Der Einfluss des Internets auf die Unternehmensgrenzen: Die Dekonstruktionsthese aus industrie-, institutionen- und informationsökonomischer Sicht [1. Aufl.] 978-3-8244-7616-9;978-3-322-89656-8

Die Dekonstruktionsthese gilt als eine der wichtigsten Thesen zum Einfluss der Informationstechnologie auf die Organisat

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Der Einfluss des Internets auf die Unternehmensgrenzen: Die Dekonstruktionsthese aus industrie-, institutionen- und informationsökonomischer Sicht [1. Aufl.]
 978-3-8244-7616-9;978-3-322-89656-8

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXI
Einleitung (Felix Schuler)....Pages 1-4
Die Dekonstruktionsthese (Felix Schuler)....Pages 5-17
Theorie der Unternehmensgrenzen (Felix Schuler)....Pages 18-160
Wirkungen von Internet und E-Commerce auf die Unternehmensgrenzen (Felix Schuler)....Pages 161-252
Fazit und Ausblick (Felix Schuler)....Pages 253-262
Back Matter ....Pages 263-289

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Felix Schuler

Der Einfluss des Internets auf die Unternehmensgrenzen Die Dekonstruktionsthese aus industrie-, institutionen und informationsökonomischer Sicht

Felix Schuler Der Einfluss des Internets auf die Unternehmensgrenzen

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Felix Schuler

Der Einfluss des Internets auf die Unternehmensgrenzen Die Dekonstruktionsthese aus industrie-, institutionen- und informationsökonomischer Sicht

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Manfred Neumann

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich

Dissertation Universität Erlangen, Nürnberg, 2002 n2

1. Auflage Mai 2002 Alle Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2002 Ursprünglich erschienen bei Deutscher Universitäts-Verlag GmbH, Wiesbaden 2002. Lektorat: Ute Wrasmann I Nicole Schweitzer

www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla.9s unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-322-89656-8 (eBook) ISBN 978-3-8244-7616-9 DOI 10.1007/978-3-322-89656-8

v

Geleitwort

Geleitwort Welche Auswirkungen wird die modeme Informationstechnologie, insbesondere Internet und E-Commerce, auf die Struktur von Unternehmen und die Konfiguration von Industriezweigen haben? Das ist die Frage, der das vorliegende Buch gewidmet ist. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich vermehrt einst vertikal integrierte Unternehmen auflösen und konglomerate Unternehmen Betriebsteile veräußern, die nicht zum Kembereich des jeweiligen Unternehmens gehören (Dekonstruktion). Um diese Vorgänge zu interpretieren, werden umfassend und analytisch tiefgehend neuere Entwicklungen der Theorie des Unternehmens (theory

0/ the firm)

dargestellt. Dadurch wird ein Rahmen geschaffen, um zu prüfen, inwieweit De-

konstruktionsprozesse als Folge von Internet und E-Commerce eingestuft werden können. Nach der Einleitung wird zunächst die Dekonstruktionsthese charakterisiert. Danach werden die Grenzen eines Unternehmens in drei Dimensionen definiert, und zwar horizontal, vertikal und lateral. Erklärt werden diese Grenzen dann unter Bezugnahme auf drei theoretische Ansätze, die neoklassische Unternehmenstheorie, die Neue Institutionenökonomik (mit Transaktionskostenökonomik und Vertragstheorie) und aus informationsökonomischer Sicht. Die dazu jeweils herangezogenen Modelle werden in nachvollziehbarer Weise abgehandelt. Schließlich werden die technischen und ökonomischen Grundlagen von Internet und E-Comrnerce beschrieben. Ihre ökonomisch relevanten Aspekte werden herausgearbeitet und dann hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Grenzen der Unternehmen untersucht. Geboten wird so eine auf gründlicher Recherche beruhende, wirklich umfassende Darstellung und Diskussion der neueren Theorie des Unternehmens, die selbst ohne die Auswertung fiir die Frage nach den Auswirkungen der neuen Informationstechnologie höchst interessant ist. Besonders wertvoll wird der auf diese Weise entwickelte Rahmen jedoch dadurch, dass die Auswirkungen von Internet und E-Commerce identifiziert werden können und auch ihre Grenzen deutlich werden. Es ergibt sich ein sehr differenziertes Bild, das

simplifi~ierende

Behauptungen in Frage stellt. Die Analyse liefert jedoch interessante Anregungen fiir die Formulierung unternehmerischer Strategien sowie auch fiir die Wettbewerbspolitik. Das Gewicht der einzelnen Argumente, die im Rahmen der Arbeit diskutiert werden, wird vom Verfasser vorsichtig eingeschätzt, insbesondere deshalb, weil bisher Erfahrungsmaterial nur in sehr beschränktem Maße zur Verfiigung steht. Es ist zu hoffen, dass das vorliegende Werk in Wissenschaft und Praxis breites Interesse findet und den Anstoß zu vertiefenden Studien liefert. Manfred Neumann

Vorwort

VII

Vorwort Diese Dissertation entstand während zweier Jahre als "assoziiertes Mitglied" des Lehrstuhls rur Wirtschaftstheorie an der WISO der Universität Erlangen-Nürnberg und hat mir alles in allem sehr viel Freude bereitet, weil sie in einem wunderbaren Umfeld entstehen konnte. Herzlichen Dank zunächst an meinen Doktorvater Professor Dr. Manfred Neumann, der mir die Chance gegeben hat, meine Dissertation als voll integrierter Externer an seinem Lehrstuhl verfassen zu können. Sein Interesse an neuen Fragestellungen und an ihrer Beantwortung mit bekannten und weniger bekannten theoretischen Konzepten hat mein Thema erst ermöglicht. Für die einzigartige Verbindung von Professionalität, Freundlichkeit und Fröhlichkeit im persönlichen Umgang möchte ich mich besonders bedanken. Herrn Professor Dr. Harald Hungenberg danke ich ganz herzlich rur die Übernahme des Zweitgutachtens. Mein Arbeitgeber, die Boston Consulting Group, hat mir die Möglichkeit gegeben, im Rahmen des Sabbatical-Programms die notwendige Zeit rur die Erarbeitung einer Dissertation in theoretischer VWL zu finden. Harald Rubner und Martin Köhler sei flir Rat und Tat gedankt. Meinem Mitdoktoranden und Freund Dr. Christi an "Benji" Winkler kann ich für die gemeinsame gute Zeit gar nicht genug danken. Unsere Freudens- und Leidensgenossenschaft dürfte ihresgleichen suchen. Tausend Dank an meine Korrekturleser und sonstige Helfern: Eva Schuler-Ascher! rettete die Orthographie; Dr. Carola "Auli" Burkert strich so manche "Fette Brille" und hat diverse Tage mit ihren Einfällen aufgehellt; Andreas Engel filzte das Literaturverzeichnis, wovon Nina Wehrle große Teile besorgt hatte; Dr. Uli Fell half vertikal integriert. Meinen Eltern und Geschwistern bin ich rur unablässige moralische Unterstützung und rur alles andere von ganzem Herzen dankbar. Danke, Vergelt's Gott und Deo Gratias an meine Frau Dr. Alexandra Groß-Schuler. Dass sie den Großteil meiner Promotionszeit als Mit-Doktorandin am gleichen Lehrstuhl verbrachte und vor allem, dass sie während dieser Zeit meine Frau geworden ist, hat die zwei Jahre der Promotion so ausgesprochen einzigartig gemacht. Aber auch die Dissertation selbst hat von den Erfahrungen, den kritischen Fragen, den großen und den kleinen Tipps meiner Frau unvergleichlich profitiert. Ich darf Ihr diese Arbeit widmen. Felix Schuler

Inhaltsverzeichnis

IX

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................................... XV Tabellenverzeichnis ........................................................................................................................ XVII Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................................... XIX Glossar............................................................................................................................................... XXI A Einleitung ....................................................................................................................................... 1 B Die Dekonstruktionsthese ........................................................................................................... 5

Aufbau der Dekonstruktionsthese ................................................................................................ 5 1.1 Technologische Grundlage .................................................................................................... 6 1.2 Ökonomischer Hintergrund ................................................................................................... 8 1.3 Schlussfolgerungen ................................................................................................................ 9 2

Varianten und weitere Formulierungen der Dekonstruktionsthese ....................................... 11

3 Resümee ........................................................................................................................................ 16 C Theorie der Grenzen lies Unternehmens .............................................................................. 18 Theorie der Untemehmensgrenzen - Einleitung ...................................................................... 18 2 Begriffsabgrenzung: Grenzen des Untemehmens .................................................................... 19 2.1 Drei Dimensionen der Grenzen des Untemehmens ......................................................... 20 2.2 Vertikale Grenzen und Integration ..................................................................................... 21 Wertschäpfungskette und Modellierung ........................................... ................................. 21 Vertikale Integration ......................................................................................................... 22

2.3 Horizontale Grenzen und Integration ................................................................................ 23 Relevanter Markt .............................................................................................................. 24 Veränderung von Marktanteil und Unternehmensgräße .................................................. 25

2.4 Laterale Grenzen und konglomerate Integration .............................................................. 26 3 Neoklassische und industrieökonomische Sicht der Firma und ihrer Grenzen .................... 28 3.1 Vertikale Grenzen ................................................................................................................. 28 3.1.1 Verbundvorteile (Economies ojSCope) .................................................................. 29 3.1.2 Unvollkommener Wettbewerb ................................................................................ 30 Grundmodell ........................................................................................................... 30 Modellerweiterungen ..................................................... ......................................... 32 Zusammenfassung der Anreize ............................................................................... 34

3.1.3 Schaffung von Marktrnacht ..................................................................................... 35 Verhinderung von Markteintritt ................................................................ .............. 35 Benachteiligung von Konkurrenten ....................................................................... 36

3.1.4 Preisdifferenzierung .................................................................................................. 38

x

Inhaltsverzeichnis

3.1.5 Unsicherheit und Risiko ........................................................................................... 40 3.1.6 Marktgröße und Lebenszyklus ................................................................................ 41 3.2 Horizontale Grenzen ............................................................................................................ 44 3.2.1 Kostenstruktur ........................................................................................................... 45 GrenzkostendifJerenzen .......................................................................................... 45 Fixkosten ................................................................................................................. 45 Skalenvorteile ......................................................................................................... 46

3.2.2 Veränderung der Marktgröße .................................................................................. 47 3.2.3 Marktmacht ................................................................................................................ 49 3.2.4 Produktdifferenzierung ............................................................................................. 52 ProduktdifJerenzierung und Marktwachstum ......................................................... 53 ProduktdifJerenzierung und Marktmacht .............................................................. 54

3.3 Laterale Grenzen: Mehrproduktunternehmen und Konglomerate ................................. 57 3.3.1 Mehrproduktunternehmen ........................................................................................ 58 3.3.2 Konglomerate Expansion ......................................................................................... 59 RisikostreuunglDiversijikation ............................................................................... 60 Marktmacht ............................................................................................................. 61

3.4 Zusammenfassung und Ansatzpunkte .............................................................................. 64 4

Neue Institutionenökonomik: Transaktionskostentheoretische und vertragstheoretische Sicht der Firma und ihrer Grenzen ............................................................................................. 69 4.1 Grundlagen der institutionenökonomischen Sicht der Firma ......................................... 71 Verhaltensannahmen ......................................................................................................... 71 Transaktionskosten ........................................................................................................... 73

4.2 Vertikale Grenzen................................................................................................................. 75 4.2.1 Transaktionskosten als Integrationsanreiz ............................................................. 75 4.2.2 Determinanten der Transaktionskosten und vertikale Integration ...................... 78 Faktorspezijität (Asset Specijicity) und das hold-up-Problem ............................... 80 Unsicherheit ........................................................................................................... 87 Transaktionshäufigkeit und -größe ......................................................................... 88 Verhandlungskosten und kurzfristige Verträge ...................................................... 89

4.2.3 ,Integrationsgrenzen ................................................................................................... 90 Das "Rätsel" der selektiven Intervention ............................................................... 91 Interne Transaktionskosten und Einflusskosten ........................ ,............................. 92 4.2.4 Property Rights und die Grenzen des Unternehmens .......................................... 94 Das Property-Rights-Modell vertikaler Integration ................. ,............................. 96 Property Rights und Information als Produktionsfaktor ....... ,.............................. 105

4.2.5 Resümee und empirische Evidenz: Vertikale Unternehmensgrenzen aus Sicht der NIÖ ......... ,............. ,................................................................................... 109

Inhaltsverzeichnis

XI

4.3 Horizontale Grenzen .......................................................................................................... 115 Kollusives Verhalten und Kartelle ................................................................................. 116 Kooperationen ................................................................................................................ 117

4.4 Laterale Ausdehnung ......................................................................................................... 121 4.4.1 Transaktionskosten, Mehrproduktunternehmen und Konglomerate ................ 122 Interne Kapitalmärkte ........................................................................................... 122 Interne Arbeitsmärkte ........................................................................................... 125

4.4.2 Transaktionskostenbedingte Komplementarität und Unternehmensgrenzen .. 127 4.5 Zusammenfassung und Ansatzpunkte ............................................................................. 132

5

Informationsökonomische Sicht der Firma und ihrer Grenzen ............................................ 137

5.1 Das Unternehmen als Intermediär ................................................................................... 138 Informationskosten als Determinanten der Unternehmensorganisation ........................ 141 Die Grenzen des Unternehmens als Intermediär ............................................................ 143 Resümee .......................................................................................................................... 148

5.2 Das Unternehmen als Informationsverarbeiter ............................................................... 148 5.3 Wissensbasierte Perspektive: Ressourcen und Fähigkeiten .......................................... 152 Vertikale Integration .... :.................................................................................................. 153 Horizontale und laterale Integration .............................................................................. 155

5.4 Zusammenfassung und Ansatzpunkte ............................................................................. 159



D Wirkungen von Internet und E-Commerce auf die Unternehmensgrenzen ............. 161 Technische und ökonomische Grundlagen ............................................................................. 161 1.1 Entstehung, Infrastruktur und Institutionen des Internets ............................................. 161 Ursprünge und Entwicklung ................................................................................................... 161 Technische Infrastruktur ....................................................................................................... 165 Institutioneller Rahmen .......................................................................................................... 166

1.2 E-Commerce: Status Quo im Jahr 2001 .......................................................................... 167 2

Relevante ökonomische Aspekte von Internet und E-Commerce ....................................... 173

2.1 Veränderung von Ex-ante-Transaktionskosten .............................................................. 175 2.1.1 Informations- und Kommunikationskosten ......................................................... 175 Kosten der Informationsverarbeitung und -übermittlung ..................................... 176 Suchkosten und Kosten der Informationsgewinnung ............................................ 177 Kommunikationskosten ......................................................................................... 178

2.1.2 Andere Ex-ante-Transaktionskosten..................................................................... 180 Verhandlungskosten ............................................................................................. 180 Vertriebs- bzw. Einkauftkosten ...................... ....................................................... 181

XII

Inhaltsverzeichnis

2.2 Veränderung von Ex-Post-Transaktionskosten .............................................................. 184 2.2.1 Faktorspezifität (Asset Specijicity) ........................................................................ 185 Spezijität der Transaktionstechnologie ................................................................. 185 Spezijität anderer assets ....................................................................................... 186 Spezijität von "Information Assets" ..................................................................... 189 Häufigkeit und Gräße von Transaktionen ............................................................ 190

2.2.2 Unsicherheit ............................................................................................................. 190 2.2.3 Direkte Koordinations- und Überwachungskosten ............................................. 192 2.3 Marktvergrößerung und Marktdichte ............................................................................... 193 2.4 Preis- und Wettbewerbseffekte ......................................................................................... 196 2.4.1 Auswirkungen aufWettbewerbsintensität und Preise ........................................ 196 Preisniveau und Preisdispersion .......................................................................... 197 Marktstruktur ........................................................................................................ 200

2.4.2 Empirische Befunde ................................................................................................ 206 Preisniveau .......................................................................................................... 206 Preisdispersion ..................................................................................................... 207

2.5 Produktionskosten .............................................................................................................. 208 2.6 Verbundvorteile (Economies 0/ Scope) ........................................................................... 211 2.7 Transaktionskosten der Nachfrager und Komplementarität ......................................... 213 2.8 Kosten des internen Managements ................................................................................... 215 3

Digitale Produkte ........................................................................................................................ 217

4

Resümee: Veränderung und Konstanz von Integrationsanreizen ........................................ 223 4.1 Vertikale Grenzen............................................................................................................... 223 Neoklassische/industrieäkonomische Sicht ................................................ ,................... 223 Institutionenäkonomische Sicht ..................................................................................... 227 Informationsäkonomische Sicht ................................................................................... '" 230

4.2 Horizontale Grenzen .......................................................................................................... 232 Neoklassische/industrieäkonomische Sicht .................................................................... 232 Institutionenäkonomische Sicht ..................................................................................... 234 Informationsäkonomische Sicht ...................................................................................... 235

4.3 Laterale Grenzen................................................................................................................. 236 Neoklassische/industrieäkonomische Sicht .................................................................... 236 Institutionenäkonomische Sicht ..................................................................................... 238 Informationsäkonomische Sicht ...................................................................................... 240

4.4 Intermediation und Disintermediation ............................................................................. 240

Inhaltsverzeichnis

5

XIII

Weitere aktuelle Einflüsse auf die Grenzen des Unternehmens .......................................... 243 5.1 Internationaler Handel und Abbau von Handelsschranken .......................................... 243 5.2 Wandel der Finanzmärkte ................................................................................................. 246 5.3 Deregulierung ..................................................................................................................... 250 5.4 Zusammenfassung .............................................................................................................. 251

E Fazit und Ausblick ................................................................................................................... 253 Zusammenfassung und Beurteilung der Dekonstruktionsthese ........................................... 253 Haben E-Commerce und Internet Einfluss au/ die Unternehmensgrenzen? .......................... 253 Vertikale, horizontale und laterale Integration ...................................................................... 254 Empirische Indizien ................................................................................................................ 257 Hybride Organisations/ormen ................................................................................................ 260 Einige Schluss/olgerungen ftir Wettbewerbspolitik und Unternehmensstrategie ................... 260

2

Grenzen der Analyse und Ansatzpunkte fiir weitere Untersuchungen ............................... 262

Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 263

Abbildungsverzeichnis

xv

Abbildungsverzeichnis Teil A Abbildung A I

Zum Ablauf der Analyse ............................................................................. .4

Teil B Abbildung B 1

Einfluss einer Veränderung von Transaktionskosten auf die Wahl des Koordinationsmechanismus, ausgelöst durch neue Informationstechnologie ............................................................................................ 13

Teil C Abbildung CI

Drei Dimensionen der Grenzen der Untemehmung ................................... 21

Abbildung C 2

Reaktionskurven vor und nach Fusion bei Bertrand-Wettbewerb und Produktdifferenzierung ....................................................................... 57

Abbildung C 3

Wirkung von Transaktionskosten und Integrationsanreiz .......................... 76

Abbildung C 4

Optimale Eigentumsstruktur bei unterschiedlichen Kombinationen der Wichtigkeit von Upstream- und Downstream-Investition im property-rights-Modell ............................................................................ 103

Abbildung C 5

Informations- vs. Transaktionskosten nach CASSON ............................... 142

Abbildung C 6

Vertikale Wertschöpfungskette ................................................................ 146

Teil D Abbildung D 1

Entwicklung elektronischer B2B-Transaktionen in Europa nach Medium .................................................................................................... 171

Abbildung D 2

Prozess, Zeitbedarf und Kosten einer Bestellung (indirektes Material) .. 183

Teil E Abbildung E 1

Entwicklung der Fusionszahlen in Deutschland nach Fusionstyp ........... 258

Tabellenverzeichnis

XVII

Tabellenverzeichnis Teile Tabelle Cl

Definition einer horizontalen Erweiterung der Unternehmensgrenzen ..... 26

Tabelle C 2

Anreize zur vertikalen Integration aufgrund unvollkommenen Wettbewerbs ............................................................................................... 32

Tabelle C 3

Profitabilität von horizontalen Fusionen bei Cournot-Wettbewerb, identischen Unternehmen, konstanten Grenzkosten und linearer Nachfragefunktion...................................................................................... 51

Tabelle C 4

Preise und Gewinne bei Bertrand-Wettbewerb und Produktdifferenzierung vor und nach Fusion von zwei Untemehmen ................................ 56

Tabelle C 5

Übersicht der wichtigsten NIÖ-Ansätze zur Theorie der Firma ................ 70

Tabelle C 6

Opportunismus, begrenzte Rationalität und resultierende Vertragsprobleme ..................................................................................................... 72

Tabelle C 7

Kategorisierung von Transaktionskosten ................................................... 74

Tabelle C 8

Formen der Faktorspezifität (asset specijicity) und Beispiele ................... 80

Tabelle C 9

Profite unter verschiedenen IntegrationsformenlBesitzverhältnissen ...... 101

TeilD Tabelle D 1

Eckdaten zur Internet-Entwicklung .......................................................... 165

TabelleD 2

E-Commerce-Anteil im B2C und B2B .................................................... 169

Tabelle D 3

B2C-E-Commerce-Anteil am Handel mit ausgewählten Produkten in den USA ............................................................................................... 172

Tabelle D 4

Kosten der Datenverarbeitung, -speicherung und -übermittlung 1970 vs. 1999 .................................................................................................... 176

TabelleD 5

Such-/InformatiOliszeitbedarfmit unterschiedlichen Technologien in Minuten .................................................................................................... 177

Tabelle D 6

Vertriebskosten bei unterschiedlichen Vertriebsformen .......................... 184

Tabelle D 7

Empirische Untersuchungen zu Preisniveau und -dispersion im E-Commerce ............................................................................................ 206

TeilE Tabelle EI

Bruttowertschöpfung in % des Produktionswertes fiir drei Wirtschaftsbereiche .................................................................................. 257

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.

am angegebenen Ort

Abb.

Abbildung

B2B

Business to Business: Geschäfte zwischen Unternehmen

B2C

Business to Consumer: Geschäfte zwischen Unternehmen und Konsumenten

bzgl.

bezüglich

C2C

Consumer to Consumer: Geschäfte zwischen Konsumenten

d.h.

das heißt

ebd.

ebenda

EDI

Electronic Data Interchange

f. / ff.

folgende

Fn.

Fußnote

FTC

Federal Trade Commission (US-Kartellbehörde)

Ld.R.

in der Regel

LS.v.

im Sinne von

IT

Informationstechnologie

NIÖ

Neue Institutionenökonomik

sog.

sogenannte(n)

u.u.

unter Umständen

vgl.

vergleiche

vs.

versus (gegenüber)

z.B.

zum Beispiel

z.T.

zum Teil

XIX

Glossar

XXI

Glossar An diversen Stellen in dieser Arbeit werden englische Begriffe im Text verwendet. Meist ist zuvor eine Übersetzungsmöglichkeit angegeben. Die Begriffe werden im weiteren Verlauf aber häufig unübersetzt weiterverwendet. Dies hat zwei Gründe. Erstens lassen sich damit Konstrukte präzise bezeichnen, welche bei einer deutschen Übersetzung sprachlich sehr kompliziert (asset speeijieity vs. Spezifität tangibler und untangibler Vermögensgegenstände) oder aufgrund ihres Alltagsgebrauchs unpräzise wären (capabilities vs. Fähigkeiten). Zweitens haben sich für manche Phänomene englische Begriffe in der Fachsprache eingebürgert, so dass deren Verwendung die intendierte Bedeutung klar macht (tacit vs. still); teilweise steht einfach kein adäquates deutsches Pendant zur Verfügung (matching). Im Text werden diese Fremd- oder Lehnworte durch Kursivdruck abgesetzt. arm 's length trade

Markttransaktion ohne langfristige (vertragliche) Bindung

asset speeijieity

Spezifität von assets Materielle und immaterielle, tangible und intangible Vermögens gegenstände

assets

downstream

Fähigkeiten, im Sinne des in einem Unternehmen explizit und implizit (tacit) vorhandenen Wissens Laden einer Datenmenge aus dem Internet und Speicherung auf einem lokalen Datenträger zur weiteren Verwendung Auf einer tieferliegenden Wertschöpfungsstufe befindlich

economies ofseale economies of scope

Verbundvorteile (Kostenvorteile durch Produktion mehrerer Güter)

foreclosure

Ausschluss eines Konkurrenten von einer Ressource

gains from trade

Handelsvorteile (Wohlfalrrtszuwachs durch Transaktion bzw. Austausch)

capabilities download

Größenvorteile (mit zunehmender Menge sinkende Durchschnittskosten)

goodwill

Vertrauenskapital eines Unternehmens

hold-up

Erpressung eines Transaktionspartners mittels der Androhung, einen Teil seiner GewiIllle aus einer Investition zu expropriieren

just-in-time

Lieferung von Produktionsmitteln kurz vor deren Verwendung in der Produktion, v.a. mit dem Ziel der Lagerreduzierung

knowledge based

wissensbasiert

matching

Bestimmung der optimalen Transaktionspartner

moral hazard

Opportunistisches Verhalten, das in der Änderung der einer Transaktion zugrundeliegenden Bedingungen oder Verhaltensweisen ohne Wissen des Transaktionspartners besteht (z.B. leichtsinnigeres Verhalten nach Abschluss einer Versicherung)

multimarket contact

Mehrfache Konkurrenz von Unternehmen in verschiedenen Produktmärkten oder geographisch getrennten Märkten

outside-option

Option, eine Transaktion auch mit einem anderen Partner durchzuführen

outsourcing

Fremdvergabe (auf Vergabe ganzer Wertschöpfungsbereiche bezogen) Unternehmensteile, die als eigenständige Gewinnrnaximierer handeln

profit center property rights

Verfiigungsrechte, hier in der Regel die Verfiigungsrechte über die physischen Kapitalgüter eines Unternehmens

raising rivals' casts

(Bewusste) Steigerung der Inputkosten eines Konkurrenten

reach

Zahl der mit einem Kommunikationsmittel zugleich erreichbaren Adressaten

rent-seeking

Unproduktiver Ressourceneinsatz zur Aneignung von ökonomischen Renten

richness

Reichhaltigkeit der an einen Adressaten übermittelten Informationen

scope (ofthefirm)

Umfang i.S.v. Zahl der Wertschöpfungsstufen (vertikaler scope) oder Geschäftsfelder (lateraler scope) eines Unternehmens

/aeit

"Still" bzw. implizit; bezeichnet Wissen nach nicht oder nur schwer schriftlich niedergelegt werden kann

terms of trade

Handelskonditionen, hier Konditionen einer Transaktion zwischen zwei Wirtschaftssubjekten

trade-off

Beziehung zwischen zwei Faktoren, die eine Abwägung erforderlich macht Auf einer höheren Wertschöpfungsstufe befindlich

upstream

Teil A - Einleitung

Teil A - Einleitung

Der Begriff "Dekonstruktion", ein Hybrid aus "Konstruktion" und "Destruktion", entstammt ursprünglich der Grammatologie und bezeichnet dort das analytische Aufdecken von Satzkonstruktionen oder poetischen Regeln. Von Jacques Derrida in die Philosophie und Literaturwissenschaft eingefiihrt, ist "Dekonstruktion" ein analytisches Verfahren der hinterfragenden, nach Widersprüchen und verborgene Intentionen suchenden Lektüre von Texten. Größere Bekanntheit erhielten "Dekonstruktion" und "Dekonstruktivismus" schließlich durch die Adoption der Begriffe fiir eine architektonische Stilrichtung, der Werke der bekanntesten Architekten der Gegenwart zuzurechnen sind. l Viele dekonstruktivistische Bauwerke zeichnen sich durch scharfe Kontraste in Formen und Materialien aus und erwecken den Anschein, als seien sie Produkte einer Zerlegung und neuen Zusammensetzung konventioneller Bauwerke. EVANS!WURSTER

(1997/2000) haben, durchaus in der Tradition der bisherigen Verwendungen

des Begriffs, "Dekonstruktion" in die Ökonomie eingefiihrt. Sie beschreiben damit Veränderungen und Verschiebungen in Industriestrukturen sowie in Umfang, Wertschöpfungstiefe und Größe von Unternehmen, welche v.a. die modeme Informationstechnologie mit sich bringen kann. Ökonomische Dekonstruktion umfasst Phänomene wie das Vordringen von Unternehmen in entfernte Branchen oder die Konvergenz von Industrien. 2 Die zentralen Elemente von Dekonstruktion sind aber zum einen die Desintegration von Unternehmen, insbesondere die Auflösung vertikal integrierter Unternehmensstrukturen als Konsequenz wachsender informationstechnologischer Vernetzung durch das Internet und dessen kommerzielle Nutzung; zum anderen die Neukonfiguration der Unternehmensstrukturen in horizontaler Richtung. Diese "Dekonstruktions-" oder "Desintegrationsthese" ist in Wissenschaft und Medien aufgegriffen und diskutiert worden. 3 Die vorliegende Arbeit hat eine umfassende systematische Analyse der Dekonstruktionsthese mit Hilfe der ökonomischen Theorien der Firma und ihrer Grenzen zum Ziel. Umfassend bedeutet auch, dass über den Rahmen einer eng definierten Dekonstruktionsthese hinausgehend alle drei Dimensionen der Unternehmensgrenzen (vertikal, horizontal und lateral) Gegenstand I

2

J

Beispielsweise Frank O. Gehry, Zaha M. Hadid, Coop Himmelblau, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas oder Peter Eisenman. Für die Architektur verwendet wurde der Begriff erstmals anlässlich einer Ausstellung im New Yorker Museum ofModem Art 1988. Vgl. BRESSERIHEUSKEUNlXON (2000). Vgl. dazu ausfiihrlieh Teil B.

Teil A - Einleitung

2

der Arbeit sind. Damit soll die Basis rür eine theoretische und empirische Bewertung des Einflusses von Internet und E-Commerce auf Größe, Organisation und Integration von Unternehmen, abseits von Schlagworten und verkürzten Wirkungsanalysen, geschaffen werden. Da die weiträumige Verbreitung des Internets und v.a. dessen kommerzielle Nutzung sehr junge Phänomene sind, kann es nicht Ziel sein, Abschließendes zum Zusammenhang von Internet und Unternehmensorganisation zu sagen. Dazu wird es zum einen empirischer Untersuchungen aufgrund längerer Beobachtungszeiträume bedürfen. Zum anderen ist die Entwicklung im Bereich der Informationstechnologie und im Besonderen des Internets so rapide, dass viele technologische Aspekte zweifellos schnell überholt sein werden. Die im theoretischen Teil der Arbeit entwickelte "Landkarte" der Determinanten der Unternehmensgrenzen und die im Anwendungsteil herausgearbeiteten Ansatzpunkte fiir Veränderungen durch Internet und E-Commerce sollten aber auch fiir - um in der Sprache der Informationstechnologie zu bleiben - "Updates" eine passende Ausgangsbasis bilden. Die Arbeit hat vier inhaltliche Teile, je einen fiir Thesendarstellung, Theorie, Anwendung und Fazit. Der Theorieteil nimmt dabei - der so eben geschilderten Intention dieser Arbeit entsprechend - den breitesten Raum ein. Der folgende Teil B dient der Darstellung der Dekonstruktionsthese, ihrer Ursprünge, gedanklichen Grundlagen und Schlussfolgerungen. Neben den Arbeiten, welche die These in jüngster Zeit prominent gemacht haben, werden auch einige Vorläufer und alternative Formulierungen vorgestellt. Am Schluss des Teil werden diejenigen Folgerungen dargestellt, die als Quintessenz der These(n) mit Bezug auf die Grenzen des Unternehmens gelten können und auf die sich die Analysen erstrecken werden. In Teil C werden die Determinanten der Unternehmens grenzen, wie sie sich in den Theorien der Firma darstellen, herausgearbeitet und somit diejenigen Faktoren identifiziert, an denen Einflüsse von Internet und E-Commerce ansetzen müssen, um die Grenzen des Unternehmens zu verändern. Um des Zieles einer systematischen Erforschung der Hintergründe einer populären These willen wird bewusst eine sehr konsequente Gliederung durchgehalten. Die oberste Gliederungsebene bilden die drei Theoriegruppen der neoklassischen bzw. industrieökonomischen, der institutionen- bzw. transaktionskostenökonomischen und der - im weitesten Sinne - informationsökonomischen Sicht des Unternehmens. 4 Die zweite Gliederungsebene bilden,

4

Zu Beginn des Teils C wird erläutert, warum diese drei Sichtweisen keine sich ausschließenden, sondern weitgehend komplementäre Konzepte darstellen, deren parallele Anwendung neue Einsichten bringen kann.

Teil A - Einleitung

soweit sinnvoll, die drei Dimensionen der Unternehmensgrenzen. Innerhalb der so entstehenden Teilbereiche werden dann die jeweiligen Determinanten bestimmt. Im Rahmen dieses theoretischen Teils wird nur vereinzelt Bezug aufInternet und E-Commerce genommen. Zur Erarbeitung des theoretischen Gerüsts werden sowohl formale Modelle als auch verbale Repräsentationen der relevanten Zusammenhänge verwendet. Soweit die Theorien sich dafür eignen, werden die jeweils wichtigsten Konzepte der verschiedenen Theorieansätze mittels formaler Modelle abgeleitet. Die institutionen- bzw. transaktionskostenökonomische Theorie wird besonders ausführlich behandelt. Der Grund dafur ist, dass Elemente dieser Theorierichtung im Mittelpunkt fast aller Formulierungen der Dekonstruktionsthese stehen, die hier kritisch analysiert werden. Das systemtisch-analysierende Vorgehen ist an dieser Stelle also besonders wichtig. Teil D dient der Identifikation derjenigen Aspekte von Internet und E-Commerce, die Einfluss auf die Determinanten der Unternehmens grenzen haben können und untersucht, wie diese Einflüsse wirken. Dazu wird zunächst eine knappe Übersicht über die technischen und institutionellen Grundlagen des Internets und über den quantitativen und qualitativen Entwicklungsstand des E-Commerce gegeben. Im Vorgriff auf diesen Teil soll schon hier betont werden, dass mit "E-Commerce" in dieser Arbeit nicht nur elektronischer Handel im Stile eines Internet-Kaufhauses gemeint ist. E-Commerce beinhaltet insbesondere auch die elektronische Abwicklung von Transaktionen zwischen Unternehmen und die elektronische Unterstützung von Wertschöpfungsketten innerhalb von Firmen und über die Unternehmensgrenzen hinaus. In den Abschnitt 2 des Teils D werden diejenigen Wirkungen von Internet und E-Commerce identifiziert, die als gesichert, dauerhaft und von Relevanz fur die Unternehmensgrenzen angesehen werden können. Dazu muss in vielen Fällen auf Fallbeispiele und ausschnitthafte Untersuchungen zurückgegriffen werden, was zu Beginn des Abschnitts aber erläutert und begründet wird. Die möglichen Beziehungen zu den Unternehmensgrenzen werden dabei teilweise schon thematisiert. Abschnitt 3 ergänzt die Analyse um die relevanten Aspekte digitaler Produkte. Abschnitt 4 bringt schließlich in kompakter Form die Zusammenführung der Wirkungen von Internet und E-Commerce mit den Ergebnissen des theoretischen Teils. Dies geschieht dergestalt, dass der Systematik von Teil C folgend die Determinanten der Unternehmensgrenzen daraufhin "durchleuchtet" werden, ob die Wirkungen des Internets/E-Commerce einen Einfluss auf sie ausüben oder ob ein solcher Zusammenhang nicht erkennbar ist.

Teil A - Einleitung

4

Der Ablauf der Analyse geht also von der abstrakten Untersuchung der Unternehmensgrenzen in Teil C über konkrete, praxisbezogene Überlegungen zum Internet in den Abschnitten D 2 und D 3 zur Zusammenführung von abstrakten und konkreten Überlegungen in D 4. Nachfolgende Abbildung A 1 verdeutlicht den Ablauf der analytisch entscheidenden Teile der Arbeit.

Teil C

Teil 03

Teil 04/ E

Entwicklung einer Systematik

Ökonomisch relevante Wirkun-

der Determinanten der Un .. temehmensgrenzen nach

gen von Internet 1 E-Commerce

Zuordnung der Wirkungen von Internet 1 E-Commerce auf die Systematik der Deter-

- den drei Dimensionen der

Auswirkungen auf:

minanten der Unternehmensgrenzen

Unternehmensgrenzen - den drei Sichtweisen des

- Infonnationskoste n

Unternehmens

horivertikal zontal

lateral

- Suchkosten - Assel Specificity - Marktvergrößerun g - Preis-I Wettbewerbseffekte - Economies of Secpe .. Economies of Sea le veM ik I - Kom plementarität - Ex-ante-Transaktio nscb C kosten .g'i:~

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Abbildung Al: Zum Ablauf der Analyse Quelle: Eigene Darstellung

Teil D 5 rundet die Betrachtungen zum Einfluss von Internet und E-Commerce auf die Unternehmensgrenzen und insbesondere die vertikale Desintegration dadurch ab, dass drei weitere aktuelle Einflüsse (Globalisierung, Wandel der Finanzmärkte, Deregulierung) sehr knapp angesprochen werden. Dies ist insofern eine Abrundung, als der Einfluss der Informationstechnologie in Relation zu den anderen Faktoren gesetzt werden kann, so dass jede Überbetonung des Faktors Internet vermieden wird. Teil E resümiert die Ergebnisse und unternimmt den Versuch einer Antwort auf die Frage nach der Existenz eines Einflusses des Internets auf die Unternehmensgrenzen und auf die Frage nach der Validität der Dekonstruktionsthese. Einige empirische Indizien zu den gefundenen Antworten schließen sich an. Überlegungen zu organisatorischen Zwischenlösungen, zu wettbewerblichen und unternehmensstrategischen Konsequenzen und natürlich zu Ansatzpunkten für weitere Forschungen beschließen die Arbeit.

Teil B - Die Dekonstruktionsthese

5

Teil B - Die Dekonstruktionsthese And so the wave 01 mergers in the corporate world over the last lew years is a deceptive phenomenon: it only looks as if the giants, by joining lorces, are getting bigger and bigger. The true key to understanding these shifts is to realize that in several crucial ways [. ..} these merged companies are actually shrinking. Their apparent bigness is simply the most effective route to their real goal: divestment ofthe world olthings!

In diesem Abschnitt wird die Dekonstruktionsthese vorgestellt, mit der sich diese Arbeit auseinandersetzt. Zunächst werden die Arbeiten vorgestellt, welche den Begriff und die These in ihrer aktuellen Form geprägt haben. Dazu werden erstens die technologischen Veränderungen, auf denen die These basiert und zweitens die angewendeten ökonomischen Konzepte identifiziert. Drittens werden die in den Arbeiten gezogenen Schlussfolgerungen vorgestellt.

Im zweiten Abschnitt folgt dann eine Diskussion verschiedener Varianten sowie einiger früherer oder abgewandelter Formulierungen der gleichen Grundthese.

1

Aufbau der Dekonstruktionsthese

Die These, dass die technische Entwicklung und der verstärkte Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel, die Ausweitung des elektronischen Handels und das Vordringen elektronischer Märkte eine Tendenz zur Desintegration von Unternehmen zur Folge haben, wurde in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre von einer Reihe von Autoren formuliert. 2 Diese Autoren kommen aus dem Bereich der strategischen Unternehmensberatung und Managementlehre und haben ihre - in der Grundtendenz ähnlichen - Thesen unter einer Reihe von Bezeichnungen und Schlagworten vorgestellt und vermarktet. 3 Unter dem Begriff der "Deconstruction" stellen EvANS/WURSTER (1997/1999/2000) die These vom zunehmenden Zerfall integrierter Unternehmen und Wertschöpfungsformen sowie von der Entstehung neuer Integrationsformen und Organisationskonzepte vor. Ausgangspunkt ih!

2 3

KLEIN (2000), S. 4. Betont werden muss, dass das Buch, dem dieses Zitat entstammt, nicht die Analyse einer möglichen Dekonstruktion von Unternehmen zum Inhalt hat. Die Autorin ist vielmehr eine der prominentesten Vertreterinnen der Anti-Globalisierungs-Bewegung und richtet sich in ihrem Bnch insbesondere gegen die führende Rolle von Marken im öffentlichen Bewusstsein und öffentlichen Raum. Die Ähnlichkeit der im Zitat inhärente These einer gleichzeitigen Desinvestition und Konzentration mit der hier diskutierten Dekonstruktionsthese ist dennoch beachtenswert. Einige Vorläufer dieser Thesen wurden bereits ab Ende der Achtziger Jahre von Autoren an der Schnittstelle von Wirtschafts- und Computerwissenschaften formuliert. Vgl. dazu Abschnitt B 2. Diese Thesen fanden inzwischen auch vielfachen Widerhall in der Presse und der öffentlichen Diskussion. Vgl. o.v. (2000), ECONOMIST (2000a), S. 34, ECONOMIST (2000b), S. 37, DRUCKER (2001).

TEIL B - Die Dekonstruktionsthese

6

rer Arbeit ist die Beobachtung, dass die neue Informationstechnologie den Austausch einer großen Informationsmenge mit einer Vielzahl von Adressaten und eine hohe Informationsintensität ermöglichen. Dies bezieht sich v.a. auf digitale Netzwerke, darunter an erster Stelle auf das Internet. Die neue Qualität der Informationsübermittlung, so die Kernaussage der Autoren, fiihre zur "Dekonstruktion von Wertketten". Grund dafiir sei die Trennung von Informations- und Güterströmen, die einer unterschiedlichen ökonomischen Logik unterworfen seien. Mit der Separation von physischen Gütern und Informationen komme es dann auch zu Trennung von bisher verbundenen Geschäften und Wertschöpfungsstufen. HAGEIlSINGER (2000) kommen unter dem Begriff des "Unbundling" zu einer vergleichbaren Hypothese. Sie nehmen - in Fortsetzung einer Idee von BUTLER ET AL. (1997) - direkt Bezug auf Transaktions- und Informationskostentheorie, indem sie "Interaktionskosten,,4 als entscheidende Determinante der Organisation von Unternehmen identifizieren und deren Reduzierung als Ursache fiir die Umgestaltung der Unternehmensorganisation sehen. Die Schlussfolgerungen dieser Autoren sind eine prognostizierte Veränderung der relativen Attraktivität von vertikaler zu horizontaler Integration, der verstärkte Einsatz von Marktmechanismen fiir die Abwicklung von Transaktionen und eine weniger wichtige Rolle von Intermediären im Wirtschaftsleben. Im folgenden sollen die zugrundeliegenden Argumentationslinien dieser Ansätze genauer her-

ausgearbeitet werden, um ihre Kernaussagen ableiten zu können und sie einer Analyse mit Hilfe der Theorien der Unternehmensgrenzen zugänglich zu machen.

