Der Geschmack der Gentrifizierung: Arabische Imbisse in Berlin [1. Aufl.] 9783839425213

Arab kebab shops have helped shape the gentrification in quarters of Berlin such as Kreuzberg, Prenzlauer Berg, and Frie

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German Pages 354 Year 2014

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Der Geschmack der Gentrifizierung: Arabische Imbisse in Berlin [1. Aufl.]
 9783839425213

Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung: Gentrifizierung, Authentizität und ethnisierende Vermarktung
DIE GENESE DER BERLINER FALAFELKULTUR
2 Der Nährboden: Wandlungen der Konsumund Einwanderungsgesellschaft Berlins
3 Unbemerkte Gentrifizierer: Falafelimbisse als Träger der urbanen Aufwertung
DER KONSUM DES ARABISCHEN
4 Die Formation des Arabischen in Berlins Gastronomie
5 Der Berliner Orient: Das Interieur als Spiegel der Aufwertung
6 Das Fremde wird vertraut: Zur sozialen Praxis des Falafelkonsums
7 Das Arabische – auch ein Konfliktstoff?
8 Zwischenfazit: Kulturelle statt ökonomische Inszenierungen als Strategien in der Gentrifizierung
DIE BERLINER GESCHMACKSLANDSCHAFT DER GENTRIFIZIERUNG
9 Falafel versus Döner: Die Abgrenzung der neuen Mittelschicht
10 Berlins Transkulturalität als Distinktionsfläche
11 Fazit: Der Geschmack der Gentrifizierung – Kulturelles Kapital, Distinktion und Orientalismus in Berlin
Verzeichnis der Interviews
Literatur

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Miriam Stock Der Geschmack der Gentrifizierung

Urban Studies

Miriam Stock (Dr. phil.) ist Stadt- und Kulturgeographin und forscht zu Fragen der Gentrifizierung, des Konsums, der Migration und des Wandels öffentlicher Räume in europäischen und arabischen Städten.

Miriam Stock

Der Geschmack der Gentrifizierung Arabische Imbisse in Berlin

Zugleich Dissertation, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Kulturwissenschaftliche Fakultät, 2013. Gedruckt mit Hilfe der Europa-Universität Viadrina.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Anja Pietsch (nachbearbeitetes Foto des Dada-Imbiss, Berlin-Mitte) Lektorat: Miriam Stock Korrektorat: Karin Janker Satz: Miriam Stock Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2521-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

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Einleitung: Gentrifizierung, Authentizität und ethnisierende Vermarktung | 7

DIE GENESE DER BERLINER FALAFELKULTUR 2 3

Der Nährboden: Wandlungen der Konsumund Einwanderungsgesellschaft Berlins | 43 Unbemerkte Gentrifizierer: Falafelimbisse als Träger der urbanen Aufwertung | 77

DER KONSUM DES ARABISCHEN 4 5 6 7 8

Die Formation des Arabischen in Berlins Gastronomie | 129 Der Berliner Orient: Das Interieur als Spiegel der Aufwertung | 153 Das Fremde wird vertraut: Zur sozialen Praxis des Falafelkonsums | 199 Das Arabische – auch ein Konfliktstoff? | 223 Zwischenfazit: Kulturelle statt ökonomische Inszenierungen als Strategien in der Gentrifizierung | 253

DIE BERLINER GESCHMACKSLANDSCHAFT DER GENTRIFIZIERUNG 9 10 11

Falafel versus Döner: Die Abgrenzung der neuen Mittelschicht | 263 Berlins Transkulturalität als Distinktionsfläche | 295 Fazit: Der Geschmack der Gentrifizierung – Kulturelles Kapital, Distinktion und Orientalismus in Berlin | 317

Verzeichnis der Interviews | 327 Literatur | 331

1 Einleitung: Gentrifizierung, Authentizität und ethnisierende Vermarktung Frittenalarm im Falafelkiez SPIEGEL ONLINE (2007)

Mit dieser Schlagzeile betitelte Spiegel Online eine Auseinandersetzung in Kreuzberg, die um die geplante Eröffnung der ersten McDonald’s-Filiale in diesem Berliner Stadtteil entbrannt war. Nach Ansicht der zahlreichen Gegner, die sich zu einer Bürgerinitiative formiert hatten, passte das amerikanische Fast-Food-Unternehmen nicht zum alternativ-multikulturellen Image Kreuzbergs. Falafelimbisse hingegen schienen sich reibungslos in den Stadtteil zu integrieren: Sie standen im traditionell links orientierten Kreuzberg zusammen mit anderen lokalen Ökonomien als Symbole gegen eine zunehmende Globalisierung nach amerikanischem Vorbild. Dabei waren auch die arabischen Falafelimbisse – ähnlich wie McDonald ’s – Ausdruck einer intensivierten kulturellen Globalisierung in der Spätmoderne, die sich längst nicht nur in Form eines »american way of live« in kulinarischen Landschaften bemerkbar macht, sondern sich inzwischen in der Koexistenz diverser kulinarischer Kulturen in städtischen Konsumlandschaften manifestiert (Cook/Crang 1996, Jayne 2006, 137ff., Ram 2004). Deswegen stellte die deutsche Konzernleitung von McDonald’s auch verwundert fest: »Aber es ist eine bizarre Situation, weil wir eher dachten, dass wir nicht auffallen in Kreuzberg mit seinen vielen Restaurants und Döner-Läden« (Neue Zürcher Zeitung 2007). Im Gegensatz zu der McDonald’s-Filiale wurden die Falafelimbisse in Kreuzberg wie anderswo in Berlin aber nicht als Eindringlinge von außen, sondern als lokal verankert wahrgenommen. Während meines Interviews berichtete der 30jährige Journalist Michael, der seit 2006 in Kreuzberg wohnt, was ihm durch den Kopf gegangen war, als er auf einer USA-Reise 2009 nach drei Wochen auf einen

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Falafelimbiss gestoßen war (K13):1 »Und da habe ich das Gefühl gehabt, das ist wie in Berlin. Weil ich Falafel aus Berlin kenne. Und das war dann für mich wie ein Heimatgefühl, Falafel zu essen, auch wenn man im fernen Arizona ist. Weil man das mit seiner Stadt verbindet.« Der damalige München Student hatte Falafel das erste Mal während eines Praktikums 2002 in Berlin gegessen: »Und das war irgendwie etwas Besonderes. Ich wusste, glaube ich, am Anfang auch nicht, was Falafel sind. Dass dieses Püree, was da zu Bällchen geformt und frittiert wird, aus Kichererbsen besteht. Aber das ist schon echt lang her.« Auch andere von mir interviewte Neuberlinerinnen und -berliner erzählten, dass sie – während sie den Döner schon aus den zahlreichen türkischen Imbissen in anderen Städten in Deutschland oder Europa kannten – mit Falafel erst in Berlin in Berührung oder zumindest auf den Geschmack gekommen sind. Die 22-jährige Studentin Sarah, die 2008 für ein Austauschjahr von Amsterdam nach BerlinFriedrichshain gezogen war, erinnerte sich zwar dunkel an einen Imbiss in Amsterdam (K16): »Aber es ist dort nicht so verbreitet. Und das war eher so eine FalafelKette und eigentlich nicht so lecker. Und dann habe ich es hier noch einmal probiert, weil hier in Berlin so viele Leute Falafel essen. Und da habe ich gedacht: Wieso habe ich das erst jetzt entdeckt?« Trotz der Globalisierung kulinarischer Kulturen sind die arabischen Falafelimbisse offenbar eine Berliner Besonderheit. In kaum einer deutschen und europäischen Stadt sind sie gegenwärtig so verbreitet wie in Berlin. Sucht man zum Beispiel auf »Qype«, einer Online-Plattform für stadtbezogene nutzergenerierte Kritiken zu Gastronomie, Einzelhandel und Dienstleistungen, so erscheinen dort im August 2012 unter dem Suchbegriff Falafel 78 Einträge für Berlin, während es in Hamburg nur 26 und in München sogar nur drei sind. Dieses Ungleichgewicht setzt sich europaweit fort. Denn auf der englischsprachigen Seite werden für London nur in zehn Fällen Falafelimbisse besprochen, und auf der französischsprachigen Seite sind es gerade einmal 17, die von Nutzerinnen und Nutzern in Paris kommentiert werden.2

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Die Abkürzung K13 ist eine Kurzbezeichnung für eines der im Rahmen dieser Forschung durchgeführten Interviews. Ausführliche Angaben zu den Interviews finden sich vor dem Literaturverzeichnis.

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Diese Unterschiede spiegeln sich nicht durch die Gesamtzahl der Einträge in der Kategorie Essen und Trinken wider. In der Kategorie Essen und Trinken gibt es in Berlin insgesamt 12.326 Einträge, in Hamburg 6.201 Einträge und in München immerhin noch 4.377 (Quelle: www.qype.de; Stand: 21.08.2012). Auf der englischsprachigen Seite finden sich für London sogar 23.297 Einträge in der Kategorie Essen und Trinken, und damit doppelt so viele wie in Berlin (www.qype.co.uk). Und auf der französischsprachigen Seite waren

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Die Konzentration der Falafelimbisse in Berlin ist zunächst auf stadtspezifische Migrationsprozesse zurückzuführen. So wanderten arabische Migrantinnen und Migranten im Zuge des israelisch-palästinensischen Konflikts, des von 1975 bis 1990 dauernden libanesischen Bürgerkriegs und auf der Flucht vor dem irakischen Saddam-Regime vermehrt nach (West-)Berlin ein, das vor der Wende über die Zwischenstation DDR für arabische Flüchtlinge ein offenes Zugangstor nach Europa bildete. Dieser Prozesse zieht bis heute eine Kettenmigration nach sich (Ghadban 2000; Shooman 2007; Palestinian International Institute 2012). 2008 leben in Berlin – im Schatten der knapp 120.000 Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit – über 30.000 Personen mit Staatsangehörigkeiten, die der arabischen Region zuzurechnen sind.3 Die vielen Eingebürgerten und Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung sind dabei noch nicht mitgezählt. Berlin beherbergt gegenwärtig nicht nur die größte Zahl arabischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland, sondern auch eine der größten Gruppen der palästinensischen Diaspora außerhalb des Nahen Ostens (Shiblak 2005, 13). Allerdings gibt die hohe Zahl von arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin nur eine Seite des Berliner Falafelphänomens wieder. Zwar werden die Falafelimbisse von arabischen Migranten geführt, aber nicht von ihnen nachgefragt. Bis heute meiden arabische Migrantinnen und Migranten die Imbisse in Berlin weitgehend. Vielmehr zielen die Besitzer4 der Falafelimbisse mit ihrem Angebot auf ein akademisches, deutsches und europäisches, junges Publikum, das zunächst in den achtziger Jahren in den West-Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Schöneberg präsent wurde und nach dem Fall der Mauer dann die Ost-Berliner Stadtteile Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain dominierte und transformierte (Holm 2010a). Diese neue Mittelschicht, die oft aus anderen Regionen Deutschlands und Europas dem Ruf Berlins als »Subkulturmetropole« (Lanz 2007, 188) folgte, eignete sich die Stadtteile durch ihre alltagskulturellen symbolischen Konsumpraktiken an, während vor Ort präsente statusniedrigere Gruppen und deren Einrichtungen zunehmend marginalisiert wurden. Arabische Falafelimbisse sind von Beginn an Teil der Gentrifizierung in Berlin gewesen. Während türkische Dönerimbisse den umfangreichen Aufwertungsprozessen in Berlin in den vergangenen Jahren zunehmend weichen mussten, prägten und

es mit 13.864 (ww.qype.fr) ähnlich viele wie in Berlin. (Stand der Abrufe ebenfalls 21.08.2012.) 3

Bundesamt für Statistik 2008.

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Für die Anbieter wird hier die männliche Form benutzt, da sich aus der Feldforschung ergeben hat, dass die Besitzer von Falafelimbissen ausschließlich Männer sind, wenn auch ab und an Frauen im Betrieb angestellt sind oder mithelfen.

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gestalteten die Besitzer der Falafelimbisse die alltagskulturellen Transformationsprozesse der kommerziellen Landschaft in frühen Phasen dieser Auf- bzw. Umwertung mit und integrieren sich mit ihren arabischen Inszenierungen bis heute nahtlos in die neubürgerlichen Stadtteilkulturen. Das zeigt auch die quantitative Verteilung: So gab es 2010 im Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, einem deutschen Gentrifizierungs-Prototypen, 17 Falafelimbisse, im ebenfalls deutsch oder europäisch dominierten Ost-Berliner Szene-Viertel Friedrichshain waren es 16.5 Zum Vergleich: Im arabisch dominierten und 2010 noch unterschichtskonnotierten Neukölln boten nur 11 arabische Imbisse die Falafel an.6 Gleichzeitig allerdings wird der große Erfolg dieser arabischen Unternehmen in Berlins Gentrifizierungsvierteln begleitet von einem gerade auch in Berlin präsenten mehrheitsgesellschaftlichen medialen Diskurs über das Arabische, in dem antimuslimische Ressentiments geschürt werden, die bis tief in die aufgeklärte Mittelschicht hineinragen. Diese Ressentiments entladen sich in negativen Stereotypen über arabische Migrantinnen und Migranten, die als terroristisch, fanatisch, patriarchalisch und konservativ gezeichnet werden und deren Integration als gescheitert gilt (Eickhof 2010, Attia 2009). Der Erfolg der arabischen Imbisse ist also auch deshalb bemerkenswert, weil arabische Präsenzen in Berlin sonst häufig als konfliktbehaftet und marginalisiert wahrgenommen werden. Das Phänomen der arabischen Falafelimbisse in Berlin ist Ausdruck der Konstitution und Neuordnung des Lokalen in einer wirtschaftlich und kulturell globalisierten, spätkapitalistischen Welt (vgl. Welz 1993). Es ist aber nicht einfach auf Einwanderungsprozesse und die Ausformung migrantischer Kulturen zurückzuführen, die von ihrer marginalen Position aus die städtische Landschaft herausfordern, sondern die arabischen Falafelimbisse befinden sich als Teil der Gentrifizierung im Kern der gegenwärtigen städtischen Restrukturierung. Dies wirft zunächst die Frage auf, welche Rolle ethnische Gastronomien, deren migrantische Betreiber sonst in der städtischen Gesellschaft als ausgegrenzt gelten, in der Gentrifizierung Berlins spielen. Darüber hinaus können die arabischen Imbisse zum Ausgangspunkt genommen werden, den Geschmack der Gentrifizierung in gegenwärtigen globalisierten Städten kritisch zu untersuchen. Die Stadtsoziologin Sharon Zukin wies 2008 (734) auf die zentrale Rolle des Geschmacks in Aufwertungsprozessen hin, als sie fest-

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Diese Zahlen beruhen auf einer von mir durchgeführten Kartierung von April bis Juni 2010.

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Das »noch« bezieht sich auf die gegenwärtigen Aufwertungsprozesse, die der Norden Neuköllns erlebt, und durch die sich Alltagskulturen des Viertels seit der Erhebung 2009 bis 2011 rapide verändert haben (Holm 2010a, 96ff.).

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stellte, dass es nicht einfach nur die Gegenwart von Künstlern ist, die den Prozess der Aufwertung und damit Verdrängung vorantreibt, sondern dass es ihr Geschmack für bestimmte Produkte, Designs und Speisen ist, der bei der neuen Mittelschicht auf hohe Resonanz stößt und durch den sie sich die Stadtviertel alltagskulturell aneignen. In globalisierten konsumtiven Landschaften wie der Berlins sind es dabei nicht nur Künstler, sondern auch mittelständische migrantische Unternehmer, die solche neuen Geschmacksformen an eine für Aufwertungsprozesse typische neue Mittelschicht vermitteln. Für die Konsumenten werden diese Angebote wiederum Bestandtteil alltäglicher distinktiver Praktiken, um sich von anderen sozialen Gruppen in und außerhalb der Stadt abzugrenzen. Diese Arbeit setzt sich folglich als zweites zum Ziel, die feinen Mechaniken der alltäglichen Distinktion aufzudecken, der sich die Berliner Gentrifizierungsmilieus bedienen, und die gleichzeitig symptomatisch für die Sortierung städtischer Gesellschaften in der Spätmoderne sind. Vorweg werden nun einige für diese Arbeit relevante Forschungsansätze vorgestellt.

K ONTEXTUALISIERUNG

DER

F ORSCHUNG

Gentrifizierung Als die neomarxistische Soziologin Ruth Glass 1964 den Begriff »Gentrification« (ebd., XViii) kreierte, sah sie wohl noch nicht voraus, dass eben dieser Aufwertungsprozess, den sie in Londons innerstädtischen Arbeitervierteln durch den Zuzug von Angehörigen einer Mittelschicht beobachtete, zu einem Kernstück der globalen großstädtischen Restrukturierung in der Spätmoderne werden würde (vgl. Atkinson/ Bridge 2005). Ruth Glass mokierte sich damals über die neu zuziehende Mittelschicht, indem sie diese mit der »gentry«, dem im England des 16. Jahrhunderts neu entstandenen Landadel, verglich. Doch die von ihr beobachtete Zuzugsbewegung von Angehörigen der Mittelschicht in die Altbauquartiere der Innenstadt, war nicht nur Produkt der Transformation von Klassenstrukturen in der europäischen und nordamerikanischen Nachkriegszeit, in der diese »neue« urbane Mittelschicht entstand, die die Ausgeburt einer zunehmenden Akademisierung, eines familiären Wertewandels sowie der Tertiärisierung der Wirtschaft in der Nachkriegszeit war (Butler 1997). Sondern sie war auch Ausdruck einer sozioökonomischen Transformation, in der Kultur ins Zentrum der ökonomischen Verwertung rückte, wie Sharon Zukin (1989) in ihrer Studie »Loft Living. Culture and Capital in Urban Change« eindrucksvoll darlegte. Aus einer Krise des auf Massenproduktion und Massenkonsum basierenden wirtschaftlichen Systems im Fordismus entwickelte sich im Verlauf der siebziger Jahre eine

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auf flexibilisierten Produktionsbedingungen und (vermeintlich) individualisierten Konsumpraktiken aufbauende »symbolische Ökonomie« (Zukin 1995, 3ff.) im Postfordismus, die mit einer Ablösung der Arbeit durch den Konsum als zentrales Vehikel der sozialen Sortierung einherging (Pütz/Schröder 2007). Städte als traditionell wichtige Arenen der kulturellen Produktion avancierten zu zentralen Aushandlungsorten dieser symbolischen Ökonomie. Vorreiter war die »neue« Mittelschicht, die sich die durch Arbeiterkulturen dominierten Innenstadtviertel als Räume zurückeroberte, um sich durch ihre innerstädtischen Wohnvorlieben von einer breiten Mittelschicht und deren massenkonsumorientierten Lebensstilen in den suburbanen Räumen abzugrenzen (Ley 1996).7 In Bezug auf die Gentrifizierung des Londoner Stadtteils Hackney schrieb Tim Butler (1997, 2): »It was reflective of the wider changes in the ordering of economic and social relations, of the ways that individuals related to each other and to how social scientists and others explained those relations and the changes that underpinned them.« Gentrifizierung impliziert folglich erstens eine Verbürgerlichung eines ehemals von unteren sozialen Schichten dominierten Viertels. Diese Verbürgerlichung bedeutet nicht nur einen Wechsel der vorherrschenden Bevölkerungsgruppe, in dessen Folge sozial marginalisierte Gruppen durch steigende Mietpreise und die Umwandlung in Eigentumswohnungen verdrängt werden und der von einer neoliberalistischen Stadtpolitik und durch privatwirtschaftliche Spekulationen initiiert und angetrieben wird (Smith 1996, Holm 2006). Sie zeigt sich auch – und darauf soll in dieser Arbeit ein Fokus gelegt werden – in der alltagskulturellen Aneignung der Stadtviertel durch die Distinktionspraktiken der Neu-Hinzugezogenen. Außerdem ist Gentrifizierung als Folge sozioökonomischer Transformationen – in enger Wechselwirkung dazu – Ausdruck der symbolischen Ökonomie im Spätkapitalismus, denn die Aneignung des städtischen Raums durch die neue Mittelschicht zeichnet sich durch ihre ästhetisierten Konsumpraktiken aus, die sich nicht

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David Ley betrachtet dabei die Wiederentdeckung und damit die Umdeutung des städtischen Raums als Teil der Distinktion der neuen Mittelschicht gegenüber der breiten Mittelschicht in den Vororten. Das galt schon für die Studentenbewegung der sechziger Jahre, aus der die neue Mittelschicht in Nordamerika entstanden war: »The criticism of everyday life [...] was given a spatial expression in the rejection of the mass-produced suburbs in favour of older and culturally (as well as economically) devalued neighbourhoods in the inner city« (Ley 1996, 24). Diese Werte wurden dann von anderen ökonomisch wohlhabenderen Teilen der Mittelschicht übernommen: »What was happening was the diffusion of counter-cultural values into receptive members of the professional middle class, among whom, as we have seen, inner-city living was an important confirmation of identity« (ebd. 202).

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nur in der Wiederentdeckung des historischen Altbaubestandes zeigen (Jager 1986), sondern auch in den neu entstehenden Konsumorten sichtbar werden. Hier stellen die Konsumentinnen und Konsumenten durch ihre Vorliebe für modische Kleidungsformen, Kunstartikel oder exotische Küchen ihre kulturelle Beflissenheit zur Schau, während die Konsumorte statusniedrigerer Gruppen zurückgedrängt werden. Gentrifizierung hat folglich nicht nur eine residenzielle Komponente, auf die sich Studien bisher fokussierten, sondern auch immer eine kommerzielle Ausprägung. Bisherige empirische Untersuchungen in der Stadtforschung haben die kommerzielle Gentrifizierung gegenüber der residenziellen Gentrifizierung vernachlässigt (Zukin et al. 2009, 49),8 wohl aus dem Grunde, dass die mit den Konsumorten zusammenhängende Konstruktion und Bedeutung des Geschmacks in (frühen) Gentrifizierungsprozessen nur schwer fassbar ist. Ein an Bourdieu (1987) angelehnter praxistheoretischer Zugang, auf den später noch genauer eingegangen wird, ermöglicht jedoch die kritische Analyse des Geschmacks unter Einbezug der Anbieter- und der Konsumentenseite. Als Vermittler dieser neu-bürgerlichen Geschmacksformen werden Künstlerinnen und Künstler sowie Kreativunternehmerinnen und -unternehmer identifiziert, die zum Beispiel neue Bars und Kneipen eröffnen, Galerien einrichten oder kleine Boutiquen betreiben (z. B. Ley 2003, Lange 2007, Breitenbruch 2011). Diese neu entstandene Infrastruktur begünstigt im nächsten Schritt die Etablierung von Marken-Geschäften und Restaurants im höheren Preissegment, die mit einem spekulativen Preisanstieg auf dem Wohnungsmarkt einhergeht und in der das kulturelle Kapital in ökonomischen Mehrwert transformiert wird (Holm 2010b, 31). Gentrifizierung und ethnische Ökonomien Migrantinnen und Migranten aus nicht-westlichen Ländern werden allgemein als die Leidtragenden dieser Aufwertung betrachtet. Sie sind diejenigen, die aus den Vierteln fortziehen (müssen), wenn die Mieten zu teuer werden oder die Umgebung nicht mehr ihren Bedürfnissen entspricht. Dass sie auch zu kulturellen Wegbereite-

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So schreibt Sharon Zukin: »Despite three decades of studying residential gentrification, only now are researchers and community groups starting to wonder how commercial gentrification may play into broader dynamics of social inequality« (2009, 49). Und so ist auch im aktuellen und ersten Lehrbuch zu Gentrification nur ein nicht einmal einseitiger Abschnitt der kommerziellen Gentrification gewidmet (Lees/Slater/Wyly 2008, 131). Sharon Zukin (2009, 2008, 1995, 1991, 1990) ist wohl eine der großen Ausnahmen, die schon früh die Bedeutung von kommerziellen Straßenzügen für die Aufwertung erkannt hat.

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rinnen und Wegbereitern der Gentrifizierung werden können, wird bisher in wissenschaftlichen Studien kaum wahrgenommen (Lees 2000, 404). Sie zählen nicht zu den »kreativen urbanen Milieus« (Merkel 2009, 147) oder »Kreativszenen« (Lange 2009), denen in heutigen Studien so viel Aufmerksamkeit zuteil wird und die als prägend für städtische Transformationsprozesse wahrgenommen werden. Migrantische Unternehmerinnen und Unternehmer werden zwar mittlerweile in der Forschung zu ethnischen Ökonomien oder ethnischen Entrepreneurs (Waldinger/Aldrich/Ward 1990; Hillmann 2001; Light/Gold 2000) als inhärenter Teil der Stadtökonomien in globalisierten Metropolen identifiziert, die ein urbanes Flair durch Diversität beleben und dementsprechend von stadtpolitischer Seite im Rahmen von Multikulturalismus-Konzepten gefördert und vermarktet werden (Pécoud 2002). In den wissenschaftlichen Untersuchungen werden ihnen aber nur Interventionsmöglichkeiten von den marginalen Rändern der urbanen Räume aus zugeschrieben (Hillmann 2011, 12ff.).9 Schon der Begriff der »ethnischen Ökonomie« impliziert, dass ihre wirtschaftlichen Aktivitäten von denen der Mehrheitsgesellschaft differiert werden, da sie zumindest originär in ökonomischen Nischen verortet sind und sich erst mit zunehmender Zeit auf den gesamtstädtischen Markt ausbreiten (Pütz 2000, 30). Außerdem beruhen »ethnische Ökonomien« auf der Annahme, dass sich die wirtschaftlichen Praktiken von migrantischen Unternehmerinnen und Unternehmern von kapitalistisch geprägten Praktiken der Mehrheitsgesellschaft unterscheidenließen, da sie auf persönlichen Kontakten zwischen Kleinbetrieben aufbauen würden und damit vormodern strukturiert seien. Dies ist so aber nicht haltbar, denn aufgrund ihrer flexibilisierten und kleinräumigen Wirtschaftsformen und der kulturellen Vermarktung sind auch sie Protagonistinnen und Protagonisten der postfordistisch geprägten städtischen Ökonomien (vgl. Timm 2000). Diesen Zusammenhang betonen auch Volker Aytar und Jan Rath (2012, 2): »It should be noted, for instance, that the rise of ethnic entrepreneurship – certainly in Europe – coincides with the shift from industrialism to post-industrialism and the proliferation of economies that emphasise symbols, creativity and cultural consumption [...].« Um den problematischen Vorannahmen zu entgehen und einer weiteren Ethnisierung dieser Wirtschaftsbereiche Einhalt zu gebieten, soll der Begriff des ethnischen Unternehmertums für diese Arbeit über arabische Falafelimbisse zwar nicht aufgegeben, aber umdefiniert werden. Dabei bezieht sich das »Ethnische« der ethnischen Entrepreneurs nicht zuallererst auf ihre Herkunft und Zugehörigkeit zu einer »ethnischen Gemeinschaft«, mit der dann bestimmte Vorannahmen über deren

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Diese Feststellung traf Felicitas Hillmann auch in dem Titel »Marginale Urbanität« des 2011 erschienenen Sammelbandes.

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auf ethnischen Netzwerken basierenden Wirtschaftspraktiken verbunden sind, sondern das Ethnische der Falafelimbissbesitzer ist ihr ethnisch vermarktetes Produkt, nämlich die arabisch konnotierte Falafel und andere arabisch konnotierte kulinarische Güter. Dass migrantische Unternehmen in der Betrachtung von Gentrifizierungsprozessen so wenig Beachtung finden, ist in dieser Lesart umso verwunderlicher. Denn das Angebot und der Verkauf der ethnisch konnotierten Konsumgüter, allen voran des »ethnic food«, sind fester Bestandteil von städtischen Aufwertungsprozessen, wie auch Sharon Zukin (2010, 29) feststellte: »During the past thirty years, food has emerged as the new «art« in the urban culturel experience, with places to sample many different tastes.« Gentrifizierungsphänomene zeichnen sich daher durch eine umfassende Gastronomisierung der kommerziellen Landschaft aus (Zukin 1995, 182). Der Erfolg der ethnischen Konsumorte verweist dabei auf eine zentrale Kategorie der Konsumpraktiken in den Gentrifizierungsvierteln, nämlich die der Authentizität (Zukin 2010). Ethnisierende Vermarktung und Authentizität In ihrem 2010 erschienenen Buch »Naked City, the Death and Life of Authentic Urban Places« zeigte Sharon Zukin, dass Authentizität nicht nur eine wichtige Determinante in der alltagskulturellen sozialen Auf- und Umwertung von Nachbarschaften ist, sondern dass die Inszenierung der Authentizität im Zentrum der auf Ästhetisierungen basierenden symbolischen Ökonomie steht und damit die gegenwärtige Formation konsumtiver Stadtlandschaften prägt. In der Warenwelt gilt Authentizität mittlerweile als zentrales Gütekriterium für verschiedene Konsumgüter oder Dienstleistungen (Lamla 2009). Darüber hinaus ist sie in den vergangenen Jahren zu einem gesellschaftlichen Schlagwort avanciert, auf das in so unterschiedlichen Feldern wie der Hoch- und Populärkultur, der Politik sowie den Medien fast täglich zurückgegriffen wird.10 Eigentlich ist das wachsende Authentizitätsbedürfnis in der spätmodernen globalisierten Gesellschaft paradox. So schrieb Rolf Lindner (1998, 58): »Interessanterweise ist das Schlüsselwort ›Authentizität gerade in einer Zeit in aller Munde, in der der Sachverhalt, den es

10 Zu dieser Bewertung kamen jüngst mehrere Autoren (vgl. Lindner 1998, 58; Amrein, 2009, 9; Funk/Krämer 2011, 7). Dafür sprechen auch die zunehmenden Veröffentlichungen in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft, die sich mit dem Begriff der Authentizität beschäftigen. Neben Funk/Krämer (2011) und Amrein (2009) gibt es zum Beispiel noch einen Sammelband von Knaller/Müller (2006).

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bezeichnet (oder den es, wie andere meinen, erst konstruiert hat), an Glaubwürdigkeit verliert.« Doch der Bedeutungsgewinn des Konzepts Authentizität, das in der Moderne aufgekommen ist und auf der Vorstellung von einer subjektiven Bürgerlichkeit jenseits von gesellschaftlichen Rollen fußt (Trilling 1989), ist gerade Folge der Kontingenzerfahrung durch den Überschuss an Identitätsangeboten und -inszenierungen in der Spätmoderne, die zu einem zunehmenden Begehren nach (vermeintlicher) Wahrheit und Ursprünglichkeit geführt hat (Amrein 2009, 9). Die mit der Authentizität verbundenen bürgerlichen Ideale wie die individuelle Selbstverwirklichung und Emanzipation sind dabei nicht zufällig zum kulturellen Unterbau des gegenwärtigen flexibilisierten Spätkapitalismus geworden (Lamla 2009, 321ff.). Die auf einer Neu-Verbürgerlichung basierende Gentrifizierung kann folglich auch immer als Ausdruck dieser gegenwärtigen Authentizitätssuche gelesen werden. Der Konsum des Authentischen hat darüber hinaus in Gentrifizierungsprozessen noch eine weitere Funktion: Die neue Mittelschicht drückt damit ihre eigene moralische Überlegenheit gegenüber anderen sozialen Gruppen aus. Laut Sharon Zukin (2010, 3) wird Authentizität so zu einem »tool of power« und damit zu einem Werkzeug der alltäglichen Legitimierung der eigenen Präsenz besonders in Gentrifizierungsprozessen (ebd., 3f): »Any group that insists on the authenticity of its own tastes in contrast to other’s can claim moral superiority. [...] A group that imposes its own tastes on urban spaces – on the look of a street, say, or the feeling of a neighbourhood – can make a claim to that space that displace longtime residents.« In Gentrifizierungsprozessen finden die Angehörigen der neuen urbanen Mittelschicht die von ihnen beanspruchte Authentizität in den historischen Altbauten, in denen sie die lokalen historischen Wurzeln wiederzuentdecken meinen. Sie finden sie aber auch im Konsum von fremden und exotischen ethnischen Kulturen, nach der sich auch Reisende des Ethno- und Kulturtourismus sehnen (vgl. Trupp/Trupp 2009).11 Die Komodifizierung ethnischer Kulturen ist gegenwärtig eine zentrale Form der Repräsentation von Ethnizitäten in städtischen Räumen und darüber hinaus (vgl. Comaroff/Comaroff 2009). So schrieben Shun Lu und Gary Alan Fine (1995, 535):

11 Hier sei noch einmal betont, dass Authentizität immer eine Konstruktion im Auge der Konsumentinnen und Konsumenten ist, die sie suchen, und nicht etwas, das fest und starr ist. So schreibt Dabringer (2009, 19): »Es kommt [...] immer darauf an, wer wem welche Form von »Authentizität« zuschreibt bzw. zugesteht und in welchem gesellschaftlichen Kontext dies passiert. »Authentizität« bleibt von Situation zu Situation verhandelbar und dynamisch.«

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»Significantly, many of the transactions by which ethnicity is made ›real‹ are economically grounded: festivals, restaurants, art galleries, clothing outlets and musical venues. Ethnicity often becomes a marketing tool, part of an entrepreneurial market.« Ethnizität als Authentizitätsmarker ist somit zu einer zentralen Ressource der spätkapitalistischen Mehrwertakkumulation geworden (Jain 2003, 264) und spielt insbesondere in dem symbolisch ökonomisierten Prozess der Gentrifizierung eine bedeutsame Rolle, was bisher zwar in wissenschaftlichen Untersuchungen anklingt, bis auf wenige Ausnahmen (Butler 2003, Hackworth/Rekers 2005, Zukin 1995, 155ff.) aber nur am Rande untersucht wird. Ethnische Repräsentation und Orientalismus Die Vermarktung ethnischer Kulturen baut auf einer Ethnisierung von Gesellschaftsgruppen auf, die als nicht zugehörig zur Mehrheitsgesellschaft gesehen werden und die in einer gemeinsamen woanders verorteten kollektiven »Herkunft« eingeordnet werden (Römhild 2007, 158). Diese statische Vorstellung von ethnischen Kulturräumen findet sich auch in dem Konzept des Multikulturalismus wieder, das in Teilen der Öffentlichkeit große Plausibilität entfaltet (Knecht 2005, 26) und in städtischen Migrationspolitiken gegenwärtig eine zentrale Rolle spielt (Lanz 2007). Für die migrantischen Selbstständigen wiederum bieten diese Herkunftszuschreibungen eine Ressource, die sie in ihren Unternehmen gewinnbringend einsetzen können (Pütz 2004). Auch wenn in Alltagskontexten die Vorstellung überwiegt, dass Ethnizitäten Ausdruck eines woanders verorteten kulturellen Erbes sind – weswegen die Inszenierung von Authentizität so gut funktioniert – werden Ethnizitäten aus stadtethnologischer Perspektive als Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse in den spätmodernen Metropolen identifiziert und sind somit ein soziales Produkt symbolischer Aushandlungen über Selbst- und Fremddefinition (Niedermüller 1998, 292). Die sich in den städtischen Raum einschreibenden ethnischen Repräsentationen sind dabei als kulturelle (Fremd- wie Selbst-)Darstellungen zu verstehen, die eine ethnische Wirklichkeit gleichzeitig behaupten und produzieren (Färber 2006, 18). Ethnische Repräsentationen in gegenwärtigen Metropolen spiegeln Machtverhältnisse zwischen der Mehrheitsgesellschaft und migrantischen Gruppen wider. In diesem Sinne sind es die dominanten Gruppen, die nach Peter Niedermüller (1998, 293) »die Bühnen und Formen der Repräsentationen kontrollieren. Die anderen, machtlosen Gruppen – vor allem Migranten und verschiedene ethnische Gruppen – haben keine andere Wahl, als diesen Raum zu akzeptieren und in ihm immer wieder neue Repräsentationsformen und -strategien zu suchen, um in eben diesem Raum

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der Repräsentationen Veränderungen hervorzurufen und dadurch ihre soziale und politische Position zu verbessern.« In Bezug auf die Perzeption und Aushandlung des Arabischen in gegenwärtigen europäischen Kontexten stellt nach wie vor der Orientalismus als hegemoniales Konstrukt den Repräsentationsmodus dar, der auch für die ethnischen Repräsentationspraxen der arabischen Imbissbesitzer einen wichtigen Rahmen bietet (Färber 2006, 290). Edward Said (2003) hat 1978 in seinem berühmt gewordenen Buch »Orientalism« dargelegt, dass Vorstellungen über einen »Orient«, wie sie über Jahrhunderte bei Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern in Europa und später den USA zu finden waren und sind, nicht Abbilder einer realen Welt, also der sozialen Gegebenheiten im Nahen Osten oder in Nordafrika sind, sondern dass auf einer »imaginative geography« (ebd., 49ff.) beruhen, durch die der Raum des Orients erst erschaffen wird (ebd., 6). Diesen Vorstellungen unterliegt eine Machtasymmetrie, in der ein exotisierter, sinnlich gezeichneter Orient einem rationalen, aufgeklärten Westen untergeordnet wird, womit koloniale und imperialistische Politiken gerechtfertigt werden. Diese Vorstellungen des Orients entfalten bis heute eine hohe Wirkkraft, und das sowohl in westlichen wie auch in den orientalisierten Gesellschaften. Die an diese Ausführungen anschließenden Arbeiten der postkolonialen Theorie beschäftigen sich gegenwärtig nicht mehr nur mit den Wirkungen der Kolonisierung, sondern beziehen auch »die aktuell bestehenden neokolonialen Machtverhältnisse und die diversen »kulturellen Formationen«, die in Folge von Kolonisierung und Migration in den Metropolen entstanden sind, in ihre Betrachtung mit ein« (Do Mar Castro Varela/Dhawan 2005, 25). Orientalismen funktionieren dabei auf dem Prinzip des »Othering« und damit der Kategorisierung bestimmter orientalisierter Gesellschaftsgruppen als zum Westen nicht dazugehörig, womit deren marginale gesellschaftliche Position perpetuiert wird. Soziale Problemlagen hingegen werden ausgeblendet und die Möglichkeit einer politischen Teilhabe der ethnisierten gesellschaftlichen Gruppen wird durch die fortdauernde Kulturalisierung ausgeschlossen (Eickhof 2010, 47ff.). Im deutschen Kontext werden Orientalismen vor allem in den medialen Diskursen aufgespürt. Laut Gabriele Dietze (2009, 27ff.) hat sich gegenwärtig ein »NeoOrientalismus« gebildet, der sich unter anderem auf Einwanderinnen und Einwanderer aus der Türkei, dem Maghreb, Palästina und anderen als arabisch verstandenen Herkünften bezieht. In diesem Neo-Orientalismus werde das Bild eines bedrohlichen terroristischen Islams gezeichnet, das das Bild eines exotisierten Orients abgelöst habe. Iman Attia (2009) und Ilka Eickhof (2010) bezeichnen diesen NeoOrientalismus auch als »anti-muslimischen Rassismus«, da bestimmte Einwanderungsgruppen auf ihre vermeintliche »islamische« Zugehörigkeit reduziert, stigmatisiert und damit gesellschaftlich marginalisiert werden. Doch wie das Beispiel der arabisch inszenierten Imbisse zeigt, hat auch ein auf den ersten Blick weniger konfliktbeladener, konsumförmiger Orientalismus, der im

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engen Rückbezug zu den offensichtlich eher negativen Stereotypisierungen steht, in den gegenwärtigen Stadtlandschaften Konjunktur (Haldrupt/Larsen 2009; Färber 2011). Dieser ästhetisierte Orientalismus wird im deutschen Kontext häufig ausgeblendet, da sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – in der Tradition von Edward Saids Ausführungen – auf eine Entlarvung der Machtkonstruktionen in diesen orientalischen Bildern konzentrieren und sich dementsprechend vorwiegend auf die Mehrheitsgesellschaft und ihre hegemonialen orientalischen Stereotypisierungen fixieren (z.B. Attia 2009; Eickhof 2010; Steyerl/Gutierrez Rodriguez 2003) oder nur die Subjektivierungsseite in den Blick nehmen (ebenfalls Steyerl/Gutierrez Rodriguez 2003). In dieser Arbeit soll mit Blick auf die arabischen Falafelimbisse hingegen die alltägliche Verhandlung zwischen den orientalisierten Migrantengruppen und der Mehrheitsgesellschaft ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden, nämlich zwischen den arabischen Besitzern und Verkäufern und den meist deutschen oder europäischen Konsumentinnen und Konsumenten. Homi Bhabha (1994) ist nach wie vor einer der wenigen postkolonialen Theoretiker, der diese Verhandlung fundiert und kritisch beleuchtet hat (Do Mar Castro Varela/Dhawan 2005, 87). Ihm zufolge sind Stereotype an sich ambivalente Konstrukte, die nicht nur eine machtvolle Konstruktion des Anderen (»Othering«) bewirken, durch die eine eigene hegemoniale Identität durch Abgrenzung vom Anderen konstruiert wird, sondern auch Fantasien und Sehnsüchte zum Ausdruck bringen, die für die eigenen Identitätskonstruktionen ebenso wichtig sind (Bhabha 1994, 102ff.), was sich nicht zuletzt im wachsenden Bedürfnis nach Authentizität zeigt. Aufgrund dieser Ambivalenz zwischen Abgrenzung und Begehren sind Stereotype nicht starre Gebilde, die nur auf Archive zurückgreifen und diese reproduzieren, sondern sie müssen ständig wiederholt und können daher auch modifiziert werden (ebd., 3). Sie sind damit performativ produziert (vgl. Gregory 2012). Diese Ambivalenzen in täglichen Aushandlungsprozessen werden in dieser Arbeit ernst genommen. Denn wie Gisela Welz in Bezug auf die Erforschung kultureller Inszenierungen anmahnt, bleibt eine Perspektive, die sich zu sehr auf die kritische Analyse der Kulturalisierung und Ethnisierung von migrantischen Gruppen festlegt, »notwendigerweise abgehoben« (Welz 2007, 232).12 Im Zentrum stehen folglich nicht Entlarvungen von machtvollen Stereotypisierungen, sondern es wird gezeigt, wie sich arabische Inszenierungen in Imbissen und alltägliche Gentrifizierungskulturen aufeinander beziehen.

12 Gisela Welz bezieht sich bei der Formulierung dieses Forschungsdesiderats zwar auf kulturelle Inszenierungen von Festivals. Diese können aber auch auf die ethnischen Konsumorte in Gentrifizierungsprozessen übertragen werden.

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Einbettung in Geschmackslandschaften Der Forschungsblick auf ethnische Gastronomien sollte nicht im Vorhinein darauf beschränkt werden, die Inszenierung des Arabischen als alleinige Determinante für den Erfolg der Falafelimbisse verantwortlich zu machen, was im Übrigen eine Ethnisierung der migrantischen Unternehmer fortschreiben würde. Denn auch wenn in kulinarischen Kulturen häufig das Bild aufrechterhalten wird, eine authentische und damit originalgetreue Küche zu konsumieren, so sind diese in gegenwärtigen Metropolen immer Ergebnis einer Kreolisierung (Hannerz 1996, 65ff.) oder Hybridisierung (Bhabha 1994), die sich an lokal verankerte Geschmacksvorlieben und Erwartungen richtet und diese mitformt. In diesem Sinne stellt sich die Frage, wie Falafelimbisse in die Geschmackslandschaften der Berliner Gentrifizierungsviertel integriert sind und wie sie diese mitformen. Als »Geschmackslandschaften« werden auf den Überlegungen von Lindner (2003) sowie Lindner und Musner (2005) aufbauend für diese Arbeit städtische konsumtive Landschaften definiert, die in enger Wechselwirkung mit den dort verorteten Praktiken ihrer Nutzerinnen und Nutzer entstehen und die sich damit auch von anderen lokalen Kontexten unterscheiden können. In Berlins Gentrifizierungsvierteln kann man diese Geschmackslandschaft unter anderem an der hohen Zahl und der Besonderheit des gastronomischen Angebots ablesen. Damit ist hier Geschmackslandschaft noch im engeren Sinne zu verstehen, nämlich als kulinarische Geschmackslandschaft. Die lokal verorteten Geschmackskonfigurationen werden dabei zu einem »residenziellen Kapital« (Dirksmeier 2003, 2010), dem als Distinktionsvehikel in der zunehmenden Metropolenkonkurrenz der Spätmoderne eine zentrale Rolle zukommt (vgl. Lindner/Musner 2005). Es sollte hier aber nicht so weit gegangen werden, Geschmackslandschaften auf die gesamte Stadt zu übertragen, wie dies Rolf Linder (2003) und Rolf Lindner und Lutz Musner (2005) tun,13 da dies die Gefahr

13 Die Definition der Geschmackslandschaft ist zwar an Rolf Lindners und Lutz Musners (2005) Ausführungen angelehnt, wird aber im Kontext dieser Arbeit modifiziert. Denn diese bezeichnen Geschmackslandschaften als »historisch gewachsene städtische Räume, in denen das symbolische Kapital eines Ortes und die durch dieses vermittelte Repräsentation sozialer und ökonomischer Verhältnisse und Unterschiede nicht nur einen singulären kulturräumlichen Ausdruck finden, sondern auch ein spezifisches Flair, eine Aura und ein urbanes Imago ausstrahlen« (2005, 33). Sie untersuchen folglich Geschmackslandschaften im Kontext aller kulturellen Codierungen und Praktiken einer Gesamtstadt, deren besondere Konfiguration sich ihrer Meinung nach dann in die Dispositionen aller Städter einschreiben würde. In dieser Arbeit wird die Grundidee der »Geschmacksland-

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einer Homogenisierung und gleichzeitig auch Harmonisierung innerstädtischer sozialer Unterschiede mit sich bringen würde (Kemper/Vogelpohl 2011), die sich unter anderem auch in Martina Löws (2008) Ansatz der »Eigenlogiken von Städten« wiederfindet. Deshalb sollen diese Geschmackslandschaften hier eng auf die Gentrifizierungsviertel bezogen werden, damit untersucht werden kann, wie sich die neue Mittelschicht hier städtischen Raum durch ihre alltäglichen Praktiken auch symbolisch als ihre Stadt aneignet, während sie andere differente soziale Konfigurationen ausschließt. Durch die Beleuchtung dieser Geschmackslandschaften kann folglich auch die Rolle des Berliner Kontextes genauer untersucht werden. Forschungsfragen und wissenschaftstheoretischer Zugang Die hier vorgestellten wissenschaftlichen Ansätze bilden den Forschungskontext dieser Arbeit und werden in den einzelnen Kapiteln in engem Bezug auf das empirische Material genauer reflektiert und diskutiert. Der Mehrwert dieser Arbeit besteht darin, diese u.a. in humangeographischen, kulturanthropologischen und soziologischen Feldern vollzogenen Diskussionen zusammenzuführen, um der Frage nachzugehen, welche Rolle arabische Falafelimbisse in der Gentrifizierung Berlins spielen. Daran anschließend können für diese Arbeit folgende empirische Fragen formuliert werden, die einen Leitfaden für die Beantwortung der zentralen Frage liefern: • •



Inwieweit waren und sind arabische Falafelimbisse Bestandteil von Aufwertungsprozessen in Berlin? Wie entstehen arabische Repräsentationen in den Imbissen, wie werden diese ausgehandelt und welche Funktion kommt ihnen in den Konsumkulturen der Gentrifizierung zu? Wie handeln migrantische Unternehmer mit arabischem Hintergrund in den Aufwertungsprozessen ihre gesellschaftliche Position in Berlin aus, deren Perzeption sonst eher konfliktbehaftet ist?

schaft«, nämlich das Wechselspiel zwischen den Geschmacksvorlieben der Nutzerinnen und Nutzer und den räumlichen Manifestierungen aufgegriffen. Für die weitere Analyse dieser Wechselwirkung wird aber Dirksmeiers (2003, 2010) Konzept des »residenziellen Kapitals« verfolgt, der (ohne sich direkt auf das Konzept der Geschmackslandschaft zu beziehen) für dieses Wechselspiel einen überzeugenderen und theoretisch fundierten Ansatz gefunden hat, auf den weiter unten in diesem Kapitel kurz genauer eingegangen wird.

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Wie eignen sich die Konsumentinnen und Konsumenten die arabischen Falafelimbisse in ihren alltäglichen Praktiken an und inwieweit werden sie zu einem Distinktionsvehikel in Gentrifizierungsprozessen? Und in welcher Form prägen die Falafelimbisse durch ihr Angebot eine lokalspezifische Geschmackslandschaft der Gentrifizierung in Berlin mit?

Diese Forschungsarbeit integriert dabei die Seite der meist deutschen oder europäischen Konsumentinnen und Konsumenten sowie die der Falafelimbissbesitzer, die beide Akteursgruppen in Berlins gegenwärtiger Gentrifizierung sind und diese durch ihre alltäglichen konsumtiven bzw. unternehmerisch basierten Praktiken gemeinsam mitformen. Die Arbeit basiert auf einem an Pierre Bourdieus Sozialtheorie angelehnten praxistheoretischen Zugang, auf deren wichtigste Argumentationen an dieser Stelle kurz eingegangen werden soll.14 Pierre Bourdieu hat in seiner Studie mit dem deutschen Titel »Die feinen Unterschiede« (1987) für die französische Gesellschaft gezeigt, wie soziale Klassenzugehörigkeiten unter anderem durch Vorlieben für bestimmte Konsumgüter reproduziert werden, durch die sich die verschiedenen sozialen Gruppen von anderen statusniedrigeren und statushöheren Gruppen zu distinguieren versuchen. Die Geschmackspräferenzen der unterschiedlichen sozialen Klassenfraktionen sind somit nicht individuell, sondern sozial konstruiert und durch ihre Dispositionen geprägt, die auf einen Habitus verweisen. Mit dem Habitus bezeichnet Pierre Bourdieu (1974, 125 ff.; 1987, 277ff.) bestimmte Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, die die alltäglichen kulturellen Praktiken lenken und durch die soziale Positionen reproduziert werden. Diese Positionen ergeben sich durch die unterschiedliche Ausstattung mit ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital (Bourdieu 1983). Die Konsumpraktiken der Angehörigen der neuen Mittelschicht in frühen Phasen der Gentrifizierung können in Anlehnung an Bourdieu untersucht werden, denn sie verweisen auf bestimmte Dispositionen, die ihre soziale Position in der Gesellschaft reflektieren. Die neue Mittelschicht zeichnet sich durch eine hohe Ausstattung mit kulturellem Kapital bei vergleichsweise geringem ökonomischem Kapital aus. Das kulturelle Kapital zeigt sich dabei in den Bildungshintergründen der Angehörigen dieser Schicht, aber auch in inkorporierter Form (ebd., 187), indem sie sich selbst einen kulturell distinguierten Geschmack zuschreiben, womit sie

14 Auch dies ist nur eine kurze Skizze. Auf die Ausführungen Pierre Bourdieus wird in Zusammenhang mit dem empirischen Material in den einzelnen Kapiteln fundierter eingegangen.

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sich von den in den städtischen Vierteln stärker präsenten statusniedrigeren Gruppen abgrenzen. Dieses inkorporierte kulturelle Kapital, das sich in Form einer gefühlten moralischen Überlegenheit und damit der Präferenz für (vermeintliche) Authentizität (Zukin 2010, 3) ausdrückt, soll in dieser Forschungsarbeit genauer in den Blick genommen werden, wenn die Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster der Konsumentinnen und Konsumenten in Bezug auf deren Konsum in arabischen Falafelimbissen untersucht werden. Denn das kulturelle Kapital spielt für die symbolische wie praktische Aneignung der Gentrifizierungsviertel eine bedeutsame Rolle, da es insbesondere in späteren Phasen in ökonomischen Mehrwert transformiert wird (Zukin 1990; Ley 2003). Aber auch die unternehmerischen Praktiken der Falafelimbissbesitzer können als Ausdruck ihrer Distinktionsbemühungen gelesen werden, die damit ebenfalls ihre soziale Positionierung widerspiegeln. Auch ihre Praktiken zeichnen sich durch ein hohes kulturelles Kapital aus. Zum einen haben sie – wie sich zeigen wird – oft ähnliche Bildungshintergründe und Lebensstile wie ihre Konsumentinnen und Konsumenten. Zum anderen nutzen sie ihre bzw. die ihnen zugeschriebene ethnische Herkunft und damit verbundene Imaginationen, die sie in den Imbissen inszenieren, als kulturelles Kapital, das sie in ökonomisches Kapital umwandeln (Römhild 2007, 173). Das kulturelle Kapital der Imbissbesitzer unterscheidet sich dabei aber von dem der Konsumentinnen und Konsumenten dadurch, dass es aufgrund der Ethnisierung symbolisch untergeordnet ist und damit die sozial marginale Position der Migrantinnen und Migranten widerspiegelt. Mit symbolischem Kapital bezeichnet Pierre Bourdieu (2001, 310) dabei »die symbolischen Effekte des Kapitals«. Das symbolische Kapital bestimmt, ob eine bestimmte Kapitalart (ökonomisch, kulturell oder sozial) als legitim anerkannt wird (ebd., 311).15 Diese unterschiedlichen symbolischen Verortungen kultureller Kapitalien sollen in dieser Arbeit genauer in den Blick genommen und auf ihre Einbettung in Gentrifizierungsprozesse hin untersucht werden. Pierre Bourdieu (1991, 1997) zufolge schreiben sich die sozialen Positionen der verschiedenen Gruppen zudem in den physischen Raum ein, der von den verschiedenen sozialen Gruppen angeeignet wird. Der angeeignete physische Raum ist somit »die Objektivierung der sozialen Verhältnisse« (Dirksmeier 2003, 226), was allerdings nicht heißt, dass die Verteilung im physischen Raum identisch mit der Ver-

15 So sind arabische und türkische Migrantinnen und Migranten in den Arbeitervierteln der europäischen Städte seiner Meinung nach auch »mit dem Fluch eines negativen symbolischen Kapitals« (ebd., 310) ausgestattet, der sich – wie weiter oben beschrieben – in Berlin in islamophoben Stereotypisierungen widerspiegelt und damit auch die Perzeption von arabischen Imbissbesitzern in Berlins Gentrifizierungsvierteln tangiert.

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teilung von verschiedenen sozialen Gruppen im sozialen Raum wäre. Bourdieu stellt aber heraus, dass »die Fähigkeit, den Raum zu beherrschen, hauptsächlich auf der (materiellen oder symbolischen) Aneignung der seltenen (öffentlichen oder privaten) Güter basiert, und diese wiederum von den Kapitalien abhängt« (1997, 164). Die auf kulturellen Kapitalien basierenden frühen Phasen der Gentrifizierung können so folglich immer als symbolische wie praktische Aneignung des städtischen Raums gelesen werden. Die oben beschriebenen kulinarischen Geschmackslandschaften in der Berliner Gentrifizierung, in die sich auch die Falafelimbisse eingliedern, sind dahingehend auch als »Habitat«, d. h. als durch die neue Mittelschicht angeeigneter Raum aufzufassen, in dem sich die Dispositionen und Geschmacksvorlieben manifestiert haben. Habitus und Habitat als doppelte Einschreibung der sozialen Positionen beziehen sich dabei eng aufeinander. Denn es ist der »Habitus, der das Habitat macht«, gleichzeitig hat der Habitus aber auch »bestimmte Präferenzen für einen mehr oder weniger adäquaten Gebrauch des Habitats« (Bourdieu 1991, 32) ausgebildet, die zu einem residenziellen Kapital werden. Als residenzielles Kapital bezeichnet Peter Dirksmeier an Pierre Bourdieu angelehnt »das primäre Set an Eigenschaften, die sich am Wohn- und Geburtsort akkumulieren und zu Teilen als Disposition des Habitus inkorporiert werden« (2010, 455). Das residenzielle Kapital dient damit auch zur Abgrenzung gegenüber anderen sozialen Gruppen, die nicht als der eigenen Geschmackslandschaft zugehörig gesehen werden. Das von Bourdieu angeregte enge Wechselspiel der Konstruktion von bestimmten städtischen Räumen und der Konstruktion von Geschmackskulturen soll in dieser Arbeit über Gentrifizierungskulturen in den Fokus gerückt werden – und das aus einer bisher wenig beachteten Perspektive, nämlich der von ethnischen Konsumorten.

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F ORSCHUNGSVERLAUF Zugang I should say that I am one of those urban dwellers. [...] I define my identity in terms of the same subjective kind of authenticity [...], while seeing that it displaces the poor by constructing the habitus, latte by latte, of the new urban middle classes. SHARON ZUKIN (2010, 18)

Wie Sharon Zukin in New York, so näherte auch ich mich den Gentrifizierungsphänomen in Berlin nicht nur aus einer Forschungsperspektive an, sondern ich gehörte selbst mit meinem deutschen jungen akademischen Hintergrund zu der neuen Mittelschicht und erlebte und prägte die Aufwertung durch meine alltäglichen Konsumpraktiken in Berlin mit, in das ich zu Beginn dieses Forschungsprojekts zog. Die zahlreichen arabischen Falafelimbisse in Berlins Gentrifizierungsvierteln waren mir vorher während mehrerer Aufenthalte in Berlin aufgefallen, denn erstens kannte ich diese aus meiner Studienstadt München nicht und sie unterschieden sich in ihrer Darstellungsform deutlich von den mir schon vertrauten Dönerimbissen. Zweitens zogen sie meine Aufmerksamkeit an, da ich mich durch meine stadtgeographische Diplomarbeit über »Frauen in öffentlichen Räumen in Tunis« schon umfassend mit der arabischen Region beschäftigt hatte und daran anschließend die überwiegend negativen Perzeptionen des Arabischen in Deutschland und die damit verbundenen anti-muslimischen Ressentiments kritisch verfolgte. Die sich in die Gentrifizierungsviertel anscheinend reibungslos integrierenden zahlreichen arabischen Falafelimbisse veranlassten mich, bisher in Forschungskontexten vernachlässigte weniger konfliktbehaftete Repräsentationen des Arabischen in Berlin im Rahmen einer Dissertation zu untersuchen. Am Anfang der Arbeit stand folglich die Untersuchung der Manifestierung des Fremden in Berlin im Vordergrund. Ich folgte damit einem gerade für ethnologische Forschungszugänge typischen Drang, das Fremde besser zu verstehen, was Rolf Lindner mit dem plakativen Wort der »Fremdbesessenheit« ausdrückt, die nicht zufällig von einem (bürgerlichen) Begehren nach Authentizität rührt (Lindner 2004, 206). Im Verlauf der Forschung ist mir dann nach und nach klar geworden, dass dieses wahrgenommene Fremde in Berlin inhärenter Teil des Eigenen ist, nämlich der neubürgerlichen Kulturen, zu denen ich selbst gehörte, und damit symptomatisch für Johannes Fabians (1993, 338) Feststellung steht, nämlich »dass die Art und Weise, in der wir die Anderen ›machen‹, gleich bedeutend ist mit der Art und

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Weise, in der wir uns selbst machen.« Dies trifft auf den Forscher wie auf den alltäglichen Stadtnutzer zu, die sich in dieser Arbeit in meiner Person vereinten. Um es zusammenfassend auszudrücken: Ich begann diese berlinbezogene Forschung mit der Fokussierung auf Ethnizität und endete mit der Frage nach der gegenwärtigen städtischen Konstitution von sozialen Klassenkulturen16 (und der Rolle der Ethnizität darin), für deren Beantwortung Pierre Bourdieu (1987) mit seinem Konzept der verinnerlichten Dispositionen ein wertvolles Werkzeug zur Verfügung stellte. Diese (Selbst-)Reflexion wurde mir durch meinen Forschungsgegenstand, die arabischen Falafelimbisse, ermöglicht, die zuallererst sehr konkrete Orte sind, in denen sich ein (teils globales) Netzwerk an Personen, Materialitäten, Praktiken, aber auch damit verbundene Imaginationen bündelten (vgl. Cook/Crang 1996, 137ff.). Die Fokussierung auf diese konkreten räumlichen Manifestationen zwangen mich im Verlauf der Forschung immer wieder dazu, theoretische Vorannahmen an alltagspraktischen Phänomenen auszurichten und dementsprechend zu modifizieren.17 Durch dieses Wechselspiel induktiver und deduktiver Schritte baut die Arbeit auf einer ethnographischen Vorgehensweise nach Paul Willis und Mats Trondmann (2002, 398ff.) auf. Es wurde dabei auf verschiedene methodische – vorwiegend qualitative, teilweise aber auch quantitative – Werkzeuge zurückgegriffen, deren Auswahl auf den jeweiligen Forschungsstand und die zu untersuchenden Subjekte oder Objekte abgestimmt war. Der Mix aus standardisierten und weniger standardisierten Methoden ergab sich aufgrund des hybriden Charakters der zu untersuchenden Praktiken in Falafelimbissen, die sowohl eine symbolische Dimension, gleichzeitig aber auch eine materielle Dimension besitzen (Kazig/Weichhart 2009, 123).18

16 Soziale Klassen als Strukturierungskategorien werden gegenwärtig in der deutschen Gesellschaft sowohl in den bürgerlichen Medien wie auch in den Wissenschaften häufig ausgeblendet (vgl. z.B. Becks Individualisierungsthese (1986)). Dies trifft insbesondere auf städtische Räume mit ihren zahlreichen Identitätsangeboten zu. Klassen spielen aber nach wie vor für die Konstruktion von städtischen Gesellschaften eine entscheidende Rolle, wie sich im Verlauf der Arbeit zeigen wird. 17 Dieses Vorgehen wurde zudem dadurch erleichtert, dass ich in Berlin wohnte, wodurch ich meine Feldforschung in mehreren flexibel planbaren Phasen durchführen konnte, um zwischendurch das Material theoretisch zu reflektieren. 18 Diese Forschungsarbeit trägt folglich dazu bei, der materiellen Ebene in der Kulturgeographie wieder eine größere Bedeutung zukommen zu lassen, dies aber in innovativer Form, nämlich indem soziale Praktiken in den Mittelpunkt der Forschung gerückt werden (Kazig/Weichhart 2009). Die materielle Dimension war im Zuge des »cultural turn« in

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Diese beiden Dimensionen wurden in dieser Forschungsarbeit ernst genommen und folglich »Sinn und Subjektivität ebenso erfasst wie die materielle Rahmung der Handlungen« (ebd.). Die einzelnen methodischen Schritte sollen im Folgenden chronologisch und auf ihren jeweiligen Erkenntnisgewinn hin dargestellt werden. Systematische Beobachtung Um einen ersten Eindruck von den Lokalen zu erhalten, führte ich als ersten methodischen Schritt Anfang 2009 eine systematische, leitfadengestützte Beobachtung durch – mit der anfänglichen Intention, die arabischen Inszenierungen und ihre Perzeption genauer zu untersuchen. Dafür wählte ich zwölf Imbisse in den Stadtteilen Kreuzberg, Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain aus, da mich von Beginn an die Einbettung von Falafelimbissen in den Aufwertungsvierteln interessierte, ohne dass ich damals schon wusste, dass sich dort ihr primärer Standort und ihre Zielgruppe in Berlin befinden würden.19 Die Auswahl ergab sich durch meine Vorkenntnisse, Recherchen in Internet und Printmedien sowie durch Empfehlungen von Bekannten. In Anschluss an Paul Rodaways (1994) Überlegungen zur sinnlichen Erfahrung der Umwelt, den »sensuous geographies«, erstellte ich einen Leitfaden, in dem ich Sinneseindrücke (Sehen, Hören, Riechen, Fühlen) notierte. Was den visuellen Sinn anging, identifizierte ich die Raumaufteilung und -gestaltung, die Dekoration, die Thekenorganisation und Speisendarbietung. In Hinsicht auf den auditiven Sinn hielt ich gesprochene Sprachen und Musikuntermalungen sowie weitere Geräuschpegel fest. Und schließlich schrieb ich Gerüche und Geschmackseindrücke (im engeren Sinne) auf. Darüber hinaus notierte ich die Praktiken einzelner Personen, die während der Beobachtung vor Ort waren, in den Imbiss kamen oder ihn verließen, in einem zeitlichen Raster. Dies betraf sowohl Verkäuferinnen und Verkäufer, Zulieferer als auch Konsumentinnen und Konsumenten. Die systematischen Beobachtungen, die jeweils ein bis zwei Stunden dauerten, führte ich verdeckt aus der Perspektive einer Konsumentin durch, und verschrift-

den vergangenen Jahren in der Kulturgeographie aus dem Blick geraten, da man sich in den Forschungsarbeiten zunehmend auf die sprachliche Konstruktion von Wirklichkeit konzentrierte. Rainer Kazig und Peter Weichhart setzen sich daher für eine »Neuthematisierung der materiellen Welt in der Humangeographie« ein (2009, 109). 19 Denn wie meine später interviewten Konsumentinnen und Konsumenten glaubte ich anfangs auch, dass es neben den »gentrifizierten« Lokalen viele arabische Falafelimbisse in Kreuzberg, Neukölln oder Wedding geben würde, die sich an die dort wohnenden arabischen Migrantinnen und Migranten richten würden.

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lichte die entsprechenden Notizen im Anschluss in einen Fließtext. Dieser methodische Schritt ermöglichte mir einen intensiven und reflektierten Einblick in die konkreten Orte und die dortigen Routinen – sowohl was die Anbieterseite als auch was die Konsumentenseite anging. Zudem stellte ich fest, dass es große Unterschiede zwischen den ausgewählten Imbissen gab, gerade was die Inneneinrichtung anging. Die Ergebnisse dieser systematischen Beobachtungen flossen zwar nicht direkt in die spätere Verschriftlichung dieser Arbeit ein, bildeten aber für die nachfolgend durchgeführten Interviews eine wichtige Grundlage. Da ich mir damals bewusst war, dass meine fokussierte und leitfadengestützte Wahrnehmung – insbesondere was die arabischen Inszenierungen anbelangte – nicht auf die Alltagsperzeptionen anderer Konsumentinnen und Konsumenten übertragbar war, entschied ich mich für eine Inhaltsanalyse als nächsten Schritt. Inhaltsanalyse stadtbezogener Restaurant- und Reiseführer und von Internetforen Um herauszufinden, welche Aspekte der Falafelimbisse für die Konsumentenseite überhaupt relevant waren, führte ich im Frühjahr 2009 eine explorative Inhaltsanalyse von Reiseführern, Restaurantführern und Internetforen durch.20 Als Restaurantführer wählte ich verschiedene Jahrgänge der »Zitty Essen + Trinken«21 (Zitty 2005-2008) und der »Tip Speisekarte« (Tip Berlin 2006-2009) aus – beides Sonderbeilagen von Stadtmagazinen mit Einträgen zu 33 Falafelimbissen. In Reiseführern fand ich 35 Besprechungen von Falafelimbissen.22 Und aus dem Nutzerforum Qype (einer Online-Plattform für stadtbezogene nutzergenerierte Kritiken zu Gastronomie, Einzelhandel und Dienstleistungen) nahm ich 91 Kommentare zu den

20 Der Umfang des Materials wurde so festgelegt, dass der explorative Charakter der Studie gewährleistet wurde und gleichzeitig eine interpretationswürdige Analyse möglich war. 21 Der Name hat sich in den vergangenen Jahren von »Zitty Essen Trinken Tanzen« zu »Zitty Essen + Trinken« verändert. 22 Die Reiseführer wurden ab 2003 ausgewählt. Folgende sechs Reiseführer sind in der Auswahl: »Berlin für junge Leute« (Lorenz et al. 2004) von Herden Studienreisen, »Berlin« (Maurer 2006) vom Michael Müller Verlag, »Berlin und Umgebung« (Maurer 2009) ebenfalls vom Michael Müller Verlag, »Viel Berlin für wenig Geld« (Bombosch 2006) von Gauglitz, »Berlin« (Schulte-Peevers/Parkinson 2006) von Lonely Planet Deutschland, »Berlin exotisch: Kulturen, Küchen, Klubs« (Goridis 2008) von Reise Know-How. Diesen Reiseführern war gemein, dass sie auf eine junge Zielgruppe abzielten.

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Top-Ten-Falafelimbissen in das Sampling auf.23 Die insgesamt 159 ausgewählten Textstellen bezogen sich dabei auf insgesamt 33 Berliner Imbisse, die vorwiegend in Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain lokalisiert waren. Die Inhaltsanalyse diente als Werkzeug zum Aufspüren bestimmter Regelmäßigkeiten in den Inhalten des gesamten Datenkorpus (Mayring 2003, 11). Dafür bildete ich zunächst induktiv an das Textmaterial angelehnte Kategorien. Im Anschluss daran unterzog ich dieses Kategoriensystem einer Häufigkeitsanalyse, die gewährleistete, dass bestimmte Aspekte, die sich nicht regelmäßig in den Texten wiederholten, nicht überbewertet wurden (vgl. Früh 2007). Die Ergebnisse stellten einen Einschnitt für diese Forschung dar. Denn die Inhaltsanalyse ergab, dass zwar Vorstellungen von orientalischer Authentizität (die am Speiseangebot, an der Einrichtung und der Musik festgemacht wurden) im Umfeld der Imbisse wichtig waren, dass sich die Bewertungen aber ebenso oft auf Images Berlins und der einzelnen Stadtviertel bezogen und dort verortete Lebensstile und »Kiezkulturen« diskutiert wurden. Aufgrund der Ergebnisse begann sich mein Forschungsinteresse weg von einer bloßen Fokussierung auf arabische Inszenierungen hin zu einer näheren Untersuchung der Stadtteilkulturen zu entwickeln. Das analysierte Textmaterial wird in der Niederschrift dieser Arbeit nur am Rande erwähnt. Bestimmte Kategorien der Inhaltsanalyse sind aber später direkt in die Strukturierung dieser Arbeit eingegangen.24 Die Inhaltsanalyse half mir folglich, meinen Forscherblick zu modifizieren und neue Fragen aufzuwerfen, denen ich in den im Anschluss daran geführten Interviews weiter nachging. Qualitative leitfadengestützte Interviews mit Anbietern Nach dieser ersten Untersuchung der Konsumentenseite entschied ich mich Ende April 2009, die Anbieterseite genauer zu beleuchten, und führte zunächst neun qualitative leitfadengestützte Interviews (Flick 2005, 117f.) mit Besitzern und

23 Das in die Analyse aufgenommene Textmaterial dieser Nutzerbewertungen war ca. doppelt so umfangreich wie alle Einträge in den Reise- und Restaurantführern zusammen. Das Verhältnis war in der Analyse aber dadurch in etwa ausgewogen, dass die Beschreibungen in den Printquellen viel dichter als in den digitalen Quellen sind, was an dem journalistischen Stil in den klassischen Medien liegen mag. 24 Dies betrifft zum Beispiel »die Herkunftsimaginationen« (im Kapitel 4), »der Nichtverkauf von Alkohol« (im Kapitel 7) oder »die Unterscheidung zum Döner« (Kapitel 9). Andere Kategorien wie das »Beobachten Der Straßenszenerie« (Kapitel 6), oder »die Vorliebe für ein gesundes, vegetarisches, gleichzeitig aber billiges Angebot« (Kapitel 10) spielten für die Argumentationslinien in bestimmten Kapiteln eine wichtige Rolle.

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Geschäftsführern der Falafelimbisse durch. Die Imbisse wählte ich nach meinen Vorkenntnissen aus der systematischen Beobachtung und der medialen Inhaltsanalyse aus und deckte dabei unterschiedliche Standorte ab. Im späteren Verlauf der Forschung (bis 2012) ergänzte ich das Datenmaterial noch durch zehn weitere Interviews mit Anbietern, unter ihnen Personen, denen – wie ich im Verlauf der Forschung erkannte – eine besondere Rolle in der Entwicklung und gegenwärtigen Manifestierung der Falafelimbisskultur in Berlin zukam: zum Beispiel der Besitzer des ersten Falafelimbisses (A19), ein Falafelgroßhändler (A9), der die frittierfertige Falafel an Dönerimbisse verkaufte, oder der Besitzer des israelisch konnotierten Mamo-Imbisses (A9).25 Die interviewten Anbieter (vorwiegend Besitzer, selten auch Geschäftsführer oder Verwandte des Besitzers) waren ausnahmslos männlich26, zwischen 18 und 63 Jahre alt und hatten unterschiedliche Bildungshintergründe, von Sekundarschulabschlüssen bis hin zum Diplom. Bis auf drei, die in Berlin geboren sind, waren sie im Libanon, Syrien, Irak, Tunesien oder Sudan aufgewachsen und erst im Erwachsenenalter nach Berlin migriert. Sie lebten seit mindestens acht Jahren (und oft bedeutend länger) in Berlin, was sie von ihren meist erst kürzlich zugezogenen Konsumentinnen und Konsumenten unterschied. Sie hatten folglich, wie sich herausstellte, vertiefte Einsichten in die städtischen Entwicklungen Berlins, die sie durch das Führen ihres Unternehmens mitprägten. Der Leitfaden der Interviews beinhaltete Fragen zu den Biographien, zur Gründungsgeschichte des Unternehmens, zur Konzeption hinter der Dekoration, zum Angebot, zum alltäglichen Betrieb, zum Kundenstamm, zur Einbettung in die jeweiligen Stadtviertel und zur Rolle von migrantischen Unternehmensnetzwerken. Darüber hinaus wurden einige Reflexionsfragen zur Herkunft der Falafel und der gegenwärtigen Einbettung der Falafelimbisse in den Herkunftsländern, zur Entwicklung der Falafelimbisskultur in Berlin sowie zum Vergleich mit Dönerimbissen gestellt. Der Leitfaden war folglich auf die Unternehmensführung fokussiert und auf Personen, Materialitäten und Praktiken in den Imbissen ausgerichtet. Hingegen wurden direkte Fragen zum »Arabischen« oder »Orientalischen« weitgehend vermieden, um nicht schon von vornherein bestimmte Kategorien zu konstruieren. Die Interviews führte ich bis auf eine Ausnahme nach vorheriger Terminvereinbarung in den Imbissen durch und nahm sie digital auf. Die Bereitschaft der Imbissbesitzer oder -geschäftsführer für ein Interview war relativ hoch, was auch dar-

25 Der Leitfaden wurde hier auf den jeweiligen Forschungsstand und das Erkenntnisinteresse hin modifiziert, die grundlegende Struktur blieb aber erhalten. 26 Da ich ausschließlich männliche Anbieter in den Imbissen antraf, wird in dieser Forschungsarbeit nur die männliche Form für die Besitzer oder Geschäftsführer benutzt.

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an lag, dass sie – obwohl ich meinen Forschungsstandpunkt offen legte – vermuteten, ich würde für ihren Imbiss in bestimmten Print- oder Onlinemedien werben. Dies beeinflusste wiederum die Interviewsituation, da die Anbieter positive Aspekte besonders hervorhoben und negativen Aspekte oft eher beschönigten oder gar nicht zur Sprache brachten. Doch konnte ich aus der Art und Weise, wie sie für bestimmte Aspekte warben, einiges über ihre Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster herauslesen. Als junge deutsche Frau mit gehobenem Bildungshintergrund gehörte ich zudem zur Zielgruppe, weswegen sie mich auch als eine (potenzielle) Konsumentin wahrnahmen. Ich selbst schlüpfte wiederum während der Interviews in die (mir zugewiesene) Rolle der deutschen Konsumentin im arabischen Falafelimbiss und ertappte mich auch dabei, wie ich die Interviewten ab und an selbst als »Araber« adressierte (Yildiz 2009). Aufgrund dieser Rollenverteilungen in den Imbissen blieb mein Kontakt zu den interviewten Imbissbesitzern – bis auf einige Ausnahmen – distanziert.27 Gleichzeitig lieferten die Interviews vertiefte Einsichten, nicht nur was die Hintergründe und Motive der Anbieter, z. B. hinter arabischen Inszenierungen, anging, sondern auch was ihre Wahrnehmung der Stadtteile und dort verorteter Lebensstile anbelangte. Für die Auswertung bildeten sie zusammen mit den Konsumenteninterviews, die im nächsten Schritt durchgeführt wurden, den Analysekern dieser Forschungsarbeit. Qualitative leitfadengestützte Interviews mit Konsumentinnen und Konsumenten Im Anschluss an die Anbieterinterviews führte ich im Juli und August 2009 15 leitfadengestützte Konsumenteninterviews durch. Den Großteil der Interviewpartnerinnen und -partner sprach ich in den Falafelimbissen selbst an, wodurch mir eine Streuung der Untersuchungsgruppe nach (besuchten) Stadtvierteln und (aufgesuchten) Falafelimbissen gelang. Den Rest fand ich über Bekanntenkreise. Ich achtete bei der Suche nach Interviewpartnern zudem darauf, dass unterschiedliche Altersgruppen und Frauen wie Männer vertreten waren. Die Interviewpartnerinnen und -partner waren zwischen 19 und 42 Jahre alt, hatten studiert oder befanden sich gerade im Studium. Nur drei von ihnen waren in Berlin geboren und aufgewachsen, der Rest war erst im Erwachsenenalter nach Berlin migriert. Sie kamen entweder aus anderen Regionen in Deutschland oder aus

27 Die persönlichen Verhältnisse änderten sich im späteren Verlauf nach einem Aufenthalt in Beirut, wodurch meine Arabischkenntnisse besser wurden und sich die Gespräche dann auch auf Erfahrungen vor Ort oder politische Themen ausweiteten.

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anderen europäischen Ländern und lebten zwischen 3 Monaten und 21 Jahren in Berlin, wobei kürzere Aufenthaltszeiten überwogen. Was ihre Wohnstandorte anging, so verteilten sie sich über den Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Friedrichshain und angrenzende Stadtteile. Die Interviewten gingen unterschiedlich oft in Falafelimbisse, manche nur ab und an im näheren Wohn- oder Arbeitsumfeld, manche beschrieben sich selbst aber auch als wahre Falafelliebhaber und kannten dementsprechend viele Lokale. Die Fragen des Leitfadens beinhalteten die biographischen Hintergründe und ihren Bezug zu Berlin, die kulinarischen Praktiken (inklusive der in Falafelimbissen), die eigenen Erfahrungen mit Falafelimbissen in Berlin (und außerhalb), die Bewertung der dort verkauften Speisen, der Einrichtung, der Atmosphäre sowie der Verkäufer und anderer Kunden. Auch hier wurden zum Schluss einige Reflektionsfragen zur Verortung von Falafelimbissen in Berlin, zu anderen »arabischen« Einrichtungen oder Läden in der Stadt und schließlich zur eigenen Meinung zu einem Angriff auf zwei Homosexuelle vor einem Falafelimbiss gestellt. Insbesondere die letzten Fragen zielten auf die Untersuchung von anti-muslimischen Ressentiments ab und finden sich auch in der Auswertung in Kapitel 7 wieder. Zudem setzte ich zwei zusätzliche Erhebungswerkzeuge in den Interviews ein. Am Anfang ließ ich die Konsumentinnen und Konsumenten ihre Lieblingslokale nach der Besuchshäufigkeit in eine Berliner Stadtteilkarte eintragen. Dadurch konnte ich mir einen Eindruck über ihre kulinarischen Praktiken und die Bedeutung der Falafelimbisse darin verschaffen. Darüber hinaus gaben die gezeichneten Karten einen Hinweis über Aktionsräume der Konsumentinnen und Konsumenten und regten Gespräche zu den einzelnen Stadtteilen an. Die interaktive Methode hat sich zur Auflockerung der Interviewsituation als sehr erfolgreich erwiesen und war für die Interviewten eine Stütze, über ihre alltäglichen Praktiken nachzudenken und diese zu reflektieren. Relativ am Ende der Interviews legte ich den Interviewten Fotos von neun Imbissen, in denen Falafel verkauft wurde (inklusive einem Dönerimbiss), zur Bewertung vor, die von mir vorinterpretierte Ausschnitte der Imbisse innen wie außen abbildeten. Die Vorlage der Fotos regte nicht nur den Gesprächsfluss an (Wildner 2003, 33), sondern die Bewertungen ließen auch umfassende Schlüsse auf die Geschmacksvorlieben der neubürgerlichen Konsumentengruppe zu. Zudem wurde deutlich, wie eng die Wahrnehmung der arabischen Imbisse mit den Images von Stadtvierteln zusammenhingen. Aufgrund dessen nahmen die Fotos einen zentralen Platz in der Auswertung ein. Um vorbehaltlos über verschiedene Imbisse zu sprechen, fanden die Gespräche nicht in den Imbissen, sondern entweder in Cafés oder bei den Interviewten zuhause statt. Die Gespräche dauerten zwischen ein und zwei Stunden. Da ich von meinem sozialen Hintergrund und meinem Lebensstil den Interviewpartnerinnen und -partnern sehr ähnlich war, war das Verhältnis oft freundschaftlich und weniger di-

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stanziert als zu den Anbietern.28 Das zeigte sich schon daran, dass wir uns gegenseitig duzten. Allerdings hatte die Interviewsituation aufgrund der zahlreichen Bewertungsfragen zu einzelnen Imbissen (und durch Vorlage der Fotos) auch Eigenschaften einer Marktforschung.29 Die Interviews nahm ich ebenfalls auf Tonband auf und transkribierte sie. Erste Kontextualisierung: Qualitative leitfadengestützte Interviews mit weiteren arabischen Migrantinnen und Migranten Neben den genannten Interviews befragte ich bis Ende 2009 gezielt vier Personen mit arabischem Hintergrund im Rahmen der leitfadengestützten Konsumentengespräche. Bis auf Mahmud (K10) fand ich diese aber nicht in den Imbissen selbst, sondern über Bekannte sowie Institutionen. Die vier von mir Interviewten waren zwischen 41 und 60 Jahre alt, in Libanon, Syrien oder Ägypten aufgewachsen und lebten seit zwölf bis 40 Jahren in Berlin. Zwei von ihnen hatten Studienabschlüsse. Alle hielten sich zur Arbeit oder privat vorwiegend in Neukölln auf. Schon deswegen hatten die Interviewten eine andere Perspektive auf Berlin als die Konsumentinnen und Konsumenten. Wie schon nach vorhergehenden Aussagen der Anbieter vermutet, so zeigte sich auch in den Gesprächen mit den vier Interviewten, dass – entgegen der Wahrnehmung durch die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten – die Befragten ebenso wie andere arabische Migrantinnen und Migranten nur selten in Berlins Falafelimbisse zum Essen gingen. Da die vier Interviewten differente Geschmacksvorlieben und Bewertungsmuster hatten, stellten sich die Interviews als wichtiges Werkzeug zur Kontextualisierung der Falafelimbisskultur in Berlin heraus.  Kartierung der Falafelimbisse in Berlins Innenstadtvierteln  Zwischen April 2010 und Juni 2010 führte ich schließlich eine Kartierung über Falafelimbisse innerhalb des S-Bahn-Rings durch. Die Kartierung ist eine Sonderform der quantitativen Beobachtung (Reuber/Pfaffenbach 2005, 61), da sie geographisch basierte Daten enthält.

28 Aufgrund der sozial- und geisteswissenschaftlichen Hintergründe von einigen Interviewten und damit verbundener Kenntnisse über sozialwissenschaftliche Erhebungsmethoden waren sie auch motiviert, lange Gespräche mit mir zu führen. 29 An die Marktforschung angelehnte Methoden und Erhebungssituationen können aber auch in kulturanthropologischen Arbeiten über die Komodifizierung von Ethnizitäten zu einem hohen Erkenntnisgewinn führen (vgl. Dávila 2001).

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Als Falafelimbisse wurden nur diejenigen Imbisse in die Erhebung aufgenommen, die arabisch konnotiert waren, also einen Hinweis auf einen arabischen Ursprung der Speisen gaben (zum Beispiel durch eine Länderbezeichnung wie »Libanon« auf einem Werbeschild oder auf der Speisekarte, aber auch durch arabische Speisenamen wie »Schawarma«) und in denen unter anderem Falafel verkauft wurden. Dönerimbisse wurden bei der Kartierung genauso außen vor gelassen wie andere arabische Gastronomien auch. Die Abgrenzung gegenüber Dönerimbissen ergab sich aus den Interviews mit den Konsumentinnen und Konsumenten, die hier einen deutlichen Unterschied sahen. Als Begrenzungslinie wählte ich zunächst der S-Bahn-Ring, der ein großes Gebiet der Berliner Innenstadtviertel eingrenzt. Das Kartiergebiet erweiterte ich schließlich noch durch den Wedding und Gesundbrunnen, weil hier aufgrund der hohen Zahl arabischer Migrantinnen und Migranten von Konsumentenseite Falafelimbisse vermutet wurden. Da dort aber nur sieben Imbisse gefunden wurden, strich ich diese Gebiete aus der späteren Auswertung wieder.30 So gab es mit dem SBahn-Ring eine physisch-wahrnehmbare Grenze. Die Kategorien für die Kartierung ergaben sich aus den vorherigen methodischen Schritten, insbesondere den Interviews. Quantifizierbare Aspekte, die in den Gesprächen für die Bewertung von Imbissen besonders wichtig waren, konnten so auf ihre geographische Verteilung in Berlins Falafelimbissen hin untersucht werden. Der Kartierbogen umfasste neben dem Namen die regionalen Bezeichnungen, den Preis der Falafel, Getränkeangebote (wie Alkohol oder Bionade) sowie bestimmte Dekorationselemente (z. B. Reklametafeln mit Essensfotos). Zudem erfragte ich das Eröffnungsjahr und die vorherige Ladennutzung beim Verkäufer. 31 Das Ergebnis der Kartierung stellte eine wichtige räumliche Rahmung der Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster der Anbieter wie Konsumentinnen und Konsumenten dar. Zudem konnte ich die These belegen, dass Falafelimbisse in Berlin hauptsächlich und vorwiegend als Teil von Gentrifizierungsprozessen lokalisiert sind. Die Kartierung dient folglich als Grundlage für die Argumentationen dieser Arbeit (Kapitel 3).

30 Mit Neukölln und Moabit sind schon zwei Viertel im Kartiergebiet vertreten, die sich durch eine hohe Präsenz arabischer Migrantinnen und Migranten auszeichnen, gleichzeitig aber eine geringe Dichte von Falafelimbissen aufweisen. 31 Die Kartierung führte ich mit dem Fahrrad durch, indem jede Straße innerhalb des SBahn-Rings auf Falafelimbisse abgesucht wurde.

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Weitere teilnehmende Beobachtungen Neben diesen methodischen Schritten führte ich über den gesamten Zeitraum zahlreiche weitere teilnehmende Beobachtungen in unterschiedlichen Falafelimbissen durch, die ich in Feldnotizen festhielt. So suchte ich auf mehreren Erkundungstouren neue Imbisse auf. Die Beobachtungen führte ich weiterhin oft verdeckt aus dem Blickwinkel einer Konsumentin durch. In mehreren Imbissen, in die ich öfters ging, freundete ich mich mit den Verkäufern und Besitzern an, denen ich von meiner Forschung berichtete. Insbesondere der ehemalige Besitzer des Zweistrom-Imbisses stellte einen wichtigen Informanten dar und ich traf ihn öfters in Cafés. Er nahm mich auch auf einen nächtlichen Großmarkteinkauf mit, bei dem ich einen näheren Einblick in alltägliche Routinen und Netzwerke unter migrantischen Unternehmern bekam. Die Feldnotizen dieser zahlreichen Beobachtungen gehen zwar nur sehr am Rande in die Verschriftlichung dieser Arbeit ein, verhalfen mir aber zu einer ständigen Reflektion meines Untersuchungsgegenstandes. Zweite Kontextualisierung: Forschungsaufenthalt in Beirut Bevor ich die schriftliche Fassung dieser Arbeit begann, flog ich im September 2010 für zwei Monate zu einem Forschungsaufenthalt nach Beirut, wo ich die Einbettung der Falafelimbisse und anderer Snacks in die dortige urbane Landschaft untersuchte. Beirut bot sich als Forschungsfeld an, da ein Großteil der arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin aus dem Libanon kam und sich verschiedene Anbieter oder Verkäufer in den Gesprächen auf die dortigen kulinarischen Kulturen bezogen. Allerdings gab es keine bedeutsamen transnationalen Verbindungen, was bestimmte Warenströme oder Personalrekrutierungen anging. Ich folgte daher in einer »multi-sited ethnography« (Marcus 1995) zuallererst Imaginationen. Die Erhebung in Beirut, in der ich ebenfalls eine Kartierung, verschiedene Interviews sowie teilnehmende Beobachtungen durchführte, fließen zwar kaum in diese Arbeit ein, waren aber für die letztendliche Strukturierung und Reflektierung meines Materials essenziell. Denn es traf das ein, was Pierre Bourdieu (1993, 367) meinte, als er schrieb: »Man sieht dann, dass die Übereinstimmung der objektiven Strukturen mit den verinnerlichten, einverleibten Strukturen, welche die Illusionen des sogenannten Verständnisses erzeugt, ein besonderer Fall im Universum der möglichen Beziehungen zur Welt darstellt.« Die Snack-Kultur spielte zwar in Beirut eine ähnlich wichtige Rolle für eine auch dort präsente neue Mittelschicht wie in Berlin, war aber im Zuge einer an amerikanische Fast-Food-Ketten angelehnten Modernisierung ganz anders kodiert als die orientalisierte Falafelimbisskultur Berlins. Der Beiruter Blickwinkel auf Ber-

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lin half mir folglich, mein Forschungsfeld in Berlin weiter zu kontextualisieren – insbesondere, was die Präsentation und Verwendung berlinspezifischer orientalischer Dekorationselemente anging. Zudem fing ich durch meinen Forschungsaufenthalt in Beirut an, die Konstruktion des Arabischen noch kritischer zu hinterfragen, die ich vorher für selbstverständlich gehalten hatte. Es zeigte sich, dass die Berliner Formation einer arabischen kulinarischen Kultur ein Sonderfall ist, denn viele Personen aus arabischen Ländern fühlten sich diesem Referenzrahmen nicht unbedingt zugehörig. Datenaufbereitung und -analyse sowie Verschriftlichung Im Zentrum der Aufarbeitung des Materials standen die durchgeführten Interviews, die transkribiert und geglättet wurden. Die Konsumentinnen und Konsumenten wurden anonymisiert. Die Anbieter wiederum werden – mit ihrem Einverständnis – mit den Namen ihrer Imbisse genannt. Nach der Transkription kodierte ich das Textmaterial mithilfe einer Software für die qualitative Datenanalyse (MaxQda). Dafür legte ich die Struktur der Leitfäden beiseite und bildete die Kodierkategorien induktiv am Textmaterial. Diese Form der Kodierung über alle Interviews hinweg bot sich in dieser Arbeit an, in der nicht biographisch zu analysierende Identitätskonstruktionen, sondern routinierte Alltagspraktiken und dahinter liegende Handlungs- und Bewertungsmuster aufgezeigt werden sollen.32 Zudem achtete ich auf Überschneidungen zwischen den Anbieterinterviews und den Konsumenteninterviews, die in dieser Arbeit zusammengedacht werden. Die gebildeten Kategorien beziehen sich unter anderem auf unterschiedliche Aspekte des Essens, auf die Einrichtung, die Kundinnen und Kunden, die Verkäufer, die eigenen Praktiken in den Imbissen, auf bestimmte Herkunftsbenennungen, auf die Erfahrungen und Vorstellungen hinsichtlich der arabischen Region, auf die konfliktbeladenen Thematiken im Zusammenhang mit arabischer Migration, auf die Abgrenzung zum Döner, auf die Konstruktion verschiedener Stadtteile sowie auf die Stadtentwicklung. Von diesen Kategorien ausgehend entwarf ich die Gliederung dieser Arbeit. Dabei ordnete ich die verschiedenen kodierten und geglätteten Textstellen den einzelnen Kapiteln zu, ohne aber den Kontext der gesamten Interviews auszublenden. Die Kapitel komplettierte ich dann mit dem übrigen Datenmaterial und den Hinter-

32 Aufgrund der Fokussierung auf alltägliche routinierte Praktiken und dahinterliegende Bewertungsmuster finden sich in der Verschriftlichung oft statt langer Passagen kurze – teilweise nur aus einigen Wörtern bestehende – Interviewausschnitte.

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grundrecherchen, und bezog das empirische Material auf die verschiedenen wissenschaftstheoretischen Diskussionen. Empirie und Theorie stehen in dieser Arbeit in enger Wechselwirkung zueinander und werden zusammen zu einer Argumentationslinie entwickelt.

A UFBAU

DES

B UCHES

Die vorliegende Publikation gliedert sich in drei Teile, von denen sich der erste zunächst mit der Genese der Falafelimbisskultur in Berlin befasst (Kapitel 2 und 3). In Kapitel 2, das sich auf den gesamtstädtischen Kontext bezieht, werden die Wandlungen der Konsum- und Einwanderungsgesellschaft beleuchtet, und dabei vier Aspekte herausgehoben, die den Nährboden für die Falafelimbisskultur in Berlin lieferten. Als erstes wird anhand der historischen Entwicklung der Berliner Imbisskultur die Transformation hin zu einer spätkapitalistisch geprägten Konsumgesellschaft aufgezeigt und dann im nächsten Schritt mit Blick auf Einwanderungsdiskurse hinterfragt, warum der Konsum des »ethnic food« in der Nachkriegszeit in West-Berlin und West-Deutschland so beliebt geworden ist. Aus unternehmerischer Perspektive werden anschließend die Grundlagen vorgestellt, die zu einer zunehmenden migrantischen Selbstständigkeit führten. Schließlich werden die Migrationsbewegungen aus der arabischen Region nach West-Berlin nachgezeichnet, die die Eröffnung der Falafelimbisse in Berlin bedingten. Das Kapitel schließt mit einer Beschreibung der Anfänge der Falafelimbisskultur in Berlin. Kapitel 3 wendet sich der Ebene der Stadtviertel zu und untersucht, inwieweit Falafelimbisse unbemerkt Träger der Aufwertungsprozesse in Berlin waren und sind. Dafür wird zunächst ihre quantitative Ausbreitung betrachtet und dann die Transformation der Viertel Schöneberg, Kreuzberg, Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Neukölln aus dem Blickwinkel der Falafelimbissbesitzer nachverfolgt. Dann wird der Bogen von den »offensichtlichen« Gentrifizierern, den deutschen oder europäischen jungen gebildeten Konsumentinnen und Konsumenten, zu den »unbemerkten« Gentrifizierern, den Imbissbesitzern gespannt, die anhand von drei Porträts vorgestellt werden. »Unbemerkt« sind letztere deshalb geblieben, weil ihr kreativer und aktiver Beitrag in der Aufwertung aufgrund ihrer Ethnisierung als migrantische Unternehmer nicht erkannt wurde. Das Kapitel endet mit einer Analyse der kommerziellen Restrukturierung in der Gentrifizierung Berlins, in die sich die Falafelimbisse einbetten. Diese ist nicht einfach als Gastronomisierung zu deuten, sondern es tun sich hier feine Unterschiede zwischen länger ansässigen und neuen Gastronomien auf, wie die Eröffnungsstrategien von Falafelimbissbesitzern zeigen. Diese Unterschiede verweisen auf Geschmackskonstruktionen, die eng mit authentischen Vorstellungen zusammenhängen.

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Der zweite Teil nimmt diese Beobachtung auf und rückt die konsumtiven Inszenierungen des Arabischen in den Fokus, die – so wird sich zeigen – den Erfolg der Falafelimbisskultur in Berlin ausmachen (Kapitel 4 bis 8). In Kapitel 4 wird dafür der Kontext des Arabischen hinterfragt und dabei gezeigt, wie sich das Arabische in Wechselwirkung von unternehmerischen Praktiken mit Konsumentenerwartungen in Berlins Gastronomie geformt hat. Nach einer Analyse der geographischen Repräsentationen, die sich namentlich in den Falafelimbissen finden und die auf eine Zentrierung auf das Arabische oder Orientalische verweisen, wird ausgeführt, welche Rolle Unternehmensnetzwerke und damit verbunden weitergegebene Wissensbestände für die Formierung der arabischen Gastronomie in Berlin gehabt haben. Im Anschluss daran werden die geographischen Imaginationen untersucht, die die Konsumentinnen und Konsumenten mit der Falafelkultur verbinden, und schließlich anhand eines Negativbeispiels, eines als un-arabisch deklarierten Imbisses gezeigt, warum damit verbundene Authentizitätsvorstellungen zu einem wichtigen Gütekriterium für die konsumtive Bewertung der Falafelimbisse werden. Auf diesen Überlegungen aufbauend wird in Kapitel 5 die Inszenierung des Interieurs in den Imbissen analysiert, der in der Authentizitätsgenerierung eine zentrale Funktion zukommt. Die Konsumentenbewertungen von vier Imbisstypen, die durch Fotos visualisiert werden, lassen dabei klar auf Präferenzen für orientalisierte Stile schließen. Diese Erwartungen an eine orientalische Darstellung sind dabei nicht nur Ausdruck von gesellschaftlich verankerten Stereotypisierungen, sondern sind Teil der ästhetischen Präferenzen der Berliner Gentrifizierungsmilieus, für die eine Vorliebe für Authentisches zu einem Distinktionsgewinn gegenüber ökonomisch stärkeren Gruppen in der Gentrifizierung wird. Daran anschließend werden die Positionierungen der Anbieter zu diesen Erwartungen beleuchtet und ihre unterschiedlichen Strategien aufgezeigt, orientalische Inszenierungen auf Berliner Geschmacksvorlieben abzustimmen. Und zum Schluss wird offengelegt, wie unterschiedliche Repräsentationspraxen in unterschiedlichen Standorten in den Berliner Gentrifizierungsvierteln in Erscheinung treten und wie sich damit Images wie »angepasster Prenzlauer Berg« oder »authentisches Kreuzberg« in den mehr oder minder orientalisierten Raumgestaltungen widerspiegeln. Dieses Wechselspiel zwischen fremd und eigen wird in Kapitel 6 für die Beobachtung der sozialen Praxis des Falafelkonsums aufgegriffen. Als erstes wird dabei untersucht, welche Faktoren im Alltag den Besuch eines Imbisses zu einem Eintritt in den Orient werden lassen. Gleichzeitig wird dargelegt, wie der Außenbereich des Imbisses ein Bindeglied zur Straßenszenerie der Gentrifizierungsviertel bildet. Zweitens wird anhand eines als besonders vertrauenswürdig eingestuften Imbisses analysiert, wie durch kulturell kodierte Praktiken Vertrauen in das Essensangebot generiert wird. Und im letzten Abschnitt werden die Interaktionen zwischen Verkäufern und Konsumenten beleuchtet, und es wird untersucht, welche Formen der

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Annäherung stattfinden. Auch wenn es hier viele positive Beispiele für Bekanntschaften gibt, bleiben die Interaktionen im Alltag aufgrund von Rollenzuschreibungen oft inter-kulturalisiert. Das Kapitel 7 stellt schließlich die Frage, inwieweit politisch-religiöse Vorstellungen über das Arabische Einzug in die Imbisse finden. Dies wird anhand dreier Beispiele diskutiert: dem arabisch-israelischen Konflikt, der symbolisch in das Konsumgut Falafel eingeflochten ist; den Geschlechterkonstruktionen im Umfeld der Imbisse; und schließlich dem Islambild, das durch den weitgehenden Verzicht auf alkoholische Getränke in den Lokalen generiert wird. In allen drei Beispielen zeigt sich, das der konfliktbehaftete Topos weitgehend fern bleibt und stattdessen in anderen Milieus verortet wird. Es gestaltet sich gar andersherum: Bestimmte Symboliken wie der Nicht-Alkoholverkauf oder arabische (statt israelischer) Inszenierungen dienen als Authentizitätsmarker. Am Ende des zweiten Teils wird ein Zwischenfazit (Kapitel 8) gezogen, in dem aus den bisherigen Ergebnissen gefolgert werden kann, dass es kulturelle statt ökonomischer Inszenierungen sind, die den Erfolg in den Aufwertungsprozessen bedingen. Diese in Konsumprozessen verankerte gegensätzliche Konstruktion von Kultur und Ökonomie wird dabei zu spätkapitalistische sozioökonomischen Transformationen in Beziehung gesetzt, für die der Prozess der Gentrifizierung symptomatisch ist. Der dritte Teil beschäftigt sich schließlich mit der Geschmackslandschaft der Gentrifizierung, in die Falafelimbisse eingebettet sind (Kapitel 9 und 10). In Kapitel 9 wird dabei die Abgrenzung der Berliner neuen Mittelschicht untersucht und dafür der Vergleich zwischen den nur scheinbare äußerst ähnlichen Falafel- und Dönerimbisse gezogen. Während erstere zum inhärenten Bestandteil der Gentirifzierungsmilieus gehören, wird letzteren als Orten der Unterschicht ein legitimer Platz in den Geschmackslandschaften abgesprochen, und sie müssen den Aufwertungsprozessen weichen. Nach einer Nachzeichnung der Geschichte der Dönerimbisse wird untersucht, woran aus Sicht der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten die feinen Unterschiede zwischen beiden Imbisstypen festgemacht werden. Die ablehnende Haltung steht dabei nicht zufällig mit einer zunehmenden Modernisierung der Dönerimbisse im Zusammenhang, gegenüber der sich die Gentrifizierer in ihrem postmodernen Geschmack als im Trend voraus wahrnehmen. Abschließend wird das lokal verankerte milieuspezifischen Wissen beleuchtet, das diese Unterscheidung erst möglich macht und damit auch einen Distinktionsgewinn gegenüber Touristen und Neuzugezogenen bringt. Diese Abgrenzung nach außen hin wird in Kapitel 10 aufgenommen und abschließend gefragt, inwieweit sich eine berlinspezifische Geschmackslandschaft ausgeprägt hat. Diese wird zunächst aus Konsumentenperspektive beleuchtet, die in ihren alltäglichen kulinarischen Praktiken in den Gentrifizierungsvierteln einen Alltagsmultikulturalismus erleben, der aber gleichzeitig auf die konsumtiv angeeigne-

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ten Gentrifizierungsvierteln begrenzt bleibt. Bei genauerem Hinsehen ist die scheinbar multikulturelle Geschmackslandschaft das Ergebnis einer Hybridisierung und damit Transkulturalisierung, wie im zweiten Abschnitt dargelegt wird, denn die kulinarischen Angebote haben sich an bestimmte milieuspezifische und damit lokal verankerte Dispositionen angepasst, auf die sich auch die Falafelimbissbesitzer eingestellt haben. Abschließend wird dann wieder die Konsumentenperspektive eingenommen und gezeigt, wie sich die Berliner neue Mittelschicht die von ihr als multikulturell identifizierte Berliner Eigenart zu eigen macht, um sich als Berliner von anderen Regionen in Deutschland zu distinguieren. Ihre eigene kosmopolitische Verortung jenseits einer nationalen Kultur basiert dabei wiederum auf der (Multi-) Kulturalisierung der Imbissbesitzer und anderer migrantischer Unternehmer, die damit ethnisiert bleiben. Die Ausarbeitung schließt mit einem Fazit, in dem zusammenfassend betrachtet wird, wie arabische Imbisse in Berlin den Geschmack der Gentrifizierung mitgeprägt haben. Diese Arbeit konfrontiert damit nicht nur die Marginalisierung der migrantischen Unternehmer, sondern sie verweist darüber hinaus auf die zentrale Bedeutung des kulturellen Kapitals für Gentrifizierungsprozesse und zeigt die feinen Mechaniken der Distinktion auf, nach denen sich spätkapitalistische urbane Gesellschaften sortieren. In der Berliner Gentrifizierung ist dabei ein ästhetisch inszenierter Orientalismus fester Bestandteil dieser Distinktionspraktiken geworden.

Die Genese der Berliner Falafelkultur

2 Der Nährboden: Wandlungen der Konsumund Einwanderungsgesellschaft Berlins

Von außen gut sichtbar ist auf der Glasscheibe des Imbisses Ufo im Stadtteil Prenzlauer Berg folgender Schriftzug angebracht: »Die erste und beste Falafel in Berlin. Seit 1975«. In der Tat war der Besitzer wohl der Erste, der die Falafel auf den Berliner Markt gebracht hat. Sein erstes Lokal führte er damals noch nicht im OstBerliner Bezirk Prenzlauer Berg, der durch die Mauer abgetrennt war, sondern mitten im Zentrum von West-Berlin, im Europa-Center, einem Einkaufszentrum am Kurfürstendamm. In der dortigen Snackbar namens »Zaaim« verkaufte er drei verschiedene Gerichte: Falafel (frittierte Kichererbsenbällchen), Schawarma (von einem großen Spieß abgeschnittenes Fleisch, das dem türkischen Döner ähnlich ist) und Kibbe (mit Hackfleisch gefüllte, frittierte Bulgurbällchen).1 Alle drei Gerichte servierte er in einer Form von Fladenbrot mit verschiedenen Beilagen und Soßen auf die Hand (A192). Von diesen drei Gerichten ist die Falafel besonders bekannt geworden. So nannte er seinen im Jahr 2000 im Prenzlauer Berg eröffneten Imbiss dann auch einfach »Falafel Ufo«, obwohl er nach wie vor eine Vielfalt von Speisen

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Die in dieser Arbeit verwendete Umschrift des arabischen Alphabets in die lateinische Schrift richtet sich nach der Schreibweise, die die Imbissbesitzer in Berlin verwenden. Meistens hat sich wie im Falle des »Schawarma« hier eine einheitliche Schreibweise durchgesetzt. Teilweise gibt es aber auch unterschiedliche Transkriptionen wie im Falle von »Kibbe«, das zum Beispiel auch »Kibbi« geschrieben wird. Hier wird die am weitesten verbreitete Schreibweise gewählt. Differente Schreibweisen werden in der Fußnote notiert. Falls sich in Berlins Falafelimbissen keine Transkription eines arabischen Wortes findet, wird auf die DIN 31635 zurückgegriffen, in der die Transkription vom Arabischen ins Deutsche festgelegt ist.

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A steht als Kurzbezeichnung für Anbieter. Die in dieser Arbeit durchgeführten Interviews sind nummeriert vor dem Literaturverzeichnis aufgeführt.

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anbot. Andere Imbissrestaurants in Berlin wählten ähnliche Bezeichnungen: »Khalife Falafel«, »Dada Falafel«, »1001 Falafel« oder »Prinzenfalafel«. Seit der Eröffnung des Zaaim-Imbisses 1975 hat sich in Berlin eine regelrechte Falafelimbisskultur etabliert.3 Wie die kurze Einleitung zeigt, ist die Entstehung der Falafelimbisskultur in Berlin zunächst Resultat individueller Biographien und Leistungen. So kam der deutsch-libanesische Besitzer des ersten Berliner Falafelimbisses aus einer libanesischen Gastronomenfamilie, weswegen ihm die Idee, einen gastronomischen Betrieb zu eröffnen, nicht fremd war. Durch Zufall stieß er auf das Lokal im Europa-Center, das sich schon aufgrund der limitierten Fläche nur für einen Imbiss eignete. Dass die Falafelimbisskultur in Berlin derart Fuß fassen konnte und viele andere Imbissbesitzer erfolgreich dem Beispiel des Deutsch-Libanesen folgten, ist aber auch auf bestimmte Phänomene und Entwicklungen struktureller Art zurückzuführen, die in Berlin den Nährboden für eine solche Imbisskultur bildeten. Im Folgenden werden daher vier gesellschaftliche Aspekte betrachtet, die Teil dieses Nährbodens sind und von denen sich die ersten beiden auf die Konsumentenseite und die letzten beiden auf die Anbieterseite beziehen. Zunächst wird die historische Einbettung der Imbisskultur in Berlin beleuchtet und deren allmähliche Transformation nach dem Ende des zweiten Weltkrieges nachvollzogen, die als Ausdruck des sich vollziehenden Wandels von einer überwiegend fordistisch geprägten Arbeitsgesellschaft hin zu einer postfordistisch geprägten Konsumgesellschaft gesehen werden kann. Falafelimbisse sind Ausdruck dieses Wandels. Zweitens wird diskutiert, warum »ethnic food« insbesondere seit dem Ende des zweiten Weltkrieges in der (west-)deutschen Gesellschaft attraktiv wurde. Dabei wird eine Verbindung zu Migrationsprozessen und -politiken und den damit zusammenhängenden Diskursen über Migrantinnen und Migranten hergestellt. In diesen setzte sich nach dem Anwerbungsstopp für Gastarbeiterinnen und -arbeiter die Vorstellung eines »Multikulturalismus« immer mehr durch, und fand auch eine konsumförmige Variante. Im dritten Teil soll mit Blick auf die Anbieterseite dann der Frage nachgegangen werden, warum Migrantinnen und Migranten zunehmend den Weg in die

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Deshalb werden die hier im Zentrum der Untersuchung stehenden Imbisse im Folgenden als »Falafelimbisse« bezeichnet. Im zweiten Hauptteil, in dem der Fokus auf den Konsum des »Arabischen« gelegt wird, werden die Imbisse dann auch öfters als »arabische Imbisse« ausgezeichnet, nachdem der Begriff des Arabischen in Kapitel 4 kritisch diskutiert wird. In der Umgangssprache unter Konsumentinnen und Konsumenten finden sich beide Bezeichnungen.

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Selbstständigkeit beschritten haben, und wie der Begriff der »Ethnischen Ökonomien« zu verstehen ist. Und viertens werden die arabische Migration nach Berlin und deren Hintergründe seit 1945 beschrieben, denn es waren überwiegend Migrantinnen und Migranten aus der arabischen Region, die die Falafelimbisskultur in Berlin bekannt gemacht haben. Das Kapitel schließt mit einer Nachzeichnung der Anfänge der Falafelimbisskultur in Berlin. In diesem Kapitel wird folglich der soziale, kulturelle, politische und wirtschaftliche gesamtstädtische Entstehungskontext der Falafelimbisskultur in Berlin herausgearbeitet, bevor im nächsten Teil auf die kleinräumigen, stadtteilbezogenen Prozesse eingegangen wird.

A UF DEM W EG ZUR POSTFORDISTISCHEN S TADT – IM S PIEGEL DER I MBISSKULTUR Der Verkauf »schnellen« Essens auf der Straße ist keine Erfindung der Moderne. Schon in der griechischen und der römischen Antike positionierten sich mobile Straßenverkäufer strategisch an Verkehrsknotenpunkten, um den vorbeiströmenden Reisenden warme und kalte Speisen zu servieren. Zudem waren solche Verkaufsstellen fester Bestandteil von Märkten (Wagner 1995, 33). Aber erst seit der Industrialisierung ist die Kultur des schnellen Essens in Europa zum weitverbreiteten Phänomen geworden. Aufgrund der zunehmenden räumlichen Trennung zwischen Arbeitsstätte und Wohnung und der durch die Rationalisierung der Arbeitsschritte immer kürzer gehaltenen Mittagspause in Großbetrieben und Fabriken war es Arbeitern zunehmend unmöglich, das Mittagessen zuhause einzunehmen. Ein zügiger Verzehr in der Mittagspause in Fabriknähe wurde so für viele Arbeiterinnen und Arbeiter zur Notwendigkeit. Der »Imbiss«, ein Begriff, der seit dem Mittelalter für eine »Zwischenmahlzeit« stand, nahm somit an Bedeutung zu. Als Ergänzung zum »Henkelmann«, einem Behältnis, in dem das schnelle Mittagsmahl zur Arbeit mitgenommen wurde, entstanden nach und nach Imbissbuden (oder kurz auch als »Imbisse« bezeichnet) in der Nähe der Werkshallen, auch weil Kantinen häufig nicht annähernd den Bedarf decken konnten (Tolksdorf 1981, 123ff.). Die Ausbreitung der außerhäuslichen Imbisskultur war damit eng an proletarische Essenspraktiken gekoppelt. In bürgerlichen Milieus hingegen galt das »langsame« Essen und die gemeinsame Tischgemeinschaft im privaten Raum weiterhin lange als erstrebenswert (Bude 2009, 134). Dieses schichtspezifische Charakteristikum der Imbisskultur spiegelte sich auch in den angebotenen Speisen wider, die lange Zeit die Imbissbuden in Deutschland beherrschten: Früher waren es Eintöpfe und Bockwürste, später vor allem Buletten, Bratwurst und Pommes Frites (Tolks-

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dorf 1981, 139f.). Die kalorienreichen und oft fleischhaltigen Nahrungsmittel dienten den Arbeiterinnen und Arbeitern bei körperlich anstrengender Arbeit in den Großindustrien als eine wichtige Energiezufuhr. Sie waren aber gleichzeitig auch Ausdruck einer der bürgerlichen Schicht differenten Geschmackskultur. Was die Standorte anging, so waren Imbisse an die Stadt gebunden, in der sich die Großbetriebe und Industrien im 18. und 19. Jahrhundert konzentrierten. Diese Lage gilt auch heute noch als die primäre Lokalisation für Imbisse, und nicht selten wird ihnen ein inhärent urbaner Charakter attestiert.4 Das mag auch daran liegen, dass Imbissbuden auf der Straße öffentlich zugängliche Orte waren und sind. Schon Simmel (1983) hatte das Aufeinandertreffen von fremden Menschen als konstitutives Merkmal für Städte bezeichnet. Imbisse dienten hier als Orte dieses Aufeinandertreffens, denn Speisen wurden gemeinsam mit anderen Städterinnen und Städtern vor der Imbissbude verzehrt. Aufgrund der urbanen proletarischen Verwurzelung der Imbisskultur ist es nicht verwunderlich, dass die Industriestadt Berlin auch gleichzeitig die Stadt der »Buletten« und später der »Currywurst« geworden ist (Tolksdorf 1981, 127). 1907 waren 61,1 Prozent der Erwerbspersonen Arbeiter (Häußermann/Kapphan 2000, 51). Auch gab es schon im Berlin des angehenden 20. Jahrhunderts eine berühmte Imbissrestaurantkette: das Aschinger, das zunächst 1892 in Berlin-Mitte eröffnete, dann aber bald 50 Filialen meist in den Arbeitervierteln hatte. Angeboten wurden vor allem belegte Brötchen (allen voran der aus rohem Hackfleisch bereitete »Hackepeter«), die auch in einem Schaufenster ausgelegt wurden. Das Aschinger wurde wegen seiner lebhaften Atmosphäre nicht nur von Arbeitern, sondern bald auch von Studenten und einer wachsenden Zahl von Beamten und Angestellten frequentiert (Allen 2002, 95ff.). Da man die Speisen nicht draußen im Stehen zu sich nahm, sondern es einen Innenbereich mit Sitzplätzen gab, unterschied sich das Aschinger von vielen auch heute noch existierenden mobilen Imbissbuden und kann damit in Deutschland als Vorläufer sowohl für die spätere Systemgastronomie (wie z.B. McDonald’s), aber auch für die meist kleineren türkischen, asiatischen oder die in dieser Arbeit im Zentrum stehenden arabischen Imbiss-Restaurants gelten. Letztere Einrichtungen sind eine Mischung aus traditioneller Imbissbude und Restaurant. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass es eine Theke gibt, an der man das Essen bestellt und an der das Essen gegebenenfalls angerichtet oder noch fertig zubereitet wird. Gemein mit den klassischen provisorischen Imbissbuden ist den infrastrukturell besser ausgestatteten Imbiss-Restaurants, dass die schnelle Zubereitung wie auch der zügige Verzehr

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Das besagt etwa auch der Titel des Bildbandes »Urbane Anarchisten. Die Kultur der Imbissbude« von Von Wetzlar/Buckstegen (2003).

