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German Pages 423 [421] Year 2009
Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel I: Zwischen Selbstverleugnung und wiedergewonnener Identität
"Der Verräter, Stalin, bist Du!"
Stalins Verrat des Antifaschismus und seine Wirkungen auf die Imperialismus- und Faschismustheorie von KPD und Komintern
Kommunistischer Widerstand im Lande und im Exil
Exkurs 1: Emigrationsschicksale: Charlotte Schreckenreuter und Hugo Eberlein (Ruth Stoljarowa/Wladislaw Hedeler)
Kapitel II: An der Seite der Antihitlerkoalition
Der Überfall auf die Sowjetunion und der kommunistische Widerstand
Widerstand im Lande und im Exil
Exkurs 2: Rote Kapelle – ein antifaschistisches Netzwerk (Hans Coppi)
Das Nationalkomitee "Freies Deutschland" in der Sowjetunion
Kapitel III: Was kommt nach Hitler? (Günter Benser)
"Block der kämpferischen Demokratie": Die Arbeitskommission der KPD In der Sowjetunion
Die letzten strategischen Manifestationen der Kommunisten im Lande und die Verschwörung des 20. Juli 1944
Doppelaufgabe deutscher Kommunisten – in befreiten Gebieten und im "Hitlergebiet": Schlußfolgerungen aus der Krimkonferenz der Großen Drei
"Antreten zur Heimkehr": Diskussionen über das künftige Deutschland in den westlichen Exilzentren
Kommunistischer Widerstand zwischen Endkampf und Befreiung
Anhang
1. Kommentiertes Personenregister
2. Abkürzungsverzeichnis
Die Drucklegung wurde mit Mitteln der Rosa-LuxemburgStiftung. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e. V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. gefördert.
In der Reihe Geschichte des Kommunismus lismus erschienen außerdem:
und Linkssozia-
Bd. I.: Klaus Kinner: Der deutsche Kommunismus. Selbstver-
stindnis und Realitdt. Bd. 1: Die Weimarer Zeit.
Bd. II: Die »Briisseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CDROM. Herausgegeben von Giinther Fuchs/Erwin Lewin/Elke Reuter/Stefan Weber. Bd. III: Rosa Luxemburg. Historische und aktuelle Dimension ihres theoretischen Werkes. Herausgegeben von Klaus Kinner und Helmut Seidel. Bd. IV: Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928. Die KPD am Scheideweg. Herausgegeben von Elke Reuter/Wladislaw Hedeler/Horst Helas/Klaus Kinner. Bd. V: Klaus Kinner/Elke Reuter: Der deutsche Kommunismus. Selbstverstandnis und Realitidt. Bd. 2: Gegen Faschismus und Krieg (1933 bis 1939). Bd. VI: »Die Wache ist miide ...« — Neue Sichten auf die russische Revolution von 1917 und ihre Wirkungen. Herausgegeben von Wladislaw Hedeler und Klaus Kinner.
Bd. VII: Ralf Hoffrogge: Richard Miiller — der Mann hinter
der Novemberrevolution. Bd. IX: Günter Benser: Der deutsche Kommunismus.
Selbst-
verstindnis und Realität. Bd. 4: Neubeginn ohne letzte Konsequenz (1945/46).
ISBN
978-3-320-02149-8
© Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2009 Redaktion: Klaus Kinner Satz: Olaf Kirchner Einband: MediaScrvice/Heike Schmelter Druck und Bindecarbeit: Digital Printing Service Andernach Printed ın Germany
Inhaltsverzeichnis
VOIWOIT o KAPITEL I Zwischen Selbstverleugnung und
wiedergewonnener Identitit .
9
..000000 13
Die KPD in der ersten Phase des Zweiten Weltkrieges »Der Verräter, Stalin, bist Dul« er Der Schock des Hitler-Stalin-Paktes
15
Stalins Verrat des Antifaschismus und seine Wirkungen auf die Imperialismus- und Faschismustheorie von KPD
und KomintemM
err RR RE RR 41
Kommunistischer Widerstand im Lande und im Exil ...... 93 Das XIII. Plenum des Exekutive der Komintern
über Wirtschaftskrise und Faschismus
Exkurs 1: Emigrationsschicksale ..rnE RE RE Charlotte Scheckenreuter und Hugo Eberlein (Ruth Stoljarowa/Wladislaw Hedeler)
KAPITEL
II
An der Seite der Antihitlerkoaltion
Der Überfall auf die Sowjetunion und der
kommunistische Widerstand ...r
143
Widerstand ım Lande und in der Emigration ................. 174 Exkurs 2:
Rote Kapelle — ein antifaschistisches Netzwerk (Hans Copp1) Das Nationalkomitee »Freies Deutschland«
Sowjetunion
ın der
(Gerald D1€Sener) err
KAPITEL
235
HI
Was kommt
nach Hitler?
(Günter BENSET) eeeeeeeeccerereneenceceessssnnnccesssssssossasses 261
»Block der kidmpferischen Demokratie« ....................... 263 Die Arbeitskommission der KPD in der Sowjetunion Die letzten strategischen Manifestationen der Kommunisten im Lande und die Verschworung des 20. Juli 1944 ...
284
Doppelaufgabe deutscher Kommunisten —
in befreiten Gebieten und ım »Hitlergebiet«................... 295 Schluffolgerungen aus der Krimkonferenz der Großen Drei
wAntreten zur Heimkehr« oo,
Diskussionen iiber das kiinftige Deutschland in den westlichen Exilzentren Kommunistischer Widerstand zwischen
309
Endkampf und Befretung ...........coooooieiiiiiiiiiiiiee, 333
1. Kommentiertes Personenregister............................... 2. Abkiirzungsverzeichnis errnnn
Vorwort
Der vorliegende Band setzt den 2005 in dieser Reihe erschienenen Band 2 »Gegen Faschismus und Krieg (1933 bis 1945)« unmittelbar fort. Die erkenntnisleitenden Überlegungen sind dort dargestellt. Die Spezifik dieses Bandes besteht darin, daß im Unterschied zu den vorangehenden sich die Geschichte des deutschen Kommunismus im behandelten Zeitraum noch weniger als in den zwei vorangehenden Jahrzehnten auf den Parteikommunismus in Gestalt der KPD fokussieren läßt. Mit dem Sturz in den vom Hitlerregime entfesselten Zweiten Weltkrieg und dem sich massiv verstirkenden Terror gegen jeden Widerstand war eine zentralistisch gefiihrte Massenpartei, die schon vor Kriegsausbruch nicht mehr existierte, end-
giiltig illusiondr. Kommunistischer Widerstand, der auch unter schwierigsten Bedingungen nie erlosch, wurde im Lande ımmer mehr Bestandteil eines Netzwerkes antifaschistischer Strukturen unterschiedlicher politischer Herkiinfte. Die durch den Naziterror erzwungene Emigration brachte es mit sich,
daß deutsche Kommunisten, verstreut über nahezu alle Konti-
nente, thren antifaschistischen Kampf unter hochst verschiedenen Bedingungen fiihrten. Die Fihrungsgruppe der KPD in Moskau, dezimiert durch den Terror Stalins und verstrickt in diesen, war objektiv wie subjektiv nicht in der Lage, den kommunistischen Widerstand in Deutschland oder gar weltweit zu leiten oder auch nur zu koordinieren. Mit dem Nichtangriffsvertrag und den erst später bekannt gewordenen Folgevertrdgen zwischen Hitlerdeutschland und
der Sowjetunion riß die Stalinsche Machtpolitik die kommunistische Weltbewegung in eine Krise, von der sie sich gänzlich ni¢ erholte.
Der Überfall auf die Sowjetunion schien Fronten wieder
zu klären, ließ aber Millionen Leichen ım Keller.
Die Antihitlerkoalition mit den alliierten Westmächten, der en passant die Komintern gcopfert wurde, die sich formierenden volksdemokratischen Widerstandsbewegungen in den von Hitlerdeutschland okkupierten Ländern, ließen die Hoffnung reifen, daß auch
in Deutschland
Kräfte
heranwachsen
wür-
den, die den Hitlerfaschismus von innen überwinden und Dcutschland cin »Super«-Versailles zu ersparen vermochten. Diese Hoffnungen trogen. Die deutschen Kommunisten mußten sich auf die schwere Aufgabe einstellen, in einem zerstörten und durch die Siegermächte geteilten Lande Ende und Neubeginn zu gestalten.
Der kommunistische Widerstand, so verdeutlicht die folgende Analyse, kam auch unter den unerhört schweren Bedingungen
der Kriegsjahre nicht zum Erliegen. Die Parteigeschichtsschreibung der SED hat — ideologisch motiviert — das Bild ciner intakten, zentral geleiteten Parteiorganisation gezeichnet, die es so spätestens seit 1939 nicht mehr gab. In der Geschichtsschreibung der BRD wurde — ähnlich motiviert — dieser Widerstand über lange Zeit ignoriert. Die Fokussierung auf den Widerstand um die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 führte zu einem vorherrschenden Geschichtsbild, das trotz be-
merkenswerter Darstellungen zum kommunistischen Widerstand in Jüngerer Zeit, diesen insgesamt gezielt unterbelichtete. Für die DDR-Geschichtsschreibung war der kommunistische Widerstand von Anbeginn ein bevorzugter Forschungsgegenstand.
Trotz
der
Instrumentalisierung
als
Herrschaftslegitimation der SED-Führung wurde durch sie ein unverzichtbarer Fundus geschaffen, ohne den die heutige Forschung nicht vorstellbar wäre. Sowohl die Auseinandersetzung mit westdeutscher antikommunistischer Ignoranz als auch mit ostdeutscher Hypostasierung des kommunistischen Widerstands ist noch zeitgemäß. Mit Blick auf heutige Rezipienten gilt es den mutigen Hitlerattentäter Klaus Graf Schenk von Stauffenberg neben den Kommunisten Wilhelm Knöchel zu stellen, der im kommuni10
stischen Widerstand eine weitverzweigte Organisation aufbau-
te, die nicht vergessen ließ, daß der Widerstand lebte. Beide
wurden 1944 von den Faschisten ermordet. Beide stehen für den deutschen Widerstand, der — so marginal er auch war — demokratische Perspektiven für ein Deutschland nach Hitler denken ließ. Die folgende Darstellung geht — wie in den vorausgehenden
Bänden
— der Frage
nach,
welche
Potentiale
die Ge-
schichte der kommunistischen Bewegung im behandelten Zeitraum für emanzipatorische linke Politik heute in sich birgt. Diese Frage ist nur ın schonungsloser Auseinandersetzung mit dem apologetischen Geschichtsbild der SED möglich, fiir die die Geschichte der KPD vor allem Herrschaftslegitimation
war. Die Druckvorlage des nicht mehr erschienenen Bandes 2
der Geschichte der SED von 1989 bietet komprimiert das letzte Wort der SED-Parteigeschichtsschreibung. Ihm wird deshalb pars pro toto Aufmerksamkeit zuzuwenden sein.
Die vorliegende Darstellung kann die hier nur grob skizzierten Problemkomplexe nicht annidhernd erschopfend behandeln. Giinter Benser wird in dem diese Reihe abschlieBenden Band 4 fiir die Jahre 1945/1946 weiterfilhrende Antworten geben und neue Fragen aufwerfen.
Dem Verfasser bleibt Dank zu sagen all denen, die an diesen Band mitgewirkt haben. Das gilt vor allem fiir die Autoren selbstédndiger Studien oder Kapitel, die in den Band aufgenommen wurden: Giinter Benser, Hans Coppi, Gerald Diesener, Wladislaw Hedeler und Ruth Stoljarowa sowie fiir Elke Reuter und Waldislaw Hedeler, die — wie schon ın mehreren Projekten der von mir zu verantwortenden »Roten Reihe« — in freundschaftlicher Verbundenheit unverzichtbare Mitarbeiter waren. Dank gilt weiter den Mitarbeiterinnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Karin Anders, Ingrid Breuel und Giesela Neuhaus, die in vielféltiger Weise das Projekt unterstiitzt und dem Autor die Arbeit ermdglicht haben. Christine Krauss und Jorn Schiittrumpf vom Karl Dietz Verlag Berlin ist fiir ihre tätige und (un-)geduldige Forderung des Projektes zu danken.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen haben die Finanzierung
des Projektes ermöglicht.
Ihnen gilt
zuvörderst meın Dank. Nach Abschluß der Redaktion des Bandes und Abgabe an den Verlag zur Drucklegung erschien im Aufbau-Verlag die Monographie von Bernhard H. Bayerlein »»Der Verräter, Stalin, bist Du!« ...«.! Hier werden — für die Jahre 1939 bis 1941
umfangreicher und auf einen breiteren Quellenfundus gestützt
als dies in der vorliegenden Überblicksdarstellung möglich war
— die dramatischen und tragischen Prozesse in der Geschichte der kommunistischen Bewegung jener Jahre gschildert. Die in unserem Band benutzten Quellen sind bei Bayerlein in der Regel vollständig oder in Auszügen abgedruckt. Der interessierte Leser kann demzufolge hier weiterführende Informationen einholen. Zudem wird bei Bayerlein die internaionale Dimension der Vorgänge dieser Jahre breit dokumentiert.
]
Siche Bernhard H. Bayerlein: »Der Verräter, Stalin, bist Du!«. Vom Endc der linken Solidarität. Komintern und kommunistische Partcicn im Zweiten Weltkrieg 1939-1941. Unter Mitarbeit von Natalja S. Lebedewa, Michail Narinski und Gleb Albert. Mit cinem Zeitzeugenbericht von Wolfgang
2008.
12
Lconhard.
Mit
cinem
Vowort
von
Hermann
Weber.
Berlin
KAPITEL I Zwischen Selbstverleugnung und wiedergewonnener Identität Die KPD in der ersten Phase des
Zweiten Weltkrieges
»Der Verräter, Stalin, bist Du!« Der Schock des Hitler-Stalin-Paktes
Die Kommunistische Internationale und ihre Sektionen erwiesen sich bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als merkwürdig unvorbereitet. Sie waren angetreten, nach dem als »Urkatastrophe« des Kapitalismus empfundenen »Ersten« Weltkrieg, das als unheilbar krisenhaft verstandene System zu stürzen. Dessen unerwartete Überlebensfähigkeit stellte den Glauben an die Zwangsläufigkeit des Niedergangs des Kapitalismus und an die gleichsam naturgesetzliche Notwendigkeit des Sieges des Sozialismus auf den Prüfstand der Geschichte. Die nachrevolutionäre Krise in Europa und der Aufstieg Sowjetrußlands ließ die Hoffnung auf die Weltrevolution als noch real erscheinen. Sie wurde für die Kommunisten zum nicht mehr hinterfragbaren Glaubenssatz. War dies bereits die Achillesferse der
kommunistischen
Faschismustheorie,
so erschwerte
diese
Sıcht auch das Verständnis der komplizierten außenpolitischen Zusammenhänge am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Mit dem Scheitern des Versuchs der Sowjetunion, gemeinsame außenpolitische Positionen mit den Westmächten gegenüber den Achsenmächten zu gewinnen, orientierte sich die Politik Stalins im Bemühen, die Sowjetunion so lange wie moglich aus der absehbaren militdrischen Auseinandersetzung der Blocke herauszuhalten, auf eine Verstdndigung mit HitlerDeutschland. Dabei spielten auch eigene machtpolitische Optionen der sowjetischen Außenpolitik in Bezug auf Polen, das Baltikum und Finnland eine maf3gebliche Rolle. Am 23. August 1939 trafen der deutsche Außenminister Ribbentrop und seine Begleiter zu Verhandlungen über den
Nichtangriffspakt in Moskau ein. Der führende Funktionär der Kommunistischen Internationale, Georgi Dimitroff, hielt — von diesen Ereignissen offensichtlich überrascht — ihre Ankunft ın seinem Tagebuch fest. Während die britische und franzosische Militärmission in einem benachbarten Gebäude im Kreml mit Woroschilow verhandelten, unterzeichneten Molotow und
Ribbentrop einen Nichtangriffspakt für zehn Jahre. Bereits elnen Tag später erfolgte die Veröffentlichung des Nichtangriffsvertrages zwischen der UdSSR und Deutschland. Dimitroff kommentierte die Verhandlungen nicht, sondern notierte: » Der Nichtangriffsvertrag zwischen der UdSSR und Deutschland ist veröffentlicht. (Foto in der >Prawda« westiaFriedensoftensive«, als Kampf fiir einen Frieden auf der Grundlage der deutsch-russischen Angebote. Die aulenpolitische Solidaritét mit Hitler kann fiir die innere Stellung der KPD zum Hitlerregime nicht ohne Folgen bleiben. Wir erfahren von Ulbricht, daB die KPD weiter gegen die soziale und nationale Unterdriickung im Dritten Reich auftritt, aber mit einer neuen Begrindung.«* Und weiter hieß es im Dokument: »Und hier ist der Punkt, wo aus den ideologischen Bock-
spriingen eines Ulbricht plotzlich bitterer Ernst wird. »>Die Thyssen-Clique und ihre Freunde aus den Reihen der sozialdemokratischen und katholischen Fiihrer in Deutschland¢ —
das sind also die »Feinde«, die die KPD in Ubereinstimmung
mit den >nationalsozialistischen Werktätigen« aufdecken soll! Man muß die Feinheiten der kommunistischen Parteisprache
32
SAPMO-BArch.
NL
72/147.
Bl.
104 (zit. nach
Erwin
Lewin:
Der Kon-
flikt zwischen der Moskaucer Parteifithrung und dem Sckretanat des ZK der KPD ... S. 289). 33 Dic KPD und dic Solidaritdt der Ilicgalen [Unterschricben von SAG London, RS, SAP, Ncu Beginnen, ISK] o. D. [1939] ohne Signatur. Typoskript. Archiv dcs Verf. S. 3.
26
verstehen: Ein Sozialdemokrat, der sıch von der KPD
einfan-
gen läßt, ist immer ein >»sozialdemokratischer Arbeiter«, einer, der seine selbständige Meinung festhält, ıst grundsätzlich ein (natürlich verräterischer) >Führer«. Die Worte Ulbrichts bedeuten nichts anderes, als daß die Funktionäre der KPD von
der höchsten Moskauer Autorität aufgefordert werden, jeden Sozialdemokraten oder Katholiken, jeden illegalen Antifaschisten, der den
deutsch-russischen
Pakt
kritisiert,
>aufzudek-
ken«, also in dieser oder jener Form an die Gestapo zu denunzieren! Die KPD-Fiihrung zieht aus ihrer Haltung die letzte, duBerste Konsequenz: nachdem sie jedes Band der polttischen Gemeinsamkeit mit den Gegnern der Hitlerschen
Kriegspolitik zerrissen hat, zerreif3t sie 6ffentlich und in aller
Form auch das Band der Solidarität!«** Die Generalsekretire der FKP, Arthur Rammett, der KPO, Johann Koplenig, das Fithrungsmitglied der KPD, Karl Mewis, alle berichteten tiber den Schock in ihren Fiihrungen. Dimitroff und Manuilski zogen es jedoch vor, Stalin am 27. August
dariiber zu berichten, daß die kommunistischen Parteien »die
richtige Position zum Pakt« beziehen.’® Die franzosischen Kommunisten im Parlament hatten aber den Kriegskrediten zugestimmt, die britischen Parlamentarier ebenfalls ihre Regierung unterstiitzt. Browder, Generalsekretir der KP der USA, rief wihrend der Plenartagung seiner Partei vom 2. bis 4. September 1939 zur Schaffung einer weltweiten Front der demokratischen Nationen auf. Die Kominternfithrung kritisierte daraufthin
die Franzosen,
wihrend
sie das Auftreten
der
englischen Genossen begriifite. Seit Mitte Oktober 1938 erschien in Paris das iiberparteiliche Oppositionsblatt »Zukunft«.’* Am 28. August 1939 hatten u. a. aus der KPD ausgetretene Fiihrungsmitglieder ın der
34 Ebenda. S. 5. 35 Siche Begleitbricf von Dimitroff an Wjatscheslaw Molotow zum Auskunftsbericht über dic Haltung cincr Reihe von Partcicn zum dcutschsowjctischen Nichtangriffsvertrag vom 27. August 1939 [russ.]. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ I: Do 22 ijunja 1942 g. Moskau 1994 [russ.]. S. 71-85. 36 Sichc Babcttc Gross: Willi Miinzenberg. Einc politische Biographic. Leipzig 1991. S. 474ff.
27
»Zukunft« einen Offenen Brief unter dem Titel »In der Frei-
heitsfront für die Einheitspartei« veröffentlicht und diesen mit »Auslandskomitee der Freunde der sozialistischen Einheit Deutschlands« unterzeichnet.’” Sie verwarfen und verurteilten den Pakt, weil er den Faschismus nicht schwächt, sondern
stärkt. Die künftige internationale Front müsse eine breite
Freiheitsfront Kräfte sein.
aller demokratischen
und
freiheitsliebenden
Am 1. September überfiel Hitlers Armee Polen, am 3. September erklärten England und Frankreich Deutschland den Krieg. »Molotow begründete in einer Rundfunkrede Rußlands Einfall in Ostpolen: »Die Sowjetregierung sieht es als ihre Pflicht an, ihren ukrainischen und bjelorussischen Brüdern, die Polen bewohnen, die Hand zur Hilfe zu reichen, das polnische Volk aus dem unglückseligen Kriege zu befreien und ihm die Möglichkeit zu geben, ein friedliches Leben zu führen.« Molotow verschwieg, daß in einem Geheimprotokoll zum Pakt mit Deutschland die Demarkationslinie der Interessensphären zwischen Deutschland und der Sowjetunion fixiert und Rußland
schon vorher Finnland, Estland, Lettland, Ostpolen und Bes-
sarabien zugesprochen worden waren.«*® Trotzki kommentierte am 2. September 1939 im Artikel »Stalin — Hitlers Quartiermeister«: »Als peinliches Lehrstück ist es zu verstehen, daß das Stalinsche Parlament den deutsch-
sowjetischen Pakt genau an demselben Tag ratifizierte, als Deutschland in Polen einfiel.«”” Trotzkis scharfsinnige Voraussagen
trafen fast alle ein. Der Komintern
schrieb
er ins
37 Siche In vom 28. 38 Babcttc 1991. S.
der Freiheitsfront für dic Einheitspartei. In: »Zukunft«. Paris August 1939 (9 Seceiten). Gross: Willi Münzenberg. Einc politische Biographic. Leipzig 481.
Stammbuch: »Die Komintern, das wichtigste Instrument des Kreml zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in anderen Ländern ist in Wirklichkeit das erste Opfer des deutsch-so-
39
28
Lco
Trotzki:
Stalin — Hitlers
Quartiermeister.
In:
Lco
Trotzki:
Schrif-
ten 1. Sowjectgescllschaft und Stalinsche Diktatur Bd. 1.2. (1936—1940). Hrsg. von Helmut Dahmer u. a. Hamburg 1988. S. 1257.
wjetischen Pakts. Das Schicksal Polens ist noch nicht entschieden. Aber die Komintern ist bereits eine Leiche.«* Als die Rote Armee ım Herbst 1939 in ihrem Vormarsch nach Westen zur ım Hitler-Stalin-Pakt vereinbarten deutschsowjetischen Demarkationslinie am Bug auch die kleine wolhynische
Stadt Wlodzimierz-Wolynski
erreichte,
waren
dort
die Erwartungen bei manchen jungen polnischen Juden von der Linken groß. »Ich glaubte«, so erinnerte sich einer von ihnen, Janusz Bardach, aus einer angestammten polnisch-jiidischen Arztefamilie stammend, »die Sowjetunion sei €in Paradies für die Unterdrückten, dort regierten die Arbeiter und Bauern,
und die Rote Armee
sei der Garant für soziale Ge-
rechtigkeit. Ich konnte sie mir nicht selbst mit einem Gewehr im Rücken Soldaten der Roten Armee sicherer als schen Landsleute.«* Eine tragische Illusion. Die vierte
als Feinde vorstellen; fühlte ich mich bei den bei vielen meiner polnipolnische Teilung, nun-
mehr von Hitlerdeutschland und der Sowjetunion exekutiert,
sollte das Verhiltnis der Linder auf Dauer vergiften. Der Völkermord des deutschen Faschismus an den polnischen Juden und die Vernichtung erheblicher Teile der polnischen Bevölkerung erwiesen sich von Jahr zu Jahr deutlicher als singul.éire Verbrechen an der Menschheit. Auch die Stalinsche imperiale
Machtpolitik enthiillte ihre menschenverachtende Fratze und erreichte mit dem Massaker von Katyn einen Gipfel. Die Volksfrontpolitik erwies sich in diesem Schreckensszenario als nicht mehr von dieser Welt. Albert Norden berichtete spiter »Am 3. September nahm ich im offiziellen Auftrag der Parteileitung an der letzten Sitzung des Aktionsausschusses der deutschen Opposition teil. Da ich mich sowohl im Namen der Partei wie in meinem Namen weigerte, die geforderte Erklärung gegen den deutschsowjetischen Nichtangriffspakt abzugeben und statt dessen seine Notwendigkeit begriindete, erklarten die iibrigen Anwesenden (Professor Georg Bernhard, Dr. Hermann Budzislawski, Maximilian Scheer), daB eine Zusammenarbeit mit den 40 41
Ebenda. S. 1263. Janusz Bardach: Der
Mensch
ist des
Menschen
Wolf.
a Mcin UÜberleben
im Gulag. Miinchen 2000. S. 41.
29
Kommunisten nicht mehr möglich sei und damit der Aktionsausschuß zu existieren aufgehört habe. «* Es bedurfte schon eines hohen Maßes an Gläubigkeit oder an Verzweiflung, diese Politik zu rechtfertigen. Selbst Ernst Thälmann wurde in der Kerkerhaft vom Hitler-Stalin-Pakt »überrumpelt« und »iiberrascht«.* Die 1996 erstmals edierten Briefe Thälmanns aus den Jahren 1939 bis 1941 offenbaren das Bild eines Mannes, das Respekt erheischt, das erschüttert, das Klischees bestätigt und
zerstört, das zornig auflachen läßt und peinlich berührt. Dem Leser wird ein Eindruck gewährt in Denkmuster eines führen-
den deutschen Kommunisten, der kein reflektierender Intellek-
tueller war. Gestanzte Sprachraster im Kominternstil stehen neben scharfsinnigen Analysen. Deutlich wird ebenso: Isolierung, einseitige Informationen und Kerkerpsychose forderten
auch von Thälmann Tribut.* In einem Brief vom 1. September 1939 schrieb er: »[...] mein ausgezeichneter politischer Instinkt und Weitblick vermag die Weltgeschehnisse so zu analysieren, daß die Folgerungen in den allermeisten Fällen richtig vorausgesehen und erkannt werden«. Die Thälmann aus der Presse bekannt gewordene Unterzeichnung der Verträge zwischen Deutschland und der
UdSSR waren für ihn »eine große Überraschung. [...] Jetzt
hat mich dieses geschichtlich große Ereignis überrumpelt und unvorgesehen iiberrascht.«* Die Zweifler und »Angstmäuse« sollten jedoch an Lenins Worte denken, »daß sich die Bolschewiki
selbst mit dem
Teufel verbinden
würden,
wenn
es
dem Kommunismus nutzen würde«, hob Thälmann hervor. Er hoffte auf die Komintern und seine baldige Freilassung. In beiden Fragen hatte ihn sein »ausgezeichneter« politischer Instinkt verlassen. Stalin hatte Thälmann längst fallen gelassen. 42 Zit. in Norbert Podewin: Albert Norden. Der Rabbinersohn im Politbüro. Berlin 2001. S. 159. 43 Ronald Sassning: Ernst Thälmann über Politik und Kricg 1939 bis 1941. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Berlin (1998)1. S. 16-37. 44 Sichc Klaus Kinner: Ignoranz in Moskau. In: »Ncues Dcutschland«. Berlın vom 4. Oktobcr 1996. 45 Emst Thilmann: An Stalin. Bricfc aus dem Zuchthaus 1939 bis 1941. Hrsg. Wolfram Adolphi und Jörn Schiitrumpf. Berlin 1996. S. 24.
30
Zwischen Kriegsbeginn und Stalins 60. Geburtstag arbeitete der Apparat der Komintern weiter auf Hochtouren. Die
neue Linie mußte formuliert werden, doch Stalin ließ sich Zeit.
Endlich, am 7. September 1939, umriß er den neuen Kurs. Dimitroff hielt im Tagebuch fest:
»7.9.39 — Im Kreml (Stalin, Molotow, Shdanow).
Stalin: — Der Krieg wird zwischen zwei Gruppen von kapitalistischen Staaten gefiihrt — (arme und reiche im Hinblick auf Kolonien, Rohstoffe usw.)
um die Neuaufteilung der Welt, um die Weltherrschaft! — Wir haben nichts dagegen, daß sie kräftig aufeinander einschlagen und sich schwichen. — Nicht schlecht, wenn Deutschland die Lage der reichsten kapitalistischen Länder (vor allem Englands) ins Wanken brichte. — Hitler selber zerriittet und untergrébt, ohne es zu verstehen und zu wollen, das kapitalistische System. — Die Haltung der Kommunisten an der Macht ist eine andere als die der Kommunisten in der Opposition. — Wir sind bei uns Herren ım Hause. — Die Kommunisten in den kapitalistischen Ländern sind ın der Opposition, dort ist die Bourgeoisie der Hausherr. Wir können manévrieren, eine Seite gegen die andere aufbringen, damit sie sich noch stédrker in die Haare kriegen. — Der Nichtangriffsvertrag hilft Deutschland in gewissem Malle. — Der nächste Schritt ist der, die andere Seite anzuspornen. — Die Kommunisten der kapitalistischen Länder miissen entschieden gegen ihre Regierungen, gegen den Krieg auftreten. Bis zum Krieg war es vollig richtig, dem Faschismus das demokratische Regime entgegenzusetzen. — Wihrend des Krieges zwischen den imperialistischen Méchten ist das schon nicht mehr richtig. — Die Unterscheidung der kapitalistischen Länder ın faschistische und demokratische hat ihren bisherigen Sinn verloren. — Der Krieg hat einen grundlegenden Bruch herbeigefiihrt. — Die Einheitsvolksfront von gestern diente dazu, die Lage der Sklaven ım kapitalistischen Regime zu erleichtern. 31
— Unter den Bedingungen des imperialistischen Krieges steht | die Frage nach der Vernichtung der Sklaverel. ! (Einhmen einzune — Heute die Positionen des gestrigen Tages heitsvolksfront, Einheit der Nation) — bedeutet, auf die Posi-
tionen der Bourgeoisie abzugleiten. | | — Diese Losung wird zuriickgenommen. Naeın hte) Geschic der (in frither war Staat e — Der polnisch tionalstaat. Deshalb haben ihn die Revolutionére gegen Teilung und Versklavung verteidigt. — Heute ist er — ein faschistischer Staat, der Ukrainer, Weil3russen usw. knechtet. — Die Vernichtung dieses Staates unter den gegenwértigen Bedingungen wiirde einen bourgeoisen faschistischen Staat weniger bedeuten! — Was ist Schlechtes
daran, wenn
wir im Ergebnis
der Zer-
schlagung Polens das sozialistische System auf neue Territorien und die Bevolkerung ausdehnen. Wir haben Vertrige mit den sogenannten demokratischen Staaten vorgezogen und deshalb Verhandlungen geführt. — Aber die Engliander und Franzosen wollten uns als Knechte und zudem nichts dafiir bezahlen! — Wir lieBen uns selbstverstindlich nicht zu Knechten machen, auch wenn wir nichts bekamen.
Man muß der Arbeiterklasse sagen — — daß der Krieg um die Weltherrschaft gefiihrt wird; — daß dic Herren der kapitalistischen Lénder fiir ıhre imperialistischen Interessen kdmpfen; — daB dieser Krieg den Arbeitern, den Werktätigen nichts bringen wird außer Leid und Entbehrung.
— Wir miissen entschieden gegen den Krieg und seine Schuldigen auftreten.
— Entlarven Sie die Neutralitédt, die bourgoise Neutralitédt der Länder, die bei sich fiir Neutralitédt eintreten und den Krieg in anderen Ländern mit dem Ziel der Bereicherung unterstiitzen. — Es ist notwendig, Thesen des Prisidiums des EKKI vorzubereiten und zu verdffentlichen.«*
46 Eintragung Gceorgi Dimitroffs vom 7. September mitroff: Tagcbiicher 1933-1943 ... S. 273f.
32
1939. In: Georgi
Di-
Der (sowjet-)russische Historiker Lew Besymenski faßte dieses Gespräch lapidar zusammen: »Der eigentliche Zweck dieses Gesprächs bestand darin, Dimitroff zu erklären, daß der Pakt für die kommunistische Weltbewegung nützlich, ja sogar segensreich sei.«* Einen Tag später, am 8. September 1939 lag die auf diesem Gespräch aufbauende Direktive für die kommunistischen Parteien vor: »Der gegenwärtige Krieg ist ein imperialistischer, ungerechter Krieg, an dem die Bourgeoisie aller kriegsführenden Staaten gleich schuldig ist. In keinem Lande darf weder die Arbeiterklasse, um so weniger die Kommunistische Partei den Krieg unterstützen. Die Bourgeoisie führt den Krieg nicht gegen den Faschismus, wie es Chamberlain und die Führer der Sozialdemokratie behaupten. Der Krieg wird zwischen zweı Gruppen kapitalistischer Länder um die Weltherrschaft geführt. Die internationale Arbeiterklasse kann in keinem Falle
das faschistische Polen verteidigen, das die Hilfe der Sowjet-
Union zurückgewiesen hat und die anderen Nationalitäten unterdrückt. Die Kommunistischen Parteien haben gegen die MünchenAnhänger gekämpft, weil sie eine wirkliche antifaschistische Front mit Teilnahme der Sowjet-Union wollten, aber die Bourgeoisie Englands und Frankreichs hat die Sowjet-Union zurückgestoßen um einen räuberischen Krieg zu führen. Der Krieg hat die Lage wesentlich verändert. Die Teilung der kapitalistischen Staaten in faschistische und demokratische hat jetzt die frühere Bedeutung verloren. Dementsprechend muß die Taktik geändert werden. Die Taktik der Kommunistischen Parteien in allen kriegführenden Ländern ist in dieser Etappe des Krieges gegen den Krieg aufzutreten, seinen imperialistischen Charakter zu entlarven; dort, wo kommunistische Deputierte vorhanden sind, gegen Kriegskredite
zu stimmen;
den
Massen
zu erklären,
daß
der Kricg
ihnen
nichts anderes als Last und Ruin bringen wird. In den neutralen Ländern muß man die Regierungen entlarven, die für Neu-
47 Lew Besymenski: Stalin und Hitler. Das Pokerspiel der Diktatoren. Berlin 2002. S. 235.
33
tralität ihrer Länder auftreten, aber zwecks Profit den Krieg ın anderen Ländern unterstützen — wie es die Regierung der Ver-
einigten Staaten Amerikas in bezug auf Japan und China macht. Die Kommunistischen Parteien müssen überall zu einer entschiedenen Offensive gegen die verräterische Politik der Sozialdemokratie tibergehen. Die Kommunistischen Parteien, besonders Frankreichs, Englands, Belgiens und der Vereinigten Staaten Amerikas, wel-
che im Gegensatz zu dieser Einstellung auftraten, miissen sofort ihre politische Linie korrigieren.«* Nach dieser Vorbereitung nahm die Angelegenheit ihren Lauf. Am 9. September 1939 folgte eine Sitzung des Sekretariats. Der cinzige Tagesordnungspunkt: »Diskussion und Annahme der Direktive durch die Parteien«.® Die KPD sah »neue Ankniipfungsmoglichkeiten fiir Diskussionen mit Anhidngern der NSDAP« und verlangte von thren Genossen ım Lande: »Gegen jene Sozialdemokraten, die jetzt gegen die SU hetzen, ist in schirfster Weise zu kdmpfen. Gestiitzt auf Molotows Ausfiihrungen kimpfen wir gegen die englische Orientierung der offiziellen deutschen Sozialdemokratie.«' Unter Punkt 4 faßte die Führung »Unsere Taktik gegeniiber
den
Sozialdemokraten«
zusammen:
»Schirfsten
Kampf gegen den konterrevolutioniren Parteivorstand. Entlar-
vung der sozialdemokratischen Politik des Parteivorstands. Engste Zusammenarbeit mit den linken Führern, die die Ein-
heitsfront wollen. Einheitsfront mit allen Organisationen im Land. Gemeinsame Arbeit der Kommunisten und Sozialdemokraten zur Organisierung der oppositionellen Krifte aus dem Lager der NSDAP zum Kampf gegen das Regime. Stirksten Kampf gegen die trotzkistische Fiinfte Kolonne der Konterre-
volution.«*
48 Eintragung Georgi Dimitroffs vom 8. Scptember 1939. In: Georgi Dimitroff: Tagebiicher 1933-1943 ... S. 274f. 49 Ebcnda. S. 275. 50 Zur Diskussion für dic Vorbereitung ciner Plattform des Kampfes gegen den impcrialistischen Krieg und über dic Perspektiven, 8. Scptember 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 87. 51 Ebenda. Bl. 93. 52 Ebenda.
34
Wilhelm Pieck hielt in seinen Notizen am 9. September 1939 Ulbrichts Orientierung auf die »Wendung« in der Stellung zur Kriegsfrage fest. »Frieden durch Volksrevolution. Re-
gierung der Arbeiter und Bauern« lautete die Zielstellung.®
Am 15. September, zwei Tage vor dem Einmarsch sowjetischer Truppen in die Westukraine, legte das EKKI die neue Linie fest. Die französische und englische Partei brauchten bis Oktober, um sich auf die neuen Vorgaben einzustellen. Trotzki kommentierte am 18. September den Kurs von KPdSU(B) und Komintern im Artikel »Stalin — provisorischer Herr der Ukraine« scharfsinnig: »Krieg wie Revolution zeichnen sich dadurch aus, daß sie mit einem Schlag blddsinnige Formeln zerstdren und die darunter versteckte nackte Wahrheit enthiillen. »Verteidigung der Demokratie« ist eine hohle Formel. Die Invasion Polens ist blutige Wirklichkeit.«** Herbert Wehner wandte sich am 2. Oktober an Wilhelm Pieck und wies auf die »außergewöhnlichen Verhéltnisse« hin, unter denen sein Brief geschrieben wurde.” Wehner, der die Parteipresse genau verfolgte und auswertete, konstatierte eine »oberflachliche und ärmliche« Berichterstattung zum Pakt. Er kritisierte an allen Publikationen den allgemeinen Ton und hob
hervor, daß sie »keine der vor unserer Partei stehenden Fra-
gen klidren oder der Klärung näher bringen«. Eine in der »Welt« veroffentlichte Erklärung ist nur geeignet, »die Kader,
die durch sie orientiert werden sollen, in heillose Konfusion zu
bringen, weil sie in krassem Widerspruch zur tatsdchlichen Lage steht. Diese wenigen AuBerungen leitender Stellen unserer Partei im Ausland zeugen von einem starken Maß i1deologischer Unsicherheit, wenn nicht gar von einer falschen Orientierung. So wenig ich glaube, daß im Handumdrchen eine richtige Orientierung erreicht werden kann, so wenig ich deshalb irgendwelche iiberstiirzten Maßnahmen anraten will, so
nachdriicklich mdchte ich doch dafiir eintreten, wirkliche Si53 Sichc Handschriftliche¢ Notizen von Wilhelm Picck. 9. Scptecmber 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 84. 54 Lco Trotzki: Stalin — provisorischer Herr der Ukraine. In: Lco Trotzki: Schriften 1. Sowjctgesclischaft und Stalinschc Diktatur Bd. 1.2. (1936-1940).
Hrsg. Helmut
Dahmer
u. a. Hamburg
1988. S. 1257.
55 Sichc Kurt Funk [Herbert Wehner] an Wilhelm Picck. 2. Oktober 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 100-105.
35
cherungsmaßnahmen zu ergreifen, um nichtautorisierte >Stellungnahmenc« künftig zu verhindern [... ]«
Wehner schloß seinen Brief mit der Forderung nach einer
»Untersuchung und gewissenhaften Zusammenstellung« von nationalsozialistischen AuBerungen, nach einer »belegten Analyse der Politik der Sozialdemokratie« und der Priifung der » Verbündeten der deutschen Arbeiterklasse«. Samtliche Forderungen und Vorschldge von Wehner finden sich in Piecks Ausfiihrungen wihrend der Sitzung der deutschen Genossen am 7. Oktober 1939 wieder.”’ Was ergab sich daraus fiir die »Grenzarbeit«, die »Verbindungsstellen« und die »politische Führung der operativen Leltungen im Lande«?® Eine Reihe von theoretischen Fragen stellte sich neu. Die nationale Frage riickte ımmer mehr in den Vordergrund. Darauf wird im Folgenden noch einzugehen sein. Am 17. Oktober legte Ulbricht einen Stimmungsbericht über die Wirkung des Nichtangriffspaktes in Deutschland vor. Dieser war für Manuilski bestimmt und stiitzte sich auf euphorische Berichte der Instrukteure.> Im Ergebnis dessen entstand ein erster orientierender Brief von Walter Ulbricht und Herbert Wehner an die Parteileitungen im Lande vom 21. Oktober 1939.° In der Literatur wurde die im Brief zum Ausdruck kommende »Realitdtsferne der Autoren zum Alltag im faschistischen Deutschland« hervorgehoben.° Im Brief hieß es: »Manche Parteifunktionire und Parteiorganisationen haben sich bisher auf die Berichterstat-
tung und auf die Flisterpropaganda beschrankt. Das ist oft 56 Ebcnda. Bl. 101. 57 Sichc Handschriftliche Notizen von Wilhelm Picck. Sitzung der deutschen Genossen. 7. Oktober 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 98-99. 58 Handschriftliche Notizen von Wilhelm Picck. Aussprache mit Walter [Ulbricht]. 8. Oktober 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 105. 59 Sichc Zapiska Ul’brichta »O vozdcjstvii v Berline pakta o nenapadenit«
(17
Oktabrja
1939).
In:
Komintern
i vtoraja
Cast’ I: Do 22 ijunja 1942 g. Moskau 1994. S. 138-141.
mirovaja
vojna.
60 Sichc Entwurf cines Bricfes an dic Partcilcitungen im Landc. 21. Oktober 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 119-126. 61 Sichc Norbert Podewin: Walter Ulbricht. Einc ncuc Biographic. Berlin 1995. S. 141.
36
der Ausdruck der Spekulation auf die Spontaneität der Entwicklung der Ereignisse. Diese opportunistische Passivität ist
gegenwärtig die größte Gefahr, denn sie hindert die Arbeiterklasse, die Krise des Kapitalismus auszunutzen, um die Massen ım Kampf zusammenzuschließen und an den revolutionären
Kampf zum Sturze der kapitalistischen Herrschaft heranzuführen. Es ist eines Kommunisten und revolutionären Arbeiters unwiirdig, ın selbstzufriedener Weise die wachsende Opposition gegen den Krieg zu registrieren, statt mutig die Massenpropaganda
über den imperialistischen Charakter des
Krieges und seine Ursachen und den kapitalistischen Massenwiderstand zu organisieren.«® Am 1. November notierte Pieck mit Blick auf einen von Dimitroff angeregten Meinungsaustausch von Vertretern der KPO, KPTsch und KPD seine Vorstellungen von der Aufgabe der gemeinsamen Beratung.®® Er benannte gemeinsame nationale und soziale Aufgaben und ging in diesem Zusammenhang auf »die von der KPD-Auslandsleitung gemachten Fehler« ein.® Während Koplenig das Fehlen von Informationen und Berichten aus dem Lande seit Kriegsausbruch konstatierte,* informierte Ulbricht über zwei Parteileitungssitzungen in Berlin und im Ruhrgebiet.®
Florin unterstrich, laut Piecks Notizen, daß »Voraussetzungen fiir [die] Schaffung des Sozialismus vorhanden [sind], [und] deshalb eigentlich [die] proletarische Revolution« ange-
strebt werden konne. Dieser absurden Diagnose folgte die Ein-
schiatzung:
Die
KP
sei »auBerordentlich
schwach«,
sie sei
zwar geschwicht, habe »aber große Reserven«.®’” Die Taktik des » Trojanischen Pferdes« sollte wiederbelebt werden. Am 2. November 1939 ging Pieck in seinen Notizen ausführlich auf die Kaderfragen und die Kaderpolitik ein.*® In die62 63
Ebcnda. S. 142. Sichc Handschriftliche Notizen von Wilhelm Picck. 3 Parteien. 1. November 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/540. Bl. 97-111. 64 Sichc cbenda. Bl. 99. 65 Sichc cbenda. Bl. 108. 66 Sichc cbenda. Bl. 110. 67 Ebenda. Bl. 117. 68 Sichc Handschriftliche Notizen von Wilhelm Picck. Dcutsche Genosscn. 2. November 1939, In: SAPMO-BArch. NY 4036/496.
37
ser Analyse spielte die Parteivergangenheit der untersuchten
Personengruppen,
insbesondere
ihre Zugehörigkeit
Gruppierungen« eine außerordentlich große Rolle.
»zu alten
Noch im Straflager Le Vernet bedrohten stalintreue Kommunisten ihre früheren Genossen, die sich nach dem Pakt von
der Partei abgewandt hatten, mit Repressalien.®
Die Politik nach der »Brüsseler Konferenz« erfuhr tendenziell eine Neubewertung. Philipp Dengel war der Meinung, die Partei habe »eine richtige Linie« gehabt, »aber nicht (die) rich-
tige Politik durchgefiihrt«.”” Die »Kollektive Arbeit (sei) niemals entwickelt« gewesen.”! Vom 23. bis 29. November 1939 fanden in Permanenz Sitzungen der deutsch-tschechisch-6sterreichischen Kommission statt. Die Parteivorsitzenden unterbreiteten Vorschlédge fiir die Ausrichtung ihrer Parteien. Wihrend viele Mitglieder der KPD den Schock des HitlerStalin-Paktes noch nicht {iberwunden hatten, feierte Moskau
den 60. Geburtstag Stalins. Das Verhéltnis zwischen der Sowjetunion und Hitlerdeutschland in der »Pakt-Zeit« nahm fiir cinen deutschen Antifaschisten zunehmend absurde Ziige an. Die KPD-Fiihrung gratulierte auch im Namen ihres eingekerkerten Vorsitzenden Thälmann und berief sich auf die weise Entscheidung des Nichtangriffspaktes, der inzwischen fiir alle Werktätigen ın Deutschland zur Herzensangelegenheit geworden sei.” Die »Prawda« veroffentlichte Stalins Antwort auf die Gliickwiinsche aus dem Ausland. An Hitler antwortete er: »Ich bitte Sie, meine Dankbarkeit
fiir die Gliickwiinsche und meinen Dank fiir Ihre guten Wiinsche für die Völker der Sowjet-Union entgegenzunehmen.« 69 Sichc Babcttc Gross: Willi Miinzenberg. Einc politische Biographic. Lcipzig 1991. S. 483. 70 Handschriftliche Notizen von Wilhelm Picck. Dcutsche Genossen. 2. November 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 4. 71 Siche cbenda. Bl. 5. 72 Siche Privetstvic CK KPG 1. Stalinu v svjazi s cgo 3cstidesjatilcticm ot 21 dckabrja 1939 g. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ I: Do 22 ijunja 1942 g. Moskau 1994. S. 204-206. 73 Eintragung Gceorgi Dimitroffs vom 24. Dczember 1939. In: Georgi Dimitroff: Tagebiicher 1933-1943 ... S. 286.
38
— An Ribbentrop schrieb Stalin: »Ich danke Ihnen, Herr
Minister, für die Glückwünsche. Die mit Blut besiegelte Freundschaft der Völker Deutschlands und der Sowjetunion
hat alle Aussicht, langandauernd und beständig zu werden.«” Adolf Hitler hatte an Stalin geschrieben: »Zu Ihrem sechzigsten Geburtstag bitte ich Sie, meine aufrichtigen Glückwünsche entgegenzunehmen. Ich verbinde hiermit meine besten Wünsche für ihr persönliches Wohlergehen sowie für
eine glückliche Zukunft der Völker der befreundeten Sowjet-
union. Adolf Hitler.«™ Das Reichspropagandaministerium hatte dann doch Abstand davon genommen, »besondere Sprachregelungen« zu
dem
am
22.
Dezember
1939
stattfindenden
60. Geburtstag
Stalins herauszugeben. Joseph Goebbels lehnte Veroffentlichungen zu Stalins 60. Geburtstag als nicht zweckmaBig ab.” Als das Jahr zu Ende ging, waren »die Bahnen Stalins und Hitlers durch geheime Kraft miteinander verbunden«. Viele stellten sich, wie Trotzki, die Frage: »Welcher Art ist diese Kraft? Wie lange wird sie anhalten?«’ Die Situation der Antifaschisten wurde immer unhaltbarer. »Von Moskau seı Mitteillung gekommen«, hieß es ın einer Information an Otto Niebergall, dem KPD-Vertreter beim ZK der KPF in Paris, »daß sich alle Emigranten, die wegen leichter
Fälle [...] emigrierten, nach Hause begeben und, gleich was kdme, keinen Kontakt zur illegalen Organisation aufnehmen,
sondern selbstindig im Sinne unserer Politik arbeiten (sollen)«.”’ Emigranten wurden aus der Sowjetunion ausgewiesen und bei ihrer Ankunft in Deutschland von der Gestapo in Empfang genommen. 74 Sowjctstern und Hakenkrcuz 1938-1941. Dokumente zu den dcutschsowjctischen Bezichungen. Hrsg. und cingel. von Kurt Pétzold und Giinter Rosenfeld. Berlin 1990. S. 282. 75 Siche Kricgspropaganda 1939-1941. Geheime Ministerkonferenzen im Reichspropagandaministerium. Stuttgart 1966. S. 247. 76 Lco Trotzki: Das Zwillingsgestirn Hitler-Stalin. In: Lco Trotzki: Schriften 1. Sowjctgescllschaft und Stalinsche Diktatur Bd. 1.2. (19361940). Hrsg. von Helmut Dahmer u. a. Hamburg 1988. S. 1310.
77
SAPMO-BArch.
16/3/317.
Bl.
130
(zit.
nach
Erwin
Lewin:
Der
Kon-
flikt zwischen der Moskauer Partcifithrung und dem Sckretariat des ZK
der KPD
... S. 286).
39
Die radikale Wende in der sowjetischen Außenpolitik war mit den Grundsätzen selbst des stalinisierten Marxismus-Leninismus nicht zu vereinbaren. Die theoretischen Kapriolen von KPdSU(B) und Komintern in der »Pakt-Zeit« wurden deshalb
in der offiziıösen Parteigeschichtsschreibung verschwiegen. Sie sind jedoch — wie zu zeigen sein wird — ın threr brutalen Unterordnung theoretischer Grundsätze unter Großmachtinteressen eın Lehrbeispiel. Der pragmatische Umgang konservativer Politiker mit politisch-theoretischen Aussagen (»Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.«), erwies sich für den Anspruch sich links firmierender Politik auf die Dauer als tödlich.
40
Stalins Verrat des Antifaschismus
und seine Wirkungen auf die
Imperialismus- und Faschismustheorie von KPD und Komintern
Es widerspricht jedem Verständnis von theoretischer Grundle-
gung politischen Handelns, den atemberaubenden Kurswech-
sel der sowjetischen Außenpolitik im August/September 1939 mit theoretischen Einsichten und Überzeugungen in Verbindung zu bringen. Es handelte sich in der Tat nicht um Theorieentwicklung, sondern um die notdürftige Zurichtung der Theorie auf eine machtpolitische Praxis.' Auf der Sitzung der Mitglieder des Polbüros der KPD in Moskau am 20. August 1939 stand noch zur Behandlung: »Frage des Imperialismus — Nationale Frage, faschistische Aggression, ob deutsches Volk schuldig, Zerstückelung Deutschlands.«* Herbert Wehner untersuchte zum Beispiel, ob
ın der KPD-Literatur eine richtige Analyse des deutschen Faschismus, als deutscher aggressiver Imperialismus, so wie der VII. Weltkongreß diesen charakterisierte, erfolge. Aus den Notizen Piecks ist ersichtlich, daß Wehner nach
den treibenden Kräften des aggressiven deutschen Imperialismus bei konkreten EinzelmaBBnahmen fragte. »Wer sind die treibenden Krifte, die auf Besetzung der Tschechei und Protektorat gedrängt haben.«’
In der Diskussion wurde auf Jirgen Kuczynski, Gerhart Eisler und Albert Norden verwiesen, die Antworten auf die I 2 3
Siche Pctra Grubitzsch: Dic Impcrialismusthcoric und -analysc der KPD im Kampf gcgen Imperialismus, Faschismus und Kricg (1939-1945). Phil. Diss. Leipzig 1986. Handschriftlichc Notizen von Wilhelm Picck. Sitzung der dcutschen Genossen, 20. August 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. BlI. 60. Ebcnda.
41
Frage
zu
geben
versuchten:
Wer
sind
die wahren
Herren
Deutschlands? Es wurden Monopolgruppen benannt: Das Ka-
lisyndikat, AEG, Reemtsma, Versicherungskonzerne, der Göring-Konzem.
Die Zusammensetzung des Reichsbankbeirates wiirde einigen Aufschluß geben, »obwohl es wohl gar nicht die entscheidenden Leute sind« — »Zur leitenden Kontrolle Führung
der Wirtschaft wichtig.«* Namen wie Thyssen, Krupp, Wolf, Kurt Schmidt wurden genannt. Wehner charakterisierte den deutschen Faschismus als »die reaktionérste Abart«, »kein bloßer deutscher Nationalismus,
der als »StoBtrupp der internationalen Konterrevolution« auftritt.” Pieck notierte: »IV) Stärkstes Argument ist Existenz und Entwicklung der SU — Hauptfeind ist dtsch. [deutscher]
aggr.[essiver] Faschismus — nicht ablenken durch Ausfille ge-
gen engl.[ischen] und franz.[z6sischen] Imp.[erialismus].«°
Unter dem Punkt »V) Worauf stiitzen und wieweit unsere
Beschliisse ergidnzen, revidieren
1.) auf Kampfbiindnis der dtsch. [deutschen] werkt. tigen] Massen mit unterdriickten Volkern
[werktä-
2.) Forderung und Konzentrierung, alles gegen fasch.[istische] Zcntralgewalt gerichtet
3.) Int.[ernationale] Solidaritit stirken — Biindnis mit den von
fasch.[istischer] Aggression bedrohten Völker
4.) Richtige Darstellung der SU [...]«’
In dem
bereits erwdhnten
Dokument
der Pariser Fiih-
rungsgruppe des ZK der KPD ın Paris, der »Erkldrung des ZK
der KPD zum Abschluß des Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Deutschland« vom 25. August 1939, verof-
C
NN W
S
fentlicht in der »Baseler Rundschau«, wurde der Nichtangriftspakt als »ein Pakt zur Wahrung des Friedens zwischen Deutschland und der Sowjetunion« bezeichnet.®
42
Ebcnda. Bl. 61. Siche cbenda. Ebcnda. Bl. 63. Ebcnda. Bl. 63f. Sichc SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 67. — Sichc auch Franz Dahlem: Am Vorabend des Zweiten Weltkricges. Erinnerungen 1938 bis August 1939, Berlin 1977. Bd. 2. S. 357-361.
Darın hieß es auch: »Hitler hat den Nichtangriffspakt mit
der Sowjetunion nur in der Notlage einer schwierigen Situation abgeschlossen [...] Das ganze deutsche Volk muß der Garant
für die Einhaltung des Nichtangriffspaktes der Sowjetunion und Deutschland sein. Nur wenn das deutsche Volk selbst das Schicksal der deutschen Nation in seine Hände nimmt, wird
der Friede gesichert sein. Vertraut nur auf Eure eigene Kraft!« Die Kampflosung war: »Fiir eine freie deutsche Republik, ın der das deutsche Volk selbst über sein Schicksal und seine Zukunft entscheiden kann.«’ Sehr deutlich wurde formuliert: »In dieser Stunde, wo Hitler das polnische Volk und ande-
re Volker auf das duflerste bedroht, rufen wir alle deutschen Arbeiter, das ganze deutsche Volk auf, sich zusammenzuschlie-
ßen und den Kampf aufzunehmen, um in der Stunde hochster Gefahr den Frieden zu retten. Stiirzt Hitler das deutsche Volk trotz allem ın die Katastrophe des Krieges, dann muß jeder Deutsche wissen: der Nationalsozialismus ist der Schuldige am Krieg!«'° In Diktion und Terminologie ist diese Erkldrung der Beratung der Moskauer Fiihrungsgruppe noch sehr nahe. In vielem 1llusorisch wird dennoch nahezu verzweifelt versucht, den
antifaschistischen Grundkonsens von KPD und Komintern zu retten und mit der auBBenpolitischen Wende Stalins zu verbinden. Ein Flugblatt »Die Politik der Sowjet-Union ist die Politik des Friedens! Der Nichtangriffspakt ist kein Biindnis und kein Beistandspakt!«, das nach Angaben der Gestapo von der Grenzleitung der KPD in Ziirich verbreitet wurde,'' und offensichtlich noch vor dem 1. September 1939 entstand, ent-
sprach genau dieser Linie. Es wurde eindeutig erklért, daß der
Nichtangriffspakt kein Beistandspakt sei. »Sie wollen Euch einreden, jetzt hitte das 3. Reich freie Hand gegen Polen. Sie ligen sogar, Stalin wolle mit Hitler Polen teilen. Sie prahlen
9 Ebenda. Bl. 68. 10 Ebcnda. Bl. 68f. 11 Siche Bericht der Gestapo-Leitstclle Miinchen. 9. Oktober 1939, In: SAPMO-BArch. R 58/4073. Bl. 2. — Das Flugblatt sichc cbenda. Bl. 3—4.
43
frech, jetzt freie Hand gegen den Westen zu haben. Sie lügen! Sie ligen!«
»An der konsequenten Friedenspolitik der SU und an ihrer Hilfsbereitschaft für alle angegriffenen und um ihre Unabhän-
gigkeit kämpfenden Völker hat sich nichts geändert. Auch der
Nichtangriffspakt mit Deutschland dert.«
hat daran nichts geän-
»Der Nichtangriffspakt hindert weder das Zustandekommen von Bündnissen zur Verteidigung gegen die faschistischen Angreifer, noch die Ausführung der sich aus solchen Verteidigungsbündnissen gegen die faschistischen Angreifer ergebenden Aufgaben [...] Jetzt haben die Völker der anderen Länder das Wort. Sie müssen die Lehren ziehen. Wollen sie ebenso wie die SU von einem kriegerischen Angriff der faschistischen Mächte verschont bleiben, dann müssen sie jede Wiederkehr Münchener Verbrechen unmöglich machen, ihre Regierungen zwingen oder andere Regierungen, die die Stimme des Volkes vertreten, einsetzen, damit sie gegen die faschistischen Angriffsdrohungen fest bleiben und endlich die feste Friedensverteidigungsfront schaffen.« Schwer
vorzustellen,
wie
die Verfasser
und Adressaten
Pakt so extreme Wendung
gegen die West-
dieses Flugblattes auf den Einmarsch der Roten Armee ın Polen und die vierte Teilung Polens reagierten. Die seit dem
mächte kam nicht voraussetzungslos. Schon mit dem Münchener Abkommen und der Besetzung der Tschechoslowakei sowie dem Anschluß von Böhmen und Mähren ım März 1939 gewannen schärfere, teilweise überzogene Stellungnahmen gegen Chamberlain und Daladier an Gewicht. Die »englische und französische Plutokratie [wurden als] beste Helfer des Faschismus
[bezeichnet], die mit Hitler
das Münchener Diktat gemacht haben, die es sehr gern sehen würden, wenn Hitler Krieg führen würde gegen die Sowjetunion«.'-
12 Hitlers Sturz — die cinzige Sicherung des Friedens!. In: »Dic Rote Fahnc«.
44
o. O. (1939)3.
Die Chamberlains, Daladier und Bonnet usw. hätten es der
Nazidiktatur erst ermöglicht, Österreich und die Tschechoslowakei ohne einen Schuß zu annektieren. Es ist von einigem Interesse, der Frage nachzugehen, wie sıch die Vorstellungen der KPD und Komintern von möglichen Kriegsszenarien wandelten. 1933 war folgendes Szenario vorherrschend: »Die faschi-
stische Diktatur in Deutschland hat die beiden Gruppen der Gegensétze [Widerspriiche zwischen den kapitalistischen Ländern und die zwischen ihnen und der Sowjetunion — d. Verf.] zugespitzt und eine Situation geschaffen, in der sich ein ei-
genartiges
Wettlaufen
des Riistens zu zwei
Kriegen
— zum
Krieg gegen die UdSSR und zum Krieg zwischen den kapitalistischen Ländern vollzieht. Niemand kann heute voraussagen,
welcher Krieg zuerst beginnen [...] wird.«"? 1935 setzte sich im Rahmen der Volksfrontpolitik die Auffassung durch, daß mit der Politik der kollektiven Sicherheit eine Moglichkeit entstand, den impernalistischen Krieg in der konkreten internationalen Situation zu vermeiden bzw. hinauszuschieben. Ihre reifste Auspragung fanden diese Auffassungen im Referat Palmiro Togliattis auf dem VII. Weltkongref3 der Komintern." Die kommunistische Theorie ging davon aus, daß der Krieg eine zwangsldufige Erscheinung des kapitalistischen Re-
gimes sei, aber ebenso, daß der Kampf fiir den Frieden kein
aussichtsloser Kampf sei. »Wenn es richtig ist, daß in der Haltung der verschiedenen Linder Unterschiede bestehen, folgerte Togliatti, »so miissen wir sie bei der Festlegung unserer revolutiondren Strategie und unserer Taktik ım Kampf gegen den Krieg ın Betracht ziehen.«'? »Die aggressive Politik des deutschen Faschismus und des japanischen Militarismus fiihrt unvermeidlich zu einer neuen Verschirfung aller internationalen Gegensitze, gleichzeitig 13 N. Rudolf:
Hitlers Außenpolitik.
nalc. Bascl (1933)13.
In: Dic Kommunistischen
Intcrnatio-
S. 587.
14 Siche Palmiro Toghatti: Dic Vorbereitung des impcrialistischen Kricges und dic Aufgaben der Kommunistischen Internationale. In: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Resolutionen. Berlin 1975. S. 202, 15 Ebenda. S. 194,
45
aber auch zu einer Differenzierung in der Politik der imperialistischen Großmächte,
von denen einige an der Verteidigung
des Status quo und an einer zeitweiligen, bedingten Verteidigung des Friedens interessiert sind.«'® Der deutsche Faschismus wurde unzweideutig als Hauptfeind des Friedens ausgemacht.
»Es ist nicht schwer vorauszusehen, was ein siegreicher Krieg des deutschen Faschismus für Europa bedeuten würde. Ein solcher Krieg wäre das Ende der nationalen Unabhängigkeit der Tschechen, der Litauer, anderer kleiner baltischer Völker,
der Polen, Holländer und Belgier [...] Durch Konzentrierung des Feuers unseres Kampfes gegen den Hauptfeind des Frie-
dens, gegen den deutschen Faschismus — was uns nicht hin-
dert, einen unversöhnlichen Kampf gegen den »eigenen« Imperialismus und die extremen Kriegsparteien der mit dem deutschen Faschismus verbundenen kapitalistischen Länder zu fiihren —, erfiillen wir unsere Rolle als riickhaltlose Verteidiger
aller Freiheiten und Errungenschaften der Arbeiterklasse und der Werktdtigen und verteidigen zugleich die nationale Freiheit.«'/
Aus dieser Konstellation ergaben sich neuartige Bündnis-
optionen. »Es kann
für niemanden
ein Zweifel
darüber
bestehen,
daß der kommende Krieg, selbst wenn er als Krieg zwischen zwel imperialistischen Großmächten oder als ein Krieg irgendeiner Großmacht gegen ein kleines Land beginnt, zwangsläufig die Tendenz
haben wird, sich zu verbreitern, und unbedingt
auf einen Krieg gegen die Sowjetunion hinauslaufen wird. Jedes Jahr, jeder Monat Aufschub ist für uns eine Garantie, daß dic Sowjetunion dem Angriff der Imperialisten eine stärkere Abwehr zu erweisen vermag. So ist unser Kampf für den Frieden unmittelbar mit der von der Sowjetunion geführten Friedenspolitik verbunden.«'® In diesem Kontext gewann die nationale Frage eine neue Dimension. Von der Biindnispolitik bis hin zu gravierenden Neuansitzen bei der Ausformung des Geschichtsbildes wurde 16 17 18
46
Ebcenda. Ebenda. S. 189. Ebenda. S. 205.
die veränderte Sicht auf die nationale Frage zu einem Katalysator der strategischen Neuorientierung der Komintern.'® »In Erkenntnis der Rolle, die die nationale Frage im Leben der Volker spielt, konnen wir es als durchaus wahrscheinlich
betrachten, daß im Falle eines durch den deutschen Faschis-
mus provozierten Krieges einige Völker Europas, die ihre Unabhédngigkeit um den Preis so schwerer Leiden errungen haben, es zwecks Wahrung dieser Unabhingigkeit vorziehen werden, den Kampf an der Seite der Sowjetunion zu fiithren [... ]«
»Die deutschen Faschisten, die die Hauptbrandstifter des Krieges sind und nach der Hegemonie des deutschen Imperialismus in Europa streben, stellen die Frage nach der Anderung der europidischen Grenzen durch einen Krieg, auf Kosten threr Nachbarstaaten. Die abenteuerlichen Pläne der deutschen Faschisten gehen äußerst weit und sind auf einen Revanchekrieg gegen Frankreich, auf die Aufteilung der Tschechoslowaker, die Annexion Osterreichs, die Vernichtung der Selbstindigkeit der baltischen Länder, die sie ın eın Aufmarschgebiet fiir eine Uberfall auf die Sowjetunion verwandeln wollen, auf die LosreiBung der Sowjetukraine von der Sowjetunion berechnet. Sie beanspruchen Kolonien und sind bestrebt, Stimmung fiir elnen Weltkrieg zu entfachen, der fiir eine Neuaufteilung der Welt gefiihrt werden soll.«*' »Es ist notwendig, nicht nur allgemeine Propaganda fiir den Frieden, sondern in erster Linie Propaganda gegen die Hauptkriegstreiber, gegen die faschistischen und anderen imperialistischen Kriegsparteien und gegen die konkreten Maßnahmen zur Vorbereitung des imperialistischen Krieges zu treiben.«*?
D
19 Sichc dazu ausfiithrlich Werner Berthold: Marxistisches Geschichtsbild — Volksfront und antifaschistisch-demokratische Revolution. Berlin 1970. 20 Palmiro Togliatti: Dic Vorbercitung des impcrialistischen Krieges und dic Aufgaben der Kommunistischen Internationale. In: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Rcesolutionen. Berlin 1975. S. 214. 2 Resolution zum Bericht Ercolis [Palmiro Togliatti], angecnommen am 20. August 1935. In: Ebenda. S. 324, 22 Ebenda. S. 329.
47
In der Resolution des Kongresses zum Referat Togliattis wurde ausdrücklich die Pflicht der Arbeiterklasse und der Kommunisten benannt, im Falle der Bedrohung der nationalen
Unabhängigkeit kleinerer Staaten durch imperialistische Groß-
mächte die Partei der nationalen Befreiungsbewegung
zu er-
greifen. »Wird irgendein schwacher Staat von einer oder mehreren
imperialistischen Großmächten überfallen, die seine nationale
Unabhéngigkeit und nationale Einheit vernichten oder seine Aufteilung
durchfiihren
wollen,
wie
das
in der Geschichte
zum Beispiel bei der Aufteilung Polens der Fall war, so kann der Krieg der nationalen Bourgeoisie eines solchen Landes zur
Abwehr des Uberfalles den Charakter eines Befreiungskrieges annehmen, in den die Arbeiterklasse und die Kommunisten
dieses Landes eingreifen miissen. Die Aufgabe der Kommunisten eines solchen Landes besteht darin, [...] gleichzeitig in die vordersten Reihen der Kampfer fiir die nationale Unabhéngigkeit einzutreten [...]«* Dieses in sich geschlossene Konzept wurde bereits vor dem Nichtangriffsvertrag schrittweise zur Disposition gestellt.
Nach dem Miinchener Abkommen ließ die Sowjetunion wissen, daß es ihr jetzt nur noch darauf ankdme, sich aus dem
bevorstehenden imperialistischen Krieg herauszuhalten.** Ulbricht schrieb in Auswertung von Miinchen, daß der zweite imperialistische Krieg bereits begonnen habe.” Auf der »Berner Parteikonferenz« 1939 warnte die KPD in ithrer Resolution vor einem interimperialistischen Krieg, der das deutsche
Volk
in eine Katastrophe
stiirzen wiirde, denn
dies wiirde ein Krieg gegen die gewaltige Front aller von Hitler und der Kriegsachse bedrohten und angegriffenen Volker werden. Dahlem
erklärte, »daß die »Münchner«
Politiker versuch-
ten, Hitler gegen die Sowjetunion anzustacheln. Diese Pläne 23 Ebcenda. S. 323ff. 24 Dic »Prawda« schricb, daß dic Sowjctunion »kcinen Unterschicd zwischen dcutschen und englischen Räubern« sche und daß cs allcin das Anlicgen der »demokratischen Länder« Westcuropas sci, wenn ihre Interessen von Dcutschland in Europa oder Ubcrsce herausgefordert wiirden (zit. 25
48
nach Horst Duhnke: Dic KPD von 1933 bis 1945. Köln 1972. S. 307). Siche Dic Kommunistische Internationale. Moskau (1938)12. S. 1331.
würden nun durch den Heißhunger der faschistischen Wölfe
nach reichen Ländern und Kolonien durchkreuzt, die Hitler und Mussolini leichter im Westen von Frankreich und England
zu erhalten hofften.«?® Es könnte der Punkt erreicht werden, wo auch die englische und französische Bourgeoisie sich zum Kampf stellen miisse, wenn sie nicht ihre gesamten imperialistischen Interessen an den Faschismus preisgeben will. Walter Ulbricht wies auf den imperialistischen Charakter des kommenden Krieges hin, der nicht mehr einfach um Mirkte, sondern um die Neuaufteilung der Welt gefiihrt werde. Er wiederholte Stalins Versprechen, die von den faschistischen Aggressoren bedrohten und um ihre Unabhédngigkeit kimpfenden Völker zu unterstiitzen.”’ Noch war die Unterscheidung zwischen aggressiven und nichtaggressiven Ländern nicht aufgegeben. Herbert Wehner benannte die Vernichtung des deutschen Faschismus als gemeinsames Ziel aller von weiteren Kriegsund Gewaltaktionen bedrohten Vélker Europas.?® Zu Polen wurde noch festgestellt, es führe einen gerechten Kampf fiir die Verteidigung seiner nationalen Unabhingigkeit. Die AuBBenpolitik der Sowjetunion und die Antikriegspolitik der Komintern und in threm Gefolge der KPD ließ eine Reihe von Fragen offen. Eine erfolgreiche Politik der kollektiven Sicherheit hétte auch den Fall einschlieBen miissen, bei einer Aggression Hitlers, mit Kriegshandlungen zu antworten. Die KPD aber sprach immer nur vom Frieden und von der Friedensaktion der Sowjetunion. Zeigte Spanien nicht die Neigung aller euro-
päischen Großmächte, einschlieBlich der Sowjetunion, eine di-
rekte Auseinandersetzung mit Nazideutschland zu vermeiden? Die Sudetenkrise spiegelte das ebenfalls. Die Sowjetunion hatte zwar erklärt, daß sie ihren Verpflichtungen aus dem sowjetisch-tschechoslowakischen Vertrag nachgekommen wire, wenn Frankreich seinen Verpflichtungen nachgekommen wire. Aber war diese Erklarung mehr wert als das Papier auf 26 27
Dic Kommunistische Internationalc. Moskau (1939)3/4. Sichc Walter Ulbricht in Dic Rundschau. Bascl (1939)14.
29
nalc. Moskau (1939)5. S. 618ff. So Walter Ulbricht in Dic Rundschau.
28 Siche Kurt Funk [Herbert Wehner]
in Dic Kommunistische
Internatio-
Bascl (1939)45. S. 1287.
49
dem sie geschrieben wurde? Angesichts der Enthauptung der
Roten Armee durch Stalin muß daran gezweifelt werden. Auch stellte sich die Frage, ob die sowjetische Bevölkerung auf einen solchen Fall vorbereitet war? Der Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen stellte diese Fragen neu und auf neuc Weise. Der Bruch mit der strategischen Orientierung des VII. Weltkongresses wurde nunmehr evident. Die Unterscheidung zwischen faschistischen Staaten (Italien, Deutschland, Japan), die als besonders aggressiv charakterisiert wurden, weil sie das Kräfteverhältnis iın Europa und
Asien verändern wollten, gegenüber den nichtfaschistischen Staaten wurde preisgegeben. Deutschland, bis dahin als der Hauptkriegsbrandstifter in Europa verortet, wurde den anderen europäischen Großmächten gleichgestellt, oder gar den Westmächten die Hauptschuld am Kriegsausbruch zugeordnet. Nach dem Abschluß des Nichtangriffspaktes und dem Überfall auf Polen schien nach den Verlautbarungen von Komintern und KPD, so Kurt Pätzold, »dieser Krieg von gänzlich
anderem Charakter zu sein als derjenige, den der [VII. Welt-] Kongreß vorausgesagt, vor dem er gewarnt, den zu bekämpfen er aufgerufen hatte«.* Der Emigrationsvorstand der SPD in Parıs stellte sıch un-
eingeschränkt hinter die Kriegsziele der englischen und fran-
zösischen Regierung. Deshalb wurde von Komintern und KPD die Haltung sozialdemokratischer Parteien zur geradlinigen Folge des Augustes 1914 erklärt und vom Verrat der Arbeiterund Friedensinteressen gesprochen.
Als Muster für die Beurteilung des Krieges galt der Erste Weltkrieg, sowohl bei der Beurteilung des Charakters des Krieges wie bei der Orientierung der Werktätigen aller beteiligten Länder auf den Sturz der eigenen Regierung.’! Auf dem 30 Kurt Pätzold: 31
Marxistischc
Dic Faschismusdefinition der Komintern
Blätter.
Frankfurt am
Beispiele sind: Die Stimme nalc. Moskau (1940)1. S. Bemerkungen zur Frage (1940)11-12. S. 764-787.
Main
(1995)5.
S. 59.
1933/1935.
In:
Lenins. In: Dic Kommunistische Internatio1-8. — Pcter Wicden [Ernst Fischer]: Einige des Imperialismus. In: Ebenda. Moskau — Sichc auch Aufsätzc von Eugen Varga in
cbenda. Moskau (1940)1. — Ebenda. Moskau (1940)3/4. — Ebenda. Moskau (1940)6. — Ebcnda. Moskau (1940)9. — Ebenda. Moskau (1941)3.
50
Stuttgarter Kongreß der Zweiten Internationale war 1907 ein-
stimmig beschlossen worden, die Arbeiter und ihre parlamen-
tarıschen Vertreter sollten »alles aufbieten, um den Ausbruch
des Krieges durch Anwendung entsprechender Mittel zu ver-
hindern [...] Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit al-
len Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.«** Rosa Luxemburg, W. I. Lenin und Julian Martow hatten den Entwurf Bebels im Sinne des Sturzes der eigenen Regierung bei Kriegsausbruch zugespitzt. daß
In falscher Analogie zum Ersten Weltkrieg wurde erklärt, alle beteiligten Staaten (d. h. Deutschland, England,
Frankreich, Polen** gleichermaßen an der Neuaufteilung der Welt interessiert seien. Diese Interessen seien die vorherrschenden — sie bestimmten den Charakter des Krieges. Er wurde als ein allseitig imperialistischer Krieg gekennzeichnet. Im nicht mehr erschienenen Band 2 der SED-Geschichte wurde relativierend und apologetisch erklärt: »In den ersten Tagen und Wochen wirkten die Besonderheiten des Krieges noch nicht verdndernd auf seinen Charakter. Méglichkeiten, daf3 sich die militdrische Auseinandersetzung mit Hitlerdeutschland zu einem allgemeinen antifaschistischen Befreiungskrieg entwickeln könnte, wurden durch die Abwartehaltung im »seltsamen Krieg« zunichst eingeengt.«** Am 31. August hatte Aulenminister Molotow in seiner Erklärung vor dem Obersten Sowjet den sowjetisch-deutschen 32 Rcsolution des Intcrnationalen Sozialistenkongresses zu Stuttgart zum Tagcsordnungspunkt »Dcr Militarismus und dic intcrnationalen Konfliktc«. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in acht Bänden. Bd. 8. Berlin 1966. S. 370. 33 Am 3. Scptember 1939 crklärten GroBbritannicn und Frankrcich dem Dcutschen Reich den Kricg. Auf britischer Scite tratcn dic Dominicen Australicn, Indicn und Ncusccland sowic cinige Tage später dic Siidafrikanischc Union und Kanada in den Kricg cin. Dic faschistische Aggressionspolitik hattc mit dem Angriff auf Polen den Zweiten Weltkricg cntfessclt. 34 Geschichte der SED. Band 2 (unverdffentlichte Druckvorlage) [1989]. S. 820.
51
Nichtangriffsvertrag als gelungene Durchkreuzung der von den Westmächten ausgehenden Versuche dargestellt, einen Konflikt zwischen Deutschland und der Sowjetunion herbeizuführen. Auf diese Rede, als wichtiger Wegweiser für die Politik der KPD,
verwies Herbert Wehner
in der Sitzung der
Moskauer Führungsgruppe der KPD am 2. September 1939. Die handschriftlichen Notizen von Wilhelm Pieck von der Sckretariatssitzung des Exekutivkomitees der Komintern am 1. September 1939 geben einen Eindruck von der dramatischen Diskussionslage:™ »Deutsch-polnischer Krieg hat schon begonnen. Moglich, daß auch England und Frankreich eingreifen. Lage der kommunistischen Parteien ın England und Frankreich. Wie Stellung neutraler Lander/ = Jetzt Lage sehr kompliziert durch den Pakt SU mit Deutschland, steht neutral beiseite,
vor Teilnahme der SU, gerechter Krieg fillt weg. Jetzt England gegen Deutschland, fiir Polen. Ob friiher Stellung franz.[ösıscher] und engl.[ischer] KP Verteidigung gegen faschistische Aggression richtig. Fiir KPD am leichtesten, defatistische Position beibehalten, auch Osterr.[eichischer] — tschech.[ischer] Partei. Aber fiir englische KP anders. Chamberlain-Regierung hat jetzige Lage geschaffen 1) koll.[ektive] Sicherheit zerstort
2) Tschech.[e1], Spanien verraten 3) haben Verhandlungen mit SU gehindert 4) alles für Krieg Deutschland gegen SU provoziert Soll KP die Regierung Chamberlains unterstiitzen? Nein!
Negative Position einnehmen, ihre Verbrechen aufzeigen. Verteidigung nur dann, wenn andere Regierung, die nicht impe-
rialistische Ziele verfolgt. KP Frankreich dhnlich — fiir die Verteidigung des Landes, aber nur unter Bedingungen, aber nicht diese Regierung unterstiitzen, die keine Garantie, die Kommunisten verfolgt. Wenn
eine andere Regierung, dann Mafinahmen unterstiitzen. Nicht
ohne Reserve iibernchmen.
35
52
für Regierung
Siche Handschriftliche NY 4036/540.
Notizen
eintreten und Verantwortung
Wilhelm
Piccks.
In:
SAPMO-BArch.
Polen = Regierung ebenfalls schuldig an der Lage. Unter-
stützung SU abgelehnt, nicht unterstützen [...] Neutrale Län-
der = Kommunisten sollen Stellung weder auf Seite Englands, Frankreichs,
noch
Deutschlands,
Italiens.
Früher Neutralität
nıcht günstig, wo ın Front der SU, jetzt nicht SU, deshalb militdrische Neutralität, politischer Kampf gegen England, Frankreich, Deutschland, Polen, gegen Reaktion im eigenen Lande, wenn diese für eine der beiden Seiten England, Frank-
reich, Polen, Deutschland, Italien.«*®
Manuilskı: »gerechter Krieg, Krieg Spanien gegen Deutsch-
land — Tschechei, Frankreich, England, SU zusammen. Nach dem Verrat — Spanien, Tschechei, SU — Krieg für
Polen kein gerechter Krieg. Zwei faschistische Staaten kämpfen gegeneinander. Polnische Kommunisten defätistische Stellung richtig. England und Frankreich — kontra Deutschland — ist imperialistischer Krieg, deshalb Position wie 1914, gegen imperialistischen Krieg. Erklarungen Cachin, Thorez sind nicht richtig, begrüßten Mallnahmen der Regierung, besser gegen den Strom, fiir Polen kdmpfen.«’’ Kuusinen: »ob defitistische Stellung wie 1914 fraglich, nur für Verteidigung, wenn in Frankreich wirkliche VF [Volksfront]«.® Florin: »Polen ist Vasallenstaat, England und Frankreich verteidigen dort ihre imperialistischen Interessen [...] Unsere Stellung in Deutschland — Niederlage, Kampagne gegen HF [Hitlerfaschismus],
Sturz Hitler, dem.[okratische]
Republik
[...] Stellung zu den fasch.[istischen] Aggressoren unverindert.«* Die innere Widerspriichlichkeit, die Suche nach einer Vermittlung von antifaschistischer Grundorientierung und machtpolitischem Kalkiil Stalinscher Auflenpolitik, die sich um den ungeliebten Kurs des VII. Weltkongresses der Komintern nicht scherte, werden hier deutlich.
Dimitroff und Manuilski gaben die Argumente vor: der Krieg war auf beiden Seiten ein ungerechter. Sie betonen aber 36 37 38 39
Ebcnda. Bl. 35f. Ebenda. Bl. 36 (Hervorhebung — der Vf.). Ebcnda. Ebenda. Bl. 37.
53
noch, in Deutschland müsse sich der Kampf auf die Niederlage, auf den Sturz Hitlerregierung, auf Errichtung der demokratischen Republik richten. Die »Stellung zu den faschistischen Aggressoren [sei] unverändert«. Auch diese »Auffang«-Stel-
lung war nicht zu halten. Der Antifaschismus wurde im Verlauf
der »Paktzeit« je länger desto mehr prinzipienlos preisgegeben. Die am folgenden Tag stattgefundene Sitzung der Moskauer Gruppe der Führung der KPD vollzog die Positionen
der Exekutive nach und versuchte, sie auf die deutschen Be-
dingungen anzuwenden.
Der Krieg sei von keiner Seite eın
gerechter und deshalb nicht zu unterstützen.
Eine Verteidigung des eigenen Landes — England, Frankreich — sei nur nach Sturz der Regierung und Schaffung einer anderen Regierung zu akzeptieren.* »Was ist Neues für Deutschland?« fragte Pieck in seinen Notizen. Er notierte: »Richtlinien, wie Kampf gegen Hitlers Kriegspolitik geführt — Argumente — warum Niederlage Hitler-
faschismus notwendig — wie schützen vor Folgen der Niederlage — verteidigen gegen imp.[erialistische] Vorstöße — Sicherung der Unabhängigkeit des Landes — Bündnis mit SU —[...]«.* Herbert Wehner forderte: »An unserer Linie muß sich einiges ändern — Agitation und Praxis Nichtangriffspakt zur Waffe gegen Hitler.« Wilhelm Florin stellte fest: »vieles ist hinfällig — pol.[itische] Linie war = Krieg verhindern, [...] [jetzt ist er da] — Wenn
SU
mit
F.[rankreich]
und
E[ngland].
Krieg — ob F.[rankreich] als Verbiindeter oder nicht —
gerechter
Bel1 Sturz des Hitlerfaschismus ob Kurs auf biirgerl.[icher] Demokratie oder prol.[etarischer] Diktatur —
Massen heranfiihren an den Kampf um den Sozialismus — Kédmpfen um die Verwirklichung der Méglichkeiten dieses Paktes — Umwandlung in Freundschaftspakt nur durch Sturz des Hitlerfaschismus Nicht Losung = Deutsche verteilen [teilen?] Polen — son-
dern Unabhéngigkeit des poln.[ischen] Volkes — Freiheit der nationalen Minderheiten — 40 41
54
Siche Handschriftliche NY 4036/396. Ebenda. BI. 79.
Notizen
Wilhelm
Piccks.
In:
SAPMO-BArch.
Rev.[olutionär-] dem.[okratische] Diktatur der Arbeiter und Bauern, Bündnis der Arbeiter mit den Bauern.«*
In der Sitzung der Moskauer Führungsgruppe der KPD am 2. September wurden die Einschätzungen der Exekutive der Komintern offensichtlich noch diskutiert und darüber be-
raten, wie die KPD-Führung an die Öffentlichkeit geht, ob mit
einem Manifest, mit Briefen (Spartakusbriefe), mit einem Aufruf oder Richtlinien. Ein solcher historischer Wendepunkt verlange
ein
historisches
Dokument,
forderte
Wieden
(Ernst
Fischer). Es bewegte offensichtlich die Frage: Wie soll sıch
das deutsche Volk vor den Folgen einer Kriegsniederlage (ge-
gen England und Frankreich) schützen, wie kann die Unab-
hängigkeit
des
Landes
bewahrt
und
ein neues
Versailles
verhindert werden. Zugleich wurde die Frage diskutiert, ob eine neue Ziellosung gestellt werden müsse. Ernst Fischer for-
derte: »nicht allg.[emeine] Parole — dem.[okratische] Republik — ist zu wenig — Ziel — prol.[etarische] Rev.[olution] — als
Volksrevolution — Sozialismus«.* Bei Florin war die Umwandlung des Nichtangriffspaktes in einen Freundschaftspakt zu diesem Zeitpunkt nur durch den Sturz des Hitlerregimes denkbar. Auch im Entwurf der »Plattform des Kampfes gegen den imperialistischen Krieg und über die Perspektiven« vom 8. September 1939, den wahrscheinlich Herbert Wehner verfaf3t hat, hieß es: » Wir propagieren, daf3 der Nichtangriffspakt zu einem Freundschaftspakt werden soll, dessen Voraussetzung und Garantie die neue revolutionar-demokratische Herrschaft der Arbeiter und Bauern ist.«* Dieses Dokument fafite die Positionen der Moskauer Fiihrungsgruppe der KPD zum Krieg in dessen Anfangsphase ım wesentlichen zusammen. Der Krieg wurde als »ein von allen Seiten ungerechter und reaktiondrer Krieg«® charakterisiert. Die bereits damals erkennbare Tatsache, daß Hitlerdeutschland einen aggressiven imperialistischen Angriffskricg vom Zaune gebrochen und damit einen Weltkrieg entfesselt hatte, blieb unausgesprochen. Wohl hieß es: »Der aggressive deutsche Imperialismus strebt 42 43 44 45
Ebcnda. Ebenda. SAPMO-BArch. Ebcnda. Bl. 88.
NY
4936/496.
Bl. 92.
55
nach der Vorherrschaft in Europa und in den überseeischen Kolonien«, aber dennoch wurden die »kapitalistischen Regierungen Deutschlands, Englands, Frankreichs und Polens« in toto als Urheber des Krieges benannt. Die Plattform orientierte die internationale Arbeiterklasse auf das Ziel: »den Frieden ohne Annexionen so schnell wie möglich zu erzwingen und den imperialistischen Kriegstreibern und Kriegsprovokateuren endgültig das Handwerk zu legen. Im Interesse der internationalen Arbeiterklasse liegt die allseiti-
ge Hilfe für den Befreiungskampf des deutschen Volkes, für die Herbeiführung der sozialistischen Revolution in Deutschland.« Für »die deutsche Arbeiterklasse« steht »in diesem reaktionären Krieg [...] der Hauptfeind im eigenen Land«.* Sie miisse für die Niederlage der eigenen Regierung eintreten, für den Sturz der faschistischen Kriegsregierung als Voraussetzung zur endgültigen Zerschlagung des deutschen Imperialismus. Dabei sei in Betracht zu ziehen, »daß mit dem Sturz des Faschismus, im Kampf um den Übergang zum Sozialismus, ein Übergangsregime wahrscheinlich notwendig« sel. Dementsprechend sollten die Losungen der Partei in der Richtung liegen: revolutiondr-demokratische Herrschaft der Arbeiter und Bauern. Dies sei noch kein sozialistisches Regime, noch kein Beginn der Diktatur des Proletariats. »Unter thr wird es noch Kapitalisten und Grof3bauern geben, aber enteignet seien die Besitzer der groflen Fabriken und Werke, der Banken und die GroBagrarier.«*’ Auf einer Sitzung des Polbiiros am 9. September 1939 wurde der Entwurf diskutiert, vor allem ging es um die Frage der Perspektive, d. h. der Losungen. Wilhelm
Pieck, Wilhelm
Florin, Walter Ulbricht, Philipp
Dengel, Herbert Wehner und Klement Gottwald verstindigten sich vor allem über Grundfragen der strategischen Orientie-
rung der Partei.
Walter Ulbricht warf die Frage auf, warum jetzt die Zielstellung Sozialismus in den Vordergrund geriickt werde. Es
se1 zu »begriinden, was sich in der Lage geändert [habe], die
das erforder[e], denn sonst [entstiinde der] Anschein, als ob 46 47
56
Ebenda. Bl. 90. Ebcenda. Bl. 91.
bisher [eine] falsche Linie [vertreten wurde]«. Die bisherige Politik habe einen »neuen Typus der dem[okratischen] Republik gefordert — wie in Spanien«. Infolge des reaktionären Ver-
haltens
der
Reformisten
sei
es »nicht
gelungen,
die
der
Volksfront gestellten Aufgaben zu erfüllen«. Und nun griff Ulbricht zu einer Argumentation, die an Rabulistik schwer zu überbieten war. »Pakt der SU = große Wendung,
Verstärkung der int.[er-
nationalen] Arbeiterklasse, Friedenskräfte gestärkt, Antikominternpakt zerschlagen, Diskussion in Deutschland gefordert über Sozialismus, sozialistisches Ziel im Vordergrund, auch
weil Krise in kap.[italistischen] Ländern, bes.[onders] imp.[e-
rialistischer] Krieg macht das notwendig.«** Der Hitler-Stalin-Pakt schwächte die internationale Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen den Faschismus. Das Scheitern der Volksfront war nicht zuletzt der Neuorientierung der sowjetischen Außenpolitik und dem Stalinschen Terror geschuldet. Der Rückzug auf die alten Losungen war letztlich ein Eingeständnis des Verlustes realer Politikfähigkeit und der Flucht in abstrakte Losungen, die mit der Wirklichkeit des Klassenkampfes in Deutschland nichts mehr zu tun hatte.
Es war Herbert Wehner, der mahnte, die »Schwere des Kampfes [zu] beachten — auch bei Aufstellung der Perspektiven und Losungen — deshalb schnell genaue Festlegung für
die politische Linie, um Gen.[ossen] im Lande zu helfen. Charakter des Krieges breit darlegen = 1914 Hurra-Patriotismus, jetzt Faschisten — wollen fanatische Entschlossenheit fiir Kriegsziele schaffen — Greuelgeschichten — chauvinistische Verhetzung — Gesamtbild verschaffen — Verwirrung durch imp.[erialistische] Propaganda der II. Internationale [...]«. Aber auch fiir ihn galt: Der Nichtangriffspakt bedeute einen » Wendepunkt in [der] Geschichte Europas«. Der Sozialismus stiinde auf der Tagesordnung — »jetzt als aktuelle Aufgabe infolge des Krieges, weil er alle Gegensätze kulminiert«.* Bei Walter Ulbricht, der wohl am ausgeprigtesten über die Fahigkeit verfiigte, Verdnderungen in der Gro3wetterlage der stalinistischen Machtpolitik zu spiiren, findet sich eine Äuße48 SAPMO-BArch. 49 Ebcenda. Bl. 87.
NY 4936/496 [9. Scptember
1939]. BI. 84,
57
rung, die weitere Entwicklungen vorwegnahm. Die Volksfront sei früher für die demokratische Republik eingetreten. Jetzt müsse man sich hauptsächlich »auf antikapitalistische, nicht antifaschistische Kräfte« stiitzen.™ Ein wichtiges Dokument für die Wende in der Beurteilung des Krieges bildet die Sitzung der Exekutive der Komintern am 9. September 1939 und die von Manuilski, Kuusinen und Dimitroff verfaßten »Thesen zur Frage der Politik und Taktık der kommunistischen Parteien zum Krieg«. Sie bestanden nur aus wenigen Sätzen. Laut Geschichte der SED*“ wurden sie zwar
vorab
ın allen Parteien
verbreitet,
aber letztlich nicht
mehr veroffentlicht.Im folgenden werden die Thesen nach den Tagebuchaufzeichnungen Georgi Dimitroffs zitiert: »Der gegenwärtige Krieg ist ein imperialistischer, ungerechter Krieg, an dem die Bourgeoisie aller kriegsfithrenden Staaten gleich schuldig ist. In keinem Lande darf weder die Arbeiterklasse, um so weni-
ger die Kommunistische Partei den Krieg unterstützen. Die Bourgeoisie führt den Krieg nicht gegen den Faschismus, wie es Chamberlain und die Führer der Sozialdemokratie behaupten. Der Krieg wird zwischen zwei Gruppen kapitalistischer Länder um die Weltherrschaft geführt. Die internationale Arbeiterklasse kann in keinem Falle das faschistische Polen ver-
teidigen, das die Hilfe der Sowiet-Union zuriickgewiesen hat
und die anderen Nationalitäten unterdrückt. Die Kommunistischen Parteien haben gegen die MünchenAnhänger gekämpft, weil sic eine wirkliche antifaschistische Front mit Teilnahme der Sowiet-Union wollten, aber die Bour-
geoisie Englands und Frankreichs hat die Sowiet-Union zurückgestoßen um einen räuberischen Krieg zu führen. Der Krieg hat die Lage wesentlich verändert. Die Teilung der kapitalistischen Staaten in faschistische und demokratische hat jetzt die frühere Bedeutung verloren. Dementsprechend muß die Taktık geändert werden. Die Taktik der
50 51
Siche cbenda. Siche Geschichte [1989]. S. 823.
der
SED.
52 Als Quelle wird angcgeben: Nr.
58
1292
[= RGASPIL.
Bd.
2 (unveréffentlichte
IML. ZPA.
Fonds 495. Bestand
Moskau.
18. Akte
Druckvorlage)
Fonds 495. Verz. 1292].
18.
Kommunistischen Parteien in allen kriegführenden Ländern ist in dieser Etappe des Krieges gegen den Krieg aufzutreten, sei-
nen imperlalistischen Charakter zu entlarven; dort, wo kom-
munistische Deputierte vorhanden sind, gegen Kriegskredite
zu stimmen;
den
Massen
zu erklären,
daß der Krieg
ihnen
nıchts anderes als Last und Ruin bringen wird. In den neutralen Ländern muß man die Regierungen entlarven, die für Neu-
tralıtät ihrer Länder auftreten, aber zwecks Profit den Krieg ın
anderen Ländern unterstützen — wie es die Regierung der Vereinigten Staaten Amerikas in bezug auf Japan und China macht. Die Kommunistischen Parteien müssen überall zu einer entschiedenen Offensive gegen die verräterische Politik der Sozialdemokratie übergehen. Die
Kommunistischen
Parteien,
besonders
Frankreichs,
Englands, Belgiens und der Vereinigten Staaten Amerikas, welche im Gegensatz zu dieser Einstellung auftraten, müssen sofort ihre politische Linie korrigieren.« In der Sitzung der Exekutive am 9. September 1939 übernahm Dimitroff fast wortlich die Argumentation Stalins aus einem Gespräch mit ihm, Molotow und Shdanow im Kreml am 7. September.“* Zur Losung der demokratischen Republik forderte Stalın kategorisch: »— Diese Losung wird zurückgenommen. «“ Die Exekutive war gefordert, die Politik und Taktik auf die Kriegslage einzustellen, vor allem auf die Tatsache, daß die Sowjetunion, die vorher als Garant des Kampfes gegen den Faschismus galt, sich nicht gegen den Aggressor — den deutschen Faschismus — stellte. Deshalb mußte der Krieg als all-
seitig imperialistischer Krieg charakterisiert werden, aus dem sich die Sowjetunion mit Recht heraushalten, und seine objektiv antifaschistische Frontstellung geleugnet werden konnte. Es wurde bereits auf die Teilung Polens vorbereitet und die Argumentationslinie vorgegeben. Der allseitig imperialistische Charakter des Krieges stand ım Vordergrund, die antifaschistische Komponente trat zu53 Gcorgi Dimitroff: Tagcbücher 1933-1943. Hrsg. Bernhard H. Bayerlcein. Berlin 2000. S. 275. 54 Sichc cbenda. S. 273f. 55 Ebcenda. S. 274.
59
rück. Der Faschismusbegriff fand zunehmend mehr auf Polen als auf Hitlerdeutschland Anwendung. Wilhelm Pieck notierte auf der Sekretariatssitzung der Exekutive am 9. September 1939:°° »1) Krieg zwischen Gruppen kap.[italistischer] Staaten, kein gerechter Krieg, kein nationaler Verteidigungskrieg. Eine Gruppe arme kap.[italistische] Länder, ohne Kolonien und Ressourcen,
andere Gruppe reiche kap.[italistische] Lander, rduberischer, imperialistischer Krieg, keine Unterstiitzung der Arbeiterklasse.« Die Exekutive der Komintern vermerkte auch den Anlaß der Wendung gegeniiber den bisherigen Einschétzungen: »2) Durch Krieg grundlegend gednderte int.[ernationale] Lage und Lage der int.[ernationalen] Arbeiterklasse Frither Gegeniiberstellung = fasch.[istische] und dem.[okratische] Staaten,
aggressive und nichtaggressive, fasch.[istische]
und
biirgerl.
[ich]-dem.[okratische] Staaten,
friiheren Sinn verloren. In Frankreich und England Einheitsfront von Faschisten bis Sozialdemokraten. Notwendigkeit, miissen Politik und Taktik ändern auf Kriegslage. Frither antifasch.[istische]
Front der friedliebenden
Lin-
der mit SU zusammen, vor dem Kriege richtig, jetzt unrichtig. Vor dem Kriege richtig gefordert. Alle Krifte zusammenfassen gegen innere Faschisten und ausldndische faschistische Aggression. Jetzt dndern, Taktik frither richtig, durch solche Front gegen Reaktion und Faschismus für Rechte biirgerl.[iche] Demokratie,
Erleichterung der Lage der Werktitigen,
Entwick-
lung jetzt schon falsch. Autgabe und Perspektive nicht nur Erleichterung der Lage der werktédtigen Massen und des Sklaventums, sondern Ver-
56 Sichc Wilhelm Picck: Handschriftliche Aufzeichnungen. BArch. NY 4036/496.
60
In: SAPMO-
nichtung des Sklaventum, Vernichtung des Faschismus und des Kapitalismus. In die rev.[olutionäre] Krise eingetreten. Aufgabe der Ar-
beiter und Bauern und unterdrückten Nationen, ausnutzen für
Befreiung vom Joch des Kapitalismus und Imperialismus. Wenn auf alte Losungen bestehen, ebenso Taktik so Was-
ser auf Mühlen der Chamberlain-Leute, für dessen Interessen.
Chamberlain hat unsere antifaschistischen Losungen übernommen. Einheitsfront der Nation gegen Hitler-Tyrann.« »Früher VF-Politik [Volksfront-Politik] auf demokratischer Grundlage gegen Faschismus, Vorbereitung der Arbeiter zukünftig, Zusammenfassung der Arbeiter und Bauern zum Kampf gegen imperialistischen Krieg auf revolutionärer Grundlage mit revolutionärem Ziele.« »Zu Polen = Fehler begangen, Polen früher nationaler polnischer Staat, Aufteilung, jetzt faschistischer Staat, andere Na-
tion
unterdriickt,
der
unter
Dauer
anderer
faschistischer
Macht (Deutschland). Wenn polnischer Staat verschwindet, kein Unglück, wenn Teil zur SU übergeht (Weißrußland, Ukraine). Sozialistisches System verbreitet im Interesse der SU
und
der Arbeiterklasse.
Nichts
verlieren,
wenn
mit den
Hunden von Hitlerfaschisten die große Macht des englischen und französischen Imperialismus erschüttert. Hitlerfaschismus ohne zu erstehen imperialistisches System erschüttert. Nicht Hitlerfaschismus unterstützen, aber objektives Ergebnis des Krieges Hitlers gegen Polen.« Es ist unmißverständlich: Die Existenzberechtigung Polens
als selbständiger Staat wurde preisgegeben. Zusammenfassend hieß es: »Krieg — [dem? — d. Verf.] Krieg nicht unterstiitzen — nicht gegen Faschismus — nicht Polen verteidigen, daß Hilfe SU zurickgewiesen — England und Frankreich SU zuriickgestof3en — Krieg hat Lage verdndert, gegen Kredite stimmen — in neutralen Ländern unterstiitzen Offensive gegen SP [Sozialdemokratische Parteien] — politische Linie korrigieren in Frankreich, England, Belgien, Amerika.«*’
57 Ebenda. Bl. 50.
61
»Die Welt«, die seit September 1939 in Stockholm als Nachfolgeorgan der Baseler »Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung« als Sprachrohr der KominternPolitik erschien, formulierte diese Linie aus.™
Noch war es Hitler, der »das morsche kapitalistische Europa ın einen neuen imperialistischen Krieg gestiirzt [hatte]. Die imperialistischen Hyänen raufen sich erneut um die Neuaufteilung der Welt .« »Dieser Krieg ist ein imperialistischer, rauberischer Krieg fir die Neuaufteilung der Welt, ein nur durch das Geschrei von der »Verteidigung der kleinen Völker« maskierter Raubkricg, an allen
Enden
entfacht durch
zwei
imperialistische
Michtegruppen, durch die Verriter der Völker der Tschechoslowakei, Osterreichs, Spaniens, durch Kolonialherren.«*
»Nicht um die Frage: Demokratie oder Faschismus geht
es ın diesem Krieg. Diese Frage wurde in all den vergangenen Jahren von Chamberlain und Daladier klar beantwortet: gegen die Demokratie, fiir den Faschismus! Heute handelt es sich
um einen imperialistischen Krieg fiir die Neuaufteilung der Welt.«*! Immer deutlicher zeichnete sich ab, daß mit der Vorberei-
tung der Sowjetunion auf den Einmarsch in Polen die Westméchte als Hauptkriegsbrandstifter dinghaft gemacht werden sollten.
»Mit der Losung >Vemichtung des Faschismus, Verteidi-
gung der Demokratie!« wollen die Chamberlain, Daladier und
thre reformistischen Handlanger den antifaschistischen Geist
der Massen,
ithr Streben
nach
wahrer
Demokratie,
in den
Dienst ihrer imperialistischen Interessen stellen, ebenso wie sie ım September 1938 den Friedenswillen der Völker ausniitzten, um thnen den Verrat an der Tschechoslowakei schmackhaft zu machen.«*
58 Siche Der Zweite 59 60 61 62
62
aus. In: Ebcenda. Ebcnda. Ebcnda. Ebcnda.
impcerialistische Weltkricg breitet sich über Europa
Dic Welt. Stockholm S. 3. S. 4. S. 5.
(1939)1.
S. 3-5.
Es war ınfam, Karl Liebknechts Wort »Der Hauptfeind
steht ım eignen Land« den vom Hitlerfaschismus überfallenen
oder in den Krieg gezwungenen Völkern anzuempfehlen. Der Hauptstoß richtete sich zunehmend wieder gegen die Sozialdemokratie. Noch waren die »Hitler-Goring-Krupp-Thyssen und Co. [...] die Schuldigen. Doch hat keiner den Nazis bei der Brand-
legung geholfen, [...]? Das haben in diesen Tagen die reaktionären sozialdemokratischen Fiihrer in Paris, London usw., die
reformistischen Leiter des IGB durch ihre sowjetfeindliche Stellungnahme und durch ihre feile »Burgfriedens
Später, am 18. Maı 1941, schon auf dem Fluchtschiff in die USA, notierte Hermann Duncker, es seien »mehrere ehemalige Freunde an Bord (z. B. Schreiners), die aber nicht
mehr mit mir sprechen, und so auch andere (weil ich nicht an die Unfehlbarkeit des Paktes glaube, bin ich absolut verfemt)«.™ Die sowjetische Pakt- und Kriegspolitik zerriß besonders bei kommunistischen Intellektuellen das Band zur antifaschistischen »Garantiemacht« oder beschidigte es schwer. Auch die Handlungsfahigkeit und das theoretische Selbstverstindnis der kommunistischen Parteien insbesondere der kriegfilhrenden Länder wurden durch die Wende in der sowjetischen Außenpolitik schwer getroffen. Obwohl in der Sitzung des EKKI-Sekretariats vom 9. September 1939 betont wurde: »Position SU und KP in anderen Landern
ist nicht immer die gleiche,
[weil deren — d. Verf.]
Lage ist anders«,”” wurden die Kommunistischen Parteien auf die Politik der Sowjetunion und den daraus erwachsenden
73
Zit. nach
74 75 76 77
Ebcenda. S. 116. Ebcenda. S. 117. Ebcnda. S. 116. Handschriftliche Notizen 4036/540. BIl. 49.
68
Hcinz
Dcutschland: Aus Briefen
Käte und Hermann
Dunckers
aus den Jahren 1939 und 1947 (Teil 1). In: Beitrdge zur Geschichte der Arbciterbewegung. Berlin (2005)Januar. S. 112f.
von
Wilhelm
Picck.
In: SAPMO-BArch.
NY
Kurswechsel eingeschworen. Es wurde massiver Einfluß ge-
nommen, daß die kommunistischen Parteien Frankreichs, Englands, Belgiens und Amerikas ihre politische Linie der Un-
terstützung des Kampfes gegen den faschistischen Überfall Deutschlands auf Polen korrigieren. Eric Hobsbawm beschrieb die komplizierte Situation fiir
die britische Partei anschaulich: »Hinzu kam, daß die Parteili-
nıe ım Herbst 1939 geändert wurde, so daß der Krieg nicht
mehr der war, den wir erwartet hatten, für eine Sache, auf die die Parteı uns vorbereitet hatte. Moskau kehrte die Linie um,
die von der Komintern und allen Kommunistischen Parteien
Europas
seit
1935
und
auch
noch
nach
dem
Ausbruch
des
Krieges verfolgt worden war, bis die Botschaft aus Moskau ankam. Harry Politts Weigerung, den Wechsel zu akzeptieren, machte die offene Spaltung der Führung der KP Großbritanniens in dieser Frage sichtbar. Außerdem ergab die neue Linic — daß der Krieg in keiner Hinsicht mehr ein antifaschistischer Krieg und England und Frankreich genauso schlecht seien wie Nazideutschland — weder emotional noch rational einen Sinn. Natiirlich akzeptierten wir sie.«’® Weiter hieß es bei Hobsbawm: »Zum Gliick machte es uns der >Sitzkrieg¢, das Verhalten der franzdsischen Regierung, die sogleich die KPF
verbot,
und
das Verhalten
der franzosischen
und
der briti-
schen Regierung nach dem Ausbruch des sowjetischen Winterkriegs gegen Finnland wesentlich leichter, zu schlucken, daß die Westméchte als Imperialisten im Zweifelsfall ein groBeres Interesse hitten, den Kommunismus zu schlagen als gegen Hitler zu kdmpfen [...] Wihrend es scheinbar ım Westen nichts Neues gab, hatte schlieSlich die britische Regierung
keine weiteren Mallnahmen
im Sinn als die Entsendung von
westlichen Truppen in den Norden Skandinaviens, um den Finnen zu Hilfe zu kommen.«” Die Linic der Komintern war falsch, unreal und spaltete das Lager der Antifaschisten. Die Reaktionen der Regierenden ın England und Frankreich »erleichterten« es jedoch den Kommunisten, die verordnete Linie als »richtig« aufzufassen. 78 79
Eric Hobsbawm: Gefdhrliche Miinchen, Wien 2003. S. 182. Ebenda. S. 182f.
Zciten.
Ein
Leben
ım
20.
Jahrhundert.
69
Nach der Kenntnisnahme der Thesen des EKKI zum Krieg
korrigierten auch die Leitungen der KPD ihre bıs dahin vertre-
tenen Auffassungen. Die Abschnittsleitung Nord verfaßte am 25. September den Rundbrief Nr. 2, in dem fast wörtlich die Thesen wiedergegeben und damit in einigen Aussagen von der
differenzierten Wertung aus der ersten Septemberhälfte abge-
gangen wurde. Ein dritter, ausführlicherer Rundbrief der Abschnittsleitung von Anfang Oktober 1939 erläuterte diese veränderten Einschätzungen. Das Hitlerregime wurde weiterhin als schuldig an der Entfesselung des Krieges befunden, die faschistische Aggressionspolitik als existenzbedrohend für das deutsche Volk erklärt, und die konsequente Weiterführung des antifaschistischen Kampfes als Hauptaufgabe bezeichnet. Gleichzeitig galt jetzt der Krieg pauschal als Krieg imperialistischer Räuber untereinander.“ Den Beginn des Krieges wertete man fälschlich als Eintritt in eine revolutionäre Krise, wodurch sich die Kampflosungen verändern müßten. Die Exekutive orientierte die Sektionen der Komintern nunmehr auf dic »Zusammenfassung der Arbeiter und Bauern zum Kampf gegen imperialistischen Krieg auf revolutionärer Grundlage mit revolutionärem Ziele«.*' Die
Illusion, daß die Revolution
nahe
sei, teilten offen-
sichtlich auch Kommunisten ım Lande: Auf einem Flugblatt »Marschlied der Roten Armee in Polen. Herm v. Ribbentrop ins Stammbuch« reimte ein Anonymus: »Die Straßen frei den roten Bataillonen, /Der Tag der Freiheit und des Rechts bricht an:/ Bald werdet ihr in Sowjet-
Deutschland wohnen./ Hitlerchen - nu? Wat meenste, kleiner Mann?
Ein Ruf ergeht an alle Volkerrassen./ Ein Ende nimmt der
Terror und
deutschen [... ]«
das
Leid./ Bald
wehen
Straflen/ Es dauert
Sowjetbanner
nur noch
über allen
cine kurze
Zeit.
80 Siche Geschichte der SED. Bd. 2 (unveréffentlichte Druckvorlage) [1989]. S. 821. 81 Sitzung dcs Sckretariats des EKKI am 9. Scptember 1939. In: RGASPI. Fonds 495. Bestand 18. Akte 1292. 82 Aus dem Tagesbericht der Gestapo Briinn, 3. Oktober 1939. In: SAPMOBArch. R 58/4074.
70
Nach der Okkupation großer Teile Polens durch die faschisti-
sche Wehrmacht und dem Zusammenbruch des bürgerlichen polnıschen Staates überschritten am 17. September sowjeti-
sche Streitkräfte die Grenze zu Polen und marschierten in die
westukrainischen und westbelorussischen Gebiete ein, wie es
ım Geheimen Zusatzabkommen festgelegt worden war. Am
18. September 1939 veröffentlichten Deutschland und
die Sowjetunion eine Erklärung, daß die Handlungen der sowjetischen und deutschen Truppen nicht dem Nichtangriffspakt widersprächen. Am 28. September 1939 wurde der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen, der die entstandene territoriale Lage fixierte. In e1ner gemeinsamen Erklärung sprachen sich beide Seiten auf der Basis des in Osteuropa erreichten Status für eine Beendigung des Krieges aus. Sollte der Frieden jetzt scheitern, seien England und Frankreich für die Fortsetzung des Krieges verantwortlich. Die KPD verteidigte die Politik der Sowjetunion als Politik,
den Krieg einzuddmmen und der Sowjetunion moéglichst lange den Frieden zu bewahren. Der Einmarsch der Roten Armee ın Polen wurde als Ausweitung des Sozialismus begrüßt und als Schachzug gegen den vom englischen und franzésischen Imperialismus beabsichtigten Plan gewertet, eine unmittelbare militdrische Konfrontation Deutschlands mit der SU herbeizufithren. Die KPD iibernahm voll die Argumentation Stalins und der Komintern zur Rechtfertigung der sowjetischen Außenpolitik.* Dagegen behauptete die letzte nicht mehr veroffentlichte Geschichte der SED: »An der kimpferischen, unverséhnlichen Haltung der KPD
zur Nazidiktatur hatte sich nichts geédndert [...] Deutlich un-
terschied sich die Argumentation der KPD von den offiziellen Bekundungen der sowjetischen Auflenpolitik, dic ım Herbst
83 Siche Wilhelm Florin: Kampf den Kriegsverbrechern in Berlin wic in London und Paris. In: Dic Kommunistische Internationale. Oktober 1939. S. 1033-1044. — Wilhelm Picck: Um was gcht ¢s ın dicsem Kricg? In: Ebenda. Dezember 1939. S. 1260-1267. — Siche Gegen den impcrialistischen Kricg —- für den Frieden und dic Freiheit der Völker (Erkldrung der kommunistischen Partcien Dcutschlands, Osterreichs und der Tschechoslowakei). In: Ebenda. Dezember 1939, S. 1284-1292.
71
1939 und Anfang 1940 bestrebt war, die Beziehungen zum Naziregime von sich aus nicht zuzuspitzen, und deshalb auch die antifaschistische Propaganda zeitweilig einstellte. Eindeutig kennzeichnete die KPD nach wie vor den Hitlerfaschismus als Hauptfeind.«** Dies war eindeutig eine apologetische Beschönigung. Die Begriffe
»Faschismus«
und
»Antifaschismus«
wurden
seit
dem Herbst 1939 als logische Konsequenz aus der Verabschiedung von den Erkenntnissen des VII. Weltkongresses aus den Veröffentlichungen verbannt, es wurde nur noch vom deutschen Imperialismus bzw. von der imperialistischen Reaktion gesprochen, den die KPD — wie jede andere kommunistische Partei ihren »nationalen« Imperialismus auch — als Feind ım eigenen Lande bekämpfen müsse. Eine letzte Ausnahme bildete der Artikel von Wilhelm Florin.* Er sprach noch von der
Bescitigung der faschistischen Diktatur als Voraussetzung fiir
den Erhalt des Friedens.
Dagegen setzte Wilhelm Pieck: »Die Feinde der werktéti-
gen Massen sind die Imperialisten, die Grof3kapitalisten und Grofigrundbesitzer, die Reaktion in jeder Gestalt, sind die mit der kapitalistischen Reaktion verbundenen sozialistischen Fiihrer und trotzkistischen Banditen, die gegen die Sowjetunion und gegen die Kommunisten hetzen und kdmpfen.«* Am 8. und 9. Oktober 1939 fand eine Beratung der ZKMitglieder über die weitere Orientierung statt. Es wurde die Ausarbeitung einer Stellungnahme zu den durch den Krieg aufgeworfenen deutschen Problemen beraten. Dabei sollen vor allem folgende Probleme bearbeitet werden:
»1) Die Rolle des deutschen Imperialismus und Faschismus in
diesem Kriege Wirtschaftliche Entwicklung — Auswirkung auf Lebenshaltung der Massen.
84 Geschichte der SED. Bd. 2 (unveréffentlichte Druckvorlage) [1989]. S. 823. 85 Sichc Wilhelm Florin: Kampf den Kricgsverbrechern in Berlin wic in London und Paris. In: Dic Kommunistische Internationale. Moskau (1939)Oktober. S. 1085-1095. 86 Wilhelm Picck: Um was geht es in dicsem Kricg? In: Ebenda. Moskau (1939)Dczcmber.
72
S.
1266.
2) Die imp.[erialistischen] Pläne des eng.[lischen] und franz.
[ösischen] Imperialismus in Bezug auf Deutschland und SU. 3) Rolle der II. Internationale, besonders die Rolle des Partei-
vorstandes der SPD.
4) Verhältnis der werktätigen Massen zu SU — ihre Rolle und Machtstellung als sozialistischer Staat — die Interessengemeinschaft der werktätigen Massen mit der SU [...]«.®
Am 13. und 20. Oktober fanden Sitzungen des Polbüros der KPD auf der Grundlage dieser Materialien statt. Pieck sprach zu den neuen Aufgaben der Partei, Ulbricht zur Aufklä-
rung unter der NSDAP, Florin erörterte die wirtschaftlichen und politischen Positionen des deutschen Imperialismus, Weh-
ner referierte zu Fragen des Selbstbestimmungsrecht der vom Faschismus unterdriickten Völker, Dengel zur Politik der deut-
schen Sozialdemokratie, Hoernle und Knittel zur Parteiarbeit
unter den Bauern und der Jugend. Walter Ulbricht und Herbert Wehner lieferten den Entwurf fiir den Brief an die Parteileitungen im Lande, der auf der Besprechung der deutschen Genossen am 23. Oktober 1939 beraten wurde.*® Es heif3t dort: »Die gegenwirtige Lage erfordert von den Kommunisten vor allem Klarheit in der Beurteilung des Krieges als eines imperialistischen Krieges und Festigkeit in der Widerlegung der Kriegsliigen, die von den kriegsfiihrenden imperialistischen Mächten verbreitet werden. In diesem Krieg suchen die imperialistischen Mächte und ihre Agenten in der Arbeiterbewegung mit raffinierten Mitteln die werktitigen Massen irrezufiihren und fiir ihr verbrecherisches Spiel einzufangen. Die Kommunisten kénnen und werden immer richtig orientiert sein und die Massen richtig orientieren, wenn sie selbst fest auf dem
Boden der Lehre von Marx, Engels, Lenin, Stalin stehen und wenn sie sich stets der Tatsache bewußt sind, die ihnen cine
unermeBliche Ueberlegenheit verleiht, daß die UdSSR als wirtschaftliche und militdarische Grofimacht von ausschlaggebender Bedeutung, als der einzige Staat, der den Sozialismus 87 SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 107. 88 Sichc Bricf der Partcileitung an dic Leitungen und Funktiondre der KPD im Landc über dic Aufgaben der Partei, 21. Oktober 1939. In: SAPMOBArch. RY 5/1 6/3/86.
73
verwirklicht hat, auch der einzige Staat ist, dessen Politik den
Interessen der werktiatigen Massen in den kapitalistischen Ländern voll und ganz gerecht wird.«™ Es darf bezweifelt werden, daß es die Mentalitdt und Lage
der kommunistischen
Widerstandskdmpfer
im Lande
traf,
wenn angenommen wurde, daß jeder »Kommunist, jeder revolutiondre Arbeiter in Deutschland [...] stolz sein (darf), wenn er heute — in der geeigneten Form — nationalsozialisti-
schen Werktitigen auseinandersetzen kann, daß gerade die So-
wjctunion es ist, die das deutsche Volk durch den Vertrag mit
Deutschland vor dem schlimmsten Krieg bewahrt hat, in den es nach den verbrecherischen Plänen der imperialistischen Reaktion gestiirzt werden sollte«.”
