) the valorization of a group’s essential differences through the politicization of everyday life.“115 Am Bespiel der amerikanischen lesbischfeministischen Bewegung illustrieren die Autorinnen, was mit diesen Prozessen gemeint ist.116 Bei dem ersten Schritt handelt es sich um einen Abgrenzungsprozess. Wie oben bereits erwähnt, produzieren kollektive Identitäten eine Vorstellung dessen, was Aktivisten als wir verstehen können und sollen. Eine derartige Positionsbestimmung weist allerdings einen abgrenzenden Charakter auf, führt sie doch gleichzeitig auch eine Klärung darüber herbei, wer „wir nicht sind“: „By virtue of constructing an elaborated sense of who they are, movement participants and adherents also construct a sense of who they are not. In other words, boundary work entails constructing both a collective self and a collective other, an „us“ and a „them““.117 Im Falle der amerikanischen lesbisch-feministischen Bewegung manifestierte sich der Abgrenzungsprozess u. a. in der Errichtung verschiedener alternativer Einrichtungen wie z. B. Gesundheitszentren, Restaurants, Künstlerkolonien, Musik- und Literaturfestivals oder Beratungsstellen, zu denen nur Frauen Zugang besaßen. Ergänzend entwickelte sich eine ausgeprägte Frauenkultur, der spezifisch weibliche Werte zugrunde gelegt wurden, wie etwa die Auffassung der Höherwertigkeit des nach Ausgleich strebenden weiblichen Wesens gegenüber dem konfrontativen und von Hierarchien abhängigen männlichen Wesen. Der zweite Teilprozess der Herausarbeitung eines Bewegungs- bzw. Gruppenbewusstseins definiert die eigene Position innerhalb eines gesellschaftspolitischen Gesamtkontextes sowie die eigenen Handlungsmöglichkeiten. Ähnlich wie bei dem Element der Abgrenzung handelt es sich auch hier um einen dynamischen, diskursiven Prozess, denn „group consciousness is constructed through a variety of mechanisms including talk, narratives, framing proces-

115 Taylor (1992): Identity, S. 122. 116 Vgl. zum Folgenden, falls nicht anders gekennzeichnet, Ibid., S. 111-121. 117 Hunt und Benford (2004): Identity, S. 442f.

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ses, emotion work and interactions with antagonists among others.“118 Nach Ansicht von Aldon Morris empfiehlt es sich, allgemein von einem politischen Bewusstsein zu sprechen, da es sich bei der Erarbeitung eines gruppen-, bewegungs- oder klassenspezifischen Bewusstseins grundsätzlich um eine Form politischen Bewusstseins handelt, das auf die Aufrechterhaltung oder die Abschaffung eines herrschenden Dominanzverhältnisses abzielt.119 Bei dem Beispiel der amerikanischen Lesbenbewegung basiert das Gruppenbewusstsein zunächst auf der Prämisse, dass Heterosexualität ein Mechanismus patriarchalischer Kontrolle sei und lesbische Beziehungen ein Mittel zur Durchbrechung männlicher Dominanz darstellten. Bei der Erarbeitung des eigenen Gruppenbewusstseins begannen wesentliche Teile der Lesbenbewegung daher, sich als Teil einer im Laufe der Jahre neu bewerteten Feminismusbewegung zu begreifen, um sich deutlich auch von der Schwulenbewegung zu unterscheiden. Bei dem letzten Teilprozess handelt es sich schließlich um die Umdeutung bzw. bewusste Neuaufladung symbolischer Bedeutungen und Handlungen des täglichen Lebens. Dadurch sollen tradierte Bedeutungsmuster, die als Mittel zur Aufrechterhaltung bestehender Macht- und Dominanzstrukturen bewertet werden, gebrochen und entlarvt werden. Innerhalb der von Verta Taylor und Nancy Whittier beschriebenen Lesbenbewegung bedeutete dies, dass z. B. vorherrschende Schönheitsideale, wie das Tragen bestimmter Kleidung, bestimmter Frisuren oder von Make-up, aber auch männliche Weiblichkeits-Vorstellungen als Mechanismen zur Herstellung und Aufrechterhaltung männlicher Dominanz gedeutet und als solche abgelehnt wurden. Stattdessen wurden z. B. Kleidungsstücke und Haarfrisuren gewählt, die funktionale Kriterien erfüllten und sich nicht den vorherrschenden ästhetischen Idealen beugten. Die oppositionelle Haltung konnte auch bis in den alltäglichen Sprachgebrauch hinein reichen, sodass beispielsweise nicht mehr von history, sondern von herstory, und nicht mehr von women, sondern vom womyn oder womoon gesprochen wurde.120 Es wird deutlich, dass kollektive Identitäten einen wichtigen Baustein für die dauerhafte und aktive Anbindung der Anhängerschaft an soziale Bewegungen darstellen. Somit scheinen der Aufbau, die Aufrechterhaltung sowie die Weiterentwicklung kollektiver Identitäten eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer sozialen Bewegung zu sein. Entsprechend hält Bert Klandermanst fest: „If a group fails in this, it cannot accomplish any collective action.“121 Die Bedeutung einer kollektiven Identität für die Aufrechterhaltung einer Organi118 119 120 121

Ibid., S. 445. Vgl. Morris (1992): Consciousness, S. 360. Taylor und Whittier (1995): Approaches, S. 174. Klandermans (1992): Construction, S. 81.

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sation nimmt darüber hinaus noch einmal zu, sobald es sich etwa um Untergrundorganisationen handelt, die ihren Protest weitestgehend isoliert von anderen gesellschaftlichen Kräften betreiben.122 Donatella della Porta stellt in ihrer Arbeit zum italienischen und deutschen Terrorismus fest: „The more isolated a movement family is from the external environment, the more it demands a total involvement, and thus the more confining the movement identity becomes.“123 Ideologie

„Few concepts in the social science lexicon have occasioned so much discussion, so much disagreement, and so much selfconscious discussion of the disagreement, as “ideology”.“ Aber dennoch: „Condemned time and again for its semantic excesses, for its bulbous unclarity, the concept of ideology remains, against all odds, a central term of social science discourse.“124 John Gerrings Urteil macht das Dilemma deutlich, mit dem sich jede Behandlung des Konzepts Ideologie unweigerlich konfrontiert sieht. Obwohl Ideologie häufig eine gleichsam amorphe Natur zu besitzen scheint, die jegliche trennscharfe semantische Definition, jeden genauen empirischen Nachweis und jeden analytischen Nutzen zu erschweren droht, ist sie doch innerhalb sozialer Strukturen und sozialer Interaktion anscheinend allgegenwärtig, ist gar, nach Ansicht von Beobachtern, „constitutive of the social order“125. Dieses Dilemma gilt in gleicher Weise für soziale Bewegungen, denen zwar intuitiv starke ideologische Komponenten zugeschrieben werden können. Die Wirkung und die Wirkmechanismen der Ideologie bleiben jedoch zunächst im Dunkeln. Es überrascht daher nicht, dass die Rolle von Ideologien für die Entwicklung widerständiger Politik unterschiedlich bewertet wird. Exemplarisch für die Gruppe derjenigen Autoren, die der Ideologie keine besondere Rolle zuweisen, konstatiert Theda Skocpol: „Thus revolutionary ideologies and people committed to them were undoubtedly necessary ingredients in the great social revolutions […]. Nevertheless it cannot be argued in addition that the cognitive content of the ideologies in any sense provides a predictive key to either the outcomes of the Revolutions or the activities of the revolutionaries who built the state organizations that consolidated the Revolutions. Any line of reasoning that treats revolutionary ideologies as blueprints for revolutionaries´ activities and for revolutionary outcomes can122 123 124 125

Vgl. Zwermann, Steinhoff und della Porta (2000): Movements, S. 95-97. della Porta (1995): Movements, S. 206. Gerring (1997): Ideology, S. 957f. Sewell (1985): Ideologies, S. 61.

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not sustain scrutiny in the light of historical evidence […].“126 Die Gegenposition dazu nimmt Mayer Zald ein, der jegliches „social movement behavior“ als „ideologically structured action“ charakterisiert und solche definiert als „ […] behavior which is guided and shaped by ideological concerns – belief systems defending and attacking current social relations and the social system.“127 Demzufolge wäre Ideologie ein wesensimmanenter Charakterzug sozialer Bewegungen, der nicht nur die individuelle politische Sozialisation beeinflusst, sondern auch jegliche widerständige Politik unterfüttert und steuert. An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, eine präzise und dennoch allumfassende Definition dessen zu geben, was als Ideologie verstanden werden kann.128 Stattdessen soll David Snow gefolgt werden, wenn er für ein recht breit angelegtes Ideologie-Verständnis plädiert und empfiehlt „rather than conceptualize it as a fairly pervasive and coherent set of believes and values that function in a programmatic and doctrinaire fashion, it would appear to be closer to the mark if ideology is conceived as a variable phenomenon that ranges on a continuum from a tightly and rigidly connected set of values and beliefs at one end to a loosely coupled set of values and beliefs at the other end, and that can function, in either case, as both a constraint on and a resource for the kind of sense-making, interpretative work associated with framing.“129 Ein derartiges Verständnis trägt den Ergebnissen von John Gerring Rechnung, der nach Durchsicht verschiedenster in der Literatur zu findender Definitionen zu dem Urteil gelangt, dass das Konzept der Ideologie verschiedene Elemente beinhaltet, die je nach kontextuellem Zusammenhang variabel zusammengesetzt werden können, solange sie, nach Ansicht des Autors, eine zusammenhängende, inhaltliche Kohärenz aufweisen.130 Snows Ansatz redet daher nicht einer definitorischen Beliebigkeit das Wort, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass das Konzept ein reichhaltiges, in sich oft widersprüchliches begriffliches und gedankliches Arsenal umfasst, das sich nicht in eine zeitlose, allgemeingültige Definition pressen lässt. Doch auch ohne feste Definition existiert ein grundsätzlicher Konsens darüber, welchen Zweck Ideologien erfüllen. Zunächst stellen sie das eigene Handeln in einen größeren, oft auch transzendentalen Zusammenhang. Gleichzeitig wird die Realität häufig simplifiziert und derart verdichtet, dass sie als 126 Skocpol (1979): States, S. 170. 127 Zald (2000): Action, S. 3f. Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. Klandermans (2000): Movements und Diani (2000): Deficit. 128 Für eine Überblick über die gängigsten definitorischen Ansätze des Konzepts Ideologie vgl. Gerring (1997): Ideology. 129 Snow (2004): Processes, S. 399f. 130 Vgl. Gerring (1997): Ideology.

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Dichotomie von Gut und Böse, „wir“ und „sie“, schwarz und weiß erscheint, die vermeintlich historischen oder göttlich verfassten Gesetzmäßigkeiten folgt. Auf diese Weise erheben Ideologien nicht allein einen uneingeschränkten Wahrheitsanspruch, sondern wirken für ihre Anhänger orientierend und legitimierend. Diese mehrdimensionale Natur wird von Göran Therborn mit einem Verweis auf drei Merkmale unterstrichen, die er Ideologien zuweist und die er als „fundamental modes of ideological interpellation“ bezeichnet: „Ideologies subject and qualify subjects by telling them, relating them to, and making them recognize: 1. what exists, and its corollary, what does not exist: that is who we are, what the world is, what nature, society, men and woman are like. In this way we acquire a sense of identity, becoming conscious of what is real and true, the visibility of the world is thereby structured by the distribution of spotlights, shadows, and darkness. 2. what is good, right, just beautiful, attractive, enjoyable, and its opposites. In this way our desires become structured and norm-alized. 3. what is possible and impossible; our sense of the mutability of our being-in-the-world and the consequences of change are hereby patterned, and our hopes, ambitions, and fears given shape.“131 Auch Jack Goldstone macht auf das Aufgabenbündel von Ideologien aufmerksam: „First, revolutionary ideologies usually present their struggle as destined to succeed: having history or God on their side will ensure the triumph of their followers. Second, revolutionary ideologies aim to bridge the varied cultural frameworks of different groups and provide a basis for the multigroup and cross-class coalitions so important for challenging state power.“132 Und Eric Selbin fast zusammen: „An ideology thus organizes the tremendous complexity of the world into something fairly simple and understandable, something that guides behaviour.“133 Die Bedeutung der Ideologie für die Entwicklung widerständiger Politik ist in den letzten Jahren vor allem von Seiten der Revolutionsforschung immer wieder betont worden. So vertritt z. B. William Sewell in einer weit beachteten Arbeit zur Französischen Revolution die Auffassung, dass Verlauf und Ausgang der Revolution in erheblichem Maße von der in der Gedankenwelt der Aufklärung wurzelnden Ideologie der Revolutionäre abhing, die in Konfrontation zur korporativistisch-monarchistischen Ideologie des Ancien Régime nicht allein eine institutionelle, sondern auch eine geistig-intellektuelle Transformation ermöglichte.134 In ihrer Untersuchung der Revolutionen in Nicaragua und im Iran 131 132 133 134

Therborn (1980): Ideology, S. 18; Hervorhebungen im Original. Goldstone (2001): Generation, S. 156. Selbin (1993): Revolutions, S. 84. Vgl. Sewell (1985): Ideologies.

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hebt auch Farideh Farhi die Bedeutung der jeweiligen Ideologien – auf der einen Seite der christlich-marxistischen Befreiungstheologie und auf der anderen Seite des islamistischen Fundamentalismus – für den Erfolg der Aufständischen hervor.135 Raj Desai und Harry Eckstein unterstreichen die Wirkung visionärer Vorstellungen, betonen jedoch zugleich, dass erst die Kombination zwischen Ideologie, politisch-aufständischer Organisation sowie taktischem Handlungsrepertoire eine dauerhaft erfolgreiche Mobilisierung ermöglicht: „Organization harnesses the grievances and fantasies of the oppressed, as revolutionary ideology gives them expression.“136 John Foran und Jeff Goodwin kommen in ihrer Vergleichsstudie, in der sie ebenfalls die Revolutionen im Iran und in Nicaragua gegenüberstellen, zu dem Fazit, dass neben den innenpolitischen Machtkämpfen und dem jeweiligen außenpolitischen Druck die Ideologien der Revolutionäre äußerst wichtige, „if not sufficent determinants of revolutionary outcomes in Iran and Nicaragua“ waren.137 Unterstützende Erkenntnisse kommen von der Terrorismusforschung. Deren Vertreter sprechen z. B. von der „Schlüsselrolle der Ideologie“138 bei terroristischen Gruppen und anderen Gewaltverbänden. Heinrich Krumwiedes Ansicht, dass die Ideologie einen wichtigen „Bedingungsfaktor“139 darstellt, der den Eintritt in die terroristische Gruppe und damit den Gang in den Untergrund beeinflusst, wird von entsprechenden Studien unterstützt.140 Für Terroristen, so Peter Waldmann, erfüllt die Ideologie eine doppelte Funktion: Zum einen soll sie dazu dienen, „den bereits vollzogenen Schritt in den Untergrund zu rechtfertigen und unwiderruflich zu machen“, und zum anderen soll sie jeglichen „empirischen Gegenbeweis“ verhindern, der die eigene Realitätsdeutung ins Wanken bringen könnte.141 Terroristen dient Ideologie aber auch dazu, Gewaltakte als legitimes Mittel in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu betrachten.142 So heißt es in einer Arbeit mit Blick auf den deutschen und italienischen Terrorismus: „And although ideologies were not themselves the cause of violence, the ideological frames through which the militants interpreted their daily encounters with political violence tended to dramatize the significance of these events. The more radical the forms of conflict became, the more radical the frames of meaning that the groups invoked to provide a ra135 136 137 138 139 140 141 142

Vgl. Farhi (1990): States. Vgl. Desai und Eckstein (1990): Insurgency, S. 458. Foran und Goodwin (1993): Outcomes, S. 236. Waldmann (2005): Terrorismus, S. 212. Krumwiede (2005): Ursachen, S. 37. Vgl. Zwermann, Steinhoff und della Porta (2000): Movements, S. 86–89. Waldmann (2005): Terrorismus, S. 213. Vgl. Zwermann, Steinhoff und della Porta (2000): Movements, S. 86–89.

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tionale for individual militance.“143 Diese Überlegung wird von C. J. M. Drake aufgegriffen, demzufolge ideologische Aspekte auch die Auswahl von Anschlagszielen maßgeblich mitbestimmen: „While it is not the only factor which determines whether a potential target is attacked, ideology provides an initial range of legitimate targets and a means by which terrorists seek to justify attacks, both to the world outside and to themselves.“144 Führerschaft

Die Konstruktion von Deutungsrahmen, von kollektiven Identitäten und von Ideologien ist keine einfache Aufgabe. Daher fällt sie in den wesentlichsten Teilen in den Verantwortungs- und Aufgabenbereich der Anführer widerständiger Politik. Der Erfolg einer Bewegung ist daher auch von den Qualitäten und Fähigkeiten der jeweiligen Führungspersönlichkeiten abhängig. Die Führerschaft wirkt dabei in zwei Richtungen: Zum einen gilt es, soziale Gruppen außerhalb der eigenen Bewegung für die eigenen Ziele zu begeistern und zur Unterstützung zu gewinnen. Zum anderen müssen u. a. die Ziele und Strategien der eigenen Bewegung entwickelt und die eigenen Mitglieder und Anhänger kontinuierlich mobilisiert werden. Um die unterschiedlichen Aufgaben und Pflichten erfolgreich erfüllen zu können, müssen Führer in den Augen von Sharon Erickson Nepstad und Clifford Bob ein erhebliches Maß an „leadership capital“, besitzen, das sich im Idealfall aus drei Elementen zusammensetzt: „(1) cultural capital in the form of knowledge, skills and abilities that are useful both in the aggrieved community and among external audiences; (2) social capital embodied in strong ties to activist communities and weak ties to broader mobilizing networks; and (3) symbolic capital, including charisma, that reflects respect, social prestige, and moral authority.“145 Als Beispiel eines mit diesen Fähigkeiten ausgestatteten Führers nennen die beiden Autoren u. a. Subcomandante Marcos vom Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN) aus dem mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Zu Marcos Leistungen zählen Erickson und Bob u.  a. seine Fähigkeit, Bauern- und Indigenenorganisationen zu mobilisieren (obgleich er selbst nicht diesen Bevölkerungsgruppen angehörte), massive nationale und internationale Unterstützung zu generieren (durch die effektive Nutzung der Medien und seiner geheimnisumwitterten Identität) sowie die politischen Ziele des EZLN mit dem politischen Zeitgeist 143 della Porta (1995): Movements, S. 204. 144 Drake (1998): Role, S. 53. 145 Vgl. Erickson Nepstad und Bob (2006): Leaders, S. 5.

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in Einklang zu bringen (weg von der Forderung nach einer Landreform und der Verstaatlichung von Privatbesitz hin zu den Rechten indigener Völker und Antiglobalisierungspositionen). Die organisatorischen und ideellen Fähigkeiten der Führung aufgreifend, spricht Jack Goldstone von people-oriented und task-oriented leadership: „People-oriented leaders are those who inspire people, give them a sense of identity and power, and provide a vision of a new and just order around which followers unite their energies and their purposes. Task-oriented leaders are those who can plot a strategy suitable to resources and circumstances, set the timetable for people and supplies to reach specific ends, manage money effectively, and respond to shifting circumstances with appropriate strategies and tactics.“146 Am Beispiel der Revolutionen in Kuba, Nicaragua, Bolivien und Grenada macht Eric Selbin deutlich, dass die Revolutionen dort erfolgreich waren, wo es den Revolutionären gelang, innerhalb der Führungsriege eine gewisse Ausgewogenheit zwischen Persönlichkeiten mit starken visionären und mit ausgeprägten organisatorischen Fähigkeiten sowie hinsichtlich der politischen Strömungen herzustellen. In Nicaragua z. B. verfügte die Revolution nicht allein über Revolutionäre, die visionäre und organisatorische Kompetenzen vereinten, ihnen gelang es auch, eine wohlproportionierte und stabile Machtverteilung herzustellen. Dagegen führten die visionären Defizite der bolivianischen Revolutionäre dazu, dass ihre Bewegung keinen allgemeinen und dauerhaften Rückhalt in der Bevölkerung zu generieren imstande war und schließlich scheiterte.147 Andere Autoren verweisen darauf, dass einige Führungspersönlichkeiten sich dem Erfolg der eigenen Bewegung unterzuordnen bereit sind („self-effacing leaders“), während dagegen andere sich selbst als Mittelpunkt der von ihnen angeführten Bewegung begreifen („self-aggrandizing leaders“).148 Eine solche Selbsteinschätzung ist für die Geschichte einer Bewegung oder Revolution von erheblicher Bedeutung: „Self-effacing leaders, though greatly concerned with their place in history and the success of their movement, nonetheless separate those issues from their personal power; they are this willing to share power, and indeed to institutionalize its wide distribution, if that will help procure the success of their goals. […] Their legacies include not only success of their revolutionary movements, but the institutionalization of key elements of democracy“.149 Als Beispiele für diesen Typ lassen sich u. a. Mahatma Gandhi und Nelson 146 Goldstone (2001): Generation, S. 157; vgl. auch Aminzade, Goldstone und Perry (2001): Leadership. 147 Selbin (1993): Revolutions, S. 98–100. 148 In der Literatur existieren auch verschiedene andere Einteilungen, vgl. Erickson Nepstad und Bob (2006): Leaders, S. 3. 149 Aminzade, Goldstone und Perry (2001): Leadership, S. 131.

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Mandela nennen; Fidel Castro, Josef Stalin oder Mao Tse-Tung stehen dagegen für den Typ des sich selbst erhöhenden Führers: „For this kind of leader, a challenge to their personal leadership is tantamount to challenging the legitimacy of the movement they lead. Such leaders often are successful in leading movements or revolutions, but they do not produce democratic regimes. Often, quite the reverse; their leadership is associated with purges, terror, and cults of personality.“150 Wie diese Ergebnisse zeigen, hängen Verlauf und Ergebnis widerständiger Politik also auch von dem Typ der jeweiligen Führerschaft ab: Ergänzen sich visionäre und organisatorische Führung oder behindern sie sich gegenseitig? Sind die Führungspersönlichkeiten bereit, den persönlichen Erfolg und Ehrgeiz zurückzustufen, oder erheben sie den Anspruch, ihre Bewegung in ihrer Person zu verkörpern? Eng mit der Frage der Führerschaft verbunden ist die Frage nach der Organisationsbeschaffenheit widerständiger Politik. Grundsätzlich können sich Bewegungen auf unterschiedliche Weise organisieren. Allerdings kann die gewählte Organisationsform die Entwicklung und somit den Erfolg einer Bewegung entscheidend beeinflussen. Die Ergebnisse verschiedener Studien zusammenfassend, stellen Beth Schaefer Caniglia und JoAnn Carmin fest: „Bureaucratic organizations often are more successful at gaining access to established political channels […], being recognized as legitimate movement representatives […] , and at sustaining ongoing interactions with diverse constituencies […]. Unlike their more formalized counterparts, it appears that informal SMOs are often able to mobilize quickly and adapt to emerging situations […]. They also appear to have fewer barriers preventing them from engaging in disruptive action […]. At the same time, centralized decision making and a clear hierarchy can facilitate rapid mobilization since they reduce conflict and ambiguity […]. While research shows advantages and disadvantages related to various forms, often the internal challenge for an SMO is finding the proper balance between the extremes of formal organization and autonomy“.151 Die Frage nach der Organisationsstruktur ist besonders für die Bewegungen von Bedeutung, die im Untergrund agieren und die sich aufgrund ihres geringen Personalumfangs Organisationsformen schaffen müssen, die ihnen die effiziente Planung und Durchführung von Aktionen ermöglichen und die gleichzeitig ihrem Schutzbedürfnis Rechnung tragen. In der Folge der Attentate vom 11. September 2001 hat sich in den letzten Jahren vor allem die Terrorismusforschung mit der Strukturbeschaffenheit klandestiner Gewaltverbände auseinandergesetzt. Zunehmend stößt man dabei auf die Unterscheidung zwischen „altem“ und 150 Ibid., S. 132. 151 Schaefer Caniglia und Carmin (2005): Scholarship, S. 203.

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„neuem“ Terrorismus, derzufolge sich die Mehrzahl bisheriger terroristischer Gruppen, wie z. B. die Rote Armee Fraktion oder die Irish Republican Army, an militärisch-hierarchischen Organisationsstrukturen, die den Aufbau einer klar gegliederten Befehls- und Entscheidungskette ermöglichen, orientierten, wohingegen sich neue Gruppen wie z. B. die islamistische Al-Qaida und oder die radikalen Umweltschützer der Earth Liberation Front in Netzwerken mit flachen Hierarchien und lose miteinander verbundenen Zellen organisieren.152 Wie Renate Mayntz in ihrer Untersuchung über die Organisationsformen terroristischer Bewegungen feststellt, zeichnen sich die meisten terroristischen Gruppen aber durch eine „organisatorische Hybridstruktur“153 aus, die zentralistisch-hierarchische Elemente und dezentrale Entscheidungs- und Handlungsmuster miteinander vereint. Als Hierarchiemerkmale identifiziert sie dabei die Existenz klarer Führungsgremien, eine interne Diversifikation nach Rängen und Funktionen sowie die Dominanz vertikaler Kommunikation. Als netzwerktypische Merkmale nennt sie dagegen das Fehlen einer zentralen Detailsteuerung des Handelns, die Existenz relativ offener wie fließender Grenzen gegenüber der sozialen Umwelt sowie die Fähigkeit, flexibel auf äußere Veränderung zu reagieren.154 Für den Erfolg einer terroristischen Organisation ist nach Ansicht Mayntz` allerdings ein weiteres, ergänzendes Merkmal von Bedeutung, nämlich die Identifikation der Mitglieder als zusammengehörige Gemeinschaft mit gleichen Zielvorstellungen. Das Gemeinschaftsgefühl, das durch soziale Bindungen stabilisiert wird, und die Möglichkeit individuellen Handelns mit der Maßgabe zentral gesteuerter Ziel- und Strategievorgaben versöhnt, bilden das „soziale Unterfutter“155, das einheitliche und gemeinschaftliche Aktionen erst ermöglicht. Einige terroristische Gruppen haben darüber hinaus politische und soziale Ablegerorganisationen gegründet, die legal operieren und z. B. für die Rekrutierung neuer Kader oder die Beeinflussung der öffentlichen Meinung eine wichtige Rolle spielen. Schließlich sei erwähnt, dass zumeist nur wenige Mitglieder sämtliche Führungsstrukturen und Organisationseinheiten kennen. Als Schutz vor Infiltration und Spionage wird den einzelnen Kadern lediglich so viel Organisationswissen anvertraut, wie für die Erfüllung der jeweiligen Aufgaben notwendig ist.

152 Vgl. Reinares (1998): Terrorismo; Leader und Probst (2003): Terrorism; Münkler (2004): Formen; Hoffman (2006): Terrorismus. 153 Mayntz (2004): Hierarchie, S. 256. 154 Ibid., S. 255. 155 Waldmann (2005): Terrorismus, S. 70.

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Emotionen

Schließlich soll auf Ansätze hingewiesen werden, die sich in den letzten Jahren mit der Rolle von Emotionen für die Entwicklung widerständiger Politik auseinandergesetzt haben.156 Wie ein Zitat des politisch aktiven US-Schauspielers Martin Sheen deutlich macht, kann die Bedeutung von Emotionen grundsätzlich nicht geleugnet werden: „Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob Proteste bei der Regierung überhaupt etwas bewirken, aber ich kann Ihnen garantieren, dass sie bei demjenigen, der daran teilnimmt, enorm viel auslösen.“157 Nach Ansicht neuerer Studien wird kollektives Handeln häufig durch konkrete emotionale Ursachen wie etwa Unzufriedenheit oder Ärger mitausgelöst. Daneben begründen und stärken emotionale Bindungen, emotionale Sozialisierung und spontane Gefühlsausbrüche die kollektive Identität der Aktivisten und deren Loyalität zur eigenen Bewegung bzw. Organisation.158 Dabei wird darauf hingewiesen, dass Emotionen und Vernunft kein Gegensatzpaar bilden, sondern sich gegenseitig bedingen, Emotionen also nicht ohne Weiteres mit irrationalem Verhalten gleichgesetzt werden können.159 Alberto Melucci stellt fest: „Passions and feelings, love and hate, faith and fear are all part of a body acting collectively, particularly in areas of social life like social movements that are less institutionalized. To understand this part of collective action as “irrational”, as opposed to “rational” (which in this case means good!) part, is simply a nonsense. There is no cognition without feeling and no meaning without emotion.“160 In seiner Studie über die Nicaraguanische Revolution weist JeanPierre Reed Emotionen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und der Entwicklung der Revolution zu.161 Als die beiden wichtigsten Emotionen identifiziert Reed dabei moralische Empörung und Hoffnung. Während moralische Empörung z. B. über wahrgenommene wirtschaftliche und politische Ungerechtigkeit oder erlebte physische Aggression zur Delegitimation der bestehenden Ordnung beiträgt und als Motivationsfaktor dabei mitwirkt, kollektiven Protest als mögliche Handlungsalternative zu betrachten, nährt Hoffnung die Überzeugung der handelnden Akteure, den angestrebten Wechsel auch aus eigener Kraft heraus einleiten zu können. Wie Reed betont, können Emotionen 156 Zur Behandlung von Emotionen in der Bewegungsforschung vgl. Goodwin, Jasper und Polletta (2004): Dimensions, S. 414–416. 157 Frankfurter Allgemeine Zeitung (2007): Politik. 158 Vgl. Aminzade und McAdam (2001): Emotions; Goodwin, Jasper und Polletta (2004): Dimensions und Gould (2004): Processes. 159 Vgl. Reed (2004): Emotions, S. 664. 160 Melucci (1995): Process, S. 45. 161 Vgl. Reed (2004): Emotions.

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ihre Bedeutung allerdings nur im Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie etwa der Ideologie der Revolutionäre, deren Organisation und der Alltagskultur voll entfalten. Augenscheinlich scheint die Rolle von Emotionen in besonderer Weise für gewalttätige widerständige Politik von großer Bedeutung zu sein. So stellt Donatella della Porta in ihrer Arbeit über den italienischen und deutschen Terrorismus fest: „Our study of militancy in radical organizations indicates that emotions are the vital force in initiating and maintaining commitment.“162 Die Autorin kann überzeugend die starken affektiven Bindungen herausarbeiten, die Mitglieder der deutschen Roten Armee Fraktion und der italienischen Roten Brigaden an ihre jeweiligen Organisationen banden. Untersuchungen zur Mitgliederschaft klandestiner amerikanischer und japanischer Gewaltverbände kommen zu vergleichbaren Ergebnissen.163 Emotionen sind dabei aber nicht allein für das Binnenverhältnis relevant, sondern in erheblichem Maße auch für die Außenwirkung der jeweiligen Akteure. So stimmt beispielsweise die große Mehrheit innerhalb der Terrorismusforschung darin überein, dass eines der vorrangigen Ziele (wahrscheinlich sogar das wichtigste) von Terroristen darin besteht, Angst und Schrecken innerhalb der Bevölkerung zu verbreiten sowie eine emotionale Reaktion des Angegriffenen zu provozieren.164

162 della Porta (1995): Movements, S. 205. 163 Vgl. Zwermann, Steinhoff und della Porta (2000): Movements. 164 Vgl. Crenshaw (1983): Introduction, S. 2–3; Wardlaw (1989): Terrorism, S. 16; Waldmann (2005): Terrorismus, S. 12 und Schneckener (2006): Terrorismus, S. 21.

2. Peru, 1970–1993 Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die Annahme, dass die Entstehung und die Fortdauer widerständiger Politik von der Existenz der den Konflikt organisierenden und tragenden Organisationen abhängen. Gleichwohl bewegen sich diese Akteure nicht losgelöst von ihrer Umgebung, sondern inmitten sie einrahmender politischer und sozioökonomischer Prozesse. Diese Rahmenbedingungen können die Entwicklung der Konfliktakteure erleichtern oder erschweren – beeinflussend wirken sie immer. Das folgende Kapitel soll daher in groben Strichen die allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungslinien nachzeichnen, innerhalb derer sich der Leuchtende Pfad bewegte.

2.1 Die Wirtschaft Das wohl signifikanteste Merkmal der ökonomischen Entwicklung Perus zwischen 1970 und 1993 war ihre Inkonsistenz. Fünf Regierungen implementierten nicht nur jeweils unterschiedliche, sondern häufig auch inkohärente und nur mangelhaft ausgeführte wirtschaftspolitische Programme, mit denen die erhofften Wachstumsimpulse nicht realisiert wurden. Während etwa das Militärregime, zumindest in seiner ersten Phase bis 1975, mit der Idee eines dritten Weges die traditionellen Besitz- und Machtverhältnisse zugunsten eines starken Staates und einer eingebundenen (und kontrollierten) Zivilgesellschaft zu brechen suchte, bestimmten am Ende der 1970er- und zu Beginn der 1980er-Jahre die orthodoxen Rezepte und Stabilisierungsprogramme der internationalen Währungs- und Finanzinstitutionen die wirtschaftspolitische Agenda des Landes. Als Folge von deren Unvermögen, Stabilität und Wachstum zu generieren, steuerte das Land seit 1985 einen heterodoxen Wirtschaftskurs, der nach anfänglichen Erfolgen die schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Landes auslöste und den Staat an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Um den Preis erheblicher sozialer Härten gelang es erst zu Beginn der 1990er-Jahre, die makroökonomischen Indikatoren zu stabilisieren und die Voraussetzungen für zukünftiges Wachstum zu schaffen. Ni comunismo ni capitalismo: die Militärs und ihr „Dritter Weg“

Mit der Absetzung von Fernando Belaúnde Terry am 3. Oktober 1968 als Staatspräsident setzten sich erstmals in der Geschichte Lateinamerikas keine rechts-

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konservativen Militärs an die Spitze eines Staates, sondern ein selbsternanntes Gobierno Revolucionario de la Fuerzas Armadas (GRFA), das mit seinem (wirtschafts-)politischen Programm einen programmatischen Neuansatz zu verwirklichen suchte, der sich weder am Kapitalismus noch am Sozialismus orientieren sollte. In den Augen der Militärs hatten die bisherigen Regierungen weder die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland noch die sozialen Disparitäten des Landes ernsthaft bekämpft. Stattdessen erkannten sie eine fortdauernde Existenz traditioneller Machtstrukturen, an deren Abschaffung die politischen und ökonomischen Eliten naturgemäß kein Interesse hatten. Vor diesem Hintergrund hielten die Militärs tief greifende Strukturreformen für notwendig, um einen gesellschaftlichen Wandel sowie die Herstellung einer machtvollen Autonomie des Staates gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen herbeizuführen. Das Selbstverständnis der neuen Regierung machte General Juan Francisco Velasco Alvarado in seiner Rede an die Nation anlässlich des ersten Jahrestags der Revolution am 3. Oktober 1969 deutlich: „Estamos viviendo una revolución. Ya es tiempo de que todos lo comprendan. Toda revolución genuina, sustituye un sistema político, social y económico, por otro, cualitativamente diferente. [...] la nuestra no fue hecha para defender el orden establecido en el Perú, sino para alterarlo de manera fundamental, en todos sus aspectos esenciales. [...] Los grandes objetivos de la Revolución, son superar el subdesarrollo y conquistar la Independencia Económica del Perú. [...] Esta Revolución se inició para sacar al Perú de su marasmo y de su atraso. Se hizo para modificar radicalmente el ordenamiento tradicional de nuestra sociedad. [...] Los adversarios irreductibles de nuestro movimiento, serán siempre quienes sienten vulnerados sus intereses y sus privilegios: es la oligarquía.“1

Das Zitat macht die Entschlossenheit des GRFA deutlich, mit der er den ökonomischen und politischen Wandel Perus herbeizuführen beabsichtigte. In der Folge implementierte die Regierung zwischen 1968 und 1975 eine umfangreiche wirtschaftspolitische Agenda, die die oligarchischen Besitz- und Machtverhältnisse zwar irreversibel aufbrach, die aber dennoch weit hinter den mit ihr verknüpften Erwartungen auf wirtschaftlichen Aufschwung und sozialen Ausgleich zurückblieb. Zu den wichtigsten Programmen gehörten dabei u. a. die Verstaatlichung und Enteignung ausländischer bzw. nationaler Privatunternehmen sowie eine Neuverteilung des Landbesitzes mithilfe einer Agrarreform.2 Noch in der ersten Woche ihrer Machtübernahme gaben die Militärs mit der Verstaatlichung der International Petroleum Company den Startschuss für die 1 2

Zitiert nach Contreras und Cueto (2000): Historia, S. 310. Für einen Überblick über die Wirtschaftspolitik des Militärregimes vgl. Lowenthal (1975): Experiment und McClintock und Lowenthal (1983): Experiment.

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massive Nationalisierung von Industrien, die als strategisch wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung und die nationale Sicherheit des Landes erklärt wurden. In der Folge entstanden große Staatsunternehmen wie etwa MineroPerú im Bergbau, PescaPerú im Fischereiwesen, PetroPerú in der Erdölindustrie oder EntelPerú in der Kommunikationswirtschaft.3 Diesen Verstaatlichungen lief die Schaffung einer ganzen Reihe von neuen Ministerien parallel, deren massive Betonbauten den Gestaltungsanspruch des Regimes auch architektonisch unterstrichen. Neben den Großunternehmen wurden bis 1974 auch Zeitungen, Verlage, Radio- und Fernsehstationen verstaatlicht, mithilfe derer das Regime die öffentliche Meinungsbildung zu steuern beabsichtigte. Insgesamt war die mit den Reformen verbundene Expansion des öffentlichen Sektors beträchtlich. Am Ende der Velasco-Ära im Jahr 1975, so Edmund V.K. FitzGerald, war der Staat verantwortlich: „for three quarters of exports, one half of imports, more than half of fixed investment, two thirds of bank credit, and a third of all employment in the corporate sector.“4 Zu den Kernprojekten des GRFA gehörte auch eine Agrarreform, die den Landbesitz neu ordnen sollte. Die Ziele der Agrarreform beschrieb der Entwicklungsplan des Instituto Nacional de Planificación (INP) für die Jahre 1971 bis 1975 folgendermaßen: „La eliminación de latifundio, del minifundio y de toda forma antisocial de tenencia de la tierra y el establecimiento de empresas de producción de carácter asociativo, de base netamente campesina. La reestructuración de las comunidades campesinas tradicionales. El establecimiento de una nueva agricultura organizada a base del esfuerzo asociativo de los agricultores y la posibilidad de establecer nuevos rubros de explotación, de acuerdo a las necesidades del país. La creación de nuevos mercados a través de una justa distribución del ingreso que incremente el poder adquisitivo de la población marginada.“5

Am 24. Juni 1969 erließ die Militärregierung das Agrarreform-Gesetz 17716, mit dem die allergrößte Zahl der Latifundien des Landes enteignet wurde.6 Bis zum Juni 1979 wurden insgesamt 15.286 Landbesitzungen und etwa 9 Millionen Hektar Land enteignet.7 Mit diesen Enteignungen, so Fernando Erugen, war die Ära der Großgrundbesitzer vorbei: „Todos los latifundios y muchos predios de menor tamaño fueron expropiados. La clase terrateniente fue liqui3 4 5 6 7

Vgl. Mauceri (1996): State, S. 17. FitzGerald (1983): Capitalism, S. 71. Instituto Nacional de Planificación (1971): Plan, Bd. 2, S. 27. Die Enteignungen orientierten sich nach bestimmten Kriterien, die u.a. die Größe des Landbesitzes und die Art der Arbeitsbedingungen umfassten; vgl. Fuhr (1979): Agrarreform S. 102f. Vgl. Matos Mar und Mejía (1980): Reforma, S. 171.

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dada social y económicamente“.8 Die enteigneten Betriebe wurden den bisherigen Arbeitern übertragen, die sie in genossenschaftlicher Form weiterführten. Die beiden wichtigsten Betriebsformen waren dabei die Cooperativa Agraria de Producción (CAP), bei der es sich um eine „voll kollektivierte Produktionseinheit mit gemeinschaftlichen Eigentum an allen Produktionsgütern und KapitalRessourcen und mit Arbeitermitbestimmung inklusive Entscheidungen über die Verwendung des erwirtschafteten Überschusses“9 handelte, sowie die Sociedad Agrícola de Interés Social (SAIS), „deren Aufgabe in der Versorgung der Großviehbestände lag und [die, SCW] die Lohnarbeiter der vergleichsweise hochentwickelten Kooperative mit den umliegenden, ökonomisch rückständigen andinen Bauern-Kommunen, die traditionelle Ansprüche an das Land der ehemaligen Großgrundbesitzungen hatten, vereinte[n]“.10 Am Ende der Reform zeigte sich jedoch ein überraschendes Ergebnis, nämlich die Ungleichverteilung des enteigneten Landes zwischen den einzelnen Empfängern sowie eine Konzentration des Landbesitzes: Allein den CAP und SAI wurden 62,3 Prozent des Landes zugesprochen, obgleich sie lediglich 45 Prozent der Empfänger repräsentierten. Dagegen erhielten Bauerngemeinden oder private Kleinproduzenten lediglich knapp 36 Prozent des Landes, wobei sie mit 48,5 Prozent fast die Hälfte der von der Reform Begünstigten stellten.11 Diese Entwicklung führte dazu, dass das wichtige Ziel des Landerwerbs für die bisher marginalisierten Landfamilien nicht erreicht wurde. Am Ende des Militärregimes hatte die Reform nur 360.000 Familien zu Landbesitz verholfen12 – „72 Prozent der 1,2 Millionen von der Landwirtschaft lebenden Familien im Land, unter denen sich das ärmste Quintil der peruanischen Bevölkerung befand,“13 profitierten dagegen nicht von der Reform. Cynthia McClintock weist darauf hin, dass die Reform vor allem in den südlichen Zentralanden scheiterte, also genau dort, wo der Leuchtende Pfad sich seit 1970 entwickelte und über seine stärkste Verwurzelung verfügte: „Overall, the reform benefits that were received by disadvantaged southern highlands peasants were even scantier than those received elsewhere in the highlands. Most did not benefit at all. In 1975, of economically 8 Eguren (2006): Reforma, S. 12. 9 Schaller (2007): Marginalität, S. 141f. 10 Ibid., S. 142. Die CAP wurden überwiegend aus den an der Küste liegenden Zucker- und Baumwollbetrieben geformt, während die SAIS in erster Linie aus den Viehzuchtbetrieben des Hochlandes hervorgingen und auch anliegende Bauerngemeinden umfassten. Für einen Überblick über die Funktionsweisen und internen Aufbau dieser neuen Kooperativen vgl. Matos Mar und Mejía (1980): Reforma und McClintock (1981): Cooperatives. 11 Vgl. Schaller (2007): Marginalität, S. 144. 12 Vgl. Matos Mar und Mejía (1980): Reforma, S. 179. 13 Schaller (2007): Marginalität, S. 146.

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active families in agriculture, 87 percent in Ayacucho, 82 percent in Apurímac, and 54 percent in Huancavelica were not reform beneficiaries, versus 50 percent in La Libertad and Lambayeque, two north-coast departments.“14 Nach Schaller verfügte „die Hälfte der ländlichen Bevölkerung nicht über genügend Einkommen, um die Nachfrage nach Basisgütern zu befriedigen. Innerhalb dieser Gruppe befanden sich 34,7 Prozent der Landbevölkerung, die in extremer Armut lebten.“15 Angesichts dieser Entwicklung stellen José Matos Mar und José Manuel Mejía fest: „la reforma agraria representa un fracaso puesto que ninguno de sus objetivos finales: la eliminación del subdesarrollo agrario y la marginación campesina, han podido cumplirse.“16 Das entschlossene Handeln der Velasco-Regierung verdeckte in den ersten Jahren die massiven Spannungen, die innerhalb des Militärs existierten. Konservative Offiziere hatten dem Reformprogramm Velascos von Beginn an skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden, ohne jedoch entsprechenden Einfluss ausüben zu können. 1975 führte jedoch eine Gemengelage aus steigendem Haushaltsdefizit, zunehmender Auslandsverschuldung, gewaltsamen sozialen Protesten sowie schweren gesundheitlichen Problemen Velascos zu dessen Sturz durch General Francisco Morales Bermúdez am 29. August. Konfrontiert mit zunehmenden wirtschaftlichen Problemen und in Abkehr von der Politik seines Vorgängers, leitete Morales Bermúdez den Abbau der bisherigen Reformen sowie einen neuen wirtschaftspolitischen Kurs ein, der in enger Abstimmung mit dem IWF die Wirtschaftskrise einzudämmen suchte. Die Kürzung der öffentlichen Ausgaben, die Abwertung der Währung, die Erhöhung von Steuern, das Streichen von Subventionen und eine restriktive Geldpolitik17 führten jedoch nicht zu der erhofften wirtschaftlichen Stabilisierung, sondern verursachten massive soziale Unruhen, die sich u. a. 1977 in dem ersten Generalstreik der peruanischen Geschichte entluden. Als Reaktion auf den Streik wurden mehrere Tausend Gewerkschafter aus ihren jeweiligen Betrieben entlassen, was die Spannungen zwischen der Regierung und den Gewerkschaften sowie den verschiedenen sozialen Bewegungen zusätzlich verschärfte.18 Inmitten der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme mussten die Militärs erkennen, dass ihr umfangreicher wirtschaftlicher und politischer Maßnahmenkatalog das Ziel der Einbindung und Zähmung der Öffentlichkeit nicht erreicht hatte. Zusätzlich geschwächt durch tiefe Spannungen innerhalb des Offizierskorps verkündete 14 15 16 17

McClintock (1998): Movements, S. 179. Schaller (2007): Marginalität S. 148. Matos Mar und Mejía (1980): Reforma, S. 354. Zu den wirtschaftpolitischen Maßnahmen unter Morales vgl. Schydlowsky und Wicht (1983): Anatomy, S. 106ff. 18 Pásara (1988): Libanización, S. 19f.

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Morales 1978 den Rückzug der Militärs in ihre Kasernen und die Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung (Asamblea Constituyente – AC) noch im gleichen Jahr. Nach Ende der konstituierenden Beratungen und der Verabschiedung einer neuen Verfassung 1979 fanden im April 1980 nach zwölf Jahren Militärdiktatur erneut freie Präsidentschaftswahlen statt. La década perdida: der wirtschaftliche Niedergang in den 1980er-Jahren

Die Rückkehr zur Demokratie restaurierte nach zwölf Jahren Diktatur zwar die politischen Freiheiten, die Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung und sozialen Ausgleich erfüllten sich dagegen nicht. Stattdessen erlebte das Land einen dramatischen ökonomischen Niedergang, der nach Ansicht von Beobachtern im Vergleich mit anderen Entwicklungsländern „the most extreme example of what went wrong in the 1980s“19 darstellte. Bereits die erste demokratische Regierung unter Fernando Belaúnde sah sich mit wachsenden ökonomischen Problemen konfrontiert, die zu lösen sie sich außerstande zeigte. Grundsätzlich führte Belaúnde die Stabilisierungspolitik von General Bermúdez weiter fort, sodass auch die seit dem Ende der 1970er-Jahre bestehende starke Einflussnahme des IWF auf die peruanische Wirtschaftspolitik bestehen blieb. In der Folge versuchte die Regierung, die Marktöffnung Perus weiter voranzutreiben und durch einen Mix von Privatisierungen, Liberalisierung des Außenhandels und öffentlichen Investitionen zu flankieren. Wie sich jedoch schon bald zeigte, erwies sich dieses Paket als „inapropriate, contradictory, and socially divisive.“20 Während die Privatisierung staatlicher Unternehmen aufgrund mangelnder Nachfrage privater Investoren hinter den Erwartungen zurückblieb, mussten Teile der Handelsliberalisierung schon bald wieder zurückgenommen werden, da die einheimische Industrieproduktion durch den gestiegenen Import stark zurückging und die Handelsbilanz sich zunehmend schlechter entwickelte. Schließlich erwies sich auch das öffentliche Investitionsprogramm als zu ambitioniert, sodass die Ausgaben deutlich unter der ursprünglich geplanten Investitionssumme blieben.21 Erschwerend für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes waren zudem die Folgen exogener Faktoren: Der internationale Absturz der Rohstoffpreise verursachte einen erheblichen Rückgang der entsprechenden peruanischen Exporte, und das Wetterphänomen El Niño führte 1983 zu 19 Pastor und Wise (1992): Policy, S. 83. 20 Vgl. Ibid., S. 87. 21 Vgl. Ibid., S. 87–90 und Müller (1993): Peru, S. 20.

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massiven Ausfällen in der Landwirtschafts- und Fischereiproduktion sowie zu Schäden in der Infrastruktur.22 Dem Einbruch der Exporteinnahmen sowie den beständigen Anzeichen einer drohenden Rezession versuchte die Regierung durch die Aufnahme verschiedener IWF-Kredite entgegenzuwirken. Dieser Versuch führte jedoch zu einer Kreditkrise, als sich die Unfähigkeit Perus zeigte, die Kredite auch zu bedienen. Am Ende der Regierung Belaúnde beliefen sich die Auslandsschulden auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Inflation war auf 158,3 Prozent gestiegen und die Mindestlöhne waren auf knapp die Hälfte ihres Wertes von 1980 gesunken.23 Zusätzlich verschärft durch den sich ausweitenden Kampf des Leuchtenden Pfads und eine wachsende soziale Unzufriedenheit hatte sich die neoliberale Stabilitätspolitik Belaúndes bis 1985 derart diskreditiert, dass die Präsidentschaftswahlen des gleichen Jahres mit Alan García Pérez von der APRA einen Vertreter völlig gegenteiliger wirtschaftspolitischer Überzeugungen in das höchste Staatsamt brachten. Tabelle Nr. 1: Makroökonomische Entwicklung Perus, 1980–1990 Jahr

1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990

BIP (Wachstum in %)

4,5 4,4 0,3 –12, 3 4,8 2,4 9,5 7,8 –8,8 –10,4 –4

Inflation (Wachstum in %)

Unterbeschäftigung Reallöhne (in %) (1980 = 100)

60,8 72,7 72,9 125,1 111,4 158,3 62,9 114,2 1722,3 2775,6 7649,6

26,0 26,8 28,0 33,3 36,8 / 42,6 34,9 / 73,5 86,4

100,0 105,1 105,1 87,2 74,4 64,1 87,2 94,2 61,5 48,7 /

Zusammenstellung des Autors. Quellen: BIP: Zahlen für 1980-1989 aus Pastor und Wise (1992): Policy, S. 90; für 1990 aus Holmes und Gutiérrez de Piñeres (2002): Popularity, S. 99. Inflation: Zahlen für 1980-1989 aus Pastor und Wise (1992): Policy, S. 90; für 1990 aus Holmes und Gutiérrez de Piñeres (2002): Popularity, S. 99. Unterbeschäftigung: Alle Zahlen aus Glewwe und Hall (1994): Poverty, S. 711. Reallöhne: Alle Zahlen aus Pastor und Wise (1992): Policy, S. 94. 22 Vgl. Hamann und Paredes (1991): Economy, S. 45 und 70. 23 Müller (1993): Peru, S. 20.

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Im Gegensatz zu den monetaristischen Ansätzen seines Vorgängers setzten García und seine wirtschaftspolitischen Berater auf ein heterodoxes Wirtschaftsprogramm, mit dem die grundlegende Strukturänderung der peruanischen Wirtschaft eingeleitet werden sollte und das hierfür u. a. auf die Stärkung der Nachfrage, die Erhöhung der Einkommen und eine sich reduzierende Inflation abzielte. Als erste Maßnahme verkündete García eine Begrenzung der Tilgung der Auslandsschulden auf 10 Prozent der jährlichen Exportgewinne. Diese Ankündigung brachte Peru und seinen Präsidenten zurück auf die internationale Bühne und verursachte ein erhebliches Nachrichtenecho. Tatsächlich bedeutete der Entschluss aber nicht mehr als die offizielle Bestätigung, dass Peru bereits seit Jahren nicht mehr in der Lage war, seine Schulden adäquat zu bedienen. Bereits unter Belaúnde hatte das Land zwischen 1982 und 1984 die Tilgungsquote von 45 auf unter 20 Prozent reduziert.24 In den ersten 18 Monaten seiner Amtszeit gelang es dem neuen Präsidenten mithilfe verschiedener Maßnahmenpakete und Beschäftigungsprogramme, die Wirtschaft zu stabilisieren und neue Wachstumsimpulse zu setzen. Hierzu gehörten u. a. die Erhöhung der Löhne und der Preise für Grundnahrungsmittel und Massenkonsumgüter (die sogleich temporär festgefroren wurden, um den inflationären Druck zu verringern), die Etablierung eines Systems unterschiedlicher Wechselkurse für Importe, die Herabsetzung indirekter Steuern und die Schaffung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für bisher benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Die sich schnell einstellenden Erfolge schienen den korrekten Kurs der Regierungspolitik zunächst zu bestätigen: Die Jahresinflation sank 1986 auf 63 Prozent, die Beschäftigungszahlen schossen in die Höhe, die Reallöhne stiegen erstmals nach Jahren wieder an und das peruanische Wirtschaftswachstum erreichte 1986 mit 9,2 Prozent und 1987 mit 8,5 Prozent lateinamerikanische Spitzenwerte.25 Allerdings zeigten sich schon 1987 die „strukturellen Grenzen der peruanischen Volkswirtschaft“26 sowie die Inkonsistenzen der Wirtschaftspolitik. Die Steuerabsenkungen und die zunehmende Informalisierung27 der peruanischen 24 25 26 27

Vgl. Pastor und Wise (1992): Policy, S. 98. Vgl. Müller (1993): Peru, S. 33-35. Ibid., S. 40. Mit Informalisierung ist ein Phänomen gemeint, das im Deutschen gemeinhin als Schattenwirtschaft kategorisiert wird. Hernando de Soto, der die Genese und Struktur des informellen Sektors in Peru beschrieben hat, liefert folgende Definition von Informalität:„Wo der Rechtskörper über den Bereich bestehender sozialer Normen hinaus oder gegen sie konzipiert ist, wo er die Perspektiven und Präferenzen der Individuen nicht respektiert und schützt und insbesondere da, wo der Staat geltendes Recht nicht durchzusetzen vermag, entsteht Informalität.“ Nach de Soto wurden Mitte der 1980er Jahre 39,9 Prozent des BIP im informellen Sektor erarbeit; vgl. de Soto (1992): Marktwirtschaft, S. 44 (auch Zitat).

MUSTERSEITEN

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Wirtschaft führten zu einem Einbruch der Steuereinnahmen, dem Anstieg des Haushaltsdefizits und zur Erosion der Staatsfinanzen. Gleichzeitig vergrößerte sich das Handelsbilanzdefizit und die Devisenreserven sanken von 1,4  Milliarden US-Dollar 1986 auf 646 Millionen US-Dollar 1987 ab. Am Ende des Jahres war zudem die Inflation um 51,6 Prozentpunkte auf 114,5 Prozent gestiegen.28 Die sich verschlechternde Situation führte zu ersten massiven sozialen Protesten gegen die Regierung. Im Mai rief die größte Gewerkschaft Perus, die Confederación General de Trabajadores del Perú (CGTP), einen Generalstreik aus, der den ersten signifikanten politischen Widerstand der politischen Linken gegen die Regierung bedeutete.29 Während das Verhältnis der Regierung zu den Gewerkschaften unterkühlt blieb, versuchte García, stattdessen ein Investitionsbündnis mit den Unternehmern zu schaffen. Seit 1986 hatte sich García immer wieder mit den wichtigsten Wirtschaftsführern des Landes, den sogenannten 12 Aposteln, getroffen und ihnen weitreichende Steuer- und Investitionsanreize unterbreitet, um sie zu einem stärkeren wirtschaftlichen Engagement zu bewegen. Aufgrund der sich verdüsternden allgemeinwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der sich verschlechternden Sicherheitslage sowie einer tiefen Skepsis gegenüber der populistischen, kapitalismusfeindlichen Rhetorik der Regierung schraubten die Unternehmer ihre Investitionen 1987 allerdings deutlich zurück. Die Konzertierungsinitiative des Präsidenten war damit gescheitert.30 Vermutlich als politischer Befreiungsakt geplant, verkündete Alan García in seiner Rede zum Unabhängigkeitstag am 28. Juli 1987 einem überraschten Publikum die Verstaatlichung der Banken. Die Ankündigung provozierte einen heftigen und unmittelbaren Widerstand der politischen Rechten und der Wirtschaftsvertreter.31 Wie weiter unten dargestellt, wirkte die handstreichar-

28 29 30 31

Laut Cameron wuchs die Anzahl der im informellen Sektor beschäftigte Personen zwischen 1981 und 1986 allein in Lima von 440 000 auf 730 000 an, was fast der Hälfte aller Berufstätigen der Hauptstadt entsprach; vgl. Cameron (1994): Democracy, S. 23 und 43. Vgl. Cáceres und Paredes (1991): Management, S. 87-89; Pastor und Wise (1992): Policy, S. 98–103 und Müller (1993): Peru, S. 40f. Vgl. Cotler (1988): Partidos, S. 186. Für einen Überblick über die Beziehungen zwischen der García-Regierung und dem peruanischem Unternehmertum vgl. Durand (1994): Business. Nach Ansicht von Beobachtern lagen der Initiative, die García zuvor nicht mit den Parteigremien abgesprochen hatte, nicht allein wirtschaftspolitische, sondern auch macht- und parteipolitische Erwägungen zugrunde. Sie stellte auch eine Flucht Garcías nach vorn da, nachdem sein parteiinterner Konkurrent Luis Alva Castro zuvor als Premierminister zurückgetreten war und sich danach zum Kongresspräsidenten hatte wählen lassen, um seine eigenen Präsidentenpläne für die Wahl 1990 besser vorantreiben zu können – García machte sich jedoch Hoffnung, mithilfe einer Verfassungsänderung selbst noch einmal zu kandidieren; vgl. Cotler (1988): Partidos, S. 187f.

Die Wirtschaft

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tige Initiative des Präsidenten als Lebenselixier für die seit der Belaúnde-Ära diskreditierte Rechte, die nun unter der Führung des Schriftstellers Mario Vargas Llosa als ernst zu nehmende Kraft auf die politische Bühne zurückkehrte. Die massive Protestkampagne der Opposition, ein jäher Anstieg der negativen Umfragewerte Garcías sowie der wachsende Widerstand innerhalb der APRA selbst führten letztlich zwar zu einem Scheitern der Initiative, der Schaden war jedoch groß: Das Vertrauen der Wirtschaft näherte sich dem Nullpunkt und ein Investitionseinbruch sowie eine erhebliche Kapitalflucht waren die Folge. Manuel Pastor und Carol Wise stellen fest: „Garciá was isolated politically, business was hostile, and the right, formerly marginalized by its poor showings in 1985 elections, was reborn.“32 Die Debatte über die Verstaatlichung der Banken beherrschte die innenpolitische Agenda bis weit in das Jahr 1988 hinein. Nachdem bereits im März und Juni wirtschaftliche Sofortprogramme33, die sogenannten paquetazos, gestartet worden waren, kam es im September zu den „mit Abstand härtesten Anpassungsmaßnahmen der APRA-Regierung“34, mit denen der Anstieg der Inflation und der weitere Abbau der Devisenreserven gestoppt werden sollten. Das Maßnahmenpaket sah u. a. vor, die unterschiedlichen Wechselkurse zu vereinheitlichen und abzuwerten, die staatlich festgelegten Preise um 90 bis 300 Prozent zu erhöhen, die Zinsen nominell zu verdoppeln und die Preise im Nachgang an eine vorherige zehntägige freie Preisbildung für 120 Tage einzufrieren.35 Doch statt einer wirksamen Reduzierung der Inflation erreichte das Programm das genaue Gegenteil, nämlich den Einstieg in die Hyperinflation. Allein im September 1988 belief sich die Inflation auf 114,1 Prozent, was knapp der kumulierten Jahresinflation von 1987 entsprach. Am Ende des Jahres stieg der Jahreswert der Inflation auf 1.722,3 Prozent und vor dem Hintergrund einer weiteren dramatischen wirtschaftlichen Abwärtsspirale kletterte der Wert für 1989 auf 2.775,6 Prozent. Welche Folgen die verheerende ökonomische Talfahrt für die praktische Wirklichkeit der Bevölkerung hatte, zeigen Paul Glewwe und Gillette Hall in ihrer Studie über die Entwicklung des Lebensstandards in Lima zwischen 1985 und 1990.36 Nach ihren Berechnungen fielen die Pro-KopfKonsumausgaben in diesem Zeitraum um 55 Prozent, wobei die Gruppe der zehn Prozent Einkommensschwächsten mit Einbußen von 58 bis 62 Prozent den größten Rückgang zu verzeichnen hatte. Der Einbruch bei den Konsu32 Pastor und Wise (1992): Policy, S. 104f. 33 Zu den März- und Juni-paquetazos vgl. Cáceres und Paredes (1991): Management, S. 90– 92. 34 Müller (1993): Peru, S. 45. 35 Vgl. Ibid., S. 46. 36 Vgl. zum Folgenden Glewwe und Hall (1994): Poverty.

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mausgaben kann als eine Konsequenz der steigenden Armut gelten: Während 1985/86 gemessen an den Lebensmittelausgaben der Haushalte beider Jahre einer aus acht Bewohnern der Hauptstadt als arm galt, war es 1990 bereits mehr als die Hälfte. Wie andere Studien zeigen, brachen zudem die Löhne massiv ein. Lag das durchschnittliche Monatseinkommen im öffentlichen Dienst 1980 noch bei etwa 230 US-Dollar, so war es bis 1985 bereits auf 97 US-Dollar und 1990 auf 39 US-Dollar gesunken.37 Zu Beginn der 1990er-Jahre verpflegten sich zwischen 20 und 50 Prozent der Hauptstadtbevölkerung in Suppenküchen und der private Fleischkonsum ging deutlich zurück.38 Insgesamt, so Glewwe und Hall, stellten die Jahre der APRA-Regierung „one of the worst economic performances in modern history“39 dar – der peruanische Staat schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Der fujishock: ökonmische Stabilisierung und die Wiederkehr der Orthodoxie

Angesichts der beschriebenen Entwicklung und beschleunigt durch den sich weiter zuspitzenden militärischen Konflikt sowie aufgrund signifikanter Verschiebungen innerhalb der sozialen Textur des Landes waren die traditionellen Parteien am Ende der 1980er-Jahre vollkommen diskreditiert. In der Folge betraten politisch bisher kaum oder gar nicht in Erscheinung getretene Persönlichkeiten die nationale Bühne und verdrängten die traditionellen Parteien – ein Prozess, dessen spektakulären Höhepunkt die Wahl des unbekannten Agraringenieurs Alberto Fujimori zum Präsidenten im Juni 1990 darstellte. Konfrontiert mit der desolaten ökonomischen Situation griffen Fujimori und seine Berater unmittelbar nach Amtsantritt zu drastischen neoliberalen Maßnahmen, um der Situation Herr zu werden. Im August 1990 wurde der sogenannte fujishock implementiert – ein Stabilisierungsprogramm, das u. a. mithilfe der Streichung aller Subventionen und Preisbindungen und der Neuordnung der Aus- und Einfuhrzölle die Inflationsbekämpfung zum Ziel hatte. Tatsächlich gelang es, die Inflation nicht allein in den Folgemonaten, sondern dauerhaft zu senken. Während etwa 1990 die Jahresinflation 7.650 Prozent betrug, konnte sie 1991 auf 139 und bis 1993 auf 27 Prozent abgesenkt werden. Allerdings erforderte der fujishock einen hohen sozialen Preis: Die Preise für Grundnahrungsmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs zogen sofort um 37 Vgl. McClintock (1998): Movements, S. 187. 38 Vgl. Ibid., S. 166 und Glewwe und Hall (1994): Poverty, S. 696–698. 39 Glewwe und Hall (1994): Poverty, S. 715.

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ein Vielfaches an und die Anzahl derjenigen Peruaner, die unterhalb des Existenzminimums lebten, stieg zwischen Juli 1990 bis zum Ende des Jahres von etwa sieben auf zwölf Millionen.40 Das Maßnahmenpaket vom August 1990 wurde ab 1991 um weitere wirtschaftliche Strukturanpassungen ergänzt, zu denen nicht nur „die umfassende Privatisierung der vormals über hundert Staatsunternehmen“ gehörte, sondern auch „die Liberalisierung des Außenhandels, die Freigabe des Wechselkurses und die Abschaffung der Kapitalverkehrskontrollen. Hinzu kamen die Deregulierung und Entstaatlichung des Finanzsektors sowie die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Schließlich machte die Liberalisierung des Bodenmarktes, die eine Reprivatisierung aller landwirtschaftlichen Nutzflächen ermöglichte, „die Agrarreform der Militärregierung Velasco Alvarado [...] faktisch rückgängig.“41 Der radikale Umbau der peruanischen Wirtschaft unter Fujimori lieferte ein gemischtes Ergebnis. Zwar verbesserten sich die makroökonomischen Variablen wie etwa Inflation, Investitionen und Devisenreserven. Gleichzeitig entstanden durch die Reformen jedoch erhebliche soziale Kosten etwa bei der Einkommensentwicklung, auf dem Arbeitsmarkt und im Arbeitsrecht.42 Im folgenden Abschnitt wird zudem zu zeigen sein, dass dem neoliberalen Reformkurs eine zunehmend autoritäre und antidemokratische Amtsführung parallel lief, die im April 1992 in einem Staatsstreich Fujimoris gegen die bestehende Verfassungsordnung mündete.

2.2 Politische Entwicklungen Die programmatische Inkonsistenz und die dramatische Talfahrt, die die wirtschaftliche Entwicklung Perus im Untersuchungszeitraum prägten, blieben die bestimmenden Merkmale auch der Entwicklung der politischen Parteien und des politischen Systems des Landes. Naturgemäß spielten die politischen Parteien bei der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen eine besondere Rolle – nicht zuletzt war diesen die idealtypische Funktion eines Scharniers zwischen Gesellschaft und Staat zugedacht.43 Tatsächlich hatte die soziale Mobilisierung unter der Militärdiktatur die Entstehung einer lebendigen Parteienlandschaft befördert, in der sich sämtliche politischen Strömungen wiederfinden 40 Vgl. Iguíñez Echeverría, Basay und Rubio (1993): Ajustes, S. 223. 41 Müller (1993): Peru, S. 144. Zur Liberalisierung des Agrarbereichs unter Fujimori vgl. Schaller (2007): Marginalität. 42 Vgl. Müller (1993): Peru. 43 Zur Rolle der Parteien innerhalb des politischen Systems vgl. die klassische Arbeit von Sartori (1976): Parties.

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konnten. Nach dem Rückzug der Militärs wurde das peruanische Parteiensystem der 1980er-Jahre im Wesentlichen von vier Parteien getragen: Die Acción Popular (AP) des 1968 als Präsident von den Militärs abgesetzten und im Mai 1980 erneut zum Staatschef gewählten Fernando Belaúnde Terry repräsentierte die gemäßigten Konservativen, während der Partido Popular Cristiano unter der Führung von Luís Bedoya Reyes das rechtskonservative Wählermilieu abdeckte. Die älteste und wohl auch am besten organisierte Partei Perus, die Alianza Popular Revolucionaria Americana (APRA), war die Referenzpartei des Mitte-Links-Spektrums, das 1985 den jungen APRA-Politiker Alan García in das Präsidentenamt wählte. Ergänzt wurde diese Gruppe durch die 1980 gegründete Izquierda Unida (IU), in der sich die wichtigsten Vertreter eines außerordentlich großen und heterogenen Bündels unterschiedlicher Linksparteien vereinigt hatten.44 In den ersten Jahren der Dekade schien es zunächst so, als ob diese vier Parteien ihre Funktion als gesellschaftliche Repräsentationsorgane erfolgreich ausfüllten. Wie aus Tabelle Nr. 2 hervorgeht, konnten sie bei allen Wahlen zwischen 1978 und 1986 durchschnittlich je 93 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Tabelle Nr. 2: Wahlergebnisse 1978–1995 (in %) Jahr

AP

PPC

1978 (a) 1980 1980 (m) 1983 (m) 1985 1986 (m) 1989 (m) 1990 (v) 1990 (v) 1992 (a) 1993 (m) 1995

KT 45,4 35,8 17,5 7,3 KT ------KT 11,6 1,7

23,8 9,6 11,1 13,9 11,9 14,8 ------9,7 5,7 ----

APRA Linke* FREDEMO** Cambio 90 Unabhängige

35,3 27,4 22,5 33,1 53,1 47,6 20,4 22,6 KT KT 10,8 4,1

29,4 14,4 23,5 29,0 24,7 30,8 29,2 13,9 KT 5,5 3,9 0,6

------------31,2 32,6 37,5 -------

--------------29,1 62,5 49,2 KT 64,4

11,5 3,2 7,4 6,7 3,0 7,8 28,2 2,7 --35,6 64,7 29,2

Quelle: Tuesta Soldevilla (1995): Sistema, S. 106. (a) = Verfassungsgebende Versammlung; (m) = Gemeindewahlen; (v) = Wahlgänge 1 und 2; KT = Keine Teilnahme; * Linke in 1978 = FOCEP, UDP, PCP, PSR; in 1980 = UDP, PRT, FOCEP, IU; zwischen 1980 (m) und 1986 (m) nur IU; in 1989 = IU und ASO; in 1990 = IU und IS; in 1992 = MDI; in 1993 = MDI und IU; ** 1989 und 1990 treten AP und PPC gemeinsam mit dem Movimiento Liberatad auf der gemeinsamen Liste FREDEMO an. 44 Vgl. Tuesta Soldevilla (1995): Sistema, S. 97–103.

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Wie die Übersicht ebenfalls zeigt, erlebten die Parteien von 1978/80 allerdings ab 1986 einen beispiellosen Niedergang, der sie in den 1990er-Jahren faktisch bedeutungslos werden ließ: Hatten AP, PPC, APRA und IU 1980 noch 96,8 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen können, so waren es 1995 nur noch 6,4 Prozent. Dieser Entwicklung lag eine Kombination verschiedener Ursachen zugrunde, die allesamt die klassischen Parteien diskreditierten und die peruanische Parteienlandschaft radikal veränderten. Den allgemeinen Rahmen bildeten zunächst die sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre dramatisch verschlechternde wirtschaftliche Entwicklung sowie der in den gleichen Jahren eskalierende bewaffnete Konflikt, die zusammen das Land an den Rand des Kollapses brachten. Die Parteien ihrerseits waren zudem nicht in der Lage, auf diese Herausforderungen mit tragfähigen und kohärenten Ideen und Konzepten zu antworten. Stattdessen verlor sich etwa die APRA in einem desaströsen Krisenmanagement und zahlreichen Korruptionsskandalen, während die IU aufgrund interner Flügelkämpfe nie in der Lage war, aus der Oppositionsrolle herauszuwachsen. Die politische Rechte mit AP und PPC erlebte dagegen schon nach dem Ende der erfolglosen zweiten Belaúnde-Regierung einen stetigen Bedeutungsverlust, der nur kurzzeitig durch einen Zusammenschluss mit dem Schriftsteller Mario Vargas Llosa, der 1990 für die Präsidentschaft kandidierte, aufgehalten wurde. All diese Faktoren wurden dadurch verschärft, dass die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer Neugestaltung der Wählermilieus führten, sodass z. B. die Parteibindungen immer schwächer wurden und das Wahlverhalten immer volatiler wurde. Als Folge dieses Veränderungsprozesses nahm die Bedeutung unabhängiger Kandidaten und politischer Outsider seit dem Ende der 1980er-Jahre stetig zu. Dies zeigte sich vor allem 1990 mit der Wahl des in der politischen Arena bis dahin völlig unbekannten Agraringenieurs Alberto Fujimori zum Staatspräsidenten. Fujimori demonstrierte zugleich auf besonders spektakuläre Weise den antidemokratischen Charakter vieler neuer politischer Akteure: Am 5. April 1992 führte er seinen sogenannten autogolpe durch, mit dem er eigenhändig das Parlament auflöste, die Verfassung von 1979 suspendierte sowie den Obersten Gerichtshof absetzte. Nach nur zwölf Jahren wurde Perus Demokratie damit zu Grabe getragen – und der öffentliche Protest auf den Straßen blieb aus. Die politische Rechte

Zur Überraschung der meisten Beobachter gelang es der politischen Rechten, im April 1980 den ersten Präsidenten im Anschluss an die Militärdiktatur zu

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stellen. Mit 45,4 Prozent45 der Stimmen hatte sich der Vorsitzende der AP, Fernando Belaúnde Terry, gegen den favorisierten Armando Villanueva von der APRA durchsetzen können – damit zog genau der Mann wieder in den Präsidentenpalast, der zwölf Jahre zuvor von den Militärs von dort vertrieben worden war. Um in Kongress und Senat die politische Mehrheit stellen zu können, bildete die AP in beiden Kammern eine Koalition mit dem rechtskonservativen PPC. Nur wenige Monate später konnte sich diese Koalition bei den im November 1980 stattfindenden Gemeindewahlen als stärkste politische Kraft vor der IU und der APRA konsolidieren. Trotz dieser komfortablen machtpolitischen Ausgangsposition und aller anfänglichen Begeisterung blieb Belaúndes zweite Regierungszeit insgesamt farb- und erfolglos. Dies lag vor allem daran, dass es der Regierung weder gelang, die wachsenden wirtschaftlichen Probleme noch die seit Mai 1980 zunehmenden Aktivitäten des Leuchtenden Pfads einzudämmen. Die daraus resultierende öffentliche Unzufriedenheit schlug sich noch im Laufe der Legislaturperiode in einem stetigen Abwärtstrend der Wahlergebnisse für die AP nieder: Bereits bei den Gemeindewahlen von 1983 stürzte sie zunächst auf 17,5 Prozent, bei den Präsidentschaftswahlen von 1985 erlebte sie mit nur noch 7,3 Prozent Stimmenanteil ein Debakel. Neben den weiter oben dargestellten wirtschaftlichen Turbulenzen bildete der im Mai 1980 ausgerufene bewaffnete Kampf des Leuchtenden Pfads die größte innenpolitische Herausforderung Belaúndes. In den Augen des Präsidenten handelte es sich bei dem Leuchtenden Pfad um ein lokales Phänomen, das seiner Ansicht nach zudem aus dem Ausland finanziert wurde. Diese doppelte Fehlinterpretation führte dazu, dass der Staat weder eine klare politische noch eine angemessene militärische Strategie zu entwickeln in der Lage war, um den Aufständischen wirksam entgegenzutreten. Nach Ansicht von Beobachtern fehlten dem Militär ohnehin die konzeptionellen und organisatorischen Voraussetzungen, um einen inländischen Gegner zu bekämpfen.46 Gleiches galt auch für die Polizei und die Geheimdienste, die sich durch Kompetenzunklarheiten, mangelnde bzw. zurückgehaltene Informationen sowie persönliche und interinstitutionelle Rivalitäten zusätzlich selbst lähmten.47 Nachdem Belaúnde zunächst nur die Polizeikräfte zum Kampf gegen den Leuchtenden Pfad autorisiert hatte, diese ihren Gegner aber nicht wirkungsvoll bekämpfen konnten48, verhängte der Präsident im Dezember 1982 erstmalig den Ausnahmezustand 45 46 47 48

Alle Wahlergebnisse und Prozentangaben, falls nicht anders gekennzeichnet, aus Tabelle 2. Vgl. Tapia (1997): Fuerzas, S. 27–30. Vgl. Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero. Zur Arbeit der Polizeikräfte vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 99–112.

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über das Departement Ayacucho. Zu Jahresbeginn 1983 übernahm das Militär die Kontrolle in der Region und löste damit die Polizei als wichtigste Säule der Aufstandsbekämpfung ab.49 Bereits jetzt zeigte sich ein Merkmal, das die antisubversive Kriegführung bis in die 1990er-Jahre hinein kennzeichnete, nämlich die weitgehende Autonomie der Militärs. Nach Ansicht von Philip Mauceri besaßen die Streitkräfte für die gesamte Dauer des Konflikts „un monopolio sobre el proceso de decisiones en torno a la contrainsurgencia, junto con una responsabilidad política y control absoluto en las zonas de emergencia“.50 Zu den dramatischsten Folgen des Fehlens jeglicher ziviler Kontrolle gehörte der schon nach kurzer Zeit beginnende Anstieg der Menschenrechtsverletzungen.51 Zwischen 1982 und 1984 stiegen die Opferzahlen signifikant an, wobei vor allem das Departement Ayacucho betroffen war.52 Nach Angaben der peruanischen Wahrheitskommission fiel ein Drittel aller Todesopfer des Gesamtkonflikts in die Regierungszeit von Fernando Belaúnde.53 Nach Ansicht der Wahrheitskommission fielen die Leistungen der zweiten Amtszeit von Fernando Belaúnde sehr gemischt aus. Zwar gelang es ihm, die demokratischen Institutionen des Landes zu stabilisieren. Gleichwohl scheiterte er an den wachsenden ökonomischen Problemen und schuf zudem die Rahmenbedingungen für ein weitgehend unkontrolliertes Vorgehen der Streitkräfte, das in den Folgejahren massive Menschenrechtsverletzungen und damit auch die faktische „renuncia de la autoridad civil en el terreno de la lucha contrasubversiva“ bedeutete.54 Die mangelhafte Regierungsbilanz Belaúndes sowie die zunehmend schwachen Wahlergebnisse von AP und PPC55 hatten zur Folge, dass sich die politische Rechte zur Mitte der 1980er-Jahre als ein die Politik gestaltender Akteur 49 Die späte Inmarschsetzung des Militärs wird von Beobachtern immer wieder mit der möglichen Befürchtung Belaúndes vor einer zu starken Machtakkumulation der Streitkräfte und der damit ansteigenden Gefahr eines erneuten Staatsstreiches gegen ihn erklärt; vgl. Tapia (1997): Fuerzas, S. 30f. 50 Mauceri (1989): Militares, S. 35. 51 Vgl. Mauceri (1996): State, S. 137. Für einen Überblick über das Vorgehen der Militärs in Ayacucho in den Jahren der Belaúnderegierung vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 31f. 52 Zum Verlauf des bewaffneten Konflikts vor allem im zentralen Hochland vgl. Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 187-226. 53 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 23. 54 Vgl. Ibid., Bd. 3, S. 35f.; Zitat S. 36. 55 AP und PPC schwächten sich zudem selbst, als sie sich 1985 nicht auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen konnten. Beide Kandidaten spielten bei den Wahlen auch keine Rolle mehr.