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des Essens im Vordergrund stehen, übrigens in Übereinstimmung mit dem englischen bzw. amerikanischem Äquivalent zum »Imbiss« oder »Schnellimbiss«, dem »Fast Food« – auch wenn dieser Begriff im deutschsprachigen Raum aufgrund der Konnotation mit amerikanischen Schnellrestaurantketten meist verpönt wird.5 Das Aschinger hatte sich damals in Berlin schon erfolgreich gegen ein amerikanisch-modern konnotiertes Automatenrestaurant, das »Louisiana«, durchgesetzt, in dem man durch Münzeinwurf aus einem Automaten ein belegtes Brötchen ziehen konnte. Grund dafür war laut Keith R. Allen (ebd., 99ff.) nicht zuletzt die Traditionspflege des Aschinger, was die Inneineinrichtung anging, auch wenn die Zubereitung und der Verkauf der Speisen längst modernisiert und standardisiert waren. Im Gegensatz zu den modern und einfach eingerichteten » Automatenrestaurants« waren die Lokale des Aschinger nämlich im bayrischen Weiß-Blau gehalten, was im preußischen Berlin zu dieser Zeit als exotisch galt. Das wurde auf die angebliche bayrische Herkunft der beiden Besitzer des Aschinger zurückgeführt, ein Mythos, der – obwohl bald jedem als unwahr bewusst – dem Erfolg keinen Abbruch tat, sondern ihn im Gegenteil noch befeuerte. Diese zur Schau gestellte Tradition, so wird sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen, ist auch für Falafelimbisse in Berlin Teil des Erfolgsrezepts. Wie aus der Ausdifferenzierung des Kundenstamms deutlich hervorging, war schon zur Zeit des Aschinger der Besuch des Imbisses nicht mehr nur an die Arbeit gebunden, sondern wurde mit der steigender Mobilität Bestandteil einer Freizeitkultur, die dann auch an der steigenden Zahl und Dichte der Imbisse an Bahnhöfen sichtbar wurde. In Amerika führte die Massenmotorisierung bekanntlich zum Erfolg der »Drive-In«-Kultur in den großen Fast-Food-Ketten und löste sich damit von der städtischen und proletarischen Einbindung (Tolksdorf 1981, 123ff.). Diese Praktiken setzten sich so nie im vollen Umfang in Europa durch. In Deutschland blieben Imbisse weiterhin vorrangig Teil der proletarischen Kultur. Nach der Zeit des Nationalsozialismus, in der die meisten Imbissbuden verschwanden und stattdessen mobile Eintopfküchen das Stadtbild bestimmten, die vom Staat reglementiert waren und »deutsches« Essen vermarkteten (Trummer 2009, 49), gab es in Berlin zunächst eine Renaissance der Wurstimbisse. Ende der Fünfziger und Anfang der

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Auf diese häufig negative Konnotation machte auch Christoph Wagner (1995, 23) aufmerksam: »Um die Geschichte dessen, was heute gemeinhin unter dem Begriff Fast Food subsumiert wird, zu erforschen, scheint es mir, um nicht von vorneherein missverstanden zu werden, zunächst geboten, weniger dramatische Bezeichnungen als vorläufiges Hilfskonstrukt zu wählen. Ich schlage vor, den Ausdruck «Fast Food« durch Umschreibungen wie »Snack« oder »Imbiss« zu ersetzen.« »Fast Food« ist damit eng mit der amerikanisch konnotierten Imbisskultur verbunden.

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Sechziger setzte sich neben der klassischen Bratwurst nach und nach die Currywurst als neues Angebot durch, und zwar sowohl in West-Berlin als auch zum Beispiel bei »Konnopkes Imbiss« im Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg (Reisner 2010, 19ff.). Im Nachkriegsdeutschland war das Angebot der Imbisse damit zunächst weiterhin bodenständig. Erst gegen Ende der siebziger Jahre vollzog sich ein umfangreicher Wandel der Imbisskultur in West-Berlin und in der Bundesrepublik.6 Zwei unterschiedliche Prozesse waren dafür ausschlaggebend: Zum einen setzte sich eine Standardisierung des Angebots durch. Nach kleineren nationalen Imbissketten wie »Wienerwald« und »Kochlöffel« kam es auch in Deutschland zum Durchbruch der systemischen Gastronomie mit den Fast-Food-Ketten wie »McDonald’s« oder später »Burger King«, der zu einer Amerikanisierung der kulinarischen Kultur führte. Zum anderen differenzierte sich das Angebot an kleinen Imbissen aus, nicht zuletzt in Form einer zunehmenden Ethnisierung der Speisen (Möhring 2007, 76). Dies ließ sich an einer wachsenden Zahl von italienischen Restaurants, Dönerimbissen, chinesischen oder vietnamesischen Imbissen ablesen. Auch wenn beide Prozesse häufig als gegenläufig dargestellt werden – McDonald’s gilt als Prototyp für die Rationalisierung und damit Homogenisierung (Ritzer 2004)7, während die Ethnisierung der Kü-

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Dieser kurze historische Aufriss wird sich fortan auf West-Berlin konzentrieren, da die ersten Falafelimbisse dort aufgetaucht sind und sich erst nach der Wende über Ost-Berlin ausgebreitet haben.

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Dies hat Georg Ritzer in seinem Buch »McDonaldisation of society« besprochen. Laut Ritzer (2004, 1) steht der Betrieb »McDonald’s« als Beispiel und Paradigma für einen Prozess, in dem die Prinzipien des Fast-Food-Restaurants mehr und mehr die amerikanische wie auch weltweite Gesellschaft in der Moderne dominieren. Seiner Meinung nach sind es vier Dimensionen, die die Gesellschaft bestimmen: Effizienz, Kalkulierbarkeit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle (ebd,, 14f.). Für Mike Featherstone hat diese McDonaldisierung aber auch eine kulturelle Komponente, auf die Ritzer nur am Rande eingeht. So schrieb Featherstone (1995, 8): »The burger is not only consumed physically as material substance, but is consumed culturally as an image and an icon of a particular way of life.« Sie ist Teil einer Homogenisierung nach amerikanischem Vorbild. Dies gilt, wie das Beispiel schon zeigt, für das Essen, aber auch für alle möglichen anderen materiellen Kulturgüter. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Homogenisierungs- und Heterogenisierungstendenzen bleibt Ritzers Arbeit aber unzureichend. Er bemerkte zwar, dass es Phänomene gibt, die nicht »mcdonaldisiert« sind (wie zum Beispiel Tante-Emma-Läden oder neue kleinräumige Architekturen [ebd., 21]), sieht aber keinen Zusammenhang zur McDonaldisierung. Zudem romantisiert er letztere, ohne seine Position, von der aus er spricht, kritisch zu hinterfragen.

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che als Form der Heterogenisierung und Fragmentierung angesehen wird –, sind sie beide Teil der zunehmenden kulturellen Globalisierung in westlichen Gesellschaften und führten zu einer Annäherung der Ernährungsgewohnheiten in westlich geprägten Ländern (Möhring 2007, 76f.). Zudem wies Maren Möhring darauf hin, dass die Trennung zwischen beiden Prozessen häufig überspitzt dargestellt wird (ebd.). So lassen sich sowohl Ausdifferenzierungstendenzen bei standardisierten globalen Unternehmen wie McDonald’s finden, zum Beispiel durch die Anpassung der Produktpalette an lokale Kontexte, als auch Standardisierungstendenzen bei kleinen »ethnisierten« Imbissen, wie der Titel des Aufsatzes von Ayse Caglar (1995) »McDöner« besagt. Beide Prozesse, McDonaldisierung oder Homogenisierung einerseits und Heterogenisierung andererseits, stehen damit in einem engen Wechselverhältnis. Darüber hinaus wurde die Transformation der Imbisskultur von einem wirtschaftlichen Strukturwandel geleitet, der sich auch in West-Berlin vollzog und mit der zunehmenden Globalisierung einherging. In der Literatur wird von einem Wechsel der Industrie- zur Dienstleistungsstadt gesprochen (z.B. Häußermann/ Kapphan 2000, 2). Auch wenn in Berlin dieser Wandel erst nach der Wiedervereinigung vollkommen durchschlug und West-Berlin während der Teilung lange als »verlängerte Werkbank« der Bundesrepublik galt, halbierte sich, so Hartmut Häußermann und Andreas Kapphan (ebd., 75), die Zahl der Industriearbeitsplätze von 1961 bis 1984 von 314.000 auf 158.000. Diese Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu bewerten. So haben Stefan Krätke und Renate Borst (2000, 21ff.) darauf hingewiesen, dass zwar infolge des Strukturwandels die Beschäftigungszahlen in Großindustrien abnahmen, diese aber gleichzeitig in forschungs- und entwicklungsintensiven Industriezweigen rasant wuchsen. Zudem trügt die Zahl der schrumpfenden Großindustrien auch deshalb, weil unternehmensnahe Dienstleistungen häufig ausgelagert wurden. (West-)Berlin damit als »post-industrielle Stadt« (Eckhardt/ Hassenpflug 2003) zu beschreiben, ist folglich irreführend. Besser geeignet ist der Begriff »post-fordistisch«, der unter anderem eine Abkehr von der Massenproduktion in Großindustrien hin zur Flexibilisierung und Diversifizierung des Güter- und Dienstleistungsangebots beschreibt und gleichzeitig neben dem ökonomischen Akkumulationsregime (in Bezug auf Angebot wie Nachfrage) auch politische Regulationsweisen sowie soziokulturelle Prozesse einschließt (Hall 2000, 79ff.). 8 Der

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Die Konzepte des Fordismus und Postfordismus sind Teil der Regulationstheorie, mit der sich eine Vielzahl von Wissenschaftlern auseinandergesetzt hat und die neben dem jeweiligen Akkumulationsregime auch eine Regulationsweise betrachtet. Eine Zusammenfassung findet sich zum Beispiel bei Wood (2003, 42ff.). Der Begriff »Post-Fordismus« baut dabei auf dem Konzept des Fordismus von Antonio Gramsci (2007) auf, das dieser zu

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Wandel war zum einen durch eine ökonomische Krise in den siebziger Jahren initiiert9 Zum anderen wurde er durch den Aufstieg breiterer Arbeiterschichten in Bildungsberufe getragen10. Diese Restrukturierung der sozialen Schichten hatte eine unmittelbare Auswirkung auf die Imbisskultur, in der eine zunehmende Verbürgerlichung des Angebots stattfand. Fortan fanden sich mehr und mehr Speisen, die im bürgerlichen Milieu als gesund oder leicht verdaulich galten. Als Beispiel kann hier die wachsende Sushi-Imbisskultur gesehen werden (vgl. Wagner 1995, 51). Gleichzeitig erhöhte sich mit dem Wohlstand und mit der Flexibilisierung der Arbeitszeiten die quantitative Bedeutung des Essens außer Haus, während die gemeinsame Tischkultur auch in bürgerlichen Haushalten abnahm. Grund hierfür war auch die steigende Berufstätigkeit von Frauen. Begleitet wurde die zunehmende Verbürgerlichung des Imbisses von einem umfassenden Wertewandel, der Teil des Post-Fordismus und der Ausdifferenzierung des Waren- und Dienstleistungsgebots war, und der, wie Maren Möhring (2011, 165) anmerkt, »in den Sozial- wie in den Geschichtswissenschaften als zunehmende Orientierung am Konsum einerseits und an postmateriellen Werten wie Selbstverwirklichung und Genuss andererseits beschrieben worden ist«. Grund dafür war die Abkehr vom Massenkonsum des Fordismus hin zu (zumindest scheinbar) individualisierten und ausdifferenzierten Konsumkulturen im Postfordismus. 11 Die da-

Beginn des 20. Jahrhunderts angelehnt an die Fließbandarbeit nach dem Beispiel Henry Fords in dessen Automobilwerken entwickelt hat. Seiner Meinung nach setzte sich das damals vorherrschende Taylorsystem nicht nur in den Fabriken durch, sondern erfasste die Lebens- und Arbeitsweise aller arbeitenden Menschen bis hin zu den Intellektuellen. 9

Als Hauptgrund für die Transformation vom Fordismus zum Postfordismus wird eine Krise des Fordismus konstatiert, der »in den 70er-Jahren an die Grenzen seiner eigenen Entwicklungslogik« (Wood 2003, 44) gestoßen ist. David Harvey (1989, 142ff.) verortete die Krise des Fordismus in den dem Kapitalismus inhärenten Widersprüchen, da die fließende Kraft des Kapitalismus, die nach ständiger Erneuerung verlangt, auf die Rigidität, die sich im Fordismus gebildet hat, gestoßen ist.

10 Wobei hier zu bemerken ist, dass Gastarbeiterfamilien dieser Bildungsaufstieg häufig verwehrt blieb und dass diese Entwicklung auch für viele andere Arbeiter, die diesen Aufstieg nicht schafften, Langzeitarbeitslosigkeit und damit soziale Armut bedeutete, was in den Folgejahren und insbesondere nach der Wiedervereinigung eine zunehmende Verarmung der traditionellen Arbeiterwohnbezirke Wedding, Tiergarten, Neukölln und Spandau mit sich brachte (Krätke/Borst 2000, 276). 11 Dies wird neben der sozialen Restrukturierung durch die zunehmende Marktsättigung im Massenkonsum erklärt, die zu einer Artikulation differenzierter Konsumwünsche führte (Wood 2003, 45).

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durch entstehende neue Kultur wird häufig auch als »Postmoderne« bezeichnet. Vertreter der Postmoderne feiern laut Stuart Hall (2000, 83) »die Durchdringung des Alltags durch die Ästhetik und die Erhebung der Alltagskultur über die Hochkultur«, die Fragmentierung wie den Eklektizismus.12 Andere wie zum Beispiel Ulrich Beck (1986) und Jürgen Habermas (1988) äußerten sich kritisch, ob es so etwas wie eine »Postmoderne« überhaupt gibt, und plädieren für die Beibehaltung des Begriffs der Moderne, auch wenn diese sich transformiert habe.13 Wie man die »neuen Zeiten« (Hall 2000) auch nennt, bleibt festzuhalten, dass Konsum die Arbeit als zentrale Kategorie der sozialen Sortierung abgelöst hat und zum relevanten Identitätsvehikel wurde (Pütz/Schröder 2007, 912). Gerade Städte mit ihren unzähligen unterschiedlichen Konsumorten, seien es Shopping Malls, kleine Boutiquen oder Lokale in Wohnvierteln, wurden zu Aushandlungsorten für die neue Konsumgesellschaft. Auch die in dieser Arbeit in den Blick genommene Gentrifizierung ist zentraler Bestandteil der Reorganisation des städtischen Raumes entlang neuer Konsumstrukturen im Postfordismus (Zukin 1990). Die in Gentrifizierungslandschaften äußerst präsenten gastronomischen Einrichtungen ermöglichen dabei die alltägliche Aushandlung von kollektiven Identitäten. Wie oben beschrieben sind die Anfänge dieser Transformationen von einer fordistisch geprägten zu einer postfordistischen Gesellschaft in den siebziger und achtziger Jahren zu verorten. Die zunehmende Nachfrage nach schnellem Essen ist damit Teil des Nährbodens, auf dem Falafelimbisse in Berlin in den achtziger Jahren entstehen konnten. Der Erfolg des »ethnic food« ist aber nicht nur auf die zunehmende Nachfrage durch eine wachsende Zahl von Akademikern infolge flexibilisierter Tagesabläufe einerseits und auf die zunehmende Bedeutung alltäglicher Konsumgüter als soziales Distinktionsvehikel andererseits zurückzuführen, sondern

12 Der Begriff der Postmoderne ist ein sehr vager und komplexer Begriff. Wie Wood diskutierte, hat er verschiedene Diskursebenen (Wood 2003, 25ff.). Er dient nicht nur als Beschreibung eines Stils, sondern gilt auch als Überbegriff für eine philosophische Richtung (z.B. Lyotard 1986). Daneben wird der Begriff analog zum Postfordismus oder zum Postindustriellen verwendet, um damit eine neue Epoche auszudrücken. Diese drei Diskursebenen sind häufig eng miteinander verwoben. 13 Auch Harvey (1989) und Jameson (1991) merkten kritisch an, dass die »Postmoderne« nichts anderes sei, als die kulturelle Logik des Spätkapitalismus, und dass sie diesen dementsprechend nach wie vor reproduziere. Die Begriffe Moderne und Postmoderne sind auch für diese Arbeit wichtig und werden in Kapitel 9 genauer unter die Lupe genommen. In dieser Arbeit gelten sie aber weniger als Epochen, Stile oder Philosophie, sondern als »Imagination«, durch die sich die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten von anderen sozialen Gruppen zu distinguieren versuchen.

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auch eng an die Wahrnehmung der Einwanderung und den Umgang mit dieser gekoppelt. Sind doch die meisten Imbissbesitzer, die ethnische Gastronomie vermarkten, selbst Migrantinnen und Migranten und werden auch als solche identifiziert. Auch hier hat in West-Berlin seit den achtziger Jahren eine Verschiebung in Hinblick auf den Einwanderungsdiskurs stattgefunden, der die Ausbreitung von Falafelimbissen beförderte.

D ER E RFOLG DES » ETHNIC FOOD « UND DIE M ULTIKULTURALISIERUNG DER G ESELLSCHAFT Auch wenn es schon während des Kaiserreichs und in der Weimarer Republik ein nicht zu vernachlässigendes Angebot an internationalen Restaurants gab, die im Nationalsozialismus aufgrund der Vermarktung einer bis dahin kaum dagewesenen »deutschen« Küche fast vollkommen verschwanden, kam der Durchbruch der internationalen Gastronomie in West-Berlin und in der Bundesrepublik erst in den sechziger Jahren. Die Internationalisierung der kulinarischen Kultur war zunächst vorwiegend an zwei Prozesse in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte gebunden, nämlich zum einen an die Arbeitsmigration seit dem Abschluss der GastarbeiterAnwerbeverträge ab 1955 und zum anderen an den aufkommenden Massentourismus in südeuropäische Länder, der mit dem Urlaubsereignis verbundene ethnische Konsumgüter in der Heimat populär werden ließ. Die italienische Küche, die schon in der Weimarer Republik einige Popularität besaß und die aufgrund politischer Allianzen eine der wenigen war, die während der Nazi-Zeit nicht vollkommen aus der Öffentlichkeit verschwand, galt dabei als Wegbereiter – nicht zuletzt, weil viele italienische Arbeiter in den sechziger Jahren als Gastarbeiter nach Westdeutschland migrierten und Italien gleichzeitig ein beliebtes Urlaubsziel wurde. Aber es gab auch stadtspezifische Unterschiede, was die Ausbreitung nationaler Küchen anging. Waren aufgrund der geographischen Nähe zu Italien und zum Balkan in München zunächst vor allem italienische und jugoslawische Restaurants präsent, war es in Hamburg die portugiesische Küche, die Fuß fassen konnte. In West-Berlin breitete sich vor allem die türkische Küche aus, da West-Berlin vorrangiges Ziel für türkische Gastarbeiter war (Möhring 2007, 72ff.).14 So wird in der Literatur auch häufig davon ausgegangen, dass sich die er-

14 Die hohe Zahl an türkischen Gastarbeitern in Berlin war Folge der späten Anwerbepolitik der Stadt. In den sechziger Jahren bemühten sich die Berliner Behörden noch um eine Anwerbung westdeutscher Arbeitnehmer. Erst als es nach der Rezession 1966/67 einen Mangel an ungelernten Kräften gab, entstand eine Nachfrage nach Gastarbeitern aus dem

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sten türkischen Restaurants und Imbisse vorwiegend an türkische Migrantinnen und Migranten als Zielgruppe richteten (z.B. Hillmann 1997, 1). Der Döner hingegen zielte von Beginn an auch auf eine deutsche Zielgruppe ab und ist in dieser Form, nämlich als Fleisch in einem Pitabrot serviert mit Salat und Knoblauchsoße, erst in Berlin entstanden. Er kann damit als hybrides Essen angesehen werden, dass sich erst durch die Migrationserfahrung der türkischen Einwanderer in Deutschland entwickelt hat (Caglar 1995, 209). Die verschiedenen Konsumentengruppen spiegeln sich auch in der innerstädtischen Verteilung der ausländischen Lokale wider. Diese konzentrierten sich in Vierteln, die für deutsche Gewerbe wenig attraktiv waren und in denen es somit viel Leerstand gab. Das waren zumeist Rotlichtviertel und sanierungsbedürftige Altbauviertel. Dort traf man neben ausländischen Konsumenten noch auf eine weitere Zielgruppe, nämlich junge Leute, die häufig aufgrund der günstigen Mieten in diesen Vierteln wohnten und sowohl das günstige Essen als auch die langen Öffnungszeiten schätzten (Möhring 2007, 74). Trotz des Anwerbestopps für Gastarbeiter 1973 stieg wegen der gleichzeitig anhaltenden Migration die Zahl ethnischer Gastronomien in den siebziger Jahren rasant an. So war in der Bundesrepublik und in West-Berlin von 1975 bis 1985 eine Verdoppelung der Zahl ausländischer Lokale zu verzeichnen, sodass 1985 bereits jedes vierte Lokal von einem ausländischen Besitzer betrieben wurde (ebd., 73). Nach dem Anwerbestopp nahm aber nicht nur die Zahl der Neueröffnungen von ethnischen Gastronomien zu. Es gab noch eine andere Entwicklung, die sicherlich den Erfolg des »ethnic food« auf Dauer begünstigte. Wie Frank-Olaf Radtke (1996, 337) schrieb, war das Jahr 1973 auch das »Schwellenjahr für eine augenfällige Umstellung der Semantik in der Bundesrepublik Deutschland von der staatsrechtlichen Kategorie der ›Ausländer‹ auf den ethnologischen Blick des ›Fremden‹ «. Der Einwanderungsdiskurs verschob sich folglich von der einfachen dichotomen Trennung zwischen »Ausländern« und »Einheimischen« hin zu einer Kulturalisierung von Migranten, die zu einer Abstufung verschiedener Migrationsgruppen führte, je nach der mental konstruierten Distanz der nun festgelegten »Herkunftskulturen« zur »eigenen Kultur«. Wie der Titel des Beitrags von Radtke (1996) besagt, wurde immer öfter zwischen »Fremden und Allzufremden« unterschieden und es wurden damit neue Grenzlinien zwischen den Migrantengruppen gezogen. Dies korrespondierte häufig mit politischen Vorgängen. Während EG-Ausländer (und später EUAusländer) in der Bundesrepublik und in West-Berlin Niederlassungsfreiheit hatten,

Ausland. Da sich in frühen Anwerbeländern wie Italien oder Spanien zu dieser Zeit kaum mehr neue Gastarbeiter anwerben ließen, konzentrierten sich die Berliner Behörden auf die Türkei und Jugoslawien (Lanz 2007, 60).

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wurde dies außereuropäischen Ausländern verwehrt. Als besonders fremd wurden – gerade in West-Berlin – die »Türken« identifiziert, zunehmend aber auch Migratinnen und Migranten aus der arabischen Region (ebd., 339). Neben dieser Dramatisierung kultureller Differenz, die nicht selten in Panikmache mündete und in der aus einer »Ethnologisierung der Betrachtung des Ausländerproblems im Handumdrehen eine Ethnisierung von Spannungen und Konflikten zwischen Ansässigen und Neuankömmlingen« (ebd.) wurde, gab es eine andere Spielart der Kulturalisierung von Migrantinnen und Migranten, die auch heute noch weit verbreitet ist. Die kulturelle Differenz wurde hier nicht als Belastung, sondern als Bereicherung wahrgenommen, die in dem Ideal einer »multikulturellen Gesellschaft« zur vollen Entfaltung kommen sollte. Der Multikulturalismus in Deutschland war zuerst in linkspolitischen wie auch linksintellektuellen Kreisen verbreitet und sollte eine Kritik an herrschenden Integrationsimperativen in der Politik sein. Die Grünen führten 1988 das Konzept der »multikulturellen Gesellschaft« in den Bundestag ein, und obwohl anfangs von konservativen Seiten vehement bekämpft, breitete sich das Konzept des Multikulturalismus schließlich sowohl in konservativen als auch in liberalen Kreisen aus, wenn auch in unterschiedlichen Auslegungsformen (Lanz 2007, 81ff.). Obschon vor allem die liberalen Auslegungen des Konzepts als ausländerfreundlich gedacht waren, waren sie doch affirmativ, was die reduktionistische Vorstellung von Kulturen anging. Indem Vertreterinnen und Vertreter des Multikulturalismus für eine Sensibilität und Anerkennung der kulturellen Differenz warben, bestätigten sie die Vorstellung, dass Menschen in Kulturkreise einteilbar seien und ihr Verhalten vor allem auf ihre kulturelle Herkunft zurückzuführen sei, statt dafür soziale Verhältnisse und Sozialisierungsprozesse verantwortlich zu machen. Damit wurde auch eine unüberbrückbare Differenz zwischen den »Deutschen« und den anderen »Kulturen« aufgebaut. Zudem ist das Multikulturalismuskonzept in Deutschland nie ein Konzept gewesen, das wie in selbst deklarierten Einwanderungsgesellschaften, zum Beispiel in den USA, von Minderheiten vorangetrieben wurde, um gleiche Rechte zu fordern (Radtke 1996, 344). In Deutschland war Multikulturalismus vor allem eine Idee der Mehrheitsgesellschaft und wurde damit Minderheiten aufoktroyiert. Nicht verwunderlich ist daher, dass gerade die naive tolerant-pluralistische Auslegung des Multikulturalismus (vgl. Lanz 2007, 92), nämlich die Zelebrierung der Koexistenz von Kulturen, neben einer politischen Ausrichtung auch eine alltagspraktische Variante fand und dann auch bald in konsumorientierter Form verwertbar wurde, vorwiegend in der kulinarischen Kultur. So zeigte zum Beispiel Manuela Bojadzjiev (1998) in einer chronologischen Analyse der Zeitschrift »Essen und Trinken« (die sich vor allem an eine bürgerliche westdeutsche Zielgruppe richtete), wie es nach und nach zu einer Diskursverschiebung in der Besprechung von internationaler Küche hin zum Multikulturalismus kam. Aus früheren Beiträgen wie

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»Ali will es wie zu Hause« (ebd., 307) oder der Reihe »Zu Gast bei unseren Gästen« (ebd., 308) wurde in den neunziger Jahren »Fremde Töpfe« (ebd., 310). Eine Folge dieses Wandels, so Manuela Bojadzjev, war die zunehmende Betonung »der exotischen Differenz« (ebd.) der vorgestellten Speisen. Diese Exotisierung der kulinarischen Kultur ist damit Spiegel für die Kulturalisierung und die Abstufung von Migrantinnen und Migranten nach verschiedenen »Fremdheitsgraden«. Je fremder die konstruierte Herkunftskultur wahrgenommen wird, desto exotischer sind auch die Speisen. Dieser Zusammenhang mag auch ein Grund sein, warum sich als exotisch wahrgenommene kulinarische Kulturen wie die indische Küche, chinesische Speisen und eben auch arabische Gerichte zunehmend in der gastronomischen Landschaft Berlins der achtziger Jahre durchgesetzt haben. Gleichzeitig ist die Vermarktung exotischer Kulturen im Rahmen eines Multikulturalismus ein weltweites Phänomen und findet sich in zahlreichen lokalen und nationalen Kontexten (z.B. Crang/Cook/Thorpe 1999; Costa/Bamossy 1995). In Berlin wurde in bestimmten Stadtvierteln bereits in den achtziger Jahren ein »Multikulti«-Mythos gelebt. Paradebeispiel dafür war Kreuzberg, das sowohl für seine alternativen Milieus bekannt war als auch eine hohe Zahl an Migrantinnen und Migranten aufwies. Wie Barbara Lang (1998, 161ff.) in ihrer Arbeit über den »Mythos Kreuzberg« schrieb, ging der Multikulturalismus dabei meist nicht über ein bloßes Nebeneinander der verschiedenen beobachteten Kulturen und Ethnien hinaus, die dann doch weitgehend in getrennten Welten lebten, zumindest wenn man Darstellungen in Berliner Zeitungen und Stadtmagazinen folgen mag. Dennoch war die gegenseitige Toleranz und Akzeptanz in Kreuzberg sicherlich höher als in vielen anderen Stadtvierteln. Zugleich besuchten die Mitglieder alternativer Milieus in Kreuzberg die neu eröffneten ausländischen Restaurants und Imbisse, um damit ein Anderssein gegenüber der Mehrheitsgesellschaft auszudrücken (ebd.). Gleichzeitig ging die zunehmende Multikulturalisierung der Konsumangebote mit der Aufwertung des Viertels einher. Multikulturalismus wurde somit zu einem Vehikel der sozialen Distinktion der auch in dieser Arbeit im Zentrum stehenden Gentrifizierungskulturen. Das Aufkommen des Multikulturalismus-Konzepts in den achtziger Jahren und seine alltagspraktische Umsetzung in zunächst alternativen Milieus, die bald mehrheitsfähig wurde, hat folglich den Erfolg des »ethnic food« in West-Berlin wie anderswo beschleunigt, gerade was exotisches Essen anging. Von politischer Seite wurde diese Ökonomisierung des Multikulturalismus wiederum unterstützt, denn die kulturelle Bereicherung nutzte der städtischen Wirtschaft (Pécoud 2002, 503). Aber auch Migrantinnen und Migranten selbst haben die zunehmend propagierte Multikulturalität ausgenutzt, um ihren Unterhalt und ihren Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik zu sichern.

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E THNISCHE Ö KONOMIEN – G RUNDLAGEN FÜR DIE S ELBSTSTÄNDIGKEIT

ZUNEHMENDE MIGRANTISCHE

Nach dem Anwerbestopp 1973 breiteten sich nicht nur ausländische Lokale in westdeutschen Städten und in West-Berlin weiter aus, sondern es stieg generell die Zahl der ausländischen15 Selbstständigen rasant an. Während es Anfang der siebziger Jahre in der Bundesrepublik 40.000 ausländische Selbstständige gab, verfünffachte sich die Zahl auf 220.000 im Jahre 1993 (Pütz 2000, 27). In Berlin waren 1993 13.300 Ausländer selbstständig (Hillmann 1997, 15). Die mit der Ölkrise 1974 einhergehende wirtschaftliche Rezession traf besonders die Migrantinnen und Migranten, die trotz der Rückkehrprogramme vonseiten des Staates vermehrt in die Bundesrepublik und nach West-Berlin kamen. Da ihnen viele Anstellungen in fordistisch geprägten Unternehmen verwehrt blieben, die mit der Deindustrialisierung (von Großbetrieben) und Tertiärisierung auch zunehmend in die Krise gerieten, und sie generell aus weiten Teilen des Arbeitsmarktes ausgegrenzt wurden, war die Selbstständigkeit oft die einzige Möglichkeit, ihr Auskommen in der Bundesrepublik zu sichern (Hillmann 2001, 37). Die zunehmende Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt gestaltete sich aber nicht für alle Ausländergruppen gleich. Sie korrelierte mit der Ausländerpolitik, die nach den verschiedenen Ausländergruppen differenzierte. Wurde 1986 noch die Mehrheit der ausländischen Lokale von Einwanderern aus den EG-Ländern geführt, kehrte sich das Verhältnis 1991 bereits um (Möhring 2007, 73). Zudem ist die Ausbreitung migrantischer Kleinbetriebe als Reaktion auf Ausgrenzungsdynamiken kein Wiederaufflammen eines vorindustriellen Relikts, sondern – wie Saskia Sassen (2001, 291ff.) beschrieb – inhärenter Bestandteil der wachsenden Informalisierung und Restrukturierung der Wirtschaft in »global cities«. Mit dem Strukturwandel nahm nicht nur die Nachfrage nach hochqualifizierten Dienstleistungsjobs zu, sondern auch komplementär dazu im unteren Spektrum die Nachfrage nach billigen Dienstleistungen, auf denen die post-fordistisch geprägte, globalisierte städtische Wirtschaft aufbaute. Der städtische Arbeitsmarkt wurde folglich zunehmend ethnisch strukturiert. Den Rahmen für die Selbstständigkeit von Migrantinnen und Migranten liefern allerdings nicht nur wirtschaftliche Faktoren, sondern auch institutionell-rechtliche Regeln und Praktiken (Pécoud 2002, 496). So wurde die ausländische Selbständigkeit durch rechtliche Hürden erschwert. Migrantinnen und Migranten ohne unbefri-

15 Der Begriff »Ausländer« bezieht sich hier auf die rechtliche Kategorie der Staatsbürgerschaft.

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stete Aufenthaltsberechtigung mussten bei der Ausländerbehörde einen Antrag auf selbstständige Tätigkeit stellen, die damit einer Bedürfnisprüfung unterstellt war, bei der örtliche Wirtschafts- oder Gewerbebehörden zurate gezogen wurden. Die Erlaubnis auf Selbstständigkeit hing folglich von der Erteilungspraxis der Behörden in den unterschiedlichen Städten ab. Sie bestimmte auch die Art der Gewerbeanmeldungen. So wurden im gastronomischen Sektor Genehmigungen vor allem dann gegeben, wenn die angebotene Küche der Nationalität der Migrantinnen und Migranten entsprach. Dem unterlag im Übrigen wieder die kulturalistische Vorstellung, dass diese gastronomischen Betriebe zunächst an Landsleute gerichtet waren und damit eine gerechtfertige Fortführung der Traditionen bedeuteten. Mittlerweile hat sich die Erteilungspraxis aber liberalisiert (Möhring 2011, S.167ff.). Zudem gab und gibt es Anreize wie z.B. Existenzförderungsprogramme, die auch für Migrantinnen und Migranten gelten. Dennoch stehen Migrantinnen und Migranten nach wie vor nicht alle Wirtschaftssektoren offen. Wegen spezifischer Qualifikationsanforderungen ist zum Beispiel der Weg ins Handwerk oft versperrt, für den man einen (deutschen) Meisterbrief vorzeigen muss. In der Gastronomie hingegen ist nur ein Hygienezeugnis notwendig. Das liefert auch eine Erklärung dafür, warum der Hauptteil der ausländischen Selbstständigen neben dem Einzelhandel nach wie vor im Hotel- und Gastgewerbe tätig ist (Rudolph/Hillmann 1997, 94). Der Ausländeranteil in diesem Bereich belief sich 1995 in Berlin auf 31 Prozent (Hillmann 1997, 15). Die erläuterten strukturellen Bedingungen stellen einen von zwei Erklärungsansätzen für das Aufkommen und die Verbreitung von »ethnischen Ökonomien« dar. Nach diesem Ansatz ist die Selbstständigkeit von Migrantinnen und Migranten als Reaktion auf die Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt zu deuten. Es gibt aber auch Ansätze in den Theorien zur »ethnischen Ökonomie«, die spezifische Ressourcen in den Vordergrund heben, die angeblich Migrantinnen und Migranten für die Gründung eines Gewerbes zu Verfügung stehen. Demzufolge können Migrantinnen und Migranten durch das Anbieten bestimmter Produkte, für die in ihrer »ethnic community« eine Nachfrage besteht, eine Nische im Markt besetzen. Auch wenn Robert Pütz (2000, 30) von einer Verschiebung der Nachfrage »von der Nische zum Markt« schrieb und Felicitas Hillmann (1997, 1) für Berlin konstatierte, »that the economic activity of migrants and ethnic minorities has expanded beyond the enclave economy and is now significant in meeting mainstream, too«, verorteten beide wie auch andere Autoren die ursprüngliche Zielgruppe der Gastronomie wie des Einzelhandels in der »ethnic community« – ein Aspekt, der für arabische Imbisse in Berlin nicht zutrifft, wie noch gezeigt werden wird. Diese Nischenverortung beruht zum einen auf der Annahme, dass es in der »ethnic community« eine Nachfrage nach Produkten aus der Heimat gebe, die auf dem städtischen Markt bisher nicht zu finden sind, und zum anderen auf der Annahme, dass eine hohe Solidarität innerhalb der »ethnic community« bestehe, die den Absatz sichere. Diese interne Solida-

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rität, die umso höher sei, je mehr eine bestimmte »Ethnie« in der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert werde, fördere auch Geschäftsbeziehungen zwischen so genannten »coethnics«. So wird die »ethnische Ökonomie« häufig als ein dichtes soziales Netzwerk zwischen »coethnics« beschrieben, das oft auf familiärer Mitarbeit und – im Falle der Enklavenökonomie – auf räumlicher Nähe beruht (Light/Gold 2000, 4ff.). Auch wenn die Forschung zur »ethnischen Ökonomie« (oder auf Englisch »ethnic business« oder »ethnic entrepreneurship«) inzwischen weitgehend frei ist von kulturalistischen Argumenten, die das unterschiedliche Maß von Selbstständigkeit in verschiedenen Migrantengruppen damit erklärt haben, dass es ethnospezifische Dispositionen für bestimmte wirtschaftliche Praktiken gebe, die häufig auf kulturellen Stereotypen beruhen (Beispiel hierfür ist die »Bazar-Mentalität« (Pütz 2000, 34)), unterliegen viele der aktuellen Beiträge zu »ethnischen Ökonomien« weiterhin unhinterfragten und essentialisierten Vorstellungen von Ethnien (Bergmann 2011, 50): Ethnische Ökonomien werden meist auf die vermeintlich gemeinsame Herkunft reduziert, deren Bedeutung und Konstruktion aber nicht genauer hinterfragt wird (Schmidt 2000, 340), ganz abgesehen davon, dass in den Studien nicht jede ausländische Herkunft gleich als »Ethnie« identifiziert wird. Das findet sich auch in Definitionen zu ethnischen Ökonomien wieder. So schrieben Ivan Light und Steven J. Gold (2000, 4): »An ethnic economy consists of coethnic selfemployed and employers and their coethnic employees«. In der deutschen Debatte gibt es eine vollkommen unhinterfragte Reduktion auf die Herkunft, denn es wird eine stark vereinfachte Definition von »ethnischen Ökonomien« benutzt, nämlich »alles was von Ausländern als Selbständigkeit betrieben wird« (Hillmann 2001, 45) – eine Auslegung, die, wie Felicitas Hillmann schrieb, von Verbänden und Behörden verwendet wird. Der Begriff »ethnische Ökonomie« unterliegt folglich immer einer Ethnisierung eines Wirtschaftzweigs, der auf einer geographischen Herkunft gründet. Das Ergebnis von »ethnischen Ökonomien«, nämlich dass es in einer ebenso unhinterfragt konstruierten »ethnic community« eine besondere, von der Mehrheitsgesellschaft zu unterscheidende Art des Wirtschaftens gebe, ist damit vorweggenommen, bildet es doch den Ausgangspunkt der Forschung. Außerdem beruht der Diskurs der »ethnischen Ökonomien« auf der Annahme, diese wären aufgrund ihrer als traditionell identifizierten Wirtschaftsweise ein vorindustrielles Relikt (vgl. Timm 2000), obwohl sie aufgrund ihrer flexibilisierten und netzwerkartig organisierten Wirtschaftsformen zu den Vorreitern einer postfordistisch geprägten Ökonomie gehören.16

16 Postfordistisch geprägte Wirtschaftsformen werden aktuell in der Wirtschaftsgeographie im Rahmen von »industrial districts« oder Innovations-Milieus (vgl. z.B. Krätke/

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Die Wissenschaft trägt folglich durch die »Ethnische Ökonomie«-Forschung zu einer Ethnisierung von Migranten in Wirtschaftsprozessen bei. Dies wird auch von politischer Seite übernommen. So werden mittlerweile »ethnische Ökonomien« politisch gefördert und als wichtige Determinante in der städtischen Wirtschaft vermarktet (Pécoud 2002, 501f). Aber auch Migrantinnen und Migranten übernehmen diese Ethnisierung gerade im Hinblick auf wirtschaftliche Praktiken. »Ethnic performances« (Möhring 2011, 179) mögen Praktiken einer Selbstethnisierung infolge einer Fremdethnisierung sein (Nghi Ha 2000, 378). Sie können aber auch strategische Handlungen sein, um »ethnische« Produkte an eine Mehrheitsgesellschaft zu vermarkten. Regina Römhild (2007, 173) verweist hier darauf, dass die zugeschriebene Ethnizität als kulturelles Kapital fungieren kann. Darauf geht auch Robert Pütz (2004) in seiner kritischen Arbeit zum ethnischen Unternehmertum näher ein. Für seine Studie »Transkulturalität als Praxis« über türkische Unternehmer nimmt er nicht eine unhinterfragte Herkunft als Grundlage, sondern untersucht, wie die Unternehmer sich in alltäglichen wirtschaftlichen Praktiken – teils sogar strategisch – auf ganz unterschiedliche kulturelle Bezugssysteme beziehen. Der Frage nach der Konstitution von Ethnizitäten in ökonomischen Praktiken wird auch in dieser Arbeit genauer nachgegangen. Damit werden migrantische Unternehmer nicht durch ihre Herkunft definiert und auch nicht aufgrund ihrer Selbstidentifikation mit einer »Ethnie«.17 Stattdessen werden in dieser Arbeit ethnische Entrepreneurs in Hinsicht auf ihre Vermarktungspraktiken definiert. Das ethnisch vermarktete Produkt lässt sich an materiellen Manifestationen festmachen, zum Beispiel an Werbetafeln, die »arabisches« Essen anpreisen. Dies mag mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Herkunft des Anbieters zusammenhängen, es muss aber nicht zwangsläufig so sein. Inwieweit das ethnisch konnotierte Produkt sich in bestimmten Kundenkreisen durchsetzt, die sich mit dieser Ethnisierung identifizieren (oder auch nicht), und inwieweit sich bestimmte wirtschaftliche Verflechtungen bilden, die auf Selbstidentifikation mit einer Gruppe oder gemeinsamen Erfahrungshorizonten beruhen, wird dann erst Teil dieser Untersuchung sein. In der Berliner Falafelimbissökonomie sind es zumeist Migranten aus dem Libanon und dem Irak sowie palästinensische Migranten, die einen Betrieb eröffnen

Heeg/Stein 1997, 76ff. u. 108ff.) untersucht, deren Erfolg gerade auf persönlichen Faceto-face-Kontakten beruht, die auch in der »Ethnische Ökonomie«-Forschung eine wichtige Rolle spielen. 17 Diese Definition haben Waldinger/Aldrich/Ward (1990, 34) vorgenommen. Sie ist zwar reflektierter als viele folgende Publikationen, doch auch sie legt wie andere Studien den Schwerpunkt auf die Konstitution von »ethnischen« ökonomischen und sozialen Netzwerken.

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und führen. Zu den weiteren Herkunftsländern der Unternehmer, die Falafel, Schawarma und ähnliche Produkte vermarkten, zählen Syrien, Tunesien oder Marokko.18 Hinzu kommen Migranten aus dem Sudan, die sich in Berlin etabliert haben und eine zum Mainstream differente Form der Falafelimbisskultur anbieten.19 Die Migration aus arabischen Ländern nach Berlin soll im Folgenden nachvollzogen werden. Diese setzte vermehrt seit den siebziger Jahren ein.

A RABISCHE M IGRATION

NACH

B ERLIN

Während es viele Publikationen zu den in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten aus der Türkei gibt,20 finden sich nur sehr wenige Veröffentlichungen zur Migration aus arabischen Ländern seit den siebziger Jahren.21 Erst neuerdings flammt ein mediales Interesse an arabischen Migrantinnen und Migranten in Deutschland auf, das zum einen durch globale Ereignisse wie den 11. September 2011, den darauf folgenden so benannten »Krieg gegen den Terror« und den andauernden Nahost-Konflikt, zum anderen aber auch – häufig in enger Wechselwirkung

18 Es gibt aber auch Ausnahmen wie einen Anbieter mit türkisch-kurdischem Hintergrund, der arabisch konnotierte Imbisse betreibt. 19 Vgl. hierzu den Textkasten zu Sudanesischen Imbissen im Kapitel 4. 20 Allein über türkisches Unternehmertum in Berlin liegen zahlreiche Publikationen vor: Caglar 1996; Goldberg/Sen 1996; Hedwig/Hillmann 1997; Pütz 2004. Außerdem gibt es einige Studien zu deutsch-türkischer Pop- und Alltagskultur (Caglar 1998; Petzen 2005), um nur einige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus sind Sammelbände zum Thema türkische Migration erschienen (z.B. Sökefeld 2004). 21 Eine Ausnahme bildet zum Beispiel das Buch von Ralph Ghadban (2000) über libanesische Flüchtlinge. Auch wenn im Folgenden diese Quelle teilweise herangezogen werden muss, ist sie doch nur bedingt verwertbar, da die auf quantitativen Methoden basierende empirische Erhebung nicht den wissenschaftlichen Standards von Validität und Reliabilität entspricht. Zudem finden sich kulturalistische bis hin zu rassistischen Bewertungen (z.B. ebd., 32). Die allgemeinen Aussagen über libanesische Flüchtlinge baut Ghadban zudem auf der Beobachtung der speziellen Gruppe der libanesischen Kurdinnen und Kurden auf. Differenzierter ist da sein 2008 in Essen gehaltener Vortrag (Ghadban 2008) mit einem besseren Überblick über die Hintergründe der Migrantinnen und Migranten, auch wenn er insbesondere am Schluss wiederum kulturalistisch argumentiert und soziale Missstände, gerade aufgrund der Situation in der Einwanderungsgesellschaft, zu wenig anprangert.

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– durch Schlagzeilen über gescheiterte Integration, Islamismus und Kriminalität angefacht wird (Schmidt-Fink 2002).22 Dennoch fehlt im Großen und Ganzen eine genauere Betrachtung und Analyse der Hintergründe von arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin. Ein Grund mag deren relativ geringe Zahl sein. 2008 sind in Berlin 32.123 Menschen mit einer Staatsangehörigkeit aus der arabischen Region gemeldet (siehe Abbildung 1), hingegen weitaus mehr, nämlich 117.440 Menschen, mit türkischer Staatsangehörigkeit (Statistisches Bundesamt 2008). Dabei sind die Personen mit Migrationshintergrund und gleichzeitiger deutscher Staatsangehörigkeit noch nicht mitgezählt. Noch entscheidender ist die zunehmende »Muslimisierung des Einwanderers« (Schiffauer 2007, 117), die nicht nur in der Politik, sondern auch in wissenschaftlichen Abhandlungen stattfand und stattfindet. Dadurch ist zu vermuten, dass Untersuchungen zu arabischen Migrantinnen und Migranten aktuell häufig unter dem Schlagwort »Muslime« laufen und folglich auch türkische Migrantinnen und Migranten einbeziehen. Bei solch einer kulturalisierenden und vereinfachenden Betrachtungsweise wird häufig übergangen, dass nicht alle türkischen oder arabischen Migrantinnen und Migranten dem islamischen Glauben angehören oder, selbst wenn sie Muslime sind, ihren Glauben nicht praktizieren. Exemplarisch dafür steht der Libanon, der für eine multi-religiöse Zusammensetzung seiner Bevölkerung bekannt ist. Die Konfusion beider Gruppen ist insofern bezeichnend, als Migrantinnen und Migranten aus der arabischen Region vollkommen andere Migrationshintergründe und -motive als die Deutsch-Türkinnen und -Türken haben. Während Letztere zunächst im Zuge der Anwerbeverträge als Gastarbeiterinnen und -arbeiter einwanderten, kamen arabische Einwanderinnen und Einwanderer zunächst vorwiegend als 23 Flüchtlinge oder als Studentinnen und Studenten nach (West-)Berlin. Mittlerweile sind die Migrationsmotive der beiden Gruppen ähnlich. Viele kommen als Nachzügler zu ihren Familien und streben nach wirtschaftlichem Aufstieg in Deutschland. Wie Tabelle 1 zeigt, bilden die weitaus größte Gruppe unter den arabische Migrantinnen und Migranten staatenlose Palästinenserinnen und Palästinenser, die im Amt für Statistik in Berlin/Brandenburg in der Kategorie »ungeklärt« geführt werden. Danach folgen Migrantinnen und Migranten aus dem Libanon. Schließlich gibt es noch relativ viele Migrantinnen und Migranten aus dem Irak und Syrien.

22 Als Beispiel für den medialen Diskurs dienen Artikel wie »Gefährliche Mischung« im Tagesspiegel (Buntrock/Jansen 2011), »Hinrichtung auf der Straße« im Tagesspiegel (Schnedelbach/Kopietz 2004) oder »Im Namen Allahs« im Spiegel (Wagner 2012). 23 Nur mit den Ländern Tunesien und Marokko gab es in Deutschland Anwerbeverträge.

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Tabelle 1: Registrierte arabische Migrantinnen und Migranten in Berlin Staatsbürgerschaft

31.12.200124

31.12.200825

Ungeklärt (haupts. Palästinenser)

12.047

11.839

Libanon

7.520

7.553

Irak

2.795

2.025

Syrien

1.831

2.274

Ägypten

1.712

1.830

Marokko

1.219

1.189

Tunesien

1.209

1.635

Jordanien

1.160

1.067

Sonstige

1.795

2.711

Arabische Migration insgesamt

31.288

32.123

Quelle: siehe Fußnoten 24 und 25.

24 Die Daten basieren auf der vom Ausländerbeauftragten des Senats herausgegebenen Broschüre »Araber in Berlin« (Gesemann/Höpp/Sweis 2002, 90). Zu der Kategorie »Sonstige« werden folgende Herkunftsländer gezählt: Ägypten, Algerien, Dschibuti, Komoren, Libysch-Arabische Dschamahirija, Marokko, Mauretanien, Somalia, Sudan, Tunesien, Bahrain, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate, Staatenlose und »ohne Angabe«. 25 Die Zahlen beruhen auf einer vom Amt für Statistik Berlin/Brandenburg für die Zwecke dieser Arbeit zur Verfügung gestellten Tabelle. Sie findet sich bisher in keiner Veröffentlichung. 26 In den verwendeten Zahlen werden ungeklärte als »fast ausschließlich Palästinenser« markiert. Die Zahl ist somit ungenau. Manche der palästinensischen Migrantinnen und Migranten besitzen einen libanesischen, syrischen, jordanischen oder ägyptischen Pass.

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Die Zahl der Iraker ist allerdings in den letzten sieben Jahren aufgrund des Endes des dritten Golfkriegs und nach dem Sturz des Saddam-Regimes zurückgegangen, während die Zahl der syrischen Migrantinnen und Migranten aufgrund der verschlechterten wirtschaftlichen Situation in Syrien weiter zugenommen hat. Die hier vorgestellten Zahlen bieten aber nur einen Anhaltspunkt, da sie zum einen nicht Personen beinhalten, die mittlerweile eingebürgert wurden, zum anderen die starke illegale Migration nach Berlin nicht erfassen (Ghadban 2005, 33).27 Um den jeweiligen Hintergrund und die soziokulturelle Einbettung der Falafelimbissbesitzer besser zu verstehen, wird die bisher in der Forschung wenig aufgearbeitete Historie der Migrantenströme mit libanesischem, palästinensischem und irakischem Hintergrund zusammengetragen. Der Libanon ist bekannt dafür, ein Land der Auswanderer zu sein. Während im Libanon ca. 4 Millionen Libanesinnen und Libanesen leben, wird die libanesische Diaspora auf bis zu 15 Millionen geschätzt (Jurkiewicz 2011, 40). Eine große libanesische Diaspora findet sich in so unterschiedlichen Regionen und Ländern wie den Golfstaaten, Westafrika, Brasilien, Australien, USA und Frankreich. Die häufig als Händlervolk bezeichneten Libanesinnen und Libanesen wanderten dabei schon lange vor dem sich zuspitzenden Konflikt im Libanon in andere Länder. In die Bundesrepublik und nach West-Berlin kamen Migrantinnen und Migranten mit libanesischem Hintergrund allerdings vorwiegend als Flüchtlinge während des von 1975 bis 1990 andauernden Bürgerkriegs. Zu ihnen zählten nicht nur libanesische Staatsangehörige, sondern auch palästinensische Migrantinnen und Migranten mit libanesischen Reisedokumenten und die Minderheit der libanesischen MhallamiKurdinnen und Kurden.28

27 So gibt es – laut Interviewaussagen von arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin – auch eine Reihe von Personen, die nach Deutschland kommen, um Asyl zu beantragen, dann aber nicht in dem ihnen zugewiesenen Asylbewerberheim in anderen Regionen Deutschlands bleiben, sondern nach Berlin zu Verwandten oder Bekannten ziehen. 28 Die Zusammensetzung der Migrantinnen und Migranten aus dem Libanon ist in Berlin sehr speziell, da sie besondere Minderheiten beinhaltet. So sind die Mhallami-Kurdinnen und Kurden eher eine Minderheit im Libanon, die sich vorwiegend in Beirut findet und im Libanon massiven Diskriminierungen ausgesetzt war. In Berlin ist diese Gruppe äußerst präsent (Ghadban 2008, 6f.). Darüber hinaus finden sich in Berlin viele Migrantinnen und Migranten aus den »sieben Dörfern«, die auch als Libano-Palästinenser bezeichnet werden. Die sieben Dörfer befinden sich auf israelischem Territorium ganz im Norden, ihre Einwohnerinnen und Einwohner waren aber nicht Palästinenserinnen und Palästinenser, sondern Libanesinnen und Libanesen. Mit der Gründung Israels und dem Krieg 1967 wurden diese vertrieben und wanderten in den Libanon. Im Gegensatz zur Mehrheit

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Abbildung 1: Die libanesische Migration nach (West-)Berlin und in die BRD seit 1975

Quellen: Bundesamt für Statistik (1975, 1980a, 1985, 1991, 1995, 2000, 2005a, 2009)

Insbesondere zwischen 1985 und 1989 nahm mit der zunehmenden Verschlechterung der Lage im Libanon die Migration in die Bundesrepublik zu. Den wenigsten dieser Flüchtlinge wurde Asyl gewährt, dennoch konnten sie aufgrund der anhaltenden instabilen Situation nicht in den Libanon abgeschoben werden, vor allem nach dem Einmarsch israelischer Truppen und der Schließung des internationalen Flughafens in Beirut 1982 (Ghadban 2000, 68f.). Wie Abbildung 1 deutlich macht, stellte (West-)Berlin für Migrantinnen und Migranten aus dem Libanon ein vorrangiges Ziel zur Emigration dar, da die Reise dorthin leicht zu bewältigen war. Im Gegensatz zu Frankreich, wohin vor allem Christinnen und Christen der oberen Schicht migrierten, stammten die libanesischen Migrantinnen und Migranten in Berlin meist aus sozial unteren und mehrheitlich

der Palästinenserinnen und Palästinenser sind diese nicht Sunniten, sondern Schiiten (ebd., 5).

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schiitischen Verhältnissen.29 Berlin wählten sie aufgrund der einfachen Einreisebedingungen. Dazu schrieb Ghadban (2008, 2): »Diejenigen, die keine Verwandten in der Migration oder kein Startkapital besaßen, entdeckten das Loch in der Berliner Mauer und gelangten nach Westberlin«. Die Migrantinnen und Migranten flogen also zunächst nach Ost-Berlin, wo sie ein Transitvisum in den Westen bekamen. Da die bundesdeutschen Beamten auf der West-Berliner Seite die Grenze nicht kontrollieren durften, konnten sie leicht dorthin reisen, zumindest bis 1986 eine Einigung mit der DDR erzielt wurde, Flüchtlingen kein Transitvisum mehr zu geben. Aus diesem Grund mussten die vor dem Bürgerkrieg flüchtenden Migrantinnen und Migranten ab 1986 andere Wege finden, weswegen die Zahl der libanesischen Staatsbürgerinnen und -bürger in der BRD rasant anstieg, während sie in Berlin nur leicht zunahm. Mit der zunehmenden Duldung konnten die sich in Berlin befindenden Flüchtlinge aus dem Libanon auch nicht mehr in andere Bundesländer abgeschoben werden – eine Quotenregelung galt nämlich nur im Falle eines Asylverfahrens – und so blieben sie meist bei ihren Angehörigen oder Bekannten in Berlin (Ghadban 2000, 76ff.). Das erklärt auch, warum Libanesinnen und Libanesen sich in West-Berlin konzentriert haben. Da sich die Situation im Libanon nicht zu beruhigen schien und immer mehr Flüchtlinge nach West-Berlin kamen, wurde die Duldung zunehmend zu einem humanitären Problem, denn geduldete Ausländer sind vielen Restriktionen ausgesetzt. So durften sie zum Beispiel keine Arbeit aufnehmen. Deswegen beschloss der Senat in West-Berlin schließlich 1987 eine sogenannte Altfall-Regelung, die vor allem für Migrantinnen und Migranten aus dem Libanon eine Aufenthaltsgenehmigung ermöglichte (Ghadban 2000, 165ff.). Die Migration aus dem Libanon stieg zudem noch einmal zwischen 1989 und 1990 stark an, da es während dieser Transformationszeit in Deutschland keinerlei Kontrollen zwischen Ost-Berlin und WestBerlin gab. Nach 2000 gingen viele in den Libanon zurück oder wurden abgeschoben. Unter anderem aufgrund der Altfallregelung blieb die Zahl der Migrantinnen und Migranten mit libanesischem Hintergrund aber konstant. Noch größer als die Zahl der libanesischen Migrantinnen und Migranten ist die Zahl der Palästinenserinnen und Palästinenser. Da es neben den Palästinenserinnen und Palästinensern ohne Papiere auch einige mit libanesischem, syrischem oder

29 Dies bezieht sich nun auf die Migrantinnen und Migranten mit libanesischer Staatsbürgerschaft. Die Mhallami-Kurden und die Palästinenser sind hier ausgenommen (siehe vorherige Fußnote). Letztere Gruppen sind beide meist Sunniten, haben aber ebenfalls eher proletarisch oder bäuerlich geprägte Hintergründe.

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jordanischem Pass gibt, ist die genaue Anzahl schwer festzustellen.30 Ekkehard Schmidt-Fink (2002) schätzte die Zahl von Menschen mit palästinensischem Hintergrund in Deutschland auf ca 100.000, Shiblak (2005, 13) auf 80.000. Festzustellen bleibt, dass in Deutschland die mit Abstand größte Diaspora von Palästinenserinnen und Palästinensern in Europa lebt, gefolgt von den skandinavischen Ländern (50.000) und Spanien (20.000) (ebd.). Wie die libanesischen Migrantinnen und Migranten konzentrieren sich auch die palästinensischen Migrantinnen und Migranten auf Berlin, die ebenfalls das Schlupfloch zwischen Ost- und West-Berlin nutzten (Palestine International Institute 2012, 11). Palästinenserinnen und Palästinenser kamen ab den fünfziger Jahren vermehrt nach Deutschland, anfangs als Studentinnen und Studenten und später als Arbeitssuchende (ebd., 9). Mit Beginn des Bürgerkriegs im Libanon folgte dann einen Flüchtlingsschub nach West-Berlin. Die Palästinenserinnen und Palästinenser stammen dabei – wie die libanesischen Migrantinnen und Migranten auch – aus sozial einfachen Verhältnissen. Meist sind sie Sunniten. Viele der in Deutschland eingewanderten Palästinenserinnen und Palästinenser hatten zuvor einige Jahre im Libanon gelebt, wohin sie nach der Vertreibung durch Israel zunächst geflüchtet waren. Die Migrationsströme nach Deutschland sind damit ebenfalls Resultat der Ereignisse des libanesischen Bürgerkriegs, die dortige politische Situation war aber für die Palästinenserinnen und Palästinenser speziell. So führte zum Beispiel bereits 1976 die Zerstörung des palästinensischen Flüchtlingslagers »Tel Al Zaatar« in Beirut zu einer größeren Migrationswelle nach West-Berlin, wo bis heute die meisten der früheren Camp-Bewohnerinnen und -Bewohner leben (Ghadban 2008, 4). Das Massaker 1982 in Sabra und Shatila und die Belagerung der Camps 1986 hatten weitere Flüchtlingsströme zur Folge (Palestine International Institute 2012, 9). So kommen auch 72,5 Prozent der palästinensischen Migrantinnen und Migranten in Berlin aus palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon (ebd. 10). Da Palästinenserinnen und Palästinenser aufgrund der Situation im Libanon ebenfalls nicht abgeschoben werden konnten, galt auch für sie die 1987 eingeführte Altfallregelung, die schließlich 1990 deutschlandweit implementiert wurde (Ghadban 2005, 39). Die übrigen und neu dazu gekommenen palästinensischen Migrantinnen und Migranten, die einen Duldungsstatus hatten, konnten zudem nach Ende des libanesischen Bürgerkriegs nicht in den Libanon zurückgeschickt werden, da die libanesische Regierung ab 1994 für sie ein Rückkehrvisum einführte, ihnen aber

30 Dies wird zudem dadurch erschwert, dass sich die statistische Zuordnung in der Bundesrepublik änderte. Wurden die Palästinenserinnen und Palästinenser bis 1984 unter den »Staatenlosen« gezählt, wozu zum Beispiel auch Flüchtlinge aus der damaligen UdSSR zählten, galten sie ab 1984 als »ungeklärte« Fälle (Ghadban 2005, 32).

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gleichzeitig die Ausstellung der Papiere verweigerte (ebd. 32). Aus diesem Grund ist die Zahl der Palästinenserinnen und Palästinenser in Berlin nach wie vor groß, wenn dies auch in der Öffentlichkeit wenig Beachtung findet. Die nach Berlin gekommenen Exil-Iraker waren im Gegensatz zu den libanesischen und palästinensischen Migrantinnen und Migranten bis in die neunziger Jahre hinein überwiegend dem studentischen und akademischen Milieu zuzurechnen. Es migrierten hauptsächlich Männer. Sie flohen vor dem seit 1968 herrschenden Regime der irakischen Baath-Partei, dessen Repression von Jahr zu Jahr wuchs. Unter ihnen waren viele irakische Kurdinnen und Kurden, die von der Regierung Saddam Husseins systematisch unterdrückt und verfolgt wurden. Ihre Zahl ist allerdings um einiges geringer als die der libanesischen Migrantinnen und Migranten: 1967 waren 2.130 Migranten mit irakischer Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik erfasst (Bundesamt für Statistik 1980b), 1985 waren es 4.071 (Bundesamt für Statistik 1998). Zwei Drittel der irakischen Migrantinnen und Migranten kamen erst während der neunziger Jahre. 1995 gab es 16.745 Migrantinnen und Migranten mit irakischer Staatsangehörigkeit (ebd.), 2000 bereits 60.931 (Bundesamt für Statistik 2005b). Die irakischen Migrantinnen und Migranten konzentrieren sich heute aber nicht wie die libanesischen Migrantinnen und Migranten in Berlin. Insgesamt leben 79.413 Menschen mit irakischer Staatsangehörigkeit in Deutschland, davon aber nur 2.230 in Berlin. In Bayern zum Beispiel (18.902) sind sie deutlich zahlreicher vertreten (Bundesamt für Statistik 2009). Die frühen Exil-Iraker kamen ebenfalls nach West-Berlin, da die Einreise einfach war und das Asylverfahren in der Bundesrepublik als liberal galt. Tatsächlich wurde ihnen häufig Asyl gewährt. Zudem bildete sich in West-Berlin schon bald ein Zentrum des meist von irakischen Studentenvereinigungen ausgehenden politischen Widerstands gegen das Hussein-Regime im Irak. Gleichzeitig war die Integration in den Arbeitsmarkt in Deutschland und West-Berlin sehr schwierig, da viele Universitätsurkunden nicht anerkannt wurden oder bei der Flucht verloren gegangen waren (vgl. Shooman 2007, 245ff.). So waren es zunächst vorwiegend irakische Migranten, die der Falafel in Berlin zu ihrer Popularität verhalfen. Für die vorliegende Arbeit lohnt sich zudem ein Blick auf die geographische Verteilung der Migrantinnen und Migranten innerhalb Berlins. So konzentrierten sich arabische Migrantinnen und Migranten auch 2001 weiterhin auf West-Berlin: 89,1 Prozent der arabischen Migrantinnen und Migranten lebten in West-Berliner Stadtteilen, knapp 20 Prozent davon allein in Neukölln, gefolgt von Wedding und Kreuzberg (siehe Tabelle 2).

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Tabelle 2: Tabellarische Liste arabischer Migrantinnen und Migranten nach Stadtteilen in Berlin 2001

Staatsangehörigkeit/ Stadtteil

Libanon

Ungeklärt31

Arabische Migration insgesamt32

Irak

Neukölln

23,9%

24,7%

11,3%

19,5%

Wedding

14,5%

15,2%

12,2%

13,1%

Kreuzberg

12,9%

13,4%

20,4%

12,6%

9,8%

8,8%

5,1%

8,4%

30,7%

30,1%

29,2%

36,0%

Ost-Berliner Viertel

4,1%

7,9%

21,9%

10,4%

GESAMT

7.520

12.047

2.795

31.288

Tiergarten (inkl. Moabit) Sonstige West-Berliner Viertel

Melderechtlich registrierte Personen in Prozent nach Staatsangehörigkeit am Ort der Hauptwohnung am 31.12.2001; Quelle: Gesemann/Höpp/Sweis 2002, 90; eigene Berechnung.

Diese Gebiete sind ebenfalls für türkische Migration bekannt - auch ein Grund, warum in der öffentlichen Wahrnehmung die beiden Gruppen oft nicht auseinandergehalten und beide als »orientalische Muslime« stereotypisiert wahrgenommen werden.33 Das arabisch geprägte Neukölln um die Sonnenallee dominiert im öffentlichen Diskurs die Vorstellung über arabische Migrantinnen und Migranten in Berlin, wird

31 Fast ausschließlich Palästinenserinnen und Palästinenser (Gesemann/Höpp/Sweis 2002, 90). 32 Erläuterung zu den Zahlen siehe Tabelle 1. 33 Türkische Migrantinnen und Migranten konzentrieren sich aber noch stärker in Kreuzberg, wo 25 Prozent wohnhaft sind. In Neukölln sind es nur 11,4 Prozent. Da die Zahl der Personen mit türkischer Staatsbürgerschaft aber wesentlich größer ist (2003 liegt sie bei 120.684), sind sie in beiden Vierteln im Vergleich zu den arabischen Migrantinnen und Migranten wesentlich präsenter (Ohliger/Raiser 2005, 13).

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es doch als das Beispiel für gescheiterte Integration herangezogen und als soziale Endstation und Auffangbecken für Islamismus wahrgenommen (Lanz 2007, 245). Dabei wird häufig vergessen, dass die dort wohnenden Migrantinnen und Migranten – wie gerade dargestellt – aus unteren sozialen und kulturell marginalisierten Verhältnissen (wie im Falle der Palästinenserinnen und Palästinenser oder der libanesischen Kurdinnen und Kurden) stammen, zudem durch unsichere Aufenthaltsverhältnisse wie den Duldungsstatus keine sozial gefestigten Strukturen in Deutschland besitzen und im Alltag einem in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft weitverbreiteten anti-muslimischen Rassismus ausgesetzt sind (Attia 2009, Eickhof 2010). Wie sich im Folgenden zeigen wird, treffen diese quantitativen Angaben über arabische Migration in Berlin so nur begrenzt auf die Biographen der Falafelimbissbesitzer in den Gentrifizierungsvierteln zu. Dennoch ist es wichtig, den Hintergrund zu arabischen Migrantinnen und Migranten zu kennen, da sich die Imbissbesitzer in ihren unternehmerischen Praktiken nicht nur gegenüber einer Konsumentengruppe, sondern auch immer gegenüber von wahrgenommenen »arabischen Communities« positionieren, allein schon dadurch, dass sie meist auf ein migrantisch geprägtes Unternehmensnetzwerk zugreifen. Der Besitzer des ersten Falafelimbisses in Berlin hatte zum Beispiel nie in Neukölln gelebt, sondern anfangs am Kurfürstendamm, wo er den ersten Falafelimbiss eröffnete. Um die Entstehung und das Bekanntwerden der neuen Imbisskultur zu rekonstruieren, werden im Folgenden die Aussagen von für diese Arbeit interviewten Falafelimbissbesitzern herangezogen.

B ERLIN

ENTDECKT DIE

F ALAFEL

Der libanesisch-australische Besitzer des Zaaim-Imbisses in Berlin wollte eigentlich nie in der Gastronomie tätig werden, da er aus einer libanesischen Gastronomenfamilie kam, die weltweit Restaurants führte, angefangen von den Golfstaaten über Frankreich bis hin nach Südamerika und westafrikanische Länder. Er selbst wählte einen anderen Berufsweg und war ausgebildeter Buchhalter. Nachdem er mit seiner damaligen australischen Frau 1972 von seinem bisherigen Lebensmittelpunkt in Australien nach West-Berlin migriert war, arbeitete er zunächst einige Jahre in der Automobilbranche. Schließlich entschied er doch, einen gastronomischen Betrieb zu eröffnen, denn wie er feststellte, »gab es keinen Laden, wo man hingehen und solche Spezialitäten probieren konnte. Auch für unsere Verwandten und Bekannten zum Einladen. Wir waren damals beim Spanier, beim Italiener, beim Deutschen, aber nie beim orientalischen Laden. Und da bin ich auf die Idee gekommen« (A19).

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Abbildung 2: Foto des ersten Falafelimbisses in Berlin

Quelle: Archiv des Besitzers Zaaim

Er fand ein kleines Lokal im Europazentrum, einem großen Einkaufszentrum am Kurfürstendamm, wo er 1975 den Snack Zaaim eröffnete (siehe Abbildung 2). Aufgrund der kleinen Ladenfläche entschied er sich für einen Imbiss, in dem er die Falafel, Schawarma und Kibbe im Brot servierte, so wie er sie aus dem Libanon kannte. Diese drei Gerichte wählte er, weil: »Die drei Dinge waren sehr einfach zu machen. Und sie waren auch als Snack weltbekannt. Aber hier in Berlin war das noch unbekannt. Auch das Wort Schawarma« (A19). Die Kundinnen und Kunden hätten anfangs Schwierigkeiten gehabt, das Wort »Schawarma« auszusprechen. Die Falafel34 war hingegen gleich eingängiger gewesen. Ihm zufolge war der Andrang groß und er verkaufte über 500 Sandwiches am

34 Laut Duden existiert sowohl »die Falafel« als auch »das Falafel«. In dieser Arbeit wird sich für die gängigere Form »die Falafel« mit dem gleichlautenden Plural »die Falafel« entschieden. Gelegentlich findet man auch den Plural »die Falafeln« – übrigens auch im Duden – anscheinend analog zu »die Waffel« und die »Waffeln«.

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Tag. Ein Falafelsandwich kostete damals 2,50 DM. Das Essen war noch so ungewohnt, dass das Gesundheitsamt Proben von den Speisen nahm, um sicherzugehen, dass nur in Deutschland erlaubte Gewürze verwendet wurden. Da es keinerlei Zulieferer mit den entsprechenden Zutaten gab, importierte sie der Besitzer des Zaaim eigenständig mit einem Transporter aus dem Libanon, aus Syrien und der Türkei. Auch das Brot für die Sandwiches backte er selbst. 35 Den Imbiss Zaaim am Kurfürstendamm gibt es inzwischen nicht mehr, denn nach elf Jahren schloss der Besitzer ihn 1986, um zunächst wieder nach Australien zu ziehen. Bald kehrte er aber nach Berlin zurück und eröffnete verschiedene gastronomische Betriebe im Stadtteil Charlottenburg, die er nach einiger Zeit weiterverkaufte.2000 zog er dann in den damals noch wenig sanierten Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, wo er seinen neuen Imbiss mit den Namen »Falafel Ufo« führte, den er später zusammen mit seiner zweiten Frau in das Restaurant Zaaim mit einem angeschlossenen Imbiss umwandelte. Zu dieser Zeit war die Falafelimbisskultur in Berlin bereits sehr populär geworden. Der wohl zweite Falafelimbiss in Berlin war der Imbiss Al Salam, der sich unweit des Zaaim in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms befand. Der Besitzer war ebenfalls Libanese und 1972 aus dem Libanon nach Berlin gekommen. Er arbeitete zuvor als Schneider in Berlin. Der Imbiss Al Salam, der – nach Aussage des Besitzers – noch vor McDonald’s und BurgerKing in Berlin eröffnete, existiert auch heute noch, wird aber inzwischen von einem neuen Besitzer geführt. Im Gegensatz zum Zaaim hatte der Al Salam auch einen kleinen Sitzbereich für ca. 20 Personen, wie später die meisten anderen Falafelimbisse auch. In den Räumlichkeiten organisierte der damalige Besitzer zudem für Berliner Touristinnen und Touristen Bauchtanzaufführungen und andere kulturelle Veranstaltungen. Auch der ehemalige Besitzer des Al Salam blieb der Falafelimbisskultur treu. Er verkaufte den Imbiss 1989 und beschloss, einen Schritt weiterzugehen, und die Falafel industriell vorzufertigen, um sie dann an Imbisse als Tiefkühlprodukt zu verkaufen. Er ist damit auch heute noch eine wichtige Figur in der Berliner Falafel-Ökonomie, denn er hat die Falafel über die arabisch konnotierten Imbisse hinaus an die türkisch konnotierten Döner-Imbisse vermarktet, die seit den Neunzigern die Falafel als vegetarische Alternative zum Döner auf ihren Speisekarten integrierten (A6). In der Wahrnehmung der von mir 2009 interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten sind diese beiden ersten Berliner Imbisse allerdings nicht sehr

35 Die einzige Möglichkeit, Kichererbsen zu bekommen, war seinen Aussagen zufolge damals das KaDeWe. Die Preise waren dementsprechend hoch. Dies hat sich mittlerweile geändert, und in Berlin steht den Falafelimbissen ein dichtes Netz an Zulieferern zur Verfügung.

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präsent. Dies mag nicht nur an der seither vergangenen Zeit liegen, sondern auch an den (ehemaligen) Standorten der Imbisse. Denn für heutige potenzielle Falafelkonsumentinnen und -konsumenten zählt der Kurfürstendamm nur selten zum alltäglichen Aktionsradius. Eine andere Gegend wurde für die Falafelimbisskultur Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger hingegen weitaus bekannter: der Winterfeldtplatz in Schöneberg. Dort war es eine Gruppe von irakischen Migranten, die die Falafel populär machten. Einer von ihnen hatte bereits in den siebziger Jahren in Bagdad Falafel verkauft, bevor er nach West-Berlin kam. In Berlin bot er die Falafel Anfang der achtziger Jahre zunächst in Kneipen in Schöneberg und Kreuzberg an, wo er den Organisator eines Kreuzberger Straßenfests kennenlernte. So schaffte er 1984 den Sprung auf Straßenfeste und kurz darauf auch auf die Wochenmärkte am Maybachufer in Kreuzberg und am Winterfeldtplatz in Schöneberg. Der Markt am Winterfeldtplatz war damals ein beliebter Ort für eine »kräftig gewachsene Alternativszene«, wie sie Helmut Berking und Sighard Neckel (1990, 486) beschrieben, für die »der Wochenmarkt auf dem Winterfeldtplatz, lange Zeit ein gewöhnlicher Kiezmarkt, [...] jetzt auch zunehmend der geschäftlichen und habituellen Selbstdarstellung« diente. Da sein Stand auf dem Markt sehr erfolgreich war, beschloss er 1988, seinen eigenen Laden am Winterfeldtplatz in Schöneberg zu eröffnen, den er nach einer Gewürzmischung »Baharat« nannte. Der Imbiss Baharat bleibt bis heute ein Sonderfall unter den Falafelimbissen, da er von Beginn an der einzige Imbiss war, bei dem nur Falafel auf der Speisekarte standen. Auf Fleischgerichte wie auch andere Angebote wie Halloumi36, einem frittierten Käse, den viele Imbisse später in ihre Speisekarte aufnahmen, verzichtet er bis heute (A3). Erst 2010 hat ein neuer Imbiss mit dem Namen »Maoz« in Friedrichshain an der Warschauer Straße eröffnet, der das gleiche Konzept verfolgte, sich aber auf eine israelischer Herkunft berief.37 Die meisten anderen Imbisse setzten in der Zwischenzeit auf eine Vielfalt des Angebots, das von Schawarma über Makanek (Würstchen) bis zu Hackfleischröllchen namens Kafta reicht (siehe Textkasten).

Das Speiseangebot In den Imbissen findet sich ein häufig wiederkehrendes Angebot von verschiedenen Gerichten:

36 Eine andere in Berliner Imbissen präsente Schreibweise ist »Haloumi«. 37 Auf den israelisch-arabischen symbolischen Konflikt um die Falafel und deren Auswirkungen auf Berlin gehe ich in Kapitel 7 ein.

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Falafel Falafel sind Bällchen, die entweder aus Kichererbsen oder Saubohnen bestehen. Die ägyptische Version aus Saubohnen findet sich in Berlin aber eher selten. Die Falafel werden überwiegend wie im Libanon, in Palästina, Syrien, Jordanien und im Irak aus Kichererbsen zubereitet (vgl. Raviv 2003, 20). Dafür werden die Kichererbsen über Nacht eingeweicht und am nächsten Tag durch einen Fleischwolf gedreht. In die Masse kommen noch Zwiebeln, Knoblauch, einige von Imbiss zu Imbiss variierende Gewürze und Kräuter. Benutzt werden hier unter anderem Salz, Pfeffer und Kumin, Knoblauch, Petersilie oder Koriander. Manche Besitzer fügen zudem Lauch oder ähnliches Gemüse hinzu. Wird eine Falafel bestellt, wird ein kleiner Teil der Masse mit einem Falafel-Besteck zu Kugeln geformt und in einem Behälter mit heißen Fett gebraten. Wenn die Falafel goldbraun sind, werden sie in ein Sieb zum Abtropfen gegeben. Schawarma Das Schawarma (arabisch für »sich drehen«) ist die arabische Version des türkischen Döner Kebap und stammt ursprünglich aus der Zeit des osmanischen Reichs. Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts finden sich Verkäufer dieses Gerichtes in der arabischen Welt (Heine 2008, 428). In Berlin wird es vor allem mit Hähnchenfleisch verkauft, nur selten gibt es Rinder-Schawarma. In Berlin werden die großen Fleischspieße in den Imbissen selbst zubereitet. (Für Schawarma gibt es keine vergleichbare Fertigungsindustrie wie für Döner.) Für die Zubereitung des Hähnchenschawarma legen die Besitzer das in Stücke geschnittene Hähnchenfleisch über Nacht in eine Marinade mit unterschiedlichen Gewürzen ein. Typisch sind hier Knoblauch, Kumin, Zitrone, Zimt und Nelken. Die Fleischstücke werden dann auf dem Spieß so aufgebracht, dass sich eine Kegelform ergibt. Von dem sich am elektrischen Grill drehenden Fleischspieß werden nach und nach je nach Bedarf Fleischstücke abgeschnitten. Halloumi Halloumi ist nach Falafel und Schawarma das dritte Gericht, das am meisten bestellt wird. Halloumi ist ein halbfester Käse, der aus einer Mischung aus Ziegen-, Kuh- und manchmal Schafsmilch besteht. Als Herkunftsregion wird häufig auf Zypern verwiesen. Dieser Käse ist aber auch im Nahen Osten weit verbreitet (Robinson/Tamime 1996, 144). Im Libanon zum Beispiel wird er zum Frühstück gegessen oder gegrillt serviert. In dortigen Imbissen findet man HalloumiSandwiches aber nicht auf der Speisekarte. In Berlin hingegen gibt es mittlerweile in fast allen Falafelimbissen frittierten Halloumi im Angebot.

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Sonstige Gerichte Daneben gibt es eine wiederkehrende Auswahl weiterer vegetarischer und fleischhaltiger Gerichte in den Imbissen. Dazu gehören zum Beispiel Makanek, libanesische Rindswürstchen. Manchmal werden statt Makanek Mergez (nordafrikanische Lammwürsten, die schärfer gewürzt sind) verkauft. Die Würstchen werden bei einem arabischen oder türkischen Metzger bestellt. Als arabisches Äquivalent zu den türkischen Köfte gibt es in Falafelimbissen häufig Kafta, also Lamm- oder Rinderhackfleischröllchen, die vor Ort selbst vorbereitet, gebraten und gewürzt werden. Als vegetarische Variante wird noch Makali serviert, ein frittiertes gemischtes Gemüse. Meist besteht es aus Blumenkohl, Aubergine und Kartoffel, manchmal sind auch noch Karotten dabei. Ab und an gibt es zudem Kibbe (Klöße aus Bulgur), die mit Fleisch oder Gemüse gefüllt und ebenfalls frittiert werden. Diese wurden von den Imbissbesitzern häufig als typisch irakisch bezeichnet. Kibbe gibt es aber auch im Libanon. Sonst finden sich zuweilen noch Linsensuppe, Couscous oder andere Reis-Gerichte auf der Karte. Das variiert aber von Imbiss zu Imbiss. Zwei weitere Gerichte gibt es fast überall und sie sind bei Konsumentinnen und Konsumenten äußerst beliebt: Taboule und Hummus. Sie werden oft aber nicht als eigene Speise bestellt, sondern finden sich als Beilagen zu den anderen Gerichten. Taboule ist ein mit Tomaten, Bulgur und Zitronensaft gemischter Petersiliensalat, der im Libanon ein Klassiker unter den Mezze (Vorspeisen) ist (Harms/Jäkel 2004, 252). Hummus ist ein mit Sesampaste, Zitrone, Knoblauch und Olivenöl gewürzter Kichererbsenbrei, eine Speise, die in nahöstlichen Ländern ebenso als Mezze gereicht wird oder aber auch als Hauptspeise gegessen werden kann. Für den Hummus werden die Kichererbsen über Nacht eingelegt, gekocht und dann püriert. Hummus gilt ähnlich wie Falafel als das typische arabische Gericht, das mittlerweile weltweit auch in Supermärkten vermarktet wird (Helou 2002, 68). Gleichzeitig findet sich aber auch vermehrt eine israelische Konnotation (Haibi 2009). In Berlin kann Hummus auch als Sandwich bestellt werden. Alle Gerichte werden im Brot oder auf dem Teller serviert und mit verschiedenen Salatsorten und eingelegtem Gemüse sowie verschiedenen Soßen (eine teils mit Joghurt gestreckte Sesamsoße, eine scharfe Soße, eine Mangosoße und teilweise auch Hummus) garniert. In den sudanesischen Imbissen werden die Gerichte stattdessen mit einer Erdnusssoße serviert. Die Beilagen unterscheiden sich zwar von Imbiss zu Imbiss, aber es hat sich ein bestimmter berlinspezifischer Geschmack herausgebildet.

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Trotz der Vielzahl an Gerichten war es vor allem die Falafel, die nach und nach in der Berliner Öffentlichkeit bekannt wurde. So schrieb die tageszeitung schon 1989 einen neuen Trend aus: »Nach dem Döner kommt die Falafel« (taz 1989) und in einem Artikel von 1993 wurde die Bedeutung der »Kultkugeln aus Kichererbsen« erläutert: »Falafel heißt das Zauberwort, das längst kein Insider-Tip mehr ist. Für Spötter ist Falafel nichts weiter als ein Gemüse-Döner, für echte Fans ist es die Mischung aus Multi-Kulti-Anspruch, betont gesunder – weil fleischloser – Ernährung und politisch makellosem Ersatzflair für die geächteten amerikanischen Fast-FoodKetten« (Arns 1993). Besonders berühmt, so steht es auch in dem zuletzt zitierten Artikel, ist in Berlin die Falafelimbisskette Habibi geworden. Der Besitzer des Habibi ist ebenfalls irakischer Migrant und ein Bekannter des Baharat-Besitzers. Mit anderen befreundeten Deutsch-Irakern eröffnete er am Winterfeldtplatz 1991 einen eigenen Imbiss mit dem Namen »Habibi«, in dem die im Textkasten beschriebenen Gerichte angeboten wurden. Habibi wurde in Berlin bald zu einem Markenzeichen, spätestens als ein zweites Lokal in Schöneberg in der Akazienstraße eröffnet wurde. Weitere folgten in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre in Kreuzberg am Südstern und in der Oranienstraße38. Im deutschsprachigen Lonely Planet wird der Habibi-Imbiss als der »Großpapa der ganzen Berliner Falafel« (Schulte-Peevers/Parkinson 2006, 99) bezeichnet. Auch für die weitere Verbreitung der Falafelimbisskultur hatte das Habibi eine wichtige Funktion. So waren einige der Imbissbesitzer, die ich für diese Forschung interviewt habe und die inzwischen ein eigenes Lokal führten, vorher im Habibi angestellt, wo sie das Führen eines Imbisses wie auch die Zubereitung verschiedener Speisen lernten. Mittlerweile gibt es an die hundert Falafelimbisse in Berlins Innenstadtvierteln, und das sowohl in den ehemaligen West-Berliner Vierteln als auch seit der Wende in den ehemaligen Ost-Berliner Innenstadtvierteln. Auf deren Ausbreitung möchte ich im folgenden Kapitel näher eingehen.

38 Zudem gehörte den Betreibern des Habibi zunächst auch das Rissani am Görlitzer Bahnhof, das 1993 eröffnete, aber später verkauft wurde. Die beiden Kreuzberger Lokale am Südstern und in der Oranienstraße würden laut dem Geschäftsführer des Habibi-Imbisses am Winterfeldtplatz nun nicht mehr dem Besitzer des Habibi in Schöneberg gehören, aber weiterhin von Personen aus der ursprünglichen Gründer-Gruppe geführt. Außerdem gibt es mittlerweile auch eine Habibi-Bäckerei in Neukölln.

3 Unbemerkte Gentrifizierer: Falafelimbisse als Träger der urbanen Aufwertung

Der Winterfeldtplatz in Schöneberg, der Ort, an dem die Falafel in Berlin berühmt wurde, wirkt an einem Samstagmorgen im Januar 2011 trotz der Kälte, die sich im Winter in Berlin ausgebreitet hat, belebt. Das liegt an dem Wochenmarkt, der dort schon seit 30 Jahren jeden Samstag abgehalten wird. Trotz der eisigen Temperaturen sind allerhand Menschen auf den Markt gekommen. Dies kann man schon von Weitem sehen, wenn man sich dem Platz vom Süden her von der Goltzstraße nähert. Die Goltzstraße steht idealtypisch für die Gegend rund um den Platz. Hier reiht sich ein mit Stuck verzierter sanierter Altbau an den anderen. Die Erdgeschosse sind voller Läden: Kleiderboutiquen, exklusive Möbelgeschäfte, kleine Cafés, indische Restaurants und vietnamesische Imbisse. Insgesamt wirkt die Gegend gediegen. Dafür sprechen auch die Kundinnen und Kunden des Marktes am Winterfeldtplatz. Meist sind dies gepflegt gekleidete Leute im Alter zwischen zwanzig und vierzig Jahren. Neben klassischen Gemüseständen finden sich auch Feinkostläden, die eingelegte Oliven und Schafskäsecremes verkaufen. Zudem gibt es Stände mit handgefertigten Portemonnaies und Taschen. Wandert man von Süden her über den Markt und blickt nach links, so fällt einem das Schild des sehr bekannten arabischen Imbisses Habibi auf, der sich seit 1991 in einem sanierten Altbau befindet. Als Markenzeichen dient die geschwungene, schräg verlaufende rote Schreibschrift mit dem Geschäftsnamen über dem Laden. Darunter stehen in gleicher Schrift »Falafel« und »Schawarma«. Auch an diesem Samstagmittag drängen nicht wenige Menschen in den Imbiss. Wenn man weiter nach Norden geht und rechts in die Winterfeldtstraße abbiegt, kommt man zu dem etwas versteckteren Imbiss Baharat, der bereits 1989 eröffnet hat. Auf dem kleinen, dezenten Schild vor dem Imbiss steht in brauner Druckschrift: »baharat falafel – Vegetarische Köstlichkeiten aus dem Orient«. Um den

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kleinen Imbiss ist es aber mittlerweile ruhig geworden, und auch an diesem Samstag geht nur ab und an ein Kunde hinein oder heraus. Grund dafür mag auch die Neueröffnung eines Ladens nördlich des Platzes sein, der sehr viel offensiver wirbt. Auf dem Ladenschild ist in gelber und grüner Leuchtschrift »Boussi Falafel« geschrieben. Schon von außen kann man erahnen, dass der Imbiss ein für Berlin relativ neuartiges Konzept verfolgt, die Falafel zu verkaufen. Denn hier wird das Sandwich nicht fertig serviert wie in den meisten Falafelimbissen, sondern man kann sich seine Falafel an einer Salatbar selbst nach Wahl füllen. Die grünen und gelben Farben des Imbisses unterstreichen die Vermarktung des Imbisses an die Lohas1, die Angehörigen eines Lebensstils, der für Nachhaltigkeit und Gesundheit steht. Jenseits dieser Unterschiede scheint der Winterfeldtplatz auch über dreißig Jahre nach Eröffnung des Baharat Falafel ein Standort zu sein, an dem die Falafel als Konsumgut funktioniert. Das mag an der entsprechenden Zielgruppe liegen, die vor Ort präsent geworden ist und dieses Konsumgut nachfragt. Laut Helmut Berking und Sighard Neckel (1990) sind seit den achtziger Jahren Angehörige einer neuen Mittelschicht in der Gegend um den Winterfeldplatz dominierend geworden. Neu ist diese soziale Gruppe deshalb, weil sie im Gegensatz zu ihren Eltern und Verwandten den städtischen Raum dem suburbanen Häuschen im Grünen vorzog und sich auch mit ihren oft hedonistisch geprägten Lebensstilen von ihren sparsamen, auf die Zukunft fixierten Familien unterschied (Ley 1996). Deutsche Familien aus Arbeiterverhältnissen sowie Gastarbeiterfamilien mit türkischem Hintergrund verschwanden gleichzeitig zunehmend aus dem Straßenbild rund um den Platz, genauso wie die »Alternativ-Szene« (Berking/Neckel 1990, 484), die sich den Platz in den siebziger und achtziger Jahren mit dem Besetzen von Häusern und Eröffnen von provisorischen Kneipen angeeignet und damit seine Aufwertung initiiert hatte. Der Wandel des Winterfeldtplatzes ist nicht nur beispielhaft für Berlin, das seit den achtziger Jahren eine Reihe von Aufwertungsprozessen erlebt hat, sondern er erinnert auch an andere gegenwärtige städtische Transformationen weltweit, die unter dem Schlagwort »Gentrifizierung« diskutiert werden (Atkinson/Bridge 2005) und die Ausdruck der Reorganisation des städtischen Raums im Spätkapitalismus sind (Zukin 1990). Wie im Folgenden gezeigt wird, sind Falafelimbisse in Berlin von Anfang an Teil der Gentrifizierung gewesen. Um diese These zu belegen, wird im ersten Teil anhand einer Kartierung der Imbisse ihre geographische Ausbreitung in Berlin nachvollzogen. Die Analyse dieser Kartierung ergibt, dass sich Imbisse immer dort angesiedelt haben, wo sich bestimmte Viertel in Aufwertungsprozessen befanden.

1

Lohas steht für Lifestyle of Health and Sustainability (Glöckner/Balderjahn/Peyer 2010).

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Die von Andrej Holm (2010) identifizierte »Aufwertungskarawane«, die durch die Berliner Innenstadt von Schöneberg und Kreuzberg in die östlichen Innenstadtviertel und von dort zurück nach Kreuzberg und schließlich Neukölln gezogen ist, kann so aus dem Blickwinkel von Falafelimbissbesitzern nachvollzogen werden. Falafelimbisse waren aber nicht nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort, sondern wurden und werden auch von einer für den Gentrifizierungsprozess typischen Akteursgruppe, den Gentrifizierern, nachgefragt, wie die anschließende Beschreibung der Besitzer eben dieses Kundenstamms zeigt. Die Positionierung, die die Besitzer selbst zu dieser Gruppe einnehmen, lässt dabei auch zu, die verschiedenen Stadien und damit die Begriffe wie »Pioniere« und »Gentrifier« kritisch abzustecken und neu zu betrachten. Hier lohnt sich ein Blick auf die Ausführungen von Pierre Bourdieu (1983, 1987). Diese beiden Aspekte könnten folglich schon dafür sprechen, dass Falafelimbisse Akteure in Gentrifizierungsprozessen Berlins sind – so wählen sie den richtigen Standort und werden von potenziellen Gentrifizierern besucht. Und dennoch greift diese Sichtweise zu kurz. Denn die Anbieter können selbst als Gentrifizierer bezeichnet werden. Das zeigen drei exemplarische Portraits von Imbissbesitzern. Diese Darstellung widerspricht damit dem wissenschaftlichen wie alltäglichen Diskurs, in dem ethnisches Unternehmertum aus der Betrachtung der Akteure in Gentrifizierungsprozessen weitgehend ausgeschlossen wurde. Zum Schluss wird schließlich die kommerzielle Gentrifizierung der Viertel selbst in den Blick genommen und es wird gezeigt, dass Falafelimbisse eine kommerzielle Restrukturierung in den Vierteln mitgetragen haben, die sich in einer zunehmenden Gastronomisierung ausdrückt. Nicht jede Form der Gastronomie kann dabei als Teil der Gentrifizierung gelten. Wie die Aussagen des Imbissbesitzers Sahara zeigen werden, hat dies weniger mit dem Betriebstyp als vielmehr mit den Vermarktungsstrategien zu tun. Dieses Kapitel widmet sich folglich der Gentrifizierung in Berlin aus dem Blickwinkel der Falafelimbisse.

B ERLINER T OPOGRAPHIE

DER I MBISSE

Mit Ausnahme der Imbisse Zaaim und Al Salam, die Ende der siebziger Jahre am Kurfürstendamm eröffnet hatten, waren es zunächst vor allem die Stadtteile Schöneberg und Kreuzberg, in denen sich Falafelimbisse seit den achtziger Jahren ausbreiteten. Dies zeigt die Karte (Abbildung 3), auf der die Eröffnungsjahre der Falafelimbisse markiert sind. Die Kartierung wurde von April bis Juni 2010 durchgeführt. Als Begrenzung für das Kartiergebiet diente weitgehend der S-Bahn-Ring, weil er eine natürliche Grenze für das innere Stadtgebiet markiert. Als Falafelimbisse wurden nur diejenigen Imbisse in die Erhebung aufgenommen, die arabisch kon-

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notiert waren.2 Insgesamt wurden 94 Falafelimbisse innerhalb des S-Bahnrings gezählt. Das Eröffnungsjahr wurde beim Besitzer oder dem angetroffenen angestellten Verkäufer im Imbiss erfragt. Dabei muss man davon ausgehen, dass nicht alle Angaben korrekt sind. Denn nicht selten hat der Besitzer gewechselt und der neue Besitzer war sich über das Datum der Ersteröffnung nicht sicher. Zudem bietet die Karte nur einen selektiven Ausschnitt der arabischen Imbiss-Gastronomie der vergangenen 30 Jahre, denn alle Imbisse, die in diesem Zeitraum wieder aufgegeben wurden, konnten nicht erhoben werden. Überhaupt gibt es eine hohe Fluktuation bei Falafelimbissen. Wenige Wochen nach dem Erhebungszeitraum wurde an mehreren Standorten das Schließen von Falafelimbissen beobachtet, während dafür an anderen Standorten neue Falafelimbisse eröffneten. AbbilduQg 3: Karte zur Ausbreitung der Imbisse in Berlins Innenstadtteilen

Quelle: Eigene Darstellung, die auf einer eigenen Erhebung von April bis Juni 2010 beruht.

2

Diese Abgrenzung der Falafelimbisse von anderen Gastronomien lehnt sich an Aussagen von Konsumentinnen und Konsumenten an, die z.B eine relativ deutliche Unterscheidung zwischen arabischen und türkischen Imbissen trafen.

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Deswegen soll die Karte nur als Momentaufnahme verstanden werden.3 Allerdings finden sich in der Karte Hinweise darauf, wo und in welchem Zeitverlauf sich Falafelimbisse in Berlin ausgebreitet haben. Den Imbissen in Schöneberg und Kreuzberg folgend eröffneten nach der Wende, in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, Falafelimbisse im Prenzlauer Berg, im nördlichen Teil von Berlin-Mitte und in Friedrichshain. Und auch in Kreuzberg gab es nach wie vor viele Neueröffnungen. Zu den Stadtteilen, in denen Falafelimbisse weit weniger vorzufinden sind, zählen hingegen die gutbürgerlichen westlichen Stadtteile Wilmersdorf und Charlottenburg. In Charlottenburg befindet sich das kommerzielle Zentrum rund um den Kurfürstendamm, die »City West«, in der es eine hohe Konzentration von Ladenzeilen, Büroflächen und Hotels gibt. Aber abgesehen von dem 1975 eröffneten und mittlerweile wieder geschlossenen Imbiss Zaaim und dem 1979 eröffneten Falafelimbiss Al Salam ist dort keine arabische Imbiss-Gastronomie zu finden. Das gilt auch für die sogenannte »City Ost«, die Gegend um die Friedrichstraße im südlichen Teil von Berlin-Mitte. Wie dem »Orientierungsrahmen für Gewerbemieten von 2009/2010« der Industrie- und Handelskammer entnehmbar, sind in diesen Vierteln die Ladenmieten mit am höchsten. Am Kurfürstendamm gibt es Spitzenwerte von 150 bis 200 Euro Miete pro Quadratmeter, in der Friedrichsstraße sind es 80 bis 140 Euro. In der Warschauer Straße in Friedrichshain hingegen lag die Gewerbemiete laut dem Orientierungsrahmen der IHK 2009/10 bei 10 bis 15 Euro pro Quadratmeter (IHK Berlin 2010, 17). Falafelimbissbesitzer meiden folglich Gegenden mit hohen Gewerbemieten. Wie andere migrantische Unternehmer auch besitzen sie häufig wenig Startkapital und wählen oft deshalb die Selbstständigkeit, weil ihnen andere Bereiche auf dem Arbeitsmarkt verwehrt bleiben. Die These, Falafelimbisse würden sich in Gegenden mit geringeren Gewerbemieten ansiedeln, wird auch dadurch gestützt, dass es neben den Innenstadtteilen Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg, noch relativ viele Imbisse in Moabit und Neukölln gibt. Letztere Stadtteile werden häufig als Problemviertel deklariert, da sie sich neben einer hohen Arbeitslosenquote auch durch eine hohe Ausländerquote ausweisen (Häußermann/Kapphan 2000, 167). Tatsächlich sind dies auch die Gegenden, in denen sich Personen mit arabischem Migrationshintergrund konzentrieren, wie die Tabelle 3 zeigt.

3

Der gerade beschriebene neue Imbiss Boussi Falafel erscheint zum Beispiel nicht in dieser Karte, weil er erst im Herbst 2010 aufgemacht hat. Die Daten konnten auch nicht beim Gewerbeamt in Berlin erfragt werden, da diese in nicht-aggregierter Form dem Datenschutz unterliegen.

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Tabelle 3: Gegenüberstellung von Falafelimbissen und registrierten arabischen Staatsangehörigen nach Stadtteilen Stadtteil

Melderecht. reg. arabische Staatsangehörige 20084

Anzahl der Falafelimbisse 20105

Neukölln

7935 11 (innerhalb S-Bahn-Rings)

Kreuzberg

3418 24

Tiergarten (inkl. Moabit)

2387 6

Charlottenburg

2029 3 (innerhalb S-Bahn-Rings)

Schöneberg

1847 5

Wilmersdorf

1052 3 (innerhalb S-Bahn-Rings)

Mitte

590 9

Friedrichshain

377 16

Prenzlauer Berg

348 17

GESAMT

24617 94

Quelle: Amt für Statistik Berlin/Brandenburg und eigene Erhebung

Da sich die deutsch-arabische Bevölkerungsstruktur in der Sonnenallee in Neukölln sowie der Huttenstraße in Moabit auch deutlich im Straßenbild abzeichnet – nicht zuletzt durch die arabischen Werbeschilder kommerzieller Einrichtungen

4

Die Daten beziehen sich auf den Stichtag 31.12.2008. Sie beruhen auf einer vom Amt für Statistik Berlin Brandenburg zum Zwecke dieser Arbeit zugesandten bisher unveröffentlichten Tabelle. Zu der Kategorie der Arabischen Migration zählen: Libanon, Syrien, Ägypten, Algerien, Dschibuti, Komoren, Libysch-Arabische Dschamahirija, Marokko, Mauretanien, Somalia, Sudan, Tunesien, Bahrain, Irak, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate, Ungeklärte (fast ausschließlich Palästinenser, Staatenlose und »ohne Angabe«).

5

Die Daten wurden von April bis Juni 2010 erhoben. Für Neukölln, Charlottenburg und Wilmersdorf beziehen sie sich nur auf die Gebiete innerhalb des S-Bahn-Rings.

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(Bergmann 2011) – erwarteten die von mir interviewten Konsumentinnnen und Konsumenten die größte Dichte an Falafelimbisse dort, da sie diese Form der Ökonomie zuallererst als ein Angebot für arabische Migrantinnen und Migranten wahrnahmen.6 Diese Vermutung trifft aber so nicht zu. Denn arabische Imbisse – zumindest die, die Falafel, Schawarma und Halloumi verkaufen, – sind in den Stadtteilen wie Neukölln und Moabit nicht besonders hervorstechend7. Eher gibt es dort arabische Imbisse, die sich auf ein anderes Angebot spezialisieren, sei es »Manaqish«8 (libanesische Pizza-Fladen, die zum Frühstück gegessen werden) oder seien es Hähnchen, die man zum Beispiel in arabisch konnotierten Schnellrestaurants wie dem »City Chicken« oder der Restaurantkette »Ris A« in Neukölln und Moabit findet.9 Oder es sind Dönerimbisse, die dort weiterhin das Straßenbild dominieren. Falafelimbisse hingegen sind im Prenzlauer Berg oder in Friedrichshain wesentlich konzentrierter vorzufinden als in Neukölln oder Moabit, wie aus der Gegenüberstellung in Tabelle 3 hervorgeht, und damit in Vierteln, in denen kaum arabische Migrantinnen und Migranten wohnen. Eine Ausnahme ist Kreuzberg, wo es sowohl eine große Zahl arabischer Migrantinnen und Migranten als auch die viele Falafelimbisse gibt. Wie Tabelle 3 zeigt, widerspricht die Verteilung der Falafelimbisse der in der ethnischen Ökonomieforschung immer noch weit verbreiteten Annahme, ethnische Unternehmen würden sich primär in einer räumlichen Nische platzieren und das Angebot an ihre dort präsente ethnische Gruppe richten. Hinsichtlich der räumlichen Verteilung von Falafelimbissen erweist sich dies als ein Fehlschluss, weil die Imbissbesitzer sich anscheinend von Beginn an nicht an ein Publikum mit arabischem Migrationshintergrund gerichtet haben. Damit geht die Falafel auch nicht den von dem Stadtanthropologen Ulf Hannerz (1996, 135ff.) konstatierten, aus drei Phasen bestehenden Weg eines kulturellen Konsumgutes im städtischen Raum. Seiner Meinung nach wird das Kulturgut zuerst innerhalb eines begrenzten Bekanntenkreises in einer subkulturellen Community privat ausgetauscht. Wenn eine kritische

6

Zur kritischen Reflexion dieser Wahrnehmung siehe Kapitel 6, in dem der Alltag in Falafelimbissen betrachtet wird.

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Das gilt auch für den Stadtteil Wedding inklusive Gesundbrunnen, der zwar ursprünglich in die Erhebung aufgenommen wurde, weil hier viele Falafelimbisse vermutet wurden, wo es zum Zeitpunkt der Erhebung 2010 aber auch nur insgesamt sieben Falafelimbisse gab, weswegen diese nicht gesondert in die Karte (Abbildung 3) aufgenommen wurden.

8

Transkription des Arabischen laut DIN 31635.

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Dies sind Lokale, die von arabischen Migrantinnen und Migranten stärker frequentiert werden als Falafelimbisse (siehe Textkasten im Kapitel 8).

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Masse an Konsumentinnen und Konsumenten erreicht ist und zudem noch eine zunehmende Arbeitsteilung innerhalb dieser Community stattfindet, wird das Gut kommerzialisiert und betritt damit die städtische Bühne. Es verbleibt aber zunächst in der Community und wird erst in der dritten Phase von anderen Konsumentenkreisen entdeckt und auf dem übrigen städtischen Markt verfügbar gemacht, nicht selten, ohne einer Transformation unterworfen zu sein. Die Falafel hingegen war in Berlin schon bekannt, bevor in Neukölln wohnende arabische Migrantinnen und Migranten überhaupt vermehrt arabische Geschäfte und gastronomische Einrichtungen eröffneten. Die kommerzielle Struktur der heute arabisch geprägten Sonnenallee hat sich in dieser Form erst seit Anfang 2000 herausgebildet (Färber/Gdaniec 2005, 115). Hedwig Rudolph und Felicitas Hillmann (1997, 419) zufolge entsprach die geographische Verteilung von türkischen Gewerben jedoch schon 1990 genau der Einwohnerzahl von türkischen Migranten. So waren Dönerimbisse, türkische Restaurants und Gemüsehändler vor allem in den von türkischen Migrantinnen und Migranten bewohnten Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und Wedding vertreten, bevor sie sich nach der Wende in die östlichen Viertel ausbreiteten. Auch wenn Rudolph und Hillmann konstatieren, dass der Döner von Anfang an für ein vorwiegend deutsches Publikum bestimmt war, kommen sie in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass türkische Migrantinnen und Migranten die räumliche Nähe zu anderen türkischen Unternehmerinnen bzw. Unternehmern suchten. Zudem konsumierten türkische Migrantinnen und Migranten in der Folgezeit ebenfalls vermehrt Döner. Das ist bei arabischen Falafelimbissen nicht notwendigerweise der Fall. Die Falafel ist folglich einen Sonderweg in Berlin gegangen. Sie entwickelte sich nämlich nicht als Konsumgut im Umfeld einer migrantischen Subkultur. Vielmehr tut sich beim näheren Betrachten der Tabelle 3 ein anderer Zusammenhang auf: Falafelimbisse haben nämlich in Stadtteilen eröffnet, in denen in den vergangenen Jahren Aufwertungsprozesse zu beobachten waren und die von den Medien als Szeneviertel deklariert wurden (vgl. Holm 2010a). Diese Transformationen in bestimmten Vierteln sollten nicht isoliert betrachtet, sondern in einen gesamtstädtischen Kontext eingebunden werden. So schreibt Andrej Holm (2010, 90): »Die Dynamik der städtischen Aufwertung hat sich in den vergangenen 20 Jahren einmal im Uhrzeigersinn durch die Berliner Innenstadt bewegt. Über die Stationen Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain ist die Bugwelle der Gentrification nun wieder in Kreuzberg und sogar Teilen von Neukölln angelangt.«

Angefangen hat diese Entwicklung in Berlin, die Andrej Holm (2010) »Aufwertungskarawane« nennt, aber schon vor der Wende, und zwar in Kreuzberg und Schöneberg in den achtziger Jahren, offenbar nicht zufällig dort, wo Falafelimbisse zuerst aufgetaucht und präsent geworden sind. Im Folgenden werden diese Ent-

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wicklungen kurz im Einzelnen nachgezeichnet. Dabei wird auf bestimmte Falafelimbisse, die Teil dieser Prozesse waren, verwiesen.

F ALAFELIMBISSE UND DIE A UFWERTUNGSKARAWANE B ERLINS Nord-Schöneberg In Nord-Schöneberg, rund um den Winterfeldtplatz, also der Gegend, in der die Falafel in Berlin durch die beiden Imbisse Baharat und Habibi erstmals populär wurde, haben Helmuth Berking und Sighard Neckel (1990) eine Transformation beobachtet, die Schöneberg Anfang der achtziger Jahre kurzzeitig »überregional bekannt als Mekka des Punk und Zentrum der neuen Jugendbewegung« (ebd., 485) werden ließ. In das Ende des 19. Jahrhunderts ursprünglich für hohe Beamte geplante Viertel, das nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend von Arbeitern und kleinen Angestellten bewohnt wurde, zogen in den sechziger und siebziger Jahren neben ausländischen Familien auch Studentinnen und Studenten, um »in den verkommenen großen Wohnungen neue Lebensformen zu erproben« (ebd., 484). Zudem war Schöneberg schon seit Anfang des Jahrhunderts ein Zentrum für die homosexuelle Subkultur. Aufgrund einer Welle von geplanten Sanierungen, die zu Protesten bei den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern führte, wurde Anfang der achtziger Jahre Schöneberg neben Kreuzberg Zentrum einer Hausbesetzerszene. Um den Winterfeldtplatz waren kurzzeitig elf Häuser besetzt. Damit prägte eine »links-alternative Szene« (ebd., 484) die Gegend. Nachdem 1984 die meisten besetzten Häuser geräumt worden waren, änderten sich vor Ort präsenten Lebensstile. Neben einer De-Politisierung und Individualisierung alternativer Lebensformen, die Berking und Neckel an der im Süden des Winterfeldtplatz befindlichen Bar »Mitropa« festmachen und deren Stil sie als »neo-existentialistischen Post-Punk« (ebd., 487) beschrieben, zogen immer mehr gut situierte junge Akademiker und Freiberufler in die Gegend, die als Single oder zu zweit wohnten und aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse einen demonstrativen Konsum lebten, weswegen sie häufig von anderen ansässigen Gruppen als »Yuppies« (young urban professionals) beschrieben wurden (ebd., 486ff.). Die Veränderung der Lebensstile wurde gerade am Wochenmarkt auf dem Winterfeldtplatz sichtbar. Ursprünglich ein gewöhnlicher Stadtteilmarkt, der Anfang der achtziger Jahre zum Zentrum einer »Alternativszene« (ebd., 484) wurde, ist »der Winterfeldtmarkt [...] Produkt und zugleich Indikator der sozialen Aufwertung des Gebietes, Konsumtionsort wie kultureller Treffpunkt all derjenigen einer Generation, die es im Verlaufe der achtziger Jahre geschafft haben, nicht in die soziale Randständigkeit abzusinken« (ebd., 490). Mit der

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Zeit sind finanziell schlechter gestellte Personen, wie auch die ansässigen »türkischen Kunden« (ebd.) vom Markt weitgehend verschwunden, auch wenn sie in der Umgebung wohnen blieben. Miterlebt hat diese Transformation der Besitzer des Baharat-Imbisses, der schon seit 1984 die Falafel an einem Stand auf dem besagten Markt verkaufte, bevor er 1989 seinen eigenen Imbiss eröffnete. Der Imbissbesitzer des Baharat meinte, er wäre »der Älteste mit dem Essen hier« (A3). Mittlerweile, so merkte er an, sei die Gegend von Restaurants und Imbissen übersät worden, gleichzeitig sei sie aber auch viel ruhiger geworden. Kreuzberg Vor seiner Imbisseröffnung in Schöneberg hatte der Besitzer des Baharat bereits in Kreuzberg Falafel in Kneipen verkauft, und auch dort war er mit einem Stand auf Kreuzberger Straßenfesten und dem wöchentlichen Maybachufermarkt vertreten gewesen. Barbara Lang (1998) hat in Kreuzberg in den achtziger Jahren eine ähnliche Transformation wie in Schöneberg beobachtet, die sie unter anderem als Metamorphose von »einer Alternativkultur hin zu einer Konsumkultur« (ebd., 57) beschrieben hat.10 Ihre Untersuchung bezieht sich vor allem auf das nordöstliche, proletarisch geprägte Kreuzberg, das auch heute noch aufgrund seines ehemaligen Postzustellbezirks SO 36 genannt wird, wobei SO für Südost steht. Der Bezirk SO 36 hatte seit 1961 eine besondere Randlage, da er an drei Seiten an die DDR grenzte. Schon in den sechziger Jahren war das Viertel laut Barbara Lang ein Zentrum für Künstler und die Boheme gewesen. Die zunehmende Ausbreitung einer »Gegenkultur« (ebd., 179) wurde in dem Stadtteil von einem absoluten Bevölkerungsrückgang von 213.000 im Jahr 1952 auf 158.000 im Jahr 1970 begleitet, der durch die Ausweisung der Gegend um den Görlitzer Bahnhof als »Sanierungserwartungsgebiet« bedingt war. Die Stadt sah damals den Abriss von großen zusammenhängenden Altbauquartieren vor. Häuserblocks wurden fortan entmietet und blieben leer (ebd., 110ff.). Durch den Wegzug von breiteren Schichten wurde Kreuzberg in den siebziger Jahren zu einem »Epizentrum alternativen Lebensraums« (ebd., 126). Aber nicht nur für Anhänger neuer sozialer Bewegungen wie der Anti-Atombewegung oder der feministischen Bewegung war Kreuzberg nun Lebensmittelpunkt. Auch die Zahl der türkischen Migrantinnen und Migranten

10 Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf Barbara Lang (1998), weil sie sich am ausführlichsten mit der Transformation Kreuzbergs auseinandergesetzt hat. Hinweise zur Transformation in Kreuzberg seit den siebziger Jahren finden sich sonst noch zum Beispiel bei Heebels 2010 oder Riemann 2010.

