Der Buddhismus II: Theravada-Buddhismus und Tibetischer Buddhismus 9783170284975, 9783170284982, 9783170284999, 9783170285002, 3170284975

Nach dem ersten Band, der den indischen Buddhismus beschrieben hat, behandeln die Kapitel dieses Bandes die geschichtlic

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Der Buddhismus II: Theravada-Buddhismus und Tibetischer Buddhismus
 9783170284975, 9783170284982, 9783170284999, 9783170285002, 3170284975

Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Inhalt
Einleitung
Literaturverzeichnis
Buddhismus in Sri Lanka
1. Einleitung: Zur klassischen Quellensituation
2. Geschichtliche Entwicklung des Buddhismus in Sri Lanka
2.1. Die vorkoloniale Zeit
2.1.1. Von den Anfängen bis zur zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends n. Chr.
2.1.2. Mönche im Mittelalter als Machtfaktor
2.2. Die Rolle des Buddhismus während der Kolonialzeit
2.2.1. Die Zeit der Portugiesen und Holländer
2.2.2. Erneuerungsbewegungen während der englischen Kolonialperiode
2.2.3. Auseinandersetzungen mit anderen religiösen Gruppen
2.3. Buddhismus im unabhängigen Sri Lanka
2.3.1. Mönche und Politik
2.3.2. Sarvōdaya und Frauenordination
3. Die religiöse Praxis
3.1. Mönche und Laien
3.2. "Große" und "kleine" Traditionen
3.2.1. Vor-buddhistische Yakkha als Schutzgötter
3.2.2. Hindu-Gottheiten und mahāyāna-buddhistische Bodhisattvas als Beschützer der Insel
3.3. Der "Kult" als Verehrung Buddhas und die rituelle Umsetzung seiner Lehre
3.3.1. Reliquien und Verständnis von gelebter Frömmigkeit
3.3.2. Feste
3.3.3. Wallfahrten
3.3.4. Pirit
3.3.5. Sterbe- und Totenriten
3.4. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Buddhismus in Birma
1. Ankunft und Verbreitung des Buddhismus in Birma
2. Pagan - die Hauptstadt des Buddhismus im 13. Jahrhundert
2.1. Pagan als buddhistische Kosmopolis
2.2. Der Niedergang Pagans
3. Das Jahr 1456: Eine buddhistische Ökumene
4. Der Buddhismus in Birma im 16. und 17. Jahrhundert
5. Die Konbaung-Zeit und die Kolonialherrschaft
5.1. Reformen im Zeichen der Kolonialherrschaft
5.2. Der Saṅgha im kolonialen Birma
5.3. Nationalbewegung und politischer Buddhismus
6. Buddhismus im unabhängigen Birma
6.1. Die BSPP-Ära
6.2. Buddhismus und Gesellschaft in Birma heute
Literaturverzeichnis
Der zeitgenössische Theravāda-Buddhismus in Bangladesh
1. Historische Hintergründe
1.1. Barua, Chakma und die Reform des Mönchtums im 19. Jahrhundert
1.2. Marma, Rakhaing und der Untergang des arakanesischen Königreichs
2. Mönche und buddhistische Laien im zeitgenössischen Wandel
2.1. Vom Erfolg religiöser Erneuerung: Der städtische Buddhismus der Barua
2.2. Vom Nutzen religiöser Erneuerung: Buddhismus als Teil des Überlebenskampfes der Chakma
2.3. Kulturelle Selbstbehauptung und buddhistische Identität der Arakanesen
3. Pilgerorte, Feste und religiöse Verehrung
Literaturverzeichnis
Formen des Theravāda im heutigen Indien
1. Die Mahā Bodhi Society
2. Die Bauddha Dharmankur Sabhā
3. Die Neo-Buddhisten
4. Die Trailokya Bauddha Mahasangha Sahayak Gana (TBMSG)
5. Der All India Bhikkhu Sangha (AIBS)
6. Die Vipassanā-Bewegung von S. N. Goenka
Literaturverzeichnis
Buddhismus in Thailand und Laos
1. Einleitung
2. Die vormodernen Königreiche
2.1. Sukhothai als erstes größeres Thai-Zentrum
2.2. Ayutthaya
2.3. Lan Na
2.4. Lan Sang
3. Entwicklungen in der Moderne
3.1. Die Zeit der Chakri-Dynastie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts
3.2. Thai-Nationalismus und Buddhismus
3.3. Vom französischen Protektorat in Laos bis zur Gegenwart
4. Mönchtum und Gesellschaft im Umbruch
4.1. Die seelsorgliche Seite des Mönchtums
4.2. Zwei kritisch betrachtete Reformströmungen: Santi Asok und Thammakai
4.2.1. Santi Asok
4.2.2. Die Bewegung des Wat Phra Thammakai
4.3. Drei Reform-Denker: Buddhadasa Bhikkhu, Sulak Sivaraksa, P.A. Payutto
4.4. Bhikkhunī und Maechis
5. Die öffentliche und alltägliche Seite der Religion
5.1. Die Einbettung vor-buddhistischer Geister in die Religion
5.2. Feste im Jahreslauf
5.3. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Theravāda-Buddhismus in Kambodscha
1. Einleitung
2. Geschichtliche Entwicklung
2.1. Das 13. und 14. Jahrhundert
2.2. Das 15. und 16. Jahrhundert
2.3. Kambodscha verliert seine Souveränität (17. und 18. Jahrhundert)
2.4. Die Religion als identitätsstiftende Kraft
2.5. Unter dem französischen Protektorat
2.6. Das unabhängige Kambodscha
3. Religiöse Feste
Literaturverzeichnis
Theravāda-Buddhismus in Malaysia
1. Die historische Entwicklung vom 5. bis zum 14. Jahrhundert
2. Buddhistische Migranten in den malaiischen Sultanaten in der Kolonialzeit
3. Traditionell ethnisch geprägter Theravāda-Buddhismus im unabhängigen Malaysia
4. Chinesische Mahāyāna-Traditionen und die "Sinisierung" des Theravāda
5. Buddhismus im islamischen Malaysia
Literaturverzeichnis
Entwicklungen im Theravāda-Buddhismus in Indonesien
1. Die Entwicklung des Buddhismus im indonesischen Nationalstaat
1.1. Die Entwicklung der buddhistischen Orden
1.2. Politisierung des indonesischen Buddhismus
1.2.1. Indonesianisierung des Buddhismus unter der Neuen Ordnung
1.2.2. Die Spaltung der Gemeinde
2. Profil der buddhistischen Verbände
2.1. SAGIN: Sangha Agung Indonesia
2.2. STI: Sangha Theravada Indonesia
2.3. Die Dachorganisationen: Zusammenarbeit der buddhistischen Verbände
3. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Buddhismus in Tibet
1. Einführung
2. Die erste Verbreitung des Buddhismus in Tibet (7. bis 9. Jahrhundert)
2.1. Die Anfänge
2.2. Der erste Dharma-König Songtsen Gampo (613/14-649/50 n. Chr.)
2.3. Der zweite Dharma-König Trisong Detsen (755-797)
2.4. Der dritte Dharma-König Ralpachen (815-838)
2.5. Hintergründe und Lehrinhalte der ersten Verbreitung des Buddhismus in Tibet
2.6. Die Welt der Götter und Dämonen im tibetischen Volksglauben
2.7. Zur Entstehung und Entwicklung der Bön-Religion
2.8. Zur Entwicklung der monastischen Tradition Tibets
2.9. Die Nyingmapa-Schule der "Alten"
3. Die zweite Verbreitung des Buddhismus in Tibet
3.1. Die Zersplitterung des Reiches (10. bis 11. Jahrhundert)
3.2. Renaissance oder Kontinuität der Lehre des Buddha
3.2.1. Die Wiederbelebung der Mönchsweihe
3.2.2. Rinchen Zangpo (958-1055)
3.2.3. Atīsa Dīpaṃkara (982-1054) und die Schule der Kadampa
3.3. Die neuen tantrischen Transmissionen in Tibet (11. bis 14. Jahrhundert)
3.3.1. Die Schule der Sakyapa und die Transmission des Lamdre-Systems
3.3.2. Die Schulen der Kagyüpa
3.3.2.1. Marpa Lotsava und die Transmission des Nāropa
3.3.2.2. Der große Yogi Milarepa und sein Schüler Gampopa
3.3.2.3. Gampopas Nachfolge
3.3.3. Padampas Schije-Transmission (zhi-byed) und Macigs Friedhofpraxis Tschöd (gcod)
3.4. Bemerkungen zur Institutionalisierung des "Lamaismus" in Tibet
4. Die Gelbe Kirche (15. bis 20. Jahrhundert)
4.1. Tsongkhapa, der Reformator
4.2. Tsongkhapas Erbe und Nachfolge
4.3. Die Einführung der Dalai Lama-Würde
4.4. Der Sieg der Gelben Kirche
4.5. Der Große Fünfte Dalai Lama
4.6. Theokratie als Streitpunkt ausländischer Macht
4.7. Die Dalai Lamas als Spielball der Mandschu
4.8. Der Dreizehnte Dalai Lama - Reformer und Politiker
4.9. Der Fall der Gelben Kirche - die kommunistische Invasion der Chinesen
5. Klosterleben und religiöse Praxis in Tibet
5.1. Monastische Erziehung
5.2. Mystik und Ekstasetechniken
5.3. Klosterorganisation und Zeremonialwesen
6. Neubeginn im indischen Exil (1959 bis 2016)
Literaturverzeichnis
Buddhismus in Bhutan
1. Einleitendes
2. Der Buddhismus im Verfassungsrang
3. Buddhismus und Staat I: Shabdrung Ngawang Namgyel
3.1. Mahākāla
3.2. Die Heiligen Berge und das Modell der Welt
3.3. Die Reichseinigung durch Shabdrung Ngawang Namgyel
4. Der Zweite Buddha: Guru Rinpoche
5. "Heilige Schätze" und Pema Lingpa
6. Buddhismus und Staat II: Von Jigme Namgyel bis heute
6.1. Lokale Schutzgötter
6.2. Mahākāla im 21. Jahrhundert
7. Buddhismus und moderne Politik
8. Buddhismus und Laien
Literaturverzeichnis
Der mongolische Buddhismus
1. Der geographische Bereich
2. Die vormongolische Zeit: Der Buddhismus in den Staaten Liao und Jin
3. Der Buddhismus zur Zeit des mongolischen Großreiches und der Teilreiche
3.1. Frühzeit und das Khanat China
3.2. Die westlichen Mongolenreiche
3.2.1. Der Buddhismus im Ilkhanat von Iran
3.2.2. Der Buddhismus im Khanat Čaγatai
3.2.3. Der Buddhismus im Khanat der Goldenen Horde
4. Der Buddhismus bei den Ostmongolen seit 1368
5. Der Buddhismus bei den Westmongolen
5.1. Der Buddhismus bei den Oiraten
5.2. Der Buddhismus bei den Kalmücken
6. Der Buddhismus bei den Burjaten
7. Der Buddhismus bei den Altai-Türken
7.1. Der Buddhismus bei den Tuwinern
7.2. Der Buddhismus bei den Altaiern und Chakassen
7.2.1. Altaier
7.2.2. Chakassen
Literaturverzeichnis
Websites:
Buddhismus bei den türkischen Völkern in Zentralasien
1. Einleitung
1.1. Aspekte der Buddhisierung der Uiguren
1.2. Der buddhistische Lehnwortschatz
2. Quellen
2.1. Skizze der buddhistischen Literatur der Uiguren
3. Religiöse Bewegungen und Schulen
4. Alltagsrelevanz
5. Ausblick
Literaturverzeichnis
Register
Geographische Namen
Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten
Sachregister

Citation preview

Die Religionen der Menschheit Begründet von Christel Matthias Schröder Fortgeführt und herausgegeben von Peter Antes, Manfred Hutter und Jörg Rüpke Band 24,2

Manfred Hutter (Hrsg.)

Der Buddhismus II

Theravāda-Buddhismus und Tibetischer Buddhismus

Verlag W. Kohlhammer

Umschlagbild: Statue einer Schutzgottheit im Wat Chedi Luang in Chiang Mai (Thailand), die den Stadtpfeiler Sao Inthakin als Wohnsitz des Stadtgeistes (phi) vor Unheil beschützen soll. Errichtet um 1800 von Phaya Kawila, dem Lokalherrscher von Chiang Mai. (Foto M. Hutter).

1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart 294.3 - dc23 Print: ISBN 978-3-17-028497-5 E-Book-Formate: pdf: ISBN 978-3-17-028498-2 epub: ISBN 978-3-17-028499-9 mobi: ISBN 978-3-17-028500-2 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

INHALT

INHALT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Manfred Hutter

A. REGIONALE FORMEN BUDDHISMUS

IN

THERAVĀDA-BUDDHISMUS . . . . . . . . . . . . . .

17

SRI LANKA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

DES

Lauren Drover/Manfred Hutter 1.

Einleitung: Zur klassischen Quellensituation . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

2.

Geschichtliche Entwicklung des Buddhismus in Sri Lanka . . . . . 2.1. Die vorkoloniale Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Von den Anfängen bis zur zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends n. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Mönche im Mittelalter als Machtfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Rolle des Buddhismus während der Kolonialzeit . . . . 2.2.1. Die Zeit der Portugiesen und Holländer . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Erneuerungsbewegungen während der englischen Kolonialperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Auseinandersetzungen mit anderen religiösen Gruppen 2.3. Buddhismus im unabhängigen Sri Lanka . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Mönche und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Sarvōdaya und Frauenordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 22

3.

Die religiöse Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Mönche und Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. „Große“ und „kleine“ Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Vor-buddhistische Yakkha als Schutzgötter . . . . . . . . . . . . . 5

22 26 29 29 31 34 36 36 39 41 41 43 44

Inhalt

3.2.2. Hindu-Gottheiten und mahāyāna-buddhistische Bodhisattvas als Beschützer der Insel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Der „Kult“ als Verehrung Buddhas und die rituelle Umsetzung seiner Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Reliquien und Verständnis von gelebter Frömmigkeit . . 3.3.2. Feste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Wallfahrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4. Pirit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5. Sterbe- und Totenriten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

BUDDHISMUS

46 48 49 51 53 54 55 57

BIRMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

1.

Ankunft und Verbreitung des Buddhismus in Birma . . . . . . . . . .

62

2.

Pagan – die Hauptstadt des Buddhismus im 13. Jahrhundert . . 2.1. Pagan als buddhistische Kosmopolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Der Niedergang Pagans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64 65 70

3.

Das Jahr 1456: Eine buddhistische Ökumene . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

4.

Der Buddhismus in Birma im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . .

73

5.

Die Konbaung-Zeit und die Kolonialherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Reformen im Zeichen der Kolonialherrschaft . . . . . . . . . . . 5.2. Der Saṅgha im kolonialen Birma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Nationalbewegung und politischer Buddhismus . . . . . . . .

75 78 82 84

6.

Buddhismus im unabhängigen Birma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Die BSPP-Ära . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Buddhismus und Gesellschaft in Birma heute . . . . . . . . . .

86 89 93

DER

ZEITGENÖSSISCHE

IN

Tilman Frasch

THERAVĀDA-BUDDHISMUS

BANGLADESH . . . . .

99

Historische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Barua, Chakma und die Reform des Mönchtums im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Marma, Rakhaing und der Untergang des arakanesischen Königreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

IN

Jacques P. Leider 1.

6

101 109

Inhalt

2.

3.

Mönche und buddhistische Laien im zeitgenössischen Wandel 2.1. Vom Erfolg religiöser Erneuerung: Der städtische Buddhismus der Barua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Vom Nutzen religiöser Erneuerung: Buddhismus als Teil des Überlebenskampfes der Chakma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Kulturelle Selbstbehauptung und buddhistische Identität der Arakanesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pilgerorte, Feste und religiöse Verehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

FORMEN

DES

THERAVĀDA

IM HEUTIGEN INDIEN

112 113 114 117 118

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Detlef Kantowsky 1.

Die Mahā Bodhi Society . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

2.

Die Bauddha Dharmankur Sabhā . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126

3.

Die Neo-Buddhisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

4.

Die Trailokya Bauddha Mahasangha Sahayak Gana (TBMSG) . .

130

5.

Der All India Bhikkhu Sangha (AIBS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

6.

Die Vipassanā-Bewegung von S. N. Goenka . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

BUDDHISMUS

IN

THAILAND

UND

LAOS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Manfred Hutter 1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

2.

Die vormodernen Königreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Sukhothai als erstes größeres Thai-Zentrum . . . . . . . . . . . 2.2. Ayutthaya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Lan Na . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Lan Sang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 145 146 148 150

3.

Entwicklungen in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Zeit der Chakri-Dynastie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Thai-Nationalismus und Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Vom französischen Protektorat in Laos bis zur Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

7

153 157 159

Inhalt

4.

5.

Mönchtum und Gesellschaft im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die seelsorgliche Seite des Mönchtums . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Zwei kritisch betrachtete Reformströmungen: Santi Asok und Thammakai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Santi Asok . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Die Bewegung des Wat Phra Thammakai . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Drei Reform-Denker: Buddhadasa Bhikkhu, Sulak Sivaraksa, P.A. Payutto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Bhikkhunīs und Maechis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die öffentliche und alltägliche Seite der Religion . . . . . . . . . . . . . 5.1. Die Einbettung vor-buddhistischer Geister in die Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Feste im Jahreslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

THERAVĀDA-BUDDHISMUS

IN

162 162 164 165 167 169 173 176 178 180 183

KAMBODSCHA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Karl-Heinz Golzio 1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

2.

Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Das 13. und 14. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Das 15. und 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Kambodscha verliert seine Souveränität (17. und 18. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Die Religion als identitätsstiftende Kraft . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Unter dem französischen Protektorat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Das unabhängige Kambodscha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 190 191 194 197 199 203

Religiöse Feste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

3.

THERAVĀDA-BUDDHISMUS

IN

MALAYSIA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Manfred Hutter 1.

Die historische Entwicklung vom 5. bis zum 14. Jahrhundert . .

211

2.

Buddhistische Migranten in den malaiischen Sultanaten in der Kolonialzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214

3.

Traditionell ethnisch geprägter Theravāda-Buddhismus im unabhängigen Malaysia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216

8

Inhalt

4.

Chinesische Mahāyāna-Traditionen und die „Sinisierung“ des Theravāda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221

5.

Buddhismus im islamischen Malaysia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224

ENTWICKLUNGEN

IM

THERAVĀDA-BUDDHISMUS

IN INDONESIEN

. . . . . . . 229

Julia Linder 1.

2.

3.

Die Entwicklung des Buddhismus im indonesischen Nationalstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die Entwicklung der buddhistischen Orden . . . . . . . . . . . . . 1.2. Politisierung des indonesischen Buddhismus . . . . . . . . . . . 1.2.1. Indonesianisierung des Buddhismus unter der Neuen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Die Spaltung der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Profil 2.1. 2.2. 2.3.

230 231 232 233 233

der buddhistischen Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SAGIN: Sangha Agung Indonesia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . STI: Sangha Theravada Indonesia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Dachorganisationen: Zusammenarbeit der buddhistischen Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 235 236

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

238

B. DIE VERBREITUNG BUDDHISMUS

IN

DES TANTRISCHEN

236

BUDDHISMUS . . . . . . . . . . . . . . 241

TIBET . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Andrea Loseries 1.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.

Die erste Verbreitung des Buddhismus in Tibet (7. bis 9. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Der erste Dharma-König Songtsen Gampo (613/14–649/50 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Der zweite Dharma-König Trisong Detsen (755–797) . . . . 2.4. Der dritte Dharma-König Ralpachen (815–838) . . . . . . . . . 2.5. Hintergründe und Lehrinhalte der ersten Verbreitung des Buddhismus in Tibet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

243 245 245 247 250 254 256

Inhalt

2.6. 2.7. 2.8. 2.9. 3.

Die Welt der Götter und Dämonen im tibetischen Volksglauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Entstehung und Entwicklung der Bön-Religion . . . . . Zur Entwicklung der monastischen Tradition Tibets . . . . Die Nyingmapa-Schule der „Alten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

258 260 262 264

Die zweite Verbreitung des Buddhismus in Tibet . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Zersplitterung des Reiches (10. bis 11. Jahrhundert) 3.2. Renaissance oder Kontinuität der Lehre des Buddha . . . . 3.2.1. Die Wiederbelebung der Mönchsweihe . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Rinchen Zangpo (958–1055) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Atīśa Dīpaṃkara (982–1054) und die Schule der Kadampa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die neuen tantrischen Transmissionen in Tibet (11. bis 14. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Die Schule der Sakyapa und die Transmission des Lamdre-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Die Schulen der Kagyüpa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Padampas Schije-Transmission (zhi-byed) und Macigs Friedhofpraxis Tschöd (gcod) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Bemerkungen zur Institutionalisierung des „Lamaismus“ in Tibet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 267 268 268 270

Die Gelbe Kirche (15. bis 20. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Tsongkhapa, der Reformator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Tsongkhapas Erbe und Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die Einführung der Dalai Lama-Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Der Sieg der Gelben Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Der Große Fünfte Dalai Lama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Theokratie als Streitpunkt ausländischer Macht . . . . . . . . 4.7. Die Dalai Lamas als Spielball der Mandschu . . . . . . . . . . . . 4.8. Der Dreizehnte Dalai Lama – Reformer und Politiker . . . 4.9. Der Fall der Gelben Kirche – die kommunistische Invasion der Chinesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 292 296 298 300 302 305 307 311

5.

Klosterleben und religiöse Praxis in Tibet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Monastische Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Mystik und Ekstasetechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Klosterorganisation und Zeremonialwesen . . . . . . . . . . . . .

321 321 326 333

6.

Neubeginn im indischen Exil (1959 bis 2016) . . . . . . . . . . . . . . . . .

337

4.

10

272 275 275 279 287 289

314

Inhalt

BUDDHISMUS

IN

BHUTAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Christian Schicklgruber 1.

Einleitendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

347

2.

Der Buddhismus im Verfassungsrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

3.

Buddhismus und Staat I: Shabdrung Ngawang Namgyel . . . . . . . 3.1. Mahākāla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Heiligen Berge und das Modell der Welt . . . . . . . . . . . 3.3. Die Reichseinigung durch Shabdrung Ngawang Namgyel

350 351 353 354

4.

Der Zweite Buddha: Guru Rinpoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358

5.

„Heilige Schätze“ und Pema Lingpa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

362

6.

Buddhismus und Staat II: Von Jigme Namgyel bis heute . . . . . . 6.1. Lokale Schutzgötter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Mahākāla im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

364 367 370

7.

Buddhismus und moderne Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

8.

Buddhismus und Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

374

DER

MONGOLISCHE

BUDDHISMUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

Klaus Sagaster 1.

Der geographische Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379

2.

Die vormongolische Zeit: Der Buddhismus in den Staaten Liao und Jin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

380

3.

Der Buddhismus zur Zeit des mongolischen Großreiches und der Teilreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Frühzeit und das Khanat China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die westlichen Mongolenreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Der Buddhismus im Ilkhanat von Iran . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Der Buddhismus im Khanat Čaγatai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Der Buddhismus im Khanat der Goldenen Horde . . . . . . .

382 382 391 391 396 397

4.

Der Buddhismus bei den Ostmongolen seit 1368 . . . . . . . . . . . . . .

397

5.

Der Buddhismus bei den Westmongolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Der Buddhismus bei den Oiraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Der Buddhismus bei den Kalmücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

414 414 423

6.

Der Buddhismus bei den Burjaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

430

11

Inhalt

7.

Der Buddhismus bei den Altai-Türken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Der Buddhismus bei den Tuwinern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Der Buddhismus bei den Altaiern und Chakassen . . . . . . . 7.2.1. Altaier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2. Chakassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. BUDDHISMUS BUDDHISMUS

IN

ZENTRALASIEN

BEI DEN TÜRKISCHEN

ALS

SCHNITTSTELLE

VÖLKERN

IN

ZU

OSTASIEN

439 439 446 446 451

467

ZENTRALASIEN . . . . . . . 469

Jens Wilkens 1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Aspekte der Buddhisierung der Uiguren . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Der buddhistische Lehnwortschatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

469 469 471

2.

Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Skizze der buddhistischen Literatur der Uiguren . . . . . . .

472 473

3.

Religiöse Bewegungen und Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

477

4.

Alltagsrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

480

5.

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

484

REGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

12

EINLEITUNG Manfred Hutter

Als im Jahr 2000 die dreibändige Gesamtdarstellung des Buddhismus für die Reihe „Die Religionen der Menschheit“ mit Buddhismus I: Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen startete, beschrieb Heinz Bechert den Editionsplan folgendermaßen: „Nach der Gesamtkonzeption sollen im ersten Band der indische Buddhismus und seine Verzweigungen, im zweiten Band der Theravāda-Buddhismus und der tibetische Buddhismus sowie im dritten Band der ostasiatische Buddhismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und Verbreitungsgebieten … dargestellt werden. Im dritten Band soll ferner die Ausbreitung des Buddhismus in der so genannten westlichen Welt besprochen werden.“1 Erste Überlegungen zu diesem Konzept hatte Bechert bereits in den späten 1970er Jahren entwickelt und schließlich mehr als ein Jahrzehnt später wieder für die Verwirklichung im ersten Band aufgegriffen.2 Genauso hatte er ab etwa 1998 Kontakte zur Autorengewinnung für den zweiten Band geknüpft: Bechert selbst wollte den Theravāda-Buddhismus in Sri Lanka, Birma, Ostbengalen/Bangladesh, auf der malaiischen Halbinsel und in Indonesien behandeln, für Formen der Revitalisierung des (Theravāda-)Buddhismus konnte Detlef Kantowsky gewonnen werden und für den umfangreichen Teil der Verbreitung des tibetischen Buddhismus (Tantrayāna) sagte Klaus Sagaster seine Mitarbeit zu. Damit schien eine relativ zügige Verwirklichung des Bandes möglich, doch durch Becherts angegriffene Gesundheit und seinen Tod im Jahr 2005 geriet das Ganze ins Stocken. Als Reaktion auf diese Situation suchten der Verlag und die damaligen Reihenherausgeber nach Möglichkeiten der Weiterführung des Projekts unter Beibehaltung von Becherts Stoffverteilung auf Theravāda-Buddhismus und „tibetischen“ Buddhismus. Religionshistorisch ist die Behandlung dieser beiden großen Strömungen in einem gemeinsamen Band insofern gerechtfertigt, als sie in ihrer je eigenen Weise den „indischen“ Buddhismus (des ersten Bandes) fortsetzen.3 Jedoch wurden schrittweise Modifikationen notwendig: Für Becherts vorgesehene Beiträge waren neue Autoren zu finden, so dass Jacques Leider, Tilman Frasch bzw. Manfred Hutter den Buddhismus in Bangladesh, Birma bzw. Malaysia übernahmen. Ein Eingriff betraf den umfangreichen Teil des tibetischen Buddhis1 Bechert 2000: 14f. 2 Bechert 2000: 13. 3 Vgl. dazu Bechert 2000: 15 bzgl. des Theravāda- und 2000: 16 bzgl. des tibetischen Buddhismus.

13

Einleitung

mus. Dieser wurde auf drei Teile – in Tibet, in Bhutan und bei den Mongolen – verfeinert. In der zweiten Jahreshälfte 2006 war dadurch die Um- bzw. Neugestaltung des Bandes weitgehend abgeschlossen und Ende des Jahres 2007 lagen mehrere Beiträge vor. Während der folgenden Jahre drohte das Projekt im Sande zu verlaufen. Nachdem Manfred Hutter im Jahr 2013 vom Verlag zu einem der vier Herausgeber der Reihe „Die Religionen der Menschheit“ bestellt worden war, war es die vordringliche Aufgabe, den zweiten (und den daran zeitnah anschließenden dritten) Band des Buddhismus endlich zu realisieren. Die weitere Vorgangsweise erforderte folgende Schritte: Die Autoren der vorliegenden Beiträge waren um die Aufgabe der Überarbeitung und Aktualisierung ihrer Beiträge zu bitten. Für noch fehlende Beiträge war eine zeitnahe Abgabe der Manuskripte zu vereinbaren bzw. es galt, neue Autoren zu finden. Schließlich lagen im Sommer 2015 die Beiträge zur redaktionellen Bearbeitung vor, abgesehen vom relativ umfangreichen Beitrag zu Thailand, Laos und Kambodscha. Hierfür erklärte sich Karl-Heinz Golzio, der redaktionell am ersten Buddhismus-Band mitgewirkt hatte,4 kurzfristig bereit, den Kambodscha-Teil zu verfassen, während – nach erfolgloser Suche nach einem Autor bzw. einer Autorin – der Bandherausgeber den Thailand- und Laos-Teil selbst übernommen hat, um einen zügigen Abschluss des Buches zu gewährleisten. Diese lange – und nicht immer geradlinige – Entstehungsgeschichte des Bandes hat einige Unausgewogenheiten unvermeidbar gemacht. Überarbeitung (nach sieben oder acht Jahren) von einmal geschriebenen Beiträgen ist für Autoren immer eine unerfreuliche Aufgabe, so dass ihnen von Herausgeberseite für die Bereitschaft, ihre Beiträge auf den aktuellen Kenntnisstand zu bringen, uneingeschränkt gedankt sei. Die Beiträge spiegeln dabei unterschiedliche Zugangsweisen zur Behandlung des Themas wider, da die jeweilige wissenschaftliche Herkunft der Autoren Gewichtung und Auswertung der Quellen beeinflusst: In ihrer Mehrheit kann man die Autoren als Philologen bzw. Historiker charakterisieren (Frasch, Golzio, Leider, Sagaster, Wilkens), andere kommen aus der Soziologie oder Ethnologie (Kantowsky, Loseries, Schicklgruber) bzw. aus der Vergleichenden Religionswissenschaft (Drover, Hutter, Linder). Dadurch gewinnt der inhaltliche Schwerpunkt „Buddhismus“ aber jeweils unterschiedliche „Bezugswissenschafen“ für die Präsentation des Materials. Hier war den Autoren weitgehend freie Hand gelassen, wie sie das Thema aus ihrer Sicht inhaltlich optimal gestalten wollten. In formaler Hinsicht ist jedoch insofern eine Einheitlichkeit angestrebt, als in der Regel Diakritika und Umschriftsysteme (soweit vorhanden) einheitlich gesetzt werden, jedoch mit der Ausnahme, dass (international) eingespielte Selbstbezeichnungen von religiösen Gruppen in dieser Form übernommen werden, ohne sie z. B. zu „pālisieren“. Auch für die Schreibung von bekannten

4 Als Übersetzer des Beitrags Mabbett 2000 und in der Erstellung des Registers (Golzio 2000).

14

Manfred Hutter

Namen wird die gängige Form gewählt, so dass beispielsweise „Sri Lanka“ (anstelle von Śrī Laṅka) oder im historischen Kontext „Birma“ (anstelle des anglisierten Burma oder des gegenwärtigen Myanmar) verwendet wird. Die nun vorliegenden Kapitel ordnen diesen Band zwischen Indien und Ostasien ein, so dass es selbstverständlich ist, dass der Theravāda-Block mit Sri Lanka beginnt, gefolgt von Birma und Bangladesh. Der kürzere Abschnitt über neue Theravāda-Strömungen in Indien kann deutlich machen, wie diese „Re-Vitalisierung“ teilweise mit Sri Lanka (Mahā Bodhi Society), Bangladesh (Bauddha Dharmakur Sabhā) und Birma (vipassanā) verbunden ist. Die beiden Kapitel zu Thailand und Laos bzw. zu Kambodscha zeigen ihrerseits die historischen Beziehungen dieser Länder zueinander, aber auch zu Sri Lanka und Birma. Malaysias Theravāda-Buddhismus hängt – aufgrund der Kolonialzeit – eng mit Sri Lanka und Birma sowie – aufgrund der geographischen Nachbarschaft – eng mit Thailand zusammen, während Indonesiens Theravāda-Buddhisten maßgebliche Impulse in ihrer Entwicklung aus Birma bzw. Thailand erfahren haben. Daher schließen diese beiden Kapitel den Theravāda-Teil des Buches ab. Am Anfang der Richtungen des Tantrayāna bzw. Vajrayāna steht Tibet, da die Verbreitung dieser buddhistischen Schulen von hier nach Bhutan bzw. zu den Mongolen gelangt ist. Der Weg des Buddhismus nach Zentralasien5 wird dabei am Ende des Bandes mit der Darstellung des Buddhismus der türkischen Völker abgerundet. Dieser letzte Beitrag fungiert dabei als doppelte „Überleitung“ zum abschließenden dritten Band. Einerseits finden sich im alttürkischen Buddhismus Formen und Richtungen des Hīnayāna, Mahāyāna und Tantrayāna, so dass der alttürkische Buddhismus sinnvoll im vorliegenden Band verortet ist. Andererseits zeigen manche alttürkisch-buddhistischen (Mahāyāna-)Texte – wie auch Teile des Buddhismus bei den Mongolen – einen Zusammenhang mit Entwicklungen des Buddhismus in China, der im nachfolgenden dritten Band als erstes Kapitel behandelt wird. Mit dieser Kapitelanordnung möchte der Band somit den Leser schrittweise in die Entwicklung und Verbreitung des Buddhismus einführen, wobei sowohl lokale Strömungen als auch die immer wiederkehrenden Verflechtungen die Vielfalt des Buddhismus als globaler Religion zeigen.

Literaturverzeichnis Bechert, Heinz: Einleitung, in: Heinz Bechert et al.: Der Buddhismus I. Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen, Stuttgart 2000 (= Die Religionen der Menschheit 24,1), 1–20. Golzio, Karl-Heinz: Namen- und Sachregister, in: Heinz Bechert et al.: Der Buddhismus I. Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen, Stuttgart 2000 (= Die Religionen der Menschheit 24,1), 501–512.

5 Vgl. dazu auch Hartmann 2000.

15

Einleitung Hartmann, Jens-Uwe: Die Verbreitung des indischen Buddhismus nach Afghanistan und Zentralasien, in: Heinz Bechert et al.: Der Buddhismus I. Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen, Stuttgart 2000 (= Die Religionen der Menschheit 24,1), 421–439. Mabbett, Ian W.: Buddhismus im frühen Festland-Südostasien, in: Heinz Bechert et al.: Der Buddhismus I. Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen, Stuttgart 2000 (= Die Religionen der Menschheit 24,1), 441–470.

16

A. REGIONALE FORMEN DES THERAVĀDA-BUDDHISMUS

BUDDHISMUS

IN

SRI LANKA

Lauren Drover/Manfred Hutter

1. Einleitung: Zur klassischen Quellensituation Der Buddhismus in Sri Lanka beansprucht, die längste kontinuierliche Überlieferung zu besitzen, da die Religion wahrscheinlich bereits vor der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. durch Gesandte des Maurya-Herrschers Aśoka (reg. 268–233 v. Chr.) auf die Insel gebracht worden ist. Diese Nachricht aus dem 13. Felsedikt Aśokas wird in den Inselchroniken und der weiteren Tradition in Sri Lanka weiter ausgeschmückt, dass Mahinda und seine Schwester Saṅghamittā, zwei Kinder des indischen Herrschers, mit den Anfängen der Verbreitung des Buddhismus in Sri Lanka verbunden werden. Der historische Wert dieser Aussagen der Chroniken ist problematisch, da die frühesten Quellen Sri Lankas (Brāhmī-Inschriften an Felswänden und in Höhlen) erst etwa um 200 v. Chr. datierbar sind und lediglich die Namen von buddhistischen Stiftern nennen.1 Dennoch gehören diese Chroniken sowie die Überlieferungen über die „Verschriftlichung“ des Pāli-Kanons und die Weitergabe des Textes zu den zentralen Quellen für den Theravāda-Buddhismus Sri Lankas. Die Tradierung und Kommentierung des Pāli-Kanons macht den Buddhismus Sri Lankas aber auch zu einem Bezugspunkt für den Theravāda-Buddhismus in den anderen Ländern Süd(ost)asiens. Das älteste und am besten erhaltene Textkorpus für den frühen Buddhismus ist eine am Ende des 1. Jahrhunderts erstmals schriftlich fixierte Textsammlung, die von der Theravāda-Schule des Hīnayāna-Buddhismus stammt. Die Schule hat diese Texte in „drei Körben“ (pāli tipiṭaka; skt. tripiṭaka) angeordnet, die die Ordensregeln (Vinaya-Piṭaka), die Lehrtexte (Sutta-Piṭaka) und dogmatisch-spekulative Traktate (Abhidhamma-Piṭaka) umfassen. Für die Theravāda-Richtung ist diese Überlieferung die normative Sammlung buddhistischer Texte, die man als „Pāli-Kanon“ bezeichnet. Dass diese Texte auf mündliche Überlieferungen zurückgehen, wird im Saṅgīti-Sutta (Dīgha-Nikāya III 24f.) deutlich. Darin wird ein dreifacher Unterschied bei der Wiedergabe der Lehre genannt: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Buddha, der den Dhamma vorträgt, und dem Mönch, der den Dhamma lehrt, wie er ihn „gehört“ und gelernt hat, und ferner dem Mönch, der den Dhamma 1 Obeyesekere 2004: 777.

19

Buddhismus in Sri Lanka

rezitiert, wie er ihn „gehört“ und gelernt hat. Diese je unterschiedliche Wiedergabe und Weitergabe des Dhamma machen Formen der Mündlichkeit deutlich: Man hört die Lehre als Predigt oder als Rezitation und lernt die Lehrinhalte durch das Zuhören – und nicht durch das Lesen oder Schreiben. Erst das Dīpavaṃsa erwähnt das Zustandekommen der Verschriftlichung durch die Mönche aus Aluvihāra (Ālokavihāra), die dieses Unterfangen auf dem (nach Theravāda-Zählung vierten) Konzil von Aluvihāra in Sri Lanka durchgeführt haben. Die Verschriftlichung dürfte sowohl weltliche Gründe wie Hunger und kriegerische Auseinandersetzungen als auch theologische Gründe, nämlich den Machtzuwachs der Mönche des Abhayagiri-Vihāra, gehabt haben. Neueren chronologischen Argumenten zufolge geschah dies während der Regierungszeit des Herrschers Vaṭṭagāmaṇī Abhaya (27– 19 v. Chr.)2. Die Zeitspanne von etwas mehr als zwei Jahrhunderten (seit dem dritten buddhistischen Konzil unter Aśoka) hat dazu beigetragen, das Textmaterial zu erweitern, aber inhaltlich dürfte es nicht zu entscheidenden Neuerungen gekommen sein – zumindest was die Schule der Sthaviravādins betrifft, die den uns bekannten Pāli-Kanon weitertradiert haben. Es ist damit rechnen, dass unter Vaṭṭagāmaṇī zwar der Großteil des Textes schriftlich aufgezeichnet wurde, allerdings offensichtlich bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. weitere Texte aus Indien nach Sri Lanka gebracht und in den Kanon eingefügt wurden. Diese „Zusätze“ stammen nicht nur aus der Feder der Sthaviravādin-Tradition, sondern geben wohl auch andere Schulmeinungen wieder. Insofern ist der Pāli-Kanon weder aus einem einzigen literarischen Guss noch völlig einheitlich bezüglich seiner Lehraussagen, auch wenn das Gros der Aussagen den Theravāda-Standpunkt widerspiegelt. Die Überlieferung des Pāli-Kanons – nachdem er niedergeschrieben war – führte zwar zu einer Fixierung des Textes, erlaubte aber dennoch – im Laufe der Zeit – bis zu einem gewissen Ausmaß auch eine sprachliche Beeinflussung durch die Gelehrtensprache Sanskrit und das lokale Singhalesisch. Solche sprachlichen Einflüsse zeigen, dass Pāli zwar „Sakralsprache“ der Theravāda-Buddhisten ist, „Pāli“ als Sprache des Kanons jedoch ein Produkt einer langen historischen Entwicklung und der Veränderung durch Einflüsse von anderen Sprachen ist, aber nicht die authentische „Sprache des Buddha Gautama“.3 Die Texte des Pāli-Kanons sind gut zugänglich, da sie in der von der „Pāli Text Society“ initiierten „Translation Series“ vorliegen. Auch in der klassischen Reihe „Sacred Books of the East“ sowie in der Textsammlung der „Sacred Books of the Buddhists“ sind zahlreiche Übersetzungen aus dem Pāli-Kanon zugänglich. Mit der Schriftlichkeit und Wertschätzung des Pāli-Kanons verbunden sind auch Kommentierungen des Textes. Der Legende nach soll bereits Mahinda einen Kommentar (Aṭṭhakathā, „Erklärungsschriften“) auf die Insel gebracht haben. Einen

2 Nach älterer Datierung: 89–77 v. Chr. (Bechert 2013: 87), vgl. dazu Oberlies 2000: 175. 3 Siehe Bechert 2013: 90.

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Meilenstein in der Kommentierung des Kanons und für die Entwicklung des (singhalesischen) Theravāda-Buddhismus stellt Buddhaghosas Visuddhimagga („Pfad der Reinigung“) aus dem 5. Jahrhundert dar, ein praktisch bis heute gültiges Handbuch für Theravāda-Buddhisten, auf dem spätere Kommentare und Subkommentare aufbauen. Für die singhalesische buddhistische Identität nicht zu unterschätzende PāliQuellen sind die „Nationalchroniken“, Dīpavaṃsa und Mahāvaṃsa4, die eine Fortschreibung im Cūlavaṃsa (12. Jahrhundert) erfahren und die teilweise in anderen Theravāda-Ländern nachgeahmt wurden, um so die eigene Buddhismusgeschichte zu deuten. Dadurch entstand eine buddhistische Geschichtsschreibung, die zugleich ein politischer Akt war, um eine untrennbare – und bis zur Gegenwart nachwirkende – Verbindung zwischen Religion und Politik zu schaffen, so dass der Staat den Anweisungen der Mönche entsprechend zu regieren sei. Das Dīpavaṃsa („Inselchronik“) dürfte noch vor 450 n. Chr. abgeschlossen worden sein, das Mahāvaṃsa („Große Chronik“) wurde im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts von einem Mönch namens Mahānāma verfasst. Beide Darstellungen behandeln die Geschichte Sri Lankas bis ins 4. Jahrhundert, wobei die „Inselchronik“ der erste Versuch ist, die Geschichte der Insel in epischer Form darzustellen. Wichtiger als die „Inselchronik“ ist die „Große Chronik“ für das Selbstverständnis Sri Lankas als „Insel Buddhas“. Denn der Verfasser hat sein Werk nicht nur in ausgefeilter Epik mit exakter Metrik geschrieben, wobei er sich manchmal am Stil der höfischen Kāvya-Dichtung Indiens orientiert, sondern auch inhaltlich gewinnt das Mahāvaṃsa einen besonderen Rang: Die Geschichte Sri Lankas ist eine Geschichte Buddhas, dessen drei angebliche Besuche auf der Insel zu Beginn des Mahāvaṃsa literarisch anspruchsvoll beschrieben sind. Man kann diese Chroniken dahingehend charakterisieren, dass sie historische Informationen, religiöse Vorstellungen und politisch-„nationale“ Einstellungen zu einem literarischen Ganzen verbinden. Damit bilden diese Chroniken auch für die folgenden Jahrhunderte eine nicht zu unterschätzende literarische Grundlegung der Idee, dass die Insel Sri Lanka ein buddhistisches Land ist. Neben diesen „klassischen“ Pāli-Quellen setzen singhalesische Quellen, die historisch verlässlichen Aufschluss über den Buddhismus der Insel geben, erst später ein. Zwar nennt Jayabāhu Dharmakīrti (13. Jahrhundert) in seinem Nikāyasaṃgraha5 („Sammlung der Schriften über die Lehre“) Namen von 28 Mönchen und neun Laien, die zwischen dem 5. und 13. Jahrhundert religiöse Werke verfasst haben sollen; allerdings ist keines dieser Werke erhalten geblieben. Zu den frühesten singhalesischen Quellen gehören Graffiti (7. bis 9. Jahrhundert) von buddhisti-

4 Vgl. Norman 1983: 114ff.; Singh 2009: 138–140; Hazra 2009: 172–177; Bechert 2013: 150– 156. 5 Hazra 2009: 193f.

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schen Besuchern auf der Felsenfestung von Sigiriya. Zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert zeigen singhalesische literarische Quellen Einflüsse der indischen Hofliteratur, aber auch Themen, die mit den Jātakas verwandt sind, werden in dieser Literatur verarbeitet, so etwa im Mukhadevāvata (Geburtsgeschichte des Bodhisattva als König Mukhadeva; 12. Jahrhundert) oder im Sasadāvata (Geburtsgeschichte des Bodhisattva als Hase). Andere singhalesische Quellen, die sich an Laien richten, betonen religiöse (und moralische) Werte und sind stilistisch wie Predigten gehalten.6

2. Geschichtliche Entwicklung des Buddhismus in Sri Lanka 2.1. Die vorkoloniale Zeit 2.1.1. Von den Anfängen bis zur zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends n. Chr. Für das Selbstverständnis buddhistischer Singhalesen ist die legendarische Überlieferung, dass bereits der historische Buddha die Insel dreimal besucht haben soll, der Ausgangspunkt der Buddhismus-Geschichte Sri Lankas. Dabei soll Buddha selbst Sri Lanka zur Insel seiner Religion (dhammadīpa) bestimmt haben. Deswegen sollen die Bewohner der Insel in Zukunft die Überlieferung der Religion sichern, wobei sich die buddhistische Staatsideologie bis heute auf solche Vorstellungen stützt.7 Die Grundlage dieser Überlieferung ist ein Narrativ aus dem Mahāvaṃsa: Erstmals sei der Buddha im neunten Monat seiner Buddhaschaft auf die Insel gekommen, habe dort die Yakkha, Geister und übermenschliche Wesen der vorbuddhistischen Religion der Insel, vertrieben bzw. bekehrt, um so Platz für Buddhas Anhänger zu machen. Bevor er nach Indien zurückkehrte, ließ er eine Haarreliquie zurück, die im Stūpa von Mahiyangana bewahrt wird (vgl. Mahāvaṃsa [Mv.] 1,19f.). Die Aussage drückt bereits ein frühes Missionsprogramm aus, indem durch die Bekehrung der Dämonen zum Buddhismus die Insel an den „indischen“ Kulturraum angeschlossen wird. Dabei erfasst Buddhas Besuch das Zentrum der Insel und wird auch Ausgangspunkt für den Reliquienkult. Der zweite Besuch wird im Mahāvaṃsa in das fünfte Jahr der Buddhaschaft datiert (Mv. 1,44ff.): Zwei NāgaKönige laden Buddha ein, damit er einen Streit zwischen ihnen schlichtet. Als die 6 Obeyesekere 2004: 777f. 7 Vgl. Bechert 2013: 146f.

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beiden ihn kommen sehen, verehren sie ihn und nehmen seine Botschaft an. Die Episode wird auf die Insel Nāgadīpa (d. h. die heutige Halbinsel Jaffna) an der Nordwestspitze Sri Lankas lokalisiert. Bevor er die Insel mit dem Versprechen wiederzukommen verlässt, pflanzt er als weitere Reliquie einen Baum als Mahnmal, damit der Friede zwischen den Inselbewohnern bewahrt bleibe. Zum dritten Besuch im achten Jahr der Buddhaschaft wird der Buddha vom Schlangenkönig in den Südwesten der Insel eingeladen (Mv. 1,77). Bei diesem Besuch begleiten bereits die Mönche den Buddha. Nach der Bekehrungspredigt geht Buddha zum Sumanakūṭa, dem „heiteren Gipfel“ (d. h. zum heutigen Adam’s Peak), und hinterlässt dort seinen Fußabdruck. Dabei kommt es zur Bekehrung der vorbuddhistischen Berggottheit (Mahā-)Sumana/Saman, die nunmehr zum Beschützer der Religion auf der Insel wird. Buddha setzt seine Besuchsreise entlang der Ostküste fort, bis er nach Anurādhapura kommt. Dort meditiert er für lange Zeit an der Stelle, an der später ein Bodhi-Baum (aus Bodh Gayā) gepflanzt werden soll. Danach kehrt Buddha nach Indien zurück. Der dritte Besuch ist nicht nur der umfangreichste, sondern er erfasst praktisch die ganze Insel und verbindet durch die Hinterlassung einer Baum-Reliquie auch die (spätere) Hauptstadt Anurādhapura eng mit Bodh Gayā, dem Erleuchtungsort in Indien. – Die drei Besuche besitzen keinen historischen Wert, transferieren jedoch die Anfänge der Religion auf der Insel in die unmittelbare Entstehungszeit des Buddhismus und begründen die Popularität der volkstümlichen Reliquienverehrung genauso wie die religiöse Legitimierung der Hauptstadt Anurādhapura. Die historischen Anfänge des Buddhismus in Sri Lanka fallen in die Regierungszeit von König Devānampiya Tissa (247–207), der unmittelbar nach seinem Regierungsantritt eine diplomatische Gesandtschaft zu Aśoka sandte (vgl. Mv. 9). Aśokas Antwort verweist auf seine eigene Annahme des Buddhismus, weshalb er seinen Sohn (oder Neffen, wie andere Quellen sagen) Mahinda (begleitet von Mönchen) auf die Insel schickt. Legendarisch8 wird die Begegnung zwischen Mahinda und Devānampiya Tissa dahingehend ausgeschmückt, dass der König – mit 40 000 Personen seiner Gefolgschaft – sich der Lehre Buddhas anschloss. Damit die Mönche in der Hauptstadt Anurādhapura blieben, stiftete der König ein großes Areal im Mahāmegha-Park, auf dem das Mahāvihāra errichtet wurde; der umgrenzte Klosterbezirk (sīmā) schloss dabei die königliche Residenz und die Hauptstadt ein. Während der Regenzeit verweilte Mahinda in Mihintale, wo später das CetiyagiriVihāra entstand. Auf Anraten Mahindas schickte der König eine Botschaft zu Aśoka, um Mahindas Schwester Saṅghamittā auf die Insel einzuladen, damit sie sich um die buddhistische Unterweisung der Frauen kümmere. Saṅghamittā brachte bei ihrer Ankunft auf der Insel auf Geheiß Aśokas auch einen Setzling des

8 Vgl. die Darstellung von Mahindas Mission in Mv. 13–16; siehe auch Gombrich 1988: 148– 151; Singh 2009: 117–122; Hazra 2009: 2–7.

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Bodhi-Baumes aus Bodh Gayā mit, der mit großen Festlichkeiten im MahāmeghaPark der Hauptstadt beim Mahāvihāra gepflanzt wurde. Nach der singhalesischbuddhistischen Tradition entfaltete sich der Buddhismus mit größtem Erfolg unmittelbar nach seiner Einführung. Mahinda und Saṅghamittā starben im achten bzw. neunten Regierungsjahr von Devānampiya Tissas Nachfolger Uttiya. Hinsichtlich der verlässlichen Historizität der Traditionen dieser Anfänge des Buddhismus kann man festhalten, dass die erfolgreiche „Einpflanzung“ der Religion ohne die Förderung durch Devānampiya Tissa nicht möglich gewesen wäre. Zugleich machen diese Traditionen deutlich, dass man – durch den unmittelbaren Rückbezug auf den großen indischen Buddhismus-Förderer Aśoka und damit auch auf das dritte buddhistische Konzil – zum Ausdruck bringen will, dass der Buddhismus der Insel die völlig reine und ursprüngliche Lehre ist, die Buddha verkündet hat. Das Festhalten an der Reinheit der Lehre zeigt sich auch in der Überlieferung über Duṭṭhagāmaṇī (161–137) sowie über die Konflikte zwischen Singhalesen und Tamilen. Duṭṭhagāmaṇī hat in einem Feldzug tamilische Invasoren aus Südindien, die den Norden der Insel besetzt haben, wieder vertrieben. Im Mahāvaṃsa wird diese Auseinandersetzung ausführlich beschrieben (Mv. 22–32),9 wobei der Kampf gegen die politischen Feinde zugleich zu einem Kampf für die Religion stilisiert wird. Damit finden wir erstmals die enge Verbindung von singhalesischem Buddhismus und dem politischen Wohlergehen des Landes, ein Motiv, das mehrfach im Laufe der Geschichte Sri Lankas aufgegriffen und mit Duṭṭhagāmaṇīs Handlungsweise legitimiert wird. Duṭṭhagāmaṇīs Rolle als Schützer und Förderer des Buddhismus drückt die Tradition des Weiteren auch dadurch aus, dass während seiner Regierungszeit angeblich zum ersten Mal das Vesakh-Fest gefeiert wurde. Wichtige Ereignisse für die weitere Entwicklung fallen ins 1. Jahrhundert v. Chr., v. a. in die Regierungszeit von König Vaṭṭagāmaṇī.10 Wenige Monate nach seinem Regierungsantritt wurde er von einer tamilischen Armee für vierzehn Jahre aus seinem Herrschaftsbereich vertrieben. Dies schwächte den Buddhismus genauso wie eine Hungersnot, durch die Laien und Mönche ihr Leben verloren. Das Mahāvihāra als buddhistisches Zentrum des Landes wurde aufgegeben. Nachdem Vaṭṭagāmaṇī wieder auf den Thron gelangte, errichtete er ein neues Kloster, Abhayagiri Vihāra, das er dem Mönch Kupikkala Mahā Tissa übertrug, der ihn während seines Exils unterstützt hatte (Mv. 33,78–81). Dieses neue Kloster entwickelte sich in Konkurrenz zum wiederbelebten Mahāvihāra. Die Mönche des Mahāvihāra hielten das neue Kloster für häretisch, weil deren Mönche durch Kontakte zu indischen Mönchen eigene Lehrinterpretationen entwickelten, die – als Dhammarucika-Richtung11 bis zum Beginn des 2. Jahrtausends – eine eigenständige Gruppe innerhalb

9 Vgl. Bretfeld 2003: 158f.; Hazra 2009: 7–9. 10 Hazra 2009: 11f.; Singh 2009: 126–128; Carrithers 1989: 158f. 11 Hazra 2009: 12; Singh 2009: 128.

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des Buddhismus auf Sri Lanka blieben. Diese Spannung und die Gefahr des Verlustes von buddhistischem Wissen führte zu einem weiteren entscheidenden Ereignis. Die Mahāvihāra-Mönche beriefen mit der Zustimmung des Königs, der trotz seiner Stiftung des Abhayagiri-Vihāra auch das Mahāvihāra unterstützte, eine Versammlung ein, um die Pāli-Überlieferung zu sichern. Nach dem Nikāyasaṃgraha sollen 500 Mönche und Schreiber im Höhlentempel von Aluvihāra bei Matale im zentralen Hochland der Insel alle Überlieferungen Buddhas niedergeschrieben haben. Unsicher muss dabei jedoch bleiben, ob diese Textfassung schon alle jene Texte enthalten hat, die wir als Pāli-Kanon bezeichnen. Denn erst Kommentare aus dem 5. Jahrhundert lassen erschließen, was zur Entstehungszeit der Kommentare zum Pāli-Kanon gerechnet wurde.12 Eine dritte Schulrichtung auf Sri Lanka entstand im 3. Jahrhundert, die Vetullavāda (skt. vaitulyavāda; pāli auch vetulyavāda) mit dem Jetavanavihāra, die als Neuerung von den Mahāvihāra-Mönchen stärker bekämpft wurde als von den Abhayagiri-Vihāra-Mönchen.13 Durch wechselnde Unterstützung von Seiten der Könige konnten allerdings alle drei Theravāda-Subschulen während der folgenden Jahrhunderte den Buddhismus der Insel prägen, auch wenn die Mönche des Mahāvihāra quantitativ wohl durchgehend in der Überzahl waren. Besonders in der Entstehungszeit der Vetullavāda verfolgte König Vohārika Tissa (269–291) die neue Richtung, einer seiner Nachfolger, Mahāsena (334–361), hingegen unterstützte die Mahāyāna-Tradition, die teilweise das Gedankengut der Vetullavāda beeinflusste, und ließ auch das Mahāvihāra zerstören.14 Auch die Ankunft der Zahnreliquie Buddhas zu Beginn der Regierungszeit von Siri Meghavaṇṇa (362–409) und deren Übernahme durch Abhayagiri-Mönche zeigt die Nähe dieser Mönche zum Mahāyāna-Denken mit dem Reliquienkult.15 Für die – die weitere Geschichte Sri Lankas prägende – Fokussierung auf den Theravāda-Buddhismus ist das Wirken Buddhaghosas (Anfang 5. Jahrhundert) zu nennen,16 der wohl aus einer indischen Brahmanenfamilie stammte, aber als Mönch im Mahāvihāra zum maßgeblichen Kommentator wichtiger Teile des PāliKanons wurde und mit seinem Visuddhimagga17 („Weg der Reinheit“) auch eine grundlegende systematische Darstellung der Theravāda-Lehren lieferte. Inhaltlich ordnet Buddhaghosa den „Weg zur Reinheit“ nach den drei Themenkreisen Sittlichkeit (sīla), Konzentration/Meditation (samādhi) und Weisheit (paññā). Buddha12 Singh 2009: 129; vgl. Freiberger/Kleine 2015: 56, 182f. 13 Singh 2009: 129–131; siehe ferner Hazra 2009: 90–93. 14 Gombrich 1988: 158; vgl. zu den Differenzen zwischen den einzelnen Schulrichtungen z. B. auch Singh 2009: 131–133. 15 Vgl. Hazra 2009: 16f. 16 Mylius 1983: 381f.; Norman 1983: 120ff.; Gombrich 1988: 153–155; Singh 2009: 135–138. 17 Vgl. Norman 1983: 113, der darauf hinweist, dass Buddhaghosa sich zumindest teilweise an einem älteren vergleichbaren Prosawerk (wahrscheinlich aus Nordindien) orientiert, dem Vimuttimagga.

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ghosas Strukturierung von Meditation18 benennt vierzig Elemente der samathaTechnik und -Praxis, um sich dadurch von den Sinneseindrücken immer mehr zu distanzieren und durch die Meditation sieben Qualitäten von Reinheit (visuddhi) zu kultivieren. Ferner ist hinsichtlich der Bedeutung Buddhaghosas nicht zu unterschätzen, dass er entscheidend dazu beigetragen hat, dass Pāli zur „Sakralsprache“ der Theravādins wurde. In der überregionalen Praxis stellte dies eine wesentliche Erleichterung der Kommunikation zwischen Theravāda-Mönchen in ganz Süd- und Südostasien dar. So entstand eine „Buchgelehrsamkeit“ der Mönche, für deren Selbstverständnis die Pflege des Pāli-Kanons eine wichtige Rolle zu spielen begann. Dadurch entwickelten sie eine hohe Kompetenz in den „Hilfswissenschaften“ der Textinterpretation. Dazu gehören Kenntnisse der Sprache und der Grammatik, aber auch der buddhistischen Geschichte, der Logik und der Mathematik. Auf diese Weise gilt Sri Lanka ab der Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. als das buddhistische Zentrum schlechthin, das zeitweilig sogar Indien übertroffen hat. Chinesische Pilger wie Faxian (ca. 340–420) oder Xuanzang (603–664) besuchten auf ihren Pilgerreisen zu den buddhistischen Stätten Indiens auch die Insel und sprachen voller Lob über die Buddhisten als Bewahrer des alten Erbes. Allerdings ist die politische Geschichte der Insel in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends bis ins 11. Jahrhundert von Unruhen, Kriegen und Invasoren geprägt. Vor allem der Aufstieg der Chola in Südindien führte dazu, dass die Insel unter die Herrschaft der Chola-Fürsten Rājarāja und Rājendra geriet und die Hauptstadt Anurādhapura im Jahr 993 zerstört wurde. Solche politischen Veränderungen betrafen auch den Buddhismus, da die königliche Förderung von Klöstern ausblieb. Genauso ist – trotz der Betonung der Theravāda-Traditionen – nicht zu übersehen, dass in diesen Jahrhunderten auch mahāyāna-geprägte Weisheitsschulen (prajñāpāramitā), buddhistisches Tantra sowie seit dem 8. Jahrhundert auch hinduistische Strömungen Anhänger auf der Insel hatten.

2.1.2. Mönche im Mittelalter als Machtfaktor Trotz der wechselnden politischen Situation sind die letzten Jahrhunderte des 1. Jahrtausends eine Blütezeit des Saṅgha in Sri Lanka, da die Mönche eine zentrale Rolle in der Gesellschaft spielen und Klöster bis ins frühe 2. Jahrtausend die größten Grundbesitzer auf der Insel sind.19 Da den Mönchen schon frühzeitig Ländereien und Parkgelände gespendet wurden, die landwirtschaftlich bearbeitet werden mussten, wurden die Klöster zu Wirtschaftsfaktoren der Insel. Da aber – nach den Ordensregeln – Mönche nicht den Boden bearbeiten oder andere wirtschaftli18 Vgl. Freiberger/Kleine 2015: 235–237. 19 Vgl. zum Folgenden Carrithers 1989: 146–153.

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che Aktivitäten ausüben durften, um auch den Status der „Besitzlosigkeit“ zu bewahren, war es notwendig, dass dieser Grundbesitz von Laien als Klosterbediensteten versorgt wurde. Die Verflechtung der Klöster mit der Landwirtschaft hob die Mönche praktisch auf eine gesellschaftliche Stufe mit „Laien-Grundbesitzern“. Zugleich ist aber anzunehmen, dass hinsichtlich des Grundbesitzes (und der damit verbundenen wirtschaftlichen Macht) ein Unterschied zwischen den großen Klöstern in den Städten und den kleinen Dorfklöstern bestanden hat, durch den Erstere Teil der Oberschicht der Gesellschaft wurden. Neben den wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Klöstern und Laien bestanden teilweise auch verwandtschaftliche Beziehungen zwischen hochrangigen Mönchen und weltlichen Machthabern. Diesen sozialen Aufstieg spiegeln auch die Klosteranlagen in der Hauptstadt Anurādhapura wieder, deren architektonische und künstlerische Ausführung im Laufe der Zeit an Qualität deutlich zunahm. Die so genannte JetavanārāmaInschrift20 aus dem Klosterkomplex in Anurādhapura regelt nicht nur die Versorgung der hundert Mönche, die im 9. Jahrhundert im Kloster lebten, sondern nennt noch weitere Dörfer, die zum Kloster gehören, in denen ebenfalls Mönche als „Außenstelle“ lebten. Diese Mönche hatten die Aufgabe, die Regelmäßigkeit der Abgaben der Dörfer für das Kloster in der Hauptstadt zu beaufsichtigen. Ferner zeigt die Inschrift, dass die Klöster in dieser Blütezeit florierende und durchorganisierte Wirtschaftsbetriebe waren, in denen eine klare Arbeitsteilung zwischen Mönchen und Laien notwendig war. Ein politischer Neuaufstieg der Insel setzte in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ein, als Vijayabāhu I. Polonnaruwa zur neuen Hauptstadt machte und um 1065/1070 die Chola-Herrschaft beendete. Zur Erneuerung der monastischen Traditionen führte er eine aus Birma importierte Mönchsordination ein, da – trotz der wirtschaftlichen Macht der Klöster – die Ordenszucht in den vergangenen Jahrhunderten zurückgegangen war; als Gegengabe sandte Vijayabāhu eine Kopie des Tipiṭaka zu König Anawrahta in Pagan, der damaligen Hauptstadt Birmas. In der Folge kommt es zu weiteren Kontakten zwischen Sri Lanka und Birma, da in diesem südostasiatischen Königreich im 11. Jahrhundert eine religiöse Neuorientierung hinsichtlich der Förderung des Theravāda-Buddhismus begonnen hat.21 Vijayabāhus Enkel Parakkamabāhu I. (1153–1186) baut Polonnaruwa weiter aus und transferiert die Zahnreliquie in die neue Hauptstadt. Innerhalb der Klosterstruktur findet ebenfalls eine maßgebliche Veränderung statt, indem alle Mönche dem Mahāvihāra als der nunmehr einzigen als „orthodox“ angesehenen Mönchstradition untergeordnet werden bzw. unwillige Mönche aus dem Saṅgha ausgeschlossen wurden.22 Literarisch schlägt sich diese „Reform“ auch im Entstehen

20 Carrithers 1989: 151f. 21 Vgl. Frasch 1998: 69–92; Hazra 2009: 27f.; Singh 2009: 141; Freiberger/Kleine 2015: 57f. 22 Siehe Bechert 1966: 211; 1993; Hazra 2009: 32; Singh 2009: 142f.

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neuer Subkommentare zum Pāli-Kanon nieder,23 die sich v. a. auf das Vinaya-Piṭaka beziehen, um die Ordenszucht im neu vereinigten Saṅgha für die Zukunft zu sichern. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass in dieser Zeit auch die Wertschätzung des Adam’s Peak als Pilgerort zugenommen hat, wobei unter Parakkamabāhu wahrscheinlich der erste Tempel für den Gott Saman als feste Baustruktur auf dem Berg errichtet wurde. Als zu Beginn des 13. Jahrhunderts der südindische Herrscher Magha in Sri Lanka einfiel, hat er mit der Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlagen zugleich den Buddhismus empfindlich getroffen. Die erneute Renaissance unter König Parakkamabāhu II. (1236–1270) konnte schließlich nur mehr zum Teil an die frühere Blüte anschließen,24 auch wenn sich die Herrscher von Sukhothai in der Mitte des Jahrhunderts auf den aus Sri Lanka übernommenen Buddhismus für ihre Herrschaft stützten. Dies zeigt die „überregionale“ Wertschätzung der Theravāda-Tradition der Insel. Dennoch ist seit dieser Zeit ein Rückgang des Mönchtums unübersehbar. Die Vorschriften des Vinaya-Piṭaka wurden nicht mehr von den verweltlichten „Klostermönchen“, die z. T. auch Frauen und Kinder hatten, sondern nur noch von den so genannten „Waldmönchen“ befolgt. Die Verbindung der Klöster mit dem Weltleben führt auch zur Bewertung der Mönche entsprechend zweier Gruppen und Aufgaben: als so genannte „Dorfmönche“ (gāmavāsin), die als Lehrer, Prediger und Ritualspezialisten gesehen werden und als so genannte „Waldmönche“ (araññavāsin), die asketisch meditieren.25 Auch wenn diese Zweiteilung idealtypisch ist und schon für die frühe Geschichte des Buddhismus in dieser Weise anwendbar gewesen wäre, gewinnt sie durch die „verweltlichte“ Entwicklung der grundbesitzenden und -verwaltenden Klöster eine Konkretisierung, wobei die „Waldmönche“ in der Minderheit waren. Ab den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends beginnt auch der tamilische (hinduistische) Bevölkerungsteil im Norden der Insel eine größere dauerhafte Rolle für die religiöse Vielfalt zu spielen, zu der – mit ersten Anfängen bereits im 8. Jahrhundert – auch Muslime als kleine Bevölkerungsgruppe gehören. Im 14. Jahrhundert setzte der Zerfall der politischen Einheit Sri Lankas ein, auch der Buddhismus erlebte in dieser Zeit eine Phase des Niedergangs, da die Ordensregeln weitgehend missachtet wurden und abgesehen von den „Waldmönchen“ auch die zölibatäre Lebensweise oft aufgegeben wurde. Unter Parakkamabāhu VI. (1411– 1466), der die Zentralmacht in der neuen Hauptstadt Kotte (heute ein Vorort von Colombo) stärken konnte, kam es nochmals zu einer Verbesserung, so dass erneut Sri Lanka zu einem Bezugspunkt für Buddhisten außerhalb des Landes wurde. So hat Dhammaceti (1472–1492), der Herrscher von Pegu in Birma, Mönche für die

23 Singh 2009: 145f. 24 Vgl. Hazra 2009: 40–42. 25 Vgl. zum Ganzen Carrithers 1989: 160–163; Gombrich 1988: 156f.

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Ordensreform in Pegu nach Sri Lanka geschickt, damit diese dort ordiniert würden, um so in der „richtigen“ Theravāda-Tradition zu stehen.26 Nach der Rückkehr dieser Mönche nach Birma etablierten sie dort zur Stärkung der birmanischen Mönchstradition die Ordinationslinie aus Sri Lanka, wobei auch Thailand und Kambodscha – sekundär – mit der Tradition der Insel verbunden wurden. Auf der Insel selbst setzt jedoch gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Zersplitterung der Macht ein. Einerseits führt dies zum Aufstieg von Kandy im zentralen Bergland als neues politisches Zentrum für einen Teil der Insel, andererseits ermöglicht die fehlende Gesamtherrschaft über die Insel das Vordringen der Portugiesen und den Beginn der Kolonialzeit Sri Lankas.

2.2. Die Rolle des Buddhismus während der Kolonialzeit 2.2.1. Die Zeit der Portugiesen und Holländer Die europäische Kolonialherrschaft – zunächst durch die Portugiesen (ab 1505) und Holländer (ab 1656) und schließlich durch die Engländer (1798–1948) – führte zu einem weiteren Rückgang des Buddhismus. Bei der Ankunft der Portugiesen war die Insel in drei Königreiche – Kotte (im Westen), Kandy (im zentralen Bergland) und Jaffna (im Norden) – geteilt, wobei die Portugiesen zunächst mit dem Königreich von Kotte in Kontakt kamen. Für den Buddhismus bedeutete dies den Anbruch einer neuen Periode, als die Herrscher von Kotte außer Stande waren, der Verbreitung des katholischen Christentums durch die Portugiesen Einhalt zu gebieten. In den küstennahen Gebieten im (Süd-)Westen der Insel konnte das Christentum ab der Mitte des 16. Jahrhunderts erfolgreich Fuß fassen, teilweise durch Zwangskonversionen auf Druck der Kolonialmacht.27 Ebenfalls nachteilig auf den Buddhismus in dieser Zeit wirkte sich die Hinwendung zum Śivaismus durch Rājasinha I. (1581–1592) aus, der den Buddhismus nicht nur unterdrückte, sondern auch Mönche töten ließ. Im Cūḷavaṃsa (12. Jahrhundert) wird seine Herrschaft als dunkle Periode beschrieben, da der König auf dem Sumanakūṭa (Adam’s Peak) „falsche Asketen“ eingesetzt habe, um durch sie Gewinn aus den Wallfahrten zum Berg zu ziehen. Auch wenn die buddhistische Sichtweise des Cūḷavaṃsa klar polemisch ausgerichtet ist, ist zutreffend, dass Rājasinha den Adam’s Peak zu einem śivaitischen Heiligtum umgestaltete und so den Buddhismus in die dunkelste Periode seiner Geschichte auf der Insel führte.28 Trotz der Rückschläge für den Buddhismus versuchten die Herrscher in Kandy weiterhin, sich gegenüber der Vorherrschaft der Portugiesen zu behaupten, und konnten diese schließlich mit 26 Singh 2009: 149f.; Hazra 2009: 48f. 27 Vgl. Hazra 2009: 51f.; vgl. auch Singh 2009: 152f. 28 Hazra 2009: 54.

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Hilfe der Holländer beenden. Allerdings übernahmen die Holländer ab den späten Fünfzigerjahren des 17. Jahrhunderts die Gebiete, die zuvor in den Händen der Portugiesen waren. Die Holländer waren primär auf die Optimierung ihrer Handelsinteressen ausgerichtet und wünschten zu diesem Zweck politisch stabile Verhältnisse auf der Insel.29 Daher waren sie religiös-missionarisch nicht aktiv, so dass der Buddhismus v. a. im Herrschaftsbereich des Königreichs Kandy wieder erstarkte. So war Vimaladhamma Suriya (1687–1706) ein engagierter Buddhist, der nicht nur drei Pavillons für die Zahnreliquie in Kandy errichtete, sondern auch eine Wallfahrt zum Adam’s Peak (Sumanakūṭa) unternahm, um dadurch die „buddhistische“ Ausrichtung des Heiligtums zu demonstrieren.30 Ferner konnte der Buddhismus Sri Lankas durch Gesandtschaften nach Arakan und Birma bzw. Siam (Thailand) im 17. Jahrhundert wiederum stärkende Impulse erhalten. Kandys Status als Zentrum des Buddhismus wurde auch durch den mehrfachen Umbau des so genannten „ZahnTempels“, der nunmehr die im 4. Jahrhundert aus Indien nach Anurādhapura gebrachte Zahnreliquie des Buddha beherbergte, gefördert. Die Herrschaft von Kirti Srī Rājasinha (1748–1778) war für den Buddhismus äußerst günstig, da er Fehlentwicklungen in den Klöstern erfolgreich zu beseitigen wusste.31 Die Klöster waren praktisch nur noch „weltliche“ Institutionen mit Grundbesitz und religiöse Kenntnisse der Mönche waren kaum vorhanden. Da der Grundbesitz in der Regel in einem Kloster vom Onkel auf den Neffen weitervererbt wurde, musste in jeder Generation wenigstens ein Familienmitglied in den Saṅgha eintreten, um das „Familienerbe“ zu retten. Kenntnisse der Lehre und die Befolgung der Ordensregeln spielten aber häufig keine Rolle mehr. Um eine ordnungsgemäße Ordination neuer Mönche in die Wege zu leiten, schickte Kirti Srī Rājasinha eine Gesandtschaft nach Siam, um durch Mönche von dort den Orden in Sri Lanka zu reinigen und die Ordinationskette wieder zu schließen. Man kann hierin einen „Re-Import“ der Theravāda-Tradition Sri Lankas aus Siam (Ayutthaya) sehen, wohin sie im 15. Jahrhundert zur Zeit Dhammacetis durch die „Zwischenstation“ in Pegu gelangt war. Als Resultat dieser Reform entstand 1753 der Siyāmabzw. Syāma-Nikāya; um die „Qualität“ des Mönchtums sicherzustellen, konnten nur Mönche aus Bevölkerungskreisen der Oberschicht in den Nikāya eintreten. Das dadurch wiedererstarkte Mönchtum der Insel führte auch zu erneuerten Kontakten zwischen dem Saṅgha Sri Lankas und südostasiatischen Klöstern, wodurch zwei weitere Reformorden entstanden: Im Jahr 1798 ging der Novize Ambagahapiṭiyē Ñāṇavimalatissa nach Amarapura in Birma, um dort den Buddhismus zu studieren und die Mönchsweihe (upasampadā) zu erhalten. Nach seiner Rückkehr

29 Singh 2009: 154f. 30 Hazra 2009: 58f. 31 Hazra 2009: 59–64; Singh 2009: 156–158.

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nach Kandy gründete er dort 1802 den Amarapura-Nikāya, den er nach dem birmanischen Ort seiner Mönchsweihe benannte. Ein weiterer birmanisch geprägter Reformorden wurde 1864 durch Ambagahavattē Indāsabhavarañña als Rāmañña-Nikāya gegründet. Alle drei Orden – und weitere Nikāya-Zweige – unterscheiden sich kaum im organisatorischen Aufbau, sind aber voneinander in der Hierarchie völlig unabhängig, so dass jeder Orden von einem Mahānikāya-Thera geleitet wird. Für die buddhistischen Laien ist die Zugehörigkeit eines Mönches zu einem bestimmten Orden dabei von nachrangiger Bedeutung. Diese Orden sind bis zur Gegenwart auf der Insel verbreitet und bilden gemeinsam den Mahāsaṅgha.32 Am Ende des 18. Jahrhunderts ging die Kolonialherrschaft der Holländer zu Ende, die zunächst von den Engländern von den Küstengebieten vertrieben wurden. Durch Intrigen gegen den letzten singhalesischen König, bei denen oppositionelle Kräfte in Kandy die Engländer zur Hilfe riefen, wurde der König 1815 zur Abdankung gezwungen. Dadurch hatten die Engländer die ganze Insel unter ihre Kontrolle gebracht.

2.2.2. Erneuerungsbewegungen während der englischen Kolonialperiode Die als nötig empfundene Reform des Saṅgha wurde zunächst nach traditionellen Mustern anhand einer Erneuerung des Ordens durchgeführt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden neue Formen des Buddhismus, die sich vor allem anhand der Auseinandersetzung mit anderen Religionen und durch den Kontakt mit Europa entwickelten. Unterschiedliche Theoriemodelle betitelten dieses Phänomen wahlweise mit „buddhistischem Modernismus“, „Neo-Buddhismus“ oder „protestantischem Buddhismus“.33 Welcher Definition man auch folgt: Wichtig ist, dass sich in dieser Zeit bestimmte Aspekte der Religion änderten, die bis in die heutige Zeit nachwirken, aber auch in Kombination mit traditionalistischen RückkopplungsBewegungen zu Spannungen in der Gesellschaft führten. Die wichtigsten davon sind: eine Rückkehr zu den als kanonisch empfundenen Schriften, eine Konsolidierung der Lehre in Abgrenzung zu „volksreligiösen“ Praktiken und die Entwicklung neuer Parameter für die Rollen von Laien und Mönchen. Diese Entwicklungen können als Reaktion auf die christliche Missionsaktivität gelesen werden, die zusammen mit der nicht am Buddhismus interessierten Kolonialmacht dazu führte, dass ein Gefühl der Bedrohung der traditionellen Religion vorherrschte. Dies zeigte sich ab etwa 1839 in der Abfassung polemischer Traktate auf Palmblättern (ola), die auf die Pamphlete der Missionare antworteten, die ih32 Bechert 1966: 212–217; Carrithers 1989: 164; Gombrich 1988: 174f.; vgl. auch Bechert 2013: 187f. 33 Bechert 2013: 239; Gombrich/Obeyesekere 1988: 215–224; vgl. auch Hutter 2006: 6f.

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rerseits den Buddhismus gegenüber dem Christentum als minderwertige Religion dargestellt hatten.34 Um auf die Auseinandersetzung mit westlicher Fremdherrschaft besser reagieren zu können, gründete der Mönch Valānē Siddhārtha 1849 südlich von Colombo eine moderne Mönchsschule (pirivena), um den Mönchen auch „westliche“ Bildung zu vermitteln. Von einem organisierten Revival des Buddhismus als Reaktion auf die christliche und koloniale Herausforderung kann aber erst ab etwa den 1860er Jahren gesprochen werden, in welchen zwei Mönche prominente Rollen einnehmen: Mohoṭṭivattē Guṇānanda (1823–1890) und Hikkaduve Sumangala (1826–1911). Guṇānanda gründete 1862 die erste Vereinigung zur Revitalisierung des Buddhismus, die „Society for the Propagation of Buddhism“,35 darüber hinaus übernahm er die Verteidigung des Buddhismus in der berühmten Debatte von Pānadurā. Sumangala setzte sich durch den Erwerb einer Druckerpresse 1855 mit Guṇānanda für eine Gegenkampange zur christlichen Mission ein und etablierte das buddhistische College Vidyodaya 1873. In solchen Reaktionen auf christliche Polemik und den Überlegenheitsanspruch gegenüber dem Buddhismus stehen die insgesamt fünf buddhistisch-christichen Debatten36 – Baddēgama (1865), Vardagoda (1865), Udanvita (1866), Gampola (1871) und Pānadurā (1873) – , die alle auch dazu dienten, das buddhistische Selbstbewusstsein zu stärken, wobei Träger dieser Debatten sowohl der Siyāma-Nikāya als auch der erst kurz zuvor gegründete Rāmañña-Nikāya waren. Diese indigenen Reformtendenzen wurden zusätzlich durch das gestiegene Interesse am Buddhismus im Westen befeuert, welches dazu führte, dass 1880 die Gründer der Theosophischen Gesellschaft, Helena Blavatsky (1831–1891) und Henry Steel Olcott (1832–1907) nach Sri Lanka kamen, um dort einen Zweig ihrer mystisch-spiritistischen Vereinigung zu gründen, die nach der ultimativen Wahrheit suchte, die ihrer Meinung nach allen Religionen zugrunde lag. Diese „Buddhist Theosophical Society“ (BTS) unter Olcotts Leitung trieb viele Entwicklungen voran, die einen konsolidierten, modernen Buddhismus nach dem Vorbild christlicher Organisationen formten. So band Olcott die Laiengemeinde stark in die BTS ein und durch seinen Status als Außenstehender konnte er im Sinne des Buddhismus mit der Kolonialverwaltung verhandeln.37 Dies führte unter anderem dazu, dass wieder öffentliche buddhistische Prozessionen durchgeführt werden konnten und Vesakh zu einem nationalen Feiertag wurde. Allerdings war Olcotts Buddhismus-Verständnis stark von wissenschaftlich-aufgeklärten Ansichten über die Religion geprägt, die in der rationalen und als atheistisch verstandenen Beschreibung des buddhistischen Heilswegs eine Religion ohne Götter und Aberglauben sahen,

34 35 36 37

Young/Somaratna 1996: 40f. Obeyesekere 1991: 221; Gombrich 1988: 181. Vgl. Seneviratne 1999: 49–53. Bond 1988: 48f.; Hazra 2009: 71.