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vorläufig abmeldete. An ihre Stelle trat stattdessen die APRA, die mit dem jungen Alan García Pérez in ihrer langen Parteigeschichte erstmals seit Juli 1985 den Staatspräsidenten stellte. Allerdings war es ausgerechnet dessen desaströse Regierungsführung, die AP und PPC die politische Rückkehr ermöglichte. Auf die Ankündigung Garcías im Juli 1987, die Banken zu verstaatlichen, brach innerhalb der politischen Rechten sowie bei Verfechtern einer marktliberalen Politik eine Welle der Empörung und des Widerstands aus, die im September 1987 zur Gründung des Movimiento Libertad (ML) führte. Initiator des ML war eine kleine, sich aus Vertretern des bürgerlichen Lagers zusammensetzende Gruppe, die unter der Führung des Schriftstellers Mario Vargas Llosa zur Überwindung der Wirtschaftskrise die Marktöffnung und Deregulierung sowie die Umsetzung der Programme der internationalen Finanzinstitutionen propagierte.56 Erstmals nach dem Ende der Belaúndejahre war die politische Rechte mit Vargas Llosa an der Spitze wieder in der Lage, den politischen Diskurs des Landes mitzubestimmen und tragfähige Politikalternativen anzubieten.57 In der Folge wuchs der Optimismus der Rechten, bei den Präsidentschaftswahlen von 1990 den Sieg davontragen zu können. Ohne politische Geschlossenheit blieb die Aussicht auf einen Wahlerfolg allerdings vage. Nach Ansicht von Vargas Llosa bedurfte es daher eines gemeinsamen Bündnisses von AP, PPC und ML. Allerdings stand der Schriftsteller nach eigenem Bekunden einem derartigen Bündnis zunächst skeptisch gegenüber. Der Ende der 1980er-Jahre deutlich spürbare allgemeine Vertrauensverlust in die traditionellen Parteien, die enttäuschende Regierungsbilanz Belaúndes sowie der klientelistische Charakter von AP und PPC ließen Vargas Llosa an der Tragfähigkeit eines solchen Bündnisses zweifeln. Wie er in seinen Erinnerungen beschreibt, sah er zu einem solchen Bündnis aber dennoch keine Alternative, da AP und PPC im Gegensatz zum ML über eine landesweite Infrastruktur sowie eigene Wählermilieus verfügten, ohne die ein seriöser Wahlkampf nicht zu führen war.58 Im Januar 1988 einigten sich AP, PPC und ML auf die Gründung des Frente Democrático (FREDEMO) als gemeinsame Wahlplattform für die Präsidentschaftswahl 1990.59 Die mit diesem Schritt zur Schau gestellte Einigkeit zeigte jedoch bereits ein Jahr später erste Risse. Im März 1989 proklamierte Fernando Belaúnde öffentlich und ohne vorherige Konsultationen Vargas Llosa zum ge-

56 57 58 59

Zur Gründung des ML vgl. Vargas Llosa (1995): Fisch, S. 198–231. Vgl. Durand (1997): Growth, S. 160 und Tanaka (1998): Espejismos, S. 121. Vgl. Vargas Llosa (1995): Fisch, S. 105f. Für einen detaillierten Überblick über die Gründungsphase von FREDEMO vgl. Ibid., S. 100–126.

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meinsamen Präsidentschaftskandidaten des Bündnisses.60 Dagegen erklärte der Generalsekretär der AP Belaúnde selbst zum Kandidaten der Partei. Daraufhin ernannte der Generalsekretär des PPC dessen Vorsitzenden Luis Bedoya Reyes zum Präsidentschaftskandidaten, während dieser wiederum Vargas Llosa zum Kandidaten erklärte.61 Im Juni 1989 wurde Vargas Llosa offiziell zum Spitzenkandidaten von FREDEMO gekürt. Im gleichen Monat traten die Spannungen innerhalb des Bündnisses jedoch erneut massiv zutage, als die Aufstellung der Kandidatenlisten für die Gemeindewahlen im November des gleichen Jahres verhandelt wurde. Aufgrund partei- und machtpolitischer Erwägungen gelang es vor allem AP und PPC nicht, sich auf eine Einheitsliste zu einigen. Die Diskussionen spitzten sich derart zu, dass Vargas Llosa am 20. Juni 1989 seinen Rücktritt als gemeinsamer Präsidentschaftskandidat erklärte.62 Der durch diesen ebenso überraschenden wie unmissverständlichen Schritt erzeugte öffentliche und mediale Druck brachte AP und PPC dazu, ihre Meinungsverschiedenheiten letztlich zu überwinden und sich auf eine gemeinsame Kandidatenliste zu einigen. Bei den Gemeindewahlen gelang es FREDMO, stärkste politische Kraft zu werden und ein knappes Drittel der Stimmen auf sich zu vereinigen. Gleichzeitig leiteten die Gemeindewahlen den Wahlkampf um das Präsidentenamt ein. Bereits seit Monaten hatten sämtliche Umfragen Mario Vargas Llosa als klaren Favoriten für die Präsidentschaftswahlen im Mai 1990 ausgewiesen, gefolgt zunächst von Alfonso Barrantes von der IU und dann von Luis Alva Castro von der APRA. Die Hoffnungen von FREDEMO auf einen Wahlsieg erfülltens sich jedoch nicht. Nachdem er am 8. April 1990 noch den ersten Wahlgang für sich hatte entscheiden können, verlor Vargas Llosa den zweiten Wahlgang am 10. Juni deutlich gegen Alberto Fujimori von Cambio 90. Wie sich zeigen sollte, implementierte Fujimori große Teile der von FREDEMO propagierten wirtschaftspolitischen Agenda, sodass die Opposition von FREDEMO in der Folgezeit deutlich schwächer wurde. Zumindest für AP und PPC bedeutete dies den Beginn ihrer politischen Bedeutungslosigkeit. Erreichten beide Parteien zusammen noch 17,3 Prozent bei den Gemeindewahlen von 1993, so trat 1995 nur noch die AP zu den Präsidentschaftswahlen an, bei der die erzielten 1,7 Prozent ihre politische Entbehrlichkeit deutlich demonstrierten. 60 Vargas Llosa war schon 1984/85 ein Wunschkandidat von Fernando Belaúnde gewesen, der den Schriftsteller bereits zu diesem Zeitpunkt als gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der Konservativen hatte installieren wollen. Parteiinterne Streitigkeiten verhinderten jedoch diese Konstellation; vgl. Ibid., S. 112f. 61 Vgl. Tanaka (1998): Espejismos, S. 122. 62 Für einen Überblick über die internen Auseinandersetzungen vgl. Cameron (1994): Democracy.

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Die APRA

Während die AP seit ihrem Regierungsantritt stetig an Zustimmung in der Bevölkerung verlor, konnte sich die APRA nach ihrem Wahldebakel von 1980 zunehmend als stärkste politische Kraft des Landes etablieren. Bereits 1983 ging sie als Sieger aus den Gemeindewahlen hervor und 1985 konnte die APRA mit dem erst 37-jährigen Alan García Pérez erstmalig in ihrer 60-jährigen Parteigeschichte63 das Amt des Staatspräsidenten besetzen. Nach einem solchen Erfolg hatte es für die Partei am Ende der Transitionsphase zunächst nicht ausgesehen. Der Tod des Parteigründers und langjährigen Parteivorsitzenden Victor Haya de la Torre am 2. August 197964 hatte eine ernste Führungskrise ausgelöst und die Partei daran gehindert, einen programmatischen Neuanfang zu wagen. Erst die Wahl Alan Garcías zum Generalsekretär der Partei im Jahr 1982 versetzte die Partei wieder in die Lage, sich den politischen Herausforderungen der neuen Ära zu stellen und eigene politische Alternativmodelle vorzustellen.65 Unter Garcías Führung wurde die Partei auf allen Ebenen neu ausgerichtet. Die APRA präsentierte sich als moderne und pragmatische Reformpartei der gesellschaftlichen Mitte, die die Besserstellung der sozial schwachen Bevölkerungsteile propagierte, ohne dabei die Mittelschicht mit einer aggressiven Rhetorik zu beunruhigen. Die Neuaufstellung beinhaltete zudem eine verjüngte Führungsmannschaft, eine vorsichtige Distanznahme zur alten Parteigarde sowie einige Veränderungen im öffentlichen Auftreten der Partei.66 Zusätzlich profitierte die Partei von der Persönlichkeit Garcías, dem dank seines jungen Alters, seiner charismatischen Ausstrahlung sowie seiner ebenso verständlichen wie überzeugenden Rhetorik hohe Sympathiewerte entgegenschlugen.67 Wie die Präsidentschaftswahlen von 1985 zeigten, erwies sich diese Kombination als voller Erfolg und der Amtsantritt Garcías wurde von einer Welle landesweiter Euphorie begleitet. Nach der erfolglosen Ära Belaúnde, so schien es, kam der junge und charismatische Alan García zur rechten Zeit: „When APRA took over in July 1985 Peru’s economy, society, and polity were in deep crisis. The living standards of the population had deteriorated substantially since 1973. 63 Zum Ursprung und zur Parteigeschichte der APRA vgl. Murillo (1976): Historia; Graham (1992): APRA und Taylor (2000): Origins. 64 Nur wenige Tage vor seinem Tod hatte Haya de la Torre in seiner Funktion als Präsident der verfassungsgebenden Versammlung noch die neue Verfassung abgezeichnet. 65 Zu den internen Auseinandersetzungen und der Wahl Garcías vgl. Graham (1992): APRA, S. 80–84. 66 So wurden etwa der Gruß mit erhobenem rechten Arm abgeschafft und ein neues, weniger dramatisches Parteilied eingeführt; vgl. Ibid., S. 84 und Tanaka (1998): Espejismos, S. 142. 67 Zur Wirkung Garcías vor allem auf junge Wähler vgl. Vega-Centeno (1998): Desborde.

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Capital flight was on the rise; criminal kidnappings and urban and rural terrorism had become daily occurrences; and finally Sendero Luminoso had become a genuine threat to national security. Peru was on the brink of chaos“.68 Tatsächlich schien Garcías Regierungszeit unter einem guten Stern zu stehen. Wie dargestellt, konnte die Inflation zurückgedrängt, erstes Wirtschaftswachstum generiert und erfolgreiche Arbeitsmarktprogramme konnten implementiert werden. Gleichzeitig erfreute sich der Regierungskurs einer weiterhin breiten gesellschaftlichen Zustimmung und die persönlichen Beliebtheitsgrade Garcías erreichten Höchstwerte.69 Nachdem der Kampf gegen den Leuchtenden Pfad in den Jahren zuvor einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, wurde der Amtsantritt Garcías auch als Chance für einen sicherheitspolitischen Neuanfang verstanden. Der Präsident selbst hatte während des Wahlkampfes keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Reduzierung des Konflikts auf eine rein militärische Dimension ablehnte und stattdessen einen breiter gefassten, nunmehr auch sozial- und wirtschaftspolitische Elemente beinhaltenden Ansatz befürwortete. Dazu gehörten die Stärkung der zivilen Regierungsgewalt gegenüber dem Militär, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Menschen im Hochland. In seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 9. September 1985 verkündete Carcía: „Combatiremos la subversión con firmeza inclaudicable, pero con respeto a las leyes y a los derechos humanos. Reconoceremos que la acción subversiva ha sido posible, no sólo por la falta de previsión y por la ausencia de una política social y económica bien planificada, sino porque la subversión se ha nutrido de la exasperante miseria en la que se encuentran millones de compatriotas abandonados. [...] La barbarie no debe combatirse con la barbarie. [...] Defenderemos la democracia con energía, con la ley y con la justicia social, comprobando que actuamos en nombre de la vida.“70

In der Bilanz blieb die sicherheitspolitische Neuausrichtung aber weit hinter den formulierten Ansprüchen zurück. Zwar demonstrierte García schon in den ersten Monaten seiner Amtszeit den zivilen Führungsanspruch gegenüber den Streitkräften mit Nachdruck.71 Nachdem etwa im August 1985 verschiedene Massaker an der Zivilbevölkerung im Departement Ayacucho verübt worden 68 Graham (1992): APRA, S. 95. 69 Während seines ersten Regierungsjahres erzielte García Zustimmungswerte von über 80 Prozent, im zweiten Jahr von immer noch 60 Prozent, vgl. Tanaka (1998): Espejismos, S. 148. 70 García Pérez (1988): Mayoría, Bd. 1, S. 57f. 71 Das Verhältnis zwischen APRA und Militär war seit den 1930er Jahren durch tiefes Misstrauen geprägt. In diesen Jahren war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und der APRA gekommen, die sich am Wahlsieg des Generals Luis

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waren, wies eine Untersuchungskommission des Kongresses die Verantwortung eindeutig dem Militär zu. In der Folge wurden erstmals hochrangige Generäle zur Verantwortung gezogen und aus der Armee entfernt.72 Zugleich wurde der Kauf mehrerer französischer Kampfflugzeuge storniert, was einen drastischen Eingriff in die Haushaltsautonomie der Streitkräfte bedeutete. Dennoch gelang es der neuen Regierung nicht, die weitgehende Unabhängigkeit der Streitkräfte strukturell zurückzudrängen. Dies wurde etwa bei der Schaffung des Verteidigungsministeriums im März 1987 deutlich. Ziel dieser Maßnahme war es, das Nebeneinander der einzelnen Teilstreitkräfte aufzulösen, synergetisch zu bündeln sowie die zivilen Kontrollmöglichkeiten auszuweiten. Tatsächlich aber behielten die Militärs ihre Planungs- und Budgethoheit, sodass sich die Rolle des Verteidigungsministers auf die eines Vermittlers zwischen Streitkräften und Präsidenten beschränkte.73 Das Scheitern einer mangelnden zivilpolitischen Einbindung des Militärs hatte in der Konsequenz nicht nur dessen zunehmenden Macht- und Einflusszuwachs vor allem in den Regionen zur Folge, in denen der Notstand ausgerufen worden war. Zugleich entpuppte sich auch der Anspruch, die Aufstandsbekämpfung unter Wahrung der Menschrechte zu führen, als weitgehend substanzlos. Bereits im Folgejahr der Rede vor der UNO erlitt der moralische Führungsanspruch Garcías Schiffbruch. Am 18. und 19. Juni 1986 kam es in Lima zu einem bewaffneten Aufstand der inhaftierten Mitglieder des Leuchtenden Pfads in den Gefängnissen El Frontón und Lurigancho.74 Auf Befehl des Präsidenten übernahmen die Streitkräfte die Niederschlagung mit der Maßgabe, „con energía y decision“ vorzugehen „para alcanzar los objetivos previstos en el menor tiempo posible“.75 Als Konsequenz dieses ebenso vagen wie offenen Befehls wurden bei dem Eingriff der Armee mehrere hundert senderistas getötet, wobei zahlreiche Opfer exekutiert wurden, nachdem sie sich bereits ergeben hatten. Entgegen der Ankündigung Garcías wurden keine Angehörigen der politischen oder der militärischen Führungsebene zur Verantwortung gezogen; stattdessen wurde lediglich eine kleine Anzahl unterer und mittlerer Offiziere verurteilt. Wie Philip Mauceri feststellt, war García mit seinem Versuch, das Militär unter eine wirksame zivile Kontrolle zu bringen, gescheitert:

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Sánchez Cerro bzw. dessen Ermordung durch ein Mitglied der APRA entzündeten; vgl. McClintock (1998): Movements, S. 99f. Zu den Massakern und der politischen Aufarbeitung vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 153f. Vgl. Mauceri (1989): Militares, S. 64f. und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 190f. Eine detaillierte Darstellung der Aufstände findet sich in Rénique (2003): Voluntad und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 7, S. 162–181. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 7, S. 179.

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„By 1987 the regime had apparently deferred to resurgent hard-liners within the military on the issue. Human rights abuses rebounded and in several cases [...] local military commanders defied congressional investigators and civilian prosecutors. Despite Garcia’s early efforts to assert civilian control over counterinsurgency strategy, decision making remained largely in the hands of the military.“76 Am Ende der Regierungszeit Garcías hatten die Indizes des Konflikts neue Höchststände erreicht: 1990 befanden sich 32 Prozent des Territoriums und 49 Prozent der Bevölkerung unter militärischer Kontrolle, die Anschläge des Leuchtenden Pfads hatten sich von 1981/82 bis 1988/89 fast verdreifacht und die Anzahl der täglichen politisch motivierten Ermordungen war von zwei im Jahr 1987 auf neun im Jahr 1990 hochgeschnellt.77 Ebenso erfolglos blieben zwei Maßnahmen, mit denen der interne Konflikt vor allem in den Regionen des Hochlandes eingedämmt werden sollte. Zum einen wurden mit den rimanacuy öffentliche Dialogforen geschaffen, in denen sich Gemeindevertreter und Dorfbewohner mit staatlichen Repräsentanten etwa über Missstände und Planungsvorhaben austauschen sollten. Daneben wurde mit Trapecio Andino ein Förderprogramm aufgelegt, das in den Regionen Ayacucho, Apurímac, Cuzco und Puno zinslose Kredite an Bauern und ländliche Kooperationen vergab. Da die Regierung die dauerhafte Fortführung beider Instrumente aber nicht sicherstellte, verliefen sie schon bald im Sand, ohne nachhaltige Wirkung gezeigt zu haben.78 Das Scheitern seines alternativen sicherheitspolitischen Ansatzes sowie die schwere Wirtschaftskrise führten zu einer zunehmenden Schwächung Garcías auch innerhalb seiner eigenen Partei. So trat im Mai 1987 der Premier- und Wirtschaftsminister Luis Alva Castro von seinen Ämtern zurück und kandidierte stattdessen erfolgreich für den Posten des Kongresspräsidenten. Dieser Schritt unterstrich Alva Castros Ambitionen auf das Präsidentenamt und war eine klare Kampfansage an García und dessen Bemühungen, die hohen persönlichen Beliebtheitswerte dafür zu nutzen, seine Wiederwahl mithilfe einer Verfassungsänderung zu ermöglichen.79 Im August 1988 wurde Alva Castro zudem zum Generalsekretär der APRA gewählt, während hingegen García den Parteivorsitz verlor. In der Zwischenzeit hatte die Ablehnung von Garcías Vorlage, die Banken zu verstaatlichen, im Herbst 1987 den Präsidenten zusätzlich politisch geschwächt. Die Erosion der Autorität Garcías zeigte sich auch in der Talfahrt 76 Mauceri (1996): State, S. 139. 77 Burt (2007): Violence, S. 67. 78 Vgl. Graham (1992): APRA, S. 157; Tapia (1997): Fuerzas, S. 42 und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 187. 79 Vgl. Cotler (1988): Partidos, S. 187f.

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der öffentlichen Zustimmungsraten, die im Juli 1988 zunächst auf 40 Prozent und dann auf 11,4 Prozent im Juli 1989 abstürzten.80 In der Folge mehrten sich die Rücktrittsforderungen an den Präsidenten, und selbst Pläne für eine Absetzung Garcías schienen die Runde zu machen.81 1990 stand die APRA vor den Trümmern ihrer fünfjährigen Regierungszeit. Das Land näherte sich dem wirtschaftlichen und militärischen Kollaps und mit ihrer desaströsen Regierungsführung hatte die APRA nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit verspielt, sondern auch dem Vertrauen in das Parteiensystem schweren Schaden zugefügt. Zwischen Revolution und Reform: die politische Linke Perus

Zu den wichtigsten politischen Akteuren der 1980er-Jahre gehörte neben der APRA und der AP auch die politische Linke. Zwar blieb dieser im Gegensatz zu den politischen Gegnern der Sprung in den Präsidentenpalast versagt. Dennoch bestimmte sie die politische Entwicklung des Landes maßgeblich mit und übernahm vor allem auf kommunaler Ebene Regierungsverantwortung. Die peruanische Linke gehörte beim Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie zu den stärksten politischen Linken Lateinamerikas. Bereits in den 1970er-Jahren existierten nach verschiedenen Angaben zwischen 20 und 70 unterschiedliche, miteinander koonkurrierende Linksparteien82 Wie Evelyn Huber am Beispiel der organisierten Arbeiterbewegung zwischen 1968 und 1980 deutlich macht, wuchs die politische Machtposition der Linken derartig stark an, dass sie das Ende der Militärherrschaft maßgeblich mitverantwortete: So stieg etwa die Anzahl der staatlich anerkannten Gewerkschaften von 2.297 im Jahr 1968 auf 4.172 im Jahr 1975 und auf 4.504 im Jahr 1978 an. Und auch die Anzahl der Streiks schoss in die Höhe: Hatte es 1968 noch 372 Arbeitskämpfe unter Beteiligung von etwa 108.000 Streikenden gegeben, so waren 1975 bereits 779 Streiks zu verzeichnen, die insgesamt 617.000 Menschen mobilisierten.83 Im Juli 1977 wurde zudem der erste Generalstreik der peruanischen Geschichte ausgerufen, der die Billigung aller wesentlichen sozialen und politischen Gruppen des Landes fand. Nur neun Tage später kündigte General Morales Bermúdez die Durchführung der verfassungegebenden Versammlung für 1978 und 80 Vgl. Tanaka (1998): Espejismos, S. 162. 81 Vgl. Ibid., S. 163. 82 Letts (1981): Izquierda, S. 57 und Roncagliolo (2007): Espada, S. 62. Zur Rolle der politischen Linken während der Militärdiktatur vgl. Letts (1981): Izquierda und Nieto (1983): Izquierda. 83 Huber Stephens (1983): Military, S. 61f.

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die danach einzuleitende Übergabe der Macht an zivile Autoritäten inklusive Präsidentschaftswahlen für 1980 an.84 Trotz ihrer numerischen Stärke und ihres gesellschaftlichen Einflusses offenbarte die politische Linke allerdings schon in der Übergangszeit zwischen 1978 und 1980 ihre organisatorischen Schwächen und inhaltlichen Differenzen, die bis zum Ende des folgenden Jahrzehnts auch nicht überwunden wurden. Zu den Defiziten gehörten u. a. eine starke organisatorische Zersplitterung, erhebliche ideologische Gegensätze und ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen auf Maximalforderungen bei gleichzeitiger Unfähigkeit zur Kompromissbildung. Die Melange dieser Merkmale hinderte die Linke dauerhaft daran, einen zukunftsfähigen politischen Alternativentwurf zu formulieren und diesem eine tragfähige organisatorische und kohärente ideologische Basis zu geben. Entsprechend nüchtern fällt das Urteil von Nigel Haworth über den Zustand der politischen Linken in den 1970er-Jahren aus: „the Peruvian Left was a highly fragmented, highly formalistic tradition, arguing about the esoterica of theory and applying the „lessons“ of Lenin and José Carlos Mariátegui […] to the conjuncture in a cabalistic manner“.85 Hatte der Kampf gegen das Militärregime die ideologischen Unterschiede und die abweichenden politischen Ansätze der Linken noch kanalisieren können, so traten die Differenzen seit der Bekanntgabe des Übergangs zur Demokratie wesentlich klarer zutage. Die Debatten kreisten um die politische Systemfrage und die damit verbundene Frage nach der Teilnahme an den existierenden und zukünftigen politischen Verhältnissen. Wenn auch die gesamte Linke das Ende der Militärdiktatur grundsätzlich begrüßte, so standen dennoch weite Teile der Linken der repräsentativen Demokratie skeptisch bis ablehnend gegenüber. Alternativ schwebte vielen Linken die Vision einer „democracia de masas, una democracia directa, a modo de una permanente asamblea plebiscitaria“86 vor, in der der Einfluss der (klassischen) politischen Parteien mithilfe einer Vielzahl plebiszitärer Elemente deutlich eingeschränkt bleiben sollte. In der Zeitschrift „Socialismo y Participación“ hieß es noch im Dezember 1982: „La democracia representativa tiene poco de democracia porque restringe la participación del pueblo en la tarea política nacional y en las grandes decisiones, las que son endosadas totalmente a los gobernante elegidos y por todo el período de su mandato [...] la democracia, para existir, requiere no sólo de elecciones.“87 84 Zur Frage, ob die politische Stärke der Linken oder die institutionelle Schwäche des Militärregimes dessen Ende verursachte, vgl. Haworth (1993): Radicalization, S. 44. 85 Ibid., S. 45f. 86 Cotler (1988): Partidos, S. 168. 87 Zitiert nach Pásara (1988): Libanización, S. 34.

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Grundsätzlich standen sich im linken Lager das revolutionäre und das reformorientierte Lager gegenüber, die vor allem über die Art und Weise stritten, wie die politischen Ziele erreicht werden sollten. Innerhalb der revolutionären Strömung war die „representative democracy [...] faulted for being unable to change the underlying class divisions that were seen as the root causes of widespread poverty, social injustice, and international dependency. [...] representative democracy [...] amounted to little more than a formal electorate game in which different factions of the ruling classes competed with one another for power. Since achieving fundamental socioeconomic and political change was considered impossible within the confines of the system, the revolutionary approach advocated its ultimate destruction and replacement by a system based on the self-government of the people [...], that is, the establishment of direct democracy exercised via popular movements“.88 Tatsächlich herrschte innerhalb dieser Strömung die Überzeugung vor, kurz- oder mittelfristig vor einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu stehen.89 Dagegen zielten die Reformer zwar ebenfalls auf politische und wirtschaftliche Veränderungen ab, sie waren jedoch der Überzeugung, dass diese Veränderungen im Rahmen des existierenden Systems zu erreichen seien: „the procedural guarantees and civil liberties on which representative democracy is based were seen as a precondition for such reforms. [...] the radical-democratic approach did not propose to replace, but to supplement representative democracy with various forms of direct democracy.“90 Angesichts dieses Grundkonflikts überrascht es nicht, dass die Ausrufung der AC für 1978 innerhalb des linken Lagers zu heftigen Debatten über den Sinn und den Nutzen einer Wahlbeteiligung führte. Während z. B. der Partido Comunista del Perú (PCP) mit seiner Teilnahme an der Versammlung die Fortsetzung der velazquistischen Reformen sichern wollte, sah der Partido Comunista Revolucionario (PCR) in ihr vor allem die Verfestigung kooperativistischer Machtstrukturen, weshalb er eine Teilnahme ablehnte. Und während Vanguardia Revolucionaria (VR) zunächst die Bereitschaft zur Teilnahme signalisierte, entschied sich Patria Roja (PR) dafür, nicht an der „farsa electoral“ teilzunehmen.91 Trotz dieser massiven Skepsis konnten die vier größten teilnehmenden Linksparteien, PCP, Partido Socialista Revolucionario (PSR), Unidad Democrático Popular (UDP) und Frente Obrero, Campesino, Estudiantil y Popular (FOCEP), 88 89 90 91

Schönwälder (2002): Society, S. 100. Vgl. Nieto (1983): Izquierda, S. 58. Schönwälder (2002): Society, S. 102. Vgl. Nieto (1983): Izquierda, S. 76–78; Zitat S. 78.

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zusammen mit knapp 30 Prozent bzw. 28 von 100 Sitzen ein überraschend gutes Wahlergebnis erzielen, mit dem sie hinter der APRA zur zweitstärksten Kraft in der AC aufstiegen. Nach Ansicht von Evelyn Huber Stephens ließ sich das gute Abschneiden der Linken auf verschiedene Ursachen zurückführen: Dank des Netzwerkes aus Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen war die Linke in der Lage, ihre politischen Botschaften erfolgreich zu kommunizieren und Wähler zu mobilisieren. Bei mehr als der Hälfte der Wahlberechtigten handelte es sich zudem um Personen, die zum ersten Mal überhaupt an einem Urnengang teilnahmen – die Linke kämpfte also um Wähler, die noch nicht durch langjährige Parteibindungen festgelegt waren. Schließlich verfügte die Linke aufgrund des hohen Mobilisierungsgrades in den Jahren des Militärregimes über eine Reihe erfahrener Anführer, die häufig auch administrative Erfahrung in den von den Militärs neu geschaffenen politischen und sozialen Institutionen erworben hatten.92 Im Verlauf der Versammlung wurde jedoch schnell deutlich, dass sich die Linksparteien einer konstruktiven Mitarbeit in den einzelnen Ausschüssen verweigerten, auch wenn PCP, PSR und UDP eigene Verfassungsentwürfe vorlegten.93 Wie schwer sich die Linksparteien mit dem parlamentarischen Neubeginn taten, macht das Zitat von Ricardo Napurí vom FOCEP deutlich: „Dijimos desde el comienzo que no seguiríamos órdenes militares para redactar una constitución [...]. De acuerdo con esta posición, hemos votado siempre en contra, ya sea contra el reglamento inicial como contra las comisiones formadas. Y consecuentemente con nuestra posición, afirmamos que votamos contra esta Constitución, no sólo porque es parte de la voluntad de los gobernantes de facto, sino también porque ha sido redactada ideológicamente y políticamente en el marco de la subordinación al imperialismo, a la burguesía nativa y al Estado burgués.“94

Trotz derartiger Stimmen und ihrer anhaltenden Skepsis hatte sich die politische Linke durch ihre Teilnahme an der AC grundsätzlich auf eine parlamentarische Zukunft festgelegt. Dem überraschenden Wahlerfolg von 1978 folgte jedoch nur zwei Jahre später ein schwerer Rückschlag, als die fünf unabhängig voneinander angetretenen Linksparteien insgesamt nur 14 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen von 1980 erzielen konnten. Diesem Wahldesaster war zu Beginn des gleichen Jahres der erfolglose Versuch vorangegangen, die politische Linke erstmals in einem Parteienbündnis zu vereinen. Die im Januar 1980 mit

92 Huber Stephens (1983): Military, S. 79–80. 93 Zur Rolle der Linksparteien in der Asamblea Constituyente vgl. Nieto (1983): Izquierda. 94 Zitiert nach Tanaka (1998): Espejismos, S. 128.

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viel Hoffnung gegründete Alianza Revolucionaria de Izquierda (ARI) fiel jedoch noch vor den Präsidentschaftswahlen im Mai auseinander.95 Das Wahldebakel von Mai 1980 führte der Linken die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses vor Augen, um die eigenen Chancen auf zukünftige Wahlerfolge zu erhöhen. In der Folge wurde im September 1980 die Izquierda Unida (IU) gegründet, in der sich verschiedene Linksparteien unter der Führung des aus Cajamarca stammenden Rechtsanwalts Alfonso Barrantes sammelten.96 Innerhalb der lateinamerikanischen Parteienlandschaft wurde die IU schon bald als stärkste legale Linke des Kontinents anerkannt.97 Zum Charakter der IU hieß es in einem Dokument des Zentralkomitees von 1988: „IU como tal no es un partido, sino un frente que reúne a varios partidos que sin abandonar sus propias concepciones estratégico-tácticas, coinciden en puntos esenciales con los demás organizaciones integrantes de IU.“98

Die Entwicklung der IU zeigte in den Folgejahren exemplarisch Glanz und Elend der peruanischen Linken auf. Zunächst stellte der Zusammenschluss einen erheblichen Schritt nach vorne dar, wahrte die Linke doch nun eine organisatorische Einheit, durch die sie sich als ernstzunehmender Akteur im Parteiengefüge konsolidierte. Ihre interne politische Heterogenität war zudem elastisch genug, um ein weites Spektrum der Wählerschaft zu binden, aber auch starr genug, um eine prinzipiell einheitliche politische Richtung zu verfolgen. Bereits die Gemeindewahlen im November 1983 brachten der IU den erhofften Wahlerfolg: Mit 29 Prozent der landesweiten Stimmen etablierte sie sich als zweite politische Kraft hinter der APRA und konnte mit Alfonso Barrantes erstmals den Bürgermeister von Lima stellen. Der Triumph in der Landeshauptstadt war für die IU von enormer Bedeutung, konnte Lima nunmehr als nationale Projektionsfläche für die praktische Machtumsetzung der Partei dienen. Schwerpunkte der neuen Stadtverwaltung lagen in der Verbesserung der Ernährungssituation sowie im Aufbau einer lokalen Selbstverwaltung in den städtischen Armenvierteln. Zu den wichtigsten Projekten gehörten dabei u. a. die Schaffung des Vaso-de-Leche-Programms, das mithilfe der comités de Vaso de Leche die kostenlose Verteilung von täglich einer Million Gläser Milch an Kinder unter sechs Jahren zum Ziel hatte sowie die Errichtung von Gemeinschaftsküchen. Daneben machte Barrantes den Weg frei, um administrative 95 Vgl. Nieto (1983): Izquierda, 111–117 und Tanaka (1998): Espejismos, S. 128f. 96 Die Gründungsparteien der IU waren neben FOCEP, PSR, PCR und PCP der Partido Unificado Mariateguista (PUM) sowie die Unión Nacional de la Izquierda Revolucionaria (UNIR). 97 Vgl. Cameron (1994): Democracy, S. 77. 98 Herrera Montesinos (2002): Izquierda, S. 817.

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Befugnisse der Stadtverwaltung, wie etwa die Verleihung von Landbesitz oder die Aufsicht über kommunale Bauvorhaben, zu dezentralisieren und sie auf die Distrikt- und Nachbarschaftsebene zu transferieren.99 Mit Barrantes Wahlsieg in Lima gelang es zunächst den pragmatischen und moderaten Kräften, die Meinungsherrschaft innerhalb der IU zu erringen und ihren Politikansatz zu stärken, der von der Notwendigkeit demokratischer Institutionen sowie von der Möglichkeit von Reformen und sozialem Wandel innerhalb des demokratischen Systems ausging.100 Tatsächlich schienen die Wahlergebnisse der nächsten Jahre die Richtigkeit dieses Kurses zu unterstreichen und die IU dauerhaft als einen der führenden politischen Akteure des Landes zu etablieren. Zwar verlor Alfonso Barrantes bei den Präsidentschaftswahlen von 1985 mit 24,7 Prozent deutlich gegen Alan García, dennoch blieb die IU weiterhin die zweitstärkste politische Kraft des Landes. Als solche ging sie mit 30,8 Prozent auch aus den Gemeindewahlen von 1986 hervor, die die APRA mit 47,6 Prozent für sich entscheiden konnte. Angesichts der desaströsen Regierungsführung der APRA sowie der notorischen Schwäche der politischen Rechten zählte die IU in den Augen vieler Beobachter am Ende der Dekade als Favoritin für die Präsidentschaftswahlen von 1990.101 Entgegen dieser öffentlichen Einschätzung führten jedoch heftige interne Auseinandersetzungen zu einem Zerfall des Bündnisses und damit zur politischen Bedeutungslosigkeit des linken Lagers insgesamt. Innerhalb der IU entwickelten sich seit ihrer Gründung intensive Auseinandersetzungen zwischen den revolutionären und den moderaten Gruppen über den korrekten politischen Kurs. Als loses Konglomerat verschiedener Parteien mit unterschiedlich stark ausgeprägten und sich in Teilen auch widersprechenden ideologischen Grundüberzeugungen wies die IU organisatorische Schwächen auf, die die internen Spannungen zusätzlich verstärkten. Jo-Marie Burt merkt an: „Each party maintained its own internal structure, leadership, and ideological principles [...] Decisionmaking capacity remained within each party, not in the front, undermining the possibility fort he IU to develop coherent policy initiative as well as its ability to build social support fort the front per se rather than for each member party.“102 Dabei spiegelten die Auseinandersetzungen grundsätzlich die der gesamten politischen Linken wider und entzündeten sich im Kern an drei Themenblöcken: „(1) conditions for revolution in Peru, (2) the role of violence to achieve political objectives, and (3) the relative 99 Eine genaue Studie zur Kommunalverwaltung Limas unter Barrantes bietet Schönwälder (2002): Society. 100 Vgl. Burt (2007): Violence, S. 80. 101 Vgl. Tanaka (1998): Espejismos, S. 35. 102 Burt (2007): Violence, S. 82.

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efficacy of legal participation or guerrilla warfare“. Martín Tanaka bringt die zunehmende politische Zerrissenheit der IU auf den Punkt: „para una parte de IU el rumbo del país imponía la aspiración a ser gobierno en 1990, ocupar el centro político para maximizar las posibilidades en la arena electoral y colocar el tema de la gobernabilidad en un contexto de crisis y polarización como un punto central en la agenda. Para otra parte, lo que correspondía era más bien prepararse para una creciente polarización, militarización y conflicto social, situación que podía desencadenar una crisis revolucionaria“.103 Durch die erfolgreichen Kommunalwahlen von 1983 und die pragmatische Regierungsführung von Alfonso Barrantes in Lima konnten zwar zunächst die moderaten Kräfte die parteiinterne Meinungsherrschaft übernehmen. Allerdings führte bereits der deutliche Wahlsieg der APRA bei den Präsidentschaftswahlen von 1985 zu einer Dynamisierung der internen Spannungen und verursachte „a classic debate around the issue of whether the IU message was too „watered down“ and therefore had lost popular support, was not coherent enough, or had not been delivered satisfactorily“.104 Als Barrantes 1986 überdies auch das Bürgermeisteramt Limas an den APRA-Kandidaten Jorge del Castillo verlor, geriet die moderate Strömung weiter in Bedrängnis. Angesichts der sich verstärkenden Wirtschaftsmisere, der ansteigenden Gewalt des Leuchtenden Pfads, des zunehmenden institutionellen Zerfalls des peruanischen Staates sowie der sich immer sichtbarer selbst diskreditierenden APRA-Regierung nahmen die Debatten an Schärfe zu. Während z. B. Barrantes sich für eine punktuelle, an Sachfragen orientierte Zusammenarbeit mit der APRA aussprach, forderten die radikalen Gruppen eine klare Abgrenzung von der Regierungspartei. In dem Bericht des Zentralkomitees der PUM von 1986 mit dem Titel „Frente al reformismo aprista: democracia del pueblo, camino al poder popular y al socialismo peruano“ hieß es: „La confrontación central está dada contra el gobierno aprista, ya que siendo el obstáculo principal, con él se da la lucha por la hegemonía del movimiento político y social.“105

Gleichzeitig meldete der PUM seinen Anspruch auf die Vormachtsstellung innerhalb des Bündnisses an: „Lo fundamental de la correlación de fuerzas que el Partido quiere construir es la de construirse en el factor hegemónico de un agrupamiento mayoritario mariateguista en la IU y en el movimiento social, capaz de forjar una verdadera alternativa de gobierno 103 Tanaka (1998): Espejismos, S. 136. 104 Haworth (1993): Radicalization, S. 50. 105 Partido Unificado Mariateguista (1986): Reformismo, S. 27.

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y de poder que supere las gravísimas debilidades del período pasado y que exprese una nueva correlación estratégica de fuerzas en IU y en el país.“106

Als Konsequenz des zunehmenden Einflusses des radikalen Lagers und der gegen ihn gerichteten heftigen Attacken erklärte Barrantes im Mai 1987 seinen Rücktritt als Vorsitzender der IU. 1988/1989 eskalierten die internen Debatten endgültig und auf dem Parteitag im Januar 1989 schieden einige moderate Gruppen aus der IU aus und gründeten unter dem Vorsitz von Alfonso Barrantes die Izquierda Socialista (IS). Die Spaltung der Linken „affected the social legitimacy of both groups“107 und hatte für sie verheerende Folgen an den Wahlurnen. Bei den Kommunalwahlen im November 1989 stürzte die Linke auf 13,7 Prozent ab und bei den Präsidentschaftswahlen von 1990 erreichte Henry Pease als Kandidat der IU mit 11 Prozent im ersten Wahlgang lediglich den vierten Platz. Dieses Ergebnis pulverisierte die Hoffnungen auf eine Machtübernahme und verdeutlichte, wie sehr die Entwicklung der IU durch die mangelnde Kompromissfähigkeit der einzelnen Strömungen, durch fehlende parteiinterne Schlichtungsinstanzen, ideologische Grabenkämpfe und das Streben nach politischen Vorteilen negativ beeinflusst wurde.108 Ein unmoralisches Angebot: Die politische Linke und der Leuchtende Pfad

Wie wir sahen, existierten in weiten Teilen der Linken ein tiefes Misstrauen gegenüber der repräsentativen Demokratie sowie ein fortwährender Revolutionsdiskurs. Dies brachte die Linke von Beginn an in ein eigentümliches Spannungsverhältnis zum Leuchtenden Pfad, mit dem sie gemeinsame politische Wurzeln und eine grundsätzliche ideologische Nähe teilte. Bis weit in die 1980er-Jahre hinein fiel es der Linken schwer, sich eindeutig von den Revolutionären zu distanzieren. Zwar rückte sie mit der Zeit von dem zunehmenden Gewalteinsatz des Leuchtenden Pfads ab – eine entschiedene Ablehnung des bewaffneten Kampfes als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung erfolgte jedoch zunächst nicht. Eine Stellungnahme des Zentralkomitees des Partido Comunista Peruano von 1983 veranschaulicht den Zwiespalt, in dem sich die Linksparteien befanden: „si bien es cierto, coincidimos con otras fuerzas en lo que se refiere a que la lucha armada será la forma predominante para alcanzar el poder, disentimos en la táctica 106 Ibid., S. 28. 107 Burt (2007): Violence, S. 86. 108 Vgl. Cameron (1994): Democracy.

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y en los planteamientos ideológicos que grupos como Sendero aplican [...] Nuestra discrepancia más importante con Sendero, pues, radica sobre todo en la aplicación del terrorismo com arma política [...] la aplicación correcta de las diversas formas de lucha, incluyendo la armada – como sucedió en Cuba, Vietnam, Nicaragua y hoy en El Salvador – han culminado siempre victoriosamente.“109

Ein noch deutlicheres Bekenntnis zum bewaffneten Kampf lieferte Ricardo Letts von der Vanguardia Revolucionaria in dem Vorwort seines 1981 erschienenen Buches La Izquierda Peruana: „Se sabe que el partido revolucionario, el frente unitario antiimperialista, y la lucha armada por el poder del Estado, son las tres grandes herramientas para la transformación de la sociedad peruana. [...] También he explicado, con frecuencia, que no hay, en un país como el nuestro, conquista del poder sin lucha armada, ni lucha armada revolucionaria sin un ejército revolucionario que le dé perspectiva duradera, estratégica, y posibilidad de triunfo final.“110

Diese ambivalente Position stieß in der Öffentlichkeit auf misstrauische Resonanz. In einem Bericht der Zeitschrift Quehacer vom April 1982 hieß es etwa: „Después de todo hubo algún candidato que esgrimió un fusil [...] en algún mitin de la campaña electoral y algún otro partido forma sus siglas con los perfiles de una metralleta. De tal modo que la emoción guerrillera es también parte de la emoción de la izquierda“.111 Damit spielte der Artikel auf Horacio Zeballos von der UNIR an, der während des Präsidentschaftswahlkampfes 1980 eine Gewehrattrappe in die Luft gehalten hatte. Derartige Aktionen diskreditierten die Linke vor allem innerhalb konservativer Kreise und beim Militär – Gruppen also, die ihr ohnehin eine Kooperation mit dem Leuchtenden Pfad vorwarfen.112 In Anbetracht solcher Vorwürfe wurden innerhalb der eigenen Reihen der Linken heftige Kontroversen über den richtigen Umgang mit dem bewaffneten Gegner geführt. Während etwa der Abgeordnete und einer der Parteigründer des PUM, Javier Diez Canseco, für einen Dialog mit dem Leuchtenden Pfad plädierte113, verwies der Senator Enrique Bernales von der PSR auf die 109 110 111 112

Zitiert nach Pásara (1988): Libanización, S. 36f. Letts (1981): Izquierda, S. 7. Quehacer (1992): Sendero, S. 15. Vgl. Haworth (1993): Radicalization, S. 55. In einem Interview von 1983 erklärte der erste Oberbefehlshaber der Aufstandbekämpfung in Ayacucho, General Clemente Noel Moral: „Es muy difícil señalar que sólo Sendero está actuando o si es una cooperación de toda la izquierda por más que digan que unos son de línea electoral y otra de línea violenta, porque todos son culpables de la oposición irresponsable que se hace al gobierno“, zitiert nach Mauceri (1989): Militares, S. 41f., Fußnote 24. 113 Zu den ideologischen Auseinandersetzungen zwischen dem PUM und dem SL vgl. Wiener (1990): Guerra.

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Mitverantwortung der Linken für den Erfolg des Leuchtenden Pfads. 1983 beklagte Bernales: „El crecimiento de Sendero Luminoso y el espacio político que hoy ocupa y controla, es en parte responsabilidad también de la izquierda en su conjunto, al no haber realizado un eficaz deslinde ideológico y político, combatiendo la grave desviación del senderismo, desde el momento mismo en que hizo su aparición en el seno del movimiento universitario.“114

Für den Leuchtenden Pfad erwiesen sich die mangelnde politische Geschlossenheit der Linken sowie die offene Sympathie für einen bewaffneten Kampf einiger radikaler Gruppierungen als mehrfacher Vorteil. Zum einen gelang es ihm vor allem in der Transitionszeit und zu Beginn der 1980er-Jahre, kampfwillige und erfahrene Kader anderer Linksparteien für sich zu gewinnen. Zum anderen konnte er sich als die einzige Partei profilieren, die die Revolution nicht debattierte, sondern tatsächlich durchführte. Innerhalb eines zwar kleinen, aber hochideologisierten Kerns politischer Aktivisten wuchs seit dem Ende der 1970er-Jahre die Enttäuschung über die deutlich sichtbare Diskrepanz zwischen revolutionärem Anspruch und tatsächlichem politischem Handeln der eigenen Parteien. In seinem zitierten Vorwort hatte Ricardo Letts noch davon gesprochen, dass sein Aufruf zum bewaffneten Kampf als einziges Mittel des gesellschaftlichen Wandels keine „juegos de palabras“, sondern „síntesis muy realistas” seien, die durch die Geschichte bestätigt würden.115 In Anbetracht einer derartigen Rhetorik erschien vielen Mitgliedern die Teilnahme ihrer Parteien an den demokratischen Mechanismen wie ein Verrat an der eigenen Sache. In ihren Augen offerierte nunmehr allein der Leuchtende Pfad ein kohärentes und überzeugendes politisches Angebot, das Theorie und Praxis in Einklang brachte. Für all diejenigen Linksaktivisten, für die gesellschaftlicher Wandel nur gewaltsam erreichbar schien, war der Übertritt zum Leuchtenden Pfad die logische Konsequenz. Am Beispiel von Patria Roja beschreibt Ivan Hinojosa diesen Prozess: „Patria Raja’s influence and rhetoric, its reluctance to establish ties with other political forces, its maintenance of clandestine structures, its use of violent shock troops, and its boycott of the Constitutional Assembly of 1978-1979, suggested that Patria Roja was preparing to launch [...] an armed struggle in the near future. [...] There is no evidence, however, that Patria Roja´s intentions went beyond political rhetoric. In place of launching an insurrection Patria Roja opted to run in the 1980 elections. [...] What subsequently happened to Patria Roja is symptomatic. It succeeded too well at the polls to maintain such a radical discourse. Over the course of the decade various cadres would be elected 114 Zitiert nach Pásara (1988): Libanización, S. 36f. 115 Letts (1981): Izquierda, S. 7.

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as representatives to the congress, and as mayors, council members, and even presidents of regional governments. Unfortunately, it is still too soon to venture an analysis of the destiny of the most radical militants and supporters of UNIRPatria Roja in the 1980s, when the party leadership remained within the legal framework of democracy. It is revealing, however, that the two most significant fractions that split off from the party ended up either in Shining Path or carrying out actions in the name of Shining Path.“116 Wie Hinojosa weiter bemerkt, hatte der ehemals von der eigenen Linken belächelte Leuchtende Pfad zu Beginn der 1990er-Jahre die Vorherrschaft im Kreis derjenigen marxistischen Parteien übernommen, die noch in den Jahren zuvor selbst die Notwendigkeit eines bewaffneten Kampfes zur Abschaffung der Demokratie gefordert hatten: „Shining Path was seen by national leftist circles as a sort of poor provincial cousin of the extended family represented by Peruvian Maoist organizations. [...] This poor provincial cousin, previously scorned by its Communist relatives, arrived in Lima without asking anyone’s permission, burned down the house, and ended up with the family name.“117 Das Ende des Parteiensystems und der Siegeszug der Unabhängigen

Am Ende zweier enttäuschender Präsidentschaften wurde deutlich, dass die Parteien, die den Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie bewerkstelligt hatten, nicht mehr in der Lage waren, nachhaltige Lösungen für die zahlreichen Probleme des Landes aufzuzeigen. Interne Flügelkämpfe, Machtgerangel und Korruption ließen das Vertrauen der Wähler in die Parteien schwinden und hinderten diese an einer programmatischen und organisatorischen Neuaufstellung. Als Konsequenz geriet das Parteiensystem in eine ernste Krise, an deren Ende die politische Bedeutungslosigkeit der Parteien von 1978/80 stand. Die erste öffentlich wahrnehmbare Erschütterung des Parteiensystems ereignete sich im November 1989, als unabhängige Kandidaten und bisher nicht weiter in Erscheinung getretene Parteien bei den Kommunalwahlen knapp ein Drittel aller Stimmen auf sich vereinigen konnten. Besonders spektakulär war dabei der Triumph des bekannten Fernsehmoderators Ricardo Belmont, der als Kandidat der Wahlbewegung Obras zum Bürgermeister Limas gewählt worden war. Wie Martín Tanaka ausführt, überschnitten sich 1989 unterschiedliche Entwicklungen, die das neuartige Wahlphänomen verursachten. Zunächst zeigten sich die wichtigsten Parteien in einem desolaten Zustand: Während die APRA für 116 Hinojosa (1998): Relations, S. 72–73. 117 Ibid., S. 78.

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die sich immer weiter verschärfende Wirtschaftskrise verantwortlich zeichnete, dokumentierte die Auflösung der IU deren Unfähigkeit, einen wirkungsvollen Beitrag zur Lösung der aktuellen Krise beizusteuern. Das Rechtsbündnis FREDEMO hatte sich zwar als stärkste politische Kraft etablieren können, war jedoch intern gespalten und hatte mit Mario Vargas Llosa ohnehin selbst einen unabhängigen Kandidaten in den eigenen Reihen. Daneben erreichte der bewaffnete Konflikt einen neuen Höhepunkt, als der Leuchtende Pfad eine landesweite Offensive in Gang setzte, um die Novemberwahlen zu verhindern.118 Erschwerend kam die negative wirtschaftliche Entwicklung hinzu, die sich seit 1988 immer weiter zuspitzte und 1989 mit einer Inflationsrate von 2.775 Prozent einen erneuten Tiefpunkt erreichte.119 Neben der Verschlechterung der allgemeinen makroökonomischen Indikatoren verursachte die Wirtschaftskrise auch tief greifende Veränderungen innerhalb der Wählermilieus. Wie Maxwell Cameron feststellt, kam es zu einer graduellen Verschiebung des „politischen Gravitationszentrums“120 von der Mittelklasse hin zum informellen Sektor und den sozial schwachen Bevölkerungsgruppen, die immer größer wurden. Sowohl die Linke als auch die Rechte waren jedoch unfähig, auf die Veränderungen innerhalb der Wählerlandschaft zu reagieren und die eigene soziale Basis entsprechend zu modifizieren. In der Folge entstand ein politisches Vakuum, das von neuen, unabhängigen, politischen Akteuren gefüllt wurde: „The failure of centrist parties to govern effectively, and the inability or unwillingness of extremist parties to occupy the center of the ideological spectrum, left an emerging electorate without effective political representation. This electorate was characterized by unstable preferences and an unwillingness to define itself in terms of traditional political options. [...] The new electorate also sought to avoid polarization and political violence. This „independent“ electorate turned away from traditional parties and supported political „outsiders“ who shared both their profound disenchantment with political institutions and their desire for economic change“.121 Das Profil und die Anziehungskraft der neuen politischen Akteure beschreibt Nicolás Lynch: „Se trata de una personalidad alejada en sus orígenes de los partidos, con prestigio ganado en actividades ajenas de la política y con estructuras organizativas que hace y deshace en función de las circunstancias. Su objetivo suele estar más ligado a su persona que a un proyecto programático y se caracteriza por su insistente pragmatismo. Este independiente propone una relación 118 119 120 121

Vgl. Tanaka (1998): Espejismos, S. 170f. Vgl. Mauceri (1996): State, S. 69. Cameron (1994): Democracy, S. 186. Ibid., S. 187.

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„directa“ con la ciudadanía, por encima de as instituciones representativas [...] y al margen de las reglas de juego. La ciudadanía, por su parte, cansada de un régimen político poco eficaz pero formalmente basado en reglas prefiere cambiar la vigencia de tales reglas por su confianza en la capacidad personal del líder [...]. Para esta relación directa el independiente privilegia el uso de los medios de comunicación masiva, en especial la televisión, que para algunos sería el nuevo vehículo de agregación de intereses, cultivando con esmero una imagen cercana a la mayoría ciudadana. Este independiente, además, aparece siendo eficaz, es decir, brindando soluciones, no importa a que precio, que los partidos no habían sabido ofrecer“.122 Nach der ersten Erschütterung vom November 1989 erfolgte das eigentliche politische Erdbeben nur kurze Zeit später in Form des überraschenden Wahlsiegs von Alberto Fujimori mit seinem Cambio 90 bei den Präsidentschaftswahlen von 1990. Als Favorit dieses Wahlkampfes hatte bis in den März 1990 hinein Mario Vargas Llosa von dem FREDEMO gegolten, gefolgt von Luis Alvo Castro von der APRA und Alfonso Barrantes von der SI. Dagegen hatte Alberto Fujimori Anfang März erst die Ein-Prozent-Marke überwunden, er konnte seine Umfragewerte in den nächsten Wochen jedoch bis auf knapp 10 Prozent stetig verbessern.123 Zur Überraschung aller Beobachter zog Fujimori im ersten Wahlgang am 8. April an Barrantes und Alva Castro vorbei und sicherte sich mit 29,1 Prozent den zweiten Platz hinter Mario Vargas Llosa, der mit 32,6 Prozent zwar das beste Ergebnis erzielte, die absolute Mehrheit allerdings verfehlte. Der dadurch notwendig gewordene zweite Wahlgang am 10. Juni, der nur noch zwischen Vargas Llosa und Fujimori ausgetragen wurde, brachte Fujimori einen Erdrutschsieg: Mit 62,5 Prozent ließ er Vargas Llosa, der sein Ergebnis nur auf 37,5 Prozent hochschrauben konnte, weit abgeschlagen hinter sich.124 Die gängigsten Erklärungen für die überraschende Niederlage Vargas Llosas heben hervor, dass Vargas Llosas Bündnis mit der AP und dem PPC seinen Nimbus als unabhängiger Kandidat schwer beschädigte, dass die angekündig122 Lynch (2000): Política, S. 129f. 123 Tanaka (1998): Espejismos, S. 191. 124 Zahlen aus Tuesta Soldevilla (1995): Sistema, S. 106. Trotz seines überwältigenden persönlichen Siegs fiel die Erfolgsbilanz der Aprilwahlen für Fujimoris Bewegung zunächst zwiespältig aus. Denn die zeitgleich stattfindenden Senats- und Kongresswahlen hatten Cambio 90 lediglich 14 von 62 Sitzen im Senat und nur 32 von 180 Sitzen im Kongress beschert. Dagegen hatten die traditionellen Parteien noch einmal die deutliche Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen und die Mehrheit in beiden Kammern sichern können; vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 60f. Zur Beschaffung parlamentarischer Mehrheiten durch Cambio 90 vgl. Tanaka (1998): Espejismos, S. 210ff.

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ten Wirtschaftsmaßnahmen und deren von Vargas Llosa nicht verschwiegene Folgen zunehmend einschüchternd auf die Wählerschaft wirkten und dass schließlich eine ethnisch-kulturelle Komponente ins Spiel kam, sodass Vargas Llosa von der Mehrheit der Wähler ablehnend als Repräsentant der weißen, städtischen, elitären Oberschicht identifiziert wurde.125 Allerdings trugen auch andere Faktoren zum Sieg Fujimoris bei. So nahm z. B. Alan García Einfluss auf den Wahlkampf, um den Sieg seines parteiinternen Gegners Alva Castro zu verhindern. Hierfür stellte er zunächst Alfonso Barrantes seine eigenen politischen Berater Verfügung. Nachdem dessen Wahlchancen aber seit Jahresbeginn 1990 zunehmend sanken, begann García, mithilfe des Geheimdienstes den Wahlkampf von Alberto Fujimori zu unterstützen.126 Begünstigt wurde der Wahlausgang zudem durch das peruanische Wahlrecht, das – eine entsprechende Mobilisierung vorausgesetzt – dem zweitplatzierten Kandidaten des ersten Wahlganges die realistische Möglichkeit bot, sich im zweiten Wahlgang an die Spitze zu setzen.127 Schließlich machten Umfragen deutlich, dass Fujimori von seiner klaren Abgrenzung von den traditionellen Parteien des Landes profitierte.128 Diese Distanz spiegelte sich auch in dem organisatorischen und personellen Aufbau von Cambio 90, in dessen Reihen sich Kandidaten und Personen engagierten, die aus unterschiedlichen sozialen und politischen Kontexten stammten und die keinerlei Verbindung zu den klassischen Parteien besaßen. Folgt man Patricia Oliart, dann gelang es Fujimori dadurch, sowohl das Bedürfnis marginalisierter Bevölkerungsgruppen nach sozialer Anerkennung und Integration als auch die politischen Erwartungen der Mittelschicht zu befriedigen.129 Die Regierungszeit von Alberto Fujimori besiegelte das Ende des Parteiensystems von 1978/80. Gleichzeitig bedeutete sie aber auch das Wiedererstarken des Staates mit dem vorrangigen Ziel „to „rationalize“ the state administrative apparatus and strengthen the authority and effectiveness of the military and other state agencies“.130 Die Wiederherstellung des starken Staates umfasste nach Jo-Marie Burt drei Elemente. Die Wirtschaft sollte mithilfe eines radikalen Reformkurses stabilisiert werden. Den Staatsapparat galt es durch eine Straffung und Bündelung der Entscheidungsprozesse in den Händen der Exekutive und des Militärs zu stärken. Schließlich musste der bewaffnete Kampf des Leuchtenden Pfads eingedämmt und bekämpft werden.131 125 126 127 128 129 130 131

Vgl. Schmidt (1996): Victory, S. 328 und Oliart (1998): Fujimori, S. 412f. Vgl. Daeschner (1993): Guerra, S. 194–196. Vgl. Schmidt (1996): Victory, S. 330–337 und 347f. Vgl. Cameron (1997): Origins, S. 46. Vgl. Oliart (1998): Fujimori. Mauceri (1996): State, S. 79. Burt (2007): Violence, S. 160f.

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Die Stabilisierung des Staatsapparates beinhaltete vor allem die Stärkung der staatlichen Sicherheitskräfte.132 Zu den ersten Maßnahmen Fujimoris in diesem Bereich gehörten u. a. die Entfernung hochrangiger, aber vermeintlich illoyaler Offiziere von Polizei und Militär sowie die Ernennung eines Armeegenerals zum Innenminister.133 Im November 1991 erließ Fujimori zudem verschiedene Dekrete zur Neustrukturierung der Sicherheitspolitik.134 Beraten von dem ehemaligen Armeeoffizier und schillernden Anwalt und Geheimdienstmann Vladimiro Montesinos Torres, kam es unter Fujimori auch zu einem erheblichen Bedeutungszuwachs des nationalen Geheimdienstes Servicio Nacional de Inteligencia (SIN), der – ausgestattet mit mehr Kompetenzen – zunehmend als Instrument der politischen Kontrolle von Oppositionellen und Regimekritikern diente.135 Die Handlungsfreiheit des Militärs wurde durch Fujimori u. a. dadurch gestärkt, dass Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten der Armee unter die Zuständigkeit der Militärjustiz gestellt und daher faktisch nicht geahndet wurden. Eine Generalamnestie für sämtliche Militärangehörige sicherte diese Absicht 1995 auch legal ab.136 Nachdem der Kongress wesentliche Teile der im November 1991 von Fujimori vorgelegten Dekrete abgelehnt hatte, zeigte sich, dass der neue Präsident bereit war, sich aller Mittel zu bedienen, um seine Ziele dennoch zu erreichen. Am Abend des 5. April 1992 überraschte er die nationale und internationale Öffentlichkeit mit der Auflösung des Parlaments, der Suspendierung der Verfassung und der Ankündigung einer Restrukturierung des Justizwesens – parallel sicherten Militärkräfte die wichtigsten öffentlichen Gebäude und verhafteten hochrangige Politiker und Journalisten. Wie Jo-Marie Burt feststellt, leitete der autogolpe von 1992 die Rückkehr des Autoritarismus in Peru ein: „The reodering of power hat followed the 1992 coup installed an authoritarian regime. Though the legislature was restored later that year, both congress and the judiciary were routinely subjected to the intervention of the executive branch. Rather than a system of checks and balances [...] Peru’s postcoup political system lacked checks on the power of the executive branch and means to counter the interference of the executive in the legislature, the judiciary, or other nominally autonomous institutions“.137 Während die internationale Staatengemeinschaft 132 Für einen Überblick über die Entwicklung der zivil-militärischen Beziehungen in Peru im 20. Jahrhundert vgl. Kruijt (1991): Perú; McClintock (1998): Movements, S. 93–155 und Obando (1998): Relations. 133 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 59. 134 Für einen detaillierten Überblick über die Dekrete vgl. Vidal (1993): Decretos. 135 Mauceri (1996): State, S. 84f. 136 Vgl. Ibid., S. 141–145. 137 Burt (2007): Violence, S. 172.

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sowie die innenpolitische Opposition Fujimoris Staatsstreich umgehend verurteilten, stieß er innerhalb der Bevölkerung auf starken Rückhalt. Umfragen ergaben, dass bis zu 90 Prozent der Bevölkerung den Staatsstreich billigten und die Demokratie des Landes nicht gefährdet sahen.138 Wie Maxwell Cameron anmerkt, bedeutete die Absetzung des Kongresses für viele Peruaner lediglich eines: „For many, all Fujimori did by closing Congress was to take 240 bickering politicians off the government payroll“.139 Aufgrund des erheblichen internationalen Drucks kündigte Fujimori im Mai die Wahlen für einen Congreso Constituyente Democrático (CCD) am 22. November des gleichen Jahres an. Bis zur Wahl des CCD bzw. dessen Konstituierung im Januar 1993 regierte er mithilfe einer Reihe von Exekutivdekreten, mit denen er den organisatorischen und legalen Umbau der Sicherheitsapparate weiter vorantrieb.140 Von der Neuordnung der rechtlichen und organisatorischen Grundlagen des Anti-Terror-Kampfes erhofften sich vor allem die staatlichen Sicherheitskräfte den Durchbruch in ihrem Kampf gegen den Leuchtenden Pfad. Tatsächlich hatte der bewaffnete Konflikt seit dem Ende der 1980er-Jahre eine Dimension erreicht, in der der endgültige Kollaps des Staates und der Sieg der Aufständischen in Öffentlichkeit und Presse als realistische Option diskutiert wurden.141 Nachdem der Leuchtende Pfad Ende der 1980er-Jahre sein militärisch-strategisches Augenmerk zunehmend weg von den ländlichen Regionen hin auf die urbanen Zentren des Landes gelegt hatte, erreichte besonders der Kampf um die Hauptstadt Lima eine bisher unbekannte Eskalationsstufe. Allein zwischen April 1989 und Dezember 1992 ereigneten sich mehr als 900 Attacken, was gemäß der Wahrheitskommission fast der Hälfte aller in diesem Zeitraum landesweit verübten subversiven Aktionen entsprach.142 Im Jahr des autogolpe erschütterte zudem eine Serie schwerer Bombenanschläge und Attentate die Hauptstadt, sodass die dortigen Opferzahlen neue Höchststände erreichten.

138 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 71und Burt (2007): Violence, S. 169. 139 Cameron (1994): Democracy, S. 145. 140 Zu den Neuerungen gehörten u.a, die Absenkung der Strafmündigkeit bei Terrorismusvergehen von 18 auf 15 Jahren, die Möglichkeit, Zivilisten vor Militärtribunale zu stellen, die Einrichtung von Gerichtsverfahren, in denen die Richter anonym hinter einer Maske versteckt blieben („jueces sin rostro“), die Einführung eines Reuegesetzes für kapitulierende Aufständische sowie die Ausweitung der Kompetenzen der Armee in den Notstandsregionen, vgl. Vidal (1993): Decretos. 141 Vgl. Peralta Ruiz (2000): Sendero, S. 131–227. 142 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 73.

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Die Modifikationen der Sicherheitsgesetze betrafen in einem wichtigen Punkt auch die seit 1988 immer weiter expandierenden rondas campesinas.143 Hierbei handelte es sich um bewaffnete Schutzverbände bäuerlicher Gemeinden, deren Anzahl vor allem seit Ende der 1980er-Jahre landesweit zunahm und die sich wirksam dem Eindringen und dem Machtanspruch des Leuchtenden Pfads entgegenstellten und erheblich zu dessen Niederlage in den Hochlandregionen beitrugen. Nach Ansicht von Alberto Fujimori mussten die rondas noch stärker in den Kampf gegen den Leuchtenden Pfad miteinbezogen werden, um diesen in allen Departements, auf allen Ebenen und mit allen Mitteln effektiv bekämpfen zu können. Für diesen Zweck erließ er Ende 1991 das Dekret 741, mit dem die rondas nunmehr als sogenannte comités de autodefensa (CAD) staatlich sanktioniert wurden. Dies war von besonderer Bedeutung, da die CAD jetzt auch offiziell und systematisch durch die staatlichen Sicherheitskräfte bewaffnet und unter deren Kommando gestellt wurden.144 Nach Angaben des peruanischen Verteidigungsministeriums existierten im Mai 1994 insgesamt 5.783 anerkannte CAD, in denen 400.360 Bauern organisiert waren und die über 15.390 vom Staat überreichte Gewehre verfügten.145 Für das Ende des Leuchtenden Pfads zeichneten jedoch weder die rondas noch das Militär verantwortlich. Stattdessen gelang es einer Polizeieinheit der Dirección Nacional contra el Terrorismo (DINCOTE), dem Grupo Especial de Inteligencia (GEIN), den entscheidenden Schlag gegen den Leuchtenden Pfad auszuführen. Es gleicht einer Ironie der Geschichte, dass der GEIN noch im letzten Jahr der García-Regierung gegründet worden war und sein Erfolg auf klassischer Polizeiarbeit in Form akribischer und lang andauernder Ermittlungen beruhte.146 Schon bald nach der Einrichtung des GEIN stellten sich erste wichtige Erfolge im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad ein. So gelang es der Polizei seit 1990, mehrere Verstecke und Zufluchtsorte der Organisation zu 143 Zum Folgenden vgl. Tapia (1997): Fuerzas, S. 55–77 und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 288–304. Zum wachsenden bäuerlichen Widerstand gegen den SL und zur Etablierung der rondas campesinas in den verschiedenen Departaments Perus vgl. Berg (1992): Responses; Isbell (1992): Shining Path; Coronel (1996): Violencia; Degregori (1996): Tempestades; del Pino (1996): Tiempos; Starn (1996): Senderos und Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 106–108. 144 Bereits in den Jahren zuvor hatten die Sicherheitskräfte verschiedene Bauernverbände bewaffnet, allerdings wurde dies nunmehr systematisiert und legal abgesichert. Die Aufrüstung der CAD sorgte allerdings sowohl in der Politik als auch in den Reihen der Militärs für Unmut, befürchtete man doch die Militarisierung der Gesellschaft bzw. den Aufbau militärischer Parallelstrukturen, die nur sehr schwierig zu kontrollieren waren. 145 Vgl. Tapia (1997): Fuerzas, S. 73f., Fußnote 37. 146 Zur Entstehung und Entwicklung des GEIN vgl. Jiménez Bacca (2000): Inicio, Bd. 2, S. 705–770.

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enttarnen, wertvolle Dokumentenarchive der Partei zu beschlagnahmen und hochrangige Führungskader zu verhaften. Am 12. September 1992 erreichte die Polizeiarbeit mit der Verhaftung Abimael Guzmáns in dem bürgerlichen Stadtteil Monterrico in Lima ihren Höhepunkt. Im Nachgang an diese Verhaftung schossen die Sympathiewerte des von der Aktion selbst überraschten Alberto Fujimori nach oben und der Präsident deutete den Fahndungserfolg als Konsequenz seiner Sicherheitspolitik.147 Die Festnahme Guzmáns kam für den Leuchtenden Pfad einer organisatorischen, politischen und militärischen Katastrophe gleich, die die Moral und den Kampfeswillen der Partei erschütterte und schließlich zum Zusammenbruch bzw. zur Spaltung der Organisation führte. Bereits wenige Tage nach seiner Verhaftung formulierte Guzmán einen Aufruf an seine Anhänger, in dem er deutlich machte, dass der bewaffnete Kampf zu beenden und stattdessen ein Friedensabkommen mit der Regierung zu beschließen sei: „Nuevos, complejos y muy serios problemas han surgido en la política mundial, en la situación del país y en la guerra que en él se desenvuelve, cuestiones todas que plantean fundamentales problemas de dirección al Partido Comunista del Perú, sin embargo, es precisamente en la dirección donde el Partido ha recibido el más duro golpe [...] en esencia, la guerra popular es cuestión de dirección política. La cuestión de dirección es decisiva y ella en nuestro caso no podrá ser resuelta en buen tiempo. En consecuencia, los hechos muestran que la perspectiva de la guerra popular no sería el desarrollo sino simplemente su mantenimiento. Por lo anteriormente dicho, en las actuales circunstancias al Partido, y principalmente a su dirección, se le presenta hoy una nueva y gran decisión; y como ayer bregamos por iniciar la guerra popular, hoy con una nueva e igual firmeza y resolución debemos luchar por un Acuerdo de Paz, como necesidad histórica insoslayable, el cual demanda con igual necesidad suspender las acciones de la guerra popular, salvo de las de defensa, con el correlato de que el Estado suspenderá las suyas.“148

Somit ging Alberto Fujimori als Sieger und vermeintlicher Friedensbringer aus dem militärischen Konflikt hervor. 1993 sicherte er seine Macht mit einer vom CCD neu ausgearbeiteten Verfassung ab und beendete damit zugleich das politische System von 1978/80.149 147 Vgl. Burt (2007): Violence, S. 174f. Noch im September durchgeführte Umfragen ergaben allerdings, dass nur ein geringer Teil der Befragten die Verhaftung Guzmáns auf die Sicherheitspolitik der Regierung zurückführte; vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 75. Auch in Teilen der nationalen Presse wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen dem autgolpe und der Verhaftung Guzmáns bestritten; vgl. Caretes (1992d): Paradojas, S. 27. 148 Zitiert nach Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 86f. 149 Die neue Verfassung wurde im Oktober 1993 durch ein Referendum mit 52 Prozent der Stimmen angenommen.

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Staatszerfall

Die verheerende wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes entzog dem Staat wichtige ökonomische und administrative Ressourcen, sodass er zunehmend handlungsunfähig wurde. Philip Mauceri stellt fest: „The administrative capacity of the state declined and the ability to provide social services or support for the key social sectors was also curtailed.“150 Cynthia McClintock macht diesen Prozess am Beispiel des öffentlichen Gesundheitssystems deutlich:151 Während etwa zwischen 1970 und 1987 die jährlichen staatlichen Ausgaben für das Gesundheitssystem circa 1 Prozent des peruanischen BIP entsprachen, sanken sie mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Probleme zwischen 1987 und 1990 auf nur noch 0,1 Prozent des BIP ab. In der Folge reduzierten sich die ohnehin nur schwachen öffentlichen Gesundheitsleistungen drastisch. Nach Schätzungen verfügten am Ende der 1980er-Jahre 40 Prozent der Bewohner Limas und 75 Prozent der Landbevölkerung über keinen Zugang zu sauberem Wasser oder Abwasseranlagen. Die Schere zwischen der Hauptstadt und den restlichen Landesteilen klaffte auch in anderen Bereichen stark auseinander: So waren etwa 1985 gut zwei Drittel aller Ärzte in Lima niedergelassen, wo sich im gleichen Jahr auch mehr als die Hälfte aller Krankenhausbetten befand. Impfungen und Vorsorgemaßnahmen lagen weit unter dem Niveau der Nachbarländer und Peru wies in diesem Vergleich auch die höchste Kindersterblichkeit und die niedrigste Lebenserwartung auf. Die eklatante Schwäche des peruanischen Gesundheitssystems wurde 1991 mit dem Ausbruch einer Choleraepidemie auch der internationalen Öffentlichkeit deutlich. Obwohl die Epidemie auch auf andere Länder übergriff, wurden drei Viertel aller Erkrankungen in Peru diagnostiziert. Das öffentliche Gesundheitswesen blieb allerdings nicht der einzige Bereich, an dem sich die geringe Leistungsfähigkeit staatlichen Handelns offenbarte. JoMarie Burt verweist darauf, dass im Schatten der militärischen Auseinandersetzung mit dem Leuchtenden Pfad auch die Fähigkeit des Staates, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, zunehmend erodierte.152 Ein 1989 veröffentlichter Senatsbericht, der sich auf Daten der Guardia Civil stützte, stellte eine Verfünffachung der Kriminalität zwischen 1963 und 1988 fest – wobei die Entwicklung in den urbanen Zentren dramatischer als in den ländlichen Regionen verlief.153 150 Burt (2007): Violence, S. 49. 151 Zum Folgenden, falls nicht anders gekennzeichnet, vgl. McClintock (1998): Movements, S. 189–199. Vgl. zu den staatlichen Ausgaben im Gesundheitssektor auch Glewwe und Hall (1994): Poverty. 152 Burt (2007): Violence, S. 44–51. 153 Vgl. Ibid., S. 44.

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Der ansteigenden Kriminalität konnten die staatlichen Polizeikräfte – Guardia Civil, Guardia Republicana und Policía de Investigación Peruana – nur wenig entgegensetzen. Der staatliche Ressourcenmangel führte dazu, dass die Sicherheitskräfte dauerhaft unterbewaffnet und unterbezahlt blieben und auch nur über eine eingeschränkte materielle Ausstattung verfügten. Die Lähmung des Sicherheitsapparates wurde durch institutionelle und individuelle Kompetenzstreitigkeiten und Missgunst zwischen den unterschiedlichen Polizeieinheiten zusätzlich verschärft.154 Angesichts der ansteigenden Kriminalität und des sich mit den Jahren zuspitzenden militärischen Konflikts weichte das staatliche Gewaltmonopol zunehmend auf. Um sich vor der Delinquenz und den Aktionen des Leuchtenden Pfads zu schützen, nahmen Unternehmen und wohlhabende Bürger immer häufiger den Dienst privater Sicherheitskräfte in Anspruch, die Wohnsiedlungen, Industriekomplexe, Banken und Geschäfte mit Posten und Patrouillen sicherten. Auch formierten sich in sozial schwächeren Distrikten und Gemeinden nachbarschaftliche Schutzverbände, die die mangelnde Polizeipräsenz vor allem in der Nacht zu kompensieren suchten und die immer wieder auch mit Fällen von Lynch-Jusitz auf sich aufmerksam machten.155 Wie das Beispiel der rondas campesinas zeigte, war der peruanische Staat im Rahmen der Aufstandsbekämpfung allerdings auch freiwillig bereit, sein Gewaltmonopol aufzubrechen. Neben dem Leuchtenden Pfad, privaten Sicherheitsfirmen und bäuerlichen Schutzverbänden betraten in den 1980er-Jahren zusätzliche Gewaltakteure die Bühne, die das staatliche Gewaltmonopol weiter unterminierten. Die wichtigste dieser Gruppen war der Movimiento Revolucionario Túpac Amaru (MRTA), der – bereits 1982 gegründet – erstmals im Januar 1984 öffentlich in Erscheinung trat.156 Der MRTA, dessen Namensgeber 1780 einen erfolglosen Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft unternommen hatte, sah sich in der Tradition der peruanischen Guerilla der 1960er-Jahre und zeigte sich in seinen marxistischen Leitlinien weniger dogmatisch als der Leuchtende Pfad.157 In seinen Anfangsjahren war der MRTA in erster Linie ein urbanes Phänomen, das zunächst für Anschläge, Ermordungen und andere 154 Diese Rivalitäten entluden sich in manchen Fällen sogar gewalttätig; vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 100f. 155 Vgl. Burt (2007): Violence, S. 47–50. 156 Der Forschungsstand zum MRTA ist bis heute nur sehr schwach; für einen ersten Überblick vgl. Jiménez Bacca (2000): Inicio, Bd. 2, S. 827–940. Für einen Einblick aus Sicht des Gründers des MRTA vgl. Polay (2007): Banquillo. Zum Folgenden, falls nicht anders gekennzeichnet, vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd.  2, S. 254–288. 157 Zu den Differenzen zwischen SL und MRTA vgl. Jiménez Bacca (2000): Inicio, Bd. 2, S. 943–945.

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Aktionen gegen staatliche Sicherheitskräfte und ausländische Repräsentanten verantwortlich zeichnete. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre erweiterte die Organisation ihren Aktionsradius in das Hochland und in die Dschungelgebiete und wandte zugleich immer mehr Gewalt gegen die Bevölkerung und vermeintliche Verräter in den eigenen Reihen an. Zu Beginn der 1990er-Jahre führte ein interner Richtungsstreit zu einer Austrittswelle verschiedener Führungspersönlichkeiten samt Kampfgruppen, die die Kohäsion sowie die landesweite Präsenz des MRTA schwächte. Fahndungserfolge der Sicherheitskräfte, denen es 1992 und 1993 gelang, fast das gesamte Zentralkomitee zu verhaften, destabilisierten den MRTA weiter. Am 17. Dezember 1996 erlebte die internationale Öffentlichkeit das letzte Aufbäumen des MRTA, als ein Kommando unter der Führung von Néstor Cerpa Cartolini die Residenz des japanischen Botschafters besetzte, in der an diesem Abend etwa 600 Personen einem Festakt beiwohnten. Nach 126 Tagen stürmten Spezialkräfte der peruanischen Armee am 22. April 1997 das Gebäude, befreiten die verbliebenen 72 Geiseln und exekutierten die Geiselnehmer. In den Jahren seines Kampfes erreichte der MRTA zu keinem Zeitpunkt eine dominante politische und militärische Relevanz auf nationaler Ebene. Zwar etablierte er sich als ernst zu nehmender Akteur auf der politischen Bühne, dennoch blieb die Organisation relativ profil- und machtlos eingeengt zwischen der legalen Linken auf der einen und dem Leuchtenden Pfad auf der anderen Seite. Neben dem MRTA operierten auch verschiedene paramilitärische Gruppen, wie etwa der Grupo Colina und der Comando Rodrigo Franco. Der 1991 gegründete Grupo Colina (GC) war laut Wahrheitskommission ein „destacamento orgánico y funcional ubicado durante el gobierno de Fujimori en la estructura del Ejército en la medida en que utilizaba los recursos humanos y logísticos de la Dirección de Inteligencia del Ejército […], del Servicio de Inteligencia del Ejército […] y del Servicio de Inteligencia Nacional“158. Bei dem GC handelte es sich also um ein in die offiziellen Strukturen von Militär und Geheimdienst integriertes Kommando, das bis 1994 geheime Infiltrations-, Entführungs- und Exekutionsoperationen gegen vermeintlich subversive Organisationen und Personen durchführte. Im Laufe ihrer Existenz verantwortete die Gruppe massive Menschrechtsverletzungen und erhebliche Verstöße gegen die geltende Rechtsordnung. Zu den berüchtigtsten Aktionen des Kommandos gehörten das Massaker von Barrios Altos, bei dem 15 Teilnehmer eines Nachbarschaftsfestes im November 1991 erschossen wurden, sowie die Ermordung neun Studierender 158 Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 100. Falls nicht anders gekennzeichnet, vgl. zum Folgenden Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 100–117.