Nicht das Hitler-Regime hatte einen neuen Weltkrieg ent-
fesselt, sondern Stalin habe mit dem Nichtangriffsvertrag Deutschland vor »dem schlimmsten Krieg bewahrt«! Diese
Logik war fiir die deutschen Antifaschisten sicher nur schwer
nachvollzichbar. Dic Aufklirung über die sozialistische Entwicklung der Sowjetunion sci »zur Zeit die wichtigste Aufgabe, weil ihre Erfiilllung dazu beitrdgt, dem ın den deutschen Werktitigen — cinschlieBlich der nationalsozialistischen — vorhandenen Haß gegen den Kapitalismus und den immer stärker werdenden Drang zur Verwirklichung des Sozialismus eine klare Richtung zu geben«.”! Die antikapitalistische und pseudosozialistische Demagogie der Nazis wurden hier als Grundlage fiir das Aufstellen der kommunistischen Zicllosung von der sozialistischen Revoluti-
on genommen. Zur bisherigen Einheits- und Volksfrontpolitik wurde ausgefithrt: »Der Ausbruch des Krieges, der Ubergang der Parteien der II. Internationale in das Lager des englischen Imperialismus und sogenannter >demokratischer« biirgerlicher Richtungen auf die Seite der imperialistischen Kriegstreiber, macht die bisherige Weiterfithrung der Taktik der Einheits- und Volksfront unmdglich. Mit den Verritern der Arbeiterklasse und des 89 90 91
74
Ebcnda. Bl. 39. Ebenda. Ebcenda. Bl. 40.
deutschen Volkes, mit den erbitterten Feinden der sozialisti-
schen Sowjetunion kann es keine Gemeinschaft geben. Die verräterischen sozialdemokratischen Führer und jene soge-
nannten >Antifaschisten«, die die Einheits- und Volksfront sa-
botierten, als es darum ging, den Kampf für die Erhaltung des Friedens zu führen, sie spielen sich jetzt als »Kämpfer« für die >Demokratie«< auf, worunter sie die Unterdrückung der Kommunisten, die Zerstörung der Arbeiterorganisationen und die Errichtung der kapitalistisch-imperialistischen Militärdiktatur ın Frankreich verstehen. Der Krieg verschärft die Krise des Kapitalismus und stellt die Arbeiterklasse vor die historische Aufgabe der Beseitigung des Kapitalismus und der Verwirklichung des Sozialismus [... ]«.° Selten war die Programmatik der KPD so weit von der Realität entfernt, wie ın der »Paktzeit«.
»Große Teile der früheren sozialdemokratischen Arbeiter
und Gewerkschaftler, sowie viele katholische Arbeiter fühlen
sich enger mit der sozialistischen Sowjetunion verbunden und ihr Wille zum Kampf gegen den imperialistischen Krieg und für den Sozialismus wächst. Die sozialistischen Ideen dringen bis tief in die Reihen der Jugend und Naziwerktätigen ein. Die Gewinnung dieser breiten Kreise und Werktätigen für den gemeinsamen Kampf um den Sozialismus ist durch die Zerstörung der Grundlage der antıbolschewistischen Ideologie des »Nationalsozialismus« erleichtert. Unter diesen Bedingungen muß die Partei ihre Kraft darauf
konzentrieren, die Aktionseinheit der Arbeiter herzustellen, die
Sozialdemokraten, Gewerkschafter, christliche, parteilose und nationalsozialistische Arbeiter für den gemeinsamen Kampf mit der KPD und für die sozialistische Sowjetunion zu gewinnen und die reaktionären früheren führenden Kräfte der SPD und der früheren bürgerlichen Parteien, die auf den englischen Imperialismus spekulieren, zu isolieren, sie als Verräter zu bekämpfen.«* Der Einfluß der nationalsozialistischen Ideologie auf die
werktätigen Massen Deutschlands wurde offenkundig verkannt. Hinzu kam, daß die neue Bestimmung des Hauptgegners 92 93
Ebenda. Bl. 44. Ebcenda. Bl. 44f.
75
— vom
deutschen Faschismus
auf den englischen Imperialis-
mus und innenpolitisch auf die Sozialdemokratie — zu schweren Irritationen führen mußte. Die Rede Molotows am 31. Oktober 1939 vor dem Obersten Sowjet, in der er eine Umdeutung des Aggressor-Begriffs vornahm, markierte einen neuen Höhepunkt in der prinzipien-
losen Machtpolitik der Sowjetführung, die nicht ohne Auswir-
kungen auf den antifaschistischen Kampf bleiben konnte. »Gewisse alte Formeln haben sich offensichtlich tiberlebt. So weiß man z. B. jetzt, daß in den letzten Monaten Begriffe wie >Angriff< und >Angreiferc« einen neuen, konkreten Sinn
erhalten haben. Man sieht ohne weiteres ein, daß wir uns die-
ser Begriffe nicht mehr ım gleichen Sinn wie etwa noch vor drei oder vier Monaten bedienen konnten. Wenn man heute von den europdischen Großmächten spricht, so befindet sich Deutschland in der Lage eines Staates, der moglichst rasch das Ende des Krieges und den Frieden erstrebt, wihrend England und Frankreich, die sich gestern noch gegen jeden Angriff aussprachen, sich fiir die Weiterfiihrung des Krieges und gegen den Abschluß des Friedens einsetzen.«™ Am 1./2. November 1939 beriet die Exekutive der Komintern die Verdnderungen in der Lage seit Kriegsausbruch und die neuen Aufgaben der internationalen Arbeiterbewegung. Der Aufruf des EKKI zum 22. Jahrestag der Grof3en Sozialistischen Oktoberrevolution und der Artikel Dimitroffs dazu, abgedruckt in Nummer 9 vom 6. November 1939 der
»Welt«, brachten die Sicht der Komintern
auf den Charakter
des Krieges als imperialistischer, ungerechter Krieg und die sich daraus ergebenen Politik der kommunistischen Parteien auf den Punkt. Die Sowjetunion habe Hitlers Friedensbemiihungen unterstiitzt, jedoch die »dunklen Kriegskrifte« seien entschlossen, den Krieg fiir die Erfiillung ihrer imperialistischen Ziele zu Ende zu fithren. Der Sozialdemokratie wird die eigentliche Verantwortung fiir den Krieg angelastet, da sie die Pläne der Bourgeoisie unterstiitze. Der Artikel war mehrfach Stalin vor-
94 Archiv der Gegenwart vom 31. Oktober 1939. 0. O. S. 4297.
76
gelegt worden,
der diesen korrigierte und schließlich die Er-
laubnis zum Druck gab.”
In den Beratungen des EKKI über die Arbeit der KPD, am 23. November berichtete Wilhelm Pieck, wird harsche Kritik an der KPD geübt und Zweifel an ihrem Fortbestand in der MNegalität geäußert. Im November 1939 spitzte sich die Frontstellung gegen den britisch-englischen Imperialismus weiter zu. In einer Rede zum 7. November erklärte Molotow: »England und Frankreich täten alles, den Krieg auszubreiten mit dem einzigen Ziel der Erhaltung ihrer Weltherrschaft und ihres Kolonialbesitzes.«™ Im Tagesbefehl Marschall Woroschilows an die Rote Armee am 22. Jahrestag der Oktoberrevolution hieß es: »Der von England und Frankreich eifrig geschürte Krieg habe sıch noch nicht zu einem Weltbrand entwickelt, aber die englischfranzösischen Angreifer zeigten bisher keinen Wunsch nach Frieden und bemühten sich im Gegenteil, den Konflikt auch auf andere Staaten auszudehnen.«”’ Die scharfe Stellung gegen den englischen und franzosischen Imperialismus als nunmehrigen Hauptkriegsbrandstiftern geriet zu den Losungen, die von Komintern und KPD ın Anlehnung an den Ersten Weltkrieg, aufgestellt worden waren, in Widerspruch. Das Dilemma,
in dem
sich die KPD
im Herbst
1939 be-
fand, wurde deutlich in den Ausfiihrungen Wilhelm Piecks auf der Beratung der EKKI-Unterkommission der deutschen, tschechischen und osterreichischen Parteien am 1. November 1939: »Wir miissen nachweisen, daß der Krieg sich gegen das deutsche Volk richtet (Blockade) und auf das Ziel gerichtet ist, den Krieg gegen die Sowjetunion zu entfachen [...] Selbstverstandlich miissen wir auch die imp.[erialistischen] Ziele nachweisen, die der deutsche Imperialismus mit dem Kriege verfolgt, was seine Forderung nach Kolonien bedeutet, was 95
Siche Eintragung Georgi Dimitroffs vom Dimitroff: Tagcbiicher 1933-1943. Hrsg. lin 2000. S. 28&0. 96 Archiv der Gegenwart vom 7. November 97 Tagcesbefchl Kliment Woroschilows an dic 1939. In: Ebenda.
31. Oktober 1939. In: Georgi Bernhard H. Baycrlein. Ber1939. 0. O. S. 4305. Rotc Armce am 7. November
77
seine Kriegswirtschaft, seine Aggressionen gegen andere Völ-
ker bedeuten. Wir dürfen nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob etwa der deutsche Imperialismus durch den Pakt
mit der SU seinen aggressiven Charakter aufgegeben habe. Aber wir dürfen nicht die Veränderungen außer acht lassen, die
durch
den
Abschluß
des
Paktes
der
Sowjetunion
mit
Deutschland herbeigeführt worden sind. Durch diesen Pakt kann das Ziel des engl.[ischen] Imperialismus, das deutsche Volk ın den Krieg gegen die SU hineinzutreiben, zunichte gemacht werden [...]«.° Die Begriffe Faschismus und Antifaschismus und die damit verbundenen Inhalte sind zurückgenommen. Der deutsche Imperialismus wird dem französischen und englischen gleichgesetzt. Seine besondere Aggressivitdt wird nicht berücksichtigt. Die Antikriegslosungen des Ersten Weltkrieges, die soeben noch
zum
Instrumentarium
der KPD
gehörten,
waren
nun-
mchr obsolet. »Wir müssen wohl überlegen, daß wir nicht Losungen für den Kampf gegen den imp.[erialistischen] Krieg aufstellen, die ın dieser Situation geeignet sind, die Pläne des engl.[ischen] und franz.[ösischen]
Imperialismus zu unterstützen und dem
sowjetisch-deutschen Pakt entgegenstehen. Z. B. die Losung der Niederlage — des Sturzes des Hitlerfaschismus oder des deutschen Imperialismus wihrend des Krieges — der Verwandlung des Krieges in den Biirgerkrieg — die Losung der soziali-
stischen Revolution.
Der engl.[isch]-franz.[6sische]
Imperialismus erklirt, daß
mit dem Kriege der Hitlerfaschismus vernichtet werden soll. Die Sozialdemokratie erklért, daß sie den Sieg der engl.[ischen] und franz.[ösischen] Imperialisten in dem Kriege will,
um den Hitlerfaschismus zu stiirzen [...]«.
Wie konnte aber die KPD von der Losung des Sturzes des Hitlerfaschismus, der Verwandlung des Krieges in einen Biirgerkrieg Abstand nehmen? Wilhelm Piecks Antwort war ein Offenbarungseid der Hilflosigkeit:
98 Handschriftlichc Notizen Wilhelm Piccks zur EKKI-Beratung November 1939. In: SAPMO-BArch. NY 4036/540. Bl. 100.
78
am
1.
»Wenn wir aber von solchen Losungen — wenn auch vorübergehend — Abstand nehmen, schwächen wir dann nicht unseren Kampf gegen das faschistische Regime und gegen den Imperialismus, stellen wir uns dann nicht in Gegensatz zu
den Massen
in unseren
Ländern,
erleichtern wir dann
nicht
den Sozialdemokraten ihre reaktionären Manöver? Diese Gegenüberstellung zeigt schon, wie kompliziert in dieser Situation unsere Aufgaben sind, daß wir für Deutschland nicht schematisch die bolschewistischen Losungen — dazu gehört auch die Losung den Krieg zum Sturze der Fremdherrschaft in Österreich,
Tschechoslowakei
rialismus
den
und
Polen
— zu benutzen,
was auch von dem engl.[ischen] und franz.[ösischen] Impeund
Sozialdemokraten
erklärt wird,
aus dem
Weltkriege 1914/1918 übernehmen können, sondern zunächst durch eine intensive Aufklärungsarbeit über die ım Kriege besonders scharf hervortretenden Klassengegensätze, die Kämpfe um ihre materiellen Forderungen und den Kampf um den Frieden zu organisieren, um iın diesen Kämpfen immer stärker die Aktionseinheit herzustellen und die Voraussetzungen für die Revolution zu schaffen [...]
Wenn wir an die Spitze unserer Forderungen die nach dem Frieden — den Abbruch des Kriegszustandes stellen, so werden wir am ehesten die Möglichkeit haben, die Massen zu mobilisieren. Wir brauchen keine Angst zu haben, daß wir uns damit etwa mit Hitler solidarisieren. Wir stehen damit an der Seite der SU. Es ist auch
nicht zweckmäßig,
hervorzukehren,
daß wir
nur für einen Frieden auf der Basıs der Revolution sind, womit wir uns von den breiten Massen isolieren und andererseits
dem
engl.[ischen]
und franz.[ösischen]
Imperialismus
ıin die
Hände arbeiten würden, der jetzt den Frieden ablehnt.«”” Am 30. November erklärte Stalın gegenüber der »Prawda«, nicht Deutschland habe England und Frankreich angegriffen, sondern umgekehrt, deshalb tragen auch diese beiden Staaten die Verantwortung für den jetzigen Krieg. Wie sollte die KPD, die sich bei Strafe ihres Untergangs nıcht gänzlich vom Antifaschismus verabschieden konnte, angesichts dieser Komplizenschaft Stalins mit Hitler verhalten? 99 SAPMO-BArch.
NY 4036/540. Bl. 191.
79
Der qualvolle Prozeß des Taktierens und der Anpassung an die Stalinsche Machtpolitik fand sein vorläufiges Ergebnis in der »Politischen Plattform der KPD«,'” ausgearbeitet durch die Moskauer Mitglieder des Polbüros nach der Aussprache im Sekretariat der Exekutive der Komintern und den Ausführungen Dimitroffs. Die Plattform der KPD lag am 30. Dezember 1939
vor, als im
EKKI-Sekretariat
der Kommissionsbericht
über die deutsche Frage gegeben wurde.'”! Wilhelm Pieck notierte aus dieser Beratung: »Die taktische Orientierung der KPD in der gegenwärtigen Situation muß auf die Schaffung der Aktionseinheit der werktätigen Massen ın dem jetzigen deutschen Reichsgebiet — einschließlich der Nazimassen — zur Festigung der Freundschaft mit der Sowjetunion mit dem Ziel der Verhinderung des Kriegsplanes der englischen und französischen Imperialisten und ihrer Regierungen gerichtet sein, die Deutschland eine Niederlage beibringen wollen, um den deutschen Volke ein Überversailles aufzuerlegen und Deutschland in englische Vasallenstaaten aufzuteilen mit Regierungen, die zum Kriege gegen die Sowjetunion bereit sind.« Die Aktionseinheit sollte zugleich als »Kampf gegen die nationale Unterdrückung und für das Selbstbestimmungsrecht der gewaltsam unterjochten Völker in Österreich, der Tschechoslowakei und Polen« geführt werden und »gegen die den Kriegsplan der englischen und französischen Imperialisten unterstützenden Führer der II. Internationale und Teile der deutschen Großbourgeoisie« gerichtet sein. Die von der KPD geschaffene Aktionseinheit der werktätigen Massen sollte »unter keinen Umständen einen Bruch oder
Verrat des Grenz- und Freundschaftsvertrages
mit der So-
wjetunion zulassen« und »im Falle der durch die militärische
Niederlage, Landesverrat der Bourgeoisie oder innere Zerwiirtnisse in der bourgeoisen Front eintretenden Krise des gegenwirtigen Regimes in Deutschland die Verteidigung des 100 101
80
Sichc Aus der Politischen Plattform der KPD vom 30. Dczember 1939. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in acht Bianden. Bd. 5. Berlin 1966. S. 532-535. Siche Handschriftlichc Notizen von Wilhelm Picck zum Bericht im Sckretariat am 30. Dczember 1939 über deutsche Frage (Kommissionsbericht). In: SAPMO-BArch. NY 4036/540. Bl. 179ff.
Landes gegen die Kriegspläne der englischen und französi-
schen Imperialisten in ihrer Hände nehmen und die Macht der
Arbeitet und Bauern im Lande aufrichten«.'
Der Hauptfeind stand nach dieser Lesart nicht im eigenen
Land, sondern in England und Frankreich. Die deutsche Regierung war dagegen zu schützen, solange sie am Freundschaftsvertrag festhielt. Die englischen und französischen Imperialisten waren zu bekämpfen, wenn sie der deutschen Wehrmacht eine Niederlage beibringen würden. Deutlicher konnte der Antifaschismus nicht zurückgedrängt werden. Der Sturz des Hıtlerregimes wurde nicht mehr als erste und vordringliche Aufgabe proklamiert. Die KPD-Führung stand vor einer unlösbaren Aufgabe. Sie mußte »ihren bisherigen Kampf gegen das gegenwärtige faschistische Regime nicht nur fortsetzen, sondern verstärken [...]«. Sie durfte »aber ihre bisherige Losung des Sturzes die-
ses Regimes in der gegenwärtigen Situation [nicht] aufrecht-
zuerhalten
[...]«.
Sie mußte
»die
Massen
zu dem
Kampfe
gegen das faschistische Regime nicht unter den alten antifaschistischen Losungen, sondern unter der Losung sammeln [...], die ın Beziehung zur Verteidigung des Landes gegenüber
den
engl.[isch]-franz.[ösischen]
Aggressoren
stehen,
ohne
aber mit diesen Losungen die nationalchauvinistische Demagogie des deutschen Faschismus zu begünstigen oder in einc
Front mit dem
deutschen
Imperialismus
zu kommen
[...]«.
Die Partei durfte »andererseits keine Losungen aufstellen [...], die sie in Gegensatz zu dem echten nationalen Empfinden der Massen bringen oder die, mit dem engl.[isch]-franz.[ösischen] Kriegsblock zur Tarnung seiner gegen das deutsche Volk oder gegen die SU gerichteten Ziele verwandten Losungen, wenn
auch scheinbar, übereinstimmen«.
Der Hitler-Stalin-Pakt, der die vierte Teilung Polens möglich machte und eine Voraussetzung für den Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen war, geriet in dieser Sicht zur Voraussetzung des Friedens, der von Frankreich und England auf Grund ihres Antisowjetismus verweigert wurde. Ihr Kriegsziel seı »die Vernichtung des Hitlerismus [...] Sie sind 102
SAPMO-BArch. RY 5/I 6/3/86. Bl. 59-61. — Zu den organisatorischen Aufgaben der Partei siche cbenda. Bl. 62-66.
81
die Aggressoren, die Hauptkriegsbrandstifter, die Hauptfeinde der Sowjetunion und der Weltarbeiterklasse geworden. Dem gegenüber schloß die Hitlerregierung den Freundschaftspakt mit der SU, gab ihre Sowjethetze auf, stellte ihre Aggression nach dem Osten ein, erklärte sich zum Frieden bereit.«'® Ganz prononciert wurde diese Einschätzung ın einem Komintern-Dokument »Zur deutschen Frage. (Entwurf)« vom
27. Dezember 1939 formuliert:
»1) Vom Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse be-
steht die grundlegende Änderung in der Position Deutschlands darın, daß Deutschland gegenwärtig nicht den Stoßtrupp des Weltkapitalismus gegen die Sowjetunion darstellt. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß die frühere Linie, die 6ffentliche Meinung der ganzen Welt gegen Deutschland als
Aggressor und Hauptfeind zu mobilisicren, heute ihren Sinn verloren hat. 2.) Die Rolle des Aggressors hat England übernommen. England hat gegen Deutschland den Kricg begonnen, als es
klar wurde, daß Deutschland gegen die Sowjetunion zunächst nicht marschieren will, daß es seine antisowjetischen Positionen im Baltıkum räumte und bestrebt war, seine Eroberungen
in Mittel- und Osteuropa zu konsolidieren mit der Perspektive
auf eine spätere entscheidende Auseinandersetzung mit seinen
westlichen Konkurrenten. Demgegenüber ist England bestrebt, den gegenwärtigen Krieg auszubreiten, ın ıhn neue Länder hineinzuziehen und ihn in antisowjctische Bahnen zu
lenken. Vom Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse ist
heute also England der Hauptfeind. Nichtsdestoweniger bleibt der gegenwirtige Krieg auch von Seiten Deutschlands ein im-
perialistischer Krieg, fiir den die deutsche Arbeiterklasse keine Verantwortung kann.«'™
{ibernchmen
und
den
sie nicht unterstiitzen
Die Moskaucr Polbiiro-Mitglieder — scit sieben Jahren im Ausland vom Widerstand im Lande getrennt — forderten die Entfaltung »ciner breiten Volksbewegung«, die » Volksfront der 103
104
82
Handschriftliche
riat am
Notizen
30. Dczember
von Wilhelm
1939
Picck zum
über deutsche
richt). In: SAPMO-BArch. NY 4036/540. SAPMO-BArch. RY 5/1 6/3/86. BlI. 82.
Bl.
Bericht im Sckreta-
Frage (Kommissionsbe180-182.
werktätigen Massen«. Sie erwogen die Möglichkeit einer sich verändernden Stellung der KPD in Hitlerdeutschland, die »halblegale Tätigkeit« und »schließlich volle Legalität« für erreichbar hielt. '° Die »Plattform« erreichte die Reste der kommunistischen Widerstandsgruppen allerdings kaum. Das letzte Dokument, welches in den deutschen kommunistischen Widerstand hincinwirkte, war die ebenfalls nicht unproblematische Erklärung des Pariser Sekretariats vom 25. August 1939 mit ihrer jedoch eindeutig antifaschistischen gegen den Hitlerfaschismus als Hauptfeind gerichteten Stofrichtung. Die »Plattform« markierte den Tiefpunkt der Selbstaufgabe der KPD-Fiihrung als antifaschistische Partel. Wilhelm Pieck brachte die Position der KPD (-Fiihrung) ın
einem Papier zur » Verdnderung ın der internationalen Lage seit Paktabschluf3« 1940 — wahrscheinlich Februar/Mérz — auf den Punkt. »Während noch bis zur Mitte des vorigen Jahres der deutsche Imperialismus als Aggressor und Hauptkriegsbrandstifter auftrat und diese Aggression in der Hauptlinie gegen die
SU richtete und darin von dem engl.[ischen] und franz.[6sischen] Imperialismus unterstiitzt wurde, ging durch den
Paktabschluß zwischen der SU und D[eutschland] diese Funktion als Aggressor an die imp.[erialistischen] Mächte Englands und Frankreichs iiber, die den Krieg gegen Deutschland fiihren und alle Anstrengungen machen, den Krieg auf die SU auszudehnen. Bisher erschienen diese beiden imp.[erialistischen] Méchte als nichtaggressiv, sogar als demokratische Linder — mit der SU sogar Verhandlungen voriibergehend — Freundschaftspakt mit Frankreich — Arbeiterbewegung in ihren Landern von II. Intern. beeinfluf3t — keine Gefahr. Dieser Schein wurde plötz-
lich zerstort, als ihr Plan, den deutschen Imperialismus ın den Krieg gegen die SU hineinzutreiben, durch den Abschluß des sowjetisch-deutschen Paktes zerstort wurde.«'% Piecks Argumentation
schlo3
immanent
eine
Sicht ein,
nach der die Einschitzungen des VII. Weltkongresses und die 105 106
Siche Aus der Politischen Plattform der KPD vom 30. Dezember 1939. In: Geschichte der deutschen Arbceiterbewegung in acht Bänden.
Bd. 5. Berlin 1966. S. 535. SAPMO-BArch. NY 4036/497.
BI.
18.
83
daraus folgende Volksfrontpolitik irrig waren, sie hätten nur den »Schein« widergespiegelt, nicht die »wahre Natur« dieser Länder. Die Komintern wäre demnach einem »Schein« aufge-
sessen. Sie wäre abgewichen von den richtigen Lehren. Die Unterscheidung zwischen den Staats- und Regierungsformen im imperialistischen Klassenstaat, die für die Analyse und die Bestimmung einer richtigen Politik fruchtbar war, wurde fallengelassen, als »trügerisch« hingestellt. Diese hier kritisierte Sichtweise — bis zum August 1939 Konsens in der Komintern —, galt für Pieck nicht für die Parteı insgesamt, sondern vor allem für das Auslandssekretariat der
KPD
in Paris. Sie wurde zu dessen politischer Verurteilung
herangezogen.
Für den sogenannten
Kriegsplan Englands
reichs gegen die Sowjetunion,
fiir deren neue
und Frank-
Rolle als Ag-
gressoren ın Europa gegen die SU wurden keine Fakten genannt. Sie wurden aus dem »klassenmäßigen« Standpunkt abgeleitet, daß dieses imperialistische Länder seien, die klassenmäßig gegen die Sowjetunion eingestellt sind. In zahlreichen Veröffentlichungen wurde besonders der britische Imperialismus als Hauptkriegstreiber angeprangert. Als mit dem Nichtangriffsvertrag sein Plan, »das Land des Sozialismus und zugleich den schärfsten Konkurrenten [Deutschland — d. Verf.] durch einen langwierigen Krieg zu entkräften — als mit einem Schlage der kunstvoll ausgeheckte Plan zusammenbrach [...] ließ England die Maske des »Friedensretters« fallen und trat als Anstifter und Organisator des neuen Weltkrieges auf den Plan, als unverhüllter Vorkämpfer der Weltreaktion. Damit aber ist der englische Imperialismus zum gefährlichen Kriegsbrandstifter und über die ganze Welt hin sıchtbar zum Hauptfeind der internationalen Arbeiterklasse geworden.«'0” Der sowjetisch-finnische Krieg, von Stalin zur Arrondierung der sowjetischen Grenzen, besonders zur Sicherung Le-
nıngrads, vom Zaune gebrochen und im Hitler-Stalin-Pakt abgesichert hatte, erschien als Inszenierung des britisch-französıschen Imperialismus, um über »die »finnische Frage« ent107
England treibt zu cinem ncucn Weltkrieg. In: Die Kommunistische Internationale.
84
Moskau
(1940)1.
S.
16f.
weder einen Konflikt zwischen Deutschland und der Sowjetunion hervor[zu]rufen oder als günstiger Vorwand fiir die
Ausdehnung des imperialistischen Kriegsschauplatzes [zu] dienen und es ihnen ermöglichen würde, die Sowjetunion in den Krieg hineinzuziehen. Aber Deutschland ging London und Paris nicht ın die Falle.«'° Für den Ausbau der Argumentation vom allseitig imperialistischen Krieg wurde im Lauf des Jahres 1940 verstärkt auf Lenins Imperialismusanalyse zurückgegriffen. Aus seinem Werk wurden Zitate ins Feld geführt, um undifferenziert die Aggressivität jedes imperialistischen Staates nachzuweisen.'” »Reaktion auf der ganzen Linie, gleichviel unter welcher politischen Ordnung, äußerste Zuspitzung der Gegensätze auch
auf diesem Gebiete, das ist das Resultat dieser Tendenzen.«''“
Auch Eugen Varga vertrat diese Argumentation in seinen Aufsätzen. Scharfsinnig erfaßte er die zu erwartenden Verschiebungen im Kräfteparallelogramm der Weltmächte ım Ergebnis des Krieges: »Der Krieg wird zweifellos zu einer starken Schwächung des historischen Zentrums des Weltkapitalismus in Westeuropa führen, falls die kapitalistische Gesellschaftsordnung in Europa nach dem Kriege überhaupt bestehen bleibt. Die Vereinigten Staaten werden mit erhöhtem ökonomischen Gewicht aus dem Krieg hervorgehen.«'" Die neuartigen Entwicklungen, die mit dem Entstehen faschistischer Regime die Differenziertheit auch innerhalb impe-
rialistisch
verfaßter
Staaten
erhöhten,
traten dabei
in den
Hintergrund. Die linkssozialistischen Gruppen Kritisierten massiv die
neue Wende der KPD 108 109 110
111
und der Komintern.
In einer Erkldrung
Ein halbes Jahr impenalistischer Kricg. In: Dic Kommunistische tcrnationale.
Moskau
(1940)1.
1-8.
(1940)2.
S.
In-
102.
Siche Pctra Grubitzsch: Dic Impcrialismusthcoric und -analysc der KPD im Kampf gcgen Imperialismus, Faschismus und Kricg (19391945). Phil. Diss. Lcipzig 1986. Dic Stimme Lenins. In: Dic Kommunistische Internationalc. Moskau S.
— Weitcre
Artikel
mit
ausfiithrlichen
Verweisen
auf
Lenins »Der Imperialismus als hochstes Stadium des Kapitalismuse, beispiclsweise Peter Wieden [Ernst Fischer]: Einige Bemerkungen zur Frage des Impenalismus. In: Ebenda. Moskau (1940)11-12. S. 764-787. Eugen Varga: Der Monopolkapitalismus im zweiten imperialistischen
Weltkricg.
In: Ebenda.
Moskau
(1940)3/4.
S. 226.
85
der Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft London, der die Re-
volutionären Sozialisten Österreichs, Neu-Beginnen, die SAP
Deutschlands und der Internationale Sozialistische Kampfbund
(ISK) angehorten,'' bezog sie sich auf die grundsétzliche Stel-
lungnahme der KPD zum Krieg, wie sie in einem Artikel Walter Ulbrichts''? als Antwort auf einen Aufsatz von Hilferding ım »Neuen Vorwiérts« dargelegt wurde. »Komintern
und
KPD,
die bis zum
deutsch-russischen
Pakt in Ubereinstimmung mit allen groBen Arbeiterorganisatio-
nen den deutschen Faschismus als den internationalen Haupt-
fcind der Arbeiterklassc
hatten, erkldren
seit diesem
und des Sozialismus
bezeichnet
Tage, daß alle imperialistischen
Michte in gleichem Maße am Kriege schuldig seien, und daß die Arbeiterklasse in jedem kriegfiihrenden Lande fiir die Niederlage der eigenen Regierung einzutreten habe. Die neue Politik Stalins wurde von der Komintern und der KPD zunéchst als geschickte Ausnutzung der Konflikte unter den Imperialisten für die Starkung und Sicherung des Arbeiterstaates gerecht-
fertigt; dic Existenz einer diplomatischen und 6konomischen
Unterstiitzung des Hitlerregimes durch die Stalinsche Diktatur wurde in der kommunistischen Argumentation geleugnet oder stillschweigend tibergangen. Diese Haltung [...] zerstorte jede politische Gemeinsamkeit zwischen ihr und der selbstdndigen deutschen Arbeiterbewegung. Die deutschen Sozialisten nehmen In diesem Kriege eindeutig Partei, weil sie erkennen, daf3
das Hitlersystem das entscheidende Bollwerk der internationa-
len Reaktion ist, und daß der Kampf fiir seine militdrische Niederlage die zeitweise Kooperation der Sozialisten mit seinen Kriegsgegnemn auch dann erfordert, wenn unsere positiven Zicle mit denen der kriegfiihrenden Regierungen durchaus nicht iibereinstimmen.«'" Sehr hellsichtig deckte diese Erklärung auf, daß die KPD in ithrer Argumentation nicht nur die kriegsfithrenden imperialistischen Länder auf eine Linie stellte, sondern England und 112 113 114
86
Siche Dic KPD und dic Solidaritit der Illcgalen. Hektographicrtes Material. 0. O. u. J. [1940]. Archiv des Verf. Siche Walter Ulbricht: Hilferding über den »Sinn des Kricges«. In: »Dic
Welt«.
Stockholm
Dic KPD
vom
2. Fcbruar
1940 (Nr. 6). S.
135-137.
und dic Solidaritdt der Illegalen. Hektographicrtes Material.
0. O. u. J. [1940]. Archiv des Verf. S. 1.
Frankreich als die Kriegstreiber gegen die Sowjetunion brandmarkte, während die deutsche Regierung als zu friedlichen Beziehungen zur SU bereit, abgehoben wurde. Die Verfasser stellten
sarkastisch
fest, Ulbricht
führe
»wieder
eiıne Unter-
scheidung ein — aber diesmal zugunsten Hitlers«.'"” »Sie [die KPD] muß sich dieser Zusammenarbeit [Stalins mit Hıtler] anpassen, indem auch sie außenpolitisch Partei nimmt, und zwar für Hitler, gegen England. Sie spricht dabei weiter vom Kampf fiir den Frieden, aber meint das im gleichen Sinne wie Hitlers »Friedensoffensive Die Repressivorgane der Nazis erkannten jedoch auch Unterschiede in den Aktivititen in Deutschland und den okkupierten Gebieten. »Unter anderem Gesichtwinkel muß die Tatigkeit der
Kommunisten 28 29 30 31 32
im Protektorat, der Ostmark
Ebcenda. Bl. 12. Sichce Beratung der drei Parteicn, BArch. NY 4036/540. SAPMO-BArch. R 58/3019. Bl. 16. Ebenda. Bl. 17f. Ebenda. BI. 13f.
1. November
und ım Sudeten-
1939,
In:
SAPMO-
101
land betrachtet werden.
In diesen Gebieten zeigt sich ım Ge-
gensatz zum Altreich eine erhöhte Tätigkeit der Kommunisten. [...] Man kann die Erscheinungsformen des Kommunismus
in
den
in
der Ostmark und im Sudetenland mit denen des Altreiches in Jahren
1935
und
1936
vergleichen.
[...] Doch
auch
diesen Gebieten ist [...] die Tätigkeit rückläufig und ım Abnehmen.«“ Einzig für das »Protektorat Böhmen und Mähren«, wie die zerschlagene Tschechoslowakei nunmehr genannt wurde, verzeichneten die Statistiken ein Ansteigen der kommunistischen Widerstandsarbeit. »Im Protektorat finden wir [...] cine kommunistische Bewegung, die sich auf breite Widerstandskräfte der tschechischen Bevölkerung stützt.«* Obwohl der Bericht die Abnahme der kommunistischen Tätigkeit iın Deutschland konstatierte, verwies er vorsorglich darauf, daß sie nicht so gering sei, »um ihr keine Bedeutung
mehr zu schenken«.
Es sei notwendig
»mit kritischem Blick
allen mit kommunistischer Taktik eingeleiteten Störungsversu-
chen auf Preispolitik, Gehalts- und Lohnfragen, Altersversor-
gung,
WirtschaftsmalBnahmen,
fiirsorgerische
Betreuung
Hinterbliebener im Felde Gefallener usw. grof3te Aufmerksamkeit zu widmen. Die den »stillen< und >stdndigen< Mitarbeitern
der illegalen KPD. gegebenen Richtlinien und Verhaltungsmaf3regeln sind hinreichend bekannt geworden.«** Denn bei »krie-
gerische[n] oder wirtschaftliche[n] MiB3erfolge[n]« könnte die
kommunistische Widerstandstatigkeit wieder deutlich sichtbarer werden. Die Einschdtzungen verdeutlichen die weitgechenden Erkenntnisse des Geheimen Staatspolizeiamtes iiber die Richtlinicn und Beschliisse der KPD-Fiihrung fiir den organisatorischen Aufbau der illegalen Parteiarbeit. Der Gestapo gelang es, fiinf
der aus Schweden eingereisten Instrukteure der KPD, die die
Organisation von Berlin aus wieder aufbauen und Kurierverbindungen nach Schweden schaffen sollten, festzustellen und zu verhaften. Dabei wurden auch die gekniipften Verbindungen zu noch bestchenden Organisationen in Berlin und Hamburg ım Friithjahr 1941 zerschlagen. Die in Kopenhagen 33 34 35
102
Ebenda. Bl. 19f. Ebcenda. BI. 20. Ebcenda. Bl. 16.
befindliche Abschnittsleitung Nord der KPD mit Verbindungen nach Hamburg fiel ebenfalls ım Frühjahr 1941 der Gestapo ın die Hände.
Erst nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetuni-
on wurde von den Überwachungs- und Terrororganen wieder
eine — wenn auch unwesentliche, wie das Urteil lautete — Er-
höhung der kommunistischen Propagandatätigkeit in Deutschland festgestellt. Die Denkschrift » Tdtigkeit der Kommunisten in Deutschland und in den von Deutschland besetzten Gebieten vor und nach Beginn des Krieges mit der Sowjetunion« des Geheimen Staatspolizeiamtes, vermutlich vom August 1941,% vermerkte: »Prozentual ist zwar die Zahl der Beschmierungen und Flugblattverbreitung von Juni auf Juli 1941 auf ein Mehrfaches gestiegen. Trotzdem ist sie immer noch als unbedeutend zu bezeichnen. Auch auf dem Gebiet der Mundpropaganda war eine geringe Erhöhung der staatsfeindlichen Tätigkeit festzustellen.«” Als Methoden der kommunistischen Gegnerarbeit bezeichnete die Gestapo folgende: »1) Durch geschickte miindliche Propaganda bei den schwankenden Elementen die Widerspriiche und Unrichtigkeiten in der nationalsozialistischen Propaganda aufzuzeigen. 2) Die Verbindung der aktionsfdhigen und geschulten Genossen untereinander zum Zwecke fortlaufender Verständigung aufrechtzuerhalten. 3) In den wichtigen Betrieben durch eine unauffillige passive Resistenz in Form von Krankmeldungen, Akkorduntersetzung usw. die Produktionskapazitit zu schwichen.«™ Besondere Beachtung miifitc deshalb der staatsfeindlichen Propaganda in den Betrieben geschenkt werden, da dort der
illegale Staatsgegner unter den giinstigsten Voraussetzungen ın
Verbindung mit den »Objekten seiner Zersctzungspropaganda gelangen konnte, und »die Unterminicrungsarbeit hier mehr defaitistischen als marxistischen oder kommunistischen Charakter« trage.*
36 37 38 39
SAPMO-BArch. R 58/3070. Ebcenda. Bl. 27. Ebcnda. BIl. 27f. Siche cbenda. Bl. 28.
BIl. &fT.
103
Der kommunistische Widerstand beschränkte sich bis 1941 in hohem Maße auf informelle Strukturen. Von der Moskauer Führung immer wieder angestrebte Bezirksleitungen konnten nicht realisiert werden. In der »Politischen Plattform der KPD« vom Dezember 1939 wurde den organisatorischen Aufgaben der Partei große Aufmerksamkeit gewidmet. Es wurde die Aufgabe gestellt, cine Leitung der Bezirksorganisation Berlin zu schaffen, dic eine eigene Zeitung herausgeben sollte, und eine zentrale (Inlands-)Leitung zu schaffen. Diese sollte Verbindungen zu bestehenden Strukturen ın den industricllen Ballungsgebieten Deutschlands herstellen bzw. diese schaffen und die »Rote Fahne« herausgeben. Illusionen über die Erlangung zumindest halblegaler Wirkungsmoglichkeiten der KPD unter den Bedingungen des Nichtangriffsvertrages spiel-
ten offenkundig eine Rolle. Da die Lenkung dieser Prozesse von Moskau aus nahezu unmoéglich war, wurde eine (Auslands-)Leitung geschaffen, die ab Anfang 1940 von Stockholm aus Verbindung zu den Parteistrukturen in Deutschland und ın den Exilldindern halten sollte. Zu ihr gehörten Karl Mewis, Richard Stahlmann, Erich Gliickauf sowie Heinrich Wiat-
rek, der sich in Kopenhagen aufhielt und dort im Frithjahr1941
verhaftet
wurde.
Zu
ihnen
stieß
1941
Herbert Wehner,
der
aber bald von der schwedischen Polizei verhaftet wurde. Er trennte sich 1942 von der KPD. Mitte
1940 waren Voraussetzungen entstanden, eine Lan-
desleitung zu bilden. Artur Emmerlich und Kurt Steffelbauer nahmen diese Auf-
gaben provisorisch wahr, da es sich als unmöglich erwies, die
fiir die Landesleitung vorgesehenen Funktionire ohne Gefihrdung iiber die Grenzen zu bringen und ihnen dauerhafte Aufcnthaltsbedingungen und Arbeitsméglichkeiten zu schaffen. Die Landesleitung gab etwa zwanzig verschiedene Schriften, Flugblétter, Schulungsmaterialien und Informationsblitter heraus. Vierzehntdglich erschienen die »Berliner Rundbriefex, ın den zu aktuellen Problemen der militirpolitischen Entwicklung Kenntnisse vermittelt wurden.*
40 Siche dazu Geschichte der SED. Bd. 2 (unveréftfentlichte Druckvorlage) [1989]. S. 843ff.
104
Außer Mewis, Wiatrek und Wehner, die ursprünglich die
Landesleitung bilden sollten, war auch Wilhelm Knöchel, ein
weiteres Mitglied des ZK, dafür vorgesehen. Er sollte in der zweiten Phase des Weltkrieges zu einer zentralen Figur des kommunistischen Widerstands in Deutschland werden. Er reiste ım Januar 1942 illegal nach Deutschland ein. Die kommunistischen Antifaschisten im westlichen Exil befanden sich vor der faschistischen Okkupation auf der Flucht. Es bedurfte eines lingeren Zeitraums bis sie sich, wenn sie den faschistischen Verfolgern entkommen waren, ın den sich konstituierenden Exilzentren verstreut iiber mehrere Kontinente reorganisierten. Die kommunistische Emigration in der Sowjetunion durchlebte ebenfalls schwere Zeiten.*' Die Riicknahme des Antifaschismus in den Medien traf die deutschen Emigranten moralisch und materiell hart. In Moskau lebende Personen deutscher Herkunft ohne sowjetische Staatsbiirgerschaft verloren das Wohnrecht in der Hauptstadt. Sie wurden vor die Wahl gestellt, sich aussiedeln
zu lassen oder nach
Deutschland
zu-
riickzukehren. Inhaftierte deutsche Staatsbiirger wurden freigelassen und nicht wenige ausgewiesen. Unter ihnen be-
fanden sich Antifaschisten, die an der deutschen Grenze von
der Gestapo in Empfang genommen wurden. Andere wurden aus der Haft entlassen und in eines der sowjetischen Besserungsarbeitslager (GULAG) verbracht. Nicht wenige der Entlassenen konnten jedoch in den Jahren bis zum Uberfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion ein zwar entbehrungsreiches, aber vergleichsweise »normales« Leben fithren. Noch ein Jahr zuvor hatte der »Große Terror« nicht nur Millionen Sowjetbiirger existentiell bedroht, sondern auch die deutschen Antifaschisten. Die Zahl der Opfer war auch unter diesen erheblich. Es kamen mehr Mitglieder des Zentralkomitees der KPD im Ergebnis der Stalinschen Repressalien in der Sowjetunion ums Leben als in den Zuchthdusern und Konzentrati-
onslagern im faschistischen Deutschland.
41
Sichc dazu und zum folgenden Carola Tischler: Flucht ın dic Verfolgung. Dcutsche Emigranten im sowjctischen Exil — 1933 bis 1945. Miinster 1995. S. 148ff.
105
Carola
Tischler gibt einen
Kommunisten
Franz
mutigen
Schwarzmüller
KPdSU(B), der Komintern und der KPD
frau Anni
Brief des deutschen
an die Führung
der
wieder, dessen Ehe-
Etterer inhaftiert war. Schwarzmüller schrieb ım
April 1939 noch unter dem Eindruck des Terrors: »Für uns deutsche Emigranten, die wır eın Teil der deutschen Partei, cin Teil der III. Internationale sind, hat jedes innerparteiliche
Lcben, ja jedes politische Leben und politische Betdtigung tiberhaupt aufgehort. Nicht einmal mehr zu einer politischen Informationsversammlung ruft man uns. Dic deutsche Emigration hier ist vollig atomisiert. Jeder lebt fiir sich in seinen vier Winden, aus Furcht durch Verhaftungen in seinem Bekanntenkreis oder sonst wo, ebenfalls hineingezogen oder mindestens
diskreditiert zu werden.
[...] Welche
Folgen hat
einc solche Lage? Fiir vicle gute Genossen und wirkliche Freundc der USSR bedeutet eın solches Leben Versumpfung — geistiger Tod — Stagnation ın der politischen Weiterentwicklung, politischen Indifferentismus. [...] In eine solche Emigration, dic ın solchen Verhiltnissen lebt wie zur Zeit die Dcutsche hier in der USSR, dringt viel leichter Zersetzung,
Opportunismus und damit der Klassenfeind ein, als in eine Emigration,
dic eng zusammengeschlossen
und politisch er-
faßt und aktiviert ist.«* In dieser Hinsicht dnderte sich wihrend der partiellen Riicknahme des Terrors in den Jahren 1939 bis 1941 einiges. Gleichzeitig wurde für viele deutsche Antifaschisten die Decutschland-Politik der Sowjetunion immer unverstandlicher.
Faschismus und Antifaschismus wurden zunechmend zu Unworten. Die sowjetische Regierung vermied peinlich jede Konfrontation mit dem Hitlerfaschismus. Sie reagierte auf Interventioncn Deutschlands beziiglich antifaschistischer Publikationen
schr entgegenkommend. Die deutschen Emigranten wurden thres Lebenselexiers, der Auseinandersetzung mit dem Fa-
schismus beraubt. Die »Pressc 1st wie umgewandelt«, drahtete der deutsche Botschafter von Schulenburg bercits Anfang September 1939 an das Auswirtige Amt, »Angriffe auf dic Haltung Deutsch42
Zit. nach cbenda.
106
S. 162,
lands haben nicht nur völlig aufgehört, sondern auch Darstellung außenpolitischer Vorgänge fußt vorwiegend auf deutschen Nachrichtenquellen, aus Buchhandel wird antideutsche Literatur entfernt u. a.«* Unverzichtbare Grundpositionen des Antifaschismus wurden in der Paktzeit preisgegeben.
43
Zit. nach cbenda. S. 149.
107
Exkurs 1
Emigrationsschicksale.
Charlotte Scheckenreuter und Hugo Eberlein' (Ruth Stoljarowa/Wladislaw Hedeler)
Das Schicksal Charlotte Scheckenreuters und Hugo Eberleins
in den dreißiger Jahren, steht auf unterschiedliche Weise für
den tragischen Weg vieler deutscher Kommunisten, die wegen
ihres illegalen Kampfes gegen den Hitlerfaschismus in Deutschland und anderen Ländern verfolgt wurden und in die Sowjetunion emigrierten. Charlotte Scheckenreuter leistete mit der Erledigung
scheinbar nur kleiner, aber bisweilen außerordentlich verant-
wortungsvoller Aufgaben an der Seite Hugo Eberleins unter
kompliziertesten Bedingungen einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Auf- und Ausbau der kommunistischen Verlage und Druckereien ın Deutschland, Belgien, der Schweiz, in Frank-
reich und im Saargebiet. Sie wußte, daß die ihr übertragenen gcheimen Aufträge große Gefahren in sich bargen, und diese ereilten sıe dann auch mehrfach in ihrer ganzen Härte: zuerst durch die Gestapo in Deutschland, dann durch die französische Justiz. Völlig unerwartet jedoch kam für sie, daß sie cbenso wie Hugo Eberlein, nachdem beide im Sommer 1936 aus Frankreich ausgewiesen worden waren, ın der sowjeti-
]
Dic folgende Darstellung ist cine leicht gekiirzte Fassung cines Kapitels für cinc biographische Skizze der Autoren über Hugo Eberlein: »Deine Licbc zu unscrer Sache hat dir wenig Freude und viel Leid gebracht.« Dic junge Kommunistin Charlotte Scheckenreuter als Mitarbeiterin und Frau Hugo Eberleins in den 1930er Jahren, aufgezeichnet nach den Aktcn in Moskauer Archiven. Der volle Wortlaut wurde veröffentlicht in
Jahrbuch
für Forschungen
Januar 2008. S. 5-35.
108
zur Geschichte
der Arbeiterbewegung.
Berlin
schen Emigration nicht die erhoffte Geborgenheit und die Möglichkeit fand, an der Verwirklichung ihrer Ideale vom Aufbau einer neuen Gesellschaft teilzunehmen. Es galt nıchts mehr, daß Hugo Eberlein, Jahrgang 1887, als Mitbegriinder und Mitglied der Führungsgremien der KPD
und der Kommunistischen
Internationale sowie als Mitglied
des Preußischen Landtages einen geachteten Namen
Am 26. Juli 1937 vom NKWD
besaß.
verhaftet, wurde er am 5. Mai
1939 »wegen Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären terroristischen Organisation im Apparat der Komintern« zu 15 Jahren »Besserungsarbeitslager« und fünf Jahren Aberkennung der Bürgerrechte verurteilt. Mit einem Häftlingstransport kam er in ein Arbeitslager im Gorkigebiet, wo er am 16. Juli 1941 erneut verhaftet und nach Moskau überstellt wurde. Das alte Urteil wurde
kassiert, und am 30. Juli
1942 er-
hielt er die Todesstrafe. Als die Truppen Nazideutschlands unmittelbar vor Moskau standen wurde er am 16. Oktober 1941 im NKWD-Objekt »Kommunarka« in der Nähe von Butowo,
einem Vorort von Moskau, erschossen.? Charlotte landete 1938 ebenfalls hinter den Gefdngnismau-
ern des NKWD
und wurde schlieBlich gezwungen, in das fa-
schistische Deutschland auszureisen, was einer Auslieferung
an die Gestapo gleichkam. Damals war sie gerade Ende zwanZIg. Charlotte Lydia Scheckenreuter entstammte einer kinderreichen Arbeiterfamilie aus dem Ruhrgebiet. Sie wurde am 30. Oktober 1909 als eines von 13 Kindern des Bergarbeiters August Scheckenreuter und seiner Frau Maria, geb. Hildebrandt,
geboren, die damals in Essen, Bassinstr. 33, wohnten. Alle Mitglieder der Familie waren Arbeiter, die meisten politisch
organisiert und aktiv tätig. Der Vater war Sozialdemokrat,
Charlotte
und
sieben
ihrer Geschwister
waren
Mitglied
der
KPD, zwei weitere sympathisierten mit dieser Partei. Fast alle fanden wegen ihrer Gesinnung keine Arbeit und wurden während der Jahre des Faschismus verfolgt.
2
Siche Rasstrel’nyc spiski. Moskva vo. Moskau 2000. S. 457.
1937-1941:
»Kommunarka«,
Buto-
109
Nach Abschluß der Volksschule besuchte Charlotte noch cin halbes Jahr die Handelsschule und bekam dann zwei Jahre lang kurzfristige Anstellungen
in verschiedenen
Geschäften
und Büros. 1925 schloß sic sich dem Arbeiter-Turn- und Sportbund
an, in dem sie auch eine Funktion auf der Kreis- und Bezirks-
ebene übernahm. In dieser Zeit wurde sie auch Mitglied des Allgemeinen freien Angestelltenbunds sowie der Roten Hilfe. Scit 1927 war sie Mitglied der KPD und arbeitete zunächst beim »Ruhr-Echo«,
später, bis Mai
1933, in Essen, Rottstra-
ße, ın der Kassenverwaltung der Bezirksleitung der KPD für das Ruhrgebiet. Da sıe durch ihre politische Aktivitédt innerhalb der KPD und der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) auf-
gefallen war, stand sie unter polizeilicher Beobachtung und gelangte
nach
dem
Machtantritt
der Nationalsozialisten
ın
Deutschland bald in die Fahndungslisten der Gestapo. Ihre Gestapoakten* enthalten regelmäßige Aufzeichnungen über persönliıche Daten, Aufenthaltsorte, politische Aktivitäten, Festnahmen, Berichte an die Gestapo und Austausch von Informationen zwischen unterschiedlichen Gestapodienststellen aus den Jahren 1931 bis 1940. So
ist unter anderem
darin
verzeichnet,
daß
Charlotte
Scheckenreuter am 24./25. Januar 1931 als Turnerin am 1. Kongreß der Roten Ruhr-Sportler ın Essen teilgenommen hatte und für die Mandatspriifungskommission vorgeschlagen worden war, daß sie am 12. Juni 1931 eine Rote Sport-Demonstration in der städtischen Badeanstalt ın der Steeler Straße besucht hatte und daß sie am 26. Juni 1931 auf einer Kundgebung ım Saalbau eine kurze Ansprache hielt, in der sie gegen die Entziehung der Sportplätze für kommunistische Sportler durch die Stadtverwaltung protestierte. Ferner wird mit Datum von 14. Januar 1932 ihre Mitgliedschaft in der RGO registriert und am 5. Februar 1932 ihre Verurteilung zu einer Strafe von 10 Mark bzw. zwei Tagen Gefängnis wegen Hausfriedensbruchs.? 3 4
Sichc Aus den Gestapo-Personalakten
Ruhrlandmuscum. Archiv Siche cbenda. Bl. If.
110
Emst
Schmidt:
RW
58/12882
Bestand
und 42506.
19-1164.
In:
Charlotte wohnte damals in Essen am Holdenweg 5. Die
Gefahr, verhaftet zu werden, spitzte sich weiter zu, nachdem
sie Mitarbeiterin und Sekretärin Hugo Eberleins geworden war, der zu dieser Zeit mit zahlreichen Aufgaben ım grenznahen Gebiet betraut worden war, die der Organisierung des illegalen Kampfes in Deutschland, vor allem der Sicherstellung des Drucks und Vertriebs von Literatur, dienten. Die Verfolgungswelle der Faschisten hatte auch schon Charlottes Fami-
lie erreicht: Einer ihrer Brüder war bereits wegen seines politischen Engagements zu 18 Monaten Gefängnishaft verurteilt worden, und ein Schwager war im Konzentrationslager verschwunden.’ Nachdem Hugo Eberlein als Mitglied der Internationalen Kontrollkommission der Exekutive der Komintern den Auftrag erhalten hatte, seine Tätigkeit ins Ausland zu verlegen, schlug
er Charlotte vor, mit ihm zu gehen. So waren beide bis 1935 in der Schweiz und im Saargebiet stationiert. Sie pendelten oft zwischen ihrem Hauptsitz Basel und Strasbourg sowie anderen Orten. In Basel hatten sie eine feste Wohnung und gute Beziehungen zu schweizerischen Kommunisten, von denen sie bei der Lösung ihrer Aufgaben und wéhrend ihrer Abwesenheit bei der Regelung ihrer persénlichen Belange aktiv unterstiitzt wurden. Das Verschwinden von Charlotte Scheckenreuter aus Deutschland war der Gestapo nicht verborgen geblieben. So wurde am 31. Mai 1935 mitgeteilt, daB sie entsprechend einem ErlaB der Gestapo Berlin in das » Verzeichnis fliichtiger Kommunisten« aufgenommen worden war.® Am 17. Dezember 1936 berichtete die Gestapo Essen an die Gestapo Diisscldort, man habe vertraulich erfahren, daß Charlotte Scheckenrcuter
5
Rossijskij Gosudarstvennyj
kau (im weiteren
RGASPI).
Archiv
social’no-politi€eskoj
Fonds 495.
Bestand
205. Akte
istoriii. Mos2759.
Bl. 3.
— Siche Dr. Ernst Schmidt iiber Charlotte Scheckenrcuter. In: Ruhrlandmuscum. Archiv Ernst Schmidt: Bestand 19-1164. Bl. 1. — Sichc auch Charlotte
6
Scheckenrcuter,
dic Frau
an der Seite des
KPD-Spitzenfunk-
tiondrs Hugo Eberlcin. In: Ernst Schmidt: Lichter in der Finsternis. Essencr Opfer der Stalin-Ara, oppositionclle Linke und Fahnentliichtige 1933-1945. Bd. 23. Essen 1994. S. 118-124. Gestapo-Personalakten RW 58/12882 und 42506. In: Ruhrlandmuscum. Archiv Ernst Schmidt: Bestand 19-1164. Bl. 2.
111
sich seit einigen Wochen 1937
daß
wurde
im
ıhr die deutsche
war. Und
am
Maı
22. November
1935
Nr.
befinde. Am 96
Staatsangehörigkeit
Fahndungsbuch bestätigt.’ Im
in Moskau
»Reichsanzeiger« 1938
war Charlotte
wurde
bekannt
entzogen
27. April gegeben,
worden
ihre Eintragung
in Strasbourg
ım
ins Visier der
Geheimpolizei geraten. Sie wurde überwacht, und es wurden Nachforschungen über ihre Tätigkeit angestellt. So berichtete cın Kommissar Wissler am 22. November 1935, daß »Fräulein Sch. ım Januar 1934 nach Paris gekommen war und anfänglich bei Langrock, Direktor der Gesellschaft »Diligentia«® mit dem Firmensitz in Basel gewohnt habe. Ab Dezember 1934 wohnte sie bei der Witwe Noll«? in Strasbourg, wo sie auch offiziell angemeldet war. Ferner wurde mitgeteilt, daß sie häufig den
Besuch
eines
Deutschen
empfing,
den
sie für ihren
Mann ausgab und der unter dem Vornamen Ernst'® bekannt war. Aus diesen Aufzeichnungen geht hervor, daß Charlotte
damals zahlreiche Reisen von Strasbourg nach Basel und Pa-
ris unternahm und mit den Kommunisten Maurice Thorez und Marcel Noll in Verbindung stand. Die Ausweisung, die Kommissar Wissler beantragt hatte, konnte jedoch nicht vollstreckt werden, da Charlotte im April Strasbourg verlassen hatte und sich im Ausland befand. Mitte September 1935 erfuhr Wissler, daß sich Hugo Eberlein, dessen Identität diesem jedoch nicht bekannt war, bei Charlotte in Strasbourg aufhielt. Kurz zuvor hatte Hugo Eberlein am VII. Weltkongreß der Komintern in Moskau teilgenommen, der am 20. August zu Ende gegangen und auf dem er erneut als Mitglied der Internationalen Kontrollkommission gewählt worden war. Er reiste über die Schweiz
zurück, wo
er mit Charlotte zusammentraf und von
wo aus beide in unterschiedlichen Zügen nach Strasbourg fuhren.'' Am Morgen des 14. September wurde Hugo Eberleın anläßlich einer inszenierten Ausweiskontrolle bei Charlotte 7 8 9
Ebenda. Bl. 5. Es handelte sich um cinc Wirtschaftspriifungsgcsclischaft. RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Aktc 6265. Bl. 157. — Gemeint ist dic Mutter des Geschéftsfiihrers der decutschsprachigen Ausgabe der kommunistischen Zcitung »L’Humanité« in Strasbourg, Marcel Noll. 10 »Ernst« war cincs der Pscudonyme von Hugo Ebcrlcin. 11 Sichc RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte 6225. Bl. 215.
112
angetroffen, die ıhn als einen Freund aus Basel ausgab. Hugo Eberlein wies sich mit einem dänischen Paß auf den Namen
Daniel Nielsen aus und erklärte, er sei als Vertreter der Firma
»Unprimob« in Basel nach Strasbourg gekommen, um finanzielle Fragen mit dem Direktor der Gesellschaft Argentoratum Faschauer zu regeln. Es gehe dabei um den Ankauf von Drukkereimaschinen. Hugo Eberlein und Charlotte Scheckenreuter wurden festgenommen. Ihre Verhaftung wurde umgehend über den Verbindungsmann der KPF Pascal an das Mitglied des Präsidiums und des Sekretariats der Exekutive der Komintern M. A. Moskwin übermittelt, der zugleich Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen (OMS) war.'? Hugo wurde wegen Spionage und Besitzes eines falschen Passes zu elf Monaten
Gefängnishaft
verurteilt. Charlotte befand sich acht Monate wegen Beihilfe
zur Spionage in Untersuchungshaft. Sie wurde langen, ernied-
rigenden Verhören unterzogen, in denen ihr vorgeworfen wurde, hohe Summen in Empfang genommen zu haben, die dazu
dienen sollten, »militärische, wirtschaftliche und diplomatische
Erkundigungen einzuziehen«.'® Hugo und Charlotte wurden von den Rechtsanwälten Vincent de Moro-Giaferi aus Paris sowie Schreckenburg und Jaegli aus Strasbourg'* vertreten, die über das Thälmann-Komitee von Paris aus engagiert worden waren.'” Um die kommunistische Bewegung zu diskreditieren und die Untersuchungen weiter in die Länge zu ziehen,
begleitete
unter reißerischen
Überschriften
über
Monate
ein
lauter und schmutziger Presserummel den Prozeß gegen Hugo Eberlein. Mit besonders gehässiger Intensität traten hierbei solche Presseorgane wie die französische Wochenschrift »Le Gringoire«, die »Neue Zürcher Zeitung« und natürlich das Naziparteiblatt » Volkischer Beobachter« in Erscheinung. Sowohl Hugo als auch Charlotte bestritten die Anschuldigungen. Hugo deckte seine wahre Identitit auf und begriinde-
te den Besitz des falschen Passes damit, daß er sich als aktiver
Kommunist 12 13 14 15
1933
nach
seiner Flucht aus Deutschland
den
Siche cbenda. BI. 34, 36 und 115. Ebcnda. Bl. 149. Sichc cbenda. Bl 98 und 102. Siche cbenda. Bl. 36.
113
weiteren Nachforschungen der Gestapo entzichen wollte. Da er sich nicht an die deutschen Behörden zwecks Beschaffung
cines regulären Passes wenden konnte, habe er einen Freund und eine dänische Zeitung um Hilfe gebeten und gehofft, einen deutschen Flüchtlingspaß vom Völkerbund zu erhalten.' Mit Unterstützung dieser Zeitung habe er den falschen Paß
aus Dänemark zugeschickt bckommen.'’ Auf Intervention aus Moskau gelang es schließlich, eine Einstellung des Verfahrens zu erwirken. Hugo und Charlotte wurden aus Frankreich nach Luxemburg und von dort nach
Belgien ausgewiesen. Für Hugo Eberlein lag zu diesem Zeit-
punkt bereits eine Einreisegenehmigung Charlotte,
die sıch zuvor einen neuen
in die UdSSR
Paß
vor.
in der deutschen
Botschaft ın Paris hatte ausstellen lassen, besaß jedoch keine
Aufenthaltserlaubnis für Belgien. So drohte ihr nun die Aus-
weisung in das faschistische Deutschland. Da ihre Tätigkeit
als Mitarbeiterin Hugo Eberleins aus den Berichten, die von Pascal nach Moskau gingen, bekannt war, wandte sich Wilhelm Pieck, der der Exekutive der Komintern und dessen Se-
kretariat angehörte,
ım Einverständnis
mit der deutschen
Sektion am 28. Juli 1936 an Michail Moskwin mit der Bitte, bei der Ausstellung einer Einreisegenehmigung behilflich zu
sein. Moskwin erwirkte dann mit cinem Schreiben an das Mitglied des ZK der KPdSU(B) Nikolaj Jeshow vom 29. Juli 1936 ein Visum für Charlotte Scheckenreuter, das am 14. August 1936 nach Brüssel geschickt wurde.'® Am 27. August 1936'" trafen Hugo Eberlein und Charlotte Scheckenreuter auf einem sowjetischen Frachter in Leningrad
cin. Von hier aus reisten sie nach Moskau weiter, wo sie zwel Tage später cin gemcinsames Zimmer (Nr. 71) im Hotel
»Lux«" in der damaligen Twerskaja crhielten, in dem viele Emigrantcen aus aller Welt, vor allem Mitarbeiter der Komin-
tern sowie Gäste UdSSR wohnten.
16 | 7 18 19 20
der KPdSU(B)
und der Regierung
Siche cbenda. Bl. 20. Siche cbenda. Bl 159-168. Siche cbenda. Fonds 495. Bestand 205. Akte 2759. Ebenda. Bl. 292 und 294. Siche ebenda. Bl 9.
114
Bl. 72 und 71.
der
Wie die meisten politischen Emigranten bekam auch Char-
lotte einen
Decknamen,
um
sprechenden
Instanzen
wurde
sich
und
ihre Verwandten
in
Deutschland vor Nachforschungen der Gestapo zu schützen. Sie wurde in der Gruppe der in der UdSSR lebenden deutschen Kommunisten als Lotte Reuter geführt. Nach Erledigung der Anmeldungsformalitäten bei den entCharlotte
einer eingehenden
Überprüfung unterzogen. Wie aus einer Information der Kaderabteilung der Exekutive hervorgeht, wurden verschiedene in der Sowjetunion
lebende Personen, die sie kannten, nach
ihr befragt. So bestätigte u. a. F. Golz (das ist Friedrich Fränken) Charlottes frühere Tätigkeit im Arbeitersport. Georg Schmidt
erklärte, daß ihm Charlotte seit 1926/1927
bekannt
sei. Sie sei In der Bezirksleitung Ruhrgebiet in der Abteilung Kasse als Stenotypistin beschäftigt gewesen, habe als gut und zuverlässig gegolten, sei jedoch nie eine aktive Parteifunktiondrin gewesen. Sie sei lediglich aktive Turnerin ım Roten Sport gewesen und entstamme einer kinderreichen proletarischen Familie. Ihre Geschwister seien alle Funktionäre der Partei oder der Nebenorganisationen gewesen. Seit 1931 habe er sie aber nicht mehr gesehen.:' Georg Schmidt war früher
Geschäftsführer
der Arbeiterbuchhandlung
in Frankfurt
am
Main und nach seiner Emigration in die UdSSR als Sachbearbeiter für Emigrantenfragen bei der Roten Hılfe (MOPR) tätig. Am 15. September 1936 füllte Charlotte einen Fragebogen aus, mit dem sie sich um die Mitgliedschaft in der KPdSU(B) bewarb und ihre Zugehörigkeit zur KPD nachweisen mußte.
Diesem Antrag war ein Lebenslauf beigefügt, in dem sie ihre
politische Tätigkeit selbst einschätzte: »Politisch stand ich ımmer auf der Linie der Partei, an Gruppen der Fraktionen habe ich niemals teilgenommen.
Ich muß aber hinzufügen, daß ich
mich, solange ich in Deutschland war, immer nur in der Arbeitersportbewegung betétigt habe, wo ich nur schr wenige politische Schulung erhielt. Wihrend meiner Auslandsarbeit,
die immer illegal war, war mir verboten, an kommunistischen
Veranstaltungen teilzunehmen oder kommunistische Literatur beı mir zu fiihren.
21
Sichc cbenda. Bl. 4 und 8.
115
Ich bitte die Partei, mir, solange ich in Moskau bin, behilf-
lich zu sein, daB ich mir die mir fehlende politische Schulung hier aneignen kann.«* Da Charlotte keine politischen Funktionen bekleidet hatte und über keine spezielle Schulung verfiigte, beschloß die deutsche Sektion beim EKKI in einem von deren Vertreter Weber unterzeichneten Kommissionsvorschlag am 19. Oktober 1936, sic einer Sympathisantengruppe anzugliedern.> Diese Verfahrensweise reflektiert im Detail die verkrusteten Parteistrukturen. Mehrjährige Tatigkeit in der KPD und ın thr nahestehenden Massenorganisationen, illegale Arbeit ım Ausland und VerbiiBung von Haftstrafen qualifizierten nicht zur Mitgliedschaft
in der KPdSU(B),
der einzigen Form
Parteimitgliedschaft auslandischer Kommunisten
der
ın der So-
wjetunion. Am 15. Oktober wandte sich die Deutsche Vertretung bei
der Exekutive der Komintern an die Direktion der Lenin-Schule und empfahl, Charlotte ım deutschen Sektor der Schule als Stenotypistin einzustellen. Besonders hervorgehoben wurde, daß sie in Strasbourg acht Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte und nach Einstellung des Verfahrens im August 1936 auf Anweisung der Komintern in die Sowjetunion gereist
war. Und auch der Hinweis in Charlottes Lebenslauf, daf} sie
immer auf der Linie der Partei gestanden und keinerle1 Fraktionen angehort habe, wurde wortlich zitiert. Charlotte erhielt die vorgesehene Arbeitsstelle in der Unterrichtsabteillung » A« der Schule mit einem Monatsgehalt von 300 Rubel.* Es schien, daß jetzt ein gewisses Gleichgewicht ın das Leben von Charlotte eingekehrt war, denn auch Hugo Eberlein hatte cine Tatigkeit als Sektorleiter ım EKKI aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt wohnte auch Hugos Sohn Werner zusammen mit seinem Vater und Charlotte ım Hotel » Lux«. Dicser war Ende März 1934 als Vierzehnjihriger allein von Berlin aus nach Moskau emigriert, da sein weiterer Aufenthalt
im faschistischen Deutschland zu gefihrlich geworden war. Scine Eltern, inzwischen geschieden, waren beide illegal tétig: 22 23 24
Ebenda. Bl. 3. Siche cbenda. Bl. 4. Siche cbenda. Bl. 54.
116
Seine Mutter Anna Eberlein, geborene Harms, ın Berlin innerhalb der KPD, und sein Vater, dessen illegale Tätigkeit für die Komintern bekannt war, wurde von der Gestapo mit Haftbefehl gesucht und hatte Deutschland verlassen müssen. Als Werner in Moskau eintraf, befand sich sein Vater noch
nicht in der Sowjetunion. So nahm ihn zunächst dessen zwelte Frau, Inna Armand, auf. Sie lebte in Moskau gemeinsam mit ihrer 1923 in Berlin geborenen Tochter Ines, der Halbschwester
von
Werner,
sowie
mit den
Familien
dreier ihrer
Geschwister und anderen Mietern — insgesamt 18 Personen — in einer kommunalen Gemeinschaftswohnung in einem groBen Mietshaus in der Nähe des Kreml.°> Nachdem Hugo Eberlein gemeinsam mit Charlotte Scheckenreuter in Moskau angekommen und ins Hotel »Lux« eingewiesen worden war, zog Werner ebenfalls dort ein. Hier lernte er Charlotte kennen. Sein Vater und Inna Armand hatten sich inzwischen getrennt.
Mit Charlotte lebte Hugo
Eberlein in sogenannter »wilder
Ehe«, ohne Trauschein, zusammen.
Als in den frühen Morgenstunden des 27. Juli 1937 Hugo Eberlein plötzlich verhaftet wurde, war Charlotte Schecken-
reuter sofort klar, daß dies Bestandteil jener riesigen, für sic
völlig unbegreiflichen Verfolgungswelle war, die ohne vorherige Anzeichen bereits zu Tausenden sowohl sowjetische Bürger als auch politische Emigranten aus den verschiedensten Ländern betroffen hatte. Sie wußte, daß die im ganzen Land durchgeführten Massenrepressionen allen sozialen Gruppen ın Stadt und Land bis in die Reihen höchster Spitzenfunktionäre und deren Familien galten und daß dieses Schicksal auch schon viele der im Hotel »Lux« wohnenden ausländischen Kommunisten ereilt hatte. Daher schrieb sie sofort an Wilhelm Pieck: »Moskau, den 27.7.37
Werter Genosse Pieck! Ich muß Ihnen leider die furchtbare Mitteilung machen,
daß mein Mann, Genosse Hugo Eberlein, heute früh aus unserer Wohnung heraus verhaftet wurde. ——
75
Siche Werner Eberlein: Geboren am 9. November. Erinnerungen. Berlin 2000. S. 42-50.
117
Hugo bat mich dringend, Ihnen und Genossen Dimitroff
sofort davon Mitteilung zu machen. Ich selbst und noch mehr mein Mann waren entsetzt, denn ich bin fest überzeugt, daß er ganz unschuldig ist. Er
selbst hat mir immer wieder versichert, daß er nichts gemacht
habe, was die Ursache haben könnte, ihn zu verhaften. Wenn Sie mir Nachricht geben, bin ich Ihnen sehr dankbar. Lotte Reuter, Lux Zi. 71«*¢
Die Verhaftung Hugo Eberleins hatte Charlottes sofortige Kündigung zur Folge. Am 2. August 1937 erhielt sie die Mitteilung, daß sie riickwirkend mit dem Datum vom 23. Juli 1937, d. h. vier Tage vor Hugo Eberleins Verhaftung, von ihrer Ar-
beitsstelle in der Lenin-Schule entlassen sei.”’ Als Grund wurde »Personaleinsparung« genannt.-*
Auch in dieser Situation fand Charlotte noch die Kraft, an die deutsche Sektion des EKKI zu schreiben, um thre Zuver-
sicht zum Ausdruck zu bringen, daß es sich wohl um einen Irrtum handeln miisse:
»An die deutsche Parteivertretung in der Komintern Zur Verhaftung meines Mannes, Hugo Eberlein, spreche ich
hiermit mein volles Vertrauen zur NKWD
aus und hoffe, daß
sich die Angelegenheit zum Guten aufkldren wird. Bis dahin
werde ich die Verbindung mit meinem Mann unterbrechen.
Moskau, den 17. August 1937
Lotte Reuter«?
Die pure Willkiir dicser Repressionen und die Hilflosigkeit dieser gegeniiber lösten unter der Bevolkerung Angst, Unsicherheit und Mißtrauen aus. Die emigrierten deutschen Kommunisten befanden sich — wie auch Charlotte — groBtenteils erst kurze Zcit in der Sowjctunion und hatten den Schock der durch Verfolgung, Haft oder Konzentrationslager durchlittenen Erlebnisse in Nazideutschland noch nicht verarbeitet. Nun wurden sie plotzlich aus der beginnenden Normalitit eines Lebens unter den neucn Bedingungen, nach dem Wechsel von der 26 27 28 29
RGASPI. Fonds 495. Siche cbenda. Bl. 60. Siche cbenda. Bl. 62. Ebcnda. Bl. 56.
118
Bestand 205. Akte 2759.
Bl. 54.
illegalen antifaschistischen Tätigkeit zu praktischer Arbeit für
den Sozialismus, herausgerissen.
Sobald sıch Verhaftungen
im Bekanntenkreis
herumge-
sprochen hatten, wandten sich Genossen und Freunde mit längeren oder knapp gehaltenen Schreiben an die Kaderabteilung des EKKI, in denen sie über ihre Kontakte, Treffen, Begegnungen und Gespräche mit den Verhafteten informierten. In vorsichtigen und zurückhaltenden Formulierungen brachten sic zum Ausdruck, daß sie nie bemerkt haben, daß die von
den »Organen« Festgenommenen einen partei- oder sowjetfeindlichen Standpunkt in tagespolitischen oder die Geschichte der Partei betreffenden Fragen vertreten haben. »Aus dem Urlaub zurückgekehrt«, schrieb z. B. Rudolf
Grätz (d. 1. Rudolf Lindau), »wird mir der Fall Eberlein be-
kannt. Aus diesem Anlaß erkläre ich: Hugo Eberlein kenne ıch seit der ersten Reichskonferenz des Spartakusbundes im Jahre 1916 und traf ihn im Laufe der Jahre auf Parteitagen, Konferenzen usw. wieder. Innerparteilich gehörte er wie ich ım November 1923 bis April 1924 zur sogenannten Mittelgruppe. Andere Beziehungen hatte ıch zu Eberlein nicht. Seit Eberlein ın Moskau ist, konsultierte ıch ihn wie auch
andere Genossen hin und wieder zur Aufhellung parteigeschichtlicher Tatsachen. Der Auftrag des ZK an Eberlein und mich, zum 20. Jahrestag der Gründung der KPD parteige-
schichtliche Arbeiten vorzubereiten, führte mich mit Eberlein ın letzter Zeit verschiedene Male in seiner und meiner Wohnung
zusammen, wobei sich die Unterhaltungen um parteigeschichtliche Fragen drehten. Teils wurden diese Unterhaltungen am freien Tag auf Spaziergängen geführt. Zweimal waren Eberlein und Frau und ich und Frau am freien Tag auf der Datsche des Genossen Jan Dietrich, wo meiner Erinnerung nach eınmal auch der Genosse Fritz Becker mit Familie gleichzeitig anwesend war. Bei den Unterhaltungen mit Eberlein waren ımmer seine Frau, meist sein Sohn, meine Frau, gelegentlich
auch andere Genossen zugegen. Ich fühle mich verpflichtet, etwas mitzuteilen, was mir ım
Zusammenhang mit dem Fall Eberlein ın Erinnerung gekommen ist: bei der Feier des 50. Geburtstages Eberleins hielt Gen. Pieck eine kleine Ansprache, in der er auch einen Rückblick gab und Eberleins Verhältnis zur Partei kritisch würdig119
te. Als Auffassung des ZK der KPD
teilte Gen. Pieck mit,
Eberlein solle die Möglichkeit gegeben werden, wieder enger
an der Arbeit der deutschen Partei teilzunehmen. Als Eberlein in seiner Erwiderung auf sein Verhältnis zur deutschen Partei zu sprechen kam, sprach er mit fast tränenerstickter Stimme. Als mir kurz danach Eberleins Frau in der Bibliothek unseres Institutes Bücher ausfolgte und ich eine scherzhafte
Be-
merkung über diese Szene machte, sagte sie lachend, daß Ebcrlein manchmal sentimentale Anwandlungen habe. So habe er im Ausland, nachdem er abends etwas reichlich getrunken hatte, ihr gegenüber Selbstmordgedanken geäußert, aber am nächsten Tag diese Tatsache abgestritten. Ich habe bisher dieser Sache keine Bedeutung beigemessen, möchte jedoch nicht versäumen,
sie mitzuteilen, da mir
die durch den Fall angeregten Überlegungen zeigen, daß diese Sache evt. doch Bedeutung haben kann. Rudolf Gritz«* Jean (auch: Jan) Dietrich, der cine Verabredung mit Eberlein im »Lux«
wahrnehmen
wollte, und anrief, wurde
von Eber-
mit, »daß
Eberlein verhaftet ist. Sollte das der Fall sein, so
leins Frau mit der Begründung ausgeladen: »Bei uns ist etwas passiert. Du kommst am besten nicht zu uns.« Er habe daraus entnommen oder angenommen, teilte er der Kaderabteilung erkläre ich, daß wir uns fast gar nicht politisch unterhalten haben,
sondern
die
Besuche
[...] nur kameradschaftlichen
Charakter getragen haben.«*' Die gegen die vielen Repressierten vorgebrachten Anschuldigungen ähnelten alle einem vorgegebenen Schema mit stereotypen Formulierungen, so daß die Betroffenen schnell nach
bestimmten Gesichtspunkten in bestimmte Gruppen von straf-
fällig Gewordenen eingeordnet werden konnten. Bereits
hieran
wurde
sichtbar,
daß
es um
eine
verwal-
tungsmäßig möglıchst schnell abzuarbeitende Massenaktion ging. Ähnliches hatten die Emigranten bereits nach ihrer Ein30 Siche Rede auch 31 Siche
120
RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Aktc 6225. Bl. 261. — Dic Wilhelm Piccks auf der Geburtstagsfeicr von Hugo Ebcerlein wird crwihnt in Herbert Wehner: Zcugnis. Köln 1982. S. 212. RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte 6225. Bl. 262.
reise und bei der Einstellung zur Arbeit erlebt. Die Fragebö-
gen, die sie auszufiillen hatten, waren so formuliert, daß die
Bewerber durch die zu erwartenden Antworten bestimmten Kategorien zugewiesen wurden, die sie vor allem entsprechend 1hrer sozialen Herkunft, ihrem Zuverldssigkeitsgrad ın Bezug auf Partei und Staat sowie ihrem Bildungsstand und threm moglichen Einsatz »bewertet« wurden. Es ging zumeist weniger um Erkenntnisse über das frithere Leben der Bewerber und moégliche Besonderheiten oder Schwierigkeiten ihrer Integration in die sowjetische Gesellschaft als um Sicherheitsgarantien und Kontrolle. Ein solches vorgefertigtes Begriffsinstrumentarium trat jenen, die Repressionen ausgesetzt waren, nun erneut entgegen. Auch die Haftbefehle und Anklagen waren nach festgelegtem Muster aufgebaut. Die Richtschnur hieß: Spionage; konterrevolutionire, antisowjetische terroristische Diversionstatigkeit; Zugehorigkeit zu terroristischen, faschistischen, konterrevolutiondren Spionageorganisationen und diesen angeblich unter-
stellten Gruppen; sowjetfeindliche, faschistische Agitation und
Propaganda;
Schidigung
der Wirtschaft;
Geheimnisverrat;
Verbindung zu Volksfeinden; Mordplidne gegeniiber Regierungs- und Parteifunktiondren u. 4. Als »Beweise« geniigten meist miindliche oder schriftliche erpre3te Aussagen von Mitbeschuldigten oder Dossiers ungenannter Herkunft, die von vornherein den Anforderungen einer vorbestimmten Struktur entsprachen. Und auch fiir die Strafverfolgung stand ein fester Katalog zur Verfiigung — bis zur Hochststrafe, der Verurteilung zum Tode. All dies fand — gestiitzt auf entsprechende ideologisch-politische Argumentationen und auf die Propagierung der 6ffentlichen Schauprozesse in Presse und Rundfunk — seinen Niederschlag in der Manipulierung der offiziellen und personlichen Meinung. Der im Politbiiro beschlossene und vom NKWD durchgefilhrte Terror, der mit einem ceklatanten Verfassungsbruch cinherging, waren kein Gegenstand der 6ffentlichen Diskussion. Es setzte sich ein Mechanismus der Uberbewertung, des sich Uberhebens, des willkiirlichen Herrschens der »Oberen« und
ciner Unterschétzung, eincr Degradierung und des Beherrschtseins der »Unteren« in Gang, der ein bestimmtes richtungge-
121
bendes Funktionieren der öffentlichen Meinung auslöste und wohl auch zu Persönlichkeitsdeformationen jener Zeıt beitrug. Dies alles traf so auch auf das Schicksal von Hugo
Eber-
lein zu. In seinem Haftbefehl Nr. 3654 vom 26. Julı 1937 wurde er beschuldigt »führendes Mitglied einer antisowjetischen Organisation im System der Komintern« zu sein, über das »die antisowjetische Organisation die Finanzierung auslän-
discher Gruppen aus Mitteln der Komintern abgewickelt« hat. Dic Schlußfolgerung lautete: »Eberlein ist zu verhaften.«= Als Beweise dienten die erpreßten Aussagen ebenfalls inhaftierter und später hingerichteter oder in der Haft umgekommener fiihrender Kommunisten aus verschiedenen Landern: so A. L.
Abramow, Hermann Remmele, Béla Kun, B. N. Melnikow und
Werner Hirsch. Auch der BeschluB3 iiber die Ergreifung von Prohibitiv-
maßnahmen
und dic Anklageerhebung vom
11. August
1937
cntsprach den vorgegebenen Regeln: Hugo Eberlein ist »ın ausreichendem Maße iiberfiihrt, Mitglied einer illegalen rechtstrotzkistischen Organisation ın der Komintern zu sein, die eine aktive staatsfcindliche Arbetit, inklusive Terror gegen die Fiihrer der KPdSU(B) und der Sowjetregierung sowie Spionagetatigkeit zu Gunsten eines ausldndischen Gehecimdienstes betreibt«.”> Er wurde
zu Haft nach Artikel
58, Punkt
6, 8, 10
und 11 des Strafgesctzbuches verurteilt. Zu den Maßnahmen des NKWD gchoérte, Freunde und Bekannte der Betroffecnen sowie die Arbeitsstellen aufzufordern,
schriftliche Meinungsäußerungen ım Zusammenhang mit den Verhaftungen abzugeben. So enthält auch die Akte von Hugo
Ebcrlein eine von Below unterzeichnete, als streng vertraulich gekennzeichnete handschriftliche Liste mit Namen von fiinf ın
dic Sowjetunion emigricerten Mitgliedern der KPD und deren Kurzbiographicn, dic am 9. Oktober 1937 mit der Schreibmaschine
abgeschricben
und
am
13. Oktober
1937
unter Nr.
2503 registriert wurde.’* Die Tatsache, daß es sich bei dieser Befragungsaktion mit großer Wahrscheinlichkeit um eine übli32 33 34
Zecntralarchiv des Fodcerativen Sicherheitsdienstes Rufllands (im weiteren ZAFSDR). Strafaktc R-23424. BI. 1. Ebcenda. Bl. 8. Siche RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte 6225. Bl. 257 und 257R.
122
che Methode der staatlichen Untersuchungsorgane handelte, wird dadurch erhärtet, daß bei einem der angeführten Namen auf cine frühere Anforderung für einen anderen Fall vom 20. September 1937 unter Nr. 13058 Bezug genommen wurde.* In Übereinstimmung mit den von Below notierten Namen finden sich ın der Akte Hugo Eberleins dann auch die entsprechenden Meinungsäußerungen. Es spielte jedoch für Hugo Eberleins tragisches Schicksal
keinerle1 begiinstigende Rolle, daß in diesen Aufzeichnungen
weder Vergehen noch Beschuldigungen oder Mutmal3ungen zu finden
waren,
daß darin
kannt
waren,
von
exakt
über Anlaß,
Ort und
Datum
ithrer Bekanntschaft auf dem Hintergrund der jeweiligen Parteiarbeit unterrichtet wurde und sogar Familienzusammenkiinften zum gemeinsamen Verbringen der Freizeit o. 4. ausfiihrlich beschrieben wurden. Es zeigte auch keinerlei Wirkung, dal3 die Befragten die ungeheuerlichen, an den Haaren herbeigezogenen Begriindungen des Haftbefehls, die ihnen ja nicht bevornherein
ad
absurdum
fiihrten.
Die
Befragten bewiesen groflen persdnlichen Mut, indem sie angesichts der sicher auch ihnen bekannt gewordenen Gefahren des unberechenbaren Terrors eine hohe Meinung über Hugo
Eberlein und Charlotte Scheckenreuter bekundeten, sich nicht
zu falschen oder vagen Aussagen bewegen ließen und ihre ın akuter Lebensgefahr schwebenden Genossen zu retten versuchten. So heif3t es in der Niederschrift von Helene Eilmann, die
Hugo Eberlein seit 1928 aus ihrer Parteiarbeit in Berlin kannte: »Ich hatte keine Bedenken gegen unseren personlichen Verkehr, da ich aus allen auch spéter mit ihm gefiihrten Gespréchen immer wieder neu den Eindruck gewinnen mußte, es mit cinem der Partei und dem Sowjetstaat ergebenen Menschen zu tun zu haben.«* Fritz Apelt (Becker)berichtete iiber die familidren Kontakte, die er und seine Frau zu Hugo Eberlein und Charlotte Scheckenreuter unterhielten. Sie hétten bisweilen gemeinsam die Freizeit verbracht und sich auch ın Anwesenheit von Ru-
dolf Grätz (Lindau), der auf diesem Gebiet arbeitete, über Fra35 36
Sichce cbenda. BIl. 255 und 257. Ebcenda. Bl. 258.
123
gen der Parteigeschichte der KPD sowie der Tagespolitik ausgetauscht. Dabei habe er »nie bemerkt, daß Eberlein einen partei- oder sowjetfeindlichen Standpunkt vertreten hat«.’’ Auch Rudolf Lindaus Frau, Eva Grätz (Ella Sindermann),
die in Deutschland Funktionärin in einem Unterbezirk der KPD war und
nach
ihrer Emigration
ın Moskau
zunächst
ın der
Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter und dann in der Komintern arbeitete, bekräftigte ihr Vertrauen zu Hugo Eberlein.® Charlotte Scheckenreuters Hoffnungen, ihren Mann bald wiederzuschen, erfüllten sich nicht. Er blieb spurlos verschwunden. Nun stand sowohl sie als auch Hugo Eberleins Sohn Werner völlig schutzlos und ohne jegliches Einkommen da. Dieser fand schließlich eine Arbeit im Moskauer Kautschukwerk und suchte sich, da er das »Lux« nicht mehr betreten durfte, einen Platz ım Arbeiterwohnheim der Komin-
tern, das sich in einem Nebengebäude auf dem Hof befand und in das er nur durch eine Seitengasse und über die Hinterhöfe gelangen konnte. In diesem Gebäude wurden dann auch Frauen und andere Familienmitglieder verhafteter Emigranten einquartiert. Charlotte Scheckenreuter wurde das Zimmer 294 zugewiesen,*” das sie sich mit Margarete Buber-Neumann teilte. Im Februar 1940 mußte Werner dann nach Sibirien in die Verbannung gehen; er kam von dort erst nach acht Jahren dank Wilhelm Piecks Unterstützung frei. Bei ihren Bemühungen, Informationen über den Verbleib Hugo Eberleins zu erlangen, stellte sich Charlotte Scheckenreuter zunächst ım Auskunftsbüro des NKWD-Gefängnisses »Lubjanka« an der endlosen Schlange der aus demselben Grund dort wartenden Angehörigen von Verhafteten an. Sie erhielt keine Auskunft und versuchte es danach im »Lefortowo«- und ım »Butyrka«-Gefängnis. In letzterem erfuhr sie schließlich, daß Hugo Eberlein dort als Gefangener registriert
war. Man gestattete ıhr, monatlich 50 Rubel für ihn einzuzahlen. Das war für sie der einzige Beweis, daß Hugo noch am
37 38 39
Ebenda. Bl. 260. Sichce ebenda. Bl. 259. Siche RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte
124
1599, BlI. 28, 31 und 32.
Leben
war, und für ihn ein Zeichen,
daß seine Familie
ihn
gefunden hatte. Erst 1939 teilte man Charlotte im »Lubjanka«-Gefängnis
mit, daß
Hugo
nach mehreren Artikeln
des Paragraphen
58
des Strafgesetzbuches schlimmster Vergehen wie antikommunistischer und sowjetfeindlicher Tätigkeit, Verrat, Spionage, Mordabsichten usw. bezichtigt worden und zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt worden war.
Bei ihrer Übersiedlung nach Moskau hatte Charlotte Schek-
kenreuter zunächst jegliche Verbindung zu Verwandten, Genossen und Freunden in Deutschland und in der Schweiz verloren. Es gelang ihr jedoch recht schnell, über ein ihr be-
kanntes
Mitglied
der KPD
wieder mit ihnen
in Kontakt
zu
kommen. Dies geht aus einem mit Susy* unterzeichneten, maschinegeschriebenen Bericht vom 14. Dezember 1937 ohne
Adressaten*!
sowie aus vier Briefen hervor, die sich in Char-
lottes Personalakte befinden.* Diese Briefe wurden in der Zeit von Ende Oktober bis Ende Dezember 1937 geschrieben.
Zweı von ihnen, die an die Verfasserin des Berichts adressiert
waren, enthalten vorsichtige Andeutungen, daß sich Charlotte in einer äußerst schwierigen Situation befand und sich ıhre Wohn- und Lebensbedingungen wesentlich verschlechtert hatten. Die beiden anderen Briefe stammen von Charlottes Schwester Emma,
die in verschlüsselter Form über die allge-
meinen Bedingungen im faschistischen Deutschland und die Lage von Freunden und Verwandten berichtete. Bei diesen Dokumenten fand sich auch ein in französischer Sprache verfaßtes Anschreiben des Sekretariats der KPD ohne Datum, das an Legros (d. i. Maurice Treand) adressiert war und die Bitte enthält, beiliegende Korrespondenz der Frau von Eberlein per Kurier nach Moskau zu übermitteln. Vermutlich lief über ıhn auch der Schriftverkehr zwischen Charlotte und ıhren Verwandten. Der erwähnte Bericht von Susy enthält Einzelheiten über Art und Wege der Zustellung der Korrespondenzen sowie 40 41 42
Um
wcen cs sich handelt
nicht festgestellt werden.
und an wen
der Bericht adressiert war, konnte
Siche RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte 2759. Bl. 43f. Siche cbenda. Bl. 50-55.
125
über die Schwierigkeiten, denen Charlotte Scheckenreuter und Hugo Eberlein durch ihre unverhoffte Verhaftung ın Frankreich und ihre unerwartete
Emigration
in die UdSSR
ausge-
setzt waren. Darin wird auch erwähnt, daß Susy betreffs der
Weitergabe
der Post mit dem
Funktionär der Schweizer
KP
Werner Meili iın Verbindung stand und daß sie von »Freund Albert« (vermutlich Albert Müller, eigentlich Georg Brück-
mann) gebeten worden sel, eın kurzes Expose über den ganzen Sachverhalt anzufertigen und den Briefwechsel mit Charlotte
cinzustellen.
Die Tatsache, daß der Bericht von Susy und diese Briefe schließlich nach Moskau gelangten und daß sie in einer zu-
sammengefaßten Ablage und mit mehrfacher Registrierung in unterschiedlichen Inventarlisten im Archiv gefunden wurden, läßt darauf schließen, daß die Post von und an Charlotte nach
der Verhaftung Hugo Eberleins einer besonderen Kontrolle unterlag und daß sie die Briefe ihrer Verwandten nicht erhalten hat.
Am
3706,
20. Juni 1938 wurde auch Charlotte mit Haftbefehl Nr. unterzeichnet
vom
Volkskommissar
für Inneres
der
UdSSR, Jeshow, sowie vom Leiter der II. Abteilung* der Hauptverwaltung für Staatssicherheit,** festgenommen. Bereits am 1. Juni 1938 hatte eine als streng vertraulich gekenn-
zeichnete und vom Stellvertreter des Volkskommissars fiir Inneres, M. P. Frinowski, unterzeichnete Order mit dem Befehl »verhaften, durchsuchen« vorgelegen, die die iiblichen
stereotypen verleumderischen Formulierungen der Strafbefehle und Anklagen in den Jahren des Großen Terrors enthielt. Sie hatte folgenden Wortlaut:
»Scheckenreuter, Ch. 1st die Ehefrau des inhaftierten akti-
ven Mitglieds der sowjetfeindlichen Spionageorganisation, die innerhalb
43
der Komintern
existiert hat, eines der Führer der
Es handclt sich um dic opcrative Abtcilung. dic für dic Durchfiithrung der Verhaftungen zuständig war. 44 Sichc ZAFSDR. Beschuldigtenakte 19650, Bl. 1. Der Umschlag der Aktc weist noch cinc spdterc Bezeichnung der Akte auf: R18343. Der Buchstabe »R« bedcutet. daß cine Rchabiliticrung stattgefunden hat. In der Akte ist jedoch keine Rchabilitationsbescheinigung enthalten.
126
rechten doppelzünglerischen Gruppe der Versöhnler in der KPD, Hugo Eberlein. Sie 1st sowjetfeindlich eingestellt, verbreitet Verleumdun-
gen gegenüber der Sowjetmacht sowie der von der KPdSU(B)
und der Sowjetregierung durchgefiihrten MaBnahmen. Sie unterhilt briefliche provokatorische sowjetfeindliche Verbindungen zu Deutschen, die in Deutschland leben. Der Leiter der III. Abteilung der I. Verwaltung des NKWD* Kommissar der Staatssicherheit 3. Ranges gez. Nikolajew«* Quer
über diesem
Text
steht mit dem
Datum
vom
15.
Juni in großen mit einem braunen Stift geschriebenen Buchstaben die Notiz »Einverstanden«. Sie ist mit einem Namens-
kiirzel
unterzeichnet,
das
3. September
1938
dem
aus
anderen
Dokumenten
bekannten Unterschriftskiirzel von Georgi Dimitroft gleicht. Am
wurde
Charlotte
Scheckenreuter
von dem operativen Bevollmachtigten der I. Abteilung der 3. Abteilung Rusch als Beschuldigte vernommen. Hierbei waren
die iiblichen 20 Fragen zu Person, Herkunft, Bildung, Partei-
zugehorigkeit, Repressionen usw. zu beantworten. Charlotte teilte u. a. mit, daß sie Deutsche ohne Staatsbiirgerschaft se1, keinen Paß besitze, daß ihr Familienangehoriger Hugo Eberlein vom NKWD der UdSSR 1937 verhaftet worden sei, daß sie von 1927 bis zur Verhaftung ihres Mannes 1937 Mitglied der
KPD gewesen sei, daß sie 1935 zusammen mit threm Mann ın
Strasbourg wegen des Verdachts der Spionage fiir die UdSSR verhaftet wurde, etwa acht Monate im Gefingnis gewesen und dann entlassen worden sei. Die ihr zur Last gelegten Beschuldigungen, sowjetfeindliche Arbeit gegen die KPASU(B) und dic Sowjetunion geleistet zu haben, wies Charlotte strikt zuriick. Hinsichtlich der Dauer ihrer Beziehungen zu Hugo Eberlein teilte Charlotte mit, daß sie seit 1933
bis zu seiner
Verhaftung mit Hugo Eberlein in einer ehelichen Beziehung gestanden habe.
45 Es handclt sich um dic gcheime politische Abteilung, die für dic Bekdmpfung »feindlicher politischer Partcicn« und »antisowjctischer Elementc« zustdndig war. 46 Dicsc Scite ist ohne Paginicrung dem nachfolgenden mit S. 1 nummericrtecn Haftbefchl vom 20. Juni 1938 vorangestellt.
127
Als Charlotte mit der Behauptung konfrontiert wurde, Hugo habe einer sowjetfeindlichen Organisation angehört und
als deren Teilnehmer aktive antisowjetische Tätigkeit und wei-
tere Tätigkeit gegen die Komintern, die Sowjetunion und die KPdSU(B) geleistet und man sie fragte, ob sie sich daran beteiligt habe, antwortete sie: »Mir ist nichts von einer antisowjetischen Titigkeit Hugo Eberleins bekannt. Ich habe mich an keinerlei antisowjetischer Tätigkeit beteiligt, die Eberlein an-
geblich geleistet haben soll. Ich kann nur wiederholen, daß ich niemals gegen die Sowjctunion oder die Komintern gearbeitet habe.« Mehrfach wehrte sich Charlotte entschieden gegen die rigiden Behauptungen, sie sage die Unwahrheit. Befragt nach den Griinden ihrer Festnahme
1935 ın Strasbourg, berichtete
sic über den Verlauf der Ereignisse: Man habe sie im August
aus Frankreich ausweisen wollen, doch diese Regierungsent-
scheidung konnte nicht durchgesetzt werden, da sie sich zu dieser Zeit in der Schweiz aufhielt. Im September 1935 sei sie nach Strasbourg zuriickgekommen, und ın dem Moment, als Hugo Eberlein bei ihr in der Wohnung war, seien sie beide
festgenommen und zur Polizei gebracht worden. Sie sollten aus dem Land ausgewiesen werden. Da Eberlein aber einen ddnischen Paß in Hinden hatte und die Polizei durch eine
Uberpriifung festgestellt hatte, daß dieser Paß gefilscht war,
wurden beide von der Polizei verhaftet und der Spionage fiir dic Sowjetunion bezichtigt. Sie sei insgesamt dreimal vernommen worden. Schlie8lich habe man die Anschuldigungen gegen Eberlein und sie zuriickgenommen. Eberlein wurde zu zehn Monaten Gefängnis wegen Nutzung eines falschen Passes verurteilt. Sie selbst seı ım Mai 1936 aus dem Gefängnis entlassen
und aus Frankreich
nach
Luxemburg
ausgewiesen
worden.*’ Nach viereinhalb Monaten Untersuchungshaft wurde Charlotte aus dem Butyrka-Gefingnis entlassen, da »keine strafbare Handlung seitens der Beschuldigten Scheckenreuter vorlicgt und keine Teilnahme an der antisowjetischen Tétigkeit thres Ehemannes Hugo Ebcrlein nachgewiesen wurde«.*? 47 Sichc ZAFSDR. Beschuldigtenakte 19650. Bl. 12, 12R und tibersctzung aus dem Russischen ins Deutsche). 48 Ebcnda. Bl. 14.
128
13 (Riick-
Charlotte war nun zwar frei, doch mittel- und arbeitslos.
Für Hugo Eberlein jedoch hatte sich nichts geändert: Er war weiterhin in den Augen der Staatsmacht ein Feind, für Charlotte blieb er unauffindbar. Sofort nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis bemühte sich Charlotte um eine neue Arbeitsstelle. Doch alle Möglichkeiten waren versperrt. Am 30. Aprıl 1939 wandte sich Charlotte an die deutsche Sektion der Komintern und bat, ihr behilflich zu sein, um
eventuell eine Arbeit bei der Internationalen Arbeiterhilfe
(MOPR)
zu finden.** Walter
Ulbricht,
der fiir die deutsche
Vertretung bei der Exekutive der Komintern zustdndig war,
entsprach ihrer Bitte am 5. Mai
1939 und ersuchte die Kader-
abteilung, Charlotte zur Arbeit an die MOPR zu vermitteln.™ In den Akten fand sich auch ein Schreiben des stellvertreten-
den Leiters der Kaderabteilung des EKKI, Below, an den Mit-
arbeiter des Zentralkomitee der MOPR Bogdanow in dieser Angelegenheit. Es trägt jedoch keine Unterschrift, und es 1st
auch nicht bekannt, ob es abgesandt wurde.”!
Als alle Bemithungen Charlottes gescheitert waren, sich
einen Lebensunterhalt zu verdienen, und nachdem sie alles, was sie besaß, bereits verkauft hatte, entschied sie sich fiir
die letzte ihr noch gebliebene Moglichkeit: mit ihrem noch giiltigen deutschen Paß, der bei der Komintern hinterlegt worden
war,
nach
Nazi-Deutschland
auszureisen.
Am
6. Juni
1939
wandte sie sich deswegen an die Kaderabteilung der Komintern.
»Seit der Verhaftung meines Mannes, 22 Monate, lebe ich,
da man mir bis vor einiger Zeit keine Arbeit gab, von verkauften Sachen. Da ich in meinem Beruf keine Arbeit finden kann, nahm ich jetzt Arbeit als Manikiire an. Leider mußte ich feststellen,
daß ich von diesem Verdienst nicht leben kann, wie soll ich da
monatlich die Miete und sonstige Ausgaben bestreiten? Sa-
chen habe ich nicht mehr zu verkaufen, was Thnen wohl verstindlich 1st nach 22 Monaten ohne Arbeit, so daß mir unverstdandlich ist, wie ich von nun an existicren soll. 49 50 51
RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte 2759. Ebcenda. 27. Ebenda. BI. 22.
Bl. 24.
129
Bei Ihnen liegt mein deutscher Paß, der noch Gültigkeit
hat bis Ende des Jahres
1940. Ich bitte Sie, mir diesen auszu-
händigen, damit ich ein Ausreisevisum bcantragen kann, da ich im Ausland Existenzmöglichkeiten habe. Ich bitte um schnellste Erledigung meiner Angelegen-
heit.«
Mit dem Anliegen von Charlotte wurde die für die KPD
zuständige Referentin des EKKI Jelisaweta Markowna Priwo-
rotskaja betraut. Die Akten enthalten folgende handschriftliche russischsprachige Aktennotiz: »Habe mit Ulbricht gesprochen.
Er ist der Meinung, daß ihr deutscher Paß zum NKWD
ge-
schickt werden müsse, damit man dort die Frage ihrer Ausrei-
se cntscheide.«™ Am 1. Juni 1939 wurde Charlotte eine Bescheinigung ausgestellt, daß der Vertreter der deutschen
Scktion beim EKKI gegen die Ausreise von Charlotte aus der
UdSSR nichts einzuwenden habe.™ Zugleich hatte Priworotskaja Charlotte mitgeteilt, sıe möge
der Ausländerstelle übermitteln, daß ihr Paß bei der Komintern licge und auf Verlangen an diese Stelle übergeben werden könnc. Da die Dienststelle jedoch forderte, daß Charlotte ihren
Paß persönlich dort abgeben müsse, informierte sıe am 28. Juni 1939 die Kaderabteilung der Komintern und bat um dringende Rückgabe ihres Passes, weil sie diesen am 1. Juli 1939 zur Erledigung ihres Ausreiseantrages benötigte.” Die Akten enthalten auch eine Bescheinigung von Jelisaweta Priworotskaja vom 1. Juli 1939, in der das Anliegen von Charlotte kurz dargelegt und nochmals das Einverständnis des Vertreters der KPD beim EKKI für die Ausreise bestätigt wur-
de. Vermutlich hat Charlotte diese Bescheinigung zur Vorlage bei der Ausländerstelle crhalten. Als sie sich dann dort einfand, wurde ihr jedoch erneut mitgeteilt, daß man ihr das Aus-
reisevisum nicht cher geben könne, bis sie ihren nationalen Paß selbst beibringe. Da sie ihn persönlich bei der Komintern
abgcgeben habe, müsse er ihr dort auch wieder ausgehändigt werden. Davon setzte Charlotte die Kaderabteilung der Kom-
52 53 54 55
Ebcenda. Bl 29-31. Siche ebenda. BI. 36. Siche cbenda. Bl. 17. Siche ebenda. Bl 26 und 26R.
130
intern am 2. Juli in Kenntnis und bat nochmals dringend um Rückgabe ihres Passes.* Am 22. Julı 1939 erhielt Charlotte schließlich über Jelisaweta Priworotskaja ihren Reisepaß Nummer 002699 P 4811, ausgestellt am 9. Juli 1935 in Paris und gültig bis zum 9. Juli 1940, von der Komintern zurück und bestätigte dies in einer speziellen Empfangsbescheinigung, die auf Anweisung von Dımitroff in der Personalakte abgeheftet wurde.“” Trotzdem ließ Charlotte nichts unversucht, um die Ausrei-
se aus der Sowjetunion zu vermeiden und wieder eine Arbeit zu finden, und dies gelang ihr schließlich auch. Doch schon
nach kurzer Zeit wurde sie schwer krank. Da sie ohne jegli-
che Existenzmittel war, wandte sie sich am 28. August 1939 nochmals an die Deutsche Sektion des EKKI und bat um eine
Unterstützung. »Seit 4. August ds. Js. bin ich wegen allgemeiner Entkräf-
tung und Rheumaleiden vom Rayon-Ambulatorium krank geschrieben«, schrieb sie. »Am 25. August hatte ich die Arbeit wieder aufgenommen und mußte mich am 26. August erneut in ärztliche Behandlung begeben. Seit diesem Tage bin ıch vollkommen bettlägerig und leide an einer Mandelentzündung
mit hoher Temperatur (39,4).
Für die ganze Dauer meiner Erkrankung bekomme ich ınfolge meiner noch zu kurzen Arbeitsdauer keinerlei Unterstützung. Da ich keine Kopeke mehr zum Leben besitze und auch an Sachen nichts mehr zu verkaufen habe, bitte ich mit die-
sem Schreiben die deutsche Vertretung beim EKKI, mir während meiner Krankheitsdauer eine Unterstützung zu gewähren. Ich war bereits genötigt, mir Geld von Genossen zu leihen, das ich unbedingt zurückerstatten muß. Ich bitte, meinem Antrag schnellstmöglichst stattzugeben.«® Diese Bitte Iehnte Ulbricht am 3. September 1939 ab. »Wir crhielten von Lotte Reuter beiliegenden Brief«, teilte er ın ciner
56 57 58
Sichc cbenda. Bl. 24 und 24R. Siche cbenda. Bl. 54. Ebcnda. BI. 21.
131
Notiz mit. »Sie ist die Frau von Eberlein. Da sie nicht Mitglied der KPD ist, können wir sie nicht unterstützen.«” Charlotte blieb nun keine andere Wahl mehr. Sie reiste am 1. November 1939 nach Deutschland aus. Diesem notgedrun-
genen Schritt folgten seitens Ulbrichts nun schlimmste Verleumdungen. In einer am 29. Januar 1940 von ıhm verfaßten Information über Charlotte Scheckenreuter heißt es: »Sie ist die Frau des inhaftierten Eberlein, Hugo, ist im Oktober 1939 ausge-
reist. Sie war ein Feind. Nach ihrer Ankunft in Deutschland wurde sie verhaftet. Jetzt befindet sie sich bei ihrer Mutter ın Essen. Ulbricht«®
Dies war der Beginn einer erniedrigenden Diffamierungskampagne gegenüber jenen deutschen Emigranten, die durch die grausamen politischen Verfolgungen durch das NKWD gezwungen
waren,
nach
Deutschland
zurückzukehren,
wo
ıh-
nen Verhaftung durch die Gestapo und Konzentrationslager
drohten.
So sandte Ulbricht im Namen der Vertretung der KPD beı der Exekutive der Komintern mit Datum vom 26. Oktober 1940 ein von ihm unterzeichnetes in russischer Sprache ver-
faßtes vertrauliches Schreiben an Dimitroff,°! in dem er auf die » Tätigkeit deutscher Agenten«, von »Feinden der Sowjetunion«, aufmerksam machte, »die versuchen, deutsche Emi-
granten zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen«,° und in dem er generell zur Ausreise von Frauen verhafteter und repressierter deutscher Emigranten nach Deutschland Stellung bezog. Er nannte
eine Reihe von Namen
mutmaßlicher
»Agen-
ten«, die sich in der Sowjetunion aufhalten würden. Ebenso benannte
der namentlich
Ehefrauen
verhafteter Emigranten,
—
59 Ebenda. Bl. 20. 60 Ebcnda. Bl. 21a. — Das Schreiben ist in russischer Sprachc abgefaßt. Das Original befindet sich in der Personalakte 313 (Rebel). 6 Das Schreiben wurde unter der Uberschrift »Begleitbrief von G. Dimitroff zu dem Bricf von W. Ulbricht über »dic sowjetfeindlichen Stimmungen« unter den Frauen repressierter deutscher politischer Emigranten an L. Berija vom 28. Februar 1941« veröffentlicht in Komintern i vtoraja
mirovaja vojna. Cast’ 1. Moskau 1994. S. 508-511.
62 Ebcnda. S. 508.
132
die keine Arbeit mehr gefunden hatten und, nachdem ihnen jede Existenzgrundlage entzogen worden war, nach Deutschland zuriickgekehrt waren. Als Beispiele fiir letztere enthilt das Schreiben Ulbrichts u. a. solche Namen wie den von Martha Kühne
und von Emmi
Schweitzer, der Frau des friiheren
Mitglieds des ZK der KPD und Kandidaten des Prasidiums des EKKI Fritz Schulte (Schweitzer), der 1938 verhaftet wurde und ebenfalls im Gulag umkam. Ulbricht unterstrich die Notwendigkeit, daß die entspre-
chenden sowjetischen Organe zur Unterbindung derartiger so-
wjetfeindlicher Agententitigkeit die erforderlichen Maßnahmen ergreifen und strengere Maßstäbe fiir die Bewilligung von Ausreisen aus der UdSSR nach Deutschland einfiihren sollten. Am Schluß dieses Schreibens ging Ulbricht noch gesondert auf die Riickkehr von Charlotte Scheckenreuter nach Deutschland ein: »Bereits bei der Riickkehr der Frau des verhafteten Eberlein haben wir darauf hingewiesen, daß es unseres Erachtens in derartigen Féllen falsch ist, eine Ausreisegenchmigung zu erteilen. Diese Frau war tatsdchlich die erste, die dann Riickreisen organisiert hat. Wir sind der Meinung, daß ın jedem einzelnen Fall entschieden werden muß, ob eine Ausrelsegenehmigung erteilt werden soll oder nicht. Jetzt ist es so, daß solche Feinde Wohnrecht in Moskau haben.«“ Georgi Dimitroff strich aus dem Brief einige konkrete Passagen mit Vorschldgen über den von Ulbricht genannten erforderlichen Handlungsbedarf der zustandigen sowjetischen Organe und erginzte dies aus der Sicht seines Kompetenzbereiches. Er schickte das Schreiben am 28. Februar 1941 mit einem Begleitbrief an den Volkskommissar fiir Inneres Lawrenti Berija, in dem er feststellte, daß dieser »natiirlich einen
tieferen Einblick habe, welche Maßnahmen in dieser Frage sei-
tens der Organe des NKWD getroffen werden müßten«.“* In einem besonders tragischen Zusammenhang mit der Ausreise von Charlotte Scheckenreuter nach Deutschland steht die Tatsache, daß gerade zu diesem Zeitpunkt ein Brief
von Hugo Eberlein im Hotel » Lux« in Moskau eintraf, der sic
63 64
Ebenda. S. 510. Ebcnda. S. 508.
133
nicht mehr crreichte und der eine ganze Reihe von Fragen
aufwirft. Am 11. März 1940, d. h. über vier Monate, nachdem Charlotte Moskau verlassen hatte, übermittelte Ulbricht diesen
Brief dem Leiter der Kaderabteilung des EKKI, Pantelejmon Guljajew, und teilte thm folgendes mit: »Dieser
Brief wurde
uns von Frau
Schweitzer,
der Frau
des Verhafteten Fritz Schulte, übergeben. Sie gibt an, dieser Brief sei ım November 1939 durch die Post nach dem Lux
gesandt worden.
Da die Frau von Eberlein früher mit ihr in
dem gleichen Zimmer gewohnt habe, sei der Brief an diese Adresse gekommen, und sie habe ihn aus dem Postfach im Lux erhalten. Sie erklärt, sie wisse nicht, wer den Brief dort-
hin gebracht hat. Mit bestem Gruß
Ulbricht«®
In der Akte gibt es keine Hinweise darauf, daß der Frage nachgegangen wurde, wo der Brief so lange gelegen hatte und von wem und wann genau er ım Hotel »Lux« abgegeben wurde. Der Zufall geht manchmal schreckliche Wege: Genau zu der Zeit, als Charlotte Scheckenreuter sich gezwungen sah, aus der Sowjetunion auszureisen, ohne jede Möglichkeit, ihren Mann ausfindig zu machen, und ohne sich von ıhm zu verab-
schieden zu können, traf eine Nachricht von diesem iın Moskau ein, die fast vier Monate irgendwo herumgelegen hatte, die sie nie in ihrem Leben erreichte und von der sie nie etwas erfuhr. Sie starb
1982, als alle sowjetischen Archivbestinde
über die Zeit der Repressionen und Rehabilitierungen noch fest hinter Schloß und Riegel waren.
Dieser Brief Hugo Eberleins, der nur in russischer Ubersetzung uberliefert ist, wird hier erstmals im vollen Wortlaut in der deutschen Riickiibersetzung der Verfasser des vorliegenden Beitrags abgedruckt.®® Das Typoskript enthidlt hand65 RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte 6225. Bl. 316. — Der Brief Ulbrichts ist in dcutscher Sprache abgefaßt. dic Unterschrift ist mit kyrillischen Buchstaben geschricben. 66 Ebenda. Bl. 317-320. — Er ist auszugsweisc in unterschicdlicher Ubersctzung cnthalten ın Reinhard Miiller: Der Fall des Antikomintern-
134
schriftliche
des EKKI
Korrekturen
des
Referenten
der Kaderabteilung
und Mitglieds der KPD, Paul Försterling, der die
UÜbersetzung
nachbesserte
sowie
wahrscheinlich
von
dem
Mitarbeiter der Kaderabteilung Below vorgenommene An- und Unterstreichungen.®” Die korrigierte Ubersetzung wurde dann
nochmals mit Maschine abgeschrieben. Diese Abschrift enthélt
einige gleichfalls mit Maschine ausgefiihrte Unterstreichungen, was darauf schließen läßt, daß sie aus dem handschriftlichen Original von Hugo Eberlein iibernommen wurden.
»Liebe Lotte, ich nutze eine besondere Gelegenheit, diesen
Brief zu schreiben.
Ich muß
dir mitteilen, wie es mir nach
unserer Trennung erging. Nach der Verhaftung habe ich bis zum 19.1.38 ohne jedes Verhor gesessen. Am 19.1.38 begann das Verhor, das 10 Tage und Néchte ohne jede Pause dauerte. Ohne Schlaf und fast ohne Essen mußte ich die ganze Zeit stehen. Das Verhor bestand darin, mich der unsinnigsten Anschuldigungen zu bezichtigen, und war begleitet von Faustschldgen und Fultritten. Nach 5 Tagen waren meine Beine so geschwollen, daß ich nur unter riesigen Schmerzen stehen konnte. Die Haut war geplatzt ... [unleserlich] und ın den Schuhen war Blut. Einige Male wurde ich ohnméchtig, wenn ich umfiel, brachte man mich weg, bis ich wieder zu mir gekommen war; danach mußte ich wieder stehen. Man verlangte von mir zu unterschreiben, daß ich ein Spion und Terrorist sei
und daß ich fiir Pjatnizkij im Ausland den rechtstrotzkistischen Block organisiert hitte. Davon i1st kein Wort wahr. Ich lehnte
es ab, diese Anschuldigungen zu unterschreiben. Nach diesem »Verhor« lag ich 3 Wochen in meinem Zimmer, denn ich konn-
te nicht gehen; danach mußte ich beim zweiten Verhor 3 Tage und Nächte ohne Pause stehen, doch auch da habe ich mich
wieder geweigert zu unterschreiben. Im April 1938 wurde ich in das Lefortovo-Gefingnis, am Stadtrand, verlegt; hier liefen
alle Verhore der Beschuldigten auf schreckliche Verpriigelungen hinaus. Wochenlang hat man mich Tag und Nacht schrecklich
gepriigelt. Auf dem
Riicken hatte ich kein Stiick Haut mehr,
Blocks — cin vierter Moskaucer Schauprozcß. In: Jahrbuch fiir historische Kommunismusforschung. 1996. S. 198f. - Werner Eberlein: Geboren am 9. November. Erinncrungen. Berlin 2000. S. 77f. 67 Sichc RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Akte 6225. Bl. 310-313.
135
nur noch rohes Fleisch. Auf einem Ohr konnte ich wochenlang nicht hören, und mit einem Auge konnte ich wochenlang
nicht sehen, weil die Blutgefäße im Auge kaputt geschlagen waren; ich bin oft ohnmächtig geworden. Inzwischen wurde
ich herzkrank, und meine alte Krankheit brach wieder mit gro-
Ber Heftigkeit aus, und zwar, das Asthma, woran ich schon in
der Jugend gelitten hatte. Es gab Tage, an denen man mir 3-4 Morphiumspritzen verabreichte, und dennoch priigelte man nach den Spritzen weiter auf mich ein. In diesem Zustand der Unzurechnungsfahigkeit schrieb ich nach Diktat des Untersuchungsgerichts alle moglichen Gestdndnisse nieder. Spionage und Terror habe ich nicht gestanden. Nach dieser furchtbaren Bearbeitung kam ich wegen des Zustandes des Herzens und des Asthmas fiir 2 Monate ın das Gefdangniskrankenhaus und
wurde in einem Zimmer für unheilbar Kranke untergebracht. Ich habe einen Brief an das Politbiiro der KPdSU(B) und an das Prisidium des EKKI geschrieben, in dem ich den Ge-
nossen mitteilte, daß von dem, was ich geschrieben hatte, kein Wort wahr ist, und iın dem ich die Begleitumstidnde der Untersuchungen beschrieb. Ich bekam keine Antwort. Man schlug
mir aber vor, ein Protokoll zu unterschreiben, das die unsin-
nigsten Gestindnisse enthielt. Uber ein halbes Jahr lang habe ich es abgelehnt, dieses Protokoll zu unterschreiben. Im Februar 1939 wurde ich zum zweiten Mal nach Lefortovo gebracht, und die Folterungen begannen erncut. Mit letzten Kräften konnte ich 2 Monate widerstehen. Ende April habe ich ım Zustand vélliger Unzurechnungsfihigkeit unterschrieben. Ich hatte keine Kraft und keinen Willen mehr. Einige Tage später, am 5. Mai,*® kam ich vor das Militirkollegium. Die Sache dauerte 3-4 Minuten, und ich wurde zu 15 Jahren La-
gerhaft verurteilt. Ich kenne weder die Anklageschrift noch das Urteil, denn man hatte mir die Ubersetzung verweigert. Ich weiß nur von dem rechtstrotzkistischen Block und den 15
Jahren. Es mag seltsam klingen, aber ich war sehr froh, denn
die furchtbaren Schldge und Qualen waren nun vorbei. Ich habe dic Hoffnung nicht verloren, daß die Partei Lenins und Stalins diese schreckliche Ungerechtigkeit nicht zulassen wird,
und der Tag nicht fern ist, an dem
die Partei Wahrheit
68 Am 4. Mai 1939 war Hugo Eberlcins 52. Geburtstag.
136
und
Gerechtigkeit wiederherstellen wird. Ich bin überzeugt, daß [die Verurteilung] ... [unleserlich] gegen den Willen der Partei [erfolgt]
ist. Trotz allem, was
ich erlebt habe, bin ich guter
Stimmung und habe volles Vertrauen in die künftige Zeit, in die Partei. Am 1. Juni 1939 fuhr ich mit Arrestantentransport in Richtung Vorkuta, dieser Insel im Nordlichen Eismeer, doch in Archangel’sk hat mich eine Arztekommission krankheits-
halber zuriickgeschickt, und ich bin Ende Juli hier eingetroffen® und nach einigen Tagen ins Krankenhaus gekommen, wo ich mich jetzt befinde. Ich habe 9 kg an Gewicht verlo-
ren, habe Skorbut und Gicht sowie ein krankes Herz und Asthma, weil man mich so behandelt hat. Was weiter wird, weiß ich noch nicht. Ich hoffe, daß ich
mich allm&hlich an dieses schreckliche Klima gewöhne. Anfang September hat es geschneit, und es ist schon kalt. Liebe Lotte, ich weiß nicht, ob du mein Telegramm und
meinen
Brief erhalten hast.” Ich bitte dich, mir recht oft zu
schreiben. Falls du mit Pieck und so sage, was ich durchgemacht Brief nicht ... [unleserlich] und hittest eine Nachricht von meinem
Diinhopf” sprechen kannst, habe, erwähne aber diesen mache eine Andeutung, du Bruder’ erhalten.
