Der deutsche Kommunismus. Selbstverständnis und Realität. Band 2: Gegen Faschismus und Krieg (1933–1939)
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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel I: Der Sturz in die Katastrophe. Die verkannte Niederlage. Die KPD zwischen Illusion und Widerstand (1933/1934)
»Die Generallinie ist richtig«
»An der Schwelle des zweiten Turnus von Revolutionen und Kriegen«. Imperalismus- und Faschismusanalysen von KPD und Komintern
»Wir kämpfen für Sowjetdeutschland!«. Das XIII. Plenum der Exekutiv der Komintern über Weltwirtschaftskrise und Faschismus
Ein »Fenster« öffnet sich. Neue Optionen für eine alternative Politik
»Schluß mit jedem versöhnlicherischen Verhalten«. Die KPD-Führung auf dem Weg in die Isolierung
Verschenkte Chancen. Neue Möglichkeiten der Einheitsfrontpolitik
»Na, fangen Sie an ... Wir werden Ihnen helfen«. Dimitroff als neuer Führer der Komintern im Auftrag Stalins
»Rote Revolutionsstürme in Betrieben und Wohngebieten«. Hoffnungen und Enttäuschungen über die Stabilität des Hitler-Regimes
»Jeder, der Gerüchte über Differenzen in der Führung verbreitet, wird zur Parteiverantwortung gezogen«. Der Kompromiß der Augustresolution 1934
Die echten und die falschen »Teddy-Männer«. Machtkämpfe um die Nachfolge Thälmanns
Kapitel II: Die verlorene Wende. Chancen und Verlust einer Neubesinnung (1935–1936)
»So fühlt die Partei«? Polbüro und Mitgliedschaft der KPD in der Kursänderung der Komintern im ersten Halbjahr 1935
»Ein Wirbelwind von frischer Luft«?. Die antifaschistische Gegenstrategie des VII. Weltkongresses der Komintern – Hoffnungen und Enttäuschungen
»Die Selbstkritik ... (als) unbedingt notwendige Voraussetzung einer solchen Wendung«. Anspruch und Realität der »Brüsseler Konferenz« der KPD
»Auf heiklem Posten«. Experimentierfeld Emigration – Theorie und Praxis der Volksfrontpolitik
Kapitel III: Das Scheitern der Idee von einer Volksfront
»Für eine demokratische Republik«? Die Diskussion um ein antifaschistisches Alternativkonzept
Volksfront und Großer Terror. Die KPD in einem zerstörerischen Widerspruch
Revitalisierungsversuche und Ende der Volksfront
Die KPD und der Bruch in der sowjetischen Sicherheitspolitik
Anhang
1. Kommentiertes Personenregister
2. Abkürzungsverzeichnis

Citation preview

Geschichte des Kommunismus

und

Linkssozialismus Band V

Herausgegeben von Klaus Kinner

Klaus Kinner/Elke Reuter

Der deutsche Kommunismus Selbstverständnis und Realität Band 2:

Gegen Faschismus und Krieg (1933 bis 1939)

Karl Dietz Verlag Berlın .

Die Drucklegung wurde mit Mitteln der Rosa-LuxemburgStiftung. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e. V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. gefördert. Der vorliegenden Ausgabe wird beigefügt:

Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM. Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus Band II.

Herausgegeben von Günther Fuchs/Erwin Lewin/Elke Reuter/ Stefan Weber.

In der Reihe Geschichte des Kommunismus und Linkssozı1alısmus erschienen außerdem: Bd. I.: Klaus Kinner: Der deutsche Kommunismus. Selbstverständnis und Realität. Bd. 1: Die Weimarer Zeıt. Bd. III: Rosa Luxemburg. Historische und aktuelle Dimension ihres theoretischen Werkes. Herausgegeben von Klaus Kınner und Helmut Seidel. Bd. IV: Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928. Die KPD am Scheideweg. Herausgegeben von Elke Reuter/Wladislaw Hedeler/Horst Helas/Klaus Kinner.

ISBN

3-320-02062-5

© Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2005

Redaktion: Klaus Kinner Satz: Olaf Kirchner Einband: MediaService/Heike Schmelter

Druck und Bindearbeit: Ueberreuter Buchproduktion Printed in Austria

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL I

Der Sturz in die Katastrophe ...

. 15

Die verkannte Niederlage. Die KPD zwischen Illusion und Widerstand (1933/1934) »Die Generallinie ist richtig!« ernr »An der Schwelle des zweiten Turnus

von Revolutionen und Kriegen« aee..eeee Imperialismus- und Faschismusanalysen von KPD und Komintern

rrnr

»Wır kämpfen für Sowjetdeutschland!« ....................

Das XIIl. Plenum des Exekutive der Komintern

über Wirtschaftskrise und Faschismus

Eın »Fenster« öffnet SiCH arrnr

Neue Optionen für eine alternative Politik

»Schluß mit jedem versöhnlerischen Verhalten« ........ Die KPD-Führung auf dem Weg in die Isolierung Verschenkte ChanCeEN errn

Neue Möglichkeiten der Einheitsfrontpolitik

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»Na, fangen Sie an ... Wir werden Ihnen helfen« .......... 86 Dimitroff als neuer Führer der Komintern

im Auftrag Stalins

»Rote Revolutionsstürme ın Betrieben und Wohngebieten« ‚... err ernnnr R EG 93 Hoffnungen und Enttäuschungen über die Stabilität des Hitler-Regimes »Jeder, der Gerüchte über Differenzen in der Führung verbreitet, wird zur Parteiverantwortung gezogen«........ 99

Der Kompromiß der Augustresolution 1934

Die echten und die falschen » Teddy-Männer« .............. 111 Machtkämpfe um die Nachfolge Thälmanns KAPITEL II

Die verlorene Wende a

Chancen und Verlust einer Neubesinnung (1935-1936)

125

»So fühlt die Partei«? uunnnr RE RE RR RR E RE 127 Polbüro und Mitgliedschaft der KPD in der Kursänderung der Komintern im ersten Halbjahr 1935 »Ein Wirbelwind von frischer Luft«? en

Die antifaschistische Gegenstrategie

143

des VII. Weltkongressses der Komintern — Hoffnungen und Enttäuschungen »Die Selbstkritik ... (als) unbedingt notwendige Voraussetzung einer solchen Wendung« ....................... 160 Anspruch und Realität der »Brüsseler Konferenz« der KPD »Auf heiklem Posten« ...seeeeee ernnnr En R RE RR E ELE RE 181 Experimentierfeld Emigration — Theorie und Praxis der Volksfrontpolitik

KAPITEL

II

Das Scheitern der Idee von einer Volksfront

(1936-1939)

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»Für eine demokratische Republik«? ...n

Die Diskussion um ein antifaschistisches

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Alternativkonzept

Volksfront und Großer TerrOr errn Die KPD in einem zerstörerischen Widerspruch

223

Revitalisierungsversuche und Ende der Volksfront ....... 253 Die KPD und der Bruch ın

der sowjetischen Sicherheitspolitik ‚... Anhang .......0.0.00000000

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1. Kommentiertes Personenregister ...nnnr 2. Abkürzungsverzeichn!S eee..ee errn

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Vorwort

Der vorliegende Band setzt unmittelbar den 1999 erschienenen

Band

1, der die Weimarer Zeit zum Gegenstand hatte, für die

Jahre 1933 bis 1939 fort. Er steht gleichzeitig als Band V in der in loser Folge erscheinenden Reihe »Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus«. Die Geschichte des deutschen Kommunismus in der Zeit der Hitler-Diktatur erweist sich als eine in vielerlei Hinsicht vorbelastete Materie. Der Umgang mit dem Erbe des kommunistischen Widerstands gegen das Hitler-Regime gehört zu den besonders kontaminierten Gegenständen linken historischen Selbstverständnisses. Mit Ernst Bloch ist zu fragen: Was bleibt, was ıst unabgegolten vom Kampf der deutschen Kommunisten gegen den Faschismus? Was ist abgegolten, von welchen Mythen und Fälschungen muß Abschied genommen werden? Es ist hinter die Selbstlegitimierung der Polıtbürokratie der SED

zu schauen, für die — wie im Band

1 für die Weimarer

Zeit dargestellt — die bruchlose Kontinuität des antifaschistischen Kampfes der vom Thälmannschen Zentralkomitee geführten Partei, auch über den 30. Januar 1933 hinaus, zu den

Insignien der Herrschaftslegitimation gehörte.

In der alten Bundesrepublik gehörte der kommunistische Widerstand lange Zeit zu den vernachlässigten Forschungsthemen. Hier sind in den letzten Jahrzehnten wichtige Forschungsleistungen erbracht wurden.

Nach

zaghaften

Versuchen

ın den

achtziger Jahren,

den

antifaschistischen Widerstand ın seiner ganzen Breite zur Kenntnis zu nehmen, hat jedoch die offizielle Geschichtspolitık der Bundesrepublik sich seit den neunziger Jahren zunehmend auf den späten Widerstand der Männer und Frauen des 20. Juli 1944 als dem identitätstiftenden deutschen Widerstand fokussiert. Kommunistischer Widerstand kommt kaum vor. Es bleibt linker Geschichtspolitik und Geschichtsschreibung überlassen, Kampf und Opfer der deutschen Kommunisten

gegen den Hitler-Faschismus zu würdigen und iıhr Vermächt-

nis zu wahren. Der Umgang mit diesem schwierigen Erbe erfordert die Bewältigung zweier Aufgaben. Es ist nichts zurückzunehmen von der kritischen Aufarbeitung des stalinisierten Parteikommunismus. Die Ursache seines Scheiterns noch genauer zu erforschen, die Verstrikkung in die Verbrechen des stalinistischen Terrors zu benennen, deren Opfer zu gedenken, wird unabwendbare ständige Aufgabe bleiben. Gleichzeitig ist jedoch zu fragen nach dem emanzipatorischen Potential, das dem Kommunismus als Bewegung inne-

wohnte, jenem

Potential, das die massenhafte

Verweigerung

und den Widerstand gegen den Hitler-Faschismus hervorbrachte. Grundsätzlicher ist also zu fragen: Was bleibt vom kommunistischen Antifaschismus? Seit dem Scheitern des Staatssozialismus sowjetischen Typs wurde der kommunistische Antifaschismus zum bevorzugten Ziel der Delegitimierung des Sozialismus. Nach Francois Furet war der Antifaschismus

zentraler Bestandteil

der

Jahrhundertillusion des Kommunismus. Aus ihm habe der Kommunismus seine erstaunliche Überlebenskraft geschöpft. Nach dem Scheitern des weltrevolutionären Konzepts »fand der stalinistische Kommunismus im Antifaschismus einen neuen politischen Rahmen«.' Die Delegitimierung des kommunistischen Antifaschismus fand ihre Ergänzung durch die in den neunziger Jahren zunehmend vertretene These vom demokratischen und diktatorischen ]

10

Francois Furet: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus hundert. München, Zürich 1996. S. 273.

ım 20. Jahr-

Zweig der Arbeiterbewegung. Damit wurde die Spaltung der Arbeiterbewegung in eine sozialdemokratische und kommunistische Linie weit vorverlegt und ignoriert, daß beide Zweige einem Stamm entsprangen und ihre separate Entwicklung nicht vor 1917 festzumachen und bis Anfang der zwanziger Jahre nicht irreversibel war. Die sich herausbildende kommunistische Linie der Arbeiterbewegung enthielt starke emanzipatorische Potentiale, die sie mit der Sozialdemokratie teilte. Die Stalinisierung des Parteikommunismus war nicht unumkehrbar. Bis 1928/1929 gab

es Alternativen. Die Stalinisierung der KPD drängte die emanzipatorischen Elemente zurück, eliminierte sie jedoch nicht.

Der stalinisierte, von Moskau abhängige Apparat war nicht die Partei. Zudem war der deutsche Kommunismus nicht auf die KPD zu reduzieren. Die KPD(Opposition) barg wichtiges theoretisches Potential der demokratisch-kommunistischen Traditionslinie. Andere Splittergruppen kommunistischer und links-sozialistischer Couleur wirkten — wenngleich marginal — in die Arbeiterbewegung.

Gegen

den aufkommenden

Faschismus

formierte sich

in der Arbeiterbewegung eine Gegenmacht, die nicht dekkungsgleich mit dem Apparat der Parteien der »verfeindeten Brüder« war.

Die von der Arbeiterbewegung geprägten Milieus empfanden — Jenseits von Sozialfaschismusthesen und Tolerierungspolıitik — den Faschismus als ihren gemeinsamen Feind. Parallel dazu wirkten jedoch auch Tendenzen der Verhärtung der Fronten zwischen den Anhänger der beiden großen Arbeiterparteien, die neben der verfehlten Generallinie der KPD/Komintern ıhre Ursachen auch in der zunehmenden Ausgrenzung, Ghettoisie-

rung der kommunistischen Bewegung und ihrer weiıtgehend arbeitslosen Sympathisanten fand. Der kommunistische Antifaschismus speiste sich also aus Quellen, die weit in die Geschichte der deutschen Arbeıiterbe-

wegung zurückreichten. Er ist nicht zu reduzieren auf die simple Konkurrenz iım Kampf um die Macht, selbst wenn dies den Protagonisten so erschien.

11

Es verwundert, wenn Hans-Ulrich Wehler ım vierten Band seiner »Deutschen Gesellschaftsgeschichte« den kommunistischen Antifaschismus auf das Zerrbild des Linkstotalitarısmus reduziert und ıhn mit dem Rechtstotalitarısmus gleichsetzt. Die Sichtweise Wehlers, der nicht zu den konservativen Historikern zu zählen ist, hat exemplarischen Charakter:

»Wegen der kompromißlosen Bekämpfung kommunistischer Widerstandsgruppen durch den Polizeiapparat des NSRegimes mag die Anzahl der Opfer die behauptete Höhe von 20.000 erreicht haben. Ihrer Überzeugungstreue und ihrem persönlichen Mut im Kampf gegen einen gnadenlosen Gegner wird man den Respekt nicht versagen wollen, wie man andrerseits

ihrem

bornierten

Fanatismus,

ihrer anhaltenden

Verketzerung der Sozialdemokraten als »Sozialfaschisten« und ihren >Volksfront Die »Fristen des revolutionären Aufschwungs und für die volle Entfaltung der revolutionären Krise« seien »heute viel kürzer als in den bisherigen Abschnitten des proletarischen Klassenkampfes«,'° meinte Thälmann im gleichen Atemzuge. Damit bekräftigte er erneut die dogmatische und sektiererische Linie des XII. Plenums der Exekutive der Komintern vom Herbst 1932. Und es war zweifellos in seinem Sinne, daß das Präsidium der Exekutive der Komintern am 1. April 1933 erklärte, die Arbeiterklasse habe sich lediglich zurückgezogen und der revolutionäre Aufschwung in Deutschland werde unvermeidlich ansteigen. Der faschistischen Diktatur wurde der Effekt abgewonnen, daß sie »alle demokratischen Illusionen in den Massen zunichte macht und (sie) [...] aus dem Einfluß der Sozialdemokratie befreit [...] Die Kommunisten hatten recht, als sıe die Sozialdemokratie als Sozialfaschisten bezeichneten.« Das Präsidium des EKKI stellte sich uneingeschränkt hınter die Politik der KPD-Führung. Aufgrund des Verrats der Sozialdemokratie »erwies sich das Proletariat in einer Lage, in der es nicht imstande war und tatsächlich auch nicht vermochte, die sofortige und entschlossene Abwehr gegen den Staatsapparat zu organisieren«. Der »Sieg Hitlers und die Aufrichtung der Macht der »Nationalsozialisten«« wurde zwar konzidiert, die Arbeiterklasse hätte sich aber nur zurückgezogen.'’

Selbst diese unzureichende Kennzeichnung der tatsächlichen Situation stieß in der Beratung des Präsidiums noch auf heftigen Widerstand.'® Nach Deutschland gelangte die Resolution über die verschiedensten Wege. So kursierte sie in hektographierter Form in der Thüringer Parteiorganisation als Schu15 Ebenda. S. 39. 16 Ebenda. S. 28. 17

Resolution des Präsidiums des EKKI

zum

Referat des Genossen

Heckert

über die Lage in Deutschland (angenommen am |. April 1933). In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/26. BI. 104. 18 Siehe Protokoll des Präsidiums des EKKI am 1. April 1933. In: Ebenda. Bl. 73.

23

lungsmaterial.'” Die Einsicht in die Niederlage lag noch in weiter Ferne. Gestützt auf ausführliche Zitate aus der Rede Thälmanns in Ziegenhals, die übrigens nicht alle ın der überlieferten Redefassung

zu finden

sind, zeigte

sich noch

im

Sommer

1933 in einer für Schulungszwecke zusammengestellten Rededisposition das ganze Ausmaß sektiererischer Verkrustung. Es finden sich hier Thesen wie: »Der Sieg des Faschismus — die Schuld der SPD« oder »Die SPD bleibt die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie« und schließlich die Auffassung, der starke Einfluß unter der Arbeiterklasse ermögliche der SPD »mit der >»MärtyrerFührung« in der KPD und iın der Kommunistischen Interna-

tionale.« Und weiter heißt es sarkastisch: »Sie (die KPD — die

Verf.) hetzte das blöde und falsche Schlagwort vom >»Sozialfaschismus« zu Tode, dem die Vorstellung zu Grunde lag, als ob die Sozialdemokratie die Partei der faschistischen Diktatur sei. Sıe schnitt sich so den Weg zur Sammlung der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter gegen den wirklichen Faschismus ab. Sie erklärte nacheinander die Regierungen Severing-Braun, Brüning, Papen, Schleicher für faschistische Regierungen.«*® Dieser scharfsinnigen Analyse des Faschismus und der Politik von KPD und Komintern folgte jedoch kein ebenso stringentes Konzept für die Überwindung des Faschismus. Auch in der KPD(O) konnte man sich als Alternative zum Faschismus nur die proletarische Diktatur, die Rätemacht vorstellen. »Das Ziel des Kampfes zum Sturz der faschistischen Dıiktatur kann nicht die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie sein.«*” Es lag ın der Logik dieses Ansatzes, daß man meinte, » Teillosungen können daher nicht bürgerlich-demokratischer Art sein«.“ Während KPD und Komintern sich in den folgenden Jahren in einem schwierigen und widerspruchsvollen Prozeß einen strategischen Ansatz erarbeitete, der in der antifaschistischen Volksfrontpolitik gerade das Ringen um die Wiedergewinnung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten in den Mittelpunkt ihrer Politik rückte, beharrte die KPD(O)

auf ihren

Positionen. Das Bild, das sich die Kommunisten vom Kapitalismus machten, ihre Analyse des zeitgenössischen Imperialismus war die letztendliche Voraussetzung für ihre Strategie. Sie prägte auch ihre Sicht auf den Faschismus.

28 Die Niederlage und Wiedererhebung der deutschen Arbeiterklasse ım Kampf gegen die faszistische Diktatur (Thesen). In: Ebenda. Berlin vom Mai 1933 (6. Jg. Nr. 5). S. 6. 29 Ebenda. S. 7. 30 Ebenda.

28

»An der Schwelle des zweiten Turnus

von Revolutionen und Kriegen«

Imperialismus- und Faschismusanalysen

von KPD und Komintern

Die Machtübertragung an den Hitler-Faschismus am 30. Ja-

nuar

1933 kam

für die kommunistische

Weltbewegung

niıcht

überraschend, wenngleich die Kommunisten die Stabilisierungschancen des Regimes als gering veranschlagten. Die wichtigste Überlegung das XII. EKKI-Plenums vom Herbst 1932 in dieser Richtung lautete: ein zu erwartender Übergang von der schleichenden Faschisierung zur offenen faschistischen Diktatur würde sich in Deutschland im Vergleich zu Italien 1922 am Beginn des zweiten Turnus der Revolutionen und Kriege vollziehen. Die Kommunisten erwarteten eine weitere Verschärfung der Wirtschaftskrise unter der Hitler-Regierung. Dabei gingen sie von folgenden Überlegungen aus: 1. Der Tiefpunkt der zyklischen Krise ist noch nicht erreicht. 2. Für den gesamten Kapitalismus nehmen die Tendenzen zum Zerfall der Weltwirtschaft in ihre nationalstaatlichen Bestandteıle zu, ist das Ende der sozialen Reformen eingetreten. 3. Angesichts der Lähmung der kapitalistischen Ware-GeldBeziehungen durch die hereinbrechende Inflation seı das faschistische Regime zu Maßnahmen außerökonomischen Zwanges in Analogie zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitals veranlaßt. 4. Infolge des Ausbleibens internationaler Kapitalhilfe, der außenpolitischen Isolierung und der Verschärfung der Wirtschaftskrise nehmen die Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse um die Verteilung der verminderten Profitmasse zu, was zu einer Enttäuschung und Zersetzung der Massenbasis der faschistischen Diktatur in Deutschland führen muß.

29

Für die KPD war aber keineswegs das Abwarten auf ein öko-

nomisches

»Abwirtschaften«

der Hitler-Regierung

typisch,

sondern bis zum Vorabend des Reichstagsbrandes versuchte sıe, Massenkämpfe

auszulösen,

die nach

dem

Sturz

Hitlers

zur proletarischen Revolution weitergeführt werden sollten. Besonders Vertreter der KP Italıens warnten die deutschen Kommunisten vor einem Abwarten und forderten aufgrund der

eigenen

schwachen

Erfahrungen,

faschistischen

»die

Konsolidierung

Regimes

des

zu verhindern

noch

und es

noch am Anfang zu schlagen«.?! Dabei blieb die Überzeugung,

daß gerade die erwartete Wirtschaftskatastrophe günstige Möglichkeiten für den Massenkampf bot. Diese strategische Option stand ım engen Zusammenhang mit der Analyse der weltwirtschaftlichen Entwicklung und der neuen Situation in Deutschland. Tatsächlich bot die Weltwirtschaft Anfang 1933 ein äußerst widersprüchliches Bild, welches bis zum Jahresende gewisse Konsolidierungstendenzen, aber keinen umfassenden Konjunkturaufschwung deutlich werden ließ. Im März 1933 erschütterte eine Bankenkrise die USA. Der demokratische Vizepräsidentschaftskandidat John N. Gartner verdächtigte Charles Dawes der Günstlingswirtschaft und forderte eine Veröffentlichung der von der Reconstruction Finance Corporation an Banken gewährten Kredite. Daraufhin vermieden

die Banken

es, weitere Hilfe bei der RFC

ın An-

krach von

1929, da der Zerfall der Weltwirtschaft weiter vor-

spruch zu nehmen. Die Debatte über eine mögliche Dollarabwertung unter der kommenden neuen Administration führte zu starken Goldverlusten der Banken im Februar 1933. Die erneute Krisenverschärfung aufgrund der Führungsschwäche der abgewählten Hoover-Regierung hatte aber keine solch verheerende internationale Wirkung wie der Börsenangeschritten war. Die Maßnahmen der Roosevelt-Regierung (Regierungsaufsicht

31

Banken,

staatliche

Kontrolle

der

Die KP Italiens an die deutschen Arbeiter. In: Inprekorr. Berlin (1933)17.

S. 574. — Siehe Ercoli: Vom »Marsch auf Rom« zum Regierungsantritt Hitlers. In: Ebenda.

30

über

S. 567.

Ausgabe von Aktien, freiwilliger ziviler Arbeitsdienst, soziale

Hilfsmaßnahmen) schufen Voraussetzungen für einen raschen Anstieg der Industrieproduktion von März bis Julı 1933 um 60 Prozent, dem aber ein erneuter Rückschlag im Herbst folgte. Die Weigerung der USA auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz im Sommer 1933, an der Stabilisierung der Währungen mitzuwirken, besiegelte endgültig den Zerfall der Weltwirtschaft. Zu dieser Zeit beschritten Italien und Deutschland — abge-

schnitten durch ein System von Kontrollen — wirtschaftlich bereits eigene Wege. Die Länder des Goldblocks (Frankreich, Belgien, Niederlande, Schweiz) verharrten in der Depression.

Der internationale Kapitalmarkt war praktisch tot.” Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Auslands-

verschuldung,

Fehlen

von

Kolonien,

Rohstoffabhängigkeit,

Handelskrieg) drängten auch die deutsche Monopolbourgeoisie zu grundsätzlichen Entscheidungen. In den ersten Monaten präsentierte die Hitler-Regierung jedoch kein umfassendes neues Wirtschaftsprogramm, sondern konzentrierte sich auf die Konsolidierung der politischen Machtpositionen. Die allmähliche wirtschaftliche Konsolidierung war zunächst auf die allgemeine Konjunkturbewegung (Auffüllung der Warenvorräte, Ersatzinvestitionen),

die Wirkung

der noch

unter Papen

und Schleicher verabschiedeten antizyklischen Programme zurückzuführen. Anfangs waren die ökonomischen Vorstellungen der NSDAP durch kleinbürgerliches ständisches und dirigistisches Denken geformt. Willkürliche Eingriffe der Gefolgschaft der Nazis bewirkten 1933 noch erhebliche Störungen der Wirtschaft. Daher sanken von Anfang Mai bis Mitte September 1933 die Aktienkurse wieder, hatten viele Unternehmer noch kein Vertrauen in die Stabilität des Regimes. Erst in einem längeren Prozeß bis zum 30. Juni 1934 wurde der kleinbürgerlich-ständischen Gefolgschaft der NSDAP eine offen staatsmonopolistische Zielsetzung aufgezwungen. Im Sommer 1933 erfolgte eine erste Serie wichtiger wirtschaftspolitischer

32 Siehe Charles P. Kindleberger: Die Weltwirtschaftskrise München 1973. S. 206-208 und 241.

1929-1939.

31

Gesetze (Arbeitsbeschaffungsprogramm, die Zwangskartellie-

rung, das Transfermoratorium der Reichsbank). Nun traten die

qualitativen Veränderungen gegenüber Papen und Schleicher deutlicher hervor: das größere Volumen der Arbeitsbeschaffungsprogramme und deren Verknüpfung mit der Aufrüstung, die expansive Kreditschöpfungspolitik (anstelle der Steuererhöhungen und Staatsanleihen) und die psychologische Überformung der Wirtschaftspolitik im Interesse der Aufrüstung.*

Die erste Analyse der Hitler-Regierung in der »Rundschau« vom 1. Februar 1933 hob hervor, daß hinter dem Regime dıe ostelbischen

Junker stünden,

die »reaktionärste

Herrschafts-

schicht Europas«, während die entscheidenden Schichten der Bourgeoisie der Entwicklung mit gemischten Gefühlen entge-

gensehen würden.** Einen Monat später wurden Agrarkapital und Schwerindustrie um Thyssen und Silverberg als die Teile der herrschenden Klasse genannt, die hinter Hitler stünden.” Diese Gruppierungen seien gestärkt durch die Uneinigkeit und Zersplitterung der übrigen Teile der kapitalistischen Klasse, welche vorläufig keine Rolle mehr bei der politischen Entwicklung spielten. Ungeachtet der von der NSDAP gegen ihre Koalitionspartner um Hugenberg geführten Kampagne versuchten die Kommunisten die Konstellation der Klassenkräfte differenzierter zu erfassen. Dies kam in einem von N. Rudolf gezeichneten Artikel in der »Kommunistischen Internationale« zum Ausdruck (15. Mai 1933): »Die Regierung Hitler, die die offene

terroristische

Diktatur

der

deutschen

Bourgeoisie

durchführt, ist ein Block der reaktionärsten Teile des Finanzkapitals, der ostpreußischen Gutsbesitzer, der alten wilhelminischen militaristischen Bürokratie und der faschistischen nationalsozialistischen Massenpartei, die mit Hilfe einer äu-

33

Siehe Dietmar Petzina: Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit. Wiesbaden 1977. S. 109. — Lotte Zumpe: Wirtschaft und Staat in Deutschland 1933 bis 1945. Berlin 1980. S. 27-52. 34 Siehe Vor Entscheidungskämpfen in Deutschland. Adolf Hitler Reichskanzler. In: Rundschau.

Basel (1933)2. S. 21.

35 Siehe Vier Wochen faschistische Hitler-Diktatur. Eine Bilanz. In: Ebenda. Basel (1933)3. S. 55.

32

ßerst nationalistischen Demagogie die kleinbürgerliche Massenbasis für die faschistische Diktatur liefert.«*° Ähnlich äußerte sich Ernst Thälmann in seinem Referat in Ziegenhals zur Charakterisierung der Hitler-Regierung: »Das Kabinett Hitler-Hugenberg-Papen ist die offene faschistische Diktatur. Was die Zusammensetzung der Regierung anbetrifft, so kann es in Deutschland eine weitere Steigerung ın der Richtung des offenen Faschismus kaum mehr geben.«*” Diesen Wertungen war bei aller Bemühung um Differenziertheit ein mechanisch-funktionales Verständnis des Verhältnisses von Kapital und NS-Herrschaft eigen. Die land des den

erste umfassende Einschätzung der Situation in Deutschund der Perspektive des Hitler-Regimes nahm die Tagung EKKI-Präsidiums am 1. April 1933 vor. Dabei wurde an bisherigen Erwartungen festgehalten, die Möglichkeit e1ı-

nes revolutionären

Sturzes der faschistischen

Diktatur sogar

noch stärker hervorgehoben. Aus den veröffentlichten Dokumenten (Bericht Fritz Heckerts und Resolution der Tagung) läßt sich folgende Einschätzung der Lage rekonstruieren. Die Möglichkeit der Machtübertragung an den Faschismus wurde auf die Spaltung der Arbeiterklasse durch die Sozialdemokratie, den Charakter der Weimarer Republik als einer reaktionären Diktatur der Bourgeoisie und die nationalistische Ausnutzung des Versailler Jochs zurückgeführt. Deshalb seien am 30. Januar 1933 die Voraussetzungen für einen bewaffneten Aufstand lediglich im »Keimzustand« vorhanden gewesen. Hinsichtlich der Frage der Stabilisierungschancen der faschistischen Diktatur stellte man fest, »daß die kapitalistische Autarkie ein ökonomischer Unsinn ist« und der deutsche Kapitalismus weder einen aufnahmefähigen Binnenmarkt noch eine Forcierung des Exports erreichen kann. Die passıve Handelsbilanz und der Bankenkrach in den USA würden ernsthaft die Stabilität der deutschen Mark gefährden, während diıe

36 N. Rudolf: Die Verschärfung der Widersprüche des Versailler Systems und die Gefahr eines neuen imperialistischen Krieges. In: Die Kommunistische Internationale. Wochenschrift der Exekutive der Komintern. Basel (1933)7. S. 146. 37 Die illegale Tagung des Zentralkomitees der KPD am 7. Februar 1933 in Ziegenhals bei Berlin. Berlin 1981. S. 25.

33

Schutzzölle die innere Konsumtionskraft weiter schwächten. Die abenteuerliche Politik der Hitler-Regierung habe somit lediglich die »Schrumpfung« des Binnen- und Außenmarktes beschleunigt. Resümierend stellte die Tagung fest, daß die faschistische Diktatur »keine einzige politische und wirtschaftliche Frage des heutigen Deutschland zu lösen« vermag. Im Unterschied zum italienischen Faschismus 1922 sei in Deutschland keine stabile Hegemonie der Bourgeoisie über die Bauernschaft und das städtische Kleinbürgertum mehr möglich.® Vor diesem Hintergrund zog man die Schlußfolgerung, daß die bisherige Orientierung auf den Kampf gegen die Sozialdemokratie um die Mehrheit der Arbeiterklasse und auf die Vorbereitung des Kampfes um die proletarische Diktatur richtig

gewesen sel. Die Errichtung der faschistischen Diktatur zer-

störe vor allem die demokratischen Illusionen und befreie die Arbeiterklasse aus dem Einfluß der Sozialdemokratie. Auf diese Weise würde die Hitler-Diktatur trotz des grausamen Terrors das Tempo der Entwicklung Deutschlands zur proletariıschen Revolution beschleunigen. Der Tenor der Tagung des EKKI-Präsidiums bestand somit darin, daß der Sturz Hitlers vor allem eine Frage der Umgruppierung der Mehrheit der Arbeiterklasse von der SPD

zur KPD

sei. Dementsprechend

erhielt die »Sozialfaschismus«-These eine erneute Aufwertung.“* Die meisten Stellungnahmen der kommunistischen Publizistik jener Monate hoben hervor, daß die Perspektive der Hitler-Regierung von der Verschärfung der Weltwirtschaftskrise und der außenpolitischen Isolation Deutschlands bestimmt werde, was bereits in kurzen Fristen zum Zerfall der NS-Massenbasis und zur revolutionären Zuspitzung führe. Die überlieferte Einschätzung Ernst Thälmanns auf der Ziegenhalser Tagung fällt auf den ersten Blick tatsächlich aus

dem Rahmen dieser Erwartungen. Über die Möglichkeit einer

38 Siehe Die Lage in Deutschland. Resolution des Präsidiums des EKKI zum

39

34

Referat des Genossen Heckert. In: Rundschau. Basel (1933)9. S. 229f. — Fritz Heckert: Was geht in Deutschland vor? In: Ebenda. Basel (1933)10. S. 261-264. Siehe ebenda. S. 264-267. —- Die Lage in Deutschland. In: Ebenda. Basel (1933)9. S. 230f.

Ablösung eines faschistischen Regimes durch eine bürgerlichdemokratische Regierung war zwar in der Komintern ım Vorfeld des VI. Kongresses 1928 (Italien) und ım Zusammenhang mit der spanischen Revolution 1930/1931 diskutiert worden, doch 1933 wurde dies in den kommunistischen Stellungnah-

men ausgeschlossen. Thälmanns Äußerung, daß der Sturz der

Hitler-Regierung und der Sieg der proletarischen Revolution nicht unbedingt ein und dasselbe sein müssen, ist insofern

denkbar und authentisch, daß er ein erneutes »demokratisches

Manöver« der Bourgeoisie mit Unterstützung der Sozialdemokratie in Betracht zog. Die Orientierung in seinem überlieferten Manuskript lief auf einen sofortigen revolutionären Kampf gegen die Diktatur hinaus, ohne auf das volle Ausreifen der Situation für den Sieg der proletarischen Revolution zu warten. Dies schloß aber nicht — in seinem Verständnis — die Anerkennung der bürgerlichen Demokratie als Teilziel ein.” Genau diese Position vertraten Ende 1933 Palmiro Togliatti und Dmitri Manuilski auf dem XIII. Plenum des EKKI. Sie warnten vor der Erwartung eines automatischen Sieges der proletarischen Revolution nach dem Sturz der faschistischen Diktatur, verneinten zugleich die bürgerliche Demokratie als mögliches Teilziel des antifaschistischen Kampfes der Kommunisten.*' Im Frühjahr 1933 herrschte aber die Auffassung vor, daß das Scheitern der sozialdemokratischen Koalitionspolitik ın

Deutschland und Österreich den Bankrott der II. Internationa-

le bedeute. Es bestehe eine äußerst günstige Gelegenheit, daß die kommunistische Partei zur Einheitspartei der gesamten Arbeiterklasse werde. Bereits im März 1933 schrieb Wilhelm Knorin

in der »Rundschau«,

daß

die faschistische

Dıktatur

eine Folge der Perspektivlosigkeit in der Lage der Bourgeoisie sei, denn die Konterrevolution verfüge über keine ökonomischen Hilfsquellen mehr. Der Bourgeoisie stehe nur noch eine kurze Zeit der Herrschaft bevor. Daher sei es ein Axiom kom40 Siehe Die illegale Tagung des Zentralkomitees der KPD am 7. Februar 1933 in Ziegenhals bei Berlin. Berlin 1981. S. 25-28. 41 Siehe Die Diskussion zu den Referaten der Genossen Kuusinen, Picck und

Pollitt. In: Rundschau.

Basel (1934)5.

S.

153. — Dimitri

Manuilski:

Revolutionäre Krise, Faschismus und Krieg. In: Ebenda. Basel (1934)11. S. 391.

35

munistischer Politik, alles den Aufgaben der proletarischen Revolution unterzuordnen und die proletarısche Bewegung von den »liberalen Mitläufern« zu befreien.“ Im ersten Leitartikel der deutschsprachigen Ausgabe der »Kommunistischen Internationale« zur Lage in Deutschland wurden ebenfalls kurze Fristen bis zum Kampf um die Diktatur des Proletariats prognostiziert. Um die Qualen abzukürzen, sei die Kampfeinheit der Arbeiterklasse herzustellen, wofür allein die KPD über große Möglichkeiten verfüge. Schon der Titel war bezeichnend: »Der Zusammenbruch des WeimarDeutschland und die Vorbereitung des deutschen Oktober«.* Die Beschlüsse der Tagung des EKKI-Präsidiums kommentıerte die Zeitschrift: »Die Faschisten sind Eintagskönige. Ihr Sieg ist ein kurzer Sieg, dem die proletarische Revolution auf dem Fuße folgt.«** Ende Mai 1933 nahm das Exil-ZK der KPD eine Resolution an, die wesentlich diesen Intentionen folgte und prononciert darauf verwies, daß die Generallinie der Partei richtig sei. Einen breiten Raum nahm die Auseinandersetzung mit der

Fraktion um Heinz Neumann und Hermann Remmele ein, deren Plattform folgendermaßen wiedergegeben wurde: »Faschistische Diktatur bedeutet grundlegenden >»Systemwechsel«< — das Lumpenproletariat ist heute die herrschende Klasse, der siıch die ganze Bourgeoisie unterwirft — die Macht der Bourgeoisie ist gestärkt, das Proletariat hat eine Schlacht verloren und eine Niederlage erlitten — Genosse Thälmann, das Zentralkomitee und die Partei tragen die Verantwortung für das Zustandekommen der faschistischen Diktatur.«* In Remmeles illegalem Quartier war inzwischen ein in diese Richtung zielender kompromittierender Brief von Neumann vom 7. März 1933 gefunden worden. In ihm hatte Neumann gefordert, alle 42 Siehe Wilhelm Knorin: Das Barometer zeigt auf Sturm. In: Ebenda. Basel (1933)5. S. 108f. 43 Der Zusammenbruch des Weimar-Deutschland und die Vorbereitung des deutschen Oktober. In: Die Kommunistische Internationale. Basel (1933)5. S. 14ff. 44 Der deutsche Faschismus und das deutsche Proletariat. In: Ebenda. Basel (1933)7. S. 114. 45 Entschließung des Zentralkomitees der KPD zur Lage und zu den nächsten Aufgaben. In: Rundschau. Basel (1933)17. S. 542.

36

»kominternfeindlichen Äußerungen«, d. h. die von der »Gene-

rallinie« abweichenden Überlegungen, sofort zu protokollieren und nach Moskau zu schicken.“ Erneut erschwerten damit innere Auseinandersetzungen die Neuorientierung der Partei in einer ohnehin sehr komplizierten Situation.

Neumann

und

Remmele

versuchten,

die schwere

Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung für ihre fraktionellen Zwecke zu instrumentalisieren und damit ihr Scheitern in den Auseinandersetzungen um die Parteiführung in der KPD 1932 gegen die von Moskau gestützte Thälmann-Führung rückgängig zu machen. Das Exil-ZK antwortete auf die Vorwürfe der Fraktionsgruppe, die Arbeiterklasse und die KPD seien vorübergehend zum Rückzug gezwungen worden, hätten aber keine Niederlage erlitten. Es bestehe eine Schere zwischen richtiger Generallinie und ungenügender Umsetzung in die Praxis. In der Entschließung des ZK wurde die Gefahr einer noch brutaleren Vernichtung der gesamten organisierten Arbeiterbewegung als in Italien hervorgehoben. Zugleich hielt man an der Erwartung fest, daß diese Entwicklung die Überwindung der jahrzehntelang von der Sozialdemokratie genährten demokratischen Illusionen, die Loslösung der Massen

und vom Zentrum erleichtere.*’

von der »Eisernen Front«

Bei der Einschätzung der Perspektive der faschistischen Dıktatur ließ sich die Parteiführung vor allem von den Thesen des XII. EKKI-Plenums leiten. Die Krise in den USA, die Preisgabe des Goldstandards

des Dollars, die internationalen Span-

nungen wurden als Zeichen des »Endes der Stabilisierung« gewertet. Auch Eugen Varga hob in seinem am 26. Mai 1933 veröffentlichten Vierteljahresbericht hervor, daß das 2. Halbjahr 1932 keinen Umschwung in der Konjunkturentwicklung gebracht hatte. Er betrachtete die erwartete Inflation als Folge der »allgemeinen Krise« des Kapitalismus. Das monopolisti46

Der Brief wurde auf dem

XII.

Plenum des EKKI

von Andre Marty ver-

lesen (siehe ebenda. Basel (1934)11. S. 418f.). 47 Siehe Entschließung des Zentralkomitees der KPD zur Lage und zu den nächsten Aufgaben. In: Rundschau. Basel (1933)17. S. 541-543 und 546.

37

sche Industriekapital seı zu dıiesem Weg gezwungen, um den Anteil des Leihkapıtals am durch die Krise verringerten Wertprodukt zurückzudrängen. Dieser Weg führe aber nach einer kurzen Atempause zu einer erneuten Vertiefung der Krise.*® Das Hitler-Regime ging — so Varga — der Katastrophe der Inflation

entgegen.“ Ähnlich wurde die Situation in der Entschließung

des Exil-ZK beurteilt. Die Wirtschafts- und Außenpolitik der Hitler-Regierung schränke die deutschen Exportmöglichkeiten gewaltig ein. Die außenpolitische Isolierung seı größer als 1914, die Versailler Tributmächte würden die Lage der deut-

schen Bourgeoisie durch keine Konzessionen mehr erleich-

tern.

Die

deutsche

Mark

sei ernsthaft

gefährdet,

wodurch

neue Konflikte im Lager der Bourgeoisie über die einzuschlagenden Wege entstehen. Konzessionen an die Kleinbourgeoisie dürften nicht über die monopolkapitalistische, großagrarische

Grundlinie der faschistischen Politik hinwegtäuschen. Die Hitler-Regierung sei nicht in der Lage, Deutschland vom Versailler Joch zu befreien. Die Hitler-Diktatur breche zwar aufgrund

dieser Widersprüche nicht von sich aus zusammen, es breite sich aber die Enttäuschung unter den werktätigen Anhängern der NSDAP

aus, deren entscheidende Schichten die KPD

die proletarische Revolution gewinnen müsse.”

für

Der EKKI-Mitarbeiter Sepp Schwab zog ım Maı 1933 eine »Wirtschaftsbilanz von drei Monaten Hitlerdiktatur«. Dabei

hob er hervor, daß die Autarkie für ein Industrieland kein Ret-

tungsanker sein könne und die deutschen Probleme der Mithilfe anderer imperialistischer Länder bedürften. Deshalb führe der aggressive Kurs der Hitler-Regierung in das wirtschaftliche Chaos. Die Abnahme der Arbeitslosenzahl führte Schwab allein auf die Saisonentlastung zurück. Die Cliquenkämpfe innerhalb der Regierung, aber auch der Widerstand von Teilen der Bourgeoisie gegen die Wirtschaftspläne der faschistischen Diktatur

(Chemiekapital,

Banken)

würden

ein einheitliches

Konzept der Wirtschaftspolitik behindern. Schwab gab die Golddeckung der Reichsbank für die Mark mit zehn Prozent an 48

Siehe Rundschau.

Basel (1933)15. S. 479f.

49 Ebenda. S. 466ff. 50 Siche Entschließung des Zentralkomitees der KPD zur Lage und zu den nächsten Aufgaben. In: Ebenda. Basel (1933)17. S. 544f.

38

und meinte — unter Verweis auf die gestiegene Verschuldung von Reich, Ländern und Gemeinden —, daß die Inflation längst da sei. Sein Fazit: Die faschistische Diktatur verschaffte den Agrariern und der Kriegsindustrie eine Verbesserung der Lage

— auf Kosten der Arbeiterklasse, des Kleinbürgertums und der allgemeinen Verschärfung der Krise.”

Aus der Stellungnahme der Parteiführung der KPD wie aus den Urteilen von Eugen Varga und Sepp Schwab wird deutlich, daß die Kommunisten davon ausgingen, daß sich das bisherige Instrumentarium privatmonopolistischer wie staatlicher Krisenbewältigung als unzureichend erwiesen hatte. Die neuen Wege

wurden

im

faschistischen

Deutschland

erst mit

den

Maßnahmen des »Neuen Plans« von Hjalmar Schacht ım zweiten Halbjahr 1934 umfassend deutlich. Allerdings fällt auf, daß die konjunkturellen Erholungserscheinungen und die Arbeitsbeschaffung kaum empirisch untersucht wurden, was elnerseits auf das berechtigte Mißtrauen in die gleichgeschaltete deutsche Statistik, andererseits aber auch auf politisch motivierte Erwartungshaltungen zurückzuführen war. Unter diesen Voraussetzungen durfte die entscheidende Schlußfolgerung des Mai-Plenums des Exil-ZK der KPD nicht überraschen: »Die grundlegenden objektiven Faktoren, wie das XII. Plenum voraussagte, entwickeln sich auf Grund der Maßnahmen der Hitler-Regierung schneller zur revolutionären Krise hin.«* Die im Juni 1933 vollzogene Gleichschaltung aller politischen Parteien und Organisationen, die sich als wichtige Etappe im Konsolidierungsprozeß der faschistischen Diıktatur erweisen sollte, erschien in den ersten Stellungnahmen der KPD als Reaktion auf die Bedingungen der Verschärfung der inneren und äußeren Schwierigkeiten der Regierung. Das Exil-ZK entlarvte die demagogische Kampagne der NSDAP gegen den »Reaktionär« Hugenberg und interpretierte die politischen Veränderungen folgendermaßen: 51

Siehe Sepp Schwab: Die Wirtschaftsbilanz von drei Monaten Hitlerdiktatur. In: Die Kommunistische Internationale. Basel (1933)9. S. 306ff. 52 Entschließung des Zentralkomitees der KPD zur Lage und zu den nächsten Aufgaben. In: Rundschau. Basel (1933)17. S. 548.

39

1. Unter den Bedingungen der Zuspitzung des Klassenkampfes und des Aufschwungs der antifaschistischen Bewegung unter Führung der KPD stellten selbst bei reaktionärster Führung die bürgerlichen und sozialdemokratischen Organisationen Sammelpunkte für die mit der Regierung unzufriedenen kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten dar. 2. Mit Hitlers Sieg über Hugenberg und Brüning haben sich die entscheidenden Teile des Monopolkapitals und der Junker im Kampf gegen andere kapitalistische Interessengruppen um die totale Beherrschung des Staatsapparates durchgesetzt. 3. Die Kampagne gegen Hugenberg sollte die Unzufriedenheit in der nazistischen Gefolgschaft dämpfen.“

Im Sommer

1933 setzten sich führende Ökonomen der KI

erstmals gründlicher mit dem Produktionsanstieg des ersten Halbjahres in den USA, in Japan, Deutschland und Großbritannien auseinander. Lajos Magyar hob hervor, daß trotz des Anstieges der Produktion verschiedener Zweige der Schwerindustrie und Rohstoffgewinnung die Investitionen und der Maschinenbau weiter stagnierten. Er zog die Schlußfolgerung, daß es sich um eine Rüstungsproduktion handle, die nıcht

durch eine effektive Nachfrage, sondern durch Inflation stimuliert werde. Dieses Wachstum auf »kriegsinflationistischer

Grundlage« führe nur zu einem »neuen Krisenanfall der Welt-

wirtschaft«, wie es die Kreditvergabe unter dem US-Präsiden-

ten Hoover im zweiten Halbjahr 1932 gezeigt habe.“* Ähnlich

sah Eugen Varga das Problem in seinem am 30. Julı 1933 abgeschlossenen Vierteljahresbericht. Er wertete die Lagerauffüllung, spekulative Käufe infolge der Inflationserwartung und die Kriegsvorbereitungen als vorübergehende Erscheinungen. Der kapitalistische Mechanismus der Krisenüberwindung sei zwar nicht ausgeschaltet, aber unter dem Druck der »allgemeinen Krise« seien diese Kräfte nicht in der Lage, »die zyklische Krise überwindend, einen neuen Aufschwung hervorzubringen«.° 53

Siehe Die KPD zur Lage in Deutschland. In: Ebenda. Basel (1933)23. S. 781. 54 Lajos Magyar: Neue Erscheinungen in der Entwicklung der Wirtschafts55

40

krise. In: Ebenda.

Basel (1933)25.

S. 871ff.

Eugen Varga: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im 1933. In: Ebenda. Basel (1933)30. S. 1132.

zweiten Vierteljahr

Anhand des Scheiterns der Londoner Weltwirtschaftskonferenz erläuterte Varga, daß das »Marktproblem« unter den Bedingungen der »allgemeinen Krise« ıim internationalen Maßstab nicht gelöst werden kann. Darin zeige sich der Charakter des Kapitalısmus »als historisch vorübergehender, infolge ıhrer inneren Gesetze unvermeidlich ihrem Zusammenbruch zustrebender

Produktionsweise«.

Die

chronische

Verengung

des

Marktes sei auf die relative Einengungstendenz des kapitalistischen Marktes, die Verminderung der Wirkung der Faktoren der historischen Ausdehnung des kapitalistischen Marktes (Bauern, »dritte Personen«), die den Markt einengende Wirkung der Monopole und das Bestehen der Sowjetunion zurückzuführen.*° Im nächsten, am 26. Oktober 1933 abgeschlossenen Vierteljahresbericht betonte Varga besonders die These des XII. EKKI-Plenums, daß der monopolistische Charakter des Kapıtalismus den gewöhnlichen Ausweg aus der zyklischen Krise außerordentlich behindere. Die vom Monopolkapital einge-

schlagenen Wege — die Preiserhöhung durch Inflation, die Stärkung der nationalen Kartelle und die technischen Neuerun-

gen zur Herabsetzung der Produktionskosten ohne Erhöhung der Produktionsvolumens — würden letztlich die Konsumtionskraft der Gesellschaft weiter vermindern.”’ In diesem Zusammenhang meinte Varga, daß die Marxsche Prognose aus dem III. Band des »Kapital« Wirklichkeit werde: Es komme zur Revolution, weil die Mehrzahl der Bevölkerung außer Kurs ge-

setzt ist. Anhand der Entwicklung von Industrieproduktion, Anzahl der Beschäftigten und Lohnsumme in den USA 1932 bis 1933 wies Varga nach, daß die Rationalisierung vor allem zum Einsparen von variablen Kapital führte (durch Erhöhung der Arbeitsintensität bei Herabsetzung der Löhne und gleichbleibender Beschäftigung). Er nahm an, daß sich das Kapital auf die geringe Auslastung der Produktionskapazitäten und auf die Massenerwerbslosigkeit als Dauerzustand einrichte.“®

56 57

Siehe ebenda. Siehe ebenda.

S. 1113-1115. Basel (1933)44.

beitslosigkeit. S. 675ff.

In:

S. 1709f. und

1713.

58 Siehe Eugen Varga: Das Problem der steigenden chronischen MassenarDie

Kommunistische

Internationale.

Basel

(1933)14.

41

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sprach Varga von der Aussichtslosigkeit der »Ankurbelung« der deutschen Wirtschaft durch die faschistische Diktatur. Eine kleine Produktionssteigerung sei auf die Kriegsvorbereitung zurückzuführen, die Inflation rücke näher.”” Den Aufschwung der Industrieproduktion ın den USA bezeichnete er als »typische Inflationsspekulation«.° Untersuchungen von Vertretern der KPD zur deutschen Wirtschaft zielten in die gleiche Richtung. Sepp

Schwab

sprach

von

»Sumpfblüten«

scheinbarer

Wirt-

schaftsbelebung, weil die mittels der Notenpresse finanzierte profitreiche Kriegskonjunktur mit einer Verschlechterung der Lage in der Gesamtwirtschaft einhergehe. Frıtz Daviıd setzte sich mit der faschistischen Arbeitsbeschaffung auseinander. Er hob hervor, daß die Mehrbeschäftigung auf keinen konJunkturellen Aufschwung zurückzuführen war, sondern auf Programme, die nur für eine gewisse Zeit eine demonstrative Beschäftigung sicherten und den Lebensstandard unter dıe normalen Tarife drückten.®' In der Einschätzung der internationalen Beziehungen hoben die Kommunisten 1933 die wachsenden Spannungen zwischen den imperialistischen Ländern, angefangen vom Handelskrieg bis zu den Revisionsbestrebungen gegen den Versailler Vertrag, hervor. Zugleich gab es bemerkenswerte Gedanken zu der mit der Aggressivität des deutschen Faschismus ın Europa entstehenden neuen Konstellation. Karl Radek schrieb im Mai 1933, daß eine Revision des Versailler Systems durch den Sieg des Faschismus die nationalen Interessen der von den Faschisten als »minderwertig« bezeichneten Völker berühre. Deshalb könne sıch das internationale Proletariat nicht auf die Seite derjenigen ımperlalistischen Kräfte stellen, »die in der Feuerbrunst eines neuen imperialistischen Krieges die Neuaufteilung der 59 60

61

42

Siehe Rundschau. Basel (1933)30. S. 1707. Ebenda. Basel (1933)30. S. 1126.

S.

1125.

— Ebenda.

Basel

(1933)44.

Siehe Sepp Schwab: Zur Wirtschaftslage in Deutschland. In: Die Kom-

munistische Internationale. Basel (1933)18. S. 932ff. — Fritz David: Wie Hitler die Arbeitslosigkeit »liquidiert«. In: Ebenda. Basel (1933)12. S. 497ff.

Welt durchführen wollen«, selbst wenn das Proletariat ein Feind des Versailler Vertrages sei, meinte Radek.°* In dem von N. Rudolf gezeichneten Artikel wurde hervorgehoben, daß die Revision von Versailles lange vor Hitler begonnen hatte (im Sommer 1931). Einige imperialistische Politiker seien jedoch bestrebt, zunächst noch die Risiken eines imperialistischen Krieges zu vermeiden. Allerdings verstärke sich die Gefahr einer antisowjetischen Blockbildung zwischen Deutschland und Großbritannien.® In einem weiteren Aufsatz wies der Autor die langfristige Entwicklung der Konzeption der Ostexpansion des deutschen Imperialismus nach. Dabei strebe die Hitler-Regierung ein

Bündnis mit Italien und Großbritannien an, sei aber durch er-

ste Mißerfolge gezwungen

worden, »eine vorsichtigere und

elastischere Politik zu betreiben, (ihre) Maßnahmen

mehr mıt

dem realen Kräfteverhältnis in der kapitalistischen Welt in Einklang zu bringen, Zeit zum Manövrieren zu gewinnen«. Durch die Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland sei eine neue Situation entstanden, in der sich ein eigenartiger Wettlauf des Rüstens zu zwei Kriegen — gegen die Sowjetunion und zwischen den kapitalistischen Ländern — vollziehe.“ Diese nüchternen Einschätzungen standen im deutlichen Kontrast zu den Erwartungen, daß die außenpolitische Isolierung und Schwäche des deutschen Faschismus die Durchbrechung

der Versailler Bestimmungen unmöglich machen würden.

Die Analyse der zum Faschismus alternativen bürgerlichen Krisenbewältigung, besonders des New Deal, wurde von der Komintern 1933 nicht bewältigt. Tatsächlich hatte die Wahlkampf-Rhetorik in den USA kaum einen Hinweis auf neue Ansätze der Wirtschaftspolitik gegeben, repräsentierten beide Präsidentschaftskandidaten den inlandsbezogenen und Mittelwest-Flügel der Parteien. Als New Yorker Gouverneur hatte 62

Karl Radek: Die Revision des Versailler Vertrage. In: Rundschau. Basel (1933)15. S. 446f. 63 Siehe N. Rudolf: Die Verschärfung der Widersprüche des Versailler Systems und die Gefahr eines neuen imperialistischen Krieges. In: Die 64

Kommunistische Internationale. Basel (1933)7. Siehe N. Rudolf: Hitlers Außenpolitik. In: Ebenda.

S. 587ff.

Basel

(1933)13.

43

Roosevelt allerdings 1931 eine staatliche Sozialhilfe eingeführt und in seinem seit März 1932 geschaffenen Beraterstab hatten die Verfechter planwirtschaftlicher Wirtschaftsregulierung und wohlfahrtsstaatlicher Reformen eine starke Stellung inne. Die Politik des New Deal trug insofern einen stark pragmatischen, aus der Notlage der Krisenumstände erwachsenen, wider-

spruchsvollen Charakter, ein Konzept weitreichender sozialer Reformen war zum Beginn der neuen Administration nicht

vorhanden.® Die kommunistischen Kommentare hoben zunächst eine vermeintliche Kontinuität von der Hooverschen zur Rooseveltschen Wirtschaftspolitik hervor. Im zweiten Halbjahr 1932 gewährte staatliche Kredite hätten zum Bankenkrach Anfang

1933 geführt, die neuen Antikrisenmaßnahmen

würden ebenfalls die Inflation beschleunigen, was durch die Dollarabwertung Ende April bereits bestätigt worden sei. Die

Tätigkeit des Rooseveltschen »Brain Trusts« wurde als »Deckmantel

finanzkapitalistischer Politik« bezeichnet, seinen Re-

formplänen keine reale Chance eingeräumt.® Auch

Eugen

Varga

war

in seinen

Vierteljahresberichten

1933 nicht in der Lage, die Auswirkungen des Gesetzeswer-

kes der ersten hundert Tage der Roosevelt-Administration zu

überschauen. Im Aprıl 1933 meinte er, die Regierungsmaßnahmen würden die neue Bankrottwelle nur künstlich hinausschieben. In den Stützungsmaßnahmen

für die Farmer sah er

den »verzweifelten Versuch, die Grundrente auf Kosten der Arbeiterschaft oder des Profits des industriellen Kapitals wieder auf die Vorkriegshöhe zu bringen«. Im Julı 1933 sprach Varga von einem »spekulativen Aufschwung« der Industrieproduktion, der auf einer voranschrei65 Siehe Charles P. Kindleberger: Die Weltwirtschaftskrise. S. 204. — Rüdi-

ger Horn/Peter Schäfer: Geschichte der USA

S. 176f. und 184. 66 Siehe Das Ergebnis der Präsidentenwahlen In:

Internationale

Presse-Korrespondenz

1914-1945. Berlin 1986.

in den Vereinigten Staaten.

(Inprekorr).

Berlin

(1932)94.

— Roosevelts Amtsantritt.

In: Rund-

S. 3021. —- Die »Prawda« zur Wahl Roosevelts. In: Ebenda. Berlin (1932)96. S. 3064. - Louis Engdahl: Roosevelts Sieg über Hoover. In: Ebenda.

Berlin (1932)97.

Ebenda.

Basel (1933)11.

S. 3099.

schau. Basel (1933)4. S. 76f. — 1. Mai am historischen Wendepunkt. In: S. 297. — Die Washingtoner

Vorkonferenz

und

der Dollarkrach. In: Ebenda. S. 300. - M. Tanin: Der »Trust der Gehirne« und die Vertrustung des Kapitals. In: Ebenda. Basel (1933)22. S. 743.

44

tenden Inflation beruhe. Die Roosevelt-Gesetze zielen deshalb auf die Einfrierung der Löhne als Minimallöhne ab, die von der Inflation bald entwertet würden. Auch Varga blieb nicht von dem

Irrtum verschont, die Vollmachten

für die US-Zen-

tralregierung als »ganz klare Tendenzen der Faschisierung« und die Reformpolitik Roosevelts als »faschistische Politik« zu charakterisieren.®” Sicher wiesen linke und kommunistische Kritiker des New Deal zu Recht auf die dominierende Stellung des Monopolkapitals in der National Recovery Administration (NRA), die die Lohnkodexe ausarbeitete, und auf die Schwäche der Gewerk-

schaften hin. Sie übersahen aber, daß die erstmalige staatliche Anerkennung der gewerkschaftlichen Vertretung in den Betrieben neue demokratische Möglichkeiten eröffneten, die schließlich auch das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmern und Gewerkschaften sowie die öffentliche Meinung veränderten. Schließlich wurde ein Review Board unter dem liberalen Anwalt Clarence Darrow zur Kontrolle der NRA geschaffen.® Der Vorwurf der faschistischen Tendenzen im New Deal war trotz gewisser äußerlicher Ähnlichkeiten des New Deal (Arbeitsdienst, öffentliche Arbeiten) mit der faschistischen Wirtschaftspolitik unzutreffend. Er wurde von Kommunisten auch in der Auseinandersetzung mit sozialdemokratischen Wertungen des New Deal erhoben.® Unter diesen Bedingungen war es bemerkenswert, daß sich der Generalsekretär der KP der USA Earl Browder im Juli 1933 gegen die verbreitete Gleichsetzung des New Deal mit dem Faschismus wandte. Die Wirtschaftsentwicklung beurteilte Browder ähnlich wie Varga. Er hob hervor, daß das Wachstum der Industrieproduktion ohne eine Mehreinstellung von Arbeitern vor sich gegangen war. Die Konsumtionskraft sei daher nicht gestärkt worden, die Produktion erfolge für einen durch die Inflation

67

Siehe Rundschau.

Basel (1933)15. S. 469-473. — Ebenda. Basel (1933)30.

S. 1125-1129. 68 Siehe Zur Geschichte der Kommunistischen Partei der USA. Berlin 1986. S. 137-139. —- Rüdiger Horn/Peter Schäfer: Geschichte der USA 1914-1945. Berlin 1986. S. 190f. 69 So u. a. durch Bela Kun in der Auseinandersetzung mit Emile Vandervelde.

45

hervorgerufenen spekulativen Markt (Horten von Waren). Eın Inflationsstopp würde zu einem neuen Absturz führen. Der

New Deal stelle ın diesem Zusammenhang die Zerstörung des einheimischen Lebensstandards und den Kampf um die Außenmärkte

dar.”” Zugleich

zung mit dem

Faschismus

verneinte

Browder

die Gleichset-

und legte seine Ansichten

einen Vergleich der Lage in den USA und Deutschland dar:

über

1. Roosevelt und Hitler verkörperten beide Exekutiven des Finanzkapitals, Formen der Herrschaft des Finanzkapitals. Diese Formunterschiede seien weder zu über- noch zu unterschätzen. 2. Das Wachstum faschistischer Tendenzen sei ein Signal

der Schwäche der Herrschaft des Finanzkapitals, das nicht mehr ın den alten Formen herrschen kann, sondern zu offeneren, brutaleren, terroristischeren Methoden nicht als Ausnahme

sondern als Regel zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und Kriegsvorbereitung greifen muß. Der Faschismus sei präventive Konterrevolution. 3. Der Faschismus stelle kein besonderes Wirtschaftssystem dar. Seine Maßnahmen gingen nicht weiter, als die Kapıtalisten bısher unter den Bedingungen der Kriegsvorbereitung und des Krieges gegangen sind. 4. Der Faschismus komme mit aktiver Hilfe sozialistischer Parteien zur Macht (in den USA: AFL, Socialist Party).”' Browder meinte, das Roosevelt-Programm zeige, daß es keine »chinesische Mauer zwischen Demokratie und Faschismus« gebe. Aber es sei falsch, vom New Deal als »entwickel-

tem Faschismus« zu sprechen. Bei der Verschärfung des Klassenkampfes werde die Bourgeoisie der USA mehr und mehr zu faschistischen Methoden greifen. Die Errichtung eines faschistischen Regimes in Amerika hänge aber letztlich von der Effektivität des revolutionären Massenkampfes ab. Browder hob hervor, daß es im NRA die »klarsten Beispiele von Tendenzen zum Faschismus« gebe. Der NRA sei »Schrittmacher des amerikanischen Faschismus«.’* In einem Artikel 70 Siehe 1933. 71 Siehe 72 Siehe

46

Earl Browder: What is the New Deal? We do our part. New York S. 2-4 und 15. ebenda. S. 16f. ebenda. S. 17, 19 und 23.

in der »Kommunistischen Internationale« vom 1. Oktober 1933 vertrat Verne Smith ähnliche Positionen zur Rooseveltschen Wirtschaftspolitik.’” Die außerordentliche Parteikonferenz

der KP

der USA

(7. bis

10. Julı

1933

in New

York)

schätzte das Roosevelt-Programm als Fortführung der Hoover-Politik ein und machte Konzessionen an die Sozialfaschismus-These, orientierte jedoch im praktischen Kampf auf Tagesforderungen (Kampf gegen Lohnabbau, um eine Sozialversicherung,

um

die

Streichung

der Farmerschulden,

für

Gleichberechtigung der Afroamerikaner, gegen deutschen Faschismus).”*

Bis in den Herbst 1933 blieben wichtige Fragen nach neuen Wegen bürgerlicher Krisenbewältigung in der Analyse von KPD und Komintern noch ungelöst. Einerseits waren dıe Kommunisten aufgrund des Erfahrungshorizontes wie auch der eigenen Erwartungshaltungen nicht in der Lage, mittelfristige Stabilisierungschancen des Hitler-Faschismus realistisch zu beurteilen. Andererseits wurden die in alternatiıven Formen staatsmonopolistischer Regulierung (New Deal) sich bietenden Freiräume für den Kampf um Teilziele nicht erkannt. Die empirische Arbeit zur Untersuchung der neuen Erscheinungen in sozialökonomischer und politischer Entwicklung führender kapitalistischer Länder wurde nicht in hinreichendem Umfang vorangetrieben. Deshalb konnten auch vom Bereich der Imperialismus- und Faschismusanalyse keine entscheidenden Impulse für die Überwindung von sektiererisch-dogmatischen Orientierungen in der Strategie und Taktik von KPD und KI ausgehen. Einzelne vorwärtsweisende Ideen für den antifaschistischen Kampf wurden nicht vorbehaltlos diskutiert. In den Publikationen der Komintern geriet vor allem die KP der Tschechoslowakei in das Feuer der dogmatischen Kritik. Verschiedene Vorstöße zur Einheitsfront mit der tschechoslowakischen Sozialdemokratie angesichts der Bedrohung

73 Siehe Verne Smith: Das Programm Roosevelts — eine Offensive gegen die Arbeiterklasse. In: Die Kommunistische Internationale. Basel (1933)16. S. 831ff. 74

Siehe Offener Brief an alle Basel (1933)17. S. 89ff.

Parteimitglieder

der

KPUSA.

In:

Ebenda.

47

durch den Hitler-Faschismus wurden als rechtsopportunistische »Burgfriedenspolitik« gekennzeichnet. Aber auch neue Überlegungen zum New Deal wurden als opportunistische Anschauungen zurückgewiesen (z. B. Steigerung der Konsumtionskraft durch binnenwirtschaftliche Orientierung der Roosevelt-Administration).” Am 10. Oktober 1933 schätzte das Polbüro des ZK der KPD ein, daß die faschistische Diktatur auch weiterhin keine einzitge wirtschaftliche und politische Frage zu lösen vermag, sondern Deutschland der Katastrophe entgegenführt. Im Winter 1933/1934 würden die letzten Illusionen der werktätigen Mas-

sen rasch schwinden. Es bestehe die reale Möglichkeit, die Wiederherstellung der Einheit der Arbeiterbewegung in Gestalt allein der KPD zu erreichen.” Im November 1933 verabschiedete das ZK der KP Italiens eine Resolution, in der Faschismus, »Hitlerismus« und »Roo-

seveltismus« weitgehend gleichgesetzt wurden. Zugleich forderte das ZK eine Verschärfung des Kampfes gegen diıe Sozialdemokratie, die mit ihrer Forderung nach Demokratie den »Klassen-Antifaschismus« sabotieren würde.’’ Kurze Zeit später trat in Moskau das EKKI zu seinem XIII. Plenum zusammen.

75 Siehe A.

Kellermann:

»Kommunisticka

Über

Revue«.

die rechtsopportunistischen

In: Ebenda.

Basel

(1933)14.

Fehler der

S. 685ff.

—- Der

Übergang zur neuen Stufe der allgemeinen Krise des Kapitalismus und das Heranreifen der revolutionären Weltkrise. In: Ebenda. Basel (1933)19. S. 1012. — Verstärktes Feuer gegen den Opportunismus. In: Ebenda.

Basel

tischen

Kämpfe

(1933)20.

S.

1083ff. — Das

Heranreifen

der revolutionä-

ren Weltkrise und das Wechselverhältnis der wirtschaftlichen und polides Proletarıats.

In: Ebenda.

Basel (1933)21.

S.

1184.

76 Siehe Die gegenwärtige Lage in Deutschland und die Aufgaben der KPD. In: Rundschau.

Basel (1933)40.

S. 1541ff.

tei. In: Ebenda.

Basel (1933)43.

S. 1669ff.

77 Siehe Die Lage in Italien und die Aufgaben der Kommunistischen

48

Par-

»Wir kämpfen für Sowjetdeutschland!« Das XIII. Plenum der Exekutive der Komintern über Weltwirtschaftskrise und Faschismus

Im Verlauf des Jahres 1933 waren die Folgen des 30. Januar 1933

nicht nur für die deutsche,’® sondern auch die interna-

tionale kommunistische Bewegung deutlich geworden. Bis zum Sommer 1933 hatte es neue Ansätze ın der Einheitsfrontpolitık gegeben. Auf den Appell der Sozialistischen ArbeiterInternationale vom 19. Februar hatte das EKKI am 5. März mit einem Programm des antifaschistischen Kampfes geantwortet und die Sektionen aufgefordert, eine Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Parteien ihrer Länder anzustreben. Allerdings war auf die ursprüngliche Zusage zu Direktverhandlungen mit der SAI offenbar nach Rücksprache mit Jossif Stalin und Wjatscheslaw Molotow verzichtet worden. Telegramme von Maurice Thorez und Klement Gottwald an

das EKKI am 7. April konnten diese Position nicht verändern.”

Die kommunistischen Parteien Frankreichs, der Schweiz und der Tschechoslowakei folgten der Richtlinie des EKKI und schlugen den sozialdemokratischen Parteien ihrer Länder zwIischen dem 6. und 14. März

1933 Teilziele eines gemeinsamen

antifaschistischen Kampfes vor.®° Die SAI-Führung nutzte wiederum die Weigerung des EKKI, in Direktverhandlungen zu treten, um ihre Parteien vor Abkommen mit den einzelnen kommunistischen Parteien zurückzuhalten. 78 Siehe Michael Schneider: Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939 ... Kap. I. 79 Siehe Fridrich Firsov: Stalin i problemy politiki edinogo fronta. In: Politiceskoe obrazovanie. Moskau (1989)1.