Politische Entwicklungen

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und eines Professors der Universität La Cantuta im Juli 1992.159 Die Befehlskette des Grupo Colina ging weit über die Führungsspitze des peruanischen Militärs hinaus und reichte bis in den Präsidentenpalast hinein. Die Schlüsselrolle spielte dabei der Sicherheitsberater des Präsidenten, Vladimiro Montesinos Torres, der als heimlicher Chef des nationalen Geheimdienstes galt.160 Im April 2009 befand ein peruanisches Gericht auch Alberto Fujimori persönlich der geistigen Urheberschaft der Aktionen in der Cantuta und in Barrios Altos für schuldig und verurteilte ihn zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe. Bereits während der Regierungszeit von Alan García hatte mit dem Comando Rodrigro Franco (CRF) eine andere paramilitärische Einheit existiert, die mit Deckung und Unterstützung staatlicher Stellen aktiv war. Benannt nach dem vom Leuchtenden Pfad 1987 ermordeten APRA-Funktionär Rodrigo Franco Montes161, ging das Kommando Mitte der 1980er-Jahre aus einer für die Sicherheit der Parteifunktionäre zuständigen Gruppe innerhalb der APRA hervor.162 Zwischen 1985 und 1990 ermordete das CRF verschiedene Personen, die es der Mitgliedschaft oder Unterstützung des Leuchtenden Pfads bezichtigte. Die Führung des CRF besaß nach allem Anschein der Innenminister Agustín Mantilla Campos, weshalb das Kommando auch die logistische und personelle Unterstützung der Polizei erhielt. Die Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols und die daraus resultierende Eskalation des bewaffneten Konfliktes beschleunigten den institutionellen Zerfall des peruanischen Staates deutlich. Zu den dramatischsten Zeichen dieser Entwicklung gehörte hierbei der zunehmende Rückzug der ohnehin schwachen Staatsgewalt aus den Regionen, die von dem bewaffneten Konflikt am stärksten betroffen waren. In Departements wie etwa Junín, Lima, Ayacucho, Huánuco, Apurímac, Ancash oder Huancavelica kam es vor allem in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zu einem massiven Rückzug bzw. zu zahlreichen Ermordungen von Bürgermeistern, Präfekten, Stadt- und Gemeinderäten und anderen Repräsentanten des Staates. Einen Höhepunkt erreichte dieser Prozess 1989, als landesweit rund 500 Provinz- und Distriktbürgermeister ermordet wurden, was etwa einem Drittel aller während des Gesamtkonflikts getöteten Bürgermeister

159 Zum Vorfall in Barrios Altos vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 7, S. 330–343; zur Ermordung der Angehörigen von La Cantuta vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 7, S. 425–433. 160 Zur Person Montesinos und seinem Zugang zu Fujimori vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 56f. und S. 65f. sowie Daeschner (1993): Guerra. 161 Zur Ermordung Francos vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 7, S. 181–188. 162 Zum Comando Rodrigo Franco vgl. Ibid., Bd. 7, S. 139–150.

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entspricht.163 Im gleichen Jahr traten im Vorfeld der im November stattfindenden Gemeindewahlen weitere 576 Amtsträger von ihren Ämtern zurück. Darüber hinaus standen in zahlreichen Wahldistrikten gar keine Kandidaten für die zu vergebenden Ämter zur Verfügung.164 Insgesamt, so die Wahrheitskommission, bildeten die „autoridades y dirigentes locales“ nach den Bauern die zweitgrößte Opferkategorie des Konflikts.165 Der Zerfall der peruanischen Staatlichkeit schlug sich auch in verschiedenen Umfragen nieder, deren Ergebnisse den dramatischen Ansehensverlust des politischen Systems des Landes dokumentierten. So zählten Befragte bereits Mitte der 1980er den Kongress zu den fünf funktionsuntüchtigsten Institutionen des Landes.166 Nur wenige Jahre später gaben 85 Prozent der Peruaner an, nur ein geringes oder gar kein Vertrauen in den Kongress zu besitzen.167 Einen ähnlichen Vertrauensverlust erlebte auch die Justiz. Im Dezember 1985 bewerteten lediglich 8,3 Prozent der von dem Meinungsforschungsinstitut DATUM Befragten die Arbeit des Justizapparates mit „gut“.168 Den Parteien sprachen 1989 lediglich 17 Prozent der Peruaner ihr Vertrauen aus – lediglich das Sozialversicherungssystem des Landes besaß einen noch schlechteren Ruf.169 Im gleichen Jahr erklärten 60 Prozent der Befragten in einer Umfrage, dass sie der Polizei misstrauten, und 43 Prozent berichteten, bei dem Anblick eines Polizisten Angst und nicht etwa Sicherheit zu verspüren.170

163 164 165 166 167 168 169 170

Vgl. Ibid., Bd. 2, S. 50. Vgl. Ibid., Bd. 2, S. 50f. Vgl. Ibid., Anexo 4, S. 28. Vgl. Pásara (1988): Libanización, S. 27. Vgl. Lynch (2000): Política, S. 126f. Vgl. Pásara (1988): Libanización, S. 31. Schmidt (1996): Victory, S. 325. Burt (2007): Violence, S. 46.

3. Die oranisatorischen Leistungen des Leuchtenden Pfads Um sich erfolgreich von einem regionalen, studentischen Lese- und Exkursionskreis geringer Größe hin zu einer hierarchisch komplex gegliederten, landesweit militärisch operierenden Guerillaorganisation entwickeln zu können, musste der Leuchtende Pfad in der Lage sein, kontinuierlich ein ausreichendes Bündel unterschiedlicher Ressourcen zu mobilisieren. Unabdingbar waren dabei vor allem drei Ressourcen: Menschen, Geld und Waffen. Erst die Rekrutierung einer ausreichenden Anzahl aktiver Unterstützer und kampfbereiter Mitglieder ermöglichte die militärische Umsetzung eines sozioökonomischen Systemwandels. Um den Kampf jedoch dauerhaft mit Aussicht auf Erfolg führen zu können, waren außerdem ein ausreichender Finanzzufluss und naturgemäß eine geeignete Bewaffnung notwendig. Wie das nachfolgende Kapitel aufzuzeigen versucht, verfolgte der Leuchtende Pfad die Mobilisierung der drei genannten Ressourcen mit unterschiedlicher Intensität und mit wechselndem Erfolg: Während er sich von Anfang an intensiv und erfolgreich bemühte, ausreichend Unterstützer und Mitglieder für sich zu gewinnen, gestaltete sich der Aufbau einer soliden und breiten finanziellen Basis trotz regen Engagements im Drogenhandel außerordentlich schwierig. Als Folge der nur knappen Finanzdecke war die Organisation auch nicht in der Lage, moderne Waffensysteme auf dem internationalen Waffenschwarzmarkt zu erwerben, sondern musste sich darauf beschränken, ihre militärische Ausrüstung entweder bei Gefechten mit den staatlichen Sicherheitskräften oder bei Raubzügen in den mit reichlich Sprengstoff ausgestatteten Minen des Hochlandes zu erbeuten. Insgesamt gelang es dem Leuchtenden Pfad nicht, Personal, Geld und Bewaffnung in einem ausgewogenen Verhältnis zu mobilisieren, sodass er ebenso wenig in der Lage war, eine in allen Regionen des Landes verwurzelte und dem Gegner ebenbürtige politisch-militärische Präsenz aufzubauen.

3.1 Rekrutierung Grundsätze der Rekrutierung

An die Rekrutierung neuer Mitglieder stellte die Spitze des Leuchtenden Pfads schon seit den Anfangsjahren höchste Ansprüche und Bedingungen. Wie in Kapitel 4 noch genauer gezeigt wird, gehörte die Überzeugung, eine Elitepartei zu sein, in der allein die Leistungsfähigsten und Überzeugtesten einen Platz

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Die organisatorischen Leistungen des Leuchtenden Pfads

hatten, zu den zentralen ideellen Säulen der Organisation. Dementsprechend galten für die Rekrutierung neuer Mitglieder strenge Grundsätze, sodass die Aufnahme in die Partei in der Regel erst nach einem rigorosen Auswahlprozess erfolgte, in dem die einzelnen Kandidaten ihr Talent sowie ihre unbedingte Verpflichtung zur Organisation unter Beweis zu stellen hatten. Bis in die zweite Hälfte der 1980er-Jahre scheint der diesbezügliche Parteianspruch auch mit der Rekrutierungswirklichkeit in Einklang gestanden zu haben. Spätestens seit Ende der 1980er kam es jedoch offensichtlich zu einer deutlichen Aufweichung der Auslesekriterien, sodass zunehmend Mitglieder aufgenommen wurden, die nach dem Urteil verschiedener Führer mittlerer und höherer Ränge nur unzureichend qualifiziert waren. Die Überzeugung, politische Heimat nur weniger, ausgesuchter Kader zu sein, wurde von Abimael Guzmán schon in den frühen Existenzjahren des Leuchtenden Pfads zu einem unverrückbaren Dogma erhoben, das sich in seiner praktischen Umsetzung vor allem im Rekrutierungsprozess manifestierte. Bereits in einem Dokument des Comité Regional J.C. Mariátegui aus dem Jahr 1971 hieß es mit einer in die Zukunft verweisenden Rigorosität: „el Partido necesita militantes a semejanza de Mariátegui: “pensantes” y “operantes”. Capaces de tomar la posición del Partido, de orientarse y hallar soluciones a los problemas de la revolución; capaces de cumplir tareas y de realizar trabajos por más duros que sean. “Seguros” y “útiles”; capaces de serle fieles y de guardar sus secretos, incluso a costa de su propia vida; capaces de ganar para el Partido y la revolución a capas cada vez más amplias de la población. Tales militantes deben estar dotados de máximo espíritu de sacrificio. Dispuestos a trabajar en el lugar donde el Partido y la revolución los necesite, dispuestos a colocar en segundo plano los intereses personales; decididos a servir de todo corazón al pueblo y a colocar los intereses del Partido encima de todo. Por eso la selección y la depuración de militantes, a través de la lucha de clases, debe ser estricta y rigurosa. Debemos exigir un alto grado de conciencia política y sentido de organización y disciplina. La selección y depuración de los militantes se irá cumpliendo a través de la fijación de tareas, teóricas y prácticas, y el estricto cumplimiento de los mismos.”1

Ein knappes Jahrzehnt später ermahnte ein weiteres Parteidokument, bei der Auswahl der Mitglieder nur die in die engere Wahl zu nehmen, die ein Höchstmaß an Engagement vorweisen konnten:

1

DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (05/1971): IV. Pleno Comité Regional J.C. Mariátegui.

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„Es necesario que no todos pueden ingresar al Partido; las masas están compuestas de elementos activos, intermedios e indiferentes; es necesario promover a los elementos activos a la categoría de militantes revolucionarios.“2

1990 schließlich wurden in einem weiteren Parteibericht erneut höchste Ansprüche formuliert, die Mitglieder und Führer der Organisation zur erfüllen hätten: „forjar cuadros políticos, militares, organizadores, teóricos que manejen el marxismo, apuntar a especialización, especializarse por ejemplo en el manejo de la economía, en relaciones internacionales, diplomacia, propaganda, cuadros que escriban, etc.“3

Angesichts eines derart elitären Selbstverständnisses überrascht es nicht, dass die Partei nur über eine sehr kleine Mitgliederzahl verfügte. Nach Angaben der Wahrheitskommission gehörten dem Leuchtenden Pfad zu Beginn des bewaffneten Kampfes etwa 520 Mitglieder und nicht näher spezifizierte „simpatizantes más cercanos“ an.4 Bis 1990 stieg die Zahl der Mitglieder auf mindestens 2.626 Mitglieder an, wie aus beschlagnahmten Computerdaten Abimael Guzmáns hervorgeht.5 Auf Grundlage neu zugänglicher Datensätze aus dem Jahr 1991 lässt sich feststellen, dass es bis zum Januar desselben Jahres einen erneuten Mitgliederzuwachs auf nunmehr 3.454 Mitglieder gab, die auf insgesamt 613 Parteizellen aufgeteilt waren. Wie aus Tabelle Nr. 3 hervorgeht, operierte sowohl die Mehrheit der Zellen (53,7 Prozent) als auch der Mitglieder (68,5 Prozent) im wichtigsten Regionalkomitee, dem Comité Regional Principal, das sich aus den Zonenkomitees Cangallo Farjado, Ayacucho, Huancavelica und Apurimac zusammensetzte. Danach folgte das Regionalkomitee des Huallagatals sowie die Hauptstadt Lima, wo das Comité Metropolitano und Socorro Popular aktiv waren.

2

3 4 5

DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (ohne Datum): La Organización regional de Lima del Partdio Comunista Peruano, la lucha interna el deslinde de posiciones con el oportunismo de derecha disfrazado de izquierda y la reconstrucción del C.R.L. en torno a la tarea central. DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (1990): Sobre el balance de la aplicación de la primera campaña del plan de impulsar el desarrollo de las bases de apoyo! Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 23; vgl. auch Tapia (1997): Fuerzas, S. 114. Vgl. Tapia (1997): Fuerzas, S. 116 und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 131.

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Tabelle Nr. 3: Anzahl der Parteimitglieder (25. März bis Januar 1991) Comités 

1. CZ CANG./F 2. CZ AYAC. 3. CZ HLCA 4. CZ APUR CRP 5. CRC 6. CR HLIGA 7. CRN 8. CRS 9. CM * 10. CSPP 11. CZ NM 12. CZ SM 13. LTC 14. Iquitos Total

Primera Red  Células Miitantes

Segunda Red Céluas Militantes

Totales  Células Militantes

26

130

28

32

34

162

261 4 3 294 52,5 % 4 206 4 2 18 18 2 2 8 2 560

2006 12 14 2162 69 % 16 631 12 7 107 107 7 7 80 6 3142

20 5 2 35 63,6 % 2 5 5 1 1 1 2 2 1 55

150 15 7 204 65,3 % 18 15 15 9 9 9 9 3 18 3 312

281 9 5 329 53,7 % 6 211 9 3 19 19 4 1 10 3 613

2156 27 21 2366 68,5 % 34 646 27 16 116 116 16 10 98 9 3454

Quelle: Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (1991) Partido II. Campaña de impulsar. El Desarrollo de las Bases. Wie aus dem Parteidokument hervorgeht, sind die Daten des Comité Regional Huallaga unvollständig; aufgrund mangelnder Daten ist daneben die Anzahl der Zellen und Mitglieder des Comité Metropolitano mit denen von Socorro Popular gleichgesetzt worden; schließlich fehlen bei den Angaben des Comité Regional Centro die Daten von zwei Zonenkomitees.

Wie Jeremy Weinstein feststellt, war die Aufnahme in den Leuchtenden Pfad kein einfaches Unterfangen. Weinstein identifiziert drei Mechanismen, die sicherstellen sollten, dass nur die Kandidaten aufgenommen wurden, die die höchste Einsatzbereitschaft zeigten. Zum einen mussten bereits aktive Mitglieder für Neuzugänge bürgen, zum anderen hatten sich Neumitglieder einer Phase intensiver ideologischer Indoktrinierung zu unterziehen. Schließlich konnte die Mitgliedschaft nur erworben werden, wenn ein mehrstufiger Prozess erfolgreich durchlaufen war, in dem die Kandidaten nur langsam von einer Hierarchiestufe zur nächsten aufsteigen konnten.6 Grundsätzlich kann Wein6

Vgl. Weinstein (2007): Rebellion, S. 117-119.

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stein zugestimmt werden. Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung des Rekrutierungsprozesses, dass die genannten Mechanismen in der Realität nicht unabhängig voneinander wirkten, sondern häufig auf recht komplexe Art und Weise ineinandergriffen und durch weitere Kontrollelemente erleichtert bzw. verschärft wurden. Insgesamt wurden die Rekrutierungsmechanismen so anspruchsvoll gestaltet, dass der Rekrutierungsprozess nach Ansicht einiger Beobachter bis zu drei Jahre dauern konnte.7 Wie sich anhand verschiedener Aussagen ableiten lässt, scheint die Rekrutierung eines signifikanten Teils der Mitglieder zunächst durch bereits existierende soziale Netzwerke (z. B. enge Angehörige, Freunde, Bekannte, Studienfreunde oder Arbeitskollegen) angestoßen und erleichtert worden zu sein. In diesem Geflecht persönlicher und verwandtschaftlicher Verhältnisse konnten Ziele, Ideologie und Programmatik des Leuchtenden Pfads zwanglos, vor allem aber informell diskutiert und verbreitetet, außerdem konnte ein erster Eindruck von der Ernsthaftigkeit des jeweiligen Aufnahmekandidaten gewonnen werden. Damit erfüllten soziale Netzwerke eine wichtige Brückenfunktion zwischen den Aspiranten auf der einen und dem Leuchtenden Pfad auf der anderen Seite. Ein gutes Beispiel für die besondere Bedeutung sozialer Netzwerke zeigt sich bei einem Blick auf die Zusammensetzung der obersten Parteiführer. Seit seiner Ankunft in Ayacucho und dem Beginn seiner politischen Aktivitäten in den 1960er-Jahren hatte Abimael Guzmán seine engsten politischen Mitstreiter gezielt ausgesucht und dabei ein feines Netz persönlicher Freundschaften gesponnen. Teil dieses Geflechts waren u. a. mehrere, zum Teil miteinander verwandte Familien, die bereits in den 1970er-Jahren von Außenstehenden als „heilige Familien“8 bezeichnet worden waren und aus denen in den Folgejahren eine ganze Reihe prominenter Parteiführer hervorgingen. Die Familien Mortote und Durand nahmen dabei eine herausgehobene Stellung ein. Aus der wohlhabenden und eingesessenen Mestizenfamilie Morote stammte z. B. der bis zu seiner Verhaftung 1988 als Nummer zwei des Leuchtenden Pfads geltende Osmán Morote Barrionuevo, alias Kamerad „Nicolás“ oder „Remigio“, der Sohn des ehemaligen Rektors der Universidad Nacional de San Cristóbal de Huamanga (UNSCH) in Ayacucho und Guzmán-Mentors Efraín Morote war.9 Osmán Morote war verheiratet mit Teresa Durand Auraujo, die ihrerseits Cousine von 7 8 9

Vgl. McCormick (1990): Path, S. 12. Starn (1995): Maoism, S. 404; vgl. auch Poole und Rénique (1992): Peru, S. 43. Vgl. Harding (1987): Rise, S. 189; Caretas (1988a): Lazos, S. 34; Caretas (1988d): Morote; Tarazona-Sevillano (1990): Sendero, S. 70f.; McClintock (1998): Movements, S. 263 und Rénique (2003): Voluntad, S. 92f.

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Oscar Alberto Ramírez Durand, alias Kamerad „Feliciano“, war, der nach der Gefangennahme Guzmáns zu dessen Nachfolger aufstieg. Feliciano stammte zwar wie Guzmán aus Arequipa, besaß in Ayacucho aber Familienangehörige. Vermutlich waren es seine Cousins Teresa, Alejandro und Maximiliano Durand Araujo – alle drei Mitglieder des Leuchtenden Pfads –, die ihm den Zugang zum Leuchtenden Pfad ermöglichten.10 Die Verquickung zwischen den Familien Morote/Durand und dem Leuchtenden Pfad wird schließlich auch anhand der Aussage von Elena Osmán Durand, der Tochter Osmán Morotes, gegenüber der Wahrheitskommission illustriert. In ihr benennt Elena Morote Durand neben ihren Eltern elf weitere Verwandte, von denen zehn dem Leuchtenden Pfad angehörten oder ihn unterstützten.11 Derartige Familien- und Freundschaftsnetze lassen sich allerdings nicht allein innerhalb des Führungszirkels der Partei entdecken, sondern auch auf den unteren Hierarchieebenen. Zahlreiche Aussagen und biografische Daten zeigen, dass häufig auch einfache Parteimitglieder schon vor der eigenen Aufnahme in die Partei Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen oder Kommilitonen besaßen, die ihrerseits bereits Mitglieder des Leuchtende Pfads waren. So stellt Lewis Taylor denn auch fest, dass „recruitment was effected by close relatives or friends. Brothers or sisters would enrol their siblings and cousins, children their mothers or fathers and vice versa, so that extended senderista families developed in town and country.“12 Nicht selten waren Kader auch miteinander verheiratet oder lebten als Paare zusammen. Engste verwandtschaftliche Beziehungen lassen sich für eine Reihe von Parteimitgliedern dokumentieren. Eine 1992 verhaftete senderista sagte z. B. aus, dass sowohl ihr Bruder als auch ihr Ehemann, den sie als Student an der Universität San Marcos kennengelernt hatte, aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft verhaftet und ermordet worden waren.13 Weitere ähnliche Beispiele finden sich in den Unterlagen der Wahrheitskommission.14 Doch auch wenn soziale Netzwerke die Rekrutierung erleichtern konnten, reichten diese Verbindungen allein nicht aus, um vollwertiges Mitglied des Leuchtenden Pfads zu werden. Ein Parteidokument von 1985, das den Zustand der eigenen Mitgliedschaft analysierte, gibt einen guten Überblick über die unterschiedlichen Bedingungen, die für eine Mitgliedschaft erfüllt sein mussten: 10 11 12 13 14

Vgl. Caretas (1988a): Lazos und McClintock (1998): Movements, S. 264. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700082. Taylor (2006): Shining Path, S. 180; Hervorhebung im Original. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700086. Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700046; Testimonio 700049; Testimonio 700057; Testimonio 700061 und Testimonio 700097.

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„se presenta carta que debe ser claramente explicada, plantear quién es y datos que especifiquen su edad, estudios, trabajo, procendencia de sus padres, su participación en la lucha de clases. Cómo ve al Partdio y claramente su petición de incorporación. Una petición de incorporación debe estar avaluada por 2 militantes que puedan garantizar por él y el Comité que lo admite debe estudiar seriamente esa petición y el Comité debe comprobar las cosas; luego se entra en condición de premilitante que en la actualidad es de 6 meses para campesinos pobres y también para obreros, para otros es 1 año, pero también hay que ser flexibles. […] luego esta dirección es la que debe emitir una decisión de aceptación o no; la Dirección Central sólo ve las reincorporaciones. Al ingresar en las células deben hacer una promesa.“15

Den Beginn des offiziellen Aufnahmeverfahrens markierte diesem Dokument zufolge ein Schreiben des Kandidaten, in dem dieser detaillierte persönliche und familiäre Angaben sowie seinen Willen zum Parteieintritt zu dokumentieren hatte. Dieses Aufnahmebegehren musste von zwei Mitgliedern unterstützt bzw. verbürgt werden. Nach einer positiven Prüfung durch die Spitze des jeweiligen Zonen- oder Regionalkomitees begann für den Kandidaten mit der pre-militancia eine Probezeit, die zwischen sechs und zwölf Monate andauern konnte. Der Kandidat wurde nach einer abschließenden positiven Prüfung durch die Komiteespitze schließlich zum Mitglied ernannt, nicht ohne jedoch vorher eine schriftliche Erklärung, eine sogenannte promesa, abgeben zu müssen. In diesem „Versprechen“ verpflichtete sich das Neumitglied dazu, sich bedingungslos der Parteiführung zu unterwerfen, und es erklärte gleichzeitig seine Bereitschaft, für die Partei das eigene Leben zu geben: „Ante Marx, Lenin y el Presidente Mao Tsetung; ante el Presidente Gonzalo, jefe del Partido y de la revolución, y ante el Partido Comunista del Perú: Yo, .........; desde hoy: ................. Prometo consciente, voluntaria y solemnemente guiarme siempre por el marxismoleninismo-maoísmo, pensamiento gonzalo; Prometo aplicar con firmeza y resolución el Programa, la línea política general y la política del Partido, sujetándome tenazmente a la dirección partidaria; Prometo combatir indoblegablemente por el desarrollo de la guerra popular para conquistar el Poder en todo el país y constituir la República del Perú; Prometo bregar incansablemente por la construcción del socialismo y el comunismo en toda la faz de la Tierra, sirviendo así a la revolución peruana y a la revolución proletaria mundial.

15 DINCOTE, DH-SL, o. Nr. PCP-SL (11/1985): Informe sobre la construcción y el trabajo de masas del Partido en la guerra popular.

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Este solemne compromiso lo asumo al incorporarme al Partido Comunista del Perú como comunista, como militante de filas del proletariado internacional, como combatiente de la causa inmarcesible del comunismo y de las invictas banderas de Marx, Lenin y el Presidente Mao Tsetung. Compromiso que asumo cumplir con todas mis energías y mi propia vida.“16

Noch unbeantwortet blieb in dem Dokument von 1985 allerdings die Frage, auf welche Weise die Mitgliedskandidaten die für die Aufnahme in die Partei notwendige positive Bewertung durch die Funktionäre erreichen konnten. Hier nun griffen die von Weinstein identifizierten Mechanismen zwei und drei ineinander: Indoktrinierung und Aktion. Es liegt auf der Hand, dass der Leuchtende Pfad ein starkes Interesse daran haben musste, die Öffentlichkeit im Allgemeinen sowie seine zukünftigen Kader im Besonderen mit seinen politischen und ideologischen Grundsätzen vertraut zu machen und sie davon dauerhaft zu überzeugen. Das wohl wichtigste Instrument für diesen Zweck waren die sogenannten Volksschulen, die escuelas populares. Bereits seit den 1970er-Jahren wurden sie im Hochland, im Amazonasbecken und an der Küste überall dort klandestin realisiert, wo der Leuchtende Pfad aktiv war. Auf Feldern, in Scheunen, auf Marktplätzen, in Klassenzimmern, in Seminarräumen, in Fabrikhallen, auf Hinterhöfen oder in konspirativen Wohnungen versammelte die Partei kleine Gruppen potenzieller Kandidaten – aber auch Teile der Bevölkerung – und hielt mithilfe erfahrener Parteikader ihren politisch-ideologischen Unterricht ab. Da es sich bei den escuelas populares um eine mobile, flexibel organisierbare Unterrichtsform handelte, ist ihr Wirkungskreis nicht zu unterschätzen. Parteiinternen Statistiken zufolge wurden z. B. allein zwischen März 1990 und Januar 1991 im gesamten Land 2.470 Volksschulen realisiert, an denen 16.957 Personen teilnahmen.17 Unterstellt man, dass zumindest ein Teil dieses Personenkreises als Multiplikatoren der Ideen und Zielsetzungen der Partei fungierte, lässt sich erahnen, welchen Radius die Partei abzudecken in der Lage war.18 Verstärkt wurde dieser Effekt dadurch, dass die Volksschulen auch so organisiert werden konnten, 16 DINCOTE, DH-SL-0383, PCP-SL (1992): Promesa. 17 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (1991): Masas organizadas II. Campaña de impulsar. 18 Die Frage, auf vieviel Unterstützung sich der Leuchtende Pfad innerhalb der Bevölkerung stützen konnte, kann nicht genau beantwortet werden. Schätzungen gehen von 50 000 bis 100 000 Personen aus, wobei unklar bleibt, ob es sich hier um aktive Unterstützer, Sympathisanten oder tatsächliche Parteimitglieder handelt; vgl. McClintock (1998): Movements, S. 75. Auf Grundlage verschiedener Umfragen schätzt McClintock den landesweiten Anteil innerhalb der Gesamtbevölkerung, der den Leuchtenden Pfad grundsätzlich unterstützte, für das Jahr 1991 auf 15 Prozent; vgl. McClintock (1998): Movements, S. 78.

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dass sie gezielt verschiedene Berufsgruppen oder soziale Gruppen ansprachen. Wie etwa aus einem undatierten Bericht der in Lima operierenden Parteieinheit Socorro Popular hervorgeht, wurden in der Hauptstadt klientelspezifische escuelas populares durchgeführt: Von 314 Volksschulen, an denen insgesamt 1.438 Personen teilnahmen, waren u. a. 30 eigens für Arbeiterinnen, zwei für Bauern, 33 für Arbeiter, 16 für Straßenverkäufer, 100 für Intellektuelle, vier für Schüler und zwölf für Anwälte organisiert worden.19 Parallel zur Indoktrinierung in den Volksschulen galt es für angehende Mitglieder und Sympathisanten, ihre Verpflichtungsbereitschaft durch die Teilnahme an verschiedenen Aktionen der Partei zu untermauern. Zum Einstieg wurden die Kandidaten in der Regel mit Aktionen betraut, bei denen sich das persönliche Risiko in Grenzen hielt. Hierzu gehörten die Teilnahme an Demonstrationen, die Blockade von Straßen und Transitwegen, das Anfertigen von Wandmalereien oder die Übernahme von Botengängen. Wurden diese Aufgaben zur Zufriedenheit der zukünftigen Vorgesetzten erfüllt, konnte die Übertragung risikoreicher Aufgaben erfolgen, die von bewaffneten Überfällen bis zu Mordanschlägen reichten. Die Aussage eines ehemaligen Parteimitglieds, das mit 18 Jahren erstmalig an einer escuela popular teilnahm, verdeutlicht, wie theoretische Indoktrinierung und praktisches Engagement beim Rekrutierungsprozess Hand in Hand gingen: „así que asistí a una Escuela Popular en el año 1980, recordando que fue en el Gimnasio de la UNI [Universidad Nacional de Ingeniería, SCW], […] esto significa el analizar de los problemas sociales, políticos, económicos, militares del país y del mundo, estas Escuelas Populares estaban constituidos por unas diez personas, pero luego se bajó a cinco ya con el continuar de las asistencias a estas Escuelas, se iba profundizando con los temas que se trataban, hablándose de la toma del Poder por el pueblo, de la necesidad de la Lucha Armada, y que el único camino era ese, y que para ello era necesario ya no de iniciar (por que ya había iniciado) sino de desarrollar la Lucha Armada, haciendo acciones cada vez más altas y la clave para hacerlos era la sujeción ciega a la dirección, es decir al pensamiento guía, que durante este periodo los que nos encontrábamos en un plan de adoctrinamiento no participábamos de tareas de importancia, solamente de tareas mínimas como son volanteos, aportar económicamente, y los más avanzaditos efectuaban como “campaña” durante las pintas, luego de haber concurrido a unas 25 Escuelas Populares y haber sido evaluado en forma positiva la dirigencia vio en mi que tenía aptitudes de mando y de responsabilidad. Me conectan con “Laura” y a partir de ese momento ya todo cambia, es lo que ella llama “Un Salto de Calidad”, por que nuestro desarrollo a un punto en el que nos encontramos aptos 19 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (Ohne Datum): Apuntes y notas sobre los informes y exposiciones de los comités a la III. Sesión Plenaria del Comité Central.

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para la ejecución de tareas de mayor envergadura, ella nos decía que son tareas más altas por que para la ejecución de estas se requiere de „Audacia“, “Heroísmo Revolucionario” y “Sujeción ciega más alta”, cumpliendo las areas que por más delicadas nos encomiende la organización.“20

Nach erfolgreicher Aufnahme in den Leuchtenden Pfad standen den Mitgliedern grundsätzlich alle Möglichkeiten einer internen Parteikarriere offen. Tatsächlich jedoch waren die Führungspositionen nur den wenigsten vorbehalten, während die große Mehrheit der Mitglieder stets weisungsgebunden blieb und die ihr übertragenen Aufgaben erfüllte, ohne dabei über einen eigenen Entscheidungsspielraum zu verfügen. Dieser Umstand hatte seinen formellen wie inhaltlichen Ausdruck in der innerparteilichen Unterscheidung zwischen militantes, cuadros und dirigentes. Während der Begriff des militante prinzipiell (und ausschließlich) vollwertige Parteimitglieder bezeichnete, wurden erfahrene, ideologisch und militärisch erprobte sowie mit bestimmten Entscheidungs- und Befehlsbefugnissen ausgestattete Mitglieder als cuadros bezeichnet. Dirigentes schließlich waren die Führungspersonen, die größere Partei- oder Militäreinheiten anführten sowie hohe und höchste Parteiämter besetzten. Anlässlich eines Treffens der Parteispitze mit den Anführern des Comité Metropolitano im Mai 1989 hob die Parteiführung diese Unterscheidung noch einmal hervor: „Entiéndase qué es un militante: es un miembro del partido […]. Cuadros: son los militantes con experiencia, tienen manejo de la línea, de la política, de la cuestión orgánica, sabe manejar a los militantes, los conoce. Dirigente: por función asume el encabezar un organismo o una parte de él […] ser dirigente requiere salto cualitativo definido.“21

Eine Studie des peruanischen Militärs kommt darüber hinaus zu dem aufschlussreichen Ergebnis, dass die innerparteiliche Karriere in erheblichem Maße von dem Bildungsgrad des jeweiligen Mitglieds abhing. Danach übernahmen die Parteimitglieder mit dem geringsten Bildungsgrad überwiegend Unterstützungsfunktionen oder aber fungierten als Militärführer, während hingegen diejenigen Mitglieder, die über einen Universitätsabschluss verfügten, das Gros der politischen Anführer stellten.22 Die sorgfältige Auswahl neuer Kader entwickelte sich seit Beginn des bewaffneten Kampfes zu einem wichtigen Vorteil des Leuchtenden Pfads gegenüber den staatlichen Sicherheitskräften, garantierte sie doch ein Höchstmaß an 20 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. B: Testimonio de Juán Vázquez (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert) 21 DINCOTE, DH-SL-0329, PCP-SL (05/1989): Reunión con el Comité Metropolitano. 22 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 380.

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Kontrolle und Kohäsion. So waren die Sicherheitskräfte denn auch zu keinem Zeitpunkt in der Lage, den Leuchtenden Pfad wirksam mit eigenen Agenten zu infiltrieren und von innen heraus zu bekämpfen. Dennoch lassen verschiedene Parteidokumente darauf schließen, dass sich die Rekrutierungspraxis in der zweiten Hälfe der 1980er-Jahre gegenüber der der Vorjahre verschlechtert hatte. Der Grund hierfür ist vermutlich in der sich seit 1988 verschlechternden militärischen Lage der Partei zu sehen, die sie u. a. dazu zwang, eroberte Gemeinden aufzugeben, was eine Verknappung der Rekrutierungsmöglichkeiten bedeuetete. 1989 forderte die Parteiführung, die Rekrutierung in Lima zu verbessern, da ihrer Meinung nach zu viele „personas de diversos criterios” in die Partei aufgenommen würden.23 In einem Bericht des Comité Sur Medio vom Mai 1992 wurde eine deutliche Qualitätssteigerung bei der Auswahl zukünftiger Führungskräfte angemahnt.24 Vermutlich im gleichen Jahr warf die Parteispitze in einem anderen Dokument dem Comité Metropolitano erneut vor, Mitgliedskandidaten nicht ausreichend zu überprüfen und so einer möglichen Infiltration der eigenen Reihen Vorschub zu leisten.25 In der Region Ayacucho klagten Parteiführer über unqualifizierten Nachwuchs, der vor allem durch seine überzogene Gewaltanwendung auffiel.26 Ein für die Logistik des Komitees Socorro Popular zuständiger senderista höheren Ranges beschrieb schließlich gegenüber der Wahrheitskommission eine signifikante Eintrittswelle unqualifizierten Personals seit 1988, das selbst hohe Parteiposten besetzte: „En 88, 89 y 90 ingresa gente sin preparación, llega un momento que la dirección de Socorro Popular llega a tener como cuadros gente inepta. […] comienza a sumir responsabilidad gente con poca preparación. En 88, 89 y 90 empieza entrar gente sin preparación. Mucha gente sin la caldidad que debían para ser un mando. Por eso en 91, 92 ya hay gente, ya iban a ser cuadros sin tener preparación.“27

Die mangelnde Qualität neuer Kader vor allem aber der Aktivisten und Unterstützer war Folge des nunmehr stetig kleiner werdenden Rekrutierungspools: Zunehmend wurden immer mehr Personen zwangsrekrutiert, die somit auch nicht den langwierigen Auswahlprozess durchlaufen hatten, der auch als Qualitätskontrolle fungierte.28 23 DINCOTE, DH-SL-0326, PCP-SL (04/1989): Notas sobre la reunión con el Comité Regional Huallaga. 24 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (7. Mai 1992): Informe del Comité Sur Medio. 25 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo 127, PCP-SL (ohne Datum): Informe. Bajo la guía del congreso, reorganizando el Comité Metropolitano! 26 Vgl. Taylor (2006): Shining Path, S. 182. 27 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700067. 28 Zur Zwangsrekrtierung vgl. del Pino (1998): Family, S. 171ff.

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Motivation und Altersstruktur der Senderistas „La escasez de alimentos de primera necesidad y el descontento general por el alza del costo de vida, ha creado un ambiente favorable para la realización de actos subversivos.“29

Dieses Zitat aus einem Bericht der Guardia Civil aus dem Jahr 1986 veranschaulicht, dass Beobachter bei der Ursachenforschung über den Aufstieg des Leuchtenden Pfads den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Landes eine bedeutende Rolle zuwiesen. Diese Sichtweise deckte sich mit der des Leuchtenden Pfads, der die ökonomischen Probleme der Bevölkerung ebenfalls als einen fruchtbaren Nährboden für die Revolution identifizierte. So hieß es in einem in Lima 1986 zirkulierenden Flugblatt: „Pueblo de Lima! Desenmascara y combate a este gobierno aprista más hambreador, más genocida y demagogo, que te hunde en el hambre y la miseria, no hay papa, no hay pollo porque lo exporta para pagar la deuda exterior.“30

Beide Dokumente postulieren eine herausragende Bedeutung der (widrigen) wirtschaftlichen Verhältnisse für den Aufstieg des Leuchtenden Pfads und die individuelle Motivation, den bewaffneten Kampf der Organisation aktiv zu unterstützen. Aber deckten sich die Einschätzungen von Guardia Civil und Leuchtendem Pfad tatsächlich mit den Begründungs- und Motivationsmustern der einzelnen senderistas? Wurde der Kampf des Leuchtenden Pfads tatsächlich allein von den Wogen wirtschaftlicher Unzufriedenheit getragen? Zur Beantwortung dieser Fragen erscheint es sinnvoll, die Mitglieder des Leuchtenden Pfads zu Wort kommen zu lassen. In ihrer Vergleichsstudie über den salvadorianischen Frente Farabundo Martí de Liberación Nacional und den Leuchtenden Pfad, mit der sie auf Grundlage von 33 durchgeführten Interviews die damals kompakteste Darstellung konkreter Beitrittsgründe liefert, kommt Cynthia McClintock zu dem Ergebnis, dass es die ökonomische Krise Perus war, die den revolutionären Funken entzündete.31 Tatsächlich ergeben die Ergebnisse der Befragungen trotz der sozialen Heterogenität der Interviewten den einheitlichen Eindruck, dass in erster Linie die sozioökonomische Misere des Landes den Beitritt zum Leuchtenden Pfad auslöste. McClintock fasst daher zusammen: „The guerrillas bemoan the hunger, malnutrition, and generally abject conditions of living and dying in Peru,

29 IEP-CGG, Guardia Civil (16. Februar 1986), Nota de Información Nr. 123-P. 30 IEP-CGG, PCP-SL (1986), Flugblatt ohne Titel. 31 McClintock (1998): Movements, S. 287.

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and they also contend that the Peruvian government is responsible for these conditions.“32 Die Umfrageergebnisse McClintocks werden durch zahlreiche neueste Aussagen der von der peruanischen Wahrheitskommission befragten inhaftierten senderistas zweifelsfrei bestätigt. Auch in ihren Antworten beschreiben die Befragten die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes sowie ihre Bereitschaft, ihren persönlichen Beitrag zur Veränderung der politischen und sozialen Lage zu leisten. So stellte eine senderista ihre Sichtweise der ökonomischen Realität des Landes dar: „toda persona, todo ser humano […] tiene derecho a vivir, al menos a llenar la olla en el día en su casa y cuanta gente vive sin llenar su olla siquiera de la necesidad y todos tenemos derecho a reclamar eso, incluso el derecho a rebelarse contra un gobierno en este caso contra el gobierno explotador que no te da trabajo, que no le importas como parte de esa sociedad entonces como se ve la gente, se ve así, se ve marginada, se ve soslayada.“33

Eine dem Leuchtenden Pfad angehörende Krankenpflegerin und Frau eines Arztes nannte ihre Gründe, sich der Erhebung anzuschießen: „He visto morir niños por una diarrea porque no podían darle ninguna pastilla, mujeres que murieron porque no tenían una atención adecuada en el parto.“34

Eine weitere Befragte, deren Vater zu den acht Journalisten gehörte, die am 26. Januar 1983 in Uchuraccay ermordet worden waren35, beschrieb in einem Brief an die Wahrheitskommission die Entwicklung ihres eigenen politischen Bewusstseins, an deren Ende sie von der Legitimität eines bewaffneten Kampfes überzeugt war: „Yo viví en Ayacucho desde que nací en el año 73 y desde que tengo uso de razón comprendí la realidad en que vivimos, pese a que sólo tenía 5 o 6 años me daba cuenta y era sensible a ese dolor; en casa no se sentía mucho la carencia económica, pero sí sabía que había pobres y ricos y que algunos nada más podían tener y otros no, fuí creciendo y mi conciencia y mi sentir se inclinaba hacia los más pobres, […] así comprendí que la guerra no se produjo por un gusto, porque a algunos les vino en gana; sino fue por la miseria, pobreza, hambre que vivía el pueblo. Es así que muchas personas sintiendo por los de abajo vieron la necesidad de transformar la sociedad a 32 33 34 35

Ibid., S. 273. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700058. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700083. Am 26. Januar 1983 wurden acht Journalisten von den Einwohnern des Hochlanddorfes Uchuraccay ermordet, da sie von diesen für senderistas gehalten worden waren. Für eine genaue Darstellung der Ereignisse vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 89–104.

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través de una guerra interna; ¿acaso rebelarse era irse en contra de la ley? Claro que no, pues en la Constitución del 79 bien claro señala que tenemos derecho a la insurgencia, al levantamiento.“36

Ein vergleichbarer Prozess zunehmender Sensibilisierung für die wirtschaftliche und soziale Notlage weiter Teile der Bevölkerung, der in der Rechtfertigung eines militärischen Kampfes mündete, lässt sich auch aus einer Stellungnahme von Margot Lourdes Liendo Gil herauslesen, die als Mitglied des Zentralkomitees der Partei dem obersten Führungszirkel angehörte: „soy militante y con honor del Partido Comunista del Perú, soy combatiente revolucionaria dirigida por un partido y su jefatura, que quise y quiero la transformación, el cambio; quiero que no haya hambre, que no haya opresión ni explotación, donde los niños tengan para comer, donde el hombre se pueda encaminar y tener una vida digna; donde hombres y mujeres podamos desarrollarnos y vivir en una nueva sociedad. Vine de Tacna a estudiar Sociología en Lima, fui sintiendo esa pobreza en las barriadas de Lima, compartiendo muchos momentos con la masas, el pueblo pobre en los arenales y chozas de Lima, porque en esos momentos en las ciudades del sur sí había pobreza porque en todo nuestro país hay hambre, pobreza, explotación y opresión, porque hay clases y los de abajo no tienen la posibilidad de vivir como pueden vivir los de arriba. El estudiar Sociología también me llevo al trabajo de campo y trasladarme a él, donde estaba el campesinado que vive y muere en la tierra, pero no dispone de la tierra que trabaja y no puede disfrutar de lo que trabaja, tiene que arar bajo el látigo del explotador o del gamonal. Fui cambiando mi convicción y fui entendiendo cada vez más la historia de nuestro país a nivel internacional; que hay cambios y los cambios los hace el hombre y se hacen con una ideología y cada uno va armando su mente con lo que es nuevo y yo sí abrace el marxismo, leninismo, maoísmo, pensamiento Gonzalo y fui transformando mi alma y mi mente con los de abajo. El incorporarme a la guerra lo sentí así y lo hice voluntaria y concientemente, no me obligaron; creo que en la piel y el corazón de cada uno de nosotros se va sintiendo esa necesidad, porque el hombre se realiza cuando sus valores y sentimientos son plasmados con una realidad y yo quise y quiero esa realidad, que no haya hambre, explotación, opresión; que todos tengamos una nueva sociedad, un reino como nos enseñan los grandes marxistas Marx, Lenin, presidente Mao y presidente Gonzalo donde todos podamos gozar de ese reino de la libertad.“37

Die Überzeugung, dass die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen eine bewaffnete Reaktion rechtfertigten, war durchaus verbreitet. In einem Interview der Zeitschrift Caretas aus dem Jahr 1982 mit einem wegen Terrorismus verhafteten Lehrer heißt es:

36 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700092. 37 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Octogésima Quinta Sesión (06.10.2006).

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„Bien, en torno a esto daría en todo caso mi opinión: el hecho concreto es que existen problemas que todo el mundo los reconoce, el hambre, la miseria, que cada vez se agudiza más. Y esta situación, necesariamente, genera una reacción en el pueblo. El pueblo frente a tantas promesas, y tantas frustaciones comienza asumir su papel, a levantarse en armas. Comienza a hacer acciones armadas, como las que estamos viendo.“38

Wie aus verschiedenen Ausführungen von Mitgliedern des Leuchtenden Pfads herauszulesen ist, wurde die wirtschaftliche Situation des Landes aber nicht allein in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren, sondern zu allen Zeiten als schlecht und ungerecht empfunden. So beschrieb z.B. ein Befragter die Folgen der Inflation in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre: „Desde 1985 hasta 1986 hay una mayor opresión con el gobierno de Alan García, mucho recuerdo que mis padres siempre estilaban dejar las ganancias del pollo en su colchón, hasta que un día en 1988, vino el paquetazo terrible, vi a mis padres, que estaban juntando un capital para modernizarnos, todo quedó allí y se redujo enormamente.“39

Und über die wirtschaftlichen Folgen der Machtübernahme Alberto Fujimoris findet sich in der schriftlichen Stellungnahme einer 1976 geborenen senderista folgende Beschreibung: „En el año 1990 la tienda quebró, producto del shock de Fujimori, la ciris se acrecentaba cada vez más, expresión de la profunda pobreza que el país vivía, el poder adquisitivo bajó a niveles dramáticos, la gente no podía comprar nada, y se morían de hambre, lloraban al ver que el dinero no les alcanzaba.“40

Wenngleich sich vermuten lässt, dass weite Teile der Mitglieder des Leuchtenden Pfads aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Lage oder der des Landes der Organisation beigetreten waren, wird dieser Antrieb innerhalb der Forschung in erster Linie für den Teil der senderistas unterstrichen, der über einen Studienabschluss verfügte, mindestens aber höhere Bildungseinrichtungen besucht hatte. Eine anerkannte Interpretation ist dabei die Annahme, dass die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse Perus den erhofften sozialen Aufstieg der Studenten und Lehrer verhinderten, sodass diese sich um ihre Zukunftschancen gebracht sahen und somit empfänglich für die Botschaft des Leuchtenden Pfads waren.41 Zwischen 1960 und 1980 hatte Peru einen dramatischen Anstieg der Studentenzahlen erlebt, der jedoch seit Beginn der 1980er-Jahre mit einer überdurchschnittlich hohen Akademiker-Arbeits38 Caretas (1982b): Sendero, S. 29f. 39 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700110. Die Eltern des Befragten besaßen eine Geflügelhandlung. 40 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700098. 41 Vgl. Ansión, del Castillo, Piqueras und Zegarra (1992): Escuela, S. 92–94.

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losigkeit kollidierte.42 Somit lagen denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Studentengeneration vor, die zu großen Teilen aus den armen Regionen des Hochlands stammte und deren Vertreter häufig als erste ihrer jeweiligen Familie einen höheren Bildungsabschluss erreicht hatten. Ton de Wit und Vera Gianotten stellen fest: „Many Students came from poor peasant families and hoped that, once graduated teachers, they can move beyond the social and economic situation of their parents. However, the only job that turns out to be available, and badly paid at that, is schoolteacher, often in the very village they came from. Thus they must go back to the same poverty from which they had hoped to escape by means of their university education.“43 Als Lehrer im Schuldienst, so dieselben Autoren an anderer Stelle, wuchs die Frustration noch weiter: „The people´s war […] became for the teachers who worked in the countryside the only genuine solution for Peruvian Society. The deep frustration of blocked aspirations and a future perspective without any hope of improvement, led to a growing militancy among the teachers.“44 Die Plausibilität dieser Annahmen wird durch die Schilderung eines verhafteten Lehrers und Mitglieds des Leuchtenden Pfads unterstrichen, dessen wirtschaftliche Lage sich nach den Finanzreformen des Präsidenten Alberto Fujimori deutlich verschlechtert hatte: „Buscaba trabajo, no conseguía o sea fue una situación dramática. Este a fines del 90 para el 91 yo [...] decido reincorporarme, yo ya estaba harto, tenía para esa fecha 25 años y yo decía tanto he estudiado, tengo una carrera, tengo trabajo [...] y no puedo salir adelante, menoscababa mi produción. [...] Yo decido buscarme e incorporarme de apoyo, conocí a los maestros que estaban allí apoyando y [...] me incorporo.“45

Vor einem derartigen Hintergrund, in dem nicht nur die allgemeine, sondern auch die individuelle wirtschaftliche Situation als existenzbedrohend erfahren wurde, konnte sich die Rollenbesetzung zwischen Staat und Leuchtendem Pfad verkehren, sodass aus dem Ersten der Aggressor und aus dem Letzten der Verteidiger sozialer Gerechtigkeit wurde: „Asi que el país se encontraba en una crisis aguda y hoy es mucho más, y no pueden decir o difamar a personas que alzaron en armas en contra del gobierno, del Estado, que sean terroristas o que sean causales de 25,000 muertos que han generado destrucción pues, ha habido bases materiales, caso eso es terror el reclamar derechos justos o exigir mejores condiciones de vida ese término no va pues acorde con la causa que les movió a emprender una lucha contra el sistema de gobierno que había, no asumía para

42 43 44 45

Vgl. McClintock (1998): Movements, S. 186. de Wit und Gianotten (1992): Failures, S. 51. Gianotten, de Wit und de Wit (1985): Impact, S. 191. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700314.

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nada sus funciones frente a las diversas necesidades del pueblo de los tantos millones de peruanos, ellos son luchadores sociales.“46

Bei genauerer Betrachtung lässt sich erkennen, dass die Gleichsetzung des Leuchtenden Pfads mit Kämpfern für soziale Gerechtigkeit der Partei eine Sonderrolle zukommen ließ, die sie eindeutig aus der Menge der politischen Akteure heraushob. Offensichtlich, so die implizite Aussage eines derartigen Vergleichs, war allein der Leuchtende Pfad willens und in der Lage, eine gesellschaftliche Transformation zu erreichen, in dem er der Partizipation am parlamentarisch-demokratischen Diskurs den Beginn des bewaffneten Kampfes entgegenstellte. Wie weiter unten zu sehen sein wird, war eine solche Logik besonders bei den Parteimitgliedern ausgeprägt, die vor ihrem Beitritt zunächst bei anderen Linksparteien aktiv gewesen waren. Aus verschiedenen Gründen erscheint eine solche Sichtweise von Bedeutung: Zum einen war sie deckungsgleich mit dem Selbstverständnis des Leuchtenden Pfads, das offensichtlich mit Erfolg weitervermittelt wurde. Zum anderen macht sie deutlich, welche Bedeutung einer Organisation zukommt. Damit ist gemeint, dass die individuelle Unzufriedenheit potenzieller Parteikader erfolgreich durch den Leuchtenden Pfad aufgegriffen werden konnte, da er seinen politischen Gegnern von der extremen Linken nicht nur organisatorisch und ideologisch überlegen war, sondern auch im Gegensatz zu diesen den bewaffneten Kampf nicht nur postulierte, sondern ihn tatsächlich auch begann. Hätte es den Leuchtenden Pfad nicht gegeben, so die Konsequenz einer solchen Interpretation, wären die Unzufriedenen wohl keiner anderen politischen Organisation beigetreten oder aber nur solchen, die den militärischen Konflikt nicht suchten. Unzufriedenheit mit der persönlichen und allgemeinen wirtschaftlichen Situation allein, so die These, reichte in Peru also nicht aus, um einen bewaffneten Konflikt zu beginnen. Insofern greift McClintocks Interpretation der Interviewaussagen zu kurz. Stattdessen wird deutlich, dass es neben wirtschaftlichen Erwägungen zusätzlich einer Organisation bedurfte, die diese Unzufriedenheit politisch-ideologisch zu kanalisieren und sie um eine organisatorisch-militärische Dimension zu erweitern wusste. So stellt Carlos Iván Degregori denn auch fest:„SL no sólo ofrece una explicación intelectual sino una organización que acoge a esos jóvenes y les otorga identidad.“47 Besonders anschaulich wird dieser Nexus in der Aussage einer 1986 verhafteten Studentin:

46 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700095. 47 Degregori (1990a): Surgimiento, S. 187; Hervorhebungen im Original.

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„En esas circunstancias [crisis económica y personal, SCW] yo conozco el Partido Comunista del Perú y me organizo, me organizo y bueno empiezo a tener una militancia dentro de la organización.“48

Und eine weitere Studentin aus Lima äußerte sich ähnlich: „algunas veces pude escuchar integrantes del Partido Comunista del Perú, yo les conocía como Sendero Luminoso […] cuando ellos hablaban también nos decían que nosotros podíamos organizarnos, si queríamos organizarnos para luchar contra todo aquello que era injusto.“49

Beeindruckt von der Organisationsfähigkeit des Leuchtenden Pfads, die klar im Gegsatz zur „realidad peruana siempre descrita como infeciente y burocrática“50 zu sein schien, erklärte ein Mitglied: „Todo era bien organizado.“51

Angesichts der weiter oben dargestellten Bedeutung sozialer Netzwerke für die Rekrutierung neuer Mitglieder erscheint es schließlich reizvoll, die in der Literatur bisher kaum diskutierte Frage aufzuwerfen, welchen Stellenwert die politische Dimension des Leuchtenden Pfads als Motivationsmuster tatsächlich besaß. Damit ist gemeint, dass sich einige Menschen zu einer Mitgliedschaft im Leuchtenden Pfad vielleicht nur deshalb entschlossen, weil sie vor allem die Aussicht auf eine gemeinsame Unternehmung mit bereits dort aktiven Freunden oder Verwandten reizte, nicht aber so sehr das politische Programm oder die Ideologie der Organisation. Die Aussage eines hochrangigen Parteifunktionärs des Comité Zonal Norte Medio gibt erste Hinweise für eine derartige Vermutung: „al principio ni siquiera te obligaron y tu te sentías identificado con muchos jóvenes, a veces muchos jóvenes que han entrado a Sendero sin saber cuál era el proyecto, yo conozco en prisión jóvenes que ni siquiera deberían estar presos porque quizás ciertamente hicieron algo pero ni saben por qué lo hicieron, ideológicamente no saben nada y yo converso en prisión con ellos y les digo, pero por qué ustedes, no se, una payasada, estaba de moda y se meten.“52

Wie eine Studie zur Rolle der Schulen während des bewaffneten Konflikts unterstreicht, konnte die Unterstützung des Leuchtenden Pfads vor allem von jungen Menschen als modisches Abenteuer betrachtet werden.53 Eine solche 48 49 50 51 52 53

Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700016. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700017. Vich (2002): Caníbal, S. 39. Degregori und López Ricci (1990): Hijos, S. 198. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 100054. Vgl. Ansión, del Castillo, Piqueras und Zegarra (1992): Escuela, S. 96–102.

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Auffassung findet ihre Bestätigung in der Aussage eines senderistas und ehemaligen Studenten der Universität San Marcos: „Es una cosa de ambiente y no cosa de contagio. Y con unos jóvenes es muy facil incorporarse [...] uno se cree rebelde, justiciero.“54

Darüber hinaus lenkt Jeremy Weinstein den Blick auch auf die Parteimitglieder, die in erster Linie aufgrund eines erhofften schnellen und konkreten wirtschaftlichen Nutzens dem Leuchtenden Pfad beigetreten waren. Dies gilt Weinstein zufolge vor allem für zahlreiche Mitglieder, die in den Drogenanbaugebieten aktiv waren, wo der Leuchtende Pfad signifikante Einkünfte erzielte.55 Wie Andrea Portugal darüber hinaus aufzeigt, konnten auch Gefühle wie etwa Rachsucht einen Beitritt motivieren.56 Eine genauere Untersuchung dieses Komplexes, die an dieser Stelle nicht möglich ist, erscheint vor allem deswegen von großem Interesse, da beide Motivationen – Freundschaften und wirtschaftlicher Nutzen – die Strahlkraft der Parteiideologie vermindern sowie das Selbstverständnis des Leuchtenden Pfads erschüttern würden, demzufolge seine politischen und ideologischen Leitsätze die einzig entscheidende Basis einer Parteizugehörigkeit bildeten. Auch wenn bisher nur wenig konkrete Informationen zur Altersstruktur der Mitglieder des Leuchtenden Pfads vorliegen, lässt sich mutmaßen, dass ein Großteil der Mitglieder zum Zeitpunkt ihrer Rekrutierung deutlich jünger als 30 Jahre war. Dies lässt sich zum einen aufgrund des starken universitären Hintergrunds der Organisation vermuten, der im nächsten Abschnitt dieses Kapitels näher beleuchtet wird. Zum anderen lassen Augenzeugenberichte sowie erste Untersuchungen der Altersstruktur eine solche Annahme zu. In einer oft zitierten Aussage eines älteren Bauern hieß es: „It’s a movement supported by the youngest peasants. The older ones are resigned to their lot, but they do back their kids.”57

Bei einer Landbesetzung in Lima durch etwa 300 Anhänger und Sympathisanten des Leuchtenden Pfads betrug das Alter der überwiegenden Mehrheit nach Schätzungen von Augenzeugen zwischen 20 und 30 Jahre.58 Nach Ansicht von Peter Johnson waren es in den ländlichen Regionen vor allem die 15- bis 25-jährigen Bauernkinder, auf die der Leuchtende Pfad und seine Verheißungen einer

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Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700067. Vgl. Weinstein (2007): Rebellion, S. 122–125. Vgl. Portugal (2008): Voices, S. 38ff. McClintock (1984): Peasants, S. 54. Vgl. Quehacer (1991): Raucana, S. 31.

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besseren sozialen Wirklichkeit besonders attraktiv wirkten.59 In einer Studie von 1989 über die aufgrund von Terrorismusdelikten Inhaftierten kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass 57 Prozent, also eine deutliche Mehrheit dieser Personen, jünger als 25 Jahre waren.60 Eine Studie der Wahrheitskommission kommt angesichts der Höhe der Gefängnisstrafen zu dem Ergebnis, dass rund 80 Prozent der rund 700 einsitzenden senderistas zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung „jovenes“ und damit also vermutlich unter 25 Jahre alt waren.61 In ihrer aktuellen Arbeit, in der sie die persönlichen Daten der etwa 700 inhaftierten senderistas auswertet, kommt Andrea Portugal zu dem Resultat, dass 62 Prozent der untersuchten Personen zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung jünger als 30 Jahre alt waren, wobei die Gruppe der 20- bis 29-Jährigen allein 55 Prozent ausmachte. Auf diese Gruppe folgte mit 25,8 Prozent die Gruppe der 30- bis 39-Jährigen.62 Diese Daten stützen die Meinungen verschiedener Autoren, denen zufolge der Anteil der unter 25-Jährigen zumindest in den unteren und mittleren Rängen der Organisation dominierte.63 Cynthia McClintock berichtet darüber hinaus davon, dass das Alter einiger im oberen Huallaga-Tal operierender Sendero-Einheiten von 10 bis 25 Jahren rangierte.64 Betrachtet man die demografische Entwicklung des Landes, spiegelt die wahrscheinliche Altersstruktur des Leuchtenden Pfads die des gesamten Landes wider und verwundert somit nicht: 1988 stellte die Gruppe der unter 25-Jährigen 60 Prozent der Gesamtbevölkerung dar; wobei die Gruppe der 15- bis 24-Jährigen allein etwa 20 Prozent ausmachte. 1972, also zur Entstehungszeit des Leuchtenden Pfads, waren es 62, 8 bzw. 18,9 Prozent.65 Schauplätze der Rekrutierung Das nationale Bildungssystem

Angesichts der akademischen Wurzeln des Leuchtenden Pfads überrascht es nicht, dass er sich mit Vehemenz innerhalb des nationalen Bildungssystems zu 59 60 61 62 63

Vgl. Johnson (1987): Continuidad, S. 741. Vgl. Chávez de Paz (1989): Juventud, S. 27. Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 698. Vgl. Portugal (2008): Voices, S. 69. Vgl. Anderson (1987): Sendero Luminoso, S. 32; Harding (1987): Rise, S. 188f.; ChangRodríguez (1988): Origins, S. 81; Mauceri (1996): State, S. 125 und Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 55. 64 Vgl. McClintock (1998): Movements, S. 272. 65 Vgl. Quehacer (1988): Perú, S. 65f.

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positionieren suchte, um die Bildungseinrichtungen als Rekrutierungspool und Diffusionsmechanismus seiner ideologischen Grundsätze zu nutzen. Sein Engagement an Schulen und Universitäten hatte der Leuchtende Pfad bereits vor Anbruch seines bewaffneten Kampfes begonnen und er hatte dabei erfolgreich sowohl die Schüler- und Studentenschaft als auch die Lehrerschaft infiltrieren können. In den folgenden Jahren wuchs die Nähe des Leuchtenden Pfads zu den Lehranstalten so sehr an, dass sich das Bildungssystem nach Ansicht einiger Beobachter zur Lebensader der Organisation entwickelte.66 Diese Einschätzung erscheint durchaus zutreffend, zeigen doch verschiedene Studien, dass Studenten, Lehrer und Absolventen weiterführender Schulen den maßgeblichen Teil der Parteimitglieder stellten. Es erscheint daher zwingend, einen Blick auf die Rekrutierungmechanismen innerhalb der nationalen Bildungseinrichtungen zu werfen. Die Universitäten

Als Schöpfung eines Philosophieprofessors wurde der Leuchtende Pfad direkt in die universitäre Welt hineingeboren, wo er bis zu seinem Ende fest verwurzelt blieb. Von Beginn an entfaltete die Organisation zahlreiche Aktivitäten zunächst an der UNSCH von Ayacucho, seit Mitte der 1970er-Jahre darüber hinaus auch an anderen Universitäten des Landes. Mit Beginn des bewaffneten Kampfes intensivierte der Leuchtende Pfad sein universitäres Engagement und er war gewillt, das akademische Milieu, das seit der Militärdiktatur ohnehin stark politisiert war, weiter aufzuheizen und zu radikalisieren, um seinen Einfluss innerhalb der Studentenschaft zu vergrößern und abzusichern. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgte der Leuchtende Pfad eine Strategie, die aus verschiedenen Elementen bestand und sowohl eine politische als auch eine militärisch-gewaltsame Dimension beinhaltete. So wurden dort, wo es möglich war, die jeweiligen Universitätsverwaltungen und -kollegien infiltriert, Lehrpläne zugunsten der eigenen ideologischen Überzeugungen geändert, Studenten zur Teilnahme an außeruniversitären Aktivitäten animiert, der Lehrbetrieb wurde gestört, politische und akademische Gegner wurden bedroht und Konfrontationen mit diesen provoziert. Die Erfolge solcher Aktivitäten fielen jedoch unterschiedlich aus: Während sich z. B. die UNSCH, die Universidad Nacional de Educación Enrique Guzmán y Valle – die sogenannte Cantuta – und die Universidad Nacional del Centro (UNCP) in Huancayo fest im Griff des Leuchtenden Pfads befanden, stieß er an der bedeutendsten Universität des Landes, der Uni66 Ansión, del Castillo, Piqueras und Zegarra (1992): Escuela, S. 22.

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versidad Nacional Mayor de San Marcos (UNMSM), sowie an den zahlreichen privaten Universitäten auf erheblichen Widerstand.67 Den Grundstein für das Engagement des Leuchtenden Pfads an den Universitäten hatte Abimael Guzmán sehr früh höchstpersönlich gelegt, nachdem er 1962 zum Philosophieprofessor an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der UNSCH von Ayacucho berufen worden war. In den Folgejahren lieferte Guzmán erste Zeugnisse seiner Fähigkeit ab, junge Menschen um sich zu sammeln und sie gemäß seiner politischen Ansichten zu aktivieren. Dabei verfolgte er eine mehrgliedrige Vorgehensweise. Auf der einen Seite trat er den Weg in und durch die Gremien der Universität an und wurde 1964 zunächst zum Direktor des sogenannten „ciclo básico“ der UNSCH ernannt.68 Der Basiskurs, der als Lernniveau-Nivellierung und gleichzeitiges studium generale angelegt war, stellte eine Innovation der UNSCH dar und musste über zwei Semester von allen neu immatrikulierten Studenten besucht werden, bevor diese an ihre eigentliche Fakultät wechselten.69 Die Einflussmöglichkeiten, die Guzmán mit seinem neuen Amt an die Hand gegeben wurden, sind offensichtlich und er wusste sie in späteren Jahren auch zu nutzen: Nachdem er 1969 gemeinsam mit seinem Kollegen Antonio Díaz Martínez, der später zum Chefideologen des Leuchtenden Pfad avancierte, in den Verwaltungsrat (consejo ejecutivo) der UNSCH gewählt wurde und dort für das Universitätspersonal verantwortlich zeichnete, konzentrierte er kommunistische Professoren im Basiskurs und ließ den Lehrplan so gestalten, dass etwa Kurse zum historischen Materialismus die Einführung in die Sozialwissenschaften ersetzten und Seminare zur Dialektik der sichtbaren Welt (naturaleza) die Einführung in die Biologie verdrängten.70 Während Guzmán die Kontrolle über die Professorenschaft und Angestellten ausübte, verfügte Díaz Martínez als Leiter der Mensa, des Wohnheims und der Stipendienvergabe über direkte Einflussmöglichkeiten innerhalb der Studentenschaft. Auf der anderen Seite vertiefte er den Kontakt zu seinen Studenten durch verschiedene Aktivtitäten außerhalb der Universität. Die Stoßrichtung, in die Guzmán mit dem intensiven Verhältnis zu seinen Studenten zielte, war dabei nach Anischt von Gustavo Gorriti klar: „To use the university to recruit, 67 Zur Entwicklung der UNSCH vgl. Degregori (1990a): Surgimiento sowie Cavero Carrasco (2005): UNSCH; zur Cantuta vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 401–418; zur UNMSM vgl. Lynch (1990): Jóvenes und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 418–434; zur UNCP vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 434–457. 68 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 575, Fußnote 1. 69 Vgl. Granados (1992): Ideología, S. 146f. 70 Vgl. Degregori (1990a): Surgimiento, S. 186.

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educate, organize, and subsidize the growth of Communist cadres.“71 So motivierte er z. B. kommunistische Studenten dazu, Umfragen zu den Lebensbedingungen in den verschiedenen Stadtteilen Ayacuchos durchzuführen, um die eigene Arbeit und eventuelle Wahlergebnisse bei den Gremienwahlen zu verbessern.72 Nach Angaben David Palmers hatte Guzmán eine etwa 50-köpfige Gruppe ins Leben gerufen, die nicht nur die eigene Region im Rahmen verschiedener interdisziplinärer Veranstaltungen erkundete, sondern auch Reisen nach Kuba unternahm. In dieser Gruppe befanden sich bereits zu diesem Zeitpunkt Teilnehmer, die in späteren Jahren den Führungszirkel des Leuchtenden Pfads bildeten.73 1971 gründete Guzmán das „Centro de Trabajo Intelectual Mariátegui“ (CTIM), in dem die Studenten und Parteikader die intensive Exegese des Werkes des Gründers der Sozialistischen Partei Perus, José Carlos Mariátegui, betrieben.74 Daneben organisierte er auch in seinen eigenen vier Wänden, im Studentenjargon „El Kremlin“ genannt, eine Vielzahl politischer Diskussionsrunden.75 Die Fähigkeit Guzmáns, seine Studenten für seine Ideale zu begeistern, brachte ihm in späteren Jahren den zweifelhaften Spitznamen „Dr. Shampoo“ ein, da er, so ehemalige Studenten, jedem erfolgreich eine Gehirnwäsche verabreichen konnte.76 Der enge Kontakt zu den Studenten sowie die Kombination zwischen akademischer Indoktrinierung und außeruniversitären Aktivitäten legten den Grundstein für den späteren erfolgreichen Beginn des bewaffneten Kampfes. Seit den ersten studentisch-politischen Aktivitäten und Exkursionen der Studentengruppen um Abimael Guzmán war der Leuchtende Pfad mit den sozioökonomischen Begebenheiten der Region vertraut. Mit abnehmender Präsenz innerhalb der UNSCH hatte er in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre damit begonnen, diese Kenntnisse weiter zu vertiefen. Parteikader strömten in die Gemeinden der Region und begannen, Kontakte zur Bevölkerung zu knüpfen und auszubauen. Als ein wichtiges Instrument erwiesen sich dabei die escuelas populares, die in dem Departement Ayacucho und den benachbarten Departements sowohl auf dem Land als auch in städtischen Elendsvierteln errichtet wurden. Lehr- und Lerninhalte dieser Volksschulen bestanden in marxistischen Lehrsätzen und deren Weiterentwicklung durch Abimael Guz-

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Gorriti Ellenbogen (1992): Stalin, S. 155. Vgl. Ibid., S. 154. Vgl. Palmer (1986): Rebellion, S. 128. Vgl. Degregori (1990a): Surgimiento, S. 185. Vgl. Starn (1995): Maoism, S. 404 und McClintock (1984): Peasants, S. 51. Vgl. Strong (1992): Shining Path, S. 31 und Starn (1995): Maoism, S. 404.

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mán.77 Zumeist operierten die senderistas – in der Regel Absolventen der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der UNSCH – in ihren Herkunftsregionen, wo sie über eigene soziale Netze und Erfahrungen verfügten.78 Mithilfe dieser verstärkten Präsenz der Parteikader innerhalb verschiedener Ortschaften und Gemeinden gelang es dem Leuchtenden Pfad, sich eine breite Informationsbasis seiner Operationsgebiete aufzubauen: „The party leadership received precise and detailed information on the area’s geographic and topographic reality, the internal structure of the communities, the aims of the peasants, and, above all, the local power and authority networks whose key figures were to be removed or co-opted once the armed struggle began.“79 Welche Informationen die studentischen Parteikader sammelten, macht ein siebenseitiger Bericht aus dem Jahr 1979 deutlich, der einen Aufriss über die allgemeine Lage in den Regionen Ayacucho, Huancavelica und Cangallo gibt. Der in sieben Punkte unterteilte Bericht gibt Auskunft über die historische Entwicklung der Region, die geografischen Gegebenheiten, die sozioökonmischen Verhältnisse, die politische Situation, die Verwurzelung der eigenen Ideologie, die Präsenz ausländischer Insitutionen sowie die militärische Lage.80 Solche Exkursionen und Berichte zeigen eindringlich, wie effizent der Leuchtende Pfad seine studentischen Kader einsetzte und mit welcher Akribie er den Beginn seines bewaffneten Kampfes plante. Seit Mitte der 1970er-Jahre begann der Leuchtende Pfad auch an anderen Hochschulen des Landes Fuß zu fassen, wobei sich seine Vorgehensweise grundsätzlich ähnelte. So zielte er darauf ab, die jeweiligen Universitätsverwaltungen und -kollegien zu infiltrieren, Lehrpläne zugunsten der eigenen ideologischen Überzeugungen zu ändern, Studenten zur Teilnahme an außeruniversitären Aktivitäten zu animieren, den Lehrbetrieb zu stören, politische und akademische Gegner zu bedrohen und gewaltsame Konfrontationen mit diesen zu provozieren. Während er bis Mitte der 1980er-Jahre diese Arbeit zumeist noch unerkannt und klandestin verrichtete, führte seine allgemeine Erstarkung ab 1985/86 dazu, dass er auch innerhalb der Universitäten seine Machtposition stärken konnte und nunmehr zunehmend öffentlich agierte. Die Unterwanderung der Verwaltung und der Professorenschaft erfolgte über mehrere Jahre hinweg und wurde in Teilen von der erheblichen Radikalisierung der Hochschulpolitik und der starken Fragmentierung der einzelnen 77 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 587 und Degregori (1985): Sendero, Bd.1, S. 45. 78 Vgl. Poole und Rénique (1992): Peru, S. 40f. 79 de Wit und Gianotten (1992): Failures, S. 47. 80 DINCOTE, DH-SL-0122, PCP-SL (1979): Sintesis de la investigación en las tres zonas del Regional Principal.

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hochschulpolitischen Gruppierungen seit Beginn des bewaffneten Konflikts begünstigt. Als Hochschullehrer tätige Mitglieder des Leuchtenden Pfads fanden sich bereits seit Mitte der 1970er-Jahre an allen wichtigen Universitäten des Landes. Nicht selten handelte es sich dabei um Absolventen der UNSCH und Schüler Abimael Guzmáns, die in ihren neuen Funktionen z. B. an der Cantuta oder der UNCP damit begannen, studentische Arbeitskreise und Diskussionsgruppen zu formieren, in denen die Parteiideologie sowie der marxistisch-maoistische Kanon debattiert wurden.81 Der Machtausbau des Leuchtenden Pfads innerhalb der Verwaltung, der Professorenschaft und der studentischen Interessenvertretungen wurde – wie bereits erwähnt – dadurch erleichtert, dass sich die politischen Gruppierungen an den Universitäten häufig nicht nur durch eine außerordentlich ausgeprägte Heterogenität, sondern auch durch einen ebenso starken Unwillen zu einem gemeinsamen Vorgehen auszeichneten. Dagegen erwiesen sich die Geschlossenheit sowie die ideologisch-politische Kohärenz des Leuchtenden Pfads als deutlicher Vorteil für die Erreichung seiner Ziele. Zusätzlich erwies es sich für die Organisation als Vorteil, dass die studentischen Vertretungen ein Drittel der Platz- und Stimmanteile in den wichtigsten Universitätsgremien besaßen, sodass sie jede Verwaltungsmaßnhame sowie die Besetzung von Ausschüssen und Leitungsfunktionen beeinflussen, wenn nicht sogar steuern konnten. Es galt daher aus Sicht des Leuchtenden Pfads, die Studentenvertretungen zu beherrschen, um seinen Einfluss weiter zu steigern. Dazu war, wie ein senderista von der Universität San Marcos berichtete, nicht allein Geduld, sondern auch eine ausreichende Anzahl von Sympathisanten notwendig: „nosotros somos un grupo bien cercanos en la universidad, bien cercano un poco porque nosotros hicimos todo un frente amplio para poder tomar todos los centros federados y de ahí desarrollar las luchas correcto, fue un trabajo que nos demando muchos años en las universidades y es trabajo que nosotros desenvolvíamos obviamente todos nos conocíamos, nos juntábamos y obviamente la universidad estaba infiltrada [...] o sea todo éramos un grupo si no me equivoco unos 60 compañeros estudiantes y le digo organizados no eran todo, pero si una buena parte eran estudiantes que obviamente con sus ideas clasistas que tenían, con sus espíritu de lucha combativo salían y se movilizaban.“82

War der Einfluss innerhalb der Studierendenvertretung und Verwaltung groß genug, war der Leuchtende Pfad bestrebt, die Kontrolle der Mensen und Wohnheime der Universitäten zu erlangen, durch die ein direkter Kontakt mit 81 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 406 und 437. 82 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700069.

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der Studentenschaft geknüpft werden konnte und die sich so als bedeutsames Instrument für eine erfolgreiche Rekrutierung neuer Sympathisanten und Kader entpuppten. Weshalb die Kontrolle der Mensen so interessant war, macht die Aussage eines ehemaligen Studenten und Aktivisten des PCP Bandera Roja an der UNCP deutlich: „porque al comedor van de todas las facultades; en segundo lugar [...] son la gente más pobre, en tercer lugar, con los estudiantes del comedor los sábados y domingos era un encuentro de solidaridad [...] los alumnos por grupos de amistades se organizaban [...] trascendía las aulas [...] el comedor era de lunes a viernes y, sábado y domingo, ¿dónde se comía? Entonces se hacía una especie de ollas comunes informales [...] Entonces ahí encontrabas [...] amigos de antropología, sociología, eléctrica, mecánica, y obviamente ese escenario era importantísimo para el mensaje politico.“83

Wie ein Sympathisant des Leuchtenden Pfads bestätigte, wurden die Mensen vor diesem Hintergund zu einem zentralen Agitationsschauplatz der Parteikader: „en el comedor generalmente se hacían las charlas, se agrupaba gente del partido [...] Allí [...] era el cuartel del partido. Allí era donde se organizaba toda la gente y salían ya a las facultades.“84

Und ein weiterer Stundent ergänzte: „ahí se gestaba todo [...] las protestas universitarias [...] una movilización, los dirigentes organizaban, nos retenían [...] a la hora del almuerzo [...] y ahí ellos se manifestaban, hacían escuchar su ideología y abiertamente hacían vivas por el PCP-SL, por el presidente Gonzalo, por la lucha armada [...] y de ahí nos sacaban a bloquear las pistas.“85

Die letzten Zitate lassen annehmen, dass viele der an den Universitäten aktiven senderistas miteinander bekannt, häufig sogar freundschaftlich miteinander verbunden waren. Tatsächlich lassen sich zahlreiche Anhaltspunkte dafür finden, dass die Rekrutierung innerhalb des jugendlich geprägten Studentenmilieus wesentlich von Bekanntschaftskreisen und Freundschaften erleichtert wurde. Grundsätzlich, so ein senderista, stellte die Kontaktaufnahme unter den Studenten keine Hürde dar: „Yo he estado en San Marcos. Era muy fácil encontrarse. Practicamente promociones enteras estan detenidas.“86

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Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 436. Ibid., Bd. 5, S. 440. Ibid. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700067.