Wie geht es dir, und mit wem hast du über mich gesprochen? Arme Lotte, deine Liebe zu unserer Sache hat dir wenig
Freude und viel Leid gebracht.”” Ich mochte bald wieder dein alter Guter sein. Wie sind deine Beziehungen zu Werner und Ina?™ ... [unleserlich] Hast du Freunde, die dir helfen, schrei-
be, schreibe, ich mochte viel von dir wissen. Briefe sind mo-
69 Decr Aufenthaltsort ist nicht genannt. Vermutlich das Krankenrcvier des Arbcitslagers von Unsha (Unshlag). 70 Dic genannten Dokumente sind weder in den Akten von Hugo Eberlein noch von Charlottc Schcckenrcuter cnthalten. 71 Wahrscheinlich ist dics cin verschliissclter oder vom Ubersctzer des Bricfes falsch centzifferter Name. Es kann sich hier nur um Dimitroff handcln. 72 Unklar, um wen cs sich handclt. 73 Dic betreffende Stelle sowic der nachfolgende Satz sind in dem Entwurf der Ubcrsctzung am Rand angestrichen (siche RGASPI. Fonds 495. Bestand 205. Aktc
6225.
Bl. 313).
74 Gemeint sind Hugo Eberleins Sohn und Tochter.
137
natelang unterwegs, bis ich sie erhalte. Das mußt du berücksichtigen. Hast du Arbeit und alles Lebensnotwendige? Ich habe auch gute Genossen getroffen, denen es ebenso
ergangen ist wie mir, unter ihnen Viktor” und ... [unleserlich]. Wie geht es Walter und Julia, John Hard im Lux und Julius?’® Kurz gesagt, ich mochte so viel wissen. Wenn ich Briefe ohne Marken schicke, so bezahle sie, denn ich habe kein Geld oder kann keine Marken besorgen.
Vielen Dank für das Geld, das du mir ins Gefängnis ge-
schickt hast. Das war cine große Hilfe fiir mich, aber es tat
mir weh, daß du dir dieses Geld absparen mußtest ... [unleserlich]. Ich erinnere mich der schénen Tage, die ich mit dır
gemceinsam verlebt habe; in den schlaflosen Nächten stelle ich mir vor, ich wäre mit dır ın Paris, Stras ... [unleserlich]. Ich
hoffe, daß dieser Briefin deine Hände gelangt. Ich schicke dır
cinen Gruß und viele Kiisse und hoffe, daß ich dich recht bald gliicklich in die Arme schlief3en kann. Dein alter Freund.« Der
Brief,
der am
25.
Mirz
1940
ins Russische
übersetzt
wurde und von dem insgesamt drei Exemplare hergestellt wurden, enthilt einen Nachsatz von Below und Forsterling, daß der deutsche Text in der Anlage beigefiigt wurde.”” Dieser konnte bisher nicht wieder aufgefunden werden. Uber die Abreise von Charlotte Scheckenreuter aus Moskau ist nichts bekannt. Vom Grenzkommando Eydtkau, das heute Tschernyschewskoje heißt und an der litauischen Grenze des
Gebiets
Kaliningrad
liegt, wurde
ihre Ankunft
ın
Dcutschland am 2. November 1939 an dic Gestapo in Diisseldorf gemeldet. Darauthin vertiigte die Gestapo Berlin in cinem Telegramm an dic Gestapo ın Diisseldorf und das Grenzkommando ın Eydtkau »die Sch. mittels Sammeltransport dem Gestapa zu lberstellen«.’™ 75 76
Unklar, um wen cs sich handelt. Gemeint ist cventucll Julius Alpari
daktcur der »Inprekorr«; schau«.
von Juli
(1888—1944),
1932 bis Oktober
1921-1933
Chefre-
1933 der »Rund-
77 Der Nachsatz wurde ın der von Forsterling korrigicrten Variante der Ubcrsctzung von diesem unterzeichnet (siche RGASPL. Fonds 495. Bestand 205. Aktc 6225. Bl. 313. 78 (Gcestapo-Personalakten RW 58712882 und 42506. In: Ruhrlandmuscum. Archiv Ernst Schmidt. Bestand 19-1164. BI. 5.
138
Nachdem die entsprechenden Dienststellen über ihre Person und über ihre Paßnummer sowie über ihre Ausschreibung zur Festnahme vom 9. Juli 1935 informiert worden waren, kann man ihr weiteres Schicksal noch in den Gestapo-Akten
verfolgen:
Am
1. Dezember
1939
wurde
sie um
16.40
Uhr
Bericht
des
aus der Zuständigkeit des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin ins Polizeigefängnis Düsseldorf eingeliefert und am 11. De-
zember
1939
nach
Essen
überführt,
wo
ein
V-Mannes Stein über den politischen Werdegang von Charlot-
te und thre konkrete Tätigkeit im In- und Ausland vorlag.
Wie aus einer mit Vaupel unterzeichneten Mitteilung vom 25. Maı 1940 hervorgeht, war Charlotte in Berlin vom Reichssicherheitshauptamt über ihren Rußlandaufenthalt und ım Essener Gefängnis über ihre Tätigkeit bei der Bezirksleitung Ruhrgebiet vernommen worden. Dabei habe sich jedoch herausgestellt, »daß sie mit der eigentlichen Apparatsfunktion
nichts
zu tun hatte«.
So habe
man
die Absicht,
sic cinem
Schulungslager zuzuführen, nicht mehr aufrechterhalten können. Ste wurde am 18. Dezember 1939 unter Erteilung einer Meldepflicht von drei Monaten auf freien Fuß gesctzt, und auch die weiterhin durchgeführte Überwachung habe Nachteiliges über sie nicht mehr erbracht.” Zunächst lebte Charlotte Scheckenreuter bei ihrer Mutter
und siedelte später in den Osten Deutschlands über. Hier war
sie zuerst bei der Privatfirma Max Weichelt in Berlin als Arbeiterin und Mitfahrerin und ab 1947 bei ciner sowjetischen Aktiengescllschaft tätig. Als Mitglied der KPD schloß sie sich 1946 der SED an. Sie heiratete den Essener Kommunisten und chemaligen Offizier der Internationalen Brigaden in Spanien Hein-
rich Schiirmann, der 1948 in den Osten Berlins gegangen war und in der DDR in verschiedenen leitenden Funktionen, ab
1957 als Offizicr der Nationalen Volksarmee und als chrenamtlicher Sckretdr des Solidaritdatskomitees fiir das spanische
Volk téatig war. Charlotte Scheckenreuter arbeitcte ab 1949 als Angestellte im Apparat des Zentralkomitees der SED. 1958 wurde sic mit
der Medaille
79
fiir »Kämpfer
gcgen den Faschismus
1933-
Ebcenda. Bl. 7.
139
1945« ausgezeichnet und erhielt, nachdem sie ın Ruhestand
gegangen war, eine »Ehrenpension für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene«.®
80 Siche Landesarchiv Berlin. C Rep 118-01 Magistrat der Stadt Berlin, Hauptausschuf3 Opfer des Faschismus. Referat VDN A8.962.
140
KAPITEL II An der Seite der Antihitlerkoalition
Der Überfall auf die Sowjetunion und der kommunistische Widerstand
Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941
veränderte objektiv sowie in der subjektiven Wahrnehmung der Zeitgenossen endgültig den Charakter des Krieges, der nun irreversibel als Weltkrieg wahrgenommen werden mußte. Für die deutschen Kommunisten war dieser Tag eine schwere Niederlage und gleichzeitig ein Befreiungsschlag. Seit ihrer Gründung war für die KPD die Solidarıtät und seit threr zunehmenden Stalinisierung die bedingungslose Identifizierung mit Sowjetrußland eine essentielle Existenzgrundlage. Die tatsächliche wie die instrumentalisierte Bedrohung des ersten sozialistischen Staates war cin Grundthema
der KPD. Die Losung »Hände weg von SowjetruBBland« gehorte zu den weit über die engere Anhdngerschaft der Partel hinaus angenommenen Botschaften in der deutschen Gesellschaft. Der Verrat der Stalinschen Machtpolitik am Antifaschismus mit dem Hitler-Stalin-Pakt hatte die KPD in cine existenticlle Krise gestiirzt. Nicht in Frage zu stellende GewiBBheiten kommunistischen Selbstverstidndnisses standen von einem Tag
auf den anderen zur Disposition. Antifaschismus wurde in der
Paktzeit in Moskau zum Unwort. Der deutsche Uberfall
machte dem cin Ende und wirkte wie ein reinigendes Gewitter. Das Scheitern der Stalinschen Hinhaltepolitik führte jedoch nicht zu eincr radikalen Wende. Der fiir Wochen in seine »Datscha« gefliichtete Diktator konnte trotz erwiesener katastrophaler Fehlleistungen als Außenpolitiker schr bald sein Revival als Feldherr und Generalissimus feiern. Entgegen seiner
143
Befürchtung war niemand gekommen, um ihn zu verhaften. Der Stalinismus als strukturelles System hatte sich bereits so fest in die sowjetische Gesellschaft eingebrannt, daß selbst cin so gravierendes Ereignis wie der hitlerdeutsche Überfall nicht nur keine Korrekturen, sondern — je länger desto deutlicher — eine Verfestigung dieses Systems zur Folge hatte. Noch am 14. Juni 1941 hatte cin TASS-Kommunique zu Nachrichten über Kriegsvorbereitungen gemeldet: »plump zusammengezimmerte Propaganda der gegenüber der UdSSR und Deutschland feindlich eingestellten Kräfte, die an einer weiteren Ausbreitung und Entfesselung des Krieges interessıert sind«.' Und am 15. Juni 1941 notierte der hochrangige deutsche Dıplomat Ulrich von Hassell: »Lage: 1) Entscheidung Rußland gegenüber nähert sich. Nach Ansicht aller knowing men (soweit es so etwas gibt) ıst der Beginn des Angriffs etwa am 22. höchstwahrscheinlich. [...] Die Russen scheinen allmählich
zu kapieren, was los ist, und aus ihrer verfehlten Kordonaufstellung sich mehr rückwärts zu konzentrieren. Die Aussichten schnellen Sieges gegen die Sowjets werden von den Soldaten nach wie vor rührend günstig beurteilt, es gibt aber auch skeptische Ansichten [...]«.“ Dic KPD
hielt offiziell am Kurs der sowjctischen Außen-
polıtik fest. »Am Montag, dem 16. Junı 1941, versammelten sich in Moskau deutsche Emigranten zu einem Schulungsabend mit Walter Ulbricht. In der auf das Referat folgenden Aussprache wies einer der Anwesenden
darauf hin, daß in ausländischen
Zcitungen immer häufiger von der Gefahr eines deutschen Angriffs auf die Sowjetunion gesprochen werde. [...] Ulbricht wiederholte in seiner Antwort lediglich die offiziellen Dementis und schloß mit den Worten:
»Das sind Gerüchte,
die mit
provokatorischen Absichten verbreitet werden. Es wird keinen Krieg geben. ««
NI
]
3
»lswestija«. Moskau vom 14. Juni 1941. Ulrich von Hasscll: Dic Hasscll-Tagebiicher 1938-1944. Ulrich von Hasscll. Aufzeichnungen vom Andern Dcutschland. Nach der Handschrift revidierte und crweiterte Ausgabe. Hrsg. von Fricdrich Freiherr Hiller von Gacrtingen. Berlin 1988. S. 256. Carola Stern: Ulbricht. Einc politische Biographic. Köln 1964. S. 94.
144
Dagegen bereiteten sich die Repressionsorgane Hitlerdeutschlands intensiv auf den von ihnen erwarteten zunehmenden kommunistischen Widerstand vor. Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes lıeß ın einem Erlaß zur Vorbereitung einer Verhaftungsaktion
beim Überfall auf die UdSSR vom 18. Juni 1941 keinen Zwei-
fel an den Absichten des Hitlerregimes: »Die außenpolitischen Ereignisse erfordern eine verschärfte Beobachtung und Bekämpfung der kommunistischen Be-
wegung. Es ist damit zu rechnen, daß kommunistische Kreise
versuchen werden, die gegebene Situation zur Zersetzungspropaganda in der iiblichen Art wie Mundpropaganda, Streuzettel, Beschmierungen usw., in crhohtem Maße ausniitzen. [...] Der Grof3teil der Kommunisten und Marxisten® ist heute
in Betrieben konzentriert. Eine staatsfeindliche Tatigkeit dort kann sich 1) in einer rein stimmungsmäßigen Beeinflussung (ausgehend von aktuellen wirtschaftlichen oder erndhrungstechnischen Tagesfragen, hinziclend auf steigende Ablehnung des Krieges), 2) ın Form von Sabotagetétigkeit jeglicher Art (z. B. Parole: Langsamer Arbeiten, Ausfiihrung sonstiger Sabotageakte) bemerkbar machen. [...] Dariiber hinaus stelle ich anheim,
alle besonders gefédhr-
lich erscheinenden KP-Funktionire, soweit dies geboten erscheint, in Schutzhaft zu nehmen. [...] Zunächst ist die Zahl der Festnahmen auf das unbedingt gebotene Maß zu beschranken. [...] Diese Festnahmeaktion ist zwar vorzubcreiten, jedoch erst dann durchzufiihren, wenn von hier mittels Blitz-FS° das Kennwort >Internationale« ausgegeben wird.«® Die Gestapo verhaftete ın Deutschland von Juni bis Dezember 1941 insgesamt 70.845 Antifaschisten und Kriegsgeg-
4 5 6
Gcemeint sind Sozialdemokraten. Wahrscheinlich gemcint: Fern- oder Funkspruch. Erlaß von Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes zur Vorbereitung ciner Verhaftungsaktion beim Uberfall auf dic UdSSR, 18. Juni 1941. In: Dokumentc zur dcutschen Geschichte 1939-1942. Hrsg. von Wolfgang Rugc und Wolfgang Schumann. Berlin 1977. S. 72-73.
145
ner.” Von Juli bis Oktober 1941 registrierte diec Gestapo die Zunahme antifaschistischer Flugblätter in Deutschland von Januar bis Mai zwischen 52 und 519 Materialien, auf im Juli 3.797, und im Oktober 10.227.® Der »Völkische Beobachter« vermerkte in seinem Leitarti-
kel vom 23. Juni 1941 unmißverständlıch: »Nationalsozialismus und Bolschewismus stehen sich wie Feuer und Wasser in einer grundsätzlichen Feindschaft gegenüber, die ın der Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung vom ersten Augenblick an stets eine ausschlaggebende
Rolle gespielt hat. Der Kampf gegen den jüdischen Bolschewis-
mus gehörte geradezu zu den Wesensmerkmalen der national-
sozialistischen Politik. Als daher 1939 die bekannten Verträge mit wurden, konnte kein vernünftiger über Nacht vergessen hätten, was
im August und September dem Kreml abgeschlossen Mensch verlangen, daß wir uns für immer im Grund-
sätzlichen von den Bolschewisten trennt.«”
Zur gleichen Zeit stand ın Moskau Antifaschismus unter Strafe.
Alan Bullok vermerkte zurecht: »Anders als Hitler, dem die
erschnte Befreiung aus dem Korsett des Hitler-Stalin-Paktes
ncuc Kraft einflößte, tat Stalin alles, was ın seinen Kräften stand, um den Pakt zu retten [...] Während Hitlers Selbstver-
trauen 1941 einen neuen Höhepunkt erreichte, war Stalin nie in seiner Laufbahn unsicherer als ın den Monaten vor und ın
den Tagen nach dem deutschen Uberfall.«'°
Stalin hatte sich in dem von ihm geschaffenen System verstrickt: Die monströsen Repressionsorgane zur Sicherung seiner Macht entwickelten zur Selbsterhaltung ein Eigenleben. Die Enthauptung der Führung der Roten Armec, an der der deutsche Geheimdienst Anteil hatte, und die Mißachtung der sich verdichtenden Warnungen vor einem deutschen Angriff sind nur zu erklären aus einem Gemisch von maßloser Über7 8&
9
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil 11. 1917 bis 1945. Berlin 1966. S. 427. Ebcnda. S. 429. »Völkischer
Beobachter«.
Leitartikel
vom
23. Juni
1941
(Norddcutsche
Ausgabe). In: Dokumente zur deutschen Geschichte 1939-1942. Hrsg. von Wolfgang Ruge und Wolfgang Schumann. Berlin 1977. S. 73. 10 Alan Bullock: Hitler und Stalın. Parallelc Leben. Berlin 1991. S. 913.
146
schätzung der eigenen staatsmännischen Fähigkeiten und dem Mißtrauen gegenüber dem selbst geschaffenen Sicherheitssystem.
Lew Besymenski beschreibt dieses Schreckensszenario: »In den drei Jahren von 1938 bis 1941 hatte die Militäraufklärung fünf verschiedene Chefs. Wenn man bedenkt, daß fast alle stellvertretenden Chefs der GRU und nach einem Bericht Proskurows an Stalin im Jahre 1940 auch über die Hälfte der Mitarbeiter den Repressalien anheimfielen, dann kann
man ermessen, welcher Schlag der Militäraufklärung von ıhren Rivalen zugefügt wurde. [...] Dekanosow aus Berlin sand-
te [...] von Ende
1940 bis zum 21. Juni
1941
eine Warnung
nach der anderen. Das ging so weit, daß Berija einen Tag vor
Kriegsausbruch an Stalin schrieb: »Ich bestehe noch einmal darauf, unseren Botschafter in Berlin, Dekanosow, abzulösen und zu bestrafen, weil er mich ununterbrochen mit Desinfor-
mationen bombardiert, Hitler bereite angeblich einen Überfall
auf die UdSSR vor. Jetzt hat er mitgeteilt, daß dieser Überfall morgen beginnen soll.««''
Die Führung der Komintern und der KPD erfuhren am Mor-
gen des 22. Juni 1942 von dem Überfall.
Um 7.00 Uhr wurde Dimitroff ın den Kreml bestellt. An der daraufhin einberufenen Sitzung des EKKI-Sekretariats nahmen u. a. Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Philipp Dengel teil.'Walter Ulbricht erinnerte sich: »Am frühen Morgen des 22. Juni 1941 überraschte uns in Moskau die furchtbare Nachricht, daß die Hitler-Armeen den Kriegsüberfall auf die Sowjetunion begonnen haben. [...] Es fand sofort eine Bera-
tung bei Genossen Dimitroff, dem Generalsekretär der Kommunistischen Internationale, über die neue Lage und über die neue Aufgabenstellung statt. [...] Ich wurde gebeten, einen Vortrag an der Militärakademie über Hitlerdeutschland und den
11
Lew Besymenski: Stalin und Hitler. Das Pokerspicl der Diktatoren. Berlın 2002. S. 408f. 12 Protokol (B) No 743 zascdanija Sckretariata IKKI 22 ijunja 1941 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Posle 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 91f.
147
ideologischen Zustand der Offiziere und Mannschaften der deutschen Armee zu halten.«" Die deutschen Kommunisten erlebten den faschistischen Überfall in extrem unterschiedlichen Lebenslagen. So schrieb Albert Kuntz aus Buchenwald am
Tage
tiirlich, wer
kommen
des
Überfalls auf die Sowjetunion an seine Frau. Er benutzte den Namen seines Schwagers Rudolf Geißler als Synonym für die Sowjetunion. »Ich sehe ihn noch gesund und voller Hoffnung und weif3, er wird auch in schwieriger Lage seine Pflicht bis zuletzt tun. Muß man denn immer gleich das Schlimmste annehmen? Naan der Front
steht, kann
zu Schaden
und wir alle hängen an unserem Leben.«'* Furcht und Hoffnung sprechen aus diesen Zeilen. Existenz und Sieg der Sowjetunion entschied nicht zuletzt auch über das Schicksal der in Deutschland eingekerkerten Kommunisten. In Moskau war der 22. Juni 1941 ein strahlender, warmer Sommertag. In den Morgenstunden wurde die Nachricht vom Uberfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion im Rundfunk tibertragen. Heinz Hoffmann, ein in die Sowjetunion emigrierter Spanienkdmpfer und späterer Minister fiir Nationale Verteidigung der DDR
berichtete:
»Ich war Sonntagnachmittag
[22. Juni]
mit meiner Frau auf dem Weg zu Gustav Szinda, als wir aus den Lautsprechern in der Gorkistrafle die Ansprache des sowjetischen AuBBenministers Molotow
hoérten. [...] Danach
im
ıhm die Mehrheit
des
Lux, zusammen mit anderen Deutschen. Das sei Hitlers Un-
tergang,
meinten
einige.
Selbst wenn
deutschen Volkes bisher gefolgt sei — diesen Schritt werde es nicht mitgehen. [...] Mit dieser Hoffnung — oder besser Illusi-
on —, die man ın den ersten Tagen auch von Sowjetbiirgern horen konnte, trugen sich damals nicht wenige deutsche Kom-
munisten und Antifaschisten, die in der Sowjetunion im Exil 13 Walter Ulbricht: Erinnerungen an dic crsten Kricgstage. In: Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und 14
Aufsiatzen. Band 1. 1933-1946. Berlin 1953. S. 257. Lco Kuntz/Lcopoldine Kuntz/Hannclore Dieckmann (Hrsg.) Albert Kuntz: »Licbste Ellen«. Briefe aus der Nazi-Haft 1933 bis 1944. Berlin 2005. S. 238f.
148
lebten.«'” Am Abend fuhr Hoffmann nach Puschkino zurück »in der festen Uberzeugung, daß unser Einsatzbefehl an die Front schon bereitläge. Es kam anders. Der internationale Lehrgang, der an der Kominternschule in Puschkino im März
1941 begonnen hatte, wurde planmäßig fortgesetzt, und wir
mußten
uns weiter in die Bücher vertiefen.
[...] Die in den
ersten Tagen und Wochen zugänglichen Informationen über
die Lage an der Front vermittelten uns zunächst nur ein unvollständiges und lückenhaftes Bild.«'°
Eine andere Perspektive: Wolfgang Ruge, als Jugendlicher mit seinen Eltern in die Sowjetunion gekommen, ın der Folge
des Stalinschen Terrors in administrativer Verbannung, berichtete: »Morgennachrichten: >[...] zwei rote Jagdflugzeuge über
Ostpreußen abgeschossen.
Unsere Luftwaffe beherrscht den
gesamten Luftraum [...].« Mit zitternder Hand suche ich die Moskauer Welle. Aber der Komintern-Sender, der trotz des
Todesstoßes gegen die kommunistische Weltpartei noch so heißt, wiederholt nur die stereotype Meldung dieser Tage: >Ein deutsches Flugzeug über England abgeschossen.« Ich werde
unsicher,
schalte
aber
rasch
noch
BBC-London
Gerüchte.
Erste Nachrichten vom Zurückweichen
ein.
Nur
schwer verstehe ıch die englischen Worte, aber das Schreckliche wird zur Gewißheit. Es ist Krieg! Nun auch hier! Hitlerdeutschland hat die Sowjetunion iiberfallen!«'’ In der Sowjetunion: Riesenschlangen vor den Brotläden.
tischen Truppen sickern durch Flüsterpropaganda ten. Daß eine Woche nach eine Woche später Minsk, In der dritten Woche wird Monat nach dem 22. Juni kau.«'?
der sowje-
durch.'® »Langsam erfahren wir einiges über die Lage an den FronKriegsbeginn Riga gefallen ist und hat sich bereits herumgesprochen. auch Smolensk aufgegeben. Eınen beginnen die Luftangriffe auf Mos-
15 Heinz Hoffmann: Moskau-Berlin. Erinnerungen an Freunde, Kampfgenosscn und Zeitumstände. Berlin 1989. S. 8. 16 Ebenda. S. 11f. 17 Wolfgang Ruge: Berlin-Moskau-Sosswa. Stationen ciner Emigration. Bonn 2003. S. 75. 18 Ebcenda. S. 771. 19 Ebcnda. S. 84f.
149
Geschichtliche Dimensionen drängten sich auf: Wolfgang
Ruge erinnerte sich: »Der Korse hatte die russische Grenze am 24. Juni überschritten, zwei Tage später als Hitler. Minsk hat er am 14. Juli eingenommen — sechs Tage später. Beim
Überqueren des Dnjepr lag er schon 27 Tage zurück, bei der Eroberung von Smolensk fast einen Monat (29 Tage). Am
14.
September 1812 war Napoleon in Moskau. Wo wird Hitler am 14. September 1941 sein? Ich wage nicht, daran zu denken.«-° Doch auch Hoffnung verband sich mit diesem tragischen Ereignis: Victor Klemperer notierte am 22. Juni
1941, Sonn-
tagnachmittag in seinem Tagebuch: zuversichtlich »Der Krieg wird nun rascher zu Ende gehen.«! Hans
Mommsen
beschrieb
die Stimmung
Bevölkerung nach dem Überfall zutreffend:
der deutschen
»Als Hitler am 1. September in Polen einmarschierte, rea-
gierte die deutsche Bevölkerung erschreckt und erschüttert
auf die Nachricht vom Beginn der Kampfhandlungen. Die ge-
drückte Stimmung verschwand erst wieder, als die unerwartet raschen Erfolge im Polenfeldzug die Hoffnung begründeten,
daß es doch zu einer Begrenzung des Krieges kommen würde und daß der offene Schlagabtausch mit den Westmächten vermicden werden könnte. Erst der beispiellos erscheinende Sieg über Frankreich wendete die Stimmung. Einem Triumphzug gleich erfolgte Hitlers Rückkehr nach Berlin im Juni 1940. Ganz anders verhielt sich dies zu Beginn des Rußlandfeldzuges. Die Nachricht davon löste keinerlei Begeisterung bei der deutschen Bevölkerung aus. [...] Die Reaktionen in Deutschland reichten von Überraschung und Bestürzung bis hin zu Schock und Lähmung.«*” Die KPD-Führung sah sich einer radikal veränderten Situation
gegenüber. Sie, die bis zum »treubrüchigen Überfall« die Stalinsche Außenpolitik mitgetragen hatte, die in England und Frankreich die Hauptkriegtreiber sah und eine Niederlage
20 Ebenda. S. 87. 21 Victor Klemperer. Tagebücher 1940-1941. Herausgegeben von Walter Nowojski unter Mitarbeit von Hadwig Klemperer. Berlin 1999. S. 96. 22 Hans Mommsen: Der Kricg gegen die Sowjetunion und die deutsche Gescllschaft. In: Bianka Picetrow-Ennker (Hrsg.): Präventivkricg? Der dcutsche Angriff auf dic Sowjetunion. Frankfurt am Main 2000. S. 56.
150
Deutschlands nicht für wünschenswert hielt, wurde durch die
Realität zu einer radikalen Kurskorrektur gezwungen.
Der
»Hauptkriegstreiber« Churchill sagte der UdSSR noch am 22.
Juni jede Unterstützung zu. Bereits am 23. Juni wurden nach fast zwei Jahren Pause ın Moskau wieder antifaschistische Filme aufgefiihrt.”> Die
Absage an die Volksfrontpolitik, die antiwestliche Orientierung
waren zu korrigieren. Dies geschah wiederum nicht in selbstkritischer Auseinandersetzung mit der bisherigen Politik. Kein Wort zu der verfehlten Aullenpolitik Stalins, zu dessen Verrat am Antifaschismus. Die strikte Einhaltung der Festlegungen des Nichtangriffsvertrages seitens der UdSSR wurde als Beweis fiir deren Friedenswillen herausgestellt. Es wurde ausgeblendet, daß dieser Vertrag eine Abmachung zur Aufteilung der Beute vor der Auslosung des Krieges durch Hitlerdeutschland beinhaltete. Die KPD-Fiihrung mußte umgehend Position bezichen. Georgi Dimitroff drängte. Er forderte einen Aufruf der KPD und setzte folgende Schwerpunkte: Der Haß der Völker auf Deutschland wird zunehmen, es wird ein langwieriger Krieg sein, die Kommunistischen Parteien stehen vor vollig neuen
Aufgaben.
1) Unterstiitzung der UdSSR,
2) Organisation der
nationalen Befreiungsbewegung, 3) die UdSSR fiihrt einen gerechten Krieg. Die Lage hat sich prinzipiell geändert, jerzt muß man gegen den Faschismus vorgehen.“* Dimitroff verlangte in einer von Pieck mitunterzeichneten Direktive vom
ZK
der KPD,
einen Aufruf des ZK
der KPD
umgehend zu verdffentlichen und darin darauf hinzuweiscn, daß der Krieg gegen die UdSSR ein Verbrechen ist und den nationalen Interessen des deutschen Volkes zuwiderlduft. Es müsse offen zum Sturz der faschistischen Machthaber aufgerufen werden.>* 23 Siche Wolfgang Lconhard: Dic Revolution entldaBt ihre Kinder. Bd. 1. Leipzig 1990. S. 123. 24 Vystuplenic tov. Dimitrova G. M. na zascdanii sckretariata IKKI 22. jjunja 1941. Kratkoc rezjume. In: Komintern i vioraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22. ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 93-96 (Hecrvorhebung — d. Verf)). 25 Dircktiva G. Dimitrova i V. Pika rukovodstvu KPG v Germanii 22 ijunja 1941 goda. In: Ebcenda. S. 98f.
151
Am
24. Juni erschien der Aufruf der Parteiführung der
KPD, den man als Aufruf des ZK der KPD
bezeichnete. Hier
wurde an Begriffe angeknüpft, die an die Volksfrontpolitik gemahnten und die in der Paktzeit verboten waren: »Bildet um die Arbeiterklasse die Front des werktätigen Volkes, die Schulter an Schulter mit den um ihre nationale Freiheit kämpfenden unterdrückten Völkern und mit allen anständigen fortschrittlichen Menschen der Welt für den Sieg der Freiheit kämpft. Das werktätige deutsche Volk kämpft an der Seite der Roten Armee und der um ihre nationale Freiheit kämpfenden Völker der besetzten Länder gegen den Feind der kultivierten Menschheit, den Faschismus.«® Nur wenige Antifaschisten in Deutschland und in den Exilzentren dürfte dieser Aufruf erreicht haben. Die Reaktionen der Antifaschisten auf den Überfall waren höchst unterschiedlich. Sie reichten von euphorischen Hoffnungen auf eine rasche Niederlage Hitlers bis zu Resignation. In Le Vernet, dem großen Internierungslager ın Südfrankreich dominierte angesichts der Niederlage Frankreichs und der Auslieferung an das profaschistische Vichy-Regime Furcht und Depression. Der hier internierte Franz Dahlem schrieb am 22. Juni 1941: »Eben brachte einer von draußen die Nachricht, daß das Radio mitteilte, Hitler habe an die Sowjetunion
den Krieg erklärt, und von Finnland bis zum Schwarzen Meer sei der Kampf bereits im Gange.«?’ Uber die unterschiedlichen Reaktionen in Vernet berichtete Herbert Grünstein: Patrioten befürchteten einen schnellen Sieg der Hitlerarmee; Vichy-Anhänger reagierten schadenfroh; »Bei den meisten Lagerhäftlingen überwog die Angst vor dem schnellen Sieg der Hitlerwehrmacht.«?*
Rückblickend
schätzte
Grünstein
ein,
»daß wir wohl die Wirkung der ununterbrochenen antikommunistischen Massenmanipulationen unterschätzten [...] Da wir selbst alles, was vor sich ging, nur ungenügend erläutern konnten, war es sehr schwierig, im gesamten Lager den Stim-
26 Aus dem Aufruf des ZK der KPD vom 24. Juni 1941. In: Geschichte der dcutschen Arbeiterbewegung in acht Bänden. Bd. 5. Berlin 1966. S. 548. 27 Sibylle Hinze: Antifaschisten ım Camp Lc Vernet. Abriß des Konzentrationslagers Le Vernet 1939 bis 1944. Berlin 1988. S. 242f. 28 Herbert Grünstein: Der Kampf hat vicle Gesichter. Berlin 1988. S. 82.
152
mungen der Kapitulation, der Mutlosigkeit, der Angst und Re-
signation entgegenzutreten.«>’
In der Zeit unmittelbar nach dem 22. Juni
1941, mit den
Riickschldgen der Roten Armee sowie mit der Verschiarfung der Lage in Frankreich, der Entfaltung des offenen Terrors der Okkupanten, verschlechterte sich die Lage der aktiven Antifaschisten in allen franzésischen Lagern, so auch in Le Vernet merklich. Zunichst wuchs die Gefahr der Auslieferung. Die Nazibehorden in Frankreich, die Gestapo, richteten seit August 1941 immer dringlicher Auslieferungsforderungen an das Innenministerium in Vichy.”” Auflerdem wurde die Bewachung strenger und die Isolierung der Internierten verschérft. Unmittelbar nach dem 22. Juni verhédngte die Lagerleitung eine allgemeine Besuchs- und Korrespondenzsperre.’! Das Vichy-Regime lieferte Franz Dahlem am 4. August 1942 an Hitlerdeutschland aus. Er durchlitt Bunkerhaft in der Gestapo-Zentrale und wurde nach acht Monaten in das Konzentrationslager Mauthausen verbracht. Er erlebte am 7. Mai 1945 die Befreiung. Die KPD-Fiithrung ın Moskau verfiigte nach dem faschistischen Uberfall auf dic UdSSR iiber noch geringere Kontakte zum Widerstand im Lande als vordem. Sie versuchte deshalb, die ihr verbliebenen Mittel zu opti-
mieren.
Der Auslandssender
beim
Moskauer
Rundfunk
ge-
wann in dieser Konstellation zunehmende Bedeutung. In einem Schreiben an die Komintern-Fithrung vom 25. Juni 1941 wurden Vorschlédge fiir die Tatigkeit des Senders unterbreitet: »Es ist politisch notwendig, am Ende jeder Hauptsendung eine kurze Losung zu geben, die so formuliert sein muß, daß sie eın einfacher Arbeiter an die Wand malen kann. Die Leitung der
Auslandssender erklirte, sie miisse dazu erst die Erlaubnis des ZK der KPdSU(B) haben, [deshalb] ersuchen wir, daß die Zu-
stimmung des ZK eingeholt wird.«*
29 Ebcenda. S. 85f. 30 Siche Sibylle Hinzc: Antifaschisten im Camp Lc Vernet. Abriß des Konzentrationslagers Le Vernet 1939 bis 1944, Berlin 1988. S. 228f. 31 Ebenda. S. 229. 32 Ebenda. S. 218.
153
Aufrufe® und Losungen für die deutschen Soldaten wurden
entworfen.* Sie mündeten in Aufrufe zum Uberlaufen.
Walter Ulbricht hielt am 26. Juni 1941 eine Rundfunkan-
sprache
zum
Thema
»Was
lehrt das
Verhältnis
zwischen
Deutschland und der Sowjetunion in den letzten 24 Jahren«.” Am 28. Juni 1941 erfolgte ein Aufruf an die deutschen Arbeiter und Soldaten:*® »Schief3 nicht auf Deine Briider!« Am 2. Juli 1941 ein Aufruf an die deutschen Arbeiter:*’ »Organisiert ın allen Betrieben Streiks fiir die sofortige Einstellung des Krieges gegen SowjetruBland!«; am 3. Juli 1941 erging ein Aufruf an die deutschen Arbeiter:’® »Fiir wen opfert ihr euer Leben und eure Gesundheit?«, am 4. Juli 1941: An das deutsche Volk:* »Sabotiere die Produktion, wo Du nur kannst!«
Dicse Forderung richtete die KPD Aufruf an die deutschen Arbeiter.*
auch am 5. Juli 1941
ım
Doch das verzweifelte Bemiihen, Einfluß auf die deutsche
Bevolkerung zu gewinnen, blieb ohne nennenswerten Erfolg. Am 28. Juni wandte sich Dimitroff mit dem Vorschlag an
Losowski und Schtscherbakow, den Inhalt der Kominternund Staatlichen Rundfunksendungen fiir das Ausland besser
abzustimmen.*! Die Arbeit der deutschen Antifaschisten in der Sowjetunion crfolgte nach dem faschistischen Uberfall unter sich erneut komplizierenden Bedingungen.
33 Siche Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen. Band 11, 1933-1946. 2. Zusatzband. Berlin 1968. S. 221-222 34 Sichc cbenda. S. 223-224. 35 Walter Ulbricht. Ausgewihlte Reden und Aufsätze zur Geschichte der dcutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Berlin 1979. S. 72-75. 36 Siche Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Rcden und Aufsdtzen. Band 1. 1933-1946. 2. Zusatzband. Berlin 1968. S. 226f. 37 Sichc cbenda. S. 228f. 38 Sichc cbenda. S. 230f. 39 Sichc cbenda. S. 232f. 40 Siche cbenda. S. 234f. 41 Pis’mo G. Dimitrova S. Lozovskomu i A. Sécrbakovu o radioveséanii i propagandc 28 1junja 1941 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 103-105.
154
Unter
der Bezeichnung
»Sicherungsmaßnahmen
gegen
feindliche Elemente«* nahmen Verhaftungen und Deportationen von Reichs- und RuBllanddeutschen in der UdSSR zu. Im August 1941 erfolgten erste Verhaftungen von WolgaDeutschen.* Nach
einem
Erlaß des Priasidiums des Obersten
Sowjets
der UdSSR vom 28. August 1941 »Uber die Umsiedlung von Wolga-Deutschen«
wurden
vor allem
in den Gebieten
Sara-
tow und Stalingrad lebende Wolga-Deutsche umgesiedelt. Ihre Zahl belief sich nach offiziellen Angaben zum 1. Juli 1941 auf 479.855 Personen. Sie wurden nach Sibirien transportiert.** Die Umsiedlung dauerte von September 1941 bis Januar 1942. Am Umsiedlungsort wurden sie in die sogenannte » Trudarmi-
Ja«, die Arbeitsarmee, cinberufen. Sie arbeiteten in der Forstwirtschaft, ın den evakuierten Industriebetrieben und in der
Landwirtschaft. Die ın die Arbeitsarmee einberufenen Deutschen lebten in der Ndhe von Besserungsarbeitslagern, die der Moskauer Hauptverwaltung Lager des NKWD der UdSSR (Gulag) unterstanden.
Mit Bitterkeit erinnerte sich Wolfgang Ruge:* Der diensthabende Miliziondr eröffnete mir: »Die Regierung hat beschlossen, Sıe und Thre Angehorigen aus Moskau zu evakuieren.
Heute ist Dienstag (es war der 2. September), am Sonnabend, kurz vor Sonnenaufgang, kommt ein Lastwagen und bringt
Sie zum Bahnhof. Bis dahin haben Sie Thre Arbeitspapierc ın Ordnung zu bringen und sich Verpflegung fiir 15 Tage zu beschaffen.
[...] Da werde
ich, der Politemigrant, der vor den
Nazis geflohen ist, in unausstehlicher Weise diskriminiert, während die Russen, die noch vor wenigen Wochen von Hit42 Partciversammlung am 25. Juni 1942. Sichcrungsmaflnahmen gegen feindlichc Elemente. In: SAPMO-BArch. NY 4036/497. Bl. 65f. 43 Wolfgang Lconhard: Dic Revolution entläßt ihre Kinder. Bd. 1. Leipzig 1990. S. 142. 44 T. Ccbykina: Dcportacija ncmeckogo nasclenija is cvropejskoj Casti SSSR v Zapadnuju Sibir’ (1941-1945 gg.) In: Nakasannyj narod. Recpressii protiv rossijskich ncmccv. Moskau 1999. S. 118. 45 Wolfgang Rugc: Berlin-Moskau-Sosswa. Stationen ciner Emigration. Bonn 2003. S. 91 ff.
155
ler begeistert waren und die Blitzsiege der Wehrmacht bejubelten, ungeschoren davonkommen. Chauvinismus reinsten Wassers!«* Wilhelm Mensing und Peter Erler ermittelten aus Daten des Prokopjewsker Stadtparteikomitees, daß damals ın der dortigen Bergwerksverwaltung 4.279 mobilisierte Deutsche — d. h. RuBlland- und Reichsdeutsche — beschéaftigt waren.
Sie
schistischen
die
alle wurden in Sondertrupps und -kolonnen zusammengeschlossen und von der ortsansdssigen Bevolkerung isoliert. Eingezogene Politemigranten beklagten sich in Briefen an die Partei ın der Regel nicht iiber die Tatsache, daß sie zur Arbeit herangezogen wurden, sondern dariiber, daß man sie >internierte« und wie Landesfeinde bechandelte. Die KPD fand die »Internierung« der RuBlanddeutschen richtig. Fiir die »antifadeutschen
Politemigranten«
dagegen
war
»Gleichstellung mit sowjetfeindlichen Elementen entehrend und herabwiirdigend«. Viele Deutsche mußten — wenn sie den Einsatz iiberlebten — zum Teil bis weit über das Kriegsende hinaus Dienst leisten und konnten wegen des harten Regimes oft kaum Kontakt nach außen aufnehmen.?’
Am 3. Juli endlich — fast vierzehn Tage nach dem Uberfall — sprach Stalin iiber den sowjetischen Rundfunk.* »Den Krieg gegen das faschistische Deutschland darf man nicht als gewoOhnlichen Krieg betrachten. [...] Dieser Vaterldndische Volkskrieg gegen die faschistischen Unterdriicker hat nicht nur das Ziel, die über unser Land heraufgezogene Gefahr zu beseitigen, sondern auch allen Völkern Europas zu helfen, die unter dem Joch des deutschen Faschismus
stohnen.
[...] Un-
ser Krieg fiir die Freiheit unseres Vaterlandes wird verschmelzen mit dem Kampf der Volker Europas und Amerikas fiir ihre Unabhéngigkeit, fiir die demokratischen Freiheiten.«*
46 Ebcnda. S. 92. 47 Wilhclm Mensing in Zusammenarbeit mit Peter Erler: Von der Ruhr in den GULag. Opfer des Stalinschen Massenterrors aus dem Ruhrgebict. Esscn 2001. S. 112ff. 48 Josef Stalin: Rundfunkrede am 3. Juli 1941. In: Uber den GroBen Vaterlindischen Kricg der Sowjctunion. Berlin 1951, S. 5-15. 49 Ebcnda. S. 13.
156
Trotz des noch ungebremsten Vormarsches der Wehrmacht auf sowjetischem Territorium schien der erste Schock gebrochen. Die Rote Armee kämpfte unter hohen Verlusten, doch auch die Reichswehr hatte sich von den Illusionen eines leichten Vormarschs verabschieden müssen. Goebbels vermerkte am 3. Juli 1941 in seinem Tagebuch: »Wir bringen Jetzt als Nachtragsbericht zum OKW-Bericht die Gefallenenzahlen von einem halben Jahr Ostfeldzug. Sie betragen insge-
samt 271.612, eine zwar sehr hohe Zahl, aber im Verhältnis zu den gigantischen Leistungen unserer Truppen im Osten doch
auch wieder niedrig zu nennen.«“
Sowohl Komintern als auch KPD versuchten, unter diesen
dramatischen Bedingungen ihre Politikfähigkeit zu bewahren. Ende Juli 1941 trat die Exekutive der Komintern mit einer Erklärung »Der Faschismus — der brutalste Feind der Völker« an die Öffentlichkeit. Sie begann mit der Wiederholung der Dimitroff zugeschriebenen Faschismusdefinition, die in der Paktzeit obsolet war.”! Gleichzeitig verfaßte Wilhelm Pieck Ende Juli einen Offenen Brief an die kriegsgefangenen deutschen Offiziere.“ Er kniipfte an den Ehrenkodex des Offizierskorps an. Man muß
herausbekommen, notierte Dimitroff auf dem Entwurf, den er
als sehr gelungen ansah, ob die Offiziere die Nationalsozialisten als »Nazis« bezeichnen. Der Aufruf wurde als Flugblatt gedruckt und im Rundfunk verlesen. Der Einfluß der KPD-Fiihrung auf den Widerstand ım Lande war relativ gering. Wohl weisen die Gestapo-Berichte seit dem 21. Juni 1941 trotz der praventiven Verhaftung Tausender Hitlergegner deutlich wachsende Aktivitdten aus. Widerstandsaktionen, die von intakten Bezirksorganisationen und Betriebszellen geleitet wurden, entsprachen jedoch nicht mehr
50 Dic Tagebiicher von Joscph Gocebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstiitzung des Staatlichen Archivdicnstes Rußlands hrsg. von Elkc Frohlich. Teil 11. Bd. 5: Juli - Scptember 1942, Miinchen 1995. S. 43 und 48. 51 FaSizm — zlc¢jSij vrag narodov. konec ijulja 1941 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 121-131. 52 Otkrytoc pis’mo ncmeckim oficcram. Koncc ijulja 1941 goda. In: Ebenda. S. 135-140.
157
der Realität der Auseinandersetzungen im Land. Rückwirkend
schrieb die Gestapo am 13. August 1941: »Bei Ausbruch des
deutsch-sowjetischen Krieges wurden
schlagartig ım Reichs-
gebiet und in den besetzten Gebieten alle kommunistischen Elemente festgenommen, die unter Anlegung strengsten Maßstabes als aktive Staatsfeinde zu bezeichnen waren.«*? Die Zahl der von der Gestapozentrale erfaßten ıllegalen Flugblätter und Zeitungen der KPD stieg vom Juni bis Oktober von 377 bis auf 10.227, um dann allerdings — offensicht-
lich in Folge der Terrormaßnahmen der Repressionsorgane — wicder stark zurtickzufallen.* Die sich insgesamt verstärkenden Widerstandsaktionen in der Folge des Überfalls auf die Sowjetunion entfallen auf das Konto
von Gruppen,
deren
fanden
sich mit Arbeitern,
Struktur nicht dem
Parteiaufbau
der KPD entsprach. Erfahrene kommunistische Parteifunktionäre, die KZ und Verfolgung aus eigener Erfahrung kannten,
Künstlern und Intellektuellen zu-
sammen. Zu diesen zählten die Uhrig-Gruppe und die Gruppe »Innere Front« um Wilhelm Guddorf, John Sieg, Martin Weise und John Graudenz in Berlin, Gruppen in Hamburg, im Ruhrgebiet oder in Sachsen verstédrkten ihre Aktivititen.
Unter den Bedingungen des Terrors und der fehlenden Of-
fentlichkeit war es fiir die Antifaschisten im Lande von existentieller Bedeutung, thre Gruppierungen auch zu theoretischen Diskussion und zur Weiterbildung zu nutzen.
Die Parteifithrung ın Moskau war indessen mit Fragen ihres politischen Uberlebens angesichts des Vormarschs der Wehrmacht befaßt. Gleichzeitig mußte sie sich der sich ständig 4ndernden weltpolitischen Konstellation anpassen. Die faschistischen Truppen standen im Oktober 1941 vor Leningrad und kdmpften 60 Kilometer vor Moskau. Fiir dic KPD-Fiihrung tat sich mit zunechmender Dauer des
Krieges ein neues Handlungsfeld auf: die Arbeit mit den deutschen Kriegsgefangenen.
53 Zit. nach Hcinz Kiihnrich: Dic KPD im Kampf gegen dic faschistische Diktatur 1933-1945. Berlin 1983. S. 176f. 54 Sichc cbenda. S. 180.
158
Walter Ulbricht inspizierte schon im August und dann im Oktober 1941 mit einer Kommission das Temnikower Kriegs-
gefangenenlager. Am
15. August
1941
schrieb Manuilski
an
Mechlis und Berija über die ungebrochene Geisteshaltung der deutschen Kriegsgefangenen, insbesondere der Faschisten unter ihnen. Es kommt zu einer Stärkung statt zur Zersetzung der faschistischen Haltung und Einstellung. In Zukunft, lautet eine der Schlußfolgerung, müssen sie unter Bedingungen existieren, die mit denen
der deutschen Antifaschisten
ın KZs
vergleichbar sind.” Ulbricht trug einen entsprechenden Bericht am 21. August 1941 im Sekretariat des EKKI vor. Die Teilnehmer
stimmten
dem
Bericht und den vorgeschlagenen
Schlußfolgerungen zu. Gleichzeitig wurde an Propagandamaterialien gearbeitet. Dimitroff notierte schon am 11. August 1941 ım Tagebuch: »— Die Broschüre für die deutschen Soldaten »Wer herrscht in Deutschland?« gepriift«.>® Der Bericht der Kommission über die Arbeit im Kriegsgefangenenlager von Temnikow vom 4. bis 12. August 1941,” der vom 15. August 1941 datiert war, enthielt eine Reihe von
politischen Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit mit den
Kriegsgefangenen. Dominierendes Gefühl unter den deutschen Soldaten sei die Kriegsmüdigkeit, der schwächste Punkt ın der Nazipropaganda sei die Begriindung des Krieges. Verluste der deutschen Armee erwiesen sich als starkes Argument. Aus diesen Materialien ging der Entwurf einer Rundfunkansprache »Was denken deutsche Soldaten iiber den Krieg« (1. September 1941) hervor.*® Der deutsche Vormarsch geriet ins Stocken, Leningrad hielt unter unermeBlichen Opfern der Belagerung stand. Vor Moskau kam die deutsche Armee zum Stehen. 55 Pis’mo D. Manuil’skogo L. Berii 1 L. Mcchlisu otnositel 'no uzestoceniJa obrascenija s nemeckimi voennoplennymi. 15 avgusta 1941 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 143-145. 56 Gceorgi Dimitroff: Tagebiicher 1933-1943. Hrsg. Bernhard H. Bayerlein. Berlin 2000. S. 412. 57 Sichc Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsdtzen. Band Il. 1933-1946. 2. Zusatzband. Berlin 1968. S. 245-253. 58 Sichc cbenda. S. 257-260.
159
Goebbels notierte am 16. August 1941 im Tagebuch: »Im Laufe des Abends kommen noch eine ganze Reihe von Meldungen von der Ostfront. Der bolschewistische Widerstand hat sich überall kolossal verstärkt. Wir haben also ın den nächsten Tagen und Wochen mit einigen erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen. Sorgenvoll macht das nur im Hinblick darauf, daß uns nicht beliebig viel Zeit mehr zur Verfügung steht. [...] Der Wettergott ist ın diesem Kriege nicht unser Alliierter gewesen und scheint es auch nicht werden zu wollen.«* Die Antihitlerkoalition erhielt allmählich Konturen. Die USA begannen am 2. August 1941 mit Materiallieferungen an die Sowjctunion. Noch scheiterte die »Probelandung« der britischen Armee vor Dieppe am 19. August. Unter Bezug darauf notier-
te Goebbels am 20. August 1941 optimistisch ım Tagebuch:® »Der Fiihrer will in etwa zwei bis drei Tagen den Großangriff gcgen Stalingrad starten. [...] Die gegen Stalingrad eingesetzten Krifte werden vorldufigem Ermessen nach geniigen, um die Stadt in acht Tagen in unseren Besitz zu bringen.«®' Der Krieg trieb seinem Hohepunkt entgegen. Noch war die Gefahr eines militdrischen Sieges Hitlerdeutschlands nicht gebannt. Die Kominternfithrung suchte nach Wegen, die »deutsche patriotische Opposition gegen Hitler« zu mobilisieren, so Dimitroff ım Tagebuch vom 26.August 1941 über eine Beratung mit Pieck,
Ercoli,
Manuilski,
Ulbricht, Ackermann,
Wieden
und Koplenig. Die Quelle sagt nichts dariiber aus, wo diese Opposition verortet wurde.
1941/1942 waren selbst die unter
sowjetischer Macht internierten deutschen Kriegsgefangenen kaum fiir eine antifaschistische Umerziehung zu gewinnen. Für Georgi Dimitroff wie fiir die KPD-Fiihrung in Moskau blicb jedoch die Arbeit unter den Kriegsgefangenen eine
59 Dic Tagcbiicher von Joscph Gocbbcels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstiitzung des Staatlichen Archivdicnstes Rußlands hrsg. von Elkc Frohlich. Teil I1. Bd. 5: Juli — Scptember 1942, Miinchen 1995. S. 325. 60 Ebcnda. S. 348. 61 Ebcnda. S. 353.
160
Aufgabe von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung der folgenden Jahre sollte ihnen Recht geben. Dimitroff notierte im Tagebuch am 11. September 1941: »Habe mich mit Fragen der Arbeit unter den Kriegsgefangenen befaßt. Regimentskommissar Sokolow, Major Selesnjow — aus der Politverwaltung der Roten Armee — und Frida Rubiner habe ich erklärt, wie diese Arbeit in Zukunft durchzu-
führen ist.«® Noch waren andere Prioritäten zur Kenntnis zu nehmen.
Vom 30. September 1941 bis 20. April 1942 tobte die Schlacht um Moskau. Theodor Plivier, als Emigrant in der Nähe von Moskau lebend, hat das Elend des Krieges miterlebt. Damals begann er, Material für ein Buch zu sammeln, Gespräche mit Betrof-
fenen zu führen. Die Zensur erlaubte nicht, das Buch zu Ende zu schreiben. Das war erst 1952, zehn Jahre später, möglich,
nachdem Plivier 1947 ın den Westen gekommen war. »Moshaisk war gefallen. [...] Die Hauptstadt war von Panik geschüttelt. Kein Haus blieb unberührt. Die Regierungsge-
bäude, die hundert Ämter, das Kunst-, das Radio-, das Kinokomitee, wissenschaftliche und politische Institute, der
Staatsverlag, der Schriftstellerverband, die Komintern glichen aufgestöberten Bienenstöcken. Die Bahnstrecken nach Bjelorußland und nach Leningrad waren leer, die Ferngleise bereits wenige Kilometer vor der Hauptstadt abgerissen und iın den Händen der Deutschen. [...] Auch der Kursker Bahnhof bot keinen Ausweg mehr, selbst die Strecke über Kaschira und weiter nach Süden war bedroht. Übrig blieb allein der Kasaner Bahnhof;
der direkt
nach
Osten
zu den
Tataren
laufende
Schienenstrang schien der einzig offene Weg geblieben zu sein. Aber wie lange noch?«® Hitler meinte bereits triumphicren zu kdnnen. Am 3. Oktober verkiindete er den angeblich bereits errungenen Sicg über
62 Gcorgi Dimitroff: Tagebiicher 1933—-1943. Hrsg. Bernhard H. Bayerlein. Berlin 2000. S. 426. 63 Thcodor Plcvicr: Moskau. Augsburg 1998. S. 499f,
161
die UdSSR.
Er wähnte,
daß »[...] dieser Gegner bereits ge-
brochen ist und sich nie mehr erheben wird!« “* Dic Parteiführung der KPD reagierte darauf am 15. Oktober 1941 mit dem Aufruf »An das deutsche Volk und das deutsche Heer«. Das Leitmotiv: »Die einzige Rettung für das deutsche Volk besteht darin, mit dem Kriege Schluß zu ma-
chen. Um aber mit dem Kriege Schluß zu machen, muß Hitler gestürzt werden. [...] Das deutsche Volk hat einen anderen,
seinen eigenen Weg. Dieser Weg führt über die Befreiung des
deutschen
Volkes
von
dem
hitlerfaschistischen
Unterdrük-
kungsregime, über die Erringung eines Deutschlands, das es
endlich verstehen wird, ın Frieden zu leben, und eine Verkör-
perung des wahren Volkswillens sein wird. [...]«. Der in seiner Form ungewöhnlich emotionale Appell wurde über alle zur Verfügung stehenden Kanäle verbreitet. Er erschien am 16. Oktober in der »Prawda« ın russischer Sprache und wurde am gleichen Tag in deutscher Sprache über den Moskauer Rundfunk ausgestrahlt. Es hieß dort: »Deutsche Soldaten! Wollt Ihr euer Blut vergießen und ehrlos zugrunde gehen als Landsknechte der Reaktion ım Kampfe gegen cin Volk, das sein Land, seine sozialistische Ordnung mutig verteidigt? Das deutsche Volk hat von diesem verbrecherischen Krieg genug. Er hat ihm Elend, Unglück und Schande gebracht. Das deutsche Volk will den Frieden. Jeder militärische Erfolg Hitlers aber zieht den Krieg nur in die Länge, vergrößert die Ver-
luste und zicht Deutschland
immer tiefer ın den Abgrund.
Übermüdet von zermürbender Arbeit, hungernd, ohne Schuhe und Kleider, zitternd um das Leben ihrer Söhne, erfüllt von
ticfer Unruhe
ein.«®
tritt unser Volk in den dritten Kriegswinter
64 Hitlers Rede vom 3. Oktober 1941 über den angeblich bereits errungenen Sicg über dic UdSSR. In: Dokumente zur dcutschen Geschichte 1939-1942. Hrsg. von Wolfgang Rugc und Wolfgang Schumann. Berlin 1977. S. 88-89. 65 An das dcutsche Volk und an das dcutsche Hceer! In: Der antifaschistische Widcerstandskampt der KPD ım Spicgel des Flugblattes. 1933-1945. Berlin 1978, Dok. 152.
162
Anknüpfend an die Beschlüsse der »Berner Parteikonferenz« wurde der Ausweg in der Schaffung einer neuen, demokratischen deutschen Republik gesehen.
Das Dokument, das als Aufruf des Zentralkomitees der KPD bezeichnet wurde, war von Anton Ackermann, Fritz Arndt (Karl Mewis), Wilhelm Erasmus (Wilhelm Knöchel), Wilhelm Florin, Herbert Funk (Herbert Wehner), Irene Gärtner (Ellı Schmidt), Michael Niederkirchner, Wilhelm Pieck, Gustav Sobottka, Richard Stahlmann und Walter Ulbricht un-
terzeichnet. Die Partei unternahm grof3e Anstrengungen, den Aufruf in den 1llegalen Organisationen in Deutschland und in den okkupierten Ländern zu verbreiten. Am 14. Oktober hatte Dimitroff diesen Aufruf des ZK der KPD dem ZK der KPdSU(B), Manuilski, zur Bestitigung vor-
gelegt.® Am 15. Oktober rief Stalin bei Dimitroff an: »— Stalin: »Der Aufruf ist gut gelungen. Wir werden ihn heute verdffentlichen. Er muß auch im Radio gesendet werden als ein Dokument, das bei dem gefallenen Unteroffizier Stolz gefunden wurde [...]««.*” Der Bewegungsspielraum der KPD-Fiihrung, so wird hier erneut deutlich, war äußerst gering. In diesem
Gespréch, so notierte Dimitroff weiter, erkundigte sich Stalin nach Ernst Thälmann, erinnerte an dessen Briefe vom Vorjahr
und sagte: »Offensichtlich wird Thälmann dort in verschiedenster Weise bearbeitet. Er ist kein prinzipientreuer Marxist, und seine Briefe zeugen vom Einfluß der faschistischen Ideologie. Er schrieb über die Plutokratie, meinte England seı zerschlagen — Unsinn! [...] Sie werden ihn nicht umbringen, weil
sie offensichtlich hoffen,
genverniinfti-
zunutze machen
zu können
[...]J« Und
66 Soprovoditcl’noc pis’mo G. Dimitrova k vozvaniju CK KPG. napravlennoc V. Molotovu. 14 oktjabrja 1941 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Posle 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 1151, 67 Gcorgi Dimitroff: Tagebiicher 1933-1943. Hrsg. Bernhard H. Bayerlcin. Berlin 2000. S. 440.
163
»Als wir uns von St[alin] verabschiedeten, sagte er: »Man
muß heute noch evakuieren!< — Er sagte es so, als würde er sagen: Zeit zum Mittagessen!«®* Plivier berichtete: »Am 10. Oktober begann das Verteidigungskomitee, das Sekretariat Stalins, mit dem Abtransport seiner wichtigsten Dokumente und Unterlagen; sie waren ın eın Bergwerk hinter dem Ural zu verlagern. [...] Am 11. Oktober wurde das Gold der Staatsbank verladen [...] Am 12. Oktober,
an dem die Front faktisch zu existieren aufhörte, verließen die Ministerien, auch das Innenministerium mit Teilen seiner un-
geheuren Polizeimacht, überstürzt die Hauptstadt. Nur Kommandos zum Sichten und Verbrennen der zurückgelassenen
Akten blieben in den Ämtern. In dem großen NKWD-Block
an der Lubjanka rauchten Tag und Nacht die Schornsteine. Der Auszug des NKWD war der Anfang vom Ende.«®” Am
16. Oktober
vor Moskau.
1941
standen die Truppen der Wehrmacht
Die Komintern mußte unter schwierigen Bedin-
gungen aus dem 500 Kilometer von Moskau entfernten Ufa agieren. Hier befanden sich auch die Mitglieder der KPD-Führung. Erst im März 1942 kehrten die ersten deutschen Exilanten aus Ufa nach Moskau zurück.
Am
20. Oktober fand bereits die erste Beratung ın Ufa
statt, an der u. a. Pieck und Florin teilnahmen.”
Wolfgang Leonhard, zu diesem Zeitpunkt in Karaganda, vermerkte rückblickend: »Das Schicksal der zwangsumgesiedelten deutschen Genossen schien diesen führenden Funktionären der Parteifiihrung der KPD ziemlich gleichgültig zu sein.«’!
Am 25. Januar 1942 lag Pieck ein »Bericht {iber Kaderfra-
gen« vor, in dem es cinleitend hieB: »Die plotzliche Ubersiedlung der KI nach Ufa und die voriibergechende emste Bedrohung
68 Ebcnda. S. 441. 69 Thcodor Plevier: Moskau. Augsburg 1998. S. 509. 70 Protokol (B). No 763. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22 jjunja 1941 g. Moskau 1997. S. 162f. 71 Wolfgang Lconhard: Dic Revolution entläßt ihre Kinder. Bd. 1. Leipzig 1990. S. 172.
164
Moskaus
durch die faschistischen Armeen
im Oktober, hatte
notwendige Maßnahmen zur Folge, die größere Anforderun-
gen an die Betreuung für unsere Kader stellte. Zugleich waren
Schwierigkeiten erwachsen (Verstreuung der Genossen in die verschiedensten Gebiete der Sowjetunion, ohne Verbindung mit der Partei, ihre Unterbringung, Arbeit oder Betreuung durch die MOPR).«”* Der Bericht enthielt Namen, Einzelschicksale, Beschreibungen der Lebensbedingungen. Unter den gegebenen
eingeschränkten
Bedingungen
ge-
wann die Arbeit unter den deutschen Kriegsgefangenen für dic kommunistischen Emigranten und die KPD-Führung wachsende Bedeutung. Herbert Griinstein berichtete in seinen Erin-
nerungen:” »Die erste zentrale Antifa-Schule war 1942 in Orankı eıngerichtet und später nach Krasnogorsk übergeführt worden. 1943 war die zentrale Antifa-Schule 165, später hieß sie Objekt 2041, ın Taliza entstanden, und 1947 folgte bei Ogre ın Estland eine dritte Schule dieser Art. [...] Neben den zentralen Antifa-Schulen entstanden 50 Gebietsschulen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Lagerschulen in Kriegsgefangenenlagern eingerichtet. [...] Die Lehrgänge an den drei zentralen AntifaSchulen
hatten eine Dauer von
sechs Monaten,
an den Ge-
bietsschulen von drei Monaten.« Die deutschen kommunistischen Emigranten wurden zunehmend auf die Arbeit mit den Kriegsgefangenen orientiert. Wolfgang Leonhard berichtet so über eine Konferenz der deutschen Emigranten im Gebäude des Karagandiner Gebietskomitees der Partei (ungefähr 50 Emigranten nahmen teil) am 22. Dezember 1941.’* Ulbricht sprach, erzählte aber nicht viel
Neues.
Das
was
uns noch
nicht so bekannt
war, betraf die
Arbeit in Kriegsgefangenenlagern.” Mit ihren Flugschriften, Broschüren und Flugblättern wandte sich die KPD an die Soldaten und Offiziere der Wehrmacht.
72 An den Genossen Picck. Bericht über Kaderfragen. 25. Januar 1942. In: SAPMO-BArch. NY 4036/517. Bl. 14-28. 73 Herbert Grünstein: Der Kampf hat vicle Gesichter. Berlin 1988. S. 138ff. 74 Wolfgang Lconhard: Dic Revolution entläßt ihre Kinder. Bd. 1. Leipzig 1990. S. 173. 75 Ebenda. S. 175.
165
In einer illegalen Broschüre der KPD aus dem Jahr 1942 unter dem Titel »Hinein ins zehnte Jahr des »Tausendjdhrigen Reiches«!'« hieß es: »Alles ist >»groß« in diesem Hakenkreuzreich — für den deutschen Imperialismus. Für diesen steckte der Faschismus nur von 1933 bis 1938 600.000 Regimegegner ın die Konzentrationslager und Zuchthäuser. [...] Warum
die Abkommandierung von mehreren SS-Divisionen von der Front ıns Hinterland? Weil es ım Dritten Reich gärt! Weil das Volk das faschistische Regime satt hat! [...]«." Als Zielgruppe wurden zunehmend auch die Offiziere der Wehrmacht angesprochen. Als nach dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie Generalfeldmarschall Werner von Brauchitsch
zurücktrat und auch andere Generäle, die vor Moskau
schei-
terten, threr Posten enthoben wurden, reagierten KPD und Komintern sofort. Sie wandten sich an die kriegsgefangenen deutschen Offiziere. Am 2. Januar 1942 notierte Georgi Dimitroff ım Tage-
buch: »Mit Man[uilski] und Wieden [Ernst Fischer] den Brief
der deutschen kriegsgefangenen Offiziere anläßliıch von Brauchitschs Absetzung und der Selbsternennung Hitlers zum Oberbefehlshaber redigiert.«’’ Auch die Teilnehmer an der Parteischule der Komintern ın Kuschnarenkowo
wurden
auf einen
baldmöglichen
Einsatz
orientiert. Das Sekretariat des EKKI beschloß am 10. Januar 1942
entsprechende
Maßnahmen.
Kurs
der Internationalen
Unterrichtsprogramm
und
iın Kuschnarenkowo«,
ver-
Lehrplan wurden préazisiert.” Leonhard beschreibt Unterricht und Lehrer an der Schule.” Ein »Lehrplan für den politischen Schule
mutlich vom November 1941“ ist überliefert. Die insgesamt 34 zu behandelnden Themen wurden in Vorträgen und seminaristischen Besprechungen behandelt. Der 76 Zit. nach W. A. Schmidt: Damit Dcutschland lcbe. Berlin 1958. S. 709f. 77 Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Hrsg. Bernhard H. Baycerlcein. Berlin 2000. S. 470. 78 Protokol zascdanija Sckretariata (A) No 773. 10 janvarja 1942 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 175f. 79 Wolfgang Lconhard: Dic Revolution entläßt ihre Kinder. Bd. 1. Lcipzig 1990. S. 217ff. 80 SAPMO-BArch. NY 4036/529. BI. 1-3.
166
vierte, abschließende Schwerpunkt betraf den »Ausweg. Die Kommunistische Partei Deutschlands«. Ausgehend vom Ma-
nifest des ZK der KPD vom Oktober 1941 und dem Appell
der ersten Beratung deutscher Kricgsgefangener (Thema 31) ging es ım Thema 32 um den Sturz des Hitlerfaschismus,
dessen Niederlage nicht als gleichbedeutend mit dem Untergang Deutschlands gesechen wurde. Thema 33 lautete: »Wie und durch welche
Kriafte muß
der Hitlerfaschismus gestiirzt
werden«. Thema 34 hatte »Das neue Deutschland« zum Gegenstand. Referenten waren Anton Ackermann, Wilhelm Florin, Wil-
helm Pieck und Walter Ulbricht. Ausgehend von den Erfah-
rungen der russischen und deutschen Revolution wurden die
Moglichkeiten der Organisation und Durchfiihrung von Streiks, Demonstrationen, Widerstandsaktionen und politischen Massenstreiks gepriift. Noch immer hing die KPD an historischen
Modellen, die mit der Realität der Situation des Zweiten Welt-
krieges nur wenig zu tun hatten. Die Hoffnung auf dic Herausbildung einer revolutionéren Situation ın Deutschland war wohl menschlich nachvollziehbar und griindete in kommunistischen Uberzeugungen von der GesetzmiBigkeit des Untergangs des Imperialismus und des Sieges des Sozialismus, sie verbaute aber die Orientierung auf realistische Ziele. Diese 1llusiondre Aufgabenstellung kam auch in einem Brief vom 14.
Juli
1942 von Wilhelm
Zeit unter dem
Namen
Pieck an Paul Wandel,
der in dieser
Klassner die deutsche Scktion der
Komintern-Schule leitete, zum Ausdruck.®!
Die Rundfunkpropaganda gewann 1942 zunchmende Bedeutung. Die Aktivitdten in den Kriegsgefangenenlagern wurden stédrker ın die Planung einbezogen. Das Tagebuch Georgi Dimitroffs gibt Auskunft darüber, welch hoher Rang dieser Arbeit eingerdumt wurde. 14. Januar 1942 »— Den Bericht von Ulbricht, Bruno Kel-
ler, Mahle und Forsterling über die im Kriegsgefangenenlager ın Karaganda geleistete Arbeit gehort.
81
SAPMO-BArch.
NY 4036/529. Bl. 7-8.
167
— Die Frage kommt auf die Tagesordnung der Sitzung des
Sekretariats.«** Das geschah am 17. Januar 1942: »— Sekretariatssitzung unter Beteiligung der Politarbeiter
und Radiopropagandisten.
Bericht von Ulbricht, Mahle, [Bela] Szanto, Keller (Sude-
ten) und Försterling über die Arbeit unter den Kriegsgefangenen im Lager Spassosawodsk (Karaganda).«® Den Politischen Bericht über die Arbeit unter den deutschen Kriegsgefangenen im Lager Spassko-Sawodsk vom 17. Januar 1942 gab Walter Ulbricht.* Eine Kommission wurde beauftragt, Vorschldge fiir die weitere Arbeit in den Krieggefangenenlagern zu erarbeiten. Und am 30. Januar 1942 notierte Dimitroff: »— Habe eine Sitzung der Kommission wegen der für die Kriegsgefangenen und fiir das Hinterland der gegnerischen Armee bestimmten Broschiiren durchgefiihrt. (Manuilski, Ercoli [Togliatti], Pieck, Wieden [Fischer], Friedrich [Geminder], Rakosi, Pauker, Ulbricht, Walter.)
— Der vorgeschlagene Plan (73 Broschiiren) ist nicht realistisch. Die Kommission rit, thn auf 25 Broschiiren zu folgenden Themen zu reduzieren: die Entlarvung des Faschismus, die Sowjetunion, der Marxismus-Leninismus und die KP Deutschlands
[...] Habe
ist reif fiirs Irrenhaus. «*°
ım Radio eine Hitlerrede gehört. Er
Um die Jahreswende 1941/1942 verédnderte sich die internationale Kréftekonstellation gravierend. Mit dem japanischen Uberfall auf den US-amerikanischen Marinestiitzpunkt Pearl Harbour wurden die USA endgiiltig in den Krieg hineingezo82 Georgi Dimitroff: Tagebiicher 1933-1943. Hrsg. Bernhard H. Bayerlcin. Berlin 2000. S. 474. 83 Ebcenda. S. 475. 84 Siche Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsdtzen. Band II 1933-1946. 2. Zusatzband. Berlin 1968. S. 266-281. — Walter Ulbricht: Ausgcwihlte Reden und Aufsitze zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Berlin 1979. S. 76-88. 85 Georgi Dimitroff: Tagebilicher 1933-1943. Hrsg. Bernhard H. Bayerlein. Berlin 2000. S. 480.
168
gen. Deutschland und Italien erklärten am
11. Dezember den
USA den Krieg. Damit veränderte sich das Kräfteverhältnis trotz der Anfangserfolge der Achsenmächte weiter zugunsten
der Antihitlerkoalition.
Am 1. Januar 1942 unterzeichneten 26 Staaten die Deklaration von Washington, die als Deklaration der Vereinten Nationen bekannt wurde. Die Unterzeichner vereinbarten ihr Zusammenwirken im Kampf gegen die Aggressorstaaten und verpflichteten sich, alle ihre Mittel in diesem Kampf einzusetzen und keinen Waffenstillstand oder Separatfrieden mit dem Feind abzuschlief3en.
Die Deklaration besaß große Bedeutung fiir die Festigung der Antihitlerkoalition. Thr kam aber auch in der Schlacht um
die Kopfe der deutschen Bevélkerung und der Soldaten und Offiziere hohe Bedeutung zu. Auf Initiative der KPD wandten sich am 30. Januar 1942 60 kommunistische
Politiker,
Gewerkschafter,
Schriftsteller
und Kiinstler in einem Aufruf an das deutsche Volk. »Die
Schlacht vor Moskau, diese entscheidende Schlacht, hat Hit-
ler verloren. Die Zeit seiner Erfolge ist vorbei. Die Zeit der Niederlagen dieses Abenteurers und Falschspielers ist gekommen.« Erfiillt von tiefer Sorge um das Schicksal des deutschen Volkes forderten die Verfasser: »Jetzt muß das deutsche Volk selbst sein Wort sprechen. Es ist Zeit zu handeln. « Die Autoren beriefen sich auf die Traditionen Deutsch-
lands: »Das Land Goethes und Schillers, Bachs und Beethovens, Humboldts und Helmhotz’, Hegels, Marx und Engels’;
das Land so großer Kulturdenkmiler, so hoher Errungenschaf-
ten des menschlichen Genius; das Land, das einst durch seine
Intelligenz, seine hohe Moral, durch die schopferische Arbeit
seiner Denker und Gelehrten, seiner Arbeiter und Bauern die
Achtung der ganzen Welt eroberte, — dieses Deutschland heute eine Räuberhöhle geworden, gehaßt und verachtet allen Volkern.«® Mit diesem Bezug auf die wertvollen Traditionen der schichte des deutschen Volkes griffen die Autoren zuriick
ist von Geauf
86 An das dcutsche Volk! In: Der antifaschistische Widerstandskampf der KPD ım Spicgel des Flugblattcs. 1933-1945. Berlin 1978. Dok. Nr. 159.
169
die Linic des VII. Weltkongresses
der Komintern
und der
Briisseler Parteikonferenz der KPD von 1935, die ın der Pakt-
zeit nicht nur aufgegeben sondern auch für falsch erklärt worden war.
Im Frühjahr
1942 ging die Führung
der KPD
weitere
Schritte zu einer breiteren Massenarbeit und Bündnispolitik.
Am 3. April 1942 begründete Wilhelm Pieck vor der Exekutive der Komintern die Vorstellungen der KPD-Führung über die künftige Massenarbeit und Bündnispolitik der Partei. Auf einer Konferenz deutscher Emigranten und Kriegsgefangener sollte
cın Aufruf an das deutsche Volk beschlossen werden,
Hitler
zu stürzen und den Krieg zu beenden. Außerdem war die Bildung eines Ausschusses zur Vorbereitung eines Nationalkomi-
tecs geplant, das als führendes Organ des Kampfes für die Beendigung des Krieges und die Befreiung Deutschlands vom Hitlerismus, für die Schaffung eines neuen Deutschlands wirken sollte.*’ Ein Fünf-Punkte-Programm umriß die Strukturen
eines Staates, der nach dem
Sturz des Hitlerfaschismus
den
Aufbau einer demokratisch gewählten Volksdemokratie unter Wahrung der Menschenrechte anstrebte. Die Wirtschaft sollte in den Dienst des Volkes gestellt, »durch die Beseitigung der
Naziparasiten und die Nationalisierung der großen Konzerne
und Banken«.® In einer speziellen Erklarung wollte die KPD-Fithrung auf der geplanten Konferenz ihre uneingeschrinkte und vorbehaltlosc Mitarbeit in der Volksbewegung kundtun, aber zugleich thre weiterrcichenden Zicle erldutern. Das kam einem Vorbehalt zu den deklarierten Prinzipien einer Volksdemokratie gleich, die potenzielle Biindnispartner miftrauisch machen mußte. Dic mehrfache Erorterung der Frage, ob sich die KPD
auf cinen bewaffneten Aufstand in Deutschland oder auf den Partisanenkampf deutscher Antifaschisten gegen das Naziregimc vorbereiten sollte, verwies auf die Verkennung der realen Kréifteverhdltnisse
iın Decutschland,
die fern jeder Vorausset-
87 Aus dem Dokument des Politbiiros des ZK der KPD über ncuce Schritte zur Verwirklichung der Einheits- und Volks{rontpolitik vom 3. April 1942. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in acht Bänden. Bd. 5. Berlin 1966. S. 559ff.
88
Ebcnda. S. 561.
170
zung für bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem Hitlerre-
gime waren.
Die geplante Konferenz kam 1942 nicht zustande. Die Diskussionen waren jedoch fiir das sich 1942/1943 herausbildende Konzept der Bewegung des Nationalkomitees Freies Deutschland von grofler Bedeutung. Das »Antifac-Umerziehungsprogramm
in den
Kriegsge-
fangenenlagern hatte 1941 und 1942 nur beschrédnkte Erfolge. Erst die katastrophale Niederlage der 6. Armee in Stalingrad brachte eine Wende.
Die Exekutive der Komintern sah jedoch schon für das Jahr 1942 positive Optionen.
Im Entwurf der Mailosungen
1942
hielt sie den Sturz Hitlers fiir vorherbestimmt. Die Antifaschisten sollten den aktiven Kampf gegen Hitler führen und die Riistungsindustrie sabotieren. »Die Stunde der Aktionen ist ge-
kommen!«* Wilhelm Pieck referierte auf der Sitzung des Seckretariats des EKKI iiber die KPD. Der Partei im Land sei verstarkt mit Abgesandten und Material zu helfen.* Die von Pieck gebrauchte Formulierung, »Es gilt, eine nationale deutsche Regierung des Friedens«, zu schaffen rief Widerspruch hervor. Er bat Dimitroff, Schtscherbakow zu veranlassen, diese Formulierung zu gestatten.”’ Es handclte sich um den Kommentar von Pieck zum Vertrag zwischen der UdSSR und Groflbritannien, der am 26. Mai
1942 unterzeich-
net worden war. Alle hofften darauf, den Krieg noch 1942 zu beenden. Doch die Wehrmacht ging bei Charkow und Sewastopol zur Offensive über. Die Erdffnung der Zweiten Front wurde immer akuter. Die Bewertung der Krifteverhiltnisse in Deutschland ging auch innerhalb der kommunistischen Emigration in Sowjetrußland noch auseinander. Paul Wandel wandte sich am 14.
89 Protokol (B) Sckretariata IKKI No 784. 18 aprclja 1942 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 208-212. 90 Sichc Protokol (B) Sckrectariata IKKI No 787. 1 maja 1942 goda. In: Ebcnda. S. 217f. 91 Siche cbenda.
171
Juli 1942 an Wilhelm Pieck.” Er beklagte sich, daß die deut-
sche Sektion der Komintern-Schule »zu wenig mit Material und Informationen versorgt« werde. »Wir erhielten ın der letz-
ten Zeit ausführliche Berichte von unserem Freunde aus dem
Lande, aus denen ersichtlich ist, daß die Stimmung der Mas-
sen auf Grund der Lage im Winter sehr gegen den Krieg und das Hitlerregime umgeschlagen und bis in die Nazikreise hınein der Krieg gegen die Sowjetunion als ein schwerer Fehler angesehen wird. [...] Ich denke, daß sich die Lage ım Lande zum Herbst sehr schnell zu größeren Kämpfen zuspitzen wird. Wır stellen deshalb auch immer stärker die Frage der Beschaffung von Waffen und der Bildung von bewaffneten Kampfund Freischärlergruppen. Das gilt auch für den Kampf gegen den Gestapoterror.«” Die KPD-Fiihrung hatte sich gegen eine solche Orientierung entschieden, fiir die es keine realistischen Voraussetzungen gab.
Am 10. August 1942 wurde der erste Kursus der AntifaSchulen fiir deutsche Kriegsgefangene abgeschlossen. Das Sekretariat des EKKI hielt das fiir wichtig genug, dariiber am 25. August 1942 zu beraten und Festlegungen fiir den zweiten Lehrgang zu treffen, an dem 50 Rumänen, 85 Deutsche und
15 Osterreicher teilnehmen sollten.*
Die Sitzung der Exekutive der Komintern am 3. Oktober 1942 spiegelte den Informationsstand wider. Ein »Bericht über Deutschland«® konstatierte den Stimmungsumschwung in Deutschland seit der Schlacht um Moskau. Probleme in der Versorgung beı Lebensmitteln und Bekleidung spielten in Briefen von und an Frontsoldaten eine zunehmende Rolle. Kriegsmiidigkeit und die Arbeitsantreiberei wurden immer wieder crwihnt. Es war auch von Vorbehalten unter Intellektuellen
92 SAPMO-BArch, NY 4036/529. Bl. 7f. 93 Ebenda. 94 Protokol (B) Sckretariata IKKI No 802. 25 avgusta 1942 goda. In: Komintern i vtoraja mirovaja vojna. Cast’ 2: Poslc 22 ijunja 1941 g. Moskau 1997. S. 251-253. 95 3. Oktober 1942. Bericht über Deutschland 3. Oktober 1942 ın der Sitzung des EKKI. In: SAPMO-BArch. NY 4036/497. Bl. 2-19.
172
die Rede, von den großen Wandlungen im Katholizismus, von
verschiedenen Gruppierungen in der Bourgeoisie, die mit der Kriegspolitik Hitlers nicht einverstanden waren. Zur KPD hieß es: »Die deutsche Arbeiterklasse hat bis jetzt noch keine eigentliche Führung und ist organisatorisch atomisiert.« Alte Leitungen und Organisationsverbindungen sınd zerschlagen. »Ein Mitglied des ZK [Wilhelm Knöchel — der Verf.] von Holland aus ins Land gefahren. [...] Außerdem befinden sich drei weitere Genossen im Lande, die Verbindun-
gen mit Organisationsgruppen haben.«* »Wir haben 60—70 Prozent unserer alten Kader verloren.
[...] Von den
17 Mit-
gliedern des ZK, die nach dem VII. Weltkongref3 auf der sogenannten Briisseler Parteikonferenz gewahlt wurden, befindet sich 1 Mitglied im Lande, 5 sind in der SU, 2 in Schweden,
1
in der Schweiz. Genosse Thilmann ist im Kerker. Genosse Heckert ist gestorben. Von Merker wissen wir nicht, ob er aus Frankreich nach Mexiko gekommen ist, Dahlem wurde von der Vichy-Regierung nach Deutschland ausgelicfert. Ebenso wissen wir nichts iiber den Aufenthalt des Jugendge-
nossen Karl (Hähnel). Ausgeschlossen
wurden
Miinzenberg,
Flieg und Dobler. Es wird notwendig sein, das ZK durch die Aufnahme von Genossen zu verstdrken.«’’ Von einer intakten Parteiorganisation ım Lande konnte also keine Rede sein. Ungeachtet dessen gab es in Deutschland aktiven Widerstand wie im folgenden zu zeigen sein wird. Die Konturen des kommunistischen Widerstandes, die ın den Aktivititen des Nationalkomitees Freies Deutschland stirksten Ausdruck
immer deutlicher ab.
96 97
finden
sollen, zeichneten
sich seit
1942
Ebcnda. BI. 9. Ebcnda. Bl. 10.
173
Widerstand im Lande und im Exil
Der faschistische Überfall auf die Sowjetunion
zerriß den
Schleier, der ın der Paktzeit wie Mehltau auch über dem kom-
munistischen Widerstand ım Lande und in der Emigration lag. Für vicle deutsche Kommunisten, die bereit und in der Lage waren zu kämpfen, gewann eine Stimmung Raum: Wann, wenn nicht jetzt! Eine Niederlage Hitlerdeutschlands war gleichbedeutend mit dem Ende dieses Regimes, ein Sieg würde die Perspektive des Sozialismus und der Demokratie ın Deutschland und Europa dauerhaft blockieren.
Wie die Gestapo-Berichte ausweisen, stieg die Aktivität der Widerstandsgruppen nach dem Überfall sprunghaft an.' Eine der größten und aktivsten Gruppen war 1941 die unter der Leitung von Robert Uhrig. Sie hatte ihren Schwerpunkt in Berlin und verfügte über Anhänger in vielen Stadtbezirken und einigen Betrieben. Sie hielt Verbindung zu anderen Gruppen wie zur Gruppe »Innere Front«, in der sich vor allem kommunistische Intellektuelle wie Wilhelm Guddorf, John Sieg, Martin Weise u. a. organisierten. Diese Gruppe gab eine Zeitung heraus, deren Titel zu threm Namen wurde. »Sie stellte gewissermaßen ein Bındeglied zu Uhrigs Organisation dar, die fast ausschließlich aus Industriearbeitern bestand, und den weniger festgefügten Zirkeln, die sich um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen geschart hatten; dort wirkten Beamte aus Regierungsstellen, Ärzte, Künstler, Architekten, auch eini-
]
Siche Allan Merson: Bonn 1999. S. 228.
174
Kommunistischer
Widerstand
in Nazidcutschland.
ge Offiziere mit.«“ Als Robert Uhrig im Februar 1942 verhaftet wurde, war das ein schwerer Verlust für den Widerstand.
Es gelang der Gestapo Jedoch nicht, das ganze Geflecht der Widerstandsgruppen ım Berliner Raum aufzurollen. Die Parteiführung der KPD in Moskau hatte nach dem Überfall weiter dramatisch an Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Widerstand ım Lande verloren. Sie baute das Netz
der Radiosender in der UdSSR aus, vermochte damit aber nur begrenzt nach Deutschland hinein zu wirken. Von Moskau oder gar von Ufa aus war kaum Einfluß auf den Widerstand
ım Lande zu nehmen. Während die »Brüsseler Konferenz« zur Begrenzung der Opfer des Gestapo-Terrors von zentralen Leltungsstrukturen abging und auch den Einsatz von Flugblättern und Zeitungen nur sehr selektiv empfahl, wurde nunmehr der alte verlustreiche Kurs wieder als der einzig revolutionäre propagiert. Offenkundig spielte dabei auch die Selbstdarstellung der Moskauer Führung gegenüber der Komintern und der sowjetischen Führung eine Rolle. Eine Parteiführung ohne eine zentralistisch geführte Partei stellte sich selbst in Frage — so die mögliche Befürchtung. Der Aufbau einer zentralen Inlandsleitung wurde wieder zu einer vordringlichen Aufgabe. Die Moskauer Führung hatte schon ım Herbst 1939 Karl Mewis, Herbert Wehner und Hein-
rich Wiatrek beauftragt, eine Auslandsleitung mit Sitz ın Stockholm zu bilden und diese später nach Deutschland zu verlagern. Dieses Projekt konnte nicht realisiert werden. Die Verhaftung Wiatreks ım Mai 1941, Wehners im April und Mewis ım August 1942 verhinderte auch die geplante Verlegung der Auslandsleitung von Stockholm nach Kopenhagen als nächsten Schritt zu einer Inlandsleitung ın Deutschland. Von der dortigen Abschnittsleitung West waren bis zu deren Auflösung in der Folge des Hitler-Stalin-Paktes wichtige Initiativen zur Koordinierung des Widerstands in Deutschland ausgegangen. Alfred Kowalke, Instrukteur des ZK der KPD gelang es im
Spätherbst
1941
über Westdeutschland
nach
Berlin
zu
kommen und Kontakte zwischen Widerstandsgruppen ım Rhein-Ruhr-Gebiet und der Uhrig-Gruppe in Berlin herzustellen. Er wurde enger Mitarbeiter des im Januar 1942 aus Am2
Ebenda. S. 231f£.
175
sterdam ebenfalls über das Rhein-Ruhr-Gebiet in Berlin illegal eingereisten Wilhelm Knöchel. Knöchel kam dem Ziel, eine sogenannte operative Leitung der KPD im Lande aufzubauen, am
nächsten.
Bis zu seiner Verhaftung
am
30. Januar
war es thm gelungen, ein Widerstandszentrum
1943
zu schaffen,
das auch schwere Schläge des faschistischen Terrorapparates
überstand.* Nach der Zerschlagung der Knöchel-Organisation gelang es der KPD nicht wieder, ähnliche Strukturen herzustellen.
In der Parteigeschichtsschreibung der SED wurde das Bild dieser Organisation stark überzeichnet und als Indiz für die intakten Parteistrukturen der KPD im Lande genommen. Noch
ın der Druckvorlage des nicht mehr erschienenen Ban-
des 2 der SED-Geschichte hieß es: »Die 1942 bis Anfang 1943 ın Deutschland tätige neue Landesleitung der KPD um Wilhelm Knöchel und Alfred Kowalke und mit ihr in Verbindung stehende Bezirks- und andere regionale Parteiorganisationen richteten ihre Aufmerksamkeit darauf, die deutsche Friedens- und Freiheitsfront zu schaffen,
auf die das Zentralkomitee orientierte. Wilhelm Knöchel stand im Zentrum dieser Aktivitäten.«* Wie verdeutlicht wurde, geht diese Darstellung weitestgehend an der Realität des kommunistischen Widerstands im Lande vorbei. Richtig ist, daß Knöchel das einzige Mitglied des Zentralkomitees war, dem es ın der Kriegszeit gelang, eine nennenswertc Widerstandsorganisation im Lande aufzubauen. Seine Grundüberzeugungen, wie sie in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Friedenskämpfer« vertreten wurden, machen deutlich, daß er wesentliche Orientierungen des VII. Weltkongresses der Komintern und der »Brüsseler Parteikonferenz«
von
1935, an der er teilgenommen
hatte, weiter
vertrat. Wie die meisten aktiven Widerständler hegte auch Knöchel Hoffnungen über die Möglichkeiten der Mobilisierung der
3
4
Siche
umfassend
Beatrix
nistischer Widerstand
on. Bonn 1986. Geschichte der SED. S. 882.
176
Herlemann:
im Zweiten
Band
Auf verlorenem
Weltkricg.
Posten.
Kommu-
Die Knöchel-Organisati-
2 (unveröffentlichte
Druckvorlage)
[1989].
Massen und den Sturz des Hitlerregimes aus eigener Kraft. Es waren »heroische« Illusionen. Ohne sie wäre aber ein Widerstand gegen Hitler undenkbar gewesen. Und ohne den Widerstand wäre eın Neubeginn noch sehr viel schwerer geworden. Die Symbolkraft dieses Widerstands ging weit über die
häufig nur marginalen Ergebnisse hinaus.
In ihren Grundüberzeugungen gab es bei den der KPD nahestehenden oder sich als kommunistisch definierenden
Gruppen weitgehend Übereinstimmung.
Gleichwohl existier-
ten auch bemerkenswerte Unterschiede. Wir folgen hier Beatrix Herlemanns gründlicher und subtiler Analyse.’ Ein Vergleich des von Knéchel herausgegebenen »Friedenskdmpfer« mit den etwa zur gleichen Zeit herausgebrachten illegalen Schriften der Organisation um Robert Uhrig zeigt Konsens in der Einschidtzung der militidrischen und wirtschaft-
lichen Lage und den daraus abgeleiteten Handlungsoptionen. Eine deutliche und weitreichende Differenz ist jedoch bei der Sicht auf die Westmächte zu konstatieren. Knochel folgte vor-
behaltlos der sowjetischen Linie der Antihitlerkoalition, dem
Werben Stalins um die lebensnotwendige Zweite Front. Stalin hatte in seiner Rede zum 24. Jahrestag der Oktoberrevolution in einer sensationellen Volte von der » Verlogenheit des Geschwitzes der deutschen Faschisten über das angloamerikanische plutokratische Regime«® gesprochen. Es wäre nur eine kleine FleiBaufgabe, einen vergleichbaren Satz Stalins oder eines seiner Satrapen mit umgekehrtem Vorzeichen über den Hauptkriegstreiber Grof3britannien und das friedliebende Deutschland aus dem Vorjahr zu finden. Knöchel reflektierte die Widerspriichlichkeit der sowjetischen Auflenpolitik nicht. Er sah die Alternativlosigkeit dieser Politik und ordnete der Zerschlagung des Hitlerfaschismus und dem Ende des Krieges alles andere als nachrangig unter. Der von der Uhrig-Gruppe herausgegebene »Informationsdienst« von Mitte Dezember 1941 machte dagegen keinen Unterschied zwischen dem »Dollar-Imperialismus der Herren
5 6
Ebcenda. S. 118ff. »Dic Welt«. Stockholm
vom
14. November
1941.
177
Roosevelt
und Churchill
oder [dem]
Neu-Imperialismus
der
Herren Hitler und Mussolini«.’ Diese Differenzen sollten in abgewandelter Form ın den
folgenden Jahren immer wieder aufbrechen. Ein weiterer erheblicher Unterschied lag ın der von Knö-
chel angestrebten möglichst breiten Antihitlerfront, in die er gemäß der Orientierung der KPD-Führung Menschen aller Konfessionen und sozialen Schichten einbeziehen wollte. Die Uhrig-Gruppe hielt dagegen an der Klassenkampfdoktrin vergangener Zeiten fest, die auch damals schon umstritten war. Für sie blieb die angestrebte Revolution eine proletarische, so-
zialistische, während die Moskauer Führung auf eine »Volksrevolution« orientierte. Herlemann weist als Grund für die Differenzen auf den Informationsvorsprung Knöchels hin, der
aus seinen guten
Kontakten
zu Moskau
herrührte.
Dagegen
wire geltend zu machen, daß die größere Erfahrung Knöchels, seine Kenntnis der Volksfrontpolitik aus der eigenen politischen Praxis als Gewerkschaftsfunktionär doch wohl stärker ins Gewicht fallen dürften. Eine Sonderstellung ım Berliner wie ım deutschen Wider-
stand überhaupt nahm
ein.
die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe
Bis zu ihrer Zerschlagung
ım August/September
1942
wirkte sic als erfolgreiches antifaschistisches Netzwerk, das sozial breit gefachert war. Ihre Mitglieder befaßten sich neben ihrer »praktischen« Widerstandsarbeit intensiv mit Fragen der marxistischen Theorie, waren aber nie im engeren Sinne eine
kommunistische Gruppe. Eine Besonderheit war ıhre Zusam-
mcnarbeit mit dem Nachrichtendienst der Roten Armec (Rote
Kapelle). Dem wird in ciner gesonderten Studic nachgegangen.
Der Widerstand in Berlin war in der sozialen und politischen Bandbreite der linken Widerstandsgruppen cinzigartig ın Deutschland. Er stand aber nicht allein. In vielen Teilen
Deutschlands regte sich nach dem Uberfall auf die Sowjetunion der Widcrstand stérker. 7
Margot Pikarski‘Giinter Ucbel: Dic KPD lebt. Flugblitter aus dem antifaschistischen Widcerstandskampf der KPD 1933-1945. Berlin 1980. Dok. Nr. 154.
178
Im Raum Leipzig wurde trotz zahlreicher Verhaftungen im
Sommer 1941 der Kampf fortgesetzt. Mit Georg Schumann, Otto Engert, Arthur Hoffmann, Kurt Kresse, Georg Schwarz und William Zipperer standen bewährte und erfahrene Funk-
tionäre an der Spitze des Widerstandes. Interessanterweise ge-
hörten nicht, wie die SED-Geschichtsschreibung glauben machen wollte, »alle Mitglieder der Leitung zu jenen kampfgestählten Kadern, die die Partei unter Führung ihres Thälmannschen Zentralkomitees erzogen hatte«.® Sie standen eher mehrheitlich als »Rechte« oder » Versohnler« auf unorthodoxen politischen Positionen. Es gelang, Kontakte zu Sozialdemokra-
ten und anderen Hitlergegnern herzustellen und Biindnisse abzuschlieflen. So mit dem sozialdemokratischen ehemaligen
Biirgermeister Wurzens, Georg Boock, oder dem sozialdemokratischen Journalisten Richard Lehmann. Die Leipziger Kommunisten nahmen Kontakt zu auslédndischen Zwangsarbeitern auf, halfen ihnen und tauschten Informationen aus. Der Kreis um den kommunistischen Maler und Graphiker Alfred Frank, in dem sich Intellektuelle zusammengefunden hatten, unterstiitzten sowjetische Zwangsarbeiter, die unter unmenschlichen Lebensbedingungen interniert waren. In Thiiringen gelang es Theodor Neubauer und Magnus Poser
den Widerstand mehrerer Gruppen zu koordinieren. Theodor Neubauer kniipfte von seinem Wohnort Tabarz aus vielfdltige Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen. Bedeutsame Aktivitdten entwickelte auch die Gruppe BéstleinJacob-Abshagen in Hamburg. Sie vermochten eine Organisation aufzubauen, die in mehr als dreißig groBeren Hamburger Betrieben und Werften Zellen hatte. Allan Merson resiimiert den kommunistischen Widerstand von 1941 bis 1943:
8
Dcutschland im Zweiten Weltkricg. Bd. 2: Vom Ubecrfall auf dic Sowjctunion bis zur sowjctischen Gegenoffensive bei Stalingrad (Juni 1941 bis November
1942).
Berlin
1983.
S. 226.
179
kam
»Die Verhaftung Knöchels (am 30. Januar 1943 — d. Verf.) einer schweren Niederlage der KPD gleich. Genau zu
dem Zeitpunkt, als die faschistischen Heere vor Stalingrad entscheidend geschlagen wurden und man annehmen konnte, daß sich antifaschistischen Aktionen noch nie da gewesene Möglichkeiten eröffneten, war die Haupt-Untergrundorganisa-
tion ausgeschaltet und die im Entstehen begriffene zentrale Führung ın Deutschland vernichtet. Was in Berlin und in gewis-
sen Gebietszentren librigblieb, waren autonome Zellen, die nicht
unmittelbar in den Untergang der Gruppen Schulze-Boysen und >Innere Front« hineingerissen wurden [...] Die Aufgabe, diese verbliebenen Gruppen wieder zu einer weitrdumigeren Organisation zu vereinen, verlangte vor allem Leiter mit Erfahrung und Initiative, und es fanden sich frithere Funktionére der KPD, die sofort begannen, das ın Angriff zu nchmen. Einer von ithnen war Anton Saefkow, der vor 1933 als Sekretir
der KPD-Bezirksleitung Wasserkante ın Hamburg arbeitete.« Nach Gefängnis und Konzentrationslager war Saetkow 1939 nach Berlin gegangen und hatte begonnen, Kontakte zu KPDMitgliedern aufzubauen, die er aus der Weimarer Zeit kannte. Zu ihnen gehorte Robert Uhrig. Er nahm auch Verbindung zu Franz Jacob in Hamburg auf. Jacob konnte nach der Zerschlagung der Hamburger Organisation nach Berlin entkommen und im Zusammenwirken mit Saetkow zwei Jahre wirksame illegale Arbeit leisten. »Als Anfang 1943 Kndochel und seine Mitstreiter festgenommen wurden, standen Saefkow und Jacob in gewisser Weise bereit, in thre Fullstapfen zu treten. Sie hatten weitgefdcherte Kontakte sowohl in Berlin als auch zu den Leitern einiger Provinzorganisationen, die von der Polizei noch nicht überwacht
wurden,
da sie verhiltnis-
mäßig unabhingig von den wechselnden Berliner Fithrungs-
gremien
handelten.
Die wichtigsten
dieser Untergrundnetze
hatten Dr. Theodor Neubauer und Magnus Poser in Thiiringen und Georg Schumann in Leipzig gekniipft. Sie waren längst nicht das, was als eine zentrale gesamtdeutsche Organisation angestrebt wurde, stellten aber doch Anfinge dar, von
denen
aus man
cinen erncuten
Versuch
dcrartige Organisation zu schaffen.«’ 9
Ebcenda.
180
S. 243-246.
starten konnte,
eine
Mit der Wende im Kriegsverlauf nach der Schlacht um Stalingrad und am Kursker Bogen 1943 gewann der Widerstand im
Lande neuen Auftrieb. Dazu trugen auch die sich verändernden internationalen Bedingungen bei. Der Sturz des faschistischen Mussoliniregimes, der Aufschwung der nationalen Befreiungsbewegungen in den besetzten Ländern Europas und nicht zuletzt die Niederlage der Wehrmacht in Ägypten veränderten die Perspektiven des Widerstandes.'® Die Gründung des Nationalkomitees »Freies Deutschland« in der Sowjetunion
wirkte auch nach Deutschland. Die Grundidee der Sammlung aller Gegner des Hitlerregimes ungeachtet aller politischen, sozialen oder konfessionellen Unterschiede traf auf Erfahrungen des Widerstandes im Lande, der seit längerem von einem brel-
teren Verstdndnis des Widerstands unabhingig von der Parteizugehorigkeit ausging. Nachdem es der Gestapo Anfang 1943 gelungen war, die Widerstandsorganisation um Wilhelm Knöchel zu zerschlagen,
galt es die noch vorhanden
Strukturen des Widerstandes neu
zu formieren und zu vernetzen. Anton Saefkow und Franz Jacob wurden die fiihrenden Kopfe des Berliner Widerstandes. Sie bauten eine weitgefacherte Widerstandsorganisation auf. Sie umfaßte etwa zwanzig Zellen. Es gelang, Kontakte zu anderen Widerstandsorganisationen im Lande zu kniipfen. In Magdeburg wirkte eine Gruppe unter der Leitung von Martin Schwantes. In Thiiringen hatten es Magnus Poser und Theodor Neubauer vermocht, die Tätigkeit bislang unabhidngig voneinander arbeitender Gruppen zu koordinieren. In Sachsen war eine starke Organisation entstanden, deren filhrende Kopfe Georg Schumann, Otto Engert, Arthur Hoffmann, Karl Jungbluth, Georg Schwarz, William Zipperer, Alfred Kistner, Kurt Kresse und Alfred Schellenberg waren. In Dresden war die von Herbert Blochwitz und Kurt Schlosser gefithrte Gruppe tätig. In Chemnitz gelang es unter der
10 Sichc Decutschland im Zweiten Weltkricg. Bd. 4: Das Scheitern der faschistischen Dcfensivstrategic an der dcutsch-sowjetischen Front (August bis Endc 1943). Berlin 1981. S. 52ff.
181
Leitung von Ernst Enge, Albert Hähnel u. a. in mindestens 30 Betrieben Organisationen aufzubauen.
Auch im Rhein-Ruhr-Gebiet, ın Köln, Stuttgart, München und Hamburg wirkten Widerstandsgruppen.
Zentren des Widerstandes waren Berlin-Brandenburg und danach Leipzig-Westsachsen. Das betraf sowohl den Umfang der Widerstandsarbeit als auch die theoretisch-programmatischen Überlegungen in beiden Organisationen. Im Folgenden sollen vor allem die theoretischen Konzepte beider Organisationen analysiert werden.'' Für den kommunistischen Widerstand war mit der sich abzeichnenden Kriegswende die Zeit gekommen, intensiver über ein Deutschland nach Hitler nachzudenken. Jetzt ging es
Jedoch nicht mehr um lediglich in eine unbestimmte Zukunft
gerichtete Überlegungen, sondern um ein Gebot der Stunde. Stärker als in den ersten Kriegsjahren erfolgte die Mobilisierung zum Widerstand nicht nur über die Gegnerschaft zum Hitlerregime, sondern zunehmend über das Ziel: eın Deutschland ohne Faschismus. Die KPD-Führung in Moskau hatte nach ihrer desaströsen Politik in der Hitler-Stalin-Paktzeit schrittweise zurückgefun-
den zu Elementen der Volksfrontpolitik und orientierte auf eine
neue deutsche demokratische Republik, wie sie in »Briissel«
und »Bem« definiert und im Programm des Nationalkomitees
»Freies Deutschland« wieder aufgegriffen worden war.
Dic Widerstandsorganisationen im Lande hatten den inten-
siven Diskussionsprozel3 seit 1933 nur peripher verfolgen konnen. Dies erklért aber nur teilweise unterschiedliche Sichten ın Grundfragen der strategischen Orientierung. Die Linie der KPD-Fiithrung in Moskau stand im Unterschied zum Widerstand im Lande unter direktem Einfluß der sowjetischen Aullenpolitik. Diese war existentiell auf die Antihitlerkoalition mit den Westmédchten ausgerichtet. Ihr hatte sie 1943 die 11
Siche zum folgenden »Freics Deutschland« ten der Gedenkstétte und Johannes Tuchel. von Johanncs Tuchel:
ın Berlin-Brandenburg
Ursel Hochmuth: IHicgale KPD und Bewegung in Berlin und Brandenburg 1942-1945. In: SchrifDcutscher Widerstand. Hrsg. von Pcter Steinbach 1998. — Der Verf. stiitzt sich bes. auf den Beitrag Über kommunistische Ncuordnungsvorstcllungen 1943/1944.
In:
Ebcenda
(im
weitcren
Johanncs
Tuchcl: Über kommunistische Ncuordnungsvorstellungen ...). S. 22-34.
182
Komintern geopfert. Kommunistische Parteien, die die sozialistische Revolution und die Errichtung der Diktatur des Prole-
tariats zu thren Zielen erklärten, störten diese Politik.
Im kommunistischen Widerstand im Lande war zudem ein
anderer Diskurs abgelaufen, der durchaus zu eigenständigen
Ergebnissen in der Imperialismus- und Faschismusanalyse geführt hatte, wie dies in den Ausarbeitungen ım Umfeld der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe bereits aus den Jahren 1941/1942 deutlich wird. In einem Flugblatt aus dem Winter 1941/1942
hieß es: »Auch
heute noch
ließe sich die Frage
nach der Zukunft des Landes zufriedenstellend beantworten.
Aber dazu braucht Deutschland eine Regierung, die sich auf
diejenigen Volksteile stützt, die die Fähigkeit und die Macht haben, dem Volk und der Welt gegenüber eine neue deutsche Politik zu vertreten. Das sind natürlich nicht diejenigen, die Hitler an die Macht gebracht haben. Das sind nicht die Nutznießer des Regimes. Das sind vielmehr diejenigen Soldaten,
die bereit sind, das Wohl des Volkes höher zu stellen als die
Existenz von Staat und Wehrmacht
in ihrer heutigen Form.
[...] Das deutsche Volk braucht eine sozialistische Regierung
der Arbeiter, der Soldaten und der werktätigen Intelligenz. Nur durch das entschlossene Zusammengehen der volksverbundenen Kräfte in der Wehrmacht mit den besten Teilen der Arbeiterklasse und der Intelligenz kann der herrschenden Partei das Heft aus der Hand genommen werden.«'An solchen Uberlegungen ankniipfend traten vor allem Franz Jacob ab Mitte 1943 und im Friihjahr 1944 Bernhard Bistlein mit eigenstindigen Positionen fiir den kommunistischen Widerstand im Lande hervor. Wihrend Saefkow sich vor allem auf die operative Aul3enarbeit konzentrierte, leistete Jacob, der als Illegaler unter falschem Namen lebte, vornehmlich die theoretisch-publizistische Arbeit. In einem ersten Material » Aktuelle Fragen unserer Arbeit,
das als internes Material zur Meinungsbildung und Diskussion unter den Funktiondren der illegalen KPD gedacht war, analy12 Flugblatt »Dic Sorge um In: SAPMO-BArch.
NJ
Dcutschlands Zukunft geht durch das Volk«.
2 (zit. nach
Johannes
stischc Ncuordnungsvorstcllungen ... S. 26f.).
Tuchel:
Uber
kommuni-
183
sierte Franz Jacob die internationale Kräftekonstellation und
kam zu der abschließenden Wertung:
»Der deutsche Faschis-
mus ist in die letzte Etappe seiner Entwicklung eingetreten. Er
kämpft mit dem Rücken an der Wand, um die Krise, in der er sich befindet, zu meistern.«'*
Jacob ging von der Überlegung aus, daß die KPD als Kaderorganisation die Voraussetzungen schaffen müsse, um in einer gegebenen revolutionären Situation die Führung übernehmen zu können. Er setzte auf das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse. »Der Ablauf der kommenden Ereignisse in Deutschland ist darum zuerst und vor allen Dingen von unserem Vermögen oder Unvermögen abhängig, der Arbeiterklasse eine politische Führung durch die Partei zu geben.«'* Hier wie in den folgenden Ausführungen wird deutlich, daß Jacob von
der Parteiauffassung geprägt war, die sich in der Weimarer Zeit in der KPD im Prozeß ihrer Stalinisierung durchgesetzt hatte. Seine Ausführungen durchzog der Glaube, daß in einer revolutionären Situation, die mit dem Sturz des Hitlerregimes
als sicher angenommen wurde, eine marxistisch-leninistische Kaderpartei in der Lage sein würde, die Arbeiterklasse zu revolutionieren. Das Maß der Korruption von Teilen der Arbeiterklasse, ihre Entpolitisierung angesichts der seit 1933 zerschlagenen Arbeiterbewegung wurde unterschätzt, die Möglichkeiten der marginalisierten KPD überschätzt. Dieses Parteiverständnis äußerte sıch auch im historischen Rückblick: »Der erste Versuch, ım Jahre 1918 in einer akut revolutionären Situation die proletarische Staatsmacht aufzurichten, scheiterte, weil nur die Ansätze einer wirklich
kommunistischen such,
im Jahre
Partei vorhanden waren.
1923
den entscheidenden
Der zweite Ver-
Schlag
zu führen,
ging fehl, weil die Führung der bereits vorhandenen
versagte.«'>
Partei
Dieser Glaube an die Möglichkeiten der marxistisch-leninistischen Kaderpartei prägte auch die Sicht auf die Perspektiven. Die Sammlung aller antifaschistischen Kräfte wurde zunächst vor allem unter taktischem Kalkül gesehen. »In der 13 Aktucllec Fragen unscrer Arbeit. In: Ebenda. S. 274. 14 Ebcnda. 15 Ebcenda.
184
ersten Etappe der Entwicklung des Widerstands gegen das Hitlerregime, in der politischen Krise des deutschen Faschismus und des Herannahens der militärischen Katastrophe besteht unsere entscheidende Aufgabe in der Sammlung aller antifaschistischen Kräfte unter einem Ziel: Fort mit Hitler — Schluß
mit dem Krieg.«'® Obwohl in diesem Material das Nationalkomitee »Freies
Deutschland« noch nicht erwähnt wird, nimmt es die zentrale
Losung des NKFD auf. In der Ausdeutung dieser Losung zeigen sich jedoch Unterschiede. »Die Konkretisierung dieser
beiden Losungen bietet uns Gelegenheit, zu zwei großen, alle Menschen bewegenden Fragen Stellung zu nehmen. Das Her-
ausstellen unserer sozialistischen Losung bewahren wir uns für die Zeit, wo die Entwicklung der innenpolitischen Lage in Deutschland aus dem Stadium der Erwartung in das Stadium des Handelns übergegangen ist.«'7 Im Material 2, das etwa zeıtgleich entstand, ging Jacob ausführlicher auf diese strategische Grundfrage ein. Tuchel bezeichnet dieses Dokument »als erste programmatische Ausarbeitung der illegalen KPD ım Raum Berlin-Brandenburg«.'® Wiederum zentrierte Jacob seinen Focus auf die Rolle der Partel: »Gelingt es uns, der Arbeiterklasse eine politische Führung
zu geben, die durch ihre entschlossene Politik und ihr kühnes
sicheres Auftreten Vertrauen zu ihrer Stabilität zu erwecken vermag, so wird nicht nur mancher Schwarzseher und Pessimist in unseren eigenen Reihen, sondern mancher unserer Klassenfeinde fassungslos vor dem Ausmaß der sich entfaltenden revolutiondren Energie stehen. Dic Arbeiterklasse gleicht einem Hochofen, in dessen Inneren es girt und brodelt
— heute noch unter der Oberfliche —, der aber ausbricht und
alle Widerstinde verschlingen wird, wenn einmal durch eine starke Hand nur eines der Ventile ge6ffnet wird. Die Arbeiter in Deutschland warten geradezu darauf, daß wir — der revolutiondre Vortrupp — ihnen das BewufBtsein ihrer eigenen Kraft zuriickgeben. Nichts ist falscher und unmarxistischer, als auf spontane Aktionen der Massen rechnen und warten zu wollen. 16 Ebenda. S. 279 (Hervorhebung im Original). 17 Ebcnda. 18 Ebcnda. S. 28.
185
Die Erfahrungen von Generationen Proletarier sind auch nach
zehn Jahren faschistischer Diktatur nicht verlorengegangen.«'* Die geschichtliche Entwicklung sollte zeigen, daß Franz
Jacob das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse und die Möglichkeiten ihrer Mobilisierung durch eine »bolschewistische Partei« stark überschätzte. Er erkannte, daß eine solche
Partei noch nicht existierte: »Wir wären Fantasten und Aufschneider, wollten wir behaupten, diese Partei wäre heute schon vorhanden.«“ Dıe Vorstellungen vom Szenario des Kriegsendes waren naturgemäß geprägt durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegskrise. »Die Beendigung des europäischen Kricges wird ın Deutschland von einer akut revolutionären Situation begleitet sein. Militdrischer Zusammenbruch und politische Katastrophe schaffen einen Zustand, in dem das Proletariat und die werktdtigen Massen nicht mehr wie bisher leben wollen, das
Biirgertum
nicht mehr
wie
bisher leben
kann,
das
Staatsgcfiige, cinschlieBlich seiner bewaffneten Formationen, zersetzt ist und auseinanderzufallen droht und das Proletariat dic Macht iibernehmen kann, wenn es selbst genügend geriistet 1st und
über
Kraftreserven
und
Bundesgenossen
ver-
fügt.[...] Europa ist reif zur europdischen Revolution wie nie ZUVOF.«'
Jacob erkannte, daß nach dem Sturz Hitlers »die Macht in
Deutschland nicht unmittelbar aus den Händen Hitlers von einem Tag auf den anderen ın unsere cigenen übergehen wird. Aber wir konzentrieren unsere ganze Kraft darauf, die nicht zu vermeidende Periode des Übergangs soweit wie möglich abzukürzen.«“ Jacob brachte das taktische Kalkül der Berliner Organisation im Verhältnis zur Linie der Moskauer Parteiführung abschlieBend auf den Punkt: »Solange der Faschismus nicht beseitigt und der Krieg nicht beendet ist, sind wir Kommunisten bereit, unter Hintanstellung aller weitergehenden Forderungen mit all jenen politischen Kräften, die gleich uns das 19 20 21 22
Ebcnda. S. 299. Ebenda. Ebenda. S. 279 (Hervorhebung ım Original). Ebenda. S. 301.
186
Hitler-Regime stürzen wollen, ein Stück Weges gemeinsam zu gehen. Wir stehen darum vorbehaltlos und unzweideutig auf dem Boden der Proklamation des nationalen Komitees Freies Deutschland.«* Mit dem Herannahen des Endes des Hitler-Regimes stellte
sich für die kommunistischen Antifaschisten die nationale Frage neu. Sie setzten sich gegen die faschistischen Verleumdun-
gen zur Wehr, Landesverridter und Handlanger einer fremden Macht zu sein. »Wir wollen keine militdrische Katastrophe,
sondern im Gegenteil ithre Vermeidung, um dem deutschen Volk die ganzen Schrecken einer langwierigen Besetzung durch fremde Armeen zu ersparen. Wir wiinschen, daß vor
der endgiiltigen militdrischen Niederlage die deutsche Wehr-
macht unter einer ncuen Führung in neuem Geist auf die Grenzen des Reiches zuriickgefiihrt wird, damit eine wirkliche Regierung des deutschen Volkes den heutigen Kriegsgegnern Waffenstillstand und Frieden anbieten kann.«** In einem weiteren Dokument vom November/Dezember 1943 artikulierte Jacob die Position der Berlin/Brandenburger Organisation noch schärfer: »Jeder Kompromif, jedes Biind-
nis, das
uns
dem
Sturz
der faschistischen
Diktatur
einen
Schritt ndher bringt und uns irgendwelche Moglichkeiten zur legalen politischen und organisatorischen Arbeit bietet, ist darum nicht nur erlaubt, sondern muß geradezu gebieterisch verlangt werden.«? Gleichzeitig beharrte Jacob jedoch auf den kommunistischen Maximalzielen, die in Moskau völlig in den Hintergrund
getreten waren.
»Kein Biindnis und kein Kompromif3, das wir heute einge-
hen, kann und wird uns daran hindern, alles zu tun, um die
politischen und organisatorischen Vorbereitungen ın der Arbeiterklasse selbst zu treffen zur Bildung von Arbeiterrdten. Unsere Kader in den Betrieben sind die ersten Ansatzpunkte, aus denen unter Hinzuziehung aller revolutiondren Elemente in den Betrieben, betriebliche Interessenvertretungen, revolutionire
23 24 25
Ebenda. Ebenda. S. 302. Ebenda. S. 312.
187
Vertrauensleute und letzthin politische Arbeiterräte erwachsen müssen.«-*
In »Leitsätzen zu unserer Einheitsfrontpolitik«, dıe wahr-
scheinlich einen Beschluß der Leitung der Berliner Organisati-
on darstellten, wird diese Position weiter verdeutlicht.
Einheitsfrontpolitik wurde verstanden als »ein festes politisches und organisatorisches Bündnis« mit allen »ehrlichen sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Arbeitern und thren Organisationen«, dessen Ziel »über die Zusammenarbeit
ım Nationalkomitee hinaus« der »gemeinsame Kampf fiir die Errichtung der Diktatur des Proletariats« sei.”’ Diese verengte Sicht auf die Einheitsfrontpolitik stand in cinem merkwiirdigen Kontrast zur praktischen Widerstandsarbeit, die wesentlich weiter griff. Bedeutsame Aktivitdten entwickelte auch die Gruppe Bäst-
lcin-Jacob-Abshagen in Hamburg. Sie vermochten eine Organisation aufzubauen, die in mehr als dreißig größeren Hamburger Betrieben und Werften Zellen hatte. Bemerkenswert fiir das Selbstverstindnis der kommuni-
stischen Funktiondre im Lande und für ihre Lernprozesse ist der unvollendete Entwurf eines Diskussionsbeitrages Franz
Jacobs fiir eine Beratung der illegalen KPD in Berlin vom Januar 1944.-* Unter der Uberschrift »Die Kommunisten als Vollzieher der nationalen Mission des deutschen Volkes« reflektierte Jacob über die Verdnderungen ın den Losungen des NKFD. Er konstatierte in deren Sendungen »eine bemerkenswerte Anderung. Wihrend ım vergangenen Jahr das Schwergewicht der Forderungen auf die freiwillige, geordnete Zuriicknahme der deutschen Truppen auf die Reichsgrenze gelegt worden sei, wiirde jetzt klar ausgesprochen, daß durch die militdrischen Ereignisse diese Moglichkeit zu einem fiir Volk und Heimat ertriglichen Kriegsende nicht mehr gegeben sei. Das Nationalkomitee fordere nunmehr, zur Beendigung des Krieges Einheiten der Wehrmacht als geschlossene Truppenteile zu iiberfithren und zur Vertiigung des Nationalkomitees zu stellen. 26 27 28
Ebenda. Ebenda. S. 315. Ebenda. S. 319-323.
188
Dies war für Jacob Anlaß, »den Charakter der gesamten
N.K.-Arbeit
zu untersuchen,
um
festzustellen,
welche
Per-
spektiven sich daraus für die kommunistische Taktik der gesamten nächsten Zeit ergeben«. Scharfsinnig erkannte Jacob
die beiden
Optionen
der perspektivischen
Entwicklung
des
NKFD. »Die Frage ist: Ist das N.K. lediglich eine von den Russen zugelassene und geförderte Methodik zur Zersetzung der deutschen Front im Osten und darum eine mit dem militärischen Zusammenbruch gleichfalls erledigte Angelegenheit oder ist das N.K. dasjenige politische Instrument, das berufen ist, die innerpolitische Entwicklung in Deutschland auf lange Sicht, auch nach Beendigung des Krieges, maßgeblich zu bestimmen?« Er erfaßte, daß das Nationalkomitee auch Gegenstand weltpolitischer Konstellationen ın den Verhandlungen der Sowjetunion mit den Alliterten geworden war. Ihn bewegte die Frage, ob sich mit dem NKFD »im Keim Elemente einer Staatsgewalt für das Nachhitlerdeutschland zu bilden« begannen. »lhre Art und Struktur kann uns nicht gleichgültig sein.«° Die folgenden Gedanken belegen ein erstaunliches reflexibles theoretisches Niveau der Überlegungen Jacobs: »Das Festhalten an Prinzipien, die sich aus dem fundamentalen Gebäude unserer Weltanschauung ergeben, ist unsere größte Stärke, aber auch oftmals eine Schwäche, die uns hindert, alle
sich bietenden Möglichkeiten der politischen Entwicklung mit größtmöglichem Erfolg auszuwerten. Wir kleben oftmals an überholten Vorstellungen. Eine dieser Vorstellungen ist das theoretische Schema vom Ablauf einer politischen Krise, die
mit dem Ubergang der Macht in die Hände des Proletariats enden soll. Dennoch fällt demjenigen im Augenblick des chaotischen Zusammenbruchs eines politischen Systems dic Macht in die Hände, der am entschlossensten danach greift.«’! Fiir die KPD sei es nicht wiinschenswert unmittelbar nach dem Sturz Hitlers die Macht anzutreten. Jacob entwickelte drei Griinde fiir diese Option: wirtschaftliche, weltpolitische und Reife des subjektiven Faktors. »Diese 3 angefiihrten 29 Ebenda. S. 319. 30 Ebcnda. S. 320 (Hervorhebung im Original). 31 Ebcenda.