80

Siehe Rundschau.

Basel (1933)4. S. 92. —- Ebenda. Basel (1933)5. S. 127f.

49

Der Antifaschistische Arbeiterkongreß ın Parıs vom 4. bis 6. Juni 1933 verdeutlichte die Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Kommunisten

und Sozialdemokraten, verstärkte die

Kontakte zwischen den Bündnispartnern. In Frankreich wurde die Mauer des Unverständnisses und der Feindseligkeit zwischen Sozialisten und Kommunisten durchbrochen.*' In der KP Frankreichs wuchsen die Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen verengten Auffassungen über die Einheitsfrontpolitik, die vom XII. EKKI-Plenum festgelegt worden waren und ın der KPD im Frühjahr 1933 wieder Oberhand gewannen. Maurice Thorez berichtete ım Dezember 1933 vor dem EKKI: »Es herrschen jedoch in der Partei Zweifel darüber, ob die Politik der KP Deutschlands richtig war. Eine gewisse Panikstimmung, ein Defaitismus kam in einigen Bezirken zum Ausdruck und übte bis auf die Redaktion unseres Zentralorgans ihren Einfluß aus. Die Resolution des Präsidiums [des EKKI vom 1. April 1933 — die Verf.] und der Artikel unseres Genossen Heckert wurden mit Verspätung veröffentlicht und sehr schlecht aufgemacht. Meinungen ähnlich jenen, die die Gruppe Neumann-Remmele über die »Niederlage des deutschen Proletariats« und über die »Kapitulation der KPD«< zum Ausdruck brachte, kamen auch bei uns zum Vorschein.«®** Aus den Ausführungen wird deutlich, daß es den Kommu-

nisten schwer fiel, zwischen realistischen Warnungen, fatalıstischen Stimmungen und Schuldzuweisungen infolge des Fraktionskampfes unterscheiden zu können. Die in der KP der Tschechoslowakei geführte Diskussion zu den deutschen Ereignissen stand besonders im Zentrum des XII. EKKI-Plenums ım Dezember 1933. Josef Guttmann hatte schon auf dem vorangegangenen Plenum des EKKI 1932 für eine elastischere Politik der KPD gegenüber der SPD plädiert. Nun wurde ıhm vorgeworfen, eine »linkssozialdemokratische Zwischenplattform« gegenüber den tschechoslowakischen Sozialdemokraten zu entwickeln.** Ossip Pjatnitzki sprach von 81 82 83

50

Siehe Geschichte der Sozialistischen 1940). Berlin 1985. S. 182. Rundschau. Basel (1934)5. S. 170. Rundschau. Basel (1934)8. S. 284.

Arbeiter-Internationale

(1923

bis

Tendenzen in der KPC, »das Parteiantlitz bei der Durchführung

der revolutionären

Einheitsfront

zu verstecken«.

Der

Aufruf zur Einheitsfront vom März 1933 sei ım Geiste der »Blockbildung« mit der Sozialdemokratie verfaßt worden.““* Ein weiterer Punkt der Auseinandersetzung war die Frage, ob sich in der CSR ebenfalls ein Prozeß der Faschisierung vollziehe. Im April 1933 hatte das Sekretariat das EKKI folgende Einschätzung an das ZK der KPC übermittelt: »Der Prozeß

der Faschisierung der Tschechoslowakei wird seinen eigenen,

besonderen Weg einschlagen. Jetzt von einem Brüningregime in der Tschechoslowakei zu reden, ja sogar von einem erst beginnenden Brüningregime, würde eine Unterschätzung des Ernstes der gegenwärtigen Lage und der Möglichkeit plötzlicher Überfälle und Provokationen der jetzigen Regierung gegen die Kommunistische Partei bedeuten, würde auch eine Unterschätzung der konterrevolutionären Rolle der Sozialdemokratie bedeuten. Das wichtigste für die tschechischen Kommunisten ist jetzt, zu begreifen, daß die »Burg« die Führung der tschechischen Bourgeoisie ist, die bestrebt ist, die nationale Konzentration und Faschisierung der Tschechoslowakei unter der Flagge der Verteidigung der »Demokratie«< und der militärischen sogenannten > Verteidigung« des Versailler Systems

im Bunde

mit dem

faschistischen

Polen, Jugoslawıen

und Rumänien unter Führung Frankreichs durchzuführen, Sowohl gegen die proletarische Revolution als auch gegen die faschistischen Revisionspläne Deutschlands.«* Die Plenartagung des EKKI im Dezember 1933 verlief in einer Atmosphäre äußerer Geschlossenheit, es kam nicht zu kontroversen Meinungsäußerungen. Inhaltliche Schwerpunkte der Berichterstattung waren die Entwicklung des Faschismus in Deutschland und im internationalen Maßstab, die Kriegsgefahr, die weltwirtschaftliche Situation und die Haltung zur Sozialdemokratie. Vor allem der erneute Rückschlag der Industrieproduktion

der USA

im Herbst 1933®% bestärkte führende Theoretiker der

84 Siehe ebenda. Basel (1934)7. S. 237f. 85

Ebenda.

Basel (1934)10.

S. 353f.

86 Siehe ebenda. Basel (1934)18. S. 658.

51

KI in der Überzeugung, daß die Weltwirtschaftskrise noch nicht überwunden sei. Im Vorfeld und auf dem XIII. Plenum schwieg Eugen Varga zu diesem Problem. Die Einschätzung der weltwirtschaftlichen Situation im Bericht über das dritte Vierteljahr 1933 in der »Rundschau« verfaßte Maximilian Joelson, ein Mitarbeiter des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft

und Weltpolitik, der davon ausging, daß die »akute Phase« der

Krise noch nicht überwunden sei.” In dem von Otto Kuusinen vorgetragenen Bericht des EKKI wurde hervorgehoben, daß 1933 in der Weltwirtschaft »Elemente einer Vorkriegsinflationsbelebung bei Fortdauer der Wirtschaftskrise« vor allem zu einem Wachstum der Rüstungsproduktion geführt hätten. Die Inflation habe bereite 52 kapitalistische Länder erfaßt. Neue Kapitalinvestitionen fehlten aber völlig, der Welthandel ginge weiter zurück. Der Referent versuchte, diese Interpretation mit Hilfe der Konzeption der »allgemeinen Krise« zu begründen. Im Rückblick auf den Vorkriegskapitalismus stellte er fest, daß zu dieser Zeit die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder noch ın der Lage gewesen seien, ihren inneren Markt zu erweitern und ihren Industrieex-

port in neue Kolonien und schwachentwickelte kapitalistische Länder auszudehnen. Deshalb hätten die zyklischen Krisen Voraussetzungen für ihre eigene Überwindung und einen neuen Aufschwung schaffen können. Die innere Entwicklung des Kapitalismus verschärfe aber das »Marktproblem«. Der Weltkrieg habe zur »allgemeınen Krise« geführt, zugleich aber dem Kapitalismus eine Atempause von zehn Jahren durch gewisse Erleichterungen ın der »Marktfrage« gewährt. Aber das Produktionsniveau von 1913 habe »sich als kritisch für den Weltkapitalismus in Anbetracht der engen Rahmen der Absatz-

märkte (erwiesen), die ihm durch seine allgemeine Krise ge-

stellt waren«. Das Erreichen des Vorkriegsniveaus hatte also ım Verständnis der kommunistischen Theoretiker die Krise 1929 ausgelöst und würde auch in Zukunft immer wieder zum

Rückfall in die Krise führen. Zugleich nahmen sie an, daß die

monopolistische Krisenabwälzung mehr und mehr die Wirkung des Wertgesetzes entstellte, wodurch der innere kapitalistische Mechanismus der Krisenüberwindung ın »einen elementaren 87

52

Sıehe ebenda.

Basel (1933)44.

S. 1718.

Zerfall der kapitalistischen Ökonomik« umschlage. Als Indiz dieser Entwicklung sah Kuusinen auch die »Krisenrationalisierung« an, bei der das Produktionswachstum nicht mehr durch eine entsprechende Zunahme der beschäftigten Arbeiter begleitet wurde.** Die Thesen des Plenums bekräftigten diese Sichtweise: Die Wirtschaftspolitik der Finanzoligarchie zur Überwindung der Krise trage zum weiteren »Zerfall des Mechanismus der kapitalistischen Ökonomik«

bei, was sich in Inflation, Haus-

haltdefiziten und anhaltender Agrarkrise äußere. Man sprach in diesem Zusammenhang bereits von einer neuen Qualität der »allgemeinen Krise«: »Die Weltwirtschaftskrise hat sich aufs engste mit der allgemeinen Krise des Kapitalismus verflochten.«®° Dmitri Manuilski brachte in seiner Diskussionsrede zum Ausdruck, daß »die Grundlinie der Entwicklung des Weltkapitalismus [...] abwärts gehen muß«, auch wenn einzelne Konjunkturbesserungen nicht ausgeschlossen seien.” Eine Diskussion zum Problem der Weltwirtschaftskrise fand auf dem Plenum faktisch nicht statt. Eugen Varga sprach zu einem

peripheren

Bereich,

zur internationalen Agrarkrise.*'

Wilhelm Pieck bestätigte die weltwirtschaftliche Interpretation am Beispiel der faschistischen deutschen Wirtschaft: 1933 habe es nur in der Rüstungsproduktion eine Steigerung gegeben, die anderen Zweige stagnierten oder fielen weiter zurück. Hitlers Politik müsse zum raschen Übergang von der ver-

steckten zur offenen Inflation führen, er treibe Deutschland ın

die Wirtschaftskatastrophe. Es gebe immer noch sieben Millionen Arbeitslose in Deutschland.” In der Perspektive erwartete die KI-Führung eine Zuspitzung der Krisensymptome durch die Zunahme der Belastung der Wirtschaft

durch

den

»Militär-Parasitismus«,

so Kuusi-

nen. Die Inflation müsse weitergeführt werden und trage zum Zerfall des Mechanismus der kapitalistischen Ökonomik bei.

88 89 90 91 92

Siehe ebenda. Ebenda. Basel Siehe cebenda. Siehe ebenda. Siehe ebenda.

Basel (1934)4. S. 99-102 und (1934)1. S. 2f. Basel (1934)11. S. 385. Basel (1934)10. S. 360f. Basel (1934)4. S. 122f.

111.

53

Während

die Gesamtwirtschaft

stagniere,

könnte

es in Rü-

stungsbereichen zur Produktionssteigerung kommen. Die staatliıchen Kredite seien ein Vorschuß auf die kommende Kriegsnachfrage.” In seinem Schlußwort betonte Kuusinen noch einmal die Anormalität der künftigen Entwicklung des Kapitaliısmus: »Die Methoden, durch welche die Finanzoligarchie in der Wirtschaftskrise ihre Profitverluste ersetzt, bestehen hauptsächlich in einem außergewöhnlichen Raub und

Diebstahl [...] Die außerordentliche Beute, die dadurch aufgebracht wird, ist Profit von einer besonderen Kategorie; es ist

nicht dasselbe wie der durch »normale« kapitalistische Ausbeutung aufgebrachte Mehrwert. Es ist eine besondere Diebesbeute der großen Kriegshyänen. Das »Pech« dabei ist nur, daß das nicht endlos so fortgesetzt werden kann. Der Raub ist keine Produktionsart — hat schon Marx erklärt.«”* Die staatsmonopolistische Regulierung erschien in diesem Zusammenhang lediglich als Reflex des Zerfalls der kapitalistischen Ware-Geld-Beziehungen, wie es z. B. Wilhelm G. Knorin zum Ausdruck brachte.” Vor dem Hintergrund dieser Interpretation der weltwirtschaftlichen Entwicklung drängte sich der Gedanke auf, daß imperialistische Aggressivität nach außen und faschistische Innenpolitik sich zwangsläufig für alle kapitalistischen Länder aus den ökonomischen Zwängen und der Unmöglichkeit der Fortsetzung sozialer Reformpolitik — wenn auch mit zeitlicher Verzögerung — ergaben. Dmitri Manuilski sprach bereits von einer »Vorkriegssituati-

on«,

die in der Sprengung

der internationalen

Verträge,

ın

wachsender Rüstung und Militarisierung und in Verstärkung der politischen Reaktion zum Ausdruck komme.“” Julian

Leszczyniskı (Lenski) verwies darauf, daß die kapitalistische

Wirtschaft über autarkische Maßnahmen nicht aus der herauskommen kann. Die »Kriegsinflations-Konjunktur« dicht an einen neuen Weltkrieg heran.”’ Wilhelm Pieck mentierte ähnlich: Die drohende Katastrophe im Innern 93 94 95 96 97

54

Siche ebenda. Ebenda. Basel Siehe ebenda. Siehe ebenda. Siehe ebenda.

S. 102-104. (1934)11. S. 423. Basel (1934)10. S. 351. Basel (1934)11. S. 386. Basel (1934)5. S. 145.

Krise führe arguzwin-

ge Hitler, den Ausweg in außenpolitischen Abenteuern zu Suchen.” In den Thesen des Plenums wurde festgehalten: »Die wachsende Ungewißheit der Bourgeoisie, einen Ausweg aus der Krise einzig und allein in einer Verstärkung der Ausbeutung der Werktätigen des eigenen Landes zu finden, führt dazu, daß die Imperialisten ihren Haupteinsatz auf die Karte des Krieges setzen.« Als Hauptkriegstreiber waren Japan,

Großbritannien (vor allem in antisowjetischer Stoßrichtung) und Deutschland bezeichnet worden.” Allerdings gelang es

noch nicht, die aus der Aggressivität der faschistischen Staaten erwachsende neue internationale Konstellation zu erfassen,

die besonders für die kleineren europäischen Staaten, aber auch generell die Frage der Friedenssicherung — zumindest partiell — neu stellte. Die Komintern beharrte dagegen auf ihrer breiten Propaganda gegen die SAI, auf deren antikommunistische Ressentiments sie mit dem Vorwurf antwortete, die So-

zialdemokratie bereite sich auf einen »neuen 4. August« (1914) vor. Die Revolutionierung der Massen wurde als Hauptaufgabe der KI im Antikriegskampf angesehen.'“ In der Parteigeschichtsschreibung von SED und KPdSU wurde die auf dem XI1I. Plenum des EKKI gebrauchte Formel als ein wichtiger theoretischer Durchbruch zur »Analyse des Klassencharakters des Faschismus«,!® zur »Bestimmung des Klassencharakters des Faschismus«'®? und »Definition des Klassencharakters des Faschismus«'® gewürdigt. Demgegenüber sind die von Barbara Timmermann vorgetragenen sachliıchen Einwände wohl stichhaltig: Der Unterschied zwischen faschistischer Diktatur und bürgerlicher Demokratie sowie die Verselbständigungstendenz der politischen Führung blieben ausgespart, das Verhältnis zwischen faschistischer Diktatur und Massenbewegung wurde nicht behandelt, die Funktion 98 99 100

101 102

103

Siche ebenda. Basel (1934)4. S. 123. Siehe ebenda. Basel (1934)1. S. 3. Siehe ebenda. Basel (1934)4. S. 105 und

108.

Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 5. Berlin 1966. S. 107. Elfriede Lewerenz: Die Analyse des Faschismus durch die Kommunistische Internationale. Berlin 1975. S. 12ff. Die internationale Arbeiterbewegung. Fragen der Geschichte und der Theorie. Moskau 1985 Bd. 5. S. 272.

55

des Faschismus war weiter umstritten.'“ Eine Analyse der

zeitgenössischen Äußerungen fördert tatsächlich mehr Wider-

sprüche als Logik der Argumentation zutage. In den Thesen des XIII. Plenums wurde folgende Bestimmung des Klassencharakters des Faschismus gegeben: »Der Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.«'® Diese Formel fand in erster Linie ın der Auseinandersetzung mit abweichenden Interpretationen des Faschismus ihre Anwendung, so in der Polemik Otto Kuusinens gegen Otto Bauer, Leo Trotzki und August Thalhei-

mer, denen er die Verwechslung des Klassencharakters des Faschismus mit der Frage nach der »Klassenzusammensetzung der faschistischen Massenbewegung« vorwarf. '“ Auf dem Plenum gab es aber keine Bemühungen, eben diese hinter der faschistischen Diktatur stehenden finanzkapi-

talistischen Kreise näher zu bestimmen oder gar zu differen-

zieren. Wilhelm Pieck verwies auf die Zusammensetzung des

Generalrates der deutschen Wirtschaft, dessen Mitglieder er als Großindustrielle, Bankfürsten und Großagrarier bezeichnete. In der dort bestehenden Personalunion von staatlichen Ämtern und Führungspositionen der Konzerne sah er den Zusammenhang von Faschismus und Kapital offenbar als hinreichend geklärt.'®” Drei Monate vor dem XIII. Plenum war eine Analyse von Günter Reimann erschienen, in der dieser die Verbin-

dungen von Repräsentanten der Finanzoligarchie zur NSDAP untersucht hatte. Er hatte insbesondere die Dominanz der monopolistischen Rohstoffkapitalisten ım Generalrat der deutschen Wirtschaft hervorgehoben und nun mit einem »Generalangriff« der krisengeschädigten Schwerindustrie gegen die IG Farben gerechnet. Sein Fazit: Der deutsche Faschismus stütze sich auf die ökonomisch mächtigsten Kapitalkräfte.'% 104 105

Siehe Barbara Timmermann: Die Faschismus-Diskussion (1920-1935). Diss. Köln 1977. S. 369-400. Rundschau. Basel (1934)1. S. 2.

107

Siehe ebenda. S. 121.

106 108

56

in der

K]

Siehe ebenda. Basel (1934)4. S. 109.

Siehe Günter Reimann: Das Hervortreten des Finanzkapitals unter der

faschistischen Diktatur. (1933)15. S. 722ff.

In: Die

Kommunistische

Internationale.

Basel

Bedeutete

dies,

daß

im

Verständnis

der kommunistischen

Theoretiker Ende 1933 die faschistische Diktatur von den ökonomisch dominierenden Monopol- und Finanzgruppen der Bourgeoisie angestrebt und errichtet wurde? Knorin sprach von der faschistischen Diktatur als dem »letzte(n) verzweifelte(n) Versuch

der reaktionärsten,

terroristischen

nationalistischen

Gruppen der Bourgeoisie«, die Staatsmacht zu sichern und einen neuen Krieg als Ausweg aus der Krise vorzubereiten. Diese Charakteristik 'bezog sich also mehr auf die politischideologische Ebene.'®” In der Frage nach den Entstehungsbedingungen für die faschistische Diktatur wurde auf dem XIII. Plenum im wesentlichen auf die bisherige Argumentation zurückgegriffen: Das Anwachsen der revolutionären Krise, das Versagen der Methoden der bürgerlichen Demokratie, der Zwang zur direkten Kriegsvorbereitung hätten in einer Reihe von kapitalistischen Ländern zur Errichtung der faschistischen Diktatur geführt. Der Faschismus sei aus dem Leib der bürgerlichen Demokratie hervorgewachsen. Die faschistische Diktatur bilde »keine unvermeidliche Etappe der Diktatur der Bourgeoisie in allen

Ländern«, sondern sie sei nur bei Aufrechterhaltung der Spaltung der Arbeiterklasse durch die Sozialdemokratie zu verwirklichen, lauteten die Thesen.'!!*

Besonders widersprüchlich waren die Aussagen in der Frage nach der Funktion der faschistischen Diktatur. Wilhelm Pieck und Dmitri Manuilski hoben hervor, daß durch die Al-

leinherrschaft der faschistischen Partei die in der Krise verschärften Interessengegensätze zwischen den Gruppierungen der Bourgeoisie überbrückt werden sollten.'!! Otto Kuusinen

verwies darauf, daß die Großbourgeoisie versuche, mit Hilfe

des Faschismus die Bauernschaft und das städtische Kleinbürgertum, aber auch Angestellte und rückständige Arbeiterschichten zu ihrer sozialen Stütze zu machen.''* Auch Knorin

betonte, daß der Faschismus an die Macht kam, weil die Sozi-

109

Siehe Rundschau.

111 112

Siehe ebenda. Basel (1934)4. S. 121. — Ebenda. Basel (1934)11. S. 387. Siehe ebenda. Basel (1934)4. S. 110.

110

Basel (1934)10. S. 351.

Siehe ebenda. Basel (1934)1. S. 2.

57

aldemokratie nicht mehr stark genug war, um die Festigkeit des kapitalistischen Systeme zu garantieren.''* Palmiro Togliatti bezeichnete die Offensive gegen Löhne und Sozialversicherung, die Tendenz zur Einmischung des Staates ins Gebiet der Produktion, die Förderung des Konzentrationsprozesses des Kapitals, die Schaffung eines neuen Staatsapparates zur besonderen Unterdrückung der Arbeiterklasse und die demagogische Gewinnung der Jugend als Inhalt faschistischer Politik.''* Gegen diese Positionen standen z. B. Aussagen der Thesen des Plenums, wonach die Errichtung der faschistischen Diktatur und besonders die Alleinherrschaft der faschistischen Partei die Interessengegensätze innerhalb der Bourgeoisie verstärken bzw. zunehmend zur Desillusionierung und zum Zerfall der kleinbürgerlich-bäuerlichen Massenbasis des Faschismus führen.''> Manuilski äußerte: »Die Abwanderung der Massen vom Faschismus ist unvermeidlich, und die beginnt bereits ın Deutschland.«'!® Kein Versuch zur Funktionsbestimmung des Faschismus ging dem Verhältnis zur bürgerlichen Demokratie bzw. der Frage der faschistischen Massenbasis differenziert nach. Auf dem XII. Plenum war einerseits die Einsicht gewachsen, daß die Errichtung der faschistischen Diktatur die Kampfbedingungen der Arbeiterklasse enorm verschlechterte und die Macht der Bourgeoisie zumindest vorübergehend gestärkt war.''’ Im Schlußwort sagte Otto Kuusinen: »Wir behaupten doch durch-

aus nicht, daß die bürgerliche Diktatur ein und dasselbe ist wie die faschistische Diktatur. Wir brauchen nur an Hand des deutschen, des italienischen, polnischen, finnischen Beispiels usw. anschaulich zu zeigen, wie die faschistische Diktatur der Bourgeoisie aus der bürgerlichen Demokratie herauswächst.«''* Gerade die letzte These verleitete andererseits immer wieder

dazu, einen »breiten« Faschismusbegriff anzuwenden, der auf 113

Siehe ebenda.

115 116 117

Siehe ebenda. Basel (1934)1. S. 2f. Ebenda. Basel (1934)11. S. 390. Siehe ebenda. Basel (1934)10. S. 350. — Ebenda. Basel (1934)11. S. 385,

114

118

58

Basel (1934)10.

S. 351.

Siehe ebenda. Basel (1934)5. S. 151.

387 und 423. Ebenda. Basel (1934)11. S. 426.

den ersten Blick der Formel vom Klassenwesen des Faschismus widersprach. Für die bürgerlich-demokratischen Staaten Frankreich, Tschechoslowakei,

Schweden,

Norwegen,

Groß-

britannien wurde von den Vertretern der jeweiligen kommunistischen Parteien von einer »Faschisierung unter dem Deckmantel der Demokratie« mit Beteiligung der Sozialdemo-

kratie gesprochen. Varianten bürgerlich-konservativer Politik zum Abbau demokratischer und sozialer Rechte, auch staats-

monopolistische Regulierungsversuche galten als hinreichende Indikatoren für eine solche Charakterisierung.'!” Diese Inter-

pretation wurde durch Vertreter der KP der USA auf dem XIII. Plenum, Earl Browder und William Weinstone, auf den New

Deal ausgedehnt.'** Es liegt die Vermutung nahe, daß die oben genannte Formel über den Klassencharakter des Faschismus im Verständnis der führenden kommunistischen Politiker und Theoretiker Ende 1933 noch keine gravierende neue Qualität darstellte. Diese Definition wurde offenbar vor allem aus dem deutschen Beispiel heraus entwickelt, wo auch 1932 durch kommunisti-

sche Analysen eine Differenzierung zwischen dem reaktionären schwerindustriellen Flügel des Finanzkapitals (im Bündnis mıiıt den Junkern) und den früher liberalen Gruppen der verarbeitenden Industrie angewandt worden war. Im zeitgenössischen kommunistischen

Verständnis

war die Durchsetzung

dieser

Teile des Finanzkapitals weitgehend ökonomisch durch die Krise und den Konzentrationsprozeß des Kapitals determiniert, widerspiegelte sie den allgemeinen Trend des Imperialismus zur politischen Reaktion. Eine andere Entwicklungsvarıante des Imperialismus schien den Kommunisten zu dieser Zeit nicht denkbar. Ende 1933 verfaßte schließlich der Theoretiker der KP Großbritanniens Rajani Palme Dutt sein Buch »Fascism and Socıal Revolution«. Er sah im Faschismus das konsequenteste Her-

119

120

Siehe Ebenda. 169 und 173. Basel (1934)8. »französischen Siehe Ebenda.

Basel (1934)4. S. —- Ebenda. Basel S. 291 und 300. Demokratie«. In: Basel (1934)5. S.

123f. — Ebenda. Basel (1934)5. S. 146, (1934)7. S. 261 und 263. - Ebenda. - A. Leroux: Die Faschisierung der Ebenda. Basel (1934)6. S. 209ff. 155. — Ebenda. Basel (1934)11. S. 393.

59

austreten der typischen Tendenzen und der politischen Bestre-

bungen des modernen Kapitalismus, des Ringens um die Sicherung der kapitalistischen Herrschaft gegen die Revolution, des Ausbaus eines Systems organisierter Klassenzusammenarbeit, der zunehmenden Verdrängung der parlamentarischen Demokratie, der Ausdehnung der staatlıchen monopolistischen Organisationen von Industrie- und Finanzoligarchie, des Zusammenschlusses der imperialistischen Blöcke zu wirtschaftlıch-politischen Einheiten und des Dranges zum Krieg. Palme Dutt zog die Schlußfolgerung: »In diesem weiteren Sinne darf man von der Entwicklung aller modernen kapitalistischen Staaten zum Faschismus hin sprechen. Die Beispiele der Reglerungen Roosevelt und Brüning machen die quasi- oder präfaschistische Stufe der Entwicklung zum vollständigen Faschismus in der Schale der alten Formen besonders anschaulich.«!?! Bemerkenswert ist, daß Palme Dutt allerdings die Frage stellte, wodurch sich die vollendete faschistische Dıkta-

tur gegenüber diesen allgemeinen Tendenzen des modernen

Kapitaliısmus auszeichne. Er hob den »neuen sozialen und po-

lıtischen Apparat des Faschismus, den totalitären« Staat und die soziale Zusammensetzung der faschistischen Massenbewegung hervor (Kleinbürgertum, Lumpenproletariat). Dies war aber seiner Meinung nach bereits in den Dokumenten des VI. Weltkongresses der Komintern verankert.'** Im Falle einer längerfristigen Herrschaft des Faschismus schloß Palme Dutt eine autarkische Abschließung und die Rückkehr zur Naturalwirtschaft niıcht aus, was er mit den Aussagen Lenins über Stagnation und Parasıtismus des Monopolkapitalismus ın Verbindung brachte. Die Grundstimmung auf dem XII. Plenum des EKKI war angesichts der Kapıitulation der SPD-Führung vor dem Faschismus und der bereiıts beträchtlichen Opfer der KPD im Widerstandskampf von einer großen Verbitterung gegenüber der Sozialdemokratie geprägt. Wilhelm Knorin brachte sie auf den Punkt: »Wenn die Sozialdemokratie im Jahre 1918 eine 121 122

60

Rajaniı Palme Dutt: Fascism and Social Revolution. London 1934 (zit. nach Theorien über den Faschismus. Königstein/Ts. 1980. S. 298). Siehe ebenda. S. 298, 304 und 309.

revolutionäre,

marxistische

Partei gewesen

wäre, dann wäre

Europa längst sozialistisch. Wenn die Sozialdemokratie im Jah-

re 1933 wenigstens eine demokratische Partei gewesen wäre,

dann hätte Europa nicht faschistisch werden können.«'* In den Berichten von Otto Kuusinen und Wilhelm Pieck wurde an der These von der Sozialdemokratie als sozialer Hauptstütze der Bourgeoisie festgehalten. Kuusinen benutzte auch das Schlagwort von den »Zwillingsbrüdern« Faschismus und »Sozialfaschismus«. Das Ausbleiben der Revolution und die Errichtung der faschistischen Diktatur begründete man mit der Spaltung der Arbeiterklasse; »die Gefahr des Faschismus ist um so größer, je stärker der Masseneinfluß der Sozialdemokratie ist«.!** Im Bestreben, die Chancen eines Generalstreikes ım Januar

1933 in Deutschland abzuwägen, zog Knorin die Parallele zum Verlauf der russischen Revolution 1917. Hitler hätte geschlagen werden können. »Wie lange nach einem solchen Streik die Weimarer Republik erhalten geblieben wäre, das hing nur von den Arbeitermassen selbst ab [...] Aber ein solches Kampfbündnis gegen Hitler hätte noch nicht die sozialistische Revolution bedeutet, solange die Mehrheit der Arbeiterklasse nicht hinter den

Kommunisten

stand.

Das

wäre

ein Kampf

gewesen, wie etwa der Kampf gegen die >»Kornilowiade«. Die deutschen Kommunisten hätten zusammen mit den sozialdemokratischen Arbeitern gegen die Banden Hitlers und des >Stahlhelms« gekämpft und gleichzeitig die Schwächen, die Schwankungen der Braun-Severing entlarvt ...«'* Nach der Errichtung der faschistischen Diktatur — meinte Wilhelm Pieck — bestehe nun die Möglichkeit, den Masseneinfluß der SPD zu liquidieren.'?** Man sprach von einer neuen Periode in der Krise der II. Internationale, ähnlichen Ausmaßes wie

1914. Wil-

helm Knorin charakterisierte das Verhalten der SPD als politischen und moralischen Selbstmord.'*’ Dennoch nahmen die Befürchtungen zu, daß die Sozialdemokratie erneut eine

123 124 125 126 127

Rundschau. Basel (1934)10. S. 354. Ebenda. Basel (1934)4. S. 110f. und 125. Ebenda. Basel (1934)10. S. 353. Siehe ebenda. Basel (1934)4. S. 127. Siehe ebenda. Basel (1934)10. S. 352.

61

systemstabilisierende Rolle für den Kapitalısmus wie ın den ersten Nachkriegsjahren spielen könnte. Die Führung der Komintern räumte der bürgerlichen Demokratie zu diesem Zeitpunkt in allen kapitalistischen Ländern offenbar keine langfristige Perspektive mehr ein. Davon zeugte die Verwendung des »breiten« Faschismusbegriffes. Palmiro Togliatti hob dies ım Schlußwort hervor: »Wir sehen, wie das baufällıge Gebäude des Parlamentarismus und der bürgerlichen Demokratie abbröckelt. Wir sehen die Tendenz der Bourgeoisie, überall zu Formen der offenen, blutigen, brutalen

Diktatur überzugehen. Der Faschismus ist der krasseste Ausdruck dieser Tendenz.«!“* Zugleich warnte man vor einer mechanischen Übertragung

des italienischen

und

deutschen

Weges

der Faschisie-

rung auf andere Länder. In diesem Sinne äußerten sıch Dmitri Manuilski und Wilhelm Pieck.'*® Mehrfach wurde auf dem XII Plenum die Frage gestellt, ob auf den Sturz des faschistischen Regimes die proletarische Revolution unvermeidlich folgen muß. Manuilski äußerte: »Kein Zweifel, daß in einem Lande wie Deutschland an die Stelle des Faschismus die pro-

letarische Diktatur kommt. Aber die Erfahrung lehrt uns auch, daß dort, wo die kommunistischen Parteien schwach sind,

[...] die faschistische Diktatur ersetzt wurde durch eine bürgerliche Diktatur in der Form der Republık (Beispiel Spanien).«'>° Palmiro Togliatti betonte die Gefahr neuer taktischer Manöver der Bourgeoisie und einer Rolle der Sozialdemokratie wie 1918/1919 im Falle des Sturzes der faschistischen Diktatur.'?! Gerade darin sah Wilhelm Pieck die Funktion der Sozialdemokratie als der sozialen Hauptstütze der Bourgeoisie: »Die Sozialdemokratie setzt ihren Kurs auf die Schaffung von Reserven fort, um den Kapitalismus bei dem ersten Symptom eines Zusammenbruches der faschistischen Diktatur wieder zu Hiılfe zu kommen, um — wie 1918 — als Totengräber der deutschen Revolution zu dienen.«'* Wilhelm Knorin spitzte 128 129 130 131 132

62

Ebenda. Basel (1934)11. S. 430. Siehe ebenda. Basel (1934)4. S. 121. — Ebenda. Basel (1934)11. S. 391. Ebenda. S. 391. Siehe ebenda. Basel (1934)5. S. 153. Ebenda. Basel (1934)4. S. 126.

diesen Standpunkt dahingehend zu, daß er eine solche Rolle Splitterparteien der Arbeiterbewegung wie der SAP, KPD(O) und den Trotzkisten für die Zukunft zuschrieb.'* Ossip Pjat-

nitzki verwies wiederum darauf, daß in einer Reihe bürgerlich-demokratischer Länder die Sozialdemokratie aufgrund der Offensive des Faschismus in breiten Kreisen der Werktätigen sogar wieder Anziehungskraft gewann — allerdings infolge der

»schlechten Arbeit« der Kommunisten fügte er hinzu.'“* Vor dem Hintergrund dieser Erwartungen und Befürchtungen war die Führung der KI bestrebt, daß ihre Sektionen die Kräfte für die vermeintlich

nahe

Revolution

unter eindeutig

kommunistischer Hegemonie formierten und vor der Aufnahme des Kampfes um die Macht den Einfluß der Sozialdemokratie möglichst weitgehend ausschalteten. Dmitri Manuilskı meinte, als bliebe der »alte Weg« zur Sowjetmacht gültige Richtlinie: »die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse als Vorbedingung für die Wiederherstellung der Einheit des Proletariats in der revolutionären Aktion und die Gewinnung der Reserven der Revolution für das Proletariat. Dies setzt aber die Zerschlagung der Agentur des Klassenfeindes in der Arbeiterschaft — der internationalen Sozialdemokratie — voraus.«'° Dementsprechend stellte Otto Kuusinen im Schlußwort der Tagung den kommunistischen Parteien Deutschlands und Frank-

reichs als nächste Hauptaufgabe die unmittelbare Liquidierung des Masseneinflusses der SPD bzw. die Ausnutzung der Spaltung der SFIO (Austritt der rechten »Neosozialisten«).' Die neuen Initiativen verschiedener kommunistischer Parteien zur Herstellung der Aktionseinheit mit den sozialdemokratischen Parteien stießen auf dem XIM. Plenum auf eine zuweilen heftige Kritik. Den französischen Kommunisten wurden die Verhandlungen mit den Führern der SFIO und PUP über Rahmenbedingungen einer zwischenparteilichen Diskussion Ende 1932/Anfang 1933, verschiedene Listenverbindungen bei den Gemeindewahlen im Herbst 1933 und die kritische Be133 134 135 136

Siche ebenda. Siehe ebenda. Ebenda. Basel Siehe ebenda.

Basel (1934)10. S. 355. Basel (1934)7. S. 230. (1934)11. S. 391. S. 428.

63

schäftigung mit der Strategie der KPD nach dem 30. Januar als opportunistische Fehler vorgeworfen. Die norwegischen Kommunisten sahen sich für ihre Bereitschaft zur Unterstützung des sozialdemokratischen Regierungsprogrammes vom

Oktober 1933 der Kritik ausgesetzt. Gegenüber der KPC kon-

zentrierten sich die Vorwürfe auf eine angebliche »Block- und Schwanzpolitik« des Parteiführers Josef Guttmann im Verhältnis zur Sozialdemokratie. Die britischen Kommunisten wurden kritisiert, daß sie keinen Keil zwischen Führung und Mitgliedschaft der Independent Labour Party getrieben hatten, als sich die ILP im Frühjahr 1933 zu Verhandlungen über eine Aufnahme in die KI bereit erklärt hatte.'?7 In den Thesen degs XII. Plenums war zweifellos die wichtige Forderung nach der Mobilisierung der Massen zur Verteidigung der Gewerkschaften, Arbeiterpresse, Streikfreiheit und

der täglichen sozialen Interessen zu finden. Die Erwartung, sıch dicht »vor einem neuen Turnus von Revolutionen und Kriegen« zu befinden, setzte jedoch die Hauptakzente. Die strategische Zielsetzung bestand in der Formierung der Kräfte für eine proletarische Revolution unter der Losung: »Wir kämpfen für die Sowjetmacht.« Damit war die Frage nicht zu beantworten, wie die Kommunisten Partner für ein breites Bündniıs gegen den neuen, schier übermächtigen Feind, den

Faschismus, gewinnen konnten. Die dringende Neuorientierung im antifaschistischen Kampf stand noch aus. Die tatsächliche Entwicklung des Kräfteverhältnisses zeigte jedoch, daß die Realität dieses Kampfes die Führung von KI und KPD längst eingeholt und überholt hatte.

137

Siehe ebenda. Basel (1934)5. S. 171 und 174. — Ebenda. Basel (1934)7.

S. 232

und

237f.

—- Ebenda.

Basel

(1934)8.

S. 283f.

- Ebenda.

(1934)10. S. 355f. und 378. — Ebenda. Basel (1934)11. S. 398.

64

Basel

Ein »Fenster« öffnet sich Neue Optionen für eine alternative Politik

Die Annahme der Realität der Kräfteverhältnisse in Deutschland erwies sich für die Führung der KPD als unendlich schwer. Ihre wichtigste politische wie psychologische Voraussetzung war die Einsicht in die und das Eingeständnis der Niederlage. Während im Lande die Realität des Lebens und die Härte des Widerstands den Kommunisten zunehmend die Untauglichkeit der sektiererischen Generallinie vor Augen führte und

sie diese zunehmend zur Seite schieben ließ, beharrte der Führungszirkel unverantwortlich lange auf ihr. Der Versuch, die KPD als Massenpartei in den Widerstand zu führen, forderte

Opfer, die nicht zu rechtfertigen waren. Der Glauben an den

revolutionären Aufschwung und an das rasche Scheitern des

faschistischen Experiments war andererseits — gepaart mit re-

volutionärer Romantik — eine der Voraussetzungen dafür, daß

immer wieder »Tausende von Kommunisten und Kommunistinnen sich mit dem Kopf voran in eine Auseinandersetzung stürzten, die fast sicher mit Verhaftung, Folter und möglichem Tod endete«. '3

Viele erwiesen sich auch nach erlittener Haft, Folter, Kon-

zentrationslager als »unbelehrbar«. Der aktive Widerstand etwa der Hälfte der 300.000 Mitglieder, über die die KPD Anfang 1933 verfügte, ist nicht zu erklären mit den Weisungen auch

aus

Moskau,

138

Allan Merson: 1999. S. 101.

nicht mit stalinistischer

Indoktrination.

Wohl spielten beide Faktoren eine Rolle, viel stärker aber doch Kommunistischer Widerstand in Nazideutschland.

Bonn

65

e_:_in tief verinnerlichtes kommunistisches Selbstverständnis, die

Überzeugung, die Alternative zum Faschismus und zu der als gescheitert und marode erlebten Weimarer Republik zu verkörpern. Mögen

Illusionen,

Rolle gespielt haben,

Selbst-

wie

Fremdtäuschungen

so ist zu fragen, wo und wann

eine

Ge-

schichte anders verlaufen ist. Zweifellos: Mit dem Wissen um den tatsächlichen Verlauf der Geschichte hätten sich auch die deutschen Kommunisten anders verhalten.

Ende 1933/Anfang 1934 begann sich international und im Ergebnis der einjährigen Erfahrungen der Auseinandersetzungen mit dem Hitler-Regime in Deutschland eine Konstellation herauszubilden, die national wie international Chancen bot, der weiteren Stabilisierung des Hitler-Regimes erfolgreich entgegenzuwirken.

Immer deutlicher zeichnete sich ab, daß Hitler-

Deutschland, wie die Führung der KPD in einem Grußschreiben an den XVII. Parteitag der KPdSU(B) formulierte, zum »Hauptkriegstreiber« geworden war.'® Die sowjetische Außenpolitik, die sich — wie Stalin auf dem Parteitag unmißverständlich hervorhob — »auf die UdSSR und nur auf die UdSSR« orientiere,'“ geriet in dieser Phase in eine Gemengelage, ın der ın Abwehr des aggressiven Kurses Deutschlands, Italiens und Japans ein kollektives Sicherheitssystem mit allen dazu bereiten Staaten wünschenswert erschien. Daraus ergab sıch eine Annäherung der UdSSR an die Westmächte, was nicht ohne Folgen für den Kurs der Komintern blieb. Gleichzeitig drängten die Erfahrungen mit dem Faschismus an der Macht ın Deutschland und dem Aufkommen faschistischer Bewegungen in anderen europäischen Staaten die kommunistischen Parteien immer dringlicher zur Aufgabe des verfehlten Kurses der Komintern. Was auf dem XIII. EKKI139

An den Parteitag der sozialistischen Siege! Kampfgruß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands. In: Rundschau. Ba-

140

J. W. Stalin: Rechenschaftsbericht an den XVII. Parteitag über die Ar-

sel 3(1934)

9. S. 338.

beit des ZK der KPdSU(B).

1953. S. 270.

66

26. Januar

1934. In: Werke.

Bd.

13. Berlin

Plenum Ende

1933 noch scharf kritisiert wurde, erschien An-

fang 1934 denkbar.

In Frankreich stellte sich die Arbeiterbewegung Anfang Februar geschlossen gegen einen faschistischen Putschversuch, die antifaschistische Volksfront wurde geboren. In Österreich antworteten ebenfalls im Februar 1934 sozialistische Schutzbündler und Kommunisten auf eine Provokation der klerikalfaschistischen Regierung Dollfuß mit bewaffnetem Widerstand. Trotz ihrer Niederlage wirkten die Februarkämpfe in Wien, Linz und anderen Städten als Fanal. Der Freispruch Georgi Dimitroffs und seiner Mitangeklagten im Reichstagsbrandprozeß und ihre Freilassung aus der Gestapohaft trugen dazu bei, die Aktivitäten auch der deutschen Antifaschisten zu beleben. Andererseits wurde deutlicher, daß die Beschwörung elnes revolutionären Aufschwungs in Deutschland fernab von den Realitäten der tatsächlichen Kräfteverhältnisse war. Nur wenige Wochen nach dem XIII. EKKI-Plenum setzte der XVII. Parteitag der KPdSU(B) im Januar/Februar 1934 deutlich andere Akzente. Ging das Plenum noch von einer kurzen revolutionären Perspektive aus und hielt das italienische Beispiel

als nicht auf Deutschland

übertragbar,

so schätzte

Stalin auf dem Parteitag — gestützt besonders auf die Analysen Eugen Vargas — die wirtschaftliche Lage schon differenzierter ein. Bis Ende 1933 war für die kommunistischen Analytiker eine anhaltende Weltwirtschaftskrise, die fast zwangsläufig zur proletarischen Revolution führen müsse, ein nahezu nicht

zu hinterfragendes Axiom. Dieses Dogma wurde, wenn auch nicht überwunden, so aber doch modifiziert.

In den zwanziger Jahren wurde mit dem Vehikel der Theorie von der allgemeinen Krise der eben nicht — wie ursprünglich als kommunistisches Gründungsdogma geglaubt — zwangsläufig zusammenbrechende Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg erklärt. Jetzt wurde die als Endkrise geltende Weltwirtschaftskrise nach ihrem offenkundigen Rückgang mit der Theorie von einer Depression besonderer Art gedeutet.

67

»Es ist offensichtlich«, so formulierte Stalın, »daß wir es

hier mit einem Krise zu einer gewöhnlichen sonderer Art, Aufblühen

Übergang von dem Tiefpunkt der industriellen Depression zu tun haben, aber nicht mit einer Depression, sondern mit einer Depression bedie nicht zu einem neuen Aufschwung und

der Industrie

führt,

sie aber auch

nicht zu dem

Tiefpunkt des Niedergangs zurückführt.«'*' In Eugen Vargas Vierteljahresberichten »Wirtschaft und Wirtschaftspolitik« hieß es noch ım Oktober 1933, »daß keinerlei Anzeichen zu der Behauptung berechtigen, daß die akute Phase der Krise bereits überwunden sei«.!* Im Bericht vom vierten Vierteljahr, abgeschlossen am 31. Januar 1934, ist dagegen zu lesen: »Das Eigenartige in der heutigen Lage ist, daß, während die zyklische Überproduktionskrise zu einer Auslösung des Endes der relativen Stabilisierung, zu einer neuen Stufe der allgemeinen Krise geführt hat, sıe selbst [...] ihren Tiefpunkt offenbar bereits ungefähr Mitte 1932 überschritten hat und gegenwärtig in die Phase der >»Depression« übergeht, in eine Depression auf der Grundlage der allgemeinen Krise des Kapitalismus und des Endes der Stabilisierung, die sich von allen vorhergehenden Depressionsphasen qualitativ ebenso unterscheidet, wie sich die Krise selbst von allen vorhergehenden unterscheidet.«!* Varga vermied es in der Folge allerdings stets, seine Urheberschaft an der These von der Depression besonderer Art

hervorzuheben, sondern zitierte ım Gegenteil stets Stalin; eine taktische Finesse, die dem vom Opportunismusvorwurf oft

genug bedrohten Wirtschaftstheoretiker sicher hilfreich war und ihm zudem die Möglichkeit bot, seine theoretische Auffassung wirksam durchzusetzen. Es bestätigte sich hier eine Erfahrung, die allen ın hierarchischen Apparaten arbeitenden Theoretikern vertraut war, daß es häufig klüger ist, »durch eın großes Maul« zu reden, um seine Positionen durchzusetzen.

141 142 143

68

Ebenda. S. 259. Eugen Varga: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. Vierteljahresberichte 1922-1939. Hrsg. von Jörg Goldberg. Bd. 5. Westberlin 1977. S. 1718. Ebenda. S. 634. — Siehe dazu die kenntnisreiche Einleitung des Herausgebers Jörg Goldberg in ebenda. Bd. 1. S. 35-120.

Georgi Dimitroff notierte am 7. April 1934 in seinem Tagebuch eine Bemerkung Stalıns über Varga: »Für mein Bericht habe ich Warga gerufen und von iıhm Ziffer über die Krise verlangt. Erstaunt und erschrocken hat mich gefragt: Welche Ziffern? Solche Ziffer, die existieren, sagte ich ıhm. Richtige Ziffer? — Ja, selbstverständlich — richtige! Er hat mir die Ziffer gebracht. Und mit Erleichterung geatmet. Got sei dank, sagte er, sind noch die Leute, die die Wahrheit lieben! Stellen

Sie sich vor, er hat Angst in K.I. die richtige Ziffer zu geben,

weil sofort als rechter Opportunist qualifiziert [...] [Molotow]

— Ja, Warga ist ein gute Gelehrter, aber Feigling.«'“** Diese Momentaufnahme

des Innenlebens der KPdSU(B)-

und Komintern-Führung ist in zweierlei Hinsicht ınteressant. Zum einen bestätigte sie die — von Stalin wissentlich auf die »Ziffer« heruntergespielte — Mitwirkung Vargas an der Ausarbeitung des Berichts an den XVII. Parteitag der KPdSU(B). Zum anderen zeigte sie das Maß an Realitätsverdrängung ın diesem Führungszirkel. Der entscheidende eigene Anteil an der Verödung des geistigen Lebens, der fruchtbaren wissenschaftlichen

Diskussion,

wurde

nicht wahrgenommen,

existentielle

Probleme theoretischen Arbeitens wurden in arroganter Intelligenzfeindlichkeit abgetan. Ungeachtet dessen begann sich in dieser Konstellation ein Fenster zu einer alternativen Entwicklung der Komintern zu öffnen. Seit spätestens Ende 1928 wurde die Strategie der Komintern durch die außenpolitischen Interessen der Sowjetunion dominiert. Dies pauschal negativ zu bewerten, geht am Kern des Problems vorbei. Es ist genauer zu fragen, ob und inwieweit diese Interessen mit denen der kommunistischen Weltbewegung übereinstimmten oder diese gegen ihre durch vielfältige nationale und regionale Besonderheiten geprägten Eigeninteressen durchgesetzt wurden. Auch für die Zeit der Weltwirtschaftskrise wird man nicht von einer eindeutigen Dominanz sowjetischer Interessen ın der Strategie der Komintern sprechen können. 144

Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein. Bd. 1. Berlin 2000. S. 99 (Orthographie und Grammatik hier und im folgenden entsprechend dem Original — die Verf.).

69

Der Gründungskonsens der Komintern, die Weltrevolution

zu führen, war in allen Sektionen

tief verinnerlicht.

Die au-

ßenpolitischen Interessen der Sowjetunion beförderten jedoch die ultralinke Wende 1928, die allerdings — besonders ın Deutschland — ohne interne Voraussetzungen nicht möglich gewesen

wäre.

Mit der Konsolidierung des Hitler-Regimes und der Formierung der Achsenmächte begann sich eine Konstellation herauszubilden, in der die außenpolitischen Interessen Stalıns zusammengingen mit einer längst überfälligen Kurskorrektur der strategischen Generallinie der Komintern.

Da diese Kor-

rektur unter den gegebenen Kräfteverhältnissen jedoch ohne Bruch mit der moskauzentrierten kommunistischen Weltbewegung, letztlich ohne Bruch mit dem Stalinismus nicht möglich war, gestaltete sich dieser Kurswechsel unerhört schwierig

und blieb in seinen Ergebnissen immer ambivalent.

Die beginnende Kurskorrektur, die bei den führenden Köpfen in KPdSU(B) und Komintern vor allem aus machtpolitischem Kalkül, in einigen Sektionen aber überwiegend in Verarbeitung der deutschen Erfahrungen einsetzte, wurde von den Analytikern der KPD(O)

sofort scharfsinnig erfaßt. In ihrem Organ

»Gegen den Strom« stellten sie schon Mitte Februar die deutlichen Unterschiede in den Orientierungen des XIII. Plenums der Exekutive der Komintern und des XVII. Parteitags der KPdSU(f(B) fest.'®

Stalins Warnung vor einer Überschätzung der Ausweglo-

sigkeit der Lage der Bourgeoisie'* kommentierte die KPD(O) sarkastisch mit dem Verweis auf ihre Politik zu einer Zeit, ın der die »Generallinie« der Komintern noch völlig unangefochten war.'“

145 146

Siehe

»Gegen

7(1934)1.

den

Strom«.

S. 7f. (Reprint

70

der 1985.

KPD

(Opposition).

Berlin

Bd. 3. S. 443).

J. W. Stalin: Rechenschaftsbericht an den XVII. Parteitag über die Arbeit des ZK der KPdSU(B).

26. Januar

Siehe

Berlin

1953. S. 266.

147

Organ

Hamburg

»Gegen

den

1985. Bd. 3. S. 444).

Strom«.

1934. In: Werke.

7(1934)1.

Bd.

13. Berlin

S. 8 (Reprint

Hamburg

»Schluß mit jedem versöhnlerischen Verhalten« Die KPD-Führung auf dem Weg in die Isolierung

Die KPD-Führung blieb Anfang 1934 mehrheitlich noch von jeglichen Zweifeln an der Richtigkeit des Kurses des XIII. Plenums des EKKI unangefochten. In einer umfangreichen Entschließung zu den Beschlüssen des Plenums der Exekutive der Komintern vom 5. Februar bekräftigte sie dessen Kurs. Besonders wurde von ihr die Feststellung des Plenums hervorgehoben, daß in Deutschland ein neuer revolutionärer Auf-

schwung beginne und sich hier alle Hauptwidersprüche des

Kapitalismus in einem solchen Maße konzentrieren, »daß je-

den Moment ein Umschwung eintreten kann, der die Verwandlung der Wirtschaftskrise in eine revolutionäre Krise bedeuten wird«.'%® In dieser Gesamtsicht sah die KPD-Führung ihr Festhalten an ihrem Kurs legitimiert. Sie konnte sich selbst feiern und mit »Stolz und großer Genugtuung fest(stellen), daß die Kader der Partei an der Spitze der von unbändigem Freiheitswillen und durch die gewaltigen sozialistischen Siege der Sowjetunion beseelten werktätigen Massen mit ungebrochener Kraft und unter heldenmütiger Opferbereitschaft für den Sturz

der Hitlerdiktatur kämpfen«.'®

148 149

Thesen und Beschlüsse des XII. Plenums des EKKI, Dezember 1933. Moskau/Leningrad 1934. S. 10. Entschließung des ZK der KPD vom 5. Februar 1934 zu den Beschlüssen des XIII. Plenums des EKKI und zur Lage in Deutschland. In: Rundschga|2ul über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung. Basel 3(1934)22. S. .

71

Es wurde beschlossen, eine Fortschreibung des Befreiungsprogramms der KPD von 1930 herauszugeben. Die Tagung stimmte den Beschlüssen des XIII. Plenums mit der Feststellung zu: »Nur der Kommunismus

bringt Rettung, die

Kommunisten an die Macht!«' Die Erklärung bediente — wie die im Mai veröffentlichte Programmerklärung — in einer schwülstigen Revolutionsrhetorik alle sektiererischen Phrasen und hatte mit den wirklichen Kampfbedingungen im Lande nur wenig zu tun. Kuriosum am Rande: Die Adjektive national und sozial wurden nicht nur in der 1934er, sondern auch im Rückbezug

auf das 1930er Programm verkehrt.!> Ernst Thälmann wurde ein Programm zur sozialen und nationalen Befreiung in den Mund gelegt. In ihrer Haltung zur Sozialdemokratie blieb die KPD-Füh-

rung starr und unversöhnlich. Es kann vielleicht sogar gesagt werden, daß sich ihre Haltung Ende 1933 in dem Maße ver-

schärfte, in dem sich der Differenzierungsprozeß in der Sozialdemokratie vertiefte. In seinem Bericht auf der Februarberatung erklärte Wilhelm

Florin, der zu dieser Zeit eine besonders sektiererische Positi-

on einnahm: »Schluß mit jedem versöhnlerischen Verhalten gegenüber der Sozialdemokratie, die auch als illegale Partei die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse bleibt und eine Organisation gegen die proletarische Revolution darstellt [...] Deshalb ist es notwendig, daß wir die Einheitsfront von unten besser noch als bisher entwickeln [...] Das Zentralkomitee

der

KPD

betont,

daß

nur

die

Rätemacht

die

Durchführung des Rettungsprogramms des werktätigen Volkes sichert, daß nur die Rätemacht einen wirklichen Systemwechsel bedeutet, in dem die weitgehendste Demokratie für die Arbeiter, Bauern, Soldaten und alle Werktätigen, das unein-

geschränkte Selbstbestimmungsrecht des schaffenden Volkes gesichert ist, weil nur die Räte, als selbstgewählte Organe der 150 151

72

Ebenda. Siehe Programm des ZK der KPD zur sozialen und nationalen Befreiung der Werktätigen Deutschlands. In: Rundschau. Basel 3(1934)36. S. 1405—-1408 und 1425.

Arbeiterklasse und der Werktätigen, Parlament und Vollzugsorgane der Massen zugleich sind.«'” Die unverändert starre Revolutionspropaganda der KPD mit dem ersten Ziel, der Beseitigung der SPD als Haupthindernis auf dem Wege zur Revolution, erschwerte beträchtlich die Bildung einheitlicher Widerstandsorganisationen ım illegalen Kampf in Deutschland. Noch wurde sie von der Mehrheit der Mitgliedschaft mitgetragen und erleichterte es so den antıkommunistischen Kräften in der SPD, alle Einheitsfrontangebote der KPD zurückzuweisen. Hatten die Losungen vom »revolutionären Ausweg« und von »Sowjetdeutschland« als einziger Alternative bisher immer nur eine Minderheit der deutschen Arbeiterklasse erfaßt, so schmolz jetzt diese Minderheit noch mehr. Die Krise hatte ihren Tiefpunkt durchschritten, langsam begannen sich auch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Regierung auszuwirken. Im Dezember 1933 wurde offiziell dıe Zahl der Arbeitslosen mit 4.058.000 angegeben, am 31. Januar 1934 mit 3.774.000 — gegenüber 6.013.612 am 31. Januar 1933. Die Industrieproduktion stieg im Vergleich zu 1928 von 61,2% im Jahre 1932 auf 69% im Jahre 1933. Das bedeutete nicht, daß die Arbeiterklasse in ihrer Mehrheit unter den Einfluß der faschistischen Ideologie geriet. An den ersten betrieblichen Vertrauensrätewahlen auf der Grundlage des neuen »Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit« im März/April 1934 beteiligten sich nur 40% der Wahlberechtigten, von denen etwa 25% für die Nazi-Kandıidaten stimmten. Das war eine Niederlage der Faschisten. Die große Masse der Arbeiter war nicht in das Nazi-Lager überge-

laufen, sie verhielt sich abwartend, passiv, sie war aber auch nicht bereit, den kommunistischen Revolutionslosungen zu folgen. Die Führung der KPD überschätzte die Bedeutung dieser Wahlen und wiederholte gebetsmühlenartig die Schlußfolgerung, den Kampf gegen die Sozialdemokratie zu verstärken. In der »Internationale« hieß es dazu: »Die Ergebnisse dieser Wahlen sind ein Faustschlag ins Gesicht des Faschismus, eine 152

Rundschau.

Basel (1934)15. S. 537.

73

schwere Niederlage der NSDAP. Die Vertrauensrätewahlen waren ın gewisser Hinsicht die Marneschlacht der Hitler-Diktatur. Die Resultate der Wahlen zeigen mit voller Deutlichkeit, daß es den Faschisten trotz aller Anstrengungen nicht gelungen ist, tiefer in den Kern der Arbeiterklasse einzudringen.«'” Gleichzeitig seien diese Wahlen auch eine Antwort »an die sozialdemokratischen Niederlage-Philosophen« und hätten die Richtigkeit der KPD-Politik bestätigt. Die Schlußfolgerung lautete: »Die zentrale Figur unserer Massenarbeit, auf die wir unser Hauptaugenmerk richten müs-

sen, ist und bleibt der sozialdemokratische Arbeiter.« Ihn ın

die Einheitsfrontorgane einzureihen, mus, für unsere Partei zu gewinnen, Aufgabe sein. Diese Aufgabe können den schärfsten ideologischen Kampf

»ihn für den Kommunismuß unsere vornehmste wir nur lösen, wenn wir gegen alle Abarten der

sozlaldemokratischen Ideologie, auch Trotzkisten, Brandleristen, SAP, insbesondere deren >»linke«< Spielart, führen und

gleichzeitig, zäh, unbeirrbar und kameradschaftlich um den sozialdemokratischen Arbeiter als Kampfgenossen ringen.« Die Autoren des Artikels bemängelten, daß unter dem faschistischen Druck »versöhnlerische« Stimmungen aufgekommen seien: »Oft wendet man das Argument an: Lassen wir die Vergangenheit ruhen! Was gewesen ist, ist gewesen! Mit einer gewissen Besorgnis muß festgestellt werden, daß viele unserer Bezirkszeitungen keinen ideologischen Kampf gegen die Sozialdemokratie, wie sie in der Vergangenheit war und wie sie in der Gegenwart ist, führen.« Gleichzeitig sollten die Massenarbeit in den faschistischen Organisationen verstärkt, ın der Deutschen Arbeitsfront eine Opposition aufgebaut, untere DAF-Einheiten gewonnen werden, um auch auf diese Weise zur Schaffung unabhängiger Klassengewerkschaften beizutragen. Für die polıtische Schulung innerhalb der illegalen Parteiorganisationen galt folgende Aufgabe: »Überwindung der Überreste sozialdemokratischer Gedankengänge bei den zu uns gestoßenen ehemaligen sozialdemokratischen Arbeitern und deren Durchdringung mit unseren marxistisch-leninistischen Ideen.« 153

74

Die Internationale. o. O. [Prag] (1934)2. S. 12f.

Abschließend hieß es: »Unsere Aufgabe ist es, den Weg

des Kampfes

für den revolutionären Sturz der faschistischen

Diktatur aufzuzeigen. Dies können wir nur dann tun, wenn wir diese Wendung in unserer Massenarbeit durchführen. Dies ist heute das wichtigste Kettenglied der bolschewistischen Arbeit in Deutschland.«'** Aus diesen Darlegungen geht deutlich das verhängnisvolle, ultradogmatische und illusionäre Denkschema der KPD-Führung hervor: Die Faschisten konnten nicht in die Arbeiterklasse

eindringen, die Vertrauensrätewahlen waren ihre »Marneschlacht«, d. h. also entscheidender Wendepunkt; nunmehr

sei durch »verschärften ideologischen Kampf« gegen die Sozialdemokratie das letzte Hindernis auf dem Wege zum Sieg

der Revolution zu beseitigen. Die »Reste« der sozialdemokra-

tischen Arbeiterschaft sollten, wie es nach den Wahlen

vom

12. November 1933 schon einmal geheißen hatte, vom Bolschewismus »aufgesogen« werden. Das wurde als »Wendung in unserer Massenarbeit« ausgegeben! Bekräftigt wurde dieser lebensfremde Kurs in dem Artikel »Die >»linke« Phraseologie der SPD« in der gleichen Nummer der »Internationale«.

Linke Sozialdemokraten waren schon immer als die gefährlichsten Feinde bezeichnet worden. Dieses Schicksal widerfuhr auch der Gruppe »Neu Beginnen«, die der Weiterführung der »klassenverräterischen Politik« bezichtigt wurde. Die 1l_le_— gal kämpfenden

Kommunisten

in Deutschland wurden

krıitıi-

siert, weil bei ihnen noch eine »Unterschätzung des Einflusses der sozialdemokratischen Ideologie und der organisatorischen Tätigkeit eines Teiles der sozialdemokratischen Kader« vor| handen sei. In vielen illegalen Schriften würde kein Kampf gegen c_he

SPD geführt, keine überzeugende Argumentation zur Gewin-

nung von Sozialdemokraten geboten. »Jedes Mitglied der KPD muß es sich zur ständigen Aufgabe machen, sozialdemokratische Arbeiter, ReichsbannerMitglieder und frühere Gewerkschaftsmitglieder für die

antifaschistische Einheitsfront zu gewinnen, mit ihnen zu dis——

154

Ebenda.S.

18.

75

kutieren und dabei auf der Grundlage des von der KPD proklamierten Befreiungsprogramms sie von der Notwendigkeit des Kampfes um die Sowjetmacht zu überzeugen.« Ziel seı, »den noch vorhandenen Einfluß der Sozialdemo-

kratie zu liquidieren« und die »sozialdemokratischen Arbeiter für den Kommunismus zu gewinnen«.'° Die sektiererische Linie der KPD-Führung fand offenkundig in der Komintern besonderen Rückhalt im Mitteleuropäischen Ländersekretariat (MELS) der Exekutive. Am 19. März befaßte siıch dieses Gremium mit der »Deutschen Frage«, insbesondere mit der Einheitsfrontpolitik und der Stellung zur Sozialdemokratie. Der Komintern-Mitarbeiter Grigori Smoljanski erklärte ın seinem Referat den »sozialdemokratischen Arbeiter« zur »wichtigste(n) Frage«. Sie würde in vielen Parteiorganisationen ım Lande falsch gestellt. Als Grund machte Smoljanski »eine Unterschätzung [...] des Kampfes gegen die Sozialdemokratie« aus. Es ginge im Kern darum, »wie wir verstehen, die Sozialdemokratie zu bekämpfen und den sozialdemokratischen Arbeiter zu erobern«. Empört berichtete Smoljanskı über »Fälle (, die) vorgekommen (seien), ın Berlin, in Moabit,

wo die Genossen aus der Bezirksleitung der RGO, aus den Resolutionen des XIII. Plenums und der Parteizentrale diejenigen Stellen herausgeschnitten haben, wo stand, daß die Sozialdemokratie [...] die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie (war und bleibt), und sie haben die Resolutionen ohne diese Stellen

verbreitet.«!° Fritz Heckert nahm in der Diskussion auf diesen »Fall« Bezug: »Der Moabiter Funktionär, der aus dem Dokument die Stelle über die Einheitsfront herausgeschnitten hat, hat eine ganz andere Linie [als die Partei — die Verf.] gehabt. Darüber ist kein Zweifel. Er mußte sofort abgesetzt werden, und das wurde ın der »Roten Fahne« bekannt gemacht.«'57

155 156

157

76

Ebenda. Basel (1934)2. S. 66 und 74. Protokoll der Sitzung des Mitteleuropäischen Ländersekretariats zu Fragen der Einheitsfront, der Stellung zur Sozialdemokratie und der Gewerkschaft am 19. März 1934. In: SAPMO-BArch. RYS/I 6/3/411. Bl. 7f. Ebenda. BlI. 45.

Der Umgang mit diesem illegalen Gewerkschaftsfunktionär verweist einerseits auf die strukturellen Demokratiedefizite in der KPD und ihren Umfeldorganisationen. Andererseits wird der wachsende Gegensatz zwischen dem Kurs der Parteiführung und den illegal kämpfenden Kommunisten im Lande deutlich. Smoljanski hatte in seinem Referat noch mehrere »schwere opportunistische Fehler« anzuprangern. So die Bildung von Initiativkomitees von Vertretern nicht nur der beiden großen

Arbeiterparteien, sondern auch — und das war sehr viel ver-

werflicher — mit Vertretern der KPD(O), der SAP und gar mit

Trotzkisten. »In Halle ist es besonders interessant, daß sich die Brandleristen

an unsere

Organisation gewandt

und

ge-

schrieben haben: Vergessen wir alles alte, wir sind jetzt alle in der Illegalität, gehen wir jetzt zusammen zur Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft!«!>* Der Vertreter der Exekutive der Komintern sah in diesen Beispielen keine Einzelfälle, »sondern eine Erscheinung«.'” Er sah die Gefahr der Ausnützung der KPD und beschwor ein Schreckensszenario

herauf,

das

sämtliche

unverrückbaren

Dogmen der Generallinie ins Wanken gebracht hätte: »In Berlin eine gemeinsame Zeitung! Das ist keine Gewerkschaftsopposition, das sind Organisationen, ein Initiativkomitee zur Gründung einer Gewerkschaft, das sind Vertreter der vier Parteien, ein Parteiblock!«'® Der Drang der Basis der kom-

munistischen Widerstandsorganisationen nach Einheitsfront

wurde denunziert als »eine starke Tendenz (zur) heitsfrontduselei, gerade bei unseren Genossen«.'®'

[...] Ein-

Es kam im illegalen Kampf in Deutschland in der Tat, vorerst

vereinzelt, aber zunehmend,

zur Zusammenarbeit

von Kom-

munisten und Sozialdemokraten. Gemeinsam kämpfende Gruppen entstanden in Bielefeld, Bremen, Breslau, Dortmund, Dresden,

158 159 160 161

Forst, Hannover,

Leipzig,

Oschatz,

Zeitz sowie

ın

Ebenda. Bl. 10. Ebenda. Bl. 11 (Hervorhebung im Original). Ebenda. Ebenda. Bl. 67.

77

Baden,

Bayern,

Niedersachsen,

ım

Saarland,

ın Württem-

berg.'° Hamburger Kommunisten hatten über einen parteilosen Arbeiter Kontakt zu einer starken SPD-Gruppe in Bahrenfeld, die zwar gemeinsame Diskussionen und Aktionen ablehnte, die aber bereit war, KPD-Materialien zu verteilen.'°** Wenngleich die sektiererische »Generallinie« auch in der Mitgliedschaft der KPD noch stark verbreitet war, begannen doch einzelne Kommunisten an der Rıchtigkeit der Revolutionsstrategie der Parteiführung zu zweifeln. So erinnerte sich der Düsseldorfer Kommunist Rudi Goguel an die Lage im Bezirk Niederrhein und seine Auseinandersetzungen mit dem Bezirksleiter Adolf Rembte im Frühjahr 1934: »»Was nützt das schöne Bild, das du mir entwirfst, Genosse»wenn die Wirklichkeit an-

ders aussieht? Geh hinaus in die Betriebe und sieh dich um!

Bei Phönix, bei Rheinmetall, bei Mannesmann haben wir klei-

ne Grüppchen von höchstens zwanzig bis dreißig Aktivisten, und diese Aktivisten verteilen sich noch auf die verschiedensten illegalen Organisationen. Wo sind denn die Massen, die du zum Kampf führen willst? Ich sehe nur passive, indifferente Arbeiter, die zu irgendwelchen Widerstandshandlungen nicht zu bewegen sind. Bauen wir lieber eine Organisation auf aus wenigen aktiven Kadern und arbeiten wir auf lange Sicht. Dann können wir auch arbeiten!« Meine Einwände hatten nicht gefruchtet. Die Fiktion eines baldıgen Volksaufstandes gegen die Nationalsozialisten beherrschte das Denken unserer führenden Funktionäre [...] Die Organisation blieb schwerfällig und unbeweglich, die Funktionäre arbeiteten nach altem Schema,

mechanisch

lief der alte

Parteibetrieb weiter. Man sprach vom Terror der Faschisten,

vom

Schwindel

der Arbeitsbeschaffung.