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Die Erzählungen eines Studenten der Universität José Faustino Sánchez Carrión in Huacho zusammenfassend, heißt es in den Akten der Wahrheitskommission: „Aclara que durante su época de estudiante conoció a muchos amigos y se hizo simpatizante del Partido Comunista del Perú, recibía algunos volantes en la Universidad y comenta que estuvo de acuerdo con los planteamientos políticos que daban y aún está de acuerdo. Participó en marchas por el reconocimiento de derechos estudiantiles que se estaban recortando.“87

Wie auch aus weiteren Schilderungen deutlich wird, eröffneten soziale Netzwerke zwar häufig den ersten Kontakt zwischen den Studenten und dem Leuchtenden Pfad.88 Gleichwohl signalisiert das letzte Zitat, dass sich auf dem weiteren Weg zur Parteimitgliedschaft zusätzliche Phasen der Indoktrinierung sowie der Teilnahme an Aktivitäten und der Übernahme zunehmend schwieriger und risikoreicher werdender Aufgaben anschlossen. Die Indoktrinierung erfolgte durch eine Reihe verschiedener Veranstaltungen, zu denen u. a. Diskussionsrunden und Konferenzen über die „realidad nacional“, vor allem aber auch die escuelas populares gehörten, die z. T. in den Seminarräumen der Universitäten selbst stattfanden.89 Über die ideologische Entwicklung einer Studentin berichtet ein Dokument der Wahrheitskommission: „En la universidad asistió a charlas y conferencias. Allí se interesó por Sendero Luminoso. Intercambió con los profesores y fue conciente de la injusticia social en el país. Comenta que al principio tuvo miedo pero que, a medida que iba aprendiendo cosas, se comprometió.“90

Studenten, die sich in den Augen der Parteikader durch ihr Interesse und ihre Überzeugung hervortaten, wurden durch die Übertragung erster Aufgabe näher an den Leuchtenden Pfad herangeführt. Ein Student der UNCP berichtete: „nos dijeron [Sendero Luminoso, SCW] que primero había que hacer trabajo de base [...] poner banderas, pintas; luego otro paso ya era hacer trabajo de contención, de campana, era un poco más estratégico, de mayor responsabilidad [...] y así, poco a poco, te daban mayor responsabilidad; después [...] ya entrabas a hacer trabajo de campo, lo que llamaban ellos acciones, dinamitar, matar.“91 87 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700075. 88 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700011 und Testimonio 700002. 89 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700003; Testimonio 700057; Testimonio 700002 sowie Caretas (1985c): Baúl; Zitat aus Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700003. 90 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700003. 91 Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 440.

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Für rekrutierte Studenten blieb, wie aus diesem Zitat hervorgeht, der Aktionsraum nicht allein auf den Universitätscampus beschränkt. Häufig nutzten sie ihre sozialen Netzwerke und Kenntnisse auch in ihren jeweiligen Wohngebieten, um weitere Personen zu rekrutieren. Dabei tauchten sie in die alltägliche Lebenswelt der Bewohner ein und streuten ihre politischen Botschaften ebenso gezielt wie subtil: „En el caso de los universitarios, es un trabajo bien interesante, porque lo hacían en los barrios, en su propio barrio hacían su trabajo de captación, hacían amigos, haciendo deportes, yendo a las polladas, emborrachándose, así hacen política. No era la clásica, era el contacto uno a uno. Hacían su lista de posibles y cogían ahí y seleccionaban y empezaban así conversando, conversando este discurso bastante coherente de la revolución mundial, donde ellos son la vanguardia, y que la situación, el cambio radical, fácil de legitimar además en un contexto donde hay crisis fuerte, crisis también de los partidos políticos, de la división de la izquierda. Hay todo un contexto muy favorable para ello. Ellos crecieron mucho por el lado de los barrios y otro fue los colegios, los docentes con sus alumnus.“92

Dass der Leuchtende Pfad bei der Rekrutierung neuer Mitglieder innerhalb der Studentenschaft erfolgreich war, lässt sich an den Ergebnissen verschiedener Studien erkennen, die den Bildungshintergrund der Parteimitglieder ausgeleuchtet haben. In seiner mittlerweile klassischen Arbeit von 1989 über die Insassen limenischer Gefängnisse, die aufgrund von Terrorismusdelikten verurteilt wurden, kommt z. B. Dennis Chávez de Paz u. a. zu dem Ergebnis, dass der Anteil derer, die die Universität besucht (allerdings nicht in allen Fällen mit einem Abschluss beendet) hatten, bei 35,5 Prozent lag. Dagegen lag dieser Wert innerhalb der Gruppe von Insassen, die aufgrund anderer Straftaten einsaßen, bei lediglich 5,8 Prozent.93 Innerhalb der Gesamtbevölkerung, so Philip Mauceri, betrug der Anteil derjenigen, die über eine universitäre Ausbildung verfügten, nur 9 Prozent.94 Eine aktuelle Untersuchung von 2003, die der sozialen Herkunft von insgesamt 1.158 aufgrund von Terrorismusdelikten infhaftierten Personen nachgeht, kommt zu dem Ergebnis, dass von den knapp 700 Häftlingen, die innerhalb der untersuchten Gruppe dem Leuchtenden Pfad angehörten, 65,1 Prozent über den Abschluss einer weiterführenden Schule verfügten, von denen wiederum 25 Prozent einen universitären Hintergrund aufwiesen.95 Diese Zahl liegt zwar deutlich unter dem Ergebnis von Chávez de Paz, dennoch stellen die Universitätsabsolventen auch hier die größte Einzelgruppe innerhalb des untersuchten Personenkreises. Von 143 Insassen limenischer Gefängnisse 92 93 94 95

Ibid., Bd. 5, S. 333. Chávez de Paz (1989): Juventud, S. 42. Vgl. Mauceri (1996): State, S. 126. Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 698.

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mit Universitätsausbildung waren 57 Prozent in den Jahren zwischen 1987 und 1992 an den Universitäten San Marcos und La Cantuta rekrutiert worden.96 Die Radikalisierung der öffentlichen Universitäten blieb auch für die öffentliche Meinung nicht ohne Folgen. Nach Ergebnissen einer landesweiten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts DATUM aus dem Jahre 1991 galt die Studentenschaft in den Augen von 47 Prozent der Befragten als die soziale Gruppe, innerhalb derer der Leuchtende Pfad den stärksten Einfluss ausübte.97 Die Schulen

Zweifelsfrei besaßen die Universitäten sowohl als Aktionsraum als auch als Rekrutierungspool eine herausragende Bedeutung für den Leuchtenden Pfad. Gleichwohl waren für ihn auch Schulen von besonderer Attraktivität, da sie sich selbst in den entlegensten Regionen Perus fanden und oftmals die letzte kontinuierliche und anerkannte staatliche Präsenz symbolisierten.98 Die Rekrutierung von jungen Schülern bedeutete eine Investition in die Zukunft, weshalb ihnen die eigenen ideologischen Lehrsätze möglichst früh nahegebracht werden sollten. In einem Parteidokument hieß es daher: „Hacer que los niños participen activamente en la guerra popular, pueden cumplir diversas tareas a través de las cuales vayan comprendiendo la necesidad de transformar el mundo, ellos son el futuro y a fin de cuentas quienes vivirán el nuevo mundo; cambiar su ideología y que adopten la del proletariado.“99

In einer Studie über die Rolle der peruanischen Schulen in Zeiten des bewaffneten Konflikts identifizieren die Autoren drei unterschiedliche Stadien der durch den Leuchtenden Pfad ausgeübten Kontrolle, die von einer diskreten Präsenz über kontinuierliche Einfälle bis zur totalen Kontrolle der Schule reichten.100 Das erste Stadium war dadurch gekennzeichnet, dass sich die Präsenz des Leuchtenden Pfads an der jeweiligen Schule in erster Linie durch Hörensagen oder nur aufgrund einzelner, noch versteckter Fälle von Drohungen bemerkbar machte. In einem zweiten Schritt begannen die Parteikader öffentlich zu agieren, Unterrichte zu stören oder gar zu verbieten und einzelne Lehrer und 96 Vgl. Ibid., Bd. 3, 629f. 97 Vgl. McClintock (1998): Movements, S. 408 (Fußnote 143). 98 Vgl. Gianotten, de Wit und de Wit (1985): Impact, S. 190f.; Palmer (1986): Rebellion, S. 138; Poole und Rénique (1994): Order, S. 233 und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 560. 99 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases, S. 386. 100 Vgl. Ansión, del Castillo, Piqueras und Zegarra (1992): Escuela, S. 56–64.

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Schüler vor aller Augen zu bedrohen oder zu bestrafen. Die totale Kontrolle der Schule gelang dem Leuchtenden Pfad schließlich vor allem in den Gemeinden und Ortschaften, in denen keine staatliche Präsenz mehr vorhanden war, die die Expansion der Revolutionäre hätte eindämmen können. Die Schulverwaltung, der Schulablauf sowie die Lehrinhalte wurden in diesem Stadium vollständig vom Leuchtenden Pfad kontrolliert. Das ideale Vehikel zur Machterlangung an den Schulen sowie zur Diffusion der eigenen revolutionären Weltanschauung stellten aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zu den Schülern die Lehrer dar. Infolge seiner starken Position innerhalb der Universitäten besaß der Leuchtende Pfad bereits seit den 1970er-Jahren ein großes Reservoir an Mitgliedern, die nach Abschluss ihres Studiums als Lehrer in alle Landesteile strömten und nun als vermeintliche Repräsentanten des Staates die Lehre aufnahmen. In einigen Gemeinden des Hochlandes wuchs der Einfluss der roten Lehrer schon vor Beginn des bewaffneten Kampfes so stark an, dass nicht mehr nur die Schüler, sondern auch die restlichen Einwohner erfolgreich für die Sache des Leuchtenden Pfads gewonnen werden konnten. So berichten etwa Ton de Wit und Vera Gianotten davon, dass es als Lehrer tätigen Absolventen der UNSCH 1979 in der Ortschaft Huancasancos in der Region Ayacucho gelang, die Bevölkerung zu mobilisieren und die lokalen Polizeikräfte aus der Gemeinde zu vertreiben.101 In den kommenden Jahren scheint der Leuchtende Pfad seinen Einfluss innerhalb der nationalen Lehrerschaft weiter ausgebaut zu haben. Nach Angaben der damaligen Bildungsministerin Gloria Helfer konnten zu Beginn der 1990er-Jahre rund 30.000 Lehrer, was etwa 15 Prozent der gesamten Lehrerschaft darstellte, als Anhänger bzw. Mitglieder des Leuchtenden Pfads gezählt werden.102 Anderen Schätzungen zufolge beeinflusste der Leuchtende Pfad 1992 die schulische Ausbildung von 60 Prozent der nationalen Schülerschaft.103 Verschiedene Berichte verdeutlichen, wie erfolgreich der Leuchtende Pfad in den Schulen operierte. Ein Augenzeuge erzählt eaus einer Schule in Huancayo: „La escuela servía como núcleo para tener acceso a los jóvenes y niños y conducirlos a otros tipos de lugares para su capacitación y entrenamiento. Se daba un proceso que implicaba una captación de los líderes, un reconocimiento y un distinguir a los alumnos, y un proceso muy gradual de enamoramiento de convicción, en muy pocos, casi ninguno de los jóvenes o niños hubo un repudio explícito.“104 101 102 103 104

de Wit und Gianotten (1992): Failures, S. 47. Vgl. McClintock (1998): Movements, S. 273. Vgl. Ibid., S. 75. Zitiert nach Ansión, del Castillo, Piqueras und Zegarra (1992): Escuela, S. 110.

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In einem Schreiben aus dem Jahr 1982 beschrieb der Oberstaatsanwalt Ayacuchos die Vorkommnisse an den dortigen Schulen: „Esta labor de proselitización de Sendero Luminoso, también vienen operando en forma imperceptible en todos los centros educativos, cuya juventud llevados por su propia psicología adolescente esta siendo presa fácil de convencimiento político, de ahí que, en las muchísimas incursiones que han hecho a los colegios, siempre se ha notado la presencia de niños de 15 a 16 años de edad, proclamando en cada incursión y en cada plantel los motivos revolucionarios y plan de gobierno de “Sendero Luminoso”, sugestionándoles de que es la única alternativa para salir de la actual crisis económica, luego para retirarse hasta se permiten hacer entonar sus canciones revolucionarias y vivas a su partido, sin que algún alumno o algún profesor por lo menos haya enfrentado con un diálogo esclarecedor, se entiende por miedo de ser victimados al instante. Uno de estos tantos ejemplos es que en el Colegio Nacional “Mariscal Cáceres” de esta ciudad, hace dos meses, en plena formación, todos los alumnos al estar empezando a entonar nuestro Himno Nacional, cambiaron la nota empezando a cantar a viva voz las canciones e himnos de la guerrilla, ante cuya situación el Director del Plantel con su micrófono en la mano trató de llamar a la cordura, diciéndoles que esto era peligroso para su vida, habiéndose enfrentado un alumno diciéndole: no tenga miedo señor Director, no le pasará nada si Ud. viene a formar parte en nuestras filas de Sendero Luminoso.“105

Das Engagement in den Schulen wurde auch von den Sicherheitskräften besorgt beobachtet. 1989 äußerte sich z. B. der militärische Befehlshaber Ayacuchos, General Rodríguez Málaga, in einem Interview: „En varios colegios, había docentes que, en el curso de Historia Universal, daban lecciones de marxismo-leninismo o sustentaban la vigencia de la guerra popular. Si a un escolar pobre su maestro le mete en la cabeza esas ideas, lo obliga a que las memorice y le toma examen sobre el por qué la rebelión se justifica y las fuerzas armadas son genocidas, termina siendo un senderista en poco tiempo.“106

In einer vom Leuchtenden Pfad kontrollierten Schule in Huancayo orientierte sich der Schulablauf nach Angaben eines Augenzeugen allein nach militärischen und ideologischen Erfordernissen: „La presencia de Sendero en las escuelas, como en otras zonas se expresaba en un currículo muy reducido y vinculado esencialmente a lo que es la campaña militar y la ideologización de los alumnos; la captación sea por secuestro o el proceso de convencimiento para llevarse a los mejores, explicítamente llevándose a algunos, y a otros encargándoles trabajos de control y de organización desde las mismas comunidades. Las tareas, Educación Laboral confeción de ropa, vendas, mochilas, Educación Física, 105 IEP-CGG, (19. November 1982), Brief von Dr. Guillermo Arce Ramírez an Gonzálo Ortíz de Zevallos. 106 Zitiert nach Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 3, S. 381.

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todo lo que es ejercicio exclusivamente militar, etc., una serie de cosas que fácilmente acorralaba al alumnado.“107

Aus den letzten beiden Zitaten lässt sich eine erste Methode zur Indoktrinierung der Schüler herauslesen, die Abimael Guzman bereits in den 1970er-Jahren an der UNSCH angewandt hatte: die Revision der Lehr- und Unterrichtsinhalte zugunsten von Unterricht der marxistisch-maoistischen Philosophie. Darüber hinaus fanden Indoktrinierung und Rekrutierungen ihre Fortsetzung außerhalb der Schulmauern. Wie aus Schilderungen hervorgeht, wurden interessierte Schüler von ihren Lehrern zu gemeinsamen Unternehmungen eingeladen, an denen auch Parteikader teilnahmen und die für gemeinsame Diskussionen über die politische Lage des Landes genutzt wurden.108 Bewährten sich die Schüler, konnten ihnen erste kleinere Aufgaben übertragen werden, denen bei zufriedenstellender Erledigung verantwortungsvollere Funktionen folgten. Im Rahmen der gemeinsamen Unternehmungen wurden Schüler auch zur Teilnahme an den escuelas populares animiert. Diese wurden allerdings nicht nur für ältere Schüler, sondern offensichtlich auch für Grundschüler unter der Bezeichnung „escuelas de pioneros“ organisiert, wo diese anhand etwa der Biografien von Karl Marx und Friedrich Engels mit den grundlegenden Ideen des Leuchtenden Pfads vertraut gemacht wurden.109 Daneben wurden Grundschüler in den eroberten oder neu gegründeten Gemeinden von SL-Lehrern unterrichtet und rekrutiert. In der vom Leuchtenden Pfad gegründeten „Volksbasis“ „Sello de Oro“ in der Region La Mar wurden die Verbindungen der Kinder zu den eigenen Familien auf ein Minimum reduziert; Vater und Mutter hießen bald nur noch compañero oder camarada.110 Um die Kinder für sich zu gewinnen, ging der Leuchtende Pfad zum Teil auch so weit, sie aus ihren Gemeinden in andere Regionen zu verschicken, wo sie dann einer ideologischen und militärischen Ausbildung unterzogen wurden.111 Nicht selten wurden Kinder direkt aus den Schulen zwangsrekrutiert; Eltern, Kinder oder Lehrer, die sich dagegen wehrten, liefen Gefahr, ihren Protest nicht zu überleben.112 Nach Angaben von Masterson nahm das Militär zum Teil erst achtjährige, kämpfende senderistas fest.113 Der Einsatz von jungen Schülern besaß aus Sicht des Leuchtenden Pfads den 107 108 109 110 111

Zitiert nach Ansión, del Castillo, Piqueras und Zegarra (1992): Escuela, S. 63. Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 10054. Vgl. Caretas (1991c): Primaria. Vgl. del Pino (1998): Family, S. 174. Vgl. Favre (1984): Peru, S. 29; Mauceri (1996): State, S. 127 und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 52 und 96. 112 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 6, S. 614f. und S. 614, Fußnote 98. 113 Vgl. Masterson (1991): Militarism, S. 278.

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Vorteil, dass diese aufgrund ihrer Minderjährigkeit keine Anklage zu befürchten hatten, sodass viele von ihnen trotz mehrfacher Delikte immer wieder auf freien Fuß gesetzt werden mussten.114 Exkurs: „Locademia del terror“115. Rekrutierung an der Academia César Vallejo

Innerhalb des peruanischen Bildungssystems nehmen die sogenannten academias pre-universitarias einen prominenten Platz ein. Ziel dieser zahlreichen Bildungseinrichtungen ist es, Schüler auf die Eingangsexamina der Universitäten vorzubereiten, wobei in mehrmonatigen Vorbereitungskursen eine Fächerpalette durchgearbeitet wird, die von Mathematik bis zu Philosophie und Literatur reicht. In einer dieser Akademien, der Academia pre-universitaria César Vallejo, gelang es dem Leuchtenden Pfad, die administrative Kontrolle zu erlangen und sie zu einem wichtigen Rekrutierungspool zu verwandeln. Die bis heute existierende Akademie wurde 1961 gegründet, wuchs in der Folgezeit beständig an und verfügte zu Beginn der 1990er-Jahre über verschiedene Filialen und Druckereien in Lima. Wann genau der Leuchtende Pfad mit seiner verdeckten Arbeit an der Akademie begann, lässt sich nicht bestimmen. Der Nachfolger von Abimael Guzmán als Parteichef, Oscar Alberto Ramírez Durand, hatte nach eigenen Angaben die Akademie schon 1970 als Student besucht, zu diesem Zeitpunkt aber noch keine Präsenz des Leuchtenden Pfads feststellen können.116 In den folgenden Jahren gelang es dem Leuchtenden Pfad jedoch auf noch ungeklärte Weise, das Lehrerkollegium sowie den Akademievorstand mit eigenen Mitgliedern zu unterwandern, sodass er spätestens seit Ende der 1970er-Jahre die Kontrolle über die Akademie erlangte. Gleichwohl erhielt die Akademie nie den Status eines offiziellen Parteiorganes. So war sie eher mit einem Trojanischen Pferd zu vergleichen, das sich völlig legal im Zentrum Limas befand, während in seinem Inneren eine Gruppe Aufständischer den bewaffneten Kampf vorantrieb. Allerdings blieb diese Gruppe nicht unerkannt. Spätestens im Jahr 1980 war der Einfluss des Leuchtenden Pfads in der Akademie so substanziell, dass bereits der Inlandsgeheimdienst SIN in einem Vermerk über die dortige Arbeit des Leuchtenden Pfads berichtete:

114 Vgl. Caretas (1988b): Niños. 115 Caretas (1992b): Terror, S. 36. 116 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Duodécima Sesión (17.11.2005).

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„El Partido Comunista “Sendero Luminoso” José C. Mariátegui, ha dado inicio al ciclo normal de preparación pre-universitaria 1980, en la Academia César Vallejo [...] los profesores eran alumnos universitarios simpatizantes y militantes del partido.“117

Dieser Vermerk erkannte deutlich die im Folgejahrzehnt noch dynamisch anwachsende Rekrutierungsfunktion, die die Akademie für den Leuchtenden Pfad erfüllte. Dennoch dauerte es bis zum Juni 1992, bis die staatlichen Sicherheitskräfte den an der Akademie operierenden Parteiapparat zerschlugen. Eine dadurch erforderliche Restrukturierung hatte im Mai 1993 eine zweite Polizeiintervention zur Folge, die zur endgültigen Zerschlagung des Leuchtenden Pfades in der Akademie führte.118 Bis dahin aber hatte der Leuchtende Pfad eine ganze Reihe junger Schüler und Studienanfänger für sich gewinnen können. Wie viele Schüler sich an der Akademie auf ihre Aufnahmeexamina tatsächlich vorbereiteten, ist unklar. Während eine Übersicht der eingeschriebenen Schüler aus dem Jahr 1991 1.450 Immatrikulierte zählte, sprach ein ehemaliger Lehrer von jährlich insgesamt knapp 3.000 Schülern.119 Auch die Zahlen zum Lehrerkollegium schwanken deutlich: Unterschiedlichen Angaben zufolge umfasste es zwischen 34 und 150 Lehrer, die z. B. im Jahr 1992 drei Lehrzyklen pro Tag anboten (8.00–12.00 h, 14.00–18.00 h und 18.00– 22.00 h). 120 An der Akademie existierten verschiedene Möglichkeiten, rekrutiert zu werden, wobei die Auswahl potenzieller Kader bereits an der Türschwelle der Akademie begann. Der „coordinador de puerta“, bei dem es sich um eine bereits rekrutierte Person handelte, hatte den Ein- und Austritt zur Akademie zu steuern. Als Pförtner ließ sich naturgemäß sehr schnell ein erster Kontakt zu den Schülern herstellen. So überrascht es nicht, wenn ein ehemaliger coordinador seine Hauptaufgabe darin hatte,

117 IEP-CGG, Servicio Nacional de Inteligencia (19. Juni 1980), Nota de Información Nr. 176. 118 Zum genauen Ablauf der Polizeioperationen Huascaura I und II vgl. Jiménez Bacca (2004): Inicio, S. 389-395. 119 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. E: Relación de los listados de los alumnos matriculados durante el año 1991 en las Academias César Vallejo y ADUNI und Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. A: Testimonio de Miguel Zavallo (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert). 120 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. A. Zu den Lehrern: Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. B: Testimonio de Carlos Silva (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert) und Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. F: Plan Educativo de la Academia Pre-Universitaria César correspondiente al año de 1992.

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„reclutar nuevos elementos para la organización, integrar pequeñas bases para su posterior doctrinamiento mediante las escuelas populares.“121

Eine weitere Vorauswahl fand nach Aussagen eines ehemaligen Schülers durch die Lehrer mithilfe zwangloser Gespräche mit den Jugendlichen in den Seminarräumen der Akademie, in Parks oder bei organisierten Spaziergängen statt.122 Auch ließ sich bereits während des Unterrichtes erkennen, welche Schüler Sympathien für Ziele und Methoden des Leuchtenden Pfads zeigten. War die Vorauswahl getroffen, wurden die Kandidaten zu einer oder mehreren escuelas populares eingeladen, die der Leuchtende Pfad wie in allen anderen Gebieten seines Einflussbereiches auch an der Akademie von Beginn an organisierte. Nicht immer fanden sie in den Räumlichkeiten der Akademie statt, gleichwohl waren es immer Akademielehrer, die auf Veranlassung des Akademievorstands die Veranstaltungen organisierten. Die Teilnehmerzahl konnte beträchtlich schwanken und bereits für Kleinstgruppen wurden die Volksschulen realisiert. Der an der Akademie tätige Lehrer Estéban Ferrán berichtete 1982 über seine Teilnahme an einer escuela popular: „La [escuela popular, SCW] realizó el Profesor de Geometría […], de la Academia César Vallejo [...], los asistenes fuimos yo y […]; el tema que nos trataba era sobre la situación nacional, internacional, problema de la juventud y el de la lucha armada; nos decía que deberíamos tomar conciencia sobre nuestra realidad y ver que la única forma como resolver los problemas de nuestro pueblo, era mediante la violencia revolucionaria.“123

Ein weiterer Lehrer und Mitglied der Führungsspitze der Akademie, sagte 1992 aus: „En dichas reuniones nos daban un informe de como se venía desarrollando una llamada “Guerra Popular” y buscaban la captación de las personas que asistíamos a esta reunión.“124

An den escuelas populares der Akademie waren häufig auch Vertreter der Jugendorganisation des Leuchtenden Pfads beteiligt. Als Studienzentrum junger Schüler und Studenten war es nicht überraschend, dass die Akademie ein ausgesuchter Agitationsplatz des Movimiento Juvenil Popular (MJP) wurde. Für den MJP boten die Akademie und die escuelas populares naturgemäß beste Voraus121 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. C: Testimonio de Humberto García (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert). 122 Vgl. Caretas (1992b): Terror, S. 38. 123 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. C: Testimonio de Estéban Ferrán (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert). 124 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. L: Testimonio de Carlos Díaz (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert).

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setzungen, um neue Kontakte zu knüpfen und neue Anhänger und Mitglieder zu rekrutieren. Zusätzlich zu den escuelas populares veranstaltete der MJP eine ganze Reihe von Aktivitäten, an denen teilzunehmen die Akademieschüler stets ermuntert wurden. Tatsächlich erfuhren die Initiativen des MJP starke Resonanz. Ein zwanzigjähriger Universitätsstudent, der über zwei Freunde, die an der Akademie studierten, in Kontakt mit dem MJP gekommen war, berichtete von seinen dortigen Erfahrungen: „En la parte ideológica nos hablan acerca de la lucha constante de las clases sociales, es decir nos sujetamos al marxismo, leninismo, maoismo y sobre todo los pensamientos de José Carlos Mariátegui y toda esta doctrina es para que podamos ser la juventud unida y poder participar en la lucha armada; para la cual realizamos movilizaciones, volanteos, pintas, acciones de violencia; cuyas tareas de coordinación para todas las acciones las realizábamos en la academia César Vallejo en cualquier hora del día y los que no nos encontrábamos nos pasaban la voz; a dicho movimiento lo integramos el 25% de los alumnos de la academia, algunos profesores de la misma y estudiantes universitarios de diferentes Universidades que por lo general estudiaron o se prepararon en la mencionada academia.“125

Aus dem Zitat wird deutlich, dass der MJP über die Akademie den Neuankömmlingen das gesamte theoretische und praktische Lehr- und Aktionsspektrum der Partei anbot und sie so Stück für Stück an den Leuchtenden Pfad heranführte. Zunächst erfolgte die ideologisch-politische Indoktrinierung, der von der Parteiführung höchste Priorität zugewiesen wurde. War das theoretische Fundament gelegt, folgten erste praktische Aktionen, die zunächst, wie z. B. das Verteilen von Flugblättern, relativ risikofrei waren und bei denen sich die Kandidaten bewähren konnten. Danach folgten gewaltsame Aktionen, bei denen persönliches Risiko und persönliche Verpflichtung hoch waren bzw. sein mussten. Zur Koordinierung dieser Aktionen konnte offensichtlich jederzeit die Infrastruktur der Akademie genutzt werden, und immerhin nahm ein Viertel der Schülerschaft an den Aktivitäten des MJP teil. Führt man sich die Schülerzahlen vor Augen, wird deutlich, wie wichtig die Akademie für den MJP war: Legt man zunächst die vorsichtigere Schätzung von 1.450 Schülern zugrunde, entspräche die Teilnehmerzahl bereits 362 Schülern. Sollten dagegen im jährlichen Durchschnitt tatsächlich 3000 Schüler die Akademie besucht haben, würde diese Zahl auf 750 ansteigen. Sicherlich wurde nur der kleinste Teil der Teilnehmenden dauerhaft als aktiver Unterstützer oder als Mitglied für den Leuchtenden Pfad gewonnen. Dennoch dürfte bei beiden Werten ein befriedigendes Rekrutierungsergebnis erzielt worden sein. Als Beispiel lassen sich z. B. 125 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. C: Testimonio de Franco Quispe (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert).

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verschiedene ehemalige Akademieschüler innerhalb der von der peruanischen Wahrheitskommission befragten Gruppe der senderistas identifizieren.126 Aber auch wenn es nicht immer zu einer tatsächlichen Rekrutierung kam, kann bereits die Bereitschaft zur Teilnahme an den Aktionen des MJP als Erfolg für den Leuchtenden Pfad gelten, durch den sich der Resonanzboden für die eigenen Ideen stetig vergrößerte. Bei der Auswahl neuer Aktivisten lockte die Akademie darüber hinaus auch mit wirtschaftlichen Anreizen, da sie eine recht hohe Anzahl von Stipendien vergeben konnte. Spätestens seit Ende der 1980er-Jahre vergab sie jährlich insgesamt 250 Stipendien, von denen allerdings 60 vom Bildungsministerium und 20 von der Gemeindeverwaltung des Stadtdistrikts Lima vergeben wurden. Per Stipendienwettbewerb der Akademie konnten weitere 100 Stipendien gewonnen werden und 70 Stipendien wurden an Schüler mit sozial schwachem Hintergrund ausgegeben. Die Entscheidung darüber, wer eine Förderung aus den zwei letztgenannten Stipendiengruppen erhielt, traf eine interne Jury der Akademie.127 Gezielt wurden aber offenbar auch Schüler gefördert, deren Studienbewerbung von den Universitäten abschlägig beschieden worden waren und die mit dem Stipendium ihre Examensvorbereitung nun an der Akademie absolvieren konnten.128 Wenngleich Rekrutierung und Indoktrinierung innerhalb der Akademie Priorität genossen, waren Lehrer und Schüler der César Vallejo aber auch außerhalb der Akademie aktiv. Auswärtige Aktionsräume waren vor allem die Universitäten und die Armenviertel der Hauptstadt. Vor allem an den Universitäten waren viele Lehrer und studentische Aktivisten der Akademie nicht unbekannt, hatten doch viele Akademieabsolventen erfolgreich ihren Weg in die Hörsäle gefunden. Darüber hinaus wurden sympathisierende Schüler nach bestandener Aufnahmeprüfung aufgefordert, sich die in verschiedenen Studentengremien ihrer jeweiligen Universität wählen zu lassen, um den Einfluss der Partei zu vergrößern.129 Mithilfe der Außenaktivitäten sollte die Öffentlichkeit für die Ziele und Weltanschauung des Leuchtenden Pfads gewonnen werden. Eine Studentin der Akademie beschrieb, wie derartige Exkursionen aussehen konnten:

126 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700031; Testimonio 700046 und Testimonio 700061. 127 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. A: Testimonio de Miguel Zavallo (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert). 128 Vgl. Caretas (1992b): Terror, S. 38. 129 Vgl. Ibid.

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„Con el fin de concientizar a las masas y obtener mayores adeptos a nuestra causa nos dirigimos a las universidades (UNI-UNMSM) [Universidad Nacional de Ingenería – Universidad Nacional Mayor de San Marcos, SCW] y a los Pueblos Jóvenes ubicados en el Agustino, Canto Grande y Villa el Salvador, en las que Américo, Hugo, Chávez, Montoya, Ruiz y otros profesores que no recuerdo se dirigían a las masas, haciendoles conocer sobre la existencia del Movimiento Juvenil Popular y su apoyo a la lucha armada y la toma del poder por medio del pueblo, sobre todo sobre la situación económica actual que atravieza el país, en algunas de ellas, se volanteaba, mientras que en otras se ofrecía en venta un documento sobre el proletariado y la juventud.“130

Wichtigstes Ziel der Akademie war naturgemäß, die dortigen Schüler zu rekrutieren. Allerdings wurden nicht allein die Schüler auf ihre Qualitäten hin überprüft, sondern auch die Lehrer. Deren Rolle war von entscheidender Bedeutung, denn sie standen im täglichen Austausch mit den Schülern und organisierten sämtliche Aktivitäten der Akademie. Dies setzte aus Sicht des Leuchtenden Pfads eine feste ideologische Gesinnung voraus, aber auch ein Höchstmaß an Vertrauenswürdigkeit und Geheimhaltung, arbeitete die Akademie doch inmitten des öffentlichen Raumes. Als Grundvoraussetzung für die Arbeit an der Akademie wurde daher von jedem Lehrer eine Unterwerfungserklärung verlangt, mit der sich die Kandidaten bedingungslos der Partei und Abimael Guzmán unterordneten.131 In einer Unterwerfungserklärung von 1992 hieß es: „Yo, [...], militante del Partido Comunista del Perú, expreso mi saludo y sujeción a la Dirección Unipersonal del Presidente Gonzalo. Jefe y guía de la revolución. Saludo también al Comité Central del PCP, y a las 12 años de Guerra Popular que se viene llevando en nuestra Patria, bajo la magistral dirección del Presidente Gonzalo. Debo de señalar que ingresé a APU-César Vallejo en el año 86, desempeñándome como profesor, en Enero del 87 fui responsable de Becas Académicas para el ciclo Verano-Repaso 87, en Febrero asumí la responsabilidad de Biblioteca, en Marzo 87 con problemas que hubo en CV, fui nombrado directivo en la Dirección de Prensa y Propaganda, en forma paralela se nos planteó la asistencia a Escuelas Políticas, en forma conjunta con el c. Juan, siendo el responsable de la escuela el c. Jorge. En Abril del 88 asumí la Dirección de Estudios de la Ac. Aduni, para Julio del 88, participamos en acciones de apoyo para el paro armado del 19-20 Julio, siendo detenidos el c. Juan y yo durante 3 días, retornando a CV en Agosto del 88, continuamos con la escuela, contando ahora con el c. Carlos, participando en diferentes acciones de apoyo (obstaculizar pistas, llamadas tef.). En el año 89, participé en otra escuela con los cs. 130 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. C: Testimonio de Clara Rojas (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert). 131 Vgl. Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. B: Testimonio de Martín Peña und Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. L: Testimonio de Carlos Díaz (Namen aus Datenschutzgründen anonymisiert).

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Igor, Frank , Hector, siendo responsable en ese momento Andrés, presentando nuestra sujeción, en un documento enviado al Partdio. En Junio del 90, asumí la dirección de Estudios de CV, desarrollando trabajo académico y político con los compañeros profesores, para entonces los apoyos se limitaron a llamados telefónicas. Para Diciembre del 90 integramos otra escuela, ahora nuevamente con el c. Juan, y c. Victor, siendo responsable el c. Andrés, en el 91 el trabajo que desarrollé fue principalmente académica, pues el c. Andrés comenzó a presentar problemas de capitulación, finalmente en Diciembre del 91 capitula y en Enero del 92 asume la responsabilidad el c. Antonio, pero nuevamente las escuelas se hacían menos frecuentes (sólo 1 reunión en Febrero), para entones el c. Víctor, viaja y nuestra escuela no se resumió hasta que nuevamente regresó, cuestionando al c. Antonio y demás integrantes en su desempeño como responsable de CV desarrollando para Abril una reunión entre los integrantes de la escuela, no produciéndose ninguna reunión posterior. En lo personal, nací en 1965, estudié primaria y secundaria en La Cantuta-Chosica, termine en el 80. Ingresé en el 81 a la UNI, estudiando hasta el 6. ciclo de Ing. Eléctrica, me casé en el 88. Tengo 2 hijas (89 y 91). [...] Expreso mi sujeción plena e incondicional al Presidente Gonzalo, asimismo mi plena disposición a realizar toda tarea que la dirección disponga, potenciando mis fuerzas morales y materiales.“132

Die vorangestellte Unterwerfungserklärung gibt einen guten Überblick darüber, wie sich die Karriere eines Lehrers innerhalb der Akademie César Vallejo und deren politisch-ideologische Verflechtung mit dem Leuchtenden Pfad gestalten konnten. Nachdem Mariátegui 1986 als Lehrer in den Akademiedienst eingetreten war, folgten 1987 bereits die ersten bedeutungsvollen Verwendungen: Zunächst wurde er zum Verantwortlichen für die Stipendien des Sommersemesters ernannt, dann wurde ihm die Leitung der Bibliothek übertragen, auf die seine Berufung in die für Presse- und Propagandaarbeit zuständige Direktion folgte. Spätestens mit Übernahme dieser Funktion wurde für ihn und andere Lehrer die Teilnahme an escuelas políticas verpflichtend, wobei nicht klar ist, ob damit die bekannten escuelas populares oder vielleicht spezielle Kaderseminare gemeint sind. Grundsätzlich kann es aber nicht überraschen, dass die für Propaganda zuständigen Lehrer an politisch-ideologischen Schulungen teilzunehmen hatten. Auch verwundert es nicht, dass die Lehrer Aliasse, wie etwa Kamerad Carlos oder Kamerad Juan, nutzten. Die escuelas políticas fanden auch in den Folgejahren statt, jedoch wird nicht deutlich, in welcher Frequenz sie veranstaltet wurden. Allerdings führten zur Jahreswende 1991/92 nicht näher detaillierte Probleme innerhalb der Akademie zu einer signifikanten Reduzierung der Anzahl der Schulungen. Die Präsentation seiner ersten Unterwerfungserklärung im Jahr 1989 markierte aller Vermutung nach 132 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo 06, M-4.

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den Augenblick seiner Aufnahme in den Leuchtenden Pfad als Parteimitglied. Der Umstand, dass Mariátegui 1992 erneut eine Unterwerfungserklärung abgeben musste, lässt sich möglicherweise mit Hinweis auf die damals aktuelle Entwicklung der Akademie erklären. Wie oben bereits erwähnt, hatte im Juni 1992 eine Polizeiintervention den Parteiapparat an der Akademie zerschlagen. Daraufhin ordnete die Parteiführung den Neuaufbau der Organisation an der Akademie an, der ab August des gleichen Jahres auch begann. Da dieser Neubeginn höchste Vertraulichkeit forderte, muss es im Interesse der Parteiführung gelegen haben, ausgesuchte Kader mit dieser Aufgabe zu betrauen. Vermutlich aus diesem Grund mussten diese eine (erneute) Unterwerfungserklärung abgeben, um ihre bedingungslose Verpflichtung zu bekunden. Neben der Unterwerfungserklärung existierten noch eine Reihe anderer Mittel, mit denen die Lehrer auf Parteilinie gehalten werden konnten. Dazu gehörten u. a. Lohnkürzungen oder fristlose Kündigungen, aber auch ein generelles Wahlverbot bei Regional- und Präsidentschaftswahlen. Neben der Organisation der escuelas populares und der Teilnahme an den escuelas políticas mussten die Lehrer auch an Aktionen wie z. B. Straßenblockaden anlässlich der vom Leuchtenden Pfad ausgerufenen bewaffneten Streiks teilnehmen.133 Wie sich die Arbeitssituation eines Lehrers in der Akademie gestalten konnte, beschrieb ein ehemaliges Führungsmitglied derselben: „Desde el momento que uno ingresa a la academia existe una presión de tipo laboral en cuanto al pago, posteriormente esta presión se hace más fuerte, llegando inclusive a una amenaza contra mi integridad física, es decir, nos obligaban a asistir a las reuniones y también me obligaron bajo amenaza a cometer las acciones de bloqueo de pistas en el año 1988; antes de efectuar esta acción, llegaron a la Academia personas desconocidas quienes eran los encargados de decirnos lo que teníamos que hacer y el lugar.“134

Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass derartige Aussagen, die gegenüber der Polizei oder Staatsanwaltschaft erfolgten, lediglich die einzelne Rolle minimieren sollten, so kann doch angenommen werden, dass der Leuchtende Pfad Druck auf das Personal der Akademie ausübte. Die Erfahrung des Aussagenden wurde daher sehr wahrscheinlich auch von anderen Lehrern geteilt.

133 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. B: Testimonio de Juán Váquez und Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. L: Testimonio de Carlos Díaz (Namen aus Datenschutzgründen anonymisiert). 134 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. L: Testimonio de Carlos Díaz (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert).

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Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass es sich bei der Akademie César Vallejo um eine bedeutende Institution des Leuchtenden Pfads handelte, die sich durch ihren öffentlichen Charakter auszeichnete. Wie weiter unten noch genauer gezeigt wird, diente sie nicht allein als Rekrutierungspool, sondern auch als wichtige Finanzquelle der Organisation. Die Rekrutierung fand in mehreren Schritten und auf verschiedene Weisen statt. Potenzielle zukünftige Kader wurden bereits im Vorfeld mittels der Stipendienvergabe identifiziert und gefördert. Daneben boten Akademie, Partei und MJP – zusammen oder getrennt – den Schülern verschiedene Aktivitäten an, die aufeinander aufbauend den harten Kern der Kandidaten herausschälten und so die Rekrutierung effizient gestalteten. Allerdings blieben Spannungen und Schwierigkeiten innerhalb der administrativen Führung nicht aus. Lehrer mussten teilweise mit Druck auf politischer Linie gehalten werden und personelle Abgänge konnten die politische Arbeit merklich stören oder zumindest verlangsamen. Die Polizeiinterventionen im Juni 1992 und im Mai 1993 waren ein schwerer organisatorischer Schlag gegen die Partei und beendeten schließlich die Aktivitäten des Leuchtenden Pfads in der Akademie. Die Gefängnisse

Nachdem sich seit Beginn des bewaffneten Kampfes die Gefängnisse des Landes mit tatsächlichen und vermeintlichen Mitgliedern des Leuchtenden Pfads zu füllen begannen, wuchs deren symbolische Bedeutung für die Organisation in zunehmendem Maße an.135 Die Gefängnisse, so José Luis Renique, verwandelten sich in ein Schaufenster, durch das hindurch der Leuchtende Pfad sowohl dem Staat als auch vor allem der Öffentlichkeit die politisch-ideologische Hingabe sowie die unbedingte Opferbereitschaft der eigenen Kader zu demonstrieren suchte.136 In den „Luminosas Trincheras de Combate“, so die offizielle Parteibezeichnung, agierte der Leuchtende Pfad als hoch diszipliniertes und ideologisch unverrückbar gefestigtes Gebilde, das in den Gefängnishöfen und -sälen Theaterstücke, politische Bildung, Schreib- und Leseunterricht, Märsche und Gesänge durchführte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass der Leuchtende Pfad auch innerhalb der Gefängnismauern die 135 Nach Schätzungen der Wahrheitskommission wurden zwischen 1980 und 2000 etwa 20 000 Personen aufgrund ihrer vermeintlichen Mitgliedschaft im Leuchtenden Pfad in die Gefängnisse gebracht; vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe Bd. 5, S. 458. 136 Vgl. Rénique (2003): Voluntad, S. 61.

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Rekrutierung neuer Mitglieder vorantrieb. Allerdings ist es aufgrund mangelnden Quellen- und Studienmaterials schwierig, eine aussagekräftige Bilanz der Rekrutierung zu ziehen. Aus Sicht der Organisation stellten die Gefängnisse in erster Linie einen Kampfschauplatz dar und nicht so sehr einen Rekrutierungspool. Dennoch: Wichtigstes Instrument scheinen hier ebenso wie in all seinen anderen Operationsgebieten die escuelas populares gewesen zu sein, an denen nicht allein die eigenen Mitglieder, sondern auch interessierte Häftlinge teilnahmen. Bei der Durchführung dieser Veranstaltungen profitierte der Leuchtende Pfad von dem Umstand, dass die Polizei- und Sicherheitskräfte häufig keine Kontrolle über die Gefängnistrakte besaßen und die Häftlingsgruppen ihren Alltag in Eigenregie organisierten.137 Da der Leuchtende Pfad im Kampf um die Hegemonie innerhalb der verschiedenen Gefangenengruppen nicht vor Einschüchterungen und physischen Repressalien zurückschreckte, kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die Teilnahme an den Volksschulen auch unter Druck erfolgte. Berichte von Inhaftierten machen deutlich, in welchem Maße der Leuchtende Pfad auf sie wirken konnte: „Ahí […], en CANTO GRANDE es donde yo aprendí realmente por qué había sido presa, por qué me habían detenido, por qué había sido violada. Por qué? Porque yo estudié los documentos del Presidente GONZALO y tomé realmente conciencia de lo que se estaba viviendo en nuestro pais. [...] Y ahí aprendí […] lo que era el pensamiento GONZALO, […] el por qué el Partido Comunista del Perú estaba dirigiendo esa guerra popular, y yo la he visto que es una lucha justa, una guerra justa, qué es el único camino que le queda al pueblo. Ahí aprendí, ahí encontré la respuesta el por qué de tanta opresión, el por qué de tanta explotación, el por qué, incluso, en mi misma situación de mujer, por qué me habían tratado de esa forma, […] por qué me habían humillado, dejado de tal manera […]. Ahí es donde yo encontré la respuesta, estudiando ya la ideología, estudiando la concepción. Si bien en la universidad yo había llevado el curso de materialismo dialéctico, de materialismo histórico, porque antes en San Marcos eso se ha estudiado y no era ningún delito. Entonces ahí en los meses que pasé en CANTO GRANDE me sirvieron para entender el por qué de toda esa situación y entender también que yo no debía sentir ninguna vergüenza de haber sido violada.“138

Schilderungen eines anderen, im limenischen Gefängnis Lurigancho Rekrutierten zeigen starke Ähnlichkeiten: „Allí yo aprendí a ver claro lo que es una revolución y comprendí que yo no era tanto como yo creía, yo pensaba que era bien despojado, que no amaba a mi persona pero

137 Vgl. Rénique (2003): Voluntad, S. 59. 138 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700020; Hervorhebungen im Original.

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descubrí que no, que habían algunos más que yo, y me resistí un poco, después no, avasallé con todo.“139

In den Gefängnissen wurden jedoch nicht allein Insassen rekrutiert. In einigen Fällen wurden auch deren Familienangehörige oder Freunde anlässlich ihrer Gefangenenbesuche von Repräsentanten des Leuchtenden Pfads angesprochen und im Anschluss daran auch als Unterstützer oder Parteimitglieder rekrutiert. In einem Fall wurde z. B. die Schwester eines Insassen bei einem Besuch von dessen Freunden angesprochen, die sich in der Folgezeit häufig mit ihr trafen und dabei die Gespräche gezielt auf den Leuchtenden Pfad lenkten. Nachdem diese Gespräche offensichtlich positiv verliefen, wurde sie zunächst als Unterstützerin aufgenommen, bevor sie an ersten kleineren Aktionen, wie etwa dem Verteilen von Flugblättern, teilnahm. Zwei Jahre nach dem Erstkontakt erhielt sie eine erste Führungsaufgabe in der südperuanischen Metropole Arequipa und ein weiteres Jahr später nahm sie an der Ermordung des peruanischen Militärattachés in La Paz teil.140 In einem anderen Fall begann der Bruder eines Insassen, sich in der Partei zu engagieren, nachdem er ebenfalls bei einem Besuch von Mitgliedern des Komitees der Familienangehörigen der SL-Gefangenen angesprochen wurde. Nach erstem Engagement in diesem Komitee wechselte er zu Socorro Popular, wo er während einer Propagandaaktion in die Hände der Polizei fiel.141 Während ihrer Haftstrafe versammelte der Leuchtende Pfad seine Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten innerhalb der Gefängnisflügel, in denen er eine unwidersprochene Machtposition hatte aufbauen können. Ein solches Vorgehen garantierte die Etablierung höchstmöglicher Kohäsion, vor allem aber auch größtmöglicher Kontrolle. Zu dieser Kontrolle gehörten u. a. auch streng gegliederte Tagesabläufe, die den Inhaftierten nur ein Minimum an individuellen Rückzugsmöglichkeiten boten. Nach Angaben eines ehemaligen Häftlings war der Vormittag allgemeinen Arbeiten vorbehalten, während am Nachmittag Kurse zur politischen Bildung und vom Abend bis in die Nacht hinein Diskussionssitzungen stattfanden, in denen die Häftlinge die revolutionäre Haltung ihrer Mitgefangenen, aber auch ihre eigene erörtern und kritisieren mussten.142 Der Parteiwille, seine Mitglieder zu kontrollieren, blieb nicht allein auf deren Zeit innerhalb der Gefängnismauern beschränkt. Penibel wurden alle Entlassungen von Mitgliedern und Unterstützern aus dem Gefängnis verzeichnet und in Halbjahresberichten festgehalten. Diese Berichte, von der SL-Gefängnisfüh139 140 141 142

Portocarrero Maisch (1998): Razones, S. 179. Vgl. Caretas (1989a): Asesina. Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Retazo de tela M-C-101. Portocarrero Maisch (1998): Razones, S. 178.

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rung aufgesetzt und auf Stoffresten aus den Gefängnissen geschmuggelt, waren direkt an Abimael Guzmán adressiert und informierten diesen stichwortartig über den politischen Werdegang der jeweiligen Person, aktuelle Adressen und deren Bereitschaft, die Partei weiterhin zu unterstützen. Darüber hinaus enthielt jeder Vermerk Positiv- und Negativmerkmale der Person. Nach Durchsicht der Berichte, so die Aussage von Oscar Ramírez Durand, bestimmte Abimael Guzmán persönlich, welche Funktionen oder Aufgaben die einzelnen Freigelassenen zukünftig auszuüben bzw. zu erfüllen hatten.143 In einem aus dem Jahr 1990 stammenden Vermerk hieß es z. B. über zwei Parteimitglieder: „ […] (combatiente) (pequeño burgues) Conoce el P [Partido, SCW] en 87 y se organiza en Escuela Popular, luego MJP [Movimiento Juvenil Popular, SCW] San Marcos, en el 88 asume como milicio y, en agosto asume como miembro. Detenido el 26.6.89 en un punto de enlace con 2 combatientes, guardó la regla de oro [guardar silencio, SCW]. Positivo: tiene buena posición de clase, espíritu de lucha sujección al P y planes, en campaña de Rectificación dio salto. Negativo: problemas de laxitud. dio compromiso de persisitir, combatiendo bajo dirección del P.“ „ […] (c. Cerrondo, cuadro del P) (pequeño burgues) Ligado al P desde el 80, se incorpora a ése, luego participa en grupo de acción en Huacho. Oct. 80 cae con medios, reconoce que le pagan y sale en libertad a la semana. Abril 81 participa en una Escuela, inicios 82 pasa a destacamento, junio 82 es […] incorporado al P, asume como miembro […]. Set. 82 pasa de destacamento especial y responsable de la Z.O [Zona Oeste de Lima, SCW], como secretario y miembro del CM [Comité Metropoliano, SCW]. Dic. 82 cae y autodelación, 10 meses en LTC [Luminosas Trincheras de Combate, SCW] El Frontón, Oct. 83 se reincorpora y asume responsabilidad en el CM-ZE [Comité Metropolitano-Zona Este de Lima, SCW] por […] delaciones presentó problemas de pesimismo. Febrero 84 detenido por requisitoria se autodelata ser miembro CM-ZO y participar en acciones. En la LTC El Fronton es incorporado a destacamento especial de seguridad. En junio 86 va a la carceleta judicial, junto con 35 camaradas es trasladado a Canto Grande. Asume como miembro de dirección.“144

Es ist zu vermuten, dass der Leuchtende Pfad nicht zuletzt auch auf Grundlage dieser Berichte in der Lage war, ehemalige Häftlinge ohne größere Reibungsund Zeitverluste in die eigenen Reihen zu (re-)integrieren und sie mit neuen Aufgaben zu betrauen. Auch kann angenommen werden, dass der Zulauf disziplinierter, stark indoktrinierter und hafterprobter Kameraden eine deutliche Stärkung der Parteiarbeit außerhalb der Gefängnismauern bedeutete.

143 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Duodécima Sesión (17.11.2005). 144 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Retazo de tela M-C-101.

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Rekrutierung von Mitgliedern anderer Parteien, der Streitkräfte und von Ausländern

Bei seinen Rekrutierungsversuchen gelang es dem Leuchtenden Pfad auch, Mitglieder anderer politischer Parteien sowie einzelne Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte für sich zu gewinnen. Personen, die zuvor bereits in anderen Parteien aktiv gewesen waren, stellten aus verschiedenen Gründen ein besonders lohnendes Ziel dar: Zum einen verfügten sie in der Regel über langjährige parteipolitische Erfahrung, zum anderen war ihr Übertritt ein wichtiges symbolisches Signal, das weitere Personen zum Wechsel motivieren konnte. Jeder Neuzugang erfahrener Parteiaktivisten bestätigte darüber hinaus den Leuchtenden Pfad in seiner Überzeugung, die einzig authentische kommunistische Partei Perus zu sein. Erste nennenswerte Rekrutierungen von Kadern anderer linker Parteien gab es bereits Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre, als innerhalb der extremen Linken deutlich wurde, dass sich der Leuchtende Pfad im Gegensatz zu den anderen Linksparteien nicht am demokratischen Neubeginn beteiligen würde. Zu diesen Gruppen gehörten u. a. der „Movimiento de la Izquierda Revolucionaria“ (MIR), der in den 1960er-Jahren in Chosica gegründet worden war; die „Nucleos Marxistas-Leninistas“, die sich 1975 vom PCP-Bandera Roja abgespaltet hatten und in Chimbote beheimatet waren; der seit den 1960erJahren existierende „Ejército de Liberación Nacional“ (ELN); „Puka Llacta“, die in den Departements Pasco, Junín und Puno operierten; die „Vanguardia Revoluvionaria Político-Militar“ (VRPM) aus Lima sowie die „Vanguardia Revolucionaria Proletaria Campesina“ (VRPC) aus der Region Apurímac.145 Nach einem Bericht des Geheimdienstes SIN vom August 1984 hatten sich zwischen 1978 und 1980 zudem Aktivisten der Splitterparteien Puka-Llacta-Fraccionamiento de Patria Roja, MIR-IV Etpa-Comité Local „Victorio Navarro“ und des Mir-Peru-Comité Zonal „Victoriano Espárraga Cumbia“ dem Leuchtenden Pfad angeschlossen.146 Verschiedene Aussagen und interne Parteidokumente machen deutlich, dass viele Mitglieder des Leuchtenden Pfads, die zuvor in anderen Parteien aktiv waren, aufgrund der als inkonsequent wahrgenommenen Politik dieser Parteien überliefen.147 Es handelte sich bei den Neuzugängen 145 Vgl. Mercado (1986): Partido, S. 20; Anderson (1987): Sendero Luminoso, S. 34; ChangRodríguez (1988): Origins, S. 72; Caretas (1988d): Morote, S. 14 und Poole und Rénique (1992): Peru, S. 43. 146 IEP-CGG, Servicio Nacional de Inteligencia (1. August 1984), Nota de Inteligencia 023-DGIFI. 147 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700064 und Sala Penal Nacional Exp. 560-03, Retazo de tela M-C-101.

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nicht immer nur um einfache Mitglieder, sondern in manchen Fällen auch um landesweit bekannte und anerkannte Führungspersönlichkeiten wie etwa den legendären Bauernführer Julio Mezzich148, der die Vanguardia Revolucionaria Proletaria Campesina angeführt hatte, oder Felix Calderón, den hoch angesehenen Bauernführer aus Cajamarca. Wie Lewis Taylor am Beispiel Calderóns darstellt, hatten sich diese Persönlichkeiten gegen Ende der 1970er-Jahren so weit radikalisiert, dass die eigenen politischen Vorstellungen mit denen des Leuchtenden Pfads übereinstimmten und der bewaffnete Kampf als einziger Weg des sozialen und politischen Wandels betrachtet wurde.149 Die Tatsache, dass die eigenen Parteien jedoch den demokratisch-parlamentarischen Neubeginn unterstützten und an den Wahlen teilzunehmen suchten, glich in ihren Augen einem Verrat, dem allein mit dem Wechsel zum Leuchtenden Pfad begegnet werden konnte. In diesem Sinne bestätigte ein zum Leuchtenden Pfad übergelaufener ehemaliger Fuktionär der Vanguardia Revolucionaria: „Ni la UDP no el UNIR son siquiera partidos revolucionarios. Antes hablaban de la revolución y no la hacían. Hoy en día son partidos que se han dedicado a sostener el sistema, defender el viejo estado.“150

Dieser Entscheidungsprozess wird von Oscar Ramírez Durand, dem Nachfolger Abimael Guzmáns an der Spitze des Leuchtenden Pfads, bestätigt: „hay personas que vinieron de otros partidos de ‘Vanguardia’ incluso de ‘Pucallacta’, del ‘PCR’, de muchas organizaciones de izquierda, del ‘PC Unidad’ que se decepcionaron de sus partidos y se enrolaron a ‘Sendero’ porque éste comenzó a hacer la lucha armada que ellos pregonaron siempre pero que nunca la hicieron.“151

Zu diesen politischen Überläufern gesellten sich seit Beginn des bewaffneten Kampfes auch ehemalige Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte. Vor allem die im Hochland eingesetzten Armeeverbände sahen sich immer wieder mit Fällen von Fahnenflucht konfrontiert. Naturgemäß besaß die Armee jedoch kein Interesse daran, derartige Fälle öffentlich zu machen, sodass weder genaue Zahlen noch genaue Gründe bekannt sind, die für die Fahnenflucht verantwortlich waren. Aufseiten des Leuchtenden Pfads lassen sich ebenso wenig genauere Informationen finden, wie viele Soldaten überliefen und welche Gründe sie hierfür besaßen. Innerhalb der von der Wahrheitskommission befragten knapp 700 Parteimitglieder befanden sich lediglich sechs ehemalige Angehörige 148 Für einen kurzen biographischen Überblick Mezzichs vgl. Rojas Samanez (1985): Partidos, S. 349–351. 149 Vgl. Taylor (2006): Shining Path, S. 84–91. 150 Caretas (1982a): Sendero, S. 32. 151 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Duodécima Sesión (17.11.2005).

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der staatlichen Sicherheitskräfte.152 Allerdings scheint es, dass die Parteispitze diesen Überläufern außerordentlich skeptisch gegenüberstand, befürchtete sie doch die Gefahr der Infiltration. So forderte sie in einem Bericht aus dem Jahr 1990 eine strenge Kontrolle der Fahnenflüchtigen: „Hay quienes desertan con sus armas y se incorporan a la filas del EGP pero con ellos debe aplicarse máxima vigilancia, observarlos, no darles armas, que en las acciones los cambatientes los observen y nunca ubicarlos cerca a los dirigentes.“153

In mindestens einem Fall erreichte den Leuchtenden Pfad zudem das Gesuch eines ausländischen Staatsbürgers, den bewaffneten Kampf aktiv unterstützen zu dürfen. In einem Brief vom 8. August 1992, der direkt an Abimael Guzmán adressiert war, bat ein französischer Staatsbürger um Aufnahme in die Organisation – ob dem Begehr aber stattgegeben wurde, bleibt unklar: „Querido y respetado Presidente Gonzalo, soy […] y vengo de Francia con el empeño de participar en la lucha del proletariado y del pueblo del Peru en la guerra popular debajo la bandera del marxismo-leninismomaoismo pensamiento gonzalo. Afirmo mi compromiso de combatir, producir y movilizar con todas mis capacidades al fin del triunfo de la revolución de nueva democracia en todo el país para poder edificar el socialismo y andar hasta el comunismo con el proletariado internacional y los pueblos oprimidos en su lucha de clase contra las clases explotadoras, reaccionarias, contra el imperialismo principalmente yankee hasta el triunfo del comunismo sobre toda la tierra.“154

Zur Rolle der Frauen

Immer wieder wird von der Forschung das Engagement der Frauen innerhalb des Leuchtenden Pfads herausgehoben. In Übereinstimmung mit den grundsätzlichen Einschätzungen Lenins, Maos und Mariáteguis, denen zufolge keine Revolution ohne die Einbindung von Frauen erfolgreich sein würde, hatten zunächst bandera roja und später auch der Leuchtende Pfad bereits in den 1960er-Jahren damit begonnen, eine feministische Agenda für ihre Bewegungen zu entwickeln.155 Mitte der 1970er-Jahre veröffentlichte schließlich der Movimiento Popular Feminino, eine von verschiedenen Hilfsorganisationen, die der Leuchtende Pfad seit 1973 gründete, diese Agenda, die den Kampf für 152 Vgl. Portugal (2008): Voices, S. 70. 153 DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (1990): Sobre el balance de la aplicación de la primera campaña del plan de impulsar el desarrollo de las bases de apoyo! 154 DINCOTE; DH-SL, o. Nr., Muestra A-12, Atestado Policial Nr. 198-DINCOTE vom 26.06.1992. 155 Vgl. Lázaro (1990): Women, S. 241 und Tarazona-Sevillano (1990): Sendero, S. 76f.

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die Gleichberechtigung der Frau mit dem des Proletariats gegen den Kapitalismus gleichsetzte und damit in Einklang mit den Zielen des Leuchtenden Pfads brachte.156 In diesem Sinne hieß es in der Partei-Schrift „El Marximso, Mariátegui y el Movimiento Feminino“: „con el capitalismo y su industrialización la mujer avanza en la vía de su emancipación, pero en este sistema ni siquiera consigue la real igualdad jurídica; por ello un consecuente movimiento femenino busca ir mas allá y en este camino necesariamente tiene que unirse a la lucha del proletariado.“157

Die Folge dieser Verschmelzung beschreibt Starn wie folgt: „Women’s issues did not have to be addressed in detail, as one leader explained, because ,all problems will fall away in the New Society‘.“158 Die Verbreitung dieses Ansatzes erfolgte unter anderem durch die escuelas populares, in denen die weibliche Landbevölkerung, möglicherweise zum ersten Male, über die verschiedenen Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen einer kapitalistischen und von Männern dominierten Gesellschaft aufgeklärt wurde. Nach Ansicht von Juan Lázaro waren vor allem die jungen Frauen aus der sierra die wichtigste Zielgruppe des Leuchtenden Pfads, da sie innerhalb dessen Weltbildes die am stärksten unterdrückte Gesellschaftsgruppe darstellten und damit am ehesten für den Klassenkampf zu gewinnen waren.159 Ob der überwiegende Teil der Aktivistinnen jedoch tatsächlich aus dieser sozialen Gruppe entsammte, ist unklar. Zwar rekrutierten sich wichtige Teile der weiblichen Mitgliedschaft aus der Bauernschaft, der größte Teil jedoch entstammte nach Ansicht einiger Beobachter aber eher dem urbanen Milieu der unteren Mittelschicht; zum Teil auch der Oberschicht.160 Nach Ansicht einiger Autoren machten Frauen bis zu einem Drittel der Gesamtmitgliedschaft aus.161 Innerhalb der Gruppe der 1989 wegen Terrorismusdelikten in den limenischen Gefängnissen einsitzenden Häftlinge betrug der Frauenanteil allerdings nur 16 Prozent.162 Und auch innerhalb der Gruppe der von der Wahrheitskommission in den Jahren zwischen 2000 und 2003 befragten inhaftierten Parteimitglieder kamen Frauen nicht über einen Anteil von 156 157 158 159 160 161

Vgl. Partido Comunista del Perú -Sendero Luminoso (Ohne Datum): Marxismo. Ibid. Starn (1995): Maoism, S. 417. Vgl. Lázaro (1990): Women, S. 242f. Vgl. Coral Cordero (1998): Women, S. 351 und Caretas (1992c): Danza. Vgl. Andreas (1985): Women, S. 178–187; Anderson (1987): Sendero Luminoso, S. 32; Harding (1987): Rise, S. 188; Chang-Rodríguez (1988): Origins S. 82; Tarazona-Sevillano (1990): Sendero, S. 76–78; Herzog (1993): Voice, S. 65–75 und McClintock (1998): Movements, S. 272. 162 Vgl. Chávez de Paz (1989): Juventud, S. 27.

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18,3  Prozent hinaus.163 Allerdings scheint es eine überdurchschnittlich hohe Quote von Frauen innerhalb der Führungspositionen der Organisation gegeben zu haben, die in der Öffentlichkeit zu einer verzerrten Wahrnehmung des Frauenanteils innerhalb der Partei geführt haben mag. Zum Zeitpunkt des ersten Parteikongresses des Leuchtenden Pfads im Jahre 1988 gehörten dem offiziellen Leitorgan der Partei, dem 19-köpfigen Zentralkomitee, mindestens acht Frauen an. Innerhalb des tatsächlichen Führungsgremiums, des comite permanente, befanden sich bis 1988 neben Abimael Guzmán dessen Ehefrau Augusta de la Torre sowie dessen spätere Lebensgefährtin Elena Iparraguirre.164 Auf den Fotos, die 1993 anlässlich des von Abimael Guzmán vorgeschlagenen Friedensangebotes veröffentlicht wurden und auf denen die inhaftierte Parteispitze zu sehen ist, sind neben Abimael Guzmán und Osmán Morote mit Elena Iparraguirre, Angélica Salas, Martha Huatay und María Pantoja vier Frauen zu erkennen.165 Auf unterer Ebene wurden Frauen vielfältigen Berichten zufolge oft in besonders riskanten und kaltblütigen Operationen eingesetzt. Immer wieder finden sich dabei Hinweise darauf, dass innerhalb der Mordkommandos des Leuchtenden Pfads es vor allem Frauen waren, die den tödlichen Schuss auf das jeweilige Opfer abgaben – weshalb weibliche senderista in den Augen der Allgemeinheit häufig als besonders gefährlich und grausam galten.166 Zu den in der allgemeinen Wahrnehmung berühmtesten Figuren des Leuchtenden Pfads gehörten ebenfalls einige Frauen. Das wohl bekannteste Beispiel ist dabei das von Edith Lagos, die 1982 im Departement von Ayacucho 19-jährig von Polizeikräften ermordet wurde und deren Beisetzung im September des gleichen Jahres zu einem Großereignis stilisiert wurde, dem zwischen 15.000 und 30.000 Personen beiwohnten.167 Ob der Leuchtende Pfad trotz des beachtlichen Frauenanteils sowie seines Anspruchs auf Gleichberechtigung der Frau in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft aber tatsächlich als eine pro-feministische Organisation verstanden werden kann, ist zweifelhaft. Ein zunächst größtenteils positives Bild der Frauen des Leuchtenden Pfads zeichnet Carol Andreas. Die Attraktivität des Leucht163 Vgl. Portugal (2008): Voices, S. 69. 164 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 94. Nach dem Tod von Augusta de la Torre rückte Oscar Alberto Ramírez Durand in dieses Gremium auf. 165 Vgl. Caretas (2003): Guzmán, S. 46. 166 Vgl. Caretas (1987): Sendero, S. 12; Chang-Rodríguez (1988): Origins, S. 83; TarazonaSevillano (1990): Sendero, S. 77 und Herzog (1993): Voice, S. 66. 167 Vgl. Harding (1987): Rise, S. 188; Poole und Rénique (1992): Peru, S. 64 und Caro Cárdenas (2006): Mujer. Zu den näheren Umständen des Todes Edith Lagos vgl. Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero, S. 396–400.

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enden Pfads für Frauen speiste sich ihr zufolge zum einen aus dessen Eintreten für eine neue, emanzipierte und ökonomisch gerechte Gesellschaft, die eine stärkere soziale und politische Partizipation erlauben würde, und zum anderen aus dessen Kampf gegen Prostitution, Drogen- und Trunksucht sowie häusliche Gewalt.168 Ihrer Einschätzung nach stellten Frauen nicht allein den Löwenanteil der Mitgliedschaft, sondern taten sich auch durch herausragende Militärkommandos hervor. Eine männliche Dominanz gab es ihrer Ansicht nach nicht.169 Gabriela Tarazona-Sevillano fügt in diesem Sinne an: „Sendero Luminoso offers liberation from the traditional familial and societal female roles by treating women and men equally.“170 Für Juan Lázaro hatte der Leuchtende Pfad den Sexismus überwunden.171 Und Daniel Castro bescheinigt dem Engagement der weiblichen senderistas gar eine entscheidende Durchschlagswirkung auf die Emanzipation peruanischer Frauen allgemein: „In the course of the war and its aftermath, Peruvian women rebels have demonstrated the resilience and the capacity of the human spirit to overcome even the most trying of calamities of war and death. Their participation in this war has changed forever the perception of Peruvian women as passive objects of economic, social, sexual, and political oppression.“172 Diesen positiven Einschätzungen stehen allerdings Betrachtungen gegenüber, die von einer mehrschichtigen Überlagerung der vermeintlichen Geschlechtergleichheit durch eine Prävalenz männlich geprägter Dominanztraditionen sowohl innerhalb der Parteistrukturen als auch im Außenverhältnis zeugen. In den Augen von Isabel Coral Cordero errichtete der Leuchtende Pfad „an instrumental relationship with its female members that reproduced patriarchal relations to benefit the party.“173 Und Julia Vicuña konstatiert eine Maskulinisierung der weiblichen senderistas, da diese bei Erfüllung der verschiedenen Aufgaben für die Partei immer auch gleichzeitig beweisen mussten, mehr „Macho“ zu sein als ihre männlichen Kameraden.174 In welchem Maße der Leuchtende Pfad die proklamierte Gleichbehandlung missachtete, zeigen die Ergebnisse der Wahrheitskommission.175 Diese belegen, dass u. a. Zwangspartnerschaften, aber auch Zwangsabtreibungen und Vergewaltigungen innerhalb der Reihen des Leuchtenden Pfads üblich waren und häufig mit dem Hinweis 168 169 170 171 172 173 174 175

Zitiert nach Herzog (1993): Voice, S. 65. Andreas (1985): Women, S. 182. Tarazona-Sevillano (1990): Sendero, S. 76. Vgl. Lázaro (1990): Women, S. 244. Castro (1999): Legions, S. 197. Coral Cordero (1998): Women, S. 353. Zitiert nach Herzog (1993): Voice, S. 71. Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 6, S. 192–272.

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auf die Parteiräson gerechtfertigt wurden. So erklärte ein Parteimitglied mittleren Ranges zur Frage von Zwangsabtreibungen: „Y se basaban en un hecho, el presidente Gonzalo porqué no tiene hijos por la necesidad política, tienes que aprender de él, se decían de que no estamos en contra del aborto, pero tampoco estamos a favor del aborto. Pero sí hay que evaluar si eso sirve al desarrollo del trabajo partidario, todo en función del trabajo partidario, si eso sirve al trabajao partidario, si ese sirve para fortalecer, o si eso que digamos va poner en riesgo muchas cosas, si es que se evalúa hay que practicar el aborto, pero eso era a nivel de dirección.“176

Nach Augenzeugenberichten beschränkten sich Zwangsabtreibungen allerdings nicht allein auf einige wenige Fälle innerhalb der Führungsebene, sondern betrafen sehr häufig auch Frauen, die den militärischen Einheiten der Partei angehörten. Frauen der „masas“ scheinen dagegen nicht betroffen gewesen zu sein.177 Neben Zwangsabtreibungen waren aber auch Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch von Minderjährigen häufig vorkommende Phänomene. Dabei scheinen vor allem Vergewaltigungen auf ein hohes Akzeptanzniveau innerhalb der Führungsränge gestoßen zu sein: „cuanto tú agarras a la fuerza, violación, el partido te va a matar, pero puede perdonar tres veces que hayas violado. Si violas te criticaban por qué haces estas cosas, al partido no le gusta y segundo tenías que contar tu vida. [...] A nosotros nos permitían violar tres veces a una mujer, pero a la cuarta vez ya no te perdonaban, te enterraban.“178

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Akzeptanz von Vergewaltigungen innerhalb der männlichen senderistas dazu führte, dass selbst extreme Fälle sich ereignen konnten. So berichtete ein senderista über einen Fall von Leichenschändung: „Yo cuando estaba en la guerrilla, una ocasión, carambas, tuve una relación con una que lo matamos, le habían matado a una, supuestamente era soplona, le matamos, eso ha sido en el sector de Culebras, Paraíso, y la finada estaba pues en el hueco y como simpática, recién era diez minutos, cinco minutos que habíamos matado y yo pues le digo que tal si, está bonita, que tal si podemos tener sexo, no?, no sexo vulgar sino vulgarmente vamos tirarle, culearle pues decía no, y me dicen por qué no lo haces tú, entonces yo soy el primero en tener sexo con ella no, cuando está muerta, y estaba ella muerta.“179

176 177 178 179

Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 100054. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 102170. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 6, S. 205. Ibid., Bd. 6, S. 208f.

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Frauen fielen aber nicht nur Vergewaltigungen zum Opfer, sondern wurden auch zu Formen der Zwangsprostitution gezwungen, um Anführern oder inhaftierten senderistas zu dienen. Die Verwandte einer senderista sagte aus: „Muchas chicas tienen la ‘tarea revolucionaria’ de acudir a las cárceles para atender a los compañeros. No se pueden negar. Lo único que pueden hacer es elegir con quien van a tener relaciones sexuales. Generalmente un responsable designa las parejas.“180

Neben diesem physischen Missbrauch zeigte der Leuchtende Pfad weitere Aspekte auf, die auf den vornehmlich patriarchalischen Charakter der Organisation schließen lassen. Zunächst lässt sich auf die in Kapitel 4 noch genauer zu untersuchende kultische Verehrung Guzmáns und dessen Hang, sich mit Frauen zu umgeben, hinweisen.181 Darüber hinaus stellt Isabel Coral Cordero fest, dass der Leuchtende Pfad im Außenverhältnis eine Sprachweise aufwies, die eindeutige Symbole von (Un-)Männlichkeit transportierte und die somit – als Kehrseite der Medaille – auch als anti-feministisch eingestuft werden kann. Neben der Diskreditierung des politischen Gegners durch Begriffe wie „maricones“ oder „mujercitas“ sollten etwa männliche politische Gegner häufig dadurch demontiert werden, dass deren Frauen in Flugblättern der Untreue bezichtigt wurden. Weibliche politische Gegnerinnen dagegen hatten etwa mit Diffamierungen zu kämpfen, denen zufolge sie Prostituierte seien oder gar Geschlechtskrankheiten verbreiteten.182 All dies macht deutlich, dass der proklamierte Gleichbehandlungsgrundsatz der Geschlechter des Leuchtenden Pfads in der Praxis auf massive Widersprüche stieß und ad absurdum geführt wurde.

3.2 Finanzierung Der Frage, wie der Leuchtende Pfad seine Unternehmungen hatte finanzieren können, ist in der Literatur bisher nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit zuteil geworden. Der meistgenannte Erklärungsansatz verweist auf die Verstrickung der Organisation in den Drogenhandel und die daraus resultierenden, vermeintlich sehr hohen Einnahmen. Eine derartige Fokussierung auf den Drogenhandel erscheint aber aus mehreren Gründen problematisch. Sie verengt nicht nur den Analysewinkel so stark, dass weitere Finanzressourcen nicht 180 Ibid., Bd. 6, S. 277. 181 Immer wieder sorgte die angebliche Suggestionskraft Guzmáns auf Frauen für Spekulationen. Für einen ebenso typischen wie misslungenen Erklärungsversuch vgl. Caretas (1992e): Sendero. 182 Vgl. Coral Cordero (1998): Women, S. 350f.

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mehr wahrgenommen zu werden drohen. Und noch immer fehlt eine detaillierte Darstellung darüber, welche Finanzströme der Drogenhandel tatsächlich generierte und in welche Kassen sie flossen. Es erscheint daher angebracht, den Drogenhandel als zwar wichtige, aber sicherlich nicht einzige Finanzquelle des Leuchtenden Pfads zu betrachten. Für diese Vermutung sprechen verschiedene Anhaltspunkte. Zum einen flossen die Drogengelder erst ab der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre in relevantem Umfang – zumindest in den Jahren zuvor müssen also andere Finanzquellen existiert haben. Zum anderen lassen zahlreiche Parteidokumente darauf schließen, dass wichtige Ressourcen wie etwa Waffen oder Medikamente in den meisten Regionen fast immer nur in begrenzten Mengen zur Verfügung standen. Hätten die jährlichen Einahmen aus dem Drogenhandel tatsächlich den Umfang erreicht, der in der Literatur genannt wird – zwischen 10 und 100 Millionen US-Dollar –, wären derartige Versorgungsengpässe aber wohl eher die Ausnahme gewesen. Auch ist anzunehmen, dass ein mit derartigen Summen ausgestatteter Leuchtender Pfad eine ausreichende und moderne Bewaffnung auf dem internationalen Waffenmarkt hätte akquirieren können. Es muss allerdings deutlich gemacht werden, dass eine genaue Aufschlüsselung des parteiinternen Finanzsystems aufgrund eines erheblichen Quellenmangels noch immer unmöglich ist. Auf Grundlage der für diese Arbeit durchgeführten Quellenauswertung lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Folgendes vermuten: 1. Der Leuchtende Pfad verfügte über eine eher dünne Finanzdecke, die den finanziellen Erfordernissen nur knapp genügte und die sich aus verschiedenen Quellen zusammensetzte, die immer wieder neu erschlossen werden mussten. 2. Nur ein sehr kleiner Kreis, der nicht mehr als eine Handvoll höchster Parteiführer umfasste, besaß genaue Kenntnis der Parteifinanzen. 3. Das Gros aller Finanztransaktionen wurde mit einem kleinstmöglichen und uneinheitlichen schriftlichen Verwaltungsaufwand getätigt, was eine Untersuchung zusätzlich erschwert. Wie undurchsichtig die Finanzstruktur der Partei war, lässt sich aus einer Gerichtsaussage von Guzmáns Nachfolger Feliciano schließen. Auf die Bitte hin, als ehemaliger Führungskader zu präzisieren, wer die Parteifinanzen verwaltet habe, antwortete er: „no sólo a mi no se me rindió cuentas, sino es que no se rindió cuentas a nadie del Buró Político ni del Comité Central.“183

Weshalb eine derart untransparente Konstruktion existierte, lässt sich nur vermuten. Möglich erscheint, dass bei einem Fahndungserfolg der Sicherheitskräfte die Aufdeckung sämtlicher Parteigelder vermieden werden sollte. Ebenso ist denkbar, dass Abimael Guzmán zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung 183 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Duodécima Sesión (17.11.2005).