189
Gründe lassen mir eine Übergangsperiode nicht nur als unvermeidlich, sondern auch als notwendig erscheinen.«
Die Politik der KPD — so Franz Jacob — dürfe nıcht an alten Maßstäben gemessen werden. »Es gibt keine analogen Vergleiche aus der Vergangenheit unserer eigenen Partei. Sie ist weit mehr als eine Neuauflage bestimmter Einheitsfront-
kampagnen und steht auf einem weit höheren Niveau, als die Programmerklärung vom Juni 1930 zur nationalen und sozialen Befreiung. Maßstäbe nicht im einzelnen, sondern im Prinzıp ergeben sich jedoch in der Politik der französischen Partei und ın Parteien aus dem Balkan. Sie eingehend zu beobachten, ist für jeden Genossen dringend notwendig.«-“ Diese bemerkenswerten Überlegungen Jacobs zeugen von
dem hohen Niveau der theoretischen Diskussion in der Berli-
ner Organisation. Davon zeugt auch die Tatsache, daß die Ausarbeitungen Jacobs offenkundig Gegenstand intensiver Diskussionen waren. Diese Debatten sind nicht überliefert. Eine persönliche Erklärung Franz Jacobs zu den strittigen Fragen verdeutlicht jedoch die Tendenz. Einige Genossen hätten
den Versuch
gemacht,
schreibt Jacob,
nachzuweisen,
daß er
die politische Bedeutung und den Wert des Anschlusses unserer Partei an die Bewegung »Freies Deutschland« unterschät-
ze. Jacob setzte dagegen seine grundsätzliche Haltung zum NKFD. »1. Vorbehaltlos und unzweideutig unter Außerachtlassung aller weitergehenden politischen, sozialen und gesellschaftlichen Auffassungen haben sich die Kommunisten in diese Bewegung eingegliedert, bis Hitler und der Faschismus in Deutschland gestürzt und der Krieg beendet ist. 2. Mit dem Ende des Krieges und der Beseitigung Hitlers beginnt eine Periode, in der die Partei alle Kräfte einsetzt, um
dic selbständigen Klassenkräfte der Arbeiterschaft in solchem Umfange zu entwickeln, daß aus der antifaschistischen Revo-
lution eine proletarische wird, die mit der Ubernahme der ge-
samten Macht durch die Arbeiterklasse endet. 3. Dieser Versuch, die antifaschistische Revolution weiter-
zutreiben, wird sich zweifellos zunächst im Rahmen
der Be-
wegung »Freies Deutschland« vollziehen. Ob er bis zum Ende 32 Ebenda. S. 323.
190
ın diesem
Rahmen
bleibt, oder ihn auf einer gewissen
Ent-
wicklungsstufe sprengt und uns zu Gegnern dieser Bewegung
macht, ıst abhängig davon, welchen Einfluß wir in dieser Bewegung zu erobern vermögen.«* War hier noch ein taktischer Vorbehalt in der Hoffnung
auf eine rasche Revolutionierung der Arbeitermassen nach dem Sturz Hitlers erkennbar, gingen die Berliner Kommunisten in den folgenden Wochen und Monaten weitere Schritte auf dem Wege zu einer breiten Bündnispolitik. Besonders in dem umfangreichen Mai-Material »Auf dem Wege zur Macht! Arbeiterklasse und demokratische Revolution«*™ formulierten die Verfasser ihr Konzept der antifaschistischen Umwälzung nach dem Sturz Hitlers. Sie unterschieden in ihrem Zwei-PhasenModell zwischen strategischen und taktischen Losungen und orientierten für die erste Etappe im Sinne des Aufrufs des NKFD auf die Hauptlosung »Fort mit Hitler und dem Faschismus — Schluß mit dem Krieg! Rettung des deutschen Volkes — Rettung des Deutschen Reiches!«** Sie forderten eine »Demokratie neuen Typus«, die nicht mehr die biirgerliche Demokratie der Weimarer Republik, aber noch nicht die proletarısche
Demokratie sei. Als Propaganda-Losung, die von den Agitations- und Aktionslosungen unterschieden wurden, beharrten
die Verfasser auf dem strategischen Hauptziel, dem Kampf um die Diktatur des Proletariats. Damit unterschied sich diese
Orientierung
von
der Linie der Moskauer
Fiihrung,
die dic
Forderung nach Errichtung der Diktatur des Proletariats aus ihren Proklamationen zuriickgenommen hatte und auf die »neue, demokratische Republik« und die Einheitspartei der Arbeiterklasse orientierte. Der »Block der kimpferischen Demo-
kratie«
war
das
Instrument,
mit dem
die antifaschistische
Umwälzung bewiltigt werden sollte. Neben den strategischen Fragen der Perspektiven des antifaschistischen Widerstandes und der Einschitzung der internationalen Lage, insbesonderc des Kriegsverlaufs, spielten auch Aspekte der Faschismusanalyse cine wesentliche Rolle in den theoretischen Diskussionen der Berliner Kommunisten. 33 34 35
Ebenda. S. 356. Ebenda. S. 386—429. Ebenda. S. 422.
191
Unter den leitenden Funktionären zirkulierte die Schrift » Vom Wesen
des Faschismus«,’®
in der versucht
wurde,
über die
unter Mitarbeit von Guddorf,
Harnack
Dimitroffsche Definition von 1935 hinausgehend, die Spezifik der faschistischen Massenbasis zu erfassen und nach der Niederlage von Stalingrad den »Faschismus ın der Krise« zu analysieren. Johannes Tuchel schätzt ein, daß dieses Dokument und die Schrift »Am Beginn der letzten Phase des Krieges« neben
der 1941/1942
u. a. entstandenen Schrift »Die wirtschaftlichen Grundlagen des nationalsozialistischen Deutschland« zu den wichtigsten faschismusanalytischen Dokumenten des kommunistischen Widerstandes in der Kriegszeit zählen. Die Berliner Organisation war die mit Abstand stärkste Widerstandsgruppe ın der zweiten Kriegshälfte ın Deutschland. Ohne direkten Kontakt zur Moskauer Führung, orientierte sie sich an Rundfunksendungen des NKFD und Schriften und Zeitungen, die sie von der Stockholmer Exil-Gruppe der KPD erhielt. Sie entwickelte eigenständige programmatische Überlegungen, über die sie mit anderen Widerstandsgruppen in Deutschland, besonders ın Sachsen und Thiiringen, kommunizierte. Sachsen,
besonders
Leipzig-Westsachsen
war das zweit-
wichtigste Zentrum des kommunistischen Widerstandes.?® Leipzig wics am Ende der Weimarer Republik ein noch relativ intaktes linksproletarisches Milieu auf. Weiter zuriickreichende Traditionen als eine der Wiegen der deutschen Arbeiterbewegung, Griindungsort des ADAV, eines der Zentren der linken Sozialdemokratie mit der Leipziger Volkszeitung als ihrem Sprachrohr, USPD-Hochburg,
wirkten fort. Die Stadt er-
warb sich nach 1933 den Ruf der »Reichs-Nein-Stadt«. Nach Erfahrungen mit Zuchthaus und Konzentrationslager begann sich der Leipziger Widerstand seit 1942 neu zu formieren. Es entstand jedoch keine geschlossene Bezirksorgani36 Ebcnda. S. 375-381. 37 Ebenda. S. 32. 38 Siche dazu In der Revolution geboren. In Geschichte der KPD-Bezirksorganisation 1986. — Carsten Voigt: Kommunistischer 1944. Magistcrarbeit Leipzig 2001. Siche teraturhinweisc.
192
den Klassenkämpfen bewährt. Leipzig-Westsachsen. Leipzig Widcerstand in Leipzig 1943/ hier auch weiterführende Li-
sation,
wie
es die SED-Parteigeschichtsschreibung
glauben
machen wollte. Führender Kopf des Leipziger Widerstandes war zweifellos Georg Schumann. Als Gründungsmitglied der KPD, Funktio-
när der Partei auf verschiedenen Ebenen, darunter Politischer
Sekretär der KPD Leipzig-Westsachsen, Reichstagsabgeordneter von 1928 bis 1933, verkörperte Schumann die besten
Traditionen der KPD und besaß hohe Autorität unter der Leip-
ziger Arbeiterschaft. Als Vertreter der sogenannten » Versohnler« war er 1928 gegen die ultralinke Wende in Politik von KPD und Komintern aufgetreten und hatte in der »WittorfAffäre«, einem Korruptionsskandal, in den Ernst Thälmann verwickelt war, Position gegen diesen bezogen. Das kostete ihn seine Stellung als Pol-Sekretdr der Bezirksleitung. Gemeinsam mit Otto Engert stellte er 1942 Uberlegungen an, wie die illegale Arbeit zu organisieren sei. Otto Engert war ehemaliger Thiiringer Landtagsabgeordneter. Auch er kam aus dem »rechten« Fliigel der KPD, gehorte der KPD-Opposition an. In der Anklageschrift hieß es spéter: »Im Friihjahr 1943 ka-
men beide dahin überein, die kommunistischen und sozialisti-
schen Arbeiter in einer Organisation zusammenzufassen, die spiter einmal in der Lage sein sollte, unter Ausschaltung der
gegenwirtigen
Machtfaktoren eine Anderung der politischen
Verhiltnisse durchzusetzen. Zur gegenseitigen Verstdndigung und einheitlichen Ausrichtung der zu erfassenden Personenkreise arbeiteten Schumann und Engert gemeinsam Richtlinien
aus, die sie in einer mit >Leitsdtze zur Liquidierung des impe-
rialistischen Kricges und der Naziherrschaft« bezeichneten und »Plattform« genannten Flugschrift niederlegten.«*’ Eine zweite Gruppe entstand um William Zipperer, Arthur Hoffman und Erich Jungbluth, eine dritte um Rudolf Hardtmann, Kurt Rossberg und Karl Plesse. Die Gruppen waren
keine
festabgeschlossenen
hierarchischen
Strukturcn,
die
Gruppenbildungen vermischten sich sehr stark. Mit der Griindung des NKFD im Juli 1943 ın Krasnogorsk bei Moskau intensivierten sich auch die Debatten in den Widerstandsgruppen Leipzigs. Wihrend die Gruppe um Schumann 39 Zitiert nach Carsten Voigt: Kommunistischer Widerstand 1943/1944. Magistcrarbeit Leipzig 2001. S. 56.
in Lcipzig
193
und
Engert
weitgehend
mit den
Positionen
der Jacob-Saef-
kow-Organisation übereinstimmten, denen sich auch Theodor
Neubauer anschloß, fanden sich die beiden anderen Gruppen
durch die Position des NKFD bestätigt. Zündstoff bot vor allem die Frage nach der Haltung zur Beendigung des Krieges. Während Schumann auf die Stärke des Proletariats setzte und davon ausging, daß das Proletariat aus eigener Kraft in der Lage seı den Faschismus zu stürzen, die proletarische Revolution auf die Tagesordnung zu setzen und gemeinsam mit der Sowjetunion den Kampf gegen die Westmichte bis zum Sieg
der proletarischen Revolution weiterzufiihren, teilten die anderen Gruppen diesc optimistische Einschiatzung der Stärke des
Proletariats nicht. In threm
Erinnerungsbericht
schrieben Karl Plesse und Kurt Rossberg: Das Proletariat konne den Faschismus
von
1945
nicht aus eigener
Kraft stiirzen und die proletarische Revolution ausldsen. »Es
galt also mit allen demokratischen Kriaften den Kampf um die Demokratie und die demokratische Republik zu führen. [...]
Die Schaffung einer breiten Einheits- und Volksfront des gan-
zen Volkes fiir demokratische Ubergangsldosungen, fiir Frieden und Demokratie war der Standpunkt dicser Gruppe. Also
keine Klassenlosungen
und keine Parteiprogramme.
Nicht
Diktatur des Proletariats, sondern demokratische Republik.«*
Hauptdifferenz in den Diskussionen war die Einschdtzung des Charakters des Krieges. Daraus ergaben sich vollig unterschicdliche Sichten auf die Rolle der Westmichte. Georg Schumann verstand den Krieg als imperialistischen Krieg,
an dessen Ausbruch
die Westmichte
cine Mitschuld
trugen. Die zunchmende Verdnderung des Charakters des Krieges ın cinen antifaschistischen Krieg der Alliierten und der nationalen Befreiungsbewegungen gegen Hitlerdeutschland und seine Verbiindeten erfaßte er nicht. Die Gruppe um Hardtmann ging dagegen von einem faschistischen Kricg aus, bestritt die Mitschuld der Westméchte 40 Karl Plessc/Kurt Rossberg: Illegaler Kampf. StAL. 1V/5/01/442. BlI. 50 41
(zit. nach cbenda.
S. 56).
Siche Leitsitze über die Liquidicrung des imperialistischen Kricges und Naztherrschaft. In: Ilse Krause: Dic Schumann-Engert-Kresse-Gruppe. Matcrialicn und Dokumente des illcgalen antifaschistischen Kampfes (Leipzig 1943-1945). Berlin 1960. S.129.
194
am Überfall auf Polen und sah diese in einer antifaschistischen Koalition mit der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland.* Im Verlaufe des Jahres
1943 und Anfang
1944 kam es zu
einer Annäherung der Standpunkte der Leipziger Widerstands-
gruppen auf der Basis der Programmatik des NKFD. Schumann und Engert — so Carsten Voigt — bewegten sich auf die Linie des NKFD zu.* In einer dritten Fassung der
»Leitsätze« sind zwar noch deutliche Unterschiede feststellbar, tendenziell wird jedoch deutlich, daß sich auch im Kontakt zur Saefkow-Jacob-Gruppe in Berlin und Theodor Neubauer ın Thüringen zunehmende Übereinstimmung durchsetzte. In der illegalen Zeitung »Widerstand gegen Krieg und Naziherrschaft«** vom März 1944 wurde demzufolge neben den NKFD-Losungen, Sturz des Naziregimes und Beendigung des Krieges, die Bildung einer Volksfrontregierung gefordert. Dennoch gelang es noch nicht, eine einheitliche Organisation ım Sinne des NKFD zu schaffen, da die Gruppe um Schumann und Engert auf den Positionen der Plattform beharrten. Schließlich gelang im Mai 1944 eine Verständigung der Leipziger Gruppen auf der Grundlage der Berliner Plattform der
Jacob-Saefkow-Gruppe »Wir Kommunisten und das National-
komitee Freies Deutschland«. »Die Berliner Plattform war ein Kompromiß für die Leipzıger Gruppen. Während die Hardtmann-Gruppe zufrieden sein konnte, daß endlich auf die Einigung aller Antifaschisten hingearbeitet
wurde,
bot sie für die Schumann-Gruppe
die
Perspektive der Verwirklichung einer sozialistischen Republik.«* Bei
einem
weiteren
Treffen
von
Neubauer,
Saefkow,
Schumann und Engert kurz nach Ostern in Leipzig war wie42 Siche Verhor Otto Engert 25. Juli 1944. BA.NJ 1524. Bd. 8. Bl. 37 (zit. nach Carsten Voigt: Kommunistischer Widerstand in Leipzig 1943/ 1944, Magistcrarbceit Leipzig 2001. S. 57). 43 Sichc Carsten Voigt: Kommunistischer Widerstand in Leipzig 1943/44. Magistcrarbeit Leipzig 2001. S. 63 . 44 Ilsc Krausc: Dic Schumann-Engert-Kresse-Gruppe. Matcrialien und Dokumcntc des illcgalen antifaschistischen Kampfes (Leipzig 1943-1945). Berlin 1960. S. 133-138. 45 Carsten Voigt: Kommunistischer Widerstand in Leipzig 1943/44. Magisterarbeit Leipzig 2001. S. 68.
195
derum die wichtigste Frage die nach der Bewertung der Programmatik
des NKFD.
Georg
Schumann
verdeutlichte
dies
nach seiner Verhaftung ım Verhör. Man stand vor der Frage,
ob die »Bewegung »Freies Deutschland« nur eine PropagandaThese sei, oder ob wir die proklamatorischen Ziele nach einem
evt. Zusammenbruch des Nazi-Deutschland verwirklichen würden. >Kurt« [Saefkow] und ich gingen darin einig, daß man die von uns nunmehr angestrebte Volksfrontpolitik auch nach dem Kriege in einem demokratischen Deutschland verwirklichen miisse, wihrend Dr. Neubauer diese Bewegung »Freies Deutschland« eben nur als Tarnung bezeichnete. «* Obwohl nach dem Stand der heutigen Forschung und befreit von ideologischen Vorgaben, die zentralistisch gefiihrten Bezirksleitungen und eine von der Moskauer KPD-Fiihrung angeleitete Inlandsleitung ins Reich der Legende verwiesen werden miissen, ist die Zusammenarbeit besonders der Berli-
ner, der Sdchsischen und der Thiiringer Widerstandsorganisationen hoch zu bewerten. Auf gleicher Augenhöhe und mit durchaus eigenstdndigen theoretisch-programmatischen Ansdtzen leisteten die Widerstandsorganisationen ihre Arbeit. Unter ginzlich anderen Bedingungen leisteten Kommunisten in Zuchthdusern, Gefiangnissen und Konzentrationslagern Widerstand gegen das Hitlerregime. Es entstanden unter maßgeblicher Beteiligung von Kommunisten ın verschiedenen Lagern illegale internationale Lagerkomitees, die zunehmend den Widerstand organisierten und leiteten. Im KZ Sachsenhausen war nach der Zerschlagung der Berliner Widerstandsorganisation um Wilhelm Kndchel eine schwierige Situation entstanden. Die Gestapo hatte die Kontakte zwischen der kommunistischen Widerstandsgruppe im Lager und der Knochel-Organisation entdeckt und daraufhin zahlreiche Verhaftungen und Verlegungen von Hiftlingen in andere Lager vorgenommen. Kommunisten wurden aus Lagerfunktionen entfernt. In einem hartndckigen Kampf gegen die SS und deren kriminelle Helfer rangen dic Kommunisten um crneutc EinfluBmoglichkeiten in der Héftlingsverwaltung. In den Auflenkommandos gelang es, Kontakte zur Bevolkerung
46
Verhorprotokoll da. S. 112).
196
Schumann.
BA.
NJ
1524,
Bd. 8. Bl. 22 (zit. nach cben-
und zu Widerstandsgruppen herzustellen. In den Oranienburger Heinkelwerken gelang es, Häftlingen im Kontakt mit Arbeitern Sabotageaktionen in der Flugzeugproduktion durchzufiihren. Widerstand ın Zuchthäusern, Gefängnissen und Konzentrationslagern war aber überwiegend konzentriert auf solidarıschen Zusammenhalt der politischen Häftlinge. Dabei spielte die politische Diskussion und die Schulungsarbeit eine wesentliche Rolle. Seit der Gründung des NKFD wurde intensiv über Ziele und Charakter der Bewegung diskutiert. Max Opitz berichtete in seinen Erinnerungen: »Die Nachricht [über die Griindung des NKFD] wurde über die geheimen Radiogerite und über die Verbindung zur illegalen KPD bekannt und ging
wie
ein Lauffeuer
durch
die Reihen
der Aktiven
im Lager
Sachsenhausen.«*’ Im KZ Buchenwald organisierte die Leitung der kommunistischen Widerstandsgruppe illegale Schulungen.*® In der Zeit des Krieges bildeten sich folgende Formen heraus: systematische Schulungen in Dreier- oder Fiinfergruppen des Parteiaktivs, Bildung von kleinen Schulungsgruppen, die nicht mit den Organisationsformen des Aktivs identisch waren und an denen auch Parteilose oder Mitglieder anderer Arbeiterparteien teilnahmen und Zusammenkiinfte anldBlich des 1. Mai oder anderer Feier- und Kampftage der internationalen Arbeiterbewegung. Walter Bartel berichtete unmittelbar nach der Befreiung über den Inhalt der Schulungsarbeit. Folgende Themen standen im Mittelpunkt der Diskussion: 47 Max Opitz: Widcerstand im Konzentrationslager Sachscnhausen. In: Im Kampf bewihrt. Erinncrungen deutscher Genossen an den antifaschistischen Widerstand 1933 bis 1945. Hrsg. von Hcinz Voßke. Berlin 1969. S. 168f. 48 Sichc Dcutschland im Zwciten Weltkricg. Bd. 4: Das Scheitern der faschistischen Defensivstratcgic an der deutsch-sowjctischen Front (August bis Ende 1943). Berlin 1981. S. 562f. — Erhard Pachaly: Antifaschistische Propagandaarbceit des illcgalen Partciaktivs der KPD ım KZ Buchenwald. In: Marxistisch-Ieninistische Thcoric und Propaganda im Kampf gcgen Faschismus und Kricg. Arbeitsmatcrial cincs gemeinsamen
Kolloquiums idcologischen der Gedenkzember 1988.
der Forschungsgruppe Geschichte der theorctischen und Arbeit der KPD am FMI der Karl-Marx-Universitdt und und Bildungsstétte Schonciche-Fichtenau am 1. und 2. DeHrsg. von Klaus Kinner. Leipzig 1989 (im weitcren Erhard
197
— Probleme des Leninismus; — die nationale Frage;
— die sowjetische Verfassung; — das Programm des Nationalkomitees »Freies Deutschland«; — die Voraussetzungen Front;
und
Notwendigkeiten
der zweiten
— Imperialismus und Sozialismus;
— Lehren der Partisanenbewegung ın Jugoslawien.
Die Bildungsarbeit wurde getragen von erfahrenen Funktionären der KPD wie Theodor Neubauer oder Walter Stoekker. Andere wie Albert Kuntz, Walter Bartel oder Rudi Jahn
waren Absolventen der Internationalen Lenin-Schule der Komintern. Insgesamt waren zwölf Absolventen der Lenin-Schule Häftlinge in Buchenwald. Es ist natürlich davon auszugehen, daß der stalinisierte Leninismus Grundlage der Bildungsarbeit war. In ihren Formen mußte die Bildungsarbeit die Gegebenheiten des SS-Terrors berücksichtigen. Walter Bartel berichtete darüber: »Nach zwei oder drei Wochen meines Aufenthaltes in Buchenwald sagte mir Albert Kuntz, mit mir wäre alles ın Ordnung. Er meinte damit, daß die Befragung der Parteimitglieder,
die mich aus dem Zuchthaus und der Emigration kannten, eın positives Resultat habe. Ich wußte damals noch nicht, daß Albert Kuntz der Leiter der ıllegalen Organisation der KPD ın Buchenwald war. Mit der Mitteilung verband er den Vorschlag, ich möge sonntags nachmittags mit zwei oder drei Freunden [...] über den VII. Weltkongreß und die Brüsseler Parteikonferenz sprechen. Das geschah auf folgende Weise: Am Sonntagnachmittag kam ein mir unbekannter Kumpel in den Block, sprach mich mit dem Vornamen an und lud mich zu cinem Spaziergang ein. Auf der Lagerstraße warteten zwei anderc Freunde. Mit ihnen ging ich eine halbe bis dreiviertel Stunde spazieren, ohne zu wissen, daß wir von Freunden beobachtet wurden. Sie hatten dafür zu sorgen, daß kein Spitzel uns verfolgte und vielleicht noch etwas hören konnte.«** Pachaly: Antifaschistischc Propagandaarbcit dcs illcgalen Partciaktivs
der KPD
im KZ Buchenwald
...). S. 57-72.
49 Dokumentationszentrum der staatlichen Archivverwaltung beim Ministerıum des Innem der DDR. Archiv: KZ und Haftanstalten Buchenwald. Bestand 57. Skizze der Geschichte des Partciaktivs KL. Buchenwald.
198
Die Debatten im Rahmen dieser Bildungsarbeit verliefen nicht konfliktfrei. Vor allem jlingere Partei- und KJVD-Mitglieder hatten Vorbehalte gegeniiber der Politik des VII. Weltkon-
gresses der Komintern und der »Briisseler« Parteikonferenz.
Ihnen bereitete vor allem die Politik des »Trojanischen Pferdes« Schwierigkeiten. Diese insgesamt in der Tat eher wenig erfolgreiche Politik der KPD hatte allerdings fiir die Politik der Kommunisten in den Konzentrationslagern Bedeutung. Das Verstiandnis fiir diese Politik war eine Voraussetzung dafiir, ım
KZ um Hiftlingsfunktionen zu ringen, war doch das Besetzen
solcher Funktionen ein unersetzlicher Bestandteil des Kampfcs
aller antifaschistischen Haftlinge gegen die SS. Ab dem Sommer 1943 wurde die Bildungsarbeit im KZ Buchenwald dhnlich wie in anderen Lagern vorrangig von den Problemen der Schaffung einer breiten antifaschistischen Front ın Gestalt des Nationalkomitees »Freies Deutschland« sowie den Aufgaben zum Sturz des Hitlerregimes und der Beendigung des Krieges bestimmt. Die Leitung des KPD-Aktivs arbeitete deshalb ein Dokument »Unsere Stellung zum Nationalkomitee Freies Deutschland« aus. Von diesem Schriftstiick sind die Seiten zwei bis acht erhalten geblieben. In ihm werden einleitend die Ursachen fiir die Errichtung der faschistischen Diktatur dargelegt und gestiitzt auf die Leninsche
Revolutionstheorie bzw. darauf, was im Kanon der Komintern
dafiir gehalten wurde, die Beschliisse des VII. Weltkongresses und der »Briisseler Parteikonferenz« dargelegt. Die »Berner Parteikonferenz« bleibt dagegen unerwihnt. Unter der Uberschrift: »Der neue Weg! Das neue Ziel« heißt es: »Wie?
Noch nicht Diktatur des Proletariats! Kein neues Weimar! Weimar war Koalition mit Bourgeoisie gegen Interessen der Arbeiterklasse Wegbereiter der fasch. Diktatur
Neue Demokratic gegen die Faschisten gerichtet Keine Demokratie fiir die Nazis! [...] S. 12 (zit. nach Erhard Pachaly: Antifaschistische Propagandaarbcit des illcgalen Partciaktivs der KPD im KZ Buchenwald ... S. 59f.).
199
Demokratie neuen Typus: antifasch. Demokratie: =
nicht nur Zerschlagung der fasch. Organisationen,
nicht nur Ausmerzung der fasch. Elemente aus dem Staat
und allen Institutionen des öffentlichen Lebens Ausrottung des Faschismus mit seiner ökon. Wurzel [...] Aufgaben des Augenblicks. 1. Kampf um die endgültige Vernichtung der faschistischen Diktatur 2. Antifaschistische Massenarbeit 3. Das Verhiltnis zu den Besatzungsbehorden 4. Ostorientierung.«>
Mit diesen Positionen befand sich das Parteiaktiv nahe bei den strategischen Vorstellungen der Parteifithrung der KPD in Moskau. 1943 begann sich im KZ Mauthausen eine internationale Widerstandsorganisation herauszubilden, an deren Entstehung dic deutsche kommunistische Widerstandsorganisation unter der Leitung des Mitglieds des Zentralkomitees Franz Dahlem mallgeblichen Einfluß hatte. Wie in Buchenwald befaßten sich kommunistische
Héftlinge
in Dreiergruppen
mit den
Doku-
menten des Nationalkomitees »Freies Deutschland«. Uber ein im Kohlenlager des Krematoriums verstecktes Radiogerit erhielten die Häftlinge Informationen, die sie im Lager verbreiteten. Ahnliche Strukturen entstanden in anderen Konzentrationslagern, so in Neuengamme und in Auschwitz.”! Auch im westlichen Exil wurde der kommunistische Widerstand seit dem Sommer 1943 durch die Bewegung Nationalkomitee »Freies Deutschland« gepragt. Nach Bekanntwerden der Nachricht von der Griindung des NKFD
wegung
setzten in den Exilzentren Aktivititen ein, diese Be-
auch unter den deutschen
antifaschistischen Emi-
50 Unscre Stellung zum Nationalkomitee Freics Deutschland. Archiv Walter Bartcl (zit. nach Erhard Pachaly: Antifaschistische Propagandaarbeit des illcgalen Partciaktivs der KPD im KZ Buchenwald ... S. 63f.). 51 Dcutschland im Zweiten Weltkricg. Bd. 4: Das Scheitern der faschistischen Defensivstrategic an der deutsch-sowjetischen Front (August bis Endc 1943). Berlin 1981. S. 562ff.
200
granten zu verankern. Mit Unterstützung der FKP gelang es,
das Gründungsdokument des NKFD massenhaft in Frankreich zu verbreiten. Es erreichte auch Soldaten und Offiziere der deutschen Wehrmacht. Es gelang, Emigranten und Wehrmachtsangehörige für ein zu schaffendes Komitee der Bewe-
gung
»Freies Deutschland«
zu gewinnen. An der Spitze des
Komitees stand der Kommunist Otto Niebergall. Das Komitee entwickelte sich zum politischen und organisatorischen Zentrum des deutschen antifaschistischen Kampfes im okkupier-
ten Westeuropa.
Sofort nach der Gründung des NKFD
vertrat die illegale
Organisation in Dänemark dessen Ziele. In Großbritannien begann mit dem NKFD ein neuer Abschnitt für die zur antifa-
schistischen Einheit drängenden deutschen Emigranten. Der Freie Deutsche Kulturbund, die Freie Deutsche Jugend und andere Vereinigungen bekannten sich zum NKFD. In der Schweiz nahmen Mitglieder der Züricher Gruppe der KPD das vom Sender »Freies Deutschland« ausgestrahlte Manifest stenographisch auf. Unverzüglich hektographiert, wurde es allen erreichbaren Kommunisten und anderen Antifaschisten übermittelt. In Schweden durchlief die Debatte über die Programmatik des NKFD mehrere Etappen. Da in Schweden aus rechtlichen Griinden die Bildung ein legales Komitee »Freies Deutschland« nicht gestattet wurde, bereitete man ab November 1943 einen »Freien Deutschen Kulturbund« vor, dem auch biirgerliche Antifaschisten und Sozialdemokraten angehorten. Von besonderer Bedeutung war die Positionierung des Lateinamerikanischen Komitees der Freien Deutschen. Es bekannte sich vorbehaltlos zur Linie des NKFD. Mit Paul Merker stand das einzige Mitglied des Polbiiros des ZK der KPD auBerhalb der Sowjetunion an der Spitze der kommunistischen deutschen Emigranten in Lateinamerika. Mit dem Verlag Alemania Libre verfiigte sie iiber ein Sprachrohr, das in seiner Reichweite weit über die kommunistische Klientel hinausging.*
52 Sichc Wolfgang KicBling: Alemania Librc in Mcxiko. Bd. 1: Ein Beitrag zur Geschichte
des antifaschistischen
Exils (1941-1946).
Berlin
1974.
201
Auch in den USA fanden die Dokumente des NKFD starkes Interesse. Namhafte Antıfaschisten wie Lion Feuchtwanger, Ferdinand Bruckner, Oskar Maria Graf, Wieland Herzfelde, Hans Marchwitza, Thomas Mann, Carl Zuckmayer, Kurt Rosenfeld u. a. solidarisierten sich mit seinen Zielen. Der massive
Antikommunismus erschwerte jedoch die Zusammenfassung der deutschen Antifaschisten auf der Grundlage der Dokumente des NKFD.*
53 Siche dazu auch Heike Bungert: Das Nationalkomitce und der Westen. Dic Reaktion der Westalliierten auf das NKFD und dic Freien Deutschen Bewegungen 1943-1948. Stuttgart 1997.
202
Exkurs 2 Rote Kapelle — ein antifaschistisches Netzwerk
(Hans Coppi)
Die von der Gestapo dem Fahndungskomplex »Rote Kapelle« zugeordneten Berliner Widerstandskreise bildeten eine der
größten
deutschen
Widerstandsgruppierungen
in den
ersten
Kriegsjahren. Ihr gehörten über 150 Regimegegner an: Intel-
lektuelle, Künstler, Arbeiter, Angestellte, Studenten, Unternehmer, Ärzte, Soldaten, Offiziere, Marxisten und Christen. Weit über ein Drittel waren Frauen, fast die Hälfte Kommunisten, nur wenige Sozialdemokraten. Aus freundschaftlichen, oft aus
der Zeit vor 1933 zurückgehenden Begegnungen, entstanden Mitte der dreißiger Jahre zunächst Freundeskreise, die sich ın den Jahren 1940 bis 1942 durch Kontakte Einzelner überschnitten, festigten und gegenseitig beeinflußten. In ıhrer Gegnerschaft zum NS-Staat fanden Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft sowie politischer und weltanschaulicher Ansichten in den antifaschistischen Zirkeln zusammen.' Neben der Diskussion politischer, philosophischer und künstlerischer Fragen halfen die Hitler-Gegner politisch und Jüdisch Verfolgten, dokumentierten NS-Gewaltverbrechen, riefen ın Flugschriften zu aktivem und passivem Widerstand auf 1
Siche Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD über dic Aufrollung der bolschewistischen Spionage- und Hochverratsorganisation im Rcich und in Westcuropa — (»Rotc Kapelle«). In: National Archives
Washington, OSS-Archivcs,
Record-Group 319, IRR-Box
5960 (im wei-
teren Gestapoabschlußbericht). Bl. 637f. — Unter den Festgenommenen warcn über 20 Prozent Berufssoldaten, Bcamtc und Staatsangestellte, 21 Prozent Künstler, Schriftsteller und Journalisten und 13 Prozent Arbeiter und Handwerker, stellte dic Gestapo in ihrem Abschlußbericht fest.
203
und verbreiteten Klebezettel gegen die antisowjetische Propagandaausstellung »Das Sowjetparadies«. Es bestanden Kontakte zu Widerstandsgruppen in Berlin und Hamburg, zu Zwangsarbeitern und Vertretern der amerikanischen und sowjetischen Botschaft in Berlin. Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen warnten vor dem Einfall deutscher Truppen
in die Sowjetunion und versuchten 1941/1942, kriegswichtige Informationen an Vertreter des sowjetischen und des englischen Nachrichtendienstes zu iibermitteln. Im August 1942 entschliisselte der Entzifferungsdienst des Oberkommandos des Heeres einen Funkspruch aus Moskau an den Agenten »Kent« in Briissel, mit der Aufforderung, nach Berlin zu reisen und dort zu klären, warum
die Funkstation
nicht arbeitete. Der Funkspruch beinhaltete die Adressen von Adam Kuckhoff und Harro Schulze-Boysen.” Im Laufe der nun einsetzenden Ermittlungen bildete die Gestapo eine Son-
derkommission »Rote Kapelle«, einen von der Funkabwehr in
Belgien ım Herbst 1941 geschaffenen und dann von der Gestapo übernommenen Fahndungsnamen fiir Funkverbindungen und Kontakte in die Sowjetunion. Sie verhaftete von Ende August bis Ende November 1942 weit iiber 130 Frauen und Minner, Beteiligte und Unbeteiligte aus Berliner Widerstandskreisen, Fallschirmspringer aus der Sowjetunion und von ihnen aufgesuchte Personen. Das Reichssicherheitshauptamt informierte die NS-Fiihrung laufend über diesen auBergewohnlichen Ermittlungsfall. Obwohl außer dem einmaligen Besuch von »Kent« in Berlin keine weiteren Beziechungen nach Belgien bestanden, ordnete die Gestapo, zur eigenen Reputation und wider besseren Wissen, die Berliner Widerstandskreise
den Gruppen des sowjetischen militdrischen Nachrichtendienstes ın Westeuropa zu. Die heterogenen Berliner Widerstandskreise mit ihren breit geficherten Aktivitidten gegen das NS-Regime gerieten in der Perspektive der Verfolger zu einem Ableger des vom Nachrichtendienst der Roten Armee gesteu-
2
Siche Boris Chawkin/Hans Coppi/Jurij Zorja: Russische Qucllen zur Roten Kapclle. In: Hans Coppi/Jirgen Danycl/Johannes Tuchel (Hrsg.): Dic Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994. S. 138.
204
erten Agentennetzes in Westeuropa.’ Bis März 1943 wurden 84 Regimegegner vor dem Reichskriegsgericht und zehn vor dem Volksgerichtshof angeklagt, 50 von ihnen zum Tode ver-
urteilt, darunter 20 Frauen.*
In Kontinuität zu den Deutungsmustern von Gestapo und Reichskriegsgericht geriet die »Rote Kapelle« in der westdeutschen Nachkriegsgeschichtsschreibung zu einer ım Dienst e1ner feindlichen Macht tätigen kommunistischen Spionage- und Agentenorganisation. Diese Sicht bestimmte in der Bundesrepublik nachhaltig die Auseinandersetzungen um die »Rote Kapelle« und ihre damit einhergehende Ausgrenzung aus dem deutschen Widerstand.’ DDR-Sicht auf die »Rote Kapelle« Die 1948 von der VVN — auf Grundlage von Berichten Uberlebender und Angehdriger — herausgegebene erste Publikation über die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe bildete in der DDR lange Zeit die einzige zusammenhidngende Darstellung.® Erst 3
4
5
Siche GestapoabschluBlbericht in Fufinotc 1. — Mittc November 1942 legte dic Gestapo der Nazi-Fiithrung cinen Bericht über dic »bolschewistischc Hoch- und Landcsverratsorganisation »Rotc Kapelle« im Reich und Westcuropa« vor. Darin suggcricrte dic Gestapo cin organisatorisches Zusammenwirken der weitgehend autonomen Gruppen. Siche Regina Gricbel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel: Erfaßt? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Einc Fotodokumentation. Halle 1992. — Hicrin ist cinc Ubersicht über allc Verhaftungen und Prozessc cnthalten. Für den
Historiker
Gerhard
Ritter stand die Berliner
Widerstandsgrup-
picrung »ganz cindcutig im Dicnst des feindlichen Auslandes. Wer dazu imstandc ist, mitten im Kampf um Lcben und Tod, hat sich von der
Sache scincs Vaterlandes losgelöst, er ist Landesverräter — nicht nur dem Buchstaben des Gesetzes nach.« (Gerhard Ritter: Carl Gocerdeler und dic
dcutsche Widerstandsbewegung, Hcinz
6
Höhne:
Kennwort:
Stuttgart
Dircktor.
Die
1954. S. 109). — Sichc auch
Geschichte
der Roten
Kapcelle.
Frankfurt am Main 1970. — Zur Rezeptionsgeschichte siche Hans Coppi/Jirgen Danyecl: Abschicd von Feindbildern. Zum Umgang mit der Geschichte der »Roten Kapelle«. In: Kurt Schilde (Hrsg.): Eva Maria Buch und dic »Rotc Kapcllc«. Erinnerungen an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1993. S. 63-93. Sichc Klaus Lehmann: Widerstandsgruppc Schulze-Boysen/Harnack, Männer und Fraucn des illegalen antifaschistischen Kampfes. Berlin
205
Mitte
der sechziger Jahre
nahm
sich die Geschichtsschrei-
bung der SED der Widerstandsgruppierung an. Aus den seit 1940/1941
locker miteinander verflochtenen
Berliner Freun-
des- und Widerstandskreisen entstand im Band 5 der »Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« eine der größten antifaschistischen Widerstandsorganisationen: Mit einer zentralen Berliner Leitung, einer weit verzweigten Organisation in vielen Orten Deutschlands und mit Verbindungen nach Frankreich,
Griechenland,
den
Niederlanden,
Österreich,
in die
Schweiz und ın die Sowjetunion.” Der mit einer enormen Überdehnung des Organisationsgrades einhergehenden Neueinschätzung fehlte indes jeglicher Hinweis auf die Quellen.
Der hohe Anteil von Kommunisten und Sympathisanten® galt nunmehr als Beleg für die politische Führung durch die KPD.
Die breite soziale Zusammensetzung und die politische wie auch weltanschauliche Vielfalt dienten als anschauliches Beispiel einer sich herausbildenden »Volksfront« und damit für die »folgerichtige Entwicklung der Beschlüsse der »Berner« und »Brüsseler« Parteikonferenz der KPD auf die neuen Kampfbedingungen während des Krieges«.” In dieser Perspektive handelte die heterogene Widerstandsgruppierung nunmehr als »antifaschistische Volksfrontorganisation«'® entsprechend den Weisungen des Zentralkomitees der KPD." Diese Neubewertung war Jedoch weit von der komplizierten Situation des kommunistischen Widerstandes ın Deutsch-
1948. — Auf dicsc erste Untersuchung der VVN-Forschungsgruppc bezog
sich auch weitgchend Walter A. Schmidt: Damit Dcutschland lebe. Ein 7
Quellenwerk des deutschen Widerstands.
Berlin (Ost)
1958.
Siche Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 5: Von Januar 1933 bis Mai 1945. Berlin 1966. S. 280ff. und 310ff. 8 Ihr Anteil lag bei über 40 Prozent. Siche auch Jan Foitzik: Gruppenbildung im Widerstand. In: Hans Coppi/Jürgen Danyel/Johannes Tuchel (Hrsg.): Dic Rotc Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994. S. 68—78. 9 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 5: Von Januar 1933 bis Mai 1945. Berlin 1966. S. 282 (FN 7). 10 Karl-Hcinz Bicrnat: Zum Kampf der Schulze-Boysen-Harnack-Organisation.
In: Einhcit.
Berlin (1970)6.
S. 763.
11 Siche Karl-Hcinz Bicrnat/Luisc Kraushaar: Dic Schulzc-Boysen/HamackOrganisation ım antifaschistischcn Kampf. Berlin (Ost) 1970. S. 10.
206
land nach der weitgehenden Zerschlagung seiner organisatori-
schen Basis Mitte der dreißiger Jahre entfernt. Damit wurde der Mythos eines zentral organisierten und effektiv durch die emigrierte Führung der KPD in Moskau geleiteten kommunistischen Widerstandes in Deutschlands gestützt. Greta Kuckhoff hatte im Herbst 1940 Arvid Harnack mit Harro Schulze-Boysen zusammen gebracht. Da sie in der 1llegalen Arbeit von der Führung durch die KPD nichts bemerkt hatte, wandte
sie sich an Institut für Marxismus-Leninismus
beim ZK der SED, das die Widerstandsforschung zu verantworten hatte. Bis kurz vor der Verhaftung Anfang September 1942 habe sich ihr Mann, der Schriftsteller Adam
Kuckhoff,
vergeblich um einen Kontakt zu KPD-Leitungsgremien
be-
müht. Von einer Anleitung durch die Moskauer Führung oder
einer Berliner KPD-Leitung könne keine Rede sein. Nach der Befreiung habe niemand in der KPD-Führung die Namen Harnack, Schulze-Boysen und Kuckhoff gekannt. Man sei damals davon ausgegangen, daß es sich bei den Verhafteten um Personen gehandelt habe, die den Kreisen des »20. Juli« nahegestanden hitten.'- Greta Kuckhoffs Einwände führten jedoch
zu keiner realitätsnahen Bewertung der Widerstandsgruppe.
Ihre Bedenken fand ich Anfang der neunziger Jahre ım Archiv der Komintern in Moskau bestätigt. Im März 1941 hatte der sowjetische Auslandsnachrichtendienst bei Georgi Dimitroff angefragt, ob in der Komintern bekannt sei, daß Arvid Harnack, Harro Schulze-Boysen und Adam Kuckhoff Verbin-
dungen zur KPD
in Deutschland hitten. Dariiber lagen, laut
Dimitroff, jedoch keine Informationen vor. Georg Lukacs crinnerte sich an Arvid Harnacks verdienstvolle Tätigkeit ım 1932 gegriindeten »Bund der Geistesarbeiter« und ın der »Ar-
plan«.'
12 Siche Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Sammlung Rote Kapelle (im weiteren GDW. Sammlung Rotc Kapclle). Nachlaß Greta Kuckhoff, Dr. Dichl zu beratende Probleme. O. D. [um 1970]. 13 Siche auch Hans Coppi/Jürgen Danycl/Johannes Tuchel (Hrsg.): Dic Rotc Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994. S. 119f. (FN 2)
207
Ein Netzwerk entsteht
Über persönliche Kontakte überschnitten sich in den Jahren 1940 bis Anfang 1942 sieben Freundes- und Widerstandskreise um den Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium
Arvid Harnack, den Referenten im Reichsluftfahrtministerium, Harro Schulze-Boysen, den Psychiater John Rittmeister, den
fritheren Schiilern der reformpéddagogischen Schulfarm Scharfenberg mit meinem Vater Hans Coppi, den Redakteuren der »Roten Fahne« Wilhelm Guddorf und John Sieg sowie um den Dramaturgen und Schauspieler Wilhelm SchiirmannHorster. Daraus entstand 1941/1942 ein lose gekniipftes Netzwerk zum
Informationsaustausch
und fiir erste, sich an eine
kleine Offentlichkeit wendende Aktionen. Freundschaftliche Verbindungen einzelner Hitlergegner bildeten die Schnittstellen zwischen den Freundes- und Widerstandsgruppen. Eine hierarchisch aufgebaute, zentral geleitete oder sogar von außen gesteuerte Spionage-, Kundschafteroder Widerstandsorganisation, wie in der Nachkriegsgeschichtsschreibung des Westens wie auch des Ostens oftmals behauptete, existierte nicht. Der in der Gruppensoziologie entwickelte Begriff des Netzwerkes,'* als soziales Beziehungsgeflecht, das iiber die Größe einer Kleingruppe hinausgeht und über sporadische und
thematisch eingeschrinkte Interaktionen verfiigt, erfaßt eher den moglichen Handlungs- und Bewegungsrahmen des deutschen Widerstands in den ersten Kriegsjahren. Diskussions- und Schulungszirkel um Arvid Harnack Die Harnacks kamen urspriinglich aus Estland. Die Verwandtschaft von Arvid Harnack bestand aus einer verzweigten
Gelehrtenfamilie: den Delbriicks, den Dohnanyis, den Bonn-
hoeffers und den Harnacks. Sie waren alle miteinander verschwigert."” Arvid lernte viele seiner Cousins und Cousinen 14 Sichc Bernhard Schifers: Entwicklung der Gruppensoziologic und Eigenstandigkcit der Gruppce als Sozialgebilde. In: Bernhard Schifers (Hrsg.): Einfiihrung in dic Gruppcnsoziologic. Wicsbaden 1999. S. 25.
208
bei Besuchen
des älteren
Bruders
seines
Vaters, Adolf von
Harnack, kennen. Der hoch gebildete Theologe war ein Ver-
trauter des Kaisers, seit 1905 Generaldirektor der Preußischen
Staatsbibliothek zu Berlin und bis zu seinem Tode Vorsitzender der von ıhm mitbegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, dem Vorläufer der Max-Planck-Gesellschaft. Arvid Harnack kam
1901
in Darmstadt zur Welt, war der
älteste von vier Geschwistern, ein phantasievolles künstlerisch begabtes Kind mit starkem Gerechtigkeitsgefiihl.'® Nach dem
Tod des Vaters, des Literaturwissenschaftlers
Otto Harnack,
im Jahre 1914 zog die Mutter Clara Harnack, eine Urenkelin von Justus von Liebig, mit den vier Kindern nach Jena. Sie war Malerin und unterrichtete an der Volkshochschule. Ihren Pazifismus konnte sie dem sehr patriotischen und vaterlandsverbundenen Sohn nicht nahe bringen. Nach dem Notabitur schloß er sich 1919 plötzlich einem Freikorpsverband in Mün-
chen an, kämpfte
in Schlesien und Niedersachsen,
bis er an
einer langwierigen doppelseitigen Rippenfellentzündung erkrankte. 1920 begann Harnack an der Jenaer Universität ein
Jurastudium, das ihm keine große Freude bereitete. Vor allem
vermißte er akademische Lehrer von Format. Die alten Werte und Orientierungen aus der Wilhelminischen Zeit verloren ın der von politischen Krisen und Hyperinflation geschüttelten Nachkriegsgesellschaft zunehmend ihre Bindekraft. Der Jurastudent bewegte sich nach links, mehr und mehr überzeugt, daß nur eine demokratisch und sozialistisch verfaßte Gesellschaft grundlegende soziale Fragen zu lösen vermochte. Mit einer Arbeit über die Artikel 156 und 165 der Reichsverfassung, den darin enthaltenen Bestimmungen zur Selbstverwaltung und den planwirtschaftlichen Ansätzen der Jahre 1918 bis 1923, legte Harnack nach dem ersten Staatsexamen das Juristische Doktorexamen ab. Als Sozialist'” verließ er Jena und
15 Siche Sharcen Blair Brysac: Mildred Harnack und dic »Dic Rote Kapellc«. Dic Geschichte ciner ungewöhnlichen Frau und ciner Widerstandsbewegung. Bern 2003. S. 103. 16 Siche Erinncrungen von Ingeborg Havemann, Schwester von Arvid Hamack, o. D. In: GDW. Sammlung Rotc Kapelle. RK 32/55. Bl. 76. 17 Siche Brief Arvid an Falk Harnack (Konfirmationsbricf). 3. April 1928. In: GDW. Sammlung Rotc Kapclle. Nachlaß Falk Harnack.
209
setzte
seine
Studien
in Hamburg
fort.
Dort
wurde
er Vor-
standsmitglicd im »Klub vom 3. Oktober«, in dem sich neben
jüngeren Mitgliedern von SPD und der Deutschen Demokratischen Partei (Gustav Dahrendorf, Theodor Haubach, Hans Robinsohn, Ernst Strassmann) auch Parteilose zusammenfan-
den. Mit dem Ziel, cine tiefgreifende Demokratisierung der Weimarer Republik zu erreichen, versuchten sie, auf die Par-
teicn einzuwirken.'® Dank der Unterstützung durch die »Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften« erhielt Harnack 1925 eines von vier Stipendien des Laura Spelman Rockefeller Memorials. Zunächst studierte er an der London School of Economics und von 1926 bis 1928 an der Universität von Wisconsin. Als Arvid Harnack kurz nach seiner Ankunft in einem Vorlesungs-
raum
Professors
Commons
suchte,
referierte
dort Mildred
Fish über amerikanische Literatur. Obwohl er threm Englisch nur schwer zu folgen vermochte, blieb er ganz gebannt sitzen. Wenige Wochen später, ım August 1926, heirateten sie.
Professor John Roger Commons, einer der originellsten und kreativsten Sozialwissenschaftler, wurde Harnacks wichtigster Lehrer. Die Diskussionen mit ıhm, die Vorlesungen und
Seminare über »Kapitalismus und Sozialismus« beeinflußten erheblich Harnacks wissenschaftliches Denken. All dies brachte ihn mit der amerikanischen Arbeiterbewegung ın Berührung. Großen Eindruck hinterließ ım Winter 1927/1928 ein Besuch bei den streikenden Bergarbeitern in Colorado und die Gespräche mit ihren im Gefängnis cinsitzenden Fiihrern.” Damit einher ging ein stärkeres Hinwenden zum Marxismus: »Jetzt steht mein Ziel«, schrieb er seinem Jüngeren Bru-
der Falk im April 1928, »klar vor mir: Mein Leben gehört der Arbeiterbewegung; meine Arbeit soll primär wissenschaftlich und sekundar praktisch scin. In wissenschaftlicher Beziehung habe ich mein Arbeitsfeld gedanklich abgesteckt: erstens interessiert mich die Geschichte der Entwicklung der Arbeiterbe-
18
Siche
Horst
chen).
ED
R.
Sassin:
Liberale
im
Widerstand,
dic
Robinsohn-Strass-
mann-Gruppe 1934-1942. Hamburg 1993. S. 29f{. 19 Siche Brief von Rudolph Hceberle an Ricarda Huch vom 12. Oktober 1946. In: Institut für Zcitgeschichte Minchen (im weiteren 1fZ Miin-
210
106. Band 98.
wegung ım Volksganzen (in allen Ländern), zweitens beschäftige ıch mich mit der Philosophie der Politik, d. h. der Frage
nach den Formen des menschlichen Zusammenlebens, und 3.
mit dem, was ich »Theorien der geschichtlichen Entwicklung«
nenne, d. h. der Frage nach den Gesetzen, die den Ablauf der
Geschichte beherrschen.«*
Nach seiner Rückkehr schrieb sich Harnack bei dem Na-
tionalökonomen Professor Friedrich Lenz an der Universität ın Gießen ein und reichte nach einem Jahr die in Wisconsin begonnene Arbeit zur »Vormarxistischen Arbeiterbewegung ın den Vereinigten Staaten« als Dissertation ein.“' In Gießen gehörte er dem sozialdemokratischen Hochschulbund an. Anfang 1931 gründeten Lenz und Harnack die »Arplan«,
eine wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft zum Studium der
sowjetischen Planwirtschaft. Vor dem Hintergrund der ver-
heerenden Weltwirtschaftskrise diskutierten Akademiker, Pu-
blizisten und Vertreter verschiedener politischer Richtungen Möglichkeiten von planwirtschaftlichen Eingriffen in makroökonomische Prozesse. Es referierten auch der Mitarbeiter der
sowjetischen Botschaft in Berlin, Alexander Hirschfeld, und Handelsrat Sergej Bessonow. Zu beiden entstanden freundschaftliche Beziehungen.
Die »Arplan« wurde zu einem Diskussionsforum politischer Grenzüberschreitung. Osteuropaforscher wie Prof. Otto
Hoetzsch und der junge Klaus Mehnert, aber auch kommunistische Intellektuelle wie Georg Lukäcs, Hermann Duncker
20 Nachlaß Falk Harnack. In: GDW. Sammlung Rotc Kapclle. — »Als ich 1923 die Universität verlicß, war ich Sozialist.« Bricf von Arvid an Falk Harnack. anläßlich sciner Konfirmation, vom 3. April 1928. Ein Band von Lcnins Schriften aus den Jahren 1914/1915 und das in Preußen verbotcne Buch »Barrikaden am Wedding« von Karl Ncukranz — Geschenke fiir scinen Bruder Falk — zcugen von ciner Hinwendung zur KPD. Karl Ncukranz bchandclt in dem Buch dic Ercignissc um den 1. Maı 1929 in Berlin. Dic Bcerliner Polizei hatte bei Demonstrationen zwölf
——
2
Tcilnchmer crschosscen (siche Brief von Arvid an Falk und 8. Mirz 1931. In: Ebenda).
Hamack
vom
1.
Siche Fricdrich Lenz: In Mcemoriam Arvid Harnack. In: Aufbau. Kulturpolitischc Monatsschrift. Berlin (1946)2. S. 1235. Dic Arbeit ist 1931 bei Fischer in Jena crschicnen (siche Arvid Harnack: Dic vormarxistische Arbeiterbewegung in den Vercinigten Staaten. Einc Darstellung ihrcr Geschichte. Jena 1931). Der zwceite Teil sollte 1933 gedruckt werden, cr gilt als verloren.
211
und Karl August Wittfogel, Vertreter aus dem nationalbolschewistischen Spektrum wie Ernst Niekisch und Hans Ebeling, selbst der der NSDAP
angehörende Graf von Reventlow und
der »Stahlgewitter« — Autor Ernst Jünger gehörten dem Diskussionskreis an. Ende August 1932 besuchte eine Delegation von Nationalokonomen, Ingenieuren und weiteren Teilnehmern in einem dreiwöchigen Studienaufenthalt ökonomische Forschungseinrichtungen, Departements der Plankommission
und Großbaustellen in der Sowjetunion.“* Die Begegnungen mit einem
Land, das sich im Aufbruch
befand, und die Ge-
sprächspartner hinterließen bei Harnack einen großen Eindruck. Eine weitere Annäherung an die KPD zeigte Harnacks Tätigkeit als Sekretär des im Frühjahr 1932 gegründeten »Bundes geistiger Berufe«. Der nach außen als politisch neutrale Vereinigung auftretende Bund sollte Intellektuelle mit Inhalten und Zielen der Kommunistischen Partei vertraut machen. Die Mitglieder der KPD blieben bei den Diskussionen im Hintergrund. In dieser Zeit soll Harnack »nicht öffentliches« Mitglied der KPD gewesen sein.> Bereits 1932 versammelte sich bei Harnacks ein Schulungskreis. Einige Teilnehmer waren Studenten und Schüler
von Mildred Harnack, die 1931 an der Berliner Universität und
danach an einer Abendschule englische und amerikanische Li22 Siche ARPLAN Bericht ciner Studienreise nach der Sowjet-Union. Protokolle der Studienreise nach der Sowjet-Union vom 20. August bis 12. Scptember 1932. Kopic in Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Sammlung Rotc Kapcelle. 23
Sıche Hans Coppi/Jürgen
Danyel/Johannes Tuchel
(Hrsg.): Dic Rote Ka-
(FN
erinnerte sich im Moskauer
pclle ım Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994. S. 118 2). —- Georg
Lukacs
Exil, daß Harnack
nicht öffentliches Mitglicd der KPD gewesen war und im Bund geistiger Berufe sowic der Arplan cine schr gute Arbeit geleistet habe. Walter Ul-
bricht bezeichnete Harnack als Sckretär des Bundes, aber cs licß sich in Moskau nicht cindcutig feststellen, ob Harnack Mitglicd der KPD oder
nur cin Sympathisicrender gewesen sei. Die Komintern gab dicse Auskünfte im April 1941 an den Leiter des NKWD-Auslandsnachrichten-
dienstes
(siche
Brief von
Korotkow
an dic Zentrale
vom
3. Oktober
1940. In: Archiv des Auslandsnachrichtendienstes der Russischen Föde-
ration (im weiteren Archiv des russischen Auslandsnachrichtendienstes). Aktc »Korsikancz« (Arvid Harnack) Nr. 34118. Bd. 1. Bl. 72). Harnack
gab an, vor 1933 »inoffiziclles« KPD-Mitglicd gewesen zu scin.
212
teratur unterrichtete. Neben ökonomiegeschichtlichen Studien
zu Quesnay, Smith, Ricardo, dem von Harnack sehr geschätzten deutschen Nationalökonomen List, dem britischen Wirt-
schaftswissenschaftler Keynes und anderen kam es in den Jahren nach 1933 zu seminaristischen Gesprächen über Marx’
»Kapital« und Lenins »Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus«. Arvid Harnack, in Gestus und Habitus eher der Typ eines deutschen Gelehrten und Wissenschaftlers, hatte
»einen großen Kreis von jungen Arbeitern, lauter Idealisten seiner eigenen Prägung«, erinnerte sich Ludwig Reindl, »um sich versammelt, für die er Vorträge, Bildungslehrgänge und politische Diskussionsabende veranstaltete«.“* Die Zirkelarbeit verstand Harnack von Anbeginn als Schule konspirativer Arbeit.~ Die Teilnahme war verbindlich. Literaturhinweise und Themen fiir Referate wurden verteilt und kritisch diskutiert. Im Mittelpunkt stand die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und anderer kapitalistischer Länder Europas. Die Teil-
nehmer, darunter der Arbeiter und Kommunist Karl Behrens,
der Unternehmer und Mitinhaber des Wehrwirtschaftsbetriebes Krone & Co Leo Skrzypczynski, der Jurist und Mitglied der NSDAP Wolfgang Havemann, sollten befihigt werden, wirtschaftliche und politische Zusammenhénge besser zu erkennen. Anfangs
fanden die Zusammenkiinfte
bei Harnacks,
später in der Wohnung von Karl Behrens statt, woran dann auch die Ehefrauen teilnahmen. Die Abende verloren die von Harnack praktizierte methodische Strenge und nahmen mehr die Form eines geselligen Beisammenseins an. Später zog sich Harnack zurtick.” Nachdem Harnack im Friihjahr 1935 eine Anstellung ım Reichswirtschaftsministerium gefunden hatte, fragte ihn Alex-
ander Hirschfeld, ob er sich vorstellen konnte, interne Infor-
mationen aus seiner Tatigkeit der Sowjetunion zur Verfiigung zu stellen. Der Hitlergegner erklirte nicht nur seine Bereit-
24 Bricf von Ludwig Emanucl Reindl an Ricarda Huch. 30. Mirz 1946. In: IfZ Miinchen. ED 106. Band 98. 25 Sichc Wolfgang Havemann: Erinncrungen an Arvid Harnack aus den Jahren 1931-1942 vom 2. März 1983. In: GDW. Sammlung Rotc Kapelle. 26 Siche Befragung Wilhelm Utech vom Dezember 1968. In: GDW. Sammlung Rotc Kapelle.
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schaft, weil er Hirschfeld sehr schätzte, sondern auch, weil er dic Sowjetunion, deren Aufbauleistungen er mit Sympathie
und großer Anteilnahme verfolgte, stärken und schützen woll-
te. Trotz der damit einhergehenden Gefährdungen übergab er Materialien und Auskünfte nicht nur aus seinem Arbeitsfeld an Mitarbeiter des sowjetischen Auslandsnachrichtendienstes. Der Kontakt brach 1938 ab, als die sowjetischen Gewährsleu-
te nach Moskau zurückgezogen wurden und dort dem Terror
zum Opfer fielen. Auf Anraten von Hirschfeld und zur Enttäuschung seiner
Freunde trat Harnack
1937 dem nationalsozialistischen Juri-
stenbund und der NSDAP
bei. Gleichzeitig begann er, Ende
der dreißiger Jahre alte Bekannte aus der »Arplan« und dem »Bund geistiger Berufe« und weitere dem NS-Regime gegenüber kritisch eingestellte Bekannte um sich zu sammeln. Annähernd sechzig Mitarbeiter ın der Ministerialbürokratie, aus dem Wissenschaftsbetrieb und aus anderen Bereichen des öffentlichen oder wirtschaftlichen Lebens zählte er Ende 1940 zu seinen Mitstreitern oder zu Vertrauten seiner Freunde. Or-
ganisatorisch wurden die Kontakte über befreundete Personen
aufrechterhalten, die in kleineren Gesprächskreisen ökonomische, soziologische und künstlerische Fragen diskutierten,
aber auch Perspektiven für die Nachkriegszeit erörterten. In diesem kettenartig verbundenen Netzwerk hielt Harnack sich weitgehend im Hintergrund. Er wollte das kritische Potential über informelle Diskussionsforen ausprägen und zugleich die Hitlergegner vorbereiten, Schlüsselstellungen in einem demo-
kratischen Deutschland zu übernehmen. Auch wenn Harnack fünfzehn seiner Gesinnungsfreunde als zuverlässige Kommu-
nisten charakterisierte, hielt er sich vom organisierten kommunistischen Widerstand weitgehend fern.*’
An den Diskussionen mit dem religiosen Sozialisten und fritheren preuBischen Kultusminister Adolf Grimme?® beteiligten sich außer dessen Studienfreund, Adam Kuckhoff, gele-
27
28
Siche Bericht von Alexander Korotkow über cin Treffen mit Arvid Harnack, o. D. In: Archiv dcs russischen Auslandsnachrichtendienstcs. Nr. 34118. Bl. 108ff. Sichc Kai Burkhardt: Adolf Grimme (1889-1963). Köln 2007.
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gentlich Arvid Harnack und seit 1941 auch John Sieg.”’ Der
Schriftsteller Adam Kuckhoff unterhielt auch Verbindungen zu Hans und Margarete Lachmund, Quäkern und sozialdemokratischen Regimegegner in Mecklenburg, die der liberalen Ro-
binsohn-Strassmann-Gruppe angehérten.* Harnacks verkehrten in der amerikanischen Botschaft und
waren mit Martha Dodd, der Tochter des amerikanischen Botschafters, Wiliam Dodd, befreundet. Nach deren Abreise kam es mit dem Botschaftsrat für ökonomische Fragen, Donald Heath, zu gelegentlichen Treffen, die aufgrund von Harnacks
Position als Amerikaexperte im Wirtschaftsministerium keinen Verdacht erregten. Ofter trafen sich Mildred Harnack und Louise Heath bei Veranstaltungen des American Women’s Club.
Häufiger wurden
die Begegnungen
der beiden Ehepaare, als
Mildred Harnack-Fish im November 1939 Tutorin des Sohnes der Heaths wurde. Seither verbrachten sie manche Wochenenden zusammen und fuhren gemeinsam in den Winterurlaub. Donald Heath erhielt von Harnack interne Informationen iiber
die Devisenbewirtschaftung und andere Auskiinfte.’!
Hamack, inzwischen Regierungsrat, wurde zu vertraulichen Beratungen ım Wirtschaftsministerium eingeladen und
nahm
auch
an
Tagungen
Kriegsfiihrung teil.
des
Komitees
fiir 6konomische
Im September 1940 suchte ein kurz zuvor in Berlin einge-
troffener Mitarbeiter des NKWD-Auslandsnachrichtendienstes
Arvid Harnack auf und stellte sich als Alexander Erdberg vor.
Nachdem er den zuriickhaltend reagierenden Harnack überzeugen konnte, ein Freund von Alexander Hirschfeld zu scin, erhielt Erdberg bis Mitte Juni 1941 wichtige Informationen über Planungen und Arbeiten zum Einfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion. Sie stammten aus eigenen Beobachtun29 Siche Feldurteil in der Strafsache gegen dic Ehefrau Greta Kuckhoff vom 20. Oktober 1943. In: GDW. Sammlung Rotc Kapcllic. RK 29/42. 30 Siche Achim von Borrics: Das Ehcpaar Lachmund. In: Widerstand gegen das NS-Rcegime in den Regionen Mccklenburg und Vorpommern. Rceihe Beitrdge zur Geschichte Mccklenburg-Vorpommern. Schwerin (2005)12. S. 82-89. 31 Siche Sharcen Blair Brysac: Mildred Harnack und dic »Dic Rote Kapellc«. Dic Geschichte ciner ungewohnlichen Frau und ciner Widerstandsbewcegung. Bern 2003. S. 287.
gen und aus Gesprächen mit Freunden und Bekannten.* Erdberg, dessen richtiger Name Korotkow war, gewann ın den Gesprächen den Eindruck, daß Harnack sich nicht in der Rol-
le eines Agenten sah und Erdberg als Vertreter eines Landes
betrachtete, mit dem er sich ideell verbunden fühlte. Deshalb sah er es als seine Pflicht an, die sowjetische Seite über alles
zu informieren, was ihm bekannt geworden sei.* Im Herbst 1940 hatten Greta und Adam Kuckhoff den Fliegerleutnant Harro Schulze-Boysen aus dem Reichsluftfahrtministerium kennengelernt. Sie rieten Harnack den »schneidigen,
tatendurstigen Gegner mitten im Lager der Nazis« unbedingt heranzuziehen.“* Harnack hatte Schulze-Boysen bereits 1935 auf Empfehlung seines Studienkollegen aus Wisconsin, des Soziologen Rudolf Heberle, getroffen, aber das Gespräch nicht fortgesetzt.” Der zurückhaltende, zur wissenschaftlichen Analyse neigende und auf strenge Konspirativität bedachte Arvid Harnack traf Ende 1940 auf den acht Jahre Jüngeren, begeisterungsfähigen und manchmal mit seinen Prognosen der tatsächlichen Entwicklung weit vorauseilenden Leutnant der Luftwaffe. An den Begegnungen nahm gelegentlich auch Adam Kuckhoff teil. Dabei standen weniger Fragen der organisatorischen Zusammenführung ihrer Zirkel im Vordergrund, sondern der Gedankenaustausch zu politischen, militdrischen und wirtschaftlichen Fragen. Wichtige Informationen von Schulze-Boysen gab Harnack an die sowjetische Seite weiter. Ende März 1941 kam es zu 32 Siche Hans Coppi/Jürgen Danycl/Johanncs Tuchel (Hrsg.): Dic Rote Kapclle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994. S. 112ff. (FN 2). — Siche ferner Lev A. Bezymenskij: Kalender der Berichtc aus Berlin vom 6. Juni 1940 bis 16. Juni 1941. In: Gerd R. Ucberschdr/Lev A. Bezymenskij: Der deutsche Angriff auf dic Sowjctunion 1941. Darmstadt 1998. S. 199-212. 33 Sichc Bericht über cin Treffen mit Harnack vom 17. Januar 1941. In: Archiv des russischen Auslandsnachrichtendicenstes. Nr. 34118, Bl. 112. 34 Siche Greta Kuckhoff: Vom Roscnkranz zur Roten Kapcelle. Berlin 1971. 35
Siche
IfZ Miinchen.
ED
mit cincr Tochter von der Mutter von Harro Harro Schulzc-Boyscn dresen (Hrsg.): Diescr gianger im Widerstand.
216
106.
Band
98 (FN
19). —- Rudolf Hcberle
war
Ferdinand Tönnics verheiratet, dic cine Cousine Schulzc-Boysen war. Siche auch der Bricf von an Rudolf Hcberle. In: Hans Coppi/Geertje AnTod paßt zu mir. Harro Schulze-Boysen — GrenzBricfc 1915 bis 1942, Berlin 2002. S. 104-109.
einem ersten Gespräch mit Korotkow und Schulze-Boysen in Harnacks Wohnung. Die Moskauer Zentrale erhoffte sich von dem Mitarbeiter im Generalstab der Luftwaffe weitere Interna aus einer wichtigen militärischen deutschen Machtzentrale. Aktionskreise um Harro Schulze-Boysen
Der Fliegeroffizier’® entstammte einer großbürgerlichen Familie. Großonkel väterlicherseits war der legendäre Flottenchef von Wilhelm II, Alfred von Tirpitz, und mütterlicherseits der Philosoph und Soziologe Ferdinand Tönnies. Harro SchulzeBoysen wuchs in Berlin und Duisburg auf, trat dort der Ju-
gendabteilung
des Jungdeutschen
Ordens,
einem
nationalen
Wehrverband, bei. Er studierte zunächst in Freiburg und ab 1929 in Berlin. Ende 1931 ließ sich der Jurastudent vom Stu-
dium
beurlauben.
Er strebte
in die
Politik,
zunächst
als
Schriftleiter der programmatisch nicht festgelegten Zeitschrift »gegner«. Vor allem junge Leute, die nach einem Neubeginn jenseits verkrusteter politischer Fronten suchten, wollte er erreichen. Der 22jährige, seit Sommer 1932 Herausgeber des »gegner«, debattierte in unterschiedlichen Lagern. Krisenbewußtsein ging einher mit dem Willen nach revolutionärer Veränderung. Ein Schritt realer Aktivität bedeutete ihm mehr als der Streit um Begriffe und Programme. Sein Bekenntnis zum Sozialismus verkörperte mehr eine Haltung denn programmatische Übereinstimmung mit den Zielen der Arbeiterbewegung. Der Bürgersohn lehnte die Politik der SPD ab, zeigte sich beeindruckt von der KPD als radikaler Protestpartei, kritisierte aber ihren bürokratischen Arbeitsstil und ihre Abhängigkeit von Entscheidungen der Moskauer Kominternzentrale. Die Entwicklung in der Sowjetunion empfand er als ein soziales Experiment von ungeheurem Ausmaß, eine Anregung, aber für deutsche Verhältnisse nicht geeignet. 36 Quellenmäßige Belege zu dem biografischen Exkurs zu Harro SchulzeBoyscn siche Hans Coppi: Harro Schulze-Boysen — Wege in den Widerstand. Einc biographische Studic. Koblenz 1995. — Hans Coppi/Gcertjc Andresen (Hrsg.): Dieser Tod paßt zu mir. Harro Schulzc-Boysen — Grenzgänger im Widerstand, Bricfe 1915 bis 1942. Berlin 2002.
217
Der charismatische Debattenredner verstand es, junge Leu-
te an sich zu binden, ihren Hoffnungen Ausdruck zu verleihen. Den »gegner« umgab bald ein lockerer Kreis überwiegend
junger Männer, zumeist Oppositionelle aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Die Nazibewegung beeindruckte Schulze-Boysen nur kurzzeitig. Er trat ın ihren Versammlungen auf, wurde bedroht und auch respektiert. Mit einem nicht versie-
genden Sendungsbewußtsein gedachte er, die »Ehrlichen« auch aus der braunen Bewegung für eine »neue Front« zu gewinnen, die quer durch alle Lager gehen sollte.*”
Nach der Machtübertragung an Hitler hoffte Schulze-Boysen, die Nazı-Bewegung mit »wirklichen Revolutionären« aus der SA und anderen politischen Lagern zu radikalisieren und der »nationalen Erhebung« eine revolutionäre Stoßrichtung zu geben. Statt dessen erlebte er das Ende der von ıhm oftmals geschmähten Weimarer Republik in einem Folterkeller der SA. Nur dank persönlicher Verbindungen des Vaters aus kaiserlichen Marinezeiten zu dem von der NSDAP
eingesetzten Poli-
zeipräsidenten, Admiral a. D. von Levetzow, konnte die Mutter ihren zerschundenen Sohn mit einem Polizeikordon am Morgen des 1. Mai 1933 aus der Folterstätte befreien. Für seinen
erschlagenen jüdischen Mitarbeiter Henry Erlanger kam jede
Hilfe zu spät.
Im April 1934 gelang es dem Hitlergegner, cine Anstellung als Hilfsreferent im Reichsluftfahrtministerium zu finden, zu-
ständig für die Auswertung ausländischer Zeitschriften in der Abteilung »Fremde Luftmächte«. Diese Tätigkeit bereitete ihm nur wenig Freude. Er fühlte sich in dem biirokratischen Apparat oftmals
ın seinen Fähigkeiten
unterfordert und für seine
erbrachten Leistungen unterbezahlt. Die Vorgesetzten schätzten seine Arbeıt, aber Anerkennung und Beförderung blieben ihm lange versagt. Der Sicherheitsdienst und die Personalabtcılung stuften Schulze-Boysen lange als unzuverlässig ein. Erst nach der Absolvierung von Übungen wurde er im April 1939 zum Leutnant und im April 1941 zum Oberleutnant befördert.
37 Siche Harro Schulze-Boysen: morgen. Berlin 1932.
218
Gegner von heute. Kampfgenossen
von
Um den politischen Aktivisten und Visionär Schulze-Boy-
sen hatte sich Mitte der Dreißigerjahre ein Kreis von Regimegegnern gebildet, dem seine Frau Libertas,** der Bildhauer Kurt
Schumacher und seine Frau Elisabeth, die Ärztin Elfriede
Paul,*” der Autodidakt
und Schriftsteller Walter Küchenmei-
ster, der wie auch dic Laienschauspielerin Marta Wolter früher
der KPD angehörte, die Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller,* der Schriftsteller Günter Weisenborn*' und nach sciner Entlassung aus dem KZ Buchenwald auch der friihere
Redakteur kommunistischer Zeitungen Walter Husemann angehorten. Diskussionen und Ausfliige prägten die Begegnungen.
Schulze-Boysen gewann als Gespréachspartner den Oberst der Luftwaffe, Erwin Gehrts, einem aus dem »Tatkreis« kom-
menden Journalisten und konservativen Hitlergegner, der seit 1936 im Reichsluftfahrtministerium arbeitete. Als Elfriede Paul und Kurt Schumacher den lungenkranken
Walter Kiichenmeister Ostern
1939 in die Schweiz brachten,
suchten sie den Schauspieler und Kommunisten Wolfgang Langhoff auf, der sıe mit Vertretern der Auslandsleitung der KPD in Verbindung brachte. Diese hatten Bedenken gegen eine direkte Zusammenarbeit mit den Berliner Intellektuellen und empfahlen, erst einmal in Berlin Verbindungen zu Gruppen des kommunistischen Widerstandes aufzunehmen. Informationsberichte, die Schulze-Boysen fiir seine Gesinnungsfreunde ın Berlin fertigte, gelangten über Elfriede Paul und auf anderen Wegen in die Schweiz. Auf Drängen von Harnack und Kuckhoff stellte Schulze-Boysen den Kontakt in die Schweiz ım Frithjahr 1941 ein. Korotkow war aus Moskau wiederholt nachdriicklich darauf hingewiesen worden, daß der Oberleutnant der Luftwaffe alle Kontakte zum kommunistischen Widerstand abbrechen sollte. 38 Sichc Libertas Schulze-Boysen und dic Rote Kapelle. Begleitheft zur Ausstcllung im Schloß Licbenberg. Konzeption, Redaktion, Texte: Hans Coppi und Johanncs Tuchel. Berlin 2004. — Rolf Aurich/Wolfgang Jakobson
(Dcutsche
Kincmathck)/Wenke
Wegner
(Hrsg.):
Libertas Schul-
zc-Boyscn, Filmpublizistin. Berlin 2008. 39 Siche Elfricde Paul: Ein Sprechzimmer der Roten Kapelle. Berlin 1981. 40 Sichc Geertje Andresen: Oda Schottmiiller 1905-1942. Tänzerin, Bildhaucrin und Nazigcgncerin. Berlin 2005. 41 Siche Giinthcr Weiscnborn: Mcemorial — Der gespaltene Horizont/Nicderschriften cines Auflensciters. Berlin 1982,
219
Im Frühjahr 1941 arbeitete Schulze-Boysen an einer Studie über Napoleon. Darin verdeutlichte er Parallelen zwischen der Invasionspolitik Napoleons und Hitlers bevorstehenden Rußlandfeldzug. Die historische Gestalt Napoleons diente als Chiffre für Hitler.* Viele Fäden des sich ausweitenden Netzes von Verbindungen zu anderen Widerstandskreisen liefen bei Schulze-Boysen zusammen. Ende August 1939 diskutierte er mit Heinrich
Scheel über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Daraus entstand ein Zugang zu dem Kreis der ehemaligen Schüler der Schulfarm Scharfenberg.* Weihnachten 1941 traf er den Psychoanalytiker Dr. John Rittmeister* und daraufhin den ihn umgebenden Zirkel oppositioneller Jugendlicher, die sich an der Heilschen Abendschule auf ihr Abitur vorbereiteten. In Uniform und mit Pistole sicherte Schulze-Boysen ın der Nacht
vom 17. zum 18. Mai die umstrittene Zettelklebeaktion gegen die antisowjetische Propagandaausstellung »Das Sowjetparadies«. Als die Berliner am Montagmorgen zur Arbeit eilten, entdeckten sie an Bdumen und Winden in verschiedenen Stadtteilen Hunderte von Aufklebern: DAS NAZIPARADIES — Krieg, Hunger, Elend, Gestapo wie lange noch?
John Sieg und die Innere Front 1941
nahm
Adam
Kuckhoff wieder Verbindungen
zu John
Sieg* auf. Als Kind deutscher Einwanderer kam Sieg 1903 in Detroit zur Welt. 1912 besuchte er mit seinem Grof3vater Deutschland und kehrte erst nach dessen Tod 1923 in die USA zuriick, arbeitete in Detroit und setzte sein in Deutsch-
42 Siche Harro Schulze-Boysen: Napolcon Bonaparte, scin politischer Weg kurz dargestellt in Ausziigen aus bckannten Werken der Geschichtsschrcibung. Ungezeichnet (verdftfentlicht in Ginther Weisenborn: Der lautlosc Aufstand. Hamburg 1954).
43
Sichc
Heinrich
Scheel:
Vor den
Schranken
des
Reichskriegsgerichtes:
Mcin Weg in den Widerstand. Berlin 1993, S. 210ff. 44 Siche John Rittmeister: Hicr brennt doch dic Welt. Aufzcichnungen aus dem Gefängnis 1942-1943. Hrsg. von Christine Teller. Gütersloh 1992, 45 Siche John Sicg: Einer von Millionen spricht. Skizzen, Erzdhlungen, Reportagen, Flugschriften. Hrsg. von Helmut Schmidt. Berlin 1989.
220
land unterbrochenes
Studium
als Werkstudent
fort.
1928
buchten er und seine künftige Frau Sophie die Schiffspassage
nach Deutschland. Nach seiner Rückkehr veröffentlichte er
erste Erzählungen ın der von Adam Kuckhoff herausgegeben Zeitschrift »Die Tat«. Der Kommunist Hermann Grosse gewann Sieg zunächst als freien Mitarbeiter (Pseudonym Siegfried Nebel) und seit Ende 1929 als Feuilletonredakteur für die
»Rote Fahne«. Während seiner dreimonatigen Haft ın dem SAGefängnis Hedemannstraße bot ihm der SA-Gruppenführer, Karl Ernst, im Frühjahr 1933 die sofortige Entlassung an, wenn er bereit wäre, fiir die Nazipresse zu arbeiten. Der Journalist blicb ıhm die Antwort schuldig. Nach seiner Entlassung zogen Siegs von Reinickendorf in die Jonasstral3e nach Neukölln. In dem Arbeiterbezirk begann Sieg vorsichtig einen Wıderstandskreis aufzubauen. In Wohnungen von bisher nicht als Kommunisten aufgefallenen Mitstreitern wurde über aktu-
elle politische Entwicklungen gesprochen.* Hermann Grosse erinnert sich an ausführliche Diskussionen über die »Brüsseler Konferenz« und über die Schaffung einer Einheitsfront mit
Sozialdemokraten.*’ Daran nahm auch Karl Hellborn teil, der
aus den christlichen Gewerkschaften kam und Verbindungen
zu katholischen Hitlergegnern unterhielt. Der Fahrdienstleiter
bei der Reichsbahn konnte John Sieg 1937 eine Anstellung als Gütebodenarbeiter auf dem Stettiner Bahnhof vermitteln. Anfang 1941 schloß Sieg eine Fahrdienstleiterausbildung ab und arbeitete von Ende 1941 bis zu seiner Verhaftung als Fahrdienstleiter auf dem Bahnhof Tempelhof. Kontakte von John Sieg bestanden bis 1938 zur Auslands-
leitung der KPD in Prag, zu Robert Uhrig, Kurt Hess,* Gertrud
Rosemeyer, Heinz Kapelle und zu Mitgliedern der Herbert-
Baum-Gruppe. Unter Ausnutzung aller konspirativen Möglich-
keiten wurde versucht, erinnerte sich Sophie Sieg, die einzelnen 46 Siche Befragung Kurt Heims. 31. August 1967. In: GDW. Sammlung Rotc Kapclle. RK 39/83. 47 Sichc Befragung Hermann Grosse vom 29. Scptember 1967. In: GDW. Sammlung Rotc Kapclle. RK 39/80. 48 Sichc Befragung Kurt Hess August 1967. In: GDW. Sammlung Rote Kapelle. RK 39/87. — Dic Zahnarztpraxis von Kurt Hess war Treffpunkt fir Kommunisten, Juden und andcre Antifaschisten.
221
Gruppen zu einem »Netz« zu verflechten und Literatur, Flugblätter sowie Informationen an die Genossen heranzubringen.“
Dazu diente auch die hektographierte Zeitschrift »Innere
Front«, die unter journalistischer Betreuung von John Sieg seit
Ende 1941/Anfang 1942“ hergestellt worden ist. Zu seinen engsten Mitstreitern gehörte der 1939 aus der
Haft entlassene Buchdrucker Herbert Grasse, der über zahlrei-
che Verbindungen zu Kommunisten in Berliner Betrieben verfügte. Er sammelte auch Nahrungsmittel, Lebensmittelmarken und Tabakwaren für ausländische Zwangsarbeiter. Zugleich
verkehrte Grasse in dem Kreis um den Schauspieler und Dramaturgen Wilhelm Schiirmann-Horster und den Arbeitern Karl Böhme und Hans Coppi. Diese Diskussionsgruppe von Kiinstlern und Kommunisten
hatte sich im Sommer
1940 gegriin-
det.”' Im August 1941 nahm John Sieg an einer Beratung teil, auf der er darauf orientierte, die kommunistisch gesinnten Ar-
beiter anzusprechen, zusammenzufassen und auf dieser Grundlage die Arbeit zu beginnen. Die Verbindung zu Wilhelm Guddorf kam 1939/1940 eher zufdllig zustande. Siegs trafen ın der S-Bahn die Mutter von Eva-Maria Buch, die Sophie Sieg seit 1911 kannte. Frau Buch
erzdhlte, daß ithre Tochter mit dem Kommunisten Wilhelm Guddorf befreundet sei. Der 1902 geborene Guddorf war ein
Mann mit überragenden intellektuellen Fahigkeiten. Er beherrschte zwolf Sprachen. Mit 20 Jahren der KPD beigetre-
ten, veroffentliche der Redakteur der »Roten Fahne« seit 1926
unter dem Pseudonym Paul Braun auf3enpolitische Beitrdge sowie zahlreiche
literaturkritische, historische und philosophi-
sche Essays. Da Guddorf sich an der illegalen Herausgabe der »Roten Fahne« beteiligte, wurde er 1934 im Zuchthaus Luck-
au und anschlieBend im KZ Sachsenhausen weggesperrt. Uber
49
Siche
Sammlung
»Inncre
Front«
von
Charlotte
Bischoff,
undaticrte
Aufzcichnungen von Sophic Sicg. In: GDW. Sammlung Rote Kapclle. 50 Sichc Konsultation mit Kurt Hess vom 23. März 1963. In: Ebcenda. — Kurt Hess crinnert sich, daß dic »Innere Front« Ende 1941/Anfang 1942 erschienen scin muß. Nur dic im August 1942 crschicnenc Ausgabe Nr. 15 ist überlicfert. 51 Siche Urteil gegen Wilhelm Schiirmann-Horster u. a. vom 21. August 1943. In: Bundcsarchiv Berlin. NJ 2.
222
die Ärztin Elfriede Paul lernte er nach seiner Entlassung im Sommer 1939 Harro Schulze-Boysen kennen und wertete für
ihn ausländısche Zeitschriften aus. Guddorf, der ab 1940 ın der Buchhandlung Gsellius arbeitete, verfügte über vielfältige
Kontakte ın den kommunistischen Untergrund, zu Robert Uhrig, Fritz Lange, Martin Weise, Ilse und Philipp Schaeffer,
Lotte Schleiff und anderen in Berlin, zu Bernhard Bästlein und anderen Hamburger Genossen aus der Haftzeit in Sachsen-
hausen. Gelegentlich war er auch mit bürgerlichen und sozialdemokratischen Hitlergegnern im Gespräch. Wilhelm Guddorf wurde im Sommer 1942 von Sieg in den Diskussionskreis mıt Harnack, Grimme und Kuckhoff eingefiihrt.In Diskussionen wurde die Notwendigkeit erörtert, den verschiedenen kommunistischen Widerstandsgruppen einen organisatorischen Zusammenhalt und örtliche Leitungsgremien zu geben. Wilhelm Guddorf war ein wichtiger Ansprechpart-
ner, manche
seiner Mitstreiter bezeichneten ihn als »Lenin«,
andere sahen ihn schon als »Reichsleiter« der KPD. Er war ein faszinierender Mann mit einem unerschöpflichen Wissen, dessen organisatorische und konspirative Schwächen, aber
auch dessen Sorglosigkeit dem Aufbau einer Organisation un-
ter seiner Leitung Grenzen setzten. Auch die Verhaftungen von
über
170 Mitgliedern der Gruppe
um
Herbert Uhrig Anfang
Februar 1942 diirfte dazu beigetragen haben, daß vom Aufbau ortlicher Leitungsstrukturen Abstand genommen wurde. John Sieg erzéhlte seinen Genossen von Gesprächen mit antifaschistischen Intellektuellen. Einige seiner Mitstreiter warnten ihn. Intellektuclle schienen fiir sie der Inbegrift von Unzuverlassigkeit zu sein, da sie Regeln der Konspiration nicht
cinhielten und dadurch die Sicherheit der eigenen Gruppe ge-
fährden könnten.“
52 Sichc Befragung Sophic Sicg, 18. Juli 1967. In: GDW. Sammlung Rotc Kapclle. RK 41/98. 53 Sichc Befragung Max Grabowski, 2. August 1967. In: GDW. Sammlung Rotc Kapclle. RK 39/79. — Befragung Erika Schmidt, März 1968. In: Ebcnda.
223
Organisiert den revolutionären Massenkampf Zu den originären Überlieferungen der Widerstandsgruppierung
zählen
Informations-
und Schulungsmaterial
schriften, die um die Jahreswende
mer
1941/1942
1942 erarbeitet und verbreitet wurden.
sowie Flug-
bis zum
Som-
Die Schriften
vermitteln einen Ausschnitt aus den Vorstellungen und Diskus-
sionen einzelner Akteure. Unter dem Eindruck der ersten Niederlage der deutschen Wehrmacht vor Moskau und nach Eintritt der USA ın das Kricgsgeschehen verbreitete sich im Dezember 1941 unter An-
tifaschisten die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Nazidiktatur. Gleichzeitig setzten Diskussionen unter Kommunisten ein, inwieweit eine stirkere Zentralisierung und die Schaffung bezirklicher und regionaler Leitungen die Wirksamkeit der illegalen Arbeit erhöhen konnte. Ein Leitungsgremium der Berliner KPD, wie ın DDR-Veréffentlichungen immer wieder behauptet,™* existiertec zu dieser Zeit nicht. Die zunichst in Hamburg von Bernhard Biéstlein ausgearbeitete und dann von John Sieg und Wilhelm Guddorf weiter formulierte Schrift »Organisiert den revolutiondren Massenkampf gegen Faschismus und imperialistischen Krieg« zirkulierte im ersten Halbjahr 1942 in verschicdenen Berliner und Hamburger Widerstandskreisen.>? Das 19seitige Informationsmaterial®® war vor allem als Verstindigungspapier für Kommunisten und deren Sympathisanten gedacht. Die Verfasser nahmen cine Einschitzung des »imperialistischen Krieges« vor. Sie gingen auf die komplizierte Situation fiir die Sowjetunion in der Dialektik von Friedenspolitik und Verteidigungskrieg ein, und gleichzeitig schien Optimismus auf, wenn sie auf die Defensive als Voraussetzung fiir die Offensive, auf die großen 6konomischen und militdrischen Res-
54 Sichc Louisc Kraushaar: Berliner Kommunisten im Kampf gegen den Faschismus. Robert Uhrig und Genossen. Berlin 1981. 55 Sichc Bundcsarchiv Berlin. NJ 1642, — Louisc Kraushaar: Berliner Kommunisten im Kampf gegen den Faschismus. Robert Uhrig und Genossen. Berlin 1981. S. 251. 56 Sichc Fuflnotc 47. 48 und 49. — Kurt Hess und Sophic Sicg crinnemn auch cinc 21- bzw. 24scitige Fassung der Flugschrift.
224
sourcen der Sowjetunion, die Leistungen der Roten Armee und ihre strategischen Reserven verwiesen. Der damit verbreitete Optimismus, daß die »Zerschmetterung des Faschismus nahe ıst«, bezog die Gegensätze im Fernen Osten und innerhalb der imperialistischen Hauptmächte, aber auch den Kampf um soziale und nationale Befreiung in den okkupierten und ausgebeuteten Ländern ein. Die Ostfront bleibe »Hauptkriegsschauplatz und Schwerpunkt der Entscheidungen«, auch »wenn Hitler zwischen die Mühlsteine des Zweifrontenkrieges geraten« würde. Das letzte Viertel des Informationsmaterials widmete sich dem zu organisierenden revolutionären Kampf der Massen in Deutschland. Es sei hochste Zeit fiir die Revolutionire in Deutschland geworden, endlich ans Werk zu gehen und nicht länger auf die Rettung von »außen« zu warten. Da wird die ungebrochene revolutiondre Kraft der deutschen Arbeiterklasse
beschworen,
die nun vor einem
neuen
Aufschwung stehe. Die zum Jahresende 1941/1942 eingetretene grundlegend neue aullenpolitische Konstellation, so hofften die Verfasser, konnte die durch Hungersnot, Erh6hung des Arbeitstempos, Rohstoffmangel, unzufrieden werdende Zwangsarbeiter und sich verschirfenden inneren Widerspriiche hervorgerufene revolutionédre Entwicklung ın Deutschland »sprunghaft« begiinstigten. Der Kampf der werktitigen Massen benétige aber eine revolutiondre Organisation. Dafiir sollten nun die eigenen Reihen geschlossen, das Abwarten aufgegeben, der Riickzug iın kleine Zirkel und private Nischen beendet und mit der Zentralisierung kommunistischer Zellen begonnen werden. Das Jahr 1918 vor Augen und mit der Leninschen Revolutionstheorie im Kopf wurden »Revolutiondre«, das heißt Kommunisten, darauf eingestimmt, daß mit dem Sturz des Naziregimes auch die kapitalistische Ordnung iiberwunden und damit der Biirgerkrieg und die Errichtung der Diktatur des Proletariats auf der Tagesordnung stehen wiirde. Die Verfasser riefen die Kommunisten auf, in den Betrieben und in der Armee zu wir-
ken und dort die politische Fiihrung des Proletariats zu übernehmen. Es wurde aber nicht zu einer breiten Front aller Nazigegner aufgerufen. Im Gegenteil, biirgerlichen Hitler-Gegnern, den » Auch-Antifaschisten«, warf man die Konservierung
alter Macht- und Besitzverhiltnisse vor. Die weitergehendc
225
Bündniskonzeption ım Kampf gegen das Hitlerregime und die
auf der Berner Konferenz 1939 entwickelten Nachkriegskonzepte für eine »neue demokratische Republik« finden sich
hierin nicht wicder.”
Dıe aus Moskau kommenden Fallschirmspringer Erna Eifler und Wilhelm Fellendorf hatten vor ihrem Einsatz im Mai
1942 ein Gespräch mit Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht im
Hotel »Lux«. Als sie Bernhard Bästlein im Sommer 1942 erklär-
ten, daß die Moskauer KPD-Führung auf eine breite Einheitsfront von der äußersten Linken bis zu den Deutschnationalen
zum Sturz Hitlers orientierte, zeigte Bernhard Bästlein wenig Verständnis für diese Linie.™ Die Schrift fand ıhren Widerhall iın kommunistischen Gruppen und Zirkeln, in denen im Frühjahr 1942 auf ein schnelles Kriegsende gehofft wurde. Herbert Baum stellte die Forderung: Zentralisation, Schluß mit dem Zirkelwesen, Wie-
deraufnahme Aspekte
der revolutionären
aus dem
Massenarbeit.””
Informationsmaterial
Flugschriften der »Roten Kapelle« wieder.
finden
Einzelne
sich auch
ın
57 Siche Klaus Mammach (Hrsg.): Dic Berner Konferenz der KPD (30. Januar — 1. Fcbruar Prolctariats wurde
1939). Berlin 1974. S. 137. — Auf dic Diktatur darin nicht orientiert, wic auch der Aufruf »An
des das
dcutsche Volk und an das dcutsche Heer'« des Zentralkomitees der KPD zeigt. Er wurde ab dem 16. Oktober 1941 über den Moskauer Rundfunk verbreitet und zielte auf cin friedliches demokratisches Deutschland und cinc Volksherrschaft (siche Margot Pikarski/Giinter Ucbel: Der antifaschistische Widerstandskamp{ der KPD im Spicgel des Flugblatts 1933— 1945. Berlin 1980. S. 151f.). 58 Siche Gestapo Hamburg. Vernchmung Wilhelm Fellendorf vom 25. November 1942, In: Bundcesarchiv Berlin. Abteilung Dahlwitz-Hoppegarten. ZR 770. Akte 3. Bl. 40. 59 Sichc Bundarchiv Berlin. NJ 1642. Bd. 23. — Dicsen Hinweis verdanke ich Michael
Kreutzer,
der dic Aufzeichnungen
Notizen — vermutlich von Herbert Baum - fand.
226
in den
handschriftlichen
Die Sorge um Deutschlands Zukunft Der Ende Januar
1942 von Radio Moskau verbreitete Aufruf
»An das deutsche Volk«® von 60 emigrierten Abgeordneten,
Gewerkschaftsfunktionären, Schriftstellern und Künstlern, be-
gann mit den Worten:
»Erfiillt von tiefster Sorge um unser
deutsches Volk, seine Ehre und seine Zukunft, erfüllt von tiefster Sorge um die nationale Existenz Deutschlands, erheben
wir Anklage gegen Hitler.«*!
Die Ende Januar/Anfang Februar
1942 von Harro Schul-
ze-Boysen und John Graudenz entworfene und von Heinz Strelow sowie Cato Bontjes van Beek überarbeitete und auf
Wachsmatrizen
getippte, sechsseitige Flugschrift »Die Sorge
um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk«® nahm den
Tenor dieser Botschaft auf, wandte sich an die Kritischen, die
Unentschlossenen und Wankelmütigen, argumentierte und for-
derte auf, endlich zu handeln. Die Verfasser wollten vor allem
die bürgerliche innere Emigration erreichen und sie in ihrer kritischen Haltung bestärken. Auf dem Postweg erhielten Mitte Februar 1942 verschiedene katholische Pfarrämter, protestan-
tische Pfarrer, Professoren, Ärzte, Diplomingenieure, Rechtsanwälte, der frühere Finanzminister Popitz, selbst Freisler,
Staatssekretär im Justizministerium, in Berlin tätige Auslands-
korrespondenten,
aber auch
Wehrkreis-
bzw.
Wehrbezirks-
kommandos in ganz Deutschland die Schrift.® Die erste Hälfte
60 Sichc Margot Pikarski/Günter Ucbel: Der antifaschistische Widerstandskampf der KPD im Spicgel des Flugblatts 1933-1945. Berlin 1980. S. 159f. 6 Margot Pikarski/Günter Ucbel: Der antifaschistische Widerstandskampf der KPD im Spicgel des Flugblatts 1933—-1945. Wuppertal 1980. S. 159. 62 Veröffentlicht ist dic Flugschrift bei Heinrich Scheel: Dic Rote Kapcelle und der 20. Juli 1944, In: Zcitschrift fiir Geschichtswisscnschaft. Berlin (1985)4.
S. 325-337.
— Sichc
auBBerdem
dic Veroffentlichung
in Peter
Stcinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand in Dcutschland 1933— 1945. Ein historisches Lescbuch. Miinchen 1994, S. 267-275. 63 Sichc Bundcsarchiv Berlin. R 58/1104. 288 — Excmplare crhiclt dic Gestapo bis Mittc März 1942 zuriick. Dic Autorcn konnten nicht crmittclt werden. Dic Nachforschungen wurden cingestellt. — Siche auch Verfasser und Verteiler der Flugschrift: Dic Sorge um Decutschlands Zukunft gcht durch das Volk (Kopic). In: GDW. Sammlung Rotc Kapclie. RKA 310. Gestapo. Referat IV A 1. — Als Verfasser werden darin Harro
227
analysierte die sich verschlechternde innenpolitische Lage, bilanzierte Versprechungen und Ergebnisse faschistischer Politik und klagte die Unfähigkeit der Regierenden an. Anhand der nicht mehr zu erreichenden Kriegsziele und des nicht zu gewinnenden Zweifrontenkrieges wurden die Unfehlbarkeit Hitlers und die Propagandalosungen vom Endsieg widerlegt. Die Verfasser prangerten die im Namen des Reiches begangenen
Grausamkeiten und Gewaltverbrechen an Zivilisten und Kriegsgefangenen an und wiesen auf die eigene Verantwortung hin, die jeder übernahm, der weiter treu und redlich Hitler diente und somit die Zukunft des deutschen Volkes verspielte.
Der zweite Teil beschiftigte sich mit der Frage »Was soll
werden?«. Jedoch nicht eine demokratische Republik, worauf die KPD auf ihrer »Berner Konferenz« 1939 orientierte, sondern eine sozialistische Riterepublik wurde favorisiert: »Das
deutsche Volk braucht eine sozialistische Regierung der Arbeiter, der Soldaten und der werktétigen Intelligenz. Nur durch das entschlossene Zusammengehen
der besten Teile der Ar-
beiterklasse und der Intelligenz soll den Nationalsozialisten das Heft aus der Hand gerissen werden.« Die Flugschrift wandte sich nicht an, sondern gegen biirgerliche Hitlergegner, wie auch schon in dem Informationsmaterial zum revolutionidren Massenkampf: »Die Politik gewisser deutscher Feudaler, Diplomaten, Bankiers usw., welche davon trdumen, nach einem
Staatsstreich dem Lande durch die blutige Verfolgung aller bisher an der Macht Beteiligten eine neue politische Grundlage zu geben und alsdann ein restauriertes Deutschland auf Kosten Rußlands mit den »Plutokraten«< zu verséhnen, hat also keinen
Boden unter den Fiilen und bringt keinen Frieden. Mit HaB, Demagogie und riickschrittlicher Gesinnung wird keine Zukunft gezimmert. Freunde unseres Volkes finden sich vielmehr unter den fortschrittlichen Kréften Europas und in der UdSSR.« Mit Entschiedenheit wurde auch die in der biirgerlichen Opposition dominierende Option fiir eine einseitige Beendigung des Krieges ım Westen als illusiondr und »volksfeindlich« abgelehnt. Jede Fortsetzung des Krieges konne nur dazu fiihren,
Schulze-Boyscn, Johannes Graudenz, Maric Terwicl und Helmut Himpel angcgcben.
228
daß der Zusammenbruch
ein im Vergleich zum November
1918 unvorstellbares Ausmaß annehmen würde. Also sei passiver und aktiver Widerstand das Gebot der Stunde: »Jeder muß Sorge tragen, daß er — wo immer er kann — das Gegenteil von dem tut, was der heutige Staat von ihm fordert.«
Das nationalsozialistische Stadium des
Monopolkapitals (Imperialismus)
Die ım Frühjahr 1942 von Arvid Harnack abgeschlossene Schrift gehört zu den wenigen überlieferten theoretischen Ar-
beiten aus dem deutschen Widerstand, die sich mit den 6ko-
nomischen Grundlagen des Nazi-Regimes auseinandersetzen. Den Bezugsrahmen bildete Lenins »Imperialismus als hochstes Stadium des Kapitalismus« aus dem Jahre 1916. Die
von
Harnack
zu Schulungszwecken
verfal3te
Schrift,
deren
beachtliches Verstdndnis der Imperialismustheorie iiberrascht, folgt einer subversiven Wirkungsabsicht. Der Leser soll befahigt werden, grundlegende 6konomische Vorgänge ın der Gesellschaft zu analysieren. Damit erhélt er eine Orientierungshilfe,
die von ihm wahrgenommenen Wirtschaftsereignisse besser, das heißt kritisch, einzuordnen: »Infolge einer in dieser Stirke, selbst im zaristischen Rußland nicht dagewesenen Pressezensur ist es heute nur schwer moglich, sich heute ein Bild der Entwicklung des deutschen Monopolkapitalismus zu machen. Die Vernebelung des Bildes durch Schlagworter wie »alle miissen opfern»Genickschuß« zu liquidicren. « 68 Offene Bricfe an dic Ostfront. 8. Folge. In: John Sicg: Einer von Millioncn spricht. Skizzen, Erzahlungen, Reportagen, Flugschriften. Hrsg. von Helmut Schmidt. S. 131-140.
231
Spionagenetz, wie in der Nachkriegsgeschichtsschreibung ın
Kontinuität zu den Deutungsmustern der Gestapo
ım Westen
behauptet, noch war sie eine unter Führung der KPD deutschland- und europaweit operierende Volksfrontorganisation und Kundschaftergruppe — wie die SED-Geschichtsschreibung propagierte und damit die politische und weltanschauliche Vielfalt dieser Widerstandsgruppierung einzuebnen versuchte.
Das antifaschistische Netzwerk trug deutliche Züge einer
Sammlungsbewegung.®
Freundschaft
und Nazigegnerschaft
gingen darin oftmals zusammen. In den privaten Gemeinschaften wahrten die Beteiligten eine andere, der Naziideologie entgegengesetzte Identität. Die Begegnungen von Andersdenkenden, ıhr Meinungsaustausch wurde unter den Bedingungen einer gleichgeschalteten Öffentlichkeit zum entscheidenden Kommunikationsmittel. Der von Werner Krauss geprägte literarische Topos »Bund für unentwegte Lebensfreude« fand in den Freundeskreisen seine Entsprechung. Der eigentliche Widerstandskreis war die, wıe Werner Krauss formulierte, ver-
deckt agierende »Katakombengesellschaft«.” Widerständiges Verhalten hatte seinen Alltag ın den vielfältigen Verzweigungen zu anderen Hitlergegnern, Nicht-Nazis und antıfaschistischen Sympathisanten. Als einen »kunterbunten Haufen« behielt der Historiker Heinrich Scheel das Netzwerk aus Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, verschiedener Lebenserfahrun-
gen und Weltanschauungen in Erinnerung.”! Die erstaunliche Vielfalt entstand durch personliche Freundschaften. Nazigeg-
69 Sichc Jirgen Danycl: Dic Rotc Kapclle. In: Peter Steinbach/Johanncs Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen dic nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Bonn 2004. S. 400. 70 Werner Krauss: PLN. Dic Passionen der halykonischen Scele. Berlin 1980. — Krauss gchortc zu dem Widerstandskreis um den Psychoanalytiker John Rittmecister. — Siche ferner Elisabeth Fillmann: Realsatire und Lcbensbewdltigung. Studien zu Entstchung und Lcistung von Werner Krauss’ antifaschistischcm Roman »PLN. Dic Passioncn der halykonischen Scele«. Frankfurt am Main 1996. — Pcter Jchlwe/Pceter-Volker Springborn (Hrsg.): Werner Krauss, Ein Romanist im Widcrstand. Bricfc an dic Familic und andcre Dokumente. Berlin 2004. 71 Sichc Regina Gricbel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel: Erfaßt? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Einc Fotodokumcntation. Halle 1992, S. 297.
232
ner erkannten einander, kamen
ins Gespräch.
Da wurde eine
andere Sprache, ein anderer Ton angeschlagen. Widerstand und Resistenz führten zur Immunisierung gegen die NS-Ideologie, gegen die Vereinnahmung durch den Staat und seine Organisationen. Im Dissens zum Naziregime bewahrten die Menschen ihren humanistischen Lebensanspruch, behaupte-
ten Anstand und Menschenwürde, stellten sich der Menschen-
verachtung entgegen und halfen Bedrohten sowie Verfolgten. Hieraus entstanden Konfliktlinien zum NS-Staat und seinen Institutionen. Die Freundeskreise bildeten ein Refugium, in dem
auch Spannungen ausgetragen und selbst persönliche Krisen ausgehalten werden konnten, ohne den Zusammenhalt in Frage zu stellen. Vertrauen und Verläßlichkeit, gegenseitiger Respekt, Hılfe füreinander und für andere prägten die Zusammenkünfte. Es wurde geredet, gesungen, gelacht, Angst, Alleinsein und Mißtrauen überwunden. Gemeinschafts- und Begegnungsfor-
men aus der Weimarer Republik lebten weiter. Die subkultu-
rellen und zugleich subversiven Freundeskreise bestärkten dic Teilnehmer, ihr Leben in einer bedrohten Welt selbst zu gestalten. Frauen gehörten selbstverständlich diesen Gemeinschaf-
ten an. All dies waren Bedingungen für eine Annäherung, für ein Miteinander von Regimegegnern und schließlich auch Vor-
aussetzung für die Bereitschaft, aus geschützten Räumen der Freundeskreise herauszugehen und sich mit Aktionen gegen das Naziregime an die Öffentlichkeit zu wenden und der Bevölkerung zu zeigen, daß die Gegner des Naziregimes aktiv sind, Widerstand möglıch und notwendig ist. Die antifaschistische Sammlungsbewegung fand in dem sich aus den sieben Widerstandskreisen verknüpften Netzwerk einen den Möglichkeiten und Bedingungen der Jahre 1941/1942 angemessenen
organisatorischen Rahmen.
Die lose miteinander verbundenen Freundes- und Widerstandskreise der »Roten Kapelle« vereinte keine gemeinsame Programmatik. Der Dissens zur nazistischen Volksgemeinschaft und die Überwindung des Naziregimes waren der kleinste und zugleich größte gemeinsame Nenner. Kommunisten gehörten zu den aktivsten Mitstreitern, dominierten aber die heterogene Widerstandsgruppierung nicht mit einem wie auch immer gearteten Führungsanspruch. Für Peter Weiss war dic
233
»Rote Kapelle« eine Avantgarde, aber keine Avantgarde einer Partei.” Der Bildhauer Kurt Schumacher hinterlie3 ein Verméchtnis dieser nach 1945 lange umstrittenen und oftmals verzerrt gezeichneten Widerstandsschar. Gefesselt in einer Zelle ım Haus-
gefängnis der Gestapozentrale, schrieb er am 27. November 1942: »Ich habe getan, was ich konnte bis zuletzt und falle für meine Idee und nicht fiir eine fremde, feindliche. [...] Ich
weıß, daß meine, unsere Idee siegt, wenn auch die kleine Vorhut fällt. Wir hätten gerne dem deutschen Volk das Hérteste crspart. Unsere kleine Schar hat aufrecht und tapfer ge-
kdmpft. Wir haben fiir die Freiheit gekdmpft nicht feige sein.«”
und konnten
72 Siche Pcter Weiss: Dic Asthetik des Widerstands. Frankfurt am Main 2005. — Im Dritten Band scines Jahrhundcrtromans hat Weiss der »Roten Kapelle« cin literarisches Denkmal gesctzt. 73
Kassiber (Bleistift) von Kurt Schumacher
auf Riickscite cines Stcucrbe-
scheides. In: GDW. Sammlung Rotc Kapclle. RKA 967. — Hcinrich Starck, Kalfaktor ım Hausgcfangnis, hat den Kassiber versteckt und ihn nach 1945 aus den Trimmern der zerstérten Gestapozentrale geborgen.
234
Das Nationalkomitee
Sowjetunion
»Freies Deutschland«
in der
(Gerald Diesener)
Zuschauern der Wochenschau in den sowjetischen Kinos boten sich ın der zweiten Julı-Hälfte 1943 gänzlich ungewohnte, Ja erstaunliche Bilder. Deutsche Kriegsgefangenc, neben den Mannschaften auch eine Minderheit in Offiziersuniformen darunter, plauderten vor der Kulisse cines idyllisch gelegenen Klubhauses ebenso sichtbar entspannt wie angeregt mit Zivilisten. Das konnte keinesfalls der Alltag in einem beliebigen Kriegsgefangenenlager sein, lag doch iiber dem gesamten Geschehen eine geldste, Ja fast heiter zu nennende Atmosphire.
Weitere Bildsequenzen zeigten einen schwarz-weil3-rot drapierten Versammlungsraum. Ein Präsidium, besetzt mit Tragern der Wehrmachtsuniform sowie mit Zivilisten, hatte unter der von den alten dcutschen Reichsfarben eingefal3ten Losung »Fiir eın freies, unabhidngiges Deutschland« Platz genommen. Nahe Moskau, ın Krasnogorsk, habe sich, informierte der Sprecher, am 12. und 13. Juli 1943 ein Nationalkomitee »Freies Deutschland« konstituiert. Dieser zuvor nicht angekiindigte und deshalb vielerorts ın der Welt sogleich mit Spekulationen verkniipfte Schritt hatte eine ldngere Vorgeschichte, aus der einige wesentliche Gesichtspunkte knapp skizziert werden miissen. Aus der Sicht der Fithrung der KPD markierte diese Krasnogorsker Zusammenkunft cinen Meilenstein in ihrem Kampf gegen das Hitler-Regime, wicwohl damit auch jetzt nicht alle Hoffnungen in Erfiillung gingen.
235
Seit Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland hatten emigrierte Kommunisten, denen traumatische Erfahrun-
gen während der dreißiger Jahre in der Sowjetunion nicht er-
spart geblieben waren und die in der Zeit zwischen 1939 und 1941 auch tiefe Verunsicherungen zu durchleben hatten, am
Ziel einer möglichst breiten Front gegen Hitler und sein Regime
festgehalten. Dem antifaschistischen Volksfrontgedanken, dem der VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935 nachhaltig Geltung verschafft hatte, kam dabei als einem zentralen strategischen Moment ein kaum zu überschätzendes Gewicht zu. Mit dem Einfall deutscher Truppen in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begradigten sich auch für die hier noch lebenden deutschen Kommunisten
die bis dahin zuweilen grotesk ver-
zerrten Frontstellungen der zurückliegenden ersten Kriegsetappe radikal. Nunmehr fest an der Seite der Roten Armee stehend und ihren schnellen Sieg erhoffend, war die Zielstellung, die Wehrmacht möglichst wirkungsvoll zu schwächen und dem Krieg wie dem Regime, das ıhn zu verantworten hatte, damit ein Ende zu machen. Erste Erfahrungen mit deutschen Kriegsgefangenen noch im Sommer 1941 waren freilich ernüchternd. Appelle an das Klassenbewußtsein, an die Solidarıtät oder auch nur den menschlichen Anstand trafen auf Unverständnis, dünkelhafte
Überheblichkeit und Arroganz, zuweilen auch fanatische Ablchnung. In einem schmerzhaften Lernprozeß mußten die
deutschen Kommunisten erkennen, daß ihre vor allem auf den
Weimarer Erfahrungen basierenden Einschätzungen zur geistigen Verfaßtheit der deutschen Bevölkerung mittlerweile vollkommen unzutreffend waren.' Die Lebenswelt der nationalsozialistischen Diktatur und in sonderheit deren Propaganda hatten binnen eines Jahrzehnts grundsätzliche Veränderungen im Denken und Fühlen von Millionen Menschen bewirkt, ja, deren Mentalität zu verändern begonnen. An die Klassenzugehörigkeit zu appellieren — die früheste Frontpropaganda unter ]
Siche dazu Exil in der UdSSR.
236
Berlin 1979.
der Losung: »Deutscher Soldat, schieß nicht auf deine Klassenbrüder!« symbolisiert dieses sich noch an veralteten Erfahrungen orientierende Wollen® —, verfehlte das Ziel vollkommen.
Auch der iiberaus mühsame und von Riickschritten nicht freie Weg der Etablierung einer antifaschistischen Bewegung
unter Kriegsgefangenen,
der zunichst
in kleinsten
Schritten
voranging, die gerade deshalb nicht hoch genug geschitzt werden können, war mit unzdhligen Hindernissen gepflastert.
Sie wogen um so schwerer, als sich Deutschland, so die spä-
ter schmerzhaft bestitigte richtige Prognose der Kommunisten, mit fortschreitendem Kriegsgeschehen immer stärker ın seine größte geschichtliche Katastrophe verstrickte. Aus machtpolitischem Kalkiil war im Mai 1943 die Kommuni-
stische Internationale durchaus iiberraschend fiir Beobachter formal aufgelöst worden. Die »Partei der Weltrevolution« paßte unter den Bedingungen der Antihitlerkoalition und der Hoftnung auf die Er6ffnung der zweiten Front nicht mehr ins Bild. Diese Auflésung bedeutete jedoch kein Auseinanderbrechen oder gar die Liquidierung des Apparates der Komintern, vielmehr bestand fiir die hier aktiv gewesene Infrastruktur der nationalen Sektionen jetzt eine wesentlich größere Bewegungsfreiheit bei der Konstituierung nationaler Organisationen. Im deutschen Fall war dabei die Besonderheit zu meistern,
daß ein nationaler Kampf keinem ausldndischen Aggressor gelten konnte, sondern daf3, um ein bekanntes Wort zu paraphra-
sieren, »der Hauptfeind ım eigenen Land stand«.
Schon bald nach den Erfahrungen des kompletten Mißerfolgs mit der auf die Klassenzugehorigkeit zielenden Propaganda richteten sich die Aktivitditen von Kommunisten an der Front und in den Kriegsgefangenenlagern vor allem darauf, zwischen Hitler mitsamt seinen Paladinen und das deutsche Volk einen Keil zu treiben. Aber auch dieser Weg war steinig und es bedurfte selbst in Gefangenenlagern zunichst der harten Tatsachen militdrischer Niederlagen, um — iiber Einzelfédlle hinaus
— tiberhaupt Gehor zu finden. Erst mit dem Desaster von Sta2
Einc cxzellente Ubersicht bictet Klaus Kirchner: UdSSR Juni—August 1941. Erlangen 1986.
Flugblitter aus der
237
lingrad im Winter
1942/1943* eröffneten sich qualitativ neue
Möglichkeiten, aus einem beginnenden Stimmungswandel her-
aus die Ressourcen zu mobilisieren, die einen repräsentativen Zusammenschluß von Hitlergegnern tragen würden. Zweifellos war für jene deutschen Kommunisten, die die
Sowjetunion als Vorbild für eine in Nachkriegsdeutschland aufzubauende Ordnung begriffen, mit der Aufgabenstellung
der breiten nationalen Front und ihrer Etablierung in einer ersten Etappe der Nachkriegszeit auch emotionale Hürden zu
überwinden. Richtete sich das Bemühen jetzt auf die Findung und organisatorische
Zementicrung
eines zentralen
Konsens
aller patriotischen Kräfte in der Gegnerschaft zu Adolf Hitler und dem Krieg, den er vom Zaum gebrochen hatte, bedeutete das zugleich, die Frage der Präferenz des sozialistischen Gesellschaftsmodells als Gegenentwurf zundchst bewußt in den Hintergrund zu riicken. Erst das Verstehen dieser Gemengelage 6ffnet den Blick dafiir, daß selbst im engen Fiihrungszirkel der KPD-Funktionire über die Erfolgsaussichten eines nationalen deutschen Biindnisses gegen Hitler unterschiedlich geurteilt wurde. Dem entsprach, daB die Uberlegungen im Vorfeld der Griindung des Nationalkomitees »Freies Deutschland« mannigfaltig waren und inten-
sıve Diskussionen hervorriefen.
Die später häufig gestellte Frage, wer der eigentliche Schopfer des NKFD gewesen sei und auf wessen Initiative die detaillierte Regie der Griindung beruht habe, 148t sich wahrscheinlich nicht mehr erschépfend beantworten. Denn die Verwirklichung nationaler Organisationen des Kampfes
gegen die fa-
schistischen Eroberer waren in Moskau von der Staats- und Parteispitze genauso zu bestdtigen, wie alle Schritte auf dem
3
Stalingrad war nicht nur cinc militärische Nicdcrlage desaströsen Ausmalcs. Für den hicr betrachteten Gegenstand ist von Gewicht, daß dicse Katastrophc moralische und sittliche Fragen vom Sinn des Soldatscins und des Kricges ın ciner Zuspitzung aufwarf, dic ithresglcichen in der Weltgeschichte sucht. Unibertroffen dazu dic Zeitzcugen in Joachim Wicder/Heinrich
Graf von
Einsicdel
(Hrsg.):
Stalingrad und dic Verant-
wortung des Soldaten. Miinchen 1993 (Erstausgabe 1962).
238
Weg dazu der Zustimmung der Führung der Roten Armee be-
durften. Auch
Persönlichkeiten
wie
Georgi
Dimitroff oder
Dmitrı Manuilski waren in diese Diskussion einbezogen. Unstrittig 1st freilich, daß jeder Schritt — insbesondere ın Richtung der Schaffung einer deutschen antifaschistischen Front — Stalıns persönlicher Zustimmung bedurfte. Soweit zu sehen, hat jener im Frühjahr 1943 dazu ermuntert, nun auch eine deutsche antifaschistische Front auf breitester Basıs zu bilden, wozu jetzt programmatische Dokumente zu erarbeiten
wären.
Es wurde, folgt man Tagebuchnotizen Georgi Dimitroffs, von Stalin dabei das Argument entwickelt, daß bei weiterem Fortgang des Krieges die Gefahr der Teilung oder gar einer Vernichtung
Deutschlands
im Raum
stehe.