1.1

Technologische Grundlage

Der technische Fortschritt in der Informationstechnologie und seine Nutzung fiir wirtschaftliche Transaktionen sind die technologische Ausgangsbasis fiir die genannten Arbeiten und Hypothesen. Während aber BUTLER ET AL. (1997) noch die Entwicklung von Leistungsflihigkeit und Preisen von Hardware-Komponenten als Ausgangspunkt fiir ihre Überlegungen nahmen, gehen EVANS/ WURSTER (1997/2000) von einem abstrakteren Vorteil neuer Informationstechnologie aus. Dieser Vorteil besteht in der teilweisen Überwindung des so genannten "Richness-Reach-Trade-Offs".

4

Unter dem Begriff ,,Interaktionskosten" verstehen die Autoren neben den Kosten des Austauschs von Gütern und Dienstleistungen auch die Kosten des ,,Austauschs von Informationen und Ideen'" [HAGEUSlNGER (2000), Fn. I, BUTLER ET AL. (1997), S. 6ff.] zählen.

Teil B - Die Dekonstruktionsthese

7

Mit Reach (Reichweite) wird dabei die Zahl von Adressaten bezeichnet, an die eine Infonnation (zeitgleich) übennittelt werden kann bzw. mit denen kommuniziert werden kann. Richness (Reichhaltigkeit) bezeichnet die Quantität der übennittelten Infonnation und deren Qua-

lität aus Empfängersicht. Diese kann z.B. in der Personalisierung, Interaktivität, Verlässlichkeit, Sicherheit oder Aktualität der Infonnation bestehen. So zeichnet sich ein persönliches Gespräch durch hohe Richness, aber geringen Reach aus, während ein TV-Werbespot hohen Reach bei geringer Richness aufweist. Auf Geschäftsbeziehungen bezogen heißt dies, dass

Unternehmen einen Kompromiss zwischen der Zahl ihrer Geschäftspartner und der Reichhaltigkeit der zwischen ihnen übennittelten Infonnationen hinnehmen müssen. Dieser könnte sich beispielsweise als Wahl zwischen intensivem Infonnationsaustausch mit einem begrenzten Kreis über ein geschlossenes elektronisches Netzwerk oder weniger intensivem Austausch mit einer größeren Zahl via klassischer Medien wie Fax oder Brief-Post zeigen. Offene elektronische Netzwerke mit allgemeinen technischen Standards, v.a. das Internet, könnten dagegen eine datenreiche und intensive Kommunikation mit einer Vielzahl von Adressaten ennöglichen. Natürlich wird der Richness-Reach-Trade-Ojf durch das Internet nicht aufgelöst, aber es verschiebt - graphisch fonnuliert - die Möglichkeitenkurve nach außen. Ökonomisch betrachtet kann man die teilweise Auflösung diese Trade-OjJs schlicht als eine drastische Veränderung der Infonnationskosten sehen. Auch mit konventionellen Technologien kann man eine große Zahl von Personen mit reichhaltigen Infonnationen versorgen, z.B. indem jeder Kunde eines Unternehmens von einem Vertriebsmitarbeiter besucht wird. Ein solches Vorgehen ist jedoch mit (prohibitiv) hohen Infonnationskosten verbunden. Durch die neuen Infonnationstechnologien werden diese Kosten einer weit reichenden und reichhaltigen Infonnationsverbreitung drastisch gesenkt. 5 Die Kombination von Infonnationsreichweite und -reichhaltigkeit und die Entwicklung des Internets zum Massenkommunikationsmittel6 ennöglicht nach EVANSlWuRSTER im zweiten Schritt eine weit gehende Trennung von Infonnationen und physischen Gütern. Infonnation ist in allen Produkten eingebunden und wird bisher mit den Produkten oder über andere physische Kanäle übennittelt, so dass "der Infonnationsfluss dem physischen Fluss der Wertkette

,

6

Das Wort "drastisch" wird in der Industrieökonomik für Innovationen verwendet, welche die Kosten so senken, dass der Monopolpreis nach der Innovation unter den ursprünglichen Durchschnittskosten liegt [NEU. MANN (1994), S. 216]. Ob dies für den geschilderten FaIl genau so zutriffi, ist nicht zu klären. Es ist aber insofern zutreffend, als die geschilderten Kostensenkungen (E-Commerce-Angebot vs. Vertreterbesuch bei allen Kunden) eine nicht-marginale Veränderung der relevanten Kosten darsteIlen. VgI. dazu Abschnitt D 1.1.

TEIL B - Die Dekonstruktionsthese

8

folgt,,7. Verbreiteter Zugang zum Internet und zu anderen digitalen Netzwerken ermögliche aber die sukzessive Loslösung von Informationsströmen und produktbezogenen Informationen von den Produktströmen bzw. von physischen Produkten. EvANS/WURSTER greifen damit den auch in der Wissenschaft seit langem thematisierten Gedanken separater "Ökonomien der Informationen" und "Ökonomien der Dinge" auf. 8

1.2

Ökonomischer Hintergrund

Die Analyse, welche die genannten Autoren ausgehend von der beschriebenen technologischen Grundlage vornehmen, reflektiert Elemente der Transaktionskostentheorie9 und der ökonomischen Theorie der Information. Alle Autoren gehen implizit von einer vereinfachten Form der Transaktionskostentheorie aus und halten fest, dass die Kosten der Interaktion bzw. die Kosten des Informationsaustausches in verschiedenen Organisationsformen determinieren, wie Unternehmen sich organisieren und wo die Grenzen der Unternehmung verlaufen. EVANS/WURSTER

verbinden

die

transaktionskostenökonomische

Markt-Hierarchie-

Dichotomie mit ihrem analytischen Rahmen, wenn sie Hierarchien bzw. Organisationen als die geeignete Form des Austausches intensiver Information in einer eng definierten Gruppe

(Richness) und Märkte als geeignet fiir den Austausch "dünnerer" Information in einer gröBeren Gruppe (Reach ) bezeichnen. Der analytische Schritt von sinkenden Transaktionskosten zur Veränderung der Unternehmensgrenzen (in Richtung von mehr Markt und weniger Hierarchie) wird nicht im Detail ausgefiihrt. Alle genannten Autoren ziehen aber den Schluss, dass der technologisch bedingte Fall der Informationskosten die Attraktivität von Fremdbezug und marktlichen Transaktionen gegenüber Eigenfertigung und internen Transaktionen steigern und so zu engeren Grenzen der Unternehmung fiihren wird. 10 EvANS/WURSTER und HAGELISINGER 11 übertragen diese Überlegung dann auf das Konzept der Wertschöpfungskette. 12 Sie gehen von der These aus, dass Informationen und Transaktio7 8

9

10 11

EVANSlWuRSTER(1997, S. 73). Vgl. HIRSHLEIFER (1971), ROMER (1993), STIGLlTZ (2000). Vgl. auch PICOTIREICHWALDIWIGAND (2001), S. 188f., die von "Dematerialisierung" sprechen. Bekannt auch die populärwissenschaftliche Formulierung "Ökonomie der Bits vs. Ökonomie der Atome" von NEGROPONTE (1995). BORENSTELN/SALONER (2001, S. 4) nennen den Kauf eines Autos als Beispiel für die Separation von Güter- und Informationsfluss, die durch die "Überlegenheit des Intemets als Kanal für Informationsübermittlungen" hervorgerufen werden kann. Ausdrückliche Erwähnung findet der Transaktionskosten-Ansatz in EVANSlWuRSTER (1997, S. 74) und BUTLER ET AL. (1997, S. 5). EVANSlWuRSTER (1997), S. 74, (2000), S. 196ff; BUTLER ET AL. (1997), S. 14; HAGEL/SINGER (1999), 154f. Diese Arbeit folgt nicht den Richness-Reach-Überlegungen, sondern zieht ihre Schlussfolgerungen direkt aus eioem prognostizierten Sinken der "Interaktionskosten".

Teil B - Die Dekonstruktionsthese

9

nen (und damit die Kosten ihrer Übermittlung) die verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette (EVANSlWuRSTER) bzw. die unterschiedlichen Teil-Geschäfte eines Unternehmens (HAGEUSINGER) verknüpfen und in einer Organisation zusammenbinden: Information is the glue that holds value chains and supply chains together. l3 Die geschilderten Veränderungen in den Informations- und Transaktionskosten fuhren die Autoren zur Schlussfolgerung, dass die Vorteile integrierter Unternehmen gegenüber denen separater oder lose verbundener Einheiten abnehmen. Die möglichen "Bruchlinien" werden dabei unterschiedlich definiert. Während HAGEUSINGER die Grenzen zwischen den TeilGeschäften Kundenbeziehung, Produktinnovation und Infrastruktur ziehen, verläuft bei EVANSIWURSTER diese Grenzziehung weniger nach konkreten Geschäftseinheiten, sondern nach der ökonomischen Logik einzelner Teilbereiche. Sie erwarten und beobachten die ,,Dekonstruktion" integrierter Organisationen dort, wo Informationen und physische Produkte zwar eng verbunden, aber dennoch voneinander lösbar sind und nach der Trennung verschiedenen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten ("different economics") folgen können.

1.3

Schlussfolgerungen

Neben der Analyse von Konsequenzen für Managementpraxis enthalten die Arbeiten, in denen die Dekonstruktionsthese in ihrer aktuellen Form entwickelt wird, auch eine Reihe von wirtschaftswissenschaftlich und wettbewerblich relevanten Schlussfolgerungen. Eine der ökonomisch wichtigsten wird bereits BUTLER ET AL. (1997, S. 14f.) formuliert: Vertical integration will become less valuable and disaggregation l4 , outsourcing and the use of extemal markets will increase. [... ] In contrast, horizontal integration and cooperation will become more economically attractive. Ganz ähnlich HAGEUSINGER (2000, S. 161), die erwarten, dass zukünftige Akquisitionen weniger auf vertikale Integration, als vielmehr auf horizontale Ausdehnung abzielen werden: Rebundling 15 will be a very different process from the vertical integration that has often characterized traditional acquisition programs. Because companies will be focusing on a single activity [ ... ] their acquisitions will be aimed at achieving horizontal integration. They will seek to build scope or scale within their own industries and then leverage their capabilities across related ones.

12

J3 14

15

Grundlegend zur Wertkettentheorie PORTER (1985). EVANSfWuRSTER (2000), S. 13. Dies ist der von BUTLER ET AL. (1997) verwendete Paral1elbegriffzu "deconstruction" und "unbundling". Mit ,,rebundling" bezeichnen HAGElJSlNGER (2000) eine mögliche organisatorische Reaktion von Unternehmen im Anschluss an eine (vertikale) Desintegration.

10

TElL B - Die Dekonstruktionsthese

EVANS/WURSTER (2000) sind in ihren Prognosen rur die Entwicklung der Grenzen des Unternehmens weniger eindeutig. Auch sie gehen von einer Abnahme des vertikalen Integrationsgrades angesichts der Dekonstruktion von Wertketten aus. Allerdings ist die Hinwendung zu stärker horizontal integrierten Einheiten in ihrer Analyse als logische Folge der prognostizierten Veränderungen der Wettbewerbslandschaft erkennbar. Im Mittelpunkt steht die These, dass Wettbewerbsvorteile (Produktionskostenvorteile, Markteintri ttsbarrieren, Innovationen) nicht mehr über die ganze Wertschöpfungskette hinweg, sondern nur noch jeweils rur einen Schritt oder ein Segment der Wertschöpfung, entscheidend sein könnten. Ein Unternehmen, das Wettbewerbsvorteile in einigen Stufen und -nachteile in einigen anderen zu einem insgesamt durchschnittlich wettbewerbsfahigen Gesamtangebot verbinde, könne auf jeder Wertschöpfungsstufe Wettbewerbern gegenüberstehen, die auf diese eine Stufe konzentriert sind. Deren Leistungen - vorausgesetzt, neue Technologien erleichtern tatsächlich marktliche Transaktionen - werden von den Spezialisten selbst oder von einem auf die Koordinationsaufgabe konzentrierten Unternehmen "orchestriert". Nach EVANS/WURSTER steckt in dieser Logik eine Tendenz hin zu kleinteiligen und hoch konzentrierten Industriestrukturen: So to survive, a competitor has to be advantaged in each and every activity in which he chooses to continue participation. [... ] within each new, narrowly defined business, [ewer bases of competitive advantage prevail land] where there is only one basis of competitive advantage monolithic advantage tends to breed monopoly. 16 Insgesamt wird also erwartet, dass sich vertikal weniger integrierte Unternehmen in eng definierten Industrien mit verringerter Wertschöpfungstiefe in einem horizontal hoch konzentrierten Wettbewerb gegenüber stehen werden. Ein zweiter Aspekt der Dekonstruktionsthese betrifft die Struktur der Interrnediation, also derjenigen Aktivitäten in einer Volkswirtschaft, die wie der Handel oder die Finanzmärkte der Unterstützung des Marktaustauschs bzw. der Erleichterung des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage dienen. Die Dekonstruktionsthese beinhaltet vielfach auch die Prognose einer fortschreitenden Disinterrnediation. 17 Mit Disinterrnediation wird im aktuellen Kontext die Ausschaltung von Marktinterrnediären (Händler, Makler, Broker) durch direkte Transaktionen zwischen Produzent und Endkonsument mittels E-Commerce und Internettechnologie bezeichnet. 18 Auch dieser These wird nachzugehen sein. EVANSfWuRSTER (2000), S. 59. Besonders intensiv erscheint ihnen die Konzentrationstendenz in den Informationsindustrien, die sich aus integrierten Wertketten heraus bilden könnten (z.B. Vertriebsfunktionen). Hier sehen sie (S. 61) sogar ein "race for [al monopoly position" voraus. 17 EVANSfWuRSTER (2000, S. 69ff.) 18 Der Begriff "Disintermediation" ist bereits seit den 1970er Jahren zur Beschreibung der direkten Nutzung des Kapitalmarktes durch Unternehmen unter Umgehung der Banken als Intermediäre gebräuchlich. 16

Teil B - Die Dekonstruktionsthese

11

Zu beachten ist bei der Analyse der Grenzen des Unternehmens auch ein Phänomen, welches die Dekonstruktion hervorbringen kann: Die vermutliche Zunahme von Unternehmensstrukturen, die von punktueller Zusammenarbeit über Kooperationen, Gemeinschaftsunternehmen und Unternehmensnetzwerke hin zu Allianzen und anderen Formen der "Quasi-Fusion" reicht, die aus industrieökonomischer Sicht zwischen Wettbewerb, Kollusion, KartelIierung und Integration angesiedelt sind. EVANS/WURSTER (2000, S. 220) fassen diese Entwicklung folgendermaßen zusammen: Organization within the firm and across firms are increasingly becoming variants of the same thing. This makes the boundaries of the corporation fuzzy and indeterminate. 19

2

Varianten und weitere Formulierungen der Dekonstruktionsthese

Die Dekonstruktionsthese wurde und wird allerdings nicht nur von den in den vorangegangenen Abschnitten genannten Autoren und in der vorgestellten Form aufgestellt. In diesem Abschnitt werden die wichtigsten anderen Arbeiten behandelt, die explizit oder implizit eine Form der Dekonstruktionsthese enthalten. Teilweise müssen dazu Zusammenhänge und Konzepte angesprochen werden, die erst in Teil C ausführlich eingeflihrt und behandelt werden. 2o Eine Art Dekonstruktionsthese wird bereits bei STIGLER (1951) formuliert, der - wie in Abschnitt C 3.1.6 ausgeflihrt - einen Lebenszyklus des Integrationsgrades von Industrien sieht, der von hoher Integration über eine Phase der Desintegration zu einer späten Reintegration führt. In wachsenden Industrien ist danach eine Art Dekonstruktion zu erwarten, die - wie oben gezeigt - auf Spezialisierung und Skalenvorteilen sowie bestimmten Annahmen über vertikale Verbundvor- oder -nachteile beruht. Vertikale Desintegration als mögliche Konsequenz von Informationstechnologie, elektronischen Märkten und Netzwerken thematisieren aus ökonomischer Sichtweise erstmals MALONEIY ATES/BENJAMIN

19

Vgl. fUr eine tiefergehende Analyse der erschwerten Bestimmbarkeit der Untemehmensgrenzen RAJAN/ZlN(2000). Sie stellen die nicht von der Hand zu weisende Frage, ob ein eng angebundener Lieferant von Toyota nicht eher als Teil des belieferten Unternehmens anzusehen ist, als eine Gruppe von InvestmentAnalysten, die problemlos von einer Bank zu einer anderen wechseln können, obwohl letztere rechtlich Teil des Unternehmens sind, der Autozulieferer aber nicht. Der Leser wird deshalb gebeten, gegebenenfalls in Teil C nachzuschlagen oder nach der Lektüre von Teil C auf die hier vorgestellten Theorievarianten zurückzukommen. Eine angemessene Vorstellung der Konzepte bereits an dieser Stelle wäre nicht zweckmäßig und dem Aufbau der Arbeit zuwider laufend gewesen. CASHIKONSYNSKI (1985) enthält bereits einige Andeutungen hinsichtlich der Auswirkungen von Informationstechnologie auf die Organisation von Unternehmen, aber keine ausdrückliche Dekonstruktionsthese. Anzumerken ist, dass MALONElYATESIBENJAMlN, ebenso wie die nachfolgenden CLEMONSIREooilRow, ihre GALES

20

21

(1987/1989)21. Diese bemerkenswert vorausschauenden Arbeiten neh-

TEIL B - Die Dekonstruktionsthese

12

men natürlich noch keinen Bezug auf das Internet als treibende Kraft einer möglichen Desintegrationstendenz, da dessen intensive kommerzielle Nutzung zur Zeit der Veröffentlichung dieser Arbeiten noch nicht absehbar war. Vor dem Hintergrund einer beginnenden Vernetzung von Unternehmen mit ihren Zulieferern und Kunden auf dem Weg proprietärer, geschlossener Datennetzwerke kommen die Autoren jedoch zu einer Form der Dekonstruktionsthese, ausgelöst durch die entstehenden elektronischen Märkte. Als Beispiele dienen dabei die ab Mitte der 1970er Jahre aufgebauten Reservierungssysteme amerikanischer Fluglinien (Apollo, Sabre), elektronische Märkte fur Baumwolle, Ersatzteil-Datenbanken oder Prodigy, ein frühes elektronisches Einzelhandelsangebot von Sears-Roebuck und IBM. Bei MALONEfY ATEs/BENJAMIN

(1989, S. 170f.) findet sich die Dekonstruktionsthese so formuliert:

The emergence of electronic markets will reduce the benefits of vertical integration for many organizations. Separate companies - not vertically integrated companies - will perforrn different steps along the value-added chain, and the exchanges between those independent players will be more efficient. 22

Für diese Entwicklung machen MALONEfYATEs/BENJAMIN sinkende Koordinationskosten und abnehmende Spezifität von Produktionsfaktoren durch informationstechnologiebedingt flexiblere Fertigungstechnologie verantwortlich. CLEMONSIREOO!IRow (1993) folgen der gleichen Argumentation, allerdings mit besonderer Betonung einer Reduzierung von Transaktionsrisiken durch Informationstechnologie. Bessere Überwachungsmöglichkeiten und geringere Anreize zu opportunistischem Verhalten würden sowohl operative als auch anreizbedingte Risiken verringern und so die Fremdvergabe fordern. Nicht zuletzt, weil geschlossene Informationsnetzwerke zur Veröffentlichungszeit die dominante Technologie für elektronische Transaktionen zwischen Unternehmen darstellen, kommen CLEMONSIREOO!IRow zur These, dass Informationstechnologie zwar Outsourcing und vertikale Desintegration fordere, jedoch die Zahl der Zulieferer eher senke. Dies ist die als "Move-to-the-Middle" bekannt gewordene Hypothese23 , dass integrierte (hierarchische) Organisationsformen nicht durch reine Marktbeziehungen, sondern durch Unternehmensnetzwerke mit stabilen Zuliefer-AbnehmerBeziehungen abgelöst werden. Auf diese These wird speziell im Schlussteil dieser Arbeit zurückzukommen sein.

22

23

Arbeit in Zeitschriften aus dem Bereich der Computer Sciences, so z.B. den Communications of the ACM veröffentlichten. Aufsätze in wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften folgten erst ab Mitte der 90er Jahre. Vgl. auch MALONElYATESIBENJAMlN (1987, S. 490), wo von der ,,'vertical disintegration' of production activities into different frrms" gesprochen und die Outsourcing-Praxis von IBM, Xerox und General Electric als Beleg herangezogen wird. Vgl. auch BAUER (1997).

Teil B - Die Dekonstruktionsthese

13

Im deutschsprachigen Raum hat insb. PICOT den Zusammenhang von Unternehmens grenzen, Unternehmensorganisation und neuer Informationstechnologie untersucht [PICOTIREICHWALD (1994), PICOT/R.iPPBERGERIWOLFF (1996), PICOTIREICHWALD/WIGAND (2001)]. Seine Arbeiten zur Theorie der "grenzenlosen Unternehmung,,24 verbinden die Transaktionskostentheorie mit betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Die Dekonstruktionsthese fmdet sich darin als Hypothese der "verschwindenden Grenzen des Unternehmens", wobei das Augenmerk insbesondere auf der Rolle hybrider Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie liegt.25 Der Kerngedanke dieser Überlegungen lässt sich mit Hilfe der nachfolgenden Abbildung J wiedergeben. Dazu müssen - wie angesprochen - einige Zusammenhänge vorweggenommen werden, die ausfiihrlich in Teil C 4 erläutert werden. Angenommen wird, der Darstellung in WILLIAMSON

(1991) folgend, dass Hierarchien (bzw. Integration) bei Transaktionen mit hoher

Spezifität niedrigere Transaktionskosten verursachen, Märkte (Desintegration) dagegen bei Transaktionen mit geringer Spezifität effizienter hinsichtlich der Transaktionskosten sind26 • Diese Ausgangssituation bilden die dünnen Linien ab. Transaktionskosten

a' ..-- a

!

Senkung der fIXen Transaktionskosten

Spezifitiltsgrad

---+ Senkung der variablen

Transaktionskosten

Abbildung 1: Einfluss einer Veränderung von Transaktionskosten auf die Wahl des Koordinationsmechanismus, ausgelöst durch neue Informationstechnologie Quelle: Vereinfachte Darstellung nach PICOTIRIpPBERGERlWOLFF (1996) bzw. WIUIAMSON (1991)

2. 2S

2'

So der Titel von PICOTIREICHWALDIWIGAND (2001). Vgl. zum Konzept der Quasi-Integration in BWIS (1972). Bei PICOT weit gefasst als Informations- und Kommunikationskosten. Auf die Darstellung der dritten Option "Hybrid", die durch eine zwischen den beiden abgebildeten Kurven verlaufende Kurve abgebildet würde, wird aus Gründen der Vereinfachung verzichtet. Klar ist, dass bei bestimmten Konstellationen von Spezifität und Kurvenverlauf diese dritte Form die niedrigsten Kosten aufweisen könnte

TEIL B - Die Dekonstruktionsthese

14

Neue Informations- und Kommunikationstechnologie kann in diesem Modellrahmen drei Auswirkungen haben27 : (I) Fixe Transaktionskosten, also die Kosten der Informationsinfrastruktur, können sinken. Eine entsprechende Verschiebung der Kurven in Abbildung 1 nach unten würde fur eine Transaktion mit gegebener Spezifität keine Veränderung der optimalen Abwicklungsform (Markt oder Hierarchie) beinhalten. (2) Variable Transaktionskosten, also die durch eine Veränderung der Spezifität zusätzlich verursachten Transaktionskosten, können sinken, z.B. weil notwendige größere Datenmengen zu geringeren Kosten verarbeitet werden. Eine solche Veränderung schlägt sich in der Graphik als Verschiebung der Kurven nach außen bzw. Verringerung der Steigung nieder. (3) Kombiniert man nun die Effekte (1) und (2), so erhält man die Veränderung von den dünnen zu den breiten Kurven. Eine Transaktion a mit gegebener Spezifität, die zuvor am kostengünstigsten innerhalb der Hierarchie abgewickelt wurde (Punkt t), würde bei geringeren fixen und variablen Transaktionskosten über den Markt abgewickelt (Punkt t'). In gleicher Weise kann verringerte Spezifität wirken, die durch den Einsatz von Informationstechnologie erreicht wird. Verändert sich ceteris paribus - also auf dem ursprünglichen Kurvenverlauf - der Spezifitätsgrad von a nach a', dann ist "Markt" (punkt t*) und nicht "Hierarchie" (Punkt t) die bevorzugte Lösung. Zwar werden in den Arbeiten von PICOT28 auch Möglichkeiten erwähnt, wie auch die Effizienz des Koordinationsmechanismus "Hierarchie" von moderner Informationstechnologie profitieren kann29 , die vorstehend ausgefuhrten Überlegungen sind jedoch eine der am stärksten abstrahierten und verdichteten Varianten der Dekonstruktionsthese, die bei PICOTIREICHWAwIWIGAND

(2000, S. 71) auch als Hypothese der "zunehmenden Vermarktlichung der

wirtschaftlichen Leistungserstellung" apostrophiert wird.

27

2&

29

Vgl. PICOT/RIPPBERGERIWOLFF (1996), S. 69ff. WILLIAMSON (1996, S. 87) hat die im folgenden geschilderte komparativ-statische Überlegung anhand "seiner" Abbildung allerdings deutlich kritisiert: "Be fore we shift curves, we need to know more about the factors [... ] that lie behind them". Vgl. zur Kritik an PICOT/RIPPBERGERIWOLFF (1996) auch GARBE (1998), S. 108ff. PICOT/RIpPBERGERlWOLFF (1996), S. 74f., PICOT/REICHWALDfWIGAND (2001), S. 73. PICOT ET AL. begrenzen ihre Überlegungen auch nicht auf Transaktionskosten, sondern argumentieren weiter, dass die neue Informationstechnologie die Implementierung effizienter Kontroll- und Anreizsysteme erlaubt und so "the use of market mechanisms within hierarchies and of hierarchical elements within market relations" [PICOTIRIPPBERGERIWOLFF (1996), S. 75] ermögliche. Vgl. auch Abschnitt C 2.7.

Teil B - Die Dekonstruktionsthese

15

Zwei Arbeiten, in denen Varianten der Dekonstruktionsthese aufgegriffen und mit Fallbeispielen in Beziehung gebracht werden, sollen noch Erwähnung finden: 30 FINE (1998) entwickelt arn Beispiel der Computer-, Fahrrad- und Automobilindustrie die These, dass Industrien im Zeitablauf zwischen den Polen vertikal integrierter und vertikal desintegrierter Struktur schwanken. Ist eine Industrie vertikal integriert, so würden Kräfte in Richtung einer Desintegration und stärkeren horizontalen Orientierung wirken. Solche "Kräfte" können auf einzelne Wertschöpfungsstufen konzentrierte Nischenwettbewerber, technologische Neuerungen auf einzelnen Stufen oder die X-Ineffizienz sein. Ist dann eine "modulare, horizontale" Struktur erreicht, würden wieder Rückstellkräfte in Richtung Re-Integration wirken, worunter die Chance, durch vertikale Integration neue Marktrnacht zu erlangen, die Hauptrolle spielt. LUCKING-REILEY/SPULBER (2001) nehmen wieder unmittelbar Bezug auf Internet-basierten Austausch zwischen Unternehmen (B2B) und erwarten einen Dekonstruktionseffekt, wenn elektronische B2B-Transaktionen und

~Intermediäre

an die Stelle interner Produk-

tion, interner Beschaffung ("procurement") und internen Managements dieser Transaktionen treten: As market transaction costs fall with the maturation of business-to-business e-commerce, outsourcing and vertical disintegration will occur, resulting in more independent entities along the supply chain. [ ... ] The pattern of greater reliance on coordination through markets and less emphasis on vertical integration and organizational governance seems likely to proliferate. 31 KLEINERIKLODT (2000) greifen einen wichtigen Aspekt der Dekonstruktionsthese auf: Den möglichen Wandel von vertikaler zu horizontaler Integration. Die Autoren sehen die "Welle" von - v.a. horizontalen - Unternehmenszusarnmenschlüssen in den 1990er Jahren mit gleichzeitig zunehmender Auslagerung von Produktion und Reduzierung von Fertigungstiefe als Ausdruck einer bewussten Veränderung hin zu vertikal desintegrierten und horizontal integrierten Unternehmen: Durch dieses "slicing-up the value chain" entwickeln sich die Unternehmen also [... ] in die Breite, während sie zugleich durch outsourcing und Neustrukturierung flacher werden32

30

31

32

Nicht weiter eingegangen wird auf Arbeiten, in denen die Dekonstruktionsthese nur Erwähnung findet, ohne dass eine eigenständige theoretische Position eingenommen wird oder eine Ergänzung der These erfolgt. Eine reine Erwähnung findet sich z.B. in PITT (1999), während PRYOR (2001) die Dekonstruktionstbese von EVANs/WURSTER (2000) als einen möglichen Faktor heranzieht, der eine sinkende Konzentration in der USWirtschaft befördern kann. LUCKlNG-REILEY/SPULBER (2001), S. 65. Diese Arbeit ist insofern besonders bemerkenswert, als darin erstmals in einer der wichtigen wirtschafts wissenschaftlichen Zeitschriften die Dekonstruktionsthese in Zusammenhang mit E-Commerce so deutlich formuliert wird. KLElNERlKLODT (2000), S. 171.

TEIL B - Die Dekonstruktionsthese

16

KLEINERT/KLODT machen für diese Entwicklung nicht zuletzt die wachsende Rolle von Informationsgütern und Informationstechnologie verantwortlich. Sinkende Informationskosten würden marktliche Transaktionen bevorzugen und gleichzeitig eine Ausweitung von Märkten und Unternehmen fordern. Die Skalenvorteile bei Einsatz von Informationsgütern 33 in der Produktion würden zusätzlich die horizontale Vergrößerung und internationale Ausdehnung von Unternehmen begünstigen.

Resümee

3

Die Dekonstruktionsthese ist in vielfachen Varianten von Autoren aus Industrieökonomik, Managementlehre und -praxis vorgebracht worden. 34 Über alle Autoren hinweg ließe sich ihre Kemaussage so formulieren: Die modeme Informationstechnologie senkt die Kosten externer Transaktionen und ermöglicht die Trennung von Informationen und physischen Gütern. Konsequenz dieser Entwicklungen ist die Auflösung integrierter Unternehmen, insbesondere wird vertikale Desintegration zu erwarten sein. Die Rolle von sehr weit definierten Transaktionskosten wird dabei in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt. Dabei wird nur selten Bezug auf die Definition von Transaktionskosten als Kosten der Unvollständigkeit von Verträgen genommen, es findet keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen der Transaktionskosten stattfindet und andere Elemente der Institutionenökonomik bleiben außen vor. Informationskosten und ihre Entwicklung werden ebenfalls als Einflussfaktoren von Desintegration identifiziert; die Qualität der Informationsübermittlung wird im RichnesslReach-Modell von EVANS/WURSTER mit einbezogen. Marktmacht-Aspekte und andere klassisch-industrieökonomische Determinanten der Grenzen des Unternehmens werden nur von FINE (1998) und in Ansätzen von EVANS/WURSTER (2000) berührt. Hinsichtlich der weiteren Konsequenzen der möglichen vertikalen Desintegration vermuten einige Autoren, dass sich als Reaktion ein Trend zu mehr horizontaler Integration und Größe ergeben könnte oder im Zuge der Fusionswelle der 90er Jahre bereits erfolgt ist.

33

34

KLEINERlKLODT (2000), verstehen darunter v.a. die Leistungen von Unternehmenszentralen ("headquarter services") wie Forschung und Entwicklung. Einen Überblick über Management-Fragen, welche die Dekonstruktionsthese aufwirft, bieten BRESSERIHITTI NIXONIHEUSKEL (2000).

Teil B - Die Dekonstruktionsthese

17

Zwar gibt es eine Reihe von eigen'ständigen Arbeiten zum Einfluss von Informationstechnologie und digitalen Produkten auf die wichtigen Determinanten der horizontalen Untemehmensgrenzen, wie Skalenvorteile oder Netzwerkeffekte. 35 Allerdings ist das Zusammenwirkung von informationstechnologisch begründeten Faktoren, welche die vertikale Desintegration fördern und Faktoren, die horizontale Expansion begünstigen, noch unzureichend untersucht. Dazu soll die Analyse der in Abschnitt C entwickelten Determinanten der Unternehmensgrenzen mit Hinblick aufInformationstechnologie und E-Comrnerce in Teil D einen Beitrag leisten. Ebenso ist in den Arbeiten zur Dekonstruktionsthese bisher die dritte, laterale, Dimension der Unternehmens grenzen weitestgehend ausgeblendet worden. Auch mit der Frage, ob lateral integrierte bzw. konglomerate Unternehmens formen einer Form der Dekonstruktion unterliegen können oder ob neue Anreize zur Bildung von diversifizierten Unternehmen entstehen können, sollen sich die folgenden Abschnitte auseinandersetzen. Es besteht also ausreichend Veranlassung, eine industrie-, institutionen- und informationsökonomische Analyse der Dekonstruktionsthese vorzunehmen und den Einfluss von Internet und E-Commerce auf die Determinanten der Untemehmensgrenzen in allen drei Dimensionen zu untersuchen. Der sich anschließende Teil C wird nur an einigen Stellen unmittelbaren Bezug auf die Dekonstruktionsthese oder die Wirkungen von Internet und E-Comrnerce nehmen. Aufgrund der enormen Vielfalt der theoretisch und empirisch wichtigen Einflüsse auf die Gestaltung der Grenzen der Firma konzentrieren sich die folgenden Ausflihrungen zunächst auf eine systematische und stringente Erarbeitung der relevanten Determinanten der Unternehmensgrenzen,

35

Vgl. beispielsweise SHAPIROIVARIAN (1998),

18

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen. Einleitung

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen 1t is hard to imagine that so much time, effort and investment bankers' lees would be spent on adjusting firm boundaries unless there was some underlying economic gain J

1

Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf den Determinanten der Unternehmensgrenzen und deren Beeinflussung durch Informationstechnologie-Netzwerke, namentlich das Internet, und durch die auf Grundlage des Internets entstandenen Handels- und Wertschöpfungsformen, zusammengefasst unter dem Begriff E-Commerce. In diesem Abschnitt werden die existierenden Forschungsrichtungen zur ökonomischen Theorie der Firma herangezogen, um einen umfangreichen konzeptionellen "Werkzeugkasten" zur Beurteilung der Einflüsse auf die Grenzen des Unternehmens zur Verfügung zu haben. Nach der Abgrenzung des Begriffs und Forschungsgebiets "Grenzen des Unternehmens" werden drei wichtige Theorieansätze vorgestellt und an mehreren Stellen durch Weiterführung existierender Konzepte (z.B. Abschnitt C 3.2.2, C 4.2.4), Übertragung auf andere Problemstellungen (z.B. C 4.3) und Einbeziehung bisher weniger beachteter Faktoren (z.B. C 4.4.2) ergänzt. Das Vorgehen nach Theorien bietet sich an, weil das zentrale Anliegen dieser Arbeit die systematische und umfassende Analyse der Determinanten der Unternehmensgrenzen und ihrer möglichen Veränderungen durch modeme Informationstechnologie, das Internet und E-Commerce ist. Da die Theorien unterschiedliche, aber eher komplementäre als sich ausschließende Sichtweisen des Unternehmens haben, kann eine solche systematische Analyse am besten erfolgen, indem man die Theorieansätze getrennt zur Anwendung bringt. Die drei verwendeten Theorieansätze repräsentieren fast das gesamte Spektrum der ökonomischen Sichtweisen der Firma. Die neoklassische "Firma als Produktionsfunktion" und als Akteur im (oligopolistischen) Wettbewerb ist in der industrieökonomischen Theorie vorherrschend. Bisweilen wird dieses Sicht der Firma als "black-box"-Betrachtung bezeichnet, da sie keinen Blick für die inneren Funktionsweisen eines Unternehmens habe. SPULBER (1999, S. 83) bezeichnet die neoklassische Firma hingegen als "not so much a black box as it is a transparent mechanical process that converts inputs into outputs", was die Leistungsfähigkeit und Begrenzung dieses Ansatzes wohl besser beschreibt. Die Neue Institutionenökonomik sieht I

HOLMSTRÖMIROBERTS (1998).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

19

im Unternehmen eher ein Bündel von Produktionsfaktoren, Rechten über diese Produktionsfaktoren und Verträgen. Zum einen steht also die innere Funktionsweise des Unternehmens im Blickpunkt, zum anderen die Wahl zwischen verschiedenen institutionellen Formen der Abwicklung der unternehmerischen Transaktionen. Dabei stehen v.a. die von verschiedenen Anreiz-Konflikten ausgelösten Kosten im Mittelpunkt. Der dritte - etwas heterogenere Theoriebereich umfasst unter der Überschrift der informationsökonomischen Sicht der Firma die Theorie des Unternehmens als Intermediär und Informationsverarbeiter und den Bereich der sog. knowledge-based Ansätze. Hier stehen Informationsbesitz, -verarbeitung und weitergabe als wichtigste Merkmale des Unternehmens im Mittelpunkt. Die drei ausgewählten komplementären Theoriebereiche bilden zusammengenommen ein relativ umfassendes Bild des Unternehmens und seiner Grenzen: Die Industrieökonomik arbeitet die Determinanten der Unternehmensgrenzen heraus, die der Produktionstätigkeit und der Interaktion mit den Wettbewerbern entspringt. Transaktionskosten- bzw. Institutionenökonomik zeigen, wie die Kosten der Inanspruchnahme des Marktes, die Unvollständigkeit von Verträgen und die Gestaltung von Anreizen auf die Unternehmensgrenzen wirken. Die Informationsökonomik schließlich geht wieder von einer Situation weitgehend gelöster interner Anreizprobleme aus und zeigt, wie neben der Produktion und Transaktion auch Informationen und deren ökonomische Eigenschaften und unternehmerische Verwendung auf die "boundaries ofthe firm" wirken. Ziel der Abschnitte C 3 bis C 5 und Inhalt der jeweiligen Zusammenfassungen ist, die Ansatzpunkte herauszuarbeiten, an denen Einflüsse des Internets und des E-Commerce so ansetzen können, dass Anreize zur Veränderung der Grenzen des Unternehmens bestehen.

2

Begriffsabgrenzung: Grenzen des Unternehmens

Der Ursprung des Forschungsobjekts "Grenzen des Unternehmens" wird zumeist2 in COASE berühmtem Aufsatz "The Nature of The Firm,,3 gesehen. Die darin aufgeworfene Frage, warum es Unternehmen, diese "Inseln bewusster Macht im Ozean unbewusster Koordination,,4, gibt, erscheint zunächst viel weiter gefasst, als die Frage nach den Grenzen des Unternehmens. COASE fragt anfangs explizit danach, warum überhaupt Organisationen im wirtschaftli2 3 4

Vgl. z.B. LEWIS/SAPPlNGTON (1991); HOLMSTRÖMIROBERTS (1998). COASE (1937). COASE (1937), S. 388, ein Zitat von D.H. ROBERTSON aufgreifend.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

20

ehen Leben existieren. Im Laufe der Beantwortung dieser Frage entwickelt er eine marginalanalytische Betrachtungsweise der Firma und definiert vertikale Integration als Gegenstück zur Koordination durch den Preismechanismus 5 . COASE

selbst legt also die Grundlage dafür, dass die Frage nach der Existenzberechtigung von

Unternehmen, die Frage nach ihren Grenzen und die Untersuchung der vertikalen Integration in der Folge weitgehend als identisch angesehen werden. Insbesondere die auf seinen Arbeiten aufbauende Transaktionskostentheorie hat in der Folge diese Fragestellungen weitgehend als Einheit gesehen und behandelt. 6 Da in dieser Arbeit jedoch eine größere Bandbreite theoretischer Ansätze herangezogen wird und die Grenzen des Unternehmens in mehr als einer Dimension untersucht werden sollen, ist eine Abgrenzung des Begriffs Unternehmensgrenzen unabdingbar.