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seines eigenen Machtanspruches ein derartiges Königswissen zu monopolisieren suchte. Wäre der Finanzstatus der Organisation parteiöffentlich gewesen, hätten sich Guzmán und sein Führungszirkel kritischen Nachfragen stellen müssen, weshalb etwa trotz ausreichender Geldmittel bei Munition und Bewaffnung Engpässe existierten oder aber – im gegenteiligen Falle – wie der eigene Kampf angesichts kaum gefüllter Parteikassen zum Sieg geführt werden sollte. So aber war es keiner Parteigliederung möglich, substanzielles Wissen über die Kassenlage zu erlangen, was naturgemäß zu einer wachsenden Abhängigkeit von der Zentralführung führte. Drogenhandel

Bisherige Studien bezeichnen die aus dem Drogenhandel stammenden jährlichen Einnahmen von geschätzten 10 bis 100 Millionen US-Dollar als die „principal source of [...] economic resources“ des Leuchtenden Pfads. 184 Bereits in den frühen 1980er-Jahren waren kleinere Einheiten des Leuchtenden Pfads in das Alto-Huallaga-Tal (AHT) eingesickert, das sich seit den 1970er-Jahren zum größten Kokaanbaugebiet Perus entwickelt hatte. Studien zufolge stammten bis Ende der 1980er-Jahre 60 Prozent des nationalen Kokaanbaus aus dieser Region, in der zudem 95 Prozent der Wirtschaft vom Drogenhandel abhingen.185 Ab welchem Zeitpunkt und in welchem Maße sich der Leuchtende Pfad zunächst am Drogenhandel beteiligte, ist jedoch unklar. Obgleich Beobachter erste Drogenaktivitäten des Leuchtenden Pfads in der ersten Hälfte der 1980erJahren ausmachen186, kam ein Geheimdienstbericht aus dem Jahr 1984 noch zu dem gegenteiligen Urteil: „En lo que se refiere a estas relaciones [el narcotráfico, SCW], si bien el accionar subversivo y el narcotráfico, coinciden en el uso de las mismas áreas geográficas, como es el caso de Tinga María, San Francisco, etc., sin embargo no existen evidencias que permitan determinar un entendimiento.“187

Unabhängig vom genauen Beginn seiner Beteiligung am Drogenhandel scheint es innerhalb des Leuchtenden Pfads grundsätzliche Zweifel an der Legitimität 184 Gonzales (1992): Guerrillas, S. 121; vgl. auch Tarazona-Sevillano (1990): Sendero, S. 121; Centro Amazónico de Antropología y Aplicación Práctica (1992): Violencia, S. 13; Caretas (1992a): Abimael und Hoffmann (1995): Allianz, S. 588, Fußnote 17a. 185 Centro Amazónico de Antropología y Aplicación Práctica (1992): Violencia, S. 45. 186 Vgl. Gonzales (1992): Guerrillas, S. 106. 187 IEP-CGG, Servicio Nacional de Inteligencia (25. Januar 1985), Nota de Inteligencia Nr. 001-DGFE.

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einer derartigen Beteiligung gegeben zu haben. Zumindest die Führungsspitze in Lima nahm diesbezüglich eine Position ein, die sich durch eine krasse Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis auszeichnete. Offiziell lehnte die Parteiführung jegliche direkte Beteiligung am sowie jeglichen indirekten Profitgewinn vom Drogenhandel entschieden ab, obwohl sie sich mit dem Kokaanbau als bäuerliche Subsistenzgrundlage grundsätzlich einverstanden erklärte. In einem Bericht, der nach einem Treffen der Zentralführung mit dem Regionalkomitee des Huallaga im April 1989 erstellt wurde, hieß es entsprechend: „no estamos en contra del cultivo de la coca (tiene elementos nutritivos, da energía) pero nos oponemos al narcotráfico, las masas en el Perú consumen la coca; clave para combatir erradicación de la coca, nunca le quites a la masa un medio de vida si no le das otro, si no aplicamos esta política nos apartamos de las masas, es una defensa de la masa y buen tiempo por delante lo usará como medio de subsistencia, más si cada vez mayor gente viene a esta zona para cultivar coca, pensar que esta situación específica nos va a contraponer directamente contra el imperialismo“188

Geboten war aus Sicht der Parteiführung keine eigenständige Beteiligung am Drogenhandel, sondern vielmehr die Vermeidung von Konfrontationen zwischen der eigenen Organisation und den Drogenhändlern sowie die Etablierung einer friedlichen Koexistenz beider Gruppen. In einer Stellungnahme des Zentralkomitees zu einem Bericht des Huallaga-Komitees von 1986 wurde daher erinnert: „Sobre el problema de los narcotaficantes: el acuerdo del CC [Comité Central, SCW] es no atacarlos, ellos trabajan por su propia cuenta y nosotros por la nuestra, no golperarlos para que no suceceda lo de Colombia que armaron grupos armados para atacar a la guerrilla.“189

Wie sich jedoch in der Realität zeigte, entwickelte sich aus diesem Nichtangriffspakt sehr bald eine rationale Geschäftsbeziehung, auf deren Grundlage beide Seiten ein Maximum an wirtschaftlichem Erlös zu erzielen suchten. Wie aus Aussagen von Oscar Alberto Ramírez Durand hervorgeht, wurden die Kameraden in den Kokaanbaugebieten schon frühzeitig ermutigt, die Drogenhändler um Unterstützung für den eigenen Kampf zu bitten. Um jedoch ein Söldnertum bei den eigenen Truppen zu vermeiden, sollten zunächst keine Geldleistungen erbeten werden, sondern vor allem Waffen, Medikamente und Ausrüstung.190 Mit zunehmender territorialer und politischer Machtkonsoli188 DINCOTE, DH-SL-0326, PCP-SL 5.4.1989): Notas sobre la reunión con el Comité Regional Huallaga. 189 DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (23.3.–9.4.1986): Reunión Nacional de dirigentes y cuadros. 190 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Duodécima Sesión (17.11.2005).

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dierung im AHT beschränkte sich der Leuchtende Pfad jedoch nicht mehr nur auf freiwillige Sachspenden, sondern etablierte sich spätestens ab der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre als zentrale Kontrollinstanz der Region, die für alle wesentlichen Bereiche des Drogenhandels Gebühren erhob. Die Allianz zwischen den Revolutionären und den Drogenhändlern beschreibt Benedicto Jiménez Bacca folgendermaßen: „Mientras los primeros [Sendero Luminoso, SCW] brindan protección y libertad de acción a los narcotraficantes a través de hostigamientos y ataques a las fuerzas del orden, asentadas en dichos lugares; los narcotraficantes les brindan a los terroristas el apoyo financiero y logístico, consistente en dinero, preferentemente dólares, armas, equipos de comunicación, alimentos etc.“191 Ganz so einträchtig wie das Zitat Baccas glauben macht, gestaltete sich die Beziehung zwischen den Drogenhändlern und dem Leuchtenden Pfad allerdings nicht. Wann immer es ihnen notwendig erschien, unterstrichen die Revolutionäre die Gültigkeit ihrer Geschäftsbedingungen mit der Anwendung von Gewalt, die nach Aussage eines ehemaligen Drogenhändlers auch die Ermordung von widerständigen regionalen Drogenbaronen einschloss.192 Seit Beginn seiner Beteiligung am Drogenhandel zielte der Leuchtende Pfad darauf ab, die einzelnen Schritte in der Wertschöpfungskette des Drogenhandels – vom Anbau über den Verkauf der Kokablätter bis hin zum Zugang der geheimen Landebahnen, von denen die produzierte Kokarohpaste ins Ausland gebracht wurde – zu kontrollieren und mit Abgaben zu versehen. Interne Dokumente und verschiedene Aussagen von ehemaligen senderistas und Drogenhändlern veranschaulichen die Verstrickung des Leuchtenden Pfads. In einem vom 10. Oktober 1990 datierten „Balance y reajuste de la lucha reivindicativa“, der vom Huallaga-Komitee unterschrieben und zuvor von der Parteiführung autorisiert worden war, wurden in mehreren Punkten die Geschäftsbedingungen für den Kokahandel dargestellt: U. a. wurden z. B. für die arroba (5½ kg) Kokablätter Fixpreise sowie der Gebrauch einer Einheitswaage festgesetzt. Alle Abgaben waren dem Dokument zufolge sofort und in bar zu leisten. Um den eigenen Profit zu erhöhen, wurde jeglicher Zwischenhandel verboten und stattdessen wurden Direktgeschäfte mit den nationalen und ausländischen „firmas“ angeordnet – Geschäftswährungen waren sowohl der USDollar als auch der peruanische Inti. Grundsätzlich stand allen ausländischen Drogenhändlern das AHT offen, allerdings wurde eine Registrierungsgebühr in Höhe von 15.000 US-Dollar für ein Jahr verlangt. Schließlich wurden auch 191 Jiménez Bacca (2004): Inicio, S. 521. 192 Vgl.Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 195, Fußnote 399.

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Abgaben für den Zugang zu den klandestinen Start- und Landepisten eingefordert. Ins Auge fällt die Ermahnung an die eigene Organisation, den Bau eines Flughafens voranzutreiben – das Flugverkehraufkommen scheint also hoch gewesen zu sein.193 Über die genaue Höhe der Abgaben, die an den Leuchtenden Pfad zu entrichten waren, finden sich über das genannte Dokument hinaus unterschiedliche Angaben. In seiner Aussage vor der Wahrheitskommission gab etwa der Drogenhändler Demetrio Chávez Peñherrera an, dass die Drogenunternehmen halbjährlich eine Handelskonzession für 15.000 US-Dollar vom Leuchtenden Pfad erwerben mussten, die ihnen die Fortführung ihrer Geschäfte für die jeweils kommenden sechs Monate erlaubte. Es erscheint denkbar, dass es sich bei dieser Konzession um die im SL-Dokument erwähnte Registrierungsgebühr handelte. Darüber hinaus, so Chávez, mussten alle Drogenhändler 300 US-Dollar pro gehandeltes Kilo pasta básica de cocaína (PBC) zahlen sowie mit Sachleistungen wie etwa Medikamenten, Stiefeln, Kleidung und dem Verleih von Fahrzeugen kollaborieren.194 Nach Medienberichten wurden in Spitzenzeiten 20 US-Dollar für eine arroba Kokablätter und bis zu 500 US-Dollar für das Kilo PBC erzielt.195 Den Aussagen eines ehemaligen Anführers mittleren Ranges aus dem AHT zufolge hatten die Drogenhändler darüber hinaus 300 US-Dollar pro Flug zu entrichten, von denen es täglich vier oder fünf gegeben habe.196 Nach Ansicht von Jiménez Bacca nahm der Leuchtende Pfad bei jedem Flug, mit dem die PBC ins Ausland gebracht wurde, sogar zwischen 3.000 und 3.500 US-Dollar pro Kilo ein.197 Einer Abgabenpflicht unterlagen (allerdings) nicht allein die Drogenhändler, sondern auch die Kokabauern. Im Departement Ucayali wurde ihnen etwa ein Kollaborationsbeitrag auferlegt, dessen Nichtzahlung mit einem corte económico geahndet wurde, was bedeutete, dass die Bauern befristet auf den parteieigenen und nicht auf ihren eigenen Feldern arbeiten mussten. In den Fällen, in den Bauernfamilien emigrierten, beschlagnahmte der Leuchtende Pfad die Felder.198 Auch wenn das Engagement des Leuchtenden Pfads im Drogenhandel unstrittig ist, so ist aufgrund der knappen Quellenlage weiterhin unklar, wie hoch die Gesamteinnahmen hieraus waren und welcher Teil davon an die Parteiführung in Lima abgeführt wurde. Dem Balance von 1990 kann man erste Informationen über die Finanzverteilung entnehmen. Von den 15.000 US193 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp.177-93, Bd. B. 194 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 195, Fußnote 399. 195 Vgl. Ideele (1996): Huallaga, S. 48. 196 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 742011. 197 Vgl. Jiménez Bacca (2004): Inicio, S. 526f. 198 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 245.

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Dollar, die für die Handelskonzession erhoben wurden, sollten 50 Prozent an die Partei gehen (wobei aber nicht spezifiziert wurde, ob das Regionalkomitee oder die Zentralführung gemeint war), 40 Prozent für den Kauf von Kommunikationstechnik ausgegeben und 10 Prozent zur Deckung der laufenden Kosten der jeweils verantwortlichen Parteieinheit vor Ort sowie für Munition eingesetzt werden. Die Abgaben, die für die Nutzung der Flughäfen zu zahlen waren (und deren Höhe unbekannt ist), wurden folgendermaßen aufgeteilt: Fünf Prozent wurden für die Instandhaltung der Landebahn eingesetzt, die restlichen 95 Prozent gingen an das sogenannte Comité de Celulas del Bolsón, das aus diesen Mitteln u.  a. die Gesundheitsversorgung bestreiten musste. Doch auch wenn sich die aus dem Drogenhandel resultierenden parteiinternen Finanzflüsse nicht detailliert nachzeichnen lassen, erscheint es unzweifelhaft, dass das Huallaga-Komitee der Parteiableger mit den größten finanziellen Ressourcen war. Äußerungen der Parteispitze untermauern diese Vermutung: Vertrauten gegenüber erwähnte Abimael Guzmán eine einmalige Beitragszahlung des Huallaga-Komitees in Höhe von einer Millionen Soles.199 In einer Unterlage vom ersten Parteikongress von 1988 wurde der finanzielle Beitrag dieses Komitees ausdrücklich gewürdigt: „El Partido se autofinancia, se autosostiene, con un trabajo económico especial y con aportes de algunas bases, entre ellas hay que destacar Huallaga; sí, es lo que soporta un fuerte peso económico.“200

Neuere Studien gehen davon aus, dass der allergrößte Teil der Einnahmen in den autonomen Kassen den Huallaga-Komitees verblieb, was nicht zuletzt auch mit der vermeintlich moralisch-ethischen Ablehnung Guzmáns erklärt wird, Drogengelder als Finanzbasis der Partei zu nutzen.201 Darüber, ob den Chef des Leuchtenden Pfads derartige Zweifel aber tatsächlich plagten, kann nur spekuliert werden. Pragmatisch nüchtern, wie er von Beginn an die Evolution seiner Organisation vorangetrieben hatte, erscheint das diesbezügliche Urteil Felicianos nicht weniger glaubwürdig: „después de todo [Abimael Guzmán, SCW] no le hacía ojitos cuando le llegaba el dinero, o sea él recibía, además una organización de este tipo siempre necesita una economía pero que ese dinero provenía en el caso del Huallaga de las firmas de narcotraficantes no hay duda.“202 199 Vgl. Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. L. 200 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, PCP-SL (1988): 1er Congreso del PCP-SL, Bd.  1, Informe sobre ¡Construir la conquista del poder en todo el país! 201 Vgl. Jiménez Bacca (2004): Inicio, S. 520 und Weinstein (2007): Rebellion, S. 93. 202 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Duodécima Sesión (17.11.2005). Abimael Guzmán scheint mit seinem Widerspruch zwischen öffentlicher Ablehnung und tat-

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Weitere Finanzquellen

Zur Mobilisierung von Geldmitteln beschränkte sich der Leuchtende Pfad nicht allein auf den Drogenhandel. Die Parteiführung hielt darüber hinaus sämtliche Parteigliederungen an, Geldquellen zu erschließen, von deren Erträgen ein Teil an sie weiterzuleiten war. Diese Forderung entsprang vermutlich zwei Überlegungen: Zum einen musste die Zentrale ein natürliches Interesse daran haben, finanziell nicht das Nachsehen gegenüber einzelnen Parteieinheiten zu haben. Zum anderen kontrollierte sie damit zugleich das Finanzgebaren der einzelnen Gliederungen, was deren Autonomie deutlich reduzieren konnte. In einem Dokument vom Parteikongress 1988 hieß es denn auch: „los aparatos cuando tienen un dinero, la parte mayoritaria es para la Dirección Central, porque es para todo el Partido, la minoritaria es para el aparato; y en segundo lugar, una cosa más importante, hay que dar cuentas.“203

Diese Aufforderung stieß in der Realität aber auf sehr enge Grenzen. Zwar kamen ihr die meisten Parteisektionen nach, allerdings handelte es sich häufig um sehr geringe und auch nur unregelmäßige Zahlungen. Feliciano beschrieb die Diskrepanz zwischen dem zitierten Anspruch der Parteiführung und der finanziellen Wirklichkeit in den meisten Regionalkomitees: „pero al fin y al cabo nosotros tampoco rendíamos cuentas porque los comités tenían muy pocos ingresos, no sé si otros comités habrán tenido ingresos, pero en el caso del Centro y Ayacucho donde he estado teníamos muy pocos ingresos, y muy pocas veces hacíamos llegar dinero al Comité Central así que tampoco rendíamos cuentas.“204

Um welch relativ geringe Summen es sich bei den Beitragszahlungen aus den Regionen handelte, geht aus verschiedenen Berichten hervor, die die Regionalkomitees an die Zentrale nach Lima übersandten. Im Mai 1992 berichtete z. B. das Comité Zonal Sur Medio von einer Überweisung von 590 Soles oder US-Dollar an das Zentralkomitee, von denen ein Teilbetrag zur Finanzierung

sächlicher Bereitschaft durchaus nicht untypisch für die Organisation gewesen zu sein. Gegenüber der Wahrheitskommission erklärte z.B. ein ehemaliger Kompanieführer des Leuchtenden Pfads aus dem AHT, dass die Organisation den Drogenhandel entschieden ablehnte, sich jedoch gezwungen gesehen habe, sich zu engagieren, um die Kokabauern vor den betrügerischen Zwischenhändlern zu schützen; vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 742011. 203 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, PCP-SL (1988): 1er Congreso del PCP-SL, Bd.  1, Informe sobre ¡Construir la conquista del poder en todo el país! 204 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Acta de la Duodécima Sesión (17.11.2005).

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der Parteizeitung El Diario dienen sollte.205 Es bleibt aber unklar, wie häufig und in welchem Umfang derartige Zahlungen erfolgten. In einem Bericht des Comité Regional del Norte, der vermutlich aus der gleichen Zeit stammt, wird eine Zahlung an die Zentrale in Höhe von 700 US-Dollar und 300 Soles bestätigt sowie zugesagt, anlässlich „des nächsten Kontaktes“ mit der Parteiführung eine erneute Zahlung zu leisten. Bei lediglich zwei bis vier jährlichen Treffen mit Vertretern der Zentrale und möglicherweise gleichbleibenden Beträgen darf vermutet werden, dass am Ende eines Jahres keine nennenswerten Beitragssätze erreicht wurden. In dem weiteren Verlauf desselben Berichts wird deutlich, wie begrenzt die finanziellen Ressourcen des Komitees und seiner Unterabteilungen waren und welche zum Teil sehr bescheidenen Maßnahmen getroffen werden sollten, um die finanzielle Lage zu verbessern: „Hemos planificado dos campañas económicas para abastecernos de economía, venta de útiles escolares para la campaña escolar y venta de cassetes del Partido (canciones y poemas) que a la vez sirve de propagana del arte proletario, nos va a ligar con las masas y tener economía. Los cassetes vamos a reproducirlos ya que tenemos innumerables pedidos del campo y la ciudad. El aparato económico de Piura no funciona porque tienen problemas de inversión, hace meses que no cotiza. El zonal principal va a explotar oro, y el zonal de Cajamarca igualmente, además van a confiscar de una mina de oro de Bolívar para poder tener economía.“206

Die allgemeine Geldknappheit konnte auch dazu führen, dass die Kader für ihr eigenes Kriegsgerät aufkommen mussten. Aus Lima berichteten etwa Kämpfer, dass sie für den Bau des Sprengstoffes aus eigenen Mitteln zwischen 500 und 600 Soles aufzubringen hatten.207 Aber nicht nur die Regionalkomitees versuchten, finanzielle Ressourcen zu mobilisieren, sondern auch andere Parteiapparate. So veranstaltete z. B. der Grupo de Apoyo Partidario sogenannte polladas oder cebichadas, bei denen Brathähnchen oder Fischgerichte verkauft wurden. Solche öffentlichen, unter anderem Namen stattfindenden Verkaufsveranstaltungen spülten nach Schätzungen monatlich etwa weitere 1000 Soles in die Parteikassen.208 Mehr Einnahmen versprachen dagegen sicherlich die ebenfalls von der Partei durchgeführten Banküberfälle, die nach Angaben einiger senderistas vor allem in den ersten Jahren des bewaffneten Kampfes vermehrt verübt 205 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (7. Mai 1992): Informe del Comité Zonal Sur Medio. 206 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (ohne Datum): Informe del Comité Regional del Norte. 207 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. C: Testimonio de Estéban Ferrán (Name aus Datenschutzgründen anonymisiert). 208 Vgl. Jiménez Bacca (2004): Inicio, S. 414.

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wurden.209 Daneben waren auch Schutzgelderpressungen und Entführungen von Geschäftsleuten ein häufig genutztes Instrument. Dass der Leuchtende Pfad nicht erst in den 1990er-Jahren darauf angewiesen war, seine Geldmittel mithilfe einer ganzen Palette von Aktivitäten zu generieren, wird auch aus verschiedenen Lageanalysen der peruanischen Sicherheitskräfte deutlich. Ein Bericht der Policia de Investigación aus dem Jahr 1985 nennt als Geldquellen u. a. Entführungen, Erpressung, Zwangsabgaben von Straßenverkäufern und Arbeitern sowie den Verkauf von Parteidokumenten.210 Den Verkauf von Propagandamaterial durch die organismos generados bestätigt auch ein Bericht der Guradia Civil aus demselben Jahr, der darüber hinaus auch die Möglichkeit einer internationalen finanziellen Unterstützung nicht ausschloss.211 Staatliche ausländische Unterstützung für den Leuchtenden Pfad kann allerdings als unwahrscheinlich gelten. Zum einen lehnte die Organisation kategorisch jegliche Hilfe durch ausländische Staaten ab. Zum anderen sind bisher keine Quellen bekannt, die eine solche belegen würden. Führt man sich schließlich vor Augen, dass der Leuchtende Pfad Anschläge auch auf Botschaften und Einrichtungen ehemals kommunistischer Regime verübte, erscheint es zweifelhaft, ob eben diese Staaten ein Interesse daran hatten, die Organisation zu finanzieren. Allerdings hatten peruanische Politiker, an ihrer Spitze Staatspräsident Fernando Belaúnde, von Beginn des bewaffneten Konflikts an eine ausländische Fremdfinanzierung des Leuchtenden Pfads postuliert, nicht zuletzt wohl auch, um bei einer Ursachenforschung die eigenen Fehler bei der Bekämpfung der Rebellen zu verschleiern. Im Gegensatz zu diesen Ansichten konnte aber selbst ein Bericht des staatlichen Geheimdienstes SIN von 1985 keine internationale Unterstützung erkennen: „Los estudios del accionar de Sendero Luminoso en el transcurso del año 1984, no mostraron indicaciones que evidenciaran el apoyo externo (económico y material).“212

Finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, so der Bericht, erhielt der Leuchtende Pfad lediglich aufgrund des Verkaufs kleinerer Bestände Propagandamaterials in den USA und Europa.

209 Vgl. Debate (1985): Testimonio, S. 33; Sala Penal Nacional, Exp. 524-03, Testimonio de Oscar Alberto Ramírez Durand (20.07.2005) und IEP-CGG, (Februar 86), Análisis histórico de Sendero Luminoso. 210 IEP-CGG, Policia de Investigación del Perú (1985), Sumario Sendero Luminoso. 211 IEP-CGG, Guardia Civil (1985), Enfoque Guardia Civil de la inurrección y contrainsurrección. 212 IEP-CGG, Servicio Nacional de Inteligencia (25. Januar 1985), Nota de Inteligencia Nr. 001-DGFE.

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Der permanente Zwang, die eigene wirtschaftliche Basis abzusichern und auszubauen, begleitete nicht allein die Regional- und Zonenkomitees, sondern auch die Parteispitze selbst. Abimael Guzmán, seine Frau Augusta del la Torre sowie seine spätere Partnerin Elena Iparraguirre lebten seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre im Untergrund, sodass ihr Lebenswandel zwar deutlich eingeschränkt war, gleichzeitig aber eine ausgeklügelte Logistik verlangte, die hohe Kosten verursachen konnte. Zu den Posten, die es zu bestreiten galt, gehörten u. a. Wohnungen und Kraftfahrzeuge, Schreibmaschinen und Computer, Karten und Bücher, Lebensmittel und Kleidung sowie Medikamente und medizinische Betreuung. Um diese Kosten zu decken, wurde mit dem Deparamento de Economía bereits in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre eine exklusiv der Parteispitze zugeordnete Arbeitseinheit gegründet. Der ehemalige Leiter des Departments beschrieb in seinem schriftlichen Geständnis vom September 1993 dessen Aufgabe: „La principal tarea de este Departamento era desarrollar actividades económicas, con la finalidad de dar apoyo económico a los integrantes de la Dirección Nacional de Sendero, principalmente del llamado „Comite Permanente“ del Comité Central-SL, integrado por “Gonzalo”, “Norah”, “Feliciano” y “Miriam” [Abimael Guzmán, Augusta de la Torre, Oscar Alberto Ramírez Durand und Elena Iparraguirre, SCW].“213

Wichtigstes Instrument des Departments zur Generierung von Finanzen waren die Einnahmen der bereits oben dargestellten Akademie César Vallejo, die also nicht nur einen Rekrutierungspool, sondern auch eine wichtige Einnahmequelle des Leuchtenden Pfads darstellte. Im Gegensatz zur Informationsdichte im Bereich der Rekrutierung ist die Finanzkonstruktion der Akademie allerdings nur sehr schwer zu durchschauen. Aufgrund der Studiengebühren verfügte die Akademie grundsätzlich über stets ausreichende liquide Mittel. Laut Aussagen des zuständigen Finanzbeauftragten der Akademie nahm die Akademie monatlich etwa 100.000 Soles ein, von denen 10 bis 20 Prozent als Gewinn blieben.214 Einen deutlich knapperen Finanzrahmen zeichnete dagegen ein Lehr- und Finanzplan der Akademie für das Jahr 1992, demzufolge sich die Jahreseinnahmen auf 268.800 Soles beliefen, denen Ausgaben in Höhe von 268.500 Soles gegenüberstanden.215 Ein möglicher Grund, weshalb der 213 DINCOTE, DH-SL, o. Nr., Acta de declaración del solicitante de nro. de clave A1A100045. 214 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. E. 215 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. F: Plan Educativo de la Academia Pre-Universitaria César Vallejo correspondiente al año de 1992. Die Einnahmen setzten sich zum größten Teil aus den Studiengebühren sowie dem Verkauf von Lehrmaterialien, die Ausgaben aus den Gehältern, Mieten, Nebenkosten, Equipment und Bewirtschaftung zusammen.

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Haushaltsrahmen des Finanzplans deutlich von den genannten Summen des Finanzbeauftragten abweicht, mag der sein, dass der offizielle Finanzplan den staatlichen Bildungsbehörden zur Genehmigung vorgelegt werden musste. Durch die Angabe niedrigerer Einnahmen wäre die Akademie in der Lage gewesen, tatsächlich höhere Gewinne unbemerkt zur Seite zu schaffen und diese der Parteiführung zugänglich zu machen. Für eine solche Vermutung spricht zum einen die Existenz von drei unterschiedlichen Bankkonten der Akademie, von denen eines auf den Privatnamen des Akademiepräsidenten und die beiden anderen auf den des Finanzbeauftragten liefen – ein Konto auf den Namen der Akademie selbst scheint nicht existiert zu haben.216 Zum anderen wurden bei der Durchsuchung mehrerer Filialen der Akademie im Juni 1992 hohe Geldbeträge in den Schreibtischen verschiedener Führungspersonen beschlagnahmt, die nicht buchhalterisch registriert waren. Es waren augenscheinlich diese Gelder, die mithilfe zum Teil hochrangiger Mittelsmänner in bar direkt an Abimael Guzmán und Elena Iparraguirre gingen. Wie der ehemalige Chef des Departamento de Economía in seinem Geständnis weiter ausführt, leistete er allein im März 1992 mehrere Zahlungen in einer Gesamthöhe von 15.000 USDollar an die Parteiführung.217 Nach Ansicht von Experten der peruanischen Anti-Terrorismuspolizei erhielt die Parteispitze regelmäßig aus den Einnahmen der Akademie bis zu 20.000 US-Dollar für einen Zeitraum von jeweils zwei bis drei Monaten.218 Es ist deutlich geworden, dass eine exakte Bestimmung sowohl der einzelnen Finanzressourcen als auch der genauen sich daraus ergebenden Finanzströme nicht möglich ist. Gleichwohl lassen sich verschiedene Grundsatzannahmen machen: Zur Finanzierung seines bewaffneten Kampfes war der Leuchtende Pfad auf verschiedene Finanzquellen angewiesen. Diese erbrachten unterschiedliche Einnahmen, wobei der Drogenhandel als die gewinnträchtigste gelten kann, während die anderen Quellen die anfallenden Kosten wohl nur knapp ausglichen. Es bleibt unklar, wie hoch die tatsächlichen Gewinne des Drogenhandels waren und wie sie innerhalb der Partei verteilt wurden. Aus Machtgründen besaß die Parteiführung ein starkes Interesse daran, die Finanzsituation der einzelnen Parteigliederungen zu kontrollieren und ihr eigenes Finanzgebaren für Außenstehende undurchschaubar zu gestalten. Insgesamt war der Leuchtende Pfad nicht in der Lage, sich eine solide, stetig anwachsende Finanzbasis zu schaffen, die eine einheitlich befriedigende Geldversorgung der Gesamtpartei 216 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Exp. 177-93, Bd. A. 217 DINCOTE, DH-SL, o. Nr., Acta de declaración del solicitante de nro. de clave A1A100045. 218 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Sentencia (13.10.2006).

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ermöglicht hätte. Diese mangelhafte Finanzierung machte sich besonders in einem Bereich negativ bemerkbar, der bei einer kriegsführenden Organisation durchaus als Achillesferse bezeichnet werden kann: der Bewaffnung.

3.3 Bewaffnung Zur erfolgreichen Durchführung seines bewaffneten Kampfes war der Leuchtende Pfad nicht allein auf eine effiziente Rekrutierung und auseichende Finanzströme angewiesen, sondern auch auf eine adäquate Bewaffnung. Als Guerillaarmee, die naturgemäß große militärische Auseinandersetzungen mit den staatlichen Streitkräften vermied und stattdessen vor allem (aber nicht allein) kleinere Scharmützel, Sabotageakte, gezielte Tötungen und bewaffnete Überfälle durchführte, waren die Ansprüche an das notwendige Waffenarsenal dabei überschaubar: Gewehre, Handfeuerwaffen, Dynamit, aber auch Macheten, Lanzen sowie Pfeile und Bogen bildeten den überwiegenden Teil der Bewaffnung, die durch Maschinengewehre und Mörser ergänzt wurde. Zur Akquirierung der Waffen standen dem Leuchtenden Pfad grundsätzlich folgende Wege zur Verfügung: 1. der internationale Waffenschwarzmarkt, 2. die Eigenproduktion, 3. die Erbeutung beim militärischen Gegner oder bei Waffen besitzenden Privatinstitutionen. Wie der vorherige Abschnitt aufgezeigt hat, ist anzunehmen, dass die Finanzsituation des Leuchtenden Pfads (mit Ausnahme des Huallaga-Komitees) stets angespannt war. Dieser Erkenntnis konnte sich die Parteiführung nicht entziehen, weshalb sie gelegentlich der Partei deutlich zu machen suchte, dass die finanziellen Ressourcen nicht ausreichten, um ein umfangreiches und modernes Waffenarsenal aufzubauen. Auf dem Parteikongress von 1988 identifizierte Abimael Guzmán Probleme bei der Waffenbeschaffung und erklärte, dass vorhandene Gelder stattdessen in die Publikation von Propagandamaterial geflossen waren.219 Nur ein Jahr später kommentierte Guzmán Vermutungen ausländischer Beobachter, der Leuchtende Pfad kaufe Waffen auf dem internationalen Waffenmarkt, knapp: „nosotros no tenemos esos milliones de dólares.“220

219 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, PCP-SL (1988): 1er Congreso del PCP-SL, Bd.  1, Informe sobre ¡Construir la conquista del poder en todo el país! 220 DINCOTE, DH-SL-0341, PCP-SL (17.-22.10.1989): Reunión de dirigentes y cuadros en Lima.

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Eine Beteiligung des Leuchtenden Pfads am internationalen Waffenschwarzmarkt, die erhebliche Investitionen verlangt hätte, erscheint daher unwahrscheinlich. Wo aber wurden dann die Waffen requiriert? Nach Ansicht Abimael Guzmáns galt es, gemäß der Strategie Maos, die eigenen Waffen allein vom Gegner zu erbeuten. Als er im Rahmen des „Jahrhundert-Interviews“ gefragt wurde, welche Maßnahmen er zur Verbesserung der Bewaffnung der Revolutionsarmee treffen wolle, antwortete er ausholend: „El Presidente Mao Tsetung nos dice que lo principal es el hombre, el arma es útil; entonces, nuestro problema especialmente apunta al hombre, al fortalecimiento ideológico y político, a la construcción ideológico-política del ejército en este caso, así como a su construcción militar. De ahí partimos. En cuanto a lo referente a las armas, el Presidente nos decía que las armas las tiene el enemigo, en consecuencia el problema es arrancárselas y, eso es lo principal; y las armas modernas son necesarias pero funcionan según la ideología del hombre que las maneja, eso ya nos enseñó Lenin. [...] En consecuencia, hace tiempo ya ha comenzado el creciente traspaso de armas de ellos a nosotros y ellos tienen la obligación de traérnoslas, es su obligación y llevárnoslas a donde estemos y hay que reconocer, comienzan a cumplir. Entonces, las armas del enemigo, arrancándoselas, son nuestra principal fuente. La humilde dinamita, además, seguirá cumpliendo un buen papel y las minas son armas del pueblo y nosotros, por principio, buscamos las armas más simples que toda la masa pueda manejar porque la guerra nuestra es masiva sino no es popular y la nuestra lo es. Bien, esto lleva a una segunda cuestión, la elaboración de medios; estamos esforzándonos por avanzar en la confección de medios y ya ellos, también conocen muy bien, las notificaciones directas en Palacio de Gobierno, lanzadas con morteros hechos con nuestras propias manos, con las manos del pueblo, no lo dicen pero lo sabemos. El otro medio usual es el de la compra, porque son tres las formas: la principal arrancárselas al enemigo, la segunda confeccionarlas y el tercero comprarlas. En esto se tiene problemas por el alto costo de las armas y nosotros llevamos adelante la guerra popular más económica de la Tierra, así es porque tenemos muy escasos medios que son los que las masas nos proveen. Reitero una vez más. Cómo resolver el problema? Lenin decía que tiene que conquistarse armas en grandes cantidades, cualquiera sea el costo que tal cosa demande y ya hablé de lo que el Presidente Mao nos enseñó. Esto es lo que nosotros aplicamos.“221

Diese Aussage ist aufschlussreich: Zunächst lässt sich mit ihr ein erneuter Hinweis dafür finden, dass die schwache Finanzbasis der Organisation keine Waffenkäufe auf dem Waffenschwarzmarkt zuließ. Stattdessen nennt Guzmán alternative Möglichkeiten zur Waffenakquirierung: Die Erbeutung gegnerischer Waffen stellte das wichtigste Instrument dar. Eine weitere Möglichkeit war die Eigenkonstruktion von Waffen, wobei hier vor allem Mörser, Munition und 221 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista. Hervorhebung durch den Autor.

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verschiedenartige Sprengsätze gemeint waren. Als weitere Alternative dienten Überfälle in den Bergwerkszentren dazu, sich Dynamit und anderen Sprengstoff anzueignen. Die wichtigste Quelle zur Erbeutung von Waffen stellten also die Bestände der staatlichen Sicherheitskräfte dar. Um diese Bestände ausbeuten zu können, musste der Leuchtende Pfad die militärische Konfrontation suchen, was zumeist in Form von Scharmützeln mit dem Militär oder durch Überfälle auf Polizeistationen geschah. Die Durchführung derartiger Aktionen musste sorgfältig geplant werden, nicht zuletzt, weil die Hauptkampfeinheiten des Leuchtenden Pfads meistens nur eine eingeschränkte Mannstärke besaßen und auch mit einer stärkeren Feuerkraft zumindest aufseiten des Militärs gerechnet werden musste. Die Eigenbewaffnung mithilfe der Waffen des Gegners war daher aus Sicht des Leuchtenden Pfads nicht unproblematisch: Militärische Konfrontationen konnten weder permanent noch in einem großen Umfang realisiert werden, um die eigene Kampfkraft nicht zu überfordern. Fast immer resultierte daraus, dass die Anzahl sowohl der Gegner als auch die der potenziell zu erbeutenden Waffen eher gering ausfiel. Dass Guzmán in seiner Interviewantwort einen stetig zunehmenden Waffentransfer vermeldete, ist nicht überraschend. Tatsächlich aber gestaltete sich die Realität bei Weitem nicht so positiv. Sie war stattdessen von einem erheblichen Waffen- und Munitionsmangel gekennzeichnet, den der Parteichef in der Öffentlichkeit nie hätte zugeben können. Vielfältige Aussagen verschiedener senderistas geben Auskunft darüber, auf welch enge Grenzen Guzmáns Strategie stieß. So beklagte Alberto Oscar Ramíerz Durand nicht nur, dass die Anzahl der Waffen des Leuchtenden Pfads zu jedem Zeitpunkt weit unter der Anzahl der eigenen Kämpfer lag, sondern auch, dass die Versorgung mit Waffen innerhalb der Partei deutliche regionale Unterschiede aufwies: „En Sendero siempre hubo más gente que armas, siempre fue así, había cuatro fusiles con diez o catorce balas en total para cada zona pero no juntas, eso pertmitía que la fuerza principal se moviera, sólo había armas en el Huallaga por la cercanía con el narcotráfico, en eso había una mano negra, para mí son mercenarios y hasta al Ejército le compraban armas, siempre les sobró dinero.“222

Als konkretes Beispiel der mangelnden Bewaffnung beschrieb Ramírez Durand seine Ankunft im Regionalkomitee Ayacucho im Jahr 1985: „al comienzo cuando llego en el ochenticinco la situación era desastrosa pues el Comité Central estaba al borde del colapso, después de la caída en el ochenticuatro de la camarada Clara y de toda la dirección del Comité Zonal, prácticamente Sendero Lu222 Sala Penal Nacional, Exp. 524-03, Testimonio de Oscar Alberto Ramírez Durand (16.5.05).

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minoso estaba desarticulado, ya dije incluso que en esa oportunidad cuando hacemos el recuento de las armas en el Comité Zonal solo había catorce fusiles FAL y algo de diez municiones por fusil.“223

Aber nicht nur in Ayacucho herrschte ein Mangel an Munition und Waffen, sondern auch in anderen Regionen. In Lima musste z. B. Socorro Popular dem Comité Metropolitano 1991 mit Maschinengewehren aushelfen, damit dieses seine militärischen Aktionen planmäßig durchführen konnte. In dem entsprechenden Bericht beklagt sich die Komiteeführung, dass unter solchen Umständen eines der maoistischen Hauptprinzipien, nämlich dass „die Macht dem Gewehr entspringt“, nicht erfüllt werden könne.224 Und auch im Norden des Landes sah die Situation nicht besser aus. In einem undatierten Bericht des Comité Regional del Norte an die Parteiführung wurde zum wiederholten Male dringend um materiellen Nachschub gebeten: „Pedidos: Solicitamos la última vez, que se nos facilite una munición de los morteros fabricados por el Partido, reiteramos el pedido, si no hubiese, aunque sea, se nos de un diseño de la munición para intentar fabricarla, pues el mortero lo tenomos en desuso por falta de municiones.“225

Aufschlussreich ist die Bitte um Konstruktionspläne für die Munition. Das Komitee verfügte also nicht über die Expertise, eigene Munition herzustellen. Damit war naturgemäß eine gefährliche Abhängigkeit von der Zentralorganisation in Lima gegeben, die die eigene regionale militärische Kampfkraft enorm einschränkte. Der Parteispitze waren derartige Probleme nicht unbekannt; eine bessere Versorgung mit Munition und Waffen konnte sie jedoch nicht in Aussicht stellen. Stattdessen forderte sie eine bessere Schießausbildung sowie eine effizientere Verwendung der Munition. Allerdings wurden diese Forderungen zum Teil geradezu kurios begründet. 1987 erklärte Abimael Guzmán den zu hohen Munitionsverbrauch mit einem Mangel an ideologischer Überzeugung und gab zugleich die zukünftige Idealquote eines Feuerkampfs vor:

223 Sala Penal Nacional, Exp. 524-03, Testimonio de Oscar Alberto Ramírez Durand (22.6.05). 224 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo 127, PCP-SL (1991): Informe Bajo la guía del congreso, reorganizando el Comité Metropolitano! Den Leitsatz „ El Poder nace del fusil“ hatte der Leuchtende Pfad von Mao übernommen und häufig auch zur Rechtfertig des eigenen bewaffneten Kampfes herangezogen; vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988b): Documentos. 225 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (Ohne Datum): Informe del Comité Regional del Norte.

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Die organisatorischen Leistungen des Leuchtenden Pfads

„Desarrollar destreza en el tiro [...] es cuestión de odio de clase no de buen o mal ojo, tenemos pocas armas y munición escasa, la puntería es clave, la norma es: un tiro = un hombre, el derroche no es característica de un ejército revolucionario.“226

Wie schwierig es war, von den staatlichen Sicherheitskräften Waffen zu erbeuten, lässt sich aus einer Statistik des peruanischen Inlandsgeheimdienstes schließen. Aus dem „Cuadro demonstrativo de armamentos perdidos por las FFAA, FFPP. y otras entidades, y armas recuperadas“, das den Zeitraum von Mai 1980 bis Juli 1984 umfasst, geht hervor, dass die staatlichen Sicherheitskräfte in der genannten Zeitperiode insgesamt 673 Waffen verloren hatten, von denen jedoch 542 wieder gefunden werden konnten. Da die Umstände, die zu dem Verlust der Waffen führten, nicht genannt werden, lässt sich nicht sagen, dass er stets vom Leuchtenden Pfad verursacht worden war. Würde man dies jedoch unterstellen – und somit aus Sicht des Leuchtenden Pfads das BestCase-Szenario konstruieren –, dann hätte der Leuchtende Pfad in vier Jahren lediglich 131 Waffen – Maschinengewehre, Revolver, Karabiner, Pistolen und Schrotflinten – dauerhaft von den staatlichen Sicherheitskräften erbeutet.227 Bei gleichbleibender Unterstellung ließe sich eine weitere Statistik des Geheimdienstes so deuten, dass es dem Leuchtenden Pfad dagegen gelang, allein zwischen Januar und Juli 1984 von insgesamt verlorenen 121.342 Stangen Dynamit 85.275 Stangen zu erbeuten. 228 Dass diese Vermutungen durchaus belastbar sein können, macht ein internes Dokument des Leuchtenden Pfads aus dem Jahr 1991 klar, das eine Übersicht des eigenen Waffenarsenals bietet.

226 DINCOTE, DH-SL, o. Nr. PCP-SL (1987): I. Sesión de la IV. Conferencia Nacional. Culminar brillantemente estableciendo un hito histórico (desarrollado). 227 IEP-CGG, Servicio de Inteligencia Nacional (ohne Datum), Cuadro demonstrativo de armamentos perdidos por las FFAA, FFPP y otras entidades, y armas recuperadas desde mayo 80 hasta julio 84. 228 Ibd.

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Tabelle Nr. 4: Waffen- und Munitionsbestand des Leuchtenden Pfad (März 1990 bis Waffen- und Munitionsbestand des Leuchtenden Pfads Januar 1991) (März 1990 bis Januar 1991)

Komitees

Waffen Munition Kurzwaffen Maschinengewehre Dynamit Langwaffen Kurzwaffen Maschinengewehre 6 3 2000 789 86 246

1. CZ CANG./F

Langwaffen 11

2. CZ Ayacucho

520

62

21

5000

8000

316

2000

3. CZ Huancavelica

14

8

4

6400

1100

120

350

4. CZ Apurímac

18

5

3

6400

560

30

400

CRP (= Komitees 1-4)

563

81

31

19800

10449

552

2996

5. CRC

160

35

13

10000

1500

305

550

6. CR Huallaga

3215

703

172

820

37302

1000

5600

7. CRN

54

29

21

15000

1800

360

4000

8. CRS

27

6

6

30000

2200

50

500

9. CM

1

7

3

15000

188

38

188

10. CSPP

2

9

4

2000

250

50

250

11. CZ NM

15

15

16

8700

1000

100

800

12. CZ SM

15

4

10

-

300

100

200

13. LTC

-

-

-

-

-

-

-

14. Iquitos

2

-

-

-

60

-

-

4052

889

276

101320

55049

2555

15084

Gesamt

Quelle: Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (1991): Ejército Guerrillero Popular.

Wie ist Tabelle Nr. 4 zu deuten? Zunächst fällt auf, dass zwei regionale Schwerpunkte – das Comité Regional Principal (CRP) und das Comité Regional Huallaga (CR Huallaga) – existierten, in denen sich zusammen 90 Prozent des gesamten Waffenarsenals und knapp 80 Prozent der gesamten Munitionsbestände (beides ohne Dynamit) des Leuchtenden Pfads konzentrierten. Allerdings ist die Stellung des Huallaga-Komitees in beiden Bereichen herausragend. Dessen enormes Waffenarsenal kann als eine Bestätigung der Vermutungen dienen, dass dieses Komitee über deutlich größere finanzielle Ressourcen als die Restpartei verfügt haben muss. Dies wiederum deutet auf einen hohen Grad an Autonomie des Huallaga-Komitees hin, gegen die anzukämpfen die Parteizentrale

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Die organisatorischen Leistungen des Leuchtenden Pfads

augenscheinlich nicht in der Lage oder nicht willens war.229 Nimmt man aus diesem Grunde das Huallaga-Komitee aus der Datenanlyse heraus, wird die prekäre Materialsituation deutlich, die in den Berichten aus den verschiedenen Regionen so bitter beklagt wurde. Es überrascht nicht, dass die Kernregion des Aufstandes, Ayacucho, die nach dem Huallaga militärisch stärkste Bastion des Leuchtenden Pfads war. Sie war nicht nur die Geburtswiege der Organisation, sondern besaß gemäß der maoistischen Guerillalehre als ländliche, überwiegend bäuerlich geprägte Region zugleich eine zentrale Bedeutung als Austragungsort des bewaffneten Kampfes. Überraschend schwach scheinen dagegen zunächst die in der Hauptstadt operierenden Verbände ausgerüstet gewesen zu sein. Das Comité Metropolitano (CM) und Socorro Popular (CSPP) kommen den Daten zufolge zusammen auf nur 26 Gewehre und Handfeuerwaffen. Dies ist umso erstaunlicher, da der Leuchtende Pfad seit Ende der 1980er-Jahre seine Aktivitäten in Lima stetig ausbaute. Allerdings war für die zunehmende Anzahl von Anschlägen aber wohl in erster Linie das Dynamit von Bedeutung, von dem die Partei in Lima 15.000 Kartuschen besaß. Wenngleich die Verwendungs- und Transportmöglichkeiten von Dynamit eingeschränkt waren, empfahl es sich für spektakuläre Anschläge wie z. B. gegen Stromanlagen, die in der Öffentlichkeit Angst und Schrecken verbreiteten. Da es relativ leicht in den Bergwerken zu beschaffen war, waren die Dynamitlager des Leuchtenden Pfads gut gefüllt. Um aber einen bewaffneten Kampf langfristig erfolgreich führen zu können, reichen hohe Rücklagen an Dynamit allein nicht aus. Ohne Gewehre, Handfeuerwaffen sowie leichte Geschütze, wie etwa Mörser, konnten Raubüberfälle, Gefechte mit Militär und Polizei, Angriffe auf Einheiten der MRTA und gezielte Tötungen nicht unternommen werden. Betrachtet man nun zunächst das Verhältnis Waffen/ Munition wird sehr schnell deutlich, dass der Leuchtende Pfad gezwungen war, Feuergefechte mit einem überlegenen Gegner zu vermeiden: Im Gesamtdurchschnitt (ohne das Huallaga) verfügte er über 91 Schuss Munition pro Maschinengewehr, lediglich 21 Schuss Munition pro Gewehr und nur 8 Schuss Munition pro Handfeuerwaffe. Damit waren ernsthafte militärische Operationen unmöglich. Die Mengenangaben erhalten eine zusätzliche Dimension durch den Umstand, dass die Daten nur wenige Monate vor dem Ausruf des „strategischen Gleichgewichts“ durch den Leuchtenden Pfad aggregiert wurden. Maos bzw. Guzmáns Theorie zufolge bedeutete der Zustand eines solchen strategischen Gleichgewichts, dass sich die militärischen Kontrahenten auf gleicher 229 Zur Frage der Autonomie des Huallaga-Komitees vgl. Weinstein (2007): Rebellion, der eine klare Trennlinie zwischen dem SL auf nationaler Ebene und dem Huallaga-Komitee zieht und beide als eigenständige Organisationen betrachtet.

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Augenhöhe trafen, beide Parteien also über ähnlich große militärische Ressourcen verfügten. Legt man die vorliegenden Daten zugrunde, wird klar, dass der Leuchtende Pfad eine derartige militärische Kampfkraft 1991 nicht einmal ansatzweise besaß und wohl auch nie besessen hatte. Aus dieser Perspektive musste es sich bei der Ausrufung des strategischen Gleichgewichts entweder um ein geschicktes Manöver zur Vortäuschung nicht vorhandener Stärke oder aber um eine desaströse Fehleinschätzung handeln.

4. Die ideellen Leistungen des Leuchtenden Pfads Ohne die fortgesetzte Mobilisierung von Menschen, Waffen und Geldmitteln wäre es dem Leuchtenden Pfad nicht gelungen, den bewaffneten Kampf zu beginnen und dauerhaft aufrechtzuerhalten. Trotz ihrer Relevanz stellte die Mobilisierung humaner und materieller Ressourcen aber nur eine Säule für seinen Erfolg dar. Während sie in erster Linie das wie erklären, musste die Partei ihren Mitgliedern auch vermitteln, wofür sie in den Kampf ziehen sollten. Angesichts der dünnen Finanzdecke und der mangelnden territorialen Konsolidierung der Revolution konnte mit der Aussicht auf einen direkten materiellen Nutzen nicht geworben werben (mit möglicher Ausnahme des Huallaga-Komitees). Umso mehr Wert legte die Partei auf die Herausbildung ideeller Leitbilder und Werte sowie auf deren feste Verankerung in den Herzen und Köpfen ihrer Mitglieder. Es gehörte zu den hervorstechenden Leistungen des Leuchtenden Pfads, seinen Mitgliedern einen überzeugenden ideelen Rahmen geschaffen zu haben, der das individuelle Engagement in einen größeren historischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang stellte. Die hierdurch erzeugten Tugenden wie etwa Moral, Identität, Einsatz- und Opferbereitschaft sowie Siegesgewissheit halfen der Partei, materielle und organisatorische Schwächen zu kompensieren und das Bild eines geschlossenen, disziplinierten und dem Staat ebenbürtigen Gegners zu produzieren. Zu den ideellen Leistungen gehörte z. B. die kollektive Identität der Partei, mit deren Hilfe die Mitglieder eine genaue Vorstellung vom eigenen Selbstverständnis bekamen und sich so deutlicher von den anderen politischen Akteuren des Landes, vor allem denen der politischen Linken, zu unterscheiden wussten. Im Mittelpunkt der kollektiven Identität stand die Vorstellung einer historischen Einzigartigkeit des Leuchtenden Pfads, die mithilfe parteieigener Traditionen und Rituale, aber auch durch drastische Disziplinarmaßnahmen kontinuierlich verstärkt und weiterentwickelt wurde. Ein weiteres Instrument zur Stärkung der Parteikohäsion, aber auch zur Machtkontrolle durch die Parteiführung bildete der sich mit den Jahren verstärkende Personenkult um Abimael Guzmán. Als Parteigründer, politisch-ideologischer Vordenker und seit 1980 auch als oberster Befehlshaber genoss Guzmán seit jeher eine Sonderstellung innerhalb der Parteispitze. Gegen heftigen Widerstand baute er mit den Jahren seine Machtposition immer weiter aus, bis er die Partei seit Ende der 1980er-Jahre uneingeschränkt beherrschte. Als organisatorischer und machtpolitischer Mittelpunkt der Partei entfaltete Guzmán eine quasireligiöse Autorität, die im Inneren der Partei lange Zeit stabilisierend und identitätsstiftend zugleich wirkte. Die negative Seite dieser Konstellation zeigte sich nach seiner

Die kollektive Identität des Leuchtenden Pfads

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Festnahme im September 1992, als die Moral der Partei schlagartig implodierte und so den Niedergang der Partei beschleunigte. Zu den weiteren ideellen Leistungen der Partei gehörte schließlich auch die Ideologie. Entgegen den Bekundungen Abimael Guzmáns war der Leuchtende Pfad bzw. er persönlich nicht in der Lage, eine genuin peruanische Variante des Kommunismus auszuarbeiten. Vielmehr waren die wesentlichen Ideen dem Denken von Carlos José Mariátegui und von Mao Tse-tung entliehen. Im Kern interpretierte die Partei Peru als semifeudales und semikoloniales Land, in dem ein Bündnis zwischen Wirtschaft und Staat herrschte, das allein den Interessen der USA diente. Die von vielen Beobachtern konzedierte Inkongruenz zwischen dieser Einschätzung und der wirtschaftlichen und politischen Realität des Landes hemmte die Wirkung der Ideologie auf die Mitglieder allerdings nicht. Vielmehr fungierte sie als politischer Kompass für die Mitglieder, denen sie zudem ein Weltbild an die Hand gab, das klar in Gut und Böse eingeteilt war und das durchaus deren subjektiven Erfahrungshorizonten entsprach. Ähnlich verhielt es sich mit zwei wichtigen Bestandteilen der Ideologie, auf die jeweils einzeln eingegangen werden soll. Zu den auffälligen Merkmalen der ideellen Weltsicht der Partei gehörte die völlige Ignoranz der ethnischen Dimension der peruanischen Gesellschaft. Obwohl sich ihre Ursprungsregion Ayacucho durch einen hohen bäuerlich-indigenen Bevölkerungsanteil auszeichnete und auch Teile der eigenen Mitglieder aus dieser Gruppe stammten, verfügte die Partei über keinerlei Überlegungen, wie die Marginalisierung des indigenen Bevölkerungsteils überwunden und dessen soziale und politische Integration erreicht werden sollte. Sein Unverständnis der andinen Lebenswelt brachte den Leuchtenden Pfad in Konfrontation mit den Bauerngemeinden, deren erste Sympathie schon bald einem offenen Widerstand wich. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch dieser Teil der Ideologie attraktiv wirken konnte. Immerhin schien sie einen neuen Gesellschaftsentwurf zu propagieren, demgemäß sozialer Aufstieg unabhängig von der jeweiligen ethnische Herkunft möglich schien – anders also als in der tatsächlichen peruanischen Gesellschaft. Schließlich zeichnete sich der Leuchtende Pfad in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur durch seine hoch ideologisierten Mitglieder, sondern auch durch ein befremdliches und auf weite Teile der Bevölkerung auch abstoßend wirkendes Gewaltverständnis aus. Tatsächlich wurde Gewalt in den Reihen der Partei nicht allein als Mittel zum Zweck betrachtet. Stattdessen wurde der (revolutionären) Gewalt der Rang eines universellen, historisch legitimierten Gesetzes zugeschrieben und als eigentlicher Gewaltanwender wurde der Staat identifiziert. Diese Transferleistung führte dazu, dass die eigene Gewalt aus Sicht der Parteimitglieder verhältnismäßig und notwendig war. Insgesamt besaß die Ideologie des Leuchtenden Pfads trotz all ihrer Inkongruenzen ausreichend Anknüpfungspunkte, um einen kleinen, dafür aber hoch

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Die ideellen Leistungen des Leuchtenden Pfads

motivierten Teil der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Als elitäre Kaderpartei wollte sie ohnehin nur wenigen offenstehen.

4.1 Die kollektive Identität des Leuchtenden Pfads Wie im ersten Kapitel dargestellt, generieren soziale Bewegungen eine eigene kollektive Identität, ohne die ihr Erfolg erheblich beeinträchtigt wäre. Der Leuchtende Pfad bildete keine Ausnahme. Von Beginn an arbeitete die Parteiführung mit Nachdruck an einer singulären Identität, die sowohl eine klare Abgrenzung gegenüber den traditionellen politischen und gesellschaftlichen Kräften herstellen sollte als auch den eigenen Kadern die Besonderheit der eigenen Partei – und damit auch die des persönlichen Status – zu vermitteln suchte. Im Mittelpunkt stand dabei ein doppelter Elitismus: Die Partei begriff sich als Kaderpartei, der lediglich eine geringe Anzahl ausgesuchter Mitglieder angehören durfte, und sie war zudem davon überzeugt, weltweit nicht nur die einzig wahre kommunistische Partei, sondern auch die einzige Partei überhaupt zu sein, die einen genuinen Volkskrieg anführte. Dieses ausgesprochene Elitebewustsein wurde noch um ein ausgeprägtes Ehrgefühl für Disziplin, Gehorsam und Opferbereitschaft angereichert. Mit den Jahren enstand darüber hinaus eine breit gefächerte Parteikultur, die u. a. ein eigenes Liedgut, darstellende Künste, Helden- und Märtyrerverehrung, Aufmärsche und Feiertage umfasste und mithilfe derer die Partei die kollektive Identität dauerhaft innerhab ihrer Mitglieder und Anhänger zu verwurzeln und weiter auszubauen suchte. Elite und wahre Kommunisten

Die Selbstwahrnehmung als politische Eliteformation gehörte zu den frühesten Leitsätzen des Leuchtenden Pfads und erfuhr ihren praktischen Ausdruck in einem strengen Auswahlverfahren und einer nur sehr geringen Anzahl von Parteimitgliedern. Folgerichtig appellierte ein vermutlich aus den späten 1970er-Jahren stammendes Parteidokument daran, bei der Auswahl der Mitglieder nur die in die engere Wahl zu nehmen, die ein Höchstmaß an Einsatzbereitschaft erwarten ließen: „Es necesario que no todos pueden ingresar al Partido; las masas están compuestas de elementos activos, intermedios e indiferentes; es necesario promover a los elementos activos a la categoría de militantes revolucionarios.“1 1

DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (ohne Datum): La Organización regional de Lima del Partdio Comunista Peruano, la lucha interna el deslinde de posiciones con el oportu-

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Nachdem die Partei, über deren Mitgliederzahl bis in die 1990er-Jahre hinein nur spekuliert werden konnte, bereits wenige Jahre nach Beginn des bewaffneten Kampfes ihre militärischen Operationen auf sämtliche Gebiete Perus hatte ausdehnen können, betonte Abimael Guzmán in dem „Jahrhundert-Interview“ von 1988 nunmehr auch öffentlich, dass seine Partei allein den Besten einen Platz in den eigenen Reihen anbot: „el partido [es] una organización selecta, una selección de los mejores, de los probados de los que tienen madera como decía Stalin, siendo pocos numéricamente en proporción a la inmensa masa, el partido defiende los intereses del proletariado, asume el interés de clase del proletariado en tanto asume la emancipación del proletariado que solamente llegará con el comunismo [...]. Por eso el partido tiene carácter de masas pero el partido no es de masas.“2

Auch wenn keine entsprechenden Äußerungen von Parteimitgliedern vorliegen, kann vermutet werden, dass die Aufnahme in die Partei die einzelnen Neumitglieder mit großem Stolz erfüllte und deren Überzeugung verstärkte, der marxistisch-maoistischen Speerspitze anzugehören. David Palmer konstatiert: „They saw themselves as the true vanguard of the peasant proletariat, clearly superior to their fellow teachers, students, and even Marxist colleagues who had not tempered their principles in the fire of peasant reality.“3 Dieses Selbstverständnis erzeugte eine deutliche Distanz zwischen der Partei und ihrer sozialen Referenzgruppe, den anonymen masas. Anstatt diese als politisch und sozial emanzipierte sowie im Verhältnis zur Partei gleichberechtigte Gruppe zu akzeptieren, etablierte der Leuchtende Pfad durch seinen absoluten Führungsanspruch eine hierarchische Beziehung, die die Massen in ein klares Unterwerfungsverhältnis brachte. Welcher Natur dieses Verhältnis war, erklärte Guzmán an anderer Stelle des Interviews von 1988: „Las masas en el país necesitan la dirección del Partido Comunista; esperamos, con más teoría y práctica revolucionaria, con más acciones armadas, con más guerra popular, con más poder llegar al corazón mismo de la clase y del pueblo y realmente ganarlo, ¿para qué? para servirlo. Eso es lo que queremos.“4

Dieses Zitat zeigt nicht allein den Führungsanspruch des Leuchtenden Pfads, sondern vor allem sein Verständnis davon, mit welchen Instrumenten dieser Führungsanspruch durchgesetzt werden sollte: mit Ideologie („teoría“) und Genismo de derecha disfrazado de izquierda y la reconstrucción del C.R.L. en torno a la tarea central. 2 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista; zitiert auch bei Wheat (1990): Ideology, S. 49. 3 Palmer (1986): Rebellion, S. 138. 4 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista.

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walt („práctica revolucionaria, acciones armadas, guerra popular“). Gegen wen diese Gewalt angewendet werden sollte, bleibt in diesem Zitat zwar noch offen; angesichts des Gewaltverständnisses des Leuchtenden Pfads (vgl. unten) kann jedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die Gewalt nicht allein auf den Staat abzielte, sondern auch auf die Teile der Bevölkerung, die den Führungsanspruch des Leuchtenden Pfads nicht anerkannten. Die Partei war nicht nur gewillt, sich von den masas, sondern von allen anderen politischen Akteuren des Landes, insbesondere aber von der politischen Linken, scharf abzugrenzen – angesichts eines hoch zerfaserten linken bzw. linksradikalen Parteienspektrums war eine solche Abgrenzung allerdings auch notwendig, um die eigene Position sichtbar zu machen und damit die Chance auf eine politische Zukuft zu wahren. Die Bedeutung, sich mithilfe eines klaren eigenen politischen und ideologischen Profils vom politischen Gegner zu unterscheiden, wurde von Guzmán immer wieder angemahnt: „para poder hacer frente, con clases, partiendo de eso y con quienes representan a esas clases, tenemos que tener una posición propia, diferente, diferenciada, nítidamente diferenciada, nosotros debemos diferenciarnos clara y precisamente. Diferenciarnos de los partidos de la reacción, creo que esto no hay que ni recordar, obviamente, somos antagónicos, por ejemplo, del APRA, obviamente, que es un partido fascista-corporativo; Acción Popular o el PPC, partidos de la facción de la burguesía compradora de la gran burguesía, eso es, son demoliberales, de orden estatal demoburgués, pero son reaccionarios. […] Diferenciarse es fundamental; si no nos diferenciamos, entonces nos mezclamos y desarrollaríamos ese vulgar „frontismo“, queremos decir esas mescolanzas sin pies ni cabeza y, en consecuencia, sirven incluso a fines contrarios a los que deberían servir. [...] tenemos que hacer todo lo necesario para ser el centro único y reconocido porque eso es clave, para que la revolución realmente pueda desenvolverse según lo que ha fijado el marxismo-leninismo-maoísmo, principalmente el maoísmo: es la lealtad con nuestros principios.“5

Wie die Aussage eines Mitglieds der Führung des Comité Zonal del Norte Mediano erkennen lässt, stießen derartige Aufrufe innerhalb der Partei auf ein entprechendes Echo: „hay que diferenciarnos en todo, en el lenguaje, hay que hablar de las cinco unificaciones, unidad de dirección, unidad de política, ideológica, de unidad de lenguaje, unidad de dirección y no se qué otras unidades mas, el estilo de trabajo diferente.“6

5 6

Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, PCP-SL (1988): 1er Congreso del PCP-SL, Bd. 2, Segunda Sesión. Campaña de rectificación para conquistar y construir mediante la Guerra Popular. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 100054.

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Den deutlichsten Unterschied zu den restlichen Parteien markierte die Aufnahme des bewaffneten Kampfes im Mai 1980. Dass dieser Schritt, der den Leuchtenden Pfad blitzartig aus der Masse der linksradikalen Parteien herausragen ließ, zu der erwünschten Profilstärkung führte, zeigten u. a die im vorherigen Kapitel dargestellten zahlreichen Übertritte von Mitgliedern anderer Parteien zum Leuchtenden Pfad. Daneben bildete die Urheberschaft des Militärkonflikts aber auch ein weiteres Element der sich zunehmend ausprägenden kollektiven Identität der Partei.7 Die Ausrufung eines Volkskrieges bestärkte den Leuchtenden Pfad in seiner Überzeugung, die einzige wirkliche kommunistische Partei Perus zu sein. Schon früh hatte die Partei diesen Anspruch zu monopolisieren versucht – in einer Ansprache Guzmáns vor Parteikadern im Jahr 1979 hieß es demenstprechend: „nosotros somos la sal de la tierra. Los otros son los parásitas. [...] Somos la fragua y el martillo, somos la izquierda, somos la izquierda. Somos la revolución en marcha, somos la revolución en marcha, somos los incendiarios, somos los incendiarios. La masa está lista, la masa está lista. Nos espera, nos espera.“8

Als revolutionäre kommunistische Partei wähnte sich der Leuchtende Pfad auch auf einer historischen Mission, die nichts Geringeres als die erfolgreiche Verwirklichung der Weltrevolution umfasste. Im August 1980 postulierte ein Parteitext: „Nos ha correspondido la misión histórica de iniciar la lucha armada en nuestra patria y desarrollarla como parte de y aporte a la lucha de América Latina, del proletariado internacional y los pueblos del mundo y de la revolución mundial a la cual servimos por imperativo del internacionalismo proletario.“9

Die Einbettung der eigenen Aktivitäten in einen welthistorischen Zusammenhang verlieh ihr nicht nur eine spezifische Transzendenz, sondern veranschaulicht auf besondere Weise, wie sehr sich der Leuchtende Pfad auch als politisch-ideologische Avantgarde im internationalen Kontext begriff. Ihren ersten Niederschlag fand die grenzüberschreitende Bedeutung der eigenen Revolution in dem Umstand, dass in allen maßgeblichen Parteidokumenten die enge Beziehung zwischen der peruanischen und der internationalen Revolution einen breiten Raum einnahm. Immer wieder rückte dabei die Einschätzung in den Mittelpunkt, dass die traditionellen kommunistischen Großmächte, die UdSSR 7 8 9

In einem der wichtigsten Parteidokumente, dem im April 1980 erschienenen Somos los Iniciadores, hob die Partei bereits im Titel ihre vermeintlich avantgardistische Rolle hervor; vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1980b): Iniciadores. DINCOTE, DH-SL-A-0108, PCP-SL (7.6.1979): IX. Session. 6ta. Reunión. Intervención de dirección sobre la nueva etapa y la bandera. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1980b): Iniciadores, S. 177.

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und China, aber auch andere kleinere Staaten kommunistischer Ordnung dem Revisionismus zum Opfer gefallen seien bzw. diesen mutwillig gefördert hätten. Nach Ansicht Guzmáns existierte in der Aktualität kein einziger sozialistischer Staat weltweit. Selbst dem vom Rest der Welt als lateinamerikanischer Prototyp eines solchen betrachteten Kuba billigte er lediglich die Rolle eines Dieners der Hegemonialansprüche der UdSSR zu.10 In der Línea Internacional von 1988 zeichnete die Partei unter Rückgriff auf die historische Entwicklung der kommunistischen Bewegung ein Bild der aktuellen Lage, das einen dreifachen Angriff des Revisionismus auf den Kommunismus zeigte: Nachdem sowohl im postmaoistischen China als auch in Albanien unter Hoxha als auch in der UdSSR mit Gorbatschow die konterrevolutionären Kräfte die Oberhand gewonnen hätten, blieb seit spätestens Mitte der 1980er-Jahre allein der Leuchtende Pfad als „einzig wahrer Hüter und Verteidiger der kommunistischen Bewegung“ übrig: „así fue el PCP el único partido en el mundo que estuvo a la vanguardia en la defensa del maoísmo y asumió el bregar por la unidad de los marxistas-leninistas-maoístas del mundo para que esta ideología sea mando y guía de la revolución peruana y mundial.”11

Mit dieser Sichtweise grenzte sich der Leuchtende Pfad nun nicht mehr nur allein von der nationalen Parteien- und Organisationslandschaft, sondern auch von der gesamten übrigen internationalen sozialistisch-kommunistischen Staaten- und Parteienwelt ab. Diese totale Ablehnung machte die Organisation, zumindest aber die Führungsspitze, immun gegen die nach dem Zerfall des sowjetisch-europäischen Kommunismus ab 1989 immer zahlreicher werdenden Stimmen, die ihr das Wegbrechen des eigenen politischen Lagers und damit ein ähnliches und baldiges Ende voraussagten. Da sich der Leuchtende Pfad aber nie als Teil der untergegangenen kommunistischen Gemeinde verstanden hatte und deren Schicksal für ihn die zwingende Logik ihrer vermeintlich revisionistischen Tendenzen darstellte, ging eine solche Argumentation ins Leere. Den kommunistischen Untergang im Ostblock kommentierte der Leuchtende Pfad oft nur mit dürren Worten, wie etwa: „ahora la cuestión es simple y concreta, bancarrota del revisionismo contemporáneo, ésa es la situación del revisionismo.“12

Der internationale Führungsanspruch der Partei stieß auf ein geteiltes Echo. Während die sozialistischen Großmächte China und die UdSSR den Leucht10 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista und McClintock (1998): Movements, S. 66. 11 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases, S. 321. 12 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991a): Equilibrio.

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enden Pfad von Beginn an nicht als politischen Akteur anerkannten und ihm jegliche materielle und ideelle Unterstützung verwehrten, sympathisierten vor allem kleinere Linksparteien der westlichen Hemisphäre offen mit dem Leuchtenden Pfad. Im Gegensatz zu der oft beschriebenen Kommunikations- und Kontaktlosigkeit stand der Leuchtende Pfads spätestens seit den frühen 1980erJahren in einem stetigen weltweiten Austausch mit Vertretern anderer maoistischer Parteien, die seinen Führungsanspruch auch anerkannten. 1984 gehörte er zu den 18 Gründungsmitgliedern des in London beheimateten maoistischen Revolutionary Internationalist Movement (RIM). Bereits bei seiner Gründung hob der RIM die internationale Vorbildfunktion der peruanischen Guerilla hervor. Eine Presseerklärung des RIM verlautbarte im April 1984: „This revolutionary warfare is a bright spot on today’s globe and lights the path forward for the proletariat and the oppressed people everywhere. [...] The struggle in Peru shows that it is possible for an oppressed people, led by a genuine vanguard party, to wage revolutionary war without falling into clutches of one imperialist power or another. [...] All the imperialist powers, including the Soviet Union, vilify the just revolutionary struggle led by the Communist Party of Peru.“13

Aber auch Parteien, die nicht dem RIM angehörten, suchten den Kontakt zum Leuchtenden Pfad, von dem sie sich politisch-militärische Unterweisung und ideologische Schulung erhofften. Die Vorrangstellung der peruanischen Maoisten stand dabei außer Frage. Nach einem Treffen mit einem Abgesandten des Leuchtenden Pfads beschrieb z. B. das Politbüro der mexikanischen Unión Comunista Revolucionaria in einem undatierten Schreiben den bewaffneten Kampf des Leuchtenden Pfads als „faro luminoso de la Guerra Popular Mundial.“14

Und der Partido Comunista de Chile stand einer derartigen Huldigung in nichts nach, wenn er den Leuchtenden Pfad als „el más elevado Partido Comunista que ha alcanzado el proletariado, a través de su historia.“15

bezeichnete. Aus Europa zeigte sich u. a. der Partido Comunista de España kooperationswillig, was am 1. Mai 1987 zur Verabschiedung einer mehrseitigen gemeinsamen Erklärung führte, in der die Spanier die Bedeutung des bewaffneten Kampfes in Peru für die weltweite marxistisch-maoistische Revolutions13 IEP-CGG, RIM (24. April, 1984), Communist Party of Peru and others adhere to Revolutionary Internationalist Movement. 14 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo 06, A-78. 15 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo 06, A-80.

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bewegung unterstrichen16. Es gelang dem Leuchtenden Pfad also, das eigene Selbstverständnis, wenngleich nur innerhalb eines begrenzten politischen Spektrums, auch nach außen hin durchzusetzen.17 Disziplin und Gehorsam

Die kollektive Parteiidentität, deren Kern der sorgsam gepflegte Elitismus bildete, wurde durch weitere Bestandteile ergänzt und weiter ausgestaltet. Immer wieder forderte die Partei von ihren Mitgliedern dabei vor allem Disziplin, Gehorsam und Opferbereitschaft als vermeintlich tugendhafte Eigenschaften des idealen Revolutionärs. Schon vor Aufnahme der Kampfhandlungen 1980 erkärte ein Parteidokument: „La disciplina – un sistema de organizaciones. [...] Nada podemos hacer sin un sistema organizado. Esto demanda hombres dispuestos al sacrificio. Quien no entiende así tendrá alma huidiza y no cumplirá su papel: reto a la muerte, sacrificio; […] entendemos que nuestra vida puede ser tomada por la revolución.“18

Obgleich Disziplin und Gehorsamspflicht den einzelnen Mitgliedern jeglichen Raum für Individualität sowie eigenständige politische Initiativen und ideologische Beiträge entzogen, galten sie als Ausweis wirklicher kommunistischer Gesinnung und damit als konstitutive Wesensmerkmale der eigenen Identität. Wie der Auszug aus einem Parteidokument von 1979 zeigt, durchzog diese Überzeugung immer auch die Gewissheit wissenschaftlicher und historischer Gesetzmäßigkeit – womit die Stellung des Individuums natürlich weiter reduziert wurde: „Tener ideas claras de que somos comunistas, y un comunista sirve a la transformación del mundo, tiene desinterés absoluto, no puede estar pensando en su individuo. Un comunista es un hombre optimista [...] los hombres, especialmente los comunistas, con excepción de los cobardes o de los oportunistas, son optimistas, conocen el ley del mundo – para transformalo. Nadie que se llame comunista puede tener otra actitud.“19

Solche Gebote der Parteiführung fielen an der Basis auf fruchtbaren Boden, sodass sich Gehorsam und Disziplin zu zentralen Charakter- und Identitäts16 IEP-CGG, Partdio Comunista del Perú. Partido Comunista de España (1. Mai 1987), Reunión marxista-leninista-maoista. Acuerdos. Declaración Conjunta. 17 Zu den Versuchen, internationale Solidaritätskomitees für den Leuchtenden Pfad auzubauen vgl. Caretas (1991a): Conexión. 18 DINCOTE, DH-SL-0099, PCP-SL (20.5.1979): Instalación del IX. Pleno. 19 DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (21.4.–6.6.1982): II. Conferencia Nacional (segunda parte). Sobre lucha de dos lineas, entronizar el pensamiento guía y el comité central.

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merkmalen der Parteimitglieder entwickelten. Voraussetzung hierfür war die weitgehende Verschmelzung von individuellem und parteilichem Interesse. Gonzalo Portocarrero stellt fest: „Sendero Luminoso condena el individualismo en forma absoluta y radical. Fuera de la comunidad partidaria no hay porvenir que no sea la decepción y la culpa, el sufrimiento y el pecado.“20 Und Víctor Vich ergänzt: „Con una fe absolutamente ciega en Abimael Guzmán, un militante senderista puede definirse como una persona que, por distintas razones, ha decidido construir una nueva identidad de sí mismo a costa de tener que disolverse dentro de una organización y un discurso que, tarde o temprano, terminará negándolo como sujeto“.21 Wie weit die freiwillige Zurückstellung der eigenen Individualität gehen konnte, zeigt die Aussage eines Parteikaders: „Ya no siento como persona, uno siente el partido como uno mismo. Yo soy el partido. Yo no soy la persona que es parte del partido, no. La identifación con el partido es tal que yo digo “yo soy el partido” [...] estamos tan cohesionados que pensamos casi igual y dos personas pueden estar en diferentes lados pero piensan igual.“22

Das Dogma der Einheit von Individuum und Partei sowie der Zugehörigkeit zu einem auserwählten Kollektiv wurde den Kadern immer wieder eingeschärft: „En el partido […] nos enseñan que no somos perlas sueltas, sino un collar de perlas.“23

Die Herausbildung eiserner Disziplin und bedingungslosen Gehorsams kann als enormer Erfolg des Leuchtenden Pfads bewertet werden, der in erheblichem Maße zur Kohäsion und Durchschlagskraft der Partei beitrug. Allerdings waren Disziplin und Gehorsam trotz gegenteiliger Euphemismen der Parteipropaganda keine Selbstläufer, sondern mussten fortlaufend eingefordert und durchgesetzt werden. Zu diesem Zweck übernahm der Leuchtende Pfad ein wirksames Instrument, das bereits unter den Bolschewiken sowie im maoistischen China angewendet worden war: Kritik und Selbstkritik (crítica y autocrítica). Hierbei handelte es sich um ein parteiöffentliches Ritual, in dem Parteimitglieder, die sich entweder mit Kritik hervorgetan hatten oder aber selbst in die Kritik geraten waren, in mehreren Durchgängen ihre Kritik erneuern, Selbstkritik üben und die Parteiführung preisen mussten. Gleichzeitig wurden sie von den anwesenden Parteigenossen kritisiert und beschimpft. Oscar Alberto Ramírez beschrieb den Akt, der seit 1988 offensichtlich eine Abwandlung erfuhr und nunmehr bezeichnenderweise auch acuchillamiento genannt wurde:

20 21 22 23

Portocarrero Maisch (1998): Razones, S. 57. Vich (2002): Caníbal, S. 18. Portocarrero Maisch (1998): Razones, S. 179. Caretas (1988c): Matar, S. 30.