Man

erklärte,

daß

auch Hitler die kapitalistische Krise nicht beheben könne. Man war überzeugt, daß die Wahlen gefälscht seien und bereits die Mehrheit des Volkes in Wirklichkeit gegen Hitler eingestellt 162 163

78

Siehe Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in acht Bänden. Bd. 5. Berlin 1966. S. 52. Ursula Hochmuth/Gertrud Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933-1945. Frankfurt am Main 1980. S. 157.

war. Man fühlte sich als Exponent einer Millionenbewegung,

nein: des gesamten werktätigen Volkes und sah nicht die täg-

lich stärker zutage tretende Isolierung unserer Aktivisten, die täglich solider werdende Fundierung der Hitlerpartei bis tief ın die Massen der Arbeiterschaft hinein.«'® Was die illegale Arbeit der KPD

insgesamt anbetraf, so kon-

statierte ein Lagebericht der Gestapo vom 24. März 1934 das

Anwachsen der kommunistischen Aktivität: »In letzter Zeit mehren sich weiterhin die Anzeichen, die auf ein Anwachsen

der kommunistischen Propaganda und Betätigung hinweisen. Während

sich die KPD

auf dem

flachen Lande

sehr zurück-

haltend verhält, ist sie in den Industriegebieten und in Berlin

bemüht, den zerschlagenen Parteiapparat wiederaufzubauen.«'®

Wenngleich davon auszugehen ist, daß die Gestapo die kommu-

nistischen Widerstandsaktivitäten überhöht darstellte, zeichnete

der Bericht dessen eingedenk insbesondere bei der Schilderung der belegbaren Aktivitäten wie der Verbreitung von Flug-

blättern

und

anderen

Drucksachen,

der Betriebsarbeit,

der

Kampagne zur Befreiung Ernst Thälmanns doch wohl insge-

samt ein realistisches Bild, das vor allem einen authentischen

Einblick in die Formen des Widerstandes gibt. Er zeigt auch, daß nahezu alle Aktivitäten der illegalen KPD sich im Rahmen der traditionellen Formen der politischen Auseinandersetzung unter den Bedingungen des bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus bewegten. Es ging der KPD-Führung auch 1934 noch darum, die Partei als Massenpartei gegen das faschistische Regime zu führen, zu demonstrieren — wie es auf Schornsteinen, Mauern, Fabrikwänden oder Handzetteln zu le-

sen war: »Die KPD lebt!« Sie verfolgte das illusorische Ziel, mit einer Steigerung des Widerstandes die Illegalität zu durchbrechen und eine revolutionäre Situation herbeizuführen. Der Kampf gegen den Natio-

164 165

Rudi Goguel: Es war ein langer Weg. Düsseldorf 1947. S. 12f. Gestapo-Berichte über den antifaschistischen Widerstandskampf der KPD 1933 bis 1945. Bd. 1: Anfang 1933 bis August 1939. Ausgew,., eingel. und bearb. von Margot Pikarski und Elke Warning. Berlin 1989, S. 99f.

79

nalsozialismus im Rahmen konventioneller Kampfformen, wie sie aus der Weimarer Zeit übernommen

wurden,

forderte ei-

nen selbstmörderisch hohen Preis. Parteiführung aber auch

Zehntausende Kommunisten ın Deutschland waren bereit, die-

sen Preis zu zahlen. Er war zu hoch. Eine radikale Änderung der Kampfformen erforderte aber ein radikales Überdenken der gesamten Strategie und Taktik.'° Dazu war die KPD-Führung 1934 noch nicht in der Lage. Während die Realität des antifaschistischen Kampfes im Lande die Strategie des XIII. Plenums immer mehr ad absurdum führte, blieben große Teile von Führung und Apparat in KPD wie Komintern gegenüber dieser Realität resistent. Die Debatten im Polbüro der KPD, dem Mitteleuropäischen Ländersekretariat des EKKI

oder im Präsidium des EKKI

bewegten

sich noch immer in den alten Geleisen. Aber auch erhebliche Teile der Mitgliedschaft vermochten sich nur unter großen Mühen von der starren »Generallinie« zu trennen.

166

80

Siehe Allan Merson: Bonn 1999. S. 114.

Kommunistischer Widerstand

in Nazideutschland.

Verschenkte Chancen Neue Möglichkeiten der Einheitsfrontpolitik

Unterdessen wuchs auch in den sozialdemokratischen Widerstandsgruppen in Deutschland und im Exil die Kritik am Prager Emigrationsvorstand, den man für die Niederlage der Arbeiterbewegung 1933 verantwortlich machte. Unter dem Druck der eigenen Basis begann der Vorstand

noch

1933 mit der Arbeit an einem neuen Programm, das am

28. Januar 1934 unter dem Titel »Kampf und Ziel des revolutionären Sozialismus. Die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands« vorgestellt wurde.'®” Ebenfalls 1934 stellte der von den Mitgliedern des Prager Vorstands Siegfried Aufhäuser und Karl Böchel geleitete »Ar-

beitskreis revolutionärer Sozialisten« das Dokument »Der Weg

zum sozialistischen Deutschland. Eine Plattform für die Einheitsfront« zur Diskussion. Das als Prager Manifest bekanntgewordene neue Programm des SPD-Vorstandes wich in einigen Punkten wesentlich von der bisherigen Politik der SPD ab und lehnte sich stark an das

Heidelberger Programm an, ging zum Teil darüber hınaus. So

hieß es über die Bedingungen und Ziele des Kampfes: »Im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur gibt es kein Kompromiß, ist für Reformismus und Legalität keine Stätte. Die sozialdemokratische Taktik ist allein bestimmt durch das

167 Siehe Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie. Hrsg. u. eingel. von Dieter Dowe 1984. S. 225ff.

und Kurt Klotzbach.

Berlin, Bonn

81

Ziel der Eroberung der Staatsmacht, ihrer Festigung und Behauptung zur Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft. Die Taktik bedient sich zum Sturz der Diktatur aller diesem Zweck dienenden Mittel.« Bemerkenswert war die selbstkritische Sicht auf die eigene Geschichte: »Nicht durch den organisierten, vorbereiteten, gewollten revolutionären Kampf der Arbeiterklasse, sondern durch die Niederlage auf den Schlachtfeldern wurde das kaiserliche Regime beseitigt. Die Sozialdemokratie als einzig intakt gebliebene organisierte Macht übernahm ohne Widerstand die Staatsführung, in die sie sich von vornherein mit den bürgerlichen Parteien, mit der alten Bürokratie, ja mit dem reorganısierten militärischen Apparat teilte. Daß sie den alten Staatsapparat fast unverändert übernahm, war der schwere historische Fehler, den die während des Krieges desorientierte

deutsche Arbeiterbewegung beging.« Die weiteren Abschnitte befaßten sich mit der Gestaltung

der

sozialistischen

Wirtschaft

und

Gesellschaft,

mit

dem

Kampf für Abrüstung und Erhaltung des Friedens sowie mit der Rolle der sozialistischen Arbeiterbewegung. Bemerkenswert auch hier die Schlußfolgerung: »Die Differenzen in der Arbeiterbewegung werden vom Gegner selbst ausgelöscht. Die Gründe der Spaltung werden nichtig.« Jedoch enthielt das Dokument auch den deutlichen Hin-

weis, daß die SPD

sich ebenfalls als Träger einer »Mission«

fühlte und die Führungs- und Richterrolle in der deutschen Arbeiterbewegung beanspruchte. !® Damit hielt sich die SPD-Führung die Möglichkeit offen, nach wie vor Angebote der Kommunisten zurückzuweisen. Zweifellos artikulierte das Manifest gewisse Erkenntnisse aus den Erfahrungen der eigenen Geschichte. Andererseits agierte auch die Absicht, oppositionelle Gruppen zu beruhigen und die Einheit der in der Illegalität und im Exil bestehenden Gruppen zu wahren. Es ıst Heinrich Potthoff zuzustimmen, wenn er das Prager

Manifest zusammenfassend wie folgt bewertet:

»Die revolutionäre Komponente, die in dieser Vorstellung

vom Kampf gegen Hitler lag, kommt am stärksten im »Prager 168

82

Siehe ebenda. S. 237.

Manifest« der Sopade (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) vom 28. Januar 1934 zum Ausdruck. In dieser programmatischen Erklärung des Parteivorstandes mischten sich marxistische Theorien über den Charakter der nazistischen Konterrevolution, in denen von »sich zuspitzenden Gegensätzen der kapitalistischen Gesellschaft« und »objektiv revolutionären Situationen« die Rede war, mit aktuell politischen Aufrufen zum Kampf für den Frieden und den >Sturz der Despotie« [...] Das Bekenntnis zum revolutionären Charakter des Sozialismus ergab sich allein schon aus den Bedingungen des Kampfes gegen die NS-Diktatur, der nicht anders als revolutionär, d. h. umstürzlerisch sein konnte. In der Absage an Kom-

promisse, >»Reformismus und Legalität« spiegelt sich zugleich

auch das Bestreben wider, die am Rande operierenden soziali-

stischen Splittergruppen wieder an die alte Mutterpartei zu bın-

den und sie unter einem gemeinsamen Kampfziel zu einen.«'®

Die KPD-Führung hätte die Möglichkeit gehabt, den SPD-Vorstand beim Wort zu nehmen. Aber sie prüfte das Prager Manifest nicht als Diskussionsangebot, sondern sah es von

vornherein als ein Dokument des Klassenfeindes, das nur ein-

mal mehr die Rolle der SPD als soziale Hauptstütze der Bour-

geoilsie zu beweisen schien.

So wurde der gewiß unzulängliche, aber doch selbstkritische Blick der SPD auf die eigene Geschichte seit 1918 ın einem Artikel in der »Internationale« einseitig kritisch interpretiert.'”° Die »Internationale« warf der SPD vor, daß sie mit ihrem Ma-

nifest für die Erhaltung des bürgerlichen Staates plädierte. »Die SPD träumt von einer starken Regierung, die die Räte, die proletarische Diktatur im Arbeiterblut ersticken wird. Dieses »neue« Programm der SPD ist daher das Programm des Kampfes gegen die Rätemacht, gegen die Diktatur des Proletarlats.«

169 170

Susanne Miller/Heinrich Potthoff: Kleine Geschichte der SPD. Darstellung und Dokumentation 1848-1983. Bonn 1988. S. 157f. Die Internationale. o. O. [Prag] (1934) ohne Nummerierung. S. 24.

83

Auch das sozialdemokratische Traditionsverständnis fand vor den Augen der kommunistischen Kritiker keine Gnade. Im Prager Manifest hieß es: »Wir sind die Erben der unvergänglichen Überlieferungen der Renaissance und des Humanismus, der englischen und französischen Revolution. Wir wollen nicht leben ohne Freiheit.« Die KPD-Führung antwortete darauf in ihrer theoretischen Zeitschrift:

»Renaissance,

Humanismus,

französische

und

englische Revolution — das waren aber die großen Klassenkämpfe der Bourgeoisie gegen Feudalismus, mittelalterliche Gebundenheit,

für die Voraussetzungen der freien Entfaltung

des Kapitalismus. Und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren ebenfalls die großen Kampfparolen der bürgerlichen Revolution gegen die feudalistischen Fesseln. Heute aber steht in Deutschland nicht das Problem der bürgerlichen, sondern der proletarischen Revolution auf der Tagesordnung. Heute gilt es, nicht den Weg für den Kapitalismus, sondern für den Sozlalısmus freizumachen. Heute gilt es, nicht die Sache der französischen und englischen Revolution, sondern die der Pariser Kommune, der Oktoberrevolution in Rußland zu Ende zu

führen. Und indem die Sozialdemokratie für die Ideale jener bürgerlichen Revolutionen auftritt, nimmt sie gegen die sozlalistische Revolution Stellung. Selbst in ihren Idealen ist sıe bürgerlich.« Mit solchem Traditionsverständnis ging die KPD hinter Positionen zurück, die von ihren Theoretikern schon in der Weimarer Zeit gewonnen worden waren.'!’ An diese konnte angeknüpft werden, als die Partei mit ihrer Neuorientierung auf die Volksfront gerade diese Traditionslinie aufgriff.'”? Schließlich lautete die Schlußfolgerung der kommunistischen Kritik, daß die SPD nun endgültig zu liquidieren sel: »Die Sozialdemokratie als Partei ist zerschlagen; sie hat politischen Selbstmord begangen [...] Wir wissen, es gibt ehrliche, tapfere sozialdemokratische Arbeiter, die an eine Wiedergeburt 171 172

84

Siehe Klaus Kinner: Marxistische deutsche Geschichtswissenschaft 1917 bis 1933. Berlin 1982. Siehe Werner Berthold: Marxistisches Geschichtsbild — Volksfront und antifaschistisch-demokratische Revolution. Berlin 1970.

der Sozialdemokratie als revolutionäre Partei glauben, die hoffen, daß eine neue revolutionierte sozialdemokratische Partei

entstehen wird. Solche Illusionen aber bedeuten eine große Gefahr für die Sache der Befreiung des Proletariats, sie schieben den Endsieg noch weiter hinaus.« Darum gelte es, die Arbeiter von diesen Illusionen zu befreien und für den Kommunismus zu gewinnen. Diese Stellungnahme ließ erkennen, daß die KPD-Führung nach wie vor eine Diskussion mit dem Vorstand der SPD ablehnte, weil sie der Meinung huldigte, daß die restlose Liqui-

dierung der Sozialdemokratie nur noch eine Frage der Zeit sel,

daß es dazu nur der nötigen »Verschärfung« des Kampfes bedürfe.

Inzwischen gingen Verfolgung und Terror gegen die Kommunisten und andere Hitler-Gegner mit unverminderter Härte weiter. Die im April 1933 gebildete Geheime Staatspolizei (Gestapo) baute ein engmaschiges Observationssystem auf und versuchte — keineswegs erfolglos — mit Hilfe von Spitzeln, die durch Folterung, Bestechung oder Erpressung geworben waren, in die illegalen Gruppen einzudringen. Der Kandidat des Polbüros Wilhelm Hein lief zu den Faschisten über, der techni-

sche Mitarbeiter des ZK Alfred Kattner endete als Verräter.'”

Er wurde, um weitere Verluste durch seinen Verrat zu verhindern, in seiner Wohnung in Nowawes (Potsdam-Babelsberg)

von Angehörigen der Spitzelabwehr erschossen. Im März 1934 wurden in Hamburg etwa 900 Personen festgenommen und beschuldigt, KPD, RGO und Rote Hilfe wiederaufgebaut und gegen die Regierung gearbeitet zu haben. Hohe Zuchthaus- und Gefängnisstrafen waren die Folge Ähnliches geschah in Bremen, wo am 18. Juni 1934 ein Prozeß gegen 88 Antifaschisten begann.

173

Siehe Ronald Sassning: Die Verhaftung Ernst Thälmanns und der »Fall Kattner«. Hintergründe, Verlauf, Folgen. In: Pankower Vorträge 11. Berlin

(1998)1.

85

»Na, fangen Sie an ... Wir werden Ihnen helfen«

Dimitroff als neuer Führer der Komintern im Auftrag Stalins

In der internationalen kommunistischen Bewegung hatten sich die Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen Linie gegenüber der Sozialdemokratie, in der Einheitsfront- und in der Gewerk-

schaftsfrage weiter verstärkt. Besonders die französischen Erfahrungen beeinflußten die Diskussionen in der Kommunistischen Internationale, die 1934 ihren VII. Weltkongreß durchführen wollte. Georgi Dimitroff, der nach seinem triumphalen Erfolg im Leipziger Reichtagsbrandprozeß seit seiner Ankunft in Moskau am 27. Februar immer stärker zum Motor der überfälligen Veränderungen wurde, stellte sakrosankte Gewißheiten der Komintern in Frage. Seine weltweite Popularität, die über die internationale Arbeiterbewegung hinausreichte und ihn zum Repräsentanten des Antifaschismus machte, prädestinierte ihn dafür. Die zweite, wichtigere Voraussetzung für diese Aufgabe war jedoch, daß Stalın diese Veränderungen nicht nur duldete, sondern aktiv beförderte und Dimitroff als deren Träger und Repräsentanten stützte. Da eine solche Kurskorrektur — selbst wenn sie nicht konsequent und durchgreifend sein würde — nicht ohne Überwindung einzelner Stalinscher Dogmen möglich war, blieb diese Aufgabe äußerst diffizil. Dimitroffs Tagebuch gibt Auskunft über wichtige Zusammenhänge.'!”* 174

86

Georgi

Dimitroff.

Bayerlein.

Tagebücher

2 Bde. Berlin 2000.

1933-1943.

Hrsg.

von

Bernhard

H.

Die Komintern wurde 1934 von einer Gruppe sowjetischer Funktionäre geführt, zu der Dimitroff in eınem Gespräch mit Stalin und Molotow sagte: »Im Gefängnis habe ıch oft gedacht, daß endlich eine eigene Leitung in K.I. unter Ihrer Führung geschichtlich schon sich kristallisiert hat M[anuilskı1], P[jatnitzki], Kus[inen], Kn[orin]. St[alin] Wer sagt, daß diese Tschetw[jorka] (Vierergruppe — die Verf.) so bleiben muß. Sie sprechen von Geschichte. Aber die Geschichte manchmal auch muß man korrigieren.« Auf Stalins Frage, wer nach Dimitroffs Meinung »Jetzt erster« sei, antwortete Dimitroff ausweichend.

Stalin: »Nein, nehitrite (Ne chitrite — Machen Sie keine Ausflüchte).« Dimitroff »Früher wußte ich, daß M[anuilski] erscheint als polit[ischer] Leiter. Jetzt weiß ich [...] nur, daß wenn P[jatnitzki] nicht dort ist ein Chaos entstehen wird. Er ist sozusagen ein Stergen [Dreh- und Angelpunkt — die Verf.j. Mol[otow] — Ja, daher wir die ganze Zeit halten nur mıt PJatn[itzki].« Stalin gab in diesem hochrangigen Gespräch, das gleichsam die Inthronisation Dimitroffs als führenden KominternFunktionär vorwegnahm, eine bemerkenswerte Einschätzung der bisherigen Führungsgruppe: / »Kus[inen] ist gut, aber Akademiker. M[anuilskt] — Agıta-

tor; Kn[orin] — Propagandist. P[jatnitzki] — eng!«'”

|

Der Aspirant auf die Führungsposition in der Komintern revanchierte sich für diesen Vertrauensbeweis: »Ich glaube, daß Sie als unser erste Führer doch für die Führung der K.l.

Verantwortung tragen und obwohl furchtbar beschäftigt, müs-

sen Sie bei wichtige Fragen teilnehmen.«'”® Stalin hatte beschlossen, Dimitroff die Führung der Komintern zu übertragen: »Na, fangen Sie an, mit einige Genossen. Wir werden Ihnen helfen. [Molotow] Sie haben den Feind im Gesicht gesehen. Und nach dem Gefängnis nehmen Sie die Arbeit jetzt ın Ihre Hände.«!” 175 176 177

Ebenda. S. 99. Ebenda. Ebenda. S. 100.

87

Dimitroff war mit diesem Gespräch am 7. April 1934 Führer

der Komintern geworden. Aber Führer der Komintern im Auf-

trag und in Abhängigkeit von Stalin.

Wie Dimitroffs Tagebuch aussagt, waren die folgenden Wochen und Monate angefüllt mit intensiven Gesprächen iın der Führungsspitze der Komintern. Dimitroff hatte auch mehrfach dıe Möglichkeit, Stalin zu sprechen. Das dies keine Selbstverständlichkeit war,

verdeutlichte

ein Gespräch Dıimitroffs mit Manuilski am 24. April. Manuıilskı beklagte den Zustand in der Komintern. Es war eine Isolıerung der Komintern-Führung von Stalin entstanden. Manuilskı hatte seit dem XIII. EKKI-Plenum im Dezember 1933 keinen Zugang zu Stalin.'”® Er bemerkte bitter: »Ich leide furchtbar durch diese Lage

in K.I. Du mußt den Hauptbericht [auf dem VII. Weltkongreß — die Verf.] übernehmen. Es muß deine Lage in der Oeffentlichkeit mit deine Rolle in K.I. in Einklang bringen!«'” Schon am folgenden Tag kam Manuilski erneut auf die Frage der Führung der Komintern zurück. Offenkundig von Dimitroff über die Unterredung vom 7. April informiert, stellte er fest: »Ich habe viel nachgedacht über deine Besprechung mit St[alin]. Es ist kein zufälliges Gespräch. Vielmehr hat überaus große politische Bedeutung. Das sollte er einige Jahre vorher sagen. Es muß von dieser Besprechung Konsequenzen gezogen werden. Wir brauchen in K.I. ein >Chasian« [Chosjain = Hausherr — die Verf.] Die Geschichte hat dich durch Leipz[iger] Prozeß in Vordergrund gestellt. Du hast ungeheuerliche Popularität unter den Massen. Deine Stimme hat kolossale Resonans. Du mußt die Leitung übernehmen. Ehrenwort, ıch werde auf 120% in allem helfen. Du mußt Leute auswählen und zusammenfassen. Das wird nicht leicht gehen. Es gibt vieles umzustellen. Bei uns gibt schreckliche Rutine und Bürokratismus. Ich habe längst versuch das zu ändern, aber mir fehlte die nötige Autorität. Du hast diese Autorität [...] — und muß ich dir sagen, es hat kein Zweck in K.I zu arbeiten [...] Ein Kontakt mit St[alin] notwendig ist. Bei dir wird das leich-

178 179

88

Siehe ebenda. S. 100. Ebenda. S. 102.

ter. Er wird mit dir schitaet [gemeint ist: Er rechnet mit Dır! — die Verf.].«!8 Damit war eine Konstellation entstanden, die es Dimitroff er-

möglichte, den Kurswechsel der Komintern voranzutreiben. Inzwischen zum Mitglied des Politischen Sekretariats und des

Präsidiums des EKKI berufen, wurde unter seiner Federführung intensiv an der Vorbereitung des VII. Weltkongresses ge-

arbeitet. Zahlreiche Eintragungen zeugen von dem intensiven Kontakt mit Stalin in diesen Wochen. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß die ins Auge gefaßten Veränderungen in der strategischen Orientierung der Komintern detailliert mit Stalin abgestimmt wurden. Wie auch durch das Tagebuch Dıimitroffs erneut belegt, waren Kurskorrekturen solcher Tragweite nicht ohne und schon gar nicht gegen Stalin denkbar. Im Juni

1934 richtete Dimitroff, der inzwischen

mit den

Führungszirkeln von KPdSU(B) und Komintern die Tagesordnung des Weltkongresses intensiv beraten hatte, einen Brief an die Kommission zur Vorbereitung seines Referats, der außerordentliche Bedeutung erlangen sollte. In diesem Brief stellte er folgende Fragen, die auch unmittelbar die bisherige und künftige Tätigkeit der KPD berührten:

»1. Über die Sozialdemokratie

1. Ist es richtig, die Sozialdemokratie in Bausch und Bogen als Sozialfaschismus zu qualifizieren? Mit dieser Einstellung verbarrikadieren wir uns oft den Weg zu den sozialdemokratischen Arbeitern. 2. Ist es richtig, die Sozialdemokratie überall und unter allen Umständen als soziale Hauptstütze der Bourgeoisie zu bezeichnen? 3. Ist es richtig, alle linken sozialdemokratischen Gruppierungen in allen Fällen als Hauptgefahr zu betrachten? 4. Ist es richtig, alle leitenden Kader der sozialdemokratischen Parteien und der reformistischen Gewerkschaften samt und sonders als bewußte Verräter der Arbeiterklasse zu behandeln? Schließlich ist ja anzunehmen, daß im Verlaufe des Kampfes zusammen mit den sozialdemokratischen Arbeitern 180

Ebenda. S. 103.

89

auch nicht wenige der heutigen verantwortlichen Funktionäre der sozialdemokratischen Parteien und reformistischen Gewerkschaften auf den revolutionären Weg übergehen werden; es liegt in unserem Interesse, ihnen diesen Übergang in jeder Weise zu erleichtern und damit auch den Übergang der sozialdemokratischen Arbeiter auf unsere Seite zu beschleunigen. 5. Ist es nıcht an der Zeit, mit dem nutzlosen Gerede von

der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Gewinnung der reformistischen Gewerkschaften

Schluß zu machen,

statt unter

ihrer Mitgliedschaft klar und deutlich die Aufgabe zu formulieren, diese Gewerkschaften in ein Werkzeug des proletarischen Klassenkampfes zu verwandeln? 6. Die Frage der Vereinigung der revolutionären und der reformistischen Gewerkschaften, ohne daß die Anerkennung der Hegemonie der kommunistischen Partei als Vorbedingung

gestellt wird.

II. Über die Einheitsfront

1. Im Zusammenhang mit der veränderten Situation muß sıch auch unsere Taktik der Einheitsfront ändern. Statt sie ausschließlich als Manöver zur Entlarvung der Sozialdemokratie anzuwenden,

ohne

ernsthafte

Versuche,

die wirkliche

Einheit der Arbeiter im Kampf herbeizuführen, müssen wir sie ın einen wirksamen Faktor der Entfaltung des Massenkampfes gegen die Offensive des Faschismus verwandeln. 2. Es muß Schluß gemacht werden mit der Orientierung, daß die Einheitsfront nur von unten geschaffen werden kann und daß jeder gleichzeitige Appell an die Führung der sozialdemokratischen Partei als Opportunismus betrachtet wird. 3. Die kämpferische Initiative der Massen muß entfaltet werden, ohne kleinliche Bevormundung der Einheitsfrontorgane durch die kommunistischen Parteien; keine Deklamationen

über die Hegemonie der kommunistischen Partei, sondern Verwirklichung der Leitung durch die kommunistische Partei in der Praxıs. 4. Unser Herangehen an die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter muß sich in unserer ganzen Massenarbeit, Agitation und Propaganda von Grund auf ändern. Wir dürfen uns nicht auf allgemeine Behauptungen über den Verrat der Sozialdemokratie beschränken, sondern müssen den Arbeitern

90

konkret,

geduldig

und

überzeugend

erläutern,

wohin

die

sozialdemokratische Politik der Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie führt und bereits geführt hat. Nicht alles auf die sozialdemokratischen Führer abwälzen, sondern auch auf die Verantwortung der sozialdemokratischen Arbeiter selber verweisen, sie zum Nachdenken über ihre eigene Verantwortung zwingen, sie zwingen, den richtigen Weg des Kampfes zu suchen, usw.«'8! Dimitroff hatte erkannt, daß der bürokratische Zentralis-

mus der Komintern zu einem Hemmnis für die weitere Entwicklung der kommunistischen Arbeiterbewegung geworden war. Darum lautete der dritte Teil seines Fragen- und Forderungskatalogs: »IIL. Über die Leitung der Komintern Die Arbeits- und Leitungsmethoden der Komintern müssen verändert werden, wobei man berücksichtigen muß, daß es unmöglich ist, von Moskau aus und in allen Fragen sämtlı-

che 65 Sektionen der Komintern operativ zu leiten, Sektionen,

die unter den verschiedenartigsten Verhältnissen tätig sind [...] Die Aufmerksamkeit

muß

konzentriert werden auf die allge-

meine politische Leitung der kommunistischen Bewegung,_auf die Unterstützung der kommunistischen Parteien in den wichtigsten politischen und taktischen Fragen, auf die Schaff_ung einer stabilen bolschewistischen Führung der kommunıst!schen Parteien an Ort und Stelle und auf die Verstärkung der

kommunistischen Parteien mit Kadern mittels einer Einschränkung des schwerfälligen bürokratischen Apparates des EKKI: Notwendig ist eine breitere Entfaltung der bolsch_emst1-

schen Selbstkritik; aus Furcht vor ihr bleiben oft wichtige po-

litische Probleme ungelöst (Fragen der gegenwärtigen Etappe der Krise und der sogenannten kriegsinflationistischen Konjunktur, Einschätzung und Lehren der österreichischen Ereignisse

uswW.).

Die Veränderung der Leitungs- und Arbeitsmethoden der Komintern kann nicht durchgeführt werden ohne eine teilwei-

se Erneuerung der Mitarbeiterkader der Komintern. 181

Beiträge zur Geschichte (1963)2. S. 282f.

der deutschen

Arbeiterbewegung.

Berlin

91

Besonders notwendig ist eine enge Verbindung zwischen

der Führung der Komintern und dem Politbüro der KPdSU(B).«

Der letzte Satz erschließt sich aus dem oben zitierten Briefwechsel iın Nuancen neu. Dimitroff war spätestens seit dem für ıhn ereignisträchtigen Frühjahr 1934 deutlich geworden, daß ein enger Kontakt zu Stalin die conditio sine qua non jeglicher Politikfähigkeit in der Komintern war. Die Führungsgruppe Manuilski, Kuusinen, Pjatnitzki, Knorın hatte diesen verloren; er war ihr verweigert worden, weil Stalin offenkundig ihrer Nützlichkeit für seine politischen Interessen mißtraute. Dimitroffs Problemkatalog stellte zentrale Axiome der Strategie der Komintern in Frage. Aber bereits die Fragen, wie auch die im Bericht auf dem Weltkongreß gegebenen Antworten zeugen von einem innerhalb der Strukturen des Partelkommunismus dieser Zeit unüberwindbaren Dilemma. Dimitroff stellte in keinem Punkt die »Generallinie« der Komintern seit dem VI. Weltkongreß in Frage. Grundsätzlich wurden die notwendigen Korrekturen an die veränderten Bedingungen gekoppelt. Dimitroff fragte nicht: Ist es richtig, die Sozialdemokratie als Sozialfaschismus zu qualifizieren, sondern fügte ein: »ın Bausch und Bogen«. Er fragte nicht: Ist es richtig, die Sozialdemokratie als soziale Hauptstütze der Bourgeoisie zu bezeichnen, sondern relativierte: »überall und unter allen Umständen«. Er ließ immer die Option offen, daß die Generallinie bıs 1933 rıchtig gewesen sei. Damit waren Möglichkeiten aber auch Grenzen der Kurskorrektur in der Strategie der Komintern vorgeprägt.

92

»Rote

Revolutionsstürme

und Wohngebieten«

in Betrieben

Hoffnungen und Enttäuschungen über die Stabilität des Hitler-Regimes

Während die KPD-Führung noch ihren Revolutionserwartungen nachhing, wurde sie von einem Ereignis überrascht, das in der Tat scharfe Gegensätze innerhalb der nationalsozialistischen Gesellschaft zum Ausdruck brachte. Am 30. Juni und 1. Juli 1934 wurden auf Befehl Hitlers und im Einvernehmen mit der Reichswehrgeneralität und einflußreichen Wirtschaftsführern der Stabschef der SA Ernst Röhm sowie weitere hohe SA-Führer, der ehemalige Reichskanzler General Kurt Bredow, Hitlers Rivale sche Ministerpräsident Katholischen Aktion

von Schleicher, der General Kurt von Gregor Strasser, der ehemalige bayerI1Gustav Ritter von Kahr, der Leiter der Erich Klausener, der Sekretär Papens

Oberregierungsrat Herbert von Bose und viele weitere Personen verhaftet und ohne Gerichtsurteil erschossen. Es handelte sich um Rivalen im Machtkampf sowie um potentielle Integrationsfiguren einer möglichen künftigen Opposition, die hier liquidiert wurden. Die Beurteilung dieses Ereignisses durch die KPD war zwiespältig. Einerseits kam die illegal erscheinende »Rote Fahne« bereits Anfang Juli zu einer Einschätzung, die den Kern des Geschehens traf: »Röhm und ein bedeutender Teil seiner Unterführer, die in einer Reihe mit Hitler die Einpeitscher der Kommunemorde

waren,

aber am

meisten

unter dem

Druck

der

Stimmung in der SA standen, versuchten mit der Phrase von der >»zweiten Revolution« und mit scheinradikalen Versprechungen der Stimmung der SA-Leute Rechnung zu tragen, um eine drohende Explosion der sich anbahnenden sozialen Konfliktstoffe zu verhindern. Gleichzeitig kämpften siıe ım Cliquen-

93

kampf der faschistischen Führer um die Erweiterung ihrer persönlıchen Machtpositionen im Staatsapparat. Dabei versuchten sıe, führende Elemente anderer bürgerlicher Oppositionsgruppen, z. B. Schleicher, Klausener usw. bei der Durchführung ihrer Pläne auszunutzen. Der entscheidende Teil des Finanzkapitals, die Schwerindustrie, die Reichwehrgeneralität samt den

Hındenburg-Stahlhelmjunkern, forderten demgegenüber [...] Einschränkung der zügellosen gefahrvollen sozialen Demagogie, die Beseitigung der Röhmgruppe, die radikale Auskämmung der SA-Mannschaften von allen sozial-radikalen Elementen [...] Hitler hat sich zum Vollstrecker dieser Pläne des reaktionärsten Teils gemacht.«'# So zutreffend diese Wertung im wesentlichen war, so illusionär, mechanistisch und voluntaristisch zeigten sich die daraus gezogenen Schlußfolgerungen: »Aber dieser gegen die werktätigen Volksmassen gerichtete Prozeß führt gleichzeitig zur beschleunigten Abbröckelung der faschistischen Massenbasis, zur raschen Verschärfung aller Klassenwidersprüche [...] Die Fristen zwischen den Zusammenstößen in den Spitzen, die das gesamte kapitalistische Regime schwächen, werden immer kürzer, je schneller die Parteı ihre Führerrolle im Proletariat und das Proletariat selbst seine Führerrolle in der Volksrevolution entwickelt. Die jüngsten Ereignisse bestätigen noch einmal die Richtigkeit der von der Kommunistischen

Internationale und der KPD

vorausge-

sagten Perspektiven der faschistischen Diktatur und schlagen der sozialdemokratischen und trotzkistischen Niederlagentheorie von der »Epoche der faschistischen Diktatur« ins Gesicht.« Kritisch wurde vermerkt, daß die jüngsten Ereignisse eine »erneute ernste Mahnung« für die Partei seien. »Es gelang der Partei noch nicht, den Führerstreit im faschistischen Lager für die Entfaltung selbständiger Klassenaktionen auszunutzen, und die von Hitler betrogenen Massen der werktätigen Nazianhänger in die proletarische Revolutionsfront zu reißen.« Die Aufklärungsarbeit sollte den Massen deutlich machen, daß allein »die sozialistische Revolution, die Verwirklichung unseres Befreiungsprogramms, die Aufrichtung der Rätemacht [...] Deutschland von der Pestbeule raubgieriger Profitmacher 182

94

»Die Rote Fahne«. o. O. von Anfang Juli 1934. S. 1 und 8.

und faschistischer Abenteurer befreien und sozialistische Ord-

nung schaffen« kann.

Diese Erklärung bestätigte den Willen der KPD, alle Mittel für

die Vernichtung des faschistischen Regimes anzuwenden. Aber die unmittelbar abgeleiteten Aufgaben waren in dieser Situation nicht zu realisieren. Die Ereignisse um den 30. Juni waren im Gegenteil der vorläufige Abschluß der Auseinandersetzungen der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der herrschenden Kreise, sie markierten die vollzogene Stabilisierung des Regimes. Die Hoffnung, daß sich weitere Krisen in schneller Folge einstellen würden, erwies sich als trügerisch. Allerdings erregte die Zielstellung der bewaffneten Erhebung eine nicht unbeträchtliche Unruhe bei der Gestapo, wie noch dokumentiert werden wird.

Wie sehr sich die KPD-Führung in ihrer Haltung zur SPD verrannt hatte, belegt ein Artikel in derselben Ausgabe der »Roten Fahne«. Er war dem 20. Juli 1932 gewidmet, einem Datum, dessen Erinnerung als ein »Lehrbuch für alle Antifaschisten,

mit blutigem Griffel geschrieben!«, gelten könne.'®®

Als entscheidende Lehre wurde gefordert, »diıe Massen schon heute mit unseren Endzielen bekannt (zu) machen«. Wir müssen »ihr Bewußtsein mit dem Willen zur Macht, zur Erkämpfung der proletarischen Diktatur auf dem Wege des Generalstreiks und der bewaffneten Erhebung erfüllen«. Mit ihrem Kurs auf Generalstreik und bewaffneten Aufstand überschätzte die KPD-Führung Grad und Ausmaß der antifaschistischen Grundhaltung der werktätigen Massen. Wohl gab es zeitweilig und regional beträchtliche Mißstimmungen,

doch

an politischen

Streik

und Aufstand

war

real

nicht zu denken, zumal auch das Überwachungs- und Terrorsystem immer wirkungsvoller wurde. Nach dem Tode Hindenburgs am 2. August 1934 wurden noch am gleichen Tage durch ein bereits am 1. August be-

schlossenes Reichsgesetz die Ämter des Staatsoberhauptes

und des Regierungschefs 183

vereinigt. Hitler nannte sich jetzt

»Die Rote Fahne«. o. O. von Anfang Juli 1934. S. 4f.

95

»Führer und Reichskanzler« und ließ die Reichswehr sofort auf seine Person als Oberbefehlshaber vereidigen. Über diese Neuregelung, durch die Hitler eine nahezu unumschränkte persönliche Macht erhielt, sollte am 19. August eine Volksabstiımmung stattfinden. Die KPD erklärte dazu in einem Flugblatt: »Die gesamte gesetzgebende Gewalt ist übergegangen in die Hand Hitlers, des Vertrauensmannes des Generalrates der Wirtschaft, der Reichswehrgeneräle, der Krupp, Thyssen und Klöckner, des Verantwortlichen des Hungers und der Hinrichtungen, der Zuchthaus- und Sklavengesetze, des blutigen 30. Juni. Als Präsident des Dritten Reiches inszeniert er eine »Volksabstimmung«

nach dem Muster des 12. November, eine Terrorwahl,

eine Betrugswahl. Wir Kommunisten erheben vor dem ganzen deutschen Volke die Forderung der uneingeschränkten Selbstbestimmung des Volkes. Wir fordern die freie Volkswahl des Reichspräsidenten. Das werktätige Volk haßt die faschistischen Henker. Es will keine Mörder, keine Kapitalsknechte, keine Kriegsabenteurer, keine Katastrophenpolitiker an der Spitze des Reiches. Das Volk fordert als seinen Präsidenten einen Arbeiter, einen der Sache

der Armen

und

Bedrückten

ergebenen Freiheitskämpfer, einen glühenden Antifaschisten,

einen Mann, dem das Wort heilig ist: Friede den Hütten, Krieg

den Palästen.

Ernst Thälmann,

der Führer der KPD,

ist der Präsident-

schaftskandidat der übermäßigen Mehrheit des werktätigen Volkes Deutschlands. Ernst Thälmann ist der Kandidat der Einheit

der Arbeiterklasse, der Kampfeseinheit aller Antifaschisten.«'*

Bemerkenswert an dieser unmittelbar aus dem Untergrund stammenden Schrift war, daß hier weder Revolutionsphrasen noch Liquidationsabsichten gegenüber der SPD sichtbar wurden, sondern der gemeinsame Kampf um Tagesforderungen ım Vordergrund stand. Daß Thälmann nicht zum Reichspräsidenten gewählt werden konnte, war allen natürlich offensicht184

96

»Thälmann an die Spitze des deutschen Volkes«. Flugblatt. Privatarchiv von Kurt Finker. Die Art der Gestaltung zeigt, daß das Blatt unter primitiven Bedingungen hergestellt wurde. Fehler wurden ohne Sinnentstellung stillschweigend korrigiert.

lich, er erschien hier vor allem als Symbolfigur des deutschen

Antıfaschismus. Die »Volksabstimmung« am 19. August hatte nach amtlıchen Angaben folgendes Ergebnis, wobei man auch hier Terror und Fälschung voraussetzen muß: Von 45.550.402 Wahlberechtigten nahmen 43.569.695 (= 95,7%) an der Abstimmung

teil. Davon stimmten 38.395.479 (= 89,9%) mit Ja, 4.300.429

mit Nein: 873.787 Stimmen waren ungültig;'*” 15,6 Prozent der Wahlberechtigten hatten also mit Nein gestimmt bzw. sich verweigert. Bei den Wahlen zur NSDAP-Einheitsliste am 12. November 1933 waren dies 12,2 Prozent gewesen. Die meisten Ablehnungen gab es in den Wahlkreisen Hamburg mit 20,4% Nein- und 2,3% ungültigen Stimmen, Berlın mit 18,5% Nein- und 2,6% ungültigen Stimmen (dazu mit der niedrigsten Wahlbeteiligung von 90,9%), Köln-Aachen mit 18,2% Nein- und 2,7% ungültigen Stimmen, Westfalen Nord mit 15,8% Nein- und 2,9% ungültigen Stimmen. Die größte Zustimmung verzeichneten die Pfalz mit 96,6% Ja- und 0,7% ungültigen Stimmen (zugleich mit der höchsten Wahlbeteiligung von 98,5%), Chemnitz-Zwickau mit 96,3% Ja- und 2,6% ungültigen Stimmen, Pommern mit 95,4% Ja- und 1,4% ungültigen Stimmen, Frankfurt a. d. Oder mit 94,6% Ja- und 1,3% ungültigen Stimmen.

Obwohl das nationalsozialistische Herrschaftssystem sich insgesamt stabilisiert hatte, waren Unzufriedenheit unter Teilen der Bevölkerung und Einfluß der KPD gewachsen. Das spiegelte sich ungewöhnlich drastisch in einem für die Regierung bestimmten Gestapo-Bericht »über den Stand der kommunistischen Bewegung in Deutschland« vom Oktober 1934'% wider, in dem es hieß: »Der Bericht ist frei von jeglicher Übertreibung. Er dient nicht dazu, die Existenzberechtigung der politischen Polizei nachzuweisen oder um Lorbeeren zu ——

185 186

Manfred Overesch/Wilhelm Saal: Das III. Reich 1933-1939. Eine Tageschronik der Politik-Wirtschaft-Kultur. Augsburg 1991. S. 156. Siehe Gestapo-Berichte über den antifaschistischen Widerstandskampf der KPD 1933 bis 1945. Bd. 1: Anfang 1933 bis August 1939. Ausgew., eingel. und bearb. von Margot Pikarski und Elke Warning. Berlin 1989. S. 103f.

97

ernten. Er soll vielmehr eine eindringliche Mahnung an die langsam heraufziehende kommunistische Gefahr in Deutschland und ein Hilfsmittel für den Praktiker sein [...] Das zu ernster Besorgnis Anlaß gebende Anwachsen der kommunistischen Bewegung kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg unterbunden werden, wenn die Schutzhaftbestimmungen gegenüber den marxistischen Elementen wieder erweitert werden, wenn also der präventiven Bekämpfung des Kommunismus wieder freie Hand gegeben wird [...] Eine nur strafprozeßrechtliche Bekämpfung der KPD ist angesichts ihrer immer stärker anwachsenden Aktivität ein absolut unzulängliches Mittel. Es bilden sich schon jetzt allmählich die gleichen Verhältnisse wie vor der nationalen Erhebung heraus: Unverfrorene,

dreiste

Haltung

festgenommener

Kommunisten

ge-

genüber den Polizeibeamten und den Gerichten, Verweigerung jedweder Angaben, ungehörige revolutionäre Äußerungen und selbst Drohungen gelegentlich der Vernehmung, unverschämtes Ableugnen selbst erwiesener Tatsachen usw. sind bereits wieder an der Tagesordnung. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die von den Gerichten ausgesprochenen hohen Gefängnisund Zuchthausstrafen keinerlei abschreckende Wirkung mehr haben. Zahlreiche Beispiele zeigen, daß kommunistische Funktionäre eher den Freitod wählen, als sachdienliche Angaben zu machen. Nur allerschärfstes Zugreifen, umfassende präventive Bekämpfung mittels verschärfter Schutzhaftbestimmungen und nicht zuletzt ein verständigeres Zusammenarbeiten der Anklagebehörden mit der Politischen Polizei vermögen dieser Aktivität Einhalt zu gebieten.« Selbst wenn auch hier die joberhaltende Überhöhung der kommunistischen Gefahr durch die Gestapo in Rechnung gestellt wird, bleibt das Bild eines beachtlichen kommunistischen

Widerstandes auch im zweiten Jahr der Hitler-Diktatur. Zehntausende Kommunisten stellten sich dem erstarkenden faschistischen Regime entgegen.

98

»Jeder, der Gerüchte über Differenzen in

der Führung verbreitet, wird zur Parteiverantwortung gezogen«

Der Kompromiß der Augustresolution 1934

Am 9. und 10. Juli 1934 analysierte das Präsidium des EKKI die Lage in Deutschland und die daraus erwachsenden Aufgaben. Neben Wilhelm Pieck nahmen die Mitglieder des Polbü-

ros Fritz Heckert, Hermann Schubert und Fritz Schulte an der

Beratung teil. Die Beratung spiegelte Diskussion wider. Hermann tete, sah »die faschistische Der Faschismus vermochte

den widersprüchlichen Stand der Schubert, der den Bericht erstatDiktatur in einer tiefen Krise«.'*” seinen Hauptzweck, die KPD zu

isolieren, nicht zu erfüllen. Die KPD habe »ihre führende Rolle

nicht nur behalten, sondern hat sie im Klassenkampf noch verstärkt«. Die als Krise des Regimes verstandenen Auseinandersetzungen im Sommer 1934 reklamierte Schubert als Verdienst der KPD: Die Krise wäre nicht gekommen, »wenn unsere Partei nicht durch ihre richtige politische Linie und durch ihr heroisches Auftreten diese Krise der faschistischen Diktatur herbeigeführt hätte«. Schubert sah »ein schnelles Wachsen der objektiven Voraussetzungen zur revolutionären Krise«.'® Die Einheitsfrontpolitik begriff Schubert als Übernahme

der sozialdemokratischen

Arbeiter

in die KPD,

als

»Kurs zur Liquidierung« der sozialdemokratischen Gruppen‚

die »zusammen[zu]schlagen« seien, »um sie ım Kampf gegen die faschistische Diktatur mit uns zu vereinigen«.!® 187 188 189

Protokoll Nr. 72 der Sitzung des Präsidiums des EKKI am 9. Juli 1934.

In: SAPMO-BArch.

Ebenda. Bl. 56.

RY5S/I 6/10/27.

Bl. 53.

Ebenda. Bl. 79.

99

Wilhelm Pieck ging in der Diskussion deutlich kritischer an die Analyse der Lage und die Bewertung der Politik der KPD heran. Er distanzierte sich von Schuberts vollmundiger Reklamierung der als Krise der faschistischen Diktatur begriffenen Auseinandersetzungen innerhalb des faschistischen Lagers für die KPD und bewertete die Ergebnisse der Einheitsfrontpolitik der KPD eher skeptisch: »Gewiß, wir haben von der Einheitsfront geredet, wir ha-

ben in allen unseren Dokumenten die Notwendigkeit der Ein-

heitsfront betont, aber wir haben es nicht vermocht, den sozialdemokratischen Arbeitern ernstlich zu beweisen, daß es

uns wirklich darauf ankommt, diese Einheit im Kampf gegen den Faschismus herbeizuführen [...] Es liegt auch hier ein Fehler der Führung vor, daß wir unsere Parteigenossen unten nicht frühzeitig auf diese Notwendigkeit einstellen und ihnen begreiflich machen konnten, daß vor uns der gefährlichste Feind steht: der Faschismus, der Kapitalismus, und daß gegenüber der Niederringung dieses Feindes die Differenzen, die wir mit den Führern der Sozialdemokratie auszutragen haben, zurücktreten müssen ...«!° Trotz aller auch grundsätzlicher Differenzen Piecks und Ulbrichts mit der Mehrheit des Polbüros blieben auch die Posıtionen der Minderheit in sich widersprüchlich. Auch ihre Faschismusanalyse blieb letztlich strukturell funktionalistisch. Den Faschismus als direkten Vollstrecker des Großkapitals und letzte Stufe der Bourgeoisieherrschaft vor der Diktatur des Proletariats zu begreifen, begrenzte grundsätzlich Bündnisoptionen und verstellte Horizonte antifaschistischen Kampfes. Und auch beı Pieck sollte die Auseinandersetzung mit den Führern der SPD nur zurückgestellt werden, weil »im gemeinsamen Kampfe die Verräterrolle der Sozialdemokratie vor den sozl[ial]dem[okratischen] Arbeitern offener in Erscheinung treten

wird, als wir es durch unsere Argumente beweisen können«.'!!

Im Ergebnis der Diskussion wies das Präsidium des EKKI in einer Resolution auf die Notwendigkeit hin, von einer sachlichen Analyse der tatsächlichen Kampfbedingungen auszugehen, rechtzeitig Veränderungen in der Klassenkampfsituation 190 191

100

Ebenda. Bl. 131 (Hervorhebung im Original). Ebenda. Bl. 132.

zu erkennen und sich von Auffassungen und Losungen zu trennen, die nicht mit der realen Situation im Einklang standen. Doch die Resolution war in sich widersprüchlich. Sie widerspiegelte, daß auch in der Exekutive noch sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten wurden. Es zeugte von einem

noch

nicht überwundenen

Wunschdenken,

wenn

die

Ereignisse von Ende Juni/Anfang Juli in Deutschland als »Anzeichen des Heranreifens der Voraussetzungen der revolutionären Krise« gewertet wurden. Auch die Einheitsfrontpolitik wurde — Hermann Schubert folgend — als Vereinigung sozlaldemokratischer Organisationen mit der KPD auf der Grundlage des Programms der Komintern begriffen.'”” Unter dem Druck der Komintern-Führung kam es im Ergebnis der Beratung zu einer » Versöhnungsvereinbarung« ZwIschen Hermann Schubert und Wilhelm Pieck: »Erklärung Die unterzeichnenden Genossen erklären: 1. Im Polbüro bestehen keine politischen Gegensätze über

die Einschätzung der Lage und über die Linie der Parte!!

2. Wir verpflichten uns zur kollektiven Arbeit des Politbüros, und alle bestehenden Reibereien restlos zu beseitigen. 3. Jeder, der Gerüchte

über Differenzen

in der Führung

verbreitet, wird zur Parteiverantwortung gezogen! Moskau, den 10. 07. 1934

Schubert Pieck«!

In den darauffolgenden Wochen beriet das Polbüro mehrere Male mit Mitgliedern der Landesleitung, mit Oberberatern, mit Vertretern verschiedener Bezirksleitungen und mit Parteiarbeitern aus einigen Großbetrieben sowie aus Grenzstützpunkten. Die Ergebnisse wurden als Entscheidungen des Zentralkomitees, das als solches nicht mehr existierte, als Augustreso192 193

Siehe Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv social’no-polititeskoj istorii. Moskau (im weiteren RGASPI). Fonds 494. Bestand 1. Akte 408. Versöhnungserklärung von Schubert und Pieck vom 10. Juli 1934. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3//17. Bl. 221. — Siehe auch Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM. Herausgegeben von

Günther

Fuchs,

Erwin

Lewin,

Elke

Reuter,

Stefan Weber.

(im weiteren Die »Brüsseler Konferenz« der KPD ROM ...). Bl. 847.

von

Berlin 2000

1935 auf CD-

101

lution unter dem Titel »Die Schaffung der Einheitsfront der werktätigen Massen im Kampfe gegen die Hitlerdiktatur«!”* veröffentlicht. Der Beschluß erbrachte in einigen Punkten bereits Fortschritte, blieb aber ambivalent.

Einerseits hieß es: Um »ihre ganze Kraft [...] an die Sammlung der revolutionären Kräfte des Proletariats und aller Werktätigen gegen die faschistische Diktatur (zu) setzen, um damit die Voraussetzungen des Erfolges der KPD in den in Deutschland bevorstehenden entscheidenden Klassenkämpfen zu schaffen [...], ist die schärfste Selbstkritik an den Fehlern und Mängeln der Parteiarbeit dringend notwendig.« Anderseits wurde die »richtige Generallinie« beschworen, allerdings einschränkend festgestellt, daß »die Parteiführung [...] nıcht genügend ihre organisierende und führende Rolle bei der Vorbereitung der Widerstandsaktionen hervorgekehrt (hat), was zur Folge hatte, daß fast nur agitatorische Arbeit geleistet und nicht das Hauptgewicht auf die Organisierung von Widerstandsaktionen gelegt wurde«. Insbesondere hätten die Vorgänge um den 30. Juni gezeigt, »daß die bisherige Arbeit der KPD unter den werktätigen Massen noch nicht ausreicht, um in solchen günstigen Situationen breite Massenaktionen gegen die Hitler-Diktatur auszulösen. Sie wird daran besonders durch die Spaltung der Arbeiterklasse gehindert. Es ist deshalb eine der wichtigsten Lehren des 30. Juni, daß die KPD schnellstens die kämpfende Einheitsfront der Arbeiterklasse herstellt, eine kühne Initiative der Führung und besonders der unteren Einheiten zur Auslösung dieser Kämpfe entfaltet und die Kräfte der Partei auf die strategisch wichtigsten Industriegebiete konzentriert.« Die KPD-Führung beschloß deshalb: 1. Maßnahmen zur Schaffung einer breiten Einheitsfront der Arbeitermassen zum Kampf gegen die Durchführung des faschistischen Arbeitsgesetzes vom 20. Januar 1934'° mit

194

195

102

Rundschau.

Basel

3(1934)45.

S.

1867-1869.

— Siehe auch

Die

»Brüs-

seler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Bl. 847-851. Es handelt sich um das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit«, das jegliche Mitbestimmung durch Betriebsräte und Gewerkschaften ausschloß und verkündete: »Der Führer des Betriebes entscheidet der

seinem Lohnabbau und seinen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen in den Betrieben und gegen das sogenannte Arbeitseinsatzgesetz mit dem Berliner Göring-Plan'”® sowie gegen den faschistischen Terror zu ergreifen. 2. Ausgehend von dem in der Arbeiterschaft ımmer stärker hervortretenden Willen zur Einheit förderte die KPD die Bestrebungen zur Schaffung der Gewerkschaftseinheit und der Wiederherstellung der freien Gewerkschaften als Organe des Klassenkampfes gegen den Faschismus und gegen die Offensive des Unternehmertums. 3. Zu diesem Zweck seien sofort mit den bestehenden sozialdemokratischen Gruppen Verhandlungen aufzunehmen, um mit ihnen gemeinsam die Kampfforderungen aufzustellen und feste Vereinbarungen über die Führung des Kampfes zu treffen. Die KPD-Führung orientierte jedoch nach wie vor »auf die Vereinigung dieser Gruppen mit der KPD auf der Grundlage des Programms der Kommunistischen Internationale« und

reduzierte damit Einheitsfrontpolitik auf ein hohles Schlagwort. 4. Die Partei wurde auf »eine breite, innerparteiliche Kampagne zur unverzüglichen Umstellung der gesamten Arbeit der Partei und der mit ihr verbundenen Massenorganisationen, die

bolschewistische Erziehung für unsere revolutionäre Taktık der Einheitsfront, für die Erkenntnis der Führerrolle der Parte1 und der Aufgaben ihrer Zeitungen, für die Organisierung von Widerstandsaktionen, für die Festigung der Partei und einer kühnen Heranziehung neuer Kader zu den oberen verantwortlichen Funktionen« orientiert. Dabei wurde im Beschluß das Schwergewicht auf die Auseinandersetzung mit dem Sektie-

rertum in der Partei gelegt. Seine Gefahr wurde in der »Ab-

kapselung von den sozialdemokratischen Arbeitern« gesehen, ohne daß in der Parteiführung selbst diese Auseinandersetzung bereits ausgestanden war. Zwar wurde in dieser Resolution nicht vom »Hauptstoß« gegen den »Sozialfaschismus«, auch nicht von dem kurz bevor——

196

Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten, soweit sie durch dieses Gesetz geregelt werden.« Der am 17. Mai verkündete »Göring-Plan« ordnete die zwangsweise Zuweisung von Arbeitsplätzen an.

103

stehenden Kampf um die »Rätemacht« und dem Aufbau »unabhängiger Klassengewerkschaften« mit der RGO als »Haupthebel« gesprochen. Sie forderte dafür wirklich die Einheitsfront gegen den Faschismus, den Hauptfeind der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen. Dennoch enthielt sie einen grundlegenden Widerspruch. Sie verlangte »schärfste Selbstkritik« — aber korrigierte einige Fehler nur stillschweigend, als hätte es nie etwas anderes gegeben, und bezeichnete gleichzeitig die Generallinie der Parteiführung als richtig. Immer noch nicht wurde die Sozialdemokratie als eine eigenständige Richtung der Arbeiterbewegung anerkannt, sondern die Einheitsfront sollte letztlich zur Vereinigung »auf der Grundlage des Programms der Kommunistischen Internationale« führen, d. h. zur Schaffung einer Kommunistischen Par-

teı als der »einzigen«

Arbeiterpartei.

Eine

solche

Haltung

konnte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Einheitsfrontaufrufe der KPD nicht ausräumen. Allerdings unternahm auch der Vorstand der SPD keinen Versuch, die Vorschläge der KPD als Angebote aufzugreifen und wenigstens zur Diskussion zu stellen. An

der Basis,

unter dem

Druck

des

faschistischen

Ter-

rors, waren die Widerstandskämpfer beider Parteien verschiedentlich näher beieinander, als es der Schlagabtausch zwischen den Vorständen vermuten ließ. Franz Dahlem, der sich im Auftrage des Polbüros von Februar bis August 1934 illegal in Berlin aufhielt, berichtete in seinen Erinnerungen: »Die legale Arbeit in der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF) und in den zahlreichen anderen faschistischen Massenorgani-

sationen erforderte gebieterisch — wollten die Kommunisten sıch nicht selbst isolieren — ein illegales Zusammengehen und eine Verständigung mit sozialdemokratischen Genossen, einschließlich ihrer Leitungen, die ihrerseits die antikommunistische Linie ihres Emigrationsvorstandes und weiterbestehende Vorbehalte aus der jüngsten Vergangenheit aufgeben mußten. Nur das gemeinsame Vorgehen in der DAF, in »>Kraft durch Freudeandere« gegenüberzustellen; drittens, die unter den Massen sich anbahnende Aktionsein-

heit zwischen den kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitern durch ein Spitzenmanöver des Prager Parteivorstandes zu torpedieren. Es liegt im Interesse der proletarischen Aktionseinheit zum Sturze der Hitler-Diktatur, solche »linken« Manöver,

wie sie

Aufhäuser macht, schnell und sachlich zu durchkreuzen.«*** Das Dokument wurde als »Plattform der bürgerlichen Demokratie, der Koalition mit der Bourgeoisie, der Aufrechterhaltung der Spaltung der Arbeiterklasse und ihre Bindung an den kapitalistischen Staat« bezeichnet. Den sozialdemokratischen Arbeitern erklärte man: »Wir sind überzeugt, daß Ihr Euch recht bald als gleichberechtigte Mitglieder mit uns in unserer Partei auf einer höheren politischen Stufe der Organisiertheit vereinigen werdet.« Um

die gleiche Zeit erschien ein von KPD,

KJVD,

RGO,

Vertretern der noch bestehenden freien Gewerkschaftsgruppen und dem Komitee für proletarische Einheit Niedersachsens unterzeichnetes, maschinegeschriebenes Flugblatt, das zur Gewerkschaftseinheit aufrief. Nach einer Gegenüberstellung der Naziversprechungen und der Wirklichkeit hieß es darin: »Wir rufen Euch auf, diese Einheitsfront herzustellen Die

Einheitsfrontorganisationen zu bilden, die für die siegreiche Auslösung und Führung der Kämpfe, für eine erfolgreiche In200 201 202

Zeitschrift für Sozialismus. Karlsbad (1934)12/13. S. 375-409. Die Neue Weltbühne. Prag (1934)35. S. 1088-1093. »Die

Rote

Fahne«.

o. O. von

Mitte Oktober

1934.

109

teressenvertretung unbedingt erforderlich sind. Wir rufen Euch auf, die Gewerkschaften wieder aufzubauen. Illegale Vertrauensmännerkörper u. Gewerkschaftsgruppen zu bilden [...] Da die neue Gewerkschaftsbewegung an die besten Kampftraditionen der freien Gewerkschaften anknüpft, geht die R. G. O. in dieselbe auf und wird nicht weiterbestehen.«* Noch waren solche Auffassungen in der Widerstandsbewegung im Lande wie auch in einigen Exilzentren bei der UÜberwindung der sektiererischen »Generallinie« nicht zum Gemeingut in der KPD geworden.

203

110

Margot Pikarski/Günter Uebel: Die KPD lebt! Flugblätter aus dem an-

tifaschistischen Widerstandskampf der KPD S. 136f.

1933-1945.

Berlin

1980.

Die echten und die falschen »Teddy-Männer« Machtkämpfe um die Nachfolge Thälmanns

In den Auseinandersetzungen des Sommers und des Herbstes 1934

schürzten

sich die Probleme,

die sich seit 1928

durch

die verfehlte Strategie der Komintern angestaut hatten. Der

zwiespältige Kurswechsel der Komintern ließ noch verschliedene Optionen offen. Für die KPD schienen aus der Sicht der verschiedenen Führungszirkel unterschiedliche Möglichkeiten denkbar zu sein. Der Kurs der Kommunistischen Partei Frankreichs — Übereinkünfte auf der oberen Ebene — waren angesichts der schwachen linken Opposition in Deutschland weniger attraktiv. In mehreren dramatischen Beratungen des Polbüros der KPD und des Mitteleuropäischen Ländersekretariats der Exekutive der Komintern spitzten sich im Herbst 1934 die angestauten Widersprüche in der Führung der KPD zu und drängten / zu einer Lösung. Parıs. ın Oktober 22. und 19. am So tagte das Polbüro Der Tagungsort ist nicht überliefert. Es wäre an eine Adresse zu denken

wie das Hotel »Lutetia«,

in dem

etwa anderthalb

Jahre später der Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront tagte. Bis dahin hatte die KPD noch einen weiten Weg zurückzulegen. Bereits die äußerlichen Merkmale dieser Beratung im Oktober 1934 verdeutlichten die zugespitzte Situation in der Führung der KPD. Die Rednerliste des 604 Seiten umfassenden wörtlichen Protokolls?* verzeichnete Richard (Wilhelm Pieck), ——

204

Protokoll-Manuskript der Sitzung des Polbüros der KPD 22. Oktober 1934. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/16.

am

19. und

111

Rolf (Wilhelm Florin), Paul (Walter Ulbricht), Jean (Franz Dahlem), Max (Hermann Schubert), Georg (Fritz Schulte) und Adolf (Gabo, Jugendvertreter [d. ı. Gabriel Lewin]).

Neben den Protokollanten dürfte eine Anzahl von Beratern und Vertretern der Exekutive der Komintern teilgenommen haben. Die Protokollmitschriften wurden von den Rednern nach Abschluß der Sitzung korrigiert, ergänzt oder verändert und nicht selten am folgenden Sitzungstag erneut zum Gegenstand der Erörterung gemacht. Das Szenarıo war grotesk: Sieben Männer berieten zentrale politische Probleme der Auseinandersetzung mit dem HitlerRegime. Sie trugen ihre gegensätzlichen Sichtweisen vor, indem sie sich gegenseitig umfängliche Zitate aus ihren eigenen Publikationen oder polemisch aus denen der anderen vortrugen. Verdächtigungen und Versicherungen der gegenseitigen Loyalıtät wechselten. Im Hintergrund — häufig unausgesprochen — stand die Frage nach dem Rückhalt der jeweiligen Position in Moskau und natürlich insbesondere bei Stalin. Immer wieder wurde die Auseinandersetzung um aktuelle politische Fragen und um die Vorherrschaft in der Partei drapiert als Auseinandersetzung um die Parteigeschichte. Schubert,

Schulte

und besonders

auch

Florin verstanden

sıch als Sachwalter der Politik Ernst Thälmanns und konnten sıch mit einigem Recht auf den ultralinken Kurs der KPD unter der Führung Thälmanns seit 1928/1929 berufen und Pieck und Ulbricht nur wenig verdeckt des Versöhnlertums bezichtigen. Diese wiederum konnten (und wollten?) diesen Kurs der »Generallinie« nicht offensiv in Frage stellen. Wilhelm

Pieck,

der den

Bericht

über die »Vorbereitung

der

Stellungnahme der K.P.D. zur Tagesordnung des VII. Weltkongresses und über Vorschläge zur Arbeit der Partei« vortrug, verdeutlichte schon im ersten Satz seines Berichtes die Dramatik der Lage: »Ich habe es für notwendig gehalten, meinen Bericht schriftlich auszuarbeiten. Der Grund liegt in der anormalen Lage, die ich im P.B. nach meiner Rückkehr vorgefunden habe.

Diese Anormalität besteht darin, dass noch be-

vor über meine Vorschläge über die künftige Arbeitsteilung im P.B. beraten wurde, mir von Jean [Wilhelm Florin] erklärt 112

wurde, dass diese Vorschläge eine Änderung der Führung der

Partei bedeuten und dass ich mit Paul [Walter Ulbricht] zu diesem Zweck ein Komplott geschlossen hätte und dass er den Kampf dagegen führen werde.«*®© Pieck sah darin einen Verstoß gegen die Vereinbarung vom 10. Juli zwischen ihm

und Schubert und verwies darauf, »dass gegen jeden Genos-

sen eın Parteiverfahren durchzuführen ist, der gegen die Kollektivität verstösst oder Gerüchte über Differenzen in der Führung verbreitet.«% Damit war schon im Vorfeld und mit Beginn der Beratung eine Atmosphäre entstanden, die wenig Hoffnung auf eine produktive Auseinandersetzung wecken konnte. Inhaltlich konzentrierte sich Pieck auf einen Problemaufriß von Themen und Komplexen, die auf dem VII. Weltkongreß behandelt werden sollten. Ähnlich wie Georgi Dimitroff in seinem Brief an die Kommission zur Vorbereitung des Berichts an den VII. Weltkongreß wählte Pieck die Frageform in seinem Bericht. Auch inhaltlich finden sich viele von Dimitroff aufgeworfene Probleme hier wieder: »A/ Zur Einschätzung der Lage des Kapitalismus. ]) Was bedeutet die Depression besonderer Art? 2) Ist ein wirtschaftlicher Aufschwung in einzelnen Ländern möglıch? 3) Isteeine kapitalistische Stabilisierung möglich? 4) Welche Strukturwandlungen haben sich im Kapitalismus vollzogen? 5) Wohin geht die Entwicklung? B/ Zur Frage des Faschismus

1)

Die verschiedenen Typen des Faschismus.

2) Kann der Sieg des Faschismus verhindert werden? 3) Ist der Faschismus die letzte Barriere des Kapitalismus? 4) Ist ein Kompromiss zwischen Faschismus und Sozialdemokratie möglich? / / |

5) Warum gewinnen?

205 206

konnte der Faschismus

die Massen

in der Krise

Ebenda. Bl. 5. Ebenda.

113

C/ Zur Frage der Sozialdemokratie 1) Worin besteht die Krise der Sozialdemokratie? 2)

Kann die S.[ozialdemokratie] diese Krise überwinden?

4)

Bleibt die Charakterisierung

6)

Die Frage des »kleineren Übels«.

3) Ist die S.[ozialdemokratie] Bourgeoisie?

die soziale Hauptstütze der der S.[ozialdemokratie]

als

Sozialfaschismus? D/ Zur Frage des Krieges und der internationalen Entwicklung 1) Einschätzung der Kriegsgefahr 2) Frage des Defaitismus 3) Kommt aus dem Krieg unbedingt die Revolution? 4) Bleibt es bei dem alles beherrschenden Weltgegensatz zwischen Amerika und England? (VI. Weltkongreß) 5) Bleibt unsere Haltung zu dem Versailler Friedensvertrag die gleiche? 6) Welche Bedeutung hat der Eintritt der S.U. in den Völkerbund für das Weltproletariat? E/ Zur Taktik 1) Die Frage der Aktionseinheit und der Einheit der Arbeiterklasse. 2) Rolle der Partei als subjektiver Faktor. 3) Stellung zur Sozialdemokratie, Unterscheidung zwischen strategischen und taktischen Losungen. 4) Ist Blockbildung mit der Sozialdemokratie zulässig? 5) Ob revolutionäre Regierung ohne Sowjets möglich?

7) Die Gewerkschaftseinheit — wird eine Korrektur früherer Beschlüsse vorgenommen? 8) Sind illegale Gewerkschaften als Massenorganisationen möglıch? 9) Ob Aenderung in der Taktik oder nur bessere Durchführung der bisherigen Taktik. 10) Rechtsgefahr und Sektierertum, Frage der Hauptgefahr. F/ Zur Perspektive 1) Frage des revolutionären Aufschwungs. 2) Heranreifen der revolutionären Krise. 3) Ist eine neue Periode der allgemeinen Krise des Kapitalismus eingetreten? 4) Welche Möglichkeiten der Entwicklung sind gegeben, wenn kleiner Aufschwung des Kapitalismus in einzelnen Län-

114

dern, wenn Faschismus noch in anderen Ländern siegt, wenn

Krieg gegen die Sowjetunion.«**”

Wilhelm Pieck stellte sich nicht die Aufgabe, seinen Problem-

aufriß umfassend abzuarbeiten, sondern ging selektiv auf die Probleme ein, die in der Parteiführung strittig waren. Folgende Aspekte sind von besonderem Interesse: In seiner Einschätzung der Lage des Kapitalismus bezog sich Pieck nur noch verbal auf das XIII. EKKI-Plenum,

real

fast ausschließlich auf die Stalin-Vargasche Theorie von der Depression besonderer Art: »Für die Einschätzung der Lage des Kapitalismus wurden schon vom 13. Plenum und besonders vom Genossen Stalin auf dem XVII. Parteitag der K.P.d.S.U. ziemlich feststehende Formulierungen gegeben. Dıe 1929 einsetzende, zyklische Wirtschaftskrise hat alle Länder des Kapitalismus erfasst und ist nach einem Tiefpunkt Mitte 1932

in eine

Depression

besonderer Art übergegangen,

die

aber keine Aussicht auf eine Prosperität eröffnet.«“® Diese Sicht stand in deutlichem Gegensatz zu der der Mehrheit des Polbüros, die auf dem alten Kurs der Komintern

beharrte. Pieck verweigerte sich den unter kommunistischen Emigranten

verbreiteten

Zusammenbruchstheorien,

verblieb

jedoch in den Gleisen der marxistisch-leninistischen Orthodoxie, die die Regenerationsfähigkeit des Kapitalismus unterschätzte. Er schloß eine vorübergehende Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Kapitalismus nicht aus, was aber »an seiner allgemeinen Krise nichts ändern und nicht etwa zu einer Wiederherstellung der kapitalistischen Stabilisierung führen« würde.*® Auch in der Faschismusanalyse waren gegenüber dem Kurs der »Generallinie« deutliche Fortschritte zu erkennen. Pieck verneinte im Gegensatz zur bisherigen Linie die Unvermeidlichkeit des Faschismus, koppelte sie aber einseitig an die Organisation des Widerstandes durch die Kommunisten. Ähnlich argumentierte er in der Frage, ob der Faschismus die letzte Barriere des Kapitalısmus vor der Revolution sel. 207 208 209

Ebenda. Bl. 5/6. Ebenda. Bl. 7. Siehe ebenda. Bl. 9.