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stieg seit den Gastarbeiterverträgen 1972 rasch an. Sie zogen in die billigen, wenig favorisierten Wohnungen, die ihnen anfangs direkt vom Senat zugewiesen wurden. Die Präsenz der Migrantinnen und Migranten brachte Kreuzberg später den Ruf eines »Multi-Kulti«-Viertels ein (Lang 1998, 161f.). Als Reaktion auf den zunehmenden Zuzug trotz Anwerbestopp verhängte der Senat 1975 für Kreuzberg eine Zuzugssperre für Ausländer, die aber vom Oberverwaltungsgericht 1979 wieder aufgehoben wurde. Als Protest gegen die bevorstehende Flächensanierung besetzten von 1979 bis Juni 1981 Mitglieder der alternativen Szene in Kreuzberg 76 Häuser und fingen an, die Häuser eigenhändig zu sanieren. Zunächst wurden diese so bezeichneten »Instand-Besetzungen« vom Senat geduldet, doch ab 1981 ließ der Senat keine Neubesetzungen mehr zu, und einige besetzte Häuser wurden zwangsgeräumt. Nichtsdestotrotz verstärkte sich der Protest in Kreuzberg (ebd., 145). Auch wenn sich die Protestkultur im Laufe der Jahre verändert hatte, blieb Kreuzberg bis Ende der achtziger Jahre Modell für Aussteiger-Utopien, wie Barbara Lang (ebd. 154f) beschrieb: »Die ›message‹ – anders sein – blieb über die Jahre unverändert, wohl aber veränderte sich ihre Erscheinungsform. Was in den sechziger Jahren als Lebens- und Entfaltungsraum der Bohème in Abgrenzung zur bürgerlichen Kultur begonnen hatte, setzte sich in den siebziger Jahren im Sinne eines Experimentierfeldes der Alternativen und damit als Abgrenzung gegenüber der bundesrepublikanischen Politik und Gesellschaft fort. Kreuzberg wurde in diesen Jahren zum Hoffnungsträger einer wirklich anderen Gesellschaftsform.«

Diese Entwicklung hatte ihren Höhe- und Schlusspunkt in den Unruhen am 1. Mai 1987, den »Mai-Krawallen«, als es im Anschluss an Proteste gegen die Volkszählung zu großen Ausschreitungen zwischen Teilen der linken Szene und der Polizei kam. Schon Mitte der achtziger Jahre vollzog sich allerdings Barbara Lang zufolge im Stadtteil allmählich eine kulturelle Wende: »Der schwindende Glaube an die Veränderbarkeit der Welt machte sich innerhalb des Stadtteils breit, und an die Stelle der Suche nach Alternativen trat die Suche nach möglichst viel fun« (ebd., 158). Diese Wende ist ihrer Meinung nach nicht nur in Medien repräsentiert, indem »der bislang desavouierte Stadtteil zum spannenden, weil einzigartigen und vielfältigen Erlebnisraum umdefiniert wurde« (ebd., 159), sondern fand sich auch in Alltagspraktiken wieder, die sich zum Beispiel in der ansteigenden Zahl von Restaurants manifestierte. Zudem veränderte sich die baulich-materielle Substanz Kreuzbergs. Zunehmend wurden besetzte Häuser legalisiert. Altbauten wurden aufgrund der stadtplanerischen Konzeptionswende weg von einem Postulat der Flächensanierung hin zu einer »behutsamen Stadterneuerung« nicht mehr abgerissen, sondern vom Senat – häufig in Zusammenarbeit mit Bewohnerinnen und Bewohnern – saniert.

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Nach der Maueröffnung, mit der Kreuzberg von seiner Randlage ins Zentrum rückte, wurde von den Medien ein sozialer Wandel hin zum »Yuppie-Viertel« (Lang 1998, 169) konstatiert. Dieser Wandel ließ sich so aber nicht mit Statistiken verifizieren, da die Arbeitslosigkeit 1996 weiterhin bei 26,4 Prozent lag, der Ausländeranteil 1997 rund 34 Prozent betrug und sich kaum eine Mietpreissteigerung nachweisen ließ (ebd., 167ff.). Deswegen ist nach Barbara Lang die Gentrifizierung Kreuzbergs in den neunziger Jahren vor allem symbolisch, da sie von den Medien herbeigeredet worden sei. Sozioökonomische Folgen blieben hingegen zunächst aus. Jedoch veränderten die Kreuzberger im Laufe der Zeit ihre Lebensstile, und das bei teilweise gleichbleibender Bevölkerungsstruktur. Lang selbst versteht die Wende als eine Orientierung weg vom Protest hin zum Konsum, was insofern kritisch zu betrachten ist, da auch die sogenannte Protestkultur den Logiken des Konsumierens folgte, wovon Galerien, Punk-Kneipen und andere Etablissements der frühen Achtziger zeugten. Als Beispiel für einen Ort der neu entstandenen distinguierten Konsumkultur beschrieb Barbara Lang (ebd., 66) übrigens auch einen Falafelimbiss: »Beliebt sind (nun) außerdem distinguierte Imbisslokale wie etwa »Fairuz« am Spreewaldplatz. Hier werden zu den Klängen mal orientalischer, mal klassischer Musik in hellen, großzügig gehaltenen Räumlichkeiten Falafel und Hummusteller frisch zubereitet; dazu gibt es frisch gepressten Orangensaft oder schwarzen Tee. Bewusst setzt sich die Kundschaft vom Konsumenten der 08/15-Currywurst oder des inzwischen fast schon ordinär gewordenen Döner Kebap ab«.11

Der Imbiss Fairuz wurde 1990 am Spreewaldplatz eröffnet und gehörte zunächst dem Besitzer des Habibi, bevor er ihn später weiterverkaufte. Aufgrund seiner Größe, seiner zentralen Lage und seiner aufwendigen Dekoration zählt er auch heute unter dem veränderten Namen Rissani zu den bekanntesten Falafelimbissen in Berlin. Noch früher hatte der relativ kleine und unscheinbare Imbiss Nachtigall in der Ohlauer Straße eröffnet, der seither des Öfteren den Besitzer gewechselt hat. Darüber hinaus gab es damals auch im bürgerlich geprägten Kreuzberg 61 Falafelimbisse rund um die Bergmannstraße, wie zum Beispiel das Al Ars am Mehringdamm

11 Diese Beschreibung ist für eine wissenschaftliche Lektüre etwas verwirrend, klingt sie doch wie aus einem Reiseführer. Auch im Kontext des Zitats wird nicht ganz deutlich, ob diese Beschreibung bewusst ironisierend sein soll. Denn zwischen den Zeilen drückt sich hier eine Vorliebe für eben diese Lokale aus. Das mag auch daran liegen, dass Barbara Lang selbst zu der Konsumentengruppe dieser Lokale gehörte. Immerhin wohnte sie selbst in Kreuzberg und hatte einen akademischen Hintergrund.

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(1988 eröffnet), das Al Khalif in der Bergmannstraße (1994) und der Imbiss Sesam in der Gneisenaustraße (1993). Kreuzberg lag nach der Wende aber erst einmal nicht mehr im Fokus der Aufmerksamkeit, da mit dem Mauerfall die Ost-Berliner Innenstadtquartiere ins Visier der städtischen Öffentlichkeit rückten (Holm 2010a, 90). Erst in den vergangenen Jahren wurde eine sozio-ökonomische Aufwertung in Kreuzberg beobachtet, für die exemplarisch luxussanierte Projekte wie das umstrittene Car-Loft in den PaulLincke-Höfen stehen. Andrej Holm (2010a, 90) identifizierte die Entwicklung als zweite Welle der Gentrifizierung in Kreuzberg, die nach Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain wieder in diesen West-Berliner Stadtteil zurückgekehrt ist. Damit wird zehn Jahre später Realität, was die Medien laut Barbara Lang (1998, 168ff.) schon Anfang der neunziger Jahre für Kreuzberg proklamiert haben. Zwar gibt es nach wie vor keine größere messbare Verdrängung von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen, dafür sind aber die Mietbelastungsquoten gestiegen und liegen mittlerweile bei fast 40 Prozent der verfügbaren Haushaltseinkommen (Holm 2010a, 98). Gleichzeitig eröffneten gehobenere Restaurants. Für Falafelimbissbesitzer ist Kreuzberg nach wie vor eine beliebte Gegend. Zum Zeitpunkt der Erhebung 2010 befanden sich dort die meisten Falafelimbisse, nämlich insgesamt 24. Im Wrangelkiez eröffneten seit 2006 vier neue Imbisse, eine Gegend, die in den vergangenen Jahren aufgrund der Nähe zu den Mediaspree-Projekten zu einem Dienstleistungsstandort wurde und aufgrund der nächtlichen Bar- und Clubinfrastruktur Touristinnen und Touristen anzieht (siehe z.B. Hermann/von Buillon 2011). Mit dem Nil-Imbiss in der Oppelner Straße und dem Sanabel in der Schlesischen Straße sind dies auch zwei Ableger von Imbissen, die bereits im Ost-Berliner Friedrichshain angesiedelt waren. Berlin-Mitte Zunächst verlegte sich aber die von Andrej Holm (2010) identifizierte »Aufwertungskarawane« auf den nördlichen Teil des Ost-Berliner Bezirks Mitte, wo sich die Spandauer Vorstadt und die Rosenthaler Vorstadt befinden, zwei Quartiere, die Christian Krajewski (2006) näher betrachtete. Die vorliegenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Entwicklungen in der Spandauer Vorstadt. Die Spandauer Vorstadt, die einst als City-Randgebiet im 19. Jahrhundert für seine überörtlichen Gewerbestandorte, Einkaufsstraßen und kulturelle Einrichtungen bekannt war, war nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR stark vernachlässigt worden. Zudem war deren östlicher Teil, das Scheunenviertel, zum Auffangbecken einer sozial marginalisierten Bevölkerungsgruppe geworden (ebd., 92ff.). Ähnliches galt auch für die sich im Norden anschließende Rosenthaler Vorstadt. So standen dort nach der Wende viele Altbauten leer. Gegen den in der DDR bereits beschlossenen, drohen-

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den Abriss setzte sich 1987 eine »Bürgerinitiative zur Rettung der Spandauer Vorstadt« ein. Nach der Wende kam es darüber hinaus zu Hausbesetzungen durch West-Berliner. Besondere Bedeutung schrieb Christian Krajewski (ebd., 100) dabei dem am Anfang der Oranienburger Straße befindlichen und mittlerweile von der Räumung bedrohten Kunsthaus »Tacheles« zu: »Als Auftakt für den Aufstieg der Spandauer Vorstadt zum Szene-Viertel kann die Besetzung der Ruine der ehemaligen Friedrichstraßenpassage (Kaufhaus) an der Oranienburger Straße durch eine internationale Künstlervereinigung im Februar 1990 angesehen werden.« Im Gegensatz zu Kreuzberg war es vor allem eine »subkulturell geprägte Galerie- und Kunstszene« (Holm 2010a, 91), die in Berlin-Mitte aktiv war. Diese wurde von Anfang an vonseiten des Senats gefördert, was Zwischennutzungen in Gewerbehöfen erleichterte. Bald zogen etablierte Galeristen und Künstler nach. Zudem wurde die Spandauer Vorstadt mit der ab 1988 restaurierten und 1995 wiedereröffneten Synagoge wieder zu dem Zentrum jüdischen kulturellen Lebens, das es schon im Ende des 19. Jahrhunderts gewesen war. Sichtbar war das auch an jüdischen Kultureinrichtungen oder jüdisch inszenierten gastronomischen Einrichtungen wie dem Restaurant »Oren«, das mittlerweile geschlossen hat (ebd., 111ff.). Aufgrund der florierenden kulturellen Szene war die Spandauer Vorstadt schon kurz nach der Wende ein beliebtes touristisches Ziel. Gleichzeitig wechselten die Eigentümer der Immobilien. Bald waren es vor allem internationale Immobilienfirmen, die die Altbauten mithilfe staatlicher Förderung sanierten und die Mietpreise in die Höhe trieben. Mittlerweile sind nur noch 20 Prozent der ursprünglichen Einwohnerinnen und Einwohner ansässig (Holm 2010a, 90ff.). Die vom Berliner Senat geförderte Veränderung zeigt sich auch an Prestigeobjekten wie den ursprünglichen Gewerbehöfen »Hackesche Höfe«, die zwischen 1995 und 1997 saniert wurden und in denen heute neben Wohnungen und kulturellen Einrichtungen auch kommerzielle Einzelhandelsflächen wie Starbucks zu finden sind (Krajweski 2006, 106ff.). In der Gegend rund um den Hackeschen Markt finden sich heute vor allem FlagshipStores (Holm 2010a, 92). Gegenüber dem Kunsthaus Tacheles befindet sich ein bekannter Falafelimbiss, der Dada Falafel, dessen Besitzer den Laden 1998 eröffnet hat. Im Interview beschrieb er die Gegend zur Zeit der Eröffnung als »total hässlich« (A5). Im Nachbarhaus habe es damals noch einen »Puff« gegeben.12 Zudem waren im Gegensatz zu heute 1998 noch viele der Häuser unsaniert. Auch die Gewerbestruktur hat sich seitdem verändert. Dem Besitzer des Dada zufolge war bis auf ein italienisches Restaurant noch keines der heutigen Lokale in der Straße ansässig. Mittlerweile ist die

12 Auch heute gibt es an der Oranienburger Straße neben dem Straßenstrich auch noch einige Einrichtungen des Rotlichtmilieus, wenn auch weit weniger sichtbar.

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Oranienburger Straße vor allem durch eine touristische Infrastruktur mit großen gastronomischen Betrieben gekennzeichnet, die Cocktailbar, Restaurant und Café in sich vereinen. Die Gegend scheint aufgrund stark steigender Mietpreise auch nicht mehr attraktiv für Falafelimbisse zu sein. So konnten allein während der Erhebungszeit für diese Arbeit von 2008 bis 2011 zwei Schließungen festgestellt werden. Prenzlauer Berg Im nördlich angrenzenden Prenzlauer Berg ging die Entwicklung Andrej Holm zufolge nicht ganz so schnell und viele der dort nach der Wende entstandenen »selbstorganisierten und kollektiv bewirtschafteten Kneipen und Veranstaltungsräume konnten sich bis Ende der 1990er Jahre des Kommerzialisierungsdrucks erwehren« (Holm 2010a, 93). Dennoch ist dieser Ost-Berliner Stadtteil zum Prototyp für die Gentrifizierung geworden: Die dortigen Transformationen scheinen mit Abstand am meisten erforscht zu sein, wie die Zahl der Veröffentlichungen vermuten lässt (z.B. Dörfler 2010; Holm 2006; Marquart 2006; Häußermann/Holm/Zunzer 2002). Die Arbeiten haben aber jeweils einen anderen Fokus. Während Hartmut Häußermann, Andrej Holm und Daniela Zunzer die Sanierungspolitik in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rückten, ging es Tanja Marquart und Thomas Dörfler um die alltäglichen Dimensionen des Wandels. In der DDR-Zeit wurde der Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg als größtes zusammenhängendes Gründerzeitgebiet vernachlässigt. Wer damals eine Wohnung zugewiesen bekam, der zog in die besser ausgestatteten Plattenbauwohnungen am Stadtrand. Im Stadtteil Prenzlauer Berg hingegen sammelten sich »politische Dissidenten und kulturelle Abweichler« (Häußermann/Holm/Zunzer 2002, 11), die zum einen wenig Chancen bei der Wohnungsvergabe am Stadtrand hatten, zum anderen teilweise bewusst das non-konformistische Renommee des Viertels suchten. Dort besetzten sie vor der Wende einige der leerstehenden, im schlechten Zustand befindlichen Wohnungen, für die sie dann im Nachhinein von der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft Mietverträge bekamen. Bekannt wurde zudem ein systemkritisches »Literaten-Milieu«, das häufig von westdeutschen Medien hervorgehoben wurde, dessen Vertreter aber laut Thomas Dörfler (2010, 180ff.) nur wenig Kontakt zu den unbekannteren, vor Ort aber weitaus aktiveren »Ost-Alternativen« hatten. Aufgrund dieser schon vorhandenen sozialen Gruppe wurde laut Hartmut Häußermann, Andrej Holm und Daniela Zunzer der Bezirk Prenzlauer Berg nach 1990 »zum Zentrum der kulturellen Befreiung und politischen Öffnung, woraus sich rasch eine bunte und provokative Szene entwickelte« (2002, 54). Während viele Familien und Erwerbstätige aufgrund der neuen Freiheit der Wohnortwahl aus Prenzlauer Berg in die Stadtrandgebiete wegzogen, gab es zunehmend Zuzug von

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Studentinnen und Studenten aus dem Westen, für die der Bezirk sowohl aufgrund des subkulturellen Images als auch aufgrund der Wohnungsknappheit in WestBerlin attraktiv war (ebd., 54ff.). Seit Mitte der neunziger Jahre wurden dann umfassende Sanierungsmaßnahmen in Prenzlauer Berg unternommen – etwas zeitversetzt nach der Wende, weil es eine Zeit dauerte, bis die Restitutionsansprüche von Alteigentümern geklärt und Konflikte über Besitzverhältnisse ausgetragen waren. Bis 2000 waren aber schon 70 Prozent der Altbauten den ursprünglichen Eigentümern rückübertragen worden (ebd., 55). Der Senat unterstützte die privatwirtschaftliche Sanierung der Häuser mit seinem Programm »behutsame Stadterneuerung« und wies mehrere Sanierungsgebiete aus, zum Beispiel 1993 das Sanierungsgebiet »Kollwitzplatz« oder auch das Sanierungsgebiet »Helmholtzplatz«, durch die zwar Mietpreiserhöhungen auf absehbare Zeit begrenzt werden sollten, gleichzeitig aber die privatwirtschaftlich initiierte Sanierung mit finanziellen Anreizen staatlich gefördert wurde. Aufgrund der Umbauarbeiten zogen vermehrt Bewohnerinnen und Bewohner aus den Wohnungen aus, weswegen die Eigentümer Mieterhöhungen durchsetzten konnten, da die Neuvermietung einer sanierten Wohnung nicht unter den Bestandsschutz alter Mietverträge fiel. So gab es Beispielfälle, in denen sich die Mieten für eine Wohnung von 80 DM auf 1000 DM erhöhten (Dörfler 2010, 272). Das propagierte Ideal einer Erhaltung der Bevölkerungsstruktur, wie es in den Programmen für »Sanierungsgebiete« stand, wurde weit verfehlt. Neben den stark ansteigenden Mietpreisen konnte man eine zunehmende Kommerzialisierung des Straßenbildes beobachten (Häußermann/Holm/Zunzer 2002, 56). Andrej Holm (2006, 293) beschrieb die Änderungen der Gewerbestruktur wie folgt: »Vor allem um den Kollwitzplatz, den Helmholtzplatz und im Bereich der Kastanienallee/Oderberger Straße haben sich regelrechte Konsumkomplexe herausgebildet. Dort liegen nicht nur Schwerpunkte von gastronomischen Einrichtungen, sondern auch etliche auf die Szene orientierte Bekleidungsausstatter, Lebensmittelläden mit hochwertigen und zum Teil exklusiven Angeboten sowie spezielle Fachgeschäfte für Inneneinrichtungen und Designoptiker.«

Analog zur Änderung der Gewerbestruktur wurde auch ein Wandel in der Zusammensetzung der Bewohnerinnen und Bewohner festgestellt. Heute dominieren Gruppen, die Thomas Dörfler als kongruent zu den von David Brooks (2000) sogenannten »Bobo-Milieus«, den Bourgeois-Bohèmes beschreibt, nämlich als »junge weltoffene, meist unpolitische Menschen« (Dörfler 2010, 13), die eine »bürgerliche« Herkunft haben. Laut Häußermann, Holm und Zunzer (2002, 57) sind das »Angehörige der neuen Dienstleistungsberufe aus der Politik, Werbe- und Medienindustrie sowie gastronomischen Einrichtungen«. Quartieren wie dem Helmholtz-

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platz wird auch das Image als »Ort des neuen Babybooms« (Dörfler 2010, 13) verliehen. Zusammenfassend konstatierte Andrej Holm (2010, 94) für Prenzlauer Berg, dass aus einem der ärmsten Stadtteile Berlins einer der wohlhabendsten geworden ist. In Prenzlauer Berg befanden sich zur Zeit der Erhebung 2010 17 Falafelimbisse, und damit nach Kreuzberg die meisten. Dazu kommen noch die beiden Imbisse Babel und Arabeske auf dem unteren Teil der Kastanienallee, die administrativ zu Berlin-Mitte gehören, aber an der Grenze zu Prenzlauer Berg liegen. Falafelimbisse sind seit Mitte der neunziger Jahre in den Stadtteil des Viertels gekommen. Den Imbiss Salsabil am Kollwitzplatz gibt es zum Beispiel seit 1997, Babel seit 1998. Das Falafel Ufo, das dem früheren Besitzer des Zaaim und damit dem ersten Falafelimbissanbieter Berlins gehört, eröffnete 2000, der Phönizier 2002 direkt am Mauerpark und der Zweistrom 2005 im Kollwitz-Kiez, um einige Beispiele zu nennen. Gleichzeitig waren laut Aussage einer alten Bewohnerin und Falafelkonsumentin auch viele Falafelimbisse zur Zeit der Erhebung wieder verschwunden – gerade um die neureiche Gegend des Kollwitzplatz, die mittlerweile durch gehobene Restaurants dominiert wird (vgl. dazu Marquart 2006, 78f.). Der Besitzer des Phönizier beschrieb die Veränderungen, die er in den vergangenen sechs Jahren beobachtete, aus alltagsweltlicher Perspektive: »Früher waren viele Punker auf der Straße. Jetzt sind es weniger geworden. Also früher am Mauerpark, der war immer voller Punker in dieser Zeit. Sie laufen immer mit Hunden und mit Flaschenbier in der Hand und so, jetzt sind sie weniger geworden. Also, das ist schon eine Sache, ist auch fünf Jahre her, das war Generationssache. Der war 18, heute ist er 25. Vielleicht eine Phase.« (A13).

Auch die Frau des Besitzers des Falafel Ufo sagte, dass es mittlerweile sehr viel ruhiger geworden sei, während die Straßen früher bis um vier Uhr nachts voll gewesen seien (A19). Beide bemerken folglich eine Transformation der vor Ort präsenten Lebensstile. Das läge aber nicht nur am Älterwerden der Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch daran, dass die Bewohnerinnen und Bewohner in der Gegend sehr häufig wechselten: »Jedes Jahr siehst Du neue Gesichter« (Frau des Besitzers des Falafel Ufo, A19). Viele Menschen würden nur etwa eineinhalb Jahre im Viertel blieben, bevor sie in einen anderen Stadtteil oder in eine andere Stadt ziehen würden. Eine ähnlich hohe Fluktuation hat auch Friedrichshain vorzuweisen, das nach Prenzlauer Berg zum Ziel der »Aufwertungskarawane« wurde.

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Friedrichshain Friedrichshain war zu DDR-Zeiten ein klassisches Wohngebiet mit Hinterhofgewerbestruktur, dessen Altbaubestände ursprünglich ebenfalls abgerissen werden sollten. Dennoch blieb die Gegend um den Boxhagener Platz und das nördliche Samariterviertel weitgehend erhalten, während auf der Karl-Marx-Allee (früher Frankfurter Allee) repräsentative sozialistische Bauten entstanden. Friedrichshain war ein klassisches Arbeiterquartier, denn nicht nur befanden sich in den Hinterhöfen kleine Werkstätten und Handwerksbetriebe, sondern es gab auch große Industriebetriebe im Viertel, zum Beispiel das Glühlampenwerk NARVA oder die »Messelektronik Berlin«. Deswegen hatte nach der Wende Friedrichshain einen hohen Bevölkerungsverlust zu vermelden, denn viele dieser Industrien, die sich am Rande des Viertels befanden, wurden geschlossen (ASUM 1999). Gleichzeitig waren in Friedrichshain schon 1990 kurzfristig über 40 der leerstehenden Häuser von West-Berlinern besetzt worden, die mit massivem Polizeieinsatz geräumt wurden (Meth 2004, 26 ff.). Trotz der großen Altbausubstanz hielt sich die Sanierungsaktivität von Investoren in Friedrichshain zunächst in Grenzen, denn deren Aufmerksamkeit war auf Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg konzentriert. Doch im Laufe der Jahre zogen immer mehr Studentinnen und Studenten nach Friedrichshain – teilweise aus dem preislich stark anziehenden Prenzlauer Berg – und das Viertel wurde für Investoren attraktiver. Zudem wurden wie im Stadtteil Prenzlauer Berg auch in Friedrichshain drei Sanierungsgebiete festgelegt. 2004 waren in diesen Gebieten schon 57 Prozent der Häuser saniert (Emmerich 2006, 22ff.). Darüber hinaus wurden mehr und mehr Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Um den Boxhagener Platz herum handelt es sich mittlerweile bei einem Fünftel der Wohnungen um Eigentumswohnungen. Trotz der Einführung des Milieuschutzgebietes »Boxhagener Platz«, einem weiteren stadtplanerischen Programm des Berliner Senats, mit dem zum Beispiel durch das Verbot von Luxussanierung die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Areal zu einem bestimmten Zeitpunkt erhalten werden sollte, gab es dort zwischen 1997 und 2004 einen Austausch von 70 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner (Emmerich 2006, 24). Bereits Ende der neunziger Jahre riefen verschiedene Stadtmagazine und Zeitungen Friedrichshain als neues »Szene-Viertel« (Holm 2010a, 95) aus. Denn auch dort hatte sich Andrej Holm zufolge »eine für Gentrificationprozesse typische Event- und Vergnügungskultur« (ebd.) etabliert. Die Ansiedelung von gastronomischen Einrichtungen war zudem erklärtes Ziel des Bezirksamtes (Emmerich 2006, 39), um das Image des Viertels zu verbessern. Die Ziele des »Milieuschutzes« wurden damit nur halbherzig verfolgt.

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Beispielhaft dafür steht die Simon-Dach-Straße, die durch ihre Inszenierung als »Kneipenmeile« zu einem großen Attraktionspunkt auch für Berliner aus anderen Stadtteilen wurde, während ältere Bewohner sich immer mehr von ihrer Straße entfremdet fühlten (Tarnick/Rindler 2004). Mittlerweile wird diese meist nur noch abschätzig als Touristenmeile wahrgenommen, wie mir mehrere Interviewpartnerinnen und -partner, mit denen ich über Friedrichshain sprach, mitteilten. Den Wandel der Gewerbestruktur in Friedrichshain untersuchte Andrea Emmerich (2006) in ihrer Diplomarbeit in Geographie und stellte fest: »Während das Gebiet 1989/1990 überwiegend von Geschäften der Nahversorgung und von Handwerksbetrieben geprägt war, so bilden heute die Bereiche Gastronomie, ›Szene-Geschäfte‹ und für Teile des Quartiersmanagementgebiets auch das Dienstleistungsgewerbe die neuen ökonomischen Schwerpunkte.« (ebd., 97) Einen Anteil daran hatten auch Falafelimbisse: 1993 eröffnete in der SimonDach-Straße der kleine Imbiss Tigris, 1997 dann der Sanabel-Imbiss am Boxhagener Platz. Der Besitzer des Sanabel erzählte, dass in seinem Eröffnungsjahr 1998 nicht einmal 10 Prozent der Häuser saniert gewesen seien und dass er dort der erste mit einem Laden gewesen sei (A16): »Die kamen alle nach mir.« Er habe auch selbst bemerken können, wie mit der Sanierung das Publikum wechselte. »Nach fünf Jahren oder sechs Jahren hat man das gesehen.« Das berichtet auch der Besitzer des sudanesischen Falafelimbisses Nil, der seinen Laden in der Grünberger Straße eröffnete und bemerkte, dass es damals eher »arme Studenten« gewesen seien, die dort lebten, die Gegend mittlerweile aber viel reicher geworden sei. Auch die Lebensstile hätten sich geändert: »Sie sind älter, müssen arbeiten, haben Familie oder Kinder« (A12). Nord-Neukölln Andrej Holm (2010, 96ff.) zufolge ist nach Friedrichshain die »Aufwertungskarawane« nicht nur in den Westen nach Kreuzberg zurückgezogen, sondern es in den vergangenen Jahren geriet auch ein neues Viertel, nämlich Nord-Neukölln zunehmend in den Blick. Nord-Neukölln, eigentlich ein klassischer Arbeiterbezirk, war im Jahr 2000 mit 30 Prozent durch einen hohen Anteil ausländischer Bevölkerung charakterisiert und hatte daneben gleichzeitig eine hohe Arbeitslosenquote zu verzeichnen. Wie oben beschrieben, ist dies auch einer der Stadtteile, in dem die meisten arabischen Migrantinnen und Migranten wohnen, die sich beispielsweise in der kommerziell arabisch geprägten Sonnenallee ihren Raum aneignet haben (Bergmann 2011). Auch wenn das Gebiet dichte gründerzeitliche Bebauung aufweist, so wurde es lange Zeit nicht als Sanierungsgebiet ausgewiesen, da stadtplanerische Maßnahmen praktisch nur in Ost-Berliner Vierteln realisiert wurden. Erst

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im Jahr 2011 wurden Teile der Karl-Marx-Straße und der Sonnenallee zum Sanierungsgebiet erklärt (Stadtentwicklungsamt Neukölln 2012). 2000 wurde die Gegend um den Reuterplatz noch als »sozial hoch problematisch« bezeichnet (Häußermann/Kapphan 2000, 171). Bald hatten sich aber mithilfe einer Zwischennutzungsagentur rund um den Reuterplatz vermehrt Künstler, Kulturprojekte oder Planungsbüros angesiedelt. Zudem eröffneten immer neue »Szenetreffpunkte« (Holm 2010a, 96). Auch konnte in den lokalen Medien ein Imagewechsel beobachtet werden, denn während in deutschlandweiten Medien, wie im Spiegel, 2010 Neukölln noch als »Heimat der verlorenen Schicht« (Hüetlin 2010, 50) bezeichnet wurde, wurde es von dem Berliner Stadtmagazin Tip schon 2010 als »Spielplatz der Avantgarde« dargestellt und hinsichtlich seiner Entwicklung mit der Lower East Side in New York 30 Jahre zuvor verglichen (Tip Berlin 2010). Darüber hinaus sind in das Gebiet um den Reuterplatz etliche neue Bars, Kneipen und Galerien gezogen. Um den Reuterplatz herum hat sich bis 2012 die kommerzielle Struktur bereits vollkommen ausgetauscht. Die Mieten für freie Wohnungen in Neukölln sind zwischen 2007 und 2010 um 23 Prozent gestiegen (Asmuth 2011). Andrej Holms 2010 benutzte Bezeichnung »Gentrification in Lauerstellung« (2010, 96) scheint in Neukölln damit 2012 schon obsolet zu sein, denn der Prozess ist bereits einen Schritt weiter. In Nord-Neukölln haben neben älteren arabischen Imbissen auf der Sonnenallee, Karl-Marx-Straße und am Hermannplatz in den Jahren 2009 und 2010 auch zwei Imbisse im Reuterkiez rund um den Reuterplatz neu eröffnet. Der eine heißt Vögel und Fische, der andere Sahara. Der Sahara-Imbiss ist wie der Nil ein sudanesischer Laden. Der Besitzer des Sahara, der seinen Imbiss 2010 eröffnete, erzählte, dass »viele Studenten in diese Gegend gezogen sind« (A14), was für ihn der Grund gewesen sei, dort ein Ladenlokal zu suchen und einen Imbiss zu eröffnen. Diese kurze Nachzeichnung der »Aufwertungskarawane« (Holm 2010a), für die verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen herangezogen wurden, zeigt, dass Falafelimbisse nicht zufällig in Vierteln aufgetaucht sind, die sich in Transformationsprozessen befanden, denn sie waren und sind in allen hier beschriebenen Vierteln präsent. Und nicht nur das: Teilweise haben sie schon früh ihren Laden eröffnet, als sich das Viertel noch relativ am Anfang eines Transformationsprozesses befand. Das zeigen Berichte von Imbissbesitzern, die auf den unsanierten Zustand der Gebäude und die (für die Neuzugezogenen) fehlende Gewerbestruktur im Viertel hinweisen. Imbissbesitzer konnten so die Aufwertung des Viertels aus ihrem Blickwinkel heraus genau beobachten. Dabei sind ihnen nicht nur Veränderungen baulicher Art in der Umgebung oder Änderungen der kommerziellen Landschaft aufgefallen, sondern auch ein Wandel der Personen, die vor Ort präsent waren und sind. So haben zum Beispiel einige der Falafelimbissbesitzer den Influx an Studentinnen und Studenten in das Viertel miterlebt. Mittlerweile hätten diese häufig ihr Studium beendet und wären in akademischen Verhältnissen angestellt. Deswegen

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hätten sie einen anderen Lebensstil als früher. Gleichzeitig seien aber auch Personen mit höherem Einkommen nachgezogen. Die damit einhergehenden stark ansteigenden Mietpreise für Gewerbe könnten einige Falafelimbissbesitzer dazu bewegen, ihren Laden aufzugeben und weiterzuverkaufen, wodurch sie teilweise aus dem Straßenbild verschwänden. Bisher gilt dies aber nur für exklusive oder hoch-kommerzialisierte Umgebungen wie BerlinMitte um den Hackeschen Markt oder die Nachbarschaft um den Kollwitzplatz. In anderen Nachbarschaften in Schöneberg, Kreuzberg, Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Neukölln sind sie nach wie vor präsent. Wie diese Nachzeichnung der Aufwertungsprozesse in Berlin unter Einbezug der Perspektive der Falafelimbissbesitzer deutlich macht, ist der Prozess der Gentrifizierung ein mannigfaltiger Prozess. Er beinhaltet nicht nur eine residenzielle, sondern auch eine kommerzielle Komponente. Er ist sowohl von oben politisch geplant, von Immobilienfirmen vorangetrieben, wie auch durch den Zuzug und das Präsentwerden von neuen sozialen Gruppen geprägt, die der Mittelschicht angehören. Hinsichtlich der finanziellen Ausstattung unterscheiden sich diese Gruppen in unterschiedlichen Stadien des Prozesses: Zu Beginn sind es häufig weniger gut finanziell ausgestattete Personen, die in den Vierteln präsent werden. Auch finden sich unterschiedliche Lebensstile in unterschiedlichen Stadien. Zudem ist in jedem lokalen Kontext die Zusammensetzung der einzelnen Akteure anders (vgl. Lees 2000). Dennoch ist im Großen und Ganzen eine Verbürgerlichung der Viertel festzustellen, die sich nicht nur in dem Wandel der vorherrschenden Bevölkerungsgruppe zeigt, in dessen Folge sozial marginalisierte Gruppen durch die Sanierung von Mietwohnungen und die damit einhergehenden steigenden Mietpreise sowie die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen verdrängt werden. Sie zeigt sich auch in der kulturellen Raumnahme innerhalb der Stadtviertel, die insbesondere an konsumtiven Alltagspraktiken und den damit verbundenen neu entstehenden Einrichtungen sichtbar wird und durch die eigene Präsenz legitimiert wird. Dieses Phänomen zeigt sich bereits in Stadien, in denen noch keine große Finanzkraft aufseiten der neu Zugezogenen herrscht. Auch Falafelimbisse gehören zu den Orten dieser neuen bürgerlichen Alltagspraktiken, durch die die Viertel symbolisch und physisch transformiert werden. Denn fragt man die Imbissbesitzer, finden sich in ihren Lokalen genau diejenigen Akteure als Kundenstamm wieder, die als Gentrifizierer beschrieben werden können, und damit diejenigen, die den kulturellen Wandel initiieren und/oder mitragen.

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D IE

OFFIZIELLEN

G ENTRIFIZIERER –

ZUM

K UNDENSTAMM

Weiß, jung, gebildet Die Falafelimbissbesitzer in Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte, Schöneberg und Prenzlauer Berg nannten allesamt drei Kriterien, die die Zusammensetzung ihrer Kundinnen und Kunden bestimmen würden. Zunächst beschrieben sie ihre Klienten als zu 90 bis 99 Prozent deutsch, europäisch oder zumindest weiß. Der Geschäftsführer des Habibi in Schöneberg sprach von »fast 99 Prozent Deutschen« (A7). Andere nannten hinzufügend Personengruppen, die vorwiegend aus Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien, Skandinavien sowie den USA kämen. Zum einen seien dies Touristinnen und Touristen,13 zum anderen aber auch Bewohnerinnen und Bewohner Berlins, die Ausdruck der zunehmenden Internationalisierung seien. Hingegen kämen dem Besitzer des Sanabels zufolge in Friedrichshain »nicht einmal ein Prozent Araber« (A16), an seinem zweiten Standort in Kreuzberg seien es »vielleicht zwei Prozent« (ebd.). Damit bestätigten die Imbissbesitzer, dass die Zielgruppe für Falafelimbisse nicht vorrangig Menschen mit arabischem Migrationshintergrund sind. Nur in den Falafelimbissen an der Sonnenallee in Neukölln oder in Moabit konnte beobachtet werden, dass Bestellungen auch auf Arabisch abgegeben werden. In den sonstigen Imbissen in Kreuzberg, Neukölln und anderswo war dies nicht der Fall. Darüber hinaus wurden die Kunden als jung identifiziert, wobei die Altersgrenzen hier unterschiedlich abgesteckt wurden. Dem Geschäftsführer des Habibi in Schöneberg zufolge waren die Kundinnen und Kunden zwischen 18 und 35 Jahre alt (A7). Der Besitzer des Phönizier im Prenzlauer Berg wiederum benannte das Alter seiner Kundinnen und Kunden auf 20 bis 30 Jahre und manche wären aber auch bis zu 40 Jahre alt (A13). Und zum dritten wurden die Kundinnen und Kunden mal als Studenten, mal als Intellektuelle beschrieben, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass sie vermutlich ein bestimmtes Bildungsniveau haben. Diese soziodemographischen Kategorien verweisen auf eine bestimmte soziokulturelle Zusammensetzung der Zielgruppe von Falafelimbissen: Kundinnen und Kunden von Falafelimbissen in Berlins Aufwertungsvierteln sind überwiegend Angehörige einer deutschen, europäischen, auf jeden Fall aber weißen, jungen Mittelschicht.

13 Einige Falafelimbisse finden sich im Übrigen auch in Reiseführern. Als Beispiele gelten folgende deutschsprachigen Reiseführer: Bombosch 2006, Goridis 2008, Lorenz 2004, Maurer 2009, Schulte-Pevers/Parkinson 2006.

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Ansonsten variierten die Beschreibungen der Falafelimbissbesitzer von Standort zu Standort. Während zum Beispiel der Sahara-Imbiss im Reuterkiez in Neukölln vorwiegend Studentinnen und Studenten identifizierte (A14), waren es dem Sanabel-Imbissbesitzer zufolge in der Schlesischen Straße in Kreuzberg mittags vor allem Büroleute und Selbständige (A16). Das mag auch daran liegen, dass sich in der Nähe des Schlesischen Tors direkt an der Spree Medienunternehmen wie Universal Music und der MTV-Mutterkonzern Viacom befinden. Der Besitzer des Salsabil am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg sprach von Journalisten, die seinen Imbiss aufsuchen würden (A15). Der Besitzer des Dada in der Oranienburger Straße in BerlinMitte wiederum erklärte, dass es bei ihm von Anfang an »unheimlich viele Leute (gegeben habe), die im Bereich Kunst zu tun haben«, nun aber auch viele Touristinnen und Touristen kommen würden (A5). Und dem Besitzer des Nil in Friedrichshain zufolge würden mittlerweile auch des Öfteren Eltern mit ihren Kindern in seinen Imbiss kommen (A12). Pioniere oder Gentrifizierer? Die unterschiedliche Zusammensetzung des Kundenstamms von Falafelimbissen an unterschiedlichen Standorten ist nicht nur auf eine spezifische lokale Infrastruktur der Umgebung zurückzuführen, sondern ist auch Ausdruck der Transformationsphase, in der sich ein Viertel befindet. In wissenschaftlichen Untersuchungen wird Gentrifizierung als ein Prozess aufgefasst, der sich in verschiedenen Phasen vollzieht. Vereinfacht wird dabei zwischen zwei Akteursgruppen unterschieden, die zu unterschiedlichen Zeiten während eines Aufwertungsprozesses vor Ort auftreten: die Pioniere und die Gentrifizierer (auf Englisch: gentrifier). Die Pioniere werden dabei als risikofreudige Gruppe aufgefasst, die zunächst in ein vernachlässigtes Viertel zieht. Zu ihnen zählen Studenten, Künstler und alternative Milieus, das heißt generell Gruppen mit wenig finanziellen Mitteln bei gleichzeitig relativ hoher Bildung. Auf die Pioniere folgen dann die Gentrifizierer, welche die durch die erste Gruppe entstandene kulturelle und kommerzielle Infrastruktur im Viertel schätzen und nutzen, gleichzeitig einkommensstärker sind und damit die Mietpreise nach oben treiben (Blasius 1993, 31ff.). Diese beiden Gruppen werden nicht nur in der Wissenschaft diskutiert, sondern sie finden sich auch im Alltag wieder, so auch in den Aussagen der Imbissbesitzer zur Veränderung ihrer Kundinnen und Kunden in den vergangenen Jahren. Der Besitzer des Nil-Imbisses in Friedrichshain beschrieb die früher in seinem Laden präsenten Gruppen als Studenten, während heute reichere Kunden kommen würden. Über diese beiden Gruppen sagte er: »Am Anfang waren es ausgesuchte Leute. Schade. Ist eigentlich weniger Umsatz gewesen. Aber es war eine bessere Stimmung. Man kannte die Leute alle. Sie haben sich hier getroffen, und wir saßen hier

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am Tisch mit einem Bier. Das war sehr nett. Das hat sich jetzt natürlich verändert.« (A12) Wie das Zitat deutlich macht, positioniert sich der Besitzer des Nil auch selbst als Pionier. Denn auch wenn er mittlerweile seine Umsätze steigern konnte, missfällt ihm die Änderung seiner Umgebung, die anonym geworden sei. Seine These, dass mit reicheren Bewohnerinnen und Bewohnern mehr Umsatz gemacht werden könne, widerspricht den Aussagen anderer Imbissbesitzer. Der Besitzer des Sanabel meinte, dass es früher mehr Studenten und junge Leute in Friedrichshain gegeben habe, die zwar oft »arm« waren, aber dennoch häufiger bei ihm essen waren als die Personen »mit Geld« (A16). Für ihn sind es folglich vor allem die einkommensschwachen Pioniere, die Falafelimbisse aufsuchen. Das Zitat des Nil-Besitzers zeigt aber noch etwas anderes: Die Unterscheidung zwischen Pionieren und Gentrifizierern ist nicht neutral. Dies gilt auch für den wissenschaftlichen Diskurs. Dort werden Pioniere häufig als positiv wahrgenommen, da sie ein kulturelles Potenzial in ein Viertel bringen würden. Gentrifizierer hingegen sind negativ konnotiert, da sie mit ihrem auf höherem Einkommen basierenden Lebensstil eine bestimmte Stadtteilkultur zerstören und in der Folge einkommensärmere Gruppen verdrängen würden. Hinter dieser Argumentationslinie steht eine Dichotomisierung zwischen Kultur und Ökonomie: Der ersten Gruppe wird Bourdieus Kapitalarten (vgl. 1983, 1987) zufolge ein hohes kulturelles Kapital bei gleichzeitig geringem ökonomischen Kapital attestiert. Bei den Gentrifiern hingegen überwiegt das ökonomische Kapital, mit dem sie einen spezifischen als kulturell wertvoll erachteten Lebensstil einkaufen können. In einem Zitat von David Ley (2003, 2542) findet sich genau diese Wertung wieder: »The redemptive eye of the artists could turn junk into art. The calculating eye of others would turn art into commodity, a practice as true as of the inner-city property market as of art work.« Und auch Hartmut Häußermann, Andrej Holm und Daniela Zunzer (2002, 56) schrieben über die Veränderungen im Stadtteil Prenzlauer Berg: »Das kulturelle Kapital war gegen das ökonomische Kapital auf Dauer machtlos«. Zweifelsohne ist der Ansatz gewinnbringend, Gentrifizierung als einen Prozess zu deuten, in dem kulturelles Kapital in ökonomischen Mehrwert transformiert wird, fügt dies doch den deskriptiven Stadienmodellen einen analytischen Rahmen hinzu und ordnet den Prozess der Gentrifizierung in größere städtische Restrukturierungsprozesse ein, in denen ökonomisch verwertbare Kultur als Wachstum für die Städte im Postfordismus zentral wird (Zukin 1990, 1991). Und zweifelsohne ist es vor allem die Überlegenheit des ökonomischen Kapitals, die infolge von Preiserhöhungen zu direkten Verdrängungen von ärmeren Bevölkerungsschichten führt. Dennoch ist die positive Konnotation, die Pionieren zugesprochen wird, problematisch: Dabei wird verkannt, dass nicht nur die unterschiedliche Ausstattung mit ökonomischem Kapital, sondern auch die unterschiedliche Ausstattung mit kulturellem Kapital zu Machtasymmetrien im sozialen Raum führen kann. Darauf bauen ja Bourdieus (1983, 1987) Überlegungen zu den Kapitalarten auf, nämlich dass

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unterschiedliche Positionen im sozialen Raum nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Ungleichheiten zurückgeführt werden können, und dass die Position, die eine Person im gesellschaftlichen Raum einnimmt, aus dem Zusammenwirken ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals resultiert. So warnte Pierre Bourdieu selbst vor einer »Verschleierung« oder »Euphemisierung« (Bourdieu 1983, 184) der Wirkmacht des kulturellen Kapitals, wie folgendes Zitat deutlich macht: »Es ist bemerkenswert, dass gerade diejenigen intellektuellen und künstlerischen Praktiken und Güter dem ›kalten Hauch‹ des egoistischen Kalküls (und der Wissenschaft) entzogen wurden, die ein Quasi-Monopol der Angehörigen der herrschenden Klasse sind« (ebd.). Die Trennung zwischen Kultur und Ökonomie ist nicht zufällig Teil der bürgerlich geprägten Moderne, womit diese ihre eigene soziale Position zu behaupten versucht (vgl. Timm, 2000, 364). Diese Euphemisierung findet sich auch bei der wissenschaftlichen Betrachtung von Pionieren wieder, die ja ebenso von einer bestimmten sozialen Position der Gesellschaft spricht. Vergessen wird dabei, dass auch Pioniere andere Gruppen marginalisieren, die nicht nur wenig ökonomisches, sondern auch wenig kulturelles Kapital besitzen. Dazu zählen die in Gentrifizierungsvierteln länger ansässigen Bewohnerinnen und Bewohner, die meist den unteren Klassen zugeordnet werden. Ihre alltäglichen Praktiken werden von den sogenannten Pionieren als weniger kulturell wertvoll erachtet als ihre eigenen. Kulturelles Kapital bedeutet hier also nicht nur, einen bestimmten Bildungsstand zu haben, sondern auch, einen als gebildet wahrgenommenen legitimierten Geschmack zu besitzen, durch den eine bestimmte gesellschaftliche Stellung reproduziert wird.14 Aufgrund der manchmal vorzufindenden positiven Konnotationen distanziert sich diese Arbeit vom Begriff der Pioniere, nicht ohne anzuerkennen, dass im Verlauf der Gentrifzierung mehrere Gruppen mit unterschiedlichen Positionen im Gesellschaftsraum beteiligt sind.15 Zweifelsohne

14 Vgl. »Die Feinen Unterschiede« von Pierre Bourdieu (1987), in dem er ausführlich untersucht, wie soziale Klassenlagen durch kulturelle Praktiken in der französischen Gesellschaft reproduziert werden. »Geschmack« ist dabei für ihn ein zentraler Begriff. 15 Das dahinterliegende Denkmuster bestätigt das in dieser Arbeit geäußerte Unbehagen gegenüber dem Begriff »Pionier«. Nicht umsonst hat der Begriff »Pionier« seine Prominenz in der amerikanischen Siedlungsgeschichte und der damit zusammenhängenden Vertreibung von Indianerstämmen erlangt (Zukin 1991, 187). Auch Neil Smith (1996, 3ff) zeigt, dass es für die Lower East Side in New York während der achtziger Jahre geradezu eine »Frontier«-Rhetorik gab. So finden sich in Beschreibungen in Zeitungsberichten, Annoncen und Romanen häufig Konnotationen zum »Wilden Westen« wieder. Die Lower East Side musste folglich erst »zivilisiert« werden. Dies zeigt, wie hier auch diskursiv ein Kampf um den legitimen Bewohner geführt wird.

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werden Falafelimbisse – das zeigen die Aussagen der Besitzer – zunächst von Akteuren der früheren Phasen der Gentrifizierung nachgefragt, die sich durch eine Ausstattung mit hohem kulturellen Kapital bei vergleichsweise geringem ökonomischen Kapital auszeichnen. Da diese die tragenden Kräfte für den kulturellen Wandel der Stadtviertel sind, formen sie aber gleichzeitig den Geschmack für später nachziehende einkommensstärkere Gruppen mit, was sich im Übrigen auch daran zeigt, dass auch von diesen Gruppen häufig noch Falafel konsumiert wird. Die sogenannten Pioniere sollten deshalb auch als Gentrifizierer bezeichnet werden. Gentrifizierer und Bourdieus neues Kleinbürgertum Wie die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, zeichnet sich die Gruppe der Konsumentinnen und Konsumenten nicht nur durch soziodemographische Kategorien aus, sondern auch durch bestimmte Geschmackspräferenzen, mit denen sie sich von anderen sozialen Gruppen abgrenzt, was Bourdieu (1987) Distinktion nennt.16 Diese Form der Distinktion zu anderen Imbissen findet sich auch in Aussagen von Falafelimbissbesitzern über ihren Kundenstamm wieder. Der Besitzer des Taebs Bistro in Berlin-Mitte fand, dass seine Kunden in Abgrenzung zu Kunden in anderen Stadtvierteln einen besseren Geschmack hätten. Geschmack ist hier bei ihm natürlich im wörtlichen Sinne gemeint und bezieht sich zuallererst auf das Essen: »Die Kunden sind ein bisschen Spießer, sie sind nicht so Alternative und so Touristen, die nur essen wollen und fertig. Sondern nein. Die sind Künstler und was weiß ich nicht was, Schauspieler, also von aller Art. Aber meistens legen sie mehr Wert auf den Geschmack als die Normalen in Kreuzberg oder irgendwo in Neukölln« (A17). Damit unterstellte er »alternativen« Menschen, dass sie nicht auf den Geschmack in arabischen Imbissen achten würden. Dem widersprach der Besitzer des Habibi in Kreuzberg, da er meinte, allein die Tatsache, dass die »alternativen« Menschen zu Falafelimbissen gingen und nicht Döner-Kebap oder Gyros essen würden, zeige, dass sie auf Qualität Wert legten. Döner Kebap und Gyros sind hier eindeutig negativ konnotiert.17 Beide spezifizierten nicht genauer, was sie mit »alternativ« meinen. Es wird aber an anderer Stelle in den Interviews deutlich, dass die Vokabel »alternativ« eher im Zusammenhang mit »Studenten« und »jungen Leuten« auftritt, während »Schauspieler« und »Künstler« nicht dazu gezählt werden. Das Beispiel zeigt, dass es maßgeblich auf die eigene Position ankommt, welcher Geschmack als legitim wahrgenommen wird.

16 So lautet der Titel des französischen Original von »Die feinen Unterschiede« auch »La distinction«. 17 Zur Unterscheidung zwischen Falafelimbissen und Dönerimbissen siehe Kapitel 9.

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In jedem Falle liegt es nicht nur am Bildungsgrad, dass Falafelimbissbesitzer ihre Kunden häufig als »intellektuell« bezeichnen, sondern auch an der Fähigkeit, Geschmack zu beurteilen und den vermeintlich besseren Geschmack zu wählen. Damit wird dem Kundenstamm ein »inkorporiertes« kulturelles Kapital (Bourdieu 1983, 187) von den Falafelimbissbesitzern attestiert. So meinte der Besitzer des Phönizier, dass im Stadtteil Prenzlauer Berg die Leute »kulinarischer« seien als anderswo in Berlin (A13). Und auch der Besitzer des Baharat in Schöneberg betonte, dass zu ihm nur »spezielle Leute (kommen), die sich gut ernähren und die wissen, was gesund und so was ist« (A3). Als konträre Beispiele werden wiederum die abfällig bewertete Currywurst und der Döner genannt, denn seine Kunden wären eben nicht »diese Leute von Döner und Currywurst«. Es wird deutlich, dass sich die »Szene«, wie das Klientel häufiger genannt wird, in ihrem Geschmack von anderen Gruppen unterscheidet. Unterstellt wird dabei, dass andere keinen Geschmack hätten und nur etwas essen würden, das satt mache. Diese Distinktion richtet sich dabei nicht nur gegen eine breite Mittelschicht, sondern auch gegen andere Gruppen vor Ort, die meist der Unterschicht zugeordnet werden. Denn diese letzte Beschreibung erinnert an den »Geschmack am Notwendigen« (1987, 587), den Pierre Bourdieu zuallererst den unteren Klassen zuordnet, der sich aber auch bei Teilen des Kleinbürgertums wiederfindet, die eher einen funktionalen Lebensstil pflegen. Hingegen erinnern die hier beschriebenen Kundinnen und Kunden an Bourdieus (1987, 561ff.) »neues Kleinbürgertum«, eine Klassenfraktion, die der von Stadtforschern in Gentrificationprozessen identifizierten neuen Mittelschicht äußerst ähnlich ist.18 Vereint werden die neuen Kleinbürger durch den Willen, sich von dem etablierten Kleinbürgertum abzugrenzen, was insbesondere in einer Ablehnung des asketischen und pflichtbewussten Lebensstils der etablierten Kleinbürger zum Vorschein kommt, zu denen häufig das eigene Elternhaus zählt. Denn diese konzentrierten ihre ganze Energie auf den angestrebten sozialen Aufstieg und stellten damit die »Pflicht« vor den »Genuss«. An dessen Stelle tritt bei den neuen Kleinbürgern das Gegenteil, nämlich eine wahre »Pflicht zum Genuss« (ebd., 573), die sich zu allererst in ihren konsumorientierten Lebensstilen wiederfinden lässt. Durch kul-

18 Pierre Bourdieu verortet das neue Kleinbürgertum beruflich vor allem als »Handels- und Werbeagenten, Spezialisten für Public Relations, für Mode und Inneneinrichtung und in all den Institutionen, die den Verkauf von symbolischen Gütern und Dienstleistungen betreiben« (1987, 563), und damit in den Sektoren der Kulturindustrie, wobei Pierre Bourdieu den neuen Kleinbürgern häufig auch eine Bevorzugung der Selbstständigkeit anheftet, da sie »lieber einen Beruf gründen als einen bereits bestehenden zu ergreifen« (ebd., 581). Diese Zuschreibungen erinnern stark an die neue Mittelschicht von David Ley und Tim Butler (Ley 1996, Butler 1997).

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turelle Genuss-Praktiken soll eine Distinktion sowohl gegenüber dem etablierten Kleinbürgertum als auch gegenüber der Unterscheidung von »oben« und »unten« ausgedrückt werden. Als ein Distinktionsvehikel findet sich auch bei Pierre Bourdieu der Konsum von »ethnic food« wieder: »Dieses Streben nach Konformität mit dem Distinktionsideal offenbart sich auch in der Kombination der Vorliebe für improvisierte Mahlzeiten mit der für originelle oder exotische Gerichte (›die kleinen chinesischen Restaurants‹)« (ebd. 568). Dass der Genuss zur regelrechten Pflicht wird, macht etwas Entscheidendes deutlich. Bei dieser Klassenfraktion handelt es sich nicht um eine soziale Gruppe, die aufgrund einer zunehmenden Individualisierung eine größere Wahlfreiheit als andere Klassenfraktionen hat. Denn auch wenn das neue Kleinbürgertum selbst jede Klassenzugehörigkeit ablehnt, so zeichnet es sich dadurch aus, dass »aus allen ihren kulturellen, sportlichen, pädagogischen und sexuellen Praktiken Klassifizierung spricht, [auch wenn diese] dabei jedoch negiert wird« (ebd. 581). Auch für die neuen Kleinbürger ist diese Pflicht zum Genuss folglich eine »aus Not entstandene Tugend« (ebd., 585) und damit nicht Zeichen der unbegrenzten Wahlmöglichkeiten jenseits von Schichtzugehörigkeiten, sondern Teil des Habitus, durch den letztendlich ihre gesellschaftliche Position reproduziert wird – ob sie wollen oder nicht. Mit dem Habitus sind in Anlehnung an Bourdieu (1974, 125 ff.; 1987, 277ff.) bestimmte Dispositionen, das heißt Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, gemeint, die die alltäglichen kulturellen Praktiken lenken und durch die eine bestimmte soziale Gruppenzugehörigkeit rekonstruiert wird.19 Diese von Pierre Bourdieu vorgenommenen Analysen können auf die Gentrifizierer der frühen Phasen von Gentrifizierungsprozessen übertragen werden. Ihre Geschmackspräferenzen spiegeln ihre soziale Position, nämlich die Ausstattung mit kulturellem Kapital bei vergleichsweise geringem ökonomischen Kapital, wider, wie im späteren Verlauf gezeigt werden wird. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass sich die Falafelimbissbesitzer selbst in der Nähe der Vorlieben ihrer Kundinnen und Kunden positionieren; schließlich loben sie deren Geschmack. Sie sind sehr stolz auf ihre Kundinnen und Kunden. Der Besitzer des Baharat sagte sogar, dass »die beste Kundschaft von Berlin« zu ihm kommen würde, unter ihr Ärzte, Anwälte und Journalisten (A3). Natürlich ist das

19 Aus diesem Grund findet das Habituskonzept gerade in den vergangenen Jahren in der Gentrification-Debatte hohen Anklang, da es zwischen den lang als gegensätzlich wahrgenommenen strukturellen kapitalistisch bedingten Erklärungsmustern für Gentrification und denen, die die Handlung von »gentrifiern« und damit deren Wahlfreiheit in den Vordergrund heben, vermittelt (Ley 2003, Butler 2003, Bridge 2002, Butler/Robson 2001, Podmore 1998).

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Lob für ihre Kunden Teil der Vermarktung ihres Ladens während des Interviews. Diese Vermarktung kam öfters im Interviewkontext vor, da sie sich gegenüber der Interviewpartnerin in erster Linie als Unternehmer begriffen. Die Tatsache, dass sie gerade auf diese Kundschaft stolz sind, und nicht etwa auf eine deutsch-arabische Kundschaft, zeigt, dass sie sowohl den »sozialen Status«, als auch eng damit verbunden das »Europäischsein« als hoch einschätzen. Die Imbissbesitzer nehmen darüber hinaus eine entscheidende Rolle ein. Denn sie kreieren den Geschmack für ihre Kundinnen und Kunden mit, und damit – wie gezeigt wurde – für die Gruppen, die in der wissenschaftlichen Diskussion als Akteure von Aufwertungsprozessen gelten und damit die offensichtlichen Gentrifizierer sind. Sie werden dadurch zu kulturellen Mediatoren, indem sie (oft im öffentlichen Diskurs unbemerkt) bestimmte Geschmacksformen an eine breitere Konsumentengruppe weitervermitteln. Dies wird anhand der drei folgenden Portraits von Imbissbesitzern gezeigt. Die Auswahl der drei Portraits beruht auf einer Typisierung der Interviewpartner, indem die Imbissbesitzer aufgrund ihrer soziodemographischen Hintergründe, insbesondere ihrer Ausstattung mit (institutionalisiertem) kulturellen Kapital und ihrer unterschiedlichen sozialen Positionierung in Berlin, eingeteilt wurden.

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UNBEMERKTEN G ENTRIFIZIERER – DREI P ORTRÄTS VON I MBISSBESITZERN Der Besitzer des Dada Als ich den Besitzer des Dada am Oranienburger Tor 2009 am Anfang eines Interviews fragte, was er vor der Eröffnung seines Falafelimbisses 1998 gemacht habe, fing er sogleich ausgiebig an, von seinem Engagement in der deutschen Theaterlandschaft zu erzählen. Der 55-Jährige war schon relativ früh aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet, nachdem mehrere Mitglieder seiner Familie dem Regime Saddam Husseins zum Opfer gefallen waren. Über den Irak sprach er nicht gerne. Er habe dorthin keinerlei Beziehungen mehr, seit seine Eltern verstorben sind. Viel lieber sprach er über Deutschland. Er wäre hierhergekommen, weil er von der deutschen Philosophie, Literatur und Geschichte fasziniert war (A5): »Ich war begeistert von Max Stirner. Er ist ein Idol für mich. Er hat nur ein Buch geschrieben: Der Einzige und sein Eigentum.« Damit machte er gleich zu Beginn des Interviews deutlich, dass er als Intellektueller wahrgenommen werden will. Mit einem Diplom der Theaterwissenschaften aus dem Irak war er in Deutschland zunächst in der Theaterbranche in Wiesbaden tätig, bevor er nach Berlin ging.

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Hier arbeitete er an Stücken für die Volksbühne mit und war als Theaterpädagoge beim Kulturamt Berlin-Mitte angestellt. Zur finanziellen Absicherung beschloss er, einen gastronomischen Laden zu eröffnen, denn er wollte sich den oft prekären Verhältnissen im Kulturbereich nicht vollkommen ausliefern. Auf die Räumlichkeiten des Lokals in Berlin-Mitte wurde er aufmerksam, da er um die Ecke wohnte. Als er eines Tages mitbekam, dass der bisherige Besitzer sein Geschenkartikelladen aufgeben wollte, übernahm er den Laden und eröffnete den Imbiss Dada. Um diesen überhaupt finanzieren zu können, musste er sich Geld bei den Eltern seiner deutschen Frau leihen. Seine Frau half ihm auch bei der Renovierung und Gestaltung des Ladens. Aufgrund der begrenzten Fläche, die das Lokal bot, entschied er sich für den Verkauf von Falafel. »Ich dachte, ich mache etwas Feines. Und es muss nur Falafel mit ein paar Pasten sein; etwas, was man jeden Tag essen kann« (A5). Er nahm sich viel Zeit für die Entwicklung seines Rezeptes und probierte verschiedene Varianten zusammen mit einem Freund aus. So hätten sie auch viel »weggeschmissen« (A5). Das Ergebnis sei nun eine Sorte, »die findest du nur hier, nur in unserem Laden Dada. Die findest du nicht woanders. Es ist ein Konzept von uns. Wir haben es entwickelt. Und in diesem Konzept haben wir die Gewürze von allen arabischen Küchen zusammengebracht und dann haben wir eine besondere Falafel herausbekommen« (A5). Es wird an dieser Stelle besonders deutlich, wie er gegenüber mir als Interviewpartnerin für seinen Imbiss Werbung machte, indem er sich von anderen Falafelimbissen in Berlin abgrenzt. Diese Tendenz findet sich bei praktisch allen Imbissbesitzern, die ich interviewte. Interessant ist bei dem Besitzer des Dada seine intelektuelle Begriffswahl. So sprach er von dem »Konzept der Falafel« oder von dem »Kontrast zwischen Koriander und Kichererbsen« (A5), als er die Zubereitung beschrieb. Dementsprechend lässt er auch die Speisen in seinem Laden anrichten. So wird die Falafel auf großen weißen quadratischen Tellern sparsam verteilt und ästhetisch abgestimmt mit Salaten, der gelben Mangosoße, einer roten scharfen Soße und einem Klecks Hummus serviert. Auch in der Dekoration des Ladens verfolgte er ein bestimmtes Konzept. Er habe dabei bewusst das dunkle Rot gewählt, da dies eine warme Farbe sei, die ihm selbst gefalle. Die rechte Wand, die mit verschiedenen Farbklecksen und -linien in rot und blau expressionistisch angemalt ist, habe er selbst gestaltet. Und für den auf der anderen Wand stehenden Schriftzug »Essen ist ein Bedürfnis, Genießen ist eine Kunst. La Rochefoucauld« hat er sich durch den Dadaismus, insbesondere vom Maler Kurt Schwitters, inspirieren lassen. Er möchte nicht nur im Gespräch, sondern auch in seinem Laden zeigen, dass er etwas von Kunst versteht. Dabei finden sich sowohl offensichtlichere Botschaften, wie das Zitat des französischen Adeligen und Literaten La Rochefoucauld, als auch auch verdeckte Zeichen, wie der Stil des Schriftzugs oder auch der Name des Imbisses »Dada«, der auf den Dadaismus verweist. Die Musikwahl des Imbisses, in dem er Jazzmusik, Blues

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sowie ab und an eher unbekannte arabische Musik spielt, vervollständigen den Eindruck, dass er sich selbst als Künstler sieht und dies auch ausdrücken will. So erzählte er stolz über seinen Kundenstamm: »Mit der Zeit war es ein Treffpunkt für Künstler. Weil ich viel mit dieser Branche zu tun habe. Und hier sind unheimlich viele Schauspieler, viele Designer, viele Bildhauer hergekommen. Wir haben den Laden als Stützpunkt, also als Treffpunkt für uns gegründet« (A5). Er selbst rede öfters mit seinen Kundinnen und Kunden »über Theater, über Kino, über Malerei oder über Musik und das und jenes« (A5). Andere alltägliche Gespräche über den Imbiss oder das Essen würde er hingegen ablehnen: »Aber ich lasse mich nicht so billig verkaufen«. Er möchte nicht einfach als Imbissbesitzer, sondern als Künstler wahrgenommen werden. Als Anlaufstelle für Araberinnen und Araber sieht er seinen Imbiss hingegen nicht. Denn Araber kämen nicht in seinen Laden, weil sie die Atmosphäre nicht mögen würden, ausgenommen die, die etwas mit Kunst zu tun hätten. Er selbst grenzte sich im Verlauf des Interviews immer wieder stark von arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin ab, die er als muslimisch konservativ wahrnahm. Er selbst betonte hingegen seine säkularen und linken Ansichten, die er auch durch ein Che-Guevara Portrait offen in seinem Imbiss zur Schau stellte. In seinem Verkaufsbereich sind dennoch vorwiegend arabische Migrantinnen und Migranten angestellt. Das seien aber nur Leute, mit denen er befreundet sei und die zum Beispiel kein Problem hätten, Alkohol zu verkaufen. Was die Veränderung der Nachbarschaft in Berlin-Mitte betrifft, so versteht er sich als treibende Kraft der Aufwertung: »Und dann haben wir diese Gegend so lebendig gemacht, denn wir haben nur junge Leute hier« (A5). Die am Anfang noch ansässigen »zwielichtigen« Betriebe und Einrichtungen seien hingegen mittlerweile verschwunden. Er bezog sich dabei auf das Rotlichtmilieu. Anfangs hätte er mit den damaligen Besitzern viele Auseinandersetzungen gehabt: »Aber mein Gott, wir haben es geschafft. Und die sind auch weg von hier. Aber das ist ihr Problem, nicht meins« (A5). Das »Geschafft-Haben« drückt aus, dass er sich seinen Platz in der Nachbarschaft materiell und symbolisch angeeignet hat und sich als Teil der Gentrifizierungskulturen in Berlin-Mitte sieht, während frühere kommerzielle Einrichtungen den Entwicklungen gewichen sind. Das »Geschafft-Haben« hat aber auch eine alltagspraktische Komponente. So kann er mittlerweile gut von seinem Imbiss leben. Dies wird auch durch die vielen Touristinnen und Touristen in der Oranienburger Straße ermöglicht, die nun die Mehrzahl seiner Kunden ausmachen, auch wenn er sich lieber als Treffpunkt für Künstler beschreibt. Mittlerweile arbeite er nicht mehr selbst im Imbiss. Früher, so erzählte er, habe er 18 Stunden am Tag im Imbiss verbracht und alle Aufgaben selbst erledigt. Heute hat er für die im Imbissbetrieb anfallenden Tätigkeiten Angestellte und übernimmt nur noch die Organisation. Somit hat sich die Organisations-

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struktur seines Betriebes geändert, aus dem Einmannbetrieb ist der Falafelimbiss zum Kleinunternehmen gewachsen (siehe Textkasten).

Betriebsstrukturen in den Imbissen In der Berliner Falafelimbisskultur gibt es idealtypisch drei verschiedene Betriebsstrukturen, die im folgenden kurz erläutert werden. Dabei werden auch die anfallenden alltäglichen unternehmerischen Tätigkeiten in der Imbissökonomie beleuchtet. Der Einmannbetrieb Viele der Imbissbesitzer haben als Einmannbetrieb angefangen, in dem sie alle Arbeitsschritte selbst erledigen. Zu den täglichen Aufgaben gehören im Imbiss die Vorbereitung der Speisen wie die Zubereitung der Falafelmasse, der Soßen oder des Fleischspießes, der Verkauf und die Zubereitung an der Theke sowie die Reinigung des Imbisses. Hinzu kommen die Einkäufe. Getränke, Fleischund Brotwaren bestellen die Besitzer bei Großhändlern und Zulieferern. Andere Nahrungsmittel wie Salat oder Gemüse kaufen sie wöchentlich auf dem Großmarkt oder im Supermarkt ein, auch deswegen, weil diese enormen Preis- und Qualitätsschwankungen ausgesetzt sind. Zudem erledigen die Besitzer Verwaltungsaufgaben wie steuerliche Abrechnungen und Behördengänge. In größeren Zeitabständen fallen Renovierungsarbeiten an. Diese Form des Betriebs bedeutet eine hohe Arbeitsbelastung von über zwölf Stunden pro Tag an sieben Tagen der Woche, da die Imbisse täglich geöffnet haben. Oft sind die Besitzer auf die Mithilfe von Familienmitgliedern angewiesen. Möglich ist diese Form der Unternehmensführung zudem nur, wenn der Kundenandrang nicht groß ist. Mit einem Ansteigen der Kundenzahl und dem damit einhergehenden besseren Verdienst wird oft eine zusätzliche Person für den Verkauf in der Mittags- oder Abendschicht angestellt. Daneben wird Reinigungspersonal beschäftigt. Der Einmannbetrieb findet sich vor allem in Imbissen, die eine relativ kleine Verkaufs- und Sitzfläche zur Verfügung haben. Dazu zählen zum Beispiel der Baharat-Imbiss in Schöneberg, dessen Besitzer mittlerweile nur noch die Abendschicht übernimmt oder der Imbiss mit dem Namen »The King of Falafel« in Kreuzberg, in dem nicht ein Mann, sondern seine Frau den Verkauf und die Zubereitung der Speisen bestreitet, während der Besitzer des Imbisses die übrigen Aufgaben erledigt. Auch der Dada-Imbissbesitzer hat als Einmannbetrieb angefangen, mit zunehmenden Umsatz aber mehrere Personen angestellt. Er wurde so zu einem Kleinunternehmer.

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Das Kleinunternehmen Die meisten Falafelimbisse sind als Kleinunternehmen organisiert, in denen es eine unterschiedliche Zahl von Angestellten gibt, die verschiedene Zubereitungsschritte in der Küche erledigen und den Verkauf und den alltäglichen Betrieb im Imbiss bestreiten. Besitzt der Imbiss eine größere Sitzfläche und ist der Kundenandrang groß, sind es oft mehrere Personen, die gleichzeitig hinter der Theke oder in der Küche beschäftigt sind. Die Besitzer arbeiten nur noch teilweise selbst in den Imbissen. Oft behalten sie sich aber die Vorbereitung bestimmter Speisen, wie zum Beispiel das Einlegen des Fleisches in eine Marinade oder die Würzung der Kichererbsenmasse, selbst vor. Zudem erledigen und kontrollieren sie die wöchentlichen Einkäufe. Teilweise gehen Besitzer von Kleinunternehmen zusätzlich einer anderen beruflichen Tätigkeit nach, insbesondere einige Jahre nach Eröffnung des Imbisses, wenn der alltägliche Betrieb eingespielt ist. Sie kommen nur noch vorbei, um ihre Angestellten einzuweisen oder zu bezahlen, Lebensmittel- und Getränkebestellungen abzuwickeln oder Renovierungsarbeiten zu organisieren. Ab und an stellen sie auch einen Geschäftsführer ein, der alle Tätigkeiten im Imbiss leitet und kontrolliert. Zumindest gibt es oft einen Vorarbeiter, der in bestimmten Schichten die Leitung des Betriebs übernimmt. Zu den Kleinunternehmen gehört neben dem Dada-Imbiss auch der Zweistrom-Imbiss, der im folgenden genauer beschrieben wird. Die Handelskette Einige der Imbisse haben nicht nur eine, sondern mehrere Betriebsstätten und fungieren damit als kleine Handelskette. Dabei gibt es offensichtliche Handelsketten, wie die Kette des Habibi, die aus vier Imbisslokalen in Schöneberg und Kreuzberg sowie einer Bäckerei in Neukölln besteht, oder die Kette des Nil, dessen Besitzer drei Filialen in Friedrichshain und Kreuzberg betreibt. Diese Lokale werden unter dem gleichen Betriebsnamen geführt und zeichnen sich durch eine »corporate identity« aus, die sich in der einheitlichen Gestaltung des Geschäftsnamens und der angebotenen Speisen äußert. Die Innenarchitektur der einzelnen Lokale ist allerdings nicht aufeinander abgestimmt. Die Kette des Habibi ist dabei ein Sonderfall, da sie zwar unter einem gemeinsamen Namen geführt wird, aber nur noch die zwei Betriebe in Schöneberg und in Kreuzberg dem ursprünglichen Besitzer und damit zur Kette gehören, während er die übrigen Zweigstellen mittlerweile verkauft hat. Zudem gibt es Handelsketten, die als solche nicht in Erscheinung treten, da die verschiedenen Betriebe unter unterschiedlichen Namen geführt werden. So hat der Besitzer des Al Khalif in der Bergmannstraße in Kreuzberg zum Beispiel

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2010 einen zweiten Betrieb im Wrangelkiez in Kreuzberg unter dem Namen Al Farouk eröffnet. Ein Grund für die Beibehaltung des alten Namens mag der Kauf eines schon vorhandenen, gut laufenden Falafelimbisses sein. Der Besitzer des Habibi am Südstern in Kreuzberg hatte vor drei Jahren den Imbiss Al Haroun in Friedrichshain gekauft. Um die Stammkundschaft halten zu können und keine neuen Investitionen in die Gestaltung des Imbisses vornehmen zu müssen, behielt er die Namen der Imbisse bei. Überhaupt wechseln viele Falafelimbisse in Berlin den Besitzer, häufig von den Kundinnen und Kunden unbemerkt. Die einzelnen Filialen werden oft von Geschäftsführern geleitet. Zum Teil arbeiten die Besitzer aber auch von einem Betrieb aus, von dem sie den alltäglichen Betrieb der übrigen Filialen organisieren und mit Speisen und Getränken beliefern. Gerade die Besitzer einer Kette fungieren damit als Unternehmer eines mittleren Gewerbes, in dem bis zu zwanzig Personen angestellt sind. Insbesondere die Präsenz von Handelsketten sprechen für einen rasanten ökonomischen Aufstieg von Falafelimbissbesitzern.

Da der Dada-Imbissbesitzer mittlerweile nicht mehr viel Zeit für den Imbiss aufbringen muss, kann er sich voll und ganz seinem neuen Projekt widmen. Neben dem Imbiss gibt es ein Lokal, in dem früher ein Logentheater beherbergt war. Diese Räumlichkeiten würde er gerade zu einem Jazzlokal herrichten, in dem er auch Theaterstücke aufführen wolle. Er sei gerade dabei, ein Stück zu inszenieren. Den Namen seines Imbisses Dada wolle er auch für das neue Theater-Lokal verwenden. Der Besitzer des Dada hat sich folglich durch seinen Imbiss nicht nur eine ökonomische Sicherheit ermöglicht, sondern auch einen Standort erschlossen, an dem er sich nun wieder zunehmend seiner Theaterleidenschaft widmen kann. Der Zweistrom-Besitzer Andere Falafelimbissbesitzer, die eine ähnliche Herkunft und Ausbildung wie der Besitzer des Dada hatten, waren hingegen weniger erfolgreich, ihre Bildung in die berufliche Tätigkeit einzubringen. Das gilt zum Beispiel für den Besitzer des Zweistrom, der kurze Zeit selbst im Dada als Angestellter arbeitete. Auch er kommt aus Bagdad. Im Gegensatz zum Dada-Besitzer beschrieb er seine familiäre Situation und Jugend im Irak sehr viel ausführlicher. Er kam dabei aus einer Mittelschichtsfamilie, der es lange gut ging: »Ich war nicht reich, aber ich komme aus einer guten Familie, weil meine Mutter und mein Vater beide studiert und gearbeitet haben. Und damals, bevor die Kriege und das Embargo kam, wurden wir beneidet von den Nachbarn, weil meine Eltern beide Geld verdient haben.

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Wir waren auch oft in Europa als kleine Kinder, weil mein Vater im Flughafen gearbeitet hatte« (A18).

Die wirtschaftliche Lage in seiner Familie verschlechterte sich aber mit der zunehmend politisch angespannten Situation im Irak. Zudem war das Leben unter dem Regime äußerst gefährlich: »Weil der kleinste Polizist in meinem Land hätte mich schlagen können. Und mich in einen Kofferraum packen können und mir vorwerfen können, dass ich auf Saddam Hussein geschimpft habe. Oder über seine Regierung. Dann wäre ich einfach in einer halben Stunde tot, umgebracht, und die Leiche wäre zu meiner Familie gekommen, oder eben auch nicht. Vielleicht auch zu diesen Massengräbern, von denen ihr gehört habt im Irak. Und in solch einer Lage habe ich gelebt« (A18).

Nach seinem Studium der Kunst in Bagdad beschloss er, den Irak zu verlassen und ging zuerst nach Tripolis in Libyen, wo er als Kunstlehrer arbeitete, bevor er ein Visum für Budapest bekam. Schließlich kam er 1996 nach Berlin: »Ich wollte immer in Berlin sein. Ich habe gedacht, wenn ich in Deutschland sein will oder muss, dann in Berlin« (A18). Dort konnte er zu seinem Unmut aber nur kurz bleiben, da er nach der Beantragung von Asyl in ein Heim nach Chemnitz geschickt wurde: »Weil der Computer schmeißt dich einfach irgendwo hin« (A18). Nachdem sein halbes Jahr im dortigen Asylbewerberheim abgelaufen war, konnte er endgültig nach Berlin zurückkehren. Zunächst wohnte er in Neukölln und arbeitete als Tellerwäscher, später als Pizzabäcker in einer Pizzeria eines libyschen Bekannten und dann in verschiedenen Falafelimbissen in Mitte und Prenzlauer Berg. Dadurch wurde er mit seinem späteren Wohnort Prenzlauer Berg vertraut und lernte dort schließlich seine deutsche Frau kennen, mit der er dann in der Nachbarschaft zusammenzog. Was seine berufliche Situation anging, so kämpfte er lange um eine Weiterbildung, um in Berlin Fuß zu fassen. Ein Deutschkurs wurde ihm zunächst verwehrt, weil ihm kein politisches Asyl gewährt wurde, sondern er nur eine Aufenthaltsbefugnis hatte. Schließlich konnte er sich aber beim Sachbearbeiter der Ausländerbehörde durchsetzen, dem er sein beglaubigtes Kunstdiplom vorzeigte. Aufgrund dessen wurde ihm eine Weiterbildung in Multimedia-Design genehmigt, die ihm viel Freude machte. Da es ihm während der Wirtschaftskrise 2002 allerdings unmöglich war, in Berlin eine Anstellung im grafischen Bereich zu finden, beschloss er schließlich, sich in der Gastronomie selbständig zu machen, und eröffnete sein Café »Ein-Stern« auf dem Prenzlauer Berg. Mit dem Führen des Cafés war er zunächst sehr zufrieden, denn die entspannte Arbeitsatmosphäre ermöglichte es ihm, seine Interessen weiterzuverfolgen. So las er in dieser Zeit viel europäische Literatur. Fi-

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nanziell war er zudem durch seine Frau abgesichert, die damals eine gute Anstellung hatte. 2005 entschied er sich dann, eine weitere gastronomische Einrichtung zu eröffnen, um seinen Bruder zu unterstützen. Dabei kam ihm die Idee mit dem Falafelimbiss Zweistrom. Später bereute er es, weil der Imbiss ihm sehr viel Arbeit machte. Zunächst lebte er sich aber in der Konzeption des Ladens aus. Die Innenarchitektur entwarf er selbst mithilfe eines Grafikprogramms, dessen Anwendung ihm ein befreundeter Architekt beibrachte. Als Dekoration integrierte er Schwarz-WeißPortraits von Personen aus irakischen Altstädten und Dörfern, die er aus einem hochwertigen Bildband über den Irak herauskopierte und gerahmt an Nylonschnüren befestigte. Als Vorlage für die Gestaltung seines Logos wählte er eine Darstellung des »Marduk«, dem Stadtgott und späteren Reichsgott Babylons, der auch im Pergamonmuseum in Berlin ausgestellt ist und thematisch zu dem Namen seines Imbisses Zweistrom passte. Er suchte folglich bewusst ein Symbol aus, dass seine irakische Herkunft unterstrich, gleichzeitig aber nicht für jeden sofort erkennbar war. Mit der historischen Figur des »Marduk« wollte er seine Bildung und sein Interesse für kulturelle Artefakte zur Schau stellen und sich gleichzeitig von dem heute häufig dominierenden Irakbild, das eher durch Krieg, Terror und Islamismus geprägt ist, distanzieren. Auf die Innenarchitektur des Imbisses war er sehr stolz. Er selbst sagte von sich, dass er »ein Auge dafür« habe, sei es »durch [s]ein Studium, durch [s]ein Kunstinteresse [oder] sei es Begabung« (A18.) Auch der Besitzer des Zweistrom investierte für die Zubereitung der angebotenen Speisen viel Zeit. Das Basiswissen hatte er sich in Bagdad in einem Restaurant angeeignet, das sein Vater eröffnet hatte, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Mit der Falafel kam er allerdings erst in Berlin in Berührung. Nach der Eröffnung des Imbisses verbrachte er längere Zeit damit, seine Rezepte weiterzuentwickeln. Für die Zusammenstellung der Soßen habe er so lange experimentiert, welche Zutaten zu nehmen waren und in welcher Menge, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Zu seinen Sandwiches wird neben verschiedenen Salaten wahlweise Sesamsoße, Knoblauchsoße, eine Chili- oder Mangosoße – oft auch in Kombination – gereicht. Auch wenn er mehrere Angestellte hatte, behielt er sich vor, wichtige Vorbereitungsschritte nach wie vor selbst zu tätigen: Er selbst legte das Fleisch in einer selbst zubereiteten Marinade ein und schichtet es dann auf den dafür vorgesehen Drehspieß auf. Auch die Kichererbsenmasse für die Falafel mischte und würzte er selbst. Für den Hummus kochte er Kichererbsen und pürierte sie, um dann Sesamsoße, Zitrone, Knoblauch und Salz beizugeben. Ebenso stellte er selbst die anderen Soßen zusammen. Er war der Auffassung, dass das Erlernen der Zubereitung verschiedener Speisen intensiver Arbeit bedarf, entgegen der – seiner Meinung nach in Berlin oft vorherrschenden – Auffassung, dass man als Araber automatisch arabisch kochen können müsse. Für ihn hingegen war Kochen eine kreative Tätigkeit.

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Auch wenn der Imbiss und sein Café mittlerweile gut liefen, war er mit seiner Situation unzufrieden, denn obwohl er mittlerweile einige Angestellte habe, würde er nach wie vor viel arbeiten, um die Speisen zuzubereiten und die Einkäufe zu erledigen. Deswegen beschwerte er sich auch: »Guck mal, Arbeit ohne Ende. Und manchmal merke ich, ich zeichne nicht mehr. Ich mache keine Kunst, ich treffe keine Freunde. Meine deutsche Sprache hat sich total verschlechtert, weil ich unter Arabern mehr bin als unter Deutschen. Und in der Zeit, in der ich im Café gearbeitet habe, hatte ich nur deutsche Freunde und ein arabischer Freund, mehr nicht« (A18).

Mit Arabern meinte er seine Angestellten. Mit den vorwiegend deutschen Kundinnen und Kunden hatte er ob der vielen Arbeit wenig Kontakt. Das Zitat zeigt, dass ihm – genauso wie dem Dada-Besitzer – der enge Kontakt zu Deutschen wichtiger war als zu anderen Menschen mit arabischem Hintergrund. So verbrachte er auch viel Freizeit auf dem Prenzlauer Berg und ging dort regelmäßig zum Tango-Tanzen. Trotz einer gewissen Unzufriedenheit mit seiner momentanen Situation mochte er den Imbiss jedoch nicht aufgeben: »Das ist nicht mein Ziel, aber ich kann nicht leicht raus, weil ich jetzt bestimmte Lebensumstände gewöhnt bin. Weil ich jetzt gewöhnt bin, dass ich ein paar Tausend verdiene und nicht 900 Euro. Und dass ich nicht einfach draufgucke, kann ich heute die 10 Euro ausgeben oder nicht. Aber was ich dafür bezahle, ist viel. Ich bezahle meine Nerven, mein Leben, mein Glücklichsein« (A18).

Wie der Dada-Imbissbesitzer hat sich auch der Zweistrombesitzer mit Führen des Cafés und des Imbiss einen ökonomischen Status erarbeitet. Aufgrund des immensen Arbeitsaufwands entschied er sich aber schließlich dafür, den Imbiss 2012 weiterzuverkaufen. Der Besitzer der Sanabel-Imbisse Im Gegensatz zu dem Besitzer des Zweistroms und dem des Dada hatte der Besitzer der beiden Sanabel-Imbisse in Friedrichshain und Kreuzberg keine Möglichkeit zu studieren. Er ist palästinensischer Herkunft und flüchtete 1986 infolge des Bürgerkriegs vom Libanon nach Berlin. Obwohl er lieber studiert hätte, begann er in Berlins gastronomischem Sektor zu arbeiten, auch um seine Familie im Libanon zu unterstützen. Dort habe er die Fähigkeiten gelernt, die er später für seine Imbisse nutzen konnte: »Ich habe wie gesagt in der Küche gelernt. Und wenn man in der Küche die Grundlagen gelernt hat, dann kann man alles kochen« (A16).

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Um unabhängig von Anstellungsverhältnissen zu sein, sein Einkommen zu verbessern, aber auch seine eigenen Ideen umsetzen zu können, beschloss er 1998, sich mit einem Falafelimbiss selbstständig zu machen. Begünstigt wurde diese Entscheidung durch die Aussicht auf ein Startkapital von damals monatlich 1500 DM, das vom Staat neuen Selbstständigen für ein Jahr ausgezahlt wurde. Er entschied sich für einen Falafelimbiss, weil er bemerkt hatte, dass die Gerichte in Berlin gut ankamen und auch nicht aufwändig in der Zubereitung waren. »Naja, ich habe gemerkt, dass die Leute so was mögen und ich möchte auch was Neues probieren« (A16). Zudem war er mit den Speisen aufgrund seiner Jugend im Libanon vertraut. Nachdem er eine kurze Zeit einen Imbiss im Stadtteil Prenzlauer Berg geführt hatte, den er aber wieder aufgab, da dort die Konkurrenz sehr groß war, eröffnete er 1998 den Sanabel in Friedrichshain. Dieser Stadtteil war seiner Meinung nach damals gastronomisch noch wenig erschlossenen, zumindest was gentrifizierungstypische Restaurants, Imbisse und Cafés betraf. Auf die Gegend wurde er aufmerksam, als er dort privat unterwegs war. Zu dieser Entscheidung sagte er Folgendes: »Ich war einmal mit meiner Tochter spazieren. Da auf dem Boxhagener Platz. Und ich habe gemerkt, es wird hier was. Fehlt wirklich ein Falafelladen. Weil das gab’s nicht.« Er beschrieb die Menschen, die er dort antraf wie folgt: »Ja, da gab es die Kunden. Diese Kunden habe ich auch gesehen auf dem Platz. So Mutter mit Kind zum Beispiel. Junge Eltern und so. Habe ich gedacht, hier fehlt ein Falafelladen.« Im Rückblick war er stolz darauf, das Potenzial des Viertels erkannt zu haben: »Ich habe gut gehandelt in der Zeit. Friedrichshain war gut. Also ich habe wirklich gedacht, es muss funktionieren hier« (A16). Seiner Meinung nach war er einer der ersten, die auf dem Boxhagener Platz auf neue Formen der Gastronomie setzten. Die Leute seien froh gewesen, dass sie zum Falafelessen nicht mehr extra nach Prenzlauer Berg oder Kreuzberg fahren mussten. Nach seiner Aussage gab es auch die anderen gastronomischen Einrichtungen, die nun am Boxhagener Platz zahlreich vertreten sind, noch nicht: »Ich war da drei oder vier Jahre allein. Und dann sind die gekommen langsam nach mir.« (A16). Deswegen habe er auch einen guten Draht zu vielen anderen Besitzern gehabt, die ein neues Lokal oder ein Geschäft nach ihm eröffneten. So meinte er lachend: »Die sind alle zu mir zum Essen gekommen, als sie ihre Geschäfte gebaut haben« (A16). Er sah sich daher in Friedrichshain in der Vorreiterrolle. Der Imbiss Sanabel funktionierte so gut, dass er 2008 beschloss, einen zweiten, größeren Laden in Kreuzberg zu eröffnen. Auch das zweite Lokal hatte er in seiner Freizeit entdeckt, die er oft in seinem Wohnort Kreuzberg verbrachte: »Manchmal komme ich auch hierher zum Spazieren, weil ich wohne auch nicht weit. In Kreuzberg wohne ich. Hier in der Urbanstraße in der Nähe. Und da habe ich gedacht, als ich im Sommer hier gelaufen bin, da war so viel los hier auf der Straße, abends, mittags. Da habe ich gedacht, dieser Laden ist eigentlich mein Traumladen« (A16).

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Sein Lokal in Kreuzberg war wesentlich größer als der kleine Stehimbiss in Friedrichshain und hatte allein im Außenbereich Platz für bis zu 50 Personen. Der Sanabel-Imbissbesitzer leistete einen Beitrag zur Diversifizierung des Konsumangebots in Berliner Falafelimbissen. Er betrachtete sich außerdem als erster Anbieter des Halloumi-Sandwiches in Berlin. Auf Nachfrage eines Kunden, der erzählte, er habe gebratenen Halloumi in einem Sandwich serviert in einem Imbiss in einer anderen Stadt gegessen, probierte er, den mediterranen Weichkäse aus Kuhund Ziegenmilch zu frittieren und servierte ihn wie die Falafel auch im Sandwich. Mittlerweile bieten fast alle Falafelimbisse in Berlin frittierten Halloumi im Sandwich auf ihren Karten an, eine Zubereitungsform, die man im Libanon oder sonstigen arabischen Ländern nicht findet. Auch der Besitzer des Sanabel machte sich viele Gedanken um die Einrichtung und Dekoration seiner Läden: »Naja, der andere Laden [in Friedrichshain] ist ein kleiner Laden, und den habe ich so gemacht, dass er wirklich schlicht und gut aussehen soll. Die Farbe soll ein bisschen orientalisch sein. Also nicht zu viel reinmachen. Und die Leute fanden das auch nett, die Atmosphäre war gut. Das haben die auch immer erzählt: Schöner Laden und so« (A16).

Die Idee zur Gestaltung war folglich vor allem an den ihm bekannten Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden orientiert. »Ich habe es so eingerichtet, dass die Leute wissen, das ist ein orientalischer Laden. Im Imbiss auch, durch die Fliesen. Durch diese blauen Fliesen« (A16). Die mit Muster versehenen Fliesen, mit denen er das »Orientalische« seines Geschäftslokals hervorheben wollte, seien mittlerweile so etwas wie »sein Markenzeichen«, denn diese habe er auch im zweiten Imbiss verwendet. Insbesondere für den zweiten Laden ließ er sich dann viel Zeit und baute ihn in sechs Monaten um, bestellte Tische aus Italien, suchte die Wandfarben und Dekorationselemente aus. Auch seine Frau half ihm mit der Gestaltung: »Diese Farbe und die ganze Einrichtung hat meine Frau gemacht. Meine Frau kommt aus Berlin. Und so haben wir die Erfahrungen getauscht. Also sie hat bisschen mehr deutschen Geschmack und ich arabischen. Und dann hat es so ausgesehen« (A16). Der Imbissbesitzer des Sanabel versteht seinen Imbiss als Ergebnis eines kreativen Prozesses, den er zusammen mit seiner Frau gestaltete. Seine kulturelle Kompetenz bezieht er aus seinen Erfahrungen und Kenntnissen in der arabischen Kultur, die er mit einem deutschen Geschmack in Einklang bringen möchte. Das Zitat zeigt zudem, dass er sich selbst mit dem Arabischen identifiziert. Im Gegensatz zu den beiden anderen porträtierten Interviewpartnern hat er auch sehr viel privaten Kontakt zu anderen Palästinenserinnen und Palästinensern in Berlin, die er auch bevorzugt in seinen Läden anstellt. Die Tatsache, dass er nun zwei Läden mit mehreren Angestellten besaß, steht für seinen ökonomischen und sozialen Aufstieg. Am Anfang, so sagte er, habe er

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noch viel allein zusammen mit seiner Frau gearbeitet, die ihm sehr geholfen habe. Mittlerweile könne er von den Imbissen gut leben. Dennoch habe er nach wie vor wenig Freizeit. Das lag auch daran, dass er bestimmte Arbeitsschritte nicht aus der Hand geben wollte. So rührte auch er selbst die Falafelmasse an, mischte die Soßen und bereitete die Marinade für das Hähnchenfleisch zu, das er dann auf den Spieß steckte. Auch er war penibel in seiner Arbeit und behielt sich vor, sie selbst zu erledigen. Dass ihm nur wenig Zeit für seine Kinder bleibe, bedauerte er. Deswegen überlegte er, den ersten Laden in Friedrichshain weiterzuverkaufen, um sich auf den größeren Imbiss voll und ganz konzentrieren zu können. Insgesamt sei er aber sehr zufrieden mit seiner momentanen Situation. Denn mit dem zweiten Laden, der eine Mischung aus Imbiss und Restaurant sei, habe er »sich einen Traum erfüllt«. Alle drei Imbissbesitzer sind folglich aktive und erfolgreiche Unternehmer in der Gentrifizierung, auch wenn dies selten so wahrgenommen wird. Zur Rolle von ethnischem Unternehmertum in Gentrifizierungsprozessen Ethnische Unternehmerinnen und Unternehmer – das heißt Personen mit Migrationshintergrund, die ein ethnisches Konsumgut anbieten – werden bisher in wissenschaftlichen Untersuchungen zu Gentrifizierungsprozessen fast vollkommen ausgeblendet. Angehörige einer ethnischen und damit nicht-weißen Gruppe20 gelten in Gentrifizierungsprozessen allgemein als die Anderen, also als diejenigen, die zwar in den innerstädtischen Vierteln wohnen, die aber nicht zur neuen Mittelschicht gehören und damit auch potenziell der Verdrängungsgefahr ausgesetzt sind. Tim Butler (2003, 2469) schrieb, dass die Exklusion in Gentrifizierungsprozessen in London gerade entlang von ethnischen Zugehörigkeiten stattfände: »London’s middle classes share a common relationship to each other which is largely exclusive of those who are not people like us – most strikingly perhaps in relationship to their ethnicity.« Zwar betonte Butler, dass es oft nicht-weiße migrantische Unternehmerinnen und Unternehmer wären, die den neu zugezogenen Bewohnerinnen und Bewohnern ihre differenzierten Lebensstile durch flexible Öffnungszeiten und zahlreiche Dienstleistungsangebote erst ermöglichen (Butler 2003, 2470). Zudem verwies er darauf, dass die Konstruktion von Ethnizität in Gentrifizierungsprozessen eine

20 Wie die Critical Whiteness-Forschung zeigt, gelten immer nur die Anderen, die NichtWeißen als Ethnie. Die eigene Position wird dabei nicht hinterfragt (Arndt 2005, Dietze 2006, Tißberger et al. 2006).

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wichtige Rolle spiele, da sie als Marker für urbane Diversität gelte, die allerdings nur als »social wallpaper« fungieren würde (ebd., 2484). Insgesamt wird Gentrifizierung aber als ein recht homogener weißer Prozess gedeutet, und das auch in ethnisch diversen Großstädten wie London und New York (Lees 2000, 404). Zumindest findet sich kaum eine Studie, in der ethnische Unternehmer als aktive Akteure der Gentrifizierung berücksichtigt werden.21 Dies liegt erstens daran, dass Nicht-Weiß-Sein in europäischen und nordamerikanischen Städten oft unreflektiert mit einer Unterschichtszugehörigkeit gleichgesetzt wird. Dass ethnische Unternehmer auch als Gentrifizierer gelten könnten, wird damit von vornherein ausgeblendet. Diese Wahrnehmung gilt auch für arabische und türkische Migrantinnen und Migranten in Deutschland und Berlin, die als sozial marginalisiert gelten (Dietze 2009, 29). Zweitens werden die Tätigkeiten ethnischer Unternehmer weniger als ökonomische Leistungen angesehen, denn als Ausgeburt ihrer Kultur wahrgenommen. Diese Kulturalisierung würde nun eigentlich dafür sprechen, dieser Gruppe als Akteure der Gentrifizierung Aufmerksamkeit zu schenken. Denn wie oben erläutert, wird Gentrifizierung in frühen Phasen als ein kulturintensiver Prozess identifi-

21 In drei Studien zum Zusammenhang von ethnischen Unternehmen und Gentrifizierung kann dieser Missstand aufgezeigt werden: Jason Hackworth und Josephine Rekers (2005) untersuchen in ihrem Artikel, welche Rolle das »ethnic packaging« für die Vermarktung von Gentrifizierungsvierteln in Toronto hat. Sie kommen dabei zu diesem Schluss: »The relationship between ethnic packaging and gentrification is sometimes ambiguous, but it is increasingly the case that ethnic packaging can function in the way that art has functioned in the past for gentrifying communities – as a way to anchor bohemian culture for an outside community looking for something different from the suburbs.« (ebd., 232) Sie gehen hier aber weniger vom einzelnen Unternehmer aus, sondern betrachten vielmehr die ethnische Vermarktung durch politische Akteure und Investoren. Und Sharon Zukin(1995, 155ff) betrachtet in ihrem Buch »The cultures of cities« Restaurants, die sie als wichtige kulturelle Orte der symbolischen Ökonomie und damit of auch von Gentrifizierungsprozessen identifiziert. Neben Künstlerinnen und Künstlern, die in den neu eröffnenden Restaurants angestellt sind, hebt sie dabei auch die Rolle von migrantischen Unternehmerinnen und Unternehmern für das Anbieten von ethnisch konnotierten Restaurants hervor, geht aber nicht detailliert auf deren Hintergründe, Motive und Praktiken ein. Robert Kloosterman (1999) schließlich bringt migrantische Unternehmer in seinem Titel zwar mit kommerzieller Gentrifizierung in Verbindung, bezieht sich aber dabei nur auf einen inner-ethnischen Absatzmarkt und lässt eine kritische Betrachtung der Gentrifizierung und der für sie typischen mittelschichtigen Konsumentenschicht vollkommen außer Acht.

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ziert, dessen symbolische Aufwertung später in einen ökonomischen Mehrwert verwandelt wird. Und so werden auch kulturell aktive Gruppen wie Künstler (Ley 2003) oder von Bastian Lang so bezeichnete »culturepreneurs« (2007) als treibende Kräfte von Gentrifizierungsprozessen wahrgenommen. Das Kulturverständnis, das ethnischen Unternehmern zugrunde liegt, unterscheidet sich allerdings von dem Kulturverständnis, welches Künstlern oder als subkulturell wahrgenommenen Kleinunternehmern zugeschrieben wird und damit den Gruppen, denen häufig eine Vorreiterrolle in Gentrificationprozessen attestiert wird.22 Denn der Künstler oder der cultural entrepreneur zeichnet sich dadurch aus, dass er ein Kulturgut durch seine Leistung erschafft, was damit als kreativer Prozess wahrgenommen wird. Aus diesem Grund werden diese häufig auch als urbane kreative Milieus bezeichnet (Merkel 2009, 69). Diesen Gruppen wird spätestens seit Richards Floridas (2002) Veröffentlichung »The Rise of the Creative Class« besondere Aufmerksamkeit zuteil, zählen sie doch zum Kern der Kreativen, die damit andere kreative Sektoren in städtische Ökonomien locken (ebd, 68f.). 23 Beim ethnischen Unternehmer hingegen wird das Führen einer ethnischen Gastronomie nur als Ausdruck seiner Tradition verstanden, seiner Zugehörigkeit und dessen, was ihm letztlich angeboren ist. Dieses Kulturverständnis basiert dabei nicht auf besonderen, erlernten Fähigkeiten, sondern auf essenzialistischen Kulturvorstellungen. Ethnische Unternehmer gelten somit im engeren Sinne nicht als kreativ, da sie nichts Neues erschaffen. Es ist der Künstler, dem die Rolle des kulturellen Wegbereiters in der Gentrifizierung zugetraut wird: »The artists remade the meaning of urban space« (Ley 1996, 211). »The artists serve a social role as a broker of fashionable middle-class taste« (ebd., 189). Dem ethnischen Unternehmer in einem Imbiss oder Restaurant, der vielleicht ebenso einen neuen Geschmack – im wahrsten Sinne des Wortes – kreiert hat, werden diese Kompetenzen hingegen eher selten zugesprochen. Beide Gruppen werden folglich unterschiedlich symbolisch verortet. Dem kulturellen Kapital des Künstlers oder des »cultural entrepreneurs« (und damit des Wahlverwandten der neuen Mittelschicht) wird hier Tribut gezollt. Das kulturelle Kapital des ethnischen Unternehmers hingegen wird missachtet. Dem ethnischen Unternehmer mangelt es damit an symbolischem Kapital (vgl. Caglar 1996, 224ff.). Symbolisches Kapital ist laut Pierre Bourdieu das, was aus jeder Kapitalart (ökonomisch,

22 Allein für Berlin gibt es dafür zahlreiche Untersuchungen, z.B.: Breitenbruch 2011, Heebels 2010, Lange 2007, Merkel 2009. 23 Auch bei Richard Florida fungiert die Anwesenheit von anderen ethnischen Gruppen wiederum als soziale Tapete, die die »Kreativen« anziehen würde, da diese Stadtteile aufsuchen, die sich durch Toleranz auszeichnen (2002, 249).

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kulturell oder sozial) wird, wenn sie als legitim anerkannt wird (vgl. Bourdieu 2001, 311).24 Das kulturelle Kapital der ethnischen Unternehmer wird folglich verkannt. Diesem Bild soll hier entgegengewirkt werden. Denn – um auf die drei Porträts zurückzukommen – die Falafelimbissbesitzer können sehr wohl als Teile dieses Prozesses angesehen werden. Zunächst haben Imbissbesitzer wie die des Dada und des Zweistrom ähnliche institutionelle kulturelle Kapitalien (Bourdieu 1983, 189) in Form von akademischen Bildungsabschlüssen wie andere Angehörige der so bezeichneten kreativen urbanen Milieus (Merkel 2009). Der Sanabel-Imbissbesitzer, der keinen akademischen Abschluss hat und damit exemplarisch für über die Hälfte der von mir interviewten 19 Imbissbesitzer steht, hat sich dafür aber kulturelles Kapital durch die Tätigkeiten in gastronomischen Einrichtungen beschaffen können und weiß zudem seine Herkunft und damit verbundene Imaginationen als kulturelles Kapital einzusetzen. Darüber hinaus haben alle drei Imbissbetreiber einige Aspekte in ihren alltäglichen Praktiken gemeinsam. Sie fühlen sich alle drei der sozialen Gruppe, die vor Ort in den Vierteln präsent ist, sehr nahe, wenn nicht sogar zugehörig. Das zeigt sich insbesondere beim Dada-Imbissbesitzer, der laut seiner Aussage nicht nur in Berlin-Mitte wohnt, sondern selbst gut vernetzt im künstlerischen Milieu in BerlinMitte ist und davon für seinen Imbiss profitieren konnte, allein schon, was die Kunden angeht, die von Anfang an bei ihm waren. Auch der Zweistrom-Besitzer ist gut in sein Wohnviertel in Prenzlauer Berg integriert, auch wenn er weniger über ein extensives Netzwerk verfügt, als vielmehr einzelne Kontakte zu anderen Bewohnerinnen und Bewohnern hat, wie dem Architekten, der ihm bei der Konzeption seines Lokals geholfen hat. Nur der Sanabel-Imbissbesitzer, der sich zwar in die Viertel integriert fühlt und selbst in Kreuzberg wohnt, erzählt weniger über direkte Kontakte, die er vor Ort aufgebaut hat, auch wenn er viele Kunden persönlich kennen würde. Er sei aber insgesamt eher »zurückhaltend« (A16). Diese Zurückhaltung macht

24 Bourdieu zufolge kann man statt symbolischem Kapital auch von »symbolischen Effekten des Kapitals« (ebd.) sprechen. Das symbolische Kapital wird dann als legitim anerkannt, wenn seine Kraft, Macht oder Fähigkeit zur Ausbreitung verkannt wird, wenn folglich die soziale Position, die mit diesem Kapital verbunden wird, nicht hinterfragt wird. Das gilt zum Beispiel auch für Künstler und subkulturelle Unternehmer, deren legitimes kulturelles Kapital, deren so genannte Kreativität anerkannt und nicht hinterfragt wird. »Araber oder Türken in den Arbeitervierteln der europäischen Städte« (ebd., 310), die er hier als Beispiel nennt, haben seiner Meinung nach hingegen »mit dem Fluch eines negativen symbolischen Kapitals« zu leben, wobei er wohl auf deren negatives Image anspricht.

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ihn damit auch zu dem am wenigsten wahrgenommenen Gentrifier der drei hier vorgestellten Besitzer. Zudem betrachten alle drei ihre ökonomischen Praktiken als kreative Tätigkeit. So haben sie die Zubereitung der Speisen konzipiert und verfeinert. Und alle drei haben sich für die Gestaltung Zeit gelassen und genau überlegt, was sie mit ihrem Laden ausdrücken möchten. Sie sehen sich folglich als sehr wohl fähig, einen guten Geschmack in einem bestimmten Viertel mitzukreieren. Gerade durch die Gestaltung des Ladens wollen sie ihren distinguierten Geschmack zur Schau stellen, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Und nicht nur das: Sowohl der Dada-Imbissbesitzer als auch der SanabelImbissbesitzer deuten an, dass sie sich selbst als entscheidende Akteure in den Gentrifizierungsprozessen sehen. Damit sind sie nicht nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, sondern haben die Entwicklung des Viertels aktiv mitgestaltet. Die Falafelimbissbesitzer können folglich als hintergründige Gentrifizierer betrachtet werden, denn – auch wenn sie weitgehend unbemerkt sind – formen sie den Geschmack in Gentrifizierungskulturen und prägen den kulturellen Wandel des Viertels mit. Durch die hier vorgestellten Porträts plädiert diese Arbeit dafür, das kulturelle Kapital der ethnischen Unternehmer wahrzunehmen und diese als aktive Akteure in Gentrifizierungsprozessen ernst zu nehmen. Gleichwohl wird sich in den Ausführungen in zweiten Hauptteil über den Konsum des Arabischen zeigen, dass es gerade die Missachtung ihres Kapitals seitens der Konsumentinnen und Konsumenten ist, die Falafelimbisse in Gentrifizierungsprozessen so erfolgreich werden lässt. Denn da sie nur als Produkt einer einfachen und traditionellen Kultur wahrgenommen werden, gelten sie als besonders authentisch. Bevor darauf aber näher eingegangen wird, soll in diesem Kapital abschließend noch die kommerzielle Restrukturierung, in die sich Falafelimbisse materiell wie symbolisch einbetten, näher beleuchtet werden.

F ALAFELIMBISSE

ALS

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KOMMERZIELLEN

R ESTRUKTURIERUNG

DER

Kommerzielle Gentrifizierung Gentrifizierung ist nicht nur ein Prozess, in dem bestimmte Akteursgruppen in einem Viertel neu in Erscheinung treten, während andere zunehmend aus dem Blickfeld verschwinden oder verdrängt werden, sondern es verändert sich immer auch die materielle Umwelt mit. Neben der weit beachteten Sanierung von Wohngebäuden gilt dies auch für die Gewerbelandschaft eines Viertels. Diese sogenannte

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kommerzielle Gentrifizierung wurde zu Unrecht lange Zeit in der Stadtforschung vernachlässigt.25 Das Auftauchen von neuen Gewerbetypen, wie zum Beispiel Biomärkten, wurde mehr als Indikator für eine neue Lebensstilgruppe, denn als Motor für die Gentrifizierung betrachtet. Dem entgegen steht Sharon Zukins (1990, 41) Analyse, nach der es für eine erfolgreiche Gentrifizierung eines Viertels einer bestimmten Infrastruktur an kommerziellen Einrichtungen bedarf. Nicht nur ermöglichen neue Geschäfte, Restaurants oder Galerien für neu auftretende Gruppen sichere, vertraute Passagen durch sonst noch eher als unsicher eingestufte, fremd wirkende Viertel.26 Sie sind auch die Orte, an denen die kulturellen Praktiken von bestimmten Lebensstilgruppen legitimiert werden. Durch die Ausweitung dieser Legitimationsorte des eigenen Lebensstils werden nach und nach ganze Nachbarschaften symbolisch wie auch praktisch angeeignet.27 Und das nicht nur durch neue Bewohnerinnen und Bewohner, die in das Viertel ziehen, sondern auch durch andere Gruppen von Akteuren, die in dem Viertel arbeiten oder es nur in der Freizeit aufsuchen. Einen zunehmenden Einfluss gerade auf die gewerbliche Entwicklung innerstädtischer Viertel haben in Berlin in den letzten Jahren auch Touristen, was seit kurzem unter Slogans wie »Hilfe, die Touris kommen« gerade in Friedrichshain und Kreuzberg zu großen Protesten führt (siehe z.B. Hermann/von Buillon 2011). Für die länger vor Ort ansässigen sozialen Gruppen hat der Wandel der kommerziellen Landschaft weitreichende Folgen. Denn häufig ist es nicht so sehr die direkte Verdrängung bestimmter Bevölkerungsschichten aus Wohngebäuden in der Folge von Mieterhöhungen und Sanierungspolitiken, die zu einem Austausch der Bevölkerung führt, sondern vielmehr die soziale Entfremdung von dem Viertel, die letztendlich und häufig zeitverzögert viele zum Wegzug veranlasst. Diese soziale

25 So ist im aktuellen Lehrbuch zu Gentrification von Lees, Slater, Wyly (2008) auch nur ein kurzer einseitiger Abschnitt zur kommerziellen Gentrification zu finden (S. 131). 26 Sharon Zukin bezieht sich dabei auf die Entwicklung von New York, wo Stadtquartiere häufig als besonders unsicher galten, bevor sie sich im Zuge der Gentrification transformierten. Das zeigen Beispiele wie die Lower East Side, Williamsburg in Brooklyn und Harlem. Für den Berliner Kontext spielt aber die Konstruktion von Unsicherheit und Kriminalität nicht für alle von Gentrifizierung geprägten Stadtteile die gleiche Rolle wie in New York. Doch ist diese Konstruktion auch in Berlin in den Medien vorzufinden, insbesondere für das sich momentan stark wandelnde Nord-Neukölln (vgl. z.B. den Spiegel Artikel, »Moks-Revier« von Hüetlin 2010) 27 Vgl. hierzu Bourdieus Aufsatz zu den Ortseffekten, in dem er schreibt, dass »die Fähigkeit, den Raum zu beherrschen, hauptsächlich auf der (materiellen oder symbolischen) Aneignung der seltenen (öffentlichen oder privaten) Güter basiert, und diese wiederum von den Kapitalien abhängt« (1997, 164).