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die mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft kompatibel war.38 Diese neue Interpretation des Buddhismus durch Olcott zeigt sich besonders in seiner wichtigsten Veröffentlichung, dem „Buddhistischen Katechismus“ von 1881. Hierin werden magische und volksreligiöse Praktiken wie die Verehrung von devas als „Korruptionen“ der reinen Lehre gezeichnet, zu welcher man zurückkehren sollte. Noch wichtiger für spätere Entwicklungen war allerdings Olcotts Darstellung des Buddhismus als eine Religion der Selbstkultivierung und somit sein Herunterspielen der Rolle des Mönches: Der „Katechismus“ macht klar, dass die Verehrung von Mönchen nach seiner Auffassung zum Erlangen des religiösen Heils nicht zwingend notwendig war.39 Olcotts wichtigster Schüler wurde der Singhalese Don David Hewavitarne (1864– 1933), besser bekannt unter seinem später angenommenen Titel Anagārika Dharmapāla („Beschützer des Dharma“). Im Jahr 1884 reiste er mit Blavatsky und Olcott nach Indien, um Pāli und den Buddhismus zu studieren und später die Leitung der BTS zu übernehmen. Wie Olcott vor ihm betonte Dharmapāla die Rückkehr zu den kanonischen Schriften und lehnte die volksreligiöse Tradition ab. Sein primäres Ziel war es, die „Unwissenheit“ der singhalesischen Bevölkerung gegenüber dem „wahren“ Buddhismus zu beseitigen, indem er Predigtreisen innerhalb des Landes durchführte.40 Schuld am Wissensverfall seien unter anderem auch die Mönche gewesen, deren mangelndes soziales und politisches Engagement Dharmapāla scharf kritisierte.41 Die Dringlichkeit eines weltweiten buddhistischen Revivals wurde ihm besonders bewusst, als er in Indien die heiligen Stätten des Buddhismus, besonders den Ort von Buddhas Erleuchtung, Bodh Gayā, besuchte und sah, in welch desolatem Zustand sie sich befanden.42 Um diese Stätten wieder in buddhistischen Besitz zu bringen, gründete er 1891 die „Maha Bodhi Society“ (MBS), die sich darüber hinaus als eine weltweite buddhistische Missions- und Revitalisierungsvereinigung verstand. 1906 brach Dharmapāla mit der BTS und Olcott, da er befürchtete, die theosophische Lehre würde den echten Buddhismus korrumpieren. Ab dieser Zeit wurden Dharmapālas Veröffentlichungen in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Sinhala Baudhayā („Der singhalesische Buddhist“) zunehmend von nationalistischen Gedanken geprägt. Dadurch verknüpfte er eine buddhistische Identität mit einer singhalesischen Nationalidentität: Nur durch die Rückkehr zum richtigen Buddhismus einer idealisierten Vergangenheit könne Unabhängigkeit erlangt werden und die singhalesische Gesellschaft zu ihrer einstigen Größe zurückkehren.43 Dabei zeichnete er unter Rückgriff auf das Mahāvaṃsa Sri

38 39 40 41 42 43

Prothero 1995: 286–296. Bond 1988: 50–52; vgl. auch Gombrich 1988: 186f. Obeyesekere 1982: 248; Hazra 2009: 72f.; vgl. auch Bechert 2013: 235. Zu Dharmapālas Kritik am Mönchtum siehe Seneviratne 1999: 36–42. Bond 1988: 54; Seneviratne 1999: 38. Bond 1988: 55; Gombrich 1988: 191; Hutter 2006: 9f.

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Lanka als Heimatland des Buddhismus mit einer Verantwortung gegenüber anderen buddhistischen Ländern, die Lehre zu bewahren und zu erneuern.44 Neben diesen Bewegungen, die sich für eine größere Rolle der Laien und ein politisches und soziales Engagement der Mönche einsetzten, gab es auch eine Gruppe von Aktivisten, die George Bond als „Neotraditionalisten“45 bezeichnet und die eine weniger militant-emotionale Strategie verfolgten. Sie organisierten sich in Laienvereinigungen, besonders in der „Young Men’s Buddhist Association“ (YMBA, ab 1898) und dem „All Ceylon Buddhist Congress“ (ACBC, ab 1919 zunächst unter dem Titel „All Ceylon YMBA Congress“). Im Gegensatz zur MBS wünschten sie sich eine Rollenverteilung zwischen Mönchen und Laien, die stärker an dem traditionellen Theravāda-Ideal angelehnt war, in dem nur der monastische Weg Erleuchtung versprach. Modern war an ihrer Interpretation die starke Einbindung sozial-karitativer Aktivitäten, die sie aufgrund des buddhistischen Konzepts von Mitleid als wichtige Aufgabe eines guten Buddhisten interpretierten.46

2.2.3. Auseinandersetzungen mit anderen religiösen Gruppen Die genannten Entwicklungen zur Konsolidierung der buddhistischen Religion entstanden vor allem reaktiv in der Auseinandersetzung mit den missionarisch aktiven Christen. Dabei ist zu beachten, dass die britische Kolonialmacht bereits die dritte christliche Machthaberin auf der Insel war und insofern lediglich Entwicklungen fortschrieb, die in Teilen Sri Lankas bereits unter portugiesischer und niederländischer Verwaltung begonnen hatten. Dazu gehörte, dass gerade in der gebildeten Mittelschicht das Christentum als Zivilreligion des Staates insofern akzeptiert wurde, als man durch eine (formale) Taufe in den Genuss staatlicher Dienstleistungen wie (westlicher) Bildung, Rechtssicherheit, Erb- und Landerwerbsrecht sowie planbarer Karrierewege in der Kolonialverwaltung kommen konnte.47 Insofern regte sich lange kein dezidierter Widerstand gegen die christlichen Missionsaktivitäten, auch nicht von Seiten der Mönche, die im Christentum eine vorläufige Form ihrer eigenen Lehre zu erkennen glaubten. Dieses Verhalten wurde allerdings durch die Europäer als Schwäche, Apathie und Desinteressiertheit interpretiert, weswegen dem Buddhismus noch heute der Ruf nachgesagt wird, er sei eine weltabgewandte, aber sanftmütige Religion.48 Allerdings nahm die Toleranz angesichts der polemischen und beleidigenden Schriften seitens der Christen zunehmend ab und es regte sich in den 1860er Jahren zunehmender Widerstand. Lange schon wollten die Christen den Buddhisten in einer öffentli44 45 46 47 48

Kemper 2005: 22. Bond 1988: 61. Bond 1988: 64–66; vgl. auch Bechert 2013: 235f. Gombrich/Obeyesekere 1988: 209; Malalgoda 1976: 28–32; Young/Somaratna 1996: 39. Malalgoda 1976: 210–212.

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chen Debatte vor Publikum begegnen, in der Argumente für die Richtigkeit der jeweils eigenen Religion vorgebracht werden sollten. Im Rahmen des Revivals stimmten die Mönche schließlich zu. Neben einigen kleineren Debatten wird vor allem die 1873 abgehaltene Auseinandersetzung in Pānadurā zwischen dem singhalesischen wesleyanischen Geistlichen David de Silva und Mohoṭṭivattē Guṇānanda als Kumulation dieser Entwicklung hervorgehoben.49 Dieses Ereignis wird als „Wasserscheide“ gekennzeichnet, bei der die Bevölkerung und viele gebildete Laienbuddhisten sich erstmals zum Schutz ihrer Religion versammelten und somit das „buddhistische Revival“ in die breitere Bevölkerung gelangte. Die Zeit der Entkolonialisierung und die frühe postkoloniale Phase des Landes sind vor allem durch die Frage nach dem Platz ethnischer bzw. religiöser Minderheiten im neuen Nationalstaat geprägt. Dabei standen phasenweise sowohl die muslimische Minderheit als auch die Katholiken und die Tamilen (zum Teil Hindus, zum Teil Christen) im Fokus von Debatten und Konflikten. Hierbei muss beachtet werden, dass ethnische, religiöse, „nationalistische“ und ökonomisch-soziale Identitäten und Gruppen in diesen Konflikten stark vermengt sind und sie sicher nicht als „reine“ Religionskonflikte gezeichnet werden können. Schon Dharmapāla und Nationalisten des frühen 20. Jahrhunderts fühlten, dass Muslime durch ihre Zusammenarbeit mit der Kolonialmacht einen unfairen Vorteil im Geschäftsleben gegenüber der langsam wachsenden singhalesischen Mittelschicht hatten. Darüber hinaus wurde ihnen vorgeworfen, sie würden diesen Vorteil schamlos ausnutzen, Wucher betreiben und die Singhalesen in ihrem eigenen Land in marginale Berufe drängen und sie ihrer Kultur (und ihrer „wahren Bestimmung“) entfremden.50 1915 kam es daher zu erheblichen Ausschreitungen gegen die Muslime, welche durch die Kolonialregierung unterbunden werden mussten. Ähnlich verhielt es sich mit der tamilischen Minderheit. In der Zeit der Vorbereitung der Unabhängigkeit begannen Singhalesen und Tamilen, sich politisch über die Frage zu entzweien, ob in zukünftigen Parlamenten spezielle Sitze für die Vertreter der Minderheiten reserviert werden und ob die Positionen im öffentlichen Dienst anhand einer Quote vergeben werden sollten. Tamilen waren nämlich, bezogen auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung, in diesen begehrten Stellen überrepräsentiert. Dies läge, so argumentierten die Singhalesen, an ihrer Kollaboration mit der Kolonialregierung und ihrer so erlangten höheren Bildung.51 Schlimmer noch entzweite die beiden Gruppen allerdings nach der Unabhängigkeit der Konflikt um die Nationalsprache. Im Zusammenhang mit der Wahl im Jahr 1956 plädierten vor allem die politisch aktiven Mönche für Sinhala als einzige Landessprache. Dadurch wären Tamilen vor allem in Bildungsangelegenheiten in

49 Malalgoda 2013: 75; vgl. Gombrich 1988: 182; Singh 2009: 163f.; Hazra 2009: 69. 50 Tambiah 1992: 6–8. 51 Tambiah 1992: 11.

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eine nachteilige Position geraten, so dass Vertreter der Tamilen beide Sprachen (Sinhala und Tamil) als Nationalsprachen anstrebten.52 Aufgrund des Drucks aus der Bevölkerung setzte Premierminister S. W. R. D. Bandaranaike Sinhala als einzige Nationalsprache im so genannten „Sinhala Only Act“ durch, wonach es zu blutigen Unruhen in den von Tamilen bewohnten Gebieten kam. Dabei zogen Mobs einer selbsternannten „singhalesischen Armee“ durch die Städte, die Lynchmord an zahlreichen Tamilen begingen, Hindu-Tempel zerstörten und niederbrannten.53 Da die „politischen Mönche“ zum Teil an diesen Agitationen beteiligt waren, wird hier auch die religiöse Komponente des Konfliktes sichtbar. Mit der katholischen Minderheit verhielt es sich ähnlich. In den 1960er Jahren wurde ihre Überrepräsentation in höheren Posten der singhalesischen Armee scharf kritisiert, vor allem da sie mit der Polizei zusammen 1962 an einem geplanten Staatsstreich beteiligt waren, der jedoch verhindert wurde. Auch dies schrieb man der Kollaboration der Katholiken mit kolonialen Kräften und ihrer „westlichen“ Beeinflussung zu. Man ging so weit zu behaupten, die Katholiken würden systematisch die ganze Gesellschaft unterwandern. Um herauszufinden, ob dies der Fall sei, wurde eine Untersuchungskommission gebildet, die katholische Vereine durchleuchten sollte. Solche Beispiele zeigen, wie religiöse, ökonomische und postkoloniale Identitäten und Positionen in der Gesellschaft dazu genutzt wurden, unterschiedliche Gruppen aufgrund dieser Faktoren aus dem Mittelpunkt der Gesellschaft auszugrenzen.

2.3. Buddhismus im unabhängigen Sri Lanka 2.3.1. Mönche und Politik Nach der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1948 stellte sich in Sri Lanka die Frage nach dem Platz von Religion und vor allem der buddhistischen Mehrheitsreligion in der neuen politischen Ordnung.54 Dabei ist wichtig anzumerken, dass die buddhistischen Erneuerungsbewegungen während der Kolonialzeit auch starke antikoloniale Elemente enthielten, wie etwa die späteren Schriften Dharmapālas zeigen. Insofern wurden der antikoloniale Impetus, die idealisierte buddhistische Vergangenheit und die aufkommende Nationalidentität stark miteinander vermischt: Die Rückkehr zu einer „buddhistischen Gesellschaftsordnung“ wurde als Voraussetzung für das Zustandekommen der Unabhängigkeit und danach für das Wiedererlangen einstiger Größe gesehen. 52 Vgl. Carrithers 1989: 165f. 53 Bechert 1966: 329. 54 Gegenwärtig kann man mit rund 70% Buddhisten unter der Bevölkerung des Staates rechnen, dazu kommen ca. 12% Hindus, 9,5% Muslime und ca. 8% Christen.

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Eine Gruppe von Mönchen des Vidyālaṃkarā pirivena, einer Bildungseinrichtung für Mönche, begann sich politisch zu engagieren, nachdem sie vor allem während ihres Studiums in Indien mit marxistischen Lehren in Berührung gekommen waren. Diese Mönche machten Stimmung für bestimmte Parteien bei den Wahlen und nahmen an Kundgebungen teil. Die Reformgruppen waren in der Frage nach der Rolle von Mönchen im öffentlichen Raum jedoch gespalten. Dies äußerte sich in der Frage, ob Mönche politisch aktiv sein sollten oder nicht.55 Die politischen Mönche selbst argumentierten, dass ihre Aktivitäten dem Wohle der Gesellschaft dienten, dass sich die Ordensregeln der geänderten gesellschaftlichen Situation anpassen müssten und dass Laien nicht die Befugnis hätten, dazu Urteile zu fällen.56 Kritiker hielten ihnen vor, dass sie ihrer Rolle, der Bewahrung des Dhamma, nicht nachkämen und dass die Mönchsregeln des Vinaya nicht geändert werden dürften. Besonders bekannt unter den politischen Mönchen wurde Walpola Rahula, der in seinem Buch The Heritage of the Bhikkhu für ein politisches Engagement moderner Mönche plädierte, da der Saṅgha dringend reformiert werden müsse und zu lange schon mit der Kolonialherrschaft kollaboriert habe. Diese Gruppe prägte in den Jahrzehnten vor und nach der Unabhängigkeit stark die „alternative“ religiöse Szene.57 Einher mit dieser Entwicklung ging die Frage, ob der Buddhismus im Land einen besonderen Platz einnehmen oder sogar Staatsreligion werden sollte. Dies prägte vor allem die Diskussion der 1950er Jahre, in der sich das Land auf das 2500ste Jubiläum von Buddhas Parinibbāna für 1956 vorbereitete. Die Regierungspartei, die „United National Party“ (UNP), hatte bisher die Trennung von Staat und Religion propagiert. Der „All Ceylon Buddhist Congress“ (ACBC) unter der Führung des einflussreichen „Neo-Traditionalisten“ G. P. Malalasekera berief eine Kommission ein, die den Zustand des Buddhismus im Land untersuchen sollte. Diese kam zu dem Ergebnis, dass das Unrecht, welches dem Buddhismus in der Kolonialzeit widerfahren sei, als er dem Christentum untergeordnet wurde, durch die unabhängige Regierung nicht wieder gut gemacht worden war, und forderte in diesem Zusammenhang einen Ausbau der staatlichen Förderung der Religion.58 Dazu sollten eine Buddha-Sāsana-Versammlung und ein Ministerium für religiöse Angelegenheiten gegründet werden, die sich beide für den richtigen Platz des Buddhismus in der Gesellschaft stark machen und die Regierung beraten sollten. Den Buddhismus als Staatsreligion zu implementieren lehnte die Kommission jedoch noch ab.59

55 Zum Diskurs über das politische Engagement von Mönchen siehe Krüger 2009: 221–223 mit weiterer Literatur. 56 Bechert 1966: 312–315. 57 Bond 1988: 70; siehe auch Deegalle 2006: 233f.; Krüger 2009: 218f. 58 Bond 1988: 84–88. 59 Bechert 1966: 297.

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Im Rahmen des „Sinhala only“-Konfliktes, der mit der Wahl 1956 einherging, beteiligten sich die „politischen Mönche“ massiv am Wahlkampf.60 So vereinigten sie ihre Lokalvereine (Saṅghasabha) zur „Vereinigten Front“ (Eksat Bhikṣu Peramuṇa, EBP), unterstützten die Opposition, machten öffentlich Stimmung gegen die UNP (die ihrer Meinung nach den Buddhismus zu wenig unterstützte), hielten Reden und veröffentlichen Schriftstücke, die sicher einen Teil dazu beitrugen, dass das Oppositionsbündnis unter S. W. R. D. Bandaranaike und seiner „Sri Lanka Freedom Party“ (SLFP) schließlich die Wahl gewann.61 Obwohl Bandaranaike einige Forderungen der EBP – wie nach einem Religionsministerium – durchsetzte, ging dies den „politischen Mönchen“ nicht weit genug, gerade weil er in der „Sinhala only“Frage und der Frage nach der Staatsreligion ihre Interessen zu wenig verfolgte. So setzten die Mönche ihn massiv unter Druck, indem sie gegen seine Regierung Stimmung machten und sein Haus belagerten, um seine politischen Entscheidungen zu beeinflussen. Dies kulminierte in der Ermordung des Ministerpräsidenten Bandaranaike durch einen EBP-Mönch im Jahre 1959. Obwohl hier eventuell nicht nur religiöse Motive für den Anschlag eine Rolle spielten,62 wird gemeinhin davon ausgegangen, dass ein sich immer weiter hochschaukelnder politischer Buddhismus für diese Tat verantwortlich sei.63 Die Bevölkerung reagierte damit, dass sie den „politischen Mönchen“ das Vertrauen und somit ihre Macht entzog. Dadurch wiederum konnte die traditionelle Mönchselite, die Mahānāyakas des Siyāma-Nikāya, die für die ursprüngliche Rolle des Mönchs in der Gesellschaft eintrat, wieder an Einfluss gewinnen und fortan ein „orthodoxes“ Buddhismus-Verständnis in die Gesellschaft tragen. Der Konflikt zwischen Saṅgha und Politik flammte in der Regierungszeit von S. R. D. Bandaranaike (1960–1965), der Witwe des ermordeten Ministerpräsidenten, erneut auf, als diese ein Gesetz auf den Weg bringen wollte, die Einkommen von Tempeln zu versteuern. Hinzu kam, dass sie eine Koalition mit den links-sozialistischen Parteien einging, worin die Mehrheit der Mönche eine Gefährdung der Religion sah. Obwohl S. R. D. Bandaranaike das geforderte Gesetz auf den Weg bringen wollte, den Buddhismus als Staatsreligion zu implementieren, sammelten sich wieder politische Mönche, die in der Bevölkerung Stimmung gegen das Linksbündnis machten. Diese Beispiele zeigen deutlich, welchen Einfluss die politisch aktiven Mönche auf die Regierung haben konnten. Die Verbindung von singhalesischem Nationalismus und buddhistischer Bewegung64 bleibt bis in die Gegenwart relevant, indem man sich auf

60 Krüger 2009: 224f. 61 Zu Bandaranaikes Zeit als Ministerpräsident vgl. die detaillierte und zeitnahe Darstellung von Bechert 1966: 325–345. 62 Bechert 1966: 344; der Mönch Buddharakkhita hatte als Auftraggeber wohl viel in die Schifffahrt investiert, die Bandaranaike verstaatlichen wollte. 63 Bond 1988: 94. 64 Vgl. Bechert 1966: 363; vgl. Hutter 2006: 11.

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die klassischen Chroniken beruft, worin Sri Lanka als das buddhistische Land, geleitet von Bhikkhus, gesehen wird. Als erster „politischer Mönch“ wurde im Jahr 2001 Ven. Baddēgama Samitha für den Wahlbezirk von Galle in das Parlament Sri Lankas gewählt.65 Politische „Mönchsparteien“ wie die Jathika Hela Urumaya (JHU, „National Heritage Party“)66 und die davon 2012 abgespaltene Bodu Bala Sena („Buddhist Power Force“) als national-buddhistisch inspirierte Organisationen vertreten in ihrer politischen Ideologie eine klare Dominanz des Buddhismus in allen gesellschaftlichen und politischen Belangen – auf Kosten der (hinduistischen und christlichen) Tamilen und der Muslime im Inselstaat.

2.3.2. Sarvōdaya und Frauenordination Ähnlich wie bei den politischen Bewegungen innerhalb des Saṅgha gab es im postkolonialen Sri Lanka zwei weitere Entwicklungen, die versuchten moderne Entwicklungen mit Rückgriffen auf eine (zum Teil) idealisierte Vergangenheit zu legitimieren. Sie zeigen, wie sich die religiöse Landschaft als Antwort auf die geänderten sozialen Umstände an die neue Situation anpasste. Zum einen gab es schon seit der Zeit der buddhistisch-christlichen Debatten während der Kolonialzeit Kritik am Buddhismus, da seine auf Meditation, Rückzug und monastische Lebensweise gegründete Soteriologie verhindere, dass sich Menschen sozial engagierten. Schon Dharmapāla nahm in seinen Veröffentlichungen vor allem die Mönche in die Pflicht, die einfache Bevölkerung im Buddhismus weiterzubilden und ihnen auch durch karitative Tätigkeiten zu helfen, ihre Situation wirtschaftlich und sozial zu verbessern, um auf diese Kritik zu antworten.67 Beeinflusst von diesen Ideen und von den Idealen Mahatmā Gandhis gründete Ahangamage T. Ariyaratne 1958 die Organisation „Sarvōdaya“.68 Ariyaratne rief Dorfbewohner auf, ihre Arbeitskraft unentgeltlich für das Wohl der Mehrheit zur Verfügung zu stellen (śramadāna: „Das selbstlose Geschenk durch Arbeit“). Dies wurde nach Ariyaratnes Interpretation des buddhistischen Konzepts von dāna „Gabe, (großzügiges) Geben“ eben bereits in der Vergangenheit praktiziert.69 Dadurch sollte die Lebensqualität der ländlichen Singhalesen gesteigert werden und durch diese selbstlose Aktivität sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft

65 Deegalle 2006: 235. 66 Zur Entwicklung und zum Selbstverständnis der JHU siehe z. B. Deegalle 2006: 236–248; zu ihrer politischen Rolle ab 2004 siehe auch Krüger 2009: 225–230. 67 Seneviratne 1999: 47. 68 Etwa „Das Wohl aller (mehren)“; den Begriff hatte zunächst Gandhi geprägt, vgl. Gombrich/Obeyesekere 1988: 245; Bond 1996: 122f. – Für einen kurzen Überblick zur Geschichte von Sarvōdaya – einschließlich der internationalen Beziehungen und Unterstützung – siehe Bond 1996: 134–141. 69 Bond 1996: 127f.

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zu besseren Erkenntnissen der buddhistischen Lehre gelangen. Auch Mönche beteiligten sich an diesem Programm, aber aufgrund der Spannungen zu ihrer eigentlichen Rolle in der Gesellschaft und der zunehmenden Kritik aus der Bevölkerung traten viele alsbald wieder aus. Mit hohem Engagement sind A. T. Ariyaratne und die Sarvōdaya-Bewegung seit 1983 bis zur Gegenwart in Friedensbemühungen zwischen den Bevölkerungsgruppen der Insel tätig.70 So wurden mehrfach „Friedensmärsche“ über die Insel durchgeführt oder Meditationstreffen, wobei sich beispielsweise im Jahr 2002 rund 500 000 Personen zu einer solchen „Friedensmeditation“ in Anurādhapura getroffen haben. Ebenfalls soll das so genannte 5RProgramm71 zur Bewältigung der Konflikte in Sri Lanka beitragen, um über Soforthilfe für Notleidende, durch Wiedereingliederungsaktionen in die Gesellschaft zur Versöhnung und zur Zusammenarbeit beizutragen, um dadurch eine „Wiedererweckung“ der Gemeinschaft – über ethnische und religiöse Grenzen hinaus – zu bewirken. Solche Aktivitäten gehen dabei über Buddhistisches hinaus, da Ariyaratne immer wieder betont, dass durch Sarvōdaya auch eine – für das Wohlergehen des Landes notwendige – ökumenische Spiritualität geschaffen werden solle. Zum anderen entstand auch bei weiblichen Buddhisten im Zuge der gewachsenen Rolle der Religion im singhalesischen Selbstverständnis der Wunsch nach mehr Möglichkeiten, ein religiöses Leben zu führen. In diesem Zusammenhang begann in den 1880er Jahren eine Bewegung, die sich dafür einsetzte, Frauen wieder ein monastisches Leben zu ermöglichen.72 Der bhikkhunī-Orden (Nonnenorden) der TheravādaLinie war im 10. Jahrhundert in Sri Lanka zu Ende gegangen, anders als sein männliches Pendant aber nicht wieder eingeführt worden. Stattdessen blieb Frauen mit dem Wunsch nach einem klösterlichen Leben nur die Rolle der dasasīla-mātā, d. h. die Rolle einer Frau, die die zehn Laiengebote einhält und zölibatär lebt, was oft von älteren Frauen auf der Suche nach religiösem Verdienst am Ende ihres Lebens praktiziert wird. Die „modernistischen“ Buddhisten der BTS und deren Zeitgenossen wollten wieder eine Nonnentradition einführen, die allerdings nicht in der Ordinationslinie der bhikkhunī stand, und sie gründeten das Kloster Saṅghamittā Upāsikārāmaya zu diesem Zweck. Prominenteste Vertreterin dieser Bewegung war Catherine de Alvis (als Nonne Sudhammacārī), die in Birma die Nonnenordination erhielt und nach ihrer Rückkehr nach Sri Lanka in Kandy im Jahr 1907 ein Kloster gründete.73 Sie öffnete damit die theologische Möglichkeit für Frauen allen Alters, sich wieder als Nonnen bezeichnen zu können, indem sie sich im Ausland ordinieren ließen (auch wenn ihre Ordination nicht in der ursprünglichen Linie stand).74 Sowohl die dasasīla-mātās als

70 Vgl. dazu z. B. Bond 2006; Ariyaratne 2013. 71 Ariyaratne 2013: 283: „Relief, Rehabilitation, Reconciliation, Reconstruction, Reawakening“. 72 Cheng 2007: 13f.; Poggendorf-Kakar 2004: 194–196. 73 Poggendorf-Kakar 2004: 196 Anm. 24. 74 Bartholomeusz 1994: 93, 99; Gombrich/Obeyesekere 1988: 277.

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auch die im Ausland ordinierten Nonnen spielten lange Zeit eine marginale Rolle in der religiösen Landschaft Sri Lankas, da sie aufgrund der fehlenden Anerkennung durch den Staat und die meisten Mönche keinerlei finanzielle und ideologische Unterstützung erhielten. Erst mit dem Beginn der weltweiten buddhistisch-feministischen Bewegung Ende der 1980er Jahre änderte sich die Situation. Der taiwanesische Saṅgha Foguangshan argumentierte, die originale Linie der bhikkhunī-Ordination sei einst von Sri Lanka nach China (und weiter nach Korea und Japan) übermittelt worden und es sei an der Zeit, diese Linie wieder in Sri Lanka einzuführen. Konsequenterweise wurden 1988, 1996 und 1998 mehrere Nonnen aus Sri Lanka von taiwanesischen und südkoreanischen Saṅghas ordiniert. 1998 geschah dies im Rahmen einer international ausgerichteten Ordinationszeremonie, bei der Vertreter zahlreicher buddhistischer Traditionen mitwirkten.75 Diese bhikkhunī-Ordinationen wurden allerdings in Sri Lanka nicht von allen Vertretern des Saṅgha anerkannt, da sie angeblich zu sehr dem Mahāyāna-Ritual nachempfunden waren. Aus diesem Grund wurden viele dieser Nonnen nach ihrer Rückkehr ein zweites Mal von singhalesischen Mönchen ordiniert. Durch die Unterstützung liberaler Mönche und der Laien erlangen die ordinierten Nonnen langsam mehr Respekt in der Gesellschaft.76

3. Die religiöse Praxis 3.1. Mönche und Laien Der Theravāda-Buddhismus ist durch die Rolle der Mönche geprägt und ihre gesellschaftliche Bedeutung wurde in der Geschichte der Insel immer wieder sichtbar. Die unterschiedlichen Orden, die aus Reformbemühungen heraus entstanden sind, spielen dabei jedoch in Bezug auf die Laien und deren Religiosität im Allgemeinen kaum eine Rolle. Laien sind nicht an den Ordensunterschieden orientiert, sondern haben – oft durch traditionelle Familienbande – eine Beziehung zu einem bestimmten Kloster. Aber auch der „Ruf der Frömmigkeit“ eines einzelnen Mönches oder seine Qualität als Prediger sind Kriterien, die die Beziehung zwischen Laien und einem Kloster maßgeblich beeinflussen. Ein Laie gewinnt durch seine Hinordnung auf den Mönch religiöses Verdienst, das seine Wiedergeburt positiv beeinflussen kann. Dadurch haben Predigten oder das Rezitieren der Suttas einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft, so dass diese Form von Unterweisung beinahe als „Fest“ bezeichnet werden kann. Große 75 Cheng 2007: 18f. 76 Cheng 2007: 185; vgl. auch Poggendorf-Kakar 2004: 203f.

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Predigt-Aktivitäten, die sich über mehrere Tage und Nächte erstrecken können, ziehen Laien aus der näheren und ferneren Umgebung an, wobei drei Mönche sich dabei abwechseln, deren Rollen verteilt sind:77 Der erste „Prediger“ rezitiert lediglich den Pāli-Text, danach übersetzt der zweite Mönche den Text – ohne weitere Erläuterung – ins Singhalesische, ehe der dritte Mönch die eigentliche Predigt mit Erläuterungen, Detailausschmückungen und legendarischer Umschreibung darbietet. Der Anspruch an die drei Mönche ist – ihren Rollen entsprechend – unterschiedlich hoch, wobei der Erste lediglich den Text richtig rezitieren können muss, während vom dritten Prediger erwartet wird, dass er in der buddhistischen Literatur und Tradition sehr versiert ist, um eine anspruchsvolle und abwechslungsreiche Predigt zu liefern. Solche mehrtägigen Predigt-Unterweisungen haben neben der regulären, allabendlichen Predigt in den Klöstern, die nach Sonnenuntergang mit dem Schlagen eines Gongs beginnt, die Verbreitung des Wissens über die Religion wesentlich gefördert. Im ersten Jahrtausend waren die Rezitation und „Predigt“ des Ariyavaṃsa-Sutta populär, wobei diese Rezitationen „Festcharakter“ gewannen und bei diesen Anlässen auch königliche Stiftungen und Schenkungen gemacht wurden. Vohārika Tissa (269–291) soll nach Mv. 36,38 eingeführt haben, dass Almosen überall dort gegeben werden sollen, wo das Ariyavaṃsa-Sutta rezitiert wird. Auch verschiedene Inschriften erwähnen im 4. und 5. Jahrhundert, dass Laien Ländereien, Nahrungsmittel und andere Gaben an Klöster geschenkt haben, damit die Mönche des Klosters das Sutta rezitieren.78 Andere Quellen erwähnen, dass Laien weite Wegstrecken zurückgelegt haben, um solchen Rezitationen beiwohnen zu können. Inhaltlich zeigen die vier Teile des Sutta, dass ein Mönch mit der Robe, die er erhält, zufrieden sein soll, ohne nach Besserem zu trachten, sich selbst überheblich zu geben oder auf andere herabzuschauen. Genauso muss er mit der gegebenen Nahrung zufrieden sein und mit der Unterkunft, welche Laien ihm zur Verfügung stellen. Außerdem soll sich der Mönch durch seine Freude an Meditation und Verzicht auszeichnen. Diese vier grundlegenden Themen des Sutta charakterisieren die Lebensweise eines Mönchs, von dem die Verbreitung der Religion (sāsana) abhängt, so dass es nicht überrascht, dass die Rezitation des Sutta von Laien und Mönchen in gleicher Weise hoch geschätzt wird, weil dadurch das Ideal des Mönchtums immer wieder vergegenwärtigt wird. Die Rezitation wurde immer durch ein Fest begleitet, wobei jedoch kein fixierter Termin im Laufe des Jahres vorgegeben war, so dass die Feier in manchen Klöstern einmal jährlich stattfinden konnte, es aber auch Hinweise gibt, dass dies alle sechs Monate geschah. Nach der Tōṇigala-Inschrift79 aus dem 4. Jahrhundert finden die Rezitation und Predigt des

77 Hazra 2009: 149. 78 Vgl. zum Folgenden Rahula 1956: 268–273; Hazra 2009: 149–152. 79 Rahula 1956: 272.

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Sutta am zwölften Tag des Monats Nikini in der Regenzeit statt, so dass man vermuten kann, dass eventuell die „Ortsfestigkeit“ der Mönche während der Regenzeit der geeignete Rahmen für die Feier in verschiedenen Klöstern war. Da aber die Feier auch aus Anlass eines Laien-Stifters bzw. Auftraggebers geschehen konnte, ist der Termin nicht exklusiv auf die Regenzeit festzulegen. Die Popularität dieses Festes liegt zwar historisch in der Blütezeit des Buddhismus auf der Insel in vorkolonialer Zeit, aber teilweise wird die Rezitation bis zur Gegenwart durchgeführt. Durch die Predigttätigkeit spielten Mönche auch für die religiöse Erziehung der Laien eine wichtige Rolle, wobei die Weitergabe des (religiösen) Wissens durch mündliche Überlieferung geschah. Manche Mönche haben in der Tradition Sri Lankas hohes Ansehen wegen ihrer Fähigkeit erlangt, umfangreiche Texte des PāliKanons auswendig und fehlerfrei wiedergeben zu können.80

3.2. „Große“ und „kleine“ Traditionen Sri Lanka als Land des Theravāda-Buddhismus teilt viele religiöse Konzepte und Praktiken mit den theravāda-buddhistischen Ländern Südostasiens, zeigt aber auch spezifische Formen der Umsetzung der Religion innerhalb der Gesellschaft und im täglichen Leben der Gegenwart wie der Vergangenheit. Mit H. Bechert kann man sagen, dass diejenigen Aspekte des Buddhismus, die sowohl auf der Insel als auch in Südostasien beobachtbar sind, der „großen“ Tradition zuzuweisen sind; lokale Ausprägungen kann man hingegen als „kleine“ Tradition bezeichnen.81 Eine andere mögliche terminologische Differenzierung wäre, von „nibbānischem“ bzw. von „kammischem“ Buddhismus zu sprechen. Ersterer ist entsprechend der „großen“ Traditionen mit der Schriftlichkeit, mit Kommentaren zu den bedeutenden Überlieferungswerken sowie mit der darauf basierenden Erziehung zu verbinden, d. h. in Bezug auf verschiedene Formen religiöser Praxis82 mit solchen Handlungen zu verbinden, die auf die Erlangung des Nibbāna zielen. Dazu gehören auch Praktiken des „Verdiensterwerbs“ durch die Verehrung des Buddha und die Unterstützung von Mönchen. Der „kammische“ Buddhismus betrifft jene Formen der alltäglichen Religionsausübung, die stärker der weltlichen Seite zugewiesen werden können. Dazu gehören z. B. Opfer und Rituale zur Heilung oder zur Abwehr von Unheil (vgl. unten zur Pirit-Zeremonie), ferner beispielsweise der

80 Vgl. Hazra 2009: 109 bzw. Rahula 1956: 288f., wo einige dieser Mönche genannt sind, die auch nach Jahren von Meditation, ohne sich zwischenzeitlich mit den Texten beschäftigt zu haben, diese noch auswendig rezitieren konnten. 81 Vgl. Bechert 2013: 201f. 82 Vgl. Singh 2009: 226f.

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Glauben an die Wirksamkeit von Horoskopen oder Amuletten sowie der Reliquienkult. Obschon buddhistische Erneuerungsbewegungen in der Zeit vor und nach der Unabhängigkeit des Landes eine Rückkehr zu einem „reinen“ Buddhismus propagierten, der sich auf die als kanonisch empfundenen Schriften und die Lehre beruft, blieben die „volkstümlichen“ Praktiken der „kleinen“ Tradition immer ein Teil der religiösen Landschaft Sri Lankas. Auch die „politischen Mönche“, die für eine größere Rolle der Religion im öffentlichen Leben eintraten, praktizierten Astrologie und ayurvedische Medizin. Damit wird aber zugleich eine dritte Ebene eingeführt, indem man durch die Berücksichtigung, dass in Sri Lanka auch vorbuddhistische und nicht-buddhistische Religionen ausgeübt wurden und werden, die Komplexität von Religionsausübung angemessener beschreiben kann. Denn es wäre zu vereinfacht, die „kleine“ Tradition als „Volksbuddhismus“ oder als „Volksreligion“ zu bezeichnen. Vielmehr kann man auf dieser dritten Ebene jene religiösen Praktiken subsumieren, bei denen Rituale der vor-buddhistischen Traditionen durch die Verbindung mit Buddha in das sāsana integriert werden. Dadurch wird der weltlichen Notwendigkeit entsprochen, neben der auf Erlösung ausgerichteten buddhistischen Lehre weiterhin Entitäten zu haben, die man bei weltlichen Problemen (Krankheit, Ehestreit, Karriereflaute etc.) um Hilfe bitten kann und die solche Wünsche auch erfüllen. Diese Aufgaben übernehmen häufig Götter des Hindu-Pantheons, vor-buddhistische Lokalgottheiten, aber auch aus dem Mahāyāna-Buddhismus stammende Bodhisattvas.83

3.2.1. Vor-buddhistische Yakkha als Schutzgötter Beim ersten mythologischen Besuch Buddhas auf der Insel wurden die guten Yakkha und Götter von ihm bekehrt, während der Einflussbereich der bösen Yakkha eingeschränkt, aber nicht völlig außer Kraft gesetzt wurde. Dadurch blieben diese für die Menschen gefährlich. Menschen können daher von solchen Yakkha als „Dämonen“ befallen werden, was sich in psychischen und physischen Krankheitssymptomen niederschlägt. In einem solchen Fall gibt es eine Reihe kleinerer Rituale, die von professionellen Exorzisten durchgeführt werden können, um die Symptome zu lindern. Sollten diese allerdings fehlschlagen, muss gegebenenfalls ein ausführlicher Exorzismus abgehalten werden, bei dem die gesamte erweiterte Familie des Patienten zugegen sein muss.84 Solche Rituale sind aufgrund ihrer Kostspieligkeit auch eine Möglichkeit, den sozialen Status zu bestätigen.85 Ein anderes Beispiel möglicher Gefährdung durch Yakkha zeigt sich im Zusammenhang 83 Gombrich/Obeyesekere 1988: 100. 84 Kapferer 1991: 68–75. 85 Kapferer 1991: 105.

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mit der Pilgerreise auf den Adam’s Peak: Dort hausen Yakkha, die den Pilgern auflauern. Ihre Herkunft erklärt man folgendermaßen: Sie sind die Kinder der Yakkha-Prinzessin Kuvēṇi,86 die König Vijava nach seiner Ankunft auf der Insel geheiratet, aber später verstoßen hat. Ihre Kinder flüchteten in den Urwald bzw. auf den Adam’s Peak (vgl. Mv. 7,67), wo sie zu den Vorfahren der Väddas wurden, die man als nicht der singhalesischen Gesellschaft zugehörig – und dadurch als potenziell gefährlich – empfindet. Daneben gibt es Dämonen, denen zunächst aufgrund ihrer wilden Natur besondere Kräfte beim Bekämpfen bestimmter Probleme zugesprochen werden. Ein Beispiel hierfür ist Hūniyam.87 In Legenden über ihn wird er als gewalttätiger Sohn eines Königs bezeichnet, der mit Schlangen in Verbindung steht, deren Blut er trinkt; ferner führt er Kriege und tötet viele Menschen. Eines Tages kommt er zu einem Tempel, in dem der Buddha predigt, und er will diesen bitten, ihm die Macht zu geben, von Menschen Opfer annehmen zu können. Buddha verweigert dies zunächst, doch sein Mitleid gegenüber dem Dämon überwiegt und er willigt schließlich ein.88 Der „dämonische“ Hūniyam wird vor allem zum Schutz vor schwarzer Magie oder bei Familienproblemen angerufen. Allerdings entwickelte der Dämon mit der Zeit auch eine „freundlichere“ Seite als dēvatā (göttliches Wesen), wodurch er den Menschen hilft. Um die „dämonische“ und die „göttliche“ Seite miteinander logisch in Einklang zu bringen, wird davon ausgegangen, dass er während des zunehmenden Mondes göttlich, während des abnehmenden Mondes hingegen dämonisch ist. Dies zeigt zugleich den beständigen Wandel, dem Yakkha und dēvatā in der Religionsgeschichte der Insel unterliegen. Solche Beispiele machen aber auch deutlich, dass ältere Traditionen („Volksreligion“) trotz Ablehnung durch konservative Kreise, die sie als „un-buddhistisch“ bezeichneten, als drittes „Stratum“ neben „kleiner“ und „großer“ Tradition existierten. Zugleich wurden immer auch Konzepte gesucht, solche Traditionen und Strömungen logisch zu vereinen. Dadurch entstand nicht nur eine klare Hierarchie im Weltbild, indem niedrige Götter als von den Höheren abhängig gesehen werden, sondern die Götter und guten Yakkha werden zu Dienern Buddhas,89 die man in eigenen Schreinen (dēvālaya) verehrt. In dieser Hierarchie stehen dabei die nationalen Götter bzw. Schutzgötter des Landes an der Spitze, während niedrige Götter und Yakkha nur regional oder für bestimmte Priesterfamilien von Bedeutung sind.90 Der bekannteste Schutzgott, der aus der vor-buddhistischen und vor-hinduistischen Religion der Insel stammt, ist Sumanadeva (so die Namensform in Pāli;

86 Bechert 1984: 607f. – Vgl. auch für die Episode der frühesten Geschichte Sri Lankas Hazra 2009: 1f. 87 Bechert 1984: 594f. 88 Gombrich/Obeyesekere 1988: 118–120; Singh 2009: 284; siehe auch Holt 2004: 298–302. 89 Vgl. Bechert 2013: 203. 90 Bechert 2013: 208; Singh 2009: 278.

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singhales. Saman bzw. Saman Deviyō).91 Sumanadeva/Saman92 hatte Buddha bei dessen erstem Besuch auf der Insel getroffen und wurde ein glühender Anhänger Buddhas. Er ist der buddhistische Schutzgott des östlichen Teils der Insel. Sein Hauptheiligtum liegt in Ratnapura, am Fuß des Berges Samanaḷa (auch Sumanakūṭa bzw. Adam’s Peak). Als Berggott wurde er im Laufe der Religionsgeschichte der Insel auch mit anderen Gottheiten identifiziert, einerseits mit dem Bodhisattva Samantabhadra („der allumfassend Gute, Glückliche“), der besonders im zentralund ostasiatischen Buddhismus als Schützer des Dharma gilt.93 Diese Verbindung verdeutlicht zugleich, dass die religiöse Komplexität Sri Lankas – aufgrund der Religionsgeschichte der Insel – auch Anteil an Mahāyāna-Traditionen zeigt. Seit dem 15. Jahrhundert wurde Saman auch mit Lakṣmaṇa, dem Bruder Rāmas aus dem Rāmayāna, identifiziert. Eventuell geschah dies durch ein (missverstandenes) Sprachspiel, da singhalesisch lasa (pāli lañchana) den „Fußabdruck (Buddhas)“ bezeichnet. Mit diesem Sprachspiel und dessen Angleichung an Sanskrit Lakṣmaṇa könnten Hofbrahmanen versucht haben, den populären Lokalgott Saman und den populären Fußabdruck mit der eigenen Rāma-Lakṣmaṇa-Tradition in einer „Traditionsverdichtung“ zur Förderung des eigenen Gottes zu verbinden.

3.2.2. Hindu-Gottheiten und mahāyāna-buddhistische Bodhisattvas als Beschützer der Insel Die Entwicklung der religiösen Kultur in Sri Lanka wurde schon immer von Südindien her beeinflusst, da viele wichtige Handelsrouten auf dieser Strecke verliefen. Besonders vor der Ankunft der ersten europäischen Kolonialmächte, zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert, kamen religiöse Ideen durch politische Allianzen, Migranten aus Südindien, Eheverbindungen zu südindischen Herrscherhäusern, den steigenden Einfluss indischer Familien im Land durch erfolgreiche Handelsimperien und die zunehmende Rolle von Brahmanen als Ritualspezialisten im Königskult in Sri Lanka an und entwickelten sich dort weiter.94 Dadurch ist die Dēvatā-Verehrung seit dem 12. Jahrhundert – ausgehend von Polonnaruwa – populär geworden und dies bis heute geblieben. Allerdings handelt es sich nicht um den bloßen „Import“ indischer Gottheiten oder um eine parallele Verehrung vorbuddhistischer Entitäten. Die Götter und Göttinnen müssen in die Logik des buddhistischen Weltbildes eingefügt werden. Dies geschieht dadurch, dass sie in Legenden, die ihr Leben beschreiben, auf den Buddha treffen und durch ihn die Wahrheit seiner Lehre erkennen, also zum Buddhismus „konvertiert“ werden. In-

91 92 93 94

Bechert 1984: 636f. Singh 2009: 283; Hazra 2009: 102. Klimkeit 2000: 271f. Holt 2004: 32–57.

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folge dessen werden sie zu „Beschützern“ der Religion, auch wenn es immer konservative Mönche gab, die diese Verehrung von Göttern insgesamt als soteriologisch sinnlos ablehnten.95 Denn strenge Mönchsorden wie der Rāmañña-Nikāya forcieren einen „reinen“ (nibbānischen und damit „elitären“) Buddhismus und brandmarken Formen der „kleinen“ Tradition sowie der mehr oder weniger klaren Integration von lokalen Praktiken als „un-buddhistisch“. In der Systematisierung führen solche Prozesse zu einer Gruppe von „vier großen Göttern“ bzw. den vier Schutzgöttern der Insel.96 Dabei steht die Vierzahl fest, die dazugehörigen Götter variieren allerdings im Laufe der Zeit; lediglich die beiden ersten – Viṣṇu und Kataragama – stehen unveränderlich an der Spitze der Gruppe. Der Hindu-Gott Viṣṇu wurde in das Pantheon eingefügt, indem er mit dem Gott Upulvan (pāli Uppalvaṇṇa: „wasserlilienfarbig, blau“) gleichgesetzt wurde. Upulvan hat vom Götterkönig Śakrayā (pāli Sakka, eine Adaption des altindischen Gottes Indra) die Aufgabe übertragen bekommen, die Insel nach Buddhas Nibbāna zu beschützen. Dadurch ist er bis heute eine wichtige Gottheit der singhalesischen Religion und es gibt zahlreiche Schreine für ihn. Sein Hauptheiligtum ist Devinuwara ganz im Süden der Insel, wo im Juli alljährlich das Hauptfest für ViṣṇuUpulvan stattfindet.97 Aber auch auf dem Gelände buddhistischer Einrichtungen gibt es Schreine für ihn. Eine weitere wichtige verehrte Hindu-Gottheit ist Skanda (Murugan), ein Sohn von Śiva und Pārvatī. In Sri Lanka wird er meist – nach seinen Hauptwallfahrtsort Kataragama – als Kataragama deviyō oder nur als Kataragama bezeichnet, wobei er auch mit einer lokalen Berggottheit verbunden wurde.98 Im Mittelalter ist Kataragama wohl auch mit dem Bodhisattva Mañjuśrī verschmolzen. Um ihn und seine zweite Gattin Valli Ammā entwickelten sich Rituale und Kulthandlungen, die ein erotisches und ekstatisches Moment haben und der Bhakti-Religiosität zugesprochen werden können. Dazu gehören auch das Durchstechen der Haut mit Haken und das Laufen über heiße Kohlen. Interessant hierbei ist, dass eine solche Verehrung indischer Gottheiten lange Zeit primär von südindischen Tamilen betrieben und organisiert wurde, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allerdings mehr und mehr singhalesische Buddhisten an diesen Ritualen teilnahmen. Neben Viṣṇu-Upulvan und Kataragama sind die anderen beiden der „Vierergruppe“ der Schutzgötter austauschbar, wobei diese Veränderungen auch mit politischen Machtverlagerungen zusammenhängen. Im 15. Jahrhundert, als das politische Zentrum der Insel in Kotte lag, sind Viṣṇu-Upulvan, Saman, Vibhīṣaṇa und Katara-

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Holt 2004: 45, 57–61; vgl. Bechert 2013: 206. Singh 2009: 279; Bechert 1984: 588–592. Vgl. Holt 2004: 92–101, 352–365. Gombrich/Obeyesekere 1988: 174; vgl. ferner Bechert 1984: 600f.; Bechert 2013: 205.

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gama die vier Schutzgötter. Vibhīṣaṇa99 ist im Rāmayāna der Bruder von Rāvaṇa, unterstützt allerdings Rāma, der ihn nach der Überwindung Rāvaṇas als König in Sri Lanka einsetzt. Sein Residenz- und Wallfahrtsort ist Kälaṇiya im Westen der Insel bei der heutigen Hauptstadt Colombo, jener Ort, den auch Buddha besucht haben soll. In Kandy als Hauptstadt der Insel finden wir wieder – wie noch im Perahära-Fest bis zur Gegenwart sichtbar – eine andere Vierergruppe: Upulvan, Kataragama, Pattinī und Nātha. Pattinī100 ist die wichtigste weibliche Gottheit der Insel, die ihren hinduistischen Ursprung im tamilischen Südindien hat. In Sri Lanka ist ihr Kult auch in den Dorfgemeinden weit verbreitet, wobei sie erst in Kandy zur Schutzgöttin des Landes aufgestiegen ist. Nātha101 hingegen ist eine ursprüngliche (mahāyāna-)buddhistische Gottheit und eine Erscheinungsform von Avalokiteśvara, wohl seit dem 9. Jahrhundert auf der Insel bekannt. Zunächst war sein Zentrum in Kotte, so dass er mit dem politischen Machtgewinn Kandys zu einem nationalen Schutzgott aufstieg. Nāthas Gattin ist die buddhistische Tārā, die heute jedoch nur noch eine marginale religiöse Rolle in Sri Lanka spielt. Solche unterschiedlichen Listen spiegeln die Verbindung von bodenständigen religiösen Traditionen, religiösen Konzepten von hinduistischen Hofbrahmanen und buddhistischen Überlieferungen wider, wobei diese drei unterschiedlichen Stränge durch Traditionsverdichtung jeweils ein neues sinnvolles Ganzes im Konzept der Schutzgötter ergaben, die für die einzelnen Teile der Insel verantwortlich sind.

3.3. Der „Kult“ als Verehrung Buddhas und die rituelle Umsetzung seiner Lehre Obwohl der Buddha in dogmatischer Sicht nur ein „vorbildhafter“ Mensch und Lehrer war, wurde er dennoch frühzeitig zu einem Objekt der Verehrung. Offensichtlich wurden diese Ideen zunächst von jenen Buddhisten entwickelt, die sich um einen Stūpa als Reliquienschrein sammelten. Daher ist es auch verständlich, dass der älteste Stūpa der Insel, die Thūpārāma Dāgaba, den Devānampiya Tissa in Anurādhapura errichtete, eine Reliquie von Buddhas Schlüsselbein enthält.102 Aber auch Orte bzw. Ereignisse des Leben Buddhas wurden frühzeitig Fokussierungspunkte für die personale Verehrung. Teilweise haben sich solche „Fixpunkte“ des Lebens Buddhas im Laufe der Zeit zu Wallfahrtszentren entwickelt, wobei auch chronologische Stationen seines Lebens eingebunden werden, um so als Memoria innerhalb eines Festkalenders zu fungieren.

99 100 101 102

Singh 2009: 278; Bechert 1984: 647f. Bechert 1984: 624f. Bechert 1984: 621. Hazra 2009: 128.

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Mit der Entwicklung der Verehrung korreliert die Abbildbarkeit und kunstgeschichtliche Entwicklung,103 wobei die Kunstzeugnisse bis zur Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. von der südindischen Amarāvatī-Kunst beeinflusst sind; ab dem 5. Jahrhundert hinterlässt der nordindische Gupta-Stil seine Spuren auf der Insel und später der südindische Pallava-Stil. Die ersten „Buddha-Abbildungen“ waren anikonisch, d. h. zu frühen Darstellungen gehören kunstgeschichtlich die symbolisch-abstrakten Füße Buddhas, Abbildungen von Stūpas, ein Rad mit acht Speichen als Symbol des achtteiligen Pfades, der zum Nibbāna führt, oder eine Steinplatte, die den Erleuchtungssitz (āsanaghara) darstellen soll. Anthropomorphe Buddha-Darstellungen sind kunstgeschichtlich jünger, wobei große stehende Buddhastatuen ab dem 3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. errichtet wurden. Erwähnenswert ist die zwölf Meter hohe Buddhastatue in Aukana (5. Jahrhundert).104 Die unterschiedlichen materiellen Kunstzeugnisse werden dabei zugleich Anknüpfungspunkte für die Ausübung buddhistischer Rituale und Praktiken, die zusammen den „buddhistischen Kult“ ergeben.

3.3.1. Reliquien und Verständnis von gelebter Frömmigkeit Reliquien (sarīra „Körper“; dhātu „Teil, Element“) spielen in der buddhistischen Geschichte eine wichtige Rolle. Als Reliquien gelten Gegenstände, die von Buddha oder einem Heiligen stammen (z. B. Zahn, Haare, Knochen), die Buddha benutzt hat (z. B. Almosenschale) oder mit denen er in Berührung gekommen ist (z. B. der Bodhi-Baum).105 Solche Reliquien sind der Ausgangspunkt der Errichtung eines Stūpa oder eines Schreins und man glaubt, dass Buddha in seiner Reliquie präsent ist. Daraus ergibt sich eine rituelle Verehrungspraxis, die vergleichbar der Verehrung für einen lebenden Buddha (oder Heiligen) ist und die eine Reliquie zum Ausgangspunkt von Festen oder Wallfahrten machen kann. Zugleich zeigt die Geschichte Sri Lankas, dass Reliquien auch Gegenstand politischer Machtlegitimation bzw. Auseinandersetzungen werden konnten, was v. a. am Geschick der Zahnreliquie sichtbar ist. Da Buddha unter einem Bodhi-Baum (Pipalbaum, ficus religiosa) in Bodh Gayā seine Erleuchtung fand, gilt dieser Baum als Reliquie, durch die eine Verbindung des Gläubigen zu Buddha möglich wird. Ein Abkömmling des Baumes aus Bodh Gayā wurde angeblich durch Saṅghamittā in der Mitte des 3. Jahrhunderts nach Sri Lanka gebracht, wo er in der Hauptstadt Anurādhapura angepflanzt wurde.106 Daher existiert in dieser Stadt der älteste Bodhi-Schrein als Ort dieser Reliquie

103 104 105 106

Vgl. dazu kurz Priyanka 2004: 800. Hazra 2009: 131; Priyanka 2004: 801. Vgl. Singh 2009: 235. Vgl. zum Folgenden Singh 2009: 241–245.

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und als Anziehungspunkt für buddhistische Pilger; die Wertschätzung des Baumes führte zu legendenhaften Traditionen, dass Schösslinge dieses Baumes in alle Tempel auf der Insel verpflanzt wurden. Zum Schutz des Baumes in Anurādhapura dürfen sich Gläubige heute nicht mehr unmittelbar dem Baum nähern, sondern kleine Opferaltäre sind für die Niederlegung von Opfern auf der unteren Terrasse des Heiligtums bereitgestellt, während die obere Terrasse den Mönchen, die den Baum betreuen, vorbehalten ist.107 Eine Haarreliquie (kesadhātu) wurde in der Regierungszeit von Moggallāna I. (496–513) aus Bodh Gayā nach Anurādhapura gebracht. Die Reliquie wurde in einem Kristallbehälter in einem Schrein aufbewahrt, der auch das Bild eines Pferdes enthalten haben soll,108 wohl als Anspielung auf die Episode aus Buddhas Leben, in der er mit seinem Pferd aus dem Palast weggeritten sei und dann – als Zeichen seines asketischen Lebens – sich die Haare abgeschnitten hat. Ungleich populärer ist jedoch die Zahnreliquie109 des Buddha, die nach der Einäscherung seines Leichnams übriggeblieben ist. Dabei handelt es sich um die berühmteste Buddha-Reliquie der Insel. Sie wurde angeblich im neunten Regierungsjahr von König Siri Meghavaṇṇa (371 n. Chr.) auf die Insel gebracht. Damals soll der Zahn im Haar einer Prinzessin versteckt aus Dantapura in Kāliṅga (Indien) nach Sri Lanka gebracht worden sein. Die Reliquie war dabei eng mit den Abhayagiri-Mönchen verbunden, auf deren Klostergebiet in Anurādhapura auch ein Gebäude zur Beherbergung der Reliquie existierte. Ursprünglich dürfte dabei die Wertschätzung der Zahnreliquie in Indien mit Anhängern des Mahāyāna-Buddhismus verbunden gewesen sein,110 so dass ihre Rezeption in Sri Lanka durch die manchen Mahāyāna-Vorstellungen gegenüber offenen Abhayagiri-Mönche naheliegend ist. Die Verehrung der Reliquie ist Teil eines alljährlichen Festes, das seit dem frühen 5. Jahrhundert bezeugt ist. Der chinesische Pilger Faxian beschrieb bei seiner Reise nach Sri Lanka dieses Fest, das im dritten Mondmonat stattfand. Es begann mit zehntägigen Vorbereitungen, indem der König verkünden ließ, dass Laien und Mönche die Stadt reinigen und schmücken sollten, als Verdiensterwerb für die Verehrung der Reliquie. Entlang der Straße wurden 500 Statuen aufgestellt, die Buddhas frühere Existenzen, die in den Jātakas beschrieben sind, darstellten. Am Festtag führte die Prozession mit der Zahnreliquie vom Zahntempel der Stadt zum Abhayagiri Vihāra, wo die Reliquie 90 Tage lang verehrt wurde, ehe sie in den Tempel in der Stadt zurückgebracht wurde. Mit dem Besitz der Reliquie war nicht nur die Kompetenz für die Ausrichtung des alljährlichen Festes gegeben, sondern die Durchführung des Festes hatte zugleich Symbolcharakter für den Anspruch auf den Königsthron. Im Laufe der Geschichte von Sri Lanka wurde die 107 108 109 110

Singh 2009: 243 Rahula 1956: 74, 100f.; vgl. Singh 2009: 141. Siehe zum Folgenden Rahula 1956: 280–282; Singh 2009: 133–135; Hazra 2009: 158–161. Hazra 2009: 159.

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Zahnreliquie daher auch jeweils in eine neu gegründete Hauptstadt mitgenommen, zunächst nach Polonnaruwa und schließlich Ende des 16. Jahrhundert nach Kandy, um im dort errichteten Zahntempel eine vorläufig letzte Bleibe zu finden. In Kandy wird die Verehrung der Reliquie (sicher seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts) in das Perahära-Fest einbezogen, wodurch das nicht-buddhistische Fest einen neuen Status gewann. Eine „interreligiöse“ Reliquie ist der Fußabdruck Buddhas (śrī pāda) auf dem Adam’s Peak (pāli Sumanakūṭa). Diese Reliquie bzw. der Platz gehört zu den 16 wichtigsten buddhistischen Stätten Sri Lankas, wobei der Ursprung der Reliquie auf Buddhas dritten Besuch auf der Insel zurückgeführt wird. Eine Legende berichtet dabei ferner, dass Buddha mit dem linken Fuß auf dem Adam’s Peak gestanden sei und vor seiner Rückkehr nach Indien seinen rechten Fuß in einem Riesenschritt auf den Boden Thailands gesetzt und dadurch dort ebenfalls einen Fußabdruck hinterlassen habe.111 Wat Phra Phuttabat, das Kloster, das am Ort dieses Fußabdrucks im 17. Jahrhundert entstanden ist, liegt in Zentralthailand bei der Stadt Saraburi. Dieses „Ablegerheiligtum“ zeigt gut die „überregionale“ Vernetzung von Kult- und Reliquientraditionen. Ein anderes „Netzwerk“ zeigt sich in Sri Lanka ferner dadurch, dass auch Angehörige anderer Religionen den Fußabdruck wertschätzen. Hindus sehen darin einen Fußabdruck Śivas, der diesen bei seinem Schöpfungstanz hinterlassen hat. Muslime deuten den Abdruck als die Fußspur Adams, als er (und Eva) nach der Vertreibung aus dem Paradies auf der Insel angekommen sind. Katholische Christen hingegen setzen den Fußabdruck zum Apostel Thomas als ersten christlichen Missionar auf der Insel in Beziehung. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen und Interpretationen sind dabei insofern vergleichbar und „stimmig“, als alle Religionen den Fußabdruck mit einem entscheidenden Ereignis der Frühzeit der jeweiligen Religion verknüpfen. Durch die Funktion der „Alterslegitimierung“ gewinnt der Fußabdruck dadurch die jeweilige religionseigene Bedeutung, obwohl das religionsspezifisch-buddhistische Reliquienverständnis von den anderen drei Religionen nicht geteilt wird.

3.3.2. Feste Wie jede religiöse Tradition hat auch der singhalesische Buddhismus einen Ritualund Festkalender, der die Zeit religiös ordnet. Als lunarer Kalender wurde er aus Indien übernommen; dadurch strukturiert sich der Festkalender nach den vier Mondphasen, wobei der Vollmondtag der wichtigste Kalendertag ist. Festtage (singhales. poya; pāli uposatha) gelten als Fasttage und Laien nutzen diese Tage, um Tempel zu besuchen und die acht Gebote besonders zu befolgen; neben der Beachtung der fünf sīla, die grundsätzlich gelten, kommen noch folgende drei an solchen 111 Perera 1971–77: 451.

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Tagen dazu: Verzicht auf feste Nahrung nach Mittag; Verzicht auf Tanz, Musik und Schmuck; Verzicht auf luxuriöse Betten. Dadurch gleichen Laien ihre Lebensweise während des poya-Tages – aber auch bei den großen (Jahres-)Festen – den Mönchen an. Der wichtigste Tag des rituellen Kalenders ist Vesakh (pāli vesākha; skt. vaiśākha), der Vollmondtag des gleichnamigen Monats (Mai/Juni), an welchem Buddhas Geburt, seiner Erleuchtung und seines Parinibbāna gedacht wird.112 Historisch ist das Fest auf der Insel seit Duṭṭhagāmaṇī (Mv. 32,35) bezeugt, wobei das Mahāvaṃsa auch für andere „gute“ Herrscher betont, dass sie jährlich Vesakh gefeiert haben. Eine besondere Wertschätzung erfährt das Fest auch dadurch, dass der dritte Besuch Buddhas auf der Insel im achten Jahr nach seiner Erleuchtung am Vesakh-Vollmondtag begonnen hat. Im Zusammenhang mit den buddhistischen Erneuerungsbewegungen während der Kolonialzeit setzten sich Henry Steel Olcott und die Buddhist Theosophical Society für die Aufwertung des Festes als offiziellen Feiertag ein. Aufgrund dieses europäischen Einflusses auf die Konzeption des Feiertages erinnern viele jüngere Bräuche an christliche Weihnachtsfeierlichkeiten. So werden etwa Vesakh-Grußkarten verschickt und das Fest wird als fröhlicher Familientag begangen, bei dem das Konzept des Schenkens und Gebens im Vordergrund steht. So werden nicht nur in den Tempeln Opfergaben dargebracht, sondern auch Armenspeisungen durchgeführt. Somit zeigt die moderne Form dieses Festes, wie die buddhistischen Reformbewegungen der Kolonialzeit bis heute weiter wirken. Zum anderen zeigt sich auch, wie buddhistische Ritualkonzepte im modernen Nationalstaat als Feiertage aufgenommen wurden. Im Monat Juli, dem achten Monat des Mondkalenders, feiern Theravāda-Buddhisten beim Āsāḷha-Fest113 den Tag der ersten Predigt Buddhas vor den fünf Asketen im Gazellenhain von Sarnath. Das Fest erfährt zugleich eine lokale „Historisierung“, indem es als Tag der ersten (legendarischen) Mönchsordination auf der Insel im 3. Jahrhundert v. Chr. gilt und mit der Niederlegung der Buddhareliquien im Großen Stūpa von Anurādhapura durch Duṭṭhagāmaṇī im 2. Jahrhundert v. Chr. verbunden wird. Die Rolle, die Hindu-Göttern im Staatskult als Schutzpatronen des Landes zukam, wird durch das Perahära-Fest in Kandy deutlich. Perahära, wörtlich der „feierliche Umzug“, der zum Neumond des Monats Juli stattfindet, dürfte ursprünglich auf die Sommersonnenwende bezogen gewesen sein. Zahlreiche Kultprozessionen und Opfer prägen den Festablauf. Bei diesen Feierlichkeiten wird die Zahnreliquie des Buddha in einem Umzug den Statuen der Hindu-Götter vorangetragen. Diese Form hat das Fest seit 1775 und zeigt, wie ein Feiertag, der eigentlich den Göttern gewidmet

112 Vgl. Freiberger/Kleine 2015: 256f.; Rahula 1956: 273–275; Singh 2009: 247; Hazra 2009: 152f. 113 Freiberger/Kleine 2015: 257; Singh 2009: 248.

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war, mit der Zeit von buddhistischen Elementen durchdrungen wurde.114 Ursprünglich handelte es sich bei diesem Fest wohl um ein Ritual, das die Schutzgötter der Insel – Upulvan, Kataragama (Skanda), Pattinī und Nātha – um Regen bitten sollte. Es wurde jedoch dadurch in das buddhistische Weltbild eingefügt, dass der in der Reliquie „lebende“ Buddha selbst zum Schutzgott wird, der die vier anderen übertrifft und von dem nun Wohlstand und Segen für die Stadt Kandy und die ganze Insel ausgehen. Hinzu kommt, dass die Zahnreliquie so einer breiteren Schicht von Gläubigen zugänglich wurde. Ähnlich wie der Perahära-Umzug, der durch das Einfügen der Zahnreliquie den „volksreligiösen“ Götterglauben und die buddhistische Soteriologie in ein logisches Ganzes vereint, werden auch Rituale, die ursprünglich nicht-buddhistischen Ursprungs sind, im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend „buddhifiziert“. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist der Feuerlauf für Kataragama (Skanda). Dabei handelte es sich ursprünglich um ein tamilisches Ritual der Bhakti-Tradition, welches allerdings zunehmend auch von Buddhisten praktiziert wurde. Bei diesem Ritual laufen Gläubige über eine Grube mit glimmenden Kohlen, was die Hingabe an die Gottheit zeigen soll. Laut G. Obeyesekere ist die moderne Form dieses Rituals, obwohl es sich auf Legenden in mythischer Vorzeit beruft, nicht für die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg nachzuweisen.115 R. Gombrich und G. Obeyesekere machen Reformer aus dem 20. Jahrhundert für die buddhistische Adaption des Rituals verantwortlich,116 die unter anderem den Feuerlauf mit König Duṭṭhagāmaṇī in Verbindung brachten. Darüber hinaus wird das Element von bhakti seither heruntergespielt und durch das buddhistische sīla-Konzept ersetzt. Das Ausüben eines buddhistischen Lebensstils (etwa Vegetarismus zumindest an den Feiertagen) sei der Grund für das Ausbleiben schmerzhafter Verbrennungen nach dem Feuerlauf. Auch bekamen Mönche im Zuge dieser Reformen eine Rolle im Feuerlauf, dem sie als Ritual für die Götter traditionell fernzubleiben hatten.

3.3.3. Wallfahrten Ebenso wie die bereits betrachteten Beispiele zeigen auch Pilgerreisen, wie Götterverehrung und Buddhismus in Sri Lanka zu einem logischen Ganzen verbunden werden. Pilgerschaft war schon immer ein wichtiger Ausdruck der Gläubigkeit in Sri Lanka und besonders Buddhisten nahmen und nehmen zum Teil weite Reisen auf sich, um Stūpas, heilige Bodhi-Bäume oder Tempel auf der ganzen Insel zu besuchen.117 Allerdings werden heilige Orte nicht nur von Buddhisten mit religiö-

114 115 116 117

Bechert 2013: 212. Obeyesekere 1978: 457. Gombrich/Obeyesekere 1988: 411–444. Stoddard 1988: 108.

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ser Bedeutsamkeit bedacht, wodurch einige Heiligtümer auch von anderen Religionen verehrt werden. Der Tempel von Skanda in Kataragama wurde bereits genannt, den sowohl Buddhisten als auch Hindus frequentieren. Besonders deutlich wird diese Tendenz allerdings am Beispiel des Adam’s Peak, des „heiligen Berges“, der von allen Religionen der Insel als ein besonderer Ort gewertet wird. Der im Süden des zentralen Berglands gelegene Berg trägt an seiner Spitze einen Felsen, in dem sich eine ca. 160 cm mal 75 cm große Einbuchtung befindet, die als Fußabdruck (śrī pāda) gedeutet wird. Pilgerreisen zu diesem Ort sind seit dem 11. Jahrhundert bezeugt, und auch Ibn Baṭṭuṭa (1304–1377) hat – wenngleich aus muslimischer Perspektive – bei seinem Besuch des Berges beschrieben, dass es zwei Pilgerwege gäbe: den Weg Adams und den Weg Evas, die unterschiedliche Schwierigkeitsgrade (und damit verbundenen unterschiedlichen spirituellen Gewinn) haben. Die moderne Wallfahrt findet zwischen Ende Dezember und dem Vesakh-Fest statt, wobei ein Höhepunkt des Pilgerstroms im März zu beobachten ist, wenn wöchentlich bis zu 10 000 Pilger den Berg besteigen. Beim Aufstieg stoppt man an verschiedenen Orten, die mit Buddhas Besuch des Berges verbunden werden. Da der Berg als solcher wohl schon vor der Ankunft der verschiedenen Religionen in Sri Lanka, die den „Fußabdruck“ wertschätzen, ein heiliger Ort – für Saman – war, zeigen die „transreligiösen“ Interpretationen zum einen, wie Sakralität in neue religiöse Kontexte übertragen wird, und zum anderen, wie unterschiedliche religiöse Traditionen diese für sich in Anspruch nehmen und adaptieren.

3.3.4. Pirit Auch die Pirit-Zeremonien (pāli paritta),118 die von Mönchen abgehalten werden und aus der Rezitation eines buddhistischen Textes (pirit pota) bestehen, schlagen eine Brücke zwischen volksreligiösen Bedürfnissen und der buddhistischen Lehre. Erstmals erwähnt sind diese Zeremonien im 7. Jahrhundert. Es wird häufig behauptet, der Grund für das Weiterleben vor-buddhistischer Traditionen sei, dass der Buddhismus als Erlösungsreligion keine Riten kenne, die bei konkreten innerweltlichen Problemen helfen würden. Das Pirit-Chanten kann als Antwort auf dieses Bedürfnis gelesen werden, da hier die Rezitation eines Textes durch einen Mönch positiv auf unangenehme Situationen in der Gegenwart wirken soll. Die so genannte Pirit-Zeremonie in Sri Lanka ist ein Ritual, das gegen alle Übel gerichtet ist, aber durchaus buddhistischen Ursprungs ist. Denn im Zentrum dieser Beschwörung steht die Rezitation von Pāli-Texten als Schutzzauber, als Exorzismus, zur Abwehr von Gefahren oder zur Erlangung bzw. Bewahrung von Gesundheit. 118 Vgl. Rahula 1956: 278–279; Singh 2009: 252–261 mit der detaillierten Beschreibung der Durchführung durch Mönche, was auch in Privathäusern geschehen kann.

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So werden z. B. ausgewählte Suttas während einer Geburt rezitiert, um die Schmerzen der werdenden Mutter zu lindern, oder während einer Krankheit, um die Symptome zu verbessern.119 Gleichzeitig können mit diesem Ritual auch Verdienste, die man erworben hat, auf einen anderen Buddhisten übertragen werden. Daher spricht auch nichts dagegen, dass die Pirit-Zeremonie von Mönchen durchgeführt wird. Begründet wird dies damit, dass der Gläubige die im Sutta dargestellte Wahrheit (der Lehre) hört, an positiven religiösen Eigenschaften des Mönches teilhaben kann und dass den Geistern, die für manche Krankheiten verantwortlich gemacht werden, dadurch aufgezeigt werden kann, dass die Lehre Buddhas stärker und besser ist als ihre dämonische Kraft.120 Führen hingegen Laien das Ritual durch, so lässt sich ein stärkeres Abweichen von dem, was als „rein buddhistisch“ gilt, beobachten. Laien beschränken sich nämlich nicht nur auf kanonische Texte des Pāli-Kanons, sondern es werden auch nicht-kanonische und nicht-buddhistische Textpassagen rezitiert, verschiedene Götter werden angerufen und um Beistand gegen schädliche Mächte gebeten.

3.3.5. Sterbe- und Totenriten Die rituellen Handlungen, die im Zusammenhang mit dem Tod und dem Umgang mit dem toten Körper stehen, zeigen ebenfalls die Komplexität des Zusammenwirkens von prä-buddhistischen und buddhistischen religiösen Sinnsystemen. Dabei beginnen solche Handlungen bereits vor dem eigentlichen Ableben, wenn die betreffende Person im Sterben liegt. Ein Ritual, welches in diesem Kontext durchgeführt wird, ist die bereits erwähnte Pirit-Zeremonie. Da Kamma, welches für die anstehende Wiedergeburt im nächsten Leben von Bedeutung ist, im buddhistischen Sinnsystem nicht in diesem Leben geändert oder ausgelöscht werden kann, bewirkt diese Zeremonie keine automatische Absolution schlechten Kammas, sondern wird eher dazu genutzt, das akquirierte positive Kamma des Sterbenden im todesnahen Moment positiv auszuleuchten.121 Hier verbinden sich somit vorbuddhistische Schutzriten, die den Sterbenden in dieser gefährlichen Übergangsphase vor schlechtem Kamma und dem Einfluss böser Mächte schützen sollen, mit der buddhistischen Lehre von dem Weiterwirken der Taten im nächsten Leben. Rita Langer beschreibt ausführlich, wie mit toten Körpern in Sri Lanka verfahren wird, und sie vergleicht diese Beobachtungen mit vedischen und brahmanischen sowie mit Pāli-Texten. Ihre Ergebnisse zeigen, wie die älteren Totenrituale und Glaubensstrukturen in Sri Lanka noch weiterwirken und wie diese im buddhistischen Weltbild interpretiert werden. Zunächst ist wichtig zu erwähnen, dass die 119 Langer 2007: 19; vgl. auch Hazra 2009: 158. 120 Langer 2007: 20f. 121 Langer 2007: 21.

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Pāli-Tradition für sich genommen nur wenige Informationen preisgibt, wie mit einem Verstorbenen genau verfahren werden sollte. Am ausführlichsten wird der Eingang des Buddhas selbst ins Parinibbāna und somit sein physisches Ableben sowie seine Kremation beschrieben. Diese Textpassagen werden zum Teil mit legendenhaften Wundertaten ausgeschmückt, die nur anhand der Kommentarliteratur erklärt und verstanden werden können. Von dieser Bestattung auf die alltägliche Praxis für den Tod anderer früher Gemeindemitglieder zu schließen, ist jedoch problematisch, da der Buddha selbst sagte, seine Kremation solle so abgehalten werden, als sei er ein Weltenherrscher (pāli cakkavattin; skt. cakravartin), was impliziert, dass dies ein besonderes Verfahren sein muss. Eine weitere wichtige Persönlichkeit, die im buddhistischen Kanon zu Grabe getragen wird, ist die Stiefmutter des Buddha, Mahāprajāpatī. Als eine der wichtigsten Nonnen der frühen Gemeinde muss allerdings davon ausgegangen werden, dass auch dieses Ereignis nicht einfach auf andere Mönche und Nonnen oder gar Laien und Laiinnen übertragen werden kann.122 Die vedischen und brahmanischen Textquellen hingegen, die anders als die buddhistischen Texte genaue Handlungsabläufe für den Umgang mit den Toten vorschreiben, zeigen erstaunliche Parallelen zu den Ritualen, die R. Langer in Sri Lanka selbst beobachten konnte. Dabei sind folgende drei Aspekte besonders wichtig:123 (a) die Idee, dass ein Toter verehrt werden soll; (b) die Angst vor rituellen Verunreinigungen durch den Umgang mit den Toten; (c) die Vorstellung, dass der Geist des Toten eine Zeit lang in dieser Welt verweilt und somit eine potenzielle Gefahrenquelle für seine lebenden Verwandten bildet. Dabei wurden Beschwichtigungs-, Schutz- und Reinigungsrituale der brahmanischen und vedischen Traditionen beibehalten, allerdings in einen buddhistischen Kontext überführt, auch wenn dies zum Teil der buddhistischen Kosmologie widerspricht. Diese „Buddhifizierung“ zeigt sich unter anderem in der Rolle, die Mönche bei der Kremation oder Beerdigung eines Laien einnehmen. Dadurch, dass sie anwesend sind, Rezitationen durchführen und im Namen des Toten Spenden (Kleidung und Nahrungsmittel) erhalten, füllen sie die Rolle aus, die traditionell von einem brahmanischen Priester in solchen Ritualen eingenommen wird. Insofern zeigt sich, wie das Ritual über die Jahrhunderte adaptiert worden sein muss, wobei sich die zwei verschiedenen kosmologischen Vorstellungen vermischten.124 Ein Beispiel für die scheinbare Widersprüchlichkeit zwischen der buddhistischen Kosmologie und den vedisch-brahmanischen Vorstellungen ist die Idee, dass der Geist des Verstorbenen eine Zeit lang in dieser Welt verweilt, bevor er wiedergeboren wird. Diese Vorstellung ist in den hinduistischen Quellen ausreichend belegt, in der Theravāda-Tradition aber

122 Langer 2007: 99–115. 123 Langer 2007: 98. 124 Langer 2007: 84–88.

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eigentlich nicht vorgesehen. Langer fragte in Interviews sowohl Mönche als auch Laien nach ihren Vorstellungen in diesem Zusammenhang und fand heraus, dass die Mönche eine solche Idee häufig aufgrund der Pāli-Tradition ablehnen, während Laien eine solche Zwischenexistenz generell annahmen und somit begründen konnten, warum spezielle Riten, etwa um den Geist vom Haus fernzuhalten, durchgeführt werden.125 Nach der Durchführung des Bestattungsrituals ist es üblich, dass innerhalb einer Woche ein Mönch ins Haus des Verstorbenen eingeladen wird, damit er dort eine Predigt zugunsten des Toten vor Verwandten und Nachbarn hält. Am Ende der Predigt wird das Verdienst, das die Hinterbliebenen durch die Einladung des Mönches und durch das Hören der Predigt angesammelt haben, auf den Verstorbenen übertragen. Drei Monate nach dem Tod findet oft eine Almosenspende (pāli saṅghika dāna) in Erinnerung an den Toten für die Mönche statt, wobei diese Spende alljährlich wiederholt wird. Auch hierbei geht es wiederum um die Übertragung des damit verbundenen spirituellen Verdienstes an den Toten.

3.4. Schlussbemerkung Laut der Volkszählung im Jahr 2012 gehören 70 Prozent der Bevölkerung Sri Lankas dem Buddhismus an, wobei der überwiegende Teil der Singhalesen mit dieser Religion verbunden ist. Dadurch dominiert in national(istisch)en Diskursen die Vorstellung, dass der Inselstaat „Buddhas Land“ sei und dadurch auch die „Reinhaltung“ der Religion eine zentrale Aufgabe für die buddhistischen Singhalesen sein müsse. Diese aus dem Mahāvaṃsa abgeleitete Vorstellung erlaubt eine Abgrenzung und eine Abwehr „fremder“ Einflüsse, die seit der Kolonialzeit einerseits zu einer „Revitalisierung“ und „Reformulierung“ des Buddhismus geführt haben, andererseits nach der Unabhängigkeit des Landes auch zur Marginalisierung und Diskriminierung der nicht-singhalesischen (und damit weitestgehend auch nichtbuddhistischen) Bevölkerungsteile wie Tamilen oder Moors (Muslimen) geführt hat. In weiterer historischer Perspektive geht der Anspruch der Buddhisten der Insel, die Religion „rein“ zu bewahren, bis in das 11. Jahrhundert zurück, als die Beziehungen – und der Einfluss – Sri Lankas auf südostasiatische Länder einsetzten, die wesentlich zur „Theravādisierung“ dieses Raumes beigetragen haben. Durch diese Beziehungen hat der Buddhismus der Insel aber auch rückwirkende Reformen aus Südostasien erfahren. Im Kontext des Theravāda-Buddhismus ist zu berücksichtigen, dass erst im 12. Jahrhundert aufgrund der Vereinigung der drei großen Nikāya während der Regierungszeit von Parakkamabāhu Mahāyāna-Strömungen als eigenständige Richtungen verschwunden sind. Dennoch war (und ist) 125 Vgl. Langer 2007: 82–84.