2.1

Drei Dimensionen der Grenzen des Unternehmens

Ein Unternehmens kann dadurch wachsen, dass es in einem der Märkte, in denen es aktiv ist, den Grad der Wertschöpfung erhöht, seinen Output in einem dieser Märkte steigert oder die Zahl der Märkte, in denen es aktiv ist, vergrößert. Die Grenzen des Unternehmens bestimmen sich also nach L der Tiefe der Wertschöpfung durch das Unternehmen, 2. der Größe des Unternehmens, gemessen an den absoluten Größen Umsatz und/oder Mitarbeiterzahl oder der Größe des Marktanteils auf den relevanten Märkten und 3. der Breite des Produktprogramms. Es lassen sich deshalb drei Dimensionen der Ausdehnung und damit der Grenzen des Unternehmens unterscheiden: Vertikal, horizontal und lateraL Diesen drei Dimensionen entsprechen auch die drei Varianten von Fusionen, die in der kartellrechtlichen Praxis unterschieden werden 7 und die drei Arten der Integration, welche die ökonomische Literatur behandelt. 8

5

6 7

8

V gL die Behandlung der institutionenökonomischen Sicht der Unternehmensgrenzen in Teil C 4. VgL JOSKOW (1993), S. 124. VgL MONOPOLKOMMISSION (2000), NEUMANN (200), NEUMANN (2001), S.133; zur Definition der amerikanischen Kartellbehörde (Federal Trading Commission - FTC) vgL SHY (1995), S. 173f. Andere Interpretation von "lateral": WILLIAMSON (1990), S. 129. VgL NEUMANN (1994), S. 261ff.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

21

Nachfolgende Abbildung C 1 zeigt die drei Dimensionen, deren Charakteristika im Anschluss knapp erläutert werden. 9 VERTIKALE AUSDEHNUNG Vorgelagerte Stufen (RQckwärtsintegration) - Nachgelagerte Stufen (Vorwärtsintegration)

~

LATERALE (KONGLOMERATE) AUSDEHNUNG - Mehrproduktunternehmen - unverbundene Geschäftsfetder

- Finanzinvestition

HORIZONTALE AUSDEHNUNG - Gleiche I ähnliche ProduktpaleUe - Gleiche I ähnliche WertschOpfungsstufe

Abbildung Cl: Drei Dimensionen der Grenzen der Unternehmung Quelle: Eigene Darstellung

2.2

Vertikale Grenzen und Integration

Die vertikale Dimension eines Unternehmens und damit seine vertikalen Grenzen werden durch den Anteil der Wertschöpfung am Endprodukt bestimmt, der innerhalb des betrachteten Unternehmens erfolgt. Die industrieökonomische Betrachtung richtet sich dabei nicht in erster Linie auf einen Prozentsatz des Wertes lO , sondern vor allem auf die Produktions- und Wertschöpfungsstufen, die ein Unternehmen auf sich vereint. Eine nur auf die Produktionsstufen beschränkte Definition der vertikalen Grenzenil würde für die Zwecke dieser Arbeit aber zu kurz greifen, da die vertikalen Grenzen eines Unternehmens sich über die Produktion hinaus in den Bereich von Vermarktung und Service erstrecken können.

Wertschöpfungskette und Modellierung Die vertikalen Grenzen lassen sich am besten verdeutlichen, wenn man das Konzept der Wertschöpfungskette heranzieht. 12 Diese beruht auf einer prozessorientierten Betrachtungsweise des wirtschaftlichen Leistungserstellungsprozesses, wobei die einzelnen Teilprozesse die Glieder einer Kette von Aktivitäten bilden, die von der Produktentwicklung und der Rohstoffgewinnung ausgehend bis zur Lieferung an einen Kunden oder bis zu darauf folgenden •

10

11 12

Da verschiedene Theoriekonzepte unterschiedliche Schwerpunkte bei der Definition der Unternehmensgrenzen setzen und die Integrationsvarianten unterschiedlich intensiv behandeln, wird bei den einzelnen Theorieansätzen noch genauer auf defmitorische Aspekte der Untemehroensgrenzen einzugehen sein. Zur betriebswirtschaftlichen Sicht der Wertschöpfungsanalyse vgl. COENENBERG (2000). So z.B. PERRY (1989). PORTER (1985); HUNGENBERG (2000), S. 105ff.; STElNMANN/SCHREYÖGG (2000), S. 182 ff.

Teil C - Theorie der Untemehmensgrenzen: Einleitung

22

Serviceleistungen reicht. Je nachdem, wie viele Glieder dieser Kette in einem Unternehmen vereint sind l3 und welche Spanne zwischen den am weitesten entfernten Gliedern liegt, sind die vertikalen Grenzen eines Unternehmens weiter oder enger gezogen. 14 Für die ökonomische Modellierung genügt meist eine sehr viel einfachere Definition der vertikalen Grenzen, wobei zwischen einer Upstream- und einer Downstream-Stufe der Produktion unterschieden wird. Das Endprodukt der Upstream-Stufe dient als Input der DownstreamStufe, deren Produkte vom Endverbraucher konsumiert werden. Ein Unternehmen kann seine vertikalen Grenzen dann erweitern, wenn es auf die von ihm bisher nicht besetzte Stufe durch internes oder externes Wachstum expandiert. 15 Vertikale Integration "Vertikale Integration" kann entweder als Begriff rur diesen Prozess der Ausdehnung aufvoroder nachgelagerte Stufen l6 oder als Zustand nach erfolgerter Ausdehnung der vertikalen Grenzen gesehen werden. Dabei wird das Vordringen auf eine in der Wertschöpfungskette vorgelagerte Stufe als Rückwärtsintegration (ÜbernaInne der Upstream- durch die

Downstream-Stufe) bezeichnet, die Integration einer nachgelagerten Stufe dagegen als Vorwärtsintegration (ÜbernaInne der Downstream- durch die Upstream-Stufe). Vertikale Integration geht dabei immer mit dem Ersatz marktlieher Beziehungen zwischen den vorher vertikal separierten Einheiten durch firmeninterne bzw. hierarchische Beziehungen einher. 17 Somit besteht eine besonders enge Beziehung zwischen der Frage nach den vertikalen Grenzen eines Unternehmens und der betriebswirtschaftlichen Entscheidung zwischen Eigenfertigung und Fremdbezug (sog. Make-or-buy-Entscheidung), da sich mit fast jeder Entscheidung fiir oder gegen Eigenfertigung die vertikalen Grenzen erweitern oder verengen. 18 Veränderungen in den entscheidungsrelevanten Größen der Make-or-buy-Entscheidung sind damit immer auf ihre Wirkung fiir die Theorie der Firma und ihrer Grenzen zu hinterfragen. 13

14

15

16

17

18

Oder, nach der Definition von GROSSMANIHART (1986, S. 693f.), unter gemeinsamen Besitz und/oder gemeinsamer Kontrolle stehen. Eine sehr präzise Defmition liefert BAUER (1997), S. 37: Vertikale Integration ist "die Durchfiihrung mehrerer direkt aufeinander folgender und sequenziell interdependenter Aktivitäten des Leistungserstellungsprozesses innerhalb einer Unternehmung [ ... ] wobei aufgrund von Verträgen zwischen den Transaktionspartnern eine hierarchisch übergeordnete Instanz existiert, die die Aktivitäten durch Anweisung koordinieren kann." Zu dieser Definition vgl. FELL (200 I), S. 11 ff. Dann oft gleich bedeutend mit "vertikale Fusion" verwendet. In dieser Arbeit wird "vertikale Integration" als kürzerer Terminus bedeutungsgleich mit "vertikale Ausdehnung der Unternehmensgrenzen" verwendet. Vgl. BLAIRIKASERMANN (1983), S. 11; PERRY (1989), S. 185; BAUER (1997), S. 33. Bei einigen Make-or-buy-Entscheidungen (v.a. bei Dienstleistungen wie Kantine, Reisedienstleistungen, Rechtsdienstleistungen etc.) könnte die Entscheidung für eine Eigenerstellung auch einer lateralen Integration entsprechen. Vgl. zur Frage nach Eigenfertigung und Fremdbezug aus betriebswirtschaftlicher Sicht Z.B. MÄNNEL (1996), PICOT (1991), BEKENSTElNlHENKE (1993).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

23

In die Definition mit einzubeziehen ist auch der von BLOIS (1972) geprägte Begriff der "Quasi-Integration,,19, mit dem eine der vertikal~n Integration ähnliche Beziehung bezeichnet werden kann, bei der die Weisungs- bzw. Koordinationsbefugnis eines Transaktionspartners nicht auf Vertragsbasis besteht, sondern sich aufgrund der Besitzverhältnisse bei wichtigen assets oder aufgrund von Machtbefugnissen einer Seite ergibt. So geartete vertikale Grenzen eines Unternehmens und andere vertikale Konstruktionen, wie Vertriebsbindungen20 , sind in die Untersuchung der vertikalen Grenzen integriert. Die in der Institutionenökonomik gefiihrte Auseinandersetzung über die konstituierenden Merkmale vertikaler Integration (Autorität, Besitzverhältnisse bei assets, residuale Kontrollrechte etc.) wird in Abschnitt C 4 thematisiert.

2.3

Horizontale Grenzen und Integration

Die Frage nach den horizontalen Unternehmensgrenzen ist von der nach den vertikalen Grenzen strukturell sehr verschieden. Während bei vertikalen Transaktionen21 die Alternativen einer Abwicklung über Märkte oder innerhalb von Unternehmen bestehen, geht es bei der horizontalen Sichtweise nur um die Alternativen der Abwicklung zwischen dem Abnehmer auf der einen Seite und dem einen (dem eigenen) oder anderen Unternehmen (einer Konkurrenzfirma) auf der anderen Seite. Aus Sicht des Unternehmens geht es bei der optimalen, d.h. gewinnmaximierenden Gestaltung der vertikalen Grenzen darum, eine optimale Organisation des Leistungserstellungsprozesses zu schaffen. Bei der optimalen Gestaltung der horizontalen Grenzen ist das Ziel, die gewinnmaximierende Position im Wettbewerb auf dem M'JIkt der eigenen Endprodukte zu erreichen, die - vorbehaltlich negativer Einflüsse einer solchen beherrschenden Stellung, wie X-Ineffizienz22 - in einer möglichst weit gehenden Monopolisierung des entsprechenden Marktes besteht. "Horizontale Grenzen" des Unternehmens werden als eigenständiges Untersuchungsobjekt in der Literatur kaum thematisiert23 , jedoch behandelt ein großer Teil der klassischen Industrie19 20

21 22

23

Für eine genaue Abgrenzung der Definitionen von Quasi-Integration vgl. MONTEVERDEITEECE (1982), Fn. 1; PlcoTlRElCHWALDIWIGAND (2001), S. 31Off. NEUMANN (2000), S. 167ff. D.h. bei Transaktionen zwischen Unternehmen im Rahmen der Gütererstellung, wobei das Transaktionsobjekt ein Input der nächsten Stufe der Wertschöpfung ist. V gl. LEIBENSTElN (1987). Als Beleg mag das Fehlen eines entsprechenden Stichworts ("horizontal integration", "horizontal boundaries" o.ä.) in SCHMALENSEElWILLlG (1989) oder EATWELIlMILGATElNEwMAN (1998) dienen. Vgl. auch JOSKOW (1993), En. 14.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

24

ökonomik, namentlich die Monopol- und Oligopoltheorie, in der Untersuchung der horizontalen Konzentration implizit auch das Thema der horizontalen Unternehmensgrenzen. Die Bestimmung der horizontalen Unternehmensgrenzen unterliegt damit den gleichen Abgrenzungsproblemen, wie sie bei der Bestimmung horizontaler Konzentration auftreten, namentlich der Abgrenzung des relevanten Marktes (Auf welchem oder welchen Märkten ist das Unternehmen aktiv?) und der Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Größe eines Unternehmens (Erweitert ein Unternehmen seine horizontalen Grenzen, wenn es mit dem Markt wächst?). Auf diese zwei Aspekte muss im folgenden kurz definitorisch eingegangen werden. Relevanter Markt

Zur Bestimmung des relevanten Markts rur die kartellrechtliche Praxis wurde eine Vielzahl von Verfahren entwickelt, die von der Angebots- oder Nachfrageseite ausgehend eine Abgrenzung ermöglichen. 24 Dabei stellen die - im allgemeinen vorzuziehenden - nachfrageorientierten Verfahren auf die (funktionale) Substituierbarkeit der Produkte als Kriterium rur die Zuordnung zum selben Markt ab (Bedarfsmarktkonzept). Von der Angebotsseite ausgehende Verfahren stellen darauf ab, ob die potenziell zu einem Markt gehörenden Produkte mit einer Produktionsanlage hergestellt werden könnten bzw. ob die fraglichen Produkte eine gemeinsame technische Expertise erfordern, die nur bestimmten Unternehmen oder Unternehmenstypen zur Verfügung steht. 25 Die geographische Dimension des Marktes ist bei den genarmten Verfahren noch zusätzlich zu berücksichtigen. Eine umfassende Definition des relevanten Marktes, die von der Nachfrageseite ausgeht und dabei Angebots- und Geographieaspekte ausreichend abdeckt, ist die der amerikanischen Merger Guidelines. 26 Darin bilden die Produkte den relevanten Markt, rur die ein (hypothetischer) Monopolist eine dauerhafte Preiserhöhung durchsetzen könnte, ohne dass diese durch Substitution im Konsum oder substitutiven Markteintritt konterkariert werden könnte. Jede Form der Marktdefinition ist allerdings mit einer Einschränkung zu betrachten. GEROSKl (1998) verweist richtigerweise darauf, dass Marktdefinitionen den Zweck, zu dem sie getroffen werden, reflektieren: ,,[ ... ] markets exist only in the eyes of their beholders". So ist beispielweise eine auf die Wettbewerbspolitik ausgerichtete Definition, wie die der Merger Guidelines, oftmals nicht geeignet, die strategische Abgrenzung des unternehmerischen Tätig24

25

26

Vgl. JACQUEMlN/SLADE (1989), S. 454f.; WERDENIFROEB (1993); NEvENINUTTALUSEABRIGHT (1993), S. 90ff.; TRAUGOTT (1998); NEUMANN (2000), S. 138ff.; die Vielfalt der Definitionen zeigt FAIRBURN (1993), S.266f. Vgl. NEUMANN (2000), S. 138f. NEUMANN (2000), S. 141f.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

25

keitsfeldes zu bestimmen. Der relevante Markt aus Sicht eines Unternehmens kann deshalb vielfach nicht mit den geschilderten, angebots- oder nachfrageseitigen Marktdefinitionen übereinstimmen. hn Einzelfall wird also eine andere Marktabgrenzung27 als die oben genannte besser geeignet sein, um den relevanten Markt eines Unternehmens und damit die Referenzgröße für die horizontale Unternehmens größe zu umreißen. Veränderung von Marktanteil und Unternehmensgröße

Für die Bestimmung der horizontalen Grenzen ist darüber hinaus entscheidend, wie die Größe des Unternehmens definiert wird und weIche Art der Veränderung in der relativen und absoluten Größe vorliegt. Eine Umsatzvergrößerung (bei Geschäften im relevanten Markt) als allein himeichend für eine horizontale Ausweitung der Unternehmensgrenzen anzusehen, wäre falsch. Denn dann würde z.B. eine Erhöhung des durchschnittlichen Preisniveaus in emer Branche ohne jegliche Veränderung in den Absatzverhältnissen bereits eine horizontale Ausdehnung bedeuten. Die horizontalen Grenzen sollten, gerade wenn auch wettbewerbspolitische Aspekte Teil der Untersuchung sein sollen, nach der relativen Größe, d.h. nach dem Marktanteil im relevanten Markt beurteilt werden 28 Für die Veränderung des Marktanteils können sowohl Umsatzveränderungen des betroffenen Unternehmens als auch Veränderungen in der Marktgröße verantwortlich sein. Nachfolgende Tabelle C 1 zeigt die möglichen Konstellationen. 29 Nur die in der Tabelle grau unterlegten Konstellationen können dann eindeutig als horizontale Ausdehnung des Unternehmens im relevanten Markt angesehen werden, da Wachstum des Unternehmens und Zugewinn von Marktanteilen zusammentreffen und das Unternehmen nicht nur passiver "Nutznießer" einer Veränderung des Marktes bei unveränderten oder sinkenden eigenen Umsätzen ist.

27

28

Diese können auf Bedürfnissen der Konsumenten, Technologie oder auch wettbewerblichen Aspekten (,,Markt als kleinster Bereich in dem man einen lebensf;;higen Wettbewerber darstellen kann") basieren. Vgl. GEROSKI (1998), S. 686ff. Dabei sollte der prozentuale Marktanteil verwendet werden und nicht der, z.B. in der sog. BeG-Matrix [vgl. HENDERSON (1972), S. 348f.; HUNGENBERG (2000), S. 336ff.] angewandte, sog. "relative Marktanteil" (

29

= Umsatz des Unternehmens bzw. der Geschäftseinheit ) , da d'leser auch vom Konkurrenzumsatz abhängt.

Umsatz des stärksten Konkurrenten Die Unterscheidung zwischen überdurchschnittlichem, durchschnittlichem oder unterdurchschnittlichem Wachstum bzw, Schrumpfung ist nur teilweise sinnvoll. Wo diese Unterscheidung nicht sinnvoll ist wird in der Abbildung ein durchgängiger Kasten verwendet, wo sie sinnvoll ist, ein in drei Teile gegliederter Kasten.

26

Teil C - Th eorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung Markt schrumpft Oberdurchschnittlich Umsatz schrumpft

durchschnittlich unterdurchschnitti.

Umsah konstant

Markt konstant

Markt wächst

Marktanteil '"

Marktanteil '"

Marktanteil

~

Marktanteil '"

Marktanteil

1-

Marktanteil '" Marktanteil

~

1Marktanteil 1Marktanteil

unterdurchschnlltl. Umsatz wächst

durchschnittlich Oberdurchschniltlich

Marktanteil _

1. .

_ ..

Marktanteil'"

_

Tabelle Cl : Definition einer horizontalen Erweiterung der Unternehmensgrenzen Quelle: Eigene Darstellung

Als zusammenfassende Arbeitsdefinition bietet sich demnach an, von einer Ausdehnung der horizontalen Grenzen zu sprechen, wenn der prozentuale Marktanteil des Unternehmens in einem - zumeist auf Basis der Nachfragesubstitution abgegrenzten - relevanten Markt durch internes oder externes Wachstum steigt, ohne dass eine Verkleinerung des abgegrenzten Marktes vorliegt.

2.3

Laterale Grenzen und konglomerate Integration

Die dritte Dimension der Grenzen von Unternehmen bemisst sich nach der Breite des Produktionsprogramms, der Angebots- bzw. Sortimentsbreite oder ganz allgemein der Zahl der bearbeiteten Märkte. Eine laterale Expansion der Unternehmens grenzen liegt vor, wenn ein Unternehmen - gleich auf welcher Wertschöpfungsstufe - in einen Markt eintritt, dessen Produkte keine oder wenig produktionstechnische Verbindung aufweisen und nicht in substitutiver Beziehung zueinander stehen. Ergebnis einer solchen lateralen Ausdehnung sind Mehrproduktunternehmen, die als diversifiziert oder konglomerat bezeichnet werden. Dabei kann der Begriff des konglomeraten Wachstums zwar allgemein für alle nicht horizontalen oder vertikalen Expansionen stehen, er wird aber meist fiir Unternehmenstypen verwendet, die besonders weit auseinander liegende Geschäfte vereinen und in vielen Fällen durch externes Wachstum entstanden sind. 3D Die Grenzziehung zwischen horizontaler und konglomerater Expansion fallt nicht immer leicht. So unterscheidet die US-Kartellbehörde Federal Trade Commission (FTC) zwischen drei Arten konglomerater Fusionen 3 !:

30

31

Vgl. zur Definition HUGHES (1998). SHY (1995), S. 174.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Einleitung

-

27

Produkt-Erweiterung: Beide Unternehmen haben verbundene Produktionsprogramme. Markt-Erweiterung: Beide Unternehmen haben gleiche Produktprogramme, bedienen aber geographisch unterschiedliche Märkte.

-

Andere Konglomerate: Beide Unternehmen haben in Produktion und Distribution verschiedene Produktionsprogramme.

Von diesen drei Arten soll nur die letzte in dieser Arbeit als Konglomerat bezeichnet werden. Produkt-Erweiterung soll, der Praxis der deutschen Monopolkommission32 folgend, als Spiel-

art der horizontalen Ausdehnung angesehen werden, Markt-Erweiterung ist nach der hier verwendeten Arbeitsdefinition33 ebenfalls unter die horizontalen Grenzerweiterungen zu rechnen, da die Definition des relevanten Marktes bereits die geographische Dimension beinhaltet. Laterale oder konglomerate Integrationen enthalten wie vertikale Integrationen einen Ersatz marktlicher durch unternehmensinterne Beziehungen. Während bei vertikalen Zusammenschlüssen allerdings die (potenzielle oder reale) Käufer-Verkäufer-Beziehung zwischen zwei Unternehmen und damit die Koordinationsfunktion des Marktes ersetzt wird, ersetzen konglomerate Fusionen teilweise die marktliche Allokation von Produktionsfaktoren auf verschiedene Geschäfte, indem ein interner Kapitalmarkt und bisweilen auch ein interner Arbeitsmarkt etabliert werden. 34 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist noch die Unterscheidung zu treffen, ob bei einem konglomeraten Unternehmen die verschiedenen Teilbereiche durch die oberste Ebene des Unternehmens (z.B. eine Holding) operativ oder als reine Beteiligung ge fuhrt werden. Im ersten Fall greift das übergeordnete Management aktiv in das Geschäftsgebaren der Teilbereiche ein, im zweiten Fall erfolgt die Führung im Sinne eines reduzierten "management by objectives,,35 nur über Zielvorgaben oder Kennzahlen.

32 MONOPOLKOMMISSION (2000). 33 V gl. oben S. 26. 34 Vgl. NEUMANN (1994), S. 269ff.; zur Internalisierung von Kapital- und Arbeitsmarkt als Entstehungsgrund von Konglomeraten vgl. Abschnitt C 4.4.1 35 Vgl. STElNMANN/SCHREYÖGG (2000), S. 703ff.

28

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

3

Neoklassische und industrieökonomische Sicht der Firma und ihrer Grenzen

In diesem Teil werden die Determinanten der Grenzen des Unternehmens herausgearbeitet, die sich aus der Theorie der Industrieökonomik ergeben. Das heißt, es werden in der Produktionsfunktion oder der wettbewerblichen Interaktion im Oligopol fundierte Gründe gesucht, warum ein Unternehmen vertikal, horizontal oder lateral expandiert. Anzumerken ist, dass im Rahmen dieses Teils C nur die (firmen-individuellen) Anreize zur Integration untersucht werden. Die in der Literatur dominierende Zielsetzung einer Untersuchung der wohlfahrtsökonomischen Wirkungen einer Veränderung der Unternehmensgrenzen bleibt außen vor. 36 Manche der in diesem Abschnitt thematisierten Determinanten vertikaler Integration könnten auch transaktionskostenökonomisch interpretiert werden. Der Integrationsanreiz, der sich aus der Sicherung stabiler Inputströme und -preise ergibt, könnte beispielsweise als Form der Verhinderung einer späteren Erpressbarkeit (im Sinne des in Abschnitt C 4 ausführlich besprochenen hold-up-Problems) interpretiert werden. In dieser Arbeit sollen Integrationsdeterminanten, die sich innerhalb einer neoklassischen Betrachtungsweise identifizieren lassen, allerdings in dieser Rubrik behandelt werden, nicht zuletzt um der vielfach geäußerten Kritik Rechnung zu tragen, dem Aspekt des hold-up würde im Rahmen der Theorie der Unternehmensgrenzen ein zu großer Teil der "Erklärungsarbeit" aufgebürdet. 37

3.1

Vertikale Grenzen

Unter den neoklassisch-industrieökonornischen Erklärungsansätzen für vertikale Expansion bzw. Integration werden hinsichtlich der Anreize zur Integration zumeist drei Gruppen unterschieden38 , die in den folgenden Abschnitten behandelt werden. Dies sind technologisch bedingte Umfangsvorteile integrierter Unternehmen (economies 01 scope) Auswirkungen unvollkommenen Wettbewerbs (double marginalization) bewusste Vergrößerung der Marktrnacht durch Vorwärts- oder Rückwärtsintegration. 3. Die jeweils zitierte Literatur bietet vielfach auch ausflihrliehe Analysen zu den Wohlfahrtswirkungen von 37

38

Integrationen. Vgl. CASSON (1997), HOLMSTRÖMIROBERTS (1998). WILLlAMSON (1989, S. 150, Fn. 9) selbst zieht eine Trennlinie zwischen der transaktionskostentheoretischen Analyse der Determinanten vertikaler Integration und den Integrationsanreizen, die sich aus unvollkommenen Märkten heraus ergeben: ,,[ ... ] vertical integration mayaiso be used to correct against monopoly-induced factor distortions. Arguments of [!his kind] work out of the frrm-as-production-function tradition." Andere Gruppierungen der Determinanten vertikaler Integration bei PERRY (1989), S. 187, WILLIAMSON (1990), S.98f., Fn. I, WINDSPERGER (1994), S. Ill. Vgl. auch VICKERSfWATERSON (1991), S. 446.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: NeokJassische Sicht der Firma

29

Preisdifferenzierung als Anreiz zur vertikalen Ausdehnung wird als eigener Abschnitt behandelt, da sie zwar auf Marktrnacht beruht, aber im Gegensatz zu den anderen MarktmachtAnreizen auf den Endkundenmarkt bezogen ist. Unsicherheit, Marktgröße und industrieLebenszyklus als Determinanten des vertikalen Umfangs sind eigenständige Themenbereiche, die keiner der drei größeren Gruppen eindeutig zuzuordnen sind - sie werden in dieser Arbeit ebenfalls in eigenen Abschnitten besprochen.

3.1.1

Verbundvorteile (Economies 0/ Scope)

Technologiebedingte Verbundvorteile in der Produktion sind die ursprünglichste Erklärung rur die vertikale Ausdehnung von Untemehmen. 39 Als Anreiz zur vertikalen Ausdehnung wirken Umfangsvorteile dann, wenn sie sich auf die Integration mehrerer Wertschöpfungsstufen unter einem Dach beziehen. Für diesen Zusammenhang wird in der Literatur nahezu ausschließlich das Beispiel der integrierten Hüttenwerke in der Stahlindustrie herangezogen. Hier können Umfangsvorteile durch vertikale Integration erzielt werden, weil ein mehrmaliges Erhitzen vermieden wird. 4o Ein weiteres Beispiel könnte die Stromindustrie darstellen: Aufgrund der Abstimmung der Lastkurve und der Einsatzreihenfolge (merit order) der Kraftwerke können sich Verbundvorteile zwischen der Erzeugungs-, Handel- und Verteilungsstufe (Netz) ergeben. Gleiches gilt für den simultanen Einsatz von Personal für Netzservice- und Vertriebsaufgaben in ländlichen Gebieten. 41 Auch in der Informationstechnologie können vertikale Verbundvorteile vorliegen, wenn beispielsweise die Verarbeitung von Daten auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen (Produktgestaltung, Vertrieb und Abwicklung in einer Bank) innerhalb eines Systems erfolgen kann und keine Neueingaben, Umwandlungen oder mehrfache Datenspeicher vorliegen. Die Bedeutung der Verbundvorteilen für vertikale Expansion erscheint allerdings begrenzt. 42 Dies belegt zum einen die erwähnte Beschränktheit auf wenige bekannte Anwendungsfalle. Zum anderen ist in diesem Fall die Kritik von WILLIAMSON (1990, S. 97ff.) durchaus zutreffend, dass viele vermeintlich technologische Determinierungen der Organisationsform sich 39 40

41 42

VgI. BAIN (1958); NEUMANN (1966), S. 674 und die dort zitierte ältere Literatur. Fonnale Darstellu,g des Konzepts der economies ofscope bei PANZAR (1989), S. 15ff.. VgI. NEUMANN (1994), S. 277; SPULBER (1999), S. 270; FELL (2001), S. 16 und 20; auch CHANDLER (1990) liefert keine weiteren Beispiele für vertikale economies of scope, sondern v.a. aus dem Bereich der Prozessindustrien kommende Belege für laterale economies ofscope durch Ausweitung der Produktpalette. VgI. auch FELL (2001), S. 21. Allerdings sind Verbundvorteile als BegIÜndung für Multiproduct-Firms von Bedeutung (vgl. PANZARI WILLIG (1981), S. 272) und werden in der Untersuchung lateraler Expansion wieder aufgegriffen.

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30

bei genauerer Betrachtung als Ergebnis vertrags- oder transaktionskostentheoretischer Mechanismen erweisen können. Bei vollständigen Verträgen und ohne Transaktionskosten wären die Vorteile integrierter Produktion auch ohne Integration der Unternehmen nutzbar, was auch auf die obigen Beispiele aus der Stromwirtschaft oder der Informationstechnologie, nicht aber auf das Beispiel der Hüttenwerke zutrifft. 43

3.1.2

Unvollkommener Wettbewerb

Unvollkommener Wettbewerb kann in zweifacher Weise Anreize zur vertikalen Integration liefern. In diesem Abschnitt wird eine bestehende Marktsituation zum Ausgangspunkt der Überlegungen genommen, aus der sich Anreize zur vertikalen Expansion ergeben können, während im nächsten Abschnitt Marktmacht selbst die Zielgröße bzw. der Anreiz und vertikale Expansion das Mittel des Firmenhandelns ist 44 Grundmodell

Ausgangspunkt der vielf 0 so ergibt sich GD

=

(P-w)q als Gewinnfunktion von Firma D mit der gewinnmaxima-

Ien Menge q = (a-w}/2b und der Funktion w = a-2bq rnr die Nachfrage von D nach dem Input 43 44

45

46

47

Die Ansätze von WILLIAMSON werden ausfiihrlieh in Abschnitt C 4 behandelt. Die in der Folge behandelte "double marginalization" wird in dieser Arbeit nicht - wie manchmal argumentiert - als Element der Transaktionskosten behandelt, da die Unvollkommenheit der Marktstruktur (die Ursache des doppelten Preisaufschlags ) nur bei sehr weiter Auslegung als ,,Kosten der Inanspruchnahme des Marktes" angesehen werden kann. Vgl. zur Transaktionskostendefinition Abschnitt C 4.1. Einen guten Überblick der umfangreichen und sehr ausdifferenzierten Literatur zu vertikaler Integration bei unvollkommenem Wettbewerb bietet FELL (2001). An dieser Stelle können nur die Grundzüge dieser Literatur und die wichtigsten Schlussfolgerungen behandelt werden, auf die vielfaltigen Unterscheidungen hinsichtlich der Kostenverläufe oder anderer Wettbewerbsparameter muss und kann verzichtet werden. Vgl. SPENGLER (1950), BLAIRIKASERMANN (1983), S. 31ff., PERRY (1989), S. 199ff., NEUMANN (1994), S. 280ff., FELL (2001), S. 26ff. Die Situation könnte 2.B. der eines monopolistischen Produzenten U entsprechen, der sein Gut über einen exklusiven Händler D vertreibt. Damit wäre auch die implizite Annahme zu begründen, dass D gegenüber U keine Monopsonmacht im Einkauf seines Inputs ausübt.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

31

q. Das Upstream-Unternehmen U maximiert seinen Gewinn G u = (w-c)q bei gegebenen konstanten Grenzkosten c < a dann, wenn gilt:

a-c

(e 1.)

q=~

Setzt man (e 1.) in die Nachfragefunktionen rür das Zwischen- bzw. Endprodukt ein, so erhält man als Werte rur den Endpreis p und den Inputpreis w: P=

3a + c und w = a + c

(e 2.)

42'

woraus sich rür die Gewinne der beiden Unternehmen ergibt 48 : (a-c)'

.

(a-c)' 16b

3(a-c)' 16b

Gu = - - - bzw. GD = - - - und als Summe der GewInne GU + D =-'----'--

8b

(e 3.)

Kommt es nun zu einer vertikalen Integration durch Vorwärts integration von U oder Rückwärtsintegration von D, so wird davon ausgegangen, dass die Lieferung des Inputs der

Upstream-Stufe an die Downstream-Stufe zu Grenzkosten erfolgt, so dass w = c und der Gewinn des integrierten Unternehmens Gint

=

(P-c)q ist. Für das integrierte Unternehmen erge-

ben sich hinsichtlich Preis und Menge die Werte wie rur ein einfaches Monopol, d.h.

a-c d a+c qi'" =21;" un Pint =-2-

(e 4.)

. d G . G (a - c)' mit em eWlnn int = ~.

(e 5.)

Der Vergleich von (e 5.) und (e 3.) zeigt, dass GÜll um (a-d/16b größer ist als GU+D, so dass ein Anreiz zur vertikalen Expansion durch Übernahme der vor- oder nachgelagerten Stufe besteht. 49 Die Ursache dieses Zuwachses an verteilbarem Gewinn liegt in der Internalisierung des doppelten monopolistischen Preisaufschlags (double marginalization), der bei Separation auf den Input- und den Endproduktpreis erhoben wird, sowie in der Produktionsausweitung.

48

G _( D -

=(w-c)q=(~-c)~=(~)~=

G

(a-c)'.

2 4b 24b 8b Die Existenz eines Anreizes zu einem "Zusammenschluss unter Gleichen" besteht natürlich nur darm, wenn es zu einer Aufteilung des G int kommt, die beide Seiten (bzw. die entsprechenden Anteilseignem) einen höheren Gewinn als unter vertikaler Separation erzielen lässt. In jedem Fall ergibt sich ein wohlfahrtsökonomisch erstrebenswertes Resultat, da die produzierte Menge sich verdoppelt, wie der Vergleich von (C 4) und (C I) zeigt und die kumulierte Produzenten- und Konsumentenrente sich vergrößert. U

49

) _( b ) _( a-c a+c)a-c _(4a-(a-c)-2(a+c))a-c _ (a-c)' p-wq- a- q-wq- a - 4 Tb-16b 4- - 2 - Tb-

32

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

Dieses Grundmodell beruht natürlich auf einer Vielzahl restriktiver Annahmen, die

In

der

Folge teilweise aufgelöst werden konnten. Zu diesen Annahmen zählen insbesondere: feste Einsatzverhältnisse, keine Weiterverarbeitung auf Downstream-Stufe homogene Güter konstante Grenzkosten keine Einkaufsmacht der Downstream-Stufe sukzessives Monopol bzw. gegebene Zahl an auf einer Stufe identischen Unternehmen Modellerweiterungen In der Literatur50 wurde das Grundmodell insbesondere dahingehend erweitert, dass verschiedene Wettbewerbsintensitäten auf unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen modelliert wurden. Eine verdichtete Übersicht der Ergebnisse dieser Literatur rur feste Einsatzverhältnisse zeigt Tabelle C 2. Dabei sind alle Konstellationen, in denen fiir die Unternehmen eindeutige Anreize zur vertikalen Integration bestehen, durch eine Schattierung gekennzeichnet 51 Kein Mr.tz. zur "'trtiklilltn Fu· .. Ion RrlckwJr1$int.gration

od.,

VQllsUindiga

KOfIkurrenz

~

~ 0.

:::>

Oligopol (Cournot)

Anreiz zur Vorw rtslnt.g~Uon bestDnd., aMr ÜbofIm.al"uM diS

O-Monopoll:st .... durch U--Unt.,·

Kein Anr.1% Zu, vtrtJhJen Fu· S'OA

oder ROc.kw;arts.!nt .. grililion

(Verringerter) Anreiz zur Vorw rblnteVr.iltion butOndt, aber Obem~hme iluch hit'

nehmtn unWJhr!Jc.h"lnlk,h

unwahrscheinlich

GR~ENHUTIOHT A (1170'

.ntsp,. GREENHUTlOHT A ( 1~16)

..., .. rz IIlr O-Monopoll.ton bzW. Monop..ona.t.n zur paröentn ode,. ~l$tJndls.n Integ.ratlon

InCllVldutn.,. Anratz: zur fnleg· nation besteht - Je nach Wett· be'twrtJ•• trattgle (COl,lmot odtIr Sto.~.lberv)- IbI\Ingtv odor unlbh1nglg 'IOn Zahl dor Up.

d.r Upall'l!arn-Anblewr

und Downstr.am-Untemthmtn

PERRY (1978)

..., ..1< zur Integratron be'laht ,orbtkl. Unttmthmen

ABIRU ET AL. (1998) NEUMANNIFEll (20011 Anr.lz. fOr U-MonopoUltan zu

. tnWVRlIon "ltt O-Anbl.ttr · lnwgraUon ein... 0.Anb.laß .la ZwelttM:ltLOll,lng

Monop~

SPENGLER (19501 Monopol

FClr kein Unltlrnthmen besteh. Anr.lI: zur rnlegr1ltlon

FELL (2001), S. 3011. Oligopol

(Cournot)

SPENGLER (19501 Kein Anreiz: zur .... ll1lklll.n Fu·

.ron oder ROckwJrtslntegr,tlon tV.rrlngert:ltrl Alu.tz zur

ROckw rtsln'egraUon beltQndll'. aber Obemllhme auch hllr

unwahrscheinlich

onlSpr. GREENHUTIOHTA. (1'1"1 Kein AIIr.ll. :zur vertlhlen FuIlon oder VorwtlUlntll'UI'",jIIUon Arlretz zur ROc:kwlrtllntagratlon besUJnd., aNt" O~rnahm411 du U~opolilten durc:h 0-4Jnter· nehm.n u~hr.ch.If1llGh

GREENHUTlOHT A (1'78)

Volistlindigo Konkurr.n:z

Oownstream

Tabelle C 2: Anreize zur vertikalen Integration aufgrund unvollkommenen Wettbewerbs" Quelle: Eigene Darstellung, teilweise in Anlehnung an FELL (2001), Tabellen 1,2,4,7,8 50

51

52

Vgl. BLAIRIKASERMANN (1983), Kapitel 3 und 4; PERRY (1989), Kapitel 2 und 3; Wu (1992); FELL (2001), Kapitel 4 sowie die in der Tabelle verwendete Literatur. Dabei wird auch der monopsonistische Ameiz zur vertikalen Integration mit behandelt (Konstellation Downstream-Monopol mit Upstream-Oligopol). Vgl. PERRY {I 978), BLAIRIKASERMANN (1983), S. 114ff. Die in der Abbildung zitierten Quellen sind beispielhafte Modellierungen der jeweiligen Konstellation. Die Bezeichnung "entspr." verweist auf die Möglichkeit der Übertragbarkeit von Modellergebnissen, die für andere Konstellationen erarbeitet worden sind.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

33

Eine umfassende Analyse hinsichtlich der Marktstruktur auf Upstream- und DownstreamStufe stellt ABIRU ET AL. (1998) dar53 . Das Bestehen individueller Anreize zur vertikalen Integration bestimmt sich dabei nach dem Verhältnis der Zahl von Upstream- (N) und Downstream-Unternehmen (m). Individuelle Anreize zur Integration flir alle Unternehmen

bestehen immer, wenn N

;0: m

gegeben ist, d.h. wenn die Konzentration auf der vorgelagerten

Wertschöpfungsstufe geringer oder gleich der auf der nachgelagerten Stufe ist. 54 Bei N < m bestehen individuelle Integrationsanreize nur flir einen durch N < m < R bezeichneten Bereich. 55 Dies könnte beispielhaft bedeuten, dass es eine Konstellation von einigen (Upstream-) Produzenten (N) und gleich vielen oder weniger (Downstream-)Händlern (m) gibt oder dass die Zahl der Händler die der Produzenten nur wenig übertrifft (im Fall von 10 Produzenten dürfte es höchstens 15 Händler geben, bei 3 Produzenten höchstens 6 etc.)56 Allerdings konnten NEUMANNIFELL (2001) nachweisen, dass vertikale Integration zur Vermeidung von double marginalization unabhängig von der Zahl der Up- oder DownstreamUnternehmen immer die profitable Strategie darstellen kann. Bedingung daflir ist nur, dass den Unternehmen bei der Bestimmung des Preises flir das Zwischenprodukt nicht nur Cournot-Verhalten, sondern auch eine "Stackelberg-artige" Strategie57 möglich ist, die sich als dominante Variante erweist. Die Verwendung fester Einsatzverhältnisse in den angesprochenen Modellen ist eine Annahme, deren Auflösung problematisch ist. Werden bestimmte Substitutions-, Preis- und Skalenelastizitäten unterstellt, dann kann ein Anreiz flir einen Monopolisten zur Integration eines Unternehmens auf der wettbewerb lichen Stufe bestehen. 58 HAMILTON (1992) liefert mit variablen Einsatzverhältnissen auch die einzige direkte Modellierung einer Konstellation mit Oligopol Upstream und vollständiger Konkurrenz Downstream, wobei der Integrationsanreiz a-

53

54

55 56

5?

58

Die Rahmenbedingungen des Modells von ABIRU ET AL. sind die Annahme einer linearen Nachfragefunktion, paarweiser Fusionen mit exklusiver Belieferung, fehlender Einkaufsmacht und fehlenden Marktzutritts [V gl. ABIRU ET AL. (1998), S. 466 und Fn. 19]. Dabei besteht die Möglichkeit von "Gefangenendilemrna-Situationen", d.h. alle Unternehmen haben individuelle Anreize zur Integration, nach erfolgter vollständiger Integration ist die Summe der Profite aber geringer als zuvor, unter vertikaler Separation. Vgl. ABIRU ET AL. (1998), S. 473 und Fig. 1. Mit R [2NJ +N'-I +2N(N'+4N"-4N'-2N+2/']/[3N'-2N+ I]. Vgl. ABIRU ET AL. (1998), S. 471f. An dieser Stelle wird die Problematik der in den erwähnten Modellen üblichen Annahme "keine Einkaufsmacht der Downstream-Stufe" für die ModelIierung von ABIRU ET AL. (1998) deutlich: Wenn die Zahl der "Händler" die der "Produzenten" deutlich unterschreitet, kann das in der Praxis oft beobachtbare Phänomen der Einkaufsmacht des Handels nicht ohne Probleme für die Relevanz des Modells ausgeschlossen werden. Diese besteht darin, dass sich die Nachfrage nach dem Zwischenprodukt aus dem Profitmaximierungs-Kalkül der nicht-integrierten Downstream-Unternehmen ergibt, die den Output der integrierten Unternehmen als gegeben annehmen und sich auf dem Markt fur Zwischenprodukte in der Art eines Stackelberg-Folgers im Oligopol-Modell verhalten. Vgl. NEUMANNIFELL(2001), S. 9ff. Vgl. FELL (2001), S. 54 für die entsprechenden ModelIierungsvarianten.