Wie
bereits
er-
wihnt, stand diese Option nicht auBerhalb der Uberlegungen auch Stalins. In diesem Umfeld formulierte die KPD-Fithrung im Sommer 1943 ın Abstimmung mit weiteren Zielvorgaben cinen »Vorschlag zur Bildung des deutschen Komitees zum Kampf gegen Hitlerkrieg und Nazityrannei«, der Georgi Dimitroff Ende Mai iibergeben wurde. Jener hat dieses Papier iiberarbeitet und in dieser Version Stalin zugédnglich gemacht. Nach dessen Kenntnisnahme und Zustimmung erhielt die KPD-Fiihrung die Handlungsfreiheit, nunmehr diesen Weg zu beschreiten, wobei jetzt von einem zu schaffenden Nationalkomitee »Freies Deutschland« die Rede war.* Unter betrdchtlichem Zeitdruck suchten fiihrende KPD-Funktiondre den Kontakt namentlich zu den gefangenen hdchsten Dienstgraden der Wehrmacht. Besonders intensiv wurde Feldmarschall Friedrich Paulus umworben. Die Reise einer Delegation unter Leitung Wilhelm Piecks nach Susdal im Juni 1943 ist in Memoiren spéter des 6fteren geschildert worden,” wobel festzuhalten bleibt, daß es trotz eindringlicher Appcllc an das nationale Verantwortungsbewufltsein letztendlich nicht gelang, 4 5
Die Dectails hicrzu am umfasscendsten bei Jorg Morré: Hinter den Kulisscn decs Nationalkomitces. Miinchen 2001. S. 50. Beispiclhaft sichc Wilhelm Adam: Der schwere Entschluß. Berlin 1965. S. 379-384.
239
Generäle zur Mitwirkung an der Komiteegründung zu bewe-
gen. Pieck notierte für sich: »Offiziere sehen es als taktlos an, sie so schnell zur Entscheidung zu drängen.«® Ganz ohne Re-
sultat blieb diese Werbung dennoch nicht. Unter einigen schließlich doch gewonnenen Offizieren befanden sich mit Karl Hetz, Heinrich Homann und Herbert Stößlein drei Majore,
zudem
konnte
Hauptleute, stützen.
sich die Komiteevorbereitung
darunter
Ernst
Hadermann,’
und
auf mehrere
Oberleutnante
Diese Offiziere, eine größere Zahl kriegsgefangener Soldaten und namhafte kommunistische Emigranten trafen am 12. und 13. Juli 1943 in Krasnogorsk zur Gründung des Nationalkomitces »Freies Deutschland« zusammen. Der zentrale und für die KPD-Politik der zweiten Jahreshälfte 1943 ausschlaggebende Gesichtspunkt lag darın, daß mit dem Komitee eine Organisation auf den Plan trat, die eine ungeschminkt klare Diagnose der eingetretenen militärischen Lage mit einem Aufruf zu patriotischem Handeln verband — der Aufforderung der sofortigen Herbeiführung einer Trennung zwischen Hitler und dem deutschen Volk. In der Beschreibung der eingetretenen Situation wurden alle Energien auf den Widerspruch zwischen Hitler und Deutschland zentriert und vor der täglich größer werdenden Gefahr gewarnt, daß Deutschland bei Fortsetzung des Krieges zerstückelt oder gänzlich von der Landkarte verschwinden könnte. Aus Wilhelm Piecks Ansprache kann hier beispielhaft zitiert werden. Knapp resümierte er, was in Variationen auch die anderen Redner der Zusammenkunft beschrieben: »Völlig klar ist, daß der Krieg nicht im Interesse unseres Volkes, sondern nur ım Interesse einer plutokratischen Oberschicht geführt wird. [...] Wenn unser Volk der Hitlerregierung [...] bis zu-
6 7
Wilhelm Picck: Notizen ncnlagers in Susdal vom BArch NY 4036/571. Bl. Zur Pcrson siche Gerald ncr Jahrhundertleben. In: cins Bergwinkel ¢. V. 13.
240
über den Besuch des Offiziers-Kricgsgefange18.-28. Juni 1943 (hicr zit. nach SAPMO72-82). Diesener: Emst Hadermann — Ein SchliichterMitteilungen des Heimat- und GeschichtsverSchlichtern 1997, S. 3-27.
letzt folgt, dann wird nicht nur unser Deutschland auch noch durch den Landkrieg verwüstet werden, es wird das auch das Ende unserer Reichseinheit und nationalen
Selbstständigkeit
sein. [...] Es würde ihm eine Fremdherrschaft auferlegt werden, die ihm für längere Zeit das Selbstbestimmungsrecht im eigenen Lande nähme. Dieses Unglück muß unter allen Umständen verhindert werden. [...]
Wir werden unser Deutschland retten und einen ehrenhaften Frieden erlangen. Niemand in der Welt hat ein Interesse daran gehabt, Deutschland zu überfallen, niemand will das
deutsche Volk vernichten,
niemand
will ihm seine nationale
Selbständigkeit rauben. Es ist einzig und allein die Hitlerregicrung, die unser Volk und Land in die Vernichtung treibt.«* Ganz im Geiste dieser Konzeption standen die abschlie-
ßenden Kampfansagen des »Manifestes des Nationalkomitees
>Freies Deutschland««, das am Schluß der Tagung schiedet wurde: »Für Volk und Vaterland! — Gegen Hitler und seinen Krieg! — Für sofortigen Frieden! — Für die Rettung des deutschen Volkes! — Für ein freies unabhängiges Deutschland!«’
verab-
Das in Krasnogorsk gegründete Nationalkomitee »Freies Deutschland« umfaßte schließlich 38 Mitglieder, neben 25 Kriegsgefangenen zählten 13 Emigranten zu ihm. Zu wählen aus diesem Kreis waren der Präsident und zwei Stellvertreter. Der Dichter und Kommunist Erich Weinert trat an die Komi-
teespitze, zu seinen Vertretern wurden
Karl Hetz, ein Major,
und der Leutnant der Luftwaffe Heinrich Graf von Einsiedel bestimmt. Fiir die Propagandaarbeit war jener ein ausgespro-
chener Gliicksfall, marcks und damit
denn Einsiedel war ein Nachfahre Bisbesonders autorisiert, im Geiste seincs
Ahnen zur Kriegsbeendigung aufzurufen.' 8
Wilhclm Picck: Es darf kcin ncucs 1918 geben. In: »Freics Deutschland«. Moskau vom 19. Juli 1943. S. 6. 9 Manifest des Nationalkomitees »Freics Deutschland«. In: Ebenda. S. 1. 10 Dic Griindungstagung ist im Wortlaut dokumenticrt in der crsten Ausgabe der Zeitung »Freies Dcutschland«. Moskau vom 19. Juli 1943. Wescntliche Auskiinftc zu Griindung und organisatorischen Modi crteilt: Erich Weinert, Das Nationalkomitee »Freies Deutschland« 1943-1945.
241
Die Statuten des Nationalkomitees sahen vor, daß die min-
destens einmal im Monat stattfindende Vollversammlung aller
Mitglieder die grundsätzlichen Weichen der Arbeit stellen sollte. Zwischen diesen Vollsitzungen lag die Verantwortung beim
Geschäftsführenden
Ausschuß,
dem
mit Erich
Weinert
und
Walter Ulbricht zwei KPD-Mitglieder angehörten, während Hauptmann Hadermann und Hans Zippel, ein Gefreiter, die Kriegsgefangenen repräsentierten. Dieser Ausschuß wurde im Herbst 1943 im Zuge der Verbindung zum Bund Deutscher Offizierc erweitert und durch eine operative Abteilung verstärkt. Durch diese Konstruktionen war gesichert, daß namentlich Erich Weinert als Präsıdent und der Geschäftsführende Ausschuß in den Händen Walter Ulbrichts jederzeit federführend wirkten. Dem kam besonders entgegen, daß sich die Emigranten faktisch frei bewegen konnten, während die Offiziere und Soldaten dem Regime der Kriegsgefangenenlager unterworfen waren. Schließlich war davon auszugehen, daß die Kommunisten ın allen wesentlichen Fragen natürlich die Abstimmung mit den sowjetischen Stellen suchten und im Falle divergierender Auffassungen einc faktische Mittlerrolle zu spiclen hatten, dic ım gegebenen Fall die sowjetischen Interes-
scn und die Intentionen von Kriegsgefangenen gegeneinander auszutarieren versuchen mußten. Allerdings zeigte sich in der
Praxis, daß auch der umgekehrte Fall nicht ausblieb: Sowjeti-
sche Behorden kooperierten mit den kriegsgefangenen Reprä-
sentanten der Bewegung »Freies Deutschland«, namentlich des Offiziersbundes, und die KPD-Mitglieder fiihlten sich schlecht informiert oder gar iibergangen. Der ım NKFD-Manifest
beschricbene Ausweg
aus der sich
abzeichnenden Katastrophe erhob zunächst die militdrische EliBerlin 1957, Beachtlich ungeachtet ciniger Schwichen nach wic vor auch dic Synthese: Bodo Scheurig: Freics Deutschland. Das Nationalkomitce und der Bund Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943-1944, Koln 1984. — Dic derzeit letzte Forschungssynthese, jedoch nicht tatsdchlich umfassend und in Details sogar hinter früheren Kenntnissen zuriickbleibend, siche Gerd R. Ucberschär: Das Nationalkomitce »Freics Dcutschland« und der Bund Dcutscher Offiziere. Frankfurt am Main 1995.
242
te der kämpfenden deutschen Truppe in die Rolle der alles entscheidenden Scharnierstelle im Ringen um cine nationale Front gegen Hitler. Der Weg, den Aufstand gegen Hitler aus nationaler Kraft zu bewerkstelligen, ehe noch die Kriegsgeg-
ner den deutschen Boden betreten wiirden, führte nur tiber sie
— ganz iın diesem Sinne hatte dic Griindungstagung dazu aufgerufen, daß die deutschen
Soldaten
sich unter Verzicht auf
alle Kriegseroberungen und unter Fiihrung verantwortungsbewußter Befehlshaber den Weg in die Heimat bahnen sollten. Namentlich den deutschen Feldmarschillen fiel damit die Verantwortung zum Handeln zu. Daß sich deutsche Feldmarschille allerdings von einem Major oder gar einem Leutnant beeindrucken lassen wiirden, selbst wenn jener mit Bismarcks Autoritdt argumentierte, konnte ginzlich ausgeschlossen werden. Insoweit dominierten in den folgenden Wochen angestrengte Bemiihungen, iiber alle propagandistischen Kanile, die zur Verfligung standen, die Idee cines sofortigen Kriegsendes zu popularisieren. Der zentrale Satz des Aufrufes »An das deutsche Volk und die deutsche Wehrmacht!« vom August 1943,
der noch
einmal
die zentralen
Intentionen
der Griin-
mung
der Ostgebicte, durch den sichtbaren Verzicht auf alle
dungstagung resiimierte, lautete folgerichtig: »Nur durch die Beseitigung des Hitlerregimes, durch die sofortige Einstellung der Kampfthandlungen und gleichzeitige Einleitung der Réuimperialistischen Eroberungen kann das Verbrechen des 22. Juni 1941 wiedergutgemacht werden [...] und Dcutschland in Ehren aus dem Krieg kommen.«'' Nachdem die Werbung um die hochsten Dienstgrade zu-
nächst ergebnislos
verlaufen
war,
kristallisierte sich sowohl
angesichts des nun existierenden Komitees wie des Kriegsver-
laufs bald heraus, daß zwar nicht der ranghochste Gefangene, Feldmarschall Friedrich Paulus, aber doch einzelne Generile
die Einladung zur Mitwirkung in ciner Bewegung »Freies Deutschland« iiberdachten — wenn auf ihre speziellen Interessen cingegangen werden wiirde. Thnen schwebte dabei cine
11
Aufruf »An das dcutsche Volk und dic deutsche Wehrmacht!«.
cs Dcutschland«. Moskau vom
13. August 1943. S. 1.
In: »Frei-
eigene Vereinigung vor, die die Exklusivität des Offiziersstandes wahrte.
Den Durchbruch erzielte, so ist später mehrfach ın Me-
moiren
berichtet worden,
eine Offerte,
die der sowjetische
General Melnikow mit der Versicherung, von höchster Stellen hierzu autorisiert worden zu sein, im persönlichen Gespräch Walther
von
Seydlitz,
Otto
Korfes
und
Martin
Lattman
—
sämtlich Generäle — überbrachte: Gelänge es dem durch ihre Autorität mitzugründenden Offiziersbund, eine Aktion der Wehrmachtführung gegen Hitler zu initiieren, noch bevor Deutschland Kriegsschauplatz wäre, würde die Sowjetunion ein Deutschland in den Grenzen von 1937 akzeptieren. Auch könne die Wehrmacht weiterbestehen. Bedingung sei weiter, daß eine bürgerlich-demokratische deutsche Regierung Freundschaftsverträge mit dem Osten abschließe.'* Die anwesenden Generäle ließ er in der Erwartung zurück,
im positiven Falle könnte aus dem Offiziersbund ım Verbund
mit dem Nationalkomitee dıe Keimzelle einer künftigen deut-
schen Regierung entstehen. In diesem Sınn gehaltene Dokumente, die während der Konstituierung eines Offiziersbundes zu beschließen waren, wurden daraufhin von den Umworbenen entworfen. Den Tagebuchnotizen Dimitroffs ist zwar zu entnehmen, daß Stalin zumindest in diese Richtung dachte. Er hatte, so ist hier zu lesen, gegenüber engen Vertrauten entwickelt: »Der Kampf um
die Rettung
Deutschlands
vor dem
Untergang,
für die
Wiederherstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des deutschen Volkes, für die Errichtung einer parlamentarıschen Ordnung usw. — das müßten die Aufgaben eines antifaschistischen Komitees deutscher Patrioten sein.«'* Aber ob Melnikows Offerte damit vollkommen gedeckt war, muß offen bleiben.
12 Beispiclhaft geschildert bei Walther von Scydlitz: Stalingrad — Konflikt und Konscquenz. Oldenburg 1977. S. 285-292. — Allc späteren Memoiren bestätigen dic hier detailliert nachgezeichnete Werbung um dic drei Generäle. 13 Georgi Dimitroff: Eintragung am 12. Juni 1943. In: Gcorgi Dimitroff: Tagcbücher 1933-1943. Hrsg. Bernhard H. Baycrlcin. Berlin 2000. S. 707f.
244
Gleichwohl war Melnikows Angebot an die Generäle über-
aus attraktiv, angesichts der Situation des Sommers 1943 auch direkt verführerisch, denn sie waren zweifellos in dem
Glauben, er habe mit Billigung »höchster Stellen« gehandelt. Wahrscheinlich ist allerdings, daß sich Melnikow in diesem Gespräch ım Detail zu weit vorgewagt hatte. Denn der Rat für militdrpolitische Propaganda, dem die Verantwortung
für
die gesamte propagandistische Arbeit der Roten Armee oblag, intervenierte unverziiglich bei Stalin. Sollten die programmatischen Dokumente, so ihre Argumentation, die im Gefolge der Unterredung Melnikows mit den Generilen entstanden waren, jetzt verdffentlicht werden, lege das die Sowjetunion unverantwortlich fest: »Die Frage eines Friedensschlusses, die zentrale Aussage des Dokuments, ist von den Autoren nicht richtig
gestellt worden. Da das Dokument auf dem Territorium der UdSSR
verfaßt wurde, wird es im Ausland zweifelsohne als
Ausdruck des Standpunktes der sowjetischen Regierung betrachtet werden. Folglich kann die Veroffentlichung des Dokumentes in den verbiindeten Ländern als Anlaf3 zu feindlichen
Angriffen auf die UdSSR
dienen. Ebenso könnte die ın dem
Dokument beharrlich vorgebrachte Behauptung, der Erhalt der Stärke der deutschen Armee und der Kampf gegen ıhre Zersetzung seien unerldBlich, gemeinsam mit dem Appell zur Festigung der Freundschaft mit der UdSSR vom Ausland als eine etwaige Tendenz unsererseits ausgelegt werden, ın Europa einen Block zweier Armeen zu griinden: den Block der deutschen und der Roten Armee.«'* In den folgenden Tagen, die bereits der Vorbereitung der Konstituierung eines selbstindigen Offiziersbundes dienten, ibernahm Dmitri Manuilski anstelle Melnikows die Tuchfiihlung zu den Generilen und legte hier größtes Augenmerk auf die programmatische Klarheit. Im engen Zusammenwirken mit Erich Weinert gelang es ihm, die Erkldrungen, die anldBlich der Griindung des Bundes Deutscher Offiziere verabschiedet werden sollten, in cine Form zu bringen, die für die Sowjetunion aullenpolitisch vertretbar war und dabei den Generalen soweit entgegenkam, daß dic Bundesgriindung selbst nicht ge14 Von Manuilski formulicertc Bedenken, hicr zit. nach Jérg Morre: Hinter den Kulissen des Nationalkomitees. Miinchen 2001. S. 63.
245
fährdet wurde. Damit war der Weg frei, den BDO Taufe zu heben. Der
entscheidende
Passus
des während
aus der
der Gründung
des
»Bundes Deutscher Offiziere« am 11. und 12. September 1943 verabschiedeten Aufrufs »An die deutschen Generale
und Offiziere! An Volk und Wehrmacht!« lautete schließlich: »Wır Generale und Offiziere der 6. Armee sind entschlossen,
dem bisher sinnlosen Opfertod unserer Kameraden einen tiefen geschichtlichen
Sinn zu geben.
Sie sollen nicht umsonst
gestorben sein! Aus der bitteren Erkenntnis von Stalingrad soll
die rettende Tat hervorgehen. Wir wenden uns daher an VOLK und WEHRMACHT. Wir sprechen vor allem zu den
Heerführern, den Generalen, den Offizieren der Wehrmacht.
In Eurer Hand liegt eine große Entscheidung! Deutschland erwartet von Euch den Mut, die Wahrheit zu sehen und demge-
mäß kühn und unverziiglich zu handeln. [...]
Das nationalsozialistische Regime wird niemals bereit sein, den Weg, der allein zum Frieden führen kann, freizugeben. Diese Erkenntnis gebietet Euch, dem verderblichen Regime
den Kampf anzusagen und fiir die Schaffung einer vom Vertrauen des Volkes getragenen Regierung einzutreten. Nur eine solche Regierung kann die Bedingungen für einen ehrenvollen
Ausweg unseres Vaterlandes aus dem Krieg herbeifiihren und
einen Frieden sichern, der nicht das Elend Deutschlands und
den Keim neuer Kriege in sich trägt. [...] Fordert den sofortigen Riicktritt Hitlers und seiner Regie-
rung! Kampft Seite an Seite mit dem Volk, um Hitler und sein Regime zu entfernen und Deutschland vor Chaos und Zusam-
menbruch zu bewahren. [...] Es lebe das freie, friedliche und unabhdngige Deutsch-
land !«
15 Aufruf »An dic dcutschen Generale und Offizicre! An Volk und Wchrmacht!« In: »Frcics Dcutschland«. Moskau vom 5. Scptember 1943, S. I (Hervorhebungen im Original).
246
Im Rahmen seiner Gründungsveranstaltung beschloß der BDO
Leitlinien seines künftigen Handelns, die vor allem in das Do-
kument »Aufgaben und Zielsetzung« einflossen.'® Organisato-
risch gab sich der Offiziersbund neben dem Präsidenten, zu dem Walther von Seydlitz bestimmt wurde, und dreı Vizepräsidenten, Generalleutnant Edler von Daniels, Oberst Hans-
Günther van Hooven und Oberst Luitpold Steidle, einen Vorstand und bestimmte Bevollmichtigte fiir die Offiziersstammlager der Kriegsgefangenen. Am
12.
September
1943,
dem
zweiten
Beratungstag,
stand
die Verbindung mit dem Nationalkomitee im Zentrum der Erorterungen. Ein kiinftighin enges Zusammengehen beider, das während der Vollsitzung des NKFD am 17. September auch
von dessen Seite endgiiltig beschlossen wurde, stand am Ende
der Tagung. BDO-Prisident von Scydlitz fand dazu einprigsame Worte: »Ich danke [fiir Ihre Beiträge während der Tagung
— G. D.] Herrn Présidenten Erich Weinert, Herrn Major Hetz und Herrn Gefreiten Zippel. Die Lauterkeit ihres Wollens, die Gemeinsamkeit unseres Weges und die Gleichheit des Endzicles binden uns unaufléslich zusammen. Wie sie in ihren Worten das Bekenntnis fiir die Identitdt unserer Gedanken abgelegt haben, so geloben wir hier feierlich einmiitige Kampfgemeinschaft, festes Biindnis,
sche Treue.«'’
aufrichtige Kameradschaft,
dic deut-
In der Praxis bedeutete dies, daß fortan das Nationalkomi-
tee »Freies Deutschland« und der Bund Deutscher Offiziere gemeinsam die gleichnamige Bewegung anfithrten. Zuweilen ist selbst von Beteiligten moniert worden, der BDO habe mıt diesem engen Schulterschlufl seine Selbstdndigkeit praktisch sofort zugunsten einer Majorisierung durch das NKFD aufgegeben.'® Das ist freilich eine unzutreffende Kritik. Denn wiewohl das NKFD scin Priasidium nach der BDO-Griindung durch Reprisentanten des Bundes crweiterte, blieben Komitee und 16 Siche Aufgaben und Ziclsctzung. In: Ebenda. S. 3. 17 SchluBwort des Préasidenten. In: Ebenda. S. 5. 18 Siche beispiclhaft Heinrich Graf von Einsicdel: Tagebuch chung. Frankfurt am Main u. a. 1985. S. 100.
der Versu-
247
Bund klar unterscheidbar und verfügten jederzeit über ihre eigenen Organe. Hinzu kam, daß man in das Nationalkomitee »Freics Deutschland« nicht eintreten konnte. Wer das beabsichtigte, dem stand lediglich der Weg offen, sich der Bewegung »Freies Deutschland« anzuschließen. Das war insoweit ein nachvollziehbarer Modus, als das Komitee sorgfältig zwi-
schen den kommunistischen zivilen Mitgliedern und den Kriegsgefangenen austariert war. Dagegen war der Eintritt in den BDO prinzipiell jedem Gefangenen aus dem Kreis der Offiziere möglich. Mithin blieb das Komitee ein klar umrissener Personenkreis, der sich nach der einzigen Erweiterung im Herbst 1943 nicht mehr vergrößerte, während der Bund Deutscher Offiziere gegen Kriegsende Tausende Mitglieder hatte. In der praktischen Arbeit richteten sich alle Kräfte der Bewegung »Freies Deutschland« im Herbst 1943 darauf, nunmehr zu einem sofortigen Kriegsende zu kommen. Zweifellos war dic Rücktrittsforderung an die Regierung Hitlers, jetzt auch gestiitzt auf die Autoritdt hochster Dienstgrade und Träger prominenter Namen aus der deutschen Militdargeschichte, eine problematische Offerte, die namentlich unter den Kommuni-
sten im Nationalkomitee keineswegs alle Skepsis tilgte. Denn die Festlegung auf diese Strategie bedeutete, den Weg allein mit propagandistischen Mitteln popularisieren zu konnen
und
ansonsten
verpflichtete
sie, abzuwarten.
Denn
letztlich legten alle patriotischen Appelle der Bewegung »Frei¢s Deutschland« der kdimpfenden militdrischen Elite Deutschlands die Verantwortung in die Hände — sie allein wiirden diesen Riicktritt wirkungsvoll fordern kénnen. Nach intensivem Austausch von Argumenten, der auch die Diskussion der Bedenken der KPD-Vertreter einschlof3, wurde
durch das Nationalkomitee »Freies Deutschland« am 24. September 1943 schlielich eine sogenannte taktische Hauptlosung verabschiedet. Thre Kernsitze lauteten: »[...] Was ist jetzt zu tun, um den noch kampffihigen Kern der Armce und das Leben von Millionen Deutscher vor der völligen Vernichtung zu bewahren? Es gibt nur einen Ausweg,
das 1st: dic Armce gegen den Befehl Hitlers unter verantwor-
tungsbewuflter Führung an die Reichsgrenzen zuriickzufiihren. 248
[...] Es gibt aber keine
solche
geordnete
Rückführung
ohne die Absetzung Hitlers als Oberster Befehlshaber. Als Hitlerarmee zog die Wehrmacht aus, ohne und gegen Hitler wird
sie zurückkehren oder gar nicht.«'® Der hier verabredete Weg verpflichtete die Männer der
Bewegung
»Freies Deutschland«
dazu, alle ihnen zur Verfü-
gung stehenden propagandistischen Wege zu nutzen, um die Fronttruppen zu erreichen. Hierzu setzten Komitee und Bund
Frontbevollmächtigte und sogenannte Helfer ein, die mit Unterstützung der Roten Armee in vorderster Linie den direkten Kontakt zu den ihnen gegenüberliegenden deutschen Truppen herzustellen versuchten. Sowohl Flugblätter als auch Lautsprecher fanden dabei Verwendung. Daneben erschien wochentlich die Zeitung »Freies Deutschland«, auffällig layoutet
mit einem
schwarz-weiß-roten
Rand
als Unterscheidungs-
merkmal zu anderer Propaganda, ein gleichnamiger Rundfunksender versuchte, möglichst tief in das von der Wehrmacht besetzte Gebiet zu strahlen.“” Zuweilen führte das parallele Produzieren von Flugblättern für die sowjetischen Streitkräfte wie für die Bewegung »Freies Deutschland« auch zu Verunsicherungen gerade bei den mit
Propagandaaktivitäten betrauten Einheiten der Roten Armee bzw. einzelnen Offizieren und Soldaten, die ihrerseits ın der
Frontpropaganda unverändert zur Kapitulation aufriefen. Wihrend beispielsweise ein sowjetisches Flugblatt deutsche Solda-
ten dazu ermunterte, sich in einer individuellen Entscheidung zum Desertieren zu entschließen, die Waffen zu strecken und
sich in Gefangenschaft zu begeben, orientierte das zugleich verschossene Flugblatt der Bewegung »Freies Deutschland« auf Erhaltung von Disziplin und Kampfkraft der Truppe und warb für Bereitschaft, sich unter Aufgabe der eroberten Territorien geordnet an die fritheren deutschen Grenzen zuriickzuziehen.
19 Aufruf »An dic deutsche Wechrmacht«. In: »Freics Deutschland«. Moskau vom 26. Scptember 1943, S. 1. 20 Sichc hicrzu Gerald Dicsencr: Dic Propagandaarbeit der Bewegung »Frei¢s Dcutschland« in der Sowjctunion 1943-1945. Lcipzig 1987.
249
Im Bund Deutscher Offiziere entwickelte Pläne jener Wochen
gingen noch weiter. Sie kreisten unter anderem um die Aufstellung von freiwilligen deutschen Truppen, die in den Ge-
fangenenlagern rekrutiert werden und sich auf sowjetischer Seite in das Kampfgeschehen einbringen sollten.
Dem NKFD nahestehende Generäle spielten mit dem Gedanken, im Ergebnis eines Luftlandeunternehmens die Hitlerregierung abzusetzen und in einer neuzubildenden Regierung maßgeblich mitzuwirken. Sie entwickelten die Idee, persönliche Briefe, die Befehlshabern der kämpfenden deutschen Truppe sicher zu überbrin-
gen wären, zu verfassen. Ihre gleichzeitige Popularisierung in der Frontpropaganda sollte dabei den Druck auf jene erhöhen. Tatsächlich ist eine beträchtliche Anzahl solcher Schreiben auch auf zuweilen spektakulärem Weg überbracht worden. Dic wohl prominenteste Adresse war Walter Model, an den Walther von Seydlitz einen persönlichen Brief richtete.*' Dic KPD-Vertreter im Nationalkomitee unterstiitzten in jenen Wochen diese Propagandainitiative trotz ihrer mehr oder minder ausgeprägten Skepsis. Zwei Beispiele mögen die dabei gezeigte Elastizität illustrieren. Walter Ulbricht zog einen Vergleich zu der am Ende des Ersten Weltkricges eingetretenen Sıtuation und konstatierte, daß die nunmchrige Lage noch katastrophaler als 1918 sei. Indes habe es damals mit Hindenburg und Ludendorff klarsichtige Männer gegeben, die die Lage schonungslos analysiert und einen verantwortbaren Ausweg
gesucht hätten.
Da
dic damaligen Kriegsgegner Deutschlands ausschlossen, mit Kaiser Wilhelm II. und der amtierenden Regierung in Verhandlungen einzutreten, hätten beide den Mut gehabt, jetzt eine neuc Regierung zu fordern. Walter Ulbricht setzte fort: »Heute wissen Generalfeldmarschall von
Bock, von Manstein,
von Kluge
u. a. schr wohl,
daß die Hitlerregierung den Krieg verloren hat. Hindenburg hatte den nötigen Mut und handelte, obwohl ihm das schwe21
Siche Walther von Seydlitz: Offener Brief an den Befehlshaber der 9.
Armcc, Herrn Generaloberst Model. vom 17. Oktober 1943. S. 1.
250
In: »Freies
Deutschland«.
Moskau
rer war gegenüber Kaiser Wilhelm
II., als es heute den deut-
schen Generalen gegenüber dem bankrotten Gefreiten Hitler sein sollte!«*Ein Lob Hindenburgs aus der Feder Ulbrichts war gewiss
spektakuldr, und auch ein taktischer Aufruf der hicr zitierten Ausgabe des »Freien Deutschland« war ganz ım Sinne des konstatierten Mannesmutes auch Hindenburgs und Ludendorffs gehalten und um Auslésung aktiven Handelns bemiiht: »Männer und Frauen in der Heimat, Deutsche aller Schichten
und Berufe! Es genügt nicht zu begreifen. Es ist nétig zu handeln! Es genügt nicht, zu murren. Es ist nötig zuzuschlagen! GEMEINSAM ZUM STURZE HITLERS! WEG MIT HITLER !« Und Johannes R. Becher, der die propagandistischen Initiativen der Bewegung »Freies Deutschland« vor allem mit den Mitteln des Schriftstellers intensiv unterstützte, wandte
sich
in einem Rundfunkaufruf direkt an Ernst Jünger, der sich zu
dieser Zeit als Offizier ın Paris aufhielt. Becher attestierte, daß
sie beide in der Vergangenheit oft Gegnerschaft getrennt habe. Aber Gegnerschaft seı keine Feindschaft, und stets habe man, wenn man sich bekämpfte, dies mit sauberen Waffen getan. Jetzt, wo es gelte, daß alle Patrioten zusammenstehen müßten, sei es an der Zeit, über alle Differenzen hinweg eine Front zu bilden, die sich gegen den Verderber des Reichs, gegen Adolf Hitler richten miisse.* In der zweiten Jahreshilfte 1943 arbeitete vor allem die Zeit
gegen die Taktik, den Sturz Hitlers noch »von oben« einleiten zu konnen. Schon im Oktober, noch stirker im November
und gänzlich im Dezember vertieften sich die Meinungsunterschiede iiber die Erfolgsaussichten dieser Aktivitdten innerhalb der Bewegung »Freies Deutschland«. Wihrend der Offiziersbund vor allem mehr Zeit fiir die Wirkung der Aufrufe rekla-
22 Walter Ulbricht: Riickzug zur Rcichsgrenze! In: »Freies Deutschland«. Moskau vom 3. Oktober 1943. S. 1f. 23 Ebcenda. S. 1. 24 Siche dazu Gerald Dicsener/Wojcicch Kunicki: Johannes R. Becher und Ernst Jiinger — cinc gliicklosc Liatson? In: Zcitschrift für Geschichtswisscnschaft.
Berlin
(1994)12.
S.
1085-1097.
251
mierte, sahen sich namentlich die KPD-Vertreter ın ihrer nie überwundenen Skepsis bestätigt und konstatierten, schon Jetzt wäre zuviel Zeit zum Handeln ungenutzt verstrichen. Neben
dem Ausbleiben jedweden ermutigenden Signals veränderte sıch die Lage an den Fronten rasch zuungunsten Deutschlands und fanden
die Alliierten zu immer
stärkerer Abstim-
mung ihrer Positionen zusammen. Wiewohl die Zweite Front noch nicht eröffnet war, signalisierte die Moskauer Außenministerkonferenz vom Oktober
1943 mit der Einigung auf das
Kriegsziel einer bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, daß sich die Chancen eines glimpflichen Ausgangs des Krieges dramatisch verschlechterten.
Insbesondere der Vorstand des Bundes Deutscher Offizie-
re mußte beobachten, wie die als feststehend angenommenen
Grundlagen seines Wirkens langsam dahinschmolzen. Während er weiter für den geordneten Rückzug und den Erhalt
der Wehrmacht
warb, gewannen
im Nationalkomitee »Freies
Deutschland« jene Stimmen an Gewicht, die an eine Neuorientierung in der Propagandaarbeit dachten. Sich dabei gänzlich der auf einfache Waffenstreckung zielenden Propaganda
der Roten Armee
anzuschließen,
verbot
sich, doch
war
ım
NKFD ebenso klar, daß die bisherige Hauptlosung zusehends untauglich geworden war.
Für die KPD-Führung verfestigte sich damit parallel die Ein-
sicht, daß der Weg der Gestaltung Nachkriegsdeutschlands für sie an der Seite der Roten Armee in einem besiegten und
besetzten Deutschland beginnen würde. Nach zunehmender
Distanzierung von den Generälen und Offizieren, die freilich
nicht in deren Brüskierung mündete, erregte beı Vertretern der KPD auch Unmut, daß die sowjetischen Stellen noch längere Zeit durchaus geneigt waren, mehrgleisig zu operieren und die Männer des BDO in ihren propagandistischen Initiativen zuweilen auch ohne Abstimmung mit ihnen zu unterstützen. Etwa gestattete die sowjetische Seite im Februar 1944 Walther von Seydlitz einen Aufenthalt an der Front. Offenbar war die KPD-Führung über die Details dieser Reise nicht unterrichtet worden. Umgehend führte Walter Ulbricht bei Manuilski darüber Klage: »Es ist aber völlig unzulässig, daß den deutschen Generälen gestattet wird, verschiedene Instanzen 252
gegeneinander auszuspielen. Ich bitte um eine klare Mitteilung,
ob es wahr ist, daß den deutschen Generälen zugesichert wurde, daß bei der Abfassung von Briefen an deutsche Generäle
ein Offizier der Roten Armee die militärische Lage erklärt. Wenn so etwas vereinbart wird, muß uns das mitgeteilt werden.«* Inzwischen hatte sich die Bewegung »Freies Deutschland« auch von ihrer ersten taktischen Hauptlosung getrennt. Das insgesamt ausbleibende Echo auf diese Losung vom September 1943 war noch gegen Ende desselben Jahres in nun weltergehende und detaillierte Aufrufe, die nicht mehr allein auf die militdrische Elite Deutschlands zielten, gemiindet. Im »Freien Deutschland« vom 21. November 1943 hieß es beispielsweise: »1.
Bildet
Kampfausschüsse
der nationalen
Bewegung
»Freies Deutschland« aus den aktiven Vertretern der verschiedenen Volksschichten! Bildet Ausschiisse in den Betrieben und bestimmt Vertrauensleute in den einzelnen Abteilungen! Schafft Ausschiisse ın den Dorfern! Wirkt in der deutschen Arbeits-
front, der NSV, dem Luftschutz und der HJ auf die Amtswalter und Fiihrer ein, daß sie sich von der verlorenen Sache Hitlers trennen und durch die Tat mithelfen, die Sache des
Volkes zum Siege zu fithren! Niitzt Eure Stellungen in den ın den nationalsozialistischen Organisationen aus, um die Volksmassen gegen Hitler zu mobilisieren! Bildet Wehrmachtgruppen der Bewegung >Freies Deutschland« in den Truppenteilen der Heimat! Offiziere, organisiert Euch in Gruppen des Bundes Deutscher Offiziere, der in der Bewegung >Freies Deutschland« kampft. 2. VeranlaB3t, daß moglichst viele den Sender >Fretes
Deutschland« héren! Gebt die Sendezeiten und Wellenangaben
schriftlich und miindlich weiter! 3. Bekdmpft die Kriegspropaganda der Nazis. Gebt unsere Zeitung >Freies Deutschland< und alle an Euch gelangenden Aufrufe, Flugblitter und Veroffentlichungen weiter! Gebt selbst illegale Zeitungen der Bewegung >Freies Deutschland« 25 Zit. nach Jorg Morré: Hinter den Kulissen des Nationalkomitees. Miinchen 2001. S. 66.
253
heraus! Stellt Flugblätter her! Schreibt Losungen! Schreibt an Hauswände, Brücken, Litfaßsäulen, Eisenbahnwaggons, Kraft-
wagen usw.: >Fort mit Hitler!« 4. Bringt iiberall
Eure
Empörung
zum
Ausdruck
gegen
Verhaftungen, Verurteilungen und Hinrichtungen aufrechter Deutscher, die zur Fahne des Kampfes gegen Hitler stehen. 5. Mcidet Versammlungen, die die Nazis einberufen, wo thr doch nur weiter belogen werden sollt. Lest ihre Zeitungen
nicht mehr, bestellt sie ab! Stellt alle Zahlungen an die Partei ein! Weg mit allen ihren Abzeichen! 6. Brandmarkt dic Volksschddlinge, dchtet die Denunzianten und Spitzel! Gewährt allen, die wegen ihres Kampfes gegen das Hitlersystem verfolgt werden, Schutz und Hilfe! Unterstiitzt ihre Familien!«-* Eine weitere
Zisur auf dem
Weg
zur Neukonzipierung
der
Propaganda bildete die Teheraner Konferenz. Die dort bekun-
dete Absicht: »Keine Macht der Welt kann uns daran hindern, die deutschen Armeen zu Lande, die deutschen U-Boote zur
See und die deutschen Riistungsbetriebe aus der Luft zu vernichten«,*’ entzog im Kern jedem Gedanken an die Méglichkeit eines ehrenvollen
Riickzuges
dem Kriegsgeschehen die Grundlage.
deutscher
Streitkrifte aus
Folgerichtig beschloß die Vollsitzung des Nationalkomitees am
5. Januar 1944 eine Modifizierung der Hauptlosung, die fort-
an »Einstellung der Kampfhandlung und Ubergehen auf die Seite des Nationalkomitees« lautete. Diese Handlungsanweisung war nicht unproblematisch, denn notgedrungen mußte, wer immer sie zu befolgen beabsichtigte, sich zunédchst der Roten Armee
ergeben, um
dann
sogleich nach Gefangengabe das Verlangen zu duflern, einen Vertreter der Bewegung »Freies Deutschland« zu sprechen 26 Aufruf »Über dic Aufgaben in Dcutschland. Anweisungen des National27
komitces >Freies Dcutschland««. In: »Freics Dcutschland«. Moskau vom 21. November 1943. S. 1. Zit. nach dem Abdruck der »Dcklaration der drei Mächte« in »Freics Dcutschland«. Moskau vom 12. Dczember 1943. S. 1.
28 Sichc dazu Vollsitzung des Nationalkomitces. In: »Freics Deutschland«. Moskau
254
vom
9. Januar
1944, S. 3.
und sich ihm, und damit der Bewegung, zu unterstellen. Gene-
ral Lattmann erläuterte diese neue Orientierung, indem er die Handlungsanweisungen detailliert darlegte: »[...] Dieser Weg
fordert: Anschluß an das Nationalkomitee >Freies Deutschland«. Verstärkung sciner Macht zum Kampf gegen Hitler, zum Kampf um Deutschlands Rettung. Das Nationalkomitee und
mit thm der Bund Deutscher Offiziere weisen diesen Weg zur
mutigen befreicnden Tat. Das bedcutet: Truppenkommandeure, die aus der Lage heraus selbstindig handeln miissen, stellen den Kampf ein und
gehen über auf die Seite des Nationalkomitees >Freies Deutsch-
land«.
Befehlshaber, die noch die Freiheit des Entschlusses besit-
zen, nehmen über die Front hinweg die Verbindung zum Bund Deutscher Offiziere auf. Sie erfahren dann, wie sie der Lage
entsprechend handeln müssen, um ihre Truppen vor der Vernichtung zu bewahren.«* Die Änderung
der Hauptlosung bedeutete für die Bewegung
»Freies Deutschland« eine Zäsur. Sie lähmte ihre Initiativen jedoch nicht, verschob allerdings die Schwerpunktsetzung spürbar. Fortan standen die frontnahe deutsche Truppe und die Kriegsgefangenen ın den Lagern im Brennpunkt ihrer propagandistischen Aktivitäten. Gegenüber der kämpfenden deut-
schen Wehrmacht erzielte sie auch einige spektakuläre, hoch zu schätzende Detailerfolge und konnte zudem ın den Lagern einen stetigen Zustrom neuer Anhänger verzeichnen. Für die KPD-Führung dagegen bedeutete der Losungswechsel den ungleich tieferen Einschnitt. Nunmehr orientierten sich ihre Überlegungen zum kommenden Nachkriegsdeutschland an einem Kriegsende infolge des Sieges der Alliierten bei bedingungsloser Kapitulation der deutschen Streitkräfte, und dies nach einem immer wahrscheinlicher werdenden blutigen Ringen bis zum Fall der Hauptstadt Berlin. Dies wurde von Tag zu Tag mehr zur Gewißheit, selbst die kurzfristige Überraschung im Zusammenhang mit Stauffenbergs mutiger Tat am 20. Julı 1944 änderte daran nichts mehr. Nicht die Wehr29 Generalmajor Martin Lattmann: Dic Lage fordert: Rettung durch das Nationalkomitee »Freies Deutschland«. In: Ebenda. S. 1.
255
macht oder eine andere patriotische Kraft würden Hitler ın den Arm fallen, ihre Heimkehr nach Deutschland würde sich
im Rücken der siegreichen Truppen der Alliierten vollziehen.
Die KDP-Führung beschloß am 6. Februar 1944 die Konstitujerung einer Kommission, die »eine Reihe politischer Probleme des Kampfes für den Sturz Hitlers und der Gestaltung des neuen Deutschland« zu beraten habe. Zu ıhr zählten zwanzig Personen, die Arbeit dieses Gremiums begann im März. Wäh-
rend der Eröffnungssitzung entwickelte Wilhelm Florin auch die Grundposition, wonach die ersten Schritte in Nachkriegsdeutschland ım Verbund mit nichtkommunistischen Kriften zu gehen wiren, freilich gefiihrt von der KPD. Dabei findet sich auch ein bemerkenswerter Bezug zum BDO: »[...] Der Kampf
zur Brechung des faschistischen Terrors ist Sache des Volkes bzw. aller Volksschichten.
Die Hauptkraft im Kampfe
gegen
diesen Terror werden die Arbeiter, Bauern und Soldaten sein. Aber wir werden im Unterschied zu 1918 viele biirgerliche Menschen, ja Generale haben, die diesen Terror mit brechen helfen (Seydlitz).«* Dieses Herangehen kann als typisch fiir die folgenden Monate
angesehen werden. In dem Maße, wie die KPD-Fiihrung ihre Vorbercitungen fiir die Nachkriegsentwicklungen prézisierte, konnte sie auch auf die Mitglieder der Bewegung »Freies
Deutschland« als kompetente Gespréachspartner mit hoher Sachkunde auf vielen Gebieten zuriickgreifen. Insofern war es kein Zufall, daß beispielsweise fiir dic Vorbereitung des Schulunterrichts in Nachkriegsdeutschland eine KPD-Kommission arbeitete und daneben eine Kommission beim NKFD konstituicrt wurde, die das gleiche Sujet erörterte.?'
30 Wilhelm Florin: Lage und Aufgaben im Landc bis zum Sturz Hitlers (zit. nach
31
Pecter
Erler/Horst
Laude/Manfred
Wilke
(Hrsg.):
»Nach
Hitler
kommen wir«. Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Fiihrung 1944/1945 fir Nachkricgsdcutschland. Berlin 1994, S. 153). Sichc dazu dic unverändert ausfiihrlichstc Analysc bei Werner Berthold: Marxistisches Geschichtsbild — Volksfront und antifaschistisch-demo-
kratischc Revolution. Berlin 1970. S. 122-134 und 134-155 (zur NKFD-Kommission).
256
(zur KPD-Kommission)
Der Tätigkeitsbericht Erich Weinerts über das Nationalkomitee läßt erkennen, daß es zu solch enger Verzahnung auch
auf anderen Gebieten gekommen
ist. So existierten im Komi-
tee die Arbeitsgruppen Wirtschaft, Sozialpolitik, Recht und Kultur — sie stellten sämtlich Fachwissen und Kenntnisse be-
reit, auf die die KPD
zuriickgriff, als sie thre Planungen
die Zeit nach dem Kriegsende prizisierte. Nun,
nachdem
die taktische
Hauptlosung
geändert
fiir
war,
riickte die Orientierung auf Kampfausschiisse der Bewegung »Freies Deutschland« zunehmend in das Zentrum der Appelle des NKFD. Erneut kann Wilhelm Florin zitiert werden: »Diese Volksausschiisse sollen sich auf Kameradschaften oder Wehr-
machtsgruppen in der Wehrmacht stiitzen. Sie sollen sich stiitzen auf Betriebskampfausschiisse — sie sollen sich stiitzen auf
Vertrauensleute — sie sollen sich stiitzen auf alle illegalen Parteigruppen und Organisationen, die am Kampfe teilnehmen. Die Volksausschiisse sind demnach keine Organe einer Partel sondern Organe der gro3en Bewegung »Freies Deutschland« bzw. der nationalen Friedensbewegung. Die Führung in diesem nationalen Kampf haben also die Volksausschiisse.«*Genau diese Linie durchzieht den Aufruf » Deutsches Volk! Deutsche Wehrmacht!«, den die Zeitung des Nationalkomitees unmittelbar nach Landung der Alliierten in der Normandie veroffentlichte.* Das Konzept der Volksausschiisse bestimmte zur selben Zeit auch die Konstituierung eines » Arbeitskreises für kirchliche Fragen« beim Nationalkomitee. Im Zuge der zehnten Vollsitzung hatten mehrere Geistliche, die am zweiten Tag zur Beratung konfessioneller Fragen eingeladen worden waren, das Wort ergriffen** und sich zu den nidchsten Aufgaben geäu-
32 Wilhclm Florin: Über dic Volkserhcbung und dic Bildung von Volksausschiissen.
In:
Pcter
Erler/Horst
Laude/Manfred
Wilke
(Hrsg.):
»Nach
Hitler kommen wir«. Dokumente zur Programmatik der Moskaucr KPDFiihrung 1944/1945 fiir Nachkricgsdcutschland. Berlin 1994. S. 194, 33 Aufruf »Decutsches Volk! Dcutsche Wchrmacht!«. In: »Freies Deutschland«. Moskau vom 11. Juni 1944. S. 1. 34 Sichc dazu vor allem dic Berichterstattung unter der Überschrift »Volk und Kirche gegen Hitler« in »Freies Dcutschland«. Moskau vom 25, Juni 1944 S. 3.
257
Bert. Die Zeitung »Freies Deutschland« resümierte unter an-
derem:
»Über die Volksausschüsse
und ihre Aufgaben
spra-
chen Diplomingenieur Karl Hetz, Oberstleutnant Senfft von Pilsach, Unteroffizier Klein und die Wehmachtpfarrer Schröder und Kayser. Alle Redner betonten den demokratischen und kämpferischen Schichten des
Charakter der Ausschüsse, für deren Volkes erfassende Zusammensetzung
Kampfgeist das Nationalkomitee selbst Vorbild ist.«
alle und
Wieweit aber in der Praxis tatsächlich das NKFD auf die Prozesse in Nachkriegsdeutschland Einfluß nehmen konnte, läßt sıch an einer Episode um den Frontbevollmächtigten Willms crkennen. Denn nachdem das Komitee seine Frontbevollmächtigtcn ım Sommer
1944 autorisiert hatte, auf deutschem
Bo-
den an der Konstituierung dieser Ausschüsse mitzuwirken, war jener gewillt, sich sofort auch dieser Aufgabe anzunehmen. Er äußerte schriftlich gegenüber Erich Weinert in dieser Sache unter anderem: »Wenn das NKFD iın Ostpreußen oder ın anderen von der Roten Armee besetzten Reichsgebieten zum mindesten eine Betreuung der Zivilbevölkerung über-
nimmt, so wird das die Existenzfrage des Komitees überhaupt siıchern.«“ Willms Brief passierte die Zensur der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee und die reagierte sofort, indem sic darauf insistierte,
daß
die Frontbevollmidchtigten
des
NKFD keinerlei Arbeit unter der deutschen Zivilbevolkerung aufzunchmen hétten. Ihr Arbeitsgebiet sei allein die Betreuung von Wehrmachtsangehoérigen.
Schlaglichtartig ist mit dieser Begebenhelit eine grundsétzliche Einsicht offengelegt: Bei der Gestaltung der deutschen Nachkricgsverhéltnisse konnte dic Bewegung »Freies Deutschland« keine cigenstindige Rolle mehr gewinnen, willkommen waren freilich Mitwirkung an und Unterstiitzung aller Planungen, die dic KPD-Spitze sofort nach ihrer Riickkehr in das befreite Deutschland aufnahm. 35 Recdaktion: Die politische Ziclsctzung. In: Ebenda (der resiimicrende Beitrag 1st namentlich nicht gezeichnet). 36 Zit. nach Jorg Morré: Hinter den Kulissen des Nationalkomitees. Miinchen 2001, S. 86.
258
Es ist fast eine List der Geschichte, daß der Bewegung »Freies Deutschland« mit der endlichen Einbeziehung von Generalfeldmarschall Friedrich Paulus und dem Hinzutreten einer größeren Gruppe von Generälen — hier besonders im Nachgang zum Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944 — ein außerordentlicher Autoritätsgewinn, der noch einmal die Frontpropaganda inspirierte und neue propagandi-
stische Initiativen ausloste, gelang. Sie gipfelten im Aufruf der 50 Generidle im Dezember
1944
— einem
in der Militdrge-
schichte noch nie dagewesenen propagandistischen Gliicksfall. Faktisch gleichzeitig waren aber die Wiirfel gefallen. Das » Aktionsprogramm des Blockes der kimpferischen Demokratie« der KPD war soweit gedichen, die Frage der kiinftigen Rolle des NKFD abschlieflend zu bestimmen. In einem grundsitzlichen Referat beklagte Wilhelm Pieck im November 1944 ein Manko zwischen den Kommunisten und den übrigen Mitgliedern des NKFD. Wicwohl das Komi-
tee stets den richtigen Weg
gewiesen
habe, hitte scitens der
weiteren Mitglieder das »unbegrenzte Vertrauen zu uns Kommunisten im Nationalkomitee« gefehlt. Ein Wort Josef F. Braginskis von der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee schuf letztlich Klarheit über dıe nächste Zukunft.
Die Sowjectunion, unterstrich er, werde ge-
meinsam mit der KPD die Entwicklung in Deutschland gestalten. Daran konnten auch jetzt, in der Schlußphase des Krieges,
wirkliche Patrioten noch mitwirken, indem sie alles untemch-
men, um die Opfer auf beiden Seiten der Front so gering wic moglich zu halten.
Im übrigen gelte: »Das Besatzungsregime der Sowjetunion ist im Wesen der Sowjctunion selbst zu suchen. Die zeitweiligen Maßnahmen können schwer sein, aber doch sind sie ausgerichtet auf die Freundschaft der Völker. Die beste Deklaration
37
Siche Aufruf der 50 Generale. 10. Dczember 1944. S. 1.
In: »Freies
Dcutschland«.
Moskau
vom
259
besteht im Vertrauen
auf die Worte
und die Bücher
Stalins,
wofür bereits über 25 Jahre Sowjetentwicklung vorliegen.«®
Das NKFD, entstanden aus dem Bedürfnis sowjetrussischer Außenpolitik, alle Möglichkeiten zu nutzen, den Hitlerfaschismus von innen zu schwichen, hatte durch den Kriegsverlauf seinen ursprünglichen Anspruch verloren. Ein
Nationalkomitee »Freies Deutschland« konnte in einem von
den Alliierten besetzten Deutschland keinen Platz finden. So
wie die ebenfalls gescheiterte Volksfrontpolitik wirkte das Konzept der Bewegung des Nationalkomitees jedoch weiter.
Im Widerstand ım Lande und im Exil mobilisierten seine Ideen Antifaschisten über Parteigrenzen hinweg zu gemeinsa-
men Aktionen und Überlegungen für ein Deutschland nach Hitler. Nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus gingen die
Erfahrungen des NKFD ın den Fundus der Biindnispolitik von KPD und SED ein.
38 Zit. nach Jorg Morr¢: Hinter den Kulissen des Nationalkomitees. Miinchen 2001, S. 90.
260
KAPITEL I1 Was kommt nach Hitler?
(Günter Benser)
»Block der kämpferischen Demokratie« Die Arbeitskommission der KPD in der Sowjetunion
Anfang 1944 blockierten die deutschen Truppen noch Leningrad, hielten fast ganz Belorußland und Teile der Ukraine besetzt, und bis zum Atlantık waren alle Gebiete fest ın ıhrem
Griff. Aber die Karten von den Frontverläufen suggerierten ein trügerisches Bild. Denn mit der Niederlage bei Stalingrad hatte sich das Kriegsgeschehen grundlegend gewendet. Dic Zerschlagung der deutschen Aggressoren und ihrer Verbündeten war nur noch eine Frage der Zeit. Im Januar 1944 durchbrachen sowjetische Truppen die Umklammerung Leningrads.
Am 26. Mirz crreichte dic Rote Armee am Pruth die sowjetische
Staatsgrenze.
Am
22. Januar
landeten
amerikanische
Truppen auf der Apennincnhalbinsel siidlich von Rom, und die lange verzogerte Eroffnung der zweiten Front durch die Invasion in der Normandie stand nun bevor. Die Bombardements amerikanischer und britischer Luftstreitkrifte zeitigten ımmer verheerendere Wirkung. Der deutsche U-Boot-Krieg war der fortschreitenden Abwehrtechnik nicht mehr gewachsen. Der faschistische Block begann zu zerfallen. So hatte dic Ende 1943 in Teheran tagende Konferenz der Regierungschefs der drei Großmächte der Antihitlerkoalition —
J. W. Stalin, Franklin D. Roosevelt und Winston S. Churchill
— bereits den Blick auf die Nachkriegszeit richten können. Sic sctzten cine Europdische
Beratende Kommission
(EAC)
ein,
die Vorschläge fiir die Behandlung des besiegten Deutschland erarbeiten sollte. Auch die Schaffung einer Weltorganisation, die auf der Deklaration der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942 beruhen sollte und spéter in Gestalt der UNO ins Leben
263
trat, wurde bereits hier anvisiert. Es zeichnete sich ab, daß die UdSSR auf die Nachkriegsentwicklung einen nachhaltigen Einfluß ausüben würde. Zwar hatte sich der Widerspruch zwischen dem in den Staaten des Westens herrschenden kapı-
talistischen System und dem Sowjetsystem nicht verflüchtigt, und er war auch bei allen Vereinbarungen und Handlungen der Allı1erten unterschwellig präsent, aber es bestand auch die Chance, die Prinzipien und Ergebnisse der Antihitlerkoalition in die Nachkriegszeit hinüberzuretten und Beziehungen friedlicher Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zu begründen. Dies war der Zeitpunkt, wo sich auch die Parteiführung der KPD in Moskau intensiv der Frage zuwandte: »Was kommt nach Hitler?«' Jetzt bestand die Aufgabe darin, nicht nur generelle Vorstellungen vom künftigen Deutschland zu ent-
wickeln, sondern sich in die heranreifende neue Situation hin-
einzudenken und über das »Womit beginnen?« nachzudenken. Noch immer galt es, den Krieg abzukürzen und die schlimmsten Folgen für die deutsche Bevölkerung durch eine Volkserhebung abzuwenden. Doch nun zeichnete sich ab, daß die Rahmenbedingungen künftigen Wirkens durch die alliierten Sıegermächte gesetzt wiirden. Am 6. Februar 1944 faßte eine Sıtzung der Parteiführung ın Moskau den Beschluß, »zur Durcharbeitung einer Reihe politischer Probleme des Kampfes für den Sturz Hitlers und die Gestaltung des neuen Deutschlands« eine » Arbeitskommission aus 20 Mitgliedern« und gegebenenfalls »besondere Unterkommissionen zu einzelnen Fragen« zu bilden.* Eine gewisse ]
2
Sichc Günter Benser: Das in Moskau crarbeitete Nachkricgskonzept der KPD-Führung. In: Reinhard Kühnl/Eckart Spoo (Hrsg.): Was aus Deutschland werden sollte. Konzepte des Widerstands, des Exils und der Alliiertecn. Heilbronn 1995. S. 103-126. Sichc Peter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen wir«. Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Fiih-
rung 1944/1945 für Nachkricgsdcutschland. Berlin 1994 (im weiteren Pcter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen
wir« ...). S. 77. — Dic cinschladgigen Qucllen werden im folgenden in der Regel nach dieser Edition zitiert. Thr war cine bereits 25 Jahre frither hcrausgegebene, dic meisten cinschldgigen Dokumente enthaltende Verdffentlichung durch Horst Laschitza vorausgegangen, dic in cinigen Punktcn damaligen Autlagen Rechnung zu tragen hatte, aber insgesamt
264
Parallelitdt von Arbeitsgruppen der KPD und konzeptioneller Tätigkeit im Rahmen des NKFD war damit gegeben. Leitbegriff wurde die von Dimitroff geprigte Formulierung »Block der kdmpferischen Demokratie«, womit sowohl die angestrebte Biindnisbreite als auch inhaltliche Flexibilitit gekennzeichnet wurden. »Kémpferische Demokratie« war indes auch ein von der Sozialdemokratie gebrauchter Begriff, jedenfalls hatte ihn Erich Ollenhauer schon Ende 1942 benutzt.’ Zu Mitgliedern der Arbeitskommission wurden zwanzig Genossen bestimmt. Die Gesamtleitung oblag Wilhelm Pieck. Wilhelm Florin leitete die Arbeiten zum Komplex »Einschit-
zung der Lage und Entwicklung bis zum Sturze Hitlers«, Wal-
ter Ulbricht zum Komplex
»Die pol.[itische] Fiihrung beim
Sturze Hitlers und ım neuen Deutschland«, Hermann
Matern
zum Komplex »Die neuen Gewerkschaften«, Rudolf Herrnstadt zum Komplex »Die Rolle der SU in Europa in Nachkriegszeit (Teheran)«, Anton Ackermann zum Komplex »Die
Wirtschaft
ım neuen
Deutschland u.[nd] unsere Wirtschafts-
politik«, Erich Weinert zum Komplex »Die ideologische Umerziehung des deutschen Volkes«, Edwin Hoernle zum Komplex »Bauern- und Agrarfragen im neuen Deutschland«, Alfred Kurella zum Komplex »Die Rolle der Intellektuellen«, Paul Wandel (Klassner) zum Komplex »Katholische Bewegung«.
Als zusétzliches Thema unter der eventuellen Leitung Walter
Ulbrichts war erwogen »Der neue Staat im neuen Deutschland«. Zu den Mitgliedern der zentralen Arbeitskommission gehorten aullerdem Irene Gärtner (Elli Schmidt), Joseph
Schwab, Larew (Fred Oelßner), Willi Leitner (Georg Hansen), Lorenz (Otto Winzer), Becker (Fritz Apelt), Gustav Sobottka, Hans Mahle, Johannes R. Becher und Gritz (Rudolf Lindau).* Das war wohl so ziemlich das Beste, was die KPD iın der
sowjetischen Emigration nach der furchtbaren Dezimierung
3 4
dic Ergcbnissc dieser Arbeitskommission zuverldssig widerspicgelt (siche Horst Laschitza: Kampfcrische Demokratic gegen Faschismus. Dic programmatischc Vorbereitung auf dic antifaschistisch-demokratische Umwilzung in Dcutschland durch dic Partcifiihrung der KPD. Berlin 1969). Siche Hcinz Nicmann: Geschichte der dcutschen Sozialdemokratic 1914-1945. Berlin 2008. S. 713.
Siche
Pcter
Erler/Horst
kommen wir« ... S. 132,
Laude/Manfred
Wilke
(Hrsg.):
»Nach
Hitler
265
ihres Kaders durch Stalins Terror an theoretischem Verstand
und politischer Erfahrung aufzubieten hatte.
Das Auftaktreferat für die Tätigkeit der Arbeitskommissi-
on trug Wilhelm Florin am 6. März
1944 vor. Er analysierte
die internationale Lage und folgerte zutreffend, »daß der Krieg bald von Ost und West unaufhaltsam nach Deutschland hincinriickt«. Man miisse »mit einer Besetzung Deutschlands durch Truppen der Alliierten rechnen«,® seiner Annahme folge noch im Jahre 1944. Florin hielt es fiir moglich,
zudie
Industrievernichtung und den Ruin der deutschen Landwirtschaft durch eine Volkserhebung noch aufzuhalten.
Er hoffte
sogar auf eine Erhebung, dic anders als 1918 erfolgreich sein werde und eine Wende der deutschen Geschichte bringe. Fiir dic Organisierung der Opposition
verbleibe aber nicht mehr
viel Zeit. Er warnte vor Hitlers Bemiihungen um einen Separatfrieden mit dem Westen, fiir die es einen gewissen Boden,
aber letztlich keine ernsthaften Chancen gäbe. Auch mit Blick
auf dic westlichen Alliierten könne es sich bei der Programmatik der KPD
nur um »den Sturz des Faschismus, die Nie-
derringung der aggressiven imperialistischen Krifte und die Erkdampfung der biirgerlichen Demokratie als Herrschaft des Volkes«® handeln. Mit ciner solchen Strategic ließe sich die deutsche Bourgeoisie spalten und eın Teil ın die nationale Front einbeziehen. Florin sah voraus, daß sich fiir die politischen Kräfte in Dcutschland die Frage Ost- oder Westorientierung stellen werde. Er gab darauf dic eher agitatorische Antwort: »krieden und Freundschaft mit allen Nachbarn und besonders enge Freundschaft mit der Sowjetunion«.” Letztere wollte er jedoch
nicht mehr als Klassenfrage, sondern als nationale Frage und als Frage wirtschaftlicher Vernunft verstanden wissen. An der Scitc der UdSSR
konne Decutschland am chesten verhindern,
»daß die Weltreaktion aus dem zusammengebrochenen deutschen imperialistischen Hitlerstaat eine von englisch-amerika-
o~N
N
nischen Trust[s] kontrollierte Halbkolonie macht«.® In diesen
Ebcnda. S. 137. Ebcnda. S. 143. Ebcnda. S. 144, Ebcnda.
266
Passagen des Referates mischten sich Einsichten in die neue
Lage mit alten Deutungsmustern. Manche seiner Erwartungen sollten sich letztlich als illusionär erweisen. Im Ganzen hatte
Florin jedoch die Alternative, vor der das deutsche Volk stand,
ım wesentlichen richtig beschrieben. Und ein Erfolg jener Ori-
entierung, die er gab, hätte dem deutschen Volke das Schlimmste ersparen können.
Im folgenden Teil seines Referates ging Florin auf die Lage in Deutschland ein und beschrieb die Folgen der Kriegspolitik für die deutsche Bevölkerung, die wachsende Unzufriedenheit und Erbitterung, die sich auch in Verzweiflung und Fatalısmus äußere. Insgesamt hoffte er natürlich darauf, daß die wachsende Zahl derjenigen, die den Krieg für verloren hielten, den
aktiven Kampf für dessen Beendigung und für den Sturz des
Hitlerregimes aufnehmen führen vermochte, zeugte von aktivem Widerstand. gefunden werden. Florin
würde. Was er an Beispielen aufzuallerdings mehr von passıvem als Also mußten Organisationsformen setze dabei auf »Kampfausschüsse
in den Betrieben«, »Dorfkomitees und Volksausschüsse«, auf
Notgemeinschaften von Ausgebombten, Kriegsversehrten, auf die Wiederbelebung
der Gewerkschaften
wie
auch
auf das
Zusammenwirken mit ausländischen Zwangsarbeitern, auf Abwehr des faschistischen Terrors bis hin zur Bildung bewaff-
neter Formationen, auf die Gewinnung von Soldaten, Ja ganzer Truppenteile für den Kampf gegen Hitler. Doch schätzte er
auch realistisch ein, daß der faschistische Terror um so grausamer werde, je näher die endgültige militärische Niederlage rückt. Generell verlief zwar die Entwicklung in die von Florin aufgezeigte Richtung, aber deutlich erkennbar wurde sie erst
zum
Zeitpunkt des unmittelbaren
Zusammenbruchs
der NS-
Herrschaft unter den Schlägen der alliierten Armeen und auch dann keineswegs als die erstrebte Massenbewegung sondern nur als Bewegung einer couragierten Minderheit, ohne nachhaltige Auswirkung auf den Umgang der Sieger mit dem besiegten Deutschen Reich.
Schließlich ging Florin auf die Situation und die Rolle der
Kommunistischen Partei Deutschlands ein. Er begründete die
Notwendigkeit einer starken Kommunistischen Partei mit den nationalen Interessen des ganzen deutschen Volkes, gestützt auf historische Erfahrungen. Die künftige Partei müsse füh-
267
ren, diirfe nicht die Geführte
sein.
Der Zustand
der Partei
wurde dabei von ihm eher unter- als überbewertet. Nach dem großen Aderlaß »lebte und bestand die Partei weiter, allerdings in sektiererischen Zirkeln und Gruppen, ohne zentrale Führung im Lande«. Die Partei werde aber im Feuer des Kampfes
umerzogen und streife »ihren starren Dogmatismus, ihren schiddlichen Schematismus und ihr Sektierertum ab«.” Wiederum wurde die zum damaligen Zeitpunkt schwer lösbare Aufgabe gestellt, »in Deutschland eine zentrale Leitung zu schaffen«.'” Vorausschauend warnte Florin vor zwei Tendenzen — vor Ungeduld und vor radikalen, unmittelbar auf den Sozialismus gerichteten Forderungen vor allem langjihriger Parteimitglieder einerseits und vor opportunistischen Interpretationen ciner nationalen Einheitsfront andererseits. Offen blieb bei Florin der Umgang mit der Sozialdemokratie als politischer Partei. In seinen am 10. April gehalten SchluBBbemerkungen ging er jedoch von einer Wiederbelebung politischer Parteien aus, nicht zuletzt der sozialdemokratischen. Gegen Opponenten polemisierend, die anscheinend keine Wiederbelebungskrédfte anderer Parteien zu erkennen vermochten, baute er nicht auf eine spontane Bewegung, sondern auf Kampfausschiisse, deren Riickgrat die Zusammenarbeit illegaler Parteien und Organisationen bilden. Ein Vierteljahr spater prazisierte Florin die Aufgaben der Volksausschiisse wie folgt: » 1. Die Einheit aller Hitlergegner herbeizufithren, zum gemeinsamen Angriffskampf.
2. Die Volksaktionen zu organisieren, die das Regime voll-
cnds erschiittern sollen. 3. Die Volkserhebung, daß heif3t die Lahmlegung der Industrie, des Transportes, die Lahmlegung des Staatsapparates und die bewaffnete Niederschlagung der faschistischen Terroristen vorzubereiten.« Nun blickte er auch über die Zerschlagung des Hitlerregimes hinaus und formulierte: »Die Volksausschiisse sind nicht nur die demokratischen Organe zur Organisierung und Leitung der Volkserhebung — sie sind auch die Organe, die den 9 10
Ebenda. S. 157. Ebenda. S. 158.
268
zerbrechenden faschistischen Staatsapparat ersetzen sollen. Sıe sollen, getragen von der Macht des Volkes in Stadt und Land, Exekutivgewalt erhalten, um die dringlichsten Aufgaben
zu lösen. Auf sie soll sich die Provisorische Regierung stüt-
zen. Mit ihrer Hilfe soll das neue Provisorische Parlament ge-
wählt werden. Die Volksausschüsse sind die Organe der neuen Ordnung gegen das Chaos. Sobald die Volksausschüsse Legalitdt erhalten, werden sie sich zur Wahl stellen. Die entschei-
dende Kraft ist bei der Arbeiterklasse.«'' Florins Texte sprechen dafür, daß die Kommunisten hofften, sich als die große einigende Kraft zu etablieren. So lautete die Schlußfolgerung am Ende des Referates von Wilhelm Florin: »Noch im Kampfe für den Sieg über die Hitlerbande muß die KP die Partei der Arbeiterklasse, Volkspartei werden. Wir können heute schon nicht mehr nur Oppositionspartei sein, wir miissen als Partei der Verantwortung auftreten, die gewillt ist, morgen mit anderen zusammen die Verantwortung fiir das Geschick unseres Landes und Volkes auf sich zu nehmen.«'Am 5. Juli 1944 verstarb Wilhelm Florin in Moskau. Sein Pladoyer fiir die Volksausschiisse darf als sein politisches Verméchtnis gewertet werden. Die von ihm vorgetragenc strategische Grundorientierung fand in der politischen Praxis der Partei nach Riickgewinnung der Legalitit ihre grundsétzliche Bestitigung, doch erfolgten die einschneidenden Verdnderungen weit mehr von oben als von unten. Wenn sich die von Florin formulierten hohen Erwartungen der KPD nicht einlosen lieBen, so ist das zuletzt jenen anzulasten, die am energischsten auf den Sturz Hitlers hinarbeiteten, aus der Ferne allerdings mit eingeschriankten Méglichkeiten. Mit seinem hier relativ ausfiihrlich wiedergegebenen Auf-
taktreferat hatte Wilhelm Florin Leitlinien fiir die Tatigkeit der
Arbeitskommission abgesteckt. Die Beantwortung der weitergehenden Frage »Was kommt nach Hitler?« war vor allem Sache anderer Kommissionsmitglieder und erfolgte in der Regel mit Bezug auf bestimmte Bereiche der Gesellschaft. Auf Grundlage eines am 17. April 1944 vorgetragenen Referates Walter Ulbrichts suchten sich die Mitglieder der Ar11 12
Ebenda. S. 194f. Ebenda.
269
beitskommission über das künftige politische Kräfteverhältnis in Deutschland und den Platz der KPD klarzuwerden.'* Es wurde davon ausgegangen, daß auch andere Parteien ım künf-
tigen Deutschland
hervortreten werden,
doch dies durften
nicht die alten Parteien der Weimarer Republik
sein, die vor
den Nazis kapituliert hatten, sondern Parteien antifaschistischen Charakters. Auf diese wollten die Kommunisten durch die Bildung eines Parteienblocks einwirken. Selbstverständlich sahen die Mitglieder der Arbeitskommis-
sion ın der Arbeiterklasse die Haupt- und Führungskraft einer antiıimperialistischen Erneuerung. Doch sie waren sich bewußt, daß zwischen dem dieser Klasse zugedachten historischen Auftrag und der Bewußtheit und Organisiertheit der Arbeiterbevölkerung nach elf Jahren faschistischer Diktatur cin unübersehbarer Widerspruch bestand. Dieser Widerspruch schien nur lösbar zu sein durch Überwindung der Spaltung des werktätigen Volkes und energische Führung. Daß dabei der Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten besondere Bedeutung zukam, stand außer Frage. Aber offenbar waren sich die
in Moskau diskutierenden KPD-Funktionäre nicht ım Klaren, was die deutsche Sozialdemokratie eigentlich noch darstellte
und über welche Revitalisierungskräfte sie verfügte. Eigentliches Sammelbecken sollte eine von den Kommunisten unter Zurückstellung ihrer Endziele geführte antıfaschistische Massenbewegung werden. Die KPD selbst hatte sich — nach einer Notiz von Joseph Schwab — zur »Volks und Arbeiterpartei«' zu entwickeln. Die
Schaffung
einer derartigen
breiten
Bewegung
unter
maßgeblichen Einfluß der Kommunisten hing wesentlich davon ab, ob die KPD programmatische Ziele und Forderungen
zu formulieren vermochte, die von anderen politischen Kriften mitgetragen werden konnten beziehungsweise deren eigene Vorstellungen aufgriffen. So wurden in der Arbeitskommission zundchst bestimmte Bereiche und Aktionsfelder erortert. Die Ertrage dieser Beratungen fanden ihre Zusammenfassung
13 Der Inhalt der Ausfithrungen Ulbrichts ist nur durch Notizen Piccks und Florins überlicfert (sichc cbenda.
14 Ebcnda. S. 169.
270
S. 161-167).
in einem »Aktionsprogramm des Blockes der kämpferischen Demokratie«. Zunächst wandte sich die Arbeitskommission internationa-
len Fragen und der außenpolitischen Orientierung des künftigen Deutschland zu. Dabei stieß sie auf ein Problem, an dem
sıch die Geister schieden. Am 8. Mai 1944 referierte Rudolf Herrnstadt über »Die
Rolle der Sowjetunion
und die nationale
Frage
in Deutsch-
land«.'” Er trug seine Gedanken mit unverkennbarer Stoßrichtung gegen den Opportunismus als »zentrale Gefahr«'® vor. Er
hob die gewachsene Stärke der UdSSR
und deren zunehmen-
den internationalen Einfluß heraus und kritisierte Genossen, die diese Rolle der Sowjetunion verkennen würden. In herkömmlicher Zuspitzung maß er wahrhaften Internationalısmus an der Stellung zur UdSSR und beklagte eine zu geringe internationalistische Einstellung nicht nur beim deutschen Volk, sondern auch bei der KPD. Wenn man sich »im Geist nicht als Sowjetbürger« fühle, könne man »keinen richtigen Zutritt zur nat[ionalen] Frage« haben.'” Demgegenüber blieben seine Ausführungen zur nationalen Frage der Deutschen — jedenfalls den Notizen Piecks zufolge — ziemlich vage. Die »Lösung der nat/ionalen] Frage« liege in der »Leistung des deutschen Volkes ın bezug auf Liquid.[ierung] des Imperialismus«.'® Dem setzte Joseph Schwab ein Konzept entgegen, das — wie er vermerkte — »im Auftrage des Genossen Pieck unter Zustimmung der anderen Mitglieder der Kommission« am 22. Mai 1944 vorgetragen wurde. Schwab wählte einen grundsätzlichen, an Stalins Definition der Nation angelehnten, theo-
retischen Zugang und argumentierte mit Erfahrungen der deutschen Geschichte. Er polemisierte gegen eine Unterschätzung der nationalen Frage, gegen die Auffassungen, die nationale Frage sei eine Angelegenheit des Bürgertums, die nationalc Frage ließe sich nur im Sozialismus lösen beziehungsweise sıc erledige sich mit der Lösung der sozialen Frage von selbst. Er
15 16 17 18
Auch hiervon sind nur Notizen da. S. 172-176). Ebcenda. S. 174. Siche cbenda. S. 176. Ebcenda. S. 174,
Wilhelm
Piccks überliefert (siche cben-
271
sah den Unterschied darin, daß die soziale Frage eine Klassen-
frage sei, die nationale Frage hingegen über Klassengrenzen hinausgehe. Falsch verstandener Internationalismus leugne das Nationale und habe dazu gefiihrt, »dal} über 70 Jahre in Deutschland national und reaktionir, sozial und demokratisch
gleichgesetzt wurden«.' Die deutsche Geschichte
verstand
Schwab
als Kampf
zwischen Reaktion und Fortschritt, wobei er auch die Verdienste des aufstrebenden Biirgertums wiirdigte. Er verwies
darauf, daß sich die deutsche Arbeiterbewegung
im Kampf
um die unteilbare deutsche Republik, gegen preuBlische Hege-
monie über Deutschland konstituiert hatte. Auch der Friedenskampf im Ersten Weltkrieg wurde von ihm als nationales Anliegen interpretiert, was aber von den damaligen Akteuren nicht so gesehen worden sei und zur Negierung der Bundes-
genossen gefiihrt habe. Die Quintessenz seiner Ausfiihrungen lautete:
»Außer
der Arbeiterklasse
keine
Kraft,
die die ge-
schichtlich gestellte Aufgabe — Vernichtung der inneren deut-
schen Reaktion — das ist die nationale Frage der Gegenwart —
meistern konnte. Wir kniipfen wieder an, wie Marx und Engels, die nationale Frage gestellt haben. Vernichtung der inneren Reaktion als nationale Frage heute heif3t: I. Entmachtung des Monopolkapitals 2. Ausmerzung jedes grof3-preufBischen Chauvinismus und des
Geistes von Potsdam aus dem gesamten gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben 3. Demokratisierung des gesamten politischen und wirtschaftlichen Lebens 4. Schaffung einer neuen nationalen, fortschrittlichen Kultur,«*
So begriindete Schwab auch das enge Verhéltnis zur So-
wjetunion
ganz
anders
als Herrnstadt:
»Nicht,
weil
ich als
deutscher Kommunist weltanschaulich und staatspolitisch besonders eng verbunden bin mit der SU, sondern weil ich als deutscher Patriot die Unterstiitzung dieses Landes brauche zur Losung der deutschen nationalen Frage, zur Aufrichtung einer wirklichen Volksdemokratic [...]«.' 19 20 21
Ebcnda. S. 179. Ebenda. S. 183. Ebcenda. S. 184.
272
Diese Sichtweise ging weit über das hinaus, was die KPD angesichts der wachsenden faschistischen Gefahr im August 1930 als »Programm der nationalen und sozialen Befreiung« verkündet hatte. Wie die weitere Entwicklung bestätigte, folgte die KPD den von Schwab vorgetragenen Orientierungen. Auch die Diskurse deutscher kommunistischer Emigranten ın anderen Ländern, zum Beispiel iın Mexiko oder in Schweden,
wiesen ıin eine ähnliche Richtung. Somit war eigentlich schon jenes Herangehen an die deutsche Geschichte vorweggenommen, das zwei Jahrzehnte später von Walter Ulbricht als nationale
Grundkonzeption
der deutschen
Arbeiterklasse
zur
Leitschnur der Geschichtsschreibung der DDR erhoben wurde. Im Juni 1944 stand die Gewerkschaftsfrage ım Zentrum der Erörterungen der Arbeitskommission, im Juli die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik, ım August die Bauernfrage
und die Agrarpolitik, im September wurde über die Kulturaufgaben gesprochen. Das von Hermann Matern vorgetragene Konzept künftiger
Gewerkschaftspolitik= fußte auf einer Bewertung der Situati-
on der deutschen Arbeiterklasse, die frei von Illusionen war
und die Auswirkungen von Faschismus und Krieg auf die Arbeiterbevolkerung alles in allem realistisch in Rechnung stelite.
Matern entwickelte die Aufgaben der Gewerkschaften aus ei-
nem historischen Abrif} heraus, bei dem der Schwerpunkt auf die Kritik am Reformismus gelegt war. Hingegen weist in der schriftlichen Uberlieferung nichts darauf hin, daß eine Auseinandersetzung mit dem Selbstverstdndnis und den Resultaten des Wirkens der Revolutiondren Gewerkschaftsopposition (RGO) erfolgt wire. Die Bewertung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) als »Teil des faschistischen Staatsapparates«™ war in den Debatten nicht ausgespart. Im Unterschied zu friiheren Gewerkschaftsfithrern wie Fritz Tarnow schlossen die Kommunisten ein Uberleiten der DAF in Gewerkschaften aus.
Tarnow
hingegen
argumentierte
in einem
im Mirz
1945
er-
schienenen Artikel, daß die alten Gewerkschaften nicht aufgelöst, daß ihre Mitglieder ın der DAF zusammengehalten
22 23
Sichc cbenda. S. 198-214. Ebenda. S. 205.
273
worden seien. Mithin sei es selbstverstiandlich, »daß der neue Zusammenschluß aus dem hervorgehen wird, der bis zu die-
sem Augenblick bestanden hat«. Das könne viel zur Einheit der Bewegung und zu spéterer Zentralisierung beitragen.™ Obwohl auch über die Wiederbelebung gewerkschaftlicher Aktivitdten und Organisationen ım Kampf um den Sturz des Hitlerregimes nachgedacht wurde und entsprechende Appelle ergingen, richtete sich das Interesse doch vor allem auf die Rolle der Gewerkschaften im kiinftigen Deutschland. Keinerle1 Zweifel wurde laut, daß es sich um starke einheitliche Ge-
werkschaften handeln miisse. Doch verwendete Matern wicderum dic einschrinkende und instrumentalisierende Charakterisicrung der Gewerkschaften als »Transmissionsriemen
der Partei«, engte also die eigenstindige Funktion der Gewerkschaften von vornherein ein. In den Debatten der Arbeitskommission tauchte ein Pro-
blem auf, das in der Folgezeit konzeptionell und praktisch ecnorme Wichtigkeit erlangen sollte: das Verhéltnis zwischen Gewerkschaft und Staat. Wie sich spéter zeigen sollte, ergab die staatsfixierte Losung dieses Problems einen der gravierenden, existenzgefdhrdenden Schwachpunkte des »realen Sozialismus«. Zunichst aber setzte sich ein anderer Standpunkt
durch. Florin, der das Problem — orientiert am sowjetischen Bei-
spiel — gewissermafen vom Ende Rolle der Gewerkschaften ohne zu schen Diktatur werden sie absolut cinem demokratischen Staate, der
her anging, beschrieb die taktieren: »In der proletariın den Staat eingebaut.« In sich in Richtung Sozialis-
mus entwickelt, konne man die Gewerkschaften »bis zu einem gewissen Grade einbaucn«. Er rechnete aber auch mit
Krifteverhiltnissen, in denen es nétig sein konnte, »die Unabhdngigkeit vom Staat zu betonen«.”” Er befiirwortete also eine durch und durch voluntaristische Herangehensweise, die nicht vom Eigenverstdndnis der Gewerkschaften ausging, und emp24 Siche 1945. Main 25 Peter
Die Gewerkschaften ım Widerstand und in der Emigration 1933— Bcearb. von Sicgfricd Miclke und Matthias Frese. Frankfurt am 1999. S. 869. Erler/Horst Laude/Mantred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen
wir« ... S. 206.
274
fahl, fürs erste
in punkto
Gewerkschaften
und
Staat über-
haupt keine Festlegungen zu treffen. Im Schlußwort Hermann Materns findet sich indes eine grundsätzlich andere, die nächste Entwicklungsphase auch tatsächlich bestimmende Antwort: »Die Gewerkschaften kein Teil oder Instrument des neuen
Staates, ein Garant
der demokratischen
freiheitlichen
Entwicklung mit den Aufgaben, die Politik des Staates auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik und aller Maßnahmen, die die materielle Lage der Massen beeinflussen, mit
durchzufiihren und an der Herausarbeitung und Gestaltung der staatlichen Grundsitze mitzuwirken. Im Vordergrund der Gewerkschaftsaufgaben steht die Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Streikfreiheit ist Mittel zur Erkdmpfung
der Tarifvertrige [...] Die Gewerkschaften sind selbstdndige Organisationen zur Vertretung der wirtschaftlichen Interessen
der Arbeiterklasse und arbeiten Hand in Hand mit den Parteien, die die gleichen Interessen im politischen Kampf verfech-
ten.«
Einmiitigkeit herrschte dariiber, daß ein einheitlicher, frihere Zersplitterungen iiberwindender Gewerkschaftsbund zu schaffen sei, basierend auf Industriegewerkschaften und auf freiwilliger Mitgliedschaft. Der gewerkschaftliche Vertrauenskörper in den Betrieben sollte mit weitgehenden Rechten zur Vertretung der Interessen der Belegschaften ausgestattet werden, in enteigneten Betriecben auch Einfluß auf die Leitung der Produktion erlangen. Den neuen Gewerkschaften wurden wichtige sozialpolitische Funktionen ım Versicherungswesen, auf kulturellem Gebiet, fiir Freizeit und Erholung der Werktätigen zugeschrieben. Doch waren sich Mitglieder der Arbeits-
kommission
auch dariiber im klaren, daß die KPD
auf dem
Gebiet der Gewerkschaftsarbeit nur iiber geringe Kader verfiigte, daß »reformistische Fiihrer und Funktionire«?’ erheblichen Einfluß erlangen werden, folglich eine kommunistische Dominanz in den Gewerkschaften nicht leicht durchzusetzen sein werde. Dieses gewerkschaftspolitische Konzept korrespondierte naturgemiB mit den wirtschaftspolitischen Uberlegungen der 26 27
Ebcnda. S. 208. Ebenda. S. 200.
275
KPD. Ackermann,
der hierzu am 3. Juli 1944 referierte, ver-
wies auf ein breites Spektrum von Problemen und Aufgaben, die sich teils noch auf das Hinterland der vorrückenden allıierten Armeen,
vor allem jedoch
auf die Nachkriegswirtschaft
bezogen. Er machte von Anfang an deutlich, wie sehr Wiedergutmachungsverpflichtungen und Reparationen auf alle Über-
legungen einwirkten. Wenn die KPD, ohne schon genauere Auflagen zu kennen, zu diesem frühen Zeitpunkt die Reparati-
onsfrage derart intensiv thematisierte, so läßt sich dies nur damit erklären, daß sie nachdrücklich mit entsprechenden Erwartungen seitens der UdSSR konfrontiert worden war. Akkermann wie auch andere Diskussionsteilnehmer argumentierten mehrfach nicht nur mit der Pflicht zur Wiedergutmachung, sondern auch mit dem eigenen Interesse an der Stärkung der Sowjetunion in der internationalen Klassenauseinandersetzung. Ackermann sprach sowohl über die Produktionsverhält-
nisse als auch über die Produktivkräfte, obwohl er mit diesen
Begriffen nicht operierte. Was die Produktivkräfte betrifft, so
rechnete er mit einem hohen Maß der Zerstörung, demgemäß
kam der menschlichen Arbeitskraft höchste Bedeutung als wichtigstem Produktionsfaktor zu. In der Bewertung des Aus-
maßes des wirtschaftlichen Ruins und seiner Folgen, bei der
Einschätzung der Möglichkeiten und des Tempos wirtschaftlicher Genesung traten allerdings abweichende Standpunkte hervor.
Das Schwergewicht beim Wiederaufbau hatte zunächst bei der Konsumgüterproduktion und bei der Sicherung der Ernährung zu liegen. Im ökonomischen Bereich richtete sich der Hauptstoß gegen die Monopolbourgeoisie, vor allem gegen die Rüstungskonzerne, die auf gesetzlichem Wege enteignet wer-
den sollten. Demgegenüber sollte der wirtschaftliche Kleinund Mittelbesitz gefördert werden. Auch über Entschädigungen
— zum Beispiel von Juden — wurde nachgedacht. Den Uber-
gangscharakter der sozialökonomischen Struktur charakterisierte Joseph Schwab, den Ackermanns Forderungen nicht weit genug gingen, folgendermaßen: »Es steht nicht die Frage einer sozialisierten, sondern einer kapitalistischen Wirtschaft, die aber genau wie die kämpferische Demokratie nicht schlechthin cine bürgerliche Demokratie ist, Organisationsformen entwickelt, die schon in den Bereich der gemeinwirtschaftlichen 276
Wirtschaft gehören. Aufbau eines gemeinwirtschaftlichen Sektors der Wirtschaft und Wiedergutmachung sind die Achse unseres Wirtschaftsprogramms.«-® In der Landwirtschaftspolitik, für die später Edwin Hoernle eın umfassendes Konzept vorlegte, gruppierten sich die Zielstel-
lungen um zwei Komplexe. Zum einen waren alle faschistischen Zwangsgesetze und Zwangseinrichtungen (Reichsnihrstand,
Erbhofgesetz, Zwangsablieferung, Gemeinde- und Arbeitsverordnungen) aufler Kraft zu setzen. Zum anderen galt es, die Bauern als Biindnispartner zu gewinnen — vor allem mit einer Bodenreform. Diese war flankiert durch Forderungen wie Riickgabe der fiir militdrische Zwecke beschlagnahmten Bodenfldchen, Entschuldung der Bauernhéfe, Piachterschutz, bauernfreundliche Preis- und Steuerpolitik. Insgesamt bewegten
sich alle wirtschaftspolitischen For-
derungen im Rahmen der anvisierten antifaschistisch-demokratischen, antiimperialistischen Emeuerung Deutschlands. Es waren keine Mallnahmen vorgesehen, die fiir andere antifaschistische Kräfte uniibersteigbare Hiirden dargestellt hitten. Interesse verdienen nicht zuletzt die kulturpolitischen Er-
wägungen der in Moskau tätigen Kommunisten. Am 25. September trug Johannes R. Becher »Bemerkungen zu unseren Kulturaufgaben«® vor. Woméglich war der eigentlich für diese Thematik vorgesehene Erich Weinert zu stark mit seinen Auf-
gaben als Prisident des Nationalkomitees Freies Deutschland
befaßt. Becher entwarf ein grofles Panorama der kulturell-geistigen Situation der Deutschen und zog daraus weitgreifende Schluf3folgerungen. Einen zentralen Platz nahm in seinen Uberlegungen die Schuldfrage ein: »Es wire verhidngnisvoll, wenn die Naziclique als die Alleinschuldigen gebrandmarkt wiirden. Sie sind zwar die Hauptschuldigen, aber die Tatsache, daß und wie sie hauptschuldig werden konnten, bedeutet, daß unsere gesamte geschichtliche Entwicklung zur Kritik steht.«* Er benannte die tiefe ideologische und moralische Verwahrlosung des deutschen Volkes, rechnete aber auch da-
mit, daß durch die tiefe Katastrophe Millionen aufgeschlossen 28 29 30
Ebenda. S. 217. Siche cbenda. S. 233-237. Ebenda. S. 234.
277
werden für neue Wege, zur Bereitschaft, umzulernen und antiumperialistischen Kräften zu folgen. Umerziehungsarbeit hieß für thn vor allem Kritik, und zwar a) der Kriegsschuldfrage;
b) der Geschichte der NSDAP; ¢) der geschichtlichen Bedeutung
Hitlers, seiner »Entlegendisierung«,’’
wie
er es spiter
nannte; d) der Geschichte der letzten dreiflig Jahre; e) der deutschen Geschichte insgesamt. In diesem ProzeB sollte die KPD »als geistige Ordnungsmacht« in Erscheinung treten, mit »festen Maßen und Werten«. Er sprach von einer »Partei neuen Typs« in einem anderen Sinne, als dies ein halbes Jahrzehnt
später der Fall war: Partei als »Erkenntnisorgan objektiver Wahrheiten« und als » Vollzugsorgan dieser objektiven Wahrheiten«.*Neben den politischen und gewerkschaftlichen Organisa-
tionen erhoffte sich Becher vor allem von drei Gruppen Un-
terstiitzung im Umerziehungsprozef3: von den Lehrern — vom Dortschullehrer bis zum Hochschullehrer —, von den Pfarrern und Geistlichen und von den Literaten ım weitesten Sinne
(einschlieBlich Film, Presse, Radio, Theater). Er vertraute darauf, daß die antifaschistische Literatur »zur herrschenden deutschen Literatur, zu einer neuen Nationalliteratur« wird.?? Becher hat diese Thesen später ausfiihrlich entwickelt und
begriindet, ausgehend vom marxistischen Verstindnis der relativen Eigenstdndigkeit des 1deologischen Uberbaus der Gesellschaft und der Rolle der Personlichkeit in der Geschichte. Er gab dieser Ausarbeitung die Uberschrift »Zur Frage der
politisch-moralischen Vernichtung des Faschismus«.** Er gebrauchte hier sehr starke Worte. In einer » Atmosphire von Volkszorn und Nationalempdrung« sollte sich die deutsche Bevolkerung von der bis ins UnterbewuBtsein eingedrungenen faschistischen Ideologie und den verinnerlichten reaktioniren Denk- und Gefiihlsweisen reinigen. Dabei beschiftigten ihn Wesen und Erscheinungsform der Naziideologie. Als deren Wesensziige benannte er: den Rassismus (ohne an dieser Stel-
le auf den Antisemitismus als dessen schlimmsten Ausdruck
31 32 33 34
Ebcnda. S. 344, Ebcnda. S. 234f. Siche cbenda. S. 236. Sichce cbenda. S. 335-361.
278
einzugehen); die Lehre vom Lebensraum; die Lüge vom deutschen Sozialismus; das Führerprinzip; Geschichtsfälschungen
und Geschichtslügen; sogenanntes lebensgesetzliches Denken ın Gestalt eine militanten Irrationalismus als Zerstörung der
Vernunft und ın der Verkehrung des Darwinismus in einen brutalen Biologismus; die Verklärung des Krieges. Becher ging auch der Frage nach, woraus sich die tiefe Wirkung der Naziideologie erklärte. Er sah die Ursachen hierfür nicht nur in der bis dahin beispiellosen Propagandamaschinerie, sondern auch im Nazismus als »Korruptionsideologie, als Ideologie des Eigennutzes, des hemmungslosen Geschäf-
temachens, als [...] Ideologie der nationalen Verkldrung aller egoistischen Raffke- und Raubinstinkte«.” Als Gewaltkult, als Vergottung des Staates, als Antihumanismus und Antidemo-
kratismus habe die Naziideologie in Deutschland einen vorbe-
reiteten Boden vorgefunden. Dem Zug der Zeit folgend, griff
Becher hier nicht unbegriindet, so doch einseitig verabsolutierend auf die Geschichte Preu3ens zuriick. »Naziideologie also ist«, so folgerte er: »imperialistische Ideologie durch die spezifisch deutsche Entwicklung des Imperialismus und die PreuBenideologie noch zusétzlich ins rabiat Barbarische verschirft und bis ins Possenhafte und bis zur Karikatur verzerrt.«** Im Gefolge der ideologischen Beherrschung und Korrum-
pierung der meisten Deutschen durch die Nazis rechnete Becher damit, daß die heimkehrenden Kommunisten vier typische
Verhaltensweisen antreffen werden. 1. diejenigen, die noch nichts begriffen hatten, die den Antifaschisten mit Provokationen aus dem Arsenal der Nazis entgegentreten (hicrzu rechnete er auch »gewisse sozialdemokratische Fiihrer«), 2. Leute, die in vollige Apathie verfallen sind, 3. dicjenigen, die bereit sind, neue Wege zu gehen, 4. aufrechte Menschen,
die unter
Hitler Antifaschisten geblieben oder geworden sind. Becher berief sich darauf, daß die KPD im Kampf gegen den Faschismus als ideologisch-moralisch einzige intakte Kraft Recht behalten habe und über eine geschlossene freiheitliche,
wissenschaftlich begriindete Weltanschauung verfiige. Der Schaden, den auch dic deutschen Kommunisten unter Stalin 35 36
Ebcenda. S. 349, Ebcenda. S. 351.
279
genommen hatten, war hier ausgeblendet, aber Becher vermutlich im Innersten bewußt. Wenn er der Naziideologie sieben Thesen einer freiheitlichen Ideologie gegenüberstellte, folgte er jedenfalls nicht Stalinschen Dogmen, sondern eigenen Einsichten. So setzte er der Naziideologie keinen Ismus entgegen, sondern »sieben Artikel oder Thesen einer freiheitlichen Ideologie«.’” Dies rankte sich um Begriffe wie »Gleichheit der Menschen und Volker«, »Lehre vom wahren Volkerfrieden,
»Lehre von der inneren fretheitlichen Ordnung eines Volkes, »Anerkennung objektiver GesetzmafBigkeiten sowohl in der Natur als auch in der Entwicklung der Gesellschaft und der Geschichte«, »fortschreitende Entwicklung des Menschengeschlechts« durch »Konstituierung einer Volksherrschaft«, » Ar-
beiterschaft als entscheidende Produktivkraft« mit »fiihrender Rolle [...] im gesellschaftspolitischen Leben eines Volkes, »Lehre vom Demokratismus sowohl als einer Lebenshaltung und Weltanschauung wie auch eines politisch-staatlichen Ausdrucks«. Becher wiinschte sich die Kommunisten als Fackeltriger, die »Licht bringen [...] in diese furchtbare Finsternis, Wissen und Bildung bicten und die Millionen Verzweifelter nicht ihrer Verzweiflung iiberlassen, sondern sie hochreif3en, ihnen einen neues großes Ziel zeigen und eines geben, worauf es in dieser Katastrophe vor allem ankommt. Vertrauen ın die Kraft des von allem reaktiondren Unrat befreiten Volkes und Mut und Mut!«** Gegen die Verzweiflung sind zahlreiche Kommunisten in der Folgezeit tatsdchlich beherzt und nicht ohne Erfolg angegangen. Bechers Appell, Verfechter einer freiheitlichen Ideologie zu sein, vermochten sie weniger zu folgen. Im Ergebnis der Beratungen der Arbeitskommission entstanden ım Oktober 1944 unter der Federfiilhrung Anton Ackermanns schlie8lich mehrere Entwiirfe fiir ein » Aktionsprogramm des Blocks der kdmpferischen Demokratie«,’® wobei er sich auf Vorarbeiten und präzise Hinweise Wilhelm Piecks stiitzen konnte. Das den Ertrag der Diskussionen zusammenfassende 37 38 39
Siche cbenda. S. 359. Ebcenda. S. 360. Sichec cbenda. S. 240-246
280
und 265-269.
Dokument gliederte sich in seiner dritten Fassung — vermutlich von Ende Oktober 1944 — in zwei Hauptschnitte. Im ersten erfolgte unter A) die Kennzeichnung der Lage, unter B) die Darlegung der Hauptursachen, wie es dahin kommen konnte, unter C) der Appell zur Rettung Deutschlands durch die Zerschlagung des Faschismus, unter D) waren praktische Schlußfolgerungen gezogen, wobei von den Bedingungen einer militärischen Besetzung Deutschlands ausgegangen wurde. Als zentrale Aufgabe wurde herausgestellt die »Entfaltung einer Massenbewegung für die Schaffung eines Blockes der kämpfe-
rischen Demokratie, der alle Organisationen, Parteien, Gruppen
und Personen erfassen soll, die für die Rettung Deutschlands durch Vernichtung der faschistisch-imperialistischen Reaktion und Aufrichtung eines demokratischen Volksregimes kämpfen werden«.* In diesem Block sollte die Arbeiterklasse durch die Herstellung threr Einheit die wichtigste Rolle spielen. Uber bisherige Uberlegungen und Texte ging dieses Aktionsprogramm vor allem dadurch hinaus, daß es ım zweiten Teil ein 14 Punkte umfassendes gut durchdachtes Sofortprogramm
unterbreitete, das sich strikt im Rahmen
antifaschistisch-de-
mokratischer Zielvorstellungen bewegte. Es iiberforderte keinen der potentiellen Verbiindeten, denn in vielen Punkten traf sich dieses Aktionsprogramm mit den Forderungen anderer antifaschistischer Kriafte. Wenn dennoch Vorbehalte gegen die KPD fortwirkten oder ihre Angebote auf Ablehnung stießen, so konnte dies seine Ursachen kaum in der von den Kommunisten verkiindeten Programmatik haben. Es riihrte vielmehr aus einer generellen antikommunistischen Gesinnung, aus unguten Erfahrungen in der Vergangenheit oder aus Zweifeln an der Aufrichtigkeit der von der KPD verkiindeten Programmatik. Zu den im Aktionsprogramm erhobenen politischen Forderungen gehorten die Freilassung der eingekerkerten Freiheitsund Friedenskdmpfer sowie die Verhaftung und Aburteilung der Nazimorder und Kriegsverbrecher, die Enteignung thres Besitztums und Vermögens, die Sduberung des gesamten Staatsapparates, die Authebung aller volksfeindlichen und rassistischen Gesetze, die Aufldsung aller faschistischen Organisationen so40
Ebcenda. S. 266.
281
wie das Verbot jedweder Propaganda. Als positive »energische Entfaltung staatsbiirgerliche Freiheit
faschistischen und imperialistischen Ziele waren dem entgegengesetzt die einer wahren Demokratie, die die aller Volksangehorigen ohne Unter-
schied der Herkunft, des Standes, der Rasse und der Religion und eine stindige Erweiterung der Anteilnahme des ganzen
Volkes an der inneren Umgestaltung des Landes sichert«.*' Das schlof3 volle Glaubens- und Religionsfreiheit ein, Freiheit der
Organisation,
der Presse
und
der Versammlung,
der For-
schung, Lehre und kiinstlerischen Gestaltung, freies, gleiches, gcheimes und direktes Wahlrecht, Kontrollorgane der Bevölkerung. Beziiglich der AuB3enpolitik beschriankte sich diese Programmatik auf die Anerkennung der Wiedergutmachungsverpflichtungen vor allem gegeniiber dem Sowjetvolke. Diese Schwachstelle kommunistischer Programmatik wirkte ldngere Zcit fort. Auf wirtschaftspolitischem Gebiet orientierte das Aktionsprogramm auf den Wicderautbau und die Herstellung friedlicher Wirtschaftsbeziehungen, auf die Umstellung aller Betriebe auf eine den Bediirfnissen des Volkes dienende Produktion,
auf dic Lenkung und Kontrolle der Wirtschaft durch Organe des demokratischen Staates ım engen Zusammenwirken mit
den Betriebsriten und Gewerkschaften. Durch kommunalen und privaten Wohnungsbau mit staatlicher Unterstiitzung, durch Kredite an Ausgebombite sollte dıe Wohnungsnot gelindert werden. Im Aktionsprogramm wurden Recht und Pflicht zur Arbeit verkiindet wie auch die tarifliche Festlegung der Lohne und Arbeitsbedingungen durch Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Unternchmern. Im Zentrum der Agrarpolitik stand die Sicherung der Volkserndhrung, wobei die Freiheit der bauerlichen Wirtschaft und deren staatliche Unterstitzung, die Wiederherstellung freier bauerlicher Genossenschaften und die Schaffung demokratischer Bauernkammern zugesichert wurden. Gefordert wurde eine demokratische Bodenreform zugunsten der landarmen Bauern und der Landlosen. Es war dies neben der eingangs erhobenen Forderung nach Enteignung des Besitzes von Nazi- und Kriegsverbrechern die cinzige Mafinahme, die Eingriffe in dic Eigentums41
Ebcenda. S. 267.
282
verhältnisse vorsah. Dem
Mittelstand wurde nicht nur seine
Existenz zugesagt, sondern auch Unterstützung durch günstige Kredite und Förderung seiner gewerblichen Genossen-
schaften und Berufsverbände. Als sozialpolitische Maßnahmen
waren vorgesehen:
der
Ausbau des Arbeitsschutzes (auch für Landarbeiter und Haus-
angestellte), das Recht auf Urlaub unter Fortzahlung der Löhne und Gehälter, ein umfassendes Sozialversicherungswesen mit Kranken-, Invaliden- und Altersversorgung, ein Ööffentli-
cher Gesundheitsdienst, der Schutz von Mutter und Kind mit besonderer Fürsorge für kinderreiche Familien, die Unterstüt-
zung für Kriegsversehrte und Hinterbliebene. Auf geistig-kulturellem Gebiet konzentrierte sich das Aktı-
onsprogramm
auf die Erziehung der Jugend, auf umfassende
Aufstiegsmöglichkeiten ım Bildungssystem und die Förderung der Begabten, auf die gründliche Berufsausbildung. Erwerbsarbeit von Kindern war zu verbieten, Jungarbeiter waren zu schiitzen. Jugend-Gesundheitspflege und Jugendsport sollten kräftig entwickelt werden. Von der Förderung der Künste war in dieser Programmatik nicht die Rede. Ende 1944 gab Anton Ackermann dem Aktionsprogramm einen sprachlichen Ausdruck, mit dem einer Verdffentlichung nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus entsprochen werden sollte.*> Breitenwirkung hat jedoch dieses Dokument nie erreicht. Die Programmatik
der KPD
wurde
später kom-
primiert im Aufruf des Zentralkomitees vom 11. Juni 1945 ın die Offentlichkeit getragen. Dessen Ausstrahlungskraft beruhte indes darauf, daß im Ergebnis der über ein halbes Jahr hinweg gepflogenen Beratungen deutscher Kommunisten in Moskau ein alles in allem ausgewogenes und vor allem auch handhabbares Programm erarbeitet worden war. Es gab auf die Frage »Womit beginnen« durchdachte Antworten; somit konnte dic KPD selbstbewußt an andere antifaschistische Krifte herantreten.
42
Siche cbenda. S. 290-303.
283
Die letzten strategischen Manifestationen der Kommunisten im Lande und die Verschwörung des 20. Juli 1944
In Deutschland selbst existierte die KPD ım ersten Halbjahr 1944 vorwiegend in Gestalt einzelner Gruppen, als mehr oder weniger enge Verbindung einzelner Genossen. Was in der Geschichtsliteratur der DDR oft als Landesleitung beschrieben
worden ist, muß — wie oben dargestellt — wohl eher als ein Netzwerk verstanden werden, mit dem Fäden zwischen ein-
zelnen Personen oder Zentren geknüpft wurden. Durch den »Deutschen Volkssender« und den Sender »Freies Deutschland« waren die Kommunisten
ım Lande informiert, wie ihre
Parteiführung die Lage einschätzte und welche generelle Strategie sie verfolgte, aber weit weniger über die vorausgegangenen Erwägungen und die dahinterstehenden Motivationen. Angesichts der heranreifenden Niederlage der deutschen Streitkräfte und der nachlassenden Siegesgewißheit in der Bevölkerung, in Erwartung der bevorstehenden Befreiung vom Faschismus nahmen nicht nur Widerstandsaktionen und die Flugblattagitation zu, sondern auch Bemühungen um Kontakte und eine abgestimmte Ausrichtung des Kampfes ım Lande. Daran beteiligt waren kommunistische Funktionäre — teils ehemalige Reichstagsabgeordnete — wie Bernhard Bästlein, Franz Jacob, Theodor Neubauer, Anton Saefkow, Georg Schumann, Martın
Schwantes,
die alle schon
schwere Jahre der Haft in
Zuchthäusern und Konzentrationslagern hinter sich hatten, und weitere Genossen. So wurden Verbindungen zwischen Kommunisten
ın Berlin-Brandenburg,
Sachsen,
Thüringen,
Magdeburg-Anhalt, der Wasserkante und anderen Regionen wie auch zu Insassen von Konzentrationslagern geknüpft.
284
Sammlung der Kräfte, Aufklärung der Bevölkerung, Rüstungssabotage, Zersetzung der Wehrmacht gehörten zu den Hauptformen dieses antifaschistischen Widerstandes. Flugblätter jener Zeit führten der Bevölkerung die Unver-
meidbarkeit der Niederlage Hitlerdeutschlands vor Augen. Sie mahnten, durch den Sturz Hitlers und die sofortige Beendigung
des Krieges das Schlimmste abzuwenden. Sie forderten auf, die
Einheit der Arbeiterklasse und aller Antifaschisten herzustellen. Nun tauchte auch haufiger die Forderung auf, bewaffnete Kampfgruppen zu schaffen, wobei auf die Befreiungsbewe-
gung in anderen Ländern verwiesen wurde. Doch finden sich
auch Hinweise auf Formen elementaren Widerstandes ın Betrieben und Wohngebieten. So appellierte ein mit Kommunistische Partei Berlin unterzeichnetes Flugblatt, das Anfang
1944
verbreitet wurde: »Setzt Euch gegen die Weiterfithrung des Krieges zur Wehr! Verweigert die 12stiindige Arbeitszeit! Verlangt Euren freien Sonntag und den freien Sonnabendnachmittag! Fordert die Erh6hung der Lebensmittelrationen! Driickt Euch mit allen Mitteln vor der Verldngerung der Arbeitszeit und sabotiert jede Maßnahme, die höhere Arbeitsleistungen aus Euch herauspressen soll! Schiitzt Euch gegen die Luftangrif-
fe! Verlal3t die Betriebe, wenn die Sirenen heulen! Sucht Eure
Wohnungen und Familien auf, wenn die Angriffe voriiber sind! Laßt
Betriebe
brennen,
aber rettet Eure
Wohnungen!«
Ab-
schlieBend hieß es — an das Revolutionsjahr 1918 erinnernd: »Die Arbeiter beendeten den ersten Weltkrieg! Sie müssen auch den Schluß des zweiten erzwingen!«' Die Wende im Kriegsgeschehen verlangte eine neue Standortbestimmung auch der Kommunisten im Lande und eın griindlicheres Nachdenken über die Perspektiven der Widerstandsbewegung. In der Plattform »Wir Kommunisten und
das Nationalkomitee
] 2
Freies Deutschland«- hatte sich der ge-
Zit. nach Margot Pikarski/Giinter Ucbel: Dic KPD Icbt. Flugblitter aus dem antifaschistischen Widerstandskampf der KPD 1933-1945. Berlin 1980. S. 232. Gertrud Glondajewsky/Gerhard Roßmann: Ein bedcutendes Dokument des illegalen antifaschistischen Kampfes der Kommunistischen Partei Dcutschlands. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (im wcitcren BzG). Berlin (1966)4. S. 644{ff.
285
nannte Personenkreis grundsätzlich die in Moskau konzipierte
politische Linie und die angestrebte Bündnisbreite zu eigen ge-
macht und zu Aktionen gegen das Naziregime aufgerufen. Zur Präzisierung dieser Plattform konnten auch Hinweise kommu-
nistischer Funktionäre aus dem KZ Sachsenhausen eingeholt werden, unter ihnen Max Opitz, Max Reimann, Augustin Sandtner, Ernst Schneller und Matthias Thesen. Von ihnen
wurde eine noch striktere Beachtung des antifaschistisch-demokratischen Charakters der unmittelbaren Ziele und Aufga-
ben angemahnt. Der Versuch, auch eine Verbindung zu Ernst Thälmann zu knüpfen, scheiterte.* Die kommunistischen Funktionäre ım Lande waren sich darüber im klaren, daß zunächst eine antiimperialistische, eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung auf der Tagesordnung stand, doch war für sie die antifaschistische Befreiungsbewegung sehr eng mit dem proletarischen Emanzipationskampf verknüpft. Offenbar standen ıhnen weitaus stärker als der Parteiführung in Moskau die Erfahrungen des Revolutionsjahres 1918/1919 vor Augen. Während ın Moskau die antifaschistisch-demokratische Etappe in ıhrer Eigenständigkeit gesehen wurde, Bezüge zum sozialistischen Endziel in der Regel ausgespart und der Zukunft überlassen blieben, orientierten sich die führenden Funktionäre im Lande primär an der proletarischen Revolution, wobei eine antifaschistisch-demokratische
Umwilzung eher als deren Präludium erschien. In dem überwiegend von Franz Jacob skizzierten »Gedanken zu aktuellen Fragen«* und vor allem in dem späteren umfangreichen Dokument »Am Beginn der letzten Phase des Krieges«® spielte das Problem der Hegemonie in den bevorstehenden Auseinandersetzungen und im Ringen um die Gestaltung Nachkriegsdeutschlands und mithin die Rolle der Arbeiterklas3 4 5
Siche Deutschland im Zweiten Weltkricg, Bd. 5: Der Zusammenbruch der Defensivstrategic des Hitlerfaschismus an allen Fronten (Januar bis August 1944). Berlin 1984. S. 270. Sichc Heinz Kühnrich/Karlheinz Pech: Neue, bedcutsame Materialien über dic politisch-thcoretische Tätigkeit der illcgalen operativen Leitung der KPD in Decutschland 1944. In: BzG. Berlin (1979)1. S. 26—41. Sichc Am Beginn der letzten Phasc des Kricges. Ein ncucs bedcutsames Dokument aus dem illegalen Kampf der KPD in Dcutschland 1944. In: Ebcnda. Berlin (1979)3. S. 402-425.
286
se eine herausragende Rolle. Die zu erwartenden weitreichenden Beschränkungen durch die Besetzung Deutschlands und die Auflagen der alliierten Siegermächte, die den Kommunisten in Moskau bei allen Erwägungen immer bewußt waren, blieben hier ausgeklammert. Die strategische Orientierung war vom Endziel her bestimmt.
So hieß es unter der Überschrift »Das große Ziel«: »Stolz
und offen bekennt sich unsere Partei zu ihrem großen Ziel. Gerade das faschistische Drama in Deutschland hat der Arbeiterklasse der ganzen Welt bewiesen, daß es aus der Barbarei des imperialistischen Kapitalismus mit seinen Krisen und Kriegen, mit seinen faschistischen Massenbewegungen und Ideologien nur einen Weg zu den Höhen sozialistischer Gemeinschaft gibt: Die Errichtung der Macht der Arbeiterklasse als Diktatur des Proletariats. Die Organisierung der proletarıschen Revolution ist unser Weg.«® Und dieser Weg sollte sich ausdrücklich am Beispiel der von Lenin und Stalin geprägten Sowjetunion orientieren. Zwar sahen auch die fithrenden Genossen der KPD ım Lande die kiinftige Entwicklung als stufenweisen Prozel3, diesen jedoch in engeren Zeitrdumen und stirkeren Verflechtungen. »Die erste Etappe«, so betonten sie, »das ist die Etappe bis zur Beendigung des Krieges und des Sturzes der faschistischen Diktatur«.” In dieser Etappe erwarteten sie das Hervortreten einer breiten Kampffront zur Beendigung des Krieges und zur Zerschlagung des Faschismus. »Die zweite Etappe, das ist die Periode der Liquidierung des Faschismus als Organisation und Ideologie, des Kampfes gegen scine Einpeitscher und Hinterménner, der Abrechnung mit den Kriegsverbrechemn,
die Periode, in der sich das Proletariat im Rahmen einer wirk-
lichen Demokratisierung der innenpolitischen Verhéltnisse all jene Machtpositionen erobert und sichert, die es zur Durchsetzung seiner eigenen Klassenziele gebraucht. In dieser Etappe ringen die Kommunisten um die politische und organisatori6
7
Hcinz Kihnrich/Karlhcinz
Pcch: Neue, bedcutsame
Materialien über dic
politisch-thcorctische Tatigkeit der illegalen opcerativen KPD
in Dcutschland
1944. In: BzG. Berlin (1979)1.
S. 26.
Leitung der
Am Beginn der letzten Phasc des Kricges. Ein ncucs bedcutsames Dokument aus dem illegalen Kampf der KPD in Dcutschland 1944. In: Ebenda. Berlin (1979)3. S. 416.
287
sche Einheit der Arbeiterklasse im Zeichen eines sozialistischen Aufbauprogramms, werben kameradschaftlich um die Gewinnung der Mittelschichten und des größten Teils der Landbevölkerung und führen einen schonungslosen, erbitterten Kampf um die Entmachtung der Bourgeoisie. Wir lassen in dieser Zeit kein Mittel unversucht und setzen alle Kraft ein,
um in die endgültige Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus in Deutschland bestens gerüstet hineinzugehen. Am Ende der zweiten Etappe müssen die Errichtung
der Diktatur des Proletariats und der Beginn
des sozialisti-
schen Aufbaus stehen.«* Ein solcher Gang der Ereignisse wurde als Teil der Weltrevolution begriffen, »die die endgültige Vernichtung des Imperialismus herbeiführen wird«, die kein einmaliger, gleichzeitiger Akt ist. »Wir wissen auch, daß am Ende des Krieges in vielen europäischen Ländern gleichzeitig die Bedingungen für die proletarısche Revolution schnell heranreifen werden.«” Dieses Konzept unterschied sich deutlich von den Positio-
nen, die nicht nur in Moskau, sondern auch in anderen Zentren des kommunistischen Exils eingenommen wurden. Die KPD-
Funktionäre im Lande visierten nicht die antifaschistisch-de-
mokratische
Republik
als
Etappenziel
an.
Die
konkreten
materiellen Interessenlagen potentieller Verbiindeter beschiftigten sie kaum. Der Fiithrungsanspruch der Kommunisten wurde nur von ihrer sozialen Mission her, nicht wie im Exil zugleich mit ihrem Anspruch, zuverldssige nationale Kraft zu sein, begriindet. Die Bildung des Nationalkomitees »Freies Deutschland« und die eigene Zugehorigkeit zu dieser Bewegung war grundsitzlich bejaht, »die vom Fiihrer unserer Par-
tei, dem Genossen
Pieck eingenommene
Haltung dem NK
gegeniiber« war fiir bindend erkldart worden,
zugleich wurde
jedoch prononciert und iiber sonstige Positionierungen hinausgehend, hervorgehoben: »Wir tragen als Beauftragte der dcutschen Arbeiterklasse die volle Verantwortung dafiir, daß der Fihrungsanspruch der Arbeiter in dieser Bewegung erobert und sichergestellt wird.«'° 8 9 10
Ebcenda. Ebenda. S. 415. Ebenda. S. 423.
288
Es läßt sich schwer auseinanderhalten, inwieweit die Ab-
weichungen von der sich immer deutlicher herausschälenden Generallinie unzureichender Information geschuldet bezie-
hungsweise inwieweit sie Ausdruck einer selbstbewußten Abgrenzung von einer die sozialistischen Ziele zurückstellenden
Politik waren. Vieles spricht für erstere Annahme,
denn im
Frühjahr 1944 zeichneten sich die Konturen der Kampfbedingungen nach dem Sieg über den Faschismus erst unscharf
ab. Und die ganze Tragweite des Ausbleibens einer rechtzeitigen Selbstbefreiung und der Folgen der bedingungslosen Ka-
pitulation
auch
für die kommunistische
reswende
1944/1945
Bewegung
wurden
auch anderswo mit all ihren Konsequenzen erst um die Jahhinreichend erfaßt. Doch
mit der Igno-
ranz gegeniiber der demokratischen Republik als Alternative zum Faschismus blieb die kommunistische Fithrungsgruppe ım Lande selbst hinter den Beschliissen der »Briisseler« und
der »Berner« Konferenz zuriick. Es sei denn, man wollte sich
bewußt von solch einem Etappenziel distanzieren. Das Dokument » Am Beginn der letzten Phase des Krieges«, das fast ausschlieBBlich nur in handschriftlicher Fassung
iiberliefert ist, muß seinem Inhalt nach zwischen Mai und Mitte Juli 1944 formuliert worden sein. Es kann nur wenige Leu-
te erreicht haben, denn Exemplare einer Vervielfiltigung sind nicht aufgefunden worden. Die ihm zu Grunde liegenden
Denkweisen
waren jedoch bei den aus der Illegalitdt hervor-
tretenden deutschen Kommunisten im Frithjahr 1945 nicht selten zu beobachten. Vermutlich wäre in Lagebeurteilungen und Zielsetzungen deutscher Kommunisten im Lande mit fortschreitender Entwicklung ebenfalls groBerer Realismus eingezogen. Doch brach der Verstandigungsproze3 Mitte 1944 jih ab. Am 20. Juli 1944, 12:42 Uhr, explodierte im Fiihrerhauptquartier ın der » Wolfsschanze« bei Rastenburg eine Bombe. Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg hatte den mit einem Zeitziinder versehenen, in seiner Aktentasche verstauten Sprengkorper eingeschleust. Es gab Tote und Verwundete. Hitler iiberlebte mit leichten Verletzungen. Das als Signal fiir einen Militärputsch gedachte Attentat war fehlgeschlagen. Die Verschworung brach zusammen, bevor sie richtig begonnen hatte.
289
Ursachen, Motive, Chancen und Folgen dieser Verschwö-
rung sind anderenorts ausführlich und mit unterschiedlichen
Akzentuicrungen und Bewertungen untersucht worden, müssen hier also nicht im einzelnen dargestellt werden. Festzuhalten bleibt: Ein Putsch und die Ersetzung der NS-Diktatur durch die Herrschaft eines anderen Teils der deutschen Herrschaftselite — die sich uneins war, inwieweit einer antifaschistisch-demokratischen Entwicklung den Weg geebnet werden sollte — stellte letztlich das Gegenstück zu der von den Kommunisten erstrebten Volkserhebung dar, konnte diese aber durchaus befördern. Von dieser Dialektik ließen sich die Kom-
munisten bei der Beurteilung des 20. Juli 1944 zeitgenössisch ın der Regel leiten.