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der so „vereinigte“ Theravāda-Buddhismus der Insel keineswegs jene „authentische“ Form des frühen Buddhismus, wie in der Selbsteinschätzung von Buddhisten Sri Lankas häufig behauptet wird. Vielmehr zeigt die alltägliche Religiosität im Laufe der Geschichte, dass sich buddhistische und andere Weltbilder zu einem logischen Ganzen vereinigt haben – trotz der Tendenzen seit der Kolonialzeit, eine „exklusive und reine“ buddhistische Identität zu schaffen. Dadurch bestehen Unterschiede in Fragen der Klosterdisziplin sowie der religiösen Praxis, so dass die Idee, den „reinen“ oder „orthodoxen“ Buddhismus der „Alten“ (thera) zu bewahren, vor allem dem Bereich der ideologischen Rhetorik und weniger der religionsgeschichtlichen Realität angehört. Dennoch bleibt dieses „Selbstbild“ von einem reinen und daher zu bewahrenden Buddhismus bis zur Gegenwart ein wesentlicher gesellschaftlicher Faktor, der den Zusammenhalt dieser Religion auf der Insel gewährleistet.

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BUDDHISMUS

IN

BIRMA

Tilman Frasch

Bekanntermaßen ist der Buddhismus indischen Ursprungs, doch fand sein Aufstieg zur Weltreligion außerhalb des Subkontinents statt: in Tibet, China, Japan und Korea sowie in Sri Lanka und Südostasien, wo der Theravāda zur Volksreligion wurde. In diesem Beitrag soll, in weitgehend chronologischer Ordnung, die Entwicklung des Buddhismus in Birma (Myanmar)1 bis in die Gegenwart nachvollzogen werden, wobei zwei Gesichtspunkte herausgehoben werden. Zum einen ist dies die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik, die sich gerade in Birma weniger auf die Institutionen Königtum und Mönchsorden, sondern viel häufiger auf das persönliche Verhältnis von Herrscher (König) und führendem Mönch bzw. königlichem Erzieher zuspitzen lässt. Der birmanische Buddhismus besaß bis weit in das 20. Jahrhundert hinein keine institutionelle Struktur, die ihn zu einer Art Kirche gemacht hätte, sondern erhielt sein politisches Gewicht von Mönchen, die dem Hofe nahestanden und deren Autorität sich auf Gelehrsamkeit, asketischen Lebenswandel und die daraus resultierende Aura der Heiligkeit gründete. Für ihren Status war neben der Ansicht des Herrschers immer auch die Anerkennung maßgeblich, die ihnen im Volk zuteilwurde. Die Position des Herrschers gegenüber dem Saṅgha (Mönchsorden) wird durch den Umstand gestärkt, dass der Orden weder ein einzelnes Oberhaupt, egal ob als Individuum oder als Gruppe, kennt noch über effektive Sanktionsinstrumente verfügt. Theoretisch können einzelne Mönche oder ganze Gruppen von Mönchen sich dem Ausschluss aus dem Saṅgha widersetzen, indem sie in ein anderes Kloster eintreten, das etwa abweichende Auslegungen der Ordenszucht für zulässig hält. Erst mit Hilfe des Königs, der abweichende Lehrmeinungen verwerfen und unbelehrbare Mönche zum Verlassen des Ordens zwingen konnte, war es dem Saṅgha möglich, seine strukturelle Einheit zu bewahren, die Disziplin aufrechtzuerhalten und eine verbindliche Version des Kanons zu tradieren. Das Ideal eines Theravāda-Herrschers verkörperte in dieser Hinsicht der Maurya-König Aśoka (ca. 268–231 v. Chr.), der nach den (allerdings weit späteren) singhalesischen Chroniken zum 3. Buddhistischen Konzil nach Pāṭaliputra (Patna) lud, auf dem eine verbindliche Rezension des Kanons und eine über alle Zweifel 1 In diesem Beitrag werden, um Einheitlichkeit mit dem Vorgängerband zu wahren, durchgängig die alten und im deutschen Sprachraum gängigeren Schreibweisen Birma, Rangun usw. verwendet, die neuen offiziellen Umschriften jeweils bei der ersten Nennung in Klammern hinzugefügt.

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erhabene Ordinationstradition erreicht wurden. Vom Konzil gingen Mönchs-Missionare in alle acht Himmelsrichtungen, um die Lehre zu verbreiten; unter ihnen befand sich Aśokas Sohn Mahinda, der die Lehre nach Sri Lanka brachte, dem Stammland des Theravāda.2 Die singhalesischen Chroniken stammen gerade aus der Zeit, in der auch der Theravāda entstand, als eine kleine Gruppe von Mönchen eine Vorrangstellung innerhalb des singhalesischen Saṅgha beanspruchte. Ihre Berufung auf die ununterbrochene Mönchs-Sukzession, die permanente „Reinhaltung“ der Texttradition auf Konzilien und eine fast schon hermetische Abschottung gegenüber äußeren Einflüssen und neuen Denkrichtungen verleiht dem Theravāda alle Züge einer fundamentalistischen Bewegung.3 Diese Entwicklung ist bedeutsam, weil die Entstehung des Theravāda zeitlich mit der Ausbreitung des Buddhismus in Südostasien zusammenfiel. Dies führt hin zum zweiten Schwerpunkt dieses Beitrages. Der vorgegebene nationalstaatliche Rahmen erfordert es, die Darstellung auf Birma zu beschränken. Der Theravāda war und blieb aber eine dynamische Weltreligion, so dass transnationale Verbindungen und Verflechtungen seiner Entwicklung mit betrachtet werden müssen. Vor allem die Beziehungen zu den religiösen und historischen Referenzorten Indien und Sri Lanka blieben für birmanische Buddhisten immer bedeutsam. Deren Berücksichtigung vermag nicht nur Entwicklungen in Birma zu veranschaulichen, sondern trägt auch dem transnationalen Charakter des Buddhismus angemessen Rechnung.

1. Ankunft und Verbreitung des Buddhismus in Birma Wie Ian Mabbett gezeigt hat,4 existieren in Birma erst für die Zeit der Pyu gesicherte Zeugnisse einer buddhistischen Kultur. Alle Hinweise auf eine frühere Ankunft, egal ob sie die Reise der beiden Mönche Soṇa und Uttara nach dem dritten Konzil5 oder die „Sakyan migration“ über Nord-Birma und Arakan betreffen,6 sind 2 Vgl. Oldenberg 1879, Kap. 7 und 8. 3 Dass diese Sichtweise eines buddhistischen Fundamentalismus eine Anfrage in den in einschlägigen Abhandlungen postulierten (oder wenigstens angenommenen) Zusammenhang von religiösem Fundamentalismus und westlich-säkularer Moderne darstellt, ist offenkundig, kann aber im Rahmen dieses Beitrages nicht weiter erörtert werden. 4 Mabbett 2000: 446–452. 5 Frauwallner 1955: 192–197; Mangrai 1976: 155–164. 6 Zum Problem der so genannten „Sakyan migration“ in den birmanischen Chroniken vgl. die Einleitung von Luce und U Pe Maung Tin zu ihrer Übersetzung der Glaspalastchronik (Luce/Pe Maung Tin 1923: xiv-xix).

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mit Vorsicht zu betrachten. Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die ältesten archäologischen Zeugnisse für Buddhismus in den Pyu-Siedlungen, namentlich in Beikthano, aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammen dürften.7 Die Begegnung der Pyu mit dem Buddhismus hinterließ Spuren, die für die Geschichte des Buddhismus nicht nur in Birma bedeutsam sind. Dies betrifft zum einen die bereits von Mabbett beschriebenen Fundamente eines Klosters und eines Stūpas in Beikthano, die zu den ältesten buddhistischen Kultbauten Südostasiens gehören (4. Jahrhundert n. Chr.?).8 Zum andern sind dies die in Goldfolie geritzten Verse aus dem Pāli-Kanon, die in Śrī Kṣetra (nahe dem heutigen Prome) gefunden wurden. Wohl in das 5. Jahrhundert datierend, sind sie mit die ältesten Abschriften aus dem Kanon der Theravādin.9 Die Form der Goldfolien zeigt, dass das Kopieren der Lehrtexte auf Palmblatt bereits fester Bestandteil einer monastischen Gelehrtenkultur war,10 und das Material belegt, dass der Pāli-Kanon und damit die Theravāda-Tradition bei den Pyu in hohem Ansehen stand. Obwohl unsere Kenntnis der Pyu-Kultur in den letzten Jahren durch systematische Ausgrabungen und die Entdeckung weiterer Siedlungen (insbesonders das in Oberbirma gelegene Maingmaw)11 erheblich erweitert worden ist,12 sind noch viele Fragen offen. Die Pyu betrieben Nassreisanbau auf der Grundlage ausgefeilter Bewässerungssysteme, sie benutzten Waffen und Werkzeuge aus Eisen und bestatteten ihre Toten in Urnen.13 Ihre Siedlungen, die sich in der Kernzone Birmas und im Tal des Irawadi von Prome (vormals Śrī Kṣetra) im Süden bis Halin und Tagaung im Norden erstreckten, waren vergleichsweise riesige, mit Wall und Graben befestigte Städte. Neuere Forschungen haben in den letzten Jahren ergeben, dass Orte wie Beikthano oder Halin eine praktisch ununterbrochene Sequenz von der Stein- über die Bronze- bis in die Eisenzeit (also zu den Pyu) aufweisen, die auch mit einer entsprechenden Höherentwicklung der Landwirtschaft einherging. Dies würde die Pyu zu einem indigenen Volk Birmas machen. Andererseits zeigt ihre Sprache (die allerdings nur unvollständig bekannt ist) eine gewisse Verwandtschaft zum Birmanischen auf. Bei den ethnischen Birmanen handelt es sich aber um ein Volk zentralasiatisch-mongolischen Ursprungs, das bis zu seiner Einwanderung in das heutige Birma eher mit Viehzucht befasst war. Die Pyu wären damit entweder als protobirmanisches Volk selbst Einwanderer oder die letzten Vertreter einer indigenen Bevölkerung, die von den Birmanen abgelöst wurde. 7 8 9 10 11 12

Aung Thaw 1968 passim; Stargardt 1990: 145–147. Mabbett 2000: 448. Stargardt 1995, Falk 1997. Stargardt 1995: 199–213. Vgl. Than Tun 1979. Für die Frühgeschichte allgemein siehe jetzt Gutman/Hudson 2004: 149–176; Moore 2006. 13 Für die Siedlungsgeschichte und die Kulturen des alten Birma vgl. Moore 2006.

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Auch über die Zeit und die Form des Übergangs von den Pyu auf die Birmanen kann im Augenblick nur spekuliert werden. Gemäß einer älteren Annahme läutete ein Eroberungszug der Nanchao aus Yunnan um 832, der mit der Einnahme einer Pyu-Siedlung und der Verschleppung ihrer Einwohner endete, das Ende der Pyu ein. Es ist aber fraglich, ob ein einzelner, auf Oberbirma beschränkter Militärschlag solch desaströse Folgen für die gesamte Kultur der Pyu gehabt haben kann; abgesehen davon lag mit Śrī Kṣetra ein wichtiges politisches Pyu-Zentrum außer Reichweite der Nanchao. Wahrscheinlicher ist, dass der Einfall einerseits zusammenfiel mit einer Expansionsphase der Mon, die wohl im 8. Jahrhundert in Niederbirma weitere Siedlungen gründeten,14 und andererseits mit dem Vordringen der ethnischen Birmanen in die Ebene Zentralbirmas. Die Birmanen vermischten sich mit den Pyu und übernahmen deren Kultur: Städtebau, Bewässerungsanlagen und Reisanbau und nicht zuletzt wohl auch den Buddhismus. Eine der kleineren PyuSiedlungen wurde schließlich zur ersten Hauptstadt eines birmanisch-buddhistischen Königreiches.

2. Pagan – die Hauptstadt des Buddhismus im 13. Jahrhundert Pagan (Bagan), dessen Blütezeit ungefähr zwischen 1050 und 1300 lag, nimmt in mehrfacher Hinsicht eine herausragende Stellung ein. In der nationalen Geschichte Birmas markiert die Stadt das politische und sakrale Zentrum des ersten Reiches, das sich ungefähr mit dem heutigen Birma deckte. Die Fülle der religiösen Monumente der Stadt – in den 250 Jahren ihrer Blüte wurden mehr als 2500 Tempel, Stūpas und Klöster errichtet15 – zeugen von der religiösen und wirtschaftlichen Stärke des Reiches und seiner Bewohner. Über den nationalen Rahmen hinaus stellte Pagan ab ca. 1200 einen Referenzort für den gesamten Buddhismus dar und stieg gewissermaßen zur Welthauptstadt des Theravāda auf. Pagan scheint aus einer der kleineren Pyu-Siedlungen hervorgegangen zu sein, denn die Wurzeln der Stadt reichen in die Zeit vor dem 11. Jahrhundert zurück. So steht auf dem Mt. Tuyin im Südosten der Stadt eine buddhistische Ordinations14 Guillon 1999: 91–94. 15 Vgl. Pichard 1992–2001. Die Zahlenangabe bezieht sich nur auf die Hauptstadt. In den verschiedenen Provinz- und Landstädten fand die Bauwut ein ebenso reiches Echo, so etwa im ca. 50 Kilometer südlich von Pagan gelegenen Ort Sale, wo noch mehr als 100 Tempel erhalten sind. Da kein landesweiter Überblick existiert, kann nur geschätzt werden, dass die Zahl der aus der Pagan-Zeit stammenden religiösen Monumente Birmas in die Zehntausende gehen dürfte.

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halle (pāli sīmā), deren Bau dem um die Mitte des 10. Jahrhunderts herrschenden König Saw Rahan zugeschrieben wird.16 Ausgrabungen haben mittlerweile bestätigt, dass die Stadt um diese Zeit mit einer Mauer befestigt wurde,17 was eine Reaktion auf die Einfälle der Nanchao gewesen sein könnte. Den Aufstieg zur Hauptstadt eines Reiches verdankte die Stadt dann wohl ihrer verkehrsgünstigen Lage am Irawadi; der Fluss ermöglichte Kommunikation und Handel sowohl mit China als auch mit Niederbirma und unterwarf zugleich die wichtigen Reisanbaugebiete in Kyaukse und Minbu dem Zugriff Pagans. Über die Häfen Niederbirmas war die Stadt an die wirtschaftlichen und religiösen Netzwerke in der Bucht von Bengalen angeschlossen und außerdem lag sie nicht weit vom Knotenpunkt der alten Überlandroute, die China mit Oberbirma und über Manipur mit Bengalen verband.18

2.1. Pagan als buddhistische Kosmopolis In den Chroniken Birmas wird der Aufstieg Pagans einem fähigen HeerführerKönig namens Anawrahta (1044–1078) zugeschrieben, der Feldzüge in den Norden des Landes und vor allem nach Niederbirma unternahm. Die Expansion nach Süden brachte den Herrscher offenbar mit anderen als den in Oberbirma vorherrschenden religiösen Traditionen in Berührung, nämlich denen der Mon in Niederbirma und später auch mit dem Theravāda-Buddhismus singhalesischer Prägung. In Niederbirma lebte der Mönch Shin Arahan, der dem König so imponierte, dass er ihn in Pagan zum Oberhaupt des Ordens machte und mit seiner Hilfe den Saṅgha des Reiches reformierte. Mönche einer „Ari“ genannten Richtung, deren Lebenswandel nicht im Einklang mit den Regeln der Ordenszucht stand, wurden aus dem Saṅgha ausgeschlossen. Mit dieser vom König initiierten Saṅgha-Reform wurde der Theravāda gewissermaßen zur Staatsreligion erhoben. Erkennbar handelt es sich bei dieser Darstellung um eine rückwärts projizierte Vorstellung aus einer Zeit, als der Theravāda in der Bevölkerung tatsächlich diesen Status erreicht hatte. Ebensowenig kann verkannt werden, dass die Betonung der Rolle Shin Arahans bzw. der Mon-Tradition die Herkunft der Quelle aus Niederbirma verrät, nämlich der 1479 verfassten Kalyāṇī-Inschrift, auf die weiter unten noch näher eingegangen wird. Somit dürften auch die bei der Reform in Pagan als korrupt verrufenen Ari-Mönche diesem Ruf kaum entsprochen haben; eher wird man annehmen können, dass sie als Gegenbild einer Theravāda-Orthodoxie konstruiert wurden. Klar ist aber auch, dass Pagan im 11. Jahrhundert tatsächlich 16 Der Hinweis findet sich in einer Inschrift aus dem frühen 13. Jh., als zwei Hofdamen die sīmā reparieren ließen: Luce/Pe Maung Tin 1933: Pl. 31. 17 Grave/Barbetti 2001: 75–87. 18 Vgl. Frasch 1996: 58.

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von religiöser Vielfalt geprägt war, die sich zum Beispiel an einer durchaus substanziellen Gruppe aus Bengalen stammender Buddhisten festmachen lässt. Deren größere Nähe zum Mahāyāna ist insbesondere in der Kunst nachweisbar.19 Die Episode mit Shin Arahan sowie die gleichzeitig angebahnten Beziehungen nach Sri Lanka scheinen darauf anzuspielen, dass sich der Theravāda erst nach und nach durchsetzte. Unter König Anawrahtas Nachfolger Kyanzittha (1084 bis ca. 1112) hielten sich die beiden Traditionen in Pagan eine Zeit lang die Waage. Kyanzittha stützte sich einerseits wieder stärker auf die indisch-oberbirmanische Tradition, betonte seine Pyu-Wurzeln und schickte eine Gesandtschaft nach Indien, um den MahābodhiTempel in Bodh Gayā zu restaurieren.20 Andererseits aber begann sich in Pagan unter ihm die – vielleicht noch unter Anawrahta eingeführte – singhalesische Rezension des Kanons durchzusetzen, denn seit ca. 1070 stimmte die Reihenfolge der Jātakas, mit denen Tempel und Stūpas verziert wurden, mit jener der aus Sri Lanka importierten Version überein.21 Knapp 100 Jahre nach dem Tod Kyanzitthas trafen die beiden religiösen Traditionen dann erneut aufeinander. Uttarajīva, einer der führenden Mönche Pagans, war in Begleitung seines Schülers Chapaṭa nach Sri Lanka gegangen, wo sich Chapaṭa in der singhalesischen Tradition ordinieren ließ. Nach zehn Jahren Studium auf der Insel kehrte er zusammen mit vier Begleitern nach Pagan zurück, wo er einer von König Narapatisithu (1174–1211) initiierten Reform des lokalen Saṅgha vorsaß. Trotz der königlichen Unterstützung verweigerten sich allerdings manche Mönche Pagans diesem Ansinnen, so dass sich der Orden Pagans zunächst in zwei und später noch in weitere Ordinationslinien spaltete, weil sich nach Chapaṭas Tod auch seine Begleiter untereinander zerstritten. Dieser Bericht beruht wiederum auf der Kalyāṇī-Inschrift und muss entsprechend kritisch gelesen werden. Die Inschrift entstand, wie erwähnt, anlässlich einer erneuten Saṅgha-Reform und dem König als Auftraggeber kam es weniger darauf an, historische Fakten aufzuzeichnen (was 300 Jahre nach dem eigentlichen Ereignis ohnehin problematisch gewesen wäre), sondern eine für die eigene Gegenwart brauchbare Vergangenheit zu konstruieren. Zu dieser Gegenwart im 15. Jahrhundert gehörten offensichtlich voneinander separiert lebende Mönchsgemeinden, die der König wieder zusammenbringen wollte. Zugleich sollte den Mönchen eine Warnung aus der Geschichte mit auf den Weg gegeben werden, um zukünftigem Verfall der Ordenszucht und Auseinanderfallen des Saṅgha vorzubeugen. Aber die Inschrift verdient auch wegen der Zusammensetzung der Begleiter Chapaṭas Beachtung: Ānanda stammte ursprünglich aus Südindien, Rāhula aus Sri

19 Bautze-Picron 1999: 37–52; 2003: 8–9. Siehe auch Bautze 1999: 359–372. 20 Vgl. Frasch 1996: 98f. 21 Vgl. Luce 1956: 291–307 sowie Luce 1969: 61f.

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Lanka, Tāmalinda aus Kambodscha und Sīvalī aus Bengalen. Dass diese Regionen die Welt des Theravāda im 12. Jahrhundert repräsentierten, kann kaum ein Zufall sein. Bewusst ließ der Autor der Inschrift Mönche aus Regionen mit einer vermeintlich starken Theravāda-Tradition nach Pagan gehen, um dort in eine gemeinsame Ordinationslinie einzutreten. Symbolisch wurde so die srilankische Ordinationstradition in das neue geistige und intellektuelle Zentrum des Theravāda in Pagan überführt. Mit der Wiederholung der Prozedur im Pegu des 15. Jahrhundert schloss sich insofern ein Kreis, als die Theravāda-Orthodoxie nun an jenes alte Zentrum, dem Shin Arahan entstammte, zurückkehrte. Obwohl die Kalyāṇī-Inschrift nicht durch unabhängige Quellen kontrolliert werden kann, gibt es Hinweise darauf, dass sie einen faktischen Kern besitzt. Einen Hinweis darauf liefert der von König Narapati erbaute Dhammayazika-Stūpa. 1198 (also kurz nach der vermutlichen Ordinationsfeier) vollendet, ist sein Standort weit vor der Stadtmauer in einem Bereich, in dem auch die Klöster der Waldmönche (araññavāsin) Pagans inschriftlich belegt sind.22 Diese Tradition war in Sri Lanka entstanden und wurde dort seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert zur wichtigeren der beiden Saṅgha-Gliederungen, die an die Stelle der vorherigen Aufteilung in Mahāvihāra, Abhayagiri und Jetavana traten.23 In Pagan sind die ältesten Waldklöster seit dem frühen 13. Jahrhundert nachweisbar. Daneben befindet sich unweit des Stūpas der heute als Tāmani bekannte Klosterkomplex, dessen Name eine Verballhornung von Tāmalinda darstellt.24 Schließlich stammen aus dem Umfeld des Stūpas auch drei Pāli-Inschriften (darunter zwei erst vor wenigen Jahren entdeckte), die die Anwesenheit auswärtiger Mönche bei Saṅgha-Feiern in Pagan belegen und dabei auch eine „Reinigung“ des Saṅgha um 1248 erwähnen.25 Wie es Ereignisse nach der Reform von Narapati andeuten, besaß der Saṅgha in Pagan offenbar weder eine einheitliche Struktur noch eine geistliche Autorität. Die großen Klosterkomplexe Pagans verfügten über eine als sīmā abgegrenzte Ordinationshalle, in der Ordinationen und Beichtfeiern stattfanden. Die Mönche in diesen großen Klosterkomplexen formten also ein eigenständiges Kapitel (gaṇa, birman. gaing) und konnten im Extremfall sogar eine separate Gruppe (nikāya) gebildet haben, was sie in die Lage versetzt hätte, ordensrechtliche Akte ohne die Mithilfe anderer Mönche durchzuführen. Solche Klosterkomplexe bildeten in Pagan aber die Ausnahme; die große Mehrheit der Klosteranlagen verfügte neben dem Tempel bzw. Stūpa nur über eine einzige Zelle, die auch nur einem einzigen

22 Für diese Klöster ist im Vinaya ein Abstand von 500 dhanu (etwa zwei Kilometer) zur nächsten Siedlung vorgeschrieben, vgl. Frasch 1996: 291. 23 Bechert 1993: 11–21. 24 Luce/Pe Maung Tin 1939: Pl. 265f. Allerdings ist der Name des Mönches erst nach 1250 bezeugt. 25 Luce/Pe Maung Tin 1939: Pl. 302. Die beiden anderen Inschriften sind bisher noch nicht ediert.

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Mönch Raum bot. Ob diese „Einsiedler“ zu den vorgeschriebenen Beichtfeiern einen benachbarten Komplex aufsuchten oder sich in eine „öffentliche“ sīmā begaben,26 ist nicht bekannt. Es ist daher auch unklar, ob der Saṅgha in verschiedene Gruppen (nikāya), „Schulen“ oder sonstige Untergliederungen zerfiel. Dies gilt entsprechend für die Existenz eines Ordensoberhauptes oder saṅgharāja. Dieser Begriff taucht in den Inschriften vor 1300 nicht auf; erst im 14. Jahrhundert finden sich saṅgharājas in größerer Zahl, meinen dann aber zumeist ein Klosteroberhaupt.27 In Pagan scheint es ein formelles Ordensoberhaupt wohl nur in Form der königlichen Erzieher oder Ratgeber (rājaguru; birman. min-hsaya) gegeben zu haben. Das waren in der Regel jene Mönche, die den jungen Prinzen beim Klostereintritt in ihre Obhut genommen und ausgebildet hatten. Nach der Thronbesteigung fungierten sie dann entweder als königliche Ratgeber oder nahmen (dann wieder im Laienstand) ein Verwaltungsamt wahr. Solche geistlichen Räte sind für die gesamte Pagan-Zeit in großer Zahl bezeugt. Ihre prominente Stellung teilten sie aber mit weiteren Mönchen, die wegen ihres vorbildlichen Lebenswandels oder ihrer Gelehrsamkeit bei der Bevölkerung oder am Hof in hohem Ansehen standen. Als typische Vertreter solcher „Heiliger“ ragen in den Inschriften etwa die „Lumpenträger“ (pāṃsukūlikas) oder auch der Mönch Winidho (Vinayadhara) heraus.28 Zusammengenommen deutet dies darauf hin, dass der Saṅgha von Pagan weder eine einheitliche, hierarchische Struktur noch ein einzelnes Oberhaupt in der Person eines saṅgharāja oder gar mahāsaṅgharāja besaß. Entsprechend scheint er sich allen königlichen Reformversuchen erfolgreich widersetzt zu haben – auch dies ist ein Strukturmerkmal, das das Verhältnis zwischen Königtum und Mönchsorden in Birma über die Jahrhunderte hinweg kennzeichnete. Tatsächlich war Pagan im 13. Jahrhundert eine kosmopolitische Metropole, die mit einer gewissen Berechtigung als „Welthauptstadt des Buddhismus“ betrachtet werden kann. Die Stadt bzw. das Reich standen nicht nur mit buddhistischen Gemeinden in Süd- und Südostasien (und vielleicht sogar darüber hinaus) in Verbindung, sondern hatten auch Mönche und Laien als Pilger und Besucher zu Gast, in vielen Fällen auch für längere Zeiten. Besonders intensiv war der Austausch mit Bengalen und Sri Lanka.29 Bengalischer Einfluss ist vor allem in der frühen Kunst und Architektur Pagans nachweisbar;30 umgekehrt zeigten die Herrscher Pagans großes Interesse am Mahābodhi-Tempel von Bodh Gayā. Vor 1300 schickten sie 26 Inschriftlich bzw. durch noch erhaltene Grenzsteine sind solche sīmās auf dem Mt. Tuyin im Südosten von Pagan und im freien Feld nahe des Flughafens von Pagan/Nyaung-U zu finden. Zudem gibt es die Upali-thein, die wohl schon zur Pagan-Zeit bestand, ihr jetziges Aussehen aber erst im 18. Jh. erhielt. 27 Vgl. auch Bodes Einleitung zu ihrer Edition des Pāli-Textes des Sāsanavaṃsa (Bode 1897: 30). 28 Vgl. Frasch 1996: 299–302. 29 Vgl. Frasch 1998. 30 Vgl. Bautze-Picron 1999; 2003.

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mindestens drei Gesandtschaften nach Bodh Gayā, um Reparaturen am Tempel auszuführen, und nicht zuletzt wurde im Zentrum der Zitadelle von Pagan eine detailgetreue Kopie des Tempels errichtet.31 Der Kontakt mit Sri Lanka reichte ebenfalls bis in das späte 11. Jahrhundert zurück und erstreckte sich auf kanonische Schriften und deren Auslegung, Grammatiken und Briefe, Reliquien und Kunstwerke, Ordinationslinien und religiöse Ideen. Im Süden Pagans befanden sich eine Reihe von Klöstern, in denen offensichtlich vor allem singhalesische Mönche lebten. Dagegen sind die Kontakte mit Kambodscha Teil des buddhistischen Netzwerkes; dies geht aus der bereits genannten Pāli-Inschrift von 1248 hervor, derzufolge der kambodschanische Mönch Subhuticanda an einer Reform des Saṅgha in Pagan teilnahm.32 Die Pāli-Inschriften sind das beste Zeugnis für die Theravāda-Ökumene Pagans,33 denn die Sprache des Kanons diente Mönchen als lingua franca für die Verständigung untereinander. Mit mindestens sechs langen sowie mehr als zwanzig kürzeren Pāli-Inschriften besitzt Pagan ein reichhaltiges und bisher noch kaum bearbeitetes Korpus mittelalterlicher Pāli-Literatur. Eine Bibliothek mit dem vollständigen Pāli-Kanon auf Palmblatt gehörte in Pagan zur Grundausstattung jedes Klosters. Dies gilt nicht nur für die drei oder vier großen Klosterkomplexe, in denen jeweils 30 oder mehr Mönche wohnten, sondern auch für die vielen kleinen Klosteranlagen. Regelmäßig wurden ihnen umfangreiche und, im Hinblick auf die Herstellungskosten, auch teure Bibliotheken vermacht.34 Mönche betrachteten das Abschreiben der kanonischen Schriften auf Palmblatt als selbstverständliche Aufgabe, so dass Stifter keine Probleme hatten, eine Kopie zu erwerben. Neben dem einfachen Kopieren beschäftigten sich Mönche auch damit, Hilfsliteratur wie Grammatiken, Kommentare (aṭṭhakathās, tikas) oder Übersetzungen anzufertigen, letztere meist im so genannten Nissaya-Stil, bei dem sich kurze Abschnitte des Pāli-Textes mit der wörtlichen birmanischen Übersetzung abwechseln.35

31 Zu den Kontakten mit Bengalen/Nordindien siehe Frasch 1998 passim; Frasch 2000: 41– 49. 32 Luce/Pe Maung Tin 1939: Pl. 302. Vgl. Luce/Tin Htway 1976: 207f. Leider ist die Inschrift zu verwittert, um noch vollständig entziffert werden zu können. 33 Für weitere Regionen wie etwa Nordthailand kann vergleichbarer Austausch nur angenommen werden, da eindeutige Belege fehlen, vgl. Woodward 1994: 99–104. 34 Frasch 1996: 323–325. Eine Inschrift aus dem Jahr 1273 zeigt, dass eine vollständige Abschrift des Kanons (3000 Kyat) fast genauso teuer war wie der Bau des Klosters (3400 Kyat). Die umfangreichste Bibliothek Pagans, die nicht weniger als 25 verschiedene Texte und Textsammlungen verzeichnet, wurde 1223 einem Kloster am Südrand der Stadtmauer gestiftet, vgl. Than Tun 1998: 37–55. 35 Für einen Versuch, mögliche Autoren religiöser Schriften zu identifizieren, siehe Frasch 1996: 328–335. Allerdings bleibt die weitere Erforschung der buddhistischen Literatur der Zeit ein Desideratum. Als allgemeiner Überblick ist noch immer Bode 1909 unverzichtbar.

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2.2. Der Niedergang Pagans Die Hauptstadt Pagan behielt ihre Stellung als Hort buddhistischer Gelehrsamkeit auch noch nach ihrem Niedergang als politisches Zentrum. Im 13. Jahrhundert zeigte es sich immer deutlicher, dass die religiöse Verdienstökonomie, also die Produktion religiösen Verdienstes durch Stiftungen, zu Lasten der materiellen Ökonomie gehen musste; zugleich scheint ein regelmäßiger Zustrom von Shan-Thai-Völkern in die Zentralebene Birmas für Veränderungen in der Sozialstruktur gesorgt zu haben. Aufstände an der Peripherie des Reiches konnten nur noch mit Mühe unterdrückt werden und die Krise eskalierte, als in den 1280er Jahren die Mongolen in den Norden Birmas vordrangen. Der letzte König Pagans, Narasihasura, versetzte sowohl dem imperialen Königtum als auch dem sakralen Zentrum den Todesstoß, indem er vor den heranrückenden Mongolen aus der Hauptstadt nach Süden floh. Um 1286 besetzten die Mongolen die Stadt, und als sie sich wenige Jahre später wieder aus Birma zurückzogen, hatte Pagan seine politische und sakrale Bedeutung eingebüßt. Die nachfolgenden Herrscher zogen in neue Residenzstädte um, unter denen das 1364 gegründete Ava (Inwa) die größte Bedeutung erlangte. Pagan wurde jedoch nie völlig aufgegeben; so bestanden zum Beispiel die großen Klosterkomplexe weiter und erhielten noch im ausgehenden 14. Jahrhundert Spenden von der lokalen Bevölkerung.36 Mit den Mönchen blieb Pagan auch das literarische Schaffen erhalten. Ein herausragendes Beispiel stammt aus dem Jahr 1442, als der Lokalgouverneur ein Kloster Pagans mit einer Bibliothek ausstattete, die zu den größten ihrer Art in Birma (wenn nicht sogar des Theravāda insgesamt) gehörte. Annähernd 300 Texte und Textsammlungen sind in der Inschrift aufgelistet, darunter eine Reihe von Werken, die sonst nirgendwo belegt sind.37 Aus dem nachfolgenden 16. Jahrhundert sind Zeugnisse für das religiöse Leben in Pagan eher rar, was wohl aus den anhaltenden kriegerischen Unternehmungen der Herrscher und der damit verbundenen kurzzeitigen Verlagerung des politischen Schwerpunktes Birmas nach Süden resultierte. Mit der Rückführung der Hauptstadt nach Ava 1634 florierte auch Pagan wieder, was sich etwa an der Zahl der Stiftungen ablesen lässt. In der Folge stieg die literarische Produktion im Ort wieder an; ein prominentes Beispiel sind die um 1650 verfassten Schriften des Mönches Jambudhaja zur Grammatik des Pāli.38 Ab dieser Zeit begannen sich auch die Herrscher Birmas wieder verstärkt für das frühere politische und religiöse Zentrum ihres Reiches zu interessieren und ließen verfallene Monumente reparieren. Im 18. Jahrhundert etwa erhielt die alte Bibliothek von Pagan (Pitakattaik), die angeblich von König Anawrahta erbaut worden war, ihre heutige Gestalt.39 36 37 38 39

Zur Geschichte Pagans nach 1300 siehe Frasch 2002: 32–59. Vgl. Luce/Tin Htway 1976: 218–248 sowie Bode 1909: 101–109. Bode 1909: 55. Zu den verschiedenen Siedlungs- und Bauphasen in Pagan vgl. auch Than Tun 1976: 49–96.

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3. Das Jahr 1456: Eine buddhistische Ökumene Das 15. Jahrhundert wurde von einem Ereignis geprägt, das die gesamte Welt des Theravāda betraf. Im Jahre 1456 jährte sich Buddhas endgültiges Verlöschen (parinibbāna) zum zweitausendsten Mal, was in der gesamten Welt des Theravāda Herrscher, Mönche und Laien bewog, sich mit den Wurzeln und der Zukunft ihrer Religion zu befassen. Da die Formen und Ziele dieser Suche sich in Südostasien – bei aller Konkurrenz zwischen den verschiedenen Reichen untereinander – ähnelten, kann man durchaus von einer ökumenischen Bewegung des Buddhismus sprechen. Gemeinsame Grundlage war die Annahme, dass die Lehren Buddhas fünftausend Jahre bestehen würden, in diesem Zeitrahmen aber allmählichem Verfall unterworfen wären. Am Ende der Periode sollte der zukünftige Buddha Metteyya erscheinen und die Lehre erneuern. Nach Ansicht des großen Kanon-Kommentators Buddhaghosa, der im 5. Jahrhundert in Sri Lanka lebte, sollte sich der Niedergang der Religion in fünf Etappen von jeweils eintausend Jahren vollziehen. Seit dem Ende des ersten Millenniums hatte sich jedoch die neue Ansicht verbreitet, dass der Niedergang durch geeignete Maßnahmen aufgehalten werden könne. Vier Bereiche spielten in diesem Zusammenhang eine Rolle. Zunächst dachte man an die erprobte Maßnahme einer Reform des Saṅgha sowie an die Fixierung und Standardisierung des Kanons. Beides konnte im Rahmen eines Konzils verwirklicht werden. Dann suchte und besuchte man die originalen Stätten des Buddhismus sowohl in Nordindien, der Heimat Buddhas, als auch in Sri Lanka, dem Ursprungsland des Theravāda. Dies ging mit der Vereinheitlichung von Zeitrechnung und Geschichtsschreibung einher und schließlich versprach auch die Ausbreitung der Lehre durch Mönchs-Missionare ihren Niedergang zu stoppen.40 Zur Mitte des 15. Jahrhunderts war Birma politisch in drei Herrschaftsbereiche aufgeteilt. In Arakan bestand seit etwa 1430 ein unabhängiger Staat mit der Hauptstadt Mrauk-U (oder Mrohaung), wo eine Reihe bedeutender buddhistischer Bauwerke errichtet wurde. Die politische Stabilität Oberbirmas litt einerseits unter den wiederholten Einfällen nicht-buddhistischer Shan-Völker und andererseits unter dem Kampf verschiedener lokaler Fürsten gegeneinander. Nach der erneuten Eroberung Avas (1527) wurde der Herrschersitz schließlich in das weiter südlich gelegene Taung-ngu verlegt, das zur kurzzeitigen Hauptstadt der neuen birmanischen Dynastie avancierte. Dritte politische Kraft waren die Mon in Niederbirma, deren politisches Zentrum Pegu war. Dort regierte seit 1460 König Dhammaceti, ein ehemaliger Mönch, dem seine Schwiegermutter Shin Saw Bu zum Thron verholfen hatte.

40 Vgl. Frasch 2014: 347–367.

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In diese Zeit der politischen Wirren und militärischen Auseinandersetzungen fiel das Jahr 1456 und damit das Ende des zweiten Millenniums. Gemäß Buddhaghosas Neuinterpretation hätten nun erste Verfallserscheinungen der Religion sichtbar werden müssen, aber in bemerkenswerter Einmütigkeit besannen sich die Herrscher Birmas, Thailands und Sri Lankas auf ihre Rolle als Bewahrer und Beschützer der Religion und stellten sich mit den oben genannten Maßnahmen dem Niedergang entgegen. Ein Beispiel ist die von König Dhammaceti angeregte Ordensreform, die zwischen 1476 und 1479 in Pegu stattfand. Im Bericht über die Reform machte der Herrscher seine Motivation klar: Die Religion hatte – nach buddhistischer Zählung – erst das Jahr 2020 erreicht, und doch fanden sich im Saṅgha fehlerhaft ordinierte Mönche, die auch den genauen Wortlaut des Kanons nicht mehr kannten.41 Eine Gruppe von Mönchen sollte daher nach Sri Lanka gehen, sich neu ordinieren lassen und mit der singhalesischen Texttradition vertraut machen. Zurück in Niederbirma sollten sie dann einer Neuordination des lokalen Saṅgha vorstehen. Mönche, die sich der Neuordination verweigerten, waren damit aus dem Orden ausgestoßen. 1476 setzten die Mönche nach Sri Lanka über und nahmen nach ihrer Rückkehr 1479 die Neuordination unter Beachtung aller einschlägigen Vorschriften vor. Als äußeres Zeichen für den Neuanfang ließ der König in Pegu einen Tempel errichten, der von den sieben Stationen nach Buddhas Erleuchtung umgeben war. Mit Hilfe des Tempels versuchte der Herrscher, seine Hauptstadt Pegu zu einem zweiten Bodh Gayā zu machen.42 Der Herrscher von Arakan stand Nordindien geographisch am nächsten, orientierte sich aber wie Dhammaceti und Trailokya in Chiang Mai nach Sri Lanka. Zeugnis dieser Verbindung sind eine Reihe von datierten Buddhastatuen, die singhalesischen Einfluss aufweisen und allesamt aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen.43 Auch der König von Ava, Mohnyin Thado, trat mit dem Ursprungsland des Theravāda in Kontakt, um Ableger vom Mahābodhi-Baum in Anurādhapura zu erlangen. Vermutlich kann die Bibliothek mit kanonischen Schriften, die der Gouverneur von Pagan 1442 einem Kloster der Stadt vermachte, als Teil der Bemühungen gesehen werden, dem Niedergang der Religion vorzubeugen. Ein weiteres gemeinsames Merkmal dieser buddhistischen Ökumene ist der buddhistische Kalender, der ja die eigentliche Grundlage der millenaristischen Vorstellungen bildete, und der nun für die gesamte Welt des Theravāda verbindlich wurde. Mit der Rückbesinnung auf die gemeinsamen Wurzeln und die Verwendung der einheitlichen Zeitrechnung scheint auch eine gewisse Standardisierung

41 Taw Sein Ko 1892: 38. 42 Stadtner 1990: 53–60. Zur Mission nach Bodh Gayā vgl. Griswold 1965: 186–187. 43 Raymond 1995: 469–501. Vgl. Griswold 1958 für datierte Statuen aus Thailand.

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der Geschichtsschreibung einhergegangen zu sein. Auf der Grundlage der singhalesischen Chroniken entstanden nun auch in Südostasien regionale bzw. lokale Chroniken zur Geschichte des Buddhismus. Die älteste erhaltene Chronik Birmas, die so genannte „Berühmte Chronik“ des Mönches Shin Silavamsa, ist im Kern eine Kurzfassung des Dīpavaṃsa mit birmanischer Übersetzung. Den Schluss der Chronik bildet eine Liste der Könige Birmas, das damit in den Fluss der buddhistischen (Heils-)Geschichte eingebettet wird.44 Praktisch gleichzeitig wurden mit dem Jinakālamālīpakaranam (1516) und dem Phün Khun Borom (1512) zwei Chroniken verfasst, die die Geschichte des Buddhismus in Chiang Mai und Luang Prabang überliefern.45 Waren die Chroniken wichtig, um lokale Gemeinden an die historischen Wurzeln des Buddhismus anzubinden und den ununterbrochenen Fortbestand der Lehre aufzuzeigen, so diente die Kopie des Kanons der Bewahrung ihres Wortlautes. Der Beginn des neuen Jahrtausends und der damit möglich werdende Verfall der Religion spornte Mönche und Stifter an, die Textgrundlage möglichst umfassend aufzuzeichnen und offenkundig auch weiterzuverbreiten. Die Kanonisierung der buddhistischen Lehre war Teil aller Reformbemühungen und es ist daher wohl kein Zufall, dass die ältesten erhaltenen laotischen Palmblattmanuskripte mit PāliLiteratur im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert abgefasst worden sind.46 Selbst aus Indonesien konnten anscheinend noch buddhistische Schriften bezogen werden, was die Reichweite der buddhistischen Ökumene des 15. Jahrhunderts andeutet.47

4. Der Buddhismus in Birma im 16. und 17. Jahrhundert Über der Betrachtung der Reformbewegungen im 15. Jahrhundert darf nicht vergessen werden, dass die gesamte Periode bis zum Ende des 16. Jahrhunderts politisch instabil war. Daran änderte auch der Aufstieg einer neuen birmanischen Dynastie nichts, die ab 1527 von Taung-ngu aus regierte. Einer der bedeutendsten Herrscher dieser Dynastie war Bayinnaung (1555–1584). Er einte nicht nur die Kernzone Birmas,48 sondern unterwarf auch Lan Na (Nordthailand), das im Grunde 44 Silavamsa 1965. 45 Jayawickrama 1968. Allerdings reicht die buddhistische Chronistik Nordthailands mit dem Cāmadevīvaṃsa noch um ein Jahrhundert weiter zurück. Diese Chronik war aus Anlass der Einführung der singhalesischen Ordinationstradition in Lamphun in der Mitte des 14. Jh. angefertigt worden. Für Laos siehe Photisane 2002: 73–94. 46 von Hinüber 1990: 56–77. 47 Lokesh 1979: 271. 48 Die Eroberung Pegus (1598) blieb jedoch seinem Sohn Nyaungyan Min vorbehalten.

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bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts unter birmanischer Oberherrschaft blieb.49 In die Regierungszeit Bayinnaungs fiel ein weiteres, für die Geschichte des Buddhismus bedeutsames Ereignis, das je nach Standpunkt der beteiligten Akteure anders dargestellt wurde. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war den Portugiesen bei der Eroberung Sri Lankas die Zahnreliquie Buddhas in die Hände gefallen. Die Zahnreliquie markierte seit der Aufgabe der früheren alten Hauptstädte Sri Lankas, Anurādhapura und Polonnaruwa, das politische und sakrale Zentrum der Insel, galt den Portugiesen aber als Inbegriff des Heidentums schlechthin. Portugiesischen Chronisten zufolge wurde daher die Reliquie dem Bischof von Goa übersandt, der sie verbrennen ließ. Nach singhalesischer Darstellung konnte sie allerdings Wunder vollbringen und erhob sich aus dem Feuer, um nach Sri Lanka zurückzufliegen, wo ihr in Kandy ein neuer Tempel erbaut wurde. Eine dritte Version findet sich in den birmanischen Chroniken, denen zufolge König Bayinnaung eine Gesandtschaft nach Goa schickte, die den Vizekönig gegen Bezahlung einer größeren Summe dazu bewog, die Reliquie herauszugeben. In Birma wurde sie zunächst in Taung-ngu, danach in Pegu und schließlich in Ava aufbewahrt, wo König Thalun sie im Kaungmhudaw-Stūpa einmauern ließ.50 Neben Bayinnaung ragt unter den Herrschern der Taung-ngu-Dynastie König Thalun (1629–1648) heraus, der das Reich reorganisierte. 1634 verlagerte er die Hauptstadt von Pegu zurück nach Ava; zugleich ließ er ein landesweites Kataster anlegen, was die Überprüfung allen Klosterbesitzes anhand von Schenkungsinschriften mit einschloss. Rechtmäßigen Klosterbesitz bestätigte der Herrscher, wodurch er eine verdienstvolle Tat vollbrachte. Alles übrige Land fiel jedoch an weltliche Eigentümer zurück und wurde dadurch auch wieder besteuerbar.51 Unter König Sane (1698–1714) nahm ein Konflikt seinen Anfang, der den Saṅgha Birmas viele Jahre beschäftigen sollte. Schon zur Pagan-Zeit hatten sich im Orden die beiden Gruppierungen der Waldmönche (araññavāsin) und der Stadtmönche (gāmavāsin) herausgebildet. Dahinter verbergen sich keine unterschiedlichen Auslegungen der Doktrin oder abweichende Regelungen der Ordenszucht; und Mönche beider Gruppen können Beicht- oder Ordinationsfeiern gemeinsam abhalten. Die Abgrenzung ist in erster Linie formaler Natur. Waldmönche drücken ihre Weltentsagung aus, indem sie ihre Klöster in einem Abstand von mindestens 500 „Bogenlängen“ (ca. zwei Kilometer) Entfernung zur nächsten Siedlung errichten. Sie können mehr Zeit mit Meditieren verbringen, 49 Vgl. Grabowsky 2005. Zur politischen Geschichte Birmas unter der Taung-ngu-Dynastie siehe Lieberman 1984. 50 Der Stūpa wurde tatsächlich von Thaluns Sohn Pindale vollendet und geweiht. 51 In keinem der bekannten Fälle solcher Untersuchungen, die wohl schon in der PaganZeit einsetzten, lässt sich eine widerrechtliche Aneignung bzw. Konfiskation durch den König erkennen. Die oft wiederholte Behauptung, Saṅgha-Reformen hätten primär der Vergrößerung des königlichen Landbesitzes gedient (Aung-Thwin 1979: 671–688), entbehrt also jeder Grundlage.

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während von den gāmavāsins Lehrtätigkeit wie Schulunterricht oder Predigen erwartet wird.52 Am Ende des 17. Jahrhunderts spaltete sich die WaldklosterBewegung über der Frage, ob ein Mönch beim Verlassen des Klosters beide oder nur eine Schulter mit seiner Robe bedecken müsse. Der als ekaṃsika-pārupaṇa bekannte Streit rief heftige Reaktionen hervor; mancherorts wurde Mönchen, die der leichteren Auslegung folgten, der Zutritt zu Klöstern verweigert. Der König berief ein Konzil ein, auf dem beide Seiten ihre Position begründen mussten. Zum Vorsitzenden über das Konzil bestimmte der König seinen Lehrer und verlieh ihm den Titel eines Vinayadhara („Bewahrer des Vinaya“), der hier erstmals im Zusammenhang mit geistlicher Oberaufsicht erscheint. Nach der Anhörung beider Seiten erklärte sich der Mönch jedoch außerstande, eine Entscheidung zu treffen, woraufhin der König im Alleingang verfügte, dass beide Schultern zu bedecken seien. Da dem König die geistliche Autorität fehlte, widersetzten sich viele Mönche der neuen Kleiderordnung. Auch nachfolgenden Herrschern und ihren Vinayadharas gelang es nicht, eine Entscheidung herbeizuführen, so dass sich der Streit mehr als einhundert Jahre hinzog.53 Erst Badon Min (1782–1819) beendete den Streit zugunsten der pārupaṇas, d. h. der Bedeckung beider Schultern. Am ekaṃsika-pārupaṇa-Streit lässt sich das eingangs angesprochene Grundproblem des Saṅgha in Birma und seines Verhältnisses zum Herrscher bzw. Staat illustrieren: Der Orden besaß keine oberste Instanz, die ordensrechtliche Regelungen zu erlassen und durchzusetzen vermocht hätte, und auch königliche Eingriffe blieben letztlich immer Episoden, die die Unabhängigkeit des Ordens und sein Beharrungsvermögen bestenfalls vorübergehend überwinden konnten.

5. Die Konbaung-Zeit und die Kolonialherrschaft Die Konbaung-Dynastie verdankte ihren Aufstieg einem Aufstand, in dessen Verlauf niederbirmanische Rebellen die Hauptstadt Ava einnahmen und deren Herrscher töteten. Der Gouverneur von Shwebo scharte daraufhin die geschlagenen oberbirmanischen Truppen um sich und startete einen Gegenangriff, der ihn bis 52 Oft wird der asketischere Lebenswandel der Waldmönche mit den „weltlichen“ Praktiken der Stadtmönche kontrastiert. Tatsächlich gibt es Beispiele für gāmavāsins, die sich mit astrologischen Deutungen, der Herstellung von Medizin oder sogar okkulten Praktiken beschäftigen. Auch die Pwekyaung-Bewegung in Birma, in der physische Ertüchtigung und asiatische Kampftechniken praktiziert wurden, wird oft als Teil der Stadtmönch-Bewegung angesehen, obwohl diese Körperarbeit als Meditation angesehen wurde und sich ihre Klöster oft außerhalb von Siedlungen befanden. 53 Siehe Sāsanavaṃsa (Law 1952: 124–125). Einen Überblick der Religionsgeschichte der Taung-ngu-Zeit gibt Than Htut 2000: 89.

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nach Rangun (Yangon) führte. Zurück in Ava ließ er sich als Alaungpaya (1752– 1764) zum König ausrufen und bemühte sich danach um die Wiederherstellung der früheren Größe des Reiches. Beim Versuch, das nach Unabhängigkeit strebende Nordthailand wieder seinem Reich einzugliedern, starb Alaungpaya jedoch und auch seine Söhne, die ihm auf dem Thron nachfolgten, scheiterten daran. Alaungpayas jüngster Sohn Badon Min (auch Bodawpaya genannt) verzichtete daher auf weitere Kriegszüge gegen Thailand und wandte sich stattdessen Arakan zu, das er 1784 eroberte. In einer logistischen Großtat ließ er danach die größte und wichtigste Buddhastatue Arakans, den Mahāmuni, aus der Hauptstadt Mrauk-U nach Amarapura überführen, wo ein neuer Tempel für sie errichtet wurde. Der Mahāmuni-Tempel ist bis heute eine der wichtigsten religiösen Stätten Birmas. Badon Mins Feldzug beendete die jahrhundertealte Unabhängigkeit Arakans. Zwar hatte es schon seit der Pagan-Zeit Versuche der Mon und Birmanen gegeben, diesen Küstenstreifen zu erobern, doch verhinderte die Topographie immer wieder die dauerhafte Eingliederung in ein zentralbirmanisches Reich. Insbesondere die Periode zwischen der Mitte des 15. und des 17. Jahrhunderts kann als Blütezeit Arakans angesehen werden, was sich nicht zuletzt in der Sakralarchitektur der Hauptstadt Mrauk-U manifestierte.54 Auch die Religionspolitik der Herrscher Arakans lässt diese Eigenständigkeit erkennen, wie es die bereits erwähnten, nach singhalesischen Vorbildern angefertigten Buddhastatuen belegen. Daher kann es nicht verwundern, dass sich der singhalesische Saṅgha zu Beginn und am Ende des 16. Jahrhunderts nach Arakan wandte, um von dort Mönche für eine geplante Ordensreform nach Sri Lanka einzuladen.55 König Badon Min machte auch als Modernisierer des birmanischen Staates von sich reden, wobei er die Beziehung zum Saṅgha auf eine neue Grundlage zu stellen versuchte. Nach birmanischer Tradition hatte er als junger Mann einige Jahre im Kloster verbracht und dort eine umfassende Ausbildung genossen. Daher interessierte er sich für religiöse Fragen, disputierte regelmäßig mit Mönchen und betraute sie auch mit Aufgaben in der Verwaltung des Reiches. Tatsächlich zog er die intellektuelle Auseinandersetzung der militärischen vor: Mit den Feldzügen wie der Eroberung Arakans betraute er seine Söhne oder fähige Heerführer und kümmerte sich stattdessen von seiner Hauptstadt Amarapura aus um Festigung des noch jungen Reiches. Badon Min folgte dem Vorbild früherer Herrscher und ließ ein neues Landkataster erstellen, das Klöstern und Tempeln ihr Eigentum bestätigte, aber zugleich auch besteuerbaren weltlichen Besitz auswies und aufzeigte, welche Abgaben üblich waren.56 Damit einhergehend ordnete der König

54 Vgl. Gutman 2001. 55 Jayatilaka 1940: 1–6; Fernando 1959: 41–46. 56 Trager/Koenig 1979 sowie Koenig 1990.

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die Zentralverwaltung neu, indem er Regierungsdepartments mit fachlichen Zuständigkeiten schuf. Bei diesen Reformen kam dem König zugute, dass er auf eine Gruppe ihm vertrauter Mönche zurückgreifen konnte, die seine intellektuelle Neugier teilten und sich über die Bereiche klassischer Mönchsgelehrsamkeit hinaus auch mit westlicher Wissenschaft und Technik beschäftigten. Dies geschah nicht ohne Widerstände, da es auch im Orden Vertreter einer alten Schule gab, die Neuerungen ablehnten.57 Die Gruppe der Vertrauten des Königs rekrutierte sich vor allem aus Klöstern am Unterlauf des Chindwin und kannte den Herrscher zum Teil auch schon aus dessen Jugend. Allen voran war dies der Mönch Nyanabhivaṃsa oder Mahadhammathingyan (Mahādhammasankram), der erste Maungdaung Sayadaw, zu dem der König ein besonderes Verhältnis pflegte.58 Der Mönch war Erzieher des Königs gewesen und diente dem Herrscher auch weiterhin als Ratgeber und Diskussionspartner zu Fragen der buddhistischen Doktrin und Praxis. Allerdings akzeptierte der König nicht alle Textauslegungen des Mönches und stellte ihn vor die Wahl, zu widerrufen oder die Robe abzulegen. Als der Mönch sich weigerte, wurde er vom König 1813 in einem öffentlichen Akt aus dem Orden verstoßen, danach jedoch mit verschiedenen Ministerämtern betraut. Dieser Akt war umso bemerkenswerter, als der König den Mönch zuvor zum saṅgharāja ernannt und damit über den restlichen Saṅgha gesetzt hatte. Diese Episode wirft ein bezeichnendes Licht auf die schwierige Beziehung zwischen Herrscher und Saṅgha. Der König konnte Ämter und Titel gegebenenfalls genauso wieder entziehen, wie er sie verliehen hatte. Dieser Abhängigkeit vom König stand das Fehlen einer hierarchischen Ordnung gegenüber, die ihre geistliche Autorität nach unten abgesichert hätte. Es spricht daher für Badon Min, dass er zu Beginn seiner Regierungszeit versuchte, eine Hierarchie des Saṅgha zu schaffen, indem er einen Rat aus vier erfahrenen Mönchen einberief und Mönche zu saṅgharājas ernannte. Diesen Mönchen stellte der König vier weitere jüngere Mönche zur Seite, so dass der Rat aus insgesamt acht Mitgliedern bestand. Über den Rat setzte der König dann aber noch einen jungen Mönch (den Maungdaung Sayadaw) als mahāsaṅgharāja oder Sāsanabaing (Thathanabaing).59 Der Rat sollte als oberste Instanz über alle die Religion betreffenden Streitfragen entscheiden. Mit diesem Gremium im Rücken wagte sich der König an die Lösung des ekaṃsikapārupaṇa-Streites. Die beiden Parteien erhielten nochmals Gelegenheit, ihre Posi57 Charney 2006. 58 Birmanische Mönche nehmen bei der Ordination normalerweise einen Pāli-Namen an; angesehene Mönche (sayadaws) sind aber oft auch mit dem Namen ihres Klosters oder ihrem Herkunftsort bekannt. 59 Ray 1946: 234; Sāsanavaṃsa (Law 1952: 135–137). Die Bezeichnung Thathanabaing ist ein Kompositum aus Pāli sāsana („Religion“) und birman. baing („besitzen, innehaben“). Die Schreibweise Thathanabaing ergibt sich aus dem Umstand, dass im Birmanischen das „s“ wie ein englisches „th“ ausgesprochen und entsprechend transliteriert wird.

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tion zu begründen, und da es für das schulterfreie Tragen der Robe keine kanonische Grundlage gab, wurde den Mönchen des Reiches dieser Brauch untersagt.60 Unter Badon Min wurden auch die Kontakte zum Saṅgha Sri Lankas erneuert. Dort waren viele Klöster zu Familienbesitz geworden,61 weshalb der neue König von Kandy um 1750 einen weiteren Reformversuch unternahm. Da die politische Situation in Birma die Mitwirkung birmanischer Mönche verhinderte,62 bediente er sich der Mithilfe thailändischer Mönche, um 1758 die Mehrheit der singhalesischen Mönche neu und gültig zu ordinieren.63 Allerdings blieb der Zugang zum Reformorden – nach seiner Herkunft S(i)yāma-Nikāya genannt – den Angehörigen der singhalesischen Oberschicht (der so genannte Goyigama-Kaste) aus Kandy vorbehalten. Unter niederländischer und später englischer Kolonialherrschaft waren jedoch niedere Kasten dank Handel und Plantagenwirtschaft zu Reichtum gekommen.64 Da ihnen von den Goyigamas der Zugang zum Orden und das damit verbundene Prestige verwehrt wurde, wandten sie sich erneut an den birmanischen König, um mit Hilfe birmanischer Mönche einen eigenen nikāya zu begründen. 1802 reisten dreizehn Mönche aus Birma nach Sri Lanka und standen einer Ordinationsfeier vor, aus der der so genannte Amarapura-Nikāya hervorging.65

5.1. Reformen im Zeichen der Kolonialherrschaft Mit zunehmendem Alter kehrte Badon Min wieder zu einem traditionelleren Herrschaftsverständnis zurück und begann nach bester birmanischer Sitte, als Alterswerk einen Tempel zu bauen. Die Anlage in Mingun sollte, einem königlichen Erbauer angemessen, der größte buddhistische Tempel der Welt werden. Er blieb 60 Bei aller Ausführlichkeit, die der Vinaya hinsichtlich der Kleidung von Mönchen sonst zeigt, ist er an dieser Stelle stumm. Der Mönch Atula, der die ekaṃsikas in der entscheidenden Disputation vertrat, konnte sich nur auf einen späten Kommentar beziehen, der als nicht maßgeblich widerlegt wurde (Sāsanavaṃsa, Law 1952: 134–139). Allerdings blieb eine Minderheit des Saṅgha trotz des königlichen Verbotes bei ihrer Gewohnheit, und bis heute kann man in Birma Mönchen begegnen, die außerhalb des Klosters eine Schulter unbedeckt lassen. 61 Vgl. Malalgoda 1976: 73–106. 62 Zu diesem Zweck war am Ende des 17. Jh. die bereits erwähnte Mission nach Arakan gesandt worden, um Mönche für eine Ordinationsfeier nach Sri Lanka einzuladen. 63 Vgl. Malalgoda 1976: 61–65. Blackburn 2001 spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen „textual community“, die die Mönche in Thailand und Sri Lanka zusammengehalten habe. Ihre Betonung des Neuen scheint allerdings die intensiven Verbindungen der vorausgehenden Jahrhunderte zu unterschätzen. 64 Vgl. Roberts 1995; Jayawardena 2002. 65 Eine weitere Delegation hielt sich zwischen 1837 und 1841 in Birma auf. Ihr Zweck war offenbar die Festigung der Beziehungen bzw. die Bestätigung der Ordination, da Mönche des Siyāma-Nikāya den Amarapura-Nikāya nicht anerkannten. Vgl. Sāsanavaṃsa (Law 1952: 148).

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aber unvollendet, weil entweder die Baumeister die Masse der Bausubstanz unterschätzten oder ein Erdbeben die Fundamente des Bauwerkes verschob. Jedenfalls wurde der Tempel von Mingun nie regulär vollendet, indem man einen Schirm auf seine Spitze aufgesetzt hätte.66 Nur die zum Tempel gehörende Glocke – mit fast 90 Tonnen Gewicht ist sie die zweitschwerste Glocke der Welt und die größte noch klingende – war beim Tod des Königs im Jahr 1819 gegossen. Badon Mins Nachfolger Bagyidaw und Tharrawaddy Min vergaben beide den Titel eines saṅgharāja an ihre jeweiligen Erzieher, Paññasīha und Suriyavaṃsa, und setzten sie als Ordensoberhäupter ein. Der Fall Suriyavaṃsas ist insofern bemerkenswert, als er bald nach der Ernennung starb und der König daraufhin Suriyavaṃsas Schüler Neyyadharma zum Nachfolger machte. Dessen Schüler Paññasāmi wurde wiederum von König Mindon Min, dem er als Erzieher gedient hatte, zum Oberhaupt ernannt. Dies mag als eine Parallele zur königlich-dynastischen Linie erscheinen, liegt aber in der Idee begründet, dass ein guter Schüler eines bekannten Mönches die besten Voraussetzungen mitbringt, das Erbe seines Lehrers weiterzutragen.67 Der Zweite Anglo-Birmanische Krieg von 1852 verschärfte die Krise des Konbaung-Reiches. Er endete mit einer Revolte der beiden Prinzen Kanaung Min und Mindon Min, die inmitten der Auseinandersetzung ihren Vater absetzten. Sie verbanden damit die Erwartung, dass mit dem König auch die Ursache des Krieges beseitigt sei und man zum status quo ante zurückkehren könne. Die Engländer gaben jedoch das annektierte Niederbirma nicht wieder heraus, sondern nutzten das wirtschaftliche Potenzial der Region für den Reisanbau. Kanaung Min, die treibende Kraft hinter der Rebellion, überließ seinem älteren Bruder den Thron und begnügte sich mit der Position eines Kronprinzen. Im Gegensatz zu Mindon Min, der mehr einen traditionellen Entwurf des Königtums verkörperte und sich vor allem als Förderer der Religion hervortat, zeigte sich Kanaung aufgeschlossen gegenüber westlichem Fortschritt und trieb die Modernisierung des Reiches voran. Erneute Kontakte mit singhalesischen Reform-Buddhisten standen am Beginn von Mindons Regierungszeit (1852–78). Der erste Fall resultierte aus einem Streit innerhalb des Amarapura-Nikāya über die korrekte Abgrenzung einer sīmā, bei dem sich die Kontrahenten 1856 an den birmanischen saṅgharāja wandten, um einen Schiedsspruch zu erwirken.68 Gewissermaßen als Nebenwirkung entstand dabei in Sri Lanka der Eindruck, der birmanische Saṅgha sei eine Einheit und

66 Die wiederholt behauptete Fertigstellung (Stadtner 2000: 94–119) wird weder durch eine Inschrift noch durch einen entsprechenden Bericht in der offiziellen Chronik der Dynastie bestätigt. 67 Ray 1946: 242f. 68 Malalgoda 1976: 152–160. Als Detail am Rande sei bemerkt, dass eine Gruppe von Laien die Verbindungen nach Birma nutzte, um den König um Unterstützung für den Bau einer Schule zu bitten: Guha 1962: 191–203.

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stehe unter der allgemein akzeptierten Autorität des saṅgharāja. Dieses Bild entsprach zwar nicht der Realität, lud aber zur Nachahmung ein. 1860 reiste daher eine Gruppe singhalesischer Mönche zum Studium nach Mandalay und bald darauf folgte eine weitere Gruppe, die sich in der alten Kalyāṇī-Sīmā in Pegu neu ordinieren ließ und damit symbolisch wieder an die Tradition aus dem 15. Jahrhundert anknüpfte. Zurück in Sri Lanka nannte sich die neue Gruppe nach dem Ort ihrer Entstehung Rāmañña-Nikāya.69 Im Grunde war es paradox, dass die Reform ausgerechnet in Niederbirma ihren Anfang nahm, wo der buddhistische Saṅgha unter britischer Kolonialherrschaft in eine Existenzkrise geraten war. Die Kolonialherren sahen im Buddhismus nicht nur eine religiöse Macht, der man mit Konversion entgegentreten konnte, sondern auch eine soziale und moralische Autorität über das birmanische Volk, die es aus politischen Gründen zu brechen galt. Konfrontiert mit der Politik der Kolonialmacht, abgeschnitten von der religiösen Oberaufsicht des birmanischen Hofes und zugleich westlichem Lebensstil ausgesetzt, kümmerten sich Mönche in Niederbirma immer weniger um ihre Pflichten. Ebenso wenig wurden sie noch als Lehrer benötigt, da die Klöster ihre Funktion als Lehranstalten zunehmend an staatliche oder Missionsschulen verloren. Am Hof in Ava beobachtete man die Entwicklung in Niederbirma mit Sorge, da man befürchtete, dass der Saṅgha in Oberbirma eine ähnliche Entwicklung nehmen würde. Dies zu verhindern fiel dem König zu, und wie sein Zeitgenosse, der thailändische König Mongkut, versuchte Mindon Min den Orden gewissermaßen „von oben“ zu reformieren.70 Sein erster Versuch scheiterte, da sich der Mönch U Candima, ein für Kenntnis der Texte und frommen Lebenswandel weithin berühmter Mönch, der Ernennung zum Ordensoberhaupt und auch dem Umzug in die Hauptstadt widersetzte. Sein Schüler U Nanda nahm die Einladung zum Umzug in die Hauptstadt zwar an, starb aber, noch bevor die ersten Maßnahmen ergriffen werden konnten, so dass sich Mindon Min erneut nach einem Vorsitzenden für die geplante Reform umsehen musste. Die Wahl fiel auf einen Klosterbruder U Nandas namens U Jāgara, der die strikte Einhaltung der Vinaya-Regeln propagierte und daher ein Leben in der Stadt ablehnte. In der Tradition der Waldmönche bestand er darauf, in einem Kloster außerhalb der Hauptstadt zu wohnen und die regelmäßigen Ordinations- und Beichtfeiern gesondert abzuhalten. Hierauf gründete sich der Ruf der so entstandenen Shwegyin-Tradition als Hüterin der Orthodoxie. Nach kanonischem Recht wäre ihre Sonderstellung eigentlich einer Spal-

69 Sāsanavaṃsa (Law 1952: 161); Malalgoda 1976: 161–172. 70 Der thailändische König Mongkut hatte noch als Mönch eine auf Orthodoxie und Einhaltung der Vinaya-Regeln ausgerichtete Reformsekte innerhalb des thailändischen Saṅgha, die sog. Dhammayut-Bewegung, gegründet. Als von innen angestoßen wahrte diese Reform den Schein der Selbstverwaltung des Ordens, jedoch erklärte der König nach seiner Thronbesteigung diese Richtung zum Modell für den Rest des Ordens.

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tung des Ordens gleichgekommen, denn selbst dem achtköpfigen obersten SaṅghaRat (Sudhamma Sabhā) des Königs verweigerten die Mönche der Shwegyin-Gruppe die Anerkennung. Da sie aber zur Erneuerung des Saṅgha gegründet worden war, galt sie als Teil des Ordens (gaṇa) und nicht als eigenständige Tradition (nikāya).71 Ohnehin sprach sie nur eine Minderheit des Saṅghas an: Ihr gehörten kaum mehr als eintausend Mönche der etwa siebentausend Mönche an, die 1866 in der neuen Hauptstadt Mandalay lebten.72 Die königliche Förderung der Shwegyin-Tradition war zwar gut gemeint, warf aber ein grundlegendes Problem auf: Wurde das Entstehen neuer Tradition erst einmal als Teil einer Reform akzeptiert, konnten sich aus demselben Grund weitere Gruppen etablieren, was auf lange Sicht die Spaltung des Ordens förderte. In der Tat entstanden nach 1850 mehrere neue Gruppierungen, von denen neun mehr oder weniger offiziellen Status erlangten.73 Schwerpunkt dieser Entwicklung war Niederbirma, wo das Fehlen einer geistlichen Aufsicht Abspaltungen und Sonderwege begünstigte. Das Patronat des birmanischen Königs erstreckte sich zwar theoretisch noch über den gesamten birmanischen Saṅgha, praktisch waren ihm aber durch die britische Herrschaft Schranken gesetzt. Selbst politisch harmlose Werke wie das Erneuern des Schirmes auf dem Shwedagon-Stūpa im Jahr 1871 bedurften der Zustimmung der Briten. Den Mönchen in Niederbirma signalisierte dies, dass sie auf sich selbst gestellt waren und ihre Angelegenheiten alleine zu regeln hatten. Als weiteren Teil seines Patronats veranlasste König Mindon eine vollständige Abschrift des Kanons. Üblicherweise ließen birmanische Könige bei der Thronbesteigung eine solche Kopie auf Palmblatt anfertigen,74 doch Mindon wählte ein anderes Medium: Der für verbindlich erachtete Text wurde in 729 Marmortafeln eingemeißelt, die im Hof eines eigens aus diesem Anlass errichteten Stūpas aufgestellt wurden. Die autorisierte Version des Kanons wurde dann auf einem im Sommer 1871 abgehaltenen Konzil rezitiert, das als das fünfte Weltkonzil in die Tradition des Theravāda einging.75 Ob es aber ein echtes „Weltkonzil“ war, ist fraglich, weil die Teilnahme auswärtiger Mönche nicht belegt ist. 71 Than Tun 1981: 33–35 sowie Ferguson 1980: 66–86. Neuerdings Carbine 2011, der auch mögliche Kontinuitäten erörtert. 72 Than Tun 1981: 33. 73 Vgl. Bechert 1988: 39–44. 74 Aufgrund von Hinweisen sowohl in den Inschriften als auch in den Chroniken kann vermutet werden, dass die Tradition königlicher Abschriften bis in die Pagan-Zeit zurückreicht. 75 Nach den offiziellen Aufzeichnungen des Hofes in Mandalay dauerte das Konzil von April bis September 1871, siehe Frasch 2013a: 38–51. In der Literatur findet sich häufig die falsche Feststellung, das Konzil habe dazu gedient, den Kanon zu redigieren, bzw. die Marmortafeln seien als Ergebnis des Konzils graviert worden. Vgl. z. B. Bechert 1967: 6 oder Smith 1965: 26. Mit der Entstehung und dem Inhalt der Stein-Tafeln beschäftigt sich Bollée 1968: 493–499.

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5.2. Der Saṅgha im kolonialen Birma Mit der britischen Annexion Oberbirmas 1885 zerbrach die alte Ordnung endgültig, die die Könige Birmas mit dem Mönchsorden verband. Die Briten standen indigenen Religionen generell eher ablehnend gegenüber; allerdings hatte ihnen der indische Aufstand von 1857–58 gezeigt, welche Reaktionen christliche Missionierung auslösen konnte. Nach dem Aufstand trat religiöse Neutralität an die Stelle einer aktiven Unterstützung der Mission. Religionsausübung wurde zur Privatangelegenheit erklärt, religiöse Führer der Kolonialvölker ignoriert. Im buddhistischen Birma machte die neue Ordnung aber keinen Sinn, da sie die Aufgaben des Königs beseitigte (Patronage, Oberaufsicht) und die Autorität der führenden Mönche (Gerichtsbarkeit, Bildung) untergrub.76 Die unterschiedlichen Ansichten der Briten und Birmanen prallten erneut beim Tod des letzten saṅgharāja im Jahre 1895 aufeinander. Zunächst konnten sich die verschiedenen Parteien innerhalb des Saṅgha nicht auf einen Nachfolger einigen, so dass das Amt für acht Jahre verwaiste. 1903 fand man endlich ein neues Ordensoberhaupt, dem die Kolonialregierung erst die Anerkennung versagte, um dann seinen Einflussbereich auf Oberbirma zu begrenzen. An seiner Stelle entschieden weltliche Richter die ordensinternen Streitigkeiten nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten.77 Erst 1921 änderte die Kolonialregierung ihre Haltung und ernannte nicht nur einen Zivilbeamten zum „Religions-Minister“ (mahadanwun), der in religionsrechtlichen Fragen volle Entscheidungsgewalt besaß, sondern stellte ihm auch einen Mönch als saṅgharāja zur Seite. Mit dieser Maßnahme wollte die Kolonialregierung der sich formierenden birmanischen Nationalbewegung einen Teil ihres Antriebes nehmen.78 Wie es das birmanische Wort kyaung ausdrückt, das sowohl Kloster als auch Schule bedeutet, hatten im vorkolonialen Birma Klöster das (Grund-)Schulwesen getragen. Höheren Ansprüchen genügte das indigene Schulsystem allein schon deshalb nicht, weil kein Englisch gelehrt wurde. Damit entfiel auch staatliche Förderung, aber schwerer wog, dass die buddhistischen Klosterschulen auch ihre Bedeutung als Stätten religiöser Gelehrsamkeit verloren, denn es fehlte z. B. ein Gremium, um die Prüfungen der Mönche durchzuführen. So weitete sich der seit 1852 in Niederbirma sichtbar gewordene Verfall der Klöster und Klosterschulen ab 1885 nach Oberbirma aus. Da der Wegfall der Klosterschulen von staatlichen Schulen nicht ganz ausgeglichen werden konnte, verfiel das Bildungswesen Birmas insgesamt. Erst ab 1905 steuerte die Kolonialregierung dieser Entwicklung entgegen

76 Aung-Thwin 1985: 245–261. 77 Smith 1965: 50f. 78 In einer erneuten Volte entzog der oberste Gerichtshof Birmas 1935 dem Amt des saṅgharāja die Rechtsgrundlage, Bechert 1967: 42–44.

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und bot auch Klosterschulen finanzielle Hilfe an. Es dauerte allerdings einige Jahre, bis diese Maßnahme Früchte trug.79 Zum Studium der kanonischen Texte verbringen Mönche gewöhnlich die Nachmittage mit Rezitieren und Memorieren. Besonders intensiv ist die Lernphase während der Regenzeit, wenn sie das Kloster nur in Ausnahmefällen verlassen dürfen. Am Ende dieser dreimonatigen Periode stellen sie sich dann einer Prüfung, die unter der Aufsicht von erfahrenen Mönchen abgehalten wird. Die birmanischen Könige pflegten dann die Besten der Prüfungen mit Ehrentiteln auszuzeichnen und sie zu beschenken. Auch beim Volk standen diese gelehrten Mönche in hohem Ansehen. Die Kolonialregierung hatte darauf verzichtet, sich in die inneren Angelegenheiten des Mönchsordens einzumischen, und sei es auch nur, um die Mönchsexamina zu überwachen. Auch diese Haltung gab sie 1905 auf: Sie bezahlte die Anreise zu den Prüfungen und vergab sogar Geldpreise an die Besten, was eine langsam wieder steigende Zahl von Teilnehmern zur Folge hatte.80 Abgesehen von der unmittelbaren Transformation des Bildungswesens wirkte sich die Kolonialherrschaft noch an anderen Stellen auf die Umgestaltung des birmanischen Buddhismus aus, was schon bei der Frage nach der Position des saṅgharāja gezeigt wurde. Die Kolonialverwaltung tat sich schwer mit der losen Struktur des Buddhismus; vor allem kam es immer wieder zu Problemen hinsichtlich der Steuerfreiheit von Land, das im Besitz eines Tempels oder Klosters war. Die Bestimmungen zu ihrer steuerlichen Behandlung und vor allem die Haltung, Besitz als dauerhaft zu betrachten, solange keine anderweitige Übertragung nachgewiesen werden konnte, führte im Laufe der Zeit dazu, dass der Buddhismus zu einer Institution nach dem Muster einer Kirche wurde und sich auch eine entsprechende geistliche Hierarchie gab. Diese Entwicklung hin zu einer „Kirche“ stärkte nicht zuletzt auch die Position der Laien. Laienkomitees, die sich um weltliche Angelegenheiten wie die Verwaltung der Spenden oder den Bau von Tempeln kümmerten, hatte es im Buddhismus schon immer gegeben. Die oben beschriebene Gründung der Reform-Nikāyas durch singhalesische Buddhisten ist ein Beispiel dafür. Mit dieser Entwicklung wurde auch die vormals spontane oder projektbezogene Tätigkeit der Laien institutionalisiert; sie wurden zu pagoda trustees, deren Stellung denen der Presbyter einer Kirche entsprach.81 Daneben erweiterte sich die spirituelle Teilhabe der Laien an der Religion durch Meditation. Die Laienmeditation scheint im Theravāda weit zurückzureichen,82 79 Smith 1965: 58–64. Vgl. auch Schober 2011: 46–61; Turner 2014: 45–74. 80 Smith 1965: 66–69. 81 Turner 2011: 226–242. Der ehemalige Gouverneur Birmas, Herbert Thirkell White, brachte dies in seiner Länderkunde aus dem Jahr 1923 auf den Punkt: „The monastic Order is elaborately organized. At its head is the Thathanabaing [der Saṅgharaja]; under him in succession gaing-ok [Oberhaupt einer ‚Sekte‘], gaing-dauk [eine Art Dekan] and heads of monasteries“ (White 1923: 127f.). 82 Vgl. Crosby 2014: 138–173.

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war aber bis zum 18. Jahrhundert in Vergessenheit geraten. Versuche einer Wiederbelebung fruchteten erst am Ende des 19. Jahrhunderts wirklich, nachdem sie systematisch ausgearbeitet unter dem Namen Vipassanā verbreitet wurden. Ein führender Vertreter war der Ledi Sayadaw U Nyanadhaja (1846–1885), der eine Reihe von Traktaten zu Abhidhamma und Meditation verfasste und so viel zur Popularisierung der Bewegung beitrug.83 Meditation ermöglichte Laien direkten, d. h. ohne die Hilfe eines Mönches vermittelten, Zugang zu spiritueller Macht (birman. dan-hko) und stärkte ihr Selbstbewusstsein. Diese „Widerstands-Kraft“ konnte dann auch in politisches Handeln umgesetzt werden.84

5.3. Nationalbewegung und politischer Buddhismus Schon die Schaffung des Amtes des Mahadanwun deutet an, dass die Haltung der Kolonialregierung gegenüber dem Buddhismus immer auch von politischen Erwägungen bestimmt war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm der Handlungsbedarf im selben Maße zu, wie der Buddhismus konstitutiv für die nationale Identität der Birmanen wurde. Dabei vollzog sich in Birma wiederum eine Entwicklung nach, die in Sri Lanka schon Jahre vorher begonnen hatte.85 1906 etwa gründete sich auch in Birma eine „Young Men’s Buddhist Association“ (YMBA). Deren Aktivisten betraten die politische Bühne in Birma mit einem Thema, das sich schon einmal als massenwirksam bewährt hatte, nämlich der birmanischen Sitte, dass beim Betreten buddhistischer Stätten als Zeichen des Respekts die Schuhe abzulegen sind. Nach Ansicht der Kolonialregierung galt diese Pflicht aber nur für Birmanen und Asiaten. Die Aktivisten des YMBA sahen darin eine Entweihung ihrer religiösen Monumente und begannen, das Ablegen der Schuhe einzufordern. 1919 griffen Mönche in Mandalay europäische Besucher eines Tempels tätlich an, weil diese ihre Schuhe anbehalten hatten. Die Kolonialregierung reagierte umgehend und verurteilte die beteiligten Mönche zu hohen Strafen, entsprach zugleich aber der Forderung des YMBA. Nur Polizisten und Soldaten in Ausübung ihres Dienstes sollten beim Betreten eines Tempels ihre Stiefel weiterhin anbehalten dürfen.86 Im selben Jahr war in Britisch-Indien eine Verfassung in Kraft getreten, die die Verwaltung der Provinzen weitgehend in die Hände der lokalen Bevölkerung legte. Für die Provinz Birma war diese Reform zunächst ausgesetzt worden, da man die Birmanen nicht für mündig genug erachtete. Diese Erniedrigung stachelte die 83 Braun 2013; Jordt 2007. 84 Dies findet sich für das moderne Birma ausgearbeitet bei Houtman 1999 (v. a. in Kapitel 5). 85 Sarkisyanz 1978: 127–133 sowie Bechert 1967: 86–89. Zur Soziographie des birmanischen YMBA vgl. Smith 1965: 86. 86 Schober 2011: 62–75.