115

»Historisch gesehen wird der Faschismus zweifellos die

letzte Form der kapitalistischen Herrschaft sein. Aber das hängt politisch davon ab, ob es der Arbeiterklasse gelingt, Solche Versuche der Bourgeoisie unmöglich zu machen.«*!° Hier zeigten sich deutlich die Grenzen der Faschismusanalysen in der Komintern. Sie vermochte es nicht, aus ihrer funktionalistischen Sicht des Verhältnisses Faschismus-Kap!I-

talısmus, Faschismus-Bourgeoisie auszubrechen. Auch spätere Fortschritte blieben begrenzt. Die weitreichendste kommunistische Faschismusanalyse, August Thalheimers Kritik des Programmentwurfs der Komintern von 1928, wurde verleugnet, sozialdemokratische Analysen oder gar die der Theoretiker der Frankfurter Schule wurden nicht zur Kenntnis genommen. Ebenso zwiespältig blieb bei deutlichen Fortschritten die Stellung zur Sozialdemokratie. »Es ist die Frage aufgeworfen, ob die Sozialdemokratie in Deutschland noch die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie ist. Gegenwärtig ist ihr durch den Faschismus die Möglichkeit dazu genommen, diese Rolle praktisch auszuüben [...] Strategisch bleibt [...] die Sozialdemokratie nach wie vor die soziale Hauptstütze der Bourgeolsie, aber wir müssen doch diese Frage aufgrund der objektiven

Verhältnisse beurteilen und uns nicht durch eine schematische Anwendung dieser Losung den Zugang zu den sozialdemokratischen Arbeitern versperren.«*!! Analog wurde zur Sozialfaschismusthese argumentiert.

Daß die Sozialdemokratie als traditionsreicher, starker Flü-

gel der deutschen Arbeiterbewegung eigenständige Interessen artikulierte und Ausdruck der Differenzierung der Arbeiterklasse war, blieb der Denkweise des Kominternmarxismus verschlossen. Gar die Kennzeichnung der Sozialfaschismusthese als von Anbeginn falsch und schädlich, hätte einen Mitentdecker dieser These auf den Plan gerufen. Damals galt schon seit längerem: Stalin irrt nicht! Die folgende Auseinandersetzung mit Positionen, wie sie von Vertretern der Parteiführung ın der kommunistischen Presse 210 211

116

Ebenda. Bl. 10. Ebenda. Bl. 12.

verbreitet wurden und die nachfolgende Diskussion zeigte, daß selbst die relativ bescheidenen

Fortschritte, die in Vorberei-

tung des VII. Weltkongresses erreicht worden waren, ın der KPD noch nicht mehrheitsfähig waren. Noch schärfer als bei theoretischen Fragen waren die Gegensätze in der Einschätzung der praktischen Einheitsfrontpo-

litik.

Wilhelm Pieck brachte die Problemlage deutlich zu Ausdruck: »Ich glaube, dass wir dieses Problem der Einheitsfront in unserer Partei auch in der Führung noch nicht ganz richtig begriffen haben. Und wir haben alle Ursache, darüber sehr ernst zu sprechen. Ich will hier nur auf zwei Beispiele verwelsen, die uns die Führung unserer französischen und österre1chischen Bruderpartei in der Schaffung der Aktionseinheit, die auch die Gewerkschaftsarbeit einschliesst, gegeben haben und das mit voller Zustimmung und Unterstützung der Komintern.«*!2 Die Versicherung der Unterstützung durch die Komintern und insbesondere durch Stalin spielte in den Debatten eıne entscheidende Rolle. Bezog sich Pieck in seinem Referat zunächst nur zurück-

haltend und allgemein auf die Komintern, so wurde er in der

Debatte unter dem Druck seiner Kontrahenten deutlicher. Gegen die Verteidigung der »Generallinie« und Angriffe auf die Volksfrontpolitik in Frankreich mit Berufung auf Stalın gewandt, konterte er: »Die französische Sache ist doch sein [Stalins — die Verf.] Vorschlag.«*!* Das verdeutlicht ein weiteres Mal, daß auch für die Kom-

munistische Partei Frankreichs galt: Wesentliche strategische Korrekturen waren in dieser Zeit nicht ohne Zustimmung Stalins möglich. Pieck begriff die Schaffung der Aktionseinheit als »so

dringlich, dass wir uns nicht die Zeit lassen können, bis wir

die Arbeiterklasse für die Kommunistische Partei gewonnen haben«.*!*

212 213 214

Ebenda. Ebenda. Ebenda.

BlI. 641. Bl. 12.

117

Er knüpfte hier an ein weiteres Gründungsdogma der kommunistischen Bewegung an, das der Parteiıkommunismus, der nach der russischen Revolution entstanden war, bis zu seinem Ende nicht überwand, der Glaube an die Möglichkeit, die Sozialdemokratie zu zerschlagen. Es war das Pendant zum Glauben an die Weltrevolution. Auch hier stellte Pieck dieses Dogma nicht ın Frage, sondern er stellte es gleichsam nur zurück. Die Debatte verdeutlichte, daß die Mehrheit auf ihren Posi-

tionen beharrte und sich die Gegensätze auch persönlich weiter zuspitzten. Es wurde das ganze Arsenal der »Generallinie« in Stellung

gebracht,

als da waren:

»ein

neuer

Turnus

von

Kriegen und Revolutionen«, »die Unmöglichkeit einer neuen

Stabilisierung«, »die Sozialdemokratie ist und bleibt die soziale

Hauptstütze der Bourgeoisie«, »sie ist und bleibt sozialfaschistisch«.

Es entbrannte im Zusammenhang mit dem »Walterartikel«*'” an Aufhäuser eine groteske Debatte um die Gänsefüßchen bei der Kennzeichnung der linken Sozialdemokraten. Hermann Schubert trieb die Sophistik so weit, gleichsam Kriterien für die Vergabe von Gänsefüßchen entwickeln zu wollen.?!® Aufhäuser wurde von der Mehrheit als »Linker« bezeichnet, die Verhandlung mit ihm deshalb als rechte Abweichung gebrandmarkt. Damit korrespondierte die Auseinandersetzung darüber, ob die Rechts- oder Linksabweichung die Hauptgefahr sei. Ein »taktisches Herangehen an den sozialdemokratischen Vorstand [käme] nicht infrage«. Die Vorschläge von Walter Ulbricht könnten »ein opportunistisches Kuckucksei in unserem Nest werden«. Der Referent, Franz Dahlem, begründete diese Befürchtung: »Zur Zeit steht ım Reiche die Aufgabe der Verhinderung des Aufkommens Jjeder sozialdemokratischen Parteiorganisation.« Deshalb 215

216

118

Für die Aktionseinheit gegen den Hitlerfaschismus. Offene Antwort an Siegfried Aufhäuser und die linken Sozialdemokraten. Von Walter [UIbricht], Mitglied des Zentralkomitees der KPD. In: Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Zeitdokumente. Dokument Nr. 5. Siehe Protokoll-Manuskript der Sitzung des Polbüros der KPD am 19. und 22. Oktober 1934. In: SAPMO-BArch. RY1/I1 2/3/16. Bl. 257.

wandte sıch Dahlem auch dagegen, »dass man irgendwelche gemeinsamen Ausschüsse bildet von Partei zu Partei«.*!” Die Schwierigkeiten, eine veränderte Haltung zur Sozialdemokratie zu gewinnen, ohne mit der Sozialfaschismusthese zu brechen, gipfelten im Umgang mit den Positionen Stalins. Einer der Streitpunkte war die Frage nach der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit eines Kompromisses zwischen dem faschistischem Regime und der Sozialdemokratie. Hermann Schubert wandte ein, daß man diese Frage nicht stellen könne, da sie eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Faschismus und Sozialdemokratie voraussetze. Wenn man diese Frage stelle, so würde das »gelinde gesagt, bedeuten [...] anzugreifen die Theorie des Genossen Stalin über die Zwillingsbrüder. Wir sind doch aber der Meinung, dass diese Theorie richtig ist«. Wilhelm Pieck rief dazwischen: »Du machst eine schematische Geschichte daraus. Deine Auffassung ist falsch und Du kannst sie nicht aufrechterhalten. Gerade diese Frage wird auf dem VII. Kongress sehr stark herausgearbeitet werden. Diese Frage stellen, heisst nicht, eine Korrektur der Theorie des Ge-

nossen Stalin vornehmen, im Gegenteil, ich glaube gerade Genosse Stalin wird wahrscheinlich selbst besonders betonen, dass eine solche Unterscheidung gemacht werden muss.«*'* Die Schwäche der Argumentation Piecks war evident. Zudem irrte er. Stalin nahm an den Beratungen des VII. Weltkongresses bis auf die Eröffnungssitzung nicht teil, sondern

ZOg es vor, von einem überdimensionalen Banner neben Marx, Engels und Lenin huldvoll und unerreichbar herabzulächeln.

Die Gegensätze zwischen Mehrheit und Minderheit des Polbüros erwiesen sich im Verlaufe der Beratung zunehmend als unüberbrückbar. Von der Mehrheit wurde Walter Ulbricht als Hauptschuldiger dingbar gemacht. Fritz Schulte brachte dies auf den Punkt: »Ich will nur hinzufügen, dass ich den Gen. Paul [Walter Ulbricht] für den Hauptstörenfried halte, der bewusst schon während seines 217 218

Ebenda. Bl. 154. Ebenda. Bl. 529.

119

Aufenthaltes in Moskau

alles tat, um die Differenzen zu ver-

grössern. Sein persönliches Verhalten zeigt deutlich, dass er alles dazu beitragen will, dass schnell alles hier zu Bruch geht.«*'* Und an anderer Stelle fügte Schulte hinzu, es sel »eine krankhafte Veranlagung« von Paul »zu intrigieren und unterminieren, wo sich nur Gelegenheit dazu bietet«.*? Es

ist nicht

auszuschließen,

daß

diese

Wahrnehmung

Schultes zutraf und Walter Ulbricht tatsächlich den Bruch be-

wußt einkalkulierte, um die unhaltbare Situation zu beenden.

Schulte benannte zusammenfassend die Differenzpunkte: »Worin kommen unsere Differenzen mit Richard und Paul zum Ausdruck? 1) In der Einschätzung der Lage, 2) ın der Einschätzung der weiteren Perspektive und 3) ın der Einschätzung der Sozialdemokratie.«??! War unstrittig, daß Veränderungen in der Politik der KPD not-

wendig waren, so war deren Qualität strittig. Das drückte sich in einer Auseinandersetzung darüber aus, ob von einer Änderung oder einer Wendung in der Taktik auszugehen sei. Wilhelm Pieck nutzte wieder sein Herrschaftswissen und verwies darauf, daß »drüben darüber gesprochen worden (ist), ob man reden soll von einer Wendung der Taktik oder nicht. Es wurde keine endgültige Formulierung festgelegt, aber es gab führende Genossen, die von der Notwendigkeit sprachen >»Wendung«

zu sagen.«*? Die Kräfteverhältnisse

in Paris waren jedoch

so, daß

selbst diese Autoritätsbeweise nicht ausreichten, diese Positio-

nen durchzusetzen.

Durch alle Auseinandersetzungen hindurch zogen sich die Bezüge auf die Parteigeschichte. Pieck und Ulbricht hatten sich einer schwierigen Mimikry zu unterziehen. Wie schon an anderer Stelle erwähnt, wurde der Kampf um die Vorherrschaft in der Parteiführung geführt als gegenseitiger Nachweis der 219 220 221

222

120

Ebenda. Ebenda. Ebenda.

BlI. 293. Bl. 514. Bl. 294.

Ebenda. BlI. 407.

legitimen Weiterführung der Politik Thälmanns. Da weder Pieck noch Ulbricht sich zu den »Kameraden um Thälmann« — so eine interessante Formulierung von Florin — zählen konnten, blieb ihre Berufung auf Thälmann plakativ. Ihre Gegner spielten diese Karte mit Hingabe aus. Die »Versöhnler«-Ver-

gangenheit von Pieck war ein willkommenes Argument, seine

aktuellen Positionen des Versöhnlertum und des Opportunismus zu bezichtigen. Pieck setzte sich zur Wehr: »Es tritt dieser Hinweis auf den Genossen Thälmann in der letzten Zeit häufig in Erscheinung, um damit gewisse Einwendungen

ge-

gen unsere Taktik zu bemänteln. Vielleicht sind auch noch andere Absichten damit verbunden, [einen Unterschied] zwischen echten und den »falschen« >»Teddy-Männern« zu machen.«** Im Oktober 1934 setzten sich die »echten Teddy-Männer« ein letztes Mal durch. Aber ihre Zeit war abgelaufen. Obwohl

die Realität des kommunistischen

Widerstands,

die internationalen Erfahrungen der kommunistischen Bewegung wie auch die außenpolitischen Konstellationen auf eine radikale Kurskorrektur drängten, erwies sich die Führung der KPD bis Ende 1934 als unfähig, die politische Erstarrung zu überwinden und die dogmatischen Fesseln zu zerbrechen. Die Komintern, die offensichtlich seit dem Frühjahr 1934 stark mit eigenen Problemen beschäftigt war und sich weniger mit den internen Problemen der KPD-Führung in Paris befaßt hatte, griff nach der Oktoberberatung des Polbüros alarmiert ein. Am 27. Oktober nahm die Politkommission des EKKI eine Resolution an, in der sie rügte, daß »eine Reihe von verantwortlichen Funktionären der KPD und Mitarbeitern der »Roten Fahne« der Linie des EKKI eine andere politische Linie entgegengestellt« hätten.?* Wilhelm Pieck, der diese Resoluti-

on in seinem Referat auf der »Brüsseler Konferenz« zitierte, verwies darauf, daß die Mehrheit formell die neue Linie aner-

kannte, aber verdeckt besonders in den Widerstandsorganisationen im Lande dagegen arbeitete. Aber auch in den Gremien der Komintern selbst, besonders im Mitteleuropäischen Ländersekretariat, war von der SR

223 224

——

Ebenda. Bl. 351. Die »Brüsseler Konferenz« der KPD

von

1935 auf CD-ROM

... Bl. 97.

121

Neuorientierung wenig zu spüren. Die dichte Überlieferung gibt ein relatıv genaues Bild des Diskussionsprozesses bis zum Jahresende 1934. Am 2. November referierte Eugen Varga, wie schon öfter zuvor, über die Lage ın Deutschland. Er interpretierte vorsichtig das ihm vorliegende Datenmaterial und verwies auf die Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft wie den Rohstoffund Kreditproblemen. In Kenntnis der Mentalität seiner Zuhörer stellte er die rhetorische Frage: »Ja wie lange kann die deutsche Wirtschaft bei diesem Rohstoffmangel aushalten?« Er antwortete

wird aus dem

salomonisch:

»Nun,

Rohstoffmangel

Genossen,

ökonomisch

keine Katastrophe eintreten.

Das wäre eine Illusion, das zu glauben.«?> Varga analysierte

weiter die 1934 tatsächlich zunehmenden wirtschaftlichen Probleme in Deutschland und prognostizierte einen sehr schweren Winter, fügte aber auch hier hinzu: »aber irgendein ökonomischer Zusammenbruch [...] und als Folge [...] irgendein automatischer Sturz des faschistischen Regimes — diese Perspektive halte ich nicht für richtig.«? Die Diskussion entsprach fast einem Ritual, das sich seit 1922, der Begründung der Vargaschen Vierteljahresberichte, vollzog: Der Bote wurde ob der Botschaft gescholten. Sepp Schwab monierte, daß es bei Varga »keinen Punkt [gibt], wo

die deutsche

Bourgeoisie

keinen

Ausweg

finden

könnte«. Dariın sah er »eine gewisse Gefährlichkeit«. Es könnten damit Stimmungen in der deutschen Partei unterstützt werden, die davon ausgehen, daß die Partei »ihre Beschlüsse in der Frage der Perspektive der faschistischen Diktatur wahrscheinlich ändern [muß], wenn es nicht in ganz kurzer Zeit zu großen Bewegungen in Deutschland kommen wird. Diese Genossen sagen, es ist möglich und wahrscheinlich, daß das EKKI seinen Beschluß auf dem XIII. Plenum über die Frage, daß Deutschland das schwächste Kettenglied des Imperialiısmus ist, ändern muß ...« Demgegenüber forderte Schwab,

festzustellen,

schwächste 225 226

122

Glied

»daß

Deutschland

nach

wie

in der Kette des Imperialismus

vor das

ist, daß

Protokoll des Mitteleuropäischen Ländersekretariats am 2. November 1934. SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/4/415. Bl. 27. Ebenda. Bl. 32.

Deutschland nach wie vor unmittelbar an der Schwelle der proletarischen Revolution steht, und daß wir uns keine lange

Perspektive stellen können«.??” Fritz Heckert, Mitglied des Polbüros und Vertreter der KPD beim EKKI, schlug in die gleiche Kerbe: »Der allgemeine Prozess geht auf die Revolutionierung der Massen und nicht auf die Hebung der Massen ...«*® Auch

in der Haltung zur Sozialdemokratie wurden zutiefst

sektiererische Positionen vertreten, die sich fernab eines »neu-

en Kurses« befanden. Die Debatte spitzte sich auf die absurde

Frage zu, ob Miles?* »ein »Zwischenruf Schwab: Er ist schist.«20 Mit solchen verkrusteten waren wirkliche Fortschritte heitsfrontpolitik, hin zu einer gewinnen.

Linker oder ein Faschist« sel. kein Linker, aber er ist eın Falinkssektiererischen Positionen in der antifaschistischen EınPolitik der Volksfront, nicht zu

Vierzehn Tage später befaßte sich das Mitteleuropäische

Ländersekretariat ausschließlich mit der Plattform des Arbeitskreises revolutionärer Sozialisten.

Der Referent Bela Kun, seit Anfang der dreißiger Jahre

ausgewiesener Spezialist der Sozialfaschismusthese, ließ seın

Referat in der Erkenntnis gipfeln, daß die Kritik der Revolutio-

nären Sozialisten an der Sozialdemokratie »ein äusserst wich-

tiger, schwerwiegender Beweis [...] dafür (ist), dass die Jetzt

so verfemte und von vielen angefeindete These über den Sozialfaschismus wirklich richtig war«.*”

Das Festhalten an solchen Positionen, die in der Komintern ın

den zurückliegenden zehn Jahren mit der Durchsetzung des Stalinismus gewachsen waren, wurde ab Mitte der dreißiger Jahre lebensgefährlich. Hielt sich Stalin als atheoretischer

227 228

229 230 231

Ebenda. BlI. 73. Ebenda. Bl. 80.

Pseudonym für die linkssozialdemokratische Gruppe »Neu Beginnen«.

Ebenda. Bl. 92. Protokoll der Sitzung des Mitteleuropäischen Ländersekretariats 16. November 1934. SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/417. Bl. 14.

am

123

Pragmatiker und Machtpolitiker nicht an sein »Geschwätz von

gestern«,

so wurde

es zunehmend

tödlıch,

ihn an dieses zu

erinnern. Die Durchsetzung des »neuen Kurses« geriet in die Gefahr, aus dem Ruder zu laufen. Deshalb warf die Komintern-

Führung ihr ganzes Gewicht auf die Seite der bisherigen Polbüro-Minderheit. Sie verlangte Ende Dezember eine ge-

meinsame

Sitzung mit dem

Polbüro der KPD

und Vertretern

von illegalen Organisationen.*? Gravierende Veränderungen in der Führung der KPD waren unerläßlich geworden.

232

124

Siehe Horst Duhnke:

Die KPD

von

1933 bis 1945. Köln

1972. S. 148f.

KAPITEL II Die verlorene Wende

Chancen und Verlust einer Neubesinnung (1935-1936)

»So fühlt die Partei«? Polbüro und Mitgliedschaft der KPD in der Kursänderung

der Komintern im ersten Halbjahr 1935

Gegen den Widerstand der linkssektiererischen Mehrheit ım Polbüro wie auch in Auseinandersetzung mit sektiererischen Verkrustungen in der Gesamtpartei gelang es, im Verlaufe des Jahres 1935 die Politik der KPD auf den Kurswechsel der Komintern umzustellen. ' Die Beratungen der Politkommission des EKKI mit dem Polbüro der KPD, Vertretern der Landesleitung, der Berliner Organisation der KPD und Vertretern des KJVD, die vom 3. bis 10. Januar

1935

in Moskau

stattfanden, waren Ausdruck

dieses massiven Bemühens.? Das EKKI konstatierte, daß es »sowohl in der Führung wie auch in der ganzen Partei eine offene oder halboffene Resistenz in bezug auf die Durchführung der politischen Linie der Kommunistischen Internationale

gibt«.? Die deutsche Partei hinkte den Kursänderungen der ——

]

Dieses Kapitel stützt sich neben eigenen Forschungen besonders auf die Publikation Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CDROM. Herausgegeben von Günther Fuchs, Erwin Lewin, Elke Reuter, Stefan Weber. Sie ist erschienen als Band II der Reihe »Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus«. Berlin 2000 (im weiteren Die

»Brüsseler

2

3

Konferenz«

der KPD

von

1935

auf CD-ROM

...). — Siehe

die Beilage im vorliegenden Band. An den Beratungen nahmen teil: Pieck, Schubert, Florin, Dahlem,

Ul-

bricht, Schulte, Knorin, Pokrowski, Togliatti, Wan Min, Manuıilski, Gottwald, Kuusinen, Losowski, Heckert, Kippenberger, Stamm, Rembte und von der Jugend Adolf und Erich (siehe SAPMO-BArch. NY 4036/

538. Bl. 65). Rede Palmiro Togliattis in der Sitzung der Politkommission des EKKI am 9. Januar 1935. In: SAPMO-BArch. RY5S/I 6/3/108. BlI. 36. — Siehe Erwin Lewin: Neue Dokumente zur Kursänderung 1934/1935 in der

127

Komintern hinterher. Die Beratungen sollten diesen Zustand endlich ändern. Das Präsidium des EKKI sah sich auch zu dieser Aussprache veranlaßt, weil die Differenzen in der Let-

tung der KPD ein gefährliches Ausmaß für den Bestand der Führung und der Partei annahmen. Wilhelm Pieck hatte ın Briefen und Telegrammen an Dmitri Manuilski, Otto Kuusinen, Wilhelm Knorin und Georgi Dimitroff, schließlich auch an Jossif Stalin auf ein Eingreifen der Komintern gedrängt, um die Richtungskämpfe in der Führung der KPD zu beenden und die strittigen Probleme zu klären. Er schrieb: »Wir haben hier kein Kontrollorgan in der KPD, vor dem ich diese Differenzen in der Führung zur Austragung bringen könnte, das kann also nur bei Euch geschehen.«* Wie der Verlauf der tagelangen Debatten widerspiegelt, konzentrierte sich die Auseinandersetzung inhaltlich auf Formen und Wege der Herstellung der Einheitsfront und der möglichen Rolle von freien Gewerkschaften. Diese Auseinandersetzungen innerhalb der deutschen Führung wurden jedoch überlagert durch heftige persönliche Anschuldigungen und An-

feindungen. Hermann Schubert, Fritz Schulte, Wilhelm Florin

und Franz Dahlem auf der einen Seite und Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck auf der anderen versuchten sich vor der Politkommission des EKKI zu rechtfertigen und die jeweils andere Gruppe für die ausbleibenden Erfolge der Partei verantwortlich zu machen. Faktisch wurden vor dem Leitungsorgan der Komintern die Schlachten der Polbürositzungen des vergangenen Jahres noch einmal nachvollzogen, wobei die Gruppe um Hermann Schubert für sich in Anspruch nahm, die »Thälmannlinie« zu vertreten. Pieck sah sich zu der Feststellung

genötigt, daß es keine angenehme Situation sei, »sozusagen die Eingeweide der deutschen Partei hier ausbreiten (zu) müssen«.°

Es war hauptsächlich solchen Mitgliedern der Politkommission wie Palmiro Togliattı zu verdanken, daß die politische Seite

4 5

KPD. In: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung. 1993. S. 175-184. SAPMO-BArch. NY 4036/538. Bl. 36 und 49. SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/103. Bl. 23.

128

Berlin

der Differenzen wieder in den Mittelpunkt gerückt und die Ursachen für die falsche politische Linie der Führung der KPD offengelegt wurden. Seine Rede am 9. Januar 1935 leitete er ein: »Ich glaube, daß alle Genossen damit einverstanden sein werden,

daß die Diskussion,

die vor uns stattgefunden

hat, gezeigt hat, daß in der Führung der Partei eine ernste, schwere Lage besteht. Wir haben gesehen, daß es eine Spaltung im Politbüro der Partei gibt, daß es im Politbüro der Partei und schon in der Partei einen Fraktionskampf gibt. Wir haben auch gesehen, daß es auf dieser Grundlage schon zu einer gewissen Diskreditierung der Führung der Partei in der Partei selbst gekommen ist.«® Damit widersprach er auch ausdrücklich der verharmlosenden Feststellung von Wilhelm Knorin, dem Leiter des Mitteleuropäischen Ländersekretarlats, €s

würden keine »wichtige(n) große(n) prinzipielle(n) Meinungs-

verschiedenheiten« bestehen.? Die fehlerhafte Beurteilung der Lage im Lande, die Auffassung, die Parte1 habe eine Reihe von Erfolgen und die Schwierigkeiten seien gar nicht So groß, selen — so Togliatti — die Hauptursachen des Zustandes in der Partei. Die deutsche Partei stehe nach der bolschewistischen Partei an der Spitze der Kommunistischen Internationale und alle hätten viel gelernt und lernen von den Erfahrungen der deutschen Partei. Aber auch die deutsche Parteı müsse, um sich ihre Stellung in der KI zu erhalten, alle Erfahrungen der internationalen Politik, die Erfahrungen aller kommunistischen Parteien, die unter den Umständen einer faschistischen Dikta-

tur kämpfen, gründlicher studieren und ausnützen. Diese Bemerkungen Togliattis waren fein verpackt, aber doch unmißverständlich gegen eine gewisse »Überheblichkeit« der deutschen Genossen formuliert. Sie trafen sehr genau die Gemütslage der KPD-Führung nach der erlebten Niederlage von 1933. Er kritisierte die Führung der deutschen Partei, weıl sie »noch nicht ganz verstanden (habe) die Veränderungen in der internationalen Lage, die eine gewisse Änderung der Taktik 6 7

Zit. nach Erwin Lewin: Neue Dokumente zur Kursänderung 1934/1935 in der KPD. In: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung. Berlin 1993. S. 175. Rede

von

Wilhelm

6/3/103. Bl. 18.

Knorin.

9. Januar

1935.

In: SAPMO-BArch.

RY5/I

129

der Komintern und besonders eine gewisse Änderung in der Anwendung der Einheitsfronttaktik der Kommunistischen Parteien ın dieser Periode bestimmt haben. Das zeugt von einem gewissen Fehlen der bolschewistischen Fähigkeit, eine bolschewistische Polıtik zu bestimmen. Und alles, was einige Genossen des Polbüros der deutschen Partei über die Thälmann-Politik usw. sagten, ist — scheint mir — falsch eben deshalb, weil das zeigt, daß diese Genossen noch nicht richtig verstehen, daß man eine gute Politik nur dann bestimmen kann, wenn man die Veränderungen in der internationalen Lage und in dem betreffenden Lande in Betracht zieht.« Er forderte mehr Selbstkritik und einen entschiedenen Kampf gegen das ausgeprägte

Sektierertum nicht nur in der Führung der KPD, sondern auch ın den Reihen der Partei, in den unteren Organisationen.

Franz Dahlem hatte in seiner Rede — natürlich auch um seine

damalige Auffassung zu rechtfertigen — zutreffend beschrie-

ben, ihrer kann berg

wie sehr das »Opportunistenverdikt« in der Partei sie ın Politik gegenüber der Sozialdemokratie behinderte. »Man jetzt sagen: die Genossen haben organisiert von Königsbis Saarbrücken, daß gegen diesen Artikel [von Walter

Ulbricht über Aufhäuser — die Verf.] Stellung genommen wird.

— Das war aber gerade die Zeit, wo der Mann der Landesleitung und unsere drei Hauptfunktionäre verhaftet waren und unsere Landesleitung, wie wir das immer in solchen Fällen machen, sämtliche Verbindung nach dem Ausland abgestoppt

hat. Ich will offen sagen, wenn ich Verbindung gehabt hätte mit allen und hätte die Möglichkeit gehabt, über die Taktik zu

sprechen, wahrscheinlich hätte ich das getan. Aber daß die Bezirksleitungen auf den Artikel so reagierten, das ist die Ein-

stellung unserer Partei! Unsere Partei hat Angst vor dem Opportunismus, sie hat Angst, daß solche Formulierungen dazu

führen können, daß wir nach dieser Seite hin abweichen. (Zwischenruf des Gen. Ulbricht: Und die Mehrheit der Füh-

rung hat davor kapituliert. Du hast ganz recht! Einverstanden!) Gen. Dahlem: So fühlt die Partei. (Gen. Ulbricht. Richtig, ich bin einverstanden mit dir!)«® 8

Rede von Franz Dahlem.

Verf.).

130

In: Ebenda.

Bl. 200a

(Hervorhebung von den

Das Politsekretariat des EKKI beschloß am 19. Januar 1935 die Resolution »Über die sektiererischen Fehler der KPD«. Darin kritisierte es scharf die Politik der »Mehrheit des Polbüros (Richter und andere’)« als Abrutschen zum »Sektierertum

und linkem Doktrinärtum« und billigte die Linie der Minderheit (Pieck und Ulbricht). Es verpflichtete das ZK zum »entschlossenen Kampf gegen das Sektierertum in den Reihen der ganzen Stufenleiter der Gesamtpartei«. Bekräftigt wurde die Orientierung der Komintern auf die Herstellung der Einheitsfront mit allen sozialdemokratischen Gruppen, Organisationen

und ihren Leitungen bis hin zum Prager Parteivorstand. Die Resolution

forderte von

der KPD

den

Kampf um

freie Ge-

werkschaften zu führen, wobei die Bezirksleitungen der RGO aufgelöst und die RGO- und roten Gewerkschaftsgruppen ın die wiederhergestellten freien Gewerkschaften überführt werden sollten. Bekräftigt wurde die Orientierung auf eine breite antifaschistische Volksfront, die nicht nur kommunistische und

sozialdemokratische,

auch

sondern

katholische Arbeiter

sowie Bauern, Angehörige der städtischen Mittelschichten und

Intellektuelle sowie alle erfaßt, die bereit waren, gegen die faschistische Diktatur zu kämpfen. Das Polbüro der KPD wurde verpflichtet, auf dieser Grundlage und in Abstimmung mıt dem EKKI-Präsidium eine eigene Resolution auszuarbeiten.

Ende Januar bestätigte die Politkommission auch eine Reihe

von Kadervorschlägen. Obgleich Gerüchte über die Absetzung

höchster Funktionäre bis in die illegalen Organisationen ın Deutschland hinein kursierten,'” nahm sie keine grundsätzlıche Veränderung in der Zusammensetzung der KPD-Führung vor. Wilhelm Florin, Fritz Heckert, Wilhelm Pieck, Hermann Schubert und Fritz Schulte blieben in Moskau und wirkten von hier als Polbüro. Hermann Schubert übernahm die Vertre-

tung der Partei bei der Komintern,

Fritz Heckert die Vertre-

tung bei der Profintern. Wilhelm Pieck löste Fritz Heckert als Mitglied der Politkommission

bert wurde 9

Gemeint

deren Kandidat.

waren

Hermann

des EKKI

ab, Hermann

Schubert

(Deckname

Max

Richter),

Schulte, Franz Dahlem und Wilhelm Florin. 10 Siehe Brief der Landesleitung an die deutsche Vertretung beim vom

1. Februar

1935.

Schu-

Der Sitz des Polbüros iın Paris

SAPMO-BArch.

RY5/I

6/3/60.

Bl. 54f.

Fritz

EKKI

131

wurde aufgelöst. Franz Dahlem und Walter Ulbricht erhielten den Auftrag, in Prag als operative Gruppe des Polbüros diıe Vorbereitung des Weltkongresses und der geplanten Parteikonferenz

der KPD

zu führen,

die unmittelbar

nach

diesem

stattfinden sollte. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörte ebenfalls die operative Anleitung und Unterstützung der illegalen Parteiorganisationen in Deutschland, die Grenzstellenarbeit und die Parteiarbeit

im

Exil.

Herbert

Wehner,

Robert

Stamm,

Adolf

Rembte, Max Maddalena und Otto Wahls!' sollten die Landesleitung bilden. So wie die Resolution der Politkommission

Denkweisen

und neue Ansätze

des EKKI

in der Lageeinschätzung,

alte

der

Einheitsfrontpolitik und der Massenpolitik enthielt, trug auch die Entschließung der KPD »Proletarische Einheitsfront und antifaschistische Volksfront zum Sturz der faschistischen Dik-

tatur«'* vom 30. Januar 1935 widersprüchlichen Charakter.

Begriffe und Thesen wie die vom »Sozialfaschismus«, von den linken Sozialdemokraten als den »gefährlichsten« Feinden, dem »gewaltigen Anwachsen der revolutionären Krise«, von der RGO als »mächtigem Hebel« der Massenbewegung usw. waren endlich als falsch erkannt und wurden Sstillschweigend weggelassen. Selbstkritisch wurden darin Fehler und Schwächen dargelegt und dem Sektierertum als ernstem Hindernis für eine Massenarbeit entschiedener Kampf ange-

sagt: »Die Partei muß deshalb alle Kräfte auf die Überwindung

des Sektierertums konzentrieren, das seinen besonderen Aus-

druck fand in dem Widerstand gegen die Einheitsfront und gegen die Wiederherstellung der freien Gewerkschaften, in der fehlenden Differenzierung zwischen den rechten und den linken SPD-Führern, ın scheinradikaler Einschätzung der Lage und in einer Unterschätzung der Selbstkritik.«'? Die KPD-Führung sprach sogar von einer kühnen Wendung, die notwendig sel 11

Das Verbleiben Wahls in der Landesleitung sollte von einer Aussprache mit ıhm in Moskau abhängig gemacht werden. Robert Stamm behielt außerdem die Leitung Berlins (siehe SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/18a. Bl. _ 11). 12 Veröffentlicht am 20. Aprıl 1935 ın Die Kommunistische Internationale. Basel

13 Ebenda.

(1935)8.

ım Ringen um die proletarische Einheitsfront. Einheitsfrontabkommen sollten auf allen Ebenen bis zum sozialdemokratischen Parteivorstand, vor allem mit der sozialdemokratischen Linken, angestrebt werden. Bemerkenswert war, daß die Orien-

tierung auf die Herstellung einer antifaschistischen Volksfront — anders als bisher — sich zunehmend zu einem strategischen Konzept der Partei herauszubilden begann. »Für die Gesamtheit aller Werktätigen stellen wir Kommunisten in der proletarischen Einheitsfront und in der antifaschistischen Volksfront das Programm des Kampfes für alle demokratischen Rechte auf: Freiheit der Versammlung

und der Presse, Unantastbar-

keit der Person und der Wohnung; Schutz vor Denunziation und Verfolgung, Aufhebung von Konzentrat10nslagem und Schutzhaft, Befreiung aller Opfer des Hitler-Regimes.«'* Obwohl die bisherige »scheinradikale Einschätzung der Lage« kritisiert wurde, blieben die allgemeine Überschätzung der eigenen Kräfte und die Unterschätzung des Hitler-Regimes vorherrschend. KPD-und Komintern-Führung konstatierten zwar eine Verstarkung des Gewaltapparates des Regimes, zugle1ch aber auch eine Verringerung seiner Massenbasis und ein Wachstum der revolutionären Kräfte. Nach wie vor dominant waren die alten Vorstellungen von der Sozialdemokratie als dem Hauptfeind in der Arbeiterklasse, mit dem man — da er sich unter illegalen Bedingungen zu behaupten vermochte — notgedrungen zusammengehen müsse. An der Aufgabe, neue Mitglieder aus sozialdemokratischen Gruppen zu werben, änderte sich nichts. Unverkennbar blieb der Führungsanspruch gegenüber der Sozialdemokratie wie gegenüber anderen Gruppierungen innerhalb der kommunistischen Bewegung (zum Beispiel Rechte und Versöhnler). Ebenso wurde noch an der

alten strategischen Zielsetzung des Kampfes um die Aufrichtung der Diktatur des Proletariats und — etwas modifiziert — an der Schaffung eines freien sozialistischen Deutschlands festgehalten. In der Januarresolution äußerte sich die KPD

zur Saarabstim-

mung. Das Ergebnis der Volksabstimmung hatte eine bittere 14

Ebenda.

133

Enttäuschung für die antifaschistischen Kräfte gebracht. Von den 539.541 Stimmberechtigten nahmen 528.005 teil, davon stimmten 477.199 für den Anschluß an Deutschland und 2.124 für die Angliederung an Frankreich. Dem Aufruf der Kommunisten

und

Sozialdemokraten,

für den

Status quo zu

stimmen, folgten 46.513 Stimmberechtigte. In antifaschistischen Kreisen hatte man dagegen mit bis zu 35 Prozent der Stimmen gerechnet.'> Allen war bewußt, daß dieses Abstim-

mungsergebnis das Hitler-Regime im In- und Ausland stärkte.

Die Wirkungen der nationalen Demagogie reichten hinein bis

in die Arbeiterschichten und — wie Wilhelm Pieck konstatierte — bis in die »eigenen Reihen«.'® Bei den letzten Wahlen zum Saarparlament im Jahr 1932 hatten noch 86.000 Wähler ihre Stimme für die KPD gegeben. Trotzdem kam die KPD zu dem

Schluß, daß ihre Losung vom Status quo richtig war. Sie setz-

te bei den Wählern jedoch ein hohes Maß an Klassenbewußt-

sein voraus. Selbstkritisch konstatierte die KPD-Führung, daß

sie die chauvinistische und nationalistische Propaganda der Nazis unterschätzt und sich ungenügend mit ihr auseinandergesetzt hatte. Briefe der Landesleitung an die Parteiführung in Moskau schilderten die Auswirkungen des Saarreferendums auf die Parte1. In Solingen sei es zu Austritten einiger Funktionäre gekommen aus Resignation, weil sich die Arbeiter doch nicht überzeugen ließen. Auch in Berlin und Hamburg gab es Austritte von Funktionären aus dem Jugendverband. Die Parteıl habe aber die Depression überwunden.'’ Die Januarresolution orientierte genau in diese Richtung, keine Depression aufkommen zu lassen und verstärkt für die Einheitsfront und Volksfront aller antifaschistischen Kräfte gegen das Hitler-Regime zu kämpfen. Dennoch saß der Schock tief. Auf der Sitzung des Mitteleuropäischen Ländersekretariats im April 1935, die sich mit den Ergebnissen des Saarreferendums befaßte, wurde konstatiert, daß

die Tatsache,

»daß

es dem

faschistischen

Regime

15 Siehe Rede von Wilhelm Pieck auf der Tagung des Präsidiums des EKKI. 26. Januar 1935. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/80. BI. 10. 16 Siehe ebenda. 17 Siehe SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/260. Bl. 51-55.

134

gelungen war, eine solche Massenstimmung zunächst einmal für Deutschland zu entfalten, daß alle anderen — politischen, sozialen und kulturellen — Fragen beiseite geschoben wurden«,'® eine gefahrvolle Entwicklung verdeutliche. Die Ergebnisse paßten so gar nicht zu den Einschätzungen der Lage ın Deutschland,

in denen von der wachsenden Widerstandskraft

und von zunehmenden Kampfaktionen der Arbeiterschaft gegen das faschistische Regime ausgegangen wurde. Grigori Smoljanski sprach es in der Sitzung offen aus: »... wir haben

innerhalb dreier Monate zwei Standpunkte [zur Stimmung der Massen], die von drüben [aus dem Land] kommen,

und diese

beiden Standpunkte widersprechen sich vollkommen.«'”

Das Problem für die KPD-Führung, aus den unterschiedlichen Berichten aus dem Lande zu einer zutreffenden Lageeinschät-

zung zu gelangen, blieb eminent. Der Vorwurf, man habe eine

pessimistische Sicht und sehe für Deutschland die »italienische Perspektive« — in Debatten oft erhoben —, schwebte über

jeder Äußerung.

Ein markantes

Beispiel ist der Umgang

mit

der im April beschlossenen Resolution des ZK der KPD, die sich mit der faschistischen Kriegspolitik und der neuen chauvıinistischen Welle in Hitler-Deutschland befaßte.”° Das Polbüro in Moskau hatte nach den Sitzungen des Mitteleuropäischen Ländersekretariats am 8. und am 20./21. April 1935, die sich intensiv mit der Lage in Deutschland nach der Saarabstimmung und der Wiedereinführung der Wehrpflicht beschäftigten, diese Resolution verfaßt. In ihr korrigierte sie vorsichtig ihre Vorstellungen über die Situation im Lande: »Diese Entwicklung erleichterte es dem Faschismus, bestimmte Manöver zu machen, vorübergehend die Differenzen in den eigenen Reihen im Lager der Bourgeoisie und die Unzufriedenheit auch ——

18 Protokoll der Sitzung des Mitteleuropäischen Ländersekretariats zum Saarkampf und zur organisatorischen und politischen Arbeit der Berliner Parteiorganisation. 8. April 1935. In: SAPMO-BArch. RY5S5/I 6/3/418. Bl. 14. 19 Ebenda. Bl. 50. 20 Resolution des ZK der KPD zu der durch die faschistische Kriegspolitik und die neue chauvinistische Welle geschaffenen Lage ın Hitlerdeutschland (sogenannte Aprilresolution). In: Rundschau. Basel (1935)22. S. 1103f. — Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CDROM ... Zeitdokumente. Dokument Nr. 8.

135

unter einigen Teilen der Werktätigen abzuschwächen. Dadurch gelang es dem Faschismus, größere Teile der Werktätigen chauvinistisch zu beeinflussen.« Und zur Stimmungslage unter den Arbeitern wurde festgestellt: »Gleichzeitig unternimmt

Jedoch der Faschismus ernsthafte Versuche, um Teile der qualiıfizierten Arbeiterschaft (besonders der Rüstungsindustrie und

(der) lebenswichtigen Betriebe) durch Sonderbegünstigungen

(höhere Löhne, Urlaub, Angestelltenverhältnis für Arbeiter) zu

gewinnen bzw. zu neutralisieren und sie dadurch für seine Kriegspolitik dienstbar zu machen. Unter dem Schutzwall der chauvinistischen Welle führt er gegen die revolutionären Arbeiter, insbesondere gegen ihre Avantgarde, die KPD, als den Organisator der proletarischen Einheitsfront gegen Kapitalsangriffe und faschistische Kriegspolitik, einen wütenden Terrorfeldzug durch.« Die Resolution widerspiegelte Merkmale der eingetretenen Konsolidierung des Regimes. Die Ergebnisse der Vertrauensrätewahlen im Frühjahr 1935?! wurden von der Mehrheit der

KPD-Führung und von Komintern-Funktionären dagegen als

ein Zeichen gedeutet, daß die Mehrheit der Arbeiter dem Re-

gime nach wie vor Widerstand leistet. So gab es wenig später heftige Kritik an der Resolution. Ihr wurde »panikartige Eın-

stellung« und »Übertreibung der objektiven Schwierigkeiten« unterstellt.‘*” Da Hermann Schubert und Fritz Schulte die Resolution in ihrem Anliegen verteidigten, verquickten sich die Schwierigkeiten der Lageeinschätzung noch mit den häufig persönlich zugespitzten Problemen des Gruppenkampfes im Polbüro. Nicht nur für die Kommunisten im Saargebiet veränderten sich mit dem Anschluß am 1. März 1935 dramatisch ihre Lebens21

Am 1l. und 12. April 1935 fanden die Wahlen zu den Vertrauensräten in den Betrieben statt. Etwa 90 Prozent der Stimmberechtigten nahmen daran teil. Jeder vierte Arbeiter und Angestellte nahm in ähnlicher Form wie im Jahr davor gegen die von den Unternehmern und Nazis aufgestellten Kandidaten Stellung. Danach wurden in den folgenden Jahren bis zum Ende der Nazidiktatur keine Vertrauensrätewahlen mehr durchgeführt. 22 Diskussionsbeitrag von Fritz Heckert. In: Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Bl. 839.

136

und Kampfbedingungen. Die politische Überwachung und

Verfolgung ım Land verstärkte sich. Fritz Husemann, seit 1919 Vorsitzender des Verbandes der Bergarbeiter Deutschlands, seit 1930 Vizepräsident der Bergarbeiter-Internationale ım Internationalen Gewerkschaftsbund und SPD-Reichstagsabgeordneter wurde am

10. März

1935 erneut verhaftet, nachdem

er Klage gegen die DAF und ihren Vorsitzenden Robert Ley eingereicht hatte. Am 15. April ermordeten ihn SS-Leute ım KZ Esterwegen. Am 6. Juni wurde der Hamburger KPD- und RFB-Funktionär Fritz (Fiete) Schulze trotz weltweiter Proteste hingerichtet. Am 17. Dezember 1935 starb Rudolf Claus, Mitglied der illegalen Reichsleitung der Roten Hilfe, auf dem

Schafott. Die Gestapo berichtete, daß sie 1935 rund 15.000

/ Kommunisten verhaften ließ.” Be21rl_»Vermenschlichung des Kapitalismus« und von »Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel«. Der Gouverneur von Louisiana, Huey Long, hält Reden über die »Aufteilung der Reichtümer«. Der demokratische Schriftsteller Upton

Sinclair,

der seine

Kandidatur

für den

Posten

eines

Gouverneurs von Kalifornien aufstellte, trat mit der Losung auf: >»Beendet die Armut in Kalifornien.« Diese Methoden der Agitation und Propaganda der Faschisten und vieler anderer bürgerlicher Parteien und ihrer Führer zeigen, daß die Bour45

Wilhelm

Pieck:

Rechenschaftsbericht über die Tätigkeit des Exekutiv-

komitees der Kommunistischen (1935)37. S. 1773.

Internationale.

In:

Rundschau.

Basel

147

geoisie sich schwach fühlt, daß sie bereits niıcht mehr imstande ist, ihre Herrschaft durch offenes Eintreten für den Kapitalismus vor den Massen zu rechtfertigen.«“° Die problematische Beurteilung der Rooseveltschen Politik

veranlaßte Dimitroff, in seinem Schlußwort noch einmal dar-

auf einzugehen. »Ist etwa die Behauptung einzelner Genossen, daß die »neue Aera«

Roosevelts

eine noch

klarere,

schärfere

Form der Entwicklung der Bourgeoisie zum Faschismus sei als zum Beispiel die »nationale Regierung« Englands nicht ein Ausdruck einer solchen schematischen Stellungnahme? Es gehört schon eine starke Dosis von Schematismus dazu, um nicht zu sehen, daß die reaktionären Kreise des amerikanischen Finanzkapitals, die Roosevelt attackieren, vor allem ge-

rade jene Kräfte darstellen, die die faschistische Bewegung in den Vereinigten Staaten anspornt und organisiert.«“7 Wilhelm Pieck befand sich mit dem Rechenschaftsbericht des

EKKI in dem Dilemma, einerseits die Kontinuität in der Politik

der Führung der Komintern zu beweisen und zu wahren, andererseits die Notwendigkeit einer neuen Politik zu begründen, ohne die bisherige Politik des EKKI oder der russischen Partei

zur Diskussion zu stellen. In der Tat fehlte auf dem

Kongreß

eine direkte Kritik an der bisherigen politischen Linie der Komintern. In der Entschließung zu dem von Wilhelm Pieck erstatteten Bericht über die Tätigkeit des EKKI wurde vielmehr dessen politische Linie und praktische Tätigkeit gebilligt.‘ Gegenstand der Kritik bei Pieck sowie bei Dimitroff und anderen Rednern waren Mängel und Fehler bei der Anwendung der Komintern-Linie, die sich zudem noch gegen »einige

Sektionen« oder auch gegen einzelne direkt genannte Parteien

richteten.

Angesprochen

wurden

diesbezüglich

»doktrinäre

Beschränktheit« und »Sektierertum«, eine verspätete Durchführung der Einheitsfront, Nichtverstehen des Kampfes zur Verteidigung der »Reste« der bürgerlichen Demokratie, Ge46 Wilhelm Pieck: Über die Tätigkeit des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale. In: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Resolutionen. Berlin 1975. S. 66

47

Rundschau.

Basel (1935)66.

S. 2602.

48 Siehe VII. Kongreß der Kommunistischen Resolutionen. Berlin 1975. S. 299.

148

Internationale. Referate und

ringschätzung der Arbeit in den reformistischen und faschistischen Gewerkschaften, Unterschätzung der Arbeit unter den werktätigen Frauen sowie unter der Bauernschaft und unter den Massen des städtischen Kleinbürgertums.“ Was die Ursachen für die bisherige politische Linie und die Auseinandersetzung mit ihr selbst betrifft, so fehlte in den Hauptdokumenten

eine direkte Kritik. Gerügt wurde lediglich, daß den Sektionen die politische Hilfe des EKKI mit Verspätung zuteil geworden ist.° Die

Kritik, die an einigen

Sektionen

geübt wurde,

be-

nannte so gewissermaßen nur Auswüchse und Ubertreibungen einer an und für sich nicht angreifbaren politischen Generallinie. Pieck sprach von der Richtigkeit der vom VI. Weltkongreß 1928 gegebenen Einschätzung, »daß die anbrechende neue dritte Periode der Nachkriegsentwicklung die Pe-

riode der Verschärfung aller Gegensätze des Kapitalismus, die Periode eines neuen revolutionären Aufschwungs und der Erschütterung der Stabilisierung des Kapitalismus ist. Wir ze1g-

ten auf, daß nicht eine friedliche

Entwicklung,

sondern

die

Verschärfung des Klassenkampfes und das Ansteigen der Gefahr eines neuen imperialistischen Krieges bevorstehe.«” Doch gerade diese Auffassung von der dritten Periode der

allgemeinen Krise, des neuen Turnus von Revolutionen und Kriegen, hatte die Komintern die kommunistischen Parteien auf einen ultralinken Kurs orientieren lassen, der auf die prole-

tarische Revolution als Nahziel setzte und die Realitäten des politischen Kampfes überdeckte. Die KI war der Selbsttäuschung von einer breiten Linksentwicklung der Massenbasıs innerhalb der sozialdemokratischen Parteien erlegen. Die praktische Schlußfolgerung war die Zuspitzung des Kampfes gegen

die

Sozialdemokratie,

in der man

das

entscheidende

Hindernis für die erwartete Revolutionierung der Arbeiterklasse erblickte. Piecks Argumentation, die Kommunisten hätten

mit ihren Analysen und ihrer Politik recht gehabt, die Sozıal-

demokraten

49 50

51

und rechten Opportunisten

dagegen

mit ihren

Siehe ebenda. S. 300. Siehe ebenda. S. 300f.

Wilhelm

Pieck:

Rechenschaftsbericht über die Tätigkeit des Exekutiv-

komitees der Kommunistischen (1935)37. S. 1754.

Internationale.

In:

Rundschau.

Basel

149

Theorien Bankrott erlitten, war eine zu einfache politische Schablone. Der SPD wurde allein die historische Verantwortung am Sieg des Faschismus ın Deutschland angelastet. Das mußte eine differenzierte Eigenbilanz der Komintern und der KPD erschweren. Georgi Dimitroffs Referat »Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale ım Kampfe für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus«, gehalten am 2. August 1935 in der Vormittagssitzung des neunten Verhandlungstages, und noch mehr sein Schlußwort zur Diskussion brachten die kritische Atmosphäre, das Ringen um neue Positionen ein. Jene Delegierte, die Kritik und Meinungsaustausch als notwendige Bedingung für eine sich erneuernde Politik der Komintern ansahen, fühlten sich beson-

ders durch Georgi Dimitroff bestätigt. Im Vorfeld des Kongresses waren wichtige Studien zur Imperialismus- und Faschismusanalyse entstanden, auf die siıch Georgi Dimitroff stützen konnte.° Aus der Vielzahl der Artikel und Veröffentlichungen seien zwei besonders bemerkenswerte Buchpublikationen herausgehoben: das Buch von Rajanı Palme Dutt »Fascism and Social Revolution. A Study of Economics and Politics of the Extreme Stages of Capitalısm ın Decay«” und Hans Günthers »Der Herren eigener Geist. Die Ideologie des Nationalsozialismus«.°* Letzteres, kurz vor dem Kongreß in Moskau erschienen, fanden alle Delegierten auf ihren Plätzen. Bei seiner Analyse des Faschismus ging Dimitroff von der ın den Thesen des XIII. EKKI-Plenums vorgenommenen Bestimmung des Klassencharakters des Faschismus »als der offen terroristischen Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanz52 Siehe Elfriede Lewerenz: Die Analyse des Faschismus durch die Kommunistische Internationale. Berlin 1975. 53 Siehe Rajani Palme Dutt: Fascism and Social Revolution. A Study of Economics and Politics of the Extreme Stages of Capitalism in Decay. New York 1935.

54

Siehe

Hans

Günther:

Der

Herren

eigner

Geist.

Ausgewählte

Hrsg. von Werner Röhr unter Mitarbeit von Simone Weimar 1981.

150

Schriften.

Barck. Berlin und

kapıtals« aus, präzisierte sie allerdings durch den Zusatz »der Faschismus an der Macht«. Die Aussage über das Klassenwesen des Faschismus sollte den wirklichen Charakter des Faschismus vor den Massen klarstellen, den die soziale Demagogie verschleiere. Denn, so Dimitroff, »wenn sie seinen

wirklichen Klassencharakter, seine wahre Natur begriffen hätten«, wäre der überwiegende Teil der Anhänger des Faschismus diesem niemals gefolgt. Die Präzisierung charakterisierte das Klassenwesen der faschistischen Staatsmacht als eine Form monopolkapitalistischer Herrschaft, und zwar die Form, in der die reaktionärsten, aggressivsten Kräfte bestimmenden Einfluß auf die Innen- und Außenpolitik ausüben. Sie grenzte diese sozialökonomischen Träger gegenüber der faschist!schen Massenbasis ab, die sich vorwiegend aus kleinbürgerlichen Schichten zusammensetzte. Bei allen Schwächen der von der KI gebrauchten Formel wurde hier immerhin eine Differenzierung zwischen den genannten großkapitalistischen Kreisen und dem vorgenommen,

was etwa Lenin meinte, als

er von der liberalen und sogar von der pazifistischen Fraktion der Bourgeoisie sprach.° Sie führte zu einer Überwindung undifferenzierter Gleichsetzungen zwischen Faschismus und Kapitalismus, und mit ihr erfolgte die Begründung einer neuen breiten Bündnispolitik der kommunistischen Parteien gegen die Offensive des Faschismus und die von ihm ausgehende Kriegsgefahr. Florin versuchte in seinem Diskussionsbeitrag am 3. und

4. August 1935 zum Referat Dimitroffs diese Problematik folgendermaßen darzustellen: »Wir sehen in Deutschland eine in

der Geschichte des Imperialismus noch nicht erreichte Macht-

stellung des Trustkapitals, eine weitgehende Verflechtung mit

dem

Staat, alles beherrschende

wirtschaftliche

Kommando-

stellen, von den Trusts dirigiert. Ein- und Ausfuhr kontrollierende und bestimmende Organe geben den Trusts Hilfsmittel im Konkurrenzkampf und im Machtkampf ım Innern. Ihr (müssen) sich alle kleinen Wirtschaftsgruppen und Außensei55 Siehe Dietrich Eichholz: Der Weg nach Auschwitz. Stationen der Nazifizierung des deutschen Großkapitals. In: Manfred Weißbecker/Reinhard Kühnl

(Hrsg.):

S. 112ff.

Rassismus,

Faschismus,

Antifaschismus.

Köln

2000.

151

ter beugen. Der ganze Außenhandel ist ihren politischen Zielen unterstellt. Durch Konzentrierung der Verfügungsgewalt über alle Geldinstitutionen mobilisieren die Finanzmagnaten die letzten Mittel und Reserven für die Aufrüstung, für ihr Ziel, den imperlalistischen Raubkrieg. Mit Hilfe der landwirtschaftlichen Zwangsorganisationen und der Zwangsregelung des landwirtschaftlichen Produktions- und Marktwesens hat das Finanzkapıtal seine Herrschaft über die zersplitterte Mittel- und Kleinwirtschaft in einem zuvor nie möglichen Maße aufrichten können. In ähnlicher Weise hat es sich das durch die Zwangs-

innungen

zusammengefaßte

Handwerk

weitgehend

seiner

Kontrolle unterworfen. Das alles charakterisiert den heutigen

deutschen Imperialismus und die Funktion des Faschismus. Dieser Prozeß verstärkt sich noch im Übergang von der Krise zur Depression besonderer Art [...]

Diese kapitalistisch-faschistische Zwangswirtschaft führt zu einer gesteigerten Bereicherung der Finanzkapitalisten, aber zugleich

zu

einer

unerhörten

Ausräuberung

aller

übrigen

Schichten. Das führt zu einer Vertiefung der grundlegenden Klassenwidersprüche, zu erhöhten Schwankungen der Mittelschichten und zur zeitweiligen schroffen Zuspitzung im Lager

der Bourgeoisie,

unter dauernder

Unterhöhlung

und

Bedro-

hung der Totalität der faschistischen Partei. Das alles zusammengenommen erklärt die ungeheuren Spannungen, die dem gesamten gesellschaftlichen Leben in Deutschland ihren Stempel aufdrücken.«*® Das Aufspüren von Differenzen und Widersprüchen in den verschiedenen Gesellschaftsschichten durch die Entwicklungstendenzen des Kapitalismus hin zur Vertrustung und der Verflechtung mit dem Staat blieb das entscheidende Moment für die Kommunisten. Der Gedanke, daß die staatsmonopolistische Regulierung ein faschistisches Regime stabilisieren kann, fand keinen Eingang in die Diskussion. Dagegen lösten Florins Außerungen zur Totalität der faschistischen Partei einen Disput über das Verhältnis Monopolbourgeoisie und Nazipartei aus. Die im Resolutionsentwurf zum Referat Dimitroffs gefundene Formulierung, daß der Faschismus »lediglich die Rolle eines Lakaien der Großbourgeoisie«

56 SAPMO-BArch.

RY5S/I 6/3/26. Bl. 63.

spiele, setzte sich

aber gegen Überlegungen durch, die Rolle der NSDAP als einer selbständigen Kraft genauer zu bestimmen.

Andere Fragenkomplexe wie die komplizierte Inthronisierung des Nazi-Regimes, die Mechanismen des Machtverhältnisses von

deutschen

Wirtschaftseliten

und

NSDAP,

dem

Unter-

schied zwischen faschistischer Diktatur und bürgerlicher Demokratie, dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft und den Verselbständigungstendenzen der politischen Führung konnten mit dieser »Definition« nicht hinreichend beantwortet werden. Dimitroff war sich der Begrenztheit dieser Definition zu-

mindest teilweise bewußt,

wenn

er feststellte, daß man

sich

den »Machtantritt des Faschismus nicht so glatt und einfach vorstellen« sollte, »als faßte irgendein Komitee des Finanzkapitals den Beschluß, an dem und dem Tage die faschistische Diktatur aufzurichten«. Bemerkenswert war auch der Hinweis in seinem Schlußwort, den Hang zu ausgeheckten Schemata und Schablonen aufs schonungsloseste auszurotten und seine Warnung, daß »keinerlei allgemeine Charakteristik des Faschismus, mag sie an sich noch so richtig sein«, der Pflicht enthebt, »die Eigenart der Entwicklung des Faschismus und der verschiedenen Formen der faschistischen Diktatur in einzelnen Länden und in verschiedenen Etappen konkret zu studieren und zu berücksichtigen«.°”” Die spätere Eingrenzung kommunistischer Faschismusanalyse auf die sogenannte DimitroffFormel als einer »allgemeinen Faschismusdefinition«, seı es in der kommunistischen Bewegung selbst, sei es in polemischer Absicht, greift deshalb zu kurz.

Auf dem

Kongreß

wurde zugleich die Aufgabe

formuliert,

deutlicher den Unterschied des Faschismus zu anderen reaktionären Herrschaftsformen zu bestimmen. Palme Dutt hatte

gefordert, den sehr verschiedenen Charakter des Faschismus

scharf herauszuarbeiten und ihn nicht »im Grad seiner Reaktion, seines Terrors oder Chauvinismus zu sehen, sondern in 57 Georgi Dimitroff: Schlußwort zur Diskussion des zweiten Hauptreferates auf dem VII. Weltkongreß der Komintern. 13. August 1935. In: Georgi Dimitroff: Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften. Hrsg. von Rolf Richter. Leipzig 1982. S. 140.

153

dem besonderen sozialpolitischen Mechanismus zur Durchführung dieses Terrors, d. h. ın dem besonderen System sozlialer Demagogie, das den Zweck verfolgt, [...] eine »reaktionäre Massenbewegung« [...] zu schaffen«.” Palme Dutt sah ın dem Ziel, eine reaktionäre, militante Massenbewegung zu schaffen, ein konstitutives Element des Faschismus, was ıhn

von anderen reaktionären Herrschaftsformen bzw. Parteien unterschied. Das bedeute aber nicht, daß sie unbedingt Voraussetzung für die Errichtung der faschistischen Diktatur sei, aber als Ziel seı sie dem Faschismus immanent. Die Frage der faschistischen Massenbasis wurde auf dem Kongreß als eine erstrangige Angelegenheit gesehen, die im bedeutenden Maße die Effektivität des kommunistischen Kampfes gegen den Faschismus bestimmt. Dazu gehöre es, seine Wirkung auf verschiedene Schichten des Volkes allseitig zu benennen und seine Machtmechanismen konkret zu analysieren. Weitere Erkenntnisse betrafen die klare Unterscheidung zwischen den verschiedenen Staatsformen bürgerlicher Herr-

schaft.

Deutlich

Faschismus

wurde

formuliert,

daß

der Machtantritt

des

nicht die einfache Ersetzung einer bürgerlichen

Regierung durch eine andere sei, »sondern die Ablösung einer

Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, der bürgerlichen Demokratie, durch eine andere, durch die offene terroristische Diktatur«.” Diese Präzisierung machte nicht nur gegen die Verwässerung und den inflationären Gebrauch des Faschismusbegriffs Front, sondern kennzeichnete die neue Qualität der faschistischen Offensive und ermöglichte es, das Verhältnis der Kommunisten zur bürgerlichen Demokratie neu zu bestimmen. Die Ignorierung des Unterschieds zwischen den Staatsformen, so stellte Dimitroff in seinem Referat fest, wäre eın ernster Fehler. Sie würde das revolutionäre Proletariat daran hindern, »die breitesten Schichten der Werktätigen in Stadt und Land zum Kampfe gegen die Gefahr, daß die Faschisten die Macht ergreifen, zu mobilisieren sowie die Gegensätze auszunutzen, die im Lager der Bourgeoisie selbst 58 Zit. nach ebenda. S. 131. 59 VII. Kongreß der Kommunistischen lutionen. Berlin 1975. S. 94.

154

Internationale. Referate und Reso-

bestehen«.° Während des Kongresses traten noch erhebliche Unsicherheiten zutage, wenn es darum ging, an demokratische Traditionen anzuknüpfen, positive demokratische Forderungen zu formulieren und die Haltung zur bürgerlichen Demokratie zu bestimmen. Deshalb forderte Dimitroff in seinem Schlußwort noch einmal die Kommunisten dazu auf, sich stärker an den Hinweisen Lenins zu orientieren über die Notwendigkeit, das Proletariat im allseitigen konsequenten Kampf um Demokratie zu schulen. Dem Kampf um Demokratie müsse ein höherer, eigener Stellenwert in der Politik der Kommunisten eingeräumt werden, denn »gegenwärtig haben die werktätigen Massen

in einer Reihe von kapitalistischen Län-

dern konkret für den heutigen Tag zu wählen, nicht zwischen proletarischer Diktatur und bürgerlicher Demokratie, sondern zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus«.”

Dieses Herangehen bewirkte auch eine neue Sicht auf nichtfaschistische, kapitalistische Staaten. Der VII. Kongreß der KI

berücksichtigte die zu jener Zeit in Europa vorhandene Situat!-

on, daß mit der Nazi-Diktatur in Deutschland eine Gefahr für die bürgerliche Demokratie und ein akuter Herd der Kriegsvorbereitung entstanden waren. Palmiro Togliatti untersuchte in seinem Referat »Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale« diese Problematik. Bei der Behandlung des Zusammenhangs von Faschismus und Krieg wurde berücksichtigt, daß die nationale Unabhängigkeit vieler Staaten, ja die Existenz ganzer Völker durch den besonders aggressiven deutschen Faschismus bedroht ist. Die Komintern sah nunmehr einen Gegensatz zwischen den aggressiven, zum Krieg treibenden Kräften des Imperialismus und den Völkern, einschließlich der an der Erhaltung des Friedens interessierten kapitalistischen Staaten, wodurch sich für sie eine neue mögliche Breite der Friedensfront ergab. Togliatti forderte alle Kräfte auf, die den Krieg nicht wollen, sich in einer möglichen Friedensfront zu vereinen: »sozialdemokratische Arbeiter, pazifistisch gesinnte 60 Ebenda. 61 Georgi Dimitroff: Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften. Leipzig 1982. S. 153f.

155

Massen,

Frauen,

Kinder,

nationale

Minderheiten,

die vom

Krieg bedroht sind«®* und ebenso bürgerliche Regierungen, »die ım gegenwärtigen Moment an der Erhaltung des Friedens interessiert sind«.°

Die Abkehr vom ultralinken sektiererischen Kurs, die mit

dem VII. Weltkongreß einherging, führte auch zu neuen Überlegungen in der Einheitsfrontpolitik. Mit der Taktik des »TroJanischen Pferdes«** sollte der Versuch unternommen werden, verlorengegangenen Einfluß in der Arbeiterklasse zurückzugewinnen. Die Vorstellung vom »Trojanischen Pferd« beinhaltete für die

Kommunisten,

dort wirksam

zu werden,

wo

die

Massen waren. Dazu sollten legale und halblegale Möglichkei-

ten ausgenutzt werden.

Die Arbeit in den von den Faschisten

beherrschten Massenorganisationen bot einen Ansatzpunkt, um den Widerspruch zwischen den faschistischen Versprechungen und deren Realisierung und den Interessen der Massen aufzudecken und auf diese Weise bessere Voraussetzungen für den Kampf gegen die faschistische Diktatur zu schaffen. Allerdings mußte Georgi Dimitroff eingestehen, daß »unsere Erfahrungen in der erfolgreichen Bekämpfung der faschistischen Diktatur äußerst gering sind«, denn in Italien sei es in

den 13 Jahren nicht gelungen, einen wirksamen Massenkampf

gegen den Faschismus an der Macht zu entwickeln. Deshalb verfüge man über nur wenige positive Erfahrungen.

62

Palmiro Togliatti: Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale. In: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Resolutionen. Berlin 1975. S. 223. 63 Resolution zum Bericht von Palmiro Togliatti. In: Ebenda. S. 326. 64 Dimitroff hatte in seiner Rede auf dem VII. Weltkongreß der Komintern die Notwendigkeit der legalen und halblegalen Arbeit der Kommunisten in den faschistischen Massenorganisationen mit dem Hinweis auf die Sage über die Einnahme Trojas verdeutlicht: »Troja hatte sich vor dem angreifenden Heer durch unbezwingbare Mauern geschützt. Und das angreifende Heer [...] konnte den Sieg nicht erringen, bis es ihm gelang, mit Hilfe des trojanischen Pferdes in das Innere, in das Herz des Feindes einzudringen. Mit scheint, wir revolutionären Arbeiter dürfen nicht Anstoß daran nehmen, die gleiche Taktik gegenüber unserem faschistischen Feinde anzuwenden, der sich vor dem Volke durch eine lebendige Mauer seiner Mordbuben

156

schützt.« (Rundschau.

Basel (1935)39.

S. 1836).

Mit der Verabschiedung von der Sozialfaschismus-These, die die kommunistischer Faschismusanalyse konterkariert hatte, ewann die Komintern neuen Spielraum für die Einheitsfrontpolitik und die Bestimmung ihres Verhältnisses zur Sozlaldemokratie. Sie formulierte als Hauptaufgabe des Kampfes gegen den Faschismus die Herstellung der Einheitsfront der Arbeiterklasse. Dafür sah sie neue Möglichkeiten infolge der Differenzierungsprozesse, die sich in der Sozialdemokratie aufgrund ihrer veränderten Lage vollzogen. Der Kongreß nahm mit der Politik der Arbeitereinheitsfront die von den kommunistischen Parteien in den Jahren 1921 bis 1923 verfolgte Taktik wieder auf und nutzte die Erfahrungen, die seit 1934 in Frankreich, Spanien und anderen Ländern unter den Bedingungen des Kampfes

gegen

den

Faschismus

gewonnen

wurden.

Gemäß

der vom Kongreß umrissenen politischen Plattform sollten sich um die Einheitsfront mit sozialdemokratischen und Arbeitern anderer Richtungen Angehörige der städtischen und ländlichen Mittelschichten

spruch wurde

rückgenommen.

sammeln.

Der kommunistische

durch den Kongreß

Führungsan-

zumindest teilweise ZzU-

Tatsächlich entfachte der Kongreß einen »Wirbelwind von frischer Luft«® in der kommunistischen Bewegung, wie der Schweizer Kommunist Jules Humbert-Droz unter dem Eındruck der kritischen und konstruktiven Rede Georgi Dimitroffs an seine Frau schrieb. Der Kongreß schien angesichts der verhängnisvollen Folgen der Spaltung der Arbeiterbewegung und der bisherigen kommunistischen Politik den Weg freizumachen zur Sammlung aller Antifaschisten. Zu seinen Widersprüchen gehörte indessen, daß es nicht gelang, sich vom Konzept der Weltrevolution und der damit verbundenen Sicht vom zwangsläufigen Niedergang des Kapitalismus zu verabschieden. Er hielt fest an der Einschätzung vom Eintritt in die dritte Periode der Nachkriegsentwicklung, die durch die

Verschärfung aller Gegensätze des Kapitalismus gekennzeichnet und die Periode eines neuen revolutionären Aufschwungs

sei. Die festgelegte Kurskorrektur enthielt zwar Ansatzpunkte, 65

Jules

Humbert-Droz:

1941. Neuchätel

Memoires.