Schematisch standen sich die Konzepte ciner durch den Machtwechsel innerhalb der Eliten herbeigeführten Wende und einer Volkserhebung natürlich nicht gegenüber. Die Auswir-
kungen eines Militärputsches auf die Massen waren schwer kalkulierbar. Auch waren sıch manche Verschwörer durchaus
bewußt, daß es zur Stabilisierung neuer politischer Verhältnis-
se zumindest der Unterstützung der Gewerkschaften bedurfte
und der sozialdemokratische wie auch der kommunistische Widerstand nicht gänzlich ignoriert werden durften. Unter den Leuten des 20. Juli waren unterschiedliche Positionen einzelner Gruppierungen oder Personen erkennbar. Zwischen den
im Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke im Kontakt mit Sozialdemokraten wie Adolf Reichwein, Julius Le-
ber und Wilhelm Leuschner diskutierten Vorstellungen und dem NKFD bezichungsweise einem von der KPD-Führung angestrebten Block der kämpferischen Demokratie gab es schon Berührungspunkte, mit dem von Carl Goerdeler vertretenen Konzept weit weniger. Aber generell lief es doch auf den Widerspruch zwischen einer Revolution von oben und einer Revolution von unten hinaus, auf den überdies das unausweichliche
Problem West- oder Ostorienticrung einwirkte. So gänzliıch überraschend kamen die Juliereignisse für den führenden Kreis der deutschen Kommunisten im Lande nicht. Denn Franz Jacob und Anton Saefkow hatten Kontakte zu Leber und Reichwein, wovon auch Stauffenberg Kenntnis besaß. Daß eine Differenzierung ım Lager der deutschen Eliten einge-
treten war, hatten die deutschen Kommunisten 290
bereits vorher
registriert. So war in dem Dokument »Am Beginn der letzten Phase des Krieges« eingeschitzt worden: »Aber angesichts der unabwendbaren militdrischen Niederlage des deutschen Faschismus beginnen sich alle Vorteile, die das faschistische System bisher dem Finanzkapital bot, in Nachteile zu verwan-
deln, ohne daß diejenigen, die Hitler holten, ihn heute einfach
wieder wegschicken konnten.« Verwiesen wurde auf zwel Gruppierungen — cine, die »auf Gedeih und Verderb den Hit-
lerbanditen die Stange« hélt, eine andere, die »ihr Heil in der Anbahnung eines Kompromisses mit England und den USA« sucht. Angst vor der Arbeiterklasse und der Sowjetunion sei der »Kitt, der die Bezichungen zwischen Hitler und seinen Auf-
traggebern zusammenhalt«. Das dndere nichts daran, »daß immer groflere Teile des Biirgertums den fast vollig mandvrier-
und bewegungsunfahig gewordenen Faschismus als Hindernis auf der Suche nach einem Ausweg ansehen und sich daraus immer schwerere Spannungen ergeben«.!" Abgesehen von einigen Uberzeichnungen war hier die Tendenz der Entwicklung durchaus zutreffend charakterisiert worden. Obwohl der individuelle Terror in der deutschen Arbeiterbewegung traditionell abgelehnt wurde, hatten die Kommunisten im Falle Hitler natiirlich nichts gegen einen Tyrannenmord
einzuwenden, aber dieser konnte fiir sie allenfalls ein Vehikel
zur Entfaltung tiefergehenden Auseinandersetzungen sein. Wie Anton Ackermann berichtete, reagierten KPD und NKFD sofort auf das Attentat, um »soweit als méglich den Gang der Dinge zu beeinflussen«. In Rundfunksendungen riefen sie zu Aktionen fiir die sofortige Beendigung des Krieges auf. Ihr Ziel war es, die Entwicklung weiterzutreiben. Der 20. Juli sollte »nicht ein Ende sein, sondern der Beginn des grof3en,
offenen
Volkskampfes
fiir Frieden
und
Demokratie,
fiir eın
neucs, freies Deutschland«.' Wolfgang Leonhard schreibt, daß in Moskau kurzzeitig eine regelrechte Euphorie geherrscht habe, als die Nachricht vom Attentat auf Hitler bekannt wur-
11
Ebenda. S. 410 und 411.
12 Anton Ackcrmann: Das Nationalkomitcc »Freics Dcutschland« — mitcrlcbt und mitgestaltct. In: Im Kampf bewährt. Erinnerungen dcutscher Genossen an den antifaschistischen Widerstand von 1933 bis 1945, Hrsg. von Hcinz Voßkce. Berlin 1969. S. 311.
291
de. »Es waren die aufregendsten Stunden und Tage, die das Nationalkomitee erlebte. Selbstverständlich wünschten wir alle von ganzem Herzen den Männern das 20. Juli Erfolg.« Viele rechneten mit einem baldigen Ende des Krieges. Aber solche Hoffnungen zerschlugen sich rasch. »Als bekannt wurde, das Attentat sei mißlungen, die Teilnehmer und Anhänger der Aktıon seien verhaftet
und
erschossen
worden,
war die Enttäu-
schung um so größer.«'“ Zunächst war die Kritik der Kommunisten und ım NKFD an den Männern
des 20. Juli eher verhalten, moniert wurde
ihr taktisches Vorgehen gegenüber den Fronttruppen und die fchlende Basis in der arbeitenden Bevölkerung. »Diese Opposition«, so wertete Pieck im Oktober
1944, »hat ihren Rück-
halt in der Bourgeoisie u.[nd] Armee — und es fehlt ıhr die Verbindung mit den Volksmassen«.'* Doch war sie fiir thn — wie er wenige Wochen später urteilte — ein Symptom dafür, »daß sich sowohl die Männer der Wirtschaft und der Wehrmacht als auch das werktätige Volk gegen dieses Verbrechen
[gemeint ist Hitlers Kriegsverlängerung — G. B.] zur Wehr setzen u.[nd] sich gegen Hitler und sein blutiges Naziregime erheben und Schluß mit ihm und dem Kriege machen wird.«"
In der Überlieferung der in Moskau tätigen Arbeitskommissi-
on deutet indes nichts darauf hin, daß die dort debattierten strategischen und taktischen Überlegungen
durch
die Ereig-
nisse um das Attentat spürbar beeinflußt worden wären. Später sollten sich die Akzente in der Beurteilung des 20. Juli verschieben. Zum 10. Jahrestag wurde er von kommunistischer Seite vorwiegend als Rettungsmanöver zum Erhalt imperialistischer Herrschaft bewertet.
Waren die deutschen Kommunisten ım Lande nur peripher in die Verschwörung gegen Hitler einbezogen gewesen, so trafen sie die Folgen von deren Fehlschlag mit voller Wucht. Der faschistische Terrorapparat antwortete auf das gescheiterte Attentat sofort mit Standgerichten und Hinrichtungen und ım 13 Wolfgang Lconhard: Dic Revolution centldBt ihre Kinder. Jubildumsausgabc. Koln 2005. S. 388. 14 Pcter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen wir« ... S. 259. 15 Ebcenda. S. 305.
292
August 1944 mit einer groß angelegten und straff organisierten Verfolgungswelle unter dem Code-Namen Gewitter. Er-
neut wurden Tausende Arbeiterfunktionäre verhaftet, darunter
auch die führenden Köpfe der illegal arbeitenden KPD. Keine der erwähnten Personen überlebte. Allein von der etwa 400 Männer und Frauen umfassenden Widerstandsgruppe um An-
ton Saefkow, Bernhard Bästlein und Franz Jacob — Kommuni-
sten, Sozialdemokraten
und Vertreter anderer politischer
Anschauungen — wurden etwa 300 verhaftet und davon rund
100 umgebracht. In der Urteilsbegründung des »Volksgerichtshofes« gegen Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Anton Saefkow wurde den Angeklagten und ihren Mitstreitern vorgehalten, daß sie »vornehmlich im fünften Kriegsjahr die KPD in einem derartigen Umfange wiederaufgezogen und die Wehrmacht zu zersetzen gesucht [haben], daß hier für das Reich die allerschwersten Gefahren heraufbeschworen wurden«.' Nun rächten sich die angeschlagenen Naziführer auch an
dem
seit einem Jahrzehnt inhaftierten Ernst Thälmann,
noch
immer Symbolfigur des deutschen Widerstandes. Reichsführer SS, oberster Polizeichef und Innenminister Heinrich Himmler vermerkte nach einer Beratung bei Hitler am 14. August 1944 neben dem Namen Thälmann »ist zu exekutieren«.'’ Thälmann wurde aus dem Zuchthaus Bautzen in das KZ Buchenwald überführt und hier in der Nacht zum 18. August ermordet. Die Welt sollte mit der Nachricht getäuscht werden, Thälmann sei am 28. August 1944 bei einem Luftangriff auf die Umgebung von Weimar ums Leben gekommen. Doch die Wahrheit wurde bekannt und erreichte die internationale Öf-
fentlichkeit.
In Moskau,
New
York und Mexiko,
in London
und Stockholm wurde des ermordeten Fiihrers der Kommunistischen Partei Deutschlands gedacht. In Buchenwald selbst versammelten sich knapp einhundert Kommunisten und Sympathisanten aus zahlreichen Ländern Europas in den von der SS gemiedenen Kellerräumen der Desinfektionsabteilung zu eci16 Zit. nach Helga Mcycr/Karlheinz Pech: Unter Einsatz des Lebens. Antifaschistischer Widerstand ın den letzten Monaten des Zweiten Weltkricges. Berlin 1985. S. 30. 17 Zit. nach Emst Thialmann. Einc Biographic. Autorcnkoll. unter Leitung von Günter Hortzschansky. Berlin 1979. S. 776.
293
ner Trauerfeier. Robert Siewert hielt die Gedenkrede.
Trotz des ebenso brutal wie bürokratisch-systematisch betricbenen Rachefeldzugs der Nazis mit einer Vielzahl von Verhaftungen, Verurteilungen und Hinrichtungen, verebbte der
kommunistischc Widerstand nicht. Die Bewegung war zwar threr filhrenden Köpfe beraubt, und die meisten Verbindungen waren abgerissen oder wurden tunlichst abgebrochen, doch cinzelne Zcllen sctzten ithre Aktionen
auf sich selbst gestellt
fort. So schitzte die Gestapozentrale in ihrer »Meldung wichtiger staatspolizeilicher Ereignisse« vom 29. September 1944 cin: »Die Ubersicht iiber die kommunistische und sonstige gegnerische Hetzpropaganda hat besonders in den letzten Wochen zu der Erkenntnis gefiihrt, daß die Zahl der Streuaktionen ım klcinen, der Hetzschriftenverbreitung durch die Post und die anonymen Droh- und Hetzbriefe besonders angestiegen ist. Im Augenblick fehlen noch Unterlagen und Ermittlungsergebnisse, um konkret erkennen zu können, ob bei diesen Aktionen die zersetzende Téatigkeit ihren Riickhalt ın organisatorischen
Gegnergruppen
beziehungsweise
lose zu-
sammengefaflten Interessengemeinschaften hat oder ob sie in erster Linie ohne jeglichen Zusammenhang von Einzelgegnern ausgeht.«'® Dic Gestapo rcagierte, indem sie ım Oktober als Sonderblatt »Informationen fiir die Kommunistenbekdmpfung« herausgab. Am 22. November 1944 forderte sie alle ihr unterstellten Organe auf, die Verfolgung der Kommunisten unbedingt zu verschiarfen.
Es
weise
alles
darauf
hin,
daß
»noch
weitere
kommunistisch-marxistisch ausgerichtete Gegnergruppen bestehen«. Angesichts der aufgespiirten Gruppen, der abgefangenen Flugblétter und Streuzettel, der Losungen an Mauern und Winden miisse mit grofleren Aktionen gerechnet werden. Als besonders gefährlich wurde die Bewegung »Freies Deutschland« eingeschitzt, weil sie das Biindnis mit allen Volksschichten anstrebe.'
18 Zit. nach Hcinz Kiihnrich: Dic KPD im Kampf gegen dic faschistische Diktatur 1933-1945. Berlin 1983. S. 290. 19 Siche cbenda. S. 290f.
294
Doppelaufgabe deutscher Kommunisten —
in befreiten Gebieten und im »Hitlergebiet«
Schlußfolgerungen aus der Krimkonferenz der Großen Drei
In dem Maße, wie Resultate der ın Moskau tätigen Arbeitskommission vorlagen und ım Aktionsprogramm des Blockes der kämpferischen Demokratie zusammenfaßt und systematisiert wurden, erwuchs zugleich die Aufgabe, sie einem größeren Kreis kommunistischer Emigranten und antifaschistischer
Kriegsgefangener zu vermitteln. Diesem Anliegen widmeten sich der Parteivorsitzende Wilhelm Pieck, dessen Aktivıtäten und Gedanken am besten überliefert sind, und weitere führen-
de Genossen. Bereits am 18. Oktober 1944 hatte Pieck vor dem 1. Lehrgang der Parteischule der KPD einen Vortrag über
das Aktionsprogramm
gehalten,
der später durch
Vortrage
weiterer Mitglieder der Arbeitskommission entsprechend deren Verantwortungsbereichen untersetzt wurde. Vor diesem Kreis hielt es Pieck für erforderlich, den Nach-
weis zu führen, daß die KPD mit ihrem Konzept in Einklang mit Lenins Revolutionsthcorie stand und in der Kontinuität der Beschlüsse der »Brüsseler« und der »Berner« Parteikonferenz handelte. Solche Erwägungen und Argumente hatte man sich in der Arbeitskommission sparen können. Besonderes Gewicht legte Pieck darauf, seine Zuhörer auf die Situation ım besetzten Deutschland und auf die Nachwirkungen zwölfjähriger faschistischer Herrschaft ın der Bevölkerung einzustimmen. Über den Text des Aktionsprogramms ging er deutlich hinaus, indem er sehr konkrete Vorstellungen über die potentiellen Verbündeten vortrug. Überraschend nannte er an erster Stelle »die Katholiken, die sich durch ihre Kirche einen orga-
nisatorischen Zusammenhalt
bewahrt und in dem obersten
295
Klerus (Bischöfe) ein feste Führung im Lande haben«. Er würdigte das mutige Auftreten der Bischöfe von Münster, des Grafen von Galen; von Berlin, des Grafen von Preysing; des
Bischofs von Freiburg, Conrad Gröber; des Breslauer Kardinals Adolf Bertram und des Münchener Kardinals Michael
Faulhaber. An zweiter Stelle erwähnte er Leute aus dem frü-
heren Anhang der Deutschnationalen, besonders aus den Rei-
hen der Bauernschaft, der Industriellen, der Beamtenschaft und der Armee. Man könne aus diesen Kreisen wie auch aus
Kreisen der Demokratischen Partei »viele wertvolle Kräfte für diese Bewegung gewinnen« oder diese »zumindest neutralisieren«.'
Erst an dritter Stelle kam er auf die Sozialdemokratie zu sprechen, mit der sich die KPD nach wie vor in einer Konkur-
renzsituation sah. Das erklärt sich wesentlich daraus, daß von
den führenden Leuten der in London tätigen SOPADE wie auch von den einflußreichsten Vertretern der sozialdemokratischen Emigration, besonders ın den USA und in Frankreich cin schroff ablehnender Kurs gegen das NKFD und die Bewegung »Freies Deutschland« überhaupt gesteuert wurde.* Alten
Führern, die an ihrer »Feindschaft gegen die SU u.[nd] Kommunisten« festhalten und aus der Vergangenheit wenig gelernt
hätten,
stellte deshalb
Pieck
mittlere
Partei-
und
Gewerk-
schaftsfunktionäre gegeniiber, »mit denen wir sehr schnell den engsten Kontakt finden werden«, mit denen sich die Einheit der Arbeiterklasse und die Fiihrung der Arbeiterklasse im Block verwirklichen ließe.* Als mogliche kiinftige Partner nannte er die Namen Seydewitz, Bochel, Friedldnder, Aufhäu-
ser, Hertz, also iiberwiegend Emigranten im skandinavischen Exil Es handelte sich um
Sozialdemokraten,
die Sympathien
für die Bewegung Freies Deutschland bekundet hatten. Doch von den hier Genannten wurde außer Max Seydewitz niemand cın enger Weggefihrte der deutschen Kommunisten. Hingegen rethten sich einige der oft geschmihten »alten Fiihrer« wie I 2 3
Pcter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen
wir« ... S. 261.
Siche Hcinz Nicmann: Geschichte der decutschen Sozialdemokratic 1914-1945. Berlin 2008. S. 714-732. Siche Pcter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen wir« ... S. 261.
296
Theodor Leipart oder Georg Schöpflin Das
Herangehen
an die SPD
beruhte
1946 in die SED ein.
noch
immer
auf recht
verschwommenen Vorstellungen über die reale Situation in der Sozialdemokratie. Der zweite große Problemkreis, dem sich Pieck — über das Aktionsprogramm hinausgehend — in der Folgezeit zuwandte, betraf die Rolle der KPD und die bei ihrer Rekonstituierung auftauchenden Probleme. Je mehr sich die kiinftigen Organisationsformen der antifaschistischen Bewegung herausschilten, desto starker wuchs das Bediirfnis, das Profil der KPD
zu schirfen und ihre Rolle
im Ensemble der antifaschistischen Krifte klarer zu bestimmen. Bereits am 31. Oktober 1944 hatte Wilhelm Pieck ın einer an der Parteischule der KPD Nr. 12 in Nagornoje gehaltenen Lektion Auskunft gegeben iiber seine Vorstellungen von Charakter und Aufgaben der KPD nach Wiedererlangung der Legalitit.* Er sah seine Partei als politische Kraft in einem Parteiengefiige, das durch KPD, SPD und Nachfolgeorganisationen des Zentrums und der Liberalen geprägt sein werde. In dieser Parteienlandschaft sollte die KPD als Partei der Arbeiterklasse und zugleich als »einzige wahrhaft nationale Volkspartei«® herausragen, als »groBe einigende nationale Kraft«. Deshalb mußte sich die KPD
weit 6ffnen, nicht nur fiir klas-
%C
I8n S
senbewußte Arbeiter; sie sollte »mdglichst breite Massen ın sich aufnehmen«, auch »wenn diese noch nicht völlig mit der alten, teils kleinbiirgerlichen, sozialdemokr[atischen], teils sogar fasch.[istisch]-imp.[erialistischen] Ideologie gebrochen haben«.” Der Appell zum Eintritt in die KPD sollte »an alle Teile des werktdtigen Volkes« ergehen, an » Arbeiter — Bauern — Angestellte — Beamte — Mittelstand«, auch an »Katholiken u.[nd] Protestanten«. Pieck sah in einer »kirchenglaubigen Anschauung keinen Hinderungsgrund fiir die Mitgliedschaft ın der KPD«, die auch katholischen oder evangelischen Pfarrern offen stehen sollte.®
Siche cbenda. S. 269-289. Ebcenda. S. 274. Ebcenda. S. 273. Ebcnda. S. 278. Sichc cbenda. S. 286.
297
Gewiß war sich Pieck bewußt, daß dieses von ıhm vorgestellte Parteikonzept mit dem am Vorbild der bolschewistischen Partei orientierten tradıtionellen Parteiverständnis der Kommunisten kollidierte. Doch sollte die Neuorientierung nicht als jener Bruch in der Parteiauffassung erscheinen, den er tatsächlich
darstellte.
So unternahm
er den
Versuch,
die
Neudefinition der Rolle und des Charakters der KPD als zeitgemäße Konkretisierung der von Lenin und Stalin vorgegebe-
nen Parteiprinzipien zu interpretieren. Er bezog sich auf frühere Statuten der KPD, auf die 21 Aufnahmebedingungen
der Komintern und auf Aussagen Lenins und Stalins über die Partei. Aus diesem Arsenal bekräftigte er die Pflicht zur akti-
ven Betätigung in einer Parteiorganisation, die Entrichtung der Parteibeiträge, die Unterordnung unter die Parteibeschlüsse. Im übrigen wurde nur die Anerkennung des Aktionsprogramms der Partei erwartet, nicht aber das sozialistische Ziel, nicht der revolutionäre Weg zum Sozialismus und gleich gar nicht die ın der Komintern zum Prüfstein erhobene Anerkennung der Diktatur des Prolctariats und der führenden Rolle der KPdSU(B). Indem Pieck jedoch die Bedeutung des demokratischen Zentralismus unterstrich, die Verantwortung der Kader und deren Auslese sowie die Rolle der marxistisch-leninistischen Schulung hervorhob, steckte er klar ab, in welche Richtung sich die legale KPD, der anfangs eine gewisse Verschwommenheit zugebilligt wurde, entwickeln sollte. Von solch einer Flexibilität war ın einem von Walter Ulbricht verfaßten »Entwurf zu Anweisungen für die Anfangsmaßnahmen
zum Aufbau der Parteiorganisationen«® vom
15.
Februar 1945 wenig zu spüren. Ulbricht forderte einen Wieder-
aufbau der Partei von oben her, kontrolliert durch eingesetzte
Kommissionen, unter Ausschluß von Angehörigen »parteifeindlicher Gruppierungen (Brandleristen, Trotzkisten, Neumanngruppe)«. Sein Papier atmete stark den Geist eines dogmatischen und engen Parteiverständnisses. Allerdings muß cingerdumt werden, daß in diesen Anweisungen an politische Aktivitdten ım Hinterland der kämpfenden Front also in noch nicht völlig befriedeten Regionen gedacht war. Hier bestand
durchaus die Gefahr, daß neu entstehende Organisationen von 9
Siche ebenda. S. 327.
298
Nazıs und anderen politischen Gegnern unterwandert wurden. Und es wäre auch naiv anzunehmen, daß nicht auch Kommu-
nısten — sei es durch Folter, sei es durch Einschüchterung
oder Versprechungen — dem Druck des nazistischen Terrorap-
parates oder der Verführung durch Propaganda erlegen sind. Insofern war Wachsamkeit durchaus geboten. Praktische Bedeutung erlangten diese dirigistischen Vorstellungen jedoch kaum. In Beratungen mit Dimitroff wurden Prioritäten gesetzt, bei denen der organisatorische Neuaufbau der KPD nicht vorrangig war. Und als sich die kommunistischen Parteiorganisationen — vor allem in den Monaten Maı
bis Juli 1945 — neu konstituierten, ließ sich der stark von der
Eigeninitiative lokaler und regionaler Kader getragene Wieder-
aufbau der Partei nicht in solch ein Korsett zwingen.
Am 29. Januar 1945 wandte sich Wilhelm Pieck in der deutschsprachigen Sendung des Moskauer Rundfunks an seine Landsleute. Zum zwdolften Jahrestag der Errichtung der faschistischen Diktatur rief er zum Zusammenschluß aller Antifaschisten für die Beendigung des Krieges, fiir die Vernichtung des Faschismus, für die Rettung Deutschlands auf.'’ Wie ihr Parteivorsitzender so waren zu diesem Zeitpunkt alle Kommunisten davon überzeugt, daß die endgiiltige Niederlage der deutschen Wehrmacht nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, daß der Tag der Befreiung unaufhaltsam naherriickte. Deutschlands Zukunft hing in starkem Maße davon, ob das
deutsche Volk noch einen von den Alliierten zu wiirdigenden
Beitrag zur Abkiirzung des Krieges und zur eigenen Befreiung zu leisten vermochte. Doch wurde diese Alternative zum »Endkampf« auf deutschem Boden und zur totalen Zerstorung des Landes zunehmend unwahrscheinlicher.
Die in Moskau titige Parteifiihrung der KPD zog aus dieser Lage als erste die Konsequenzen. Anton Ackermann beschrieb diesen Prozeß der Anpassung an neue Gegcbenheiten in der Arbeitskommission mit den Worten: »Auf der ersten Stufe dieser Arbeit, die seit Februar 1944 geleistet wurde, wa-
ren wir noch restlos auf den Kampf zum 10
Sturz des Hitler-
Sichc Wilhelm Picck: Zwolf Jahre Hitlerdiktatur. In: Wilhelm Gcesammelte Reden und Schriften. Bd. VI: 1939 — Mai 1945. 1979. S. 363-366.
Picck: Berlin
299
Regimes durch die antifaschistischen Kräfte in Deutschland
eingestellt. In der letzten, abschließenden Phase dieser Arbeit war klar, daß wir in ein durch die militärischen Kräfte der Sowjetunion und der Antihitlerkoalition von außen befreites und von diesen besetztes Land zurückkehren würden. Damit
standen manche Probleme neu.«'! Zwar waren die Mitglieder
der Arbeitskommission auch schon früher von der Besetzung Deutschlands ausgegangen, doch nun zeigten sich deren Kon-
sequenzen ın unübersehbarer Schärfe: Verlust nationaler Souveränität und Übergang der obersten Regierungsgewalt an die Siegermächte mit entsprechenden Auflagen für alle deutschen politischen Kräfte. Vor allem die Ergebnisse der in Jalta tagenden Konferenz
der Regierungschefs der UdSSR, J. W. Stalin, der USA, Franklin D. Roosevelt, und Großbritanniens, Winston S. Chur-
chill, ließen die Konturen der Nachkriegsperiode und des Umgangs der Alliierten mit dem besiegten, zur bedingungslosen Kapitulation gezwungenen Deutschland unverriickbar hervortreten. Pieck beschrieb ın einer Lektion an der Parteischule der KPD Nr. 12 in Nagornoje am 10. März
1945 die Umsténde
kiinftigen Wirkens der KPD wie folgt: »Die Krim-Beschliisse geben unserem Volk die Perspektive, daß es nach Ausrottung des Nazismus u.[nd] Militarismus die Hoffnung auf eine wiirdige Existenz u.[nd] einen Platz in Gemeinschaft der Nationen
haben kann. Die Krim-Beschliisse machen aber unserem Volke fiir die Gegenwart keinerlei Versprechungen, sondern legen thm in Anbetracht seiner vollen Mitverantwortung für den Krieg und die anderen Völkern zugefiigten Schiden sehr ernste und schwerwiegende Verpflichtungen auf, deren Erfiillung aber wiederum in seinem eignen Interesse liegt.«'* Das hieß,
die Partei wiirde in einem total ruinierten, besetzten Land mit
enger gezogenen Grenzen und hohen Wiedergutmachungsverpflichtungen an die Arbeit gehen miissen. Jeder Tag Krieg bedeutete weitere Bombardements und nun auch Kriegshandlungen auf deutschem Boden, dazu sinnlose Zerstérungen der Infrastruktur durch Hitlers Taktik der verbrannten Erde, hohe 11
12
SAPMO-BArch.
Pcter Erler/Horst wir« ... S. 363.
300
SgY 30/1291/2. Bl. 384. Laude/Manfred
Wilke
(Hrsg.):
»Nach
Hitler kommen
Verluste an Soldaten und Zivilpersonen und die Verwandlung
Deutschlands in eine Trümmerwüste. Verkannt
(oder verdrängt)
wurden
von
der Führung
der
KPD hingegen die in Jalta erörterten Pläne zur Zerstückelung
Deutschlands, die zu dieser Zeit nicht nur in westlichen Spit-
zenpolitikern, sondern auch noch in Stalin einen Fürsprecher
hatten. Dieser entschied sich jedoch schon bald anders, denn
er begriff, daß ein einheitliches, entmilitarisiertes Deutschland mit starkem Einfluß der Linkskräfte und engen Beziehungen zur UdSSR den sowjetischen Sicherheitsinteressen besser entsprach als ein zergliedertes Deutschland als Spielball der West-
mächte.
So
erteilte
der
Volkskommissar
für Auswärtige
Angelegenheiten der UdSSR, W. M. Molotow, am 24. März 1945 dem sowjetischen Vertreter in der Europäischen Bera-
tenden
Kommission,
F. T. Gussew,
Order,
daß
sich die So-
wjetunion in der Teilungsfrage von den Westmächten nicht die Verantwortung zuschieben lassen dürfe. Entsprechend vertrat dieser zwei Tage später auf der Sitzung dieser Kommission den Standpunkt, die Aufteilung Deutschlands sei nicht zwingend, sondern lediglich ein Druckmittel fiir den Fall, daß andere Mittel nicht ausreichen." Die Fiihrung der KPD baute offenbar auf Stalins Worte vom 23. Februar 1942: »Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche
Volk, der deutsche Staat bleibt«'* — eine hoffnungsvoll
stim-
mende Aussage, die schon bald von der einriickenden Roten Armee der deutschen Bevélkerung auf Transparenten und Plakaten nahegebracht werden sollte. Sie konnte sich in dieser Auffassung durch die von der UdSSR auf der Potsdamer Konferenz und im Alliierten Kontrollrat eingenommenen Positionen schon bald bestétigt sehen. Wurde die grundsitzlich positive Bewertung der Beschliisse der Konferenzen von Teheran und Jalta durch ihre Partei-
fiihrung dort, wo
sich Kommunisten
mit den authentischen
13 Siche Wilfried Loth: Dic Sowjctunion und dic dcutsche Frage. Studicn zur sowjctischen Deutschlandpolitik. Géttingen 2007. S. 58. 14 Befchl des Volkskommissars fir Verteidigung Nr. 55. In: Joscf Stalin über den Großen Vaterldndischen Krieg der Sowjctunion. Berlin 1945. S. 35.
301
Verlautbarungen bekanntmachen konnten, ım wesentlichen geteilt, so stießen sie bei Vertretern
der KPD(O)
auf schroffe
Ablehnung. In den in Stockholm herausgegebenen »Politischen Briefen« wurden die von den Alliierten geforderten Reparationen
als »Versuch
der Besatzungsmächte,
die Ausraubung
Deutschlands zu »regeln«« charakterisiert, die beschlossenen Gebietsabtretungen als »Landraub« und die Vertreibung oder Aussiedlung deutscher Bevölkerung als »Schande« und »Barbarei« bezeichnet." Anfang 1945 stellten sich die Kader der KPD darauf ein, daß es in einer Übergangszeit ein Nebeneinander sich in den Kampfbedingungen deutscher Antifaschisten grundlegend unterscheidender Gebiete geben würde: deutsche Territorien, die von den Armeen der Antihitlerkoalition erobert und befreit wa-
ren, und deutsche Territorien, in denen noch der faschistische
Machtapparat
und
Kriegsgeschehen
das
deutsche
Militär herrschten.
vor allem an der Ostfront belegte,
Das
welche
hohe Bedeutung befreiten Gebieten für die Formierung der Keimzellen einer neuen antifaschistischen Staatsorganisation
und für den Einfluß der Kommunisten auf die Nachkriegsentwicklung zukam. Dafür sprachen die Erfahrungen des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens im befreiten Territorium
Bosniens
seit November
1942,
die im
Juli 1944 in Lublin gebildete provisorische polnische Arbeiterund Bauern-Regierung, die ım Dezember 1944 in Debrecen konstituierte Provisorische Nationalversammlung und Nationalregierung für Ungarn oder die Anfang April 1945 in Koßice ins Leben gerufene Regierung der Nationalen Front der Tschechen und Slowaken. Gewissermaßen als deutsches Pendant zu diesen Entwicklungen unterbreitete Wilhelm Pieck am 15. Februar 1945 Georgı Dimitroff Vorschläge und erste Vorstellungen, die der Erarbeitung von Direktiven für die Tätigkeit der deutschen Kommunisten und Antifaschisten im besetzten Gebiet im Bereich der 1. Ukrainischen und der 2. Belorussischen Front der Roten Armee dienen sollten.'® Ins Zentrum der Bemühungen rückte die Zentrale der KPD zum einen die Schulung der Ge15 Siche Politische Briefe. o. O. [Stockholm] (1945)9. S. 16. 16 Sichc SAPMO-BArch. NY/4036/544. Bl. 131-133.
302
nossen,'’ deren Einstellen auf die zu erwartende Situation beim
Übergang vom Krieg in die Nachkriegszeit, zum anderen die
Zusammenarbeit
deutscher Antifaschisten
mit den
Organen
der Roten Armee in den befreiten und besetzten Gebieten.
Für das Zusammenwirken vor allem mit den Polit-Organen der Roten Armee waren bereits Ende 1944 Leitlinien abge-
steckt worden. Auf ciner Ende November/Anfang Dezember
1944 durchgefiihrten Tagung der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee war auch Wilhelm Pieck zu Wort gekommen. Er sprach aus, was spiter eintrat: »die Besatzungsarmeen werden also durchfiihren, was vom deutschen Volk
nicht getan wurde. Das deutsche Volk wird infolgedessen zundchst nicht frei iiber sein inneres Regime bestimmen, solange es nicht selbst Garantien gegen neue Aggression von deutscher Secite geschaffen hat.«'* Er war bemiiht, den sowjetischen Offizieren die Bedeutung des NKFD und die strategischen Vorstellungen der KPD zu vermitteln, wobei er Verweise auf Schwierigkeiten im Zusammenwirken von Militirs und Kommunisten nicht aussparte. Auch ın dieser Rede setzte er
auf die Gemeinsamkeit der Alliierten und driickte die Hoffnung
aus, daß Meinungsverschiedenheiten »im Geiste der Einigkeit und des vollstindigen Einvernehmens gelöst werden«." Neben Pieck hielten auch Ulbricht und Ackermann an der Militarpolitischen Akademie in Moskau Vortriage über die politische Lage in Deutschland und die Politik der KPD. Eine intensive Vorbereitung sowjetischer Organe auf die Besatzungsaufgaben hat indes offenbar nicht stattgefunden. Bekannt ist, daß 25 Offiziere, alle Mitarbeiter der fiir psychologische Kriegfithrung zustindigen 7. Abteilung der GlawPURKKA, darunter auch Sergej I. Tjulpanow, nach Moskau beordcrt
wurden, wo sie u. a. mit Vorstellungen Manuilskis, Dimitrofts
und Piecks »von den kiinftigen Aufgaben in den besctzten Gebieten« bekannt gemacht wurden.”® Ubereinstimmung herrsch17 Siche hicrzu aus der Sicht cines Horers Wolfgang Lconhard: Dic Revolution cntläßt ihre Kinder. Jubildumsausgabe. Köln 2005. S. 399-402.
18
Pcter Erler/Horst wir« ... S. 306.
Laude/Manfred
Wilke
(Hrsg.):
»Nach
19 Ebenda. S. 310. 20 Siche Jan Foitzik: Sowjctische Militaradministration (SMAD) 1945-1949. Berlin 1999. S. 45.
Hitler kommen
in Dcutschland
303
te, daß neben kommunistischen Kriegsgefangene
Emigranten
auch deutsche
zur politischen Arbeit unter der deutschen
Bevölkerung herangezogen werden sollten. Zwischen September 1944 und Dezember 1945 wurden fünf Kurse zur Schulung dieser Emissäre abgehalten. Deutsche Kommunisten wurden auch durch eine Spezialschule in Puschkino bei Mos-
kau (Objekt Nr. 4) im Rahmen des Instituts Nr. 100 ausgebildet. Auch waren deutsche Antifaschisten direkt als Mitarbeiter der GlawPURKKA beschéftigt. Deren Zahl soll sich auf etwa 2.000 belaufen haben.“' Die Nutzung der Kompetenz und Aktivität deutscher Antifaschisten war indes allıierte Praxis. Das sowjetische Vorgehen hatte zum Beispiel seine Entsprechung in der Mitarbeit deutscher Emigranten im US-amerikanischen Geheimdienst Office of Strategic Services (OSS).”? Von einer solch engen Anbindung an die Besatzungspolitik war das Aktionsprogramm des Blocks der kämpferischen De-
mokratie nicht durchdrungen, weshalb seine Bedeutung zurücktrat. Die danach entstandenen Orientierungen legen die
Vermutung nahe, daß von einer längeren Phase des Nebenein-
anders befreiter und noch von den Nazis beherrschter Gebiete ausgegangen wurde. So wurde ın einer mit 18. Februar datierten Ausarbeitung über nächste Maßnahmen der deutschen Kommunisten** eine Doppelaufgabe formuliert. In den »hitlerdeutschen Gebieten« sollten sich die Kommunisten konzentrieren »auf den bewaffneten Kampf und die Anwendung aller Mittel, um die Weiterführung des Hitlerkrieges zu verhindern und die Volksmassen zu bewaffneten Aufständen gegen die Hitlerherrschaft zu veranlassen«.?* Dazu sollten auch Emissäre nach Deutschland eingeschleust werden. Weitaus ausführlicher wurden jedoch die Aufgaben im besetzten Gebiet behandelt. Vorgesehen war die Entsendung von Arbeitsgruppen aus Funktionären der KPD. Diese unterstanden in politischer Hinsicht der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der 21 Sichc cbenda. S. 46f. 22 Siche Ulrich Borsdorf/Lutz Nicthammer (Hrsg.): Zwischen Befreiung und Besatzung. Analysen des US-Gceheimdicnstes über Positionen und Strukturen dcutscher Politik 1945. Wuppertal 1976. 23 Siche Peter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen wir« ... S. 329-335. 24 Ebcnda. S. 329.
304
KPdSU(B) und in disziplinarisch-operativer den Politischen Verwaltungen der nach Deutschland vorstoßenden Fronten.?’ Es war daran gedacht, in Breslau das weithin ausstrahlende Beispiel eines Volksausschusses und einen wirksamen Stützpunkt für antifaschistische Propaganda zu schaffen — eine Überlegung, die sich mit dem realen Ablauf des Kriegsgeschehens nicht in Einklang bringen ließ, denn das zur Festung erklärte Breslau blieb eine der am längsten umkämpften deutschen Städte. Zu diesem Zeitpunkt war noch die Zusammenfassung aller »antinazistischen fortschrittlichen, demokratischen Kräfte«
ın der Bewegung »Freies Deutschland« anvisiert. Sozialdemokraten und bürgerliche Demokraten sollten zwar zur Mitarbeit gewonnen werden und es taucht auch das Schlagwort von der »Arbeitereinheitsfront«“® auf. Doch während direkt auf den Aufbau kommunistischer Parteiorganisationen orientiert wurde, ist in zeitgenössischen Dokumenten von der Reorganisation anderer Parteien nicht die Rede. Vielmehr sollte geprüft
werden, »in welcher Weise eine breite antifaschistische demo-
kratische Organisation mit individueller und kollektiver Mitgliedschaft geschaffen werden kann«.?’” Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands war indes von einer Organisation »Freies Deutschland« nicht mehr die Rede — verstdndlicherweise, denn das von außen befreite Deutschland konnte vorerst kein freies Deutschland sein. Lokale Volksausschiisse sollten der Roten Armee beistehen und waren an deren Anordnungen gebunden. Ihnen warcn wesentliche Aufgaben zugedacht, so bei der antifaschistischen Aufkliarung der Bevolkerung und der Herausgabe antifaschistischer Presseorgane und Literatur, bei der Liquidierung nazistischer Gruppierungen, bei der Sicherung der Ernährung und dem Wiederingangsetzen der Produktion, beim Wiederaufbau der Kommunalwirtschaft, des Wohnungs- und Gesundheitswesens, bei der Neuorganisierung der Volksbildung. Antifa-
25 Siche Jan Foitzik: Sowjctische Militdradministration in Dcutschland (SMAD) 1945-1949. Berlin 1999. S. 47. 26 Pcter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.): »Nach Hitler kommen wir« ... S. 332. 27 Ebenda. S. 333.
305
schistische Arbeiter sollten sich ın der KPD, in Betriebsräten und Gewerkschaftsgruppen organisieren. Vorgesehen war die
Schaffung eines demokratischen
Landarbeiter- und Bauern-
bundes und einer breiten antiimperialistischen, demokratischen Jugendorganisation, wobei bereits die Bezeichnung »Freie
Deutsche Jugend« erscheint. In all diese Aktivitäten sollten antifaschistische Kriegsgefangene einbezogen werden, einschlieBlich
»antifaschistischer Geistlicher der evangelischen
und katholischen Kirche«.™ Es kann angenommen werden, daß dieses Papier ın engem Kontakt mit der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee entstanden ist und so scinen speziellen Zuschnitt erfahren hat. Es ließ aber auch den Westen nicht ganz außer Acht. So hief3 cs unter Punkt 6: »Arbeit in den von den verbiindeten Armeen besetzten Westgebieten. Entsendung von deutschen Antifaschisten aus Frankreich in diese Gebiete durch unsere Pariser Gruppe. Wihrend in den von der Roten Armee besetzten Gebicten von vornherein eine antifaschistischc demokratische Grundorganisation, wie Volksausschiisse und antifaschistische Massenorganisationen die Hauptrolle spielen, werden
ın den
Westgebieten gleichzeitig verschiedene Parteien entstehen. Deshalb ist die Aufgabe der Kommunisten die Schaffung des
Blockes demokratischer Organisationen und die Arbeit fiir die
Gewinnung einer festen antifaschistischen Mehrheit in den Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen.«-’ Entsprechende Instruktionen crgingen vermutlich über Jacques Duclos an die deutschen Kommunisten in Frankreich. Auch in der Schweiz bereiteten sich die Kommunisten darauf vor, bereits vor Beendigung des Krieges ihre Aktivitidten auf Deutschland auszudehnen. Noch vor Kriegsende gingen iiber 20 deutsche kommunistische Funktionire der Schweizer Partelorganisation zur illegalen Arbeit nach Siiddeutschland.*
SchlicBlich erhielten alle Uberlegungen zu den ersten
Schritten ihre Zusammenfassung
und Konkretisicrung unter
28 Ebenda. S. 334. 29 Ebenda. S. 335. 30 Siche Günter Benser: Dic KPD ım Jahre der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau der legalen kommunistischen Masscenpartei (Jahreswende 1944/ 1945 bis Herbst 1945). Berlin 1985. S. 39.
306
Auswertung erster Erfahrungen in den nur auf Ostdeutschland zugeschnittenen »Richtlinien für die Arbeit der deutschen Antifaschisten in dem von der Roten Armee besetzten deutschen Gebiet« vom 5. April 1945.*' Die hier formulierten Aufgaben waren in sechs Punkte gegliedert. Im vergleichsweise knapp gefaßten Punkt I wurde auf die Propaganda »für Waffenstreckung und Vernichtung des Nazismus« ins »hitlerdeutsche« Gebiet hinein verwiesen und die »Unterstützung der Roten Armee bei der Entsendung von deutschen Soldaten und Zivilisten in das Kampfgebiet der Hıtlertruppen« gefordert. In Punkt II waren die Aufgaben zur Aufklärung der Bevölkerung im gesamten von der Roten Armee besetzten Gebiet beschrieben. Sehr detailliert gingen die Verfasser auf Inhalt und Erscheinungsweise der geplanten »Deutschen Volkszeitung« —
zunächst nicht als Parteizeitung, sondern als »Publikationsorgan der Stadt- und Ortsverwaltungen« — ein. Vorgesehen wa-
ren antifaschistische Rundfunksendungen, die Herausgabe fortschrittlicher — darunter marxistisch-leninistischer — Literatur und von Schulungsmaterialien. Punkt III erläuterte die Schritte zur Bildung neuer Verwaltungen
in Städten und Dörfern
und deren Strukturen, wobei
besonderes Gewicht auf die Auswahl des Personals gelegt wurde, die möglichst unter der Kontrolle eines KPD-Funktionärs erfolgen sollte. In Punkt IV wurden die Aufgaben dieser neuen Verwaltungsorgane, die den Weisungen der Besatzungsorgane zu folgen und diese bei der Ausrottung aller Überreste des Nazismus zu unterstützen hatten, im einzelnen beschrieben. Schwerpunk-
te waren dabei a) Ernährung, b) Wohnung gung der Obdachlosen),
(und Unterbrin-
c) Städtische Betriebe, d) Gewerbe,
Handwerk, Handel, e) Volksbildung, f) Finanzen. Was hier ım einzelnen aufgelistet wurde, entsprach ohne Zweifel dem unmittelbaren Handlungsbedarf und lag im Interesse der decutschen Bevölkerung. Punkt V enthielt spezifische Aufgaben in den Landgemeinden, vor allem zur Sicherung der Ernährung. Herrenloser Bo31
Siche Peter Erler/Horst Laude/Manfred kommen wir« ... S. 380-386.
Wilke
(Hrsg.):
»Nach
Hitler
307
den sollte Landarbeitern, kleinbäuerlichen Anliegern und Dorfproletariern zugewiesen werden. In Punkt VI schließlich war von den Methoden des Einsatzes der ins besetzte Gebiet »entsandten Genossen und antifaschistischen
Kriegsgefangenen«
die
Rede.
Hier
wurde
deutlich auf die Anbindung aller Aktivitdten an die Stäbe der Roten Armee verwiesen. In den Verwaltungszentren sollten die
eingesetzten Kader selbst direkt verantwortliche Funktionen in
den neuen Verwaltungen iibernehmen, in kleineren Gemeinden
und ın Dorfern sollten sie vor allem fiir die Schaffung neuer
Verwaltungen sorgen. Diese Richtlinien erwiesen sich als eine der tatsdchlichen Situation und den vordringlichsten Aufgaben entsprechende Orientierung, und sie waren fiir die Ausfiihrenden eine praktikable Handreichung, die einen gewissen Gleichklang im Neubeginn ermoglichte. Auch dort, wo antifaschistische Ausschiisse und Komitees auf sich selbst gestellt zu handeln begannen, widmeten sie sich iiberwiegend analogen Aufgaben und wirkten sie in die gleiche Richtung.
308
»Antreten zur Heimkehr«
Diskussionen über das künftige Deutschland in den westlichen Exilzentren
Auch die deutschen Kommunisten iın anderen Emigrationsléndern richteten ihren Blick zunehmend auf die Zeit nach Hitler. Auch sie beschiftigten sich eingehend mit den Ergebnissen der Krimkonferenz. Die in Frankreich verbliebenen deutschen Kommunisten hatten sich iiberwiegend ın die Résistance eingeretht, in der auch zahlreiche Frauen aus Deutschland selbstlos und opferbereit tätig waren.! Frontpropaganda, Arbeit unter den deutschen Kriegsgefangenen und Aufkldrung über die Ziele der deutschen Antihitlerbewegung zihlten zu ihren wichtigsten Aufgaben. Als Kundschafter und auch als Teilnehmer an bewaffneten Aktionen des franzosischen Widerstands unterstiitzten deutsche Antifaschisten die Résistance. Seit September 1943 bestand das Komitee »Freies Deutschland«
fiir den Westen, das nach der
Befreiung von Paris legalisiert und als Comité » Allemagne Lib-
re« pour I’Quest (CALPO)
eingetragen wurde. Von
120 Mit-
gliedern und Bevollmichtigen des CALPO gehorten 17 der KPD an. Auf seinem Hohepunkt erfaBBte die Bewegung »Freies Deutschland« fiir den Westen etwa 2.500 deutsche Emigranten, darunter 350 Mitglieder der KPD, die um enge Verbindun-
gen zur
]
FKP bemiiht waren.
Siche Karlheinz Pech: An der Scite der Résistance. Zum Kampf der Bewe-
gung
»Frcics
Dcutschland«
fiir den
Westen
in Frankrcich
(1943-1945).
Berlin 1974. — Ulla Plener (Hrsg.): Fraucn aus Deutschland in der französischen Résistance. Berlin 2006.
309
Ende Januar 1945 war aus Paris folgende Nachricht ın Moskau eingetroffen: » 160 deutsche Genossen sind bis Jetzt in Frankreich, Belgien, Luxemburg erfaßt. Leitung setzt sich zusammen aus Niebergall, Jugend-Karl [d. ı. Walter Hähnel], Max [d. ı. Wilhelm Knigge] (früher der Org-Leiter der Emi-
gration), Richard Gladewitz, Fritz Nickolay, Walter Vesper, Herbert Müller, Heinz Priess. Wir führen Schulungsarbeit
durch. Genossen arbeiten in Lagern und an der Front. Wir versuchen,
Genossen
legal
ın besetzte
deutsche
Gebiete
zu
in der Schweiz,
ın
entsenden.«- Von Paris aus liefen Verbindungen zu deutschen Emigranten
in Belgien
und
Luxemburg,
Großbritannien und Schweden. Rückblickend schrieb Otto Nicbergall: »Die Parteiarbeit bestand ım wesentlichen darin, mit aller Kraft die Bewegung >Freies Deutschland« zu fördern, sich mit der grundsätzlichen Politik des Politbiiros des ZK der
KPD
in Moskau zu beschäftigen und die Genossen mit dieser
Politik vertraut zu machen, damit sie diese überzeugend darlegen konnten. Der Parteiorganisation standen Informations- und Schulungsmaterialien aus der Sowjetunion zur Verfligung.«’ Der Bezug zu Moskau ist hier sicherlich — dem Zeitgeist Tribut zollend — überhöht hervorgehoben. Aber selbstverständlich wurde in Frankreich wie in allen Emigrationsländern von
den Kommunisten die Führungsrolle ihrer Zentrale iın Moskau uneingeschränkt akzepticrt, weshalb man sich auch immer wieder um direkte Verbindungen bemiihte.
Da die Parteileitung der KPD in Frankreich über Informationen aus Moskau verfiigte, spielte fiir sie anscheinend die cigene Positionierung nicht ein so wichtige Rolle wie dies in anderen Emigrationsldndern der Fall war.* Am 5. Mirz 1945
war 1hr die in Moskau erarbeitete Konzeption in Kurzfassung
als Funkspruch tibermittelt worden: Die deutschen Kommuni-
sten ın Frankreich wurden aufgefordert, im besetzten deutschen
9
Gebiet die Besatzungsbehorden zu unterstiitzen, zuverlissige
3 4
SAPMO-BArch. NY 4036/508. BI. 26. Résistance. Erinncrungen dcutscher Antifaschisten. Zusgst. und bcarb. von Dora Schaul. Berlin 1973. S. 61. Siche Giinter Benscr: Die KPD im Jahre der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau dcr lcgalen kommunistischen Masscnpartei (Jahreswende 1944/ 1945 bis Herbst 1945). Berlin 1985.. S. 36.
310
Antifaschisten für die örtlichen Verwaltungen auszuwählen, die
Herausgabe von Zeitungen, die Organisierung von Kursen und Rundfunksendungen vorzubereiten, soweit das die Besatzungsbehörden zuließen. Für die Tätigkeit der Parteiorganisation selbst ergingen folgende Weisungen: »Gründliche Überprüfung und ideologische Vorbereitung zuverldssiger Kommunisten und Antifaschisten
für die Schaffung
kommunistischer
Parteiorganisationen, demokratischer Organisationen, einheitli-
cher Gewerkschaften
sung und Schulung
und Genossenschaften,
Zusammenfas-
von Propagandisten für ideologischen
Kampf zur Loslösung der Volksmassen vom Nazismus.
Gro-
ßes Gewicht legen auf Begriindung der Schadensersatzpflicht
gegenüber den anderen Völkern als im Interesse des deutschen Volkes gelegen. In Euren Kreisen und in deutschen Kriegsge-
fangenenlagern stärkste Schulungsarbeit für Ausbildung von
Kadern
für Arbeit
im besetzten
Deutschland,
besonders
auf
Gebiet ideologischen Kampfes und künftigen Schulwesens.«” Dies steht als weiterer Beleg dafür, daß die KPD zur Kooperation mit allen Besatzungsmächten bereit war.
Überliefert sind die zumindest teilweise erfolgreichen Be-
mühungen deutscher Kommunisten ın Frankreich um ein ge-
meinsames Auftreten mit Sozialdemokraten. Da angenommen wurde, daß den Gewerkschaften früher als den Parteien das legale Auftreten erlaubt werde, gab es vor allem Diskussionen
über die künftige Gewerkschaftsarbeit. Auch in Frankreich befaßten sich die deutschen Kommunisten mit den Ergebnissen
der Konferenz von Jalta, mit der bevorstehenden Grenzzichung
und mit den Konsequenzen einer Besetzung Deutschlands. Die Nähe zu Deutschland ließ aber die Kommunisten hier auch stärker über die unmittelbare Einwirkung auf ihr Vaterland nachdenken und entsprechende Vorbereitungen treffen. So erreichte am 20. April 1945 die Parteizentrale in Moskau die Nachricht: »Eine Gruppe von 12 qualifizierten Freunden aus Frankreich sowie eine Gruppe aus der Schweiz werden ın Kürze nach Hitlerdeutschland gehen zwecks Aufbau der Partelorganisation.«®
5 6
SAPMO-BArch. Ebcnda.
NY
4036/508.
Bl. 30.
311
Die oft als Hort der Freiheit und als klassisches Exil gerühmte Schweiz begegnete den ins Alpenland geflüchteten Kommunisten keineswegs human und gleich gar nicht solidarisch.” Die meisten von ihnen wurden in Internierungslagern festgehalten. Gleichwohl gelang es auch hier auf Initiative der Kommunisten die Bewegung »Freies Deutschland« ins Leben zu rufen, in die sich desertierte deutsche Soldaten einreihten. Während dic Kommunisten gute Kontakte zu fortschrittlichen Protestanten um den Theologieprofessor Karl Barth unterhielten, spielte die Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten eine geringe
Rolle, allerdings war die sozialdemokratische Emigration in der
Schweiz ziemlich bedeutungslos. Ein wichtiger Stiitzpunkt antifaschistischer Arbeit befand sich am Ziiricher Schauspielhaus, wo der KPD angehörende oder mit ihr sympathisierende decutsche Schauspieler — unter thnen der spätere Intendant des Dcutschen Theaters Wolfgang Langhoff — Zuflucht gefunden hatten. Im letzten Kriegsjahr, als die Schweizer Politik auf mehr Distanz zum faschistischen deutschen Staat ging, verbesserten sich die Betiatigungsmoglichkeiten der Kommunisten.® Thre
Parteiorganisation, die dennoch illegal arbeiten mußte, zählte
ctwa 200 Mitglieder. Der gewählten Parteileitung gehorten Hans Teubner, Fritz Sperling und Bruno Fuhrmann als Mitglieder des Sekretariats sowie Ernst Eichelsdérfer, Ludwig Ficker und Bruno Goldhammer an. Wie Hans Teubner berichtet, bestand »Verbindung vom ZK der KPD in Moskau in die Schweiz, wohingegen es eine umgekehrte Verbindung nicht
gab«.’ Kontakte bestanden zu den deutschen Kommunisten in Frankreich, in Grof3britannien und Schweden. Fiden wurden
auch zu italienischen Partisanen gekniipft, mit der weitrei-
chenden, aber nicht mehr zu realisierenden Absicht, ein Batail-
7
8 9
Sichc
den
1975.
Hans Tcubner:
Exilland
Schweiz.
Kampf cmigricrter dcutscher
Dokumentarischer
Kommunisten
Bericht über
1933-1945.
Berlin
Sichc Giinter Benser: Dic KPD im Jahre der Befreiung. Vorbereitung und
Aufbau der lcgalen kommunistischen Masscnpartei (Jahreswende 1944/ 1945 bis Herbst 1945). Berlin 1985. S. 37-41. Hans Tcubner: Exilland Schweiz. Dokumentarischer Bericht über den
Kampf cmigricrter dcutscher Kommunisten
S.
312
152.
1933-1945.
Berlin
1975.
lon des »Freien Deutschland« an ihrer Seite kämpfen zu lassen. Am 14. Januar 1945 hatte in Zürich die erste Parteikonferenz der KPD in der Schweiz mit 38 Delegierten und zwei Österreichischen Kommunisten als Gästen getagt. Sie beschloß, »die gesamte Parteiarbeit auf das baldige Kriegsende zu orientieren und deshalb in den Parteigruppen Probleme wie demokratische Selbstverwaltung, Gewerkschafts-, Jugendund Frauenarbeit intensiver zu behandeln. Eingehend begriindet wurde die Notwendigkeit der Einheit der Arbeiterbewe-
gung, des verstdrkten Bemiihens um die Gemeinsamkeit mit Sozialdemokratie, Christen und anderen hitlerfeindlichen Krei-
sen [...] Das Anliegen der Endphase des Krieges war, maximale Bewegungsfreiheit fiir alle Kader der antifaschistischen Bewegung zu schaffen und sich gut fiir die Riickkehr nach Deutschland und die dortigen Aufgaben zu riisten.«'” So jedenfalls wurde es von Hans Teubner glaubwiirdig überliefert. Eine zweite Parteikonferenz fand am 24./25. März eben-
falls ın Ziirich statt, an ihr nahmen 44 ordentliche und zehn
Gastdelegierte sowie ein Vertreter der Kommunistischen Partei Osterreichs teil.'! Nun lautete die zentrale Losung bereits »Antreten zur Heimkehr«. Darauf sollten die Kommunisten
griindlich vorbereitet werden. Die Konferenz verabschiedete vier Genossen, die sich zur Arbeit nach Deutschland begaben.
Insgesamt hatten noch vor Kriegsende 20 kommunistische Emissdre der Schweizer Parteiorganisation die Grenze nach Deutschland iiberschritten. Zur militarischen und politischen Lage sprach Hans Teubner, über die aktuelle Situation in Siiddeutschland und die Auf-
gaben nach Riickkehr in die Heimat informierte Fritz Sperling,
über die Tatigkeit der Parteiorganisation erstattete Bruno Fuhrmann Bericht. Da Materialien dieser Konferenz iiberliefert sind, kann konstatiert werden, daß die auf dieser Konferenz vorgenommene Lagebeurteilung und die Aufgabenstellung einen hohen Grad von Ubereinstimmung mit den in Moskau entwik10 11
Ebcnda. S. 236f. Sichc SAPMO-BArch.NY
Schweiz.
scher
Dokumentarischer
Kommunisten
4036/510.
Bl. 34. — Hans
Tcubner:
Exilland
Bericht über den Kampf emigricerter deut-
1933-1945.
Berlin
1975.
S. 248-251.
313
kelten Vorstellungen aufwiesen. Allerdings hielt man hier noch länger an der Bewegung »Freies Deutschland« als organısatorischer Rahmen für die Sammlung der antifaschistischen Kräfte fest. Hervorgehoben wurde die unmittelbare antifaschistisch-demokratische Zielstellung, die zugleich »im Sinne des Näherkommens an den Sozialismus« interpretiert wurde. An-
gesichts des neuen Kräfteverhältnisses war auch bereits von der Möglichkeit die Rede »auf friedlichem Wege an den Sozia-
lismus herankommen [zu] kdnnen«.' Auch iın der Schweiz befaf3ten sich die deutschen Kommunisten eingchend mit den Resultaten der Krimkonferenz und gaben hierzu cigens cin schriftliches Informationsmaterial heraus.'* Sie schitzten sowohl die materielle Situation als auch den Bewultseinszustand der Bevolkerung realistisch ein und maßen der Sicherung der elementarsten Lebensbediirtnisse ei-
nen hohen Stellenwert zu, wic auch die Schuldfrage und die
Pflicht zur Wiedergutmachung thematisiert wurden. Die Parteileitung der KPD ın der Schweiz ging davon aus, »daß einc Anndherung der Christen, Sozialdemokraten und Kommunisten sich vollzogen hat«. In der EntschlieBung der Konferenz wurde die Entschlossenheit bekriftigt, »alles zu tun, um dic Voraussctzungen zur Bildung der einheitlichen deutschen Arbeiterpartei zu schaffen, die die zielbewußte Avantgarde der Weiterfilhrung der demokratischen Umwil-
zung bis zum sozialistischen Endziel darstellt«.'* Hier wurden dhnliche Prinzipien, wie sie Pieck fiir die kiinftige legale kom-
munistische Massenpartei entwickelt hatte, als Merkmale der proletarischen Einheitspartei herausgestellt: Ausrichtung an einem breitgehaltenen Minimalprogramm, Offnung fiir alle Arbeiter, jedoch auch demokratischer Zentralismus, Betonung
von Parteidisziplin und Parteischulung, Kampf gegen Refor-
mismus, Trotzkismus und Liquidatorentum, hohe Verantwortung der Kader. Insgesamt diirfte die kommunistische Parteiorganisation in der Schweiz jene Abteilung gewesen sein, die in cigener Posi12 SAPMO-BArch.NY 4036/510. Bl. 196. I3 Siche Dic Lage Deutschlands nach der Krimkonferenz und unsere Aufgabcn. In: Ebenda. 14 SAPMO-BArch. SgY 14/4. Bl. 15.
314
tionierung zur größten Übereinstimmung mit dem Konzept der Moskauer Führung gelangt war. Dies erfolgte jedoch nicht ohne innere Auseinandersetzungen. Besonders Paul Bertz, der sich 1939 gegen den Stalin-Hitler-Pakt ausgesprochen und ın seiner Parteikarriere wiederholt auf dem linken Flügel gestanden hatte, erwies sich oft als eigensinniger Widersacher. Über ihn vor allem liefen die Kontakte zu Noel H. Field, den Leiter
des Unitarian Services Comittees, einer Hilfsorganisation der Unitarischen
Kirche
der USA,
die deutschen Antifaschisten
und eben auch Kommunisten wirksame Unterstützung erwies. Ohne diese materielle und finanzielle Hilfe hätten sich die deutschen Kommunisten in der Schweiz schwerlich derartig behaupten und solch cine Organisation aufbauen können. Dies ist indes Field auf übelste Weise entgolten worden. Anfang der fünfziger Jahre zum CIA-Agenten abgestempelt wurde er als Schlüsselfigur der Schauprozesse in osteuropäischen Ländern benutzt und in Ungarn für Jahre ins Gefängnis geworfen.' Etwa 400 deutsche Kommunisten hatten — zum größten Teıl nach der Okkupation aus der Tschechoslowakei flüchtend — in Großbritannien Exil gefunden. Sie hielten sich in einem Lande auf, das gegen Deutschland Krieg führte, mithin wurden sie entsprechend behandelt, viele wurden interniert oder deportiert. Zwei mit ihnen sympathisierende britische Antifaschistinnen schrieben: »Das Wort Kommunist allein erzeugt bei
manchen
Menschen
eine feindliche
Reaktion,
aber die Be-
zeichnung ausländischer Kommunist verdoppelt diese Wirkung.«'® Gleichwohl traten aber gerade in England angesehene Vertreter des öffentlichen Lebens in Erscheinung, die ihre Solıdarıtät mit den deutschen Antifaschisten bekundeten. Anders als in der Schweiz war die KPD-Organisation ın
England mit einer beachtlichen und aktiven sozialdemokrati-
schen Emigration konfrontiert. Hier agierten in der Person von Hans Vogel und Erich Ollenhauer die Reste des Parteivorstandes der SPD und die unter deren Einfluß stehende Union deut15 Siche Bernd-Rainer Barth/Werner Schweizer (Hrsg.): Der Fall Nocl Ficld. Schlissclfigur der Schauprozesse in Ostcuropa. Gefängnisjahre 1949-1954. Berlin 2005. 16 Zit. nach Emmy Kocnen: Exil in England. In: BzG. Berlin (1978)4. S. 546.
315
scher sozialistischer Organisationen. Sie steuerte einen schroffen antikommunistischen und antisowjetischen Kurs. Beauftragter des Zentralkomitees für England war Wilhelm Koenen. Die politische Leitung lag bei Kurt Hager. Der Leitung gehörten u. a. Grete Wittkowski als Organisationsleiterin und Heinz H. Schmidt als Verantwortlicher fiir Agitation und Propaganda sowie Wilhelm Bamberger, Jirgen Kuczynski, Siegbert Kahn an. Kontakte bestanden zu deutschen Kommunisten in Frankreich, Schweden, Lateinamerika, der Schweiz
und den USA. Auf Initiative der Kommunisten war vielen Behinderungen
zum
Trotz
die Freie
Deutsche
Bewegung
in
Grof3britannien ins Leben gerufen worden wie auch der sehr aktive Freie Deutsche Kulturbund und die Freie Deutsche Jugend. In Grof3britannien stellte sich die kommunistische Parteiorganisation ebenfalls um die Jahreswende 1944/1945 auf die Nachkriegssituation und die kiinftigen Aufgaben ein. Ende November 1944 analysierte eine Parteikonferenz die militirische und politische Lage. Als Ergebnis des Krieges wurde »entscheidend und alles andere iiberschattend« erwartet »die gewaltige Verschiebung der Klassenkrifte zugunsten der Kréfte des Fortschritts, der Demokratie und des Sozialismus, die der
erfolgreiche Krieg der freiheitsliebenden Nationen gegen den faschistischen Imperialismus in der ganzen Welt verursacht hat. Das findet seinen Ausdruck in dem gewaltigen, gesteiger-
ten EinfluBl der Sowjetunion, des Landes des Sozialismus.«'’ Dabei waren die deutschen Kommunisten in Grof3britannien besonders hellhorig gegeniiber der anglo-amerikanischen Politik. Zwar forderten sie vorbehaltlose Unterstiitzung der Verein-
barungen der Alliierten Méchte, doch warnten sie gleichzeitig vor antisowjetischen Tendenzen. Es gäbe schon geniigend Anzcichen dafiir, daß »monopolkapitalistische »Appeaser< in ziemlich offener Zusammenarbeit mit ihren deutschen Partnern« cinen politischen Kurs anstrebten, der auf »die Isolierung der Sowjetunion, um die Erhaltung eines starken Deutschlands als
17 Dicter Lange: Dokumente der Freien Deutschen Bewegung tannicn.
S. 1130.
316
In:
Zeitschrift
fir Geschichtswissenschaft.
in Großbri-
Berlin
(1972)9.
Vorposten der Weltreaktion und als stärkste Macht einer >Eu-
ropäischen Föderation« gerichtet ist«.'!® Es überwog jedoch das Vertrauen in die Potenzen der Antihitlerkoalition. In diesem Sinne wurden auch in England die Ergebnisse der Krimkonferenz
begrüßt.
In London
würdigte
Kurt Hager in seinem Referat auf der dritten Delegiertenkonferenz der Freien Deutschen Bewegung vom 17./18. Februar 1945 den bevorstehenden Sieg der Alliierten als »eine große historische Chance« für das deutsche Volk und den »Plan von Jalta zur Ausrottung des Militarismus und Nazismus ın Deutschland« mit mutigem Optimismus als ein »grof3artiges Programm der Einschaltung Deutschlands in den Strom der fortschrittlichen Entwicklung freiheitlicher Volker«."” Dies reichte bis zu dem Angebot, sich mit an die Front zu begeben, um auf die deutschen Soldaten einzuwirken und unmittelbar an der Verwaltung befreiter Stidte und Gemeinde mitzuwirken. Obwohl ungewiß war, wie rasch die deutschen Emigran-
ten aus Grof3britannien in thre Heimat zuriickkehren konnten,
bereitete man sich durch Schulungen intensiv auf die kommenden Aufgaben vor. In Arbeitsgemeinschaften und Zirkeln diskutierten die Teilnehmer über die politischen, 6konomische und ideologischen Probleme, die sie nach ihrer Riickkehr er-
warteten.
Kommunalwesen,
Wirtschaft,
Genossenschaftswe-
sen, Bildung und Erziehung, Frauen- und Jugendprobleme
gehörten zu den erdrterten Themenkreisen.
» Wir können und
wir miissen«, so hieß es, »aus den Mitgliedern unserer Organisation eines machen: Kader fiir Deutschland.« In diesen Debatten traten erhebliche Meinungsverschiedenheiten beziiglich der Situation innerhalb der deutschen BevOlkerung und der Aktionsfahigkeit der Arbeiterklasse am Ende des Krieges und nach Zerschlagung der faschistischen Diktatur hervor. Jürgen Kuczynski hat in seinen Memoiren berichtet, daß die deutschen Kommunisten in England mehrheitlich die Potenzen der deutschen Arbeiterklasse nicht nur sehr negativ bewerteten, sondem auch jene Genossen attackicrten, 18 19 20
Ebcenda. S. 1131. Ebenda. S. 1132. Ebenda. S. 1131.
317
die ihre Erwartungen in die Wiedererweckung der Kraft dieser Klasse setzten. So war in der Zeitschrift »Freie Trıbüne« vom
Januar 1945 zu lesen: »Es gibt, besonders unter den deutschen
Hitlergegnern in der Emigration, immer wieder Versuche, die-
se ım Verlaufe des Krieges schrecklicher und schrecklicher hervortretende deutsche Wirklichkeit, die Unterstützung des verbrecherischen Hitlerkrieges durch die gewaltige Mehrheit
des deutschen Volkes einschließlich der deutschen Arbeiterklasse dadurch zu bemänteln oder gar völlig hinwegzuerklären, daß man sich auf die Helden des illegalen Kampfes gegen
Hitler beruft.«*' Von Differenzierungen war hier wenig zu spüren. Offenbar waren die rigoros antideutschen, die gesamte — seit dem Mittelalter verdorbene — deutsche Nation verdammenden Ausfille des Barons Vansittard und die britischen Vorstellungen von Reeducation auch auf deutsche Kommunisten nicht ohne Wirkung geblieben. Kuczynski schrieb über die Vertreter derartiger Stand-
punkte in einem Brief an Paul Merker: »Diese Genossen haben
praktisch alles abgeschrieben, alles, was gut an der deutschen Tradition war, darum sind sie über jeden Hinweis darauf bose, alles, was die Opposition in den letzten zwdlf Jahren getan hat, darum haben sie keinen Glauben in Aktionen heute und haben aufgegeben, zu solchen Aktionen aufzurufen; sie sind
kithle Beobachter statt heifle Kämpfer.«“* Paul Merker, der darauf setzte, daß die deutsche Arbeiterbewegung rasch wieder an Kraft gewinnen werde, eroffnete von Mexiko aus eine dffentliche Polemik gegen seine Genos-
2
—
sen ın England.?* In der Zeitschrift »Freies Deutschland — Alemania Libre« veroffentlichte er einen offenen Brief »An meinen Bruder in London«,** den der so angesprochene WilJirgen Kuczynski: Mcmoiren. Dic Erzichung des J. K. zum Kommunisten und Wisscnschaftler.
Berlin, Weimar
1973, S. 396.
22 Ebenda. S. 396f. 23 Siche Licsclotte Maas: »Unecrschiittert bleibt mein Vertraucn in den gutcn Kern unscres Volkes.« Der Kommunist Paul Merker und dic ExilDiskussion um Decutschlands Schuld, Verantwortung und Zukunft. In: Thomas Kocbner u. a.: Deutschland nach Hitler. Zukunftspline im Exil und aus der Besatzungszeit 1939-1949. Opladen 1987. S. 181-189.
24
Siche Freies Deutschland — Alemania
S. 6-8.
318
Libre. México,
D. F. (Mai
1945)6.
helm Koenen seinerseits mit einen offenen Brief »An meinen Bruder in Mexiko«-> beantwortete. Merker reagierte erneut — diesmal das Inkognito lüftend — mit einer »Antwort an Wilhelm Koenen«.-° Merkers offener Brief zeichnete sich durch ein hohes Maß
an Sachlichkeit aus, womit er Pessimismus und Verzweiflung zu begegnen suchte. Eine solche Distanz ließ sich natürlich ım
fernen Mexiko leichter gewinnen als in England, wo der Krieg allgegenwärtig war, zwischen den Ruinen bombardierter Städte, inmitten der unter den Opfern und Lasten deutscher Aggression leidenden Briten. Als die Alliierten deutschen Boden
erreichten, sahen sich manche Genossen in England bestätigt. »Nicht mit Blumensträußen — mit Handgranaten und Heckenschützen empfangen die Deutschen im Osten wie ım Westen
die einmarschierenden Freiheitsarmeen der Alliierten [...] Statt Unterstützung der Alliierten — Widerstand oder zumindest ta-
tenlose Gleichgültigkeit.«“” Aus alledem wurde geschlußfolgert, daß die deutsche Arbeiterklasse »einst erfiillt vom Gedanken internationaler Solidarität, [...] zu einer der wesent-
lichen Stützen des Nationalsozialismus herabgesunken« ist.-® Wenn die Mitschuld des gesamten deutschen Volkes angespro-
chen
wurde,
so war
das
nachvollziehbar.
Wenn
indes
den
Deutschen überhaupt das Recht auf einen selbstgelenkten Wiederaufbau abgesprochen wurde, sie nur noch als »politisch zuverlässige Administratoren« der Besatzungsbehörden agieren sollten, wurde eine eigenständige deutsche Entwicklung und eine authentische deutsche Arbeiterbewegung ın Frage gestellt.
Paul Merker hielt es demzufolge für nötig, mehr über die Ursachen der faschistischen Machtergreifung nachzudenken, nicht die eigentlich Verantwortlichen und auch nicht »verräterische Führer« politischer und gewerkschaftlicher Organisationen durch eine Verdammung der Arbeiterklasse zu entlasten. Für thn mußte die Schuldfrage bei 1933 ansetzen, weshalb sich jeder, auch die Emigranten, selbstkritisch nach ihrer Mit25 26 27 28
Siche cbenda. México, D. F. (Scptember Sichc cbenda. S. 39-44. Frcic Tnbiinc. London (1944)11. S. 2. Ebcenda. London (1945)1. S. 3.
1945)10 (Beilage). S. 37-39.
319
verantwortung befragen sollten. Für ıhn war es unerläßliche Bedingung eines Neubeginns, das furchtbare Erbe Hitlers auf sich zu nehmen. Die eigentliche Differenz betraf jedoch die Frage, welche Rolle dem deutschen Volke im allgemeinen und der Arbeiterklasse im besonderen beim Neubeginn, den Mer-
ker zundchst mit der Zuendefiihrung der demokratischen Revolution verband, zu spielen hatte. Die den Deutschen von Koenen zugewiesene Rolle eines bloBen Administrators »wiirde nicht zur Schaffung ciner neuen Demokratie ın Deutschland fithren, sondern den von Dir angeblich so stark bekdmpften Untertanengeist verewigen«.”’ Eine revolutionére, systemverdndernde Umwilzung unter Respektierung alliierter Vereinbarung aber als eigene Leistung — das war Merkers Konzept. Mit einer Pauschalverurteilung der deutschen Arbeiterklasse war solch einer revolutionidren Orientierung vollig der Boden
entzogen. Sie stand zudem gerade jenen schlecht zu Gesicht,
dic doch eigentlich Hirn und Herz dieser Klasse sein wollten und sich nicht außerhalb dieser Klasse wähnen durften. Hielten die Kommunisten um Wilhelm Koenen das Klassen-
bewußtsein der deutschen Arbeiter nicht nur für verschiittet, sondern weitgehend fiir verloren, so hielt der nach Kuba ge-
flichtete August Thalheimer als Reprédsentant der KPD(O) die Arbeiterklasse aus anderen Griinden fiir geldhmt. Selbstédndige
Arbeiterorganisationen unter Besatzungsbedingungen betrachtete er als eine Illusion, als Anpassung an eine Scheindemokratie. Er sah die Gefahr eines Spiels, daß Revolutionére nicht
mitspielen durften.* Die politische und geographische Situation, in der in England einerseits und in Lateinamerika andererseits geurteilt und
gehandelt wurde, bietet Erkldrungen
fiir die gegensitzlichen
und zu einem gewissen Grade nicht zu vereinbarenden Positionierungen. Deshalb ist es nicht verlockend, mit dem Abstand von sechs Jahrzehnten die Schiedsrichterrolle zu iibernehmen. Doch insofern alle Zukunftserwartungen der Linken vom Wie29 Frecics Deutschland — Alemania Libre. México, D. F. (Scptember 1945) (Bceilage). S. 43. 30 Siche WESTBLOCK-OSTBLOCK. Welt- und Dcutschlandpolitik nach dem Zweciten Weltkricg. Internationale monatliche Ubersichten 19451948 von August Thalhcimer. Erweitert durch Bricfc und Dokumente. Hrsg. von der Gruppe Arbeiterpolitik. Hamburg 1992, S. 58.
320
derbeleben der Kräfte der deutschen Werktätigen abhingen, war ein Zurückweisen defätistischer Stimmungen und Schlußfolgerungen dringend geboten. Ohne das »Prinzip Hoffnung« brauchten die deutschen Antifaschisten gar nicht erst anzutreten. Als Merker und Koenen ihre offenen Briefe veröffentlichten, war allerdings der Prozeß der Rekonstituierung der deutschen Arbeiterbewegung bereits in Gang gekommen, waren bereits neue Tatsachen entstanden, an denen die Kontra-
henten ihre Standpunkte eigentlich hätten überprüfen können, so sie ihnen denn bekannt geworden sind. Alles in allem hat der frühzeitig einsetzende große Zustrom zu den Arbeiterparteien und zu den Gewerkschaften Paul Merker recht gegebenen. Aber in ihrer deutschen Mentalität bedurften wohl auch die meisten Arbeiter erst des neuen offiziellen Rahmens und des Anstoßes von oben. Auch in Schweden stand der etwa 100 Mitglieder umfassenden Parteiorganisation der KPD*' eine selbstbewußte sozialdemokratische Emigration gegenüber, darunter ein aktiver Gewerkschaftsflügel. Wie die kommunistische Parteileitung später dem Zentralkomitee berichtete, konzentrierte sich ihre Tätigkeit auf folgende Aufgaben: 1. Verwirklichung der Politik des Nationalkomitees »Freies Deutschland« in Schweden und ın den benachbarten okkupierten Ländern; 2. Einheitsfrontpolitik mit den deutschen Sozialdemokraten und der Landesgruppe
der deutschen
Gewerkschaften
in Schweden,
3. Herausgabe
der deutschsprachigen antifaschistischen Zeitschrift »Politische Information«; 4. Herausgabe von Broschüren und Propagandamaterial; 5. Schaffung einer Organisation für die nach Schweden geflüchteten deutschen Seeleute und desertierten Soldaten.? »Entsprechend den Beschlüssen der Parteikonferenz wurden in die Partei aufgenommen die brauchbarsten und aktivsten Jugendlichen aus der Freien deutschen Jugend sowie unter den Militärflüchtlingen.«**
31
Siche Günter Benser: Die KPD im Jahre der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau der lcgalen kommunistischen Masscnpartei (Jahreswende 1944/ 1945 bis Herbst 1945). Berlin 1985. S. 44-50. 32 Siche SAPMO-BArch. SgY 14/1. Bl. 154. 33 Ebenda. Bl. 161.
321
Eine Ostern
1944 durchgeführte
Parteikonferenz hatte
Karl Mewis, Erich Glückauf, Franz Stephan und Heinz Rauch
in die Leitung gewählt. Später wurde diese Leitung ergänzt
durch Herbert Warnke, Paul Verner und weitere Genossen. Im Januar 1941 war auch Herbert Wehner, der dem 1935 gewählten Politbüro als Kandidat angehörte, ım Auftrage der
Komintern in Schweden eingetroffen, um dort die Arbeit der Abschnittsleitung Mitte zu reorganisieren. Nach seiner Verhaftung ın Schweden des Verrats beschuldigt, war Wehner im Juni 1942 aus der KPD ausgeschlossen worden. Wehner, der sclbst ın Stalins Verfolgungen deutscher Kommunisten verstrickt gewesen war, brach nun vollständig mit der kommunistischen Bewegung und wurde von seinen früheren Genossen daraufhin geradezu als Prototyp eines Renegaten behandelt. Dics war natiirlich ım schwedischen Exil besonders spürbar, zumal hier offensichtlich auch persönliche Rivalitäten im Spiele waren.
Ostern 1945 beriet die 2. Landeskonferenz der KPD in Schweden über die bisher geleistete Arbeit und die bevorstehenden Aufgaben. Zu dieser Konferenz waren auch der Vorsit-
zende der Kommunistischen Parteı Schwedens, Sven Linderot, sowie Vertreter der kommunistischen Parteien Dänemarks,
Norwegens und Österreichs erschienen. Auch Gäste von der Landesgruppen der SPD und der deutschen Gewerkschaften sowie des Freien Deutschen Kulturbundes in Schweden konnten begrüßt werden, was keineswegs eıne Selbstverständlichkeit war. Die Konferenz schätzte ein, daß der kommunistische Ein-
fluß innerhalb der antifaschistischen Front gestiegen sei. Seit Sommer 1944 bestand ein zentraler Arbeitsausschuß der deutschen antinazistischen Organisationen, in dem Karl Mewis, Erich Glückauf und Franz Stephan die KPD vertraten. Der Leitung des Freien Deutschen Kulturbundes gehörten sieben Kommunisten an. Gemeinsam mit Sozialdemokraten und Gewerkschaftern wurde die antifaschistische Soldatenzeitung »Der Landser« herausgegeben. Angesichts der Konzentration emigrierter Gewerkschaftsfunktiondre in Schweden spielte die Gewerkschaftsfrage hier eine besondere Rolle. Es war nicht zuletzt Ergebnis kommunistischer Bemiihungen, wenn in Schweden cin gemeinsames Bekenntnis zur Einheitsgewerk322
schaft und zu einer einheitlichen Gewerkschafts-Internationale zustande kam und die Haltung der Spitzenfunktionäre des ADGB am 1. Mai 1933 verurteilt wurde.
Auch ım Exilland Schweden traten 1945 angesichts der bevorstehenden Zerschlagung des deutschen Faschismus die
strategischen Orientierungen ın den Vordergrund der Erorterun-
gen. Mehr als anderswo wurde dabei auf internationale Erfahrungen Bezug genommen, so auf die Volksfront in Frankreich,
auf die Spanische Republik, auf das jugoslawische Beispiel und auf die aktuellen Entwicklungen in Frankreich und Finnland. Herbert Warnke hatte das zunichst anzustrebende Re-
gime charakterisiert, das noch kein Sozialismus sei, aber eine Republik, in der Arbeiter, Bauern, Angestellte, Mittelschichten
und Intellektuelle und nicht, wie in der Weimarer Republik, die
reaktiondren
Krifte, das entscheidende
Gewicht
haben
wer-
den.’* Der Einheit der Arbeiterbewegung wurde hierbei einc Schliisselrolle beigemessen. »Gleichgiiltig, welchen Namen« die Einheitspartei trage, werde ihr das revolutiondre Bewußtsein der Kommunisten und der besten Elemente der Sozialdemokratie das Geprédge geben. Er schloß aber nicht aus, daf3 daneben cine rechtssozialdemokratische Partei und eine ultralinke Sekte auftreten kénnten. In der »Politischen Information« erschienen zunehmend Artikel, in denen die strategische Zielstellung begriindet wurde. So hieß es im Leitartikel der Nummer vom 15. April 1945: »Fiir das deutsche Volk beginnt jetzt ein neues Stadium seiner Entwicklung. Seine fortgeschrittensten Teile werden versuchen, den Kampf fiir die Ausrottung des Faschismus zum Hebel der Vorwirtsbewegung, des Erstarkens der Demokratie zu machen. Wie unser Volk den Kampf gegen den Nazismus fiihrt, in welchem Tempo es eine demokratische Volksbewcgung schafft, fiir welche Ziele die Einheit der Arbeiter verwirklicht wird, davon hängt viel ab.« Diese strategischen Erwidgungen miindeten in einen Katalog konkreter Forderun-
gen ein, in denen das Wesen der kiinftigen deutschen
Repu-
blik hervortrat, die durch Enteignung des Grof3grundbesitzes,
34 Siche Günter Benser: Dic KPD im Jahre der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau dcr legalen kommunistischen Masscnpartci (Jahreswende 1944/ 1945 bis Herbst
1945).
Berlin
1985. S. 47.
323
offentliche Bewirtschaftung aller Großunternehmen, der Banken, Sparkassen und Versicherungen solide Fundamente für eine fortschrittliche soziale Entwicklung erhalten sollte.”
Wenige Wochen nach dem Treffen der Großen Drei auf der Krim veröffentlichten die Landesleitungen der SPD, der KPD und des Freien Deutschen Kulturbundes eine Erklärung
mit der Uberschrift »Die Besatzungsmächte und wir«.? Die
deutschen Antifaschisten hielten die Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten für unerläßlich. Das Besatzungsregime
werde vom »positiven Einsatz des deutschen Volkes im Endkampf des Krieges und während der Okkupation bestimmt
werden. Diese Zusammenarbeit soll auch dem Zweck dienen,
günstigere Voraussetzungen für den erfolgreichen Kampf der Arbeiterbewegung um ihre eigenen Ziele zu schaffen.«’ Die Ergebnisse der Krimkonferenz einschließlich der Wiedergutmachungsverpflichtungen wurden von den deutschen Emigranten in Schweden bejaht. Dabei waren sich die deutschen Kommunisten auch der Gefahr einer Zerstückelung Deutschlands bewußt. Eine Aufteilung Deutschlands stand ja zu dieser Zeit — was man in Schweden wohl kaum wußte — auch noch auf Stalins Agenda. Im Leitartikel vom 15. März 1945 befaßte sich die »Politische Information« mit der Frage »Kann die Einheit Deutsch-
lands erhalten bleiben?« Parallel hierzu liefen Diskussionen über das Nationale ım antifaschistischen Kampf, über den Unterschied zwischen echtem Patriotismus und reaktionärem Mißbrauch nationaler Gefühle. Auf die Vereinbarungen über die Bildung von Besatzungszonen verweisend, wurde — motivierend, aber andere Ursachen und Verursacher ausklammernd
— festgestellt: »Unter solchen Verhältnissen hängt die Einheit des Landes
ausschließlich von uns selbst, von unserem
Ver-
halten ab. Erst dann, wenn es den Antinazis gelingt, unser Volk auf den Weg des Kampfes zur Ausrottung des Nazismus und der Kriegsverbrecher zu führen, sind die Grundlagen für eın neues Deutschland geschaffen. Nur durch entschiedenes 35 Siche Gesichtspunkte für cinc antinazistische Politik im kommenden Dcutschland. In: »Politische Information«. Stockholm vom 15. April 1945 (Nr. 8). 36
Sichc
»Politische
37 Ebcnda.
324
Information«.
Stockholm
vom
1. März
1945
(Nr.
5).
Auftreten gegen die Volksfeinde, durch loyale Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden in den auf der Krimkonferenz festgelegten Fragen wird eine einheitliche Politik in allen Besatzungszonen
ermöglicht.«
Doch
wurde
nicht übersehen,
daß mit unterschiedlicher Vorgehensweise der Besatzungsmächte zu rechnen war. Gewissermaßen vorbeugend hieß es: »Sollte der Kampf zur Ausrottung der Kriegsverbrecher von einer Besatzungsbehörde gehindert werden, dann kann legal und offen für die Beseitigung der Hindernisse eingetreten werden.« Vergleichbare Töne waren in Moskau nicht zu hören gewesen. Generell jedoch bewegten sich die KPD-Funktionäre in Schweden auf der gleichen Linie wie ihre Genossen ın Moskau. Die Landesgruppe der KPD in Schweden unterhielt Verbindungen zu den deutschen Kommunisten in England, Frankreich
und der Schweiz, in Mexiko und den USA, beziehungsweise
war sie über die dortigen Aktivitäten informiert. Die abgerissene Verbindung zu den deutschen Kommunisten in Dänemark kam erst nach der Vertreibung der Wehrmacht Ende Aprıl/ Anfang Mai 1945 wieder zustande. In Dänemark arbeitete eine kleine Gruppe deutscher Kommunisten unter der Leitung von Alfred Drögemüller und Karl Winkel in strengster Illegalitit.®® Später gehörten auch Max Spangenberg und Waldemar Verner zum führenden Kern. Auch hier ordneten sich die Genossen in die Bewegung Freies Deutschland ein und versuchten vor allem auf die ın Dänemark stationierten deutschen Soldaten einzuwirken. Gemeinsam mit dänischen Widerstandskämpfern wurde die Zeitung » Wahrheit« herausgegeben. Für eigene strategische Überlegungen war hier keine hinreichende Basis gegeben. So konzentrierte man sich auf die Auswertung und Verbreitung aller verfügbaren Informationen über den antifaschistischen Kampf. Mit Kriegsende verlagerte sich die Tätigkeit dieser Gruppe vor allem auf die Aufklärungsarbeit unter den nach Dänemark geströmten deutschen Flüchtlingen, von den 220.000 — meist 38 Siche Günter Benser: Die KPD im Jahre der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau der Icgalen kommunistischen Masscnpartei (Jahreswende 1944/ 1945 bis Herbst
1945). Berlin
1985.. S. 50f.
325
Frauen und Kinder — in verschiedenen Landesteilen ın großen
Lagern zusammengefaßt waren. In einem dem Zentralkomitee übermittelten Bericht vom 14. Juni 1945 schrieb diese Gruppe über ihre Parteiarbeit: »Der Parteigruppe gelang die Lösung großer Aufgaben. Es kann festgestellt werden, daß die Arbeit der Parteiorganisation nicht nutzlos und vergebens war (Zersetzung der Wehrmacht, Erschwerung der Kriegshandlungen usw.) Wir haben vielen Hitlergegnern in der Wehrmacht den Glauben an die Moglichkeit eines neuen, besseren und demokratischen Deutschlands gegeben, der didnischen Bevölkerung haben wir gezeigt, daß
es zwei Arten von Deutschen gibt: solche, die Hitler gefolgt sind, und solche, die Hitler bekämpft haben.«” Ahnlich haben wir uns die Aktivitit kleinerer Gruppen dcutscher Kommunisten in Norwegen und ın den Niederlanden vorzustellen.
Das Exil in Lateinamerika, vor allem in Mexiko,* erhielt da-
durch sein besonderes Geprige, daß sich hier hervorragende
antifaschistische deutsche Schriftsteller authielten, die Nazideutschland verlassen hatten oder von dort vertriecben worden
waren, bezichungsweise in anderen Exilländern lebende Autoren hier Publikationsméglichkeiten erhielten. Es war nicht zuletzt
das Verdienst von Kommunisten, wenn mit der politisch-literarischen Zeitschrift »Freies Deutschland — Alemania Libre« — seit Januar 1945 »Neues Deutschland — Nueva Alemania« —
und dem Verlag »Das Freie Buch« Mcistern der deutschen Sprache Zugang zum antifaschistischen Lesepublikum verschafft und zu ihrer Existenzsicherung beigetragen wurde. Das gilt fiir Johannes R. Becher, Willi Bredel, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Egon Erwin Kisch, Heinrich
Mann, Thomas Mann, Hans Marchwitza, Ludwig Renn, Anna
Seghers, Bodo Uhse, Erich Weinert, F. C. Weiskopf, Friedrich Wolf und andere.
39 SAPMO-BArch. SgY 14/ 1. BlI. 18. 40 Siche Wolfgang KicBling: Exil in Latcinamerika. Leipzig 1980. — Giintcr Benser: Dic KPD ım Jahre der Befrciung. Vorbereitung und Aufbau der lcgalen kommunistischen Masscnpartei (Jahreswende 1944/1945 bis Herbst 1945). Berlin 1985.. S. 51-57.
326
Mit Paul Merker, dem einzigen Mitglied des Polbüros des ZK der KPD im »westlichen« Exil, stand ein politischer Kopf an der Spitze der kommunistischen Emigration in Lateinameri-
ka, der die Erfahrungen der deutschen Partei zu verbinden vermochte mit den Möglichkeiten einer Bündnispolitik ım Sınne des VII. Weltkongresses der Komintern, die nicht unter dem dircktem Reglement Moskaus stand. Nach Kriegsende
erwihnte Paul Merker in einem Brief an Wilhelm Pieck, daß
es auf dem amerikanischen Kontinent rund 200 aktive antifaschistische Emigranten gibe, »davon 80 Freunde von uns«,* von denen sich die Mchrzahl in Mexiko aufhielt. Paul Merker
zur Seite standen vor allem Alexander Abusch und Erich Jung-
mann, zu den aktivsten Mitstreitern gehorten Albert Callam,
Rudolf Feistmann, Otto Katz, Kurt Stern, Georg Stibi, auch Ludwig Renn beteiligte sich intensiv an der politischen Arbeit.
Den deutschen Antifaschisten kam zugute, daß ım Unterschied zu anderen Staaten die mexikanische Regierung den Emigranten mit viel Verstandnis begegnete. Nach ldngerer Vorbereitung konnte das Lateinamerikanische Komitee der Freien Deutschen gebildet werden, mit Ludwig Renn als Prisidenten und Paul Merker als Generalsekretér. Dieses noch vor Konstituierung des NKFD gegriindete Komitee initiierte dhnliche Griindungen in 19 lateinamerikanischen Lidndern und unterhielt Verbindungen zum Council for a Democratic Germany
und zur German
American
Emergency
Conference
in New
York, zur Bewegung der Freien Deutschen in Grof3britannien, zum Freien Deutschen Kulturbund in Schweden und zum CALPO. Kontakte bestanden zu deutschen Kommunisten und Antifaschisten in Siidafrika, in Shanghai und Curacao. In Shanghai** lebten Tausende — vor allem jiidische — Fliichtlinge,
unter thnen etwa 50, die in Deutschland nach
1933 sich den
Nazis widersetzt hatten, liberwiegend Kommunisten. Leiter dieser Gruppe war Johannes Konig, dem unter anderen Walter Czollek und Giinter Nobel zur Seite standen. Druckerzeugnis-
se des in Mexiko gegriindeten Komitees strahlten später bis ın Kriegsgefangenenlager in den USA, in Kanada, Agypten, Ma41 SAPMO-BArch. SgY 14/ 15. BlI. 4. 42 Siche Lceben im Wartesaal. Exil in Shanghai Amnon
Barzcel. Berlin
1997.
1938-1947.
Hrsg.
von
327
rokko
und Tunesien
aus, vor allem
in Lager,
in denen
sich
Angehörige der Strafdivision 999 befanden. Als die Antifaschisten in Mexiko von der Bildung des Nationalkomitees »Freies Deutschland«
erfuhren, solidarisierten sich sofort mit dessen
en Deutschen
seine
Politik. Unter dem EinfluB der Kommunisten erkldrte auch das Exekutivkomitee des Lateinamerikanischen Komitees der Frei»volle politische
Ubereinstimmung
den Beschliissen der Dreier-Konferenz von Jalta«.* Auch dieser Erklarung wurde die Verantwortung und Mitschuld deutschen Volkes und die Pflicht der Wiedergutmachung cingeschrinkt anerkannt. Fiir die deutschen Kommunisten
mit
in des unın
Mexiko war ebenfalls klar, daß sie in ein besetztes Heimatland
zuriickkehren wiirden. Sie traten gegen Spekulationen auf, die auf eine Entzweiung der Alliierten setzten. Doch beurteilten sie die Siegermichte differenziert vom Klassenstandpunkt her. »Die
deutschen
Marxisten«,
so schrieb
Paul
Merker,
»sind
nicht so gutgldubig [...] anzunehmen, daß die AMG* und ihre englische Schwester den deutschen Monopolismus wirklich
ersticken werden.«* Auch war man sich Mexiko bewuf3t, daf3
aus der Zoneneinteilung Gefahren fiir die nationale Einheit erwuchsen. Auf einer Pressekonferenz erklirte Paul Merker am 9. Mai, am Tage des Sieges: »Die Bewegung Freies Deutsch-
land tritt fiir die Erhaltung der nationalen Einheit Deutschlands cin unter Anerkennung der Notwendigkeit für die Vereinigten Nationen, alle MaBnahmen zu treffen, die der Sicherung der Welt vor einer neuen Aggression des deutschen Imperialismus dienen.«* Von den Besatzungsméchten erwarteten die deutschen Antifaschisten in Mexiko Hilfe und Unterstiitzung bei der Demokratisierung Deutschlands, die sie aber vor allem als ureigenste Autgabe der deutschen Werktitigen ansahen. Die Emanzipation könne nicht allein von außen kommen, dazu sei eine breite
Bewegung der deutschen Werktétigen notig. Eine Position, die
43 44 45 46
Freics Deutschland — Alemania Libre. México, D. F. (März 1945)4. S. 5. Vermutlich Amcrican Military Government (Amecerikanische Militirre-
gicrung).
Paul Mecrker: Dic Marxisten und dic Zukunft Dcutschlands. In: Freics Dcutschland — Alcmania Libre. México. D. F. (Juli 1945)8. S. 8. Ebcnda. México, D. F. (Mai 1945)Sondernummer. S.3.
328
von Paul Merker in seiner Polemik gegen Wilhelm Koenen ausargumentiert wurde. Die deutschen Kommunisten in Mexiko bewiesen in ihren strategischen Verlautbarungen ein hohes Maß an Übereinstim-
mung mit der ın Moskau erarbeiteten Nachkriegsorientierung.
Das gilt ın besonderem Maße für die Bestimmung des nächsten Etappenziels und für die Charakteristik der bevorstehenden Entwicklungsetappe. Wenn zum Beispiel Paul Merker oder Alexander Abusch die Vernichtung des Nazismus, Militaris-
mus und Imperialismus, die Bestrafung aller Schuldigen, dic
Entmachtung der Monopolherren und Junker verlangten, so bedeutete das im theoretischen Verständnis — wie es Paul Merker formulierte — die »Zu-Ende-Führung der demokratischen Revolution«. Anfang 1945 schrieb er: »Herrschen werden ın dem Nachkriegs-Deutschland die antiimperialistischen Kräfte, das heißt die christlich-liberalen und die sozialistisch-kommunistischen Parteien, deren Regime politisch durch den Willen
der Mehrheit
des Volkes,
ökonomisch
durch
die Kontrolle
über die nationalisierte Großindustrie gestützt wird. Das Re-
gime wird einen Schritt näher zum Sozialismus darstellen, es wäre aber falsch, es als Sozialismus zu bezeichnen. In
Deutschland werden sich Großindustrie und Großgrundbesitz in den Händen des demokratischen Staates befinden; im {iibrigen aber wird das Privateigentum an den Produktionsmitteln,
das
heißt
ein selbständiges
Unternehmertum,
weiterbeste-
hen.«* Die kiinftige Staatsmacht bezeichnete er als antiimperialistisch-demokratische. Die unmittelbaren praktischen Schritte des Neubeginns spielten naturgemäß in Mexiko eine geringere Rolle als in den europiischen Exillindern — zum einen, weil Nachrichten über die konkrete Situation noch spirlich flossen und in der Regel mit Verspitung eintrafen; zum anderen, weil niemand damit rechnen konnte, unmittelbar nach Kriegsende in die Heimat zuriickkehren und sofort in das politische Geschehen eingreifen zu konnen.
47 Paul Mcrker: Kiinftige dcutsche Gewerkschaftspolitik. In: Freics Deutschland — Alemania
Libre. México,
D. F. (Fcbruar
1945)3. S. 7.
329
Im engen Kontakt mit der KPD-Organisation in Mexiko stand
cine Gruppe von etwa 20 deutschen Kommunisten iın den USA.* Zu ihr gehörten unter anderen Philipp Daub, Gerhart Eisler, Albert Norden
und Albert Schreiner, der nach
seiner
Zugcehörigkeit zur KPD(O) 1935 nach gebührender Selbstkritik wieder in die KPD aufgenommen worden war. Auch die
Mitbegründer der KPD Käte und Hermann Duncker hatten in
den USA Asyl gefunden. Die Gründung eines Komitees der Bewegung
»Freies Deutschland« war hier nicht gelungen, so
betätigten sich die Genossen in dem auf breiterer Basis operierenden Council for a Democratic Germany, das jedoch nicht in direkten Kontakt zum NKFD
trat.
Von den KPD-Mitglicdern in den USA wurde die im Mai 1942 gegründete anfangs monatlich, später vierzehntägig erscheinende Zeitschrift »The German American« herausgegeben, die zugleich als organisatorisches Zentrum der deutschen Kommunisten in den USA fungierte und deren politischer Kopf
Gerhart Eisler war. Nach
Kriegsende
erschien außerdem
der
in englischer Sprache gedruckte Nachrichtenbrief »Germany Today«, für den Albert Norden verantwortlich zeichnete. Einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sah diese Gruppe ın der Aufklärungsarbeit
unter deutschen
Kriegsgefangenen,
ın deren
Nachkriegsregelungen
gutgehei-
Lagern oft noch stramme Nazis das Sagen hatten. Auch von den deutschen Kommunisten ın den USA wur-
den die sich abzeichnenden
ßen. Als ciner der ersten verwies Albert Norden darauf, daß gerade die Haltung gegenüber berechtigten Ansprüchen Polens einen »Prüfstein« dafür bietet, »ob jemand nur ein Gegner der Nazis oder des deutschen Imperialismus überhaupt ist«. Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Imperialismus und insbesondere die Entlarvung des deutschen Monopolkapitals beschäftigten die theoretisch geschulten Genossen in den USA in starkem Maße. Gerhart Eisler, Albert Norden und Albert
Schreiner publizierten grundlegende Arbeiten zu den Lehren deutscher Geschichte. Sie warnten angesichts der Aktivitäten deutscher Konzerne und der antisowjetischen Parteinahme ih48 Siche Günter Benser: Die KPD im Jahre der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau der lcgalen kommunistischen Massenpartei (Jahreswende 1944/ 1945
330
bis Herbst
1945).
Berlin
1985.. S. 57-59.
rer US-amerikanischen Partner davor, daß dem deutschen Monopolkapital ein weiteres Mal der Übergang von der
Kriegsniederlage in die Nachkriegszeit unter Aufrechterhaltung ihrer Machtpositionen gelingen könne. Norden empfahl demge-
genüber, »unter der Kontrolle der alliierten Behörden erfahrene
und erprobte antifaschistische Vertrauensleute der Bergarbeiter in die Verwaltung des Ruhrkohlensyndikats und demokratische Betriebsräte in die kommissarische Leitung der Eisen-
und Stahltrusts [zu] berufen, bis die Zeit für die Bildung ciner
Volksregierung gekommen sein wird«.*° Während die US-Behörden sich in beträchtlichem Maße der Kompetenz deutscher
Konservativer und auch von Sozialdemokraten bedienten, blie-
ben die Kommunisten allzeit ausgegrenzt. Ihnen wurde mit großem Mißtrauen begegnet und mit Ausbruch des kalten Krieges setzte in den Staaten eine hysterische Kommunisten-
hatz ein.
Auch für die deutschen Kommunisten in den USA war die
erhoffte deutsche Revolution keine sozialistische, sondern eine
revolutionäre Umwälzung, um »die Wurzeln des deutschen Imperialismus ein für allemal auszureiBBen«.” Und sie bemiih-
ten sich, den Nachweis
zu führen, daß die konsequente Ab-
rechnung mit dem deutschen Imperialismus im Interesse aller Staaten der Antihitlerkoalition und nicht zuletzt auch der USA lag. So läßt sich insgesamt feststellen, daß unter den Kommunisten im Exil trotz erheblicher Unterschiede ihrer Informationsmöglichkeiten und ihrer Bewegungsfreiheit ein hohes Maß an Übereinstimmung bestand, daß man sich überall dem in Moskau detailliert ausgearbeiteten Nachkriegskonzept angenähert hatte. Gleichwohl zeigen sich temporäre und regionale Unterschiede in der Beurteilung der Lage, der Potenzen der deutschen Arbeiterklasse, der Verflechtung antifaschistischdemokratischer und sozialistischer Ziele und Inhalte wie auch ın Erwartungen der zeitlichen Abläufe. Nach Rückkehr deutscher kommunistischer Asylanten in die Heimat, die — abhän49 50
Albert Norden: Eiscnhower und dic Ruhr. In: Die Nation und wir. Berlin 1965. Bd. 1. S. 276. Albcert Norden: 1918 und heute. In: Ebenda. S. 251.
331
gig von den politischen Verhältnissen im jeweiligen Exilland — oft lange auf sich warten ließ, waren alle mit den Realitdten im besiegten und besetzten Deutschland konfrontiert. Mit hin-
eingerissen in die Auseinandersetzungen zwischen Fortschritt und Reaktion und in die Konflikte innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung, spielten Differenzen zuriickliegender Jahre keine spürbare Rolle mehr.
Kommunistischer Widerstand zwischen
Endkampf und Befreiung
Die erste größere von alliierten Truppen eroberte und besetzte deutsche Stadt war Aachen. Hier begannen sich seit Mérz 1945 erste Anzeichen eines neuen gesellschaftspolitischen Le-
bens zu regen, zuerst vor allem in gewerkschaftlichem
Rah-
men. Als Einheitsgewerkschaft trat ein Freier Deutscher Gewerkschaftsbund in Erscheinung. Die Vorgänge in Aachen wurden von den Westméichten wie auch von deutschen Emi-
granten aufmerksam
beobachtet, galten sie doch als sympto-
matisch fiir die Einstellung und Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevolkerung. Auch in Deutschland selbst wurden — soweit bekannt — die Vorgänge in Aachen interessiert verfolgt. Zum Beispiel orientierte sich die KPD-Organisation in Jena ın threr Gewerkschaftspolitik am Aachener Beispiel. Am 7. Mirz bildeten anglo-amerikanische Verbände bei Remagen den ersten rechtsrheinischen Briickenkopf und sticBen dann — ohne massiven Widerstand brechen zu miissen — auf breiter Front vor. Sie nahmen am 29. Mirz Frankfurt (Main), am 4. April Kassel, Mitte April das Ruhrgebiet, am 18. April Magdeburg, am 19. April Leipzig und am 20. April Niirnberg ein. Zu gleicher Zeit bereitete die Rote Armee ihre Berliner Angriffsoperation vor, die sic am 16. April eroffnete. Eine Woche spéter bereits war der Ring um Berlin geschlossen. Am 25. April kam es zur symboltrichtigen Begegnung sowjctischer und amerikanischer Truppen an der Elbe bei Torgau. Für die deutsche Bevölkerung — nun ganz unmittelbar ın das Inferno des Krieges hineingerissen — wurde die Lage immer unertrdglicher. Millionen waren im eisigen Winter auf der
333
Flucht. Viele verloren ihr Leben, starben im Bombenhagel oder
Geschützfeuer, kamen durch Entkräftung oder Erfrierung um. Familien wurden auseinandergerissen. Die meisten Überlebenden erwartete ein überaus schwieriger Neubeginn unter kärglichen Lebensumständen fern der Heimat. Auch im noch von der Wehrmacht verteidigten Reichsgebiet fielen Zehntausende den Bombardierungen oder den Kampfhandlungen der von allen Seiten vorrückenden Fronten zum Opfer, büßten zahllose Menschen ihre Gesundheit ein und verloren Hab und Gut. Die Bevölkerung hungerte. In den Konzentrationslagern und beı deren Evakuierung wurden Zehntausende Häftlinge ermordet oder erlagen den unsäglichen Qualen. Die Kraftakte der Hitler-Clique im »totalen Krieg« wurden zunchmend hilfloser und verzweifelter. Immer jüngere Jahrgänge wurden eingezogen und ohne hinreichende militärische
Ausbildung an den Fronten verheizt. Nach dem Beispiel japanischer Kamikaze-Flieger wurden »Freiwillige für einen Einsatz ohne Wiederkehr« gesucht. Probeweise sollten Frauenbataillone aufgestellt werden. Noch waffenfähige Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren wurden als letztes Aufgebot im Volkssturm
erfaßt, eine zusammengewürfelte Truppe unter dem Komman-
do örtlicher Naziführer, für die es keine Uniformen und Ausrüstungen mehr gab, in der nıcht einmal jedem eine Waffe in die Hand gedrückt werden konnte. Immer schwerer lasteten die Arbeitsbedingungen auf der schwindenden Zahl von Arbeitern und Arbeiterinnen. Die Arbeitswoche erstreckte sich ın der Rüstungsindustrie auf 60, in einigen Schwerpunktbetrieben auf 72 Stunden. Dazu kamen Überstunden,
Nachtwachen,
Luftschutzeinsätze,
Dienst
im
Volkssturm. Der desolate Zustand des Verkehrswesens brachte lange Arbeitswege mit sich, nach schlaflosen — im Luftschutzkeller verbrachten — Nächten. Wie aussichtslos die Situation war und wie absurd die Machthaber reagierten, läßt sıch kaum treffender charakterisieren als mit einem Schreiben des Reichsamtes für Volksgesundheit der NSDAP. Angesichts der einsetzenden Hungersnot empfahlen die Verfasser »wichtige neuartige Nahrungsmittel«, wie zum Beispiel »1. Raps,
Rapskuchen, Rapsextraktionsschrot [...] 6. Weiteres Massengemise sınd Serradella, Klee, Luzerne [...] 8. Verbesserung
der Eiweißgrundlage 334
durch
Schlachtung
aller greifbaren
warmblütigen Tiere oder durch Sammlung niederer Wildtiere, z. B. Fische jeder Art, Frösche [...] Schnecken [...] 9. Ver-
besserung der Vitaminversorgung durch Aufbrühen von Kiefer- und Fichtennadel-Jungtriebe.«' Nun endlich begriff die Mehrheit der Deutschen, daß der Krieg verloren war. Doch statt zu seiner umgehenden Beendi-
gung
beizutragen,
harrten die meisten
lethargisch der unge-
wissen Zukunft entgegen, dachten vor allem ans eigene Uberleben und das ihrer Familien. Und selbst jetzt schenkten
noch immer viele Goebbels’ Parolen Gehor, die den Endsieg versprachen, herbeigefiihrt durch bald zum Einsatz gelangen-
de Wunderwaffen. Bis dahin gelte es auszuhalten und dem Führer Gefolgschaft zu leisten. Aber es wuchs auch die Zahl derjenigen, die nicht tatenlos zusehen wollten, wie ithre Heimat im Chaos
versank, die bereit waren, etwas zu unternchmen,
um den Krieg zu verkiirzen und die ihre Blicke auf die Zeit nach dem Ende der Hitlerherrschaft richteten. Ihnen war bewullt, das jede gesprengte Briicke, jede ausgebrannte Fabrik,
jedes zerstorte Eisenbahngleis, jedes gepliinderte Versorgungs-
lager, jede abgeschlachtete Viehherde, jeder durch sinnlosen militdrischen Widerstand provozierte Feuerschlag der alliierten Armeen auf Stidte und Dorfer den Neubeginn unermeflich erschweren wiirde. Nun wurden auch Menschen aktiv, die sich bis dahin dem antifaschistischen Widerstand ferngehalten
oder gar den Nazis bereitwillig gefolgt waren. Was in dieser Phase fortschreitender Zerriittung noch am
besten funktionierte, das war der faschistische Terrorapparat.
Wer beim Herannahen alliierter Truppen eine weiße Fahne hif3te oder eine weille Armbinde anlegte, seine militdrische oder
zivile Dienststelle verlief3, lief Gefahr sofort erhängt oder cr-
schossen zu werden.
gerichten
wurden
Den erbarmungslos urteilenden Stand-
Exekutionskommandos
zum
sofortigen
Strafvollzug zugeordnet. Bis unmittelbar vor Kriegsende fillte
und vollstreckte die deutsche Justiz Todesurteile. Im Gefäng-
nis Berlin-Plotzensce fanden die letzten Hinrichtungen am 18. April, im Zuchthaus Brandenburg-Goerden am 20. April 1945
]
Zit. nach Dic Befreiung Berlins 1945. Eine Dokumentation. cingel. von Klaus Scheel. Berlin 1975. S. 60f.
Hrsg. und
335
statt. Hier mußte Theodor Neubauer am 5. Februar 1945 auf dem Schafott sein Leben lassen. Von kommunistischem Widerstand in dieser Phase zu sprechen, ist aus mehreren Gründen nicht ganz unproblematisch. Nicht daß die überzeugten deutschen Kommunisten entmutigt gewesen und in Tatenlosigkeit verfallen wären. Aber viele Aktionen entfalteten sich nun im Rahmen der Bewegung
Freies Deutschland, zwar meist inspiriert und initiiert von
Kommunisten,
aber doch auf breiterer Basis und in erweiter-
ten Zusammenhängen. Denn nun wurden auch Menschen mit anderem sozialen und politischen Hintergrund aktiv, um sinnlose Zerstörungen zu verhindern, die kampflose Übergabe von Städten, Gemeinden
und Dörfern zu erreichen oder sich ein-
fach aus Selbsterhaltungstrieb heraus, Hitlers wahnwitzigem Endkampf zu entziehen. Da war die Frage nach Herkunft, Motiven, längerfristigen politischen Ambitionen zunächst sekundärer Natur. Überregionale Verbindungen ließen sich in den Wirren der letzten Kriegsmonate selten knüpfen. Es konnte auch nicht Aufgabe sein, primär Strukturen zu organisieren, cs galt tätig zu werden — je organisierter, desto besser, aber gegebenenfalls eben auch auf sich selbst gestellt und ohne Propagierung künftiger strategischer Ziele. Die Flugblätter und
Streuzettel dieser Zeit sind stark auf unmittelbare, der Situation vor Ort entsprechende Aufgaben zugeschnitten.
Ein besonderes Anliegen der Kommunisten war es dabei, der Bevolkerung die von den Nazis geschiirte Angst vor der unauthaltsam vorriickenden Roten Armee zu nehmen. Nazigrößen,
Wirtschaftskapitidne,
viele Vertreter der Eliten
des
Dritten Reiches befanden sich auf der Flucht gen Westen, wo sic nicht zu Unrecht meinten, sich ihrer Verantwortung leichter entzichen zu konnen. Was scherte sie das Schicksal der von thnen ins Elend getriebenen Bevolkerung. Die Grundstimmung der Deutschen ging dahin: Wenn wir schon erobert und besetzt werden, dann méglichst von den Amerikanern oder den Engldndern, aber nicht von den Russen. Das resultierte wesentlich — aber nicht nur — aus jahrzehntelang in Deutschland extensiv und bedenkenlos betriecbenem Antibolschewismus. Doch wußten auch viele Männer und Frauen von den beispicllosen Verbrechen, die im Osten im Namen des deutschen Volkes begangen worden waren. Sie fiirchteten eine 336
Vergeltung, und bekanntwerdende Nachrichten von Vertreibungen, Racheakten und Vergewaltigungen entstammten nicht nur der Nazipropaganda. In diese letzte Phase der Widerstandsbewegung bemühte sıch die Moskauer Führung der KPD steuernd einzugreifen. Dies geschah vor allem über die Sendungen des Deutschen
Volkssenders,
des
Senders
Freies
Deutschland
und
mit den
deutschsprachigen Sendungen des Moskauer Rundfunks. Auf diesem Wege ließen sich Informationen über die Lage, politische Appelle und Konzepte vermitteln, aber keine Verbindun-
gen knüpfen und Aktionen leiten. Um Strukturen aufzubauen und antifaschistische Kampftrupps in Bewegung zu setzen, bedurfte es einiger Organisatoren vor Ort. So wurden wiederum Emissäre entsandt, von sowjetischen Flugzeugen als Fallschirmspringer abgesetzt. Einige Kommunisten und Mitstreiter des Nationalkomitees Freies Deutschland unternahmen dieses Wagnis. Soweit diese mutigen Leute ihren Einsatz überlebten, konnten sie doch nur lokale Wirksamkeit erreichen. Zunehmendes Gewicht erlangte die Frontorganisation des NKFD, in der etwa 2.000 deutsche Hitlergegner tätig waren, unter ihnen zahlreiche kommunistische Emigranten oder zur Roten Armee übergelaufene beziehungsweise ın Kriegsgefangenschaft geratene Mitglieder und Sympathisanten der KPD. Unter Einsatz ihres Lebens riefen sie die Angehörigen der
Wehrmacht
auf, die Waffen
niederzulegen
oder besser,
dic
Waffen umzukehren. Diesen Appellen folgend und ihre Furcht vor sowjetischer Gefangenschaft iiberwindend, sind so manche deutsche Soldaten dem sicheren Tod entgangen. Angehorige dieser Frontorganisation übernahmen in befreiten Gebicten nicht selten die zivile Verwaltung. Sie er6ffneten Ausbildungsstätten zur Schulung kiinftiger politischer Verantwortungstrager in sogenannten Frontschulen. In den Aktivititen der Frontorganisation des NKFD und spéter im Wirken der Initiativgruppen des Zentralkomitees der KPD kamen die von der Moskauer Parteifithrung verabschiedeten »Richtlinien für die Arbeit der deutschen Antifaschisten in dem von der Roten Armee besetzten deutschen Gebiet« am stirksten zum Tragen. In der Endphase des Krieges verstiarkten sich auch dic Verbindungen antifaschistischer Widerstandsgruppen zu ausldndischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. War an-
337
fangs Solidarität geübt worden, indem diese geschundenen Menschen mit Informationen versorgt, ihnen Nahrung und
Kleidung zugesteckt wurde, so häuften sich nun Kontakte zu
den sich auf ihre Befreiung vorbereitenden ausländischen Kollegen. In einer Reihe von Orten wurden gemeinsame Aktionen geplant und in Angriff genommen. Der kommunistische Widerstand in der Endphase des
Krieges stellt sich uns als ein Mosaik zahlreicher — mehr oder
weniger gut erforschter — Aktivitäten dar, verstreut über das ganze Land mit Schwerpunkten in den Industriezentren.Östlich der Oder verdienen die Widerstandsbewegungen ın Danzig,
ın Stettin, in der selbst noch nach dem
Fall von
Berlin umkämpften »Festung« Breslau und in Oberschlesien hervorgehoben zu werden. In Stettin entfaltete sich in Anschluß an die Widerstandsaktionen nach der Befreiung noch
auf Monate hinaus eine rege kommunistische Parteiarbeit. In
Breslau beteiligte sich ein Kampftrupp von Mitstreitern des NKFD an den militdrischen Aktionen an der Seite der Roten Armee, wihrend die Antifaschisten ın der Stadt die Kampfthandlungen der Wehrmacht innerhalb Breslaus zu lähmen suchten. Am 4. Mai noch ermordete hier die faschistische Soldateska 17 Antifaschisten. Im mittleren Teil Deutschlands, ın den von Osten sowjetische und vom Westen amerikanische und britische Truppen vordrangen, gehorten zu den Zentren des Widerstandes Städte wie Berlin, Chemnitz, Dresden, Halle, Jena, Leipzig, Magde-
burg oder Rostock. In Leipzig zum Beispiel entfaltete sich ein breites Netz der Bewegung Freies Deutschland, die auch gegeniiber den Vertretern der am
19. April einriickenden ameri-
(o)
kanischen Besatzungstruppen schr selbstbewul3t auftrat. »Der Riickhalt der Kommunisten in der Bevélkerung war zu diesem Zcitpunkt offensichtlich groß«, hieß es in einem fiir den amerikanischen Geheimdienst angefertigten Bericht.’ Im Mansfelder Land wirkte die Antifaschistische Arbeitergruppe Mitteldeutsch-
3
Dic folgenden Angaben stiitzen sich vor allem auf Helga Mceyer/Karlhcinz Pech: Unter Einsatz des Lebens. Antifaschistischer Widerstand in den letzten Monaten des Zweiten Weltkricges. Berlin 1985. Siche Ulrich Borsdorf/Lutz Nicthammer (Hrsg.): Zwischen Befreiung und Besatzung. Analysen des US-Geheimdienstes über Positionen und Strukturen dcutscher Politik 1945. Wuppertal 1976. S. 302.
338
lands, ın der Kommunisten und Sozialdemokraten eng zusammenarbeiteten. Sie war in vielen Betrieben verankert und hatte eine gut durchdachte politische Plattform erarbeitet, mit der sie auf die Bildung antifaschistischer Volks- und Biirgerausschiisse, die Schaffung einer antifaschistischen Polizei, einer
antifaschistischen Massenzeitung,
antifaschistischer Jugend-
und Sportorganisationen und auf die demokratische Kontrolle
der Wirtschaft orientierte. In Eisleben entwaffneten die Antifaschisten beim Eintreffen der amerikanischen Truppen die Polize1 und der BiirgerausschuB richtete sich ım Rathaus ein. In Siiddeutschland gehorten Städte wie Stuttgart und Mannheim oder das Bodenseegebiet zu Zentren, in denen sich der Widerstand wirksam entfaltete. In Miinchen versuchte die
Freiheitsaktion Bayern, die gegeniiber den Kommunisten
Di-
stanz wahrte, einen Aufstandsplan umzusetzen. In der Nacht zum 27. April sollten handstreichartig Schliisselpositionen in der Stadt besetzt werden. Nach Anfangserfolgen mifllang diese Aktion jedoch, und die Hinrichtungskommandos der SS
wiiteten ın Bayern.
In Westdeutschland ragte neben dem Ruhrgebiet vor allem Köln als Hort des Widerstandes heraus. Seit Herbst 1944 war es hier zu bewaffneten Zusammenstößen mit Polizei- und Wehrmachtsstreifen, aber auch mit Naziıfunktionären gekommen, von denen einige erschossen wurden — so ein Ortsgruppenleiter der NSDAP und der Leiter der Kölner Gestapo. Das Regime reagiert äußerst brutal. Widerstandskämpfer wurden grausam gefoltert, 13 von ıhnen ım Oktober 1944 ohne Gerichtsverfahren öffentlich hingerichtet, als Jüngster ein Sechzehnjähriger. Dennoch hielt der opferreiche Widerstand an. Einem Lagebericht der Generalstaatsanwaltschaft vom 30. Januar 1945 zufolge, befanden sıch unter den Festgenommenen »zahlreiche erfahrene Kommunisten, die vor dem Kriege lange Jahre ın Konzentrationslagern zugebracht hatte«.* Allein in den Monaten Januar bis März 1945 wurden in Köln mit oder ohne Gerichtsurteil weitere 1.800 Personen von den Faschisten ermordet. 4
Zit. nach Hclga Mcycr/Karlhcinz Pech: Unter Einsatz des Lebens. Antifaschistischer Widerstand in den Ictzten Monaten des Zweiten Weltkricges. Berlin 1985. S. 84.