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politischen Aktivisten erst recht an, und als 1921 auch Birma weitgehende politische Selbstverwaltung erhielt, hatte sich eine gut organisierte Nationalbewegung herausgebildet. Zusammengehalten vom Netz der buddhistischen Klöster fand sie ihren Rückhalt gerade auch auf dem Land, wo unzählige lokale Vereinigungen entstanden waren, die sich 1920 zum „General Council of Buddhist Associations“ (GCBA) zusammenschlossen und später in „General Council of Burmese Associations“ umbenannten, um den allgemeinpolitischen Anspruch stärker zu betonen.87 Die Politisierung der Bevölkerung machte auch vor dem Saṅgha nicht halt und parallel zum GCBA schlossen sich auch eine Reihe von politisch ausgerichteten Mönchen zum „General Council of Sangha Sameggi“ (GCSS) zusammen. Der GCSS kooperierte eng mit dem GCBA und beanspruchte zeitweise sogar dessen Führung.88 Es ist aber schwer auszumachen, wie weit die Politisierung des Mönchtums in Birma ging, denn auf der einen Seite gab es Äbte, die politisch aktiven Mönchen den Aufenthalt in ihren Klöstern verwehrten, und auf der anderen Seite zogen zumindest in den Städten Protestveranstaltungen regelmäßig auch eine große Anzahl von Mönchen an. So nahmen etwa im Jahr 1938 an einer Kundgebung in Rangun annähernd 1500 Mönche teil.89 Zu den prominentesten Vertretern dieses politischen Mönchtums zählten neben Saya San, der zur Zeit seiner Anführerschaft des antikolonialen Bauernaufstandes 1930–31 allerdings die Robe bereits wieder abgelegt hatte,90 U Ottama und U Wissara. U Ottama (1879–1939) hatte in den 1920er Jahren einige Zeit in Indien verbracht und war dort mit dem Indian National Congress in Berührung gekommen. 1921 nach Birma zurückgekehrt, begann er, den bis zu diesem Zeitpunkt eher binnenorientierten politischen Kurs des GCBA in stärkeren Bezug zum internationalen antikolonialen Kampf zu stellen. Obwohl er dabei Gandhis Prinzip des gewaltfreien Widerstandes verpflichtet blieb, wurde er mehrfach zu Haftstrafen verurteilt.91 U Wissara (1888–1929) beschritt dagegen einen radikaleren Weg, der ihn am Ende zum nationalen Märtyrer machte. Er schloss sich früh einer lokalen GCBAGruppe an, weshalb er vom Abt zum Verlassen seines Klosters aufgefordert wurde. Nach kurzem Aufenthalt in einem der „politischen“ Klöster Ranguns erhielt er die Gelegenheit, in Kolkata zu studieren. Zurück in Birma verbreitete er die Ideen der Nationalbewegung und wurde dafür mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. Die Gefängnisaufenthalte nutzte er für weitere Proteste, um auf seinen Status als

87 Aus der umfangreichen Literatur zur birmanischen Nationalbewegung sind besonders die beiden kenntnisreichen Darstellungen hervorzuheben: Maung Maung 1980 (für den Zeitraum 1920 bis 1940) und Maung Maung 1989 (für die nachfolgende Phase). 88 Maung Maung 1980: 38f. 89 Smith 1965: 110. 90 Maung Maung 1980: 23–42. 91 Smith 1965: 95–99.

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Mönch aufmerksam zu machen, weil man ihm unter anderen das Tragen der Robe verweigerte. Er verstarb während seiner dritten Inhaftierung nach 166 Tagen Hungerstreik.92 Wie sehr der Buddhismus im politischen Denken und Handeln der birmanischen Nationalbewegung eine Rolle spielte, zeigte sich nochmals in der Zeit zwischen 1928 und 1935, als über die Separation Birmas von Indien entschieden wurde. Anfänglich befürwortete eine große Mehrheit der Birmanen die Abtrennung, doch während die Verhandlungen zu Detailfragen noch im Gange waren, machte das Gerücht die Runde, die Kolonialregierung wolle die Trennung, um Birma leichter christlich missionieren zu können. Der Stimmungsumschwung zeigte sich bei der nachfolgenden Wahl zum Provinzparlament, die von Gegnern der Abtrennung klar gewonnen wurde. Auch bei den anti-indischen und anti-chinesischen Ausschreitungen, die Rangun in den 1930er Jahren erschütterten, spielte die Religion eine Rolle: Ausgelöst wurden sie nicht zuletzt durch die Flugschrift eines Muslims, die Buddha und seine Lehre verunglimpfte. Am Ende des Jahrzehnts übernahm jedoch allmählich eine neue Generation die Führung der Nationalbewegung, die sich das unabhängige Birma eher sozialistisch als buddhistisch, in jedem Fall aber als säkulares Staatswesen vorstellte. Diesem obersten Ziel waren alle anderen Überlegungen untergeordnet und entsprechend pragmatisch war ihre Politik hinsichtlich der Kooperation mit den Briten und, später, mit den Japanern.

6. Buddhismus im unabhängigen Birma General Aung San (1915–1947), der im Krieg zum Führer der Nationalbewegung aufstieg, hatte ein säkulares Staatswesen vor Augen, in dem die freie Religionsausübung als eine Privatangelegenheit garantiert sein sollte. Anstelle der Religion sollten öffentliche Wohlfahrt, Recht und, als Reminiszenz an die japanische Besatzungszeit, Antifaschismus93 die ideologischen Grundpfeiler des neuen Birma bilden. Mit diesem Plan gelang es Aung San im Frühjahr 1947, fast alle nationalen Minderheitenvölker für den Beitritt zur angestrebten Union von Birma zu gewinnen. Nur die Karen stimmten dem Abkommen von Panglong, mit dem Aung San die Einheit Birmas schmiedete, nicht zu. Die Karen waren überwiegend Christen und hatten während der Kolonialzeit führende Positionen in der öffentlichen Ver92 Maung Maung 1980: 50–56. 93 In dieser Hinsicht war bereits der Name der Partei der Nationalbewegung, Anti-Fascist People’s Freedom Party (AFPFL), Programm. Die AFPFL ging aus der AFO (= Anti-Fascist Organisation) hervor, die seit 1944 begonnen hatte, gegen die japanischen Besatzer zu arbeiten.

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waltung erlangt. Auch unter japanischer Herrschaft verblieben sie auf der Seite der Briten, während die birmanische Nationalbewegung mit den Besatzern kollaborierte. Nach dem Krieg war ihre (nicht ganz unberechtigte) Sorge, dass ein unabhängiges Birma stark vom Buddhismus geprägt und von den ethnischen Birmanen dominiert sein würde. Daher forderten sie zum Schutz aller ethnisch-religiösen Minderheiten eine föderative Staatsform.94 Die gesuchte Einheit des Unionsstaates blieb aber ohnehin nur eine Episode, denn noch vor Erreichen der Unabhängigkeit, im Juli 1947, fielen Aung San und fast die gesamte Übergangsregierung einem Attentat zum Opfer. Manche der Minderheitenführer verstanden die Beziehung zwischen Herrscher und Volk noch in den traditionellen Kategorien der Königszeit und sahen daher in Aung San den persönlichen Garanten für die Einhaltung des Panglong-Abkommens. Nach dessen Tod wurde der Vertrag gegenstandslos. Scheinbar bestätigt wurde ihre Auffassung, als mit U Nu (1907–1995) ein Premierminister nachfolgte, der zwar ebenfalls der jungen Generation der Nationalbewegung entstammte, aber für die Zukunft Birmas einen anderen Entwurf als Aung San verfolgte.95 Die Probleme des Landes, die U Nu zu bewältigen hatte, waren gewaltig.96 Der Wiederaufbau des zerstörten Landes ging nur langsam vonstatten und sowohl die Minderheitenvölker als auch kommunistische Gruppen forderten die Unionsregierung militärisch heraus.97 De facto befand sich Birma ab der Unabhängigkeit in einem andauernden Bürgerkrieg, der vielerorts selbst die Durchführung der Parlamentswahlen verhinderte. U Nu begegnete diesen Herausforderungen auf zwei Weisen. Zum einen ließ er die Armee aufrüsten, um die Aufständischen militärisch zu besiegen; zum andern machte er sich an die moralische Erneuerung des Landes. U Nu war ein tief religiöser Mensch, der glaubte, dass fehlende Religiosität schuld an der Misere sei. Nationale Einheit und soziale Harmonie waren für ihn undenkbar ohne religiös-moralische Grundlage. Zwar betonte er, dass diese Grundlage in jeder Religion gefunden werden könne, aber aus persönlicher Überzeugung maß er dem Buddhismus als der Religion der birmanischen Bevölkerungsmehrheit immer einen höheren Stellenwert zu und ließ daher keine Gelegenheit aus, den

94 Das wesentliche Zugeständnis Aung Sans war das Kapitel 10 der Verfassung, das den Minderheiten ein Sezessionsrecht zugestand, allerdings erst nach einer zehnjährigen Übergangsfrist. 95 Vgl. zum folgenden Butwell 1961. 96 Birma erhielt nach dem Krieg japanische Reparationen, die hauptsächlich in Form von Sachgütern wie Fahrzeugen oder elektronischen Geräten geleistet wurden und im Grunde mehr dem Wiederaufbau der japanischen Industrie nützten. Amerikanische Hilfsgelder flossen zunächst eher spärlich, da sich Birma der Bewegung der Blockfreien anschloss und damit als potentieller Verbündeter ausfiel. Erst ab Mitte der 1950er Jahre flossen die Gelder reichlicher und deckten dann einen erheblichen Teil des birmanischen Staatsetats. 97 Christie 1996a: 53–81; 1996b: 161–190.

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Buddhismus zu fördern.98 Zu Beginn seiner Amtszeit erlassene Gesetze regelten die Selbstverwaltung des Saṅgha (z. B. der Vinaya Vinicchaya Act); ebenso schuf er ein Ministry of Religious Affairs, das sich in erster Linie um den Kontakt zwischen Staat und Saṅgha kümmerte. Auch persönlich zeigte er sich als Anhänger, etwa indem er eine aus Indien stammende Reliquie im Jahr 1950 auf ihrer Umfahrt durch Birma tagelang begleitete.99 Am deutlichsten trat U Nus Förderung der Religion in der Organisation des 6. Buddhistischen Konzils (1954–56) zu Tage. Ursprünglich schon für 1952 angekündigt, wurde der Beginn des Konzils auf 1954 verschoben, so dass sein Ende mit dem zweitausendfünfhundertsten Todestag Buddhas zusammenfiel.100 Der dazu vorgelegte Kostenplan U Nus sah mehr als fünf Millionen Kyat (etwa 1,1 Millionen US-Dollar) an staatlichen Zuwendungen für die Organisation und die Bauwerke (Kaba-Aye- oder Weltfriedenspagode und Mahapasana-Guha) vor.101 Daneben wurden die Regierungspartei und praktisch die gesamte öffentliche Verwaltung in den Dienst des Konzils gestellt, um (bei vollem Gehalt) an seiner Organisation mitzuwirken. Auf dem Konzil rezitierten die rund 230 teilnehmenden Mönche aus 30 Ländern den gesamten Pāli-Kanon (als Textgrundlage diente die in Stein geschriebene Rezension aus Mandalay) und einigten sich auf einen einheitlichen Wortlaut, ehe sie auszogen, um die „gereinigte“ Lehre in die Welt hinauszutragen.102 Die Vertreter der verschiedenen Gruppen innerhalb des birmanischen Saṅgha konnten sich zwar erneut nicht auf die organisatorische Einheit des Ordens verständigen, sie gaben aber eine Selbstverpflichtung auf zwölf gemeinsame Regeln ab.103 Das Konzil, das am Vollmondtag im Mai 1956 mit einem großen Fest endete, markierte den Höhepunkt der Maßnahmen, mit denen sich U Nu die Aura eines buddhistischen Weltherrschers verschaffen wollte; zugleich legte die Religionspolitik den Grundstein für seinen politischen Niedergang und den Zerfall des politischen Systems in Birma. Wirtschaftlich geriet der Aufbau des Wohlfahrtsstaates zum Fiasko. Zwar verfügte Birma dank steigender Reispreise auf dem Weltmarkt und amerikanischer Entwicklungshilfe über eine relativ solide finanzielle Grundlage,104 doch rissen 98 99 100 101

Butwell 1961: 66; Tinker 1957: 166f. Frasch 2013b: 115–138. Bechert 1967: 65. Cady 1953: 160f.; Tinker 1957: 172. Tinker zitiert daneben einen Zeitungsartikel, wonach die Gesamtsumme der Baukosten fast dreimal so hoch war (ebd. 174). Dies deckt sich annähernd mit der Angabe von Smith 1965: 160, dass allein der Bau der Versammlungshalle 2 Millionen US-Dollar verschlang. Butwell 1961: 65 beziffert die Baukosten auf 6 Millionen US-Dollar, gemeint sind aber wohl Kyat. 102 Vgl. Ishii 1984: 108–115; Bechert 1981–83: 136–138. Für Vietnam, wo schon seit den 1930er Jahren ein singhalesischer Mönch missioniert hatte, Bechert 1967: 329. 103 Bechert 1967: 67. 104 Laut Tinker 1957: 98 belief sich die amerikanische Hilfe zwischen 1950–51 und 1955 auf insgesamt fast 19 Millionen US-Dollar.

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Verschwendung und Planungsfehler große Löcher in den Haushalt, so dass der 1950 aufgelegte Acht-Jahres-Plan durch weniger ehrgeizige Pläne ersetzt werden musste. Zudem bröckelte U Nus Position innerhalb der AFPFL. Bei den Parlamentswahlen von 1956 konnte er die Flügel der Partei nur mit Mühe zusammenhalten, aber hohe Stimmengewinne für die Oppositionsparteien trieben die Spaltung der AFPFL voran und veranlassten U Nu schließlich, vorübergehend aus der Politik auszusteigen. 1958 übergab er die Regierungsgeschäfte an ein caretaker government unter General Ne Win (1913–2002). Ne Win stellte die innere Ordnung wieder her; vor allem nutzte er die Zeit für die Befriedung Arakans und einen Feldzug gegen die kommunistischen Rebellen im Grenzgebiet zu China. 1960 gab der General die Verantwortung an die gerade gewählte Regierung zurück, der erneut U Nu vorstand, den seine Anhänger zur Rückkehr in die Politik überredet hatten. Zur Wahl war U Nu mit der populistischen Formel angetreten, dass er im Falle des Wahlsieges den Buddhismus zur Staatsreligion erheben werde.105 Mit diesem Appell an das Wesen der birmanischen Identität gewannen U Nu und der von ihm geführte Teil der AFPFL die absolute Mehrheit der Mandate und machten sich unverzüglich daran, das Wahlversprechen in die Tat umzusetzen.106 Vordergründig schien die Ausrufung der Staatsreligion nur nachzuvollziehen, was in Birma faktisch schon bestand, doch bestätigte der Schritt auch die alten Befürchtungen jener Minderheiten, die eine Majorisierung durch buddhistische Birmanen vermeiden wollten. Als im März 1962 einige der Shan-Fürsten das in der Verfassung garantierte Sezessionsrecht in Anspruch nehmen wollten,107 putschte sich die Armee unter General Ne Win an die Macht.

6.1. Die BSPP-Ära Die erste Maßnahme des Revolutionary Council, wie sich die Militärregierung nannte, galt der Trennung von Staat und Religion. Das Gesetz, das den Buddhismus zur Staatsreligion machte, wurde annulliert, ebenso alle begleitenden Regelungen wie das Verbot der Rinderschlachtung oder die Einführung zusätzlicher Feier-

105 Smith 1965: 237; Bechert 1967: 73–86. 106 Als Folge des Gesetzes, mit dem der Buddhismus zur Staatsreligion erhoben wurde, wurden alle buddhistischen Vollmondtage zu öffentlichen Feiertagen erklärt, auch wenn sie mitten in der Woche lagen. Die Sonntage wurden dabei als Feiertage beibehalten, siehe Smith 1965: 283f. 107 Das Recht (Kap. 10, § 201–206 der Verfassung) war für zehn Jahre, d. h. bis 1958, ausgesetzt worden. Neben den Shan und den Karen waren es noch die Kachin, die unabhängig werden wollten und dazu eine bewaffnete Befreiungsorganisation gründeten (Smith 1965: 281).

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tage.108 Auch der gemeinsam von Saṅgha und Religionsministerium gebildete Rat (Buddha Sasana Council) wurde aufgelöst. Stattdessen verkündete der Revolutionsrat die allgemeine Religionsfreiheit, deren Wahrnehmung zur Privatangelegenheit erklärt wurde.109 Ein knappes Jahr später, im Sommer 1963, legte der Revolutionsrat seine neue Staatsdoktrin vor, die einen „Burmese way to Socialism“ vorsah. Hatte U Nu eine religiös-moralische Erneuerung auf der Grundlage des Buddhismus vor Augen gehabt, so war das neue Programm eine eigenartige Mischung aus buddhistischem, marxistischem, humanistischem und liberalem Gedankengut.110 Das Programm war auch kaum für die Praxis gedacht; eher versuchten die Generäle, ihre Diktatur mit einem Anstrich der Legitimität zu versehen. Die politische Praxis zielte auf die totale Kontrolle aller Bereiche des öffentlichen Lebens, wobei der Saṅgha keine Ausnahme machte. Dessen Reform begann im Januar 1965 mit der Aufhebung aller Gesetze, die dem Saṅgha Selbstverwaltung und autonome Gerichtsbarkeit zugestanden hatten. Die Begründung war, dass die Gesetze ihren Zweck verfehlt hätten.111 Danach wurde eine Versammlung mit Vertretern aller Gruppen innerhalb des Saṅgha einberufen, die Pläne zur Neugliederung beraten sollte. Vorgesehen waren ein strikt hierarchischer Aufbau des Ordens sowie eine Registrierungspflicht für Mönche. Da sich einzelne führende Mönche gegen die staatliche Gängelung widersetzten, ließ der Revolutionsrat die Reform daher zunächst auf sich beruhen und konzentrierte sich stattdessen darauf, das klösterliche Bildungswesen zu verbessern und politische Aktivitäten von Mönchen zu unterbinden. Die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Saṅgha wurde erst in den 1970er Jahren wieder aufgegriffen. 1974 gab der Revolutionsrat dem Land eine neue Verfassung und mutierte zur Burma Socialist Programme Party (BSPP), die bei den anstehenden Wahlen als Einheitspartei antrat. Ne Win, nun Staatspräsident, kam 1979 in modifizierter Form auf sein früheres Anliegen zurück. Die geistliche Gerichtsbarkeit sollte bei zu wählenden Gremien des Ordens verbleiben; jedoch behielt sich der Staat eine „unterstützende Rolle“ vor.112 Um dies zu unterstreichen, wurde die Einrichtung eines Missionszentrums (Directorate for the Propagation of Buddhism) angekündigt, das sich in erster Linie um die Verbreitung des Buddhismus unter den Bergvölkern Birmas kümmern sollte.113 Dieses Angebot bewog den

108 Daneben schaffte Ne Win auch eine Reihe kulturpolitischer Einrichtungen aus der Ära U Nu ab bzw. reformierte sie, so z. B. die Burma Historical Commission oder die Burma Translation Society. Auch die seit Beginn des Jahrhunderts bestehende Burma Research Society wurde aufgelöst. 109 Smith 1965: 287. 110 Burma Socialist Programme Party 1963. 111 Bechert 1988: 24–56. 112 Zum Verlauf des Konvents siehe Bechert 1988: 29f. sowie Tin Maung Maung Than 1993: 6–63. 113 Matthews 1993: 412. Mission unter den Bergvölkern war bis zu diesem Zeitpunkt eine Domäne christlicher Missionare gewesen.

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Saṅgha, seine ablehnende Haltung gegenüber der BSPP aufzugeben und auch der Schaffung des „Obersten Saṅgha-Rates“ (Saṅgha Mahānāyaka Council) zuzustimmen. Wie seine Vorgänger sollte der Rat oberstes geistliches Gericht und letzte Instanz für alle Fragen der Dogmatik und Mönchsdisziplin sein.114 Mit Blick auf die staatliche Mitwirkung bei der Ernennung der Nāyaka-Mönche und der Bestätigung aller von ihnen getroffenen Entscheidungen kann der Rat zu Recht als ein Kontrollinstrument der BSPP angesehen werden. Allerdings schien sich der Saṅgha mit der neuen Situation abzufinden, denn der größte Teil der 1980er Jahre verging ohne weitere Auseinandersetzungen mit der Regierung. Umso heftiger prallten Staat und Saṅgha dann aber am Ende der BSPP-Periode aufeinander. 1987 hatte sich die wirtschaftliche Lage Birmas so verschlechtert, dass erstmals seit der Unabhängigkeit der im Lande produzierte Reis nicht mehr zur Versorgung der Bevölkerung ausgereicht hätte. Unter dem Eindruck der öffentlichen Proteste und Demonstrationen trat Ne Win im Frühjahr 1988 zurück; unter seinem verhassten Nachfolger U Sein Lwin brach der Sturm erst recht los. Landesweite Demonstrationen, ein Generalstreik und der weitgehende Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung legten das Land lahm.115 Vielerorts waren Mönche an vorderster Stelle beteiligt, die Demonstrationszüge anführten und auf Kundgebungen redeten, aber auch ein Minimum an Ordnung aufrechterhielten, indem sie Streitigkeiten schlichteten oder andere Aufgaben der zusammengebrochenen Verwaltung wahrnahmen. Wie selten zuvor in der Geschichte des Landes ordneten sie die Idee der Weltabgewandtheit politischer und sozialer Verantwortung unter. Ein erneuter Staatsstreich der Armee setzte der Demokratiebewegung im Sommer 1988 ein blutiges Ende. Wiederum dienten die Wiederherstellung von Recht und Ordnung und die Sicherung der nationalen Einheit als Legitimation für den Eingriff der Armee, die nun als State Law and Order Restoration Council (SLORC) firmierte.116 Die angekündigte rasche Rückkehr zu einer demokratischen Herrschaftsform erwies sich schnell als Rhetorik, denn anstatt das Ergebnis der Parlamentswahlen von 1990 anzuerkennen, verstärkten die Generäle den Druck auf alle Gruppen, die sich ihrem nun offenbar werdenden Anspruch auf totale Macht und Kontrolle widersetzten. Parteien, gesellschaftliche Vereinigungen und Verbände, Individuen, wie etwa Aung San Suu Kyi, die sich an die Spitze der Demokratiebewegung gestellt hatte, und eben auch Mönche wurden Ziele staatlicher Repression. Die Auseinandersetzung mit dem Saṅgha eskalierte im Sommer 1990, als sich zeigte, dass der SLORC das Wahlergebnis nicht respektieren würde. Auf einer öf-

114 Matthews 1993: 415f. Nähere Angaben zur Struktur des Ordens und der Implementierung der neuen Aufgaben bei Tin Maung Maung Than 1993: 22–38. Als weitere Neuerung führte die Reform von 1980 die Registrierungspflicht für alle Mönche ein, die jedoch offenbar nicht vollständig befolgt wurde. 115 Eine gute Darstellung der Ereignisse liefert Lintner 1990. 116 1996 wurde der Rat in State Peace and Development Council (SPDC) umbenannt.

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fentlichen Kundgebung in Mandalay verkündeten führende Mönche gegenüber der Armee einen Boykott durch „Umdrehen der Almosenschalen“, also die Weigerung, Spenden anzunehmen. Als Reaktion reaktivierte der SLORC den State Saṅgha Mahānāyaka Council und ließ von diesem den Aufruf zum Boykott widerrufen. Zugleich wurden im Oktober 1990 alle Gruppierungen, die sich nicht dem Rat unterstellten, verboten. Anschließend inszenierte der SLORC eine Saṅgha-Reform, in deren Verlauf mehrere Klöster Mandalays gestürmt und aufgelöst wurden.117 Die Aktion hatte den beabsichtigten Erfolg, denn der Saṅgha gab seinen Widerstand gegen den SLORC auf. Die Eliminierung religiös motivierten Widerstandes spielte in der Politik des SLORC auch deshalb eine entscheidende Rolle, weil die Generäle der Religion eine zentrale ideologische Rolle zumaßen. Sich selbst sahen sie in der Nachfolge früherer Herrscher, die die Religion förderten und beschützten. Im Gegenzug sollte die Religion die Idee von sozialer und politischer Zusammengehörigkeit vermitteln, die Unterschiede zwischen Herrschern und Beherrschten verwischen und schließlich auch den Blick des Volkes von der wirtschaftlichen Misere der Gegenwart auf die besseren Zustände in einer zukünftigen Existenz lenken. Fernsehen und Tageszeitungen waren voll von führenden Militärs, die Klöstern umfangreiche Geld- und Sachspenden überreichten oder von angesehenen Mönchen Segenswünsche empfingen. Nominell bestand die Trennung von Staat und Religion fort; praktisch spielte der Buddhismus eine fast staatstragende Rolle. Offensichtlich war die Förderung der Religion auch im Bereich des Bildungs- und Missionswesens, was sich in der Anerkennung verschiedener buddhistischer Hochschulen, darunter der im Hof der Weltfriedenspagode angesiedelten „International Theravada Buddhist Missionary University“, zeigte. In einem langen und von viel Streit geprägten Prozess leitete der State Peace and Development Council (SPDC) schließlich die Rückkehr zur Demokratie ein, die 2008 mit der Verabschiedung der neuen Verfassung und Parlamentswahlen endete. Aung San Suu Kyis National League for Democracy (NLD), Siegerin der vorherigen Wahlen, verweigerte sich diesem Prozess zunächst, weil die Verfassung dem Militär Sitze in beiden Kammern des Parlamentes reservierte. Die Partei nahm an den Nachwahlen von 2011 dann doch und mit Erfolg Teil und dringt seither im Parlament auf eine Verfassungsreform und die Änderung des Wahlrechtes. Die Implikationen der von der neuen Verfassung garantierten Religionsfreiheit (Kap. 1, § 34) müssen sich erst noch erweisen; wie gezeigt, waren buddhistische Institutionen über die Jahre hinweg stark gefördert worden. Möglicherweise sind die anti-muslimischen Ausschreitungen, die sich im Frühjahr 2013 von Arakan nach Zentralbirma ausbreiteten, ein Aus-

117 Die Tageszeitungen im November 1990 enthielten über Tage hinweg Berichte und Bilder von Gütern, deren Besitz Mönchen angeblich verboten war. Abgebildet waren unter anderem Säcke mit den Reisvorräten der Klöster, vgl. Matthews 1993: 419–421.

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druck sich ausbreitender Unsicherheit unter Buddhisten hinsichtlich ihrer Rolle in einem demokratisch organisierten säkularen Staat. Seither ist auch eine zunehmende Radikalisierung in Gestalt der von Mönchen getragenen „969-Bewegung“ zu beobachten, die sich die Verteidigung des Buddhismus – vor allem gegen Muslime – auf die Fahne geschrieben haben. Die 969-Aktivisten pflegen enge Kontakte mit der „Buddhist Force“ (Bodu Bala Sena), einer gleichfalls militanten Gruppe singhalesischer Buddhisten, und neuerdings auch mit Hindu-Nationalisten in Indien.

6.2. Buddhismus und Gesellschaft in Birma heute Einige Bemerkungen zur Rolle des Buddhismus in der Gesellschaft Birmas außerhalb seiner politischen Instrumentalisierung sollen diesen Beitrag abschließen. Nach wie vor ist die Religion prägend sowohl für den Jahreszyklus wie für die Biographie jedes Birmanen. Im Jahreslauf ist unschwer ein Zusammenhang zwischen agrarischer Lebensweise und buddhistischem Festkalender erkennbar. Das Neujahrsfest des birmanischen Kalenders fällt in den Monat April und damit in die heißeste Jahreszeit. Im Mittelpunkt der ausgelassenen Feiern steht das Wasser, mit dem ausgiebig gegossen und gespritzt wird. Am Neujahrstag wird gewöhnlich das lokale Kloster besucht, um Speisen und andere Opfer darzubringen, Predigten zu hören und Segenswünsche zu empfangen. Der Vollmondtag des Monats Vaiśāka (Mai/Juni) ist der Person Gautama Buddhas gewidmet. Häufig werden an diesem Tag Tempel geweiht oder Buddhastatuen rituell gereinigt. Mit dem Einsetzen des Monsuns beginnt die Arbeit in den Reisfeldern, die alle verfügbaren Kräfte des Dorfes bindet. Mönchen ist für die Dauer des Monsuns der Aufenthalt im Kloster vorgeschrieben, da am Ende des Monsuns im Monat Āśvina (September/Oktober) die Mönchs-Examina anstehen. Einen Monat später werden die besten Mönche für ihre Leistungen mit Titeln und inzwischen auch Geldpreisen ausgezeichnet; Laien haben an diesem Tag Gelegenheit, ihre Freigebigkeit unter Beweis zu stellen. Unverzichtbarer Teil der Feier ist es, Mönche und Buddhastatuen mit neuen Roben zu versehen. Um die Robenspende haben sich verschiedene Traditionen entwickelt, etwa jene, dass Kaṭhina-Roben innerhalb eines Tages gesponnen, gewoben und gesäumt werden müssen. Eine andere Form des „Loslassens“ von Besitz ist die in Oberbirma verbreitete Sitte, kleine Blätter- oder Rindenschiffchen, die Lichter, Räucherwerk oder auch Geldstücke tragen, auf einem See oder Fluss auszusetzen. Mit der Gabe verbindet sich jedoch nicht nur die Erwartung, dass religiöses Verdienst erworben werde, sondern auch die Hoffnung auf materielle Vergeltung in Form einer reichen Ernte, die unmittelbar danach ansteht. Abgesehen von diesen hohen Festtagen kann jeder Vollmondtag als Feiertag begangen werden, etwa durch einen Tempelbesuch. Auch für den Einzelnen hat der Buddhismus seine Bedeutung bewahrt. Noch immer ist es Brauch, dass Knaben im Alter von etwa sieben Jahren für eine gewisse Zeit 93

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als Novize in ein Kloster eintreten. Wie Prinz Siddhattha bei seinem Auszug aus dem Palast wird der Knabe herausgeputzt, in reiche Gewänder gehüllt und – oft auf einem Pferd sitzend – zum Kloster geführt. Zur Aufnahme muss er sich das Haar scheren lassen und eine Robe anlegen. Während des Aufenthalts im Kloster, der oft nur einige Tage dauert, wird vom Novizen erwartet, dass er bestimmte Regeln einhält und sich von seinem Erzieher (upajjhaka) unterweisen lässt. Mit 20 Jahren kann ein Novize dann die volle Mönchsweihe empfangen und dauerhaft im Kloster verbleiben; allerdings lässt es der birmanische Buddhismus (im Unterschied zum singhalesischen) zu, wieder in den Laienstand zurückzukehren bzw. auf Zeit (etwa für die Regenzeit) in ein Kloster einzutreten. Eine andere Art der Klosterzugehörigkeit ergibt sich aus der Möglichkeit, zum Laien-Unterstützer zu werden und sich um die weltlichen Angelegenheiten eines Klosters bis hin zur morgendlichen Zubereitung der Speiseopfer zu kümmern. In den großen Klöstern des Landes mit oft Hunderten von Insassen ist dies eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Noch zur Pagan-Zeit scheint es einen Nonnenorden gegeben zu haben, doch ist die Ordinationslinie seitdem abgerissen. Ein in den 1930er Jahren unternommener Versuch, ihn wiederzubeleben, scheiterte, so dass es heute in Birma keine gültig ordinierten Nonnen mehr gibt.118 Dennoch gibt es eine große Zahl Thila-shin genannter Frauen, die das Leben einer Nonne führen. Ihr Status ist zwiespältig, weil sie zwar Roben tragen, in Klöstern leben und die für Nonnen erlassenen VinayaRegeln oder zumindest die zehn obersten Gebote für Laien befolgen, aber weder den rechtlichen noch den spirituellen Status eines Mönches genießen. Da Spenden an Nonnen kein religiöses Verdienst generieren, befinden sie sich oft in einer wirtschaftlich prekären Lage. Sie suchen daher oft eine Anbindung an Mönchklöster, wo sie sich sowohl in der Organisation der täglichen Arbeiten als auch beim Textstudium bewähren. Ihre Zahl wird heute auf 30 000 geschätzt; sie stellen damit die größte Gruppe an Nonnen innerhalb des Theravāda-Buddhismus.119

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DER

ZEITGENÖSSISCHE

THERAVĀDA-BUDDHISMUS

BANGLADESH

IN

Jacques P. Leider Die Anzahl der Buddhisten im heutigen Bangladesh wird verschieden eingeschätzt und mag in einer Größenordnung von 1,2 bis 1,4 Millionen liegen. Inmitten der 156 Millionen mehrheitlich muslimischen Landesbewohner sind die Buddhisten damit eine fast verschwindende Minderheit. Infolge der geringen Anzahl sowie ethnischer und historischer Unterschiede kommt ihnen innerhalb der Gesellschaft Bangladeshs nur ein geringes Gewicht zu. Die Zahl der buddhistischen Mönche wird auf über 2000 geschätzt, ist aber schwer zu überprüfen, da es keine offizielle Verwaltung von Daten zum Buddhismus in Bangladesh gibt. Buddhisten leben vor allem in den südöstlichen Distrikten von Chittagong, in Cox’s Bazar und in den Chittagong Hill Tracts. Aus der geographischen Lage der Grenzregion zwischen dem vorwiegend muslimischen Bangladesh und dem vom Buddhismus geprägten Birma (Myanmar) ergibt sich ein komplexer Rahmen ethnischer, politischer und kultureller Zusammenhänge, dem im Folgenden Rechnung getragen wird. In der englischen Kolonialzeit waren Bengalen und Birma verwaltungsmäßig bis 1937 getrennt, gehörten aber politisch beide zu Britisch-Indien. Die Geschichte des zeitgenössischen Theravāda-Buddhismus Bangladeshs setzt, vereinfacht gesprochen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts an, zu einer Zeit, als die Gegend von Chittagong und dessen Hinterland von Mönchen aus Birma neu missioniert wurde. Über die Zeit vorher ist sehr wenig bekannt. Der Beitrag möchte deshalb vor allem der ethnischen Verschiedenheit und der historischen Besonderheit des Buddhismus in Bangladesh bei den drei größten buddhistischen Volksgemeinschaften im Südosten des Landes gerecht werden. Barua, Chakma sowie die arakanesischen Marma und Rakhaing leben überwiegend in der Küstengegend von Chittagong und dessen gebirgigem Hinterland, den seit 1860 so genannten Chittagong Hill Tracts. Die Geschichte der Barua verbindet sich mit dem Überleben einer lokalen buddhistischen Tradition in der Gegend von Chittagong, welche der fortschreitenden Islamisierung über Jahrhunderte trotzte.1 Die Barua werden zumeist als eine der städtischen Mittelklasse zugehörige Bevölkerungsgruppe beschrieben. Ihre Muttersprache ist Bengali. Die Chakma hingegen sind ein tibeto-birmanisches Volk, das eine dem bengalischen Dialekt von Chittagong verwandte Sprache spricht. Sie 1 Qanungo 1988 vermittelt einen Überblick über die Geschichte Chittagongs, gibt dem Überleben einer buddhistischen Tradition aber keinen Raum.

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Der zeitgenössische Therava¯da-Buddhismus in Bangladesh

sind wohl in der Zeit des Zusammenbruchs des Reichs von Pagan im 14. Jahrhundert aus dem nordwestlichen Birma in die dicht bewaldeten Hügel Südostbengalens eingewandert und vermischten sich mit der lokalen Bevölkerung, weswegen Lorenz Löffler sie als „interethnische Gemengelage“ bezeichnete.2 Sie zählen heute eine viertel Million und bilden die größte nicht-bangladeshische Volksgruppe innerhalb der Chittagong Hill Tracts. Zahlenmäßig viel kleinere ethnische Gruppen haben sich dem Buddhismus erst in neuerer Zeit zugewandt, insbesondere die Chak (auch Thet genannt), die Mro und die Taungchenkya (oder Daing-nak), drei Völkerschaften, die man auch in Birma findet.3 Die Frage, ob letztere ethnische Verwandte der Chak, einer ebenfalls tibeto-birmanischen Volksgruppe, sind, wurde in den 1960er Jahren kontrovers diskutiert. Mit zweitausend Stammesmitgliedern bilden diese eine ethnische Kleinstgruppe, die jetzt zumeist auch als buddhistisch geführt wird. Gegen Lucien Bernot, der über die größtenteils in Birma lebenden Chak eine Monographie verfasste, argumentierten Heinz Bechert und L. Löffler für eine grundsätzliche Verbindung zwischen diesen beiden Volksgruppen.4 Mit dem Begriff Arakanesen werden in diesem Kapitel kollektiv zwei eng verwandte Gemeinschaften bezeichnet, die aus Arakan, der benachbarten westlichen Küstengegend Birmas,5 stammen (seit 1989 offiziell Rakhine State6). Es sind zum einen die Marma, deren frühe Ansiedlung in Südost-Bengalen wohl auf die arakanesische Herrschaftszeit im 17. Jahrhundert zurückgeht. Zum anderen sind es die Rakhaing, die einige Jahre nach der birmanischen Eroberung des Königreichs Arakan im Jahr 1785 in den damals von der East India Company verwalteten Distrikt von Chittagong flüchteten. Beide sind von ihrer Herkunft her ebenfalls TibetoBirmanen und stehen kulturell und religiös den Birmanen am nächsten.7 Die Forschung hat dem Schicksal der buddhistischen Gemeinden in Bengalen in der Zeit des unabhängigen Sultanats (13.-16. Jahrhundert), unter der Herrschaft der Mogulkaiser wie auch in der nachfolgenden britischen Kolonialzeit (1761–1947) nur

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Brauns/Löffler 1986. Bernot 1960; Bernot 1967b; Brauns/Löffler 1986; Khan 1999. Bernot 1967b; Bechert 1977; Brauns/Löffler 1986. Die beiden Begriffe Myanmar (der klassische Name des Landes, geschrieben Mranmā) und Marma sind eng miteinander verbunden und verweisen auf die ethnische Verwandtschaft und historische Nähe von Arakanesen und Birmanen. 6 Der umgangssprachliche Name des heutigen Rakhine State in Myanmar war und bleibt in vielen Schriften Arakan. Mithin spricht man geläufig und allgemein von der Geschichte und der ethnischen Gruppe der Arakanesen und ihres Königreichs. Wir übernehmen hier die in Bangladesh verbreitete Schriftweise Rakhaing (völlig identisch in der Aussprache mit Rakhine); sie entspricht der Eigenbezeichnung in der Sprache der Arakanesen, einem birmanischen Dialekt. 7 Sie sprechen einen dem Birmanischen verwandten Dialekt, der oft als archaisch bezeichnet wird, da er eine Reihe von im modernen Birmanisch nicht mehr hervortretenden phonologischen Merkmalen konserviert hat. Arakanesische und birmanische Schriftsprachen sind im Wesentlichen gleich.

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geringfügige Beachtung geschenkt. Dies gilt auch allgemein für das Studium des Buddhismus in Arakan, dessen Religionsgeschichte eng mit Bengalen, Birma und Sri Lanka verbunden ist. Als Gründe dafür können unter anderem der Mangel an Quellen, die periphere Lage dieser buddhistischen Bevölkerungsgruppen an der kulturellen Grenze zwischen Süd- und Südostasien und die politische Isolierung der Gegend in der neuesten Zeit angeführt werden. Der nur geringe Bestand an deskriptiver und ethnologischer Sekundärliteratur zu den obengenannten Volksgruppen erklärt auch, warum der spezifisch am Buddhismus Interessierte nur eingeschränkt die aktuellen religiösen Formen und Bräuche darstellen kann. Damit sei vorausgeschickt, dass trotz der Vorarbeit Becherts zu den schriftlichen Zeugnissen und der Praxis des TheravādaBuddhismus im neuzeitlichen Südostbengalen beziehungsweise im zeitgenössischen Bangladesh weiterhin nur relativ allgemeine Informationen möglich sind.8 Das besondere Interesse am Studium der buddhistischen Gemeinden im heutigen Bangladesh liegt im gesellschaftlichen und religionsgeschichtlichen Bereich. Aber viele Fragestellungen zum sozialen und politischen Rahmen dieser Gemeinschaften, so zum Beispiel das Verhältnis von Muslimen und Buddhisten im Land betreffend, müssen in Zukunft noch eingehend untersucht werden.

1. Historische Hintergründe 1.1. Barua, Chakma und die Reform des Mönchtums im 19. Jahrhundert Befragt man gebildete Barua bezüglich ihrer Zugehörigkeit zum Theravāda-Buddhismus, so verweisen sie auf das Jahr 1856 als Schlüsseldatum, als ein arakanesischer Mönch, der Ehrwürdige Sāramedhā (bengal. Sāramitta), am Pilgerort Pahartali-Mahāmuni mit der Neu-Ordination von Barua-Mönchen in der Tradition Oberbirmas die Grundlage einer reformierten Mönchsgemeinschaft legte. Diese Anbindung an die zeitgenössische, sich seit dem Ende des 18. Jahrhundert entwickelnde mönchische Reformbewegung Birmas wurde im Laufe der Zeit für alle Barua-Buddhisten verbindlich, obschon nicht alle Mönche in der Nachfolge der bald unter dem Namen SaṅgharājaNikāya bezeichneten Ordinationslinie stehen. Beeindruckt vom reformatorischen Eifer lud im gleichen Jahr auch die Herrscherin der Chakma, Königin Kālindī, Sāramedhā an ihren Hof und sicherte ihm ihre Unterstützung zu. Doch für die nominell buddhistischen Chakma hatte die Reform während der eigentlichen Wirkenszeit Sāramedhās 8 Bechert 1977 behandelt vor allem den Buddhismus der Barua; einen Überblick zum Thema bietet Leider 2007.

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Der zeitgenössische Therava¯da-Buddhismus in Bangladesh

nur eine geringe Bedeutung und die Hinwendung zum Buddhismus birmanischer Prägung wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts voll kenntlich. Allgemein kann man jedoch feststellen, dass sich mit der Reform Sāramedhās die Geschichte des Buddhismus bei den Barua wie bei den Chakma in eine Zeit vor und in eine Zeit nach der Mönchsreform teilt. Der Gegend von Chittagong kommt im Rahmen der Geschichte Bengalens eine Sonderstellung zu. Doch während über die islamische Sozialgeschichte Südostbengalens vor der Mitte des 19. Jahrhunderts manches bekannt ist, gibt es über den gesellschaftlichen Fortbestand der buddhistischen Gemeinden nur spärliche Informationen. Die Islamisierung setzte in dieser Gegend nachweislich erst am Ende des 14. Jahrhunderts mit der muslimischen Herrschaft von Fakhruddin an, wobei im Laufe der Zeit SufiPredigern eine wichtige Rolle zufiel.9 Im 15. Jahrhundert wurde Chittagong zum bedeutendsten Hafen Bengalens, doch nicht immer konnten die unabhängigen Sultane von Bengalen ihre Oberherrschaft über Chittagong und sein Umland wirksam behaupten. Chittagongs vielseitig autonome Entwicklung im nordöstlichen Golf von Bengalen wird unterstrichen durch frühe portugiesische Berichte, die auf das Vielvölkergemisch und die politische Rolle von Nicht-Einheimischen in der islamischen Hafenstadt verweisen.10 Mehr noch, die Gegend wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem Freiraum für Abenteurer und Freibeuter, und konkurrierende christliche Mestizen-Gemeinden portugiesischen Ursprungs spielten zwischen 1530 und 1630 regional eine wirtschaftlich und kurzzeitig auch politisch nicht ganz unbedeutende Rolle. Im Jahr 1576 wurde das Sultanat Bengalen vom Mogulherrscher Akbar annektiert. Lokale hinduistische und muslimische Herrscher, die so genannten baro-bhuiyas, leisteten den Eroberern aber noch über dreißig Jahre Widerstand. Dies bot den buddhistischen Königen von Arakan die Möglichkeit, ihre Herrschaft entlang der Küste bis weit in die Gegend nördlich von Chittagong auszudehnen. Bis 1666 kontrollierten arakanesische Gouverneure Südostbengalen uneingeschränkt bis an den Feni-Fluss. War die Bevölkerung der Küstengegend von Chittagong zu dieser Zeit in ihrer Mehrheit wohl schon muslimisch, kann man unschwer aus dem Überblick zur Geschichte Chittagongs in der Nachbarschaft der buddhistischen Königreiche Arakans und des Irrawaddytals erkennen, dass sich hier günstige Rahmenbedingungen für das Überleben lokaler buddhistischer Traditionen boten. Der Werdegang der dem Mahāyāna und dem tantrischen Buddhismus anhängenden Gemeinden in Ostbengalen führte zu einer immer stärkeren Anpassung an hinduistische Praktiken. Dieser Synkretismus wurde rückblickend und abwertend als Korrumpierung oder Degenerierung bezeichnet. Sukomal Chaudhuri, dem wir die ausführlichste Darstellung des zeitgenössischen Buddhismus der Barua verdan-

9 Zur Expansion des Islam in Bengalen siehe Eaton 1993. Zur regionalen Geschichte Chittagongs in der frühen Neuzeit siehe Qanungo 1988. 10 Bouchon/Thomaz 1988; Barros/Couto 1974.

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ken, verweist sowohl auf hinduistische wie auch auf islamische Einflüsse (Verehrung muslimischer Heiliger) in der alltäglichen buddhistischen Laienpraxis.11 Wegen des Mangels an Quellen gestaltet es sich jedoch im Einzelnen schwierig, der Entwicklung vom tantrischen Buddhismus der älteren Zeit zu einem vom aufstrebenden Arakan geprägten Buddhismus in der frühen Neuzeit nachzuspüren. Da überkommene, aber arg korrumpierte Schriftdokumente ihre Wurzeln in der PāliTradition haben, darf man annehmen, dass es sich hierbei um die Übernahme einer regionalen buddhistischen Tradition handelte, die sich textuell ab der frühen Neuzeit an Sri Lanka und Birma orientierte. Über die Entwicklung der buddhistischen Kerninstitution, nämlich der Mönchsgemeinschaft, kann in diesem Zusammenhang wenig Aussagekräftiges dargelegt werden.12 Man würde die Dinge verfälschend darstellen, würde man versuchen, eine genaue Zäsur zwischen spätbuddhistischem Tantrismus und einem zusehends von der Pāli-Texttradition geprägten buddhistischen Synkretismus der Barua und Chakma vorzuschlagen. Die buddhistischen Gemeinden in der Gegend von Chittagong kamen frühestens ab dem späten 15. Jahrhundert unter den Einfluss des buddhistischen Arakan, welches damals politisch und kulturell im Schatten des Sultanats stand. Religiöse und kulturelle Einflüsse von Buddhismus, Hinduismus und Islam in der Neuzeit verliefen in diesem Grenzgebiet oft in gegensätzliche Richtungen. Bengalische Brahmanen dienten jahrhundertelang am Hof der buddhistischen Könige Arakans, welche zu Titeln in Sanskrit und Arakanesisch auch noch islamische Titel übernahmen und sich von der Münzprägung der Sultane Bengalens inspirieren ließen. Der Name der Chakma erscheint schon früh als „Chacoma“ in den Decadas da Asia von João de Barros und den dessen Chronik beigefügten portugiesischen Karten.13 Dass die Chakma politisch mehr darstellten als ein versprengtes Bergvolk im bewaldeten Hinterland von Chittagong, zeigen die arakanesischen Chroniken, in denen für die Zeit zwischen dem 14. und dem Ende des 16. Jahrhunderts von ihren kriegerischen Einfällen berichtet wird. In portugiesischen und muslimischen Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts finden wir zum ersten Mal den Namen ihrer „Priester“, der Rauli (auch Rāoli). Dieser in bengalischen Quellentexten des 18. Jahrhunderts gut belegte Begriff, dessen Etymologie weiterhin unklar ist,14 be-

11 Chaudhuri 1987; Bechert 1978. 12 Die nur in tibetischen Quellen belegte Herkunft des Mönchs Vanaratna (1384–1468) aus Chittagong bietet einen seltenen direkten Verweis auf die dortige Existenz einer buddhistischen Gemeinde. 13 Barros/Couto 1974. 14 Für einen Überblick über nachweisliche Belege und Varianten der Bezeichnung Rauli siehe Leider 2010. Es handelt sich scheinbar nicht um ein ursprünglich bengalisches Wort. Die Chakma selbst bezeichnen die Mönche übrigens als Lori. Als Etymologien wurden das arakanesische rahan „Mönch“ wie auch der Name des leiblichen Sohnes des Buddha Gautama, Rāhula, bemüht, wobei keiner dieser Vorschläge überzeugt.

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zeichnet die buddhistischen Mönche sowohl der Chakma als auch der in Chittagong selbst beheimateten Barua. Über ihr Leben und ihre Rituale liegen uns aus der frühen britischen Kolonialzeit (d. h. ab 1761) keine Beschreibungen vor. Nur in Francis Buchanan-Hamiltons Tagebuch über seine Reise durch die Gegend von Chittagong im Jahre 1798 werden die Raulis kurz als Mönche beschrieben, die in dunklem Gewand fern jeder Klostergemeinschaft scheinbar regellos lebten. Klar unterschieden sich diese Mönche für den scharf beobachtenden schottischen Arzt von den Mönchen, die er in den Dörfern der Marma und Rakhaing vorfand.15 Die meisten Darstellungen des vorreformatorischen Buddhismus der Barua und Chakma, wie sie bis heute veröffentlicht wurden, vermitteln das Bild einer Verwahrlosung der mönchischen Disziplin und einer literarischen Verarmung. Indirekt vermitteln die modernen Beschreibungen den Eindruck, dass die Rauli infolge Kālindīs Reform und Sāramedhās Wirken rasch verschwunden wären, und diese Vorstellung wurde seit über hundert Jahren unkritisch geteilt.16 Doch kämpfte nach eigener Aussage noch in den 1960er Jahren der Ehrwürdige Aggavamsa Mahāthero in seiner hervorgehobenen Stellung als rājguru („Königslehrer“) gegen die Protektion der Rauli durch den Herrscher der Chakma. Im März 2006 gelang es dem Autor durch intensive Nachfrage bei Chakma-Mönchen, noch einige wenige Rauli im Norden des Distrikts von Khagrachari, nahe der Grenze zum indischen Bundesstaat Tripura, ausfindig zu machen. Ihre Mönchstracht unterscheidet sie klar von den Theravāda-Mönchen, die sie mit kaum verhüllter Verachtung ansehen. Ihr heiliges Buch ist das Agārtara, das von Bechert als eine Kompilation von ursprünglichen Pāli-Suttas identifiziert wurde. Von den dreizehn oder mehr erwähnten Teiltexten des Agārtara sind aber bisher nur wenige diesbezüglich klar benannt worden, was angesichts des korrumpierten Zustands dieser Texte wenig verwundert. Die heutigen Rauli-Mönche psalmodieren bei verschiedenen zeremoniellen Anlässen Texte des Agārtara, ohne sie selbst zu verstehen. Als ehemals vom Buddha selbst gesprochen, so sagen sie, wären die Texte allein ihm verständlich. Besonders im Moment des Hinscheidens scheint die Rezitation des Agārtara mit Bezug auf die Wiedergeburt der Seele, atta genannt, große Bedeutung zu bekommen und allein dann, erklärte ein Rauli-Mönch dem Autor, würden die Texte auch vom Sterbenden verstanden.17 Nach dem Tod käme jeder vor einen Richter, Yama, und müsse seine Schuld begleichen. Die Bedeutung dieser Zeremonie bei den Chakma erinnert an das nun ausgestorbene jährliche Bhātdya-Ritual mit seinen Opfergaben für die Verstorbenen, bei dem die Rauli aus dem Agārtara entnommene

15 Schendel 1992. 16 Auch Bechert 1977 wusste, nach seiner Feldforschung in Chittagong in den 1960er Jahren, nicht mehr von noch lebenden Rauli zu sprechen. Siehe dazu auch die vom arakanesischen Mönch Ashin Wimala 1963 verfasste (unveröffentlichte) Biographie Sāramedhās. 17 Interview des Autors mit Rauli-Mönchen in Devamitra, Khagrachari Distrikt, Chittagong Hill Tracts Division, 31. März 2006.

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Mantras rezitierten.18 Diese bis jetzt nur in Umrissen fassbaren Glaubensvorstellungen der Rauli bestätigen die schon erwähnte synkretistische Vermischung buddhistischer Textüberlieferungen mit hinduistischen Glaubenselementen und volkstümlichen Gebräuchen. Dass diese Pāli-Suttas ursprünglich aus Arakan überliefert wurden, geht aus der Tatsache hervor, dass die Schrift der Chakmatexte von der birmanischen Schrift abgeleitet ist. In diesem Zusammenhang muss auch auf den aus Tripura stammenden hinduistisch geprägten Einfluss auf die Chakmaelite verwiesen werden. Völlig ahistorisch ist die Ansicht, dass die Barua dank des Protektorats der arakanesischen Könige allzeit treue Anhänger eines orthodoxen Theravāda gewesen wären. Die historische Wahrheit trifft aber wohl auch nicht die gegensätzliche Ansicht, nämlich dass die Vorfahren der Chakma und Barua einer verkannten Variante des mahāyānistischen Buddhismus anhingen.19 Diese recht oberflächliche Formulierung zum vorreformatorischen Buddhismus hat die noch überlebenden Rauli dazu verführt, sich mit einer mahāyānistischen Identität zu schmücken. Weder die Glaubensvorstellungen noch die mönchische Praxis noch die in den Dorftempeln beobachtete Ikonographie erinnern jedoch an den Mahāyāna-Buddhismus. Die verbliebenen Rauli-Mönche leben ehelos und befolgen nach eigener Aussage fünf Prinzipien: Gleichmut gegenüber den Dingen der Welt; den Weg der Mitte zu gehen, wie das Wasser, das man vergießt; die Wahrheit zu sagen und zu handeln, wie der Wohlgeruch, der vom Winde getragen wird; für das Allgemeinwohl alles Unheil zu vernichten; wie der Himmel offen und großzügig zu sein. Für die Ordination eines Rauli-Mönchs bedarf es, entgegen den Regeln des Vinaya, nur eines einzigen Mönchs und Lehrmeisters. Die Rauli sind mithin ein historisches Überbleibsel eines Buddhismus, dessen Fortleben in der frühen Neuzeit durch die politische Unterjochung der Gegend von Chittagong durch die arakanesischen Könige zu verstehen ist. Dessen literarische Verkümmerung wurde sicher durch die geographische und auch die wachsende politische Isolation befördert. Fragen zu dieser regionalen Form und den Verformungen des Buddhismus in Ostbengalen harren erkennbar noch einer weitergehenden Erforschung. Wenn man zum entscheidenden Jahr 1856 und seinem Protagonisten, Sāramedhā, zurückkehrt, so muss man sich zuerst eine Idee von den kulturellen und religiösen Hintergründen und der Motivation Sāramedhās (1801–1882) verschaffen. Sein Leben und Schaffen spiegelt in mannigfaltiger Art und Weise die Geschichte seines Ursprungslandes, des von den Birmanen 1785 eroberten Arakan, und die Entwicklungsgeschichte des birmanischen Mönchsordens wider. Kurz nach seiner

18 Das Bhatdya-Ritual wird grob dargestellt von Chakma 1984. 19 Talukdar 1988: 106 identifiziert die Rauli-Mönche mit den in birmanischen Chroniken erwähnten Ari-Mönchen, die manche Autoren in der Kolonialzeit mit Überbleibseln des Mahāyāna-Buddhismus im Reich von Pagan (11.-13. Jh.) in Bezug setzten. Eine solche Hypothese ist rein spekulativ und kann infolge des Mangels an Quellen historisch nicht einmal andeutungsweise nachgewiesen werden.

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Upasaṃpadā-Ordination 1821 zog Sāramedhā mit seinem Lehrer Sārālaṅkara in ein arakanesisches Flüchtlingsdorf im Distrikt von Chittagong. Nach dem ersten anglobirmanischen Krieg (1824–1826) kam es zur Besetzung Arakans durch die Truppen der britischen East India Company und Sāramedhā kehrte in seine Heimat zurück, wo er sich während der nächsten dreißig Jahre der Erneuerung des durch die politischen Wirren dezimierten arakanesischen Saṅgha widmete. Sāramedhās Wirken muss hierbei im Umfeld der monastischen Reformbewegung in Birma gesehen werden. Deren Wurzeln gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück und reiften im 18. Jahrhundert inmitten gebildeter, aber miteinander konkurrierender mönchischer Kreise. Politisch Fuß fasste die Bewegung in den Entscheidungen und eigenständigen Reformbestrebungen der frühen Konbaungkönige, insbesondere König Bodawphayas (reg. 1781–1819), und sie gipfelte im Werk und der Politik König Mindons (reg. 1853–1878). Er berief ein Konzil des birmanischen Saṅgha ein und ließ die kanonischen Schriften auf 729 Steintafeln meißeln. Im Kern der Reformbewegung standen das Bemühen um eine bessere und vollständigere Schriftkenntnis und der Aufruf an die Mönchsgemeinde, die Regeln des Vinaya sorgfältig zu beachten. Sāramedhā wurde in hohem Alter von König Mindon selbst nach Mandalay eingeladen und dort geehrt; er darf also als einer der anerkannten Träger der monastischen Erneuerung gesehen werden. Das religiöse Reformklima, in dem Sāramedhā in der Mitte des 19. Jahrhunderts seine Ausbildung genoss, ging, wie schon angedeutet, in seinen Ursprüngen auf das frühe 18. Jahrhundert zurück. Strittige Fragen betrafen das Tragen der Mönchsrobe und den Gebrauch von Kopfbedeckungen und Palmfächern. Solche Auseinandersetzungen in den belesenen Kreisen des birmanischen Saṅgha mögen, isoliert betrachtet, für uns heute kaum politische Aussagekraft bezüglich von Reformbestrebungen haben. Deshalb muss man sie in institutionellen Zusammenhängen sehen, denn Reformbestrebungen jedweder Art waren immer abhängig von der Protektion und der Unterstützung der Herrscher. Ein anderer Diskussionspunkt war die Frage der korrekten Überlieferung der Lehre des Buddhas in der Abfolge anerkannter Lehrer. In dieser ebenfalls von Königen wie Bodawphaya und Bagyidaw (reg. 1819–1837) vorgetragenen Frage, ob denn die Lehre rein und vollständig über die Jahrhunderte überliefert worden wäre, schwang natürlich die Forderung an führende Mönche mit, eine bestätigende Antwort zu erbringen. Wie in anderen Provinzen seines Reiches setzte König Bodawphaya in Arakan eine NeuOrdination des Saṅgha durch. Ihre Durchführung mit Hilfe von speziell beauftragten Missionaren (sāsana-pyu) wurde von arakanesischen Mönchen kritisch gesehen, weil sie ein Teil der Unterwerfungsstrategie war. Gerade die Angleichung des arakanesischen an den birmanischen Saṅgha muss historisch rückblickend als Merkmal der Integration des eroberten Arakan in das birmanische Reich gesehen werden. Mit der Neuordnung seines Saṅgha fand das politisch zerrüttete Arakan im 19. Jahrhundert wieder vermehrt Anschluss an die kulturell-religiösen Entwicklungen der anderen Theravāda-Länder. Sāramedhās Schaffen in Südostbengalen muss in diesem erweiterten Zusammenhang gesehen werden. 106

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Nach der Überlieferung geht die erste Mission Sāramedhās auf die Einladung eines Rauli-Mönchs der Barua, Rādhārām Māther, zurück, der Sāramedhā bei der Rückkehr von einer indischen Pilgerreise 1856 nach Chittagong einlud. Über die Situation des Mönchtums in dieser Gegend mag Sāramedhā durch eigene Erfahrung wie auch durch einen anderen Barua-Mönch, Chandra Mohan, schon einige Jahre früher informiert gewesen sein. Chandra Mohan war, nach Studien in Calcutta, 1853 nach Akyab, der Hauptstadt Arakans, gekommen. Er berichtete, dass die bengalischen Mönche die Regeln des Vinaya nicht richtig beachteten, und ließ sich deshalb selbst neu ordinieren.20 Erwartungsvoll zog Sāramedhā, wie schon erwähnt, 1856 nach Chittagong. Er verweilte zunächst kurzzeitig in den damals bedeutsamen Pilgerorten Chandranath/Sitakunda und Chakrasala, ehe er sich für ein Jahr in Pahartali niederließ.21 Hier, an der Schwelle zum waldreichen Hinterland Chittagongs, stand im Pancharatnamandir genannten Tempel ein Abbild des Mahāmuni, jener berühmten Statue, die von den Birmanen gleich nach der Eroberung unter großem Aufwand aus Arakan nach Amarapura abtransportiert wurde.22 Sāramedhā stieß anfangs, so wird berichtet, auf großen Widerstand, als er die Rauli-Mönche der Chakma und Barua dazu aufrief, sich nach einer erneuten Ordination zur Befolgung des Vinaya zu verpflichten. Nach seinem ersten einjährigen Aufenthalt, der trotz allem seine Wirkung nicht verfehlte, kehrte Sāramedhā nach Arakan zurück. Er kam 1864 in Begleitung arakanesischer Mönche wieder und ließ sich im Mahāmuni-Kloster von Pahartali nieder. Während eine Mehrheit von Rauli-Mönchen nun bereit war, sich einer erneuten Ordination zu unterziehen, verweigerte eine Reihe älterer Mönche diesen Schritt, so dass sich die Mönchsgemeinde spaltete. Infolge des Ehrentitels Saṅgharāja, mit dem Sāramedhā in Akyab bezeichnet wurde, bezeichneten sich die neu ordinierten Mönche als dem Saṅgharāja-Nikāya zugehörig. Nachfolger Sāramedhās als Saṅgharāja wurde 1866 der hoch anerkannte Puṇṇācāra Dhammadhāra alias Chandra Mohan, der lange Zeit in Birma und Sri Lanka verbracht hatte und 1909 starb.

20 Chandra Mohan verließ den Orden wegen Gesundheitsproblemen und ging für einige Monate nach Kolkata zurück. Mit einer Gruppe singhalesischer Mönche ließ er sich erneut in Birma ordinieren. In Sri Lanka beschritten diese den Weg zur Gründung des Rāmañña-Nikāya, welche endgültig 1863 in Pegu beschlossen wurde (Barua 1978: 264). 21 Zur Zeit des Neujahrsfests findet um den Tempel in Pahartali ein großes Fest (melā) statt, zu dem eine große Zahl von Menschen aus der Küstenebene und aus dem gebirgigen Hinterland Chittagongs strömen. 22 Der Mahāmuni ist nach arakanesischer Vorstellung ein lebensgetreues Abbild Gautamas. Der Legende nach besuchte der Erleuchtete gegen Ende seines Lebens König Candasūriya von Arakan in seinem Reich. Dieser bat ihn darum, ein Abbild herstellen zu dürfen. Nach Vorstellung der Arakanesen sollte die Statue, die oft als jüngerer Bruder Buddhas bezeichnet wird, die Lehre in Arakan bis zum Ende des 5000 Jahre umspannenden Zeitalters schützen. Abbilder des Mahāmuni in Südostbengalen bezeugen die regionalen religiösen Verbindungen mit Arakan.

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Die Barua-Mönche, die nicht in der Nachfolge Sāramedhās standen, bezeichneten ihre Gemeinschaft als Mahāsthavīr-Nikāya.23 Der Mahāsthavīr-Nikāya blieb nun aber nicht Hort der Mönchstradition der Rauli. Seine Mitglieder führten ihrerseits Reformen durch, die ihre Gemeinschaft dem Saṅgharāja-Nikāya anglichen. Denn die Veränderungen, die die Entstehung des Saṅgharāja-Nikāya hervorriefen, hatten direkte Auswirkungen auf alle Mönche und die strenge Beachtung der VinayaRegeln wurde zusehends für alle verbindlich. Äußerlich verschwand so, zumindest für die Laien, eine klare Unterscheidung zwischen den zwei Mönchsgruppen. Die formale Trennung besteht aber bis heute weiter. Obwohl dazu eindeutige Forschungsbelege fehlen, darf man davon ausgehen, dass die Reformbewegung bei den städtisch geprägten Barua viel stärker griff als bei den vorwiegend im gebirgigen Hinterland von Chittagong lebenden Chakma. Puṇṇācāra Dhammadhāra war der wichtigste Träger der Reform, die sich in den buddhistischen Barua-Gemeinschaften Chittagongs verbreitete. Auch die Namen anderer Reformmönche werden erwähnt, aber über sie kann man heute nur noch hagiographische Einzelheiten in Erfahrung bringen.24 Für ihre Ausbildung waren diese Mönche mit Einrichtungen in Indien (besonders in Kolkata), in Sri Lanka wie auch in Birma verbunden und oft an deren Erfolg aktiv beteiligt. In diesem Zusammenhang sind die „Bengali Buddhist Association“ (Bauddha Dharmankur Sabhā), die „Chittagong Buddhist Assocation“, das „Nalanda Pāli College“ sowie Klöster in Rangun (heute Yangon) und Mandalay zu nennen. Bei den Chakma hatte die Entscheidung ihrer Herrscherin Kālindī, Sāramedhā nach Rājnagar einzuladen und eine Hinwendung zum prestigeträchtigen Buddhismus arakanesisch-birmanischer Provenienz zu unterstützen, sicher nicht nur religiöse Gründe. Die religiöse Reformbereitschaft war auch ein Akt der kulturellen Selbstbehauptung und des Widerstands gegen die zunehmende Ausdehnung der britischen Kontrolle über das gebirgige Hinterland Chittagongs, welche mit einer schrittweisen Bengalisierung einherging.25 Die Chakma stellten dort einen Großteil der Bevölkerung neben den buddhistischen Marma und Rakhaing, deren Mönche seit langer Zeit der Theravāda-Tradition verpflichtet waren. An eigener kulturellreligiöser Ausstrahlung konnten die Herrscher bei einer Unterstützung des mönchischen Reformwesens mithin nur gewinnen. In der Reformbewegung lag aber auch ein modernistischer Ansatz, der als politisches Signal bedeutsam sein konnte. Doch, so wird heute noch erzählt, fiel in einer ersten Phase die Entscheidung 23 Barua 1978: 265 verweist auf eine Spaltung innerhalb des Mahāsthavīr-Nikāya (Titanmāthe und Dāsyā-māthe), über die keine weiteren Einzelheiten vorliegen. 24 Die Abfolge der Saṅghārājas, eine Liste von Barua-Mönchen, die in Sri Lanka studierten, und zumeist undatierte Kurznotizen der Ehrwürdigen Kripāśaran Mahāthera, Gunālaṅkāra, Kālikumār, Puṇṇānanda, Bhagavān Candra, Dharmavaṁsa, Vamsadwip, Prajñāloke Mahāthera, Abhayatissa Mahāthera u. a. findet man bei Barua 1978: 265–272. 25 Das Hinterland Chittagongs wurde 1860 unter dem Namen Chittagong Hill Tracts verwaltungsmäßig von den Briten neu erfasst und durch Teilungen politisch domestiziert.

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Kālindīs nicht auf sehr fruchtbaren Boden, da ihre Nachfolger von ihren Reformbemühungen nichts wissen wollten und weiterhin die Rauli-Mönche unterstützten. Die Zahl Theravāda-treuer Chakma-Mönche blieb noch bis in die 1960er Jahre verschwindend gering. Bei der Interpretation einer „Geschichte“ des TheravādaBuddhismus bei den Chakma ist diesbezüglich Vorsicht geboten, da die Vergangenheit heute oft in günstigerem Licht umgedeutet wird.

1.2. Marma, Rakhaing und der Untergang des arakanesischen Königreichs Die neuere Geschichte des Buddhismus in Südostbengalen belegt die Bedeutung der Königreiche Birma und Arakan für das dortige Überleben und die Renaissance des Theravāda-Buddhismus. Politische Expansion, kulturelle Ausstrahlung und religiöses Leben im Grenzgebiet zwischen Süd- und Südostasien haben über die Jahrhunderte zusammengewirkt und sowohl synkretistische Einflüsse wie auch kulturelle Autonomien erst möglich gemacht. Unmittelbar gilt dies für die arakanesisch-stämmige Bevölkerung Südostbengalens, auf deren historische Wurzeln wir näher eingehen müssen. Ein regional bedeutendes arakanesisches Königreich entwickelte sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts am nordöstlichen Golf von Bengalen. Seine politisch, wirtschaftlich und kulturell bedeutendste Zeit erstreckte sich von ungefähr 1530 bis 1685 und ging einher mit der Ausdehnung des Reiches entlang der Küste bis nach Südbirma und nördlich bis weit über Chittagong hinaus. Die Kontrolle der Arakanesen über die Hafenstadt Chittagong führte ab 1590 zur Ansiedlung von arakanesischen Garnisonsfamilien in den Küstenebenen. Der wirtschaftliche Aufstieg gründete sich auf den Export von Reis, Rohrzucker, Edelsteinen und Elefanten in die Häfen Koromandels und Sumatras. Er wurde besonders in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch durch den zweifelhaften Ruhm beflügelt, dass Arakans portugiesisch-stämmige Untertanen mit königlicher Protektion das Land zum wichtigen Umschlagplatz für bengalische Sklaven machten. Bis ins 19. Jahrhundert hinein galten die Arakanesen in Bengalen als Sklavenhändler und furchterregende Piraten und werden auch heute meist noch mit dem abschätzigen Begriff magh bezeichnet. Gemäß mündlicher Überlieferung siedelte König Man Razagri (reg. 1593–1612), nach der Unterwerfung der birmanischen Reichshauptstadt Pegu im Jahr 1600, Kriegsgefangene und Mitglieder der Königsfamilie aus Birma südlich von Chittagong an. Auf jene letzteren führt die Familie der Bohmongs, der Marmaherrscher in den südlichen Chittagong Hill Tracts, ihre Herkunft zurück.26 Die Eroberung Chittagongs durch den Mogulgeneral Shāysta Khan 26 Zur Geschichte der Bohmong siehe Harvey 1961.

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1666 hatte den Rückzug der angesiedelten arakanesischen Garnisonen zur Folge, führte aber nicht zu einem gänzlichen Verschwinden der arakanesisch-stämmigen Bevölkerung in der Region. Unter dem Druck der muslimischen Steuereintreiber kam es zu einer Migration dieser Bevölkerung in das hügelige Hinterland. Ein kleiner Teil dieser Arakanesen siedelte sich andererseits im östlichen Meghnadelta (Patuakhali) an. Die Zahl der Arakanesen vergrößerte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts, als die unruhigen politischen Verhältnisse in Arakan zur Auswanderung von arakanesischen Reisbauern in die Flusstäler des dünnbesiedelten Hinterlands von Chittagong führten. Der heutige Herrscher (mong) der Marma im nördlichen Teil der Chittagong Hill Tracts führt seine Stammlinie auf einen arakanesischen Führer zurück, der sich Anfang des 18. Jahrhunderts dort niederließ. Historisch führte diese Ansiedlung nicht nur zu einer politischen Trennung vom arakanesischen Mutterland, sondern auch zu einer fortschreitenden Abkapselung der Marma. Auf diese quellenmäßig kaum belegten und chronologisch nicht nachzuvollziehenden Besiedlungen und Abwanderungen in der späten Neuzeit folgte einige Jahre nach der birmanischen Besatzung eine Flucht von mehreren zehntausend Arakanesen nach Südostbengalen. Neben überhöhten Abgabeforderungen und der Deportation in die Zwangsarbeit in Oberbirma war es die Zwangsrekrutierung von Arakanesen für König Bodawphayas Kriegszüge gegen Siam, die zu diesen massiven Auswanderungswellen, zuerst um 1788–89 und dann vor allem in den Jahren 1799 und 1800, führten. Die Not der Flüchtlinge veranlasste die englischen Verwalter der East India Company, denen die Gegend von Chittagong seit 1761 unterstand, aktive Maßnahmen zu ihrer Ansiedlung in die Wege zu leiten. Die Gründung der Stadt Cox’s Bazar geht auf die Bemühungen von Hiram Cox zurück, der den arakanesischen Familien dort Land zuwies. Zu diesen Flüchtlingen gehörten nachweislich nicht nur Buddhisten, sondern auch Muslime – Nachfahren ehemals versklavter Bengalen. Der älteste Tempel mit zugehörigem Kloster in Cox’s Bazar wurde 1800 vom Mönch Aggamedhavi gegründet. Im nur einige Kilometer entfernt liegenden Ramu (arakanes. Pan Wa) wurde 1799 das Kloster Ok Sa Phat gegründet. Für die Buddhisten arakanesischen Ursprungs in Südostbengalen hatte die Reform unter Anleitung Sāramedhās nur eine geringfügige Bedeutung. Viele arakanesische Mönche erhielten ihre Ausbildung in Birma und Arakan selbst und sie standen seit 1787 unter dem Einfluss des von König Bodawphaya vorgeschriebenen Reformkurses. Sāramedhās Kloster war zwar ein bekannter Ort in Akyab, aber es entstand in Arakan selbst kein eigenständiger Saṅgharāja-Nikāya. Die Entwicklung des Theravāda-Buddhismus der Marma und der Rakhaing, insbesondere was die Ausbildung der Mönche betrifft, war an die Entwicklung des Saṅgha in Birma am Ende der Königszeit und in den Jahren der englischen Kolonialherrschaft gebunden. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu räuberischen Einfällen von Banden bewaffneter arakanesischer Flüchtlinge in das von birmanischen Verwal110

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tern regierte Mutterland. Der birmanische Königshof forderte daraufhin von der zuständigen englischen Verwaltung in Chittagong die Auslieferung der aufrührerischen Führer dieser Banden. Nach 1795 verweigerten sich die englischen Autoritäten solchen Anträgen. Teils aus politischen und rechtlichen Begründungen, teils durch sträfliche Ignorierung der von Arakanesen begangenen Grausamkeiten ließen sie zu, dass um 1811 Chin Byan, ein früheres Mitglied der arakanesischen Herrscherschicht, mit einigen tausend Anhängern nach Arakan übersetzte und einen Umsturzversuch unternahm. Dieser schlug fehl, führte aber zu einem fast drei Jahre dauernden Kleinkrieg, der das Land weiter ruinierte. Der latente Grenzkonflikt zwischen den Engländern und Birmanen, der sich an diese feindlichen Ereignisse anschloss, war eine der Ursachen des ersten anglo-birmanischen Kriegs, der dann, wie schon gesagt, zur Besetzung Arakans durch die indischen Truppen der East India Company führte. Viele Arakanesen zogen später nach Arakan zurück. Fälschlicherweise glaubten manche ihrer Anführer, die neuen britischen Herren würden die buddhistische Monarchie wieder errichten. Jene Arakanesen, die südlich Chittagongs verblieben, sind die Vorfahren der heutigen Rakhaing, d. h. Arakanesen, die sich nicht wie die Marma in die Hügelketten zurückzogen, sondern in der Küstenebene von Krushkul bis nach Ramu und auf der vor Cox’s Bazar liegenden Insel Maheshkali Dörfer gründeten. In dieser abgeschiedenen Gegend entwickelte sich am Ende des 19. Jahrhunderts eine kleine aufstrebende Mittelschicht, deren Wohlstand sich in den prächtigen Tempeln Ramus mit ihren vorzüglichen Holzskulpturen widerspiegelte.27 Denn das Wohlergehen der buddhistischen Klöster hing von der wirtschaftlichen Lage und dem Wohlstand der Laien ab. Einige von charismatischen Mönchen gegründete Reformklöster entstanden abseits königlicher Protektion nach 1852 im britischen Südteil Birmas. Sie standen am Anfang neuer Ordinationslinien. Dazu gehören auch die beiden nikāyas des Mahādwāra und des Mūladwāra, welchen sich in Arakan und im angrenzenden Südostbengalen eine Minderheit von Mönchen anschloss. Die Mehrheit der arakanesischen Mönche, einschließlich Sāramedhās Kloster in Akyab (heute Sittway), gehört bis heute dem Sudhamma- oder Kan-nikāya an. Diese Aufteilung und Zugehörigkeit gilt im Prinzip bis heute auch für die arakanesisch-stämmigen Mönche Bangladeshs. Mit dem Beginn der britischen Kolonialzeit gab es weder Könige noch Gouverneure, die die Mönche mit reichen Spenden bedachten und Klöster errichten ließen. In den ersten zwei Jahrzehnten der englischen Herrschaft durchlief die Provinz eine Zeit verwaltungsmäßiger Irrungen und politischer Wirren, die auch in den darauffolgenden Jahrzehnten zwar zu einer gewissen Stabilität, nicht aber zu sozialem Frieden führte. Es ging der englischen Verwaltung vor allem um die Ausdehnung des Reisanbaus und hierzu

27 Mehrere buddhistische Tempel in Ramu wurden Ende September 2012 während drei Tagen von muslimischen Extremisten unter Anfeuerung lokaler Politiker niedergebrannt, ohne dass die Sicherheitskräfte einschritten.

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wurden in immer größerer Anzahl billige und gefügige muslimische Landarbeiter aus Chittagong verpflichtet, die letztlich das demographische Gleichgewicht in Arakan im 20. Jahrhundert ins Wanken brachten.28 In den Chittagong Hill Tracts bestand mit der englischen Verwaltung ein vorteilhaftes Umfeld für die Buddhisten fort. Nachdem die Kolonialarmee im tiefen Hinterland die kriegerischen Lushai besiegt hatte, wurde die traditionelle Machtaufteilung in der bewaldeten Hügelregion 1881 durch die Anerkennung von drei chiefs besiegelt. Dies war im Norden der Mong chief (Mong circle mit dem Hauptort Manikcherri), im Süden der Bohmong chief (Bohmong circle mit dem Hauptort Bandarban) und geographisch zwischen den beiden der Chakma chief (Chakma circle mit Sitz in Rangamati).29 Die von den Engländern eingesetzte „Chittagong Hill Tracts Regulation“ von 1900 machte die Chittagong Hill Tracts zu einem Reservat mit Sonderbestimmungen bezüglich des Zugangs und des Niederlassungsrechts zum Schutz der Traditionen der dort lebenden nicht-muslimischen und nichtbengalischen Völker. An dieser grundlegenden Situation änderte sich bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts wenig. Infolge der starken bengalisch-muslimischen Zuwanderung veränderten sich die demographischen Verhältnisse in den folgenden Jahren aber dramatisch. Für die Chakma, Marma und Rakhaing wurde dies zu einer Herausforderung, um ihr religiöses und kulturelles Erbe zu erhalten und zu festigen.

2. Mönche und buddhistische Laien im zeitgenössischen Wandel Die neuere Geschichte des Buddhismus in Südostbengalen zeigt, dass dessen Entwicklung von regional übergreifenden Einflüssen und Kontakten nach Birma sowie nach Indien und Sri Lanka bestimmt war. Barua, Chakma, Marma und Rakhaing teilen zwar das Schicksal von Minderheiten in einem vom Islam bestimmten gesellschaftlichen Umfeld, doch ist ihre politische und soziale Lage jeweils unterschiedlich. Deshalb kommt auch dem Buddhismus als einem wesentlichen Element kultureller Identität und sozialen Zusammenhalts nicht die gleiche Bedeutung zu. 28 Um 1931 waren 80 Prozent der Muslime Arakans neu zugewanderte Bauern aus Chittagong. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Aufstand der Mudjahidin, deren Aktivitäten bis 1961 dauerten. Parallel dazu kam es zur Bildung der politischen Bewegung der Rohingya, die ein separates autonomes muslimisches Gebiet innerhalb Birmas verlangten. Nach dem Erfolg dieser Forderung, der Bildung der Mayu Frontier Zone 1961, wurde das Sonderstatut von der Militärregierung Ne Wins 1964 wieder abgeschafft. 29 Harvey 1961.

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Was die verschiedenen ethnischen Gemeinschaften verbindet, ist das gemeinsame Fundament buddhistischer Praxis und Traditionen wie z. B. der Jahreszyklus buddhistischer Feste. Fragen zu sozialen Spannungen mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung, zu politischer Repräsentation oder Konflikten, zur allgemeinen und religiösen Bildung oder zur Lage und Entwicklung des Mönchtums stellen sich nicht in der gleichen Weise.