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Entfremdung wird gerade durch das Wegfallen alter identitätsstiftender kommerzieller Einrichtungen und das Hinzukommen neuer Typen von Einrichtungen bedingt, die auch zur Dominanz eines neuen Habitus’ in einem Stadtquartier führen. »Käthes neue Kleider« ist eine treffende Umschreibung für diese soziale Entfremdung alteingesessener Bewohnerinnen, die Tanja Marquart (2006) am KätheKollwitzplatz untersuchte. Besonders drastisch wird es dann, wenn die zunehmende Verbürgerlichung einer kommerziellen Landschaft dazu führt, dass allein aufgrund des sich etablierenden höheren Preissegments sozial niedrig gestellte Gruppen zum Beispiel auf den Besuch eines Restaurants oder einer Kneipe verzichten müssen. Doch fängt die symbolische Verdrängung schon vorher (und meist schon vor den Touristen) mit dem Auftauchen der ersten neuen Kneipen, Bars oder Galerien an, die aufgrund ihrer zur Schau gestellten distinguierten Ausrichtung bestimmte, länger dort wohnende Bevölkerungsgruppen symbolisch ausschließen. So wie die Gentrifizierung als Prozess beschrieben wird, der in mehreren Phasen abläuft, so transformiert sich auch die kommerzielle Landschaft mehrmals in einem Viertel. Sind es anfangs Milieus mit hohem kulturellen, aber niedrigem ökonomischen Kapital, die die neu eröffneten Boutiquen oder Restaurants nachfragen und die zunehmend die einfachen Läden des täglichen Bedarfs wie auch Handwerksbetriebe ersetzen, überwiegt später das ökonomische Kapital, das sich dann auch in Geschäften und Dienstleistungen im oberen Preissegment widerspiegelt (vgl. Ley 1996, 301). Dabei spielt die Gastronomie häufig eine entscheidende Rolle (vgl. Zukin 1995, 182). Das zeigen auch zwei Untersuchungen zu Berlin, auf die nun kurz eingegangen wird. Die Gastronomisierung in Berlins Gentrifizierungsvierteln Im Sanierungsgebiet Helmholtzplatz hat die Gastronomie laut einem Artikel von Michael Heimer (2003) in dem Anwohnermagazin Mieterecho28 einen bedeutenden Anteil an der Zunahme von Gewerbeeinrichtungen. Die Zahl der Gewerbeeinheiten ist in dem Sanierungsgebiet in den neunziger Jahren stetig angestiegen, und zwar von 438 im Jahre 1992, auf 545 im Jahre 1997 und schließlich auf 623 Einheiten im Jahre 2002. Den größten Zuwachs verzeichnete neben dem Dienstleistungssektor, der um 150 Prozent stieg, der Gastronomiesektor, der sogar um 200 Prozent wuchs. Hingegen ist laut Michael Heimer der Anteil des Einzelhandelssektors im Gebiet

28 Da das Mieterecho kein wissenschaftliches Magazin ist, sind die Daten hier nicht intersubjektiv nachvollziehbar. Michael Heimer beruft sich allerdings neben einer eigenen Erhebung bei seiner Untersuchung auf Daten der Forschungsstelle für den Handel in Berlin und das Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (vgl. Heimer 2003).

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um ein Drittel gesunken und ebenso ist das Handwerk rückläufig. Die gastronomische Dominanz führt zu einer Art Monostruktur in der Nachbarschaft, wobei diese auch stark räumlich konzentriert ist. In der Lychener Straße ist die Gastronomie im Jahre 2002 mit 28 Bars und Restaurants besonders stark vertreten. Dieser Trend zur Gastronomisierung setzte sich in den folgenden Jahren fort. Denn mittlerweile ist die Gegend um den Helmholtzplatz übersät mit Imbissen, Restaurants, Cafés und Kneipen. In dieser Gegend finden sich mit dem 1001 Imbiss, dem Salsabil I und dem Tartus drei Falafelimbisse. Eine Gastronomisierung der kommerziellen Landschaft hat auch Andrea Emmerich (2006) in ihrer Diplomarbeit für die Gegend um den Boxhagener Platz festgestellt, in der sie sich eingehend mit der dortigen Gewerbeentwicklung zwischen 1989/90 und 2005 beschäftigte29. Innerhalb dieses Zeitraumes verdreifachte sich die Zahl der Gewerbeeinheiten von 125 Einheiten auf 379 Einheiten (ebd., 56). Der Zeitraum der Untersuchung ist aber nicht optimal gewählt, denn viele Veränderungen, insbesondere in den ersten Jahren nach der Wende, sind nicht nur auf eine Gentrifizierung, sondern auch auf größere wirtschaftliche Transformationen im Zuge des Systemwechsels von der DDR zur Bundesrepublik zurückzuführen (vgl. ebd., 69). Dennoch ist es bezeichnend, dass von den 125 Gewerbebetrieben 2005 nur noch elf in Friedrichshain erhalten sind und dass mittlerweile mit 100 Einrichtungen fast jeder dritte Laden der Gastronomie zuzurechnen ist, während es 1989/90 dort gerade einmal 15 gastronomische Einrichtungen gab (ebd., 56). Direkt um den Boxhagener Platz herum sind auch eine Reihe von Falafelimbissen lokalisiert, zum Beispiel der Sanabel-Imbiss, der Meyman, der Al Mayas-Imbiss, der Tigris und der Nil-Imbiss. Folglich können Falafelimbisse als Teil dieses kommerziellen Wandels hin zu einer Gastronomisierung gelten. Dabei gilt es zu beachten, dass die Kategorie des gastronomischen Betriebstyps in den Statistiken sehr grob ist und nicht zwischen unterschiedlichen gastronomischen Betriebsformen unterschieden wird. Zwischen einem Imbiss und einem Restaurant können aber, wie oben ausgeführt, bedeutsame Unterschiede bestehen. So ist zu vermuten, dass Imbisse gerade in den späten Phasen der Gentrifizierungsprozesse häufig durch Restaurants im höheren Preissegment ersetzt werden.30

29 Die hier genannten, von ihr erhobenen Zahlen beziehen sich auf das Milieuschutzgebiet »Boxhagener Platz«, das 1999 festgelegt wurde. Die genauen Gebietsgrenzen finden sich unter http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/verwaltung/org/stadterneuerung/ mil_eg03.html (Stand: 18.03.2011). 30 Was Falafelimbisse angeht, so konnte diese Entwicklung vereinzelt in Berlin-Mitte beobachtet werden, wo während des Erhebungszeitraumes zwei Imbisse schlossen, einer di-

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In den von Michael Heimer und Andrea Emmerich untersuchten Nachbarschaften, in denen Falafelimbisse eine starke Präsenz aufweisen, vollzog sich der beschriebene Wandel aber nicht nur durch einen direkten Austausch »Cocktailbar übernimmt Kurzwarenladen« (Heimer 2003), sondern auch durch die Beseitigung von Leerstand, die Umwandelung von Wohneinheiten in Gewerberaum sowie durch Neubautätigkeiten (vgl. auch Emmerich 2005, 69). Falafelimbisse und die Transformation der gewerblichen Struktur Was die Standorte von Falafelimbissen betrifft, so ist dieser Wandel der Betriebsform allerdings rein quantitativ nicht nachzuweisen. In den 94 von mir kartierten Falafelimbissen in Berlins Innenstadtteilen erhielt ich in 58 Imbissen durch den Besitzer oder einen Angestellten eine Antwort auf die Frage, welche Art von Betrieb sich vor dem Falafelimbiss in dem betreffenden Lokal befand. Meist war vorher schon ein gastronomischer Betrieb vor Ort. Abgesehen von den elf Fällen, in denen bereits vorher ein Falafelimbiss mit anderem Besitzer da war, wurde mir in 25 weiteren Imbissen von einem Café oder einem anderen Imbiss als vorangegangener Einrichtung berichtet. In zwölf weiteren Fällen berichteten Angestellte oder Besitzer von Einzelhandelsläden und bei vier waren es personenbezogene Dienstleistungen wie Internetcafés oder Waschsalons, die durch Falafelimbisse ersetzt wurden. Bei vier Falafelimbissen hat der Ladenraum vorher leer gestanden und nur in zwei Fällen handelte es sich um nicht-kommerzielle Einrichtungen wie Vereine, die sich in dem Ladenlokal befunden hatten. Dabei wiesen die Zahlen auch keine großen Unterschiede zwischen typischen und nicht-typischen Gentrifizierungsgebieten auf. Im Einzelnen betrachtet fanden sich sehr wohl Fälle, in denen ein Austausch der Gewerbestruktur stattfand, wie manche Falafelimbissbesitzer berichteten. So stieß der Besitzer des Imbisses Nil bei der Wohnungssuche auf einen leer stehenden Gewerberaum in der Grünbergerstraße, den er dann anmietete (A12). Der Besitzer des Dada berichtete, dass das Ladenlokal vorher ein Geschenkartikelladen war (A5). Und der Besitzer des Imbisses mit dem Namen »Vögel und Fische« beließ es sogar bei dem alten Namen des Zoogeschäftes, als er daraus ein arabisches Imbisscafé machte. Besonders strategisch ging der Besitzer des Imbisses Sahara 2009 bei sei-

rekt am Hackeschen Markt. Zudem wurde in einem der Konsumenteninterviews berichtet, dass es um den Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg früher noch mehr Falafelimbisse gegeben habe. Heute befindet sich mit dem Salsabil II dort nur noch einer. Hingegen ist diese Umgebung, die auch für einen rasanten Mietanstieg bekannt ist, stark durch Restaurants geprägt.

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ner Suche nach einem neuen Laden vor. Er hatte beschlossen, seinen bisherigen Laden in Friedrichshain zu schließen und einen neuen Standort zu suchen: »Dann letztes Jahr habe ich den Imbiss in Friedrichshain an jemanden abgegeben. Und auch durch die WGs, in denen ich gewohnt habe, habe ich mitbekommen, dass die Studenten jetzt alle nach Neukölln gehen. Und alle haben mir gesagt, da soll ich hin. Aber es gab hier keine freien Räume. Und ich wollte nicht wieder in einer ruhigen Ecke aufmachen, oder in einer Seitenstraße oder so« (A14).

Deswegen fragte er in verschiedenen Geschäften in Neukölln, ob nicht jemand seinen Gewerberaum abgeben wolle. So stieß er auch auf den Imbiss City Burger II am Reuterplatz: »Die Lage hat mir gefallen. Ich hatte auch einen Laden in der Hobrechtstraße gefunden. Aber da war es leer, nicht so viele Fußgänger, nicht so viel Laufkundschaft. Und dann habe ich ihn hier [gemeint ist der Besitzer des City Burger II] gefragt, und er hat mir gesagt, er hat damals so teuer Abstand gezahlt, als er hier hergekommen ist. Und wenn er das zurückbekommt, dann will er nicht bleiben. Weil er hatte sowieso mehr Umsatz mit dem Automaten und dem Alkohol gemacht. Auf das Essen hat er sich nicht so konzentriert. [...] Aber die Hausverwaltung wollte nur einen Imbiss hier. Er wollte eigentlich lieber einen Spätkauf machen. Aber die haben gesagt, hier gibt’s nur einen Imbiss. Und er hatte nicht so viel Bock gehabt, da so zu kochen und so. Und ich habe mit ihm gehandelt. Am Ende ist es gut gelaufen« (A14).

Er hatte folglich nicht erst gewartet, bis ein Ladenlokal zu mieten war, sondern hat die Übernahme durch seine direkte Nachfrage vor Ort initiiert und sich selbst mit dem Vormieter geeinigt, ohne zuerst den Umweg über Hausverwaltungen oder Immobiliengesellschaften zu nehmen. Damit hat er die Entwicklung der kommerziellen Landschaft um den Reuterplatz herum direkt mitgesteuert. Mittlerweile ist der Imbiss im Sommer eines der meistbesuchten Lokale im Viertel. Das Beispiel des Wechsels vom City-Burger II zum Sahara-Imbiss verweist aber noch auf etwas anderes: Auch innerhalb des gastronomischen Sektors gibt es große Unterschiede zwischen verschiedenen Lokalen, die häufig mit verschiedenen Stadien der Gentrifizierung korrespondieren. Dies betrifft nicht nur den in Gentrifizierungsprozessen öfter beobachteten Wandel von Kneipen hin zu Restaurants.31

31 Vgl. hierzu z.B. Emmerich 2005, S. 63. Während laut ansässigen Gewerbetreibenden in der zweiten Hälfte der Neunziger in der Simon-Dach-Straße »Szene-Kneipen« dominierten, sind es ab 2000 vorwiegend Restaurants, die aufgrund ihrer Ladengröße dort häufig auch als »Großraumgastronomie« bezeichnet werden.

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Denn spätestens die folgende Beschreibung über das weitere Vorgehen bei der Gestaltung zeigt, dass der Besitzer des Sahara von seinem Imbiss eine komplett andere Vorstellung hatte als den Imbiss seines Vorgängers: »Ich habe alles weggeschmissen. [...] Speisekarten und Fotos und so. [...] Ich bin dreimal zum Wertstoffhof gefahren. Mit Sachen. Die Tische allein. Alles Schrott. Und die haben drinnen geraucht. Und getrunken. Und sind zur Toilette gegangen. Und die Leute haben da am Spielautomat gespielt. Und da hat es gestunken. [...] Und dann habe ich diese Werbung abgemacht« (A14).

Die Unterscheidung zwischen seinem und dem Vorgängerimbiss macht er nicht nur an dem Angebot und dem Essen fest, sondern auch an der Einrichtung und der Atmosphäre im Laden. Seine Beschreibung der früheren Imbisskultur ist voll von herablassenden Zuschreibungen für die Unterschicht: Im Vordergrund stehen hier Alkohol und Spielautomaten gepaart mit vernachlässigtem Essen. Diese Atmosphäre wird durch die Dekoration untermalt. Der Besitzer des Sahara-Imbisses hingegen wollte dieses Image loswerden, und setzte auf Distinktion. Im Gegensatz zum vorher ansässigen City Burger II findet sich in seinem Laden keine Reklame mit Essensfotos mehr. Dagegen ist die Werbeschrift des SaharaImbisses in Schreibschrift geschwungen, es hängen Fotografien der Wüste Sahara an der Wand, und das Symbol des Ladens ist ein abstrakt gezeichnetes Kamel. Auch wenn er den Laden nicht vollkommen umgestaltete, so ist sein Imbiss ganz anders als der vorher ansässige City Burger II. Nicht jede gastronomische Einrichtung, nicht jeder Imbiss ist folglich automatisch Teil einer für Gentrifzierungsprozesse typischen Infrastruktur. Zweifelsohne gehört der Sahara-Imbiss aber dazu, da er laut Aussage seines Besitzers hauptsächlich von jungen, gebildeten »Hinzugezogenen« (A14) aufgesucht wird. Es sind folglich bestimmte Formen der Gastronomie, die die Geschmacksanforderungen der in Berlin präsenten neuen Mittelschicht bedienen. Diese Geschmacksfragen werden im Folgenden genauer unter die Lupe genommen. Das im Sahara-Imbis integrierte Kamel deutet schon darauf hin, dass Geschmackspräferenzen mit bestimmten orientalischen Authentizitätsvorstellungen verknüpft sind. Im folgenden Teil wird daher der Frage nachgegangen, inwieweit eine Inszenierung des Arabischen den Geschmack der Gentrifizierung trifft.

Der Konsum des Arabischen

4 Die Formation des Arabischen in Berlins Gastronomie

Bereits 1993 warf Christian Arns in dem in der »taz« erschienenen Artikel »Kultkugeln aus Kichererbsen« die Frage nach der Herkunft der auf dem städtischen Markt neu aufgetauchten Falafel auf, denn er meinte, in der Berliner Öffentlichkeit diesbezüglich vehemente Diskussionen vernommen zu haben: »Alle streiten sich um die Herkunft des vegetarischen Mode-Essens Falafel« (Arns 1993, 20). Grund für die unterschiedlichen Auffassungen seien, so Arns, die zahlreichen Hinweise in den Imbissen, die Falafel mal als »ägyptische«, mal als »palästinensische«, »libanesische« oder »jordanische« Spezialität auswiesen. Die Aufzählung dieser verschiedenen Nationalitäten mache es schwierig, die Herkunft der Falafel in einem bestimmten Land zu verorten. »Fundamentale Streits auf Uni-Fluren«, so schreibt Arns salopp weiter, »welcher Nationalität ein Falafel-Händler sein sollte, sind dadurch programmiert« (ebd.). Der Zeitungsartikel weist schon 1993 auf zwei Aspekte hin, die auch gegenwärtig für die Falafelimbisskultur in Berlin bedeutsam sind. Erstens ist die geographische Herkunft der Falafel, wie sie in Berlin präsentiert wird, keine feste Kategorie, sondern steht dort zur Verhandlung. Auch heute herrscht von Konsumentenseite Konfusion über die genaue Herkunft der Falafel. In den Interviews, die 2009 bis 2010 im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurden, bezeichneten die Konsumentinnen und Konsumenten die Falafelimbisse deswegen öfters einfach als »arabische Imbisse« oder sprachen vom »Araber«, zu dem sie zum Essen gehen würden. Und auch die von mir interviewten Imbissbesitzer benutzten diese Form der Zuschreibung, die über eine nationale Verortung hinausgeht. Andere verwiesen wiederum auf eine orientalische Kultur. Mit Ausnahme des Libanesischen verschwanden nationale Assoziationen weitgehend im Umfeld der Imbisse. Mit der Etablierung der Falafelimbisskultur hat sich die Zuschreibung des Arabischen oder des Orientalischen durchgesetzt. Zweitens deutet der taz-Artikel darauf hin, dass die Konsumentinnen und Konsumenten den Herkunftsassoziationen der Falafelkultur durchaus Bedeutung bei-

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messen. Zwar hatte der Großteil der Konsumentinnen und Konsumenten, mit denen ich sprach, nur eine diffuse durch Medien und populärkulturelle Güter geprägte Vorstellung über die arabische Region, wie sich zeigen wird. Dennoch sind Herkunftsassoziationen in den Falafelimbissen wichtige Gütekriterien. Von diesen Beobachtungen ausgehend wird in diesem Kapitel die Formation des Arabischen und anderer geographischer Imaginationen im Umfeld der Falafelimbisse untersucht und dabei sowohl die Anbieter- als auch die Konsumentenseite beleuchtet. Nach einer Analyse der geographischen Repräsentationen in Berlins Falafelimbissen, die sich auf Werbeschildern und Speisekarten finden, wird betrachtet, wie sich durch die ökonomischen Praktiken der Imbissbesitzer und den Austausch innerhalb migrantischer Netzwerke in Berlin eine neue gemeinsame Falafelkultur sowohl symbolisch wie auch materiell formiert hat, die als arabisch konstruiert wird. Zu dieser positionieren sich die Imbissbesitzer je nach ihrem eigenen Hintergrund unterschiedlich, denn nicht alle verstehen sich automatisch als Araber. Anschließend wird – das erste Mal in dieser Arbeit – der Blick auf die Perzeptionen der Konsumentinnen und Konsumenten gelenkt und deren geographische Imagination im Hinblick auf die Falafelimbisskultur hinterfragt. Wie sich zeigen wird, sind sie gerade aufgrund der vagen Kenntnisse über die Region auf bestimmte Anhaltspunkte in den Imbissen angewiesen. Als Herkunftsmarkierer zählen zum Beispiel die Verkäufer oder die Dekoration. Und schließlich wird die Frage aufgeworfen, warum die Herkunftsimaginationen für den Konsum von Falafelimbissen überhaupt wichtig sind. Dies wird anhand eines Negativbeispiels, dem Imbiss Ali Baba, gezeigt, dem die von mir interviewten Konsumentinnen und Konsumenten unter anderem aufgrund seiner unklaren geographischen Verortung ablehnend gegenüberstanden. Das Beispiel verdeutlicht, dass Vorstellungen hinsichtlich der Authentizität ein zentrales Gütekriterium für die Falafelimbisskultur in Berlins Gentrifizierungsvierteln sind. Das folgende Kapitel hinterfragt folglich die Konstruktion des Arabischen, des Orientalischen oder anderer Zuschreibungen in alltäglichen Konsumpraktiken in Falafelimbissen Berlins kritisch, sowohl von Anbieter- als auch von Konsumentenseite. Es schließt damit an Studien zu (imaginativen) Geographien von kulinarischen Kulturen an (vgl. Crang/Cook 1996; Cook 2006, James 1996) und bildet die Ausgangsbasis für den zweiten Teil der Arbeit, in dem analysiert wird, warum die Inszenierung des Arabischen in Berlins Gentrifizierungsmilieus so erfolgreich ist.

4 D IE F ORMATION DES A RABISCHEN

D IE H ERKUNFT DER F ALAFEL – G EOGRAPHISCHE R EPRÄSENTATIONEN

IN

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B ERLIN

Wie schon 1993 in dem vorgestellten taz-Artikel, gab es auch 2010 zahlreiche geographische Referenzen in Berlins Falafelimbissen. In 84 der insgesamt 94 kartierten Falafelimbisse fanden sich während der Erhebung 2010 geographische Verortungen auf Werbeschildern oder Speisekarten. Die Mehrzahl der Imbisse vermarktete die Speisen folglich mit dem Hinweis auf eine regionale oder nationale Esskultur. Meist waren die Bezeichnungen relativ eindeutig. Nur in sechs Imbissen kam es zu Mehrfachnennungen. Zum Beispiel wurden die Speisen im Imbiss Rissani sowohl als orientalisch oder libanesisch als auch als marokkanisch beworben. Insgesamt gab es damit 90 geographische Zuschreibungen in den Imbissen. Wie aus der Abbildung 4 hervorgeht, wurde 2010 die Falafelimbisskultur in Berlin vor allem als orientalisch propagiert, eine Beschreibung, die sich in 33 Imbissen fand. Daneben war in den Imbissen der Hinweis auf eine arabische Kultur mit 22 Nennungen relativ präsent. Eine andere großregionale Konnotation, nämlich die des Mediterranen, fand sich hingegen kaum in den Imbissen. Abbildung 4: Diagramm zu den geographischen Repräsentationen in den Imbissen

Quelle: Eigene Erhebung von Falafelimbissen von April bis Juni 2010 in Berlins Innenstadtvierteln

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Was die nationalen Bezeichnungen angeht, dominierte der Verweis auf eine libanesische Esskultur, der sich in 21 Imbissen wiederfand. Andere nationale Kulturen wie Syrien, Marokko oder Ägypten waren nur selten auf den Werbeschildern oder Speisekarten vertreten. Hinweise auf eine jordanische oder palästinensische Kultur – zwei Bezeichnungen, die Christian Arns 1993 in dem Zeitungsartikel erwähnte – tauchten im Jahr 2010 überhaupt nicht auf. Auch eine Repräsentation des Irakischen gab es nicht, obwohl mit dem Besitzer des Baharat, dem des Dada und dem des Zweistrom mehrere Imbissbesitzer mit irakischer Herkunft vertreten waren. Hingegen wurden Berlins Falafelimbisse viermal als sudanesisch deklariert. Eine Zuschreibung der Falafel als israelisch, die es in anderen Großstädten gab, fand sich in Berlins Falafelimbisskultur hingegen nicht.1 Die Dominanz der libanesischen Repräsentation ist zunächst auf die große Zahl der Imbissbesitzer in Berlin zurückzuführen, die einen libanesischen oder (libanesisch-palästinensischen) Hintergrund haben. Ein weiterer Grund mag das hohe Renommee sein, dass die libanesische Küche genießt, auch und gerade in der Eigenwahrnehmung (vgl. Heine 1994, 143). Dem deutsch-libanesischen Besitzer des Taebs Bistro zufolge ist der Ruf der libanesischen Küche in der arabischen Region zu dem der französischen in Europa äquivalent: »In der arabischen Welt ist die libanesische Küche sehr gesund und sehr berühmt« (A17).2 Irakische oder palästinensische Imbissbesitzer hingegen mögen vermutlich wegen der negativen Images ihrer Nationen im Zuge weltpolitischer Konflikte weniger mit ihrer nationalen Herkunft werben. Zudem ist die palästinensische Esskultur in der Eigen- und Fremdwahrnehmung genau konträr zur libanesischen verortet. Die palästinensische Küche wird als einfach und bodenständig wahrgenommen und entspricht damit dem seit der israelischen Besatzung konstruierten Bild einer bäuerlichen, ärmlichen Kultur (Swedenburg 1990, Gvion 2009). Insgesamt zeigt die Abbildung 4, dass 2010 in über der Hälfte der Imbisse eine Zuordnung gewählt wurde, die über bestimmte nationale Verortungen hinausging und damit einen gemeinsamen arabischen oder orientalischen kulturellen Referenzrahmen propagierte. Eine kurze Erläuterung der beiden Begriffe erscheint daher sinnvoll.

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Dies lag daran, dass bis 2010 in Berlin keinerlei Imbisse von Migrantinnen und Migranten mit israelischem Hintergrund geführt wurden. Mittlerweile gibt es einen Falafelimbiss und zwei Hummus-Läden, die sich auf eine israelische Herkunft berufen, diese aber nicht unbedingt offen zur Schau stellen. Zur weiteren Diskussion siehe Kapitel 7.

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Diese mittlerweile auch weltweit bekannte Reputation hat wiederum mit der großen Zahl von Exillibanesinnen und -libanesen zu tun, die die Küche in anderen Ländern vermarktet haben (Harms/Jäkel 2004, 240f.).

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Der Begriff des Orients stammt aus dem Lateinischen und bezeichnete die östliche Weltgegend (Sommer 2006). Im historischen und geographischen Kontext war die Zuschreibung, was zum Orient gehört, dabei Wandelungen unterworfen. Wie Edward Said in seinem ursprünglich 1978 erschienenen Buch »Orientalismus« (2003) zeigte, ist der Orient aus heutiger Sicht keine feste Region, sondern ein in europäischen und nordamerikanischen politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Schriften und Artefakten konstruierter und reproduzierter Diskurs, der die Okzidentalen über die Orientalen stellte und damit politische Implikationen hatte. Aus gegenwärtiger europäischer Perspektive bezieht er sich überwiegend auf die Region des Nahen Ostens und Nordafrika sowie der Türkei. Aus nordamerikanischer Sicht wird der Begriff auch für ostasiatische Länder benutzt. Da der Orient konträr zu einer westlichen oder europäischen Kultur und damit als fremd konstruiert ist, weckt er exotische Imaginationen. Eine Referenz auf den Orient findet sich daher insbesondere bei hoch- und populärkulturellen Gütern und damit auch bei Esskulturen im europäischen oder nordamerikanischen Kontext. Der Orientalismus ist aufgrund seiner Wirkmächtigkeit mittlerweile aber auch eine bedeutsame identitäre Referenz für gegenwärtige nahöstliche Kulturen geworden, die sich selbst als orientalisch oder östlich definieren (Traboulsi 2007). Zu der arabischen Region werden heute die Länder in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel gezählt. Bezugspunkt ist die gemeinsame Sprache. Seit 1945 gibt es mit der arabischen Liga auch eine politische Organisation, die sich auf diesen identitären Rahmen bezieht. Ein arabisches Bewusstsein, der sogenannte PanArabismus flammte im 19. Jahrhundert zuerst als Gegenbewegung zur osmanischen Herrschaft, später als Widerstand gegen die westliche Kolonisation und schließlich gegen die Staatsgründung Israels auf, und fand seine politische Manifestation im Nasserismus in Ägypten und im Baathismus in Syrien sowie im Irak. Die Nationalstaaten und damit die nationalen Identitäten haben sich erst infolge willkürlicher Grenzziehungen durch die europäischen Kolonialmächte im 20. Jahrhundert gebildet (Choueiri 2000). Auch wenn das politische Projekt eines pan-arabischen Staates scheiterte, ist bis heute eine gemeinsame arabische Identität existent.3 So mag gerade in der Situation der Diaspora das Arabische als gemeinsamer Horizont unter Migrantinnen und Migranten wichtig sein, nicht nur aufgrund der miteinander geteilten Sprache, sondern auch aufgrund der konstruierten kulturellen Nähe untereinander sowie der Distanz zur Mehrheitsgesellschaft. Doch diese gemeinsame arabische Referenz ist nicht selbstverständlich. So wies zum Beispiel Dalia Abdelhady (2011,

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Beispiele hierfür sind Medien wie zum Beispiel der Fernsehsender Aljazeera oder die jüngsten Solidaritätsbekundungen mit den Aufständen in Tunesien und Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien.

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28) darauf hin, dass sich von ihr interviewte libanesische Migrantinnen und Migranten in Paris nicht mit dem Arabischen identifizierten, sondern sich als libanesisch begriffen.4 Das Arabische ist im Übrigen in den deutschen Medien, insbesondere seit dem 11. September 2001, gegenwärtig sehr präsent und geläufig (Schmidt-Fink 2002). Die Übergänge zwischen den Begriffen »orientalisch« und »arabisch« sind folglich fließend. In den Interviews mit den Imbissbesitzern wurde das Orientalische eher für populärkulturelle Aspekte benutzt. So wurde zum Beispiel von einem »orientalischen Essen« oder einem in den Imbissen verwendeten »orientalischen Stil« berichtet. Als »Orientalen« hingegen bezeichneten sie sich und andere weniger.5 Der Begriff des »Arabischen« hatte hingegen für die Imbissbesitzer sowohl eine populärkulturelle Variante – es wurde von der »arabischen Küche« gesprochen – wurde aber auch auf Personen bezogen. So wiesen sich die Imbissbesitzer selbst oder andere öfters als »Araber« aus.6 Diese arabische Fremd- und Selbstverortung war schließlich für die Formierung der Falafelimbisskultur in Berlin entscheidend, wie sich im Folgenden zeigen wird.

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Dies hat mit dem sozio-kulturellen Hintergrund der libanesischen Migrantinnen und Migranten zu tun. Nach Paris migrierte Libanesinnen und Libanesen gehören meist der Mittelschicht und Oberschicht an und sind zudem oft maronitische Christen. Die maronitischen Christen aus dem Libanon sind äußert frankophil und bekannt dafür, sich eher vom Arabischen abzugrenzen zu wollen. In Berlin bildet sich allein aufgrund der differenten Hintergründe der Libanesinnen und Libanesen, die mehrheitlich einer schiitischen Unterschicht angehören, eine andere Konstellation.

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Hier gab es aber auch Ausnahmen. Vor allem Personen, die sich nicht als arabisch sahen und ihre Identität different verhandelten, benutzten dabei den Begriff des Orientalen. Dazu gehörte zum Beispiel der Besitzer des Phönizier, ein libanesischer maronitischer Christ.

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Ab und an wurde diese Bezeichnung aber auch von mir als Interviewführerin initiiert. Sie war damit Teil von Adressierungspraktiken in Migrationszusammenhängen (Yildiz 2009).

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M IGRANTISCHE U NTERNEHMENSNETZWERKE DIE V ERHANDLUNG DES A RABISCHEN

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UND

Wo man lernt Falafel zuzubereiten Spricht man mit den Imbissbesitzern, so trifft man zunächst auf eine genaue Vorstellung davon, woher ihrer Meinung nach die Falafel kommt. Nach dem Ursprung der Falafel gefragt, nannten neun der 19 Unternehmer Palästina als das Herkunftsland; drei wussten sogar zu berichten, dass die Falafel ursprünglich aus der Hafenstadt Akko stammen würde.7 Heute ist die Falafel laut den Imbissbesitzern weit verbreitet und es gibt sie in Ländern wie Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten bis zum Sudan. Nur in den Maghrebländern würde sie, so der tunesische Besitzer des Salsabil, nicht gegessen. Und auch der aus der Türkei stammende kurdische Geschäftsführer des Meyman (A10) hatte die Falafel erst in Berlin kennengelernt. Alle anderen für diese Arbeit interviewten Besitzer oder Geschäftsführer kannten die Falafel folglich schon aus ihrer Kindheit, die sie im Libanon, in Syrien, im Irak oder Sudan verbrachten, bevor sie nach Berlin kamen. In ihren Herkunftsländern sei die Falafel vorwiegend ein Snack, den man auf der Straße kaufen kann.8 Mir gegenüber propagierten sie die Falafel dabei als typisches regionales Gericht. So sagte der Taebs Bistro-Besitzer über den Libanon: »Falafelimbisse gibt es an jeder Ecke. Es ist wie in Deutschland die Currywurst. Also überall gibt es Falafel« (A17). Und der Imbissbesitzer des Sanabel (A16) erzählte, dass es in seiner Stadt im Süden des Libanons viele Falafelläden gegeben habe. Allerdings scheint die Bedeutung, die die Imbissbesitzer der Falafel in ihrem Herkunftsland beimaßen, etwas überschätzt. Während eines Forschungsaufenthalts in Beirut konnte festgestellt werden, dass die Falafel-Snacks in täglichen Konsumpraktiken keine zentrale Rolle spielten und auch nicht so häufig im Straßenbild vorkamen.

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In Büchern konnte ich die Verbindung der Falafel mit Akka oder Palästina allerdings nicht finden. Peter Heine (2004, 135) bezeichnet Falafel zum Beispiel als »Egyptian fast food« und Yael Raviv (2003, 20) schrieb, dass Falafel ursprünglich von den Kopten in Ägypten zur Fastenzeit erfunden wurde, da es fleischlos war. In Ägypten wird die Falafel heute häufig unter den Namen »Tamiyeh« verkauft.

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Im Libanon gibt es, wie in anderen arabischen Ländern auch, große Unterschiede zwischen den Speisen, die zuhause zubereitet werden, und den Speisen, die auf der Straße oder im Restaurant gegessen werden. Zuhause sind dies häufig eher Eintöpfe, während im Restaurant eher Mezze, die kalten und warmen Vorspeisen, serviert werden. In Imbissen gibt es dann häufig Sandwiches aller Art (Harms/Jäkel 2004, 240ff.).

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Die Imbissbesitzer waren zwar von Kindheit an mit dem Geschmack vertraut, hatten aber die Zubereitung der Falafel wie auch anderer Gerichte erst in Berlin gelernt. Der Besitzer des Nachtigall erzählte: »Falafel machen habe ich hier gelernt. Hier in Berlin. Also ich kann eigentlich Falafel machen. Auch vom Libanon. Aber richtige Falafel habe ich hier gelernt. Mit Rezept und sowas« (A11). Eine Ausnahme gibt es aber. Denn der Besitzer des Baharat, einer der ersten Imbissbetreiber, hatte schon im Irak Falafel verkauft. Auch wenn die Imbissbesitzer mir gegenüber ihre Herkunft als ihr kulturelles Kapital betonten, das sie zum Verkauf der Falafel befähigte, spielten Kenntnisse, die sie in den arabischen Ländern gesammelt hatten, eher eine untergeordnete Rolle. Bedeutsam waren hingegen in Berliner Falafelimbissen entstandene soziale Netzwerke unter arabischen Migrantinnen und Migranten. Oft hatten die Imbissbesitzer zuvor in anderen Imbissen gearbeitet und dort die Zubereitung der Gerichte und das Führen eines Imbisses gelernt. Der Besitzer des Bistro Taebs hatte zum Beispiel lange im Rissani in Kreuzberg und im Habibi in Schöneberg als Angestellter gearbeitet; der Besitzer des Zweistrom jobbte im Dada in Berlin-Mitte. Der Besitzer des Nachtigall war ebenfalls im Habibi angestellt. Und der Besitzer des sudanesischen Imbisses Sahara (A14) war vorher Verkäufer im Nil in Friedrichshain. Und das sind nur einige Beispiele. Es war keine untypische Karriere, sich zunächst in einem Falafelimbiss anstellen zu lassen, bevor man den Schritt in die Selbständigkeit wagte. Die Rekrutierungs- und Bewerbungsverfahren der Angestellten liefen dabei über mehr oder weniger institutionalisierte Bekanntenkreise zwischen arabischen Migrantinnen und Migranten. Angestellte wurden über Mund-zu-Mund-Propaganda in diesen Bekanntenkreisen gefunden. Darüber hinaus gab es auch Verwandtschaftsverhältnisse in den Falafelimbissen. So war der Geschäftsführer des Habibi zum Beispiel der Schwager des Besitzers. Zudem besuchten nicht selten arabische Migrantinnen und Migranten in Berlin die Imbisse, um sich dort als Verkäufer vorzustellen. Durch diese Rekrutierung mischten sich in den Imbissen häufig Verkäuferinnen und Verkäufer mit unterschiedlichen nationalen Hintergründen. So arbeiteten im Habibi zum Beispiel Angestellte aus dem Libanon, dem Irak und Ägypten. Und der tunesische Besitzer des Salsabil hatte einen libanesischen Koch angestellt. Die Ressourcen, die auf einer »Zugehörigkeit zu einer Gruppe« basieren, und die durch mehr oder weniger institutionalisierte Beziehungen aufrechterhalten werden, bezeichnet Pierre Bourdieu (1983, 190f.) als das soziale Kapital, das mit dem kulturellen und dem ökonomischen Kapital zu den drei Grundformen gehört, die das Kapital annehmen kann und die die gesellschaftliche Positionierung bestimmen

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(Bourdieu 1983).9 Gerade in der ethnischen Ökonomie-Forschung wird das soziale Kapital als wichtiger Grund für eine in vielen Städten gut funktionierende Selbständigkeit von Migrantinnen und Migranten wahrgenommen. »Soziale Netzwerke, Vertrauen und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe, basierend auf einer ethnischen Fremd- und Selbstdefinition, sind dann wertvolle Ressourcen« (Kapphan 1997, 122). In Falafelimbissen basiert diese Zugehörigkeit zu einer Gruppe vor allem auf der Sprache und einer gefühlten kulturellen Nähe, die der Imbissbesitzer des Salsabil wie folgt beschrieb: »Ich würde sagen, wir sind alle von der gleichen Sprache. Das ist nur so, dass die Kolonie uns geteilt hat. Aber wir haben eine Sprache. Das heißt, wir sind ein Volk.« Sie ist aber auch institutionalisiert, vor allem was arabische Ökonomien betrifft. Beispiel hiefür ist das seit 1999 veröffentlichte »Dalil Magazin«, eine monatlich erscheinende kostenlose Zeitschrift, die auch »das arabisches Branchenbuch« beinhaltet und damit eine Plattform für arabische Institutionen und Ökonomien in Berlin bildet. Im August 2010 umfasste das Branchenbuch um die 300 Einträge (Dalil 2010, 53ff.). Hier sind Moscheen, arabische Vereine Berlins, Beratungsstellen, arabische Ärzte, Anwälte und Dienstleistungen von Werkstätten über Reisebüros bis hin zu Animateuren, der arabische Einzel- und Großhandel sowie gastronomische Einrichtungen aufgelistet, darunter auch 20 der 94 kartierten Falafelimbisse (Dalil 2010). In der Tat griffen Falafelimbissbesitzer auf arabische Einzelhandelsgeschäfte, Fleischereien oder Bäckereien zurück, um spezifische Zutaten wie arabische Gewürze, pürierte Kichererbsen in Dosen, Maqanek (arabische Würstchen) oder libanesisches Fladenbrot zu beziehen, die sie für die Zubereitung ihrer Speisen benötigten. Schon dadurch waren sie in das migrantische Netzwerk in Berlin eingebunden. Denn sie importierten selbst keine Waren direkt aus dem Libanon, Syrien oder anderen Ländern. Bei allen anderen Zutaten wie Salaten und Gemüse griffen sie hingegen weniger auf arabische Einzelhandelsgeschäfte zurück, sondern gingen in klassische Supermärkte oder zum gastronomischen Großhandel. Laut Bourdieu (1983, 192) ist die rein formale Zugehörigkeit zu einer Gruppe noch nicht ausschlaggebend für die Bildung eines tragfähigen Beziehungsnetzes. Erst durch die gewollte Investition in diese zufälligen Verbindungen entsteht seiner Meinung nach ein tragfähiges soziales Netzwerk. Und diese Investition geschieht nur, wenn man von diesen Verbindungen profitieren kann. Es stellt sich nun die Frage, warum die Imbissbesitzer neben dem Bezug arabischer Lebensmittel, der für ihre Imbisse unabdingbar war, weiter in diese Netzwerke investierten und arabische

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Hinzu kommt noch das symbolische Kapital, das die »Form ist, die eine Kapitalssorte annimmt, wenn sie über Wahrnehmungskategorien erfasst wird, die seine spezifische Logik anerkennen« (Bourdieu/Wacquant 2006, 151).

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Migrantinnen und Migranten in ihren Imbissen anstellten. Dafür wurden zwei Gründe genannt. Ein wichtiger Grund war, dass in einem Arbeitsverhältnis, wie es dem Imbiss entspricht, ein hohes Maß an Vertrauen verlangt wird, wie der Imbissbesitzer des Sanabel bestätigt: »Man braucht gute Leute. Man muss ihnen vertrauen. Weil ich bin auch nicht immer hier« (A16). Vertrauen nannten mehrere Imbissbesitzer als das zentrale Kriterium für die Einstellung. Und dieses Vertrauen wurde durch ein bestehendes soziales Beziehungsnetz von arabischen Migrantinnen und Migranten aufgebaut, das positiv auf einem Solidaritätsgedanken aufbaute, aber gleichzeitig auch eine soziale Kontrollfunktion hatte. Vertrauen wird zudem dadurch gefördert, dass man die gleiche Muttersprache spricht (Waldinger/Aldrich/Ward 1990, 37ff.). In den Imbissen hörte man die meiste Zeit die Angestellten untereinander Arabisch sprechen. Ein anderer Grund lag allerdings in den ethnischen Vermarktungsstrategien. Denn die Imbissbesitzer inszenierten ihren arabischen oder orientalischen Imbiss gegenüber ihren deutschen und europäischen Kundinnen und Kunden auch durch die Anstellung von arabischen Verkäufern. Der Besitzer des Taebs Bistro wusste, dass die Präsenz arabischer Verkäufer für seine Kundinnen und Kunden ein Gütekriterium für die Qualität des Imbisses sei: »Es reicht, wenn er sagt, ich bin Araber« (A17). Er hingegen hatte eine Berufsschule im gastronomischen Bereich besucht. Und auf die Frage, ob er sich auch vorstellen könnte, in seinem arabischen Imbiss einen nicht-arabischstämmigen Verkäufer einzustellen, stellte der Besitzer des Zweistrom mir die Gegenfrage: »Ich weiß nicht, die Frage will ich einfach Dir stellen. Wie findest Du es als Gast?« (A18). Die arabische Herkunft oder vielmehr die mit der arabischen Herkunft verbundenen Imaginationen der Kundinnen und Kunden nutzen die Imbissbesitzer folglich als Ressource. Festzuhalten bleibt, dass sich nicht nur aufgrund der Bekanntenkreise, sondern auch infolge der Erwartungen der überwiegend deutschen und europäischen Kundinnen und Kunden an einen arabischen Imbiss ein soziales Netzwerk zwischen arabischen Migrantinnen und Migranten gebildet hat. So hat sich die Falafelimbisskultur in Berlin zu einer arabischen Imbisskultur geformt. Diese symbolische Formierung hat auch materielle Konsequenzen, was zum Beispiel am Speiseangebot ersichtlich wurde. Denn in dem Speiseangebot von Berlin finden sich Einflüsse aus unterschiedlichen Ländern der arabischen Region. Beispielhaft ist hierfür die Mangosoße. Neben der Sesam-Joghurtsoße und der scharfen Soße hat sich diese Soße in Berlin als fester Bestandteil der Imbisse durchgesetzt. Laut den Imbissbesitzern gebe es diese nicht im Libanon, wo für Falafelsandwiches ausschließlich die Sesamsoße verwendet werde. Dafür wird sie im Irak für die Falafel – anstatt der Sesamsoße – benutzt. In Berlin war es der irakische Besitzer des Baharat, der sie als erster in sein Konzept aufgenommen hat. Die Mangosoße heißt

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auch Ambasoße und besteht aus konzentrierter Mango, Gewürzen und Öl. Dieses Rezept hatte sich dann zum Beispiel der Besitzer des Meyman abgeschaut: »Ich war in Kreuzberg, ich gehe auch gerne essen beim arabischen Laden, da habe ich die Mangosoße ausprobiert. Dann hab ich ihn einfach gefragt, was die Zutaten sein könnten. Er hat mir dann ein oder zwei genannt. Dann hat man am Anfang ausprobiert und so weiter. Dann kam eines Tages halt die jetzige Soße, die auch eine sehr gute Kritik hatte. Ok, dann sagten wir, dabei bleibt es jetzt« (A10).

Und auch der Besitzer des ersten Falafelimbisses Zaaim integrierte die Mangosoße schließlich in seinen Falafelimbiss Ufo. Auf die Frage, ob er das Angebot zwischen den Anfangsjahren und heute geändert habe, sagte er: »Ja, leider. Viele fragen nach der Mangosoße. Und jetzt biete ich auch die Mangosoße an, die wollen das« (A19). Grund hierfür waren folglich wieder die Konsumentenerwartungen. Er selbst, der Falafel ursprünglich aus dem Libanon nur mit Sesamsoße serviert kenne, möge diese aber nicht. Er hat sich folglich den Konsumwünschen gebeugt. Zudem wurde das frittierte Halloumi-Sandwich als Snack erst in Berlin kreiert. Der Halloumi, ein Weichkäse, ist zwar in der arabischen Region zum Frühstück verbreitet, in Berlin war aber erst der Besitzer des Sanabel auf die Idee gekommen, diesen zu frittieren und wie die Falafel im Sandwich anzubieten. Auch dieses Sandwich hat sich fortan in der Falafelimbissgastronomie Berlins verbreitet, gehört mittlerweile zum Standardangebot und zählt für die Konsumentinnen und Konsumenten neben Falafel und Schawarma zu den typischen arabischen oder orientalischen Snacks. Es zeigt sich, dass dieses als typisch arabisch konstruierte Speiseangebot in Berlin das Resultat einer Hybridisierung (Bhabha 1994) oder Kreolisierung (Hannerz 1996, 65ff.) ist, die sowohl mit den unterschiedlichen Herkünften der Imbissbesitzer aus unterschiedlichen Ländern zusammenhängt als auch durch die Geschmacksanforderungen der Konsumentinnen und Konsumenten bedingt ist.10

10 Auf diese Geschmacksvorlieben der Konsumentinnen und Konsumenten, die das hybridisierte Angebot in Falafelimbissen mitprägen, wird in Kapitel 10 noch genauer eingegangen, wenn die Einbettung der Falafelimbisse in die kulinarische Landschaft der Berliner Gentrifizierung beleuchtet wird.

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Grenzziehungen innerhalb der migrantischen Netzwerke Bei genauerem Hinsehen sind die sozialen Beziehungen zwischen den Besitzern und Angestellten in den Falafelimbissen nicht so stark, wie es zunächst scheint. Die meisten der Falafelimbissbesitzer gaben zwar an, andere Falafelimbissbesitzer zu kennen, meinten aber, dass sie – abgesehen von wenigen engeren Freundschaften – nicht sonderlich viel Kontakt untereinander hätten. Der Sanabel-Besitzer bemerkte: »Ja, ich kenne andere. Zum Beispiel ich treffe die auf dem Markt, beim Gemüsekaufen, oder beim Fleisch oder so. Wir unterhalten uns kurz. Weil viele haben auch bei mir gearbeitet, die jetzt einen Falafelladen haben. Aber jeder hat sein Geschäft. Ich versuche auch, wenig Kontakt zu haben, so privat. Also jeder hat sein Geschäft, man hat nicht so viel Zeit« (A16).

Wie das Zitat andeutet, herrscht ein grundlegendes Misstrauen zwischen den Imbissbesitzern. Dies mag vor allem daher rühren, dass viele Ideen und Konzepte voneinander nachgeahmt wurden. Auch aus diesem Grunde mögen sich manche Besitzer bestimmte Fertigungsschritte vorbehalten und Rezepte geheim halten. Unter den Imbissbesitzer ist folglich ein großes Konkurrenzdenken vorhanden. Zudem gibt es innerhalb der Gruppe der arabischen Migrantinnen und Migranten bei einzelnen Besitzern klare Positionierungen und Grenzziehungen, die so auf den ersten Blick nicht erkennbar waren, die sich aber auf die Anstellungspraktiken in einigen Imbissen auswirkten. So würde der Besitzer des Phöniziers in seinem Imbiss nur Christen anstellen, da für diese der Verkauf von Alkohol »nicht so problematisch« wäre (A13). Als libanesischer maronitischer Christ bezeichnete er sich selbst zudem nicht als Araber, sondern er ist der Einzige, der die Klassifikation »Orientale« für sich verwendete. Auch der Imbissbesitzer des Dada vermied, sich als Araber zu beschreiben und äußerte sich kritisch gegenüber in Berlin lebenden muslimischen Migrantinnen und Migranten, die seiner Meinung nach in einem Ghetto leben und sich nicht entwickeln würden (A5). Er definierte sich selbst als säkular. In seinem Imbiss würden daher nur ausgesuchte Personen arbeiten. Beim Netzwerk des Habibi wiederum ist zu vermuten, dass der Besitzer, der – wie mir von mehreren Seiten berichtet wurde – als aktiver Muslim gilt – , bei der Auswahl des Personals religiösen Muslimen näher steht und dass dies sein Geschäftsführer ebenfalls tut – zumindest hob dieser im Interview mit mir seinen muslimische Religiosität hervor (A7). Und der Imbissbesitzer des Sanabel bevorzugte für sein Personal Personen aus seinen weiteren palästinensischen Verwandtschaftsverhältnissen, von denen es in Berlin 300 bis 400 Personen gäbe. Diese internen Grenzziehungen hatte auch Malte Bergmann (2011, 65) über die Netzwerke von arabischen Gewerbetreibenden auf der Sonnenallee in Neukölln festgestellt. Wie ein von ihm interviewter Experte meinte, gäbe es dort »gravierende Heterogenitäten zwischen Glau-

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bensgruppen (Sunniten, Schiiten), nationalen Herkünften und politischen Meinungen« (ebd.). Auch bei den Falafelimbissbesitzern sollte nicht von einer homogenen Gruppe ausgegangen werden. Besonders deutlich wird dies bei den Falafelimbissbesitzern, die sich selbst nicht als arabisch begreifen. Die Imbissbesitzer mit sudanesisch-afrikanischer Herkunft stellten fast ausschließlich sudanesische Migranten in ihren Imbissen an. Auch wenn sie untereinander arabisch sprachen, grenzten sie sich scharf von einer arabischen Identität ab. So sagte der Besitzer des Sahara, dass er sich selbst nicht als Orientale begreife. Er habe auch kaum Kontakt zu arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin, da er sich von diesen nicht akzeptiert fühlen würde: »Die passen nicht zu uns. Ich glaube auch nicht, dass ein Türke oder ein Araber akzeptiert, dass ich ein Chef bin oder so« (A14). Ein anderer deutsch-sudanesischer Angestellter verwendete negative Stereotype über arabische Unternehmer in Berlin. Die deutsch-sudanesischen Imbissbesitzer, die ich traf, fühlten sich stattdessen eher anderen schwarzafrikanischen Migrantinnen und Migranten in Berlin nahe. Dieses Image inszenierten sie im Übrigen auch dementsprechend in ihren Imbissen, was ein Grund dafür ist, weshalb sie eine Sonderform in der Berliner Falafelimbisskultur bilden (siehe Textkasten).

Sudanesische Imbisse – Sonderform der Berliner Falafelimbisskultur Auch wenn die sudanesischen Imbisse in Berlin ebenfalls ihr Angebot um die Falafel zentrieren, unterscheiden sie sich von den anderen Falafelimbissen. Das betrifft zunächst das Angebot. Zwar gibt es mit der Falafel (auch »Tamiyeh« genannt) und dem Halloumi das übliche Angebot, die Servierform ist aber different: Statt mit Sesamsoße, Mangosoße und/oder Hummus werden die Sandwiches oder Teller mit einer Erdnusssoße und einer Auberginenpaste garniert. Darüber hinaus finden sich mit gegrillten Hähnchenfilets oder gebratenem Tofu zusätzlich noch andere Gerichte, die sonst in Falafelimbissen nicht auf der Speisekarte stehen. Zudem wählen die Besitzer keine orientalisch konnotierte, sondern eine afrikanisch konnotierte Präsentation. So sind die Imbisse zum Beispiel des Öfteren mit Holzschmuck dekoriert oder es werden Trommeln als Deko-Elemente verwendet. Diese afrikanische Konnotation ist zum einen mit ihrer identitären Abgrenzung gegenüber dem Arabischen begründet, die sicherlich auch auf die politischen Konflikte im Sudan zurückzuführen ist. Die für diese Arbeit interviewten Besitzer des Sahara und des Nil hatten zum Beispiel einen schwarzafrikanischen Hintergrund. Der Imbissbesitzer des Sahara in Neukölln sieht sich sogar als Re-

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präsentant einer »afrikanischen Community« in Berlin, deren Image er verbessern wolle: »Und ich glaube, es gibt der afrikanischen Community die Chance, ein bisschen besser zu werden. Alle denken, Afrikaner können nur Drogen verkaufen. Obwohl es auch viele andere Nationalitäten gibt, die Drogen verkaufen« (A14). Er wusste aber auch, dass er sich damit von anderen Falafelimbissen distinguieren konnte: »Es gibt viele Orientalische hier. Und es gibt viele Deutsche, die wollen immer was mit Afrika zu tun haben« (A14). Die Entscheidung für eine afrikanische Präsentation war folglich auch eine Marketingstrategie, indem er das vermeintlich positiv besetzte, exotisierte Bild über die afrikanische Kultur, das unter seinen potenziellen Kundinnen und Kunden in Gentrifizierungsvierteln in Berlin vorherrschte, als kulturelles Kapital einsetzte. In der Tat nehmen die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten die sudanesischen Imbisse als besonders und exotisch wahr. Das liegt allerdings auch an ihrer Seltenheit. Während der Erhebung 2010 gab es sechs sudanesisch konnotierte Imbisse, davon drei in Friedrichshain, zwei in Kreuzberg und einen in Neukölln. Besonders bekannt davon ist die Nil-Imbisskette, die 2010 zwei Filialen betrieb, mittlerweile aber noch eine dritte eröffnet hat.

Ähnlich Abgrenzungen fanden sich auch im Gespräch mit dem türkisch-kurdischen Geschäftsführer des Meyman wieder, der den Falafelimbiss in Friedrichshain führt. Zwar habe sein Vorgänger das Falafelmachen von einem Libanesen gelernt, er selbst stelle aber nur kurdische und türkische Migranten ein: »Für einen Deutschen ist das vielleicht kein großer Unterschied, ob einer ein Araber oder ein Türke ist. Aber bei uns ist es das schon. (Lacht.) Da gibt es große Unterschiede. Von der Mentalität her. Von der Kultur her« (A10). Die Imbissbesitzer können sich folglich sehr unterschiedlich zu der weitgehend arabisch formierten Imbisskultur in Berlin positionieren. Wie die Beispiele zeigen, gibt es auch innerhalb dieser Imbisskultur starke Grenzziehungen und Koalitionen, die sich im Übrigen auch an versteckten Hinweisen in der Präsentation oder der Beschreibung der Imbisse wiederfinden lassen. So vermieden sowohl der Besitzer des Dada als auch der des Phönizier das Wort »arabisch«, ersterer nannte sein Essen stattdessen »orientalisch« und der sich auf die maronitischen Christen beziehende Besitzer des Phönizier verstand sich als »libanesisch«. Malte Bergmann, der die Gewerbetreibenden auf der Sonnenallee in Neukölln untersucht hatte, mahnte deshalb aus der Sicht eines deutschen Konsumenten an, »dass die während der Begegnung zunächst entstehenden Gefühle der eigenen Fremdheit keinesfalls dazu führen sollten, eine generalisierte Gruppe von »Fremden« abzuleiten« (2011, 47). Genau dies geschah aber weitgehend bei den interviewten Kundinnen und Kunden.

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G EOGRAPHISCHE I MAGINATIONEN DER K ONSUMENTINNEN UND K ONSUMENTEN Beim Großteil der für diese Arbeit interviewten 15 Konsumentinnen und Konsumenten herrschte über die geographische Herkunft der Falafel Konfusion. Die Interviewpartnerinnen und -partner, die größtenteils in Falafelimbissen angetroffen wurden und die öfters dort aßen, kamen alle aus Europa, die meisten von ihnen aus Deutschland, waren zwischen 19 und 42 Jahre alt und hatten studiert oder befanden sich gerade im Studium. Bis auf zwei Ausnahmen kannten sie die arabische Region nur aus den Medien und durch die populäre Kultur in Deutschland. Abgesehen von kurzen Aufenthalten in Tunesien oder Marokko waren sie noch nie in der arabischen Region und hatten auch keine Freunde mit arabischem Hintergrund im Bekanntenkreis. Wenn ich sie danach fragte, woher die Falafel komme, nannten sie etwas wahllos Länder wie Libanon, Ägypten, Marokko oder Tunesien. Häufiger als Angaben zu Herkunftsländern identifizierten die Interviewpartnerinnen und -partner die Falafel aber als arabisch und manchmal als orientalisch. Sie übernahmen folglich die Assoziationen, die sich vorrangig auf den Werbeschildern und Speisekarten in Berliner Falafelimbissen fanden. Bei genauerer Nachfrage fühlten sie sich etwas ertappt, da sie nur eine sehr vage Vorstellung von der arabischen Region hatten. Der 24-jährige aus der Schweiz stammende Ben zum Beispiel antwortete auf die Frage nach seinen Vorstellungen über die Herkunft der Speisen: »Das ist eine gute Frage. Die habe ich mir auch schon gestellt. Araber ist ja eigentlich doof, das ist ja ein Riesengebiet und könnte ja viele Länder betreffen. Da habe ich natürlich irgendwie so ein schwammiges Arabien im Nahen Osten im Kopf. Kann dann auch alles sein. Also von Saudi-Arabien bis in den Libanon. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht wirklich, woher das kommt« (K4).

Und Monika überlegte: »Ist das überhaupt richtig, wenn ich sage: Araber? Ich meine, ich habe ja keine Ahnung. Ich rede ja viel ohne Wissen« (K14). Für Marion wiederum war die arabische Region »überhaupt so eine undefinierte Gegend« (K12). Nur zwei der Interviewpartner hatten eine genauere Vorstellung, da sie einen persönlichen Bezug zur arabischen Region hatten. Zunächst war dies Thorsten, der Arabistik studiert hatte. Als ich ihn nach der Herkunft der Falafel fragte, verortete er sie folgendermaßen: »Libanon, Irak auch ein bisschen. Palästina. Im Arabischen heißt das, glaube ich, Al Sham. Also das ganze Gebiet zwischen Irak und Syrien« (K18). Er selbst war neben Syrien auch schon im Libanon, Jordanien und in Ägyp-

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ten und hatte dort ab und an Falafel gegessen. Die Frage nach der Herkunft der Falafel macht er folglich an seinen eigenen Erfahrungen vor Ort fest. Auch die in Ost-Berlin aufgewachsene Stephanie, 31 Jahre, war schon früh mit der arabischen Küche in Berührung gekommen. Ihr Vater hatte in Ost-Berlin Arabistik studiert und war mit arabischen Migrantinnen und Migranten in der DDR befreundet. »Meine Eltern haben mich auch viel an die Uni mitgenommen. Und dort hat es auch in früher Kindheit angefangen, dass wir, was für DDR-Bürger relativ untypisch war, würde ich jetzt mal behaupten, auch aus Erfahrungswerten mit den Leuten, viel arabisch essen waren. Weil die Studenten, ihm, dem Mitkommilitonen das damals beigebracht haben« (K17).

Durch ihren Vater, der nach der Wende gerne in die zunächst in West-Berlin präsenten Falafelimbisse ging, kannte sie mehrere Imbissbesitzer persönlich. Und so wusste sie zu berichten, dass es oftmals Libanesen, Palästinenser oder Iraker waren, die Falafel in Berlin anbieten würden. Genauso wie ihr Vater war sie in der arabischen Region – bis auf einen kurzen Tunesienaufenthalt – allerdings nie gewesen. Abgesehen von diesen beiden Fällen war das Bild, das die Konsumentinnen und Konsumenten mit der geographischen Herkunft der Falafel verbanden, eher diffus. Vielen war die Karte der arabischen Region – trotz der hohen Medienpräsenz dieser Region – wenig geläufig. Es stellt sich deswegen die Frage, woran die Kundinnen und Kunden die geographische Zuordnung der Imbisse überhaupt festmachten. Denn auch wenn sie die geographischen Begriffe verwendeten, die sich auch auf den Hinweisschildern oder Speisekarten finden, waren diese nur zum Teil Auslöser für die Zuordnung. Auf meine Nachfrage, woran sie die Herkunft erkennen würden, wurden diese eher selten genannt. Erst im Verlauf der Interviews, als ich ihnen verschiedene Fotos von Imbissen in Berlin zeigte und schon die Frage der Herkunft gestellt hatte, achteten die Interviewpartner auf diese Hinweise auf den Werbeschildern der Imbisse. Im Bezug auf die von mir vorgelegten Fotos von verschiedenen Imbissen in Berlin hörte ich Kommentare wie: »Aber hier steht: Libanesische Spezialitäten. Spannend« (Ben, K4). Oder: »Sudanesischer Imbiss. Da haben wir schon wieder ein weiteres Land. Der Sudan« (Annika, K2). Hingegen waren es zwei Anhaltspunkte, die die Kundinnen und Kunden ohne engeren Bezug zur arabischen Region zu ihren Aussagen, Falafel sei arabisch oder orientalisch, verleiteten.11 Als erster Anhaltspunkt diente die Gestaltung des La-

11 Zumindest sind das die Gründe, die sie selbst nennen; also die Gründe, über die sie sich während der Interviewsituation bewusst waren.

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dens. Hier wurden vor allem arabische Buchstaben oder Schriftzüge genannt, die sich häufig in den Imbissen finden. Auch der Name des Imbisses oder der Name von bestimmten Speisen ließ eine gewisse Zuordnung zu, da diese für sie arabisch klangen. Die konkreten Bedeutungen hingegen waren den Interviewpartnerinnen und -partnern meist weniger geläufig. Überhaupt hatten sie häufig Schwierigkeiten, sich die Namen der Imbisse zu merken. Ausnahmen waren hier einfach zu merkende Namen wie »Ali Baba« oder »Habibi«. Versteckte Botschaften, die sich in der Benennung anderer Imbisse fanden, nahmen sie hingegen eher selten wahr. Dass sich der Name »Zweistrom« auf das Zweistromland bezieht, wurde Michael (K13) erst im Verlauf des Gesprächs klar, als ich ihm erzählte, dass der Besitzer aus dem Irak komme. Und das, obwohl er den Imbiss häufig besuchte. Neben den Schriftzeichen und den Namen waren es die Einrichtungsgegenstände und die damit einhergehende Atmosphäre, die eine Verortung der Imbisse ermöglichte. Florian hatte zum Beispiel im Imbiss Maroush in Kreuzberg bestimmte Einrichtungsaspekte bemerkt: »Also im Maroush hängt zum Beispiel eine Karte vom Libanon, soweit ich weiß. Sonst hast Du oft Dinge, so Ansichtskarten, beziehungsweise Erinnerungsstücke, die dann irgendwie darauf schließen lassen, dass sie da herkommen« (K7). Der in Prenzlauer Berg wohnende Anton wiederum sagte zu den Anhaltspunkten seiner Verortung: »Oder über die Musik. Da habe ich nachgefragt, woher die Musik kommt. Und dann haben sie gesagt, Ägypten oder so. Und die Bilder. Wenn da bestimmte Gebäude drauf sind, oder Wüste. Die Wüste ist ja die Sahara. [...] Es gibt Fotos und Malereien. Ja wenn man so diese Tempel oder diese Gebäude mit diesen runden, runden Dächern sieht, die so ein bisschen wie eine Moschee aussehen. So wie man es aus dem Iran kennt. So mit den großen Portalen und so. Also würde ich es mal in der Ecke verorten« (K3).

Die Einrichtungsgegenstände spielten folglich für die geographische Verortung der Falafelimbisskultur eine bedeutsame Rolle. Zum anderen wurde die Herkunft der Imbisse an den Personen festgemacht, die vor Ort arbeiten. Die Konsumentinnen und Konsumenten kamen, so erzählten sie mir, öfters mit den Verkäufern ins Gespräch. Daher wusste Michael zu berichten, dass der Besitzer von Mo’s Imbiss in Kreuzberg aus Syrien kam, denn das hatte er ihm einmal erzählt. Anton hat in Imbissen mit Angestellten gesprochen, die aus dem Libanon, aus Ägypten oder dem Jemen kamen. Und Patricia wusste, dass im Habibi-Imbiss am Winterfeldtplatz ein Ägypter arbeiten würde, mit dem sie sich häufiger unterhielt. Zudem achtete Monika auf die Sprache, die die Verkäufer untereinander sprechen, wenn sie in Imbisse ging: »Ja, also ich glaube, die Sprache ist das Ausschlaggebende, wenn die miteinander Arabisch reden« (K14). Und auch Ben meinte die Sprache erkennen zu können, gerade in Abgrenzung zu den türkischen Imbissen: »Und ich glaube schon einen Unterschied machen zu können zwi-

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schen Arabisch und Türkisch, auch wenn ich keine der beiden Sprachen spreche« (K4). Diese beiden Anhaltspunkte, die Gestaltung des Imbisses sowie die angetroffenen Angestellten vor Ort, waren folglich zwei wichtige Kriterien, an denen die Konsumentinnen und Konsumenten die Herkunft der ihnen präsentierten Speisen festmachten und die damit ihre »geographischen Imaginationen« (vgl. Gregory 1994), ihre im Kopf vorherrschenden Vorstellungsbilder über das Arabische, prägten.12 Dass die Konsumentinnen und Konsumenten diesen Herkunftskonnotationen – trotz der vagen Vorstellungen, die sie haben – eine wichtige Bedeutung beimessen, wird im Folgenden gezeigt. Dafür wird ein Imbiss betrachtet, der in den Augen der hier zitierten Konsumentinnen und Konsumenten als un-arabisch und damit als nicht-authentisch gilt, und der in der Folge von den interviewten Konsumentinnen und Konsumenten als schlecht bewertet wird. Zumindest meinten sie das, nachdem sie ein Foto von diesem Imbiss gesehen hatten. Sie bezogen sich in ihrer Bewertung dabei sowohl auf die Gestaltung als auch auf die Herkunft der Betreiber.

W ARUM DIE H ERKUNFT WICHTIG IST – K ULINARISCHE G EOGRAPHIEN UND A UTHENTIZITÄTSKONSTRUKTIONEN Ali-Baba – der un-arabische Imbiss Der Imbiss Ali Baba befindet sich seit 2000 im Prenzlauer Berg unweit der U-Bahn-Station Eberswalder Straße. Obwohl er an prominenter Stelle positioniert ist, kannten die meisten der Konsumentinnen und Konsumenten, die ich interviewte, diesen Imbiss nicht – bis auf zwei Ausnahmen: Die in Neukölln lebende Kristin (K8) wusste zu berichten, dass es dort guten »Börek« geben würde, es aber lange her sei, dass sie dort etwas gegessen habe. Und der im Prenzlauer Berg wohnende Anton (K3) erzählte, dass er ab und an in diesen Imbiss gehen würde. Er befand das Fleisch dort von hoher Qualität, da es sehr mager wäre. Von Personen, die diesen Imbiss besuchten, wurde das Essen folglich als qualitativ hochwertig und gut befunden und es wurde nichts daran kritisiert. Das sei hier nochmals ausdrücklich betont.

12 Der Begriff baut auf Edward Saids Buch »Orientalismus« (2003) auf. Dort sprach er von »imaginativen Geographien« (ebd., 46ff.) in Bezug auf die Konstruktionen des Orients. »Geographische Imaginationen« kehren die Perspektive um und stellen die Akteure ins Zentrum, die diese Vorstellungsbilder von bestimmten Regionen im Kopf haben.

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Abbildung 5: Foto des Ali Baba-Imbisses

Quelle. Eigene Aufnahme 2009

Ganz anders waren die Kommentare der von mir interviewten 19- bis 42-jährigen Falafel-Konsumentinnen und -Konsumenten deutscher oder europäischer Herkunft, die diesen Imbiss nicht kannten und denen ich ein Foto von diesem Imbiss von außen zeigte (siehe Abbildung 5). Fast alle entschieden sofort, dass sie niemals hineingehen würden. Neben der später zu diskutierenden Gestaltung (Kapitel 5), die ihnen hier missfiel, was offenkundig auch mit der Baustelle zutun hatte, lag ihre Ablehnung vor allem an dem breit gefächerten Angebot an Speisen, für das von außen geworben wird. Wie auf dem Foto ersichtlich, werden in dem Imbiss »Frische Falafel«, »Chicken Schawarma«, »Dürüm« und »Holzsteinofen Pizza« angeboten. Die einhellige Meinung der Konsumentinnen und Konsumenten war, dass dieses Angebot zu weit gefasst sei. So sagte Florian zum Beispiel: »Ich habe immer Probleme mit einem Laden, der mehrere Sachen auf einmal anbietet. Ich sehe Dürümdöner, ich sehe Pizzeria, ich sehe Falafel« (K7). Und auch Monika stellte fest: »Und es gibt ja anscheinend wieder alles: Falafel oder Pizza. [...] Ich stelle mir das nur so vor. Wenn es irgendwo alles gibt, denke ich immer, dass das wahrscheinlich alles sehr einheitlich ist« (K14). Generell mag der Einwand, ein Laden würde zu viel anbieten, berechtigte Zweifel an der Qualität und Güte der einzelnen Speisen zulassen. Dabei stellt sich aber die Frage, welches Sortiment noch als zueinander passend empfunden wird und welche verschiedenen Speisen wiederum als unvereinbar gelten. Denn bei anderen Falafelläden, die auf ihren Speisekarten so unterschiedliche Dinge wie Falafel, Schawarma, Halloumi und Maqanek

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schiedliche Dinge wie Falafel, Schawarma, Halloumi und Maqanek (Würstchen) führten und dazu zum Teil noch Couscousgerichte servierten, störte die Konsumentinnen und Konsumenten die breite Auswahl der Gerichte nicht. Dem widersprach übrigens der Imbissbesitzer des Baharat, der sich in seinem Imbiss nur auf Falafel konzentrierte und das Sortiment der meisten anderen arabischen Imbisse nicht für stimmig befand: »Andere Geschäftsleute, die machen alles. Fleisch, Wurst, Hauptsache Halloumi, Hauptsache Geschäfte machen. Aber bei uns, wir machen nur Falafel. Wir haben ein Konzept, und das Konzept heißt Falafel. Und das heißt BaharatFalafel, und das gibt es nur hier« (A3). Folglich ist es immer eine Auffassungssache, eine Konstruktion, welches Sortiment als passend wahrgenommen wird. Auf die Frage, warum bei Ali Baba die Gerichte Dürüm, Chicken Schawarma und Halloumi nicht zusammenpassen würden, gab Michael folgende Antwort: »Was mir ansonsten auffällt, also ich kenne diesen Laden nicht. Dass der lustigerweise so ein Sprachenkuddelmuddel hat. Also da geht es durcheinander. »Chicken-Schawarma«. Da haben wir deutsch, arabisch und englisch drin. Und dann halt noch »Dürüm«, was darauf hinweist, dass er auch türkisch und nicht nur Falafel anbietet. Aber dann auch noch Holzsteinofenpizza, das ist auch noch so ein bisschen italienisch. Pizzeria steht da. Das ist zusammengewürfelt und von allem ein bisschen. Ich halte auch nichts von dem Asiaten, wo es irgendwie vietnamesisch, dann japanisch – Sushi – und dann noch China-Peking-Ente gibt. Das mag ich genauso wenig. Also das ist halt nicht so original. Also es kann natürlich sein, dass das toll ist, das Schawarma. Aber der setzt irgendwie auf zu viele Pferde und da ist wahrscheinlich das einzelne Pferd nicht so toll« ( K13).

Falafel, Dürüm und Pizza passten seiner Meinung nach deshalb nicht zusammen, weil er sie unterschiedlichen (kulinarischen) Kulturen zuordnete. Wie kein anderes kulturelles und alltägliches Gut ist das Essen eng an eine bestimmte Konstruktion von nationalen oder regionalen Kulturen geknüpft. Essen dient geradezu als Marker für verschiedene nationale und regionale kulturelle Identitäten (vgl. James 2006, 78f.). Auch wenn die als unterschiedlich wahrgenommenen kulinarischen Kulturen ständig neu verhandelt werden und sich durch globale Einflüsse verändern – als Beispiel sei hier nur die Currywurst genannt, die trotz der einst als exotisch wahrgenommenen Curry-Gewürzmischung heute als typisch deutsch gilt – so wird eine bestimmte, als räumlich distinktiv betrachtete Küche doch als stabil und gut von anderen Küchen abgrenzbar wahrgenommen (ebd.). Das spiegelt sich auch im alltäglichen Sprachgebrauch über das gastronomische Angebot in Berlin wieder. Stephanie sagte zum Beispiel, dass ihrer Meinung nach die Pizza »nichts mit dem Orient zu tun hat« (K19).

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Kulinarische Geographien als erfundene Traditionen Bei Aussagen wie diesen wird vergessen, dass regionale und nationale Küchen »erfundene Traditionen« sind, die nicht so sehr Ausgeburt historisch nachverfolgbarer geographischer Unterschiede sind, sondern vielmehr auch heute noch ausgehandelt werden (Cook/Crang 1996, 139).13 »The differentiation of foods through their geographies is an active intervention in their cultural geographies rather than the passive recording of absolute geographical differences« (ebd., 140). Die Ausbildung und Propagierung einer nationalen Küche steht dabei in enger Wechselwirkung mit der Ausbildung und auch der aktuellen Verhandlung von nationalen Identitäten, die erst im modernen Zeitalter entstanden sind (vgl. Murcott 2004, 28ff.). So sind auch die harschen Grenzen, die zwischen vermeintlich unvereinbaren nationalen und regionalen Küchen gezogen werden, sozial konstruiert. Nebenbei bemerkt gibt es hinsichtlich der scheinbaren Unvereinbarkeit von Pizza mit Falafel und dem Dürüm auch eine andere mögliche Auslegung. Von Anderson (2005, 187f.) wurden viele der historischen Ursprünge und Einflüsse der erst relativ jungen »italienischen« Küche im Nahen und Mittleren Osten verortet. Auch heute gibt es im Nahen Osten und in der Türkei Gerichte, die der Pizza ähnlich sind. Im Libanon ist das zum Beispiel Manaqish, ein mit einer Thymian-SesamMischung, Käse oder Fleisch belegter, im Ofen gebackener runder Teigfladen. Und in der türkischen Küche findet sich das Äquivalent unter dem weitverbreiteten Namen Lahmacun, ein mit einer Hackfleisch-Tomaten-Mischung belegter gebackener Fladen, der in Berlin häufig den Beinamen »türkische Pizza« trägt. In dieser alternativen Auslegung ist die italienische Pizza folglich eng mit diesen anderen kulinarischen Kulturen verknüpft.14 Aber diese Sichtweise, die hier aufgezählte Speisen als verwandt und damit das Sortiment als in sich konsistent betrachtet, findet sich bei den hier interviewten Konsumentinnen und Konsumenten nicht wieder. Für sie sind diese Gerichte originär sehr unterschiedlich verortet. Insbesondere zwischen dem Italienischen und dem Türkischen bzw. Arabischen wird eine sehr klare Grenze gezogen.15 Mit der Bandbreite, die in anderen Falafelimbissen angeboten wird,

13 Der hier übersetzte Begriff der »invented traditions« geht auf das Konzept von Eric Hobsbawn und Terece Ranger (2003) zurück. 14 Darauf bezog sich im Übrigen auch der Falafel-Großhändler und ehemalige Besitzer des Al Salam, der meinte: »Und Pita, das heißt Pizza. Haben nur die Italiener das ›s‹ gemacht. Wir haben das gemacht. Das kam alles von uns. Die hatten nichts« (A6). 15 Wie schon eingangs erläutert, findet hingegen die Vorstellung einer gemeinsamen »mediterranen Kultur« kaum Anklang in Berlin, obwohl diese sonst in den Ländern um das Mittelmeer herum weit verbreitet ist.

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haben die Konsumentinnen und Konsumenten hingegen weniger Probleme, weil ihrer Meinung nach das Sortiment originär »arabisch« ist, also eine bestimmte regionale kulinarische Kultur vertrete. Die starren Vorstellungen von einer kulinarischen Geographie, das heißt die enge Verzahnung zwischen geographischem Raum und kulinarischer Kultur, führt so weit, dass man Personen, die nicht aus einem bestimmten geographischen Raum stammen, die Zubereitung einer bestimmten für diese Region als typisch identifizierten Speise weniger zutrauen würde. Denn auch das wäre ein Problem des Ali Baba, meinte zumindest Annika: »Vielleicht ist es auch einfach so eine Truppe von zwei, drei türkischen netten Herren, die einfach Essen verschiedenster Länder und Sachen kochen. Und das muss jetzt nicht negativ sein, aber ich schätze mal, dass die Steinofenpizza beim Italiener leckerer schmeckt und die Falafel vielleicht beim Araber besser wäre. Das würde ich so interpretieren« (K2).

Und auch Stefanie merkte kritisch an, dass sie es albern finden würde, »wenn ein Araber oder ein Türke eine Pizzeria machen« (K17). Spätestens hier wird deutlich, welch starre Vorstellungen von Kultur, Kulturraum und der dazugehörenden Personen und Speisen hinter diesen Aussagen liegen. Diese Vorstellungen wiederum ermöglichen es, den arabisch konnotierten Imbissen eine Originalität und damit eine Authentizität zu- oder im Falle des Ali Baba abzusprechen. Im heutigen Sprachgebrauch rekurriert das Konzept der Authentizität darauf, dass etwas echt ist, dass es ursprünglich ist, dass es einzigartig ist oder dass es (mit dem Original) identisch ist (vgl. Amrein 2009, 9). In Bezug auf den Konsum ethnischer Kulturen geht es dabei häufig um die Vorstellung, eine originale, traditionelle Kultur und deren Güter und Praktiken zu konsumieren (Wang 1999, 350). Diese Vorstellungen hängen wiederum mit bestimmten geographischen Räumen zusammen, in denen diese Kultur fixiert wird, und damit auch die Personen, die als Teil dieser Kultur aufgefasst werden. Authentizitätskonstruktionen spielen für den Konsum in Falafelimbissen als Gütekriterium eine bedeutsame Rolle. Das zeigen die Bewertungen des Fotos vom Imbiss Ali Baba. Ohne dass sie den Imbiss kannten, lehnten ihn die von mir interviewten Konsumentinnen und Konsumenten schon aufgrund seines Mix an kulinarischen Geographien ab, die in ihren Augen als unvereinbar galten. Sie würden diesen Falafelimbiss folglich nicht betreten, da er nicht rein arabisch war und damit un-authentisch. Es gibt kein objektives Gütesiegel für Authentizität. Was als authentisch gilt, hängt vielmehr mit den Erwartungen des Betrachters zusammen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Vorstellungen über die geographische Herkunft der Imbisskultur, auf der diese Erwartungen basieren, eigentlich eher vage sind. Gerade dieses vage Bild bietet dann wiederum Möglichkeiten für zahlreiche Phantasien und Vorstellungen,

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die mit dieser Region verbunden werden. Ian Cook und Phil Crang (1996, 135f.) sprachen in Bezug auf die Unwissenheit über die Herkunft der Güter von einem doppelten Güterfetischismus. Denn nicht nur wissen die Konsumentinnen und Konsumenten praktisch nichts Genaues über die Herkunft und die Biographien der Güter und der Personen, die diese verkaufen, sondern sie füllen diese Lücke auch mit ihren kulturellen Imaginationen auf. Diese Vorstellungsbilder, die Edward Said »imaginative Geographien« (2003, 46) nannte, werden im Folgenden analysiert, wenn die Raumgestaltung der Imbisse in den Blick genommen wird. Es wird sich dabei zeigen, dass diese imaginativen Geographien Spiegelbilder des Habitus’ der Konsumentinnen und Konsumenten in Gentrifizierungsvierteln sind, in dem die Vorliebe für Authentisches einen zentralen Platz einnimmt.

5 Der Berliner Orient: Das Interieur als Spiegel der Aufwertung Ich habe Falafelläden gesehen, die hässlich und langweilig aussahen, mit weißen Kacheln und gefließtem Boden, wo einfach nur spartanisch ein paar Holzbänke oder Tische aufgestellt waren. Oder so ein langweiliger Hocker. Und es gibt auch Imbisse, die sind urgemütlich, mit Sitzkissen und Teppichen und Tüchern an der Wand, sodass man am liebsten dort für den Rest des Abends rumhängen würde. ANNIKA (K2, 2009) Ich mag eben nicht diese Gentrifizierungskneipen. Mit diesen hippen Prenzlauer-Berg-Restaurants kann ich nicht viel anfangen. Dann eher bodenständig, wie es so schön heißt, und eher traditionell. Auch bei arabischen Imbissen mag ich halt diejenigen, bei denen das Flair traditionell ist. FLORIAN (K7, 2009)

Wie die beiden Ausschnitte aus den Konsumenteninterviews zeigen, gibt es in Berlin unterschiedliche Gestaltungsformen, mit denen sich Falafelimbisse gegenüber ihren Kundinnen und Kunden präsentieren. Im ersten Moment mögen die Aussagen von Florian und Annika im Widerspruch zueinander stehen. Denn während Florian eine Vorliebe für einen bodenständigen traditionellen Stil erkennen ließ, bevorzugte Annika gerade die Imbisse, die aufwändig dekoriert waren. Doch wie sich im weiteren Verlauf der Interviews herausstellte, meinten sie die gleiche Art von Einrichtung. Was Florian als traditionell empfand, waren genau die von Annika beschriebenen Sitzkissen und Teppiche, die ihrer Meinung nach eine »urgemütliche« Atmosphäre schufen.

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Diese von beiden bevorzugten Dekorationsformen referieren hier offensichtlich auf eine bestimmte Form des »ästhetischen Orientalismus« (Färber 2011, 53), der in gegenwärtigen globalisierten urbanen Konsumlandschaften weitverbreitet ist. Wie Florians Zitat deutlich macht, haben diese Orientinszenierungen aber auch einen lokalen Bezug, denn die von ihm bevorzugten »traditionellen« arabischen Imbisse setzte er zu den Aufwertungsprozessen Berlins in Relation. Zwischen den Orientbildern und Konsumkulturen der Berliner Gentrifizierung scheint es folglich einen Zusammenhang zu geben. Diesem Zusammenhang soll im Folgenden nachgegangen werden, wenn ich die Raumgestaltung der Falafelimbisse und deren Perzeption in den Blick nehme. Dafür werden zunächst die Erwartungen der für diese Arbeit interviewten Konsumentinnen und Konsumenten beleuchtet. Die Interviewten sind – wie oben schon beschrieben – grob verallgemeinert der Gruppe »weiß, jung und gebildet« zuzuordnen und gehören damit zur typischen Zielgruppe für Falafelimbisse in Berlin. Ihre Erwartungen werden anhand von vier Imbissen – dem Nachtigall-Imbiss, dem Phönizier, dem Rissani und dem Zweistrom – diskutiert, die als Idealtypen in der Falafelimbisskultur gelten können. Diese Idealtypen ergeben sich aus den Aussagen der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten zu den fotografischen Aufnahmen, die ihnen während der Interviews gezeigt wurden.1 Die Aufnahmen bilden vorinterpretierte und bewusst ausgewählte Ausschnitte der Imbisse ab. Die Bewertung der Fotos unterschied sich zum Teil – so zeigte sich auch im Verlauf der Gespräche – von den Wahrnehmungen derjenigen, die den jeweiligen Imbiss von wiederholten Besuchen kannten. Folglich sind die Idealtypen weniger auf die Imbisse selbst, als vielmehr auf Assoziationen und Imaginationen ausgelöst durch die Aufnahmen zurückzuführen. Als ikonografische Werkzeuge eigneten sich die Fotos dennoch, um herauszufinden, welche Präsentationsformen von Falafelimbissen die Konsumentinnen und Konsumenten in Berlin präferierten, welche als besonders typisch galten und aus welchen Gründen dies so war. Wie sich in der Diskussion dieser Bewertungen zeigen wird, verweisen die sich in den Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten wiederfindenden Orientbilder nicht nur auf eine Reproduktion des von Edward Said (2003) beschriebe-

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Insgesamt wurden den Interviewten während des Gesprächs Aufnahmen von neun verschiedenen Falafelimbissen (in der folgenden Reihenfolge: Nachtigall, Zweistrom, Rissani, Ali-Baba, Tigris, Phönizier, Dada, Nil, Habibi) gezeigt; teils von außen, teils von innen. Die vier ausgewählten Imbisse (Nachtigall, Zweistrom, Rissani, Phönizier) eignen sich zur Analyse besonders gut, da sie von den Interviewten konträr zueinander verortet werden. Sie decken damit die wahrgenommene Bandbreite der Falafelimbisskultur in Berlin ab und spiegeln auch die Einordnung von anderen Falafelimbissen in Berlin wider.

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nen Orientalismus, sondern sie sind auch Ausdruck des Geschmacks der neuen Mittelschicht, der sich in einer Suche nach Authentizität ausdrückt. Der Konsum in Falafelimbissen dient damit auch immer als Distinktionsvehikel gegenüber anderen sozialen Gruppen. Im Anschluss wird dann beleuchtet, wie die Anbieter mit den Erwartungen an eine orientalische Präsentationsform umgehen. Der Orient bildet dabei sowohl ein Archiv, auf das zurückgegriffen wird als auch ein Repertoire für die Selbstdarstellung. Es lassen sich nämlich verschiedene Positionierungsstrategien ablesen, die von einer Identifizierung über einen strategischen Umgang bis hin zur Negation reichen und damit die Wahl verschiedener Präsentationsformen in Falafelimbissen beeinflussen. Dieser unterschiedliche Umgang mit den Orientbildern manifestiert sich auch räumlich in unterschiedlichen Gentrifizierungsvierteln Berlins. In dieser Hinsicht spiegeln die Idealtypen der Imbisse die Images von verschiedenen Stadtvierteln im Aufwertungsprozess Berlins wider. Dabei soll insbesondere auf die gegensätzliche Konstruktion zwischen dem als authentisch wahrgenommenen Kreuzberg und dem angepassten Prenzlauer Berg eingegangen werden. Zu diesen Images positionierten sich die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten und verorteten sich damit im Aufwertungsprozess in Berlin. Das Kapitel nimmt folglich die Spielarten eines Berliner Orients durch die Raumgestaltung der Falafelimbisse in den Blick. Der Orient fungiert nicht nur als Spiegelbild der Geschmackspräferenzen und damit des Habitus' der Konsumentinnen und Konsumenten in Gentrifizierungsvierteln. Unterschiedliche Raumgestaltungen von Imbissen konstruieren auch die Geschmackslandschaften in verschiedenen Gentrifizierungsvierteln in Berlin mit.

K ONVENTIONELL , EXOTISCH , TRADITIONELL , MODERN – VIER I MBISSE AUS K ONSUMENTENPERSPEKTIVE Nachtigall – der Konventionelle Der Nachtigall-Imbiss befindet sich in der Ohlauerstraße, in einer Seitenstraße der Wiener Straße in der Nähe des Görlitzer Bahnhofs, und ist einer der ältesten Falafelimbisse in Kreuzberg. Dem Besitzer zufolge, der 2009 für ein Interview getroffen wurde, hatte der Imbiss bereits seit 1987 an dieser Stelle bestanden, allerdings mit häufig wechselnden Besitzern (A11). Der jetzige Betreiber hat das Geschäft 2006 zusammen mit seinem Bruder übernommen; die Inneneinrichtung wurde beibehalten. Der Imbiss ist relativ groß und besteht im Inneren aus zwei Räumen. Im ersten Raum befindet sich die gläserne Verkaufstheke, hinter der die Speisen zubereitet

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werden. Der zweite, mit Wandgemälden verzierte Raum ist mit Bänken und Stühlen ausgestattet und dient als Gastraum ausschließlich zum Sitzen. Das erste Foto (Abbildung 6), das den Konsumentinnen und Konsumenten vorgelegt wurde, zeigt den Imbiss von außen, wie er mit der Falafel und Schawarma auch in arabischer Schrift auf der Schaufensterscheibe wirbt. Davor sind einige Tische und Stühle zum Sitzen aufgestellt. Das zweite Foto zeigt einen Ausschnitt (Abbildung 7) mit der Vitrine und den darüber hängenden Menütafeln. Die übrige Dekoration des Imbisses war folglich nicht sichtbar.2 Zunächst ist zu betonen, dass der Imbiss in der Nachbarschaft einen sehr guten Ruf hat. Die meisten meiner Interviewpartner kannten den Imbiss aber nicht und urteilten folglich nur nach den Fotos. Zunächst empfanden die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten den Imbiss vom Foto her als relativ austauschbar. Die in England aufgewachsene Lisa drückte dies wie folgt aus: »Das ist irgendwie typisch für Deutschland. Also mit dieser Tafel. So ganz grob. Also das könnte auch eine Pizzeria oder was auch immer sein. Also das ist okay, wenn man schnell was essen will. Ich würde wahrscheinlich jetzt nicht da hinrennen« (K9). Auf die Nachfrage, ob dieser Stil charakteristisch für einen Falafelimbiss in Berlin sei, sagte sie dann: »Also, das könnte eigentlich auch eine Dönerbude sein, ehrlich gesagt.« Thorsten (K18) verglich den Imbiss erst mit einer »deutschen Pommesbude«, wie sie in der Fernsehsendung »Dittsche« zu sehen sei, später überlegte auch er, ob dies statt eines »arabischen« Imbisses nicht doch eher ein »türkischer« Imbiss wäre, der auch Falafel verkaufe. Und Ben (K4), dem in Friedrichshain wohnenden Schweizer Erasmus-Studenten, war der Imbiss »zu konventionell«, da er sich nicht von dem nächsten Laden unterscheiden würde. Die hier zitierten Konsumentinnen und Konsumenten standen dem Imbiss – wie er hier auf den Aufnahmen ersichtlich war – folglich nicht nur ablehnend gegenüber, er galt ihnen auch nicht als distinktiver Falafelimbiss. Was genau an dem auf den Fotos dargestellten Imbiss »zu konventionell« war, wurde deutlich, als die Interviewpartner den Nachtigall-Imbiss mit ihren favorisierten Falafelimbissen verglichen. Der in Kreuzberg wohnende Florian beschrieb die Unterschiede wie folgt: »Also ich weiß nicht, wo der ist. Die Tafel ist mir ein bisschen zu... Das ist eben nicht das Traditionelle, was ich im Maroush mag. Das ist dort einfach ein bisschen kunstvoller gestaltet. Und hier ist das relativ pragmatisch gehalten. Aber ich würde da prinzipiell hingehen, warum nicht« (K7).

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Zur Dekoration an den Wänden gehörten zum Beispiel in Goldtönen gerahmte Bilder mit arabischen Kalligraphien und goldenen Säbeln, Poster aus Beirut sowie bemalte Wände im zweiten Raum, mit denen gesellschaftliche Szenarien in altertümlichen südländischen Gemäuern nachgeahmt waren.

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Abbildung 6 : Foto des Nachtigall von außen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

Abbildung 7: Foto des Nachtigall von innen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

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Und auch der 30-jährige, in Kreuzberg wohnende Journalist Michael, der den Laden »nicht so prickelnd« fand, meinte: »Der inszeniert halt nicht so das Arabische, würde ich sagen. Also von außen eher noch als von innen. Aber da auch sehr zurückhaltend« (K13). Die beiden Interviewpartner vermissten folglich eine arabische Inszenierung, wie sie sie aus anderen Falafelimbissen kannten, mit der sie ganz bestimmte Dekorationselemente verbanden. Andere Inszenierungen der Herkunft sahen sie nicht. Ben zum Beispiel sagte in Bezug auf den auf der Schaufensterscheibe abgebildeten Zedernbaum, der als Nationalsymbol des Libanon gilt: »Und hier so – ah, das ist Libanon. Ich dachte, dass wäre so ein Tannenbaum« (K4). Die ihrer Meinung nach fehlende Inszenierung des Arabischen ist nicht der einzige Grund, warum den Konsumentinnen und Konsumenten der in den Fotos aufgenommene Imbiss missfiel. Die in Schöneberg wohnende Patricia zum Beispiel erklärte, warum die gastronomische Einrichtung generell nicht ihren Geschmack traf, und verglich den Imbiss dabei wieder mit dem von ihr bevorzugten HabibiImbiss: »Weil es nichts Persönliches ist. Das ist genau das, wovon ich vorher schon sprach. So was gibt es bei Habibi nicht. Es gibt dort keine große Preistafel, die ist an der Seite angebracht. Und die ist auch ganz anders gemacht. Per Hand. Und das finde ich gut« (K15). Diesen im Imbiss Habibi verorteten Stil suche sie nicht nur in arabischen Imbissen, sondern sie bevorzuge ihn generell in der Gastronomie. Die großflächige und ihrer Meinung nach austauschbare Preistafel hingegen, die sie auch aus ihrem Herkunftsland Bulgarien kenne, lehnte die 37-jährige und seit 14 Jahren in Berlin lebende Selbständige ab. Auch Marion (K12) fand die auf der Preistafel befindlichen Abbildungen vom Essen »geschmacklos«. Sarah wiederum konnte an anderen auf dem Foto ersichtlichen Gegenständen erklären: »Ja, die Getränkedosen vielleicht. Also das sieht weniger authentisch wie bei Sanabel aus« (K16). Daraus würde sie schließen, dass »es vielleicht weniger ums Essen geht, aber einfach ums verkaufen«. Die Dosen wertete sie folglich als Zeichen der Profitorientierung, die damit für sie gegen die Authentizität des Imbisses sprachen. Der nächste Imbiss, der hier vorgestellt werden soll, gefiel ihr und den anderen interviewten Konsumentinnen und Konsumenten dagegen wesentlich besser. Der Phönizier – der Exotische Der Phönizier ist ein Imbiss, der 2004 in der Nähe des Mauerparks eröffnet hat. Von außen wirbt der Imbiss in einer hieroglyphenartigen Schrift mit seinem Namen und libanesischen Speisen. An der mit Weinstöcken bewachsenen Wand hängt eine mit weißer Farbe handbeschriebene schwarze Tafel. Vor dem Laden stehen einige Holztische mit Stühlen. Als das Foto (Abbildung 8) im Juli 2009 aufgenommen wurde, standen eine Wasserpfeife und einige Coca-Cola-Flaschen auf Tischen.

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Abbildung 8: Foto des Phönizier von außen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

Abbildung 9: Foto des Phönizier von innen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

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Betritt man den Imbiss, so gibt es neben der gläsernen Verkaufstheke zwei Sitzbereiche. Neben gewöhnlichen Tischen und Stühlen befindet sich in der rechten Ecke ein etwas auffälliger Bereich: eine Sitzecke, die mit gemusterten Teppichen und Kissen in verschiedenen Rot- und Violetttönen und kleinen flachen Holztischen ausgestattet ist. Diese wurde auf dem zweiten Foto (Abbildung 9) bewusst herausgehoben. Der Großteil der Konsumentinnen und Konsumenten äußerte sich durchaus positiv zur Gestaltung, wie sie auf den Fotos ersichtlich war. Das lag zunächst daran, dass der Imbiss ihren Erwartungen entsprach. Ben sagte: »Das finde ich natürlich. Hier gibt's auch Shisha und hier so mit Kissen, so stelle ich mir das vor« (K4). Und Florian bemerkte: »Ja, das ist das, was ich so richtig schön finde. Ja sogar das mit den niedrigen Tischen. Das ist sehr traditionell gehalten, denke ich einfach mal. Auch die Kissen, so am Sitzen. Und von außen total schön. Auf jeden Fall« (K7). Sitzkissen und Wasserpfeife waren folglich zwei Elemente, die für beide eine arabische Kultur repräsentierten. Zu den Motiven der Besitzer, den Imbiss in dieser Form einzurichten, sagte Florian: »Ich war selbst noch nicht da, wie gesagt. Aber ich denke schon, dass die Herren, woher sie auch immer kommen, Libanon oder sonst woher, dass sie es schon so ein bisschen wie zuhause machen. Das ist dann auch ein bisschen Heimatgefühl. Und gleichzeitig auch Transportkultur. Also Kulturtransport, so rum. Das, was du ›transkulturell‹ dann wahrscheinlich nennen wirst« (K7).3

Florian gefiel der Phönizier-Imbiss deshalb, weil er für ihn original war und er ihn als kulturelle Zurschaustellung der Besitzer wahrnahm. Dieser Meinung waren aber nicht alle. Lisa beschrieb den Imbiss zwar aufgrund der Sitzecke ebenfalls als einen »Tick authentischer«, reflektierte ihre Aussage dann aber im weiteren Gesprächsverlauf: »Von innen sieht das auch ganz nett aus. Also das ist eigentlich das, was man erwartet, glaube ich, für so ein Restaurant. Also wenn es nicht so ist, dann wird man wahrscheinlich enttäuscht. Also die haben wirklich versucht, das so authentisch oder jedenfalls nach unserem Empfinden authentisch zu machen« (K9).

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Florian hatte sich vor dem Interview mein Abstract der Forschung auf der Graduiertenkollegs-Webseite der Europa-Universität Viadrina durchgelesen. Das Wort »transkulturell« wurde in dem Abstract zwar nicht direkt verwendet, ich vermute aber, dass er aufgrund des Namens des Graduiertenkollegs »Transnationale Räume« Rückschlüsse auf die Bedeutung des Begriffs »transkulturell« für die vorliegende Forschung zog. Der Begriff wurde von einer anderen Kollegiatin in ihrem Abstract benutzt.

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Sie war sich folglich bewusst darüber, dass ihre eigenen Vorstellungen vom Arabischen nicht unbedingt mit der sozialen Realität vor Ort übereinstimmen müssen. Für Thorsten, der mehrere längere Aufenthalte in Syrien, Libanon, Jordanien und Ägypten hinter sich gebracht hatte, galt der Imbiss (nach den Fotos beurteilt) sogar eindeutig als »eingedeutscht«: »Das sieht so Orient-Lounge-mäßig aus. Es gibt ja so ein Konstrukt im Kopf vom Orient. Und das ist vielleicht so ne romantisierte Variante davon. Aber so was habe ich vor Ort noch nie gesehen. Aber ich würde jetzt abends mal irgendwie mit Freunden hingehen, Pfeife rauchen, das schon. Ich würde da aber nicht die beste Falafel erwarten« (K18). Mit dem »Orient im Kopf« spielte er auf Edward Saids Buch »Orientalism« (2003) an. Er sei schon während seines Arabistikstudiums für die in Europa und den USA vorherrschenden Orientfantasien sensibilisiert worden. Interessant ist, dass im Falle des Phönizier weder Thorsten noch Lisa noch die anderen Interviewten diese offensichtliche Form der Vermarktung zu stören schien. Stefanie zum Beispiel, die an der Präsentation der von ihr abgelehnten Dönerimbisse beklagte, dass man immer das Gefühl habe, dass »das für uns gemacht ist« (K17), hatte nichts gegen die offensichtliche Kundenorientierung des Phönizier, den sie mit »Märchen aus Tausendundeiner Nacht« (K17) in Verbindung brachte, auszusetzen. Sie verteidigte den Imbiss sogar noch: »Ja, in Berlin, und gerade in der Ecke, wo die sich auf die Schuhe treten, wo einer neben dem anderen ist, wo es überhaupt so viel zu essen gibt, muss man sich ja auch was einfallen lassen« (K17). Ein an den Kundinnen und Kunden ausgerichtetes strategisches Marketing, das noch im Falle des Nachtigall-Imbisses abgelehnt wurde, schien beim Phönizier folglich nicht zu stören. Im weiteren Verlauf der Interviews zeigten sich zwei Gründe, warum der Imbiss trotzdem auf positive Resonanz stieß. Zunächst entsprach die auf den Fotos abgebildete Gestaltung des Phönizier den Geschmacksvorlieben der Konsumentinnen und Konsumenten. Patricia beschrieb dies wie folgt: »Ich sehe nur, dass sie hier zum Beispiel warme Farben gewählt haben. Und Kissen aufgestellt. Für die ist es auch wichtig, dass sich die Leute gemütlich und wohl fühlen. Und das ist für mich der Punkt. Damit kann ich sagen: Da gehe ich hin« (K15). Und im Vergleich zu den Fotos vom Nachtigall-Imbiss fügte sie hinzu: »Ja, das gefällt mir. Das meine ich. [...] Keine Bilder, die Speisekarte handgeschrieben, mit Kissen gemütlich gemacht«. Auch die anderen Konsumentinnen und Konsumenten attestierten der Einrichtung des Phönizier-Imbisses »Gemütlichkeit«. Zudem weckte die fantasievolle Inszenierung des Arabischen eine Sehnsucht, wie Sarahs Aussage zeigte: »Ja, das mit den Kissen. Das sieht gemütlich aus. Ja, da könnte man sich auch hineinsetzen und man hat das Gefühl, man ist nicht in Berlin. Also da kann man wirklich reingehen und in einer anderen Welt sein« (K16). Dieser von ihr beschriebene Eintritt in eine »andere Welt« weckte bei Monika Urlaubserinnerungen an eine Rucksackreise in Nepal. Für sie hatte die Art der Sitzweise

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zudem eine nicht-europäische Assoziation: »Ich meine, es sitzen ja viele auf dem Boden. Also die Japaner sitzen ja auch oft auf dem Boden. Das ist einfach europäisch oder westlich, sich auf Stühle zu setzen. Ich meine, die machen das natürlich jetzt auch, aber das ist von früher« (K14). Der Phönizier stellte für sie folglich eine exotische Präsentation dar, durch die sie sich gedanklich ihrem europäisch geprägten Alltag entrückt fühlte.4 Es gibt zudem einen entscheidenden Grund, warum die auf der Innenaufnahme (Abbildung 9 ) ersichtliche Einrichtung eher als an deutsche und europäische Kundinnen und Kunden gerichtete Inszenierung galt. Auf die Frage, ob sie zum Beispiel im Libanon solche Läden erwarten würde, antwortete Sarah: »Ich denke, es wäre nicht so schick und gepflegt. Vielleicht nur ein teurer Laden, aber nicht ein normaler« (K16). Und auch Michael war der Laden zu »schick«, als dass er sich in Berlin an Personen aus der arabischen Region richten könnte: »Na, weil das hier alles, das sieht einfach zu schick aus hier so. Ich weiß auch nicht, wie ich das sagen soll. Das richtet sich bewusst an eine Zielgruppe, die nicht – so glaube ich – aus den arabischen Ländern, also aus dem Libanon, kommt. Da wird das schon so ein bisschen, ja das wird inszeniert so, mit der Wasserpfeife und den Kissen und den niedrigen Tischen. Ich finde das sehr nett und so. Ich würde da bestimmt auch mal essen. Aber es ist irgendwie so. Ja, ich habe irgendwie nicht den Eindruck, dass das irgendwie Neukölln ist. Das sieht auch einfach irgendwie, es sieht auch irgendwie teuer aus. Es sieht gediegen aus. Das sind halt keine Plastikstühle, das sind so richtig aufwändige, ich würde mal so sagen Biergartenstühle und Tische so. Und mit einer richtigen Tafel so fein umrahmt. Also es sieht einfach nobel aus. Auch der Schriftzug und die Wortwahl für den Laden« (K13).

Seine Eindrücke aus Neukölln, wo er arabische Migrantinnen und Migranten in Berlin verortete, verallgemeinerte er folglich für Araberinnen und Araber insgesamt. Beide Interviewte hefteten der arabischen Kultur folglich ein populares Image (Warneken 2006)5 an. Da der Phönizier »schick« war, wurde er im Übrigen nicht von allen als Imbiss erkannt. Die im Prenzlauer Berg wohnende Lisa sagte: »Aber dann denkt man, das ist wahrscheinlich etwas teurer. Und für das schnelle Falafelbrot zwischendurch ge-

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Bis auf drei würden sich auch alle Interviewten gerne dort hinsetzen und dort länger verweilen. Für Kristin (K8) allerdings hat diese Form des Sitzens etwas »einnehmendes«, deswegen würde sie die Tische bevorzugen. Nichtsdestotrotz fand sie, dass die Sitzecke »die Atmosphäre gemütlicher« mache.

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Bernd Jürgen Warnekens (2006) bezeichnet mit »popular« die (Perzeption der) Kultur unterer Sozial- und Bildungsschichten.

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he ich doch zu meiner Falafelbude« (K9).6 Der Phönizier galt den Konsumentinnnen und Konsumenten folglich nicht unbedingt als typischer Falafelimbiss in Berlin, auch wenn er diese Kriterien durch seine orientalisch anmutende Gestaltung schon eher erfüllte als der vorherige Imbiss Nachtigall, zumindest wie man ihn auf den Fotos sehen konnte. Der nächste Imbiss traf die Erwartungen an einen Falafelimbiss allerdings noch genauer. Rissani – der Traditionelle Einer der größeren Falafelimbisse ist der Imbiss Rissani, der sich am Spreewaldplatz in der Nähe des Görlitzer Bahnhofs und damit unweit des Nachtigall-Imbisses befindet. Er zählt zu den älteren, etablierten Imbissen in Berlin. Laut Nachfrage vor Ort hat der Imbiss bereits seit 1990 geöffnet. Von außen wirbt das Lokal in einem roten Schriftzug mit Gerichten wie »Falafel«, und »Schawarma«, mit »orientalischen Spezialitäten« sowie mit »libanesischen und marokkanischen Speisen«. Entlang der Schaufensterfront stehen mehrere Bierbankgarnituren, die besonders im Frühjahr und Sommer gut besucht sind. Innen gibt es zwei Räume. Im vorderen Raum befindet sich die großräumig angelegte Verkaufstheke, hinter der meist mehrere Verkäufer gleichzeitig die Bestellungen aufnehmen und die Sandwiches oder Teller zubereiten, wie es auf dem ersten Foto (Abbildung 10) zu sehen ist. Das zweite Foto (Abbildung 11) zeigt den Durchgang zum zweiten Raum, der mit Tischen und Bänken ausgestattet ist und als Sitzbereich dient. Für die Interviews wurden folglich nur Innenaufnahmen ausgewählt. Wie sich in den Interviews zeigte, ist der Rissani einer der bekannteren Imbisse und durchaus beliebt. Mehrere Interviewpartnerinnen und -partner hatten den Imbiss bereits besucht. Michael (K13) erzählte, dass er im Rissani zum ersten Mal in seinem Leben Falafel gegessen hatte. Auch heute gehe er noch gerne dorthin, gerade auch wegen der durch die Gestaltung geschaffenen Atmosphäre: »Der Rissani ist ja eher einer dieser Fafalelläden, die doch dieses Landestypische, wenn man es so nennen will, inszenieren, mit Teppichen an der Wand und arabischen Schriftzeichen«.7

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Welche Bedeutung »billig« für den Erfolg der Falafelimbisskultur in Berlin hat, wird in Kapitel 10 diskutiert werden. Diese Billigkeit weist auf einen »low-cost-urbanism« (Färber/Vetter 2011) hin, der gegenwärtige Stadtstrukturen prägt, wofür als Beispiel der Städtetourismus mit Billigfliegern dient.

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Später, als ich ihm die Fotos zeigte, stellte er übrigens fest, dass dort gar keine Teppiche hängen: »Ja, das sind halt diese Schriftzeichen, die umrahmt sind und die den Eindruck erwecken, dass es Teppiche sind« (K13).

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Auch Ben (K4), der den Imbiss nicht kannte, war im Vergleich zum vorher gezeigten Nachtigall-Imbiss angetan von der Gestaltung: »Ja, das ist, was ich gemeint habe. Also hier ist es halt viel eher arabisch und mit Schriftzeichen oder sonstigen Zeichen. Also das vermittelt einem eher das Gefühl, irgendwo anders zu sein. Ja, das gefällt mir eher.« Wie im Falle des Phönizier betont sowohl Michael als auch Ben die arabische Inszenierung des Imbisses, die den Besucher auf eine imaginative Urlaubsreise schicke. Der entscheidende Unterschied zum Phönizier war aber, dass dem Imbiss Rissani eher Authentizität attestiert wurde. So sagte Anton: »Toll. Das ist, finde ich gut. Also sehr traditionell. Das ist wirklich original« (K3). Er mutmaßte, dass dort viele Kundinnen und Kunden mit arabischem Hintergrund zum Essen gehen würden.8 Andere Interviewpartnerinnen und -partner gingen zwar nicht direkt auf die Frage ein, ob sie den Imbiss als »original« empfänden. Allerdings betonten sie hier im Gegensatz zum Phönizier auch nicht, dass er sich bewusst an ein »deutsches« Publikum richten würde. Nur der ehemalige Arabistik-Student Thorsten (K18) war der Meinung, dass so ein »gestylter« Imbiss höchstens in Beirut angetroffen werden könne. Wörter wie »schick«, »gepflegt« oder »gestylt« tauchten sonst aber nicht auf. Stattdessen wurde das Interieur des Imbisses hier als einfach und bodenständig wahrgenommen. Die im Prenzlauer Berg wohnende Monika beschrieb ihre Eindrücke folgendermaßen, während sie auf das Foto blickte: »Gefällt mir sehr gut. [...] Also sehr gut ist jetzt auch vielleicht ein bisschen ... Weil er einfach bunter ist. Also es ist jetzt auch nicht ... Ich finde jetzt, wenn ich’s mir länger angucke, ästhetisch mit diesen Punkten nicht so toll. Aber es sieht einfach so aus, als hätte sich jemand Mühe gegeben, das Ganze einzurichten« (K14).

Es war folglich gerade der zwar bemühte und ideenreiche, dann aber doch ästhetisch eher als popular identifizierte Stil, der den Interviewpartnerinnen und -partnern gefiel und als passend zur arabischen Esskultur empfunden wurde. Deutlich wird das auch an Stefanies Bemerkung. Als sie gebeten wurde, aus dem Gedächtnis (also noch bevor ich ihr die Fotos zeigte), den Imbiss Rissani zu beschreiben, gab sie eine Äußerung ihres Vaters wieder, der in der DDR Arabistik studiert hatte:

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Das mag zum Teil an Personen liegen, die auf der Aufnahme vom Verkaufsbereich zu sehen sind, und die nicht eindeutig zu identifizieren sind, aber auch als »Araberinnen« und »Araber« durchgehen könnten.

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Abbildung 10 : Erstes Foto des Rissani von innen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

Abbildung 11: Zweites Foto des Rissani von innen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

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166 | D ER G ESCHMACK DER G ENTRIFIZIERUNG »Ja. Puh. Also da hat mal mein Vater zu mir gesagt, so ein bisschen im Scherz, aber in gewisser Weise meint er das ernst. Der hat irgendwann mal zu mir gesagt, je runtergerockter oder je verbrauchter der Laden aussieht und man merkt, dass da wenig Geld ins Inventar gestecktwird, desto sicherer könnte ich sein, dass die Küche gut ist. [...] Weil ich finde, dass dieses Essen ja nicht irgendwas ist, wo man jetzt Silberbesteck und Kerzenhalter bräuchte. Also ich hab’s ausprobiert, und ich habe keine Berührungsängste. Also weil ich war selbst schon in Tunesien und da habe ich nicht nur Urlaub in so einer Touristenburg gemacht. Und da gab’s Situationen, da musste man, wenn man Hunger hatte, wohin, wo es schon schwierig war zu sagen: Okay, ich ess’ da jetzt was. Aber das war ein tolles Essen. Also schon dieser Besuch in Tunesien hat mir gezeigt, dass man nicht ganz so verstockt sein muss oder dass man das ruhig mal ausprobieren sollte« (K17).