339
An der Wasserkante konzentrierten sich die Widerstands-
aktionen in den Hafen- und Werftstädten Hamburg
und Bre-
men. In Hamburg appellierte ein antifaschistisches Flugblatt ım März 1945 an die Bevölkerung, die Verteidigung der Stadt zu verhindern, die Faschisten zu entwaffnen und weitere Zerstörungen nicht zuzulassen. In Bremen erwarben sich Kommunisten bleibende Verdienste um die Schaffung des Kampfbundes gegen den Faschismus, vor allem aber gingen hier Initiativen
von Angehörigen der SAP aus, zu der auch so mancher Vertreter der KPD(O) gestoßen war. Die Herausbildung dieses Kampfbundes geht bis in das Jahr 1944 zurück, seine eigentliche Wirksamkeit erreichte er jedoch nach dem Einzug der alliierten Truppen. In den
Zuchthidusern
und
Konzentrationslagern
wuchs
nicht nur die Hoffnung auf baldige Befreiung, sondern auch dic Sorge, welches Schicksal thnen ihre Peiniger noch in letzter Stunde bereiten wiirden. Die politischen Héftlinge waren Ja nicht nur die verhaßten Feinde des Nazis,
sondern auch die
untriiglichen Zeugen ihrer Verbrechen. »Kein Häftling darf lebendig in die Hände des Feindes fallen«, lautete Himmlers Befehl vom 14. April 1945.° Der letzte Kommandant des KZ Sachsenhausen, Anton Kaindl, bestdtigte nach seiner Verhaftung, daß Himmler ihm befohlen hatte, »das Lager durch Artilleriebeschull, Luftangrift oder Vergasung zu vernichten«.® Die politischen Héftlinge wußten, daß sie aufs Hochste gefährdet waren. So verstarken vor allem die Kommunisten in den Lagern ihre Bemiihungen, selbst Herr der Situation zu werden. In Buchenwald bereiteten sich die politischen Hiftlinge seit längerem unter strengster Geheimhaltung auf ihre Selbstbefreiung vor. Das seit Sommer 1943 bestehende Internationale Lagerkomitee unter Leitung des deutschen Kommunisten Walter Bartel vereinigte Kommunisten aus Deutschland, Frankreich, Italien, Jugoslawien, den Niederlanden, Osterreich, Polen, Spanien, der Tschechoslowakei und der UdSSR. Die
ctwa 900 Kämpfer erfassende internationale Militdrorganisati5 6
Siche
Heinz
Kihnrich.
Der
KZ-Staat.
Dic
onslager 1933 bis 1945. Berlin 1983. S. 207.
Zit. nach cbenda.
340
S. 196.
faschistischen
Konzentrati-
on vermochte
sich ein leichtes
Maschinengewehr
und
etwa
hundert Karabiner und ebensoviel Pistolen sowie Handgrana-
ten, Brandflaschen und Stichwaffen zu beschaffen. Zunächst
galt es vor allem die Evakuierung des Lagers zu verhindern,
die Dezimierung
der Häftlinge
auf Todesmärschen
und
ihre
Aufsplitterung in kleine, ihren Schergen hilflos ausgelieferte Gruppen.
Als sich am
11. Aprıl
1945
amerikanische
Panzer
dem Lager näherten und die Zersetzungserscheinungen in den
Wachmannschaften unübersehbar hervortraten, erging der Be-
fehl zum Angriff. Es gelang, das Lager zu befreien und dessen innere Ordnung und Versorgung durch das nun erweiterte und legal tagende Internationale Lagerkomitee zu gewährleisten. Erst zwei Tage spiter erfolgte die Ubernahme des Lagers durch amerikanische Truppen, deren erster Befehl die Entwaffnung der ehemaligen Héftlinge anordnete. Am 19. April fanden sich 21.000 ehemalige Héftlinge zu einer internationalen Trauerkundgebung zusammen, auf der sie den legendiren Schwur von Buchenwald ablegten: »Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Volker steht. Die Vernichtung des Nazismus und seiner Wurzeln 1st unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.«’
Im KZ Dora-Mittelbau in Nordhausen, wo Tausende deutsche und ausldndische Haftlinge in unterirdischen Fabrikstollen unter morderischen Bedingungen fiir die Raketenproduktion
schufteten, konnte der Aufstandsplan nicht verwirklicht werden, weil die SS die illegale Organisation enthauptete. Als einer ihren fiihrenden Köpfe wurde der Kommunist Albert
Kuntz am 23. Januar 1945 umgebracht. Auch im KZ Mauthausen bestand eine internationale illega-
le Lagerleitung, in der die KPD durch Franz Dahlem vertreten war. Am 4. Mai 1945 erzwang eine Delegation dieses Komitees vom neuen Lagerkommandanten — der alte war bereits
geflohen — die Ubergabe des Lagers an die Hiiftlinge. Militäri-
sche Einheiten der Hiftlinge besetzten in Mauthausen und Umgebung strategisch wichtige Punkte und bekdmpften SS-
7
Buchenwald. Mahnung Berlin 1961. S. 588.
und Verpflichtung,
Dokumente
und Berichte.
341
Einheiten. Auch in Mauthausen gehörte es zu den ersten Maßnahmen der am 7. Mai einrückenden amerikanischen Verbände, die ehemaligen Häftlinge zu entwaffnen.
Im KZ Dachau glückte es der Häftlingsorganisation die Evakuierung des Lagers zu verzögern. Zwei Gruppen von Häftlingen gelang die Flucht, von denen die eine Verbindung zu amerikanischen Truppen herzustellen vermochte, die dann am 28. April das Lager befreiten. Im KZ Neuengamme
begannen am
19. April die Evakuie-
rung und die Verladung auf mehrere Schiffe in der Liibecker Bucht, wodurch die Ausfithrung eines Aufstandsplanes durchkreuzt wurde. Auch ım KZ Sachsenhausen vermochte die SS noch Zchntausende Hiftlinge auf Todesmirsche zu schicken. Hier hatte die SS bereits am 11. Oktober 1944 bekannte kommunistische Funktionidre und Organisatoren des Widerstands im Lager — so Ernst Schneller, Matthias Thesen und Augustin Sandtner — erschossen. Die ım Lager zuriickgelassenen etwa 3.000 Haftlinge — unter thnen Frauen und Kinder — wurden am 22. April durch die Rote Armee befrett. Ahnlich verliefen die Geschehnisse im Frauenkonzentrationslager Ravensbriick. Auch hier wurden Ende April etwa 20.000 Hiftlinge auf den Todesmarsch geschickt. Widerstand
war auf all diesen Märschen nur méglich als Flucht einzelner
oder kleiner Gruppen und als solidarische Hilfe zum Uberleben. Auch im Zuchthaus Brandenburg-Goerden, wo zahlreiche kommunistische Funktionére — unter ithnen so mancher spéterc Spitzenfunktiondr der DDR wie Erich Honecker, Alfred Neumann, Waldemar Schmidt, Kurt Seibt — einsaf3en, bestand
eine gut funktionierende Héftlingsorganisation, die sich auf die Selbstbefreiung vorbereitete. Es gelang nach der Flucht der Zuchthausleitung die verbliebenen Beamten zu entwaffnen und dic Wachtiirme des zwischen den Frontlinien liegenden Zuchthauses
zu besetzen.
Die
ersten
einriickenden
Panzer wurden hier jubelnd begriift.
sowjetischen
Die meisten Kommunisten, die durch Befreiung, Sclbstbe-
frciung oder Flucht ihr Leben gerettet sahen, génnten
keinc Ruhe und Erholung, sondern nahmen
sich
sofort die politi-
sche Arbeit auf, anfangs noch in Strukturen, die sie sich unter 342
den Bedingungen der Haft geschaffen hatten. Doch dies ist bereits cin neues Kapitel der Geschichte. Wic vielschichtig zum Ausgang des Krieges die Situation
und wie unterschiedlich es um die Handlungsmöglichkeiten
deutscher Kommunisten
bestellt war, vermag
uns ein Blick
auf die Ereignisse am 1. Mai 1945® bewußtzumachen. Der Vorsitzende des Zentralkomitees der KPD Wilhelm Pieck stand an diesem Tag neben anderen Vertretern der inter-
nationalen
kommunistischen
Bewegung
auf der Tribüne
am
Roten Platz iın Moskau nahm die Maiparade mit ab — eine vorweggenommene Siegesparade, denn seit dem 30. April wehte auf der Ruine des Deutschen Reichstages in Berlin die rote Fahne und Hitler hatte sich bereits durch Selbstmord der Verantwortung entzogen. Am 1. Mai nahm die Rote Armee Rostock ein. Wenn entgegen den Befehlen der deutschen Militärs lebenswichtige Anlagen und Einrichtungen der Stadt nicht zerstört wurden, war dies wesentlich das Verdienst kommunistischer Widerstandskämpfer. Am gleichen Tage bildeten Angehörige beider Arbeiterparteien ein Ordnungskomitee. Ähnlich handelte eine Widerstandsgruppe zeitgleich in Stralsund. Am 1. Mai befreiten sowjetische Truppen das Konzentrationslage Sachsenhausen. Bevor ihre Peiniger gen Westen flüchteten, lieferten ihnen bewaffnete Häftlinge noch ein Gefecht, überwältigten 40 SS-Leute und übergaben sie der Ro-
ten Armee. Auch für manche Kommunisten, die sich auf dem Todesmarsch befanden, brachte der 1. Mai die Freiheit durch
vorstoßende sowjetische Gruppen,
so auch Max
Opitz und
Ottomar Geschke, die von eıner Einheit der Roten Armee so-
fort nach Berlin mitgenommen wurden. Auch eine Gruppe Fraucn des Fraucnlagers Ravensbrück — unter thnen Rosa Thälmann —- die den Weitermarsch verweigert hatte, konnten am 1. Mai ihre Befreier begrüßen. Nun banden sie ihre seit langem vorbereiteten roten Kopftücher um. Eine größere Gruppe von befreiten Häftlingen des Zuchthauses Brandenburg-Goerden, die sich auf dem Weg nach Berlin befand, rastete am 8
1. Mai auf einem verlassenen Bau-
Siche Günter Benser: Der 1. Mai im Jahr der Befreiung. In: BzG. Berlin (1977)2. S. 219-232.
343
ernhof in Wernitz. Sie begingen den Kampftag der Arbeiterklasse, in dem sie mit Fahnen und Transparenten in deutscher und russischer Sprache durch das Dorf zogen und iıhre vertrauten Kampflieder sangen — zum Erstaunen nicht nur der Dorfbevolkerung, sondern auch der sowjetischen Soldaten. Die Maiansprache hielt der Kommunist Wilhelm Thiele. Eine andere Gruppe chemaliger Insassen des Zuchthauses Brandenburg-Goerden hatte zu dieser Zeit Bagow erreicht. Auf ihrer Maikundgebung sprachen der Kommunist Martin Schmidt und der Sozialdemokrat Otto Buchwitz. Beide mahnten zur Einheit der Arbeiterklasse. Am 30. April hatte sich die erste, von Walter Ulbricht geleitete, Gruppe von Beauftragten des Zentralkomitees der KPD auf die Reise nach Deutschland begeben. Am 1. Mai befand siec sich auf dem
Weg
nach
Bruchmiihle
bei Strausberg, wo
sie zundchst Quartier bezog, wihrend Walter Ulbricht noch am gleichen Tage in Begleitung sowjetischer Offiziere zu einer Inspektion nach Berlin fuhr. Am Abend des 1. Mai fanden sich dic Mitglieder der Gruppe zu einer Maifeier besonderer Art zusammen. Ulbricht berichtete, wie er die verwiistete und noch immer umkämpfte deutsche Hauptstadt vorgefunden
hatte; Karl Maron hielt eine schwungvolle Rede über das bevorstehende Wiedersehen mit Berlin. Wihrend in Moskau die Maidemonstration im Gange war, begab sich hier die zweite,
von Anton Ackermann geleitete, Gruppe von Beauftragten des Zentralkomitees auf den Weg nach Deutschland. Auch im Kreise der Frontbeauftragen des Nationalkomitees Freies Deutschland wurde der 1. Mai in der GewiBheit des unmittelbar bevorstehenden Sieges über den Faschismus begangen. So organisierte zum Beispiel Bernhard Bechler eine Maikundgebung im bereits von der Roten Armee besetzten Berlin-Wittenau. Auch in anderen bereits befreiten Bezirken Berlins fanden sich kleine Gruppen Kommunisten und andere Antifaschisten am 1. Mai zusammen, gedachten ihrer gefallenen Genossen, sangen die Lieder der internationalen Arbeiterbewegung und befaßten sich mit den bevorstehenden Aufgaben —so ın Lichtenberg und Ké6penick. Im seit wenigen Wochen von westalliierten Truppen befreiten Thiiringen hatte die antifaschistische Bewegung im Konzentrationslager Buchenwald ihr politisches Zentrum. Hier
344
versammelten sich auf dem Appellplatz am 1. Mai Angehörige von 33 Nationen zu einer großen Kundgebung unter den Klängen ihrer nationalen Freiheitslieder. Sie gelobten, jeder an seinem Platze, den Kampf für Frieden, Freiheit und Fortschritt fortzusetzen. Ähnliches ließe sich vom Konzentrationslager Dachau berichten, während sich die Häftlinge des Konzentra-
tionslagers Mauthausen noch immer in den Händen ihrer Schergen befanden. Die deutschen Kommunisten und Antifaschisten mußten
jedoch gerade am
1. Mai
auch neue ernüchternde
Erfahrun-
gen machen. Häftlingen des Konzentrationslagers Dora ın Nordhausen wurde vom amerikanischen Stadtkommandanten nicht nur eine Maikundgebung untersagt, es kam sogar zur kurzzeitigen Verhaftung von Kommunisten und anderen Antifaschisten, die eben erst den Kerkern der Nazis entronnen wa-
ren. Auch anderenorts konnte der 1. Mai nur im Verborgenen
begangen
werden,
so in Jena, wo
sich deutsche Antifaschi-
sten heimlich mit ehemaligen polnischen und tschechoslowakischen Häftlingen ım Gewerkschaftshaus trafen. Auch ın Städten
wie
Erfurt,
Eisleben,
»Neues
Deutschland«,
Sangerhausen,
Zwickau
oder
Leipzig umgingen Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter die Verbote mit geheimen Treffen oder Ersatzdemonstrationen. Hingegen scheint es Miinchen gelungen zu sein, eine Maikundgebung mit 1.500 Teilnehmern zu veranstalten. In Singen wihlten die Antifaschisten den 1. Maı symbolisch als Erscheinungstag der ersten Nummer ihrer Zeitung die von Kommunisten
und
Sozialde-
mokraten gemeinsam herausgegeben wurde. Doch bereits nach ihrer zweiten Nummer mußte dieses Blatt auf Grund eines Verbotes der franzosischen Besatzungsbehorden Mitte Maı sein Erscheinen einstellen. Gewiß — es war eine verschwindende Minderheit, die sich
in den Wirren und Gefdhrdungen der letzten Kriegswoche des
Kampftages der internationalen Arbeiterklasse erinnerte, doch
ihr Tun bezeugte, daß nicht alle Traditionen ausgemerzt waren. Und es kiindigte sich bereits an diesem Tage an, daß es dic kommunistische Bewegung mit sehr unterschiedlichen Haltungen von Besatzungsbehorden zu ihren Bestrebungen und threm organisatorischen Neubeginn zu tun beckommen wiirde.
345
Anhang 1.
Kommentiertes Personenregister”
Abramow, Alcxander Lasarcwitsch (1895-1937) Scit 1916 Bolschewik, scit 1918 illeg. Tätigkeit in Westcuropa, darunter 1920 bis 1921 Ltr. des Berliner Büros des Nachrichtendienstes der Komintern OMS, danach in verschicdenen Geheimfunktionen der Komintern, 1936 Ltr. der OMS in Moskau. 1937 vom NKWD verhaftet, zum Todc
verurteilt und hingerichtet.
722
Abshagen, Robert (1911-1944) Ab 1931 Mitgl. der KPD. Nach
zu 2,5 Jahren Zuchthaus
1933 im Widcrstand aktiv, verhaftet, 1934
verurteilt, danach
ım KZ
Sachscnhauscn
verbracht.
Nach scincr Entlassung ım Jahr 1939 crncut im Hamburger Widerstand ak-
tiv, ım Oktober
1942
tcilt und hingerichtet. Abusch,
Alcxander
verhaftet,
vom
179, 188
VGH
im
Mai
1944
zum
Todc
verur-
(1902-1982)
KPD-Mitgl. scit der Griindung, 1921 bis 1934 Red. und Chefred. von KPDZcitungen. 1936 bis Scptember 1939 in Paris Chefredakteur der illeg. »Rotcn
Fahnc«,
1939
bis
1940
in
20,
327,
Siidfrankrcich
intcrnicrt,
1940
bis
1941
Mitgl. der KPD-Lcitung fiir Frankreich. Im Oktober 1941 Emigration nach Mcxiko, dort Mitbegr. der Bewegung »Freics Deutschland«, Mitgl. des Partcisckrctariats der KPD-Partcigruppe in Mcxiko und Chefredakteur der Zcitschrift »Freics Dcutschland — Alemania Librc«. Im Juli 1946 Riickkchr nach Dcutschland, dann in der SBZ Ltr. der idcologischen Abt. des Kulturbundcs. Im Zusammecnhang mit der Nocl-H.-Ficld-Affére zeitweise sciner Funktionen
Ackcermann,
cnthoben. Anton
329
(1905-1973)
Eintritt in dic KPD 1926, scit Oktobcr 1935 Mitgl. des ZK und Kandidat dcs Polbiiros der KPD. Mitbcgriinder des NKFD und Chefredaktcur des *
Das Register stiitzt sich ncben anderen Quellen besonders auf Hermann Webcer/Andrcas Herbst: Dcutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Berlin 2008.
347
NKFD-Scnders.
Kehrte
am
1. Mai
Adam,
(1893-1978)
1945
als Leiter ciner »Initiativgruppc«
der KPD nach Dcutschland zurück. Nach dem 17. Juni 1953 aus allen Partcifunktionen cntfernt und mit ciner strengen Riige bestraft. Am 4. Mai 1973 beging er Selbstmord. 18, 21, 23-25, 160, 163, 167, 265, 276, 280, 283, 291, 299, 303, 344 Wilhelm
Scit 1923 Mitgl. der NSDAP, Teilnchmer am Hitler-Putsch in Miinchen. Gerict als Adjutant 1943 bei Stalingrad in sowjct. Kricgsgefangenschaft, besuchte dic Antifa-Schulc in Krasnogorsk, Mitgl. des Bundes Dcutscher Offi-
zicre. 1948 Riickkchr nach Deutschland und Mitbegr. der NDPD. Adcnaucr,
Konrad
239
(1876-1967)
1917 bis 1933 Obcerbiirgermeister von Köln, 1920 bis 1933 Pris. des Preuß.
Staatsratcs. Mitbegriinder der CDU(West) Alpari, Gyiila (Dcckname
und crster Kanzler der BRD.
40
Julius) (1888—1944)
Griindungsmitgl. der KP Ungarns. Verantwortl. Red. der deutschen Ausgabe der »Inprckorr«, scit März 1933 der in Bascl crscheinenden »Rundschau iber Politik, Wirtschaft und Arbciterbcwegung«. 1935 zusammen mit der Redaktion
nach
Frankreich, ab
1939 durch dic Komintern
ris verhaftet,
138
Apclt,
ins KZ
1938 standiger Mitarb. der Zcitschrift »Kl,
sciner polit. Funktionen cnthoben,
Sachscnhausen
Fritz (Deckname
Becker)
verbracht
und
dort
1944
1940 in Pacrschossen.
(1893-1972)
Scit 1914 SPD, 1918 USPD, 1921 Ubertritt zur KPD. 1933 bis 1934 inhafticrt, 1935 Emigration nach Moskau, dort in der Presse- bzw. Propagandaabt. der Exckutive der Komintern Korrcspondent und dann Red. der dcutschen Rundfunksendungen bis zur Auflosung der Komintern im Jahre 1943. Von 1943 bis 1944 am sog. »Institut Nr. 205« und von 1944 bis 1945 am sog. »Institut Nr. 99« crncut Rundfunkred. Im Juni 1945 Riickkchr nach Decutschland, in der SBZ tungen. /19, 123, 265
Armand, Inna (1898-1971) Scit 1918 in der RKP(B), Tochter von
Chefredaktcur
von
Incssa Armand,
Gewerkschaftszei-
bis
1935
verhciratet
mit Hugo Eberlein. Wihrend des Zweiten Weltkricges Mitarb. am IML in Moskau.
117
Arndt, Fritz Siche: Mewis, Karl Aufhäuser, Sicgfricd (1884-1969) 1912 SPD, 1917 USPD, 1922 SPD;
scit
1913,
hauptbcruflicher
Sckretir
des Bundes der technischen Angestellten, ab 1920 geschiftsfithrender Vorsitzender
der Arbeitsgemeinschaft
freicr Angestellten
und
Beamten
(AfA),
1921 bis 1933 MdR. Nach 1933 Emigration in dic Tschechoslowakei, gehorte dem sozialdemokratischen Emigrationsvorstand an, aus dem cr 1935
348
zusammen mit Karl Böchel ausgeschlossen wurde; gründete gemeinsam mit
dicsem dic Revolutionären Sozialisten Deutschlands (RSD), Mitunterzeichner des »Aufrufes an das deutsche Volk« des » Volksfrontausschusses« in Paris. Nach dem Münchner Abkommen nach Paris, 1939 nach New York, dort
schriftstellerische und publizistische Tatigkeit; im Mai 1944 Mitbegr. des Council for a Democratic Germany. 1951 Riickkehr nach Decutschland und 1952 bis 1959 Vors. des DAG-Landcsverbandes
Bach,
Johann
Scbastian
Komponist, Musiker. Bambecrger,
Wilhclm
Berlin.
296
(1685-1750)
769
(1910-??)
Scit 1929 KPD. 1934/1935 Besuch der Lenin-Schule in Moskau, 1936/ 1937 Instruktcur der KPD und des KJVD in Prag, Berlin und Paris, 1939 nach GroBbritannicn und Mitgl. der dortigen KPD-Leitung. 1946 Riickkchr
nach Dcutschland,
Partcifunktionen
Bardach, Janusz (gecb. 1919)
ın der SED.
3716
Arzt. Jidischer Intellektucller aus Wlodzimicrz-Wolynski. Bartel,
Walter
29
(1904-1992)
KPD 1923, ab 1925 Mitglicd des ZK des KJVD. 1936 »wcgen Feigheit« aus der KPD ausgeschlossen. Nach Besctzung der CSR verhaftet und in das KZ Buchenwald verbracht, wo er der illegalen KPD-Leitung angchérte und ab 1943 als Vorsitzender des illeg. Lagerkomitees maB3igeblich an der Vorbereltung der Sclbstbefreiung des Lagers beteiligt war. Nach 1945 in der SBZ Vors. des Jungpionicrverbandes. Am 11. März 1946 wurde der Partciausschluß aufgchoben, und er wirkte bis 1953 als personlicher Referent Wilhelm Piecks. 197/, 200 Barth, Karl (1886—1968) Schweiz. protestantischer Theologe. Beeinflußte stark dic kritische Auscinandcrsctzung der Evangelischen Kirche mit dem Nationalsozialismus. 312 Bästlcin,
Bernhard
(1894—-1944)
SPD 1914, 1918 USPD, kam im Dezember 1920 mit dem linken Fligel ın dic KPD. 1921 Emigration in dic Sowjctunion. Nach Amnestic 1923 Riickkehr nach Dcutschland. 1924 bis 1933 als Rcdaktcur und Funktionédr der KPD in verschiedenen Partcibezirken tätig. Noch am 5. März 1933 in den Reichstag gewihlt, wurde er mit dem Aufbau der illegalen KPD-Organisation im Raum Frankfurt am Main bcauftragt. Im Mai 1933 vcrhaftet, verbrachte cr sicben Jahre im Zuchthaus und KZ. 1940 cntlasscn, bautc er mit Robert Abshagen und Franz Jakob cinc Widerstandsgruppe auf. 1942 ecmcut verhaftet gelang ihm 1944 wihrend cines Luftangriffs in Berlin dic Flucht. Anschluss an dic Widcerstandsgruppe um Anton Sacfkow. Im Mai 1944 crncut verhaftet und zum Tode verurteilt; am 18. Scptember 1944 hingerichtet. 179, 183, 188, 223f, 226, 284, 293
349
Baum,
Herbert
(1912-1942)
Gründete 1937 in Berlin cinc Widerstandsgruppe, 1942 nach dem Brandanschlag auf dic antisowjct. Nazi-Propagandaausstellung verhaftet, in der Haft vermutlich Sclbstmord. 227, 226 Bebel, August (1840-1913)
Dcutscher sozialdem. Politiker, 1869 Mitbegr. der Sozialdemokratischen Arbcitcrpartei, 1892—1913 ciner der beiden Vorsitzenden der SPD. 5/ Becher, Johannes R. [Robert] (1891-1958) Eintritt in dic USPD 1917, Mitgl. der KPD scit Griindung. Dichter und Schriftsteller. Mitbegriinder und Vors. des Bundes prolctarisch-revolutioné-
rer Schriftsteller. Scit 1935 in der UdSSR,
dort Chefredaktcur der deutschen
Ausgabc der Zcitschrift »Internationale Litcratur« und Vors. der dcutschen Scktion im sowjct. Schriftstcllerverband. 1943 Mitbegriinder des NKFD. Im Juni 1945 Riickkchr nach Dcutschland. 2517, 265. 277-280. 326 Bcchler,
Bernhard
(1911-2002)
Ab 1939 Adjutant bcim Generalstab des Oberkommandos des Heeres, ab 1942 Major und Bataillonskommandcur der 6. Armcc, gerict 1943 bei Stalingrad in sowjct. Kricgsgefangenschaft, absolvierte dic Antifa-Schule in Krasnogorsk bci Moskau, 1943 Mitbcgr. und 1944 Frontbevollméchtigter des NKFD, nach dem Kricg in der Stadtverwaltung Berlin, ab 1946 Inncnminister des Landcs Brandenburg. 344 Becker Siche: Apclt, Fritz. Beek, Cato Bontjes van (1920-1943) Begann ihre Widerstandstitigkeit gegen den Nationalsozialismus in Bremen, war dann in der Berliner Gruppe der »Roten Kapelle« aktiv, befreundet mit Heinz Strelow; 1942 zusammen mit ihrem Vater von der Gestapo in Berlin verhaftet, vom Rcichskricgsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 227 Becethoven, Ludwig Komponist. /69 Bchrens,
Karl
van
(1770-1827)
(1909-1943)
1931 aus der NSDAP ausgceschlossen wegen Kritik an Hitler, bald darauf zur KPD, scit 1932 mit Mildred und Arvid Harnack bcfrcundct, unterstiitzte deren Widerstandstatigkeit durch scine Kontakte zu Berliner Industricbetricben. 1942 in scinem Truppenteil an der Ostfront verhaftet, nach Berlin gcbracht, vom Rcichskricgsgericht zum Todc verurteilt und hingerichtet. 213 Below, Georgi (cigentl. Damjanoff, Georgi Parvanoff) (1892-1958) 1912
Sozialist-Tesnjak.,
1919
KP
Bulgariens,
1923
Flucht
nach
Moskau,
dort Ausbildung an der Militdrakademic. 1929 bis 1935 im Auslandsbiiro der
350
KP Bulgaricns in Moskau, Exckutive
der
spätestens ab Juni
Komintern,
dann
deren
1936 Ltr. der Kadcrabt. der
stellv.
Ltr.,
1942
bis
1943
wicder
Ltr. Ab 1943 Mitgl. der Kommission der Exckutive für die Arbeit mit den Kricgsgefangenen, war Mitgl. der Liquidationskommission der Komintern. 1944 Rückkchr nach Bulgaricn, dort 1945 bis 1954 Mitgl. des PB, 1946 bis 1950 Minister für nationale Verteidigung, dann Präs. der Nationalversammlung. 122f, 129, 135, 138 Berija, Lawrenti Pawlowitsch (1899-1953) Scit 1938 unter verschiedenen Amtsbezeichnungen Chef der sowjctischen Staatssicherheitsorgane (NKWD, MWD, MGB), mitvcerantwortlich für den Terror der Stalin-Zcit. Scit 1946 Mitgl. des PB bzw. des Präsidiums des ZK
der KPdSU. Wurde nach dem Tod Stalins verhaftet, am 23. Dezember zum Todc verurteilt, am selben Tage erschossen. 7/32f., 159
Bernhard, Georg (1875-1944) Linkshibcraler Antifaschist,
Red.
verschiedener
des Volkerbundces
in Sadfrankreich
Zeitungen,
1953
u. a. »Berliner
Morgcnpost«, »Berliner Zcitung«, »Vossische Zcitung«. 1933 Emigration nach Paris, dort publizistischc Téatigkeit; nahm 1936 als Vertreter der Vercinigung dcutscher Emigranten in Frankreich an der Flichtlingskonferenz USA.
29
teil.
1940
Bertram, Adolf (1859-1945) Scit 1906 Bischof von Hildeshcim,
1916 Kardinal.
Diözesanen,
interniert,
1941
Flucht ın dic
scit 1914 Fiirstbischof von Breslau, scit
Umstritten ist scin Vcrhalten gegeniiber scinen polnischen
insbesondere
in der Zeit des Zweiten Weltkricges, sowic gene-
rcll scin beschwichtigendes Takticren gegeniiber dem Nationalsozialismus. Der Kardinal vermicd alles, was zum Staat hittc führen konnen. 296 Bertz,
Paul
(Dceckname
Mcwis)
offencn
Bruch
zwischen
Kirche
und
(1886—1950)
Mitgl. der KPD scit ihrer Griindung, Pollciter in Chemnitz, Abg. im Sédchsischen Landtag, 1924 und crncut 1928 MdR. Scit 1929 Kand. des ZK. 1933 Pollciter in Hamburg, Obcrberater im Westen sowic ab 1934 in BerlinBrandenburg. Emigration in dic Schweiz. Teilnahme am VII. WeltkongreB3. Auf der »Briisscler« und »Berner« Parteikonferenz ins ZK gewählt. 1939 ın Frankrecich
internicrt,
konnte
1940
in dic
Schweiz
flichen,
dort
fithrende
Rolle in der KPD-Emigration und cnger Kontakt zu Nocl H. Ficld. 1945 Riickkchr nach Berlin, dort verschiedene untergeordnete Funktionen (Bertz hatte dic Vercinigung mit der SPD abgclchnt). Im Zusammenhang mit der Nocl-H.-Ficld-Affdre von der ZPKK der SED der Agententitigkeit für dic USA beschuldigt, beging cr am 19. April 1950 Sclbstmord (offizicll: Tod durch Herzversagen). /18, 25, 315 Bessonow,
Scrgej
(1892-1941)
Diplomat, in den 1930cr Jahren Ltr. der 6kon. Abt. der sowjet. Botschaft in Berlin, 1938 in Moskau zu 15 Jahren Gefdngnis verurteilt, ım Gulag gestorben. 277
351
Besymenski,
Lew
A. (1920-2007)
Militärhistoriker. Im Zweiten Weltkricg als Dolmetscher und Aufklärer für dic Marschälle Shukow und Rokossowski tätig; dolmetschte u. a. 1943 in Stalingrad bei der Vernchmung von Generalfeldmarschall Paulus. 7/6, 33, 147, 216 Bischoff, Charlotte (1901-1994) Scit 1923 Mitgl. der KPD. 1934 Emigration
nach
Moskau,
wo
sic für den
Nachrichtendienst der Komintern tätig war, ab 1938 in Schweden fiir dic Abschnittslcitung Nord der KPD. Nach kurzzeitiger Inhafticrung betreute sic fiir dic IRH cmigricrtc dcutschc Kommunisten; 1941 illcgale Einrcisc nach Dcutschland, wo sic in Berlin mit verschicdencn Widcerstandsgruppen im Umfcld der »Roten Kapcelle« sowic im Umfeld der Zcitschrift »Inncre Front« (opcrative Lcitung der KPD in Decutschland) zusammcnarbeitcetc. Sic gchoérte zu den ganz wenigen Mitgliedern der Widerstandsgruppen, dic der Verhaftung cntgchen konnten und gewihrleistete, daß auch nach der Fcstnahme zahlrcicher andcrer Widerstandskdmpfer dic »Innerc Front weiterhin crschicn; sic blicb uncrkannt bis zum Kricgsendc in Berlin. 222 Bismarck. Otto von PrcuBisch-dcutscher 243 Blochwitz,
Herbert
(1815-1898) Politiker, von
1871
bis
1890
Rcichskanzler.
241,
(1904—-1944)
Mitgl. der KPD, nach 1933 in Dresden aktiv im Widerstand gegen den Na-
tionalsozialismus, Bochel,
Karl
verhaftet
und
hingerichtet.
787
(1884—1946)
1910 SPD. Red. und Bcrichtserstatter mchrerer sozialdemokratischer Zeitungen. Scit 1926 Mitglicd des Séchsischen Landtages. Mitarbeit an der Linkssozialdecmokratischen Zcitschrift »Der Klassenkampf«. 1933 in den Partcivorstand der SPD gewihlt, gehorte er scit August 1933 dem sozialdemokratischcn Emigrationsvorstand an, grenzte sich jedoch von der rechten Mchrheit ab. Gemeinsam mit Sicgfricd Aufhduscr Bildung des Arbeitskreiscs Revolutionirer Sozialisten; 1935 aus dem Emigrationsvorstand ausgeschlosscn. Trat für Zusammenarbeit mit KPD cin. 1937 Austritt aus dem Arbeitskrcis Revolutiondrer Sozialisten, Ubcrsicdlung nach Norwegen. Scit 1939 gelähmt. Bock,
Fcdor
296
von
(1880-1945)
Generalfeldmarschall der Wehrmacht. 1938 maBgceblich an der Besetzung des Sudetenlandes und Österreichs beteiligt, 1939 beim Überfall auf Polen Befchlshaber der Heeresgruppe Nord, 1940 Oberbefehlshaber der Heeresgruppc B, dic Belgien und die Nicderlande überfällt, im Oktober 1940 zum Obcrbefchlshaber der Wehrmachtstruppen im besetzten Teil Polens ernannt, beim Überfall auf dic UdSSR Oberbefchlshaber der Heeresgruppe Mittc, ab Januar 1942 der Heeresgruppe Süd; kritisierte die Zersplitterung der sog. »Sommecroffensive« gegen Stalingrad und den Kaukasus und deshalb von Hitler ın den Ruhestand versetzt. 250
352
Bogdanow, Nikolaj Petrowitsch (1896—??) Sowjct. Gewerkschaftsfunktionär, 1939 bis 1941 Vors. der IAH.
729
Bohme, Karl (1914-1943) In Berlin am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt, Kontaktc zum Nctzwerk der »Roten Kapelle«. 222 Bonncet, Georges (1889-1973) Franz. Politiker, Radikalsozialist. Von 1926 bis 1936 in verschicdenen Ministcrdmtcern, 1938/1939 AuBenminister, Vertreter der Beschwichtigungspolitik. 1941 Mitgl. des Nationalrats der Vichy-Regicrung, nach Kricgsende
im Schweizer ter. 45
Exil,
Boock,
(1891-1961)
Georg
1951
Riickkchr
in dic
franz.
Politik,
1956 Abgcordnc-
1920 USPD, 1922 SPD, 1927 bis zur Amtscnthcbung 1933 1. Bürgermeister von Wurzen, spiter Kontakte zur Widcerstandsgruppe Schumann-EngertKresse. Am 27. Juli 1944 verhaftet und zu 3 Jahren Zuhthaus verurtcilt. 1945 zur KPD und bis 1946 wicder Obcerbiirgermeister von Wurzen, danach bis 1961 von Erfurt; dancben verschiedene Funktionen im Dcutschen Städtctag der DDR. 779 Boyscn, Maric Luisc Mutter von Harro Schulzc-Boysen.
276, 218
Braginski-Isracli, Joscf Samuilowitsch (1905-1989) Historiker und Philologe, scit 1925 KPdSU(B). 1943
bis
1944
Lchrer
am
»Institut Nr. 99«, dann bis Kricgsende in der 7. Abt. der Polit. Hauptverwaltung der Roten Armec Ltr. der deutschen Scktion. 259 Brandlcer, Heinrich (1881-1967) 1919 Mitgl. des ZA, der cngeren
Leitung der KPD.
1922
fiihrender Politi-
ker der KPD, mafigeblich betciligt an der Vorbereitung des »Dcutschen Oktobers« 1923, Nach dessen Scheitern wurde cr Anfang 1924 mit August Thalhcimer »wegen opportunistischer Fehler« aller Funktionen in der Zentralc der KPD cnthoben und nach Moskau beordert. Da cr polizeilich gesucht wurde, mußtc cr Dcutschland verlassen. In Moskau wurde er in dic KPdSU(B) aufgecnommen, mit Ehrendmtern in Partci und Staatsapp. bc-
traut, um thn von der KPD und scinen pol. Frecunden zu isolicren. Im Oktober 1928 gegen den Willen der KPdSU(B)- und KPD-Fiihrung Riickkchr nach Decutschland, Mitbegr. der KPD(O), Ausschluß aus der KPdSU(B) und
der KPD.
Von Endc
1928 an Mitgl. der RL der KPD(O),
tär. Emigration in Frankrcich und auf Kuba. Brauchitsch,
Walter
von
298
ab 1931
ihr Sckre-
(1881-1948)
Offizier, Generalfcldmarschall (1940). Entzog sich 1938 und 1939/1940 Plancn zu cinem Staatstrcich aus dem Hcer. Leitete im Zweiten Weltkricg formal dic Feldziige gegen Polen, Frankreich, Jugoslawicn und Gricchenland: gerict nach dem Uberfall auf dic Sowjctunion immer mchr in Gegensatz zur
353
den Plänen Hitlers und bat um scine Entlassung, dic ihm im Dezember 1942 gewiahrt wurde; starb ın brit. Haft.
166
Braun, Paul Siche: Guddorf, Wilhelm.
Bredel, Willi (1901-1964) Eintritt
in
dic
KPD
1919.
Redaktcur
kommunistischer
Zcitungen
und
Schriftsteller. Nach KZ Flucht aus Deutschland, Kricgskommissar in den Intcrnationalen Brigaden in Spanicn. 1938 bis 1939 Mitarb. des KPD-Auslandsbiiros
in Paris, dann
nach
Moskau.
1939 bis
1944
Mitarb.
dcs sowjet.
Radios, Mitbegriinder des NKFD und ab 1943 zustandig für dessen Sendungen, dancben 1944 am sog. »lnstitut Nr. 99« Instruktcur fir Frontarbceit und Arbcit mit Offizicren u. a. Kchrte Anfang Juni 1945 als Mitglicd ciner »Initiativgruppe« der KPD nach Dcutschland zuriick. 326 Browdecr, Earl (1891-1973) 1929 bis 1944 Genceralsckretar der KP der USA. Löste 1944 dic Parteı auf; nach dem Wicdcraufbau der Partei 1945 wurde Browder 1946 aus der Partei
ausgeschlossen.
27
Briickmann, Gcorg (Miiller, Albert) (1903-1942) Scit 1920 Jugendverband der USPD, dann zur komm. Jugend. Hatte ab 1931 verschicdene Funktionen in der Komintern inne, zulctzt ab 1935 als Referent der Kaderabt. (»nKader-Miiller«). 1938 vom NKWD verhaftet, kam im
Gulag um, 1956 rchabiliticrt. l}ruckncr, Ferdinand Osterr. Dramatiker.
126
(1891-1958) 202
Buber-Ncumann,
Margarcte
(1901-1989)
Buch,
(1921-1943)
Schriftstellerin. 1926 KPD, Frau von Hcinz Ncumann, 1933 Emigration nach Moskau, 1937 in der UdSSR zu Zwangsarbcit verurteilt, 1940 nach Dcutschland ausgclicfert und bis Kricgsende im KZ Ravensbriick interniert. 124 Eva-Maria
Frcundin von Wilhclm Guddorf, über den sic Kontakt zur »Roten Kapelle« fand; im Oktober 1942 verhaftet, vom Rcichskricgsgericht im Fcbruar 1943 zum Todc verurteilt und trotz Gnadengesuch ihrer Eltern hingerichtet. 205, 222 Buchwitz,
Otto
(1879-1964)
1898 SPD, 1924 bis 1933 MdR. Emigricrtc 1933 nach Dincmark, wo cr 1940 vcrhaftet wurde. Verurteilung zu acht Jahren Zuchthaus. Nach Befreiung aus dem Zuchthaus Brandenburg-Goérden Vors. des LV Sachsen der SPD, dann der SED. 344
354
Budzislawski, Hermann Dr. rer. pol. (1901-1978) Journalist, wirtschaftspolitischcr Mitarb. der »Weltbiihne«,
1929
bis
1933
SPD. 1933 Emigration nach Ziirich, dann nach Prag, dort Vors. dcs »Dcutschen Volksfrontkomitees«. danach des Ausschusscs Dcutscher Oppositioncller in Paris; dancben Hrsg. und Chefred. der »Ncuen Weltbithne«. 1939 bis 1940 in Frankrcich intcrnicrt, 1940 Flucht in dic USA, wo cr publizistisch tätig ist. 1944 Mitbegr. des Council for a Democratic Germany. 1948
Riickkchr nach Dcutschland, Mitgl. der SED, Prof. an der Universitdt Leipzig, ab 1963 Pris. der UNESCO-Kommission der DDR. 29 Bullock, Alan
Louis Charles
Baron of (1914-2004)
Brit. Historiker; Autor mchrerer Biographicn über Adolf Hitler. Cachin,
Marcel
746
(1869-1958)
Mitbegr. der KP Frankrcichs 1920, wurde Mitgl. des ZK und des PB, lcitete 1923 dic Protcstaktioncn gegen dic Ruhrbesctzung. 1935 crster kommunistischer Scnator. Wihrend des Zweiten Weltkrieges aktiv in der Widerstandsbcwegung. 1946 provisorischer Präs. der Nationalversammlung. 53 Callam, Albert (1887-7?) KPD scit Griindung, 1922 bis 1925 im ZK. 1933 vcrhaftet, 1934 wicder freigclassen, Emigration nach Frankreich, dann nach Mcxiko, dort Geschiftsfiihrer der Zeitschrift »Freics Dcutschland — Alemania Libre«. 327 Chambecrlain,
Von
Arthur
Neville
(1869-1940)
1918 bis 1940 Untcrhausmitgl., Mai
stcr Groflbritannicns.
1937 bis Mai
20. 33, 44f., 52. 58, 61f.
Churchill, Sir Winston Lconard Spencer (1874-1965)
Konscrvativer 263, 300 Clauscwitz,
Politiker,
Precmicrminister
Carl von (1780-1831)
Prcuß. Offizicr und Kricgshistoriker.
Commons,
John
Roger
1940 Precmicrmini-
Grof3britannicns.
151,
178,
237
(1862-1945)
US-amerik. Okonom und Soziologe. Hattc großen EinfluB auf dic Ausgcstaltung dcs von Prisident Rooscvelt initiierten New Deal. 270 Coppi, Hans (1916-1942) Ab 1932 komm. Jugend. Nach 1933 inhaftiert, freigelassen und crncut ım Widcrstand aktiv, ab 1939 in der Widcrstandsgruppe um Wilhclm Schiirmann-Horster. Harro Schulze-Boysen gewinnt Coppi im Juni 1941 fiir dic Aufgabe, cinc Funkverbindung der Widcerstandsorganisation in dic Sowjctunion herzustellen, was jedoch nicht zustande kommt. Coppi betciligt sich an Flugblatt- und Zcttclkicbcaktioncn und kiimmert sich im August 1942 um den aus Moskau cingetroffenen Fallschirmagenten Albert HoBler. Im Scptember 1942 zur Wchrmacht cinberufen, wenige Tage später verhaftet,
355
vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am sclben Tag hingerichtet. 208, 222 Czollck,
Walter
(1907-1972)
Scit 1929 Mitgl. der KPD. 1934 zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt, ım Gefangnis Luckau inhafticrt, danach bis 1939 in den KZ Lichtcnau, Dachau und Buchenwald.
Nach der Freilassung Emigration nach Shanghai, wo cr dic
KPD-Gruppe leitete, bis 1947 als Ubcrsctzer und Sprecher der deutschsprachige »Stimme der Sowjctunion in Shanghai« beschiftigt und lcitete bis 1941 cinc illeg. Radiostation der KP Chinas. 1947 Riickkchr nach Dcutschland. 327 Dahlem,
Franz
(1892-1981)
hochsten
Partcigremicn
1920 Mitgl. der KPD, ab 1927 Mitglicd des ZK, ab 1928 Mitgl. des Polbiiros der KPD, MdR von 1928 bis 1933. 1935 Kand. des EKKI. Mitglicd der Zcntralen Politischen Kommission der Interbrigaden im Spanischen Biirgerkricg. Aus cinem franzoésischen Internicrungslager 1942 an Dcutschland ausgclicfert und in das KZ Mauthauscn verbracht. Juli 1945 bis April 1946 Mitglicd des Sckretariats des ZK der KPD. Bis 1952 gehörte Dahlem den an.
Im
Zusammcenhang
mit
der
»Merker-Affire«
zunchmend kritisiert. Insbesondere seine Haltung in Frankreich 1939 wurde Gegenstand der Angriffe. 1953 aller Funktionen enthoben, bewahrte ihn dic in der SU
beginnende
Entstalinisicrung
rchabiliticrt, crlangtc cr dennoch
vor weiteren
nicht wicder seinen
181, 21f. 24f. 42, 48. 152f., 173, 200, 341
Dahrendorf,
Gustav
Repressionen;
1956
fritheren Einfluß.
(1901-1954)
1918 SPD. Ab Anfang der 1920cr Jahre Hofgeismarer Kreis der Jungsozialistcn. Red. Schriftleiter des SPD-Organs »Hamburger Echo«. 1928-1933 Mitglicd des Hamburger Biirgerschaft, 1932/1933 MdR. 1933 Schutzhaft. lllcgale Verbindungen zu fritheren Parteifrcunden. Anschluß an den Kreisauer Kreis, beteiligt sich an der Umsturzplanung der Gruppen um Ludwig Beck und Carl Gocerdcler. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler verurteilte der Volksgerichtshof Dahrendorf zu 7 Jahren Zuchthaus. Nach sciner Befreciung durch dic sowjctischen Truppen ist Dahrendorf erncut politisch aktiv, Mitgl. des ZA der SPD. Er widersctzt sich der Vercinigung von KPD und SPD zur SED, flicht nach Hamburg und betétigt sich dort in der Entwicklung der Konsumgcnossenschaften. 270 Daladicr,
Edouard
(1884-1970)
Mchrmaliger franzosischer Ministerprisident in den dreiBiger Jahren (1933, 1934, 1938 bis 1940). Ubcrnahm 1938 dic britischc Appcasement-Politik
und hattc zusammen mit Arthur Neville Chamberlain erheblichen Anteil am Zustandckommen des Miinchner Abkommens, das im Verlauf der »Sudeten-
krisc« dic Abtretung der sudetendcutschen Gebicte an das Deutsche Reich zur Folge hatte. 20, 44f., 62
356
Damerius-Kocnen, Emmy (1903-1987) 1924 Mitgl. der KPD, Journalistin, Leiterin der Fraucnabt. der BL BerlinBrandenburg. Am 5. März 1933 in den Preußischen Landtag gewählt. Illegale Arbcit als Instruktcurin, 1934 in dic SU cmigriert. 1935 Fraucnsckretariat der Komintern. Illegale Arbeit in der Schweiz. 1938 nach Grof3britanicn cmigricrt. Scit 1937 mit Wilhelm Kocnen verheiratet (erste Ehe mit Helmut Damcerius). Internicrung auf der Islc of Man, danach in der Freien Deutschen Bewegung Großbritanniens aktiv. 1945 Rückkchr nach Dcutschland. Arbcit als Journalistin und in der Fraucnbewegung (DFD). 375 Danicls, Alcxander
Edler von (1891-1960)
Generalleutnant der Wehrmacht, geriet am 31. Januar 1943 bei Stalingrad in sowjet. Kricgsgefangenschaft, Vizepräs. des Bundes Deutscher Offiziere. 1955 Riickkchr nach Dcutschland. 247 Daub, Philipp (1896-1976) 1918 USPD. 1921 KPD. Abgcordncter des Landcsrates Saar. Org.-leiter, dann Pollciter des KPD-Bezirks Saar. 1929 Kandidat des ZK der KPD. Im November 1932 in den Reichstag gewählt. Ab 1933 Oberberater des ZK ın verschicdenen Bezirken. 1934 Mitgl. der Landcslcitung Saar, aktiv im Saarabstimmungskampf. Ab Oktober 1935 Kontrollkommission des ZK, Lecitung decs Auslandssckretariats der RH in Paris. Im August 1939 verhaftet und im Lager Le Vernet internicrt. Ausrcise in dic USA. 1946 zuriick nach Dcutschland. 1948 Leitung der Personalpolitischen Abt. des PV der SED. Nach längerer Krankheit Obcrbiirgermeister von Magdcburg, später Prés. der Liga fiir Volkerfrcundschaft. 330 Dckanosow,
Wladimir
G. (1898—-1953)
Engcr Vertrauter Lawrenti Berijas, 1939 Ltr. der Auslandsabt. des NKWD. 1953 nach Stalins Tod vcrhaftct und am gleichen Tag wic Berija verurteilt und crschossen. 147 Dengel, Philipp (1888-1948) 1919 KPD, von 1925 bis 1941 Mitglicd des ZK der KPD, 1928 bis 1941 Mitgl. des EKKI und dessen Prisidiums, crilcidet 1941 cinen Schlaganfall. 1947 Rickkchr nach Dcutschland. 22, 38, 56, 73, §9. 147 Dictrich, Jcan/Jan Siche: Jäkel, Paul Wilhelm.
Dimitroff, Gceorgi (1882—-1949) Mitbegriinder der KP Bulgaricns. Scit 1924 Kandidat des EKKI, 1929 bis 1933 Leiter des Westcuropdischen Biiros der KI. 1935 bis 1943 Gencralsc-
kretar der Komintern in Moskau, nach deren Auflosung Leiter der Internationalen Abtcilung im ZK der KPASU(B), in dicser Eigenschaft fir dic
Anlcitung der KPD-Fiihrung zustdndig. 1946 bis 1949 Ministcrprisident Bulgaricns. 1/6f., 27, 32-34, 37f., 53, 58f., 63, 76f., 80, 89. 100, 118, 127, 131-133, 137, 147, 151, 154, 157, 159-161, 163, 166-168, 171. 192, 207, 239, 244, 265, 299, 302f.
357
Dobler Siche: Kowalski, Werner. Dodd, Martha (1908-1990) Tochter des US-amcrik. Botschafters ın Berlin, Bckannte von Mildred Harmnack. 275
William
Dodd,
und
cnge
Dodd, William Edward (1869-1940) US-amecrik. Historiker und Diplomat, 1933 bis 1937 Botschafter der USA in Berlin, danach in den Ruhestand versetzt. 275 Drogemiiller,
Alfred
(1913-1988)
1931 KJVD, bis Endc Juli 1932 im AM-Apparat dcr Roten Jungfront. 1933 illcgalc Arbcit, 1934 Emigration nach Kopcnhagen. Ab 1940 Redaktion der illegalen Zcitung »Dcutsche Nachrichten«. 1945 zuriick nach Dcutschland, verschicdene Partcifunktionen ın der SED sowic der KPD in Westdcutschland. 1951 nach Berlin bcordert, dort des Trotzkismus beschuldigt und bis 1953
in MfS-Haft.
Danach
Diibi
Lydia (Dcckname
Red., Student an der PHS, anschlicBend
tigkeit an der PHS u. a. Partcischulen.
325
Lchrta-
Pascal) (1901-1939)
Scit 1921 Mitgl. der KP der Schweiz. Scit 1924 in Moskau fiir dic Exckutive der Komintern tätig, 1935 bis 1937 Leiterin des geheimen Nachrichtenapparatcs der Komintern in Paris, im Juli 1937 Riickkchr nach Moskau, dort verhaftet, zum Todc verurteilt und crschossen. 17713f. Duclos, Jacques
(1896—1975)
Scit 1921 Mitgl. der KP Frankrcichs, 1926 bis 1975 ım ZK, ab 1931 Mitgl. des PB, 1926 bis 1932, 1936 bis 1940 und 1944 bis 1958 jewcils Abg. der Nationalversammlung bzw. Scnator. 1935 bis 1943 Mitgl. der Exckutive der Komintern. 306 Duncker,
Hermann
Duncker.
Kite
(1874-1960)
1893 SPD, Gruppc Intcrnationale, Spartakusbund, Mitbegr. der KPD, gemcinsam mit scincr Frau Kitc in dic Zentrale gewählt. Zunächst Wandcrlchrer, wurde Duncker bald ciner der fiihrenden Propagandisten und Publizisten der KPD. Als Hcrausgeber zahlreicher Schriften von Marx und Engels wirkte Duncker stark auf dic theorctische Bildung in der KPD. Mit dcr ultralinken Wende 1928 ging scin EinfluB jedoch zuriick. 1933 verhaftet, Icbte cr danach bis 1936 unter Polizciaufsicht. 1936 Flucht nach Dancmark, Grof3britannicn, 1938 Frankreich und über cin Intcrnicrungslager in Marokko 1941 in dic USA. 1947 konnten Kite und Hermann Dunker nach Deutschland zuriickkchren. Prof. und Dckan an der Gescllschaftswisscnschaftlichen Fakultdt der Universitdt Rostock und ab 1948 Dircktor der Bundeshochschule des FDGB in Bernau. 67f, 211, 330 (1871-1953)
1898 SPD. Redaktcurin der Zcitschrift »Dic Gleichheit« wurde sic cine cnge Vertraute von Clara Zctkin. 1908 bis 1912 Mitglicd des zentralen SPD-Bil-
358
dungsausschusscs. Nach Ausbruch des Weltkricges stand sic in Opposition zum SPD-Partcivorstand. Ab 1915 Mitglied der Gruppe Internationale, anschlicBend der Spartakusgruppe und des Spartakusbundes gehorte sic zu den Mitbegriinderinnen der KPD und prägte deren Entwicklung in den crsten Jahren maßgeblich mit. 1921 bis 1923 Abgcordnete im Thiringer Landtag, wirkte sic danach gesundheitlich geschwicht publizistisch und in der Bildungsarbcit der Partci. Nach 1933 lebte sic in Friedrichroda und konnte 1938 in dic USA cmigricren. 1947 kchrte sic mit ihrem Mann nach Dcutschland zuriick. Gesundheitlich angegriffen und durch den Tod ihrer Söhnc Karl (Sclbstmord in den USA) und Wolfgang (Opfer des Stalinschen
Terrors)
zutiefst
Ebcling,
Hans
aktiv.
67f., 330
verletzt,
wurde
sic in der SBZ/DDR
politisch
nicht mchr
(1897-1968)
Aus der dcutschen biindischen Jugend kommend, Vors. der Biindischen Opposition, Anhänger dcs sog. »Nationalbolschewismus«. 1934 Exil in den Nicderlanden, dann Belgien, Riickkchr nach Dcutschland. Ebcrlcin, Adolf
Vater von Hugo Eberlein. Ebcrlcin
(Ernst; Niclsen,
Frankreich, 272
1939
nach
GroBbritannicn.
7//6f. Danicl),
Hugo
(1887-1941)
Mitbegr. des Spartakusbundes und der KPD. Teilnchmer am der KI. 1919 bis 1928 Mitgl. der Zcentrale bzw. des ZK und 1921 bis 1933 Abg. dcs Preußischen Landtags. 1928 bis IKK der Komintern, ab 1935 auch Mitgl. der Exckutive. in Frankrcich
und
1950
der Schweiz
Flucht
in dic
UdSSR,
Griindungskongr. des PB der KPD. 1937 Mitgl. der Nach Emigration
dort
1937
verhaftet
unter furchtbaren Foltern zu unwahren Geständnissen gezwungen. 1941 zum Tod durch Erschicßen verurtcilt und hingerichtet. 108f. 111-114, 116— 120, 122-129, 132-138 Ebcrlein, Incs/Ina (geb. 1923) Tochter von Hugo Ebcrlein und Inna Armand. Ebcricin,
Werner
Sohn von Hugo
/77, 137
(1919-2002)
Eberlcin und Anna Harms. Arbcitctc nach der Verhaftung
scincs Vaters in Moskau, 1940 nach Sibiricn verbannt. 1948 Rückkchr nach Dcutschland, trat der SED bei. 1981-1989 Mitgl. des ZK der SED, ab 1985 auch des PB. 116/, 119, 124, 135, 137 Ebcrlcin, gcb.
Harms,
Eichclsdorfer,
Emst
Anna
(1889-1964)
1. Ehcfrau von Hugo Eberlein.
(1910—??)
1926 zur komm. Jugend,
/76f.
1930 KPD.
1935 nach Abschluß cincr Spezialaus-
bildung zur Arbcit nach Dcutschland cntsandt.
der KPD-Lcitung
in der Schweiz.
1945
Im Zwciten
Weltkricg Mitgl.
Riickkchr nach Deutschland
und
359
Mitunterzeichner des Aktionsheinheitsabkommens in Hessen. 372
zwischen
KPD
und SPD
Eifler, Erna (1908-1945) 1927 zur komm. Jugend, 1931 KPD. 1942 im Auftrag der Komintern über Ostprcußen mit dem Fallschirm abgesprungen, verhaftet, ım KZ Ravcensbriick inhafticrt und dort umgckommen. 226 Eilmann. Hclene Bekannte von Hugo Eberlein.
723
Einsicdel, Heinrich Graf von (1921-2007) Offizicer. Urenkel Bismarcks. Im Zweiten Weltkricg Leutnant der Luftwaffc. gerict in sowjet. Kricgsgefangenschaft, 1943 Mitbegr. des NKFD. 1947 Riickkchr nach Decutschland, Journalist in der SBZ, 1948 Ubecrsicdclung in dic Westzonen., 238, 241, 247 Eiscnhowcr, Dwight David (1890-1969) US-amcrik. General und Politiker. Erhiclt 1942 den Oberbefchl über dic USTruppen auf dem curop. Kricgsschauplatz und wurde Leiter der Invasion ın Nordafrika und Frankrcich. 1944/1945 Obecerbcefchlshaber der alliicrten Streitkriaftc in Westcuropa, dann der amerik. Besatzungszone in Dcutschland. 1945 bis 1948 Gencralstabschef des Heeres. 1953 bis 1961 für dic Rcpublikancr Präs. der USA. 337 Eisler.
Gerhart
(Deckname
Gerhart)
(1897-1968)
1918 KPO, 1921 Ubertritt zur KPD, 1923 bis 1929 Kand. des ZK, bis 1929 Mitgl. der Berliner BL, 1927 bis 1929 Mitgl. der Gruppe der »Versohnler«, 1929 als Beauftragter der KI in China. Bruder der chem. tcivors. der KPD Ruth Fischer. Während des Spanischen Biirgerkricges dcs
»Decutschen
Freihcitssenders«,
1939
bis
1941
1926 sog. ParLtr.
in Frankrecich
interniert,
1925 Griinder des »Ordens Junger Mcenschen«,
1926 zur
dann Emigration in dic USA; dort bis 1949 in den USA Journalist und Publizist komm. Presscorganc, ab 1949 in der DDR fiihrender Publizist, Mitgl. dcs PV der SED. 1953 sciner Amter cnthoben, 1955 rchabilitiert. 18, 21, 25, 41, 330 Emmerlich,
Artur
Scit 1922 SAJ,
(1907-1942)
komm. Jugend, 1929 Mitgl. des ZK des KJVD, 1930 KPD. 1934 nach Paris, dann nach Moskau und 1937 nach Schwedcen, von dort 1939 Riickkchr nach Dcutschland, verhaftet, zum Todc verurteilt »wegen Unterstiitzung des
Fcindes und Hochvcrrat«, hingerichtet. Engc,
Ernst
(1893-1944)
704
Mitgl. der KPD. Aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, vor allem an Aktionen in Chemnitzer Ristungsbetricben beteiligt; im Scptember 1944 verhaftet und im Chemnitzer Gefangnis ermordet. 1782
360
Engels, Fricdrich (1820-1895) Gründungsmitgl. der I. Internationalce, Okonom und Philosoph. Politiker und Thcoretiker der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. 73, 169, 272 Engert, Otto (1895-1945) 1913 Mitgl. der SPD, USPD und ab 1920 KPD. Mitgl. im Thiiringer Landtag, Redakteur bei der »Sächsischen Arbeiterzeitung«. Gehérte dem rechten Partcifliigel an, wurde 1929 aus der KPD ausgeschlossen. KPD(O). Biirgermcister in Ncuhaus a. R. von 1930 bis 1933. Nach 1933 in Lcipzig. Dort verhaftet, 8 Monatc Zuchthaus. anschließend KZ Sachsenburg. Nach Entlassung illcgalc Arbeit in der Widerstandsgruppe um Gceorg Schumann. Im Juli 1944 crncut verhaftet, zum Todc verurteilt und am 11. Januar 1945 hingerichtet. 179, 181, 193-195 Erasmus, Wilhelm Siche: Knochel, Wilhelm.
Ercoli Sichc: Togliatti, Palmiro. Edberg, Alcxandcr Siche: Korotkow, Alcxandecr.
Erlanger, Henry 1933 Mitarbeiter von Harro Schulze-Boyscn in Berlin.
2718
Ernst
Siche: Ebcrlein, Hugo. Emst,
Karl
(1904-1934)
Gchorte scit 1927 der obersten SA-Fithrung in Miinchen an, ab Ende 1931 als SA-Obcrfiihrer Adjudant der Berliner SA-Gruppe, ab Mirz 1933 Sondcrbevollméchtigter der obersten SA-Fiithrung fiir Berlin und Brandenburg, dann Standortfiihrer für Berlin; während des sogenannten »Rohm-Putsches« verhaftct und crmordet. 227 Ettcrer,
Anni
(1913-2?)
Scit 1931 KPD. 1934 Emigration nach Prag, dann nach Moskau, 1938 vom NKWD vcrhaftct, am 20. März 1940 frcigelassen, von 1941 bis 1945 in der Verbannung in Kasachstan, 1946 Riickkchr nach Dcutschland. 706 Faschaucr Dircktor von »Argentoratum« in Strasbourg. Faulhabcer,
Michacl
773
(1869-1952)
Scit 1911 Bischof von Speyer, scit 1917 Erzbischof von Miinchen und Freising, 1921 Kardinal. Predigte gegen den Nationalsozialismus. 296
361
Fcistmann,
Rudolf (1908-1950)
Scit 1929 KPD, journalistisch tätig u. a. bcim »Roten Aufbau«.
gration
nach
Frankrcich,
Mitarbcit
am
»Braunbuch
1933 Emi-
iiber Reichsbrand
und
Hitlerterror«. 1939 in Frankrcich internicert, gelang ihm 1941 dic Flucht nach Mexiko. Mitgl. der engeren Leitung der KPD um Paul Merker. 1947 Rickkchr nach Decutschland, in der Chefredaktion des »Ncuen Deutschland«
verantwortlich für Außenpolitik. Im Zusammenhang mit der Nocl-H.-FicldAffärc repressiert, nahm
sich Feistmann
am 7. Juni
1950 das Leben.
327
Fcllendorf, Wilhelm (1903-1943) Scit 1929 KPD, ab 1934 fithrender Mitarb. der IRH in Schweden. 1942 im Auftrag der Komintern über Ostpreußen mit dem Fallschirm abgesprungen,
von der Gestapo verhaftet und Ende
1943 crschossen.
Fcuchtwanger, Lion (1884—-1958) Pazitistisch-sozialistischer Schriftsteller. Feyerherd.
Friedrich
(Deckname
Vogel,
202,
226
326
Viktor) (1897-1937)
Ab 1917 Bolschewik, Griindungsmitgl. der KPD. Scit 1918 fiir dic Komintern und dic Sowjctunion in gcheimen Missionen im Ausland tatig, 1937 vom
NKWD
verhaftet, zum Todc verurteilt und crschossen.
Ficker, Ludwig
738
(1904-1947)
Scit 1927 im AM-Apparat der KPD tätig, scit 1929 KPD-Mitglied. 1933 »Schutzhaft«, Emigration 1934 iın dic Schweiz, dort Mitglicd der Emigrati-
onsleitung,
1939
intcrnicrt,
Ficld, Nocl
Haviland
Flucht
im
Scptember
1944,
illcgalc Arbeit
im
Widcrstand in Bayern. 1945 fithrend am Wicdcraufbau der KPD in Miinchen beteiligt. Wurde ım Zusammenhang mit der Nocl-H.-Ficld-Aftdre verdächtigt und starb am 9. Dczember 1947 unter ungeklärten Umständen. 312 (1904-1970)
Amcrikanischer Diplomat, sation in Marscille, dem
Kommunist.
Unitarian
1940 Griindung ciner Hilfsorgani-
Scrvice Committec
(USC).
Zicl war dic
Unterstiitzung von Flichtlingen, dic in Internicrungslagern oder in der galitdt Iebend, dic Auslicferung an Gestapo und SS zu fiirchten hatten. Endc 1942 sctzte Ficld scine Tatigkeit von der Schweiz aus fort. 1949 rict cr ins Visicr kommunistischer Geheimdicenste. Durch Titos Abfall
IlleAb gevon
der Sowjctunion wuchs das Bediirfnis Stalins, ausldndische, antistalinistische
Kommunisten auszuschalten. Nocl Ficld wurde benutzt, um cine Sduberungswclle zu inszenieren. Nocl Field wurde vom ungarischen Geheimdicnst aus Prag cntführt und in Ungarn cingesperrt. Im Zuge der Säuberung wurde alle, dic mit ihm Kontakt hatten, der Spionage fiir dic USA verdéchtigt und in viclen Fillen nach Schauprozessen hingerichtet. Nocl Ficld wurde 1955 nach Einzclhaft und Folter entlassen und durfte ausrcisen. 24, 315 Fischer,
Ernst
(Partciname
Wicden,
Peter)
(1899-1972)
Scit 1920 SPO, 1934 mit der Jungfront-Gruppe Ubertritt zur KPO und ci-
ner threr fihrenden Theorcetiker,
362
1934 bis 1959 Mitgl. des ZK.
1935 bis
1938
Vertreter der KPO
bei der
Exckutive
der Komintern,
1939
bis
1941
in dcr Redaktion der Zeitschrift »Komm. Intcrnationalc« verantw. Sckr. für dic nichtrussischen Ausgaben. 1941 bis 1943 Red. der Presscabt. des EKKI sowic Mitarb. bcim sowjct. Radio, 1943 bis 1945 zusammen mit Koplenig Ltr. des Auslandsbiiros der KPO in Moskau, dann Riickkchr nach Osterrcich, Abg. im Osterrcichischen Nationalrat, 1950 Mitgl. des Weltfricdensrates. 50. 55. 85. 160, 166, 168 Flicg, Lco(pold) (1893-1939) Mitgl. der KPD scit Griindung. 1922 bis 1932 im Apparat des ZK der KPD, Sckretdr des Polbiiros, 1927 und 1929 als Mitgl. des ZK gewihlt. 1937 nach Moskau kommandicrt, verhaftet und 1939 crschossen. 1773 Florin,
Wilhclm
(1894-1944)
Scit 1917 USPD, mit deren linkem Fliigel 1920 Ubertritt zur KPD. Ge-
wcrkschaftsfunktionir, scit 1924 Mitgl. der Zentrale der KPD.
bis 1933 MdR.
1927 Mitgl. des ZK, scit 1929 Mitgl. dcs Polbiiros.
Von
1924
1935 bis
1943 Sckretär des EKKI und Vorsitzender der Internationalen Kontrollkommission. In Moskau verstorben. 22, 37, 53-56, 71-73. 163f. 167. 256f., 265270, 274 Forsterling,
Paul
(1899-1949)
1919 USPD. dann KPD. 1924 Emigration der Kadcrabt. des EKKI Obecrreferent fiir Herbst 1941 Mitgl. der Kommission der Kricgsgcfangenen, 1943 bis 1945 verantw. in Moskau, zuglcich bis 1947 Obcrreferent
der KPdSU(B). Fränken,
nach Moskau. 1939 bis 1943 in Deutschland und Osterreich, ab Exckutive fiir dic Arbcit unter Mitarb. im KPD-Auslandsbiiro an cinem Spezialinstitut bei ZK
Blicb nach Kricgsendce in der UdSSR.
Friedrich
(Partcinamc
Golz,
735, 138, 167f.
F.) (1897-1976)
1920 Mitgl. der KPD, verschicdence Funktionen. 1928 und 1932 in den PrcuBischen Landtag gcwählt. 1933 verhaftet. 1934 illegale Arbeit, 1935 über Prag nach Moskau cmigricert. Stand Hermann Schubert und Fritz Schultc nahc, nahm unter dem Decknamen Fritz Golz an der »Briisscler Konferenz« tcil, kämpfte wihrend des Spanischen Biirgerkricges auf Sciten der Interbrigaden.
1945
Riickkchr nach
Frank,
(1884—1945)
Dcutschland,
tioncn in der KPD und in threm Umfcld wahr. Alfrcd
nahm
775
verschicdenc
Funk-
Malcr, Radicrer und Holzschneider. Scit 1906 SPD, nach Riickkchr aus dem Kricg 1919 Beitritt zur KPD, ciner der Mitbegr. der ASSO. 1933 bis 1935
inhafticrt, griindcte
nach
der Freilassung
zusammen
mit anderen
Leipziger
Intclicktucllen cinc Widerstandsgruppe, dic sich 1939 der Gruppe Schumann-Engcrt-Kressc anschloß; im Juli 1944 crncut verhaftet, vom VGH zum Todc vcrurtcilt und hingerichtet. 779 Frcisler,
Roland
(1893-1945)
Scit 1925 Mitgl. der NSDAP. 1942 bis 1945
Prias. des VGH
1934 bis 1942 im Rcichsjustizministcrium,
und hatte in diesen
Funktionen
wesentlichen
363
Anteil
am
Einsatz der Justiz als Terrorinstrument
des Nationalsozialismus.
Kam am 3. Fcbruar 1945 bei cinem Luftangriff ums Leben. Fricdländer,
Otto
227
(1897-1954)
Sozialdemokrat. 1924 bis 1929 Vors. des Republikanischen Studentenverbandcs Dcutschlands. 1933 Emigration in dic Tschechoslowakcei, gchorte der Sopadc an. 1938 nach Norwegen, 1940 nach Schweden, wo er zunéchst intcrnicrt
war,
danach
publizistische
Täigkeit,
nach
1945
auch
als Mitarb.
der deutschsprachigen Pressc. Kehrte nicht nach Deutschland zuriick.
296
Frinowski, Michail Pctrowitsch (1898—1940) Scit 1918 Bolschewik, ab 1920 leitende Funktionen in der Tscheka und dem NKWD, Vertrauter Stalins. 1939 vom NKWD verhaftet, 1940 zum Todc verurteilt, nicht rchabilitiert. 726 Fuhrmann, Bruno (1907-1979) Seit 1925 KPD, Mitglicd des ZK
des KJVD.
1933
verhaftet,
1934 zu zwei
Jahren Zuchthaus verurteilt. 1937 Emigration in der Schweiz, dort Orglciter der KPD-Landeslcitung. 1945/1946 als Instruktcur des ZK der KPD in den Westzonen;
sammcnhang ben. 312/
1949
Leiter der Westkommission
mit der Nocl-H.-Ficld-Affare
Funk, Kurt Siche: Wehner,
Herbert.
Funk, Herbert Siche: Wehner,
Herbert.
Fürnberg,
des ZS der SED.
1950 aller Funktionen
Im Zu-
cntho-
Friedl (1902-1978)
Ab 1918 SPO, 1919 KPO, 1924 bis zu scincm Tode fast ohne Unterrechung im ZK und PB. 1937 bis 1940 Vertrcter der KPO in der Exckutive
der Komintern, 1940 bis 1943 stellv. Ltr. der Propaganda- bzw. Presscabt. des EKKI, nach Auflésung der Komintern bis Oktober 1944 stellv. Dircktor des sog. »instituts Nr. 205« der Komintern. Wurde im Oktobedr 1944 nach Jugoslawicn
cntsandt,
wo
cr beim Aufbau
des osterr. Bataillons
mitwirkte,
war in Slowcnicn Mitgl. des Komitees »Befreiungsfront Osterreichs«. Im Maı 1945 zusammen mit dem österr. Bataillon Riickkchr nach Wien. 64 Gärtner, Irenc Siche: Schmidt, Elli.
Galcen, Clemens August Graf von (1878—1946) Bischof von Miinster, Iciste aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus, vor allem gegen das »Euthanasic«-Programm. 296 Gaus,
Fricdrich
(1881-1955)
Jurist, ab 1923 langjahriger Leiter der Rechtsabt. im Auswirtigen Amt in Berlin und Verfasser wichtiger außenpolit. Vertragswerke, darunter des Hitler-
364
Stalin-Paktes, inkl. des gcheimen Zusatzprotokolls. Begleitete Ribbentrop zur Vertragsunterzeichnung nach Moskau; 1943 von Hitler zum »Botschafter zur besonderen Verwendung« crnannt. Trat als Zeuge in den Nürnberger Prozessen auf. /6 Gcehrts, Erwin (1890—1943) Oberst der Luftwaffe, scit 1928 bekannt mit Harro Schulze-Boysen und nach 1933 ın der »Roten Kapelle« aktiv, ım Oktober 1942 verhaftet, zum Tode verurteilt und im Februar 1943 hingerichtet. 279 Geißler, Rudolf
Schwager von Albert Kuntz.
748
Geminder,
(1901-1952)
Fricdrich
(Bedrich)
1918 komm. Jugendverband der Tschechoslowakei, 1921 KPTsch, Funktiondr der internationalen komm. Jugendbewegung. Ab November 1939 Ltr.
der Pressc- und Rundfunkabt. des EKKI, 1941 bis 1942 Mitgl. der Allgemcinen Red. der Rundfunkredaktion des EKKI, 1943 bis 1946 Dircktor des sog. »Instituts Nr. 205«, Rückkchr in die Tschechoslowakei. Im November
1951
verhaftet und trotz Intervention Stalins hingerichtet.
768
Gerhart Siche: Eisler, Gerhart. Geschke, Ottomar (1882-1957) 1919 KPD, Mai 1923 bis 1946 Mitgl. der Zentrale bzw. des ZK, scit 1924 Mitgl. des EKKI und 1925 bis 1927 des PB der KPD, 1924 bis 1932 MdR,
scit 1926 Mitgl. der Gewerkschaftskommission Vertr. der KPD beim EKKI. Sachscnhausen. 343
Nach
Gladewitz, Richard (1898-1969) 1919 Mitgl. der USPD, 1929 KPD,
1933
des EKKI,
mchrmals
1926 bis 1927
verhaftet, zulctzt ım KZ
verschicdene Funktionen
in der KPD
ın
Chemnitz und in Cuxhafen. 1933 Stadtverordneter und Stadtrat in Chemnitz, Emigration in dic CSR. 1934 wicdcr in Dcutschland, Pollciter in Oberschlesicn, Tcilnchmer des VII. Weltkongresses der Komintern und der »Brisscler Konferenz« der KPD. lllegale Leitung der KPD in Berlin. Ab 1937 Intcrnationalc Brigaden in Spanicn, danach illegale Arbceit in Frankrcich und Belgien. 1939 bis 1941 intcrnicrt, spater in der Résistance. 1945 Riickkehr nach Dcutschland und verschiedene Funktionen in KPD und SED. 310 Glickauf,
Erich
(1903-1977)
1919 Mitglicd der AAU. Wihrend des Kapp-Putsches Angchériger der Rotcn Ruhrarmee und Mitgl. der KPD. Joumnalistische Tatigkeit u. a. Chefre-
daktcur
der
Nicderrhein.
»Freiheit«
Emigration
journalistischc Arbeit,
in Diisseldorf,
1933
Polleiter
des
KPD-Bezirkes
in dic SU, dort Komintecrnmitarbeiter.
1935
illegaler ZK-Instruktcur
in Berlin,
Danach
in der CSR
und Belgicn. 1936 Angchoériger der Internationalen Brigaden in Spanicn. Ab
365
1939
ZK-Instruktcur
sten.
1945
in den
Nicderlanden,
dort verhaftet und ausgewicsen.
Von 1939 bis 1945 Schweden, Mitgl. der Leitung der deutschen KommuniRiickkchr
nach
SED, publizistische Arbeit.
Dcutschland,
104, 322
verschicdenc
Funktionen
in der
Gneiscnau, August Graf Neidhardt von (1760-1831) Prcuß. Offizicr, nach 1806 cinc der treibenden Krifte der preuß. Heercesreform. 321 Gocbbcls, Joscph (1897-1945) Schlof3 sich um 1925 der NSDAP an. Rcichspropagandalcitcr der NSDAP und ab 1933 Rcichsminister für Volksaufkldrung und Propaganda; cntzog sich der Verantwortung durch Sclbstmord. 39, 157, 160. 335 Goerdeler,
Carl
Fricdrich (1884—1945)
Jurist, 1922 bis 1932 Vorstandsmitgl. der DNVP, 1930 bis 1937 OBM von Lcipzig, trat aus Protest gegen dic Politik der NSDAP zuriick. War von Tcilen des Widerstandes ım Fall von Hitlers Sturz als Reichskanzler vorgeschen, nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juni 1944 verhaftet, vom VGH zum Todc verurteilt und hingerichtet. 205, 290 Gocthe, Dichter 169
Johann Wolfgang von (1749-1832) und Naturforscher, Staatsmann am
Goldhammer,
Bruno
(1905-1971)
Kominternzeitschrift
»Rundschau«
Hofc
von
Sachsen-Weimar.
1920 Mitgl. der Kommunistischen Jugend, 1923 der KPD; Red. der »Séchsischen Arbceiterstimme«. 1933 Emigration nach Prag. 1935 Rcdaktcur der u. a. Zcitungen.
Kontakte
zu Nocl
Ficld
in der Schweiz. 1945 Riickkchr nach Dcutschland. KPD-Sckretédr in Miinchen. Scit 1947 in Berlin in verschicdencn journalistischen Funktionen. 1950
aus
der
SED
ausgceschlossen
(Nocl-H.-Ficld-Affére),
April 1956, nach der Entlassung öffentlich rchabilitiert. schicdenen journalistischen Funktionen tätig. 372
inhafticrt
bis
Erncut in ver-
Golz, F. Siche: Frianken, Friedrich.
Goring, Hermann (1893-1946) Scit 1922 Mitgl. der NSDAP, iibcrnahm dic Fiihrung der SA. Von 1923 bis 1927 im Exil, ab 1928 MdR, ab 1932 Pris. dcs Rcichstages. Bekleidete ab 1933 verschicdene Ministerposten, ab 1935 auch Oberbefchlshaber der Luftwaffc. Wurde im Nürnberger Prozcß zum Todc verurtcilt und beging Sclbstmord. 42, 63 Gottwald,
Klement
(1896-1953)
Scit 1921 KPTsch, scit 1925 in deren ZK und PB, ab 1929 Abg. der tsche-
choslowak.
Nationalversammlung.
1934 nach
Moskau,
1928 bis
1943
Mitgl.
des EKKI, ab 1929 auch dessen Présidiums, 1941 polit. Red. der Zcitschrift
366
»Dic Kommunistische Internationale« in Moskau. Ab April 1945 stellv. Ministerpräs. in der Regierung der Nationalen Front in KoSicc, von Mai 1946 bis Juni 1948 Ministerpräs., ab Juni 1948 Präs. der Tschechoslowakei. 56 Grabowski, Max
Mitgl. der KPD, aktiv ım Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In sciner Laube in Berlin-Rudow richteten John Sicg und Wilhelm Guddorf cine Druckerei
wurde. Graf,
cin,
223
Oskar
Schriftsteller.
in der
Maria
man-Amecrican
1933
u. a. dic Zcitschrift
»Dic
inncre
(1894-1967)
Emigration, ab 1938 in den USA,
Writers
Association,
1942
mit
Wicland
Front«
hergestellt
dort Präs. der GerHerzfelde
des Aurora-Verlages, der als Nachfolger des Malik-Verlages galt.
Mitbegr.
202, 326
Grassc, Herbert (1910-1942) Mitgl. der KPD. Nach 1933 aktiv im Widcrstand, 1936 vcrhaftet und zu 2,5 Jahren Zuchthaus vcrurteilt; nach sciner Freilassung Kontakte zur Wi-
derstandsgruppc um Wilhelm Schiirmann-Horster und zur »Roten Kapcelle«. Stellte in der Druckerei, in der er beschaftigt war, heimlich Flugblatter her, am 23. Oktober 1942 festgenommen; tags darauf — auf dem Wege zum Verhör — beging er Sclbstmord. 222 Grätz, Eva Siche: Lindau, Ella. Grätz, Rudolf Sichc: Lindau, Rudolf. Graudenz,
Johanncs/John
(1884-1942)
1921 Mitbegr. der KAPD, leitete 1920 das Informationsbüro der Gegner des Kapp-Putsches, dann Korrespondent amerik. Presscagenturen, u. a. in Moskau. Unterhält als Handelsvertreter nach 1933 Verbindungen zum Widerstand und lernt 1940 Harro Schulze-Boysen kennen; an der Ausarbeitung und Herstellung der Flugschrift »Dic Sorge um Dcutschlands Zukunft geht durch das Volk« beteiligt und Mitinitiator der Zettelklebeaktion gegen dic antisowjct. Propagandaausstcllung »Das Sowjctparadics« Mitte Mai 1942; im Scptember 1942 verhaftet, vom Reichskricgsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 138, 227f. Grimme, Adolf (1889-1963) 1922 SPD, 1930 bis 1932 lctzter
wihlten Staatsrcgicrung und wurde 1942 wegen Gestapo verhaftet, bis tcn Hochverrats, wobei
Kultusminister
ciner demokratisch
ge-
in Preußen; gehörte den religiosen Sozialisten an sciner Verbindungen zur »Roten Kapelle« von der 1945 inhafticrt wegen Nichtanzeige cines versuchscinc aktive Beteiligung am Widcerstand als Verfas-
scr mchrerer Flugblatter uncntdeckt blicb, was thm das Leben
dem Kricg bis 1948 crster Kultusminister Niedersachsens. Am
rettete. Nach
15. Scptem-
367
ber 1945 erstattete Grimme Anzeige gegen den NS-Richter Manfred Rocder wegen Beteiligung an den Urteilen gegen Mitgl. der »Roten Kapelle« u. v. a. Dicses Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Lüncburg bis Endce der 1960cr Jahre verschleppt und dann cingestellt. 27/4, 223 Gröber,
Conrad
(1872-1948)
Scit 1931 Bischof von Meißcen, ab 1932 Erzbischof von Freiburg. Er bemihtc sich zunächst um cinen Ausgicich mit dem Nationalsozialismus (1933 Teiln. an den Verhandlungen zum ter zu dessen erklärtem Gegner. 296
Gross. Babette (1898—1990) Ab 1920 Mitgl. der KPD, 1937 Austritt.
Reichskonkordat),
wurdc aber spä-
Frau von Willi Miinzenberg.
1933
Emigration nach Paris, ibcrnahm dort dic Leitung des Miinzenberg-Verlages
»Editions
du
Mexiko.
Grosse,
Carrcfour«.
1940
in Frankrcich
1947 Riickkchr nach Dcutschland. Hermann
interniert,
dann
/7, 27f. 38
Flucht
nach
(1906—1986)
Ab 1921 KJD. Mitbegr. der Antifaschistischen Jungen Garde. 1926 KPD, Red. verschiedencr Partcizeitungen. 1933 verhaftet, 1934 zu 2 Jahren und 9 Monaten
Emigration
Zuchthaus
Riickkchr nach Grinstein,
verurteilt.
Nach
in dic Tschechoslowakei, Dcutschland,
Herbert
sciner
1938
Mitgl. der SED,
Freilassung
nach
in Berlin,
1937
Grof3britannicn.
1946
Wirtschaftsfunktionar.
227
(1912-1992)
1928 Beitritt zur SAJ, 1930 zur komm. Jugend, scit 1931 KPD. 1939 Flucht aus Spanicn nach Frankrcich, bis 1943 im Intcrnicrungslager in Algericn. 1943 nach Moskau und bis 1948 Lchrer und Scktorleiter an ciner AntifaSchulc
im Gebict
Iwanowo.
1948
Riickkchr in dic SBZ,
bewaffneten Organen und im Ministerium des Innem.
Funktionen
7/52, 165
Guddorf, Wilhelm (Pscudonym Braun, Paul) (1902—-1943) Scit 1922 KPD, ciner der führenden Publizisten der Partei.
in den
1934 verhaftet,
zu 3 Jahren Zuchthaus verurtcilt, bis 1939 ım KZ Sachscnhauscn. Arbeitcte danach in cincm Berliner Antiquariat und hiclt Kontaktc zur Schulze-Boyscn-Gruppe. Einer der Herausgeber der Widerstandszeitschrift »Dic innere Front«, dic in fiinf Sprachen crschicn. Am 10. Oktober 1942 crncut verhaftct, zum Todc verurtcilt und hingerichtet. 158, 174, 192, 208, 222224, 230 Guljajew, Pantelejmon Wassiljewitsch (1903-1956) Scit
1921
RKP(B).
1939
bis
1943
Ltr.
der
Kadcrabt.
der
Exckutive
der
Komintern, gleichzeitig ab 1941 Dircktor der Kominternschule »fiir dic Rescrve der Brudcerparteicn« in Nagomoje bei Moskau. Ab 1943 Abtcilungslciter ın der Geschiéftsleitung des ZK der KPASU(B). 734 Gurwitsch, Anatoli
Markowitsch
(Dcckname
Kent) (1913—??)
Ab 1939 fiir dic GRU in Latcinamecrika und Westcuropa tätig. Ihm unterstand dic Funkcrgruppc der GRU in Briisscl. Nach der Besetzung Belgiens
368
durch dic Wchrmacht Flucht nach Marscille, dort verhaftet und der Gestapo übergeben. Kehrte im Juni 1945 nach Moskau zurück, wurde verhaftet und war bis 1955 im Gulag,
1958 bis 1960 crncut inhaftiert.
Gusscw, Fjodor Tarassowitsch (1906—1987) Begleitete 1940 Molotow bei seiner Reise nach
Berlin,
204
1942
Gesandter
in
Kanada, anschlicßend Botschafter der UdSSR in London und 1943 bis 1945 sowjctischer Vertreter in der Europäischen Beratenden Kommission zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Nachkriegsbchandlung von Deutschland und Österreich; cr zog dic Demarkationslinic zur Abgrenzung von Ost und West auf der sogenannten »Karte A«. Sowjctischer Verhandlungsfiihrer bei den Vorbereitungsgesprachen mit den fritheren Alliierten Hitlerdeutschlands. Nach Stalins Tod Botschaftcr der UdSSR in Schweden. 301 Hadcrmann,
Ernst
(1896-1968)
1920 USPD, im sclben Jahr ausgetrcten; Anhédnger der religios-sozialistischen Necuwerk-Bewegung. War im Schulwesen tätig. Nach dem sog. RöhmPutsch kurzzcitig vcerhaftet, blicb jedoch in scinen Schulämtern. Ab 1939 Hauptmann der Wchrmacht; gerict 1941 in sowjct. Kricgsgefangenschaft. 1943 Mitbegr. des NKFD, u. a. mit Walter Ulbricht Frontcinsédtze. Nach 1945 in der SBZ bzw. der DDR im Apparat der Volksbildung tétig, später an Hochschulen und Universitédten tiatig. Ab 1948 Mitgl. der SED, spéter ausgetreten. 240, 242 Hager, Kurt (1912-1998) Scit 1930 KPD, 1932 RFB. An der Stérung der crsten Rede Adolf Hitlers im Radio beteiligt, wurde verhaftet. 1936 Emigration nach Frankrcich, dann Grofibritannicn. Journalistischc Arbcit im Exil. 1945 Riickkchr nach Dcutschland. Journalist, Prof. fiir Philosophic und vcrschicdenc Partcifunktionen. Scit 1963 Mitglicd des Politbiiros der SED. 37/6f. Hähnel, Albert (?7-1945) Aktiv im Widcrstand gegen den Nationalsozialismus, vor allem an Aktionen in Chemnitzer Riistungsbetricben beteiligt; am 27. März 1945 von der Gestapo
crmordet.
/82
Hihncl,
Walter (Dcckname
Jugend-Karl)
(1905-1979)
1920 Mitgl. der kommunistischen Jugend, 1925 der KPD. 1938 von der komm. Jugcnd-Intcrnationale nach Frankreich cntsandt, dort lcitender Funktionir des KJVD
Nach
in Paris, verhaftet und bis 1945 in verschicdenen
1945 im ZK der KPD.
173, 310
Hanscn, Georg (Lcitner, Willi) (1903-1976) Scit 1919 KPD. 1941 bis 1945 Ltr. des »Dcutschen
Volkssenders«
KZ.
in Mos-
kau, 1943 bis 1945 vcrantw. Red. der dcutschen Redaktion am sog. »Institut 205¢«, im Juni
1945
Riickkchr nach
Dcutschland.
265
369
Hard, John
In Hugo Eberleins Brief an Charlotte Scheckenreuther crwähnt, Mitbewohner im Hotel »Lux« in Moskau. 738 Hardtmann,
Rudolf
Desinfektor. Baute nach 1933 in Leipzig zusammen mit Kurt Rossberg und Karl Plesse cinc Widerstandsgruppc auf. Am 19. Juli 1944 wurdc cr verhaftct und bot unter der Folter der Gestapo scine Mitarbeit an. 7/93-195 Harmcl
Franzosischer Jornalist, Frcund von Victor Scrge.
19
Harnack, Adolf von (1851-1930) Ev. Theologe, scit 1911 Präs. der Kaiser-Wilhelm-Gescllschaft, der des Vaters von Arvid Harnack. 209 Harnack,
Arvid
(Korsikancr)
dlterer Bru-
(1901-1942)
Jurist und Nationalokonom. Bautc ab 1933 zusammen mit sciner Frau cincn Diskussionszirkel auf, aus dem 1939 dic »Rotc Kapclle« centstand. Zur Tarnung scit 1937 Mitgl. der NSDAP. Bis Endc Juni 1941 hattc dic Gruppe Kontakt mit sowjct. Botschaftsangchorigen und versuchte so, vor dem bevorstchenden deutschen Angriff gegen dic Sowjctunion zu warnen; nach dem Überfall auf dic UdSSR Herausgeber der Zeitschrift »Dic innere Front«. Im Jult 1942 wurden die Harnacks cnttarnt, im Scptember 1942 verhaftet, vom Recichskricgsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 7/74, 178, 183, 192, 204-217, 219, 223, 229/. Harnack, Clara (??7-1963) Mutter von Arvid Harnack. Harnack,
Falk
(1913-1991)
209
Bruder von Arvid Harnack. Betciligte sich wahrend scines Studiums ın Miinchen an Flugblattaktionen, danach 1937 bis 1940 Regisscur am Nationalthcater Weimar und am Landcsthecater Altenburg, dann zur Wchrmacht cingczogen. Bei cinem Fronturlaub 1942 nahmen Mitglieder der Miinchner Widerstandsgruppe »Weißc Rosc« Kontakt zu ithm auf, um Verbindung zu der Berliner Widerstandszelle um scinen Bruder Arvid und Harro SchulzeBoysen herzustellen. Er stellte die Verbindung über scinen Vctter Dictrich Bonhocffer her. Doch noch im sclben Jahr wurde dic Gruppe verhafict und vicle von ihnen hingerichtet. 1943 kam cs zu cincm Kontakt mit Sophic und Hans Scholl. Nach Zcrschlagung der »Weißen Rosc« wurde er jedoch vom VGH aus Mangel an Beweisen überraschend freigesprochen. Im Aug. 1943 wurde scine Wchrmachtscinheit nach Gricechenland verlegt, wo cr im Dczember 1943 verhaftet und in cin KZ gebracht werden sollte. Dank der Hilfc cines Vorgesctzten gelang ihm jedoch die Flucht und schloß sich der gricchischen Befreiungsarmee an. Zusammen mit Gerhard Reinhardt griindcte er das Antifaschistische Komitee »Freies Deutschland« und wurde desscn Leiter. Nach dem Kricg Riickkehr nach Deutschland und wicder als Regisseur tatig. 209, 211
370
Harnack, Otto Vater von Arvid Harnack.
209
Harnack, geb. Fish, Mildred (1902-1943)
Literaturwissenschaftlerin, Ehefrau von Arvid Harnack, den sic an der University of Wisconsin kennenlernte. Baute zusammen mit ihrem Mann ab
1933 cinen Diskussionszirkel auf, aus dem 1939 dic »Rotc Kapelle« cntstand. Bis zur Kricgscrklarung gegen dic USA Vors. des Frauen-Clubs an der US-Botschaft in Berlin, bis Endc Juni 1941 im Kontakt zur sowjct. Botschaft, um vor dem bevorstchenden Angriff auf dic Sowjctunion zu warncen. Im Juli 1942 wurdc cin Funkverkchr der belgischen Gruppe dechiffricrt mit der Adresse der Harnacks, im Scptember
1942 crfolgte dic Verhaftung. Zu 6
Jahren Zuchthaus verurteilt hob Hitler das Urteil auf und bcauftragtc das Reichskricgsgericht mit ciner zweiten Verhandlung, dic mit cincm Todcsurteil endete. 209f, 212, 215 Hasscll, Ulrich von (1881-1944) Jurist, scit 1908 im diplomat. Dicnst,
1932
bis
1937
Botschafter
in Rom.
War von Teilen des Widerstandes als Außenminister ciner Regicrung Gocrdeler vorgeschen. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 vom VGH zum Todc verurteilt und hingerichtet. 744 Haubach,
Thcodor
(1896—1945)
Redakteur ciner sozialdemokratischen Zcitung in Hamburg, dort 1927 in dic Biirgerschaft gewählt. Im republikanischen Schutzverband Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold cngagicrt. Mitarbceit im Kreis der Religiösen Sozialisten. Nach 1933 mchrfach verhaftet. Mitarbeit im Kreisauer Kreis. Nach Scheitern des
Umsturzversuches
vom
20. Juli
tcilt und in Berlin-Pl6tzensce crmordet. Havemann,
Ingcborg
Havemann,
Wolfgang
Schwester von Arvid Harnack.
1944
2710
vcerhaftet,
zum
Todc
verur-
209
Jurist. Neffe von Arvid Harmack und Robert Havemann.,
2713
Hcath, Donald Anfang der 1940cr Jahrc amcrikanischer Botschaftsrat fiir 6konomische Fragen in Berlin, mit dem Mildred und Arvid Harnack verklchrten. 275 Hcath, Luisc Frau von Donald
Hecath.
Hcberle,
Rudolph
Hcberle,
geb. Tonnics,
275
(1896-1991)
Soziologe, Mitbegr. der soziologischen Feldforschung 1938 Emigration in dic USA. 270, 216 Franziska
und Soziographic.
(1900-1997)
Soziologin. Ehcfrau von Rudolph Heberle.
276
371
Heckert,
Fritz
(1884-1936)
Mitbegründer der KPD. Mitglicd der Zentrale bzw. des ZK der KPD, 1927 bis 1936 Mitgl. des PB. Scit 1928 Mitgl. dcs Präsidiums des EKKI, mchrfach Vertreter der KPD
im EKKI,
verstarb
1936 in Moskau.
/73
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770-1831) Philosoph. 169 Heinkel,
Ernst
(1888-1958)
Flugzcugkonstruktcur und Inhaber ciner Flugzeugfabrik in Rostock-Warnemünde. /97 Hellborn, Karl Christlicher Gewerkschafter
pelle«.
mit Kontakten
227
zum
Netzwerk
der »Roten
Ka-
Helmholtz, Hermann Ludwig Ferdinand (1821-1894) Mcdiziner und Naturwissenschaftler. 769 Herrnstadt, Rudolf (1903-1966) Eintritt ın dic KPD 1929, ab 1930
fiir den
Nachrichtendienst
der
Roten
Armcc tätig. 1943 bis 1945 Mitarbeiter des NKFD.
1945 bis 1949 Chefre-
daktcur
Deutschland«.
der
271f.
»Berliner
Zeitung«,
Hertz, Paul (1888-1961) USPD, 1922 SPD, 1930 bis
1933
dann
MdR;
des
»Ncuen
nach
1933
fiihrendes
265,
Mitglicd der
Gruppe »Ncu Beginneng, trat für cin Zweckbiindnis mit der KPD cin. 1938 Bruch mit der SPD,
1939 Flucht in dic USA, dort 1944 Beitritt zum Council
for a Dcmocratic Germany. 1949 auf Dridngen Ernst Rcuters Riickkchr nach Dcutschland, fithrende Funktionen ın der Verwaltung des Berliner Scnats.
296
Herzfelde,
Wicland
(1896-1988)
Schriftsteller. KPD scit Griindung, Leiter des Malik-Verlages ın Berlin, Mitgl. des Bundes proletarisch-revolutiondrer Schriftsteller (BPRS). 1933 Emigration nach Prag, gab dic Exilzcitschrift »Ncuc dcutsche Blitter« heraus. 1938
London,
1939
New
York.
1949
Riickkchr
nach
Dcutschland,
Prof.
fir Litcratur in Leipzig. 1951 im Zusammenhang mit der Nocl-H.-FicldAffdrc aus der SED ausgeschlossen, spiter rchabilitiert und wicder aufgenommen.
202
Hess, Kurt Scinc Zahnarztpraxis in Berlin war Treffpunkt für Kommunisten, Juden und andcrc Antifaschisten. 22If, 224 Hetz,
Karl
Major der Wehrmacht, Diploming., Vizepräs. des NKFD.
372
240f., 247, 258
Heydrich,
Recinhard (1904-1942)
1931 zur SS, scit März 1933 Leiter der bayerischen Politischen Polizei, 1934 des Geheimen Staatspolizeiamtes in Preußen, scit 1936 Chef der Sicherheitspolizei und des SD, 1939 Leiter des Reichssicherheitshauptamtes,
scit 1941 mit der sogenannten »Endlösung der Judenfrage« beauftragt, scit Scptember 1941 zusätzl. stellv. Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. Starb an den Folgen cines Attentats tschechischer Widerstandskämpfer. 145
Hcym, Stefan (cigentl. Flicg, Helmut) (1913-2001) Schriftsteller. 1933 Emigration, ab 1943 US-Soldat, nahm als Mitgl. cincr Einhcit fiir psychologische Kricgsfithrung an der Invasion in der Normandic tcil. Nach 1945 Mitarbeit in Zcitungen der amcrikan. Besatzungsmacht, Endc 1945 wegen prosowjetischer Einstellungen in dic USA zuriickversctzt, crncut als frcicr Schriftsteller tätig.
mancntc Auscinandcersctzungen
1952
zcichner des Aufrufs »Für unser Land«,
im Bundcstag.
in dic DDR;
Hilferding, Rudolf (1877-1941) Mitgl. des PV der SPD, scit 1924 MdR,
fiir dic PDS
1924 bis 1933 Hrsg. der thcoreti-
»Dic Gescllschaft. Internationale Revuc für SoziaJuni 1928 bis Dczember 1929 Finanzminister in
der Regicrung Hermann Miiller, Mitverfasser des Programms der SPD. 88,
per-
1989 Mitunter-
1994 mit Dircktmandat
24
schen Zeitschrift der SPD lismus und Politik«. Von
Ubersicdelung
mit der SED-Fihrung. Ab
91
86,
Himmlecr, Heinrich (1900-1945) Trat 1923 der NSDAP bei, 1929 bis 1945 Reichsfiihrer der SS, scit 1943 zusitzlich Reichsminister des Innern, seit dem 20. Juli 1944 auch Befchlshaber des Ersatzheeres. 96, 293, 340 Himpel, Helmut (1907-1942) Zahnarzt, hattc Kontaktc zum Hindenburg,
1916 bis
Paul
von
Nectzwerk
der »Roten
Benckendorff (1847-1934)
1919 Chef des Genceralstabes,
1925
bis
Kapelle«.
228
1934 Rcichsprisident.
250f. Hirsch,
Wemer
Danicl
(1899-1941)
Scit 1919 Mitgl. der KPD,
der Sckretire
Thialmanns,
1930 Chefredaktcur der »Roten Fahne«.
zusammen
mit diesem
verhaftet,
1933
bis
Einer 1934
in verschicdenen KZ inhafticrt und schwer mißhandelt. Emigration nach Moskau, pcrsonlicher Mitarbeiter von Picck. 1936 verhaftet, am 10. November 1937 zu zchn Jahren Lagerhaft verurteilt. Am 11 Juni 1941 an Herzversagen im Moskaucr Butyrka-Gefangnis verstorben. 1722 Hirschfcld, Alexander
Ab 1937 Ltr. des sowjctischen Konsulats in Hamburg, Anfang der 1940cr Jahre Mitarbeiter der sowjctischen Botschaft in Berlin. 27/7, 213-215
373
Hitler, Adolf (1889-1945)
Fiihrer der NSDAP, 1933 bis 1945 Rcichskanzler, ab 1934 Staatsobcrhaupt Dcutschlands. 9-11, 15-17. 20. 24-31, 33. 38f. 43f. 48f. 53f. 57. 61-63, 65, 68-71. 74, 76, 78f.. 81-84. 86f. 89f., 91. 106, [143-153. 1551, 160-162, 166-168, 170-175, 177-179, 181-187, 189-191. 194196. 199, 208, 213f. 218-221. 223, 225f., 228, 232. 235f.. 238-241. 243f., 246. 248-251, 253-257. 260, 264-269. 274. 278f. 283. 285f.. 289, 291-293, 295f., 299-301, 303-305. 307. 309. 311, 315. 318. 320. 326, 334f., 337, 343 Hocmle,
Edwin
Edwin
(1883-1952)
1919/1920 Mitbegr. und Ltr. der KPD in Wiirttemberg, 1921 bis 1924 Mitgl.
der Zcntrale,
1922
des
EKKI,
1924
bis
1933
MdR.
1933
Emigration
über
dic Schwciz nach Moskau, dort bis 1938 Leciter der Abt. Zcntralcuropa/ Skandinavien. danach verantw. Referent fiir Deutschland am Internat. Agrarinstitut in Moskau, 1940 bis 1942 wiss. Mitarbciter am Wecltwirtschaftsinstitut, ab 1942 polit. Mitarb. der Exckutive der Komintern, u. a. 1942 bis 1943 Lchrer an der Antifa-Schule im Kricgsgefangenenlager Nr. 27. gestaltete im sowjct. Auslandsrundfunk
Sendungen
fiir Bauern, ab Febr.
1943 Mitgl. der Kommission für dic Arbeit unter den Kricgsgefangenen, Mitglicd des NKFD. 1943 bis 1945 am sog. »Institut Nr. 99« tätig, Endc Mai 1945 Riickkchr nach Dcutschland, dort Vizepris. der Provinzialverwaltung Brandenburg. 73. 265, 277 Hoctzsch, Otto (1876-1946) Ostcuropahistoriker. Mitbegr. der DNVP und 1920 bis 1930 MdR. Hofcr,
Andrcas
(1767-1810)
Tiroler Freiheitskämpfer. Hoffmann,
Arthur
277
237
(1900-1945)
Scit 1922 KPD. Organisicrtc 1933 den illeg. Widerstand in Chemnitz, festgenommen, zu 3 Jahren Schutzhaft verurteilt, danach Schutzhiftling im KZ Buchcnwald; schloB sich nach sciner Freilassung der Schumann-Engert-Kressc-Gruppce in Leipzig an, für dic cr in Ristungsbetricben Sabotagcaktionen ausfiihrte; scit 1943 Mitgl. des NKFD. Im Juli 1944 crncut verhaftet, vom VGH
zum Todc verurteilt und hingcerichtet.
Hoffmann,
Karl
Heinz
179,
181,
(1910-1985)
193
Scit 1930 Mitgl. der KPD. 1941 bis 1945 in Antifa-Schulen verschicdener Kricgsgefangenenlager Lehrer und Instrukteur, zuletzt Leiter der Schule fiir Politcmigranten und Kricgsgefangene. Im Januar 1946 Riickkchr nach Dcutschland., dort bis 1947 ım SED-Zcntralrat personlicher Sckr. Ulbrichts, später Mitgl. des ZK der SED und scincs PB, Minister fiir Nationalc Vertcidigung der DDR. 148f. Hoffmann, gcb. Knjascwa, Klawdia Iwanowna ( 1920—??) Frau von Karl Heinz Hoffmann. 1748
374
Homann,
Heinrich
(1911-1994)
Jurastudium, scit 1934 Berufsoffizier, gerict bei Stalingrad in sowjet. Kricgsgefangenschaft.
1943
Mitbegr.
des
NKFD,
NDPD, später deren langjähriger Vors. Honccker, Erich (1912-1994) Eintritt in dic KPD 1929. 1935
240
inhaftiert,
1948
1937
in der SBZ
zu zchn
Mitbegr.
Jahren
der
Zuchthaus
verurteilt, Häftling im Zuchthaus Brandenburg-Görden. 1945 Jugendsekr. des ZK der SED, Vors. des Zentralen Antifaschistischen Jugendausschusses. 342 Hoovcn,
Hans-Günther
van
Oberst der Wehrmacht, gerict in sowjet. Kricgsgefangenschaft, Vizepräs. des Bundcs Dcutscher Offiziere. 247 Huber Franz (Partciname
Schwarzmüller,
Franz) (1910 — nach
1962)
Scit 1926 Mitgl. der KPD, 1933 nach Moskau, dort im Scpt. 1941 verhaftct und im Juni 1942 zu 5 Jahren Arbeitslager verurteilt. Starb offizicll wenige Tagc vor scincr Verurteilung im Gefängnis in Tschistopol. 1956 rchabilitiert, crschien er im Sommer 1962 an scinem früheren Arbeitsplatz in Moskau. »Man nimmt an, daß im Gefängnis cine andere Person starb, Huber jedoch scin Foto umkleben und die Dokumente des Verstorbenen benutzen konnte.« (»Iswestija« vom 24. April 1964). 106 Huch, Ricarda (1864-1947) Schriftstellerin und Historikerin. Humboldt, Alcxander Naturforscher. 169 Huscmann,
Walter
Freiherr von
2710, 213 (1769-1859)
(1909-1943)
1924 Mitglicd der KJD. Mitorganisator der »Antifaschistischen Jungen Garden« Berlin-Brandenburg, verschicdene journalistische Arbeiten. Ab 1933 illcgalc Arbeit in Berlin. 1936 bis 1938 Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald. Danach Mitarbeit tet, 1943 hingerichtet. 27/9 IlIner, Arthur
(Parteiname
in der »Roten
Stahlmann,
Richard)
Kapelle«,
1942
verhaf-
(1891-1974)
Scit 1906 Mitgl. der SAJ, 1919 zum Spartakusbund. Enger Vertrauter Dimitroffs und scit 1933 bis 1940 mit Unterbrechungen in Zürich bzw. Paris Verleger
der »Balkankorrespondenz«,
Leitung.
1945
1940 von Moskau
Jacob,
Franz
aus nach Schweden
Riickkchr nach
dann
der »Europäischen
Stimmen«.
cntsandt und dort Mitgl. der KPD-
Dcutschland.
24,
104,
163
(1906-1944)
1922 SPD, 1925 KJVD, 1928 KPD. Orglciter des KJVD BL Wasscrkantc 1928/1929. Aufbau des Kampfbundces gegen den Faschismus, 1931 Agitprop-
Sckr. der BL Wasscrkante. Scit Juli 1933 Leiter des Technischen ats bcim Pollbiiro der KPD. 1934 verhaftet, nach sicben Jahren
Sckretarientlassen.
375
Kontaktc zu Bernhard Bästlein und Robert Abshagen. Versuch in Werften und Rüstungsbetricben Produktionssabotage zu initicren. Nach 1942 illcgal in Berlin tätig. Gemeinsam mit Anton Sacfkow Versuch der Reorganisation der Führungsstruktur der KPD. Kontakte zu Sozialdemokraten wic Adolf Reichwein und Julius Leber. Durch Verrat am 4. Juli 1944 verhaftet und am 5. Scptember zum Todc verurteilt und am 18. Scptember hingerichtet. 179-181. 183-190. 194f., 284. 286, 290, 293 Jacgli Rechtsanwalt von Hugo bourg. 7713
Eberlcin und Charlotte Scheckenrcuter in Stras-
Jakel, Paul Wilhelm (Partcinamc Dictrich, Jean) (1890-1943) 1908 SPD, KPD scit Griindung, 1932 bis 1933 MdR, Endc 1933
Emigrati-
on. 1936 bis 1942 für dic Vertrctung der KPD beim EKKI Sckr. fiir dic Betrcuung der Politemigranten, ab 1943 polit. Mitarb. in Kricgsgefangenenlagern. 1719f. Jahn, Herbert
Rudolf (Rudi) (1906-1990)
Ab 1923 komm. Jugend, 1928 KPD. bis zur Befreiung im KZ Buchenwald.
Nach 1933 mchrmals verhaftet, 1939 798
Jeshow. Nikolaj Iwanowitsch (1895-1940) Scit 1917 Bolschewik. Scit 1930 in hohen Funktionen inncrhalb des Apparatcs des ZK der KPASU(B), ab 1935 auch Mitgl. des Exckutive der Komintcrn. Lcitcte von 1936 bis 1938 den NKWD wihrend der Moskauer
Schauprozesse.
Im Juni 1939 auf Geheiß Stalins verhaftet,
verurteilt und cerschossen.
174,
126
1940 zum Todc
Jugend-Karl Siche: Hähnel, Walter.
Julia Wird im Bricf Hugo Ebcrlcins an Charlotte Scheckenreuter erwihnt, Mitbewohncrin im Hotel »Lux« in Moskau. 738 Julius Siche: Alpari, Gyiila.
Jungbluth, Karl (1903-1945) Optiker. Mitgl. der KPD. In Leipzig aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt, Mitgl. der Widerstandsgruppe um Georg Schumann, Kurt Kresse und Otto Engert. Am 19 Juli 1944 verhaftet, zum Tode verurtcilt und am 12. Januar 1945 in Dresden hingerichtet. /81, 193 Jiinger,
Ernst
(1895-1998)
Schriftsteller. 1939 zur Wchrmacht cingezogen, Tcilnchmer am FrankreichFeldzug, wo cr im Gencralstab der Heersgruppe B fiir dic Bricfzensur zuständig war. 1942 von Carl-Hcinrich von Stiilpnagel in den Kaukasus entsandt,
376
angebl. um die Truppenmoral vor cincm cvtl. Attentat auf Hitler zu untersuchen, Riickkchr nach Paris. Nach Eröffnung der Zweiten Front mit den abzichenden Truppen Rückkehr nach Dcutschland, im Scptember 1944 aus der Wchrmacht entlassen. 272, 251 Jungmann,
Erich
(1907-1986)
Scit 1929 Mitgl. der KPD, Jugendfunktionär. Bei Kricgsausbruch als Mitgl.
des KJVD-Sckretariats in Paris intcrniert,
1942 nach Mexiko emigriert. Sci-
nc Entlassung aus dem Intcrmicrungslager und scinc Ausrcisc verdankte er ciner Intervention von Elcanor Rooscvelt, die er auf der Weltjugendkonferenz 1938 für den Frieden in New York kennengelernt hatte; in Mexiko Mitgl. und Sckr. der KPD-Landesgruppc sowic Sckr. des Komitces »Freics Dcutschland«, gchérte ncben Paul Merker und Alcxander Abusch zu den wichtigsten Funktiondren der deutschen kommunistischen Emigration ın Mcxiko. 1946 Rückkchr in dic SBZ, im Dezember 1946 Übersicdelung in dic Westzonen und zunächst 2. dann 1. Sckretär der KPD-Landcslcitung Nicdersachsen. 327 Kahn, Sicgbert (1905-1976) Scit 1928 Mitgl. der KPD. 1933 vcrhaftet und bis 1936 in Haft. Nach Freilassung Emigration in dic Tschechoslowakei, 1938 nach Großbritannicn;
dort Mitgl. der KPD-Landeslecitung.
1946
Riickkchr nach
schicdenc Wirtschaftsfunktionen in der SBZ bzw. der DDR. Kaindl,
Anton
der
376
ver-
(1902-1948)
Mitgl. der NSDAP Inspcktion
Dcutschland,
KZ,
und der SS. Leitete ab 1936 dic Verwaltungsabt. in der 1942
bis
1945
Kommandant
des
KZ
Sachsenhausen.
verbracht,
wo
cr ım
1947 vom cincm sowjct. Militärtribunal in Berlin zu Icbenslanger Haft ver-
urtcilt, im Dezember 1948 verstarb. 340
1947
nach
Workuta
Kantorowicz, Alfred (1899-1979) 1931 KPD, zuvor bereits für dic Partei
im
Nachrichtendicnst
Frühjahr
tätig.
1933
Emigration nach Paris, dort Generalsckretär des Schutzverbandes Dcutscher Schriftstcller, Mitarbeit am »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror«. 1936 bis 1938 Offizicr der Interbrigaden im Spanischen Biirgerkricg. 1939 intcrnicrt. 1940 Flucht, scit 1941 Emigration in dic USA. 1946 Riickkchr nach Dcutschland. 1947 Mitgl. der SED, Prof. an der Humboldt-Universität Berlin, fliichtete vor drohender Verhaftung 1957 in dic BRD. 20 Kapclle, Heinz (1913-1941) Scit 1931 Mitgl. des KJVD. 1934 verhaftet, spéter freigelassen; griindct 1938 cinc illcg. Jugendgruppe. Ungcachtet des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939 ricf cr zum Widerstand gegen den Kricg auf. Im Oktober 1939 geclang cs der Gestapo, ihn und cinige Mitglieder sciner Widerstandsgruppce zu verhaften; zum Tode verurtcilt und hingerichtet. 227
377
Kästner,
Alfred
(1882-1945)
1918 Spartakusgruppe, 1919 Mitbegr. der KPD-Ortsgruppe Lcipzig. Nach der Machtergreifung durch dic NSDAP illegale Arbeit. Im Scptcmber 1933 verhafict, blicb er nach der VerbiiBung scincr Zuchthausstrafe von zwci Jahren und acht Monaten bis 1939 in verschicdenen KZ inhafticrt. Nach der Entlassung schloss cr sich der Widerstandsgruppe um Georg Schumann, Otto Engert und Kurt Kresse an. Kontakt zu Widerstandsgruppe u. a. ın Hamburg, Bayern und Wiirttemberg. Verhaftung am 11. März 1945. Einc Wochc vor Einmarsch der US-amecrikanischen Truppen in Leipzig wurde Kästner am 12. April 1945 zusammen mit 53 weitcren Antifaschisten bei Lindenthal von der SS crschossen. 18/ Katz,
Otto
(1895-1952)
Ab 1912 Mitgl. sozialdecmokrat. Organisationcn im Sudcntenland, 1921 USPD, 1922 KPD. Anfang der 1930cr Jahre in Moskau, von dort fiir dic
»Miinzenberg-Organisation«
den USA und Brasilien. Tschechoslowakei. 1951 gerichtet. 20, 327
1933
nach
Paris,
ab
1935
wechsclnd
auch
in
1940 bis 1945 in Mcxiko. 1945 Riickkchr in dic verhaftet, ım Slansky-ProzeB verurteilt und hin-
Kayscr, Joscf Wchrmachtspfarrer. Geriet bei Stalingrad in sowjet. Kricgsgefangenschaft; Mitgl. des NKFD. Arbeitete nach 1945 als Geistlicher iın cinem Krankenhaus im Saucrland. 258 Keller, Bruno
Inncrhalb des Apparates der Komintern ın der Arbeit mit Kricgsgefangenen
titig.
/67f.
Kent Siche: Gurwitsch, Anatolı Markowitsch. Kcynes, John Maynard, Brit. Nationalokonom.
Baron 2713
Kcyncs
of Tilton
(1883—-1946)
Kisch, Egon Erwin (1885-1948) Schriftsteller. Seit Anfang 1918 illcgalc Antikricgsarbcit. Teilnahme an den rcvolutiondren Kämpfen. Erster Kommandant der Wicner Roten Garde, Vorsitzendc thres Soldatenrates, Mitglied der KPO
ab
1919, scit 1925 KPD.
Arbeit fiir den BPRS, aktive Tcilnahme an intcrnat. Kongressen gegen Faschismus und Kricg. 1939 Flucht aus Frankreich über dic USA nach Mexiko, dort im Hcinrich-Heine-Klub, in der Zecitschrift »Freies Deutschland« und
im Verlag El Libro Libre tätig. 1946 Riickkehr in CSR.
Klassner Siche: Wandel, Paul.
378
326
Klcin, Matthäus (1911-1988) Student der Theologic; geriet als Unteroffizier der Wehrmacht in sowjet. Kricgsgefangenschaft. Mitbegr.. dann Frontbcauftragter des NKFD. 1945 Rückkchr nach
Dcutschland,
an Bildungsstätten der SED.
Mitgl. der KPD.
dann SED.
258
Klemperer, Hadwig Zweitc Frau von Viktor Klemperer.
Journalist, Dozent
750
Klemperer, Victor (1881-1960) Romanist, 1920 bis 1935 Prof. in Dresden,
als Jude entlassen,
1940
in das
Dresdner Judenhaus zwangscingewicsen, im Februar 1945 Flucht aus Dresden nach Bayern, im Juni 1945 Riickkchr und zum Prof. an der wicdereröffneten TU Dresden crnannt. 750 Kluge, Günther von (1882-1944)
Ab
1940
Generalfeldmarschall
der
Wehrmacht,
1944
Oberbefchlshaber
West; stand in Fühlung zum Widerstand gegen Hitler, ohne sich ihm anzuschlicBcn. Wurde am 17. Aug. 1944 abgesetzt und beginn zwei Tage darauf Sclbstmord. 250 Knigge, Wilhelm (Deckname Max) (1906—-1995) 1927 KPD, Ltr. der »Roten Jungfront« im RFB-Gau
Bremen,
kchr nach
1946
verschicdene
Funktionen im RFB, nach 1933 illcgalc Arbeit, Emigration ın dic Nicderlande, nach Belgien und Frankreich. Orgleiter der KPD-Landesleitung und Verbindungsmann zur KP Frankreichs, aktiv in der Résistance. 1945 RückDcutschland,
KPD-Funktionär
in Bremen,
bis
der Bremischen Bürgerschaft. 1951 Übersicdelung in die DDR, SED, Partci- und Gewerkschaftsfunktionär. 370 Knittel, Fricdrich (1905-1980)
ab
1921
komm.
Jugend,
1925
KPD,
leitende
Funktioncn
1951
Mitgl.
Mitgl. der
in der deutschen
und intcrnat. komm. Jugendbewcegung. 1939 bis 1941 Polit. Referent in der Exckutive der Komm. Jugendinternationale, dann bis 1946 Politinstruktcur ın Kricgsgefangenenlagern und 1946 bis 1947 Lchrer ciner Antifa-Schule im Gcebict Iwanowo).
1947 Riickkchr nach Dcutschland.
73
Knöchel, Wilhelm (Partciname Erasmus, Wilhelm) (1899-1944) 1919 Mitgl. der SPD, 1923 der KPD, Funktiondr der KPD im Ruhrgebict,
1932-1934 Intcrnationalc Lcninschule in Moskau, danach Obcrberater KPD fiir KPD-Bczirk Wasscrkante. Auf der »Briisscler Konferenz« 1935 zum Kandidatcen des ZK gewählt. Ab 1936 zum Aufbau ciner Abschnittsleitung West in Amstcrdam. 1939 Teiln. an der »Berner Konferenz«, Wahl zum Mitgl. des ZK der KPD. Nach Auflésung der Abschnittsleitungen Beauftragter der KPD fiir dic Nicderlande, Belgicn und dic Schweiz. 1942 illcgalc
Einrcisc
nach
Dcutschland
über das
Ruhrgcebict
nach
Berlin,
Versuch
cinc opcrative Leitung der KPD aufzubaucn. Knéchel hattc begrenzt Verbindung zum ZK in Moskau. Knöchels Widerstandsgruppe war dic cinzige,
379
dic den Beschluß der KPD-Führung, cinc Reichsleitung der Partei aufzubaucn, näher
kam.