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„entre las formas de desenvolver esta lucha de las “Dos Líneas”, es decir, de la crítica y la autocrítica, la variante introducida por Guzmán en el Primer Congreso – en la Primera sesión – es el “acuchillamiento”, término figurado que se utilizaba para acuchillar a quiénes discrepaban con él; se trataba dentro del ámbito de la crítica y autocrítica y se decía “acuchilla tus ideas” cuando se trataba de una crítica y “acuchillo mis ideas” cuando se trata de una autocrítica; el “deslinde” se producía por ejemplo, si eran tres personas que cuestionaban a la Dirección tenían que criticarse, auto criticarse y deslindarse entre ellos, es decir, criticarse unos a otros y acuchillarse unos a otros, esa era la novedad; antes del Congreso hubo un expediente llamado la “Sesión de Lucha”, fórmula que según Guzmán se utilizaba en China, que consistía en señalar un blanco que puede ser uno de los camaradas y todo el mundo lo criticaba, hubo algunos compañeros que tomaron esto de una manera extrema, tanto que llegaban a poner a una persona en el centro de una sala y los demás a su alrededor y se le criticaba; Guzmán decía que esto también se aplicó en la Revolución Cultural.“24

Ein Beispiel einer autocrítica liefert der Fall der im September 1990 festgenommenen Führung der Propaganda-Abteilung der Partei. U. a. aufgrund krasser Verstöße gegen die parteieigenen Sicherheitsregeln hatte die Abteilungsspitze die Aufdeckung und Zerschlagung der Organisationseinheit sowie die eigene Verhaftung durch die Polizei ausgelöst. Die Parteiführung ordnete daraufhin die Durchführung einer autocrítica an, die in der Haftanstalt Castro Castro realisiert wurde. In der schriftlichen Selbstkritik des Chefs der Propagandaabteilung und Mitglieds des Zentralkomitees h ieß es: „Presidente Gonzalo; me autocrítico muy severa y profundamente de los graves y serios errores de mi raíz revisionista que he expresado y que desdicen de la responsabilidad que Ud. y la DN del P. [Dirección Nacional del Partido, SCW] me han encomendado y de mi condición de militante de nuestro glorioso y correcto P.; de haber puesto en riesgo al presidente Gonzalo y a la DN y a otros aparatos partidarios, de haber saboteado y entorpecido el trabajo de propaganda [...] de haber presentado en forma por demás negra, repudiable, condenable y miserable, ideas, actitudes y criterios antipartido [...]. [...] He actuado de manera despreciable vil y miserable siento una inmensa vergüenza por los crasos errores que he cometido los cuales vuelo, repudio, aplasto y barro y hago añicos en el acto con la firme disposición de avanzar y corregirme y así servir al P. [...] al todo poderoso e invencible pensamiento gonzalo [...] lo asumo porque mi vida le pertenece al P., a la revolución, a la clase, a nuestro pueblo. Soy un comunista con serios problemas, es mi firme decisión y férrea voluntad el forjarme como una bastión de nuestro P., como un soldado de nuestro presidente gonzalo dispuesto hoy, mañana y siempre a dar la vida por el partido y la revolución.“25

24 Sala Penal Nacional, Exp. 524-03, Testimonio de Oscar Alberto Ramírez Durand (22.06.05). 25 Autocrítica von Javier Garzón, Manuskript im Besitz des Autors.

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Stellt man sich den politischen wie persönlichen Druck sowie die Atmosphäre vor, die eine solche Selbstkritik in der Regel begleiteten, lässt sich erahnen, um welch ein niederschmetterndes Erlebnis es sich hierbei für den Einzelnen handeln konnte – nach Angaben von Alberto Oscar Ramírez Durand brach das Ritual der Selbstkritik das Selbstvertauen des Kandidaten und lieferte diesen schutzlos der Partei aus.26 Paradoxerweise wurde die autocrítica aber immer auch als ein Ritual angesehen, das die Kandiaten mit Stolz erfüllen konnte, da es als Ausweis echter kommunistischer Überzeugung galt. Gustavo Gorriti hät fest: „La supuesta sinceridad y objetividad de ésta [autocrítica, SCW] eran el camino no sólo al reconocimiento de errores sino la afirmación ante los demás de la condición de comunista sincero.“ 27 Die autocrítica blieb zu allen Zeiten ein wirkunsgvolles Instrument der Kontrolle und Disziplinierung – gleichzeitig wurde sie aber häufig schon routinemäßig auf allen Ebenen der Partei angewendet, sodass mit der bezeichnenden Ausnahme von Abimael Guzmán wohl jedes Parteimitglied Erfahrung mit diesem Ritual gemacht hatte.28 Opferbereitschaft und Märtyrerverehrung

Neben Disziplin und Gehorsam stellte die Bereitschaft, das eigene Leben für die Partei zu geben, ein weiteres konstitutives Merkmal der kollektiven Identität des Leuchtenden Pfads dar. Aus Sicht Abimael Guzmáms musste die Partei bereit sein, einen eigenen hohen Blutzoll, die sogenannte cuota zu entrichten. Gustavo Gorriti bemerkt dazu: „era indispensable convencer de dos cosas a los militantes senderistas: la necesidad de matar en forma sistemática y despersonalizada, para aplicar la estratégia acordada; y como premisa necesaria de lo anterior, la disposición, más aun, la expectativa de entregar la vida propia.“29 Der Verlust eigener Kader wurde dabei nicht als Niederlage gewertet, sondern als Ausdruck der eigenen Stärke und als notwendiges Teilstück auf dem Weg zum baldigen Triumph. In dem Interview von 1988 erklärte Guzmán die Bedeutung der cuota folgendermaßen: „Y, en consecuencia se nos plantea el problema de la cuota; la cuestión de que para aniquilar al enemigo y preservar las propias fuerzas y más aún desarrollarlas hay que

26 Comisión de la Verdad y Reconciliación , Entrevista con Alberto Oscar Ramírez Durand (27.09.2002). 27 Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero, S. 64. 28 Vgl. Ibid. 29 Ibid., S. 171.

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pagar un costo de guerra, un costo de sangre, la necesidad del sacrificio de una parte para el triunfo de la guerra popular.“30

Das Konzept der cuota entzog den Mitgliedern die Entscheidungshoheit über ihr eigenes Leben und kreierte zugleich einen Märtyrermythos, den die Partei erfolgreich zu ritualisieren wusste. Der Tod wurde dabei zu einem fast schon banalen Gut stilisiert, dessen Verfügbarkeit jederzeit gewährleistet sei. So ist einem konfiszierten Notizheft zu entnehmen, mit welcher vermeintlichen Leichtigkeit die Mitglieder sich zu opfern bereit waren: „Nosotros debemos aprender a sopesar el principio básico de la guerra, bregar por que el costo sea menor, pero estamos dispuestos a pagar la más alta cuota. Por más que corra sangre nuestras filas se incrementarán. [...] Sin sacrificio y cuota no podemos mantener nuestras fuerzas, es base de avance. Los hombres de convicción llevamos la vida en la punta de los dedos y la podemos perder en cualquier momento, el problema es que esas vidas sirvan a la revolución. [...] Así que esa preciosa sangre es como estandarte que se agita [...]. No son tiempos de luto, son estandartes que cantan a la victoria.“31

Die Glorifizierung des Märtyrertums und des Blutopfers fand ihren verbalen und sinnbildlichen Höhepunkt in verschiedenen Aufrufen der Partei wie etwa dem oft zitierten Zitat: „La sangre no ahoga la revolución, la riega!“32

Verschiedene Beispiele deuten darauf hin, dass die Forderung nach Einsatz des eigenen Lebens fest im Gedankentum der Mitglieder verankert war. So unterstrich ein inhaftiertes Parteimitglied nur zwei Jahre nach den Gefängnismassakern von 1986 in einem Brief seine Kampfbereitschaft: „la revolución es dura y prolongada, exige a un comunista que redoble sus esfuerzos en bien de nuestro pueblo. Me yergo firme en mi trinchera de combate, soy de acero, en el fuego se conocen a los hombres […] Mi espíritu es guerrero, no es de esclavo, el partido me ha formado como un combatiente de hierro.“33

Ein ehemaliges Mitglied von Socorro Popular berichtete kritisch davon, dass die Verehrung der Partei bei einigen Mitgliedern selbst im Augenblick des Todes grenzenlos war:

30 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista. 31 Zitiert nach Ansión (1990): Sendero, S. 123. Das Bild des „llevar la vida en la punta de los manos“ gehörte zu den am häufigsten gebrauchten Ausdrücken des Leuchtenden Pfads. 32 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1987a): Gloria. 33 Caretas (1988b): Niños, S. 32.

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„Conocía gente cercana de la universidad mía que moría. Y moría porque creían en esto. Y al rato que morían seguían gritando “Pensaran en el triunfo”. Su último pensamiento. Su ultimas palabras eran “Viva el presidente”. Así moría la gente. Así morían los jóvenes.“34

Doch auch wenn die in glühenden Farben dargestellte Bereitschaft zum Selbstopfer als Ausweis der bedingungslosen Verpflichtung gegenüber der Partei und der Revolution sowie als notwendiger und ruhmreicher Schritt auf dem Weg zum Sieg galt, ginge die Annahme eines massenhaften freiwilligen Märtyrertums junger senderistas fehl. Wie Gorriti verweist, war die Führung des Leuchtenden Pfads vielmehr sorgsam darauf bedacht, eigene Opfer im Rahmen der politischen und militärischen Erfordernisse zu halten.35 Weshalb dann aber der besondere Stellenwert der cuota? Als Teil einer rigiden Weltsicht mit klarem Wertekanon und eindeutiger Einteilung der Welt in Gut und Böse stellte die cuota die letzte, gleichsam natürliche Konsequenz des ideologischen Absolutheitsanspruches des Leuchtenden Pfads dar. Die stetig propagierte und eingeforderte Bereitschaft zur Hingabe des eigenen Lebens und deren Einlösung in der militärischen Praxis bedeutete für jedes Mitglied nicht mehr nur die ideologische, sondern auch die physische – und damit die totale – Unterwerfung unter den Willen der Partei. Somit ist anzunehmen, dass eine der zentralen Aufgaben der cuota auch darin lag, innerhalb der eigenen Parteistruktur als Kontroll- und Disziplinierungsinstrument zu fungieren. Um die Opferbereitschaft weiter steigern sowie die cuota auch in ein Symbol politisch-moralischer Natur umwandeln und sie in den kulturellen Erfahrungsschatz der Partei integrieren zu können, bediente sich der Leuchtende Pfad seit Beginn des bewaffneten Konflikts einer Helden-, Märtyrer- und Legendenbildung. Herausragende Kämpfer sollten Mitgliedern und Anhängern als nachahmenswerte Vorbilder dienen und die Heldenhaftigkeit des eigenen Kampfes idealisieren. Dabei wurde die Möglichkeit, das eigene Leben für die revolutionäre Unternehmung lassen zu müssen, nicht verschwiegen, vielmehr als konstitutiver Teil des Heldentums gefeiert und gefordert. In einem Parteidokument aus dem Jahre 1982 hieß es dazu: „Un pueblo no puede desarrollar su acción sin expresar heroísmo revolucionario y si bien los héroes por lo general son los que dejan su vida, el heroísmo es una madera que sustenta nuestra condición de comunistas y combatientes. Se dice que nosotros tenemos una mística que llega al fanatismo, eso no es sino el reconocimiento a la calidad y

34 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700067. 35 Vgl. Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero, S. 180.

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bravura que demuestran quiénes en el Perú mantienen la lucha armada ya a costa de su sangre. Forjar revolucionarios capaces del sacrificio revolcionario.“36

Bereits im selben Jahr bot sich dem Leuchtenden Pfad die Gelegenheit, diesen Anspruch mit einem Beispiel aus den eigenen Reihen zu dokumentieren: Nachdem das bereits zu Lebzeiten geachtete und kampferprobte Parteimitglied Edith Lagos im Departement Ayacucho 19-jährig von Polizeikräften ermordet wurde, begann die Stilisierung zur ersten und wohl auch bekanntesten Heldin des Leuchtenden Pfads. Ihre Beisetzung geriet zu einem Großereignis, dem nach Augenzeugenberichten zwischen 15.000 und 30.000 Personen beiwohnten. Gustavo Gorriti erklärt, weshalb Lagos so ideale Voraussetzungen für eine Heldenkonstruktion besaß: „Edith Lagos era una persona que transpiraba una entrega intensa y total a la rebelión senderista, por las razones que llevan a tantos jóvenes idealistas a unir sus destinos a epopeyas luctuosas: la visión de una sociedad de justicia transcendente y perdurable...Edith Lagos simbolizaba esa generación de jóvenes ayacuchanos, la arcilla formado por el sacrificio“.37 In den Folgejahren wurden immer wieder Einzelpersonen zu Helden der Partei ausgerufen, von denen an dieser Stelle exemplarisch noch Jorge Félix Raucana und Augusta de la Torre genannt werden sollen. Jorge Félix Raucana verwandelte sich in einen Märtyrer des Leuchtenden Pfads, nachdem er am 28. Juli 1990 während eines Polizeieinsatzes in einem vom Leuchtenden Pfad kontrollierten Teilstück innerhalb des limenischen Stadtteils Ate Vitarte getötet wurde. Umgehend wurde Raucanas Tod instrumentalisiert: Raucana, der weder Parteimitglied noch politisch aktiv war, wurde zu dem Namensgeber dieses bewohnten Geländes und zum Beispiel eines Kämpfers, der sein Leben gab, damit andere Wohn- und Lebensraum besitzen konnten.38 Während mit Edith Lagos eine zwar geachtete, aber dennoch rangniedrige Kämpferin und mit Jorge Félix Raucano ein einfacher Stadtteilbewohner Heldenstatuts erhielt, handelte es sich bei Augusta de la Torre um die Nr. 2 der Partei und um die Ehefrau Abimael Guzmáns. Innerhalb der Partei als Kameradin Norah bekannt, stand sie stets ergeben hinter der Ausstrahlung ihres Ehemannes zurück, weshalb sie nach ihrem Tod im November 1988 als „Symbol der bedingungslosen Unterstützung“ galt: „Para Guzmán, el cuerpo de Augusta representa la

36 DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (01/1982): I. Sesión especial del V. Pleno. Remover más y mejor principalmente las zonas guerrilleras en función de bases de apoyo. 37 Zitiert nach Kirk (1993): Piedra, S. 36f. 38 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 296f.

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máxima virtud de Sendero Luminoso: el auto-aniquilamiento, el sacrificio por la causa.“39 In den Parteidokumenten wurde sie fortan als „heroína más grande del Partido, ejemplo de dar la vida por el Partido y la Revolución.“40

beschrieben und in verschiedenen Liedern und Gedichten verewigt.41 Im Zentrum des parteieigenen Heldenpantheons standen jedoch weder einzelne Kämpfer aus den Regionen noch Mitglieder der Führungsspitze. Stattdessen befand sich hier die Gruppe der Parteimitglieder und Aktivisten, die in den Gefängnissen der Hauptstadt das Leben für die Partei ließen. Bereits wenige Jahre nach Beginn des bewaffneten Kampfes wurde die stets propagierte Bereitschaft, der Revolution das eigene Leben zu opfern, auf tragische Weise von den Gefängnisinsassen eingefordert: 1985, 1986 und 1992 beantworteten die staatlichen Sicherheitskräfte verschiedene Aufstände der inhaftierten Kader mit massiven Waffeneinsätzen, die insgesamt rund 300 Todesopfer forderten (allein bei den Massakern in den Anstalten El Fronton und Lurigancho im Juni 1986 kamen circa 250 senderistas ums Leben).42 Für den Leuchtenden Pfad bedeuteten diese Vorkommnisse zunächst einen schweren organisatorischen Schlag, verlor er doch viele wichtige Anführer und überzeugte Mitglieder. Gleichzeitig stellten sie jedoch auch bedeutende moralische und symbolischpolitische Ereignisse dar, die dazu geeignet waren, sowohl dem nationalen und internationalen Publikum als auch den eigenen Parteikadern und Anhängern die absolute Einsatzverpflichtung und die unbedingte Opferbereitschaft der eigenen Kader vor Augen zu führen. Als sicht- und erlebbares Ehrenzeichen für die gefallenen Kameraden hatte die Parteiführung bereits 1985 den 4. Oktober, Datum des ersten Massakers in Lurigancho, zum Día del prisionero político erklärt. Nach den Ereignissen vom Juni 1986 wich dieser Feiertag dann dem Día de la Heroicidad, der am 19. Juni begangen wurde. Mit Blick auf die hohe Anzahl der Toten sowie den völlig überzogenen Waffeneinsatz der Sicherheitskräfte besaß der Leuchtende Pfad in der Folge starke Argumente, um die eigenen Opfer als nachahmenswerte Märtyrer und die Massaker als moralisch-politische Siege zu feiern sowie die Präsidenten Alan García und Alberto Fujimori als barbarische, jenseits jeglicher Rechtsnormen operierende

39 Kirk (1993): Piedra, S. 49. 40 DINCOTE, DH-SL-0323, PCP-SL (02/1989): Notas sobre la reunión de dirección con los secretarios de los comites de Ayacucho, Apurímac, Cangallo-Fajardo, Centro, Sur y Norte Medio. 41 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (Ohne Datum): Cancionero. 42 Zu den genauen Abläufen dieser Erstürmungen vgl. u.a. Renique (2004): Voluntad sowie die entsprechenden Abschnitte innerhalb des Abschlussberichts der Wahrheitskommission.

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Präsidenten darzustellen. In einem Flugblatt anlässlich des Día de la heroicidad vom Juni 1987 ließ sich dementsprechend lesen: „el monstruoso e infame genocidio que por mandato gubernamental y con carta blanca perpetraron las fuerzas armadas y aparatos represivos, con ciego odio al pueblo y perversa furia homicida se estrelló contra la indoblegable, férrea resistencia feroz de los camaradas, combatientes e hijos de las masas que enarbolaron ideología, valor y heroicidad desplegadas audazmente en encendido desafío bélico [...] los prisioneros de guerra, como el personaje de la historia, siguen ganando batallas más allá de la muerte, pues, viven y combaten en nosotros conquistando nuevas victorias; su recia e imborrable presencia la sentimos palpitante y luminosa enseñándonos hoy, mañana y siempre a dar la vida por el Partido y la revolución.¡Gloria al Día de la Heroicidad!“43

Die Ausrufung eines Ehrentages für die Gefallenen sowie die propagandistische Ausbeutung der Gefängnismassaker verfehlten ihre Wirkung innerhalb der Zielgruppen des Leuchtenden Pfads nicht. Wie ein ehemaliger Student und späterer senderista berichtet, lösten die Ereignisse in den Gefängnissen nicht nur kontroverse Debatten innerhalb der politischen Studentengruppierungen, sondern auch Respekt und Bewunderung aus: „atizó mi simpatía, dije bueno pues mucho nos han matado en los penales, nos han asesinado han hecho esto son hombres que pelean por sus ideales no?“44

Die Aussage einer weiteren San Marquina macht deutlich, dass bestimmte Teile der Bevölkerung die Gefängnismassaker als weiteren Beleg der vermeintlichen Despotie des Staates verstehen konnten, dessen Ansehensverlust dadurch zusätzlich beschleunigt wurde: „pienso que este genocido, así como el de 85 y así como tantos otros se cometieron en nuestro país no estaban bién, había injusticia, había miseria, el Estado en vez de ver por nosotros, nos reprimía.“45

El Nuevo Arte: Revolution und Kultur

Die kollektive Identität wurde schließlich auch durch eine eigene Parteikultur gefördert, die Traditionen, Bräuche und Rituale besaß und zu der Gesänge, Gedichte, Malerei, Theateraufführungen, Aufmärsche, Symbole, Legenden, den Alltag ordnende Regeln und Normen sowie die dargestellte Helden- und Märtyrerverehrung gehörten. Dieser kulturelle Werkzeugkasten der Partei erfüllte im 43 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1987b): Vida. 44 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 100054; vgl. auch Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700091. 45 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700017.

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Wesentlichen zwei Funktionen: 1. Die weitere Stärkung der kollektiven Identität der Partei(-mitglieder) und 2. die wirksame Propaganda der politischen Ziele sowie der grundlegenden ideologischen Leitbilder. Die Parteispitze war bemüht, die einzelnen Bausteine fest in das tägliche Parteileben zu integrieren – was vor allem dort gelang, wo die Organisation ihre Machtposition zumindest temporär hatte konsolidieren können, also in den Gefängnissen sowie in den bases de apoyo und den comités populares. Um den Einsatz und die Wirkung der revolutionären Kunst und Kultur besser steuern zu können, wurde 1988 der parteinahe Movimiento de Artistas Populares (MAP) ins Leben gerufen, in dem sich verschiedene Theater- und Musikgruppen zusammenfanden. Die genaue Darstellung der Entwicklung des Nuevo Arte und ihrer Wirkung sowohl nach innen als auch nach außen ist jedoch nur sehr eingeschränkt möglich. Zwar vermitteln Foto-, Video- und Audioaufnahmen sowie Augenzeugenberichte erste konkrete Eindrücke. Dennoch sind auf diesem Forschungsfeld erhebliche Erkenntnislücken zu konstatieren. Dies scheint in erster Linie auf zwei Ursachen zurückzuführen zu sein: mangelndes Forschungsinteresse und Schauplätze, die Beobachtern unterschiedlichen Zugang bieten. Während etwa das Verhalten des Leuchtenden Pfads in den Gefängnissen bereits einer breiten zeitgenössischen, nationalen und internationalen Öffentlichkeit bekannt war, sind die genauen kulturellen Alltagserfahrungen aus dem Leben in den comités populares noch immer weitgehend unbekannt. Ähnliches gilt auch für die Alltagskultur in den städtischen Zentren, in denen der Leuchtende Pfad um die Vorherrschaft kämpfte. Einen ersten Anhalt für die Bedeutung, die der Leuchtende Pfad der kulturellen und symbolischen Dimension seines Kampfes beimaß, lässt sich aus dem Lehrplan einer escuela de cuadros aus dem Jahr 1990 gewinnen. Wie wir bei der Untersuchung der Rekrutierungsmechanismen sahen, durchliefen nicht allein die Mitgliedskandidaten, sondern auch etablierte Kader immer wieder umfangreiche politische und ideologische Schulungen, die in Form der escuelas populares oder der escuelas de cuadros realisiert wurden. Zentrale Lehrinhalte waren bei diesen Veranstaltungen naturgemäß die marxistischen Grundsätze sowie die politischen Ideen und die Ideologie des Leuchtenden Pfads. Daneben erhielten die Teilnehmer aber auch Unterricht über historische, politische und ökonomische Zusammenhänge. Wie aus dem erhaltenen Lehrplan hervorgeht, nahm aber auch die Unterweisung der Teilnehmer in die kulturellen und symbolischen Aspekte der Revolution einen offensichtlich gleichberechtigten Platz ein. So zählten zu den verpflichtenden Lehrinhalten der zweiwöchigen escuela u. a.: – „Enseñar los símbolos del Partido: Bandera, Hoz y Martillo e Himno y Lema Proletariados de todos los países, uníos! – Historia del Partido, centrando en el proceso de la Guerra Popular

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– Enseñar sobre Heroísmo Revolucionario y Tradición Heróica de nuestro pueblo – Sobre el Nuevo Arte: • Impulsar el Teatro fomentando grupos artísticos, la música, pintura, poemas, canciones, marchas e himnos • Desarrollar las Celebraciones del Partido. • Cumplir con elaborar Documentos gráficos como Homenaje al Décimo aniversario y parte de la Campaña por el Nuevo Poder. [...] • Exposición del arte infantil, incentivando a los pioneros a que expresen en dibujos sus vivencias del Nuevo Poder y la GP [Guerra Popular, SCW].“46 Dem Lehrplan zufolge sollten die Teilnehmer also zunächst mit den wichtigsten Parteisymbolen vertraut gemacht werden: 1. der roten Fahne, auf der Hammer und Sichel zu erkennen waren, und 2. der kommunistische Hymne, womit „Die Internationale“ gemeint war, sowie dem Motto aus dem kommunistischen Manifest „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“. Bei diesen Symbolen handelte es sich natürlich nicht um spezifisch vom und für den Leuchtenden Pfad entwickelte Embleme, sondern sie waren dem klassisch kommunistischen Symbolrepertoire entliehen. Vor allem Hammer und Sichel prägten im Laufe des militärischen Konflikts in Form von Wandmalereien oder einfachen Graffiti das Straßenbild fast aller Regionen, Städte und Gemeinden des Landes und sie schufen so den Eindruck allgegenwärtiger Präsenz der Partei. Die Aufforderung, Parteigeschichte zu vermitteln, ist nicht überraschend. Die Kenntnis über die Entstehung und Entwicklung der eigenen Partei bildete naturgemäß eine Grundvoraussetzung für die Bestimmung der eigenen kollektiven Identität. Zugleich beschrieb die Entstehungsgeschichte den Abgrenzungsprozess des Leuchtenden Pfads von den anderen Akteuren der politischen Linken, wodurch sie einer historisch-politischen Legitimation der Partei gleichkam. Auch war der Leuchtende Pfad von Beginn an bemüht, die eigene Evolution in ein Kontinuum historischer Gesetzmäßigkeit zu integrieren. Die Maßgabe, die Parteigeschichte vor allem im Kontext des Volkskrieges darzustellen, kann als Versuch interpretiert werden, die Besonderheit der Partei und ihrer vermeintlich historischen Mission weiter zu akzentuieren und den Waffengang als historische Notwendigkeit zu legitimieren. Als letzten Punkt forderte der Lehrplan schließlich die Unterrichtung über den Nuevo Arte. Diese „neue Kunst“, die sich in den Dienst der Revolution 46 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (1990): Escuela de cuadros y militantes.

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stellte, umfasste im Kern die darstellenden Künste, Malerei sowie die Feierlichkeiten anlässlich der parteieigenen Festtage. Daneben existierte aber auch eine reiche kunsthandwerkliche Produktion, die u. a. tägliche Gebrauchsgegenstände wie Teller, Truhen und andere Gefäße mit Motiven der Revolution verzierte.47 Mithilfe der Revolutionskunst war der Leuchtende Pfad in der Lage, sich auf friedliche Weise auf lokaler Ebene zu präsentieren und sich selbst – vor allem aber seinen Kampf – künstlerisch einzurahmen und symbolisch aufzuladen. In flaggenverzierten Aufmärschen zeigte er sich als disziplinierte und starke Einheit, in den Theaterstücken und großflächigen Wandmalereien wurde nicht nur sein Innenleben, sondern auch die zukünftige Gesellschaftsordnung als kommunistische Harmonielandschaft dargestellt, und Lieder sowie Poesie beschrieben die Glorie der gefallenen Helden und des bewaffneten Kampfes. Mit dem 1988 gegründeten MAP besaß der Leuchtende Pfad eine eigene Gruppe von Künstlern, die für kulturelle Veranstaltungen bereitstand – deren Größe jedoch unbekannt ist. Wie Javier Garvich in seiner Studie zu den parteinahen Theatergruppen schreibt, fanden Aufführungen und Veranstaltungen nicht klandestin, sondern mitten im Alltagsleben der Bevölkerung statt, wobei das Programm häufig mehrfach in der Woche wechselte: „Sus performances se realizaban los fines de semana acogiéndose a diversas celebraciones como parrilladas y polladas por fondos, aniversarios institucionales, festivales barriales, acontecimientos deportivos, manifestaciones políticas, etc.“48 Folgt man Garvich, ist anzunehmen, dass der MAP sich einer erheblichen Anzahl potenzieller Multiplikatoren präsentieren konnte, sodass seine Propagandawirkung nicht unterschätzt werden sollte. Während allerdings die Kenntnis über die tatsächliche Resonanz innerhalb der Bevölkerung auf die Veranstaltungen des MAP aufgrund mangelnder Quellen vage bleiben muss, war dagegen die Wirkung der Inszenierungen, die die inhaftierten Parteimitglieder innerhalb der Gefängnismauern realisierten, unzweideutig. Wie wir bereits im Rahmen der Untersuchung der Rekrutierungsmechanismen sahen, besaßen die Gefängnisse eine erhebliche symbolische Bedeutung für den Leuchtenden Pfad, da sie aus seiner Sicht einen zusätzlichen Schauplatz der Revolution verkörperten. Die besondere Rolle der Haftanstalten ließ sich bereits an der Bezeichnung erkennen, die sie im offiziellen Parteijargon trugen: Las luminosas trincheras de combate (TLC) – die leuchtenden Kampfgräben. Wie die Wahrheitskommission in ihrem Abschlussbericht feststellt, waren die Gefängnisse deswegen so bedeutsam, weil 47 Verschiedene Artefakte lassen sich im öffentlich zugänglichen Museum in der Zentrale der DINCOTE besichtigen. 48 Garvich (2004): Televisión, S. 193.

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in ihnen wichtige Charakteristika des Leuchtenden Pfads verdichtet sichtbar wurden und sie gleichzeitig als öffentlicher Resonanzboden des allgemeinen Konfliktverlaufs fungierten: „Las cárceles fueron una especie de altavoz orientado hacia la prensa nacional y entranjera, pero también hacia sus propios cuadros de combate, de cuyo éxito revolucionario dependía su futura libertad“.49 Allerdings wurde in den Gefängnissen kein militärischer, sondern in erster Linie ein politisch-kultureller Kampf geführt. Die Durchführung künstlerischer Veranstaltungen war daher von enormer Bedeutung. El Diario stellte in einem Artikel von 1989 fest: „El arte revolucionario es parte importante de la revolución. […] De este modo, a decir de los propios detenidos políticos ellos asumen el arte como parte de sus tareas políticas en su condición de combatientes del Ejército Guerrillero Popular, resumidas en combatir, movilizar y producir. El arte se enmarca en la segunda tarea la de movilizar, que cumplen cabalmente aún estando en manos des sus enemigos.“50

Gemäß dieser Leitlinie entfaltete sich in den Gefängnissen eine rege Theaterproduktion mit zwei bis vier verschiedenen Aufführungen pro Woche.51 Mithilfe von Ton- und Bildaufnahmen wurde besonders eine 1991 im Gefängnis Canto Grande von inhaftierten weiblichen Parteimitgliedern inszenierte chinesische Oper bekannt, deren Bühnenbild eine überdimensionale Wandmalerei mit dem Konterfei Abimael Guzmáns zeigte.52 Neben den darstellenden Künsten existierte auch eine reiche Produktion revolutionärer Poesie und revolutionären Liedguts. Häufig wurden dabei die politischen Liedtexte mit traditionellen Melodien unterlegt und neu eingespielt. Feierlichkeiten der Partei waren in der Regel an einen parteieigenen Festtagskalender gebunden, den der Leuchtende Pfad vor allem überall dort in die Praxis umsetzte, wo er sich territorial und machtpolitisch hatte etablieren können. Religiöse und gesetzliche Feiertage wie etwa Weihnachten und Ostern wurden verboten und durch eigene Festtage ersetzt. Alternative Feiertage wurden nunmehr z. B. der 18. Mai (Beginn des bewaffneten Kampfes), der 19. Juni (Tag der gefallenen SL-Häftlinge) und der 3. Dezember (Geburtstag Abimael Guzmáns)53. Die symbolische Bedeutung geschichtsträchtiger Daten und Ereignisse wurde vom Leuchtenden Pfad schon frühzeitig erkannt und bei der Planung und Durchführung eigener Aktionen miteinbezogen. So weist Gonzalo Portocarrero darauf hin, dass z. B. die Rede Guzmáns mit dem Titel 49 50 51 52 53

Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 458. El Diario (1989): Prisioneros. Vgl. Garvich (2004): Televisión, S. 192. Vgl. Caretas (1991b): Sendero. Vgl. del Pino (1998): Family, S. 175f.

Die kollektive Identität des Leuchtenden Pfads

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Por la nueva bandera bewusst am 7. Juni 1979 gehalten wurde. Dies ist der Tag, an dem in Peru alle Bürger in Erinnerung an die Schlacht von Arica von 1880 aufgerufen sind, der Nation und ihrer Nationalflagge Ehre zu erweisen.54 Als weitere Beispiele lassen sich die spektakulären Unterbrechungen der Stromversorgung in Lima und Arequipa anlässlich des Besuches von Papst Johannes Paul II. im Februar 1985 nennen. Die symbolische Ablehnung der gesetzlichen und religiösen Feiertage fand ihre Ergänzung in dem Verbot religiöser Rituale und symbolträchtiger Verwaltungsakte. Wie Ponciano del Pino aus dem Alltag eines comité popular berichtet, wurden Gebete und traditionelle Rituale als vermeintliche Zeugnisse feudalistischer Strukturen untersagt.55 Ließen sich tradierte Bräuche allerdings nicht gänzlich verbieten, wurden sie umgedeutet und in den symbolisch-kulturellen Horizont der Partei integriert. Ein Beispiel hierfür war die Abschaffung ziviler und religiöser Trauungen zugunsten einer eigenen Trauzeremonie. Zwar scheint die Zeremonie in ihrem groben Ablauf keine Änderungen erfahren zu haben. Wie aber aus dem undatierten Procedimiento para la celebración de matrimonios ante el Partido hervorgeht, gaben die Eheleute ihr Eheversprechen – unter Berufung auf Marx und Mariátegui – nunmehr allein gegenüber der Partei ab und verpflichteten sich, der Revolution zu dienen: „Los aquí presentes estamos reunidos para celebrar ceremonia de matrimonia ante el Partido. Marx nos enseño: „La relación directa, natural y necesaria entre dos seres humanos es la relación entre el hombre y la mujer. Esta relación natural entre los sexos lleva implícita directamente la relación entre el hombre y la naturaleza; es, directamente, su propia determinación natural. En esta relación se manifiesta, por tanto, de un modo sensible, reducido a un hecho palpable, hasta qué punto la esencia humana se ha convertido en la naturaleza del hombre, o en la naturaleza en su escena humana. Partiendo de esta relación se puede juzgar, pues, todo el grado de cultura a que el hombre ha llegado. De carácter de esta relación se desprende hasta qué punto el hombre ha llegado a ser y a concebirse un ser genérico, un hombre; la relación entre hombre y mujer es la relación más natural entre dos seres humanos. Y en ella se manifiesta, asimismo, en qué medida la actitud natural del hombre se ha hecho humana o en que medida la esencia humana se ha convertido para él en esencia natural, en qué medida su naturaleza humana ha pasado a ser su propia naturaleza. En esta relación se revela también hasta qué punto las necesidades del hombre han pasado a ser necesidades humanas, hasta qué punto, por tanto, el otro hombre en cuanto tal hombre se ha convertido en necesidad, hasta qué punto en su existencia más individual, es al mismo tiempo un ser colectivo“. […] 54 Vgl. Portocarrero Maisch (1998): Razones, S. 50. 55 Vgl. del Pino (1998): Family, S. 175.

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Mariátegui escribió: „La vida que me diste. Renací en tu carne cuatrocentista como la de la Primavera de Botticelli. Te elegí entre todas, porque te sentí la más diversa y la más distante. Eras mi destino. Eras el designio de Dios. Como un batel corsario, sin saberlo, buscaba para anclar la red más serena. Yo era el principio de tu muerte; tú eres el principio de vida. Tuve el presentimiento de tí en la pintura ingenua del cuatrocientos. Empecé a amarte antes de conocerte, en un cuadro primitivo. Tu salud y tu gracia antiguas esperaban mi tristeza de sudamericano pálido y cenceño. Tus rurales colores de doncella de Siena fueron mi primer fiesta. Y tu posesión tónica, bajo el cielo latino, enredó en mi alma una serpentina de alegría. Por tí, mi ensangrentado camino tiene tres auroras. Y ahora que estás un poco marchita, un poco pálida sin tus antiguos colores de Madonna toscana, siento que la vida que te falta es la vida que me diste.“ […] La relación entre un hombre y una mujer es la más directa y estrictamente humana, constituye una relación social. Cuando quienes contraen esa relación son comunistas esa unión debe coadyuvar a la brega que ambos realizan por el comunismo. Hoy que vivimos el tercer momento de la sociedad peruana contemporánea y que nuestro pueblo se levanta en armas bajo la dirección del Partido Comunista del Perú para transformar la sociedad a través de la guerra popular del campo a la ciudad, los camaradas XXX han decidido contraer matrimonio para que su unión sirva al desarrollo de nuestra Revolución. En nombre del Partido Comunista que representa la nueva sociedad y ante los testigos XXX los declaro marido y mujer para que apoyen, ayuden y asistan y así sirvan más y mejor a la Revolución.“56

Aus Sicht des Leuchtenden Pfads gelang es ihm mit diesem Schritt, bestehende kulturelle und religiöse Traditionen mit der eigenen ideologischen Linie zu versöhnen und gleichzeitig die Bindung der Mitglieder an die Partei zu erhöhen.57

4.2 Der Personenkult Zu den konstitutiven Charaktermerkmalen des Leuchtenden Pfads gehörte die außerordentlich starke Machtposition seines Parteichefs. Als Gründungsvater und zentraler Vordenker sowohl der politisch-ideologischen als auch später der militärischen Linie besetzte Guzmán bis zu seiner Verhaftung im September 1992 die herausragende Position innerhalb der Parteistruktur. Auch wenn sie nicht unumstritten war und Guzmán sich im Laufe der Zeit mit verschiedenen 56 DINCOTE, DH-SL, o. Nr., PCP-SL (ohne Datum): Procedimiento para celebración de matrimonios ante el Partido. 57 Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 100054.

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internen Auseinandersetzungen konfrontiert sah, baute er seine Machtposition beharrlich aus, bis sein Führungsanspruch absolut war und eine gleichsam transzendentale Wirkung auf allen Ebenen der Partei entfaltete. Die Kernelemente der anwachsenden Machtfülle Guzmáns waren zum einen ideeller und zum anderen organisatorisch-materieller Natur, wobei das erste Element die Herausbildung und Durchsetzung eines vermeintlich eigenen ideologischen Gedankengerüsts sowie die kultische Stilisierung und Verehrung des Parteichefs beinhaltete und das zweite Element die Schaffung und Besetzung entscheidender Ämter und Funktionen sowie deren bedingungslose Verteidigung gegen innerparteilichen Widerstand umfasste. Von diesen Elementen wurde sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch innerhalb der Forschung immer wieder der parteiinterne Personenkult um Abimael Guzmán herausgestellt. Nach Ansicht von Beobachtern war dieser allein mit dem Lenins und Stalins in der UdSSR sowie dem Maos in China zu vergleichen. Allerdings vollzog sich der Personenkult innerhalb der sozialistischen Großmächte erst posthum oder aber im Anschluss an die siegreiche Revolution, während hingegen der Leuchtende Pfad seinem Begründer bereits zu Lebzeiten und noch vor dem angekündigten Sieg der Revolution ikonengleich huldigte.58 Der mit den Jahren zunehmende Personenkult war allerdings kein reiner Selbstzweck, sondern erfüllte zwei für den Erfolg des Leuchtenden Pfads maßgebliche Funktionen: Er projizierte eine so starke Machtfülle auf die Person Guzmáns, dass eine einheitliche Steuerung der Organisation möglich wurde. Hierbei gilt es u. a. zu bedenken, dass Guzmán seit Aufnahme des bewaffneten Kampfes sich ständig in den gehobenen Stadtteilen Lima versteckte und nicht an den Kampfschauplätzen aktiv war. Er war, so Teodoro Hidalgo Morey, ein „líder ausente“59, der ein erhebliches Interesse daran haben musste, seinen Einfluss, seine Autorität und seine Aura dauerhaft auch dort wirken zu lassen, wo er nicht physisch präsent war.60 Zum anderen trug die Herausstellung Guzmáns als allwissende und omnipotente Lichtgestalt in erheblichem Maße zur Kohäsion und Schlagkraft innerhalb der eigenen Reihen bei. Deborah Poole und Gerado Renique stellen fest: „The high degree of discipline and centralism which unites its militants

58 Vgl. Gorriti Ellenbogen (1992): Stalin, S. 149f. und Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 229f. 59 Hidalgo Morey (2004): Sendero, S. 105. 60 Aufgrund seiner Anonymität wurde auch in der Öffentlichkeit sowie innerhalb der Sicherheitsapparate immer wieder über den Verbleib bzw. den vermeintlichen Tod Guzmáns spekuliert. Derartige Mutmaßungen unterstützen die Legenden- und Mythenbildung um Guzmán zusätzlich; vgl. Caretas (1989b): Guzmán.

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around the armed struggle is directly related to the extraordinary personality cult which grew up around Guzmán.“61 Die wohl bedeutsamste Leistung Guzmáns zur Durchetzung seiner Machtposition war die Implementierung eines vermeintlich von ihm selbst entwickelten Ideologiekonstrukts – dem pensamiento Gonzalo – als weltanschauliche Leitlinie des Leuchtenden Pfads. Dieser Erfolg, der viele Jahre in Anspruch nahm, lässt sich in seinen einzelnen Etappen deutlich anhand des sich wandelnden weltanschaulichen Unterbaus der Partei erkennen.62 Von ihrer Gründung bis zum Beginn des bewaffneten Kampfes bildete zunächst der „marxismo-leninismo, pensamiento Mao Tsetung“ die ideologische Grundlage der Organisation.63 Einige Jahre nach Anbruch der Militärkampagne beschloss das erweitere Zentralkomitee in einer Sitzung von 1983 allerdings, die Partei zukünftig als „Partido Comunista del Peru, marxista-leninista-maoista, pensamiento guía del Presidente Gonzalo“ zu bezeichnen.64 Weitere fünf Jahre später, 1988, entschied der erste Parteikongress schließlich eine erneute Abwandlung der ideologischen Ausrichtung – die Parteidokumente sprachen nunmehr von der „ideología marxista-leninista-maoísta, pensamiento Gonzalo“, die der Partei zugrunde lag.65 Aus Sicht der Wahrheitskommission bedeutete dieser Kongressbeschluss nichts weniger als den Endpunkt des Machtausbaus Abimael Guzmáns: „El PCP-SL culmina así, en el Congreso de 1988, un largo proceso de generación de un liderazgo omnímodo basado en un dictadura interna“.66 Die Evolution der Begrifflichkeit der parteiideologischen Grundlage darf daher nicht als reine Sprachakrobatik missverstanden, sondern vielmehr als Gradmesser für die zunehmende Abhängigkeit des Leuchtenden Pfads von Abimael Guzmán begriffen werden. In der Aufbauphase des Leuchtenden Pfads, in die auch die Vorbereitungen auf den Beginn des bewaffneten Kampfes fielen, lieferten zunächst die Leitlinien Maos das ideologische Fundament. Allerdings zeigt die Bezeichnung „pensamiento Mao Tsetung“, das sie in ihrer Bedeutung zunächst noch nicht zu den beiden „-ismen“, „marxismo“ und dem „leninismo“, aufgeschlossen hatten. Erst 61 Poole und Rénique (1992): Peru, S. 44. 62 Vgl. Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 231–233. 63 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1970): América und Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1980b): Iniciadores. Hervorhebung durch den Autor. 64 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1985): Guerra, S. 216; Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1986): Revolución, S. 234 und und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 45 und 76. Hervorhebung durch den Autor. 65 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases. Hervorhebung durch den Autor. 66 Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd, 2, S. 79.

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nach Beginn der Aufnahme des bewaffneten Kampfes wurde die Lehre Maos als eine dem Marxismus und Leninismus gleichrangige marxistische Etappe anerkannt. Den Grund hierfür benennt Gorriti: „Al considerar al maoísmo como tercera etapa del marxismo, Sendero lanzaba dos audaces afirmaciones simultáneas ante la escolástica marxista-leninista. La primera era explícita: el desarrollo maoísta se había concretado en parte fundamental del sistema. La segunda era implícita, si el Maoísmo representaba ya un aporte redondo, acabado, el „Pensamiento-Guía“ pasaba a seguir sus pasos jóvenes, llenar sus huellas, como el nuevo „desarrollo“ del marxismo.“67 Die Umwandlung von pensamiento Maoista in maoismo öffnete nun also Guzmáns eigener Ideologie Raum zur Entfaltung, an deren Ende, so ist zu vermuten, die Erhebung eben dieser Ideologie zu einer vierten universellen marxistischen Entwicklungsstufe, dem gonzalismo, stehen sollte; entsprechend wurde Guzmán bereits in den 1980er-Jahren von seiner Anhängerschaft als „viertes Schwert“ des Marxismus bezeichnet.68 Die erste Stufe auf diesem Wege bildete dabei der pensamiento guía del Presidente Gonzalo, der 1983 die Aufnahme erster eigener ideologischer Bausteine Guzmáns in das Parteiprogramm deutlich machen sollte. Was genau der pensamiento guía bedeutete, erklärte ein Parteidokument folgendermaßen: „De otro lado, la cuestión del marxismo desde su fundación por Marx, pasando por Lenin hasta el Presidente Mao Tsetung es la aplicación de la ciencia marxista a las condiciones de cada revolución; en consecuencia, el problema es la aplicación del marxismo-leninismo-maoísmo a las condiciones concretas de la revolución peruana y específicamente, en cuanto ley universal de la violencia, de la guerra popular a la guerra revolucionaria en el país; de esta fusión del marxismo con nuestra realidad surge y se desarrolla el pensamiento guía, esto es la aplicación del marxismo-leninismo-maoísmo a las condiciones concretas de la revolucón peruana.“69

Den Übergang vom pensamiento guía zum pensamiento gonzálo kommentierte Abimael Guzmán 1988 in dem Interview mit El Diaro: „y si hoy [1988, SCW] el Partido en el Congreso ha sancionado pensamiento gonzalo es porque se ha producido un salto en ese pensamiento guía, precisamente en el desarrollo de la Guerra Popular. En síntesis, el pensamiento gonzalo no es sino la aplicación del marxismo-leninismo-maoísmo a nuestra realidad concreta; esto nos lleva a que específicamente es principal para nuestro Partido, para la guerra popular y para la revolución en nuestro país, subrayo específicamente principal.“70

67 Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero, S. 309; vgl. auch Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 232. 68 Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 43. 69 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1986): Revolución, S. 234. 70 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista.

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Beide Zitate lassen keinen signifikanten inhaltlichen oder qualitativen Unterschied zwischen pensamiento guía und pensamiento gonzalo erkennen. Bei beiden handelt es sich um eine vorgebliche Übertragung und Anpassung der bisherigen Stufen des Marxismus – Marxismus, Leninismus und Maoismus – auf und an die peruanische Realität. Welche aber die genauen Erfordernisse waren, die eine solche Anpassung notwendig erschienen ließen, und aus welchen Elementen diese Anpassung, also der pensamiento gonzalo, bestand, blieb unerwähnt. Angesichts der weiter unten dargestellten Konflikte innerhalb der Führungsebene darf vermutet werden, dass es neben inhaltlichen auch machtpolitische Erwägungen waren, die die Einführung des pensamiento gonzalo bewirkten. Die Taufe dieses Begriffs kann als klares, nach innen wie außen wirkendes Signal gewertet werden, das von Guzmáns durchgreifender Machtausübung kündete. Seit Gründung des Leuchtenden Pfads war Abimael Guzmán allerdings gewillt, seine Machtposition nicht allein durch die Implementierung seines eigenen ideologischen Gedankengerüsts, sondern auch durch die Übernahme entscheidender Parteiämter und Funktionen abzusichern. Zunächst besetzte er seit 1970 als camarada Gonzalo lediglich das Amt des Generalsekretärs. Der erste formale Machtgewinn erfolgte erst 1979, als er im Rahmen einer erweiterten Sitzung des Zentralkomitees zum „jefe del Partido“ ernannt wurde.71 Nach Beginn des bewaffneten Kampfes folgte 1983 ein zweiter, deutlich wichtigerer Schritt zur Konsolidierung seiner Macht: Auf der dritten Nationalen Konferenz des Zentralkomitees ließ sich Guzmán in drei neue Ämter wählen, mit denen er seine Kontrolle über die Partei weiter ausbaute sowie das Militärkommando und die politische Steuerung für die zukünftige Volksrepublik übernahm. Fortan war er in Personalunion Presidente del Comité Central del PCP, Presidente de la Comisión Militar und Presidente del Comité Organizador de la República Popular Nueva Democracia.72 Dieser Ämterhäufung lief die Etablierung von Organisationseinheiten parallel, die alle entscheidenden Informations- und Entscheidungsstränge der Partei in den Händen Guzmáns bündelten. Von besonderer Bedeutung waren dabei das Departamento Central, das als sein Privatsekretariat fungierte, sowie das Comité Permanente, dem lediglich Guzmán, dessen Frau Augusta de la Torre sowie dessen spätere Partnerin Elena Iparraguirre angehörten und das im Laufe der Jahre alle wichtigen Entscheidungen an sich zog.73

71 Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 31. 72 DINCOTE, DH-SL, o.Nr., PCP-SL (1983): III. Conferencia Nacional del Comite Central. 73 Nach dem Tod de la Torres 1988 stieg Oscar Alberto Ramírez Durand in das Komitee ein.

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Die zunehmende Machtfülle Guzmáns führte seit Ende der 1970er-Jahre zu regelmäßiger Kritik innerhalb der Führungsriege der Partei. Entgegen der Rhetorik der offiziellen Parteipropaganda war der Führungsanspruch Guzmáns über viele Jahre nicht endgültig gesichert und frei von Widerstand. Benedicto Jiménez Bacca konstatiert: „El debate en torno a la jefatura de Abimael Guzmán es uno de los más importantes problemas de dirección que tuvo el SL, se desenvolvió en lucha intensa y rebasó los problemas orgánicos, ingresando al campo político.“74 Eine genaue Konstruktion des innerparteilichen Widerstands gegen Guzmán erweist sich als schwierig, da der Parteichef nicht nur den allergrößten Teil der schriftlichen Parteidokumente (wie z. B. Sitzungs- und Konferenzprotokolle), sondern auch Ton- und Bildaufnahmen persönlich zensierte, sodass Redebeiträge und Kritik anderer Führungskader häufig nur indirekt aus Guzmáns Erwiderungen abgeleitet werden können – auch dies ein weiteres Instrument Guzmáns zur Machtkontrolle.75 Dennoch lassen sich verschiedene Hinweise auf die innerparteilichen Diskrepanzen finden. Die erste ernste interne Parteikontroverse scheint sich 1979 auf der neunten erweiterten Sitzung des Zentralkomitees ereignet zu haben. Bei dieser Sitzung sollte der Beginn des bewaffneten Kampfes beschlossen werden, was allerdings auf heftigen Widerstand weiter Teile des Komitees stieß. Um seine Kontrahenten zu zermürben, ließ Guzmán zunächst den Sitzungsplan so ändern, dass stundenlange Monologe und Debatten aufeinander folgten, und wählte dann eine Taktik, in der sich Verständnis für und scharfe Angriffe auf seine Gegner kontiniuierlich abwechselten. Nach mehrtägigen Debatten konnte sich Guzmán schließlich erfolgreich durchsetzen, wobei ihm offensichtlich kein Preis zu hoch war: Die Hälfte der Mitglieder des Zentralkomitees wurde aus der Partei ausgeschlossen.76 In der Sitzung des Zentralkomitees im April 1980 kam es augenscheinlich erneut zu schweren Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Guzmán seinen Kritikern krankhaftes Verhalten vorwarf und erklärte: „Las personas que sustentaron su defensa son comunistas enfermos como esos, hay otros casos, tratémoslos como enfermedad.“77

74 Jiménez Bacca (2004): Inicio, S. 379. 75 Vgl. die Bestände der Sala Penal und der DINCOTE. 76 Vgl. DINCOTE, DH-SL-0109, PCP-SL (1979): IX. Pleno Ampliado del Comité Central. II. Sesión, 7. Reunión; DINCOTE, DH-SL-0110, PCP-SL (1979): IX. Pleno Ampliado del Comité Central. II. Sesión, 8. Reunión und DINCOTE, DH-SL-0111, PCP-SL (1979): IX. Pleno Ampliado del Comité Central. II. Sesión, 10. Reunión. 77 DINCOTE, DH-SL-0148, PCP-SL (8.4.1980): II. Sesión Plenaria del Comité Central. Sobre lucha contra el derechismo.

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Der Verlauf sowie die Führung der Militärkampagne barg grundsätzlich ein hohes Konfliktpotenzial, das sich in den Folgejahren regelmäßig entlud. So wurden z. B. auf der dritten Nationalen Konferenz des Zentralkomitees von 1983 mehr Entscheidungsbefugnisse für die in den Kampfgebieten aktiven Parteiführer gefordert, was einer Einschränkung der Kompetenzen der zentralen Parteiführung gleichgekommen wäre und daher von Guzmán abgelehnt wurde.78 Im Laufe der vierten Nationalen Konferenz des Zentralkomitees von 1986 stellte eine Gruppe um Oscar Alberto Ramírez Durand den militärischen Kurs der beiden Vorjahre sowie die Parteiführung infrage. Tatsächlich hatte der Leuchtende Pfad in den Jahren zuvor vor allem in seiner Kernregion Ayacucho schwere Rückschläge durch den verstärkten Einsatz der staatlichen Sicherheitskräfte hinnehmen müssen. Mit erbitterten Attacken auf seine Gegner, denen er u.  a. „guevarismo“ sowie „derechismo“ vorwarf, gelang es Guzmán jedoch erneut, sich durchzusetzen und seine Kritiker zu massiven autocrítcas zu zwingen.79 Die wohl schärfsten parteiinternen Auseinandersetzungen nach 1980 ereigneten sich aber auf dem ersten und einzigen Parteikongress, der über vier verschiedene Sitzungen – verteilt von Februar 1988 bis Juni 1989 – in Lima stattfand und auf dem es Guzmán gelang, seinen pensamiento Gonzalo als ideologische Leitlinie durchzusetzen. Dies allerdings brachte ihm den Vorwurf des Größenwahns und des Personenkults ein. Um diesen Vorwürfen zu begegnen, reagierte Guzmán erneut mit einer Mischung aus Beschwichtigungen und massiven Attacken. Einerseits wies er immer wieder darauf hin, dass innerhalb der auf dem Kongress verteilten Unterlagen der Abschnitt über den pensamiento Gonzalo deutlich kürzer sei als die Passagen über den Leninismus-Maoismus. Andererseits verteidigte er die Zementierung seiner herausgehobenen Stellung mit deutlichen Worten. Dabei stellte er seine Führerschaft in einen größeren historischen Kontext, wobei er nicht davor zurückschreckte, sich in eine Linie mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Karl Marx, Albert Einstein, Miguel de Cervantes oder Dante Alighieri zu stellen: „lo pincipal es que se genera un jefe, una sóla cabeza que sobresale nítidamente, muy por encima de los demás, y eso es lo que tenemos que entender y no es por la voluntad de nadie es la propia realidad de la revolución, de la clase y del partido, la que demandan y promueven esa conformación.“80

78 Vgl. DINCOTE, DH-SL, o.Nr., PCP-SL (1983): III. Conferencia Nacional del Comite Central. 79 DINCOTE; DH-SL-0248, PCP-SL (27.8.-18.10.1986): IV. Conferencia Nacional del Comité Central. 80 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, PCP-SL (1988): 1er Congreso del PCP-SL, Bd. 1, Primera sesión, tercera Parte. Desarrollo del Congreso. Documentos fundamentales.

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Den Vorwurf des Personenkultes bezeichnete er als: „podrida posición jrschovista, revisionista, que se utiliza para combatir a dirigentes y a jefes y principalmente la Jefatura. En determinadas circunstanicas hay que hablar mucho de la Jefatura o de quien encabeza un Partido porque representándolo deviene símbolo incluso; si no se entiende eso no se entiende nada de lo que es una revolución.“81

Nachdem der Parteikongress die Etablierung des pensamiento gonzalo als Leitdoktrin sanktioniert hatte und damit Guzmáns Machtfülle so umfangreich wie nie zuvor war, überrascht es nicht, dass dieser seine machtvolle Führungsposition nun offen verteidigte und auch weiterhin keine historischen Vergleiche mit seinen marxistisch-kommunistischen Vorbildern scheute. So erwiderte er in dem Interview von 1988 auf die Frage nach dem Personenkult: „Todo proceso, pues, tiene jefes pero tiene un jefe que sobresale sobre los demás o que encabeza a los demás, según las condiciones porque no podríamos ver a todos los jefes con igual dimensión: Marx es Marx, Lenin es Lenin, el Presidente Mao es el Presidente Mao, y cada uno es irrepetible y nadie es igual a ellos. En nuestro Partido, revolución y guerra popular, el proletariado ha generado también un conjunto de jefes por necesidad y casualidad históricas, en el sentido de Engels; es una necesidad que se generen jefes y un jefe, [...] Así también en nuestro caso se ha generado una Jefatura; primero fue reconocida en el Partido, en la Conferencia Nacional Ampliada de 1979; pero esta cuestión encierra una cuestión básica insoslayable que merece destacar: no hay Jefatura que no se sustente en un pensamiento, cualquiera sea el grado de desarrollo que el mismo tenga. El que haya devenido quien habla en jefe del Partido y de la revolución, como dicen los acuerdos, tiene que ver con la necesidad y la casualidad histórica y, obviamente, con el pensamiento gonzalo [...]. Nos hemos movido dentro de la tesis de Lenin que es justa y correcta; el problema del culto a la personalidad es una posición revisionista.“82

Es kann nicht verwundern, dass Guzmán den von ihm beförderten Personenkult als revisionistische Propaganda abtat. Tatsächlich hatte er seit Ende der 1980er-Jahre bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im September 1992 eine derart dominierende Stellung inne, dass niemand mit ihm zu konkurrieren in der Lage war. Die übergeordnete Stellung etablierte naturgemäß eine persönliche Distanz zu seinen Parteigenossen, die offenbar gewünscht war. So einsam und distanziert, wie er der Partei nun vorstand, so gefiel sich Guzmán wohl generell. Auf die Frage etwa, ob er Freunde habe, antwortete Guzmán mit der kürzesten Antwort des gesamten Interviews: 81 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, PCP-SL (1988): 1er Congreso del PCP-SL, Bd. 1, Primera sesión, tercera Parte. Desarrollo del Congreso. Documentos fundamentales. 82 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista.

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„No tengo; camaradas sí, y estoy muy orgulloso de tener los camaradas que tengo.“83

Trotz ihrer Kürze enthält diese Antwort möglicherweise eine mehrfache Bedeutung. Guzmán unterstreicht mit ihr sein Bild des Vernunftmenschen, der sich nicht von Emotionen, sondern allein von der materialistisch-wissenschaftlichen Analyse und den historischen Gesetzen der Realität führen lässt. Auch weist die Negierung des schillernden Begriffs des „amigo“ in einer Gesellschaft, in der vieles allein mithilfe nepotistischer Netzwerke zu bewerkstelligen ist, auf die eigene Neutralität und Regelkonformität hin, die Korruption und ungerechtfertigte Bevorteilung Einzelner ausschließt. Für den außenstehenden Betrachter scheint nur schwer nachvollziehbar, wie es Abimael Guzmán immer wieder gelang, sich gegen seine Parteigegner durchzusetzen und seine Machtposition stetig auszubauen. Mehrere Faktoren scheinen dabei eine Rolle gespielt zu haben. Zunächst einmal besaß der Parteichef ein Wissens- und Informationsmonopol: Nicht nur erhielt er als Einziger sämtliche Parteiberichte wie etwa die der einzelnen Regional- und Zonenkomitees, sondern auch Zeitungen, Bücher und andere Duckerzeugnisse, sodass er jederzeit sowohl über die wichtigsten innerparteilichen als auch über die allgemeinpolitischen nationalen und internationalen Entwicklungen informiert war. Addiert man dazu sein breites theoretisch-philosophisches Wissen, wird deutlich, dass er einen intellektuellen Schlagabtausch nicht fürchten musste. Darüber hinaus darf nicht unterschätzt werden, welche chairsmatische Wirkung er als Parteigründer innerhalb eines klandestinen, überschaubaren und hoch ideologisierten Personenkreises entwickelte. Schließlich war er offensichtlich in der Lage, mithilfe wüster Attacken, stundenlanger Monologe und scharfer Drohungen eine Atmosphäre der Angst, des Misstrauens und der Missgunst zu schaffen, in der er seine Gegner isolieren und erfolgreich bekämpfen konnte. Und wie Oscar Alberto Ramírez Durand beschreibt, konnte sich Guzman nicht zuletzt auch deswegen durchsetzen, da seine Gegner im Zweifel auch mit gewaltsamen Folgen rechnen mussten: „Guzmán […] impuso dentro de Sendero una dictadura totalitaria y el llamado „pensamiento único de Gonzalo“, que no admitía ninguna critica, so pena de sufrir, quien lo hiciera, sanciones muy severas e incluso la muerte si uno se apartaba de la organización. Así sólo el podría ser el „teórico“ („dar línea“) y los demás tenían que „aplicarla“.“84

Ramírez Durands Aussage deutet an, in welchem Maße Guzmán sich durchzusetzen imstande war und dabei auch vor härtester Bestrafung seiner Gegner 83 Ibid. 84 Caretas (2003): Guzmán, S. 46.

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nicht zurückschreckte. Welche Konsequenzen parteiinterne Opposition zur Folge haben konnte, hatte Guzmán seinen Anhängern immer wieder deutlich zu verstehen gegeben. Bereits 1980 ging er bei einer Rede anlässlich einer Sitzung des Zentralkomitees auf die interne Diskussion ein, ohne jedoch auf das klare Signal an die Kader zu verzichten, dass er innerparteiliches Aufbegehren nicht zu dulden bereit war: „Y qué hemos visto aqui? cc. Dirigentes que se oponen a que el Partido dé el paso decisivo de su historia. [...] Y en su voz temblorosa ¿quién hablaba? Eran las negras fauces de la opresión y explotación, las negras fauces llenas de baba y sangre. [...] Nunca más en nuestro Partido debemos escuchar esas siniestras voces en comunistas y menos en dirigentes. Y a quienes osen levantarse aplastémoslos como merecen, destruyámoslos.“85

Während innerhalb der Führungsspitze wiederholte Konflikte über die ideologische und militärische Ausrichtung den totalen Führungsanspruch Guzmáns immer wieder infrage stellten, wurde dessen Bedeutung für den Leuchtenden Pfad und die Revolution von den einfachen Mitgliedern und Anhängern der Organisation dagegen grundsätzlich nicht angezeweifelt. Dies bedeutete nicht, dass es nicht auch aus den unteren und mittleren Rängen der Partei Kritik am Verlauf des bewaffneten Konflikts und Fragen an die Konsistenz und Überzeugungskraft der Parteiideologie gab.86 Von der breiten Masse der Mitglieder und Anhänger des Leuchtenden Pfads wurde Guzman allerdings ikonenhaft verehrt. Bereits in den 1970er-Jahren hatten etwa die Mitglieder des von Guzmán aufgebauten Studentenzirkels ihren Philosophieprofessor mit dem Quechua-Titel Puka Inti – „Rote Sonne“ – bedacht.87 Wie sehr die Parteimitglieder Guzmán verehrten, machen mehrere Aussagen deutlich, die in verschiedenen Studien zusammengetragen wurden. Julio Roldán zitiert zwei Parteimitglieder:

85 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1980a): Bandera, S. 154. Der vermutlich spektakulärste Fall scharfer Konsequenzen für Guzmán-Kritiker ist der von Osmán Morote, der in der Öffentlichkeit über Jahre als die Nr. 2 des Leuchtenden Pfads galt. Er wurde im Juni 1988 auf offener Straße in Lima von der Polizei verhaftet. Die Art und Weise dieser Verhaftung führte schon bald zu der Vermutung, dass er bewusst der Polizei ausgeliefert wurde, da er im Rahmen des Parteikongresses von 1988 zu den größten Kritikern Guzmáns gehörte; vgl. Caretas (1988d): Morote. 86 Immer wieder lassen sich in den Protokollen der verschiedenen Treffen der Parteiführer Zusammenstellungen der dringendsten politischen und ideologischen Fragen einfacher Mitglieder der Regionalkomitees finden. 87 Gorriti Ellenbogen (1992): Stalin, S. 151.

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„en el Presidente Gonzalo se sintetiza y armoniza el hombre de nuevo tipo, el hombre del futuro, donde la emoción y la razón, el cuerpo y el espíritu, la teoría y la práctica, el amor y el odio encuentran un armonioso equilibiro.“88 „colma el yo profundo, mueve el alma y encanta al espíritu: y da al individuo, como parte del conjunto, razón última para vivir. Yo como individuo no soy nada; con las masas y aplicando el pensamiento gonzalo, puedo ser un héroe, muriendo físicamente por la revolución, viviré eternamente.“89

Ein weiterer senderista preiste Guzmán: „Haciendo una comparación, se puede afirmar que la revolución es un hombre. La cabeza es el Presidente Gonzalo, el cuerpo es el PCP, y los brazos y piernas con el Ejército Guerrillero Popular. Pero el PCP y el EGP no son nada sin el Presidente Gonzalo. El encarna la totalidad, dando la certeza de una futura victoria final.“90

Um die Bewunderung, die ihm von seinen Anhängern entgegengebracht wurde, als weiteren Baustein zur Absicherung seines uneingeschränkten Machtanspruchs zu nutzen, wurden Neumitglieder nicht allein auf die Partei, sondern auch auf die Person von Abimael Guzmán eingeschworen. Auch wurde in den Parteischriften immer wieder die persönliche Loyalität der Mitglieder zu ihrem Parteichef eingefordert: „Nuestro Partido ha definido que la dirección es clave y es obligación de todos los militantes bregar constantemente por defender y preservar la dirección del Partido y muy especialmente la dirección del Presidente Gonzalo, nuestra jefatura, contra cualquier ataque dentro y fuera del Partido y sujetarnos a su dirección y mando personal enarbolando las consignas de „Aprender del Presidente Gonzalo“ y „Encarnar el pensamiento Gonzalo“.“91

Wie oben dargestellt, mussten neu aufgenommene Mitglieder ein „Versprechen“ sowie eine Unterwerfungserklärung aufsetzen, in der sie sich verpflichteten, allen Anweisungen der Partei und Guzmáns Folge zu leisten und hierbei nötigenfalls auch das eigene Leben nicht zu verschonen. Durch diese Verpflichtungen wurde ein persönliches Bindungsverhältnis zwischen dem einzelnen Mitglied und Abimael Guzmán hergestellt, das nach Ansicht der Wahrheitskommission einen quasi-religiösen Charakter aufwies und durch das sich das einzelne Individuum unabdingbar an die Partei band und zur Verfügungsmasse der Organisation wurde.92 Benedicto Jimenéz Bacca fasst diesbezüglich zusammen: „Precisamente, de estos saludos se desprende el rol que tiene Abi88 89 90 91 92

Roldan (1990): Gonzalo, S. 117. Ibid., S. 116. Granados (1987): Sendero, S. 31. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases, S. 372. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 76.

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mael Guzmán dentro del Partido y cómo es considerado por sus seguidores: Presidente del Partido, Ejército y la República Popular del Perú, Fundador del Partido, Jefe del Partido y la Revolución, continuador de Marx, Lenin y Mao: Pensamiento Gonzalo y centro de unificación partidaria (CUP).“93 Der sichtbaren Manifestierung des guzmánschen Weltbildes in den ideologischen Leitlinien des Leuchtenden Pfads entsprach die ikonenhafte Huldigung des Parteiführers in der Parteikultur: Parteischriften, Flugblätter, Lieder, Gedichte, Bilder, Holzschnitte und andere kunsthandwerkliche Erzeugnisse stilisierten Abimael Guzmán zum unfehlbaren, omnipotenten und allwissenden Anführer, in dessen Händen die Zukunft der Partei sicher ruhte und der der Garant für den siegreichen Verlauf der Revolution darstellte. In einem Parteidokument ließ sich lesen: „el proletariado peruano en medio de la lucha de clases ha generado la dirección de la revolución y su más alta expresión: la Jefatura del Presidente Gonzalo que maneja la teoría revolucionaria, tiene un conocimiento de la Historia y una comprensión profunda del movimiento práctico; quien en dura lucha de dos líneas ha derrotado al revisionismo, al liquidacionismo de derecha e izquierda, a la línea oportunista de derecha y al derechismo; ha reconstituido el Partido, lo dirige en guerra popular y ha devenido en el más grande marxista-leninista-maoísta viviente, gran estratega político y militar, filósofo; maestro de comunistas, centro de unificación partidaria.“94

In einem Bericht des Comité Regional del Norte hieß es in der Anrede an den Parteichef: „La Dirección del Comité Regional del Norte, cuadros, militantes, combatientes y masas del Nuevo Poder y que combaten con nosotros le hace llegar su afectuoso y caloroso saludo comunista y a la vez expresa sujeción plena, cabal e incondicional a Ud. Presidente Gonzalo, jefe del Partido y la Revolución y nuestro reconocimiento de ser continuador de nuestro fundador Marx, el gran Lenin y el Presidente Mao Tse-tung, el más grande marxista-leninista-maoísta viviente, gran estratega político y militar, filósofo, maestro de comunistas, centro de unificación partidaria, garantía de triunfo que nos llevará al comunismo, […] fuente y rio que nos conduce al mar de la Revolución Mundial; que ha iniciado, dirige y desarrolla la contraofensiva revolucionaria marxista-leninista-maoísta, pensamiento Gonzalo, principalmente Pensamiento Gonzalo […] uniendo a los comunistas en el mundo enarbolando, defendiendo y aplicando el Maoísmo!“95

93 Jiménez Bacca (2004): Inicio, S. 371. 94 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases, S. 372. 95 Sala Penal Nacional, Exp. 560-03, Anexo C-10, PCP-SL (Ohne Datum): Informe del Comité Regional del Norte de la Parte del Complementario de la III. Campaña y de la preparación e inicio de la gran culminación de la III. Campaña.

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Wie in dem öffentlich zugänglichen Museum der DINCOTE zu sehen ist, produzierten Kader z. T. hochwertige Kunstgegenstände wie etwa Truhen, Bilder, Stoffe, Fahnen und Schmuck, die häufig Parteiformeln zierten und nicht selten als Geschenke allein für den Parteichef gefertigt worden waren. Lobpreisungen für Guzmán fanden sich auch in anderer Form: In einem Beispiel stellte ein weibliches Parteimitglied als Hommage an den Parteivorsitzenden einen kleinen Gedichtband zusammen, dessen Gedichte sich aus Versatzstücken verschiedener Reden und Texte Guzmáns zusammensetzen.96 Auch das Liedgut der Partei widmete dem Parteigründer allerlei Ehrerbietungen. In dem Lied Al Presidente Gonzalo, das einer Liedsammlung entnommen ist, wird z. B. einmal mehr dessen Gleichrangigkeit mit Marx, Lenin und Mao gepriesen: „El Presidente Gonzalo el más grande marxista-leninista-maoísta viviente sobre la faz de la tierra es garantía de triunfo comunista es jefatura del Partido y la revolución El pensamiento Gonzalo en nuestra patria aplicación creadora del maoísmo el Presidente Gonzalo lo ha plasmado luz en el mundo de rojo amanecer El Presidente Gonzalo lo ha plasmado luz en el mundo de rojo amanecer Dirgiendo la Guerra Popular nos ha dado el Nuevo Poder comités populare abiertos sostenidos en ejércitos y las masas con un Partido Comunista militarizado El Presidente Gonzalo nos conduce al Comunismo nuestra meta final él es el gran continuador de Marx Lenin y el Presidente Mao Tsetung Él es el gran continuador de Marx Lenin y el Presidente Mao Tsetung.“97

96 Vgl. Vich (2002): Caníbal. 97 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (Ohne Datum): Cancionero.

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In der Parteimalerei schließlich, die den Liedern und Gedichten in der Bewunderung Guzmáns nicht nachstand, ist interessanterweise zu beobachten, dass dieser auch nach Beginn der Kampfhandlungen nie in der Pose des Kriegers oder des Feldherren dargestellt wird. Stattdessen gefiel er sich in professoraler Attitüde als entschlossener Intellektueller, dessen Kampfgerät nicht die Waffe, sondern das Buch war und der aus seiner erhobenen magistralen Position heraus die Partei und das Kampfgeschehen souverän steuerte und den Massen voranging. Die Bedeutung Guzmáns für seine Partei lässt sich kaum überschätzen. Wie aus den Zitaten der senderisats hervorgeht, repräsentierte der Parteichef für den größten Teil der Mitglieder nicht nur den ideologisch-politischen Mittelpunkt, sondern auch die uneingeschränkte Garantie auf den sicheren Sieg der Revolution. Darüber hinaus stellte er den Idealtypus des allwissenden und omnipoteneten Anführers dar, dessen schöpferischer Geist und persönliche Opferbereitschaft Vorbild und Motivation zugleich waren. Über zwei Jahrzehnte hinweg versetzte dieser sorgfältig konstruierte Nimbus Guzmán in die Lage, Ängste, Zweifel und Perspektivlosigkeit der Kader zu zerstreuen und stattdessen erfolgreich deren Orientierung und Motivation an den politischen und militärischen Erfordernissen des bewaffneten Kampfes auszurichten. Erst das Verständnis für die Tragweite sowie für die Symbolik von Guzmáns innerparteilicher Stellung erklärt, weshalb das, was sich seit Gründung des Leuchtenden Pfads zur vielleicht größten Stärke der Organisation entwickelt hatte, sich nach der überraschenden Festnahme Guzmáns am 12. September 1992 binnen kürzester Zeit in deren wohl größte Schwäche verkehrte: Die Verhaftung ihres unangefochtenen und charismatischen Anführers ließ die Moral und die Verpflichtungsbereitschaft weiter Teile der Partei unvorbereitet in sich zusammenfallen und beendete die Hoffnung auf eine siegreiche Revolution.98 Die Desillusionierung der Parteimitglieder vollzog sich nach der Verhaftung in zwei Etappen. Die Verhaftung Guzmáns hatte zwar ungläubiges Entsetzen und Orientierungslosigkeit innerhalb der Mitglieder ausgelöst, allerdings die Hoffnung auf ein schnelles militärisches Ende zugunsten der Revolution noch nicht endgültig eliminiert. Nach der Verkündung des Friedensangebotes durch Guzmán im November 1993 zerschlug sich jedoch auch diese Hoffnung unwiderruflich, was zu einer schweren innerparteilichen Krise führte, in deren Folge sich der Leuchtende Pfad in zwei Gruppen spaltete – während ein Lager Guzmán treu blieb und den bewaffneten Kampf für beendet erklärte, führte die zweite Gruppe ihren bewaffneten Kampf unter der Führung von Oscar Alberto Ramírez Durand bis zum Jahr 2000 weiter fort. Einen Eindruck über 98 Vgl. auch Taylor (2006): Shining Path, S. 173f.

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das Innenleben der Partei vom Augenblick der Verhaftung Guzmans bis zu dessen Ausrufung des Friedensangebots lässt sich aus Aussagen verschiedener Parteimitglieder herauslesen. So beschrieb ein Kompanieführer des Leuchtenden Pfads die Situation nach der Verhaftung des Parteichefs: „después al ver que el presidente Gonzálo fue capturado, ha llegado un pesimismo en la cabeza de cada combatiente, de cada mando, de cada dirigente [...]. Políticamente sí estamos derrotados pero militarmente todavía tenemos las armas en las manos, debemos de estar con la moral alta.“99

Margie Clavo Peralta, Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros des Leuchtenden Pfads, stellte ihre damalige Gefühlslage dar: „la detención del presidente Gonzalo era el más duro golpe dado al partido en toda la guerra popular y como contraparte el principal éxito del Estado Peruano [...]. [...] con la detención del presidente Gonzalo y la dirección central no solamente cayó detenida la garantía de triunfo de la guerra popular sino el comité permanente histórico que es la camarada Miriam [...] los dirigentes que quedábamos, ninguno de nosotros era capaz de dirigir hacia la conquista del poder.“100

Nach Darstellung eines weiteren Parteimitglieds herrschten nach der Verhaftung Guzmáns nicht nur Fassungslosigkeit, sondern auch Anarchie, die die Organisation zum Stillstand brachte: „En la cuestión organizativa, o sea, si se quiere, generó a nivel orgánico todo un anarquismo y todo un conjunto de deserción, o sea la gente se debatió en un anarquismo […] nunca había visto esto […]. A Tenorio [Jéfe del Comité Zonal Norte Medio, SCW], lo llevan de emergencia a una clínica porque le dio un paro cardiáco, o sea le afectó así y toda la gente que digamos, dicen qué hacemos, pero en ese momento se expresó la conmoción, el dolor, la congoja, bueno, el líder, pero luego se da el anarquismo [...] el golpe más duro era la moral, porque estan parados todos los organismos.“101

Die Verhaftung des obersten Parteiführers hatte der Organisation zweifesfrei einen schweren Schlag verpasst. Der endgültige Todesstoß erfolgte allerdings erst ein gutes Jahr später, als Guzmán seine Partei dazu aufrief, den bewaffneten Kampf zu beenden, und dem peruanischen Staat ein Friedensangebot offerierte. Für ein Parteimitglied, das im Parteikomitee Socorro Popular aktiv war, bedeutete das Friedensangebot das Ende des Leuchtenden Pfads: „La gente no entendía eso. Nunca habían pensado ni se imaginaban jamás eso. Porque ellos pensaban que el 90 era de ellos. Decían el 90 es nuestro. [...]. Eso les ha costado a

99 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 742011. 100 TV-Interview in der Sendung Contrapunto vom 17. September 1995. 101 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 100054.

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ellos de entender mucho tiempo. […] Yo creo que allí se rompió todo. La división de Sendero, del Partido, del PCP, acaba con todo, con toda perspectiva.“102

In der Aussage eines weiteren Parteimitglieds wird darüber hinaus auch die Zerrissenheit der Partei deutlich, die schließlich in eine offene und gewaltsame Feindschaft der beiden Parteilager mündete: „cuando yo veo por televisión que sale el presidente y la camarada „Miriam“ [Elena Iparraguirre, SCW] plantear que la guerra ha terminado que no se puede continuar, que era necesario que la paz se dé en el país, yo comprendí que esa era una realidad y lo comprendí porque en el partido no hay un dirigente que pueda llevar esta revolución con una causa [...]. […] Bueno desgraciadamente como es de conocimiento público el partido se dividió, hubo gente que no entendió esto, es más, nos persiguió a quienes estábamos con el acuerdo de paz y nosotros no solamente teníamos que cuidarnos de la DINCOTE, de la policía que nos quería capturar sino también de nuestros propios compañeros que nos querían matar por haber querido plantear que esta guerra no podía continuar.“103

Die Ausrufung des Friedensangebotes, die Spaltung der Partei sowie die stark angegriffene Moral führten dazu, dass weite Teile der Mitglieder und Aktivisten den Kampf beendeten, ihre Waffen abgaben und sich schließlich den Sicherheitskräften ergaben. Dieser Prozess wurde zudem durch drei weitere Faktoren beschleunigt. Es gelang der Polizei in den Monaten nach der Verhaftung Guzmáns, weitere mittlere und hohe Parteiführer festzunehmen. Auch hatte die Regierung seit Gefangennahme des Parteichefs eine Medienkampagne initiert, in der u. a. von massenhaften Desertationen berichtet sowie der obersten Parteiführung des Leuchtenden Pfads interne Korruption und ein Luxusleben auf Kosten der Mitglieder vorgeworfen wurde. Den aber wohl stärksten Einfluss auf die beschleunigte Kapitulation der Parteikader hatte das im August 1993 verabschiedete Reuegesetz (Ley de Arrepentimiento), das den Mitgliedern und Aktivisten der einfachen und mittleren Ränge Straffreiheit zusicherte. Schätzungen zufolge stellten sich nach Verkündigung dieser Amnestie etwa 8.500 ehemalige Mitglieder, Kämpfer, Aktivisten und Anhänger des Leuchtenden Pfads unter den Schutz dieses Gesetzes.104

102 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700067. 103 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 700016. 104 Interview mit dem Gerichtspräsidenten der Sala Penal Nacional contra el Terrorismo vom 5. Juni 2008.