Ihre Eindrücke aus Berlin verglich sie folglich mit ihren Erfahrungen, die sie im Urlaub in Tunesien gemacht hatte. Dabei heftete sie der arabischen Esskultur nicht nur ein populares Image an, das sie auch dort wahrgenommen hatte, sondern positionierte sich selbst demgegenüber als tolerant und offen. Stefanie gefiel der Imbiss Rissani auch aufgrund des Essens und der Atmosphäre so gut, dass sie ihn gerne Freunden gezeigt habe: »Wenn da Freunde von uns gekommen sind, die auch nicht aus Berlin waren, dann haben wir gesagt, naja, ab zum Görli. Dort müssen wir hin, dort essen wir jetzt. Und da haben die den Mund nicht mehr zugekriegt, wie viel da drauf ist und wie lecker das war« (K17). Auch Michael berichtete, dass er seine Eltern zum Imbiss Rissani mitgenommen habe: »Also aber mit meinen Eltern, als die mal zu Besuch waren, und wir sind dann bewusst zu Rissani hingegangen, und dann haben wir da Falafel gegessen, und das fand meine Mutter total lecker auch« (K13). Der Imbiss mag auch als Vorzeigeobjekt dienen, da er als besonders typisch für die Berliner Falafelimbisskultur wahrgenommen wurde. Florian (K7) bemerkte: »Diese bunten Fließen sind übrigens auch sehr häufig zu sehen. Also entweder an der Wand oder auf dem Boden. Mit Ornamenten verziert« (K7). Und auch die 25jährige in Neukölln lebende Kristin stellte fest: »Ja, das ist so, was ich meinte, wenn ich daran denke, wenn ich in so einen Falafelladen gehe, dann habe ich öfters so was und das überrascht mich jetzt nicht. Das ist es eben« (K8). Der Imbiss Rissani war folglich derjenige, der im Großen und Ganzen die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten an einen Berliner Falafelimbiss erfüllte. Der letzte hier vorgestellte Imbiss wiederum entsprach diesen Erwartungen nicht. In seiner Präsentation wurde er sogar als Antithese zum Imbiss Rissani begriffen.

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Zweistrom – der Moderne Der Imbiss Zweistrom befindet sich am Prenzlauer Berg in der Kollwitzstraße an der Ecke zur Danziger Straße und hat dort seit 2005 geöffnet. Im Gegensatz zu den anderen hier vorgestellten Imbissen ist der Zweistrom ein äußerst kleiner Imbiss mit nur einem Raum, in dem sich die Theke sowie wenige kleine Tische mit Holzhockern befinden, wie es die erste Aufnahme (Abbildung 12) verdeutlicht. Im Außenbereich steht dem Imbiss hingegen ein breiter Gehsteig zur Verfügung, auf dem – wie auf dem zweiten Foto (Abbildung 13) ersichtlich – mehrere Tische samt Sonnenschirmen stehen, die gerade im Frühjahr und Sommer gut besetzt sind. Über dem Schaufenster ist der Name auf einem gelben Leuchtschild abgebildet. Den Imbiss Zweistrom kannten drei der Interviewpartnerinnen und -partner. Die Übrigen beurteilten ihn nach den beiden Aufnahmen – innen und außen –, die ihnen gezeigt wurden. Er schnitt dabei zunächst besser ab, als der hier zuerst vorgestellte Nachtigall-Imbiss, wie Lisa im Vergleich zu letzterem kommentierte: »Also die haben sich ein bisschen mehr bemüht. Also man merkt von der Karte, dass es nicht so präsent ist. Also das ist schön gemacht. Und auch drinnen mit den Kacheln und mit dem Foto, da ist ein bisschen mehr Liebe drin. Also das ist nicht so schnell gemacht« (K9). Und auch Patricia meinte: »Geht so. Ja, das ist nicht schlecht. Ist ein bisschen persönlicher, finde ich. Ein bisschen. Das könnte ich mir vorstellen. Hier eher. Auch mit den Bildern. Das ist schon ein Zeichen« (K15). Lisa und Patricia gefiel folglich das auf Innenaufnahme des Imbisses ersichtliche Porträtfoto in schwarz-weiß, das auch von anderen Interviewten, neben der Teekanne und den Fliesen, als arabische Referenz anerkannt wurde. Dabei vermittelten diese Fotos jedoch im Gegensatz zu den in grellen fröhlichen Farben bemalten Wänden eine andere Stimmung, wie Stefanie beschrieb, die den Imbiss öfters besuchte: »Die habe ich mir schon mal genauer angeguckt. Aber ich finde die manchmal so ein bisschen bedrückend. Die Bilder, die oft da hängen. Weil du siehst, dass da Leute sind, die vielleicht 20 Jahre jünger sind als sie aussehen und haben ihr ganze Leben hart gearbeitet. Und du mampfst halt gerade gemütlich. Das finde ich etwas bedrückend. Aber auch in Ordnung« (K17). Der Zweistrom ist einer der wenigen Imbisse, die statt Wandmalereien oder abstrakten arabischen Schriftzeichen Fotografien als Gestaltungsmerkmale verwenden. Die Konsumentinnen und Konsumenten schienen jedoch die exotisch anmutenden orientalischen Inszenierungen diesen Realitätsbildern vorzuziehen. Abgesehen davon stieß der Imbiss Zweistrom – so wie er auf den beiden Aufnahmen zu sehen war – im Gegensatz zum Phönizier und zum Rissani aber eher auf Ablehnung. Grund dafür war der Stil, der von den Interviewten als »modern«, »dezent« oder »puristisch« beschrieben wurde. Während Kristin der Imbiss noch ganz gut gefiel, da er ihrer Meinung nach nicht so »dolle kacke bunt« wäre, und »es auch

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keine Werbefotos vom Essen geben würde« (K8), meinten Annika (K2) und Monika (K14), dass sie ihn aufgrund der dezenten Gestaltung und der hellen Farben eher weniger »gemütlich« fänden und es nicht ihrem Geschmack entsprechen würde. Besonders vor den Kopf stieß die Konsumentinnen und Konsumenten das Logo des Imbisses. Michael sagte, dass dies nicht mehr »State of the Art« wäre: »So der Schriftzug und die Schrifttype und die Farbgestaltung, das ist so, das ist so 90erJahre Technostyle. Also das ist gerade nicht mehr ganz so modern. Aber man merkt auch gerade, er wollte modern sein« (K13). Ihm zufolge sind die Versuche des Imbissbesitzers, sich modern zu präsentieren, nicht ganz erfolgreich. Zudem empfanden die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten den als »modern« und »schick« empfundenen Stil als nicht ganz passend zu einem arabischen Imbiss. Stefanie, die den Zweistrom – wie weiter oben beschrieben – mochte, verteidigte ihn wie folgt: »Es ist alles so ein bisschen puristisch irgendwie eingerichtet, ziemlich modern. Aber was ich auch noch okay finde, also ich finde, das beißt sich nicht mit der Art von Küche. Weil es noch so einfach ist, dass ich sage okay. Also wenn es dann aussieht wie ne Sushi-Bar oder irgendwie so, das würde ich dann ... Ja, aber so finde ich das okay. Ich bin da anfangs auch erstmal paar Mal im Winter nur vorbeigegangen, dachte mir, naja, sieht ja irgendwie fein aus auf den ersten Blick. Aber wenn man dann reingeht, dann sieht man, dass da drin gearbeitet und gegessen wird. Und dann finde ich das okay« (K17).

Sarah hingegen, die den Imbiss nicht kannte, würde den Imbiss – so wie sie ihn auf den Fotos sah – nicht aufsuchen: »Es sieht irgendwie ein bisschen schick aus. Diese Tische und auch hier diese Stühle. Also, ich weiß nicht, wieso ich etwas Schickes nicht will. Aber es ist irgendwie für die Art von Essen nicht so gut passend. Also wenn ich das hier sehe, und die würden Sushi verkaufen, das wäre schon logischer, finde ich. […] Und auch das Schild sieht so hipp aus« (K16). Für sie passte der »schicke« und »hippe« Stil somit weder zur arabischen Esskultur noch traf er ihren eigenen Geschmack. Für andere war der Name des Lokals ein Indiz, warum sie ihm eher ablehnend gegenüberstanden. So sagte Annika: »Also, was ich an diesem Laden auch so ein bisschen erstaunlich finde, ist, dass von außen da halt so ein deutscher Name »Zweistrom« dran steht und eigentlich nichts außen an der Glasscheibe irgendwas zu sehen ist, woran man schließen kann, dass es da Falafel gibt. Es könnte irgendein Laden sein« (K2). Und auch Ben urteilte: »Zweistrom. Da finde ich den Namen ein bisschen seltsam. Wegen des Zweistromlandes, schon klar. Oder wahrscheinlich. Aber, ist mir zu deutsch. Ist mir auch ein bisschen zu ... Also mit Arabisch verbinde ich auch immer so ein bisschen Tradition und alte Kultur. Und das ist ja ganz so, auch vom Design her, so ganz modern und stringent« (K4).

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Abbildung 12: Foto des Zweistrom von außen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

Abbildung 13: Foto des Zweistrom von innen

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

Quelle: Eigene Aufnahme 2009

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Wie diese Zitate zeigen, wird die als popular und traditionell wahrgenommene arabische (Ess-)Kultur dichotom zum Eigenen (Deutschen oder Westlichen) verortet, das damit als bürgerlich, zivilisiert und modern wahrgenommen wird. Beide Assoziationspaare waren für die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten weitgehend unvereinbar.9 Sie bemängelten dann auch, dass der Laden von außen nicht als Falafelimbiss erkennbar sei. Hingegen weckte der Imbiss andere Assoziationen, zum Beispiel zu einem Sushi-Restaurant. Marion verglich ihn wiederum mit einem »ganz normalen hippen Café im Prenzlauer Berg« (K12) und auch Michael fand, dass der Imbiss wie ein »Latte-macchiato-Café« aussähe: »Das könnte auch fast Starbucks sein. So von der Art der Tische, schwarzes Leder, Schwarz-Weiß-Foto mit Passepartout. Das ist eher so dieser Einheitsstil im gastronomischen Bereich« (K13). Seiner Meinung nach hat sich der Imbiss damit an die Örtlichkeit, nämlich den ebenfalls nach seiner Auffassung deutsch dominierten Stadtteil Prenzlauer Berg, angepasst. Folglich gilt der Imbiss den Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr als authentisch. Die Idealtypen Die vier hier vorgestellten Imbisse Nachtigall, Phönizier, Rissani sowie Zweistrom können in ihren Präsentationsformen als Idealtypen für die Perzeption von Berlins Falafelimbisskultur gelten. Wie sich in den Ausführungen der Konsumentinnen und Konsumenten zeigte, beurteilten sie die Fotos der vier Imbisse – trotz geringer Unterschiede – nicht nur in jeweils auffällig ähnlicher Art und Weise, sondern grenzten die Imbisse auch relativ eindeutig voneinander ab. Vereinfacht betrachtet können die vier Idealtypen wie folgt beschrieben und zueinander in Relation gesetzt werden:

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Nur Michael gefiel die Mischform zwischen beiden. Der Name »Zweistrom« war seiner Meinung nach eine schlaue Idee: »Ist modern gewählt, verweist aber klar auf die Wurzeln« (K13). Und auch der ehemalige Arabistik-Student Thorsten (K18) hatte nichts an dieser eher »modernen« Präsentation eines arabischen Imbisses auszusetzen, wohl auch aufgrund seiner eher kritischen Einstellung gegenüber dem in Berlin oder Deutschland dominierenden arabischen Bild. Doch auch für ihn war der Imbiss eher etwas für »schickere Leute«. Er selbst würde den Zweistrom eher abends besuchen, da er ihm für ein Mittagessen zwischendurch »zu schön wäre«.

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Der konventionelle Imbiss, wie er in Form des Nachtigall vorliegt, schneidet am schlechtesten ab, da er den Interviewten im Großen und Ganzen zu austauschbar und damit nicht persönlich genug war. An ihm wurde die arabische Inszenierung vermisst und seine Präsentation wurde als eher popular, billig und kommerziell wahrgenommen. Der Exotische, vertreten durch den Phönizier, hingegen gefiel den Interviewten gut: Zum einen, da er durch die dunklen Wandfarben, die bunte Sitzecke und die handgeschriebene Speisekarte den Geschmack der Konsumentinnen und Konsumenten widerspiegelte und als individuell wahrgenommen wurde; zum anderen, weil die Interviewten hier eine Inszenierung des Arabischen erkannten. Die Inszenierung wurde zwar als nicht ganz »original« identifiziert, denn dagegen sprach vor allem, dass der Laden zu schick und gepflegt wirkte. Sie wurde aber trotzdem positiv bewertet, da sie exotisch war und gleichzeitig auch die Geschmacksvorlieben der Interviewten traf. Das Gefühl, in eine fremde Welt einzutreten, löste auch der traditionelle Imbiss aus. Wie am Rissani beispielhaft gezeigt, weckte der Imbiss durch seine grellen bunten Farben und die arabischen Schriftzeichen umfassende arabische Imaginationen. Dieser Imbiss galt den Konsumentinnen und Konsumenten als authentisch. Denn der Gestaltungsstil wurde als ideenreich, gleichzeitig aber als bodenständig und popular gedeutet. In diesen beiden Aspekten unterscheidet sich der Imbiss zum einen von dem zwar auch popularen, aber als einfallslos identifizierten konventionellen Nachtigall und dem ideenreichen, aber dann doch zu schicken und gepflegten exotischen Imbiss Phönizier. In seiner Präsentation traf der Rissani damit am ehesten die Erwartungen an einen arabischen Falafelimbiss in Berlin. Der zuletzt anhand des Zweistrom vorgestellte moderne Imbiss hingegen wurde von den Interviewpartnerinnen und -partnern in seiner Gestaltung wieder eher negativ bewertet, auch wenn er besser als der konventionelle Imbiss abschnitt, da ihm im Gegensatz zu letzterem eine individuelle Note zugesprochen wurde. Die als modern und hipp bewertete Einrichtung wurde aber abgelehnt. Sie wurde als deutsch oder westlich wahrgenommen und war damit unvereinbar mit der Vorstellung von der arabischen (Ess-)Kultur. Sie wurde somit nicht als passend für einen Falafelimbiss angesehen.

Die Bewertungen dieser Idealtypen lassen zunächst auf bestimmte Erwartungen an die Präsentation einer arabischen (Ess-)Kultur schließen, die auf ein historisch verankertes, gleichzeitig aber gegenwärtig weit verbreitetes Orientbild aufbauen. Diese Vorstellungen wurden dabei in der Falafelimbisskultur in Berlin (re-)konstruiert. Denn der dritte hier vorgestellte Imbiss, der traditionelle Imbiss, wurde nicht nur als der authentischste wahrgenommen, sondern gilt auch als derjenige, den die inter-

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viewten Konsumentinnen und Konsumenten als charakteristisch für die Falafelimbisskultur in Berlin hielten. Bevor auf die Einbettung der Idealtypen in Gentrifizierungsprozesse zum Abschluss dieses Kapitel eingegangen wird, soll daher zunächst die Frage gestellt werden, welche Art von Orientbild in den Imbissen konstruiert wird und warum orientalischen Inszenierungen gegenüber anderen Darstellungen der Vorzug gegeben wird.

A MBIVALENTE ERWARTUNGEN – O RIENTALISMUS ALS M ACHT , S EHNSUCHT UND D ISTINKTION Die Reproduktion des Orientalismus Die im Phönizier, Rissani wie auch in vielen anderen Imbissen vorhandenen Dekorationselemente – dunkle und warme Wandfarben, Fließen mit verschnörkelten Mustern, an der Wand befestigte Poster von arabischen Kalligrafien oder gemalte Bilder von südländischen Landschafts- oder Gesellschaftsszenarien bis hin zu den tiefer gelegten, gepolsterten Sitzbänken sowie den im Raum verteilten Wasserpfeifen und Teekannen – verweisen auf eine Form des »ästhetischen Orientalismus« (Färber 2011, 53). Dieser basiert auf einem in Europa vorherrschenden tradierten Orientbild, das – wie Edward Said (2003) gezeigt hat – nicht Abbild einer realen Welt ist, sondern das als Diskurs den Raum des Orients erst erschaffen hat (ebd., 6). Auch bei den von den interviewten Konsumentinnen und Konsumenten wahrgenommenen (oder zumindest erwarteten) Orientbildern handelt es sich um eine Spielart der Reproduktion des Orientalismus. Denn wie schon Edward Said zeigte, baut das arabische Bild der Falafelkonsumentinnen und Konsumenten auf einer Dichotomisierung auf, in der das Andere, das Arabische und Orientalische, konträr zum Eigenen gestellt wird.10 Dadurch, dass das Arabische als traditionell, einfach und exotisch konstruiert wird, erscheint das Eigene automatisch als modern, zivilisiert und vertraut. Wie Stefanies Assoziationen mit der Sitzecke des Phönizier und den »Märchen aus Tausendundeiner Nacht« zeigen, schließen diese im Phönizier und anderen Imbissen reproduzierten Klischees an orientalisch tradierte Stereotype an, die auch in

10 Edward Said zufolge ist der Diskurs des Orientalismus durch eine ontologische und epistemologische Trennung zwischen einem Orient und einem Okzident gekennzeichnet (2003, 2), wobei der Orient als irrational, kindlich, verdorben und »anders« dargestellt wird, während der Okzident konträr dazu als rational, tugendhaft, reif und »normal« gezeichnet wird (ebd., 40).

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Deutschland präsent sind und hoch- oder populärkulturell vermittelt werden. Neben den »Märchen aus Tausendundeiner Nacht«, die im 19. Jahrhundert nach mündlichen Überlieferungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern »übersetzt« wurden11, war hier zum Beispiel Karl Mays berühmter »Orientzyklus«12 ausschlaggebend (Attia 2009, 58ff., Berman 2007). Diese orientalischen Klischees wurden seit dem 18. und 19. Jahrhundert mit dem zunehmenden Massenkonsum auch für die Vermarktung zahlreicher Konsumgüter verwendet (Eldem 2007). Mit der stark angestiegenen Mobilität durch Migration und Tourismus ist der ästhetische Orientalismus in der deutschen urbanen Konsumlandschaft gegenwärtig weit verbreitet, was Alexa Färber am Beispiel der Wasserpfeifen-Cafés zeigte (Färber 2011). Auch die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten sind teilweise durch touristische Erlebnisse geprägt. So waren Marion, Lisa, Ben und Stefanie auf Urlaubsreisen in Marokko und Tunesien, wo sie sich meist auf touristischen Pfaden bewegten, auf denen sie orientalisierte Inszenierungen fanden, die sie in Berlins Falafelimbisskultur wiederentdeckten (Haldrupt/Larsen 2009, Minca/Borghi 2009). Bis auf den Arabisten Thorsten hatte aber keine der Interviewten längere Zeit in der arabischen Region verbracht. Laut Edward Said (2003) unterliegt der Dichotomisierung zwischen Orient und Okzident eine Machtasymmetrie, da der Orient dem Westen untergeordnet wird. Damit hat der Orientalismus seiner Meinung nach koloniale, post-koloniale und imperialistische Politiken gefördert und Eingriffe in die gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen des Nahen Ostens und Nordafrikas bis in die Gegenwart hinein gerechtfertigt. In diesem Punkt stellt sich allerdings die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, hier auf Edward Saids Ausführungen über den Orientalismus und andere post-koloniale Beiträge zu rekurrieren. Denn die in den Imbissen wahrgenommenen orientalischen Stereotype könnten auch als harmlose Spielereien ausgelegt werden (Eldem 2007, 13), die sich in der gegenwärtigen Vermarktung von ganz unterschiedlichen regionalen (Ess-)Kulturen wiederfinden (z. B. James 1996). Um die Frage nach hegemonialen Stereotypisierungen zu beantworten, lohnt es sich, die Bewertungen der vier arabischen Migrantinnen und Migranten Afifa, Khaled, Mouris und Mahmud näher zu betrachten. Diese waren zwar nur selten

11 In den Übersetzungen wurden ganze Passagen weggelassen, während andere hinzugefügt wurden. Folglich waren die deutschen wie auch die anderen europäischen »Märchen aus Tausendundeiner Nacht« hier vor allem mit deutschen bzw. europäischen Vorstellungen und Fantasien über den Orient versehen (Attia 2009, 58). 12 Karl Mays Orientzyklus basierte nicht auf einer Reise, sondern war eine frei erfundene Erzählung. Interessanterweise fiel der Autor später in eine Depression, nachdem er dann wirklich eine Reise in den Orient gemacht hatte (Berman 2007, 199).

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Gast in den Falafelimbissen, aber durch ihre Perspektive konnte ich die Falafelimbisskultur in Berlin kontextualisieren.13 Was die Darstellungsformen anging, so waren sie zunächst der Meinung, dass die an die überwiegend deutschen und europäischen Kundinnen und Kunden gerichtete kulturelle Inszenierung ein nachvollziehbarer Teil der Vermarktung der Imbisse sei. In Bezug auf den Phönizier bemerkte Mouris: »Also die Berliner stehen auch auf so was. Also auf das Andere. Das Exotische. Und das ist für die Berliner exotisch genug. Für mich ist das nicht exotisch, ich kenne das« (K11). Und auch der in Moabit wohnende und in Syrien aufgewachsene Mahmud verstand die Intention dahinter: »Sie tun Kamel auf die Wände, Zelt und noch ein paar Sachen, andere Sachen, und auch die Bäume von den Datteln, und das ist es. Aber es ist nicht für uns. Jeder versucht, seine Mentalität oder sein Folklore oder Kultur, alle versuchen das. Aber da [in Syrien] nicht. Das ist ganz normal« (K10). Als ich ihm später aber die Aufnahme von der Sitzecke des Phönizier zeigte, war er aber dann doch entrüstet: »Aber ich frage dich. Was kommt Dir in den Kopf, wenn du das siehst? Rote Kopfkissen, rote Wand? Ja, da frage ich jeden auf der Straße. Rote Wand und rote Matratze und rote Kopfkissen? Was hat das mit Kultur zu tun? Echt. Wenn du den Stuhl wegnimmst, denkst Du, Du bist im Puff oder so. [...] Es hat gar nichts damit zu tun. Guck mal, die Araber sitzen auf dem Boden, die Alten. Ich selbst liebe es, auf dem Bett zu sitzen. Auf dem Boden. Aber wir lieben das nicht. Echt nicht. Sie nehmen nur die Idee, wir sitzen auf dem Fußboden, unten auf der Erde, aber du musst aufpassen, wie Du das benutzt« (K10).

Gerade weil die Übergänge im Phönizier zwischen einer als real wahrgenommenen und einer fantasiegeladenen orientalischen Kultur fließend sind, warnte er vor dem sexualisierten und diffamierenden Bild, das in diesem Imbiss gezeichnet werde. Er gab dem Besitzer des Imbisses eine Mitschuld daran, diese Stereotype aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen. Zudem wird im Hinblick auf die Bewertungen der interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten insbesondere bei der Ablehnung des Zweistrom deutlich, dass die mit einem traditionalistischen sinnlichen Orient verbundenen Stereotype sehr wohl ungleiche kulturelle Zuschreibungen zur Folge haben. Nicht nur kulturalisieren die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten die Imbissbesitzer immer wieder als »Araberinnen« und »Araber«, die ihre Kultur darzustellen haben, sondern sie werden auch der eigenen Kultur untergeordnet. Dies hat zunächst eine

13 Auf die Aussagen der vier Interviewpartnerinnen und -partner (K1, K6, K10, K11) wird im Verlauf der Arbeit immer wieder eingegangen, um die Falafelimbisskultur zu kontextualisieren.

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zeitliche Variante. Denn zum einen hinken sie in der Vorstellung der Konsumentinnen und Konsumenten dem eigenen modernen Fortschritt zeitlich hinterher, den sie nie ganz erreichen können (vg. Fabian 1983).14 Deswegen wäre es besser, wenn sie gar nicht versuchen würden, sich modern zu präsentieren, sondern eher ihr »Traditionelles« betonen würden, wie zum Beispiel Ben (K4) im Zusammenhang mit dem Imbiss Zweistrom anregte. Zum anderen werden die Besitzer häufig unreflektiert mit bildungsfernen Schichten gleichgesetzt und damit der eigenen sozialen Schicht untergeordnet. Denn nicht umsonst wird das »Schicke« als für das Arabische unpassend wahrgenommen. So sagte zum Beispiel auch Patricia zu dem Foto vom Außenbereich des Dada-Imbisses, einem Imbiss, der den Konsumentinnen und Konsumenten ähnlich wie der Zweistrom auch eher als modern, schick und angepasst galt: »Es ist ein Widerspruch. Er sieht sehr intellektuell aus, er möchte intellektuell sein, das ist er aber nicht. Das kann man nicht mit Falafel verbinden unbedingt. Intellektuell ist was ganz anderes. Mir gefällt es nicht. [...] Also drinnen merke ich schon, da gibt er diese Identität wieder. Aber hier (außen), diesen Identitätsverlust sieht man schon« (K15).

Die »intellektuelle« Gestaltung ist ihrer Meinung nach nicht nur aufgrund der Imbisssituation unpassend, sondern weil der Imbissbesitzer als Araber damit seine Identität verraten würde. Denkt man an die biografischen Hintergründe der Besitzer des Dada und des Zweistrom (Kapitel 3), die beide einen Abschluss in einem Studium im künstlerischen Bereich besitzen, merkt man, wie diffamierend diese Stereotypisierungen sein können und dass sie von den Betroffenen vermutlich als marginalisierend empfunden werden. Die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten bezogen sich aber nicht nur auf einen ästhetischen Orientalismus, sondern sie waren darüber hinaus durch die Wahrnehmung von arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin geprägt. So war Michael noch nie in der arabischen Region und stellte fest: »Ich habe ja keinen Vergleich. Ich war ja nie in Marokko, ich war nie im Libanon, Jordanien, Irak. Das ist ja alles, ich kenne das ja nur aus Kreuzberg« (K13). Und auch Annika zufolge waren ihre Vorstellungen durch das geformt, »was man halt davon kennt, wenn man hier wohnt« (K2). Michael fand dann, dass der Imbiss Phönizier deshalb

14 In seiner Studie »Time and the Other« zeigte Johannes Fabian, dass in ethnologischen Studien die Anderen nicht nur einer fremden Kultur zugeordnet wurden, sondern sie auch in einer anderen Zeit verortet wurden, der man sich selbst voraus sah. Diese Feststellung für die ethnologische Perzeption lässt sich auch auf Alltagsperzeptionen übertragen, die eng aufeinander bezogen sind.

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offensichtlich für Deutsche inszeniert sei, weil er in seiner »schicken« Präsentation seinem Bild von »Araberinnen« und »Arabern« in Berlin-Neukölln widersprach. Bis auf Thorsten und Stefanie hatte keiner der Interviewten dabei einen engeren Kontakt zu Personen mit arabischem Hintergrund. Ihre Vorstellungen bauten somit nur auf alltägliche und mediale Beobachtungen der Situation in Berlin auf. Die Perzeption der Falafelimbisskultur kann damit nicht unabhängig von Beiträgen und Debatten über muslimische Migrantinnen und Migranten in Berlin und Deutschland gedeutet werden, in denen die tradierten Orientbilder seit den achtziger Jahren im großen Maße reaktiviert wurden (Attia 2009, Eickhof 2010, Paulus 2007). Dietze (2009, 27) bezeichnet dies auch als »Neo-Orientalismus«, der Ausdruck der Neu-Konstellation von Feindbildern nach Ende des »Kalten Krieges« sei. Diese kulturalisierten Debatten, die Iman Attia und Ilka Eickhof zufolge Ausdruck eines anti-muslimischen Rassismus sind, kreisen dabei um die offensichtlich negativen Stereotypen eines politischen, rückständigen und fanatischen Islam.15 Wie die bisherige Analyse zeigte, reproduziert aber auch der ebenso präsente, vermeintlich positiv konnotierte ästhetische Orientalismus rassistisch gefärbte Stereotype über die orientalische oder muslimische Kultur, die als traditionalistisch (zeitlich hinterherhinkend) und popular (sozial untergeordnet) dargestellt wird. Iman Attia zufolge ist es das Zusammenspiel von vermeintlich positiven Orientbildern und negativ besetzten Islambildern bedeutsam, denn dadurch würden die Brüche und Widersprüche geglättet, »nämlich indem das Exotische, positiv Besetzte dem imaginären, märchenhaften, sinnlichen und ursprünglichen Orient zugewiesen wird, während der reale, politisch relevante, akademische Islam vernichtend als Bedrohung dargestellt wird« (Attia 2007, 10-11). In dieser Lesart ist das im Umfeld der Falafelimbisse konstruierte und wahrgenommene Bild der arabischen Kultur eine bloße Reproduktion des in Deutschland und Berlin teils auf alten, teils auch auf aktuellen Stereotypisierungen beruhenden Orientbilds. Diese Lesart ist aber bei Weitem zu kurz gegriffen und zu sehr auf die

15 Iman Attia (2009) und Ilka Eickhof (2010) bezeichnen diese Form der Stereotypisierung als anti-muslimischen Rassismus, da zum einen die Debatten zunächst »über« die vermeintlich Betroffenen aus einer Mehrheitsgesellschaftsperspektive heraus geführt werden (siehe z. B. Sarrazin), und zum anderen umfassende Kulturalisierungen und Essenzialisierungen vorgenommen werden, die die Betroffenen am Rande der Gesellschaft fixieren, anstatt gesellschaftliche Problemlagen kritisch auf ihre sozio-kulturellen Hintergründe zu hinterfragen und einzuordnen. Diese negativen Stereotype werden im Kapitel 7 aufgegriffen.

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Intention versteift, hegemoniale Diskurse zu entlarven (Eldem 2007, 13).16 Denn nicht nur wird dabei die Rolle der Anbieter missachtet, die diese Bilder kreieren und auf die im Verlauf dieses Kapitels noch genauer eingegangen wird, es wird auch übersehen, dass das Bewertungsschema der Konsumentinnen und Konsumenten zu den vier hier vorgestellten Imbisstypen über diese Stereotypisierungen hinausgeht. In dieser Hinsicht lohnt sich ein Blick auf Homi Bhabha (1994), der Saids 1978 erstmals erschienene Orientalismus-Thesen weiterentwickelt hat und in der postkolonialen Theorie-Debatte einer der wenigen ist, der anstatt sich auf eine Seite, entweder die der Mehrheitsgesellschaft oder die Stereotypisierten, zu fokussieren, die Verhandlungen zwischen beiden in den Blick genommen hat (Do Mar Castro Varela/Dhawan 2005, 87). Der Orient und die Suche nach Authentizität Homi Bhabha (1994) betonte, dass die Stereotype, die sich im Orientalismus finden, nicht nur als Machtinstrumente des »Westens«, sondern auch für die eigene Identitätsverhandlung bedeutsam sind. Der Orient dient dem Westen damit als Spiegel.17 In den Orientbildern spiegeln sich demnach nicht nur abwertende und abgrenzende Ressentiments, sondern auch unbewusste Fantasien und Ängste. Diese unbewusste Ebene hatte laut Homi Bhabha auch Edward Said versucht zu analysieren, wenn er das Zusammenspiel von einem manifesten Orient, also der Wissens-produktion, die raum-zeitlichen Variationen unterliegt, und einem latenten Orient, einem unbewussten recht stabilen Positivismus, erklärte. Bhabha erläuterte die Polarität zwischen »manifest« und »latent« wie folgt: »It is, on the one hand, a topic of learning, discovery, practice; on the other, it is the site of dreams, images, fantasies, myths, obsessions and requirements« (ebd., 102). Edward Said konnte diese Polarität aber nicht genauer auflösen, da er sich auf eine – auch in Hinsicht auf Foucaults Subjektdezentrierung – problematische, ausschließlich politische Intention versteifte,

16 Dies kann auch für den kritischen wissenschaftlichen deutschen Kontext gelten. So ist die empirische Analyse von Iman Attia 2009 (95ff.) über die vorhandenen Alltagsdiskurse über Muslimas und Muslime in der deutschen Mehrheitsgesellschaft diesem Drang geschuldet und entbehrt dabei analytischer Schärfe, gerade was die Aufarbeitung des empirischen Materials (der durchgeführten Interviews) anbelangt. 17 Diesen Aspekt sprach bereits Edward Said an, als er schrieb: »For there is no doubt that imaginative geography and history help the mind to intensify its own sense of itself by dramatizing the distance and difference between what is close to it, and what is far away« (Said 2003, 55).

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statt die Risse im Diskurs aufzuzeigen (vgl. auch Young 1990, 142). 18 Homi Bhabha hingegen nahm diese Zweiteilung auf und sah Stereotype durchaus als in sich ambivalent an. Im Rückgriff auf die Psychoanalyse und Freuds Fetisch dachte er darüber nach, welche Rolle orientalische Stereotype für die Identitätsformation in westlichen Kulturen spielen: »The fetish or stereotype gives access to an ›identity‹ which is predicated as much on mystery and pleasure as it is on anxiety and defense, for it is a form of multiple and contradictory belief in its recognition of difference and disavowal of it« (1994, 107). Diese Ambivalenz wird auch bei den Aussagen der Konsumentinnen und Konsumenten zu den verschiedenen hier vorgestellten Imbissen deutlich. Denn hinter den Bewertungsschemata der Konsumentinnen und Konsumenten finden sich nicht nur herabstufende Assoziationen, die den Orient als der eigenen Kultur unterlegen deuten, sondern auch Bewunderung und Sehnsüchte, die mit dieser Kultur verbunden werden und sich insbesondere in der Vorliebe für die wahrgenommene Exotik ausdrücken. Die als traditionell und bodenständig identifizierte arabische Kultur gilt den Konsumentinnen und Konsumenten auch deswegen als interessant, weil sie sich gegen die moderne, rationale und bürgerlich dominierte deutsche oder europäische Gesellschaft richte. Erstere wird als besonders kulturell und authentisch wahrgenommen. Laut Rolf Lindner (1998, 59) sind es gerade »subordinierte Gruppen«, seien es Arbeitermilieus, seien es migrantische Gruppen, die als besonders »kulturschwanger« wahrgenommen werden, und denen folglich eine kulturelle Authentizität unterstellt wird.19 Er bezog sich dabei zwar nur auf die Sichtweise von Ethnographen, seine Beobachtung kann aber auch auf die alltäglichen Wahrnehmungen von Falafelimbissen in Berlins Gentrifizierungsvierteln zutreffen. Aus diesem Grund gelten nämlich Imbisse wie der traditionelle und bodenständige Rissani oder – zu einem geringeren Teil – auch der exotische Phönizier als authentisch, während dies für den modernen Zweistrom nicht der Fall ist. Authentizität ist folglich nicht nur in den Augen des Betrachters ein Gütesigel, das für Echtheit, Originalität und kulturel-

18 Homi Bhabha zufolge ist die Einordnung von Stereotypen in positiv und negativ, wie sie auch Attia (2009) oder Eickhof (2010) für den deutschen Diskurs annehmen, eine Simplifizierung, die der oben weiter auf der Seite beschriebenen Entlarvung von Machtstrukturen in der Mehrheitsgesellschaft dient. Bhabha lehnt diese deterministische Betrachtungsweise – auch in Anlehnung an Foucault – als unzureichend ab. Seiner Meinung nach sind Stereotype in sich selbst widersprüchliche ambivalente Gebilde und sollten auch in ihrer Komplexität berücksichtigt werden (1994, 95). 19 Vgl. hierzu auch Bernd Jürgen Warnekens 2006 erschienenes Buch »Die Ethnographie popularer Kulturen. Eine Einführung«.

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le Unberührtheit steht (Handler 1986, 2), sondern deutet auch auf die Suche nach dem eigenen wahren Ich hin, das man in der eigenen Gesellschaft verloren zu haben glaubt (vgl. Wang 1999, 350ff.). Beide Aspekte bedingen sich gegenseitig. Frantz Fanon, der häufig als Vorläufer der postkolonialen Theorie gesehen wird, beschrieb in seinem Werk »Schwarze Haut, Weiße Masken« eben diese Gefühle, die ihm als »Schwarzen« in Frankreich entgegenschlugen: » ›Natürlich‹, so sagt man mir, ›von Zeit zu Zeit, wenn wir des Lebens in unseren Hochhäusern überdrüssig sind, kommen wir zu euch wie zu unseren Kindern. Jungfräulich, verwundert, spontan. Wir kommen zu euch wie zur Kindheit der Welt. Ihr seid so wahrhaftig im Leben, das heißt so verspielt. Verlassen wir für ein paar Augenblicke unsere förmliche und höfliche Zivilisation und neigen wir uns über die Köpfe, diese wunderbaren ausdrucksvollen Gesichter. In gewisser Weise versöhnt ihr uns mit uns selbst‹« (1986, 43). Frantz Fanon verortete diese Sehnsucht in der europäischen Nachkriegsmoderne und nahm damit auch eine außer-koloniale Kontextualisierung vor, die in Homi Bhabhas Betrachtungen nicht vorkommt. 20 In der Tat ist das Konzept der Authentizität erst in der westlichen bürgerlichen Moderne entstanden und hat, insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten, an Bedeutung gewonnen. Als Grund hierfür gilt die mit der Aufklärung aufgekommene Idee der subjektiven Bürgerlichkeit jenseits von gesellschaftlichen Rollen (vgl. Trilling 1989)21, die gegenwärtig – in Zeiten zunehmender sozio-ökonomischer Individualisierung – ihren Ausdruck in bürgerlichen Idealen wie der individuellen Selbstverwirklichung und Emanzipation findet (Lamla 2009, 321ff.). Diese Entwicklungen sind mit wirtschaftlichen Restrukturie-

20 Dieser Aspekt fehlt bei Homi Bhabhas Ausführungen, da bei ihm oft die historische, soziale und räumliche Kontextualisierung der Stereotypisierungen fehlt. Homi Bhabha verabsolutiert damit koloniale und postkoloniale Beziehungen, was an seiner psychoanalytischen Herangehensweise liegen mag. (Loomba 2005, 150). Im Übrigen kann die soziohistorische Kontextualisierung auch schon für den Orientalismus des 19. Jahrhunderts vollzogen werden. Nicht zufällig sind orientalische Klischees in europäischen Gesellschaften in Zeiten des »Romantismus« besonders populär gewesen, als man gerade im Bürgertum der Rationalität der »Aufklärung« zunehmend überdrüssig wurde (Eldem 2007, 18). 21 Lionel Trilling (1989) zeigte in seinem Buch »Das Ende der Aufrichtigkeit«, dass die Idee eines wahren Ichs, das außerhalb der Gesellschaft steht, erst mit der Aufklärung und der damit verbundenen Idee der bürgerlichen Subjektivität aufgekommen ist, wodurch ein vorher dominierendes, nicht hinterfragtes soziales Rollenverständnis abgelöst wurde. Dieses Verständnis ist heute in Zeiten zunehmender Individualisierung noch bedeutsamer.

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rungsprozessen eng verbunden. Zunächst hat das Aufkommen des Fordismus zu einer steigenden (räumlichen) Komplexität der sozialen Beziehungen geführt (Spooner 1986, 226), die nun im Postfordismus in eine (scheinbare) Ausdifferenzierung der Lebensverhältnisse mündet. Diese neuen Lebensformen und die damit verbundenen Konsumansprüche sind nicht zufällig zum kulturellen Unterbau des gegenwärtigen auf Flexibilisierung aufbauenden Spätkapitalismus geworden. Laut Amrein (2009, 9) lässt die heute durch die Breite an konsumistischen Identitätsangeboten entstandene Erfahrung der Kontingenz den Ruf nach Authentizität wieder stärker werden, und erhebt damit Authentizität auch bei Konsumgütern zu einem zentralen Gütekriterium – und das, obwohl sich Konsumentinnen und Konsumenten der Fragilität und Wandelbarkeit durchaus bewusst sind (Lamla 2009, 327).22 Das erklärt auch, warum die etwas verspieltere orientalische Inszenierung des Phöniziers mit der Sitzecke (siehe Abbildung 9) trotzdem für die Kundinnen und Kunden funktioniert, obwohl man sich deren Originalität nicht sicher ist. Doch auch diese Inszenierung hat die Funktion, sich in eine nicht-westliche »fremde Welt«, wenn auch nur für eine kurze Zeit, hineinversetzen zu können. Diese Form der Authentizität wird folglich nicht nur auf Urlaubsreisen gesucht und erlebt (Trupp/Trupp 2009), sondern auch beim fast alltäglichen Besuch eines ethnisch konnotierten Restaurants (Lu/Fine 1995). Oft sind auch beide – touristische Erlebnisse und alltägliche städtische Praktiken – eng aufeinander bezogen, wie Färber (2011, 53) in Bezug auf die Wasserpfeife erläuterte und wie sich auch bei den Konsumentinnen und Konsumenten in Falafelimbissen zeigte. Authentizität gilt somit als Marker für (eine verloren geglaubte) Kultur. Orientalismus als Dinstinktion in der Gentrifizierung Authentizität wird darüber hinaus zu einem Distinktionsvehikel, mit dem sich die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten von anderen Gruppen abgrenzen. Das machte insbesondere die Diskussion zum Nachtigall-Imbiss deutlich, der den Konsumentinnen und Konsumenten als zu konventionell erschien. So empfand Sarah (K16) den Nachtigall-Imbiss gegenüber ihrem favorisierten Imbiss aufgrund

22 In dieser Hinsicht wird die aktuelle Wiederentdeckung der Authentizität auch als Resultat des »postmodernen Dekonstruierens« gesehen und der Sehnsucht, dieses zu überwinden. In der Tat scheinen Ecos (1986) Arbeiten zur Hyperrealität und Baudrillards (1983) Abhandlungen über die Simulationen, in denen beide Autoren das Ende der Bedeutung der »Authentizität« und stattdessen den spielerischen und teils überzogenen Umgang mit unterschiedlichen Identitätsangeboten propagierten, die Bedeutung des »Wahrhaftigen« nicht ersetzt zu haben (siehe auch Harvey 1989, 303).

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der Getränkedosen als weniger »authentisch« und damit weniger kulturell. In dem von ihr gebrauchten Begriff der »Authentizität« verschränken sich zwei Aspekte: Ihre Assoziationen mit der arabischen (Ess-)Kultur, die für sie als persönlich und traditionell gilt, überlappen sich mit ihren eigenen Vorlieben für einen persönlichen (und dadurch behaglichen) Stil und einer Kritik an Gütern und Dienstleistungen des modernen Massenkonsums, der laut den hier zitierten Interviewpartnerinnen und -partnern auch an einer einheitlichen, standardisierten Imbissinfrastruktur ablesbar ist. Folglich ist es nicht nur eine Sehnsucht im Sinne Homi Bhabhas (1994), die authentisch wahrgenommene arabische Imbisse als besonders attraktiv erscheinen lässt. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen sich durch den Konsum solcher Orte auch gegenüber anderen in Berlin präsenten soziale Gruppen abgrenzen, was zum Beispiel in der Ablehnung der popularen »Pommesbude«, aber auch in der Ablehnung des zu »deutschen«, »schicken« und »modernen« Zweistrom sichtbar wird. Diese Bewertungen sind damit auch Ausdruck ihres Habitus, ihrer Dispositionen und Geschmacksvorlieben. Dadurch, dass die Interviewten etwas als »authentisch« Deklariertes konsumieren, fühlen sie sich selbst authentisch und damit gegenüber anderen statushöheren wie -niedrigeren sozialen Gruppen legitimiert. Wie wissenschaftlich nachgewiesen wurde, spielt Authentizität als Distinktionsvehikel besonders in Gentrifizierungsprozessen eine große Rolle (z.B. Jager 1986; Ley 1996; Rofe 2003; Zukin 2008; Zukin 2010). 23 Vermeintliche Authentizität finden die Gentrifizierer zum einen in den Altbauten, die sie bewohnen und in denen sie ihre lokalen historischen Wurzeln wiederzuentdecken meinen (vgl. Jager 1986). Sie finden sie aber auch im Konsum ethnischer Kulturen. Durch beides können sie

23 So sind die den Aussagen der hier zitierten Konsumentinnen und Konsumenten unterliegenden Werte wie Anti-Kommerzialität, Traditionalität und Individualität nicht zufällig auch Werte der so bezeichneten »Pioniere« gewesen, die ab den sechziger Jahren in New York oder London in die vernachlässigten Stadtzentren zogen, auch um sich von der breiten, in den neu errichteten Häusern des suburbanen Raumes lebenden Mittelschicht und ihrem massenkonsumorientierten Stil abzugrenzen (Ley 1996). Und auch in den alternativen Milieus Kreuzbergs und Schönebergs in den Achtzigern und später auch in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain waren diese Distinktionspraktiken zu finden (siehe Kapitel 3). Diese Ideale haben sich von den subkulturellen Gruppen auf breitere Gesellschaftsgruppen ausgebreitet. Gleichzeitig transformierten sich die in den Gentrifizierungsvierteln präsenten Lebensstile weg von noch eher gemeinschaftlichen protestorientierten Formen hin zu individuell konsumorientierten Formen (Ley 1996, Lang 1998). Die sich vom Massenkonsum der Moderne abgrenzenden Ideale sind damit längst marktfähig geworden.

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ihre Offenheit gegenüber anderen historischen und geographischen Gesellschaftszusammenhängen ausdrücken und sich damit von breiten massenkonsumistisch und modern ausgerichteten Gruppen abgrenzen. Der von ihnen konstruierte Orient ist dabei in allgemeine Konsumpraktiken in Berlins Gentrifizierungsvierteln eingebettet, in denen nicht zufällig »Vintage« und »Retro« die bevorzugten Stile sind (vgl. Jameson 1991, 66ff.). Die in den Falafelimbissen verwendeten Dekorationselemente wie dunkle Wandfarben, verschlissene Fußböden, Fließen oder handgeschriebene Tafeln sind Teil dieses Stils und finden sich auch in vielen anderen gastronomischen Einrichtungen in Berlins Gentrifizierungsvierteln wieder. In Berlins Gentrifizierungsvierteln scheinen jene Imbisse besonders bevorzugt zu werden, die mehr kulturell als kommerziell wirken. Eine zu offensichtliche Komodifizierung wiederum setzt den kulturellen Wert des Produktes oder der Dienstleistung herab (vgl. Ley 1996, 2535). Denn dadurch verlieren die Waren das Gütesigel der Authentizität. Folglich ist es die Kulturalisierung der arabischen Imbisse, die es den Konsumentinnen und Konsumenten erlaubt, sich selbst ein nichtkommerzielles Image anzuheften. Dieses nicht-kommerzielle Image ist gleichwohl eine aus der »Not entstandene Tugend« (Bourdieu 1987, 585), mit der sie ihre eigene soziale Position, die durch hohes kulturelles Kapital bei vergleichsweise geringem ökonomischen Kapital gekennzeichnet ist, verteidigen und rechtfertigen wollen. Was als »schick« gilt und was »bodenständig« ist, wird dabei sozial konstruiert. Denn die aufwändigen orientalischen Dekorationen des Rissani, die die Interviewten als bodenständig bewerteten, könnten für andere wiederum als schick gelten. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen folglich die Imbisse durch eine kulturelle Brille sehen, die es ihnen erlaubt, sich selbst als kulturell und geerdet, aber eben doch distinguiert wahrzunehmen. Die als fremd konstruierten Stereotype in den Orientbildern sind damit Spiegel des eigenen Habitus. Dass dies eine kulturelle Stereotypisierung der Falafelimbissunternehmer zur Folge hat, reflektieren die meisten dabei nicht. Im Folgenden stellt sich nun die Frage, wie die Anbieter mit diesen Erwartungen der Kundinnen und Kunden umgehen.

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D ER O RIENT ALS A RCHIV UND R EPERTOIRE – P OSITIONIERUNGEN DER A NBIETER Der Rückgriff auf das Archiv Ich habe es so eingerichtet, dass die Leute wissen, dass es ein orientalischer Laden ist. BESITZER DES SANABEL (A16, 2009) Ja, also man merkt das sofort. Also hier gibt es eine Wasserpfeife oder Wunderlampe, das hat man als Logo hier. Oder die Palme, das ist dann sofort arabisch. BESITZER DES TAEBS BISTRO (A17, 2009)

Wie für die Konsumentinnen und Konsumenten so war es auch für den Großteil der interviewten Anbieter zunächst vollkommen plausibel, Bilder in den Imbissen als Dekorationselemente zu verwenden, die sich auf einen Orientdiskurs bezogen. Aus diesem Grund hinterfragten sie dies oft nicht. Diese Plausibilität rührte zum großen Teil daher, dass andere Falafelimbisse in den Gentrifizierungsvierteln diese Dekorationselemente schon vor ihnen verwendet hatten.24 Folglich konnten sie erwarten, dass sich eine orientalische Präsentation in den Falafelimbissen verkaufte. Zudem wussten sie, dass sich bestimmte orientalische Darstellungsformen gut mit den Geschmacksvorlieben der Kundinnen und Kunden vereinbaren ließen, wie das Zitat des Geschäftsführers des Meyman zeigt: »Also hier in der Gegend läuft immer etwas Lockeres. Also wenn die Menschen hier drin sind, sollen sie sich wohlfühlen. Dass sie nicht sagen, jetzt bin ich ja verkleidet, das ist ja ein SchickiMicki-Laden. Also man soll sich hier nicht fremd fühlen. Daher kamen wir auf die Idee, dass wir hier so warme Töne benutzen« (A 10). In diesem Sinne griff der Großteil der Imbissbesitzer auf ein Archiv an orientalischen Bildern zurück, das sie als kulturelle Ressource in den Imbissen einsetzten. Was und inwieweit sie aber auf dieses Archiv zurückgriffen, hatte wiederum mit ihrer Positionierung gegenüber den orientalischen Stereotypen, die in Berlin präsent waren, zu tun. Diese unterschiedlichen Positionierungen spiegelten sich in unter-

24 Manche Besitzer, die einen Falafelimbiss vom Vorbetreiber übernommen hatten, beließen es auch bei der Dekoration, weil sie wussten, dass die Stammkundinnen und -kunden sich schon an diese Form der Gestaltung gewöhnt hatten, und sie den hohen Renovierungskosten entgehen wollten.

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schiedlichen Einrichtungsstrategien wider, die hier an einigen Beispielen erläutert werden. Der Orient als Identifikation Der Großteil der für diese Arbeit interviewten Anbieter betonte identifikatorische Anknüpfungspunkte zu den von ihnen präsentierten Orientbildern, wobei hier zu bemerken ist, dass dies in der Interviewsituation Teil der Strategie war, mir als Interviewerin den Imbiss als authentisch zu vermarkten. Sie wussten, dass Authentizität in der Falafelimbisskultur in Berlin ein zentrales Gütekriterium war, das es herauszustellen galt. An ihren Ausführungen lässt sich aber etwas zu ihrer Einstellung gegenüber den Orientbildern ablesen, wie an drei Beispielen gezeigt werden soll. So war es zum Beispiel dem Geschäftsführer des Habibi wichtig, den überwiegend deutschen Kundinnen und Kunden ein traditionelles kulturelles Bild zu zeigen. Er zeigte mir dafür Beispiele in dem Lokal am Winterfeldplatz: »Diese Bilder zum Beispiel hier. [Er zeigt auf Wandgemälde, auf denen eine Gasse in einer arabischen Altstadt abgebildet ist.] Das ist die Kultur von Syrien und Jordanien. Und die andere Seite hier ist Bagdad. Das gefällt mir. Das gefällt den Kunden auch« (A7). Er, der selbst im Irak aufgewachsen ist, und sich im Verlauf des Interviews als gläubiger Muslim darstellte, sieht sich selbst als Repräsentant einer arabischen Kultur. Abstrakten orientalischen Symbolen, wie zum Beispiel bunten Fließen, stand er hingegen kritisch gegenüber: »Das bedeutet gar nichts« (A7). Folglich empfand er nicht alle orientalischen Elemente, die im Imbiss Habibi benutzt wurden, als repräsentativ. Seine Vorstellungen verliefen teils quer zu den Geschmacksvorlieben und Authentizitätskonstruktionen der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten. So würde er gerne den aus alten verblassten bunten Kacheln bestehenden Boden renovieren, müsste ihn aber so belassen, da dieser Stil seinen Kundinnen und Kunden gefallen würde: »Aber für mich nicht. Der ist alt und die Qualität ist nicht gut« (A7). Auch der Imbissbesitzer des Salsabil wollte ein arabisches Bild so präsentieren, wie er es im Kopf hatte. Bei ihm ging es dabei aber weniger um die Darstellung von bestimmten alltagskulturellen Szenarien als vielmehr um einen ästhetisch-architektonischen Stil, wie er ihn aus den Altstädten in Tunesien kannte. Er hatte sein Lokal im Prenzlauer Berg vom vorherigen Besitzer übernommen, wollte aber die Gestaltung ändern, da ihm das bisherige Interieur nicht gefiel, wie er während eines Interviews sagte: »Ich würde gerne, wenn ich Geld habe, würde ich gerne eine richtig neue tunesische Location machen, richtig tunesisch mit tunesischen Fliesen und Marmor und schön. Aber zur Zeit brauche ich einen schönen Kredit, damit ich das machen kann« (A15). Auf die Nachfrage, warum ihm das besser gefallen würde, meint er dann: »Ja, das ist besser. Passt besser zu dem Arabischen. Das hier ist

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nicht arabisch« (A15). Damit meinte er die Einrichtungsgegenstände wie verzierte Lampen und Vasen oder Stilelemente wie dunkle Wände. Er sah sich aufgrund seiner Herkunft als Experte für die Inszenierung einer arabischen Kultur. Als Vorbild für seine Idee nannte er ein Restaurant in Kreuzberg, das auch diese Fliesen benutzt hätte und ihn an Tunesien erinnerte. »Das sieht schön aus, da denkt man, man ist im richtigen Arabien. Aber hier ist es nur ein Imbiss zum Essen und dann weg. Und wir haben ein paar Sachen arabisch, so die Lampe ein bisschen, aber mehr nicht« (A15). Er habe auch einen Freund, der in Berlin einen Großhandel für solche Fliesen betreibe. Ein Jahr später hatte er seinen Imbiss renoviert. Er wollte folglich nicht einfach beliebige orientalische Klischees mit Wandfarben oder Wunderlampen bedienen, sondern seine authentische Vorstellung von einer arabischen Kultur darstellen, die er aber selbst von außen betrachtete. Er, der sich selbst als liberal begriff und auch mit seiner Frau im Stadtteil Prenzlauer Berg wohnte, hatte weniger ein konservatives Bild der arabischen Kultur, das er bewahren wollte, vielmehr ging es ihm um ästhetische Stilelemente. Dies traf auch auf den Besitzer des Taebs Bistro in Berlin-Mitte zu, der ebenfalls dort wohnte. Er hatte für sein Lokal in Berlin ein altes Restaurant im Libanon als Vorlage gewählt: »Das war wirklich richtig alt. Und es hat immer superlecker geschmeckt, und es war immer voll. Und dann habe ich gedacht, wenn ich mal ein Restaurant mache, dann so wie bei ihm. Er hatte wirklich kaputte Wände. Aber hier haben wir es selbst gemacht. Also diese Art, dass es alt wird. Also dass man, wenn man reinkommt, dass man so einen Moment von Tausendundeiner Nacht hat, oder orientalisch. Das war meine Idee, und die habe ich dann zusammen mit einem Architekten gemacht«. Und weiter sagte er: »Also das ist wirklich ein Restaurant neben meinen Eltern, wo die gewohnt haben. Und ich kann mich erinnern, die Wände waren da wirklich kaputt. Und die Lampe, manchmal war sie an, manchmal gab es keinen Strom. Er macht es so wie hier, an den Wänden eine Kerze, dass man Licht hat. [Zeigt auf eine schwarze Lampe an der Wand, in der ein elektrisches Kerzenlicht flimmert.] Und dann habe ich das alles hier ein bisschen verbessert in Deutschland. Weil ich kann nicht einfach ohne Strom hier machen« (A17).

Wie seine Konsumentinnen und Konsumenten fand der Besitzer des Taebs Bistro eine traditionelle und bodenständige Atmosphäre faszinierend und hatte damit ähnliche Vorstellungen von einer orientalischen Authentizität. Damit teilte er die ästhetischen Präferenzen seiner Kundinnen und Kunden. Im Unterschied zu ihnen verortete er seine Authentizitätskonstruktionen aber in einer imaginierten Vergangenheit. Seine Erinnerungen an das alte Restaurant im Libanon, das er damals schon als in-

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szeniert begriff, nahm er als Grundbaustein und weitete sie dann in Richtung seiner Kundinnen und Kunden aus, denen er ein verspieltes, ein orientalisch-altertümliches Tausendundeine-Nacht-Flair bieten wollte.25 Er setzte folglich kreativ ein Konzept um, das aber – aufgrund der Kindheitserfahrungen im alten Lieblingsrestaurant im Libanon – für ihn auch identitäre Züge beinhaltete. Zumindest verkaufte er seine Kindheitserfahrungen im Libanon mir gegenüber als sein kulturelles Kapital. Anders präsentierte sich der Besitzer des Phönizier. Der Orient als Strategie Für den Imbissbesitzer des Phönizier, der, wie Abbildung 9 zeigt, in seinen Imbiss eine mit roten- und violetten Kissen bestückte Sitzecke integrierte, war die orientalische Darstellung nur eine strategische Entscheidung, die sich an die Konsumentinnen und Konsumenten richtete und, nichts mit seiner kulturellen Identität zu tun habe: »Die Innenausstattung, das ist nur eine Fantasie im Kopf« (A13). Die verzierten Kissen, Wasserpfeifen und Lampen habe er überwiegend aus Geschäften in Berlin bezogen, wo es ein großes Angebot an diesen Einrichtungsgegenständen gebe. Er präsentierte folglich nicht seine Herkunft als kulturelles Kapital. Sein verspielter, etwas überzogener Umgang mit dem Orientalischen ist sicherlich nicht zufällig, denn er selbst fühlt sich nicht unbedingt als »Araber«. So verwendete er von sich aus auch nicht das Wort »Araber«, sondern sprach von »Orientalen«, wenn er andere Falafelimbisse oder Zulieferer benannte. Er selbst grenzte sich stark von einer muslimisch geprägten arabischen Community in Berlin ab. Und auch in der Namensgebung findet sich diese Distanzierung wieder: »Ja, der Phönizier ist schon von dieser Ecke, also hat auch mit dem Libanon zu tun. Viele Libanesen, die fühlen sich so als Libanesen. Andere schreiben wiederum Al Arabi. Sie nehmen einen Namen, der passt. Der schon passt mit unserer Kultur« (A13). Er selbst ist ein maronitischer Christ und im Libanon sind es vor allem die Maroniten, die sich auf die Herkunft der Phönizier berufen, auch um ihre lange Tradition und Verankerung in der Abgrenzung zu den arabischen Musliminnen und Muslimen im Gebiet der Levante zu betonen. Unterstrichen wird der Name durch eine hieroglyphenartige Schrift auf dem Namensschild. Arabische Schriftzeichen finden sich

25 Um seine Idee umzusetzen, zog er eine Malerin, die auch Architektur studiert hatte, hinzu, mit der er über längere Zeit zusammenarbeitete und auch bestimmte Einrichtungsgegenstände entwarf. Eine Lampe zum Beispiel bauten sie aus einer Wasserpfeife. Ein mit Zwiebeltürmen verziertes Wandregal fertigte er aus Holz vom Flohmarkt und bestückte es mit Marmor aus Italien.

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hingegen im Imbiss genauso wenig wie ein Verweis auf »arabische« Spezialitäten. Der Besitzer traf folglich bewusst eine Entscheidung für eine übertriebene Exotisierung, um sich von einer arabischen Identität zu distanzieren. Gleichzeitig wusste er, dass diese fantasievolle Tausendundeine-Nacht-Vorstellung bei seinen Kundinnen und Kunden gut ankommen würde. Die Erwartungen, die die Konsumentinnen und Konsumenten an seinen orientalisch präsentierten Imbiss richteten, hatten für ihn dann aber auch durchaus etwas Restriktives. So erzählte er zum Beispiel, dass er immer orientalische Musik spielen müsse: »Also die Kunden wollen nicht was anderes haben. Also das haben wir schon mal, manchmal etwas so westliche, ruhige Musik. Das wollen sie aber nicht.« Er hatte auch schon des Öfteren direkte Kritik bekommen, wenn er das Radio anschaltete: »Und da fragen dann die Kunden: Warum Radio? Warum keine orientalische Musik? Sehen sie, manchmal müssen wir andere Musik machen, damit es nicht so still bleibt. Und da haben die Leute gedacht, wir machen das extra. Wir müssen dann immer erklären, dass die CDAnlage kaputt ist. Dass wir eine neue kaufen müssen« (A13).

Er ist an dieser Stelle des Interviews offensichtlich etwas verärgert, dass er sich gegenüber den Kundinnen und Kunden im Imbiss rechtfertigen muss, wenn er nicht eine orientalische Identität präsentiert. Um sich mit diesen Erwartungen der Kundinnen und Kunden nicht auseinanderzusetzen zu müssen, gab es auch Imbissbesitzer, die bewusst von vorneherein auf eine orientalische Referenz verzichteten und dies zur Schau stellten. Der Verzicht auf eine orientalische Referenz Der Besitzer des Imbisses Dada (A5) verzichtete auf »orientalischen Schnickschnack«, wie er es ausdrückte, und entschied sich stattdessen für eine abstrakte Darstellung mit »exotischen Farben«. Wie in Kapitel 3 im Porträt angeklungen, sah sich der Besitzer des Dada nicht als Araber und wollte so auch nicht verstanden werden. Er fasste sich selbst eher als Künstler auf. Diese Positionierung jenseits des Arabischen stellte er dann auch im Imbiss dar. Zwar integrierte er mit der roten Wandfarbe ein Stilelement, das die Konsumentinnen und Konsumenten mit dem Orientalischen verbanden, das sich aber gleichzeitig auch in vielen anderen gastronomischen Einrichtungen in Berlins Gentrifizierungsvierteln wiederfand. Seine künstlerische Affinität versuchte er schon durch die Wahl des Namens für seinen Imbiss zu unterstreichen. »Dada« bezieht sich auf den Dadaismus. Das erste »A« im Titel ist dementsprechend um 90 Grad gekippt. Zudem integrierte der Besitzer

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einen Schriftzug, der sich auf den Dadaismus bezog. Und nicht zuletzt spielte er in seinem Imbiss überwiegend Jazzmusik. Seine Abgrenzung vom Arabischen hatte nicht nur mit seinen Erinnerungen an die Zeit unter dem Regime in Bagdad zu tun, sondern hing auch mit seinem negativen Bild von arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin zusammen. Dabei reproduzierte er selbst Stereotype wie die in den Medien verbreiteten Bilder, indem er die Migrantinnen und Migranten als konservativ, fanatisch und nicht integrationsfähig beschrieb. Er schloss sich hier der Dichotomisierung zwischen Arabern und Nicht-Arabern an, als er zum Beispiel verallgemeinernd sagte: »Araber sind selten hier. Weil die mögen meine Atmosphäre nicht«. Erst dann fügte er hinzu: »Einige vielleicht, die wirklich im Bereich Kunst tätig sind, die kommen auch gerne zu uns« (A5). Seine Positionierung wurde ganz klar so von anderen Imbissbesitzern erkannt und teils auch kritisiert. So sagte zum Beispiel ein Besitzer in Kreuzberg während eines Gesprächs, dass der Dada-Imbissbesitzer sich vom »Orientalischen« lösen wolle. Der zweite interviewte Imbissbesitzer, der eine orientalische Darstellung ablehnte, war der Baharat-Imbissbesitzer. Er beschrieb die der Dekoration zugrunde liegende Idee wie folgt: »Die Farbe hat was mit Zutaten zu tun, Kichererbsen, Mango, Sesamsoße – das hat alles mit der Falafelfarbe zu tun. Und der Name vom Laden, Baharat, heißt auch das Gewürz, die Mischung von Falafel. Ist alles so ein Komplex« (A3). Eine aufwändige orientalische Dekoration hingegen entsprach nicht seinem Geschmack. So meinte er: »Nein, ich wollte einfach so schlicht machen. Alles anpassen an die Deutschen, weil bei mir sind 90 Prozent deutsche Kundschaft. Und dann mache ich nach dem Geschmack. Und mein Geschmack ist auch so, ich möchte nicht so schickimicki« (A3). Im Gegensatz zu den hier interviewten Konsumentinnen und Konsumenten hatte er eine konträre Vorstellung von »schicki-micki«. Für ihn war »schicki-micki« eine orientalisierte Gestaltung, wie er sie zum Beispiel im Rissani fand. Letzteren Imbiss hatten die Konsumentinnen wiederum als bodenständig und traditionell bewertet. Der Besitzer des Baharat hielt hingegen eine Orientierung an den deutschen Geschmack für erstrebenswert, den er als modern und schlicht begriff, genau konträr zu den hier interviewten deutschen und europäischen Konsumentinnen und Konsumenten, die eine orientalische Darstellung vorzogen. Der Besitzer des Zweistrom hatte seine eher als modern wahrgenommene Gestaltung ebenfalls bewusst ausgewählt: »Ich wollte ausdrücken, ich wollte zeigen, dass ich auf modern stehe. Das heißt nicht modern im Sinne ... Also meine Wohnung ist auch eine Altbauwohnung. Aber ich habe viele moderne, ganz normale Sachen. Ich wollte den Laden so modern machen mit gerade deutliche Linien und dann mit einem Tick ›Arabisch‹ oder ›Irakisch‹, so dass man sich gut fühlt« (A18).

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Auch wenn er – wie er mit seiner Wohnsituation andeutet – ähnliche ästhetische Präferenzen wie seine Konsumentinnen und Konsumenten in Gentrifizierungsvierteln hatte, war es ihm im Falle seines arabischen Imbisses wichtiger, das Moderne zu betonen, da er sich von bestimmten orientalischen Stereotypen abheben wollte. Das machte er auch bei der Namenswahl deutlich: »Ich habe schon den Laden, mein Café, das heißt Ein-Stern. Und dann habe ich gesagt, ok, dann irgendwas mit »zwei«. Und dann komme ich auf »Zweistrom«, weil ich Iraker bin, und Irak heißt »Zweistromland«. Und dann habe ich gesagt, hey, Zweistromland, wenn ich das schreibe, das hört sich lächerlich an, das ist wie Tausendundeine Nacht. Weil der Laden vorher, also Zweistrom, hieß 1001 vorher. Dann aber lieber Zweistrom« (A18).

Er wollte folglich nicht in die orientalisierende Schublade gesteckt werden, auch weil er diese selbst »lächerlich« fand. Die inkludierten arabischen Referenzen sollten seinen künstlerischen, kreativen Hintergrund ausdrücken, wie das Logo des »Marduk«, des alten babylonischen Stadtgottes, zeigte, dessen Statue im Pergamonmuseum ausgestellt ist. Seine Distanzierung zum dominanten orientalischen Bild mag auch eine Reaktion auf seine Erfahrungen sein, die er im Alltag gemacht hat, wo er unter den ihm gegenüber hervorgebrachten Stereotypisierungen litt, wie er erzählte: »Weil als ich 32 war, und mit Salsa und mit Tango angefangen habe, und irgendwie, Salsa oder Tango, da muss man einfach die Hand der Frau ..., muss man dicht einfach tanzen. Und da kommt manchmal die Frage: Nicht wie heißt Du überhaupt, sondern woher kommst du? Es gibt solche Leute, weißt du. Und dann sehe ich: Bist Du Italiener? Und ich so, ne, ich bin Iraker, ich komme aus Bagdad. Und dann sehe ich, dass die Gesichtszüge ändern sich. Dann kommt dieses gelbe Lächeln. Und dann, wenn das Lied zu Ende ist, dann kommt, Dankeschön oder Danke, und schnell verschwinden. Und die Frage, einmal in einer Zeitphase, habe ich mich aufgeregt. Ich habe gesagt, ja, ich komme daher. Es interessiert mich auch nicht, wo du herkommst. Ich finde dich nett oder wir tanzen ein bisschen und tschüss. Aber ne, jetzt lache ich drüber und sage das stolz. Weil ne, du kannst das nicht ändern. Kannst du deine Schwester aussuchen? Kannst Du Deine Alten aussuchen? Ich kann auch nicht mein Land aussuchen. Ich bin da geboren. Und jetzt jeder Mensch bis zu einem Punkt hat das Recht, dass man auch stolz auf seine Kultur oder sein Land oder seine Gesellschaft oder Religion oder komische Kram ist« (A18).

Der Zweistrom-Imbissbesitzer wollte sich folglich nicht so sehr vom Arabischen lösen, als vielmehr versuchen, seinen Imbiss in ein anderes Licht zu rücken, das von den gängigen orientalischen Stereotypen abweicht.

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Orient als Repertoire – Diskussion der Positionierungen In ihrer Forschung zur Repräsentationsarbeit auf der Expo 2000 stellte Alexa Färber (2006, 290) fest, dass der Orientalismus für die Darstellung des Nahen Ostens und Nordafrikas nach wie vor als »der Repräsentationsmodus« für das Arabische gilt. Dies traf auch auf die Darstellungspraktiken von Falafelimbissbesitzern in Berlin zu. Die oben aufgeführten Aussagen zeigten, dass der Orientalismus für alle – auch diejenigen, die versuchten sich ihm zu entziehen – ein wichtiger Referenzrahmen war. Stuart Hall zufolge gibt es keine kulturellen Selbstdarstellungen, die außerhalb des Repräsentationssystems erfolgen könnten (Hall 1994, 30). Auch eine bewusste Negation bezieht sich folglich auf den Orientalismus. Wie schon Frantz Fanon (1986) deutlich machte, wirken kulturelle hegemoniale Diskurse wie der des Orientalismus auf beiden Seiten, der Macherseite wie der Subjektivierungsseite, und werden folglich auch von denjenigen, an die sie gerichtet sind, verinnerlicht.26 Alle kulturellen Identitäten sind damit Stuart Hall zufolge eine Positionierung. Da sie immer innerhalb von hegemonialen Repräsentationssystemen und nie außerhalb konstruiert werden, gibt es damit aber auch »keine absolute Garantie eines unproblematischen, transzendentalen Gesetz des Ursprungs« (Hall 1994, 30). Zudem konnte man auch aus den Interviews mit den Anbietern herauslesen, dass den orientalischen Stereotypen eine Machtasymmetrie unterliegt, wodurch die Falafelimbissbesitzer in ihren Darstellungsmöglichkeiten begrenzt werden. Laut Peter Niedermüller (1998, 293) ist dies gerade die Logik der Repräsentation, dass nämlich die dominanten Gruppen die Formen der Selbst- und Fremdrepräsentationen bestimmen würden. Wie das Beispiel der von den Konsumentinnen und Konsumenten eingeforderten orientalischen Musik im Phönizier zeigt, beugen sich viele Anbieter der von ihnen erwarteten Folklorisierung, da diese für sie ökonomisch verwertbar ist. Gleichzeitig machen die unterschiedlichen Darstellungsformen deutlich, dass es sehr wohl Eingriffsmöglichkeiten in die Repräsentation des Orientalismus aufseiten der Anbieter gibt. Denn nimmt man die Ambivalenz von Stereotypen in Homi Bhabhas (1994) Sinne ernst, dann ist der orientalische Diskurs nicht so starr, wie Edward Said (2003) ihn gezeichnet hat. Aufgrund der gefühlten Unsicherheit, die durch Ängste und Sehnsüchte entsteht, müssen die Stereotype ständig wiederholt werden, um bestehen zu können: »Likewise the stereotype, which is a major discursive strategy, is a form of knowledge and identification that vacillates between what is always ›in place‹, already known, and something that must be anxiously repea-

26 Auf diese Verinnerlichung bezog sich auch Frantz Fanon, als er sein Buch »Schwarze Haut, Weiße Masken« (1986) nannte.

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ted« (Bhabha 1994, 3). Für Homi Bhabha werden Stereotype damit performativ produziert. Damit kann der in den Falafelimbissen mehr oder minder präsente Orientalismus nicht nur als eine »Aktualisierung von Archiven« (Färber 2006, 302) aufgefasst werden, sondern auch als »Repertoire« (vgl. auch Gregory 2004, 18). In den Imbissen konnten drei unterschiedliche Formen von Repräsentationspraktiken identifiziert werden, wie der Orient in Szene gesetzt bzw. nicht in Szene gesetzt wird und wie dieser damit als Repertoire genutzt wird. Zunächst gab es die Besitzer, und dazu zählte der Großteil der hier Interviewten, die angaben, ihre kulturellen Identitäten in den von ihnen präsentierten Orientdarstellungen wiederzufinden. Diese Selbstorientalisierung könnte als Teil der Verinnerlichung des Diskurses aufgefasst werden (Said 2003, 322), der in der Situation der Diaspora und der damit alltäglichen Positionierung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft noch stärker hervortreten könnte. Sie könnte aber auch Ausdruck ähnlicher Dispositionen wie der ihrer Konsumentinnen und Konsumenten sein. So suchten auch der Besitzer des Taebs Bistro und des Salsabil Imbisses nach arabischer Authentizität, nur dass sie diese nicht auf die ganze arabische Kultur projizieren, sondern sie ebenfalls von außen betrachten und zum Beispiel historisch verorten. In diesem Sinne ist Authentizität natürlich nicht nur ein genuin westliches Konzept, wie Handler (1986) annahm – eine Annahme, die aufgrund der intensiven wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verflechtungen ohnehin hinfällig ist, und selbst den Westen/Orient-Diskurs reproduziert (Salamandra 2004).27 Die Interviewten nahmen dabei mir gegenüber eine »Expertenrolle« ein (Celik 2005, 91), indem sie, was orientalische Konstrukte angeht, eher das Falsche im Richtigen entlarvten. Was sie als authentisch und was sie als arabisch begriffen, war jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich und hatte wiederum mit dem jeweiligen eigenen sozio-kulturellen Hintergrund und der Positionierung in Berlin zu tun. So fand der im Prenzlauer Berg wohnhafte und sich in liberalen Kreisen bewegende Besitzer des Salsabil eher einen ästhetischen Zugang zu dieser Authentizität, während der Geschäftsführer des alteingesessenen Imbisses Habibi in Schöneberg sich eher als Repräsentant einer arabischen Kultur verstand, was wiederum mit seinem konservativ-religiösen Grundverständnis zusammenhing. Sie hatten aber gemein, dass sie sich von zu billigen orientalischen Darstellungsformen distinguieren wollten. Sie präsentieren damit mir gegenüber ihre Herkunft und die damit verbundenen Erfahrungen und Kenntnisse als ihre kulturelle Ressource. Ihre selektive orientalische Selbstdarstellung sollte aber nicht nur als Ausdruck ihrer kulturellen Identität

27 Christa Salamandra (2004) zeigte, dass Vorstellungen von Authentizität auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Altstadt von Damaskus nicht nur Sehnsüchte weckten, sondern auch dort schon Teil von klassenbasierten Distinktionspraktiken waren.

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gelesen werden. Schließlich waren sie es, die mir gegenüber am offensichtlichsten den Orient als ihr Kapital vermarkteten. Bei dem Besitzer des Phönizier, der orientalische Klischees bewusst überzeichnete, war dies auf den ersten Blick genau gegenteilig. Denn auch wenn er seine Darstellungsstrategien zunächst als rein kommerzielle Strategien präsentierte, verweisen doch die Formen seiner Darstellungen und die dahinterstehenden Begründungen auf seine kulturelle Positionierung. Mit der bewusst überzogenen Darstellung wollte er, der sich als maronitischer Christ versteht, sich gerade von anderen muslimischen Migrantinnen und Migranten in Berlin abgrenzen. Er übernahm hier folglich eine »Ausnahme-Rolle« (Celik 2005, 88), womit er gleichsam die gängigen Stereotype von Musliminnen und Muslimen in Berlin reproduzierte. Dies galt auch für die Imbissbesitzer, die auf eine orientalische Referenz weitgehend oder ganz verzichteten. In ihren Argumentationen reproduzierten sie die im Orientdiskurs eingeflochtene Vorstellung von einer Unvereinbarkeit von Arabischem und Deutschem. Sowohl der Dada-Besitzer als auch der Baharat-Besitzer entschieden sich dafür, das Deutsche in dem Imbiss hervorzuheben. Nur der Imbissbesitzer des Zweistrom versuchte eine »Hybridiserung« (Celik 2005, 93), indem er moderne Aspekte mit arabischen Referenzen vereinte, wobei er bewusst solche Referenzen auswählte, mit denen er versuchte, in den hegemoniale Repräsentationsmodus des Orientalismus von seiner Position aus einzugreifen und ihn zu verschieben. Alle Besitzer schrieben so von ihren Positionen aus an dem Diskurs des Orientalischen in Berlins Gentrifizierungsvierteln mit. Die Referenz oder (Nicht-) Referenz auf das Orientalische benutzten sie dabei als ihr Repertoire, um sich untereinander abzugrenzen. Oft wurde in den Interviews betont, dass die Darstellung »anders« als bei anderen wäre, oder dass die eigenen Ideen für die Gestaltung von »anderen« nachgeahmt würden. In den Repräsentationspraktiken stellte sich heraus, dass gerade diejenigen, die auf eine orientalische Dekoration verzichteten und versuchten, sich davon abzugrenzen, ihre selbstidentifikatorischen Bezugspunkte zur Gestaltung hervorhoben, während diese im Falle einer extensiven orientalischen Darstellung nicht unbedingt betont wurden, da hier teilweise auch einfach der Plausibilität halber orientalische Stereotype bedient wurden. Diese Feststellung verläuft damit genau spiegelverkehrt zu der Bewertung der Konsumentinnen und Konsumenten, die gerade die Imbisse, die auf orientalische Stereotype verzichteten, als zu angepasst und kommerzialisiert wahrnahmen. Nun könnte man, um beide Perspektiven – die der Konsumentinnen und Konsumenten und die der Anbieter zusammenzuführen – aus den bisherigen Analysen schließen, dass Imbisse wie Zweistrom oder Dada in den Berliner Gentrifizierungsvierteln weniger erfolgreich sind, da sie den Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten an eine orientalische Präsentation nicht entsprechen. Schließlich sind

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es die Konsumentinnen und Konsumenten, die – um noch einmal auf Peter Niedermüller (1998, 193) zurückzukommen – durch ihre Konsumpraktiken den »Raum der Repräsentationen« kontrollieren und vorgeben, und das nicht nur im metaphorischen Sinne sondern auch im physischen Sinne. In der Tat laufen Imbisse wie der Zweistrom und der Dada aber sehr gut in Berlin. Denn der ihnen zugeteilte und eröffnete Raum im physischen Sinne gibt den Imbissbesitzern wiederum Eingriffsmöglichkeiten in den Diskurs. So suchte der Dada-Besitzer mit dem Ost-Berliner Stadtteil Mitte einen Ort für seinen Imbiss aus, der nicht nur weit von den in Neukölln lebenden arabischen Migrantinnen und Migranten entfernt war, von denen er sich abgrenzen wollte, sondern er wählte auch einen Ort, an dem seine nicht-orientalisierte Präsentation funktionierte. Dies wurde in der folgenden kurzen Aussage des Besitzers des Habibi am Südstern in Kreuzberg deutlich, dem zwar die »fantasievolle« Innenarchitektur des Dada gefiel, der – was diese Umsetzung anging – dann aber in Bezug auf seinen Imbiss abwinkte: »Hier geht es nicht. In Kreuzberg geht es nicht« (A8). Die Positionierungen der Falafelimbissbesitzer im metaphorischen Raum der Repräsentationen konnten folglich auch ihren Positionierungen in verschiedenen Stadtvierteln entsprechen. Dies hatte mit unterschiedlichen Images der Gentrifizierungsviertel zu tun. Wie sich zum Abschluss dieses Kapitels zeigen wird, hängt die Perzeption verschiedener Darstellungsformen durch die Konsumentinnen und Konsumenten eng mit dem Gentrifizierungsprozess in Berlin zusammen.

M YTHOS K REUZBERG / B IEDERMEIER P RENZLAUER B ERG – DIE I MBISSTYPEN ALS S PIEGEL DER G ENTRIFIZIERUNG Während den Konsumentinnen und Konsumenten im Verlauf der Interviews die Aufnahmen der verschiedenen Imbisse gezeigt wurden, stellte ich ihnen die Frage, wo sie die Imbisse in Berlin verorten würden. Interessanterweise hatten auch die Konsumentinnen und Konsumenten, die die Imbisse vorher nicht kannten, dabei eine relativ hohe Trefferquote. Bei dem ersten Imbiss, dem »konventionellen« Nachtigall-Imbiss, streuten die Antworten noch am weitesten. Viele verorteten ihn in Neukölln. Kreuzberg oder Friedrichshain wurden ebenfalls als mögliche Standorte angegeben. Nur Prenzlauer Berg wurde von keinem genannt. So sagte Florian: »Na, für Prenzlauer Berg, da finde ich es ein bisschen zu runtergekommen, für diese gentrifizierten Stadtteile. Es könnte Kreuzberg, Schöneberg, es könnte genauso gut Moabit sein« (K7). Der »konventionelle« Imbiss galt den Interviewten aufgrund seiner kommerzialisierten und eher billigen Ausstrahlung als eine Anti-These zur Gentrifizierung, für die Florian den Prenzlauer Berg als Beispiel heranzog.

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Der exotisch wahrgenommene Phönizier hingegen wurde von vielen folgerichtig genau konträr zum Nachtigall-Imbiss im Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg verortet. Michael tippte darauf, da der Imbiss eher »teuer« aussah, und dort augenscheinlich »keine Plastikstühle, sondern aufwändige Biergartenstühle und Tische« (K13) standen. Seiner Meinung nach würde sich der Imbiss damit nicht einer arabischen Zielgruppe aus Neukölln, sondern einer bürgerlichen deutschen Zielgruppe andienen, die für ihn symptomatisch für den aufgewerteten Prenzlauer Berg stand. Besonders zielsicher waren die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten bei der Verortung des auf sie »traditionell« wirkenden Imbisses Rissani und des »modernen« Imbisses Zweistrom. Obwohl auf den Fotos des Imbisses Rissani (siehe Abbildung 10 und 11) keinerlei Außenfassade zu sehen war, ordneten die Konsumentinnen und Konsumenten den Imbiss ausnahmslos richtig dem Stadtteil Kreuzberg zu. Dafür wurden unterschiedliche Gründe genannt. Der im Prenzlauer Berg wohnende Anton, der den Imbiss für »original« hielt, erklärte, dass er in Kreuzberg oder Neukölln sein müsse, »weil die wohnen ja alle in der Ecke. Und also da wohnen die meisten« (K3). Er vermutete, dass der auf ihn authentisch wirkende Rissani zuallererst von arabischen Migrantinnen und Migranten aufgesucht würde, die er in Kreuzberg verortete. Sarah wiederum machte die Verortung am ästhetischen Stil fest: »Vielleicht hat das damit zu tun, dass die Leute in Kreuzberg schon selbstbewusst genug sind, um zu wissen, dass das toll aussieht, und dass deswegen Leute eher herkommen. Aber es ist doch noch genug authentisch oder so was, dass man denkt, das ist bestimmt Kreuzberg« (K16). Und Lisa war der Meinung: »Die Gestaltung ist schon pfeffriger irgendwie. Das hat irgendwie diesen Kreuzberger Stil, glaube ich. Also das schreit schon danach.« Und weiter: »Also die Farben sind ganz bunt und grell, und ach, also das ist, dass das so dominant ist, mit der Malerei und so. Man muss sich schon bemühen, damit die Leute da reinkommen. Da ist so viel Konkurrenz, man muss sich schon was einfallen lassen« (K9). In diesen Aussagen zum Rissani reproduziert sich der gegenwärtig präsente »Mythos Kreuzberg«, der sowohl in den Medien und in der Politik als auch im Alltag konstruiert wird. Kreuzberg wird dabei erstens als heterogener Stadtteil gezeichnet, dem aufgrund seiner vermeintlich guten Integration der muslimischen Bevölkerung ein »alltäglicher, attraktiver und dynamischer Multikulturalismus« (Lanz 2007, 251) zugeschrieben wird.28 Zweitens hat Kreuzberg aber auch den Ruf eines

28 In Neukölln wiederum, das das Image einer »sozialen Endstation« hat, gilt die Integration einer großen türkischen Bevölkerung als gescheitert. Wie Lanz (2007, 245ff.) zeigte, sind die scheinbar gegensätzlichen Konstruktionen in »gute Kulturen« und »schlechte Kulturen« beide Bestandteil der gegenwärtigen Formation des Multikulturalismus.

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subkulturellen Erlebnisraums (wiedererlangt), der sich aus seiner Historie in den Siebzigern als linkspolitisches Utopieviertel speist (Lang 1998, 120ff.) und in der aktuellen zweiten Welle der Gentrifizierung (Holm 2010a, 90) wiederbelebt wurde. Für die Konsumentinnen und Konsumenten gilt Kreuzberg als der authentische Stadtteil in Berlin, was sich schon daran zeigt, dass der auf sie authentisch wirkende Falafelimbiss Rissani genau dort verortet wird. Auf die Frage, wo es die meisten Falafelimbisse in Berlin gäbe, tippte dann Annika auch auf Kreuzberg: »Vielleicht, weil Kreuzberg so multi-kulti ist. Ich meine, hier wohnen irgendwie überwiegend, könnte man beinahe sagen, Leute aus allen Ländern und am wenigsten Deutsche« (K2). Und auch Monika meinte zu Kreuzberg: »Es ist sehr bunt. Es riecht bunt. Und es riecht ein bisschen dreckig. Das mag ich auch total gerne. Und halt die vielen verschiedenen Leute. Halt viele verschiedene Nationen« (K14). Die bodenständige kulturalisierte bunte Atmosphäre des Rissani spiegelt damit die Konstruktion des Stadtteils wieder. Den Zweistrom wiederum ordneten die Konsumentinnen und Konsumenten fast ausnahmslos dem Prenzlauer Berg zu. Dies wurde ebenfalls mit dem Stil der Darstellung begründet. Stefanie (K17) zufolge war es die etwas feinere, puritanische und moderne Präsentation, die zeigte, dass er sich dort »an den Kiez angepasst« hätte. Und Marion verglich den Stil des Imbisses mit einem »normalen hippen Café im Prenzlauer Berg« (K14). Auch hier wurde die Darstellungsform direkt an die Personengruppen gebunden, die in dem Imbiss erwartet wurden. So bezog die in Neukölln wohnende Kristin den Stil des Zweistrom auf die Zielgruppe: »Na weil er, also von draußen her wirkt es eher schlicht und ziemlich gerade, und nicht so, das ist jetzt mal ein doofes Wort, »überarabisiert«, oder so etwas, sondern schon irgendwie angepasst und so.« Den Kundestamm, den sie sich dort vorstellte, beschrieb sie dann noch genauer: »Studenten, Grafik-Designer, die so im Prenzlauer Berg leben und so keine Lust zum Kochen gerade haben« (K8). Und Michael (K13) meinte dann auch, dass der Zweistrom das »Arabische« nicht so betonen würde, da dort nur Deutsche – oder im jeden Fall keine »Marokkaner oder Türken« wohnen würden. Den Prenzlauer Berg nahmen die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten folglich als überwiegend deutsch oder europäisch, als homogen sowie als neu-bürgerlich wahr – Assoziationen, die sie in der Präsentationsform des Zweistrom-Imbisses wiederfanden und die sich auch mit dem medialen Bild des Bezirks deckten, der als Paradebeispiel für eine gentrifizierte Stadtteilkultur und den damit verbundenen Lebensstil der neuen Mittelschicht gilt. Bestes Beispiel hierfür ist der 2007 im Zeitmagazin erschienene Artikel »Der Bionade-Biedermeier« (Sußebach 2007). Aufgrund der homogenen und vorwiegend deutschen Bevölkerung war Michael (K13) dann auch der Meinung, dass es im Prenzlauer Berg generell weniger Falafelläden gäbe. Diese Feststellung traf so aber nicht zu. Im Prenzlauer Berg befand

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sich eine größere Zahl an Falafelimbissen als in Neukölln, wo die meisten arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin wohnen. Michaels Aussage zeigt aber, dass die Falafelimbisskultur im Prenzlauer Berg eher als Ausläufer der eigentlichen »authentischen« Falafelimbisskultur in Kreuzberg identifiziert wird. Deswegen wird hier den Falafelimbissbesitzern, wie dem des Zweistrom oder dem des Dada, eine in den Augen der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten nicht ganz »authentische« Präsentation verziehen, und ihnen damit dort ein Möglichkeitsraum zur differenten Repräsentation eröffnet. Diese Verortung der beiden Imbisse in den beiden Stadtteile sollte nun aber nicht zu dem Umkehrschluss führen, dass sich im Prenzlauer Berg nur Imbisse befinden, die sich eher wie der Zweistrom modern präsentieren und auf extensive orientalische Stilelemente verzichten. Ähnlich wie der exotische Phönizier bedienen auch im Prenzlauer Berg die meisten Imbisse orientalische Stereotype. Dennoch zeigt auch die Bewertung des Phönizier, der zwar als orientalisch, gleichzeitig aber als teuer angesehen wird und damit im Prenzlauer Berg verortet wird, dass die Perzeptionen der Falafelimbisse und der Stadtteile in enger Wechselwirkung zueinander stehen. Damit prägen die Falafelimbisse die Konstruktion dieser Innenstadtviertel in Berlin mit. »Mythos Kreuzberg« und »Biedermeier Prenzlauer Berg« sind dabei nicht nur Images von zwei verschiedenen Berliner Stadtteilen, sie werden in den Konsumenteninterviews auch zu Symbolen für unterschiedliche Phasen im Aufwertungsprozess. Während Kreuzberg noch als heterogen und authentisch wahrgenommen und damit eher am Anfang der Aufwertung verortet wurde, wurde der Prenzlauer Berg schon als angepasst und gentrifiziert identifiziert. Zu diesem Prozess verorteten sich dann die Interviewpartnerinnen und -partner. Vor allem die Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht im Stadtteil Prenzlauer Berg wohnten, äußerten sich kritisch gegenüber diesem Ost-Berliner Stadtteil. Für den in Friedrichshain wohnenden Ben (K4) zum Beispiel sei dort alles »yuppiemäßiger«, weswegen er nur selten hingehen würde. Die aus Holland stammende und in Friedrichshain wohnende Austauschstudentin Sarah (K16) sagte, dass sie generell schicke gastronomische Einrichtungen ablehne und sich daher nie im Prenzlauer Berg, sondern nur in Friedrichshain und Kreuzberg bewege. Und für die 37-jährige Patricia, die in Schöneberg wohnte, wo sie wie im benachbarten Kreuzberg »die Mischung« schätzte, waren die beiden Stadtteile Berlin Mitte und Prenzlauer Berg pseudo-intellektuell: »Ich nenne das diese Mitte-Haltung. Oder Mitte-Verhalten. Die Leute sehen meiner Meinung nach.. Ich sage mal bei mir, ich bin eine Mischung aus Spießer und Hippie. Und zum Beispiel, ich finde, in Mitte ist es sehr interessant. Ich gehe da sehr gerne Kaffee trinken oder essen. Aber zu wohnen ist mir das einfach zu viel. Und zwar, du merkst sofort, ob jemand aus Mitte kommt, und das mag ich nicht. Und sie sehen auch, sie kleiden sich sehr ähnlich. Sie

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sprechen dieselbe Sprache irgendwie. Die meisten sind Kreative. Und ich hasse dieses Wort mittlerweile, weil meiner Meinung nach ist jeder auf seine Art kreativ. Muss nicht unbedingt Maler sein oder in der Werbeagentur arbeiten, um kreativ zu sein. Oder Texter« (K15).

Diese Mitte-Haltung entdeckte sie dann im Übrigen auf den (hier nicht vertieft besprochenen) Fotos des Dada-Imbisses wieder, dem sie aufgrund seiner nichtorientalischen Gestaltung einen Verlust an arabischer Identität und eine PseudoIntellektualität zugeschrieben hatte. In diesen Beispielen wird deutlich, wie sehr die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten an eine »authentische« Präsentation auch Spiegelbild ihrer eigenen sozialen und räumlichen Positionierung zur Gentrifizierung in Berlin sind. Diese Verschränkung wird auch an der eingangs zitierten Aussage von dem in Kreuzberg wohnenden Florian deutlich, die hier noch einmal wiederholt wird: »Ich mag halt eben nicht diese Gentrifizierungskneipen. Mit diesen hippen Prenzlauer Berg-Restaurants kann ich nicht viel anfangen. Dann eher bodenständig, wie es so schön heißt, und eher traditionell. Auch bei arabischen Imbissen mag ich halt diejenigen, bei denen das Flair traditionell ist« (K7). Die Imbisse werden folglich nicht nur als Spiegel der verschiedenen Stadtviertel wahrgenommen, sie werden auch im Aufwertungsprozess in Berlin verortet. Dem Prenzlauer Berg wird ein fortgeschrittener, gentrifizierter Status attestiert, in dem die Präsenz des ökonomischen Kapitals gegenüber dem kulturellen Kapital überwiegt. Kreuzberg hingegen gilt als weniger gentrifiziert und damit eher als authentisch, was sich durch ein vor Ort präsentes, hohes kulturelles Kapital auszeichnen würde. Wie diese Ausführungen gezeigt haben, sind es aus der Perspektive der Konsumentinnen und Konsumenten immer die anderen, die für die Gentrifizierung verantwortlich gemacht werden, seien es »Yuppies«, »Kreative« oder »Intellektuelle«. Dies gilt vor allem für die Personen, die sich selbst nicht als Teil der Gentrifizierung wahrnehmen und sich in Kreuzberg, Friedrichshain oder Neukölln verorten, wie zum Beispiel Florian (K7), Patricia (K15), Sarah (K16) oder Ben (K4). Sie versuchen sich damit auch jenseits einer Mittelschicht zu positionieren, indem sie sich ein nicht-bürgerliches Image anheften. Dass sie ihre soziale Position durch den Konsum von für sie als »authentisch« wahrgenommenen Falafelimbissen reproduzieren und damit auch an der Gentrifizierung in Berlin beteiligt sind, sehen sie dabei nicht. Denn auch der Anspruch auf Authentizität, dem sie sich durch ihr (bürgerliches) kulturelles Kapital anheften, kann zu einem alltagskulturellen »tool of power« werden, wie Sharon Zukin (2010, 3) schreibt: »Wether it’s real or not, then authenticity becomes a tool of power. Any group that insists on the authenticity of its own tastes in contrast to others’ can claim moral superiority.« Folglich ist es auch diese Form der eigenen kulturellen Legitimierung gegenüber anderen Gruppen, die letztendlich – wenn auch zunächst nicht direkt – zu einer (symbolischen) Verdrängung von anderen sozialen

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Gruppen führen kann, allein schon durch eine zunehmende Ausbreitung der eigenen legitimen Konsumorte. Am Schluss dieses fünften Kapitels ist es nicht verwunderlich, warum es gerade die orientalisierten Falafelimbisse sind, die in Berlins Gentrifizierungslandschaft, besonders in frühen Phasen des Prozesses, funktionieren. Denn obwohl sie ganz offensichtlich Teil des Gentrifizierungsprozesses sind, werden sie in ihrer authentischen Konstruktion eher als Bollwerk gegen eine weitergehende Gentrifizierung wahrgenommen, da sie mehr kulturell als kommerziell wirken – und damit den Habitus der Gruppe der frühen Gentrifizierer widerspiegeln. Die als fremd wahrgenommenen, orientalisch konstruierten Falafelimbisse werden damit Bestandteil der eigenen neubürgerlichen Gentrifizierungskulturen.

6 Das Fremde wird vertraut: Zur sozialen Praxis des Falafelkonsums Als am Himmel dunkle Wolken auftauchen, endet der Bummel über den Flohmarkt am Mauerpark mit einem spontanen Mittagessen beim Phönizier. Draußen fallen die ersten Tropfen, drinnen machen die Gäste es sich auf einem der mit weichen Kissen ausgestatteten Podesten gemütlich und beobachten, wie am Nebentisch ein Glas mit einer dampfenden, durchsichtigen Flüssigkeit gereicht wird. Einen kurzen Moment später reicht eine freundliche Bedienung die Karte, die durch ihre moderaten Preise auffällt, und empfiehlt Haloumi und Mekanek. Eine gute Wahl: Haloumi ist ein kross gebratener Ziegenkäse, der mit drei Beilagen gereicht wird – eine üppig bemessene Portion Humus, ein Schlag scharfe, Paprika-lastige Soße und ein köstlicher Knoblauchbrei. Dazu gibt’s taufrischen, knackigen Salat und knuspriges Pita-Brot. Die Mekanek entpuppen sich als kleine Rindswürstchen. Nach ihrem sehr würzigen Geschmack gefragt, setzt der Küchenchef nur ein geheimnisvolles Lächeln auf und verweist auf die lange Tradition und den Reichtum der libanesischen Kochkunst. Inzwischen ist die Sonne wieder hervorgekommen, ein Teil der Gäste wandert nach draußen. Jeder dritte Passant scheint den Phönizier zu kennen, denn ständig grüßt jemand im Vorbeigehen. TIP BERLIN (2006, 52)

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In dem jährlich erscheinenden Gastronomieführer »Die Speisekarte« des Berliner Stadtmagazins Tip wurde der Besuch des Imbisses Phönizier im Prenzlauer Berg als eine kurze Reise in den Orient beschrieben. Auch wenn dieser für Restaurantund Reiseführer typische Stil zum Zweck der Vermarktung spielerisch überzogen ist und wie schon gezeigt wurde, nicht jeder Falafelimbiss mit Sitzkissen und einem exotisch orientalischen Flair aufwartet, machten die Aussagen der Konsumentinnen und Konsumenten im letzten Kapitel deutlich, dass der Besuch eines Falafelimbisses sehr wohl auch ein kurzes Eintauchen in eine fremde Welt bedeuten kann. Wie im vorherigen Kapitel gezeigt, hat das in den Imbissen schon durch die Raumgestaltung erschaffene Orient-Flair dabei nicht nur die Funktion, die Konsumentinnen und Konsumenten mental und emotional aus ihrem Alltag zu entführen, sondern die Kulturalisierung des Imbisses dient auch der Generierung von Authentizität, die sich die Konsumentinnen und Konsumenten dann wiederum als Teil ihres eigenen Habitus aneignen. Das Fremde und das Eigene bedingen sich in den Konsumpraktiken in Falafelimbissen gegenseitig. Dieses Wechselspiel zwischen Fremdem und Eigenem soll im folgenden Kapitel genauer untersucht werden. Dabei wird sich zeigen, wie die fremde Welt durch den alltäglichen Besuch zu einem Bestandteil der eigenen sozialen Praxis wird. Zuerst soll der Frage nachgegangen werden, wie der Orient in den Imbissen aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten performativ erlebt und damit Authentizität im Imbissalltag generiert wird. Neben den sinnlichen Eindrücken sind hierfür die wahrgenommenen Performances von Verkäufern und anderen arabischen Gästen ausschlaggebend, die ein orientalisches Flair erst real werden lassen. Die im Inneren als fremd erlebten Imbisse stellen gleichzeitig durch ihren Außenbereich ein Bindeglied zu den alltäglichen Gentrifizierungskulturen auf der Straße dar. Der Reiz für die Konsumentinnen und Konsumenten liegt gerade in diesem räumlichen Ein- und Heraustreten. Anschließend wird beleuchtet, wie die kulturalisierte Atmosphäre in den Imbissen nicht nur den Geschmacksvorlieben der Konsumentinnen und Konsumenten entspricht, sondern im Imbissalltag auch Vertrauen generiert. Dafür wird mit Mo’s Imbiss in Kreuzberg ein Imbiss in den Blick genommen, der besonders kulturell wirkt, und beispielhaft gezeigt, wie die als nicht-kommerziell wahrgenommenen Praktiken den Glauben an die Qualität der angebotenen Speisen erhöhen. Im letzten Unterkapitel werden schließlich die Interaktionen zwischen Verkäufern und Konsumentinnen und Konsumenten in den Blick genommen. Auch wenn es Beispiele dafür gibt, wie im Umfeld der Imbisse eine kiezbezogene nachbarschaftliche Gemeinschaft entstehen kann, bleiben sich die Anbieter und Konsumentinnen und Konsumenten im Alltag doch eher fremd. Denn die Interaktionssituation in den Imbissen ist durch bestimmte soziale Rollen geprägt. Die vor Ort arbeitenden Personen nehmen dabei nicht nur die Rolle des Verkäufers, sondern auch die des »Arabers« ein. Aufgrund der damit einhergehenden Kulturalisierung bleiben die

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Beziehungen trotz des alltäglichen Aufeinandertreffens häufig distanziert. Gleichzeitig wird dadurch die Vorstellung von orientalischer Authentizität aufrechterhalten, die den Erfolg von Falafelimbissen in Berlins Gentrifizierungsvierteln begründet.

D ER

PERFORMATIVE

O RIENT – A LLTAG

IN DEN

L OKALEN

Orientalische Performances Wie schon aus der oben zitierten Beschreibung des Phönizier im Stadtmagazin Tip hervorgeht, sind es unterschiedliche Sinneseindrücke, die den Falafelimbiss zu einem orientalischen Ort werden lassen. In kulinarischer Hinsicht geht es dabei zunächst um das Schmecken, ein Aspekt, der in Restaurantkritiken immer wieder hervorgehoben wird. Laut dem Stadtmagazin Zitty (2008, 152) lohnt sich der Besuch des Zweistrom-Imbisses deshalb, weil man dort »eine kulinarische Reise durch den Nahen Osten »Biss für Biss«« erleben kann, und im Tip Magazin wurde der Imbiss Nil empfohlen, »um den Geschmackshorizont zu erweitern« (Tip Berlin 2008, 77). Auch die für diese Arbeit interviewte Konsumentin Stefanie beschrieb die ungewohnten Geschmackserlebnisse mir gegenüber so: »Es sind teilweise Gewürze, die man kennt, als Deutscher, aber nicht im Zusammenhang mit Fleisch. Wie Zimt oder sowas« (K17). Beim Sanabel zum Beispiel liebe sie den Geflügelsalat, »der aber nicht so ist, wie wir uns das vorstellen mit Mayonnaise oder Joghurt oder sonst irgendwas. Sondern der ist einfach nur gekochtes Hühnchen mit Mandeln, Zimt und Kardamom« (K17). Und im Zweistrom sei es diese »Art Mango-Chutney, bei dem die auch nicht mit der Sprache rausrücken, wie die das machen. Ist ja auch immer so ein bisschen ein Geheimnis.« Ein anderer Konsument, Michael, berichtete von den »verschiedenen Würstchenarten mit Lamm und Rind, vermute ich mal. Sind halt sehr stark gewürzt. Man kann gar nicht richtig sagen, was für Fleisch das ist. Hm. Also eher ungewohnt für europäische Zungen« (K13). Die Exotik des Imbisses wird folglich zunächst sinnlich über den bisher unbekannten Geschmack erlebt. Doch bis auf diese Ausnahmen rekurrierten die Konsumentinnen und Konsumenten in den Interviews eher nur am Rande auf einen exotischen Geschmack im engeren Sinne. Das mag daran liegen, dass sich die Konsumentinnen und Konsumenten das kulinarisch Fremde durch wiederholten Verzehr symbolisch wie auch körperlich einverleibt haben, wie Michaelsen (2006) anhand des asiatischen Essens in Berlin zeigte. Während viele der Konsumentinnen und Konsumenten Falafel, Schawarma oder Halloumi noch nicht kannten, bevor sie nach Berlin gezogen waren, gehörten diese Gerichte mittlerweile zum städtischen Alltag. Schon Hermann Bausinger betonte, dass der Alltag

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das Exotische und damit Ungewöhnliche schon nach kurzer Zeit in Gewohnheit umwandle (Bausinger 1987, 114). Dies gilt insbesondere für kulinarische Kulturen.1 Folglich waren es andere Aspekte, durch die das Orientalische, das Fremde in den Imbissen aufrechterhalten wurde. Neben der Raumgestaltung spielte die Musik eine wichtige Rolle. So beschrieb Michael einen seiner Lieblingsimbisse, den Rissani, wie folgt: »Und was mir bei Rissani besonders auffällt, ist die Musik. Dass, wenn man diesen Laden betritt, doch schon wirklich so ne andere Welt betritt, so hat man den Eindruck« (K13). Die klassische Gitarrenmusik sei für seine Ohren ungewohnt, nicht zuletzt aufgrund der Halbtonleiter, die vom europäischen AchtTonleiter-Prinzip different wäre. Auch von den anderen Interviewpartnern wurde die arabische klassische Musik oder arabische Popmusik besonders herausgestellt und als durchaus passend für die Imbisssituation empfunden – im Gegensatz zu anderen Stilrichtungen. Das machte nicht nur die Aussage des Besitzers des Phöniziers deutlich, dessen Kundinnen und Kunden sich beschwerten, wenn westliche Musik lief, sondern auch Anton sagte zum Beispiel über den Imbiss Ali Baba im Prenzlauer Berg: »Was ich da nicht so mag, da läuft immer Kiss FM. Und da sind nur Touristen« (K3). Orientalische Musik hingegen würde er generell vorziehen. Zu einem gelebten orientalischen Ort wurde der Imbiss dann aber erst durch die Anwesenheit von verschiedenen Personen, deren Handlungen als orientalische Performances wahrgenommen wurden. In seiner Publikation »Wir alle spielen Theater« zeigte Ervin Goffmann, dass nicht nur auf der Theaterbühne, sondern auch in der alltäglichen Öffentlichkeit Performances eine wichtige Rolle spielen. Für ihn ist eine Performance, die er auch als Darstellung bezeichnet (Goffman 1969, 18), »das Gesamtverhalten eines Einzelnen, das er in Gegenwart einer bestimmten Gruppe zeigt, und das Einfluss auf diese Zuschauer hat« (ebd., 23). Die Konsumentinnen und Konsumenten konnten dabei unterschiedliche Performances beobachten, die sie als Teil einer orientalischen Szenerie erlebten. Zunächst wurden zwar nicht in allen, aber in vielen Imbissen immer wieder »Araberinnen« und »Araber« unter den Gästen gesichtet. Stefanie sagte: »Und was mir halt sympathisch ist, ist, dass beim Araber auch Araber sitzen, die dort essen. Ja, wo ich dann sofort das Gefühl habe, ok, wenn es denen schmeckt, dann ist das sozusagen mit großer Wahrscheinlichkeit auch landestypisch« (K17). Patricia be-

1

In dieser Hinsicht wurde auch der im Tip-Artikel (Tip Berlin 2006, 52) angesprochene Geruchssinn von den Konsumentinnen und Konsumenten als wenig hervorstechend wahrgenommen. Erst wenn er negativ auffiel, wie in den später noch zu diskutierenden Dönerimbissen, die zu sehr nach Fleisch riechen würden, wurde auf ihn verwiesen (siehe Kapitel 9).

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merkte zumindest am Wochenende bei Habibi »viele Arabischstämmige mit Kindern« (K15), was für sie ein gutes Zeichen sei. Und Michael fand, dass es im Rissani Kunden gebe, »wo man sieht, sie haben ihre Wurzeln nicht in Deutschland, sondern kommen halt aus südlichen Ländern« (K13), was für den Laden spreche, genauso wie er gerne in chinesische Restaurants gehe, wo nur Chinesen seien. Dass fast alle der Interviewpartnerinnen und -partner diese arabische Kundschaft positiv erwähnten, unterstreicht, wie wichtig den Konsumentinnen und Konsumenten Authentizität als Gütekriterium in den Imbissen war. Der Besuch von Landsleuten wurde als Garant für einen originalgetreuen Geschmack erachtet. Hier ist die Wahrnehmung der Interviewpartnerinnen und -partner aber stark verzerrt, die sich zum Teil von ihren eigenen Erwartungen trügen ließen. Denn auch in den eben genannten Imbissen bestand der Kundenstamm den Imbissbesitzern zufolge aus 90 bis 95 Prozent Deutschen oder Europäern. Ein Grund für diesen Trugschluss mag sein, dass die Imbisse häufiger von Bekannten der Besitzer besucht werden, was auch meinen Interviewpartnerinnen und -partnern auffiel. Anton sagte über den Imbiss Daye im Prenzlauer Berg: »Da ist immer so eine ganze Gruppe von Männern, die den Laden bewirtschaften. Und da kommen immer irgendwelche Freunde und Bekannte vorbei, die sich dann auf die Stühle vor der Tür setzen und da erstmal einen Tee trinken. Und da erstmal ein Schwätzchen halten. Also das ist so, das ist fast so wie ein Familientreffen« (K3). Ben sprach von »Kollegen« oder »Verwandten« (K4), die sich im Almayas-Imbiss am Boxhagener Platz einfinden würden und Annika von »Familie- oder Verwandtschaftssippen« (K2), die man dort sogar unter der Woche mittags antreffe. Die als arabisch identifizierten Besucherinnen und Besucher gelten somit nicht nur als ein Gütekriterium für den originalen Geschmack, sondern sie erzeugen durch ihre Performances in den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten eine orientalische Gesellschaftsform, die als vorwiegend männlich, gruppenbasiert und familienorientiert wahrgenommen wird und damit an die massenmedial vermittelten Bilder in Dokumentationen über muslimische Migrantencommunties in Berlin anschließt (Paulus 2007, 282). Diese Form der Geselligkeit wird aber nicht nur als fremd und damit nicht-zugehörig erlebt, sondern sie reizte die Konsumentinnen und Konsumenten auch, da sie konträr zu dem eigenen individualisierten, modernen und eher als hektisch erlebten Alltag verortet wurde. Werden diese Performances aber zu dominant, so konnten sie auch ins Negative umschlagen. So berichtete Marion vom Al-Safa-Imbiss in Neukölln, in den ihrer Wahrnehmung nach sonst nur jugendliche arabische Migranten gehen würden: »Ja, meistens männlich und mackerisch, und in Gruppen auftretend. Und man fühlt sich ja sowieso schon blöd, wenn man als Einzige auf Deutsch bestellt, und dann hab ich manchmal auch das Gefühl, dass sie über einen reden. Da arbeiten immer mehrere gleichzeitig. Also die Leute, die dort arbeiten, von denen fühle ich mich auch nicht angestarrt, sondern die Leute,

204 | D ER G ESCHMACK DER G ENTRIFIZIERUNG die dort abhängen und sich so verbrüdern mit den Leuten, die dort arbeiten. Das ist so ein komisches Verbrüderungsambiente. [Sie lacht]« (K12).

Gerade in ihrer Rolle als deutschsprachige Frau fühlte sich Marion in dieser orientalisch männlich dominierten Welt deplatziert und sogar bedroht, da sie nicht mehr nur Zuschauerin sein konnte. Marion reagierte dann darauf, in dem sie sich nicht zu lange in dem Imbiss aufhielt. Ihre Wahrnehmung und Ausdrucksweise war hier wiederum eng an die medial generierten Stereotype über muslimische Jugendliche (Stichwort »Verbrüderungsambiente«) angelehnt (Paulus 2007, 282). Für Marion waren diese Erfahrungen, die sie auf der Sonnenallee in Neukölln verortete, eher die Ausnahme. Denn andere Falafelimbisse in Kreuzberg und Friedrichshain beschrieb sie wie folgt: »Die, die ich kenne, sind sich alle ein bisschen ähnlich dadurch, dass meistens ein älterer Mann hinten drin hockt, und man sich auf einen ganz kleinen engen Raum, irgendein Bänkchen, setzen kann und wartet, während das Essen fertig gemacht wird« (K12). Sie bevorzugte folglich die Lokale, die als ein Einmannbetrieb fungierten und die für sie damit eine häusliche, nichtmoderne Atmosphäre generierten. Der »ältere Mann« schien sie nicht zu stören, da er geschäftig war. Wie Marions letztes Zitat andeutet, waren es neben den andern Gästen vor allem die Verkäufer und Angestellten, die auf die Konsumentinnen und Konsumenten orientalisch wirkten. In fast allen Imbissen arbeiteten ausschließlich arabische (oder türkische oder sudanesische) Migrantinnen und Migranten, die von den Besitzern für die arabische Inszenierung der Imbisse hinter die Theke gestellt wurden. In der Tat vermittelten diese für die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten ein orientalisches Flair, allein schon weil sie – wenn mehrere von ihnen anwesend waren – untereinander arabisch (oder im Falle des Meyman kurdisch) sprachen. Die Verkäufer interagierten aber auch auf bestimmte Art und Weise mit den Kundinnen und Kunden. So erzählte Sarah über den Verkäufer im Sahara-Imbiss: »Also, wenn es nicht voll ist, dann wird mal ein Witz gemacht und so. Letztes Mal haben sie mich gefragt: Hast du eigentlich eine Ahnung, was da drin ist in Falafel? Ich habe gesagt: Naja: Kichererbsen, Petersilie so was. Da hat er gesagt: Ne, es gibt noch viel mehr. Aber das werden wir nicht sagen, weil es unser Geheimnis ist. Deswegen schmeckt es so gut« (K16).