2.1. Vom Erfolg religiöser Erneuerung: Der städtische Buddhismus der Barua Im Zusammenhang mit dem Buddhismus der Barua bemerkte Chaudhuri, dass der Theravāda-Buddhismus in Bangladesh noch in den Kinderschuhen stecke. Andererseits ergibt sich aus dem Rückblick über das vorhergehende Jahrhundert ein beeindruckendes Zeugnis der Erneuerung und Neuorientierung.30 Bei den Barua kann man vor allem drei Merkmale hervorheben. Sie sind heute als eine selbstbewusste, eng verbundene, vor allem städtische Gemeinschaft fest in der bangladeshischen Gesellschaft verankert. Von den anderen Buddhisten werden sie vor allem als „bangladeshische“ national gesinnte Buddhisten wahrgenommen. Führende Mönche heben zum Beispiel ihre Parteinahme und ihren Einsatz für die Unabhängigkeit Bangladeshs 1971 hervor. Die Kontakte der Mönche (aber auch prominenter Laienvertreter) mit anderen buddhistischen Ländern führten im Rahmen von internationalen Konferenzen und Weiterbildungsseminaren sowie in der Mitgliedschaft in Organisationen wie z. B. der World Buddhist Fellowship, zu einer äußerlichen Angleichung an die Gepflogenheiten der anderen buddhistischen Theravāda-Länder. Für die Buddhisten Bangladeshs hat diese internationale Vernetzung sicher eine weit größere praktische und politische Bedeutung als für die Buddhisten Thailands, Sri Lankas oder die Arakanesen. Diese regionalen Verbindungen vereinfachen den Zugang zu buddhistischen Ausbildungsstätten in Thailand, Birma und Sri Lanka. Sie bedeuten zweifellos auch Prestige und internationale Anerkennung und können insofern ein Mittel sein, um sich sozialer Repression und Bedrohung in der mehrheitlich muslimischen Gesellschaft zu widersetzen. Man kann in diesem Zusammenhang anmerken, dass die Barua seit der Kolonialzeit den größten Teil der gebildeten Elite der Buddhisten stellen; dies gilt insbesondere auch für Sanskrit- und Pāli-Studien. In der neuesten Zeit haben sowohl nationalistische Prägungen wie auch die internationale Vernetzung dazu geführt, dass ältere buddhistische Traditionen und Begriffe, die stärker von Birma und besonders Arakan geprägt waren, weitgehend verschwunden sind. In Abwesenheit einer eigenen bildhauerischen Tradition 30 Chaudhuri 1987; Visuddhananda Mahāthero 1983; Barua 1978.

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dominieren große thailändische Bronzestatuen im Ayutthaya-Stil die buddhistische Ikonographie in den Tempeln Dhakas und Chittagongs; sie haben die älteren und kleineren birmanischen Alabasterstatuen der Kolonialzeit in den Hintergrund gedrängt. Offen und nicht ohne Humor beschreibt Chaudhuri den Graben, der sich auftut zwischen den buddhistischen Lehren über die Leidensexistenz und dem Pfad der Erweckung einerseits und den Glaubensvorstellungen wie der täglichen Praxis der überwiegenden Mehrheit der Buddhisten andererseits.31 Hier – ähnlich wie in anderen buddhistischen Ländern – sehen viele Gläubige nicht das Erlöschen im Nibbāna als vordergründiges Ziel religiösen Strebens, sondern eine materiell bessere Existenz, die sie sich dank der Befolgung der fünf Gebote (pañcasīla) wie auch dank ihrer Freigebigkeit erhoffen. Die überwiegende Mehrheit der Mönche gehört heute dem Saṅgharāja-nikāya an. Nur zwanzig Prozent der Mönche gehören dem Mahāsthavīr-Nikāya an, der sich in seiner aktuellen Form 1957 aus dem Zusammenschluss von drei konkurrierenden Gruppierungen konstituierte. Beide Nikāyas kennen eine allgemeine jährliche Mönchsversammlung und besitzen die gleiche verwaltungsmäßige Struktur. Dem Saṅgharāja Bhikkhu Mahāsabha steht ein auf Lebenszeit gewählter Saṅgharāj-Mahānayaka mit vier Assistenten vor. Er hat fünfzehn Niederlassungen, davon zehn in Chittagong. Der Mahāthera-nāyaka steht an der Spitze des „Mahāsthavīr Nikāya Bhikkhusabhā“, der alle drei Jahre eine Versammlung abhält. Parallel zu dieser Teilung bestehen die von der „Chittagong Buddhist Association“ 1887 gegründete „Bangladesh Bauddha Samiti“, der vom Mahāsthavīr-Nikāya seit 1950 geführte „Bangladesh Bauddha Kristi Prachar Saṅgha“ und die 1961 von BaruaBuddhisten aus Comilla geschaffene „Sambodhi Society of Bangladesh“.

2.2. Vom Nutzen religiöser Erneuerung: Buddhismus als Teil des Überlebenskampfes der Chakma Über die neuere Entwicklung des Theravāda-Buddhismus bei den Chakma ist weniger bekannt als über die Gemeinschaft der Barua, obschon sie, nach ihrer eigenen Tradition, ebenfalls in der Folge der buddhistischen Reformbewegung Sāramedhās stehen. Die Prinzipien und Glaubenssätze der Reformer setzten sich aber langsamer durch als bei den Buddhisten Chittagongs. Die Rauli-Mönche der Chakma bestehen heute faktisch nicht mehr als institutionell-religiöse Gruppe, aber ihr Einfluss erlosch erst nach 1960. Anders als bei den Barua kam es jedoch nicht zu einer Spaltung des Saṅgha in rivalisierende Gruppen. Dies hängt wohl auch mit der Tatsache zusammen, dass es insgesamt vor nicht allzu langer Zeit nur eine 31 Chaudhuri 1987.

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bescheidene Zahl von Mönchen gab. Um 1940 bestanden im Chakma circle nur vier Klöster mit insgesamt gerade einmal zehn Chakma-Mönchen. Am Anfang des 21. Jahrhunderts gab es mehr als zwanzig zum Saṅgharāja-Nikāya zählende Klöster in der Gegend von Rangamati und vorgeblich mehrere hundert Chakma-Mönche in den Chittagong Hill Tracts. Ein Chakma-Mönch steht der wichtigen „Parbatya Bhikkhu Saṅgha“, der Versammlung der Mönche der Chittagong Hill Tracts, vor und eine stetige Zahl von Chakma-Mönchen bildet sich an der Mahachulalongkorn-Universität in Bangkok weiter. Dieses Aufblühen des Theravāda-Buddhismus bei den Chakma ist nicht nur als Erfolg einer religiösen Entwicklung zu deuten, sondern es hat auch viel mit den radikalen Veränderungen zu tun, denen die Chakma in der postkolonialen Zeit unterworfen wurden. Für die Chakma ist der Buddhismus in der Tat nicht nur eine religiöse Identität, sondern auch der Ausdruck ihrer existentiellen Selbstbehauptung im Angesicht von Vertreibung, gewaltsamer Deportation und politischer Unterdrückung. Den Chittagong Hill Tracts war seit 1900 ein Statut zuerkannt worden, das die Gegend in eine fast idyllische Isolation führte und der Überfremdung durch bengalische Muslime Einhalt gebieten sollte. Aber die Sonderstellung schnitt die Gegend gleichzeitig von jeder fortschrittlichen sozialen und politischen Entwicklung ab. Am Unabhängigkeitskampf gegen die Briten nahmen die Einwohner dieser Gegend nicht teil. Als die Gegend 1947 dem sich als islamisch definierenden Staat Pakistan (und nicht dem multireligiösen Indien) zugeteilt wurde, blieb die englische Verwaltungsordnung trotz allem noch weiterbestehen. Die Chittagong Hill Tracts standen unter der direkten Verwaltung der pakistanischen Zentralregierung. Dies mag zum Teil erklären, dass die Bewohner sich auch später nicht wirklich als einen Teil des Landes Bangladesh empfanden, das 1971 seine Unabhängigkeit errang. Es war das im Namen der nationalen wirtschaftlichen Entwicklung vorangetriebene Kaptai-Staudammprojekt (1957–1963), das die Illusion zerriss, die Chakma und die anderen Volksgruppen der Region könnten weiter ihr abgeschiedenes Dasein im Rahmen ihrer Kleinmonarchien führen. Durch den Bau des Kaptai-Staudammes zur Produktion hydroelektrischer Energie wurden vierzig Prozent der landwirtschaftlich genutzten Talflächen der Chittagong Hill Tracts überflutet. Selbst Rangamati, die „alte“ Hauptstadt des Chakma-Distrikts, fiel den Fluten zum Opfer und musste neu erbaut werden. Zehntausende Chakma mussten zwangsumsiedeln oder flüchteten nach Indien. Dies war aber nur der Anfang eines leidvollen Weges der Enteignung und Verarmung.32 Während 1956 91% der Bewohner der Berggegend indigen waren, waren es 1991 nur noch 52%. Heute besteht schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus bangladeshischen Muslimen, die oft unter Mitwissen der Armee illegal Land besetzen und dabei willkürlich auch buddhistische Dörfer zerstören. Die soziale Rolle des Buddhismus und insbesondere auch die Rolle, die den Mönchen als Sprechern der Gemeinschaft zu-

32 Schendel 2001; Adnan 2004; Talukdar 1988.

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kommt, muss man im Zusammenhang mit diesen extremen Bedingungen von Landraub, Zwangsmigration, staatlicher Repression und Umweltzerstörung sehen. Der militante Widerstand unter Führung der „Parbatya Chattagram Jana Samhiti Samiti“ (PCJSS) führte zu einem permanenten Kriegszustand und die Chittagong Hill Tracts waren für fast dreißig Jahre von jedem Zugang Außenstehender abgeschlossen. Erst 1997 kam es zu einem Friedensschluss mit der Regierung. Wer heute die Dörfer der Chakma und ihre buddhistischen Tempel besucht, erfährt viel über diesen Kampf, denn der Kampf um Landrechte dauert an und die De-facto-Militärverwaltung besteht weiter. Es sind die von buddhistischen Mönchen gegründeten und mit Hilfe meist ausländischer Spenden finanzierten Waisenhäuser und schulischen Einrichtungen wie das 1974 gegründete Moanagarh oder das neu erbaute Schulinternat der „Parbatya Bouddha Mission“ in Dhaka (Adivasi Green Heart College nebst Shakyamuni Vihāra), die Ausdruck des Überlebenswillens und der kulturellen Identität der Chakma sind. Die willkürlichen Landbesetzungen, die die massive muslimische Zuwanderung begleiteten, bedingten eine Abdrängung der Einheimischen auf die zwar traditionelle, aber trotzdem weniger rentable Bewirtschaftung der Hügelhänge durch Schwendbau (jumma). Infolge des demographischen Druckes sind nicht nur Forstreservate bedroht, sondern der Schwendbauzyklus selbst scheint für die Natur immer unverträglicher. Das starke Bekenntnis der zeitgenössischen Chakma zum Buddhismus als Teil einer nationalen Identität steht mithin im Einklang mit dem sozialen und politisch bedeutsamen Engagement buddhistischer Mönche für Projekte von Nichtregierungsorganisationen. Der Fall des 2003 von einem bangladeshischen Mob niedergebrannten Dorfes Lemuchari (Mahalchari) sorgte national für Erregung und rief Protestaktionen buddhistischer Mönche in Dhaka hervor. Der Tempel wurde 2005 mit Hilfe der „Japan Buddhist Volunteer Association“ wieder aufgebaut. Die Mediatisierung von Landkonflikten unter eindeutig kulturell-religiösen Vorzeichen und die Miteinbeziehung auswärtiger Unterstützer im Zuge internationaler buddhistischer Solidaritätsbekundungen sind relativ neue Phänomene. Insoweit darf man also feststellen, dass die religiöse Erneuerung und der Aufschwung des Buddhismus bei den Chakma gerade in den letzten Jahren untrennbar mit vier Jahrzehnten politischer und sozialer Bedrängnis und einer andauernden politischen Aktualität verbunden bleiben. Von Bedeutung für die Entwicklung des Buddhismus in den Chittagong Hill Tracts war auch die Waldmönchbewegung um den hoch verehrten Saddhanananda Mahāthera (1920–2012), der 1976 in Rangamati das Kloster Rājbana Vihāra gründete. Saddhanananda Mahāthera, kurz Bana Bhante genannt, hatte, gemäß seiner Biographie, nach vielen Jahren der Meditation in der Einsamkeit die völlige Erkenntnis erreicht. Er wurde fortan von seinen Anhängern als arhant verehrt und von der Familie des Chakmakönigs unterstützt.33 Um ihn selbst entwickelte sich

33 Indragupta 2006.

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in den Chittagong Hill Tracts eine kultische Bewegung mit mehreren Dutzend assoziierten Dorfklöstern und Tausenden von Laienanhängern. Der Geburtstag des heiligen Mönches wurde in Massenveranstaltungen gefeiert, aber der Anspruch seiner spirituellen Führerschaft war nicht unumstritten bei den Buddhisten Bangladeshs. Für Außenstehende gilt es vor allem die Tatsache zu würdigen, dass viele Chakma den Aufstieg eines ihrer Mönche zu geistiger Errungenschaft mit Stolz sahen, da sie ihn sozusagen als Bestätigung eines religiösen Reifeprozesses empfanden, den sie für sich als Gemeinschaft insgesamt in Anspruch nehmen können.

2.3. Kulturelle Selbstbehauptung und buddhistische Identität der Arakanesen Marma und Rakhaing teilen die gleiche arakanesische Sprache und haben die gleichen ethnischen Wurzeln. Ihre Gemeinschaften unterscheiden sich aber, wie anfangs dargestellt, in der historischen Entwicklung ihrer Zuwanderung. Von den muslimischen Bangladeshis werden sie zusammenfassend als „Magh“ oder „Mog“ bezeichnet, ein abschätziges, aber in Bangladesh weiterhin sehr gebräuchliches Wort, das ehemals die arakanesischen Seeräuber bezeichnete. Beide Gruppen sind mehrheitlich in der Landwirtschaft tätig und leben in sehr bescheidenen Verhältnissen. Allein eine kleine gebildete Mittelschicht ist in der Lage, die Stimme dieser ethnischen Gemeinschaft in sozialen und kulturellen Belangen geltend zu machen. Trotz ihrer kulturellen und ethnischen Verwandtschaft sollte man aber die Unterschiede zwischen den zwei Volksgruppen erkennen. Zum einen besteht ein verwaltungsmäßiger Unterschied zwischen den Marma und Rakhaing. Offiziell sind die Marma ein Volksstamm der Chittagong Hill Tracts mit Sonderrechten.34 Die Rakhaing, die zum allergrößten Teil in und um die Stadt Cox’s Bazar und in Dörfern weiter südlich davon bis an die birmanische Grenze leben, haben kein ethnisches Sonderstatut. Zum anderen unterscheiden sich beide Gruppen durch ihre Lebensweise, die Ursachen ihrer Migration nach Südostbengalen und ihr Selbstverständnis innerhalb Bangladeshs. Der landwirtschaftliche Produktionsmodus der Marma in den Hill Tracts beruhte, wie bei anderen einheimischen Bergvölkern, weitgehend auf dem Schwendbau und kannte nur temporäre Besitzansprüche, während für die Rakhaing in den Ebenen eine sesshafte Feldwirtschaft maßgebend wurde. Seit den siebziger Jahren bedeutete die galoppierende Zunahme der bangladeshisch-muslimischen Bevölkerung für beide Gruppen wirtschaftliche Bedrohung und kulturelle Überfremdung in ihren Siedlungsgebieten. Da die Bindung an ihr buddhistisches Mutterland Arakan bei den Rakhaing weit stärker ausgeprägt blieb als bei den Marma, sind über 34 Zur Kultur und Lebensweise der Marma siehe Bernot 1967a.

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die letzten Jahrzehnte viele Rakhaing nach Arakan abgewandert. Diese Migration in den Rakhine State der Union von Myanmar (Birma) wurde von der myanmarischen Militärregierung begrüßt und seit 2012 von anti-buddhistischen Gewaltakten in Bangladesh begünstigt. Während dadurch viele Rakhaing Bangladeshs Familienmitglieder in Myanmar (Birma) haben und diese Bande pflegen, stammen im Gegensatz dazu die meisten Mönche der Rakhaingklöster in Bangladesh aus Arakan. Diese Anbindung bzw. Abhängigkeit vom Saṅgha in Arakan hat seit der Kolonialzeit Bestand. Während sich das Interesse der Rakhaing also weiter an ihren historisch-kulturellen Wurzeln wie an der aktuellen politischen Entwicklung in Birma orientiert, so definieren sich die Marma heute ausschließlich als eine buddhistische Gemeinschaft innerhalb Bangladeshs. Die mönchische Ausbildung und die buddhistische Erziehung sind bei den Rakhaing von den Verhältnissen in Birma geprägt. Waren die arakanesischen Mönche einst geachtete Reformer, die den Buddhismus in Bengalen auf einen orthodoxen Weg zurückführten, so beklagen die Arakanesen heute infolge des Verfalls der religiösen Ausbildung in Birma einen bedauerlichen Mangel an Disziplin und Verantwortungsgefühl seitens vieler Mönche. Anders als bei den Barua und Chakma haben Bestrebungen der Marma und Rakhaing, die soziale Stellung ihrer Gemeinschaft durch die Einrichtung von eigenen Schulen zu verbessern, erst kürzlich Früchte getragen. Aber auch hier haben Rakhaing und Marma, die sich nie auf die Gründung einer gemeinsamen buddhistischen Organisation einigen konnten, nicht zusammen gewirkt. Die seit 1978 bestehende „Bangladesh Marma Buddhist Association“ eröffnete 2003 außerhalb Dhakas die „Jyoti Vidya Niketon“ genannte Schule für Marmakinder aus dem Bandarban-Distrikt. Die etwas später von wohlhabenden Rakhaing gegründete und selbstbewusste „Rakhaing Buddhist Welfare Association“ in Cox’s Bazar reflektiert die starke lokale Vernetzung der Rakhaing, die sich vor allem in der Organisation gemeinsamer religiöser Feste, gegenseitigem materiellen Beistand und dem Erhalt alter Pagoden äußert.

3. Pilgerorte, Feste und religiöse Verehrung Über individuelle Handlungen religiöser Verehrung hinaus orientiert sich in Bangladesh die Praxis der Buddhisten am Rahmen des Zyklus buddhistischer Feste des Mondjahres.35 Es sind dies die Vollmondtage und Feiertage, die an bestimmende Ereignisse im Leben des Buddhas erinnern. Buddha Pūrṇimā (Vesakh) im ersten Monat des traditionellen Jahreszyklus (April-Mai) erinnert an Geburt, Erleuchtung 35 Barua 1965.

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und Parinibbāna des Buddhas. Asadhi Pūrṇimā, der Vollmondtag im Juni, ruft den Tag ins Gedächtnis, an dem Gautama dem Leben am königlichen Hof entsagte, sowie die Zeit im Tavatimsa-Himmel, wo er seiner Mutter das Abhidhamma erläuterte. Am Prāvaraṇā Pūrṇimā, dem Lichterfest, wird seiner Rückkehr auf die Erde gedacht. Es ist dies die Zeit der Mönchseinkehr in der Regenzeit, in die auch ein anderes populäres Fest, das Madhu Pūrṇimā, fällt (August-September). Traditionell spenden die Laien den Mönchen an diesem Tag Honig und Heilmittel in Erinnerung an die Honiggabe, die einst ein Affe dem Buddha bei seinem Aufenthalt im Pārileyya-Walde machte. Im Verlauf des Monats nach dem Lichterfest werden den Mönchen von den Laien neue Mönchsgewänder gespendet (kaṭhina). Von Bedeutung ist auch das Neujahrsfest (saṅkranti), das besonders bei den Arakanesen freudig gefeiert wird und wobei sich die Leute, wie in Birma und Thailand, gegenseitig mit Wasser überschütten. Stärkere Unterschiede zwischen den Gemeinschaften bestehen beim Festhalten an alten Bräuchen. Bei den Arakanesen gilt es weiterhin als unabdingbar, dass ein junger Mann erst dann heiraten darf, wenn er als Mönch ordiniert wurde und eine mehr oder weniger lange Zeit im Kloster verbracht hat. Diese im birmanischen Kulturkreis wesentliche Tradition ist bei anderen Buddhisten weniger stark verankert, obschon die Praxis bei den Chakma heute auch als wünschenswert angesehen wird. Da die Kaṭhina-Zeremonie zum Ende der Regenzeit immer auch Anlass für die Herrscher war, ihre Spendenfreude öffentlich zu demonstrieren, fanden im Umfeld der Paläste, mit ihrem vom Herrscher begünstigten Kloster, jährliche Märkte statt. Großen Zulauf gibt es bei festlichen Anlässen in jedem Klostertempel, besonders aber an Orten, die sich im 19. Jahrhundert zu wichtigen Pilgerstätten entwickelten. Von diesen seien hier vor allem Pahartali-Mahāmuni und Chitmoron (arakanes. Cin-mroṅ nahe Kaptai) erwähnt. In Pahartali (nahe Rauzan) ließ um 1813 der bengalische Mönch Caiṅga eine Buddhastatue gemäß dem Abbild des vormaligen Mahāmuni in Arakan errichten. Tempel- und Klostergebäude wurden über die Jahre ausgebaut und es entwickelte sich dort zum Jahresanfang die größte, mehrere Tage dauernde, buddhistische Festveranstaltung Südostbengalens. An die Mahāmuni-Tradition knüpft auch die Verehrung der Mahākyan-Statue im Klostertempel von Chitmoron an. Nach der Legende blieb von der Bronze, die der arakanesische König Candasūriya zur Herstellung der Mahāmuni-Statue „gemäß den Körpermaßen“ des historischen Buddha brauchte, etwas übrig und man stellte einige kleinere Statuen her, zu welchen auch jene von Chitmoron gehört.36 Der auch bei den Arakanesen weit verbreitete Reliquienkult bezeugt, mittels seiner Begründungslegenden, die auf frühere Leben oder „historische“ Besuche Buddhas Bezug nehmen, die territoriale Verwurzelung des arakanesischen Buddhismus in

36 Besucher des Mahāmuni-Tempels in Mandalay werden feststellen, dass die Statue bedeutend größer ist als der Körper eines Menschen.

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Südostbengalen. Die Barua sind der Mahāmuni-Tradition nicht direkt verbunden und stillen das Bedürfnis nach historisch-geographischer Legitimation ihrer buddhistischen Abkunft unter anderem durch den Verweis auf das archäologische Erbe der Pāla-Zeit und durch eine besondere Ehrung des Tibet-Missionars Atīśa Dīpaṃkara (982–1054), der, so glaubt man, aus der Gegend von Chittagong stammte.37 Die Berufung der Barua-Buddhisten auf ein mahāyānistisches Erbe scheint besonders ausgeprägt bei den Anhängern des Mahāsthavīr-Nikāya. Birma war viele Jahrzehnte hindurch ein wohlbekanntes, ja natürliches Ziel für buddhistische Mönche und Pilger aus dem benachbarten Bengalen, respektive Ostpakistan. Aber nach 1962 wurde das Land durch die politische Isolierung und seinen akademischen und wirtschaftlichen Niedergang immer weniger zugänglich und attraktiv. Erst in den neunziger Jahren kam es zur Gründung eines „Bangladesh Monastery“ in der damaligen Hauptstadt Yangon. Diese Initiative der Militärjunta, bangladeshischen Mönchen auf der Suche nach Weiterbildung Zuflucht anzubieten, hatte aber nur einen bescheidenen Erfolg. Viel größer als in Birma ist nämlich die Zahl jener Mönche, die für längere Zeit zum Studium nach Bangkok ziehen. Um ihre Initiativen zum Ausbau von Tempeln, Meditationszentren und schulischen Einrichtungen zu beleben, bedürfen die buddhistischen Gemeinschaften Bangladeshs, denen enge finanzielle Grenzen gesetzt sind, ausländischer Hilfe. Genau wie im Bereich der dörflichen Entwicklungshilfe scheinen hierbei offizielle und private japanische Zuwendungen von nicht unwesentlicher Bedeutung zu sein. Erwähnenswert ist aber auch, dass die Regierung Bangladeshs den buddhistischen Gemeinschaften durch den „Buddhist Religious Welfare Trust“ punktuell Hilfe zukommen lässt.

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37 Siehe hierzu die Feierlichkeiten zum tausendjährigen Jubiläum seiner Geburt im Jahre 1983. Nach einer Anfrage des Ehrwürdigen Visuddhananda Mahāthero bei seinem Besuch in Beijing 1963 kam es zwanzig Jahre später zu einer Überführung eines Teils der „Asche“ Atīśas nach Bangladesh, seiner „Heimaterde“.

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Jacques P. Leider Barua, Rabindra Bijay: The Theravāda Sangha, Dacca 1978. Barua, Sitangshu Bikash: Buddhism in Bangladesh, Chittagong 1990. Barua, Tapan Kumar: Two Bronze Statuettes from Chittagong Hill Tracts, in: Journal of the Asiatic Society of Pakistan 5 (1960) 175–177. Bechert, Heinz: Zur Geschichte des Theravâda-Buddhismus in Ostbengalen, in: Museum für Indische Kunst (Hg.): Beiträge zur Indienforschung. Ernst Waldschmidt zum 80. Geburtstag gewidmet, Berlin 1977, 45–66. Bechert, Heinz et al.: Hindu Elements in the Religion of the Buddhist Barua and Chakma in Bengal, in: Heinz Bechert (Hg.): Buddhism in Ceylon and Studies on Religious Syncretism in Buddhist Countries, Göttingen 1978, 214–216. Bernot, Lucien: Ethnic Groups of Chittagong Hill Tracts, in: Pierre Bessaignet (Hg.): Social Research in East Pakistan, Dacca 1960, 113–140. Bernot, Lucien: Les paysans arakanais du Pakistan oriental (L’histoire, le monde végétal, et l’organisation sociale des réfugiés Marma/Mog), Paris 1967a. Bernot, Lucien: Les Cak (Contribution à l’étude éthnographique d’une population de langue loi), Paris 1967b. Bouchon, Geneviève/Thomaz, Luis Filipe: Voyage dans le delta du Gange et de l’Irraouaddy. Relation portugaise anonyme (1521), Paris 1988. Brauns, Claus-Dieter/Löffler, Lorenz G.: Mru. Bergbewohner im Grenzgebiet von Bangladesh, Basel 1986. Chakma, Sojjita Kumar: „Bhatḍya“ in the Light of Buddhism, in: The Heritage. A Special Magazine of Chittagong Hill Tracts’ Buddhist Culture on Occasion of Buddha Image Installation of Ananda Bihar, Rangamati 1984, 16–24. Chaudhuri, Sukomal: Contemporary Buddhism in Bangladesh, Calcutta 1987. East Pakistan District Gazetteers: Chittagong, Dacca 1970. Eaton, Richard M.: The Rise of Islam and the Bengal Frontier 1204–1760, Los Angeles 1993. Harvey, Geoffrey E.: Bayinnaung’s Living Descendant: The Magh Bohmong, in: Journal of the Burma Research Society 44 (1961) 35–42. Indragupta Bhikkhu: The Most Venerable Srabak Buddha Sadhanananda Mahāthera (Banabhante), his Disciples and the Bana Vihāra Branches, Rangamati 2006. Khan, Abdul Mabud: The Maghs. A Buddhist Community in Bangladesh, Dhaka 1999. Leider, Jacques P.: Le bouddhisme Theravada au Bangladesh, in: Vincent Lefèvre/MarieFrançoise Boussac (Hg.): Chefs d’oeuvre du delta du Gange. Collections des musées du Bangladesh, Paris 2007, 64. Leider, Jacques P.: Southeast Asian Buddhist Monks in the Peregrinação: Tracing the „Rolins“ of Fernão Mendes Pinto in the Eastern Bay of Bengal, in: Jorge M. dos Santos Alves (Hg.): Fernão Mendes Pinto and the Peregrinação. Vol. 1.: Studies, Restored Text, Notes and Indexes, Lissabon 2010, 145–162. Qanungo, Suniti Bhushan: History of Chittagong (to 1761), Chittagong 1988. Schendel, Willem van (Hg.): Francis Buchanan in Southeast Bengal (1798), Dhaka 1992. Schendel, Willem van et al.: The Chittagong Hill Tracts. Living in a Borderland, Dhaka 2001. Talukdar, S. P.: The Chakma Life and Struggle, New Delhi 1988. Visuddhananda Mahāthero: Buddhism in Bangladesh, Dacca 1983.

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FORMEN

DES

THERAVĀDA

IM HEUTIGEN INDIEN

Detlef Kantowsky

Die Schulrichtung des Theravāda war, wie der Buddhismus in seinem Ursprungsland insgesamt, durch muslimische Eroberer im 12. und 13. Jahrhundert vernichtet worden. Von den ehemaligen Missionsgebieten Sri Lanka und Birma ausgehend und unterstützt, begann jedoch am Ende des 19. Jahrhunderts eine Wiederbelebung der auf dem Pāli-Kanon aufbauenden Tradition. Hinzu kommen dann seit Mitte des vorigen Jahrhunderts die durch westliche Einflüsse mitgeprägten Formen des so genannten Neo-Buddhismus. Im Folgenden werden die verschiedenen Hauptformen dieser Erneuerung des Theravāda im heutigen Indien vorgestellt.1

1. Die Mahā Bodhi Society Am 31. Mai 1891 wurde die „Budh-Gaya Mahabodhi Society“ (MBS) mit Anagārika Dharmapāla als Generalsekretär in Colombo gegründet. Ziel der Gesellschaft war es, den „Mahābodhi Temple“ möglichst umgehend zurückzugewinnen und den Buddhismus in Indien wieder einzuführen. Anagārika Dharmapāla wurde am 17. September 1864 als erstes Kind des Möbelfabrikanten Don Carolis Hewavitarne und seiner Frau Mallika geboren; er erhielt den Namen Don David. Die Eltern waren praktizierende Buddhisten, aber wie damals in Kreisen der aufstrebenden singhalesischen Bourgeoisie üblich, besuchte ihr Sohn anglikanische Missionsschulen in Colombo und trat nach dem Abschluss in die britische Kolonialverwaltung ein. Beeinflusst durch die neo-buddhistische Erneuerungsbewegung im Lande2 und durch enge Kontakte mit Colonel Olcott, beschloss er 1886, sein weiteres Leben ganz der Erneuerung des Buddhismus zu widmen. Mit Zustimmung der Eltern quittierte er den Dienst und nannte sich fortan Anagārika („Nicht-Behauster“) Dharmapāla („Beschützer des Dharma“). 1891 reiste er, aufgerüttelt durch die Berichte von Sir Edwin Arnold in englischen 1 Eine frühere Version des Beitrags ist veröffentlicht in: Der Kreis. Zeitschrift für Buddhismus im Westen. Informationsblatt des Ordens Arya Maitreya Mandala, Heft 236 (2000) 29–42; Heft 237–238 (2000) 80–91. 2 Bechert 1966: 47–51.

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Formen des Therava¯da im heutigen Indien

Tageszeitungen,3 nach Nordindien, um sich selbst ein Bild vom desolaten Zustand der Stätten des frühen Buddhismus zu machen. Von Sarnath aus kommend traf er in Begleitung des japanischen Shingon-Mönches Kozen Gunaratne, den er auf einer Konferenz der Theosophischen Gesellschaft kennengelernt hatte, am 21. Januar 1891 mit der Bahn in Gayā ein und notierte dazu in seinem Tagebuch, wie eine plötzliche Eingebung ihn überkam, den verwahrlosten Tempel wieder zu einem Wallfahrtsort aller Buddhisten zu machen:4 After driving 6 miles (from Gaya) we arrived at the holy spot. Within a mile you could see lying scattered here and there broken statues etc. of our blessed Lord. At the entrance to the Mahant’s temple on both sides of the portico there are statues of our Lord in the attitude of meditation and expounding the Law. How elevating! The sacred Vihara – the Lord sitting on his throne and the great solemnity which pervades all round makes the heart of pious devote weep. How delightful! As soon as I touched with my forehead the Vajrasana a sudden impulse came to my mind. It prompted me to stop here and take care of this sacred spot – so sacred that nothing in the world is equal to this place where Prince Sakya Sinha gained Enlightenment under the Bodhi Tree … When the sudden impulse came to me I asked Kozen priest whether he would join me, and he joyously assented and more than this he had been thinking the same thing. We both solemnly promised that we would stop here until some Buddhist priest came to take charge of the place.

Damit beginnt die Geschichte der „Buddhifizierung”5 von Bodh Gayā und der bis heute andauernden Bemühungen den „Ort der Erleuchtung“ zu einem „Jerusalem der Buddhisten“6 auszubauen und den von Hindus vor Jahrhunderten „okkupierten“ Haupttempel in allein-buddhistische Verantwortung zu überführen. Schon 1892 wurde daher die Geschäftsstelle der MBS nach Calcutta (heute Kolkata), die damalige Hauptstadt des Empire, verlegt und noch im gleichen Jahr mit dem Maha Bodhi Journal ein wichtiges englisches Sprachrohr zur weltweiten Verbreitung der Ziele der Gesellschaft geschaffen. Diese Ziele hatte Anagārika Dharmapāla auf dem Parlament der Weltreligionen in Chicago 1893 wirksam vorgetragen, so dass er mit internationaler Unterstützung seiner Ziele rechnen konnte. Im fast wörtlichen Sinne (über)lebenswichtig wurde ihm dabei die anhaltende großzügige Förderung durch Mrs. Mary Forster (1844–1930) aus Honolulu, die er an Bord der Oceanic auf der Weiterreise von den USA nach Japan kennenlernte.7 Trotz aller Anstrengungen und internationaler Unterstützung gelang es Dharmapāla bis zu seinem Lebensende nicht, den Haupttempel in Bodh Gayā für die Buddhisten zurückzugewinnen. Er verlor im Rechtsstreit gegen den Abt (hindi 3 4 5 6 7

Ahir 1994: 95. Ahir 1994: 107. Doyle 1997: 16. Trevithick 1988. Vgl. Details bei Ahir 1989: 17f.

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mahant) des hinduistischen Klosters von Bodh Gayā, zu dem der Haupttempel seit Ende des 16. Jahrhunderts gewohnheitsrechtlich gehörte. Erfolgreicher dagegen waren Dharmapālas Aktivitäten in Sarnath. Mit Unterstützung, auch hier vor allem durch Mary Forster, entstand auf dem historischen Gelände des Gazellenhains, wo Siddhattha Gotama erstmals seine befreiende Erfahrung weitergegeben hatte, ein großer buddhistischer Tempel. Die Bauarbeiten für den Mālagandha Kuṭi Vihāra begannen 1922 und wurden 1931 abgeschlossen.8 Hier trat Dharmapāla im gleichen Jahr als Novize Devamitta („Götterfreund“) Dharmapāla in den San˙gha ein, hier wurde er auch – inzwischen auf einen Rollstuhl angewiesen – im Januar 1933 zum Vollmönch ordiniert. Als er drei Monate später starb, wurde der Körper auf dem Tempelgelände eingeäschert. Welche Wirkungen hat der lebenslange Einsatz von Anagārika Dharmapāla für die Wiederbelebung des Theravāda-Buddhismus in Indien gehabt? Welche Bedeutung hat die Mahā Bodhi Society für die Verbreitung buddhistischer Lehre im Lande des Ursprungs? Aus den diversen Selbstdarstellungen9 der Gesellschaft mit Hauptsitz immer noch in Kolkata und aufgrund eigener Beobachtungen an verschiedenen ihrer Zentren ergibt sich die folgende zusammenfassende Einschätzung: • Die MBS hat gegenwärtig acht Zentren in (Nord-)Indien, sie arbeitet an fünf weiteren (auch südindischen) Orten mit anderen Gruppen in so genannten „Affiliated Centres“ zusammen. • Gesteuert wird die Arbeit aus der Zentrale in Kolkata. Die Mittel für „außerordentliche“, über den laufenden Betrieb hinausgehende Maßnahmen kommen aus Spenden, neuerdings vor allem aus Japan. • Die MBS versteht sich nach wie vor als eine „Missionsgesellschaft“ zur Verbreitung der Lehre des Theravāda. Entsprechend rekrutiert sie ihre hauptamtlichen Vertreter noch immer aus dem singhalesischen Klerus von Sri Lanka,10 wo derartige Missionsarbeit hohes Prestige hat. Eine entsprechende Rotation der Missionare bedingt allerdings, dass sie die jeweiligen Landessprachen ihres Einsatzgebietes oft nur mangelhaft sprechen. • Die Bhikkhus der MBS sind ganzjährig ortsgebunden: Sie wirken als Repräsentanten des San˙gha in ihren jeweiligen vihāras und über die dort angegliederten Maßnahmen vor allem im Erziehungs- und Gesundheitsbereich. • Nachgerade überlebenswichtig im übervölkerten Nordindien für die vielen Pilger aus Sri Lanka sind die Herbergen der MBS in Sarnath und Bodh Gayā.

8 Ahir 1991: 130. 9 Vgl. insbesondere den „Centuary Issue“ der Zeitschrift „The Mahabodhi“, 100, issue 1 (1992), herausgegeben von der MBS. – Das Zentrum der MBS befindet sich in 4-A, Bankim Chatterjee Street, Kolkata 700 073, West Bengal, India. 10 Ahir 1998: 59–76.

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• Nach wie vor wichtig für die internationale Vermittlung der Aktivitäten der MBS und die rechte Interpretation der Lehren des Pāli-Kanons an eine englischsprachige Leserschaft ist die Vierteljahresschrift „The Mahabodhi“.11 • Zur neo-buddhistischen Bewegung in Indien haben die singhalesischen Repräsentanten der MBS ein distanziertes Verhältnis, weil die eigenwillige Interpretation des dhamma durch Dr. B. R. Ambedkar von ihnen nicht akzeptiert wird.12 • Nach wie vor auffallend präsent ist die MBS in der vergleichsweise aufgeräumten und überschaubaren Welt von Sarnath. In Bodh Gayā jedoch, dem Ausgangspunkt von Anagārika Dharmapālas missionarischem Wirken, hat der internationale Bauboom den ehedem freistehenden Gebäudekomplex der MBS nachgerade überwuchert. Vom internationalen Pilger-Tourismus profitiert die MBS aber nach wie vor, weil sie, anders als die vielen neuen Klöster aus asiatischen Ländern, besonders westlichen Gläubigen als eine neutrale und nicht landsmannschaftlich gebundene Einrichtung zur Förderung des dhamma gilt. • Ohne internationale Unterstützung, insbesondere aus Japan mit einem eigenen „Headquarter“ in Tokyô, könnte die MBS in Indien aus Landesmitteln nicht überleben und Aktivitäten im vorhin genannten Umfang nicht aufrechterhalten.

2. Die Bauddha Dharmankur Sabhā Die „The Bengal Buddhist Association“ (BBA = Bauddha Dharmankur Sabhā) wurde am 5. Oktober 1892 in Kolkata von Ven. Kripāśaran Mahāthera (1863–1926) gegründet. Er stammte aus dem buddhistischen Milieu des damals noch zu Bengalen gehörenden Chittagong-Distrikts, wurde schon mit 17 Jahren zum Novizen geweiht und 1885 zum Vollmönch ordiniert.13 Zusammen mit seinem Lehrer Ven. Puṇṇācāra besuchte er 1886 die verfallenen buddhistischen Stätten in Nordindien und beschloss, sein weiteres Leben ganz der Wiederverbreitung des wahren dhamma, insbesondere unter den Barua-Buddhisten in Bengalen zu widmen, von denen angenommen wird, dass sie seit den Tagen des frühen Buddhismus Anhänger der Lehre waren; doch seit Verfall des Ordens und ohne Anleitung durch Mönche fanden sie mehr und mehr in Ritualen Zuflucht, die sich von denen der Hindus 11 Vgl. den Sammelband von Ahir 1995, in dem ausgewählte Beiträge aus dieser Zeitschrift wiederveröffentlicht sind. Ursprünglich (1892–1901) lautete der Titel der Zeitschrift „Journal of the Maha Bodhi Society“, von 1901–1923 „Maha Bodhi and the United Buddhist World“. Ab Bd. 32 (1924) wird der aktuelle Titel verwendet. 12 Ambedkar 1957; siehe dazu Jatava 1997: 67–85. 13 Vgl. Details in Chowdhury 1990: 8–10.

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nur wenig unterschieden. In der Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Gesellschaft deutet D.C. Ahir diese Zusammenhänge vorsichtig an und fasst die besonderen Ziele und Ergebnisse der Arbeit von Kripāśaran Mahāthera wie folgt zusammen:14 The primary object of Ven. Kripasaran was to organise the Barua Buddhists, the traditional Buddhists as we call them, and to reform the Dhamma being practised by them as due to ignorance they had become victims of corrupt practices. For giving shape to his ideas, he founded the Bengal Buddhist Association or the Bauddha Dharmankur Sabha on 5 October 1892. Thereafter, he, with a begging bowl, travelled all over India, wherever Bengali Buddhists were living, soliciting funds for the construction of a Bauddha Vihara in Calcutta. In 1903, he constructed the Dharmankur Vihara in Calcutta which became the headquarter of the Bengal Buddhist Association and has been so ever since then. In 1908, Ven. Kripasaran founded ‘Jagajjyoti’, a Buddhist periodical in Bengali. This journal is now a bilingual quarterly in English and Bengali. In 1909, Ven. Kripasaran founded the Gunalankara Library which is now a treasure house of rare books on Buddhism. After consolidating his position in Calcutta, Ven. Kripasaran ventured out, and established a series of branches of the Bengal Buddhist Association at Simla, Lucknow, Dibrugarh, Darjeeling, Ranchi, Shillong and Tatanagar, Jamshedpur, thus creating an awakening and a sense of kinship amongst the Bengali Buddhists living all over India.

An dieser landsmannschaftlichen Ausrichtung der BBA hat sich bis heute nichts geändert, mehr noch: Sie wird allgemein wahrgenommen und versteht sich auch selbst als die besondere Kongregation aller „Barua-Buddhisten“, eine Bezeichnung, wie sie für diese Gruppierung landesüblich ist: „Majority of the Buddhists in West Bengal are Barua Buddhists, who have adhered to Buddhism throughout the past 2000 years or so“.15 Entsprechend liegt das Zentrum16 der Arbeit und Verwaltung nach wie vor in Kolkata, wo aus den bescheidenen Anfängen auf einer kleinen Landschenkung im Bow Bazar inzwischen ein vielgliedriger Komplex mit Kloster, Verwaltungsgebäude, Gästehaus und eigenen Einrichtungen für freie medizinische Dienste und Vorschulerziehung entstanden ist.17 Wurde die Aufbau- und Konsolidierungsphase der Gesellschaft bis zur indischen Unabhängigkeit vor allem aus Kreisen der nationalbewussten bengalischen Bourgeoisie gefördert und unterstützt, so ist sie heute auf ausländische Spenden angewiesen, um ihre vielfältigen Arbeiten aufrechterhalten und außerordentliche Maßnahmen wie etwa eine neue Klosteranlage in Rajgir fertigstellen zu können. Besonders enge Beziehungen bestehen seit vielen Jahren zur japanischen LaienOrganisation Risshō Kōseikai. 14 15 16 17

Ahir 1992: 41. Ahir 1991: 132. Nalanda Square 1, Buddhist Temple Street, Kolkata Bangla 700012, West Bengal, India. Vgl. den Abschnitt „Important Events“ bei Chowdhury 1992: 17–19.

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3. Die Neo-Buddhisten Bis Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts gab es überhaupt nur im Bundesstaat West-Bengalen eine nennenswerte Anzahl Buddhisten: 81 665 der insgesamt 189 018 indischen Buddhisten lebten hier; in Sikkim weist der Census 1951 weitere 39 397, in Assam 22 628 und in Tripura 15 403 Buddhisten aus. Mit der öffentlichen Konversion von Dr. B. R. Ambedkar (1896–1956) änderten sich die Verhältnisse: 1991 wurden in ganz Indien 6,4 Millionen Buddhisten gezählt, von ihnen lebte die Mehrzahl in Maharashtra (5,04 Millionen).18 Der Zensus des Jahres 2011 weist 0,8 Prozent der indischen Gesamtbevölkerung (insgesamt 1,21 Milliarden) als Buddhisten aus. Ursprünglich waren sie dem aus der Abdecker-Kaste der Mahar stammenden Dr. Ambedkar nachgefolgt und wollten über die Konversion zum Buddhismus ihre „Unberührbarkeit“ hinter sich lassen.19 In Indien werden sie – im Unterschied zu Barua- und anderen aus den höheren Kasten stammenden Buddhisten – als „Ambedkarites“ oder „Neo-Buddhists“ bezeichnet. Daher habe ich diesen landesüblichen Namen hier übernommen, denn wie klassisch-buddhistische sind auch viele neo-buddhistische Lebensformen und Praktiken in Indien nur vor dem Wertehintergrund des Hinduismus angemessen zu verstehen, der die Alltags- und besonders die rituellen Handlungsebenen durch präzise Regeln der Über- und Unterordnung, des Gebots und Verbots in allen Bereichen bestimmt.20 All den immer wieder verbreiteten Absichtserklärungen von Politikern und gandhianischen Sozialreformern21 zum Trotz: Wer mit wem zusammen etwas herstellt oder tauscht, wer mit wem bei bestimmten Gelegenheiten wie zubereitetes Essen einnehmen kann, vor allem aber, wer wen heiratet, ist nicht individuell beliebig, sondern nach wie vor sozial normiert und belohnt die immer wieder gleichen Kasten, während es niedriger stehenden den Zugang auch noch zu den einfachsten Gütern einer vergleichsweise menschenwürdigen Existenz verwehrt. Es waren diese über viele Jahrhunderte institutionalisierten Diskriminierungen des „Hindu Way of Life“ und seine auch als hochrangiger Verwaltungsbeamter immer wieder erlebte „Unberührbarkeit“, die Dr. Ambedkar abschütteln wollte, indem er in einer großen öffentlichen Zeremonie am 14. Oktober 1956 in Nagpur vor mehr als fünfhunderttausend Mahars den Verbindlichkeiten des Hinduismus abschwor und sich zum Buddhisten erklärte. Verbindlich für ihn und seine An-

18 Kantowsky 1999: 4f.; vgl. Ders. 2003: 20f. 19 Zu Ambedkar siehe umfassend Jürgens 1994; zu seiner „Bewegung“ der Literaturbericht von Buß 1998 sowie Beltz 2001. 20 Kantowsky 1995: 25–43. 21 Kantowsky 1980.

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hänger in der 1955 gegründeten „Buddhist Society of India“ (Bhāratīya Baudh Mahā Sabhā) wurde das folgende Gelübde:22 Buddhist’s Oaths

• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

I will not regard Brahma, Vishnu and Mahesh as Gods nor will I worship them. I will not regard Rama and Krishna as Gods nor will I worship them. I will not accept Hindu Deities like Gauri, Ganapati, etc. nor will I worship them. I do not believe that God has taken birth or incarnation in any form. I do not believe that Lord Buddha was the Incarnation of Vishnu. I believe this propaganda as mischievous and false. I will never perform any Sharaada nor will I offer any Pinda. I will never act against the tenets of Buddhism. I will never get any Samskaar performed by Brahmins. I believe in the principal that all are equal. I will try to establish equality. I will follow the Eight Fold Path of Lord Buddha. I will follow all the ten Paramitas of the Dhamma. I will have compassion on all living beings and will try to look after them. I will not lie. I will not commit theft. I will not indulge in lust or sexual transgression. I will not take any liquor or drink that causes intoxication. I will try to mould my life in accordance with the Buddhist preachings, based on Enlightment, Precept and Compassion. I embrace today the Bauddha Dhamma discarding the Hindu Religion which is detrimental to the emancipation of human beings and which believes in inequality and regards human beings other than the Brahmins as low born. This is my firm belief that the Bauddha Dhamma is the best religion. I believe that today I am taking New-birth. I solemnly take oath that from today onwards I will act according to the Bauddha Dhamma.

Sabbe Satta Suknee Hontu23

Eine Analyse der empirischen Studien über den Erfolg dieser von Nagpur ausgehenden Massenkonversion der Mahars in Maharashtra und später dann auch anderer Kasten aus dem Unberührbaren-Milieu von Nordindien zeigt, dass es den Neo-Buddhisten in Indien nicht gelungen ist, sich vom hinduistischen Umfeld zu emanzipieren: Gemessen an den Zielen des Gründers war die neo-buddhistische Bewegung nur begrenzt erfolg22 Vgl. Beltz 2001: 73–75 mit weiteren Literaturangaben zur Publikation der Gelübde; Kantowsky 2003: 26. 23 „Mögen alle Lebewesen glücklich sein.“

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reich. Weder gelang es ihren Anhängern, den Diskriminierungen des Hinduismus zu entkommen, noch sind sie selber bereit, sie gegenüber niedriger stehenden Kasten aufzugeben. Ihre „Neugeburt“ als Buddhisten hatte zwar die Verweigerung traditionell verunreinigender Berufsrollen zur Folge, sie hat aber nicht gleichzeitig auch bewirkt, dass man zu Kasten-transzendierenden Formen von Kommensalität und Konnubium fand: Auch Neo-Buddhisten essen am liebsten nur mit „ihresgleichen“ zusammen, und auch bei Neo-Buddhisten ist die Verheiratung der Kinder außerhalb der herkömmlichen Endogamie-Regeln nach wie vor eine viel beachtete Ausnahme.24 So ist „Neo-Buddhist“ heute in Indien zum Namen für eine neue, nicht berufsspezifisch definierte Kaste geworden, die von Hindus als rituell unterprivilegiert wahrgenommen wird. Mehr noch, die Neo-Buddhisten haben von Maharashtra aus eine Änderung der indischen Verfassung durchgesetzt, die ihnen seit 1990 die „Privilegien“ der „protective discrimination“ als „scheduled caste“ wieder zuerkennt: Um Stipendien im Bildungswesen und erleichterte Zugangsbedingungen bei Aufnahme in attraktive Karrieren von Regierung und Verwaltung nicht zu verlieren, haben die Neo-Buddhisten dafür gesorgt, dass sie mit den „scheduled castes“ wieder gleich behandelt werden. Dennoch aber hatte die von Dr. Ambedkar angestoßene Emanzipationsbewegung der Neo-Buddhisten insofern Erfolg, als es vielen Neo-Buddhisten gelungen ist, sich über die weiterführenden Bildungseinrichtungen der von Ambedkar gegründeten „Peoples Education Society“25 einen deutlichen Mobilitätsvorsprung vor Angehörigen anderer „scheduled castes“ im modernen Sektor zu erarbeiten. Aber gerade das macht sie verdächtig, weil ihnen vorgeworfen wird,26 sich vom Unterschichten-Milieu einer gesamtindischen Protestbewegung der „Dalits“ entfernt zu haben. So gesehen skizzierte Neera Burra27 die neo-buddhistische Bewegung zutreffend, wenn sie davor warnt, sie einseitig immer nur unter dem Aspekt der Konversion zu sehen: Der Neo-Buddhismus in Indien reicht über den religiösen Bereich hinaus und habe für seine Anhänger vor allem Symbol-Funktionen bei der Suche nach einer neuen Identität außerhalb der diskriminierenden Zuschreibungen des Hinduismus gehabt.

4. Die Trailokya Bauddha Mahasangha Sahayak Gana (TBMSG) Die „Vereinigung der Helfer des großen buddhistischen Ordens der drei Welten“ (TBMSG = Trailokya Bauddha Mahasangha Sahayak Gana) wurde 1979 von Sangha24 25 26 27

Kantowsky 1999: 1–34; vgl. Ders. 2003: 19–58. Details bei Kantowsky 1999: 104f. Jogdand 1997. Burra 1996: 168f.

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rakshita, geb. 1925 als Dennis Lingwood in London, gegründet, um über diese indische Unterorganisation der „Friends of the Western Buddhist Order“ (FWBO) gezielte Bildungshilfe für Neo-Buddhisten in Maharashtra leisten zu können.28 Sangharakshita war als junger Theravāda-Mönch erstmals 1952 mit Dr. Ambedkar zusammengetroffen und hatte ihn in den folgenden Jahren in Fragen des buddhistischen Rituals und der Ordensverfassung beraten. Ambedkar wollte ja nicht den klassischen Orden mit verpfründeten Heilsspezialisten und Textgelehrten in Indien wiederbeleben, sondern einen neuen Typ von „Arbeiter-Priestern“ heranbilden. Um den Buddhismus in Indien neu einzuführen, so erklärte er auf einer Massenversammlung in Agra im März 1956, würden die neuen Mönche sich nicht in Klöster zurückziehen und im stillen Kämmerlein an Büchern oder Kommentaren arbeiten können, sondern sie müssten wieder, wie zu Buddhas Zeiten auch, von Tür zu Tür gehen, um die Massen der neo-buddhistischen Bewegung zu erreichen:29 Buddhism is a great religion. The founder of this religion Tathagata Buddha has propagated this religion and due to its good aspects it could reach every nook and corner of India. After its great fame, this religion became extinct in 1213 AD. There are many reasons for this. One of the reasons is also that the Buddhist Monks became addicted to living a luxurious and restful life. Instead of moving from place to place for propagation of the religion, they started taking rest in Viharas and indulging in writing books in praise of Kings. Now for re-establishing this religion, they will have to work hard. They will have to move from door to door. We have very few monks in the society. Therefore, the common good people should also propagate the religion and perform its rites.

Es gelang der TBMSG mit von Jahr zu Jahr steigenden Spenden aus England und neuerdings auch aus Taiwan, nicht nur ein eindrucksvolles spirituelles und Verwaltungs-Zentrum30 in Dapodi, einem Vorort von Pune, aufzubauen, sondern von dort auch, ganz im zitierten Sinne Ambedkars, buddhistisch inspirierte Bildungsund Sozialarbeit in anderen Landesteilen von Maharashtra anzustoßen und zu steuern.31 Von „Karuna“, der für diese Form buddhistischer Entwicklungshilfe eigens in England gegründeten Fördergesellschaft, wurde die Arbeit seit 1982 kontinuierlich unterstützt, 1994 z. B. mit 362 000, 1995 mit 487 000 und 1996 mit 599 000 Pfund Sterling.32 28 Vgl. Sponberg 1996: 75–90; Beltz 2001: 259–262. – Im Frühjahr 2010 wurde der Name FWBO in „Triratna Buddhist Community“ geändert, um dadurch auch im internationalen Kontext die Verbindung mit dem (quantitativ größeren) indischen Zweig TBMSG zu verdeutlichen. 29 Ahir 1997: 111. 30 TBMSG, Dhammachakra Parvarthan Mahavihar, Raja Harishchandra Road, Dapodi, Pune 411 012, Maharashtra, India. 31 Details bei Kantowsky 1999: 126–134. – Für aktuelle Aktivitäten vgl. auch die Selbstdarstellung auf der Internetseite http://www.tbmsg.org/social-work.php. 32 Vgl. Kantowsky 1999: 126, 132–134.

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So förderlich und hilfreich diese Maßnahmen in jedem Fall gewiss sind,33 langfristig noch wichtiger für die Vertiefung und Ausbreitung buddhistischer Lehrinhalte indischer Neo-Buddhisten ist nach Selbsteinschätzung der Ordensmitglieder der FWBO die schrittweise Ausbildung von Männern und Frauen zu buddhistischen Sozialarbeitern, von denen die Maßnahmen im Gesundheitsdienst, in den Kindergärten und Hostels, bei Alphabetisierungskampagnen und in den Laienspielgruppen inzwischen meist hauptberuflich getragen werden. Dabei unterscheidet die TBMSG drei Stufen der Annäherung an diesen inneren Kreis von zurzeit etwa 180 „Dharmacāris“ bzw. „Dharmacāriṇīs“: • Ein Sahayak („Helfer“) steht der Arbeit von TBMSG nahe, kommt unregelmäßig zu verschiedenen Veranstaltungen und hat meist auch die Absicht, sich weitgehend zu binden. • Als Dhamma Mitra („Dhamma-Freund“) erklärt man ein tiefergehendes Interesse an der Arbeit, nimmt regelmäßig und auf gezielte Einladungen hin an Schulungskursen teil und besucht auch Meditationskurse. • Als Dharmacāri bzw. Dharmacāriṇī ist man unter der Anleitung von zwei „Kalyāṇa Mitras“ („edlen Freunden“) mehrere Jahre lang geschult worden und hat spezielle Retreats für Kandidaten besucht. Die Aufnahme schließlich als eigenes Ordensmitglied mit eigenem Ordensnamen konnte bis 1997 nur Sangharakshita vornehmen, doch seit er sich aus den Tagesgeschäften der direkten Ordensleitung der FWBO zurückgezogen hat, gibt es ein „team“ von (englischen!) Ordensälteren, die das Aufnahmeritual durchführen können. Neuerdings gibt es innerhalb der TBMSG gegen diese „foreign dominance“ Widerstände. • Vier indische Ordensmitglieder sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben die Gelübde eines Anagārika („Nicht-Behauster“) auf sich genommen: Sie leben zölibatär und widmen sich ganz und gar der Ordensarbeit der TBMSG. Von der TBMSG sind bis Ende 1999 etwa zweihundert Dharmacāris bzw. Dharmacāriṇīs ausgebildet worden, die einen an westlichen Erfahrungen der FWBO orientierten neuen Typ des „buddhistischen Missionars“ repräsentieren. Dass es auch diesen „in der Welt“ wirkenden Ordensmitgliedern nicht gelungen ist, die Grenzen der eigenen Herkunft überschreitende Kommunikationsstrukturen zur ganzen indischen Gesellschaft aufzubauen, muss nicht gegen den Ansatz und die Arbeit von TBMSG sprechen, sondern verweist einmal mehr auf die besonderen Integrationsund Beharrungskräfte der indischen Kasten-Gesellschaft.34 Eine ganz andere Frage ist aber, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die TBMSG einmal in der Lage sein könnte, Bildungs- und Sozialarbeit sowie spirituelles Training aus eigenen Landesmitteln weiterzutragen. Doch ist dies nicht nur

33 Beltz 1997; vgl. ferner Sponberg 1996: 97–100. 34 Kantowsky 1999: 131.

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ein indisches Problem: Sozialarbeit trägt sich nicht selbst, sie wird allenthalben von außen gestützt. Auch in der damaligen Erwachsenenbildung tätige Bettelorden der Bhikkhus und Bhikkhunīs des Buddha waren für Nahrung, Kleidung, Medizin und Unterkunft (allerdings nur zur Regenzeit, ansonsten sollten „leere Behausungen und schattige Bäume“ genügen) auf die förderliche Unterstützung der Gesellschaft angewiesen.

5. Der All India Bhikkhu Sangha (AIBS) An der Massenkonversion der „Ambedkar-Buddhisten“ in Nagpur am 14. Oktober 1956 nahm als einer der Ehrengäste auch Devapriya Valisinha (1904–1968) teil, Generealsekretär der MBS nach Anagārika Dharmapālas Tod im Jahre 1933. Zwei Wochen nach den Feierlichkeiten bat ihn Dr. Ambedkar in einem Brief vom 30. Oktober 1956 um die Unterstützung der MBS für die künftige Ausbildung von Mönchen:35 We have to consider way and means of imparting knowledge of Buddhism to the masses who have accepted His Dhamma and will accept it on my word. We should no doubt train a large number of workers to teach the Dhamma to the people, but the best agents for carrying out the same are the Bhikkhus. They could carry a great deal of prestige with them which no layman could do. The Bhikkhus in my judgement ought to be very happy to find out that a large task awaiting them has been done. The only difficulty with the Bhikkhus is that they don’t care to learn the language of the people. I am afraid the Sangha will have to modify its outlook and instead of becoming recluses they should become like the Christian missionaries’ social workers and social preachers. As I told you, today they are neither Arhants nor useful members of the Society. This fact must be hammered into them and make them realize that they could serve the Buddha well by becoming preachers of His Dhamma. I like your idea of opening a sort of a logical seminar where Bhikkhus and nonBhikkhus could be taught the fundamentals of Buddhism and made to learn the different languages of India so that they could be sent to the different parts.

Tatsächlich war Devapriya Valisinha der neo-buddhistischen Bewegung vielfach behilflich. Durch seine Vermittlung einer Spenderin aus Darjeeling konnte zum Beispiel schon am 14. April 1957 der Grundstein für das erste Kloster der NeoBuddhisten in Nagpur gelegt werden. Wenig später eröffnete er ein Hilfskonto („Indian Buddhist Fund“), über das Broschüren in den Landessprachen Hindi und 35 Ahir 1989: 147.

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Marathi hergestellt und verteilt wurden. Das in dem Brief von Dr. Ambedkar am Ende angesprochene Seminar jedoch wurde nur indirekt realisiert:36 „Over a dozen persons from amongst the new Buddhists were also ordained and given training at Sarnath with the help of this fund.“ Der erste Versuch zur systematischen Schulung der neuen buddhistischen Mönche fand auf die Einladung von Phra Debvisuddhimoli, dem Großabt des ThaiTempels, vom 1. bis 30. November 1972 in Bodh Gayā statt.37 Aus Anlass dieses vierwöchigen Seminars wurde die Verfassung vom 3. bis 6. Juli 1970 im ThaiKloster in Bodh Gayā konstituiert; die dabei beschlossene Satzung trat am 10. Oktober 1972 in Kraft.38 Die Mitglieder des damals zehnköpfigen Vorstandes des AIBS stammten fast alle aus dem ethno-buddhistischen Milieu der Barua- und Chakma-Buddhisten von Bengalen und Assam.39 Bhikkhu Jagdish Kashyap (1908–1976) als Saṅgha Nāyaka jedoch repräsentiert den seltenen Typ des nordindischen Mönchsgelehrten: Aus dem hinduistischen Bildungsbürgertum von Bihar stammend, ging er nach Abschluss seiner Sanskrit-Studien 1933 nach Sri Lanka und wurde dort 1934 zum Mönch ordiniert.40 Bleibende Verdienste für die Neuverbreitung des dhamma in Indien erwarb er sich durch die von 1956 bis 1961 von ihm buchstäblich Tag und Nacht betreute einundvierzigbändige Ausgabe des Pāli-Kanons in DevanāgāriSchrift. Das erste Exemplar der Gesamtausgabe wurde im Dezember 1961 in einem Festakt dem damaligen Premierminister Jawaharlal Nehru in Sarnath überreicht. Unterhält man sich rückblickend auf diese hoffnungsvollen Anfänge heute mit älteren Vertretern des Buddhismus in Indien über die weitere Entwicklung des Saṅgha, so erhält man durchgängig negative Einschätzungen, besonders auch von Mitgliedern des Saṅgha selbst. Nehmen wir an, dass diese Meinungsbilder von Schlüsselinformanten weithin zutreffen, so lassen sich sowohl qualitative als auch quantitative Gründe zur Erklärung der Situation des San˙gha in Indien heute anführen. Nach Schätzung meiner Informanten soll es 1970 in ganz Indien nicht mehr als 75 buddhistische Mönche gegeben haben, die meisten von ihnen lebten in Bengalen und Assam. Für 1998 dagegen werden insgesamt 1250 Mönche angenommen. Davon sollen etwa 150 Chakmas sein, etwa 70 Baruas und rund 1000 Ambedkar-Buddhisten. Im Februar 1998 waren 574 Mönche beim AIBS registriert, die meisten von ihnen mit Postanschrift in Maharashtra. Der AIBS ist jedoch kein „Orden“ im klassischen Sinn, sondern der Versuch, eine Interessenvertretung für alle indischen Mönche zu schaffen und Bildungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten.

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Ahir 1989: 34. Kantowsky 1999: 150f. Kantowsky 1999: 152–157; vgl. Ders. 2003: 165–170. Vgl. z. B. die Biographien von Ven. Ananda Mitra, Ven. Dharmapal und Ven. Dhammaviriyo bei Ahir 1998: 99f. 40 Ahir 1989: 89–100

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Mit dem Aufnahmeantrag weisen potentielle Mitglieder ihre anderweitig erhaltenen Mönchsweihen nach. In Ziffer 12 der derzeit gültigen „Rules and Regulations” des AIBS heißt es dazu:41 A Bhikkhu or a Sramanera above the age of 10, in agreement with the aims and objects of the Sangha shall submit an application with the recommendation of a member of the Governing Council and addressed to the Secretary Genereal, paying a subscription of Rs. 6,- per annum and admission fee of Rs. 2,- shall be enrolled as a General Member.

Dieser Antrag wird vom Generalsekretär des AIBS42 geprüft und daraufhin ein Pass ausgestellt, der den Antragsteller als Mitglied im AIBS ausweist. So bestätigt der Pass zwar den Mönchsstatus des Inhabers, doch der AIBS selbst kann keine Mönche ordinieren und somit auch keinen Einfluss auf die Standards ihres „rechtlichen Verhaltens“ nehmen. In diesem Zusammenhang muss man sich klarmachen, dass erstmals in der Geschichte des buddhistischen Mönchsordens in Indien heute der Versuch unternommen wird, eine buddhistische Gemeinde quasi „von unten“ aufzubauen, ohne die (oft sehr) tatkräftige Unterstützung von Herrschern und reichen Händlern „von oben“. Für die Zeitgenossen Buddhas wie für ihn selbst war der Weg in den Orden tatsächlich ein „Gang in die Hauslosigkeit“; Mann/Frau ließ Besitz und Ansehen hinter sich auf der Suche nach Befreiung vom Lebens-Überdruss, der oft durch Überfluss bedingt war. Das Flickengewand der damaligen Bhikkhus und Bhikkhunīs war so gesehen ein Symbol der Weltentsagung, für viele neo-buddhistische Mönche heute jedoch ist es eher ein Mittel zur Weltaneignung. Sie gehen nicht „aus dem Palast“ fort, sondern lassen ärmliche Verhältnisse in den engen Hütten der Unberührbaren-Siedlungen hinter sich. Schon eine „leere Klause“ bzw. der Raum eines im Aufbau befindlichen Vihāra mit regelmäßiger Fürsorge von Laien für die Hauptmahlzeiten ist in vielen Fällen mehr, als sie bislang je erleben und genießen konnten. Meine Erfahrungen im neo-buddhistischen Milieu sind zu punktuell, als dass ich sie zu generellen Aussagen über den San˙gha verdichten könnte. Gemessen allerdings an meinen Beobachtungen in Sri Lanka und Thailand musste ich in Indien oft an die detaillierten Handlungsanweisungen und Anstandsregeln denken, die Buddha dem Saṅgha seiner Zeit gegeben hatte, damit die Bhikkhus und Bhikkhunīs als Botschafter eines einfacheren, gleichwohl aber gesitteten Lebens gelten konnten. Derartige Regeln wären auch heute wieder dringend erforderlich, sie scheinen den meisten der neuen Bhikkhus aber unbekannt, und so verhalten sie sich nicht anders als ihre Landsleute ringsum. Sie sind genauso laut, schwätzen über Tagesereignisse von Politik und Gesellschaft, hören Radio, essen zur Unzeit, rülpsen und schmatzen, sind unachtsam mit Abfällen und Resten, feilschen beim 41 Vgl. dazu Kantowsky 2003: 153f., ferner 171f. 42 All Indian Bhikkhu Sangha, P.O. Bodh Gaya, Gaya, Buddhagaya 824 231, Bihar, India.

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Einkauf im Bazar, schlafen gerne und wenn ich Gurudhamma, dem Schatzmeister des AIBS, der selber fünfzehn Jahre in Thailand als Mönch geschult worden war, meine Verwunderung über diese und viele andere Beobachtungen mitteilte, meinte er meistens lachend: „Bitte vergiss nicht die indischen Verhältnisse!“, mit anderen Worten: Akzeptiere bitte einen „Indian Way of Life“ auch beim Saṅgha. Zu diesem „Indian Way of Life“ gehört, dass der buddhistische Mönch keinen besonderen Status hat und in der bunten indischen Gemengelage von Sādhus und selbsternannten Heiligen nicht sonderlich auffällt. Während die Robe in Sri Lanka oder Thailand von weitem schon Ehrerbietung abverlangt, ist sie in Indien als außerordentliche Art der Kleidung eines besonderen Ordens nicht geläufig. So musste Gurudhamma zum Beispiel auf der Bahnfahrt von Vārāṇasī nach Gayā unseren Mitreisenden lang und breit erst einmal erklären, dass er kein „FeldWald-und-Wiesen-Svāmi“, sondern ein buddhistischer Mönch sei. Mehr noch: Es musste überhaupt erst einmal vermittelt und dann erklärt werden, dass Buddha eben kein Gott des hinduistischen Pantheon, nicht die neunte Reinkarnation von Viṣṇu sei, wie das die hinduistische Gegenreformation vor Jahrhunderten mit Erfolg verbreitet hatte.43 Doch nützt solche Aufklärarbeit wenig. Für die meisten Inder ist und bleibt der Bhikkhu ein svāmin oder bābā, so wie auch Buddha selbst ja als bābā von den hinduistischen Pilgern in Bodh Gayā verehrt wird. Sie pilgern nicht zum „Buddha“ in dem prächtigen thailändischen Tempel, sondern zum „nau lākh kā bābā“, d. h. zu dem „Gott“, dessen goldenes Standbild in den 1960ern Jahren die unvorstellbare Summe von „nau lākh“, d. h. neunhunderttausend Rupien, gekostet hatte und mit einem eigens dafür bereitgestellten amerikanischen Militärtransporter von Bangkok nach Gayā gebracht worden war. Und der Buddha im japanischen Tempel ist eben der jāpānī bābā, nicht mehr (aber auch nicht weniger) als eine weitere göttliche Manifestation der vielen Spielarten bei der Suche nach mokṣa. Diese kurze Beschreibung mag genügen, um das Umfeld anzudeuten, innerhalb dessen der AIBS wirkt. Die Organisation demgegenüber mit Maßstäben und Beispielen aus Ländern zu konfrontieren, in denen der Theravāda-Buddhismus quasi zur Staatsreligion geworden ist, geht an der Realität nicht nur des heutigen Indien vorbei, sondern verfehlt meiner Auffassung nach auch die zur Zeit des Siddhattha Gotama selbst: Erst Westler haben ja den „Buddha-Ismus“ entdeckt und ihn als Heterodoxie der von ihnen systematisierten Orthodoxie des „Hindu-Ismus“ gegenübergestellt. Führende Vertreter der indischen Intellektuellen sehen dagegen die Dinge umfassender. So stellte zum Beispiel der damalige Staatspräsident Sarvepalli Radhakrishnan im Vorwort zu der regierungsamtlichen Festschrift „2500 Years of Buddhism“ eine offizielle brahmanische Sicht der Dinge so dar:44

43 Vgl. Kantowsky 1999: 140f.; Ders. 2003: 154f. 44 Radhakrishnan 1956: ix, xv-xvi.

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Detlef Kantowsky The Buddha did not feel that he was announcing a new religion. He was born, grew up, and died as Hindu. He was restating with a new emphasis the ancient ideals of the IndoAryan civilization. ... The Buddha utilized the Hindu inheritance to correct some of its expressions. He came to fulfil not to destroy. For us, in this country, the Buddha is an outstanding representative of our religious tradition. He left his footprints on the soil of India and his mark on the soul of the country with its habits and convictions. While the teaching of the Buddha assumed distinctive forms in the other countries of the world in conformity with their own traditions, here, in the home of Buddha, it has entered up into and become an integral part of our culture. The Brahmanas and the Sramanas were treated alike by the Buddha and the two traditions gradually blended. In a sense the Buddha is a marker of modern Hinduism.

Schwer nachvollziehbar, wie diese Formulierung eines international anerkannten Repräsentanten indischer Gelehrsamkeit für westliche Sympathisanten buddhistischer Lehre auch sein mag, sie sollte in Rechnung gestellt werden, um die besondere Wirkung der Vipassanā-Bewegung im heutigen Indien nachvollziehen zu können.

6. Die Vipassanā-Bewegung von S. N. Goenka Die Vipassana International Academy wurde 1976 in Igatpuri, 135 Kilometer nordöstlich von Mumbai am National Highway No. 3 gelegen, gegründet.45 Gut zwanzig Jahre später wurden dort 21 Vipassanā-Zehn-Tage-Kurse und neun Kurse für alte Schüler abgehalten. Im Rückblick auf 1997 heißt es in einer internen Mitteilung:46 „In diesem Jahr war die Zahl der Anmeldungen überwältigend: Zwischen 1500 und 2000 Bewerbungen für die regulären Zehn-Tage-Kurse erreichten das Zentrum, das nur 500 Schülern Unterkunft bieten kann.“ Gegründet wurde die „Academy“ von Satya Narain Goenka (geb. 1924 in Mandalay, Birma, gest. 29. September 2013 in Mumbai), der erstmals 1955 unter der Anleitung von U Ba Khin übte und damit eine „neue Geburt“ erfuhr.47 Nach Aufgabe seiner sehr erfolgreichen internationalen Handelsgeschäfte in Birma und Rückkehr nach Indien im Jahre 1969 widmete sich „Goenkaji“, wie er verehrend von Schülerinnen und Schülern genannt wird, ganz der Aufgabe, den „reinen“ dhamma ins Ursprungsland der Lehre zurückzubringen und über zehntägige Vipas-

45 Vipassana International Academy Igatpuri, District Nashik 422 403, Maharashtra, India. 46 Vipassana Newsletter, Vol. 25, Nr. 3, 1998. 47 Vgl. seinen autobiographischen Bericht im Vipassana Newsletter, Vol. 23, Nr. 5, 1996, 1– 4; Nachdruck in Kantowsky 1999: 189–195; vgl. Ders. 2003: 201–206.

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sanā-Kurse zur Selbst-befreiten Einsicht in Grundbedingungen und Wirkungsformen menschlichen Da-Seins anzuleiten.48 Die so entstandene Vipassanā-Bewegung hat sich inzwischen weltweit ausgedehnt. Im Jahresbericht 1997, vorgetragen auf der alljährlich in Dhammagiri (Igatpuri) stattfindenden Internationalen Jahreskonferenz, heißt es dazu:49 Das Jahr 1997 war durch ein schnelles und umfangreiches Wachsen Dhammas, nicht nur in Indien, sondern in der ganzen Welt gekennzeichnet. Trotz der 43 etablierten Zentren und der 400 Lehrer und Assistenzlehrer übersteigt der Bedarf an Vipassana-Kursen die vorhandenen Möglichkeiten, sie zu erteilen. Viele Faktoren sind für das Wachstum von Vipassana verantwortlich, darunter der Service, den einige tausend Schüler weltweit auf unterschiedlichste Weise geben. Aber der wichtigste Faktor ist die Eigenschaft des dhamma selbst: Ehi-passiko – kommt und seht.

Die in der kürzeren und längeren Lehrrede über die Grundlagen der Achtsamkeit (Satipaṭṭthāna Sutta) dargestellte Methode des achtsamen Gewahrseins aller körperlichen Empfindungen ist hinlänglich bekannt. Über die besonderen Erfahrungen, die in Dhammagiri (und neuerdings auch in indischen Gefängnissen) sowie den anderen Zentren der Bewegung mit der von U Ba Khin daraus entwickelten Technik gemacht wurden, informieren Publikationen des „Vipassana Research Institute“.50 Eine von Goenka autorisierte Darstellung seiner Methode liegt in deutscher Übersetzung vor51 und die Untersuchung von Gerhard Scholz52 diskutiert Vipassanā als „Herzstück der Lehre Buddhas“ in einem handlungstheoretischen Zusammenhang und mit besonderem Hinblick auf ihre Bedeutung im Rahmen der Drogentherapie; der Autor hat selbst zwei Jahre am Vipassanā Research Institute in Dhammagiri gearbeitet. Schließlich informieren zwei interne Publikationen sehr genau über den Inhalt eines Zehn-Tage-Kurses53 sowie das dabei vermittelte Verständnis von Dhamma.54 Einleitend in der 1997 erschienenen Schrift von Goenka heißt es dazu: „Dharma is not Hindu or Buddhist; not Sikh, Muslim nor Jain. Dharma is purity of the heart, peace, happiness, serenity.“55 Systematisch wird also „nur“ der Kern eines vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren gelehrten Übungsweges in Dhammagiri und den anderen Zentren der Bewegung vermittelt und gemeinsam geübt, ohne sich um die mit der Verschriftli-

48 „Code of Discipline“ und „Time Tables“ eines täglich von 04.00 Uhr bis 21.30 Uhr dauernden Kurses bei Kantowsky 1999: 196–201; vgl. Ders. 2003: 207–212. 49 Vgl. www.vridhamma.org/en1998–02 (abgerufen 10.11.2014). 50 Vipassana Research Institute 1991; 1995; 1996. 51 Hart 1996. 52 Scholz 1992. 53 Goenka 1995. 54 Goenka 1997. 55 Vgl. Kantowsky 1999: 186; Ders. 2003: 195 mit Verweis auf Goenka 1997.

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Detlef Kantowsky

chung der Lehre einsetzenden Schulbildungen und Abgrenzungen der scholastischen Dispute sonderlich zu kümmern, mehr noch: ohne sich mit dem Bekenntnis „Buddhist“ abzugrenzen gegen „Andersgläubige“. Überall und zu jeder Zeit können sich Übende zusammensetzen, sich selbst die Zuflucht sein und die befreiende Wirkung der Anleitungen zur Überwindung diskriminierenden Denkens und Handelns selbst erfahrbar machen. Es mag sein, dass ein solch unparteiisches Verständnis der Lehre es hinduistischen „Gegenreformatoren“ tatsächlich einfacher macht, die Herausforderungen des Dhamma in der von Goenka gelehrten Form neuerlich zu integrieren in eine für sie fraglose Allgemeingültigkeit hinduistischer Weltanschauung: Goenka als moderner Vermittler altbekannter indischer Selbst-Erfahrungstechniken in einem säkularen Land, das die Unberührbarkeit mit der Unabhängigkeit abgeschafft und buddhistische Symbole in die Nationalflagge und das Staatsemblem übernommen hat. Welche sozialen Konstrukte auch immer für Menschen in Indien heute handlungsleitend sein mögen: Bei den Kursen auf dem Dhamma-Berg und in anderen Übungsstätten der Bewegung in Indien sind fast nur Hindus, gelegentlich auch Jainas, und einige Christen anzutreffen. „Bekennende“ Buddhisten jedoch reisen zumeist aufgrund von Erfahrungen in Zentren des westlichen Auslands an, um in Igatpuri die ganz besonderen Kräfte des Dhammagiri zu erleben. Für indische Neo-Buddhisten jedoch ist der Ort zumeist verstellt durch anti-hinduistische Ressentiments. Gerade die Anerkennung, die Goenka allenthalben erfährt, und die Mittel, die ihm so reichlich zufließen, sind den meisten Neo-Buddhisten ein sicherer Hinweis dafür, dass er im Grunde genommen Agent des Hindu-Establishment sei; als solcher könne er es sich gar nicht leisten, sich als Buddhist zu bezeichnen, weil dies von „seinen Hindus“ als Solidarisierung mit den von ihnen verachteten „Ambedkarites“ verstanden würde. Hätte also über die Vipassanā-Bewegung von Satya Narain Goenka hier abschließend gar nicht berichtet zu werden brauchen, weil sie sich selbst weder als „buddhistisch“ bezeichnet56 noch von der Mehrzahl der indischen Buddhisten als „buddhistisch“ akzeptiert wird? Oder spiegelt die dargestellte Situation vielleicht nur eine moderne Variante uralter Verhältnisse im „Stammland Buddhas“?

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56 Siehe Goenka 2006 für eine zusammenfassende Sicht seiner Einschätzung des Buddhismus, die er als Gastredner beim World Buddhist Summit in Yangon, Myanmar vorgetragen hat.

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BUDDHISMUS

IN

THAILAND

UND

LAOS

Manfred Hutter

1. Einleitung Erst durch Grenzziehungen am Ende des 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind jene geographischen Räume definitiv abgesteckt worden, die im Wesentlichen das Gebiet der beiden heutigen Staaten Thailand bzw. Laos festlegen. Diese Grenzziehung hat dabei zwei getrennte „Lao-Gesellschaften“ hervorgebracht, die eine als Bevölkerungsmehrheit in der Demokratischen Volksrepublik Laos und die andere als Bevölkerung im Nordosten Thailands, dem Isan.1 Die Bevölkerungsmehrheit in Thailand stellen die zentralen Thai dar. Da diese verschiedenen Gruppen im Laufe der Geschichte und Gegenwart im dauernden Kontakt miteinander waren, ist eine gemeinsame Behandlung hinsichtlich des Buddhismus jedoch sinnvoll. Die ersten Spuren des Theravāda-Buddhismus im Gebiet des heutigen Thailand und Laos gehen in die Zeit vor der Ankunft der Tai2 in diesem Gebiet zurück. Die Identifizierung von Suvaṇṇabhūmi, dem „Goldland“, in das in der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. der Maurya-Herrscher Aśoka die ersten Mönche entsandt haben soll, mit einem Teil Thailands ist jedoch eine unhistorische Legende.3 Die Mon-Fürstentümer der so genannten Dvāravatī-Periode (6.-10. Jahrhundert) zeigen jedoch die Anwesenheit von Theravāda-Buddhisten. Der Stūpa in Nakhon Pathom ist das älteste buddhistische Denkmal auf dem Boden Thailands, bei dem eine um 600 n. Chr. zu datierende Mon-Inschrift gefunden wurde. Die Hauptstadt des Dvāravatī-Königreichs war Lopburi. Die Mon favorisierten den Theravāda-Buddhismus und unterhielten überregionale Beziehungen zu Südindien (Amarāvatī) und Sri Lanka, allerdings wurde bei ihnen ab der Mitte des 8. Jahrhunderts durch den Aufstieg der Khmer in Kambodscha der Mahāyāna-Buddhismus verbreitet.4 1 Vgl. Hayashi 2003: 35f. 2 Die Schreibung Tai bezieht sich als Sammelbegriff auf die verschiedenen Tai-Ethnien (auch außerhalb Thailands), während Thai als Gesamtbegriff für die Bevölkerung Thailands verwendet wird. Zu unterschiedlichen Tai-Gruppen siehe z. B. Grabowsky 2010: 13f. – Die Wiedergabe der Thai- und Lao-Wörter bzw. Namen schließt sich im Wesentlichen an die (vereinfachte) Umschrift des „Royal Thai General System of Transcription“ an. 3 Zu verschiedenen Identifizierungsversuchen für Suvaṇṇabhūmi, die teilweise auch von modernen Interessen geleitet sind, vgl. Hazra 2000: 341–344. 4 Zur Verbreitung des Buddhismus unter den Mon siehe Mabbett 2000: 452–455.