1972. S. 131.

Dix

ans

de

lutte

antifasciste

1931-

157

vor allem bei der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie sowie in den Betrachtungen über die Notwendigkeit von Übergangsperioden,® erbrachte aber nicht den notwendigen Durchbruch. Auf der Grundlage weiterer Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg und während des Zweiten Weltkrieges konnte jedoch an diese Überlegungen angeknüpft werden. Die Durchschlagskraft der neuen Linie wurde entscheidend dadurch gehemmt, daß man schon auf dem Kongreß und unmittelbar danach versuchte, die alten Standpunkte mit den neuen zu versöhnen.° Im Grunde genommen verfolgte der Kongreß die Argumentationslinie von einer sogenannten Schere zwischen richtigen Beschlüssen und nicht richtiger Durchführung, die auch von der Führung der KPD

verbreitet wurde.®

lange Zeıit

Für einen kurzen historischen Zeitraum gerieten die Erfordernisse und Zwänge des antifaschistischen Kampfes in Europa, die die Korrektur der irrwitzigen Sozialfaschismus-These und eine flexiblere Haltung zur parlamentarischen Demokratie erforderten, in eine vage und instabile Kongruenz mit Stalins außenpolitischen Intentionen. So fragil diese Konstellation auch war, sie existierte fort und intendierte in historischer Phasenverschiebung bemerkenswerte Politikansätze. Die Konzepte von 1935 bewirkten aber eben keine Wende in der Politik der Komintern. Sie gerieten bei der Veränderung der polıtischen Großwetterlage in den folgenden Jahren in den Sog des Stalinschen Machtkalküls,

für das die Komintern

zuneh-

mend zum Störfaktor wurde. Gleichzeitig wirkten Orientierungen des Weltkongresses im antifaschistischen Widerstand noch nach, als ihre Initiatoren sie schon wieder preisgegeben

hatten. 1935 ist insofern eher eine verlorene Wende.

Das Deutungsmonopol über den VII. Weltkongreß der Kom-

intern und die »Brüsseler Konferenz«

der KPD

hatte für die

66 Siehe Georgi Dimitroff: Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften. Leipzig 1982. S. 145ff. 67 Siehe B. M. Lejbzon/K. K. Sirinja: Povorot v politike Kominterna. Moskau 1975. S. 365f. 68 Siehe Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Bl. 1583f.

158

Geschichtspolitik der SED einen hohen Rang. Standen sie doch ın ihrem Geschichtsbild für die Fähigkeit von KPD und Komintern zur selbstkritischen Erneuerung und schöpferi-

schen Theorieentwicklung. Insofern kam ihr gleichsam eine Scharnierfunktion zu. Die entscheidende Schwäche beider

Konferenzen, eine gravierende Kurskorrektur ohne definitiven Bruch mıt zurückliegenden Fehlentwicklungen zu versuchen, machten sie in ihrer gestutzten Überlieferung zum idealen In-

strument einer Denkfigur, die bis zur späten Honecker-Ära Ausdruck der Denkblockade eınes erstarrenden Systems wurde: Kontinurtät und Erneuerung. Das Pendant zu Kontinuität:

Diskontinurtät war suspekt.

»Die Selbstkritik ... (als) unbedingt notwendige Voraussetzung einer solchen Wendung«

Anspruch und Realität der »Brüsseler Konferenz« der

KPD

Nach dem Weltkongreß der Komintern trat die Vorbereitung der Parteikonferenz der KPD in die entscheidende Phase. Allerdings war ein konkreter Termin für ihren Beginn noch nicht festgelegt. Im Polbüro herrschte auch nach dem Weltkongreß keine Übereinstimmung über das Vorgehen hinsichtlich der politischen Linie sowie bei den anstehenden Personalentscheidungen. Immer wieder wurde der Termin der Konferenz ver-

schoben.® Erst am 6. August

1935 legte das Polbüro dıe

Tagesordnung der Parteikonferenz fest. Sie beinhaltete: 1. Tätigkeitsbericht des Zentralkomitees;

2. Bericht über den VII.

Komintern-Kongreß und die daraus resultierenden Aufgaben der KPD; dazu je ein Korreferat über den Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften in Verbindung mit der Tätigkeit in der

Arbeitsfront sowie über die Gewinnung der werktätigen

Jugend

für die Einheitsfront; 3. innerparteiliche Fragen (Agitation, Presse, Propaganda, organisatorischer Aufbau, Konspiration); 4. Neuwahl des Zentralkomitees. Zur Vorbereitung der Referate und Resolutionen für die einzelnen Punkte der Tagesordnung wurden fünf Kommissionen gebildet. Für den Tätigkeitsbericht war Pieck und für den Kongreßbericht Florin vorgesehen. Dahlem sollte das Referat über die innerparteilichen Fragen halten und Ackermann als 69 Am 17. August war der Beginn der Konferenz auf den 5. September festgelegt worden. Nachdem der Termin wiederholt verschoben werden mußte, begann die Konferenz am Abend des 3. Oktober 1935. Zur organisatorischen und inhaltlichen Vorbereitung siehe detailliert Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Einleitung.

160

Korreferent zur Jugendfrage auftreten. Der Referent für das Korreferat zur Gewerkschaftsfrage wurde noch nicht be-

stimmt, weil offenbar neben Ulbricht auch Schulte darauf beharrte, als Redner auf der Konferenz aufzutreten. Die erbitterten Rangeleien in der KPD-Führung spitzten sich,

wie Wilhelm Pieck in seinen »Handschriftlichen Notizen« ın Vorbereitung auf die »Brüsseler Konferenz« festhielt, bei der Besetzung der Referenten zu.’” So forderte Hermann Schubert ein eigenes Referat, weil er bisher keine Gelegenheit erhalten hätte, seinen Standpunkt darzulegen. In einen Brief an Dimitroff beschwerte

er sich, daß er und

Fritz Schulte

seit

Monaten, besonders seit Walter Ulbricht wieder in Moskau sei, von jeder Mitarbeit ausgeschlossen wurden. Außerdem würden Gerüchte in der Delegation über ihren Ausschluß aus

der Führung kursieren, die von Äußerungen Wilhelm Piecks

herrührten.’ Auch zwischen Wilhelm Florin und Wilhelm Pieck waren die Auseinandersetzungen nicht beendet, wie das Tauziehen um die Arbeitsteilung bei den Referaten und dann über die Reihenfolge der Redner verdeutlichte. Beide standen faktisch gleichberechtigt an der Spitze, sie waren beide als Führer der KPD-Delegation für den VII. Weltkongreß festgelegt worden. Da die Komintern-Führung, namentlich Wilhelm Knorin als Leiter des Mitteleuropäischen Ländersekretarlats, zögerte, eine Klärung in dieser Angelegenheit herbeizuführen, warf Wilhelm Pieck selbst in einem Schreiben vom 7. September an Georgi Dimitroff und Dmitri Manuilski die Frage nach seiner künftigen Rolle in der Führung der KPD auf. Pieck sprach sich gegen eine kollektive Führung an der Spitze aus und hob hervor, daß er sowohl

in der Komintern

als auch in der KPD sowie unter Sozialdemokraten eine große Autorität besäße, die mehr für die eigene Partei ausgenutzt werden sollte. Er hielt sich auch mit Kritik an Florin nicht

zurück, der durch sein schwankendes Verhalten Schubert und Schulte in ihrem fraktionellen Auftreten bestärkt habe. »Mein

vorschlag geht dahin«, schrieb er, »daß ıhr jetzt schon dem

/

70 Siehe SAPMO-BArch. RY1/I 1/1/43. Bl. 1137.

7}

Siehe Brief von Hermann Schubert an Georgi Dimitroff.

1935. In: SAPMO-BArch. RY5S/I 6/10/64. Bl. 67/68.

19. September

161

Genossen Florin und später dem Kollektiv der neuen Führung zu erkennen gebt, daß ich in diesem Kollektiv eine besonders verantwortliche Position habe.«”* Über das notwendige Ausmaß der Korrektur des politischen Kurses der KPD gab es innerhalb der Parteiführung wie unter den Delegierten aus dem Lande nach wie vor unterschiedliche Auffassungen. Ebenso ließen die Konferenz-Materialien keine klare Linie erkennen. Während das Informationsmaterial »Der Zweifrontenkampf und die Bolschewisierung der Partei seit dem VI. Weltkongreß«’* nahezu unkritisch die ultralinke politische Linie der KPD seit 1929 bekräftigte, benannte der kurz vor Beginn der Konferenz den Delegierten übergebene Entwurf der politischen Resolution”* wesentliche Mängel und Fehler der Parteipolitik und zeigte deutlich politische Neuansätze. Es konnte nicht ausreichen, auf der »Brüsseler Konfe-

renz« im herkömmlichen Sinne Bilanz zu ziehen. Es galt, das ganze Ausmaß der Niederlage der Arbeiterbewegung und damit auch der Politik der KPD realistisch zu erfassen. Auf der Tagesordnung standen einschneidende Korrekturen des seit Ende der zwanziger Jahre dominierenden linkssektiererischdogmatischen Kurses und eine Neubestimmung des Verhältnisses zu anderen antinazistischen Kräften, vor allem zur SPD.

Es zeigte sich jedoch, daß die inhaltliche Vorbereitung der Konferenz

nicht ausreichte,

um

die Komintern

zufriedenzu-

stellen. Die Stellungnahme der vom EKKI-Sekretariat eingesetzten Kommission auf der Polbürositzung am 16. September 72 SAPMO-BArch. NY 4036/538. Bl. 84. 73 Siehe Materialien für die Delegierten der Parteikonferenz. In: SAPMOBArch. RY1/I 1/1/42. — Die Materialien, die bereits den KPD-Delegierten des VII. Komintern-Kongresses vorgelegen hatten, enthielten noch vier weitere Studien: »Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Deutschland zwischen dem VI. und VII. Weltkongreß der KI«, »Der Kampf der Partei um die städtischen Mittelschichten«, »Die Gewerkschaftsarbeit der KPD von 1928-1935« sowie »Unsere Helden und Kämpfer«. 74 Der Entwurf der Resolution »Der neuc Weg zum gemeinsamen Kampfe aller freiheitliebenden Deutschen für den Sturz der Hitlerdiktatur« siehe Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Beschlüsse. - Der Entwurf war von einer Kommission unter Leitung von Pieck ausgearbeitet worden (siehe SAPMO-BArch. NY 4036/490).

162

1935 zu den Ausarbeitungen von Pieck und Florin waren ernüchternd. Palmiro Togliatti erklärte, »daß die Kommission mit dem von Florin ausgearbeiteten Referat als Bericht über die

konkrete Anwendung der Beschlüsse des VII. Weltkongresses nicht einverstanden sei und daß auch in dem von Pieck ausgearbeiteten Tätigkeitsbericht Mängel vorhanden seien, besonders das Fehlen einer politischen Plattform«.”” Togliatti forderte das

zu einer Berichterstattung auf, und zwar zu

Polbüro der KPD

folgenden vier Fragen: 1. Organisatorische Lage der Partei. 2. Wie wird die Direktive vom »Trojanischen Pferd« verstanden? 3. Welches soll die politische Plattform für die Einheitsund Volksfront sein? 4. Welche politischen Losungen stellt die Partei? In einer zweitägigen Debatte am 16. und 17. September 1935 wurden die Fragen diskutiert. Die Auseinandersetzungen um den Inhalt der Konferenzmaterialien in den letzten Septembertagen bewirkten, daß die KPD-Führung weitaus _kritischer zur bisherigen Politik und zum Zustand der Parteı Stellung bezog, als das in den anfänglichen Entwürfen der Fall geweSen

war.

Vom 3. bis 15. Oktober 1935 tagte in Kunzewo bei Moskau

die 4. Parteikonferenz der KPD. Sie ist unter der Bezeichnung »Brüsseler Konferenz« — seinerzeit aus Tarnungsgründen so benannt — in die Geschichte eingegangen und wird seit 1946 als 13. Parteitag der KPD gezählt. Daß die Konferenz im Grünen, gleichsam bei frischer Luft und gutem Wetter stattfand und nicht, wie ursprünglich geplant, in den engen Räumen in Moskau,

des Hotel »Lux«

hatte nach Ansicht Piecks zum

»außerordentlich günstigen Verlauf« der Konferenz beigetragen.’® 35 Delegierte mit beratender Stimme, die Mehrzahl war bereits zum VII. Weltkongreß delegiert gewesen,’” nahmen an

75 SAPMO-BArch. 76

Siehe

RY1/I 2/3/18b. Bl. 581.

Brief Piecks

an

Dimitroff vom

29.

Oktober

1935.

In:

SAPMO-

BArch. NY 4036/538. Bl. 86. 77 Von den Delegierten zum VII. Weltkongreß nahmen an der »Brüsseler Konferenz« nicht teil: Willi Münzenberg, Kurt Siegmund. Neue Delegierte zur »Brüsseler Konferenz« waren Dietrich Arfmann, Walter nel, Wilhelm Herrmann, Wilhelm Knöchel und Walter Trautzsch.

Häh-

163

der Konferenz teil. Weitere Teilnehmer waren führende Funk-

tionäre der Komintern wie Palmiro Togliatti, Andre Marty, Dmitrı Manuilski und Wan Min, Mitarbeiter des Parteiapparates der KPD

und der Komintern

ninschule und Redakteure.

in Moskau,

Schüler der Le-

Als strategischen Hauptfehler bezeichnete es Wilhelm Pieck in seinem Referat, daß sich die KPD durch die Politik der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik dazu verleiten ließ, bei

der Richtung ihres Hauptstoßes nicht die Änderungen zu beachten, die mit dem Anwachsen eintraten.

Die

Partei

der faschistischen Gefahr

hätte es nicht vermocht,

die Richtung

ihres Hauptstoßes auf diese Gefahr zu lenken.’® Die Parteikonferenz erklärte das Festhalten der KPD an der Kennzeichnung der Sozialdemokratie als »sozialfaschistisch« nach der Errichtung der Hitler-Diktatur als falsch und die Politik gegenüber den linken Sozialdemokraten, die als die gefährlichsten Gegner der Einheitsfront charakterisiert und politisch bekämpft worden waren, als schweren sektiererischen Fehler. Kritisch werteten die Delegierten die Gegenüberstellung der Einheitsfront »von unten« und der Einheitsfront »von oben« als schematisch und unrealistisch. Die Konferenz bekräftigte, ehrlichen und

ernsten

Willens

zu sein, mit den

sozialdemokratischen

Mitgliedern und der sozialdemokratischen Partei eine gemein-

same Kampffront, »die auf gleicher Verantwortung, gleichen Rechten und Pflichten« beruht, zu schaffen.’”” Dazu sollte die

KPD-Führung sofort zu Gesprächen der SPD herantreten. Das

Protokoll

der

Konferenz

an den Parteivorstand

verdeutlicht,

daß

in den

ausführlichen Debatten über eine »völlige Revidierung«* des Verhältnisses zur Sozialdemokratie durchaus zwiespältige Posıtıonen artikuliert wurden. Verschiedene Delegierte aus dem 78

Siehe

Die

79

Siehe ebenda. Bl. 187.

Bl. 74ff.

»Brüsseler

Konferenz«

der KPD

von

1935

auf CD-ROM

...

80 Fritz Schulte, der diese Forderung erhob, setzte sich dafür ein, das gegenseitige Verhältnis nicht weiter auf »Entlarvung« auszurichten, sondern eine ehrliche, kameradschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten anzustreben (siehe Die »Brüsseler Konfe-

renz« der KPD von 1935 auf CD-ROM

164

... Bl. 988).

Land, zu ıhnen gehörten Karl Mewis, Robert Lehmann, Paul Bertz u. a., sprachen deutlich aus, daß das Verhältnis der KPD zur SPD falsch war, und zwar sowohl vor 1933 als auch

nach der Errichtung der faschistischen Diktatur. Sie warnten davor, einseitig von der »historischen Schuld« der Sozialde-

mokratie zu reden. Vielmehr müsse man anerkennen, daß der

Widerstand bei Sozialdemokraten gegen die Einheitsfront auch auf Fehler zurückzuführen sei, die von der KPD begangen wurden.?! Herbert Wehner forderte, schonungslos aufzuräumen mit der »unerhörten Verantwortungslosigkeit«, indem man nicht das Neue in der Entwicklung der sozialdemokratischen Partei behandelte,

sondern dieser immer wieder einen

»Keulenschlag« versetzte — beispielsweise durch Aufrufe, mit den sozialdemokratischen Führern zu brechen und sie davonzujagen. Nach solchen »fundamentalen und falschen Angriffen« sei kaum zu erwarten, daß sozialdemokratische Arbeiter

die Aufforderung zur Einheitsfront verstehen würden.“* Dagegen

beharrte

Florin

auf seiner Auffassung,

die er schon

in

seinem Referat geäußert hatte, wonach die KPD die sozialdemokratischen Millionen in Bewegung setzen müsse — ohne beziehungsweise gegen den Parteivorstand. Er vermutete bei denen, die sich mit ihm auseinandersetzten, eine »opportuni-

stische Theorie«.®

Breiten Raum widmete Pieck in seinem Referat dem zweiten Grundfehler der KPD, der Unterschätzung der faschistischen Gefahr und der Geringschätzung der bürgerlichen Demokratie im Zusammenhang mit dem allgemeinen Sektierertum in der Partei. Die Partei habe aus dem Wahlerfolg der NSDAP ım September 1930 keine Schlußfolgerungen gezogen, statt dessen aber mit der Beteiligung am Volksentscheid gegen die Preußenregierung im August 1931 die Einheitsfrontpolitik bedeutend erschwert. Indem Pieck das Sektierertum, insbesondere die Teilnahme der KPD am Preußen-Volksentscheid, vor

allem auf das Wirken schwieg

81 82 83

er allerdings,

Heinz Neumanns

daß diese

Siehe ebenda. Bl. 532, 799/800 und Siehe ebenda. Bl. 719 und 720. Siehe ebenda. Bl. 1058 und 1089.

zurückführte, ver-

Fehlentscheidung

in erster

1160.

165

Linie durch Stalin und das EKKI

zustande gekommen

war.

Pieck stellte ebenso fest, daß die Partei es nicht vermocht hatte, die Lage ın Deutschland richtig zu analysieren, daß sie

keine klare Vorstellung von den Verhältnissen hatte, und bezog

sich dabe1i vor allem auf den 20. Juli 1932, auf den 30. Januar 1933 und auf den 30. Juni 1934. »In allen drei Fällen zeigte

sich, daß die Partei keine richtige Einschätzung der Lage und der auf ihr begründeten Perspektive hatte.«** In kritischer Weise überdachten die Konferenzteilnehmer auch die KPD-Gewerkschaftspolitik. Sie grenzten sich von früheren Auffassungen ab, Gewerkschaftsgruppen nur unter kommunistischer Führung wieder aufzubauen, um die Garantie für wirkliche revolutionäre Klassenorganisationen zu haben. Die Konferenz

forderte, um

den Wiederaufbau

der von

den Nazis zerschlagenen Freien Gewerkschaften zu kämpfen, die parteipolitisch unabhängig strukturiert seien sollten. Wenngleich für die Realisierung dieser Forderung kaum reale Bedingungen vorhanden waren, wurde jedoch Abschied genommen von einer Gewerkschaftspolitik, die zur Bildung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) geführt hatte. Aus-

gehend von der Erkenntnis, daß es real um die Verteidigung

elementarer Rechte der Arbeiter und Angestellten ging und nicht um eine bevorstehende revolutionäre Ablösung des faschistischen Regimes, sollten freigewerkschaftliche, sozialde-

mokratische, katholische und kommunistische Arbeiter, die in

der Deutschen Arbeitsfront zwangsweise erfaßt waren, gemeinsam und organisiert versuchen, gewerkschaftliche Interessen zu vertreten und so einheitliche freigewerkschaftliche Gruppen wieder aufzubauen.

In engem Zusammenhang damit forderte die Parteikonferenz die komplizierte Taktik des »Trojanischen Pferdes«, wie sie von Georgi Dimitroff auf dem VII. Kongreß entwickelt worden war, auch für die KPD anzuwenden. Die Arbeit unter den Mitgliedern der NS-Massenorganisationen sollte nicht von der Stellung eines sich abgrenzenden »Außenseiters« geführt, son-

dern Kommunisten sollten aktive Mitglieder werden, ja Funktionen in den Massenorganisationen übernehmen, in den 84

Ebenda.

166

Bl. 82.

Vertrauensräten mitarbeiten und so, den legalen bzw. halblega-

len Bewegungsspielraum nutzend, Widerstand der Arbeiter organisieren und die Nazi-Diktatur destabilisıeren. Gegen diese Taktik gab es unter den Kommunisten starke Widerstände, wie bereits aus den Diskussionsbeiträgen einiger Delegierter hervorging und spätere Reaktionen kommunistischer Gruppen aus verschiedenen Teilen Deutschlands auf die Beschlüsse der »Brüsseler Konferenz« belegen.® Sie betrafen nicht nur Probleme des Ehrgefühls und des Ansehens des einzelnen Kommunisten, sondern erwuchsen aus dem begründeten Zweifel, daß es in der deutschen Realität möglich wäre, Funktionen ın

Massenorganisationen mit der Wirkung zu besetzen, das Rqgime zu schwächen. Vielmehr befürchtete man, diese Organısationen aufzuwerten, ohne realen Widerstand in ihnen leisten zu können.

Die

Kritiker meinten,

die Partei sollte nicht d_ie

Möglichkeit der Arbeit in der DAF überschätzen. Immerhin unterschied sich die Taktik des »Trojanischen Pferdes« von der »historischen Vorlage« grundlegend. In der griechisch_en Sage bestand die Schwierigkeit für die Belagerer TroJjas darin, in die Stadt hineinzukommen. Einmal mit Hilfe der Finte drinnen, war der Kampf gegen die Feinde schnell entschieden. Für die illegal arbeitenden Kommunisten dagegen bestand weniger die Schwierigkeit im »Hineinkommen« als vielmehr ın der Aufgabe, drinnen den inneren Aufruhr zu schüren. W_enn die KPD-Führung nicht von der irrigen Vorstellung ausging, es bedürfe nur einer »Initialzündung« durch die aktiven Kommunisten und die in die Deutschen Arbeitsfront gepreßten Arbeiter würden den Kampf gegen die Diktatur aufnehmen, mußte die Orientierung des »Trojanischen Pferdes« eine auf

lange Sicht angelegte Aufgabe sein. Man hatte sich von der

Vorstellung verabschiedet, daß das Regime kurzfristig zu stürzen sel.

85 Siehe Berichte aus den Bezirken zu den Beschlüssen der »Brüsseler Konferenz«. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/277 und RY1/I 2/3/307. — Siehe auch Briefe von Sepp Schwab zur illegalen Arbeit der KPD an das Politbüro der KPD 1936. In: SAPMO-BArch. RY1/I 6/3/82. — Forschungen über die Versuche zur Anwendung der Taktık vom »Trojanischen Pferd« ım

KPD-Widerstand,

gen bisher nicht vor.

ihre Möglichkeiten,

Wirksamkeit

und

Folgen

lie-

167

Mit der Anerkennung der Sozialdemokratischen Partei und nicht nur ihrer einzelnen kämpfenden Mitglieder als eine wichtige antifaschistische Kraft, mit der Korrektur der falschen Sozialfaschismus-These und dem Willen zur Einheitsgewerkschaft ın Form der freien Gewerkschaften war die KPD einen wichtigen Schritt auf die SPD und andere Partner für die Einheitsfront gegangen. Andere theoretische Grundfragen des Verhältnisses zur SPD blieben ungeklärt. Die These von der Hauptschuld der Führung der SPD am Sieg des Nationalsozialısmus dominierte weiterhin bei der Ursachenanalyse für dıie Errichtung der Diktatur, und in diesem Zusammenhang blieb die Vorstellung von der Sozialdemokratie als sozialer Hauptstütze des kapitalistischen Systems unangefochten. Bestimmend für ihr Verhältnis zur SPD war, daß in der herkömmlichen kommunistischen Sicht auf die Existenz und Stärke der Sozialdemokratie weniger die Bindungen dieses

Flügels der Arbeiterbewegung an objektive gesellschaftliche

Existenzbedingungen in Rechnung gestellt, sondern sie hauptsächlich aus einem subjektiven Versagen rechter Führer definiert wurden. Diese Beurteilung der SPD hatte nicht nur Konsequenzen für die Vertrauensbildung bei den ins Auge gefaßten Partnern für eine Einheitsfront, sondern auch für die Realitätsnähe der getroffenen eigenen historischen Bilanz und für den Entwurf neuer politischer Zielvorstellungen und Plattformen. Die imperialismus- und faschismusanalytische Arbeit der KPD konzentrierte sich während der Parteikonferenz auf die Diskussion über die faschistische Wirtschaftspolitik. Das betraf vor allem Grenzen und Möglichkeiten eines konjunkturellen Aufschwungs und die damit zusammenhängenden Einflußchancen der Nazis auf die verschiedenen Bevölkerungsschichten, die Stärke oder Schwäche des Regimes sowie das Verhältnis der verschiedenen Fraktionen der traditionellen Herrschaftseliten zum Staat und zur NSDAP. Entscheidend für die Einschätzung der Lage war die neugewonnene Erkenntnis, daß die Errichtung der NS-Diktatur eine Stärkung des deutschen Imperialismus gebracht hatte. Es sei dem Finanzkapital mit der Hitler-Diktatur gelungen, formulierte Wilhelm Pieck ın seiner Eröffnungsrede, die »verfolgten Pläne der gesteigerten 168

Ausplünderung des werktätigen Volkes und der Kräftigung des deutschen Imperialismus in hohem Maße zu verwirklichen«.® Mit dieser Einschätzung korrespondierten die auf der »Brüsseler Konferenz« bekräftigten Erkenntnisse über die Niederlage

der antifaschistischen

Kräfte

im

Januar

1933

und

die

Überwindung der falschen Auffassungen vom schnellen Heranreifen einer revolutionären Krise. Man mußte einsehen, daß der Aufbau einer antifaschistischen Front eine längerfristige Aufgabe war.

Fruchtbringend wirkte sich in der Debatte über die Wirtschaftsentwicklung aus, daß man teilweise an den durch Eugen Varga vor und während des VII. Kongresses verfolgten Erklärungsansatz zum Verlauf von Wirtschaftskrise und allgemeiner Krise des Kapitalismus anknüpfte. Dieses mit dem Begriff der »Depression besonderer Art« verbundene Konzept brachte, trotz einiger zunächst ungelöster und falsch beant-

worteter theoretischer Probleme, eine veränderte Sicht auf diıe

Weltwirtschaftskrise. Man löste sich von der Vorstellung, die »Große Krise« sei faktisch die Endkrise des Kapitalismus. Hervorgehoben wurde jetzt, daß auch in der allgemeinen Krise die inneren ökonomischen Kräfte des Kapitalismus fortexistierten und der Krisenzyklus Krise-Depression-Konjunktur zwar deformiert (»besonderer Art«), aber weiterhin abliefe. Bei der Beurteilung der konkreten wirtschaftlichen Lage in NaziDeutschland wurden die starke Produktionssteigerung und das Anwachsen der Beschäftigungszahlen als Merkmale einer Konjunktur in Deutschland gesehen, allerdings nicht als das Ergebnis einer »wirklichen wirtschaftlichen Gesundung« und einer »echten« Konjunktur. Die Deformierung des Krisenzyklus durch die allgemeine Krise sah man in der neuen Rolle des faschistischen Staates, in der die Rüstungskonjunktur eine besondere Stellung einnahm. Schwachpunkt der Analyse aber blieben die Schlußfolgerungen über die Stabilisierungsmöglichkeiten des Regimes aufgrund dieser Entwicklung. Das Referat von Wilhelm Pieck und die Diskussion offenbarten, daß vorrangig Schwierigkei86

Die »Brüsseler Konferenz« der KPD

von

1935 auf CD-ROM

... Bl. 1.

169

ten und neue Krisenprozesse der Wirtschaft analysiert und prognostiziert wurden. So konstatierte die KPD auf der Konferenz die Knappheit an Lebensmitteln infolge der auf Autarkie ausgerichteten Agrarpolitik und der verminderten Lebensmit-

telımporte aufgrund der bevorzugten Rohstoffimporte für die Rüstungsindustrie sowie eine wachsende Inflationsgefahr als Folge der hohen staatlichen Kreditschöpfung. Erich Kunik, der unter dem Parteinamen Erich Korn®’ seit 1934 das deutsche Kabinett des Instituts für Weltwirtschaft und Weltpolitik in Moskau leitete, schlußfolgerte: »Die Schwierigkeiten greifen ineinander über, und der in der historischen Perspektive ausweglose Zirkel drängt die faschistische Diktatur mit aller Kraft auf den Ausweg des imperialistischen Krieges.« Seine mit Sachkenntnis geschriebene wirtschaftspolitische Studie, die den Delegierten als Material vorlag, stellte den Zusammenhang von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und dem zu erwartenden Zeitpunkt der Auslösung eines Krieges durch Nazideutschland dar.® Daran knüpften Überlegungen über denkbare Perspektiven des NS-Regime und über Möglichkeiten, den Krieg zu verzögern oder gar zu verhindern, an. Bei Wilhelm Pieck erschien der zu erwartende Krieg als Ausweg der Hitler-Diktatur vor der Verschärfung des Klassenkampfes®® — eine zu absolute Beurteilung, in der die verbreitete Überzeichnung der Labilität des Regimes und Wunschvorstellungen über die Entwicklung des Klassenkampfes durchschlugen. Die widersprüchliche Lage mit deutlicher Konflikthäufung im Herbst 1935 (Lebensmittelknappheit) und der zeitlich kurze Abstand zu den krisenhaften Ereignissen des 30. Juni 1934 ließen die KPD-Führung nach wie vor eine schnelle Zuspitzung der Widersprüche und ein breites Anwachsen der Opposition erwarten. Obgleich Redner wie Anton Ackermann und vor allem Palmiro Togliatti vor ei87 Siehe Hermann Weber/Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Berlin 2004. S. 426. 88 Siehe Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Deutschland zwischen dem VI. und VII. Weltkongreß der KI. SAPMO-BArch. RY1/I 1/1/42. BI. 95/ 96. 89 Siche Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Bl. 180.

170

ner Unterschätzung der Kräfte des Faschismus warnten und Togliatti diese »noch heute in der Partei« als vorhanden sah,” blieben, trotz der namentlich durch Pieck noch auf der Konfe-

renz erfolgten Selbstkritik, die überzogenen und vereinfachten Einschätzungen in den verabschiedeten Materialien der Konferenz erhalten.”'

Wie stark bei den KPD-Mitgliedern die Beurteilung aller Ereignisse nach wie vor von Hoffnungen auf eine rasch herannahende

politische

Krise

des Nationalsozialismus

fixiert war,

belegt unter anderem die Resolution des Bezirks Berlin-Nord von Januar 1936. Im Gegensatz zu den Wertungen der »Brüsseler Konferenz« hieß es hier im Zusammenhang mıiıt de_n Lohnkämpfen bei Siemens und in anderen Betrieben, daß »die

Widerstandskraft der Arbeiterbewegung bereits so gewachsen (ist), daß sie imstande ist, durch Entfaltung des Klassenkampfes die faschistische Legalität der Diktatur zu erschüttern und hier und da vorübergehend zu durchbrechen«. Und die Resolution forderte, daß die KPD sich auf »die rasch herannahende

politische Krise der Diktatur« einstellen müsse.”

Fortschritte erzielte die KPD in der konkreten Darstellung _der

nationalen und spezifischen Bedingungen und Besonderheiten des deutschen Faschismus. Ausführlich beschäftigte sigh die Diskussion mit der Einschätzung von Differenzen zw_1s_chen Rüstungsmonopolen und nicht an der Rüstung beteiligten

Gruppierungen des Monopolkapitals wie der nichtmonopolisti-

schen Bourgeoisie. Differenzen wurden ebenso zwischen der Naziführungsriege und ihrem Herrschaftsapparat in Staat und Partei und traditionellen Herrschaftseliten in der Reichswehr,

den Kirchen und der Staatsbürokratie festgestellt und beschrieben. Die KPD reflektierte hier theoretisch, wie vor allem

90

91

Siehe ebenda. Bl. 1664.

Siehe vor allem Manifest »An das werktätige deutsche Volk!«. In: Die

»Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Beschlüsse. _ Das Manifest war von Heckert in Gemeinschaft mit Florın und Abusch ausgearbeitet worden (siehe Brief Piecks an Dimitroff vom 29. Oktober 1935. In: SAPMO-BArch. NY 4036/490).

92 Siche

BArch.

Bericht der Berliner Leitung (Januar-Juli RY1/I

2/3/277.

BlI. 132ff.

1936).

In: SAPMO-

die Debatte zwischen Frıtz Heckert und Wilhelm Florin widerspiegelt, jene Momente, die sich aus der relativen Verselbstän-

digung des faschistischen Herrschaftsapparates ergaben. Fritz Heckert thematisierte das besonders an der differenzierten Haltung der verschiedenen Gruppierungen der Bourgeoisie zum Kriegskurs.”® Was jedoch die Analyse der NSDAP, ihrer Zusammensetzung sowie ihrer Struktur oder ihrer Kader betraf, so erfolgte sıe auf der Konferenz kaum. Die Konferenzteilnehmer schlußfolgerten sowohl aus der wirtschaftlichen Lage und der prognostizierten Perspektive wie

aus den analysierten Differenzen, daß die NS-Diktatur keines-

wegs stabil und fest sei und sich durchaus günstige Ansätze ergäben, größere Bevölkerungsteile längerfristig für eine Opposition gegen das Regime zu mobilisieren. Diese Annahme erwies sich als irrig, war aber als Ziel des antifaschistischen Kampfes verständlich. Deutlich wurde zugleich festgestellt, daß ohne den Zusammenschluß aller oppositioneller Kräfte und der Schaffung einer Volksfront der Sturz der Nazi-Diktatur nicht erreicht werden könnte. In der Diskussion für eine Volksfront ging es um die städtischen kleinbürgerlichen und mittelständischen Schichten, die Bauern, katholische Bevölkerungsschichten und ihre Organisationen, oppositionelle bürgerliche Politiker und Intellektuelle und alle in Opposition zur Hitler-Regierung stehenden Kräfte. Auf der Konferenz wurden dabei durchaus zutreffend die Differenzpunkte der verschiedenen oppositionellen Kräfte analysiert und deren gemeinsame Interessen benannt. Es entstanden damit erste Überlegungen für eine politische Plattform einer deutschen Variante der antifaschisti-

schen Volksfront. Der Zusammenschluß aller oppositionellen Kräfte gegen den Hitler-Faschismus sollte auf der Grundlage

des Kampfes

für Freiheit, Frieden,

Brot und Volksherrschaft

erfolgen. Selbstkritisch wurde festgestellt, daß dazu aber eine 93

Siehe Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Bl. 818ff. und 1038ff. — Siehe auch Klaus Kinner: Imperialismustheorie und Faschismusanalyse iın KPD und Komintern. In: Arbeiterbewegung und Faschismus: Faschismusinterpretationen in der europäischen Arbeiterbewegung. Hrsg. von Helga Grebing und Klaus Kinner. Essen 1990. S. 72f.

172

neue Art der »Massenarbeit« und ihrer Bündnispolitik notwendig wären, in der völlig neue Formen und Methoden entwikkelt werden müßten. Die bisherigen Praktiken, möglichen Bündnispartnern die Hegemonie der Kommunisten abzuverlangen, Forderungen der Partner, die nicht mit der kommunisti-

schen Programmatik

übereinstimmten, abzuweisen, wurden

kritisch hinterfragt. Die Parteikonferenz forderte, die sektiererische Enge bei der Suche nach Partnern (zum Beispiel katholische Organisationen, bürgerliche Politiker) für gemeinsame

Aktionen zu überwinden.

Zu einem Dreh- und Angelpunkt in der antifaschistischen Einheits- und Volksfrontpolitik der KPD gestaltete sich jedoch ıhr Verständnis von Demokratie. Die Parteikonferenz hatte sich dieser Problematik vor allem unter dem Aspekt der Notwendigkeit politischer Losungen zur Verteidigung und Wiedereroberung der demokratischen Rechte und Freiheiten zugewandt, ausgelöst durch die Einsicht, die politische Arbeit der Partei konkret an den gemeinsamen Interessen aller Gegner der faschistischen Diktatur zu orientieren. Vom Komintern-Kongreß war gerade in dieser Hinsicht die Linie der KPD vor und nach 1933 kritisiert worden. In der Debatte um die Frage des Stellenwertes politischer Teilforderungen suchten neben Pieck und

Florin vor allem Alexander Abusch, Anton Ackermann,

Franz Dahlem, Karl Mewis, Walter Ulbricht und Herbert Wehner die Delegierten zu überzeugen, daß die Bürgerrechte als wichtige und zu schätzende Werte und Errungenschaften ver-

teidigt und um ihre Wiedererringung als eine zentrale Zielstellung gegen den Faschismus gekämpft werden müsse. Diese Position fand in die Dokumente der »Brüsseler Konferenz« Eingang. In ihnen wurden die im Rahmen bürgerlich-parlamentarischer Ordnung erreichten politischen Bewegungsfreiheiten angesichts der Erfahrungen mit der faschistischen Diktatur stärker in ihren positiven Wirkungen gewertet. In den Beiträgen und Dokumenten der Konferenz domi-

nierte jedoch die Auffassung, ein offensives Eintreten für die

Demokratie werde erst dann für Kommunisten sinnvoll und richtig, wenn die Gefahr offener diktatoriıscher Formen der Machtausübung droht. So sei es völlig richtig gewesen, daß

die KPD in den ersten Jahren der Weimarer Republik die De-

mokratie bekämpft habe, aber in den dreißiger Jahren hätte sie angesichts der veränderten Lage für die Verteidigung der bürgerlich-parlamentarischen Ordnung mit ihren demokratischen Rechten und Freiheiten eintreten müssen.

Die Einstellung zu

demokratischen Werten und die Forderung zum Kampf um die Wiederherstellung demokratischer Bürgerrechte erschienen in diesem Verständnis als eine rein taktische, von der jeweiligen Sıtuation abhängige Position und nicht als eine grundsätzliche Erkenntnis, daß der Kampf um Demokratie und Sozialismus untrennbar zusammengehören.

Folge war, daß von einem gro-

ßen Teil der Kommunisten und vielen potentiellen Bündnispartnern die Hinwendung der KPD zum Kampf um demokratische Bürgerrechte und Freiheiten lediglich als taktische Wende verstanden bzw. interpretiert wurde. Auf der Parteikonferenz gelang es nur in Ansätzen, aus der Kritik an der kommunistischen Politik am Ende der Weimarer Republik und der wachsenden Einsicht, daß die bürgerliche Demokratie auch als Staatsform gegen rechts zu verteidigen sei, allgemeindemokratische Zielvorstellungen für die Beseiti-

gung der faschistischen Diktatur zu entwickeln.

Das hing mit

der stets ambivalenten Haltung deutscher Kommunisten zur Weimarer Republik zusammen.* Auch im Verlaufe der »Brüs-

seler Konferenz« kam es zu keiner einheitlichen Auffassung in

der Bewertung kommt

nach

der Weimarer

Hitler,

welche

Republik.®

alternativen

Die Fragen, was

Staatsformen

sind

möglich, um alle Hitler-Gegner für einen gemeinsamen Kampf

zu einen, und wie stellt sich die KPD

dazu, wurden hier noch

nicht ausführlich debattiert. Jedoch fand der Gedanke in den Referaten von Pieck und Florin,” auch eine aus allgemeinen,

freien und direkten Wahlen nach dem Sturz der Hitler-Diktatur hervorgegangene Nationalversammlung zu tolerieren und mitzutragen, ın den der Konferenz vorgelegten und von ihr ange94 Siehe Monika Juliane Gibas: Die Stellung der KPD zur Weimarer Republik: historisch-politische Wertung, Demokratieverständnis und antifaschistische Strategieentwicklung im Rahmen der Komintern 1933 bis 1939. Phil. Diss. B. Leipzig 1990. 95 Siehe Diskussionsbeitrag von Dahlem. In: Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM .... Bl. 1617. 96 Siehe ebenda. Bl. 193 und 303. — Siehe auch den Beitrag von Abusch in ebenda. BlI. 1568f.

174

nommenen Resolutionsentwurf und in den Entwurf des Manıifestes Eingang.”” Wie es zur Entwicklung dieses ungewöhnlichen Gedankens im Vorfeld der Konferenz kam und welche Diskussionen es dazu auch danach gab, darüber geben die bisher zur Verfügung stehenden Archivalien keine Auskunft.

Daß ein solcher

Gedanke in die Diskussion Eingang fand, ist allein schon eine höchst

bemerkenswerte

Tatsache,

wenn

man

bedenkt,

zu

welchen tiefgreifenden Konfrontationen in der deutschen Arbeiterbewegung die Problemstellung Rätemacht oder Nationalversammlung in der Novemberrevolution sowie in den nachfolgenden politischen, ideologischen und geistig-theoretischen Reflexionen führte. Natürlich hatte die KPD seit ıhrer Gründung theoretisch wie praktisch ihr Verhältnis zur parla-

mentarischen Arbeit verändert. Eine Nationalversammlung als

Übergangsform zu benennen — Wehner sprach sogar von der

»zentrale(n) Aufgabe, die vor uns steht«®® —, rief gleichwohl

sehr vielfältige Assoziationen hervor. Die enorme Brisanz des

Gedankens

verdeutlicht

noch zu zeigen ist.

der weitere

Umgang

mit

ihm,

wie

Die Debatte auf der »Brüsseler Konferenz« über die Parteiar-

beit, in der es im Grunde um die Probleme des Parteiaufbaus,

der inneren Parteiverfaßtheit und der Leitungsprinzipien der KPD ging, widerspiegelte eine ähnliche Genesis. Damit befaß-

te sich das Referat Franz Dahlems. Seine Intentionen reichten dabei durchaus über die unmittelbaren Fragen und Schwierigkeiten der konspirativen Arbeit der KPD hinaus. In den als Anlagen zum Referat schriftlich geäußerten Gedanken werden kritisch Grundfragen der Parteiauffassung in der KPD aufgegriffen, die er jedoch in sein Referat nicht aufgenommen hat.”

Bezugnehmend auf eine 1932 vom ZK durchgeführte Untersuchung der KPD-Leitungen in den Bezirken und Unterbezirken wird nachgewiesen, daß die Gliederung der KPD und ihr zentralistischer Aufbau falsch und für die Massenarbeit ungeeignet waren. Überzentralisation und Bürokratisierung des 97 98 99

Siehe ebenda. Beschlüsse. Bl. 21 bzw. 8. Ebenda. Bl. 726. Siehe SAPMO-BArch. RY1/I 6/10/46. Bl. 26-38.

175

ganzen Parteiapparates habe den Zustand der Partei geprägt, der durch den Mangel an innerparteilicher Demokratie verschlimmert wurde. Das Papier verweist genau auf jene PraxIis in der KPD, in der sich gegen Ende der zwanziger Jahre zunehmend das innerparteiliche Klima veränderte. Dogmatismus und

Sterilität,

Kommandomethoden,

Gesinnungsschnüffelei

und Angst der Funktionäre vor Abweichungen, Ausgrenzungen und Anfeindungen gewannen beträchtlich an Gewicht. Diese Praxis fand ihren Ausdruck in der Konzentration der Kommandogewalt auf das Sekretariat bzw. den Sekretär; der völligen Ausschaltung der gewählten Organe, die nur noch formale Bedeutung haben; dem Ersetzen ihrer Tagungen durch Parteikonferenzen, Instrukteurssitzungen usw.; dem Absetzen und Einsetzen der Funktionäre in den Bezirken durch die Zentrale über die Köpfe der Parteimitglieder und der gewählten Gremien hinweg; der Bedeutungslosigkeit von Beschlüssen und Wahlentscheidungen der Bezirksparteitage; der Art der Handhabung von Parteidisziplin und »Linientreue«. Kritisch wurde vermerkt, daß selbst unter den Bedingungen der Illegalität die Organisationen nicht schnell und radikal genug den neuen Erfordernissen angepaßt wurden und man die alten Arbeitsmethoden weiter praktizierte. !® Die kritische Benennung dieser Methoden und Strukturen blieb auf der Konferenz und in der Zeit danach ohne Konsequenzen ın bezug auf die Beurteilung der innerparteilichen Auseinandersetzungen der zurückliegenden Jahre, auf das Verhältnis von Komintern und KPD, in dem nicht Gleichberechtigung und Kollektivität, sondern zunehmend unterordnende Abhängigkeit und Befehlsempfang dominant geworden waren. Bei aller Betonung von notwendiger stärkster Dezentralisation und größter Elastizität ım Parteiaufbau und in der Leitungstätigkeit fehlte es weiterhin an wirklicher innerparteilicher Demokratie. Der ım Statut verankerte demokratische Zentralismus blieb reduziert auf straffen Zentralismus, ebenso behaupteten sich die Methoden des Kommandierens, die vor allem Ulbricht rigoros praktizierte, was ihn auch künftig immer wieder in Gegensatz

100

176

Siehe ebenda.

selbst zu anderen Mitgliedern der Parteiführung brachte.'!°' Notwendige Änderungen der vorhandenen Auffassung von der KPD als leninistischer Avantgardepartei und der sie stützenden Strukturen kamen im Verständnis der Konferenzteilnehmer unter den Bedingungen des illegalen Kampfes und der Exilsituation nicht in Betracht. Anknüpfend an Aussagen des VII. Komintern-Kongresses, der linkssozialistische Forderungen nach Herstellung der politischen Einheit der Arbeiterklasse aufgenommen und auf die Bildung einheitlicher revolutionärer Massenparteien orientiert hatte, beschäftigte

sich auch die »Brüsseler

Konferenz«

mit

dieser Frage. Wenngleich keine konkreten Festlegungen getroffen wurden, war die Erwartungshaltung, daß man »in die Periode der Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse eingetreten« sei, wie es Ackermann

ausdrückte,'® unrealistisch.

Mit den vom Komintern-Kongreß gestellten Bedingungen an sozialdemokratische bzw. sozialistische Parteien — wie Anerkennung des revolutionären Sturzes der Bourgeoisie und Aufrichtung der Diktatur des Proletariats in Form der SowJets — blieb die Forderung nach der Bildung einer Einheitspartei eher rein propagandistischer Natur. Als programmatische Orientierung nahm die KPD die Schaffung einer einheitlichen revolutionären Partei in Deutschland erst auf der »Berner Konferenz« 1939 in ihren Forderungskatalog auf. Am

15. Oktober wählte die Konferenz in der Geschlossenen

Sitzung ein neues, aus 15 Mitgliedern und drei Kandidaten bestehendes Zentralkomitee. Davon waren die Mitglieder des ZK

Paul Bertz, Franz Dahlem, Leo Flieg, Wilhelm Florin, Frıtz Heckert, Paul Merker, Willi Münzenberg, Wilhelm Pieck, Ernst

Thälmann und Walter Ulbricht bereits Mitglieder des vorhergehenden ZK. Neue Mitglieder wurden Anton Ackermann, Wal-

ter Hähnel, Elli Schmidt, Herbert Wehner und Heinrich Wiatrek; Kandidaten Wilhelm Knöchel, Werner Kowalskı und Karl Me-

101 102

Siehe Herbert Wehner: Zeugnis. Persönliche Notizen 1929-1942. Hrsg. von Gerhard Jahn. Halle, Leipzig 1990. S. 151ff. Die »Brüsseler Konferenz« der KPD von 1935 auf CD-ROM ... Bl. 422.

177

wis.'® Elli Schmidt, Werner Kowalski, Karl Mewis und Wil-

helm Knöchel sollten nach Deutschland gehen. Als Vorsitzender der Partei für die Zeıt der Haft Thälmanns wurde Pieck gewählt. Es spricht vieles dafür, daß führende Funktionäre im EKKI, vor allem Knorin als Leiter des Mitteleuropäischen Ländersekretarıiats, bıs zur Parteikonferenz den 41jährigen Florin als Kandıdaten für die erste Position in der KPD-Führung erwogen hatten, denn für ihn sprach sein hohes Ansehen in der

Partei, erworben vor allem durch seine langjährige Tätigkeit an der Spitze des starken KPD-Bezirkes Ruhrgebiet. Hingegen galt der fast 60Jjährige Pieck mehr als der erfahrene Funktionär des zentralen Parteiapparates. Ausschlaggebend für die zugunsten Piecks getroffene Entscheidung des EKKI dürfte gewesen sein, daß Florin 1934 länger als Pieck und Ulbricht auf linkssektiererischen Positionen beharrt hatte und Pieck sicher geeigneter schien, als Integrationsfigur die starken Gegensätze zwischen einzelnen Polbüromitgliedern ausgleichen zu können. Ebenfalls gewählt wurde eine Kontrollkommission, bestehend aus Phılıpp Daub, Adolf Deter, Wilhelm Koenen, Hermann Nuding, Siegfried Rädel und Sepp Schwab. In der der Konferenz folgenden konstituierenden Sitzung des Zentralkomitees wur-

den Dahlem, Florin, Heckert, Merker, Pieck, Thälmann und Ulbricht zu Mitgliedern, Ackermann und Wehner zu Kandida-

ten des Polbüros gewählt. Festgelegt wurde, daß Ackermann, Dahlem, Merker, Wehner und Ulbricht (als Leiter) eine opera-

tive Leitung im Ausland bilden — ihr Sitz war zunächst Prag

und dann ab Februar 1937 Paris —, Florin, Heckert und Pieck ın Moskau bleiben sollten.'®** Von den bis zur Parteikonferenz amtierenden Polbüromitgliedern wurden Schubert und Schulte nıcht wiedergewählt, obwohl sich Togliatti und Manuilski für 103

104

178

Siehe ebenda. Geschlossene Sitzung. Bl. 2f. — In der Diskussion verwiesen neben Schubert und Schulte, die nicht wieder aufgenommen wurden, auch andere Delegierte, wie beispielsweise Dietrich Arfmann und Walter Trautzsch, darauf, daß bei aller notwendigen und berechtigten Kritik eine Änderung der Führung nur bei unüberbrückbaren politischen Gegensätzen erfolgen sollte, was jedoch in der Abstimmung nicht zum Ausdruck gebracht wurde. Siehe SAPMO-BArch. NY 4036/538. Bl. 87.

ihre Wahl ins Zentralkomitee ausgesprochen hatten. Bei einer objektiven Bewertung des gesamten Komplexes der Auseinandersetzungen in der Parteispitze nach dem 30. Januar 1933 kann nicht verborgen bleiben, daß letztlich bei der personellen Neubesetzung der Führungsgremien wohl auch die »Sündenböcke« für die sektiererische Politik gesucht und gefunden wurden. Spätere Parteigeschichtsschreibung übernahm diese Version. Das Sektierertum wurde auf Hermann Schubert und Fritz Schulte fokussiert, gegen deren Abweichungen sich die richtige Parteilinie durchsetzte. Hermann Schubert, Fritz Schulte und auch Leo Flieg fielen dem bald nach der Konferenz in der Sowjetunion einsetzenden Stalinschen Massenterror zum Opfer, ebenso wie Hans Kippenberger und die schon 1932 und 1933 aus dem Polbüro ausgeschiedenen Heinz Neumann und Hermann Remmele.'° Von den auf der Parteikonferenz Gewählten wurden Knöchel, Kowalski, Rädel, Thälmann

und Wiatrek von den Faschisten ermordet.

Die Parteikonferenz markierte bei der Suche nach einem neu-

en Politikansatz zweifellos eine Zäsur. Die KPD bezog ausge-

hend von den Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur und der bitteren Niederlage 1933 sehr kritisch Stellung zu ihrer Politik. Die Berufung auf sie sowohl in der folgenden Zeit als auch beim Neuanfang nach 1945 als »energischer Akt der Selbstkritik der KPD«'® sollte gerade ein gemeinsames Nachdenken über Fehler und Schuld der deutschen Arbeiterbewegung im Neuanfang 1945 ermöglichen. Teilnehmern der »Brüsseler Konferenz« schienen die Debatten und die politischen Beschlüsse der Parteikonferenz als eine Wende in der Parteiarbeit. Wilhelm Pieck schrieb am 29. Oktober 1935 optimistisch an Dimitroff, daß »die Parteikonferenz uns zweifellos ein gutes Stück vorwärts gebracht (hat), soweit die Lage in der Partei und die Wendung ın ihrer Massenarbeit in Frage kommt«.'*” Es war vor allem die Atmo105

106 107

Siehe In den Fängen des NKWD. Deutsche Opfer des stalinistischen Terrors in der UdSSR. Berlin 1991. — Hermann Weber/Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Berlin 2004. S. 33ff. und 909ff. Otto Grotewohl: Dreißig Jahre später. Berlin 1953. S. 132. SAPMO-BArch. NY 4036/490. Bl. 309.

179

sphäre um und während »Brüsseler Konferenz«,

des VII. Weltkongresses

und der

in der es möglich geworden war, als

unumstößlich geltende Auffassungen und Denkmuster kritisch

zu hinterfragen, sie offen, bis in die höchsten Gremien in der

Partei zu diskutieren und andere politische Urteile und Konzepte

aufzubauen, die viele hoffnungsvoll stimmte. Diese Hoffnun-

gen auf eine durchgreifende Wende, auf eine weitreichende Erneuerung kommunistischer Politik und Theorie trogen.

180

»Auf heiklem

Posten«

Experimentierfeld Emigration — Theorie und Praxis der Volksfrontpolitik

Die Veränderung in der Politik der KPD im Verlauf des Jahres 1935 kamen verspätet, in einer gewissen Art zu spät — wie der englische Historiker Allan Merson schreibt. Denn »die mit dem Kopf voran geführte Offensive der Untergrund-KPD gegen die Nazidiktatur hatte von 1933 bis 1935 zu so schweren Ver-

lusten geführt, daß der Aktionsradius der Partei bereits erheblich eingeschränkt war«.!® »Die disziplinierte, zuversichtliche politische Armee, die sie [die neue Linie — die Verf.] früher mit gutem Erfolg hätte anwenden können, hatte ıhre Reserven er-

schöpft und war zu größeren Anstrengungen nicht mehr fähig [...] So bildete sich ein gewisser Zwiespalt in der Partei heraus: Einerseits eine in der Emigration wirkende Leitung, die zunehmend vom Geschehen in Deutschland entfernt war, andererseits dort die Kommunisten in den Betrieben und Gefängnissen, die teilweise den Kontakt zum politischen Denken

der Partei, die sie immer noch als die ihre betrachteten, verlo-

ren.«'® Viele der dort im Untergrund Aktiven erfuhren bıs 1945 wenig oder nichts von der neuen Politik. Für das Wirken des kommunistischen Widerstandskampfes im Lande wurden die Beschlüsse der »Brüsseler Konferenz« nur sehr begrenzt wirksam. Anders in der Emigration. Wo Kommunisten im Exil lebten, erhielten sie über ihr politisches Zentrum, den polıtischen Emigrationsleiter, die politischen Instruktionen der KPD-Füh108 109

Allan Merson: Kommunistischer Widerstand in Nazideutschland. 1999, S. 171. Ebenda. S. 170.

Bonn

181

rung und standen in enger Kommunikation. Die Beschlüsse des VIL. Weltkongresses und der Parteikonferenz der KPD fanden große Aufmerksamkeit unter den Emigranten. Der innovative Wert iıhrer Handlungsrichtlinien für die weitere Arbeit der KPD sollte sich gerade ın der Emigration zeigen. Die Emigration wurde faktisch das Erprobungs- und Aktionsfeld in der Einheits- und Volksfrontpolitik der KPD.''® Hier erhoffte man sich baldige, auch auf den inneren deutschen Widerstand ausstrahlende Erfolge. Pieck umriß bereits am 29. Oktober 1935 in seinen Brief an Dimitroff in Auswertung der »Brüsseler Kon-

ferenz« die nächsten Schritte: »An den Prager Parteivorstand

[der SPD] soll erneut herangegangen werden, zunächst durch eine persönliche Aussprache, wofür das P.B. Richtlinien ausgearbeitet hat. Wir wollen uns dabei auf eine Reihe von Forderungen

stützen, die er selbst in seinem

Manifest vom

Januar

1934 aufgestellt hat. Ebenso werden wir an eine Reihe von bürgerlichen Politikern herangehen, die in Prag und Paris sich bereits zu Komitees zusammengefunden haben. Auch an die

Linken in der SPD werden wir erneut mit Vorschlägen für die

gemeinsame Arbeit herangehen.«!!!

Das war ein ehrgeiziges Programm. Am 23. November 1935 fand in Prag das Treffen zwischen Hans Vogel und Friedrich Stampfer vom

Dahlem

vom

SPD-Vorstand

KPD-Polbüro

und Walter Ulbricht und

Franz

statt. Es war auf Initiative der

KPD-Führung zustande gekommen.''? Das Gespräch stand allerdings unter keinem guten Stern. Die Exekutive der SAI hat-

te sich am 12. Oktober 1935 gegen die Zusammenarbeit mit 110

111 112

182

Zur Geschichte der deutschen Volksfront siehe die umfassenden

For-

schungsergebnisse von Ursula Langkau-Alex. Von den drei Bänden sind

bis Ende 2004 zwei im Akademie Verlag Berlin erschienen (siehe Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Parıs, Prag und Moskau. Erster Band: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. — Zweiter Band: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Berlin 2004). SAPMO-BArch. NY 4036/538. Bl. 88. Am 23. Oktober 1935 hatte das Polbüro Richtlinien für eine persönliche Aussprache beschlossen, am 10. November schickte es einen Brief an die Sopade, in der sie die Politik der »Brüsseler« Konferenz erläuterte und Spitzengespräche vorschlug.

Kommunisten auf der Ebene einzelner Länderparteien wie auf

der Ebene der Internationalen ausgesprochen. Am 22. Oktober 1935 holten sich Erich Ollenhauer und Otto Wels bei einer Besprechung der Sopade mit Grenzsekretären auch deren Rückendeckung für eine Ablehnung der Einheitsfront mit der KPD_II3

In der Komintern- und KPD-Spitze bestand wohl Einigkeit über die neue Orientierung auf die Einheits- und Volksfront, der Weg zu ihr aber war völlig offen. Die weitere Entwicklung wurde weitgehend davon bestimmt, daß gewonnene

Er-

kenntnisse nur zögernd oder gar nicht umgesetzt wurden. Zudem barg die ausgebliebene »General«abrechnung mit dem linkssektiererischen Kurs der Komintern ständig die Gefahr des Rückschlags in die alten Denkmuster. So zeigte sich ın dem Referat von Dmitri Manuilski über die Ergebnisse des VII. Kongresses vor dem Moskauer und Leningrader Parteiaktiv im November 1935, daß er in der Frage der Einheitsfront und der Haltung zur Sozialdemokratie nicht nur einen Kompromiß zwischen altem und neuem Herangehen anstrebte, sondern deutliche Zugeständnisse an die »Stalinsche Lehre«, wonach »Faschisten und Sozialdemokraten nicht Antipoden,

sondern Zwillingsbrüder sind«,!'* machte. Am 18. November

1935 informierte Pieck in einem Brief an Ulbricht und Dahlem, daß die Komintern-Führung erneut einen prinzipiellen »Kampf gegen die Sozialdemokratie« fordere.''” Solche Zeichen mußten nicht nur die Partner der Einheits- und Volksfront verunsichern,

sondern auch die Kommunisten,

die sich

um ein neues Herangehen an die Sozialdemokratie bemühten.'"®

Das Spitzengespräch zwischen SPD und KPD verlief schwierig. Einleitend betonten Hans Vogel und Friedrich Stampfer

zwar, daß die Einheit der sozialdemokratischen und kommun!113 114

115

116

Siehe Michael Schneider: Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939 ... S. 1032f. Siehe Rundschau.

Basel (1935)67. S. 2616.

Brief Wilhelm Piecks an Walter Ulbricht und Franz Dahlem. Moskau am 18. November 1935. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/284. Die SPD-Führung kannte Manuilskis Referat. Ollenhauer nutzte es auf einer Versammlung der SPD-Emigration am 29. November 1935 in Prag, um die kommunistischen Einheitsfontvorschläge als Manöver zu charakterisieren (sıehe SAPMO-BArch. RY5S/I 6/3/259).

183

stischen Arbeiter eine der wichtigsten Voraussetzungen zum Sturz des Faschismus sei, machten aber gleichzeitig nur Vorbehalte geltend. Sie lenkten das Gespräch von vornherein durch eine mitgebrachte Denkschrift auf grundlegende strittige Fragen zwischen beiden Parteien, wie die Debatte um Endzıele und um die Politik ın der Vergangenheit, wo eine Einigung schwer erreicht werden konnte. »Zwischen SPD und KPD besteht seıt 17 Jahren ein ununterbrochener Kampf, immer ist dieser Kampf von Euch im Angriff, von uns in der Verteidigung geführt worden. Immer wurde von Euch die Parole der Einheitsfront als Mittel des Kampfes gegen die Sozialdemokratie benutzt, immer sollte dieser Kampf die Sozialdemokratie

entlarven, unsere Partei fälschlich als Gegnerin der Einheit herausstellen und Differenzen innerhalb unserer eigenen Rei-

hen erzeugen. Gerade deshalb wurde von der großen Mehrheit

unserer Parteı die Einheitsparole abgelehnt.«'!? Sie erklärten, daß das Mißtrauen in der SPD gegenüber den Kommunisten groß sei und der überwiegende Teil ihrer illegalen Kämpfer im Lande eine Einheitsfront mit den Kommunisten nicht wolle. Des weiteren nannten sie als Grund ihrer Ablehnung, daß ein Einheitsfrontabkommen andere Gegner des Nationalsozialismus von einem Zusammengehen mit der Sozialdemokratie abschrecken würde. Die Vertreter der KPD gingen auf diese Vorwürfe nicht ein. Sie wollten aus diesem Gespräch mit einem Zeichen für die Einheitsfront herauskommen. Deshalb sprachen sie die Hoffnung auf eine Annäherung aus und suchten Vogel und Stampfer zu einer Vereinbarung über gemeinsame Schritte gegen das Hitler-Regime zu bewegen. Ulbricht schlug vor, zum Beispiel gemeinsame Hilfsmaßnahmen für die Verhafteten und ihre Familien zu veranlassen. Vogels Vorhaltungen, daß die Kommunisten weiterhin gegen Sozialdemokraten, die nicht für die Einheitsfront sind, ankämpfen wollen, bestätigte Ulbricht, denn man könne »nicht duldsam sein gegenüber Sozialdemokraten, die gegen die Einheitsfront sind«. Ulbricht sicherte

aber zu, wenn eine gemeinsame Vereinbarung zustande käme,

auch bereit zu sein, eın Abkommen 117

184

Susanne

Miller/Heinrich

Potthoff:

stellung und Dokumentation

über die Einstellung des

Kleine

1848-1983.

Geschichte

Bonn

der

SPD.

1988. S. 624.

Dar-

Kampfes zwischen SPD und KPD zu treffen. Er hatte bereits einen Entwurf für ein gemeinsames Kommunique mitgebracht. Vogel und Stampfer wollten kein Ergebnis. Sie lehnten eine gemeinsame Erklärung jeglicher Art ab, Ja sie waren Ssogar gegen die Veröffentlichung, daß ein Gespräch stattgefunden hat. Für die kommunistischen Gesprächsteilnehmer war das sozialdemokratische Angebot: Geheimhaltung des Gesprächs und geheime Vereinbarung über einen Nichtangriffspakt zwischen beiden Parteien zu dürftig, als daß sie darauf eingehen konnten. So blieb das Gespräch erfolglos.

Das Scheitern des Spitzengesprächs mußte negatıve Auswirkungen haben. Der SPD-Vorstand schob den Kommunisten die Schuld zu, daß eine Einigung nicht möglich war, weil diese eine Sofortige »Deklaration der sozialdemokratisch-kommunistischen

Einheitsfront« gefordert hätten und einen Nichtangriffspakt ablehnten.'!? Die KPD erklärte mit dem Artikel Dahlems in der »Internationale« nicht zu Unrecht, daß seitens des SPD-

Vorstandes die Ablehnung »schon beschlossene Sache« war, »ehe die Verhandlungen begannen«.!'? Sie machte den SPDVorstand dafür verantwortlich, daß durch seine Einheitsfeind-

lichkeit sich das Hitler-Regime weiter halte. Der Ton der Auseinandersetzung wurde schärfer. Gleichwohl verkündete

das Polbüro der KPD im Dezember 1935 seine Bereitschaft, jederzeit sofort in neue Verhandlungen mit dem Prager Parte1-

vorstand über ein Zusammengehen von Fall zu Fall einzutreten.'2?® Die KPD-Führung setzte darauf, daß es zu weiteren Differenzen

in der SPD

kommen

werde, denn das Scheitern

der Verhandlungen hatte bei sozialdemokratischen Mitgliedern in der Emigration Kritik an der Politik des SPD-Vorstandes hervorgerufen.'?! Ihre politische Orientierung in der Einheitsfront bestand darin, den Druck auf den SPD-Vorstand zu erhöhen. 118 119

Siehe »Neuer Vorwärts«. Prag vom 8. Dezember 1935. Franz [Dahlem]: Der Kampf um die Einheitsfront. Zu den Verhandlungen zwischen den Zentralen der KPD und der SPD. In: Die Internationale. o. O. [Prag] (1935-1936)Dezember/Januar. S. 20.

120

Siehe Die nächsten Aufgaben schau. Basel (1935)75.

121

der deutschen

Kommunisten.

In: Rund-

Siehe u. a. Berichte über Auseinandersetzungen in der sozialdemokratischen Führerschaft. In: SAPMO-BArch. RYS/I 6/3/259.

185

Das sollte erstens durch öffentliche prinzipielle Auseinandersetzung mit der SPD-Spitze geschehen. Zweitens suchte die KPD die Opposition in der SPD zu stärken, ın dem sie diese politisch, organısatorisch und materiell unterstützte.'** Drittens sollten Einheitsabkommen zwischen den Widerstandgruppen im Land den Druck von unten erhöhen.'* Die SPD-Führung reagierte auf die kommunistischen Vorwürfe und Aktıviıtäten mit einer noch schärferen Abgrenzung. Am 24. Januar 1936 verpflichtete der Parteivorstand alle Grenzsekretäre, Vertrauensleute und Stützpunktleiter, jede organisatorısche Verbindung mit Kommunisten, insbesondere Abmachungen und Vereinbarungen mit kommunistischen Vertretern oder Organisationen, einschließlich der »Roten Hilfe«, über gemeinsame Aktionen abzulehnen. Das EKKI bestätigte der KPD-Führung in den Verhandlungen mit dem Prager SPD-Vorstand eine prinzipiell richtige Linie verfolgt zu haben. »Es fehlte aber an genügender Elastizität«, heißt es kritisch.'** Die Vorstellung, den jahrelangen Grabenkampf durch eine schnelle Übereinkunft beenden zu können,

unterschätzte die Schwierigkeiten solcher Verhandlungen. Die Kompromißfähigkeit der KPD-Verhandlungsführer war offensichtlich mit einem »Nichtangriffsvertrag« ohne konkrete Einheitsfrontabmachungen überfordert. Das war mit der »prinzipiellen Auseinandersetzung mit der SPD«, wie in allen Dokumenten immer wieder gefordert wurde, nicht in Übereinstimmung zu bringen. Diıe KPD-Führung unterbreitete in der Folgezeit immer wieder neue Einheitsfrontangebote, wobei sie die Rheinlandbesetzung, den anwachsenden Terror gegen politische Regimegegner sowie die Ereignisse in Spanien als Anknüpfungspunkte für gemeinsames Handeln nutzte.'?* Obwohl die Sopade stets negativ auf Angebote der KPD antwortete, riß der Kontakt zwischen den Spitzen von Sopade und KPD nicht vollständig ab. Denn

auch die Sopade

wollte — allerdings unterhalb von

122 123

Siehe ebenda. Siehe ebenda.

124

Siehe Beschluß des EKKI Sekretariats zum Bericht des Polbüros des ZK der KPD am 17. März 1936. In: SAPMO-BArch. RY5S/I 6/3/267. Siehe Klaus Mammach: Die deutsche Widerstandsbewegung 1933-1939. Berlin 1974. S. 173f.

125

186

offiziellen Verhandlungen — die persönlichen Kontakte zu Vertretern der KPD unterhalten, weil parallel in Paris die Volksfront-Verhandlungen im Pariser Ausschuß liefen und sie sich eine Tür offenhalten wollte. Seit dem Sommer 1935 gab es, ausgehend vom Schriftsteller-

kongreß zur Verteidigung der Kultur, der vom 21. bis 25. Juni

1935 in Paris tagte, mit dem »Lutetia«-Kreis ein Gremium von

Persönlichkeiten, das als Keimzelle einer deutschen Volksfront

gegen den Hitler-Faschismus gelten konnte. Unter dem Vorsitz von Heinrich Mann trafen sich am 26. September 1935 rund 50 Vertreter unterschiedlicher Organisationen im Pariser Hotel »Lutetia«. Die Mehrheit bildeten bürgerliche Hitler-Gegner und Sozialdemokraten. Zu ihnen gehörten u. a. Wilhelm Abegg, früherer Staatssekretär im preußischen Innenministerium, Otto Klepper, früherer preußischer Finanzminister, Georg Bernhard,

Chefredakteur des »Pariser Tageblatts«, Leopold Schwarzschild, Herausgeber der in Paris erscheinenden Zeitschrift »Das Neue Tage-Buch«, der Arzt Felix Boenheim, der Rechtsanwalt Rudolf Olden, der protestantische Theologe Fritz Lieb, Otto Lehmann-Russbüldt von der Liga für Menschenrechte, die Wissenschaftler Emil Julius Gumbel und Georg Wolfgang

Hallgarten, sowie die Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Kon-

rad Heiden, Rudolf Leonhard und Heinrich Mann, die Sozialdemokraten Max Braun, Kurt Glaser, Karl Höltermann, Kurt Rosenfeld, Victor Schiff und Alexander Schifrin. Von den

Kommunisten waren nur vier vertreten: Wilhelm Koenen und Willi Münzenberg, Andre R. (d. i. Adolf Deter) und H. Belfort (d. i. Erich Birkenhauer).'?* Es war in hohem Maße Willı Münzenbergs Verdienst, daß es gelang, seit dem Sommer 1935 antifaschistische Kräfte unterschiedlichster politischer Herkunft zusammenzuführen und in eine organisatorische Form zu fügen. Obwohl in den Beratungen des »Lutetia«-Kreises

die sehr unterschiedlichen Meinungen, insbesondere über eine

zukünftige Gestaltung Deutschlands,

sehr hart aufeinander-

prallten, wurde ein Komitee gewählt, das weitere Treffen or-

ganıisieren sollte. 126

Siehe Dieter Schiller/Karlheinz Pech/Regine Herrmann/Manfred Hahn: Exil in Frankreich.