=

34

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklas$ische Sicht der Firma

ber indeterminiert bleibt. 59 Die Modelle mit variablen Einsatzverhältnissen leiden aber an der Vielfalt zusätzlich zu treffender Annahmen, welche die erzielbaren Ergebnisse fast beliebig verändern lassen, so dass in der Literatur die Ergebnisse der Modellierungen mit festen Einsatzverhältnissen im Vordergrund stehen. Hinsichtlich der Annahme homogener Güter zeigt Wu (1992, S. lllff.) schließlich in einem Dyopol-Modell, dass deren Auflösung zentrale Resultate nicht verändert. Die Endprodukte einer Industrie können in diesem Modell über einen Differenzierungsparameter in der inversen Nachfragefunktion60 als substitutive, komplementäre oder unabhängige Güter ausgestaltet werden. Wu erläutert in der Folge, dass über die gesamte Breite möglicher Werte des Differenzierungsparameters und damit rur alle möglichen Beziehungen zwischen den Gütern vertikale Integration ein Nash-Gleichgewicht darstellt, da die individuellen Firmen sowohl bei substitutiven wie bei komplementären oder unabhängigen Endprodukten einen Anreiz zur Integration haben61 . Zusammenfassung der Anreize

Trotz der Vielfalt der Modellierungen und der z.T. sehr spezifischen Annahmen lassen sich zwei zentrale Schlussfolgerungen aus der Analyse unvollkommener Marktstrukturen als Integrationsameiz ziehen. Besteht auf einer Stufe der Produktion (bzw. einer Wertschöpfungsstufe) vollständige Konkurrenz, so ist bei neoklassischer Modellierung kein realer Anreiz zu vertikaler Integration gegeben. Verkürzt ausgedrückt nimmt der Anreiz zur Integration also mit Zunahme des Wettbewerbs auf einer Stufe ab. Bei unvollkommenem Wettbewerb auf allen (bzw. beiden) Stufen besteht ein individueller Anreiz zur vertikalen Integration, wenn entweder auf einer Stufe ein Monopol existiert oder auf beiden Stufen ein Oligopol mit der oben beschriebenen Charakteristik besteht, d.h. Cournot-Verhalten mit N (was den Fall N

~m

~

moder m < R

eigentlich bereits beinhaltet) oder "Stackelberg-Verhalten" ohne Bedin-

gungen hinsichtlich der Zahl der Unternehmen auf den verschiedenen Stufen.

59 60

61

Vgl. FELL (2001), S. 54. Dieser Differenzierungsfaktor Bin einer Gleichung der Form Pi = a - qj- (}qj ist die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage zwischen den Gütern. Vgl. Wu (1992), S.102 und NEUMANN (2001). Zwar ist der Profit der einzelnen Firma bei nahen Substituten höher, wenn sie nicht integriert, sondern eine Lieferbeziehung beibehält. Jede Firma auf einer Wertschöpfungsstufe hat aber einen Anreiz zur Integration, sobald sich ihr Konkurrent für eine Lieferbeziehung entscheidet, so dass Integration die dominante Strategie ist. Vgl. Wu (1992), S. 114.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

3.1.3

35

Schaffung von Marktmacht

Ein dritter Strang von neoklassischen Ansätzen zur Untersuchung vertikaler Ausdehnung der Unternehmensgrenzen hat ebenfalls Marktrnacht bzw. unvollkommenen Wettbewerb zum Thema, jedoch nicht - wie im vergangenen Abschnitt - als Ausgangspunkt der Integration, sondern als Ziel expansiver Bestrebungen. Die Frage lautet hier, ob vertikale Vorwärts- oder Rückwärts-Integration fiir ein Unternehmen vorteilhaft sein könnte, weil sie die Möglichkeit zum Aufbau von Marktrnacht und damit zur Erzielung von höheren Gewinnen bietet. Zwei Mechanismen der Schaffung von Marktrnacht sind zu unterscheiden: Verhinderung von Markteintritt: Welche Anreize zu vertikaler Integration ergeben sich

aus der Möglichkeit, den Eintritt potenzieller Konkurrenten durch die vertikale Ausdehnung der Unternehmensgrenzen zu verhindern? -

Benachteiligung von Konkurrenten: Welche Anreize zu vertikaler Integration ergeben sich

aus der Möglichkeit, den wirtschaftlichen Erfolg bereits im Markt befindlicher Konkurrenten zu beschränken? Dabei kann noch zwischen zwei eng verwandten Konzepten unterschieden werden, die unten näher erläutert werden: Foreclosure: Ausschluss von wichtigen Ressourcen (Beschränkung der Markttransak-

tionen) Raising Rivals' Costs: Kein faktischer Ausschluss, Diskriminierung durch überhöhte

Preise62

Verhinderung von Markteintritt Markteintrittsbarrieren können als Nebenprodukte einer durch andere Anreize begründeten vertikalen Ausdehnung entstehen. 63 Integrieren mehrere Unternehmen z.B. aus Gründen der Vermeidung von double marginalization oder sonstigen Kostensenkungs-Anreizen, so weist das entstandene Unternehmen gegenüber potenziellen neuen und nicht-integrierten Marktteilnehmern Kosten- und/oder Informationsvorteile auf. Konkurrenten könnten bei effizienter Produktion im integrierten Unternehmen und gleicher Technologie folglich nur mit dem gleichen Integrationsgrad erfolgversprechend in den Markt eintreten wie das oder die etablierten integrierten Unternehmen. Vertikal integrierter Markteintritt wird aber in der Literatur als schwierig oder unmöglich angesehen. Dafiir spricht zum einen der i.d.R. hohe Kapitalbedarf eines solchen, mehrere Wert62 SALOP/SCHEFFMAN (1983). Vgl. BLAIRIKASERMANN (1983), S. 42f.

63

36

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

schöpfungsstufen umfassenden Markteintritts, den ein im ökonomischen Sinne unvollkommener Kapitalmarkt nicht zu finanzieren bereit sein wird. Zum anderen wirkt eine Art "Prinzip des schwächsten Glieds" gegen den Marktneuling. Bestehen nämlich auf verschiedenen Stufen der vertikalen Wertschöpfungskette unterschiedlich hohe Markteintrittsbarrieren und ist integrierter Marktzutritt notwendig, dann bestimmt die Stufe mit der höchsten Barriere den Grad der Schwierigkeit des Markteintritts als integriertes Unternehmen 64 Markteintrittsbarrieren können aber auch Ergebnis einer bewussten strategischen Entscheidung für vertikale Integration sein. Die geschilderten Nebeneffekte können den im Markt befindlichen Unternehmen ex ante bewusst sein und bei drohendem Markteintritt bereits bestehende Anreize zur Integration verstärken. Gerade weil ein integriertes Unternehmen aufgrund des erwähnten "Prinzips des schwächsten Glieds" nur noch auf einer Wertschöpfungsstufe hohe Barrieren aufbauen muss, um vom Eintritt abzuschrecken, kann vertikale Integration ein strategisch einsetzbares Mittel sein. Die Schaffung von Markteintrittsbarrieren durch vertikale Ausdehnung der Unternehmensgrenzen kann auch als eine Art Investition gesehen werden, wenn man unterstellt, dass die Wahrscheinlichkeit des Marktzutritts eine Funktion des Integrationsgrades ist und dass die zukünftigen Profite eine Funktion der in der Zukunft erfolgenden Marktzutritte sind. Es lässt sich dann zeigen, dass vertikale Integration selbst dann eine rationale Unternehmensstrategie sein kann, wenn sie in der laufenden Periode nicht zu Einsparungen führt, sondern nur Integrationskosten verursacht. 65 Benachteiligung von Konkurrenten

Ausschlussstrategien, wie Foreclosure und Raising Rivals' Costs, können sowohl als Strategien der Prävention von Markteintritten wie als Strategien im Wettbewerb mit etablierten Konkurrenten dienen. Die Logik ist intuitiv einleuchtend 66 : Unternehmen einer Wertschöpfungsstufe können durch Vordringen in

VOf-

oder nachgelagerte Stufen die Kontrolle über

wichtige Ressourcen gewinnen, die auch von anderen Unternehmen als Inputs genutzt werden (könnten)67. Sind solche Ressourcen nur in begrenztem Umfang verfügbar und nicht vermehrbar, so könnte ein Unternehmen diese ganz oder zu großen Teilen unter seine Kontrolle 64

65 66

67

Vgl. WILLIAMSON {I 990), S. 113f.; NEUMANN (2000), S. 163f.; FELL (2001), S. 64f. Vgl. BLAIRIKASERMANN (1983), S. 44ff. Vgl. NEUMANN (1966); ÜRDOVER ET AL. (1990); NEUMANN (2001), Abschnitt 1II-2. Dies trifft sowohl auf Ressourcen zu, die in den Produktionsprozess einfließen (z.B. Rohstoffe), als auch auf dem Produktionsprozess nachgelagerte Ressourcen (wie Vertriebswege), so dass Vorwärts- und Rückwärtsintegration gleichermaßen betroffen sind.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

37

bringen. Es wäre dann in der Lage, nicht-integrierte Konkurrenten vom freien marktlichen Zugang zu diesen Ressourcen auszuschließen (Foreclosure) und so den Marktaustritt, kostspielige Substitutionsprozesse oder den Bezug der Ressourcen vom integrierten Unternehmen zu strategisch überhöhten bzw. monopolistischen Preisen (Raising Rivals' Costs) zu erzwingen. Kontrolliert die integrierte Firma nur Teile des Inputs und verweigert die Belieferung von anderen Unternehmen zu Marktpreisen, so kann es zu einer Reduzierung des Wettbewerbs in der Inputindustrie und steigenden Inputpreisen kommen (Raising Rivals' Costs). Die kostenmäßige Benachteiligung der Konkurrenz wird in der neueren Literatur weitaus intensiver behandelt, da sie, gegenüber dem vollständigen Ausschluss, das aus modelltheoretischer Sicht wie aus der wettbewerbspolitischen Praxis heraus wahrscheinlichere und wichtigere Szenario darstellt. 68 Die Literatur bietet eine Fülle an Untersuchungen zur wettbewerblichen Wirkung von Ausschluss durch vertikale Integration69 : Beginnend mit den wenig formalen Analysen der 50er Jahre, über die Kritik der "Chicago School,,7o bis zu den neueren formalen und v.a. spieltheoretischen Modellen, die in Reaktion auf die "Chicago School" entstanden, wurde eine Gefahr fiir den Wettbewerb abwechselnd bejaht und verneint71 . Im Schatten der wettbewerblichen

Analyse stand dabei aber zumeist die fiir die vorliegende Arbeit interessante Frage der firmenindividuellen Anreize zur vertikalen Integration aufgrund möglicher wettbewerbsbegrenzender

und deshalb potenziell profitabler Wirkungen der Ausschlussstrategien. In der überwiegenden Zahl der Modelle, ist die Vermeidung der double marginalization (notwendigerweise) der dominierende Anreiz zur Integration, während die Ausschlusseffekte eher Nebeneffekt des Profit-maximierenden Verhaltens als eigenständiger Anreiz sind. 72 In DRDOVER ET AL. (1990) werden jedoch die Anreizwirkungen der double marginalization ausgeblendet'3, indem Bertrand-Wettbewerb aufbeiden Stufen, auf denen jeweils ein Dyopol besteht, angenommen wird. Es zeigt sich - unter Annahme einer Reihe nicht-trivialer Restriktionen74 - dass eine Strategie des Raising Rivals' Costs firmenindividuell rational sein kann, auch wenn den anderen Unternehmen Gegenstrategien zur Verfiigung stehen. Der Anreiz zur 68 69 70

71 72

73 74

Vgl. SIBLEV/WEISMAN (1998). Vgl. die umfassende kritische Würdigung in FELL (2001). Vgl. auch ÜRDOVER ET. AL (1990), HARTrrlROLE (1990), RIORDAN (1998). Vgl. zu deren Kritikpunkten zusammenfassend ÜRDOVER ET AL (1990), S. 128f. Vgl. RIORDAN (1998), S. 1232. Vgl. FELL (2001), S. 97. NEUMANNIFELL (2001) arbeiten heraus, dass gleiche Grenzkosten bei integrierten und nicht-integrierten Downstream-Unternehmen und konstante oder abnehmende Skalenerträge die notwendigen Bedingungen dafür sind, dass Foreclosure aus der normalen Profitrnaximierung resultiert. Vgl. ÜRDOVER ET AL. (1990), S. 129. HARTrrlROLE (1990) nehmen einen ähnlichen Ausgangspunkt. Vgl. dazu SCHILLER (1993), S. 162ff.; FELL (2001), S. 99.

Teil C - Theorie der Untemehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

38

vertikalen Integration besteht darin, dass auf der Downstream-Stufe höhere Profite aufgrund der Einsetzbarkeit von Ausschlussstrategien erzielbar sind. Das Ausmaß der Profite hängt wiederum von der Substituierbarkeit der Endprodukte von integrierter und nicht integrierter Firma ab 75 Sind die Produkte nicht vollkommen differenziert, so ergibt sich rur die fusionierte Firma immer eine Steigerung der Endproduktpreise und der Profitabilität gegenüber dem separierten Zustand. 76 Die Fähigkeit zum Ausschluss ist auch in SIBLEY/WEISMAN (1998) der wichtigste Integrationsanreiz. Die Autoren untersuchen die optimale Strategie eines regulierten UpstreamMonopolisten 77 bei Ausdehnung in den Downstream-Markt und berücksichtigen, dass Raising Rivals' Costs auch den Effekt einer reduzierten Nachfrage nach dem Upstream-Produkt nach sich zieht. Anreize zur vertikalen Integration mit Benachteiligung der Konkurrenz ergeben sich dann bei Marktanteilen der integrierten Firma von über einem Viertel des Endproduktmarkts. Die Fähigkeit zur Benachteiligung von Wettbewerbern wird nur unter besonderen Umständen als hinreichender Anreiz zu vertikaler Ausdehnung wirken: -

Wenn unvermehrbare Ressourcen ganz oder überwiegend in den Besitz des Unternehmens gelangen können und es damit in eine sog. "Gatekeeper"-Funktion kommen kann.

-

Wenn im Downstream-Markt Preiswettbewerb herrscht 78 , die Endprodukte der integrierten und nicht-integrierten Unternehmen nahe Substitute sind und das integrierte Unternehmen einen großen Anteil des Downstream-Marktes kontrolliert.

Die Gewinnung eines exklusiven Zugangs zu bestimmten Ressourcen ist als wichtiger Anreiz rür eine vertikale Integration zu werten. Die Fähigkeit zur kostenseitigen Benachteiligung der Konkurrenz stellt dagegen einen zwar wettbewerblieh hochrelevanten, aus Sicht der Integrationsanreize aber eher zweitrangigen Zusatzeffekt vertikaler Expansion dar.

3.1.4

Preisdifferenzierung

Einen Anreiz zur vertikalen Ausdehnung aufnachgelagerte Stufen 79 (sei es durch echte Integration oder Formen der Quasi-Integration, z.B. vertikale Vertriebsbindung) kann auch die

75 76

77 78

Vgl. zu Integrationsameizen als Funktion der Substituierbarkeit auch ECONOMIDES (1994). Vgl. üRDOVER ET AL. (1990), S. 137, Tabelle 1 und Appendix. Dadurch wird ebenfalls die Verhinderung des doppelten Preisaufschlags als Integrationsanreiz ausgeblendet. Vgl. SCHILLERs (1993, S. I 74ff.) Analyse von üRDOVERET AL. (1990).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

39

Möglichkeit stärkerer Preisdifferenzierung eröffuen. 8o Monopolistische Preisdifferenzierung erlaubt dem Unternehmen, einen größeren Teil der Konsumentenrente als Gewinn "abzuschöpfen", indem die Preissetzung an die unterschiedliche Preiselastizität der Nachfrage in verschiedenen Teilmärkten angepasst wird. 81 Dies trifft sowohl für einen Hersteller von Endprodukten, als auch für einen Hersteller von Zwischenprodukten zu. Die Unterschiede in der Preiselastizität können sich entweder direkt auf den Hersteller eines Endproduktes auswirken oder sie beeinflussen die abgeleitete Input-Nachfrage einer verarbeitenden Downstream-Stufe bzw. eines Händlers. Preisdifferenzierung kann aber nur erfolgreich sein, wenn sich (a) Teilmärkte mit unterschiedlicher Preiselastizität bzw. Zahlungsbereitschaft abgrenzen lassen und (b) Arbitrage zwischen Teilmärkten unterbunden werden kann. Bedingung (a) kann durch die geographische Getrenntheit von Märkten oder durch die Differenzierung nach - dann notwendig erweise vom Anbieter kontrollierten - Vertriebskanälen erfüllt werden. Bedingung (b) erfordert bei größerem Arbitragepotenzial 82 jedenfalls weit gehende Kontrolle über die Vertriebskanäle. Zur Durchsetzung monopolistischer Preisdifferenzierung muss der Hersteller durch vertragliche Bindung die Märkte abschotten oder durch vollständige Übernahme eines oder mehrerer Vertriebskanäle den Arbitrageanreiz eliminieren. Integration stellt dabei die weitestgehende und möglicherweise kostenintensivste Form der Kontrolle dar und dürfte v.a. dann gewählt werden, wenn vertragliche Alternativkonstruktionen nicht verfügbar sind 83 Der Hersteller wird ceteris paribus zunächst in die Märkte integrieren, welche die höhere Preiselastizität und somit das niedrigere Preisniveau aufweisen. Ein Ups/ream-Monopolist wird dabei von n Märkten in n-l Märkte integrieren und nur im Markt mit der niedrigsten Preiselastizität einen unabhängigen Abnehmer be1assen. 84 Für die Downstream-Unternehmen kann ein Anreiz zur Einwilligung in die Integration dadurch geschaffen werden, dass die zusätzlichen Gewinne durch die Preisdifferenzierung innerhalb des fusionierten Unternehmens geteilt werden.

79

Preisdifferenzierung kann spiegelbildlich auch einen Anreiz zur Rückwärtsintegration bieten [vgl. GOULD (1977); BLAlRiKASERMANN (1983), S. 124]. In der Folge soU aber das eingängigere Beispiel der Vorwärtsintegration eines HersteUers auf eine nachgelagerte Produktions- oder Vertriebsstufe unterstellt werden.

80 81

82 83 84

Der Begriff Preisdifferenzierung soll hier synonym mit "Preisdiskriminierung" verwendet werden. Vgl. VARIAN (1989), S. 636f.; NEUMANN (2000), S. 169. D.h. bei relativer großer Differenzierung der Preise und bei nicht-prohibitiven Transport- und anderen Transaktionskosten zwischen den Teilmärkten. Vgl. GOULD (1977), S. 1069; BLAlRiKASERMAN (1983), S. lID. Vgl. BLAlRiKASERMANN (1983), S. 122f.; vgl. PERRY (1989), S. 193ff. fiir den FaU einer dominanten Firma in einem Upstream-Oligopol, die weniger als n-l Firmen integrieren wird.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

40

Die Schaffung von Möglichkeiten zur Preisdifferenzierung durch die Unterbindung von Arbitrage stellt also einen eigenständigen Anreiz zur vertikalen Expansion eines Unternehmens dar. Die wichtigsten Detenninanten dieses Anreizes sind der Grad der Unterschiedlichkeit in den Preiselastizitäten der Nachfrage in den Teilmärkten, die Höhe der bestehenden ArbitrageOpportunitäten (v.a. Kosten der Arbitrage) und das Vorhandensein alternativer Fonnen der (Preis-)Bindung nachgelagerter Wertschöpfungsstufen.

3.1.5

Unsicherheit und Risiko

Unsicherheit und Risiko 85 können in der neoklassischen Sicht der Finna als Anreiz zu vertikaler Integration bzw. vertikaler Ausdehnung wirken, wenn sie sich auf das Angebot an oder die Nachfrage nach Vor- oder Endprodukten der betrachteten Industrie beziehen oder wenn vertikale Integration den Risikozuschlag auf die Kapitalkosten verringert. 86 Grundüberlegung der meisten Arbeiten zu Unsicherheit und vertikaler Integration ist die Sicherung eines kalkulierbaren Flusses an Inputs bzw. eines Grundstocks an Absatzmöglichkeiten für produzierte Zwischenprodukte. Vertikale Expansion dient als Mittel zur Venneidung möglicher Rationierungen von Inputs, als Garant fur verbesserte Infonnation über die zukünftigen Inputpreise oder als Sicherung eines kostengünstigen Inputs bei steigenden Inputpreisen (aufgrund von Nachfragesteigerung der Konkurrenten). Ein Gewinnameiz zur Integration ergibt sich insbesondere dann, wenn unsicherheitsbedingte Preisauf- oder -abschläge vennieden werden können. Durch Integration venneidbar können zum einen Preiszuschläge auf Inputs sein, die wegen Unsicherheit über den Absatz und Preissteigerungen wegen Rationierungen bzw. steigender Nachfrage anfallen 87 . Zum anderen können Preisabschläge auf eigene Produkte wegen der Unsicherheit bzgl. der Absatzmöglichkeiten vennieden werden. Ein dritter Anreiz ergibt sich aus der Venneidung möglicher Fehlinvestitionen aufgrund verbesserter Infonnation über zukünftige Inputpreise 88 . CHANDLER

(1990, S. 37f.) kommt in seiner umfassenden Analyse moderner Großunterneh-

men und ihres "scale and scope" zu einem diese Thesen stützenden Schluss: Far more often, however, the motive for such vertical integration was to assure a steady supply ofmaterials into the enterprise's production processes [.. .]. 85

86 87

88

Zur begrifflichen Unterscheidung von Unsicherheit (bzw. Ungewissheit) und Risiko vgl. NEUMANN (1994), S.225f. Zur Wirkung von Unsicherheit als Determinante der Transaktionskosten vgl. Abschnitt C 4.2.2. Vgl. CARLTON (1979); BLAIRIKASERMANN (1983), S. 85f. mit Bezug auf ein Arbeitspapier von J.R. GREEN; PERRY (1989), S. 207.; LIEBERMAN (1991). Vgl. ARROW (1975).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

41

LIEBERMAN (1991) fand in einer empirisch-ökonometrischen Untersuchung der chemischen Industrie Belege flir verstärkte vertikale Rückwärtsintegration auf Fabrik- und Firmenebene, wenn starke Schwankungen in der Gesamtnachfrage nach den relevanten Inputs auftraten. Dies stützt die These, dass Integration zur Sicherung stabiler Inputflüsse und zur Vermeidung von Preisaufschlägen flir die eigenen Inputs dienen kann. Ein zweiter Argumentationsstrang ergibt sich aus der Möglichkeit der Risikoreduzierung durch Diversifikation mittels vertikaler Integration89 , der möglichen Eliminierung negativer Effekte unterschiedlicher Risikoaversion auf Up- und Downstream-Stufe 90 und aus Kapitalkosteneffekten. 91 Letztere können sich bei unvollständigen Kapitalmärkten ergeben, wenn ein kleineres Unternehmen auf einer Wertschöpfungsstufe aufgrund seiner geringen Größe höhere Kapitalkosten hat, die auf die Preise eines größeren Unternehmens auf einer anderen Stufe wirken. 92 Das Großunternehmen kann dann einen Anreiz zur Integration des vor- oder nachgelagerten Kleienunternehmens haben, um diesen Verzerrungseffekt zu vermeiden.

3.1.6

Marktgröße und Lebenszyklus als Determinanten der Unternehmensgrenzen

"The division of labor is limited by the extent of the market" schrieb ADAM SMITH in seinem Hauptwerk 93 und lieferte damit einen Ansatz zur Erklärung vertikaler Integration und Desintegration, der von STIGLER (1951) neu aufgegriffen wurde. STIGLERS Argumentationslinie stellt einen Zusammenhang zwischen der vertikalen Integration einer Industrie und der Gesamtnachfrage nach den Produkten dieser Industrie her.

94

Da-

nach folgt das Integrationsmuster dem Lebenszyklus einer Branche: Unternehmen starten vertikal integriert, desintegrieren während der Wachstumsphase der Industrie zusehends und reintegrieren in der späten Lebenszyklusphase der Reifung oder Schrumpfung der Industrie. Der integrierte Aufbau junger Unternehmen und Branchen folgt nach STIGLER (1951, S. 190) daraus, dass mangelnde Größenvorteile und die Neuheit der erforderlichen Inputs und Dienstleistungen die Herausbildung von spezialisierten Zulieferern noch nicht erlauben: Young industries are often strangers to the established economic system. They require new qualities ofmaterials and hence make their own; [ ... ] they must persuade customers to aban89

90 91

92

9J 94

Vgl. PERRY (1989), S. 205f. Zur Wirkung von (nicht-vertikaler) Diversifikation vgl. Abschnitt C 3.3.2. Vgl. BLAIRIKASERMANN (1983), S. 96ff. Vgl. NEUMANN (1994), S. 279f. Entweder durch höhere Inputpreise als notwendig oder durch höhere Endprodukt-Preise, die nicht den optimalen Umsatz generieren. Vgl. SMITH (1776/1974), S. 19ff. So LEVYS (1984, S. 378) "Exegese" des Begriffs "extent ofthe market" in STJGLER (1951).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

42

don other commodities and find no specialized merchants to undertake this task. These young industries must design their specialized equipment and often manufacture it [ ... ]. STIGLER beschreibt die Produktion eines Endproduktes als eine Kombination mehrerer SubProduktionsprozesse, die unterschiedlichen Kostenverläufen folgen können: Einige mit stetig fallenden, andere mit stetig steigenden und wieder andere mit U-fdrmigen Durchschnittskostenkurven. Wenn der extent

0/ the

market nun wächst, wird der Punkt erreicht, ab dem auf

Stufen mit nicht stetig fallenden Durchschnittskosten zwei Unternehmen effizienter sind als eines. 95 Gleichzeitig können Wertschöpfungsstufen, auf denen fallende Durchschnittskosten bestehen, abgespalten werden und in der Folge Unternehmen, die auf diese Wertschöpfungsteile spezialisiert sind, am Markt bestehen. Die Spezialisten wären zunächst Monopolisten durch die Möglichkeit der Re-Integration allerdings in der Preissetzung auf die Kosten bei integrierter Produktion festgelegt - bei weiterer Ausweitung der Nachfrage entstünde eine wettbewerbliche Industrie. Geht eine Industrie in die Phase der Konsolidierung und schließlich der Schrumpfung über, würden die überlebenden Unternehmen beginnen müssen, verschiedene Sub-Prozesse wieder zu re-integrieren, da die Nachfrage nicht mehr zur Aufrechterhaltung separater Unternehmen ausreicht. STIGLERS verbales Modell, das an evolutorische Sichtweisen der Entwicklung von Industrien erinnert 96 , lässt eine Reihe von Interpretationen hinsichtlich der kausalen Zusammenhänge zwischen Marktgröße/Lebenszyklus und vertikaler Integration zu. Zum einen können bestimmte Kostenverläufe auf unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen allein als Auslöser des Marktgröße-Integrations-Zusammenhangs identifiziert werden. Alternativ können Transaktionskostenmotive als ursächlich für das von STIGLER so bezeichnete "Smith-Theorem" angesehen werden. 97 PERRY (1989) zeigt, dass, abhängig von der genauen Bedeutung der Spezialisierung in STIGLER (1951)98, entweder nur Skalenvorteile pro Wertschöpfungsstufe oder solche Skalenvorteile in Kombination mit vertikalen diseconomies

0/ scope vorliegen müssen, um zu den

Schlussfolgerungen des Smith-Theorems zu kommen. PERRY ergänzt seine Sicht von STIGLERS Thesen durch eine formale Rekonstruktion des verbalen Modells. 99 Darin werden

95 96 97

98

99

Vgl. PERRY (1989), S. 232. Vgl. zu dieser Forschungsrichtung MÜNTER (1999). Für kritische Auseindandersetzungen mit der "division of labour is limited by the extent of the market"These vgl. BECKERIMURPHY (1992), THESMARITHOENIG (2000). Entweder heißt Spezialisierung, dass es Skalenvorteile bzgl. einzelner Tätigkeiten oder Prozesse gibt, oder dass es Vorteile der Begrenzung auf einige Aktivitäten (im Gegensatz zu Vorteilen der Begrenzung auf irgend eine Tätigkeit) gibt. V gl. PERRY (1989), S. 232. Vgl. PERRY (1989) und die dort wiedergegebene Arbeit von PERRY und GROFF.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

43

Finnen modelliert, die bei integrierter Produktion identische Kostenverläufe, aber jeweils individuelle Kostenverläufe auf den einzelnen Stufen zeigen. Einige der Unternehmen verfügen so über Kostenvorteile auf der Upstream- andere auf der Downstreamstufe. Die Unternehmen sortieren sich dann in Upstream- und Downstreamspezialisten, wenn eine horizontale Marktvergrößerung 100, d.h. eine Verringerung von b in einer linearen Nachfragefunktion der Fonn p = a - bq vorliegt.

Nach LEVY (1984) spiegelt die STIGLER (1951) zugrundeliegenden Annahmen in weiten Teilen Argumente der Transaktionskostentheorie wider. 101 LEVY argumentiert, dass es spezifischer Annahmen über die Kosten einer Unternehmensgründung oder bestimmter Nachfragebedingungen bedarf, um STIGLERS Hypothesen nachzuvollziehen: Ohne bestimmte Annahmen über die setup-Kosten eines Unternehmens oder die Nachfragestruktur ist unklar, warum bei Vorliegen von economies

0/ scale nicht von Beginn an spezialisierte Produzenten entste-

hen sollten oder warum eine bestimmte Wertschöpfungsstufe nicht im integrierten Unternehmen verbleiben sollte. STIGLERS Hypothese über die starke vertikale Integration junger Industrien beinhaltet nach LEVY (1984, S. 380) Annahmen über den Umgang mit asymmetrischer Infonnation zwischen den verschiedenen Wertschöpfungsstufen. Während externe Lieferanten und Vertreiber nicht in der Lage oder bereit sind, bestimmte Materialien herzustellen oder Vertriebsbemühungen zu unternehmen, gelingt dies innerhalb eines vertikal integrierten Unternehmens. Dies impliziert nach LEVY die Annahme einer effizienteren Infonnationsübennittlung durch vertikale Integration. STIGLER (1951, S. 188) selbst unterstellt eine Art von vertikalen managerial diseconomies (0/scope), wenn er feststellt: Actually many processes will be riyal: the greater the output of one process [...] the higher the cost of the other process( es). Sometimes the rivalry will be technological [... ], but almost always it will be managerial: the wider the range of functions the firm undertakes, the greater the tasks of coordination. Die Argumentationslinien von PERRY und LEVY zusammenftihrend kann als Hintergrund des Smith-Theorerns gelten: Wenn es innerhalb einer Wertschöpfungsstufe Skalenvorteile gibt und zwischen den verschiedenen Wertschöpfungsstufen - sei es aus technologischen oder Transaktionskostengründen heraus - diseconomies (0/ scope) existieren, wird der Zusammenhang zwischen Marktgröße und vertikaler Integration dem von STIGLER beschriebenen Muster folgen. LEVY (1984) findet auch empirische Belege für eine solche positive Beziehung von Nachfragewachstum und dem Grad vertikaler Integration.

100 101

Vgl. dazu auch unten S. 48. Vgl. auch die Einordnung von PERRY (1989), S. 229.

44

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

Einen anderen Aspekt des Lebenszyklus einer Industrie bringen BALAKRISHNAN/WERNERFELT (1986) ein: Sie betrachten Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen technologischen Entwicklung und folgern, dass die Integration einer Wertschöpfungsstufe dann weniger attraktiv wird, wenn schnelle Obsoleszenz der dort eingesetzten Technologie droht. Integration würde somit erst dann zu einer ökonomisch attraktiven Option, wenn eine Phase gewisser technologischer Konstanz erreicht ist.

3.2

Horizontale Grenzen

Der Definition in Abschnitt C 1 entsprechend \02, soll unter einer Ausdehnung der horizontalen Grenzen des Unternehmens verstanden werden, dass ein Unternehmen durch internes oder externes Wachstum bei konstantem oder steigendem Marktvolumen Marktanteile hinzugewinnt. Die fur diese Arbeit entscheidenden Fragestellungen sind, welche Anreize ein Unternehmen hat, seine horizontalen Grenzen zu verändern. Warum wollen Unternehmen horizontal wachsen, warum gibt es horizontale Zusammenschlüsse und können sich die Anreize zur horizontalen Expansion unter dem Einfluss von Internet und E-Commerce verändern?\03 Die Anreize zu horizontalem Wachstum lassen sich erkennen, wenn man gedanklich von der folgenden hypothetischen Situation ausgeht: Eine Industrie befinde sich in einer gleichgewichtigen Situation, in der sich eine stabile Verteilung der Marktanteile bei stationärer Nachfrage ergeben hat. Die Anreize zu horizontalem Wachstum lassen sich dann als diejenigen Faktoren identifizieren, deren Variation bei einigen (oder allen) Unternehmen zu Anpassungsprozessen in Richtung horizontaler Expansion fUhren würde. Zunächst vom Beispiel eines homogenen Produktmarktes ausgehend, werden in diesem Abschnitt die Kostenstruktur, die Größe des Marktes und Marktrnachtaspekte als Determinanten der Unternehmensgröße der neoklassischen Firma untersucht und anschließend der Fall differenzierter Produktmärkte beleuchtet. \04

102 103

104

Vgl. Tabelle C Jauf Seite 26. Nicht thematisiert wird an dieser Stelle die in der Industrieökonomik viel diskutierte Frage der Entwicklung, Struktur und GrößenverteiJung der Marktanteile [vgl. dazu MÜNTER (1999)]. Der Fokus liegt ausschließlich auf den Anreizen zur Veränderung der Unternehmens grenzen. Vgl. NEUMANN (1994), S. 155ff., 262ff.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

3.2.1

45

Kostenstruktur

Grenzkostendifferenzen In der Oligopoltheorie bestimmen sich die Marktanteile nach der relativen Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenten, die sich in den jeweiligen Grenzkosten ausdrückt. Im Cournot-Modell wird unterstellt, dass der einzelne Anbieter die Absatzmenge der Konkurrenz als gegeben nimmt und so in seine Gewinnfunktion einbezieht, die er über die Wahl seiner eigenen Absatzmenge maximiert. Der Marktanteil der Nachfrage von

E:

Si 105

eines Unternehmens i bei einer Preiselastizität

ergibt sich dann nach Maßgabe der folgenden Gleichung lO6 aufgrund der

individuellen (als konstant angenommenen) Grenzkostenl0 7 Ci: (C 6.) Die Differenz der Marktanteile zweier Konkurrenten mit unterschiedlichen Grenzkosten beträgt (C 7.) Der Marktanteil und somit die horizontale Größe des Unternehmens wird bei Konstanz der Nachfrageparameter allein die jeweiligen Grenzkosten determiniert. Sinkende Grenzkosten eines Anbieters verändern dessen Gewinnkalkül und bieten bei gegebenen Grenzkosten des anderen Anbieters eine erste Determinante der horizontalen Ausdehnung des Unternehmens.

Fixkosten Erweitert man das Grundmodell um den Fixkostenparameter F, so dass e(q)

=

cq + F die

KostenfunktionlO 8 des Unternehmens ist, so lässt sich bei gleicher Nachfragefunktionp = a-

bQ die endogene Zahl von Unternehmen n * durch die Gleichung n*= a-c_ 1

(C 8.)

Jbi

105

s; =q;/Q=q;/'f,q;. ;

106

Vgl. NEUMANN (1994), S. 166 bzw. S. 175. Unterstellt ist die lineare inverse Nachfragefunktion p = a - b 2: q; . Von Kollusion wird an dieser Stelle abgesehen. ;

107 108

Angenommen ist zunächst, dass keine Fixkosten vorliegen, d.h. die Kostenfunktion lautet C,(qJ = c,q,. Vereinfachend sei an dieser Stelle angenommen, dass alle Unternehmen die gleiche Kostenfunktion und konstante variable Kosten haben. Vgl. NEUMANN (1994), S. 175ff.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

46

beschreiben. 109 Demnach wird die Zahl der Unternehmen - wiederum bei Konstanz der Nachfrageparameter - durch die Höhe der Fixkosten bestimmt: Je höher die Fixkosten, desto geringer die Zahl der Unternehmen und desto weiter, bei gegebenem Marktvolumen, die horizontalen Grenzen des Unternehmens. Dieses Ergebnis hängt eng mit der Wirkung von Fixkosten auf den Verlauf der Durchschnittskosten zusammen, der im folgenden Abschnitt behandelt wird. Denn die Existenz von Fixkosten allein fUhrt zwar zu einer Begrenzung der Anbieterzahl, ein Gewinn kann aber erst dann entstehen, wenn Größenvorteile oder andere Markteintrittsbarrieren den freien Marktzugang beschränken. Skalenvorteile

Einen besonderen Fall unter den kostenseitigen Einflüssen auf die Unternehmensgröße stellt die Möglichkeit von zunehmenden Skalenerträgen bzw. Skalenvorteilen (economies

0/ scale)

dar. Skalenvorteile liegen formal dann vor, wenn die Ableitung der Durchschnittskosten nach der Outputmenge negativ ist, was sich in einer fallenden Durchschnittskostenkurve äußert. I 10 Produktionstechnische Ursache von zunehmenden Skalenerträgen sind Unteilbarkeiten im Produktionsprozess.\ \I Sie können auf der Ebene des einzelnen Produktes, der Produktionsanlage oder des Unternehmens vorliegen. I 12 Skalenvorteile können sich damit v.a. aus drei Gründen ergeben, wobei die ersten drei einen Kostenvorteil bezogen auf den Output pro Zeiteinheit ergeben, während Erfahrungseffekte sich auf den kumulierten Output beziehen l \3: I. Fixkostendegression: Mengenfixe Kosten (z.B. Rüstkosten) können über eine größere

Zahl von Outputeinheiten verteilt und amortisiert werden. 2. Effekte, die sich aufgrund des Prinzips der großen Zahl I 14 ergeben: Die Zahl der Ersatzressourcen, die vorgehalten werden muss, nimmt mit der Zahl der eingesetzten Einheiten nur unterproportional zu . Die Zahl der fur Stichproben notwendigen Entnahmen nimmt mit der Zahl der produzierten Einheiten nur unterdurchschnittlich zu .

109

Diese Gleichung ergibt sich aus der Gewinngleichung fiir den einzelnen Anbieter im Cournot-Gleichgewicht

110 111 112 IIJ 114

= ~ (a -

e)2 _ F . Bei freiem Marktzutritt wird die Zahl der Anbieter solange zunehmen, bis der Gewinn b n+1 null wird. Setzt man die Gewinngleichung gleich Null, lässt sich der obige Ausdruck ableiten. V gl. PANZAR (1989), S. 8f. Strenggenommen sind eeonomies 0/ seale zwar hinreichend aber nicht notwendig fiir das Vorliegen einer fallende Durchschnittskostenkurve. V gl. ebd., Proposition I. Vgl. NEUMANN (1995), S. 64 Vgl. NEUMANN (1994), S. 263; SCHERER/Ross (1990), S. 97ff. Vgl. SCHERERIROSS (1990), S. 97ff.; NEUMANN (1994), S. 263; MARTIN (1994), S. 235ff.; BESTER (2000), S. 140ff. Vgl. NEUMANN (1994), S. 244. G

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

47

3. Ist die Produktion groß genug, um auf mehrere Einrichtungen verteilt zu werden, so unterliegt sie durch die Risikostreuung einem geringeren Ausfallrisiko. 4. Erfahrungseffekte der Mitarbeiter (learning by doing) und Aufbau von firmenspezifischem Wissenskapital (ink!. sog. tacit knowledge!!5) lassen Kosten pro Einheit sinken. Die Existenz von Skalenvorteilen in einer Industrie stellt offensichtlich einen zentralen Anreiz fur eine horizontale Ausdehnung von Unternehmen dar, die über die Wachstumsrate des Marktes hinausgeht und somit zu höherer Konzentration fuhrt.!!6 Dass diese Logik nicht zur Monopolisierung einer Vielzahl von Märkten fuhrt, liegt daran, dass "die Realisierung von zunehmenden Skalenerträgen dem Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag unterliegt,,!!7: Technologische Gründe können die Kosten pro Einheit ab einem bestimmten Punkt wieder steigen lassen, Fixkostendegressionseffekte können ab einer bestimmten Größe irrelevant werden, Spezialisierung und verbundene Lerneffekte können zu "Überspezialisierung" und damit Inflexibilität führen, Transportkosten können Submärkte kreieren, die kostengünstiger mit kleinen Einheiten bedient werden und die Kosten der internen Unternehmensstruktur können mit der Höhe des Outputs wachsen. Insgesamt scheint die Kurve der Durchschnittskosten in einer Vielzahl von Industrien ab einem bestimmten Punkt horizontal zu verlaufen oder wieder anzusteigen ll8 , gerade im Bereich mancher Dienstleistungen oder bei digitalen Produkten können aber economies ofscale über einen weiten Teil der Kostenkurve vorliegen !l9.