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4.3 Die Ideologie In den Augen der Parteiführung bildete die Ideologie die wichtigste Grundlage der Partei. Entsprechend verkündete Abimael Guzmán 1988: „Sin ideología del proletariado no hay revolución, sin ideología del proletariado no hay perspectiva para la clase y el pueblo, sin ideología del proletariado no hay comunismo.“105

Gemäß dieser Feststellung war ohne Ideologie also kein Kommunismus möglich (und in letzter Konsequenz somit auch kein Leuchtender Pfad), sodass sie naturgemäß in den Mittelpunkt des politischen Projektes der Partei rückte, gleichsam als Quelle desselben. Damit ist ihre parteiinterne Bedeutung umrissen und es ist nicht verwunderlich, dass einige Autoren der Ideologie einen quasireligiösen Charakter zuwiesen.106 Angetrieben von der Überzeugung, dass sowohl der Aufbau der eigenen Partei als auch die Durchführung eines bewaffneten Kampfes nur auf Grundlage einer ausreichend ausgearbeiteten Ideologie verwirklicht werden konnten, stellte die Entwicklung einer kohärenten und überzeugenden Ideologie von Beginn an eine zentrale Aufgabe der Partei dar. Die wohl intensivste Phase zur Erarbeitung der theoretischen Grundlagen erfolgte zwischen 1971 und 1973 im Rahmen des CTIM, als parteinahe Studenten und Professoren der UNSCH eine intensive Textlektüre und Exegese der Werke José Carlos Mariáteguis betrieben.107 Die ideologische Schulung der eigenen Kader besaß für die Partei auch in den Folgejahren hohe Priorität. Wie wir bereits im Rahmen des Rekrutierungsprozesses sahen, erhielten Parteimitglieder und Mitgliedskandidaten immer wieder politischen und ideologischen Unterricht. Ein vertrauliches Dokument zur Planung und Durchführung einer escuela popular zeigt, welche ideologischen Lerninhalte den Teilnehmern vermittelt werden sollten. Zu den Zielsetzungen der Schule gehörten zunächst u.a.: „1. Proveer a los simpatizantes, amigos y principalmente a los militantes por fé y convicción de la herramienta necesaria para la defensa del M-L [marxismo-leninismo, SCW] en materia ideológica y economía. 2. Promover y desarrollar programas de LCO [Labor Cultural y de Organización, SCW] en otros lugares que contribuyan a elevar el nivel ideológico de sus integrantes y fortalecimiento de su organización.“108

105 106 107 108

Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista. Vgl. Starn (1995): Maoism, S. 411 und Degregori (1990a): Surgimiento, S. 202. Vgl. Degregori (1990a): Surgimiento, S. 185. DINCOTE, DH-SL-0135, PCP-SL (ohne Datum): Documento confidencial.

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Zur Erreichung dieser Ziele sah der Lehrplan eine zweistufige Ausbildung vor, in der die Teilnehmer eine ganze Reihe durchaus anspruchsvoller Themen zu bearbeiten hatten. Zum Lern- und Diskussionsstoff der fase básica gehörten beispielsweise: – – – – – – – – –

„Materialísmo Dialéctico Materialísmo Histórico Clases sociales y lucha de clases Teoría marxísta del estado Crisis general del Capitalismo Organizaciones políticas en el Perú Manifiesto Comunísta y Vigencia histórica Situación política del Perú Situación política Internacional“

In der zweiten Phase schlossen sich acht weitere Themenfelder an: „1. Violencia y Poder 2. Comunismo y Cristianismo 3. Qué es Política, Ideología, Doctrina, Programa y Partido político? 4. Antecedentes históricos del pensamiento marxista en América Latina 5. Experiencias concretas de la lucha popular 6. La problemática de la mujer y su rol histórico 7. Partido, Frente y Ejército 8. Evolución de la sociedad Peruana y el carácter de la sociedad“109 Aufbauend auf den Studien des CTIM hatte der Leuchtende Pfad seine wesentlichen ideologischen Grundannahmen schon in den 1970er-Jahren erarbeitet, sodass signifikante theoretische Weiterentwicklungen in den folgenden zwei Jahrzehnten selten waren – auch wenn, wie wir sahen, nach parteiinternen Maßstäben die Entstehung des pensamiento gonzalo in den 1980er-Jahren einen erheblichen ideologischen Fortschritt bedeutete. Die ideologischen Kernsätze der Partei lassen sich daher bereits einem Dokument aus dem Jahre 1974 entnehmen. In dem ursprünglich von Abimael Guzmán als Rede vorgetragenen Aufsatz mit dem Titel „La problemática nacional“ hieß es: „la historia patria desde el siglo pasado hasta hoy es la de la lucha de clases feudal y colonial que, bajo el dominio capitalista ingles y del imperialismo yanqui sucesivamente, han evolucionado hasta convertirse y ser en la actualidad una sociedad semifeudal 109 DINCOTE, DH-SL-0135, PCP-SL (ohne Datum): Documento confidencial.

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y semicolonial con dos problemas básicos no resueltos hasta hoy: el problema de la tierra y el problema nacional. […] En consecuencia, el proceso de transformación de la sociedad peruana, lo que científicamente se llama revolución peruana, tiene dos tareas que cumplir: 1) destruir la semifeudalidad y 2) destruir la semicolonialidad. […] Científicamente hablando el carácter de la revolución peruana es ser una revolución democrático-nacional; democrática en cuanto va contra la feudalidad, a destruir las relaciones feudales del país; y nacional en cuanto es antiimperialista […]. […] hay dos caminos [hacia la revolución, SCW]: 1) el de la revolución de Octubre que es de la ciudad al campo y lo siguen los países capitalistas a través de una revolución socialista; camino que siguió la vieja Rusia o que hoy tendría que seguir Francia, por ejemplo y 2) el camino de la revolución china, que es del campo a la ciudad y siguen los países semifeudales y semicoloniales o coloniales mediante una revolución democratico-nacional.“110

Aus diesem Textauszug werden wichtige ideologische Kernaussagen samt ihren Wurzeln deutlich. Zunächst wird die grundlegende Beschreibung der politischen und sozioökonomischen Realität des Landes aus Sicht des Leuchtenden Pfads klar. Ihr zufolge war Peru ein semifeudaler und semikolonialer Staat, der sich in erster Linie durch seine wirtschaftliche Abhängigkeit von ausländischem Kapital (semifeudal) und seine politische Dependenz vor allem von den USA (semikolonial) charakterisierte. Eine Veränderung dieses Systems konnte allein durch eine demokratisch-nationale Revolution erfolgen, die zudem auf einem streng wissenschaftlichen Fundament, nämlich dem Marxismus, basierte. Demokratisch und national war die Revolution deswegen, weil sie zum einen die feudalen Strukturen zu beseitigen beabsichtigte und sie zum anderen als antiimperialistische Bewegung auch die Unterdrückung durch den „imperialismo yanqui“111 bekämpfte. Aufgrund des semifeudalen und semikolonialen Charakters des Landes konnte die Revolution allerdings nicht dem russischeuropäischen Beispiel folgen, sondern hatte sich am chinesischen Vorbild zu orientieren, wo die Revolution in den ländlichen Gebieten begonnen hatte und von dort in die urbanen Zentren hineingetragen worden war.112 110 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1974): Problemática. Hervorhebungen durch den Autor. 111 Ibid. 112 Mao war auch als Kriegstheoretiker maßgebend für den Leuchtenden Pfad. So wurde von ihm die Vorstellung eines „lang andauernden“ Krieges übernommen, der sich in drei unterschiedliche Phasen einteilte: „[...] la primera es el período de la ofensiva estratégica del enemigo y la defensiva estratégica nuestra. La segunda será el período de la consolidación estratégica del enemigo y de nuestra preparación para la contraofensiva. La tercera será

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Die in dem Textauszug verwendeten Begriffe und Kategorien stammten nicht genuin aus der Feder Abimael Guzmáns oder anderer ranghoher Parteimitglieder. Tatsächlich blieben die intellektuellen und kreativen Eigenleistungen der obersten Parteiführung bei der Ausarbeitung der eigenen Ideologie außerordentlich begrenzt. Statt auf Grundlage des breiten marxistisch-leninistisch-maoistischen Kanons eigene theoretische Schwerpunkte zu setzen, die sich an den spezifischen Realitäten Perus hätten orientieren können, wurden sämtliche in den Parteidokumenten und -ansprachen anklingenden ideologischen Vorstellungen und Definitionen kritiklos und zum Teil wortgleich aus den Werken Mariáteguis und Maos übernommen und auf die peruanische Wirklichkeit übertragen. Zugleich wurden deren Schriften aber auch nur sehr selektiv studiert. Wie weiter unten am Beispiel der Beurteilung der ethnischen Heterogenität Perus zu sehen sein wird, wurde vor allem das Gedankengut Mariáteguis eigentümlich verengt ausgelegt, sodass wesentliche Aspekte seiner Arbeit nicht wahrgenommen oder ignoriert wurden. Lewis Taylor stellt fest: „They were plagiarists rather than innovators. Guzmán and his associates possessed a mechanistic, onedimensional method of social analysis that was totally alien to the praxis of their chief mentors.“113 Und Víctor Vich ergänzt: „Al leer todas las intervenciones públicas de Abimael Guzmán y al revisar los volantes que SL utilizaba para difundir su ideología no es difícil darse cuenta de que todas constan de mecánicas repiticiones de fórmulas marxistas que se encuentran siempre descontextualizadas del problema peruano al que únicamente se caracteriza como „semifeudal“.114 Das Diktum des semifeudalen Charakters Perus war zunächst den Arbeiten Carlos José Mariáteguis entnommen, der im Rahmen seiner Analyse der peruanischen Wirtschaftsgeschichte zu dem Ergebnis kam, dass seit dem Ende des Guerra del Pacífico mit Chile 1884 verschiedene Wirtschaftssysteme nebeneinander existierten und sich dabei vor allem der Bereich des am Außenhandel interessierten Zucker- und Baumwollanbaus durch semifeudale Strukturen auszeichnete.115 Unabhängig von Mariáteguis Arbeiten war auch Mao bei der Untersuchung der politischen und sozioökonomischen Probleme Chinas schon früh zu dem Ergebnis gelangt, dass sich das Land einem doppelten Zwang unterworfen sah: „Seine Situation zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es nicht ein unabhängiges und demokratisches, sondern ein halbkoloniales und halbfeuel período de nuestra contraofensiva estratégica y de la retirada estratégica del enemigo“; vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases und Mao Tse-tung (1969): Schriften, S. 210–221. 113 Taylor (2006): Shining Path, S. 21. 114 Vich (2002): Caníbal, S. 26. 115 Vgl. Mariátegui (1996): Ensayos, S. 13–34.

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dales Land ist; denn während hier innenpolitisch nicht Demokratie, sondern feudale Unterdrückung herrscht, erfreut sich China, was seine außenpolitischen Beziehungen betrifft, nicht etwa nationaler Unabhängigkeit, sondern wird vom Imperialismus unterdrückt.“116 Die begriffliche Übereinstimmung Maos und Mariáteguis machte es dem Leuchtenden Pfad einfach, die Unterschiede beider Gesellschaften zu ignorieren und stattdessen die Vergleich- und Übertragbarkeit der jeweiligen Kontexte zu betonen. Gleichzeitig ignorierte die Partei den Umstand, dass seit den jeweiligen Abhandlungen ein halbes Jahrhundert verstrichen war, in dem beide Länder erhebliche wirtschaftliche und auch politische Umbrüche erlebt hatten.117 Zu den wichtigen von Mao übernommenen Ideen gehörte auch die der Existenz eines bürokratischen Kapitalismus in Peru. Hierbei handelte es sich um ein vermeintliches Bündnis zwischen den wirtschaftlichen Interessen großer monopolistischer Unternehmen und den politischen Interessen des Staates, das nicht nur das Land beherrschte, sondern auch eine neue soziale Schicht, die bürokratische Bourgeoisie, hervorbrachte: „Pues bien, el capitalismo burocrático se desenvuelve ligado a los grandes capitales monopolistas que controlan la economía del país, capitales formados, como lo dice el Presidente Mao, por los grandes capitales de los grandes terratenientes, de los burgueses compradores y de los grandes banqueros; así se va generando el capitalismo burocrático, atado, reitero, a la feudalidad, sometido al imperialismo y monopolista, y esto hay que tomarlo en cuenta, es monopolista. Este capitalismo, llegado a cierto momento de evolución se combina con el Poder del Estado y usa los medios económicos del Estado, lo utiliza como palanca económica y este proceso genera otra facción de la gran burguesía, la burguesía burocrática.“118

Das Feindbild des bürokratischen Kapitalismus brachte den Leuchtenden Pfad in erbitterte Gegnerschaft zu den sozialen und politischen Akteuren des Landes, die er wahlweise unter dieses Bild subsumierte. Staat und Gesellschaft, die Sicherheitskräfte, die politischen Parteien, aber auch Repräsentanten der Zivilgesellschaft und der Kirche konnten nun in seiner Wahrnehmung ein homogenes Konglomerat imperialistisch-kapitalistischer Prägung bilden, dessen Ziel vorrangig darin bestand, die ökonomischen Interessen der einheimischen Eliten sowie der USA zu schützen und auszubauen. Über die Regierungen Perus hieß es z. B. in einem Parteidokument von 1985: „Así los gobiernos en el Perú, civiles o militares, no son sino las camarillas de turno, electas o no, que ejercen la dictadura sobre el pueblo, sobre el proletariado, campe116 Vgl. Mao Tse-tung (1969): Schriften, S. 282. 117 Vgl. Taylor (2006): Shining Path, S. 19. 118 Interview 1988.

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sinado, pequeña burguesía y hasta sobre la burguesía nacional o media, en beneficio de la gran burguesía (grandes banqueros especialmente hoy), de los terratenientes, (particularmente en su expresión de gamonalismo, de ejercicio de Poder en el campo); en beneficio de las clases dominantes y del imperialismo yanqui y totalmente en contra de los intereses populares y nacionales.“119

Dieser Generalvorwurf erfuhr unabhängig von der politischen Couleur der jeweiligen Präsidentschaft eine ständige Erneuerung. Über die Regierung von Alan García ließ der Leuchtende Pfad z. B. verlautbaren: „En síntesis, el gobierno aprista encabezado por el genocida García Pérez es la negación fascista y corporativa del ordenamiento demoliberal burgués en nombre de los intereses de los imperialistas, los grandes burgueses y los terratenientes, lo que implica la imposición de un ordenamiento jurídico fascista cuyas bases se están sentando.“120

Auch das Urteil des Leuchtenden Pfads über die Nachfolgeregierung unter Alberto Fujimori fiel ähnlich aus: „Hay „modernas lecheras“ que hacen castillos en el aire, como Fujimori, el genocida vendepatria, o verdugos como el ministro del Interior general Malca, el de Defensa, general Torres Aciego, o recalcitrantes pro-yanquis como el ministro de Economía, C. Boloña Behr [...]; lo son en tanto obsecuentes lacayos del imperialismo y siervos de las clases explotadoras que mendigan la „ayuda“ del imperialismo.“121

Das statische Weltbild, das die Partei entwarf, und deren „sklavische Ergebenheit“122 gegenüber den theoretischen Eckpunkten des Maoismus standen in einem deutlichen Gegensatz zu den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Realitäten Perus. Gleichzeitig bot der Leuchtende Pfad kein klares und in sich schlüssiges Konzept auf die Frage an, wie genau das Land nach einer erfolgreichen Revolution strukturiert und geführt werden sollte. Es überrascht daher nicht, dass verschiedene Beobachter der Ideologie keinerlei Bedeutung für den Erfolg der Partei zuwiesen. In einem viel beachteten Aufsatz stellte z. B. Henri Favre bereits 1984 fest: „Sendero Luminoso aporta una vez más la clamorosa prueba de que el éxito de un movimiento insurreccional es independiente de su ideología explícita y de la adecuación de su visión del mundo a lo real“.123 Doch ist Favres frühes Urteil, so plausibel es zunächst erscheinen mag, tatsächlich stichhaltig? Bei näherer Betrachtung der bisherigen Ergebnisse dieser Studie scheint Favres Hypothese mehr Fragen aufzuwerfen, als sie beantwortet: War die Ideologie wirklich ein vom Erfolg des Leuchtenden Pfads losgelöstes 119 120 121 122 123

Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1985): Guerra. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1987a): Gloria. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991a): Equilibrio. Harding (1988): Ideology, S. 65 („slavish devotion“). Favre (1984): Peru, S. 28.

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Element? Wenn ja, wie konnte der Leuchtende Pfad dann dauerhaft attraktiv auf Dritte wirken, wenn deren eigene Lebenswelt im offenen Widerspruch zur Ideologie und zu den politischen Leitsätzen der Partei stand? Und womit war die „fanatical commitment“124 der Mitglieder gegenüber der Partei zu erklären? Scheint es nicht vielmehr so, dass die vermeintlich so geringe sachliche Überzeugungskraft der Ideologie die Motivation und Verpflichtungsbereitschaft der Kader kaum schmälerte? Tatsächlich kann kaum ein Zweifel an der inhaltlichen Inkongruenz des revolutionären Weltbildes mit den generellen Linien der peruanischen Realität angemeldet werden. Im Gegensatz zu Favres Auffassung wird hier jedoch angenommen, dass sich zentrale ideologische Elemente, wie etwa das Postulat einer semifeudalen Gesellschaftsstruktur, womöglich trotzdem mit den zahlreichen subjektiv erlebten Erfahrungen der Vielzahl der Mitglieder des Leuchtenden Pfads deckten. Wie im zweiten Kapitel dargelegt, bedeutete etwa die Agrarreform für viele Bauern, vor allem im Kernland des Leuchtenden Pfads, nicht etwa eine Verbesserung ihrer Lage und den Erwerb eigenen Landbesitzes, sondern kaum mehr als die Kontinuität der (Land-)Abhängigkeit unter neuen Vorzeichen. Carlos Iván Degregori macht diesen Umstand deutlich: „Visto desde Ayacucho, o desde la sierra sur-central en general, el Perú tiene mucho de “semifeudal”. Si bien los terratenientes prácticamente han desaparecido, subsisten el gamonalismo y su sustento económico, el capital comercial precapitalista con su secuela de coacción y abusos.“125 Und auch der vermeintliche Modernisierungsschub in Form des dramatischen Anstiegs der Schüler- und Studentenzahlen seit den 1970er-Jahren verpuffte aufgrund der verheerenden wirtschaftlichen Lage und hinterließ ein Heer frustrierter und verunsicherter junger Menschen aus einfachsten Verhältnissen, die ihre Situation sehr wohl als soziale und ökonomische Unterdrückung durch die wirtschaftlichen und sozialen Eliten des Landes verstehen konnten. Wie aus den untersuchten Aussagen der Parteimitglieder deutlich hervorgegangen ist, wurden Armut und Elend sowie wirtschaftliche Ungerechtigkeit und Ausbeutung zu allen Zeiten erlebt oder empfunden – und als Verursacher dieser Misere wurde dabei stets der Staat identifiziert. Vor diesem Hintergrund ist es sehr wahrscheinlich, dass das radikale und simplifizierende ideologisch-politische Angebot des Leuchtenden Pfads von einer ausreichenden Anzahl von Mitgliedern als realitätsnah, zutreffend und überzeugend aufgefasst wurde.

124 Harding (1987): Rise, S. 187. 125 Degregori (1989b): Dios, S. 22.

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Folgt man dieser Ansicht, werden die wesentlichen Funktionen der Parteiideologie schnell deutlich: Sie versorgte die Mitglieder mit einem einheitlichen Weltbild und politischer Orientierung. Bereits 1984 fasste eine Analyse des peruanischen Innenministeriums sehr weitgehend zusammen: „La ideología de Sendero permite „esclarecer“ e infundirle seguridad a amplios sectores de la población, que anímica y sicológicamente se encuentran frustrados y desesperados, sin posibilidad de trabajo, salud, alimentación, techo etc. situación producto de las condiciones de la vida actual que en si es violencia real [...] Sectores estos que requieren captar el sentido de su existencia, que exigen explicación de su mala situación y que necesitan una justificación de sus actitudes e posibles acciones y proyectos que en la dinámica social peruana vemos.“126

Eine ähnliche Einschätzung wurde einige Jahre später von Carlos Iván Degregori formuliert, der dabei vor allem das studentische Milieu ins Auge fasste: „A esos estudiantes, necesitados de una nueva identitad y de seguridad intelectual, SL ofrece [...] una explicación coherente del mundo físico (materia y movimiento), biológico y social; de la historia de la filosofía (lucha entre idealismo y materialismo), así como de la historia universal (ascenso unilineal desde la comunidad primitiva al esclavismo, fedualismo, capitalismo y socialismo, para culminar en el comunismo) y del Perú (lucha entre el camino burocrático y el camino democrático).“127 Aus Sicht der Parteiführung erfüllte die Ideologie darüber hinaus auch die Aufgabe, den Mitgliedern Kraft, Moral, Kampfgeist und Siegessicherheit zu geben. In dem Interview von 1988 erklärte Abimael Guzmán entsprechend: „La fortaleza de los militantes del Partido realmente se sustenta en la formación ideológica y política; se sustenta en que los militantes abrazan la ideología del proletariado y su especificación, el marxismo-leninismo-maoísmo, pensamiento gonzalo, el programa y la línea política general y su centro la línea militar.“128

Offensichtlich handelte es sich hierbei um einen begründeten Anspruch. In den von McClintock durchgeführten Interviews erklärte z. B. eine senderista: „What I like most about sendero is that the ideology maintains you, and you are not servile, and you don’t accept the misery that is inflicted by the governments that come and go, puppets of North American capitalism.“129

Die Siegesgewissheit der Parteimitglieder scheint bis zur Verhaftung Abimael Guzmáns ungebrochen gewesen zu sein. Als Indiz hierfür lassen sich die Bekun126 127 128 129

IEP-CGG, Ministerio del Interior (15. Februar 1984), Ohne Titel. Degregori (1990a): Surgimiento, S. 187. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista. McClintock (1998): Movements, S. 275.

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dungen verschiedener Parteimitglieder in Interviews mit der Zeitschrift Caretas anführen, in denen immer wieder davon gesprochen wurde, dass die Partei ihren Kampf in den jeweils kommenden zwei bis drei Jahren erfolgreich beenden würde.130 Schließlich noch einige Überlegungen zu einem in der Literatur bisher nicht weiter diskutierten Aspekt. Viele der internen und öffentlichen Parteidokumente lassen sich nur mühsam lesen. Die Rechtfertigungen des bewaffneten Kampfes sowie die Darstellungen der Ideologie, der politischen Leitsätze sowie die Gesellschafts- und Wirtschaftsanalysen verlangen von dem Leser nicht nur ein gehöriges Maß an Durchhaltevermögen, sondern auch passable Kenntnisse historischer, politischer und ökonomischer Prozesse und der philosophischen Ideengeschichte. Es ist anzunehmen, dass nur ein kleiner Teil der Parteimitglieder außerhalb der Führungsebene und nur wenige Angehörige der masas über die notwendige Bildung verfügten, um die wichtigsten Parteitexte vollständig zu durchdringen. Es stellt sich daher die Frage, ob derartige Schriftstücke geeignet waren, die ideologischen und politischen Überzeugungen der Partei wirksam einem breiten (Partei-)Publikum näher zu bringen. Die naheliegende Antwort lautet: Nein. Und tatsächlich zirkulierten in den Jahren des bewaffneten Konflikts unzählige nur ein- oder zweiseitige Flugblätter und Broschüren, die die Bevölkerung mithilfe eindringlicher und leicht verständlicher Beispiele von den Zielen und Methoden der Partei überzeugen sollten. Die Parteimitglieder jedoch erhielten auf den escuelas populares, den escuelas de cuadros sowie auf den Parteisitzungen und -kongressen weitaus kompliziertere Schriften und Ansprachen zu lesen und zu hören. Weiter oben wurde die Annahme formuliert, dass weite Teile der Mitglieder sich mit den ideologischen Leitlinien der Partei identifizierten, weil sie sie in Bezug zu ihrer eigenen Lebensrealität setzen konnten. Für eine solche Einsicht, so eine weitere Vermutung, war es unerheblich, ob die einzelnen Mitglieder die intellektuelle Tiefe oder die philosophische Bandbreite der theoretischen Parteidiskurse oder der Guzmánschen Reden und Pamphlete vollständig durchdrangen. Entscheidend war vielmehr, dass die ideologische Essenz, nämlich der Kampf für eine Verbesserung der eigenen und der allgemeinen Lebensgrundlagen, verstanden wurde. Tatsächlich dürfte die Einkleidung der Ideologie in einen pseudo-wissenschaftlichen, nur schwer verständlichen Diskurs aus der Perspektive der großen Mehrheit der Mitglieder und Anhängerschaft die Einmaligkeit von Guzmáns Führungsqualitäten sowie die Geltungskraft der Ideologie sogar zusätzlich unterstrichen haben. Betrachtet man verschiedene Aussagen von Mitgliedern des Leucht130 Vgl. Caretas (1985a): Sangre, S. 25; Caretas (1985b): Sendero, S. 38 und Caretas (1988c): Matar, S. 31.

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enden Pfads, scheint sich diese Annahme zu bestätigen. So antwortete z. B. ein senderista auf die Frage, ob es innerhalb seiner Kampfeinheit Diskussionen über einzelnen Aktionen gegeben habe: „No, no. Justamente para eso el mando militar de la dirección es una persona preparada y capacitada. No podemos entrar entre nosotros mismos en discusiones ni en contradicciones porque la linea es una sola y bajo esta línea, bajo todo lo que se debe respetar y la disciplina está entre nosotros. Bajo eso nosotros nos basamos, y todo nos sale bien.“131

Wenn also bereits kleinere Aktionen nicht hinterfragt wurden, überrascht es nicht, dass auch die Leitsätze des Präsidenten Gonzalo nicht in Zweifel gezogen wurden: „No, no. Lo cumplimos todo porque él ha sintetizado un pensamiento como el Marxismo-Leninismo-Maoísmo. El lo ha sintetizado en uno solo y eso lo estamos nosotros cumpliendo porque él lo ha visto en la práctica.“132

Und ein von der Wahrheitskommission befragtes Parteimitglied gab zu Protokoll, dass die Reden Guzmáns aufgrund ihrer Theorielastigkeit zwar immer schwierig zu verstehen, sie aber immer erhellend waren.133 Derartige Ausführungen veranschaulichen, dass die ideologischen Grundsätze im Zusammenspiel mit der Autorität des Parteichefs alle Ebenen der Organisation durchdrangen. Und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies paradoxerweise durch den Umstand unterstützt wurde, dass sie in ihrer intellektuellen Dimension nicht von allen Mitgliedern verstanden wurden und auch nicht verstanden werden mussten: Formulierung, Interpretation und Implementierung der Ideologie oblagen schließlich der Führung. Dies galt für die generelle Linie sowie für konkrete Aktionen. Der Leuchtende Pfad und die ethnische Dimension Perus

Seit Ausbruch des bewaffneten Konflikts in den Hochlandregionen der südlichen Zentral-Anden richteten Beobachter ihren Blick immer wieder auf die Frage nach der Verwurzelung des Leuchtenden Pfads in der andinen Lebenswelt. Die Bedeutung dieser Frage liegt angesichts eines überwiegenden Anteils indigener Bevölkerung in den Ursprungsregionen der Partei, einer zumindest anfänglichen Unterstützung durch Teile der Bauernschaft sowie der soziokul131 Debate (1985): Testimonio, S. 36. 132 Ibid. 133 Comisión de la Verdad y Reconciliación, Testimonio 100054.

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turellen Zusammensetzung der Parteimitglieder auf der Hand. Ein Konsens konnte bei der Beantwortung dieser Frage jedoch bisher nicht erreicht werden.134 Nach Ansicht von Alberto Flores Galindo besaß der Leuchtende Pfad durchaus einen andin-mythologischen Unterbau, weswegen sein politisch-ideologischer Diskurs innerhalb der indigenen Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fiel. Danach verband er sich dort mit alten Traditions- und Denkmustern, in deren Zentrum u. a. die Vorstellung von einer radikalen und gewaltsamen gesellschaftlichen Veränderung sowie von der Rekonstituierung eines als gerecht empfundenen Inkaimperiums stand.135 Dagegen bescheinigt Orin Starn dem Leuchtenden Pfad die völlige Inkompatibilität mit der andinen Lebenswelt: „the ideology of Shining Path eschwed completely any appeal to „indigenous“ or „Andean“ roots. On the contrary, the political culture of the revolutionaries centred o class struggle and anti-imperialism, and on the party´s primacy in revolution.“136 Eine Zwischenposition, die der Ansicht Galindos viel Sympathie entgegenbringt, nimmt Gonzalo Portocarrero ein, der darauf hinweist, dass die Entwicklung des Leuchtenden Pfads von bestehenden andinen Traditions- und Kulturelementen zumindest profitierte. Folgt man Portocarrero, ebneten eine tief verwurzelte Geringschätzung des Fremden, eine apodiktische Vorstellung von Obrigkeit sowie ein Zeit- und Geschichtsverständnis, in dessen Mittelpunkt sich die Erwartung radikaler gesellschaftlicher Umbrüche und Konfrontationen befand, dem Leuchtenen Pfad den Weg in die bäuerlich-indigene Lebenswelt.137 Portocarreros Kompromissvorschlag erscheint durchaus plausibel. Doch auch wenn andine und indigene Traditions-, Kultur- und Denkmuster dazu führten, dass der Leuchtende Pfad zumindest temporär auf Wohlwollen und Unterstützung innerhalb der indigen-bäuerlichen Bevölkerung stieß, so handelte es sich hierbei lediglich um externe Hilfsfaktoren und um die Fremdwahrnehmung Dritter. In seiner Selbstwahrnehmung, und dies ist für den Fokus dieser Studie entscheidend, war der Leuchtende Pfad weder Ausdruck noch Anwalt der andinen Lebenswelt. Eine Beschäftigung mit dem Schrifttum der Partei macht sehr schnell deutlich, dass für sie die Kategorie des indígena keine Rolle spielte. Ausgehend von der Vorstellung einer gesellschaftshistorischen Entwicklung in Form permanenter Klassenkämpfe bewies der Leuchtende Pfad die eigentümliche Fähigkeit, die multiethnische und multikulturelle Realität 134 Zu den verschiedenen Interpretationen vgl. Degregori (1991): Campesinado, S.  415– 418. 135 Vgl. Flores Galindo (1987): Inca 136 Starn (1995): Maoism, S. 406f. 137 Vgl. Portocarrero Maisch (1998): Razones, S. 125–129.

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Perus weitestgehend zu ignorieren und hinter einem klassisch marxistischen Diskurs verschwinden zu lassen. Orin Starn stellt fest: „The distinctiveness of this largest and most diverse of the Andean nations disappears in the orthodoxy of a universal Marxism.“138 Und Nelson Manrique bemerkt: „Cuando se revisa la línea política de Sendero Luminoso, una de las cosas que más poderosamente llama la atención es la ausencia de toda referencia a la existencia de componentes de segregación y dominación étnica en la sociedad peruana.[...] El factor étnico aparentemente no existe, pues, para Sendero.“139 Bedenkt man, dass der Leuchtende Pfad José Carlos Mariátegui neben Mao als seinen wichtigsten spiritus rector ausgab, verwundert das Fehlen der ethnischen Dimension Perus in seinem Denken umso mehr. Zwar hatte Mariátegui die für den Leuchtenden Pfad sicherlich außerordentlich hilfreiche gedankliche Transferleistungen vollbracht, die präkolumbianischen, bäuerlich-indigenen comunidades Perus als Prototypen kommunistischer Gemeindeverbände und das Imperium der Inkas als ein kommunistisches Gesellschaftssystem zu identifizieren, in dessen Mittelpunkt der Kollektivbesitz von Boden, Wasser, Weideflächen und Wäldern stand.140 Mariáteguis Ansatz, die indigene Bevölkerung ihrer ethnischen Kategorie zu entheben und stattdessen deren soziale Kategorie zu betonen, war jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Ignorierung des Problems, so wie der Leuchtende Pfad dies nunmehr tat. Vielmehr wurde „el problema del indio“141 zu einem der zentralen Aspekte im Denken Mariáteguis. Welch geringe analytische Rolle die indigenen Bevölkerungsteile dagegen für den Leuchtenden Pfad spielten, veranschaulicht exemplarisch eine quantitative Analyse der Parteidokumente: Während die Darstellung der Geschichte des Klassenkampfes in jedem relevanten Dokument breiten Raum einnimmt, finden sich zwischen 1970 und 1995 insgesamt kaum mehr als ein Dutzend Erwähnungen der Begriffe „indígena“ und „indio“ in den Parteischriften. So widmet sich etwa ein Vortrag Abimael Guzmáns von 1974 mit dem Titel „La Problemática Naciónal“ zwar der Analyse der „sociedad peruana actual“. In dem entsprechenden Abschnitt (aber auch im Rest der Rede) findet sich jedoch an keiner Stelle auch nur ein Hinweis auf die Situation der indigenen Bevölkerungsteile.142 Gleiches gilt für die beiden maßgeblichen Dokumente „Somos los Iniciadores“ vom August 1980 und „Que el Equilibrio Estratégico remezca más al 138 139 140 141 142

Starn (1995): Maoism, S. 399. Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 108f. Vgl. Mariátegui (1996): Ensayos, S. 35–49. Ibid., S. 35. Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1974): Problemática.

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País“ von 1991.143 Dagegen heißt es in einem 1991 veröffentlichten Artikel des semioffiziellen Sprachrohrs der Partei El Diario, in dem das erste Jahrzehnt des bewaffneten Kampfes gewürdigt wurde: „La guerra popular también puso en el tapete el problema de minorías o de razas sino como un problema de clases.“144

In einem „Sobre el problema de lo quechua y aymara“ betitelten Artikel derselben Ausgabe ist zu lesen: „El marxismo ya planteó con claridad: el problema de razas es en esencia un problema de clases, de lucha de clases.“145

Diese Beispiele belegen beispielhaft Starns oben zitierte Analyse, wonach im Weltbild des Leuchtenden Pfads die kulturelle und ethnische Vielfalt Perus einer einheitlichen und statischen marxistischen Universalperspektive weichen musste. Auch Carlos Iván Degregori zieht ein ähnliches Resümee, wenn er konstatiert: „de SL, cuyos documentos oficiales ignoran absolutamente la dimensión étnica y/o tienden a desechar de plano la revaloración cultural andina como „folclor“ o manipulación burguesa.“146 Ergänzend unterstreicht Roland Forgues, dass die (historische) Gesellschaftsanalyse des Leuchtenden Pfads allein auf Basis einer politischen Ideologie aufbaut und nicht etwa auf Vorstellungen, die eine Renaissance indigener oder gar inkaischer Gesellschaftsmuster zum Ziel hatten.147 Und Peter Johnson konstatiert: „Al no considerar las consecuensias de sus propias acciones sobre las vidas de todos los pueblos andinos, los senderistas bien podrían convertirse en el menos andino de los movimientos de la región.“148 Verschiedene Studien haben zeigen können, dass der Leuchtende Pfad zu Beginn seiner militärischen Kampagne von einer grundsätzlichen Sympathie der bäuerlichen Bevölkerung profitieren konnte. Auf Wohlwollen stieß anfänglich vor allem die Bereitstellung ursprünglich staatlicher Dienstleistungen wie etwa Bildung in Form der escuelas populares sowie die Etablierung eines strengen Ordnungssystems, das den moralischen und rechtlichen Vorstellungen vieler Gemeinden entgegenkam und das nicht nur die energische Bestrafung von Alkoholismus, Viehdiebstahl, Prositution und Landstreicherei, sondern 143 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1980b): Iniciadores und Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991a): Equilibrio. 144 El Diario (1991a): Remate. 145 El Diario (1991b): Problema. 146 Degregori (1989b): Dios, S. 20. 147 Vgl. Forgues (1988): Mesianismo, S. 128. 148 Johnson (1987): Continuidad, S. 747.

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auch die Ermordung wohlhabender Kaufleute und Landbesitzer umfasste.149 Gleichwohl machen dieselben Studien auch deutlich, dass das langfristige Unvermögen und der dauerhafte Unwille des Leuchtenden Pfads, die komplexen Lebens- und Kulturmuster der indigen-bäuerlichen Bevölkerung zu durchdringen und sie in das eigene Projekt zu integrieren, maßgeblichen Anteil an deren anwachsendem Widerstand gegen die Partei hatte. Es waren vor allem die zunehmende Anwendung übermäßiger Gewalt, die soziale und politische Neustrukturierung der Gemeinden nach den ideologischen Parteigrundsätzen sowie den wirtschaftlichen Interessen der Bauern entgegenlaufende Parteibestimmungen wie etwa die Beschränkung der eigenen landwirtschaftlichen Produktion auf Subsistenzniveau sowie die Schließung der regionalen Bauernmärkte, die die Bauernschaft in einen offenen Konflikt mit dem Leuchtenden Pfad brachten. Der bäuerliche Widerstand nahm bereits nach einigen Jahren gewaltsame Formen an und institutionalisierte sich zunehmend in Form der sogenannten rondas campesinas, deren Anzahl vor allem nach 1988 stark zunahm und die seit 1991 als comités de autodefensa auch gesetzlich sanktioniert waren. Hierbei handelte es sich um bewaffnete Schutzverbände bäuerlicher Gemeinden, die sich wirksam den Inkursionen und dem Machtanspruch des Leuchtenden Pfads entgegenstellten und erheblich zu dessen Niederlage in den Hochlandregionen beitrugen.150 Angesichts des deutlichen Widerstandes der bäuerlich-indigenen Bevölkerung gegen den Leuchtenden Pfad bleibt die Frage offen, weshalb es der Partei dennoch erfolgreich gelang, auch innerhalb der Bauernschaft Aktivisten und Mitglieder zu rekrutieren. Betrachtet man die Sozialstatistiken, bildete die Bauernschaft nach den Studenten die zweitgrößte Einzelgruppe innerhalb der Mitglieder. Innerhalb der Gruppe der von der Wahrheitskommission befragten inhaftierten senderistas lag der Anteil der Bauern mit 19,7 Prozent nur wenig unter dem der Studenten mit 22,2 Prozent.151 Und auch innerhalb der von Cynthia McClintock befragten Gruppe belegen die Bauern mit 18 Prozent den zweiten Platz hinter den Studenten.152 Ist es vielleicht möglich, dass ein Grundelement zur Erklärung dieses scheinbar widersprüchlichen Zustands in der Inkompati149 Vgl. Berg (1992): Responses, S. 96–98; Isbell (1992): Shining Path, S. 61f.; Coronel (1996): Violencia, S. 47 und del Pino (1998): Family, S. 161. 150 Zum wachsenden bäuerlichen Widerstand und der Etablierung der rondas campesinas vgl. Isbell (1992): Shining Path, S. 71–76; Coronel (1996): Violencia; del Pino (1996): Tiempos; Degregori (1996): Tempestades; Starn (1996): Senderos; Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 106–108 und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 288–304. 151 Vgl. Portugal (2008): Voices, S. 70. 152 Vgl. McClintock (1998): Movements, S. 271f.

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biliät zwischen dem politischen Ansatz des Leuchtenden Pfads und dem kulturellem Horizont der indigenen Bauernschaft selbst zu finden ist? Konnte die radikale Gleichheitsvorstellung des Leuchtenden Pfads, die die Gesellschaft nicht mehr nach ethnischen oder rassischen Gesichtspunkten, sondern durch den Filter politischer Kategorien betrachtete, in den Augen vieler möglicherweise einen Gesellschaftsentwurf bedeuten, der die bisherigen Ursachen (ethnischer) Benachteiligung verwarf und damit die bisherige Gesellschaftsordnung gleichsam auf den Kopf zu stellen versprach? In diese Richtung weisend, beschreibt Nelson Manrique die Motivationslage vor allem der jungen Bauerngeneration: „Para los cuadros que recluta [Sendero Luminoso, SCW] lo que está en juego no son simplemente reivindicaciones económicas, la demanda de derecho al trabajo o el reconocimiento de sus derechos políticos formales. Lo que los moviliza es algo mucho más profundo: la reivindicación de su plena humanidad, negada por el racismo erigido en una forma de relación social cotidiana que expresa la persistencia de estructuras de carácter colonial que, a pesar de los cambios experimentados por la sociedad peruana durante las últimas décadas, no han sido removidas.“153 Folgt man dieser Interpretation, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich viele der aus der Bauernschaft rekrutierte Aktivisten und Mitglieder des Leuchtenden Pfads nicht mehr als Bauern, Indigene oder sogenannte cholos sahen und auch nicht mehr als solche eingestuft werden wollten. Der alle ethnischen Kategorien aufhebende Diskurs des Leuchtenden Pfads mag somit diejenige Gleichheit angeboten haben, die Staat und Verfassungswirklichkeit nicht einzulösen imstande waren. Aus dieser Perspektive betrachtet, konnte der Leuchtende Pfad zu einem Vehikel sozialer Emanzipation werden. Die Rolle der Gewalt für den Leuchtenden Pfad

Wenngleich sämtliche am bewaffneten Konflikt beteiligten Gruppen, wie etwa Polizei, Geheimdienst, Militär, bewaffnete Bauernverbände und paramilitärische Einheiten, für den stetigen Anstieg der Gewalt verantwortlich zeichneten und oft eine willkürliche und zügellose Gewaltbereitschaft bewiesen, sticht das Gewaltverständnis des Leuchtende Pfad in besonderer Weise hervor.154 Innerhalb der Ideologie der Partei nahm Gewalt einen zentralen und sonderbar ver153 Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 341. 154 Wie die Wahrheitskommission feststellt, waren neben dem Leuchtenden Pfad vor allem die staatlichen Sicherheitskräfte für die hohe Anzahl von Todesopfern in der Zivilbevölkerung verantwortlich, vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Anexo 3.

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herrlichten Platz ein, was in der Praxis dazu führte, dass sich die Gewaltakte des Leuchtenden Pfads durch besondere Brutalität und Kaltblütigkeit auszeichneten. Wie aus Dokumenten hervorgeht, war die Partei bereit, eine Million Opfer in Kauf zunehmen, um ihre politischen Ziele zu erreichen.155 Die Ausrufung des bewaffneten Kampfes stellte aus Sicht des Leuchtenden Pfads den historisch legitimierten und auch einzig möglichen Weg dar, das bestehende Ordnungssystem und die dieses System tragenden Klassen zu stürzen sowie die sogenannte Nueva Democracia – oder auch República Popular del Perú – zu etablieren.156 Dass die Partei die Notwendigkeit eines gewaltsamen Umsturzes postulierte, kann zunächst nicht überraschen, gehört eine solche Ansicht doch zur ideologischen Grundausstattung der meisten revolutionären Bewegungen. Wie aufgezeigt, wurde die Frage der Gewaltanwendung auch innerhalb der politischen Linken Perus bis über den demokratischen Neubeginn 1980 hinaus noch heftig diskutiert. Von besonderer Bedeutung für das Gewaltverständnis des Leuchtenden Pfads ist dagegen der Umstand, dass Gewalt nicht allein als bloßes Instrument zur Machtergreifung begriffen wurde. In dem „Jahrhundert-Interview“ aus dem Jahr 1988 beschrieb Guzmán unter Berufung auf Mao die Rolle der Gewalt: „la violencia es una ley universal sin excepción alguna, quiero decir la violencia revolucionaria; esa violencia es la que nos permite resolver las contradicciones fundamentales con un ejército y a través de la guerra popular.“157

An anderer Stelle des Interviews, nun Mariátegui anführend, stellte er fest: „el Poder se conquista con la violencia y se defiende con la dictadura, la revolución es el parto sangriento del presente.“158

Eine solche Betrachtungsweise entzog der Gewalt ihren rein instrumentellen Charakter und verlieh ihr den Rang eines übergeordneten, universellen und unmissverständlichen Gesetzes, das den zentralen Ausgangspunkt revolutionären Handelns darstellte. Nelson Manrique bemerkt in diesem Sinne: „En la línea de Sendero existe una absolutación de la violencia que tiñe completamente su visión de las cosas, inclusive de la utopía social que propone. La violencia termina así elevada a la categoría de un fin y no asumida simplemente como un medio. Acaba siendo el verdadero eje organizador de la sociedad futura, hasta la defi155 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1992): Informe und Hinojosa (1992): Poder, S. 83. 156 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1978): Ilusiones, S. 97 und Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1980b): Iniciadores, S. 163–165. 157 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista. 158 Ibid.

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nitiva liquidación del capitalismo, a escala planetaria“.159 Diese Lesart erlaubte es, eine Diskussion über die Legitimität von Gewalt zu vermeiden. Stattdessen wurde die einfache Gleichung von gerechter und ungerechter Gewalt aufgestellt, wobei erstere vom Leuchtenden Pfad und letztere vom Staat angewandt wurde. So hieß es in einem Parteidokument von 1991: „pero guerras revolucionarias que por fin acaben con todos los sistemas de explotación, en rumbo definitivo de la humanidad hacia su verdadera libertad: y la violencia que pregonamos los proletarios, los comunistas como vanguardia de la clase, no necesitamos justificarla ni mentimos sobre su necesidad [...]. Nosotros si somos capaces de proclamar ante el mundo „La rebelión se justifica!“. Así que esas fementidas palabras de olor a incienso encubren realidades para atacar la violencia revolucionaria justa, correcta y necesaria y defender la violencia contrarrevolucionaria, injusta, errónea, defensora de la explotación y la opresión.“160

Eine derartig offene Umarmung der Gewalt und deren Einordnung als ein historisch legitimiertes und notwendiges Instrument, ohne das die Macht nicht zu gewinnen sei, bildeten die theoretischen Fundamente für die zunehmenden konkreten Gewaltakte der revolutionären Praxis und die massenhaften Ermordungen politischer Gegner, Funktionsträger und Repräsentanten des Staates. Wer zu den Gegnern der Partei gehörte, entschied naturgemäß allein der Leuchtende Pfad, sodass der Kreis stetig um Journalisten, Entwicklungshelfer, Bauernanführer u. a. anschwoll. Als eine Notwendigkeit des Klassenkampfes wurde die Auslöschung des Gegners mit äußerster Grausamkeit durchgeführt, wobei dem Opfer zugleich jegliche humane Qualität abgesprochen wurde. So beschrieb der Leuchtende Pfad seine Gegner oft als „dreckig“, „übel riechend“, „Parasiten“, „Krebsgeschwüre“ oder „Reptilien“.161 Auf Fragen von Journalisten, weswegen politische Opponenten umgebracht wurden, antworteten inhaftierte Parteimitglieder: „Los matamos porque traicionan la causa del pueblo. [...] Esos sirven a la contrarrevolución. A esos individuos no les queda otro camino que ser ejecutados. […] Eso es justicia, pues; la justicia tiene un sentido de clase. Por eso ajusticiamos a esa gente. Es justo, es correcto, es necesario. Además esto es una revolución, sencillamente será aplastado como un insecto más, así es.“162

Ermordungen durch die justicia popular wurden meist mit der vermeintlichen Korruption der Opfer erklärt, ohne dass diese Vorwürfe aber substanziell untermauert wurden: 159 160 161 162

Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 119. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991b): Colinas S. 51. Vgl. Starn (1995): Maoism und del Pino (1998): Family, S. 163. Zitiert nach Ansión (1990): Sendero, S. 126.

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„de los ejecutados por la justicia popular nadie puede decir que sean representantes populares porque lo que define no es la procedencia sino la posición de clase y la actitud hacia la revolución; todos han sido desenmascarados por traidores y hasta saqueadores de los productos magros que las organizaciones ya casi estaban dejando de dar, que por lo demás sirven a formar el colchón de lacayos y votantes ayayeros.“163

Neben politischen Aktivisten geriet aber auch die Zivilbevölkerung zunehmend in die Schusslinie des Leuchtenden Pfads. Einfache Bauern, die den höchsten Blutzoll des bewaffneten Konflikts zu entrichten hatten, konnten in seinen Augen sehr schnell als Verräter oder Überläufer gelten und damit zu Feinden der Revolution werden. Es war diese soziale Gruppe, anhand derer der Leuchtende Pfad deutlich machte, welchen weiteren Zweck Gewalt noch besitzen konnte: Nach der Ermordung von 80 Einwohnern der Ortschaft Lucanamarca durch Kämpfer des Leuchtenden Pfads im April 1983 stellte Abimael Guzmán in seinem Interview aus dem Jahr 1988 dieses Massaker als die Antwort seiner Organisation auf den Einmarsch des Militärs und des von diesem begonnenen Genozids an der Zivilbevölkerung dar: „Frente al uso de mesnadas y la acción militar reaccionaria respondimos contundentemente con una acción: Lucanamarca, ni ellos ni nosotros la olvidamos, claro, porque ahí vieron una respuesta que no se imaginaron, ahí fueron aniquilados más de 80, eso es lo real; y lo decimos, ahí hubo exceso, como se analizara en el año 83, pero toda cosa en la vida tiene dos aspectos: nuestro problema era un golpe contundente para sofrenarlos, para hacerles comprender que la cosa no era tan fácil; en algunas ocasiones, como en ésa, fue la propia Dirección Central la que planificó la acción y dispuso las cosas, así ha sido. Ahí lo principal es que les dimos un golpe contundente y los sofrenamos y entendieron que estaban con otro tipo de combatientes del pueblo, que no éramos los que ellos antes habían combatido, eso es lo que entendieron; el exceso es el aspecto negativo. [...] Si a las masas les vamos a dar un conjunto de restricciones, exigencias y prohibiciones, en el fondo no queremos que las aguas se desborden; y lo que necesitábamos era que las aguas se desbordaran, que el huayco entrara, seguros de que cuando entra arrasa pero luego vuelve a su cauce. [...] Pero, insisto, ahí lo principal fue hacerles entender que éramos un hueso duro de roer, y que estábamos dispuestos a todo, a todo.“164

Diese Äußerung ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Zunächst ist sie ein Beleg dafür, dass Gewalt auch als Kommunikationsmittel eingesetzt wurde, die militärisch-taktische Bedeutung dabei nachrangig sein konnte und Opfer als Mittel zum Zweck verstanden wurden. Darüber hinaus, darauf weist auch Nelson Manrique hin, gibt Guzmán an dieser Stelle offen zu, dass die Führungsebene, und das schließt ihn natürlich ein, direkt für das Verbrechen in 163 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991b): Colinas, S. 32. 164 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988c): Entrevista.

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Lucanamarca verantwortlich war („fue la propia Dirección Central la que planificó la acción y dispuso las cosas“). Damit ist klar, dass Gewaltexzesse nicht allein den unteren oder mittleren Kadern zuzuschreiben waren, sondern auch von der Spitze geplant und angeordnet wurden. Jeremy Weinsteins These, dass der Leuchtende Pfad erhebliche Hemmungen bei dem Einsatz von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung hatte, muss angesichts der Ereignisse von Lucanamarca und anderen Ortschaften sowie der von der Wahrheitskomission ermittelten Opferzahlen verwundern.165 Stattdessen hält Cynthia McClintoh richtig fest: „Sendero killed not only routinely, but savagely.“166 In Gesprächen mit Mitgliedern der Wahrheitskommission bestätigten Guzman und weitere Anführer wie etwa Osmán Morote und Elena Iparraguirre ihre Verantwortung für die Ereignisse in Lucanamarca, wobei Morote und Iparraguirre von einem Fehler bzw. von Exzessen sprachen.167 Gewalt, so die Ausgangsaussage des Leuchtenden Pfads, war das einzige Mittel, um die Macht zu erlangen. Dies bedeutete jedoch nicht, dass der Sieg der Revolution auch das Ende der Gewalt einläuten würde. Dem chinesischen Beispiel folgend, das als „más grande proceso político de la humanidad“168 gefeiert wurde, sollten permanente Kulturrevolutionen das Erbe der siegreichen Revolution gegen das Wiedererstarken der Systemgegner absichern. Kulturevolutionen dienten, so die Bases de Discusión von 1988, „para continuar la revolución bajo la dictadura del proletariado, para someter y eliminar toda generación de capitalismo y combatir también con las armas los afanes de restauración capitalista, sirve a fortalecer la dictadura del proletariado y a marchar al Comunismo.“169

Es wird deutlich, dass Gewalt gemäß dieser Konzeption ein konstitutives Merkmal des zukünftigen Ordnungssystems bilden sollte, das der Partei auch weiterhin das Monopol über die einzig richtige Linie sowie die Kontrolle über ihre Gegner garantierte.170 Der Gewaltdiskurs des Leuchtenden Pfads, vor allem jedoch sein gewaltsames und häufig außerordentlich brutales Vorgehen gegen die ländliche Zivilbevölkerung sowie gegen Repräsentanten von Staat, Politik, Industrie und Zivilgesellschaft symbolisierten auf dramatische Weise dessen tiefe Verachtung nicht 165 166 167 168 169 170

Vgl. Weinstein (2007): Rebellion, S. 14. McClintock (1998): Movements, S. 68. Vgl. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 7, S. 45. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991a): Equilibrio. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases, S. 309f. Vgl. auch die Ausführungen zur chinesischen Kulturrevolution in: Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1990): Elecciones.

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nur gegenüber der politisch-institutionellen Ordnung des Staates, sondern auch gegenüber den Rechts- und Wertenormen der Gesellschaft. Betrachtet man Gewaltakte als massiven Einbruch in die physische, psychische, moralische, aber auch rechtliche Autonomie des Individuums, lässt sich am Grad der Gewalt des Leuchtenden Pfads exemplarisch auch dessen Bewertung des Charakters und des Stellenwertes der Menschenrechte ablesen. Die Verfassung von 1979 hatte alle klassischen bürgerlichen Freiheitsrechte verankert, wenngleich die peruanische Verfassungswirklichkeit und staatliches Handeln auch nach der Re-Demokratisierung massive rechtsstaatliche Defizite und gröbste Verstöße der Menschrechte aufwiesen. In den Augen des Leuchtenden Pfades jedoch dienten die Freiheitsrechte nicht nur als mögliche Rechtfertigung einer etwaigen militärischen oder politischen Intervention der USA in Peru, sondern sie galten ihm auch als Ausdruck eines bourgeoisen, das Privateigentum in den Mittelpunkt stellenden, reaktionären Systems: „La concepción marxista-leninista-maoísta, pensamiento gonzalo nos hace comprender el carácter burgues reaccionario, contrarrevolucionario de los llamados Derechos Humanos (DDHH) que tanto se manipulan hoy en el mundo, y cómo entender los derechos del pueblo.“171

An die Stelle des bürgerlichen Freiheitskataloges stellte der Leuchtende Pfad stattdessen eine von Mao konzipierte Freiheitsdefinition, die weder in der Theorie noch in der Praxis Spielräume für Anhänger der Freiheit bot: „En realidad, en el mundo sólo hay libertad y democracia concretas, y no existen libertad ni democracia abstractas. En una sociedad donde existe lucha de clases, si hay libertad para que las clases explotadoras exploten al pueblo trabajador, no hay libertad para que éste no sea explotado; si hay democracia para la burguesía, no la hay para el proletariado y el resto del pueblo trabajador. [...] Tanto la democracia como la libertad son relativas y no absolutas, han surgido y se desarrollan en el curso de la historia. En el seno del pueblo, la democracia es correlativa con el centralismo, y la libertad, con la disciplina. Son dos aspectos opuestos de un todo único, contradictorios y a la vez unidos. [...] Tal unidad de democracia y centralismo, de libertad y disciplina, constituye nuestro centralismo democrático. Bajo este sistema, el pueblo disfruta de una democracia y una libertad amplia, pero al mismo tiempo debe mantenerse dentro de los limites de la disciplina socialista. Esta verdad la comprenden bien las grandes masas populares.“172

Das Zitat zeigt deutlich die autoritäre Auslegung dessen, was nach der Vorstellung des Leuchtenden Pfads als wirkliche Freiheit aufgefasst wurde: Freiheit innerhalb der parteipolitischen Disziplin, die ihrerseits allein durch den 171 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991b): Colinas, S. 39. 172 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1990): Elecciones.

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Leuchtenden Pfad definiert wurde. Die Missachtung jeglicher Menschenrechte stellte nach Auffassung einiger Beobachter eine lateinamerikanische Singularität dar. So bemerkt Carlos Basombrío: „Shining Path´s profound disregard for human life – its contempt, in both theory and practice – for the discourse of human rights, and its refusal to ascribe to the norms and principles of International Humanitarian Law rendered it unique on the continent.“173 Wie wenig der Leuchtende Pfad etwa auch eine pluralistische Meinungsfreiheit zu tolerieren gewillt war, entlarvt der im obigen Textauszug erwähnte Begriff des „centralismo democrático“, der der chinesisch-maoistischen Terminologie entliehen wurde. Der „demokratische Zentralismus“ stellte eine zentrale Säule des revolutionären Gegenentwurfs zur bürgerlichen Ordnung und ein konstitutives Organisations- und Führungsmerkmal des Leuchtenden Pfads dar. Die innere Gegensätzlichkeit dieses Begriffspaares, das zentral gesteuerten Meinungs- und Führungsanspruch mit demokratischer Wahl- und Meinungsfreiheit zu versöhnen suchte, wurde zwar erkannt, jedoch schnell gelöst: „El gobierno está organizado según el centralismo democrático, el Presidente Mao nos dice que es una contradicción. En nuestro caso ambos aspectos son necesarios; la base es la democracia, la directriz es el centralismo. Debemos persistir en el centralismo democrático para desarrollar el Nuevo Estado y que se exprese más la democracia. [...] En una guerra justa el centralismo democrático es una necesidad, sirve al pueblo y tiene la aprobación del pueblo. Cuanto más democrático es el gobierno más democráticamente puede llevar adelante la guerra popular, por eso es fundamental que desarrollemos la democracia popular. Clave es desarrollar la democracia, indispensable para nuestro rumbo: la conquista del Poder.“174

Trotz seiner Ablehnung der allgemein akzeptierten Konzeption der Menschenund Freiheitsrechte nutzte der Leuchtende Pfad die Menschrechte seinerseits als Kampfargument gegen den peruanischen Staat und dessen Einrichtungen. Dabei gab er unumwunden die diskursive Instrumentalisierung der Menschenrechte zu: „Partimos de que no nos adscribimos a la Declaración Universal de los Derechos Humanos, tampoco a la de Costa Rica; pero sí utilizamos sus dispositivos legales para desenmascarar y denunciar al Viejo Estado peruano, a sus instituciones y organismos, a sus autoridades, comenzando por quien lo encabeza, funcionarios y subordinados que los violan negando sus propios compromisos internacionales.“175

Diese Einstellung zeigt, dass der Leuchtende Pfad trotz starren Festhaltens an den eigenen politisch-ideologischen Grundsätzen immer wieder in der Lage 173 Basombrío Iglesias (1998): Sendero, S. 426. 174 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991a): Equilibrio. 175 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1991b): Colinas, S. 12.

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war, gegnerische Positionen und Argumente nicht nur wahrzunehmen, sondern diese in das eigene politische Repertoire aufzunehmen, um sie so zum eigenen Vorteil zu nutzen. Wenngleich die tiefe Verachtung des Staates sowie die krasse Missachtung der Menschenrechte in denn allergrößten Teilen der Bevölkerung die Delegitimierung des Leuchtenden Pfads beschleunigte, sollte nicht ausgeschlossen werden, dass dies für bestimmte Bevölkerungsteile Perus nicht oder nur eingeschränkt galt. Bei den verfassungsmäßig garantierten Menschrechten der Verfassung von 1979 handelte es sich um die individuellen Freiheitsrechte und Gleichheitsgarantien der sogenannten ersten Generation der Menschenrechte. Menschrechtskonzeptionen der zweiten und dritten Generation, wie z. B. wirtschaftliche und soziale Rechte, die etwa das Recht auf Bildung garantieren, oder Kollektivrechte, die das Recht auf Entwicklung sichern, fanden dagegen keine Berücksichtigung. Doch bereits die Verfassungspraxis der 1970er-Jahre und vor allem die massiven staatlichen Menschenrechtsverstöße im Rahmen des bewaffneten Kampfes machten deutlich, dass Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit weit auseinanderklafften und die Menschenrechte für weite Teile der Bevölkerung nur außerordentlich eingeschränkt wirkten. Der Staat konnte daher aus Sicht bestimmter sozialer Bevölkerungsteile nicht mehr als Bewahrer der eigenen Menschen- und Bürgerrechte, sondern als deren Totengräber erscheinen. Die sich dramatisch verschlechternde wirtschaftliche Lage der 1980er-Jahre verstärkte eine solche Sichtweise möglicherweise zusätzlich. Viele Dokumente des Leuchtenden Pfads warfen dem Staat vor, aufgrund von Elend und Hunger für mehr Todesopfer verantwortlich zu sein als er selbst. Immer wieder wurden die Regierungen deswegen als hambreador oder genocida bezeichnet: „El 85, dijimos que el nuevo gobierno sería mas hambreador y mas genocida, hoy el hambre corroe y devora a la clase y al pueblo; y en tanto que, tomando los datos de la llamada „Comisión de pacificación“ del Senado, el gobierno de Belaúnde ensangrentó el país con 5,880 muertos, el actual lo ha empapado con la sangre de 8,504 en el período del 85 al 86 y con la de 3,198, en 1989; se ha cumplido, pues, lo previsible y, concretamente, el gobierno aprista de García Pérez es el mas hambreador y mas genocida de la historia peruana el pueblo no lo olvidará jamas!“176

Wie wir sahen, wurde die Parteimitgliedschaft immer wieder mit dem Verweis auf Armut, Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Elend begründet, für die die Befragten den Staat verantwortlich machten. Vor diesem Hintergrund konnten die Ablehnung des Staates und der Menschenrechte sowie deren Einordnung als bourgeoises Machtinstrument der sozialen Eliten durch den Leuchtenden 176 Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1990): Elecciones.

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Pfad durchaus einer weitverbreiteten Realitätsanalyse entsprechen. In der Konsequenz kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Menschenrechtsdiskurs des Leuchtenden Pfads auf Gruppen, die sich der elementarsten Menschenrechte beraubt fühlten, nicht abstoßend oder unwahr wirkte, sondern schlüssig und attraktiv.

Schlussbetrachtung Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Überlegung, dass die Entstehung und Entwicklung des militärischen Konflikts in Peru zwischen 1980 und 1993 mit den bisher dominierenden Erklärungsmodellen zur Entstehung und zum Verlauf von Revolutionen nur unzureichend verstanden werden können. Diese Modelle heben in erster Linie auf strukturalistische Phänomene ab und erklären Revolutionen mit Hinweisen etwa auf den jeweiligen Regierungstyp oder existierende Disparitäten in der Land- und Einkommensverteilung einer Gesellschaft. Dagegen wird die Rolle der Revolutionäre und ihres Handelns als nachrangiges Element aufgefasst, das ohne grundlegende Auswirkungen auf den Fluss der Ereignisse bleibt. Blickt man auf das Peru des Jahres 1980 waren die Voraussetzungen für eine revolutionäre Bewegung der Struktur nach aber gar nicht gegeben: Ökonomisch war in den Jahren zuvor mit der Bodenreform einer der gesellschaftlichen Hauptwidersprüche prinzipiell aufgelöst; politisch beherrschte kein repressives, diktatorisches Regime, sondern ein demokratischer Neuanfang das Land. Trotz dieser schwachen strukturellen Bedingungen gelang es dennoch einem politischen Akteur, dem Leuchtenden Pfad, einen erbittert geführten bewaffneten Kampf auszulösen, der den peruanischen Staat an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen drohte. Wieso konnte dies einer bis 1980 nahezu unbekannten regionalen Splitterpartei gelingen? Wie die Arbeit aufgezeigt hat, waren es die besonderen organisatorischen und ideologischen Wesensmerkmale des Leuchtenden Pfads, die im Zusammenspiel mit den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die hinreichenden Voraussetzungen für den Beginn und den Verlauf seines militärischen Unterfangens schufen. Für das peruanische Fallbeispiel erschien es daher notwendig, die Aussagekraft strukturalistischer Erklärungsmodelle neu zu bewerten und sie durch andere theoretische Konzepte zu ergänzen, die dem Akteurshandeln eine deutlich größere Bedeutung zuweisen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, auf die der Leuchtende Pfad seit seiner Gründung 1970 stieß, mehr als nur ein deutlich vernehmbares Hintergrundrauschen waren: Sie bildeten die notwendigen Voraussetzungen für die Expansion der Partei. Die ökonomische Misere, die nachhaltige Auflösung der politischen Parteien, die massiven Verschiebungen innerhalb der sozialen Textur sowie der schleichende Zerfall der staatlichen Integrität erleichterten die Herausbildung einer bewaffneten Opposition und halfen dabei, deren organisatorische Schwächen zu kompensieren. Aber erst Zusammentreffen dieser Faktoren mit einer zur militärischen Auseinandersetzung entschlossenen sowie organisations- und mobilisierungsfähigen

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Schlussbetrachtung

Organisation schuf die ausreichenden Voraussetzungen für den Beginn des bewaffneten Kampfes. Seit seiner Gründung hatte sich der Leuchtende Pfad auf den Beginn seines gewaltsamen Widerstands vorbereitet und bis 1980 die dafür notwendigen ideellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen. Dem Leuchtenden Pfad gelang es, ein ausreichendes Maß materieller Ressourcen zu mobilisieren, um seinen bewaffneten Kampf dauerhaft gegen einen schwachen Staat führen zu können. Gleichzeitig war er in der Lage, seine organisatorische Kohäsion bis zur Verhaftung Abimael Guzmáns im September 1992 zu wahren und seinen Mitgliedern feste ideelle und ideologische Leitlinien vorzugeben, die das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie die Disziplin der Mitglieder enorm stärkten. Sämtliche anderen Parteien der politischen Linken hatten dies trotz ihres sorgfältig gepflegten Revolutionsdiskurses und gleicher struktureller Rahmenbedingungen nicht erreicht. Es kann daher als sehr wahrscheinlich gelten, dass es ohne den Leuchtenden Pfad keinen militärischen Konflikt im Peru der 1980er- und frühen 1990er-Jahre gegeben hätte. Diese Annahme wird durch Aussagen von Mitgliedern des MRTA unterfüttert, denen zufolge die in späteren Jahren gegründeten Gewaltverbände in erster Linie eine Antwort auf das Handeln des Leuchtenden Pfads und nicht auf die politischen oder ökonomischen Zustände des Landes waren. Die Ergebnisse des peruanischen Fallbeispieles bleiben für die theoretische Debatte nicht ohne Folgen. So zeigt sich, dass Jeff Goodwins strukturalistisch gefärbtes Diktum „no states, no revolution“1 zu kurz greift und um die akteursbezogene Feststellung „keine Revolutionäre, keine Revolution“ ergänzt werden muss. Es scheint, dass die paradigmatische Konkurrenz zwischen Struktur und Handeln den Erkenntnisgewinn über die Entstehungsursachen und Verlaufsformen revolutionärer Bewegungen erheblich einschränkt. Deutlich fruchtbarer erscheint es, beide Ansätze als wechselseitig anschlussfähig zu begreifen. Erste Vorschläge zu einer konzeptionellen Versöhnung beider Perspektiven, etwa unter dem Begriff der contentious politics, liegen bereits vor. Die vorliegende Arbeit hat versucht, einen Beitrag zur weiteren Entwicklung eines verbesserten, einheitlichen Ansatzes zu leisten. Fassen wir deshalb noch einmal zusammen, wie Struktur und Handeln im Falle des Leuchtenden Pfads zusammenspielten.

Die politischen Parameter

Die junge peruanische Demokratie wies erhebliche Defizite auf, die dazu beitrugen, die politische Unzufriedenheit der Bevölkerung zu schüren und den 1

Goodwin (2001): Way, S. 40; kursiv im Original.

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Kampf des Leuchtenden Pfads zu erleichtern. Vier Aspekte scheinen dabei von besonderer Bedeutung zu sein: die fortgesetzte Selbstdelegitimierung der politischen Parteien, der Zerfall der staatlich-administrativen Institutionen, das gespaltene Verhältnis der politischen Linken zum Leuchtenden Pfad und die daraus resultierende Aufwertung des Leuchtenden Pfads innerhalb radikaler Kreise. Wie im zweiten Kapitel dargelegt, erlebten die klassischen Parteien Perus, die Acción Popular, die Izquierda Unida, die Alianza Popular Revolucionaria Americana und der Partido Popular Cristiano, seit den Wahlen von 1980 einen beispiellosen Niedergang, der diese Parteien mit Ausnahme der APRA in die politische und gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit führte. An ihre Stelle traten seit dem Ende der 1980er-Jahren zunehmend Personen und Bewegungen, die als politische Outsider zwar den gesellschaftlichen Wunsch nach neuen, unverbrauchten Akteuren erfüllten, die aber in der Regel über keine politischadministrative Erfahrung verfügten und deren demokratische Grundhaltung häufig fraglich war. Begründet wurde diese Entwicklung maßgeblich durch die Unfähigkeit der Parteien, die gewaltigen politischen und sozioökonomischen Probleme des Landes unter Kontrolle zu bekommen, und durch ihren Unwillen, eine konstruktive, vermittelnde Rolle zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft zu übernehmen. Mit Ausnahme der ersten beiden Regierungsjahre Alan Garcías war die Politik zudem nicht imstande, dem Land ein glaubhaftes Zukunftsversprechen zu machen, das das Vertrauen in ihre Gestaltungs- und Führungskraft dauerhaft hätte mobilisieren können. Stattdessen lähmten Flügel- und Strömungskämpfe die interne Kohäsion und die eigene Durchschlagskraft. Die Klientelpolitik sowie zahlreiche Finanz- und Korruptionsskandale verstärkten das öffentliche Bild der Parteien als unfähige und von Partikularinteressen geleitete Akteure. Zusätzlich erwiesen sich die Parteien weder als koalitionsfähig nach außen noch als versöhnungswillig nach innen. Die politischen Auseinandersetzungen waren oftmals geprägt von erheblichen ideologischen Gegensätzen, persönlichen Vorwürfen, mangelnder Kompromissfähigkeit und, etwa im Wahlkampf von 1990, dem Einsatz von sich im rechtlichen Graubereich bewegenden Instrumenten – sachorientierte und konstruktive Debatten wurden dadurch weitgehend unmöglich. In der Folge waren die politischen Eliten weder willens noch in der Lage, eine geschlossene, parteiübergreifende Front gegen den Leuchtenden Pfad zu bilden – gleichwohl schlossen sich aber auch keine signifikanten Elitengruppen den Revolutionären an! Eine besondere Rolle kam seit den 1970er-Jahren der politischen Linken zu. An ihren Voraussetzungen gemessen hatte zunächst vieles auf deren erfolgreiche politische Zukunft hingedeutet, die in der Übernahme der Regierungsverantwortung am Ende der 1980er-Jahre ihren Höhepunkt hätte erreichen können.

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In Opposition zum Militärregime massiv erstarkt, hatte die politische Linke während der 1970er-Jahre eine Führungsrolle beim Übergang zur Demokratie innegehabt. Die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung von 1978 bestätigten ihre starke gesellschaftliche Verankerung und, von einem Rückschlag bei den Präsidentschaftswahlen von 1980 abgesehen, konnte sie sich auch in den 1980er-Jahren als einer der einflussreichsten politischen Akteure etablieren. Dabei halfen ihr charismatische und politisch erfahrene Führungspersönlichkeiten sowie feste ideologische Grundlagen. In zahlreichen Gemeinden, Städten und Regionen übernahm die Linke Regierungsverantwortung und zeigte sich in der Lage, pragmatisch und verantwortungsvoll zu regieren. Der Einzug in den Präsidentenpalast im Zentrum Limas blieb ihr jedoch durchweg versperrt. Dies lag nicht zuletzt daran, dass auch sie ihren Teil zum Bedeutungszerfall der Parteienlandschaft leistete. Wie kein anderes politisches Lager charakterisierte sich die Linke durch massive interne Grabenkämpfe zwischen einer radikalen und einer moderaten Strömung. Während sich die moderaten Kräfte für die aktive Teilnahme am parlamentarischen Prozess aussprachen und dabei auch punktuelle, sachorientierte Koalitionen mit dem politischen Gegner, namentlich der APRA, nicht ausschlossen, haderten die radikalen Linksaktivisten bereits seit dem Ende der 1970er-Jahre mit dem demokratischen System und hielten lange an der Idee des bewaffneten Kampfes als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung fest. Ihre heftigen politisch-ideologischen Gegensätze und ihre mangelnde organisatorische Kohärenz hinderten die Linke daran, tragfähige politische Antworten für eine zunehmend komplexer werdende Realität zu formulieren. Ihre nur zögerliche Abgrenzung vom bewaffneten Kampf des Leuchtenden Pfads diskreditierte sie zugleich in weiten Teilen der Mittelklasse. Dem Zerfall der Parteien ging die Erosion der staatlichen Institutionen parallel. Wie im zweiten Kapitel dargestellt, erodierte die administrative und infrastrukturelle Handlungsfähigkeit des Staates zunehmend. So verharrte etwa die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Kranken- und Sozialversicherungssystems konstant auf einem nur unzureichenden Niveau, das besonders die adäquate Versorgung der Landbevölkerung nicht zu garantieren vermochte. Die teilweise Aufgabe des Gewaltmonopols und die ansteigende Anzahl der organisierten Gewaltverbände leisteten der Eskalation des bewaffneten Konflikts zusätzlichen Vorschub. Gleichzeitig büßten wichtige Institutionen wie etwa der Kongress, der Justizapparat und das Sozialversicherungssystem im Lauf der 1980er-Jahre erheblich an gesellschaftlichem Ansehen und Vertrauen ein. Vor diesem Hintergrund wuchsen in weiten Teilen der Bevölkerung erhebliche Zweifel an der Tragfähigkeit und der Legitimität des politischen Systems. Zwar weist Cynthia McClintock darauf hin, dass Peru zwischen 1980 und 1992 zwar die formalen Anforderungen der Politikwissenschaften erfüllte, um als Demokratie aner-

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kannt zu werden. Die subjektive Auffassung der Bevölkerung war dagegen eine völlig andere: In einer Umfrage von 1990 bezeichneten lediglich 38 Prozent der Befragten Peru als sehr (mucho) bzw. ziemlich (bastante) demokratisch.2 Die weitgehend fehlende öffentliche Resonanz auf den autogolpe durch Alberto Fujimori im April 1992 kann als Hinweis auf den hohen Erosionsgrad der gesellschaftlichen Verankerung der Demokratie in Peru aufgefasst werden. Aus diesen Rahmenbedingungen wusste der Leuchtende Pfad wirksam seinen Vorteil zu ziehen, indem er die sich ihm bietenden politischen und geographischen Räume genau identifizierte und das gesellschaftliche Vertrauen in den Staat und seinen politisch-moralischen Führungsanspruch weiter destabilisierte. So nutzte er auf lokaler Ebene die existierenden Fissuren in der durch die heftigen Auseinandersetzungen und die mangelnde Kooperationsbereitschaft der politischen Parteien ohnehin brüchigen sozialen Textur für seine Expansion. Es gelang dem Leuchtenden Pfad, die zwischen seinen politischen Gegnern existierenden Spannungen gezielt durch Korruptionsvorwürfe und Unterwanderungen zu verstärken und das politisch-gesellschaftliche Umfeld durch Sprengstoffanschläge, Ermordungen und Morddrohungen weitgehend zu lähmen.3 Wie das Beispiel der untersuchten Akademie César Vallejo zeigt, war die Partei in der Lage, Vereine, Gewerkschaften oder auch schulische und universitäre Verwaltungen zu unterwandern und deren Handlungsfähigkeit gezielt zu sabotieren bzw. für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Wie aus eingesehenen Quellen hervorgeht, teilte die Partei soziale Organisationen offensichtlich in verschiedene Kategorien ein, die ein jeweils unterschiedliches Vorgehen erforderten. In einer Ansprache vor Anführern des in Lima operierenden Parteikomitees Socorro Popular erklärte Abimael Guzmán persönlich, wie Fremdorganisationen unterwandert und umgesteuert werden sollten: „El problema de organismos rojos, grises y amarillos o blancos. Los rojos ya sabemos cuáles son, ahí trabajamos porque están al amparo del Partido, pero hay que trabajar en los grises y en los amarillos. ¿Cómo se trabaja en los grises? Se trabaja de esa manera: penetran los camaradas o los compañeros y ahí se enteran de cómo marcha la institución, cuáles son sus reglamentos, sus objetivos, etc., conocen, observan quién es quién, de acuerdo con eso busca defender los intereses de la mayoría, del pueblo dentro de las cosas que ellos plantean, dentro de los objetivos de la institución, porque si voy a entrar y a cambiar de frente ¡cómo me van a aceptar, pues! [...] entonces comienza a preparar, ve cómo intervienen las personas, y así comienza a encontrar personas que piensan similarmente y a esos que son similares les plantea cómo hacer, cómo enjuiciar, cómo ver, sin decir que es del Partido, entonces en las reuniones se plantea lo que más 2 3

Vgl. McClintock (1998): Movements, S. 155 und S. 369, Fußnote 293. Vgl. Burt (2007): Violence und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 294–313 und S. 327–350.