Leipzig

1981.

S. 520f. (Liste der Teilnehmer).

187

Auch das zweite Treffen des »Lutetia«-Kreises am 22. November 1935 lief ohne konkrete Ergebnisse ab. Eine organisierte Form der Zusammenarbeit konnte ob des Für und Wider einer Volksfront-Organisation nicht gefunden werden. Ein Grund bestand auch darin, daß die Hoffnung bestand, den Vorstand der Sozialdemokratie für die Beteiligung an der Zusammenarbeit zu gewinnen und nicht durch vorherige feste Abmachungen

dessen

Mitarbeit zu erschweren.

Das

Polbüro

der KPD hatte dementsprechende Weisungen an ihre Funktio-

näre ın Parıs gegeben.'*’ Die Beteiligten der Beratung des »Lu-

tetia«-Kreises verständigten sich darauf, Anfang Januar 1936 eine erneute große Tagung einzuberufen. Die Gespräche und Kontakte unter den Persönlichkeiten hatten vielfältige positive Wirkungen. Sie verbesserten nicht nur das Klima unter den Hitler-Gegnern in der Emigration. Es

kam auch zu gemeinsamen Aktionen einzelner Mitglieder, wie

zum Beispiel der Aufruf gegen den Naziterror, gegen die Ermordung von Rudolf Claus und für die Befreiung von Ernst Heilmann,

Carlo

Mierendorff,

Theodor

Neubauer,

Carl

von

Ossietzky, Kurt Schumacher und Ernst Thälmann. Er war von

den Sozialdemokraten Max Brauer, Max Braun, Rudolf Breit-

scheid, Emil Kirschmann und Victor Schiff gemeinsam mit Hans Beimler, Philipp Dengel, Wilhelm Koenen und Willi Mün-

zenberg von der KPD

Auch Heinrich Mann

am

18. Dezember

1935 unterzeichnet.

schloß sich der Erklärung an und rief

alle Deutschen, »die den Namen

verdienen«, auf, sich dieser

Bewegung anzuschließen. Internationale Auswirkungen hatten auch die Proteste gegen die Remilitarisierung des Rheinlandes ım März 1936'® und gegen die Olympischen Spiele in Berlin einige Monate später.

Dıe KPD setzte große Hoffnungen auf diese Keimzelle einer deutschen Volksfront gegen das Nazi-Regime. Dabei spielte auch der Gedanke eine Rolle, über den (Um-)Weg der Volksfront ebenso die Einheitsfront, d. h. die Verständigung zwI127 128

188

Siehe Brief der operativen Gruppe des Polbüros der KPD in Prag an die Pariser Freunde vom 26. November 1936. In: SAPMO-BArch. RYI/I 2/3/284. Am 7. März 1936 besetzten deutsche Truppen die durch den Vertrag von Locarno entmilitarisierte Zone des Rheinlands.

schen den Führungen der Arbeiterparteien forcieren zu können. Mitglieder des Polbüros der KPD in Moskau (Pieck, Florin, Heckert) und der Operativen Leitung in Prag (Ulbricht, Dahlem) drängten auf eine schnelle Überwindung der Schwierigkeiten, um endlich eine gemeinsame öffentliche Kundgebung

gegen den Hitler-Faschismus durch die in der Emigration be-

findliche antifaschistische Opposition herbeizuführen. Sie sahen es dabei als hinderlich an, daß von einigen linksbürgerlichen Journalisten wie Georg Bernhard und Leopold Schwarzschild ausführliche Programme über politische Staatsgrundsätze und Verfassungen einer kommenden Regierung ausgearbeitet worden waren und diskutiert werden sollten. Auch von Emil Julius Gumbel lag ein Minimalprogramm für eine Deutsche Volksfront vor,!? das nach Meinung der KPD-Spitze weit über aktuelle Aufgaben hinausging. Für die zum 2. Februar 1936 erneut einberufene Zusammenkunft des »Lutetia«-Kreises gab das Polbüro der KPD für die kommunistischen Teilnehmer Richtlinien heraus.'”® Sie sollten das Hauptgewicht der Beratung auf die Hilfe für das Land einstellen und aktuelle Aufgaben, wie den Kampf gegen

Teuerung und Terror erörtern. Eine Programmdebatte über Staatsformen nach Hitler und eventuelle Beschlußfassungen darüber galt es unbedingt zu vermeiden. Außerdem sollte dıe

Zusammenkunft

benutzt werden, um die anwesenden

Sozial-

demokraten zu veranlassen, sich eindeutig zur Einheitsfront zu bekennen und einen entsprechenden Appell an den SPDVorstand in Prag zu richten. Die Polbüromitglieder der Operativen Leitung ın Prag warfen zugleich Münzenberg und den anderen KPD-Vertretern ın Paris vor, sich nicht an die Orientierungen zu halten. Sie hätten sich mit Sozialdemokraten wie Victor Schiff wegen eines 129

130

Zu den Entwürfen von Bernhard, Schwarzschild und Gumbel siehe Ursula Langkau-Alex: Volksfront für Deutschland? Bd. 1: Vorgeschichte und Gründung des »Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront«. 1933-1936. Frankfurt am Main 1977. Dokumentenanhang. - Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Erster Band: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Berlin 2004. Siehe Anweisungen des Polbüros vom 25. Januar 1936. In: SAPMOBArch. RY1/I 2/3/419.

189

Nichtangriffspaktes verständigt und sich in den bisherigen Beratungen auf die Erörterung von Fragen eingelassen, was nach Hitler kommt, anstatt auf die brennenden Fragen des Kampfes

im Lande zu drängen. Auch sei es verfrüht schon jetzt Beratungen über die Konstituierung eines Komitees zu führen, weil das viele Möglichkeiten der Annäherung neuer Kräfte erschweren würde. Es müßten auch in der Emigration in anderen Ländern erst noch solche Zusammenkünfte organisiert werden. Bereits hier wurde deutlich, wie wenig die KPD-Führung die Situation vor Ort berücksichtigte, daß bei einem ge-

meinsamen Vorgehen sehr unterschiedlicher Kräfte eben auch unterschiedliche Herangehensweisen der Partner akzeptiert werden mußten und ein »Führungsanspruch« der KPD das Projekt gefährdete. Bei den Vertretern der Sozialdemokratie bestanden allerdings die gleichen Vorbehalte gegen die Annahme eines Programms. In der Vorbesprechung der Vertreter der Arbeiterparteien am Vorabend der Konferenz am 1. Februar 1936 »gelang es den sieben anwesenden Sozialdemokraten unter Leitung Breitscheids, die Delegierten von KPD und SAP davon zu überzeugen, daß ihre äußerst verwundbare Stellung zwischen PV ın Prag und Volksfront in Paris strengste Zurückhaltung sowohl in programmatischen als auch in organisatorischen Fragen gebiete«.'?! Man verständigte sich darauf, die Annahme eines Programms

abzulehnen

und

sich höchstens

mit der Aufstel-

lung sehr allgemein gehaltener Grundsätze einverstanden zu erklären. Die Konferenz des »Lutetia«-Kreises am 2. Februar 1936 war von ungefähr 100 Personen besucht, darunter 20 Sozialdemokraten, drei Mitgliedern der Revolutionären Sozialisten'*

sowie fünf weiteren Teilnehmern anderer sozialistischer Grup-

pen (SAP

131 132 133

190

und

ISK);

23 Kommunisten,'**

37 Vertretern

bür-

Ursula Langkau-Alex: Volksfront für Deutschland? Bd. 1: Vorgeschichte und Gründung des »Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront«. 1933-1936. Frankfurt am Main 1977. S. 134. Friedländer aus Prag, Schifrin und Glaser (siehe ebenda. S. 153). Siehe ebenda. - An der Beratung nahmen u. a. neben Münzenberg die PB-Mitglieder Dahlem und Dengel teil, außerdem Wilhelm Koenen,

gerlich-demokratischer Organisationen, vier Vertretern katholischer Verbände. Auf der Konferenz gab es heftige Auseinan-

dersetzungen über die Schaffung eines Programms. Es wurde schließlich ein »engerer Ausschuß« gebildet, der die weitere Beratung der vorliegenden Programme und der Abänderungs-

vorschläge von Kommunisten

und Sozialdemokraten vorneh-

men sollte, um ein Programm als Plattform zur Sammlung aller Oppositionsgruppen auszuarbeiten. Trotz

des

Beschlusses

der Konferenz,

diesen Ausschuß

vorläufig namenlos zu halten, wurde er intern bald als Komitee bzw. Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront

bezeichnet, offiziell freilich erst im Juni 1936. Übereinstim-

mung herrschte über die Herausgabe einer Proklamation zur Amnestiefrage. Die Konferenz beschloß außerdem einen Aufruf »Kundgebung an das deutsche Volk«, in dem die einzelnen

Parteien und Gruppen aufgerufen wurden, sich zusammenzufinden und unter gegenseitiger Achtung ihrer Sonderziele »ihre anze Kraft auf die Verwirklichung folgender allgemeingültiger und

fundamentaler

Postulate zu richten:

Freiheit der Gesin-

nung, der Meinungsäußerung, der Forschung und der Lehre, Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung, Freiheit der Person, Achtung der Heiligkeit des menschlichen Lebens, Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz, Verantwort-

lichkeit und Absetzbarkeit der oberen Staatsorgane, Kontrolle über die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben, Ausrottung

der Korruption und der parasitären Parteiherrschaft«.'“* Der Aufruf erschien am 20. Februar 1936 in der »Inprekorr« und in der »Rundschau«. Von der operativen Gruppe des Polbüros der KPD in Prag wurde Einspruch gegen die vVeröffentlichung des Aufrufes bei den KPD-Funktionären

ın

paris, aber auch bei der Komintern erhoben, weil er nicht den

Direktiven entspräche. Wegen der Einschätzung der Pariser Konferenz und des Auftretens der Kommunisten kam es zu ernsten Differenzen ;m Polbüro. Besonders Walter Ulbricht in der operativen Leitung in Prag machte Front gegen die Arbeit der Kommunisten /

134

Peter Maslowski und Hermann Matern sowie der Chefredakteur der „Roten Fahne« Alexander Abusch. Aufzeichnungen Piecks. In: SAPMO-BArch. NY 4036/558.

191

(Dahlem und Münzenberg) im Pariser Volksfrontausschuß. In einem Rundschreiben vom 29. Februar 1936 an die Grenzstellen der Partei wurde erklärt, daß die Voraussetzungen für die Beratung einer gemeinsamen Plattform noch nicht gegeben seien und deshalb die Erklärung vom 2. Februar 1936 nicht publiziıert worden sei. »Im Sinne des Manifestes der Brüsseler Parteiarbeiterkonferenz sind wir der Meinung, daß die Beratung einer gemeinsamen Plattform voraussetzt, daß die Vertreter der in Deutschland tätigen Organisationen, das sind KPD, SPD und Zentrum, beteiligt sind. Bevor offizielle Vertreter der drei Parteien sich zur Teilnahme an solchen Beratungen nicht zusammengefunden haben, ist es zwecklos, sich mit Programmentwürfen zu beschäftigen.«'® Der Aufruf würde nur der Diskreditierung der Volksfronttaktik dienen. Eine ähnliche Einschätzung war im »Gegen-Angriff« vom 22. Februar 1936 erschienen.'*® In einer Stellungnahme Walter Ulbrichts an Georgi Dimitroff zur Nichtveröffentlichung der Resolution der Parıser Konferenz nannte er allerdings den Hauptgrund: »Da wir sowieso große Schwierigkeiten haben, unseren Genossen zu erklären, warum und wie wir für den Kampf um demokratische Freiheiten sind, würde die Verbreitung dieser Plattform

[...] nur Verwirrung anrichten.«'?7

Am 26. Februar 1936 schrieb die operative Leitung ın

Prag erneut an Münzenberg, daß sie aufgrund eines Berichtes von Dahlem über den Verlauf der Konferenz in Paris zu der Auffassung gekommen sei, daß die Direktiven des Polbüros über die Taktik gegenüber der SPD und den Beratungen des »Lutetia«-Kreises nicht durchgeführt wurden. Es entstehe der Eindruck, »als ob manche Freunde in Paris den Kampf gegen die reaktionären Führer der SPD eingestellt haben [...] Die 135

136 137

192

Rundschreiben des ZK der KPD an die Grenzstellen der Partei zu Fragen der Taktık gegenüber der SPD. In: Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Band X: 1933-1939. (Unveröffentlichtes Manuskript). Dokument 130. — Die Korrekturfahnen für den vorbereiteten, aber nicht zum Druck gelangten Band stellte dankenswerterweise Leopoldine Kuntz den Autoren zur Verfügung. Siehe der Artikel »Der nächste Schritt« in »Der Gegen-Angriff«. o. O. vom 22. Februar 1936 (Nr. 8). Stellungnahme W. Ulbrichts im

1936. In: SAPMO-BArch.

Namen

des

Polbüros

RYS/I 6/3/288. Bl. 53.

vom

11.

März

Taktik verschiedener Freunde in Paris liefe darauf hinaus, zu beweisen,

daß

es möglich

sei, auch

durch

andere

taktische

Maßnahmen als die vom PB beschlossenen zur Einheits- und Volksfront zu kommen.«'* Williı Münzenberg wehrte sich gegen diese Vorwürfe und Unterstellungen. Er verwies darauf, welche scharfen Reaktionen die Nichtveröffentlichung des Aufrufs vom 2. Februar bei den Akteuren des »Lutetia«-Kreises, besonders den Sozialdemokraten, hervorgerufen haben. Die Gefahr des Auseinanderfallens des Kreises wäre groß, da eine erneute Kursänderung in der KPD-Führung vermutet würde.'? Die Differenzen in der KPD-Führung führten ın Moskau im EKKI dazu, daß eine Aussprache im Politsekretarıat anberaumt wurde.

Bereits Anfang 1936 geriet so die Herangehensweise Münzenbergs in Konflikt mit Teilen der Parteiführung in Moskau und Prag.

In den

Diskussionen

der

Programmdiskussion

des

Volksfrontausschusses im Februar 1936 gewannen die unterschiedlichen Ansätze im Auftreten Willi Münzenbergs und Philipp Dengels'* Kontur. Das zentrale Problem war die Stellung der KPD zur bürgerlichen Demokratie. Münzenberg wurde immer wieder der zu weit gehenden Selbstkritik der kommunistischen Linie und der Vertrauensseligkeit gege_nüber sozialdemokratischen und bürgerlichen Vertretern geziehen. Ein Brief Philipp Dengels an Wilhelm Pieck vom 6. April 1936 dokumentierte diesen Konflikt schlaglichtartig. Dengel versuchte in seinem Schreiben Pieck die Gegensätze zu erläutern, die sich zwischen ihm und Willi Münzenberg anläßlich der Verhandlungen mit Victor Schiff und Rudolf Breitscheid ergeben hatten.'*! Als Kernpunkt der Differenzen erwies sich dabei das Verständnis der Politik des VII. Weltkongresses. Während Philipp Dengel in diesen Gesprächen letztlich die Position vertrat, »Demokratie [nur — die Verf.] bis zum Sturz 138 139 140 141

SAPMO-BArch. NY 4036/558. Siehe SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/419. Bl. 52. Philipp Dengel war neben Willi Münzenberg und Franz Dahlem einer der drei Vertreter der KPD im »engeren Ausschuß«, d. h. im Volksfrontausschuß, der am 2. Februar 1936 gebildet worden war. Philipp Dengel an Wilhelm Pieck. 6. April 1936. In: RGASPI. Fonds

495.

Bestand

l. Akte

156.

193

Hitlers« — so die bündige und sicher kritisch zuspitzende Zusammenfassung Willi Münzenbergs —, warf Dengel diesem vor, die »Schwierigkeiten, die sich aus den verschiedenen Grundansıchten zwischen uns und waschechten Sozialdemokraten, wie Br[eitscheid] und Schliff] ergeben, auszuweichen und diese Verschiedenheiten zu verschmieren«. Münzenberg habe in diesen Gesprächen den Eindruck erweckt, »als ob bis zum 7. Weltkongress das eigentliche Hindernis für die Einheitsfrontpolitik unsere Partei gewesen sei [...] Man dürfe, so meinte

ich,

unsere

Partei

nicht

schlechter

machen,

als sie

war.« Dengel warf Münzenberg vor, die Politik des VII. Weltkongresses und der »Brüsseler Konferenz« als »Wendung« dargestellt zu haben und insistierte darauf, »daß unter der

Führung Dimif[troffs] und Manulilskis] schon seit 1934 die rIl((i)mintern Schritt um Schritt die Wendung durchgeführt« abe. Dengels Position dokumentierte ein Grundproblem von KPD und Komintern: ihr Demokratieverständnis. Wenn die KPD Fortschritte bei ihrer Einheits- und Volksfrontbestrebun-

gen erreichen wollte, mußte sie angestrengt daran arbeiten, ihre Diskussionspartner zu überzeugen, daß die neue Linie nicht nur ein taktisches Manöver und daß das demokratische

Deutschland, von dem sie sprachen, wirklich als eigenständi-

ges historisches Stadium konzipiert war, das sich qualitativ

sowohl von der diskreditierten Weimarer Republik als auch

von der Diktatur des Proletariats unterscheiden

würde. Aus

Moskau kamen aber immer wieder Aktionen und Zeichen, die

die Bündnispartner verunsicherten und den Gegnern des Zusammengehens mit den Kommunisten Wasser auf ihre Mühlen lenkte. Sympthomatisch dafür war der Umgang mit den Beschlüssen der »Brüssseler Konferenz«. Der von der Politischen Kommission des EKKI als Grundlage bestätigte Entwurf des Manifests der »Brüsseler« Konferenz« enthielt die Formulierung: »Wir werden dafür kämpfen, daß die Volksmassen in einer freien Wahl eine Nationalversammlung bilden, daß wirksame Maßnahmen gegen den Faschismus, gegen die Kriegstreiber ergriffen werden.«'* Da sich die endgültige Re142

194

Die

»Brüsseler

schlüsse. Bl. 8.

Konferenz«

der

KPD

von

1935

auf CD-ROM

...

Be-

digierung des Manifests in Moskau durch immer neue Einwände der Kl-Gremien in die Länge zog,'“” wurden wichtige Aussagen u. a. Iın politischen Gesprächen mit sozialdemokratischen Vertretern schon vorher vermittelt. Ulbricht und Dahlem hatten Mitte November 1935 in den Verhandlungen mit Stampfer und Vogel vom Parteivorstand der SPD über ein Einheitsfrontabkommen und Herbert Wehner in Gesprächen mit Rudolf Breitscheid und dem früheren » Vorwärts«-Redakteur Erich Kuttner in Paris über diese weitgehende Feststellung gesprochen. Als das Manifest dann in der »Rundschau« am

12. Dezember

1935 veröffentlicht wurde, fehlte indessen

die oben genannte Formulierung, die inzwischen von sozialdemokratischer Seite in die Öffentlichkeit gebracht worden war. Aus der Streichung ergab sich, wie Pieck später in einer »Ubersicht über die Arbeit der KPD

seit dem

VII. Weltkongress«

bemerkte, »eine etwas peinliche Situation«.'*“ Die Zurücknah-

me der an deutschen Verhältnissen orientierten möglichen konkreten Form einer Einheits- oder Volksfrontregierung und ihr

Ersetzen durch die allgemeine, von der Komintern bereits abgesegnete Formulierung von einer nicht näher bestimmten R_egierung

der

Einheitsfront

oder Volksfront

verweist

apf die

Schwierigkeiten des Umgangs mit dem Phänomen Weimarer Republik und die Grenzen zeitgenössischen kommunistischen Demokratieverständnisses. Es blieb unter den anvisierten Bündnispartnern auch nicht verborgen, daß Münzenbergs Wirken im »Lutetia«-Kreis Kri-

tik im Polbüro hervorgerufen hatte, und es wurde verbreitet,

daß er abgesetzt, daß er »vollkommen erledigt sei«. Wie aus Briefen Münzenbergs an die KPD- und KI-Führung, aber auch

einem Brief Georg Bernhards an Heinrich Mann hervorgeht, befürchteten die Protagonisten der Volksfront in der Emigrati-

on, daß

ein erneuter

Kurswechsel

in Moskau

stattgefunden

habe, Dimitroff in den Hintergrund gedrängt sei, daß Kuusinen und Kun »das Heft in der Hand hätten« und dıe Gegner

143 144

Siehe dazu Briefe Piecks vom November und MO-BArch. RY1/I 2/3/284. BlI. 15, 17, 5, 29, Wilhelm Pieck: Übersicht über die Arbeit der kongress. In: SAPMO-BArch. NY 4036/558.

Dezember 1935. In: SAP39 und 42. KPD seit dem VII. WeltBl. 100.

195

der Volksfrontpolitik wieder die Politik bestimmen. Dafür sprächen auch Artikel von Gottwald und Kuusinen.'* Die Befürchtungen und Bedenken waren nicht unbegründet. Aus Moskau kamen während der Abwesenheit Dimitroffs wegen eines längeren Kuraufenthalts Zeichen, die auf eine Behinderung des politischen Kurswechsels deuteten. Gerüchte aus Moskau beschäftigten auch die Sitzung der operativen Leitung der KPD in Prag im Februar 1936. Aus Moskau kommend hatte ein Instrukteur Informationen mitgebracht, daß die KPD bei einer EKKI-Beratung — wahrscheinlich war die Sitzung des EKKI-Sekretariats vom 1. Dezember gemeint, auf der Wilhelm Pieck Bericht erstattete — sehr scharf wegen ihrer schlechten Arbeit seit dem VII. Weltkongreß kritisiert worden seı und sich eine Kursänderung zur »Brüsseler Konferenz« vor allem in der Personalpolitik zeige. Wahls und Schubert würden nicht in die Provinz geschickt, und Schulte sei anstelle des verstorbenen Heckerts nun Vertreter der KPD bei der RGI.'* Am 14. und 15. März 1936 fand im Sekretariat des EKKI eine Aussprache über die Differenzen im Polbüro statt, wozu Ulbricht, Dahlem und Münzenberg geladen waren. Vom Sekretariat war eine Kommission, bestehend aus Dimitroff, Toglıatti, Manuilski, und Moskwin eingesetzt worden, die zu

der Arbeit der KPD und den Differenzen Stellung nahm. Das Resultat der Aussprache wurde in einem Beschluß des EKKISekretariats vom 17. März 1936 niedergelegt. Er revidierte faktisch das Vorgehen des Polbüros, allerdings ohne eindeutige Stellungnahme gegen die verschiedenen Akteure zu beziehen. Ulbricht ließ später verlauten, daß seine anhaltenden Querelen mit Dahlem daher rührten, daß Dahlem »die Art der Erledigung des Konfliktes anläßlich der Einschätzung der Fe-

145

Brief Willi Münzenbergs vom 17. Mai 1936. In: SAPMO-BArch. RYS5/I 6/10/68. — Brief Georg Bernhards an H[einrich] Mann. 9. März 1936. In: Ebenda. — Zu den Artikeln siehe Kl{fement] Gottwald: Für die richtige Durchführung der Linie des VII. Kongresses. In: Die Kommunistische

146

196

Internationale.

Basel

(1936)2.

S.

108ff.

nen: Kein Grund zur Selbstzufriedenheit. In: Ebenda. S. 37ff. Siehe SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/273. Bl. 75.

—- O[tto]

Kuusi-

Basel (1936)1.

bruar-Konferenz der Volksfront während der Aussprache zu Hause als eine Rechtfertigung seiner Politik« ansehe.!* Im Beschluß des Sekretariats des EKKI wurde festgestellt:

»In der Durchführung der Einheitsfront und der VolksfrontPolitik zeigten sich Schwankungen und Unsicherheiten [...] Es bestand eine Unterschätzung der Schwierigkeiten, denen die neue taktische (sic! — die Verf.) Orientierung des VII. Weltkongresses in der ganzen Partei begegnet ist.« Die Pariser Konferenz vom 2. Februar 1936 sei ein Schritt vorwärts und die gemeinsame Erklärung gegen Hitler von Bedeutung für die Zusammenfassung der antifaschistischen Kräfte im Lande. Das EKKI kritisierte es als einen Fehler der Parteiführung, »dass die Partei die verschiedenen Verfassungskonstruktionen bürgerlicher Elemente nicht offen kritisierte. Im Zusammen-

hang mit der Hauptfrage, wie man Hitler stürzt, 1st es notwen-

dig,

auch

positiv

zu beantworten,

was

nach

Hitler kommt.

Ausgehend von der Notwendigkeit, eine breite Front aller Hitler-Gegner

herzustellen,

muss

die Partei

erklären,

dass wir

Kommunisten, die für die Sowjetmacht sind, bereit sind mit allen Kräften, die gegen Hitler sind, für ein demokratisches Deutschland zu kämpfen, in dem das deutsche Volk selbst

über das Regime entscheiden wird. Wir sind bereit mit allen

Hitler-Gegnern in diesem Sinne Abkommen zu treffen und ernsthaft für diese einzutreten. Die Partei muss in diesem Sinne auf sich die Initiative nehmen, einen Entwurf einer Plattform

der Volksfront gegen Faschismus und Krieg vorzuschlagen.«!“ Das EKKI hatte sich damit eindeutig dafür ausgesprochen,

die Realitäten im Volksfrontausschuß anzuerkennen, die Blok-

kierungen aufzugeben und ein eigenes Programm für ein demokratisches Deutschland aufzustellen. Zum ersten Mal wurde die Formulierung »für ein demokratisches Deutschland« als Staatsform nach Hitler gebraucht. Die Polbüromitglieder in Moskau erhielten den Auftrag, eın solches Programm auszuarbeiten.

147 148

Zur Lage in der Führung der Partei. Notizen von Wilhelm Pieck für G. Dimitroff. Juni 1936. In: SAPMO-BArch. NY 4036/538. Bl. 102. SAPMO-BArch. RY5S/I 6/3/267.

197

In der Zwischenzeit war Philipp Dengel bei der Beratung der Programmkommission des »Lutetia«-Kreises am 6. März 1936 noch voll den Weisungen des Polbüros der KPD gefolgt. Er verlangte, daß erst einmal Klarheit darüber geschaffen wer-

den müsse, welche

Kräfte hinter dem

»Lutetia«-Kreis stehen

und daß danach der Arbeitskreis der Programmkommission begrenzt werden müsse. Es müsse dann zunächst entschieden werden, ob überhaupt über ein solches Staatsprogramm diskutiert oder nur die konkreten Aufgaben formuliert werden sollten. Sich auf einen Brief des Polbüros vom 26. Februar stützend, erklärte er, daß es ein Irrtum sei, die KPD

habe sich

als Partei dem »Lutetia«-Kreis angeschlossen. »Über diese Mitteilungen entstand eine Panik«, wie Pieck später berichtete, und der erreichte organisatorische Zusammenschluß der opposıtionellen Kräfte drohte zu zerbrechen. Vom Polbüro wurde eiligst an Dengel telegrafiert, seine Ausführungen zurückzuziehen und in Telegrammen nach Prag, Zürich und Amsterdam erklärt, daß an der gemeinsamen Arbeit auf der Grundlage der Pariser Entschließung vom 2. Februar 1936 unbedingt festgehalten wird. Philipp Dengel wurde zurückbeordert und Ulbricht, Dahlem und Münzenberg nach Paris geschickt. Münzenberg sollte die Gespräche mit den Bündnispartnern fortführen, um die entstandene Krise zu überwinden. Gegen Münzenberg aber schwelte der Konflikt weiter, ihm

wurde von Mitgliedern des Polbüro (besonders Ulbricht) miß-

traut und ein Brief Georg Bernhards an Heinrich Mann'*® dem Polbüro als ein Beweis für Indiskretionen Münzenbergs gegenüber seinen Gesprächspartnern und für seine Abweichung von den Direktiven des Polbüros in die Hände gespielt. Münzenberg schrieb, verletzt durch dieses Mißtrauen: »Ich glaube, daß alle Leute, die Ihr hier herschickt, um mit solchen Leuten

[Gesprächspartner im »Lutetia«-Kreis — die Verf.] zu verhandeln, [...] sıch ähnlichen Gefahren aussetzen und ich hoffe nur im Interesse der auf so heiklem Posten tätigen Kameraden, daß Ihr ihnen mehr Glauben schenkt ...«'“ Am 22. April 149 150

198

Brief Georg Bernhards an Hf[einrich] Mann vom 9. März 1936. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/68. Brief Münzenbergs vom 4. Dezember 1935. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/68.

1936 beschloß das Polbüro in Abwesenheit Münzenbergs ihm eine strenge Rüge wegen

der ım Bernhard-Brief beschriebe-

nen Gespräche zu erteilen. Pieck und Flieg holten sich dafür

das Einverständnis

Dimitroffs

und Togliattis. Auf derselben

Sitzung gab das Polbüro die Zustimmung zu Parteiausschlüssen und Parteistrafen gegen 49 KPD-Mitglieder. Das waren die ersten Auswirkungen der auf Beschluß des Sekretarlats

des EKKI eingeleiteten Überprüfung der KPD-Emigranten ın

der Sowjetunion.'®! Die Partei unterzog ihre Kader erneut einer Parteikontrolle »vom Standpunkt ihrer Zuverlässigkeit und Klassenwachsamkeit«. Von den ca. 4.000 KPD-Emigranten wurden in den folgenden Jahren in der Sowjetunion etwa 3.000 festgenommen oder ausgewlesen. Für Münzenberg war diese Politik des Polbüros ihm gegenüber unverständlich. Er war im März aus Moskau mit dem eindeutigen Auftrag nach Parıs zurückgekehrt, seine Bemühungen im »Lutetia«-Kreis fortzuführen. Das Polbüro hatte ihn sogar als Parteivertreter für Paris bestimmt. Diese Parteistrafe mußte seinen Stand in Paris erneut in Zweifel ziehen und nicht nur ihn, sondern auch die KPD vor den Bündnispartnern desavouieren. Er kämpfte deshalb um seine Rehabilitierung in Briefen an das Polbüro und an das EKKI. Am 18. Mai 1936 schrieb er, wahrscheinlich an Togliatti: »Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich mache die beste und erfolgreichste Unterredung, breche eine sozialdemokratische Offensive unter den schwierigsten Umständen, wo Schwankungen und

Zweifel bei den verschiedensten Leuten waren, halte eine kla-

re Linie und kriege dafür einen Tadel [...] Ich bitte Dich also, sprich mit den Freunden D. M. [Manuilski] und Wilhelm [Pieck], denn hier muss ein Missverständnis oder eine Schweinerei vorliegen. Ich kann das nicht auf mich sitzen lassen —.2 Die Parteistrafe wurde jedoch nicht zurückgenommen.

Die Versuche zur Bildung einer Volksfront in Paris gingen un-

terdessen 151

152

unter maßgeblicher

Führung

Münzenbergs

weiter.

Siehe Beschluß des Sekretariats des EKKI »Über die politische Emigra-

tion« vom

11. Februar

1936 bei Carola Tischler:

gung. Deutsche Emigranten in sowjetischem Münster 1996. S. 96f. SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/68. BlI. 46.

Flucht in die Verfol-

Exil.

1933

bis

1945.

199

Der Wahlsieg der Volksfront der vereinten Linksparteien in Spanien vom 16. Februar 1936 und der französischen Volksfront vom 26. April sowie die Bildung einer Volksfront in Chile (März 1936) gaben der Volksfrontpolitik positiven Schub. In der Erklärung des Polbüros vom 2. April 1936 für den Zu-

sammenschluß aller antiıfaschistischen Kräfte, veröffentlicht in

der »Rundschau«,'°* korrigierte die KPD-Führung ihre bisherige Einschätzung des Pariser Aufrufs vom 2. Februar 1936 und bewertete ihn als ersten Schritt zum gemeinsamen Kampf und für die Schaffung der Volksfront. Sie proklamierte ihre Bereitschaft, mit allen antihitlerischen Kräften für ein demokratisches Deutschland zu kämpfen. Damit hatte sie die Formulierung des EKKI-Beschlusses übernommen und eine Aussage

zur angestrebten Staatsform nach dem Sturz Hitlers getroffen. Am 29. April 1936 nahm die Programmkommission des »Lutetia«-Kreises ihre durch Dengels Fauxpas unterbrochene Arbeit wieder auf. In mehreren Sitzungen, die sich bis in den Frühsommer hineinzogen, versuchten die Teilnehmer sich auf grundsätzliche Fragen, die ein Programm der Deutschen Volksfront beinhalten sollte, zu verständigen. Dabei wurden auch die unterschiedlichen Programmentwürfe diskutiert. Es gelang,

weitere

Persönlichkeiten

für die gemeinsame

Arbeit

auch ın anderen Emigrationsländern zu gewinnen und die Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Gesprächspartnern,

besonders

mit

Rudolf

Breitscheid,

zu

intensivieren.

Erfolgreich wirkte die von KPD- und SPD-Vertretern gemeinsam herausgegebene »Deutsche Information«, ein Informationsbulletin für die ausländische Presse. Am 24. Mai erfolgte in der »DVZ« und einige Tage später auch ın der »Pariser Tageszeitung« und in der »Rundschau« sowle in anderen links eingestellten Zeitungen die Veröffentlichung des Aufrufs der Deutschen Linken zur Aufrüstung und zur Rheinlandbesetzung. Darin wurde auf die dringende Notwendigkeit verwiesen, sich angesichts der gesteigerten Kriegsgefahr und der drohenden Katastrophe eines Krieges im Widerstand zusammenzuschließen. Unterschrieben war der

Aufruf von 13 Sozialdemokraten, acht Kommunisten, drei Ver-

153

200

Rundschau.

Basel 5(1936)15.

S. 609f.

tretern der SAP und elf Bürgerlichen sowie verschiedenen Verbänden. Wilhelm Pieck arbeitete in Moskau in der Zwischenzeit — wie auf der Märztagung des EKKI-Sekretariats beschlossen — mit Unterstützung des EKKI an einer Plattform für die Deutsche Volksfront. Obwohl die Gesamtsitzung des Polbüros schon für den 10. Mai geplant war, auf der die Vorschläge für eine Volksfrontplattform beraten werden sollten, legte Wilhelm Pieck erst Mitte Mai zwei Entwürfe für ein »Aktionsprogramm der Volksfront gegen Hitler, für ein freies, demokratisches Deutschland« zur Diskussion vor. Ganz offensichtlich hatte es längerer Zeit bedurft, sich mit den anderen Entwürfen von Akteuren des »Lutetia«-Kreises zu beschäftigen und iıhre durchaus positiven Ansätze für die Sicherung eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands zu erkennen.'”“ Ganz entscheidend waren zudem die Wahlsiege der spanischen und französischen Volksfont (16. Februar und 26. April 1936), wodurch bestätigt wurde, daß die spanische und französische kommunistische Partei mit ihrer Entscheidung für ein Minimalprogramm der Volksfront Erfolg hatte. Beide Entwürfe Wilhelm Piecks enthielten sowohl die Vorstellungen der KPD, wie über den Kampf um die Lebensinteressen der werktätigen Schichten der Sturz des Hitler-Regimes herbeigeführt werden soll, als auch Aussagen über Staatsgrundsätze der neuen demokratischen Republik. Hier tauchte zum ersten Mal die Formulierung demokratische Republik als die zu errichtende Staatsform nach dem Sturz Hitlers auf. Der zweite Entwurf entwickelte besonders ausführliche Vorstel-

lungen über die Ausgestaltung der demokratischen Rechte,

über die Außenpolitik, die Sozial- und Wirtschaftspolitik ım 154

Zu der Bewertung der Entwürfe von G. Bernhard, L. Schwarzschild, J. Gumbel, H. Mann siehe Monika Juliane Gibas: Die Stellung der KPD zur Weimarer Republik: historisch-politische Wertung, Demokratieverständnis und antifaschistische Strategieentwicklung im Rahmen der Komintern 1933 bis 1939. Phil. Diss. B. Leipzig 1990. S. 109ff. — Karlheinz Pech: Die KPD im Ringen um einen antifaschistischen deutschen Volksfrontausschuß im Exil in Frankreich (1934 bis Sommer 1936). Diss. B. Berlin 1986. — Ursula Langkau-Alex: Volksfront für Deutschland? Bd. 1: Vorgeschichte und Gründung des »Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront«. 1933-1936. Frankfurt am Main 1977.

201

Interesse der Arbeiter und Angestellten sowie die Nationalisierung der Rüstungsindustrie zur Garantierung einer friedlichen Außenpolitik,

die Wehrverfassung,

Polizei,

Justiz

Schulwesen der künftigen demokratischen Republik.

und

das

Die KPD hatte damit erkannt, daß auch für den antifaschi-

stischen Kampf in Deutschland die unmittelbare Verbindung des Bekenntnisses der Kommunisten zu demokratischen Rechten und Freiheiten mit der Konzeption für einen demokratischen Staat als Alternative zur faschistischen Diktatur notwendig war. Die Konzeption von einer demokratischen Republik verortete sie zwischen zwei Polen: Zum einen sei diese Republik noch kein sozialistisches Deutschland, aber faschistischer Bar-

barei und faschistischer Kriegsvorbereitung würde ein gründliches Ende

bereitet; zum

anderen

müsse

die demokratische

Republik aus den Fehlern der Weimarer Republik lernen und neue Wege zur Sicherung des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands gehen. Der KPD-Vorschlag enthielt gerade im ökonomischen Bereich bewußt keine weitreichenden Forderun-

gen

zur Umgestaltung

fen

und

der sozialökonomischen

Grundlagen,

um die mögliche Klassenbasis des zukünftigen Volksfrontstaates nicht einzuengen. Er beschränkte sich ökonomisch zunächst auf die Forderung nach Nationalisierung der Rüstungsindustrie und sah lediglich die Enteignung von Gutshöfen, ErbhöLänderein

vor,

»die

von

Hitler

auf

Kosten

des

werktätigen Volkes an die Helfershelfer des faschistischen Terrors verschenkt wurden«. Weitere Enteignungen sollten nur die Großkapitalisten und Großagrarier treffen, »die die ökonomischen Maßnahmen der demokratischen Regierung sa-

botieren«.'° Mit diesen Vorschlägen zur politischen und sozi-

alökonomischen Gestaltung des neuen Staates bekannte sich die KPD deutlich zu einem bürgerlich-demokratischen Staatswesen mit antifaschistischem Charakter. Damit war es führenden deutschen Kommunisten gelun-

gen, die doch beträchtliche Erkenntnisbarriere zu überwinden,

die sich aufgrund der negativen Erfahrungen mit der Weimarer Republik aufgebaut hatte, und sich für die demokratische 155

SAPMO-BArch. NY 4036/558. — Siehc auch Richtlinien für die Ausarbeitung einer politischen Plattform der deutschen Volksfront. In: Die Internationale. o. O. [Prag] (1937)1-2. S. 75ff.

Republik als das nächste anzustrebende politische Ziel auszusprechen. Von der Einsicht, daß der Sturz des Hitler-Faschismus nicht identisch sein müsse mit der Errichtung eines Sowjet-Deutschlands bis zur Formulierung, daß die KPD

für

die Errichtung einer demokratischen Republik kämpfe, war ein komplizierter und widersprüchlicher Prozeß abgelaufen, der ohne die Erfolge der Kommunistischen Parteien in Frankreich und Spanien wahrscheinlich nicht zu diesem Ergebnis

geführt hätte. Die »Richtlinien für die Ausarbeitung der Platt-

form einer Deutschen Volksfront« — von der KPD-Führung auf ihrer Polbürotagung vom 10. bis zum 24. Juni 1936 ın Paris beraten und verabschiedet — signalisierten ein hohes Maß an Kompromißfähigkeit der Kommunisten im Ringen um die Schaffung der Volksfront. In der Argumentation mit den anderen Gesprächspartnern im Volksfrontausschuß und ım Werben um die neue politische Orientierung in den eigenen Reihen war konstruktives Denken angeregt worden. Die Volksfrontpolitik erreichte dank der Diskussionsbereitschaft

vieler

Kommunisten,

die

sich

die

Ideen

des

VII.

Weltkongresses zu eigen gemacht hatten und theoretisch welterentwickelten, im Sommer 1936 einen Höhepunkt. Nicht nur in Paris hatte sich ein breiter Gesprächskreis als Volksfontausschuß

organisiert und wirkte

in der Öffentlichkeit gegen

die Kriegsvorbereitungen der Nazis. Die Dynamik dieser Polıtik hatte viele neue Akteure aus dem Kreis der Antikriegs- und Hitler-Gegner zusammengeführt. Im Juni 1936 gelang es, eine

internationale Tagung deutscher Emigranten verschiedener politischer Richtungen unter dem Vorsitz Rudolf Breitscheids eınzuberufen, die zur Gründung einer Zentralvereinigung der deutschen Emigranten aufrief. Diese neue einheitliche Organisation engagierte sich für das Recht eines vollen Asyls für alle Emigranten. Beredter Ausdruck dieser Breite war der ınternationale Kongreß des Weltkomitees gegen Faschismus und Krieg am 7. und 8. September 1936 in Paris, an dem über 3.000 Delegierte vor allem aus Europa, aber ebenso aus allen andern Erdteilen teilnahmen. Willi Münzenberg hatte seıt Sommer 1935 im Auftrag der Komintern im Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus auf den Kongreß hingearbeitet, bei dem es gelang, sozialistische, gewerkschaftliche, katholische, pazi203

fistische, demokratische und konservative Parteien, Organisa-

tionen und Persönlichkeiten in einer Breite zu vereinen wie lange nicht. Mit Wilhelm Knöchel wirkte ein Kommunist erfolgreich beim Zusammenschluß deutscher Gewerkschaftsorganisationen. Die Bergarbeiter bildeten im März 1936 in Paris einen aus Vertretern der KPD und der SPD bestehenden Arbeitsausschuß mit Grenzstellen in der Tschechoslowakei, Frankreich und den

Niederlanden zur Anleitung der benachbarten Reviere in Schlesien, Sachsen, an der Saar und der Ruhr sowie im Wurmgebiet. Vorsitzende wurden der Sozialdemokrat Franz Vogt und

Wilhelm Knöchel. Sie gaben von Amsterdam aus allmonatlich die »Bergarbeitermitteilungen« heraus.'® Diese Entwicklung in

den Emigrationsländern deutscher Hitler-Gegner verlieh der

antifaschistischen Bewegung neue Impulse. Der Sommer 1936 widerspiegelte indessen auch die Ambivalenz, in der sich kommunistische Politik bewegte. Zur selben Zeit fanden die Vorbereitungen und schließlich die Inszenierung des Schauprozesses gegen das »trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum« vom 19. bis zum 24. August

1936 mit insgesamt 16 Angeklagten, darunter Sinowjew und

Kamenew, in Moskau statt. Dem Bekenntnis zur Aktionseinheit und Einheitsfront der Kommunisten nach außen stand die blutige Abrechnung Stalins mit seinen selbsterzeugten Feinden ım Inneren der Sowjetunion gegenüber. Die KPD-Spitze beeil-

te sıch mit der Resolution des ZK der KPD

vom

26. August

1936 »Zu den konterrevolutionären trotzkistisch-sinowjewistischen Verbrechen gegen die Arbeiterklasse«!°7 dem ihre volle Zustimmung zu geben. Die Widersprüchlichkeit zwischen dem Bekenntnis zur demokratischen Republik und der Verteidigung des sich mit den Schauprozessen entwickelnden Terror- und Lügensystems in der Sowjetunion ließ inmitten der »Blüte« der Volksfontpolitik bereits Ursachen für deren Scheitern hervortreten. Die Todesschüsse gegen alle 16 Angeklagten in der Nacht zum 25. August 1936 in der Sowjetunion trafen auch die Volksfrontpolitik. 156 157

204

Siehe Beatrix Herlemann: Die Emigration als Kampfposten. Die Anleitung des kommunistischen Widerstandes in Deutschland aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Königstein/Ts. 1982. SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/42. BI. 26-31.

KAPITEL II Das Scheitern der Idee von einer Volksfront (1936-1939)

»Für eine demokratische Republik«? Die Diskussion um ein antifaschistisches Alternativkonzept

Die Protagonisten der Volksfrontpolitik konnten die Tragweite und das Ausmaß des verbrecherischen Vernichtungsfeldzugs Stalins im Sommer 1936 noch nicht überschauen. Sie kämpften für die Ausweitung der Volksfront und wollten sich die erreichten Erfolge der Zusammenarbeit trotz zunehmender Verunsicherung nicht durch eine Prozeßpsychose zunichte machen lassen.' Zudem wurde der Stalinsche Terror zunächst noch durch andere Ereignisse überlagert. In Spanien hatte am 18. Juli 1936 unter Leitung des Generals Francisco Franco ein faschistischer Militärputsch gegen die Volksfrontregierung begonnen. »Von dem Ausgang dieses Kampfes«, schrieb Her-

bert

Wehner

aus

Paris

an

die

KPD-Führung

in Moskau,

»hängt die weitere Entwicklung Europas und insbesondere Frankreichs ab.« Der Putsch sei »ein groß angelegter Gegen-

stoß gegen die Sammlung aller Freiheits- und Friedenskräfte

unter den Losungen der Volksfront«.* Die KPD stand an der

Seite der spanischen Volksfrontregierung. Ihr Aufruf vom 7. August 1936, der alle militärisch ausgebildeten deutschen Antifaschisten im Ausland aufforderte, »sich der spanischen Volksfront als Soldaten zur Verfügung zu stellen«, fand ein brei-

tes Echo in der deutschen Emigration. Für viele Kommunisten im Exil bedeutete der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges die Eröffnung einer neuen Front, eine endlich gekommene l 2

Siehe Herbert Wehner: Zeugnis. Persönliche Notizen 1929-1942. Hrsg.

von Gerhard Jahn. Halle, Leipzig 1990. S. 180ff. Brief von Herbert Wehner an das Polbüro vom 8. August 1936. In: SAPMO-BArch. RY5S/I 6/3/259.

207

Möglichkeit, wieder aktiv in den Kampf einzugreifen. Sie kämpften auf den Schlachtfeldern Spaniens gegen einen vordringenden Faschismus und letztlich gegen Hitler. »Die Niederlage Francos wird der Anfang von Hitlers Ende sein!«* lautete der Schlußsatz

in einem

von Heinrich

Mann,

Rudolf

Breitscheid und Max Braun, Herbert Wehner, Franz Dahlem und Wiıllı Münzenberg unterzeichneten Solidaritätsaufruf, der diese Stimmung widerspiegelte. Auch aus Deutschland selbst fanden viele einen Weg nach Spanien.* Noch vor der Aufstellung der Internationalen Brigaden kämpften bereits deutsche

Antifaschisten, als »Centuria Thälmann«, in Spanien an der Seite der Verteidiger der Republik.

Die Ereignisse in Spanien und die Haltung Volksfront-Frank-

reichs sowie der europäischen Staaten beeinflußten die Diskus-

sıon in der deutschen Emigration zur strategischen Orientierung

auf die Volksfront erheblich. Die beschlossene Neubewertung der bürgerlichen Demokratie auf der Juni-Tagung des Polbüros der KPD löste eıne heftige Debatte des Für und Wider unter den Antifaschisten aus. Sie betraf Grundfragen marxistischer Theorie mit den zentralen Themen »Faschismus und Demokratie« und »bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariats«. Mit Sozlaldemokratischen und linken Kräften in der Arbeiterbewegung,

auch in den eigenen Reihen der KPD, wurde eine intensive Diskussion um die Positionen geführt. In den Publikationsorganen der KPD war noch vor Beendigung der Arbeiten an den

»Richtlinien« bereits eine Reihe Beiträge erschienen, die Erläu-

terungen dieser Demokratievorstellungen enthielt. Sie sollten 3

4

Flugblatt »Hitler führt Krieg!« (zit. nach Klaus Michael Mallmann: Kreuzritter des antifaschistischen Mysteriums. Zur Erfahrungsperspektive des Spanischen Bürgerkrieges. In: Helga Grebing/Christl Wickert (Hrsg.): Das »andere Deutschland« im Widerstand gegen den Nationalsozialiısmus. Veröffentlichungen des Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung. Schriftenreihe A: Darstellungen. Bd. 6). Altere Angaben sprechen von bis zu 5.000 deutschen Spanienkämpfern. Nach neueren Quellenbefunden wird von 2.318 deutschen Freiwilligen ausgegangen,

davon

1.440

Kommunisten

(62,1

Prozent),

116

Sozialde-

mokraten, 606 Parteilose, 156 Angehörige anderer Organisationen (siehe ebenda. — Siehe auch Handschriftliche Notizen von Wilhelm Pieck. In: SAPMO-BArch. NY 4036/496. Bl. 7-9).

208

ın Abgrenzung zu Vorstellungen rechter sozialdemokratischer Führer deutlich machen, daß das Eintreten der Kommunisten

für einen demokratischen Staat nicht gleichzusetzen sei mit dem Verhalten der sozialdemokratischen Führer in der Weimarer Republik. Eine Neuauflage der Koalitionspolitik, hieß es, dürfe es nicht geben. Gleichzeitig sollte den linken Kräften ım Proletariat die Notwendigkeit und der revolutionäre Charakter des Kampfes um einen demokratischen Staat erläutert werden. Die KPD argumentierte, daß das Eintreten der Kommunisten für einen demokratischen Staat notwendig sei, weil der Faschismus alle bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten vernichtet hat. Es müsse die bürgerlich-demokratische Revolution des 19. Jahrhunderts zu Ende geführt und deren demokratische Forderungen erst wirklich konsequent realisıert werden, da sie, wie zum Beispiel die Beseitigung der Vorrech-

te der Junker, der Besitzrechte der Fürsten, noch nicht erfüllt

selen. Die KPD bekannte sich zur Notwendigkeit einer allgemeindemokratischen Etappe im antifaschistischen Kampf, dessen Ergebnisse befestigt werden müßten im Rahmen eines neuen antifaschistischen Staatswesens. Walter Ulbricht hob hervor,

daß deshalb

die KPD

für eine Übergangsetappe

auf

dem Wege zur Sowjetmacht eintrete, in der zunächst der Kampf um die Rückeroberung der demokratischen Errungenschaften zu führen sei, die im Rahmen eines bürgerlich-parla-

mentarischen Staates erreichbar waren.® Betont wurde stets, daß die Kommunisten sich nicht mit der Erkämpfung eines bürgerlich-demokratischen Staates begnügen würden, sondern in dessen Rahmen die werktätige Bevölkerung für die sozialıstische Revolution gewinnen wollten. Bei Ulbricht findet sich auch eine differenziertere Bewertung der Weimarer Republik. Während diese bisher ımmer nur unter dem Blickwinkel des Erstarkens der reaktionären Kräfte und des Hinüberwachsens in die faschistische Diktatur bewertet wurde, öffnete Ulbricht in seiner Darstellung einen anderen, einen positiven Blickwinkel: »Hitler ist bestrebt, die

5

Wäalter Ulbricht: Nur die Einheit gegen Hitler kann das deutsche Volk retten. In: Die Internationale. o. O. [Prag] (1936)2/3.

209

revolutionären Errungenschaften des Proletariats nach 1918 zu diskreditieren, es so hinzustellen, als ob der Gummiknüppel und der Sklarek-Skandal® das Kennzeichen der Weimarer Zeit waren [...] Es ist notwendig, daß alle Antifaschisten der Diskreditierung der sozialen und freiheitlichen Errungenschaften von 1918 durch die Hitlerpropaganda entgegentreten [...] Man

muß die Volksrechte, die Freiheiten, die Errungenschaften der Sozlalpolitik, die Unterschiede in der Steuerpolitik der Weima-

rer Republik gegenüber dem Hitlerregime heute den Massen in Erinnerung rufen. Man muß ihnen beweisen, daß die Mißstände in der Weimarer Demokratie nichts gegen die Demokratie beweisen, sondern nur gegen diejenigen, die gegen die Siche-

rung und den Ausbau der demokratischen Freiheiten kämpften und gegen jene, die zur Weimarer Zeit die Errungenschaften

der Demokratie im Interesse der Arbeitsgemeinschaft mit dem

Großkapital nach der Zusammenarbeit mit den alten Generälen

opferten. Die Mißstände in der Weimarer Demokratie waren

Ausdruck dafür, daß der Kampf um die Demokratie nicht kon-

sequent zu Ende geführt wurde. Das hat Hitler für seine Propaganda ausgenutzt.«” Eine zweite Argumentationslinie der Kommunisten verwies auf die Notwendigkeit der Friedenssicherung angesichts der für den Weltfrieden vom faschistischen Deutschland ausgehenden Gefahr. Eine möglichst breite Kräftekoalition sollte auf der Basis eines Minimalprogramms geschlossen werden, um einen Krieg, von dem viele Weltkriegsteilnehmer traumatische Erfahrungen hatten, zu verhindern. Diese Herangehensweise

wurzelte in der langen Anti-Kriegs-Tradition der Arbeiterbe-

wegung und war ein starkes Motiv der Kommunisten wie anderer deutscher Oppositioneller. Zugleich entsprach sie der von der Sowjetunion verfolgten Sicherheitspolitik, der Aggres-

sıvität der faschistischen Staaten durch ein Konzept kollektiver Sicherheitsbündnisse mit den demokratischen Westmächten zu begegnen, denen innenpolitisch eine breite Koalition von Kommunisten, Sozialdemokraten und Bürgerlichen entsprach. 6 7

Bestechungsaffäre in der Berliner Stadtverwaltung 1929, in die viele Politiker verwickelt waren. Walter Ulbricht: Nur die Einheit gegen Hitler kann das deutsche Volk retten. In: Die Internationale. o. O. [Prag] (1936)2/3. S. 149f.

210

Das Polbüro hatte beschlossen, das ausgearbeitete Programm der KPD zunächst mit den Vertretern der Arbeiterparteien ım Pariser Volksfrontkreis abzusprechen, bevor die Diskussion mit den Persönlichkeiten aus dem bürgerlichen Lager stattfinden sollte. Alle führenden KPD-Funktionäre befanden sich ım Juni 1936 durch die erweiterte Polbürotagung noch iın Paris. In mehreren Gesprächen mit Vertretern der SAP, den Revolutionären Sozialisten (RS) und Sozialdemokraten diskutierte Wilhelm Pieck die »Richtlinien« für eine Plattform der Volksfront. Als er nach Moskau

zurückfuhr, nahm er aus der

ersten Beratung der aus den Vertretern der Arbeiterparteien gebildeten Kommission am 17. Juni ein zwar differenziertes, aber nicht negatives Ergebnis mit. Georg Decker und Max Braun von den Sozialdemokraten hatten sich im wesentlichen positiv geäußert, während Walter Fabian von der SAP seine Bedenken anmeldete und eine Stellungnahme erst nach Rücksprache mit seinen Genossen abgeben wollte. In den nachfolgenden Diskussionen wurde jedoch ımmer deutlicher, daß die Vertreter linker sozialdemokratischer und kommunistischer Splittergruppen eine Zielsetzung auf die demokratische Republik ablehnten. Sowohl die Vertreter der SAP wie der Revolutionären Sozialisten erklärten die Richtlinien »als unakzeptabel«. Der Entwurf sei »liberalistisch, vormärzlich und kraftlos«.® Beide Gruppen setzten auf Veränderungen in der SPD und sahen es als wichtiger an, Vorbereitungen für eine Einheitspartei zu treffen, als diese durch eine Volksfrontplattform zu behindern. Durch das Ausscheiden Leopold Schwarzschilds aus dem Volksfrontausschuß® glaubten sie sich in ihrer Argumentation bestätigt, daß die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Vertretern nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen dürfte. Die Splittergruppen hielten an einem sozialist\schen Deutschland als unmittelbarem Ziel fest und machten Front gegen die Versuche der KPD, Bundesgenossen in der politischen Mitte zu suchen. Die revolutionäre Vorhut dürfe sich »keinesfalls auf eine Demokratie als Staatsform ver8 9

Brief von Kurt [Herbert Wehner] aus Paris nach Moskau vom 8. August 1936. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/259. Bl. 32. Die Affäre um das »Pariser Tageblatt« ım Juni 1936 polarisierte die deutschsprachige Emigration.

pflichten. Die Forderung nach demokratischen Rechten ist eındeutig von der Forderung nach einer Demokratie schlechthin zu trennen [...] Die Illusion einer den Faschismus ablösenden

Demokratie als konsolidierte Staatsform muß schärfstens bekämpft werden, weil sie die Kampfkraft des Proletariats nur lähmen, ın ıhm nur gefährliche, den Klassenkampf hemmende

Vorstellungen über den historischen Prozeß nähren kann.«'° Auch die KPD(O), die an den Beratungen über ein Volksfront-

programm nicht beteiligt war, kritisierte die Volksfrontlinie und das von der KPD ausgearbeitete Programm als rechtsopportunistische Abweichung von der kommunistischen Politik. Sie formulierte als Ziel des antifaschistischen Kampfes in Deutschland den »Sturz der faschistischen Diktatur und ihre Ersetzung durch die Diktatur des Proletariats, das heißt auf die vollständige und endgültige Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft durch die Zerstörung des bürgerlichen Staates ın jeder Form«.'! In dem Artikel »Warum Kampf für eine demokratische Republik?« argumentierte die KPD: »Heute ist Hitler 3 1/2 Jahre an der Macht. Die Kriegsgefahr wächst. Ein ungeheurer Machtapparat ıst aufgezogen.« Keine antifaschistische Partei allein könne die faschistische Diktatur stürzen, »weder die Sozialdemokraten, noch allein die Kommunisten oder Katholiken oder

bürgerlichen Demokraten«. Es müsse ein Programm gefunden werden, daß »die Anhänger der Diktatur des Proletariats als einzigen Weg zum Sozialismus mit den Anhängern eines Sozialismus über den Weg einer demokratischen Republik«, die »Anhänger einer sozialistischen Weltauffassung mit den Bauern, Mittelständlern, die noch nicht überzeugt vom Sozialısmus sind«, und »den evangelischen mit dem katholischen und dem freigeistigen Menschen« vereine. Dies könne der Kampf um die demokratische Republik, die »jedem Antifaschisten persönliche Freiheiten, das Koalitionsrecht, Meinungs-

freiheit, Gewissensfreiheit, den Kampf um die besonderen Interessen garantiert«. Auf die Frage, wie sich eine solche 10 11

Stefan: Volksfront in Deutschland. In: Marxistische Tribüne. Diskussionsblätter für Arbeiterpolitik. Hrsg. von der SAP. Paris (1936)5. S. 17. Stellungnahme der KPD(O). Februar 1936. SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/ 412. Bl. 271.

212

demokratische Republik zum Kampf für den Sozialismus verhält, gibt der Artikel die Antwort: »Gerade die demokratische Republik, erkämpft und geführt von der Volksfront, wird jene Voraussetzungen schaffen, wo die Massen Schritt für Schritt erkennen werden,

daß sie einen Schritt weiter zum

Sozialıs-

mus gehen müssen [...] Kein Mensch kann sagen, in welchem Tempo die Massen diese Erfahrungen machen werden. Das wird von vielen Faktoren abhängen, nicht zuletzt von der Fähigkeit der Partei ...«'* Die KPD hatte ein Alternativkonzept zum Faschismus für Deutschland

entwickelt,

in der die antifaschistisch konstitu-

ierte, demokratische Republik als ein eigenständiger Wert existierte und als notwendige Etappe im weiterreichenden Emanzipationskampf des Proletariats verstanden wurde. Auf dem Boden einer volksdemokratischen Ordnung wollte die KPD Mehrheiten für ihren Weg zum Sozialismus sammeln. In ihren Darlegungen suchte sie dieses Verhältnis der proletarischen Avantgarde zur parlamentarisch-demokratischen Republik theoretisch zu fundieren. Zahlreiche Bezugnahmen auf theoretische Aspekte dieses Verhältnisses durch kommunistische Funktionäre belegen das.'? Vor allem Lenins Arbeit »Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution« spielte eine besondere Rolle, ebenso seine Schrift »Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky« Sowie Engels’ Ausführungen zur demokratischen Republik und ihre Bedeutung für den Kampf des Proletariats um den Sozlalismus in seinen einleitenden Bemerkungen zu den Marxschen Schriften »Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850« und

»Der Bürgerkrieg in Frankreich«.'* Zudem wurde die Geschichte der russischen revolutionären Bewegung 12

»Die

Rote

Fahne«.

o. O. (1936)5.

der Jahre

S. 8.

13 Anton Ackermann: Die Volksfront und die demokratische Volksrepublik. In: Die Internationale. o. O. [Prag] (1937)3-4. — Lenin zeigte den Weg. Von der demokratischen zur sozialistischen Revolution. In: »Die

Rote Fahne«. o. O. (1937)5. - Wilhelm Pieck: Zum Jahrestag zweier Revolutionen. In: DZZ. Moskau (1936)257. — Wilhelm Pieck: Der

Kampf um Demokratie. In: Die Internationale. o. O. [Prag] (1936)3-4. — Wilhelm Pieck: Fragen der Volksfront in Deutschland. Klarheit tut not! In: Die Kommunistische Internationale. Basel (1937)8. 14 Entsprechende Exzerpte befinden sich im Nachlaß Ulbrichts (siehe SAPMO-BArch. NY 4182/822. Bl. 336).

1905 bis 1917 sowie die eigenen Erfahrungen mit der Weimarer Republik und die Jüngsten Ergebnisse des demokratischen Kampfes der Volksfronten in Frankreich und Spanien um die Bewahrung und den Ausbau der demokratischen Republik zur Argumentation herangezogen. Besonders die Erfahrungen in beiden Ländern ım Jahre 1936 ließ KPD-Funktionäre von ihrer einseitigen Sicht allein auf die Grenzen einer parlamentarischdemokratischen Republik abrücken und auf die in ihr durchaus vorhandenen demokratischen Entwicklungspotentiale verweisen, die sie — auch ohne grundlegende revolutionäre Umwälzung der politischen und ökonomischen Machtverhält-

nisse — in sich barg. Der Maßstab bei der Beurteilung der demokratischen Republik blieb nicht mehr nur die Weimarer Republik und besonders deren letzte Phase. Pieck brachte es auf den Punkt, wenn er schrieb: »Spricht dieser Bankrott der Weimarer Regierungspolitik, die ım Zeichen einer bürgerlichdemokratischen Verfassung, eines auf dieser Basis gewählten Parlaments

betrieben

wurde,

gegen

die

Demokratie

über-

haupt?«'> Er verneinte das mit Verweis auf historische Erfahrungen und die gegenwärtigen Entwicklungen in einer Reihe demokratischer Republiken.

Die Politik der französischen und der spanischen kommunistischen Partei seit dem Sieg der Volksfront in ihren Ländern wurde aber durchaus sehr unterschiedlich in der deutschen Arbeiterbewegung bewertet. Der Aufruf der KPF, die Streikbewegung nicht fortzusetzen, sowie die ablehnende Haltung der spanischen Partei in der Landaufteilungsfrage hatten zu heftigen Diskussionen geführt. Die KPD(O) kritisierte diese mit Unterstützung der KI durchgeführte Politik als rechtsopportunistisch und verhängnisvoll, weil sie die Arbeiter desorientiere. Die Enttäuschung der Arbeiter und Bauern über die langsame Arbeit der Linksregierungen würde im Gegenteil die Reaktion ermuntern und die kommunistischen Parteien bei den Arbeitern und Bauern diskreditieren.'® In Spanien würde diese 15 Wilhelm Pieck: Zum Jahrestag zweier Revolutionen. (1936)257.

16

Siehe

Brief der BL

Rheinland

(KPD). Mitte September 179. Bl. 112-116.

214

der KPD(O)

In: DZZ.

an den Genossen

1936. In: SAPMO-BArch.

Moskau

Max

in B.

RY1/I 2/3/412. Bl.

opportunistische Polıtik die Anarchisten stärken, anstatt sie zu schwächen. Die KPD(O) bezeichnete die Politık der POUM als einzig richtige, sie würde »die Rolle der Bolschewiki in Spanien« spielen.'’ Die KPD-Führung hob dagegen besonders hervor, daß es unter der Volksfrontregierung in Frankreich und Spanien zu Verbesserungen der Lage der Werktätigen ım Gegensatz zu früheren Regierungen kommen konnte (sogenannte Junierrungenschaften in Frankreich), aber die kommunistische Partei die Massen auch nur für solche Forderungen mobilisieren sollte, die die Existenz der Volksfrontregierung und iıhre Unterstützung durch breitere Schichten der Bevölkerung nicht ın Frage stellte. Die Diskussion rankte sich um die Problematik,

auf welche Hauptfrage sich kommunistische Politik taktisch in der Volksfront einstellen sollte: auf die Ausnutzung des gewonnenen Einflusses zum Vorantreiben revolutionärer Veränderungen im Sinne der Forderungen der linkesten Kräfte oder auf ein Befestigen und Bewahren der Breite der Bewegung mıit ihren gegensätzlichen sozialen Interessen, was ım einzelnen auch ein Verzicht auf das Artikulieren von ursprünglichen kommunistischen Positionen bedeuten konnte. In diesem Spannungsfeld operierte kommunistische Politik.

Zur Charakterisierung des neuen

Inhalts antifaschistischer

bürgerlicher Demokratien, der als Qualitätswandel im Rahmen kapitalistischer Machtverhältnisse und nicht als einfache Fort-

schreibung alter Strukturen und Inhalte begriffen wurde, benutzten kommunistische Funktionäre schon 1936 Begriffe wie »neue Demokratie«, »weiterentwickelte Demokratie«, »neuer Typ der Demokratie«, »wirklich demokratische Republik«. Dimitroff bezeichnete die spanische Republik, in der seit dem 4. September 1936 auch zwei kommunistische Minister in der Volksfrontregierung wirkten, als einen solchen neuen Typ der Demokratie. Zum ersten Mal waren Kommunisten auf ausdrückliche Weisung der Komintern und in Absprache mit Sta-

17 Brief über eine Unterredung mit einem Mitglied der KPD(O) in Paris. 17. September 1936. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/412. BlI. 276/277.

215

lin an einer Regierung beteiligt,'* in der keine institutionalisierte proletarısche Aktionseinheit als Voraussetzung existierte und

deren Ziel nıcht ın der Transformation der Gesellschaft, son-

dern in der Erhaltung der demokratischen spanischen Republik bestand. Beides — die Aktionseinheit und die Transformation der Gesellschaft — galt bisher als kommunistische Prämisse und war von der KPD in ihrer Argumentation zur Abgrenzung der Volksfrontregierung von einer Koalitionsregierung verwen-

det worden.'” Im Kampf um die Verteidigung der spanischen

Republik gegen den faschistischen Putsch und in der Sicherung der Volksfrontregierung in Frankreich prägten sich die Vorstellungen über eine realistische Politik der Kommunisten

weiter aus. Besonders heftig wurde die Haltung der französischen Volksfrontregierung zum Putsch in Spanien diskutiert. Sollte sie an einer Nichteinmischung festhalten oder Solidarität mit der spanischen Volksfront üben? Die französische KP war ge-

gen die offizielle Nichteinmischungspolitik der Blumregierung öffentlich scharf aufgetreten, obwohl auch die Sowjetunion

an einer Politik der Nicht-Intervention in Spanien festhielt. Das hatte in sozialdemokratischen Kreisen zur Empörung

gegen

die kommunistische Partei geführt. Stalin kommentierte, wie

Dimitroff in seinem Tagebuch festhielt, die Haltung der KPF könne eine andere als die der sowjetischen Regierung sein.“ Er forderte kommunistische Kritik an der Blumregierung wegen ihrer Erklärung zur Nichtintervention, ohne es jedoch zu einem Bruch der Volksfront kommen zu lassen. 18 Siehe Eintragung G. Dimitroffs vom 2. September 1936. In: Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein. Bd. 1. Berlin 2000. S. 127. 19 Siehe Ausführungen von Wilhelm Pieck: »Koalitionspolitik sei ein Block der Bourgeoisie mit einem Teil der Arbeiterklasse, in dem die Bourgeoisie die führende Rolle hat und durch den sie die Arbeiterklasse spaltet und schwächt. Volksfront bedeutet die Aktion der Einheit der Arbeiterklasse mit ihren Verbündeten gegen die reaktionären imperialistischen Kreise des Finanzkapitals. In der Volksfront kämpft das Proletariat um seine führende Rolle, stärkt die Arbeiterklasse und führt zu Entscheidungskämpfen um die Macht.« (SAPMO-BArch. NY 4036/ 558. Bl. 116). 20 Siehe Eintragung G. Dimitroffs vom 14. September 1936. In: Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein. Bd. 1. Berlin 2000. S. 130.

216

Dimitroff schrieb in sein Tagebuch anläßlich einer Unterredung miıt Thorez bei Kaganowitsch am 16. September 1936: »Gen. Stalın ıst außerordentlich zufrieden mit Thorez. Die Dinge in Frankreich gehen gut, und Thorez führt die Partei gut. Seine Popularität in den Reihen unserer Partei und ım Land wächst gewaltig.« — »Die Erfolge der Volksfront, das ist Ihr [Dimitroffs] Verdienst. Sie haben, als Sie hier ankamen, den europdischen Geist mitgebracht.«*' Es läßt sich fragen, welcher Geist vorher in der Komin-

tern herrschte? Vor allem blieb das Problem, was würde der

»europäische Geist«, d. h. die Volksfrontpolitik der westeuropäischen Kommunisten im internationalen Kräfteverhältnis bewirken können. Der Eintrag Dimitroffs verdeutlicht, noch fand die Volksfrontpolitik der kommunistischen Parteien vollste Unterstützung durch die sowjetische Führungsspitze.