3.2.2

Veränderung der Marktgröße

Aus den Überlegungen zu Skalenvorteilen ergibt sich unmittelbar der Ansatz, die Größe des Marktes als Determinante von Größe und Grenzen des Unternehmens zu untersuchen. 12o Danach müsste die Anbieterkonzentration bei gleicher Technologie, gleichen Fixkosten und freiem Marktzutritt nmso höher sein, je kleiner die Märkte sind. Bei einer Vergrößerung des Marktes müsste demzufolge die Konzentration sinken und die Unternehmen damit weniger stark als der Markt wachsen, so dass eine Marktvergrößerung keinesfalls zur horizontalen Expansion der Firmen im Sinne der hier verwendeten Definition!2! fuhren sollte. 115 116

117

118 119

120 121

Vgl. LANGLO!slFoss (1999), S. 207. Skalenvorteile werden deshalb zu den wichtigsten Determinanten der Marktstruktur gezählt. Vgl. z.B. MARTIN (1994), 238f.; SCHERER/ROSS (1990), Kapitel 4; grundlegend BAIN (1954). SCHERER/ROSS (1990), S. 102. Vgl. ebd., S. 102ff. fUr die nachfolgende Aufzählung. Vgl. zur unvollkommenen Ausnutzung von Skalenvorteilen auch VON WE!ZSÄCKER (1994). Vgl. NEUMANN (2000), S. 72; KLETTE (1999). Vgl. Abschnitt D 3. Vgl. SCHERER/ROSS (1990), S. 119ff. Vgl. Tabelle C 1, S. 26.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

48

SUTfON (1991) stellt heraus, dass zwischen Marktgröße und Konzentration verschiedene Zusammenhänge, abhängig vom Vorliegen exogener oder endogener sunk costs, existieren können und dass kein monotoner Zusammenhang zwischen Marktgröße, Firmengröße und Konzentration bestehen muss l22 : Schon bei geringen setup-Kosten kann es ab einer bestimmten Größe des Marktes bei weiterem Marktwachstum zu einer Zunahme der Konzentration und damit - im Durchschnitt - zu einer horizontalen Ausdehnung der Unternehmen kommen. Für diesen möglichen Zusammenhang finden sich auch empirische Belege l23 . ASPLUND/SANDIN (1999) fanden in einer Untersuchung des Marktes fiir Fahrunterricht in Schweden, dass die Zahl der Unternehmen nicht im selben Maße wächst, wie die entsprechenden Märkte, so dass die

Untern~hmen

bei Marktvergrößerungen horizontal wachsen, d.h. die individuelle Produk-

tionsmenge erhöht sich. Eine weitergehende Differenzierung des Zusammenhangs von Marktgröße und Konzentration bzw. Firmengröße bietet NEUMANN ET AL. (2001)124. Grundlage ist wieder die inverse Nachftagefunktion l25

p =a-bQ = a-b"Lqi

(C 9.)

i

Angenommen sind weiter identische Unternehmen, die fixe Kosten in Höhe F fiir Anlagen oder Forschung verausgabt haben und deren marginale Kosten c eine Funktion c(}) dieser Fixkosten mit 8c18F< 0 und &cl8f2 > 0 sind. Als Profit der einzelnen Firma ergibt sich

I1 i = [a -c(F)-bQ]q, -F.

(C 10.)

Zu unterscheiden ist nun eine vertikale Vergrößerung des Marktes, d.h. eine Vergrößerung der durchschnittlichen Kaufkraft im bereits bedienten Markt, ausgedruckt in einer Zunahme der Variable a (Vergrößerung des vertikalen Achsenabschnitts der Nachftagekurve bzw. Verschiebung der Kurve nach oben), und eine horizontale Vergrößerung des Marktes, d.h. eine Verschmelzung bisher getrennter Märkte, ausgedruckt in einer Senkung des Koeffizienten b (verringerte Steigung der Nachfragekurve). Ausgangspunkt der Überlegungen von NEUMANN ET AL. ist die verbreitete Argumentation, dass bei horizontaler Markterweiterung größere Unternehmen notwendig seien und horizonta122

123

124 125

Vgl. auch SUTION (2000). SunONS Ansatz verlässt dabei den Fall homogener Produktmärkte, da die sunk costs vor allem im Bereich der Werbung liegen. Vgl. zu Produktdifferenzierung und heterogenen Märkten den folgenden Abschnitt (unten, S. 58). Vgl. auch SUTION (2000). Vgl. auch NEUMANN (2000), S. 73ff. V gl. auch oben Fn. 106.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

49

le Zusammenschlüsse deshalb ökonomisch rationale Folge einer horizontalen Marktausweitung seL 126 Unterstellt man nun freien Marktzutritt und Cournot-Wettbewerb, so zeigt sich 127, dass bei einer vertikalen Vergrößerung des Marktes die individuelle Produktion unverändert bleibt und die Zahl der Anbieter damit proportional zur Vergrößerung der Gesamtmenge Q wächst, so dass es nicht zu horizontalem Wachstum der Unternehmen kommt. Hingegen nimmt bei horizontaler Ausweitung des Marktes die Zahl der Anbieter nur unterproportional zur Gesamt-

menge Q zu, so dass die durchschnittliche individuelle Produktion stärker wächst als die Gesamtproduktion und die Firmen somit horizontal wachsen 128 • NEUMANN ET AL. (2001) finden - auf Basis einer Untersuchung von 291 westdeutschen Industrien im Zeitraum 1978 bis 1993 - auch empirische Belege für eine nur unterproportionale Zunahme der Firmen bei Wachstum des Marktes, was auf horizontales Marktwachstum und/oder Zutrittsbarrieren und Marktrnacht zurückzuführen sein kann.

Marktmacht

3.2.3

Marktmacht - die Fähigkeit Preise oberhalb der Grenzkosten zu verlangen und durchzusetzen 129

-

besteht zwar bereits, wenn Fixkosten oder andere Ursachen für eeonomies

0/ seale

vorliegen. In diesem Abschnitt ist aber zu fragen, inwieweit Marktmacht einen eigenständigen Anreiz für horizontale Integration darstellt. MARTIN (1994, S. 261) stellt dazu fest: "Das Streben nach Marktrnacht ist ein offensichtlicher Anreiz für horizontale Fusionen". Wirklich offensichtlich und eindeutig ist Marktrnacht als alleiniger Fusionsanreiz allerdings nur dann, wenn alle Unternehmen einer Industrie sukzessive in den Fusionsprozess einbezogen würden und am Ende die Monopolposition des einen überlebenden Unternehmens stünde. Fusioniert dagegen nur ein Teil der Unternehmen einer Industrie, dann sind Fusionen nur unter bestimmten Voraussetzungen allein aufgrund der steigenden Marktrnacht attraktiv für die

126

127

128

129

Das einschlägige Beispiel ist die Verschmelzung der nationalen europäischen Märkte zu einem "Gemeinsamen Markt" im Zuge der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen (Wirtschafts-)Union. In NEUMANN (2000) werden identische Kostenfunktionen mit nicht von der Höhe der Fixkosten abhängigen Grenzkosten und gegebener Fixkostenhöhe angenommen. Der in NEUMANN ET AL. (2001) behandelte Fall einer Technologie, die es erlaubt durch Eingehen höherer Fixkosten F die Grenzkosten c zu senken lässt die Schlussfolgerungen bzgl. der Zusammenhänge von Markterweiterung und Firmengröße allerdings unberührt. Werden zwei Märkte versclunolzen, so steigt die Gesamtproduktion zunächst natürlich gar nicht, die individuelle Produktion steigt wegen der verringerten Zahl der Untemelunen aber. Der Wettbewerbsgrad ist nach der Versclunelzung jedoch höher, da die Zahl der Untemelunen zwar insgesamt sinkt, pro Markt (vorher zwei, nachher einer) betrachtet aber steigt. Vgl. NEUMANN (2000), S. 74, Fn. 13. Zur Marktmachdefmition vgl. SALOP (1987), NEUMANN (1994), S. 155.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

50

Fusionspartner. Die wichtigste Voraussetzung betrifft den Grad der Beteiligung an der Fusion. Es lassen sich unter bestimmten Annahmen Werte fiir die kumulierten Marktanteile der Fusionspartner ermitteln, ab denen eine Fusion fiir die Beteiligten allein aufgrund des Zugewinns an Marktmacht interessant ist. Von anderen möglichen Fusionsvorteilen, d.h. insbesondere Kostensynergien, wird abgesehen, um den Marktmachteffekt zu isolieren. Dies lässt sich fiir den Fall eines homogenen Marktes mit Cournot-Wettbewerb (vor und nach der Fusion) zwischen n identischen Unternehmen mit konstanten Grenzkosten c zeigen 130. Ausgehend von der bekannten linearen Nachfragefunktion (C 10.) ergibt sich im CournotGleichgewicht fiir den Output des einzelnen Anbieters13 I (C 11.) und als Gewinn des einzelnen Anbieters

G.=.!.(a-c)2. I b (l+n)2

(C 12.)

Gehen nun von den n Unternehmen m+ 1 Gi, was nur gegeben ist, wenn

_1_1 (a-c)2 >.!.(a-c)2,d.h.wenn 1 1 > __1_. m+lb(l+n-m)2 b(l+n)2 m+l(l+n-m)2 (l+n)2

(C 14.)

Daraus ist ersichtlich, dass unter den gegebenen Annahmen eine horizontale Expansion, die rur die beteiligten Unternehmen nur den Anreiz vergrößerter Marktmacht mit sich bringt, nur dann individuell vorteilhaft ist, wenn der kumulierte Marktanteil der fusionierenden Unternehmen mindestens die in der folgenden Tabelle C 3 dargestellten Werte erreicht. Der niedrigste ausreichende Beteiligungsgrad ergibt sich mit 80% im Fall n = 5.

130 131

Durch die Annahme konstanter Grenzkosten entfallen eeonomies 0/ seale als möglicher Ameiz zur Fusion. Auch andere Synergieeffekte sind in diesem Modell ausgeschlossen. Vgl. SALANT ET AL. (1983); NEUMANN (1994), S. 160ff; NEUMANN (2000), S. 82; BESTER (2000), S. 142ff.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

51

n

3

5

7

10

15

20

50

100

profitabel ab m+1=

3

4

6

9

13

17

45

92

entspricht Marktanteil

100%

80%

86%

90%

87%

85%

90%

92%

Tabelle C 3: Profitabilität von horizontalen Fusionen bei Cournot-Wettbewerb, identischen Ullternehmen, konstanten Grenzkosten und linearer Nach/rage/unktion Quelle: Eigene Berechnung

Die Begründung fur dieses Resultat ist, dass im geschilderten Modellrahmen die fusionierte Finna ihren Output so stark reduziert, dass sie im Gleichgewicht wieder genauso viel produziert wie ein an der Fusion nicht beteiligter Konkurrent. Im neuen Gleichgewicht - nach der Fusion und nachdem die Anpassungsprozesse erfolgt sind - sind alle Unternehmen wieder gleich groß. Sowohl diese einheitliche Unternehmensgröße als auch das Preisniveau in der Branche liegen aber höher als vor der Fusion. Die nicht-fusionierten Finnen profitieren von bei den Effekten: Sie können ihre Produktion ausweiten und erzielen höhere Preise. Die fusionierte Finna profitiert nur von den höheren Preisen, ihr Output liegt aber letztlich so weit unter dem kumulierten Output der Fusionspartner vor dem Zusammenschluss, dass der Nettoeffekt der Fusion negativ ist. Das Ergebnis, dass Marktmacht erst ab einer in der Realität sehr seltenen Größenordnung als ausreichender Anreiz für horizontale Ausdehnung durch Fusion dienen kann, unterliegt jedoch einer Vielzahl von Einschränkungen, wie spätere ModelIierungen zeigen: In PERRY!PORTER (1985) sind Fusionen ohne Synergien auch bei weit kleineren Marktanteilen der Beteiligten profitabel, da die Größenunterschiede zwischen der fusionierten Finna und den Konkurrenten nicht wie im oben gezeigten einfachen Modell unmittelbar wieder eingeebnet werden. Dies wird im Modell dadurch erreicht, dass für die Produktion ein Kapitalstock notwendig ist, der insgesamt nicht vennehrbar ist und somit als Expansionsschranke dient. 132 CHEUNG (1992) zeigt, dass der für eine profitable horizontale Fusion notwendige Marktanteil auf 50% fällt, wenn der Umsatz der gesamten Industrie konkav bzgl. des Outputs ist, d.h. höhere Mengen nur mit Preisabschlägen absetzbar sind. In HENNESY (2000) führt die Annahme einer nicht-linearen Nachfragefunktion der Fonnp(Q) = ae-J.q und die Annahme sehr geringer bzw. gegen Null gehender Grenzkosten dazu, dass in einem Cournot-Oligopol mit homogenen Gütern und identischen Finnen auch Fusionen zwischen einem Bruchteil der Unternehmen

132

Vgl. auchMARTIN (1994), S. 264.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

52

einer Branche allein aufgrund ihrer Marktmacht-Auswirkungen für die Beteiligten profitabel sein können. Als Quintessenz der dargestellten Arbeiten zu Marktmacht und horizontaler Expansion kann man festhalten, dass Marktrnacht unter Cournot-Wettbewerb l33 nur dann einen hinreichenden Anreiz für horizontalen Fusionen mit beteiligten Marktanteilen unter 50 Prozent bietet, wenn (a) Expansionskosten vorliegen, die nicht-fusionierte Unternehmen in der Ausweitung ihrer Produktion benachteiligen können oder (b) die Grenzkosten der Produktion sehr gering sind und nicht-lineare Nachfragefunktionen angenommen werden können.

3.2.4

Produktdifferenzierung

Produktdifferenzierung liegt vor, wenn Unternehmen keine aus Konsumentensicht identischen (d.h. homogenen) Güter herstellen, sondern Güter, die zwar einen gewissen Grad an Substituierbarkeit aufweisen und miteinander im Wettbewerb stehen, sich jedoch in bestimmten Eigenschaften unterscheiden ("nahe, aber nicht perfekte Substitute"). Produktdifferenzierung schafft damit eine gewisse Abschirmung des eigenen Angebots von dem der Konkurrenz und damit eine Erhöhung der Marktmacht des einzelnen Unternehmens. Darüber hinaus wird die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten erhöht bzw. besser ausgenutzt. Ein Vielzahl von industrieökonomischen Zusammenhängen verändert sich, wenn man nicht mehr von homogenen, sondern von differenzierten Produkten ausgeht. In diesem Abschnitt werden deshalb einige der bereits für homogene Märkte abgeleiteten Determinanten der Unternehmens grenzen auf ihre Stichhaltigkeit bei Produktdifferenzierung überprüft. Variieren die Produkte hinsichtlich ihrer Qualität, so dass bei gleichem Preis jeder ökonomisch rationale Konsument ein bestimmtes Produkt bevorzugen würde, so sind die Produkte vertikal differenziert. Die Produkte bedienen dann Teilmärkte unterschiedlich kaufkräftiger

Konsumenten. Unterscheiden sich die Produkte hinsichtlich der von ihnen verkörperten Gütereigenschaften, so dass Konsumenten mit unterschiedlichen Präferenzen unterschiedliche Gütereigenschaften und somit unterschiedliche Güter bevorzugen, so spricht man von horizontaler Differenzierung. Die Produkte bedienen dann Teilmärkte von Konsumenten mit un-

133

Würde man Bertrand-Wettbewerb annehmen, so könnte eine Fusion, unter sonst gleichen Annahmen keinesfalls profitabel sein (außer es würden alle Unternehmen zu einem Monopol fusionieren), da Preiswettbewerb a la Bertrand den Marktmacht·Effekt einer Fusion (d.h. überhöhte Preise) unmittelbar zunichte machen würde und irr Abwesenheit anderer Fusionsameize kein fiir die Beteiligten positiver Fusionseffekt übrig bliebe.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

53

terschiedlichen Geschmäckern. 134 In der Praxis werden Unternehmen die beiden Formen der Differenzierung meist simultan einsetzen. !35 Für Unternehmen besteht nun die Möglichkeit, nicht nur ein einzelnes eigenes Produkt von dem der Konkurrenz durch Produktdifferenzierung abzusetzen, sie können auch selbst ein Sortiment differenzierter Produkte anbieten, um möglichst viele Konsumenten mit möglichst hoher Zahlungsbereitschaft zu gewinnen. Ebenso kann die Ausweitung des Sortiments um differenzierte Produkte als Maßnahme zur Abwehr von Markteintritten durch Konkurrenten (de nova oder etablierte) dienen. 136 Bietet also Differenzierung der eigenen Produkte entweder die Möglichkeit, die Zahlungsbereitschaft von Konsumenten mit differenzierten Geschmäckern stärker zu nutzen oder die Möglichkeit, Markteintritte zu be- oder verhindern, dann kann ein Anreiz zur Ausweitung des eigenen Sortiments um differenzierte Produktvarianten und somit eine Veränderung der Grenzen des Unternehmens erfolgen. Diese Veränderung ist dann allerdings nicht mehr als rein horizontal, sondern zumindest teilweise als lateral anzusehen. 1J7

Produktdifferenzierung und Marktwachstum NEUMANN ET AL. (2001) zeigen entgegen der Argumentation von SUTTON (1991), dass die oben geschilderten Beziehungen zwischen vertikaler Marktvergrößerung und der horizontalen Konzentration und Unternehmensgröße auch bei Vorliegen von Produktdifferenzierung eindeutig bestehen bleiben. Ausgangspunkt ist die inverse Nachfragekurve

pj = a j

-bjqj -

"L,bjqj bzw. vereinfacht 138 pj = a j -(n-I)bqj -bqj

(C 15.)

j;/;.j

mit der resultierenden Profitfunktion der einzelnen Firma (C 16.) wobei x(t) exogene Veränderungen des Achsenabschnitts ader Nachfragekurve darstellt, S für Werbe- und Vertriebskosten, die ebenfalls a beeinflussen können, steht und a

=

gx + h(S) gilt.

Bei horizontaler Produktdifferenzierung lassen sich hinsichtlich der Spezifikation der Konsumenten und ihrer Präferenzen zwei Modellstränge unterscheiden: Der mehr fiir die Untersuchung von Einzelkäufen (z.B. Autos, langlebige Konsumgüter) geeignete address-Ansatz geht von Präferenzen der Verbraucher bzgl. der Gütercharakteristika aus. Gekauft wird das Produkt, welches der fiir den Konsumenten optimalen "Adresse" im Eigenschaftsraum am nächsten kommt. In den non-address- oder goods-Ansätzen hingegen hat ein (repräsentativer) Konsument Präferenzen bzgl. der Güter selbst und zeigt einen "taste for variety". 135 Vgl. SPULBER (1999), S. 69 136 Vgl. zu den möglichen Strategien der "brand proliferation" und "brand preemption" CHURCHIWARE (2000), S. 404 ff. und die dort angegebene Literatur mit entsprechenden Beispielen. 137 Vgl. weiter unten S. 58. '" Vgl. zu den Bedingungen für diese Vereinfachung NEUMANN ET AL. (2001), S. 828. 134

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

54

NEUMANN ET AL. gelangen dann zum gleichen Resultat wie bei einem homogenen Markt, nämlich, dass vertikale Marktvergrößerungen die Größe des einzelnen Unternehmens nicht beeinflussen sollten 139 • Produktdifferenzierung verändert demnach den Zusammenhang von Grenzen des Marktes und Grenzen des Unternehmens nicht. Produktdifferenzierung und Marktmacht Wie oben 140 ausgefiihrt ergeben sich im einfachen Modell des Coumot-Wettbewerbs bei homogenen Gütern nur geringe Marktmacht-Anreize zu horizontaler Ausdehnung durch Fusionen. Können die im Markt aktiven Unternehmen jedoch differenzierte Produkte anbieten, so ergeben sich allein durch gesteigerte Marktrnacht und damit gesteigerte Preise ausreichend Anreize rur die Fusion. Dies kann an einem Beispiel mit Bertrand-Preis-Wettbewerb, n Unternehmen und über die Unternehmen identischen Grenzkosten von Null gezeigt werden. 141 Ausgangspunkt ist eine lineare Nachfragegleichung der Form (C 17.)

qi=a-(l+Y)Pi+I..Ipi mitj*i. n i.1 Die Gewinnfunktion eines einzelnen Anbieters lautet dann

(C 18.) Die erste Ableitung dieser Gewinnfunktion muss im Maximum Null sein: (C 19.) Da wegen der rur alle gleichen Nachfrage- und Kostenfunktion Pi

= Pj = P

und somit

~>i = np gilt, lässt sich aus (C 19.) der Gleichgewichtspreis i

I

p* = a------,n-I (2+y-) n

(C 20.)

und der Gewinn G; = p' (a - p') ermitteln.

\39 \40

141

Dieses Ergebnis resultiert aus a'a/8x8S = o. Zur Diskussion dieses Zusammenhangs vgl. NEUMANN ET AL. (2001), S. 829. Vgl. S. 50. Vgl. !Ur die hier verwendete mathematische Darstellung NEUMANN (2000), S. 83ff. Vgl. auch CHURCHI WA. RE (2000), S. 722ff., 74 I ff. und grundlegend DENECKEREIDAVIDSON (1985). Die Annahme identischer Grenzkosten von Null beeinflusst die Resultate der Analyse nicht.

Teil C - Theorie der Unternehmellsgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

55

Wenn nun von den n Unternehmen m < n fusionieren und der vom fusionierten Unternehmen gesetzte Preis pF und der Preis der nicht fusionierenden n - m "Außenseiter" pA ist, dann lässt sich der Term I.Pi als {mpF +(n-m)pA} schreiben und die Gewinnfunktion des fusioj~l

nierten Unternehmens als (e 21.) Durch Nullsetzen der Ableitung nach pF erhält man die Reaktionskurve der fusionierten Firma:

n-m n-m 2 p F(1+y _ _ )=a+pA y _ _ ,bzw. n n

Reaktionskurve F:

aAl ------+p 2+2y((n-m)/n) (2/y((n-m)/n»+2

(e 22.)

Analog erhält man Gewinnfunktion und Reaktionskurve eines Außenseiters: (e 23.)

.

A

A

ReaktIOnskurve : p (2 + Y

p

F

nachp aufgelöst: p

A

F

=

n+m-l F m ) = a + p y- , bzw. n n

a F y(m/n) + P --'--'---"-n+m-l 2 n+m-l 2 +y +y--n n an

A

= -- +p ( pr!

2n+y(n+m-l)

ym

).

(e 24.)142

(e 25.)

Für die nachfolgende Tabelle C 4 wurden die Gleichgewichtspreise und -gewinne aus (e 22.) und (e 24.) für den Fall einer Fusion zweier Unternehmen mit den angegebenen Parameterwerten berechnet. In unterschiedlich starker Ausprägung bleiben die geschilderten Ergebnisse aber für alle positiven Werte von a, y, mund n erhalten. Die unterste Zeile des Beispiels zeigt, dass auch bei geringen Beteiligungsgraden von 2%, d.h. bei einer Fusion zweier von hundert identischen Unternehmen, noch ein Gewinnanreiz für den Zusammenschluss besteht: CF ist durchgängig größer als G*. Der Anreiz wird mit steigender Wettbewerberzahl bzw. sinken142

Dieser Ausdruck (C 23.) wird mit dem Ausdruck fur den Vor-Fusions-Preis p* (C 19) identisch, wenn man m = 0 setzt.

Teil C ~ Theorie der Unternehmensgrellzen: Neoklassische Sicht der Firma

56

dem Beteiligungsgrad kleiner, bleibt aber immer erhalten. Eine besondere "Pointe" ist, dass auch in diesem Fall die an der Fusion unbeteiligten Außenseiter mehr als die Fusionspartner von der Preiserhöhung durch den verringerten Wettbewerb profitieren: GA> GF > G*.143 vor Fusion

nach Fusion GF[uSionspartner]

pA[ußenseiterJ

GA[ußenseiter]

n

p'

G*

pF[USiOnspartner]

3

0,125

0,109

0,181

0,131

0,124

0,155

5

0,109

0,097

0,126

0,102

0,114

0,106

10

0,099

0,089

0,105

0,090

0,100

0,091

100

0,091659

0,083257

0,0920821

0,083264

0,091665

0,083270

Annahmen: a ;;;; 1; Y ;;;; 9; m = 2 (zwei Unternehmen von

n fusionieren); Grenzkosten = 0

Tabelle C 4: Preise und Gewinne bei Bertrand-Wettbewerb und ProduktdijJerenzierung vor und nach Fusion von zwei Unternehmen Quelle: Eigene Berechnung

Nimmt man zur Illustration dieser Ergebnisse den Fall eines Bertrand-Triopols mit zwei Unternehmen (1 und 2) an, die im Ausgangsstadium den gleichen Preis setzen und einem dritten Unternehmen mit anderer Reaktionskurve, so lässt sich diese Konstellation auch im zweidimensionalen Raum der folgenden Abbildung C 2 zeigen l44 . Eine Fusion der Unternehmen 1 und 2 verändert das Optimierungskalkül des nicht beteiligten Unternehmens 3 nicht, seine Reaktionskurve bleibt unverändert. Die Divisionen 1 und 2 des fusionierten Unternehmens heben die Preise für die Produkte beider Divisionen unabhängig vom Verhalten des Konkurrenten 3 an, da eine Preiserhöhung der Division 1 die Nachfrage nach dem differenzierten Produkt der Division 2 steigert l45 und vice versa. Die resultierende Drehung der Reaktionskurve(n) für die fusionierten Einheiten I und 2 sind in Abbildung C 2 wiedergegeben. Die Preiserhöhungen lassen sich aus der Veränderung des Bertrand-Nash-Gleichgewichts (GG) von GG

vor Fusion ZU

GG

nach Fusion

ablesen. Man erkennt,

dass nicht nur die Preise der fusionierten Unternehmen steigen, sondern auch die des dritten Unternehmens bzw. des Außenseiters.

143 144 145

Wird das beschriebene Resultat demnach durch eine Kollusion erreicht, so besteht ein Anreiz zum Ausstieg, was bei einer Fusion aber weniger stark ins Gewicht fallen kann. Vgl. NEUMANN (2000, S. 58, S. 68f.) fiir die allgemeine graphische Darstellung und MARTlN (1994, S. 262ff.) fiir die graphische Darstellung der horizontalen Fusion im Coumot- und Bertrand-Oligopol. Dies ergibt sich unmittelbar aus der klassischen Nachfragefunktion bei Bertrand-Wettbewerb q;=a;-ßp;~YPj·

Teil C - Theorie der Untemehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

57

P,=P2 Unterneh mensteile 1

und 2 nach der Fusion

~

Unternehmen 1 und 2 vor der Fusion

p,

Abbildung C 2 : Reaktionskurven vor und nach Fusion bei Bertrand-Wettbewerb und Produktdifferenzierung Quelle: Eige1le Darstellung, in Anlehnung an MAR'f'IN (/994), S. 264

Bei Produktdifferenzierung besteht also auch ohne jegliche Synergien in jedem Fall ein Anreiz zur horizontalen Integration. Der Anreiz beruht auf Marktmacht, d.h. in diesem Fall auf der Möglichkeit, höhere Preise zu erzielen und die resultierenden partiellen Absatzverluste teilweise im eigenen Unternehmen wieder "aufzufangen".

3.3

Laterale Grenzen: Mehrproduktunternehmen und Konglomerate

Expansion kann neben der vertikalen Ausdehnung (auf vor- oder nachgelagerte Wertschöpfungsstufen) und dem "klassischem" horizontalen Wachstum, also der Ausdehnung der Produktion eines (homogenen oder differenzierten) Gutes, auch durch die Verbreiterung der Produktpalette oder den Einstieg in neue Industrien erfolgen. 146 Ob es sich bei einer solchen Expansion um eine noch teilweise horizontale Entwicklung hin zum typischen Mehrproduktuntemehmen (mit mehreren Produktlinien, aber weitgehend innerhalb einer Industrie) oder eine rein laterale Veränderung 147 hin zum Konglomerat handelt, ist oftmals schwer zu bestimmen, da es sich dabei um eine fließende Grenzziehung handelt. 148

14.

147

TEECE (198212000) nimmt zwar die Position ein, dass es in einer neoklassischen Welt unmöglich sei, eine Theorie der Mehrproduktunternehmung oder gar des Konglomerats zu entwickeln, da die Annahme fehlender Transaktionskosten und perfekter Güter- und Kapitalmärkten einem Mehrproduktunternehmen jede Grundlage entzögen. Eine Untersuchung der lateralen Unternehmens grenzen aus neoklassischer Perspektive würde sich dann erübrigen. Dabei wird aber zum einen die Möglichkeit übersehen, durch Konglorneratbildung bewusst Marktunvollkommenheiten zu schaffen (Marktmachtargument vgl. unten Abschnitt C 3.3.2). Zum anderen wird in diesem Teil C 3 der Arbeit - wie bereits zu Beginn ausgeführt - unter der Überschrift "neoklassisch" nicht der FaJl einer perfekten neoklassischen ModeJlwelt mit ausschließlich vollkommenen Märkten behandelt, sondern die neoklassische bzw. industrieökonomische Sicht des Unternehmens, das als ,,!nputOutput-Transformator" in Märkten unterschledlicher und nicht notwendigerweise vollkommener Art agiert. Einige Autoren bezeichnen als laterale Diversifikation, wenn in verwandte Produktbereiche vorgedrungen wird und als konglomerate Diversifikation, wenn der Einstieg in unverbundene Geschäfte erfolgt. In dieser

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

58

Gebräuchlich ist die Definition, dass der Einstieg in eine technisch völlig unverbundene Industrie eine konglomerate Expansion darstellt. Als Schaffung eines Mehrproduktuntemehmens gilt dagegen, wenn die Ausdehnung der Produktion sich auf Güter erstreckt, die zum bisherigen Produktionsprogramm eine technische Verbindung in der Produktion (Strom! Fernwärme, Zeitungen/Zeitschriften) oder im Gebrauch (Komplementärgüter) aufweisen. 149

3.3.1

Mehrproduktunternehmen

Anreize zur Entwicklung eines Unternehmens zum Mehrproduktunternehmen können zum einen - wie bereits angesprochen - in der Produktdifferenzierung zu finden sein. Die Vorteile horizontal oder vertikal differenzierter Produkte (v.a. erhöhte Marktrnacht und bessere Preise) innerhalb des eigenen Unternehmens zum Tragen zu bringen, bietet Anreize zur Erweiterung der Produktpalette oder zur Schaffung von mehreren Marken. Unabhängig von anderen Anreizen aber bilden laterale economies

0/ scope l50 den klassischen

Anreiz zur Bildung von Mehrproduktuntemehmen und damit zu einer Erweiterung der Unternehmensgrenzen. PANZARlWILLlG (1981, S. 269) zeigen, dass bei Vorliegen solcher economies

0/ scope eine Industriekonfiguration mit ausschließlich Ein-Produkt-Untemehmen kei-

nen Gleichgewichtszustand darstellen kann, da es immer einen Profitameiz zur Fusion zweier oder mehrerer Unternehmen gäbe l51 : When the multiproduct cost function sumrnarizes both the production and organizational costs of operation a finn, economies of scope is the precise condition required for the emergence of multiproduct finns in a competitive environment l52 Economies

0/ scope sind, allgemein gesprochen, Kostenvorteile, die sich bei der Herstellung

mehrerer Produkte in einem Unternehmen gegenüber der Herstellung dieser Produkte in sepaArbeit wird "lateral" aber, der Mehrheit der Literatur folgend, übergreifend als Gegenbegriff zu "vertikal" und "horizontal" gebraucht. 148 Vgl. MCGUCKININGUYEN/ANDREWS (1991). 14' Gerade in Dienstleistungsindustrien oder bei digitalen Produkten kann diese Definition allerdings schwer handhabbar werden, da z.B. die Produktpalette der Firma Microsoft eine große Bandbreite an SoftwareProdukten beinhaltet, aber auch Geschäfte bzw. Tochteruntemehmen wie den (im Jahr 2001 allerdings an USA Networks verkauften) Reisedienstleister expedia. Die fur die Herstellung beider Produktbereiche notwendige Technologie (Rechner, Software, technisches und Vermarktungs-Know-how) kann dabei fast identisch sein, dennoch wird man diesen Fall als eher konglomerate, denn horizontale Expansion in den Markt der Reisedienstleistungen ansehen können. 150 Als Begriff eingefuhrt von PANZARlWILLlG (1975), weiterentwickelt von BAUMOL (1977), PANZARlWILLlG (1981), BAUMOLiPANZARlWILLlG (1982). Vgl. auch BAILEy!FRIEDLAENDER (1982) In der Literatur wird allerdings oftmals unzureichend zwischen vertikalen und lateralen economies o[ scope unterschieden. Erstere sind Kostenvorteile bei Integration mehrerer Wertschöpfungsstufen, letztere Kostenvorteile durch mehrere Produktlinien. ISI Ebenso könnte bei diseconomies o[ scope im Gleichgewicht kein Mehrproduktuntemehmen existieren. 152 PANZARlWILLlG (1981), S. 272.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

59

raten Ein-Produkt-Untemelunen ergeben. Analytisch betrachtet ergeben sich economies 01

scope, wenn die Kostenfunktion die Eigenschaft der Sub-Additivität aufweist 153 , d.h. (e 26.)

tC(qi) >Cot) j=)

wobei C (.) die Kostenfunktion darstellt und

qi = (q; ,... ,q~) den Mengenvektor der Güter 1

bis n. Eine solche Sub-Additivität der Kosten bei Produktion mehrerer Güter entsteht, wenn Kosteninterdependenzen zwischen Expansionspfaden vorliegen. Im Zwei-Güter-Fall ist dies beispielweise dann gegeben, wenn bei gegebenem Produktionsniveau die Verbindungslinie zwischen verschiedenen Expansionspfaden konvex bezüglich der Kosten iSt. 154 Die Produktion einer Kombination von Gut 1 und Gut 2 in einem Unternehmen ist dann billiger, als die entsprechenden Mengen in verschiedenen Unternehmen herzustellen. Aus Produktionssicht betrachtet entstehen economies 01scope, wenn bei der Produktion mehrerer Güter ein oder mehrere "quasi-öffentliche,,155 Inputs eingesetzt werden, von denen geringere Mengen bei gemeinsamer Produktion gegenüber separater Produktion notwendig sind, während der Einsatz anderer Inputs nicht ausgedehnt werden muss. Das klassische Beispiel ist der gemeinsame Input "Schaf' bei der Produktion von Wolle und Schaffleisch, -milch und -käse. Neuere Beispiele sind die gemeinsame Nutzung von Dienstleistungen wie Buchhaltung, Lohnabrechnung, Rechenzentrum oder von Markennamen, Marketingaktivitäten und anderen intangiblen Kapitalgütern für mehrere Produktionszweige oder Geschäftsbereiche. 156

Economies 01 scope bzw. Verbundvorteile stellen also einen zentralen Anreiz zur (lateralen) Ausdehnung der Produktionspalette und damit der Grenzen des Unternehmens dar. Dieser Anreiz beruht auf einer - wie auch immer gearteten - Verbundenheit der Produktion mehrerer Güter, die Kostenvorteile fiir die gemeinsame vis-a-vis getrennte Produktion generiert.

3.3.2

Konglomerate Expansion

In der neoklassischen Sicht der Firma können fiir eine konglomerate Ausdehnung der Unternehmensgrenzen Risiko- bzw. Diversifikationsaspekte und Marktmachterwägungen aus-

Vgl. PANZARlWILLlG (1981), S. 268, BAILEY/ FRIEDLAENDER (1982), S. 1037, NEUMANN (1994), S. 267f. Für eine ausfiihrIich mathematische Repräsentation von economies ofscope vgl. PANZAR (1989), S. 15ff. 154 Vgl. BAILEY/ FRIEDLAENDER (1982), S. 1038, NEUMANN (1994), S. 268f. 155 PANZARlWILLlG (1981), S. 272 15. Vgl. RAVENSCRAFTIWAGNER (1991) für einige empirische Ergebnisse zu economies ofscope, wobei besonl5J

ders die Rolle der gemeinsam genutzten Dienstleistungen oder "shared services" hervorgehoben wird.

60

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

schlaggebend sein. 157 Der von economies

0/ scope ausgehende Anreiz zur Integration neuer

Geschäftsbereiche kann bei konglomerater Ausdehnung - analog zum allgemeineren Fall des Mehrproduktunternehmens - ebenfalls gegeben sein, wenn sich dies auf die Nutzung gemeinsamer Managementressourcen, eines gemeinsamen Markennamens und entsprechenden good-

wills oder sog. shared services 158 bezieht. Der Fall technologischer Verbundvorteile kann bei einem Konglomerat jedoch nicht einschlägig sein, da es sich definitionsgemäß um ein Unternehmen mit mehreren "technisch unverbundenen" Geschäftsbereichen handelt. 159 Risikostreuung/Diversifikation Diversifikation ist ein geeignetes Mittel zur Risikoreduzierung, da sie die unsystematische Variabilität wichtiger Größen (Aktienkurse, Wechselkurse, mittlere Profitrate einer Industrie etc.) verringert. 160 Unternehmen könnten also - mikroökonomisch betrachtet - den bei Unsicherheit unvermeidlichen Kostenfaktor des Risikozuschlags 161 reduzieren, wenn sie durch (konglomerate) Diversifizierung ihrer Geschäftsaktivitäten die Variabilität ihrer erwarteten Erträge vermindern können. Die risikoverringernde Wirkung ist dabei umso stärker, je näher die Korrelation zwischen den betrachteten Größen am unteren Limit (d.h. perfekte negative Korrelation mit Korrelationskoeffizient von -1) liegt.162 MARSHALrlYAWITzlGREENBERG (1984) fanden auch empirische Belege, dass Unternehmen systematisch in Geschäfte diversifizieren, deren Profite negativ mit denen der Haupt- bzw. Ursprungsaktivität korreliert sind.

157

158 15.