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conviene; y cómo se desenmascara a dirigentes oportunistas? Simplemente planteando qué cosas serían convenientes y llevándolos a que las asuman pero como los oportunistas son demagogos entonces las asuman pero después no las cumplen, allí se exige balance y se desenvuelve su enjuiciamiento y así los vamos socavando hasta que ya bien desenmascarados capturamos la dirección. Luego seguimos desenvolviendo el organismo en función del pueblo y vamos cambiando sus objetivos, su reglamento, pero sin ir más allá de las leyes, sino dejarían de ser grises, el problema de los grises es que no sirvan a la reacción y que sirvan al interés de la clase pero no lo declare.“4

Begünstigt durch die mangelnde polizeiliche und militärische Präsenz des Staates – etwa in der ländlichen Peripherie und den städtischen Armenvierteln – verhinderten die Aktivitäten des Leuchtenden Pfads zudem zunehmend die Besetzung öffentlicher Ämter, da die Kandidaten um ihr Leben fürchteten und zu Hunderten von ihren Ämtern zurücktraten oder vom Leuchtenden Pfad ermordet wurden. Zahlreiche kleinere, isolierte Polizeiposten kapitulierten vor dem Feind und hinterließen ein Machtvakuum, in das hinein sich der Leuchtende Pfad platzierte und das er mit einer eigenen Rechtsordnung füllte.5 Ziel solcher Aktionen war dabei nicht so sehr die eigene Machtübernahme zu sichern, als vielmehr die Schaffung eines unkontrollierten, von Angst und Misstrauen beherrschten öffentlichen Raumes, in dem Staat und gesellschaftliche Kräfte über keine Gestaltungskraft mehr verfügten. Zweifelsohne war der Leuchtende Pfad also fähig, sein Vorgehen auf allen Ebenen sorgsam zu planen und sich dadurch eine Adaptionsfähigkeit anzueignen, die seinen politischen und militärischen Gegnern die Bekämpfung deutlich erschwerte. In einem solchen von Chaos und Furcht geprägten Klima konnte sich der Leuchtende Pfad nicht nur als unsichtbarer, aber dennoch ständig präsenter Machtfaktor (ein Umstand, der angesichts seiner tatsächlich eingeschränkten militärischen Stärke umso bemerkenswerter war), sondern vor allem auch als straff organisierte, disziplinierte und effiziente Organisation etablieren – d. h. als genaues Gegenteil der etablierten Parteien und der staatlichen Institutionen. Tatsächlich ging dieses Kalkül des Leuchtenden Pfads auch auf: Wie Umfragen in den 1980er-Jahren zeigten, wurde er mehrmals als eine der effizientesten Institutionen des Landes wahrgenommen.6 Besonders anziehend wirkte dieses Bild auf Teile der radikalen Lin4 5

6

DINCOTE, DH-SL, o.Nr., PCP-SL (Dezember 1991): Sobre el Comité de Socorro Popular. Für eine Darstellung dieses Prozesses am Beispiel des limenischen Stadtteile Villa El Salvador und Ate Vitarte vgl. Burt (2007): Violence und Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 5, S. 294–313. Für vergleichbare Szenarien im ländlichen Raum vgl. Berg (1992): Responses; Isbell (1992): Shining Path und Manrique Gálvez (2002): Tiempo, S. 187–226. Vgl. Pásara (1988): Libanización, S. 48.

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ken. Bereits 1982, nach einem spektakulären Angriff der Revolutionäre auf die Stadt Ayacucho, hatte ein Zeitschriftenartikel bemerkt: „Sin duda la fascinación de la guerrilla y la fascinación de la eficacia - tomar la ciudad de Ayacucho no es, después de todo, un acto de rutina - deben estar jugando algún papel en las conciencias de ciertos militantes de la izquierda. Y esto, en medio de paros que fracasan y minorías impotentes frente a más poderosas sorderas de la mayoría parlamentaria, no es cosa que debe despreciarse.“7 Vor dem Hintergrund des vermeintlichen Widerspruchs zwischen Revolutionsrhetorik und parlamentarischer Beteiligung sowie der lähmenden Strömungskämpfe der restlichen Linksparteien repräsentierte der Leuchtende Pfad für eine Gruppe radikaler Aktivisten die einzig glaubwürdige politische Alternative. Iván Hinojosa stellt fest: „In a country like Peru, in which very few things function systematically and follow a preestablished order, Shining Path followed, in its own manner, the schedule it announced. It is not surprising then, that Shining Path won over to its cause individuals from radical sectors who were disillusioned with the democratic experience or those who imagined Shining Path as a victorious force in a country that otherwise seemed to be hovering at the edge of a dysfunctional abyss.“8 Wie Aussagen verschiedener Linksaktivisten hervorheben, brachte der Leuchtende Pfad bestimmte Gruppen innerhalb der politischen Linken unter erheblichen Zugzwang, ihre Verpflichtung zur Revolution durch die Aufnahme einer eigenen bewaffneten widerständigen Politik zu dokumentieren. Gegenüber der Wahrheitskommission erklärte z. B. Alberto Gálvez Olaechea vom Movimiento de Izquierda Revolucionaria - Voz Rebelde und späteres Führungsmitglied des MRTA: „si no entrábamos [al conflicto armado, SCW], la gente, no todos, pero individualmente y en pequeños grupos se iba a ir a Sendero, y significaría nuestra desaparición y no sólo como grupo, sino como una identidad. Nosotros, militantes del MIR, grupo con antecedentes guerrilleros y rituales de homenaje a sus héroes, no quedamos inmunes a un proyecto que nos interpelaba y nos forzaba a definiciones. El discurso se tornó obsoleto: eran los hechos los que tenían que hablar. A quienes convergimos después en la formación del MRTA, en cierta medida, SL [Sendero Luminoso, SCW] nos empujó al camino.“9 In Anbetracht derartiger Zeugnisse kann die Wirkung des Leuchtenden Pfads besonders auf die radikalen Elemente der politischen Linken kaum überschätzt werden: Er gab den Initialimpuls zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes und setzte zugleich den ideologischen, organisatorischen und militärischen Maßstab, an dem sich es zu orientieren galt.

7 8 9

Quehacer (1992): Sendero, S. 15f. Hinojosa (1998): Relations, S. 77. Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 259, Fußnote 654.

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Schlussbetrachtung

Die ökonomischen Parameter

Wie die politische Entwicklung beförderten auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Expansion des Leuchtenden Pfads, und sie taten dies auf verschiedene Weise und kontinuierlich über den gesamten Zeitraum des bewaffneten Kampfes der Partei. Grundsätzlich entzog die wirtschaftliche Misere dem peruanischen Staat notwendige Ressourcen im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad – ein Umstand, der durch die häufig nur mangelhafte Ausstattung der Sicherheitskräfte exemplarisch sichtbar wurde. Von besonderer Bedeutung war aber ihre mobilisierende Wirkung: Wie wir sahen, wurde die ökonomische Entwicklung des Landes von zahlreichen Mitgliedern und Sympathisanten des Leuchtenden Pfads als wichtiger Grund für den Beitritt zum bewaffneten Kampf bzw. für dessen Unterstützung genannt. Zentrale Punkte, die immer wieder als Mobilisierungsbegründung angeführt wurden, waren u. a. die soziale Ungleichheit, die wirtschaftliche Unterdrückung und Abhängigkeit, der Hunger vor allem im Hochland sowie die dadurch verursachte hohe Kindersterblichkeit. Die eindeutigen Aussagen der senderistas führt Cynthia McClintock an, wenn sie konstatiert: „it is appropriate to conclude that the [economic, SCW] plunge was the triggering variable in Peru’s revolutionary equation.“10 Auch Manuel Pastor und Carol Wise unterstreichen, dass die Wirtschaftskrise der 1980er-Jahre einen fruchtbaren Boden für „poverty-related insurgent factions, the most prominent being Sendero Luminoso“ bildete.11 Die wirtschaftliche Entwicklung Perus erreichte zwar erst in der zweiten Hälfte der 1980erJahre ihren Tiefpunkt. Dieser war allerdings nur die dramatische Konsequenz eines kontinuierlichen wirtschaftlichen Niedergangs, den auch zwischenzeitliche Aufschwungphasen nicht aufzuhalten imstande waren. Die wirtschaftliche Krise betraf vor allem zwei soziale Gruppen, die für den Leuchtenden Pfad von erheblicher Bedeutung waren: die Bauernschaft sowie Studenten und Universitätsabsolventen. Die peruanische Bauernschaft gehört bis heute zu den ärmsten Bevölkerungsteilen des Landes. Ihre prekäre Lage hatte sich auch durch die Landreform des Militärregimes nicht spürbar verbessert. Zwar hatte die Reform die Dominanz der traditionellen terratenientes beendet und auch die Struktur des Landbesitzes radikal verändert. Eine gleichmäßige Landbesitzverteilung vermochte sie jedoch nicht durchzusetzen. Auch nach der Reform besaßen die ärmsten Teile der Bauernschaft kein eigenes Land, sodass deren Lebensrealität keine positiven Veränderungen durch sie erfuhr. Die Wirtschaftskrise der 1980er-Jahre verschärfte die ohnehin angespannte Lage der Bauernschaft 10 McClintock (1998): Movements, S. 162f. 11 Pastor und Wise (1992): Policy, S. 94f.

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zusätzlich und konfrontierte diese mit einer beispiellosen Subsistenzkrise. Es ist durchaus schlüssig anzunehmen, dass die Bedrohung der eigenen Existenzgrundlage Teile der Bauernschaft empfänglich für den Revolutionsdiskurs des Leuchtenden Pfads machte. Für diese Annahme spricht, dass nach dem vorliegenden Quellenmaterial die Bauern die zweitgrößte Mitgliedergruppe innerhalb des Leuchtenden Pfads hinter der Gruppe der Studenten bildeten. Eine Subsistenzkrise der peruanischen Bauern als Motivationsfaktor für deren Teilnahme an der Revolution des Leuchtenden Pfads würde zudem die Erklärungsansätze der klassischen Revolutionsforschung, vor allem von James Scott und Jeffrey Paige, grundsätzlich stützen. Dagegen scheint im Falle der Studenten und Universitätsabsolventen eher Ted Gurrs Ansatz der relativen Deprivation zu greifen: Die Wirtschaftsmisere der 1980er-Jahre führte dazu, dass eine signifikante Anzahl junger Menschen mit höherem Bildungsabschluss nicht die beruflichen Verwendungen auf dem Arbeitsmarkt vorfand, die ihr angesichts ihrer erworbenen Qualifikation angemessen erschien. Zwar konnten beispielsweise viele Lehramtsstudenten nach ihrem Abschluss den Lehrerberuf ergreifen. Die schwachen staatlichen Ressourcen, die negative Lohnentwicklung sowie die steigende Inflation machten jedoch ein wirtschaftlich abgesichertes Auskommen als Lehrer unmöglich. Cynthia McClintock stellt fest: „The Shining Path’s Expansion was due in large part to its appeal not to peasants but to relatively well-educated young people whose professional aspirations had been frustrated.“12 Spätestens die verheerende Wirtschaftskrise am Ende der 1980erJahre und der fujishock von 1990 bedeuteten für einen großen Teil dieser gesellschaftlichen Gruppe das Ende ihrer Aspirationen auf sozialen Aufstieg. Diese Entwicklung und die daraus möglicherweise resultierende (subjektiv gefühlte) Statusinkonsistenz müssen vor allem für die (angehenden) Akademiker aus den Provinzen des Landes schwer erträglich gewesen sein, gehörten sie doch in den 1970er- und 1980er-Jahren häufig zur jeweils ersten familiären Generation mit Universitätszugang. Der hohe Anteil von Schülern, Studenten und Akademikern im Leuchtenden Pfad kann daher durchaus als Beleg für deren Hoffnung auf die wirtschaftliche Verbesserung der eigenen Lage durch die Teilnahme an der Revolution betrachtet werden. Carlos Iván Degregori stellt entsprechend fest: „La militancia en SL puede ser vista entonces, también, como un canal de movilidad social“.13 Es überrascht nicht, dass der Leuchtende Pfad sich die bestehende wirtschaftliche Unzufriedenheit nutzbar zu machen versuchte. Er tat dies, indem er den Staat für die sozioökonomische Ungleichheit verantwortlich machte 12 McClintock (1998): Movements, S. 185. 13 Degregori (1996): Tempestades, S. 191.

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und ihm nicht nur vorwarf, sämtliche Versprechungen auf sozialen Ausgleich unerfüllt gelassen zu haben, sondern auch bewusst eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die sich gegen ohnehin marginalisierte Teile der Bevölkerung richtete. Diese Sichtweise verwandelte den Staat in den Aggressor, den es mithilfe eines legitimen, da nunmehr auch zum Selbstschutz betriebenen, militärischen Aufstands zu bekämpfen galt. Gezielt charakterisierte die Parteipropaganda den Staat und seine Institutionen als hambreador oder genocida, also als mutwilligen Urheber sozialen Elends. Diese Argumentationslinie besaß neben einem politischen auch ein nicht unerhebliches psychologisches Kalkül: Das Nutzbarmachen der mobilisierenden Wirkung von Emotionen. Die beiden wichtigsten Emotionen, die der Leuchtende Pfad erfolgreich ausnutzte, waren moralische Empörung über die sozioökonomische Situation des Landes und Hoffnung auf eine bessere Zukunft mithilfe des Leuchtenden Pfads.14 Wie Aussagen dokumentieren, empfanden viele Parteimitglieder und -anhänger das staatliche Handeln, das in ihren Augen den sozioökonomischen Status quo absichtlich beförderte, als besonders empörend. Innerhalb radikaler Kreise verband sich diese moralische Empörung mit der Hoffnung auf Verbesserung der Lebensverhältnisse mithilfe des bewaffneten Kampfes des Leuchtenden Pfads – dessen Propaganda die Revolution ohnehin als einzige Möglichkeit zur Veränderung der existierenden Ordnung anpries. Begünstigt durch die wirtschaftliche Misere wirkten moralische Empörung und Hoffnung so als verstärkende pushand-pull-Faktoren zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes und für den Eintritt in den Leuchtenden Pfad. Damit ergänzt und stützt das peruanische Fallbeispiel die Erkenntnisse von Jean-Pierre Reed, der am Beispiel der Nicaraguanischen Revolution die Relevanz von moralischer Empörung und Hoffnung herausgearbeitet hat. Die Leistungen des Leuchtenden Pfads

Es wurde deutlich, dass die strukturellen Rahmenbedingungen die notwendigen Voraussetzungen für die Entstehung und Entwicklung des Leuchtenden 14 Diese besaßen bei der Mobilisierung von Unterstützern und Mitgliedern eine durchaus bedeutsame Unterstützungsrolle und halfen dabei, die Motivation und Verpflichtungsbereitschaft der einzelnen Mitglieder zu stärken. Erfolgreich gelang es der Parteiführung, auch Empfindungen wie Stolz, Ehre und Treue zu generieren und als konstitutive Charaktermerkmale eines senderistas zu etablieren. Gleichzeitig wurden Hass, Verachtung und Groll gegen den Staat und den politischen Gegner in einer Weise geschürt, die sich nicht allein in der verbalen Herabsetzung, sondern vor allem in der physischen Vernichtung des feindlichen Gegenübers manifestierte.

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Pfads bildeten. Mit diesen Rahmenbedingungen sahen sich jedoch nicht allein der Leuchtende Pfad, sondern sämtliche politische Akteure Perus konfrontiert – also auch diejenigen Gruppen, die dem parlamentarischen Neubeginn nach 1980 ablehnend gegenüber standen. Aber allein dem Leuchtenden Pfad gelang die Umsetzung der vielfach beschworenen lucha armada – wieso? Der Grund lag in seinen spezifischen organisatorischen und ideellen Merkmalen und Leistungen, die ihn von allen anderen nationalen politischen Akteuren unterschieden und mit denen er das latente Mobilisierungspotenzial der strukturellen Faktoren zur Wirkung brachte und weiter verstärkte. Wie die Untersuchung zeigt, offenbarte der Leuchtende Pfad jedoch auch deutliche organisatorische Schwächen und zugleich eine weltanschauliche Rigidität, die seine breite und tiefe gesellschaftliche Verwurzelung und politische oder militärische Allianzen verhinderte. So wie ihr Aufstieg war also auch die Niederlage der Partei in wesentlichen Teilen ein Produkt ihrer organisatorischen und ideellen Verfasstheit. Ressourcenmobilisierung

Um seine Ankündigung eines bewaffneten Kampfes umsetzen zu können, musste der Leuchtende Pfad dauerhaft ein Mindestmaß unterschiedlicher Ressourcen mobilisieren. In Anlehnung an den von John McCarthy und Bob Edwards entwickelten Katalog der verschiedenen Ressourcentypen waren für den Leuchtenden Pfad vor allem die personellen und materiellen Ressourcen von Bedeutung. Wie wir sahen, gelang ihm die Mobilisierung dieser Ressourcen auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Von der Bewegungsforschung identifizierte Mobilisierungsmechanismen lassen sich dabei auch im Falle des Leuchtenden Pfads finden. Während etwa weite Teile der Finanzen und der Bewaffnung nur mithilfe der Eigenproduktion mobilisiert werden konnten, zeichnete sich die Rekrutierung von Mitgliedern auch durch die Mechanismen der Aggregation und Kooptation aus. Rekrutierung

Besonders erfolgreich gestaltete sich die Mitgliederrekrutierung. Auf Grundlage bisher unbekannter Parteidokumente und Aussagen ehemaliger Mitglieder des Leuchtenden Pfads konnte die vorliegende Arbeit den Rekrutierungsprozess erstmalig detailliert beschreiben. Wie wir sahen, war das Aufnahmeverfahren mithilfe unterschiedlicher Kontrollmechanismen außerordentlich streng organisiert und zudem in verschiedene Phasen aufgeteilt. Angesichts des Selbstver-

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ständnisses des Leuchtenden Pfads als elitäre Kaderpartei bestand der Zweck des Verfahrens in erster Linie darin, allein die fähigsten und engagiertesten Bewerber für die Partei zu gewinnen – gleichzeitig wurde das Risiko einer möglichen Infiltration durch die Sicherheitskräfte stark reduziert. In der Folge besaß der Leuchtende Pfad bis 1993 zu keinem Zeitpunkt mehr als 4.000 Mitglieder. Anderslautende Schätzungen lassen sich nicht mehr halten.15 Anders als die etablierten Parteien oder die Gewerkschaften verfolgte der Leuchtende Pfad nicht das Ziel, eine Massenorganisation zu werden – die geringe Mitgliederzahl lässt sich daher nicht als Ausweis einer defizitären Nachwuchsmobilisierung interpretieren. Am Beginn und am Ende des Rekrutierungsverfahrens standen jeweils handschriftlich angefertigte Dokumente, in denen die Aufnahmekandidaten nicht nur ihren familiären Hintergrund zu offenbaren, sondern vor allem ihre bedingungslose Unterwerfung unter die Partei zu bestätigen hatten. In beiden Fällen musste das Gesuch durch die Spitzen des jeweiligen Zonenoder Regionalkomitees positiv beschieden werden; individuelle Bürgschaften durch bereits aufgenommene Mitglieder dienten als Kontrollelement. Im Zentrum der Rekrutierung standen in der Folge die Übernahme verschiedener Aufgaben unterschiedlicher Gefahrenstufen durch die Kandidaten sowie deren massive ideologische Indoktrinierung. In der frühen Phase des Rekrutierungsprozesses übernahmen die Aufnahmewilligen zunächst relativ risikoarme Verpflichtungen wie etwa das Überbringen oder Beherbergen von Sendungen oder die Teilnahme an Streiks und Demonstrationen. Dagegen stand am Ende des Aufnahmeverfahrens die Pflicht zur Teilnahme an bewaffneten Aktionen der Partei – hier zeigte sich nun, wer tatsächlich das eigene Leben für die Partei zu geben bereit war. Parallel zu diesen Unternehmungen durchliefen die Anwärter eine hohe Anzahl ideologischer Schulungen und politischer Unterrichte. Diese Veranstaltungen, in der Regel die escuelas populares, wurden von erfahrenen Mitgliedern organisiert. Diese Veranstaltungen konnten hochflexibel durchgeführt werden – um ihre Wirkung möglichst effizient zu gestalten, wurden sie zudem ggf. thematisch und didaktisch an die jeweilige Empfängergruppe (z. B. Bauern, Schüler oder Akademiker) angepasst. Die escuelas populares wurden im gesamten Landesgebiet organisiert und dürften eine erhebliche Multiplikatorenfunktion übernommen haben.16

15 So rechnet Cynthia McClintock mit etwa 10.000 Parteimitgliedern; vgl. McClintock (1998): Movements, S. 74. 16 Es darf nicht übersehen werden, dass vor allem in den ländlichen Regionen die Teilnahme an diesen Veranstaltungen häufig erzwungen wurde, die Aufnahmebereitschaft daher sicherlich auch nicht immer hoch war.

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Grundsätzlich unternahm der Leuchtende Pfad in all seinen Aktionsräumen Rekrutierungsversuche. Dabei übernahmen soziale Netzwerke, die sich z. B. aus engen Angehörigen, Freunden, Mitschülern oder Kommilitonen zusammensetzen konnten, eine wichtige Brückenfunktion, indem sie die Annäherung zwischen den Mitgliedskandidaten und dem Leuchtenden Pfad erheblich erleichterten – einen automatischen Eintritt in die Partei ermöglichten sie allerdings nicht. Diese Erkenntnis trägt zu einem besseren Verständnis der Funktionsweisen, aber auch der Grenzen sozialer Netzwerke für widerständige Politik bei. Wie wir sahen, waren viele Parteimitglieder sowohl der Führungsspitze als auch der mittleren und unteren Ränge eng miteinander verwandt, sodass gelegentlich ganze Familien dem Leuchtenden Pfad angehörten. Die Bedeutung sozialer Netzwerke ließ sich außerhalb familiärer Milieus auch am Beispiel der nationalen Bildungseinrichtungen aufzeigen, die von Beginn an einen wichtigen Rekrutierungspool des Leuchtenden Pfads darstellten. Selbst einem universitären Lesezirkel entsprungen, hatte sich die Partei seit den 1970er-Jahren an allen führenden Universitäten des Landes aufgestellt und ein eigenes Kontakt- und Personennetz innerhalb der Studentenschaft und der Verwaltung gesponnen. Studentische Mitglieder des Leuchtenden Pfads und in Ayacucho ausgebildete Dozenten und Lehrer gründeten Arbeitskreise, Diskussionsgruppen sowie escuelas populares und unternahmen Exkursionen mit ihren Kommilitonen und Schülern. Parallel dazu suchte der Leuchtende Pfad den Zugang zur Universitätsverwaltung, von besonderer Bedeutung war dabei die Kontrolle der Wohnheime und Mensen. An diesen beiden Orten trafen sich alle Studiengänge, alle Altersstufen und vor allem Studenten aus armen und einfachen sozialen Schichten. Hier wurden Wissen, Kontakte, Neuigkeiten und politische Ansichten ausgetauscht und vielfältige informelle Netzwerke begründet und gepflegt. Aus Sicht des Leuchtenden Pfads waren dies ideale Rahmenbedingungen für die Verbreitung der eigenen politischen und ideologischen Ansichten sowie zur Durchführung von Rekrutierungsmaßnahmen. Rekrutierte studentische Mitglieder und Sympathisanten beschränkten ihr Engagement zudem häufig nicht nur auf die Universitäten und Schulen, sondern nutzten ihre sozialen Netzwerke und Kenntnisse auch in ihrem Alltag, um weitere Personen zu rekrutieren. In ihren Stadtteilen und Heimatorten tauchten sie in die alltägliche Lebenswelt der Bewohner ein und streuten ihre politischen Botschaften ebenso gezielt wie subtil. Der hoch entwickelte Rekrutierungsprozess, dessen Komplexität zugleich eine unüberwindbare Barriere gegen die Infiltrationsbemühungen der staatlichen Sicherheitskräfte schuf, war Ausweis der starken Organisationsfähigkeit des Leuchtenden Pfads. Diese Organisationskompetenz, die, wie wir sahen, neben der Fähigkeit der Mobilisierung personeller und materieller Ressourcen

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auch die Bereitstellung ideeller Ressourcen umfasste, war die wichtigste Leistung des Leuchtenden Pfads überhaupt. Erst sie führte dazu, dass sich wirtschaftliche Unzufriedenheit und politische Enttäuschung in einen gewaltsamen Protest übersetzten. Wie dargestellt, legte der wirtschaftliche Niedergang zwar einen wichtigen Grundstein für die Annäherung an den Leuchtenden Pfad. Ebenso bedeutsam für den Beitritt, so die gleichen Aussagen der befragten Parteimitglieder, war jedoch der Umstand, dass der Leuchtende Pfad der einzige politische Akteur des Landes war, der den Unzufriedenen ein theoretisches Fundament und einen organisatorischen Apparat zur Verfügung stellen konnte, mit denen der gewaltsame Systemwechsel erst einzuleiten war. Die erfolgreiche Rekrutierung radikaler Kader anderer Linksparteien bestätigte diese Leistung des Leuchtenden Pfads eindrucksvoll. In diesem Zusammenhang gilt es sich auch vor Augen zu halten, dass sämtliche Gewaltverbände der späteren Jahre, wie z. B. der MRTA oder das Comando Rodrigo Franco, keine Organisationen sui generis, sondern Antworten auf den Leuchtenden Pfad als revolutionären Vorreiter waren. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es dem Leuchtenden Pfad dauerhaft gelang, Parteimitglieder zu rekrutieren und dabei seine selbst gesetzten Aufnahmekriterien weitgehend aufrechtzuerhalten und zu erfüllen. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass die lange Vorlaufzeit und der strenge Auswahlprozess eine schnelle und einfache Parteimitgliedschaft unmöglich machten – die Kandidaten mussten sich also bewusst für eine Mitgliedschaft entscheiden. Doch auch wenn die Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit beruhte, bedeutete dies nicht, dass der Leuchtende Pfad ohne Kontrolle und ggf. Zwang gegen seine Mitglieder auskam. Wie etwa das Beispiel der erstmalig genauer dargestellten Akademie César Vallejo zeigt, besaß der Leuchtende Pfad eine ganze Reihe von Kontrollinstrumenten, um seine Mitglieder auf Parteilinie zu halten. So diente beispielsweise die individuelle Unterwerfungserklärung eines jeden Lehrers als Grundlage für die Arbeit an der Akademie. Ein anderes Kontrollelement war die Teilnahmepflicht an escuelas populares, durch die die ideologischen Grundsätze der Partei dauerhaft in den Köpfen der Lehrer verankert werden sollten, sowie an öffentlichen Aktionen der Partei. Zu den weiteren Kontroll- und Disziplinierungsinstrumenten gehörten Lohnkürzungen und fristlose Kündigungen, aber auch ein generelles Wahlverbot für das Kollegium bei Regional- und Präsidentschaftswahlen. Die mit der Mitgliedschaft anwachsende ideologische und persönliche Abhängigkeit von der Partei machte einen individuellen Parteiaustritt praktisch unmöglich: Aussteiger wurden als Verräter gebrandmarkt und mit dem Tode bedroht.

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Finanzen

Weniger erfolgreich als bei der Mobilisierung personeller Ressourcen agierte der Leuchtende Pfad bei der Generierung von Finanzmitteln. Zwar sind aufgrund der mangelhaften Quellenlage konkrete Aussagen weder zur Höhe der Parteifinanzen noch zu den parteiinternen Finanzflüssen möglich. Dennoch lassen die eingesehenen Quellen annehmen, dass der Leuchtende Pfad trotz seiner Verwicklung in den Drogenhandel seinen Finanzbedarf nur knapp zu decken in der Lage war. Das Wissen um den Status der eigenen Finanzen wurde auf höchster Ebene zentralisiert und monopolisiert. Es ist zu vermuten, dass lediglich Abimael Guzmán und wenige Vertrauensleute einen Überblick über die finanzielle Entwicklung besaßen. Die wohl einträglichste Einnahmequelle bildete der Drogenhandel. Trotz gegenteiliger Behauptung profitierte der Leuchtende Pfad aktiv vom Drogenhandel, in dem er u. a. Gebühren von den Drogenhändlern und Kokabauern sowie für die Nutzung von Start- und Landebahnen erhob. Wie hoch die Einnahmen aus dem Drogenhandel waren, lässt sich aber nicht feststellen. Die Quellenlage lässt zudem vermuten, dass signifikante Teile der Einnahmen beim Regionalkomitee des Huallaga-Tals, des wichtigsten Drogenanbaugebiets, verblieben. Ob dies Absicht oder aber ein Zeichen der politischen Schwäche der Zentralführung in Lima war, bleibt unklar. Andere Parteigliederungen wurden dagegen explizit aufgefordert, ihre Einnahmen an die Führung in Lima abzuführen. Die unteren Parteiebenen erwirtschafteten allerdings nur geringe Geldbeträge und kamen der Forderung der Zentrale nur unregelmäßig und auch lediglich in begrenztem Umfang nach. Betrachtet man die verschiedenen Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmesituation, bestärkt sich die Vermutung, dass die Gewinne aus dem Drogenhandel deutlich geringer ausgefallen sein mussten, als gemeinhin angenommen So berichteten die verschiedenen Parteikomitees z. B. vom Verkauf von Propagandamaterial, selbst aufgenommenen Musikkassetten oder der Durchführung von Grill- und Nachbarschaftsfesten. Hätte ein stetiger und hoher aus dem Drogenhandel resultierender Geldfluss existiert, wären derart kleinteilige, nur wenig gewinnbringende Aktivitäten sicherlich nur eine Randnotiz in den entsprechenden Parteiberichten geblieben. Eine besondere Bedeutung für die Mobilisierung von Einnahmen besaß die Akademie César Vallejo, die dem Leuchtenden Pfad auch als wichtiger Rekrutierungspool diente. Zwei Merkmale zeichneten die Akademie aus. Zum einen befand sie sich mitten in Lima und somit mitten in der Legalität. Sie war somit ein Beweis der Organisationsfähigkeit der Partei, der es mit der Akademie gelang, jahrelang unentdeckt inmitten der Öffentlichkeit zu operieren. Zum anderen waren die erzielten Einahmen allein für die Sicherheit und Versorgung von Abimael Guzmán und seiner Frau bestimmt. Die

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Zerschlagung der klandestinen Infrastruktur innerhalb der Akademie im Juni 1992 hätte die Versorgung der Parteiführung vermutlich vor ernste Probleme gestellt, wären Abimael Guzmán und Elena Iparraguirre nicht im September des gleichen Jahres festgenommen worden. Auf der Grundlage der zugänglichen Quellen lässt sich sagen, dass der Leuchtende Pfad bei der Mobilisierung von Finanzmitteln nicht erfolgreich war und die Finanzsituation eine Schwachstelle der Partei darstellte. So war sie beispielsweise nicht in der Lage, den permanenten Mangel an Ausrüstung und Bewaffnung in den Regionalkomitees zu beseitigen sowie finanzielle und materielle Reserven zur Steigerung der eigenen Durchhaltefähigkeit aufzubauen. Entgegen der Ansicht einiger Beobachter erscheint es unwahrscheinlich, dass die Partei ihren Mitgliedern konkrete materielle Anreize oder gar regelmäßige Geldleistungen bieten konnte (mit Ausnahme des Parteiablegers im Huallaga-Tal).17 Verschiedene Erklärungen bieten sich auf die Frage an, weshalb die geringe Finanzkraft des Leuchtenden Pfads weder von zeitgenössischen Beobachtern erkannt wurde noch zu einem vorzeitigen Ende der Partei und ihres bewaffneten Kampfes führte. Zunächst besaßen weder die Politik noch die Presse noch die Wissenschaft einen Zugang zu der internen Finanzbuchhaltung des Leuchtenden Pfads; sie waren also weitgehend ahnungslos. Für Politik und Presse stellten vermeintliche Gewinne aus dem Drogenhandel allerdings eine willkommene Argumentationslinie für die weitere Kriminalisierung der Partei dar. Daneben befand sich auch der Gegner des Leuchtenden Pfads, der peruanische Staat, in einer desolaten wirtschaftlichen Verfassung, die ihn daran hinderte, seinen antisubversiven Kampf mit mehr und modernerem Gerät und Ausrüstung in einem Umfang zu führen, der die Ressourcen des Leuchtenden Pfads zügig erschöpft hätte. Schließlich lebten mit Ausnahme der höchsten Parteiführung nur die allerwenigsten Parteimitglieder vollständig im Untergrund. Stattdessen ging die Mehrheit von ihnen ihrem normalen Beruf nach, sodass sie sich durch ihr eigenes Einkommen finanzierte – Parteimittel waren also lediglich für die Versorgung einiger weniger, klandestin lebender Parteiführer notwendig. Bewaffnung

Die geringe Finanzstärke der Partei blieb nicht ohne Wirkung auf deren Fähigkeit, sich zu bewaffnen. Aufgrund der geringen Einnahmen und der un17 So spricht etwa Cynthia McClintock von Monatsgehältern zwischen 250 und 500 USDollar pro Parteimitglied; vgl. McClintock (1998): Movements, S. 27f. und Rochlin (2003): Revolutionaries, S. 41.

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zureichenden finanziellen Reserven besaß die Partei keinen Zugang zum internationalen Waffenschwarzmarkt. In der Konsequenz blieben ihr nur zwei Möglichkeiten, Waffen zu akquirieren: die Eigenproduktion sowie die Erbeutung von Waffen bei den Sicherheitskräften und von Dynamit in den Bergwerken. Anstelle moderner Waffen bestanden die Bestände des Leuchtenden Pfads aus wenigen Maschinengewehren und Mörsern sowie Gewehren, Handfeuerwaffen, Dynamit, Macheten, Lanzen sowie Pfeilen und Bogen. Wie die internen Bestandlisten ausweisen, verfügte das Komitee des Huallaga-Tals über die größten Waffenreserven – ein deutliches Indiz dafür, dass dieses Komitee auch die Kontrolle über die Einnahmen aus dem Drogenhandel besaß. Dagegen sahen sich die anderen Komitees z. T. gezwungen, Munition und Mörser selbst herzustellen und die anfallenden Kosten aus eigenen, privaten Mitteln zu decken. Diese unbefriedigende Situation blieb der Parteiführung naturgemäß nicht verborgen. Da sie aber die finanzielle Lage nicht verbessern konnte, rechtfertigte sie den Zustand mit Hinweisen auf die Chinesische Revolution, in der die Truppen Maos ihre Waffen ebenfalls allein durch Beutezüge akquiriert hätten. Die schwache Bewaffnung blieb durchgängig eine Schwäche des Leuchtenden Pfads. Allerdings gelang es ihm, dieses Defizit deutlich abzuschwächen, indem er sein militärisches Vorgehen entsprechend anpasste. In diesem Zusammenhang lässt sich der Hinweis David Palmers aufgreifen, dass der Leuchtende Pfad seinen eigenen Kampf in erster Linie als politische und nicht militärische Unternehmung verstand, die allermeisten seiner Aktionen also auch dieser Logik folgten.18 Als Beispiel lässt sich etwa der Angriff auf das Gefängnis von Ayacucho im März 1982 nennen, der vor allem eine politische und symbolische Bedeutung besaß. Grundsätzlich jedoch wurden offene militärische Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, vor allem mit der Armee, vermieden. Stattdessen setzte der Leuchtende Pfad auf kleinere Scharmützel, bewaffnete Überfälle und vor allem auf Sabotageaktionen, gezielte Ermordungen und Autobomben. Derartige Aktionen ließen sich auch ohne modernes Gerät durchführen und schonten die Materialreserven. Von entscheidender Bedeutung war jedoch die erhebliche psychologische Wirkung, die von den durchgeführten Sabotageaktionen, den gezielten Ermordungen und den Autobomben in den urbanen Zentren ausging. Mehrere Bombenattentate an einem Tag in der gleichen Stadt mehrten die öffentliche Vorstellung der Allgegenwärtigkeit der Partei. Anschläge auf kritische Infrastruktur wie z. B. Versorgungseinrichtungen unterbrachen für Stunden die Strom- und Wasserversorgung in den Städten und hatten somit unmittelbar spürbare Folgen für die Bewohner. Zugleich de18 Vgl. Palmer (1992): View, S. 243.

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monstrierten sie die staatliche Unfähigkeit, die (Versorgungs-) Sicherheit der Bevölkerung dauerhaft zu garantieren. Die gleiche Absicht verfolgten die gezielten Ermordungen von Repräsentanten aus Politik, Militär, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Mithilfe dieser Aktionsformen gelang es dem Leuchtenden Pfad, die eigene militärische Schwäche zu verschleiern und stattdessen das Bild einer schlagkräftigen, hervorragend ausgerüsteten Armee aufzubauen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden institutionellen Schwäche des peruanischen Staates und der eskalierenden Wirtschaftskrise entstand auf diese Weise seit Ende der 1980er-Jahre sowohl in der nationalen als auch in der internationalen Öffentlichkeit der Mythos des „Sendero ganador“.19 Führerschaft

Das Bild des „sendero ganador“ dauerhaft aufrecht zu erhalten, war zuallererst Aufgabe der Parteiführung und teilte sich in organisatorische und ideelle Aspekte auf. Während ersteres etwa den Aufbau der Parteistruktur und die Verteilung der mobilisierten Ressourcen umfasste, gehörte z.B. die Erarbeitung der ideologischen und politischen Leitsätze zum zweiten Aspekt. Der Führung kam daher eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der Partei zu. Bei der Untersuchung der Führerschaft des Leuchtenden Pfads zeigt sich allerdings ein ambivalentes Bild. Ein charakteristisches Merkmal des Leuchtenden Pfads stellte die herausgehobene Stellung seines Parteiführers dar. Seit den 1970er-Jahren hatte Abimael Guzmán seinen Einfluss innerhalb der eigenen Reihen stetig ausgebaut und spätestens 1988 eine uneingeschränkte Machtfülle erreicht. Innerhalb von 20 Jahren hatte Guzmán zugleich einen ehemaligen studentischen Lesezirkel zu einer den peruanischen Staat in seinen Grundfesten bedrohenden Guerillabewegung geformt, die weltweit Besorgnis auslöste. Mit diesen Leistungen bewies Abimael Guzmán seine Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen und eine effektive Organisationsstruktur zu schaffen – er bewies also, Jack Goldstones Einteilung folgend, personen- und sachorientierte Führungskraft. Dank eines für Peru singulären Personenkults und mithilfe drastischer Disziplinarmaßnahmen gelang es Guzmán, parteipolitische Auseinandersetzungen und widerstrebende Interessen zu kanalisieren bzw. auszugleichen. Auf diese Weise wurde er in zunehmendem (und von ihm selbst gewünschtem) Maße zu einer parteiinternen Projektionsfläche, auf die sämtliche Parteimitglieder ihre Siegeshoffnungen projizierten und in der sich alle ideelle und organisatorische Macht bündelte. 19 Peralta Ruiz (2000): Sendero, S. 131.

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Das für diese Machtfülle notwendige „leadership capital“ Guzmáns bestand im Kern aus dem von Sharon Erickson Nepstad und Clifford Bob identifizierten Dreiklang aus kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital: Über kulturelles Kapital verfügte Guzmán aufgrund seiner Stellung als Philosophieprofessor. Auch wenn sich über Guzmáns tatsächliche intellektuelle Fähigkeiten trefflich streiten ließe, ist anzunehmen, dass sie dennoch die seiner meisten Anhänger deutlich überragten. Verstärkend kam hinzu, dass er parteiinternes Wissen, z. B. Berichte aus den einzelnen Komitees oder Gesprächsprotokolle, aber auch Bücher und Zeitschriften monopolisierte. In Kombination mit dem in Peru hohen Prestige eines Professors und der ihn zu einem Philosoph von Weltrang stilisierenden Parteipropaganda entstand das Bild einer unanfechtbaren intellektuellen Autorität, deren Lehrsätze Freund und Feind zu beeindrucken wussten. Deutlich schwächer ausgeprägt war dagegen sein soziales Kapital, da er aufgrund von Sicherheitserwägungen naturgemäß nur schwache persönliche Kontakte zu den Parteimitgliedern unterhalten konnte. Während Guzmán in den 1970erJahren zunächst noch häufigen Kontakt zu Studenten, Parteimitgliedern und Sympathisanten zu pflegen in der Lage war, reduzierten sich derartige persönliche Begegnungen seit Beginn des bewaffneten Kampfes auf regelmäßige Treffen mit einigen wenigen Parteiführern, die der besseren Absprache und Koordination der einzelnen Parteigliederungen dienten. Die stärkste Ausprägung besaß dagegen Guzmáns symbolisches Kapital, das den Kern seines Führungskapitals ausmachte. Seine moralische Autorität blieb, wie wir sahen, zwar nicht unwidersprochen. Dennoch gelang es ihm, sie mit der Zeit auf allen Parteiebenen durchzusetzen, ihr eine singuläre parteiinterne Transzendenz zu verleihen und eine konkurrenzlose Machtfülle zu erhalten. Außer Guzmán gelang es keiner anderen Führungsfigur des Leuchtenden Pfads, diese drei Elemente – kulturelles, soziales und symbolisches Kapital – auf sich zu vereinigen und eine nur annähernd gleichrangige Stellung zu erreichen. Zu den positiven Folgen der Machtfülle Abimael Guzmáns lässt sich u. a. die von ihr ausgehende umfassende disziplinierende Wirkung auf die Partei nennen. Wie wir sahen, war Guzmáns Machtposition nicht von Beginn an unbestritten, seine Machtfülle nicht zu allen Zeiten unbegrenzt. Heftige Debatten über das ideologische Fundament und die militärische Ausrichtung der Partei erschütterten immer wieder die oberste Parteiführung, aus deren Kreis so manches Mitglied sich in der Folge mit schweren Vorwürfen oder gar dem Parteiausschluss konfrontiert sah. Insofern glich der Leuchtende Pfad durchaus den anderen Linksparteien – allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass sich diese vor den Augen der peruanischen Öffentlichkeit durch Flügelkämpfe selbst in die politische Bedeutungslosigkeit brachten, während der Leuchtende Pfad in der Lage war, interne Spannungen nach außen hin fast komplett ab-

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zuschirmen. In der Folge erschien der Leuchtende Pfad der Öffentlichkeit, vor allem aber radikalen Kreisen innerhalb der politischen Linken, als außerordentlich disziplinierte und kohäsionierte Organisation – also als genaues Gegenteil der klassischen Parteien. So viele Vorteile der singuläre Charakter von Guzmáns Machtposition für die Entwicklung des Leuchtenden Pfads bedeutete, so sehr wurde er ihm aber auch zum Verhängnis. Guzmáns Machtkalkül und Selbstverständnis erlauben es, ihn gemäß der von Ron Aminzade, Jack Goldstone und Elizabeth Perry aufgestellten Kategorien als self-aggrandizing leader einzuordnen, der zwar erfolgreich widerständige Politik zu organisieren imstande war, dessen Führungsanspruch sich aber in erheblichem Maße auf „purges, terror, and cults of personality“20 stützte. Wie sehr Guzmán von seiner Bedeutung für die Partei überzeugt war, zeigte sich noch Jahre später, als er gegenüber der Wahrheitskommission erklärte, dass es ihm 1992 im Falle der Verhaftung aller anderen Mitglieder der Führungsspitze der Partei ohne Weiteres gelungen wäre, die Partei auf Kurs zu halten und den bewaffneten Kampf weiterzuführen. Dagegen hätte seine Festnahme dies unmöglich gemacht, auch wenn sich die restlichen Parteiführer weiterhin in Freiheit befunden hätten.21 Der in der Partei existierende Personenkult sowie Guzmáns Selbstverständnis, alleiniger ideeller und organisatorischer Mittelpunkt seiner Partei zu sein, hinderten Guzmán daran, seinen persönlichen Erfolg und Ehrgeiz hinter die Interessen der Partei zu stellen und beispielsweise einen möglichen Nachfolger aufzubauen. Wie sich im September 1992 dann zeigte, hatte die von seinen Anhängern (und vermutlich auch von Guzmán selbst) nicht für möglich gehaltene Verhaftung des obersten Parteiführers verheerende Konsequenzen für die Moral und die Überlebensfähigkeit der Partei. Diese – zusätzlich geschwächt durch die Festnahme weiterer Mitglieder des Zentralkomitees – war nicht mehr in der Lage, das plötzlich entstehende Machtvakuum zu füllen und die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten. Die Verhaftung Guzmáns ließ den Leuchtenden Pfad auseinander brechen. Wie Cynthia McClintock treffend formuliert, stellte die Machtposition Guzmáns also ein „double-edged sword“ dar, das die Stabilität der Partei in eine absolute und fragile Abhängigkeit von ihrem Parteiführer setzte.22 Die Bedeutung der Rolle Abimael Guzmáns für den Leuchtenden Pfad und den Verlauf des militärischen Konflikts illustriert einmal mehr die Begrenztheit strukturalistischer Argumente: Folgt man deren Begründungslogik hätte die Festnahme Guzmáns und seines Leitungspersonals keinerlei derart dramatischen Auswirkungen auf 20 Aminzade, Goldstone und Perry (2001): Leadership, S. 132. 21 Comisión de la Verdad y Reconciliación (2003): Informe, Bd. 2, S. 87. 22 McClintock (1998): Movements, S. 67.

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den Verlauf der Ereignisse haben dürfen; schließlich hätten die sich für große Bevölkerungsteile negativ auswirkenden wirtschaftspolitischen Strukturmaßnahmen Fujimoris und dessen Rückkehr zum Autoritarismus durch den autogolpe im April 1992 hinreichend günstige strukturelle Rahmenbedingungen für den Fortgang des Konflikts setzen müssen. Auch wenn Abimael Guzmán eine einzigartige Machtposition innehatte, scheinen die einzelnen Regional- und Zonenkomitees auch eigene Handlungsund Entscheidungsspielräume besessen zu haben. Aufgrund der unzureichenden Quellenlage konnte die vorliegende Arbeit diesen Aspekt nicht näher beleuchten, dennoch lassen verschiedene Anhaltspunkte auf ein gewisses Maß an selbstverantwortlicher Eigenständigkeit unterer Parteiebenen schließen. Wie anhand der Ressourcenmobilisierung deutlich wurde, oblag es den einzelnen Regionalkomitees, die notwendigen finanziellen und materiellen Ressourcen selbst zu generieren. Wie die Finanzausstattung und Bewaffnung des Huallaga-Komitees vermuten lässt, waren die Regionalkomitees grundsätzlich in der Lage, größere Teile der mobilisierten Ressourcen einzubehalten. Daneben betonen auch verschiedene Parteidokumente, dass die Regionalkomitees über bestimmte taktische Freiheiten verfügten. In der Linea militar von 1988 hieß es etwa: „Cada Comité tiene que elaborar sus Planes estratégico-operativos dentro del Plan estratégico general y específicamente dentro del Plan estratégico-operativo común a todo el Partido.“23

Und in dem Dokument Elecciones, no! Guerra popular, si! von 1990 war zu lesen: „Los planes son estratégicamente centralizados y tácticamente descentralizados.“24

Vorbehaltlich weiterer Quellenauswertungen lässt sich vermuten, dass die Zentralführung in Lima zwar die maßgeblichen strategischen, ideologischen und organisatorischen Leitlinien vorgab, die nachgeordneten Ebenen innerhalb dieser Leitlinien aber eigenständige Handlungsmöglichkeiten besaßen. Trifft dies zu, besaß der Leuchtende Pfad zentralistisch-hierarchische und dezentrale Entscheidungs- und Handlungselemente – also eine von Renate Mayntz auch für aktuelle Gewaltverbände als charakteristisch identifizierte „organisatorische Hybridstruktur“25.

23 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1988a): Bases, S. 362. 24 Vgl. Partido Comunista del Perú-Sendero Luminoso (1990): Elecciones. 25 Mayntz (2004): Hierarchie, S. 256.

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Die kollektive Identität

Wie aufgezeigt, konnte die Partei aufgrund ihrer nur geringen wirtschaftlichen Stärke bei der Rekrutierung neuer Mitglieder nicht mit konkreten ökonomischen Anreizen werben; vielmehr zog die Mitgliedschaft ein hohes Maß gesellschaftlicher Ächtung mit sich. Dennoch kam der Bewerberstrom nie zum Erliegen. Der Grund hierfür lag in dem überzeugenden ideellen Angebot, dass der Leuchtende Pfad seinen Mitgliedern unterbreiten konnte und das die materiellen Defizite durch eine Idealisierung der eigenen Partei und Anhängerschaft und dem Versprechen auf eine siegreiche Revolution kompensierte. Innerhalb der ideellen Leistungen des Leuchtenden Pfads besaß die Konstruktion einer wirkungsvollen kollektiven Identität tragende Bedeutung. Durch sie gelang es der Partei, weit mehr als nur ein Wir-Gefühl zu erzeugen und eine binnenorganisatorische Kohäsion herzustellen, die trotz aller Fissuren einzigartig innerhalb der politischen Landschaft im Peru der 1980er- und frühen 1990erJahre blieb. Den Kern der kollektiven Identität bildete die Überzeugung, eine Elitepartei ausgewählter weniger und zugleich die einzige kommunistische Partei weltweit zu sein, die einen Volkskrieg führte. Mit diesem Selbstverständnis unterstrich der Leuchtende Pfad nicht nur seine Andersartigkeit, sondern auch seinen internationalen Führungsanspruch. Seit den ersten Stunden gemeinsamer Lektüre der marxistischen Klassiker in den Seminarräumen der Universität Ayacuchos hatte die Parteiführung das elitäre Selbstbild sorgfältig konstruiert und es mithilfe des rigorosen Auswahlprozesses auch praktisch umgesetzt. Angesichts einer sich immer weiter zerfasernden politischen Linken erwies sich die Kombination von geringer Mitgliederzahl und ausgeprägter kollektiver Identität als besondere Stärke des Leuchtenden Pfads. So erfolgreich sich die Konstruktion der kollektiven Identität auch entwickelte – ein Selbstläufer war sie nicht. Vielmehr stellte sie vor allem die Führungsebene der Partei vor die ständige Aufgabe, unterschiedliche Elemente und Instrumente so miteinander zu kombinieren, dass die kollektive Identität der Partei für alle Mitglieder zu allen Zeiten klar erkennbar blieb. Übereinstimmend mit den von der Bewegungsforschung am Beispiel anderer sozialer Bewegungen erzielten Ergebnissen ließen sich auch beim Leuchtenden Pfad verschiedene Kristallisationskerne für die Entwicklung der kollektiven Identität identifizieren. Der erste war die bereits erwähnte Überzeugung, eine elitäre Kaderpartei internationalen Ranges zu sein. Einen weiteren Kristallisationskern bildeten die immer wieder auch öffentlich proklamierte Opferbereitschaft der Parteikader sowie die ausgeprägte Märtyrerverehrung. Mit Aufnahme des bewaffneten Kampfes befand sich die Partei in offener Konfrontation mit den staatlichen Sicherheitskräften und ihre Mitglieder sahen sich zunehmend dem

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Risiko ausgesetzt, ihr Engagement mit dem eigenen Leben zu bezahlen. Erfolgreich gelang es der Parteiführung, die Bereitschaft, für die Partei zu sterben, zu einem konstitutiven Charaktermerkmal ihrer Mitglieder zu verklären und im Inneren der Partei zu verankern. Mithilfe des Konzepts der cuota eignete sich die Partei zudem die Entscheidungsbefugnis über Leben und Tod ihrer Mitglieder an und band diese dadurch noch enger an die eigene Organisation. Dieser Prozess war gleichbedeutend mit der schrittweisen Reduzierung der Individualität der Mitglieder zugunsten eines wachsenden Absolutheitsanspruches der Partei. Durch die Helden- und Märtyrerverehrung wurde die cuota in einen größeren kulturellen Erfahrungsrahmen der Partei integriert und die kollektive Identität weiter ausgebaut. Im Kampf getötete senderistas wurden als Helden und herausragende Beispiele der parteieigenen Opferbereitschaft geehrt und in Gedichten und Gesängen gefeiert. Strategisch klug wurden von der Parteiführung vor allem einfache Mitglieder und Kämpfer zu Märtyrern stilisiert, sodass sie mit einer breiten Identifikation innerhalb der Partei rechnen konnte. Besonders befeuert wurde der parteiinterne Heldenkult aber durch ein externes Ereignis, nämlich durch die Massaker der staatlichen Sicherheitskräfte bei der Niederringung der Gefängnismeutereien im Juni 1986. Die Ermordung mehrerer hundert Parteimitglieder und Kämpfer bot der Partei unter tragischen Umständen die Möglichkeit, die eigene Opferbereitschaft vor der nationalen und internationalen Öffentlichkeit zu glorifizieren und die Heldenverehrung durch die Ausrufung des Día de la Heroicidad weiter zu institutionalisieren. Die Ausrufung dieses Feiertages verweist auf den dritten Kristallisationskern, um den herum der Leuchtenden Pfad seine kollektive Identität konstruierte: den Nuevo Arte. Mithilfe des Nuevo Arte schuf der Leuchtende Pfad eine eigene Parteikultur, die verschiedene Bräuche und Rituale umfasste und zu der u. a. Gesänge und Gedichte, Malerei und Theateraufführungen, Aufmärsche und Symbole, eigene Feiertage, die dargestellte Legendennarrative sowie den Alltag ordnende Regeln und Normen gehörten. Mit diesen Elementen schärfte die Partei nach innen das Zusammengehörigkeitsgefühl ihrer Mitglieder, während es ihr nach außen gelang, ihren bewaffneten Kampf künstlerisch einzurahmen und symbolisch aufzuladen. Gleichzeitig dienten die künstlerischen Ausdrucksformen als Mittel der Propaganda der eigenen politischen und ideologischen Grundsätze. Dass die systematische Weiterentwicklung des Nuevo Arte einen hohen Stellenwert für die Partei besaß, zeigte sich auch in der Gründung des Movimiento de Artistas Populares (MAP). Mit dem Nuevo Arte kreierte die Partei einen kulturellen und symbolischen Alternativkosmos, in dem staatliche Normen sowie religiöse und indigene Rituale keine Rolle mehr spielten und durch parteieigene Vorschriften und Verhaltensregeln ersetzt wurden. Die Einhaltung dieser Regeln wurde von der Parteiführung streng überwacht und mithilfe dras-

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tischer Disziplinierungsmaßnahmen durchgesetzt. Gehorsam und Disziplin bildeten den vierten Kristallisationskern der kollektiven Identität des Leuchtenden Pfads, galten sie doch als Ausdruck revolutionärer Gesinnung und somit als konstitutive Merkmale der Parteiidentität. Wie die Aussagen von Parteimitgliedern demonstrieren, reduzierte sich die Individualität der einzelnen Mitglieder weitgehend zugunsten eines bedingungslosen Gehorsams gegenüber der Partei. Mithilfe des parteiöffentlichen Rituals der crítica und autocrítica erstickte die Parteiführung jegliches ideologische und militärpolitische Abweichen einzelner Mitglieder im Keim. Ständige Schulungen und ideologische Indoktrination halfen zusätzlich dabei, den Primat der Partei gegenüber den individuellen Interessen zu stärken. Die Herausbildung der kollektiven Identität stellte zugleich einen Abgrenzungsprozess gegenüber den anderen, also den übrigen politischen und gesellschaftlichen Akteuren in Peru, aber auch weltweit, dar. Bei dem framing, d. h. der symbolischen Konstruktion der peruanischen Wirklichkeit, folgte der Leuchtende Pfad im Wesentlichen den Interpretationen Mariáteguis und Maos, die Peru bzw. China zu Beginn des 20. Jahrhunderts als semifeudal und semikolonial beschrieben hatten. Unbeeindruckt von der tatsächlichen politischen und sozioökonomischen Entwicklung Perus und vor dem Hintergrund des eigenen Selbstverständnisses als einzig wahre kommunistische Avantgarde kategorisierte der Leuchtende Pfad den peruanischen Staat als hambreador oder genocida und alle anderen gesellschaftlichen Kräfte des Landes als reaktionäre und faschistische Willensvollstrecker der USA, der Sowjetunion oder Chinas. Vor allem die nationale wie internationale politische Linke entwickelte sich zum Hauptziel des Leuchtenden Pfads, der sich so gegen das eigene politische Lager zu profilieren suchte. Seiner Interpretation der Wirklichkeit zufolge bestand die einzige Möglichkeit zum Systemwechsel darin, den bewaffneten Kampf nicht zu debattieren, sondern ihn durchzuführen. Auf diese Weise enthielt der FramingProzess des Leuchtenden Pfads wesentliche von der allgemeinen Bewegungsforschung identifizierte Elemente: Er bot seinen Mitgliedern nicht nur eine Diagnose der Wirklichkeit (Peru als semifeudales und semikoloniales Land), sondern auch einen Therapievorschlag, wie diese Wirklichkeit den eigenen Vorstellungen angeglichen werden könnte (durch den bewaffneten Kampf ). Wie sich anhand der Aussagen von Parteimitgliedern feststellen ließ, erhöhte sich die Überzeugungskraft des framing der Partei zudem dadurch, dass es die eigenen sozioökonomischen Alltagserfahrungen und Wahrnehmungen der Mitglieder glaubwürdig und nachvollziehbar abbildete.

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Die Ideologie

Die Bedeutung von Ideologien für die Entwicklung widerständiger Politik wird in der Forschung unterschiedlich bewertet. Während z. B. die Anhänger strukturalistischer Konzepte das ideologische Fundament sozialer und revolutionärer Bewegungen für ebenso wenig beachtenswert halten wie die Rolle der handelnden Akteure selbst, identifizieren einige Bewegungs- und Terrorismusforscher die jeweiligen Ideologien als zentrales, d. h. handlungsbestimmendes Wesensmerkmal kollektiven Protests. Ähnlich gegensätzliche Bewertungen ließen sich im vierten Kapitel auch in der Literatur über den Leuchtenden Pfad erkennen. Die offensichtliche Inkongruenz der Parteiideologie mit der politischen und sozioökonomischen Realität Perus veranlasst einige Autoren zu der Annahme, dass die Ideologie keinen Beitrag zur Erklärung des Erfolgs der Partei leisten kann. Andere Beobachter dagegen kommen zu dem Urteil, dass die Ideologie erfolgreich dazu beitrug, das von der Partei vorgegebene Weltbild in den Köpfen und Herzen der eigenen Mitglieder und Anhänger zu verankern, und somit die Kohäsion der Organisation stärkte. Die vorliegende Arbeit weist der Ideologie des Leuchtenden Pfads ebenfalls eine bedeutende Rolle zu, ohne dabei deren grundsätzliche Inkompatibilität mit der peruanischen Wirklichkeit zu übergehen. Besonders deutlich zeigte sich diese Inkompatibilität in der Beziehung der Partei zur Bauernschaft des Hochlandes. Trotz eines hohen Anteils bäuerlicher Parteimitglieder stand die große Mehrheit der Bauernschaft der Partei ablehnend gegenüber und ließ sich nicht (freiwillig) mobilisieren. Zwar hatte der Leuchtende Pfad in den ersten Jahren seines Kampfes gewisse Sympathien in den ländlichen Gemeinden des Hochlandes erwerben können. Sein ideologisches Fundament und rigide Weltsicht hinderten ihn aber daran, einen dauerhaften Zugang zur Bauernschaft des Hochlands aufzubauen und die bäuerlichen Gemeinden in das eigene Revolutionsprojekt zu integrieren. Stattdessen schlug die wachsende bäuerlich-indigene Ablehnung gegen Ende der 1980erJahre in eine heftige militärische Gegnerschaft um, die entscheidenden Anteil an der militärischen und gesellschaftspolitischen Niederlage des Leuchtenden Pfads in seiner Ursprungsregion Ayacucho besaß. Die selbstverschuldete Unfähigkeit der Partei, bei ihrer Expansion andine Lebens- und Traditionsmuster adäquat zu berücksichtigen, muss als eine ihrer größten Fehlleistungen gewertet werden. Welche Gründe zur dieser Fehlleistung führten, bleibt aber unklar. Wie wir sahen, hatte der Leuchtende Pfad bereits in den 1970er-Jahren damit begonnen, seine zukünftigen Aktionsräume systematisch zu erkunden. Mithilfe seiner studentischen Mitglieder und der zahlreichen Lehrer in seinen Reihen erfasste die Partei die geografischen, politischen, ökonomischen und soziokul-

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turellen Charakteristika verschiedener Gemeinden und Regionen, um sich ein detailliertes Bild von den Rahmenbedingungen zu machen, mit denen er sich in späteren Jahren konfrontiert sehen würde. Angesichts des kulturellen und ethnischen Hintergrunds vieler seiner Mitglieder hätte der Leuchtende Pfad eigentlich über einen hervorragenden Zugang zu der ländlich-andinen Lebenswelt der Hochlandbevölkerung verfügen müssen. Gleichzeitig bildete die Bauernschaft neben dem Proletariat auch theoretisch die wichtigste revolutionäre Referenzgruppe für die Partei. Den ethnisch-kulturellen Eigenheiten dieser Gruppe räumte der Leuchtende Pfad jedoch keinen Platz in seinem eigenen Weltbild ein. In der Folge führten eine überzogene Gewaltanwendung und die Missachtung der tradierten bäuerlichen Wert- und Moralvorstellungen rasch zu einer dauerhaften Entfremdung zwischen Partei und Bauernschaft. So bildete der Umgang des Leuchtenden Pfads mit der bäuerlich-andinen Bevölkerung das vielleicht beste Beispiel für die von Steve Stern identifizierte eigentümliche Besonderheit des Leuchtenden Pfads, ausgeprägten Scharfsinn und ausgeprägte Ignoranz gleichzeitig in sich zu vereinen.26 Diese Widersprüchlichkeit war zweifelsfrei eine Ursache für die so geringe Resonanz der Parteiideologie innerhalb der peruanischen Gesellschaft. Allerdings zielte der Leuchtende Pfad als selbstdefinierte Kaderpartei auch gar nicht auf eine breite Verwurzelung seiner ideologischen Lehrsätze ab. Zwar bemühte er sich mithilfe von Propaganda und der escuelas populares darum, sein politischideologisches Programm in allen sozialen Gruppen bekannt zu machen. Die eigentliche Empfängergruppe blieben jedoch radikale Kreise, die innerhalb der Schulen und Universitäten, der Lehrerschaft, der Parteien und der Gewerkschaften die marxistischen Theorie- und Diskursdebatten selbst pflegten und die bereit waren, sie mithilfe des bewaffneten Kampfes auch in die Praxis umzusetzen. Für diese hoch mobilisierbare Minderheit war eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen Ideologie und Wirklichkeit unerheblich bzw. ohnehin gegeben. Wie die Aussagen von Parteimitgliedern belegen, konnten zudem vor allem junge Menschen, denen die wirtschaftliche Talfahrt der 1980er-Jahre den erhofften sozialen Aufstieg unmöglich machte, ihre eigene Lebensrealität als durchaus vereinbar mit den vom Leuchtenden Pfad beschriebenen Wirtschaftsund Dominanzverhältnissen verstehen. Dies galt trotz der beschriebenen Konflikte auch für Teile der Bauernschaft. Die ernüchternden Ergebnisse der Bodenreform der 1970er-Jahre sowie die in Interviews dargelegten Begründungen für den Parteibeitritt lassen die Annahme zu, dass der Leuchtende Pfad die Bauern vor allem mit dem Versprechen auf Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für sich gewinnen konnte. Darüber hinaus wirkte möglicherweise auch ein anderes 26 Vgl. Stern (1998): Enigma, S. 471.

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Versprechen der Partei anziehend, nämlich das Versprechen auf eine egalitäre Gesellschaft, in der soziale Exklusion aufgrund der ethnischen Abstammung nicht mehr existierte. Geschickt verband die Partei die Aussicht auf gesellschaftliche Emanzipation mit den Hoffnungen vor allem junger Bauernkinder auf sozialen Aufstieg: ,,Decían [los senderistas, SCW] que Ayacucho iba a ser zona liberada en 1985. Una famosa ilusión que han creado a los muchachos era que ya pues estamos en el 81, para el 85 va a ser una república independiente, ¿acaso no quieres ser un ministro? ¿acaso no quieres ser un jefe militar? Ser algo, ¿no?. Un muchacho me dijo eso. El 85 la revolución va a triunfar y luego los que estamos aquí en Sendero, los que tenemos más vida de mi- litancia en Sendero vamos a ser los ministros. Era una manera de ilusionar a los muchachos ¿no?.“27 Es ist also sehr wahrscheinlich, dass das absolute und vereinfachende ideologisch-politische Programm des Leuchtenden Pfads von seinen eigenen Mitgliedern als realitätsnah, zutreffend und überzeugend aufgefasst wurde. Hierbei wirkte sich ggf. auch die Tatsache aus, dass große Teile der Mitglieder und Sympathisanten deutlich jünger als 30 Jahre alt waren, es sich also um eine Gruppe junger, politisch-ideologisch motivierter und noch formbarer Menschen handelte, die zudem regelmäßigen Indoktrinierungs- und Schulungsunterricht genoss. Für diese Gruppe wirkte die Ideologie im Zusammenspiel mit der kollektiven Identität und dem Personenkult der Partei sinnstiftend und als politischer Kompass. Als solcher erfüllte Parteiideologie die von Göran Therborn identifizierten Funktionen der Weltdeutung, der Normsetzung sowie der Darlegung der Handlungsmöglichkeiten. Entscheidend erscheint uns hierbei, dass die Bedeutung der Ideologie für widerständige Politik sich nicht in erster Linie an ihrer Übertragbarkeit auf die jeweilige gesellschaftliche Realität festmachen lässt, wie etwa Henry Favre mit Blick auf den Leuchtenden Pfad meint. Vielmehr ist Hubert Lanssiers zuzustimmen, wenn er, ebenfalls den Leuchtenden Pfad betrachtend, festhält: „the value [of ideologies, SCW] is not found in the rigor of their construction or in the quality of their argument, which are rather poor and schematic. […] What is important is that they tell us essentially what we need to think, they express what is needed to make a thought collectively operative. Their mobilizing energy is more useful than the content of their concepts, the orchestration of the themes is more important than their richness.“28 Lanssiers Hinweis zeigt die engen Grenzen auf, innerhalb derer sich eine Kritik bewegt, die die Bedeutung der Ideologie in erster Linie aufgrund ihres vermeintlich mit der Realität unvereinbaren Inhalts anzweifelt. Wie Renate Manytz bei ihrer Untersuchung verschiedener Gewaltverbände beschreibt, kann eine gewisse in27 Degregori (1991): Jóvenes S. 398. 28 Zitiert nach Basombrío Iglesias (1998): Sendero, S. 429.

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haltliche Unklarheit sogar zu einer höheren Mobilisierung führen, da auf diese Weise ganz unterschiedliche Ressentiments und Interessen unter der jeweiligen Ideologie subsumiert werden können.29 Insofern kann angenommen werden, dass die sehr allgemein gehaltenen ideologischen Bausteine des Leuchtenden Pfads, wie etwa das stets im Ungefähren schwebende Diktum des semifeudalen und semikolonialen Charakters Perus, relativ weiten Mobilisierungsraum ließen und unterschiedlich weit ausgeformte, individuelle Überzeugungen und Ideen kanalisierten. So verstanden, stützt das Beispiel des Leuchtenden Pfads die Annahme der Terrorismusforschung, dass ein wesentlicher Aspekt von Ideologie darin liegt, jeglichen „empirischen Gegenbeweis“30 durch Dritte unmöglich zu machen. Das Gewaltverständnis des Leuchtenden Pfads

Immer wieder von der Literatur und zeitgenössischen Darstellungen hervorgehoben wurde der massive, vermeintlich singuläre Gewalteinsatz des Leuchtenden Pfads. Als konkreter Ausdruck der ideologischen Überzeugungen der Partei provozierte er nicht nur die schleichende Distanzierung der Bauernschaft, sondern isolierte die Partei auch von der Mehrheit der anderen sozialen Akteure des Landes. Für eine kleine und radikale Minderheit war die von der Partei propagierte und angewandte Gewalt dagegen das notwendige und einzig nützliche Instrument, mit dem der angestrebte gesellschaftliche Systemwechsel zu realisieren war. Die zentrale Rolle der Gewalt im Denken des Leuchtende Pfads ist von der Literatur immer wieder hervorgehoben worden.31 Doch auch wenn das Gewaltverständnis der Partei innerhalb des peruanischen Kontextes singuläre Elemente aufwies, war es keineswegs deren Alleinstellungsmerkmal. Vielmehr wurzelte es prinzipiell in dem bereits existierenden Gewaltdiskurs der politischen Linken, der bis weit in die 1980er-Jahre andauerte – insofern bildete der Leuchtende Pfad keine Ausnahme, sondern reihte sich in eine bestehende Diskurstradition ein. Zur Legitimation der eigenen Gewalt verfolgte der Leuchtende Pfad zwei Strategien. Einerseits wurde Gewalt in den Rang eines übergeordneten und universellen Gesetzes erhoben, das den zentralen Ausgangspunkt jeglichen revolutionären Handelns bildete. Jenseits dieser theoretisch-konzeptionellen Überlegungen arbeitete der Leuchtende Pfad zudem an der Dehumanisierung seiner politischen Gegner, indem diese etwa als Parasiten oder Unge29 Vgl. Mayntz (2004): Hierarchie, S. 253. 30 Waldmann (2005): Terrorismus, S. 213. 31 Vgl. Starn (1995): Maoism und Gorriti Ellenbogen (2008): Sendero.

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ziefer bezeichnet wurden. Gleichzeitig erfolgte die Denunzierung des Staates als alleiniger Verursacher der wirtschaftlichen Misere des Landes. Auf diese Weise wurde ein Handlungsrahmen geschaffen, der massive Gewaltanwendung auch weit jenseits militärischer Notwendigkeit rechtfertigte. In der Folge entstand in der öffentlichen Wahrnehmung das Bild eines brutalen und blutrünstigen Gewaltverbands, das maßgeblich zur allgemeinen Furcht und Verunsicherung der Gesellschaft sowie zu einer Überhöhung der militärischen und organisatorischen Kapazitäten des Leuchtenden Pfads beitrug. In dem Maße, wie die eigene Gewaltanwendung abschreckend nach außen wirkte, wirkte sie im Zusammenspiel mit der Ideologie und der kollektiven Identität disziplinierend nach innen. Ausblick

Auch etwas mehr als 25 Jahre nach Beginn der ersten Forschungsarbeiten zum Leuchtenden Pfad ist unser Wissensbestand nicht vollständig. Zwar existieren mittlerweile grundlegende Erkenntnisse etwa zu den sozioökonomischen Rahmenbedingungen des Aufstandes, zur geographischen Expansion der Partei, zu dem bäuerlichen Widerstand und zu den politisch-ideologischen Leitlinien der Organisation. Dagegen stellt das Innenleben der Partei bis heute weitgehend eine „black box“ dar. Auf Grundlage neu erschlossenen Quellenmaterials hat die vorliegende Arbeit versucht, mehr Licht in dieses bisher opake Gebilde zu bringen und wichtige Aspekte der internen Mechanismen und Abläufe detailliert aufzuzeigen. Eine allgemeine Öffnung der Archive von Polizei und Justiz für die Forschung wird helfen, dieses Bild weiter zu verfeinern und dunkle Stellen, wie etwa die möglichen Fissuren zwischen Zentralführung und einzelnen Parteiabteilungen, noch besser auszuleuchten. Mithilfe der internen Parteidokumentation, der vor allem von der internationalen Forschung bisher vernachlässigten Bestände der Wahrheitskommission und ergänzt durch die vorliegende Arbeit und Studien, die sich z.B. mit der Expansion des Leuchtenden Pfads in den Armutsvierteln der Hauptstadt Lima befassen32, sollte es zudem möglich sein, den Konfliktverlauf auch aus Sicht des Leuchtenden Pfads und dessen genaue Interaktion mit der ihm umgebenden Umwelt besser zu analysieren. Denn noch immer wissen wir wenig darüber, mit welchen Begründungsmustern, auf welchem Weg und mit welchem Ziel genau es dem Leuchtenden Pfad gelang, bestehende soziale Organisationen zu unterwandern, politische Räume zu füllen und dadurch auch die öffentliche Wahrnehmung seiner eigenen Leistungsfähigkeit zu seinem Vorteil zu beeinflussen. 32 Burt (1998): Shining Path und Burt (2007): Violence.

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Schließlich existiert auch weiterhin ein nur eingeschränktes Wissen über die Lebensbedingungen und das Alltagsleben überall dort, wo es dem Leuchtenden Pfad gelang, sich territorial zu konsolidieren.33 Wie die Wahrheitskommission anhand einzelner Fallbeispiele hat zeigen können, war der Leuchtende Pfad nicht in der Lage, die Bevölkerung in seinem Einflussgebiet ausreichend zu versorgen und die eigenen Versprechungen auf wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit zu realisieren – er war also, seiner eigenen Terminologie folgend, selbst ein Regime hambreador. Wie die vorliegende Arbeit an verschiedenen Stellen aufgezeigt hat, herrschte die Partei stattdessen mithilfe einer rigiden Zwangsund Normenordnung, die den Alltag streng reglementierte und die mit der traditionellen Lebenswelt der betroffenen Bevölkerung nicht vereinbar war. Während die bisherige Forschung den wachsenden Widerstand vor allem der Hochlandbevölkerung gegen den Leuchtenden Pfad in erster Linie mit dessen überzogenem Gewalteinsatz und dessen Verbot der lokalen Märkte als wichtigste Handelsplätze erklärt, benötigen die sozialen und kulturellen Folgen der Besatzung und Ursachen des Widerstands noch immer eine adäquate Analyse. Eine solche Perspektive erscheint nicht zuletzt auch deshalb notwendig, um das Leid genauer ermessen zu können, das der Leuchtende Pfad und der von ihm verursachte Konflikt über die Menschen Perus brachte.

33 Vgl. del Pino (1998): Family

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Petr a J. Wagner

»Ich bIn doch auch zu etWas nütze« LebensWeLten behInderter Menschen In LIMa und caJaMarca (Peru) (Menschen und KuLturen, band 8)

Als erste umfassende Studie zum Umgang mit Behinderung in Peru erörtert dieses Buch einerseits die historische Entwicklung mit Schwerpunkt auf der vorspanischen Geschichte und den in und nach der Kolonialzeit erfolgten Paradigmenwechseln, andererseits die derzeitige Situation von Menschen mit Beeinträchtigung in den unteren Schichten der peruanischen Bevölkerung. Im Blickpunkt stehen die Betroffenen mit ihren Familien, ihre Bewältigungs- und Sinngebungsstrategien, ihre Chancen und Ressourcen. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass zwischen gesetzlichen Vorgaben und sozialer Wirklichkeit eine Kluft besteht, die nur zum kleinsten Teil auf fehlenden Finanzmitteln, wesentlich stärker jedoch auf einem unterschiedlichen Verständnis von Behinderung beruht. 2011. 343 S. Mit 25 S/w-Abb. Gb. 155 x 230 MM. iSbN 978-3-412-20670-3

böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

SILKE HENSEL , ULRICH MÜCKE, RENATE PIEPER, BARBAR A POTTHAST (HG.)

JAHRBUCH FÜR DIE GESCHICHTE L ATEINAMERIK AS

Als erste Fachzeitschrift zur lateinamerikanischen Geschichte in Europa, die nach dem Zweiten Weltkrieg außerhalb Spaniens und Portugals erschienen ist, hat das »Jahrbuch« anerkannte Pionierarbeit geleistet. Fachwissenschaftler des deutschsprachigen Raums, aus den übrigen westeuropäischen Staaten, aus Nord- und Lateinamerika sowie aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks kommen darin zu Wort. So übt das »Jahrbuch« mit seinen in Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Französisch oder Deutsch publizierten Beiträgen eine Brückenfunktion aus, die fruchtbaren geistigen Austausch fördert. Das Jahrbuch erscheint seit dem 35. Band (1998) mit einer Sektion »Forum«, die dem kritischen Dialog und Gedankenaustausch gewidmet ist.

ISSN 1438-4752 ERSCHEINT JÄHRLICH PREIS AUF ANFRAGE

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LATEINAMERIKANISCHE FORSCHUNGEN BEIHEFTE ZUM JAHRBUCH FÜR GESCHICHTE LATEINAMERIKAS

Herausgegeben von Silke Hensel, Ulrich Mücke, Renate Pieper und Barbara Potthast Eine Auswahl.

Band 31:

Delia González de Reufels

SIEDLER UND FILIBUSTER IN SONORA EINE MEXIKANISCHE REGION IM INTERESSE AUSLÄNDISCHER ABENTEURER UND MÄCHTE (1821–1860)

Band 35:

Margarita Gómez Gómez

EL SELLO Y REGISTRO DE INDIAS IMAGEN Y REPRESENTACIÓN

2008. 373 S. 18 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20229-3

Band 36: Hans Werner Tobler, Peter Waldmann (Hg.) LATEINAMERIKA UND DIE USA IM »LANGEN« 19. JAHRHUNDERT UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN

2009. 310 S. Gb. ISBN 978-3-412-20428-0

Band 37:

Sebastian Dorsch

2003. IX, 293 S. 4 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-04103-8

VERFASSUNGSKULTUR IN MICHOACÁN (MEXIKO)

Band 32:

RINGEN UM ORDNUNG UND SOUVERÄNITÄT IM ZEITALTER DER ATLANTISCHEN REVOLUTIONEN

Stefan Rinke

BEGEGNUNGEN MIT DEM YANKEE NORDAMERIKANISIERUNG UND SOZIOKULTURELLER WANDEL IN CHILE (1898–1990)

2010. XIV, 634 S. Mit 9 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20632-1

Band 38:

Oliver Gliech

2004. XVII, 633 S. inkl. 71 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-06804-2

SAINT-DOMINGUE UND DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION

Band 33: Renate Pieper, Peer Schmidt (Hg.)

DAS ENDE DER WEISSEN HERRSCHAFT IN EINER KARIBISCHEN PLANTAGENWIRTSCHAFT

LATIN AMERICA AND THE ATLANTIC WORLD

2011. XIV, 554 S. Gb. ISBN 978-3-412-20679-6

EL MUNDO ATLÁNTICO Y AMÉRICA LATINA (1500–1850). ESSAYS IN HONOR OF HORST PIETSCHMANN

Band 39:

Sebastian Chávez Wurm

2006. 456 S. Gb. ISBN 978-3-412-26705-6

DER LEUCHTENDE PFAD IN PERU (1970–1993)

Band 34:

ERFOLGSBEDINGUNGEN EINES REVOLUTIONÄREN PROJEKTS

Ulrich Mücke

GEGEN AUFKLÄRUNG UND REVOLUTION

2011. 297 S. Gb. ISBN 978-3-412-20720-5

DIE ENTSTEHUNG KONSERVATIVEN DENKENS IN DER IBERISCHEN WELT (1770–1840)

RB081

2008. 542 S. Gb. ISBN 978-3-412-20019-0

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