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Buddhismus in Thailand und Laos

Die frühesten Spuren des Buddhismus im Gebiet des heutigen Laos reichen in der Gegend von Vientiane in das 6. oder 7. Jahrhundert zurück und auch in Luang Prabang finden sich bereits vor der Gründung des laotischen Königreiches von Lan Sang Hinweise auf die Anwesenheit von Buddhisten. Somit sind die Anfänge des Theravāda nicht mit Tai-Völkern verbunden, über deren Herkunft die so genannte „Erzählung von Khun Borom“ (Nithan Khun Borom) folgenden Mythos berichtet.5 Khun Borom wird vom König der Himmelswesen auf die Erde gesandt, um dort zu regieren, wobei die beiden von Khun Borom beherrschten Völker die Kha und die Tai waren. Danach sandte Khun Borom seine sieben Söhne aus, welche sieben Tai-Königreiche gründen – von Birma über Südchina bis nach Vietnam sowie im Norden Thailands und in Laos. Das erste Königreich in Laos verbindet diese mythologische Überlieferung mit Khun Boroms Sohn Khun Lo als erstem König von Luang Prabang. Die Zweiteilung der Bevölkerung in Kha und Tai ist dabei klar tendenziell, denn die Herrschaft Khun Los betrifft die überlegene Volksgruppe der Tai bzw. der Lao Lum, der „Tiefland-Lao“,6 wohingegen die Kha im Mythos benachteiligt werden. Die Kha werden in der laotischen Überlieferung mit den Lao Theung, den „Hochland-Lao“, identifiziert, die aus Sicht der „Tiefland-Lao“ als rückständig gelten. Die Lao Theung im Norden und Osten des heutigen Laos gehören zu den Mon-Khmer-Völkern und machen etwas mehr als ein Viertel der Bevölkerung von Laos aus. Ihnen stehen die Lao Lum, zu denen ethnisch auch die Bevölkerung im Isan (Nordostthailand) gehört,7 mit etwas mehr als der Hälfte der Bevölkerung von Laos gegenüber. Als dritte Gruppe der Bevölkerung von Laos (ca. 15%) sind die Lao Sung zu nennen; dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff für so genannte „Bergvölker“, die ethnisch vielfältig sind und zu denen unter anderem die Yao, Meo und Hmong gehören. Demgegenüber machen die verschiedenen Tai-Gruppen in Thailand – so z. B. die Shan im Norden im Grenzgebiet zu Birma, die Bewohner im Isan und die zentralen Thai – rund 83% der Bevölkerung des heutigen Staates aus. Die genannte mythologische Überlieferung hinsichtlich der Frühgeschichte der Tai-Völker ist zwar historisch weitgehend wertlos, lässt aber den Schluss zu, dass am Ende des 1. Jahrtausends n. Chr. Tai-Völker im Shan-Bergland im Norden Thailands und am oberen Mekong aus ihren ursprünglichen südchinesischen Siedlungsgebieten (Yunnan; Guangxi) angekommen waren. Das Weltbild der Tai war zu jener Zeit noch durch eine naturverbundene Religion und den Glauben an das Wirken von Geistern (phi) geprägt, was auch durch die Annahme des TheravādaBuddhismus nicht eliminiert wurde. Die Invasion der Mongolen in der Mitte des 13. Jahrhunderts in Yunnan, der Niedergang der politischen Macht von Pagan in 5 Vgl. Stuart-Fox 1997: 7f. 6 Holt 2009: 7f. 7 Zur Identitätsbestimmung der Bevölkerung im Isan hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Lao in Laos bzw. den Thai in Zentralthailand vgl. Holt 2009: 10; Hayashi 2003: 47.

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Manfred Hutter

Birma und die Schwächung der Khmer-Macht in Kambodscha ermöglichten in der Folge den Tai, mit Lan Na (und der Hauptstadt Chiang Mai) und Sukhothai eigene Herrschaftsbereiche zu etablieren, wobei ein Jahrhundert später mit Lan Sang (mit der Hauptstadt Luang Prabang) und Ayutthaya in Zentralthailand zwei weitere Machtbereiche entstanden, von denen Ayutthaya politisch Sukhothai verdrängte. Diese Machtkonstellation blieb danach rund vier Jahrhunderte bestehen.

2. Die vormodernen Königreiche 2.1. Sukhothai als erstes größeres Thai-Zentrum Der Aufstieg zur politischen Macht einer Tai-Gruppe begann in der Mitte des 13. Jahrhunderts, als Sukhothai und Zentralthailand, das seit Beginn des 11. Jahrhunderts unter dem Einfluss von Angkor unter Sūryavarman und den Khmer gestanden hatte, unter einem Thai-König unabhängig wurden. 1240 war es gelungen, die Khmer-Gouverneure aus diesem nördlichsten Vorposten der Khmer zu vertreiben. In den folgenden vier Jahrzehnten entfaltete sich die Macht, dabei geriet auch Lopburi von der Mon-Herrschaft unter die Herrschaft der Thai in Sukhothai. Der Khmer-Einfluss hatte jedoch mit sich gebracht, dass die frühen Thai zunächst sowohl Traditionen des Brahmanismus als auch des Mahāyāna-Buddhismus zugeneigt waren. Dass sich die Thai allerdings relativ bald von diesem „Zwischenspiel“ umorientierten, dürfte der Wirkkraft der Theravāda-Tradition der Mon zuzuschreiben sein. Schließlich bestieg 1279 Ram Khamhaeng („Rama der Wagemutige“) den Thron, der nicht nur der wichtigste Herrscher in Sukhothai wurde, sondern auch der Chakri-Dynastie im 19. Jahrhundert als Vorbild für ihre Dynastiegründung diente. Inschriften geben uns einen relativ guten Einblick in die Geschichte von Sukhothai. Erwähnenswert ist kulturell die erste Inschrift in ThaiSprache und Thai-Schrift des Herrschers aus dem Jahr 1292. Diese Inschrift8 nennt zugleich (historisch nicht ganz unstrittig) die Ausdehnung von Sukhothai: Im Norden bis Laos (Luang Prabang), im Westen bis Pegu (Niederbirma) und im Süden bis Nakhon Si Thammarat auf der malaiischen Halbinsel. Wichtig für den schnellen Aufstieg von Sukhothai war sicherlich auch die verkehrsgünstige Lage, da die Stadt am Schnittpunkt der Wege von Yunnan nach Süden zum Golf von Siam, nach Westen nach Birma und in den Osten lag. Ebenfalls erwähnenswert ist die 1250

8 Zur Diskussion der Historizität der Inschrift vgl. Golzio 2010: 92 mit weiterer Literatur. Zu einigen Inhalten der Inschrift siehe auch Hazra 2000: 361–364.

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als Residenz des Kronprinzen errichtete Stadt Si Satchanalai (50 km nördlich), die ein Zentrum der Keramikproduktion war. Mahathammaracha I. Lithai (1347–1378) gilt als gelehrter Herrscher, dem ein Pāli-Text über die Kosmologie zugeschrieben wird: Tri Bhūmikathā (thai traiphum phra ruang)9. In diesem Text aus dem Jahr 1345, als der Herrscher noch als Kronprinz in Si Satchanalai residierte, zeigt sich seine Kenntnis des Theravāda-Buddhismus. Er bat auch den Saṅgharāja der Mon um die Entsendung eines gelehrten Mönches nach Sukhothai, um die Kenntnis des Buddhismus zu vermehren. Der Mönch Sumana, der in Sri Lanka bei Udumbara Mahāsāmi, dem Saṅgharāja von Sri Lanka, studiert hatte, kam dieser Aufgabe nach. Zwei Inschriften Lithais, eine auf Thai und eine auf Khmer,10 nennen ferner die Ankunft des Saṅgharāja von Sri Lanka in Sukhothai und beschreiben, wie Lithai sich zeitweilig als Mönch ordinieren ließ, eine Praxis, die im Laufe der Geschichte häufig von den Herrschern nachgeahmt wurde. Damit setzte ab der Zeit Lithais der direkte Kontakt zwischen Siam und Sri Lanka ein, der zuvor über den Süden (Nakhon Si Thammarat) vermittelt wurde.11 Lithais Regierung kann als buddhistischer Höhepunkt von Sukhothai gewertet werden, auch wenn man damit rechnen muss, dass es daneben noch hinduistische Traditionen (der Khmer) sowie die Geisterkulte (phi) gab. Die kulturhistorische Bedeutung von Sukhothai besteht ferner darin, dass hier die Grundlage für die Königsherrschaft in Siam geschaffen wurde.

2.2. Ayutthaya Politisch wurde Sukhothai als Zentrum seit der Mitte des 14. Jahrhunderts von der neuen Hauptstadt Ayutthaya abgelöst. Die Machtentfaltung Ayutthayas brachte Kambodscha in den Einflussbereich der Thai, was andererseits aber die Thai-Kultur weiter durch Khmer-Elemente bereicherte. Dadurch geriet vor allem der „HofBuddhismus“ – wenngleich Theravāda-orientiert – unter den Einfluss der Hofbrahmanen, was bis in die Gegenwart nicht vollkommen geschwunden ist. Daher gilt als Gründungsdatum von Ayutthaya auch ein von Hofbrahmanen errechnetes Datum, der 4. März 1351.12

9 Lithai 1982; Reynolds 2006: 162–165. – Zur Problematik des Entstehungsdatums unter Lithai siehe ebd. 166f. 10 Hazra 2000: 372f.; vgl. Sarkisyanz 1975: 505. 11 Tambiah 1976: 85–87; Arunasiri 2007: 173; vgl. auch Grabowsky 2010: 36; Golzio 2010: 93. 12 Grabowsky 2010: 37. Zu den Hofbrahmanen und brahmanischen Einflüssen auf die Königsideologie in Ayutthaya, aber auch schon zuvor in Sukhothai vgl. z. B. Lévy-Ward 2006: 230–234; siehe ferner die kurzen Hinweise bei McGovern 2009: 375f. sowie Hutter 2013: 324 jeweils mit weiterer Literatur.

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Für das Selbstverständnis Ayutthayas ist die Vorstellung wichtig, dass der erste Herrscher Ramathibodi (Uthong), der von Lopburi hierher geflohen war, genealogisch und verwandtschaftlich mit den verschiedenen Teilen Thailands verbunden wird: Seine Mutter war eine Mon-Prinzessin aus Lopburi, sein Vater chinesischer Kaufmann und seine Gattin die Tochter eines Herrschers aus dem kleinen westlich des Flusses Chao Phraya13 gelegenen Thai-Fürstentums Suphan Buri. Diese Genealogie macht deutlich, dass sich in dem Herrscher die unterschiedlichen Traditionen des Landes vereinigen – und so den Anspruch über das ganze Land dokumentieren. Für die historische Rekonstruktion der frühen Geschichte von Ayutthaya ist wichtig zu erwähnen, dass wir – im Vergleich zu Sukhothai bzw. Lan Na – nur wenige inschriftliche Quellen haben, was manches im Unklaren lässt. Wichtig ist in dieser Hinsicht ein lange nach der Ayutthaya-Zeit entstandener Text, die „Geschichte der buddhistischen Konzile“ (Saṅgītivaṃsa)14 aus dem Jahr 1789. Der Autor, Vimaladhamma, ein königlicher Lehrer am Hof Rama I., liefert darin Informationen über die Entstehung und Verbreitung des Buddhismus in Ayutthaya, beschreibt die Geschichte von 36 Königen von Ayutthaya und zeigt auch Beziehungen zwischen Ayutthaya und Sri Lanka auf. Ein Aspekt, der in der buddhistischen Königsideologie in Sukhothai schon anklang, in Ayutthaya aber seit dem späten 15. Jahrhundert deutlicher fassbar wird, ist die Idee, dass der Herrscher ein universaler Herrscher ist, der die Führung über die ganze buddhistische Welt beansprucht. Unter König Borommatrailokkanat (bzw. Trailok, 1448–1488) wurde dieses Ideal des cakkavattin (pāli „der das Rad (der Lehre) dreht“) als gerechter Herrscher (pāli dhammarāja) erstmals in klarer Weise – auch gegen seinen Widersacher Tilokarat aus Lan Na – vertreten.15 In seiner Regierungszeit entstanden auch Bearbeitungen der Thematik von Buddhas früheren Geburten. In zwei verschiedenen Fassungen, Mahachat kham luang und Kap Mahachat, kommt dieses Thema zur Sprache.16 Genauso setzt ab der Ayutthaya-Periode eine Neuorientierung des Saṅgha ein, mit der Zielsetzung, besonderes Augenmerk auf den Pāli-Kanon zu legen, so dass beispielsweise König Songtham (1610–1628) eine „königliche“ Ausgabe des Tipiṭaka erstellen ließ, aber auch Literatur aus der Jātaka-Tradition wurde während seiner Herrschaft von ihm weiter gepflegt. Genauso fiel in seine Regierungszeit die „Entdeckung“ eines Fußabdrucks Buddhas in Phra Phuttabat in der Provinz Saraburi; diesen Fußabdruck soll Buddha der Legende nach bei seinem Besuch Thailands hinterlassen haben. Unter König Narai (1656–1688) tritt Ayutthaya erstmals in umfangreichere religiöse Kontakte zum Islam und zum Christentum, da der König sich beiden Religio13 Die oft verwendete Bezeichnung Menam (Mae Nam) ist nur der Oberbegriff für „Fluss“ in Thai. 14 Hazra 2000: 497–500; Reynolds 2006: 144–154. 15 Grabowsky 2010: 40f.; vgl. auch Hazra 2000: 380f. 16 Vgl. Götzfried 1999: 499, 504.

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nen gegenüber aufgeschlossen zeigt. So konnten indische Muslime in seine Leibgarde eintreten und durch katholische christliche Missionare entstanden auch diplomatische Kontakte zum Papst.17 Genauso ließ Narai von seiner Residenz in Lopburi eine Straße nach Phra Phuttabat errichten, wodurch dieser buddhistische Ort – und der Buddhismus insgesamt – an königlicher Wertschätzung weiter gewann. Der Aufschwung des Buddhismus setzte sich im 18. Jahrhundert fort, vor allem unter König Borommokot (bzw. Borommarachathirat, 1732–1758). Dadurch erlangte die buddhistische Klosterkultur solches Ansehen, dass um die Mitte des Jahrhunderts Thai-Mönche nach Sri Lanka eingeladen wurden, um dort die Ordinationstradition wieder zu erneuern.18 Dies war der Ausgangspunkt des so genannten Reformordens des „Siyāma-Nikāya“ in Sri Lanka, dessen Name die Beziehungen zwischen den Königreichen Ayutthaya und Kandy widerspiegelt. Auf dem Höhepunkt dieser Blüte wurde Ayutthaya unter Borommokots Sohn und Nachfolger Borommoracha im Jahr 1767 durch die Birmanen unter König Alaungpaya zerstört.19 Dies war die endgültige Folge von seit dem 16. Jahrhundert immer wiederkehrenden birmanischen Expansionsbestrebungen nach Nord- und Zentralthailand.

2.3. Lan Na Lan Na20 ist das Gebiet, das die nördlichsten Provinzen des heutigen Thailand umfasst, wobei Chiang Mai als eines der Zentren zu betrachten ist. Die Selbstständigkeit dieses Gebietes wird in der Geschichte manchmal nur etwas am Rande betrachtet. Die Bewohner des Gebietes waren Tai Yuan, d. h. ein Tai-Volk, das mit den Thai in Sukhothai oder Ayutthaya verwandt, aber nicht identisch ist; ein geringer Teil der Bevölkerung waren – im Nordwesten – die Shan. Das Jinakālamālipakaraṇa von Ratanapañña stammt vom Beginn des 16. Jahrhunderts aus Chiang Mai und stellt die Geschichte des Buddhismus in Indien und Sri Lanka sowie ferner die Verbreitung im Norden Thailands dar.21 Darin wird erzählt, dass die Mon-Prinzessin Cāmadevī (thai Chammathewi) mit 500 Mönchen aus Lopburi in der Mitte des 7. Jahrhunderts den Theravāda-Buddhismus nach Hariphunchai (heute Lamphun) gebracht haben soll. Diese Tradition teilt der Text mit dem älteren Mūlasāsana aus dem 15. Jahrhundert22 und dem Cāmadevīvaṃsa (thai Cham-

17 18 19 20 21 22

Für Details siehe Smithies/Bressan 2001; vgl. auch Grabowsky 2010: 54f. Vgl. Hazra 2000: 386f. Vgl. Grabowsky 2010: 58–60; Hazra 2000: 389. Das „Land der Millionen Reisfelder“, siehe Grabowsky 2010: 61. Hazra 2000: 489–497. Hazra 2000: 500–502; vgl. auch Reynolds 2006: 146.

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thewiwong)23 vom Ende des 15. Jahrhunderts. Trotz dieser literarischen Überlieferung kann man kritisch vermerken, dass erste zuverlässige historische Nachweise für den Theravāda-Buddhismus in Hariphunchai erst für das 11. Jahrhundert zu erbringen sind. Denn erst damals dürften Theravadā-Traditionen der Mon aus Niederbirma (Pegu; Thaton) nach Hariphunchai gekommen sein. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war das Königreich Hariphunchai die politisch, kulturell und wirtschaftlich führende Macht in Nordthailand, aber zugleich waren damit auch der Höhepunkt und das Ende dieses Königreiches erreicht. Denn Mangrai, der Sohn eines lokalen Tai-Fürsten, breitete schrittweise seine Macht im Norden aus, so dass er 1263 Chiang Rai als seinen Herrschaftssitz gründete. Von da aus eroberte Mangrai Hariphunchai, was Tai-Chroniken auf das Jahrzehnt zwischen 1281 und 1292 datieren.24 Damit hatte Mangrai das Königreich Lan Na etabliert, wobei 1296 die neue Hauptstadt Chiang Mai gegründet wurde. Bis zu seinem Tod im Jahr 1311 konnte Mangrai aus einer Reihe von kleineren Tai-Fürstentümern sein Reich entfalten, das bis zur Eroberung durch die Birmanen im Jahr 1558 als eigenständiger Staat existierte. Während der Regierungen von Phayu (1337–1355) und von seinem Sohn Kuena (1355–1385) gelangte der Theravāda-Buddhismus in größerem Ausmaß nach Lan Na, vor allem weil Kuena im Jahr 1369 den Mönch Sumana aus Sukhothai nach Lan Na einlud, so dass es auch in Lan Na zu einer Umorientierung vom MonBuddhismus zum singhalesischen Buddhismus kam.25 Zuerst lebte Sumana im Kloster Phra Yuen bei Lamphun, 1371 ließ er sich jedoch am Rand von Chiang Mai nieder, wo König Kuena für ihn das Kloster Wat Suan Dok errichten ließ. Dieses Kloster – auf dem Areal eines königlichen Parks angelegt – zeigt die Verbindung des Theravāda-Buddhismus mit dem Staatswesen Lan Nas. Trotz dieser „Einführung“ des Theravāda-Buddhismus blieben aber auch traditioneller Geisterglaube und Ahnenkult im Volk lebendig. Am Beginn des 15. Jahrhunderts entstand ein Reformorden (nikai Langkawong) gegenüber der Tradition Sumanas und des Wat Suan Dok. Unter König Tilok(arat) (1441–1478) kam es zu einem gewissen Ausgleich zwischen den beiden Orden, wobei der König mehr Sympathien für den Reformorden hegte. Tilok trug auch wesentlich zur Förderung des Theravāda-Buddhismus in Lan Na bei, indem er Mönche zum Studium nach Sri Lanka sandte und im Jahr 1475 in seiner Hauptstadt das so genannte achte buddhistische Konzil im Wat Chet Yot eröffnete. Die Zählung dieses „achten“ Konzils und des „neunten“ in Bangkok im Jahr 1789 entspricht der siamesisch-buddhistischen Historiographie, die ausgehend von den ersten drei (von allen Buddhisten als solche gezählten) Mönchsversammlungen in

23 Hazra 2000: 487–489. 24 Grabowsky 2010: 64; siehe auch Golzio 2010: 92. 25 Grabowsky 2010: 67; vgl. Hazra 2000: 371; Swearer 2004: 38.

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Indien mit vier weiteren Konzilen in Sri Lanka rechnet, so dass diese Mönchsversammlung unter Tilok als „achtes“ Konzil gilt.26 Dadurch wird Tiloks Regierungszeit manchmal auch als goldene Ära Lan Nas bezeichnet.27 Auch unter seinem Urenkel Kaeo (bzw. Mueangkaeo, 1495–1526) blühte der Buddhismus weiter auf, wobei die buddhistischen Orden den Anspruch des Königs, ein „gerechter König“ (thammikarat; < pāli dhammikarāja) zu sein, unterstützten. Während seiner Regierungszeit entstanden zwei weitere wichtige Pāli-Werke Thailands, die Maṅgalatthadīpāni von Sirimaṅgala und die populäre Buddhabiographie Paṭhamasambodhi. Nach Kaeos Tod setzte der Niedergang Lan Nas ein, der durch interne Konflikte geprägt war, so dass ein Teil des Adels sich an König Phothisarat von Lan Sang wandte, dessen Sohn Setthathirat schließlich 1548 zum König in Chiang Mai gekrönt wurde. Nach Phothisarats Tod regierte Setthathirat in Personalunion über Lan Na und Lan Sang, dankte aber bereits 1551 als König von Lan Na ab.28 Zeitgleich entfalteten die Birmanen von Pegu aus erneut ihre Macht, wodurch König Bayinnaung im Jahr 1558 Chiang Mai eroberte und damit das Königreich Lan Na beendete.

2.4. Lan Sang Die Schwächung von Sukhothai und der Khmer in Kambodscha ermöglichte den Lao Lum die Gründung eines eigenen Staatswesens. Die Vereinigung lokaler laotischer mueang („Fürstentümer“) durch Fa Ngum 1353 gilt als Geburtsstunde der laotischen „Nation“ mit der Gründung des Königsreichs Lan Sang, wobei er – im heutigen Laos – gemeinsam mit den späteren Königen Setthathirat, Suriyawongsa und Chao Anuwong als „Nationalheld“29 geschätzt wird. Damit wird eine Identitätsstiftung geschaffen, die eine kontinuierliche Linie vom Beginn von Lan Sang bis zur heutigen Hauptstadt (und nationalen Politik in) Vientiane konstruiert. Fa Ngum war – bevor er die Herrschaft von Lan Sang begründete – am Königshof der Khmer auf den Schutz des Khmer-Königs angewiesen, und nach der Heirat mit dessen Tochter Nang Kaeokengnya konnte er mit Khmer-Unterstützung zwischen 1349 und 1353 verschiedene lokale Fürstentümer erobern, wobei am Ende dieser Eroberungen die Etablierung seiner Herrschaft in Luang Prabang mit der Errichtung des Königsreichs Lan Sang („eine Million Elefanten“) stand. Dieses um26 So in der „Geschichte der Buddhistischen Konzile“ (Saṅgītivaṃsa) aus dem Jahr 1789. Zu den verschiedenen Konzilszählungen vgl. auch Reynolds 2006: 155, wobei der birmanische Buddhismus mit der Zählung eines „fünften“ Konzils unter König Mindon in Mandalay (1870) und eines „sechsten“ unter Premierminister U Nu in Yangon (1954–1956) eigene Wege geht. 27 Vgl. Grabowsky 2010: 69; Hazra 2000: 382f. 28 Grabowsky 2010: 72. 29 Vgl. Tappe 2008: 82, 103.

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fasste ein großes Gebiet bis weit ins heutige Thailand hinein. Der Name der neuen Hauptstadt Luang Prabang bezieht sich dabei auf eine goldene Buddhastatue (phra bang), die in der Hauptstadt aufgestellt wurde, was jedoch erst unter dem späteren Herrscher Visun geschehen ist. Denn die Quellen der frühen Geschichte Lan Sangs30 – z. B. Nithan Khun Borom und Phongsawadan – enthalten neben historisch zuverlässigem Material immer wieder auch Legenden über Fa Ngum, die seine Popularität und Besonderheit zeigen. So soll er bei der Geburt bereits 33 Zähne gehabt haben – als Zeichen seiner saksit-Qualität, bzw. übernatürlich-heiligen Kraft, die im laotischen Volksglauben außergewöhnlichen Personen zukommt.31 Wie umfangreich die Etablierung des Buddhismus unter Fa Ngum gewesen ist, ist umstritten.32 Traditionell wird betont, dass Fa Ngum den Theravāda-Buddhismus und das brahmanische Hofzeremoniell übernahm. Dabei spielte seine Khmer-Frau eine wichtige Rolle, die angeblich die Verehrung von lokalen Erd- und Himmelsgeistern mit Tieropfern ablehnte, so dass sie eine Gesandtschaft nach Angkor schickte, damit von dort buddhistische Mönche diese Religion nach Lan Sang brächten. Historisch ist dem wohl entgegenzuhalten, dass es sich dabei nicht um eine erstmalige Begegnung von Laos mit dem Buddhismus handelte, da Funde aus Luang Prabang klar die Existenz des Buddhismus vor der Herrschaft Fa Ngums zeigen. Ebenfalls ist zu sagen, dass die buddhistischen Einflüsse, die von Lan Na auf Lan Sang ausgingen, wohl wichtiger waren als diejenigen aus Kambodscha. Die Festigung und Etablierung des Buddhismus auch für die Herrschaftsideologie ist erst seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts geschehen, verbunden mit König Visun (1501–1520) und seiner diplomatischen Heirat mit einer Prinzessin aus Lan Na. 1503 ließ der König das Wat Visun Mahavihara errichten, um die Phra Bang-Statue zu beherbergen, aber auch, um dort eine Lehrinstitution zur Ausbildung der Mönche zu errichten. Diese Klosteranlage am Fuß des Hügels Phu Si, der als Abbild des indischen Götterberges Meru angesehen wird, entwickelte sich unter dem wichtigen Lehrer Phra Dep Luang Chao schnell zu einem buddhistischen Zentrum. König Visun übertrug dem Mönch auch die Leitung des Saṅgha. Neben der Übersetzung des Tipiṭaka ins Laotische wird auch das Nithan Khun Borom schriftlich fixiert. Diese Aktivitäten zielen gemeinsam darauf ab, das Königtum nicht nur durch die Abstammung von Khun Borom und Fa Ngum zu legitimieren, sondern auch durch die Nutzung des Buddhismus das Königtum als Institution in Verbindung mit Verdiensterwerb darzustellen, wozu auch die Förderung des Saṅgha gehört.33 Visuns Sohn Phothisarat (1520–1550)34 verlegte die Hauptstadt erstmals kurzzeitig nach Vientiane („befestigte Stadt des Mondes“) und erließ zur Förderung 30 31 32 33 34

Goonatilake 1996: 299. Tappe 2008: 104. Stuart-Fox 1997: 10; Stuart-Fox 1999: 153; Tappe 2008: 110f. McDaniel 2009: 29f.; Stuart-Fox 1997: 11. Vgl. Grabowsky 2010: 86.

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des Buddhismus 1527 ein Edikt, um dadurch die Verehrung der Geister zu beenden und anstelle ihrer Schreine buddhistische Tempel zu errichten. Im Jahr 1545 intervenierte Phothisarat im benachbarten Lan Na, wo er seinen ältesten Sohn Setthathirat drei Jahre später zum König krönen ließ. Nach dem Tod seines Vaters kehrte Setthathirat nach Lan Sang zurück, um dort die Herrschaft zu übernehmen (1550– 1571). Dadurch konnte sich Lan Na von der Vorherrschaft Lan Sangs freimachen, allerdings eroberten im Jahr 1556 die Birmanen Chiang Mai. Gegen die birmanische Gefahr verbündete sich Setthathirat mit Ayutthaya und verlagerte 1560 die Residenz von Luang Prabang nach Vientiane. Dort errichtete er als Zeichen der Souveränität den That (skt. stūpa) Luang, der auf den Resten eines angeblich von Aśoka errichteten Stūpa erbaut sein soll. Das dreitägige, zum Vollmondtag im November gefeierte Bun That Luang erinnert an die Gründung dieses „Nationalheiligtums“ von Laos und ist neben dem laotischen Neujahrsfest das wichtigste Fest in Laos.35 Genauso erhält der aus Lan Na stammende Phra Kaeo-Buddha36 in der neuen Hauptstadt einen eigenen Tempel, den Ho Pha Kaeo. Aber auch weitere Tempelneubauten wie Wat Ong Teu und Wat Si Muang, die wichtige kosmologische Zentren der neuen Hauptstadt wurden, entstanden während Setthathirats Regierungszeit; allerdings blieb die ehemalige Hauptstadt Luang Prabang weiterhin ein wichtiges buddhistisches Zentrum, weil der Phra Bang nicht in die neue Hauptstadt transferiert wurde.37 Letztlich zeigen diese Aktivitäten Setthathirats in der neuen Hauptstadt weiterhin, dass die Blüte der Religion sich im großen Maße dem Einfluss von Lan Na verdankt.38 Nachdem die Birmanen im Jahr 1574 Vientiane erobert hatten, dauerte es mehr als ein halbes Jahrhundert, ehe Lan Sang unter Suriyawongsa (1638–1695) wieder erstarkte. Seine Herrschaft gilt als goldene Ära von Lan Sang.39 Laotische Chroniken beschreiben ihn als einen idealen, nach buddhistischen Maßstäben regierenden Herrscher, der Lan Sang stabilisierte und Vientiane zu einem Zentrum des Buddhismus und der Gelehrsamkeit machte. Dies erwähnen auch europäische Reisende wie der holländische Kaufmann Gerrit van Wuysthoff und der italienische Jesuit Giovanni-Maria Leria, die die große Zahl von Mönchen und Pilgern auch aus Birma und Kambodscha in Vientiane und im Wat That Luang schildern. Nach seinem Tod zerfällt Lan Sang aufgrund von Thronstreitigkeiten zwischen 1707 und 1713 in die drei Teilstaaten Luang Prabang, Vientiane und Champasak, was auch zu einem Rückgang des Buddhismus und zu einem Erstarken traditionel-

35 Stuart-Fox/Mixay 2010: 81–88. 36 Die ca. 60 cm hohe Statue wird meist als „Smaragd-Buddha“ bezeichnet, ist jedoch aus Nephrit (Jade) gefertigt. 37 Zum Phra Bang – und zur Prozession mit dieser Statue am vierten Tag des laotischen Neujahrsfestes in Luang Prabang – siehe auch Stuart-Fox/Mixay 2010: 37–40. 38 Vgl. Stuart-Fox 1997: 12; Tappe 2008: 87, 120f.; Grabowsky 2010: 87. 39 Goonatilake 1996: 301; Stuart-Fox 1997: 12f.; Tappe 2008: 135f.; Grabowsky 2010: 88.

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ler religiöser Vorstellungen mit der Verehrung von Schutzgeistern (phi) und dem Wiederaufleben des Ahnenkults führt. Diese Zersplitterung der Macht ermöglichte es den Birmanen, 1753 und 1765 Luang Prabang zu plündern. Unter der Führung von General Taksin eroberten schließlich die Thai 1779 Vientiane und brachten Gebiete von Lan Sang unter ihre Herrschaft. Die Statue des Phra Kaeo-Buddha als Symbol der laotischen Königsherrschaft wird von Taksins Truppen geraubt und nach Thonburi mitgenommen, ehe die Statue einige Jahre später von der ChakriDynastie in der neuen Hauptstadt Bangkok im Königsplast in einem eigenen Tempel installiert wurde, wo sie sich bis heute befindet. Die Spannung zur Chakri-Dynastie prägt auch die Herrschaft von Chao Anuwong (1804–1828) in Vientiane, auch wenn er sich zunächst als verlässlicher Verbündeter Bangkoks erwies. Zugleich lässt aber seine Renovierung des Ho Pha Kaeo in Vientiane – und die Errichtung weiterer Ho Pha Kaeos an anderen Orten – erkennen, dass die beabsichtigte Rückholung des Phra Kaeo-Buddha als Symbol der laotisch-königlichen Legitimität sich nicht mit siamesischen Interessen vereinbaren ließ. 1826 begann Anuwong militärische Aktionen, um den Nordosten des heutigen Thailand wieder unter laotische Herrschaft zu bringen. Die Auseinandersetzungen endeten jedoch im November 1828 mit der Zerstörung von Vientiane durch siamesische Truppen. Damit verlor Vientiane die Führung an den König von Luang Prabang und die politische Bedeutung von Lan Sang schwand während des 19. Jahrhunderts so weit, dass Laos am Ende des Jahrhunderts unter koloniale französische Herrschaft geriet.40

3. Entwicklungen in der Moderne 3.1. Die Zeit der Chakri-Dynastie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Nach dem politischen Untergang von Ayutthaya konnte General Taksin die Birmanen aus Thailand zurückdrängen und in Thonburi am Westufer des Chao Phraya eine neue Hauptstadt errichten, wobei er sich auch um die Restauration des Buddhismus und des Mönchtums bemühte, allerdings in einer teilweise eigenwilligen Weise. Taksin legte den Buddhismus in extrem „mystischer“ und exzentrischer Weise aus, da er durch Askese und Meditation eine Transformation zu erlangen erhoffte, die sein Blut weiß machen und ihm die Fähigkeit zu fliegen verleihen würde. Dies schildert im Rückblick auf Taksin die 1789 unter Rama I. zusammengestellte Saṅgītivaṃsa, die 40 Vgl. dazu Stuart-Fox 1997: 14–16.

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„Chronik der buddhistischen Konzile“.41 Taksins Sicht des Buddhismus führte zu Spannungen zwischen dem Herrscher und vielen Mönchen. Dies führte letztlich 1782 zu seiner Absetzung und Hinrichtung durch General Chao Phraya Chakri, dem später als Rama I. gezählten Herrscher der Chakri-Dynastie. Rama I. gründete die neue Hauptstadt Bangkok, deren Lage am Ostufer des Chao Phraya gegenüber von Thonburi günstiger gegen eventuelle Angriffe der Birmanen zu verteidigen war. Rama I. (1782/85–1809) konnte die Konflikte im Orden zwischen Taksin-treuen Mönchen und jenen, die sich dessen Buddhismus-Auslegung widersetzt hatten, beseitigen, indem er zwischen 1782 und seiner Krönung 1785 sieben Erlasse oder „Gesetze“ in Bezug auf den Saṅgha veröffentlichte, die die Spaltung der Mönche bzw. Fragen der Ordensdisziplin zum Inhalt hatten.42 Um den Orden wiederum in Ordnung zu bringen, diente das so genannte neunte Konzil im Jahr 1788. Dabei versammelten sich 218 Mönche und 32 Laien-Gelehrte, um eine Revision der Texte des Pāli-Kanons zur Förderung einer verbesserten Kenntnis des Textes und der Verbreitung der Religion durchzuführen. Im Verlauf von fünf Monaten konnte das Tipiṭaka redigiert und abgeschrieben werden, wobei am Ende des Konzils die Manuskripte in einer königlich angeführten Prozession ins Wat Phra Kaeo im Palastbereich gebracht wurden. Neben der Stärkung des Buddhismus durch das Konzil griff der König durch Erlasse auch in die Organisation und Lebensweise des Ordens zu dessen stärkerer Kontrolle ein. Ferner unterstützte Rama I. gemeinsam mit seinem Bruder die Errichtung königlicher Klöster und Pagoden.43 Während der Regierung Ramas II. (1804–1824) wurde ein klösterliches Erziehungs- und Ausbildungssystem eingeführt. Für die Entfaltung der buddhistischen Königsideologie ist auch die Neugestaltung des aus der Hindu-Tradition stammenden Themas der Herrschaft des Gottes Rama erwähnenswert.44 Nachdem bereits unter Rama I. eine Thai-Fassung des Ramakien („Der Ruhm Ramas“) zusammengestellt worden war, wurde dieses Literaturwerk unter Rama II. maßgeblich weiterentwickelt, um den buddhistischen Herrscher als idealen König wie Rama darzustellen. Dementsprechend tragen die Herrscher der Chakri-Dynastie bis zur Gegenwart den Thronnamen Rama. Der nächste Herrscher, Rama III. Phra Nang Klao (1824–1851), setzte die Organisation des Mönchtums durch die Errichtung von Jurisdiktionsbereichen fort, so dass am Ende des 19. Jahrhunderts vier solche Bezirke existierten:45 ein nördlicher und südlicher Bezirk für „gelehrte“ Mönche, die sich dem Studium und der Lehre widmen, sowie ein Jurisdiktionsbereich für Mönche, die sich besonders der Meditation widmen.

41 Reynolds 2006: 143–145; vgl. ferner Sarkisyanz 1975: 508; Hazra 2000: 390; Grabowsky 2010: 101f. 42 Reynolds 2006: 158f.; Bechert 1967: 189 43 Vgl. Hazra 2000: 392–395. 44 Singaravelu 2004: 143–150. 45 Vgl. Bechert 1967: 185; Suksamran 1977: 33.

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Diese Mönche gehören formal dem Mahanikai an. Einem vierten und eigenen Jurisdiktionsbereich unterstellt sind die Mönche des Thammayutnikai, den Rama IV. Mongkut als königlichen Reformorden gegründet hat. Rama III. wurde bei diesen Aktivitäten durch seinen Bruder Mongkut beraten, der als Mönch lebte und seit 1837 Abt des Wat Bowon Niwet (< pāli pavaranivesa) war; dieses Kloster entwickelte sich in seiner Zeit zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit unter königlicher Patronanz.46 Im Jahr 1851 folgte Mongkut als Rama IV. seinem Bruder auf dem Thron nach. Unter seiner bis 1868 dauernden Regierung entfaltete sich der Thammayutnikai, den Mongkut bereits als Abt des Wat Bowon Niwet gegründet hatte, angeregt von den strengen Auslegungen des Ordenslebens durch eine Gruppe von Mon-Mönchen, allen voran Buddhavaṃsa. Charakteristisch für den Thammayutnikai ist,47 dass die Mönche jene Regeln aufgeben mussten, die nur aus Gewohnheit bzw. Tradition befolgt werden, aber keine Basis im Pāli-Kanon haben. Verbunden mit dieser „Schriftgläubigkeit“ und der Betonung der ursprünglichen Lehre stehen auch die Suche nach dem historischen Buddha und das Bemühen, die Ordensregeln zu verstehen und nicht nur als mechanische Praxis zu rezitieren. Obwohl die Strenge des Thammayutnikai nie „mehrheitsfähig“ wurde, konnte Mongkut mit seiner Reform (zunächst durch die Unterstützung Ramas III. und dann selbst als Herrscher) zweifellos zu einem entscheidenden Aufschwung des Buddhismus beitragen. Nach seinem Regierungsantritt setzte er die Aktivitäten zur Reformierung des Saṅgha fort, um wiederum den „reinen Buddhismus“ ins Land zu bringen. Dies geschah auch durch die Gründung von vier „königlichen“ Klöstern, die den Thammayut-Regeln unterlagen.48 Dadurch entstand eine eigene Mönchs- und Klostertradition, die sich exklusiv am dhamma orientierte und sich dadurch von der Mehrheit der Mönche unterschied, die in der Folge als Anhänger des Mahanikai, des „großen“ Ordens, bezeichnet werden. Der Unterschied zwischen Mahanikai und Thammayutnikai liegt dabei weniger in der Lehre als in der praktischen Umsetzung: Mahanikai-Mönche sind eher im ländlichen Umfeld anzusiedeln, wo sie der Landbevölkerung auch als Lehrer, „Seelsorger“ und Heiler dienen. Für die ThammayutnikaiMönche stehen stärker formalisiertes Studium und Meditation im Vordergrund. Zur Förderung des Studiums adaptierte der Thammayutnikai ein System von staatlichen Prüfungen für Mönche. Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausrichtung beider Richtungen trennten sich schließlich 1894 die Thammayutnikai-Mönche von der Mehrheit der „unreformierten“ Mönche des Mahanikai.49 46 47 48 49

Siehe dazu Hazra 2000: 395–398; Grabowsky 2010: 128–130. Hazra 2000: 399f.; van den Bosch 2008: 9–11. Vgl. zu Mongkuts Aktivitäten u. a. Sarkisyanz 1975: 513–516; Hazra 2000: 401. Neben diesen beiden nikai sind seit der Zeit Chulalongkorns auch zwei Mahāyāna-nikai in Thailand anerkannt, nämlich Jin-nikai für den chinesischen und Anam-nikai für den vietnamesischen Buddhismus. Beide werden– im Unterschied zur tendenziell inhaltlichen Differenzierung des Mahanikai bzw. Thammayutnikai – nach der geographischen Herkunft unterschieden, wobei die inhaltliche Ausrichtung der beiden Mahāyāna-nikai der Schule des Reinen Landes (chines. jingtu zong; vietnames. tịnh độ tông) entspricht.

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Chulalongkorn, der für sechs Monate im Wat Bowon Niwet als Mönch lebte, folgte als Rama V. (1868–1910) seinem Vater Mongkut nach dessen Tod auf dem Thron nach. Er strebte, wie schon Mongkut, eine Modernisierung des Landes und des Buddhismus an, ohne jedoch die Traditionen über Bord zu werfen. So ließ Chulalongkorn unter der Leitung seines Bruders Wachirayan (bzw. mit voller Namensform Wachirayanawarorot von pāli Vajirañāṇavarorasa) im Jahr 1893 im Wat Bowon Niwet die erste buddhistische Hochschule für die Ausbildung der Mönche des Thammayutnikai errichten, der 1896 eine ähnliche Einrichtung für die MahanikaiMönche im Wat Mahathat folgte. Zu den weiteren wichtigen Leistungen Chulalongkorns gehört die 1894 veröffentlichte Druckausgabe des Pāli-Tipiṭaka in 39 Bänden sowie die Publikation der Thai-Übersetzung des Kanons, um den Buddhismus bekannt zu machen.50 Dadurch, sowie aufgrund der Tatsache, dass Thailand nicht zu einer Kolonie eines europäischen Staates geworden ist, nimmt allerdings der buddhistische Modernismus dort etwas andere Formen als in Sri Lanka an, zumal die Volksmassen in ihrem Leben von der „Modernisierung“ wenig beeinflusst wurden. In die Regierungszeit von Rama V. fällt auch eine für die Entwicklung des Saṅgha entscheidende Gesetzgebung im Jahr 1902, die 1941 und 1962 modernisiert, aber substanziell nicht verändert wurde.51 Durch diesen „Saṅgha Act“ entstand eine zentrale und hierarchische Mönchsautorität, wobei die Verwaltung des Saṅgha durch ein „Department of Religious Affairs“ innerhalb des Erziehungsministeriums angesiedelt ist.52 An der Spitze steht der Somdet Phra Sangkharat (pāli saṅgharāja), der Oberste Patriarch des gesamten Mönchtums. Auf lokaler Ebene wird die Ordensadministration über Regionen, Provinzen, Distrikte und Gemeinden jeweils weiter gegliedert. Prinzipiell entspricht dabei diese administrative Gliederung des Saṅgha der politischen Gliederung des Staates vom König und den Ministern bis hinunter auf die Dorfebene.53 Durch diese parallele Struktur bleiben Staat und Saṅgha eng aufeinander bezogen, wobei ihr gemeinsames Interesse das Wohlergehen der „Thai-Nation“ ist, das im engen Zusammenhang mit der Blüte des Buddhismus gesehen wird. Im Jahr 1941 wurden in einer neuerlichen gesetzlichen Regelung weitere Details der Kompetenzen festgelegt, die die „öffentliche“ Rolle des Saṅgha klar machen, nämlich: Verwaltung des Saṅgha; geistliches Unterrichtswesen; Verbreitung der Religion; Bauwesen (Neubauten und Restaurierung von religiösen Bauten). Gleichzeitig wurde 1941 die Rolle des Thammayutnikai gestärkt, indem beinahe die Hälfte der Saṅgha-Verwaltung mit Mön50 Vgl. Hazra 2000: 401f.; van den Bosch 2008: 12–14. 51 Siehe die detaillierte Analyse der drei Saṅgha Acts durch Tambiah 1976: 230–261, der die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe, die zur jeweiligen Neufassung geführt haben, beleuchtet: 1902 wegen der allgemeinen „Modernisierung“ unter Chulalongkorn; 1941 als Reaktion auf die Einführung der konstitutionellen Monarchie; 1962 im engen Zusammenhang mit der undemokratischen Regierung Sarits. 52 Suksamran 1977: 34–37, 41–45; Bechert 1967: 184–186; Rajavaramuni 1984: 21–23. 53 Siehe dazu die Tabelle bei Suksamran 1977: 44.

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chen des Thammayutnikai besetzt sein muss54 – unproportional in Bezug auf die Gesamtgröße des Thammayutnikai im Verhältnis zum Mahanikai. Insgesamt bringt diese „Mönchskontrolle“ in Thailand aber positiv mit sich, dass dadurch im 20. Jahrhundert die „Qualität“ der Mönche insgesamt gehoben wurde, weil dadurch ein System existiert, das „falsche“ Mönche frühzeitig erfassen und aussondern kann.

3.2. Thai-Nationalismus und Buddhismus Unter Rama VI. Wachirawut (1910–1925) setzte die Entwicklung des Thai-Nationalismus ein.55 Prinz Prachathipok, der seit 1917 im Wat Bowon Niwet als Mönch gelebt hatte, wurde 1925 als Rama VII. (1925–1935) gekrönt, wobei unter seiner Regierung die absolute Monarchie abgeschafft und im Jahr 1932 durch eine konstitutionelle Monarchie ersetzt wurde. Der König blieb jedoch weiterhin das Oberhaupt des Saṅgha in administrativer Hinsicht und gewann als Schirmherr des Buddhismus an symbolischer Bedeutung. Der politische Einschnitt durch die Schaffung der konstitutionellen Monarchie war dadurch organisatorisch für den Saṅgha nicht entscheidend, allerdings stärkte er den symbolträchtigen Zusammenhang von Thai-Buddhismus und Thai-Nationalismus. Ausdruck fand dieser Nationalismus darin, dass 1938 die Pāli-Texte neu abgeschrieben wurden, allerdings nicht mehr mit kambodschanischer Schrift, sondern in Thai-Schrift, wodurch die „nationale“ Lesbarkeit der Texte zunahm. Der Nationalismus war innenpolitisch primär gegen die (thai-)chinesische Minderheit gerichtet. Dabei wurde auch der Buddhismus in den Dienst genommen, vor allem durch die Diktatur von Feldmarschall Phibun Songkhram (1897–1964). Das Ziel dieses Nationalismus war eine Stärkung der „nationalen“ Thai-Identität, die auf folgenden drei Säulen beruht: Identifikation mit einem unteilbaren Staat (chat), Rolle der buddhistischen Religion (sasana) und uneingeschränkte Hingabe an die Monarchie (phra maha kasat).56 Diese Nationalisierung führte teilweise auch zum Übertritt von Angehörigen anderer Religionen zum Buddhismus, damit sie nicht benachteiligt würden. Auch die erneute Re-Strukturierung des Saṅgha im Jahr 1941 hängt damit zusammen. Phibuns Nachfolger Sarit Thanarat (1908–1963) versuchte ebenfalls den Buddhismus für seine Politik zu nutzen.57 Allerdings hat er auch erfolgreich versucht, regierungskritische Einflüsse auf den Saṅgha fernzuhalten. Vor diesem Hintergrund kam es 1962 zu Spannungen zwischen den beiden Ordensrichtungen und einzelnen Klöstern in Bezug auf die Frage, wie weit sich 54 55 56 57

Vgl. auch Suksamran 1977: 38; Bechert 1967: 186. Bechert 1967: 200–206. Tambiah 1976: 475. Vgl. auch Swearer 1995: 102f.

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Mönche in die Politik einmischen sollten. In der Klosteruniversität des Mahanikai hatte man vor 1958 auch das Fach „Politik“ in das Studienprogramm aufgenommen und Phra Bhimon Tham wurde Hauptsprecher jener Richtung, die sich für ein verstärktes politisches Engagement der Mönche aussprach. Allerdings wurde er im April 1962 verhaftet und 1963 als Mönch degradiert, indem man ihm kommunistische Umtriebe vorwarf.58 In Reaktion darauf wurde der Saṅgha Act von 1902 und 1941 erneut reformiert. Dafür wurde eine „Versammlung der Ältesten“ (mahathera samakhom), die sich aus den vier Vorsitzenden und deren Stellvertretern der vorhin erwähnten Jurisdiktionsbezirke zusammensetzt, gebildet, die gemeinsam mit dem Sangkharat prinzipiell die oberste Verwaltungsbehörde des Buddhismus darstellt, die aber der staatlichen und letztlich königlichen Aufsicht untersteht. Diese neue Struktur des Saṅgha Act vom Ende des Jahres 1962 diente aber besonders der Schwächung der älteren Institutionen, da die „Versammlung der Ältesten“ nur ein schwaches Gremium zur Beratung des Sangkharat war, wodurch letzterer deutlich mehr Macht gewann, als ihm die Regeln von 1902 bzw. 1941 zugebilligt hatten.59 Dadurch wollte Sarit mit dieser neuen Rechtslage den Saṅgha vollkommen vom Einfluss auf die Politik fernzuhalten. Einen weiteren Aspekt, der die Verbindung von Staat, Nationalismus und Religion in den 1960er Jahren widerspiegelt, zeigen das Thammathut- und das Thammacarik-Programm.60 Dabei ging es einerseits um allgemeine Entwicklungsprogramme, aber auch um buddhistische Mission unter Nicht-Thai, wobei man sich des Potenzials der Mönche für die Entwicklung des Landes bediente. Das Thammathut-Programm startete 1964 und stand unter der organisatorischen Planung des Department of Religious Affairs. Die geographischen Ziele waren zunächst die nordöstlichen Provinzen, Laos und die südthailändischen Provinzen. Im folgenden Jahr wurde das Programm auch auf weitere Landesteile ausgeweitet. Durch die im Thammathut-Programm aktiven Mönche sollten vor allem Bewohner der ländlichen Bereiche mit den Grundlagen des Buddhismus vertraut werden. Diese Inhalte sollten – als „staatliches“ Erziehungsprogramm – dazu beitragen, die Bevölkerung mit Hilfe der Religion zur Unterstützung einer einheitlichen Thai-Nation zu gewinnen, wobei von Seiten des Staates auch erwartet wurde, dass durch die bessere Buddhismus-Kenntnis der Bevölkerung zugleich die befürchtete Ausbreitung kommunistischer Ideen in den 1960er Jahren verhindert werden sollte. Das Thammacarik-Programm war im Unterschied dazu primär an ethnischen Minderheiten in Thailand orientiert, wobei Angehörige der Ethnien in den bergigen Regionen im Norden des Landes durch das Programm kulturell und religiös an den Mainstream des Thai-Buddhismus angeglichen werden sollten, um so durch eine „Thaiisie58 Swearer 1995: 111; Suksamran 1977: 38f.; Bechert 1967: 205f. 59 Tambiah 1976: 252–254. 60 Siehe im Detail Tambiah 1976: 434–456; Suksamran 1977: 95–108; vgl. ferner Rajavaramuni 1984: 115; Drover 2012: 42, 48–51; Nilsen 2013: 46f.

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rung“ deren Integration in den Nationalstaat zu erreichen. Allerdings konnte in dieser Hinsicht nur ein geringer Erfolg erzielt werden.61 Die Verbindung von Nationalismus und Buddhismus blieb auch weiterhin das gemeinsame Ziel von thailändischer Regierung und politischem Saṅgha. Deutlich in die Politik und Demokratiebewegung traten Mönche in den Jahren 1973–1976 ein, als sie mit Bauern, Studenten und Arbeitern an Protestaktionen gegen die Militärs beteiligt waren, wobei zu den bekanntesten regierungskritischen politischen Mönchen Phra Kittiwuttho62 (geb. 1936) gehörte. In jenen Jahren zählte er zu den Führern der Demonstrationen, obwohl auch er grundsätzlich einen Thai-Nationalismus und klaren Anti-Kommunismus vertrat. Ein anderer nicht zu übersehender Aspekt des Thai-Nationalismus wird in den Spannungen zwischen Muslimen und Buddhisten im Süden Thailands deutlich.63 Dieser Konflikt und die Gewalt, die nach dem Angriff am 28. April 2004 auf die Krue Se-Moschee, die für Muslime als angesehenste Moschee in Südthailand gilt, für ein Jahrzehnt massiv an Schärfe gewonnen hat, ist dabei weniger in den Kontext von internationaler Islamisierung einzubetten, sondern muss als lokale Auseinandersetzung von (separatistischen) Muslimen mit dem Thai-Nationalismus und der Rolle von „Religion“ (sasana, d. h. Buddhismus) sowie der Unteilbarkeit des Staates (chat) gesehen werden.

3.3. Vom französischen Protektorat in Laos bis zur Gegenwart Ab 1883 trat Frankreichs koloniales Interesse an Laos ins Blickfeld, nachdem der Norden Vietnams unter französische Herrschaft gelangt war. Drei Jahre später kam es zur Errichtung eines französischen Vize-Konsulats in Luang Prabang, und der zwischen Frankreich, England und Thailand (Siam) im Jahr 1893 abgeschlossene Vertrag machte Laos zu einem französischen Protektorat, das die nunmehr drei untergeordneten Königreiche Luang Prabang, Vientiane und Champasak unter der Führung des Herrschers von Luang Prabang vereinigte. Die französische Herrschaft spielte die drei Gebiete gegeneinander aus und durch die Einrichtung der kolonialen Verwaltung in Vientiane marginalisierte sie die Rolle des Königs in Luang Prabang völlig. Die endgültige Grenzziehung des so geschaffenen Protektorats Laos gegenüber Thailand geschah im Jahr 1907.64 Verbunden mit dieser politischen Neuausrichtung von Laos war auch eine Veränderung der politischen Rolle des Buddhismus, indem der Thai-Einfluss auf die

61 62 63 64

Vgl. Drover 2012: 50f. Swearer 1995: 112–114. Bünte 2008: 173–179; Nilsen 2013: 40–44. Zur Entwicklung der französischen Herrschaft über Laos siehe im Detail Stuart-Fox 1997: 24–33.

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Religion von den Franzosen zurückgedrängt wurde.65 Daher ließ die französische Regierung den That Luang in Vientiane, der in den siamesisch-laotischen Kämpfen des 19. Jahrhunderts zerstört worden war, zwischen 1929 und 1932 wieder aufbauen. Um die traditionelle enge Beziehung laotischer Mönche zu Thailand zu schwächen und diese stärker an Kambodscha zu binden, errichteten die Franzosen 1937 in Vientiane eine dem Institut Bouddhique in Phnom Penh vergleichbare Bildungseinrichtung für Pāli-Studien für eine eigenständige Entwicklung des Buddhismus in Laos. Genauso wurde auch die Bibliothek des Wat Sisaket wieder eröffnet – mehr als ein Jahrhundert, nachdem das Kloster von den Thai im Jahr 1827 geplündert und zerstört worden war. An solchen von der Kolonialregierung geleiteten Aktionen nahmen immer auch Mönche aus Kambodscha teil.66 Nach der Erklärung der Unabhängigkeit von Laos erhielt der Buddhismus in der Verfassung (§ 5) des Jahres 1947 den Rang der Staatsreligion, ohne dass die Rolle des Saṅgha im Staat dabei völlig klar wurde. Jedoch begann die Entwicklung eines einheitlich strukturieren Saṅgha,67 an dessen hierarchischer Spitze aufgrund einer gesetzlichen Regelung des Jahres 1951 der Saṅgharāja stand, der in Luang Prabang residierte. Die weitere administrative Strukturierung des Saṅgha orientierte sich mit Provinzen, Bezirken und Unterbezirken an der staatlichen Administration, vergleichbar dem Aufbau des Saṅgha in Thailand. Trotz der Versuche, sich von Thailand zu distanzieren, zeigt der Saṅgha aber auch im unabhängigen Laos eine Zweiteilung in die Mönche des Mahanikai und die Gruppe der Mönche des Thammayutnikai; letztere Gruppe war zahlenmäßig aber äußerst klein und blieb im Wesentlichen auf Klöster im Süden des Landes nahe Thailand beschränkt. Die Förderung und Kontrolle des Buddhismus während dieser Jahre ist mehrfach zu beobachten:68 Um den Einfluss des Pathet Lao auf den Saṅgha zu beschränken, wurde im Mai 1959 durch einen königlichen Erlass die Autonomie des Saṅgha eingeschränkt, indem alle Ernennungen von Äbten oder auf andere Positionen im Orden durch die staatlichen Organe auf der jeweiligen administrativen Ebene (Dorf, Distrikt bzw. Provinz) bestätigt werden mussten; auch der Schriftverkehr zwischen einzelnen Einrichtungen des Saṅgha musste in Kopie der Regierung übermittelt werden. Die Gründung eines Instituts für Buddhistische Studien im Jahr 1964 unter der Aufsicht des Erziehungsministeriums zeigt die staatliche Kontrolle, um die Ausbildung und Religionskenntnis der Mönche zu verbessern und Sympathisanten mit dem sozialistischen Gedankengut des Pathet Lao zu kontrollieren; 1975 wurde dieses Institut unter die Aufsicht des Religionsministerium gestellt. Dennoch blieben in jenen Jahren viele Mönche schlecht ausgebildet.69 Diese 65 66 67 68 69

Stuart-Fox 1999: 154f. McDaniel 2009: 42–44; Holt 2009: 93–96. Bechert 1967: 268–271. Vgl. Stuart-Fox 1997: 107f.; Stuart-Fox 1999: 161f. Rajavaramuni 1984: 79; vgl. auch McDaniel 2009: 53f.

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staatlichen Eingriffe wie auch Versuche des Pathet Lao, Einfluss auf den Saṅgha zu gewinnen, minderten das Ansehen des Saṅgha unter der Bevölkerung in jenen Jahren. Dabei betonte der Pathet Lao, dass Buddhismus und Sozialismus bzw. Marxismus miteinander vereinbar sind, so dass man versuchte, Mönche für die Propagierung der politischen Ziele des Pathet Lao zu gewinnen. In den ersten fünf Jahren nach der Machtübernahme des Pathet Lao im Jahr 1975 mit der Gründung der Demokratischen Volksrepublik Laos flohen rund zehn Prozent der Bevölkerung vor deren Herrschaft. Viele Mönche waren unter diesen Flüchtlingen und auch Kupa Thammayano, der Saṅgharāja von Laos, verließ im März 1979 schließlich das Land.70 Ein Teil dieser nach Thailand geflüchteten Mönche entfaltete von dort aus oppositionelle Aktivitäten gegen den Pathet Lao, wobei sie zwar nicht direkt in Kampfhandlungen gegen die Truppen des Pathet Lao involviert waren, da die Ordensregeln dies einem Mönch untersagen. Allerdings unterstützten sie bewaffnete aufständische Gruppen ideologisch, wodurch es auch zur Ermordung solcher Mönche kam.71 Trotz dieser Konflikte zwischen Mönchen und dem Pathet Lao erreichte der Schaden für den Buddhismus in Laos in diesen Jahren keineswegs dieselben Ausmaße der Vernichtung der Religion wie durch die Roten Khmer in Kambodscha. In Bezug auf den Saṅgha hatte die Herrschaft des Pathet Lao jedoch Auswirkungen:72 So wurde 1975 der in den 1940er Jahren aus Thailand eingeführte Thammayutnikai verboten und im folgenden Jahr die Unabhängigkeit des Saṅgha beendet, indem die zeremoniellen Elfenbeinfächer, die von hochrangigen buddhistischen Hierarchen als Ausdruck ihres Ranges getragen wurden, symbolisch zerbrochen wurden. Auch ein „Einheitsorden“ wurde in der Folge unter enger Aufsicht und Kontrolle des Pathet Lao geschaffen. Das Amt des Saṅgharāja wurde durch einen „Saṅgha-Präsidenten“ (padhan song) mit vier VizePräsidenten und neun weiteren Ratgebern ersetzt.73 Die Rolle des Buddhismus in der Gesellschaft steuern vier Kommissionen für die Saṅgha-Administration, für Erziehungsfragen, für die Verbreitung des Buddhismus und für soziale Aufgaben. Da buddhistische Aktivitäten mit der marxistischen Ideologie kompatibel sein müssen, geraten aber traditionell spirituelle Werte und Lehrinhalte wie die Kamma-Vorstellung und der damit verbundene „Verdiensterwerb“ in den Hintergrund. Genauso versucht die Regierung, den Einsatz von materiellen Ressourcen in der buddhistischen Praxis zu verhindern, um diese für „weltlichen“ Nutzen 70 McDaniel 2009: 52. Darauf scheint sich auch Baird 2012: 668 zu beziehen, wenn er – ohne Namennennung – erwähnt, dass der geflüchtete Phra Sangkhalath (so Bairds Wiedergabe des Titels des Saṅgharāja) die Aktivitäten der oppositionellen Mönche anscheinend nie unterstützt hat. 71 Vgl. dazu – teilweise beruhend auf Interviews mit daran beteiligten Mönchen, die inzwischen in den USA, in Kanada und in Frankreich leben – die Ausführungen von Baird 2012: 662–668, 670–672. 72 Stuart-Fox 1999: 162f.; vgl. auch Stuart-Fox 1997: 173f. 73 Goonatilake 1996: 301; McDaniel 2009: 60.

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einzusetzen, was auf Widerstand der Bevölkerung stieß.74 Solche Beschränkungen sind dabei bis zur Gegenwart nicht völlig geschwunden.

4. Mönchtum und Gesellschaft im Umbruch 4.1. Die seelsorgliche Seite des Mönchtums Zwischen Laien und Mönchen besteht eine klare gegenseitige Abhängigkeit: Die Mönche hängen materiell von den Gaben (pāli dāna) der Laien ab, während diese wiederum dadurch religiöses Verdienst erwerben und geistliche Leitung durch die Mönche erfahren. Die Durchführung von Handlungen, die Verdienst bringen (pāli puñña-kamma) ist ein wesentlicher Faktor, der das Leben der Laien prägt und der besonders in der Hinordnung von Laien an Mönche und deren Verehrung und Unterstützung einen deutlichen Niederschlag findet.75 Darüber hinaus ist aber auch die – traditionelle – erzieherische Funktion der Mönche und des Saṅgha nicht zu unterschätzen, wobei die Aufnahme des (zeitweiligen) Klosterlebens dem (männlichen) Laien nicht nur Verdienst, sondern auch allgemeine Bildung bringt,76 da bis in die 1880er Jahre keine „weltlichen“ Schulen existierten. Aber auch danach blieben Klöster wichtige Bildungsinstitutionen, da erst seit den politischen Veränderungen im Jahr 1932 das staatliche Erziehungswesen – ausgehend von den urbanen Zentren – schrittweise flächendeckend über das Land verbreitet wurde. Neben diesen staatlichen Schulen entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber auch ein Curriculum für die Novizen und Mönche, so dass sie – falls sie das Kloster verlassen – dieselbe weltliche Ausbildung erhalten haben, die der Sekundarstufe der staatlichen Schulen Thailands entspricht.77 Neben dieser Ausbildung steht ein weiteres Bildungsangebot, dessen Entstehung sich an „Sonntagsschulen“78 orientierte, um jungen Thai eine religiöse Erziehung und die Vermittlung buddhistischer Lehrinhalte anzubieten. Ebenfalls erhalten geblieben ist die „beratende“ und seelsorgerliche Rolle79 von Mönchen (stärker in ländlicher als in urbaner Umgebung) bei familiären und persönlichen Problemen, ge74 Stuart-Fox 1999: 164. 75 Vgl. grundsätzlich für solchen Verdiensterwerb im Theravāda-Buddhismus Swearer 1995: 19f.; Tambiah 1976: 484–487. 76 Vgl. zu diesem Erziehungsaspekt u. a. Suksamran 1977: 11–13; Bechert 1967: 211f.; Swearer 1995: 48; Grünhagen 2013: 167f. 77 Hayashi 2003: 313f. 78 Rajavaramuni 1984: 111. 79 Suksamran 1977: 14f.; Rajavaramuni 1984: 16.

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nauso als Anlaufstelle für Probleme innerhalb der Dorfgemeinschaft. Die religiöse Seelsorge im häuslichen Bereich betrifft besonders Funktionen, um einen günstigen Tag für die Gründung des Hauses zu bestimmen oder an der Eheschließung mitzuwirken, aber auch den zeitweiligen Eintritt eines Sohnes in das Mönchtum zu begleiten. In ländlichen Bereichen Thailands ist der Wat80 bis zur Gegenwart – neben der Familie – der Mittelpunkt des sozialen Lebens, wobei die Mönche des Wat das spirituelle Zentrum der Dorfgemeinschaft bilden, zugleich jedoch auch ein LaienKomitee besteht, das sich um die weltlichen Belange des Klosters kümmert. Die Mitglieder des Komitees werden vom Abt des Wat ernannt, wodurch die enge Verflechtung zwischen der Mönchs- und Dorfgemeinschaft geschaffen wird, durch die die Religion in das Alltagsleben ausstrahlt. Ein traditioneller Aspekt des Thai-Mönchtums, der eher am Rand des Saṅgha angesiedelt ist, sind die so genannten thudong-Mönche.81 Als thudong (pāli dhutanga „Läuterungsmittel“) werden Mönche bezeichnet, die ihr Stammkloster verlassen und sich auf Pilgerfahrten zu den im ganzen Land verbreiteten buddhistischen Heiligtümern begeben. Daher werden sie als Pilger bewundert, da sie die Anstrengungen des Unterwegsseins auf sich nehmen. Da sie aber durch ihre „Ortsungebundenheit“ auch außerhalb des Klosters sind, rückt man sie gelegentlich auch in die Nähe von Außenseitern. In der Praxis sind thudong-Mönche vor allem im Februar und März unterwegs, wobei sich die Gruppe aus zwei „Typen“ zusammensetzt, einerseits ältere Männer, die sich erst spät in den Orden zurückgezogen haben, und junge, unternehmenslustige Mönche, d. h. die mönchische „Mittelschicht“ fehlt weitgehend. Eine Spezialität der thudong-Mönche ist – trotz der Skepsis, die man ihnen entgegenbringt – ihre Meditationskompetenz, wodurch nochmals ihre „Sonderrolle“ gegenüber dem Saṅgha deutlich wird, weil Meditationskompetenz nicht an die Saṅgha-Hierarchien gebunden ist. Ein zweiter Kompetenzbereich der thudong-Mönche liegt darin, dass man sie für Heilkunde und Astrologie fähig betrachtet, was ihnen in einfacheren Bevölkerungsschichten Anerkennung verschafft. Ähnlich wie von den thudong-Mönchen gingen auch von den „Waldmönchen“ (pāli āraññavāsi) seit dem 19. Jahrhundert Impulse zur Erneuerung der Meditation aus. Man kann die „Waldmönche“ den „Stadtmönchen“ (pāli gāmavāsi) gegenüberstellen; ferner kann man zwischen beiden Gruppen eine Differenzierung als medi-

80 Suksamran 1977: 19–21. – Es ist auch erwähnenswert, dass die Hälfte aller Wats in Thailand sich im Isan befinden, obwohl dort nur ein Drittel der Bevölkerung lebt, d. h. dadurch hat der Isan den Ruf, der am stärksten von buddhistischer Tradition geprägte Teil des Landes zu sein, zugleich zeigt diese Gewichtung auch die Bedeutung, die Mönche als gesellschaftlicher Faktor bis zur Gegenwart in ländlichen Gegenden von Thailand und Laos haben, vgl. auch Hayashi 2003: 5f.; Holt 2009: 243. 81 Bunnag 1989: 201f.; Bechert 1967: 194f.; vgl. Tiyavanich 1997: 219–225.

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tationsorientierte (wipassana thura) und textorientierte (kantha thura) Mönche treffen. Obwohl eine solche Teilung etwas schematisch bleibt, da auch der „Stadtmönch“ meditieren soll und der „Waldmönch“ genauso die Pāli-Tradition kennen und befolgen muss, ist die Akzentsetzung richtig.82 Mit den Waldmönchen verbunden ist die Entwicklung der kammaṭṭhāna-Praxis (thai kammathan) seit dem späten 19. Jahrhundert, besonders durch Achan83 Sao Kantasilo (1861–1941) und Achan Man Phurithatto (1870–1949). Beide kommen aus dem Thammayutnikai und legen einerseits auf die strenge Befolgung des Vinaya Wert, andererseits aber auch auf die Wiederbelebung der Meditation durch Rückbezug auf Pāli-Texte. Achan Man84 wurde als Meditationslehrer weithin bekannt und hat als Wandermönch zunächst die thudong-Praxis weitergeführt, ehe er schließlich ein festes „Waldkloster“ gegründet hat. Achan Man stammte – wie seine Schüler Achan Chah (1918–1992) und Achan Maha Bua (1913–2011) – aus dem Nordosten Thailands. Achan Chah hat in Ubon (Nordostthailand) im Jahr 1954 sein Hauptkloster Wat (Nong) Pah Pong („gefährlicher Wald“) eingerichtet, nachdem er längere Zeit als Wandermönch meditierte, teilweise im Dschungel und an Leichenverbrennungsstätten. Erwähnenswert ist, dass er dem Mahanikai angehört – im Unterschied zur Mehrheit der Waldmönche, die dem Thammayutnikai angehören. In den 1960er Jahren zog Achan Chah auch die ersten westlichen Schüler an, für die er 1975 ein internationales Waldkloster (Wat Pah Nanachat) gründete.85 Neben diesem Einfluss auf westliche Buddhisten gingen von der Tradition Achan Mans auch Impulse auf die Santi Asok-Bewegung und auf Buddhadasa Bhikkhu aus.

4.2. Zwei kritisch betrachtete Reformströmungen: Santi Asok und Thammakai In den 1970er Jahren sind zwei Bewegungen in Thailand entstanden, die die dominierende Rolle des Saṅgha kritisch in Frage stellen: die Santi Asok-Bewegung und die vom Wat Phra Thammakai ausgehende Bewegung. Santi Asok wurde 1990 – nach mehr als einem Jahrzehnt der heftigen Diskussion – aus dem Saṅgha ausgeschlossen, und 1999 kam es auch beinahe zum Bruch zwischen Thammakai und dem Saṅgha aufgrund unorthodoxer Lehrinhalte von Thammakai und den Methoden, den Buddhismus zu verbreiten. Die Anhängerzahl der Letzteren dürfte im sechsstelligen Bereich liegen, während Erstere wesentlich weniger Anhänger hat.

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Vgl. Bell 2002; ferner Swearer 1995: 13f.; Tambiah 1976: 418–420; Sarkisysanz 1975: 506f. Thai achan < skt. ācārya „Lehrer“. Swearer 1995: 132f.; Tiyavanich 1997: 51, 62f., 71f. Rajavaramuni 1984: 113; Tiyavanich 1997: 59, 76f.

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4.2.1. Santi Asok Die gängige Bezeichnung „Santi Asok“ für die Anhänger des ehemaligen Mönches Phothirak ist eine unpräzise, aber eingebürgerte Terminologie, die sich auf das Zentrum der Bewegung in Bangkok bezieht, das aber nur eines der Zentren86 der Bewegung ist. Der Gründer87 der Bewegung wurde 1934 in der Provinz Sisaket in Nordosten Thailands geboren, wobei er seit 1958 bei einem Bangkoker Fernsehsender arbeitete und als Sänger landesweit bekannt wurde. Im November 1970 ließ er sich als Mönch mit dem Mönchsnamen Phothirak in einem Kloster des Thammayutnikai etwas außerhalb Bangkoks ordinieren. Von Beginn seiner Mönchslaufbahn an zeichnete sich Phothirak durch eine strenge Befolgung der Ordensvorschriften aus, aber auch durch eine Intoleranz gegenüber jenen Mönchen, die weniger streng waren als er selbst. Schon bald nach seiner Ordination sammelte Phothirak eine Anhängerschar von Thammayutnikai- und Mahanikai-Mönchen sowie Laien um sich, die sich regelmäßig in Nakhon Pathom trafen. Entsprechend seiner eigenen strengen und asketischen Lebensführung verlangt Phra Phothirak dies auch von den Mitgliedern der Bewegung. Geprägt ist die asketische Lebensführung durch einen strengen Vegetarismus mit nur einer täglichen Mahlzeit, durch sexuelle Enthaltsamkeit und durch die Vermeidung von Besitzanhäufung. Phothirak bezeichnete diese Anhänger als Asok-Gruppe, für die er – nachdem er 1973 den Thammayutnikai verlassen hatte und sich als Mahanikai-Mönch neu ordinieren ließ – ein eigenes Zentrum eröffnete. Damit begann implizit auch der Konflikt zwischen Phothirak und seiner Asok-Gemeinschaft mit dem Saṅgha. Die Gemeinschaft zog besonders Mitglieder des Mittelstands und der Arbeiterklasse an, da diese Bevölkerung den staatlich kontrollierten Saṅgha als Einrichtung empfand, die sich vor allem an der Oberschicht orientierte. Ein weiterer Aspekt, der der Asok-Bewegung Sympathie bei vielen brachte, war deren Hinwendung an die Bevölkerung, indem Asok-Anhänger (sowohl Mönche als auch Laien) nicht in den Zentren verweilten, sondern – nach dem Modell der so genannten Waldmönche – unterwegs waren, um ihr Verständnis des Buddhismus zu propagieren – im Unterschied zu den meisten Wats, deren Mönche ortsgebunden die Religion verkündeten. Aufgrund des zunehmenden Erfolgs der Bewegung äußerte sich die „Versammlung der Ältesten“ (mahathera samakhom) deutlich ablehnend in Bezug auf die Asok-Bewegung:88 Die wesentlichen Kritikpunkte waren, dass viele der AsokMönche nicht regulär ordiniert seien, dass Phothirak andere Mönche als zu wenig streng kritisierte, dass die Asok-Mönche mit ihrer Propaganda zu Missverständnissen der Ordenslehren führten und sich als unabhängig vom Thai-Saṅgha präsen-

86 Vgl. die Darstellung der Zentren bei Mackenzie 2007: 130–135. 87 Vgl. u. a. Heikkilä-Horn 1996: 35–37; Hutter 2006: 12f.; Mackenzie 2007: 115–117. 88 Vgl. Mackenzie 2007: 118.

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tierten. Durch die weiter wachsende Spannung zwischen Phra Phothirak und dem Saṅgha unter Beteiligung staatlicher Stellen wie des Erziehungsministers und des Innenministers wurde Phothirak schließlich aus dem Orden ausgeschlossen und in einem langwierigen Gerichtsverfahren zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.89 Aber auch nach diesen Auseinandersetzungen ist die Bewegung aktiv geblieben, mit Phothirak90 an der Spitze, so dass Zentren der Bewegung in ganz Thailand vorhanden sind. Worin liegen die eigenen Lehrinhalte von Santi Asok, die zu den Auseinandersetzungen zwischen Phothirak und dem Saṅgha beitragen? Einer der zentralen Punkte ist Phra Phothiraks Einschätzung, dass Buddhismus eine der Säulen der Gesellschaft ist, d. h. es geht ihm mehr um die gesellschaftlichen als um die metaphysischen oder theoretischen Elemente des Buddhismus. Dies führt ihn aber zur harschen Kritik an den Institutionen und Praktiken des Buddhismus in Thailand, so dass er sich berufen fühlt, als „neue“ religiöse Autorität die Werte des „authentischen“ Buddhismus wieder zum Nutzen der Gesellschaft zu revitalisieren und den Verfall der Religion zu stoppen.91 Da die meisten Thai-Buddhisten – im Unterschied zu den Mitgliedern von Santi Asok – den authentischen Buddhismus nicht praktizieren, liegt Thailand sozial im Argen. Santi Asok kommt daher die Aufgabe der Erneuerung der Gesellschaft zu. Dadurch ist die Bewegung eine Reaktion und eine radikale Ablehnung der modernen Thai-Kultur, einschließlich der damit kooperierenden Institutionen. Diese „Ausschließlichkeit“ und „Total-Verweigerung“ gegenüber dem etablierten Buddhismus setzt Phothirak in eine fundamentalistische Position.92 Hinsichtlich ihrer Sozialstruktur kann man die Mitglieder der Bewegung in Laien, samana und sikkhamat einteilen. Der Weg vom Laien bzw. von der Laiin zur Lebensweise als Ordinierte(r) ist langwieriger und schwieriger, als dies beim Weg vom Novizen zu einem ordinierten Mönch im Saṅgha ist. Hervorzuheben ist dabei die Rolle der sikkhamat, deren Status in Santi Asok deutlich höher ist als derjenige einer maechi. Denn die sikkhamat als ordinierte Frauen stehen zu den (männlichen) samana in einem ähnlichen Verhältnis wie eine bhikṣunī zu einem bhikṣu im Mahāyāna-Buddhismus. Dass sie einen besonderen Status einnehmen, zeigen äußerlich auch die braunen Roben, durch die sie sich nicht nur von den weißgekleideten Laiinnen, sondern auch von den maechis unterscheiden.93

89 Vgl. die detaillierte Darstellung dieser Vorgänge bei Heikkilä-Horn 1996: 64–67; Mackenzie 2007: 123–127. 90 Den Ehrentitel Phra verwenden er und die Mönche seit 1991 nicht mehr, obwohl Phothirak nie offiziell den Titel abgelegt hat. 91 Phothirak spricht von vier unterschiedlichen Typen des Buddhismus in Thailand: okkulter, kapitalistischer, hermetischer und authentischer Buddhismus, wobei er nur letzteren durchgehend positiv bewertet. Siehe dazu Heikkilä-Horn 1996: 121f.; Hutter 2006: 13f.; Mackenzie 2007: 150. 92 Heikkilä-Horn 1996: 22f. 93 Heikkilä-Horn 1996: 59f.; Lindberg Falk 2007: 186.

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Innerhalb der Praxis ist die untergeordnete Rolle der Meditation zu nennen.94 Nur zu sitzen und zu meditieren führt nicht zu samādhi, und sobald man die Meditation beendet, hat man keinen spirituellen Fortschritt erreicht. Daher sind die ersten vier Glieder des achtfachen Pfades für Phothiraks Sicht zentraler: richtiges Denken, richtige Rede, richtige Tat, richtige Lebensführung. Insofern deutet Phothirak den achtfachen Pfad – ungleich deutlicher als der Mainstream – als Mittel, um die Menschen zu erziehen, damit sie von weltlichen Gelüsten frei werden, wobei in dieser Erziehung und Vervollkommnung auch die manuelle Arbeit eine wichtige Rolle spielt.

4.2.2. Die Bewegung des Wat Phra Thammakai Die Bewegung, die vom Wat Phra Thammakai95 in der Provinz Pathum Thani westlich von Bangkok ihren Ausgang genommen hat, ist zwar ebenfalls kritisch gegenüber dem Saṅgha, hat aber – im Gegensatz zu Santi Asok – nicht nur den Bruch vermieden, sondern versucht sogar, durch Beziehungen zu wichtigen Institution (Königshaus, Militärs, einflussreiche Politiker) ihre Position zu stärken. Die Bewegung geht auf Lehren des Mönches Phra Mongkhonkolthepmuni (1886–1959), auch als Luang Phaw Sot bekannt, zurück. Ausgehend von einer Textpassage im Satipaṭṭhāna Sutta des Pāli-Kanons, die sich auf die Beachtung des „Körpers als Körper“ bezieht, lehrte er eine Meditationstechnik, die als einen ersten Schritt der Meditation den „Körper im Körper“ beachtet. Diese Uminterpretation des Textes basiert auf einer dem Mahāyāna-Buddhismus nahestehenden Deutung, indem der Körper als Buddha-Körper verstanden wird, der – durch die Meditation – von jedem im eigenen Körper gefunden werden kann.96 Im Jahr 1916 wurde Luang Phaw Sot Abt des Wat Paknam, wo er in der Folge die Lehre über die ThammakaiMeditation verbreitete. Ebenfalls als besondere Interpretation kann man Luang Phaw Sots Vorstellung von Māra sehen, der als negative Kraft und manchmal als „schwarzer Buddha“ verstanden wird, dessen Kraft durch die „weiße ThammakaiMeditation“ überwunden oder vernichtet werden kann, was umso leichter geschieht, je mehr Personen diese Meditation gemeinsam praktizieren. Diese Vorstellungen der Kraft der Meditation, die Luang Phaw Sot in seinem Wat lehrte, griff der im Wat Paknam im Jahr 1969 ordinierte Phra Thammachayo (geb. 1944) auf. Die Gründung der Thammakai Foundation im Jahr 1970 und der Baubeginn für Wat Phra Thammakai, dessen erster Abt Phra Thammachayo nach der Fertigstellung des Wat im Jahr 1977 wurde, markieren den formellen Beginn

94 Mackenzie 2007: 177–181. 95 Mackenzie 2007: 30–34; Zöllner 2006: 68–71; Seeger 2010: 70f. 96 Zur möglichen religionsgeschichtlichen Verortung der Meditationstechnik Luang Phaw Sots in tibetischen oder Yogāvacara-Praktiken siehe Mackenzie 2007: 105–112.