160 161 162

Vgl. zur Systematisierung der DiversifIkationsmotive TEECE (1982). Die oftmals als wichtiger angesehenen [vgl. z.B. MUELLER (1986), Teil III] Motive der Bildung von Konglomeraten (Ersatz externer durch interne Allokationsmechanismen) werden, der Systematik dieser Arbeit folgend, in den Abschnitten zur lransaktionskosten- und vertragstheoretischen Sicht der Firma behandelt (siehe unten Abschnitt C.4.4). Weitere (fmanzwirtschaftliche) Erklärungsansätze sollen an dieser Stelle nicht behandelt werden: Dazu gehören die als "bootstrapping" [vgl. MATSUSAKA (1993), S. 359, BREALEy/MYERS (2000), S. 947f.] oder ,,PIEMagic" [vgl. MUELLER (1986), S. 189] bekannt gewordene Möglichkeit der Verbesserung des Kurs-GewinnVerhältnisses (KGV) eines Unternehmens durch Kauf eines anderen mit geringerem KGV, steuerliche Vorteile [vgl. BRIGLAUER (2000), SHERMAN (1972)] und verringerte Konkursgefahr bzw. -kosten [vgl. BRIGLAUER (2000), MUELLER (1986), S. 189, HIGGINS/SCHALL (1975)]. Dazu gehören die Overhead-Funktionen eines Unternehmens, von Rechnungswesen über Marketing- und Rechtsabteilungen bis zu gemeinsamen Hausmeister-, Kantinen- bzw. Facility-Management-Diensten.. Vgl. aberobenFn. 149. BREALEy/MYERS (2000), S. 165ff. Das - im Gegensatz zum Marktrisiko - durch DiversifIkation vermeidbare Risiko kann auch "spezifIsch", "einzigartig" oder einfach "diversifIzierbar" genannt werden. Vgl. NEUMANN (1994), S. 248ff. Jede DiversifIkation in nicht perfekt mit den bestehenden Geschäftsfeldern korrelierte Geschäfte hat bereits einen risikosenkenden Effekt. Üblicherweise wird eine bewusst risikosenkende DiversifIkationsstrategie aber versuchen, neue Geschäftsfelder hinzuzufügen, die mit den bestehenden nicht oder negativ korreliert sind. Vgl. NEUMANN (1994), S. 269; MARTIN (1994), S. 278. Ein klassisches Beispiel bot die Nürnberger Firma Schöller, die in den saisonal genau gegenläufIgen Geschäftsfeldern Eiscreme und Lebkuchen tätig war, bis diese DiversifIkation nach dem Verkauf an die Südzucker AG nicht mehr notwendig bzw. gewünscht war und der Lebkuchenbereich abgestoßen wurde.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

61

Es bestehen aber schon aus theoretischer Sicht Vorbehalte gegen die Risikoreduzierung als Anreiz zu konglomerater Ausdehnung, da es in Form von Investitionen auf Kapitalmärkten eine alternative Möglichkeit der Diversifizierung gibt. Ein effizienter Kapitalmarkt müsste zu jedem Zeitpunkt ein mindestens ebenso effizientes Portfolio abbilden können, wie dies in einem Konglomerat möglich ist. 163 Daraus ergibt sich der Schluss, dass die DiversifikationsLogik konglomerater Expansion (von der später behandelten Frage möglicher Vorteile interner gegenüber externen Kapitalmärkten abgesehen) nur unter der impliziten Annahme unvollkommener, ineffizienter oder wenig ausgebildeter Kapitalmärkten stichhaltig sein kann. Ineffiziente Kapitalmärkte als Diversifikationsanreiz können zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden l64 , allerdings zeigt eine Vielzahl empirischer Arbeiten, die MUELLER (1986, S. 197ff.) auswertet, dass konglomerate Ausdehnung zwar eine mögliche, aber keine effiziente Methode der Risikoreduktion ist. Auch kann der überwiegende Anteil der Diversifikationsvorteile, entgegen früherer Begründungen für die konglomerate Diversifikation, bereits mit einer kleinen Anzahl unterschiedlicher Investitionsobjekte (z.B. Unternehmensanteile) erzielt werden l65 , die bereits privaten Investoren zur Verfügung stehen. Andere Studien zeigen, dass eine Investition in Fonds bessere Diversifikationsmöglichkeiten bietet, als Konglomerate sie erreichen, so dass die Hypothese von "diversification in a risk-reducing sense as the major objective of conglomerate mergers" I 66 ausdrücklich zurückgewiesen wird. 167 Marktrnacht

Nachdem risikoreduzierende Diversifikation aus Sicht von Unternehmen und Anteilseigner zu den "dubious reasons for mergers,,168 gezählt wird, könnte in neoklassischer Sicht vor allem das bereits bei vertikaler und horizontaler Expansion einschlägige Marktrnachtmotiv einen Anreiz zur konglomeraten Expansion bieten. Die Besonderheit konglomerater Marktrnacht liegt darin, dass ein diversifizierter Konzern in einer Vielzahl getrennter Märkte aktiv sein kann, in denen er auf sehr unterschiedliche MarktVgl. bereits MUELLER (1969). Vgl. weiter BRIGLAUER (2000). Vgl. HUBBARDIPALIA (1999). 165 Vgl. BREALEy!MYERS (2000), S. 167; MUELLER (1986), S. 197. 166 WESTON ET AL. (l972), S.362. 167 Empirisch umstritten ist auch die These, dass Konglomerate zwar nicht per se risikoreduzierend wirken, dass es aber den Managern von Konglomeraten (z.B. aufgrund überlegener Informationen) besser als externen Investoren gelingt, durch Allokation von Ressourcen auf die verschiedenen Geschäftsbereiche überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. Vgl. dazu Abschnitt C 4.4.1 und MUELLER (1986), S. 198. HUBBARDIPALIA (1999) kommen dagegen zum Schluss, dass in Abwesenheit von "informationally well-developed external capital markets" die Bildung eines internen Kapitalmarktes durchaus einen rationalen Grund für die Bildung von Konglomeraten darstellen kann. 168 BREALEy!MYERS (2000), S. 946. 163

164

62

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

strukturen trifft und möglicherweise mehrfach ein anderes Konglomerat zum Konkurrenten hat. Beispielsweise stehen sich die Konzerne Siemens und General Electric in - was Nachfrage- und Wettbewerbsstruktur oder Produktionstechnik betrifft - so diversen Märkten wie denen rur Kraftwerksgeneratoren und Kühlschränke als Wettbewerber gegenüber. Daraus ergeben sich potenziell zwei Möglichkeiten, Vorteile durch Marktmacht zu erzielen. Die unterschiedlichen Marktstrukturen, denen ein Konglomerat in seinen Geschäftsfeldern begegnen kann, sind die Grundlage der "deep-pockets-Theorie 169 konglomerater Marktmacht. 170 Konglomerate könnten in der Lage sein, die in einem Markt mit relativ geringer Wettbewerbsintensität erzielten Profite zur Quer-Subventionierung anderer Geschäftsbereiche zu nutzen, die stärkerem Wettbewerb ausgesetzt sind. In diesen Märkten könnten sie dann z.B. zur Finanzierung von "räuberischer Preissetzung" ("predatory pricing") oder anderen Strategien (wie extensiver Werbung zum Aufbau einer dominanten Position l7l ) eingesetzt werden. Ob sich daraus ein Anreiz zu konglomerater Expansion ergibt, hängt von der Validität der Konzepte zu internen Kapitalmärkten und zu predatory pricing ab. Nur wenn im Konglomerat eine Kapitalverteilung nach übergeordneten Kriterien stattfindet und die einzelnen Geschäftsbereiche keine separaten Profit-Center sind, wird eine solche Quer-Subventionierung überhaupt stattfinden. Und nur wenn predatory pricing tatsächlich eine rationale unternehmerische Strategie darstellt, kann ein Konglomerat erfolgreich quersubventionieren. l72 Spiegelbildlich betrachtet könnte eine laterale Expansion eines Unternehmens auch defensiv erfolgen. Wird eine Firma durch die quersubventionierte Angriffsstrategie eines Konkurrenten in seinem angestammten Markt bedroht, so könnte es seinerseits durch Ausweitung auf den profitbringenden Markt des Konkurrenten reagieren. Ein zweites Marktmacht-Motiv rur konglomerate Expansion kann sich aus der mehrfachen Konkurrenz von diversifizierten Firmen ("multimarket contact") ergeben. 173 BERNHEIMI

169 170

171

172

173

Teilweise auch als "long purse"-Theorie bezeichnet. V gl. CHURCHIWARE (2000), S. 648f. Vgl. MONTGOMERY (1994), NEUMANN (2001). NEUMANN (2000, S. 150) zeigt einen Fall aus der kartellrechtlichen Praxis. Vgl. BRIGLAUER (2000), S. 15. Die extensive Diskussion über die Rationalität von predatory pricing kann an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. MARTIN (1994, S. 483f.) zählt wenigstens sechs unterschiedliche Positionen zur kartellrechtlichen Behandlung von predatory pricing (und damit auch zur grundsätzlichen Rationalität dieses Verhaltens) auf, die sich auf ebenso viele unterschiedliche theoretiscbe Ausgangspositionen zurückfuhren lassen. V gl. auch ÜRDOvERlSALONER (1989), S. 548ff. Die multimarket contact Problematik ist nicht auf Konglomerate beschränkt, sondern kann auch auf EinProdukt-Unternehmen zutreffen, die in geographisch getrennten Märkten mehrfach in Konkurrenz treten. Die empirische Literatur zu multimarket cantaet bezieht sich sogar überwiegend auf diese Variante. Vgl. z.B. SINGAL (1996), FERNANDEzlMARiN (1998).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

63

WHINSTON (1990) haben die schon früher vermutete l74 Möglichkeit belegt, dass mehrfaches Konkurrieren zweier oder mehrerer Unternehmen in verschiedenen Märkten Kollusions- und somit Marktrnacht fördert. Die Logik dieser Überlegung ergibt sich zum einen aus der mehrfachen Möglichkeit der Bestrafung bei Abweichungen vom kollusiven Verhalten in einem Markt. 175 Zum anderen bieten sich auch mehr Möglichkeiten der Schaffung kollusiven Verhaltens, wie SCOTT (1989, S. 37) ausfUhrt: Consider two markets, each with only two seHers. [SeHer A in both markets, competing with seHer B in the first and seHer C in the second market] If seHers Band C merge, even though they are not competitors, the merger ereates a situation in whieh the taeit eooperation, the communication needed to overeome myopie behavior of a prisoner's dilemma game, is more easily attained. [ ... ] The process of reaching a consensus on price is facilitated because there is more contact. Additionally, the costs and strategies of the two seilers in each market are now more symmetrie, making tacit agreement easier. BERNHEIM/WHINSTON

(1990) zeigen, dass multimarket contact ohne Einfluss auf Markter-

gebnis und Kollusion bleibt, wenn Märkte und Unternehmen identisch sind und konstante Skalenerträge vorliegen. 176 Diese Annahmen sollten fur den Fall von Konglomeraten aber seIten gegeben sein. Die Konglomeratsdefinition beinhaltet ja die Aktivität auf technisch verschiedenen Märkten, so dass das Aufeinandertreffen in Märkten mit unterschiedlicher Struktur und verschiedenen Kostenverläufen wahrscheinlich ist. Empirische Untersuchungen von SINGAL (1996) und FERNANDEZIMARiN (1998) stützen

~

al-

lerdings bezogen auf Wettbewerb in der gleichen Industrie in geographisch getrennten Märkten

~

die von

BERNHEIM/WHINSTON

(1990) formalisierten Zusammenhänge zwischen multi-

market contact und Marktrnacht. In beiden untersuchten Industrien, Flugreisen und Hotels,

stellte sich der multimarket contact als wichtige Determinante der Preise heraus und fiihrte tendenziell zu einer Steigerung der Preise. 177 Allerdings zieht MONTGOMERY (1994, S. 172) aus einer Analyse der wichtigsten empirischen Studien zur Diversifikation den Schluss, dass Marktrnachterwägungen im Vergleich zu anderen Theorien der Konglomeratbildung die geringste empirische Unterstützung erfahren 178 :

Vgl. C. Edwards: "Conglomerate Bigness as a Source of Power", zitiert in SCHERERfROSS (1990), S. 312, BERNHElMfWHrNSTON (1990), S. 1, MONTGOMERY (1994), S. 165. Vgl. auch SCOTT (1989), S. 37ff. 175 BERNHElMfWHrNSON (1990), S. 3. 176 Vgl. NEUBAUER (1999) fiir Bedingungen unter denen auch bei identischen Märkten und Finnen kollusives Verhalten durch multimarket contact gefordert werden kann. 177 Insbesondere FERNANDEzlMARiN (1998) kommen zum Ergebnis, ,,[that] the evidence gives strong support to Bernheim and Whinston's hypo thesis that in the presence of multimarket contact, prices rise in markets where it is difficult to collude and decrease in market~ where it is easier to achieve collusive outcomes. " 178 Allerdings beschränkt sich MONTGOMERY (1994) auf Marktrnacht-, agency- und Ressourcen-basierte Diversifikationstheorien und lässt beispielweise finanzwirtschaftliche Motive und die Frage interner Allokationsmechanismen (vgl. dazu Abschnitt C 4.4.1) außen vor. Vgl. auch MONTGOMERY (1985). 174

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

64

The evidence bears most strongly against the market-power view. Ihere is Iittle evidence that diversified firms attain the sort ofmarket power that leads to increased profitability. Die mehrfache Konkurrenz fallt (wie Raising Rival's Costs in vertikaler Hinsicht) letztlich unter diejenigen Faktoren, deren wettbewerbspolitische Relevanz bei bestehenden Unternehmensgrenzen größer ist als ihre Relevanz als Determinante der Unternehmensgrenzen.

3A

Zusammenfassung und Ansatzpunkte

Vertikale Grenzen

Würde man eine Rangliste der neoklassisch-industrieökonomischen Determinanten zu vertikaler Integration erstellen, dann müssten die ersten beiden Plätze aus theoretischer Sicht an unvollkommenen Wettbewerb (bzw. die Vermeidung doppelter Marginalisierung) und die Erlangung von Marktrnacht vergeben werden. Ihnen ist jeweils ein umfassender Apparat an theoretischen Arbeiten und empirischen Belegen gewidmet ist und ihre Anwendung scheint nicht auf bestimmte Industrien oder besondere Umstände beschränkt. Die Vermeidung von Unsicherheiten bei den Inputs, die Möglichkeit der Preisdifferenzierung und vertikale Verbundvorteile können unter bestimmten Voraussetzungen, d.h. auch in bestimmten Industrien, als Erklärungen fiir vertikale Integration überzeugen. Die Lebenszyklushypothese ist hingegen eine Querschnittsbetrachtung, die als eine Art stilisiertes Fakt angesehen werden kann. Bei der Suche nach Determinanten vertikaler Integration muss sie aber etwas zurückstehen, da hinsichtlich der Kausalzusammenhänge, auf denen die Lebenszyklus-Hypothese beruht, verschiedene Interpretationen möglich sind. Welche Ansatzpunkte fur eine Veränderung der Unternehmensgrenzen durch E-Commerce oder durch andere Einflüsse lassen sich ableiten? Eine Erhöhung des Wettbewerbsgrades auf Downstream- und Upstreamstufe und entsprechende Veränderungen der Zwischen- und End-

produktpreise würde die integrationsfördernde Wirkung des unvollkommenen Wettbewerbs jedenfalls mindern. Unter bestimmten Annahmen könnte allein schon eine Vergrößerung der Zahl der Downstream-Unternehmen den Integrationsanreiz wegfallen lassen. 179 Marktrnacht durch vertikale Integration wird zum einen weniger wichtig, wenn technische Veränderungen es erlauben, mit einem geringen Integrationsgrad in einen Markt einzutreten, als ihn die bereits etablierten Unternehmen aufweisen. Ob eine Verringerung von Marktein179

Wenn dadurch die Zahl der Downstream- die der Upstream-Untemehmen übersteigt und Coumot-Wettbewerb im Zwischenproduktmarkt besteht.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrellzen: Neoklassische Sicht der Firma

65

trittsbarrieren vertikale Integration weniger attraktiv macht, hängt davon ab, ob die Stufe der Wertschöpfung betroffen ist, welche die bisher größten Barrieren aufwies.

Foreclosure und Raising Rivals' Costs werden zum einen dadurch weniger bestimmend, dass Engpass-Ressourcen in größerem Umfang zur Verrugung stehen, z.B. durch eine Erweiterung des zugänglichen Marktes oder das Auftreten neuer potenzieller Lieferanten. Verstärkter Wettbewerb auf der Downstream-Stufe oder eine Verringerung der Substituierbarkeit der Endprodukte können in die gleiche Richtung wirken. Allerdings bleibt obige Einschätzung bestehen, dass Raising Rivals . Costs als auslösender Anreiz rur eine Integration oder Desintegrationsentscheidung weniger wichtig sein dürfte, während die vollständige Kontrolle über eine Ressource rur eine Integrationsentscheidung ausreichend sein kann. Die Fähigkeit zur Preisdifferenzierung wirkt umso stärker als Anreiz zur vertikalen VorwärtsIntegration, je ausgeprägter das Arbitragepotenzial ist. Allerdings ist die Integration nur dann erfolgversprechend, wenn durch die Integration ein Vertriebskanal und damit ein Gebiet oder eine Konsumentengruppe tatsächlich ganz oder teilweise isoliert werden kann. Verminderte Unsicherheit, d.h. ein höherer Informationsstand zum Zweck einer besseren Prognosequalität, könnte hingegen den Anreiz zur Rückwärtsintegration mit dem Ziel der Sicherung stabiler Inputs vermindern. Eine gleiche Wirkung hätte die Vergrößerung des zugänglichen Inputmarktes und eine Verringerung der Schwankungen auf diesen Märkten. Auch verbesserte Möglichkeiten der Absicherung gegen solche Schwankungen, z.B. mit Hilfe finanzwirtschaftlicher Instrumente, würden diesen Integrationsameiz vermindern. Ein technologiebedingter Abbau von vertikalen economies

0/ scope würde die

Wirkung sol-

cher Verbundvorteile als Integrationsanreiz naturgemäß zunichte machen. Doch auch nichttechnische Faktoren können zum Abbau von Verbundvorteilen beitragen. So würde die Existenz einer liquiden Strombörse und/oder eine bestehende Überkapazität am Strommarkt die Vorteile eines integrierten Stromkonzerns hinsichtlich der Abstimmung von Kraftwerkseinsatz und Verbrauchskurve zumindest verringern. Eine Marktvergrößerung wird, abgesehen von den bereits erwähnten Effekten, auch nach dem "Smith-Theorem" in Richtung Desintegration wirken, wenn die Bedingungen von Größenvorteilen auf einzelnen Wertschöpfungsstufen und von Verbundnachteilen über die Stufen hinweg gegeben sind.

66

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

Horizontale Grenzen

Die Produktionskostenstruktur und Marktrnachterwägungen sind die bestimmenden neoklassisehen Determinanten rur die horizontale Integration bzw. Expansion von Unternehmen. Speziell die Existenz von Größenvorteilen und der Zugewinn an Marktrnacht in einem Markt mit Produktdifferenzierung bilden starke Anreize zu (internem oder externem) horizontalem Wachstum. Horizontale Marktvergrößerung, d.h. eine Veränderung der Nachfrage, die sich als verringerte Steigung der Nachfragekurve niederschlägt, rundet das Bild der horizontalen Grenzen und ihrer Bestimmungsgrößen ab. Eine technologisch bedingte Verringerung der Grenzkosten eines Unternehmens wird ceteris paribus zu einer horizontalen Vergrößerung des betreffenden Unternehmens fUhren. Ist die

Technologie allen Unternehmen zugänglich, werden sich Marktanteile und horizontale Grenzen allerdings nicht verändern. Durch eine technologische Entwicklung in Richtung höherer Fixkosten, z.B. wenn durch höhere Investitionen vorab die variablen Kosten sinken, wird sich die Zahl der Unternehmen auf einem gegebenen Markt verringern und so die horizontale Größe des einzelnen Unternehmens steigen. Hintergrund dieses Zusammenhangs sind die Größenvorteile, die sich aufgrund der Fixkostendegression ergeben. Aufgrund ihrer Wirkung als (natürliche) Markteintrittsbarriere werden Größenvorteile in einer Industrie, ob durch Fixkostendegression, Erfahrungseffekte oder andere Faktoren ausgelöst, ceteris paribus zur horizontalen Expansion von Unternehmen und einer höheren Anbieterkonzentration fUhren. Während eine horizontale Vergrößerung aufgrund veränderter Kosten sowohl durch internes als auch durch externes Wachstum (Fusion oder Übernahme) und darauf folgende Realisierung von Größenvorteilen erfolgen kann, schlägt sich das Streben nach Marktrnacht fast immer in externem Wachstum nieder. Die wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass die Aussicht auf höhere Gewinne durch höhere Marktrnacht - und damit das Bestehen eines reinen Marktmacht-Anreizes zu horizontaler Integration - entscheidend davon abhängt, ob eine Industrie mit homogenen Gütern betroffen ist oder differenzierte Produkte den Markt prägen. Auf einem Markt fur homogene Güter ist es sehr zweifelhaft, ob eine Fusion "normaler" Größenordnung, d.h. von zwei Unternehmen die gemeinsam weniger als 80 Prozent des Marktes bestimmen, durch größere Marktrnacht profitabel werden kann. Nur wenn die nicht an der Fusion beteiligten Unternehmen aus irgendeinem Grund in der Ausweitung ihrer Produktion behindert sind, können auch kleinere Fusionen profitsteigernde Marktrnacht generieren. Anders im - auf den meisten Konsumgütermärkten realistischeren - Fall differenzierter Güter: Die eingeschränkte Substituierbarkeit von differenzierten Gütern, die daraus resultierende gerin-

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

67

gere Abwanderung von Konsumenten bei Preiserhöhungen und das veränderte Reaktionsmuster von unbeteiligten Unternehmen (Preiserhöhung statt Mengenausweitung) lassen horizontale Fusionen auch bei geringen Beteiligungsgraden allein durch die Marktrnachteffekte profitabel werden. Je leichter also die Differenzierung von Produkten, desto eher besteht ein Anreiz zur horizontalen Integration durch Fusion oder Übernahme. Anders im Fall der Integrationsdeterminante Marktgröße: Hier ist der Zusammenhang von Marktausweitung und Ausweitung der horizontalen Grenzen auf homogenen und differenzierten Märkten identisch. In beiden Fällen gilt, dass eine horizontale Marktvergrößerung, also v.a. das Zusammenwachsen von zuvor auf Anbieter- und Nachfragerseite getrennten Märkten, zu einer Vergrößerung der durchschnittlichen horizontalen Unternehmensgröße führt. Unternehmen werden also mit horizontalen Fusionen reagieren (müssen), wenn durch politische oder technologische Veränderungen die Zahl der für sie zugänglichen Nachfrager steigt. Laterale Grenzen

Ein Teil der neoklassisch-industrieökonomischen Determinanten lateraler Integration ist bereits aus den Betrachtungen zu den anderen Dimensionen der Grenzen der Unternehmen bekannt: Economies

0/ scope und Marktmacht, ergänzt um den Anreiz der Risikostreuung, der

bisher nur als eher untergeordnete Ursache fur Größenvorteile auftrat. Verbundvorteile können immer dann Triebkräfte einer lateralen Expansion sein, wenn im Unternehmen Ressourcen eingesetzt werden, deren Einsatzkosten bei Ausweitung der Produktpalette nur unterproportional zunehmen (z.B. Rechnungswesen, Informationstechnologie) oder den Charakter eines (quasi-)öffentlichen Gutes hinsichtlich des Produktprogramms eines Unternehmens haben (z.B. ein übergreifend verwendbarer Markenname). Gerade das Beispiel des Markennamens könnte auch Anreize zu einer Ausweitung aufProduktbereiche bieten, die keine technische, nachfragebezogene oder sonstige Verbindung zum bestehenden Geschäft haben. IBO In der überwiegenden Zahl der Fälle wird laterale Expansion aufgrund von Verbundvorteilen aber Mehrproduktunternehmen hervorbringen, die zwar verschiedene Produktlinien haben, jedoch innerhalb einer Industrie tätig sind. Gewisse Anreize zur Konglomeratbildung bietet aus industrieökonomischer Sicht die von Konglomeraten ausüb bare Marktmacht. Stellt Verdrängungswettbewerb durch predatory priIBO

Allerdings nur, wenn man die Erkenntnisse der Marketing-Forschung zur Übertragbarkeit von Marken außer Acht lässt, denn - um ein etwas absurdes Beispiel zur Illustration zu verwenden - die bekannt erfolgreiche Markenausweitung (brand extension) der Marke Nivea durch das Unternehmen Beiersdorf würde wohl spätestens bei der Ausweitung auf Senf nicht mehr funktionieren.

68

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Neoklassische Sicht der Firma

Ging eine rationale Strategie dar, dann kann eine konglomerate Unternehmensstruktur Vorteile

aufweisen, da sie die Quersubventionierung einer solchen Verdrängungsstrategie durch Gewinne aus weniger wettbewerbsintensiven Branchen ermöglicht. Unter Umständen können sich konglomerate Expansionen auch als Reaktion auf die Struktur eines Wettbewerbers ergeben. Zieht ein Wettbewerber Vorteile aus der Präsenz in einem anderen Markt, dann könnte es von Vorteil sein, in diesem Markt ebenfalls vertreten zu sein. Zum einen, weil so vielleicht verhindert werden kann, dass der andere dort besondere Gewinne erzielt und dann Quersubventionierung betreiben kann. Zum anderen, weil nach der Logik des multi-market contact eine kollusive Vereinbarung zum gegenseitigen Vorteil leichter zu erzielen ist, wenn man sich auf mehreren Märkten gegenübersteht. Die Bildung eines Konglomerats mit dem Ziel der Risikodiversifikation könnte grundsätzlich - aus einer neoklassischen Perspektive betrachtet - sinnvoll sein. Allerdings nur dann, wenn man die alternative Diversifikationsmöglichkeit eines effizienten Kapitalmarktes außer Acht lässt. Nur wenn diese nicht zur Verfügung steht, weil ein Kapitalmarkt nicht zugänglich ist oder ineffizient arbeitet, wird die Risikostreuung durch konglomerate Diversifikation der Geschäfte eines Unternehmens einen ökonomisch rationalen Anreiz zur weitgesteckten lateralen Expansion bieten.

Insgesamt betrachtet ergibt sich also bereits innerhalb der neoklassisch-industrieökonomischen Sichtweise eine große Bandbreite an möglichen Determinanten der Grenzen des Unternehmens. Erkennbar ist aber, dass einige dieser Determinanten eine besondere Rolle spielen, weil sie in verschiedene Dimensionen wirken können. Namentlich die Marktstruktur und damit verbunden die Existenz oder Schaffung von Marktrnacht, Veränderungen der Marktgröße und Kostenvorteile durch Größe oder Umfang der Unternehmenstätigkeit sind zu beachten. Wenn technische oder politisch-ökonomische Veränderungen Einfluss auf diese Größen nehmen, ergeben sich Rückwirkungen auf die Grenzen des Unternehmens. Für den Anwendungsschwerpunkt dieser Arbeit ist in Teil D also v.a. zu fragen, ob Wettbewerbsstruktur, Marktgröße oder Kostenverläufe durch das Internet und die Möglichkeiten des E-Commerce einer Veränderung unterliegen.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenäkonomik

4

69

Neue Institutionenökonomik: Transaktionskostentheoretische und vertragstheoretische Sicht der Firma und ihrer Grenzen

Als "Neue Institutionenökonomik" (NIÖ) bzw. "New Institutional Economics" wird die ökonomische Denkrichtung bezeichnet, die es sich explizit zur Aufgabe gemacht hat, "sich mit der Analyse des institutionellen Umfelds und der institutionellen Arrangements der Wirtschaft,,181 zu befassen. Zu den Untersuchungsobjekten der NIÖ gehören nahezu alle Fonnen von Organisationen, staatliche Institutionen bzw. der Staat selbst, Märkte, Kooperationen und nicht zuletzt die Organisation "Unternehmen". Das Verhältnis von NIÖ- und neoklassischer Sicht der Finna wird oft als Gegensatz zwischen einer "black-box"-Betrachtung (Neoklassik) und einer Betrachtungsweise (NIÖ), welche die Analyse des Irmeren dieser "black box" einbezieht, beschrieben. Dieses venneintliche und häufig so bezeichnete Gegensatzpaar steht aber weit mehr in einem komplementären als einem substitutiven Verhältnis zueinander. Zum einen zeichnet die Neoklassik - wie bereits zu Anfang angesprochen - nicht eigentlich das Bild einer "black box", sondern das eines durchaus transparenten, aber auf die Transfonnation von Inputs in Outputs beschränkten Mechanismus bzw. Produktionsprozesses. I82 Zum anderen ist die NIÖ in weit größerem Maße eine Ergänzung der neoklassischen Sichtweise, als eine auf den Ersatz der Neoklassik gerichtete Theorie, was zu ihrer Verteidigung wie auch als Kritik vorgebracht wird. 183 In dieser Arbeit wird der Standpunkt eines ergänzenden Zusammenwirkens von neoklassischer und NIÖ-Theorie vertreten, da zur Beurteilung der Einflüsse des E-Commerce auf die Grenzen des Unternehmens sowohl produktionsseitige als auch die eher institutionen- oder vertragstheoretischen Aspekte herangezogen werden sollen. 184

ISI

182 183

184

RICHTERfFuRUBOTN (1996), S. 42. Institution ist dabei nicht mit Organisation gleichzusetzen, schließt aber Organisationen mit ein, wie die gebräuchlichen Definitionen von Institutionen erkennen lassen. Eine Institution ist allgemein als "ein auf ein bestimmtes Zielbündel abgestelltes System von Normen" [R1CHTERfFURUBOTN (1996), S. 7f., 42] und speziell fiir den wirtschaftlichen Bereich als "ein durch das Prinzip der Wirtschaftlichkeit konstituierte Handlungsordnung" [WfNDSPERGER (1996), S. 7] defmiert. Vgl. SPULBER (1999), S. 83ff. Vgl. die Einordnung - mit positiv wertender Absicht - von WILLIAMSON (1975, S. 1) und die Kritik von DIETRICH (1994, S. 2) oder FREEDMAN (1993), die sich gerade gegen die "methodologischen Konsistenz" von Neoklassik und Transaktionskostentheorie richtet. LANGLOISlFoss (1999) kritisieren eine dichotomische Aufteilung der Firma in Produktionsseite und Austauschseite ("exchange aspects") und damit in Produktions- und Transaktionskosten in der Literatur zur Organisationsökonomie. Ihrer Kritik an der auch in dieser Arbeit vollzogenen Zweiteilung soll, nicht zuletzt durch die Berücksichtigung des, von LANGLOISlFoss als diese Dichotomie überwindend propagierten capabilities-Ansatzes, Rechnung getragen werden. Vgl. auch MASTEN (1998), S. 54f.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenäkonomik

70

Innerhalb der NIÖ lassen sich zumindest drei Theoriestränge unterscheiden, die teilweise in enger Beziehung zueinander stehen: Transaktionskostentheorie bzw. Theorie unvollständiger Verträge mit ihren Subtheorien (asset-specijicity- und property-rights-Ansatz) sowie die Teilbereiche des incentive branch 185 der NIÖ, Principal-Agent- Theorie und nexus 01 contracts. Die Ansätze der Theorie unvollständiger Verträge sind für die Analyse der Grenzen des Unternehmens von Bedeutung und sollen in dieser Arbeit behandelt werden. 186 Dagegen steht die Principal-Agent- Theorie und die Theorie des nexus 01 contracts in dieser Arbeit weniger im

Mittelpunkt, da sie sich zwar ausführlich mit der Institution Firma beschäftigt, aber die Principal-Agent- Theorie "leaves unresolved the basic issue of the determinants of the boundaries

of the firm,,187 und in der Theorie des nexus 01 contracts sind diese Grenzen theoriebedingt kaum mehr bestimmbar. Zwar gibt es Ausnahmen zu dieser Feststellung l88 , die Betrachtungen in dieser Arbeit sollen aber auf die genannten Bereiche der NIÖ beschränkt bleiben, da sich dort mehr Ansatzpunkte für Veränderungen durch neue Informationstechnologien finden. Nachfolgende Tabelle C 5 gibt einen Überblick der wichtigsten Eigenheiten dieser Ansätze. Das UnternehTheorierichtung

._--------

Unvollständige Verträge: Asset Specificity

men isl ... --~----_._--

ein BOndei residualer KontroUrechte über physische ProduktivgOter

RationalitätsAnnahme ---~~

Verträge sind ... -~----~---

(property rights)

"Geflecht von Verträgen"

(nexus of contracts)

PrinicipalAgent-Theorie

-----

Grenzen des Unternehmens sind , .. ~~~--

Die Kosten der Ausarbeitung,

Safisficing / begrenzte

unvoUsta:ndig

Rationalitat

des Abschlusses und der Kontralle der (unvoliständigen) Vertrage

(physical assets) Unvollständige Verträge: Verfügungsrechte

Betrachtete Transaktionskosten

ein Bündel residualer KonlroJlrechte über physische ProduktivgOter (physical essets)

Maximierung I weitgehend unbegrenzte Rationalität

unvollst.ilndig

eine rechtliche Einheit bzw. Fiktion, die aus einem Geflecht individueHer Vertrage besteht

Maximierung I unbegrenzte Rationalität

vollständig bestimmt

nicht in bestimmter Art und Weise definiert

Maximierung I unbegrenzte Rationalität

voUsUindig bestimmt

Oie Kosten der Ausarbeitung, des Abschlusses und der Kontrolle der (unvollständigen) Vertrage

Überwachungs-

und Bindungskosten

Überwachungskosten

dort optimal, wo - unter der Annahme gleicher Produktionskosten - die Summe von ExAnte- und ExPost Transaktionskosten minimiert wird

kaum zu bestimmen, da Markt und Firma gleichermaßen Vertragsgeflechte sind

nicht determiniert

Tabelle C 5: Übersicht der wichtigsten NIÖ-Ansätze zur Theorie der Firma Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Fass (2000)

185 186

187

188

WILLIAMSON (1985/1990), S. 30. Andere Blickwinkel, wie die Theorie der Firma als Informations-Verarbeiter, der capabilities-Ansatz und die Intermediationstheorie werden gesondert behandelt (siehe Abschnitt C.5), da sie zwar in vielen Aspekten auf ähnlichen Annahmen wie die NIÖ beruhen, aber einen weiteren Analyserahmen spannen. HART (1995), S. 18. Vgl. auch HOLMSTRÖMfTJROLE (1989), S. 66. HOLMSTRÖMIMILGROM (1994) und HOLMSTRÖMIROBERTS (1998) stellen u.a. am bekannten Beispiel der Entscheidung zwischen angestellten Vertretern und Handelsvertretern eine Verbindung zwischen Integrations- bzw. Outsouräng-Entscheidungen und Principal-Agent Ansätzen her.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

4.1

71

Grundlagen der institutionen ökonomischen Sicht der Firma

Die in dieser Arbeit behandelten und verwendeten Teilbereiche der NIÖ sind stark miteinander verwoben, so dass nicht ganz eindeutig ein Ausgangspunkt für das gesamte Gedankengebäude identifiziert werden kann: Einige Autoren beginnen mit der Existenz von Ungewissheit woraus sich alles andere ergibt, andere mit der Existenz von Transaktionskosten, woraus sich unvollständige InfOlmation ergeben muss. Es erscheint zweckmäßig, die grundlegenden Verhaltensannahmen als Ausgangspunkt zu nehmen, um das logische Gebäude der NIÖ, auf dem die Überlegungen zu den Grenzen des Unternehmens beruhen, zu skizzieren. 189 Verhaltensannahmen Wie die neoklassische Mikroökonomie wird die NIÖ vom methodologischen Individualismus und der Hypothese der Nutzenmaximierung geprägt. Ansatzpunkt ist also das Individuum, welches sich bei allen Wahlhandlungen als Maximierer des eigenen Nutzens unter Nebenbedingungen verhält. Die NIÖ geht aber teilweise über die neoklassische Nutzenmaximierungshypothese hinaus 190 und unterstellt opportunistisches Verhalten. Diese vieldiskutierte Verhaltensannahme bedeutet, wenn man ihrer bekanntesten Definition [WILLIAMSON (1990), S. 74 oder ders., (1989), S. 139] folgt, dass die Individuen ihr Eigeninteresse auch "unter Zuhilfenahme von List" verfolgen können. Für das Gedankengebäude der NIÖ ist es dabei nicht einmal so sehr von Bedeutung, dass opportunistisches Verhalten tatsächlich auftritt. Weit wichtiger ist, dass opportunistisches Verhalten möglich ist und sich die Unterscheidung zwischen opportunistischen und nicht-opportunistischen Akteuren als unmöglich oder äußerst kostspielig erweist. 191 Das wichtigste Differenzierungsmerkmal im Annahmengerüst der NIÖ liegt in der Rationalitätskonzeption. Fast alle oben genannten Teilbereiche der NIÖ berufen sich auf das Konzept der begrenzten Rationalität ("bounded rationality"), dessen Implikationen sich am besten verstehen lassen, wenn man SIMONS (1965) Beschreibung folgt, dass begrenzt rationale Akteure sich "intendedly rational, but only limitedly so" verhalten. 192 Die Individuen streben nach rati189

190

191

192

Anzumerken ist, dass diese Verhaltens annahmen sich auf fast alle neueren Arbeiten der NIÖ erstrecken, jedoch nicht auf den "Urtext" dieser Theorien der Firma, COASE (1937). Die neoklassischen Nutzenmaximierer verhalten sich wie "Spieler in einem Spiel mit vorgegebenen Regeln, an die sie sich halten" [PETERDIAMOND, zitiert nach WILLIAMSON (1990), S. 74J. Die ausfiihrliehe Diskussion pro und kontra Opportunismus findet sich zusammengefasst in RlNDFLEIscHIHEIDE (1997), S. 31, 48. Vgl. auch den Exkurs in WILLIAMSON (1990), S. 73ff. Begrenzte Rationalität ist mit vollkommener Rationalität (bisweilen "Hyperrationalität" genannt) unter der Bedingung nicht-kostenloser Informationen eng verwandt, aber nicht deckungsgleich [WILLIAMSON (l990), S. 52, Fn. 6; RlCHTERIFURUBOTN (1996), S. 4]. Diese Verwandtschaft kann zu einer Art Zirkelschluss fUhren, wonach Transaktionskosten durch bounded rationality entstehen und gleichzeitig bounded rationality als

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenäkonomik

72

onalem Verhalten, sind aber durch die Begrenztheit ihrer mentalen Verarbeitungskapazität, durch Unsicherheit und die Kosten der Info=ationsgewinnung eingeschränkt. Den entscheidenden Effekt dieser beiden Verhaltensannahmen für die NIÖ und schließlich auch für deren Sicht auf Unternehmen und ihre Grenzen fasst WILLIAMSON (1990; S. 76) zusammen, wenn er die Auswirkung von begrenzter Rationalität und Opportunismus auf die Entstehung von Vertragsproblemen zeigtl93: Annahme begrenzter Rationalität Nein

Ja

Nein

Keine Vertragsprobleme (Vertragsutopie)

Vertragsprobleme durch ,.Generalklausel,,'94 lösbar

Ja

Keine Vertragsprobleme. da erschöpfende Verträge möglich

Vertragsprobleme und unvollständige Verträge unvermeidlich

(vollständige Rationalität)

Annahme opportunistischen Verhaltens

Tabelle C 6: Opportunismus, begrenzte Rationalität und resultierende Vertragsprobleme Quelle: Nach WILLlAMSON (1990). S. 76

Da unvollständige Verträge, wie unten ausgeführt, als einer der zentralen Entstehungsgründe von Transaktionskosten identifiziert werden können und - wie Tabelle C 6 zeigt - vom Vorhandensein von begrenzter Rationalität und Opportunismus abhängen, sind diese Annahmen tragende Pfeiler der NIÖ, bzw. der Transaktionskosten- und Vertragstheorie. 195 Die mit begrenzter Rationalität und Opportunismus oft in einem Atemzug genannte asset specificity hat einen anderen Charakter als die beiden Grundannahmen. Sie ist keine Verhaltens-

annahme, sondern ein Resultat unvollständiger Verträge und zentrale Dete=inante der Transaktionskosten. Wie andere Dete=inanten der Transaktionskosten würde sie aber ohne Wirkung auf Vertragsbeziehungen und damit Transaktionskosten bleiben, wenn die beiden

193 194

195

Produkt von Ungewissheit und/oder resultierenden Transaktionskosten bezeichnet wird. DIETRICH (1994) greift diese Frage in seiner Kritik an der Transaktionskostentheorie auf, indem er der Transaktionskostentheorie vorwirft, nur einen Baustein der bounded rationality, informationelle Ungewissheit zu berucksichtigen und den zweiten Baustein, informationelle Komplexität, außen vor zu lassen. Ohne diesen zweiten Baustein sei bounded rationality mit Minimierung von Informationskosten identisch. Vgl. auch BOLAND (1981) und die in Abschnitt C 5.1 aufgegriffenen Überlegungen von CASSON (1997) zur Rolle von Informationskosten als alternative Annahme an Stelle der bounded rationality. Auch an dieser Stelle sei auf die Kritik von DIETRICH (1994) hingewiesen, der WILLlAMSON einige Schwächen in der Präzisierung der Begriffe nachweist. Mit Generalklausel bezeichnet WILLlAMSON (1975 und 1990, S. 75) eine Vereinbarung von Vertragspartnern, ,jede relevante Information vorbehaltlos mitzuteilen und sich im Zuge der Vertragserfiillung und bei Vertrags verlängerung kooperativ zu verhalten". Für weniger wichtig erachtet HART (1990; 1995, S. 80ff.) die Annahme der bounded rationality für die Institutionenökonomik insgesamt und die von ihm wesentlich mitgeprägte property-rights-Theorie. Vgl. zur Kritik auch BOLAND (1981). Eine Vielzahl von Beispielen zu Rationalität und Verträgen bieten MILGROMfROBERTS (1992), S. 126ff.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

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Grundannahmen nicht zutreffen. Auf Basis dieses Annahmengerüsts lassen sich nun die Ausprägungsfonnen von Transaktionskosten konkreter festmachen. Transaktionskosten Die Senkung von Transaktionskosten durch neue (Infonnations-)Technologie gilt als eines der Fundamente ökonomischer Entwicklungen, die unter dem Stichwort der "New Economy" zusammengefasst werden. l96 Gleichzeitig bildet ihre Beeinflussbarkeit durch verschiedene Organisationsfonnen die zentrale Fragestellung der NIÖ-Theorie zu den Unternehmensgrenzen, während die mangelnde Spezifikation und Konkretisierung dieser Kosten einen zentralen Kritikpunkt v.a. an frühen Arbeiten der NIÖ bildet. 197 Gerade weil der mögliche Zusammenhang zwischen Transaktionskosten und Unternehmensgrenzen ein kritisches Element dieser Arbeit ist und viele Abhandlungen die entsprechenden Zusammenhänge relativ leichtfertig unterstellen, werden Begriff und Detenninanten der Transaktionskosten in der Folge ausführlicher untersucht und dargestellt. Eine Transaktion ist der Fluss oder Austausch von Leistungen zwischen zwei Wirtschaftssubjekten bzw. der Übertrag eines Gutes oder einer Leistung über eine technisch trennbare Schnittstelle. 198 Transaktionskosten entstehen, wenn dieser Austausch nicht vollkommen kostenfrei verlaufen kann. Sie können dann allgemein als "Betriebskosten des Wirtschaftssystems,,199 definiert werden oder präziser als Aufwendungen und Opportunitätskosten des den Leistungsfluss steuernden Infonnationsflusses. 2oo Es gibt in der Literatur eine Vielzahl von Systematisierungen von Transaktionskosten. Zur Verdeutlichung des Transaktionskostenbegriffs sollen an dieser Stelle drei davon kurz vorgestellt werden, die in der Zusammenschau die verschiedenen Ausprägungen der "Kosten der Inanspruchnahme des Marktes" erkennen lassen. WINDSPERGER (1996, S.13ff.) trennt den Transaktionsvorgang in Anbahnungs- und Durchführungsphase und unterscheidet Kostenkategorien nach dem Zeitpunkt ihres Anfalls. MIL-

196 197

198 199

200

Vgl. DURTH (2000); vgl. auch WHiNSTON et al. (1997), S. 267ff., BAKOS (1997), VULKAN (1999), CHOIf WHiNSTON (2000), S. 37ff. Vgl. Z.B. MILGROMfROBERTS (1990). EISSRICHIFRAMBACH (1998) zeigen, dass der Mangel unzureichender Präzision bei der Bestimmung und Verwendung des Transaktionskostenbegriffs bis heute nicht behoben ist, plädieren aber gleichzeitig fiir den Wert auch einer intuitiven Verwendung des Transaktionskostenbegriffs fiir das ökonomische Denken. WINSPERGER (1996) mit Bezug auf Arbeiten von COMMONS. So die bekannte ursprüngliche Definition von ARROW, der in einem Hearing des US-Senats als erster Autor den Begriff "transaction costs" verwendet haben soll. Vgl. unten, Fn. 204; DIETRICH (1994), S. 19. Vgl. WILLIAMSON (1990), S. 1; WINDSPERGER (1996), S.18.