Und Stefanie sagte über den Abräumer im Rissani: »Das ist ein Sudanese. Das ist da so ein bisschen wie so ein ... Der gehört da zum Inventar irgendwie und räumt da das Geschirr ab. Und der ist auch irgendwie wie so ne Litfasssäule eigentlich. Der liest fast immer alles, und der erzählt auch immer wahnsinnige Geschichten. Also der ist so ein typischer Araber. Also der, sag ich jetzt mal, haut auch ziemlich – also auf die sympathische Art – haut auch ziemlich auf die Kacke. Und wen er alles kennt und was er

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alles macht. Und man weiß eigentlich, da kannst du die Hälfte wegrechnen. Und aber der ist mir halt irgendwie sympathisch« (K17).

Ihre Beschreibungen des Abräumers erinnern hier an die Figur des orientalischen Märchenerzählers auf einem Bazar. Der irrationale, etwas mystische und geheimnisvolle Charakter des »typischen Arabers« steht dabei konträr zur eigenen modernen und als rational definierten Kultur. Schließlich nahmen die Konsumentinnen und Konsumenten selbst performativ an der orientalische Inszenierung teil, indem sie sich auf den Sitzkissen niederließen, der Musik zuhörten und sich der Atmosphäre im Imbiss anpassten. Sie übernahmen auch bewusst die von ihnen wahrgenommenen Formen der Geselligkeit. So teilte sich Florian zum Beispiel gerne einen Teller mit Freunden, weil »das fördert die Gemütlichkeit beim Essen«, aber auch weil er es einer nicht-westlichen Kultur zuschrieb: »Und so viel ich weiß, ist es auch so, dass in dieser Gesellschaft mehr oder weniger auf dem Tisch gegessen wird. Also sprich: Dass nicht jeder seinen einzelnen Teller mit Portion bekommt, sondern einfach jeder vom Teller nimmt. Ich war jetzt in Russland zwei Wochen. Da war es auch so« (K7). Sein Vergleich mit einem Urlaub in Russland macht deutlich, dass der Besuch des Falafelimbisses für die Konsumentinnen und Konsumenten tatsächlich zu einer kurzen performativen Reise in den Orient werden kann, durch die man sich zeitweilig aus dem Alltag hinaus bewegen kann. Dieses Ausklinken aus dem städtischen Alltag schätzte dann auch Marion (K12) an ihrem Lieblingsimbiss Tigris: »Ja wirklich, weil du gesellst dich da rein in dieses kleine Dingchen, in Tigris, und bist dann kurz so drinnen und dann gehst du wieder raus und dann bist du wieder auf dieser schrecklichen Simon-Dach-Straße, wo alle irgendwie herumrennen und unterwegs sind und weiß ich nicht. Und du bist halt drinnen in dieser kleinen, kleinen, süßen Welt« (K12). Durch die Zeichnung eines traditionellen, bedächtigen und sinnlichen Orients wurde der Imbiss als eine Art Ruhepol erlebt. Einbettung in den Kiez-Alltag Insbesondere an sommerlichen Tagen verbringt Marion nur kurze Zeit im Inneren des Imbisses. Sie nimmt ihr Sandwich lieber mit oder setzt sich in den Außenbereich. Fast alle Falafelimbisse in Berlin haben vor den Lokalen Tische und Bänke oder Stühle aufgebaut. Während sich die Konsumentinnen und Konsumenten an regnerischen Tagen oder im Winter ins Innere des Imbisses begeben, nutzen sie diesen Außenbereich an schönen Tagen ausgiebig. Er stellt das Bindeglied zwischen dem Viertel und dem eher orientalischen Imbissinneren her. Denn während der Innenbereich dazu dienen kann, sich aus dem städtischen Alltag, aus dem Leben auf der Straße zurückzuziehen, wird der Außenbereich dazu genutzt, eben diesen

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städtischen öffentlichen Alltag aufzusaugen. So schrieb der Lonely Planet über den gerade von Marion erwähnten Imbiss: »Im Sommer sind die Tische auf der Straße hervorragend geeignet für eingefleischte Leutegucker« (Schulte-Peevers/Parkinson 2006, 200). Auch Marion erzählte, dass sie den Imbiss Rissani in Kreuzberg zum Beobachten nutze: »Und dann bin ich da mit meiner damaligen Freundin zum Leute beobachten. Leute beobachten finde ich eine wichtige Komponente, deswegen hab ich dort gegessen, obwohl’s mir woanders besser schmeckt. Ich schau dann da, was da für coole Leute vorbeigehen, was die anhaben und so« (K12). Der Imbiss wurde folglich zu einem Standort, von dem aus die neusten Trends, Moden und Szenen in den Gentrifzierungsvierteln beobachtet werden konnten. Kristin erzählte ebenfalls von dieser Beschäftigung: »Ich schaue gerne Leute, ja, überall« (K8). Das »überall« revidierte sich aber im Laufe des Interviews. In Friedrichshain, wo sie früher gewohnt hatte, stand sie den Leuten auf der Straße eher negativ gegenüber: »Weil, also ich hab ein Jahr in einem Haus gewohnt, wo unten ein Hostel drin war, und da waren unglaublich viele Touristen. Und den Weg von der Knorrpromenade zum Ostkreuz, das fand ich immer so Catwalk-mäßig mit so lauter schönen Menschen, die da sitzen und starren und schick sind. So hipper Modekram und Designerbüros, und keine Ahnung« (K8). Im Mo’s Imbiss im Gräfekiez in Kreuzberg, von dem sie nicht weit entfernt wohnte, beschrieb sie hingegen ihre Beobachtungspraktiken so: »Und ich mag es auch total gern, da draußen auf der Gräfestraße zu sitzen und ein bisschen zu gucken.« Dies hatte ihrer Meinung nach mit der Zusammensetzung der Leute im Kiez zu tun: »Ja. es ist hier einfach netter, sich zu bewegen und so ein bisschen rumzugehen und zu gucken und keine Ahnung, Weil es einfach unterschiedlichere Leute sind, die hier so leben. Also da gibt’s dann sowohl die Szeneleute, die Studis, dann irgendwelche Großfamilien, dann Alkoholiker, alte Männer, junge Männer, keine Ahnung, alles Mögliche. Und das mag ich gerne« (K8). Ob das Beobachten der städtischen Öffentlichkeit als attraktiv wahrgenommen wurde, hing folglich auch mit der eigenen Positionierung zu der Gentrifizierung in Berlin zusammen (siehe 5.4). Ein bürgerlich und touristisch dominiertes Viertel wie das heutige Friedrichshain bildete für Kristin (K8) weniger eine städtische Öffentlichkeit ab, da es nicht als heterogen wahrgenommen wurde (vgl. z.B. Klamt 2006, 32; Niedermüller 2000, 121). Touristinnen und Touristen galten gemeinhin eher als unauthentisch und damit nicht als dazugehörig (vgl. Maier 2005, 32). So beschrieb auch Monika die in Friedrichshain beobachteten Touristinnen und Touristen als

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»Leute, die kommen und gucken und dann wieder weg sind. Also die gehören nicht so zum Straßen- oder zum regelmäßigen Straßenbild« (K14).2 Kristins Meinung nach wurde die Zusammensetzung der im Gräfekiez präsenten Öffentlichkeit im begrenzten Maße auch durch die Kundinnen und Kunden des Imbisses Mo’s reproduziert, die zwar alle »weiß« seien, »aber dann gemischt von Alter und so, wenn man nach Äußerlichkeiten beurteilt« (K8). Dadurch, dass die Kundinnen und Kunden vor dem Imbiss sitzen, sind sie selbst performativer Teil der Öffentlichkeit im Viertel. Dies ist besonders bezeichnend für den von Kristin beschriebenen Mo’s Imbiss, da es hier keine Tische und Stühle gibt, sondern die Personen auf Blumenkästen und Ähnlichem sitzen und dort teilweise den Gehweg versperren. So schrieb Tip Berlin (2008, 809) über Mo’s Imbiss: »Der kleine Imbiss würde vielleicht gar nicht auffallen, säßen nicht Falafel-, Haloumi- und Mangoldessende Menschen auf der kleinen Holzbank und in den benachbarten Hauseingängen.« Durch ihre Essenspraktiken machen die Konsumentinnen und Konsumenten zunächst die Falafelkultur im öffentlichen Raum sichtbar und werden so zum performativen Teil des Straßenbildes. Sie verbringen dann auch gerne längere Zeit vor den Imbissen. Patricia erzählte, dass sie auf der Bank vor ihrem Lieblingsimbiss Habibi mit anderen Personen ins Gespräch gekommen sei: »Man kommt da eben ganz automatisch ins Gespräch. Ich finde es wie gesagt witzig. Ich finde es einfach witzig, was für Leute ich hier kennengelernt habe. Das ist unglaublich. Wenn ich das aufzählen soll, wirklich aus der ganzen Welt. Touristen, Leute, die hier wohnen, die hier irgendwie für ein paar Wochen sind« (K15). Die Sozialität vor den Imbissen wird auch dadurch gefördert, dass es Biertische und Bierzeltgarnituren gibt, die sich die Kunden miteinander teilen. Der Außenbereich des Falafelimbisses wird so zu einem Ort der Gemeinschaft. Durch die Konstruktion des Innen/Außen werden folglich zwei unterschiedliche Atmosphären im Zusammenhang mit der Falafelkultur erlebt. Während der innere Raum eher eine Art Reise in einen imaginären Orient bedeuten kann, ist der äußere Teil in das alltägliche Straßenleben der Stadtviertel integriert. Diese unterschiedlich erlebten Atmosphären sind dabei auch durch Determinanten wie das Wetter – insbesondere was die Jahreszeiten angeht – geprägt. Daneben werden die unterschiedlich erlebte Atmosphäre durch die Tageszeit determiniert. Viele Imbisse haben von ca. 12 Uhr mittags bis 1 Uhr nachts geöffnet, manche sogar länger. So werben auch Touristenführer für Falafel als nächtliche

2

Auf die Distinktion der Konsumentinnen und Konsumenten von Touristinnen und Touristen wird im Kapitel 9 genauer eingegangen. Dort wird gezeigt, dass das Falafelkonsumieren auch mit einem lokalisierten, szene-internen Wissen zusammenhängt, das man in Berlin erlernt.

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Zwischensnack-Variante. Der Nachtigall-Imbiss wird im Berlin-Reiseführer des Michael Müller Verlag als Zwischenstopp »für Kreuzberger Nachtschwärmer« (Maurer 2009, 75) beschrieben und der Friedrichshainer Imbiss Tigris kann laut Lonely Planet »auf abendlichem Streifzug entlang dieser gut besuchten Partymeile« (Schulte-Peevers/Parkinson 2006, 200) aufgesucht werden. Die unterschiedlichen Erfahrungen bei Tag und bei Nacht rekonstruierten auch die Konsumentinnen und Konsumenten in ihren Wahrnehmungen: »Nachts sind natürlich überwiegend die fertigen Gestalten unterwegs und wollen jetzt noch was essen. Haben schon ordentlich vorgeglüht und dann kurz vor der Party oder danach. Würde ich schon sagen, dass es ein Unterschied ist« (K14). Gerade nachts werden die Imbisse konträr zum sonstigen Leben im Kiez oder Stadtviertel verortet. So schrieb das Stadtmagazin Zitty über den Habibi in Schöneberg: »Statt Alkohol empfiehlt sich ein frisch gepresster Karottensaft, der die Lebensgeister weckt« (Zitty 2005, 83). Da viele Falafelimbisse im Gegensatz zu den um diese Zeit geöffneten sonstigen gastronomischen Lokalen keinen Alkohol verkaufen, wirken sie dadurch wiederum fremd und orientalisiert. So beschrieb Monika (K14) ihre nächtlichen Erfahrungen, insbesondere in Kreuzberg, wie folgt: »Also ich finde schon, dass man merkt, ob da konservative Menschen stehen oder nicht. Ich laufe jetzt eigentlich nie so rum, oder bilde ich mir zumindest ein, dass ich so einen tiefen Ausschnitt oder so habe, dass ich irgendwie nicht rein könnte. Aber manchmal merkt man schon, dass man mit einer männlichen Begleitung anders bedient wird. Oder dass er zum Beispiel angesprochen wird, für beide zu bestellen oder so.«

Für sie als deutsche Frau erweckte die nächtliche Stimmung in vereinzelten Imbissen folglich das Bild eines männlich dominierten konservativen Orients, der eng mit ihrem Islambild zusammenhing. Der Nicht-Verkauf von Alkohol wird auch von anderen interviewten Konsumentinnen und Konsumenten als religiöse Praktik identifiziert, die ihnen insbesondere abends und nachts – zu den Stunden, zu denen sie selbst Alkohol trinken – auffällt.3 Gleichzeitig werden die Imbisse durch diese Imagination zu Orten der Regeneration und zu Anlaufstellen, »um nach einer ausgiebigen Kneipentour die Hirnchemie wieder ins Gleichgewicht zu bringen«, wie der Lonely Planet salopp schrieb (Schulte-Peevers/Parkinson 2006, 199).

3

Die Symbolik des (Nicht-)Verkaufs von Alkohol wird in Kapitel 7 (Das Arabische – auch ein umkämpfter Topos) analysiert.

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Ein- und Ausklinken – Diskussion Wie in den Ausführungen gezeigt, wird in den Imbissen nicht nur ein Orientbild wahrgenommen, sondern es wird auch performativ hergestellt. Dieses Orientbild rekurriert dabei auf historisch verankerte wie aktuell medial vermittelte Stereotype (Attia 2009). Festzuhalten bleibt hier, dass Orientalität in verschiedenen Imbissen in sehr unterschiedlicher Intensität erlebt wird, je nachdem, wie Performance und Ambiente ineinandergreifen. So sind es in dem modern ausgestatteten Zweistrom-Imbiss mit seinen zurückhaltenden orientalischen Referenzen und der Jazz- oder ElektroMusik eher die angebotenen Speisen und die untereinander arabisch sprechenden Verkäufer, die ein orientalisches Flair für die Kundinnen und Kunden erwecken könnten, während ein Imbiss wie der Rissani sicherlich aufgrund ihrer orientalischen Gestaltung, der klassischen Gitarrenmusik, der als arabisch wahrgenommenen Bekanntschaft vor Ort und des sich selbst inszenierenden Abräumers sehr viel intensiver als orientalische Räume erlebt werden. Derek Gregory (2012) untersuchte in seinem Essay »Performing Cairo. Orientalism and the City of the Arabian Nights«, wie alltägliche Performances und orientalische Images eng aufeinander bezogen sein können. Er zeigte dabei, wie die Stadt Kairo aus Sicht der europäischen Reisenden im 19. Jahrhundert zu einem performativen Orient wurde, indem unterschiedliche Personen und Szenen in den Straßen Kairos durch die Brille der Märchen aus Tausendundeiner Nacht wahrgenommen und erlebt wurden. Auch in den Berliner Falafelimbissen entsteht für die Konsumentinnen und Konsumenten solch ein performativer Orient, indem dort erlebte Performances durch die Brille des Orientalismus gelesen werden. In dieser Hinsicht waren für die von Gregory untersuchten europäischen Reisenden die Erlebnisse in Kairo weit mehr als nur eine Repräsentation der vorher gelesenen Märchen aus Tausendundeiner Nacht (auf Englisch: Arabian Night): »The ›reality-effect‹ of Cairo as the city of the Arabian Nights was achieved by something more than reading the city through the text of the Arabian Nights; it was also achieved by reading the city as the text of the Arabian Nights« (ebd., 19). Laut Gregory sind folglich imaginierte Räume (das Orientbild) und erlebte Räume (die Falafelimbisse) eng ineinander gefaltet und formen sich gegenseitig. Eine solche Ineinanderfaltung konnte man auch in Berlins Falafelimbissen beobachten. Der in den Imbissen aufgebaute »practical orientalism« führt dabei nicht nur, wie Michael Haldrup, Lasse Koefoed und Kirsten Simonssen (2006, 80) in ihrer Forschung über Orientalismen im dänischen Alltag beschrieben, zu einem Prozess des alltäglichen »Othering«. Zwar werden verschiedene orientalische Stereotype in den Imbissen reproduziert, wie die Beispiele der in den Imbissen wahrgenommenen »Verwandtschaftssippen« oder des »typischen Arabers, der ein bisschen auf die

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Kacke haut« zeigen. Doch diese Stereotype führen – bis auf wenige Ausnahmen hinsichtlich Geschlechterkonstruktionen4 – weniger zu einer Ablehnung, sondern sind für die Konsumentinnen und Konsumenten reizvoll und erfahrenswert, da sie eine nicht-westliche exotische Welt generieren. Sie werden damit zu einer spielerischen Form der existentialistischen Authentizitätserfahrung (vgl. Wang 1999, 352), in der die Konsumentinnen und Konsumenten sich für einen Moment aus dem rationalisierten und individualisierten modernen Leben, das sie umgibt, ausklinken, ohne diese Erfahrung allerdings zu ernst zu nehmen. So sind sie sich der künstlich generierten Atmosphäre in der Gastronomie bewusst. Auf Seiten der Anbieter ist der in den Imbissen geschaffene performative Orient allein schon aufgrund des erwarteten wirtschaftlichen Profits häufig intendiert, wenn zum Beispiel in allen Imbissen bewusst arabische Migranten eingestellt werden, oder wenn der Salsabil-Besitzer darüber nachdenkt, die Verkäufer tunesische Kleidung tragen zu lassen. Diese Performance ist damit eine Form der »staged authenticity« (MacCannell 1973). In dieser Hinsicht nutzen die Anbieter die ihnen zugeordnete Ethnisierung als ihr kulturelles Kapital, das sie in wirtschaftliches Kapital umsetzen, wie Eberhard Rothfuß (2009) auch für die Himbafrauen in Tourismuskontexten in Namibia zeigte. Teils läuft dieser performativ hergestellte Orient aber auch unintendiert, wenn zum Beispiel bestimmte Performances von den Konsumentinnen und Konsumenten durch eine orientalische Brille gelesen werden, ohne dass dies so von den jeweiligen Akteuren beabsichtigt ist. In jedem Fall unterscheidet sich die Position der Anbieter und Verkäufer von derjenigen der Konsumentinnen und Konsumenten dadurch, dass sie nicht in gleicher Weise den performativen Orient betreten und verlassen können. Diesen Unterschied beschrieb auch Gregory für das touristische Kairo, wo sich die Touristinnen und Touristen jederzeit in ihre europäischen Hotels zurückziehen konnten: »In this way, moving between the view from the window or the terrace and the encounter in the street and the bazaar, Europeans and Americans arrogated to themselves the characteristically, I would say crucially Orientalist power to enter and leave the space of their fantasy, the spectral theatre, ›the Orient‹ itself, at will« (Gregory 2012, 24). Die Orientalisierten können sich hingegen den ihnen gegenüber gebrachten Stereotypisierungen nur schwer entziehen. Im Hinblick auf die Falafelimbisse bezieht sich dies insbesondere auf ihre Tätigkeit in den Lokalen selbst, aber auch darüber hinaus auf den gesamten städtischen Raum in Berlin, wo sie häufig zu allererst als

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Diese werden im Einzelnen in Kapitel 7 (Das Arabische – auch ein umkämpfter Topos) analysiert.

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Araber oder Muslime adressiert werden (Yildiz 2009). Laut Gregory ist das der entscheidende Faktor, der zur Machtasymmetrie im Orientalismus-Diskurs führt. Dieses Ein- und Austreten macht für die Konsumentinnen und Konsumenten aber genau den Reiz der Falafelimbisse aus. Denn konträr zur Außenwelt wird das orientalisierte Innere der Imbisse als inszenierter Ruhepol erlebt. Gleichzeitig sind die auf der Straße wahrgenommenen Performances für die Konsumentinnen und Konsumenten genauso anziehend wie das Imbissinnere. Durch ihren Außenbereich stellen die Imbisse damit ein Bindeglied zu ihrem Viertel dar und bieten einen Standort, von dem aus die alltägliche Sozialität auf der Straße beobachtet werden kann. So findet eine alltagskulturelle symbolische wie physische Aneignung der Straße statt, da die Sichtbarkeit der Falafelimbisskundinnen und -kunden, die meist jung, weiß und gebildet sind, erhöht wird. Da sie das Straßenbild dadurch entscheidend mitprägen, werden Falafelimbisse gerade in den sommerlichen Monaten zu bedeutsamen Orten der alltäglichen Aneignung von Stadtvierteln in Aufwertungsprozessen (Zukin 2010, 3). Im nächsten Kapitel soll nun weiter das Imbissinnere in den Blick genommen und gezeigt werden, wie durch kulturell kodierte Praktiken Vertrauen generiert wird. Dazu wird zunächst der Imbiss Mo’s aus Konsumentenperspektive beleuchtet.

K ULTUR SCHAFFT V ERTRAUEN – Z UR V ERTRAUENSGENERIERUNG

IN DEN I MBISSEN

Mo’s Imbiss und die orientalische Gastfreundschaft Der Lieblingsimbiss der 25-jährigen, in Neukölln wohnhaften Sozialpädagogin Kristin (K8) ist Mo’s Imbiss in der Gräfestraße in Kreuzberg, der sich auch »The king of falafel« nennt. Von außen wie auch von innen wirkt der Imbiss eigentlich unscheinbar, ist er doch relativ klein und verzichtet auf auffällige orientalische Dekorationselemente. Und dennoch ist dieser Imbiss mir im Verlauf der Studie immer wieder als Lieblingsimbiss von Personen, mit denen Gespräche geführt wurden, genannt worden. Kristin (K8) begründete diese Vorliebe unter anderem mit der Atmosphäre. Zunächst liegt dies – kurioserweise – an den Schildern, die überall provisorisch aufgehängt sind und die, neben den besonderen Spezialitäten »vegane LinsenKartoffelsuppe« oder »Muluchia, das Essen der Könige«, vor allem mit Regeln oder Verboten beschriftet sind. Ein Schild besagt zum Beispiel, dass es in dem Laden keinen Alkohol zu kaufen gibt und auch kein Alkohol mitgebracht werden darf. Ein anderes Schild erklärt, dass es keine öffentliche Toilette gibt. Auf dem nächsten Schild steht, dass man für eine Tellerbestellung eine längere Wartezeit einkalkulie-

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ren müsse. Getränke sollten sofort nach der Entnahme bezahlt werden. Und man solle sich nicht zu lange im Laden aufhalten, sondern unmittelbar nach dem Essen gehen, weil es noch andere Kunden gebe. Kristin mochte diese Schilder: »Ja, ich finde das so ne Art und Weise klarzumachen, was geht und was nicht geht und auch klarzumachen, hey, wir bieten hier für euch etwas an« (K8). Für sie war es ein Zeichen von Selbstbewusstsein, das zeigte, dass die Betreiber des Imbisses für ein Geschäft nicht alles mit sich machen ließen. Auch Michael, der gerne zu Mo’s Imbiss ging, sagte: »Und da sind Schilder, die sind wirklich so mal eben mit Word geschrieben, Buchstabengröße 60: »Hier bitte kein Alkohol trinken.« Das hat alles einen recht improvisierten Charakter da. Aber das macht es auch irgendwie nett, und der Laden ist auch wirklich etabliert« (K13). Die beiden Verkäufer, der Besitzer Mo (von Mohammed) und seine Frau, wirkten auf beide Interviewpartner sehr sympathisch. Insbesondere die ältere Frau hat es Kristin angetan: »Ich finde sie auf eine Art und Weise ziemlich tough, also da ist sie so ganz klar: ›Ich brauch jetzt so und so lange‹, und dann braucht sie auch so lange. Und manchmal wirkt sie so ein bisschen schlecht gelaunt. Aber dann sagt man, ich möchte doch gerne Ingwer-Nuss-Soße, und dann freut sie sich und macht noch mal einen Extralöffel drauf, oder so« (K8).

Und für Michael ist sie die »Seele des Geschäfts«: »Also sie hat halt den Laden im Griff und so. Er kommandiert sie da zwar manchmal rum, aber ich glaube, da hört sie eh nicht drauf so. Das ist eigentlich ein ganz lustiges Gespann, die beiden« (K13). In der Tat ist Mo’s Imbiss einer der wenigen Läden, in dem eine Frau bedient. Meistens ist sie alleine, während der Besitzer die Einkäufe erledigt oder beim mittlerweile zweiten eröffneten Laden in der Urbanstraße vorbeifährt. Kristin (K8) sagte, dass die Frau für sie im Gegensatz zu anderen Imbissverkäufern »greifbar« sei. Da machte es ihr auch nichts aus, wenn die Zubereitung des Essens dort eine längere Wartezeit mit sich bringen würde und der Laden ihrer Meinung nach »chaotisch« organisiert wäre. Dadurch entstehe auch unter den Gästen eine nette Stimmung: »Und ich finde auch, dadurch, dass es sehr klein ist und so ein bisschen eng, und die Leute dicht beieinanderstehen, und dann auch gesagt wird, hey, ruft mal raus, das und das ist fertig, dann kommen die Leute wieder rein. Das ist mehr so ein Miteinander, was ich nett finde.« Das Betreiberpaar wäre ihrer Meinung nach sehr großzügig: »Also das ist dann, wenn mehr als drei, vier Leute da sind, da machen sie für alle Tee« (K8). Den kostenlosen Tee, den Kristin hier betont, gibt es aber nicht nur in Mo’s Imbiss, sondern auch in zahlreichen anderen Falafelimbissen. Von den interviewten Konsumentinnen und Konsumenten wurde er im Verlauf der Gespräche häufiger erwähnt. So empfand Anton den kostenlosen Tee als eine »sehr nette Geste« (K3),

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und Michael meinte, das sei eine »besondere Geste der Gastfreundschaftlichkeit«, die »aus dem kulturellen Raum begründet ist« (K13). Folglich wird er weniger als kommerzielle, denn als kulturelle Praktik, als Ausdruck einer kulturell inhärenten Gastfreundschaft gesehen. Das zeigt sich auch darin, dass ihn abzulehnen schwer fällt. So erzählte Marion, dass sie den Tee, den sie während der Wartezeit im Imbiss Tigris bekommen habe, eher »aus Höflichkeit« getrunken habe, »weil geschmeckt hat er mir nicht« (K12). Und Kristin beklagte zum Beispiel, dass beim letzten Besuch in Mo’s Imbiss eine Gruppe von Personen diesen Tee ungetrunken stehen ließ: »Ich würde jetzt mal vermuten, weil sie keinen Bock auf diesen Tee hatten, aber auch nicht wussten, wie sie es höflich ablehnen sollten« (K8). Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Konstruktion von Kultur auch in den Alltagspraktiken und der damit geschaffenen Atmosphäre in den Imbissen zentral ist. Kultur wird dabei mit Authentizität gleichgesetzt. Dies wird insbesondere im Falle von Mo’s Imbiss deutlich. Die Zitty attestierte dem Laden »mit großem Herzen« besondere Authentizität, da der Besitzer von Mo’s nach den »Rezepten seiner syrischen Großmutter« koche. Die Falafel sei sogar authentischer als das, was man heute in Syrien bekomme, »denn als er bei einem Besuch in seiner syrischen Heimat feststellen musste, dass es dort kaum noch authentische Falafel mit dem besonderen Gewürz und mit Sesamkruste gibt, beschloss der Software- und Hardwarespezialist beruflich umzusatteln und die Spezialität nach Deutschland zu bringen« (Zitty 2005, 82). Der Besitzer des Ladens, der offensichtlich mit dem Stadtmagazin gesprochen hatte, zeigte sich hier als Meister der Selbstinszenierung. Dies wurde ihm bereitwillig abgenommen, gerade weil man den Laden als besonders familiär und traditionsgebunden einschätzte und damit konträr zu einer rein modernen ökonomischen Assoziation. Was dabei als Kultur und was als Kommerz gilt, ist sozial konstruiert und damit wandelbar. Denn sowohl Kristin als auch Michael nehmen den Laden als chaotisch und damit irrational wahr, obwohl er zum Beispiel durch die Verbotsschilder organisiert ist und das Bestellsystem nach Nummern funktioniert, die aufgerufen werden. Die Konsumentinnen und Konsumenten assoziierten Mo’s Imbiss mit einem privaten häuslichen Raum, der von der öffentlichen wirtschaftlichen Sphäre abgetrennt ist. Diese Dichotomie war und ist konstitutiv für das bürgerliche Denken und gleichzeitig geschlechtlich konstruiert (Okin 1998, 117). Nicht umsonst ist es besonders die Wahrnehmung der älteren (Haus-)Frau, die diesen Laden authentisch, nicht-kommerziell und damit »kulturschwanger« (Lindner 1998, 59) werden lässt. Und auch Symbole, wie der kostenlose Tee, gelten eher als kulturelle Zeichen und als Ausdrucksformen der Tradition und der damit verbundenen Werte, denn als ökonomische Strategie. Kultur gilt damit auch immer als emotional konnotiert, während Ökonomie als rational wahrgenommen wird. Die von den Konsumentinnen und Konsumenten vorgenommene Dichotomisierung in Kultur versus Ökono-

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mie dient dabei nicht nur der Authentifizierung der Imbisse, die gleichzeitig als Spiegel des eigenen Habitus fungiert. Die Kulturalisierung und damit Emotionalisierung der Praktiken in den Imbissen führt auch alltagspraktisch dazu, Vertrauen zu generieren – ein Aspekt der für den Erfolg der Falafelimbisskultur in Berlin ebenfalls wichtig ist und im Folgenden näher beleuchtet wird. Kulturalisierung als Vertrauen  Der in Kreuzberg wohnende Journalist Michael mochte das Essen in Mo’s Imbiss wie in anderen Falafelimbissen sehr gern. Auch wenn er in seinem Haushalt nur Bioprodukte einkaufen würde, ging er trotzdem gerne Schawarma essen: »Und wenn das schon so ist, dann bleibt natürlich auch noch wenig Spielraum, um weiß ich nicht, jetzt irgendwie Biotomaten zu kaufen oder Biokohl oder Biofleisch. Also das ist definitiv kein Biofleisch, glaube ich, bei Schawarmaläden. Aber das weiß man dann auch. Und auch, wenn es ein Widerspruch ist, wenn ich sage, ich koche für mich, und versuche, meistens nur Biofleisch zu kaufen, bin ich mir im Klaren, dass, wenn ich in einen Falafelladen gehe, das Fleisch meistens definitiv nicht Bio ist. Und das stört mich dann auch nicht« (K13).

Bis zu einem gewissen Grad vertraute er folglich den Falafelimbissen, was die Qualität und Frische ihrer Speisen angeht, auch wenn er wusste, dass die Zutaten nicht die gleiche Qualität haben würden wie zuhause. Bei Dönerimbissen wäre dies wiederum anders, so erzählte er, denn diese wären generell weniger »vertrauenserweckend«. Auch Annika, die sich kritisch zur Qualität der in Dönerständen verwendeten Salate und Gemüse äußerte, war dieser Überzeugung. Auf die Frage, ob sie denke, dass in Falafelimbissen eher auf die Qualität geachtet würde, antwortete sie: »Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich hoffe es eigentlich ein Stück weit einfach« (K2). Dieser Glaube an die Qualität hatte dabei mit der Kulturalisierung des Imbisses zu tun. So beurteilte Michael den Mo’s aufgrund der dort generierten häuslichen Atmosphäre: »Also der macht das schon wirklich so richtig mit Liebe und das schmeckt man auch« (K13). Seine Assoziation »mit Liebe« war folglich ein kulturalisierter Blick auf die ökonomischen Praktiken des Imbisses, die er dann auch an anderen Aspekten wie der kulturellen Gastfreundschaft oder der chaotischen Organisation abzulesen glaubte. Die Kulturalisierung schuf damit nicht nur Authentizität, sondern auch Vertrauen in den Imbiss. Jonathan Everts (2008, 159) bezeichnet in Anlehnung an Giddens (1990) Vertrauen als »Bindeglied zwischen Glauben und Zutrauen«. Laut Giddens (ebd.) ist Vertrauen konstitutiv in modernen Gesellschaften, da durch die zunehmende Entbettung sozialer Prozesse immer weniger vollständige Informationen greifbar sind.

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Da aber der Glaube an abstrakte Systeme mit zunehmender Reflexivität in der Spätmoderne rapide abgenommen hat, gewannen Face-to-Face-Kontakte und emotionale Bindungen in den vergangenen Jahren für die Vertrauensgenerierung an Bedeutung. Falafelimbissbesitzer sind damit sehr erfolgreich in der Generierung des »aktiven Vertrauens«, das an die Stelle der abstrakten Systeme tritt (Beck 1996, 292). Dieses aktive Vertrauen wird dabei zum einen durch die kleinräumige Imbisssituation geschaffen, wegen der man meint, eine Kontrolle über die Zubereitungsschritte zu haben. So sagte zum Beispiel Tom: »Da gibt es immer so offene Tresen. Und da soll man auch zugucken« (K19). Zum anderen ist dafür aber die Kulturalisierung der Praktiken verantwortlich. Das zeigte sich auch daran, dass die von mir interviewten »Konsumentinnen und Konsumenten« mit arabischem Hintergrund den Falafelimbissen nicht dieses Vertrauen entgegenbrachten. Sie waren äußerst kritisch, was die Qualität der angebotenen Speisen in Falafelimbissen in Berlin anging. Mahmud sagte: »Manchmal denkst du, du isst Steine oder weiß ich nicht« (K10). Das lag laut Khaled zunächst am jeweiligen Hintergrund der Imbissbesitzer: »Die haben da eine Einnahmequelle gesehen und sich gedacht, ich mache jetzt einen Imbiss auf. Aber das ist nicht sein Job an sich. Das hat er nie gelernt, das hat er nie, weiß ich nicht, praktiziert in seiner Heimat, er hat was ganz anderes gemacht, und das ist das Problem vom Imbiss« (K6). Zudem vertrauten die vier Interviewten nicht den hygienischen Standards. Mahmud zum Beispiel sagte zu einem der Fotos, dass der Imbiss zwar in Ordnung aussehen würde, aber »manchmal weißt Du nicht, wo er seine Hand reinlegt« (K10). Und Khaled (K6) äußerte sich generell kritisch über das Bestell- und Serviersystem in den Berliner Imbissen, in denen eine Person alle Schritte erledigte, oft ohne sich die Hände zu waschen. Zudem wisse man Afifa (K1) zufolge auch nie, wie alt das Öl ist, das die Imbissbesitzer zum Frittieren benutzen. Sie sahen die Imbisse folglich nicht durch die gleiche von außen gerichtete kulturalisierte Brille wie das die deutschen oder europäischen, der Mittelschicht angehörenden Konsumentinnen und Konsumenten taten. Letztere stellten all diese Fragen – was die Qualität und Frische der Speisen anging – nicht, da ihnen die Referenz »hausgemacht« reichte, die durch eine von ihnen wahrgenommene kulturalisierte Atmosphäre unterstrichen wurde. Manchmal sahen sie aber auch ganz offenkundig weg, was die Qualität des Imbisses anging. Das machte zum Beispiel Monika deutlich, als sie sagte: »Und ganz oft kommt es auch drauf an, wie die Leute aussehen. Also gar nicht so sehr, wie sie aussehen, sondern wie sie gucken. Also wenn die irgendwie fröhlich dahinter stehen, dann ist es mir auch ein bisschen egal, ob es dreckig ist« (K14). Im Folgenden soll nun untersucht werden, in wie weit sich diese Kulturalisierungen auch auf die alltägliche Kommunikation auswirken.

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I NTER - KULTURELLE B EGEGNUNGEN Sympathien Man ist sich sympathisch, aber über diese Sympathie hinweg passiert nicht viel. STEFANIE (K17, 2009)

Generell fanden die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten die Verkäufer in Falafelimbissen äußerst angenehm. Laut Ben waren sie »immer nett, muss man sagen«; Florian erlebte eine »äußerst freundliche, kumpelhafte Bedienung, relativ offen«; und Annika berichtete: »Sie geben auch mal eine Falafel aus und sind freundlich zu Kindern.« Die Konsumentinnen und Konsumenten fühlten sich in Anwesenheit der Verkäuferinnen und Verkäufer im Normalfall äußerst wohl. Auch vonseiten der Unternehmer und der Verkäuferinnen und Verkäufer ergab sich ein positives Bild. Der Geschäftsführer des Meyman beschrieb den Kundenstamm in Friedrichshain wie folgt: »Das Schöne bei dem Kundenpotenzial hier ist, das denke ich schon, die sind ziemlich offen. Auch nett. Junge Leute. Und sie sind ein bisschen aufmerksamer« (A10). Der Besitzer des Habibi am Südstern hob die Offenheit und Toleranz der Kundinnen und Kunden heraus, als er sagte: »Und die alternativen Leute, wir können uns direkt verstehen« (A8). Der Imbissbesitzer des Ufo betonte sogar, dass der Umzug aus Charlottenburg in den Prenzlauer Berg gerade in Hinsicht auf die überaus freundliche Kundschaft eine gute Entscheidung war. Mittlerweile wohnte er mit seiner Frau auch selbst in dem Viertel. Die Unternehmer waren stolz auf ihre vorwiegend deutschen und europäischen Kundinnen und Kunden, die gebildet waren und ihrer Meinung nach einen guten Geschmack hätten. Auf dieser positiven Grundlage kam es dann auch zu einigen Freundschaften. So beschrieb der Besitzer des Phönizier: »Ja, es gibt schon Kundschaft, die Vertrauen aufgebaut hat. Es gibt viele Freunde, die jetzt... Früher gab es nicht so viele Privatbesuche oder so. Aber jetzt, sie rufen vorher an und fragen, ob ich hier bin, damit wir uns unterhalten können, wenn wir uns lange Zeit nicht gesehen haben. Oder Kunden, die aus dem Urlaub Karten schicken« (A13).

Der Nachtigall-Imbissbesitzer erzählte während des Interviews, dass gerade eben eine Kundin und Nachbarin da war, die den Schlüssel während des Joggens im Laden ließ, und auch der Phönizier erzählte, dass er den Kunden aus der Nachbarschaft häufig die Speisen auf Porzellantellern statt in Plastikschalen mit nach Hause gab, weil sie diese wiederbringen würden. Gerade mit Stammkundinnen und

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-kunden aus der Nachbarschaft gibt es folglich freundschaftliche Verhältnisse, die auf gegenseitigem Vertrauen basierten. Von diesen Kontakten konnten die Unternehmer dann auch für ihren Imbiss profitieren. So erzählte der Salsabil-Besitzer, dass ein befreundeter Kunde mal ein Interview mit ihm gemacht und dass dann ins Internet gestellt hätte (A15). Der Baharat-Besitzer berichtete, dass ein Kunde, der Architekt war, die Bilder mit den comic-artigen Falafelbällchen für ihn gemalt hatte (A3). Das Ehepaar des Zaaim sagte, dass ein Stammkunde im damaligen Zaaim-Imbiss in Charlottenburg, der Immobilien im Prenzlauer Berg besaß, ihnen den Laden zur Miete anbot (A19). Und als sie den Laden im Prenzlauer Berg eröffnet hatten, gab es den Musiker Marc Scheibe, der dem Imbiss Ufo einen Song widmete. Diese Beispiele unterstreichen, dass die Imbissbesitzer ihre sozialen Netzwerke durchaus auch auf nachbarschaftlichen Beziehungen aufbauten. Für viele spielten diese eine größere Rolle als die Kontakte zu anderen migrantischen Unternehmern. Sie sahen sich folglich zu allererst als Teil des Kiezes, in dem sie sich einen Platz angeeignet hatten. Dadurch, dass die Imbissbesitzer teils in relativ frühen Phasen des Aufwertungsprozesses ihre Läden eröffnet hatten, wurden sie als Institution in ihrem Kiez anerkannt. So berichtete zum Beispiel der Besitzer des Sanabel, dass alle, die ihre Läden nach ihm eröffnet hatten, während der Renovierungsarbeiten zu ihm zum Essen gekommen seien. Die im Imbiss erlebte nachbarschaftliche Sozialität kann sich aber auch im Laufe der Zeit wieder verändern, wie der Nil-Besitzer erzählte: »Sie haben sich hier getroffen und wir saßen hier auf ein Bier am Tisch hier und so. Das war nett. Hat sich verändert natürlich jetzt« (A12). Im Zuge der Aufwertungsprozesse nahm er, der sich selbst als Pionier auffasste, folglich eine gewisse Entfremdung von seiner Nachbarschaft wahr. Nichtsdestotrotz zeigen die Beispiele, dass die Imbisse äußerst gut in die gentrifizierende Nachbarschaft integriert sind und damit zum Bestandteil einer Kiezkultur werden, die von Seiten sowohl der Anbieter als auch der Konsumenten auf lokaler Identifikation basiert. Auch wenn die Imbisse folglich oft orientalisiert inszeniert sind oder zumindest von den Konsumentinnen und Konsumenten so wahrgenommen werden, heißt das nicht, dass jede Form des Kontaktes zwischen Anbietern und Konsumenten durch die Linse des Orientalismus betrachtet wird. In diesem Sinne scheint auch für Berliner Falafelimbisse zuzutreffen, was Ted Swedenburg (2001, 40) auf einem RaiKonzert in Toronto feststellte. »It was hard to imagine that this Seattle audience occupied what Edward Said calls the Orientalist position of ›flexible positional superiority‹ in relation to the performers. Rather, a kind of momentary community was created.« In der alltäglichen Kommunikation hingegen schien diese Konstruktion wiederum eine Rolle zu spielen.

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Rollenzuschreibungen Von den interviewten Konsumentinnen und Konsumenten erzählte nur Stefanie von engeren Kontakten zu den Imbissbesitzern. Zu manchen sei eine »Bindung« über Jahre entstanden, »wenn die nach Feierabend einen dann auch grüßen und Hallo sagen« (K17). Dies sei vor allem ihrem Vater zu verdanken, der in der DDR Arabistik studiert hatte und Kontakte zu den Imbissbesitzern pflegte, auch da er etwas Arabisch sprach. Allerdings fügte auch sie später hinzu, dass die Konversationen nicht sehr ausgeprägt gewesen wären: »Das ist jetzt nicht, dass die jetzt wirklich großartig Einblick in unser Familienleben haben« (K17). Über Small Talk seien die meisten Unterhaltungen nicht hinausgegangen. Andere hatten noch bedeutend weniger Kontakt. Monika und Sarah zufolge seien es eher Sprüche, die ausgetauscht würden. Ben und Tom sagten sogar, dass sie praktisch nie mit den Imbissbesitzern ins Gespräch kommen würden. Mit Ausnahme der oben beschriebenen Beispiele waren auch die Unternehmer etwas verhaltener, als ich sie nach engeren privaten Kontakten zu Kundinnen und Kunden fragte. Oft wurde diese Frage zwar bejaht, aber nicht genauer spezifiziert. Man würde sich dann eben auch mal privat über alles Mögliche unterhalten. Auch während der zahlreichen Imbissbesuche, die für diese Studie unternommen wurden, konnten nur sehr begrenzt Gespräche zwischen Verkäufern und Kunden beobachtet werden. Dafür gab es wohl zwei Gründe. Der erste Grund war, dass die Verkäufer sehr beschäftigt waren. Dies galt nicht nur für größere Imbisse, in denen Andrang herrschte, wodurch lange Gespräche gar nicht erst zustande kommen konnten, sondern auch für kleinere Imbisse. Denn während ihrer Arbeitszeit hatten die Verkäufer neben der Thekentätigkeit auch zahlreiche andere Aufgaben zu erledigen, angefangen vom Vorbereiten der Beilagen über das Putzen des Imbisses bis hin zum Wegräumen von Einkäufen und Lieferungen. Insgesamt waren die Verkäufer häufig recht eingespannt. Auch von Konsumentenseite war die Gesprächsbereitschaft strukturell eher begrenzt, insbesondere wenn sie ihre Speisen mitnahmen und sich nicht lange im Imbiss aufhielten. Aus diesem Grund war ein möglicher Gesprächsaustausch schon strukturell begrenzt. Als zweites konnte festgestellt werden, dass die geführten Gespräche häufig nach ähnlichen Mustern abliefen. Die Situation der Kommunikation war durch die sozialen Rollen geprägt, die sich die Personengruppen in den Imbissen gegenseitig zuschrieben. Erving Goffmann (1969, 18) bezeichnete eine Rolle als »vorherbestimmte Handlungsmuster, das sich während einer Darstellung entfaltet und auch bei anderen Gelegenheiten vorgeführt oder durchgespielt werden kann«. Und nach Anthony Giddens sind soziale Rollen besonders dann vorzufinden, »wenn die Interaktion in einem eindeutig umschriebenen Bezugsrahmen stattfindet, in dem also die normative Bestimmung der ›erwarteten‹ Verhaltensweisen besonders stark unterstrichen ist. Für solche Bezugsrahmen ist fast immer ein besonderer Ort oder Ort-

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stypus vorgesehen, in dem geregelte Begegnungen unter der Bedingung von Kopräsenz stattfinden« (Giddens 1997, 140). In den Imbissen wird die Kommunikation durch zwei ineinander verschränkte Rollenverteilungen bestimmt. Zum ersten ist es die Rolle des Verkäufers versus Rolle des Kunden (vgl. Evers 2008, 169ff.). So drehten sich die Gespräche um das Angebot der Speisen, es gab Nachfragen bezüglich der Zutaten oder bestimmte Speisen wurden gelobt. Der Sanabel-Besitzer erzählte: »Zum Beispiel letzte Woche war eine Frau, die kam jeden Tag. Die hat immer Cappuccino getrunken und Halloumi gegessen. Ich habe die Tische abgewischt, da hat sie gesagt: Der Halloumi schmeckt bei Ihnen am besten« (A16). Die Besitzer nutzten diese Rolle und versuchten dann, von diesen Gesprächen zu profitieren. Sie fragten öfters die Kundinnen und Kunden nach ihrer Meinung oder nahmen Gerichte in ihre Speisekarte auf, die vermehrt nachgefragt wurden. Diese Rollenverteilung ist nicht überraschend. Eine ähnliche Rollenverteilung findet sich in allen möglichen Einzelhandels- und Gastronomiebetrieben. Die zweite, eng damit verschränkte Rollenverteilung war hingegen für die Falafelimbisse spezifisch. Sie entstand durch die Rolle des Nicht-Arabers versus die Rolle des Arabers. Diese Rollenzuschreibung betraf insbesondere die Verkäufer, die als »Araber« (oder des »Orientalen«) identifiziert wurden. So wurden seitens der Kundinnen und Kunden häufig Fragen nach der Herkunft gestellt, wie der deutsch-kurdische Geschäftsführer des Meyman berichtete: »Die fragen auch nach, woher man kommt. Oder woher die Musik kommt« (A10). Auch nach der Authentizität der Gestaltung wurde ab und an gefragt. Der Sohn des Al Khalif-Besitzers erzählte mir, dass die Kundinnen und Kunden Fragen bezüglich der tiefergelegten Sitzecke hatten: »Also ich denke mal schon, dass es so in den Köpfen der Leute ist, dass die arabischen Leute auf dem Boden essen. Und die Leute haben mich schon gefragt: Wird da auch so gegessen und so? Und ich so: selbstverständlich« (A1). Die Frage nach der Herkunft und damit verbundenen Praktiken könnte nun als Form der Adressierung (Yildiz 2009) seitens der Konsumentinnen und Konsumenten ausgelegt werden. Im Falle der Verkäufer ist sie in einem arabischen Imbiss aber häufig auch bewusst inszeniert. Denn die Verkäufer fügten sich selbst in die kulturelle Expertenrolle (Celik 2005, 91) und nutzten diese auch strategisch als Teil der Vermarktung. Nur der Dada-Besitzer machte deutlich, dass er solch kulturalisierte Kommunikationsformen ablehne: »Also wenn jemand Interesse hat. Dann rede ich gern mit ihm. Aber ich lasse mich nicht billig verkaufen. Das geht nicht. Also es gibt Leute, mit denen man über das Theater, über Kino, über Malerei, über Musik und das und jenes reden kann« (A5). Dass er diesen Aspekt überhaupt erwähnte, deutet an, dass er sich seiner Konfrontation mit der Kulturalisierung und Folklorisierung kaum entziehen kann. Aufgrund dieser zweiten Rollenverteilung wurde die Kommunikation in den Imbissen zu einer inter-kulturellen Begegnung. Luisa Conti (2010, 185f.) zufolge

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ist eine Interaktion dann inter-kulturell, »wenn dieser kommunikative Austausch zwischen Menschen stattfindet, die sich gegenseitig als Vertreter unterschiedlicher Kulturen wahrnehmen oder von einem beobachtenden Dritten als solche wahrgenommen werden.« Folglich bestimmt eine fremd-, aber auch selbstzugeschriebene Kulturalisierung maßgeblich die Begegnung in den Imbissen. In der Tat konnten die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten noch am ehesten Auskunft über die jeweilige Herkunft der von ihnen getroffenen Verkäufer geben. Sie wussten, ob jemand aus Ägypten oder dem Libanon kam. Weitere Kenntnisse über die sozialen Hintergründe der Verkäufer waren aber eher vage. Nur Stefanie konnte berichten, dass es viele Akademiker seien, die in den Imbissen arbeiteten – was sie übrigens durch ihren Vater erfahren hatte. Und Michael hatte dies von dem Besitzer von Mo’s Imbiss erfahren, mit dem er einmal näher ins Gespräch gekommen wäre: »Die erste Frage war, wo er eigentlich herkommt so. Und seit wann er dann in Berlin ist. Und der ist dann aber auch ganz gesprächig so. Hat so erzählt, ja, bin nach Berlin gekommen, bin eigentlich Computerspezialist, EDV-Programmierer, und sein syrischer Abschluss war halt nicht so ganz mit den deutschen Standards irgendwie vereinbar. Die Deutschen haben sich da ja immer so. Was er halt so erzählt« (K13).

Sonst wussten die Konsumentinnen und Konsumenten aber erstaunlich wenig von ihrem jeweiligen Gegenüber in den Imbissen. Auch politische Themen wurden in den Imbissen weitgehend ausgeblendet. Schon Kerstin Frei (2003, 165) zeigte für den »Karneval der Kulturen« in Berlin, dass Kulturalisierungen zu einer Ausblendung des Politischen führten. In Hinblick auf die arabischen Imbisse ist dies insofern bezeichnend, als das Arabische sonst gerade wegen der aktuellen politischen Ereignisse in den Medien präsent war. Doch auch versuchte politische Diskussionen liefen meist kulturalisiert ab. Das sagt schon der Titel des in der Tageszeitung (taz) erschienenen Artikels »Von Hähnchen und Arabern«, in dem die Autorin den Imbiss City Chicken der Sonnenallee aufsuchte, um mit den dortigen arabischen Kundinnen und Kunden über den »Arabischen Frühling« zu sprechen. Die Autorin bediente in dem Artikel sämtliche kulturellen Stereotype, wie zum Beispiel »Großfamilien«, »patriarchische Verhältnisse« oder »religiöse Praktiken« (Petersen 2011, 13). Die Kulturalisierung in den Imbissen führte dann auch dazu, dass – zumindest vonseiten der Kundinnen und Kunden – eine kulturelle Distanz zwischen ihnen und den Imbissbesitzern aufgebaut wurde. Marion dramatisierte diese gefühlte Distanz, als sie erzählte, wie sie einen neuen Verkäufer lästig empfand, der mit ihr ein umfassendes Gespräch über seine Familie anfing. Diesen beschrieb sie visuell schon als »jung und gestriegelt, mit Hemd und rasiert und Duftwasser« (K12). Das Fatale wäre ihrer Meinung nach Folgendes gewesen: »Weil er hat mir sogar gesagt, dass er das so macht, weil man muss das jetzt alles umstellen und sich auf das jüngere Pu-

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blikum einstellen, und dass er zum Glück ja weiß, was die Jungen wollen und... Das ist mir alles so blöd vorgekommen. Und dann hab ich mir gedacht: »Oh Gott, du weißt überhaupt nicht, was die Jungen wollen. Nicht das, was ich will«« (K12). Sie distinguierte sich in ihrem Milieu folglich klar von dem Verkäufer, der ihrer Meinung nach die Gepflogenheiten und Umgangsweisen, die in diesem Milieu herrschten, nicht verstehen konnte. Vonseiten der Besitzer und Verkäufer wurde diese Distanz hingegen viel weniger wahrgenommen, da sie sich selbst häufig als Teil des Milieus wahrnahmen, oft auch in den Vierteln wohnten und ähnliche Lebensstile pflegten. Während Sharon Zukin in ihrem Buch »The Cultures of Cities« zeigte, dass Künstlerinnen und Künstler, die zum Geldverdienen in Restaurants arbeiteten, die Restaurantarbeit aufwerteten, weil sie durch ihr Aussehen, ihre Kleidung und ihre Sprechweisen als Trendsetter fungierten (Zukin 1995, 155), wurde die Tätigkeit der Verkäufer in Falafelimbissen häufig nicht in der Weise wahrgenommen, da sie von vorneherein als »Araber« kulturalisiert wurden und blieben.



7 Das Arabische – auch ein Konfliktstoff?

Die bisherigen Kapitel verdeutlichten, dass arabische Imbisse in Gentrifizierungsvierteln in Berlin unter anderem deshalb so erfolgreich sind, weil sie orientalisiert wahrgenommen und erlebt werden. Dabei ist die traditionell und exotisch anmutende Inszenierung von Seiten der Besitzer, Verkäuferinnen und Verkäufer oft gewollt, da sie erfolgversprechend ist. Sie bedienen damit die Vorlieben und Dispositionen ihrer Kundinnen und Kunden, für die der Konsum kultureller Authentizität zum Distinktionsgewinn gegenüber anderen sozialen Gruppen wird. Der in den Imbissen verhandelte Orientalismus wird so zum integrativen Bestandteil des Alltags in Gentrifizierungsvierteln und funktioniert damit dort reibungslos. Nun ist das Arabische – neben der konsumorientierten Form in Falafelimbissen – im deutschen und europäischen medialen Diskurs durch und durch präsent. Zum einen gibt es eine Vielzahl von Medienberichten über die politische Situation in der arabischen Region, sei es über den Nahostkonflikt, die Golfkriege, den schwelenden islamischen Fundamentalismus und seit Anfang 2011 die arabischen Umbrüche.1 Zum anderen handeln Zeitungsartikel, Dokumentationen und Fernsehdebatten häufig von der Situation muslimischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland, und vor allem in Berlin. Hier steht das Drohbild von islamischen Parallelgesellschaften im Vordergrund (Attia 2009, 80ff.). Die Beiträge über arabische Präsenzen vereint damit ein äußerst konfliktbehafteter Unterton. Dem ästhetischen Orientalismus, der im Umfeld der Imbisse konstruiert wird, steht ein in den Medien präsenter bedrohlicher »Neo-Orientalismus« gegenüber, der – so bemerkte Gabriele Dietze (2006, 234) – »sich auf OrientalIn-

1

Die Geschehnisse in arabischen Ländern seit Dezember 2010 sind nicht Teil dieser Forschungsarbeit, da die empirische Erhebung zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschlossen war. Aus einzelnen Beobachtungen, die ich danach anstellte, konnte ich aber auch nicht feststellen, dass sich die Wahrnehmung von und der Umgang mit arabischen Imbissen seither geändert hätten.

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nen, als MigrantInnen oder potentielle TerroristInnen bezieht«. Dieser hat sich laut ihren Ausführungen nach dem Ende des Kalten Krieges als neues Feindbild herauskristallisiert. Im folgenden Kapitel soll der Blick darauf gerichtet werden, inwieweit dieser in den Medien äußerst konfliktbehaftete Topos des Arabischen in die Imbisse Einzug findet. Dies soll an drei Beispielen erörtert werden. Erstens beschäftige ich mich mit der Frage, ob sich der arabisch-israelische Konflikt, der in das Konsumgut Falafel symbolisch eingeflochten ist, auch in Berlins Falafelimbisslandschaft manifestiert. Dafür wird die Perspektive eines deutsch-israelischen Imbissbesitzers herangezogen, der 2010 einen neuen Falafelimbiss eröffnet hat. Seine Aussagen zeigen, dass die arabische Repräsentation nicht nur aufgrund der reinen Quantität der arabisch konnotierten Imbisse die Falafelkultur in Berlin dominiert, sondern dass sich das Arabische auch aufgrund seiner bodenständigen und authentischen Konnotation in Berlins Gentrifizierungskulturen durchgesetzt hat. Zu dieser arabisch dominierten Falafelimbisskultur positionieren sich die seit 2010 eröffneten israelischen Imbisse auch räumlich. Zweitens wird beleuchtet, inwieweit die Geschlechterkonstruktion in den arabischen Imbissen in Berlin auf der Konsumentenseite das Bild einer patriarchalischen arabischen Kultur reproduziert oder dieses auch widerlegt. Dafür wurden die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten zunächst mit einem Vorfall vor einem Falafelimbiss konfrontiert, bei dem zwei Schwule angegriffen wurden. Diesen kulturalisierten sie zwar nicht, grenzten sich in ihren neu-bürgerlichen Milieus davon aber klar ab. Im Anschluss werden alltägliche geschlechtliche Konstruktionen im Umfeld der Imbisse beleuchtet. Obwohl in den Imbissen fast ausschließlich Männer arbeiten, werden die Imbisse nicht als bedrohlich wahrgenommen, im Gegensatz zu anderen Orten in Neukölln, die der Unterschicht zugeordnet werden und bedrohlich wirken. Die in diese Wahrnehmung eingewobene Klassenkonstruktion wird in diesem Kapitel analysiert. Und drittens wird am Beispiel des (Nicht-)Verkaufs von Alkohol untersucht, inwieweit das Islambild in den arabisch konnotierten Imbissen präsent ist. Das Symbol des Nicht-Verkaufs von Alkohol – auch wenn hinter ihm von Seiten der Anbieter sehr unterschiedliche Motive stehen können – wird von den Konsumentinnen und Konsumenten als Religiosität ausgelegt und fungiert damit für sie als Zeichen für orientalische Authentizität. Da sich Imbisse mit oder ohne Alkohol auch geographisch unterschiedlich über den städtischen Raum verteilen, prägt diese Symbolik das Image von Gentrifizierungsvierteln in Berlin mit. In allen drei Beispielen wird sich herausstellen, dass konfliktbehaftete Perzeptionen in den Imbissen relativ absent sind. Dagegen verweisen die auf den ersten Blick umkämpften Thematiken vielmehr auf Authentizitätskonstruktionen in Gentrifizierungskulturen, die zu einem Distinktionsvehikel gegenüber anderen Gruppen werden, und sich auch räumlich in Berlin manifestieren.

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D IE (N ICHT -)P RÄSENZ DES ARABISCHEN K ONFLIKTS

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ISRAELISCH -

The last time you bit into a falafel sandwich you were probably thinking about nothing more than the warm spice and crunch of the chickpea fritters and the way they played against the soft bread, crisp vegetables and nutty tahini sauce. (…) Unless you're Palestinian, in which case you may have had weightier culinary issues on your mind. JODI KANTOR (2002)

Die Aneignung der Falafel durch Israel Wie Jodi Kantor in dem in der New York Times erschienenen Artikel andeutete, gibt es kaum ein alltagskulturelles Gut, das für Palästinenserinnen und Palästinenser so symbolisch aufgeladen ist wie die Falafel. Grund hierfür ist, dass die Falafel von israelischer Seite als eigenes nationales Gericht vermarktet wird, Palästinenserinnen und Palästinenser die Falafel aber als ihr rechtmäßiges kulturelles Erbe betrachten. Neben dem Hummus ist die Falafel damit zum alltagskulturellen Symbol des israelisch-palästinensischen Konflikts geworden, der sich zu einem israelisch-arabischen Konflikt ausgeweitet hat. Schon vor der Gründung Israels nahmen die nach Palästina strömenden jüdischen Siedlerinnen und Siedler die bis dahin orientalisch konnotierte Falafel in ihren Speiseplan auf, die sich dann in den wirtschaftlich schwierigen Gründungsjahren in Israel als billige kulinarische Speise zunehmender Beliebtheit erfreute. Auf der Suche nach einer gemeinsamen nationalen Identität für die aus unterschiedlichen Regionen stammenden jüdischen Migrantinnen und Migranten wurde die Falafel – ähnlich wie die Jaffa-Orange vorher – in den fünfziger Jahren vom Staat als Nationalsymbol für das neue Israel auserkoren. Falafel gab es fortan nicht nur als Imbiss auf der Straße zu kaufen, sondern sie wurde auf repräsentativen Empfängen des Staates Israel serviert, sie wurde im Kindergarten auf den Speiseplan gestellt (Golden 2005, 186) sowie international als israelisches Gericht propagiert. Für diese Propagierung musste sie gleichzeitig von ihren arabischen Konnotationen gelöst werden (Raviv 2009, 214). Ein frühes Beispiel für diese symbolische Aneignung der Falafel war laut Jaev Raviv die Rezeptsammlung der israelischen Botschaft in Washington, in der die Beliebtheit der Falafel in Israel auf jemenitische Einwanderer zurückgeführt, dagegen die arabische Herkunft des Gerichts mit keinem Wort erwähnt wurde.

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Die Falafel wurde damit nicht nur »von unten« angeeignet, sondern auch ein »von oben« gewolltes »Werkzeug der Ideologie« (Raviv 2009, 215), durch das die Palästinenserinnen und Palästinenser auch kulturell marginalisiert wurden.2 Mit der Intensivierung des arabisch-israelischen Konflikts wurde die symbolische Aneignung auch jenseits Palästinas häufig angeprangert. Im Libanon führte das Fernsehprogramm »Fatafeat«, das sich auf kulinarische Kulturen spezialisierte, 2008 eine gegen Israel gerichtete mediale Kampagne, die »Hands off our dishes« hieß und in der Spots zu Speisen wie Falafel und Hummus gezeigt wurden (AbuFadil 2008). Zudem fochten Libanon und Israel über Jahre hinweg ein Duell aus, wer den größten Hummus-Teller zubereiten und damit den Guinessbuch-Rekord für sich in Anspruch nehmen konnte (Spiegel Online 2009). Der Wettstreit um die kulturelle Erbschaft der Falafel (oder auch des Hummus) setzte sich zudem international fort und manifestierte sich räumlich in westlichen Metropolen. Es folgen einige Beispiele: In Paris, und zwar in der jüdisch geprägten Nachbarschaft »Marais«, wird die Falafel als jüdisch vermarktet.3 In New York wiederum finden sich sowohl Falafelimbisse, die sich als israelisch ausweisen, zum Beispiel um den Union Square, wo sie die in dieser Gegend ansteigende Zahl israelischer Bewohnerinnen und Bewohner bedienen. Gleichzeitig gibt es aber auch in Brooklyn arabisch konnotierte Falafelimbisse.4 Auch in London deklariert sich ein Teil der Falafelimbisse als israelisch, andere hingegen weisen sich als arabisch, libanesisch und selten palästinensisch aus.5 Die israelische Falafel verbreitet sich zudem durch die internationale Franchising-Kette Maoz, die ihre Basis in Amsterdam hat und mittlerweile in Barcelona und Madrid sowie in einigen US-amerikanischen Städten Filialen eröffnet hat.6 In Barcelona wiederum findet sich neben einem Ab-

2

Während die Falafel fortan als israelisch galt, wurde die palästinensische kulinarische

3

Auf dem 1979 eröffneten »L’As du Falafel« zum Beispiel prangen hebräische Schriftzei-

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Wie der oben zitierte Artikel der New York Times andeutet, wird der Konflikt um die Fa-

5

So gab es auch ein in London angesiedeltes Kunstprojekt »Falafelroad«, in dem eine Pa-

Kultur in Israel häufig als rural, arm und einfallslos konstruiert (Gvion 2009). chen. lafel dort teilweise offen medial ausgetragen (Kantor 2002). lästinenserin und ein Israeli gemeinsam in verschiedene israelische oder arabische Imbisse zum Essen gingen, um sich mit der Aneignung der Falafel durch Israel und ihrer weltweiten Vermarktung kritisch auseinanderzusetzen (Hammad 2011). 6

Die Kette gehört israelischen Migranten aus Amsterdam. Auch wenn die Kette auf eine offensichtliche israelische Assoziation verzichtet, gibt es doch versteckte Hinweise. Der

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leger der Maoz-Kette in der großen Einkaufsstraße »Las Ramblas« auch ein Laden der arabisch konnotierten Habibi-Kette aus Berlin, der dort von einem ehemaligen Angestellten aus Berlin geführt wird (Kortmann 2001). In kaum einer dieser Städte scheinen Falafelimbisse aber so präsent zu sein wie in der kommerziellen Landschaft Berlins. Die für diese Arbeit interviewte holländische Austauschstudentin Sarah zum Beispiel kannte die Falafel zwar durch die Kette Maoz aus Amsterdam, war aber erst in Berlin auf den Geschmack gekommen. Und auch die aus England nach Berlin gezogene Lisa erzählte, dass sie Falafelimbisse in London bei weitem nicht so häufig gesehen habe wie in Berlin. Zudem ist Berlin von den genannten Städten die einzige Metropole außerhalb des Nahen Ostens, in der Falafelimbisse fast ausschließlich arabisch (oder libanesisch) konnotiert sind, wie die Verortungen durch die Konsumentinnen und Konsumenten zeigen.7 Diese Dominanz mag ein Grund dafür sein, warum der arabischisraelische Konflikt um die Falafel in Berlin bisher kaum eine Rolle gespielt hat und nicht thematisiert worden ist.8 Auch die nach Berlin gekommenen israelischen Migrantinnen und Migranten gingen häufig zu den arabischen Imbissen, um Hummus oder Falafel zu essen. 2010 wurde die einseitige arabische Repräsentation dann aber durch drei neu eröffnete Falafelimbisse und Hummusrestaurants in Friedrichshain und Prenzlauer Berg herausgefordert, die sich auf eine israelische Herkunft beriefen. Die gegenwärtige Entstehung einer israelisch konnotierten Gastronomie in Berlin ist auch auf die rapide ansteigende Zahl von jungen israelischen Migrantinnen und Migranten

Name »Maoz« ist zum Beispiel hebräisch. Zudem benutzt das Unternehmen nur aus Israel exportierte Produkte (Hendler 2007). 7

Siehe Kapitel 4. In Berlin gab es vor 2010 zwar auch jüdisch deklarierte Falafel, aber nicht in Imbissform, sondern sie standen auf den Speisekarten der jüdischen koscheren Restaurants, die sich nach der Wende zahlreich im Scheunenviertel in Berlin Mitte ansiedelten, wie zum Beispiel im Café Oren, das mittlerweile seit einigen Jahren geschlossen hat.

8

So wiesen die Imbissbesitzer in den Interviews nur selten auf diesen Konflikt hin und es fanden sich in den Imbissen keine pro-palästinensischen Statements oder Flaggen – trotz der großen Zahl von palästinensischen Migrantinnen und Migranten in Berlin. Dies mag auch an dem generellen Verdacht des Antisemitismus liegen, dem sich Migrantinnen und Migranten aus arabischen Ländern in Deutschland ausgesetzt sehen (Attia 2009, 84ff.) und den die Imbissbesitzer daher in den Imbissen nicht zu einem Thema werden lassen wollten.

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aus der Mittelschicht zurückzuführen, die in die Gentrifizierungsviertel strömen.9 Auf eines der neu entstandenen Lokale – den Falafelimbiss Mamo – soll nun der Blick gerichtet werden, denn dessen Besitzer hatte sich über die Positionierung seines Imbisses gegenüber den etablierten arabischen Imbissen umfassende Gedanken gemacht. Mamo Falafel – ein israelischer Imbiss in Berlin Der Besitzer des mittlerweile wieder geschlossenen Mamo ist ein Architekt, der in Berlin geboren und aufgewachsen ist. Sein Vater migrierte aus Israel nach Berlin, seine Mutter ist Deutsche. Der Vater hatte seit den siebziger Jahren in Berlin nach den Worten des Sohnes »orientalische Gastronomie« betrieben. Ihm gehörte zum Beispiel nach der Wende das berühmte koschere Café Oren in Berlin Mitte, wo er auch Falafel und Hummus anbot. Das Lokal wurde vor einigen Jahren geschlossen, als der Vater in den Ruhestand ging. Der Sohn hatte lange Zeit außerhalb Berlins gewohnt, in Hamburg, Schweden und Barcelona, und war nun wieder nach Berlin zurückgekehrt. Da er seine Profession wechseln und sich selbständig machen wollte, kam ihm die Idee mit dem Falafelladen, den er in Friedrichshain an der Oberbaumbrücke eröffnete: »Wenn man einen Gastronomiehintergrund hat, gibt’s immer viele Sachen, über die man nachdenkt. Und das war eine Idee von vielen. Und das hat sich dann durchgesetzt. Weil es das noch nicht in Berlin gibt. Und ich so was schon immer mal gern haben wollte. Ich habe auch mit Freunden darüber gesprochen, die das aus Israel kennen. Die haben mich darin bestätigt, wie toll das wäre, so was auch in Berlin zu haben« (A9).

Seine Imbissidee in Berlin übernahm er folglich von gastronomischen Einrichtungen in Israel. Auf den Einwand, dass es in Berlin schon einige Falafelimbisse gebe, präzisierte er, was das Neue an seinem Imbisskonzept in Berlin sei: »Ja, es gibt 3000 verschiedene arabische Falafelimbisse, die alle in einen oder zwei Dingen variieren, aber doch im Prinzip das gleiche Angebot haben und die gleiche Art, wie Falafel präsentiert werden. Aber die Art, wie wir das machen, mit der offenen Salatbar, wo man sich

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Mittlerweile leben in Berlin ca. 15.000 israelische Migrantinnen und Migranten, häufig junge Akademikerinnen und Akademiker, die Berlin aufgrund des Renommees als subkulturelle, freie und sichere Metropole schätzen (Erk 2012).

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selbst seine Falafel zusammenstellt, das ist so Standard, wie man es in Israel kennt, aber hier halt noch gar nicht« (A9).10

In anderen europäischen Städten würde es bei der Maoz-Kette die Einrichtung der Salatbar schon geben. In seinem Imbiss nahm er aber auch aktuelle Trends aus Tel Aviv auf, nämlich Falafel in drei verschiedenen Geschmacks- und Farbvariationen anzubieten.11 Wie diese Aussagen deutlich machen, sieht sich der Mamo-Besitzer als Protagonist einer israelischen Falafelkultur in Berlin. Er deklarierte seine Falafel mir gegenüber als israelisch und erklärte dann auch: »Falafel ist nicht nur in arabischen Ländern, sondern auch in Israel ein Nationalsnack. Das hat man so adaptiert, sozusagen von den Nachbarn« (A9). Gleichzeitig wusste er um das Konfliktpotenzial, das mit der Falafel zusammenhing, weswegen er später hinzufügte: »Natürlich ist es arabisch. Die Israelis haben das irgendwann adaptiert, und dann so ein bisschen auf ihre eigene Art mitgenommen. Aber zum Beispiel, die berühmtesten Hummusläden in Jerusalem, Tel Aviv, das sind alles arabische Läden. Ein Israeli würde nie beim Israeli Hummus essen« (A9). In Israel gibt es ihm zufolge einen Unterschied zwischen den Falafelläden, die israelisch konnotiert sind, und Hummusläden, die als arabisch gelten. Den Unterschied könne man schon an der Gestaltung der Falafelimbisse in Israel feststellen, da die Israelis sich nicht als »Orientalen« (A9) sähen, und daher keine orientalischen Gestaltungsmerkmale benutzten. Auch seinen Imbiss in Berlin wollte er von orientalischen Imaginationen lösen. Ebenso vermied er israelische Referenzen. So erzählte der Imbissbesitzer: »Wir wollten ein neutraler Laden sein. Deswegen, unser Name ist ein Phantasieprodukt. Hier findest du keine ethnischen Anspielungen. Weder auf Orient, noch auf Israel, noch auf irgendwas« (A9). Nach seiner Aussage wollte er sich im Herkunftsstreit »nicht positionieren«, auch deshalb nicht, weil er einen Konflikt in Berlin mit arabischen Imbissbesitzern befürchtete. Deswegen vermarkte er den Laden auch zuallererst als »vegetarischen Imbiss«. Aus diesem Grunde stehe auf dem Namensschild des Imbisses neben »Mamo« auch der Slogan »Vegetarian delight«. Er und seine

10 So erläuterte er weiter: »Also in Israel gibt es das gar nicht anders. Also diese Art, dass man ein fertiggemachtes Sandwich in die Hand gedrückt bekommt, das kennt man dort nicht. Für die Israelis wäre das genauso »strange«, hier in Berlin in den Laden zu kommen, und seine fertige Falafel in die Hand gedrückt zu bekommen, wie jetzt für die ganzen Berliner, die zu uns kommen und sich das selbst machen« (A9). 11 Dies hatte er zwar nicht selbst probiert, aber ein Freund, der in Tel Aviv war, hatte ihm davon berichtet. Auch Uri Ram beschrieb diesen neuen Trend in Israel (Ram 2004, 13).

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Kollegen hätten sich bewusst für diese »freundliche, gesundheitsbewusste, vegetarische« Schiene entschieden (A9). Der Imbiss Mamo ist aber implizit doch eine Positionierung, da sich der Besitzer von den anderen Falafelimbissen in Berlin bewusst distinguieren möchte. Denn so sagte er weiter: »Bei den ganzen arabischen Läden da ist es ja so, die verkaufen das ja immer ein Stück mit. Das ist dann arabisch dekoriert, da läuft dann arabische Musik. [...] Und wir haben uns ganz bewusst dagegen entschieden« (A9). Auch in der Gestaltung setzen sie dies fort, zum Beispiel in der Farbwahl des Logos: »In der arabischen Welt ist ja dieses ganze Türkis und Orange sehr beliebt. Diese ganzen Erdfarben. Wir haben uns halt explizit davon entfernt, wir wollten das nicht. Deswegen dieses Braun und Grün nach den Farben der Falafel. Weil eine richtig gute Falafel sollte ja außen schön knusprig braun sein und von innen leicht grünlich. Das war so der Aufhänger. Alles ist hier in Falafelfarben eigentlich.« Kurz zusammengefasst sei das Konzept somit »modern, jung, freundlich« (A9). Mit dem von ihm verfolgten neuen Konzept wurde seiner Meinung nach eine »Trendwende« in der Berliner Falafelkultur eingeleitet. Diese Wende betreffe zwei ineinander verwobene Aspekte, die für die Falafelkultur in Berlin charakteristisch seien. Zum einen wollte er sich von den bodenständigen orientalischen Falafelimbissen in Berlin abheben, indem er eine »Gourmet-Falafelbar« (A9) in einem kosmopolitischen Stil eröffnete. Zum anderen – und eng damit verbunden – verfolgte er eine Abkehr von der Vermarktung des »Orientalischen« (A9) . Auch er nahm folglich die enge Verquickung dieser beiden Konnotationen der Falafelkultur in Berlin wahr. Im Gegensatz zu vielen Konsumentinnen und Konsumenten war ihm die Inszenierung dieser bodenständigen Authentizität bewusst. So sagte er, dass die klassischen Falafelimbisse immer das Klischee der Bude von und für »arme Migranten« bedienen würden und die Kundinnen und Kunden gar nicht merkten, dass dort eigentlich nur Deutsche zum Essen gingen. Er selbst kannte die Imbisse Habibi und Baharat aus seiner Jugend gut, da er in Schöneberg aufgewachsen war. Er war somit nicht nur Anbieter mit israelischen Relationen, sondern früher selbst auch ein typischer Berliner Falafelkonsument in den arabischen Imbissen gewesen. An seinem Standort in Friedrichshain müsste er aber bei seinen Berliner Konsumentinnen und Konsumenten genau deswegen noch »viel Überzeugungsarbeit« leisten, denn diese würden beim ersten Besuch dem Imbiss skeptisch gegenüberstehen: »Also wenn die dann so reinkommen und die sehen so: ›Äh, das ist ja so schick‹. Und dann noch mit den verschiedenen Preisen. Die denken dann erstmal: ›Verrat an der orientalischen Kultur‹. Und dann stellen sie sich hin [er macht eine abschätzige Bewegung mit seinem Kopf]: ›Eine Falafel bitte‹. Und auch mit so einem Blick dann immer« (A9).

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Und er erzählte weiter: »Manchmal muss ich mir so einen Spruch anhören. So von wegen: ›Oh, du bist gar kein Araber. Das kann ja gar nicht authentisch sein. Das kann ja jetzt gar nicht authentisch sein‹. Die gehen dann auch direkt wieder raus, ohne zu probieren. Letztens hatte ich eine Gruppe hier, das waren drei Leute. Zwei haben gegessen und der eine kam dann so: ›Woher kommst denn du?‹ Und ich so: ›Ich bin von hier‹. Die anderen beiden haben gegessen und waren noch hoch begeistert. Ich hab gesehen, dass er eigentlich auch gerne probieren würde, aber er hat sich jetzt schon positioniert als ›Ich bin der Authentische. Also meiner Meinung nach‹, hatte er dann zu seinen Freunden gesagt, ›also meiner Meinung nach ist ja der beste Falafelimbiss in Friedrichshain der Imbiss Oase‹ « (A9).

Die Aussagen des Mamo-Besitzers zeigen, dass sich die arabische Repräsentation in Falafelimbissen nicht nur quantitativ, sondern auch symbolisch durchgesetzt hat, denn von den Falafelkonsumentinnen und -konsumenten wird sie als die authentische Repräsentationsform wahrgenommen. Bedient hinter dem Imbiss kein arabisch aussehender Verkäufer, wird dem Imbiss sofort die Authentizität abgesprochen. Die orientalischen Authentizitätsvorstellungen sind dabei eng mit einer bodenständigen, einfachen Kultur verbunden, die durch die orientalisierten Bilder in der Berliner Falafelimbisskultur vermittelt werden. Denn nicht nur dadurch, dass der Mamo-Imbiss nicht arabisch repräsentiert wird, sondern auch dadurch, dass er als zu schick wahrgenommen wird, wirkt der Imbiss auf die Konsumentinnen und Konsumenten unauthentisch. Ihre Konstruktion von orientalischer Authentizität spiegelt ihren eigenen Habitus wieder, indem sie sich selbst als bodenständig wahrnehmen und sich gegenüber anderen statushöheren sowie statusniedrigeren sozialen Gruppen distinguieren. Indem sie etwas als authentisch deklariertes konsumieren, fühlen sie sich selbst authentisch und legitimieren somit ihre eigene Präsenz gegenüber anderen. In diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie Authentizität in alltäglichen Konsumpraktiken zu einem »tool of power« (Zukin 2010, 3) wird. Die Imbissbesitzer mit arabischem Hintergrund waren folglich – ob sie es intendierten oder nicht – in Berlin sehr erfolgreich, die Falafel und andere Gerichte als originär arabisch zu propagieren. In dieser Hinsicht verläuft die arabischisraelische Rivalität um die Falafel in Berlin klar zugunsten der arabischen Repräsentation. Die räumliche Positionierung der israelischen Imbisse Zu dieser quantitativen und symbolischen Dominanz positionierte sich der MamoBesitzer dann auch räumlich. Während er sagte, dass es in der aktiven Zeit seines Vaters noch keine Konflikte zwischen Israelis und Arabern in Berlin gegeben habe

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und sein Vater für seine gastronomischen Betriebe in Berlin-Mitte zum Beispiel das Brot auch von der Bäckerei des arabischen Habibi-Imbisses bezog, möchte er gegenwärtig Konflikten mit alteingesessen arabischen Falafelimbissbesitzern lieber aus dem Weg gehen. Die Konsequenz war nicht nur der Verzicht auf jegliche israelische Referenz, sondern dies wirkte sich auch auf die Standortwahl aus: »Und dadurch, dass wir ein Produkt anbieten, was so arabisch belegt ist, wollten wir uns auch explizit raushalten aus Vierteln, wo das schon verbreitet ist« (A9). Der Standort musste folglich so gewählt werden, dass er zum einen seine Zielgruppe dort antreffen würde, die er »als 15 bis 35 Jahre alt« und »mit einem gewissen Bildungsstandard«, als »ernährungsbewusst« und »aufgeschlossen« beschrieb. Seine Zielgruppe deckte sich damit mit der anderer Falafelimbisse in Berlins Gentrifizierungsvierteln. Zum anderen wollte er sich von arabischen Imbissen fernhalten, um ihnen nicht die Kundschaft wegzunehmen und mit ihnen in Streit zu geraten. Da das »Epizentrum« der Falafelkultur nach seinen Jugenderfahrungen in Schöneberg und Kreuzberg lag, suchte er »im Ostteil der Stadt«, und zwar in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain: »Hauptsächlich aus dem Grund, da wir dachten, dass es hier noch nicht so viel Falafel gibt, was wir im Nachhinein auch gemerkt haben, dass das auch nicht stimmt« (A9). Wie für diese Arbeit interviewte Falafelkonsumentinnen und -konsumenten unterschätzte er die Aktivität arabischer Imbissbetreiber in Ostberliner Gentrifizierungsvierteln. Diese entdeckte er erst auf seinen Erkundungstouren, als er für die Konzeption seines Imbisses zahlreiche Falafel probierte.12 Nichtsdestotrotz fühlte er sich nun im Ostteil der Stadt, wo es nicht so viele Migrantinnen und Migranten arabischer Herkunft gibt, mit seinem Imbiss wohler. Zudem glaubte er auch, dass sich sein modern und kosmopolitisch ausgerichtetes Konzept in diesen aufgewerteten Stadtteilen besser umsetzen ließe. In seinen Laden kämen zudem 70 Prozent Touristinnen und Touristen, unter anderem aus Israel, die zum Teil in dem seit einem Jahr neu eröffneten anliegenden Hotel und Hostel übernachten würden. Auch die zwei nach dem Mamo eröffneten Hummus-Imbisse Zubada und Sababa, deren Besitzer sich ebenfalls auf eine israelische Herkunft berufen, suchten für ihre Lokale mit dem Viertel Prenzlauer Berg einen Ost-Berliner Standort aus. Von diesem Stadtteil, dessen gegenwärtiges Image sie dadurch mitprägen, fordern sie die arabische Dominanz der Falafel- und Hummuskultur heraus, nicht nur auf-

12 Wie manche der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten hatte auch er die Vorstellung, Falafelimbisse würden sich nur in Vierteln mit einer höheren Dichte an arabischen Migrantinnen und Migranten finden. Zudem war er erstaunt, als ich erwähnte, dass es auch arabische Imbisse wie den Zweistrom gebe, die eher modern gestaltet waren. Seiner Meinung nach präsentierten sich alle arabischen Falafelimbisse in Berlin orientalisch.

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grund ihrer teils sogar offenen israelischen Referenz (Erk 2012),13 sondern auch wegen der Präsentation eines kosmopolitischen, modernen Stils, wie er für den Imbiss Mamo beschrieben wurde. Die gegenwärtige Transformation, die das bedingen könnte, wird am BoussiFalafel deutlich, der 2011 am traditionellen Falafelimbissstandort, dem Winterfeldplatz in Schöneberg, eröffnet hat und ebenfalls auf eine neues Falafelimbisskonzept in der Berliner Gastronomie setzte (vgl. Tagesspiegel 2011). Der deutschlibanesische Besitzer integrierte in seinem Imbiss ebenfalls eine offene Salatbar, setzte mit dem Vertrieb des Vollkorn-Pitabrots auf die Vermarktung eines Gesundheitskonzepts und ließ von orientalischen Dekorationselementen ab. Stattdessen fand sich ein großer, in sattem Grün abstrakt gezeichneter Zedernbaum im Imbiss, mit dem er dann wiederum die libanesische Herkunft seines Falafelimbisses unterstrich. Der Zedernbaum gilt als das Nationalsymbol im Libanon. Inwieweit die Falafelimbisskultur in Berlin auf Dauer von einer traditionellen orientalischen in eine kosmopolitische Repräsentation umgedeutet wird, bleibt aber abzuwarten. Nach wie vor ist in der Berliner Falafelimbisskultur eine orientalisierte Präsentation dominant, denn – wie sich zeigte – entspricht sie zum einen den Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten an eine arabische Repräsentation, zum anderen trifft sie aber auch die Geschmacksvorlieben in den Berliner Gentrifizierungskulturen. Der Besitzer des Imbiss Mamo, der mir gegenüber 2010 noch Pläne für die Ausweitung seines Imbisskonzeptes in Berlin geäußert hatte, schloß seinen Imbiss im Juli 2012 wieder.

13 Im Gegensatz zum Mamo-Falafelimbiss verwendeten die Imbisse Zubada und Sabada israelische Referenzen. Das vor zwei Jahren eröffnete Café Zubaba hält diese zwar im Hintergrund, auf der Speisekarte finden sich aber Hinweise auf einen israelischen Ursprung und im Imbiss hängt eine kunstvolle Fotoinstallation, auf der die Klagemauer zu sehen ist. Der Imbiss Sababa wird diesbezüglich noch deutlicher: Auf dem Werbeschild finden sich hebräische Schriftzeichen und auf der Tafel vor dem Imbiss werden israelische Weine beworben. Zudem finden sich einige politische Stellungnahmen. Im Imbiss hängt ein altes Poster, auf dem »Visit Palestine« steht und in der Speisekarte gibt es Gerichte, die »peace salad« oder »Iranian Bomb« heißen. Dem Besitzer waren diese Stellungnahmen wichtig. So erkläre er in dem 2012 im Tagesspiegel erschienenen Artikel »Siegeszug der Erbse« (Erk 2012): »Wir verkaufen ja nicht nur Essen. Wir verkaufen vor allem eine gute Geschichte – eine neue Geschichte des Judentums in Berlin.« Schon 2011 war ein Artikel im Tagesspiegel über die neu aufgetauchten Imbisse erschienen (Tagesspiegel 2011). Hier wird der israelische Mamo-Imbiss mit dem neuen libanesischen Imbiss BoussiFalafel verglichen, der weiter unten auf dieser Seite besprochen wird.

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K EINE P ATRIARCHEN ? Z UR G ESCHLECHTERKONSTRUKTION

IN DEN I MBISSEN

Kritischer Okzidentalismus als Forschungsperspektive Deutsche und europäische mediale Beiträge und Debatten über arabische Gesellschaften und über arabische Migrantinnen und Migranten in Deutschland drehen sich meist zentral um das Thema der fehlenden Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und die mangelnde Freiheit in Bezug auf Geschlechterkonstellationen. Vonseiten der Mehrheitsgesellschaft bilden sich hier bisher nicht da gewesene Allianzen zwischen kulturkonservativen Parteien und feministischen Stimmen (zum Beispiel Alice Schwarzer), in denen Araberinnen und Araber gemeinsam mit anderen Migrationsgruppen unter den Generalverdacht des Patriarchalismus und der Unterdrückung der Geschlechterfreiheit gestellt werden. Diese Generalverdächtigungen wurden von Ilka Eickhof 2010 und Iman Attia 2009 auch unter dem Schlagwort »antimuslimischer Rassismus« subsumiert, da Personen, die als muslimisch identifiziert werden (ohne dass sie es notwendigerweise zu sein brauchen bzw. die muslimische Religion praktizieren), auf ihre kultur-religiöse Differenz reduziert und stigmatisiert werden. Nach der Kopftuchdebatte hat sich seit Ende der neunziger Jahre besonders die Debatte über die vermeintliche Homophobie herauskristallisiert (Petzen 2005, 170). Gerade männliche Muslime werden einer gewalttätigen Homophobie bezichtigt, während die eigene Gesellschaft – konträr dazu – als tolerant und offen gegenüber Homosexualität dargestellt wird.14 Diese Rassismen sind dabei in sich selbst geschlechtlich kodiert. Denn »der orientalische Mann wird als ›islamistischer Terrorist‹ oder ›orientalischer Patriarch‹ konzeptualisiert, und die ›Orientalin‹ wird als ›traditionell‹ und über Kopftuch, Zwangsheirat und ›Ehrenmord‹ als unterdrückt definiert« (Dietze 2006, 236). Damit werden die Vorzeichen des traditionellen Orientalismus, in dem das Bild eines erotisierten feminisierten Orients überwog, in den

14 So wurde zum Beispiel im Einbürgerungstest im damals von der CDU regierten BadenWürttemberg folgende Frage gestellt: »Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?« Diese Frage zielte eindeutig auf Muslime ab. Eventuell vorhandene Homophobie wird damit zu einem Werkzeug für die Verweigerung der Einbürgerung gemacht (Dietze 2009, 43).

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gegenwärtigen Orientbildern umgekehrt, in denen das Bild eines patriarchalischen und männlich bedrohlichen Orients vorherrscht.15 Gabriele Dietze (2006, 234) zufolge diente der von ihr deswegen auch so bezeichnete »Neo-Orientalismus« damit als neues »konstitutives Außen der europäischen Identität«, um von eigenen Identitätsbrüchen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft abzulenken. Die Kopftuchdebatte wie auch die Debatte um Homophobie erfüllt ihrer Meinung nach den Zweck, sich der eigenen Fortschrittlichkeit zu versichern und vom eigenen Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und sozialer Wirklichkeit abzulenken, indem die Anderen pauschal als nicht emanzipiert dargestellt werden (Dietze 2009, 33ff.). Deswegen plädierte Gabriele Dietze mit ihrem an die »Kritische Weißseins-Forschung«16 angelehnten Ansatz des »Kritischen Okzidentalismus« dafür, den Blick umzukehren und die nicht zur Sprache gebrachte hegemoniale Position zu dekonstruieren. Insbesondere diese mehrheitsgesellschaftliche, weiße oder okzidentale Position soll im Folgenden in den Blick genommen werden, wenn untersucht wird, inwieweit sich in den Aussagen der interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten, die alle einer weißen Mittelschicht zuzuordnen

15 In tradierten kolonialen Stereotypisierungen findet sich das Bild eines weiblichen und erotischen Orients wieder, der vom rationalen und männlichen Westen bevormundet werden müsse (siehe Yegenoglu 1998). 16 Die »Kritische-Weißseins-Forschung« hat sich in Deutschland in Anlehnung an die Critical-Whiteness-Debatte in den USA überwiegend im Bereich von Geschlechterstudien entwickelt (Dietze 2006, Eggers et al. 2005, Tißberger et al. 2006). Die WeißseinsForschung dreht die Perspektive der Rassismusforschung um und rückt die »verkannte Strukturkategorie« (Arndt 2005) in den Blickpunkt, die sie zu dekonstruieren versucht. Damit soll auch vermieden werden, Opferrollen weiter fortzuschreiben. Stattdessen soll untersucht werden, welche Funktion diese Rassismen für die eigene dominante Identität haben. Auch wenn es nicht eine vergleichbare auf Rassen beruhende Gesellschaftsordnung wie in den USA gibt, so spielt »Weißsein« auch in Deutschland eine wichtige Rolle, denn »Weißsein« bezieht sich nicht nur auf eine Hautfarbe. Walgenbach (2005, 378) versteht unter »Weißsein« die »gesellschaftlich akzeptierte Zugehörigkeit zu einem privilegierten Kollektiv, welches sich auf der Basis biologistischer ›rassischer‹ Kriterien gründet.« Mit »gesellschaftlich akzeptiert« meint sie, dass »Weißsein« alles andere als eine feste Kategorie ist, sondern sozial konstruiert, historisch und geographisch spezifisch und damit in ihrer Festlegung wandelbar ist«. In Deutschland sei diese Kategorie aufgrund der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit besonders unsichtbar (Arndt 2005, 27), denn einen Rassismus jenseits rechtsradikaler Milieus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu thematisieren, sei ein Tabu.

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waren, diese medial sehr präsenten geschlechtsbezogenen Stereotype über eine patriarchalische arabische Kultur wiederfinden ließen. Ein »homophober« Vorfall im Falafelimbiss Um sich der Thematik zu nähern, konfrontierte ich die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten mit einem Vorfall, der sich vor einem Falafelimbiss in Kreuzberg im Juni 2007 zugetragenen hat und der in dem schwullesbischen Stadtmagazin »siegessäule.de« zu einem »Aufruf zur Demo nach Attacke auf zwei Schwule in Kreuzberg« mit folgender Begründung geführt hat: »Anlass ist ein Vorfall in der Nacht vom Samstag, 6.6. auf Sonntag, 7.6.: Ein schwules Paar wurde in Kreuzberg von einem Wirt mit einer Stange attackiert. Das Paar rief die Polizei, die eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung aufnahm. Die beiden jungen Männer hatten sich demnach vor der Kneipe des 38-jährigen Inhabers geküsst, dieser kam heraus und sagte, er dulde dies nicht vor seinem Lokal. Nicht ganz klar ist, ob die beiden schwulen Männer daraufhin den Stinkefinger zeigten, auf jeden Fall griff der Wirt zu besagter Stange. Der Inhaber wiederum gab an, dass er vorher beleidigt wurde. Die Polizei wollte sich gegenüber siegessäule.de nicht weiter zur Identität des Lokals oder zum Tatverlauf äußern.«17

Zunächst äußerten sich die Interviewten einstimmig schockiert über diesen Übergriff. Gleichzeitig bezichtigte aber keiner der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten Muslime pauschal der Homophobie. Im Gegenteil: Alle betonten in den Interviews ihre eigene grundsätzliche Toleranz gegenüber einer anderen »Hautfarbe«, »Religion« oder »Nation. Ihren Aussagen nach zu urteilen sind die in den Falafelimbissen interviewten Konsumentinnen und Konsumenten politisch linksliberal eingestellt, eine Orientierung, die typisch für die neu auftretende Mittelschicht in frühen und mittleren Phasen von Gentrifizierungsprozessen ist.18 Offene antimuslimische Ressentiments gehörten nicht zu ihrem Selbstverständnis, im Gegenteil, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz lehnten sie strikt ab. Dennoch lassen sich bei einigen von ihnen kulturalisierte Einschätzungen dieses Übergriffs finden. So versuchte sich Sarah zum Beispiel:

17 Dieser Aufruf zur Demonstration am 20.06.2009 fand sich auf der Webseite der Siegessäule, www.siegessäule.de. Mittlerweile ist er nicht mehr online. 18 Thorsten beispielsweise sagte, dass er in der Partei »Die Grünen« aktiv sei. Bei anderen wiederum wurde die politische Orientierung auch an der Betonung von ökologischen Fragestellungen deutlich (K18).

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»Naja, das finde ich natürlich schrecklich und das hat für mich nichts mit Falafel zu tun. Aber ja, das ist, glaube ich, eines der großen Probleme, die alle großen Städte jetzt haben. Es gibt einfach einen riesigen kulturellen Unterschied. Und es ist nicht so einfach, daran etwas zu ändern. Also es ist, denke ich, sehr einfach zu sagen, wenn man selber hier wohnt und selber schon immer hier gewohnt hat, und eine europäische Erziehung gehabt hat, oder eine westeuropäische Erziehung gehabt hat. Aber andererseits denke ich, wenn du umziehst in ein anderes Land, dann musst du auch die Normen und Werte von dem anderen Land übernehmen« (K16).

Sie argumentierte hier folglich kulturalistisch, indem sie als Erklärung die kulturelle Herkunft des Besitzers heranzog und ihn auf diese reduzierte, als ob Kulturen absolut wären. Und Annika konnte es zu einem gewissen Maße nachvollziehen, dass »ein Araber, der noch nicht lange hier lebt, ein Problem hat, ein schwules Pärchen vor der Tür zu haben. Dass es ihm vielleicht sogar peinlich ist, oder er es irgendwie komisch findet. Oder abstoßend.« Ihrer Meinung nach »kann man vielleicht auch nicht erwarten, dass die Menschen dann genauso tolerant sind wie hier in Berlin« (K2). Sie stellte Berlin und damit sich selbst als aufgeklärt und fortschrittlich dar, während sie Araber pauschal als traditionalistisch und historisch zurückgeblieben verortete.19 Dennoch wäre es zu simplifizierend, diese kulturalisierten Erklärungen aus jeder Aussage der Konsumentinnen und Konsumenten abzuleiten und sie als Rassismen zu enttarnen – ein Aspekt, auf den sich postkoloniale Vertreterinnen und Vertreter meiner Meinung nach in Deutschland oft versteifen (z.B. Attia 2009).20 Denn wie sich zeigt, bediente der Großteil der Interviewpartnerinnen und -partner nicht diese Stereotypen. Während sich einige nicht kulturalistisch äußerten, sondern nur

19 Vgl. Johannes Fabians 1983 Ausführung zur zeitlichen Verortung des Anderen, die nicht nur für die ethnographische, sondern auch für die alltägliche Praxis gilt. 20 Als Beispiel kann hier Iman Attias (2009, 95ff.) Untersuchung der Alltagsdiskurse über antimuslimischen Rassismus angeführt werden. Auch wenn Iman Attias Arbeiten theoretisch sehr gehaltvoll sind, so zeigt dieser empirische Teil erhebliche Mängel, allein schon, weil sie ihre empirischen Schritte (Auswahl der Interviewpartner, Leitfaden etc.) nicht offenlegt. Gerade wenn man versucht, Diskurse wie ein Islambild zu untersuchen, sind meiner Meinung nach die gestellten Fragen in den Interviews entscheidend, da man häufig mit bestimmten Fragen bestimmte Antworten intendiert. (Wie natürlich auch meine Frage nach dem homophoben Übergriff im Falafelimbiss auf einen bestimmten Themenkomplex (nämlich »Homophobie unter Muslimen«) abzielte.) Bestimmte rassistische Islam- und Orientbilder im Alltag nachzuweisen, ohne sich die eigene Methode bewusst zu machen und auf Interviewfragen hinzuweisen, ist daher nicht reflektierend genug.

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generell Toleranz anmahnten, gab es sogar mehrere, denen das Problem der Kulturalisierung der Homophobie durchaus bewusst war. Ben warnte vor dem Vorurteil des »intoleranten, strenggläubigen Muslimen, der Schwule nicht als solche akzeptieren mag« (K4), und Thorsten mahnte sogar an, inwieweit hier »anti-islamische Ressentiments« (K18) geschürt würden. Auch Michael war vorsichtig mit der Aussage, dass »das Problem der Schwulen- oder Lesbenfeindlichkeit ein konkretes Problem der ausländischen Bevölkerungsgruppen ist« (K13). Und Kristin, die sich selbst als Teil der queeren Szene in Berlin betrachtete, hatte sich in ihrem Studium schon intensiv mit solchen Fragen auseinandergesetzt: »Ich hab meine Diplomarbeit geschrieben über dieses Whiteness-Thema und mich in meinem Weiß-Sein reflektiert, und dann gab es zu der Zeit in der ›siegessäule‹ relativ viele, die meinten, die bösen Migrantenjungs, die uns immer angreifen, und da gab es in diesem Umfeld schon Diskussionen. Und ich fand das jetzt beim Christopher Street Day auch ziemlich cool, dass es nach und nach wirklich soweit kommt, dass man versucht, verschiedene Geschichten zusammenzudenken und dann eben auch Rassismus mit Sexismus und Heterosexismus zusammenzudenken und zu kucken, wie die sich gegenseitig brauchen oder nicht brauchen, und da ist das ja genau so ein Verknüpfungspunkt« (K8).

Sie selbst hatte sich folglich intensiv mit der »Kritischen Weißseins-Forschung« auseinandergesetzt. Wie die Aussage von Kristin zeigt, ist die eigene weiße oder okzidentale hegemoniale Position für einige meiner Interviewpartnerinnen und -partner damit kein blinder Fleck, sondern wird reflektiert – und dafür müssen sie sich nicht unbedingt intensiv mit diesem Forschungsansatz beschäftigt haben. Auch der Journalist Michael bezeichnete sich zum Beispiel an einer Stelle des Interviews als »weiß« (K13). Diese Reflexion mag durch die akademische Bildung bedingt sein, ist aber sicherlich auch im linksliberalen Milieu in Berlin verankert. So hatten mehrere der Interviewten schon vor dem Gespräch von diesem Vorfall gehört. Allerdings gab es einen anderen blinden Fleck in ihrer Betrachtung. Das zeigte sich, als die Interviewpartnerinnen und -partner Vergleiche heranzogen, um die Tat des Falafelimbissbesitzers zu relativieren. Hier wurden der »Pommesbudenbesitzer« (K18, /Michael K13), der »Eisverkäufer« (Kristin, K8), der »Currywurstbesitzer«, der »80-jährige Herr Müller« oder »Leute aus Marzahn« (Monika, K14) genannt. Diese stereotypen Charaktere sind alle eher mit der Unterschicht oder zumindest einer breiten Mittelschicht verbunden, in jedem Falle nicht mit dem eigenen neubürgerlichen Milieu in Berlin. Die Interviewten waren folglich zwar reflektiert, was ethnische Konstruktionen und ihre Verallgemeinerungen angeht, das heißt aber nicht, dass sie sich selbst kritisch auffassten. Den schwarzen Peter schoben sie nämlich anderen sozialen Gruppen zu, ihre eigene neubürgerliche Position hingegen blieb unberücksichtigt. Die Selbstauffassung als kulturell tolerant und reflektiert geht folglich mit einer Distink-

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tion von weniger tolerant verorteten sozialen Gruppen einher und ist damit Teil des eigenen Habitus – ohne dass dies hinterfragt wird. Denn die eigene soziale Position ist nun der blinde Fleck.21 Diese unhinterfragte Positionierung fand sich dabei auch in Alltagswahrnehmungen zu Geschlechterkonstruktionen im Umfeld der Falafelimbisse wieder. Alltagswahrnehmungen und die Konstruktion ambivalenter Männlichkeiten Es gibt einen Unterschied zwischen einer reflexiv geforderten Stellungnahme zu einem Ereignis und den mir gegenüber eher am Rande gemachten Aussagen. Neoorientalistische geschlechtliche Stereotype spielten bei Letzteren eine größere Rolle, auch weil sie mit eigenen Erlebnissen verknüpft sind. Zumindest wurden mir auf die Frage, wo das Arabische sonst in Berlin präsent wäre, häufig geschlechtlich konnotierte Symbole genannt, allen voran das Kopftuch, die Männerclubs oder die männlich dominierten Shisha-Cafés. Während meine männlichen Interviewpartner diesen Einrichtungen häufig bewusst offen und tolerant gegenüberstanden, zeigte sich, dass insbesondere die Frauen aufgrund ihrer eigenen gesellschaftlichen Positionierung kritisch waren und sich auch persönlich diskriminiert fühlten. Marion fühlte sich von den Männercafés gestört: »Die ganzen alten Shisha-Männer, die irgendwie in Neukölln auf der Straße hocken, oder mit ihren Bärten böse dreinschauend herumlaufen und irgendetwas Gemeines sagen, wenn man vorbeigeht« (K12). Und Annika erzählte, dass sie mal im Park eingegriffen habe, als ein »türkischer Mann seine Frau am Arm gezerrt hat und sie voll angeschrien hat« (K2), weil sie das nicht gutheißen konnte. Besonders skeptisch war Stefanie, da zwei schwule Freunde von ihr unabhängig voneinander Opfer von gewalttätigen homophoben Übergriffen gewesen seien. Sie möchte zwar nicht in eine »rassistische Ecke« gesteckt werden und betonte, dass sie sich als »weltoffen« sehe und auch viele »türkische« und »arabische« Freunde habe, mahnte aber das Verhältnis zwischen »Türken und Deutschen und Arabern und Deutschen« in Berlin an, das ihrer Meinung nach »nicht mehr wirklich ein Miteinander« sei (K17). In der Alltagswahrnehmung wird das Arabische (oder was im weiteren Sinne als dazugehörig wahrgenommen wird) folglich durch die Konsumentinnen durchaus als patriarchalisch und als direkte Bedrohung empfunden.

21 Diese Positionierung erinnert folglich wieder an Bourdieus (1987, 561ff.) neues Kleinbürgertum im Frankreich der siebziger Jahre, das sich zwar als jenseits von sozialen Zugehörigkeiten wahrnimmt, in dessen Praktiken sich aber Schichtzugehörigkeiten klar reproduzieren.

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Interessanterweise ist dieses Bild einer patriarchalischen arabischen Kultur aber in den Imbissen nur am Rande präsent. Beispiele sind die jugendlichen »Kiezmacker« unter den Gästen im Falafelimbiss in Neukölln, die Marion (K12) als unangenehm empfand, oder die in Imbissen teilweise vorzufindenden »konservativen« Besitzer, von denen sich Monika (K14) nachts kritisch beäugt fühlte. Doch im Großen und Ganzen fühlten sich die Konsumentinnen in den Imbissen nicht unwohl und das, obwohl dort fast ausschließlich Männer arbeiteten. Sie lobten im Gegenteil die freundliche Atmosphäre. Das ging sogar so weit, dass sowohl Stefanie als auch Annika verstört auf meine Nachfrage reagierten, ob sie schon mal eine Frau als Verkäuferin gesehen hätten. Beide hatten sich vorher besonders kritisch gegenüber wahrgenommenen patriarchalischen Strukturen unter arabischen, türkischen oder muslimischen (je nach Zuordnung) Migrantinnen und Migranten in Berlin geäußert. Annika stellte fest: »Ne. Ne. Ne. Ist mir nicht aufgefallen. Krass. Ne. In den Theken und hinter den Theken stehen immer Männer« (K2). Und auch Stefanie sagte: »Also da habe ich ehrlich gesagt noch nie drüber nachgedacht. Das ist krass, wie du das jetzt sagst. Das ist krass. Ne, noch nie. [Pause] Ja, das ist mir noch nie aufgefallen.« Sie war gerade deshalb über ihre eigene Blindheit geschockt, da sie »sehr kritisch gegenüber einer gelebten, also einer echten Religiosität bei Moslems« (K17) eingestellt sei und die weitgehende Geschlechtertrennung nicht einfach so hinnehmen würde.22 Die Falafelimbisse vermitteln folglich nicht das Bild eines bedrohlichen männlichen Orients. Das heißt aber nicht, dass sie damit automatisch feminisiert sind. Denn das Stereotyp eines erotisierten feminisierten Orients, das in den tradierten Orientalismus eingeflochten ist (vgl. Yegenoglu 1998), wird in den Imbissen kaum bedient. Vonseiten der Falafelimbissbesitzer wird dies in den Imbissen weitgehend ausgespart. Das heißt im Übrigen nicht, dass erotisierte Orientbilder in der Wahrnehmung auf der Konsumentenseite komplett absent sind. Der Tagesspiegel (2011) beschrieb die Beziehung des Boussi-Besitzers zur Falafel als »handfeste Erotik«,23 der Interview-

22 Sie versuchte dann aber eine Erklärung zu finden, indem sie meinte, vielleicht wäre dies eine »Selbstverständlichkeit« für sie, da sie durch ihren Vater, den Orientalisten in der DDR, mit einer weitgehenden Geschlechtertrennung bei freundschaftlichen Zusammenkünften aufgewachsen sei, »dass dann die Frauen zusammenglucken und die Männer zusammenglucken« (K17). Sie begründete dies zunächst mit dem islamischen Glauben, differenzierte dies dann, indem sie sagte, dass ein syrischer Christ zum Beispiel ja auch orientalisch sozialisiert sei. 23 Der Tagesspiegel (2011) schrieb über den Imbissbesitzer des neu eröffneten BoussiFalafel: »Ahmad Boussis Verhältnis zur Kichererbse ist eher von handfester Erotik. Der 33-Jährige ist groß, muskulös, ein Bodybuilder-Typ. ›Ich sehe die Falafel klar als Frau‹,

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partner Michael (K13) erwähnte den »Männerkuss«, um Homophobie unter Arabern zu widerlegen, womit er gleichzeitig das gegenteilige Stereotyp der HomoErotik bediente,24 und der selten Falafelimbisse besuchende und in Syrien und Libanon aufgewachsene Mahmud äußerte sich kritisch über die rote Kissenlandschaft im Phönizier-Imbiss, die er als sexualisierte Form des Harems wahrnahm (K10). Im Großen und Ganzen war diese erotisierte Variante aber in den Falafelimbissen absent, im Gegensatz zu den Inszenierungen anderer Esskulturen in Berlin. So spielt die Darstellung einer erotisch anmutenden Weiblichkeit zum Beispiel in der Repräsentation der asiatischen Esskultur in Berlin eine weitaus größere Rolle, wie Anja Michaelsen (2006) in ihrem Artikel »Asian Food Porn« beschrieben hat.25 Die gegenteilige Auffassung zwischen den »guten« Falafelimbiss-Verkäufern und den »bösen« Männercafé-Besuchern ist folglich nicht auf die unterschiedlichen Verortungen eines exotisch femininen und eines bedrohlich maskulinen Orients zurückzuführen, sondern diese Aufgliederung reproduziert zwei Männlichkeiten, die sich in Stuart Halls (1994, 20) Aufsplitterung in der »edle Wilde« und der »gewalttätige Rächer« wiederfinden, eine Doppelung des postkolonialen Diskurses, in dem sich sowohl die »Furcht« als auch das »Begehren« widerspiegelt.26 Im Fall der Falafelimbisse sind diese Männlichkeitsvorstellungen wiederum eng mit der Klassenkonstruktion verknüpft. Dies wird deutlich, wenn man analysiert, wo in Berlin die bedrohliche Männlichkeit durch die Konsumentinnen und Konsumenten verortet wird. Denn die »Shisha-Macker« (Marion, K12) werden eher in der »Endstation Neukölln« (Lanz 2007, 245) gesichtet, zum Beispiel in der Sonnenallee. Für Stefanie (K17) gibt es sogar eine »magische Grenze«, die sie in Kreuzberg nicht mehr überschreiten würde, und das sei der Wochenmarkt am Maybachufer. Der Teil wei-

sagt er, drückt Erbsenmasse in den Portionierer und beantwortet damit die ständige Frage, ob es nun der oder die Falafel heißt.« Während der deutsch-israelische Besitzer des Mamo in dem Artikel als »studierter Architekt« und »vegetarischer Verehrer« gezeichnet wurde, der sich in seiner Namensgebung auf das »Moma« in New York beziehen würde, wird beim libanesischen Besitzer des Boussi diese erotisierte Form hervorgehoben. 24 Das Bild eines homo-erotischen Orients findet sich auch auf dem Cover von Edward Saids (2003) »Orientalism«, auch wenn dieser die geschlechtliche Konstruktion des Orients in seiner Analyse vermissen ließ (Yegenoglu 1998, 14ff.). 25 Eine erotisierte Form der Weiblichkeit findet sich laut Michaelsen zum Beispiel auf einer dem Cover des Stadtmagazin Zitty, wo eine asiatisch aussehende junge Frau mit einem Teller Sushi in der Hand sich die Finger leckt. Sie findet sich aber auch in der Darstellungsform eines asiatischen Restaurant, wo sie durch ein männliches »Pin-Up« inszeniert wird (ebd.). 26 Stuart Hall geht hier allerdings nicht weiter auf Männlichkeitskonstruktionen ein.