In der deutschen Emigration gelang es indessen nicht, die Ver-

treter linker sozialdemokratischer und kommunistischer Grup-

pen von der Konzeption der demokratischen Republik zu überzeugen. Für die Diskussion um die deutsche Politik spielte das Argument eine wichtige Rolle, daß der Sturz der HitlerRegierung unter den Arbeitervertretern nur vorstellbar war als

Ergebnis eines Kampfes gegen den Hitler-Faschismus, in der

die Arbeitermassen die Hauptträger seien. An andere mögliche Szenarien für den Sturz der Diktatur wurden offensichtlich nicht gedacht. Mit dem Ziel der demokratischen Republik aber würde man die errungene Macht an das Bürgertum ausliefern, so die Argumentation

der sozialistischen Splittergruppen.

Es

wurde bezweifelt, daß sich für eine solche Perspektive Kämpfer gegen die Hitler-Diktatur finden würden, die dabei ihr Leben

riskieren. Besonders die SAP forderte in den Programmdiskussionen des Pariser Volksfrontausschusses tiefgreifendere

Enteignungen und Verstaatlichungen im Wirtschafts-, Finanz-

und Landwirtschaftssektor. Die sozialdemokratischen Vertreter verhielten sich in den Diskussionen der KPD mit der SAP

so, daß eine Stärkung und Unterstützung der SAP-Positionen entstand. Die KPD-Führung vermutete später, daß dabei zwejfellos die Überlegung eine Rolle spielte, mit Hilfe der SAP. 21

Eintragung G. Dimitroffs vom

16. September

1936. In: Ebenda. S. 131_

217

Leute die »ursprünglich führende Rolle der KPD zu beseitigen«.* In einem Brief Herbert Wehners vom 15. September 1936 an Pieck teilte er die entstandene Situation mit: »Da SAPund RS-Vertreter es ablehnen, sich für den Kampf um die Demokratie auszusprechen und sie unseren Entwurf ablehnen, so soll ein kurzer Appell der deutschen Volksfront anstelle der Plattform herausgegeben werden.«*? Der Entwurf für einen solchen Appell, dessen Grundlage von Georg Decker erarbeitet und in dem auch einige Forderungen aus dem SAP-Entwurf übernommen worden waren, wurde Anfang Oktober an Heinrich Mann für die Diskussion ın der Programmkommission des Volksfrontausschusses über-

mittelt. Heinrich Mann

sprach sich dafür aus, die strittigen

Fragen über die Zukunft nach Hitler aus dem geplanten Aufruf

herauszulassen, um ihn möglichst bald veröffentlichen zu können. Es gelang in der Sitzung des Volksfrontausschusses

am

21.

Dezember

1936,

Der

»Aufruf an das

den Aufruf zu beschließen

und



nachdem die Unterschriften gesammelt waren — am 10. Januar 1937 ın der »Deutschen Volkszeitung« und im »Pariser Tageblatt« zu veröffentlichen. Unterschrieben hatten 20 Sozialdemokraten, 40 Kommunisten, zehn SAP-Vertreter und 28 Bürgerliche.** Deutsche

Volk«

war

die erste pro-

grammatische Erklärung des Ausschusses zur Bildung einer deutschen Volksfront. In dem Dokument wurden die Verspre22 Aufzeichnung von Wilhelm Pieck: Übersicht über die Arbeit der KPD seit dem VII. Weltkongress im Zusammenhang mit der Arbeit des Ausschusses zur Vorbereitung der Deutschen Volksfront in Paris. In: SAPMO-BArch. NY 4036/558. Bl. 139. 23 Brief Kurt [Herbert Wehner] aus Paris vom 15. September 1936. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/259. Bl. 57. 24 Siehe Ursula Langkau-Alex: Volksfront für Deutschland? Bd. 1: Vorgeschichte und Gründung des »Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront« 1933-1936. Frankfurt am Main 1977. — Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Erster Band: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. — Zweiter Band: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Berlin 2004. — Siegfried Aufhäuser und Bernhard Menne von den Revolutionären Sozialisten erklärten später, ihre Unterschrift nicht für die Veröffentlichung gegeben zu haben (siehe SAPMO-BArch. NY 4036/ 558. Bl. 127).

chungen Hitlers der Realität in Deutschland mit seiner immer brutalere Formen annehmenden Unterdrückung der Persönlichkeit und seiner rücksichtslos der Vorbereitung eines Krieges geopferten Volksinteressen gegenübergestellt. Der Friede aber könne nur gesichert werden durch den Sturz des Nazi-

Regimes. Alle, die Frieden, Recht und Wohlstand für das deut-

sche Volk wollen, müßten sich in einer Volksfront gegen Hitler

vereinen. Der Aufruf betonte, daß die Volksfront keine neue Partei sei, sondern ein Bund derer, die der Wille zum Sturz der

braunen Zwangsherrschaft eint. Alle in ihr vereinten Parteien und Gruppen blieben ihren weiterreichenden Zielen treu. Erst der Sturz Hitlers würde jeder politischen, geistigen und religiösen

Strömung

die Möglichkeit geben,

für ihre Ansichten,

Ziele und Ideale in freier Gleichberechtigung einzutreten. Der Aufruf enthielt einen umfangreichen Forderungskatalog, für den die deutsche Volksfront stand. Unter dem Titel »Freiheit für das Volk« wurden genannt: Freilassung aller Opfer des Nazi-Regimes, die Aufhebung aller Terror- und Ausnahmegesetze, der Konzentrationslager, die Bestrafung der für die Verbrechen Verantwortlichen, Presse- und Versammlungsfreiheit, Freiheit des Gewissens, Denkens und der religıösen Übung, Schluß mit der Rassenhetze und der kriegshetzerischen

Propaganda, Richterwahl durch das Volk, Koalitionsrecht, Freiheit der Wissenschaft. Unter dem Abschnitt »Brot durch

Freiheit« erschienen Maßnahmen, die die Freiheit sichern soll-

ten, wie die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und der Großbanken, die Verhinderung von Sabotageversuchen des Großkapitals durch Anwendung schärfster Mittel sowie die Enteignung der junkerlichen Saboteure an der Volksernährung. Heer und Verwaltung sollten von Staatsfeinden gesäubert werden, die Erbhofgesetzgebung aufgehoben und Entschuldungsmaßnahmen für die Bauern eingeleitet werden, Einführung menschenwürdiger tarifgeregelter Löhne und Gehälter, ausre1-

chende

Fürsorge

für Kranke,

Invaliden, Arbeitslose

und Ar-

konkreten Aussagen,

da es zu

beitsunfähige. Über die zu wählende Staatsform nach dem Sturz Hitlers

enthielt das Dokument

keine

keiner Einigung unter den Vertretern im Volksfrontausschuß gekommen war. Die Überlegungen zur ökonomischen Gestaltung des Nach-Hitler-Deutschlands gingen deutlich über die 219

Forderungen in dem von der KPD vorgelegten Programm hinaus. Die Versuche der KPD-Führung, mit ihrem weiterentwikkelten Konzept der loyalen Unterstützung einer demokratischen antifaschistischen Republik zu Vereinbarungen mit den anderen Exilorganisationen, insbesondere mit der SPD, zu kommen, waren dennoch ergebnislos geblieben. Der SPDVorstand* blieb bei seiner starren Ablehnung von Verhandlungen mit der KPD. Piecks Versuch, in einem Gespräch mit Stampfer am 1. Juli 1936 wenigsten zu erreichen, daß der Vorstand seine Anweisung vom 24. Januar 1936 zurücknahm, die alle Grenzsekretäre, Vertrauensleute und Stützpunktleiter verpflichtete, jede organisatorische Verbindung mit Kommunisten, ınsbesondere Abmachungen und Vereinbarungen mit kommunistischen Vertretern oder Organisationen, einschließlich der »Roten Hilfe«, über gemeinsame Aktionen abzulehnen, blieb erfolglos. Der SPD-Vorstand war auch nicht bereit, offiziell an den Beratungen des Pariser Volksfrontausschusses teilzunehmen. Die sozialistischen Splittergruppen grenzten sich immer entschiedener von einer Orientierung auf die demokratische Republik ab und versuchten, sich als die eigentlichen revolutionären Kräfte gegenüber der KPD zu profilieren. Ihre Orientierung auf das sozialistische Ziel hatte angesichts des wachsenden Einflusses der Nazi-Ideologie im deutschen Volk und der erreichten Stabilität des Hitler-Regimes stark illusionäre Züge. Obwohl der Aufruf an das deutsche Volk vom Ausschuß zur Vorbereitung der deutschen Volksfront vom 21. Dezember 1936 noch einmal eine Demonstration des Einheitswillens war, konnte die KPD-Führung nicht darüber hinwegsehen, daß die deutsche Opposition noch immer in zahlreiche zum Teil konkurrierende Gruppen und Grüppchen gespalten war. Ebenso war das Ziel der KPD-Spitze, über die Kräfte im Volksfrontausschuß den SPD-Vorstand zu gemeinsamen Aktionen zu bewegen, gescheitert. Die wachsenden Schwierigkeiten bei der 25

Dem Exilvorstand der SPD mit Sitz in Prag gehörten an: Otto Wels, Hans Vogel, Siegmund Crummenerl, Paul Hertz, Erich Ollenhauer, Erich Rinner, Friedrich Stampfer,

1935), Karl Böchel (Herbst

220

Siegfried Aufhäuser (Herbst

1933 bis 1935).

1933 bis Januar

Realisierung der Beschlüsse des VII. Weltkongresses und der »Brüsseler Konferenz« — auch iın den eigenen Reihen mußte die KPD-Führung Mißtrauen und Unsicherheiten gegenüber dem »revolutionären Wesen der Einheits- und Volksfrontpolitik« konstatieren“® — verstärkten den Druck auf die KPD-Führung. Die Erfolge blieben aus. Das ließ auch nach Fehlern und Schuldigen suchen. Bereits im November 1936 sollten in einer Beratung mit dem EKKI entstandene Unstimmigkeiten ım Polbüro geklärt und die Politik der KPD diskutiert werden.“’ Unmittelbareren Anlaß gaben die Auseinandersetzungen in der Parteiführung um die Veröffentlichung des ZK-Aufrufes »Versöhnung des deutschen Volkes, für Frieden, Freiheit, Wohlstand gegen die 3.000 Millionäre«, der von der operativen Leitung in Prag unter maßgeblicher Autorenschaft von

Ulbricht nach dem Nürnberger Parteitag der NSDAP herausgegeben worden war.“* Seine Veröffentlichung erfolgte ohne Zustimmung der Mitglieder der Parteiführung in Paris und Moskau und hatte zu ernsten Meinungsverschiedenheiten ge-

führt.”” Dimitroff untersagte in einem Telegramm an Pieck

jede weitere Publikation dieses Aufrufes.’° Der Aufruf und die in ihm verkündete Losung von der Versöhnung des deutschen Volkes kopierte die gerade erschienenen französischen und ıtalienischen Parteiaufrufe. Er stellte faktisch der Schaffung der Volksfront der Anti-Hitler-Gegner eine imaginäre Versöhnung des deutschen Volkes gegen die Reichen gegenüber. »Wir wollen uns wieder versöhnen, damit des Volkes Wille oberstes Gesetz wird und nicht der Wille von 3.000 Millionären.«*! Die faschistische Partei und ihre Führer waren in diesem Aufruf 26

Siehe Aufzeichnung

KPD

von

Wilhelm

Pieck:

Übersicht

Ausschusses

zur

Vorbereitung

der

Deutschen

Volksfront

SAPMO-BArch. NY 4036/558. BlI. 138. 27 Siehe u. a. Brief Piecks an Dimitroff. 7. Oktober BArch.

RYS/I

tung«.

Paris vom

des deutschen Volkes«.

18. Oktober

in Paris.

In.

1936. In: SAPMO-

6/10/65. — Darin wird der 20. November

28 »Für die Versöhnung 29

über die Arbeit der

seit dem VII. Weltkongress im Zusammenhang mit der Arbeit des

1936 anvisiert.

In: »Deutsche

Volkszei-

1936.

Der Brief Ulbrichts vom 28. September 1936, in dem er die Begründung

für den

Aufruf

mitteilte,

hatte

Pieck

erst am

15.

(siehe SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/286). 30 Siehe SAPMO-BaArch. RY1/I 2/3/19. Bl. 414-415. 31 »Die Rote Fahne«. o. O. (1936)8.

November

erhalten

221

völlig ausgeblendet. Kein Wort darüber, daß dieses politische System beseitigt werden muß. Politische KPD kommentierten bissig: »Die Kommunisten >versöhnen« — natürlich mit den Nazis!«** Wilhelm

bestehende Gegner der wollen sich Pieck resü-

mierte, daß »dieser Aufruf den Anschein einer Wendung in der Politik der KPD erwecken (konnte), und er ist auch als sol-

cher von den Sozialdemokraten gewertet worden«.* Die Kritik Wehners aus Paris an Ulbrichts Vorgehen erhöhte die ohnehin vorhandenen Spannungen in der Parteiführung. Die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit waren nicht ausgeräumt.

Dahlem

kritisierte,

daß

die

Diskussion

im

Polbüro

durch Ulbricht sehr gereizt geführt werde. »Die Probleme würden nicht ruhig genug behandelt. Walter stelle oft sehr kategorisch die Fragen, ohne daß genügend diskutiert würde. Es trete dabei eine sehr starke Rechthaberei von Walter in Erscheinung [...] Im PB würde zwar diskutiert, aber die ope-

ratıve Ausführung läge nur bei Walter, bei dem die Tendenz vorherrsche,

sich in alles einzumischen.«**

Die jüngeren

ge-

wählten Mitglieder im obersten Führungsorgan fühlten sich oft bei Entscheidungen übergangen. Aber erst Anfang Februar 1937 kam es zur Beratung der deutschen Frage im EKKI. Offensichtlich waren die spanischen, französischen und chinesischen Probleme für die Komintern-Führung vordringlicher.

32 Abschrift aus dem tschechischen »Sozialdemokrat« vom 21. und 22. Oktober 1936. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/19. Bl. 491. 33 SAPMO-BArch. NY 4036/558. Bl. 139. 34 Zur Lage in der Führung der Partei. Material von Wilhelm Pieck. Juni 1936. In: SAPMO-BArch. NY 4036/538. BlI. 103. 35 Siehe 18./19. September 1936: Sitzung des Sekretariats des EKKI zur Lage in Spanien und die Aufgaben der KP, sowie über die Linie der Französischen Kommunistischen Partei — 14. Dezember 1936: Beratung ım EKKI-Sekretariat über die chinesischen Ereignisse und die Lage in Frankreich (Referat von Cogniot). — 28./29. Dezember 1936: Sitzung des Sekretariats zur spanischen Frage. — 4. und 5. Januar 1937: Sitzung des Sekretariats und der Kommission zur englischen Frage.

Volksfront und Großer Terror Die KPD in einem zerstörerischen Widerspruch

Die Sitzung des Sekretariats des EKKI zur deutschen Frage sowie die Beratungen der Deutschen Kommission fanden mit Unterbrechungen vom 7. bis 23. Februar 1937 statt.*° Im Mittelpunkt standen die Lage im Lande, der Organisationsstand der KPD und ihre Politik seit dem VII. Weltkongreß. Walter Ulbricht gab den Bericht für die KPD. An der Beratung nahmen unter anderem Dimitroff, Togliatti, Kuusinen, Manuilski,

Losowski,

Smoljanski, Varga und Ponomarjow

teil. Seitens

der deutschen Parteiführung sind Pieck, Florin, Ulbricht, Nu-

ding (Degen), Wehner (Funk) und Merker (Fuchs) ım Protokoll ausgewiesen; es waren also nicht alle Mitglieder und

Kandidaten des Polbüros anwesend.*”

Vier Jahre dauerte nunmehr die Hitler-Diktatur in Deutschland an, und für die KPD schien es schwieriger denn Jje, die Lage im Lande zu beurteilen. Von Eugen Varga war in seinen vierteljährlich erscheinenden Wirtschaftsanalysen die weltwirtschaftliche Situation durch drei Merkmale gekennzeichnet worden: 1. im Verlaufe des Jahres 1935 hatte sich der Übergang von der Depression zur Belebung vollzogen;

36 7. bzw. 8. Februar: Sitzung des Sekretariats. - 10. und 11. Februar: Sitzungen der Deutsche Kommission. — 19. Februar: Sitzung des Sekretariats. — 20.-23. Februar: Sitzungen der Deutschen Kommission. 37 Es fehlten Ackermann und Dahlem, Flieg, Wiatrek (Weber) als deutscher Vertreter beim EKKI (siehe Protokoll Sitzung Sekretariat EKKI. 7. Februar 1937. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/47).

223

2. das Produktionsniveau von 1936/1937 entsprach international wieder dem Stand vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise;

3. in Deutschland wurde die konjunkturelle Entwicklung entscheidend durch die Rüstung geprägt und mit der Verabschiedung des »zweiten Vierjahresplanes« im September 1936 absolut dominiert. Im Ergebnis gelangte die international 1937 einsetzende Zwischenkrise hier nicht zum Ausbruch.“® Varga hatte darauf verwiesen, daß »eine Erhöhung der industriellen Produktion und eine Besserung der Konjunktur ınfolge der erhöhten Rüstung nur einsetzen kann, wenn die Erhöhung der Rüstung nicht durch Erhöhung der Steuern, sondern durch Verwendung von bisher brachliegendem Kap!ıtal erfolgt, also durch Anleihen finanziert wird. In diesem Falle erfolgt eine wirkliche Ausdehnung des Marktes sowohl für Produktionsmittel für die Rüstungsindustrie wie für Verbrauchsmittel, da die Summe der ausgezahlten Löhne steigt.« Seine Einsicht, Rüstung könne als Konjunkturfaktor wirken, traf die Realität in Deutschland, wo es tatsächlich zur Ausla-

stung brachliegender großindustrieller Kapazitäten, zu Sekundäreffekten für die Zulieferindustrien und zur Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt gekommen war. Zugleich verwies Varga aber auch auf die Gefahren der Zerrüttung der Wirtschaft durch die Rüstung ab einem bestimmten Punkt: »Übersteigen die zu Rüstungszwecken aufgenommenen Anleihen eine gewisse Höhe, so werden für die Finanzierung der Rüstungen auch jene Kapitalien in Anspruch genommen, die zur Erneuerung des fixen Kapitals nötig wären, und es hört die konjunkturfördernde Wirkung der Rüstung auf. Werden sie trotzdem weitergetrieben, so führen sie [...] zu einer rapiden Verarmung des Landes und zu einer tiefgehenden Zerrüttung der ganzen kapitalistischen Wirtschaft.«*”

38

Siehe Gerd

Kampf gegen

Beewen:

Imperialismustheorie

Imperialismus,

Faschismus

und -analyse der KPD

und Krieg

Leipzig 1990. S. 107ff. 39 Eugen Varga: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik 1935 (abgeschlossen am 27. Januar

S. 332.

1933-1939.

im

Diss. A.

im vierten Vierteljahr

1936). In: Rundschau.

Basel (1936)9.

Für die KPD stellte sich die Frage, ob in Deutschland mit dem zweiten Vierjahresplan* bereits diese Phase der Zerrüttung des wirtschaftlichen Organismus eingetreten se1l. Sıe hatte den Vierjahresplan sofort in ihren ersten Stellungsnahmen zutreffend als »einen Plan der Kriegsvorbereitung«, als eiıne »neue Etappe der Militarisierung der Wirtschaft« charakterisiert. Philipp Dengel wies in seinem Artikel im Dezember 1936 nach, wie mit den Anordnungen des Vierjahresplanes die Wirtschaft noch direkter auf die Erfordernisse der Kriegsführung eingestellt wurde und bezeichnete ihn als eine »neue Etappe der deutschen totalen Wehrwirtschaft«, mit der diese »ımmer

mehr der unmittelbaren Kriegswirtschaft mit allen grauenhaften Folgen« angenähert werde.“ Die KPD neigte dazu, die Gefahren der deutschen Rüstungskonjunktur überzubetonen. Wie heutige Wirtschaftshistoriker feststellen, konnte das faschistische Regime aber mit dem »zweiten Vierjahresplan« wirtschaftliche Schwierigkeiten, die sich im Frühjahr und Sommer 1936 in einer zugespitzten Rohstoff- und Devisenlage und in der damit einhergehenden Drosselung der Rüstungsproduktion zeigten, überwinden und nochmals die Konjunktur beleben. Die Plünderung der Staatskassen und des Volksvermögen durch die zügellose Fortsetzung seiner Rüstungskonjunktur brachte Nazi-Deutschland eine Hochkonjunktur, Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel, während die übrigen kapitalistischen Länder schon wieder in eine Krise gerieten. Die KPD suchte die Widersprüche und Schwachpunkte im faschistischen Regime zu finden. So wurde die Rüstung vom wirtschaftlichen Standpunkt aus natürlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Last für die Werktätigen sowie ihrer Auswir-

d

40 Am 18. Oktober 1936 wurde Göring mit der Durchführung eines Vierjahresplans zur Koordinierung der Rüstungswirtschaft in Deutschland beauftragt. Der Vierjahresplan war ein umfangreiches Investitions- und Produktionsprogramm zur Erzeugung einheimischer Roh- und Werkstoffe sowie die Regulierung der dafür notwendigen Rohstoffverteilung, des Arbeitskräfteeinsatzes, der Preisbildung und der Devisenangelegenheiten. 4 Philipp Dengel: Totale Wehrwirtschaft in Deutschland und die Aufgaben des antifaschistischen Kampfes. In: Kommunistische Internationale. Basel (1936)November/Dezember. S. 1121.

225

kungen auf die Gesamtwirtschaft in Richtung zunehmender Labilität behandelt. Im Bericht der KPD vor dem EKKI-Sekretariat hieß es dann auch: »Im letzten Jahr sind im Zusammenhang miıt der Annahme des Wehrgesetzes und der Besetzung

des Rheinlandes in Deutschland die inneren Widersprüche des

Faschismus zweifellos gewachsen. Im Zusammenhang mit dem beschleunigten Tempo der Aufrüstung sind die inneren Spannungen größer geworden.« Die Ausbeutung der Arbeiter habe sich im Gefolge der Rüstungskonjunktur mit ihren Zwängen unerhört gesteigert und zeige sich in der Senkung des Arbeitslohnes, der Akkordsätze, der Verlängerung der Arbeitszeit und der Steigerung der Arbeitsleistung. Die Lohndifferenzierung sei aber sehr groß. Zirka fünf Millionen qualifizierte

Arbeiter würden höhere Löhne bzw. durch längere Arbeitszei-

ten höhere Wochenlöhne erhalten, bei etwa elf Millionen Indu-

striearbeitern aber sei eine Senkung der Löhne zu verzeichnen. Unzufriedenheit herrsche ebenso wegen der Lebensmittel-

knappheit. Ein schneller Preisanstieg sei im wesentlichen auf

Kosten des Mittelstandes und der Bauern verhindert worden. Bei diesen Schichten wachse die Unzufriedenheit auch durch die Steuer- und Abgabenpolitik. Weiter hieß es: »Aber zugleich hat es der faschistische Machtapparat verstanden, mit den inneren Schwierigkeiten bis jetzt fertig zu werden, vor allem deshalb, weil diese Unzufriedenheit der breiten Massen noch nicht zu einem kollektiven Handeln, zu einem breiteren Mas-

senwiderstand von uns entwickelt werden konnte.«? Walter Ulbricht fragte in seinem Bericht prononciert: »Wie kam es, dass bei wachsender Unzufriedenheit im vorigen Jahr faktisch die Bewegungen entweder stagnierten oder sogar ZUrückgingen? Was war die Ursache? Denn an der Stimmung der Massen konnte es nicht gelegen haben, da die Unzufriedenheit zunahm. Es musste also bestimmte Gründe in der Taktık der Durchführung der Bewegung geben, die bis dahin

42

Bericht und Einschätzung der Arbeit der KPD und Maßnahmen zur Entwicklung einer breiten Massenarbeit im faschistischen Deutschland von Walter Ulbricht, gehalten

7. Februar

1937.

Zitate sind, wenn

in der Sitzung des Sekretariats des EKKI

In: SAPMO-BArch. nicht anders

vom

RYS5/I 6/3/84. —- Alle folgenden

belegt, ebenfalls

aus diesem

Bericht.

Im

Tagebuch Dimitroffs ist die Rede Ulbrichts auf dem 8. Februar 1937 datiert.

226

die Entwicklung der Widerstandsbewegungen hemmten oder erschwerten.« Die KPD sah also vor allem im »subjektiven Faktor«, im unzureichenden Wirken der KPD und der Antifa-

schisten, die Ursache für die ausbleibenden Kämpfe gegen das Hitler-Regime, die »objektiven Voraussetzungen« schienen in dieser Darstellung gegeben. Das ergab im ganzen ein schiefes Bild und war — trotz der Versuche der Differenzierung — Ausdruck des in der kommunistischen Bewegung dieser Zeit verbreiteten Volontarismus. Besonders schwierig gestaltete sich die Beurteilung der Chancen und Möglichkeiten zur antifaschistischen Arbeit ın Deutschland. Das fand seine Widerspiegelung in den unterschiedlichen, zum Teil sich widersprechenden Formulierungen, mit der die Situation in Deutschland charakterisiert

wurde.

Ulbricht

erklärte,

»dass

zum

ersten Mal

sowohl

bei

den Arbeitern wie auch unter den breiten Schichten des Mit-

telstandes, wie auch unter den Bauern wohl die Unzufrieden-

heit wächst«. Ähnliche Einschätzungen hatte die KPD schon zu früheren Zeitpunkten, so im Herbst 1935 und ım Sommer

1936 getroffen. An anderer Stelle hieß es dagegen, daß nur geringe antifaschistische Kader an der illegalen Arbeit teilnahmen und die Mehrheit der Arbeiterklasse sich noch abwartend verhalte und eher auf einen Krieg als Weg zum Sturz Hitlers setze. Das suggerierte, daß noch immer die Mehrheit der Arbeiter in Deutschland den Sturz des Hitler-Regimes wolle. In einem anderen Zusammenhang formulierte Ulbricht, die Arbei-

ter würden nach vier Jahren Hitler-Diktatur den Glauben an einen schnellen Zusammenbruch des Regimes verloren haben und nunmehr versuchen, unter den gegebenen Verhältnissen ihre wirtschaftlichen Interessen legal zu vertreten. Ulbricht argumentierte zutreffend, angesichts des stärker gewordenen faschistischen Machtapparates können diese unzufriedenen Massen zu kollektivem Handeln nur unter Ausnutzung der legalen Bedingungen gebracht werden. Er sah in der konsequenten Anwendung der Taktik des »Trojanischen Pferdes« ein Eingehen auf die reale Lage iın Deutschland. Aktionen in

den Betrieben ließen sıch nur auslösen, wenn auch ein Teil der

nationalsozialistischen Funktionäre mitmachten.

Das sei die

Erfahrung aus der Analyse der Betriebsbewegungen im Lande. Die Arbeiter seien nur zur Ausnutzung legaler Möglichkeiten, nicht zur illegalen Arbeit bereit. Die KPD verband mit der Orientierung auf die konsequente Ausnutzung der legalen Möglichkeiten, d. h. des konsequenten Aufgreifens der von der DAF und den Naziführern verheißenen Ankündigungen von Lohnsicherung, bzw. Lohnerhöhung, Urlaub usw., die Absicht, den Druck in Richtung auf eine Verbesserung der realen Siıtuation der Arbeiter zu erhöhen und zugleich die soziale Demagogie

der DAF-Führer zu entlarven. In der Perspektive

sollten diese Aktionen mit regimekritischer Zielrichtung zur Mobilisierung großer Teile der Arbeiterklasse und zur politischen Krise des Hitler-Regimes führen. Über die Zeitspanne, in der solche Aktionen mit regimekritischer Zielrichtung ausgelöst werden könnten, gingen die Vorstellungen wohl immer noch von relativ kurzen Zeiträumen aus, da die KPD-Führung

ım Grunde an ihrem Bild über das Klassenbewußtsein der Arbeiter, das durch Einwirkungen der faschistische Diktatur kaum verändert sei, festhielt.

Die Taktık, die DAF mit Beschwerden einzudecken, sie zu beschäftigen und unter Druck zu setzen, zeitigte gewisse Erfolge. Sie wurde von der Naziführung als »kommunistische Unterwanderungstaktik« registriert. Die Gestapo und der eigene Abwehrdienst der DAF, das »Amt Information«, riefen zur

verstärkten Wachsamkeit gegenüber solchen Infiltrationsversuchen auf. Eine Statistik der DAF weist allein vom Dezember 1935 bis zum 2. Juli 1937 die Festnahme von 2.755 DAF-Mitgliedern »wegen marxistischer Betätigung« aus.® Die Versuche, über die Ausweitung legaler Aktionen die Destabilisierung des Regimes voranzutreiben, waren insgesamt in Deutschland aber marginal. Es ist Detlev Peukert zuzustimmen: »Letztlich konnte sich die Taktik des trojanischen Pferdes, die unter den gegebenen Bedingungen die einzige Chance geboten hätte, aus der Isolierung und erzwungenen Untätigkeit herauszutreten, nicht durchsetzen, weil sie der historiısch gewachsenen sozialpsychologischen Disposition im kommunistischen Parteilager (und in der traditionellen Arbei43

Siehe Michael

Schneider:

Unterm

wegung 1933 bis 1939 ... S. 790.

Hakenkreuz.

Arbeiter und Arbeiterbe-

terbewegung überhaupt) widersprach, die auf die Verteidigung der eigenen Gegengesellschaft fixiert blieb.«“* Im Gegensatz zum italienischen Faschismus sah die Realität der von der NSDAP kontrollierten Organisationen und Institutionen anders aus. Hier wurde die faschistische Ideologie rigoroser durchgesetzt. Zudem war der Zeitraum bis zum Kriegsausbruch zu kurz, um bereits sichtbare Erfolge dieser Taktik zu erkennen. Die »Resolution des EKKI zu den nächsten Aufgaben der KPD« erhob die Forderung: »Die Einigung des Volkes gegen den Faschismus erfordert nicht nur die Einheit der Arbeiterklasse

und aller antifaschistischen

Kräfte,

sondern

auch

die

Beteiligung großer nationalsozialistischer Massen.«* Die Beteiligung großer nationalsozialistischer Massen als nächste Aufgabe der KPD zu formulieren, wo eine Einigung aller antıfaschistischen Kräfte noch nicht erreicht war, verschob politische Schwerpunkte. So wurde dann auch in der Resolution des EKKI der Oktoberaufruf des ZK der KPD »Die Versöhnung

des deutschen

Volkes

für Frieden,

Freiheit und Wohl-

stand gegen die 3.000 Millionäre« vom EKKI als eine richtige Initiative der operativen Leitung gewertet, die Taktik der Partei in der Richtung einer breiten Massenpolitik zu entwickeln und »die Möglichkeit und Notwendigkeit des gemeinsamen Vorgehens des Volkes gegen die oberen kapitalistischen Schichten und faschistische Bürokratie zu zeigen«. Kritisiert wurde lediglich, daß die Losung der »Versöhnung« des deutschen Volkes, im jetzigen Deutschland als »politische Versöhnung mit der Nationalsozialistischen Partei ausgelegt werden kann« und daß solche wichtigen taktischen Schritte nur nach einer kollektiven Vorbereitung vom Zentralkomitee der Partei und ın Einvernehmen mit dem Sekretariat der Komintern unternommen werden sollen. Die »neuen taktischen Schritte« verband die KPD mit weiteren Veränderungen in ihrem organisatorischen Aufbau. Walter Ulbricht plädierte in seinem Bericht für eine weitere Umorganisation der KPD im Lande. Die Umstellung der Parteiorganisation nach der »Brüsseler Konferenz« hatte die De-

44 Detlev Peukert: Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945. Wuppertal 1980. S. 322. 45 Resolution zu den nächsten Aufgaben der KPD. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/84. — Ebenso alle nachfolgenden Zitate.

229

zentralisierung ım Inneren vorangetrieben. Die KPD-Bezirke waren ın kleine Gebiete aufgeteilt worden, wodurch die Bezirks- und Unterbezirksleitungen fortfielen. Die Anleitung der Gebiete erfolgte durch Instrukteure von den zuständigen Abschnittsleitungen im Ausland. Jegliche Verbindung der Zellen untereinander wurde aufgehoben, um ihre Sicherheit zu erhöhen. Sie arbeiteten auf sich gestellt und waren nur über den Instrukteur nach oben zur Abschnittsleitung verbunden.“ Die KPD-Führung hatte an den Grenzen zu Deutschland sechs Abschnittsleitungen (ABL) aufgebaut. Die ABL Mitte in Prag leitete die Bereiche Berlin, Ost- und Mitteldeutschland an, die ABL Süd in Zürich war zuständig für Baden, Württemberg und Bayern, die ABL Saar in Forbach für das Saargebiet und die Pfalz, die ABL Südwest in Brüssel für den Mittelrhein,

die ABL West in Amsterdam für den Niederrhein und das Ruhrgebiet und die ABL Nord in Kopenhagen für ganz Norddeutschland.*” Vom Polbüro waren während seiner Beratungen ım Juni 1936 in Paris festgelegt worden, daß Paul Merker und Franz Dahlem verantwortlich sind für die Grenzstelle Nord (Kopenhagen), Franz Dahlem und Herbert Wehner für die Grenzstellen Westen (Amsterdam und Brüssel), Anton Akkermann und Walter Ulbricht für die Grenzstellen Süden (Zü-

rich und Straßbourg) sowie Südost (Prag).“® Die Dezentralisierung der KPD wurde, wie die KPD-Führung ım Januar 1937 einschätzte, nicht rechtzeitig begonnen und durchgeführt, was zur Folge hatte, daß weitere Massenverhaftungen stattfinden konnten. Bis zum Oktober 1936 wurden von den 36 ins Land geschickten Parteifunktionären (als Instrukteur oder Leitungsmitglied) 19 verhaftet, über zwei Funktionäre

war

nichts

bekannt,

neun

Instrukteure

wurden

46 Für den Niederrhein und das Ruhrgebiet blieb dieses Instrukteursystem, von einer Verhaftung in Essen abgesehen, bis zum Kriegsausbruch von der Gestapo unbehelligt. Damit trug das neue Organisationssystem zum Rückgang der Verhaftungen und zur Beruhigung im kommunistischen Lager wesentlich bei (siehe Detlev Peukert: Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945. Wuppertal 1980. S. 273). 47 Sıehe Angaben zur Struktur im Findbuch zum Bestand KPD im SAPMOBArch. 48 SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/19. Bl. 256.

230

ins Ausland zurückberufen,

sechs Funktionäre ihrer Funktio-

nen enthoben. Hermann Nuding, Leiter der Kaderabteilung gab an, »das hat uns in Köln etwa 600 Verhaftungen gekostet, im Ruhrgebiet etwa 1.700 und in Berliın auch etwa 1.000 Verhaf-

tungen«.“* In seinem Bericht am 7. Februar

1937 konstatierte Ul-

bricht, daß die Arbeit, die Organisationsformen, die Methoden

der verschiedenen Gruppen im Lande nach wie vor sehr ungleichmäßig seien. Es gäbe Gruppen, die auf die alte Weise arbeiten, die im wesentlichen

von den Massen

isoliert siınd.

Diese Gruppen beschränken sich auf die illegale Propaganda

zu solchen Antifaschisten, die ihnen von früher her bekannt

sind. Nach jeder Verhaftung würden es weniger werden. Ulbricht erklärte in diesem Zusammenhang, daß diese alten Kader isoliert sind. »Sie werden nur informiert durch das Moskauer

Radio.

Wir

wissen,

wo

sie sind, wir können

sie

bekommen, aber unsere Kräfte reichen augenblicklich nicht aus, diese Kader zu beeinflussen.«“ Andere Organisationen, die dezentralisiert waren, in denen aber Betriebe und Wohngebiet zusammenhängen, seien unter den heutigen Bedingungen auch nicht mehr zu halten, da beı Verhaftungen die gesamten Verbindungen zerschlagen würden. Diese Verbindungen hätten keinerlei legale Begründung. Es zeige sich, daß die alte territoriale Organisationsstruktur ım eigentlichen Sinne auch nicht dezentralisiert sei. Nur die Or-

ganisationen, die sich auf die Arbeit in den Massenorganisationen,

z.

B.

den

Sportverein,

oder

in

einem

Großbetrieb

aufbauen, die selbständig waren und keine zentrale Verbindung hatten, wurden bei Verhaftungen weniger in Mitleidenschaft gezogen Die Organisationsstruktur müsse »dem natürlichen Leben, den Verbindungen der Massen in Betrieben, Sportvereinen,

Luftschutzverein,

den

nationalsozialistischen

Frauen-

schaften, Volkswohlfahrt usw. angepaßt werden«. So wären die Kommunisten trotz Massenarbeit besser vor den Zugriffen der Gestapo geschützt. Er schlußfolgerte, daß »die Trennung, 49 Zu den Kaderfragen der KPD. 22. Januar 1937. [Herbert Wehner]. Zit nach Reinhard Müller: Herbert Wehner - Moskau 1937. Hamburg 2004. S. 296f. 50 SAPMO-BArch. RY5S/I 6/3/84.

die früher auch

in unseren

Vorschlägen

enthalten

war,

zwi-

schen legalen antifaschistischen Arbeitsfrontfunktionären und iıllegalen Gewerkschaftskaders nicht aufrechtzuerhalten« ist. Die Ausführungen Ulbrichts über die vorhandenen Verbindungen der KPD-Führung ins Land, über ihren Einfluß in den faschistischen

Massenorganisationen,

aufgenommen, wie Dimitroffs skeptisch!« im Protokolltext »Also was haben wir real für Berlin konkrete Verbindungen

wurden

sehr

kritisch

Zwischenrufe: »Wir sind sehr erhellen. Ulbricht antwortete: Verbindungen« und zählte für zu zwei Großbetrieben von Sie-

mens in Spandau, zu DKW, Borsig, zwei Betrieben von Daimler, zu Zeiss-Ikon, zu Löwe, einer Spinnerei in Zehlendorf, zu Aubi, zu AEG in Schöneweide, zu Ullstein, zu geographischen

Arbeitern in Berlin, drei Verbindungen zu Bauarbeitern, an denen Verbindungen zu neun Bauerbeiterbranchen in Berlin hängen, zum Betrieb Elsner und zu einem Angestelltenbetrieb auf. Im Sportbereich benannte Ulbricht neben einem zentralen

Sportfunktionär in Berlin sieben weitere Verbindungen zu Vereinen ın den Stadtbezirken. Außerdem gäbe es noch eine direkte Verbindung zu den zwei Berliner Hauptzentralen der Sozialdemokraten. Zum mitteldeutschen Gebiet würden 32 direkte Verbindungen von Berlin aus bestehen, in ähnlicher Weise Verbindungen mit süddeutschen Städten und Städten in Süd-

Thüringen.

In Oberschlesien

würden

nach den Verhaftungen

und dem dezentralisierten Wiederaufbau 17 Betriebsparteigrup-

pen arbeiten. Zehn Genossen hätten untere Funktionen

in der

Arbeitsfront besetzt. Weitere Angaben enthält das Protokoll nicht. Das ganze westdeutsche Gebiet wurde nicht erwähnt, ebensowenig der Raum Hamburg und der Norden. Im Bericht zu den Kaderfra-

gen vom 22. Januar 1937 hieß es: »Es besteht eine direkte Leitung für den Westen, für Hamburg, für Oberschlesien, für

Sachsen im Auslande. Die Berliner Bezirksleitung ist in Prag

und

hat ihren

eigenen

Verbindungsdienst

und

KPD.

[Herbert

Grenzapparat

nach Berlin.«®' Im März 1936, zur Berichterstattung beim EKKI, hatte Walter Ulbricht wesentlich größere Bereiche in 51

Zu

den

Kaderfragen

der

22.

Januar

1937.

nach Reinhard Müller: Herbert Wehner — Moskau S. 297.

Wehner].

Zit

1937. Hamburg 2004.

Deutschland benennen müssen, zu denen keine oder nur man-

gelhafte Verbindungen bestanden. Zu dieser Zeit fehlte zu ganz Süddeutschland die Verbindung, ebenso zu den »Bezirken Kassel, Hannover, Magdeburg, Halle-Merseburg, Provinz Brandenburg, Oberschlesien, Schlesien (Breslau), Pommern,

Mecklenburg, Ostpreußen«.° Offensichtlich war es gelungen, im Verlaufe des Jahres 1936/Anfang 1937 neue Verbindungen zu knüpfen und auszubauen.

Zur Problematik der Einheits- und Volksfrontpolitik der KPD hinterließ die Berichterstattung offensichtlich ein ziemlich ernüchterndes Bild.® In Ulbrichts Berichterstattung, obwohl er nicht ausdrücklich zur Einheits- und Volksfrontproblematik sprach, klangen immer wieder als Ursachen für die Situation im Pariser Volksfrontausschuß an, daß die Genossen ın Parıs

die konsequente Auseinandersetzung mit den rechten sozialdemokratischen Führern nicht geführt hätten und sich zu sehr auf persönliche Verbindungen zu einzelnen Persönlichkeiten konzentrierten. In der Resolution des EKKI zu den Aufgaben der KPD heißt es dann auch unterkühlt erst unter Punkt VI: »In der Herstel-

lung der Einheits- und Volksfront hat die Partei im letzten Jahr

einige Teilerfolge errungen (Annäherung an die sozialdemokratischen Arbeiter in den Betrieben und auch Zusammenarbeit mit einigen sozialdemokratischen Gruppen; Zusammenarbeit im Ausland mit sozialdemokratischen Funktionären, Volksfrontaufruf in Paris). Durch die Entwicklung einer breiten Massenpolitik wird die Partei den Weg zum gemeinsamen Handeln mit der Sozialdemokratie am besten finden und wird auch

besser imstande

sein, die sozialdemokratischen

Führer

von ihrer Abwartepolitik und von der bisherigen Ablehnung der Einheitsfront und Volksfront abzubringen.«

Ohne es explizit auszusprechen, war das Projekt »Pariser

Volksfrontausschuß« in den Hintergrund geschoben. Das, was nach dem VII. Weltkongreß und der »Brüsseler Konferenz«

52 Material zum Bericht von Walter vom 10. März 1936. In: SAPMOBArch. RY1/I 2/3/82. 53 Die Berichterstattung und Diskussion zu diesem Schwerpunkt ist nicht dokumenticrt.

als vorrangige Aufgabe stand, in geduldıgen Verhandlungen, »bei denen wir nicht die Nerven verlieren dürfen« — wie Dimi-

troff im November 1935 formuliert hatte —, den Zusammenschluß aller antiıfaschistischen Kräfte zu befördern, hatte eine

andere Diktion erhalten. Faktisch fand eine Schwerpunktverschiebung in der politischen Linie der KPD-Führung statt. Es wurde wieder auf die Einheits- und Volksfronttaktik »von unten« ortentiert, in der durch Einzelbeispiele von Basiskooperationen in der Illegalität und im Exil Druck auf die SPD-Führung ausgeübt werden sollte. In der Folge der Diskussion um die Veränderungen in der politischen Schwerpunktsetzung wurden auch organisationspolitische Konsequenzen gezogen. Am 28. Februar 1937 beschloß das Polbüro unter dem ersten Tagesordnungspunkt »Änderung ın der Führung der Partei. (Auf Grund der Vereinbarungen

mit dem Sekretariat des EKKI)«: »1. Die bisherige Institution des Polbüros wird aufgehoben. Die Funktionen werden einem

Sekretariat von drei Genossen, bestehend aus Ulbricht, Dahlem, Merker übertragen, wobei Ulbricht verantwortlich für die

Leitung des Sekretariats gemacht wird. Bertz tritt als Kandidat ın das Sekretariat ein und soll die Kaderfragen und die Leitung des Apparates übernehmen.«“* Das vom ZK der KPD

auf der »Brüsseler Konferenz« ge-

wählte Politische Büro war damit aufgelöst. Pieck blieb für die Zeit der Haft Thälmanns Vorsitzender. Die Kandidaten des Polbüros,

Anton

Ackermann

und

Herbert

Wehner,

bekamen

andere Aufgaben zugewiesen. Ackermann wurde zur engeren

Mitarbeit im Sekretariat bestimmt, Herbert Wehner sollte sich

einer Untersuchung der Internationalen Kontrollkommission in Moskau unterziehen und in der Zwischenzeit dem Sekretariat von Togliatti als Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Er kehrte erst ım Spätsommer 1938 in die Arbeit der deutschen Partei zurück.” Weber [d. i. Heinrich Wiatrek] wurde als deutscher 54 Protokoll der Polbüro-Sitzung vom 28. Februar 1937. In: SAPMOBArch. RY1/1 2/3/20. 55 Neuere Forschungsergebnisse weisen Herbert Wehner, entgegen seinen eigenen autobiographischen Darstellungen, als Informant von Stalins Geheimpolizei

1937. Hamburg

aus

(siehe

2004).

Reinhard

Müller:

Herbert

Wehner

— Moskau

Vertreter beim EKKI abgelöst. Durch einen »Vorfall«, der sich bei der von ihm abgeforderten Selbstkritik im Zusammenhang mit der Verhaftung und Verurteilung Fritz Davids ım Moskauer Schauprozeß ereignete hatte und schlaglichtartig die düstere Atmosphäre in Moskau beleuchtete, war er in der Komintern nicht mehr geduldet.”® Philipp Dengel übernahm seine Funktion. Leo Flieg mußte sich ebenfalls vor der IKK verantworten, für ihn sollte Degen

[d. i. Hermann

Nuding]

die Erledigung

waren

in dieser Weise

der laufenden Geschäfte im Sekretariat übernehmen. Die Meinungsverschiedenheiten

im

Polbüro

»aufgelöst« worden. Walter Ulbricht, der für diese neuen taktischen Schritte stand, hatte seine Führungsposition ausgebaut. Die Reorganisation der Führungsstruktur der KPD im Februar 1937 brachte eine dramatische Veränderung für die Pariser Volksfrontpolitik und für Willi Münzenberg. Die Bildung eines Sekretariats des ZK in Paris mit weitreichenden Vollmachten unter Leitung Walter Ulbrichts verringerte den Handlungsspielraum Willi Münzenbergs erheblich. Indem ihm Walter Ulbricht auch im Volksfrontausschuß zur Seite gestellt wurde, desavouierte ihn die Parteiführung faktisch. Gleichzeitig wurde er aufgefordert, zur Klärung der Meinungsverschiedenheiten zur Beratung nach Moskau zu kommen. Die Dissonanzen ın der KPD über die weitere Arbeit im Volksfrontausschuß blieben den Gesprächspartnern nicht verborgen und verstärkten die Ohnehin vorhandenen Konflikte. Um zu erreichen, daß das Projekt Volksfront unter den politischen Emigranten in den verschiedenen Ländern angenommen wurde, bedurfte es einer enormen Anstrengung. Allein der Versuch, mit allen Richtungen der Arbeiterbewegung zusammenzuarbeiten und sich zugleich im eigenen gruppenspezifischen Milieu zu behaupten, barg eine große Spannung. Der 56 Wiatrek hatte in seiner Rede »Genosse David« gesagt und — durch Zwischenrufe verunsichert — »ehemaliger Genosse«, was ihm heftige Kritik von Manuilski und den deutschen Genossen in der Komintern einbrachte (siehe Bericht Herbert Wehners zu den Hintergründen der Ablösung Wiatreks. In: Herbert Wehner: Zeugnis. Persönliche Notizen 1929-1942. Köln 1982. S. 186).

235

Vorwurf, von den Kommunisten gekauft worden zu sein, traf die Aktivisten aus den sozlialistischen Gruppen (Breitscheid,

Grzesinski), den Kommunisten wurde Liquidatorentum, Verrat an den marxistischen Ideen und Leninschen Prinzipien vorgeworfen oder — aus der eigenen Führung —- mangelnde prinziplenfeste Auseinandersetzung mit rechtsopportunistischen Führern oder fehlende Wachsamkeit gegenüber trotzkistischen Einflüssen. Der politische Druck, den die Protagonisten einer deutschen Volksfront ausgesetzt waren, ist in deren politischen Biographien spürbar. Die sozialdemokratischen Gruppierungen und linkssozialistischen Splittergruppen, die sich in Distanz zur Prager Sopade befanden, drängten zum Zusammenschluß und zur Erneuerung der SPD, wobei sehr unterschiedliche Konzepte vertreten wurden. Diese Kräfte kritisierten die Sopade, weil sie sich unfähig zeigte, sich neuen Ideen und Gruppen zu öffnen, ihre selbst gewählte Isolation zu durchbrechen und zu einem handlungsfähigen Widerstandszentrum im Exil zu avancieren. Zugleich blieb ihre Abhängigkeit von der Sopade groß, und sie waren darauf bedacht, die Verbindung zum SPD-Vorstand in Prag niıemals abreißen zu lassen. Bei den Bemühungen zum Zusammenschluß spielten machtpolitische Überlegungen eine Rolle, ohne Zusammenfassung der verschieden sozialistischen Kräfte würden Auslandspositionen nach und nach in die Hände der Kommunisten übergehen.”” Das hatte Auswirkungen auf die Bereitschaft, sich für die Volksfront einzusetzen.

Wie die Auslandsleitung der KPD nach Moskau berichtete, erbrachte der zweite Moskauer Schauprozeß* unter den führenden Sozialdemokraten im Volksfrontausschuß eine weitere

57 Siehe Gerhard Paul: Konzentration oder Kartell? Das gescheiterte Projekt der sozialistischen Einigung im Pariser Exil 1938. In: Helga Grebing/Christl Wickert (Hrsg.): Das »andere Deutschland« im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Veröffentlichungen des Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung, Schriftenreihe A: Darstellungen. Bd. 6. 58 23. bis 30. Januar 1937 Prozeß gegen das »sowjetfeindliche trotzkist!sche Zentrum«. Angeklagt waren Pjatakow, Sokolnikow, Radek, Serebrjakow u. a. (siehe Wladislaw Hedeler: Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938. Planung, Inszenierung und Wirkung. Berlin 2003).

236

Verschlechterung des Klimas. Rudolf Breitscheid erklärte zwar Willı Münzenberg, daß er bereit seı alles zu tun, um zu verhüten, daß die Prozeß-Diskussion irgendwie die Arbeit im Volksfrontausschuß behindere, aber eine positive Stellung zum Prozeß könne man von ihm nicht verlangen. Vorstellungen aus Moskau, in der »Deutschen Information« die aus Moskau kommenden Prozeßmaterialien veröffentlichen zu können, kommentierten die KPD-Vertreter in Paris mit der Feststellung, daß das nur »unter der Gefahr, daß die Sache auseinanderfliegt«, möglich sel. Böchel schrieb in den RS-Briefen sehr zurückhaltend, daß er die Selbstbeschuldigung der Angeklagten bezweifele, aber kein Urteil über den Prozeß fällen wolle und angesichts der alles überschattenden Gefahr des Weltfaschismus strengste Zurückhaltung übt. Aber die Weltarbeiterklasse warte auf Antwort. Grossmann schickte an die »Deutschen Freiheitsblätter« einen Artikel, in dem er den Prozeß als drohendes Menetekel

bezeichnet, wie Kommunisten

in einem kommen-

den Regierungsbündnis mit Koalitionspartnern umgehen würden und zog die Schlußfolgerung, daß Sozialdemokraten nur dann ein Volksfrontbündnis mitmachen könnten, wenn sıe eın eigenes Kraftzentrum darstellten. Hertz verweigerte jedes Gespräch mit Kommunisten mit Verweis auf den Prozeß.”” Diese Darstellung im Brief der Auslandsleitung der KPD verdeutlichte die Bandbreite der Reaktionen auf die Moskauer Prozesse. Gerade bei denen, die das Projekt Volksfront mitpraktizierten, überwog aber die Erkenntnis, nicht einen »Ultimatismus« Zuzulassen, wie Willy Brandt schrieb, der »die Abgrenzung vom Moskauer Prozeß zur Grenze der Einheitsfrontpolitik« mache. Zugleich dürfe aber auch die Sowjetunion und ihre Anhänger »das Ja oder Nein zu ihren Maßnahmen nicht zur Barrıkadenfrage« machen, wenn sie nicht die hoffnungsvollen Ansätze der Einheits- und Volksfrontpolitik zertrümmern wolle.® In Frankreich, aber auch in anderen Exilländern, gab es

weiterhin Initiativen, die Zusammenarbeit aller Antifaschisten

59 Siehe Brief der Auslandsleitung in Parıs nach Moskau. 15. Februar 1937. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/287. 60 Siehe Willy Brandt: Bemerkungen zum Einheitsproblem (zit. nach Hartmut Soell: Der junge Wehner. Zwischen revolutionärem Mythos und praktischer Vernunft. Stuttgart 1991. S. 397f.).

herbeizuführen. Angesichts der Entwicklung ın Spanien verstärkten sich Aufrufe aus den Reihen der Emigranten, die Einıgung der Kräfte der deutschen Arbeiterparteien als Beitrag zur Unterstützung des spanischen Volkes zu fordern. Der frühere Bezirkssekretär der SPD Otto Buchwitz unterstützte einen solchen Aufruf von emigrierten Sozialdemokraten und Kommunisten

der sei, ruf an

in Dänemark,

weil es zumindest

in der Frage

Unterstützung der spanischen Freiheitskämpfer notwendig die Parteischranken niederzureißen.®! Einen ähnlichen Aufrichteten sozialdemokratische Emigranten aus Stockholm den Parteivorstand der SPD.® Auf Initiative des früheren

Leiters der Berliner Marxistischen Arbeiterschule, des Kom-

munisten Johann Lorenz Schmidt — des Ehemanns von Anna Seghers — und des liberalen Historikers Wolfgang Hallgarten wurde Ende 1936 in Paris die Freie Deutsche Hochschule erÖffnet. Hier verbanden emigrierte deutsche Wissenschaftler, wie Emil Julius Gumbel, die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse mit antifaschistischer Aufklärungsarbeit. Die unter der Ehrenpräsidentschaft von Andre Gide, Romain Rolland und Lion Feuchtwanger stehende Deutsche Freiheitsbibliothek, deren Präsident Heinrich Mann war und die seit Mai 1935 eine umfangreiche Sammlung progressiver deutscher Literatur angelegt hatte, trug mit ihren »Mitteilungen« wesentliıch zur Verständigung unter deutschen Hitler-Gegnern bei. Am 10. und 11. April 1937 trat noch einmal der deutsche Volksfrontausschuß zu einer großen Beratung zusammen. Etwa dreihundert westeuropäische Delegierte verschiedenster politischer Richtungen nahmen daran teil. Heinrich Mann referierte über die Widerstandsbewegung, Rudolf Breitscheid über Außenpolitik und Willi Münzenberg über die Aufgaben der Volksfront. Bereits vor der Konferenz war von ihm ein Artikel in der Zeitschrift der Komintern »Rundschau« erschienen, in dem er die Zerrissenheit der deutschen Opposition beklagte und feststellte: »Man kann sich nach dem Sturz Hitlers Deutschland auch ohne diesen oder jenen abseitigen Schriftsteller vor-

stellen, aber nicht ohne die kommunistische und sozialistische

61 Siehe SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/259. 62 Zit. nach Horst Kühne: Spanien 1936-1939. Proletarischer Internationalismus im national-revolutionären Krieg des spanischen Volkes. Berlin 1978. S. 137.

238

Bewegung und ihre Parteien. Das neue Deutschland wird ıin

einem weit stärkeren Maße als das Deutschland von 1918 von

der Arbeiterklasse gestaltet werden oder es wird nicht sein.«®

Auf der Konferenz betonte er, daß die Demokratie ın Deutschland nicht die von Weimar, »sondern die von Madrid« seıin

werde. Münzenbergs Ausführungen ließen aber auch durchscheinen, daß er Bedenken gegen den von der KPD-Führung seit dem Herbst 1936 eingeschlagenen Kurs hatte. Er sprach für die Vereinigung aller antihitlerischen Kräfte, verlangte besonders von kommunistischer Seite eine offene Sprache und wandte sich gegen kleinliche Politik von Winkelzügen, die nur das Vertrauen zerstören würde. Die starke Beteiligung an dieser Konferenz und die nach außen dargestellte Einmütigkeit konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gegensätze unter den Volksfrontpartnern wuchsen und die Zeichen der Auflösung sich verstärkten. Auch auf dieser Beratung war es der KPD nicht gelungen, eine Übereinstimmung in der Frage der demokratischen Republik als Form eines künftigen antifaschistischen Deutschlands herbeizuführen. In dieser schwierigen Situation einen Mann wie Willi Münzenberg, der das Vertrauen der meisten Mitglieder des Ausschusses

erworben

Kampfes

um

hatte,

zurückzuziehen,

konnte

nur

die

Situation verschlechtern. Walter Ulbrichts Linie bestand darin, mehr Druck auf den Volksfrontausschuß auszuüben, um in der Frage der Anerkennung der demokratischen Republik als Ziel der Volksfront voranzukommen und den Ausschuß stärker auf die Arbeit nach Deutschland hinein zu orientieren. Er meinte, die Fragen zuspitzen zu müssen. In seinen Brief an Dimitroff schrieb er zu seiner Linie: »Deshalb kommt es Jetzt erst recht darauf an, die Basis der Volksfrontbewegung zu verbreitern und die Fragen des Zieles der Volksfront, des die demokratische

Republik,

endlich zu klären

und von den SAP-Leuten die offene Stellungsnahme gegen die POUM

zu fordern. Wir können nicht weiterkommen, wenn die

SAP in der Volksfront offen gegen die Forderung der demokratischen Republik auftritt und manche Sozialdemokraten mit dieser Frage spielen und über das nächste Ziel der sozialisti63

Rundschau.

Basel (1937)15.

S. 611f.

schen Planwirtschaft und dergleichen reden [...] Die Zusammenarbeit ım Volksfrontausschuss wurde zu sehr auf persönlıche Spitzenbeziehungen beschränkt ...« Gegen Münzenberg gerichtet schrieb er weiter: »Wir halten es allerdings für einen unmöglichen Zustand, dass es ein Mitglied des ZK gibt, dass ohne unsere Kenntnis alle möglichen politischen Privatbesprechungen durchführt, Artikel veröffentlicht und Broschüren herausgibt ohne irgendwelche Kenntnis des Zentralkomitees. Wir sind also der Meinung, dass es nur dann zu einer engen kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit Willi kommen kann, wenn beı ihm das Parteibewusstsein wesentlich gestärkt wird. Da wir über Eure Meinung nicht näher informiert sind, bitten wir um Eure Direktive, wie wir uns verhalten sollen.«“*

Walter Ulbricht wurde zu einem Gegenspieler von Münzenberg, der die Klaviatur des Apparats der Macht und des Terrors kenntnisreich benutzte. Er führte einen regelrechten verdeckten Feldzug gegen ihn. Berichte an Pieck und Dimitroff

belegen das vielfach.® Dem stand jedoch entgegen, daß Mün-

zenberg bei den angestrebten Bündnispartnern die unangefochtene Autorität für die kommunistische Bewegung darstellte. Informationen über seine Abberufung aus dem Volksfrontausschuß führten zu eigenartigen Solidaritätsbekundungen bürgerlicher und sozialdemokratischer Kräfte mit Willi Münzenberg.

Markantestes Dokument ist ein Brief Heinrich Manns an Georgı Dimitroff. Mit Datum vom 2. Juni 1937 wandte sich Heinrich Mann in einem handschriftlichen Schreiben über Willı Münzenberg an Dimitroff. In seinem Begleitbrief an Münzenberg teilte er mit, daß er über Emil Gumbel von den Schwierigkeiten wüßte, die Münzenberg habe, und gab die Mitteilung Walter Ulbrichts wieder, daß Münzenberg für längere Zeit eine andere Arbeit übernehmen solle. »Meine Meinung ist, daß unser Ausschuß [...] durch Ihre Entfernung einen unerträglichen Verlust erleiden würde. Sie haben sich in hingebender Arbeit großes Vertrauen bei allen Gruppen der Volksfront erworben. Sie stellen zwischen den Parteien und Gruppen eıne Verbindung her: ich allein, als Vorsitzender, 64 65

Brief Ulbrichts an Dimitroff, 25. Mai 6/10/66. Siehe SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/287.

240

1937.

In: SAPMO-BArch.

RY5/I

könnte sıe wahrscheinlich nicht aufrechterhalten.« In gleichem Sinne war der Brief an Georgi Dimitroff abgefaßt. Der eindringliche Appell Heinriıch Manns endete mit der Aufforderung: »Wollen Sie mir bitte glauben, daß die Sache gerade diese Persönlichkeit braucht.«® Die Lage Münzenbergs wurde jJedoch zunehmend aussichtsloser. Auch objektiv wurde die Verteidigung einer konsequenten antifaschistischen Politik für die deutschen Kommunisten ımmer absurder. Programmatisch trat die KPD seit 1936 mit der Losung des Kampfes um eine deutsche demokratische Republik auf und wandte sich gegen weitergehende sozialistische Zielvorstellungen, wie sie von ihren Bündnispartnern wie etwa von Vertretern der SAP aufgestellt wurden. Gleichzeitig verteldigte sie immer hysterischer die Repressionen und den Terror in der Sowjetunion und die internationale Trotzkistenverfolgung.

Die Gangart im Umgang mit politischen Gegnern innerhalb der Arbeiterbewegung hatte sich mit dem zweiten Moskauer Schauprozeß gegen Pjatakow, Radek, Sokolnikow u. a. weiter verschärft. Die Anklage beschuldigte sie als trotzkistische-faschistische Agenten, die als Spione des deutschen und japanıschen Faschismus den Überfall auf die Sowjetunion erstrebten. Durch Trotzki und ihre Verbindung zum Trotzkismus seien sie zu Agenten der Gestapo und der Hitler-Spionage geworden. Nunmehr galten alle, die in den Verdacht der Verbindung mit Trotzki oder trotzkistischen Gruppen kamen, als »faschıstische Agenten und waren aus der Arbeiter- und antifaschist!schen Bewegung auszurotten«.°’ Die KPD-Führung verstand darunter, deren Einfluß »auszumerzen« und die »trotzkistischen Gruppen und Elemente restlos von der antifaschistischen Bewegung zu isolieren«.® In der Anweisung der Moskauer KPD-Funktionäre an die operative Leitung in Paris vom 29. Januar 1937 hieß es: »Geht auch sofort an die Einleitung zielbewusster Maßnahmen zur Her66 Willi Münzenberg an Georgi Dimitroff. 8. Juni 1937. In: SAPMOBArch. RYS/I 6/10/66. 67 Resolution des EKKI zu den nächsten Aufgaben der KPD. In: SAPMOBArch. RYS/I 6/3/84. 68 Brief des Polbüros aus Moskau an die Auslandsleitung in Paris, 29. Januar 1937. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/287.

241

ausdrängung der offenen und versteckten Trotzkisten aus allen Funktionen und Organen der antifaschistischen Bewegung. Es muss politisch die Anschauung in der antifaschistischen Bewegung durchgesetzt werden, dass, nachdem die schändlichen Verbrechen Trotzkis und seiner Beauftragten restlos enthüllt wurden, nachdem deren Bündnis mit den deutschen und Japanischen Faschismus bezw. mit der Gestapo einwandfrei feststeht, die Trotzkisten

nicht mehr als Antifaschisten,

son-

dern ausschliesslich als Avantgarde des Faschismus betrachtet werden können und entsprechend behandelt werden müssen. Das schliesst die Unmöglichkeit ein, deutsche, im Ausland befindliche Trotzkisten weiterhin als Emigranten zu betrachten. Sie sind als Beauftragte des Faschismus und Agenten der Gestapo zu bewerten und zu behandeln.«® Für jene, die im sowjetischen Einflußbereich des »Trotz-

kismus« verdächtigt wurden, bedeutete »ausmerzen« in den meisten Fällen Verhaftung, Zwangsarbeitslager, Tod. 1937 und 1938 nahm die Zahl von Verhaftungen und Verurteilungen erschreckend zu. Von den Verfolgungen durch Organe des Volkskommissariats des Innern der UdSSR beziehungsweise durch »Außerordentliche Kommissionen« waren auch Funktionäre und Mitglieder der KPD betroffen.’® In der Regel wurden sie beschuldigt, mit Mitgliedern der KPdSU(B) in Verbindung gestanden zu haben, die ihrerseits als »Schädlinge« und »faschistische Spione« verurteilt worden waren oder unter derartiger Anklage standen. Bei der Untersuchung und Bestrafung ihrer angeblichen Verbrechen waren die elementaren Regeln der Rechtssprechung außer Kraft gesetzt, so daß die Betroffenen völlig wehrlos waren. Angehörige, Frauen und selbst Kinder waren Repressalien ausgesetzt. Die KPD-Führung konnte, anders als die Kommunisten in der Illegalität, nicht für sich beanspruchen, daß sie das Ausmaß dieses Terrors nicht kannte. Spätestens seit dem zweiten Moskauer Prozeß lagen ihren Polbürositzungen stets lange Listen der in der Sowjetunion ver69 SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/287. 70 Siehe In den Fängen des NKWD. Deutsche Opfer des stalinistischen Terrors in der UdSSR. Berlin 1991. —- Siehe auch Hermann Weber/Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Berlin 2004. —- Reinhard Müller: Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung. Hamburg 2001.

242

hafteten KPD-Mitglieder vor, die sıe daraufhin aus der Partei ausschloß. Die Protokolle dieser Sitzungen hinterlassen ein dü-

steres Bild, wie listenweise über das Schicksal von Menschen abgestimmt wurde. In einigen Fällen, so belegen Dokumen-

te,’! versuchte Wilhelm Pieck in Übereinstimmung mit Dimi-

troff Verhafteten zu helfen und ihre Unschuld zu bezeugen, Ohne jedoch nur im Ansatz diesen Terrorfeldzug in Frage zu stellen. Für die Beurteilung der entstandenen Situation bei der Eınheits- und Volksfront wurden durch die KPD-Führung die verheerenden Auswirkungen des Terrors in der Sowjetunion aber verdrängt. Die Lage im Volksfrontausschuß, so schätzte die Parteiführung in Moskau auf ihrer Sitzung am 22. Juni 1937 ein, zeige »ernste Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, ferner starke politische Verwirrungen in der Einschätzung der Arbeit der Volksfront, gefährlichen Einfluss trotzkistischer Auffassungen durch die SAP, dem die Sozial-

demokraten nachgeben. Hinzu kommt die bedenkliche Stellungnahme von Münzenberg, die die Sozialdemokraten zur Differenzierung zwischen Münzenberg und der Partei veranlassen, die Weigerung Münzenbergs nach Moskau zu kommen und die Möglichkeit, dass er sich von der Komintern überhaupt abwendet.«”* Die SAP, die öffentlich gegen die Prozesse in der Sowjetunion und gegen die Politik der Komintern in Spanien auftrat,

wurde zunehmend

Ziel des antitrotzkistischen Feldzuges der

KPD. Sie galt der KPD als trotzkistische Partei, weil sıe die

spanische Partei POUM 71

in Katalonien unterstützte, die von den

Siehe Mut gegen Ungesetzlichkeit. Dokumente aus dem Archiv der Komintern über den Kampf für die Rettung von Kommunisten und Internationalisten vor den Stalinschen Repressionen. In: Probleme des

Friedens und Sozialismus. Prag (1989)7. S. 998-1003. — Sicehe auch Carola Tischler: »Es ist notwendig, über die Zugehörigkeit zur Partei zu

entscheiden«. Zur Rolle der KPD-Führung bei der Verhaftung ihrer Mitglieder während des stalinistischen Terrors. In: Klaus Kinner/Willi Beitz (Hrsg.): Moskau 1938 — Szenarien des Großen Terrors. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 1999. S. 99-108. — Carola Tischler: Flucht in die Verfolgung. Deutsche Emigranten im sowjetischen Exil. 1933 bis 1945. Münster 1996. 72 SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/20.

243

Kommunisten heftig bekämpft wurde.’” Die KPD begründete die gewaltsame Unterdrückung der anarchistischen Bewegung innerhalb des republikanischen Lagers als notwendig für die Bewahrung der Breite der spanischen Volksfront, für die innere Ordnung und Disziplin auf der republikanischen Seite. Die Tragik bestand darin, daß die spanische Republik sich mit diesem Vorgehen,

das im Zermürbungskrieg

mit Francos

Über-

In einem Papier, erarbeitet von Wilhelm Pieck Ende

1937,

macht unvermeidlich schien, zugleich »sozusagen das eiserne Herz aus dem Leibe riss. Denn die spanische Arbeiterschaft, die 1936 die Republik gerettet hatte, war zum allergrößten Teil nicht sozialistisch oder kommunistisch, sondern anarchistisch.«/* benennt dieser die Anlässe und Inhalte der Schwierigkeiten im Parıser Volksfrontausschuß: »Die ersten Differenzen ergaben sich bei der Beratung der von den Kommunisten eingereichten

Plattform einer deutschen Volksfront, im Juni

1936 [...] Der

zweite Anlass zu Differenzen ergab sich aus der Antwort, die vom Sekretariat des ZK im Namen des ZK der KPD, gezeich-

net Wiılhelm Pieck, an den Parteivorstand der SPD und an die

sozialdemokratischen Genossen in Berlin als Verfasser der Vorschläge zur Bildung der deutschen Volksfront,’> Ende Aprıl 1937 aufgrund dieser Vorschläge gegeben wurde. In einem Brief vom 7. Mai erhob Breitscheid gegen diesen Brief Einspruch, >»indem sich das Zentralkomitee in einem Offenen Brief an Sozialdemokraten wendet, ohne zuvor mit den Sozialdemokraten, die in der Volksfront mitarbeiten, Fühlung ge-

nommen zu haben« [...] In einem Brief vom

Zentralkomitee

schreibt

Breitscheid,

dass

10. Mai an das

er sich

mit

Max

Braun und Grzesinski über den Brief unterhalten hat und dass er mit ihnen gemeinsam der Auffassung ist, dass sie »mit den dort vertretenden Ansichten nicht durchweg und unbedingt übereinstimmen« [...] Sie seien aufs peinlichste davon über-

73 Siehe »Deutsche Volkszeitung«. Paris vom 11. Juni 1937. 74 Sebastian Haffner: Zwischen den Kriegen. Essays zur Zeitgeschichte. Berlin 1997. S. 30. 75 Gemeint ist die sozialdemokratische Volksfrontgruppe in Berlin, die am 21. Dezember 1936 ein Zehn-Punkte-Programm veröffentlichte und dazu aufrief, auf dessen Grundlage die Einheit aller Hitlergegner herzustellen.