74

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

GROMIROBERTS

(1992, S. 29ff.) unterscheiden die Kategorien der Koordinations- und Motiva-

tionskosten, da Koordination und Motivation in ihrer Analyse die zwei zentralen Aufgabenstellungen einer Organisation darstellen. Eine Unterteilung aus Sicht der Kostenquellen entwickeln schließlich RINDFLEISCHIHEIDE (1997). Eine Zusammenfassung der unterschiedlichen Kategorisierungen von Transaktionskosten zeigt nachfolgende Tabelle C 7. Die unterschiedlichen Abgrenzungen beziehen sich dabei auf den selben Block an Kosten, d.h. die Summe der Transaktionskosten ist in allen drei Sichtweisen identisch, nur betrachten die Autoren sie aus unterschiedlichen Perspektiven. Nach den Phasen einer Transaktion

Nach dem Zweck der Aufwendungen

Kosten der Informationsge-

Koordination (Markt)

winnung bzw. Suchkosten Kosten der Informationsweitergabe und verarbeitung

Verhandlungskosten und

Kosten der Konflikt· beilegung Entscheidungskosten

• Kosten der Bestimmung von Preisen und anderen Transaktionsdetails • Kosten der Findung von Transaktionspartnern

• Kosten des Zusammenführens von Käufer und Verkäufer Koordination (Hierarchie) • Kosten der Informations~ übermittlung Motivation

Kosten der Verhaltens~ und Ergebniskontrolle Anpassungskosten

• Durch Informationsasymmetrien und unvollständige Informationen verursachte Kosten • Durch unvollständiges "commitment"

Nach der Quelle der Kosten Direkte Kosten

Opportunitäts. kosten

Asset Specificity Kosten der Erarbeitung von Sicherungsvorkehrungen

Nlcht·lnvestition in produktive assets

Ungewissheit (Umwelt) KommunikationsVerhandlungsund Koordina~ tionskosten

Fehlende bzw. Fehladaption

Ungewissheit (Verhalten) Such- und Selektionskosten (ex ante)

verursachte Kosten Mess-und Überwachunskosten (ex post)

Auswahl eines nicht-optimalen Transaktionspartners (ex anle) Produktivitäts~

verlust durch Fehladaplion

Tabelle C 7: Kategorisierung von Transaktionskosten Quelle: Eigene Darstellung

Transaktionskosten im Sinne der ökonomischen Theorie der Firma sind also nur bis zu einem gewissen Grad identisch mit Transaktionskosten, wie sie in der betriebswirtschaftlichen Sicht auftreten: Als Kosten der Bearbeitung eines Zahlungsvorgangs etwa oder als Kosten einer Lieferantensuche. Diese Art von Transaktionskosten ist weitgehend identisch mit den Kosten der Ausarbeitung von Verträgen und steht im Zentrum der frühen Arbeiten zur Transaktionskostentheorie, z.B. bei

COASE

(1937). Solche, die wegen ihres Anfallens vor oder beim Ver-

tragsabschluss auch als "Ex-Ante"-Transaktionskosten bezeichnete Kosten, sind häufig gemeint, wenn in betriebswirtschaftlichen Abhandlungen (z.B. aus dem Bankenbereich) von

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenäkonomik

75

Transaktionskosten gesprochen wird. Allerdings argumentieren spätere Arbeiten, dass derartige "ink costs,,201 nur einen und möglicherweise den weniger bedeutenden Teil der relevanten Transaktionskosten ausmachen. Die teilweise Vernachlässigung der Ex-Ante-Kostenkategorie in Arbeiten nach WILLIAMSON ist allerdings nicht gerechtfertigt. Ökonomische Transaktionskosten gehen deutlich über die Kosten der Vertragsanbahnung und -gestaltung hinaus202 . Sie sind, wie alle anderen Kosten in der ökonomischen Theorie Opportunitätskosten und enthalten in Kostenkategorien wie "Kontrolle", "Überwachung", ,,Anpassung" oder ,,Motivation" auch Folgekosten des Vertragsabschlusses und Kosten des "normalen Geschäftsbetriebs". Als Gegenstück zu den vor Vertragsabschluss anfallenden Kosten werden sie auch als "Ex-Post-Transaktionskosten" bezeichnet. Als Definition der Transaktionskosten bietet sich der Vorschlag von MATIHEWS (1986) an: The fundamental idea of transaction costs is that they consist of the costs of arranging a contract ex ante and monitoring and enforcing it ex post, as opposed to production costs, which are the costs of executing a contract. Innerhalb dieser Arbeit werden Ex-Post- wie Ex-Ante-Transaktionskosten Berücksichtigung finden, insbesondere bei der Untersuchung der Auswirkungen von Internet und E-Commerce. In den nachfolgenden theoretischen Überlegungen stehen die Ex-Post-Transaktionskosten allerdings im Vordergrund, da sie das komplexere und interpretationsbedürftigere Konzept darstellen und in ihren Konsequenzen weitreichender sind.

4.2

Vertikale Grenzen

4.2.1

Transaktionskosten als Integrationsanreiz

Ausgangspunkt einer Analyse der vertikalen Unternehmensgrenzen und ihrer Determinanten aus Sicht der NIÖ sind einige Sätze aus COASE (1937, S. 390ff.), die bereits die relevanten Fragen aufwerfen: The main reason why it is profitable to establish a firm would seem to be that there is a cost of using the price mechanism. The most obvious cost [ ... ] is that of discovering what the relevant processes are. The costs of negotiating and concluding aseparate contract for each exchange transaction [... ] must also be taken into account. [ ... ] It is true that contracts are not eliminated when there is a firm but they are greatly reduced. [ ... ] A firm will tend to expand until the costs of organizing an extra transaction within the firm are equal to the costs 201 202

KLEIN (1988). Allerdings dürfen diese Vertragsanbahnungskosten vicht - wie es in der Beschäftigung mit dem Einfluss der asset specijicity und anderer Probleme der Vertragsüberwachung und -erfiillung bisweilen geschieht - vernachlässigt werden, da sie konzeptionell und betragsmäßig bedeutend sind. Vgl. MILGROMIROBERTS (1992), S.29.

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of carrying out the same transaction by means of an exchange in the open market or to the costs of organizing it in another firm. [ ... ] Other things being equal, therefore, a firm will tend to be larger: (a) the less the costs of organising and the slower these costs rise with an increase in the transactions organised (b) the less likely the entrepreneur is to make mi stakes and the smaller the increase in mi stakes with an increase in the transactions organised (c) the greater the lowering (or the less the rise) in the supply price offactors ofproduction to firms oflarger size. Obwohl die neuere NIÖ-Literatur wesentliche Präzisierungen und Verfeinerungen dieser Analyse hervorbrachte, sollen auch die ursprünglichen Überlegungen von COASE zu vertikalen Untemehmensgrenzen betrachtet werden, nicht zuletzt, da COASE selbst sich kritisch zu einigen Punkten in den Weiterführungen seiner Ansätze äußert. 203 Eine einfache Repräsentation der Grundidee von COASE lässt sich ableiten, wenn man ARROWS204 Feststellung heranzieht, dass Transaktionskosten in einem Preissystem einen Keil zwischen Anbieter- und Nachfragerpreis einer Transaktion treiben. BLAlRiKASERMANN (1983) folgend, kann man die Wirkung der Transaktionskosten in einer aus der Steuerwirkungslehre oder der Außenhandelstheorie (Wirkung von Zöllen) bekannten Art graphisch darstellen. $

Grenzkosten des

Wertgrenzprodukt des Käufers (Nachfragekurve)

/ x'

Menge

Abbildung C 3: Wirkung von Transaktionskosten und Integrationsanreiz Quelle: Eigene Darstellung nach BLAIRIKASERMANN (1983), S. 13

Unterstellt sind Transaktionskosten, die einen festen Betrag pro Einheit der gehandelten Ware ausmachen, in Höhe von insgesamt P K

-

Pv (je zur Hälfte auf Käufer und Verkäufer entfal-

lend) bei Transaktion über den Markt. Der effektive Preis steigt für den Käufer von p* auf PK 203 204

Vgl. COASE (1993), S. 56ff.; vgl. auch die klare Abgrenzung in Williamson (1990), S. 88, Fn. 7. Vgl. K. ARROW: "The Organization ofEcononllc Activity: Issues Pertinent to the Choice ofMarket vs. Nonmarket Allocation", io "The Analysis and Evaluation ofPublic Expenditures: The PPB System, Vol. I, Joint Econonllc Cornmittee, 91" Congress", Washiogton, 1969, hier zitiert nach BLAIRiKASERMANN (1983), S. 13.

Teil C - Theorie der Unlernehmensgrenzen: Inslitulionenökonomik

77

und sinkt für den Verkäufer von p* auf Pv, die gehandelte Menge fällt von x* aufx: Je höher die Transaktionskosten, desto größer der Keil zwischen Verkäufer- und Käuferpreis und desto geringer die transferierte Menge. Erreichen die Transaktionskosten eine prohibitive Höhe, so können sie als eine Art übergeordnete Kategorie des Marktversagens die Entstehung von Märkten blockieren, wie ARRow in seiner originalen Verwendung des Begriffs Transaktionskosten vennerkt: ,,[ ... ] market failure is not absolute; it is better to consider a broader category, that oftransaction costs, which in general impede and in particular cases block the formation of markets".205 Wenn nun die Transaktionskosten bei einer unternehmensinternen Transaktion geringer sind als bei Markttransaktionen, aber größer als Null, z.B. (PK' - Pv') > 0 anstelle von (PK - Pv) > 0, so ergibt sich ein Gewinnanreiz für die Internalisierung der Transaktion bzw. die (vertikale) Integration: In Abbildung C 3 sind dies die bei den grau markierten Flächen. 206 Unberücksichtigt ist in diesem Modell die schon bei COASE zu findende Vennutung, dass v.a. die Kosten der internalisierten Transaktion nicht rein exogen gegeben sind, sondern von der Zahl der bereits internalisierten Austauschvorgänge bzw. der Größe des Unternehmens abhängen. Berücksichtigt man diesen Zusammenhang, so wird schon im einfachen Modell von BLAlRiKASERMANN die schlichte Entscheidungsregel, die Vorgänge zu internalisieren, die bei externer Abwicklung teurer sind, hinfällig. Denn die Integration der Produktion eines bestimmten Vorprodukts senkt dann einerseits vielleicht die direkten Transaktionskosten, erhöht aber andererseits durch die fortschreitende Komplexität der Organisation die Kosten bereits internalisierter Vorgänge. Das Optimierungsproblem der Finna ist dann, eine relativ komplexe Auswahl unter der ganzen Bandbreite von Vorproliukten zu treffen, welche sich aufgrund der direkten Einsparungen und der Kreuzeffekte für eine Integration eignen. 207 Die (vertikalen) Grenzen des Unternehmens bilden sich in der ursprünglichen Transaktionskostenperspektive von COASE (1937) also an der Stelle heraus, wo die marginale Ersparnis der Internalisierung bzw. Integration einer weiteren Transaktion den zusätzlichen internen, organisatorischen Grenzkosten der Integration dieser Transaktion entsprechen.

205 206

207

ARROW, a.a.O. (vgl. Fn. 204), S. 48, zi,tiert nach DIETRICH (1994), S. 19. Deren Größe von der Kostenreduktion durch die Internalisierung und den Verläufen von Angebots- und Nachfragekurve (bzw. der Elastizität von Grenzwertprodukt und Grenzkosten bzgl. der Menge) abhängt. Vgl. BLAIRIKASERMANN (1983), S. 15f., die auch anmerken, dass COASE (1937) implizit vollkornrnene Märkte fiir die Zwischenprodukte unterstellt, so dass die in Kapitel C .3.1.2 dieser Arbeit geschilderten Integrationsanreize unberücksichtigt bleiben.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

78

Die Transaktionskostentheorie der Grenzen des Unternehmens hat in der vorgestellten Urform drei zentrale Schwachpunkte: Erstens sind die Transaktionskosten und v.a. ihre Ursachen und Determinanten nur sehr unzureichend spezifiziert. Zweitens ist die Theorie selbst sehr wenig formalisiert und empirisch unterlegt. Diese Schwachpunkte wurden in späteren Arbeiten zur Transaktionskostentheorie, v.a. in der Theorie der unvollständigen Verträge und den Überlegungen zur Faktorspezifität (asset specijicity) aufgegriffen und werden im nächsten Kapitel behandelt. Der dritte Kritikpunkt ist konzeptioneller Natur und wurde von ALCHIANIDEMSETZ (1972) herausgestellt: COASE (1937, S. 403ff.) definiert in seiner Markt-UnternehmenDichotomie die Firma über die Rolle von Autorität im Unternehmen im Gegensatz zu gleichberechtigtem Handel als konstituierendes Marktmerkmal. ALCHIANIDEMSETZ (1972, S. 777) stellen genau diese Unternehmensdefinition in Frage, was weitreichende Konsequenzen rur die Theorie der Unternehmensgrenzen hat: It is common to see the finn characterized [... ] by authority, or by disciplinary action superior to that available in the conventional market. This is delusion. The finn does not own all its inputs. It has no [... ] authority [ ... ] any different in the slightest degree from ordinary market contracting. 208

Die Auseinandersetzung mit der aufgeworfenen Frage nach den konstituierenden Eigenheiten einer Firma und den daraus folgenden Konsequenzen fiir die Integrationsanreize erfolgt v.a. im Rahmen der property-rights-Theorie und wird im übernächsten Abschnitt thematisiert.

4.2.2

Determinanten der Transaktionskosten und vertikale Integration

Wenn Transaktionskostenersparnisse (mit)bestimmend fiir den Grad der vertikalen Integration sind, dann müssen die Determinanten der Transaktionskosten bestimmt werden, um die Auswirkungen von exogenen Veränderungen, wie dem in dieser Arbeit betrachteten Auftreten elektronischer Märkte und neuer Geschäftsmodelle, vorausschauend beurteilen zu können. COASE (1937, S. 336ff.) verweist nur unsystematisch auf einige Determinanten der Art und Höhe von Transaktionskosten. Hinweise finden sich nur auf die Rolle von Suchkosten ("cost of discovering what the prices are,,209), von langfristigen Verträgen und von Unsicherheit als Einflussgrößen der Transaktionskosten. Eine präzisere Bestimmung des Transaktionskostenbegriffs wird erst möglich, wenn man den eigentlichen Entstehungsgrund dieser Kosten iden-

208

209

Diese Position wird von ALCHIANIDEMSETZ (1972) bildlich so zusammengefasst, dass es keinen Unterschied zwischen dem ,,Feuern" eines Angestellten und dem ,,Feuern" einer Einkaufsstätte durch Wechsel zu einem anderen Anbieter gibt Vgl. Zitat oben (S. 76).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

79

tifiziert: Transaktionskosten sind die Kosten der Gestaltung und des Verfassens von Verträgen. Auf dieser Einsicht aufbauend hat WILLIAMSON (1975, 1989, 1990) ein ausfiihrliches, wenn auch oft kritisiertes 2Io , Gebäude von Detenninanten der Transaktionskosten und deren Wirkung auf die (vertikalen) Unternehmens grenzen entwickelt. Der tragende Pfeiler dieses Theoriegebäudes ist die Faktorspezifität (assel specijicity), ergänzt um Unsicherheit und die Häufigkeit der Transaktionen. Das Fundament der Theorie bildet die Unvollständigkeit von Verträgen. Verträge regeln die Beziehungen eines Unternehmens zu seinen vor- und nachgelagerten Stufen, d.h. Lieferanten und Vertriebspartnern, ebenso wie die Beziehung zu seinen Kunden, Geldgebern oder Anteilseignern. Wie bereits ausgefiihrt, sind Verträge notwendigerweise unvollständig, d.h. es ist entweder unmöglich oder aus Kostengründen unvorteilhaft, Verträge zu verfassen, die alle zukünftigen Eventualitäten, die zukünftigen Leistungen, Qualitäten und Kosten betreffend, regeln. Da Planungen und Vereinbarungen also unvollständig und mit Ressourcenverbrauch verbunden sind, müssen die Vertragsparteien Vereinbarungen schließen, die Eckpunkte und generelle Regelungen ihrer Vertragsbeziehung bestimmen (,,[ ... ] an agreement that frames their relationship,,2II), v.a. grundsätzliche Leistungserwartungen, Entscheidungsregeln bei Vertragslücken und Vorgehensweisen bei Meinungsverschiedenheiten. Die verschiedenen Fonnen der Beziehung zwischen einem Unternehmen und seinen vor- oder nachgelagerten Stufen (Spotmarkt, kurz-, mittel-, oder langfristige Verträge, vertikale Integration oder sog. "hybride"'Fonnen) lassen sich in der Transaktionskostensicht dann primär nach der Fonn der Rahmensetzung unterscheiden: Welche Institution bzw. Regelung springt ein, wenn Vertragslücken bestehen? Welche der möglichen Organisationsfonnen fiir eine Vertrags- bzw. Transaktionsbeziehung ökonomisch rational ist, bestimmt sich nach den relativen Transaktionskosten, deren Detenninanten nachfolgend beschrieben sind. Zl2

210 211

212

Vgl. beispielsweise DEM SETZ (l988), DIETRICH (1994), WINDSPERGER (1998). MILGROMIROBERTS (1990), S. 62, Hervorhebung im Original. Vgl. zu den nachfolgenden Ausfuhrungen, insb. zur Faktorspezifität, die grundlegenden Arbeiten von WILL!AMSON (1975, 198511990, 1989, 1991), KLElN/CRAWFORD/ALCHIAN (1978) und JOSKOW (1987, 1988, 1993). Darstellungen der Materie aus verschiedenen Blickwinkeln fmden sich z.B. bei MILGROMIROBERTS (199011992), WIGGlNS (1991), SPULBER (1992), HART (1995), RlCHTERIFURUBOTN (1996, S. 143ff), RlNDFLEIscHIHElDE (1997), Foss (2000), PICOTIREICHWALD!WIGAND (2001, 5Iff). Kritisches zum Thema u.a. bei KAY (1992), DIETRICH (1994).

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: fnslitutionenökonomik

80

Faktorspezifität (Assel Specijicity) und das hold-up-Problem

Faktorspezifität ist grundsätzlich gegeben, wenn der Wert eines Produktionsfaktors oder allgemeiner, einer Investition, in einer spezifischen Situation oder einer spezifischen Einsatzbeziehung höher ist, als in einer alternativen Verwendung. Der Grad der Spezifität eines assets bestimmt sich demnach nach dem Anteil des Investitionswertes, der verloren geht bzw. zu versunkenen Kosten wird213 , wenn das asset außerhalb seiner besten, spezifischen Verwendung eingesetzt wird. So verlieren auf bestimmte Unternehmen und deren Organisationsstruktur und Prozessgestaltung zugeschnittene (sog. proprietäre) Computerprogramme zur Prozesssteuerung 214 einen Großteil ihres Wertes, wenn sie, beispielsweise in Folge einer Fusion, in einer anders oder neu gestalteten Situation eingesetzt werden müssen. Es lassen sich sechs Formen der Spezifität unterscheiden, die in der folgenden Tabelle C 8 erläutert werden. Logik und Beispiele Investition hat nur bei bestimmter geographischer Konstellation ihren vollen werf 15 :

Lagespezifität

Physische Spezifität

HumankapitalSpezifität

-

Stahlwerk in der Nähe von Erz- oder Kohlevorkommen: Wird die Ausbeutung der Bodenschätze eingestellt, verliert die Investition einen Großteil ihres Wertes. Betonwerk nahe an einem großen Bauprojekt (Hochgeschwindigkeitsstrecke): Werden die Bauarbeiten eingestellt oder die Streckenführung geändert, vertiert das Werk einen Teil seines Wertes.

Investition ist auf den Einsatz in einem bestimmten Umfeld oder auf die Transaktion mit einem ten Partner abgestimmt:

-

bestimm~

Proprietäre Software, die in anderem Umfeld schwer nutzbar ist. Autositzhersteller, der Anlagen und Prozessabläufe auf einen bestimmten Abnehmer abstellt. Beides verliert an Wert, wenn ein neuer Großabnehmer aesucht werden muss.

-

Mitarbeiter eines Unternehmens eigenen sich Wissen an, das nur in Zusammenhang mit einer eigenen oder fremden Investition optimal eingesetzt werden kann:

-

Schulung eines Mitarbeiters auf ein proprietäres Computerprogramm, die teilweise wertlos wird, wenn andere Softwarelösungen installiert werden. Ausbildung eines Servicemitarbeiters, ausgerichtet auf spezifische Anlagen eines wichtigen Kunden, die nach Verlust des Kunden für das Unternehmen wertlos wird.

Investition hat nur für einen begrenzten, fest definierten Zeitraum ihren vollen Wert, da die Produkte schnell veralten (Zeitung), verderben (Obst), Teil einer seriellen Produktion sind oder schwer tagerbar:

Zeitspezifität

-

Markenspezifität

-

Auftragsspezifität

-

-

Just-in·Time-Anlieferung, die bei Verspätung den Produktionsablauf behindert. Produktion einer Strommenge (oder eines anderen schwer lagerbaren Gutes) für eine Spitzenbelastungen, die bei Verzögerung des Abrufs stark an Wert verliert.

tnvestition in Goodwill (bzw. Markenwert), die nur bei Erhalt der Marke ihren Wert erhätt:

Aufbau eines Markennamens, der nach einer Fusion ersetzt wird (z.8. Bekanntmachung der Strommarken "Bavernwerk" und "Preussen Elektra", die nach Fusion zu 8.on nahezu wertlos wurden).

Aufbau von Kapazitäten für spezielle Nachfragsituation, mit Wertvertust bei Ausbteiben der Nachfrage

Entwicklung von "Merchandising"-Produkten für ein Sportereignis, die bei Absage oder Verschiebung des EreiQnisses ohne Wert sind.

Tabelle C 8: Formen der Faktorspezijität (assel specijicity) und Beispiele Quelle: Eigene Darstellung

213 214

215

VgL grundsätzlich zum Zusammenhang zwischen Irreversibilität, Versunkenheit von Kosten und Faktorspezifität GROSS-SCHULER (2001), Abschnitt C3. Etwa die als ERP (Enterprise Ressource Planning) bekannt gewordenen Steuerungsprogramme. Entsteht v.a. dann, wenn Einsparungen bei TransportkC'sten fur die Investitionsentscheidung eine entscheidende Rolle spielen. So z.B. bei die Ansiedelung verarbeitender Betriebe nahe an den Quellen benötigter Grundstoffe, die ein niedriges Verhältnis von Wert zu Volumen oder Masse aufweisen.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

81

Positiv betrachtet, ist der Grad der Spezifität eines assets der zusätzliche Wert, den die entsprechende Investition dadurch erhält, dass man sie in ihrer optimalen Verwendung einsetzt und nicht in der zweitbesten oder noch schlechteren Alternative. Dieser zusätzliche Wert wird in Anlehnung an MARSHALL 216 als "Quasi-Rente" bezeichnet. Die Möglichkeit, Gewinne in Form der Generierung und Aneignung dieser Quasi-Rente zu erzielen, stellt den zentralen Anreiz für die Durchführung einer spezifischen Investition dar. Nun sei der Fall betrachtet, in dem eine vertikale Lieferbeziehung zwischen zwei Unternehmen besteht, die auf einer oder beiden Seiten die Durchführung spezifischer Investitionen erfordert 217 • Dabei sind zwei Phasen zu unterscheiden: Die erste Phase vor der Entscheidung für einen Lieferanten bzw. einen Abnehmer und v.a. vor der Tätigung der spezifischen Investition. Die zweite Phase nach dieser Entscheidung bzw. dem Abschluss eines entsprechenden Vertrags und der damit verbundenen spezifischen Investition. Die beiden Phasen unterscheiden sich hinsichtlich der Wettbewerbssituation und des Verhältnisses der Vertragspartner fundamental, weshalb der Moment der Investition als die "fundamentale Transformation,,218 der Vertragsbeziehung bezeichnet wird. Vor der Investition besteht die Möglichkeit einer freien wettbewerblichen Auswahl des Vertragspartners. Nach der Investition ist eine bilateralmonopolistische Verhandlungssituation entstanden: Ein Wechsel zu einern anderen Lieferanten oder Abnehmer kann nämlich nur noch um den Preis erfolgen, dass der Wertverlust realisiert wird, der mit der Überführung des spezifischen assets in eine andere, d.h. bestenfalls zweitbeste Verwendung verbunden ist: Die Quasi-Rente geht zumindest teilweise verloren. Der drohende Verlust der Quasi-Rente könnte nun als strategisches Mittel eingesetzt werden. 219 Der Vertragspartner, der die geringeren spezifischen Investitionen getätigt hat, könnte dem anderen mit dem Abbruch der Vertragsbeziehung bzw. dem Wechsel des Vertragspartners drohen. Für die Fortsetzung der Vertragsbeziehung könnte er die Übereignung eines Teils der Quasi-Rente verlangen und zwar bis in Höhe der wertmäßigen Differenz zwischen den getätigten Investitionen minus einer marginalen Geldeinheit. Dies könnte als direkte Geldforderung, als überhöhte Qualitätsanforderung oder in Form anderer Leistungsanforderungen erfolgen. Für den so "erpressten" Vertragspartner wäre es rational, dieser "Teilenteig-

Vgl. WILLIAMSON (1990), S. 60. (1978) bezeichnen den Fall, in dem beide Seiten spezialisierte Investitionen tätigen müssen als "co-specialized assets". 218 WILLIAMSON (1990), S. 70ff. 219 Das in der Folge geschilderte Verhalten der Vertragspartner beruht teilweise auf der oben geschilderten Verhaltensannahme des Opportunismus. 216

217 KLEIN/CRAWFORD/ALCHIAN

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Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

nung" seiner Quasi-Rente zuzustimmen, da ihm noch immer ein margimil höherer Gewinn bliebe, als bei Überfiihrung seiner spezifischen assets in ihre zweitbeste Verwendung. 220 Diese als hold-up ("Handstreich, Überfall") bekannt gewordene Problemstellung zieht ihre Bedeutung natürlich nicht in erster Linie aus dem tatsächlichen Auftreten im Wirtschaftsleben, sondern v.a. aus den Konsequenzen, die sich aufgrund der Gefahr einer solchen Teilenteignung ergeben und aus den Mechanismen zu ihrer Verhinderung. 22J Zunächst ist nochmals auf die Grundbedingung unvollständiger Verträge zu verweisen: Wären vollständige und vollständig durchsetzbare Verträge zu vertretbaren Kosten möglich, würde das hold-up-Problem nicht existieren. Da Verträge aber unvollständig sind und Unternehmen das mögliche holdup-Problem vorhersehen können, würde ohne weitere Maßnahmen entweder keine Lieferbe-

ziehung zustande kommen oder zu wenig an spezifischen Investitionen getätigt. 222 Allerdings stehen in Theorie und Praxis eine ganze Bandbreite von vertikalen Arrangements zur Verfiigung, die das hold-up-Problem verringern, worunter vertikale Integration die weitestgehende Variante ist. 223 Da ein Unternehmen sich fiir einen der verschiedenen Ansätze entscheiden wird, beinhalten Faktoren, die einen der weniger weitgehenden Lösungsansätze attraktiver machen, eine Tendenz zur vertikalen Desintegration. Die in der Literatur genannten Lösungen lassen sich, in der Reihenfolge zunehmender Integration, unter die Kategorien der einseitigen Anpassung des Investitionsverhaltens, der vertraglichen Regelung und der organisatorisch-integrativen Verhinderung des hold-ups zusammenfassen. Der breite Bereich zwischen den vertraglichen Regelungen und insbesondere die or-

220 221

222

223

Für eine fonnale Repräsentation der Kalküle der Vertragspartner vgl. GROSS-SCHULER (200 I). Tatsächlich scheinen Vorkehrungen zur Verhinderung solcher hold-up-Situationen in Vertragsverhandlungen über Joint Ventures oder anderen Geschäftsverhandlungen einen nicht unwesentlichen Teil des Verhandlungsaufwandes auszumachen. Vgl. HOLMSTRÖMIROBERTS (1998). Dies lässt sich zeigen, wenn man annimmt, dass ein zu den Produktionskosten c hergestellter Input x gegen Zahlung von p von der Upstream-Firma U an die Downstream-Firma D geliefert wird. D muss zusätzlich eine profitrelevante irreversible Investition der Höhe k durchführen. Der operative Gewinn von D beträgt v(x,k). Die Profite der Unternehmen sind tf = v(x,k) - p - k und ,f =p - c(x) mit n(O,k) = 0 und c(O) = O. Ein integriertes Unternehmen würde demgegenüber ,( = v(x,k) ---c(k) - k maximieren, was die Optimalitätsbedingungen fJv/8k = I und fJv/fJx = 8c/8x hervorbringt. Nach Tätigung der irreversiblen Investition k verhandeln die Unternehmen über Preis und Inputhöhe (erstmals oder aufgrund opportunistischen Verhaltens von U erneut). D wird bereit sein, x zu kaufen solange p < v. Eine Nash-Verhandlungslösung mit den Gleichgewichtswerten p*(k) und x*(k) ergibt sich, wenn p = [v(x,k) + c(x)]/2 und wenn fJv(x,k)/8x = 8c(x)/8x. Durch Einsetzen der Gleichung für p erhält man tf = Y, [v(x*(k),k) ---c(x*(k))] - k. Die Höhe k* der investition im Gleichgewicht muss suboptimal sein, da D nun k* nach Maßgabe der Bedingung Y, [fJv(x,k)/8k] = I bestimmt, also, im Gegensatz zur Bedingung fJvtak = I für das integrierte Unternehmen, nur den halben Grenzertrag des Kapitals mit den marginalen Kapitalkosten gleichsetzt. Vgl. SPULBER (1992 und 1999, S. 249ff.). Vgl. z.B. PICOTIREICHwAWIWIGAND (2001, S. 53ff.).

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ganisatorischen Konstrukte unterhalb der Schwelle zur vollen Integration werden dabei oft unter dem Begriff der ,,hybriden Organisationsformen,,224 zusammengefasst. Das vom hold-up bedrohte Unternehmen kann einseitige Schritte zur Verringerung oder Vermeidung treffen, wenn es sein InvestitionsverhaIten anpasst oder alternative Lieferanten bzw. Abnehmer vorhält (sog. second sourcinl 25 ). Die Anpassung des Investitionsverhaltens kann in der Verringerung der spezifischen Investition226 und/oder einer Veränderung der Technologie, hin zu stärker standardisierten Investitionen erfolgen. Die Verfiigbarkeit stärker standardisierter Inputs sollte demnach einen senkenden Einfluss auf die Gefahr von hold-ups und damit den Grad der Integration ausüben. Zum anderen kann das Unternehmen sich um alternative Inputs oder Absatzmöglichkeiten bemühen. Die Möglichkeit, auf diesem Weg dem möglichen Verlust von Quasi-Renten vorzubeugen, ist allerdings kostspielig und ihre Realisierbarkeit von der gegeben Marktsituation abhängig. Kosten entstehen zum einen fiir die Vorhaltung alternativer Inputquellen. Hier wären stellvertretend die Zusatzkosten fiir qualifizierte Leiharbeitskräfte zu nennen, wenn es zum hold-up durch Arbeitskräfte kommt, wie beispielsweise bei Vorliegen von Zeitspezifität aufgrund von Nachfragespitzen. Zum anderen sind alternative Lieferanten oder Abnehmer nur in dem Maße verfiigbar, wie auf dem Markt unabhängige Unternehmen auf der relevanten Wertschöpfungsstufe verfiigbar sind. Eine Druckerei wäre beispielsweise in weit höherem Maße von hold-up durch ihren Druckmaschinenhersteller bedroht, wenn alle anderen Hersteller Teile verschiedener, integrierter Druckkonzerne wären. Integration aufgrund von Faktorspezifität sollte also umso weniger attraktiv sein, je höher die Marktdichte ("market thickness") ist, d.h. je mehr andere Unternehmen auf der vor- oder nachgelagerten Stufe nicht-integriert sind, je stärker die Industrie von marktlichen Beziehungen ("arm's length") geprägt ist und je mehr alternative Transaktionspartner folglich verfiigbar sind. 227 Die zweite Kategorie der Methoden zur Begrenzung der hold-up Problematik bilden entsprechende Vertragsgestaltungen228 . Dabei werden ausschließlich langfristige Verträge in Betracht gezogen, wobei zwischen den grundsätzlichen Vertragskategorien der expliziten und

224 225

226 221 22'

Vgl. PICOTIREICHwALDIWIGAND (2001). Damit wird die ,,Aufrechterhaltung von wettbewerblichen Strukturen ex post, also nach einer spezifischen Investition, durch die Schaffung einer oder mehrerer Alternativen für eine Transaktion ex ante" bezeichnet [GROSS-SCHULER (2001), Teil C 4.4.1.1.]. Vgl. auch WILLIAMSON (1991). V gl. oben Fn. 222. Belege für die negative Beziehung zwischen Marktdichte und dem Grad vertikaler Integration liefern PIRRONG (1993) und HOLMES (1995). Vgl. dazu V.a. KLEIN/CRAWFORD/ALCHIAN (1978), S. 302ff.

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impliziten Verträge unterschieden wird. Explizite Verträge sind Verträge im klassischen Sinne, die exakte Spezifikationen vornehmen und deren Durchsetzung auf dem Rechtsweg erfolgt. Solche Verträge können das hold-up Problem allerdings nur unzureichend lösen, da eine wirkliche Ausschaltung der "Erpressungsgefahr" einen vollständigen und einklagbaren expliziten Vertrag verlangen würde, der, wie oben ausgeführt, wenn überhaupt möglich, mit prohibitiv hohen Kosten verbunden wäre. Als implizite Verträge werden dagegen vertragliche Arrangements bezeichnet, die sich tur die Durchsetzung und Sanktionierung auf Marktmechanismen stützen. Ein impliziter Vertrag liegt z.B. darm vor, wenn sich das potentielle hold-up-Opfer durch Zahlung einer Art Versicherungsprämie das nicht-opportunistische Verhalten des Vertragspartners sichert. Diese Prämie muss einen Ausgleich zwischen den diskontierten zukünftigen Einnahmen und dem Gewinn durch die mögliche Erpressung schaffen, so dass ihre Höhe v.a. vom Zinssatz und der Abschreibungsrate der spezifischen assets abhängt. 229 Die Höhe dieser Prämie kann unter realistischen Bedingungen bis zu 30% der Quasi-Rente ausmachen, d.h. auch dieser implizite Vertrag ist eine teure Lösung des hold-up-Problems. 23o Allgemein können alle Vorkehrungen, die eine Beschädigung zukünftigen Geschäfts bei Fehlverhalten eines der Vertragspartner beinhalten, als implizite Vertragslösungen angesehen werden. Diese zukünftigen Verluste ergeben sich aus dem Abbruch der betroffenen Geschäftsbeziehung und dem möglichen Verlust weiteren Geschäfts aufgrund einer beschädigten Reputation. 231 Den Grenzbereich zwischen vertraglichen und organisatorisch-integrierenden Lösungen bilden reziproke Investitionen, die finanzielle Minderheits-Beteiligung232 am potenziellen "Erpresser" bzw. die wechselseitige finanzielle Beteiligung233 und der Bereich der Kooperationen und Allianzen. Die Wirkungsweise der reziproken Investitionen beruht darauf, einen Überschuss an spezifischen Investitionen auf einer Vertragsseite auszugleichen und so keinem Vertragspartner einen Gewinnanreiz zum opportunistischen hold-up-Verhalten zu geben. Einseitige oder gegenseitige Beteiligungen wirken als Anreiz gegen die Erpressung des anderen Unternehmens und als wirksame Vergeltungsdrohung. Vertikale Kooperationen, Partnerschaf229

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233

Vgl. KLEIN/CRAWFORD/ALCHIAN (1978), 304f.; vgl. zur Berechnung einer solchen Prämie GROSS-SCHULER (2001), Abschnitt C 3.4.2. Zusätzlich zeigt KLEIN (1996), dass gerade langfristige Verträge selbst eine Quelle von hold-up-Problemen sein können, wenn sie rigide Vereinbarungen (z.B. zu Preisen) beinhalten, die zu Zufallsgewinnen oder -verlusten fuhren können, wenn sich Umweltbedingungen ändern. Vgl. zur Wirkung von Reputation bei assel specificity HOLMSTRÖMITIROLE (1989), S. 76f.; NEUMANN (1990); HART (1995), S. 66ff.; Acs/GERLOWSKI (1996), S. 190. Damit sind ausschließlich reine Finanzbeteiligungen ohne weitergehende Integration gemeint. Diese Lösungsansätze können als die vielleicht praktisch relevantesten Fälle des von WILLIAMSON (1990, S. 193ff.) ausfuhrlich diskutierten UnteIpfandmodells angesehen werden.

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ten und Allianzen können als besondere Form der langfristigen Verträge interpretiert werden, die Elemente der reziproken Investition, Reputationseffekte und den Disziplinierungseffekt zukünftigen Geschäfts zum Tragen bringen. HOLMSTRÖMIROBERTS (1998) schildern in einigen Fallbeispielen solche "hybriden" Formen der Lösung des hold-up-Problems. Den Wert von vertraglichen Vereinbarungen und reziproker Abhängigkeit zeigt der Fall eines Stahlproduzenten, der sich dazu entschlossen hat, sich nur noch auf einen Lieferanten für seinen wichtigsten Input, Stahl-Schrott, zu stützen. Neben zahlreichen vertraglichen Vorkehrungen (Kosten-plus-Marge-Preise bei Offenlegung des Rechnungswesens, Kündigungsfristen, etc.) gilt die hohe gegenseitige Abhängigkeit als alleiniger Lieferant bzw. größter Kunde (>50% Absatzanteil) als Kernpunkt der funktionierenden Zusammenarbeit trotz hoher hold-up-Potenziale. Langfristigkeit von Vertragsbeziehungen und Reputation als Lösungsansätze illustriert das Beispiel der japanischen Fremdvergabe-Praxis, wobei die Langfristigkeit und repetitive Natur der Vertragsbeziehungen die Gefahr des hold-ups vermindern, die gerade wegen der geringen Zahl der Lieferanten und der wenig präzisen Verträge ausgeprägt sein könnte. Die Gruppe der organisatorisch-integrierenden Lösungen des Problembereichs umfasst den Bereich der vollständigen oder partiellen234 vertikalen Integration. Lassen sich die mit spezifischen Investitionen verbundenen Probleme in einer Lieferbeziehung nicht oder nur zu hohen Kosten durch Anpassung oder Verträge regeln, so bleibt dem Unternehmen die Möglichkeit, die benötigten Inputs selbst zu produzieren (Rückwärtsintegration) bzw. die nachfolgende Verarbeitungs- oder Vertriebsstufe selbst zu übernehmen (Vorwärtsintegration). Das Unternehmen integriert damit vertikal, sei es durch Aufbau eigener Kapazitäten oder durch Übernahme. Vertikale Integration kann das hold-up-Problem beseitigen, wenn die Transaktionspartner und ihre spezialisierten assets unter einem gemeinsamen Besitz vereint werden: Sowohl die vertraglich fixierten Nutzungsrechte an den assets, als auch die für die Lösung des hold-up entscheidenden residualen Kontrollrechte befinden sich dann in einer Hand: In jeder Situation liegt es also in der Entscheidungsmacht des integrierten Unternehmens, über den Einsatz und den Preis der Produktionsfaktoren zu entscheiden. Geht man davon aus, dass die Inputs inner-

234

Partielle vertikale Integration liegt vor, wenn nur Teile des Transaktionspartners oder Teile der relevanten assets übernommen werden. Dies ist Z.B. im Fall des Franchise-Unternehmens gegeben, das sich - ganz nach der in der Folge geschilderten Logik - die KontrolIrechte fiir die spezifischen assets (v.a. alle mit der Unternehmensrnarke verbundenen Faktoren) vorbehält, während unspezifische assets im Besitz des Franchisenehmers sind. Vgl. MILGROMIROBERTS (1992), S. 563ff

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halb eines Unternehmens ohne nachteilige Wirkungen auf die Anreizstruktur zu Grenzkosten verrechnet werden können, ist das hold-up-Problem durch die Integration gelöst. Allerdings gibt es zu dieser Schlussfolgerung eine entscheidende Einschränkung: Residuale Kontrollrechte hält das integrierte Unternehmen nur an physischen assets, denn über die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter kann es nur im Rahmen der - unvollständigen - Arbeitverträge verfugen. 235 Die Integration eines Lieferanten verändert zunächst nur die Eigentumsstruktur eindeutig; ob sich die governance-Struktur verändert ist umstritten236 . Diese Frage wird im nachfolgenden Abschnitt zum property-rights-Ansatz angesprochen. Als illustratives Beispiel fur den Zusammenhang von asset specificity und Integration kann der reale Fall einer Supermarkt-Kette dienen237 , deren Strategie darin besteht, Kosten-, Preisund Wettbewerbsvorteile dadurch zu erzielen, dass ein hochkompliziertes Logistiksystem (bekannt geworden unter dem Schlagwort "cross docking") installiert wird, das sowohl Größenvorteile im Einkauf (durch den Einkauf in ganzen Lastwagenladungen), als auch extrem niedrige Lagerzeiten und -kosten erlaubt. Dieses Logistiksystem erfordert eine starke (v.a. informations- und managementtechnische) Verflechtung von Supermärkten und vorgelagerten Logistikleistungen. Sowohl auf der Downstream-Stufe, d.h. in den Supermärkten, wie auf der Upstream-Stufe, d.h. in den Lager-

häusern und Lastwagenflotten, müssen hohe spezifische Investitionen in das Sach- und Humankapital getätigt werden, um ein Funktionieren dieses Systems zu gewährleisten: Ein satellitengestütztes Computersystem verbindet Supermarktkassen, Lagerhäuser und LKW-Flotten. Die Manager von Supermärkten und Warenhäusern und auch LKW-Fahrer, Verkaufspersonal und Lagerpersonal erhalten deutlich über dem Industrieschnitt liegendes Training in Zusammenhang mit dem Logistiksystem. Würde die Supermarkt-Kette, wie viele Wettbewerber, fur ihre Logistikoperationen unabhängige Logistikdienstleister engagieren, müsste das Transportunternehmen derart hohe spezifi-

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237

Vgl. die oben (S. 78) ausgeführte Kritik von ALCHIANIDEMSETZ (1972) an COASE (1937). Vgl. CHURCHIWARE (2000), S, 77f Das hier verwendete Supermarkt-Beispiel bezieht sich auf das in STALKIEvANS/SHULMAN (1992) geschilderten System des US-Konzems Wal-Mart. Vgl. zu den Angaben auch SPARKMAN (1997), WAL-MART (2001). Der in der Folge beschriebene Zusammenhang zwischen dem Logistiksystem der Supermarkt-Kette, resultierender asset-specificity- und hold-up-Problematik und der vertikalen Integration der Logistikdienstleistungen ist als hypothetische Illustration gedacht. Es ist nicht auszumachen, ob dies bei Wal-Mart tatsächlich den ausschlaggebenden Integrationsameiz darstellte. Alternativ wäre der klassische Fall der Installation von Produktionsanlagen eines Autornobilzulieferers [vgl. KLEIN/CRAWFORD/ALCHIAN (1978), KLEIN (l988), WILLIAMSON (1990, S. 130f)] zu betrachten, auf denen spezifische Fahrzeugteile wie Karosserieelemente, Sitze, Bremsanlagen oder Kabelbäume für ein Modell eines Fahrzeughersteller produziert werden.