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dieser Bewegung. Phra Thammachayo gelang es auch, durch Anwendung von modernen Methoden des Managements und des Marketings die Zahl seiner Anhänger zu steigern,97 wobei zu Beginn der Bewegung besonders viele Studenten als Anhänger gewonnen werden konnten. Zugleich gelang es der Thammakai-Bewegung, Unterstützung der königlichen Familie zu erhalten, und 1978 wurde Thammakai offiziell als buddhistische Gemeinschaft registriert, die inzwischen zahlreiche Zentren in Thailand sowie internationale Niederlassungen hat. Was Thammakai in der religiösen Praxis auszeichnet, ist die besondere Meditationstechnik.98 Bei der Meditation visualisiert der Praktizierende vor seinem Gesicht einen Kristall in der Größe der Fingerspitze, den ein männlicher Praktizierender durch das rechte Nasenloch, eine weibliche Meditierende durch das linke Nasenloch in den Körper zieht. Innerhalb des Körpers visualisiert man diesen Kristall noch an fünf weiteren Stellen, um ihn ins Zentrum des Körpers zu leiten. Bei jeder Visualisierung rezitiert man ein Mantra, wobei die Visualisierungen dazu dienen, den Geist mit dem Zentrum des Körpers zu verbinden, um so durch die Perfektionierung der Meditation den thammakai (pāli dhammakāya), den Buddha-Körper bzw. Dhamma-Körper, in sich zu realisieren. Die Anhänger der Bewegung sollen zweimal am Tag jeweils rund 30 Minuten meditieren, um den thammakai in sich zu erkennen. Dazu wird angenommen, dass durch die regelmäßige Meditation der Praktizierende sein eigenes Bewusstsein entwickeln kann, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu erkennen vermag und auch sein Familienleben dadurch verbessern kann. Diese Entwicklung des Einzelnen, die durch Meditation erreicht wird, wirkt sich dabei auch vorteilhaft für die Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes aus, so dass die Thammakai-Bewegung betont, mit dieser Erneuerung des Buddhismus auch dem Land im Veränderungsprozess der Moderne eine feste Richtung zu geben.99 Manche Lehrinhalte sind jedoch nicht völlig unumstritten, vor allem wegen der Akzeptanz von Wundern als Ausdruck der Umsetzung buddhistischer Lehren, aber auch wegen der Interpretation des Nibbāna als Höheres Selbst (pāli attā), was der Lehre des klassischen Theravāda entgegensteht.100 Genauso ist für manche Kritiker die Überzeugung der Thammakai-Anhänger strittig, die in Phra Thammachayo eine Reinkarnation des Dhamma-Körpers sehen,101 der als Heilsgestalt fähig ist,

97 Diese Methoden mit ihrer „Marktorientierung“, indem religiöse Veranstaltungen sonntags (und nicht an klassischen Feiertagen entlang der Mondphasen) durchgeführt werden, ist für geschäftige Personen der Moderne durchaus „benutzerfreundlich“, was den Zustrom von Anhängern erklären kann, vgl. Mackenzie 2007: 87–90. 98 Mackenzie 2007: 102–104; Heikkilä-Horn 1996: 106–108. 99 Taylor 2008: 42–45. 100 Vgl. Seeger 2010: 71f.; Mackenzie 2007: 99f.; Taylor 2008: 55f. In der Vorstellung des attā als Form einer „Personalisierung“, verbunden mit der Betonung auch der materialistischen Ebene, rückt die Bewegung traditionsgeschichtlich in die Nähe der historischen Pudgalavāda-Schule, aber auch in die Nähe zu Mahāyāna-Traditionen. 101 Mackenzie 2007: 61–64.

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die „dunklen Seiten“ des Buddhismus und Māras und die „dunkle Energie“ der säkularen Kräfte zu überwinden. Kritik an Thammakai-Vorstellungen betont dabei, dass Thammakai-Anhänger die Freiheit haben, die Religion zu interpretieren, aber dass – als Folge dieser Interpretation – Thammakai sich vom Theravāda als neuer „Kult“ (latthi) trennen oder zumindest als eigenständige Richtung (nikai) definieren sollte. Demgegenüber hält Thammakai jedoch strikt daran fest, Teil des traditionellen Thai-Theravāda zu sein.102 Organisatorisch ist die Bewegung dabei durch ein Gremium von elf älteren Mitgliedern, die in der Regel Mönche sind, geleitet, wobei das symbolische Zentrum der Bewegung der Maha Thammakai Ceti nördlich von Bangkok ist, der am 22. April 2000 eingeweiht wurde.103 Genauso nutzt Thammakai auch den Erwerb von Landbesitz, den Einfluss auf Wirtschaft und auf Medien durch moderne Management- und Marketing-Strategien, um die Bewegung erfolgreich zu verbreiten. Auch dagegen wenden Kritiker ein, dass solche Praktiken nichts mit Buddhismus zu tun haben, vor allem wenn das dadurch von den Anhängern erworbene Verdienst in Relation zum finanziellen Umfang ihrer Unterstützung für die Thammakai-Einrichtungen gestellt wird.104

4.3. Drei Reform-Denker: Buddhadasa Bhikkhu, Sulak Sivaraksa, P.A. Payutto Buddhadasa Bhikkhu bzw. auf Thai Phutthathat Phikkhu (1906–1993) war einer der modernen Mönche Thailands, dessen Neudeutung des Buddhismus Akzeptanz und Interesse, aber auch Kritik hervorruft.105 Er stammte aus der Provinz Surat Thani in Südthailand und wurde mit 21 Jahren als Mönch des Mahanikai ordiniert. Ab 1932 zog er sich in ein Waldkloster in Chaya in Südthailand zurück, das er Suan Mokkh „Garten der Befreiung“ nannte. Ab dieser Zeit nannte er sich auch Buddhadasa „Diener Buddhas“. Inhaltlich ist sein Beitrag für den thailändischen Buddhismus dahingehend zu charakterisieren, dass er den Buddhismus als Religion sieht, die auf Intelligenz und Wissenschaft beruht, um dadurch zum Verste102 Seeger 2010: 73. 103 Vgl. Taylor 2008: 51–54 und Mackenzie 2007: 41–43 mit weiteren Angaben zu Größe, Kosten und symbolischem Wert des Ceti für die Bewegung. Dem Zentrum wurde vom „National Office of Buddhism“ auch die Auszeichnung verliehen, bestes Meditationszentrum des Jahres 2013 zu sein. 104 Vgl. Mackenzie 2007: 50–54. – Auch die Auseinandersetzung um Landschenkungen, die Phra Thammachayo gemacht wurden, waren 1999/2000 ein wesentlicher Faktor der Kritik an der Bewegung, was dazu führte, dass Phra Thammachayo als Abt des Wat abgelöst und Phra Dattacheewo sein Nachfolger wurde. Er blieb jedoch Präsident der Thammakai Foundation und ist weiter der Führer der Bewegung. 105 Zum Leben siehe Jackson 2003: 9–16; Zöllner 2006: 27–40.

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hen der Wahrheit – d. h. der Vergänglichkeit, des Nicht-Selbst und des Leidvollen – zu gelangen. Dafür strebt Buddhadasa eine Rückkehr zu den Pāli-Wurzeln an, indem die von der ursprünglichen Lehre wegführende – sekundär entstandene – Tradition aufgegeben wird. Dadurch kann aber der Buddhismus auch für die nationale Erneuerung fruchtbar gemacht werden. Teilweise ist Buddhadasa auf Kritik gestoßen, wobei Vorwürfe besonders seine Ablehnung der Tradition betreffen. Denn sein Einwand gegen die traditionelle Deutung, dass Meditation nur eine religiöse Praxis für fortgeschrittene Mönche sei, stieß auf Widerspruch. Auch die Betonung, dass das Nibbāna nicht nur ein allgemein erreichbares Ziel sei, sondern eine diesseitige und ethische Komponente haben muss, wurde von Kritikern in Frage gestellt.106 Das Streben nach Nibbāna gewinnt dadurch zugleich innerweltlich-soziale Relevanz, wodurch der Buddhismus befähigt (und herausgefordert) ist, gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen und für deren Beseitigung einzutreten. Dieser Anspruch birgt eine Spannung zur traditionellen Rolle des Buddhismus in sich, wobei Buddhadasa auch volkstümliche Praktiken der Religionsausübung in Frage gestellt hat.107 Aber auch in anderen Bereichen hat er sich in seiner Interpretation von traditionellen Vorstellungen manchmal weit entfernt, wobei er sich hermeneutisch – wie etwa im Zusammenhang mit seinen Vorträgen zum Christentum108 – der Vorstellungen von zwei Sprachen, der Dhamma-Sprache (phasa tham) und der Umgangssprache (phasa khon), bediente, um mit deren Hilfe die verschiedenen Ebenen des Buddhismus zu verbinden. In Thailand haben seine Ideen seit den 1960er Jahren einen wichtigen Einfluss auf das Geistesleben ausgeübt, wobei Buddhadasa vor allem Impulse für jene politischen und sozialpolitischen Denker gegeben hat,109 die in Opposition gegen den offiziellen Saṅgha und dessen enge Verknüpfung zum Staat stehen. Zugleich hat diese Kritik ihm aber den Vorwurf eingebracht, er gefährde den thailändischen Buddhismus und sei ein Kommunist.110 Obwohl Buddhadasa Mitglied des Thai-Saṅgha war, war sein Zentrum Suan Mokkh keine typische thailändische Tempel- und Klosteranlage, so dass Suan Mokkh eine relativ große Fluktuation der Mönche und Besucher erkennen lässt; eine feste Organisationsform wollte Buddhadasa für seine Bewegung nicht anstreben, sondern sein Ziel war es, dass sie nach der Erkenntnis des Dhamma diesen außerhalb von Suan Mokkh selbstständig weiterverbreiten würden. Dadurch hat Suan Mokkh als „Waldkloster“ – allerdings nicht in jenem Traditionsstrang, den 106 Jackson 2003: 206–233. Teilweise ist Buddhadasas Nibbāna-Verständnis dabei Vorstellungen des Mahāyāna näher als traditionellem Theravāda-Denken. 107 Vgl. Tambiah 1976: 411–414; van den Bosch 2008: 17f. 108 Hutter 1995; Zöllner 2006:145–156; grundsätzlich zu den zwei Sprachen ebd. 83–97; Tambiah 1976: 423–425; Jackson 2003: 69–99. 109 Buddhadasa spricht in diesem Zusammenhang von einem „Dhamma-Sozialismus“, vgl. Zöllner 2006: 126–135. 110 Vgl. Zöllner 2006: 76f.; van den Bosch 2008: 19.

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man mit Achan Man und Achan Chah verbindet – auch eine internationale Gefolgschaft angezogen, wobei westliche Buddhisten111 Buddhadasas Buddhismusinterpretation als „zugänglicher“ empfinden als den traditionellen Thai-Buddhismus. Sulak Sivaraksa (bzw. in Thai Sulak Siwarak) wurde 1932 in Thonburi, Zentralthailand, geboren. Er ist Laie und gehört zu den bekanntesten, aber auch umstrittenen „Sozialaktivisten“ in Thailand. Zunächst als Lehrer ausgebildet, hielt er sich zu Studien in England auf und kehrte 1961 nach Thailand zurück, wo er sich zunehmend für buddhistische gesellschaftliche Belange – in Hinblick auf Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit – einzusetzen begann.112 Dabei ging es ihm vor dem Hintergrund des Krieges, der Vietnam, Laos und Kambodscha in Mitleidenschaft zog, auch um die Verbesserung der Kooperation und des Zusammenlebens zwischen Kambodschanern, Vietnamesen und Thai; diese Sozialaktivitäten machten ihn seit den frühen 1970er Jahren über Thailand hinaus bekannt. Mit seinen Aktionen stand der Laie Sivaraksa auch auf Seiten jener (Wald-)Mönche, die mit der Bewahrung der ökologischen Umwelt und dem Schutz des Lebens befasst sind. Damit zeichneten sich aber auch politische Konflikte mit Interessen der Regierung (und des offiziellen Saṅgha) ab. Genauso ist deutlich, dass Sivaraksa seit den späten 1960er Jahren von Buddhadasa Impulse empfangen hat,113 um Buddhas Lehre als für heute noch sozial relevant zu verstehen, die allerdings ständig aktualisiert und den Zeitbedingungen entsprechend neu verstanden werden müsse. Seine Buddhismus-Deutung hat Sivaraksa vor Probleme gestellt, so dass er 1984 verhaftet, aber nach vier Monaten wieder freigelassen wurde. 1991 wurde erneut ein Haftbefehl ausgestellt, woraufhin Sivaraksa für rund ein Jahr im europäischen und amerikanischen Exil lebte.114 Hinsichtlich Sivaraksas zentralen Vorstellungen zum Buddhismus ist zu sagen, dass er mehr Praktiker als Theoretiker ist, was sich etwa darin zeigt, dass die vier Edlen Wahrheiten oder das Nibbāna für ihn praktische Anweisungen sind, um eine lebenswerte Gesellschaft zu schaffen. Konkret heißt dies für die Interpretation buddhistischer Gebote Folgendes:115 Ahiṁsa betrifft nicht nur das Verbot der Tötung (Mord), sondern ist ungleich subtiler: Pestizide, die etwa Mikroorganismen im Boden zerstören, oder chemische Manipulationen zur Steigerung des Bodenertrages, wodurch andere Formen des Lebens Schaden erleiden, sind aufgrund von Ahiṁsa abzulehnen. Genauso resultiert daraus seine Unterstützung der „Waldmönche“ bzw. seine Ablehnung von Waffenproduktion oder Waffenhandel. Bezüg111 Jackson 2003: 295–297. 112 Swearer 1996: 196–208; vgl. auch Swearer 1995: 149; van den Bosch 2008: 20; siehe z. B. Sivaraksa 2004: 29–39. 113 Für den Einfluss Buddhadasas und anderer auf Sivaraksa vgl. van den Bosch 2008: 21f. – Siehe auch die Hinweise, die Sivaraksa 2004: 41–43 zu Buddhadasa gibt. 114 Swearer 1995: 151. 115 Swearer 1995: 211–223. Vgl. ferner Sivaraksa 2009 für eine Sammlung unterschiedlicher Reden und Aufsätze, die seine Buddhismus-Interpretation zeigen.

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lich des Verbots von Lüge bzw. der Aufforderung zur Wahrheit erhebt Sivaraksa immer wieder seine Stimme gegen bloße Showeffekte im Fernsehen oder gegen Sensationsdarstellungen in den Zeitungen. Bei solcher Kritik bleibt auch der (wohlhabende) offizielle Saṅgha nicht immer verschont. Sivaraksas Kritik richtet sich vor allem (und hier trifft er sich – bei aller sonstigen Differenz – mit Phra Phothirak) gegen den Wohlstand, den die großen Klöster zweifellos angehäuft haben, da dies mit der Vinaya-Aufforderung, dass Mönche nicht an Besitz und Reichtum anhaften dürfen, unvereinbar ist. Trotz solch kritischer Interpretation herkömmlicher Vorstellungen bleibt Sivaraksa allerdings auf dem Boden des Buddhismus, auch wenn er dadurch für Traditionalisten ein unbequemer Denker wird. P. A. Payutto (auch Prayudh Payutto, geb. 1939 in der Provinz Suphan Buri, Zentralthailand) gehört zu den einflussreichsten Personen im Thai-Buddhismus, der wegen seiner Kenntnis der Pāli-Tradition von vielen Thai als einer der zentralen Repräsentanten des Theravāda-Buddhismus betrachtet wird. Seine Gelehrsamkeit spiegelt auch der ihm im Jahr 1993 verliehene buddhistische Ehrentitel Phra Dhammapitaka (thai Thamapitaka) wider. Bereits mit sieben Jahren begann er eine klösterliche Laufbahn als Novize, in deren Verlauf er seine Pāli- und Buddhismuskenntnisse immer mehr erweiterte und seine Studien 1962/63 an der Buddhistischen Mahachulalongkorn-Universität abschloss. Später war er Abt des Wat Phra Pirain in Bangkok, legte dieses Amt aber in den 1970er Jahren nieder.116 In seinem Hauptwerk Buddhadhamma117 behandelt Payutto äußerst umfangreich die Lehre Buddhas, die er als Modell deutet, wie sich der Einzelne und die gesamte Gesellschaft vom Leiden befreien können.118 Dabei gelingt es Payutto in ausgewogener Form, die traditionelle Lehre Buddhas und volkstümliche Ansichten nicht als total konträre Zugänge darzustellen, auch wenn er kritische Einwände gegen letztere klar formuliert. Die umfangreichen Schriften und Themen Payuttos kategorisiert M. Seeger in vier Gruppen:119 Grundlegend sind seine Zusammenfassungen des Buddhismus, wobei er sowohl die kanonischen und nicht-kanonischen Quellen des Theravāda analysiert und interpretiert. Diese Arbeit hat ihm bei vielen Thai den Ruf einer unangefochtenen Autorität in Fragen der buddhistischen Lehre eingebracht. Seine Analyse des Buddhismus ist dabei durchgehend auf die moderne Situation Thailands – mit sozialer, wirtschaftlicher und bildungsmäßiger Relevanz – ausgerichtet, wodurch er den Buddhismus als die zentrale Basis für die Lösung gegenwärtiger Herausforderungen sieht. In dieser Hinsicht wird sein Werk auch Bezugspunkt für (sozialkritische) Gesellschaftsaktivisten Thailands. Ein weiterer zentraler Aspekt seiner Schriften ist sein konsequentes Eintreten für eine 116 Vgl. Zöllner 2006: 62f.; van den Bosch 2008: 26; Seeger 2010: 77. 117 Olson 1995 hat eine englische Übersetzung der ersten (kurzen) Auflage des Werkes aus dem Jahr 1971 vorgelegt; vgl. auch Seeger 2005: 25. 118 Siehe dazu van den Bosch 2008: 27–31. 119 Seeger 2005: 28–30.

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Reform des Bildungssystems innerhalb des Saṅgha, wobei er aus den spirituellen und kulturellen Werten des Mönchtums auch die Verpflichtung für den Saṅgha ableitet, diese Werte in die Gesellschaft zu vermitteln. Als „Reformer“ und „textbezogener“ Buddhismusinterpret kritisiert Payutto in seinen Werken aber auch intensiv jene Entwicklungen des Thai-Buddhismus,120 die er als nicht mit dem „originalen“ Buddhismus vereinbar sieht. Insgesamt ist Payutto in seiner Buddhismus-(Neu-)Deutung sicherlich traditioneller ausgerichtet und klarer an der klassischen Pāli-Tradition festhaltend orientiert, als dies bei Buddhadasa und Sivaraksa der Fall ist. Zugleich teilt er mit ihnen aber die Überzeugung, dass der Buddhismus sich mit sozialen Fragen der Gegenwart befassen und zu deren Lösung beitragen muss; auch die kritische Haltung gegenüber abergläubischen Vorstellungen der Volksfrömmigkeit ist allen drei Denkern und „Reformern“ gemeinsam. Trotz dieser unterschiedlichen Zugänge zu einer „Reform“ des Buddhismus erreichen alle drei Denker ein gemeinsames Publikum, besonders unter in den buddhistischen Lehren gut ausgebildeten Mönchen sowie intellektuellen Laien, während die breite Masse der Thai von solchen Reform-Denkern nur wenig angezogen wird.

4.4. Bhikkhunīs und Maechis In der traditionellen Thai- und Lao-Gesellschaft bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren Frauen in der Regel Männern untergeordnet, wobei dieser gesellschaftliche Unterschied durch die Religion begründet wurde. Denn durch die Kamma-Theorie interpretierte man die Geburt als Frau als Folge von weniger günstigem Kamma.121 In diesem Sinn lässt sich etwa die Gründung eines Klosters durch die Königmutter gegen Ende der Sukhothai-Periode verstehen, wenn sie betont, dass sie aufgrund dieser Tat als Mann wiedergeboren werden möge. Auch König Lithais kosmologischer Text (traiphum phra ruang) begründet die Geburt als Frau als Ergebnis geringeren Verdienstes in einem früheren Leben. Diese Einschätzung der Frauen trägt dazu bei, dass Nonnen nicht nur im Theravāda-Buddhismus geringer geschätzt sind als Mönche, und dass – im Unterschied zu Ländern wie Sri Lanka oder Birma, wo es in der Geschichte Nonnenorden gab – in Thailand und Laos der Bhikkhunī-Orden nie offiziell eingeführt worden war. Daher spielen Nonnen in Thailand und Laos bis zur Gegenwart nur eine unterge120 Zu Payuttos Sicht der Schwächen und der vom „originalen“ Buddhismus abweichenden Formen des Thai-Buddhismus siehe auch Seeger 2005: 59f. 121 Vgl. Reynolds 2006: 186–188. – Zum Frauenbild aufgrund normativer Geschlechterrollen siehe Lindberg Falk 2007: 30–35; Grünhagen 2013: 174–177, 180–186. Solche normativen Geschlechterrollen prägen auch die Einstellung und Bewertung von Prostitution, siehe dazu Kapur-Fic 1998: 457–460; Grünhagen 2013: 177–180.

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ordnete Rolle, wobei Veränderungen in Thailand sich möglicherweise auch auf die Situation in Laos auswirken könnten.122 In Thailand startete eine Bhikkhunī-Bewegung123 in den 1920er Jahren, allerdings hat bereits 1928 der Saṅgharāja die Nonnenordination verboten. Dieser Erlass des Saṅgharāja bleibt bis zur Gegenwart gültig, indem er 2001 und 2004 erneut bekräftigt wurde, da in den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Diskussion um die Nonnenordinationen wieder zugenommen hatte.124 Eine maßgebliche Befürworterin der Ordination von Frauen ist die Philosophin Chatsuman Kabilsingh, die seit 1981 die Diskussion vorangetrieben hat und sich 2001 in Sri Lanka – unter dem Ordensnamen Dhammanandā (thai Thammanantha) – zur sāmaṇerī („Novizin“) und 2003 zur bhikkhunī („Nonne“) ordinieren ließ.125 Damit ist sie die erste moderne TheravādaBhikkhunī in Thailand, wobei in den Folgejahren weitere Thai – ebenfalls in Sri Lanka – als Novizinnen bzw. Nonnen ordiniert wurden.126 Ausgehend vom Frauenkloster Songthamkalyani Phiksuni Aram in Nakhon Pathom, dessen Leitung Bhikkhunī Dhammanandā von ihrer Mutter127 übernommen hatte, führt sie mit Novizinnen und anderen bhikkhunīs inzwischen auch morgendlich eine Almosenrunde unter der lokalen Bevölkerung durch. Insgesamt gibt es gegenwärtig in Thailand rund 70 Nonnen, die in den verschiedenen Teilen des Landes leben. Allerdings bleiben sie noch immer – da es in Thailand und Laos, aber auch in anderen Theravāda-Ländern keinen in der Überlieferungslinie gesellschaftlich und von den männlichen Orden voll akzeptierten Nonnenorden gibt – in gewisser Weise außerhalb der vierfachen Struktur des Buddhismus: Mönch, Nonne, Laie, Laiin. Denn oft sieht man in solchen Frauen weder Nonnen noch Laiinnen, sondern betrachtet sie als Minderheit von religiösen Frauen, ohne zu akzeptieren, dass es sich bei ihnen um Verkünderinnen des Dhamma handelt.128 Genauso sind die so genannten maechis zu nennen.129 Dabei handelt es sich um Frauen unterschiedlicher Herkunft, die zwar – aus der Perspektive der Mönche – Laiinen bleiben, aber eine Lebensweise wählen, indem sie die acht Gebote für Laien130 122 Vgl. Bechert 1967: 196; Goonatilake 1996: 302; Dhammananda 2009: 187f. 123 Lindberg Falk 2007: 236–243; Seeger 2010: 66. Zum Verbot von 1928 siehe auch Sarkisyanz 1975: 520f. 124 Vgl. zu dieser Diskussion, die durch die Aktivitäten und die Ordination Dhammanandās besonders aktuell wurde, z. B. zusammenfassend Seeger 2008: 176–179; Seeger 2010: 67–69. 125 Lindberg Falk 2007: 9f.; vgl. Grünhagen 2013: 193. Für ablehnende Reaktionen auf ihre Ordination siehe Ekachai 2001: 293–298. 126 Dhammananda 2009: 190–193. 127 Voramai Kabilsingh (1908–2003) war nach einer Lebensweise als maechi im Jahr 1971 als Mahāyāna-Nonne in Taiwan ordiniert worden und leitete als solche danach den Tempel. 128 Kabilsingh 1991: 213f. 129 Vgl. z. B. die Studie von Brown 2001 zum Wirken von maechi Wābī, die in einem samnak in der Provinz Ratburi (ca. 75 Kilometer südwestlich von Bangkok) lebt. Diese ethnographische Studie gibt einen ausgewogenen Einblick in Aufgaben, Vorstellungen und Lebensweise solcher Frauen. Vgl. ferner Kapur-Fic 1998: 196–204; Grünhagen 2013: 187f. 130 Siehe die Aufzählung bei Lindberg Falk 2007: 126.

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konsequent befolgen, sich als äußeres Zeichen dieser Lebensführung das Kopfhaar rasieren und eine weiße Robe tragen.131 Die Aufnahmezeremonien in diese Lebensform finden jedoch meist nur im kleinen Rahmen statt, ohne den Öffentlichkeitscharakter der (zeitweiligen) Ordination in das Mönchtum zu erlangen. Problematisch bleibt – hinsichtlich der „religiösen“ Akzeptanz – die ambivalente Einstellung ihnen gegenüber, da man – im Unterschied zur Unterstützung eines Mönches durch Almosen – von der Unterstützung einer maechi als buddhistischer Laie kein religiöses Verdienst erwartet, sondern Almosen an maechis mit jenen Gaben verglichen werden, mit denen man Bettler unterstützt, nicht aber mit verdienstvollen Gaben an Mönche. Seit den 1990er Jahren hat sich diese Einschätzung jedoch leicht zum Positiven geändert.132 Eine weitere Veränderung seit jener Zeit liegt darin, dass man maechis als einen sozialen Faktor zu schätzen beginnt, der in der Gesellschaft jene Lücken zu füllen vermag, die das (traditionelle und hierarchische) Mönchtum nicht bedient bzw. bedienen kann. Dabei können maechis auch Versäumnisse der Mönche in der Bewältigung sozialer Aufgaben aufarbeiten. Verschiedene maechis werden häufig von Frauen als soziale Führerinnen bei Alltagsproblemen (Erziehungsfragen, materielle Lebensgrundlagen, Probleme mit einer Zweifrau des Mannes) aufgesucht, so dass bei solchen Problemen maechis als „spirituelle Ratgeberinnen“ fungieren können.133 Auch andere „Sozialleistungen“ der maechis, wie Angebote von Meditationskursen oder Kurse, um Werte wie Mitgefühl und positive Achtung des anderen zu vermitteln, kann man als Beispiele nennen. In organisatorischer Hinsicht existiert seit 1969 das „Institute of Thai Maechi“ (Sathaban Maechi Thai) als nationale Dachorganisation.134 Initiiert wurde diese Organisation durch den damaligen Saṅgharāja, um die verschiedenen Interessen und Aktivitäten der maechis zu koordinieren und strukturell in den Buddhismus einzubinden. Dazu wurden für die maechis Regeln erlassen, die sich in der Struktur an Vorschriften des Pātimokkha für Mönche orientieren. Dadurch ist zwar ein Beitrag zur „Annäherung“ der maechis an Nonnen geleistet, aber auch die Herausforderung geschaffen, nicht im Formalen zu erstarren. Die Betonung der festen Regeln – als Leitfaden – war aus der Perspektive des „Institute of Thai Maechi“ damals deswegen notwendig, weil die Hälfte dieser Frauen nur sehr geringe Schulbildung hatte, so dass die strikten Regeln die „Qualität“ der maechis garantieren sollten.135 Dabei darf aber nicht übersehen

131 Zu Aufnahmeritual und Ordination als maechi vgl. die (ethnographischen) Beschreibungen von Lindberg Falk 2007: 92–100, v. a. im Ratburi Samnak Ji, ca. 120 Kilometer von Bangkok entfernt. 132 Lindberg Falk 2007: 167f. – Vgl. Ekachai 2001: 203–210, die in einem Bericht die noch „skeptische“ Situation der Bevölkerung gegenüber den maechis, die sich um spirituelle (und weltliche) Bildung von jungen Frauen kümmern, darstellt, da von ihnen – im Unterschied zu Mönchen – kein spiritueller Verdienst erwartet wird; vgl. auch Kapur-Fic 1998: 196. 133 Vgl. Brown 2001: 121–131; zur Sozialarbeit siehe auch kurz Grünhagen 2013: 190, 198f. 134 Brown 2001: 111–115; Lindberg Falk 2007: 176f.; Grünhagen 2013: 188. 135 Kapur-Fic 1998: 203f.

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werden, dass es – aufgrund der leicht zunehmenden Akzeptanz dieser Lebensweise auch hochgebildete maechis gibt, die als Pāli-Lehrerinnen tätig sind.136 Organisatorisch leben maechis entweder in einem Verbund mit Mönchen in einem Tempel, die Eigenständigkeit der maechis – auch in organisatorischer Hinsicht – machen aber deren seit einigen Jahrzehnten existierende eigene Verwaltungszentren deutlich, die so genannten samnak.137 In diesen Zentren leben die maechis unter sich, um ihre eigene Hierarchie und Organisationsstruktur (unabhängig von der Struktur des Saṅgha) zu entfalten, aber auch die religiösen Zeremonien und die Vermittlung des Dhamma eigenständig durchzuführen. Denn aus der Sicht des Saṅgha bleiben maechis nach wie vor von formalen Treffen der Mönche und Novizen ausgeschlossen. Mit den Bemühungen, den bhikkhunī-Orden zu revitalisieren bzw. neben voll-ordinierten bhikkhunīs auch eine lebenslange Ordination „nur“ als Novizin (sāmaṇerī) zu schaffen138, und den „institutionalisierten“ maechis gibt es somit in der thailändischen Gesellschaft unterschiedliche strukturelle Kategorien, in denen sich Frauen im Buddhismus verorten: Nonne, (lebenslange) Novizin, maechi, Laiin. Damit ist das Rollenspektrum nicht nur differenzierter als das tendenziell nur zweiteilige männliche Schema mit Mönch und Laie, wenn man den Status als männlicher Novize „nur“ als zeitweilige Übergangsstufe zum Mönch bzw. als „Kurzzeitaufenthalt“ im Kloster betrachtet. Für die Entwicklung von strukturellen weiblichen Rollen im thailändischen Buddhismus ist aber auch zu beachten, dass die maechis sich in institutioneller Sicht nicht als „Vorstufe“ zu einem bhikkhunī-Orden verstehen, sondern in der Lebensweise als „nicht-ordinierte“ Frauen sogar größere Freiheiten und Wirkungsmöglichkeiten für die Gesellschaft sehen. Teilweise stehen sie der bhikkhunī-Bewegung sogar skeptisch bis ablehnend gegenüber, indem sie die Wiederbelebung des bhikkhunī-Ordens – analog zum (männlichen) Saṅgha – als illegitim verstehen, möglicherweise auch aus der Sorge, bei der akzeptierten Etablierung einer Nonnenordination als maechis wiederum marginalisiert zu werden.139

5. Die öffentliche und alltägliche Seite der Religion Neben dem Wirken der Mönche, Nonnen und maechis prägen weitere Aktivitäten das religiöse Leben. Für das Königtum in Thailand bis zur Gegenwart und in Laos bis 1975 136 137 138 139

Vgl. Collins/McDaniel 2010: 1387–1400. Lindberg Falk 2007: 102–106, 121–129; vgl. Grünhagen 2013: 189f. Zu diesem Konzept von Bhikkhunī Dhammanandā siehe Grünhagen 2013: 195. Vgl. Collins/McDaniel 2010: 1392f.; ferner Grünhagen 2013: 195.

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spielen die Ideale der buddhistischen Königsideologie140 eine wichtige Rolle, wobei die Chakri-Dynastie sich – nach dem Niedergang von Ayutthaya – verstärkt darauf berufen hat. Dazu gehört das Konzept des cakkavattin mit der Fürsorgepflicht des Königs (als impliziter Bodhisattva) für sein Volk. Daraus resultiert das positive Verhältnis zwischen König und Saṅgha, indem der König als nominell höchster Buddhist über dem Saṅgha steht, allerdings sich kaum direkt in die Belange des Saṅgha einmischt. Mit dieser Königsideologie verbunden ist das buddhistische (Heils-)Symbol eines weißen Elefanten, aber auch die Adaptierung der hinduistischen Rama-Tradition in den Rama-Dichtungen141 in Thailand als Ramakien bzw. in Laos als Phra Lak Phra Lam zeigt die Integration bzw. das Weiterwirken hinduistisch-brahmanischer Vorstellungen in der buddhistischen Königsideologie.142 Eine zentrale Rolle für Buddhisten spielt die Verehrung des Buddha, wobei der Phra Kaeo Morakot, meist als „Smaragd-Buddha“ bezeichnet, im Hinblick auf das Königtum und die thai-buddhistische Identität besonders hervorzuheben ist. Eine aus Nordthailand stammende Legende erklärt den Ursprung dieser Figur folgendermaßen:143 Nāgasena, der Ratgeber des indo-griechischen Königs Milinda, soll eine Buddhastatue aus einem wertvollen Edelstein geplant haben, da er fürchtete, eine Statue aus Gold oder Silber könnte wegen des Materials zerstört werden. Der Gott Sakka stellte dafür einen Edelstein zur Verfügung und Vissukamma, der göttliche Kunsthandwerker, verfertigte die Statue. Danach inaugurierte Nāgasena diese Statue, deren Macht er durch sieben Buddhareliquien vergrößerte. Seither wird Buddha als cakkavattin in Form dieser Statue in Birma, Thailand und Laos verehrt. Durch diese Legende wird dabei begründet, dass der Smaragd-Buddha der besondere Schutzgeist von Chiang Mai (und dem Königreich Lan Na) ist, aber zugleich ein Insignium des Königtums, durch das die Amtsautorität des Herrschers garantiert wird. Wegen dieser Bedeutung wurde die Statue nicht nur bei Machtverlagerungen in die jeweils neue Hauptstadt überführt bzw. von den Siegern geraubt, sondern es entstanden auch Kopien davon, die in lokalen Tempeln in Thailand und Laos verehrt werden.144 Ein andere – aber gegenüber dem SmaragdBuddha etwas weniger populäre – Statue ist der „Löwen-Buddha“ (Phra Buddha Sihing) in Chiang Mai. Diese Figur soll 700 Jahre nach Buddhas Nibbāna auf Wunsch des Herrschers von Sri Lanka angefertigt worden sein. Im 13. Jahrhundert kam sie nach Thailand, wo sie (bzw. Kopien der Statue) ebenfalls in den politischen Zentren als Herrschaftssymbol angesehen wurde.145 140 Vgl. Bechert 1967: 209–211. – Zum grundlegenden Konzept des buddhistischen Königtums siehe besonders Tambiah 1976: 38–53. 141 Siehe Singaravelu 2004: 112–118, 137–151; Desai 1980: 63–85. 142 Vgl. v. a. Lévy-Ward 2006: 240–257 für brahmanische Elemente im Krönungsritual; siehe ferner Desai 1980: 57–62; McGovern 2009: 375–377. 143 Swearer 1995: 94f.; vgl. auch Swearer 2004: 194–196. 144 Swearer 2004: 78. 145 Swearer 2004: 194f.

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Neben dem Smaragd-Buddha als Reliquie werden auch in Thailand und Laos andere Buddha-Reliquien verehrt, am populärsten ist dabei die Pilgerfahrt zum Fußabdruck Buddhas (phra phuttabat; pāli buddhapāda) in der Provinz Saraburi in Zentralthailand. Diesen Fußabdruck soll Buddha bei einem (legendarischen) Besuch Thailands zu seinen Lebzeiten hinterlassen haben. Eine vergleichbare Tradition kennen auch laotische buddhistische Chroniken, die ebenfalls von einem Besuch des historischen Buddha berichten, so dass sein Fußabdruck auch in Laos gezeigt wird. Diese Überlieferungen entbehren einer historischen Grundlage, sie zeigen aber, dass sich die Theravāda-Tradition beider Länder bewusst in die Frühgeschichte der Religion und in die Verbindung mit Sri Lanka (und dem Fußabdruck Buddhas auf dem Adam’s Peak) einbettet.

5.1. Die Einbettung vor-buddhistischer Geister in die Religion Mit dem Begriff „Alltagsreligion“ soll hier auf die Verflechtung von verschiedenen „Ebenen“ des Buddhismus bzw. Formen religiöser Praxis Bezug genommen werden, die man auch als „kammischen“ bzw. „nibbānischen“ Buddhismus bezeichnen kann. Letzterer ist die Form der Religionsausübung, die man der „großen“ (und gelehrten) Tradition zuordnet und die auf das endgültige Erlangen des Nibbāna (skt. nirvāṇa) ausgerichtet ist. Auf das alltägliche Leben bezogene religiöse Praktiken der „kleinen“ Traditionen sollen dabei vor allem gutes kamma (skt. karma) vermitteln. Dadurch finden hier auch Handlungen Eingang in den Buddhismus, die religionsgeschichtlich unterschiedliche Wurzeln haben. Dabei sind vier Typen zu unterscheiden.146 Es handelt sich dabei (a) um buddhistische Riten, die von Mönchen zum Verdiensterwerb durchgeführt werden, (b) um so genannte khwanRiten, die von Laien bzw. Dorfbrahmanen ausgeführt werden, um den khwan zu stärken, (c) um Riten der Dorfältesten für die phi und (d) um Exorzismen. Zu den buddhistischen Riten gehören Rituale, die zu bestimmten Lebensphasen durchgeführt werden, wobei im individuellen Lebenszyklus die Bestattung bzw. das Ritual der Leichenverbrennung eine wichtige Funktion hat; dort wird – neben der Einbettung des Rituals in den Buddhismus – zugleich die Verbindung mit dem Geisterglauben sichtbar. Die Durchführung des Rituals hängt davon ab, ob jemand einen „normalen“ oder „unnormalen“ Tod erlitten hat; zu letzterem zählt der Tod durch einen Unfall, durch Selbsttötung, aber auch ein unzeitiger Tod bei der Geburt oder in der Kindheit.147 Nach dem „normalen“ Tod wird der Leichnam gewaschen, mit neuen Kleidern bekleidet, auf eine Matte auf dem Boden gelegt, wobei

146 Hayashi 2003: 16. 147 Vgl. zum Folgenden Sparkes 2005: 160–165; Hayashi 2003: 164–184; Kapur-Fic 1998: 66– 68.

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die Hände des Leichnams zu einer wai-Geste geformt werden. In den drei Tagen nach dem Tod werden Mönche mit Gaben versorgt, bevor der Leichnam im Sarg mit den Füßen voraus aus dem Haus getragen wird. Den Weg zum Krematorium führen die engsten Familienangehörigen an, gefolgt von Mönchen und danach anderen Personen der Gemeinde. Zur Beruhigung von Geistern wird während der Prozession Reis gestreut, bis man am Wat und am Krematorium ankommt. Dort gießen Mönche Kokosnusssaft über das Gesicht des Toten, was anschließend auch von den Angehörigen und von den Mitgliedern der Gemeinschaft – als Akt der Verabschiedung vom Verstorbenen – durchgeführt wird. Rezitationen von buddhistischen Texten, die die Unbeständigkeit von allem thematisieren, leiten zur Verbrennung des Leichnams im Krematorium über, die mit dem Sammeln und Bestatten der Knochen(reste) endet. Danach verlassen die Mönche geschwind die Familie, werden allerdings danach für drei Tage ins Haus des Verstorbenen eingeladen, wo durch die Rezitation von Suttas die Verstorbenen Segen und Verdienst, die Familienangehörigen Frieden und Schutz erhalten sollen. Im Falle eines nicht normalen Todes findet keine Verbrennung des Leichnams statt, sondern dieser wird begraben, wobei man befürchtet, dass die Geister und khwan eines solchen Toten den Lebenden Schaden zufügen können.148 Khwan149 sind im lokalen Glauben Substanzen, die die geistige und physische Vitalität eines Menschen bestimmen und von denen man glaubt, dass sie im menschlichen Körper leben, diesen aber auch verlassen können. In diesem Fall müssen sie rituell wieder zurückgeholt werden, um die Integrität des Menschen wiederherzustellen. Die Abwesenheit der khwan bedingt nicht nur Krankheit, sondern solche khwan können auch anderen gefährlich werden. Diese Vorstellung, die bei vielen Thai und Lao verbreitet ist, geht wohl auf brahmanische Riten zurück, wobei die Durchführung von Ritualen, um die khwan günstig zu stimmen, ursprünglich den Dorfbrahmanen oblag, deren Rolle im Laufe der Zeit aber von Laien – ohne brahmanischen Hintergrund – übernommen wurde. Der Anlass für solche Riten ist vielfältig, primär finden sie bei Krankheiten, bei (auch geistigen) Bedrängnissituationen und anderen persönlichen Krisen statt, da solche Situationen auf die Abwesenheit der khwan zurückgeführt werden. Die Verbindung mit ursprünglich brahmanischen Vorstellungen zeigt hingegen die Durchführung solcher Rituale als Anlass des ersten Haarschnitts eines Säuglings im Alter von einem Monat, aber auch bei „Initiationssituationen“, so dass solche Riten auch am Vorabend der Ordination zum Mönch und im Rahmen des Hochzeitsrituals durchgeführt werden, da solche Ereignisse einen Statuswechsel markieren, der durch ein khwan-Ritual günstig geschehen soll. Auch die Durchführung eines Rituals nach

148 Hayashi 2003: 213. 149 Vgl. Hayashi 2003: 111–113; Kapur-Fic 1998: 231–242; Holt 2009: 271f.; siehe auch StuartFox/Mixay 2010: 19f.

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Rückkehr von einer langen Reise und der damit verbundenen „Wiedereingliederung“ in die Gemeinschaft kommt vor. Verallgemeinernd lässt sich daher sagen, dass diese Riten fast zu jeder Gelegenheit durchgeführt werden können, um das Leben günstig zu beeinflussen. Ein wichtiger Faktor der Alltagsreligion und des Weltbildes sind die „Geistwesen“ (phi), die im Unterschied zu den khwan, die in einem Menschen existieren, externe Geister sind.150 Ihnen begegnet man in anikonischer – und praktisch nie in anthropomorpher – Form. Fast alle Bereiche des Kosmos sind von solchen Geistern bewohnt, und es gibt auch phi, die mit den Vorfahren (phi sia) oder mit Personen, die einen unnatürlichen Tod erlitten haben (phi taihong), verbunden werden. Sie residieren im urbanen Bereich – z. B. an der Grenze des Grundstücks – in so genannten „Geisterhäuschen“, während die „Dorfgeister“ (phi ban) meist nur einen unscheinbaren Schrein haben.151 Zwar gelten auch Wats oder Bäume als Wohnsitze der phi, charakteristisch für ihre Rolle im Alltagskult ist, dass ihre Schreine nicht von professionellen Kultspezialisten versorgt werden. In dieser – eher unspezifischen und „unpersönlichen“ – Art unterscheiden sich die thai-laotischen phi von der Verehrung der dēvatās in der alltäglichen Religion Sri Lankas oder von den Nats in Birma. Teilweise gelten die phi als Schutzgeister, manche haben aber auch Funktionsbereiche, um die Fruchtbarkeit der Reisfelder – um somit das Wohlergehen der Dorfgemeinschaft – zu gewährleisten. Trotz dieser Bedeutung der Geister in der Alltagsreligion wird von Mönchen gegen sie gepredigt; dabei opponieren die Mönche jedoch nicht gegen die Existenz dieser Geister, sondern diese Predigten zielen darauf ab, die richtige Rangordnung zu bewahren, um die größere Macht des Buddhismus über die geringere Macht der phi zu stellen.

5.2. Feste im Jahreslauf Die Feste in Thailand und Laos richten sich nach dem Mondkalender, dessen erster Monat – entsprechend der westlichen Monatszählung – in den Dezember fällt. Durch die Teilnahme an den religiösen Festen wird religiöses Verdienst erworben. Obwohl die Feste in den buddhistischen Kontext eingebettet sind, zeigen sie auch nicht-buddhistische und folkloristische Elemente. Abweichend vom Mondkalender ist das Songkran-Fest (skt. saṃ krānta) der Thai und Lao nach dem Sonnenkalender auf Mitte April als Beginn des Sonnenjahres datiert. In Laos wird das Fest als Bun Pi Mai152 bezeichnet. Die Grundidee des 150 Holt 2009: 17–21, 235–243; vgl. Kapur-Fic 1998: 219–225; Sarkisyanz 1975: 483f. – Für Opfer an die verschiedenen phi (für den Bestand des Hauses, für die Ernte) im Isan vgl. auch Sparkes 2005: 34–49. 151 Stuart-Fox/Mixay 2010: 53. 152 Stuart-Fox/Mixay 2010: 23.

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Festes ist der Wechsel vom alten zum neuen Jahr, wobei beobachtet werden kann, dass der Gedanke an einen „buddhistischen“ Anfang nicht fehlt: man nennt gute Vorsätze, will sich sorgsam um den buddhistischen Pfad bemühen oder formuliert Bitten um Erfolg oder langes Leben, die die Idee des Neubeginns zeigen. Genauso führt man verdienstvolle Werke wie das Freilassen von Tieren als buddhistischen „Anteil“ am Fest durch. Die vor-buddhistische Herkunft des Festes zeigen besonders die Wasserriten, die ihren Ursprung in der brahmanischen Mythologie haben, so dass lokal noch Dorfbrahmanen in das Neujahrsfest involviert sind.153 Auch im offiziellen Fest ist diese Wassersymbolik integriert, indem Buddha-Statuen und Mönche respektvoll mit Wasser beträufelt werden. Allerdings ist das Fest auch durch die überschäumende Freude gekennzeichnet, die daran sichtbar wird, dass alle Festteilnehmer völlig durchnässt und mit Farbpulver überschüttet werden – als Zeichen der Fruchtbarkeit und sexueller Symbolik, und zugleich eine Reminiszenz an die Aufhebung der traditionellen Ordnung für die Dauer des vor-buddhistischen Festes. Wenn am Abend des Festes die Frauen – angeführt von einem männlichen Laien – mit Blumen und Räucherwerk zum Kloster kommen, um die Mönche um Vergebung zu bitten, ritualisiert dieses Vorgehen im buddhistischen Kontext aber auch die Wiederherstellung der traditionellen Ordnung in neuer Gültigkeit.154 Insgesamt ist bei Songkran der Aspekt des Wiederauflebens der Natur zu Beginn des Neuen Jahres zu sehen, wobei ursprünglich ritualisierte Sexualpraktiken und Bewässerungsriten zur Herbeiführung des für die Reiskultivierung notwendigen Monsuns der vor-buddhistische Kern des Festes waren. Innerhalb des nach dem Mondkalender geordneten Festkreises fällt das erste große Fest auf den Vollmondtag des dritten Monats, der nach westlichem Kalender dem Februar entspricht. Makhabucha (pāli māgha pūjā) erinnert an die Versammlung von 1250 Mönchen im Veḷuvana-Kloster in der Nähe von Rājagaha (Indien), wo ihnen Buddha zehn Monate nach seiner Erleuchtung die Grundlagen seiner Lehre gepredigt hat. Die Feier dieses Ereignisses ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Rama IV. Mongkut im Rahmen seiner Reformen der Religion eingeführt worden.155 Bei Wisakha Bucha (pāli visākhā) feiern Theravāda-Buddhisten die drei zentralen Ereignisse des Lebens Buddhas – seine Geburt, seine Erleuchtung und sein Eingehen ins Nibbāna – am Vollmondtag im Mai, wobei das Fest in Thailand erst seit dem späten 19. Jahrhundert überregionale Bedeutung erhielt.156 Bei den Laoten war bis in jene Zeit der Vollmondtag im Mai nicht mit diesen Festinhalten verbunden, sondern im Mittelpunkt des Festes standen damals der Besuch und 153 Desai 1980: 27. 154 Tiyavanich 1997: 27f.; Sparkes 2005: 177–181; Swearer 1995: 35–40; vgl. auch Singh/ Piengkes 2011: 41–46; Stuart-Fox/Mixay 2010: 32f. 155 Tambiah 1976: 214f.; vgl. auch Singh/Piengkes 2011: 28f. 156 Vgl. Tiyavanich 1997: 312; Swearer 1995: 43.

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die Verehrung von Buddha-Reliquien. Entsprechend der Bedeutung des Mönchtums für die Theravāda-Tradition sind Klöster Mittelpunkt des Festes, die Feierlichkeiten bestehen aus Rezitationen aus buddhistischen Schriften und der damit verbundenen Darlegung der Lehre. Die Wisakha-Predigten dauern meist die ganze Nacht, wobei die erzählende Predigt mit der Heirat von Buddhas Eltern beginnt und mit der Verteilung der Reliquien Buddhas nach seinem Tod und einem Ausblick auf die Gründe endet, weshalb der Buddhismus in seinem Mutterland verschwunden ist. In Nordthailand lässt sich dabei auch beobachten, dass größere Tempel ihren Gründungstag auf den Wisakha-Tag datieren, wodurch auch die Feier des Festes – verbunden mit der Feier der Tempelgründung – oft zum Hauptfest des Dorfes wird. In Laos und im Isan findet im sechsten Mondmonat ein weiteres (vor-buddhistisches) Fest statt, Bun Bang Fai.157 Das Fest wird zu Ehren des Schutzgeistes des Dorfes gefeiert und ist mit der naturbezogenen Fruchtbarkeit verbunden, was teilweise durch karnevalsartige Umzüge mit sexueller Symbolik ausgedrückt ist. Charakteristisch für den (nicht-buddhistischen) Festablauf ist, dass (phallusförmige) Raketen und Feuerwerkskörper abgeschossen werden, um dadurch das Einsetzen des Monsuns mit seiner die Natur befruchtenden Wirkung günstig zu beeinflussen. Im achten Monat memoriert Asalha Bucha Buddhas erste Lehrunterweisung an seine Jünger in Sarnath, wobei nach diesem Festtag die dreimonatige „Regenzeit“ (khao phansa; pāli vassa) beginnt, während der die Mönche traditionell „ortsfest“ waren und diese Zeit zum Studium der Religion im Kloster nutzten.158 Den Endpunkt dieser drei Monate markiert die Wan Ok Phansa. Typisch für diesen Festtag ist die Übergabe von neuen Roben an die Mönche, die so genannte Kaṭhina-Zeremonie (thot kathin).159 In jenen Thai-Tempeln, die unter der Schirmherrschaft des Königshauses stehen, findet die Übergabe dieser Roben durch Angehörige der Königsfamilie statt, während in den zahlreichen anderen Tempeln diese Roben von den Laien an die Mönche übergeben werden. In Laos und im Isan ist das buddhistische Fest mit einem agrarischen Naturfest verbunden, das das Ende der Regenzeit und den Beginn der neuen landwirtschaftlichen Saison kennzeichnet.160 Es ist ein „Wasserfest“, bei dem Bootsprozessionen mit bis zu zehn Meter langen Booten stattfinden, die mit Reis, Blumen und Kerzen beladen sind. Diese Prozessionen und Bootsrennen sollen die Nāga als Wasser(schlangen) freundlich stimmen und das Böse vertreiben. Dies geschieht auch durch kleine Boote, die traditionell aus Bananenstauden hergestellt wurden und die auf Wasserläufen davonschwimmen

157 Stuart-Fox/Mixay 2010: 43f.; Singh/Piengkes 2011: 46–53. 158 Stuart-Fox/Mixay 2010: 59–62; Singh/Piengkes 2011: 63–65. 159 Vgl. Swearer 1995: 22–25 sowie Tambiah 1976: 392f., 456–460; Singh/Piengkes 2011: 80– 85. 160 Goonatilake 1996: 302; Stuart-Fox/Mixay 2010: 62.

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sollen, um dadurch schädigende phi, die sich während der Regenzeit angesammelt haben, zu entfernen. Am Vollmondtag des zwölften Monats (November) findet das „Lichterfest“ Loi Krathong statt, das ursprünglich ebenfalls keinen Bezug zum Buddhismus hatte. Als charakteristischer Teil des Festes werden kleine Lampen, Weihrauch und Münzen in kleine Boote gelegt, die man auf Teichen und in Flüssen schwimmen lässt. Ein traditionelles krathong (wörtlich „Korb“) wurde aus Bananenstauden hergestellt, moderne krathong werden entweder aus Styropor oder aus Brot hergestellt, wobei letzteres von Buddhisten als verdienstvoll angesehen wird, da dadurch Fische und andere Lebewesen im Wasser ernährt werden können. Der genaue Ursprung des Festes ist unklar, es scheint zu Ehren der Wassergeister durchgeführt und mit brahmanischen Traditionen der Sukhothai-Periode verbunden worden zu sein.161 Eine andere lokale Tradition aus Thailand verbindet es mit dem frühen Königreich Hariphunchai in Lamphun, von wo im 10. Jahrhundert die Bevölkerung wegen einer Seuche nach Pegu in Birma ausgewandert sein soll. Als die Bewohner nach dem Abklingen der Seuche nach sechs Jahren nach Hariphunchai zurückkehrten, schickten sie auf kleinen Booten Geschenke zu jenen Verwandten nach Pegu, die dort geblieben waren. An dieses Ereignis soll – so diese nordthailändische Tradition – das Fest erinnern.162 Solche Traditionen lassen noch den nicht-buddhistischen Ursprung des Festes erkennen. Da das Fest einen Monat nach dem Ende der „Regenzeit“ (phansa) stattfindet, hat eine „Buddhisierung“ stattgefunden, indem es mit der Rezitation und der Predigt des Vessantara Jātaka verbunden wird.163 Das Fest wird nicht nur in Thailand, sondern auch von Shan in Birma, von Thai in Kelantan in Malaysia und von Laoten gefeiert; in Laos wird das Fest als Lai Heua Fai,164 das Fest der Lichterboote, bezeichnet.

5.3. Schlussbemerkung Trotz der verschiedenen politischen Größen, die im Laufe der Geschichte das Gebiet des heutigen Thailand und Laos geprägt und dadurch auch unterschiedliche lokale Identitäten hervorgebracht haben, ist seit der Einwanderung von Tai-Gruppen in das Gebiet der beiden heutigen Staaten ab dem 13. Jahrhundert mit der Übernahme des Theravāda-Buddhismus eine durch diese Religion geprägte Kultur geschaffen worden. Die Rolle, die dabei dem Buddhismus als gesellschaftlicher Faktor zukommt, zeigen auch Statistiken der Religionszugehörigkeit. Die geschätzte Bevölkerungszahl Thailands im Jahr 2015 beträgt 68 Millionen Einwohner, von denen nach offiziellen Schät161 Vgl. Desai 1980: 32f. 162 Swearer 1995: 44–46. 163 Vgl. Swearer 1995: 32–35 für die Beliebtheit des Vessantara Jātaka im Theravāda-Buddhismus. 164 Stuart-Fox/Mixay 2010: 65f.

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zungen165 etwas weniger als 95% dem Theravāda-Buddhismus angehören sollen. Muslime malaiischer Herkunft im Süden des Landes stellen mit 4% die zweitgrößte religiöse Gruppe dar, der Anteil der Christen (Church of Christ; Evangelical Fellowship of Thailand; Baptisten; Siebenten-Tags-Adventisten; Katholiken) liegt knapp unter einem Prozent. Daneben gibt es eine äußerst geringe Anzahl von Hindus, Sikhs, Juden und Angehörigen neuer Religionen. Die Verfassung vom August 2016 garantiert – wie frühere Verfassungen – in Abschnitt 31 die Religionsfreiheit und betont in Abschnitt 67 die Förderung des Buddhismus und anderer Religionen durch den Staat, wobei letztere Formulierung – aufgrund der Nennung des Buddhismus – eine implizite Bevorzugung dieser Religion darstellt. In Laos sind von den 6,7 Millionen Einwohnern des Landes im Jahr 2013 etwa 50–60% dem Theravāda-Buddhismus zuzuordnen. Ethnisch handelt es sich dabei fast ausschließlich um Tiefland-Lao. Weitere offiziell anerkannte Religionen sind das Christentum (zwei Prozent; Katholiken, Protestanten, Siebenten-Tags-Adventisten), der Islam (ein Prozent) und die Bahā’ī-Religion (ca. 8500 Angehörige). Rund ein Drittel der Bevölkerung (Lao Theung, Lao Sung) sind Angehörige von Stammesreligionen (sasana phi), deren Religionsausübung durch die in der Verfassung von 1991 (Abschnitt I/9) festgelegte Religionsfreiheit möglich ist, auch wenn Versuche, sie zu den offiziellen Religionen zu bekehren, vorhanden sind. Neben diesem Abschnitt der Verfassung regelt das Dekret Nr. 92/PM166 des Premierministers aus dem Jahr 2002 die rechtliche Stellung und möglichen Aktivitäten der Religionsgemeinschaften.

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165 In diesen Prozentwert sind – aufgrund des Thai-Nationalismus – auch die so genannten „Bergvölker“ sowie (Thai-)Chinesen eingerechnet, auch wenn kritisch zu sagen ist, dass deren religiöse Zuordnung zum Theravāda-Buddhismus nicht unproblematisch ist. 166 Siehe die Wiedergabe der Texte bei Vannasopha 2005: 26–37.

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THERAVĀDA-BUDDHISMUS

IN

KAMBODSCHA

Karl-Heinz Golzio

1. Einleitung Vermutlich gewann der Theravāda-Buddhismus, der bis zur Einwanderung der Thai in Südostasien im Khmer-Reich nur in Gebieten der Mon-Bevölkerung vertreten war, erst seit dem 13. Jahrhundert auch unter der einfacheren Bevölkerung eine größere Anhängerschaft. In der vorhergehenden Epoche des Angkor-Reiches dominierte dort bei den Eliten des Landes der Śivaismus, aber auch der Viṣṇuismus nahm eine bedeutende Rolle ein, und nicht zuletzt hatte der Mahāyāna-Buddhismus eine mehr oder weniger große Anhängerschaft und wurde unter Jayavarman VII. (1181/82–1216?) zur bevorzugten Religion. Der Theravāda scheint im Kerngebiet des Khmer-Reiches überhaupt nicht existent gewesen zu sein. Geht man in die vorangkorische Zeit zurück, so gibt es in der Fúnán-Zeit Hinweise auf diese Spielart des Buddhismus, die hauptsächlich aus Artefakten bestehen. Aus der so genannten Zhēnlà-Zeit (7.-9. Jahrhundert) lassen sich nur wenige Spuren des Theravāda nachweisen.1 Allerdings berichtet die in Sanskrit und Khmer verfasste Inschrift K. 505 (IC V: 23–24) aus dem im heutigen Thailand gelegenen Khãu Rãng (13°34’ Nord, 102°27’ Ost) vom 1. Oktober 6392 von Stiftungen an einen vihāra, während die undatierte K. 755 in Khmer auf dem Sockel einer Buddha-Statue in Vằt Čhnaḥ im südlichen Kambodscha eine Liste von Dienstpersonal für einen vihāra nennt (IC VI: 55), beides offensichtlich Zeugnisse für den Theravāda-Buddhismus.3 Ganz deutlich hat die undatierte Inschrift K. 388 (Sanskrit und Khmer) aus Hĭn K’ôn (heute in Thailand) Theravāda-Inhalte, in der der rājabhikṣu (königlicher Mönch) eines lokalen Königs eine prominente Rolle spielt (IC VI: 1 Die Inschrift K. 49 aus Vằt Prei Vằl vom 25. Dezember 664 ist entgegen der Meinung von Barth/Bergaigne 1885–93: 61 und Cœdès 1937–1966 VI: 6 keine theravāda-buddhistische, sondern bezieht sich auf Anhänger der reformierten vedischen Religion; siehe Golzio 2011: 9–11. – Für die kambodschanischen Inschriften werden folgende Siglen verwendet: CR: Chroniques royales (vgl. Mak Phoen 1981–1988); ÉC: Études Cambodgiennes; IC: Inscriptions du Cambodge (vgl. Cœdès 1937–1966); IMA: Inscriptions modernes d’Angkor (vgl. Lewitz passim); K.: Kambodschanische Inschriften; MÉC: Manuel d’épigraphie du Cambodge (vgl. Ishizawa et al. 2007). 2 Die in europäische Äquivalente umgewandelten Daten wurden zumeist von mir errechnet. Wenn ein Wochentag genannt wird, bedeutet dies, dass dieser auch im Originaltext vorkam. 3 Bhattacharya 1961: 105.

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73–77). Obgleich viele dieser Inschriften aus Gebieten außerhalb des heutigen Kambodscha stammen (und damit geographisch den Mon-Territorien nahe sind), sind sie aufgrund der Sprache als zur Khmer-Kultur gehörig ausgewiesen. Mit der territorialen Ausbreitung der Macht des Khmer-Reiches waren große Teile der von Mon bewohnten Gebiete unter dessen Kontrolle gebracht worden. Es waren diese Bevölkerungsgruppe und Birmanen, beide mehrheitlich Anhänger des Theravāda, mit denen die im 13. Jahrhundert nach Südostasien einströmenden Thai zuerst in Berührung kamen. Mit ihren Vorstößen okkupierten sie die im Gebiet des heutigen Thailand gelegenen Provinzen des Khmer-Reiches, bildeten dort eigene Staaten wie etwa Sukhothai und nahmen den Theravāda-Buddhismus an. Diese Staatsbildung in unmittelbarer Nachbarschaft des Khmer-Reiches blieb dort nicht ohne Folgen.

2. Geschichtliche Entwicklung 2.1. Das 13. und 14. Jahrhundert Abgesehen vom Beginn und Ende des 13. Jahrhunderts, d. h. als die Thai ihre Staaten gründeten, gibt es keinerlei epigraphische oder sonstige schriftliche Zeugnisse aus oder über Kambodscha. Es wird in der Inschrift K. 567 des Maṅgalārtha-Tempels aus dem Jahre 1307/08 lediglich beiläufig berichtet, im Jahre 1243/44 sei ein König Indravarman (II.) verstorben.4 Daraus wurde bei vielen Autoren eine Regierungszeit von 1220 bis 1243 konstruiert und gleich im Anschluss Jayavarman VIII. eine Regierungszeit zwischen 1243 und 1295 zugemessen, obwohl auch hier nur das Ende seiner Regierungszeit bekannt ist.5 Erst am Ende des 13. Jahrhunderts erfährt man aus dem Bericht des Zhōu Dáguān, Mitglied einer chinesischen Gesandtschaft, dann etwas über die drei offiziellen Religionen, deren Anhänger er als Bānqi (Paṇḍitas, Gelehrte, d. h. Brahmanen), als Zhùgū (Bonzen, d. h. Theravāda-Buddhisten) und als Bāsīwéi (Tapasvins, „Asketen“, d. h. Śivaiten) bezeichnet.6 Gerade der Hinweis darauf, dass die buddhistischen Mönche nur eine Mahlzeit am Tag zu sich nehmen, weist auf die Anhänger des Theravāda hin, die offensichtlich während des 13. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen hatten. Nach der Zeit, in der Zhōu Dáguān in Kambodscha weilte, entstanden nur noch wenige Inschriften. Eine von ihnen, K. 754 aus Kôk Svày Ček mit dem genauen 4 Finot 1925: 393–406. 5 Siehe zu dieser Problematik Golzio 2011: 112–115. 6 Zhou 2006: 26f.

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Datum „Sonntag, 22. Dezember 1308“, berichtet davon, dass Śrīndravarman im Jahre 1307/08 zugunsten von Indrajayavarman abdankte.7 Sie wurde in Pāli und Khmer aus Anlass der Gründung eines buddhistischen Klosters und der Errichtung einer Buddha-Statue im Jahre 1309 verfasst; sie gehört somit zu den ersten Hinweisen auf den wachsenden Einfluss des Theravāda-Buddhismus auch am Königshof. Dies ist für längere Zeit die letzte aussagekräftige Inschrift, falls man nicht die Bàyon-Inschrift K. 470 nach 1327 ansetzt. Eine Inschrift unbekannter Herkunft (K. 405), die sich heute am Văt Pră Kêo in Bangkok befindet, besteht lediglich aus dem Datum Freitag, 20. Mai 1317 (IC VI: 361). Sonst ist nur noch aus dem chinesischen Annalenwerk Yuán shī (Geschichte der Yuan-Dynastie) bekannt, dass der Kaiser im Jahre 1320 von Kambodscha Elefanten forderte und im Jahre 1330 eine kambodschanische Gesandtschaft an den chinesischen Kaiserhof kam.8 Zwischen dem 14. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts gibt es kaum schriftliche Quellen zur Geschichte Kambodschas. Weil keine neuen Tempel errichtet wurden, aber auch aus diesem Zeitraum von Stiftungen buddhistischer Klöster nichts überliefert ist, existieren auch keine Inschriften aus dem Kerngebiet der Khmer. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Inschriften in der Khmersprache gab, derer sich jetzt die Thai-Könige von Sukhothai bedienten, z. B. in den Inschriften K. 413 des Königs Ḷidayarāja mit den Daten Freitag, 26. Mai 1346 und Mittwoch, 22. September 1361.9

2.2. Das 15. und 16. Jahrhundert In Kambodscha erfolgte im 15. Jahrhundert der Wechsel der Hauptstadt von Angkor zu den weiter südlich gelegenen Machtzentren, d. h. erst nach einer längeren Übergangsphase, die von Thai-Angriffen gegen Angkor und der zeitweiligen Besetzung der alten Metropole durch das expandierende Thai-Königreich von Ayutthaya geprägt war. Phnom Penh gewann offensichtlich wegen seiner vorzüglichen Lage am Zusammenfluss von Mekong und dem Tonle Sap große Bedeutung. Die auch als Čadŏmukh („Vier Gesichter“) bezeichnete befestigte Stadt kontrollierte den Flusshandel mit Laos und auf dem Tonle Sap und war vor allem wegen der größeren Nähe zum Ozean für den Überseehandel geeigneter. Gesicherten historischen Boden betritt man erst wieder in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als Berichte von Europäern als weitere Informationsquellen hinzukommen, zunächst die der Portugiesen, die sich bald nach der Entdeckung des Seeweges nach Indien (1498) in Goa

7 Cœdès 1936: 15. 8 Pelliot 1904: 240 Anm. 5. 9 Cœdès 1917: 1–47.

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(1510), aber auch weiter östlich in Malakka (1511) festsetzten. Einer der ersten dieser Berichte ist die zwischen 1512 und 1515 verfasste Suma Oriental des Tomé Pires (1465?-1540?). Dieser beschreibt Kambodscha als ein kriegerisches Königreich, das niemandem untertan und für die Fülle der Produkte, die man dort erwerben kann, bekannt ist; seine Aussagen beruhen jedoch nicht auf eigener Anschauung.10 Mit der Regierung des Königs Cănd (Candrarāja, 1530–1566) setzen dann auch wieder Inschriften ein. Er machte Loṅvek zur neuen Hauptstadt. Nach einer einheimischen Chronik errichtete er 1533 in dem um 900 erbauten angkorischen Heiligtum von Phnoṃ Bằkhèṅ eine Buddhastatue, die 1583 von seinem Enkel restauriert wurde. Bemerkenswert ist die durch den König angeordnete nachträgliche Reliefierung des Nordflügels der Ostgalerie und des Ostflügels der Nordgalerie am Tempel von Aṅkor Vằt, die laut den Inschriften K. 296 vom Mittwoch, dem 8. September 1546, und K. 297 vom Sonntag, dem 27. Februar 1564, vom früheren Herrscher Mahāviṣṇuloka, einer anderen Bezeichnung für den Paramaviṣṇuloka der Inschriften K. 298, nicht mehr vollendet werden konnte.11 Dies zeigt, dass man sich im 16. Jahrhundert durchaus noch des Tempelstifters erinnerte (der nur unter seinem postumen Namen bekannt ist). Das Bildprogramm mit viṣṇuitischen Figuren12 lässt erkennen, dass Viṣṇu als bedeutendes Symbol der Monarchie integraler Bestandteil des inzwischen offiziell gewordenen Theravāda war, denn nach einer Legende soll Viṣṇu zusammen mit dem viergesichtigen Buddha vom Norden herabgestiegen sein, um Phnom Penh zu gründen.13 Zunehmend sollten auch das Rāmāyaṇa und insbesondere sein (buddhistisch umgedeuteter) Held Rāma eine bedeutende Rolle spielen. Dieses Aufgreifen der alten Tradition der Angkor-Zeit geht Hand in Hand mit der Wiederbenutzung der alten Tempel – besonders dem von Aṅkor Vằt –, die in der Folgezeit theravāda-buddhistische Einrichtungen werden, und an denen Mitglieder der Elite Inschriften anbrachten, in denen ihre religiösen, stark von einer Laien-Frömmigkeit geprägten Wünsche zum Ausdruck kamen, die teilweise sogar recht weltliche Züge tragen. Ein weiteres Beispiel für die Nutzung älterer Heiligtümer ist der von Jayavarman VII. in Vằt Nokor, Provinz Kŏ`ṃpoṅ Čàm, errichtete Mahāyāna-Tempel, der laut der Inschrift K. 82 vom 1. Juli 1566 in einen Stūpa umgewandelt wurde.14 In diesem Text wird nach langer Zeit wieder der zukünftige Buddha Maitreya genannt, der von da ab als Heilsfigur gilt, die die

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Groslier 1958: 142–144. Cœdès 1962: 235–243. Boisselier 1962: 244–248. Thompson 2004a: 32. Siehe Filliozat 1969: 93–106, der irrtümlich als Datum den 15. Juli 1566 (d. h. den 14. dunklen Āṣāḍha) errechnete: der Mond tritt aber nur am 14. hellen Āṣāḍha in das genannte Nakṣatra Mūla ein, siehe Golzio 2006a: 139. Zur späteren Nutzung siehe auch Thompson 1996.

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Größe des Landes wiederherstellen wird.15 Cănd ist auch nach den Chroniken der große Förderer des Theravāda-Buddhismus, dessen Einfluss offensichtlich so groß war, dass der 1556 aus Malakka an den Hof von Loṅvek gekommene portugiesische Dominikaner Gaspar da Cruz (1520–1570)16 missionarisch nicht viel ausrichten konnte, weil der buddhistische Saṅgha zu großen Einfluss auf die Bevölkerung ausübte. Einer seiner Nachfolger, Jayajeṭṭhā I., wird in den Inschriften K. 465 und K. 285 aus Phnoṃ Bằkhèṅ vom 12. Juni 1583 im Zusammenhang mit der Restauration von Buddhastatuen genannt.17 Eine große Buddhastatue in parinirvāṇa-Haltung (in der der Buddha aber entgegen der Norm auf der linken Seite liegt) wurde in Práḥ Aṅ Thom in den Kulên-Bergen errichtet, wie die Inschrift K. 715 vom 21. Oktober 1586 mitteilt.18 Nach der Inschrift IMA 3 mit den Daten Mittwoch, 22. Juli 1579 und Sonntag, 2. August 1579 wurde der zentrale Turm von Aṅkor Vằt (Biṣṇulok) wieder aufgebaut und mit Gold verkleidet.19 Die Inschrift IMA 4 vom Sonntag, dem 10. Januar 1599,20 berichtet, dass ein hoher Würdenträger und seine Frau Statuen am Pākāṇ (einer Galerie des Aṅkor Vằt) restaurierten, einen Stūpa erbauten, einen Bodhi-Baum pflanzten und Handschriften des Pāli-Abhidhamma und der Jātaka-Geschichten anfertigen ließen. Auch die Chroniken (zu ihnen siehe weiter unten) wissen von zahlreichen anderen neu errichteten Stūpas in dieser Zeit zu berichten, ein Zeichen für die zunehmende Theravādisierung Kambod-

15 Thompson 2004a: 19–35. Im Pāli-Teil der Inschrift wird der Protagonist mit den postumen Namen Siri Sogandhapada oder Mahāparamanibbānapada vorgestellt, womit hier vielleicht Jayavarman VII. gemeint ist, dessen postumer Name laut der Inschrift K. 488 allerdings Mahāparamasaugata lautet. Der postume Name Mahāparamanirvāṇapada kommt jedoch in einer Inschrift von Jayavarman VII. (K. 906) vor und bezeichnet dort wohl den von den Cham im Jahre 1177 besiegten König Tribhuvanāditya. Vermutlich ist hier aber doch Jayavarman VII. gemeint, von dem gesagt wird, er weile im Tuṣita-Himmel und werde künftig cakravartin sein, bis Maitreya (in der Inschrift: Meteyya) vom TuṣitaHimmel herabkomme. Dann werde er sein weltliches Leben aufgeben und schließlich den Zustand eines arahant erreichen. Thompson 2004a: 23 zieht auch in Erwägung, dass es sich bei dem postumen Namen um den des Cănd handeln könne, der laut der zwischen 1929 und 1934 kompilierten Chronik Vāṃn Juon 1567 starb, wobei diesem Datum keine Zuverlässigkeit beigemessen werden kann, so dass 1566 als Todesjahr ebenfalls möglich ist. 16 Verfasser des Tractado em que se cõtam muito por esteso as cousas da China; siehe seinen Bericht in Boxer 1953: 45–239, insbesondere 62f. 17 Khin Sok 1978: 277. 18 Siehe Khin Sok 1980: 133f.; Harris 2005: 33, 62 nennt irrtümlicherweise als Datum 1568 (vielleicht eine Vertauschung der Zahlen). 19 Lewitz 1970: 106–118. 20 Das von Lewitz 1971: 108f. angegebene Datum Śaka 1502 (1580 n. Chr.) kann nicht zutreffen, da es sich um kein „Jahr des Hundes“ (anakhsatr chnām) handelt und auch die übrigen Angaben damit nicht in Einklang zu bringen sind. Das von Harris 2005: 35 gewählte „Hundejahr“ Śaka 1508 (1586 n. Chr.) führt aufgrund der restlichen Angaben zu keinem richtigen Ergebnis. Lediglich bei einer Verdrehung der Einer- und Zehnerzahl, d. h. Śaka 1520 statt 1502 kommt man zu einem übereinstimmenden Ergebnis, siehe Golzio 2006a: 195f.

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schas, bei der nicht so sehr Mönchs- und Laienethik und das Streben nach dem Nibbāna im Vordergrund standen, sondern der schützende Aspekt der Religion. Dies umso mehr, als die Thai, obwohl Glaubensbrüder, 1594 die Hauptstadt Loṅvek eroberten, was im Bewusstsein der Khmer als äußerst schmerzlich empfunden wurde. Trotz der darauf folgenden Turbulenzen war Kambodscha am Ende des 16. und das ganze 17. Jahrhundert über eine blühende Handelsnation, was auch durch europäische Berichte hervorgehoben wird. Möglicherweise entstand im Zusammenhang mit der Installation des Śrī Suriyabarṇ als Paramarāja V. (1603–1619) zum König das Rāmakerti, die kambodschanische Version des altindischen Epos Rāmāyaṇa.21 Der König suchte nach diesen Jahren der Wirren das Reich neu zu organisieren. Unter ihm begann auch die Kodifizierung des an Theravāda-Prinzipien ausgerichteten Rechts in Textsammlungen, die gewöhnlich als cpāp' bezeichnet werden, was so viel wie „packen“, „nehmen“, „beginnen“ bzw. „unternehmen“ (nämlich ein literarisches Werk) bedeutet. Andere Bezeichnungen sind duṃnīṃ („Tradition“), kraṃ („Dekret“, „Code“; von skt. karman) sowie rājakrit („königliches Dekret“), wie z. B. der Braḥ rājakrit prābhaḍabīsaek, dessen frühestes Datum Donnerstag, dem 26. Dezember 1613, entspricht.22

2.3. Kambodscha verliert seine Souveränität (17. und 18. Jahrhundert) Neben den europäischen Handelsnationen (Portugal, Spanien, Niederlande) gab es auch eine starke japanische Präsenz. Angkor war zu dieser Zeit offensichtlich ein Anziehungspunkt für ausländische Buddhisten, insbesondere Japaner, die zwischen 1612 und 1632 insgesamt 14 Tusche-Inschriften in Aṅkor Vằt hinterlassen haben.23 Von diesen stammen sechs aus dem 17. Jahr der Ära Keichō (1612), eine aus einem unbestimmten Jahr derselben Ära (1596–1615), vier aus dem neunten Jahr der Ära Kan’ei (1632) und drei unbekannten Datums (MÉC I: 171). Unter dem Shōgun Tokugawa Iemitsu (reg. 1623–1651) wurde zwischen 1623 und 1636 sogar ein Plan des Aṅkor Vằt angefertigt, der den Autoren als der berühmte, einst dem Buddha gestiftete Jetavana galt und demzufolge Südostasien als Teil der altindischen Landschaft Magadha betrachtet wurde.24 Die Bezeichnung als Jetavana erscheint auch in der undatierten Inschrift K. 1006 aus den Kulên-Bergen,25 die in Thai verfasst, aber im Khmer-Alphabet geschrieben ist, wo im Zusammenhang mit der Restaurierung einer Buddhastatue von braḥ jetabal die Rede ist. 21 22 23 24 25

Pou 1977: 201f. Mikaelian 2009: 48. Thompson 2004b: 208. Péri 1923: 119–126. Vickery 1982: 77–86.

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Aus der Zeit zwischen den Königen Jayajeṭṭhā II. (reg. 1619–1627) und Nan (reg. 1640–1642), d. h. zwischen 1622 und 1640, sind insgesamt 17 Stifterinschriften in Aṅkor Vằt erhalten.26 Diese sind immer mit konkreten Wünschen für zukünftiges Heil oder Glück verbunden. In der Inschrift IMA 10 von Sonntag, dem 20. Februar 162827 spricht die Dame Udayapaññā verschiedene Wünsche je nach Verdienst für andere Personen aus: sie erstrecken sich von Wiedergeburten im Himmel der 33 Götter (bimān traiytrīṅ) über die in der Himmelswelt (sūrgg), um das Nibbāna zu erlangen, bis hin zu dem Wunsch, dass man dann, wenn man als männlicher Laie wiedergeboren wird, die besten und schönsten Frauen besitzen möge. Auf eine enge Verbindung des Hofes zum organisierten buddhistischen Klerus weist die Inschrift von Vằt Práḥ Nirpãn, Provinz Kŏ`ṃpoṅ Spu’ (K. 75) vom Mittwoch, dem 20. Juni 1628, hin, in der berichtet wird, dass die Mutter des regierenden Königs Cau Bañā Tū alias Dhammarāja I. (reg. 1627–1632) dem dortigen Abt Reisfelder geschenkt habe.28 Erstmals wird in der Inschrift IMA 17 vom Donnerstag, dem 1. Juli 163229 der Name Aṅkor Vằt (als nagar vāt) erwähnt, wobei damit zu diesem Zeitpunkt vielleicht die gesamte Stadt gemeint war, weil in derselben Inschrift auch der Begriff bisnulok verwendet wurde.30 Die politische Geschichte war weiterhin durch unruhige Zeiten gekennzeichnet, in deren Verlauf 1642 Rāmādhipati I. durch einen Staatsstreich an die Macht kam und sich unter dem Namen Ibrāhīm zum Islam bekehrte. Obwohl er dem Buddhismus gegenüber nicht feindselig auftrat, fühlten sich die Anhänger dieser Religion doch zurückgesetzt. Schließlich schürten rivalisierende Prätendenten den Unmut und in den 1650er Jahren wandte man sich an die in Phú Xuân (dem späteren Huế) residierende vietnamesische Dynastie der Nguyễn mit der Bitte um Hilfe im Kampf gegen den vom Buddhismus abtrünnigen König. Dies führte schließlich dazu, dass vietnamesische Truppen im Jahre 1658 im Verein mit lokalen Kräften aus dem östlichen Kambodscha den muslimischen Monarchen besiegten. Damit begann eine stärkere Einflussnahme der Vietnamesen, die Kambodscha zunehmend in ihre Abhängigkeit brachten, und dies umso stärker, als der Überseehandel zum Erliegen kam. Neben dieser äußeren Zäsur traten auch geistesgeschichtliche Umbrüche auf, die eine Abkehr von der Angkor-Kultur bzw. einen Wissensverlust in Bezug auf diese signalisieren. In der Inschrift IMA 2731 vom Dienstag, dem 14. Juli 1671, erscheint die weitere Umformung des Namens des Tempels Aṅkor Vằt von nagar vāt in aṅgar vāt, aber noch wichtiger ist die Tatsache, dass seine Erbauung hier nicht mehr einem irdischen König zugeschrieben wird, sondern dem göttlichen Baumeister Viśvakarman, der hier Viṣṇukarman ge-

26 27 28 29 30 31

IMA 7 bis 23; siehe Lewitz 1971; 1972; 1973a. Lewitz 1972: 221–224. Pou 1989: 33–35. Lewitz 1973a: 164f. Pakdeekam 2007: 215. Lewitz 1973b: 209–212.