244

rascht und erblicken ın ıhm einen Mangel an Loyalität [...] Auf jeden Fall würden sich die drei Genossen solange an den Arbeiten des Ausschusses nicht beteiligen, bis die Sicherheit geschaffen ist, daß sich ein solcher Vorgang nicht wiederholt.«° Auch nach einem Brief des Sekretariats der KPD vom 21. Mai, in dem das Sekretariat zugab, daß man sich hätte abstimmen können, aber den Vorgang ansonsten zu erklären suchte, hielten Breitscheid, Braun und Grzesinski ihren Vorwurf von

der Illoyalität aufrecht. Sie ersuchten ferner die Vertreter der KPD, »solche Aufgaben wie die Sowjetunion und Trotzkismus aus den Beratungen auszulassen, das sei nicht die Aufga-

be der deutschen Volksfront«;

und sie bestanden

darauf, die

bestehenden Differenzen auf einer Sitzung des Volksfrontausschusses zu besprechen. Am 19. Juni richteten die KPD-Vertreter im Ausschuß an die Vorstandsmitglieder des Ausschusses die Beschwerde,

»daß

nicht zu der Beschie-

der Ausschuss

ssung von Almeria,” [...] und den Christenverfolgungen”® in Deutschland Stellung nimmt. Eine Besprechung darüber sei nicht zustande gekommen, weil die sozialdemokratischen Mitglieder eine gemeinsame Besprechung [...] wegen des Brief-

wechsels mit der KPD

ablehnten. Es sei bedauerlich, dass es

zu diesen Differenzen gekommen ist, dass von rechten Zentrumskreisen und rechten sozialdemokratischen Funktionären versucht

wird,

bekannt,

daß

die Zusammenarbeit

von

Katholiken,

Prote-

stanten und demokratischen Kreisen mit dem Ausschuss zu verhindern.« Der Volksfrontausschuß war also im Sommer 1937 praktisch lahmgelegt. Es war in Moskau allerdings auch nicht unes Einschätzungen

bei den Volksfrontpartnern

gab, »daß Walter [Ulbricht] für die Volksfrontarbeit schliımm sei« oder »Walter benimmt sich wie ein Ochse im Porzellanla76

77

Wilhelm

Pieck: Notizen

über die Entwicklung

ser Volksfrontausschuss. In: SAPMO-BArch. Die folgende Zitate siehe ebenda. Bl. 2f. Am

31. Mai

der Differenzen

NY 4036/558.

ım Pari-

Bl.

If. —

1937 wurde die spanische Stadt Almeria durch Geschwader

der deutschen Kriegsmarine beschossen. Es kam zu einer Krise bei den Vertretern der Nicht-Einmischungspolitik. 78 Gemeint sind die Prozesse gegen die 1936 verhafteten Leiter der katholischen »Sturmschar« Franz Streber und Kaplan Rossaint, gegen Hermann Jülich und Pater Karl Kremer sowie weitere Angeklagte.

den«.” Angesichts der zugespitzten Situation wurde auf der Sıtzung der deutschen Genossen in Moskau — wie nach Auflösung des Polbüros diese Sitzungen nunmehr benannt wurden — am 22. Juni

1937 beschlossen, daß Wilhelm

Pieck für

zwei Monate nach Paris gehen sollte, um Ulbricht in seiner Arbeit zu unterstützen. Von einer kollektiven Beratung der Probleme in Paris konnte kaum noch die Rede sein, denn von den drei Sekretari-

atsmitgliedern war nur noch Paul Merker in Paris. Franz DahJem befand sich seit Januar 1937 in Spanien. Er war Mitglied der Zentralen Politischen Kommission der Internationalen Brigaden und Leiter des »Deutschen Büros beim ZK der Kommunistischen Partei Spaniens«. Die Briefe zwischen Paris und Moskau brauchten zudem bis zu zwei, manchmal vier bis sechs Wochen, so daß ein unmittelbares Agieren von Moskau aus kaum möglich war. Piecks Reise aber wurde immer wieder verschoben und fand letztlich nicht statt, obwohl die An-

zeichen der Krise sich verstärkten.® Pieck hätte die Situation eventuell entkrampfen können, die sich durch Ulbrichts drakonischen Stil zuspitzte. Weitere Differenzpunkte im Volksfrontausschuß wurden die Arbeit

der Freundeskreise

79 SAPMO-Barch.

8

pun

80

der Volksfront,®!

RYS/I 6/10/66.

So hatten sich am

1. Oktober die Vertreter des Arbeitsausschusses,

schließlich Heinrich Mann, an das ZK einer Reihe von Beschwerden über die Ausschuß gewandt und gefordert, »durch die Vertrauensbasis wiederherzustellen. Die Freundeskreise waren ursprünglich regung

die sich vor

entsprungen,

um

die

ein-

der KPD und an Dimitroff mit kommunistischen Vertreter im eine zweckmäßige Maßnahme« einer sozialdemokratischen An-

sozialdemokratischen

Mitglieder

in der

Pariser Emigration zu beeinflussen. Es sollten dort allgemeine Emigrationsfragen behandelt werden. Als sich dann an diesen Veranstaltungen immer mehr auch nicht sozialdemokratische Emigranten beteiligten und vor allem die Kommunisten durch ihre Initiative stärkeren Einfluß gewannen, verloren die Sozialdemokraten das Interesse an diesen Veranstaltungen. Durch eine zentrale Zusammenfassung der Freundeskreise der einzelnen Arrondissements wurde von ihnen die Forderung einer engeren Verbindung mit dem Volksfrontausschuß erhoben, sogar die einer Vertretung im Ausschuß. Als Vorsitzender war der Kommunist Bruno von Salomon gewählt worden. In den Freundeskreisen war ausdrücklich beschlossen worden, daß keine SAP-Vertreter in die Leitungen gewählt werden (siehe Notizen über die Entwicklung der Differenzen im Pariser Volksfrontausschuss. In: SAPMO-BArch. NY 4036/558).

246

allem ın Parıs aber auch in anderen Teilen Frankreichs und zum Teil in anderen Exilländern unter maßgeblicher Initiative der Kommunisten gebildet hatten, und die scharfe Kritik der KPD gegen die »Freiheitspartei«, einem Zusammenschluß bürgerlich-liberaler Hitler-Gegner um Otto Klepper außerhalb des Volksfrontausschusses. In einem Brief an Heinriıch Mann hatten sich die Sozialdemokraten, die SAP und die bürgerlichen Vertreter im Volksfrontausschuß, namentlich Max

Braun, Ja-

cob Walcher und Georg Bernhard, dagegen ausgesprochen, die Freundeskreise als Organe des Volksfrontausschusses auszugeben: »Der Volksfrontausschuss lässt allen Gruppen, Parteien oder Privatpersonen unbenommen, eigene Bewegungen oder eigene Volksfronten aufzuziehen [...] Wenn die KPD durch

die Vermittlung

Bruno

von

Salomons

glaubte,

in den

Freundeskreisen eine bessere Volksfrontbewegung aufziehen zu müssen, so war und ist das ihre Sache. Wogegen sich aber

der Volksfrontausschuss energisch zur Wehr setzen muss, Ist,

dass solche Sonderbewegungen fälschlich als ein Teil der von ihm vertretenden Volksfrontbewegung ausgegeben werden. Denn der Volksfrontausschuss ist ohne jeden Einfluss auf solche Bewegungen und hat mit deren absolut anderen politischen Linien und Organisationsprinzipien nicht das Mindeste zu tun.«® Sie sahen in den »Freundeskreisen« den Versuch der KPD, den »Druck von unten« zu organisieren, um So den

kommunistischen Einfluß auf den Volksfrontausschuß zu erhöhen. Faktisch hatte sich im Volksfrontausschuß eine Front

gegen die KPD-Politik formiert, die auf ein Hinausdrängen der KPD, vor allem von dessen Frontmann Walter Ulbricht, hin-

auslief. Das Sekretariat der KPD in Paris und Gruppen in der Emigration über frontausschuß zu informieren und Vertretern des Volksfrontausschusses

entschied, die Leitungen die Vorgänge im Volksden Briefwechsel mit bekanntzumachen. Au-

ßerdem veranlaßte es, daß die politischen Probleme, um die es

ging, und der Brief des Sekretariats vom 26. Oktober 1937, den Walter Ulbricht im Namen des ZK der KPD an den Volksfrontausschuß geschrieben hatte, in den Parteigruppen ın der 82

Brief von Braun, Walcher 1937. In: SAPMO-BArch.

und Bernhard an Heinrich RY5S5/I 6/10/66.

Mann,

9. Oktober

247

Emigration zur Abstimmung gebracht wurde. Wilhelm Pieck

hielt das für einen »schweren Fehler«, wie er Dimitroff schrieb, »zumal es sich nicht um einen Brief des ZK handelt,

sondern um einen Brief des Sekretariats. Es ist überhaupt sehr bedenklich, dass den Emigrationsgruppen derartige organisatorische Vollmachten zuerkannt werden. Die Kontrolle über die Zusammensetzung der Gruppen ist keineswegs derart, dass nicht auch Agenten der Gestapo sich einschalten können.« In dem Schreiben des Sekretariats vom 26. Oktober 1937 war die Haltung von Breitscheid, Braun und Grzesinski als Blockade des Volksfrontausschusses und Versuch der Spaltung verurteilt worden. Am 5. November 1937 suchte Wilhelm Pieck mit einem Schreiben an Heinrich Mann, die verhärtete Frontstellung gegen die KPD aufzubrechen, in dem er erklärte, das ZK werde

zu den anstehenden Fragen beraten, und es solle alles getan werden, um die Differenzen zu beheben. Am 17. November 1937 traf in Moskau ein Telegramm von Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger an Dimitroff ein, in dem gebeten wurde, schnellstens einzugreifen, weil die Gefahr des völligen Bru-

ches bestehe, und daß jemand geschickt werde, der mit ihnen

zusammen die Frage kläre.* Am 15. November 1937 kündigten die nichtkommunistischen Teilnehmer ihre Mitarbeit am Volksfrontausschuß auf. Inwieweit die KPD-Führung noch in der Lage gewesen wäre, die entstandene Situation im Pariser Volksfrontausschuß umzudrehen,

ist schwer zu beantworten. Walter Ulbricht ver-

suchte jedenfalls im Januar 1938 seine Maßnahmen zu rechtfertigen, indem er Münzenberg der bewußten Sprengung des Volksfrontausschusses seit dessen Rückkehr aus Moskau (Frühjahr 1936) bezichtigte. Außerdem warf er der Führung ın Moskau vor, daß sie nicht rechtzeitig eine klare politische Stellung gegen Münzenberg bezogen habe, wodurch eine Sprengung des Volksfrontausschusses hätte vermieden werden können. In diesem Zusammenhang nannte er auch das Schreiben von Wilhelm Pieck vom 5. November 1937, das 83 84

Brief Pieck an Dimitroff. 25. November RY5/I 6/10/66. Siehe SAPMO-BArch. NY 4036/558.

248

1937.

In:

SAPMO-BArch.

von Münzenberg sofort als neuer Beweis benutzt worden wäre, »dass er die Unterstützung der KI habe und Walter bezw. das Sekretariat gegen die KI stehe«.® In Vorbereitung auf die geplante ZK-Tagung noch ım Herbst 1937 hatte in Moskau auch eine Aussprache mit Georgi Dimitroff über die Lage im Lande und über die Arbeit der KPD stattgefunden, über die Pieck das Sekretariat in Parıs am 31. Oktober 1937 informierte.® Darin zeigten sich die ersten Anzeichen einer kritischen Wertung der Politik Ulbrichts ım Volksfrontausschuß. Dimitroff erklärte: »Der Parıser Ausschuss, in dem sich jetzt einige Differenzen herausgestellt ha-

ben, soll helfen, die Volksfrontbewegung im Lande zu schaffen. Er soll dazu positive Hilfe leisten. Die Mitarbeit von Heinrich Mann ist dabei von großem Wert. Die Zusammenarbeit ım Ausschuss soll durchaus demokratisch sein. Wir werden dort unseren Standpunkt darlegen, Vorschläge unterbreiten, aber die Mehrheit muss natürlich entscheiden. Wenn es uns nicht gelingt, die anderen Mitglieder des Ausschusses zu überzeu-

gen, so müssen wir diese Versuche beharrlich fortsetzen, aber wir können keinen Zwang ausüben. Der Ausschuss kann nur in solchen Fragen nach aussen auftreten, worüber Einmütigkeit im Ausschuss vorhanden ist. Er soll den Standpunkt der Antifaschisten zum Ausdruck bringen. Selbstverständlich hat niemand anderes als der Ausschuss selbst das Recht, in seinem Namen aufzutreten. Er soll keine Direktiven an das Land geben,

er ist kein operatives Organ

für die Volksfrontbewe-

gung im Lande.« Zur Freiheitspartei hieß es bei ihm: »Die Frage der Freiheitspartei wurde etwas ungeschickt angefasst, indem wir ihre Existenz bestritten. Wir sollen uns keineswegs ablehnend verhalten, wenn bürgerliche Elemente sich unter anderer Führung und anderen Namen sich zum Kampfe gegen Hitler organisieren, wir sollen sie als unsere Verbündeten ansehen, aber selbstverständlich ihre Schwankungen kritisıeren und zweifelhafte Elemente unter ihnen brandmarken. Vielleicht ist es möglich, daß die Freiheitspartei sıch dem Volksfrontaus85 Memorandum zum Fall Münzenberg. Januar 1938. In: SAPMO-BArch. RYS/I 6/10/67. BlI. 41. 86 Siehe Brief Pieck an Ulbricht, 31. Oktober 1937. SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/287.

249

schuss anschließt oder ihre Arbeit mit der des Volksfrontausschusses koordiniert.« Und zur Losung der demokratischen Republik: »Wir müssen zeigen,

welche

Demokratie

wir wollen,

die Demokratie

der breitesten antifaschistischen Volksfront. Wir sollen uns nicht auf philosophische Auseinandersetzungen einlassen, sondern praktisch aufzeigen, wie die faschistischen Kräfte ausgerottet und die werktätigen Massen demokratisch das Regime nach den Siege bestimmen werden. Bei den Differenzen mit der SAP sollen wir nicht schematisch vorgehen ...« Dimitroff gab sich auch einsichtig, was die Führungsstruktur der KPD anbetraf: »Es ist richtig, dass bei der Fülle der Aufgaben und der Kompliziertheit

der Probleme

das

Sekretariat

verstärkt

werden muss.« Zu Münzenberg lautete seine Direktive: »Die Angelegenheit Münzenberg hat sich durch sein Verhalten sehr unangenehm entwickelt. Er ist noch einmal aufgefordert wor-

den, hierher zu kommen,

andernfalls wird das Sekretariat in

seiner Abwesenheit seine Angelegenheit entscheiden. Es müsste geprüft werden, welche politischen Fragen zum Streit zwischen ihm und Walter geführt haben.«?” Das klang noch nach wirklicher Analyse der politischen Standpunkte. Wie nunmehr die Auswertung des Tagebuchs Dimtroffs belegt, kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Beteiligten ernsthaft annehmen konnten, Münzenberg würde tatsächlich ım Ergebnis eines gegen ihn eingeleiteten Untersuchungsverfahrens der Internationalen Kontrollkommission im Moskau des Herbstes 1937 wieder zu einer verantwortlichen Arbeit zurückkehren, wie sie in ihren Schreiben suggerierten. Während bei Wilhelm Pieck am 2. November 1937 der »Liebe Freund« zum wiederholten Mal zu einer Unterredung »mit Freunden« eingeladen wurde — »Bei dieser Gelegenheit kann dann auch über Deine weitere Arbeit gesprochen werden. Das wäre längst erledigt, wenn Du nicht Deine Herreise in einer für mich unverständlichen Weise hinausgezögert hättest«® —, 87 Ausführungen von Dimitroff in der Besprechung mit den deutschen Genossen (P.[ieck], Flor.[in], Kun.[ert], Herb.[ert Wehner]) am 17. Oktober über die Vorbereitung des ZK Plenums. In: SAPMO-BArch. NY 4036/559. 88 Wilhelm Pieck an Willı Münzenberg. Moskau 2. November 1937. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/66.

250

sprach Walter Ulbricht etwa zeitgleich in einem Bericht nach Moskau bereits Klartext. Er qualifizierte einen Brief Münzenbergs an Pieck vom 24. Oktober 1937 als weiteren Beweis für »den Bruch M.’s mit der KPD«.** Noch kämpfte Münzenberg um seinen Platz in der kommunistischen Bewegung. Sein Brief vom 14. Dezember 1937 an Wilhelm Pieck” war erfüllt von diesem Wunsch und gleichzeitig von der zunehmenden Verzweiflung. Münzenberg sah sich sei Monaten »der regelrechten, zügellosen Hetze«

ausgesetzt und versicherte Pieck und über ihn Dimitroff sei-

ner Loyalität und den Wunsch, für die Komintern zu arbeiten: »Ich will das, gern und freudig. Aber will man das dort? Und woraus soll ich das erkennen?« In intimer Kenntnis der Vorgänge in der Sowjetunion sprang ihm der Widerspruch zwischen dem Ton der Briefe von Wilhelm Pieck und Georgi Dimitroff und der parteioffiziösen Kampagne gegen ihn ins Auge. Wissend um die Gefahr, in die er sich mit einer Reise

nach Moskau begab, fragte er drängend: »Wenn ich die Ge-

wissheit habe, als Freund zu fahren und als solcher behandelt zu werden und nicht als Schnorrer oder Anrüchiger, würde das viel erleichtern. Jede, auch die kleinste Geste, die das er-

raten lässt, würde viele Schwierigkeiten beseitigen.« Was Münzenberg wohl befürchtete und gleichzeitig nicht glauben wollte war: Stalin hatte den Stab bereits über ıhn gebrochen. Und Dimitroff korrespondierte mit ihm im Wissen um die Tatsache, daß die von ihm geforderte Reise Münzenbergs nach Moskau dessen sicheren Tod bedeuten würde.

Die Eintragungen Dimitroffs in seinem Tagebuch vom 11. November 1937 verdeutlichen das. Stalin hatte dem EKKI erklärt: »»Den Kampf gegen die Trotzkisten an allen Fronten verstärken« (so im Beschluss) — das genügt nicht. Die Trotzkisten müssen gejagt, erschossen, vernichtet werden. Diese internationalen Provokateure sind die schlimmsten Agenten des Faschismus.« Und aus einem Gespräch mit Stalın notierte er dessen Forderung: »Münzenberg ist ein Trotzkist. Wenn er

89 90

Ebenda. Bl. 208. Siehe ebenda. Bl. 262.

herkommt, werden wir ihn sofort verhaften. — Geben Sie sich Mühe, ihn hierherzulocken.«*'

Stalin mißbrauchte den führenden Funktionär der Komintern als Lockvogel für den NKWD und dieser ließ sich mißbrauchen. Ob und inwieweit die Quellen hierbei die Tatbestände

hinreichend erhellen, muß offenbleiben. Die Tatsache, daß die

Akteure dieser gespenstigen Szenerie sich ihres offiziellen wie inoffiziellen Publikums bewußt waren, ist bei der Interpretation der Quellen einzubeziehen.

Es erweist sich als sehr kompliziert, die Position von Dimitroff zu bewerten. War es doch maßgeblich Willi Münzenberg, der in der Solidaritätskampagne anläßlich des Leipziger Prozesses die Weltöffentlichkeit mobilisiert hatte. Letztlich wird auch für Dimitroff die Weigerung eines verantwortlichen Funktionärs, zu einer »klärenden Beratung« in Moskau zu erscheinen, zum casus belli geworden sein, der auch ihn bedrohte. Münzenberg erfüllte — das erkannte 1937/1938 wohl Jeder verantwortliche Funktionär der Komintern resignierend oder triumphierend — alle Voraussetzungen für einen Angeklagten in einem Antikomintern-Prozeß. Seine Biographie prädestinierte ihn geradezu dafür.” Und wer in dieser Zeit in der »Menschenfalle Moskau« — ob in der Komintern oder in einer ihrer Sektionen — Verantwortung trug, machte sich mitschuldig. Nur der Bruch mit dem Stalinschen Terrorsystem hätte einen Ausweg geboten.

91

Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein. Bd. 1. Berlin 2000. S. 163-165. 92 Siehe Babette Groß: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Stuttgart 1967. — Harald Wessel: Münzenbergs Ende. Ein deutscher Kommunist im Widerstand gegen Hitler und Stalin. Die Jahre 1933 bis

1940. Berlin 1991. — Tania Schlie/Simone Roche (Hrsg.): Willi Mün-

zenberg (1889-1940). Ein deutscher Kommunist

im Spannungsfeld zwi-

schen Stalinismus und Antifaschismus. Frankfurt am New York, Paris, Wien 1995. — Heinz Kühnrich:

Main, Berlin, Bern, »Ein entsetzliches

Mißverständnis« — oder was eigentlich dahinter steckte. Bisher unbekannte Schreiben Münzenbergs an Dimitroff Oktober 1937. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Berlin (1992)2. S. 66-82.

252

Revitalisierungsversuche und Ende der Volksfront

Das Jahr 1938 brachte für die Hitler-Gegner weitere bedrükkende Geschehnisse. Eine Reihe hochgesteckter Erwartungen und Hoffnungen, auf die deutsche und Antifaschisten aus anderen Ländern gesetzt hatten, waren enttäuscht worden. Die beflügelnde Idee, der Hitler-Regierung in Deutschland ein starkes politisches Kräftezentrum der Linken im Exil entgegenzu-

setzen, war offenkundig gescheitert. Im Januar 1938 hatten Max Braun, Rudolf Breitscheid und Prof. Denicke (d. 1. Georg Decker) erklärt, daß sie nicht mehr mit den KPD-Vertretern in

der Zeitschrift »Deutsche Informationen« zusammenarbeiten würden.

Sie waren

bereits

entschlossen,

eine eigene

Zeilt-

schrift »Deutsche Mitteilungen« herauszugeben, was den Zerfall des Pariser Volksfrontausschusses nur manifestierte. Heinrich Mann versuchte aus Nizza noch einmal zu vermitteln, um das gemeinsame Projekt zu retten. In Deutschland selbst entwickelten sich die Widersprüche und Konflikte nicht so, daß sie aufbrachen und dem Wider-

stand in Deutschland Aufschwung gaben. Die absehbare Niederlage der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg ließ die Hoffnung, Hitler außenpolitisch eine Niederlage zuzufügen, schwinden. Die Enttäuschung über die Appeasement-Politik

Englands

und

Frankreichs,

die

mit

der

Begründung, den großen europäischen Krieg zu vermeiden, sich selbst jeder Hilfe für die spanische Republik aufs peinlichste enthielten und gegenüber der deutsch-italienischen Hilfe

für Franco beide Augen

zudrückten, war unter den Verteidi-

gern der spanischen Republik groß.

253

Anfang 1938 wurde dagegen deutlich, daß das faschistische Regime ın Deutschland in eine neue Etappe der Kriegsvorbereitung eingetreten war. Unter den Eliten des Hitler-Regimes war das Ziel, ein revanchistischer Angriffskrieg, unstrittig. Strittig waren jedoch die aussichtsreichste Variante und dessen günstigster Zeitpunkt. Die Entschlossenheit, möglichst bald einen Krieg zu entfesseln, veranlaßte maßgebliche

Kreise des faschistischen

Regimes Veränderungen in der Spitze von Militär und Staat vorzunehmen, um jene abzudrängen, die einen weniger abenteuerlichen Weg favorisierten. Am 4. Februar 1938 wurden der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Freiherr von Fritsch, sowie weitere Generale und höhere Offiziere ihrer Postens enthoben. Der Reichskriegsminister und Oberbefehlsha-

ber der Wehrmacht, Generalfeldmarschall von Blomberg, trat zurück. Es wurde ein Oberkommando der Wehrmacht geschaffen, das nunmehr unmittelbar Hitler unterstand. Chef des

OKW wurde Generaloberst Wilhelm Keitel. Ebenso gab es Veränderungen im Reichsaußenministerium, das Joachim von Ribbentrop übernahm, sowie im Reichswirtschaftsministerium, dessen Leiter Walther Funk wurde.

In einer Erklärung schätzte die Führung der KPD ein, die Hitler-Clique sei mit den Maßnahmen vom 4. Februar dazu übergegangen, »alle im Staatsapparat noch vorhandenen Hemmungen gegen ihre abenteuerliche Kriegspolitik zu beseitigen«.

Leitende Militärs seien von ihren Posten entfernt worden, weil

sich »ihre Warnungen gegen den abenteuerlichen Kurs Hitlers richten«, der auf einen fürchterlichen Vernichtungskrieg hinauslaufe. »Wenn wir nicht alle mit vereinten Kräften den Kriegsbrandstiftern Hitler und Göring in den Arm fallen, dann

wird unser Land morgen durch Krieg verwüstet werden.«®

Ebenso deutlich wurde, daß die Westmächte mit ihrer Ap-

peasement-Politik kampflos vor der Expansionspolitik Hitlers zurückwichen. Bereits im November 1937 hatte der britische Minister Lord Edward Halifax, Hitler zu verstehen gegeben, daß die Westmächte nach wie vor Deutschland als Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus sähen und bereit seien, eine »friedliche Evolution« der europäischen Ordnung hin93 »Deutsche Volkszeitung«. Paris vom

254

13. Februar 1938.

zunehmen. Man gab Hitler zu verstehen, daß Großbritannien keine Einwände erheben würde gegen eine Änderung des Status quo in Europa zugunsten Deutschlands, vorausgesetzt, sie käme durch »vernünftige Vereinbarungen und nicht durch Gewalt« zustande.*“ Es war von Österreich, der Tschechoslowa-

kei und Danzig die Rede. Die deutsche Regierung aber wollte sich nicht »binden« und »befrieden« lassen. Am 12. und 13.

März 1938 marschierte die Wehrmacht in Österreich ein und

gliederte es als »Ostmark« Nazi-Deutschland an. Die Regierungen in Großbritannien und Frankreich nahmen

die Annexion

widerstandslos hin und hielten weiter an der AppeasementPolitik fest, obwohl sie gescheitert war. Der faschistischen Propaganda gab dies die Möglichkeit, größeren Kreisen des deutschen Volkes glaubhaft zu machen, Hitler könne seine territorialen Forderungen in Europa auch ohne Krieg realisıeren. Millionen Deutsche stimmten in einer propagandistisch inszenierten Wahl dem gewaltsamen Anschluß Österreichs zu. Das kampflose Zurückweichen der Westmächte im Zeichen der Appeasement-Politik vor der Expansionspolitik Hitlers verstärkte bei vielen Hitler-Gegnern die Auffassung, daß

Hitlers langfristig vorbereiteter Krieg kaum mehr aufzuhalten sei. Daraus zogen viele den Schluß, eine Überwindung des Hitler-Regimes könne nur noch im Verlaufe des Krieges erfolgreich sein. Die KPD machte gegen diese Stimmung Front. In Aufrufen der Führung, in Flugblättern und Flugschriften nahmen illegale Organisationen der KPD gegen die Okkupation Stellung und warnten, wie ein Flugblatt im Rheinland: »Nach Österreich — die Tschechoslowakefl«95 Der Überfall auf Österreich »ist ein weiteres Glied in der Kette der unerhörten Kriegsprovokationen, mit denen Hitler die Welt ın den Krieg treibt«, erklärte das ZK der KPD in einem illegal in Deutschland verbreiteten Flugblatt.”° »Es würde der furchtbarste aller Kriege werden [...] Er würde auf deutschem Bo94 Siehe Sebastian Haffner: Rückblick auf München. Die bittere Logik der Appeasementpolitik. In: Sebastian Haffner: Zwischen den Kriegen. Essays zur Zeitgeschichte. Berlin 1997. S. 60f. 95 Siehe Der antifaschistische Widerstand der KPD ım Spiegel des Flugblattes 1933-1945. Berlin 1978. Dokument Nr. 93. 96 Zit. nach Klaus Mammach: Die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933-1939. Berlin 1974. S. 195.

255

den ausgefochten werden [...] Er würde unvermeidlich mit einer Niederlage Deutschlands enden«,?’ warnte die KPD. In dieser Situation tagte am 23. März 1938 das Sekretariat des EKKI zur deutschen Frage. Walter Ulbricht und Franz Dahlem waren seit dem 30. Januar in Moskau. Sie hatten Aussprachen mit Pieck sowie mit Manuilski und Dimitroff. Ulbricht erarbeitete ein Memorandum über die Lage in Deutschland und die Situation der Partei, Franz Dahlem einen Bericht

über die Internationalen Brigaden. Beide referierten vor dem EKKI-Sekretariat. Es wurde beschlossen, eine große Kommissıon zur Behandlung der Fragen einzusetzen, die am 10. und 11. Aprıl 1938 tagte. An den Beratungen nahmen u. a. teil: Franz Dahlem, Philipp Dengel, Georgi Dimitroff, Wilhelm Florin, Klement

Gottwald,

Wassyl

Kolarow,

Johann

Koplenig,

Kunart [d. i. vermutlich Walter Hähnel], Otto Kuusinen, Dmitri Manuilskı, Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Eugen Varga. Am 8. Mai tagte erneut das EKKI-Sekretariat und beriet einen Resolutionsentwurf, den es am 16. Mai verabschiedete.°

Ungewöhnlich scharf kritisierte das EKKI-Sekretariat darin die KPD-Führung und bezeichnete die erreichten Fortschritte ın der Sammlung und Mobilisierung breiter Volksmassen und »die von der Parteiführung unternommenen Maßnahmen zur Aufklärung und Mobilisierung der Massen für völlig ungenügend«. Die Arbeit der Parteiführung lasse nicht erkennen, »daß sie die ungeheure Gefahr für das deutsche Volk richtig

einschätzt und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen der

Partei richtig versteht«. Das Sekretariat weise »mit allem Ernst auf diese Schwächen der Arbeit der Partei und ihrer Führung hin«. Prononciert hob es »die besondere Verantwor-

tung des Sekretariats des ZK

der KPD

für diese Schwächen

der Partei« hervor. Als Aufgabe wurde formuliert: alle Kräfte »insbesondere auf die Sammlung der Massen in der Einheitsund Volksfront für den Kampf gegen die faschistische Aggression, gegen die Intervention des Hitlerfaschismus in Spani97 »Die Rote Fahne«. o. O. (1938)5. - Siehe auch die Rundfunkrede Piecks vom 15. März 1938. In: Wilhelm Pieck: Gesammelte Reden und Schriften. Bd. V: Februar 1933 bis August 1938. Berlin 1972. S. 515. 98 Siehe Chronologische Übersicht über die Behandlung der deutschen Fragen, von Februar bis Mai 1938. In: SAPMO-BArch. RY1/I 2/3/20. Bl. 23f.

256

en, gegen die Annexion Österreichs und gegen die Bedrohung der Tschechoslowakei und der anderen demokratischen Grenzstaaten Deutschlands, gegen die Hetze und Provokationen des Hitlerfaschismus gegenüber der Sowjetunion zu konzentrieren«.” Das Anwachsen der Kriegsgefahr erhöhte die Erwartungshaltung der Komintern-Führung gegenüber dem »subjektiven« Organisationsgrad des Widerstandes, der — wie man meinte — hinter den »objektiven« Notwendigkeiten zurückbliebe. Offensichtlich kamen in dieser Resolution des EKKI Stimmen zum Tragen, die die Standhaftigkeit der deutschen Kommunisten gegenüber dem faschistischen Terror als ehrenvoll anerkann-

ten, die KPD aber nicht mehr als eine nennenswerte politische Kraft in Deutschland sahen. Die KPD-Führung erhielt den Auftrag, eine Resolution zu

erarbeiten, in der die kritischen Hinweise des EKKI

berück-

sichtigt werden sollten. In der Mai-Resolution ZK der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Lage'® erklärte die KPD den Kampf um die Erhaltung des Friedens zur vordringlichsten Aufgabe der Kommunisten und aller Antifaschisten. Für die künftige politisch-ideologische Arbeit wurde festgelegt, die in der Bevölkerung verbreitete Auffassung, daß Hitler alles könne, daß ihm alles gelinge, entschlossen zu bekämpfen und noch überzeugender die nationalistische Demagogie der Nazı-Pro-

paganda zu entlarven. Auch sei es erforderlich, die ın einigen

Kreisen von Hitler-Gegnern bestehende Meinung entschiedener zurückzuweisen, daß das Nazi-Regime nur noch im Verlaufe eines Krieges überwunden werden könne. Die Resolution sollte breit propagiert werden. Neben der »Internationale«, einer Sondernummer

der »Roten

Fahne«,

Artikeln

in der »Deut-

schen Volkszeitung« und Flugblättern an verschiedene Volksschichten beschloß die KPD-Führung, täglıch Auszüge aus dem Dokument sowie begleitende Erklärungen über ihren Kurzwellensender ins Land zu senden.'”'

99 100 101

Beschluss des Sekretariats des EKKI zum Bericht der Delegation der KPD. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/3/279. Siehe Rundschau. Basel (1938)33. S. 1109. Siehe Brief an Dimitroff. 20. Mai 1938. In: SAPMO-BArch. RYS/I 6/10/67. Bl. 5S3f.

257

Diesem Wollen zur breiten Propagierung standen freilich die Begrenztheit der Möglichkeiten im Land gegenüber sowie die Übermacht des Propaganda- und Terrorapparates der Hitler-Diktatur.

So besaß die Abschnittsleitung West 1938 bei großzügiger Schätzung zwischen 200 und 300 Kontaktpersonen in Westdeutschland, die wirkliche Zahl dürfte eher niedriger gewesen sein. Über mehrere Monate verteilt, gelangten von jeder Nummer der »Roten Fahne« jeweils zwischen 179 und 343 und der »Freiheit«, der Zeitung der Abschnittsleitung, zwischen 109 und 250 Exemplare nach Deutschland. Wenn bis Ende Dezember 1938 von insgesamt 1.000 gedruckten Flugblättern gegen die Judenpogrome'“® nur 43 über die Grenzstellen und 30 per Kurier nach Deutschland gingen bzw. die Abschnittsleitung Südwest einen »Katholikenbrief« in fünf Exemplaren und einen »Bauernbrief für den Kreis Monschau« in drei Exemplaren verschickte, dann belegt das die Erschöpfung der Ressourcen des kommunistischen Widerstands. Es belegt auch die geringe Ausstrahlungskraft der an die Massen gerichteten Aufrufe der KPD-Führung in Deutschland. Sie erreichten nur sehr wenige. Die Abschnittsleitung West und Südwest besaß

1938 noch nach Mönchen-Gladbach,

Rheydt,

Wuppertal, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Dortmund sowie nach Bielefeld und Remscheid (sporadisch); dem Mittelrhein,

nach Köln und wahrscheinlich noch nach Trier, Koblenz, Bittburg, Neuwied, Bonn, Leverkusen und das Ruhrgebiet Kontakte. Das platte Land, Kleinstädte, weitläufigere industrielle

Siedlungsgebiete sowie manche Großstädte und ehemalige Hochburgen der KPD waren ohne Verbindung, bzw. ohne kommunistische Organisationen. Zumindest in Westdeutschland bestanden 1938/1939 für die vom ZK seit Mai 1938 immer dringender geforderte Bildung regionaler Leitungen im 102

258

Am 9. und 10. November 1938 inszenierten die Nazis in ganz Deutschland ein antisemitisches Pogrom. Hunderte Synagogen wurden in Brand gesteckt, Jüdische Geschäfte geplündert, zahlreiche Juden ermordet und etwa 20.000 Juden mißhandelt, verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. In einer Erklärung des ZK der KPD »Gegen die Schmach der Judenpogrome« verurteilte es den Antisemitismus und die barbarischen Judenverfolgungen und rief zur Solidarisierung und zur Unterstützung der Jüdischen Mitbürger auf.

Lande selbst keinerlei Voraussetzungen. Die optimistische Meldung Walter Ulbrichts an Dmitri Manuilski, »in einigen Städten des Rheinlands seien Parteileitungen in Bildung begriffen« lassen sich durch Quellen nicht belegen.'® Die Kritik des EKKI-Sekretariats an der KPD-Führung hatte Folgen. In einen Brief an Dimitroff wurden die Maßnahmen benannt, die die deutsche Delegation in Auswertung der Beratungen und Beschlüsse im EKKI festgelegt hatten. Dahlem und Pieck sollten die Mitglieder des Sekretariats in Parıs sowie die außerhalb Paris lebenden ZK-Mitglieder informieren und die Dokumente zum Studium aushändigen. Ebenso sollten die wichtigsten Funktionäre (Grenzstellenleiter, Instrukteure,

Mitarbeiter, Funktionäre aus dem Lande) zu Einzelbesprechungen herangeholt werden, um sie mit den Beschlüssen und ıhre Durchführung vertraut zu machen. Es wurde beschlossen, allen verantwortlichen Funktionären »den Beschluss des EKKISekretariats über die Arbeit der Führung zur Kenntnisnahme vorzulegen und diese durch Unterschrift zu bestätigen«. !° Am 14. Mai hatte zudem eine »Kleine Kommission« über die Zusammensetzung der künftigen Leitung der Partei bera-

ten. Es wurden Veränderungen

vorgenommen,

die besonders

für Ulbricht nicht angenehm waren. Er sollte nicht mehr das Sekretariat in Paris leiten, sondern als KPD-Vertreter in Mos-

kau bleiben. Das konnte in Paris von den Mitgliedern des Volksfrontausschusses als eine Maßnahme gegen Ulbricht aus-

gelegt

werden.

Pieck

versuchte

ihn

in einem

Brief mehr

schlecht als recht zu beruhigen: »Von W. M. [Willı Münzenberg] ist zwar versucht worden, Deine Nichtzurückkehr als eine Massnahme gegen Dich auszulegen und zu kolportieren, dass er rehabilitiert worden sei, aber das hat wenig Glauben gefunden.

Ich habe den Leuten erklärt, dass Dein Verbleiben

dort mit meiner Reise zusammenhängt, weil immer ein namhaftes Mitglied der Führung dort [in Moskau] sein muss. Wenn ich zurückkehre, wird die Frage Deiner Herreise ste103 104

Siehe Detlev Peukert: Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945. Wuppertal 1980. S. 263f. Brief an Dimitroff. 20. Mai 1938. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/67. Bl. S3f.

259

hen. Das hat den Leuten absolut eingeleuchtet.«'°® Ulbricht sollte aber nicht mehr nach Parıs zurückkehren. Leiter des Sekretariats wurde statt dessen Franz Dahlem, zu Mitgliedern Anton Ackerman, Paul Merker und Paul Bertz bestimmt. Außerdem kam Johann Koplenig als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs, die ihre Selbständig-

keit behielt, in das Sekretariat. Durch regelmäßige Konsultationen mit den in Moskau verbliebenen Vorsitzenden der KPD und periodische Berichterstattungen war das Sekretariat verpflichtet worden, ein Höchstmaß an Kollektivität der Parteiführung zu sichern. Das EKKI hatte dem Sekretariat der KPD zudem als eine dringliche Aufgabe gestellt, solche Bedingungen zu schaffen, damit in Deutschland selbst wieder eine Operative Leitung der Partei gebildet werden könne. Dieses Ziel konnte bis zum Kriegsbeginn jedoch nicht erreicht werden. Siegfried Rädel, Leiter der kommunistischen Emigration in Frankreich, sollte zusammen

mit Paul Merker die KPD

im

wieder zu belebenden Volksfrontausschuß vertreten.'® Dazu war von der KPD-Führung am 16. Mai 1938 ein Brief an Heinrich Mann gerichtet worden. Er stellte das offizielle Antwortschreiben des ZK auf das Schreiben des Arbeitsausschusses des Pariser Volksfrontausschusses vom 1. Oktober 1937 dar. Die KPD-Führung hatte seit ihrem Schreiben an Heinrich Mann

vom

5. November

1937, in dem

sie um

»et-

was Geduld mit der Erledigung des an das ZK der KPD gerichteten Ersuchens« gebeten hatte, über fünf Monate verstreichen lassen. Offensichtlich waren Komintern- und KPDFührung an einer Wiederbelebung des Ausschusses in seiner bisherigen Zusammensetzung nicht interessiert gewesen. Im Maı 1938 gab das offizielle Parteiorgan »Deutsche Volkszeitung« mit großer Verspätung bekannt, daß Münzenberg aus dem ZK der KPD ausgeschlossen sei.'% In dem Brief schlug Pieck Heinrich Mann vor, den Volksfrontausschuß zu erweitern. Unter den Widerstandskämpfern

105 106

107

260

Brief Pieck an Ulbricht, 27. Oktober 6/10/67. Bl. 162. Dahlem war erst Mitte Juni wieder RY1/I 2/3/20. BIl. 24).

1938.

In: SAPMO-BArch.

in Paris

»Deutsche Volkszeitung«. Paris vom 23. Mai

(siehe

1938.

RY5/I

SAPMO-BArch.

gegen die Nazis befänden sich auch frühere Mitglieder der Zentrumspartei, anderer bürgerlicher Parteien, der Gewerkschaften,

früherer Jugendorganisationen

(Bündische

Jugend)

und sogar des nationalsozialistischen »Stahlhelm«. Es müßten alle Anstrengungen unternommen werden, die Vertreter dieser Gruppen im Exil sowie die österreichischen Antifaschisten ın die Volksfrontausschußarbeit einzubeziehen. »Mit einer solchen

Erweiterung

des

Ausschusses«,

meinte

er, »werden

wahrscheinlich auch die Schwierigkeiten überwunden werden, die sich im Ausschuß in der Zusammenarbeit seiner Mitarbeiter ergeben haben und die, wie wir glauben, zum Teil aus einer Verkennung des Wesens und der Ziele der Volksfrontbewegung, der Kompetenz des Ausschusses und der Rechte seiner Mitglieder bei einigen Mitgliedern des Ausschusses herrühren.«'”® Um die Ausschußarbeit überhaupt wieder in Gang zu bringen, schlug die KPD-Führung vor, die Diskussion über die vorangegangenen Differenzen einzustellen. Die wichtigste Aufgabe sei »die Rettung des Friedens gegenüber den unerhörten Kriegsprovokationen des Hitlerfaschismus und dıe Beendigung des Krieges, den die faschistischen Aggressoren ın Spanien und China gegen die Völker dieser Länder führen«. Durch die gewaltsame Besetzung Österreichs durch NaziDeutschland, durch die Bedrohung der Tschechoslowakei und anderer Staaten sei eine Situation entstanden, in der »über Nacht [...] der neue Weltkrieg entstehen« kann.'®” Wie Pieck im Oktober 1938 in seinem Brief aus Paris Jedoch feststellen mußte, hatte der Brief Heinrich Mann und

damit auch die anderen Mitglieder des Ausschusses gar nicht erreicht.‘!° Die KPD-Führung

versuchte über Appelle, die sie an die

verschiedenen Oppositionsgruppen im Land und in der Emigration richtete, neue Bündnisse zu schaffen. Im Maı 1938

wandte

sich das ZK

der KPD

an alle deutschen

Katholiken,

gemeinsam mit Kommunisten, Sozialdemokraten und Anhän108 109

110

Wilhelm Pieck: Gesammelte Reden und Schriften. Bd. V: Februar 1933 bis August 1938. Berlin 1972. S. 521. Ebenda. S. 523.

Brief vom 9. Oktober 1938. — Pieck schrieb: »Ich habe noch nicht feststellen können, wieso das möglich gewesen ist.« (SAPMO-BArch. RYS/I 6/10/67. BI. 139).

261

gern der protestantischen Bekennenden Kirche der Eroberungspolitik des Hitler-Faschismus entgegenzutreten.'!! Im August 1938 richtete es sich an alle Sozialdemokraten, besonders auch an die Gruppen in der Emigration, alles zu tun, »damit die größtmögliche Zusammenfassung aller Kräfte der deutschen Arbeiterbewegung möglich werde«.!!? Die Resonanz blieb gering. Die Sopade lehnte das Angebot zu Verhandlungen über die Herstellung der Aktionseinheit am 20./23. August ab. Es verstärkte sich die Abschottung des Lagers der nichtkommunistischen Anti-Hitler-Kräfte gegenüber der KPD. Im Sommer 1938 nahmen die Versuche zu, die verschiedenen linkssozialistischen und marxistischen Splittergruppen zu vereinen. Die Sopade, seit Mai 1938 nunmehr in Parıs, widersetzte sich jedoch einer solchen Kartellbildung aller sozialistischen Gruppen, einschließlich der emigrierten Österreicherischen Revolutionären Sozialisten, um ihre Mono-

polstellung nicht zu verlieren. Im September bildeten »Neu

Beginnen«, die Revolutionären Sozialisten aus Österreich und

die SAP eine »Arbeitsgruppe« zur gemeinsamen Widerstands-

tätigkeit in Deutschland und Österreich, der sich später noch

der ISK und die »Deutsche Freiheitspartei« sowie die kleine Gruppe um Münzenberg anschloß. In der KPD-Führung wurde das mit großem Mißfallen registriert. Die Sopade verblieb auch in der Frage der gemeinsamen Unterstützung der spanischen Republik im Fahrwasser der Sozialistischen Internationale und lehnte gemeinsame Hilfsaktionen mit der KPD ab.''* Die Gespräche auf der Ebene der Kommunistischen und der Sozialistischen Internationale zwischen Friedrich Adler und Louis de Brouckere sowie Marcel Cachin und Luigio Longo beziehungsweise Maurice Thorez blieben unverbindlich, weil insbesondere die britische Labour

Party Vereinbarungen ablehnte.!'* Die Sopade hielt sich völlig 111

112

113 114

Die Internationale. o. O. [Prag] (1938)3/4.

Siehe Aufforderung der KPD an die Sopade zu gemeinsamen tionen vom 4. August 1936.

Hilfsak-

Gespräche fanden am 14. Oktober 1936, am 21. Juni 1937 und am 7. Juli 1937 statt. Ein weiterer Aufruf Thorez und Chachin an die SAI ım

November

262

11. Teil.

Für die Aktionseinheit der deutschen Arbeiterschaft. Ein Brief des ZK der Kommunistischen Partei Deutschlands an die deutschen Sozialdemokraten. In: Rundschau. Basel (1938)43. S.1444.

1937 zu Gesprächen blieb unbeantwortet.

im Hintergrund, obwohl eine positivere Haltung zur Unterstützung Spaniens seine Wirkungen nicht nur dort, sondern auch für die Volksfrontanstrengungen ım Exil und ım Lande gezeigt hätte. Sie verspielte wie die SAI diıe Möglichkeit, die — wie sie selbst immer wieder betont hatte — von einer Niederlage des Faschismus ın Spanien für die Zukunft Europas ausging. Es verdeutlichte die Stimmung unter den Kommunisten, wenn Walter Ulbricht in einem Artikel schrieb, daß die Sopade

zwar Erich Ollenhauer und Paul Hertz auf eine Informationsreise nach Spanien geschickt habe, sonst aber außer Solıidari-

tätserklärungen nichts Positives unternehme.''” Aus Paris

schrieb auch der Sozialdemokrat Victor Schiff über die Reise

von Hertz sehr vorwurfsvoll an Ernst Reuter, es habe nun elf

Monate gedauert, bis die Sopade gemerkt habe, daß Spanien sie etwas angehe.'!'° Die Zuspitzung der Provokationen gegen die Tschechoslowakei im Sommer 1938 und die unmißverständliche Drohung Hitlers auf dem NSDAP-Parteitag im September 1938, die Tschechoslowakei durch eine militärische Aktion »zu zerschmettern«, ließen die Kriegsgefahr erneut bedrohlich anwachsen. Unter diesen Eindruck traf Wilhelm Pieck am 15. September 1938 in Paris ein. Er sollte die Gespräche mit den verschiedenen Vertretern des deutschen Widerstandes in der Emigration aktivieren und dabei besonders zu Heinrich Mann Kontakt aufnehmen, die Situation Vorort analysieren und die geplante erweiterte ZK-Tagung vorbereiten. Zur Situation in Frankreich schrieb er bei seiner Ankunft, daß die Emigranten

vor der Gefahr standen, in Lagern interniert zu werden und die französischen Kommunisten vor der militärischen Einberufung, so daß er den eigentlichen Zweck seiner Reise schon gefährdet sah. Es gelang ihm, Gespräche mit Heinrıch Mann und Max Braun über die Arbeit des Volksfrontausschusses zu führen und darin seine Vorstellung über die Erweiterung des bisherigen Kreises zu unterbreiten. Durch eine Initiative von

Thomas

Mann

konnte eine Reihe von Personen, wie der frü-

here Danziger Staatspräsident Hermann Rauschning, der ka115

116

Die

Kommunistische

Internationale.

Basel

(1938)9.

S. 927.

Siehe Horst Duhnke: Die KPD von 1933 biıs 1945. Köln 1972. S. 270.

263

tholische Führer Karl Spiecker, das SPD-Vorstandsmitglied

Friedrich Stampfer, Max Braun, Willı Münzenberg, Heinrich Mann, Erika Mann, Paul Merker und Franz Dahlem, zu einer

Aussprache eingeladen werden. Man kam überein, daß angesichts der unmittelbaren Kriegsgefahr die Vertreter der deutschen Opposition gegenüber der Weltöffentlichkeit auftreten müssen und einigte sich auf einen von Thomas Mann gezeichneten Aufruf.

Es wurde

eine

kleine,

vertraulich

arbeitende

Kommission (Thomas-Mann-Ausschuß) gebildet. Die Gespräche zur Wiederaufnahme der Arbeit des Volksfrontausschusses

mit Max

Braun,

Kurt Glaser und

Friedrich

Wagner vom Landesvorstand der deutschen Sozialdemokraten in Frankreich,

mit Georg

Bernhard,

Hermann

Budzislawski

und Heinrich Mann kamen jedoch nur langsam voran. Die Sozialdemokraten wollten eine Zusammenarbeit im Ausschuß wieder einleiten, jedoch zunächst keine gemeinsamen Aufrufe unterzeichnen. Von Max Braun war zu den Beratungen auch Wiılli Münzenberg vorgeschlagen und eingeladen worden, was

Dahlem, Merker, Rädel und Pieck, der an den Beratungen teil-

nahm, in eine prekäre Lage brachte, die Gespräche aber nicht scheitern ließ. Beraten wurde über verschiedene Dissenspunk-

te, wiıe die Freundeskreise, deren Auflösung von Max Braun gefordert wurde. Der Vorschlag der KPD bestand darin, die Leitungen der Freundeskreise nach vorheriger Absprache gemeinsam zu besetzen.'!!” In seiner alten Breite und Ausstrahlung konnte der Pariser Volksfrontausschuß jedoch nicht mehr revitalisiert werden. Der Gang der »großen Politik« marginalisierte zudem die verzweifelten Versuche der Hitler-Gegner, sich dem drohenden Unheil entgegenzustemmen. Das

Münchener

Abkommen,

das

als Friedenssicherung

gefeiert wurde, riß tatsächlich die letzte Barriere vor dem Krieg nieder. Der Hitler-Faschismus errang seinen bis dahin größten Erfolg. In München waren am 29. September 1938 die Ministerpräsidenten Großbritanniens und Frankreichs, Ar-

thur Neville Chamberlain und Edouard Daladier, übereingekommen, das Sudetenland an Hitler zu überantworten. Sie 117

264

Siehe Briefe Piecks vom 27. Oktober SAPMO-BArch. RY5S5/I 6/10/67.

und

14.

November

1938.

In:

hatten die Tschechoslowakei Hiıtler geopfert, den Frieden aber

keineswegs gesichert, wie sich sehr bald herausstellte. Viele Menschen in Großbritannien und Frankreich nahmen die Nachricht, daß Hitler nun auf weitere territoriale Forderungen verzichten wolle und damit eine Schlacht für den Frieden gewonnen sei, mit Jubel auf. Nur wenige französische und englische Stimmen

wurden

laut, die das Münchener Abkommen

als vernichtende Niederlage der Demokratien und als Freibrief für Hitler bezeichneten, seine Annexionspolitik fortzusetzen. Die internationale kommunistische Bewegung und mit ıhr die KPD gehörten sofort zu den kritischen Stimmen. In einer Erklärung bezeichneten die kommunistische Parteien Belgiens, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italıens, Kanadas, der Niederlande, Schwedens, der Schweiz, Spaniens, der

Tschechoslowakei und der USA das Münchener Abkommen als »ein Verbrechen am Weltfrieden«.'!® In den »Richtlinien zur Lage«, die das Sekretariat der KPD im Oktober 1938 den Parteiorganisationen übermittelte, wurde die Unterzeichnung des Münchener Abkommens durch Chamberlain und Daladier als ein folgenschwerer Schlag bezeichnet, der die Bemühungen um eine kollektive Friedenssicherung in Europa vereitele. Die britische Regierung versuche, die Eroberungsansprüche des deutschen Imperialismus nach dem Südosten, dem Balkan und gegen die Sowjetunion zu lenken und damit gleichzeitig

die eigenen Interessensphären vor einem Angriff des deutschen Imperialismus zu schützen. Frankreich habe sich ın eine Lage

gebracht,

in der ihm

die Gefahr der Isolierung drohe.

»Ohne Bundesgenossen ist Frankreich dem aggressiven deutschen Imperialismus gegenüber militärisch unterlegen und am stärksten von den neuen Vorstößen des deutschen Imperialismus bedroht.«!!* »München« blieb nicht ohne Auswirkungen auf die deutschen Antifaschisten. Das betraf zum einen die Lebens- und Wirkungsbedingungen jener Antifaschisten, die in der Tschechoslowakei Exil gefunden hatten. Auch die Abschnittsleitung Mitte der KPD mußte Prag verlassen. Noch nachhaltiger aber 118 119

München — ein Verbrechen am Frieden. In: Rundschau. Basel (1938)51. S. 1697. Die Internationale. o. O. [Prag] (1938)9/10. S. 113.

265

waren vor allem seine Auswirkungen auf die Vorstellungen und Meinungen ın der deutschen Opposition. Mit Daladier war ein französischer Politiker am Abkommen beteiligt, der von vielen noch als ein Repräsentant der französischen Volksfront gesehen wurde. Zweifel verstärkten sich, ob angesichts des Zerfalls der französischen Volksfront eine deutsche antifaschistische Volksfront hinreichende Stärke erlangen könnte und auch daran, ob der Kampf um eine demokratische Republik richtig sei. In Spanien hatte die Regierung im September beschlossen, alle nichtspanischen

Soldaten

aufzufordern,

die Waffen

niederzulegen und das Land zu verlassen. Für die deutschen und österreichischen Interbrigadisten bedeutete die Demobilisıerung eine ungewisse Zukunft. Viele von ihnen landeten in Internierungslagern in Südfrankreich. Der Volksfrontgedanke war durch die Niederlage beider Volksfrontregierungen geschwächt, ebenso durch den sich ausbreitenden

Pessimismus

über die Unausweichlichkeit des Krieges und durch den wachsenden Antikommunismus,

der viele Unterstützer der Volks-

frontidee über mögliche Konsequenzen eines Zusammengehens mit der KPD verunsicherte. Die KPD-Führung verteidigte ihre Konzeption von einer demokratischen Republik. Allerdings setzte angesichts des sıch abzeichnenden Scheiterns der Volksfronten in Spanien und Frankreich ein Überdenken bisheriger konzeptioneller Vorstellungen über den Charakter der nach dem Sturz Hitlers zu errichtenden demokratischen Republik ein. Stärker rückten die Fragen nach den Sicherungen für ein demokratisches Regime ın den Vordergrund. »Die Politik von München«, schrieb Wilhelm Pieck, »war nur möglich, weil die wirklich demokratischen

Kräfte

in diesen

Ländern

vor allem

die werktätigen

Massen sich von den wichtigsten Entscheidungen ausschalten liıeßen. Die Demokratie, die demokratische

Republik, die wır

Kommunisten als Kampflosung der Massen gegenüber dem Hitlerfaschismus aufgestellt haben, ist mit einer solchen Demokratie, wie sie heute in England und Frankreich besteht, nicht zu vergleichen. Sie wird sich schon dadurch wesentlich von der bürgerlichen Demokratie unterscheiden, daß sie in blutigen Kämpfen mit dem Hitlerfaschismus von den Massen erobert werden muß und daß ihr dieser Kampf einen ganz anderen Inhalt geben wird. Indem die Massen ihren Einfluß 266

immer mehr verstärken und den Einfluß der reaktionären Schichten immer mehr zurückdrängen und ausschalten, werden sie die Demokratie immer mehr aufbauen und feste Garantien dafür schaffen, daß die Reaktion

niemals wieder die

Oberhand gewinnt.«'?° Führende Vertreter der KPD hielten jetzt zur Sicherung der Demokratie weitergehende sozialökonomische Maßnahmen für nötig, die über den Rahmen eines bürgerlich-demokratischen Staatswesens hinausgingen und auf einen Umsturz der ökonomischen und politischen Grundlagen des imperialistischen Systems zielten.

Diese Überlegungen fanden ihren Niederschlag ın den Dokumenten der vom 30. Januar bis zum 1. Februar 1939 ın Draveil, südlich von Paris, stattfindenden Parteikonferenz der

KPD. Aus konspirativen Gründen wurde sie die »Berner Konferenz« genannt. An der Konferenz nahmen 22 Funktionäre

der KPD

teil, darunter alle sechs Abschnittleiter (Karl MewIis

aus Göteborg, Paul Elias aus Zürich, Josef Wagner aus Paris für das Saargebiet, Otto Niebergall aus Brüssel, Erich Gentsch aus Amsterdam und Heinrich Wiatrek aus Kopenhagen) sowie einige Instrukteure und die Vorsitzenden von KPD und KPO, Wilhelm Pieck und Johann Koplenig.'*! Es wurde ein neues, verkleinertes Zentralkomitee gewählt. Ihm gehörten an: Franz

Dahlem, Wilhelm Florin, Paul Merker, Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Anton Ackermann, Wilhelm Knöchel, Karl Mewis, Elli Schmidt, Herbert Wehner, Heinrich Wiatrek. Franz Dah-

lem wurde erneut Leiter des Sekretariats in Paris. Wilhelm Pieck blieb Vorsitzender der Partei für die Zeit der Haft von Ernst Thälmann. Das von dieser Konferenz verabschiedete Konzept für eın Nach-Hitler-Deutschland trug deutlich antiimperialistisch-antıimonopolistische, revolutionär-demokratische Züge. In der Volksfront und in der demokratischen Republik sollte die geeinte Arbeiterklasse die Hegemonialrolle innehaben. In der Komintern und ihren Sektionen gewann wiederum die Auffas-

120 121

Wilhelm Pieck: Lehren von München. In: »Die Rote Fahne«. o. O. (1938)6. Zu den Teilnehmern siehe Die Berner Konferenz der KPD (30. Januar - 1. Februar 1939). Hrsg. von Klaus Mammach. Berlin 1974. — Florin, Ulbricht und Wehner nahmen nicht teil. Sie waren in Moskau geblieben.

sungen Einfluß, daß Demokratie kaum ım Bündnis mit der Bourgeoisie zu verteidigen und auszubauen sei. Auch die KPD modifiziıerte dementsprechend ihre Vorstellungen von der Basıs der Volksfront und die konzeptionellen Vorstellungen über die demokratische Republik. »In einem Volksfrontdeutschland wird die einige Arbeiterklasse im Bündnis mit den übrigen werktätigen Schichten auch leichter solche Anschläge gegen die Volksfront, wie sie in Frankreich geschehen sind, zurück-

schlagen können, weil die großkapitalistischen, profaschistischen Kräfte, auf deren Druck in Frankreich diese Anschläge

durchgeführt wurden, mit der Wurzel beseitigt sein werden.«'?* Pieck bezeichnete in seinem Referat auf der Parteikonferenz die angestrebte antifaschistische Volksfront als ein Bündnis der Arbeiterklasse mit den Bauern, dem

Mittelstand

und den Intellektuellen, das sich nicht nur gegen die faschistische

Diktatur richte,

sondern

auch

auf die Aufrichtung

und

Sicherung einer demokratischen Volksrepublik gerichtet sei, in der nicht mehr die Bourgeoisie, sondern die Volksfront die Führung haben werde. »Die KPD nahm faktisch ihre in den »Richtlinien« 1936 unterbreiteten Vorstellungen von der Rückeroberung der bürgerlichen Demokratie als nächsten Schritt und möglichen Ausgangspunkt für einen antifaschistischen Neuanfang zurück.«!2 Damit einher ging, daß die KPD-Führung das Programm der Konstituierung einer durch Spitzenvereinbarungen zu initijerenden

Volksfront,

deren

Führungsinstitutionen

in einem

Deutschland nach Hitler entscheidende politische Positionen erhalten sollten, seit dem Scheitern der Wiederbelebungsversuche des Volksfrontausschusses im Herbst 1938 aufgegeben hatte.

122

123

268

Der Weg zum Sturze Hitlers und der Kampf um die neue demokratische Republik. Resolution der »Berner Konferenz«. In: Die Berner Konferenz der KPD (30. Januar - 1. Februar 1939). Berlin 1974. S. 135f. Monika Juliane Gibas: Die Stellung der KPD zur Weimarer Republik: historisch-politische Wertung, Demokratieverständnis und antifaschistische Strategieentwicklung im Rahmen der Komintern 1933 bis 1939. Phil. Diss. B. Leipzig 1990. S. 162.

Bei der Darlegung ihrer Positionen spielten historische Bezüge zur Weimarer Republik erneut eine bedeutende Rolle. »Stärker wurden jetzt wieder jene Momente ıhrer Entwicklung ins Blickfeld gerückt, die die Ausprägung antidemokratischer,

reaktionärer Tendenzen

befördert

hatten

und

die die

Grenzen des Wirkens fortschrittlicher Kräfte ım Rahmen bürgerlicher Staatlichkeit auswiesen. Der Akzent theoretischer Betrachtungen zur bürgerlichen Demokratie als Staatsform verschob sich wieder auf die Aufklärung über ihre Distanz zur sozialistischen Stufe gesellschaftlicher Entwicklung und auf die Begründung der Notwendigkeit ihrer Überwindung. Ein Zurück zur bürgerlichen Demokratie wurde auch als Zielstellung für den deutschen antifaschistischen Kampf ausgeschlossen.«'?** Mit dem Blick auf solche historischen Bezugspunkte wie die »Tragödie« der Novemberrevolution und den KappPutsch verschärften die Kommunisten wieder ihre Polemik

gegen die Sozialdemokratie. Differenzierte historische Bewer-

tungen zur Geschichte der Weimarer Republik und zur Politik der SPD wurden zeitweilig zurückgedrängt. Mit der Programmatik für die neue demokratische Republik formulierte die KPD auch das Angebot der Einheitspartel. Das klang bereits in der Mairesolution von 1938 der KPDFührung an. Walter Ulbricht warf in einem Brief Ende November 1938 an das Sekretariat mit Blick auf die bevorstehende erweiterte Sitzung des ZK die Frage auf: »Wäre es nicht an der Zeit, angesichts des Wirrwarrs der verschiedenen sozıal-

demokratischen Konzentrationsversuche etwas stärker den Willen der revolutionären Arbeiter im Lande auf Schaffung e1-

ner einheitlichen Arbeiterpartei zu begründen?«'** Auf der

»Berner Konferenz« schlug die KPD-Führung »eine gemeinsame Aktionsplattform zum Sturze Hitlers und zur Schaffung einer neuen, demokratischen Republik« als Grundlage dieser Vereinigung vor. Sie stellte die Einheitspartei zur Dıskussion ın den illegalen sozialdemokratischen und kommunistischen Or-

124 125

Ebenda. S. 162. - Siehe auch Franz Dahlem: Weg und Ziel des antifaschistischen Kampfes. Zu den Beschlüssen der Berner Konferenz der KPD. In: Die Internationale. o. O. [Prag] (1939)3/4. S. 10. Brief Ulbrichts an Pieck. 29. November 1938. In: SAPMO-BArch. RY5S/I 6/10/67.

269

ganisationen, ohne die Anerkennung der vom VII. Weltkongreß formulierten Bedingungen für eine Fusion als Vorleistung von den Sozialdemokraten zu verlangen. In ihrer Resolution

erklärte sie, daß sie sich auch an den Parteivorstand und die

übrıgen Führer der sozialdemokratischen Emigration wende, verband das aber auch mit dem Vorwurf der Schuld dieser Führer an der Schwäche der Einheits- und Volksfrontbewegung. Im wesentlichen war die KPD-Führung — angesichts der bisherigen Ergebnislosigkeit — wieder zur Taktik der Einheitsfront von unten zurückgekehrt, die mit propagandistischen Appellen an die SPD-Führung versehen wurde. Die Berichte aus dem Lande verdeutlichten, wie kompliziert sich die Fragen von Volksfront, Einheitspartei und der Kampf um Frieden in den illegalen Widerstandsgruppen gestaltete. In einer Zusammenstellung von Berichten aus den Monaten April bis Juni 1939 wurde konstatiert: »Übereinstimmend berichten die Instrukteure die Zustimmung der Genossen zu den Beschlüssen der Berner Konferenz. Bei der konkreten Diskussion über die politischen Fragen zeigt sich jedoch, wie die organisatorische Zersplitterung, das Fehlen der kollektiven Meinungsbildung, wenn auch nur im kleinen Kreis, viele Unklarheiten zur Folge hat. Es zeigen sich Tendenzen der Erstarrung. Die Instrukteure antworten nicht genügend konkret und gründlich auf die Argumente und Unklarheiten der Genossen. Es ist bezeichnend, daß noch in keinem Bericht mitgeteilt wird, daß ein Instrukteur über die Geschichte der WKP(B)

gespro-

chen und im Zusammenhang mit aktuellen Fragen auf die Erfahrungen, die in der Geschichte der WKP(B) enthalten sind, Bezug genommen hat.«!? Die »Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang«, 1939 in deutscher Sprache erschienen, gewann offensichtlich eine zentrale Bedeutung als verbindliches Modell revolutionärer Umgestaltungen, an dem auch die politische Konzeption der neuen demokratischen Republik gemessen wurde.!? 126 127

270

Bericht vom 29. Juli 1939. In: SAPMO-BArch. RY5/I 6/10/73. Bl. 67f. Siehe Walter Ulbricht: Die Bedeutung der »Geschichte der KPdSU(B) für den revolutionären Kampf in den faschistischen Ländern. In: Rundschau. Basel (1939)39.

Die Orientierung auf das Studium des »Kurzen LehrgangsS« verwies auch auf die Abgehobenheit der KPD-Füh-

rung vom antifaschistischen Widerstand im Lande. Die Legende

von der Geschichte der Bolschewiki, die Stalin erst nach der Vernichtung seiner tatsächlichen und vermeintlichen Gegner spinnen ließ, war von der Realität des Kampfes der Kommunisten gegen das Hitler-Regime unendlich weit entfernt. Welche tatsächlichen Probleme die Kommunisten im Lande bewegten, verdeutlichen die Quellen. Von einem früheren Funktionär der

KPD wird berichtet: Er »war immer im Lande und kommt jetzt wieder nach hier. Er weiß von der Politik, die wir führen, absolut nichts. Er lebt noch im Jahre 1933. Er ist Kommunist,

glaubt nicht an Nazis über die aufgebaut wird. schen Republik

die Lügen der Nazis, ist überzeugt, daß die SU nur lügen und daß dort der Sozialismus Aber Volksfront, Erkämpfung der demokratisind ihm unbekannte Begriffe. Er war froh,

wieder einmal von der Partei sprechen zu können, gab seine

letzten sieben Mark für die Partei. Nun, wir haben ihm einige Sachen klargemacht und werden bei den nächsten Besuchen ihn wieder in Ordnung bringen.«'** Zur Frage der Arbeit der illegalen Parteiorganisation erklärte ein Verbindungsmann in Köln, der in einem Großbetrieb arbeitete: »Warum sollen wir uns durch die Verbindung einer Gefahr aussetzen. Wir machen alle Propaganda und sticheln, wo wir können. Denn das sitzt uns ja im Blut und kann gar nicht anders. Im Betrieb kann man heute jeden schimpfen hören, sogar Nazis, aber weiter kommt es nicht. Alle warten auf den Krieg und wenn der losgeht, hat Hitlers Stunde geschlagen.« Im Bericht einer Grenzstellenleitung für Berlin wurde positiv festgestellt: »Die Aussprachen nach der Konferenz [»Berner Konferenz«] haben unsere Freunde veranlasst, den teilweise verloren gegangenen Kontakt mit SP-Freunden und Gruppen erneut anzubahnen oder auszubauen. Bis jetzt liegen nur geringe Resultate vor. Dabei zeigt sich aber, dass kein Sozialdemokrat an der aufgeworfenen Diskussionsfrage >Einheitspartei« vorbeigeht.« 128

Bericht

vorq

29.

Juli

1939.

In:

— Ebenda die weiteren Zitate.

SAPMO-BArch.

RYS/

1 6/

10/73.

Bl.

72.

271

Aus Schleswig-Holstein informierte ein Instrukteur, daß die Volksfrontpolitik erneut kritisiert wird. » Trotzdem sind die Genossen für ein Bündnis und Zusammenarbeit mit allen antıfaschistischen Volkskreisen. Die Kommunisten müssen aber die Führung und Kontrolle haben. »Für andere kämpfen, um nachher von ihnen verraten zu werden, das wollen wir nicht!«

>»Nach Hitler kommen wir und d. h. bestimmt nicht Unterdrückung der übrigen werktätigen Kreise!«« Aus Berlin wurde zur Frage der Volksfront berichtet: »Ein Freund

dazu:

»Unter der Volksfront

stelle

ich mir vor, dass

Handwerker, Geschäftsleute usw. zu einer Art Organisation zusammengefasst werden. Diese illegale Organisation wird durch unsere Verbindungen geleitet.« Ein anderer Freund: >Verstärkt wurde ja auch die Auffassung durch unsere Flug-

blätter und Aufrufe, wo wir als Unterschrift viel Volksfront darunter setzten, obwohl sie in Wirklichkeit nur von uns ka-

men.