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ter südlich in Neukölln sei für sie eine »No-Go-Area« geworden. Neukölln wird in den 2009 durchgeführten Interviews eher als durch die Unterschicht geprägt wahrgenommen, wo es zum Beispiel nur »Billig-Ramsch-Läden« (Monika, K14) gäbe. 27 Obwohl die Konsumentinnen und Konsumenten Falafelimbisse nicht als bürgerlich wahrnehmen, sind sie doch für sie implizit so konstruiert, denn dort fänden sich die zivilisierten Männer, im Gegensatz zu den rohen und bedrohlichen Männlichkeiten in Neukölln.28 Die unterschiedliche sozialschichtige Wahrnehmung bezieht sich aber nicht nur auf verschiedene Stadtteile, sondern wird – in enger Wechselwirkung – auch durch die Dichotomisierung und damit Stigmatisierung verschiedener ethnischer Gruppierungen vollzogen, nämlich indem zwischen »Türken« und »Arabern« unterschieden wird. Zwar führt die zunehmende »Muslimisierung« (Schiffauer 2007, 117) von Migrantengruppen zu einem Verschwimmen des Türkischen und des Arabischen, das zum Beispiel Ben an Orten wie Shisha-Cafés auch nicht auseinanderhalten könne (K4). Und doch unterschieden einige meiner Interviewpartnerinnen und -partner zumindest implizit zwischen diesen beiden Gruppen. Denn während Kristin (K8) zum Beispiel in Falafelimbissen keine unangenehmen Erfahrungen gemacht habe, würde sie diese »eher mit diesen Dönerbuden und dem ›wenn keine Zwiebeln dann Frauen-Döner‹« zusammenbringen. Es zeigt sich, dass zwischen »arabischen« Falafelimbissen und »türkischen« Dönerimbissen in Bezug auf Geschlechterkonstruktionen ein sozialer Unterschied konstruiert wird, der aber nicht als solcher explizit wahrgenommen und benannt wird. Dieser überschneidet sich auch mit Örtlichkeiten. Denn wie Florian und Thorsten bemerkten, sind Dönerimbisse in der Sonnenallee in Neukölln wesentlich präsenter als Falafelimbisse. Besonders extrem in der ethnisierten Unterscheidung war Stefanie, die sich im Verlauf des Gesprächs nur noch auf »Türken« bezog, als sie die sich zuspitzende Situation in Berlin anprangerte. Ihre Ausführungen darüber schloss sie übrigens direkt an ihre Aussage an, dass die »Dönerzeit« für sie vorbei sei: »Und ich habe das Gefühl, dass das zwischen Türken und Deutschen nicht wirklich mehr ein Miteinander ist. Oder vielleicht noch nie war. Das weiß ich nicht. Das mag ich nicht einschät-

27 Diese Wahrnehmung mag sich im Jahre 2012 mit zunehmender Gentrifizierung schon geändert haben. So findet sich zum Beispiel in der Sonnenallee mittlerweile auch ein Biomarkt. 28 Diese unterschiedlichen Männlichkeitskonstruktionen finden sich auch bei Jennifer Petzen (2005, 179), die zwischen einer zivilisierten »mehrheitsdeutsche(n) schwule(n) Maskulinität« und einer urzeitlichen »muslimischen/migrantischen Maskulinität« unterscheidet. Allerdings analysiert sie diese Unterscheidung nicht in Bezug auf Klassenkonstruktionen.

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zen. Aber ich bin ehrlich gesagt auch so ein bisschen angefressen über die Situation, wie das in Berlin gerade läuft zwischen Deutschen und Türken. Und fühl mich jetzt nicht mehr so wirklich willkommen« (K17).

Und auf eine Nachfrage, warum sie nur »Türken« sage, antwortete sie: »Aber im arabischen Restaurant fühle ich mich jetzt willkommener als im türkischen« (K17). Für sie war folglich diese differente Ethnisierung eine innerliche, wenn auch unbewusste Strategie, mit den Brüchen zwischen dem Bild des positiv orientalisierten Falafelimbisses und dem negativen Islambild zurechtzukommen (Attia 2007, 10f.). Dies hatte sicherlich auch mit ihrer eigenen Sozialisation zu tun, da sie von Kindheit an durch ihren Vater viel Kontakt zu arabischen Migrantinnen und Migranten hatte. Und doch zeigt auch Kristins Unterscheidung zwischen Döner und Falafel, dass es hier eine unbewusste Trennung gibt. Denn der popular verortete Dönerimbiss wird schlechtgeredet, während der Falafelimbiss davon distinguiert wird.29 Vereinfacht gesagt werden »Türken« – wenn auch nicht bewusst – mit der Unterschicht gleichgesetzt, während »Araber« (zumindest die Falafelimbissverkäufer) als zivilisiert gelten. Hier werden Klassenkonstruktion mit kulturellen Codierungen überschrieben, – was gleichzeitig bedeutet, dass man sich nicht unbedingt mit der eigenen bürgerlichen Herkunft und Positionierung kritisch auseinandersetzen muss. Diese Kulturalisierungen sozialer Hintergründe sind Ausdruck der Verschiebung von einem »Klassen- zu einem Kulturrassismus« (Dietze 2009, 29), denn während türkische Gastarbeiter anfangs eher als Unterschicht stigmatisiert wurden, werden sie nun auf ihre kulturelle (und teils religiöse) Herkunft reduziert. Die arabischen Besitzer schaffen es hingegen, sich von diesen implizit mit der Unterschicht konnotierten Vorstellungsbildern durch ihre Tätigkeit in den Falafelimbissen zu einem gewissen Grad abzugrenzen.30 Die Falafelimbisse werden so in der Alltagspraxis zu (neu-)bürgerlichen Orten, auch wenn die Konsumentinnen und Konsumenten sie nicht bewusst als solche wahrnehmen. Dadurch werden sie aber auch von den in der Wahrnehmung der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten popular geprägten Stadtvierteln wie Neukölln abgegrenzt.

29 Auf diese Distinktion wird in Kapitel 9 dann noch einmal vertieft eingegangen, wenn die Abgrenzung gegenüber Milieus, die nicht als Teil der Gentrifizierung gelten, in den Blick genommen wird. 30 Diese unterschiedliche Verortung mag auch Teil der unterschiedlichen Migrationsbiograien sein. Die deutsch-arabischen Falafelimbissbesitzer in Berlin kamen nicht als Gastarbeiterinnen oder -arbeiter, sondern erst später vermehrt, teilweise als Studentinnen und Studenten, oft aber auch als Flüchtlinge, und haben damit teilweise andere soziale Hintergründe.

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D ER (N ICHT -)V ERKAUF VON A LKOHOL DIE R ÜCKKEHR DES I SLAMBILDS

UND

Der Islam gehört zu Deutschland. CHRISTIAN WULFF (2010)31

Religiöse Symboliken in den Imbissen Im Zuge der »Muslimisierung« (Schiffauer 2007, 117) in Deutschland dient der Islam nicht nur implizit zur Kategorisierung bestimmter Migrationsgruppen, sondern er bestimmt auch explizit die Integrationsdebatte. So stehen mit dem Kopftuch (z.B. Nökel 2002) und der Moschee (z.B. Büchner 2000, Schmitt 2004) zwei islamisch identifizierte Symbole im Mittelpunkt der Kontroverse. Von Integrationsgegnern werden diese Symbole oft benutzt, um die Angst vor Überfremdung zu schüren (Bielefeldt 2008, 5), während Integrationsbefürworter wie Christian Wulff meinen, dass diese Symbole auch einen Platz in Deutschland hätten. Beide Seiten haben dabei aber gemein, dass sie sich auf den Islam regelrecht fixiert haben (ebd., 8). Durch diese Fixierung werden Migrantinnen und Migranten auf eine »einheitliche und aufklärungsresistent verstandene Religiosität« reduziert, die all ihre Handlungen bestimmen würde (Dietze 2009, 29). Die Debatten um die (mangelnde) Integration drehen sich dann folgerichtig nur noch um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Das die politischen Debatten dominierende Islambild blieb aber – zumindest explizit – in den Falafelimbissen weitgehend unbestätigt. Und auch wenn einige der Imbisse Wandgemälde mit Moscheebildern oder Koransuren in die Dekoration integrierten, wurden diese Accessoires von den interviewten Konsumentinnen und -konsumenten nicht als islamisch kodiert. Doch es gab in den Falafelimbissen ein Symbol, das als Ausdruck einer islamischen Religiosität gelesen wurde: Der Verzicht darauf, Alkohol zu verkaufen. In der Tat gibt es in der Mehrzahl der von mir 2010 kartierten Falafelimbisse keinen Alkohol zu kaufen. Nur 20 der 94 kartierten Imbisse hatten Alkohol im Angebot. Während andere religiös kodierte Essensvorschriften wie zum Beispiel das Verbot von Schweinefleisch oder das islamische Schlachten (Heine 2009) kaum im Umfeld der Imbisse diskutiert wurden, wurde von Konsumentenseite der (Nicht-)Verkauf von Alkohol öfters zum Thema gemacht. So erwähnte zum Beispiel der Konsument Ben, bevor ich ihn fragen konnte: »Und interessant ist ja, also ich habe ein bisschen drauf geachtet, dass die ja kein Alkohol verkaufen« (K4). Und Michael fiel sofort

31 Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten nach Focus Online 2010.

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etwas auf, als ich ihm das Foto des Dada-Imbisses zeigte, auf dem man auch einen Kühlschrank sehen konnte: »Und da gibt es auch Bier, wie ich sehe« (K13). Welche Bedeutung das Symbol Alkohol im Umfeld der Falafelimbisse hat, darauf möchte ich im Folgenden eingehen. Dazu werden zunächst die Motive der Besitzer beleuchtet. Für die Imbissbesitzer, die keinen Alkohol verkauften, gab es unterschiedliche Gründe, warum sie auf das Angebot verzichteten. Religiöse Gründe waren hier nur einige unter vielen, auch wenn sie für manche Besitzer eine Rolle spielten. Der Sanabel-Besitzer erzählte: »Weil wir dürfen von der Religion her keinen Alkohol verkaufen. Trinken sowieso nicht. Und nicht verkaufen. Nicht in die Hand fassen. Nicht geben und nicht nehmen. Und ich halte mich an die Regel« (A16). Der Nil-Besitzer äußerte aber einfach generelle moralische Bedenken: »Als Verkäufer stehst du da, und es ist egal, ob derjenige besoffen ist oder nicht, dann will er mehr, gibst du es ihm gleich. Solange er bezahlt. Und das ist nicht menschlich« (A12). Dem Besitzer des Habibi am Südstern wiederum wäre der Kundenstamm angenehmer, wenn man keinen Alkohol anbieten würde, da man »schlechte Leute« vom Imbiss abhalten könnte. Seine Kundschaft hingegen bestehe aus »60 Prozent Frauen« und »Familien und Kindern« (A8).32 Und schließlich nannte der Sahara-Imbissbesitzer als entscheidenden Punkt die zusätzlichen Auflagen, die es von behördlicher Seite geben würde: »Wenn man das ohne Alkohol macht, meldet man den Laden einfach beim Gewerbeamt an, kriegt einen Stempel, muss Gebühren zahlen und man kann sofort aufmachen. Aber wenn man Alkohol hat, dann müssen die Leute vom Bauamt kommen, das angucken und so weiter. Und man braucht eine Toilette« (A14). Oft sind es folglich mehrere ineinander verwobene Argumente, die Imbissbesitzer dazu bewegen, auf Alkohol zu verzichten. Kulturell-religiöse Gründe sind nur ein Teil davon. Dagegen griffen die interviewten Imbissbesitzer, die Alkohol in ihren Lokalen anboten, auf kulturelle Erklärungsmuster zurück. So erklärte der Dada-Besitzer: »Ja, ich bin frei von diesen Komplexen, die man mit sich schleppt. Also ich bin ein total freier Mensch.« Und weiter: »Ich lebe in Deutschland. Also muss ich akzeptieren, was da ist.

32 Ohne an dieser Stelle darauf näher einzugehen, kann der Verzicht auf Alkoholverkauf auch als Form der schichtspezifischen Männlichkeitskonstruktion gelesen werden. Nicht zufällig wollten der Besitzer des Habibi am Südstern wie der Mamo-Besitzer keine betrunkenen Männer sondern eher eine zivilisierte, familiäre Stimmung in ihren Imbissen haben. Das heißt natürlich dann nicht, dass auf den Konsum selbst verzichtet würde. Beide betonten, dass sie selbst gerne etwas trinken würden. Alkohol sollte nur nicht im Mittelpunkt stehen.

246 | D ER G ESCHMACK DER G ENTRIFIZIERUNG Wenn jemand Alkohol trinkt, ist das okay, und wenn jemand sich weigert, von diesem wunderbaren Getränk zu trinken, das ist sein Problem, nicht meins. [Lacht.] Es gibt Leute, die da leben, aber die sind schizophren. Die leben in einer Art Ghetto oder weiß ich nicht was. Die haben nichts mit Zivilisation zu tun. Die werden in diesem wunderbaren Land leben, aber entwickeln sich nicht. Und das ist für mich ein bisschen blöd. [...] Es ist besser für ihn, wenn man etwas nicht akzeptiert, dass man nach Hause geht. Nach Saudi-Arabien oder weiß nicht was. Dort kann er mit dem Schleier oder so weiterleben« (A5).

Auch der Meyman-Besitzer zog kulturelle Erklärungen heran, warum sie Wein anbieten würden: »Und wir selber sind aus einer kleinen Minderheit in der Türkei, die sich Aleviten nennen, und die sind eigentlich in der Türkei ganz offen. Sie haben eine sehr weltoffene Kultur. Und dort trinkt man auch Alkohol. Das ist kein Tabu bei uns.« Und in Bezug auf andere Migrantinnen und Migranten sagte er: »Und ich denke, wenn man auch in einem Land ist, wo Alkohol getrunken wird, sollte man den Menschen das auch nicht verbieten. Also man kann es ja anbieten. Man muss ja nicht trinken« (A10). Und der Besitzer des Phönizier, der Christ war, äußerte sich generell kritisch über »Muslime«: »Vor seine Frau trinkt er nicht. Aber bei mir trinkt er. Sie kriegt das nur mit, wenn er zuhause ist. Wenn er dann zuhause pusten muss« (A13). Folglich argumentierten gerade die Besitzer, welche Alkohol in ihr Angebot integrierten, kulturalisierend, auch weil sie sich von dem vorherrschenden islamzentrierten Bild arabischer oder türkischer Migrantinnen und Migranten abgrenzen wollten. Sie übernahmen hier folglich die »Ausnahme-Rolle« (Celik 2005, 88ff.)33, indem sie sich als untypisch darstellten. So reproduzierten sie die Vorstellung von einer Unvereinbarkeit von Muslimisch-Sein und Deutsch-Sein (vgl. Eickhof 2010, 19ff.). Alkoholverzicht als Authentizitätsmarker – Zur Wahrnehmung der Konsumentinnen und Konsumenten Andersherum reagierten die von mir interviewten deutschen und europäischen Falafelkonsumentinnen und -konsumenten betont unaufgeregt, wenn es um den Nichtverkauf von Alkohol ging, womit sie mir gegenüber ihre Toleranz ausdrücken woll-

33 Die »Ausnahmerolle« ist Semra Celik zufolge ein gängiger Weg, »auf die diskursiven Fremdbilder zu reagieren« (2005, 96). Diese Strategie muss folglich ebenfalls als diskursinhärent betrachtet werden.

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ten.34 So sagte Michael: »Ja, das sollen die machen. Also ich rege mich da jetzt nicht auf. [Lacht.] Also man weiß ja den ganzen Hintergrund, das hat halt religiöse Gründe, dass manche Leute keinen Alkohol trinken, kein Schwein essen oder andere Sachen nicht machen« (K13). Bis auf Tom, dem die Idee mit der Schanklizenz kam, deuteten dabei alle von mir interviewten Konsumentinnen und Konsumenten den Verzicht auf Alkohol als Zeichen der kulturell-religiösen Differenz der Imbissbesitzer und Verkäufer. Zwar unterschieden manche zwischen religiösen und nichtreligiösen Verkäufern. Doch fand hier zumindest implizit eine Essentialisierung statt, was sich zeigte, als Monika noch türkische Restaurants erwähnte, wo es keinen Alkohol gäbe und dann die Bemerkung anschloss: »Wer trinkt denn noch keinen Alkohol?« (K14). Wie schon im Falle der Geschlechtskonstruktionen angedeutet, führt die betonte Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen letztendlich dazu, dass diese dann erst recht kulturalisiert werden, wie dies auch in der Konstruktion des Multikulturalismus der Fall ist (Knecht 2005, 26). Das führte dann soweit, dass die Konsumentinnen und Konsumenten es sogar vorzogen, wenn es keinen Alkohol gab. So befand Ben: »Ich finde das gut, ja. Also, wenn die für sich entscheiden, wir wollen das nicht, weil wir das in unserer Religion nicht so handhaben, dann ist das deren Entscheidung. Und dann finde ich das auch gut« (K4). Da die Entscheidung, keinen Alkohol zu verkaufen, kulturalisierend gedeutet wurde, war sie in Bens Augen ein Zeichen für Authentizität. Auch Michael befand, dass der Verzicht auf Alkohol ein Zeichen der eigenen »Überzeugung« (K13) sei. In diesen Aussagen spiegelten sich damit die Geschmacksvorlieben der Gentrifizierungsmilieus in Berlin wieder, die kulturell kodierte Konsumgüter bevorzugten, da sie als Zeichen von Authentizität gesehen wurden. Gleichzeitig wurden diese kulturell-religiösen Praktiken von den Falafelimbissbesitzern erwartet. Das wurde in folgender Unterscheidung deutlich, die Ben zwischen den von ihm bevorzugten arabischen Falafelimbissen und den negativ konnotierten türkischen Dönerimbissen vornahm: »Was mir aufgefallen ist, dass die arabischen Imbisse keinen Alkohol verkaufen. Im Gegensatz zu den Türken, die verkaufen eigentlich normalerweise Alkohol. Und das scheint mir irgendwie konsequenter zu sein bei den Arabern« (K4). Die Dönerimbisse hielt er daher für weniger

34 Nur Patricia, die selbst aus Bulgarien kam, war hier kritisch, weil sie fand: »Du kannst nicht in Deutschland sein und die Leute auf ein Bier verzichten lassen« (K15). Sie selbst trinke allerdings kaum Alkohol und es ist ihr nicht aufgefallen, dass ihr Lieblingsimbiss Habibi keinen Alkohol anbot. »Religiöse Gründe« hielt sie allerdings nicht für gut. Sie war hier kritisch, da sie selbst aus Bulgarien komme und sich über ihren Migrationshintergrund Gedanken gemacht habe (ein Aspekt, den die Migranten aus Westeuropa bezeichnenderweise nicht betonten).

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konsequent, da sie aus kommerziellen Gründen ihre (religiöse) Kultur verraten würden. Die Falafelimbisse hingegen würden ihre eigene Kultur nicht aus Kommerzzwecken aufgeben. Hier wird deutlich, was bereits in den vorherigen Kapiteln angeklungen ist. Die Erwartungen, die mit der arabischen Kultur verbunden werden, sind eng mit den Dispositionen der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten verzahnt, die Kulturelles bevorzugten und Kommerzielles ablehnten. Diese Disposition kannten im Übrigen auch die Imbissbesitzer. So sagte der Betreiber des Sanabel: »Wenn ich jetzt sage, ich habe eine arabische Küche, die Leute akzeptieren es, dass es keinen Alkohol gibt. In Berlin gibt es viele Leute, die finden das sogar gut. Weil man dann ehrlich wirkt« (A16). Da die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten die Falafelimbisse zunächst als Nicht-Alkohol-Orte konstruierten, richteten sie sich auch in ihren Alltagspraktiken danach. So würde Michael sich schon im Vorhinein darauf einstellen, dass er im Falafelimbiss kein Bier bekommen würde (K13). Und Thorsten (K18) wie Patricia (K15) waren sogar der Meinung, dass ein Bier geschmacklich nicht zum arabischen Essen passte. Da er nie auf die Idee kommen würde, in Falafelimbissen ein Bier zu trinken, sei Florian nicht einmal aufgefallen, dass in seinem Lieblingsimbiss Maroush kein Alkohol angeboten werde (K7). Die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten hatten folglich den Verzicht auf Alkohol in ihre alltäglichen Praktiken in Falafelimbissen inkorporiert. Übrigens erzählten auch die Imbissbesitzer, dass fast keiner der Konsumentinnen und Konsumenten nach Alkohol frage. So sagte der Sanabel-Besitzer: »So 90 Prozent wissen schon, dass es im arabischen Restaurant oder im Imbiss keinen Alkohol gibt.« Und dem Sohn des Al KhalifBesitzers zufolge sind es nur Touristen, die hier Nachfragen stellten: »Also die meisten, die hier leben, die wissen das halt« (A1). Der Verzicht auf Alkohol war daher aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten für die Berliner Falafelimbisskultur vollkommen plausibel, wenn nicht sogar charakteristisch. Die Verortung des Alkoholverkaufs in Aufwertungsvierteln Dementsprechend äußerten sich mehrere der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten auch empört über das im Kühlschrank stehende Bier, das sie auf dem Foto des Dada-Imbisses erkannten.35 Michael zufolge würde der Dada-Imbiss da

35 Wie schon in Kapitel 5 angesprochen, zeigte ich den Interviewten während des Gesprächs verschiedene Fotos von den Imbissen und fragte sie nach ihrer Meinung. Auch der DadaImbiss war auf zwei Fotos abgebildet, die allerdings in dieser Arbeit nicht abgedruckt sind. Auf dem Foto des Innenbereichs sah man in dem rechten unteren Bildabschnitt ei-

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wohl »Kompromisse« eingehen. Erst als er noch mal über seinen Satz nachdachte, fügte er hinzu: »Naja, vielleicht trinken die auch selber gerne Bier. Bestimmt, wenn sie Che-Guevara-Fans sind« (K13).36 Und Marion sagte zum Dada-Imbiss: »Der ist total hässlich. Aha, und da gibt’s auch Bier. Naja, das sieht von außen eh so aus, dass es eine eher untypische Falafel-Location ist« (A5). Den Imbiss umschrieb sie abfällig als »hippe Falafel«. Den Dada-Imbiss mit seinem Bierverkauf und dem »hippen« Stil verortete sie nicht in dem multikulturellen Kreuzberg, sondern eher in den angepassten Ostberliner Stadtteilen wie Mitte oder Prenzlauer Berg. Auch Thorsten meinte, dass der Dada-Imbiss sich wohl seinem Publikum in Berlin-Mitte »angepasst« (K18) habe. Abbildung 14: Karte zur räumlichen Verteilung des Alkoholverkaufs in Imbissen

Quelle: Eigene Darstellung, die auf einer eigenen Erhebung von April bis Juni 2010 beruht.

nen Kühlschrank, in dem auch Bier stand. Dieses Foto hatte ich extra wegen des Bieres ausgewählt und in der Tat bemerkten die Interviewten dieses Bier von selbst. 36 Das Che-Guevara-Bild, das im Dada-Imbiss aufgestellt war, war zwar nicht auf dem von mir gezeigten Foto ersichtlich, Michael kannte aber den Dada-Imbiss, der in der Nähe seiner Arbeit lag und zu dem er auch öfters ging.

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Neben der Gestaltung spiegelt folglich auch die Tatsache, ob ein Falafelimbiss Alkohol verkauft, das Image der Aufwertungsviertel in Berlin wider. Der Unterschied zwischen dem authentischen, multikulturellen Kreuzberg und dem aufgewerteten, angepassten Prenzlauer Berg (oder Berlin-Mitte) wurde in Bezug auf die Frage, ob es Alkohol gibt, reproduziert. In der Tat waren die Falafelimbisse, die Alkohol verkauften, räumlich ungleich verteilt, wie die Karte zeigt (siehe Abbildung 14 ). Aus der Karte wird ersichtlich, dass sich ein alkoholisches Angebot vorwiegend in Imbissen im Stadtteil Prenzlauer Berg fand. In Kreuzberg und Neukölln wurde hingegen fast vollkommen darauf verzichtet. Diese Konzentration auf den Prenzlauer Berg kann nun nach den bisherigen Ausführungen wie folgt gedeutet werden: Zum einen scheinen Imbissbesitzer, die sich eher als modern präsentieren, und sich von offensichtlichen orientalischen Imagines, aber auch von einer in ihren Augen konservativen arabischen Community lösen wollen, den Prenzlauer Berg als Standort zu bevorzugen. Zum anderen, und eng damit verbunden, wissen die Imbissbesitzer aber auch, dass der Verkauf von Alkohol im Stadtteil Prenzlauer Berg eher toleriert wird, weil dieser Stadtteil in den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten als angepasst und aufgewertet gilt. Hier wird ihnen folglich ein Raum für eine differente Repräsentation ermöglicht, die nicht den gängigen Stereotypen über eine traditionelle und muslimischreligiöse arabische Kultur entspricht (Niedermüller 1998, 193). Im multikulturellen Kreuzberg hingegen werden kulturell codierte Praktiken vonseiten der Immigrantinnen und Immigranten erwartet.37 Beide Aspekte sind folglich eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Nicht zuletzt sind es die modern präsentierten Falafelimbisse, die das Bild eines deutschen und angepassten Images des Prenzlauer Berg mitkonstruieren, während diejenigen, die sich orientalisch gestalten und auf Alkohol verzichten, das Image eines authentischen Kreuzberg mitprägen. In der Diskussion um den Alkoholverkauf findet sich damit nicht der umkämpfte Topos des Islams wieder, in dem die Angst vor einer »Überfremdung« überwiegt. Im Gegenteil, der Verzicht auf Alkohol in Falafelimbissen wird vonseiten der Konsumentinnen und Konsumenten positiv bewertet, da er als Authentizitätsmarker gilt. Er unterliegt dabei aber ebenso kulturalistischen Vorstellungen, da allen Falafelimbissbesitzern eine muslimische Religiosität unterstellt wird. Als Authentizitätsmarker wird das Symbol des Alkoholverzichts dann zum Distinktionsvehikel gegenüber aufgewerteten Einrichtungen, wie das Beispiel des »angepassten« und »hippen« Dada-Imbisses in Berlin-Mitte deutlich macht. Es

37 Friedrichshain scheint in der Wahrnehmung dazwischen zu liegen.

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fungiert aber auch als Distinktionsvehikel gegenüber Einrichtungen von statusniedrigeren sozialen Gruppen, und hier vor allem gegenüber den popular geprägten Dönerimbissen, die nicht Teil der Geschmackslandschaft der Gentrifizierung sind, wie in Kapitel 9 genauer beleuchtet wird. Folglich ist das im ersten Moment als fremd-religiös gelesene Symbol Bestandteil der alltäglichen Distinktionspraktiken in Gentrifizierungsprozessen von Berlin. Bevor auf die Einbettung der Falafelimbisse in eine Berliner Geschmackslandschaft der Gentrifizierung eingegangen wird, soll nun zum Ende dieses Teils über den »Konsum des Arabischen« ein Zwischenfazit gezogen werden. Dabei soll die Unterscheidung zwischen Kultur und Ökonomie, die sich wie ein roter Faden durch die Bewertungen der interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten zog, zur Diskussion gestellt und in den wissenschaftlichen Diskurs eingeordnet werden. Sie ist schließlich ein Grund dafür, warum Falafelimbisse in Berlins Gentrifizierungsvierteln erfolgreich sind.

8 Zwischenfazit: Kulturelle statt ökonomische Inszenierungen als Strategien in der Gentrifizierung

An verschiedenen Stellen der bisherigen Arbeit wurde auf die gegensätzliche Konstruktion von Kultur und Ökonomie hingewiesen. So wurde Gentrifizierung als ein Prozess aufgefasst, der anfangs kulturell intensiv ist, später dann ökonomisch dominiert wird, in dem folglich kulturelles Kapital in ökonomisches Kapital umgewandelt wird (vgl. Bourdieu 1983). Daran angelehnt wurden die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten als Gruppe identifiziert, die ein hohes kulturelles Kapital bei vergleichsweise geringem ökonomischen Kapital aufweist und die als Angehörige einer deutschen und europäischen neuen Mittelschicht die typische Akteursgruppe für frühe Gentrifizierungsprozesse ist. Arabische Imbisse scheinen nun gerade in den frühen Phasen der Gentrifzierungs-prozesse erfolgreich zu sein, weil sie eben diese kulturelle Intensität bei geringem ökonomischen Potential ausstrahlen, wenn auch in anderer – vielleicht sogar noch reinerer – Form als die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Künstlerinnen und Künstler (Ley 2003) oder Kreativunternehmerinnen und -unternehmer (z.B. Lange 2007, Merkel 2009). Kultur wird in Bezug auf arabische Imbisse nicht als Kreativität konstruiert, deren opportunistischer Gehalt gegenüber dem Kommerz spätestens seit Richard Floridas (2002) Propagierung der »Creative Class« als zentrale Ressource für die spätkapitalistische Stadtökonomie an Wirkkraft verloren hat. Stattdessen basiert die Kulturkonstruktion im Umfeld der arabischen Imbisse auf der Vorstellung von kultureller Tradition, weswegen der aktive und kreative Beitrag der migrantischen Unternehmer zur Gentrifizierung kaum wahrgenommen wird (Kapitel 3). Diese auf Tradition gründende Kulturkonstruktion ist eng mit Vorstellungen von einer Authentizität kulinarischer Kulturen verbunden, die zu einem zentralen Gütekriterium für die Bewertung der Imbisse wird (Kapitel 4). In der Tat zeigte sich in der Diskussion um die Raumgestaltung der Imbisse (Kapitel 5), dass arabische Inszenierungen in Falafelimbissen nicht nur Zeichen ei-

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ner Reproduktion von gesellschaftlich verankerten orientalischen Stereotypen sind, sondern dass diese auch deshalb in Gentrifizierungsvierteln so gut funktionieren, weil sie eine kulturelle Authentizität erwecken. In Berlins Gentrifizierungsvierteln sind diejenigen Präsentationsformen von Imbissen besonders erfolgreich, die mehr kulturell denn kommerziell wirken. Eine zu offensichtliche Kommodifizierung wiederum setzt den kulturellen Wert des Produkts oder der Dienstleistung herab (Ley 1996, 307). Diese Dichotomisierung wurde in der Positionierung der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten im Aufwertungsprozess von Berlin reproduziert. Bodenständige und traditionelle Einrichtungen wurden gegenüber aufgewerteten Lokalen bevorzugt. Die Dichotomisierung zwischen Kultur und Ökonomie spiegelte sich darüber hinaus in der Konstruktion der Gentrifizierungsviertel in Berlin wider, die sich in unterschiedlichen Phasen der Aufwertung befinden. Das zeigte die Gegenüberstellung zwischen dem »Mythos« Kreuzberg und dem »Biedermeier« Prenzlauer Berg. Kreuzberg galt als besonders authentisch und damit kulturintensiv, während Prenzlauer Berg eher als angepasst und damit ökonomisiert gezeichnet wurde. Die Kulturalisierung der Imbisse ermöglicht es den Konsumentinnen und Konsumenten, sich ein nicht-kommerzielles Image anzuheften und sich dabei von statushöheren, aber auch statusniedrigeren sozialen Gruppen zu distinguieren. Sie ist damit Teil ihres Habitus, der aus ihrer Ausstattung mit hohem kulturellen Kapital bei relativ geringem ökonomischen Kapital resultiert. Dadurch, dass sie die Falafelimbisse als authentisch darstellen, schreiben sich die Konsumentinnen und Konsumenten selbst Authentizität zu, die damit zu einem »tool of power« (Zukin 2010, 3) wird, mit dem die eigene symbolische wie physische Legitimität in den Stadtvierteln unterstrichen wird (Kapitel 5). Darüber hinaus schafft die Kulturalisierung Vertrauen in die Qualität der Speisen. Denn durch kulturell kodierten Praktiken, wie zum Beispiel den kostenlosen Tee, wird in den Imbissen eine kleinteilige, ja fast häuslich wirkende Atmosphäre geschaffen, die für die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten »aktives Vertrauen« (Beck 1996, 292) generiert. Das Verhältnis zwischen Verkäuferinnen und Verkäufern auf der einen Seite und Konsumentinnen und Konsumenten auf der anderen Seite bleibt jedoch aufgrund dieser Kulturalisierung distanziert (Kapitel 6). Und schließlich reflektieren auch die nur auf den ersten Blick kontroversen Kodierungen des Arabischen die Geschmacksvorlieben der neuen Mittelschicht Berlins. Dies ist ein Grund dafür, warum der israelisch konnotierte Mamo-Imbiss, der auf das Konzept einer »Gourmet-Falafelbar«(A9) setzte, bei den Berliner Falafelkonsumentinnen und -konsumenten wenig Anklang fand, während die »traditionellen« arabischen Falafelimbisse den Geschmack der Konsumentinnen und Konsumenten eher trafen. Und auch der Verzicht auf alkoholische Getränke, der von den Konsumentinnen und Konsumenten als Symbol einer muslimisch-religiösen Praktik identifiziert wurde, fungiert vorrangig als Authentizitätsmarker (Kapitel 7).

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Nun ist die Trennung zwischen Kultur und Ökonomie nicht nur in den Bewertungen der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten in Berlins Gentrifizierungsvierteln zu finden, sondern sie ist auch charakteristisch für die moderne bürgerliche Gesellschaft (Timm 2000, 363) und wurde damit auch lange im wissenschaftlichen Diskurs reproduziert. So beschrieb Peter Jackson (2002, 3) in Bezug auf die Sozialwissenschaften: »After all, ›culture‹ is traditionally associated with meaning and creativity, with works of the imagination and aesthetic practices that are far removed from the pursuit of economic profit. ›Commerce‹, on the other hand, has traditionally been regarded by social scientists with disdain, signaling a vulgar and materialistic world devoid of morality, where human agency is subordinated to the logic of capital.«

Spätestens seit den siebziger Jahren wurde aber eine Transformation identifiziert, in der Kultur und Ökonomie zunehmend konvergieren. So stellte Sharon Zukin fest (1995, 194): »Cultural value is now related to economic value«, was sie unter anderem am Prozess der Gentrifizierung in Städten festmachte, in dem Kultur zur Quelle der Kapitalakkumulation wird (Zukin 1990, 52). Sie plädierte deshalb dafür, Kultur nicht mehr nur als symbolischen Wert, sondern als realen Marktwert ernst zu nehmen. Und Stuart Hall schrieb in dem veröffentlichten Text »Die Bedeutung der Neuen Zeiten«: »Die Kultur ist nicht mehr (falls sie es jemals war, was ich bezweifele) eine dekorative Zugabe zur ›harten Welt‹ der Sachen und der Produktion, die Sahnehaube auf der materiellen Welt« (Hall 2000, 91). Folgt man Stuart Hall, erübrigt sich damit die Unterscheidung von Begriffen wie Postmoderne,1 die für einen eher kulturellen Charakter steht (ebd., 83), und dem eher ökonomisch geprägten Begriff des Postfordismus, denn Postfordismus ist »ebenso gut die Beschreibung einer kulturellen wie einer ökonomischen Veränderung. Die Unterscheidung selbst wird ziemlich nutzlos« (ebd., 91). Aufgrund dieser Konvergenz von Kultur und Ökonomie warb Sighard Neckel daher für den von Jeremy Rifkin (2000, 19) eingeführten Begriff des »kulturellen Kapitalismus«, der von Neckel (2005, 198) als »neuer Synkretismus von Ökonomie und Lebensform« identifiziert wurde. Der kulturelle Kapitalismus, so Neckel, habe sich die Kapitalismuskritik der sechziger Jahre einverleibt, die unter anderem Forderungen nach mehr Individualität und Authentizität gegen das damalige standardisierte und entfremdende Wirtschaftssystem hervorgebracht hatte (Neckel 2005,

1

Stuart Hall ist in dem Artikel selbst kritisch, was den Begriff angeht, da er das qualitativ Neue im Projekt der Postmoderne vermisse (ebd., 78ff.). Der Begriff der Postmoderne wird in Kapitel 9.2 noch genauer reflektiert.

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210).2 Genau diese Aspekte sind es, die auch mit der kulturellen Konstruktion von arabischen Imbissen verbunden werden und die sich die Konsumentinnen und Konsumenten selbst zuschreiben. Auch wenn die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten die Trennung zwischen Kultur und Ökonomie aufrechterhalten, sind ihre Dispositionen damit Ausdruck der kommerziellkulturellen Fusion in der spätmodernen bürgerlichen Gesellschaft. Außerdem ist die Trennung, was als Kultur und was als Ökonomie gilt, sozial konstruiert und hängt von der sozialen Position des Betrachters ab. Dies zeigte sich auch darin, dass die vier von mir interviewten arabischen Migrantinnen und Migranten nicht in die Falafelimbisse gingen und das allein schon deshalb, weil sie diese nicht durch dieselbe kulturalisierende Brille betrachteten und ihnen deshalb weniger Vertrauen entgegenbrachten. Es waren stattdessen andere Einrichtungen, die sie frequentierten.

Differente Geschmacksvorlieben – Wo arabische Migrantinnen und Migranten essen Auch wenn die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten meinten, in den von ihnen besuchten Falafelimbissen immer wieder arabische Migrantinnen und Migranten als Kundinnen und Kunden gesehen zu haben, konnten die Imbissbesitzer und Geschäftsführer, mit denen ich sprach, dies nicht bestätigen. Ihre Kundschaft war demnach zu 90 bis 99 Prozent deutsch oder europäisch. Arabische Migrantinnen und Migranten schienen Falafelimbisse in Berlin hingegen nicht sonderlich oft aufzusuchen. Dies bestätigten auch die vier Personen mit arabischem Hintergrund, Afifa (K1), Khaled (K6), Mahmud (K10) und Mouris (K11), mit denen ich Konsumenteninterviews durchgeführt hatte. Obwohl sie die Falafel mir gegenüber als typisches arabisches Gericht bezeichneten, das sie aus ihrer Kindheit von Imbissen im Libanon, Syrien oder Ägypten kannten, gingen die vier in Berlin nur selten in den Imbissen essen. In Berlin würden sie die Falafel lieber zuhause zubereiten. Ihre Begründungen für ihre Ablehnung kann man dabei zu zwei zusammenhängenden Argumentationssträngen zusammenfassen: Erstens standen sie dem Großteil der Imbisse misstrauisch gegenüber, was die Qualität und Hygienestan-

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Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Luc Boltanski und Eve Chiapello (1999).

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dards anging, und zweitens trafen die Imbisse nicht ihren Geschmack, den sie mir gegenüber auch als »Originalgeschmack« deklarierten.3 So konnten sie zum Beispiel den verschiedenen Arten von Salat und Soße (u.a. der Mangosoße), die in Berlin zu den Sandwiches gereicht werden, nichts abgewinnen. Sie bevorzugten eine sparsame Füllung mit eingelegtem Gemüse, wie sie sie aus Imbissen im Libanon, Syrien oder Ägypten kannten. Afifa stellte zudem fest, dass »die Araber« in Berlin insgesamt mehr Wert auf Fleisch legen würden. Imbisse, die zuvorderst mit vegetarischen Gerichten wie Falafel und Halloumi warben, sprachen sie folglich nicht an. Und schließlich war ihrer Meinung nach die folkloristische Dekoration der Imbisse nicht an sie als Migrantinnen und Migranten gerichtet, sondern dies wäre eher eine Inszenierung für die deutschen und europäischen Kundinnen und Kunden, was im Übrigen nicht hieß, dass die Interviewten diesen folkloristischen Dekorationselementen komplett ablehnend gegenüberstanden und sie als vollkommen unauthentisch auffassten. Von ihnen wurde – was die Dekoration verschiedener Falafelimbisse angeht – eher das Falsche im Richtigen entlarvt. 4 Was Imbisse anging, waren es zwei andere Läden, die mir von den Inteviewten und anderen arabischen Migrantinnen und Migranten in Berlin besonders empfohlen wurden. Zum einen war dies das Unternehmen Imren in Kreuzberg, eigentlich eine türkische Döner-Imbisskette, die drei Filialen in Kreuzberg, Neukölln und Wedding betrieb. Dort werde, so Mahmud, das »beste Schawarma« in Berlin verkauft (K10).5 Auf der Speisekarte standen hier sowohl Döner als auch Schawarma, der Unterschied zwischen beiden Gerichten war nur das Brot, in

3

Dieser von den arabischen Migrantinnen und Migranten deklarierte Originalgeschmack ist natürlich nicht die authentischere Variante, sondern »wie alle anderen Formen von Kultur auch erinnert, imaginiert und durch Narrative vermittelt« (Erel 2004, 39) und somit unter »Verzerrung der Mehrheitskultur« (ebd.) konstruiert.

4

Khaled zum Beispiel verband die tiefergelegten Sitzecken mit einer authentischen arabischen Kultur und beklagte nur, dass die arabische Einrichtung nirgends originalgetreu umgesetzt wurde: »Und eigentlich, ich kenne keinen Laden, der, wo ich sage, der hat den Orient mit dem Falafel zusammengebracht. Selten. Es sei denn, es ist ein Restaurant, mit Shisha und was weiß ich was. Das unterscheidet sich dann« (K6). Und so fanden sich auch in der Sonnenallee in Neukölln folkloristische und orientalistische DekorationsAspekte, zum Beispiel in Shisha-Läden, die von arabischen Migrantinnen und Migranten gut besucht waren (Färber 2011, 54).

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Es war einer der seltenen Läden, der einen Rindfleischspieß anbot.

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Dort steht »Farousch al Medinat«, was auf Deutsch » Hähnchen der Stadt« bedeutet.

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dem sie serviert wurden. Beim Döner war es das Pitabrot, im Fall des Schawarma ein dünnes, gerolltes Fladenbrot. Der Laden Imren hatte sich durch die Vermarktung des Schawarma auf die deutsch-arabische Kundschaft in den genannten Stadtteilen eingestellt. Der andere Imbiss, der mir empfohlen wurde, war der Imbiss City Chicken, auf den kurz genauer eingegangen werden soll. Das City Chicken ist ein großes Schnellrestaurant auf der Sonnenallee, das von drei Brüdern geleitet wird, die in Berlin aufgewachsen sind, deren Eltern aber aus dem Libanon kommen. Beim Essen konzentriert sich das City Chicken auf halbe Hähnchen, die mit Pommes Frites, Hummus und »Tum«, einer im Libanon verbreiteten Knoblauchcreme, sowie Salat gereicht werden. Falafel hingegen steht nicht auf der Speisekarte. Der Laden unterscheidet sich aber nicht nur im Angebot, sondern auch in der Gestaltung von einem Großteil der Falafelimbisse in Berlin. Er ist an amerikanische Fastfoodketten angelehnt, worauf schon die Wahl des englischen Namens für das Lokal hindeutet, der in großen silbernen Druckbuchstaben auf rotem Untergrund über den Lokal hängt. (Daneben steht die arabische Variante in arabischen Schriftzeichen6). Und auch die Inneneinrichtung erinnert an amerikanisierte Schnellrestaurants wie McDonald’s. Über dem Thekenbereich hängen zum Beispiel einheitlich gedruckte Menütafeln, auf denen Abbildungen von gegrillten Hähnchen zu sehen sind. Ein komplettes »Menü« mit Hähnchen, Pommes, Salat und Soße kostet fünf Euro. Die Angestellten tragen blaue T-Shirts mit einem City Chicken-Schriftzug und rote Schürzen. Und auf den Tüten findet sich das Logo des Ladens, ein Cartoon-Hühnchen mit gehobenen Daumen. Das City Chicken ist nicht nur äußert erfolgreich, sondern hat mittlerweile mit Ris A, einer arabisch konnotierten Hähnchen-Fastfoodkette, einen Nachahmer gefunden, der sowohl in der Sonnenallee in Neukölln wie auch in der Turmstraße in Moabit Filialen eröffnet hat. In ihrer Präsentation und Atmosphäre stehen das City Chicken wie das Ris A damit eindeutig im Gegensatz zum Großteil der bisher beschriebenen Falafelimbisse, die sich mehr oder weniger orientalischer Referenzen bedienen und die von der in Gentrifizierungsvierteln präsenten neuen Mittelschicht bevorzugt werden.

Wie der Erfolg des an McDonald’s angelehnten City Chicken bei arabischen Migrantinnen und Migranten in Neukölln zeigt, scheinen nicht alle sozialen Gruppen in ihren Konsumpraktiken einer offensichtlichen Kommerzialisierung ablehnend gegenüberzustehen. Doch hinter dem Erfolg des City Chickens steckt noch mehr: Auch dieser Imbiss ist natürlich nicht nur eine ökonomische Einrichtung, sondern verfolgt eine bestimmte Ästhetik, um sich von anderen Lokalen abzugrenzen. So

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sagte einer der Besitzer: »Wir wollten das nicht orientalisch machen, weil das so viele in Berlin machen« (A4). Die in Gentrifizierungsmilieus konstruierte künstliche Trennung zwischen Kultur und Ökonomie verweist folglich viel eher auf bestimmte ästhetische Präferenzen, die entgegen einer modernen Ästhetik stehen, für die McDonald’s der Prototyp ist. Dieser Überlegung wird im folgenden Kapitel genauer nachgegangen, wenn die Abgrenzung der Falafelimbisse zu den sich als modern präsentierenden Dönerimbissen in den Blick genommen wird. Die auf den ersten Blick fein gezogenen Unterschiede zwischen beiden Imbisstypen sind – so wird sich zeigen – Ausdruck vehementer Distinktionspraktiken der neuen Mittelschicht in Berlin gegenüber der Unterschicht, der jegliche Ästhetik und damit die Legitimität auf einen Platz in den Aufwertungsvierteln abgesprochen wird.

Die Berliner Geschmackslandschaft der Gentrifizierung

9 Falafel versus Döner: Die Abgrenzung der neuen Mittelschicht

Bekannter als die Falafel war und ist in Berlin nach wie vor der Döner, der in den siebziger Jahren auf dem Berliner Markt erschienen und mittlerweile in ganz Deutschland zu einem der bekanntesten Snacks geworden ist. Der Döner ist aber nicht nur quantitativ im Alltag in Berlin bedeutsam, sondern er ist auch wie kaum ein anderes Fastfood symbolisch aufgeladen. Er dient als das Stereotyp, das für Türken oder Türkisches in Deutschland herangezogen wird (Caglar 1995, 210). Zudem hat er eine eindeutige Berliner Konnotation, ist doch die Legende verbreitet, dass der Döner in Berlin erfunden wurde. Schon aus diesen Gründen mag es nicht verwundern, dass die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten von sich aus im Verlauf der Gespräche den Döner als Vergleich heranzogen, um die Falafelimbisskultur in Berlin zu spezifizieren. Zudem sind türkisch konnotierte Döner- und (meist) arabisch konnotierte Falafelimbisse auf den ersten Blick in ihrem Angebot, in der Präsentation und in ihrer Funktionsweise fast identisch. Denn in beiden gibt es Sandwiches, die mit bestimmten fleischhaltigen oder vegetarischen Gerichten gefüllt und mit Salaten und Soßen garniert werden. In beiden Lokalen drehen sich kegelförmige Fleischspieße (im türkischen Imbiss mit dem Namen »Döner«, im arabischen Imbiss mit dem Namen »Schawarma«) um die eigene Achse, und die Dönerimbisse haben mittlerweile Falafel als vegetarische Alternative in ihr Angebot aufgenommen. Darüber hinaus verschwimmen die Unterscheidungen zwischen den kulinarischen Herkünften aufgrund der zunehmenden »Muslimisierung« (Schiffauer 2007, 117) der arabischen wie türkischen Migrationsgruppen. Kurz: Türkisch konnotierte Dönerimbisse und arabisch konnotierte Falafelimbisse scheinen zum Verwechseln ähnlich. Und doch zogen die von mir interviewten Berliner Falafelkonsumentinnen und -konsumenten eine scharfe Grenze zwischen beiden. Während der Besuch von Falafelimbissen zu den alltäglichen Konsumpraktiken in Berlins Gentrifizierungsvierteln zählte, wurden Dönerimbisse gemieden. Diese Abgrenzung der Falafelimbisse von den Dönerimbissen soll im Folgenden näher untersucht werden. Dabei stellt

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sich insbesondere die Frage, warum Dönerimbisse im Gegensatz zu Falafelimbissen in Berliner Gentrifizierungsmilieus nicht erfolgreich sind und worauf die streng gezogenen Unterschiede zwischen diesen beiden, auf den ersten Blick sehr ähnlichen Imbisstypen beruhen. Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst auf die historische Einbettung und Entwicklung der Dönerkultur in Berlin eingegangen werden. Seit Anfang der Neunziger hat hier eine Transformation stattgefunden, die auch die Präsentationsstrategien weg von einer Folklorisierung hin zu einer Modernisierung veränderte. Im Folgenden werden die Bewertungen der Dönerimbisse seitens der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten, aber auch der Falafelimbissbesitzer näher betrachtet. Dabei wird sich zeigen, dass Dönerimbisse gerade aufgrund dieser Modernisierung abgelehnt werden. Sie werden als Orte der Unterschicht konstruiert, die einer am Massenkonsum orientierten Moderne zugeordnet werden, von der sich die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten sowie die Anbieter aus ihrer neubürgerlichen, postmodernen Perspektive, die sie einnehmen, distinguieren. Sie sehen sich damit im Trend voraus. Schließlich wird das Wissen beleuchtet, das diese Unterscheidung erst möglich macht und das innerhalb der Gentrifizierungsmilieus1 in Berlin verankert ist. Je länger man sich in diesen Milieus bewegt, desto deutlicher fällt die Abgrenzung der arabischen Falafelimbisse von den türkischen Dönerimbissen auf. Das milieuspezifisch erlernte Wissen wird dann auch zur Distinktion gegenüber Neuzugezogenen und insbesondere Touristinnen und Touristen genutzt, welche als unauthentisch gelten Es wird sich folglich zeigen, dass die geschmackliche Unterscheidung zwischen Falafelimbissen und Dönerimbissen zur scharfen Abgrenzung der neuen Mittelschicht in Berlin gegenüber niedrigeren sozialen Gruppen fungiert, denen ein legitimer Platz in den Vierteln abgesprochen und die damit einem Verdrängungsdruck ausgesetzt sind (Marcuse 1985, 207). Hier sind sich Falafelkonsumentinnen und -konsumenten und Anbieter als Gentrifizierungsmilieu weitgehend einig.

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Der Begriff Milieu bezieht sich hier nicht auf die sozialen Makromilieus (z.B. SinusMilieus), die die sozialen Klassen ersetzt hätten, sondern auf die lokalen Horizonte von bestimmten Gruppen, die einen gemeinsamen Erfahrungshorizont teilen, und sich damit von anderen unterscheiden und abgrenzen (Dörfler 2010, 210). Diese Milieubildungen sind eng mit der sozialen Position in der Gesellschaft verbunden.

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D IE G ESCHICHTE

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B ERLIN

Der Aufstieg des Döners Über kaum einen anderen Snack in Deutschland gibt es so viele Gründungsmythen wie über den Döner. Dabei wird immer wieder betont, dass der Döner erst in Berlin erfunden wurde. Dies stimmt aber so nur zum Teil. Das Wort »Döner Kebap«2 tauchte schon im 19. Jahrhundert in Restaurants in der Türkei auf. Kebap bezeichnete dabei gegrilltes Fleisch, Döner stand für »sich drehend« und bezog sich damit auf den kegelförmigen rotierenden Spieß, von dem die Fleischstücke abgeschnitten werden. Postkarten belegen sogar, dass der sich drehende Fleischspieß schon weitaus länger im osmanischen Reich gebräuchlich war und in der arabischen Region unter den Namen Schawarma sein Äquivalent gefunden hatte (Heine 2008, 427f.). Döner Kebap war folglich in der kulinarischen Kultur der Türkei weitverbreitet, bevor er auf dem Berliner Markt entdeckt wurde. Die Imbiss-Variante, das Fleisch im Brot zu servieren, gewann ihre Popularität dann aber erst in West-Berlin (Caglar 1995, 210).3 Der Berliner Aufstieg des Döners war dabei eng an die türkische Migrationsgeschichte in der Nachkriegszeit geknüpft. Die meisten türkischen Migrantinnen und Migranten kamen ab Mitte der sechziger Jahre als Gastarbeiterinnen und -arbeiter nach West-Berlin.4 1973 lag ihre Zahl bei circa 80.000 in West-Berlin, die trotz des Anwerbestopps 1973 bis 1979 auf circa 100.000 anwuchs (vgl. Caglar 1995, 212). Da infolge der Wirtschaftskrise 1973 viele türkische Migrantinnen und

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Teilweise findet sich auch die Schreibweise Kebab.

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In der Türkei fand sich die Imbissvariante nur vereinzelt in größeren türkischen Städten – und das erst seit Anfang der Sechziger mit zunehmender Urbanisierung (Caglar 1995, 210). In Berlin wurde der Döner als Snack bekannt, der in dieser Form bis heute in der Türkei keine vergleichbare Popularität erreicht hat (Caglar 1995, 210). In arabischen Ländern wie dem Libanon oder Syrien hingegen gab es die Imbiss-Variante des Schawarma seit den fünfziger Jahren, die sich dort großer Beliebtheit erfreute (Heine 2008, 428).

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Die dortige Konzentration erklärt sich durch das verspätete Anwerben der Arbeitskräfte, denn zunächst setzte man in West-Berlin auf westdeutsche Arbeitskräfte und griff erst später auf die bereits 1961 von der BRD abgeschlossenen Anwerbeverträge mit anderen Staaten zurück. Da viele italienische, spanische und griechische Arbeiterinnen und Arbeiter schon in die anderen westdeutschen Bundesländer gegangen waren, orientierte man sich in West-Berlin nach der Türkei, wo es noch genug ausreisewillige Arbeiterinnen und Arbeiter gab (Lanz 2007, 59f.).

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Migranten ihre Industriearbeitsplätze verloren, gingen sie den Weg in die Selbstständigkeit. Döner Kebap tauchte in West-Berlin zunächst in gehobenen türkischen Restaurants auf (Heine 2008, 429). Darüber hinaus hatte er in West-Berlin und der Bundesrepublik ein damals noch bekannteres Äquivalent, nämlich Gyros, das in griechischen Restaurants verkauft wurde.5 Die ab Mitte der siebziger Jahre vorwiegend in Kreuzberg eröffneten ersten Döner-Imbisse, die als Kioske an die türkischen Restaurants angeschlossen waren, verkauften dann das Fleisch vom Drehspieß im Fladenbrot mit verschiedenen Salaten (Eisbergsalat, Krautsalat, Rotkohl, Gurken, Tomaten und Zwiebeln) und einer Knoblauch-Joghurtsoße6 (Caglar 1995, 213). Aufgrund des Erfolgs dieser Kioske eröffneten weitere Imbisse. Unter Konsumentinnen und Konsumenten wurde der Döner als gesunde und nahrhafte Zwischenmahlzeit beliebt. Die Zielgruppe für Döner bestand dabei zunächst vorwiegend aus Studentinnen und Studenten sowie jungen alternativen Milieus in Kreuzberg und Schöneberg, weitete sich aber mit zunehmender Popularität auf alle Bevölkerungsgruppen aus. Darüber hinaus aßen auch türkische Migrantinnen und Migranten von Beginn an in den Imbissen (Heine 2008, 433), auch wenn der Döner in seiner Servierform mit den üppigen Salatbeilagen sich eher an ein deutsches Publikum richtete (Caglar 1995, 215). Insbesondere in den Achtzigern stieg die Zahl der Dönerimbisse in West-Berlin rapide an und die Imbissform verbreitete sich auch im Rest der Bundesrepublik. Während es in West-Berlin 1983 circa 200 Imbisse gab, waren es Ende der Neunziger im dortigen Gebiet 430 Imbisse (Heine 2008, 430). Noch bekannter als im Westen ist der Döner allerdings im Osten nach dem Mauerfall geworden. Ende der Neunziger fanden sich allein in Ost-Berlin 870 Dönerimbisse. In den neuen Bundesländern avancierte der Döner zum beliebtesten Imbiss (Seidel-Pielen 1995, 115ff.). Mit zunehmendem Absatzmarkt änderten sich die Produktions- und Marketingstrategien von Döner-Imbissen. Bis 1989 wurde der kegelförmige Fleischspieß überwiegend individuell in Restaurants oder Imbissen hergestellt. Aus diesem Grund variierten sowohl der Geschmack und die Zusammensetzung des Fleisches

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Beim Gyros handelte es sich allerdings um einen Schweinefleischspieß, während für den Döner Kebap Kalbs- und Lammfleisch (und selten auch Rindfleisch), teilweise auch gehackt benutzt wurden. Der Lammfleischgehalt wurde aber in Deutschland gering gehalten, da dieses den deutschen Publikumsgeschmack weniger traf (Heine 2008, 429 u. 432).

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Pide, das in der Türkei als Ramadan-Brot nur während des Fastenmonats gebacken, vertrieben und konsumiert wird, bekam so eine Re-Kontextualisierung in West-Berlin (Caglar 1995, 213f.).

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als auch der Preis bedeutend. Um auf dem hart umkämpften Markt zu bestehen, fügte man den Spießen mehr und mehr Hackfleisch sowie auch andere bindende Mittel zu.7 Diesem Preiskampf wollten einige Unternehmer im Dönerhandel ein Ende setzen und forderten eine offizielle Regelung. Die daraufhin beschlossene »Berliner Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis Döner« setzte fest, dass ein Spieß höchstens 60 Prozent Hackfleisch und keinerlei Bindemittel enthalten durfte. Die Regelung wurde 1991 deutschlandweit übernommen. Sie war damit auch ein Zeichen der offiziellen Anerkennung des Döner Kebap in der deutschen Gesellschaft (Caglar 1995, 216f.). Nach der Regelung standardisierte sich die Produktion des Döners und verlagerte sich immer mehr auf größere Unternehmen, in denen die Spieße oft maschinell angefertigt und an die Imbisse verkauft wurden. Zudem entstand eine regelrechte Zulieferindustrie für entsprechendes Zubehör, wie Bräter, elektrische Messer und bedruckte Papiertüten, auf die auch die Falafelimbisse zurückgreifen konnten (Heine 2008, 430). Mit der Standardisierung differenzierte sich gleichzeitig die Produktpalette aus, denn die Imbisse suchten neue Wege, sich von der Konkurrenz abzusetzen. So gab es fortan zum Beispiel auch einen »100-prozentigen Kalbfleischdöner« auf dem Markt. Mit der BSE-Krise kam der »Chicken-Döner« dazu und aktuell ist der seit Anfang der Neunziger aufgekommene »Gemüse-Döner« beliebt, der neben Fleisch gegrilltes Gemüse und Feta enthält (Caglar 1995, 217f.). Außerdem nahmen die Dönerimbisse im Verlauf der Neunziger Jahre die Falafel als vegetarische Alternative in ihr Angebot auf. Moderne Präsentationsstrategien nach der Wende Mit der Standardisierung änderten sich nicht nur die Produkte, sondern die DönerImbisse veränderten auch ihre Präsentationsstrategien. Bis zur Wende hatten die Dönerimbisse in Berlin vorwiegend auf eine folkloristische Präsentation gesetzt. Ayse Caglar (1995, 217) schrieb: »Touristic Turkey posters, several types of souvenirs from Turkey, and colourful lights dominated the interior decoration of döner Imbiss stands of this period. In marketing döner, the Imbiss owners’ strategy was to promote its Turkishness and exoticness; they exploited its ethnic associations.« Mit der offiziellen Anerkennung des Döners gingen die folkloristischen Dekorationen zurück; dafür wurden moderne Stilformen aufgegriffen. Das zeigten schon die veränderten Namensschilder, die fortan über den Imbissen prangten: »Mc Döner«, »Mc Kebap«, »Mister Kebap«, »Mac’s Döner« usw. Es wurden neue Pro-

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In den späten Achtzigern schwankte der Preis für einen Döner zwischen 1,80 DM und 3,50 DM. Heute kostet ein Döner in Berlin zwischen 2 und 4 Euro.

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duktbezeichnungen wie »Mini Döner« oder »Big Döner« eingeführt und die Verkäufer trugen nun häufig eine einheitliche Bekleidung, auf die der Name des Imbisses oder ein graphisch entworfenes Logo gedruckt war (Caglar 1995, 221). Und auch wenn Ayse Caglar dies in ihrem Artikel nicht ansprach, war dies die Zeit, in der die großen standardisierten Reklametafeln mit den fotografierten Fleischspießen oder gefüllten Sandwiches zur Werbung im Außen- wie Innenbereich aufgehängt wurden, wie der von mir interviewte Falafel-Großhändler erzählte, der Falafel an die Dönerimbisse lieferte (A6).8 Die neuen Dönerimbisse ahmten hier offensichtlich die amerikanische FastFood-Kette McDonald’s nach. Dies sei, so Ayse Caglar (1995, 223), aber weniger zu reinen Vermarktungszwecken geschehen. Denn als reine Marketingstrategie machte dies in einer Zeit, in der der Dönerabsatz (noch) stieg, wenig Sinn. Für die Dönerimbissbesitzer war diese Hinwendung zu McDonald’s weit mehr: Es war der Versuch, aus einer folkloristischen Ecke, in die sie sich gedrängt sahen, herauszukommen und als Geschäftsleute ernst genommen zu werden. 9 Dafür versuchte man den Döner von seinen türkisch kulturalisierten und folklorisierten Konnotationen zu trennen und umzudeuten. Einer der Dönerimbissbesitzer, den Ayse Caglar (1995, 222f.) interviewt hatte, erklärte seine Neugestaltung wie folgt: »But I thought, in the midst of Europe, on Ku’damm I want to realize something close to McDonald’s. I want to show that Turks are also capable of setting up good business and running it. The problem is to change the atmosphere, to offer a Turkish speciality without our atmosphere, to present it in a modern way. I want döner to go further.«10

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Seiner Meinung nach war er der erste, der in der Werbung auf die fotografischen Abbil-

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Um die Motive hinter der Implementierung des McDonald’s-Stils besser zu verstehen,

dungen eines Falafel-Sandwiches setzte. Zu dem Falafel-Großhändler später mehr. muss man das bis dahin verbreitete Image und die symbolische Aufladung des Döners genauer betrachten. Denn bis dato wurde der Döner als das Symbol für türkische Migration in Deutschland verwendet und musste häufig auch für Debatten über multikulturelle Politik und Integration herhalten. Dies galt auf allen Ebenen der Gesellschaft. Ihre Assoziierung mit dem Döner geschah zum Unmut vieler türkischer Migrantinnen und Migranten, die sich auf folkloristische, traditionalistische und einfache Stereotype reduziert sahen. Die ökonomische Leistung von türkischen Unternehmerinnen und Unternehmern wurde in der deutschen Gesellschaft hingegen weitgehend ausgeblendet (Caglar 1995, 221ff.). 10 Da dieser Artikel in einem englischen Sammelband erschienen ist, wurde er ins Englische übersetzt. Es ist anzunehmen, dass Ayse Caglar das Interview entweder auf Deutsch oder auf Türkisch durchführte, was allerdings aus dem Text nicht weiter hervorgeht.

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McDonald’s stand für ihn für moderne Technologien und Fortschritt – und für ein Unternehmen, das effizient und kommerziell äußerst erfolgreich war. Kurz gesagt stand es für die amerikanisierte Moderne. Den Imbissbesitzern sollte diese Umgestaltung, so Ayse Caglar, Anerkennung bringen und ihnen eine soziale Mobilität nach oben ermöglichen, die ihnen aufgrund der fortwährenden Kulturalisierung trotz des ökonomischen Erfolgs bisher verwehrt blieb (ebd., 223ff.). Ein Rückblick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte zeigt, dass den Dönerimbissbetreibern diese Imageumdeutung nur zum Teil gelungen ist und die Verwendung des Döner-Begriffs in den deutschen Massenmedien bisher nicht an seiner kulturalisierenden und essenzialisierenden Wirkkraft in der Mehrheitsgesellschaft verloren hat.11 Abgesehen davon scheinen Dönerimbisse mit ihrem Imagewechsel nur bedingt ökonomisch erfolgreich gewesen zu sein, ging der Dönerkonsum doch langsam zurück. Bereits 1995 stellte Eberhard Seidel-Pielen (1995, 160) fest, dass Dönerimbisse in West-Berlin schon seit Ende der achtziger Jahre kontinuierlich Marktanteile verloren: »Just die bunt-alternative Szene, die dem Döner in den innerstädtischen Bezirken in den frühen Achtzigern zum Durchbruch verhalf, ist umgestiegen.« Seidel-Pielen hatte dabei mit der Falafel ein neues kulinarisches Gut entdeckt, das den Döner seiner Meinung nach langsam ersetzte: »Angesagt sind heute die rund zwei Dutzend Falafel-Läden der Stadt« (ebd.). Die Falafelläden beschrieb er in seinem journalistischen Buch »Aufgespießt. Wie der Döner über die Deutschen kam« wie folgt: »Hier werden die Gäste nicht nur mit einem konkurrenzlosen billigen Produkt abgespeist. Obendrein werden auch ernährungswissenschaftliche und vor allem ästhetische Bedürfnisse befriedigt. Der Verzicht auf nationale und religiöse Symbolik wird honoriert.12 Die liebevol-

11 Erschreckendes Beispiel hierfür sind die mittlerweile zum Unwort deklarierten »DönerMorde«, eine Etikettierung, mit der in deutschen Massenmedien lange Zeit die Verbrechen an neun migrantischen Kleinunternehmern zwischen 2000 und 2006 bezeichnet wurden. Dieser Begriff diffamierte die Opfer nicht nur, sondern resultierte aus falschen Ermittlungen, in denen rechtsextreme Tatmotive von vorneherein ausgeschlossen wurden und eher auf mafiöse Strukturen innerhalb einer Migrantencommunity getippt wurde, was sich im Nachhinein als fatal herausstellte. Erst im Herbst 2011 kamen die Ermittler den organisierten rechtsextremistischen Verbrechen des NSU auf die Spur. Das Beispiel »Döner-Morde« zeigt, wie tief ein kultureller Rassismus in der deutschen Gesellschaft verankert ist und was dieser für weitreichende Folgen haben kann (Ambs 2011). 12 Zum Verständnis soll dieser Satz in den Kontext gestellt werden. Denn eine Seite vorher beschrieb Eberhard Seidel-Pielen (1995) die »Gebremste Gastlichkeit« (ebd. 158), die er

270 | D ER G ESCHMACK DER G ENTRIFIZIERUNG len Kalligraphien und phantasievollen »orientalischen« Wandmalereien vermitteln: Der Mensch lebt nicht nur von Brot und Fleisch allein. [...] Eine Musikauswahl, die nicht nur die Hörgewohnheiten und Vorlieben des Kebapci befriedigt, verkürzt das Warten und entspannt gestresste Großstadtnerven: klassische Musik aus dem Iran, Lautenspieler aus dem Irak, oder Popmusik aus Algerien. Sensationell: Die eine Mark mehr, die hier in der Regel verlangt wird, wandert selbst in Kreuzberg, dem Stadtteil des Geizes und der Pfennigfuchser, ohne Murren über den Tresen« (ebd.).

Auch Barbara Lang erwähnte 1998 in ihrer Studie »Mythos Kreuzberg« diese neu aufgetauchten »distinguierten Imbißlokale«, wo »zu den Klängen mal orientalischer, mal klassischer Musik in hellen, großzügig gehaltenen Räumlichkeiten Falafel und Hummusteller frisch zubereitet« werden. Ihrer Meinung nach setzt sich die Kundschaft dort »bewusst [...] vom Konsumenten der 08/15-Currywurst oder des inzwischen fast ordinär gewordenen Döner Kebap ab« (Lang 1998, 66). Interessanterweise zogen folglich beide Autoren Falafelimbisse als Vergleichsbeispiel heran, die den neuen Konsumgewohnheiten der Kreuzbergerinnen und Kreuzberger in den Neunzigern mehr entsprechen würden und die damit die Popularität des Döners abgelöst hätten. Auch wenn sowohl Barbara Lang als auch Eberhard Seidel-Pielen ihre Berichte in leicht ironisierender Form schrieben, bezogen sie hier deutlich Stellung gegenüber den Falafelimbissen und äußerten sich durchaus abwertend gegenüber den Dönerimbissen. Ihre teils unreflektierten euphorischen Äußerungen gegenüber den Falafellokalen lassen darauf schließen, dass sie wohl selbst zu deren Zielgruppe zählten und damit in die neubürgerlichen Milieus eingebettet waren.

seiner Meinung nach in Dönerimbissen vorfand. Dabei bemerkte er kritisch den »Bekenntniszwang« von Dönerimbissen: »Der Bekenntniszwang deutscher Rechter, Linker und Christen am Fast-food-Napf hat in diesen Örtlichkeiten sein türkisches Äquivalent. Demonstrativ wird mit der Innendekoration – Koransuren, osmanische Motive, ein billiger Kitschteppich mit Mekka-Motiv, Moscheeabbildungen usw. – auf die konfessionelle oder weltanschauliche Orientierung des Eigentümers hingewiesen. Die Kompromisslosigkeit und Abgrenzung zum Rest der Welt ist umso erstaunlicher, als selbst in Lokalen der Einwandererviertel annähernd 90 Prozent der Kunden Nichttürken – Deutsche, Jugoslawen, Polen, Rumänen, Griechen – sind« (ebd., 159). Was er an den Dönerimbissen kritisierte, wäre ihre »religiöse« und »nationale« Symbolik, die seiner Meinung nach dort nichts zu suchen hätte. Seine diffamierenden Äußerungen sind hier offenkundig kulturalisierend und rassistisch. Zudem zeigt sich, dass der Autor die beiden konstruierten Orientbilder in den hier beschriebenen Dönerimbissen und den Falafelläden sehr unterschiedlich wahrnimmt, denn das eine wäre offen religiös, während das anderen für ihn exotisiert ist.

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Nun ist es zunächst nicht unüblich, dass kulinarische Kulturgüter wie andere Konsumgüter auch bestimmten Lebenszyklen unterliegen. Der anfängliche Trend des neu auf dem städtischen Markt aufgetauchten und zunächst von einer kleinen Gruppe konsumierten Guts wird mit der zunehmenden massenkonsumistischen Ausbreitung zur gesellschaftlichen Routine und oft von einem neuen Trend abgelöst. Dies mag insbesondere für ethnische Konsumgüter gelten. Wie Hermann Bausinger (1987, 114) schrieb, verwandelt sich das Exotische schnell in das Gewohnte. Aber bei den Dönerimbissen geht es noch um etwas anderes. Denn Grund für die Präferenz von Barbara Lang und Eberhard Seidel-Pielen für die Falafelimbisse war vor allem die Art und Weise der orientalischen Inszenierung. Die Dönerimbisse verloren hingegen genau dann an Popularität, als sie ihr Image in Richtung einer Modernisierung umzudeuten versuchten. Das Herunterspielen der ethnischen Inszenierung scheint folglich nicht den Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten zu entsprechen, zumindest nicht in der neuen Mittelschicht, die in den innerstädtischen Vierteln wie Kreuzberg präsent wurde. Schon Ayse Caglar (1995, 223f.) merkte an: »Ironically, Turkish Imbiss owners started to downplay the ethnic connotations of döner kebap when the demand for exotic and ethnic food was increasing.« Über diese Beobachtung können die von mir interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten näher Aufschluss geben. Sie hatten nicht nur bestimmte Vorlieben für folkloristische und exotische Präsentationsstile, sondern sie machten tatsächlich auch selbst einen kleineren oder größeren Bogen um die Dönerimbisse, wofür sie die im Folgenden diskutierten Gründe angaben.

D IE D IFFAMIERUNG DER D ÖNERIMBISSE – K LASSENREPRODUKTIONEN DER NEUEN M ITTELSCHICHT Die industriegefertigte Falafel in Dönerimbissen Die Mehrzahl der von mir interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten äußerte sich zu türkischen Dönerimbissen im Verlauf der Interviews äußerst skeptisch. Ihre Kritik bezog sich dabei zunächst auf die Qualität der Falafel, die in den Dönerimbissen angeboten wurde. Florian meinte zwar, er hätte grundsätzlich nichts gegen die »türkische Küche«, aber Falafel würde er in Dönerimbissen nie bestellen: »Aber nicht arabisch. Nicht Falafel. Das können sie einfach nicht hier. Weil sie immer die Fertigdinger nehmen« (K7). Seit den neunziger Jahren haben die Dönerimbisse die Falafel in ihr Angebot aufgenommen. Treibende Kraft dahinter war der ehemalige deutsch-libanesische Besitzer des Imbiss Al Salam, der seinen Laden Ende der Siebziger verkaufte, um

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die Falafel industriell brat- oder frittierfertig herzustellen und dann damit Dönerimbisse in Berlin und Umgebung zu beliefern. Die Dönerimbisse verkauften die Falafel folglich vorwiegend in dieser vorgefertigten Form, die nur erwärmt werden musste.13 Gerade in Bezug auf die Qualität der Falafel zogen die Interviewten folglich einen klaren Unterschied zwischen den »türkischen« Dönerimbissen und den »arabischen« Falafelimbissen. Während sie anfangs in ihrer Heimatstadt oder in Berlin Falafel noch beim Dönerstand gegessen hatten, was Thorsten zufolge aber nicht so »gefruchtet« hätte, wussten sie schon bald, dass ihnen die frisch zubereitete Falafel in den »arabischen« Imbissen besser schmeckte. Im Gegensatz zu den hauptsächlich arabisch konnotierten Imbissen, die Falafel als ihr zentrales Produkt vermarkteten, diente die Falafel in Dönerimbissen wohl tatsächlich eher einer Komplettierung des Angebots, mit der die Imbissbesitzer auf den Falafeltrend reagierten und sich auf vegetarische Kundinnen und Kunden einstellten. Die Kritik an Dönerimbissen machte aber nicht bei der Falafel Halt. Denn bis auf den 42-jährigen Tom, der sich als wahrer Dönerliebhaber präsentierte und erzählte, dass er früher nachts auf Kneipentouren ausgiebig und gerne Döner gegessen habe, gingen die von mir interviewten Falafelkonsumenten eher selten bis nie zum Dönerimbiss, obwohl unter ihnen nur drei Vegetarierinnen und Vegetarier waren. So stellte Michael fest: »Ich esse keinen Döner. Ich esse einfach keinen Döner« (K13). Und Stefanie sagte: »Also zum Beispiel Döner oder so gibt’s gar nicht mehr bei uns. Schon seit Jahren. Also das Schawarma hat dem definitiv den Rang abgelaufen« (K17). Für sie sei die »Dönerzeit« vorbei. Das lag daran, dass ihr wie den anderen auch das Schawarma besser schmeckte als der Döner. Auf die Gründe, die hinter diesen Geschmackskonstruktionen lagen, wird im Folgenden eingegangen.

13 Auf diesem Weg fand die Falafel auch Einzug in den deutschlandweiten Imbissmarkt, denn die Falafelimbisse sind auch heute noch weitgehend auf Berlin konzentriert. In Berlin gibt es mittlerweile in Dönerimbissen auch teilweise den frittierten Halloumi zu kaufen. Die Falafelimbissbesitzer wiederum hatten sich vorher zahlreiche Aspekte von den in Berlin überall präsenten Dönerimbissen abgeschaut, so zum Beispiel die Zusammensetzung der Salate für ihre Sandwiches. Einige boten ihre Sandwiches statt im gerollten Fladenbrot auch im für Döner typischen Pita-Brot an, das den Konsumentinnen und Konsumenten in Berlin bereits bekannt war. Hier gab es enge Überschneidungen zwischen beiden Imbisstypen.

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Schawarma – der bessere Döner? In den Bewertungen der Konsumentinnen und Konsumenten schloss das Schawarma durchweg hochwertiger ab als der Döner. Michael erklärte, warum das so ist: »Also bei allen Falafelläden, zu denen ich hingehe, da sieht man schon ganz deutlich, dass die den Spieß selbst machen. Also das sieht man einfach. Ob das irgendwie aufgeschichtet ist. Ob das selbst gemacht ist oder ob das ne Presswurst ist, so. Döner ist halt immer so eine Masse, so eine Fleischmasse, die man irgendwie zentral bei kontrollierten Dönerherstellern beziehen kann. Also für mich ist Döner immer so eine Hackfleischpampe. Und beim Schawarma ist das eher noch Fleisch im eigentlichen Sinne, das vom Spieß abgeschnitten wird. Deswegen würde ich da nicht hingehen. Ich esse wenn, dann Schawarma« (K13).

In der Tat fertigten die Falafelimbissbetreiber, die ich interviewte, ihre Spieße überwiegend selbst und verzichteten dabei auf die Zugabe von Hackfleisch. Michael differenzierte in seiner Bewertung aber auch nicht zwischen verschiedenen Dönerimbissen, sondern stand dem Döner insgesamt misstrauisch gegenüber. Damit reagierte er wohl auch auf die Negativschlagzeilen, die der Döner im »Gammelfleischskandal« von 2006 erhielt (Richter 2007).14 Sein generelles Misstrauen gegenüber dem Döner machte er aber nicht nur an der Konsistenz fest. So sagte er weiter: »Schawarma ist halt aufwendiger zu produzieren, weil es noch Handarbeit ist, und deswegen gibt es das weniger. Und das sieht man auch, dass das selbst gemacht ist, finde ich. Und das schätzt man dann auch sehr. Weißt du, es ist weniger Aufwand, einen Dönerspieß hinzustellen, weil das kannst du halt zentral beziehen. Und dann machst du noch Steinofenpizza, machst halt irgendwie Spaghetti. Und dann kann man noch einen Dönerspieß hinstellen. Das ist halt nicht so mit Liebe gemacht« (K13).

Obwohl Michael wusste, dass die Besitzer der arabischen Imbisse das Fleisch auch im Großhandel kauften, hatte er hier weniger Bedenken, was dessen Qualität und Frische anging. Er vertraute hier folglich einer kleinteiligen Produktion, die seiner Meinung nach auf mehr Engagement hinweisen würde, das er bei der industriellen Fertigung des Döners vermisste. Auch Stefanie unterstellte den Dönerimbissen mangelnde Motivation:

14 Schon die Berliner Zeitung schrieb 2007, dass der Dönerkonsum laut einer ForsaUmfrage stark zurückgegangen wäre. Insbesondere bei den 15- bis 29-Jährigen gaben 30 Prozent an, seit dem Skandal wesentlich weniger Döner zu essen (ebd.).

274 | D ER G ESCHMACK DER G ENTRIFIZIERUNG »Ich finde, Döner ist einfach, da wird nicht wirklich drauf geachtet, ob es jetzt schmeckt. Das ist immer die gleiche Idee. Das Fleisch, bisschen Tomaten, Salz und Pfeffer, Rotkraut oder gefärbtes Weißkraut in Rote-Bete-Saft und Gurken und Zwiebeln und fertig ist der Lack. Und das ist ein ganz anderes Geschmackserlebnis, finde ich, wenn man ein Schawarma isst« (K17).

Und später warf sie den Dönerimbissen sogar Betrug vor, obwohl sie wusste, dass es Regeln gab: »Also es gibt ja Bestimmungen, wie viel Hackfleisch da drinnen sein darf. Und da hat man jedes Mal das Gefühl, dass sie einen auf die Nudel schieben, dass da viel mehr drin ist« (K17). Die Aussagen der beiden sind folglich durchgehend diffamierend gegenüber den »türkischen« Imbissbesitzern, die sie undifferenziert abwerteten und ihnen pauschal Betrug oder Unlust unterstellten. Doch hinter den Bewertungen von Michael und Stefanie verbirgt sich auch ein Muster. Sie misstrauten nämlich generell standardisierten Prozessen, während sie eine individuelle Anfertigung hoch einschätzten, und das, obwohl es bei ersteren sicherlich weitaus mehr institutionelle Kontrollinstanzen gibt. Auch Thorsten bevorzugte das letztere System und sagte: »Ich habe das Gefühl, dass die Zutaten bei Falafelläden eigentlich durchwegs qualitativ hochwertiger sind, dass die geringere Stückzahlen produzieren, dass die Läden kleiner sind« (K18). Dass er hier vom »Gefühl« spricht, zeigt, dass die Konsumentinnen und Konsumenten natürlich genauso wenig kontrollieren können, woher das Fleisch oder das Gemüse kommt. Zudem ist es interessant, die Bewertungen der Vegetarierinnen näher zu betrachten, denn während Annika und Monika sich vom Dönerfleisch abgeschreckt fühlten, machte ihnen die Präsenz des Schawarma in Falafelimbissen nichts aus. So erläuterte Annika: »Das klingt jetzt ein bisschen komisch, ich will ja jetzt nicht die ganze Zeit auf dem Thema Fleisch herumreiten, aber ich glaube, für jemanden, der kein Fleisch isst und das eigentlich auch nicht mag, ist es manchmal auch so ein bisschen eklig, in einem Restaurant zu sitzen, in dem es Döner gibt und es dann danach so stark riecht« (K2). Diese Wahrnehmung ist widersprüchlich, denn auch in Falafelimbissen gibt es den großen kegelförmigen Fleischspieß. Ihre sensorischen Wahrnehmungen – nämlich der Geruch – sind damit durch ihre Vorbehalte gegenüber Dönerimbissen geprägt. Auch Monika, ebenfalls eine Vegetarierin, fühlte sich explizit vom FleischGeruch in Dönerimbissen gestört, während sie Falafelimbisse ausnahm: »Oder deswegen kann ich auch nicht zu McDonald’s gehen. Ich kann das einfach nicht. Alleine schon dieser Friteusengeruch, da kippe ich um, da würde mir schlecht« (K14). Sie stellte folglich eine Verbindung zwischen Dönerimbissen und Mc Donald’s her, während sie die Falafelimbisse hier außen vor ließ. Diese würden ihrer Meinung nach nicht nach »Imbiss«, sondern eher nach »Restaurant« riechen (K14).

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Als ich Annika dann darauf aufmerksam machte, dass es ja auch in den meisten Falafelimbissen Fleisch gäbe, fand sie eine weitere Erklärung: »Hm, kommt drauf an, wie intensiv es ist, aber wenn man da jetzt reingeht, und es in erster Linie so ein Döner-Kebap-Laden ist, und es riecht nach Döner, und das Hauptpublikum isst da eher Döner, dann ist das ein Imbiss, der nicht so einladend auf mich ist« (K2). Den Kundenstamm, der seine Konsumpraktiken eher auf Fleisch konzentrierte, grenzte sie vom eigenen neubürgerlichem Milieu in Berlin ab, in dem Vegetarismus ein gesundheitliches und moralisches Ideal ist. Auch bei Monika stießen Dönerimbisse nicht nur wegen des Geruchs, sondern wegen des »Döner-Publikums« auf Ablehnung. Zu dem Foto des Dönerimbisses, (siehe Abbildung 15), das ich ihr während des Gesprächs zeigte, bemerkte sie: »Da würde ich nicht reingehen. Allein schon, wenn da immer so viele Männer davor sitzen, dann finde ich das schrecklich. Wie gesagt, bei mir ist das ganz oft so. Ich weiß auch gar nicht warum, weil ich eigentlich nicht soziophob bin« (K14).15 Die Dönerimbisse waren ihrer Meinung nach männlich dominiert, was sie als Bedrohung empfand. Wie schon in Kapitel 7 gezeigt, überschneidet sich hier die Wahrnehmung einer bedrohlichen Maskulinität mit Klassenkonstruktionen. Für beide, Annika und Monika, waren Dönerimbisse folglich Orte der Unterschicht. Dies betraf bei beiden dann nicht nur die Wahrnehmung der Kunden, sondern auch der Verkäufer, die Monika folgendermaßen beschrieb: »Vielleicht ein bisschen gammeliger. Also das ist, also ich glaube, Palästinenser achten oft darauf, was sie anhaben. Und die [Dönerverkäufer] stehen da ja auch mal schwitzend und triefend hinter ihrem Imbiss. Und das finde ich manchmal ein bisschen eklig. Aber das hat jetzt nichts mit den Türken zu tun. Ich meine, die, die hinter der Currywurst stehen, die sind ja auch ein bisschen eklig« (K14).

Hier zeigt sich, wie sie versucht, sich vom Vorwurf des Rassismus zu befreien, dafür aber die Unterschicht diffamiert (Dietze 2009, 29). Der Hinweis auf den Currywurst-Verkäufer soll ihre kulturalistischen Aussagen relativieren. Auch Stefanie ging näher auf das Publikum ein. Diesem stand sie nicht nur ablehnend gegenüber, sondern für sie war es auch ein Zeichen für fehlende Authentizität: »Also wenn man zum Beispiel früher viel Döner gegessen hat, da hat man doch dort irgendwie immer eher Deutsche getroffen. Und was mir halt sympathisch ist, ist, dass eben beim

15 Auf dem Foto waren drei Männer zu sehen, von denen zwei an einem Barhockertisch saßen, während der dritte gerade um die Ecke bog. Vor ihm ging noch eine alte Frau.

276 | D ER G ESCHMACK DER G ENTRIFIZIERUNG Araber auch Araber sitzen, die dort essen. Ja, wo ich dann auch das Gefühl habe, okay, wenn denen das schmeckt, dann ist das sozusagen mit großer Wahrscheinlichkeit auch landestypisch. Oder eben orientalisch, im weitesten Sinne. Bei dem Döner hat man immer das Gefühl, das ist für uns gemacht. Da würden sie vielleicht gar nicht auf die Idee kommen zu essen. Sondern, dass das halt eher so eine Marktlücke war. Der man dann irgendwie einen türkischen Stempel gegeben hat. Und das ist beim arabischen Imbiss irgendwie authentisch. Und dazu noch die Leute, die da sitzen. Ich weiß jetzt gar nicht. Also ich will jetzt gar nicht sagen, dass irgendwie jemand ne Stulle isst, der Döner isst oder so. Das will ich jetzt gar nicht behaupten, aber … Aber irgendwie hat man schon das Gefühl, dass die Leute, die beim Falafelimbiss sitzen, vielleicht zumindest kulinarisch den Horizont erweitert haben« (K17).

Ihre Wahrnehmung, beim Falafelimbiss eher ein arabisches Publikum anzutreffen, unterliegt dabei offenbar einem Trugschluss, sind die Konsumentinnen und Konsumenten in Falafelimbissen doch im Durchschnitt zu 90 Prozent deutscher oder europäischer Herkunft. Sie schrieb dem Falafelimbiss aber auch insgesamt ein gebildeteres Publikum zu, das sie in ihrem eigenem Milieu verortete, während sie dem Dönerpublikum, das kulinarisch beschränkt sei, ablehnend gegenübertrat. In ihrer Aussage spiegelt sich zudem das wider, was schon im Zwischenfazit (Kapitel 8) geschlussfolgert werden konnte. Die Authentifizierung und damit Kulturalisierung der Falafelimbisse ist deshalb erfolgreich, weil sie von den Falafelkonsumentinnen und -konsumenten als Zeichen der Nicht-Kommerzialität gesehen wird. Dönerimbisse werden genau konträr verortet. Deren vermeintliche Marktorientierung wurde sofort als Zeichen von In-Authentizität gelesen und daher abgelehnt. Während Falafelimbisse als kulturell gelten, werden Dönerimbisse als kommerziell wahrgenommen. Das zeigte auch Bens Aussage, der Falafelimbissbetreiber »konsequenter« (K4) fand als Dönerimbissbetreiber, da erstere auf das Angebot von Alkohol verzichteten. Auch wenn es sehr unterschiedliche Gründe gab, warum Falafelimbisse auf Alkoholverkauf verzichteten, las er dies als kulturell-religiöse Praktik und kulturalisierte die Imbisse damit (Kapitel 7). Die so vehement abgelehnte kommerzielle Ausrichtung der Dönerimbisse meinten die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten auch schon an der Dekoration festmachen zu können. Leuchtreklametafeln als Zeichen der amerikanisierten Moderne Ein Teil der Diskussionen über Dönerimbisse entstand auf Initiative der Interviewten. Ein Teil wurde aber auch von mir als Interviewführerin initiiert, als den Befragten relativ am Ende des Interviews – im Anschluss an die Aufnahmen der Falafelimbisse – das Foto des Güney-Grill gezeigt wurde (siehe Abbildung 15).

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Abbildung 15: Foto eines Dönerimbisses

Quelle: Eigenes Foto 2009

Dieser Imbiss wurde von den interviewten Konsumentinnen und Konsumenten sofort als Dönerimbiss gekennzeichnet. So sagte Anton: »Oh, das ist aber eher so ein Döner« (K3). Und Annika sprach von einem »Türkendönerkebapgrill« (K2). Der Güney-Grill stieß bei den Interviewten schon vom Erscheinungsbild her auf komplette Ablehnung. Tom fand ihn ungemütlich und schlussfolgerte dann: »Beim Falafelimbiss ist halt generell die etwas gemütlichere Atmosphäre als beim Döner. Wo da glaube ich nicht so häufig darauf Wert gelegt wird«(K19). Und Marion zufolge wäre dieser Imbiss »nicht so vertrauenserweckend« (K12), weswegen sie ihn nicht besuchen würde.Hauptindiz für die negativen Einschätzungen waren die Leuchtreklametafeln. Auch wenn es einige Falafelimbisse in Berlin gab, die ebenfalls diese Reklametafeln benutzten, ordnete Michael sie klar den Dönerläden zu: »Also ich glaube, zu den Falafelimbissen, zu denen ich gehe, da ist nie fotografiertes Essen. Maroush nicht. Rissani, die haben kein fotografiertes Essen, oder? Die haben nur die Tafel. Also das ist vielleicht ein kleines Detail, aber spielt auch ne Rolle so« (K13). In der Tat verzichteten viele der Falafelimbisse in Berlin auf diese fotografierte Leuchtreklame. Sie war damit ein weiterer feiner, aber bedeutender Unterschied, der zwischen den beiden Imbisstypen gemacht wurde. So erklärte auch Florian, als er das Bild des Güney Grills betrachtete:

278 | D ER G ESCHMACK DER G ENTRIFIZIERUNG »Also mir fällt auf, dass es, meine ich zumindest, beim Türkischen halt etwas extrovertiertere Farben benutzt werden sozusagen. Also ein bisschen rot, ein bisschen auffälliger gestaltet. Meistens auch so diese typischen – ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll – Fotos draußen von den Gerichten und dann diese dicken Anzeigetafeln: Hähnchen, Chicken, Döner und sonst was. Das ist eher typisch« (K7). Falafelimbisse hingegen fände er »ein bisschen zurückhaltender« (K7).

Der Interviewte versuchte hier betont diplomatisch zu sein, seine Geschmackspräferenz schien hier aber klar durch. Andere waren da noch direkter. Es häuften sich Ausdrücke wie »geschmacklos« oder »schrecklich«. Selbst Tom, der Dönerimbisse mochte, meinte: »Wie gesagt, in Falafelläden sind sicherlich keine Bilder von, also keine Lebensmittelfotos, wie halt häufig in den Dönerläden. Also weißt ja, diese schrecklichen Lichtreklameschilder vorne irgendwie, diese Fotos, was eigentlich so abstoßend aussieht, dass man sich fragt, warum man das eigentlich macht« (K19). Den Dönerimbissbetreibern wurde folglich ein mangelnder ästhetischer Sinn nachgesagt. Es gab mehrere Gründe, warum die Interviewten diese Bilder so abstoßend fanden. Patricia störte zunächst die ihrer Meinung nach offenkundige Täuschung: »Weil das entspricht nicht der Wahrheit. Das ist doch schwachsinnig. Diese Bilder da reinzustellen. Für mich ist es viel wichtiger, wie die das machen. Die haben das aufgeschrieben, was das ist. Und das siehst du alles. Und dann kannst du sagen, das möchte ich essen, das möchte ich nicht« (K15). Die Schilder waren ihrer Meinung nach ein Zeichen von fehlender Authentizität, da sie unecht wirkten. Sie bevorzugte dagegen die handgeschriebene Speisetafel, die sich zum Beispiel in ihrem präferierten Falafelimbiss Habibi fand. Handgeschriebene Tafeln kann man in Berlin nicht nur öfters in Falafelimbissen entdecken, sondern auch in anderen gastronomischen Lokalen im Prenzlauer Berg, Kreuzberg oder auch in den neu eröffneten Cafes und Restaurants in Nordneukölln. Sie scheinen für den gastronomischen Stil in Berliner Gentrifizierungsvierteln typisch zu sein. Die Interviewten bevorzugten diese Tafeln auch, da sie auf sie nicht kommerziell wirkten – im Gegensatz zu den Leuchtreklametafeln. Das machte auch Stefanie deutlich: »Also bei den Dönern gibt es ja oft diese riesengroßen Leuchttafeln und dieses Brimborium und dann noch 100 Teechen, die da auch noch auf der Tafel sind und so was alles. Das ist alles so supermarktmäßig oder so. So sehr wie mit einem roten Pfeil« (K17). Und Michael erklärte, warum er diese offenkundige kommerzielle Ausrichtung ablehnte: »Ja, also eigentlich, fotografiertes Essen finde ich billig. Das hat so den Hauch von einer Verzweiflung. Hier kommt keiner hin, jetzt müssen wir schon zeigen, wie unser Essen aussieht, damit hier überhaupt jemand hinkommt, so habe ich den Eindruck« (K13). Seiner Meinung nach würde nur ein Imbiss, der es wirklich nötig hätte, auf Werbung setzen. Eine in seinen Augen anti-kommerzielle Darstellung erhöhte folglich sein Vertrauen in die Qualität der

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Speisen. Dönerimbisse hingegen wirkten auf ihn billig. Und Ben sagte schließlich zu den Schildern: »Ja, das ist halt wieder so, genau das, was wenn du nur so imbissmäßig. Das haben wir jetzt selten gesehen bei den Arabern. Also dass sie das jetzt auch außen so vielleicht schon anpreisen mit Bildern. Ich bin der festen Überzeugung, Restaurants und Bilder, die sind nicht gut. Aber umgekehrt kann ich, also stimmt vielleicht auch nicht so, weil manchmal ist es auch ganz hilfreich, wenn man Bilder hat, dann weiß man, was man sich darunter vorstellen kann. Aber so grundsätzlich ist das irgendwie ne eingebrannte Meinung. Was soll ich sagen? Sieht nicht so ansprechend aus, natürlich, ist so ein bisschen älter auch, also altmodischer. Das hat keine Identität, könnte alles sein. Habe ich das Gefühl« (K4).

Er selbst, der erst vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen war, konnte folglich den Schildern zumindest etwas Positives abgewinnen, da sie bei der Auswahl von unbekannten Speisen halfen. Da er sich aber in der Berliner gastronomischen Kultur mittlerweile auskannte, lehnte auch er die Schilder ab und schrieb ihnen jeglichen kulturellen Gehalt ab, denn »das hat keine Identität«. Dass er die Bilder auch noch als »altmodisch« auszeichnete, zeigt aber noch etwas anderes Entscheidendes. Es deutet nämlich an, dass die Konsumentinnen und Konsumenten die Dönerimbisse nicht nur von oben herablassend betrachteten, sondern dass sie sie auch als zeitlich hinterherhinkend verorteten. Dönerimbisse waren in Bens Augen nicht mehr im Trend. Das mag auch ein Grund sein, warum Stefanie feststellte, dass die Dönerzeit nun für sie vorbei sei. Auch die für diese Arbeit interviewten Falafelimbissbesitzer wussten um diese Trendwende. So sagte der Besitzer des Sahara: »Hier die Leute, die Studenten, die hier eingezogen sind, die mögen das nicht mehr. Das gibt es so oft, so viel. Und hat sich nie weiterentwickelt. Ich glaube vor 20 Jahre war das auch so. Speisekarte mit Fotos. Pommes und Ketchup und so. Und Döner. Und ich glaube, sie wollen das nicht mehr. Und hier gibt es überall was zu essen. Türkisches Essen. Aber die Leute gehen nicht hin. Ich kenne viele junge Leute. Viele Freunde von mir. Und ich weiß, die wollen das nicht mehr. Oder Imbiss mit einem Automaten drinnen. Mit Kräutersoße oder Joghurt, das haben sie genug gegessen« (A14).

Die Falafelimbissbesitzer wussten folglich genau, dass sie sich von den weitaus präsenteren »türkischen« Imbissen in Angebot und Gestaltung distinguieren mussten, um ihre Kundschaft anzulocken. Dies war auch eine Möglichkeit, sich von dem

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schlechten Image, dass der Dönerimbiss hatte, zu lösen.16 Auch wenn der deutschkurdische Geschäftsführer (und frühere Besitzer) des Meyman dieses schlechte Image bedauerte, da er sich selbst eher einem türkisch-kurdischen Referenzrahmen zuordnete und den Döner mir gegenüber verteidigte, setze er in seinem Laden in Friedrichshain dann auch auf den Verkauf von »Schawarma« statt von Döner (A10). Bis auf ihn hatten die Falafelimbissbesitzer aber ähnliche Bewertungsmuster und Geschmacksvorlieben wie ihre Kundinnen und Kunden, wenn auch nicht in so verallgemeinernder Form. Auch sie sprachen in Bezug auf den Döner von einem »Massenprodukt« (Besitzer des Dada, A5) oder von »Ekelfleisch« (Besitzer des Habibi am Südstern, A8), wo man nicht wisse, woher das Hackfleisch kam (Besitzer des Taeb Bistro, A17). Und sowohl der Besitzer des Baharat wie auch der des Habibi am Südstern äußerten sich negativ über die Leute, die Döner essen würden, und grenzten ihren gebildeteren und kulinarischeren Kundenstamm scharf davon ab. Die Reklametafeln lehnte der Besitzer des Habibi am Südstern aus den gleichen Gründen wie seine Kundinnen und Kunden ab: »Das ist kommerziell. Geschäfte machen. Keine Kunst. Jeder macht das, mit drei, vier Sachen. Dann die Leute wissen, was hat er. Das ist Plastik« (A8). Der Besitzer eines weiteren Falafelimbisses in Kreuzberg, den ich im Rahmen meiner teilnehmenden Beobachtungen besuchte, erzählte mir im Frühjahr 2011, er würde selbst nicht »zum Türken« gehen, denn er ginge in keinen Imbiss, in dem es fotografiertes Essen, Spielautomaten und Alkohol gebe. Das sei für ihn ein Zeichen, dass der Imbiss billig sei. Er wurde dann sogar offenkundig rassistisch, als er behauptete, dass viele Türken diesen Stil voneinander nachahmen würden, weil sie nicht so kreativ wären wie die Araber. Auch wenn die anderen Verallgemeinerungen wie »die Türken« vermieden wurden, wird hier trotzdem deutlich, dass viele Falafelimbissbesitzer sehr ähnliche Geschmackspräferenzen wie ihre Kundinnen und Kunden haben. Zusammen mit ihren Kundinnen und Kunden prägten sie damit die Gentrifizierungsmilieus, in denen man sich vom Döner-Publikum weitgehend abgrenzte und den eigenen Geschmack als überlegen empfand.

16 Der Baharat-Besitzer betonte während meiner Anwesenheit im Frühjahr 2012 einem Gast gegenüber, dass sein Falafelimbiss nichts mit einem Dönerimbiss gemeinsam hätte, sondern die Qualität viel besser sei.

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Kommerz versus Kultur / Moderne versus Postmoderne Ihren fast durchwegs offen abfälligen Bemerkungen über Dönerimbisse ist zu entnehmen, dass die interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten und die Falafelimbissbesitzer eine relativ klare Trennungslinie zwischen Dönerimbissen und Falafelimbissen zogen. Diese Trennung zwischen beiden Imbisstypen machten sie an verschiedenen Aspekten fest, zum Beispiel an der unterschiedlich bewerteten Qualität des Döners oder Schawarmas oder auch an den unterschiedlichen Dekorationen der sonst sehr ähnlich aufgebauten Imbisse. Diese auf den ersten Blick »feinen Unterschiede« (Bourdieu 1987) sind in Wahrheit Ausdruck vehementer und diffamierender Abgrenzungspraktiken der Berliner neuen Mittelschicht gegenüber unteren sozialen Gruppen und damit verbundenen Einrichtungen, die nicht zu den Gentrifizierungsmilieus gezählt werden. Wie sich zeigte, wurden Dönerimbisse als Orte der Unterschicht konstruiert, in welchen sich ein männlich dominiertes und fleischzentriertes Publikum treffen würde, das eher beschränkt und unwissend sei und damit auch keinen besonderen Geschmack hätte. Falafelimbisse hingegen sind Orte für das eigene neubürgerliche Milieu, in denen auf einen »guten« Geschmack und eine Ästhetik Wert gelegt würde und man wüsste, was authentisch ist. Der Habitus der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten, die dem Ökonomischen kritisch gegenüberstehen, zeigte sich hier zugespitzt in der abwertenden Haltung gegenüber den Leuchtreklameschildern in Dönerimbissen, die gerade aufgrund ihrer offensichtlichen Werbestrategie durchgängig negativ bewertet wurden und genau aus diesem Grund als unästhetisch und damit kulturlos galten. Diese abfälligen Bewertungen treffen damit genau konträr auf die Präsentationsstrategien der Dönerimbissbetreiber. Denn für Letztere war es Teil ihrer Aufstiegspraktiken, ihre ökonomische Strahlkraft auch in der Präsentation der Imbisse zu untermauern, und das gerade, weil sie aus der kulturellen folkloristischen Ecke herauswollten, in der sie sich gefangen sahen. Auch die Reklameschilder können als Teil dieser Modernisierungsstrategie gelesen werden. Die Aussagen der interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten, die kulturelle Authentizität in ethnischen Konsumorten suchen, um sie sich selbst zuschreiben zu können, verdeutlicht, warum die Dönerimbisse wohl gerade in Gentrifizierungsmilieus so wenig Erfolg hatten. Wie schon in den anderen Kapiteln gezeigt, präferierten die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten offensichtlich als Teil dieser Milieus exotische und folkloristische Darstellungsformen nicht nur, weil sie dies von einer arabischen oder türkischen Repräsentation erwarten, sondern weil die Darstellungsformen auch den eigenen Geschmack widerspiegeln. In jedem Falle bedingt dieser Geschmack eine fortwährende Kulturalisierung und Essenzialisierung des ethnisch Anderen.

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Um diesen Geschmack zu kontextualisieren, lohnt es sich dann auch, die Aussagen der von mir interviewten arabischen Migrantinnen und Migranten Afifa (K1), Khaled (K6), Mahmud (K10) und Mouris (K11) als Kontrast heranzuziehen, deren Geschmack allein schon deshalb different war, weil sie selten bis nie in die arabischen Falafelimbisse gingen und auch der Qualität der Speisen inklusive der Schawarma nicht trauten. Hinsichtlich der Qualität von Dönerimbissen waren die vier zwar ebenso kritisch wie die interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten, differenzierten hier aber zwischen einzelnen Lokalen. So gehörte zum Beispiel mit dem Imren in Kreuzberg ein Dönerladen zu den präferierten Lokalen von Khaled und Mahmud, wo es ihrer Meinung nach das beste Schawarma in Berlin gäbe. Auch gegen die Reklameschilder hatten die vier nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Für Afifa waren diese Schilder eine vollkommen normale Werbestrategie (K1), und Khaled sagte: »Na gut, das ist ein Appetitmacher für die Leute. Wenn Sie sich das ankucken, oh, das sieht schön aus« (K6). Mahmud lobte sogar die Ästhetik: »Sieht sehr gut aus, aber ist teuer« (K10). Und Mouris stellte fest: »Ich würde sagen, vielleicht sind die Türken schicker als die Araber. Und man verkauft sich ja in Berlin. Und in Berlin musst du so was machen, um dich zu verkaufen. Hier zum Beispiel der Name des Lokals. Schön gemacht. Und dann rot. Und dann weiße Schrift« (K11). Auch Mouris nahm folglich eine ähnliche Kulturalisierung wie die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten vor, indem er zwischen »Arabern« und »Türken« in Berlin unterschied und diese Kulturen essenzialisierte, wenn er hier auch genau umgekehrt Türken über Araber stellte, was sicherlich mit seiner kritischen Haltung als christlicher ägyptischer Kopte gegenüber Araberinnen und Arabern zusammenhing. Davon abgesehen fand er es aber vollkommen normal und somit auch erstrebenswert, eine Kommerzialität als Marketingstrategie zur Schau zu stellen. »Man verkauft sich« war für ihn positiv konnotiert, nicht negativ als Akt der Verzweifelung, wie Michael (K13) das beschrieben hatte. Die Schilder wirkten auf Mahmud »teuer« (K10), nicht »billig«. An diesen Aussagen, die genau konträr zu denen der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten stehen, zeigt sich die soziale Konstruktion von Geschmack. Die Wertungen von Afifa, Mahmud, Khaled und Mouris sind natürlich nicht nur durch ihren Migrationshintergrund, sondern auch durch ihre Zugehörigkeit zu anderen sozialen Milieus in Berlin geprägt.17 Schließlich stehen sie auch im Gegensatz zu den Aussagen der Falafelimbissbesitzer.

17 So stammten Afifa und Mahmud aus einfachen sozialen Verhältnissen. Afifa lebte mit ihrer Familie in Neukölln und der Bauarbeiter Mahmud allein in Moabit. Der 50-jährige

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Die Ästhetik und damit der kulturelle Wert, den Afifa, Mahmud, Mouris und Khaled den Reklameschildern zuschrieben, verweisen aber noch auf etwas anderes, nämlich darauf, dass es immer eine Konstruktion ist, was als Ästhetik und damit Kultur wahrgenommen wird und was als Kommerz gilt. Bei näherem Hinsehen steht in der Bewertung der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten nicht nur eine kommerzielle Konstruktion der Dönerimbisse gegen eine kulturelle Konstruktion der Falafelimbisse, sondern es sind zwei verschiedene ästhetische Stile, die hier aufeinandertreffen. Aus der Diskussion über die Grenzziehung zwischen Schawarma und Döner kann gefolgert werden, dass Dönerimbisse für einen modernen ästhetischen Stil stehen. Als Inbegriff dieses Stils gilt die Fast-Food-Kette McDonald’s, auf die sich die Dönerimbissbesitzer sogar explizit bezogen und die für einen amerikanisierten modernen »way of life« steht (vgl. Caglar 1995, 222f.).18 Falafelimbisse hingegen werden als individualisiert und fragmentiert wahrgenommen und deuten damit auf einen postmodernen Stil hin (vgl. Harvey 1989, 284ff.). Zwar werden die orientalisierten Falafelimbisse – wie in Kapitel 5 und 6 erläutert – in den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten als traditionell wahrgenommen. Doch auch wenn diese Imbisse als imaginäre Gegenwelten dargestellt werden, denen wie anderen ethnischen Ökonomien auch »die Gestalt eines vormodernen, präkapitalistischen Relikts gegeben werden« (Timm 2000, 364), können sie als Teil eines postmodernen Stils gelten. Denn genau diese Nostalgie, die woanders auch als »Retro-Chic« Eingang in Trends gefunden hat, ist ein typisches postmodernes Stilcharakteristikum, wodurch man sich gegen die Fortschrittsgläubigkeit der amerikanisierten Moderne wenden möchte (Jameson 1991, 66ff.). Stattdessen besinnt man sich auf Tradition und auf die Differenz kulturgeographischer Räume zurück, wenn auch in eklektischer Form. So zeichnen sich postmoderne Konsumkulturen zum Beispiel durch eine fast alltägliche Kombination von unterschiedlichen kulinarischen Kulturen aus (Harvey 1990, 87 ff. und 302f.). Der in den Imbis-

Ingenieur Khaled bewegte sich vorwiegend in einem deutsch-arabischen Milieu in Neukölln und der Sozialpädagoge Mouris wohnte in Spandau und arbeitete in Neukölln. 18 Georg Ritzer stellte sogar die These einer »McDonaldisierung der Gesellschaft« auf, deren Grundsteine immer mehr auf Kategorien wie »Effizienz«, »Kalkulierbarkeit«, »Vorhersehbarkeit« und »Rationalität« aufbauen (Ritzer 2004). Für Mike Featherstone (1995, 8) hat diese McDonaldisierung aber auch eine kulturelle Botschaft, auf die Ritzer nur am Rande eingeht. So schreibt Featherstone: »The burger is not only consumed physically as material substance, but is consumed culturally as an image and an icon of a particular way of life.«

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sen dargestellte Orientalismus kann folglich als Bestandteil dieser postmodernen Ästhetik gelesen werden. Wie David Harvey (1989, 260ff.) feststellte, unterliegen den beiden Stilen, dem der Moderne wie dem der Postmoderne, zwei sehr unterschiedliche Umgangsweisen mit Raum und Zeit, die sich auch hier wiederfinden. Während die Moderne auf dem Fortschrittsgedanken aufbaut, verschwindet dieser mit zunehmender Mobilität und Zeitbeschleunigung in der Postmoderne und wird durch eine Rückbesinnung auf historische Zeiten und die Einzigartigkeit von geographischen Räumen ausgetauscht.19 Untermalt wird diese unterschiedliche Stilzuschreibung der Dönerimbisse zur Moderne und der Falafelimbisse zur Postmoderne durch die verschiedenen Wirtschaftsformen, die die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten den Dönerimbissen und Falafelimbissen zuordnen. Dönerimbisse werden als Produkte der Massenfertigung und des Massenkonsums wahrgenommen, während Falafelimbisse gerade aufgrund ihrer individualisierten, kleinräumigen und flexibilisierten Produktion geschätzt werden und ihnen auch deshalb Vertrauen entgegengebracht wird (vgl. Harvey 1989, 121ff.). Beide Zuschreibungen haben folglich sowohl einen wirtschaftlichen als auch einen kulturellen Gehalt, und die kulturalisierte Wahrnehmung der Falafelimbisse ist genauso eine ökonomische (vgl. Kapitel 8). Da in Berlin sowohl modern verortete Dönerimbisse als auch postmodern verortete Falafelimbisse existieren, sollten hier Moderne und Postmoderne weniger als zeitlich aufeinanderfolgende Epochen gesehen werden, wobei die Postmoderne die Moderne abgelöst hat. Vielmehr sind sie kulturelle Referenzsysteme, die nebeneinander bestehen. David Harvey (1989, 338) benannte »modernism and postmodernism as static reifications imposed upon the fluid interpenetrations of dynamic oppositions«, und schrieb, dass der Grad der Ausprägung des einen oder des anderen Systems von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort unterschiedlich sei, je nachdem welche Konfiguration am profitabelsten sei (ebd., 344). In Berlin sind postmoderne und moderne Stile dabei nicht nur unterschiedlich im Raum verteilt, sondern sie werden auch unterschiedlichen sozialen Gruppen zugeschrieben. Den Diskussionen um die Postmoderne eine klassenbasierte Analyse hinzuzufügen, haben schon Mike Featherstone (2007, 85ff.) und Scott Lash (1990, 237ff.) vorgeschlagen. In Anlehnung an die Arbeiten von Pierre Bourdieu (1974, 1983, 1987)20 identifizierten sie bestimmte soziale Trägergruppen, die die postmodernen

19 Das heißt aber im Übrigen seiner Meinung nach nicht, dass die Postmoderne eine vollkommen neue Epoche ist, sie ist nur eine Intensivierung des modernen Kapitalismus (ebd.). 20 Auch wenn es in den Arbeiten von Pierre Bourdieu keinerlei Bezug zur Moderne und Postmoderne gibt, identifizierte Scott Lash (1990, 237ff.) verschiedene Aspekte, wie

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Konsumkulturen vorantrieben und damit die Propagandistinnen und Propagandisten des kulturellen Kapitalismus (Neckel 2005) der gegenwärtigen Zeit waren.21 Mike Featherstone zufolge war es unter anderem das von Pierre Bourdieu beschriebene neue Kleinbürgertum, das schon in Kapitel 3.3 als Vorbild für den Habitus der Gentrifizierer in Berlin herangezogen wurde und sich durch hedonistische ästhetisierte Konsumpraktiken auszeichnete, um ihr kulturelles Kapital zu unterstreichen. Und Scott Lash (1990, 250f.) verband die Trägergruppe, die er als »post-industrial middle classes« beschrieb, direkt mit den Gentrifizierungsprozessen. Gentrifizierer sind damit Postmodernisierer. In der Tat verorten sich auch die im Umfeld der Falafelimbisse präsenten Akteurinnen und Akteure als postmodern und nutzen diese eigene kulturelle Referenz, um sich so vom Dönerimbiss-Milieu abzugrenzen, das sie als »altmodisch« (Ben, K4) empfanden. Auch hier können diese Bewertungen durch Aussagen anderer Interviewpartner kontrastiert werden, fand doch beispielsweise der Besitzer des von arabischen Migrantinnen und Migranten gut besuchten Schnellrestaurants City Chicken in Neukölln (siehe Textkasten im Kapitel 8), der ähnlich wie die Dönerimbisse auf eine moderne Gestaltung mit Leuchtreklame setzte, seine an McDonald’s angelehnte Gestaltung überhaupt nicht altmodisch, sondern auf dem neuesten Stand: »Das wird immer modernisiert. [...] Wir gucken immer auf die Modernisierung. Wir machen immer, wir fügen immer aktuelle Sachen ein, damit es aktueller wird« (A4). Für ihn

Bourdieus Arbeiten für die Diskussion zur Moderne/Postmoderne fruchtbar gemacht werden können. Neben der Identifizierung einer postmodernen Trägergruppe schlug Lash zum Beispiel vor, die Durchdringung der Ästhetisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen als De-Differenzierung der in der Moderne von Bourdieu definierten getrennten Felder zu lesen (ebd., 252). 21 Durch ihre Geschmacksvorlieben und ihre ästhetisierten Konsumpraktiken können sie als die Vorreiter eines flexibilisierten Spätkapitalismus gesehen werden: »The post-industrial middle classes produce symbols which help realize the value of other smybols« (Lash 1990, 251). Es waren und sind genau ihre Konsumpraktiken, die der symbolischen Ökonomie zum Durchbruch verhalfen, denn als kulturschaffende Gruppe waren und sind sie diejenigen, die den Geschmack für eine breitere Gesellschaft formulieren. Auch wenn sich folglich gerade die frühen Akteurinnen und Akteure in der Gentrifizierung – durch die Idealisierung von Kultur bei gleichzeitiger Zurückweisung des Kommerzes – gegen ein wirtschaftliches System gerichtet sehen, stehen sie im Zentrum der spätkapitalistischen Verwertung. Kultur und Ökonomie sind im Postfordismus zwei Seiten derselben Medaille und durchdringen sich gegenseitig (siehe Kapitel 8).