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sche Investitionen in Infonnationstechnologie 238 , Fahrzeuge und Personal tätigen, dass die Gefahr eines hold-ups durch den Supennarkt-Konzern bestünde - es könnte also schwer sein, einen zu diesen Investitionen bereiten Dienstleister zu finden. Aber auch die SupennarktKette könnte der Gefahr eines hold-ups ausgesetzt sein, da ein so gestaltetes Logistiksystem in hohem Maße Zeitspezifität induziert. Konsequenterweise ist der Supennarkt-Konzern auf der Logistikstufe voll integriert: Mehrere tausend LKWs 239 , eine Flugzeugflotte und das Satellitensystem sind im Besitz des Unternehmens. Dies steht in deutlichem Widerspruch zu vielen Konkurrenten, die weitaus einfachere und unspezifische Logistiksysteme haben und diese in weit größerem Maße an andere Unternehmen vergeben. Assel Specijicity ist zwar der entscheidende Pfeiler der transaktionskostentheoretischen Sicht vertikaler Unternehmensgrenzen, allerdings spielen andere Detenninanten zumindest "signifikante Rollen,,24o und sollen in den folgenden Abschnitten untersucht werden.

Unsicherheit Unsicherheit könnte als zentrale Bestimmungsgröße der Transaktionskostentheorie der Firma241 gelten, wenn man COASE (1937, S. 338) folgt: "It seems improbable that a finn would emerge without the existence of uncertainty". Nur bei Existenz von Unsicherheit entstünden Transaktionskosten, da Unsicherheit als unmittelbarer Kostentreiber bei der Abfassung von Verträgen angesehen werden könnte: Je höher der Grad der Unsicherheit desto komplexer die Vertrags gestaltung und desto höher die Kosten des Vertrages. 242 Allerdings zeigt die weiterentwickelte Transaktionskostentheorie, dass Unsicherheit in der Vertragstheorie eng mit den Annahmen der begrenzter Rationalität und des Opportunismus sowie dem Vorhandensein von Spezifität verbunden ist. Ein Einfluss von Unsicherheit auf die Organisationsentscheidung und die Grenzen des Unternehmens ist deshalb nur unzureichend von dem der beiden Grundannahmen isolierbar. Dies lässt sich getrennt für die zwei Fonnen der Unsicherheit zeigen, die in der Transaktionskostentheorie zumeist unterschieden werden: Markt- bzw. Umweltunsicherheit (die Faktoren im Umfeld einer Austauschbeziehung betreffend) und Unsicherheit bzgl. des Verhaltens der Austauschpartner.

238 239 240 241 242

Zumindest bei Benutzung eines proprietären EDV -Systems. SPARKMAN (1997) spricht von 3.500 Zugmaschinen und 22.000 Aufliegem. WILLlAMSON (1985/1990), S. 52. Zur Wirkung von Unsicherheit in der neoklassischen Unternehmenstheorie vgl. oben Abschnitt C 3.1.5. So in etwa die Interpretation von BLAIRiKASERMANN (1983), S. 19.

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Marktunsicherheit ist mit der Annahme begrenzter Rationalität eng verknüpft. Bestünde unbegrenzte Voraussicht oder könnten alle relevanten Informationen ohne Kosten gewonnen werden, so könnten theoretisch alle Eventualitäten hinsichtlich der Marktfaktoren vertraglich geregelt werden. Unter der Maßgabe der begrenzten Rationalität müssen aber vertragliche Lücken bleiben, die Überwachungs-, Anpassungs- und Neuverhandlungskosten bedingen. 243 Unabhängig von der unterstellten Rationalitätsannahme sind die Vertragskosten eine positive Funktion der Marktunsicherheit sein. Verhaltensunsicherheit ist gewissermaßen die Kehrseite der Opportunismus-Annahme. Unterstellt man die Möglichkeit opportunistisch-strategischen Verhaltens, so erwächst daraus notwendigerweise Unsicherheit über das Verhalten des Vertragspartners. Gleichzeitig ist bei Verhaltensunsicherheit die Möglichkeit opportunistisch-strategischen Verhaltens ausreichend, um die in Tabelle C 6 beschriebene Situation unvollständiger Verträge herbeizufiihren. 244 Verhaltensunsicherheit wirkt darüber hinaus nur unter der Bedingung spezifischer Investitionen transaktionskostenerhöhend: [...] eine Erhöhung der parametrischen Unsicherheit [ist] von geringfugiger Bedeutung ftir nicht-spezifische Transaktionen. Da neue Tauschbeziehungen leicht hergestel1t werden können ist [...] Verhaltensunsicherheit belanglos. [...] Das trifft nicht zu für Transaktionen, die durch transaktionsspezifische Investitionen gestützt werden [...] denn mit steigender Unsicherheit werden die Lücken in den Verträgen größer und die Anlässe fur schrittweise Anpassungen werden [...] erheblicher. 245 Steigende Unsicherheit über Verhalten und Umweltfaktoren wird also unter der Bedingung der assel specijicity die Vertragskosten erhöhen, wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen unvollständiger Verträge gegeben sind. Transaktionshäufigkeit und -größe

Die Wirkung des Transaktionsvolumens, bzw. seiner beiden Faktoren Transaktionshäufigkeit und -größe, ergibt sich aus einer der Fixkostendegression analogen Überlegung. Denn nur wenn eine Vielzahl bzw. ein großes Volumen von Transaktionen unter dem Dach eines bestimmten komplexen Vertragssysterns, z.B. innerhalb eines vertikal integrierten Unternehmens abgewickelt werden, amortisieren sich die höheren Kosten dieses Vertragssystems. 246

Vgl. RINDFLElscHlHElDE (1997), SPULBER (1999), S. 236ff. (1990, S. 67f.) ergänzt, dass Verhaltensunsicherheit mit Marktunsicherheit dergestalt verknüpft ist, dass die Unsicherheit über das Verhalten des Vertragspartners erst dort zu Vertragsproblemen führt, wo äußere Störungen auftreten. 24' WILLlAMSON (1990), S. 68. 246 WILLlAMSON (1990), S. 69 spricht hier von den Kosten eines spezifischen ,,Beherrschungs- und Überwachungssystem", was aber nichts anderes als die Vertragskosten bedeutet. 243

244 WILLlAMSON

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Ceteris paribus sollte vertikale Integration umso attraktiver werden, je häufiger und größer die Transaktionen zwischen zwei Unternehmen sind. Allerdings enthält die Häufigkeit des Austauschs eine Komponente, die bei dieser Betrachtungsweise unberücksichtigt bleibt: Wie bereits oben geschildert 247 kann gerade die wiederholte Natur einer Transaktionsbeziehung (durch die vergrößerten "Vergeltungsmöglichkeiten") die Gefahr eines hold-up senken und so die Hauptursache für die Notwendigkeit komplexerer Vertragsbeziehungen oder vertikaler Integration teilweise beseitigen. Der Einfluss der Transaktionshäufigkeit auf den Anreiz zur vertikalen Integration ist damit - im Gegensatz zur Einschätzung von WILLAMSON 248 - als indeterminiert anzusehen. Verhandlungs kosten und kurzfristige Verträge Beachtenswert scheint der im Ergebnis ähnliche, jedoch einen anderen Blickwinkel einnehmende Ansatz von MILGROMIROBERTS (1990/1992), die Arten und Determinanten der Transaktions- bzw. Vertragskosten greifbarer zu machen. Die Autoren zeigen zunächst die Bedingungen, unter denen es eine effiziente Markt-Alternative zu langfristigen Verträgen bzw. vertikaler Integration geben kann. Sie definieren dazu eine Klasse "kurzfristiger" Verträge, wobei Kurzfristigkeit bedeutet, dass der Vertrag fiir eine Periode Gültigkeit besitzt, die kurz genug ist, um über alle relevanten Informationen fiir die aktuellen Entscheidungen zu verfiigen. Es wird gezeigt, das eine Serie solcher kurzfristiger Verträge dann zu Ergebnissen fiihrt, deren Nutzenwirkungen mit denen langfristiger Verträge identisch sind, wenn keine Verhandlungskosten ("bargaining costs") anfallen würden. 249 Dieses Ergebnis besteht unter Annahme opportunistischen Verhaltens, unvollständiger Langfrist-Verträge, spezifischer assets, von Unsicherheit und von Risiko-Neutralität oder _Aversion. 2so Die von MILGROMIROBERTS identifizierten Quellen positiver Verhandlungskosten bieten nun einen zweiten Blickwinkel auf die Determinanten der Transaktionskosten und damit letztlich die Anreize zur Integration. Zu diesen Quellen zählen wie bei der vorangegangenen Diskussion asset specijicity und Unsicherheit, v.a. im Sinne von Unsicherheit über die wahren Präferenzen des Verhandlungspartners. Die Kostenquelle asset specijicity ist dabei eingebunden in das weiter gefasste Konzept der Koordinationskosten. Diese Kosten umfassen alle Kosten der 247 248 249

250

Vgl. S. 85 und HOLMSTRÖMIROBERTS (1998). Vgl. auch RINDFLEIScHIHEIDE (1997), REVE (1990). Diese umfassen "not only the wages paid to bargainers or the opportunity costs of their time, but also the costs of monitoring and enforcing the agreement and any losses !Tom failure to reach the most efficient agreement in the most efficient fashion." MILGROMIROBERTs (1990), S. 65. Vgl. FUDENBERGIMILGROMIROBERTS (1990) mit ausftihrlicher Herleitung der notwendigen Annahmen.

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Vertragsvorbereitung (Suchkosten, Preisfindungskosten, Marktforschungskosten etc.) und bestimmen sich auch durch die Komplexität der Transaktionen und ihre "Verknüpftheit" mit anderen Transaktionen, Personen und Institutionen. 251 Die Verhandlungskosten im Ansatz von MILGROMIROBERTs komplettieren die Messkosten, d.h. die Kosten der Bestimmung und Bewertung der Leistungen des Vertragspartners und die Ermittlung der vorteilhaften Verteilung der Handelsvorteile ("gains from trade"), die jede Seite anstellt. 252 Die Kosten marktgestützter Transaktionen (= die Kosten der Erstellung und Durchsetzung von Verträgen) stellen sich also als Funktion einer Vielzahl von Einflussfaktoren dar, unter denen die Spezifität von Einsatzfaktoren, die Unsicherheit über Umweltbedingungen und Verhalten, die Häufigkeit und Komplexität der Transaktionen und der notwendige Such- und Messaufwand die wichtigsten darstellen. Ihre Minimierung durch organisatorische Vorkehrungen bildet die logische Basis für die Schaffung von Unternehmen und die (v.a. vertikale) Ausdehnung der Grenzen unternehmerischer Organisationsformen. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich nun mit der korrespondierenden Fragestellung, welche Faktoren die Begrenzung der (vertikalen) Unternehmensgrenzen bestimmen können.

4.2.3

Integrationsgrenzen

Die Diskussion des vorangegangenen Kapitels zeigt die Vorteile vertikaler Integration (und verwandter Hybride) bei der Lösung von Vertragsproblemen und der resultierenden Minimierung von Transaktionskosten. Sind diese Vorteile - zumindest teilweise - vorhanden, ist die Frage unausweichlich, warum nicht alle Transaktionen angesichts der vielen Integrationsvorteile innerhalb von Unternehmen und letztlich innerhalb eines Unternehmens erfolgen sollten. COASE (1937) hatte zwar auf abnehmende Grenzerträge unternehmerischer Tätigkeit und steigende Fehlerwahrscheinlichkeit bei wachsender Unternehmensgröße als begrenzende Faktoren hingewiesen. Abgesehen von der Erklärungsbedürftigkeit dieser Faktoren, hat aber WIL· LIAMSON (1990, Kapitel 6) mit seinem manchmal als "Williamson's Riddle" [TIROLE (1988)] bezeichneten Gedankenexperiment der selektiven Intervention eine genauere Analyse der Grenzen der Ausdehnung des Unternehmens notwendig gemacht. 253

251 252 253

Vgl. MILGROMIROBERTS (1992), S. 30ff. MILGROMIROBERTS (1990/1992) schlagen hier eine Brücke zum sog. measurement branch der Transaktionskostentheorie, der hier aber nicht weiter behandelt wird. Vgl. dazu EGGERTSSON (1990), S. 165ff. Vgl. zu den Überlegungen des folgenden Abschnitts auch MILGROMIROBERTS (1990); WIGGINS (1991); McAFEElMcMILLAN (1995); RIcHTERIFURUBOTN (1996), S. 366ff.; CHURCHIWARE (2000), S. 82ff.

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Das "Rätsel" der selektiven Intervention W1LLIAMSON (1990, S. 151ff.) fonnuliert das Problem der Grenzen der Unternehmensausdehnung mit der zugespitzten Fragestellung, warum es nicht möglich ist, die Vorteile unternehmerischer Integration mit denen marktgestützter Durchführung von Transaktionen zu verbinden. Dies könne theoretisch gelingen, indem zunächst zwei Unternehmen, die bisher in einer Lieferbeziehung standen, durch Übertragung der Vennögensgegenstände unter gemeinsamen Besitz und gemeinsame Führung gebracht werden. Dann würde eine feste Fonnel für die internen Transferpreise bestimmt und die Unternehmen arbeiten als autarke Profit Center, d.h. ihre Manager erhalten die Gewinne der Division als Einkommen und die wettbewerb lichen Anreize zu wirtschaftlichem Verhalten ("high-powered incentives") können erhalten bleiben. Die gemeinsame Leitung der beiden Divisionen würde ausschließlich intervenieren, wenn es Veränderungen der Umstände gibt, die eine Änderung der internen Transaktionsbedingungen zum kollektiven Vorteil erfordern. Vertraglich sei festgelegt, dass alle Beteiligten Interventionen der gemeinsamen Führung widerspruchslos akzeptieren. Die fusionierte Finna soll sich also verhalten, wie es die unabhängigen Unternehmen zuvor taten, außer wenn durch Direktiven "von oben" die gemeinsamen Profite gesteigert werden könnten. Eine solche Konstruktion müsste, in Anbetracht der Ergebnisse der Transaktionskostentheorie, jeder Marktbeziehung überlegen sein und konsequenterweise zu einer weitgehenden Monopolisierung der Wirtschaft durch selektiv intervenierende Holdings führen oder - denkt man diesen Gedankengang zu Ende - zur Organisation der gesamten Wirtschaft in einer großen Finna. Da aber in der Realität Unternehmen nur eine begrenzte Ausdehnung aufweisen, muss es Faktoren geben, die sich bei der Integration gegenüber dem Marktzustand verschlechtern und so die Grenzen des Unternehmens limitieren. 254 Die Lösung dieses Rätsels liegt einerseits darin, dass die oben identifizierten Vertragsprobleme und resultierenden Kosten durch die Internalisierung der Transaktionen, d.h. in letzter Konsequenz durch die vertikale Integration, nur teilweise eliminiert werden. Es droht zwar beispielweise kein hold-up zwischen Marktpartnern mehr, allerdings kann es zu solchem Verhalten zwischen Profit Centern kommen. Zum anderen entstehen in Unternehmen sog. "Einflusskosten,,255 der Art, dass Manager und andere Beschäftigte im Unternehmen Anstrengun-

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Diese Faktoren müssen bei der Untersuchung der Anreize zur Veränderung der Unternehmensgrenzen natürlich in Betracht gezogen werden, da eine Abschwächung dieser Faktoren (z.B. durch die in dieser Arbeit thematisierten elektronischen Geschäftsmodelle ) ftir eine Verstärkung der vertikalen Integration spräche. MILGROMIROBERTS (1990), S. 80ff

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gen zur individuell vorteilhaften Verteilung von Erlösen, Kosten und Gewinnen unternehmen und diese Anstrengungen eingeschränkt, kontrolliert und kanalisiert werden müssen. Interne Transaktionskosten und Einßusskosten

WILLIAMSON (1990) identifiziert einige Möglichkeiten, wie hold-up-Probleme unternehmensintern auftreten können, die Aufrechterhaltung markt-ähnlicher Anreize erschweren und so die relative Attraktivität der Integration mindern. In beiden Fällen machen es sich die handelnden Akteure zunutze, dass auch die oben angefiihrten Verträge über die Gestaltung der Fusion und deren Regelungen (Kaufpreis, Transferpreis, Verhaltensregeln) unvollständige Verträge im oben ausgefiihrten Sinn sein müssen. Zum einen entsteht dann durch die Integration ein Anreiz flir die (spätestens seit der Integration angestellten) Manager eines Unternehmensteils, den beobachtbaren kurzfristigen Profit ihres Profit Centers auf Kosten des schwerer beobachtbaren dauerhaften Gewinnpotenzials zu erhöhen. 256 Zum anderen kann die "Holding" auf dem Weg der Manipulation von Rechnungswesen und Transferpreisen Profite von einer Division abziehen und an anderer Stelle anfallen lassen. Dies ist als eine Art hold-up zu werten, wenn der Kaufpreis eine Funktion der erwarteten Gewinne des Profit Centers ist. 257 Aufgrund dieser internen Vertragsprobleme und Transaktionskosten dürfte es ein Unternehmen vorziehen, keine marktähnliche Anreizstruktur aufrecht zu erhalten, sondern sich auf nicht-wettbewerbliche Anreize ("low-powered incentives", z.B. feste Gehälter und Kontrolle), zu verlassen. Dieser erzwungene Verzicht auf die Anreizstruktur von Märkten ist dann verantwortlich flir Kostennachteile des Unternehmens gegenüber marktlichen Geschäftsbeziehungen und beschränkt die Ausdehnung der Unternehmensgrenzen. MILGROMIROBERTS (1990) spannen den Bogen der Kosten interner Organisation wiederum weiter und sehen Beeinflussungskosten als limitierenden Faktor der Integration und als Ursache flir die Unmöglichkeit selektiver Intervention. Denn selektive Intervention erfordert die Existenz einer zentralen Autorität, die Entscheidungen trifft und Streitigkeiten schlichtet. In der notwendigen Existenz einer solchen Autorität liegen aber nach MILGROMIROBERTS bereits

2S6

2S7

Die von WILLIAMSON (1990, S. 157) gegebenen Beispiele beziehen sich dabei auf intensive Nutzung von Kapitalgütern bei unzureichender Wartungs- bzw. Investitionstätigkeit, die "einer späteren Managergeneration überlassen" wird. Allerdings wäre es genau so denkbar, dass die Division einen aufgebauten Goodwill (z.B. einen Markennamen) aufbraucht und so die dauerhaften Gewinnmöglichkeiten schmälert. Obwohl diese Beispiele etwas konstruiert und wenig generalisierbar wirken, dürfte eine gewisse empirische Evidenz durchaus gegeben sein. So bedurfte es beispielweise in einem - vom Autor dieser Arbeit mitverfolgten - Fusionsprozess zwischen mehreren Versorgungsunternehmen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen mehrmonatiger Verhandlungen zwischen den Divisionen, um die internen Preise !Ur zuvor teilweise am Markt bezogenen Leistungen zu bestimmen, die im Rahmen eines bisourcing-Programms nun innerhalb des Unternehmens bezogen werden sollten.

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der ineffiziente oder unpassende Gebrauch der Autorität und die entsprechenden Kosten begründet: Zum einen kann die diskretionäre Autorität selbst missbraucht werden, zum anderen können Mitgliedern der Organisation versuchen, die autoritären Entscheidungen zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Ineffiziente Interventionen können aufgrund persönlicher Motive vorgenommen werden oder "einfach weil Personen [mit vergrößerter Autorität] einen Zwang zu ,managen' verspüren - was schließlich das ist, wofür man Manager bezahlt,,258. Wichtiger ist aber die zweite Quelle von Kosten zentraler Autorität, die eigentlichen Beeinflussungskosten. Die Aktivitäten, welche diese Beeinflussungskosten verursachen, stellen das organisationsinterne Pendant zu den aus der ökonomischen Analyse der Politik (public choice Theorie) bekannten rent-seeking-Aktivitäten259 dar und sind darauf gerichtet, Entscheidungen der zentralen Autorität zum eigenen Vorteil zu lenken. Wenn die Entscheidungen der zentralen Autorität in weiten Teilen auf Informationen beruhen, die von Mitgliedern der Organisation bzw. von unterstellten Mitarbeitern bereitgestellt werden, sind Einflussnahmen kaum vermeidbar. Die Kosten dieses internen rent-seeking ergeben sich dann aus der Ressourcenverschwendung für solche Einflussaktivitäten und aus der Suboptimalität der Entscheidungen, die auf solchen "gefilterten" Informationen beruhen. MILGROMIROBERTS (1990, S. 82f.) interpretieren die Einflusskosten nicht nur als begrenzenden Faktor für Integration, sondern auch als Anreiz zur Desintegration von Unternehmen: Die Ausgliederung von Unternehmensteilen, deren Profitabilität in positiver oder negativer Richtung deutlich vom Schnitt des gesamten Unternehmens abweicht, kann nicht zuletzt dem Zweck dienen, Einflusskosten zu vermeiden. Denn Aktivitäten der Manager des abweichenden Geschäftsteils oder der anderen Geschäftsbereiche mit dem Ziel, Unternehmensressourcen in diesen Bereich zu holen oder aus diesem Bereich abzuziehen, sind ohne eine solche Abspaltung (spin-off) unvermeidlich?60 Die Grenzen des Unternehmens fungieren dann als "Design-Variable" zur Kontrolle von Einflusskosten.

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26.

MILGROMIROBERTS (1990), S. 79. Vgl. ähnlich WILLIAMSON (1985/1990), Abschnitt 4.1, der eine "propensity to manage" sieht, in der deutschen Version verfälschend als "Streben nach Übernahme der Geschäftsfiihrung" widergegeben. Vgl. zu rent-seeking die grundlegenden Arbeiten von KRUEGER (1974) und BHAGWATI (1982) sowie die Aufsatzsammlungen BUCHANANrrOLLISONrrULLOCK (1980) und ROWLEyrrOLLISONrrULLOCK (1988). MILGROMIROBERTS (1990, S. 83) betrachten nur den Fall der Abspaltung besonders verlustreicher Bereiche. Die Logik ihres Arguments ist aber bei besonders erfolgreichen Teilen mindestens ebenso zutreffend, da erfolgreiche Unternehmensteile besonders stark fiir den Fluss von Investitionsmitteln in ihren Bereich werben werden, während andere Unternehmens teile eine Verwendung der Gewinne erfolgreicher Unternehmensteile fiir die gesamte Firma propagieren werden.

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Die begrenzenden Faktoren fiir die Integration von Unternehmen werden in der NIÖ also hauptsächlich in den Problemen, eine markt-ähnliche Anreizstruktur für die (leitenden) Mitarbeiter des Unternehmens aufrecht zu erhalten und in den internen Transaktionskosten, bedingt durch Einfluss-Aktivitäten im Unternehmen gesehen. Der diesen Überlegungen gemeinsam zugrunde liegende Gedanke ist, dass eine Reihe der für Marktbeziehungen identifizierten und durch Integration vermeintlich gelösten Problemstellungen (beispielsweise die hold-upFrage), ebenso in Unternehmen auftreten können. Diese Erkenntnis ist auch einer der Pfeiler der property-rights-Theorie, die viele Teile der bisher geschilderten Elemente der NIÖ aufgreift261 , jedoch einen anderen Ansatz bzgl. der internen Transaktionskosten nimmt und in ihrer Formalisierung weiter geht als andere Bereiche der NIÖ.

4.2.4

Property Rights und die Grenzen des Unternehmens

Die Arbeiten der property-rights-Theorie262 zur Frage der Determinanten vertikaler Integration stellen an den Anfang die Frage, was sich beim (vertikalen) Zusammenschluss von zwei Unternehmen tatsächlich gegenüber einer Situation der Separation ändert263 . Ähnlich der oben beschriebenen Kritik von ALCHIANIDEMSETZ264 wird verneint, dass durch Integration automatisch ein höherer Grad an Autorität oder Machtbefugnissen gegenüber den Mitarbeitern eines übernommenen Unternehmens entsteht. Integration verändert demnach nicht die AutoritätsStruktur ("governance") des Unternehmens, sondern die Eigentums- bzw. Verfügungsrechte über die physischen und sonstigen Kapitalgüter mit Ausnahme des "Humankapitals". HART (1995, S. 56ff.) erläutert, dass ein Kerngedanke der property-rights-Sicht der Firma darin besteht, dass es zumindest einiger nicht nur aus Humankapital bestehender assets bedarf, damit eine Firma bestehen kann. Diese können aus physischen Gütern oder immateriellen Vermögenswerten wie Patenten, Datenbanken, oder einem Markennamen bestehen. Die Schlussfolgerungen der property-rights-Theorie und auch des nachfolgenden Modells hängen

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Foss (2000, S. xli) sieht die Arbeiten der Property Rights Literatur als "formale Version und Entwicklung von Elementen der Arbeit Williarnsons". Mit dem Begriff property-rights-Theorie wird in dieser Arbeit ausschließlich der property-rights-Ansatz in der Theorie der Firma bezeichnet. Das ältere, allgemeinere und in seinen Anwendungen (Ordnungspolitik, Ökonomie des Rechts, Gestaltung von Eigentumsrechten) sehr viel weitere Verfiigungsrecht-Konzept [vgl. RICHTERIFURuBOTN (1996), S. 82ff.], das maßgeblich von ALCHIAN bestimmt wurde, wird im Rahmen dieser Arbeit natürlich nicht behandelt. Vgl. zu den folgenden Ausführungen GROSSMANIHART (1986); HART (1989); HART/MOORE (1990); WIGGINS (1991), S. 660ff.; HART (1993); HART (1995); SPULBER (1999), S. 251ff.; WHINSTON (2000); CHURCHIWARE (2000), S. 84ff.; FosslLANOOrrHOMSEN (2000). V gl. oben S. 78 und S. 86.

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davon ab, dass bestimmte Kombinationen von assets vonnöten sind, um die volle Produktivität der einzelnen assets zu erreichen und diese an das Unternehmen binden zu können. Zum Beispiel können die Mitarbeiter eines Unternehmens ("human assets") dadurch an ein Unternehmen gebunden werden, wenn sie ihre volle Produktivität nur in Kombination mit bestimmten Maschinen, Daten, Unterlagen oder intangiblen assets des Unternehmens erreichen. 265 Without something holding the firm together, the firm is just a phantom. A frrm's nonhuman assets, then, simply represent the glue that keeps the firm together, whatever this may be. Entscheidend fiir die Vorteilhaftigkeit von Integration sind im property-rights-Modell die sog. residualen Kontrollrechte ("residual control rights"), die mit dem Übergang der Verfiigungsrechte bzw. allgemein mit dem Übergang des Besitzes verbunden sind. Diese Residualrechte umfassen alle nicht kontrahierbaren oder kontrahierten, also nicht durch Vertrag bestimmbaren oder bewusst nicht vertraglich geregelten Nutzungsrechte an einem Gut. Da nun - wie mehrfach beschrieben - alle Verträge im ökonomischen Sinn unvollständig sein müssen, ist der Übergang der nicht vertraglich fixierten Nutzungsrechte in neue Hände der zentrale Aspekt bei einem Besitzwechsel und damit auch bei der Integration eines Untemehmens. 266 Der Besitzer eines Verrnögenswertes (assets) hat mehrere - fiir die Verfiigungsrechts-Theorie entscheidende - Vorteile gegenüber einem Nicht-Besitzer: Seine Verfiigungsgewalt gibt ihm größere Verhandlungsmacht bei der Ex-Post-Aufteilung von Quasi-Renten, schützt ihn selbst durch die größere Bandbreite an alternativen Transaktionspartnern (Outside-Optionen) teilweise vor einem hold-up und erlaubt ihm, andere (z.B. Mitarbeiter) von der Nutzung der assets auszuschließen bzw. eine neue Person mit den assets zu betrauen?67 HART (1995, S. 29) fasst knapp zusammen: ,,[ ... ] ownership is a source of power when contracts are incomplete"?68

26'

26.

267

2.8

HART folgend kalUl man argumentieren, dass selbst bei Unternehmen, die fast nur aus Humankapital "bestehen", wie z.B. manche Beratungsunternehmen, einige nicht-physische assets wie Markenname oder Sammlungen vergangener Aufträge und dort entwickelter Konzepte von entscheidender Bedeutung dafür sind, um Mitarbeiter voll produktiv werden zu lassen und so länger an das Unternehmen binden zu kÖlUlen. Ein alltägliches Beispiel bietet der Verkauf einer Mietwohnung an einen neuen Besitzer. Von diesem Verkauf bleiben die im Mietvertrag fIXierten Rechte unberührt. Allerdings gibt es eine Vielzahl von Veränderungen an der Wohnung oder deren Umfeld, die nicht unbedingt im Mietvertrag geregelt werden, wie der Außenanstrich des Hauses, die Gestaltung eines Gemeinschaftsgartens oder die Entscheidung darüber, wer in die Nachbarwohnung einzieht. Diese die Mietwohnung mittelbar betreffenden (residualen) Rechte sind auf den neuen Eigner übergegangen. Letzteres ist auch das zentrale Unterscheidungsmerkmal der property-rights-Sichtweise der ArbeitgeberArbeitnehmer-Beziehung zu ALCHIANIDEMSETZ (1972): Durch die Verfügungsrechte über die "Werkzeuge" des Arbeitnehmers bleibt eine Macht-Asymmetrie zwischen employer und employee erhalten; vgl. Hart (1995), S. 58f.; PUTTERMANIKROSZNER(1996), S. 19. RAIAN/ZINGALES (2000) bauen auf dem Konzept der Macht in einem Unternehmen eine beachtenswerte Neuinterpretation des Grundgedankens von HART in Bezug auf humankapitalintensive Unternehmen auf. Vgl. für einige Aspekte dieser Arbeit Abschnitt D 6.2.

96

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

Veränderung der Unternehmensgrenzen bzw. Integration ist in der Modellwelt der propertyrights-Theorie in erster Linie das Produkt einer Optimierung der Investitions- oder Anstren-

gungsoptimierung269 der Transaktionspartner durch optimale Zuordnung der VerfUgungsrechte über die wichtigsten assets. Es lassen sich dann Bedingungen ableiten, unter denen Separation von Transaktionspartnern, Integration unter dem Dach des Lieferanten - d.h. asset-Besitz und VerfUgungsrechte beim Upstream-Unternehmen - oder Integration unter dem Dach des Belieferten ökonomisch optimal sind. Die Fähigkeit, die optimale Richtung der Integration bestimmen zu können, ist ein Merkmal, das die property-rights-Modell von anderen Gebieten der NIÖ unterscheidet. Dabei wird assel specijicity ebenso als entscheidendes Merkmal berücksichtigt und modelliert. Im nächsten Abschnitt folgt eine knappe Darstellung des wichtigsten generellen Modellansatzes und im Anschluss ein property-righls-Modell, das spezifisch die Wirkungen von InfOimationstechnologie auf die optimale organisatorische Gestaltung von Unternehmen analysiert.

Das property-rights-Modell vertikaler Integration Das in der Folge präsentierte property-rights-Grundmodell vertikaler Integration270 wird etwas länger ausgefUhrt, da in diesem Modell sowohl die Wirkung verschiedener VerfUgungsrechte als auch die Zentralität der assel specijicity formal abgebildet werden. Das Modell umfasst in seiner einfachsten Form zwei Unternehmen, eines davon ein Lieferant (oder Upstream) U, welcher mit Hilfe des Anlagegutes (assel) u das Input-Gut B produziert, das andere ein Weiterverarbeiter (Downstream) D, welcher mit Input B und assel d das Output-Gut A herstellt. Sowohl U wie D können spezifische Anstrengungen oder Investitionen unternehmen, die im Fall von U mit e bezeichnet werden und die Basiskosten271 s der Herstellung von Input B senken. Entsprechend kann D durch Investition iden Basiswert v des Output-Gutes A steigem. 272 Anzunehmen ist ebenfalls, dass in einer ersten Phase anband erwarteter Profite über die Investitionen entschieden und die Investitionen getätigt werden. In einer Phase 2 wird über den Preis p des Inputs verhandelt und der Handel im Falle der Einigung durchgefUhrt. Vgl. WIGGlNS (1991, S. 611, Fn. 12) zur Äquivalenz der Begriffe ..Investition" und ,,Anstrengung" (effort). Die Darstellung folgt CHURCHIWARE (2000), S. 86ff. bzw. HART (1995), S. 29ff. Diese Modelle sind wiederum vereinfachende Zusammenfiihrungen von GROSSMANIHART (1986) und HARTlMOORE (1990). 271 Basiswert und Basiskosten bezeichnen dabei WertlKosten in Abwesenheit jeglicher spezifischer Investition. m Für die Wirkung der Investitionen wird anschließend eine spezifische funktionale Form angenommen, die sicherstellt, dass die Kosten (der Wert) des Inputgotes (Qulputgutes) nUt der Investitionshöhe stetig sinken (steigen), jedoch nUt abnehmender Rate. Die ersten Ableitungen der Kosten (des Wertes) nach e (bzw. I) sind also negativ (positiv) und die zweiten Ableitungen negativ. Mit i und e werden im übrigen die Werte der Investitionen in Geldeinheiten angegeben. 269 270

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97

Zu untersuchen ist nun, unter welchem der drei möglichen Integrationsfalle der höchste gemeinsame Gewinn erzielbar ist: Vertikale Separation (VS), d.h. U besitzt u und D besitzt d, Vorwärtsintegration (VI), d.h. Ubesitzt d und u, oder Rückwärtsintegration (RI), d.h. D besitzt d und u. Zunächst aber wird die effiziente Investitionshöhe abgeleitet. Effiziente Investitionshähe Angenommen wird zunächst, dass Handel stattfindet und sich der Wert von A bzw. die Kosten von B sich entsprechend (C 27.) und (C 30.) ergeben. Dann nehmen der von D mit Gut A erzielte Profit (71*A), die für U mit Inputgut B verbundenen Kosten und Profit (CB bzw. ff 'A) und die entsprechenden Ableitungen nach den spezifischen Investitionen die aufgefiihrten Werte an: (C 27.)

VA =v+2aJi ff: = v+2aJi - p-i

(C 28.)

} DvwMt"am

Off: =MB =~ oi 'Ji C;=s-2aFe OC; =MB oe '

a

Fe ff; = p-(s-2aFe)-e

(C 29.)

}u ",,=

(C 30.) (C 31.)

p

(C 32.)

Die Parameter a und a lassen sich dabei als Produktivität der Investitionen i und e interpretieren. Die effiziente Investitionshöhe ergibt sich dort, wo die Grenzkosten der Investitionen (= 1, da in Geldeinheiten gemessen) den - Profit-steigernden bzw. Kosten-senkenden - Grenzerträgen (marginal benefits, abgekürzt als MB) der Investitionen (C 29. bzw. C 31.) entsprechen. Die Investitionshöhen sind dann also optimal wenn i*

=

a2 und e*

=

d.

Es lässt sich nun der aggregierte Wert des Handels zwischen den bei den Unternehmen (die gains from trade) ex ante (VI) bzw. ex post (V1) ermitteln. Dieser entspricht ex ante den Umsätzen von D abzüglich der vermeidbaren, also nicht irreversiblen, Kosten von U und abzüglich der Investitionen i und e. Ex post sind diese Investitionen bereits verausgabt und die gains from trade bestehen nur noch aus den ersten beiden Termen.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenökonomik

98

p;

= v+ 2a..Ji -(s - 2a-Fe) -i-e

V2 =v+2a..Ji -(s-2a-Fe)

(C 33.)

(C 34.)

Ebenfalls bestimmbar ist nun der gesamte Profit beider Unternehmen bei optimalem Investitionsverhalten (V*). Dieser ergibt sich, wenn man die Werte fiir i* und e* in Gleichung (C 33.) einsetzt. Der Term (v-s) bildet dabei die gains [rom trade ab, wenn keine spezifischen Investitionen getätigt würden. (C 35.) Vertikale Separation Wenn keine Integration vorliegt, haben beide Unternehmen die Wahl, mit dem jeweils anderen zu handeln oder den Input an andere zu verkaufen bzw. von anderen zu beziehen. Diese sog. "Outside-Option" steht ihnen jeweils mit dem Einkaufs- oder Verkaufs-Preis

p zur Ver-

rugung. Ihre spezifischen Investitionen i und e sind allerdings bei Wahrnehmung einer solchen Outside-Option weniger produktiv als bei Handel mit designierten Transaktionspartner, so dass die Produktivitätsparameter bei Handel mit Dritten fiir D zu c < a und rur U zu y< a werden. Die jeweiligen (Ex-Post-)Profite in Phase 2 sind dann: ,,;; = v+2c..Ji - p

(C 36.)

,,;; = p-(s-2y-Fe)

(C 37.)

Je nachdem, ob die beiden Unternehmen unter vertikaler Separation dann eine Handelsbeziehung eingehen oder nicht, ist ihr kollektiver Gewinn: v;S(notrade)

= (v-s)+2c..Ji+2y-Fe bzw.

v2YS (trade) = (v- s)+ 2a..Ji + 2a-Fe

(C 38.) (C 39.)

Die Differenz der beiden Gleichungen ergibt die gains [rom trade oder Quasi-Rente unter vertikaler Separation:

Q = 2(a - c)..Ji + 2(a - y)-Fe

(C 40.)

Wenn die Unternehmen sich nun rational fiir eine Lieferbeziehung entscheiden, wird der Inputpreis die Höhe des Outside-Preises plus die Hälfte der Quasi-Rente betragen273 , also: p = (a - c)..Ji - (a - y)-Fe + p

273

(C 41.)

Angenommen wird eine hälftige Aufteilung der Quasi-Rente. Zur genaueren Ableitung von p vgl. CHURCHIWARE (2000), S. 89.

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: Institutionenäkonomik

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Der vor der Investition, also in Phase 1 bzw. ex ante, erwartete Profit von D ist dann I/S r. P-l. 1Z"AI =v+ 2avl-

= v+ 2a.Ji -Ca -c).Ji +(a -y).Je = v+ (a+c).Ji + (a -y).Je -

p- i

(e 42.)

p-i

Die Wirkung fehlender residualer Verfügungsrechte zeigt sich nun, wenn man den gesamten Grenzertrag der Investition von D, also

.Jt [vgl. (e 29.)], mit dem vergleicht, was er unter

vertikaler Separation als Ertrag der Investition erwartet:

B b > c und a> ß> y. Die Investitionshöhen und Profite sind unter allen Eigentumslösungen suboptimal, d.h. aus Sicht der Unternehmen ist die Wahl der Integrationsform eine Auswahl unter drei "zweitbesten" Alternativen. Grund dieser Suboptimalität ist die unzureichende Koordination bei vertikaler Separation bzw. die Gefahr eines

102

Teil C - Theorie der Unternehmensgrenzen: [nstitutionenökonomik

hold-ups durch den Eigner beider Produktionsmittel, die zur Unterinvestition des potenziellen hold-up-Opfers führt. Die Faustregel fiir die Auswahl der (zweit-)besten Eigenturnsstruktur ergibt sich aus obiger Aufstellung: Das Unternehmen (die Wertschöpfungsstufe), dessen Investition deutlich wichtiger fUr die aggregierten Profite ist, sollte die Besitzrechte rur die assets beider Stufen erhalten. Die Intuition ist, dass die kollektiv wichtigere Investition dringender durch Besitzrechtszuordnung vor dem Zugriff durch opportunistisches Verhalten geschützt werden muss. Analytisch ausgedrückt heißt das: Je größer die Differenz zwischen den Produktivitätsparametem der einen Seite (a, b, c) und der anderen Seite (a,

ß, ]1, desto

eher wird vertikale Integration

unter dem Dach des wichtigeren Partners (des Partners mit den höheren Parametern) erfolgen. Nachfolgende Abbildung C 4 illustriert an einem Zahlenbeispiel die Logik des propertyrights-Modells und seine Aussagen zur Integration von Unternehmen. Für konstante Werte der anderen Parameter (b und ß= 0,5; c und y= 0,25) werden die kollektiven Gewinne fUr die drei Varianten Separation (VS), Vorwärtsintegration durch das Upstream-Unternehmen (VI) und Rückwärtsintegration durch das Downstream-Unternehmen (RI) fiir verschiedene Kombinationen der Parameter a und a (dies sind die entscheidenden Parameter, wenn die Unternehmen miteinander handeln) ermittelt. Die Gestaltung der Felder zeigt die jeweils optimale Eigenturnsstruktur, d.h. diejenige, unter der das Maximum der Gesamtprofite erzielt wird. In der Abbildung ist ein Kästchen normal gedruckt, wenn die zweite oder dritte Zahl im Kästchen die höchste ist, d.h. wenn vertikale Integration (vorwärts oder rückwärts) das Maximum liefert. Ein Kästchen ist grau, wenn zwei gleiche Zahlen im Kästchen sind, d.h. wenn Integration oder Separation zum gleichen Ergebnis fuhren. In den umrandeten und fettgedruckten Feldern (mittlere Diagonale) ist die oberste Zahl und damit Separation das Maximum. Man sieht, dass es zwei (hellgraue) diagonale Bereiche der Indifferenz gibt. Indifferenz wird aber ausschließlich dann erzielt, wenn a = a +/- 0,25. Bereits wenn a = a +/- 0,25 - x mit

x

~

0, ist Integration die optimale Variante. Es zeigen sich also klar die geschilderte "Faust-

regeln": Integration ist dann attraktiver, wenn Spezifität vorliegt, was sich in einer größeren Differenz von a und a äußert. Nimmt die Spezifität ab, entspricht dies einer Bewegung zur mittleren Diagonale hin. Ist Integration vorteilhaft, dann soll sie unter dem Dach des Unternehmens erfolgen, dessen Investition wichtiger ist (höherer Parameter), also entweder im oberen oder im unteren weißen Dreieck. Im Zwischenbereich (mittlere Diagonale) ähnlicher oder gleicher Wichtigkeit der Investitionen ist vertikale Separation optimal.

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vs

\

3,219

3,297

3,469

3,734

4,094

4,547

5,094

5,734

~469

VI RI

2,00

2,938

3,047

3,250

3,547

3,938

4,422

5.000

5,672

6,438

3.484

3,625

3.859

4,18S

4,fil9

5,734

6,438

2,'"

2.563

2.734

3.000

3,359

3.B13

4,359

5,000

5.134

VI RI

1,75

2,234

2,344

2,5