Im
Januar
1943
verhaftet,
arbeitete
Knöchel
nach
schwe-
ren Folterungen mit der Gestapo zusammen. Am 12. Juni 1944 vom VGH zum Tode verurteilt und 24. Juli 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. 10, 64, 105, 163, 173, 176-178, 180f., 196 Kocncn,
Wilhelm
(1886—-1963)
1904 SPD, hauptamtlichc der fihrenden Kopfe der Zusammenschlusses von Funktioncn in VKPD und tion
nach
Frankrcich,
Tatigkeiten in der SPD Halle. 1917 USPD ciner USPD in Halle, ciner der Hauptorganisatoren dcs linker USPD und KPD. Scit 1920 in führenden KPD, 1920 bis 1932 MdR. Im Juni 1933 Emigra-
dann
in dic Tschcchoslowakei,
dort
Ltr. der komm.
Emigration. Teilnchmer des VII. Weltkongresses der der Komintern und der
»wBrisscler
Partcikonfercnz«
der KPD.
Scit
1938
in GrofB3britannicn,
Lciter
der KPD-Landesgruppe. 1945 Riickkchr nach Dcutschland. Bis Anfang der 1950cr Jahre führende Funktionen in der SED. 316, 318-321, 329 König, Johannes (1903-1966) Scit 1919 KPD, verschiedene Funktionen in Thiringen und im Ruhrgebict 1929 und nach Verbüßung cincr Haftstrafe erncut Chefred. der KPD-Zcitung »Der Kämpfer« in Chemnitz. 1933 verhaftet, ab 1934 in Köln aktiv im Widcrstand. 1936 dort verhaftet. 1939 Emigration nach Shanghai, dort Pollciter der KPD-Emigrationsgruppe. 1947 Riickkchr nach Dcutschland. Chcefredakteur der »Sichsischen Zcitung«, ab Juni 1950 crster Botschafter der DDR in der VR China, danach Botschafter in der UdSSR und in der Mongolischen VR. Stcllv. DDR-Auflcnminister und ab 1965 Botschafter ın der Tschechoslowakei. 327 Koplenig, Johann (1891-1968) Osterreichischer Gewerkschafter und Sozialdemokrat. Scit 1922 Mitgl. des ZK, scit 1924 Generalsckretiar der KP Osterrcichs, scit 1928 bis zur Auflö-
sung der Komintern 160 Korfes,
Otto
1943 Mitgl. des EKKI, bzw. dcs Prasidiums.
(1889-1964)
Offizicr, nahm als Truppecnkommandecur
27, 37,
1938 an der Besctzung des Sude-
tenlandes, 1939 am Ubcrfall auf Polen und 1940 am Uberfall auf Belgicn und
Frankrcich
teil, ab
1941
an der Ostfront, dort zum
General
beférdert.
Gerict im Kesscl von Stalingrad in sowjet. Kricgsgefangenschaft und gehortc zu den 4 Generidlen, die sich an der Griindung des Bundes Deutscher Offizicre beteiligten, dann auch Mitgl. des NKFD. 1948 Riickkchr nach Dcutschland und in der SBZ Mitbegr. der NDPD. 244 Korotkow,
Alexander
(Deckname
Erdberg, Alexander)
(1909-1961)
Scit 1937 für dic sowjct. Aufklarung in Paris aktiv, 1940 bis wenige Tage vor dem Uberfall Hitlerdeutschlands auf dic Sowjctunion in Dcutschland tätig, Kontaktperson für das Netzwerk der »Roten Kapcelle«; Anfang Juli 1941 anschliclend zusammen mit dem internicrten sowjct. Botschaftspersonal den tirkischen Behorden übergeben. AnschlicBend Ltr. der Deutschen
380
Abt. ım NKWD, an der Vorbereitung der Konfrerenzen von Teheran und Jalta beteiligt, nach Kricgsende Chef der Auslandsaufklärung in der SBZ. 212, 214-217, 219 Korsikancr Siche: Harnack, Arvid. Kowalke,
Alfred
(1907-1944)
Kowalski,
Werner
Scit 1921 komm. Jugend, 1925 KPD, nach 1933 Mitgl. der Abschnittslcitung in Prag, 1937 zur Abschnittslcitung West, dort Zusammenarbceit mit Wilhelm Knéchel; als Instruktcur mchrmalige Reisen nach Deutschland, scit 1941 im Kern der Widerstandsorganisation um Knöchel; im Febr. 1943 in Berlin festgenommen, vom VGH zum Tode verurteilt und in Brandenburg-Gorden crmordet. 175f. (Partciname
Dobler,
Erich)
(1901-1943)
Scit 1922 Mitgl. der KPD. Ab 1931 in der Illegalität, 1933 kurzzceitig verhaftct, ab 1934 illcg. Instruktcur des ZK für dic Westbezirke Deutschlands, 1936 von dicser Arbeit entfernt wegen angeblich falscher Berichterstattung. 1938 aus der KPD
ausgeschlossen,
Gestpo in Frankrcich crschossen. Krauss,
Werner
1939 in Belgicn verhaftet.
1773
(1900-1976)
1943 von der
Romanist, als Mitgl. der Widerstandsgruppe »Rotc Kapelle« Todc, nach Wicdceraufnahmeverfahren zu 5 Jahren Zuchthaus 1945 auf dem Todesmarsch des Wchrmachtsgefangnisscs Fort gau von US-amecrikan. Truppen befreit. Nach Kricgsende Mitgl. dann
SED,
deren
PV
cr angchorte.
1946
zunichst
1947 dem Ruf an dic Universitdt Leipzig, ab Akadcmic der Wissenschaften. 232
1942 zum verurteilt. Zinna-Torder KPD,
Prof. in Marburg,
folgtc
1958 Prof. an der Berliner
Kresse, Kurt (1904-1945) 1924 Mitglicd der KPD, Leiter der Betricbszelle der KPD
in der Druckerei
Gicsccke und Devrient. Mitglied der BL Westsachsen. 1933 »Schutzhaft, 1934 crncut verhaftet. Wahrend des Kricges mit Georg Schumann und Otto Engert an der Spitze der Leipziger Widerstandsgruppe. 1944 verhaftct zum Tode verurteilt und am 11. Januar 1945 in Dresden hingerichtet. 7179, 181, 195 Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav (1870-1950)
Scit
1931
Vorsitzender
des
Reichsverbandes
ım Kuratorium der Adolf-Hitler-Spende.
der Dcutschen
42, 63
Industric.
Sitz
Kiichcnmcister, Walter (1897-1943) Tcilnchmer am Kicler Matroscnaufstand, 1918 SPD, 1920 zur KPD, 1926 ausgeschlossen. Nach 1933 zcitweisc inhaftiert, 1935 Kontakt mit Harro
Schulze-Boysen und aktive Teilnahme an dessen Widerstandsgruppe; suchte
bei
cinem
Kuraufenthalt
in der
Schweiz
Kontakt
zu
KPD-Funktionéren,
nach sciner Riickkchr wicder im Widerstand tätig, ım Scptember 1942 ver-
381
haftct, 219
vom
Rcichskricgsgericht
zum
Totc
verurteilt
und
hingerichtet.
Kuckhoff, Adam (1887-1943) Scit 1933 in frcundschaftlichen Kontakten zu Arvid und Mildred Hamack, aus denen heraus sich cin Diskussionskreis cntwickelt, dem spéter auch
Adolf Grimme und John Sicg angchören; lemt 1940 Harro Schulze-Boysen
kennen, arbeitet an illeg. Schriften mit, u. a. an »Dic inncrc Front« und »Offcne Bricfe an dic Ostfront«, und hat Kontaktc zum Vertreter der so-
wjct. Botschaft, Alcxander Korotkow. Im Scptember 1942 bei Filmarbeiten in Prag von der Gestapo verhaftet, vom Rcichskricgsgericht zum Tode verurtcilt und hingerichtet. 204, 207, 214-216, 219-221. 223. 230 Kuckhoff,
Greta
(1902-1981)
3. Ehefrau von Adam Kuckhoff, befrcundet mit Arvid und Mildred Harnack, dic sic während des Studiums an der University of Wisconsin kennengelernt hattc, scit Mittc der 1930cr Jahre auch Kontaktc zum Ehcpaar SchulzeBoyscn; nutzte ihre Tatigkeit als Ubersctzerin in Gocbbels Propagandaministerium für dic Widecrstandsarbeit. Im Scptember 1942 verhaftet, im Fcbruar 1943 zum Todc verurteilt, Aufhcbung der Todcsstrafc im Mai 1943
und in cinecm ncucn Prozcß zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt; 1945 im Zuchthaus Waldhcim von der Roten Armcc befreit, Beitritt zur KPD.
207,
215f.
Kuczynski,
Jirgen
(1904-1997)
Wirtschaftswisscnschaftler, scit 1930 KPD. 1936 Emigration in Grof3britannicn, Mitgl. der dortigen Leitung der KPD-Organisation, Mitbegriinder des Freien Dcutschen Kulturbundes. 1946 SED. 4I, 316-318 Kiihne, Martha (1888-?7?) Ab 1918 USPD, 1920 KPD. 1933 Emigration in dic UdSSR, dort im Archiv der Komintern beschiftigt. 1938 nach der Verhaftung ithres Ehcmannes cntlassen und 1940 an Dcutschland ausgclicfert. Lebte nach 1945 in Leipzig. 133 Kun, Béla (1886-1939) 1918/1919 crster Fihrer der KP Ungams. Volkskommissar in der Ungarischen Réteregicrung. Scit 1920 Mitarbeiter der Komintern. 1937 verhaftet und 1939 crschossen. 122 Kuntz,
Albert
(1896—-1945)
Ab 1914 SPD, 1916 USPD, dann Spartakusbund, 1920 KPD. Im Juni 1933 verhaftet, angeklagt wegen Mordes an den Polizisten Anlauf und Lenk, freigesprochen,
erncut verhaftet,
im KZ
Ltr. der illeg. KPD-Organisation.
Buchenwald
/148, 198, 341
Kuntz, Lcopoldinc Historikerin; Schwicgertochter von Albert Kuntz.
382
bis zu sciner Ermordung
748
Kurclla, Alfred (1895-1975) Scit 1918 KPD, fiithrender Funktiondr
der
intcrnat.
komm.
Jugendbewe-
gung. 1935 in Moskau gemaßregelt, nach der Rehabiliticrung 1941 bis 1943 wiss. Konsultant und Red. in der »Verlagsgenossenschaft der auslandischen Arbciter«,
1943 bis 1945 stellv. Red. am sog. »lnstitut Nr. 99« und ab Aprl
1945 verantw. Red. der Zeitungen »Freics Deutschland«, »Nachrichten« u. a. Danach schriftstcllerische Tatigkeit in der UdSSR, 1954 Rückkchr in dic DDR, Mitgl. des ZK der SED, Kandidat des PB. 265 Kurt Siche: Sacfkow, Anton.
Kuusincn, Otto (1881-1964) Mitbegrinder der Finnischen KP 1918, 1920 emigriert in dic UdSSR. Mitgl. der KPR(B) bzw. KPdSU(B). 1921 bis 1939 Mitglicd und Sckretär der Exckutive der Komintern. 33, 58 Lachmund,
Hans
(1892-7?)
Obecrjustizrat. 1924-1933 Mitgl. des Landesvorstandes der DDP in Mecklenburg, 1931/1932 Ubertritt zur SPD. Scit 1933 Amtsrichter und zusammcn mit sciner Frau ım Widerstand gegen das NS-Regime aktiv, zunédchst im Kreis um dic Libecraldemokraten Emst Strassmann und Hans Robinson, spater im Umfeld der kommunistischen Widerstandsgruppe um Anton Sacfkow. 1944 Mitbcgr. des Nationalkomitces »Freies Deutschland« ın Greifswald. Kurz nach Kricgsende von sowjct. Behorden wegen »internationaler Frecimaurcrverbindungen« verhaftet und bis 1950 in NKWD-Spcziallagern Alt-Strelitz,
Finfeichen
und
Buchenwald
Lachmund,
Margarctc (1896—1985)
interniert,
dann
in Waldheim
25 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1954 »gnadenhalber« centlassen. Sozialarbciterin, Quékerin.
1918 bis
1922 DNVP,
1922
SPD.
Scit
275
1933
zu
zu-
sammen mit threm Mann im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv. Nach Kricgsendce in Greifswald fithrend am Aufbau der Wohlfahrtspflege beteiligt, SPD, dann SED. Endc 1947 Ubecrsicdclung nach Westberlin, 1948 Austritt aus der SED. Sctze sich in der Bundesrepublik fiir das Recht auf Kricgsdicnstverweigerung cin, cngagicrte sich fiir dic Versohnung mit Polen. 215 Langc,
Fritz
(1898-1981)
Scit 1919 USPD, 1920 Ubertritt zur KPD. 1933 festgenommen und im KZ Sonncnburg inhafticrt, ab 1935 aktiv im Widcrstand, Mithcrausgeber der
»Inneren
Front«;
im
Dez.
1942
zusammen
mit
Martin
Weisc
verhaftet,
vom VGH zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt, dic er bis zur Befreiung ın Brandenburg-Gorden verbrachte, danach bis 1948 Oberbiirgermeister von Brandenburg/Havel. 223
Langhoff, Wolfgang (1901-1966) 1928 KPD, Schauspicler, Regisscur. 1933 Schutzhaft, KZ Bérgermoor und Lichtenberg. 1934 Flucht in dic Schweiz. Schauspiclhaus Ziirich. 1935 cr-
383
schicn Langhoffs berühmter Bericht »Dic Moorsoldaten. 13 Monatc Konzentrationslager«. Ab 1943 Leiter der Gruppe des NKFD in der Schweiz. 1945 Rückkchr nach Dcutschland, Mitbegr. des Kulturbundes in den Westzoncen, später Intendant des Deutschen Theaters in Berlin und Vizepräsident der Akademic der Künste der DDR. 279, 312 Langrock,
Karl
Willi
(1889-1962)
1906 SPD, ab 1915 Gruppc Internationale, 1917 USPD, Mitbegr. der KPD in Leipzig und bis 1922 Polsckretdr im Bezirk Mitteldcutschland; führend im Druckerci- und Verlagswesen der KPD tätig. Ab 1933 Aufbau illcgaler Druckunternchmungen in Europa, Instruktcur der KPD in verschiedencn Ländern, 1940 in Schweden verhaftet. 1946 Riickkchr nach Dcutschland, verschicdene Funktionen in der SED auf dem Gebict des Druckereiwesens. 112 Larcw Siche: OclBner, Fred.
Lattman, Martin General der Wehrmacht. Mitgl. des NKFD.
244, 255
Leber, Julius (1891-1945) 1913 SPD. 1924 bis 1933 MdR, 1933 bis 1937 inhafticrt, danach im aktiven Widerstand (Kreisauer Kreis) und als Innenminister in cinem Kabincett
Gocerdcler vorgeschen. Am 5 Juli 1944 verhaftet, vom VGH urtcilt und hingerichtet. 290
zum Todc ver-
Lcgros Sichc: Treand, Mauricce. Lchmann,
Richard
(1900-1945)
Volkswirt und Journalist, Mitgl. der SPD. In Lcipzig aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt, schloB sich der Widerstandsgruppe um Georg Schumann an. Am 18. Juli 1944 vcrhaftct, zum Todc verurtcilt und am 12. Januar 1945 in Dresden hingerichtet. 779 Lcipart, Thecodor (1867-1947) Gewcerkschaftsfunkt., scit 1921
schaftsdemokratic. KPD
zur SED cin.
Lcitner,
Nach 297
Vors.
des ADGB,
Propagandist
dcr Wirt-
1945 trat cr für dic Verecinigung von SPD
und
Willi
Siche: Hansen, Georg. Lenin (cigentlich Uljanow), Wladimir Iljitsch (1870—1924) Pol. Führer und Theoretiker der Bolschewiki, Mitbegriinder der Ill. Inter-
nationalc,
scit Oktobcr
1917
Vorsitzender des Rates der Volkskommissare,
der crsten Regicrung der UASSR. 30, 501, 198f., 211, 213, 223, 225, 229, 287, 295. 298
384
73. 85,
98.
116,
118.
136.
Lenz, Fricdrich (1885-1968) Nationalökonom. 211
Lconhard. Wolfgang (gcb. 1921) Mit der Mutter Emigration in Schweden, 1943
NKFD.
Besuch
der
Kominternschule
Kchrtc Endc April
1945
scit 1935 in der UdSSR.
in Kuschnarenkowo,
Mitarbeiter
1942/
dcs
als Mitglied ciner »Initiativgruppe« der
KPD nach Dcutschland zuriick. 1945 ZK der KPD bzw. des PV der SED.
bis 1947 Mitarbciter im Apparat des 172, 151, 155, 164-166. 291f., 303
Lcuschner, Wilhclm (1890-1944) Scit 1909 in SPD und Gewerkschaften aktiv, 1924 bis 1933 MdL, 1928 bis 1933 Inncnminister in Hessen. 1933/1934 inhaftiert, war cr anschlicficnd
im aktiven Widcrstand gegen den Nationalsozialismus tätig, nach dem At-
tentat auf Hitler am 20. Juli
und hingcrichtet.
290
Lcvetzow,
von
Admiral
der
Magnus
1944 verhaftet, vom
VGH
(1871-1939)
a. D. Unterstiitztc den Kapp-Liittwitz-Putsch,
Marine
cntlassen;
anschlicBend
Mitarb.
zum Todc
verurtcilt
vcrhaftet und aus
der Junkers-Werke.
Ab
1931
Mitgl. der NSDAP. Vermittelte 1931 und 1932 Rcisen Hermann Gorings zum chemaligen Kaiser nach Doorn. 1933 von der NSDAP als Polizciprésident in Berlin cingesctzt, nach den »Kurfursten-Krawallen« 1935 jedoch abgesctzt. 278 Licbig, Justus Freciherr von (1803-1873) Chemiker. 209 Licbknccht,
Karl
(1871-1919)
Fithrender deutscher Linker, Rechtsanwalt, Mitbegr. der Gruppe Intcrnationalc (Spartakusgruppc), 1918 des Spartakusbundes und der KPD, am 15. Januar 1919 von Mitgl. der Garde-Kavallerie-Schiitzen-Division crmordct. 63 Lindau,
Rudolf (Partciname
Gritz, Rudolf) (1888—-1977)
Scit 1919 Mitgl. der KPD. 1934 Emigration nach Moskau, dort im Bildungsapparat der Komintern tätig. 1938 bis 1942 Mitarb. der KPD-Vertretung , »im Auftrag des ZK der KPD mit der Arbeit an ciner Geschichte der KPD beschiftigt«. 1942 bis 1945 am sog. »Institut Nr. 99« Lchrer und dann Obcrred. am sog. »Institut Nr. 205«. Im November 1945 Riickkchr nach Dcutschland. 1719/, 123f. 265 Lindau, gcb. Sindcrmann, Ella (Partcinamc Grätz, Eva) (1901-7?) Ab 1918 SPD, 1929 KPD. Ehefrau von Rudolf Lindau, mit dicscm 1934 nach Moskau, dort bis 1941 Referentin und Archivarin im Archiv der Komintern, 1942 bis 1945 Lciterin der Bibliohck, danach verantw. Mitarb. dcs
sog. »lnstituts Nr. 99«. Kchrte mit ihrem Mann 124
nach Decutschland zuriick.
385
Lindcrot,
Ab
der
Sven
Harold
(1889-1956)
1908 Sozialdecmokrat, KP
Schwedens
und
1917 bis 1921
1928/1929
bis
linker Sozialist, scit 1921
1949
sowic
1951
Vors., 1938 bis 1949 Mitgl. des Schwedischen Rceichstages. Vertreter der KP
Schwedens
in der Exckutive
List,
Fricdrich
Nationalokonom
und Wirtschaftspolitiker.
Mitgl.
deren
ab
1935
cr-
1935 bis 1943 Kandidat dcs
322
(1789-1846)
1952
1921 bis 1922
der Komintern,
ncut Mitgl. der Exckutive der Komintern und Prasidiums des EKKI.
bis
273
Lorenz
Siche:
Winzer,
Otto.
Losowski (cigentl. Drisdo), Solomon Abramowitsch (1878—1952) Funktionidr der KP RuBlands und der Komintern, 1921 bis 1937 Generalse-
kretar der RGI, 1927 bis 1935 Mitgl. des Prasidiums des EKKI. 1949 verhaftct, im Prozcß gegen das Jüdische Antifaschistische Komitee verurteilt und hingerichtet. 7/54 Ludcndorft,
Erich
(1865-1937)
Bildctc zusammen mit Hindenburg im Ersten Weltkrieg dic sog. 3. Obcrstc Hceresleitung und wurde faktisch zum Leiter der deutschen Kricgfiihrung. Am 26. Oktober 1918 auf Driangen der Reichsregicrung cntlasscn, gehorte cr zu den Urhebern der »DolchstoBllegende«. 250f. Lukacs,
Trat
Georg
(Gyorgy)
(1885-1971)
1918 der KP Ungarns bei und war während der Riterepublik Volks-
komm.
für Unterrichtswesen.
Nach deren Niederschlagung
Emigration,
ille-
galc Arbcit fiir dic Komintern in Budapest und Wien. 1930 aus Osterrcich
ausgcwicsen cmigricrte cr nach Moskau, Iebte 1931 bis 1933 in Berlin; fiihrcdes Mitgl. des BPRS. 1933 crncut Emigration nach Moskau. 1944 kchrte Lukacs nach Budapest zuriick, wurde Prof. fiir Asthetik und Kulturphiloso-
phic.
207,
Luxcmburg,
Fahrende
211f.
Rosa (1871-1919)
deutsche
Linke,
scit
1887
Soziald.,
Mitbegr.
der Gruppe
Interna-
tionale (Spartakusgruppe), 1918 des Spartakusbundes und der KPD, Mitgl. von deren Zentrale, am 15. Januar 1919 von Mitgl. der Garde-KavallericSchiitzen-Division crmordet. 5/ Mabhlc
(cigentl.
Mahlmann),
Hans
(1911-1999)
Scit 1926 im komm Jugendverband, 1932 KPD. 1943 Mitbegriinder des NKFD, fiir das das cr am sog. »Institut Nr. 99« titig war. [/67f, 265 Mann, Hcinrich (1906-1949) Schriftsteller, Vorsitzender des Pariscr Volksfrontausschusses, zum Prisidenten der Deutschen Akademic der Kiinste in Berlin berufen, hinderte ihn scin
Tod an der Ubernahme dicscs Amtes.
386
326
Mann,
Thomas
(1875—1955)
Schriftsteller, Nobelpreisträger, ricf aus dem Exil zum Kampf gegen Hitler auf und cngagicrte sich für dic Einheit der deutschen Kultur. 202 Manstein
(cigentl.
Lewinski),
Erich
von
(1887-1973)
1942 Generalfeldmarschall der Wehrmacht. Entwarf als Stabschef der Heeresgruppc Rundstcdt 1940 den Opcrationsplan gegen Frankreich, 1941 bis 1944 Armcc- und Hceeresgruppen-Oberbefehlshaber an der Ostfront, 1944 wegen Kritik scinecs Kommandos cnthoben; 1949 von cinem brit. Militérgericht zu 18 Jahren Haft verurteilt. 250 Manuilski, Dimitrij Sacharowitsch (1883—-1959) 1903 SDAPR, 1923 bis 1952 Mitgl. dcs ZK dcr RKP(B)
scit
1924 Mitgl. dcs Präs. des EKKI,
EKKI.
27.
Marchwitza,
36,
53. 58.
Hans
64.
159.
163,
von
166.
1928 bis
168.
239,
bzw.
1943
245.
KPdSU(B),
Sckretär des
252,
303
(1890-1965)
Schriftsteller. Scit 1920 KPD, 1933 Emigration, ab 1941 in den USA. Kchrtc 1946 nach Dcutschland zuriick; 1947 Übersicdelung in dic SBZ. 1950 Griindungsmitgl. der Akademic der Künste der DDR. 202, 326 Maron,
Scit
Karl (1903-1975)
1926
KPD.
1934
Emigration
Diancmark,
1935
UdSSR,
dcutscher Ver-
treter in der Roten Sport-Internationale, 1936 bis 1943 Redaktcur in der Presscabt. des EKKI, 1943 bis 1950 stcllv. Chefredaktcur der Zeitung »Freics Dcutschland«. Kchrte Endc April 1945 als Mitglicd ciner »Initiativgruppc« der KPD nach Dcutschland zuriick. 1945/46 Stcllv. des Obcerbiirgermecisters von GroB3-Berlin. 344 Martow. L. (cigentl. Zederbaum. Juli Osipowitsch) (1873—-1923) Mitbegriinder der Sozialdemokratic ın Rußland und ab 1903 fithrender Mcnschewik. Emigricrtc 1920 nach Westcuropa. 5/ Marx,
Karl
(1818-1883)
Dcutscher Philosoph, Soziologe und Politékonom, Mitbegriinder der 1. In-
tcrnationalc,
Politiker
Arbciterbewegung.
und
Theorctiker
74, 169, 213, 272
Matcrn, Hermann (1893-1971) Eintritt in dic SPD 1911, 1918 USPD,
und Emigration
dic UdSSR,
der deutschen
1919
in mchreren curopiischen
Mitglicd des NKFD,
Krasnogorsk. Kchrtc Anfang Mai
KPD.
Ländern,
und
1933
1941
internationalen
vcrhaftct,
Flucht
Übersicdlung in
Lchrer an der Zentralen Antifa-Schule
ın
1945 als Mitglicd ciner »Initiativgruppc«
der KPD nach Dcutschland zuriick. 1945 1. Sckretar der LL Sachsen der KPD, 1946 bis 1948 Vors. des Landcsverbandes Grof3-Berlin der SED. 265, 273-275
Max Siche: Knigge, Wilhelm.
387
Mcchlis, Lew Sacharowitsch (1889-1953) Scit 1918 Bolschewik. 1937 bis 1940 und 1941 Ltr. der Polit. Hauptverwaltung der Roten Armee, 1940 bis 1941 Volkskomm. für Staatskontrolle,
ab 1941
stellv. Volkskommissar für Verteidigung und Ltr. der GPU,
Vertrauter Stalins. Mchnert,
Klaus
159
cnger
(1906—1984)
Historiker. 1937 bis 1941 Prof. an der Universitdt in Honolulu/USA, dann nach China, wo cr ncben sciner Tétigkeit als Prof. fiir Geschichte und Politikwisscnschaft im Auftrag des Auswirtigen Amtes in Berlin bis 1945 Propagandazcitungen fir dcutschc Emigranten herausgab. 1945 internicert, 1946 Riickkchr nach Decutschland. 277 Mcili,
Wemer
(1899-1967)
Scit 1919 Schweizer Sozialdemokrat, ab 1921 126 Mclnikow,
Boris Nikolajewitsch
Mitgl. der KP der Schweiz.
(1895-1938)
Ab 1916 Bolschewik, sowjct. Militär und Diplomat.
Nachrichtendicnstes der Komintern. zum Todc verurteilt und crschossen.
Im
Mai 122
1937
1935 bis 1937 Ltr. dcs
vom
NKWD
verhaftet,
Mclnikow, Daniil
General des NKWD. Verantwortlicher fiir das Kricgsgefangenenwesen in der UdSSR und maf3geblich an der Griindung des BDO betciligt. 244/ Mcrker, Paul (1894—-1969) 1918 USPD, 1920 KPD, von
1926
bis
1930
in fithrenden
Funktioncn
ım
ZK und Polbiiro der KPD. 1940 ın Frankrcich interniert, 1942 Emigration in Mecxiko, Sckretir das Latcinamcrikanischen Komitees der Bewegung »Freics Deutschland«. 1945 für das ZS der KPD vorgeschen, konnte aber crst im Juli 1946 nach Dcutschland zuriickkchren. 1946 bis 1950 Mitglied des PV der SED, scines ZS und PB. Im Zusammecnhang mit der Nocl-H.Ficld-Affiarc 1950 Ausschluf3 aus der SED, Jahren Zuchthaus verurteilt, 1956 cntlassen
201, 318-321,
327-329
Mecrson, Allan Leslic (geb.
1916)
1952 verhaftet, 1955 zu acht und rchabilitiert. 24f., 173,
Historiker. Teiln. am Spanischen Biirgerkricg, trat dort der KP rend des Zweiten Weltkricges für dic britische Aufkldrung titig, land, Frankrcich und Belgicn. 1945 bis 1946 Presscoffizier der Besatzungstruppen in Nordrhein-Westfalen. 1946 demobilisiert kchr nach Großbritannien. /79 Mcwis Siche: Bertz, Paul.
388
bei. Wähu. a. in Isbritischen und Riick-
Mewis, Karl (Partciname Arndt, Fritz) (1907-1987) 1924 KPD. 1938 bis 1939 Mitarb. des KPD-Sckretariats
in Paris, dann
bis
1940 Ltr. der KPD-Abschnittsleitung Mitte in Prag, dancben ab Dezember
1939
Mitarb.
des Auslandsbüro
der Exckutive der Komintern.
Ab
1940 zu-
sammen mit Herbert Wehner und Richard Stahlmann Mitgl. der KPD-Auslandsleitung in Stockholm, 1943 dort interniert. 1946 Rückkchr nach
Dcutschland, Staats- und Parteifunktionär ın der SBZ bzw. der DDR, bis 1952 Kandidat, 1952 bis 1981 Mitgl. des ZK der SED, 1958-1963 didat scincs PB. 27, 104f., 163, 175, 322 Mcyer,
Gertrud
Modcl,
Waltcr
1950 Kan-
(1914-2002)
1933 kurzzcitig verhaftet, dann Emigration nach Oslo, dort fiir dic SAPGruppc um Willy Brandt tätig, 1939 nach New York, wo sic bis zum Bruch als Assistentin für Wilhelm Rceich arbeitcte, später ım Wohlfahrtsbiiro der norwcgischen Handelsflotte iın New York tätig und während der ganzen Kricgsjahre hattc in Kontakt zu Hertha und Jacob Walcher in New York sowic zu Irmgard und August Endcrle in Stockholm. 230 (1891-1945)
Ab 1935 Leiter des technischen Amtes im Generalstab des Heeres, 1939. Genceralmajor, Stabschef im IV. Armeckorps, 1944 Genceralfeldmarschall. Obcrbcefchlshaber der Heeresgruppe B. Im April 1945 gab cr Befehl zur Auflösung der Heeresgruppe B und beging Sclbstmord. 250 Molotow,
Wjatschcslaw
Michailowitsch
(1890-1986)
Russisch-sowjctischer Partei- und Staatsfunktionir, 1929 bis 1930 de facto Leiter des EKKI. 1930 bis 1941 Vorsitzender des Rates der Volkskommissarc und des Rates fiir Arbeit und Verteidigung der UdSSR, von Mai 1939 bis Mirz 1946 Volkskommissar fiir Auswirtige Angclegenheiten. 716/, 23, 271, 31, 34, 51, 59, 76f., 94, 148, 301 Moltke,
Helmuth
James
Graf von
(1907-1945)
Jurist. 1919 bis 1944 Sachverstiandiger für Kricgs- und Volkerrecht bei der Amtsgruppc Ausland/Abwchr des Oberkommandos der Wehrmacht. Um ihn bildcte
sich ab
1940
der Kreisauer
Kreis,
VGH zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Moro-Giafcri, Vincent de
Rechtsanwalt 113 Moskwin,
von Hugo
Eberlcin
Michail Abramowitsch
im
Januar
290
und Charlotte
1944
vcerhaftet,
Scheckenrcuter
vom
in Paris.
(1883-1940)
Mitgl. des Prisidiums und des Sckretariats des EKKI. Mitarbeiter des Nachrichtendicnstes der Komintern. Leiter der Auslandsabteilung der OGPU. Bis 1937 Sckretir der Komintern. 1938 verhaftet und zum Tode verurtcilt. 113f. Miiller, Albert
Siche: Briickmann, Georg.
389
Müller,
Heinrich
(1900—1945)
Ab 1936 stellv. Ltr. des Amtes Politische Polizei im Hauptamt Sicherheitspolizei, ab 1939 Geschäftsführer der »Reichszentrale für jüdische Auswanderung« und Reichskriminaldircktor. Ab Oktober 1939 Chef des Amtes IV (Gestapo) des Reichssicherheitshauptamtes
und in dieser Funktion an nahc-
zu allen Verbrechen des NS-Staates führend beteiligt. Müller gilt scit Maı 1945 als verschollen. 99 Müller,
Herbert
(1900-1994)
Scit 1919 KPD. Ab 1936 in der Exilleitung der KPD in Frankreich, während
des Spanischen Bürgerkrieges in der Kaderkommission der KPD Spanicns zuständig für dic Dcutschen, dann Flucht nach Frankreich, dort interniert,
cntkam
1940 nach
Siidfrankreich,
lebte illcgal in Toulousc
und war in
Frankrcich verantwortlicher KP-Funktionär. 1945 Riickkchr nach Dcutschland; in verschiedenen Funktionen in der KPD. 1949 trat cr zur SPD über. 310
Miinzenberg,
Mitbegründer
Wilhelm der
(Willi) (1899-1940)
Kommunistischen
Jugendinternationale,
Vorsitzender,
Gründer der IAH sowic zahlreicher Verlage, Zeitungen und Zeitschriften, MdR 1924 bis 1933. Im Oktober 1937 aus der KPD ausgeschlossen. Kam 1940 in Frankrcich unter bisher ungceklärten Umständen ums Leben. 77, 271, 38. 173 Mussolini,
Benito
(1883-1945)
Fihrer des italicnischen Faschismus, Ministerprds. 1945 von italicnischen Partisancn gcfangengecnommen und hingerichtet. 49, 178, 181 Napolcon I. Bonaparte (1769-1821) Kaiscr der Franzosen 1804 bis 1814/1815.
150,
220
Ncbel, Sicgfried
Siche: Sicg, John. Ncubaucr,
Thcodor
(1890-1945)
1919 USPD, 1920 KPD. 1924 bis 1933 MdR. 1933 vcrhaftct und bis 1939 Häftling in Zuchthdusern und im KZ. 1939 durch Gnadenerlaß cntlasscn. 1944 crncut verhaftet und 1945 zum Todce verurteilt und hingerichtet. 179181, 194-196, 198, 284, 336 Ncukrantz,
Klaus
(1897-1941)
Alfred
(1909-2001)
Schriftstcller. Scit 1923 KPD. Nach 1933 verhaftet, gefoltert und in cine psychiatrische Klinik verbracht, wo sich scine Spuren verlicren. 217 Ncumann,
Scit 1929 Mitgl. der KPD.
nicn
und
Frankrcich,
denburg inhaftiert.
390
1934 Emigration in dic UdSSR, dann nach Spa-
dort verhaftet
342
in
1941
bis
1945
im Zuchthaus
Bran-
Ncumann,
Heinz
(1902-1937)
1937
NKWD
1920 Mitgl. der KPD, 1930 bis 1932 MdR. Scit 1922 hauptamtlicher Funktiondr bzw. Redaktcur der KPD und der KI. Ab Juni 1935 Asyl in der UdSSR. vom
verhattet, zum
Todc
verurteilt und crschossen.
298
Nickolay, Fritz (1909-1953) Scit 1929 Mitgl. der KPD. Mitgl. der BL Baden der KPD. Nach antifaschistischer Tätigkeit verhaftet, bis 1934 im KZ. Emigration nach Frankreich, Mitgl. der KPD-Landecsleitung für dic Benelux-Staaten. Nach Kriegsende Riickkchr nach Dcutschland, 1. Sckr. der BL Saargebict der KPD. 370 Nicbergall, Otto (1904-1977) 1923 Leciter der KJD Saarbriicken, von
1924 bis 1935
Sckretariat der KPD-
BL Saar. 1935 Emigration nach Frankrcich, 1937 bis 1940 Ltr. des Abschnitts Rhcinland in Briisscl. 1940 interniert, Flucht, ab Scpt. 1940 Mitglicd der KPD-Lcitung in Toulousc, wurde Nicbergall zum Ltr. der illegaIcn KPD fiir Frankrcich, Belgicn und Luxcmburg. Fihrendes deutsches Mitglied in der Résistance, 1944 Prisident des »Komitees Freies Dcutschland im Westen«.
1945
Riickkchr nach Dcutschland,
KPD, ab 1971 in der DKP. Nicderkirchner,
Michacl
25, 39, 201, 350
(1882-1949)
Eintritt in dic Sozialdemokratische
dem
linken
Fligel
der
USPD
zur
fithrende Funktionen
Partci Ungarns
KPD,
1927
und
1903, kam
1929
ins ZK
in der
1920 mit gewählt.
1929 Mitglicd des ZR und des Vollzugsbiiros, 1930 Generalsckretir der RGI. 1933 aus Dcutschland ausgewicsen. Scit 1934 wicder in Moskau in Funktioncn der RGI. Ende 1945 Riickkchr nach Deutschland, Partci- und Gewerkschaftsfunktionen in der SBZ. 1763 Nickisch,
Ernst
(1889-1967)
Sozialdemokratischer Politiker und Schriftsteller. Nach 1933 geistiger Kopf der nationalrevolutiondren Opposition gegen Hitler, im März 1937 verhaftct und im Jan. 1939 zusammen mit Joscph Drexel und Karl Tröger vom VGH zu Icbenslianglichem Zuchthaus verurteilt, 1945 in schlechter gesundheitl. Verfassung aus dem Zuchthaus Brandenburg-Gérden befreit. 1945 Beitritt zur KPD, lcgte 1954 allc Amter nicder und zog nach Westberlin. 212 Niclsen, Danicl Siche: Ebcerlein, Hugo.
Nikolajew Kommissar des NKWD;
leitete das Verhör Hugo Eberleins.
1727
Nobel, Giinter (1911-??)
1931 SAP, 1933 zur KPD. Nach illeg. Tatigkcit in Berlin 1936 verhaftet und zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. Emigricrte als politisch und rassisch Verfolgter nach Shanghai und war dort Mitgl. der KPD-Lcitung. 1947 Riickkchr nach Dcutschland. 327
391
Noll, Marcel
Mittc der 1930er Jahre Geschäftsführer der deutschen Ausgabe der »Humanité« in Strasbourg. 1772 Norden, Albert (1904-1982) 1921 KPD, Red. kommunistischer
Zeitungen,
bis
1933
stellvertretender
Chefred. der »Roten Fahne«. Nach 1933 Emigration in Frankrcich und der Tschechoslowakei, in den USA Mitbegründer des Council for a Democratic Germany. 1946 Rückkchr nach Dcutschland, SED. 29f. 41, 330f. OclBner,
Fred (Deckname
Larcw)
(1903-1977)
Eintritt in dic KPD 1920, Rcdaktcur kommunistischer Zeitungen, 1932/ 1933 Mitarbeiter des ZK. Nach 1933 Emigration in westcuropdischen Ländern, scit 1935 in Moskau, 1937 bis 1940 Arbciter in cincr Papicrfabrik, dann Ltr. der Dcutschland-Abtcilung dcs Moskauer Rundfunks. Kchrtc Anfang Mai 1945 als Mitglicd ciner »Initiativgruppe« der KPD nach Decutschland zuriick, Ltr. der Abt. Agitation und Propaganda dcs ZK der KPD; 1946 Ltr. der Abt. Partcischulung des PV der SED. 265 Ollenhaucr, Erich (1901-1963) 1918 SPD, 1923 bis 1946 1. Sckretär der Sozialistischen Jugendintcmationalc, 1928 bis 1933 Vorsitzender der SAJ. Ab 1933 in der Emigration (Prag, Paris, London), Mitglicd dcs Exilvorstandes der SPD. 1946 Riickkchr nach Dcutschland und bis 1952 stellv. Vors. der SPD, dann bis 1963 deren Vors. 265, 315
Opitz, Max (1890-1982) 1919 KPD. scit 1926 hauptamtlichcr KPD-Funktiondr. 1933 verhaftet und bis zur Befrciung in verschiedenen Gefdangnissen und KZ, nach 1945 Oberbiirgcrmcister von Leipzig. 197, 286, 343 Pascal
Siche: Diibi Lydia. Paukcr, Ana (1893-1960) Scit 1915 Sozialdecmokratin,
1921
KP
Ruminicns.
1935
vcerhaftet,
1940
durch Gefangencnaustausch in dic UdSSR, dort 1940 bis 1943 Mitarb. dcs sowjct. Rundfunks. 1944 Riickkchr nach Ruminicn, ab 1947 AuBcnministerin Ruminicns,
1952 aller Amter
enthoben,
cinige Jahre unter Hausarrest gestellt. l?aul,
Elfricde
(1900-1981)
768
Im Februar
1953
verhaftet und
Arztin, scit 1921 Mitgl: der KPD. 1936 bis 1942 Mitarbeit in der Widerstandsgruppc »Rotc Kapclle«, zu scchs Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Kricg bis zur Bildung des Landes Niedersachen Vertreterin der KPD im Landtag und Ministerin fiir Wicderaufbau und Wohlfahrt in der Provinz Hannover, danach Ubcrsicdelung in dic SBZ. 279, 223
392
Paulus, Fricdrich (1890-1957) Offizier, Obcrbefchlshaber der 6. Armecec der Wehrmacht
bei Stalingrad, An-
fang 1943 zum Genceralfcldmarschall crnannt. Kapitulicrte am 31. Jan. 1943 gcgen Hitlers Befehl, schloB sich in der Kricgsgefangenschaft dem
NKFD
an. 1953 Riickkchr nach Dcutschland, wo er sich in der DDR
licB.
nicder-
239, 243. 259
Pawlow,
Iwan
Pctrowitsch
Wilhelm
Richard
(1849-1936)
Russ.-sowjct. Physiologe. 1904 Nobclpreis für Medizin. Picck,
22
(1876—-1960)
Mitbegr. der KPD. Gehorte bis 1933 außer 1919 allen Zentralen bzw. Zentralkomitces an. 1928 bis 1933 MdR. Ab 1928 Mitgl. dcs EKKI, ab 1931
dcs Prisidiums des EKKI.
Haft Ernst Thdalmanns,
Vors.
dcs
1935 bis 1946 Vorsitzender der KPD
Mitgl. dcs ZK
Exckutivkomitces
der
und dcs Polbiiros.
Internationalen
Roten
wihrend der
1937 bis 1941
Hilfe.
Nach
Griin-
dung dcr SED gemeinsam mit Otto Grotewohl Partcivorsitzender, Mitglicd
des PV und scines ZS, bzw. des ZK der SED und scines PB. 1949 bis 1960 Präs. der DDR. 22, 24, 35-38. 41f. 52. 54. 56. 60, 64. 66. 68. 71-73. 771, 80. 83f.. 88f.. 91. 114, 117-120, 124, 137, 147. 151, 157. 163-165. 167f.. 170-172, 226, 239-241, 259, 265. 270f., 280, 288. 292. 295-300. 3021, 314, 343
Picper 1940 Kriminalrat im Amt IV A dcr Gestapo. Pjatnitzki,
Ossip
(cigentlich
Tarschis,
99
Jossif Aronowitsch)
(1882—1938)
1921 bis 1935 in der Komintern zuständig für dic Abteilung Internationale
Verbindungen
(OMS),
scit 1935 Abtcilungslciter im ZK
der KPASU(B),
dem Oktoberplenum 1937 von scinen Funktionen entbunden. Am tober 1938 hingerichtet. 735
auf
30. Ok-
Plessc, Karl Scit 1923 KJD bzw. KJVD in Leipzig, verschicdenc Funktionen in der Leipziger KPD, Mitgl. dcs AM-Apparates, 1934 dessen Instrukteur in Sachsen. 1935
verhaftet,
zu
3 Jahren
Zuchthaus
verurteilt;
unterschricb
cine
Ver-
pflichtungscrklarung zur V-Mann-Téitigkeit für dic Gestapo. Danach in Leipzig aktiv am Widcrstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt. Im Juli 1944 vcrhaftet, dann im Herbst von der Gestapo kurzfristig freigelasscn, um weitere Mitgl. des Widerstandes zu crmitteln. Bildete im April 1945 zusammen mit Kurt Rossberg dic Leitung des NKFD in Leipzig. 7/93f. Plicvicr, Thcodor
(bis
1933
Plivicr, cigentl.
Richardis,
Otto) (1892-1955)
Schriftsteller, aktiv tätig im Bund prolctarisch-revolutiondrer Schriftsteller. Emigration in der Tschechoslowakei, dann in der UdSSR, Mitglicd des Prisidiums des NKFD, Funktionédr des Kulturbundes in Thiiringen, brach 1947 mit der SED, übersicdelte nach Westdcutschland und ging 1953 in dic Schweiz.
161,
164
393
Pollitt, Harry (1890-1960) Ab 1906 Mitgl. der Independent Labour Party, 1912 zur Fabian Socicty, 1920 Ubertritt zur KP GroBbritannicns und ab 1922 mit klcinen Unterbrechungen deren Vors. Wurde im Okt. 1939 kurzzcitig vom Posten des Generalsckr. der Partci abgesctzt »wegen falscher Haltung zur Kricgsfrage«, aber im ZK belassen und wenige Tage spater, nachdem »er scine Fehler bekannt« hatte, wicder als Generalsckr. cingesctzt. Pollitt sctzte sich scit 1941 aktiv für dic Er6ffnung der Zweiten Front cin. 69 Popitz, Johanncs (1884-1945) Verwaltungsbcamter und Politiker, 1933 bis 1934 unter Géring prcuBlischer Minister der Finanzen. Stand scit 1938 im Kontakt zum Widerstand um
Gocrdcler,
Beck
u. a., bemiihte
sich vergebl., Géring
und
Himmler
fiir dic
Ausschaltung Hitlers zu gewinnen. War als Kultusminister in cincm Kabinctt Goerdeler vorgeschen, nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 vcerhaftet, vom VGH zum Todc verurteilt und hingerichtet. 227 Poscr,
Magnus
(1907-1944)
Scit 1928 Mitgl. der KPD. Nach 1933 mchrmals verhaftet und inhafticrt, schlof} cr sich jedesmal crncut dem Widerstand an, formicrte in Jena trotz polizcil. Uberwachung cin weitverzweigtes Widcrstandsnctz mit Kontakten nach Berlin, zur militdr. Opposition und zum Krcisauer Kreis. Im Juli 1944 crnecut festgenommen, versuchte cr, aus der Gestapo-Haft zu flichen, schwer verwundet, starb im Krankenrevier des KZ
Buchenwald.
779-181
Prcysing, Konrad Graf von Preysing-Lichtencgg-Moos (1880-1950)
Kath. Thcologe, 1946 Kardinal. Pricss,
Heinz
1932 296
Bischof
von
Eichstatt,
1935
Bischof
von
Berlin,
(1920-1945)
KJVD. Half den im Sommer 1942 iiber Ostpreußen abgesprungenen Kommunistcn Erna Eifler und Wilhelm Fellendorf. Verhaftung im Oktober 1942. Nach »Bombcenurlaub« illegal, 1944 cmcut festgenommen und zum Todc verurteilt, im März 1945 hingerichtet. 370 Priworotskaja, Jclisaweta
Markowna
(1895—??)
Scit 1911 Mitgl. der bolschewistischen Partci; von 1935 bis zur Evakuicrng Ende 1941 Oberreferentin der Kadcerabteilung des EKKI, ab Aug. 1938 zustandig fiir Dcutschland. 130/ Proskurow, Iwan Joscfowitsch (1907-1941) Scit 1927 KPdSU(B). 1936 bis 1938 als Mitarb. des NKWD
Teilnchmer des
Spanischen Birgerkricges, anschlicBend in der sowjet. Luftwaffe titig, danach ab 1939 Ltr. des Aufklärung der Roten Armce; gab am 21. Juni 1941 Befehl, die Flugzeuge von den Flugfeldern zu rdumen. Dafiir wegen »Schädlingsarbeit« am 27. Juni verhaftet und erschossen. 147
394
Quesnay, Francois (1694-1774) Franz. Nationalökonom. Lcibarzt Ludwigs des XV., Begründer der Physiokratic. 273 Räkosi, Matyas (1892-1971)
Ab
1910
sozialdemokrat.
Partci
Ungarns,
1918
KP
Ungarns,
während
der
Rätercpublik Volkskomm. fiir gescll. Produktion, dann Emigration, scit 1925 Mitgl. des ZK der KP Ungarns und ab 1945 Genceralsckr. Ab 1935 Mitgl. der Exckutive der Komintern und zuglcich ab 1941 Leiter des Auslandsbiiros der KP Ungams in Moskau. 1945 Riickkchr nach Ungarn, dort bis 1947 Minister ohne Geschéftsbereich in der Ungar. Nationalregicrung, 1947 bis 1952 stcllv. Ministerprisident, 1952 bis 1953 Vors. decs Ungar. Ministcrrates, danach Generalsckr. der Partei. 1956 Flucht in dic Sowjctunion, wo er starb. /68 Ramcttc,
Arthur
(1897-1988)
Scit 1921 Mitgl. der KP Frankreichs, 1930 bis 1967 Mitgl. dcren ZK’s, 1932 bis 1950 deren Politbiiros. Ab 1939 Icitend am Aufbau dcs illcg. Partciapp. ın Briisscl beteiligt, 1940 zusammen mit Togliatti und Guyot nach Moskau, dort bis 1944 Red. und Ansager im sowjct. Auslandsrundfunk. Ende 1944 Riickkchr nach Frankrcich. 27 Rauch,
Hcinz
(1904—1962)
Scit 1933 Mitgl. der KPD. 1933 Emigration nach Däncmark, 1934 nach Schweden, 1936 bis 1938 Offizier und Mitgl. der Intcrnationalen Brigaden
ın Spanicn, anschlicBend wicder nach Schweden,
illcg. Arbeit in Norwegen; 322
1941
im Auftrag der KPD
1944/1945 Mitgl. der KPD-Lcitung in Schweden.
Rcemtsma, Philipp Fiirchtegott (1893-1959) ) Entwickelte dic Zigarcttenfabrik scincs Vaters durch Ubernahmen und Fusioncn zum bedcutendsten Zigarcttenhersteller Deutschlands. 42 Regler, Gustav
(1898-1963)
Schriftsteller, scit 1929 KPD. 1938 von Spanicn nach Frankreich rcpatriicrt, von dort 1940 Emigration nach Mcxiko, wo cr mit der KPD brach. 1948 Riickkchr nach Dcutschland. 20 Rcichwcein, Adolf (1898-1944)
Scit Anfang der dreißiger Jahre Mitglicd der SPD, 1939 aus dem Hochschul-
dicnst cntlassen, Mitarbeit im Kreisauer Kreis, Kontakte zu Franz Jakob und Anton Sacfkow. Im Juli 1944 verhaftet und am 20. Oktober vom VGH zum Todc verurteilt. 290 Rcimann,
Max
(1898-1977)
Eintritt in dic KPD
bict dcr
KPD.
1919, Funktiondr der RGO.
Emigration
1933 Mitgl. der BL Saarge-
in der Tschechoslowakei,
1939
verhaftet,
bis
1945 Zuchthaus und KZ, zulctzt KZ Sachscnhauscn. Scit Scpt. 1945 1. Sckr.
395
der BL Ruhrgebiet der KPD, 1948 Vors. der KPD,
Reindl, Ludwig
MdB.
1946 bis 1948 Mtgl. dces PV der SED,
286
Emanucl (1899-1983)
Journalist, Schriftsteller. Aktiv im Widerstand gegen das NS-Regime.
scit
273
Renn, Ludwig (cigentl. Victh von Golßenau, Arnold Fricdrich) (1889-1979)
Schriftsteller. Scit 1928 KPD.
revolutiondrer
Schriftsteller.
1928 bis 1932 Sckr. des Bundcs proletarisch-
Nach
1933
mchrmals
verhaftet,
im
Spani-
Dcutschland.
Mitgl.
schen Bürgerkrieg Chef des Stabes der 1. Internationalen Brigade. 1939 Emigration über Großbritannien und dic USA nach Mexiko, dort ab 1941 Präs. der Bewegung »Freies Deutschland« und des Lateinamerikanischen Komitces
der Freien
Deutschen.
1947
Rückkehr
nach
des SED; ncben schriftstellerischer Arbeit Kulturpolitiker und Kulturwissenschaftler. 326f. Remmele, Herrmann (1880-1939) 1917 USPD, 1920 KPD, gchorte 1920 bis
1933
der Zentrale bzw.
dem
ZK
der KPD an, 1924-1932 Mitgl. des Polbiiros, 1924-1933 MdR. Scit 1926 Mitgl. des Präsidiums der Exckutive der Komintern. 1932 sciner Funktion im Sckrctariat des ZK c¢nthoben. 1933 Emigration nach Moskau. 1937 vom NKWD
verhaftet,
Rcuter,
Lotte
der Tcilnahme
an ciner
konterrevolutiondren
tcrroristi-
schen Organisation beschuldigt und 1939 zum Tode verurteilt und crschossen. 122 Siche: Scheckenreuter, Charlotte Lydia. Reventlow,
Ernst
Graf von
Ribbentrop,
Joachim
(1869-1943)
Marincoffizier und Verleger. MdR und in der Fraktion der NSDAP Führer der sog. »Strasser-Fraktion«, Mitbegr. der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung. 2712 Dcutscher Diplomat, ReichsauBBenminister.
von
(1893-1946)
aullcnpolitischer 7/5f., 39, 70
Ricardo, David (1772-1823) Brit. Nationalékonom und Bankicr, Okonomic. 2173 Ritter,
Gerhard
(1888-1967)
Berater
Thcoretiker
Hitlers.
1938
der klassischen
bis
1945
National-
Nationalkonservativer Historiker. Als Frcund von Carl Gordeler in dic Putschpldne gegen Hitler cingewciht. Nach dem 20. Juli 1944 kurzzeitig inhafticrt. Betrachtete den Kampf gegen dic sog. Kricgsschuldthese als scin Lebenswerk. 205
396
Rittmeister,
John
(1898-1943)
Psychoanalytiker in Berlin. Mitgl. der Widerstandsgruppe »Rotc Kapelle«, im Scptember 1942 verhaftet, vom Reichskriegsgericht zum Tode verurtcilt und hingerichtet. 208, 220, 232 Robinsohn, Hans (1897-1981) 1918 DDP. Gründet 1934 zusammen
in Hamburg
bleibt
knüpft.
aber
mit Ernst Strassmann
cinc Widerstandsgruppe.
Kontakt
zum
Widerstand,
1938
für den
Emigration
cr Kontakte
1943 Flucht vor der Deportation nach Schweden.
Roosevelt,
Franklın
Delano
und Oskar Stark
nach Däncmark, nach
England
27/0, 215
(1882-1945)
1933 bis 1945 US-Präsident. Das als New-Dcal bezeichnete Notstandsprogramm zur Bchcbung der Wirtschaftskrise bedeutete cine Abwendung vom traditionellen amerikanischen Wirtschaftsliberalismus. 178, 263, 300 Roscmeycer, Gertrud Mitgl. der KPD. Nach 221 Roscnfeld,
Kurt
1933 aktiv im Widerstand gegen das NS-Regime.
(1877-1943)
Mitglicd der SPD, 1920 bis 1932 MdR. 1931 wegen seiner Mitarbeit in der Deutschen Friedensgescllschaft vom Partcivorstand aus der SPD ausgcschlossen. Gründungsmitglicd der SAP und ciner ihrer Vorsitzenden. 1933 Emigration nach Frankreich, Mitglicd des »Lutetia«-Kreises. Ende der dreiBiger Jahre Eintritt in dic KPD. Nach der Besetzung Frankreichs Übersicdlung in dic USA. 202 Rossberg, Kurt In Leipzig
aktiv
am
Widerstand
gegen
den
Nationalsozialismus
beteiligt,
scin Desinfektionsgeschäft spielte cine zentrale Rolle für dic Verbindungen der Schumann-Engert-Kressc-Gruppe in die Betricbe und Zwangsarbeiterlager. Im Juli 1944 verhaftet, zum Todc verurteilt und am 12. Januar 1945 ın Dresden hingerichtet. 17/93f. Rubiner,
Frida (1879-1952)
1918 bis 1923 Mitgl. der Zentrale der KPD. Ab Ende 1938 in Moskau der Verlagsgenossenschaft der ausländischen Arbeiter, 1941 bis 1945 der dcutschsprachigen Sendungen des sowjet. Rundfunks, dann bis 1946 antw. Sckr. des NKFD am sog. »Institut Nr. 99«. 1946 Rückkchr Dcutschland. /161 Rudolf, N. Autor der Zcitschrift
»Dic
Kommunistische
Internationalc«.
Red. Red. vernach
145
Ruge, Wolfgang (1917-2006) Ruge wuchs iın cincm kommunistischen Elternhaus auf. 1933 fliichtcte er vor den Nationalsozialisten mit sciner Familic in dic Sowjctunion. Dort
wurde scin Bruder verhaftet, scin Vater an das faschistische Dcutschland aus-
397
gclicfert. Ruge kam als Zwangsarbeiter nach Sibirien. 1948 Fernstudium der Geschichte in Swerdlowsk. 1956 Rückkchr in dic DDR. Hicr schlug cr dic Laufbahn cincs Historikers cin. 1/45f.,, 149f., 155, 162 Rusch Verhörbeamter des NKWD:;
verhörte Charlotte
Sacfkow,
Kurt)
Anton
(Deckname
Scit 1920 in der komm.
Jugend,
Scheckenreuter.
127
(1903-1944)
1924 KPD;
verschicdene Partei- und Ge-
wcerkschaftsfunktionen. 1933 verhaftet, zu 2,5 Jahren Zuchthaus verurteilt, KZ Dachau, im Juli 1939 frcigclasscn. Baute nach dem Ubcrfall auf dic So-
wjctunion in Berlin dic sog. opcrative Leitung der KPD auf. Im Juli 1944 wurdc cr crncut verhaftet, zum 183, 194—-196, 284. 290, 293 Sandtner. Augustin
Tode
verurteilt
(Gustel) (1893-1944)
[Kap.
und
crschossen.
180f.
I11]
Wihrend des Ersten Weltkricges Gruppe Intcrnationale bzw. Spartakusgrup-
pc. Tcilnahme
am
Matroscnaufstand
in Kicl, Anfang
1919
KPD.
Verschic-
dene Funktionen in der KPD bis 1933. Bereits 1933 verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurtcilt, anschlicBend KZ Sachscnhauscn, dort wegen illcgaler Tatigkeit am 11. Oktober 1944 von der SS crschossen. 286, 342 Schacffer,
Ilse (1899-1972)
Schacffer,
Philipp
Bildhaucrin. Kam Anfang dcr 1930cr Jahre zur KPD. Aktive Tcilnahme in der Widerstandsgruppe der »Roten Kapelle«, im Herbst 1942 verhaftet, vom Recichskricgsgericht zu insgesamt 3 Jahren Zuchthaus verurteilt; bis zur Befrciung inhafticrt, dann cinige Zcit Bürgermeisterin von Zcrnsdorf, danach wicder freischaffende Bildhauerin. 223 (1894-1943)
Sinologe. Scit 1928 Mitgl. der KPD. Nach 1933 im Widcrstand aktiv, 1935 festgecnommen und 5 Jahre im Zuchthaus Luckau inhafticrt, wo er sich zcitweisce dic Zelle mit Wilhelm Guddorf und Wolfgang Abcendroth teilte; danach trotz Polizciaufsicht aktive Teilnahme in der Widerstandsgruppe der »Roten
Kapelle«,
und hingerichtet.
im
Oktober
223
1942
crncut
Scheckenreuter, August Vater von Charlotte Lydia Scheckenrcuter. Scheckenreuter,
Charlotte
Lydia
(Partciname
verhaftet,
zum
Todc
verurteilt
/09 Reuter.
Lotte)
(1909—1982)
Scit 1927 Mitgl. der KPD, organisicrt in Arbciter-Sport-Verbianden. Mitarbeiterin und Sckretärin von Hugo Eberlcin. Lebte mit Eberlein in ciner chelichen Bezichung. Ab 1935 mit Eberlein in der Schweiz und im Saargebict tatig. 1935 verhaftet, Ausweisung aus Frankrcich, 1936 Emigration in dic SU. Stenotypistin in der Intecrnationalen Lenin-Schule. Nach der Verhaftung Ebcrlcins arbcitslos, 1938 cbenfalls verhaftet, nach vicrcinhalb Monaten cntlassen. Alle Bemiihungen cine Anstellung zu finden, scheiterten. Ausrcisc nach Dcutschland am 1. November 1939. Verhaftung durch dic
398
Gestapo,
am
18. Dez.
unter weiterer
Überwachung
der SED, arbeitete sic ım Apparat des ZK der SED. 137-140 Scheckenreuter,
Emma
Schwester von Charlotte Lydia Scheckenrcuter. Scheckenrceuter, geb. Hildebrandt, Maria Mutter von Charlotte Lydia Scheckenreuter. Scheel,
Heinrich
cntlassen.
1946
708-120,
Mitgl.
123-135,
725 7/09, 132, 139
(1915-1996)
Bereits als Schiiler aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Scit Kricgsbeginn Kontakt zur Gruppc um Harro Schulze-Boysen, im Herbst 1942 vcrhaftet, 1944 zur »Frontbewährung« in cin Strafbataillon cingczogen, Ende 1944 amcrik. Kricgsgefangenschaft. 220, 227, 232, 335 Scheer, Maximilian (cigentl. Schlicper, Walter) (1896-1978) Journalist. Mitarbeit an »Dic Ncuc Weltbithne«, »Der Gegen-Angriff«;
tiv ın der Volksfrontbcwegung.
29
ak-
Schellenberger, Alfred (1898—1963)
In Leipzig aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt; im Juli 1944 verhaftet. Floh aus der Gestapo-Haft. 1787 Schill, Ferdinand
Freiherr von (1776—1809)
PrcuB3. Offizier. Wollte mit scincm Husarcnregiment Volksaufstand gegen Napolcon mitreißen. 237
Preußen
zu cincm
Schiller, Friedrich von (1759-1805) Dichter und Historiker. 769 Schlciff,
Lotte
Aktiv ım Widerstand gegen den Nationalsozialismus; hattc in Berlin Kontaktc zur Schulze-Boysen-Gruppe. 223 Schlosser,
Kurt
(1900-1944)
Scit 1923 Mitgl. der KPD. Ab 1933 aktiv ım Widcrstand gegen den Nationalsozialismus, ab 1942 Mitgl. der ncugebildeten KPD-Lcitung in Dresden, ım
Dczember
richtet.
1781
1943
verhaftet,
vom
VGH
zum
Tode
verurteilt
und
hinge-
Schmidt, Elli (Partciname¢ Gärtner, Irenc) (1908-1980) Scit 1927 KJVD und KPD. 1937 bis 1940 im Sckretariat des ZK der KPD in Paris, 1940 Emigration nach Moskau, Mitarbciterin des Dcutschen Volksscnders und des NKFD. 1945 Fraucnsckretirin des ZK, Vors. des Zen-
tralen Fraucnausschusscs beim Magistrat von Grof3-Berlin. Schmidt,
Ernst
Mitarbeiter der Gestapo in Essen.
24, 163, 265
1/10f., 138
399
Schmidt, Gcorg Mitgl. der KPD. Bckannter von Charlotte Scheckenreuther, Geschäftsführer der Arbeiterbuchhandlung in Frankfurt am Main. Emigricrtc nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in dic Sowjetunion, dort in der IRH täütig.
/715
Schmidt, Heinz H. (1906-1989) Mitgl. der KPD. Nach 1933 Emigration in dic Tschcchoslowakei, 1939 nach Großbritannien, wo cr der dortigen KPD-Leitung als Veranwortlicher für Agitation und Propaganda angchörte. 376 Schmidt, Martin (1905-1961) 1929 KPD, ab 1933 illcgal, 1935 verhaftet und bis zur Befreiung im Zucht-
haus Brandcnburg inhafticrt. Ab 1945 Stadtrat im Magistrat von Berlin, spater Dircktor der Dcutschen Notenbank. 344 Schmidt, Waldecmar Eintritt in dic KPD
Paul (1909-1975) 1929. Tcilnahme am
antifaschistischen
Widerstand
ın
Dcutschland, zu zwolf Jahren Zuchthaus verurteilt, Haftling in Brandenburg-
Gorden.
1945 Vors. der KPD
in Berlin.
342
Schmitt, Kurt (1886—1950) Scit 1921 Gengeraldircktor der Allianz Versicherungs-AG, 1933/1934 Reichsminister für Wirtschaft im crsten Kabincett Hitlers. 42 Schneller,
Ernst
Mitgl.
PB
(1890-1944)
1924 bis 1929 Mitgl. der Zcentrale bzw. des ZK der KPD, des
und
Sckr.
des ZK.
1933
verhaftet,
1924 bis 1928
zu 6 Jahren
Zuchthaus
verurteilt, danach KZ, von der SS als Fiithrungskopf der illeg. KPD Sachscnhauscn
crschossen.
286, 342
Schopflin, Georg Johann (1869-1954) Scit
1891
SPD,
Recd.
verschiedener
sozialdemokrat.
Zeitungen,
im KZ
1903
bis
1906 und 1909 bis 1919 MdR, 1919 Militirgouverncur von Berlin; 1920 bis 1932 crncut MdR. Blicb von der Verfolgung im Nationalsozialismus verschont. 1945 Alterspréasident des Brandenburgischen Landtages, befiirwortetc 1945/1946 dic Vercinigung von SPD und KPD, Mitgl. der SED, dcs Dcutschen Volksrates und der Volkskammer der DDR. 297 Schottmiller,
Oda
(1905-1943)
Tänzerin und Bildhaucrin. Aktives Mitgl. der »Roten Kapelle«, im September 1942 verhaftet, zum Todc verurtcilt und hingerichtet. 279 Schreckenburg Rcchtsanwalt von Hugo bourg. 773
400
Eberlein und Charlotte Scheckenrcuter in Stras-
Schreiner.
Albert
(1892-1979)
Ab 1910 Mitgl. der SPD, Gründungsmitgl. der KPD. Anfang 1929 aus der KPD ausgeschl. Danach KPD(O), gehörte der Berliner Leitung und der RL an, arbeitete mit an »Gegen den Strom«, spezialisierte sich auf Faschismus und Militärfragen. Er blicb bei der Mchrheit in der KPD(O). Im Oktober 1932 Riickkchr zur KPD. 1933 Emigration nach Frankrcich, 1941 nach Mexiko, jedoch in den USA festgehalten, dort Mitbegr. des Council for a Democratic Germany. 1946 Rückkchr nach Dcutschland. 68, 330 Schröder, Johannes (1909—??) Pricster, Oberkirchenrat. Gerict
im
Januar
1943
bei
Stalingrad
als Wchr-
machtspfarrer in sowjet. Kricgsgefangenschaft, Mitgl. des NKFD. mer der Kulturkonferenz der KPD
1946.
Teilnch-
258
Schtscherbakow, Alcxander Sergejewitsch (1901-1945) 1941 bis 1945 Sckr. des ZK der KPdSU(B), bestätigte dic Programmc der Kommission der Exckutive der Komintern für dic Arbeit mit Kricgsgefangenen in den Antifa-Schulen. Dancben 1941 bis 1945 Ltr. des Sowinformbüros, 1942 bis 1943 stellv. Volkskommissar für Verteidigung, 1942 bis 1945 verantw. Mitarb. der Polit. Hauptverwaltung der Roten Armcec. Nahm am 12. Juni 1943 in Stalins Kreml-Kabinett an der Sitzung zur Gründung
des NKFD teil, 1943 bis 1945 offizicller Leiter der Abt. für internat. Information beim ZK der KPdSU(B), deren faktischer Leiter Dimitroff war.
Starb am Tag nach der Sicgesparade ın Moskau.
17/54, 171
Schulenburg, Friedrich Werner Graf von der (1875-1944) 1934 bis 1941 Botschafter Hitlerdcutschlands in Moskau, mafigeblich am Zustandckommen des Hitler-Stalin-Paktcs beteiligt, Gegner cines Kricges mit der Sowjctunion. Von Teilen des Widerstandes als Außenminister in cinem Kabinctt Gocerdcler vorgeschen. Nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler am
gerichtet.
20. Juli
1944
106
vcrhaftet, vom
Schulte, Gertrud (Partciname Schweitzer,
Frau von Fritz Schultc. Schulte,
733f.
Fritz (Partcinamc
Schweitzer,
VGH
zum
Todc
verurtcilt und hin-
Emmi)
Fritz) (1890-1943)
1918 USPD, 1920 Ubertritt in dic KPD. Betricbsratsvorsitzender von Baycr Leverkusen. 1927 ins ZK und 1929 auch ins Polbiiro gewählt. Ging 1934 nach Moskau und war bis zum VII. WcltkongreB3 als Kandidat des Prasidiums des EKKI titig. 1938 vcrhaftet, von cinem Sondcrtribunal des NKWD zu acht Jahrcn Arbcitslager verurteilt. Starb 1943 ım Lager. 733/ Schulzc-Boysen,
Scit
Harro
(1909-1942)
1934 Offizier im Luftfahrtministerium
links-konscrvativen
Positionen dem
204-208,
223,
Gorings.
Kommunismus
den Kopf der Widcerstandsgruppe »Rote Kapelle«. 216220,
227f.
230
Nihcrte
und wurde zum
774,
178,
sich von
flihren-
180,
183,
401
Schulzec-Boyscen,
Libertas
(1913-1942)
Frau von Harro Schulzc-Boysen. Sammelte in der deutschen Kulturfilmzentrale im Reichspropagandaministerium Bildmatcrial über NS-Gewaltverbrechen,
unterstützte
ihren
Widerstand und cmpfing
sowjct.
Mann
bei der Suche
Ende Oktober
Nachrichtenoffizier Anatoli
1941
nach
Gurwitsch;
ncuen
Verbindungen
im
den aus Brüssel angereisten warnte
nach der Verhaftung
ihres Mannes Freunde und rettete illegales Material, dann sclbst verhaftet, vom Reichskricgsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 2/79, 230
Schumacher, Graphikerin,
Elisabeth Frau von
(1904-1942) Kurt Schumacher.
Aktive
Teilnchmerin
der Wider-
standsgruppc um Harro Schulze-Boysen, iibernimmt u. a. von Alcxander Korotkow
den
Funkcode,
nimmt
den
aus Moskau
kommenden
Albert
HoBler
auf und vermittelt ihm Kontakte zu Harro Schulze-Boysen und Hans Coppi. Im Scptember 1942 verhaftet, vom Reichskriegsgericht zum Todce verurtcilt und gemeinsam mit threm Mann hingerichtet. 279 Schumacher,
Kurt
(1905-1942)
Bildhauer. Aktiver Teilnchmer in der Widerstandsgruppe um Harro Schulze-
Boysen,
crklart
sich bereit,
im
Kricgsfalle
als Funker
dic
Kommunikation
mit der Sowjctunion aufrechtzucrhalten, wird jedoch Anfang Juni 1941 zur Wchrmacht cingezogen. Anfang August 1942 nimmt cr den aus Moskau kommenden Fallschirmagenten Albert HoBler bei sich auf und leitet ihn an Hans Coppi weiter. Im Scptember 1942 verhaftet, vom Reichskriegsgericht zum Todc verurteilt und gemeinsam mit sciner Frau hingerichtet. 279, 233 Schumann,
Scit
Gceorg
1905 SPD,
(1886—1945)
1916 Spartakusbund.
Mitbegr. der KPD
in Lcipzig,
1927
Wahl in das ZK der KPD. 1933 bis 1939 in Haft. Nach aktivem Widcrstand am 19. Juli 1944 crncut verh. und am 24. November 1944 vom VGH in Dresden zum Tode verurteilt. 779-181, 193-196, 284 Schiirmann,
Hcinrich
(1896-7?)
Mitgl. der KPD. 2. Mann von Charlotte Scheckenreuter. Teiln. am Spanischen Biirgerkricg. 1948 Ubcrsicdelung in dic SBZ. 17139 Schiirmann-Horster,
Wilhelm
(1900-1943)
Schauspicler. Scit 1923 Mitgl. der KPD. Bautc ab 1938 cinc Widerstandsgruppc auf, dic zum Umkreis der »Roten Kapcelle« gehorte; im Oktober 1942 in Konstanz, wo cr scit 1941 als Regisscur und Dramaturg am Grenzlandthecater beschiftigt
hingerichtet.
war,
208, 222
verhaftet,
vom
VGH
zum
Tode
verurteilt
und
Schwab, Joseph (Scpp) (1897-1977) 1917 USPD, Mitgl. der KPD scit Griindung. 1919 vcrhaftct und zu vier Jahren Festungshaft verurteilt. 1930 Flucht in dic Sowjctunion, dort Referent des EKKI im mittcleuropdischen Liandersckretariat. 1935 ins ZK der
402
KPD gewählt, scit 1937 Ltr. der Deutschland-Abt. des Moskauer Rundfunks. 1945 Riickkchr nach Dcutschland, Mitarbeiter des ZK der KPD. 265, 270-273, 276 Schwantes,
Martin
(1904—-1945)
1928 KPD. 1930 Mitgl. der BL Magdcburg-Anhalt, 1932 Sckretär für Agitation und Propaganda. Ab 1933 illcgaler Instruktcur der BL MagdcburgAnhalt. 1934 verhaftet und zu zwcicinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Ab 1937 KZ Sachscnhauscn bis 1941. Nach Entlassung im Widerstand, Kontaktc zu Franz Jakob und Bernhard Bästlein. Mitverfasser der politischen Plattform »Wir Kommunisten und das Nationalkomitce Frcics Dcutschland«. Am 9. Juli 1944 verhaftet, zum Todc vcrurteilt und am 5. Fcbruar 1945 im Zuchthaus Brandcnburg hingerichtet. 181, 284 Schwarz, Georg (1896—1945) Scit 1920 Mitgl. der KPD, fiir dic cr Abgcordn. im Sächsischen Landtag war. Von 1933 bis 1934 in sog. Schutzhaft, danach in Lcipzig aktiv am Widcrstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt. Am 19. Juli 1944 verhaftet, zum Todc vcrurteilt und am 12. Januar 1945 in Dresden hingerichtet. 179, 181 Schwarzmiiller, Franz Siche: Huber, Franz. Schweitzer, Emmi Siche: Schulte, Gertrud,. Schweitzer, Fritz Siche: Schulte, Fritz.
Scghers, Anna (cigentl. Radvanyj, geb. Reiling, Netty) (1900-1983) Schriftstellerin. Seit 1928 Mitgl. der KPD. 1933 kurzfristig inhafticrt, floh sic über Frankrcich und Spanicn 1941 nach Mecxiko, dort Korrecspondentin der Zcitschriften »Frcics Dcutschland« und »Dcemokratische Post«. Das Exil und dic Zcit des Nationalsozialismus bildcten fortan den zcitgeschichtlichen Hintergrund ihrer wichtigsten Werke. 326 Scibt, Kurt (1908-2002) Scit 1922 Mitgl. der SAJ, 1924 zur komm. Jugend, ab 1932 KPD. Nach 1933 Mitgl. der illeg. KPD-Lcitung in Berlin, am Dcutschen Theater Berlin
beschiéftigt,
1939
festgenommen,
vom
VGH
zu
Icbenslangem
Zuchthaus
verurteilt und im Zuchthaus Brandenburg-Goérden inhafticrt, 1945 von der Roten Armcc befreit. Nach dem Kricg in hohen Partci- und Staatsfunktioncen der SED und der DDR. 342 Sclesnjow Major. Mitarb. dcr Politverwaltung der Roten Armee.
/61
403
Scnfft
von
Pilsach, Ott-Fricdrich
Oberstlcutnant der Wehrmacht. Mitgl. des NKFD.
258
Serge (cigentl. Kibaltschik), Victor L. (1890-1947) Scit 1908 in anarchist. Organisationen in Belgien, Frankreich und Spanicn, 1919 per Gefangenenaustausch nach Sowjetrußland und dort Bolschewik, Anhänger Trotzkis, 1928 Parteiausschluß. 1933 in Moskau crncut verhaf-
tet und nach Orenburg verbannt, gültiger Bruch
mit Trotzki.
1941
1937 über Brüssel nach Paris, 1939 cnd-
nach
Mcxiko
cmigriert.
1/9f.
Scydewitz, Max (1892-1987) Scit 1910 SPD, Chefredakteur des »Klassenkampf«, MdR 1924 bis 1932, 1931 Mitbegr. der SAP, bis 1933 Mitvorsitzender. Emigration nach Prag, Mitunterzeichner des Pariser Volksfrontaufrufes, 1938 Emigration nach
Norwegen, 1940 nach Schweden, dort mchrfach interniert. 1945 Rückkchr nach Dcutschland, ab 1946 Mitgl. der SED und in deren PV. 1947 zum Sächsischen Ministerpräsidenten gewählt. 1951/1952 muflte cr im Rahmen ciner innerparteilichen Kampagne gegen chemalige SAP-Mitglicder »Sclbstkritik« üben. 296 Scydlitz-Kurzbach,
Walther
von
(1888—1975)
General der Wehrmacht. Forderte vergeblich den rechtzeitigen Ausbruch aus dem Kessel von Stalingrad. In sowjet. Kriegsgefangenschaft vom 1943 bis 1945 Präs. des Bundes Deutscher Offiziere und Vizepräs. des NKFD. 1945 Rückkchr in die SBZ, 1950 wegen Kricgsverbrechen von cinem sowjet. Gericht zum Tode verurteilt, zu 25 Jahren Haft begnadigt und 1955 in dic Bundcesrepublik entlassen. 244, 247, 250, 252, 256 Shdanow, Andrej Alcxandrowitsch (1896—1948) Scit 1915 Bolschewik. 1930 bis zum seinem KPdSU(B),
ab
1934 Sckr. des ZK
der KPASU(B),
Tode bis
Mitgl.
des ZK
der
1944 Ltr. der Lenin-
gradcr Partciorganisation, danach Sckr. des ZK fiir Idcologic. 1935 bis 1943 Mitgl. der Exckutive der Komintern, ab 1939 auch dessen Priasidiums.
1937
bis 1946 im Obersten Sowjct Vors. des Komitees fiir Auswirtige Angelegenheiten, danach bis 1947 Vors. des Unionsrates. 17, 31, 59 Sicg, John (Dcckname
Nebel, Sicgfried) (1903-1942)
Scit 1929 KPD. Red. der »Roten Fahne«. 1933 von der SA inhaftiert, nach sciner Freilassung ciner der fithrenden Widerstandskampfer in Berlin; im Oktober 1942 von der Gestapo verhaftet, tricben ihn die Verhore in den Sclbstmord. 158, 174, 208, 220-224, 230f. Sicg, Sophic Ehcfrau von John Sicg. Sicwert, Robert Spartakusbund,
221-224
(1887-1973) 1919 Mitgl. der
KPD,
am
14. Januar
ausgeschlossen, danach fithrendes Mitglied der KPD(O), zu drci Jahren Zuchthaus
404
verurteilt, scıt
1938
KZ
1929
aus
der
KPD
1935 verhaftet und
Buchenwald,
dort in der
illcgalen KPD-Leitung und im internationalen Lagerkomitee tätig. 1945 Mitgl. der BL Provinz Sachsen der KPD, seit 1946 des LV der SED. 1950 wegen sciner KPD(O)-Vergangenheit sciner Parteifunktionen cnthoben. 294 Skrzypczynski, Lco Untcrnchmer; Mitinhaber des Wehrwirtschaftsbetricbes Kontakten zum Nctzwerk der »Roten Kapelle«. 2713 Smith,
Adam
(1723-1790)
Schott. Nationalokonom nalékonomic. 273 Sobottka,
und Philosoph.
Gustav
(1886—-1953)
Rundfunk,
Mitbegriinder
Krone & Co. mit
Begriinder der klassischen Natio-
Scit 1920 Mitgl. der KPD. 1933 Emigration im Saargcbict, in Frankreich und scit 1935 in der UdSSR, Redaktcur von Presscorgancn und beim Mos-
kaucr
des
NKFD.
Kchrtc
Anfang.
Mai
1945
als
kommunistischen
Ju-
Leiter ciner »Initiativgruppe« der KPD nach Decutschland zuriick, bis Nov. 1945 1. Sckr. der BL Mccklenburg-Vorpommern der KPD, scit Dez. 1945 Vizepräs., später Präs. der DZV fiir Brennstoffindustric. 7/63, 265 Sokolow Mitarb. der Politverwaltung der Roten Armee. Spangenberg, 1924
KJD,
Max
1929
gendbewcegung.
[/61
(1907-1987)
KPD,
Funktionir der incrnationalen
1933/1934 Org.-bzw. Pollciter des KJVD Berlin. 1934 Emi-
gration nach Moskau, Tcilnahme an der »Briisscler Konferenz«, anschließend
Leiter der AL Zentrum in Prag. 1937 bis 1939 Angchoriger der Intcrnationalen Brigaden in Spanicn. Ab 1939 Kopenhagen, Redakteur der »Decutschen
Nachrichten«.
1946
wicder
in Berlin,
Redaktcur
der
»Dcutschen
Volkszeitung« und des »Ncuen Deutschland«. Chefredakteur der »Berliner Zcitung«, ab 1952 »Westarbceit« der SED. 325 Spclman Rockefeller, Laura (1839-1915) Ehcfrau von John D. Rockefeller. 2710
Sperling, Fritz (1911-1958) Ab 1929 SPD, 1930 zur komm. Jugend, Partciarbeit
cntsandt,
von
der
Schwciz
1930 KPD.
aus
1937 von Moskau zur
Partciinstruktcur
für Bayern,
1941 in der Schweiz verhaftet und bis 1945 dort im Gefangnis bzw. internicrt. Nach Kricgsende Riickkehr nach Deutschland, Sckr. der BL Südbaycrn bzw. Vors. des LV Bayern der KPD. 1948 bis 1951 Mitgl. des PV der KPD. 1951 in der DDR verhaftet und zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1957 rchabilitiert. 3/2/. Stahlmann, Richard Siche: Illner, Arthur.
405
Stalin (cigentlich Dshugaschwili), Jossif Wissarionowitsch (1878—1953) Von April 1922 bis zum Tod 1953 Sckretär, dann Genceralsckretdr des ZK
der KPR(B) bzw. der KPdSU(B). Scit März 1941 Vors. des Rates der Volkskommissarc. 9f. 12, 15-17, 20-31, 33. 35. 38f. 41. 43, 49f. 53. 57,
59. 66, 68. 73. 76, 79. 82. 84. 86f.. 94. 105, 136, 143. 146f.. 151. 156, 163f., 175, 177, 182, 239. 244f.. 260, 263. 266, 271. 279f.. 287. 298, 300f., 315, 322, 324 Starck, Heinrich
Kalfaktor im Gestapo-Hausgefangnis iın Berlin.
Stauffenberg, Claus Graf Schenk
234
von (1907-1944)
Offizier der Wehrmacht. Scit 1940 in der Organisationsabt. des Generalstabes, näherte er sich angesichts der Verbrechen in den besctzten Gebicten der Widcrstandsbcwegung an; unterstiitzte scit 1942 Bemiihungen zum Sturz Hitlers. Nach schwerer Verwundung in Nordafrika ab 1943 zunichst Stabschef beim Chef des Allgemeinen Heercsamtes Olbricht, im Juli 1944 beim Bcefchlshaber des Ersatzhecres Fromm. Führte am 20. Juli 1944 das Atten-
tat auf Hitler aus. Kchrte
in der irrtiimlichen Annahme,
Hitler sci tot, nach
Berlin zuriick. wo ihm cinc Schliissclstcllung fiir dic Durchfithrung dcs Staatsstrciches zukam, wurde jedoch verhaftet und auf Befchl Fromms standrcchtlich
crschossen.
10.
255,
289f.
Steffelbauer, Kurt (1890-1942) 1924 in Beirut der KPD beigetreten, 1926 Riickkehr nach Dcutschland. Nach 1933 aktiv im Berliner Widerstand, im Mai 1941 verhaftet, vom
VGH zum Todc verurteilt und hingerichtet.
704
Stcidle, Luitpold (1898-1984) 1933 Beitritt zur NSDAP, scit 1942 Obcrst der Wehrmacht. Gerict als Regimentskommandcur 1943 bei Stalingrad in sowjet. Kricgsgefangenschatft, Mitbegr. und Vizeprds. des Bundes Dcutscher Offiziere, Frontbecauftragter des NKFD. 1945 Riickkchr in dic SBZ und bis 1948 Vizepris. der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft. 247 Stcin
V-Mann der Gestapo, der cinen Bericht über Charlotte Scheckenrcuter licfertc.
739
Stcphan,
Franz
Mitgl. der KPD. Emigricrte nach 1933. 1944/1945 Mitgl. der KPD-Lcitung und des Zcentralen Arbeitsausschusses der deutschen antinazistischen Organisationcn in Schweden. 322 Stern, Kurt (1907-1989) 1927 KPD, lcitcte an der Berliner Universitit dic »Gescellschaft zum Studium sowjctisch-russischer Probleme«, 1930/1931 Reichsleiter der Kostufra.
1933 illcgalc Arbeit in Berlin, im April 1933 nach Frankrcich cmigicrt. Aus Protest gegen den Hitler-Stalin-Pakt Austritt aus der KPD. Ausrcisc nach
406
Mexiko,
dort
Red.
der Zeitschrift
»Freics
Deutschland«.
1946
Rückkchr
nach Dcutschland, Mitgl. der SED und der Bundcesleitung des Kulturbundes; publizistische Tätigkeit. 327 Stibi, Georg
(1901-1982)
Ab 1919 USPD, 1922 zur KPD. Nach Flucht aus Spanicn in Frankreich zunächst intcrnicrt und dann 1939 bis 1940 Mitgl. des Auslandsbiiros der KPD
in Paris; verhaftet
und bis
1941
crncut
internicrt, dann
nach
Mcxiko
cmigricrt und dort bis 1946 Red. des »Freien Deutschland«. 1946 Riickkchr nach Dcutschland, Journalist an führenden Zeitungen der SBZ und dann der DDR, ab 1957 im diplomat. Dicnst der DDR. 327 Stoccker,
Walter
(1891-1939)
1909 SPD, 1917 USPD, Teciln. des Vercinigungsparteitages der USPD mit der KPD. 1924 bis 1929 Vors. der komm. Reichstagsfrakt. und deren Sckr. 1929 bis 1931, 1927 Mitgl. des ZK der KPD, 1928 bis 1933 Vors. des von thm mitbegr. Bundes der Frcunde der UdSSR.
1933 verhaftet, inhaftiert, zu-
letzt im KZ Buchenwald, wo cr am 10. März 1939 an Typhus starb. Stößlcin, Herbert
Major der Wchrmacht. NKFD. 240
Gerict in sowjct. Kricgsgefangenschaft.
Strassmann, Emnst (1897-1958) Landgernichtsrat, 1919 DDP. Griindet
1934 zusammen
mit Hans
7/98
Mitgl. des
Robinsohn
und Oskar Stark in Hamburg cinc Widerstandsgruppe. Im Aug. 1942 verhaftet, bleibt Strassmann bis Kricgsende ohne ProzeB in Haft. 270, 215 Strclow,
Heinz
(1915-1943)
Lyriker. Befrcundet mit Cato Bontjes van Beck und um Umkreis von Harro Schulze-Boysen im Widerstand gegen den Nationalsoialismus aktiv. 227 Suriz, Jakow
Sacharowitsch
(1882—-1952)
Iecn Landern,
u. a. 1936 in Dcutschland und
Ab 1903 Bolschewik. Sowjctischer Diplomat, Botschafter der UdSSR in vicSusy Bricfpartnerin Lotte Scheckenrcuters. Szanto (cigentl.
Schreiber),
1937 in Frankrcich.
79
125f.
Béla (1881-1951)
1904 Sozialdemokrat, KP Ungarns scit Griindung, 1918 bis 1921 sowic 1926 bis 1929 Mitgl. deren ZK. Wihrend der Rétercpublik Volkskomm. für
Militarfragen,
danach
Emigration
nach
Wicn,
fiir dic Komintern
in Berlin
und Wicn tätig, 1926 nach Moskau. Im Febr. 1938 vom NKWD verhaftet, 1940 wicder freigelassen. Ab 1941 Red. im sowjct. Rundfunk, dann auch Mitgl. — ab 1943 Sckr. — der Kommission des EKKI fiir dic Arbcit untcr Kricgsgefangencen, dancben 1942 bis 1944 Abtcilungsleiter und Red. im Sowinformbiiro. 1945 Riickkchr nach Ungarn. /68
407
Szinda, Gustav
Fritz (1887-1978)
Scit 1924 Mitgl. der KPD. Während des Spanischen Bürgerkrieges 1938 in Barcclona Leiter der Spionagcabwchr für dic Interbrigaden, 1939 Flucht nach Paris, dann nach Moskau. Von 1939 bis 1940 Referent der Kaderkommission der Interbrigaden bei der Exckutive der Komintern, danach Hörer bzw. Lchrer an Parteischulen in der UdSSR. 1945 Riickkchr nach Dcutschland. 748 Tarnow, Fritz (1880-1951) Mitgl. der SPD, bedcutender Gewerkschaftsfunktionidr,
u. a. 1920 bis
1933
Vors. des Holzarbeiterverbandes. Anhinger des Konzepts der Wirtschaftsde-
mokratic.
1928
bis
1933
MdR.
1933
vcrhaftet,
in ciner von
Hans
Staudin-
ger cingeleiteten spektakuldren Aktion aus der Gestapo-Haft freigckommen. Emigration in dic Nicdcrlandc, nach Didnemark und schlicBlich nach Schweden. Bemiihte sich um den Wicederaufbau der Gewerkschaften im Exil. 1946 Riickkchr nach
Dcutschland,
bis
1947
Sckr.
des Gewerkschaftsbundes
von
Wiirttcmberg und Baden, Bizonc bzw. der Trizone.
1947 bis 1949 Sckr. des Gewerkschaftsrates der 273
Tcrwicl,
(1910-1943)
Roscmaric/Maria
Unterstiitzt nach 1933 zusammen mit ihrem Mann Helmut Himpel jüdische Mitbiirger, indem sic ihnen Lebensmittelkarten und Personalpapicre beschafft; Tcilnahme an den Aktionen der »Roten Kapelle«; im Scptember 1942 vcrhaftet, vom Rcichskricgsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 228 Tcubner,
Hans
(1902-1992)
Eintritt in dic KPD 1919. Scit 1939 Emigration in der Schweiz, Mitgl. der Ltg. der KPD-Organisation in der Schweiz. 1945 Chefredakteur der »DVZ«, 1946 Chcefredakteur der »Sachsischen Volkszeitung«. Im Zusammenhang
mit der Nocl-H.-Ficld-Affirc Thalhcimer,
August
aller Funktionen
cnthoben.
372f.
(1884-1948)
Griindungsmitgl. der KPD und Mitgl. der ersten Zentrale. Bis 1923 unbestrittener theoretischer Kopf der KPD. Nach der Oktoberniederlage 1923
bis Mai 1928 aus der Arbeit der dcutschen Partei entfernt und nach Moskau ins »Ehrencexil« geschickt. 1928 Griindungsmitgl. und Mitgl. der Reichsleitung der KPD(O); 1929 Ausschluß aus der KPdSU(B) und der KI. 1933 Emi-
gration nach Frankreich, 1941 Ausrcisc nach Kuba. Thälmann,
Ernst
320
(1886—1944)
1918 USPD, 1920 KPD. 1921 hauptamtlicher Sckretär in Hamburg, scit
1923 Mitgl. der Zentrale. 1924 stellvertretender, seit 1925 Vorsitzender der KPD. 1924 bis 1933 MdR. Scit 1925 Mitgl. des Präsidiums dcs EKKI. 1933
173.
408
verhaftet,
179,
193,
1944 im KZ
286,
293
Buchenwald
crmordet.
30. 38,
113.
163.
Thälmann,
Rosa
(1890-1962)
Eintritt ın dic KPD 1920. Nach 1933 hiclt sic dic Verbindung zwischen der KPD und ihrem inhafticrten Mann Ernst Thälmann. 1944 ins KZ Ravensbriick gesperrt. Nach 1945 Mitgl. des ZV der VVN. 343 Thesen,
Matthias
(1891-1944)
1910 Mitglicd der KPD,
im
Ruhrgebict,
Leiter
1917 USPD,
der
1920 KPD. Verschicdene Funktionen
Unterbezirke
Bochum
und
Essen.
1932/1933
MdR. Ab 1933 Obecrberater fiir den Bezirk Wasscrkantc. Scptember 1933 verhaftet, dreicinhalb Jahre Zuchthaus, danach KZ Papcenburg, dann Sach-
scnhauscn. 1939 nochmals zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, danach wicder KZ Sachscnhausen. Am 11. Oktober 1944 von der SS crschosscen. 286. 342
Thicle, Wilhelm (1902-1983) 1919/1920 KPD, 1920/1921 KAPD, 1925 wicder KPD. Im Bezirk BerlinBrandcnburg Funktiondr der KPD und des RFB. 1932 bis 1935 inhafticrt wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«. Nach illeg. Tätigkeit fir dic KPD in Berlin 1936 crncut verhaftet und zu Iebenslianglicher Zuchthausstrafc verurteilt. 1945 aus dem Zuchthaus Brandenburg-Gérden befreit. Ab 1946 SED. 344 Thicss, Wolfgang (1911-1943) Aktiv am Widcrstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt. Thorcz,
Maurice
230
(1900-1964)
Scit 1925 Mitgl. des ZK und des Politbiiros der KP Frankreichs, 1964 Generalsckretér, scit 1931 Mitglicd Riickkchr nach Frankrcich. 53, /72
des
Priasidiums
des
Thyssen, Fritz (1873-1951) Industricller, wichtiger Finanzicr und Forderer der NSDAP,
1930 bis
EKKI.
1933
1944
Partcicin-
tritt. Wegbereiter der Kanzlerschaft Hitlers und Türöffner zur westdcutschen Schwerindustric. Mitgl. des Generalrats der Wirtschaft und preul3. Staatsrat. 1939 Emigration in dic Schweciz, dann Frankrcich. 1941 Auslicfcrung an Dcutschland und KZ-Haft. 26, 42, 63, 87, 89 Tirpitz, Alfrcd
von
(1849-1930)
Sccoffizicr, ab 1911 Grofladmiral. Hochsccflottc beteiligt. 2717
Maßgcblich
am Ausbau
der dcutschen
Tjulpanow, Scrgej Iwanowitsch (1901-1984) Oberst, später Generalmajor. Wihrend des Zweiten Weltkricges Ltr.. der 7. Abt. der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armcee; nach Kricgsende Ltr. des Informationsamtcs der SMAD. Scit Mitte der 1950cr Jahre Prof. an der Universitdt Leningrad. 303
409
/
(1893-1964)
Ercoli)
(Decknamce
Palmiro
Togliatti,
1921 Mitbegründer, später Führer der italienischen KP, 1924 bis 1939 Mitgl. und seines Präsidiums,
des EKKI
1931
bis
1943
Sckretär des EKKI,
danc-
ben 1941 bis 1942 Red. und Ltr. der italienischen Abt. im sowjct. Auslandsradio. 1944 Rückkchr nach Italien. 45, 47f., 160 Tonnics,
Ferdinand
(1855-1936)
.
Soziologe, Mitbegriinder und bis 1933 Pris. der Deutschen Gescllschaft für Soziologic. 27/6f. Trcand,
Maurice
(Deckname
Trotzki
(cigentlich
Legros)
(1900-1949)
Lew
Dawydowitsch
Scit 1923 Mitgl. der KP Frankreichs. 1939 bis 1940 in Briigge Leiter des illcgalen Apparates der KPF, verhandelt auf Weisung Moskaus nach der Besctzung von Paris mit den deutschen Behörden über das Wicdererscheinen der »Humanité«, nach dem Kurswechsel der Exckutive dafür im Herbst 1940 aller Funktionen cnthoben. 725 Bronstein),
(1879-1940)
/
Führungsmitgl. der KPR(B), 1927 Parteiausschluß als Führer des »trotzkistisch-sinowjewistischene« Blocks. 1929 Ausweisung aus der UdSSR. 1940 in Mcxiko crmordet. 28, 35, 39, 298 Uhrig, Robert (1903-1944) Ab 1920 Mitgl. der KPD; gilt um 1940 als Kopf des kommunistischen Widerstands in Berlin. 1941 kann dic Gestapo scine Widerstandsgruppc untcrwandern und ihn sowic vicle sciner Frcunde im Februar 1942 festnchmen, nach mcehr als zwcijdhriger Haft im KZ Sachscnhauscn im Juni 1944 zum Todc verurteilt und im August 1944 in Brandenburg-Goérden hingerichtet. 158, 174f. 177f., 180. 221, 223f. Uhse,
Bodo
(1904-1963)
Schriftsteller. Zucrst
Mitgl.
nationalistischer Biinde,
1932
Ubecrtritt zur
KPD. 1938 Flucht aus Spanicn nach Frankreich und von dort 1939 in dic USA, wo er fiir dic KPD titig war; 1940 nach Mecxiko, dort zusammen mit Ludwig Renn in der Bewegung »Freies Deutschland« aktiv, organisierte Ein-
reiscvisa für in Frankreich Dcutschland. 326 Ulbricht,
Walter
Paul
festsitzende Emigranten.
1948 Riickkchr nach
(1893-1973)
1919 KPD, ab 1920 hauptamtlichcr KPD-Funktionir. 1923 Mitgl. der Zentrale. Scitdem — mit kurzen Unterbrechungen — bis 1946 Mitglicd der Parteifihrung der KPD. 1928 bis 1943 Kandidat des EKKI. Nach 1933 Emigration in der Tschechoslowakei und in Frankreich, scit 1937 ın der UdSSR, Mitbegriinder des NKFD. Kchrte Ende April 1945 als Leiter ciner »Initiativgruppc« der KPD nach Deutschland zuriick, 1945/1946 Mitgl. dcs ZS des ZK der KPD.
Scit
1946 Mitgl. des PV bzw. des ZK der SED,
Mitgl
des ZS bzw. PB. 22, 24, 26f.. 35-37. 49, 56f.. 73. 86-88, 91, 129-134. 144, 147f. 154, 159f.. 163, 167f. 212, 226, 242, 250-252, 265. 269f.. 273, 298. 303, 344
410
Vansittard.
Lord
Robert
Gilbert (1881-1957)
Brit. Diplomat und Gegner der Appcasecment-Politik Chamberlains.
378
Varga, Eugen (1879-1964) Scit 1906 Mitgl. der Ungarischen Sozialistischen Partei, 1919 KP Ungarns, Volkskommissar für Finanzen der Ungarischen Rétercpublik, scit 1920 Mitgl.
der
RKP(B).
Wirtschaftscxperte
der
Komintcrn,
1927
bis
1947
Dircktor
des Instituts fiir Weltwirtschaft und Intcrnationale Politik der Akademic der Wisscnschaften der UdSSR. 50, 85 Vaupcl An Verhoren Charlotte Scheckenrcuters über ihre Auslandstdtigkeit Reichssicherheitshauptamt und im Essener Gefängnis beteilgt. 739 Verner,
Paul
Verner,
Waldemar
Eintritt in dic 1939 Lcutnant den. 1946 bis Mitgl. des ZR
ım
(1911-1986)
KPD 1929, Redaktcur, im Spanischen Biirgerkricg 1936 bis in den Internationalen Brigaden, dann Emigration in Schwe1949 Jugendsckretdr bzw. Ltr. der Abt. Jugend im PV der SED, der FDJ. 322 (1914-1982)
Ab 1929 komm. Jugend, scit 1930 KPD. Bruder von Paul Verner. 1938 bis 1945 Mitgl. der illcg. Parteilcitung in Däncmark. 1945 Riickkchr nach Dcutschland und Krcissckr. der KPD/SED Mcckicnburg. 325 Vesper, Walter (1897-1978) Scit 1917 USPD, Mitbegr. der KPD. 1933 verhaftet und bis 1934 im Gefangnis und KZ Boérgermoor, danach in dic Tschechoslowakei cmigricrt, von dort nach Moskau, dann nach Spanicn und Frankrcich. 1945 Riickkchr
nach Dcutschiand, 1946 bis 1949 MdL Nordrhcin-Westfalen, der KPD Nicderrhein, 1949 bis 1952 MdB. 310
1948
Vors.
Viktor Siche: Feycrherd, Friedrich. Vogcl,
Johann
(Hans)
(1881-1945)
1917 bis 1927 Sckretidr des Bezirksvorstandes Nordbayern der SPD. 1927 Mitgl. des Partcivorstandes der SPD. 1933 Emigration nach Prag, dort Mitgl. dcs Emigrationsvorstandcs. Vors. des Exckutivkomitees der Union sozialistischcr Organisationcen in GroBbritannicn; Gegner jeglicher Zusammenarbeit mit den Kommunisten. 375 Walter Im Bricf Hugo Ebecricins an Charlottc Scheckenrcuter cerwähnt, Mitbcwohncr im Hotel »Lux« in Moskau. 738 Wandecl, Paul (Dcckname Klassner) (1905-1995) Eintritt iın dic KPD 1926. 1933 bis 1945 Exil in der UdSSR. Mitarbeciter der KI, 1941 bis 1943 Ltr. der dcutschen Scktion und Lchrer an der Komin-
411
ternschule in Kuschnarenkowo,
ab 1943 am Dcutschen Volkssender in Mos-
kau tätig. 1945 Rückkchr nach Dcutschland, Chefredakteur der »DVZ«, August 1945 bis 1949 Präs. der DZV für Volksbildung; 1946 bis 1958 Mitgl. des PV bzw. des ZK der SED.
167, 171, 265
Warnkc, Herbert (1902-1975) Eintritt in dic KPD 1923, 1931
Déncmark, scit 1938 in Schweden,
turbundcs in Schweden.
bis
MdR.
1946 bis 1948 Sckr. bzw.
dcs Mcecklenburg des FDGB.
322f.
Wchner,
Funk,
Herbert
1933
(Partciname
Scit
1936
Emigration
in
1944 Mitgl. des Freien Dcutschen Kul-
Kurt;
Funk,
1. Vors. des Landesverban-
Herbert)
(1906—1990)
1923 SAJ, 1927 Mitgl. der KPD, 1932 zum technischen Sckretär des Polbiiros berufen. 1934 Emigration in der Tschechoslowakei und in Frankreich, scit 1935 Mitgl. des ZK und Kandidat des PB der KPD. Ende 1936 nach Moskau, Untersuchungen durch dic IKK, 1939 Einstcllung des Partciver-
fahrens. 1937 bis 1941 Referent bei der Komintern in Moskau. 1941 im Partciauftrag nach Schweden, dort 1942 bis 1944 inhafticrt, brach cr mit dem Kommunismus. Scit 1946 wicder in Dcutschland, trat der SPD bei,
1949 bis 1983 163, 175, 322
MdB.
Weber, Fritz Siche: Wiatrek,
41, 49, 52, 54-57,
lassung arbeitete. Erich
/39
bei dem
Charlotte
(1890-1953)
Schriftsteller. Scit 1929 Mitgl. der KPD. Frankrcich
64,
73,
104f.,
120,
Heinrich.
Weichelt, Max Berliner Unternchmer,
Weinert,
22, 351,
interniert, dann
nach
Moskau,
Scheckenrcuter
nach
ihrer Frei-
Nach der Flucht aus Spanicn in dort bis
1943
litcrarische Tatig-
keit, ab 1941 fiir dic Rotc Armce. 1943 Mitbegr. und bis 1945 Präs. des NKFD. 1946 Riickkchr nach Dcutschland. 241f., 245, 247, 257f., 265, 277, 326 Weise,
Martin
(1903-1943)
Scit 1921 in der komm. Jugend, ab 1927 KPD. 1934 verhaftet und zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt, danach im KZ Sachsenhausen. Nahm nach sciner Entlassung crncut Verbindung zum Widerstand auf, u. a. zur Gruppe Bastlcin-Jacob-Abshagen in Hamburg, verbreitete in Berlin seit Ende 1941 rcgelmäßig
dic
haftct, vom VGH Weisenborn,
Druckschrift
»Dic
innere
Front«;
im
zum Todec verurtcilt und hingerichtet.
Giinther
(1902-1969)
Dczember
Schriftsteller. Kehrte nach kurzer Emigration in den USA
nach mus,
412
1942
ver-
1358, 174, 223 1936 Endc
1937
Dcutschland zuriick, aktiv im Widcrstand gegen den Nationalsozialisu. a. für dic »Rotc Kapclle«. 1942 verhaftet, vom Reichskricgsgericht
zum Tode verurteilt, aufgrund der entlastenden Aussage cincs Zellengenosscn Jedoch begnadigt und zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt; 1945 von der Roten Armcce aus dem Zuchthaus Luckau befreit. 27/9f. Weiskopf,
Scit dem
Journalist.
Franz
Carl
(1900-1955)
1928
Ubersicdlung
Griindungsparteitag
1921
nach
Mitgl. der KPTsch. Berlin,
KPD,
Schriftsteller und
Fcuillctonredaktcur
und
Journalist. 1933 ausgcwicscen, lcitcte bis 1938 dic AIZ. 1938 Emigration nach Paris, 1939 USA. Nach dem Kricg im diplomatischen Dienst der CSR. 1953 wicder Berlin, litcrarische und publizistische Tatigkeit. 326 Weiss,
Pcter (1916—1982)
Schriftsteller. Emigration mit scinen Eltern
1934 über England nach Prag,
1939 über die Schweiz nach Schweden, was bis zu scinem Lebensendce scine Wahlhcimat bleibt. In scinem bedcutendsten Werk »Dic Asthetik des Widerstands« (1975) entwirft Weiss cin Panorama des antifaschistischen Wi-
derstands. Wesscl,
Horst
233f.
(1907-1930)
Scit 1929 SA-Sturmfiihrer in Berlin, starb an Verletzungen, dic ihm cin Kommunist zugcfiigt hattc. Wurde nach scinem Tod von Gocbbels zum Märtyrer der NSDAP stilisiert. Das sog. »Horst-Wesscl-Licd« bildete 1933 bis 1945 mit dem Dcutschlandlied dic dcutsche Nationalhymne. 93 Wiatrck, Hceinrich (Partcinamc Fritz Weber) (1896—1945) Scit 1922 KPD, ab 1935 Kandidat des ZK und ab 1936 Vertreter der KPD bei der KI. 1937 von dicser Funktion entbunden und als Leiter der KPD-AL
Nord in Kopenhagen cingesctzt. 1941 verhaftet und an dic Gestapo überstcllt, 1943 zum Tode verurtcilt. Dic Vollstreckung wurde auf Intervention
der Gestapo, der cr wichtige Informationen gelicfert hatte, immer wicder ausgesctzt. Im April 1945 freigelassen, starb cr im Oktober. 7/04f.. 116, 175 Wicden, Peter Siche: Fischer, Ernst.
Wilhelm 11. (1859-1941) Von 1888 bis 1918 Dcutscher Kaiscr und König von Preußen. Willms,
Thomas
Winkel,
Karl
209, 250f.
Lcutnant der Wehrmacht. Geriet in sowjet. Kricgsgefangenschaft. Mitgl. des NKFD und ciner dessen Frontbevollméchtigten. 258 Mitgl. der KPD. In der Emigration ın Däncmark Red. der »Deutschen Nachrichten«; ab Herbst 1941 Mitgl. der KPD-Partcilcitung in Diancmark. 325
413
Winzer, Otto (Deckname Lorenz) (1902-1975) Eintritt in dic KPD 1919, Funktionärc des KJVD,
leitete
1930
bis
1933
den Verlag der KJI in Berlin. 1935 Emigration in Frankreich und den Nicderlanden, Dcutschen
scit 1940 in der UdSSR, Mitarbeiter der KI und Redaktcur des Volkssenders. Kehrte Ende April 1945 mit ciner »Initiativgrup-
pc« der KPD nach Dcutschland zuriick, 1945/1946 dung im Magistrat von Groß-Berlin. 265 Wissler Kommissar
der
franz.
Geheimpolizei;
beobachtete
ter in Strasbourg und bcantragte deren Ausweisung. Wittfogel,
Soziologe.
Karl August
Stadtrat für Volksbil-
Charlotte
/72
Scheckenreu-
(1896-1988)
1919 Mitbegr. der komm. Jugend, dann KPD. Führender China-
Spezialist der KPD und der Komintern. 1933 in dic USA, 1939 Bruch mit der KPD. 212 Wittkowski,
Grete
verhaftet,
1934
Emigration
(1910-1974)
Scit 1932 Mitgl. der KPD. In der Emigration in dic Schweiz und nach Großbritannicn. arbeitete dort mit dem Generalsekretär der KP Großbritannicn, Harry Pollitt. zusammen; Mitgl. der KPD-Landcesleitung GrofBbritannicn. Nach Kricgsende Riickkchr nach Dcutschland, als Wirtschaftsjournalistin und -funktiondrin tätig. zulctzt Präs. der Dcutschen Notenbank bzw. Staatsbank der DDR. 376 Wittorf,
John
(1894—-1981)
1927 Mitgl. dcs ZK der KPD, Pol.-Ltr. des Bezirks Wasscrkante. Im Scptcmber 1928 aus der KPD ausgeschlossen wegen Unterschlagung von Partcigeldern. 793 Wolf, Fricdrich (1888-1953) USPD 1919, KPD 1928; Arzt,
Lcbensrcformer,
Schriftsteller,
Mitgl.
des
Bundcs prolctarisch-revolutiondrer Schriftsteller. Scit 1933 im Exil, überwicgend in der UdSSR; 1939 in Frankreich verhaftet und internicrt, mit sowjctischer Hilfe befreit; Mitbegriinder des NKFD. 1945 Riickkchr nach Dcutschland,
vor allem kulturpolitisch tätig.
Wolter, Marta Laicnschauspiclerin.
Vor
1933
326
Mitgl. der KPD. Aktiv am Widerstand gegen
den Nationalismus betciligt, gehörte zum Kreis um Harro Schulze-Boysen. 219 Woroschilow, Von 1925 bis
Kliment Jefremowitsch (1881-1969) 1940 Volkskommissar fiir Hcerwesen
kommussar für Vertcidigung der UdSSR. Zippcl, Hans Eduard (gcb. 1914)
16,77
Scit 1931 Jungfront, 1934 Ubertritt zur KPD.
gen, im Juli
414
1941
zur Roten Armec
und
Marine
und Volks-
1939 zur Wchrmacht gezo-
iibergelaufen, besuchte ab
1942 cinc
Antifa-Schulc und 1944 dic Parteischule der KPD in der Sowjetunion. Riickkchr nach Deutschland. 242, 247 Zippcrer,
William
Mitgl. der SPD 1919 KPD und ausgeschlossen. lismus betciligt; 12. Januar 1945
1945
(1884-1945)
scit 1906, gchorte der Spartakusgruppce an, dann der USPD, crster Vors. der KPD in Leipzig, später als »Ultralinker« Nach 1933 aktiv am Widcrstand gegen den Nationalsoziaam 19. Juli 1944 vcrhaftet, zum Tode verurtcilt und am ın Dresden hingerichtet. 779, 181, 193
Zuckmayecr, Carl (1896-1977) Schriftsteller. 1939 bis 1946 im Exil in den USA.
202
415
2.
Abkürzungsverzeichnis
Antifa Agitprop AlZ
Allgemeine Arbeiterunion Abgeordnete/r Abschnittsleitung Abteilung außer Dienst Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbdnde American Federation of Labor American Military Government [ Amerikanische Militdrregierung] Kurzwort fiir antifaschistisch Agitation und Propaganda »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung«
AL AM
Abschnittsleitung Abteilung Militédrpolitik (Tarnbezeichnung
ASSO ATSB BArch BASF BAV BDM BDO
Assoziation revolutiondrer bildender Kiinstler Arbeiter-Turn- und Sportbund Bundesarchiv Badische Anilin- und Sodafabrik Bergarbeiterverband Bund Deutscher Mädel Bund Deutscher Offiziere Bezirksleitung Bund proletarisch-revolutionirer Schriftsteller Bundesrepublik Deutschland
AAU
Abg.
ABL Abt. a. D. ADGB AfA-Bund AFL AMG
App.
BPRS BRD
Apparat
fiir den KPD-Nachrichtendienst)
417
brit. bzw.
CALPO CDU CGT Co.
CSR
d. 1. DAF DAG DDP DDR Dcleg. DFD DNVP DSP DVP DVS DVZ DZV DZZ EAC ehem.
cigentl.
EK EKKI
CV. FDGB FKP franz. GDW Gen.
Gestapo GPU GRU
418
britisch
beziehungsweise Comite »Allemagne Libre« pour I’Quest
[Komitee »Freies Deutschland« für den Westen] Christlich-Demokratische Union Deutschlands Confédération Générale du Travail Compagnic
Tschechoslowakische Republik das ist
Dcutsche Arbeitsfront
Dcutsche Angestellten-Gewerkschaft Dcutsche Demokratische Partei (bis 1933)
Deutsche Demokratische Republik Dclegierte/r
Dcemokratischer Frauenbund Deutschlands Deutschnationale Volkspartel
Dcutsche Staatspartel Decutsche Volkspartei Decutscher Volkssender
»Deutsche Volkszeitung«
Dcutsche Zentralverwaltung »Deutsche Zentral-Zeitung« (Moskau) European Advisory Commission
[Européische Beratende Kommission] chemalig
cigentlich
Exckutivkomitce
Exekutivkomitee der Kommunistischen
Internationale evangelisch
Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Fränzösische Kommunistische Partel franzosisch
Gedenkstétte Deutscher Widerstand Genosse/n
Geheime Staatspolizei Gosudarstwennoje polititscheskojc uprawlenije [Staatliche Politische Verwaltung] Glawnoje Raswedywyatelnoje Uprawlenije [Hauptverwaltung Aufkldrung]
Gulag
GULag HJ Hrsg. JAH IfZ IG Farben IKK
illeg.
IML Inprekorr Internat. IRH ISK Kand. KAPD KdF KI KJ KIV KJVD KL Komintern komm. KP KPTsch KPD KPD(O)
KPdSU KPdSU(B) KPF KPG KPO
(der Roten Armee) Russ. Kurzwort fiir das Lagersystem des
NKWD
Glawnoje Uprawlenije Lagerjami
[Hauptverwaltung der Lager] (des NKWD) Hitlerjugend Herausgeber/in Internationale Arbeiterhilfe Institut fiir Zeitgeschichte Interessengemeinschaft Farbenindustric AG Internationale Kontrollkommission (der Komintern)
illegal Institut fiir Marxismus-Leninismus »Internationale Pressekorrespondenz«
international
Internationale Rote Hilfe Internationaler Sozialistischer Kampfbund
Kandidat/in
Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands Kraft durch Freude
Kommunistische Internationale
Kommunistische Jugend Kommunistische Jugendinternationale
Kommunistischer Jugendverband Deutschlands
Konzentrationslager Kommunistische Internationale kommunistisch Kommunistische Partei
Kommunistische Partei der Tschechoslowaket
Kommunistische Kommunistische (Opposition) Kommunistische Kommunistische
Parte1 Deutschlands Parte1 Deutschlands
Partei der Sowjetunion Partei der Sowjetunion
(Bolschewiki) Kommunistische Partei Frankreichs
Kommunistische Partei Grof3britanniens Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition) 419
KPÖ KPR(B) KZ LL Ltr. LV M-App. MdB MdL MdR MfS MGB
Mitarb. Mitbegr. Mitgl.
MWD
N-Apparat
Nazı NDPD NKFD NKWD
NS NSDAP NSV OBM OGPU ökon. OKW OMS o. O.
Org. Orgabit.
420
Kommunistische Partei Osterreichs Kommunistische Partei Rußlands (Bolschewiki)
Konzentrationslager Landesleitung Leiter/in Landesvorstand
Militdrapparat (der KPD) Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages Mitglied des Reichstages
Ministerium fiir Staatssicherheit (der DDR)
Ministerstwo Gosudarstwennyj Besopasnosti [Ministerium für Staatssicherheit] Mitarbeiter/in
Mitbegriinder/in Mitglied
Ministerstwo Wnutrennich Del [Innenministerium]
Nachrichtenapparat (der KPD) Kurzwort fiir Nationalsozialist Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalkomitee »Freies Deutschland« Narodny Kommissariat Wnutrennich Del
[ Volkskommissariat des Innern] nationalsozialistisch
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartel Nationalsozialistische Volkswohlfahrt
Oberbiirgermeister Objedinjonnoje Gosudarstwennoje Polititscheskoje Uprawlenije
[ Vereinigte Staatliche Politische Verwaltung]
ökonomisch
Oberkommando der Wehrmacht
Otdel Meshdunarodnych swjasej [Abteilung
für Internationale Verbindungen] (des EKKI) ohne Ort
Organisation Organisationsabteilung
OSS osterr.
PB PHS Polbiiro polit. Politbiiro Polsekretir
POUM Pris.
preul.
Prof. Pscud. PV Red. RFB RGASPI
RGI RGO RH RKP(B) RL RM RS RSD RSFSR Rundschau
russ. SA SAI SAJ SAP
Office of Strategic Services [Amt fiir strategische Dienste] (des US-Kriegsministeriums) osterreichisch
Politisches Biiro, Polbiiro, Politbiiro
Péadagogische Hochschule Politisches Biiro
politisch
Politisches Biiro Politischer Sekretir Partido Obrero de Unificacion Marxista [Arbeiterpartei der marxistischen Vercinigung] Préasident/in preullisch Professor/in Pseudonym Parteivorstand Redakteur/in Roter Frontkdmpferbund Rossijski Gosudarstwenny Archiv Sozialnopolititscheskoi Istorii [Russisches Staatsarchiv fiir sozialpolitische Geschichte] Rote Gewerkschaftsinternationale Revolutiondre Gewerkschaftsopposition Rote Hilfe Rossijskaja Kommunistitscheskaja Partija
(bolschewiki) [KPR(B)]
Reichsleitung Reichsmark Revolutionidre Sozialisten Revolutionidre Sozialisten Deutschlands Russische Sozialistische Foderative Sowjetrepublik
»Rundschau fiir Politik, Wirtschaft und
Arbeiterbewegung« russisch Sturmabteilung (der NSDAP) Sozialistische Arbeiter-Internationale Sozialistische Arbeiterjugend Sozialistische Arbeiterparteir Deutschlands 421
SAPMO SBZ SD SDAPR SED Sekr. SFIO
SMAD
Stiftung Archiv der Parteien und Masscnorganisationen der DDR Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sekretér/in Section Francaise de I’Internationale Ouvriere
[Franzosische Sektion der ArbeiterInternationale]
sog. Sopadc
Sowjetische Militdradministration in Deutschland sogenannt Sozialdemokratischer Parteivorstand
sowjet. SPD
sowjetisch Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SPO
SS Stellv. SU Teiln. TH B UBL UdSSR UNESCO
US USA USC USPD verantw.
Verf. VGH 422
Deutschlands
Sozialdemokratische Partei Osterrcichs
Schutzstaffel (der NSDAP) Stellvertreter/in Sowjetunion Teilnehmer/in Technische Hochschule Unterbezirk Unterbezirksleitung Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
United Nations Educational, Scientific and Cultur Organization [Organisation der Vereinten
Nationen fiir Erziehung, Wissenschaft und Kultur] United States [ Vereinigte Staaten] United States of America [ Vereinigte Staaten von Amerika] Unitarian Service Committee [ Vereintes Hilfskomitee] Unabhéngige Sozialdemokratische Partei Deutschlands verantwortlich Verfasser/in Volksgerichtshof
VKPD Vors.
WKP(B) zıt.
ZPKK ZS
Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands Vorsitzende/r Volksrepublik Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Wsesojusnaja Kommunistitscheskaja Partija (bolschewiki) [KPdSU(B)] Zentralausschuf3 zitiert Zentralkomitee Zentrale Parteikontrollkommission Zentralsekretariat
423