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war folglich ein an den Fortschrittsgedanken angelehnter Dekorationsstil durchaus erstrebenswert. Als weiteres Beispiel dient eine Aussage der interviewten Deutsch-Palästinenserin Afifa aus Neukölln (K1). Sie frequentierte zwar keine Falafelimbisse in Berlin, äußerte mir gegenüber aber – wie die Falafelkonsumenten auch – eine Präferenz für traditionelle Einrichtungsstile, die sie aus dem Libanon kannte. Der entscheidende Unterschied war aber, dass sie diese Präferenz ganz anders bewertete: »Alte Zeiten, ich glaube, ich bin zurückgeblieben« (K1). Sie nahm sich selbst folglich eher als zeitlich hinterherhinkend wahr. Die aus dem Gentrifizierungsmilieu stammenden Konsumentinnen und Konsumenten sahen sich hingegen gerade in ihrer Vorliebe für das Historische (durch das Bewohnen von Altbauten) oder ihren Konsum traditioneller Kulturen als Vorreiter eines neuen Trends. Die Akteurinnen und Akteure im Umfeld der Falafelimbisse verorteten sich folglich nicht nur symbolisch über statusniedrigeren Gruppen, sondern sie verorteten sich auch den anderen zeitlich voraus. Mit dieser gefühlten ästhetischen Überlegenheit legitimierten sie ihre kommerziellen Orte sowohl in der Gegenwart wie auch in der Zukunft und eigneten sich den konsumtiven Raum in den Gentrifizierungsvierteln an, während sie anderen Einrichtungen – wie zum Beispiel den unterschichtskonnotierten Dönerimbissen – das Recht auf das Stadtviertel implizit absprachen (Zukin 2010, 3). Dies fand sich auch bei Stefanies Aussage wieder: »Also ich finde halt auch, dass die arabischen Imbisse sich super in den Kiez eingliedern, also die sind ja so Teil der Sache und nicht einfach nur so: Wir machen jetzt mal für ein Jahr ein Döner auf und dann kommt ein Cousin und übernimmt was. Und macht dann ne neue Bewirtschaftung draus. So wie man das bei Dönerimbissen ja oft sieht« (K17).

Auch wenn Dönerimbisse teilweise in den Gentrifizierungsvierteln präsent sind, wurden sie nicht als legitimer Teil dieser Stadtviertel anerkannt. Das manifestierte sich dann auch mit der Zeit räumlich. So fand sich im Juli 2012 auf der Kastanienallee im Prenzlauer Berg zum Beispiel kein Dönerimbiss mehr, während es dort fünf Falafelimbisse gab. Das Beispiel der Dönerimbisse zeigt, wie Geschmack zu einem »tool of power« (Zukin 2010, 3) der neuen Mittelschicht wird, die ihr gesellschaftlich anerkanntes kulturelles Kapital nutzt, um sich Stadtviertel als ihre eigenen anzueignen. Der von Peter Marcuse (1985, 207) identifizierte »displacement pressure«, nämlich die soziale Exklusion von längeransässigen Bewohnerinnen und Bewohnern, führt damit schleichend zu der physischen Verdrängung dieser Gruppen und ihrer Einrichtungen. Im gegenwärtige Berlin werden Dönerimbisse auch nicht mehr in den Gentrifizierungsvierteln verortet. Florian sah den charakteristischen und damit legitimen Ort für die Dönerimbisse eher auf der unterschichtskonnotierten Sonnenallee in Neukölln, die er wie folgt abwertend beschrieb: »Ja, genau, das sieht alles gleich

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aus im Endeffekt. So mehr oder weniger. Zumindest jetzt die türkischen Imbisse. Ein Freund, der da auch wohnt, sagt dann auch dementsprechend, es ist halt schwierig, außerhalb von Döner irgendwas zu finden« (K7).22 Damit spiegelt die Abgrenzung zwischen den guten Falafelimbissen und den schlechten Dönerimbissen auch die Dichotomisierung zwischen dem »Mythos Kreuzberg«, der als der authentische Ort der Falafelimbisskultur gesehen wird, und der »Endstation Neukölln« wider, wo vorwiegend die Dönerimbisse verortet werden. Laut Stephan Lanz dienen Kreuzberg und Neukölln »als widerstreitende symbolische Projektionsflächen für alle Debatten und Imaginationen über den städtischen Immigrationskomplex« (Lanz 2007, 251). Auch die Akteure im Umfeld der Falafelimbisse wirken im Alltag durch die Abgrenzung der Dönerimbisse von den Falafelimbissen an diesen Konstruktionen mit, die gleichwohl zwei Seiten der Ethnisierung sind, indem nämlich zwischen guten konsumförmigen Kulturen und schlechten bedrohlichen Kulturen unterschieden wird. Es bleibt festzuhalten, dass Dönerimbisse aufgrund ihrer unterschichtsbezogenen, modernen Assoziierung nicht als Teil der »Geschmackslandschaft« (Lindner 2003) in der Berliner Gentrifizierung wahrgenommen wurden – trotz ihrer teilweise physischen Präsenz. Hier verläuft eine klare Abgrenzung zwischen den präferierten neubürgerlichen arabischen Falafelimbissen und den abgelehnten unterschichtskonnotierten türkischen Dönerimbissen. Die häufig diffamierenden Äußerungen sowohl der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten als auch der Falafelimbissbesitzer gegenüber den Dönerkonsumentinnen und -konsumenten waren dabei Ausdruck von klaren Klassenkonstruktionen. Auch wenn die neue Mittelschicht in Berlin sich in ihrem Anspruch als bewusst tolerant und jenseits einer Schichtzugehörigkeit verortet, zeigt dieses Beispiel, wie sie in ihren Praktiken ganz klar ihre soziale Zugehörigkeit reproduziert (Bourdieu 1987, 581). Die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten nutzten die von ihnen gezogenen feinen Unterschiede darüber hinaus, um sich gegenüber Nicht-Berlinerinnen und -Berlinern abzugrenzen. Denn die feinen Unterschiede zwischen Dönerimbissen und Falafelimbissen mussten erst erlernt werden, wofür ein lokalisiertes milieuspezifisches Wissen vonnöten war.

22 Nur langsam würde sich laut Florian dort auch ein Wandel vollziehen, in dem es seiner Meinung nach eine anspruchsvollere Gastronomie gäbe. Dass sich auch die Stile in den neu eröffneten Bars mit ihrem Retro-Chic und den Flohmarktmöbeln in Neuköllnwiederholten und auf Andere zum Verwechseln ähnlich wirken konnten, nahm er hier nicht wahr. Für ihn waren sie ästhetisch wertvoller.

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FEINEN

U NTERSCHIEDE KENNENLERNEN – W ISSEN ALS D ISTINKTION

LOKALISIERTES

Wie in der Einleitung dieser Arbeit kurz beschrieben, waren die meisten der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten erst in Berlin auf den Geschmack der Falafel gekommen, die sie dann in ihre alltäglichen kulinarischen Praktiken integrierten. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie die Falafel vorher nicht schon probiert hätten. Florian und Annika zum Beispiel kannten die Falafel bereits aus ihrer Herkunftsregion in Westdeutschland, allerdings in der industriell gefertigten Form, die dort in Dönerimbissen vertrieben wurde. So erzählte Annika über ihre erste Berührung mit der Falafel in Kassel: »Es gab immer einen kleinen Stand in der Innenstadt, wo es auch Döner gab und so. Und die hatten irgendwann dann plötzlich Falafel. Und da hab ich das mal probiert. Hat mir aber nicht besonders gut geschmeckt und war auch ziemlich teuer« (K2). Und Florian berichtete über seine ersten Erfahrungen: »Das war 98, 99 im Ruhrgebiet. Mit Beginn des zweiten Bildungswegs, irgendwann mal. Aber dazu muss man sagen, dass es da bei den dortigen Dönerläden diese Falafel gab, die da schon formfertig war. Diese trockenen, mit Fett vollgesogenen, nicht so leckeren. Also die erste richtige Falafel hatte ich dann erst in Berlin« (K7). Auf die »richtige« Falafel, die sie beide nachhaltig überzeugte, waren sie in Berlin gestoßen. Nach ihrer Ankunft hatten sie folglich allmählich die feinen Unterschiede zwischen den arabischen Imbissen und den türkischen Dönerimbissen kennengelernt, die sie später dann vehement betonten. Dafür mussten sie aber erst mit den in den Berliner Gentrifizierungsvierteln präsenten kulinarischen Kulturen vertraut werden, was eine Zeit dauerte. So erzählte Annika zum Beispiel, dass sie ein Jahr lang zum gleichem Falafelimbiss am Rosenthaler Platz in Mitte gefahren wäre, bis sie gemerkt hätte, »dass die Stadt voll davon ist, und es woanders sogar noch besser schmeckte« (K2). In der Tat waren die Differenzierungen, die die von mir interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten zwischen Falafelimbissen und Dönerimbissen zogen, umso größer, je länger sie in Berlin wohnten und sich in den Gentrifizierungsvierteln bewegten. Stefanie zum Beispiel, die in Ost-Berlin aufgewachsen war und seit über zehn Jahren im Prenzlauer Berg wohnte, sagte zur Diskussion über Falafel- und Dönerimbisse: »Da hast du ganz viele Unterschiede« (K17), und auch der seit 2002 in Berlin Kreuzberg wohnende Michael sagte, »Ich mach da einen großen Unterschied zwischen Dönerimbissen und Falafelläden« (K13). Die holländische Austauschstudentin Sarah hingegen, die erst seit neun Monaten in Friedrichshain lebte, beschrieb Falafelimbisse, indem sie sie mit Dönerimbissen gleichsetzte: »Das sind einfach diese Läden, wo man Döner oder so kauft. Also

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diese Imbisse. Und zum Essen. Also ich würde auch sagen, es ist wie ein Döner, also mit Salat und mit so Soßen, aber dass es vegetarisch ist und mit Kichererbsen, und dass es gut schmeckt« (K16). Ben, der ebenfalls erst seit einem guten halben Jahr aus der Schweiz nach Friedrichshain gekommen war, sagte sogar selbstreflektierend: »Für mich als Unwissenden sind die türkischen und arabischen Imbisse sehr ähnlich. Also erstens das Essen. Also dieses Brot oder diese Brottaschen. Und die Füllung wird dann in diese Taschen gestopft. Meist mit Fleisch und Gemüse« (K4). Im Verlauf des Interviews fiel ihm dann aber auf, dass die arabischen Imbisse im Gegensatz zu den türkischen Imbissen keinen Alkohol anbieten würden, weswegen er erstere für konsequenter hielt. Und schließlich stellte er hinsichtlich seiner Konsumpraktiken fest: »Ich hab mir das mal überlegt. Das Schawarma hat den Döner so ein bisschen ersetzt so im Moment. Also früher bin ich dann immer Döner essen gegangen, wenn ich was so auf die Schnelle und was Leckeres haben wollte. Heute ist es Schawarma« (K4). Wie Bens Selbstreflexion deutlich macht, benötigt man ein bestimmtes Alltagswissen, das Teil des Erfahrungshorizonts in den Berliner Gentrifizierungsmilieus (vgl. Dörfler 2010, 120) ist und das man sich erst mit der Zeit aneignen konnte. Für das Kennenlernen der Falafelimbisskultur spielten dabei zunächst soziale Netzwerke in Berlin eine wichtige Rolle. So erzählte Florian, wie er der Falafel nach seiner Erfahrung im Ruhrgebiet noch einmal eine zweite Chance gegeben hatte: »Aber ich wollte es einfach noch mal probieren, weil man sagt, arabisch muss man einfach mal ausprobieren, weil's einfach geiler ist. Das war mir durchaus noch nicht bekannt davor. Aber dann war ich in der Uni. Und dann lernt man Leute kennen und geht was essen und was trinken, und dann habe ich das so erfahren« (K7). Patricia wiederum hatte ihre erste Falafel in Schöneberg zusammen mit einem Freund gegessen: »Das war in der Akazienstraße. Ein Freund hat mich hingebracht, wir haben es gegessen. Mir hat's super geschmeckt, ich kannte es vorher nicht« (K15). Und Kristin hatte die Falafel im Sanabel-Imbiss in Friedrichshain durch ihre Schwester und deren Freunde kennengelernt, als sie nach Berlin gekommen war: »Also das war damals so die Bezugsgruppe, und die waren da öfters. Und die haben gesagt, da ist es gut« (K8). Diese Gruppe hätte sie dann auch auf den Unterschied zwischen Döner und Schawarma aufmerksam gemacht. Als Wissensvermittler für den Berlin-spezifischen Geschmack dienten darüber hinaus die Imbissverkäufer selbst. Ben erzählte zum Beispiel von seinem ersten Besuch beim Falafelimbiss: »Ich habe dann nachgefragt, was denn das ist. Als ich das erste Mal am Prenzlauer Berg in diesem arabischen Imbiss war und ich nicht wusste, was ich essen soll. Und da habe ich mich dann bei den Verkäufern erkundigt. Und die sagten, dass das Schawarma so ein bisschen wie Döner ist, aber doch anders« (K4). In der Tat erzählten die Falafelimbissbesitzer, dass es vor einigen Jahren noch viele Fragen bezüglich der Gerichte gegeben hätte. Laut dem Sanabel-Besitzer gab

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es, als er seinen Imbiss 1998 in Friedrichshain eröffnete, auch noch viele Verwechslungen: »Manchmal wollten die Schawarma, haben sie gesagt, sie wollten Falafel. Haben wir Falafel gemacht, haben sie gesagt: Nein, ich wollte aber vom Fleisch. [Lacht.]« (A16). Heute ist dies aber laut den Besitzern nicht mehr nötig, da die meisten Kundinnen und Kunden in Berlin die angebotenen Speisen – zumindest jedoch Falafel, Schawarma und Halloumi – kennen würden. Nur der Nil-Besitzer fügte lachend hinzu: »Nur die Bayern, die kennen das nicht« (A12). An diesem Kommentar des Nil-Besitzers wird deutlich, dass das Erfahrungswissen in Bezug auf die Falafelimbisskultur in Berlin auch als Grenzziehung gegenüber Personen fungiert, die als den Gentrifizierungsmilieus (noch) nicht zugehörig angesehen werden. Diese Abgrenzung nach außen hin spielt in Berlin gerade deshalb eine Rolle, da die Gentrifizierungsviertel hohe Zuwachsraten an jungen innerdeutschen Migrantinnen und Migranten aus der Mittelschicht erlebt haben, insbesondere aus den westlichen Bundesländern. Das galt schon für Kreuzberg und Schöneberg in den achtziger Jahren (Lang 1998). Mit dem Fall der Mauer intensivierten sich die Migrationsströme dann nochmals (z.B. Dörfler 2010).23 Darüber hinaus zogen in den vergangenen Jahren viele internationale Migrantinnen und Migranten aus europäischen Staaten oder den USA aufgrund Berlins Image als »Subkulturmetropole« (Lanz 2007, 188) zu. Um als Zugezogene oder Zugezogener als Teil der Berliner Milieus in Gentrifizierungsvierteln anerkannt zu werden und sich dort seinen symbolischen wie physischen Platz zu legitimieren, musste man sich folglich erst das dort verortete Alltagswissen aneignen. Dieser Prozess der allmählichen Aneignung des Stadtviertels durch die Alltagspraktiken kann an Marions Erzählungen nachvollzogen werden. Marion, die 2004 von Wien nach Berlin gezogen war, konnte sich noch genau an ihre erste Falafel erinnern: »Weil damals war man mit einer Gruppe unterwegs und die haben dann gesagt: ›Jetzt gehen wir Falafel essen‹. Und dann wollte man nicht die Doofe sein, die dann sagt: Falafel? Was ist das? [Lacht.]« (K12). Da sie die Falafel als Neu-Berlinerin nicht kannte, imitierte sie ihre neuen Freundinnen und Freunde in den Konsumpraktiken, um als Teil der Gruppe wahrgenommen zu werden. Der nächste Schritt war dann für sie, alleine etwas zu bestellen. So erzählte sie weiter:

23 Die Zuzugsphänomene führten auch zu vehementen und teils rassistisch gefärbten Abgrenzungspraktiken, die sich insbesondere unter dem Begriff »Schwabenhass« (Dückers 2012) im Prenzlauer Berg entluden. Denn die Nachgezogenen wurden für die zunehmende Aufwertung und Preissteigerung des Viertels verantwortlich gemacht, wobei hier natürlich – analog zum Gentrifizierungsprozess – galt, dass immer diejenigen verantwortlich gemacht wurden, die zeitlich nach einem selbst nach Berlin gezogen sind.

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»Wie ich dann die ersten paar Male da war, da kann ich mich noch dran erinnern, dass ich mir gedacht habe: Aha. Weil für mich war das alles ganz neu. Da habe ich mir gedacht, so jetzt gehe ich da mal rein und bestelle mir das, und die anderen Gäste sind alle reingekommen und haben schon genau gewusst, was sie wollten. Die haben schon voll gewusst, wie was heißt und so. Das waren halt voll die Coolen« (K12).

Sie entschied sich dann für ihr erstes Halloumi-Sandwich, das sie auch heute noch oft bestellen würde. Wie ihre Aussagen deutlich machen, war für sie folglich die Einführung in die Falafelimbisskultur – neben vielen anderen Praktiken – auch eine Einführung in die Berliner Gentrifizierungsmilieus gewesen. Heute würde sie sich sicher und selbstbewusst in diesen Milieus bewegen. Für die Abgrenzung von bestimmten Milieus nach außen spielte nicht nur das bloße Alltagswissen über die Spezifik der Falafelimbisskultur und ihrer Speisen eine Rolle, sondern es war folglich sogar eine Form von »praktischem Sinn« (Bourdieu 2001, 234ff.), ein »inkorporiertes praktisches Wissen« (Reckwitz 2003, 292), das dabei antizipierend regulierte, was man wie in den Imbissen zu machen hatte und einem half, sich selbstbewusst in den Gentrifizierungsmilieus zu bewegen. Dieser praktische Sinn war damit Teil des Habitus der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten. Da dieser in Berlin lokalisiert war, fungierte er hier auch als Form eines »residenziellen Kapitals« (vgl. Dirksmeier 2010, 454ff.). Schon Pierre Bourdieu hatte in seinem Aufsatz zu den Ortseffekten (1997, 165) diejenigen Eigenschaften für die legitime Besetzung eines Ortes herausgehoben, »die sich nur durch die langfristige Besetzung dieses Ortes selbst und den kontinuierlichen Kontakt zu seinem legitimen Bewohnern erwerben lassen.« Laut Peter Dirksmeier spielen hierfür die sozialen Kontakte vor Ort eine bedeutsame Rolle (Dirksmeier 2010, 455). In der Tat nutzten auch die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten dieses inkorporierte praktische Wissen, um sich gegenüber Neuzugezogenen, insbesondere aber gegenüber den in den Gentrifizierungsvierteln äußerst präsenten Touristinnen und Touristen abzugrenzen, die aufgrund ihrer kurzen Aufenthaltszeit wenig Chancen hatten, sich dieses Wissen anzueignen. Auch wenn die Touristinnen und Touristen ähnliche Hintergründe wie die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten hatten – so waren sie überwiegend ebenfalls der groben Zielgruppe »Weiß, jung, gebildet« zuzuordnen –, stieß die zunehmende Präsenz der oft jungen Touristinnen und Touristen in den Gentrifizierungsvierteln auf Seiten der alteingesessenen Bewohnerinnen und Bewohner zunehmend auf Ablehnung. Touristinnen und Touristen wurden gemeinhin als Eindringlinge in die lokale Lebenswelt wahrgenommen,

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die die Authentizität der Stadtviertel zerstörten (Maier 2005).24 Dies zeigte sich auch exemplarisch an Falafelimbissen. So sagte Anton zum Beispiel über den Ali Baba-Imbiss im Stadtteil Prenzlauer Berg, der sowohl Schawarma als auch Döner anbot: »Der wird von Touristen eingefallen, weil er der erste Laden am Platz ist. Und was ich da nicht so mag, da läuft Kiss Fm. Und nur Touristen« (K3). Eine Distinktion gegenüber Touristinnen und Touristen wurde dann von den Berlinerinnen und Berlinern stolz nach außen getragen, denn so konnten sie ihr eigenes Milieu für sich behaupten und ihren eigenen Anspruch auf das Viertel unterstreichen. Ein Konsument mit dem Pseudonym »looker« schrieb zum Beispiel im Internetforum qype.com im Januar 2012 über den Falafelimbiss Oase in Friedrichshain: »Aus Versehen verläuft man sich hierher nicht. Eigentlich schreckt der äußere Eindruck sogar eher ab. Sehr gut für mich, denn das Touristenvolk geht nebenan in die Gammelhack-Dönerbude oder eben gegenüber, wo man genau das gleiche hochgradig widerliche Angebot in der Brottasche gereicht bekommt«.25 Und auch die von mir interviewte Konsumentin Patricia sagte zum Habibi-Imbiss in Schöneberg: »Du kennst jemand, der bringt dich mit, so funktioniert das. Entdecken, glaube ich, ist wirklich schwierig für Touristen. Da muss man schon wissen, oder so ein bisschen Kenner sein, sage ich mal« (K15). Auch wenn Touristinnen und Touristen sich folglich in den gleichen Stadtvierteln bewegten, nutzten die dort präsenten Gentrifizierungsmilieus ihre Konsumpraktiken, um sich von ihnen abzugrenzen. Die Grenzen waren hierbei natürlich sehr fließend, denn der eigene Besuch, der in die Stadt als Touristin und Tourist kam, wurde wiederum – oft nicht ohne Stolz – in die Falafelimbisskultur eingeführt, wie ich während meiner Besuche in zahlreichen Unterredungen in Imbissen erleben konnte. Trotz der Distinktionsbemühungen werden Falafelimbisse gegenwärtig an bekannten touristischen Sehenswürdigkeiten oder in gut besuchten Straßenzügen von einer großen Zahl von Touristinnen und Touristen besucht. Die Besitzer, für die diese eine zusätzliche Einnahmequelle bedeuten, stellen sich auf die touristische Kundschaft ein, indem sie zum Beispiel englische Menükarten anbieten. Für die meisten touristischen Konsumentinnen und Konsumenten sind die Falafel und das Schawarma auch kein neues kulinarisches Gut mehr, das sie erst in Berlin entdecken. Denn im Zuge der kulinarischen Globalisierung ist die Falafel nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen metropolitanen Konsumlandschaften außerhalb des Nahen Ostens weitverbreitet. Zudem wird die Falafel mittlerweile weltweit als fe-

24 Dies führte teilweise auch zu politischen Protesten. Unlängst organisierte die Partei »Bündnis 90/Die Grünen« im Kreuzberger Wrangelkiez eine Bürgerversammlung unter dem Slogan »Hilfe, die Touris kommen« (Posener 2011). 25 http://www.qype.com/place/88526-Oase-Berlin (Stand: 10.08.2012).

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ster Bestandteil der kulinarischen Praktiken in Backpacker-Kulturen gefunden.26 Für deutsche Touristinnen und Touristen, die Falafel oder Schawarma noch nicht auf internationalen Reisen begegnet waren und sie nur teilweise aus ihren Heimatstädten kannten, waren wiederum die zahlreichen Einträge in Reiseführern (z.B. Maurer 2009; Schulte-Peevers/Parkinson 2006; Bombosch 2006) oder Internetblogs eine Hilfestellung.27 Allein in der deutschen Ausgabe des Lonely Planet (SchultePeevers/Parkinson 2006) waren sechs Falafelimbisse aufgelistet. Der Lonely Planet machte auch auf die in Berlin betonten Unterschiede zwischen Döner- und Falafelimbissen aufmerksam, als er zum Beispiel die Beschreibung des Habibi-Imbisses mit den Worten: »Wer das allgegenwärtige Dönersandwich über hat« (ebd., 200) einleitete. Die Bedeutung des residenziellen Kapitals (Dirksmeier 2010) als spezifische lokalisierte Wissensressource nahm folglich mit dem zunehmenden Bekanntheitsgrad der Falafelimbisskultur in und außerhalb von Berlin ab und verlor damit seine exklusive Funktion. Das residenzielle Kapital spielte aber als »inkorporierte soziokulturelle Eigenschaft des Raumes« (Dirksmeier 2010, 455) auch mit zunehmender kultureller Globalisierung weiterhin eine bedeutsame Rolle. Wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird, hat sich in den Berliner Gentrifizierungsvierteln eine lokal spezifische Geschmackslandschaft herausgebildet, in die die Falafelimbisse eingebettet sind.

26 So gab es die Falafel zum Beispiel in Backpackerorten in Guatemala oder in Mexiko auf der Speisekarte. Auch die Konsumentinnen und Konsumenten erzählten, dass sie die Falafel auf Kuba oder in Thailand gegessen hatten. 27 Beispiel hierfür ist der Blog gridskipper »Maps and News for Urban Travellers«, in dem die fünf besten Falafelläden Berlins genannt werden. http://gridskipper.com/archives/entries/062/62023.php (Stand: 13.08.2012).

10 Berlins Transkulturalität als Distinktionsfläche

Zu den alltäglichen Essenspraktiken in den Berliner Gentrifizierungsvierteln gehört mittlerweile wie selbstverständlich der Konsum ganz unterschiedlicher kulinarischer Kulturen. Arabisch konnotierte Falafelimbisse sind nicht die einzigen Manifestationen kultureller Diversität. Fester Bestandteil der kommerziellen Landschaft am Prenzlauer Berg, in Friedrichshain, in Mitte, in Schöneberg und in Kreuzberg sind zum Beispiel auch indische Restaurants, japanische Sushi-Lokale, Burgerläden oder vietnamesische Imbisse.1 Diese konsumierbare ethnische Vielfalt ist an sich kein alleiniges Merkmal Berlins, denn sie manifestiert sich gegenwärtig nahezu weltweit in urbane Konsumlandschaften. Sie ist Ausdruck der intensivierten kulturellen und ökonomischen Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte sowie der wachsenden Bedeutung von kulturell kodierten Konsumgütern im postfordistisch geprägten Spätkapitalismus. Nun scheint es aber doch einen entscheidenden qualitativen Unterschied zwischen Berlin und beispielsweise anderen deutschen Großstädten zu geben. So schrieb Regina Römhild (2003, 15) über Frankfurt am Main: »In der Konkurrenz mit Sushi und Wolkenkratzern tragen Apfelwein und Fachwerk den Sieg davon: Das Lokale, so scheint es, zähmt das Globale.« In Berlin hingegen musste die seit 14 Jahren in Schöneberg wohnende Patricia (37) lange suchen, bevor sie ihren Freundinnen, die aus ihrer Herkunftsstadt in Bulgarien zu Besuch nach Berlin kamen, eine vermeintlich traditionelle berlinerische Küche zeigen konnte (K15). Das Lokalspezifische der kulinarischen Landschaft Berlins – zumindest was die Gentrifizierungsviertel betrifft – scheint hingegen gerade das Nebeneinander von ver-

1

Hierauf weisen zum Beispiel die Einträge im Reiseführer »Berlin exotisch. Kulturen, Küchen, Klubs« (Goridis 2008) hin, der die kulturelle Vielfalt in Berlins gastronomischer Landschaft vermarktet.

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schiedenen ethnisierten (Ess-)Kulturen zu sein. Doch auch wenn dieser erlebbare oder zumindest konsumierbare Alltagsmultikulturalismus das Image Berlins nach innen wie nach außen prägt (Lanz 2007, 192ff.), so entpuppt sich die scheinbar diverse kulinarische Landschaft bei genauerem Hinsehen als relativ uniform: So wiederholen sich bestimmte Attribute wie zum Beispiel reichhaltige Salatbeilagen, große Portionen zu billigen Preisen oder die Betonung des vegetarischen Angebots und bedienen den Geschmack der Berliner Gentrifizierungsmilieus. Auch arabische Imbisse haben sich auf diese Geschmacksvorlieben eingestellt, weswegen die Servierung der Falafel ihre Berliner Variante gefunden hat, die es in dieser Form nur selten in anderen Metropolen zu finden gibt. In Berlin hat sich damit eine lokalspezifische Geschmackslandschaft (Lindner 2003; Lindner/Musner 2005) herausgebildet. Im folgenden Kapital wird untersucht, wie die Falafelimbisskultur in eine berlinspezifische Geschmackslandschaft der Gentrifizierung eingebettet ist. Dabei stellt sich auch die Frage, wie eine städtische Eigenart in einer spätmodernen, globalisierten und gleichzeitig nach innen hin fragmentierten Stadtstruktur zu deuten ist. Im ersten Teil werden zunächst die kulinarischen Praktiken der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten beleuchtet. Durch das fast alltägliche Kombinieren verschiedener Esskulturen reproduzieren sie das Image Berlins als multikulturelle Metropole, das allerdings äußerst selektiv ist. Denn es bezieht sich auf konsumtiv-angeeignete Stadtteile, die als besonders berlintypisch wahrgenommen werden, während andere Nachbarschaften hier ausgeklammert sind. Anschließend wird anhand des Angebots in Falafelimbissen gezeigt, wie stark das scheinbar multi-kulturelle Angebot hybridisert und damit trans-kulturalisiert ist. Es eröffnet sich ein Feld von verschiedenen Eigenschaften – billig; gesund; vegetarisch; authentifiziert – das auf Dispositionen verweist, die sowohl die Berliner Konsumentinnen und Konsumenten in ihren Habitus inkorporiert haben, die aber auch in das Habitat, den städtischen kommerziellen Raum eingeschrieben sind. Diese Eigenart wird dabei zu einem Vehikel der Distinktion der Gentrifizierungsmilieus, durch die andere soziale Gruppen in Berlin marginalisiert werden. Die Eigenart ist folglich nicht einfach Resultat einer historischen Kulturgenese, sondern sie wird auch gegenwärtig durch bestimmte Trägergruppen konstruiert, zu denen vor allem die Gentrifizierungsmilieus gehören. Diese durch ihren Habitus geprägte Eigenart Berlins nutzen die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten dann, um sich von anderen Regionen (insbesondere in Deutschland) abzugrenzen, was im letzten Teil dargelegt wird. Die Konsumentinnen und Konsumenten schreiben sich dabei selbst einen »sense of cosmopolitanism« (Rofe 2003, 2521) zu, indem sie ihre Fähigkeit im Umgang mit kultureller Diversität zur Schau stellen. Ihr eigenes Kosmopolitentum ist dabei auf die Multikulturalisierung der Falafelimbisse und anderer migrantischer Ökonomien angewie-

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sen, funktioniert sie doch nur durch die Vorstellung der Existenz authentischer (Ess-)Kulturen. Hier wird die das Feld der Falafelimbisse durchziehende Machtasymmetrie reproduziert. Denn während die Falafelkonsumenten sich als Kosmopoliten begreifen, bleiben die Falafelimbissbesitzer in den ihnen zugeteilten statischen Kulturcontainern verhaftet.2

D ER B ERLINER A LLTAGSMULTIKULTURALISMUS – K ULINARISCHE P RAKTIKEN IN DEN A UFWERTUNGSVIERTELN Die interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten gingen nicht nur gerne in Falafelimbisse, sondern aßen generell oft in gastronomischen Betrieben. Das Angebot dazu war in Berlin gegeben, das sich durch eine hohe Dichte an Restaurants und Imbissen auszeichnete. So erzählte Anton (K3), dass er fast ausschließlich außer Haus essen würde; und Annika (K2) meinte sogar, dass sich aufgrund der günstigen Preise in Berlin das Kochen zuhause nicht lohnen würde. Für Michael war das Außer-Haus-Essen darüber hinaus ein Erlebnis, das er genoss: »Also ich würde es jetzt nicht gerade Leidenschaft nennen, aber es ist schön irgendwie, verschiedene Sachen zu essen und auszuprobieren« (K13). Michael besuchte dabei diverse Lokale, wie folgende Karte (Abbildung 16 ) zeigt. Die Karte beruht auf einer Skizze, die ich jeweils am Anfang der Konsumenteninterviews anfertigen ließ, um einen Einblick in Konsumgewohnheiten und Aktionsräume zu erhalten und gleichzeitig Gespräche über bestimmte Einrichtungen oder Stadtviertel zu initiieren. Der 30-jährige Journalist Michael war vor drei Jahren aufgrund eines Stellenangebots von München nach Berlin gezogen und wohnte mit seiner Freundin in einer Wohnung in Kreuzberg. Den ihm durch kurze Aufenthalte vertrauten Stadtteil Kreuzberg hatte er sich bewusst ausgesucht, da er die Heterogenität und die Atmosphäre dort schätzte. Seine Vorliebe für Kreuzberg spiegelte sich dabei in seinen kulinarischen Praktiken wider. So verbrachte er einen Großteil der Freizeit in seiner Wohnumgebung und schätzte dort das Angebot an Imbissen, Restaurants, Bars und Kneipen. In Berlin-Mitte, wo er arbeitete, besuchte er ebenfalls fast täglich Imbisse zur Mittagspause. Darüber hinaus fuhr er ab und an in seiner Freizeit in den Stadtteil Prenzlauer Berg, wo Freunde von ihm wohnten.

2

Der erste Teil des Titels »Transkulturalität als lokale Eigenart« wurde auch für einen Buchbeitrag (Stock 2010) verwendet. Das Kapitel 10 ist eine umfassende Überarbeitung und Weiterentwicklung dieses Beitrags.

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Abbildung 16: Skizze der kulinarischen Praktiken von Michael (Kreuzberg)

Quelle: Grafisch aufbereitete Skizze, die während des Interviews mit Michael (K13) am 07.08.2009 nach eigener Vorlage angefertigt wurde.

Alle anderen Berliner Stadtteile spielten für seine täglichen Aktionsräume hingegen keinerlei Rolle. Seine alltäglichen Praktiken konzentrierten sich folglich auf die innerstädtischen Aufwertungsviertel. Was die Ausrichtung der Lokale betraf, so mochte er es, zwischen verschiedenen kulinarischen Angeboten abzuwechseln. Neben den Falafelimbissen ging er gerne zum »Vietnamesen« oder zum »Italiener«, teils alleine, teils mit Freunden. Die deutsche Küche hingegen gehörte kaum zu seinen kulinarischen Praktiken. Und auch der Besuch amerikanischer Schnellrestaurants, wie zum Beispiel McDonald’s, widerstrebte ihm. Wie die Karte zeigt, bestehen seine Essenspraktiken folglich fast ausschließlich aus dem alltäglichen Konsum ethnisierter kulinarischer Kulturen, die er auch als »Vietnamese«, »Italiener« oder »Libanese« etikettierte.3

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Diese Etikettierung ist in gegenwärtigen Gesellschaften verbreitet. Beispiele hierfür sind zum Beispiel die Sparten in gängigen Restaurantführern (z.B. Zitty 2007, Tip 2006), nach denen die unterschiedlichen Lokale geordnet sind.

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Abbildung 17: Skizze der kulinarischen Praktiken von Ben (Friedrichshain)

Quelle: Grafisch aufbereitete Skizze, die während des Interviews mit Ben (K4) am 17.07.2009 nach eigener Vorlage angefertigt wurde.

Diese fanden sich auch auf der Karte der kulinarischen Praktiken von Ben wieder (Abbildung 17 ). Der 24- jährige Schweizer Student der Germanistik, Geschichte und Politik lebte erst seit drei Monaten in Friedrichshain in Berlin, wohin er für ein Austauschsemester gekommen war. Auch er ging gerne und viel außer Haus essen, tagsüber alleine in Imbisse, abends dann mit Freunden in Restaurants. In BerlinMitte befand sich seine Universität, deren Mensa er öfters besuchte. In seiner Freizeit hielt er sich in der näheren Umgebung seiner Wohnung in Friedrichshain und Kreuzberg auf: »Ich finde es ganz nett hier. Weil du hast alles, so von Bars bis zu Clubs, habe ich halt vor der Haustür. Und da muss ich auch nicht so weit gehen. Und meine Mitbewohnerinnen, die sind ja auch in der Nähe von hier und haben ihren Freundeskreis hier. Und so habe ich auch Leute auch von der Gegend kennengelernt« (K4).

Ab und an ging er auch in Prenzlauer Berg essen, das er aber ein bisschen »yuppiemäßig« fand. Auch seine Konsumpraktiken zeichneten sich durch eine Kombination verschiedener kulinarischer Kulturen aus. Bei Imbissen besuchte er vorwiegend türkische Dönerläden und arabische Imbisse, wobei Letztere die Ersteren nach drei Monaten Aufenthalt in Berlin ersetzt hätten, da er mittlerweile das

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Schawarma gegenüber dem Döner bevorzugen würde. Abends ging er gern »italienisch«, »vietnamesisch« oder »indisch« essen. Er benutze damit ähnliche Etikettierungen wie Michael. Ben schätzte das reichhaltige kulinarische Angebot an Berlin, da er viele neue Essensrichtungen ausprobieren könnte, die er so aus der Schweiz nicht kannte: »Asiatisch esse ich, oder indisch, oder Türkisches oder italienisch. Wobei Letzteres esse ich nicht so viel, weil dann denke ich, das gibt’s auch in der Schweiz« (K4). Zwar gäbe es indische Restaurants auch in der Schweiz, dort wären sie aber in der gehobenen Preisklasse, weswegen er sie als Student kaum besuchen würde. In Berlin hingegen genoss er es, sich durch die kulinarische Weltkarte zu essen. Deutsche Küche gehörte dabei weniger dazu, was auch an dem mangelnden Angebot lag. Hier kannte er nur ein Restaurant in Berlin-Mitte, wie er selbst mit Erstaunen kommentierte. Ein anderer Konsument, Florian, stellte sogar fest, dass »typisches deutsches Essen« (K7) in den Vierteln wie Kreuzberg oder Friedrichshain, in denen er sich hauptsächlich bewegte, nicht vorhanden sei. Für Ben war dieses Angebot ein Ergebnis dessen, dass in Berlin Personen aus ganz unterschiedlichen Herkunftsregionen zusammenkommen würden: »Berlin ist halt einfach so multikulti« (K4). Auch Annika beschrieb auf ähnliche Weise, was sie an Berlin mochte: »Dass es ziemlich multikulti ist. Dass es Essen aus vielen Ländern gibt. Und viele lustige Leute. Dass die Menschen eher offen sind und bunt gemischt« (K2). In dem ethnisch diversen Essensangebot spiegelte sich folglich aus Sicht der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten das Berliner Image als »Multikultur-Metropole« (Lanz 2007, 192) wider. In dieser Hinsicht reproduzierten sie das politische Konzept, das seit den achtziger Jahren in den politischen Diskurs über Immigration Einzug gehalten hat und mit einer Ethnisierung des Ausländers auf einer alltäglichen Ebene einhergegangen ist (vgl. Kapitel 2). Dieser Alltagsmultikulturalismus war demnach zu einem gängigen Raster für die Perzeption der Berliner Stadtkultur geworden, die historische politische Einbettung des Diskurses hingegen war den Konsumentinnen und Konsumenten dabei nicht geläufig. Nur der Deutsch-Ägypter Mouris, der seit 20 Jahren in Berlin lebte, sah einen Zusammenhang zwischen dem Multikulturalismus als politischem Konzept und der Entwicklung beispielsweise der Falafelimbisskultur: »Anfang der Achtziger mit Multikulti gab es immer mehr Falafelimbisse. Denn es gab ja diese neue Tendenz in Berlin: Multikulturelle Gesellschaft. Und alternativ. Und es waren so viele Linke da. Und da gab es einen Boom« (K11). Die geographische Ausdehnung ihrer alltäglichen Essenspraktiken verdeutlichte zudem, dass der von Ben, Annika und anderen so positiv besetzte Alltagsmultikulturalismus sich nur auf ganz bestimmte Berliner Stadtviertel bezog. Wie Abbildung 16 und 17 zeigen, bewegten sich Michael und Ben fast ausnahmslos in Kreuzberg, Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg – und damit in den Vierteln,

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die sich durch Gentrifizierungsprozesse auszeichneten. Durch ihren alltäglichen Aktionsradius hatten sie eine sehr selektive Perspektive auf Berlin. Für Michael war es dann auch das Stadtviertel Kreuzberg, das für das »typische Berlinerische Multikulti« stehen würde: »Und ich finde, Kreuzberg ist für mich am meisten Berlin. Sprich, es ist von der Bevölkerung her am heterogensten. Also am buntesten« (K13). Prenzlauer Berg wäre seiner Meinung nach schon zu »homogen« und »deutsch«. Andere Stadtviertel, wie zum Beispiel das westliche bürgerliche Charlottenburg oder die östlichen Stadtteile Marzahn oder Hellersdorf, ließ er wiederum komplett außen vor. Ausgeblendet wurde zudem Neukölln, obwohl der Stadtteil ebenfalls für eine hohe türkische oder arabische Migrationsdichte bekannt war. Doch das migrantische Neukölln war eher ein Symbol für gescheiterte Integration, als dass es als multikulturell bereichernder Stadtteil wahrgenommen wurde (Lanz 2007, 245ff.). So sagte Florian auch, dass Neukölln für ihn eher »ein derberer Stadtteil« (K7) sei. Folglich war es nur ein kleiner Teil Berlins, der in den Augen der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten das multi-kulturelle Image Berlins repräsentierte. Mit Kreuzberg war dies nicht zufällig ein migrantisch geprägter Stadtteil, den sie sich durch ihre Konsumpraktiken angeeignet hatten und der zu ihrem alltäglichen Aktionsradius gehörte. So schrieben auch Ruth Mayer und Mark Terkessidis: »Das Eigene wird heute als funktionierender multikultureller ›Mix‹ konstruiert, indem man außerhalb von diesem Eigenen fast nur noch andere sieht, die undemokratisch, puristisch, monokulturell, humorlos, fanatisch – mit einem Wort: fundamentalistisch – sind. Von der willkommenen Differenz als Lebensstil wird daher eine negativ besetze Differenz als abgeschlossene ›Tradition‹ unterschieden, vor der man sich und die eigene Kultur schützen muß. Im hegemonialen Blick balancieren die anderen ständig auf diesem schmalen Grat zwischen erlaubter und unerlaubter Differenz« (1998, 17).

Wie die Abgrenzung zu den in Neukölln verorteten und abwertend bewerteten Dönerimbissen (Kapitel 9) zeigte, hat dieser positiv besetzte Multikulturalismus immer eine Kehrseite, die von den Konsumentinnen und Konsumenten im Image Berlins ausgeblendet wurde, aber dennoch in deren Wahrnehmung und Erfahrungen präsent war. Dass Dönerimbisse in den achtziger Jahren als gelebte Orte eines Multikulturalismus propagiert wurden (Caglar 1995), heute aber von den Falafelkonsumentinnen und -konsumenten nicht mehr so wahrgenommen werden, zeigt, wie schmal der Grat zwischen erlaubter und unerlaubter Differenz ist. Die Aufteilung in gute versus schlechte Kulturen (Lanz 2007, 192ff.) wird dabei maßgeblich von der Einschätzung bestimmt, inwieweit die kulturelle Inszenierung zum Geschmack der eigenen Gentrifizierungsmilieus passt. Zudem übersahen die Interviewten in ihrer positiven Assoziierung mit dem Multikulturalismus, auf welchen starren, verallgemeinernden Kulturraumvorstel-

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lungen dieses Konzept basierte. Michi Knecht (2005, 26) stellte dies für den in Berlin alljährlich stattfindenden »Karneval der Kulturen« heraus: »Der multikulturelle Denkstil, [...] der offenbar in Teilen der Öffentlichkeit große Plausibilität entfaltet, geht von einer klaren Unterscheidbarkeit verschiedener Kulturen aus, die nebeneinander ko-exisitieren.« Wie in zweiten Hauptteil dieser Arbeit »Der Konsum des Arabischen« gezeigt, hat die dabei vollzogene Kongruenz zwischen Kultur und geographischer Herkunft weitreichende Folgen für die Repräsentationsmöglichkeiten der Falafelimbissbesitzer und -verkäufer, die auf ihre Herkunftskultur reduziert bleiben. Diese Reduzierung führt aber auch dazu, dass ganz verschiedene kulinarische Angebote und Inszenierungen durch eine kulturgeographische Kodierung (wie zum Beispiel »indisch«) generalisiert wurden. Deswegen stellte Kerstin Frei (2003, 172) fest, »dass der Begriff ›Multikulturalität‹ mit seiner pluralisierenden Intention tatsächlich nicht die heterogene Stadtlandschaft wiedergibt, sondern dass er im Gegenteil vereinheitlicht.« Auch das als divers wahrgenommene gastronomische Angebot in den Gentrifizierungsvierteln war bei genauerem Hinsehen relativ vereinheitlicht. Dies resultierte in der Tat zunächst aus der Etikettierung der Küchen als »arabisch«, »vietnamesisch« und »indisch«, denn mit diesen Etiketten war eine bestimmte Auswahl von Speisen verbunden, die sich in Berlin wiederholte und die dann auch so von den Konsumentinnen und Konsumenten erwartet wurde. In vietnamesischen Restaurants war dies zum Beispiel das Rote Curry, in den arabischen Imbissen die Falafel, das Schawarma und der Halloumi. In der Tat hatten fast alle der von mir kartierten 94 arabischen Imbisse ihr Angebot um diese drei Speisen zentriert. Darüber hinaus war das kulinarische Angebot in den Gentrifizierungsvierteln nur scheinbar multi-kulturell, war es doch an die Geschmacksvorlieben der Konsumentinnen und Konsumenten angepasst und damit hybridisiert (vgl. Bhabha 1994). Auf diesen Punkt soll im Folgenden eingegangen werden. Die Präferenzen der Berliner Kundschaft werden anhand von vier Attributen – billig, gesund, vegetarisch und authentifiziert – aufgeschlüsselt, die auch das Angebot in Falafelimbissen beeinflussten.

T RANSKULTURALISIERUNG – DIE A NPASSUNG MILIEUSPEZIFISCHE G ESCHMACKSVORLIEBEN

AN

Billig Ein Grund, warum der Schweizer Austauschstudent Ben gerne und viel außer Haus aß, war der günstige Preis, den er in den meisten Imbissen und Restaurants in Friedrichshain und Kreuzberg vorfand. Dies traf auch auf Falafelimbisse zu. Ein Falafel-,

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Halloumi- oder Schawarma-Sandwich kostete in Berlin während der Erhebungszeit von 2009 bis 2011 zwischen zwei und drei Euro. Tatsächlich war Ben auf die günstigen Preise angewiesen, hatte er als Student mit 1.000 Euro nur eine begrenzte Summe für seine Lebenshaltungskosten im Monat zur Verfügung (K4). Und die im Prenzlauer Berg wohnende Monika verdiente während ihres Praktikums beim Radio nur 600 Euro, mit denen sie monatlich auskommen musste (K14). Doch auch der Politikberater Thorsten, der ein Nettoeinkommen von über 2.500 Euro hatte, achtete auf den Preis. Die Falafel beim Dada-Imbiss fand er mit drei Euro schon teuer (K18). Die Erwartungshaltung an ein billiges Angebot war folglich auch Ausdruck einer Disposition. Das zeigte sich darin, dass der gut verdienende Arbeitsvermittler Florian ein billiges Angebot schätzte, da es ein bodenständiges Flair garantieren würde, womit er sich von bürgerlichen gehobenen Einrichtungen abgrenzen wollte (K7). Und die als freiberufliche Lektorin arbeitende Lisa bevorzugte die gastronomischen Einrichtungen, die nicht »schickimicki« gestaltet seien (K9), was sich auch im Preis niederschlagen sollte. Die Imbissbesitzer wiederum wussten um diese Berliner Disposition, wie das Zitat des Baharat-Besitzer verdeutlichte: »Viele Leute in Berlin wollen etwas Billiges und einen Haufen. Die achten auch viel auf ihr Geld« (A3). Er kritisierte die Sparmentalität seiner Kundinnen und Kunden: »Und viele Leute, die achten nicht mehr auf Qualität, wollen nur viel haben« (A3). Mit seinem Sandwich für drei Euro war er auf dem Berliner Markt nur bedingt konkurrenzfähig. Dies musste auch der Besitzer des Mamo-Falafel feststellen, der eine »Gourmet-Falafelbar« nach israelischem Vorbild eröffnet hatte (siehe Kapitel 7): »Bei Berlinern muss ich sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, weil die kommen rein, sehen, oh, Falafel: 3 Euro. So, da drüben gibt's für 2,80« (A9). In die kulinarische Landschaft Berlins hatte sich folglich ein »low-cost-urbanism« (Färber/Vetter 2011) eingeschrieben, der zwar teilweise, aber nicht unbedingt die sozio-ökonomische Situation der Konsumentinnen und Konsumenten reflektierte. An diese Disposition passten die Falafelimbissbesitzer dann nicht nur ihre Preise, sondern auch ihr Angebot an, wie der Besitzer des Falafel Ufo am Prenzlauer Berg berichtete: »Und viele machen ihre Sandwichs mit viel Gemüse, zum Beispiel mit Gurke oder Eisberg. Also das gehört überhaupt nicht dazu. Aber die Leute wollten so viel wie möglich zu einem billigen Preis, vom Geschmack her« (A19). Aufgrund dessen müsste er seine Sandwichs üppig füllen und mit einer Kombination von einer Sesam-, Mango- und scharfen Soße anbieten, denn je mehr Elemente er in die Sandwichs gab, umso besser. Dies würde ihm zuwider laufen, da es nicht seiner Wahrnehmung eines originalen Falafelsandwichs entsprechen würde. Im Libanon serviere man ein Falafelsandwich hingegen sparsam mit Sesamsoße, etwas eingelegtem Rettich und eventuell Tomatenstückchen, Radieschen und Petersilie. In ein Hähnchen-Schawarma-Sandwich käme nur Knoblauchcreme, eingelegte Gurken

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und zwei Stück frittierte Kartoffeln. Die Zusammenstellung der Beilagen sei folglich auf die Hauptzutat abgestimmt. Mitte der siebziger Jahre hatte er in seinem ersten Falafelimbiss Zaaim am Kurfürstendamm Falafel und Schawarma nach diesem Vorbild serviert. In seinem 2000 geöffneten Imbiss Ufo im Prenzlauer Berg musste er aufgrund von Kundenfragen sein Angebot an die gängige Berliner Servierform anpassen. Er riet mir dann auch: »Wenn Sie zum Beispiel bei mir Falafel essen möchten, dann fragen Sie nach der libanesischen Falafel. Dann macht er das auch so. Außer die Taratoure, die Sesamsoße, ist nicht mehr 100 Prozent original. Die ist hier mit Joghurt gestreckt. Weil die Leute wollten alles haben. Und die Tahini, das Sesamöl, ist schon sehr teuer geworden. Und immer noch gibt es die Falafel für 2,50 oder 2,80 Euro, weil die Falafel ist sehr groß. Aber ein Sandwich reicht auch zum Sattwerden. Im Libanon hingegen isst man oft zwei oder mehr« (A19).

Die in die kulinarische Landschaft Berlins eingeschriebene low-cost-Disposition hatte damit direkte Auswirkungen auf die Größe der Falafel- und der SchawarmaSandwichs. Das stellte dann auch der Besitzer des Phönizier fest: »Und hier mussten wir ein bisschen Gurken, bisschen Eisbergsalat dazu machen, damit das Sandwich voll aussieht von außen. Damit die Leute sehen, dass sie satt werden von ihrem Geld.« (A13). Gesund Die üppige Füllung der Sandwichs mit Eisbergsalat, Tomaten, Gurken, Rucola, Weiß- oder Rotkraut resultierte auch aus einem Gesundheitsdiskurs, der für die Ernährungsgewohnheiten der Gentrifizierungsmilieus in Berlin zentral war. Ein Zeichen dafür war die Fokussierung auf biologische Nahrungsmittel. So berichteten ausnahmslos alle der interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten von sich aus, dass sie Bio-Produkte im Supermarkt einkauften. Annika erzählte zum Beispiel: »Und ich achte auf Bio beim Einkauf, auch wenn ich es mir nicht immer leisten kann« (K2). Der Bio-Trend hatte seit Beginn der achtziger Jahre in die Ernährungspraktiken Einzug gehalten. Insbesondere die neue Mittelschicht, der die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten angehörten, hatten sich einen »Lebensstil der Gesundheit und Nachhaltigkeit« angeeignet, für den es mittlerweile mit »Lohas«4 ein vermarktbares Schlagwort gibt (Glöckner/Balderjahn/Peyer 2010). Dieser Lebensstil manifestierte sich durch die zahlreichen Biosupermärkte oder

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Lohas steht für Lifestyle of Health and Sustainability.

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Biostände auf Wochenmärkten räumlich in städtischen Konsumlandschaften, insbesondere da, wo Gentrifizierungsphänomene auftraten (Zukin 2008, 735ff.). Obwohl Michael wusste, dass er die Bio-Qualität seiner Lebensmitteleinkäufe in den billigen arabischen Imbissen nicht erwarten konnte, hatte er trotzdem das Gefühl, dass das Essen dort gesund sei (K13). Auch Sarah war der Meinung, dass sie »etwas Gesundes« in den arabischen Imbissen essen würde (K16). Diese Einschätzung mag daran liegen, dass die Falafelimbissbesitzer den gesunden Aspekt ihres Angebots gegenüber ihren Kundinnen und Kunden propagierten. So hatte der Baharat-Besitzer in den achtziger Jahren einen Bericht an seinem Marktstand über die Nährwerte der Falafel am Winterfeldplatz ausgehängt: »Ich hab von einem Forscher eine Tabelle gehabt. Und das haben alle Deutschen gelesen, und die haben gemerkt, dass das gesund ist mit dem frischen Gemüse und so etwas« (A3). Insbesondere die reichliche Salatbeilage, die es mittlerweile in fast allen Falafelimbissen gibt, ist auf die Gesundheitsdisposition der Berliner Konsumentinnen und Konsumenten zugeschnitten. Auch deswegen würde der Besitzer des Phönizier seine Sandwichs mit viel Salat und Gemüse anbieten: »Wenn Europäer da sind, die möchten Salat essen« (A13). Deswegen verzichtete der Besitzer des Nachtigall weitgehend auf die eingelegten Gurken und den Rettich, wie er es bei Falafel- und Schawarma-Sandwichs aus dem Libanon kannte: »Also die Kunden mögen den Salat und so was. Die mögen was Gesundes. Die mögen die eingelegten Rettich und Gurke nicht«. In seinem Laden würde er dann aber beide Varianten anbieten. »Im Libanon, da machen wir die Falafel nicht mit Salat. Dort machen wir das nur mit eingelegtem Rettich und Petersilie. Und natürlich die Soße. Aber mehr nicht. Aber hier machen wir beides. Wir machen die arabische Art und normal, mit Salat« (A11). »Normal« für Berlin war die »nicht-arabische« Salatvariante. Vegetarisch Für die Falafelkonsumentinnen und -konsumenten war zudem Vegetarismus eine Disposition. Drei der Interviewten waren selbst Vegetarierinnen und Vegetarier, aber auch die anderen gaben an, dass sie versuchen würden, auf ausgiebigen Fleischkonsum zu verzichten. Die Vorliebe für Vegetarismus war dabei eng an die Gesundheitsvorstellungen geknüpft, wie in Thorstens Zitat deutlich wird: »Ich glaube zum Beispiel, dass die Falafel gesund ist, weil sie ja vegetarisch und gleichzeitig schmackhaft ist« (K18). Die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten hielten die Falafel folglich gerade deshalb für gesund, da sie aus vegetarischen Zutaten bestehen würde. Darüber hinaus stand der weitgehende Verzicht auf Fleischkonsum für ein moralisches Ideal und war damit Bestandteil von moralischen Konsumpraktiken, die sich zunächst in alternativen Milieus verbreitete hatten, gegenwärtig aber insgesamt

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für die neue Mittelschicht typisch waren. Beispiel hierfür ist der Erfolg des Fair Trade (Zick Varul 2009). Annika zum Beispiel aß aufgrund der Massentierhaltung kein Fleisch (K2). Und Sarah versuchte, wenig Fleisch zu essen, da sie den hohen Energieverbrauch und die Umweltverschmutzung im Zuge der Fleischproduktion nicht gutheißen wollte. Aus diesen Gründen würde auch Michael ausschließlich biologisches Fleisch einkaufen (K16). Dass er in den arabischen Imbissen trotzdem nicht-biologisches Schawarma aß, zeigte, dass hier eine Dissonanz zwischen Anspruch und Alltagspraktiken bestand, die Michael dann auch selbst als »Widerspruch« thematisierte (K13). Diese Dissonanz führte bei Ben dann zu einem schlechten Gewissen: »Und ich muss zugeben, ich esse die meiste Zeit Schawarma und fleischhaltige Sandwichs« (K4). Und auch Thorsten sagte: »Manchmal überkommt es mich und dann esse ich Fleisch« (K18). Diese Dissonanz zwischen dem Anspruch und den eigenen Praktiken ist typisch für die neue Mittelschicht, und zeigte sich – wie Bourdieu (1987, 581) für das neue Kleinbürgertum schon erläuterte – auch in ihrer Selbstverortung jenseits einer sozialen Gruppenzugehörigkeit, obwohl sie diese in ihren Praktiken immer wieder reproduzierten. Die vegetarische Disposition stand im Übrigen den Geschmackspräferenzen der von mir interviewten arabischen Migrantinnen und Migranten entgegen, die nicht in die Falafelimbisse gingen. So stellte Afifa fest: »Die essen mehr Fleisch, die Araber« (K1). Dies schien zumindest für die kulinarische Landschaft auf der Sonnenallee zuzutreffen, wo arabische Migrantinnen und Migranten in Berlin präsent waren. Einer der dort erfolgreichsten Imbisse war mit dem City Chicken ein Schnellrestaurant, das sich auf gegrillte Hähnchen und andere Fleischgerichte konzentrierte. Falafel würde es dort hingegen nicht geben, würden von den »Arabern« aber auch nicht nachgefragt, wie einer der Besitzer im Interview erzählte: »Nur die Deutschen fragen immer nach Falafel. Die lieben Falafel, ich weiß auch nicht warum. Aber das passt nicht in unser Konzept« (A4).5 Der deutsch-syrische Bauarbeiter Mahmud war im Gegensatz zu den anderen Berliner Konsumentinnen und Konsumenten nicht der Meinung, dass die Falafel gesund wäre: »Wenn es verbrannt ist, und ein Gramm Salat und 10 oder 20 Gramm mit altem Öl. Das ist Cholesterin pur« (K10). Da die Konsumentinnen und Konsumenten mit arabischem Migrationshintergrund die Falafel nicht für gesund hielten und sie mit den Salatbeilagen auch nicht ihrer Vorstellung des »Originalgeschmacks« entsprach, mieden sie die Falafel in Berlin weitgehend. Auch in Beirut spielte die Falafel gegenüber fleischhaltigen

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Auch wenn Afifa hier auf Araber versus Deutsche verallgemeinerte, hatten diese Geschmackspräferenzen natürlich auch mit dem Habitus der soziokulturellen Milieus zu tun, in denen sich die Konsumentinnen und Konsumenten in Berlin bewegten.

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Sandwichs im Übrigen nur eine sehr untergeordnete Rolle, da sie dort ebenfalls aufgrund des Ölgehalts als nicht sonderlich gesund galt. Die Imbissbesitzer bedienten die vegetarische Disposition ihrer Kundinnen und Kunden, indem sie eine Reihe vegetarischer Speisen in ihr Angebot integrierten, wie zum Beispiel das frittierte Halloumi-Sandwich, das es in dieser Form fast nur in Berlin gab. Sie deklarierten ihre Speisen dann als vegetarisch oder sogar vegan. Der Besitzer des Nil erzählte: »Ja, weil ist uns aufgefallen, dass viele Veganer hier. Und unser Essen ist halt vegan. Foul ist vegan. Die Akabohnen. Tamiya (Falafel) und Erdnusssoße ist vegan. Tofu ist vegan. Alles. Im Sudan sagt man halt nicht vegan, sondern man isst halt. Aber hier will man gezielt vegane Sachen. Da haben wir geschrieben, das ist auch für euch Veganer« (A12).

Aus diesem Grund sei ihm auch die Idee mit dem frittierten Tofu gekommen, den er ebenfalls in einem Sandwich servierte. Die Falafelimbissbesitzer profitierten von dem hohen Stellenwert, der den vegetarischen Gerichten seitens ihrer deutschen und europäischen Kundinnen und Kunden beigemessen wurde, konnten sie doch die Falafel zum gleichen Preis, nämlich drei Euro, wie die fleischhaltigen Sandwichs anbieten, obwohl sie in der Herstellung billiger war. In Beirut zum Beispiel kostete die Falafel nur die Hälfte vom Preis eines Schawarma-Sandwichs und galt dort als bodenständiges Essen, das ursprünglich ein Fleischersatz für arme Leute gewesen sei. In Berlin hingegen ist die Falafel klar in deutsche und europäische bürgerliche Milieus eingebettet. Authentifiziert Wie im Hauptteil »Der Konsum des Arabischen« herausgestellt, war es den Konsumentinnen und Konsumenten wichtig, dass Gefühl aufrechtzuerhalten, »authentische« Speisen zu essen, die sie in der (scheinbar) multikulturellen kulinarischen Landschaft vorzufinden glaubten. Die letzte Disposition war folglich die damit verbundene Vorliebe für Authentizität. Stefanie erzählte in Bezug auf ihre kulinarischen Praktiken in Berlin: »Also es ist jetzt egal, ob das jetzt Inder sind, Griechen oder sonst irgendwas, man hat ja oft das Gefühl, dass das adaptiert ist an die deutschen Gewohnheiten. Und das mögen wir halt nicht. Wir mögen es halt schon gerne so, wie sie es auch selbst essen« (K17). Und auch Monika sagte, sie würde bevorzugen, dass das Essen nicht so »eingedeutscht« sei (K14). Neben der Anpassung des Angebots an die Geschmackspräferenzen der Kundinnen und Kunden mussten die Falafelbesitzer eine authentische Aura um ihr ethnisches Speiseangebot bewahren. Dies gelang ihnen – wie gezeigt – vorwiegend über die Dekoration, die Musik oder die kulturell kodierten Performanzen in den

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Imbissen. Auch Teile des Angebots waren darauf angestimmt, so zum Beispiel die als besonders exotisch wahrgenommene Mangosoße, der kostenlose Begrüßungstee als Zeichen kulturell inhärenter Gastfreundschaft oder der Alkoholverzicht, der als Ausdruck einer muslimisch-religiösen Praktik gelesen wurde. Die Vorliebe der Konsumentinnen und Konsumenten für Authentisches ging dabei mit einer (vermeintlich) anti-kommerziellen Disposition einher, die sich in ihrer Ablehnung gegenüber dem modernen Massenkonsum ausdrückte. In dieser Hinsicht versuchten die Falafelimbissbesitzer auch ihr Angebot zu individualisieren, indem sie bestimmte Kombinationsgerichte anboten oder die Kundinnen und Kunden selbst ihre Teller zusammenstellen ließen. Diese individualisierte Behandlung seitens der Verkäufer schätzten die Konsumentinnen und Konsumenten dann auch positiv ein, und machten umfassend von ihr Gebrauch. So erzählte Patricia: »Und zum Beispiel mit einer Freundin nehmen wir immer einen Teller, diesen Teller gibt es nicht auf der Speisekarte. Und zum Beispiel, das schätze ich. Ich bezahle ganz normal, und die machen das auch für andere ... Aber die machen das eben, weil wir uns kennen, das ist natürlich klar. Das finde ich ganz toll« (K15). Die Imbissbesitzer wiederum fügten sich diesem Wunsch nach individueller Behandlung, wie der Nachtigall-Besitzer sagte: »Wir verlangen nichts extra, wenn die Kunden einen Extra-Wünsche haben« (A11). Die Erwartungshaltung an kulturelle Authentizität beeinflusste damit ebenfalls das Speiseangebot in den arabischen Imbissen. Die transkulturelle Geschmackslandschaft Wie diese Ausführungen zeigen, hat sich das multi-kulturelle kulinarische Angebot in den Gentrifizierungsvierteln trankulturalisiert (Welsch 2000). Zwar bleibt in den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten die Wahrnehmung einer multikulturellen kulinarischen Landschaft bestehen, die auf der Vorstellung von Kulturen als homogenen, in sich abgeschlossenen geographischen Containern beruht. Gleichzeitig hat sich aber eine hybridisierte kulinarische Kultur gebildet, die mehr als nur ein Aneinanderreihen einzelner Kulturen ist und damit über diese hinausgeht (ebd., 341), was Wolfgang Welsch mit der Vorsilbe »trans« ausdrückt.. Welschs Konzept der Transkulturalität verweist hier auf das Zusammenspiel zwischen einem klassischen Alltagsverständnis von Kulturen, die sich aber gleichzeitig im Übergang zu etwas Neuem befinden, und trifft damit ziemlich genau die symbolische wie materielle Formation des kulinarischen Angebots in den Gentrifizierungsvierteln (vgl. Stock 2010). Die Hybridisierung des Angebots ist dabei durch vier Eigenschaften – billig, gesund, vegetarisch und authentifiziert – bestimmt, die lokal verankert sind. Diese Eigenschaften lassen sich an dem Speiseangebot in Falafelimbissen ablesen. So ist das Berliner Angebot durch die üppigen Sandwichs mit der Kombination aus Jogurt,

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Mango- und scharfer Soße oder den Salatbeilagen geprägt, die man so nur begrenzt woanders findet. Das gleiche gilt für das frittierte Halloumi-Sandwich. Diese vier Attribute sind dabei nicht nur auf die Falafelimbisse beschränkt, sondern prägen darüber hinaus die Speisekarten der anderen ethnischen Imbisse und Restaurants in der kulinarischen Landschaft der Gentrifizierungsviertel. Sie formen so eine lokalspezifische Geschmackslandschaft (Lindner 2003) im Bourdieuschen Sinne, denn sie eröffnen ein Feld, das typisch für die Berliner Gentrifizierungsviertel ist. Das heißt nicht, dass diese Attribute für sich selbst nicht auch in anderen städtischen kulinarischen Landschaften von Bedeutung sind. So schrieb sich zum Beispiel der »low cost urbanism« (Färber/Vetter 2011), den man an dem wachsenden Billigflieger-Angebot ablesen konnte, in verschiedene europäische Konsumlandschaften ein. Und der Gesundheitsdiskurs, der die Praktiken der neuen Mittelschicht bestimmte, lässt sich nicht nur in Berlin verorten, sondern zum Beispiel auch in New Yorker Gentrifizierungsvierteln (Zukin 2008, 735ff.). Was spezifisch für Berlin ist, ist hingegen die Kombination der Eigenschaften. So meinte Rolf Lindner, dass sich das Erscheinungsbild einer Stadt »nicht aus einzelnen Eigenschaften, sondern aus der besonderen im Vergleich mit anderen deutlich werdenden Kombinationen von Eigenschaften erschließt« (Lindner 2003, 49). Aufgrund dieser besonderen Konfiguration kann man auch von einer Berliner Geschmackslandschaft sprechen, die sich in dieser Ausgestaltung so nicht in Gentrifizierungsprozessen in anderen Städten wiederfindet. Diese hat sowohl eine materielle Dimension (in Form des Speiseangebots), eine räumliche Dimension (durch die Falafelimbisse und andere Betriebe) wie auch eine symbolische Dimension (durch die damit verbundenen Dispositionen) (Lindner/Musner 2005, 33). In dieser Landschaft geht es weniger um feste Strukturen, als vielmehr um Plausibilitäten, von denen es im Einzelnen auch Abweichungen geben kann. Unter anderem deshalb soll hier von dem von Martina Löw (2008, 42) eingeführten Begriff der Eigenlogik abgesehen werden, mit dem sie praxeologisch die »verborgenen Strukturen der Städte als vor Ort eingespielte, zumeist stillschweigend wirksame präreflexive Prozesse der Sinnkonstitution (Doxa) und ihrer körperlich-kognitiven Einschreibung (Habitus)« beschreiben möchte und der damit eine homogenisierte Struktur annimmt. Sie verwechselt hier den angeeigneten physischen Raum mit dem sozialen Raum. Der angeeignete physische Raum ist zwar die Objektivierung der sozialen Verhältnisse, aber nicht identisch mit dem sozialen Raum (Bourdieu 1991, vgl. auch Dirksmeier 2003, 226). Dass sich diese vier Eigenschaften – billig, gesund, vegetarisch und authentifiziert – im Angebot von Falafelimbissen besonders gut umsetzen lassen, gibt dann auch eine weitere Erklärung dafür, warum genau Berlin die »Falafelstadt« geworden ist, warum sich Falafelimbisse folglich vor allem dort konzentrieren, während sie sich in anderen Städten wie München, Hamburg, aber auch Paris oder Amsterdam kaum finden.

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Die vier aufgezeigten Eigenschaften haben sich nicht nur in das Habitat, in diesem Fall die Geschmackslandschaft, eingeschrieben, sondern die Berliner Konsumentinnen und Konsumenten haben sie auch als Dispositionen in den Habitus inkorporiert. Denn laut Pierre Bourdieu (1991, 32) bildet der Habitus »bestimmte Präferenzen für einen mehr oder weniger adäquaten Gebrauch des Habitats« aus. Gleichzeitig ist es der »Habitus, der das Habitat macht« (ebd.). Die Ausbildung einer Berliner Geschmackslandschaft ist folglich eine Verstetigung, die durch das enge Wechselspiel zwischen Habitus und Habitat bedient wird. Die Berliner Konsumentinnen und Konsumenten erwarten das Angebot, da sie es von anderen gastronomischen Einrichtungen in der Geschmackslandschaft kannten. Gleichzeitig richteten sich neue gastronomische Betriebe wiederum auf die dadurch gebildeten Geschmackspräferenzen ihrer Kundinnen und Kunden ein.6 Folglich ist die Berliner Geschmackslandschaft nicht einfach nur ein Resultat einer Kulturgenese, der eine verborgene Struktur unterliegt, wie dies Martina Löw (2008) in ihren Konzepten über die Eigenlogik von Städten annimmt.. Stattdessen zeigt sich, dass sich Geschmackslandschaften durch die dominierenden Milieus und deren soziale Positionierungen konstituieren, während andere Milieus verdrängt werden – ein Aspekt, den schon Kann Kemper und Anne Vogelpohl 2011 kritisiert hatten.7 Nicht zufällig verfügen die Gentrifizierungsmilieus, über ein symbolisch hoch bewertetes kulturelles Kapital und damit über eine Deutungsmacht für städtische Kulturen. Dönerimbisse, die zwar billig, aber fleischlastig waren, wurden zum Beispiel nicht als Bestandteil der Geschmackslandschaft der Gentrifizierung betrachtet und zusehends

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Die für Berliner Gentrifizierungsprozesse spezifische Kombination der Eigenschaften ist folglich durch beides geprägt. Durch die »Geschichte« des Raumes bzw. des Habitats und durch die »Geschichte« der Akteure, die diesen Raum prägen und mitschreiben. Um ein Beispiel zu nennen: Die Eigenschaft »billig« reflektierte zum Beispiel Berlins historische Verankerung als Arbeiterstadt, die die Entwicklung zur Imbiss-Stadt Berlin mitgeprägt hatte (siehe Kapitel 2). Gleichzeitig war sie aber auch durch die gegenwärtige ökonomisch prekäre Situation der Stadt geprägt, die sich dann wieder in dem Habitus der Falafelkonsumentinnen und -konsumenten, die zwar mit hohem kulturellen Kapital, teilweise aber geringem ökonomischen Kapital ausgestattet waren, widerspiegelte.

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Zu einer Zusammenfassung der Kritik an dem Eigenlogik-Ansatz vergleiche die Einführung von Kemper/Vogelpohl 2011. Sie kritisieren an dem Konzept unter anderem, dass es homogenisierend und lokalistisch sei, die Soziogenese hinter diesen Eigenlogiken auszublenden und durch eine Kulturalisierung dann auch nur affirmativ und unkritisch die Perspektive des Stadtmarketings zu übernehmen, ohne zu sehen, dass hier nur bestimmte ökonomisch verwertbare Images produziert werden, die durch dieses wissenschaftliche Feld unreflektiert mitgeschrieben werden.

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an den Rand gedrängt (Kapitel 9). Die Geschmackslandschaft bezog sich folglich nur auf die Gentrifizierungsmilieus, aber die damit verbundenen Dispositionen wurden von diesen symbolisch als die Berliner Eigenart angeeignet. Das zeigte sich auch daran, dass die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten diese Eigenart als »residenzielles Kapital« (Dirksmeier 2010) verwendeten, um sich von anderen Städten und Regionen in Deutschland und Europa als Berlinerinnen und Berliner zu distinguieren. Auf diese Abgrenzung nach außen soll zum Abschluss eingegangen werden.

B ERLIN

ALS D ISTINKTION – KOSMOPOLITISCHER H ABITUS UND DIE ALLTÄGLICHE K ULTURALISIERUNG DER S TADT

Die interviewten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten hatten allesamt eine äußerst positive Bindung zu Berlin aufgebaut. Der Großteil von ihnen war erst vor einigen Jahren oder sogar einigen Monaten nach Berlin migriert. Sie hatten sich Berlin oft bewusst als Studien- oder Arbeitsstandort ausgesucht und so eine »Wahlverwandtschaft« (Lindner 2003) mit dieser Stadt. Dies lag an dem Image Berlins, das die Stadt nach außen hin als experimentierfreudige sub- und multikulturelle Metropole (Frei 2003; Lanz 2007) zeichnete, und das sie auch in der kulinarischen Geschmackslandschaft in den Gentrifizierungsvierteln wiederfanden. So sagte zum Beispiel die aus Amsterdam zum Austauschsemester nach Berlin gekommene Sarah: »Ja, ich finde die Atmosphäre sehr gut, sehr locker. Also was ich als großen Unterschied zwischen Amsterdam und Berlin, ich finde es hier so viel lockerer irgendwie. In Amsterdam da gibt es halt vielmehr Yuppies. Das ist irgendwie so schick« (K16). Für sie war die Bodenständigkeit, die sie unter anderem an dem billigen Angebot ablesen konnte, eine stadtspezifische Eigenschaft, die sie so nur in Berlin finden konnte. Auch die aus Bulgarien nach Schöneberg gekommene Patricia sagte: »Berlin ist eine der billigste Städte, ich kenne keine andere Metropole, wo man wirklich so gut und billig essen kann. Das ist schon toll« (K15). Der Politikberater Thorsten wiederum schätzte das umfangreiche vegetarische Angebot, das es in Berlin gab. Das wäre anders in seiner Herkunftsregion in Westfalen, wo die Leute nicht so gesundheitsbewusst und nachhaltig eingestellt wären: »Im Vergleich dazu, wo ich herkomme, muss man immer Fleisch essen, jeden Tag, im Emsland« (K18). Durch seine vegetarisch zentrierten Konsumpraktiken in Berlin konnte er sich folglich von der Kleinstadtkultur, in der er aufgewachsen war, abgrenzen.

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Besonders oft wurde von den Berliner Konsumentinnen und Konsumenten das vielfältige und »authentische« Essen gelobt, das es so in den anderen Städten nicht geben würde. So erzählte Stefanie zum Beispiel, was sie in Dresden erlebt hatte: »Und ich war letztes Jahr in Dresden, und wollte mit meinem Bruder den Abend zuvor noch was essen gehen in der Stadt. So sagen wir mal um 21.30 Uhr. Das war schon ein schwieriges Unterfangen in der Neustadt. In Dresden Neustadt. Ich weiß nicht, ob du das kennst, Dresden Neustadt? Das ist sozusagen der Prenzlauer Berg von Dresden, sag ich mal. Wesentlich kleiner. Also ein Bruchteil an Straßenzügen nur, aber auch irgendwie schön. Dort gab es auch einen Araber, aber der hatte ab 21 Uhr, 22 Uhr nur noch Shisha angeboten und nichts zu essen. Und das war ziemlich schwierig, auch selten der Fall, dass man Arabisch essen kann. Eher finde ich so Döner. Aber damit hat man ja sozusagen irgendwie schon abgeschlossen. Mit dem Thema Döner. Weil es überrascht einen nicht mehr« (K17).

Der überall in Deutschland verbreitete Döner wurde für sie folglich nicht mehr als Berlin-spezifisch wahrgenommen. Stattdessen schätzte sie das arabische Essen, das sie sonst nur selten woanders fand. Auch Annika verglich Berlin mit Bayern, wo sie demnächst mit ihrem Freund und ihren zwei kleinen Kindern hinziehen wollte, indem sie auf das kulturell diverse kulinarische Angebot Bezug nahm. Dort würde es zum Beispiel keine Falafel geben: »Das ist auch etwas, was ich sehr vermissen werde, wenn wir in Bayern wohnen. Dass die Leute dort doch ein Stück spießiger drauf sind. Eher skeptisch mit fremden Kulturen und Essen, das sie nicht kennen. Und ich hab mal gegoogelt, und da in der Nähe wo ich bin, gibt es keine Falafel. Da werde ich sie wohl selbst machen müssen. Und auch in München ist sie bestimmt teuer und schlecht« (K2).

Für sie war es folglich nicht nur das kulinarisch diverse Angebot, das Berlin von anderen Regionen und Städten unterscheiden würde, sondern es war auch eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Mentalität, die sie bei den Berlinerinnen und Berlinern »anderen Kulturen« gegenüber wahrnahm. Diesen Unterschied in der Mentalität betonte auch Florian, der praktisch keine deutsche Küche in Berlin wahrnahm, zumindest nicht in den Innenstadtbezirken, in denen er sich aufhielt, die ihm aber auch nicht fehlte. Im Gegenteil, er war froh darüber, dass Berlin so anders als sein Herkunftsdorf war, in dem es nichts anderes als bodenständige deutsche Küche gäbe. In seinem Dorf sei alles »schnurgerade und langweilig« (K7). Er hingegen möge das Neue und wäre offen dafür und deswegen sei er gerne in Berlin. Als es dann darum ging, warum er statt Bier Tee in Falafelimbissen und einen Joghurtdrink in indischen Restaurants trinke, meinte er:

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»Vielleicht hat es auch einfach damit zu tun, dass ich den Export der deutschen Bierkultur auf Mallorca oder Ähnliches nicht mag. Wo die Deutschen hinkommen, oder auch Türkei oder so, da brauchen die dann immer nur ihr Bier. Das ist so ne Aversion dagegen. Weiß ich nicht. Mag auch intuitiv sein. [...] Ich komm, wie gesagt, aus dem Dorf. Da war es absolut normal. Ich bin damit groß geworden. Mit Schützenfesten, mit Bierkultur, mit diesem ganzen Kram. Und ich hab’s hassen gelernt. Also ich trinke auch gern ein Bierchen. Aber wie gesagt – wenn, dann in der Kneipe. Jetzt zum Beispiel, man kann draußen sitzen und in Ruhe trinken. Ich trinke auch durchaus zuviel davon, aber eben nicht, dass ich überall auf der Welt, wo ich auf Reisen bin, dann unbedingt meine deutschen Produkte brauche. Das finde ich abartig« (K7).

Berlin nahm er folglich nicht nur als besonders großstädtisch wahr, sondern er ging noch weiter. Er verortete Berlin und damit sich selbst jenseits einer deutschen Kultur. Dieses Selbstbild reproduzierte er dann auch in kulinarischen Praktiken. Schließlich wollte er nicht nur auf Reisen, sondern auch in Berlin beim Besuch eines arabischen oder indischen Imbisses nur ungern auf (seiner Meinung nach) deutsche Gewohnheiten zurückgreifen. Berlin war bei ihm deutlich positiv konnotiert, während Deutschland relational dazu als Land der Biertrinker negativ konnotiert war. Wie diese Aussagen deutlich machten, war für die Interviewten die Eigenart Berlins ein Distinktionsvehikel, um sich von anderen deutschen und europäischen Städten abzugrenzen. In den Augen der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten war es insbesondere die kulturelle Diversität, die für Berlin besonders war. Dies machten sie dabei nicht nur an den Personen mit den unterschiedlichen kulturellen Hintergründen fest, die die Stadt durch ihre kulturellen (kulinarischen) Praktiken bereicherten. Sondern diese führte auch dazu, dass Berlinerinnen und Berliner deswegen so offen gegenüber verschiedenen Kulturen eingestellt wären. Aufgrund dessen wurde Berlin folglich etwas »Weltstädtisches« (Frei 2003), etwas »Kosmopolitisches« angedichtet, denn Berlin wurde nicht nur großstädtisch identifiziert, während andere Städte und Regionen eher als provinziell galten. Berlin wurde jenseits des deutschen nationalen Rahmens verortet, wie das letzte Konsumentenzitat deutlich machte. Dadurch, dass sie Berlin ein kosmopolitisches Image anhefteten, konnten sie sich selbst einen »sense of cosmopolitanism« (Rofe 2003, 2521) zuschreiben. Bronislaw Szerszynski und John Urry (2002, 470) verstehen Kosmopolitismus als Disposition, die sich u.a. durch (1) eine Bereitschaft zur umfassenden (auch imaginären) Mobilität, (2) durch eine Neugier auf andere Orte, Personen und Kulturen, (3) durch die Möglichkeit, andere Orte und Kulturen zu konsumieren, (4) durch eine (angelernte) Fähigkeit, den ästhetischen Wert anderer Kulturen und Gesellschaften zu interpretieren und (5) durch eine Offenheit gegenüber anderen Kulturen auszeichnet. Die interviewten Konsumentinnen und Konsumenten, die zu den Gentrifi-

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zierungsmilieus in Berlin gehörten, nutzten diesen »sense of cosmopolitanism« als eine Form von residenziellem Kapital (Dirksmeier 2010), um sich von anderen Personen in anderen Städten und Regionen – insbesondere in Deutschland – zu distinguieren. Denn sie verorteten nicht nur Berlin, sondern auch sich selbst als besonders großstädtisch und jenseits einer deutschen Kultur, zu der sie sich nicht zugehörig fühlten. Durch diese Positionierung, die sie auch in ihren kulinarischen Praktiken verhandelten und reproduzierten, prägten sie folglich die alltägliche Kulturalisierung von Berlin nach innen wie nach außen mit. Dabei homogenisierten sie eine Berliner Stadtkultur, während sie sich eigentlich in ihren Praktiken und Images nur auf einen selektiven Ausschnitt Berlins bezogen, nämlich die Gentrifizierungsviertel und insbesondere Kreuzberg, das als multikultureller Stadtteil und besonders berlintypisch galt. Andere differente und nicht in dieses Image passende soziale Milieus wurden von ihnen hier vollkommen ausgeblendet und soziale Missstände durch eine kulturalisierte Brille verdrängt. Die von ihnen geschätzte »Weltoffenheit« galt zudem nur so lange als erwünscht, als sie ökonomisch verwertbar war (Pécoud 2002, 503). Ohne sich darüber bewusst zu sein, reproduzierten sie auf Alltagsebene das, was von ökonomischen Organisatoren und politischen Instanzen im Zuge der globalen Städtekonkurrenz im Spätkapitalismus als Berliner Eigenart propagiert und inszeniert wurde. Und was im übrigen auch in wissenschaftlichen Ansätzen zur »Eigenlogik der Städte« (z.B. Löw 2008) unreflektiert bestärkt wird. Nicht zufällig ist es dabei gerade diese vermarktete Weltoffenheit und Anpassungsfähigkeit, die die im Spätkapitalismus geforderte Flexibilität bedient. Auch wenn sich die frühen Gentrifizierer in ihren Konsumpraktiken jenseits einer ökonomischen Logik verorteten, sind sie mit ihren Dispositionen und Distinktionspraktiken damit typische Kinder dieser spätkapitalistischen Zeit. Zudem ist ihre Selbstzuschreibung als Kosmopoliten erst durch die Ethnisierung anderer möglich. Das machte schon Ulf Hannerz (1991, 111) deutlich, als er 1990 über Kosmopoliten schrieb: »There is a value in diversity as such, but they are not likely to get it in anything like the present form, unless other people are allowed to carve out their special niches for their cultures, and keep them«. Um kosmopolitisch zu sein und dies auch im Alltag, zum Beispiel beim Essenskonsum, praktizieren zu können, benötigten sie folglich das Bild von starren und geschlossen Kulturen und damit die Multikulturalität der anderen. Kira Kosnick zufolge bauen Kosmopolitismus und Multikulturalismus auf zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven in Hinsicht auf Kulturen auf. Während das Kosmopolitische als Knoten in einem globalen Netzwerk von kulturellen Strömungen imaginiert wird, steht die Multikulturalität für das Resultat und damit das Ende von migrantischen Bewegungen, die dann kulturelle Mosaike ausformen (Kosnick 2009, 164).

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Während sich folglich die weißen, jungen, gebildeten Falafelkonsumentinnen und -konsumenten selbst als kosmopolitisch sahen, und damit als offen und fähig, mit unterschiedlichen Kulturen umzugehen, verorteten sie die Falafelimbissbesitzer und andere ethnische Unternehmerinnen und Unternehmer in statischen Kulturen. Der Kosmopolitismus als kulturelles Kapital ist damit symbolisch höher verortet als die Multikulturalität. Die Falafelimbissbesitzer wurden zwar als inhärenter Bestandteil der Berliner Geschmackslandschaft der Gentrifizierung anerkannt, ihnen wurden dabei nur der untergeordnete Platz des ethnischen Unternehmers zugeteilt. Dazu soll abschließend eine kurze Geschichte des Besitzers des Zweistrom erzählt werden, der mittlerweile seinen Imbiss weiterverkauft hat. Als ich ihn 2011 einmal vor dem Imbiss im Stadtteil Prenzlauer Berg traf, stellte er mich einer Freundin als Forscherin über Falafelimbisse in Berlin vor und fügte dann schmunzelnd hinzu, dass er – während er früher Interviews gegeben hätte, weil er Künstler sei – heute Interviews als »Falafelmann« geben müsste. Er erzählte dann eine Anekdote zu diesem Begriff. So sei eines Tages eine junge Frau in seinen Imbiss gekommen, während er hinter der Theke stand. Die Frau war bei Eintritt in den Imbiss in ein Telefongespräch mit ihrem Handy vertieft und sagte zu ihrem Gesprächspartner, dass sie gerade beim »Falafelmann« sei. Der Besitzer des Zweistrom erzählte, dass er innerlich über die Bezeichnung kurz zusammengezuckt sei, bevor ihm dann klar wurde, dass er für seine Kundinnen und Kunden genau das sei: der arabische Falafelmann.

11 Fazit: Der Geschmack der Gentrifizierung – Kulturelles Kapital, Distinktion und Orientalismus in Berlin But it is not the presence of artists that sets the process of displacement in motion: it is the presence of their taste for authenticity in the product mix, store design, and intangible ambiance of restaurants, boutiques, and gourmet stores. SHARON ZUKIN (2008, 734)

Was Sharon Zukin so treffend für Künstler beobachtet hat, das gilt auch für die urbane neue Mittelschicht im Allgemeinen: Es ist nicht deren bloße Gegenwart, die den Prozess der Gentrifizierung von Stadtvierteln auf alltäglicher Ebene vorantreibt. Es ist ihr Geschmack, der sich zunehmend räumlich in neuen Geschäften und Lokalen manifestiert und damit zur symbolischen wie physischen Aneignung der Stadtviertel führt. Dieses Buch hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Konstitution und Bedeutung des Geschmacks in der kommerziellen Gentrifizierung kritisch zu analysieren und zwar aus ganzheitlicher Perspektive. Denn der Geschmack hängt nicht nur ab von Konsumentinnen und Konsumenten, auf die schon öfters in Forschungsarbeiten eingegangen wurde (Ley 1996, Butler 1997), sondern auch von den Geschäftsüberlegungen und -entscheidungen von Kleinunternehmern – in diesem Fall bisher weitgehend unbeachteten Akteuren, nämlich arabischen Imbissbesitzern in Berlin. Stand am Anfang der empirischen Forschung im Jahr 2008 noch die Verhandlung des Arabischen in den gentrifizierungsaffinen und damit besonders interessanten Szene-Falafelimbissen im Mittelpunkt der Fragestellung, so kristallisierte sich im Verlauf dieses Buches deutlich heraus, dass die arabisch inszenierten Imbisse weit mehr waren als zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort in Berlins Szenevierteln. Arabische Imbisse hatten einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der

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alltäglichen städtischen Aufwertung in den vergangenen drei Jahrzehnten. Sie prägten damit – neben anderen Geschäften, gastronomischen Lokalen und Galerien – den Geschmack der Gentrifizierung Berlins. Abschließend sollen nun die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungsarbeit zusammengetragen werden. Wie sich im ersten Teil zur Genese der Berliner Falafelimbisskultur zeigte, waren arabische Imbisse – entgegen der weit verbreiteten öffentlichen Meinung – nie Ausläufer einer ethnischen Ökonomie, die die Konsumbedürfnisse einer arabischen Gemeinschaft in Berlin bediente, sondern richteten sich von Beginn an an eine junge, deutsche und europäische Mittelschicht, die sich in den achtziger Jahren in den Stadtteilen Schöneberg und Kreuzberg, nach der Wende in Berlin Mitte, am Prenzlauer Berg und in Friedrichshain, und in jüngster Zeit auch in Neukölln ausbreitete. Die Imbisse waren und sind damit inhärenter Bestandteil der kommerziellen Aufwertungslandschaften Berlins. Die Akteure im Umfeld der Imbisse zeichneten sich durch ein hohes kulturelles Kapital (bei vergleichsweise geringem ökonomischen Kapital) aus – wie es für die soziale Position von frühen Gentrifizierern typisch ist. Das galt zunächst für die Kundinnen und Kunden, die nicht ausschließlich über gehobene Bildungshintergründe verfügten, sondern sich das kulturelles Kapital auch inkorporiert hatten, indem sie sich selbst einen anderen sozialen Gruppen überlegenen Geschmack bescheinigten. Aber auch die Imbissbesitzer verfügten über ein hohes kulturelles Kapital. Erstens hatten sie teils ähnliche Bildungshintergründe, Lebensstile und Geschmackspräferenzen wie ihre Kundinnen und Kunden. Zweitens brachten sie ihr kulturelles Kapital in der Unternehmensführung zur Geltung und setzen ihre Fähigkeiten und ihre Wissensbestände in der Zusammenstellung des kulinarischen Angebots und in der Raumgestaltung auf dem Berliner Markt um. So war das kulinarische Angebot in den Falafelimbissen auch auf die milieuspezifischen Geschmacksvorlieben der zuziehenden sozialen Gruppen zugeschnitten, die vegetarische, gesunde und günstige Speisen bevorzugen. Und drittens gehörten die Imbissbetreiber zu den Mediatoren, die die Stadtviertel für die zuziehende Mittelschicht durch die Eröffnung neuer Konsumorte zugänglich machen. So eröffneten einige Imbissbesitzer ihr Lokal schon zu relativ frühen Zeitpunkten, als sich die kommerzielle Struktur in den Quartieren gerade erst zu verändern begann. Sie ebneten damit den Weg für Nachzügler. Der aktive Beitrag der Imbissbesitzer wurde aber in der Alltagsperzeption (ebenso wie im wissenschaftlichen Diskurs) zumeist völlig verkannt, da sie als »Araber« ethnisiert und ihre Tätigkeiten demzufolge nicht als Ausdruck von Kreativität, sondern als Ausdruck einer Tradition identifiziert wurden, als etwas, das ihnen letztendlich angeboren ist. Aufgrund dieser Ethnisierung wurde ihr kulturelles Kapital symbolisch dem kulturellen Kapital anderer kommerzieller Akteure, so genannter Kreativunternehmer in der Gentrifizierung untergeordnet. Die Besitzer von Falafelimbissen waren demnach aktive und kreative Akteure in der Berliner Gentri-

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fizierung, blieben als solche aber weitgehend unbemerkt. Hier zeigt sich, dass die oft zelebrierte Kreativität einem klaren Exklusivitätsanspruch unterliegt, von dem ethnisierte Gruppen ausgeschlossen werden. Paradoxerweise ist es gerade die Ethnisierung der Falafelimbisse und ihrer Besitzer, die deren Erfolg in Gentrifizierungsvierteln ausmacht, wie im zweiten Teil zum Konsum des Arabischen gezeigt wurde. Denn die orientalische Inszenierung der Imbisse erweckte bei den Konsumentinnen und Konsumenten das Gefühl von Authentizität. (Gefühlte) Authentizität wurde dabei zum zentralen Gütekriterium für die Bewertung der Imbisse. Das führte sogar so weit, dass Konsumentinnen und Konsumenten Imbisse, die in-authentisch wirken, mieden – außer sie hatten eine Empfehlung oder kannten den Laden bereits. Die Konsumentinnen und Konsumenten meinten dabei arabische Authentizität sowohl in der traditionellen und exotischen Raumgestaltung der Imbisse als auch in kulturell kodierten Verkaufspraktiken zu entdecken. Bestimmte Praktiken wurden dabei auch durch eine kulturelle »Brille« gelesen, obwohl sie gar nicht notwendig als kulturell inszeniert waren. Herausgehoben sei noch einmal das Beispiel des häufigen Verzichts auf alkoholische Getränke im Angebot, das von Konsumentenseite als Zeichen einer muslimischen Religiosität interpretiert und damit zum Authentizitätsmarker wurde, auch wenn eine muslimische Glaubenspraxis nur in wenigen Fällen der Grund war, warum die Falafelimbissbesitzer auf alkoholische Getränke verzichteten. Oft sind es eher Auflagen, Kundenorientierung oder das Bewusstsein über die Wirkkraft solcher Inszenierungen. Die in den Imbissen in Szene gesetzte Authentizität war dabei nicht einfach nur als Reproduktion eines gesellschaftlich verankerten Orientalismus zu verstehen, der sich aus einem historischen Orientbild und aus gegenwärtigen Diskursen über Musliminnen und Muslime in Deutschland speiste. Sie traf auch den generellen Geschmack der frühen Gentrifizierer, denn sie unterstrich die Vorliebe für Kulturelles bei gleichzeitiger Ablehnung des Kommerziellen. Diese Vorliebe war Ausdruck ihres spezifischen Habitus und reflektierte die Kapitalausstattung und soziale Position der Zielgruppe (Bourdieu 1987). Auf diese Weise wurde der Geschmack des Authentischen zum Distinktionsvehikel: Dadurch, dass die Konsumentinnen und Konsumenten den Falafelimbissen Authentizität attestierten, schrieben sie sich diese Authentizität selbst zu und unterstrichen so ihre gefühlte kulturelle Überlegenheit über andere soziale Gruppen (Zukin 2010, 3f). Sie sahen sich als legitime Bewohnerinnen und Bewohner jener Viertel an und grenzten sich gleichzeitig in ihrer Selbstwahrnehmung von den zunehmenden Verbürgerlichungsprozessen ab, die sie vorwiegend als ökonomische Aufwertung der Stadtviertel wahrnahmen. Dass ihre Authentizitätsvorstellungen auf bürgerlichen Idealen und Werten beruhten (Trilling 1989) und sie mit ihrem hohen kulturellen Kapital und ihren Distinktionsbemühungen selbst Teil der Aufwertungsprozesse waren, blendeten sie hingegen aus. Erinnert sei noch einmal an

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Bourdieus (1983, 184) Kommentar zur Verschleierung des kulturellen Kapitals als Generator sozialer Ungleichheit, der bis heute Gültigkeit hat: »Es ist bemerkenswert, dass gerade diejenigen intellektuellen und künstlerischen Praktiken und Güter dem ›kalten Hauch‹ des egoistischen Kalküls (und der Wissenschaft) entzogen wurden, die ein Quasi-Monopol der Angehörigen der herrschenden Klasse sind«. Zudem ist die konstruierte Trennung zwischen Kultur und Kommerz, auf die die Geschmacksvorlieben der frühen Gentrifizierer aufbauen, gerade in Bezug auf konsumtive Einrichtungen offensichtlich absurd. Ohne dass sie sich dessen bewusst waren, waren ihre Geschmackspräferenzen Ausdruck der auf der Inwertsetzung von Kultur basierenden symbolischen Ökonomie im Spätkapitalismus (Harvey 1989, Zukin 1990). Die Anbieter formten wiederum durch eine spielerische und auf Berliner Geschmacksvorlieben ausgerichtete Umsetzung des Orientalischen die Ästhetik der kommerziellen Gentrifizierungslandschaft mit. So bettete sich das in Berlin generierte Orientbild zum Beispiel auch gestalterisch in eine für kommerzielle Gentrifizierungsprozesse charakteristischen Retro-Stil ein. Gleichzeitig waren die Anbieter in ihren Darstellungspraktiken eingeschränkt, da sie mit den Erwartungen ihres Kundenstamms an orientalische Inszenierungen konfrontiert waren. Auch wenn offenkundig anti-muslimische Ressentiments im Umfeld der Imbisse absent sind, führen diese Stereotype dazu, dass die Anbieter der arabischen Imbisse sich einem bodenständigen und traditionellen Image ausgesetzt sahen, das sie zu einem gewissen Maße zu bedienen hatten. Schließlich waren in der frühen Gentrifizierung eher Imbisse erfolgreich, die sich als kulturelle, nicht als ökonomische Einrichtungen präsentierten. Es gab aber auch Möglichkeitsräume für unterschiedliche Darstellungen, die eng mit der Gentrifizierung Berlins zusammenhingen und durch die Images der Stadtviertel eröffnet wurden. So waren von orientalischen Inszenierungen differente Repräsentationspraxen gerade in aufgewerteten und als angepasst geltenden Stadtvierteln wie dem Prenzlauer Berg möglich. Dort haben sich einige Imbissbesitzer angesiedelt, die ihre Distanz zu orientalischen Inszenierungen, aber auch zu einer als konservativ wahrgenommenen arabischen Community in Berlin Ausdruck verliehen und ihre Distinktion dann auch durch weniger orientalisierte Dekorationen, Alkoholverkauf oder Che-Guevara-Portäts unterstrichen. Stadtviertel wie Kreuzberg hingegen, die als besonders authentisch und multi-kulturell gelten, verlangten den Imbissbesitzern eher orientalisierte Repräsentationen ab, ob sie sich damit identifizierten oder nicht. Auf der anderen Seiten wiederum prägten die Imbissbesitzer Images von Stadtvierteln wie »aufgewerteter und angepasster Prenzlauer Berg« oder das »authentische Kreuzberg« durch ihre unterschiedlichen Repräsentationsstrategien mit. In jedem Fall bedingten sich die Konstruktionen der Aufwertungsviertel und die Konstruktionen der Imbisse gegenseitig und standen im engen Wechselverhältnis zueinander.

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Im dritten Teil der Arbeit wurde schließlich die Konstitution der Geschmackslandschaft der Berliner Gentrifizierung untersucht, und dabei zunächst mit Dönerimbissen eine Negativfolie beleuchtet, denn diese Lokale wurden von den frühen Gentrifizierern zwar oft als Vergleich herangezogen, gleichzeitig aber eindeutig gemieden. Die in einem Großteil der Falafelimbisse inszenierte Authentizität diente hier als Distinktionsvehikel gegenüber statusniedrigeren Gruppen und ihren Lokalen, die nicht als Teil des eigenen Milieus angesehen wurden. Auch wenn die türkisch konnotierten Dönerimbisse auf den ersten Blick den Falafelimbissen im Angebot und der Imbissführung sehr ähnlich waren, wurde den Dönerimbissen (und deren Publikum) aufgrund ihrer modernen massenkonsumorientierten Ausrichtung und der Zentrierung auf fleischhaltige Gerichte ein Mangel an Geschmack und Ästhetik nachgesagt. Hier waren sich Falafelkonsumenten und -anbieter in ihren oft abfälligen Bemerkungen einig. Die fein gezogenen Unterscheidungen zwischen den beiden Imbisstypen waren dabei Ausdruck vehementer Abgrenzungspraktiken gegenüber einer sich nicht zu ernährenden wissenden und ästhetisch minderbemittelten Unterschicht und ihrer Lokale. Soziale Klassifizierungen überschnitten sich hier mit kulturellen Kodierungen. Während die »arabischen« Imbissbesitzer – wenn auch unbewusst – von den Konsumenten als Teil des eigenen neubürgerlichen Milieus wahrgenommen wurden (und sich selbst auch so positionierten), wurden die »türkischen« Imbissbesitzer als Unterschicht deklassiert. In jedem Falle reproduzierte die neue Mittelschicht, die sich selbst gern als bodenständig, tolerant und klassenübergreifend darstellt, in ihren Alltagspraktiken und damit verbundenen Geschmackspräferenzen ihre bürgerliche Zugehörigkeit. Insbesondere hier wurde der überlegene Geschmack, den sich die Gentrifizierungsmilieus selbst zuschreiben, zu einem »tool of power« (Zukin 2010, 3), da den Dönerimbissen als Orten der Unterschicht ein legitimer Platz in der eigenen Geschmackslandschaft der Gentrifizierung abgesprochen wurde. Sie mussten auch aus den Aufwertungsvierteln zunehmend weichen. Darüber hinaus zeigte die Abgrenzung zu den massenkonsumorientierten Dönerimbissen, die mit Deko-Elementen wie fotografischen Essenstafeln einen an Schnellrestaurants angelehnten Stil verfolgten, dass sich die neue Mittelschicht nicht nur als sozial übergeordnet, sondern im Trend zeitlich voraus wahrnahm und sich damit als postmodern begriff. Das in den Falafelimbissen generierte Orientbild, das auf eine Rückbesinnung auf Kulturen verweist und sich damit von dem Fortschrittsgedanken einer kommerziellen Moderne löst (Harvey 1989, 260ff.), gehörte folglich zu dieser postmodernen Imagination, die hier als Selbstverortung der neuen Mittelschicht zu verstehen ist. Mit diesem »Trendsetter«-Selbstverständnis legitimierten sie ihre kommerziellen Orte in den Stadtvierteln sowohl für den Moment als auch für die Zukunft, während andere Einrichtungen mehr und mehr aus den Aufwertungsvierteln verdrängt wurden.

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Da es lange eines milieuspezifischen und lokal verankerten Wissens bedurfte, um die feinen Unterschiede zwischen den auf den ersten Blick sehr ähnlichen Dönerimbissen und den Falafelimbissen zu verstehen, ermöglichte der Konsum in Falafelimbissen (und nicht in den in Berlin und Deutschland präsenteren Dönerimbissen) auch einen Distinktionsgewinn gegenüber den von außerhalb der Stadt in die Stadtviertel kommenden Personen, die nicht als Berlinerinnen und Berliner wahrgenommen wurden, allen voran Touristinnen und Touristen. Falafelimbisse waren lange auf Berlin konzentriert, während sie sich in anderen Städten und Regionen eher selten fanden. Da das Wissen um den Unterschied zwischen Döner und Schawarma erst langsam durch das alltägliche Bewegen und Interagieren in den Gentrifizierungsmilieus erlernt wurde, wurde es hier folglich zum residenziellen Kapital (Dirksmeier 2003, 2010). Gleichzeitig diente das Erlernen von solchen lokal verankerten, alltäglichen Praktiken für die meist selbst erst vor einigen Jahren nach Berlin gezogenen Konsumentinnen und Konsumenten als eine Art Aufnahmeritus, der die eigene Zugehörigkeit zur Stadt und insbesondere zu den Aufwertungsvierteln unterstrich. Diese Abgrenzung nach außen hin zeigte dabei deutlich, dass mit ökonomischer und kultureller Globalisierung das Lokale neu-konstituiert wird und damit lokale Besonderheiten nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. So hat sich in den Gentrifzierungsvierteln eine berlinspezifische Geschmackslandschaft ausgebildet. Auch wenn diese auf den ersten Blick multi-kulturell wirkte, handelte es sich bei der Berliner Geschmackslandschaft der Gentrifizierung um eine hybridisierte und damit trans-kulturalisierte Geschmackslandschaft. Das Angebot der Falafelimbisse hat sich an eine Kombination lokal-milieuspezifisch verankerter Geschmacksvorlieben (billig, gesund, vegetarisch, authentisch) angepasst. Die Konsumentinnen und Konsumenten hingegen erlebten die Berliner Eigenart in ihren kulinarischen Praktiken als einen Alltagsmultikulturalismus, als ein Nebeneinander authentischer (Ess-)Kulturen, in dem deutsche Küche fehlte. Dieser Berlin attestierte Multikulturalismus wurde zum Distinktionsvehikel, um sich gegenüber ihren Herkunftsregionen und anderen Gegenden in Deutschland und Europa abzugrenzen. Durch die alltägliche Kombination von verschiedenen Kulturen schrieben sie sich selbst einen »sense of cosmopolitanism« (Rofe 2003, 2521) zu und verorteten sich als Berlinerinnen und Berliner jenseits einer deutschen Kultur. Dabei schlossen sie von ihren Praktiken in einem kleinen Ausschnitt Berlins, nämlich den angeeigneten Aufwertungsvierteln, auf eine Berliner Eigenart. Berlin wurde so zur Distinktionsfäche nach außen hin. Hier sei anzumerken, dass sie dabei im Alltag das praktizierten, was auch manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in aktuellen Ansätzen zur Eigenlogik von Städten (z.B. Löw 2008) tun: Sie kulturalisierten die Stadt als Ganzes. Als neue Mittelschicht mit hohem kulturellem Kapital und damit Deutungshoheit eignetn sie sich die Stadt symbolisch an, während sie differente Lebensstile und soziale Hintergründe marginalisierten.

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Zudem öffnet sich in dieser kosmopolitischen Selbstwahrnehmung wieder eine Machtasymmetrie zwischen den deutschen und europäischen Konsumentinnen und Konsumenten auf der einen Seite und den Imbissbesitzern und anderen Anbietern von »ethnic food« auf der anderen Seite. Denn während sich erstere als Kosmopoliten den Kulturen übergeordnet wahrnahmen, verorteten sie die Imbissbesitzer in den ihnen zugewiesenen starren (arabischen und anderen) Kulturen. Die eigene kosmopolitische Haltung und Selbstverortung jenseits einer deutschen Kultur ist damit auf die (Multi-)Kulturalisierung der Falafelimbissbesitzer und anderer migrantischer Unternehmer in Aufwertungsprozessen angewiesen. Man will zwar aus dem eigenen (deutschen) Container heraus, braucht dafür aber die anderen kulturellen Container. Zum Schluss schließt sich der Kreis: Die Falafelimbisse gehörten zwar zur Geschmackslandschaften in der Gentrifizierung, gleichzeitig wurde den Besitzern aufgrund ihrer Ethnisierung nur ein untergeordneter symbolischer Platz zugewiesen. Diese Forschungsarbeit konfrontiert nun die symbolische Unterordnung von arabischen Unternehmern und plädiert dafür, ihre Rolle in Gentrifizierungsprozessen ernst zu nehmen. Wie sich in der Betrachtung der alltagskulturellen Praktiken in den Berliner Aufwertungsvierteln zeigt, ist ihr Beitrag in den Berliner Aufwertungsprozessen in den vergangenen drei Jahrzehnten zentral gewesen. Wie diese Arbeit deutlich macht, beginnt Gentrifizierung als Verbürgerlichung nicht erst mit einem vehementen Preisanstieg für Wohn- und Gewerbeflächen, der von der Immobilienwirtschaft und einer neoliberalen Stadtpolitik vorangetrieben wird und schließlich zu einem Bevölkerungsaustausch führt. Sondern sie zeigt sich schon vorher in der konsumtiven Aneignung der Stadtviertel durch eine neue urbane Mittelschicht. Wie Pierre Bourdieu (1987, 568) es schon für das neue Kleinbürgertum ausdrückte, sind es gerade der »systematische Anspruch auf Distinguiertheit« der frühen Gentrifizierer und jenes »fast peinlich-methodische Sichabgrenzen«, die zu einer alltagskulturellen Verbürgerlichung der Stadtviertel führen. Folglich sollte Bourdieus Appell auch in Bezug auf die Gentrifizierung gehört, und die Bedeutung des kulturellen Kapitals für die Generierung sozialer Ungleichheit und städtischer Segregation in der Spätmoderne nicht unterschätzt werden. An dieser Einschreibung des kulturellen Kapitals in die Stadtviertel haben die Falafelimbissbesitzer wie auch andere migrantische Unternehmer durch die Eröffnung ihrer Konsumorte einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Zudem zeigt sich in den doch erstaunlich ähnlichen Bewertungsmustern der interviewten Konsumentinnen und Konsumenten, das die vermeintlich individualisierten Lebensstile auch in der Spätmoderne in Berlin auf Klassenzugehörigkeiten aufbauen. Denn auch wenn die Konsumentinnen und Konsumenten alle unterschiedliche Biographien hatten, aus unterschiedlichen Regionen kamen und in sehr unterschiedliche lokale Netzwerke in Berlin eingebettet sind, so haben sie fast iden-

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tische Vorstellungen vom Ästhetik und Geschmack und grenzen sich hier – wie das Beispiel der Dönerimbisse zeigte – auch sehr deutlich von einer Unterschicht ab. Diese Arbeit möchte nicht die Unterschiede in den individuellen sozialen Realitäten dieser Personen und die Existenz von unterschiedlichen Milieus mit unterschiedlichen Interessen und Rollen in Gentrifizierungsprozessen verneinen. Sie widerspricht aber gleichzeitig der These von der zunehmenden Individualisierung und dem Verschwinden von klassenbasierten Strukturen in der spätmodernen Gesellschaft, denn die Fokussierung alltägliche Praktiken hat gezeigt, dass eine »neue Mittelschicht« sehr wohl auch in Berlin existiert. So kann hier Andreas Reckwitz nur zugestimmt werden, der 2009 schrieb: »An der sichtbaren Oberfläche findet sich die urbane Zelebrierung der ästhetischen Zeichen und Symbole, in der Tiefenstruktur hingegen jener Kapitalismus, der sich in der Postmoderne der Dimension symbolischer Waren bedient, der tatsächlich aber eine massive stadträumliche Segregation unterschiedlicher Klassen fördert.« Der Prozess der Gentrifizierung ist damit mehr als nur eine soziale quartiersbezogene Aufwertung. Gentrifizierung steht im Zentrum der tiefgreifenden kapitalistischen Transformation in den vergangenen Jahrzehnten hin zur symbolischen Ökonomie, in der Kultur mittlerweile ins Zentrum der kapitalistischen Verwertungslogik gerückt ist. Dabei kommt der Inszenierung von Authentizität für die gegenwärtigen städtischen Restrukturierungsprozesse eine zentrale Rolle zu (vgl. Zukin 2010). In dieser Hinsicht ist auch der in den Geschmackslandschaften eingebettete Orientalismus, der durch die Falafelimbissbesitzer generiert wird, nicht einfach nur ein historisch verankertes hegemonial strukturiertes Archiv, auf das (im wahrsten Sinne des Wortes) zurückgegriffen wird. Der Orientalismus ist integrativer Bestandteil einer postmodernen Ästhetik, die – wie Fredric Jameson (1991) zeigte – die kulturelle Logik des Spätkapitalismus ist. Die Gentrifizierer als Post-Modernisierer werden – auch wenn oder gerade da sie sich selbst außerhalb einer kapitalistischen Logik sehen – zu den Protagonisten dieser spätkapitalistischen Ästhetik. Und zu ihnen gehörten in den vergangenen drei Jahrzehnten in Berlin nicht nur die deutschen und europäischen Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch die migrantischen Anbieter der arabischen Imbisse. 2013, dem Jahr der Fertigstellung dieses Buches, scheinen die Falafelimbisse mit zunehmender Ausbreitung allmählich ihre Funktion als Distinktionsvehikel in Gentrifizierungsprozessen zu verlieren. Obwohl immer noch neue arabische Imbisse eröffnen, klingt der Falafel-Hype in Berlin deutlich ab. Es sind gegenwärtig neue ethnisch-kulinarische Güter, die in den Gentrifizierungsvierteln auf den Markt drängen und das Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten wecken. Die dahinter stehenden Authentizitätsvorstellungen und ästhetischen Präferenzen laufen dabei sicherlich nach ähnlichem Muster ab.

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Meine Arbeit möchte zur Reflexion der damit verbundenen Ethnizitäts- und Klassenkonstruktionen aufrufen. Diese Reflexion kann die Aufwertungsprozesse nicht aufhalten. Aber vielleicht kann sie dazu beitragen, dass auch anderen von der der deutschen oder europäischen Mittelschicht differenten sozialen Gruppen ein legitimer und egalitärer Platz in den Stadtquartieren zugestanden wird.



         

 

 

  

 

  

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