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nannt wird, im Auftrage des Gottes Indra durchgeführt wurde,32 ein erster Hinweis auf eine Neuinterpretation der Vergangenheit unter theravāda-buddhistischen Vorzeichen, die dann in den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts erscheinenden Chroniken voll ausgeprägt ist. Diese geistesgeschichtliche Abkoppelung von einer großen Vergangenheit ging einher mit einer zunehmenden außenpolitischen Isolierung und Anfang des 18. Jahrhunderts mit dem Verlust des Mekong-Deltas an die Nguyễn. So wurde aus der Kleinstadt Prei Nokor das vietnamesische Gia Định (Saigon). Es ist hier nicht der Ort, die politische Geschichte des 18. und des 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen, aber es sei hier das Grundmuster hervorgehoben, dass Kambodscha nicht nur in die Abhängigkeit von den Nguyễn geriet, sondern auch die Thai dort ihrerseits Machtpolitik betrieben. So stellten z. B. diese beiden Mächte häufig Prätendenten auf, was immer wieder dazu führte, dass Kambodscha zum Kampfplatz wurde.33 Im Gefolge dieser Auseinandersetzungen wurde das Mekong-Delta von den Vietnamesen annektiert. Neben diesen territorialen Verlusten war aber auch das kulturelle Gedächtnis an die Angkor-Zeit verloren gegangen. Die Khmer begannen jetzt zwar, nach dem Vorbild der Thai Chroniken zu schreiben, aber in dem Bestreben, eine kontinuierliche Geschichtsschreibung des Landes zu präsentieren, entstand eine fiktionale Historiographie für die Zeit vor dem 15. Jahrhundert, über deren Realien offensichtlich nichts mehr bekannt war. Denn während Cănd sich durchaus noch bewusst war, dass der nur unter seinem postumen Namen bekannte König Mahāviṣṇuloka den Tempel von Aṅkor Vằt erbaut hatte, wird dies jetzt einem legendären König Araṭṭhabalabāhasor oder Kătumālā zugeschrieben, der in der 1869 erstellten Chronik Vatta Kok Kāk (KK) noch undatiert ist, während er nach der erst 1934 kompilierten Chronik Vāṃn Juon (VJ) im Jahre 78 n. Chr. den Thron bestiegen haben soll (CR I, 63ff.), also dem Jahr 1 der in ganz Südostasien gebräuchlichen Śaka-Ära. Die Geschichte beginnt in den Chroniken ganz im Stil der ceylonesischen Inselchroniken Dīpavaṃsa und Mahāvaṃsa (die in Bezug auf Südostasien aber nur von der Missionierung Birmas durch den indischen König Aśoka berichten)34 mit einigen Cham-Königen und nennt Práḥ Thoṅ als ersten Herrscher von Angkor, der nach VJ angeblich 267 v. Chr. den Thron bestieg (CR I, 43).35 Dieser soll

32 Pakdeekam 2007: 216. 33 Siehe Golzio 2011: 145–149. 34 Siehe dazu Golzio 1996: 17–28. Allerdings fehlt hier die auch in Birma erst spät kursierende Geschichte vom Besuch des Buddha im Land als Zeichen für eine „Auserwähltheit“ durch den Religionsstifter selbst. 35 Gerade diese sehr späte Chronik ist ein gutes Beispiel dafür, dass hier bereits Ergebnisse der modernen Wissenschaft eingeflossen sind, denn das Datum 267 v. Chr. korrespondiert mit der seit James Prinsep 1838 erschlossenen Datierung des Jahres der Thronbesteigung des indischen Königs Aśoka, während die Geschichte von der Verbindung des Gründer-Königs mit einer Nāgī (Schlangenprinzessin) ihre Entstehung wohl den Arbeiten von Cœdès 1911; Goloubew 1924 und Przyluski 1925 über die in chinesischen Chroniken des 5.-6. Jh. überlieferte Geschichte des Kauṇḍinya-Klans, die von diesen Gelehrten mit einem mythischen Helden dieses Namens in Verbindung gebracht wurde, verdankt.

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dort nach einer Tradition einen Stūpa erbaut haben, um die ihm von Aśoka gesandten Buddhareliquien zu beherbergen.36 Unter dem mythischen König Dāv Vaṅs Ascāry, der nach VJ im Jahre 1 n. Chr. den Thron bestiegen haben soll, erbaute eine Wiedergeburt des indischen Handwerkergottes Viśvakarman (hier: Viṣṇukarman) für den König die Tempelanlagen des Bàyon, des Bàphûon und des Phĭmănàkàs. Mehrfach wird erwähnt, wie buddhistische Mönche aus Sri Lanka in das Land kamen und unter anderem auch den Pāli-Kanon (Tipiṭaka) und den für den König von Laos bestimmten „SmaragdBuddha“ mitbrachten (Ende des 12. Jahrhunderts nach VJ, siehe CR I, 114f.). Nach einer anderen Version (P 58) erlitt der berühmte, in Sri Lanka (im 5. Jahrhundert) tätige buddhistische Gelehrte Buddhaghosa im Jahre 768 mit fünf seiner Kollegen Schiffbruch in der Nähe von Phnom Penh: auf diese Weise gelangten die uṇṇalomaReliquie (die Haare zwischen den Augenbrauen) des Buddha, der Vinaya und der Abhidhamma sowie der Smaragd-Buddha nach Kambodscha (CR I: 359). Diese heiligen Güter wurden auf die verschiedenen Klöster der Stadt verteilt, die Haarreliquie kam in das nach ihr benannte Vằt Uṇṇālom (CR I: 358–359),37 in dessen Umfriedung sich de facto schon ein Turm im Angkor-Stil aus dem 12./13. Jahrhundert nachweisen lässt,38 ein Hinweis darauf, dass Phnom Penh bereits lange vor seiner in den Chroniken berichteten Gründung (angeblich 1434) von Bedeutung war.39

2.4. Die Religion als identitätsstiftende Kraft Die Übermacht der beiden Regionalmächte Vietnam und Thailand führte dazu, dass sie Kambodscha als ihr Kind betrachteten und sich selbst als ein ständig zerstrittenes Elternpaar, das sich um den Schutz eines schwachen, aber ungehorsamen Nachwuchses zu kümmern hatte. In dieser Weise hatte sich zum Beispiel der vietnamesische Kaiser Gia Long (reg. 1802–1820) geäußert: „Kambodscha ist ein kleines Land, das wir als ein Kind behandeln sollten. Wir werden seine Mutter sein und Siam sein Vater.“ Der neue Kaiser Minh Mạng (reg. 1820–1841) versuchte dann sogar, Kambodscha zu annektieren und Sprache, Sitten und Religion des Landes zugunsten einer völligen Anpassung an Vietnam zu unterdrücken, was zu heftigen Aufständen und einem Eingreifen der Thai führte. Dies machte Kambodscha zu einem permanenten Schlachtfeld, bis sich beide Mächte einigten, ihre 36 So nach Harris 2005: 29, der sich dabei auf die mir nicht zugängliche Arbeit von Ashley Thompson, Mémoires du Cambodge, PhD. Thesis, Université de Paris VIII, Paris 1999: 100 bezog. 37 Alle diese Legenden sind bei Harris 2005: 29f. knapp dargestellt. 38 Bernon 2001: 249–260. 39 Golzio 2006b: 25f.

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Truppen abzuziehen und mit Ḍuoṅ (1843/1848–1860) einen König zu installieren, der als Vasall der beiden Mächte das seiner traditionellen Würde entkleidete kambodschanische Königtum in Zeremonien, die sich über mehrere Monate hinzogen, feierlich restaurierte. Die traditionelle Kultur des Landes war fast völlig vernichtet: die Klöster, aus denen man die goldenen und silbernen Buddhas geraubt hatte, waren geplündert und viele sogar niedergebrannt worden. Die Mönche selbst werden als nicht vertraut mit den buddhistischen Lehren geschildert, zumal nur noch wenige heilige Schriften erhalten waren. Der neue König war beim Wiederaufbau des Landes besonders auf die Förderung des Buddhismus und seiner Prinzipien bedacht. So ließ er nicht nur neue Klöster erbauen, sondern versuchte, den Genuss von Alkohol und Opium einzuschränken, und verurteilte die Jagd und die schlechte Behandlung von Tieren. Er bereitete persönlich die Nahrung für Mönche zu, lehrte sie liturgische Gesänge und forderte sie auf, Wohnstätten für Obdachlose bereitzustellen. Nach dem Vorbild des indischen Königs Aśoka aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., der nach Theravāda-Verständnis der buddhistische Idealherrscher schlechthin war, erbaute er auch Rasthäuser entlang der Hauptstraßen des Landes. Ḍuoṅ musste sich gezwungenermaßen zum Vasallen beider Nachbarstaaten erklären. Doch waren seine Bindungen an Thailand ungleich stärker als die an Vietnam, das er in einem an Frankreich gerichteten Schreiben als „traditionellen Feind“ bezeichnete. Olivier de Bernon hat anhand einer auf 1857 datierten Stiftung (Inschrift K. 892) an ein kleines Kloster gezeigt,40 welche religiösen Texte in Kambodscha zirkulierten, die fast alle auf Khmer verfasst waren, sowohl Originale als auch Übersetzungen wie Jātakas, Abhidhamma- und Milindapañha-Texte. Neue Entwicklungen setzten dann mit dem zunehmenden Einfluss europäischer Mächte und westlichen Denkens ein. Aus Thailand, wo seit 1851 der ehemalige Reformabt Mongkut als Rama IV. regierte (er hatte in seiner Zeit als Abt Latein und Englisch gelernt und war mit westlichem Gedankengut vertraut), wurde der von ihm ins Leben gerufene Reformorden Thammayutnikai (Thommayut auf Khmer) in Kambodscha eingeführt, der sich an den im Kanon überlieferten Lehren des Buddha orientieren sollte, womit eine Neuausgabe des Kanons und die Pflege der Pāli-Studien einhergingen. Mongkut schwebte bei seinen Reformen zudem vor, die buddhistischen Lehren als im Einklang mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft darzustellen, so dass er z. B. die Jātaka-Geschichten als unkanonisch bekämpfte. Die Mehrheit des als Mahanikai bezeichneten Ordens lehnte jedoch die Reformen ab, was zu Spannungen zwischen beiden Richtungen führte. Diese Spannungen übertrugen sich naturgemäß auf Kambodscha. 1854 hatte Ḍuoṅ in Bangkok darum ersucht, ihm ein vollständiges Pāli-Tipiṭaka zu schicken, weil eine derartige Ausgabe zu jener Zeit in Kambodscha nicht existierte. Eine Gruppe von Thai-Mönchen

40 Bernon 2012: 371–399.

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brachte daraufhin achtzig Bündel mit heiligen Schriften nach Udŏṅ, wo der Thommayut-Orden sich königlicher Unterstützung erfreute. Führer dieser Delegation war der in Thailand umordinierte kambodschanische Mönch Mahā Pan (1824– 1894), der vom König zum Abt des Klosters Vằt Nãk Tā Sŏṅ in Udŏṅ ernannt wurde.41 Daran kann man ermessen, wie Thailand neben seinem politischen auch den religiösen Einfluss auf Kambodscha verstärkte.

2.5. Unter dem französischen Protektorat Um sich den Fängen seiner Nachbarn zu entziehen, schloss der neue König Norodom (reg. 1860–1904) einen Protektoratsvertrag mit Frankreich, das schrittweise Reformen im Land einführte. Doch nicht alle Neuerungen gingen von Frankreich aus. Beinahe unmittelbar nach der Verlegung der Hauptstadt nach Phnom Penh wurde ein altes Kloster namens Vằt Khpop Ta Yaṅ in der Nähe des neu errichteten Königspalastes in Vằt Botŭm Vodĕi (Padumavatī) umbenannt und nach einem Grenzziehungsritual (nadī sīmā) zum Mittelpunkt des Thommayut-Ordens geweiht.42 Mahā Pan wurde dort unter dem Namen Samdec Práḥ Sugandh saṅgharãc des Thommayut-Ordens. Obwohl die Mitglieder dieses Ordens eine Minderheit bildeten, war ihr Prestige aufgrund ihrer engen Verbindung zur Monarchie sehr groß, während der Mahanikai in den meisten Landesteilen viel einflussreicher blieb. Beispiele dafür bieten die Rezitation des Vessantara-Jātaka bei Bestattungen und Predigten (um an die Freigebigkeit zu appellieren) und des Nimi-Jātaka, das an die Frucht guter und schlechter Taten (in den verschiedenen Himmeln und Höllen) erinnert.43 Aufgrund der engen Verbindungen der Thommayut-Mönche zu Thailand betrachteten die Franzosen diese als eher widerspenstig. So gab es häufig Streitigkeiten zwischen den beiden Orden, aber im Laufe der Zeit nahmen auch dem Modernismus gegenüber aufgeschlossene Mönche des Mahanikai Praktiken des Thommayut-Ordens an, wie die Rezitation des Pāli, das Tragen der Robe und die Feier von Buddhas Geburt, Erleuchtung und Tod (vissakh boca), letzteres erst unter König Sisovath.44 Jedenfalls übersiedelte auch der saṅgharãc des Mahanikai, Tīeṅ (1823–1913), mit der Verlegung der Hauptstadt ins Vằt Uṇṇālom.45 Er wurde dafür gerühmt, Pāli, Sanskrit und Thai fließend zu beherrschen und gelegentlich als Vermittler aufzutreten. Außerdem gehörte er zum Reformflügel inner41 42 43 44 45

Lingat 1933: 102. Lewitz 1967: 436. Leclère 1899: 214. Harris 2005: 107. Die Inschrift K. 1211 berichtet davon, dass er zwischen 1868 und 1880 den Neuaufbau des Klosters veranlasste; vgl. Bernon 2001: 256f., der aufgrund falscher Berechnungen die Jahreszahlen 1867 und 1879 nennt.

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halb des Mahanikai, der im Allgemeinen Thai-freundlich und einer rationalistischen Betrachtungsweise der buddhistischen Religion aufgeschlossen war.46 Dieser Flügel bildete zusammen mit dem Thommayut das „progressive“ Lager, während der von Bizot als „alter Mahānikāya“ bezeichnete Orden anti-Thai und antimodernistisch war.47 Neben der „Hochreligion“ existiert aber bis auf den heutigen Tag die Verehrung von Schutzgeistern oder Genien (năk tà), von denen viele ehemals hinduistische Götter sind. Bei der Darstellung der religiösen Symbiose oder gegenseitigen Durchdringung einheimischer und indischer Göttervorstellungen seit der Vor-AngkorZeit waren einheimische religiöse Vorstellungen stärker zurückgetreten, jedoch keineswegs ganz verschwunden. In den unteren Strata der Gesellschaft wird man in diesem Zeitraum ebenfalls mit dem hinduistischen Pantheon vertraut gewesen sein, jedoch ohne die Komplexität philosophischer Systeme, die dahinter stehenden Glaubenswelten und die Rituale nachzuvollziehen. Es ist aber damit zu rechnen, dass diese Gottheiten durch Statuen einen großen Bekanntheitsgrad erreicht hatten und ihr mythologischer Hintergrund nicht verborgen blieb. Mit dem Siegeszug des Theravāda wurden sowohl der Hinduismus als auch das Mahāyāna ihrer führenden Stellung in der Gesellschaft beraubt und verloren diese in gewisser Weise auch auf dem Land; dort spielten aber deren „degradierte“ Götter in der Funktion von Schutzgeistern weiterhin eine bedeutende Rolle. Oftmals treten die năk tà paarweise auf: bei jenen, die ein bestimmtes Gebiet vertreten, ist die zweite Person häufig die Frau oder der Buddha, die gemeinsam schützend wirken.48 Die hinduistischen Schutzgeister hingegen erscheinen zumeist singulär wie z. B. der elefantenköpfige Konés (Gaṇeśa), Ind (Indra), Isūr (Śiva, abgeleitet von Īśvara) bzw. Aspekte von ihm wie Kanghar Daek („Eisenrad“, d. h. die Strahlenkrone seines Kopfes) und Krāhām Kā („Rothals“) sowie Me Sa („Weiße Mutter“), d. h. Mahiṣāsuramardinī. Dieser wurden anlässlich der Niederschlagung eines Aufstandes in der Gegend von Bà Phnoṃ auf königliche Anordnung zwei Anhänger des rebellischen Prinzen Sivotha durch Kopfabschlagen geopfert.49 Wenn die năk tà jedoch buddhisiert sind, ist sowohl das Opfern von Tieren als auch von Alkohol ausgeschlossen; stattdessen wird Reis gespendet.50 Der oft mit dem Buddha auftretende Schutzgeist ist die weibliche năk tà Baromi, d. h. Prajñāpāramitā.51 Oft sind Bäume oder Steine die Aufenthaltsorte dieser Genien. Wenn man in Kontakt zu diesen treten will, müssen diese menschliche Gestalt (rūp) in Form eines Mediums 46 Bereits im 19. Jh. konnte Leclère 1899: 130–133 beobachten, dass die Entmythologisierung des Buddhismus unter den Mönchen Fortschritte machte und diese auch kosmologische Vorstellungen in Frage stellten. Siehe auch Hansen 2004: 52–54. 47 Bizot 1993: 66. 48 Forest 1992: 29. 49 Chandler 1974. 50 Forest 1992: 56. 51 Forest 1992: 80–82.

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annehmen. Die kritische Einstellung des Thommayut-Ordens gegenüber solchen Elementen wurde nach dem Ersten Weltkrieg durch die moderne BuddhismusForschung noch verstärkt, so dass es zu Auseinandersetzungen zwischen Absolventen von Pāli-Schulen (insbesondere die 1914 von Sisovath begründete) und älteren Dorfmönchen kam. Ukñā Suttantaprījā Ind (1859–1924), einer der Protagonisten des Modernismus, bekämpfte z. B. lokale religiöse Praktiken wie etwa die Verehrung eines magischen Bullen (práḥ kô), Vertrauen in Heiler (grū) oder den Ahnenkult, indem er auf die Bedeutung des satisampajañña, Achtsamkeit und Unterscheidungsfähigkeit, hinwies.52 Aufgrund dieser Spannungen wurde auf Veranlassung von König Sisovath 1918 eine königliche Verordnung erlassen, die Kritik am überkommenen religiösen Brauchtum untersagte und mit einem Verbot der Gegenüberstellung von Traditionalismus und Modernismus einherging.53 Ausgelöst wurde dies unter anderem durch die Gründung der Thommakāy-Gruppe (pāli dhammakāya) innerhalb des Mahanikai, insbesondere durch Chuon Nath (1883– 1969) und Huot Tath (1891–1975), die sich in Predigten gegen die vorherrschende Interpretation der Vinaya-Regeln wandten und darüber hinaus die Ansicht vertraten, viele traditionelle Texte könnten unmöglich den Worten des Buddha entsprechen und seien durch spätere Ausschmückungen verderbt worden.54 Beide studierten in den 1920er Jahren in Hà Nội unter Louis Finot. Aber allein die Öffnung gegenüber modernem Denken führte auch unter den Mönchen zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart und zu einem politischen Bewusstsein, das sich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges unter anderem in Aufrufen zum Widerstand manifestierte. Um den Einfluss der Thai auf den kambodschanischen Buddhismus einzudämmen, wurde im Jahre 1930 das Institut Bouddhique gegründet, dessen Leiterin Suzanne Karpelès (1890–1968) wurde, die sich bereits 1925 für die Gründung einer Königlichen Bibliothek in Phnom Penh eingesetzt hatte. Sekretär dieses Instituts wurde 1935 der in Vietnam geborene und in Frankreich ausgebildete Sơn Ngọc Thành (1908–1977). Andere bedeutende Mitarbeiter waren zwei frühere Mönche und Gelehrte namens Mean (später bekannt unter dem Namen Sơn Ngọc Minh, 1920–1972) und Sok (Tou Samouth, ca. 1915–1962), beide ethnische Khmer aus dem Süden Vietnams.55 Neben ihnen wurden zum Sprachrohr eines jetzt erwachenden kambodschanischen Nationalgefühls das Lycée Sisowath, das Institut Bouddhique und die 1936 von Pach Chhoeun und Sim Var (1906–1989) gegründete Zeitschrift Nagara Vatta („Angkor Vat“). Deren prominentester Mitarbeiter wurde recht bald Sơn Ngọc Thành. Nagara Vatta war die erste in Khmer verfasste Zeitschrift, die zwar für die Belange der Kambodschaner eintrat, aber anfangs keinesfalls antifran52 53 54 55

Hansen 2004: 55–60. Siehe dazu Sarkisyanz 1975: 415–417. Harris 2005: 106–108. Keyes 1994: 49.

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zösisch war. Sie bemängelte in erster Linie die Überrepräsentanz von Vietnamesen in der Verwaltung und die beherrschende Stellung von Chinesen in der Wirtschaft. Dies ging einher mit dem Fehlen von angemessenen Beschäftigungsmöglichkeiten für ausgebildete Kambodschaner, etwa bei den Gummiplantagen, bei deren Bewirtschaftung sich die Franzosen auf vietnamesische Arbeitskräfte stützten.56 Das Leitthema von Nagara Vatta war daher der Gegensatz zwischen den benachteiligten Einheimischen und den Vietnamesen, was gewiss auch antivietnamesische Ressentiments hervorrief, obwohl Sơn Ngọc Thành eher freundschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Völkern anstrebte.57 Die Herausgeber dieser Zeitschrift versuchten die buddhistische Lehre so zu interpretieren, dass sie in Einklang mit den aufkeimenden nationalistischen Hoffnungen stand, obwohl es ihnen an Kenntnis der Pāli- und Khmerquellen mangelte. Ihre Leserschaft setzte sich hauptsächlich aus jungen Khmer in niedrigen Beamtenrängen zusammen, die dadurch zum ersten Mal die Möglichkeit hatten, über Ereignisse außerhalb Kambodschas in ihrer Muttersprache zu lesen. Das Jahr 1941 war durch eine Niederlage von Vichy-Frankreich gegen Thailand, die Einsetzung des Prinzen Sīhanuk (1922–2012) als König und die Okkupation Indochinas unter Beibehaltung der französischen Administration durch Japan gekennzeichnet. Viele kambodschanische Intellektuelle gehörten zu dieser Zeit dem buddhistischen Orden an und hatten Verbindungen zum Institut Bouddhique und zu Nagara Vatta. Als diese Zeitschrift nicht zuletzt unter dem Eindruck der japanischen Erfolge dann zwischen 1940 und 1942 immer mehr eine projapanische und antikoloniale Richtung einschlug, hatte dies häufig eine Zensur durch die französischen Behörden zur Folge. Dies hinderte Sơn Ngọc Thành und seine Mitarbeiter jedoch nicht daran, offen die Zusammenarbeit mit den Japanern zu suchen. Einer der Mönche, die Artikel subversiven Inhalts für diese Zeitschrift schrieben, war Hem Chieu (1898–1943), der daraufhin am 17. Juli 1942 verhaftet wurde, ohne die Gelegenheit zu bekommen, den Orden durch ein entsprechendes Ritual zu verlassen. Daraufhin bereiteten die aufgebrachten Mönchskollegen Hem Chieus und die um Nagara Vatta gescharten Nationalisten gemeinsam eine antifranzösische Demonstration vor, die nach Aussagen von Sơn Ngọc Thành von der japanischen Administration in Saigon unterstützt wurde.58 Am Morgen des 20. Juli 1942 marschierten etwa 1000 Menschen, die Hälfte davon Mönche der Thommakāy-Gruppe der Klöster Uṇṇālom und Laṅkā, zum Sitz des résident supérieur Jean de Lens und forderten die Freilassung Hem Chieus. Pach Chhoeu, der Herausgeber von Nagara Vatta, überreichte eine dementsprechende Petition. Die Reaktion war harsch, denn Pach Chhoeu wurde sofort verhaftet und nach kurzem Prozess zum Tode verurteilt, ein Urteil, das die Vichy-Regierung in lebenslängliche Haft umwandelte.

56 Tate 1979: 378. 57 Kiernan 1985: 22. 58 Chandler 1996: 168.

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2.6. Das unabhängige Kambodscha Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zahlreiche Widerstandsbewegungen gegen die französische Herrschaft, denen sich auch viele Mönche anschlossen. Dieser Geist des Widerstandes unter Mönchen zeigte sich auch in den folgenden Jahren, als sich nach der Unabhängigkeit (1953) viele der Opposition anschlossen. Daher organisierte Sīhanuk eine Parteien-Union namens Saṅkum Răstr Niyum („Volkssozialistische Gemeinschaft“), die seine eigene politische Hausmacht wurde. Diese Saṅkum-Partei vertrat ein dem birmanischen „buddhistischen Sozialismus“ nachempfundenes Programm.59 Die Propagierung des buddhistischen Sozialismus berief sich unter anderem auf historische Vorbilder wie Aśoka oder Jayavarman VII. oder den aus einem Jātaka bekannten Prinzen Vessantara, den Sīhanuk als „eine Art buddhistischen Karl Marx“ bezeichnete.60 Tatsächlich wurde die buddhistische Ethik, insbesondere die der Gewaltlosigkeit, unter dem Regime Sīhanuks (1955– 1970) häufig verletzt, womit er auch zunehmend die Unterstützung großer Teile der Mönche verlor. Vor allem vor dem Hintergrund des 1975 etablierten Terrorregimes mag es verwundern, dass auch prominente Führer der kambodschanischen Kommunisten oder sogar der „Roten Khmer“ eine teilweise auch vom Buddhismus geprägte Vergangenheit besaßen. So hatte Saloth Sar alias Pol Pot (1928–1998) vor seinem Abtauchen in den Dschungel Vorlesungen über die „neue Gesellschaft“ vor einem Publikum gehalten, das überwiegend aus Mönchen bestand, und sich dabei auch auf den Buddha berufen, der niemals etwas verkauft habe.61 Er behauptete auch, sechs Jahre in einem Kloster verbracht zu haben. Auch der als „Schlächter“ bezeichnete Ta Mok (ca. 1926–2006) war Mönch, bevor er sich dem Widerstand anschloss. Zu dieser Zeit hatte sich auch eine ganze Anzahl Mönche dem linken Widerstand angeschlossen. Die Distanzierung vom Buddhismus innerhalb der „Roten Khmer“ begann Mitte der 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts, als man dem Gros der Mönche einen „feudalen Einfluss“ auf die Bevölkerung zuschrieb und sie außerdem als unproduktiv betrachtete. Dennoch scheinen gerade Mönche, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten, eher dazu in der Lage gewesen zu sein, Bauern durch ihre Predigten zu mobilisieren als die kommunistischen Kader. Die Führer der Khmer-Republik (1970–1975), insbesondere Lon Nol, bedienten sich ebenfalls des Buddhismus. So hielt der Mönch Khieu Chum (1907–1975) häufig Radioansprachen, in denen er den „demokratischen Republikanismus“ lobte, weil er der politischen Lehre des Buddha grundsätzlich entspräche. Abgesehen davon, dass das Land „viele tausend Jahre unter Absolutismus, Willkür und Tyrannei der

59 Golzio 2006b: 36f. 60 Harris 2005: 148. 61 Chandler 1992: 62.

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Monarchie“ gelitten habe, sei auch hier der Buddha das Vorbild gewesen, indem er seine adlige Familie verließ.62 Lon Nol selbst hatte den Krieg gegen seine Gegner zu einem „Religionskrieg“ (caṃpaṅ sāsanā) erklärt.63 So übte man auch Druck auf Huot Tath, den saṅgharãc des Mahanikai, aus, Sīhanuk wegen seiner Kollaboration mit den Kommunisten zu „exkommunizieren“, offensichtlich ein westlicher Begriff, der sich im Theravāda auf Laien nicht anwenden lässt. Umgekehrt klagte die Widerstandsbewegung FUNK das Lon Nol-Regime an, dass es „Mönche aller Schichten ... dazu zwinge, der Politik der Reaktionäre zu dienen“, während sie früher die Freiheit besaßen, ihre religiösen Riten in Frieden ausüben zu können. Die Propaganda beider Seiten benutzte die Religion und die Mönche für ihre Zwecke, und beide nahmen im Ernstfall wenig Rücksicht auf sie. Während des Bürgerkrieges begannen die Roten Khmer aber bereits zwischen „patriotischen Mönchen“, d. h. solchen mit bäuerlichem Hintergrund, und „reaktionären“ zu unterscheiden. Außerdem wurden Mönche häufig aufgefordert, ihre Roben abzulegen und in den Militärdienst einzutreten. Unmittelbar nach dem Sieg der Roten Khmer begann eine Welle von Hinrichtungen unter älteren Mönchen. Huot Tath starb bereits am 18. April 1975. Seit der Unterzeichnung des Pariser Friedensabkommens versuchten die „Roten Khmer“, ihr Territorium auszudehnen und begannen dort mit der Umgestaltung der Gesellschaft. Zu diesen Maßnahmen gehörten z. B. die Einführung landwirtschaftlicher Kooperativen und die Unterdrückung des Buddhismus, die Vernichtung der Volkskultur. Die Ausrottung des Buddhismus stellte sich alsbald als eines der Hauptziele des neuen Regimes heraus, das zwischen ein und zwei Millionen Menschen das Leben kostete, obwohl die Revolutionäre selbst asketische Ideale hervorhoben, die große Affinität zu denen der Buddhisten hatten. Nach einer Zählung von 1969/70 gab es zu diesem Zeitpunkt etwa 65 000 Mönche und Novizen und 3 369 Klöster, wobei 2 385 Mönche und 139 Klöster dem Thommayut-Orden angehörten.64 Die meisten Klöster im Lande wurden jetzt anderweitig genutzt oder zerstört, wobei allerdings auch viele Zerstörungen auf das Konto der verheerenden US-Bombenangriffe zurückgingen. Von den Mönchen sollen nur etwa 70 bis 100 das Ende des Pol Pot-Regimes überlebt haben. Dieses wurde Anfang 1979 durch eine Intervention Vietnams gestürzt, die die Volksrepublik Kampuchea installierte, deren Regierung allmählich den Aufbau einer funktionierenden Verwaltung und die Normalisierung der Lebensverhältnisse vorantrieb, wozu in erster Linie die Aufhebung der kollektiven Zwangsarbeit und der Religionsverfolgung sowie der Familientrennung gehörte. Der buddhistische Orden wurde zwar wieder zugelassen, aber es wurde mit wenigen Ausnahmen nur die Ordination von Mönchen über 50 Jahre zugelassen, und wäh-

62 Harris 2005: 165. 63 Corfield 1994: 101. 64 Keyes 1994: 55.

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rend der Zeit zwischen 1985 und 1989 wurde ihre Zahl auf 6500 bis 8000 geschätzt.65 Begründet wurde dies unter anderem damit, dass man in der gegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht auf so viele produktive Kräfte verzichten könne. Zu den prominenten sieben neu ordinierten Mönchen im Vằt Uṇṇālom gehörte Ṭeb Voṅs/Tep Vong (geb. 1932), der als ein Hauptzeuge gegen die „Roten Khmer“ auftrat und im September 1981 zum Saṅgharāja des vereinten Ordens ernannt wurde. In dieser Funktion vertrat er die Ansicht, dass bestimmte Formen politischer Gewalt durch den Buddhismus verziehen werden könnten.66 Nach jahrelangen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf sich auch Verbände der „Roten Khmer“ wieder in einzelnen Provinzen etablieren konnten, kam es 1993 nach einem Abkommen zur Wiederherstellung der Monarchie unter Sīhanuk (1993–2004) und zur Wiedereinführung der Demokratie, damit aber auch zu einer neuen Blüte des Buddhismus. Nach den Jahren des Schreckens organisierte Mahāghosānanda (1913–2007), ein Angehöriger des reformierten Mahanikai, seit 1992 Friedensmärsche (dhammayietrā), die sich immer speziellen Themen wie Landminen, Entwaldung, Gewalt widmeten.67 Sīhanuk ernannte 1992 Bour Kry (geb. 1945) zum Saṅgharāja des Thommayut, während Tep Vong jetzt nur noch Patriarch des Mahanikai war. Als solcher vertritt er die Ansicht, dass HIV eine durch das Karman bedingte Strafe sei und sich Mönche nicht darum kümmern müssten, doch Bour Kry stellte gerade die Sorge um die Kranken in den Vordergrund.68 Bei den politischen Unruhen der Jahre 1997 und 1998 kam es zu Demonstrationen vornehmlich junger Mönche gegen den seit 1985 regierenden Premier Hun Sen, die im Tenor anti-vietnamesisch waren, darin den rassistischen Parolen des Oppositionsführers Sam Rainsy folgend.

3. Religiöse Feste Die meisten der religiösen Feste Kambodschas sind vom Theravāda geprägt, doch gehen einige, wie das Fest des königlichen Pflügens, auf ältere Traditionen zurück. An erster Stelle ist das Neujahrsfest (Maha Songkran, abgeleitet von skt. mahāsaṃkrānti) zu nennen, das stattfindet, wenn die Sonne in das Zeichen Aries eintritt (im Jahr 2016 am 13. April). Dieses drei Tage währende Fest wurde in enge Beziehung zum Buddhismus gesetzt, indem man am ersten Tag dem Buddha und seiner Lehre Respekt zollt, verbunden mit Waschungen und Prostrationen. Am zweiten 65 66 67 68

Keyes 1994: 62. Harris 2001: 93. Harris 2005: 208–210. Harris 2005: 215.

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Therava¯da-Buddhismus in Kambodscha

Tag wird tätiges Mitgefühl gegenüber den vom Leben Benachteiligten praktiziert, außerdem findet in Klöstern eine Zeremonie für die Ahnen statt. Am dritten Tag werden Buddha-Statuen gewaschen, was das Reinwaschen von schlechten Taten symbolisiert und als gute Tat zu langem Leben, Glück und Wohlstand führt. In Tempeln errichtet man Sandhügel, von denen der höchste im Zentrum den Stūpa im Tāvatiṃsa-Himmel symbolisiert, der von vier kleineren umgeben ist, die Sāriputta, Moggalāna, Ānanda und Mahākassapa, die Hauptschüler des Buddha, repräsentieren. Während das Neujahrsfest buddhisiert wurde, ist die Mäk Bucā (skt. māgha pūjā), die am Vollmondtag des Monats Māgha (2016 am 22. Februar und 2017 am 11. Februar) gefeiert wird, genuin buddhistisch, weil hierbei der glückverheißenden Ereignisse im Veḷuvana-Bambushain nahe Rājagaha zehn Monate nach der Erleuchtung des Buddha gedacht wird, von denen im Kommentar zum Mahāsamayasutta des Dīgha-Nikāya (20) berichtet wird. 1250 Schüler, die alle Arhats („Erleuchtete“) waren und vom Buddha selbst ordiniert worden waren, kamen, um diesen am Abend zu sehen, ohne herbeigerufen worden zu sein. Der Buddha vermittelte ihnen die ovadapatimokha genannten Vorschriften des Buddhismus. Bei den Feierlichkeiten zu diesem Ereignis singen die Mönche diesen Text, während Laien Opferspenden darbringen. Der Geburtstag, die Erleuchtung und der Tod des Buddha werden am Vollmondtag des Vesakh (skt. vaiśākha) gefeiert (fällt 2016 auf den 21. Mai und 2017 auf den 11. Mai). An diesem Tag betet man zum Buddha und spendet den lokalen Mönchen Kleider und Nahrung. Kein genuin buddhistisches Fest ist die königliche Pflug-Zeremonie (Pithi Chrat Preah Neanng Korl), die den Beginn der Jahreszeit der Reispflanzung in Kambodscha darstellt. An diesem Tag pflügen Beamte des Königs mit heiligen Kühen ein Feld in Phnom Penh und segnen dann die kommende Jahreszeit. Dieses Fest geht auf die Angkor-Zeit zurück und soll eine gute Ernte sichern. Pchum Ben (Tag der Ahnen) ist ein Fest der Toten, das den Höhepunkt von 15-tägigen Feiern am Vollmondtag des Monats Bhādrapada (2016 am 16. September) bildet. Die Khmer besuchen während dieser Zeit mindestens sieben Tempel und opfern den toten Ahnen und entzünden dabei Lichter, um die Geister zu den Opfern zu geleiten. Um die Ahnen nicht hungrig zu lassen, werfen die Angehörigen eine Mischung aus Reis und Sesam auf den Boden des Tempels. Obwohl der Ahnenkult im Buddhismus eigentlich keine Rolle spielen dürfte, ist er ein integraler Bestandteil der praktizierten Religion. Das Wasser-Fest (Bon Om Touk) schließlich findet drei Tage bis zum Vollmondtag des Monats Kārttika (Kadeuk) statt (2016 am 14. November). Hier wird das Naturphänomen des Rückwärtsfließens des Mekong in den Tonle Sap-See während der Regenzeit gefeiert. Es hat stark karnevalistischen Charakter und ist eher ein Volksfest mit Bootsrennen, Feuerwerk und allerlei Belustigungen und hat insofern am wenigsten mit Buddhismus zu tun.

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Karl-Heinz Golzio

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THERAVĀDA-BUDDHISMUS

IN

MALAYSIA

Manfred Hutter

Das Gebiet des heutigen Staates Malaysia umfasst die malaiische Halbinsel sowie die beiden auf der Insel Borneo gelegenen Provinzen Sabah und Sarawak. Obwohl die aktuellen Staatsgrenzen erst zwischen 1957 und 1965 entstanden sind, stellen sie den geographischen Rahmen dar, der auch für die frühere Geschichte des Buddhismus auf dem Boden Malaysias berücksichtigt werden soll. Aufgrund der Volkszählung des Jahres 2010 kann man für Malaysia folgende demographische und religiöse Daten angeben:1 67,4% der Einwohner Malaysias sind Malaien bzw. Bumiputera, 24,6% Chinesen und 7,3% Inder. Hinsichtlich der Religionszugehörigkeit weist der Zensus folgende Werte auf: 61,3% sind Muslime, 19,8% Buddhisten, 9,2% Christen, 6,3% Hindus und 1,3% werden als Anhänger von Konfuzianismus, Daoismus und traditioneller chinesischer Religion ausgewiesen. Andere statistische Angaben variieren, wenn für das Jahr 2010 folgende Prozentwerte publiziert sind:2 56,9% Muslime, 5,1% Buddhisten, 9,1% Christen, 6,3% Hindus und 18,1% Anhänger traditioneller chinesischer Religion (inklusive Daoismus und Konfuzianismus). Auffallend ist dabei die deutliche Diskrepanz zwischen „Buddhismus“ und „chinesischer Religion“, wobei der höhere Prozentwert für Buddhisten vorzuziehen ist, da in den letzten beiden Jahrzehnten – vergleichbar mit der Situation im benachbarten Singapur – zu beobachten ist, dass Chinesen ihre „traditionelle“ Form von religiöser („Mehrfach“-)Zugehörigkeit in Richtung auf eine klare Selbstdefinition als „Buddhist“ verändern. Geht man von einer aktuellen Bevölkerungszahl von 28,3 Millionen aus, so leben heute etwa 5,6 Millionen Buddhisten in Malaysia.

1. Die historische Entwicklung vom 5. bis zum 14. Jahrhundert Die geographische Lage der Halbinsel Malaysia ermöglicht seit Beginn des 1. Jahrtausends n. Chr. den Kontakt zu Indien und China, da entlang der Straße von Malakka 1 http://www.statistics.gov.my/portal/index.php?option=com_content&id=1215 fen 31.7.2014). 2 Melton 2010: 1786.

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(abgeru-

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eine günstige Schifffahrtsroute zwischen diesen beiden Gebieten verläuft. Bis zum 4. oder frühen 5. Jahrhundert blieben solche Kontakte und Besuche von indischen Seefahrern an der Westküste der malaiischen Halbinsel jedoch gelegentliche Erscheinungen ohne religionsgeschichtlich auswertbare Spuren. Im Rahmen der so genannten Indisierung Südostasiens3 setzte seit dem 4. Jahrhundert jedoch ein Einfluss indischer Kultur ein, der – bezüglich des hier in Frage kommenden Buddhismus – mit der Revitalisierung vedischer Traditionen durch die Gupta-Dynastie in Indien zusammenhängt. Denn in Kedah und in Perak (Kinta-Tal) sind buddhistische Architektur und Statuen nachgewiesen, die kunstgeschichtlich vom Gupta-Stil abhängig sind.4 Kulturell ist dabei für diese frühe Phase zugleich festzuhalten, dass der Norden Malaysias und die malaiischen Herrschaftsbereiche wie Langkasuka und Panpan, die heute im Süden Thailands liegen, enge wechselseitige Beziehungen hatten. Inschriftenfunde5 lassen sich ab dem 5. Jahrhundert datieren, ab dem 6. Jahrhundert finden sich auch Hinweise in chinesischen Quellen, die auf die Existenz des Buddhismus im heutigen Malaysia verweisen. Eine Inschrift des 5. Jahrhunderts, die im Süden von Kedah (Kaṭāha, Kaḍāram6) gefunden wurde, hat eine buddhistische Bekenntnisformel zum Inhalt und ist mit der Darstellung eines Stūpa versehen. Auftraggeber der Inschrift war ein gewisser Buddhagupta, der als buddhistischer Seefahrer diese Inschrift für das Gelingen seiner handelsbedingten Reisen vom Golf von Bengalen an die malaiische Küste stiftete. Auch weitere Inschriften vergleichbaren Inhalts bringen zum Ausdruck, dass seit dem 5. Jahrhundert in Kedah Buddhisten lebten. Bezüglich der sozialen Verortung dieser Buddhisten lässt sich zwar sagen, dass es sich um Händler handelte, die Produktion der Inschriften – einschließlich der bildlichen Darstellungen – ist jedoch als Werk lokaler (Kunst-)Handwerker zu betrachten; letzteres könnte darauf hinweisen, dass die Buddhisten in Kedah wohl keine „indische“ Kolonie in Malaysia waren.7 Weitere Informationen bezüglich der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts liefert der Bericht des chinesischen Mönches Yijing über seine Reise von China nach Indien:8 Mehrere Jahre verbrachte er dabei in Śrīvijaya (Palembang auf der Insel Sumatra) und im nördlich davon gelegenen Malāyu, um dort in Indien erworbene buddhistische Texte zu übersetzen; als Zwischenstopp besuchte Yijing auch Kedah (chines. Jie3 4 5 6

Vgl. dazu v. a. Coedès 1968: 19–27; Kulke 1999; Smith 1999: 11–13. Vgl. z. B. Jacq-Hergoualc’h 2002: 118, 143–145, 218. Vgl. Coedès 1968: 50f.; Jacq-Hergoualc’h 2002: 207–220; Munoz 2006: 91f. Soweit Namen oder Begriffe, die aus dem Sanskrit oder Pāli stammen, im historischen Kontext oder als Fachtermini verwendet werden, sind diese mit Diakritika geschrieben. In jenen Fällen, wo aus dem Sanskrit oder Pāli stammende Wörter (durch birmanische, thailändische oder singhalesische Einrichtungen vermittelt) im Malaysischen als Namen oder „Fremdwörter“ verwendet werden, sind – entsprechend der malaysischen Schreibweise – keine Diakritika gekennzeichnet. 7 Jacq-Hergoualc’h 2002: 221–223. 8 Vgl. Taylor 1992: 173f.; Ensink 2000: 472f.; Jacq-Hergoualc’h 2002: 193–195; Samarawickrama 2005: 62; Munoz 2006: 122f.

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cha), wobei er berichtet, dass Kedah politisch zu Śrīvijaya gehört; wenigstens 37 Mönche sind dabei zwischenzeitlich in Kedah anwesend, die Yijing in seinem Bericht über „hervorragende Mönche“, die während der Tang-Zeit im Westen den Buddhismus studierten, nennt.9 Aus diesen Berichten geht jedoch hervor, dass Kedah lediglich deswegen ein Stützpunkt für Mönche war, weil sie dort warten mussten, bis die Weiterreise aufgrund der Monsunwinde möglich war. Soweit Yijings Angaben Schlussfolgerungen erlauben, dürfte die wichtigste Richtung die Mūlasarvāstivāda-Schule des Hīnayāna gewesen sein, ehe sich ausgehend von Śrīvijaya ab dem Ende des 7. bzw. dem Beginn des 8. Jahrhunderts ein Wandel zu einer tantrischen Form des Mahāyāna vollzog. Aus weiteren chinesischen Quellen aus der Zeit der Sui-Dynastie (581–618) erfahren wir über eine politische Einheit namens Chitu.10 Nach diesen Quellen hatte Chitu eine Hauptstadt, die von drei Mauern umgeben war, die mit Gemälden von Bodhisattva-Gestalten geschmückt waren. Neben der Verehrung der Buddhas und Bodhisattvas waren aber auch (Hof-)Brahmanen in Chitu tätig. In diesem „indisierten“ (Klein-)Staat auf dem Boden Malaysias am Beginn des 7. Jahrhunderts existierten Mahāyāna-Buddhismus und Brahmanismus nebeneinander, wobei beide Religionen anscheinend die Funktion zu erfüllen vermochten, die eigene Herrschaft durch Adaption indisch „inspirierter“ Religion zu stärken. Wahrscheinlich lag Chitu im heutigen Bundesstaat Kelantan, wobei jedoch mangels archäologischer Hinterlassenschaft eine sichere Lokalisierung nicht möglich ist. Weitere – v. a. archäologische – Quellen zeigen für das 9. Jahrhundert weiterhin das Vorhandensein des Mahāyāna-Buddhismus und Brahmanismus.11 Die Situation des Buddhismus während der beiden folgenden Jahrhunderte bleibt bislang ungeklärt, erst im 12. und 13. Jahrhundert tritt Jiecha (Kedah) wieder stärker politisch und wirtschaftlich hervor; allerdings zeigen archäologische Befunde,12 dass anscheinend der Brahmanismus weiter verbreitet war als der Buddhismus. Im 13. Jahrhundert13 geriet der Norden der malaiischen Halbinsel durch die Südexpansion der Thai unter den politischen Einfluss Siams, wodurch der TheravādaBuddhismus Fuß zu fassen begann. Als am Ende des 14. Jahrhunderts der HinduHerrscher Parameśvara von Malakka zum Islam übertrat,14 begann die Vorherrschaft des Islam als quantitativ dominierende Religion, auch wenn in der muslimisch-malaiischen Herrschaftsideologie der Sultane von Malakka nach der Sejarah Melayu aus dem Jahr 1612 (mahāyāna-)buddhistische und śivaitische Vorstellungen des Königtums weiterlebten.15 9 10 11 12 13

Vgl. Lahiri 1986: 83f., 94f., 102; siehe ferner Takakusu 1896: xl-xlv. Vgl. Coedès 1968: 51; Jacq-Hergoualc’h 2002: 229–231; Munoz 2006: 92, 109. Jacq-Hergoualc’h 2002: 332–337. Jacq-Hergoualc’h 2002: 473–478. Vgl. Taylor 1992: 175; Ensink 2000: 474; Jacq-Hergoualc’h 2002: 491; Samarawickrama 2005: 62; Munoz 2006: 196–200. 14 Coedès 1968: 245f. 15 Vgl. Ackerman/Lee 1990: 18.

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2. Buddhistische Migranten in den malaiischen Sultanaten in der Kolonialzeit Die Vorherrschaft des malaiischen Sultanats von Malakka einschließlich der späteren Kolonialherrschaft der Portugiesen (seit 1511) bzw. Briten (seit 1795–96) über weite Teile des heutigen Malaysia ist nicht nur in religiöser, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Einschnitt. Der Ausbau der so genannten Straits Settlements durch die Briten seit Beginn des 19. Jahrhundert führte zu einer schrittweisen Erweiterung des Einflusses der Briten auf die lokalen Herrscher der Sultanate der malaiischen Halbinsel. Chinesen waren – als Anhänger der drei Lehren einschließlich chinesischer Mahāyāna-Formen – bereits im 17. Jahrhundert vereinzelt auf die Halbinsel gekommen und als ältester Tempel gilt Cheng Hoon Deng in Malakka.16 Der Zustrom von Chinesen nahm während des 19. Jahrhunderts zu. Mehrheitlich stammten diese Neuankömmlinge aus den südostchinesischen Provinzen Fujian und Guangdong. Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts kamen auch ärmliche, dörfliche Bevölkerungsschichten aus China, die sich in den aufstrebenden Kolonialorten bessere Lebensmöglichkeiten erhofften. Diese Migrationsbewegungen führten dabei quantitativ zu einem Aufschwung von Formen eines mit chinesischer Volksfrömmigkeit verbundenen Mahāyāna-Buddhismus17 und 1891 wurde der bis zur Gegenwart wichtige Tempel Kek Lok Si auf der Insel Penang gegründet.18 Außer den chinesischen Einwanderern kamen auch Einwanderer aus den indischen Teilen des britischen Kolonialreiches auf die Halbinsel. Neben indisch-muslimischen Händlern, die bereits 1786 eine erste Handelsniederlassung auf der Insel Penang errichteten, waren es mehrheitlich Hindus als Arbeiter in den Palmenund Kautschukplantagen sowie im Zinnbergbau,19 die sich v. a. entlang der malaysischen Westküste zwischen Penang und der Insel Singapur niederließen. Aber auch die Ankunft der ersten Theravāda-Buddhisten fällt in diese Zeit, deren ältester noch erhaltener Kultbau der birmanische Dhammikarama-Tempel auf der Insel Penang ist. Als Gründungsdatum gilt das Jahr 1803, wahrscheinlich ist der Tempel aber erst ein Vierteljahrhundert später entstanden; neben Birmanen nutzte wohl auch die chinesische Bevölkerung der Insel bald nach Errichtung den Tempel.20 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden auch singhalesische Vertragsarbeiter aus Sri Lanka angeworben, die sich v. a. in der Umgebung von Kuala Lumpur niederge-

16 17 18 19 20

Ang 2002: 131; Pye 2006: 47. Vgl. Tan 1988: 24f.; ferner Kuah-Pearce 2003: 29f.; Dies. 2008: 84f. Ang 2002: 127. Vgl. Hutter 2006: 84–86. Yeap/Trembath 2001: o.S.; ferner Tan 1988: 30f.

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lassen haben und 1895 im (heutigen) Stadtviertel Brickfields den ersten singhalesischen Tempel (heute: Maha Vihara) errichteten. Die Zahl der Singhalesen in Malaysia blieb jedoch sowohl während der Kolonialzeit als auch während der Zeit der Unabhängigkeit gering, wobei der Tempel während der Kolonialzeit nur von Singhalesen besucht wurde. Für die Verbreitung des thailändischen TheravādaBuddhismus auf dem Boden des heutigen Malaysia ist die zeitweilige Expansion von Siam wichtig. Im 19. Jahrhundert waren die heutigen Bundesstaaten und Sultanate Kedah, Kelantan und Terengganu Teil des siamesischen Königreiches, wobei auch nach der Übernahme der Herrschaft über diese Gebiete durch die Briten im Jahr 1909 dem Königreich Siam (seit 1935: Thailand) das Recht zugebilligt wurde, in diesen malaiischen Sultanaten zu intervenieren; diese Situation hielt bis zur Unabhängigkeit Malaysias im Jahr 1957 an.21 Die Thai-Malaien, die bis zur Gegenwart in diesem Gebiet in einzelnen Dörfern lebten, sind dabei wahrscheinlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus unterschiedlichen Teilen Siams in den Süden gezogen.22 Lokale Traditionen kennen nur noch ungefähre Herkunftsangaben, die einen Ursprung dieser Thai-Malaien in der Umgebung von Bangkok oder Sukhothai tradieren, ohne dass die historische Zuverlässigkeit dieser Überlieferungen noch überprüfbar wäre. Etwa zeitgleich mit dem Auftreten des ländlichen Buddhismus dieser Thai-Malaien ist im Jahr 1845 Wat Chayamangkalaram auf der Insel Penang gegründet worden, allerdings als Tempelgründung von städtischen Thai, die aus wirtschaftlichen Gründen aus Siam auf die Insel in den unter britischer Herrschaft aufstrebenden Handelsstützpunkt Georgetown kamen. Fasst man das buddhistische Spektrum Malayas am Ende der britischen Kolonialzeit zusammen, so ist diese Periode durch weitgehend klare „konfessionelle“ und ethnische Grenzziehungen charakterisiert. Singhalesen und Thai-Malaien sind kleine, religiös geschlossene Gruppierungen, die Kontakte zu Thailand23 bzw. nach Sri Lanka hatten, aber nicht in Kontakt mit anderen Buddhisten standen; lediglich im birmanischen und im thailändischen Tempel auf der Insel Penang partizipierten Chinesen an den Theravāda-Praktiken, ein Phänomen, das sich auch bei der Partizipation von Chinesen an Riten in Hindu-Tempeln auf Penang feststellen lässt.24 Innerhalb der chinesischen mahāyāna-buddhistischen Mehrheit ist festzuhalten, dass der Buddhismus v. a. durch Vorstellungen aus ländlichen Gebieten des Südostens Chinas geprägt war, ohne strikte Abgrenzung zu daoistischen bzw. konfuzianistischen Praktiken. Genaue quantitative Angaben bezüglich der Zahl der Tempel entlang ethnischer und „konfessioneller“ Linien sind für die Mitte des 20. Jahrhunderts nicht vorhanden. Eine Orientierung geben aber einerseits Schätzungen, die davon ausgehen, dass zwischen 90 und 95% aller Buddhisten Chinesen 21 22 23 24

Vgl. Ismail 1993: 17–19; Steinmetz 2004: 135–137, 142. Ismail 1993: 18f. Vgl. Johnson 2012: 59–61. Hutter 2006: 95.

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und der überwältigende Teil der restlichen maximal 10% thai-stämmige Buddhisten waren, während Birmanen und Singhalesen nur sehr kleine ethnische Gruppen darstellten. Ebenfalls einen gewissen Rückschluss auf die ethnische Verteilung lassen die aktuellen Zahlen von Tempeln zu: Von den rund 1000 buddhistischen Tempeln im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts waren etwa 100 (kleine) thailändische Tempel (wat), singhalesische Mönche betreuten vier und birmanische Mönche einen Tempel; d. h. auch diese Zahlen zeigen, dass etwa 90% der Tempel unter chinesischer Verwaltung standen.25 Der religiöse Wandel seit Beginn des unabhängigen Malaysia ließ in den folgenden Jahrzehnten jedoch Grenzziehungen zwischen einzelnen Richtungen durchlässig werden.

3. Traditionell ethnisch geprägter TheravādaBuddhismus im unabhängigen Malaysia Aufgrund der historischen Entwicklung leben in den nördlichen Provinzen Malaysias, v. a. in Kelantan in der Umgebung von Tumpat nahe der malaysisch-thailändischen Grenze, gegenwärtig maximal 50 000 Thai. Bis in die 1980er Jahre war festzustellen, dass im ländlichen Bereich die Thai seit mehr als einem Jahrhundert in die Dorfgemeinschaft integriert waren.26 Die Mönche waren neben ihrer Ritualaktivität v. a. als Spezialisten für Horoskope oder Magie bei Liebes- und Schadenszaubern gefragt, wobei auch nicht-buddhistische Malaien im Dorf diese Dienstleistung nutzten. In den letzten beiden Jahrzehnten ist jedoch ein Wandel festzustellen, dass mit zunehmendem islamischen Einfluss in Kelantan Thai(-Buddhisten) nunmehr von den Malaien als moralisch niedriger stehend angesehen werden, wobei Vorurteile sich als Stereotype auf Alkoholgenuss und Kriminalität beziehen; in religiöser Hinsicht betonen Muslime nunmehr vermehrt, dass Thai religiös unrein seien.27 Als Ritualspezialisten führen die Mönche ihre Aktivitäten im Wat durch, die weitgehend auf Rezitationen in Pāli, auf Segen und Opfergaben beschränkt sind. Hervorzuheben ist dabei, dass diese Tempel nicht nur religiöse Zentren für die Dorfgemeinschaft sind, sondern zugleich identitätsstiftende bzw. -bewahrende Funktion besitzen. Dieser Identitätsfaktor für die Thai-Minderheit in Malaysia wird durch ein Netzwerk zwischen den einzelnen Thai-Tempeln in Malaysia untereinander sowie nach Thailand gestärkt. Der Klostertempel Wat Uttamara in Kampung Bangsae nahe dem Grenzübergang nach Thailand ist Sitz des obersten Mönches 25 Vgl. Yousif 1998, 67f.; Ang 2002: 127f. 26 Vgl. auch Ismail 1993: 16f.; Ders. 2010: 323. 27 Vgl. Horstmann 2004: 115; Ders. 2006: 167.

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von Kelantan, wobei der Sultan von Kelantan als symbolischer Beschützer des Buddhismus in Kelantan gilt. Deutlich sichtbar wurde dies 2001 bei der Ernennung dieses obersten Mönches. Nachdem sich die einzelnen Thai-Klöster auf einen geeigneten Kandidaten geeinigt hatten, wurde dieser Kandidat dem Sultan zur Zustimmung vorgeschlagen. Die erteilte Zustimmung wurde durch Vertreter des königlichen thailändischen Konsulats an das Büro für religiöse Angelegenheiten der thailändischen Regierung in Bangkok übermittelt, ehe der Mönch – durch Vertreter des Saṅgha in Thailand – in sein Amt eingesetzt wurde. Dieses Verfahren macht die komplexe Verflechtung des thai-malaysischen Buddhismus sowohl mit dem Sultan als auch dem Thai-Saṅgha in Bangkok (und dem Thai-König als Schutzherrn des Thai-Buddhismus) sichtbar, da der muslimische Sultan in seiner symbolischen Rolle bei der Ernennung des Mönches durchaus ein Fortleben der Traditionen der Königsideologie der buddhistischen Königreiche der vorislamischen Zeit erkennen lässt.28 Wat Uttamara weist aber auch regelmäßige Beziehungen nach Bangkok auf, teilweise sind auch Mönche aus dem Isan (Nordostthailand) als Lehrer hier tätig; ebenfalls erwähnenswert ist, dass der Uttamayanmuni-Tempel in Singapur in den 1960er Jahren vom obersten Mönch von Wat Uttamara ausgehend gegründet wurde. Andere Thai-Tempel in Kedah stehen – zur Bewahrung ihrer theravāda-buddhistischen Identität – in Beziehung und in Kooperation mit Mönchen der Buddhistischen Mahachulalongkorn-Universität in Bangkok und werden auch durch das Königliche Thailändische Konsulat in Kota Bharu finanziell unterstützt. Grenzübergreifende Kontakte bestehen auch zur Thai Buddhist Foundation in Songkhla in Südthailand.29 Dieses Netzwerk zwischen den Thai-Tempeln und Klöstern in ländlicher Umgebung in Kelantan und Kedah und Zentren in Thailand stärkt dabei diese Form des Theravāda-Buddhismus, was sich ferner daran zeigt, dass manche Mönche ihre Ordination in Thailand erhalten. Seit 2004 hat – als Konsequenz des Aufkommens von Unruhen und zunehmenden Spannungen zwischen Muslimen und Buddhisten in Südthailand – eine Einschränkung der regelmäßigen grenzüberschreitenden Kontakte und Besuche von Tempeln auf thailändischer Seite durch Thai-Malaien eingesetzt, da v. a. Mönche befürchten, durch ihre Roben als „Symbol des Thaitums“ Opfer von Angriffen von muslimischer Seite in Südthailand zu werden, aber auch zu buddhistischen Festen reisen Thai aus den malaysischen Grenzgebieten oft nur noch mit Angst vor Übergriffen nach Thailand. Dadurch leiden seit einem Jahrzehnt die regen Kontakte einer grenzüberschreitenden religiösen Praxis.30 Eine weitere Entwicklung, die in den 1960er Jahren eingesetzt hat, sind die Kontakte, die seither Chinesen zu den Theravāda-Tempeln suchen, wodurch jene

28 Vgl. Johnson 2012: 136–138; Ismail 2010: 326f. 29 Vgl. Horstmann 2006: 171f. 30 Vgl. Johnson 2012: 73f.

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Entwicklung, die in der Zeit vor der Unabhängigkeit Malaysias nur auf der Insel Penang gegeben war, nunmehr zu einer Veränderung des Buddhismus chinesischer Bevölkerungsteile geführt hat. Diese Kontakte zwischen Chinesen und Thai in Malaysia bringen dabei mit sich, dass in den ländlichen Thai-Tempeln auch chinesische Elemente religiöser und ritueller Praxis toleriert werden, indem Statuen von Guanyin, der mahāyāna-buddhistischen Bodhisattva-Gestalt, in den Tempeln genauso zu sehen sind wie gelegentlich Statuen von Tua Pek Kong, einer wohl auf eine historische Gestalt vom Beginn des 17. Jahrhunderts zurückgehende populäre Gottheit der chinesischen Tradition in Malaysia.31 Der zu Beginn des 19. Jahrhunderts erbaute birmanische Dhammikarama-Tempel auf der Insel Penang ist wahrscheinlich der älteste noch funktionstüchtige Theravāda-Tempel in Malaysia. Birmanen bildeten in der Geschichte Malaysias keine zahlenmäßig wichtige Gruppe, so dass sie im Tempel eine deutliche Minderheit gegenüber einer v. a. chinesischen Klientel sind. Hervorzuheben ist jedoch, dass die birmanischen Mönche spezifische Traditionen im Tempel bewahren, so v. a. die alljährliche Gedenkfeier für Arahant Upagutta im Dezember. Der auf dem Tempelareal befindliche Gedenkschrein für den birmanischen Heiligen ist der einzige seiner Art außerhalb von Birma. Upagutta gilt in der lokalen Tradition der chinesischen Buddhisten, die den Tempel besuchen, als chooi hood („Buddha des Wassers“). Diese Vorstellung hängt damit zusammen, dass der Schrein von Wasser umgeben ist, mit Upagutta selbst hat die Vorstellung jedoch nichts zu tun.32 Typisch für den Dhammikarama-Tempel ist eine strenge Bewahrung seiner birmanischen Ausprägung, so dass er sich dadurch am deutlichsten von allen TheravādaTempeln in Malaysia von chinesischen Elementen freihält. Lediglich das chinesische Neujahrsfest im Januar oder Februar wird als Zugeständnis an die chinesischen Tempelbesucher im Tempel alljährlich gefeiert. Vor einigen Jahren ist in Petaling Jaya in der Nähe von Kuala Lumpur ein weiterer birmanischer TheravādaTempel (Ratanarama Buddhist Temple) errichtet worden, dessen zentrale Buddhafigur aus Mandalay in Birma stammt und im März 2006 im Tempel installiert wurde. Die Traditionsgebundenheit dieser beiden Tempel ist insofern als Besonderheit zu erwähnen, als dadurch zugleich eine Abgrenzung gegenüber einer anderen aus Birma stammenden Tradition entsteht. Es handelt sich um die in der Praxis von Mahāsi Sayādaw (1904–1982) stehende Vipassanā-Meditation.33 Diese wird besonders durch das Malaysian Buddhist Meditation Centre, das zum thaibuddhistischen Wat Candram in Penang gehört, v. a. seit den 1970er Jahren für Chinesen in englischer Sprache angeboten. Mahāsi Sayādaw hat Malaysia im Jahr 1980 besucht und das Meditationszentrum unterhält regelmäßigen Kontakt zu

31 Ismail 2010: 324. 32 Vgl. Tan 1988: 31. 33 Vgl. Maung Tha Noe 2002; Swearer 1995: 142.

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Mönchen und Laien aus Birma;34 neben dem Zentrum in Penang gibt es unter anderem davon abhängige Zentren in Kota Tinggi, in Malakka oder Petaling Jaya. Auch das Vipassanā Meditation Centre in Singapur, das 1993 gegründet wurde, steht in regem Austausch mit dem Malaysian Buddhist Meditation Centre in Penang, dessen derzeitiger Abt Sayadaw U Pannananda von 1999 bis 2012 das Zentrum in Singapur leitete. Die Mönche von Dhammikarama stehen dem Buddhist Meditation Centre jedoch skeptisch gegenüber, da sie darin eine neue Strömung sehen, die sie in ihrem Tempel nicht unterstützen möchten. Obwohl es nur sehr wenige singhalesische Tempel in Malaysia gibt – z. B. in Penang, Taiping, Shah Alam sowie zwei in Kuala Lumpur –, ist die Wirkung des singhalesischen Buddhismus ungleich größer, weil diese Tempel – im Unterschied zu den Thai- bzw. birmanischen Buddhisten – viel stärker auf die Verbreitung des (Theravāda-)Buddhismus v. a. unter Chinesen ausgerichtet sind.35 Die Ursprünge des singhalesischen Buddhismus im Land liegen am Ende des 19. Jahrhunderts, als in Kuala Lumpur die Sāsana Abhiwurdhi Wardhana Gesellschaft und das Maha Vihara im Stadtteil Brickfields gegründet wurden. Jener Stadtteil war das traditionelle Siedlungsgebiet für die aus Sri Lanka von den Briten angeworbenen Arbeiter in der Hauptstadt. Die Errichtung des vihāra diente der religiösen Betreuung dieser Diaspora-Gemeinde, eine Funktion, die bis zum Ende der Kolonialzeit anhielt. Ein wichtiger Markierungspunkt in der Rolle des singhalesischen Buddhismus ist die Gründung der BMS (= Buddhist Missionary Society) am 3. April 1962 durch den singhalesischen Mönch K. Sri Dhammananda.36 Dhammananda (1919–2006) war im Januar 1952 in das noch koloniale Malaya gekommen. Es gelang ihm, von der britischen Verwaltung die Erlaubnis zur Verbreitung des Buddhismus in ländlichen Gegenden v. a. unter der chinesischen Bevölkerung zu erhalten, um durch Mithilfe der Religion kommunistischen Aktivitäten entgegenzuwirken. Solche dhammadūtaBemühungen führten Dhammananda schließlich nach einem Jahrzehnt zur formellen Gründung der Missionary Society, die heute mehr als 10 000 Mitglieder hat. Das Ziel der Gesellschaft besteht darin, den Buddhismus über die singhalesischen Volksgrenzen hinaus allen Ethnien in Malaysia bekannt zu machen. Dadurch erreichte der singhalesische Theravāda-Buddhismus eine überproportional größere Anhängerschaft als die etwas mehr als 2100 Singhalesen, die in Malaysia in den 1990er Jahren lebten.37 Ein wichtiges Medium für die Vermittlung des Buddhismus durch Dhammananda und die BMS ist die seit 1964 erscheinende Zeitschrift „Voice of Buddhism“, die – gemeinsam mit gedruckten Vorträgen und kleinen Schriften Dhammanandas – nicht nur in Malaysia, sondern auch in den benachbarten Ländern Südostasiens, teilweise auch in England und Australien, von der BMS verbrei34 35 36 37

Tan 1988: 35; vgl. Lee/Ackerman 1997: 77f. Vgl. Yeap/Trembath 2001: o.S. Vgl. Anonymus 2012. Vgl. Ang 2002: 127.

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tet wird. Weitere Theravāda-Aktivitäten der Gesellschaft sind u. a. ein seit 1976 alljährlich durchgeführtes Noviziat für (kurzzeitige) Mönche, was zu einer Neubelebung und Verbreitung des singhalesischen Buddhismus auch unter Laien beiträgt. Bezüglich der jüngsten Aktivitäten ist hervorzuheben, dass es der BMS im Jahr 2008 gelungen ist, ein Stück Land außerhalb des Zentrums der neuen Verwaltungshauptstadt Putrajaya zu erwerben; da Putrajaya – zumindest im Stadtkern – als muslimische Stadt und Symbol des Islam als staatstragender Religion Malaysias konzipiert ist, ist der Erwerb von Bauland für einen buddhistischen Tempel zugleich ein Symbol für das Anliegen der BMS, den (Theravāda-)Buddhismus als Religion in die Öffentlichkeit Malaysias zu bringen. Ähnliche Symbolwirkung hatte auch die Einweihung des Samadhi Vihara in Shah Alam, der Hauptstadt des Bundesstaates Selangor, am 18. März 2012. Die traditionellen theravāda-buddhistischen Ethnien (Thai, Birmanen, Singhalesen) stellen nur einen sehr kleinen Prozentsatz unter den Buddhisten Malaysias dar. Der „Festkalender“ und die Riten der Theravādins erreichen aber in der Öffentlichkeit eine ungleich größere Zahl von Buddhisten.38 An erster Stelle der Theravāda-Feste ist der Wesak-Tag zu nennen: Wesak (skt. vaiśākhī) wird am Vollmondtag im Mai gefeiert, wobei das Fest seit 1962 als nationaler Feiertag in Malaysia gilt. Dieser offizielle Status des Festes, der das Fest auf eine Ebene mit den muslimischen Feiertagen in Malaysia, aber auch mit dem christlichen Weihnachtsfest und mit Deepavali (skt. dīpāvalī) der Hindus stellt, konnte durch das Bemühen der MBA (= Malaysian Buddhist Association) in langwierigen Verhandlungen mit der malaysischen Regierung erreicht werden.39 Dadurch stärkt das Wesak-Fest nicht nur die gemeinsame buddhistische Identität aller Buddhisten in Malaysia, sondern gibt der Religionsgemeinschaft über die Grenzen der einzelnen Richtungen hinausgehend eine offizielle Repräsentanz, so dass die alljährliche WesakFeier in den verschiedenen Tempeln mit einer Teilnahme von Zehntausenden von Personen stattfindet. Neben der Feier von Wesak in den einzelnen Tempeln dient der Wesak-Tag malaysischen Buddhisten aber auch dazu, den Beitrag der Religion für die malaysische Gesellschaft hervorzuheben. Dies geschieht v. a. dadurch, dass man im Umfeld von Wesak dāna-Aktivitäten als soziales Engagement für die gesamte Gesellschaft hervorhebt.40 Dazu gehören Geldspenden an Bedürftige sowie an Waisenhäuser, genauso die Durchführung von Blutspendeaktionen oder das Angebot von Unterrichtsprogrammen, um Kinder aus finanzschwachen Familien durch Bildungsangebote zu fördern. Solche Aktivitäten werden im Umfeld der Wesak-Feiern als Ausdruck und Umsetzung der Lehre Buddhas und als Beitrag für die moderne Welt interpretiert. Die Koordination solcher Tätigkeiten ist dabei

38 Vgl. zum Folgenden Tan 1988: 75–84. 39 Vgl. Tan 1988: 75; Ang 2002: 137. 40 Vgl. Tan 1988: 78f.

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nicht auf Theravāda-Buddhisten beschränkt. Im Wesentlichen auf den Wirkungsbereich der genannten Theravāda-Tempel beschränkt bleiben zwei andere Feiern:41 vassa und kaṭhina. Die Zeremonien zu vassa beginnen am Vollmondtag im Monat Juli, um die traditionelle dreimonatige „Regenzeit“ und den Rückzug der Mönche in die Ortsfestigkeit des Klosters einzuleiten. Obwohl auch einige chinesische Mahāyāna-Tempel und Mönche diese Praxis inzwischen in Malaysia befolgen, sind es v. a. das singhalesisch geprägte Maha Vihara in Kuala Lumpur sowie die Thai-Tempel42 in Kelantan, an denen vassa den Tagesablauf im Tempel deutlich strukturiert. Den Abschluss der vassa-Periode markiert die Kaṭhina-Zeremonie. Eine lokale Besonderheit sind die singhalesischen mahāpirit-Zeremonien, die alljährlich am Samstag, der am nächsten zum Nationalfeiertag am 31. August liegt, stattfinden.43 Während der ganzen Nacht werden von den singhalesischen Mönchen parittas (pirit)44 rezitiert, wobei die teilnehmenden Laien sich dadurch Schutz vor schädigenden Mächten sowie Gesundheit und Wohlstand erhoffen. Neben diesem traditionellen Aspekt von mahāpirit muss auch die „nationale“ Akzentsetzung betont werden: Die Rezitationen der Mönche dienen auch dazu, den Segen Buddhas auf den muslimischen König Malaysias und auf die ganze malaiische Nation herabzurufen.

4. Chinesische Mahāyāna-Traditionen und die „Sinisierung“ des Theravāda Beim Zensus des Jahres 2010 gaben 83% der Chinesen als Religionszugehörigkeit den Buddhismus an, allerdings ist dies mehr ein Ausdruck des sanjiao-Konzeptes, d. h. des Mit- und Nebeneinanders der „Drei Lehren“ Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus, als eine enge Zuordnung zu einer gegenüber anderen Richtungen klar abgegrenzten Mahāyāna-Schule. Zentrale Gestalt für die malaysischen chinesischen Mahāyāna-Buddhisten ist Guanyin als weibliche Avalokiteśvara-Gestalt, deren Popularität dazu beiträgt, dass sie auch Eingang in Theravāda-Tempel gefunden hat.45 Ein weiterer Fokussierungspunkt für den Buddhismus der Chinesen ist der Kek Lok Si-Tempel auf der Insel Penang. Fragt man nach einer Schulzuordnung des Kek Lok Si, so muss der Tempel als Zentrum des chinesischen Reines41 Vgl. allgemein dazu im Theravāda-Buddhismus bei Kieffer-Pütz 2000: 386–396; Swearer 1995: 22–25. 42 Vgl. Ismail 1993: 103–118. 43 Tan 1988: 83f. 44 Vgl. dazu allgemein Swearer 1995: 27f. 45 Vgl. Tan 1988: 28f.; Lee/Ackerman 1997: 68–71.

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Land-Buddhismus in Malaysia gelten; allerdings geht auch dieser Tempel über solche engen Schultraditionen weit hinaus, sichtbar an Architekturelementen: Kek Lok Si verarbeitet Stilelemente chinesischer, thailändischer und birmanischer Kunst,46 wodurch äußerlich die ausschließliche Zuordnung zu einer Richtung des Buddhismus problematisch wird. Der innermahāyāna-buddhistischen Pluralität trägt ferner Rechnung, dass seit 1962 auch Chan-Buddhismus systematisch in Malaysia fassbar ist; in jenem Jahr hatte der aus China stammende Mönch Chuk Mor in Penang ein Chan-Zentrum errichtet.47 Ein weiteres wichtiges Datum, das zur Vielfalt des Buddhismus unter Chinesen in Malaysia beiträgt, ist 1976, als die Karma Kagyü Dharma Society in Kuala Lumpur gegründet wurde, inzwischen mit zahlreichen Subzentren über ganz Malaysia verbreitet; etwa zur selben Zeit entstehen auch die ersten Zentren der Nichiren-Tradition der Soka Gakkai.48 Diese Differenzierung innerhalb des Mahāyāna hat mehrere Konsequenzen: Einerseits begegnen wir unter Chinesen einer stark von mandarinsprachigen Chinesen geprägten „volkstümlichen“ Buddhismusform, die man als Teil der „Drei Lehren“ bewerten kann. Der Besuch der Tempel ist dabei in erster Linie Ausdruck chinesischer Identität, die weitgehend durch die Verehrung von Guanyin geprägt ist, verbunden mit dem Verbrennen von Weihrauchstäbchen und der Durchführung von – besonders von der jüngeren Generation und akademisch gebildeten Angehörigen der gehobenen Mittelschicht und Oberschicht – nicht mehr verstandenen bzw. in ihrer Sinnhaftigkeit in Zweifel gezogenen traditionellen Ritualen. Dadurch entsteht ein Dilemma, so dass diese Form von Buddhismus an Überzeugungskraft verliert; Ang Choo Hong formuliert dazu pointiert: „The Dharma (Truth) is lost in the mist of incense and smoke, and religious idealism is lost in the mist of superstitious prayer“.49 In Reaktion darauf suchen Chinesen vermehrt nach Alternativen und Reformen des Buddhismus. Während dabei in Singapur die Alternative im so genannten „Reformbuddhismus“50 zu sehen ist, kann man in Malaysia von einer „Sinisierung des Theravāda-Buddhismus“ sprechen. Seit den späten 1970er Jahren51 lässt sich eine Hinwendung von Chinesen zu verschiedenen Theravāda-Tempeln – mit zwei gegenläufigen Richtungen – beobachten. Einerseits wenden sich Chinesen an Theravāda-Mönche der Thai-Tempel, die sie u. a. als Spezialisten für die Durchführung von Totenritualen heranziehen. Dadurch werden die Grenzen zwischen Theravāda-, Mahāyāna- und lokaler Volkstradition (einschließlich der Ahnenverehrung) durchlässig. Dies führt zur 46 Vgl. Ang 2002: 129. 47 Yeap/Trembath 2001: o.S. 48 Vgl. Tan 1988: 33; ferner Ackerman/Lee 1990: 48f.; Lee/Ackerman 1997: 72f.; Ang 2002: 130. 49 Ang 2002: 120. 50 Vgl. Kuah-Pearce 2003: 233–241, 252–257; Dies. 2008: 88–91; ferner Tong 2007: 127–130, der von „desyncretisation“ spricht. 51 Lee/Ackerman 1997: 60.

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Sympathie von Chinesen für diese Tempel, was sich daran zeigt, dass die Finanzierung der ländlichen Thai-Tempel und Thai-Mönche in Kelantan weitgehend in den Händen von städtischen chinesischen Laien liegt. Das Einzugsgebiet dieser Tempel erstreckt sich dabei bis zu Chinesen auf der Insel Penang, teilweise sogar bis Johor Bahru im Süden von Malaysia und nach Singapur, wobei die seit rund zwei Jahrzehnten verbesserte Verkehrsinfrastruktur auch Thai-Mönche mobilisiert, um ihr Wirken bis in die genannten Orte auszudehnen.52 Dank dieser Kontakte zwischen den ländlichen Thai und finanzkräftigen Chinesen konnten auch einige überdimensionale, imposante Buddhastatuen – auch als Anziehungspunkt für (chinesische) Touristen – errichtet werden, so der Ende der 1980er Jahre fertig gestellte liegende Buddha im Wat Phra Non, dessen Größe auch malaiisch-muslimische Besucher anzieht, ferner die 1996 errichtete, rund 15 Meter hohe, goldüberzogene Statue eines schreitenden Buddha und die 2001 eingeweihte Sitzfigur eines chinesischen Amitabhā im Thai-Tempel in Ban Klang mit einer Gesamthöhe (einschließlich des Sockels) von rund 30 Metern. Bei der Einweihung von letzterer Figur waren nicht nur hochrangige Mönche aus Bangkok anwesend, sondern auch Vertreter des königlichen thailändischen Konsulats aus Kota Bharu.53 Dass dadurch die Tempel der Thai-Dörfer teilweise ein „chinesisches Flair“ bekommen, wird gelegentlich auch Anlass zu Kritik gegenüber dieser „Sinisierung“. Genauso werden aus dem städtischen Theravāda-Milieu auch andere kritische Stimmen gegen diesen Thai-Buddhismus ländlicher Prägung laut, der sich an den aufwendigen chinesisch beeinflussten Begräbnisriten entzündet:54 Das Verbrennen von Papiergeld, Papiernachbildungen von Wohlstandsgütern oder die Durchführung von Tieropfern vor dem Toten werden als wenig heil- und verdienstbringend abgelehnt, weil sie noch im Begräbnis ein falsches Festhalten an der Vergänglichkeit der Materie ausdrücken. Trotz dieser – innertheravādischen – Kritik kommt dieser Typ von „religiöser Serviceleistung“ vielen Chinesen entgegen. Dieser „Sinisierung des Theravāda-Buddhismus“ tragen manche Thai-Tempel auch dadurch Rechnung, dass – als Entgegenkommen an die chinesischen Tempel- und Ritualbesucher – Orakelstäbchen mit englisch- und mandarinsprachigen Ratschlägen bzw. Wünschen für die Zukunft der persönlichen Religionsausübung zur Verfügung stehen, genauso wie Statuen von Guanyin im Theravāda-Tempel inzwischen ihren festen Platz haben. Eine andere Seite der „Sinisierung des Theravāda-Buddhismus“ praktizieren städtische Thai-Tempel, deren Mönche sich an Chinesen – als mehrheitlicher Klientel unter den Tempelbesuchern, aber auch als Finanziers des Tempels – orientieren, allerdings im religiösen Angebot einen anderen Akzent setzen: nämlich eine

52 Vgl. Ismail 1993: 7; Horstmann 2004: 118; Ders. 2006: 171. 53 Vgl. Johnson 2012: 87–95. 54 Suvanno 1996: 5–9.

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Intellektualisierung des Buddhismus, indem in englischer Sprache Vorträge und Dhamma(dis)kurse angeboten werden, verbunden mit der Vermittlung von Meditation.55 Wie erwähnt, überschreiten solche Thai-Tempel dabei auch ihre „ethnische“ Zuordnung, indem im Kontext der Vipassanā-Meditation auch birmanische Mönche als Meditationslehrer eingeladen werden. In noch größerem Umfang als dies durch Thai-Tempel geschieht, wendet sich der singhalesische Maha ViharaTempel mit seinem englischsprachigen Angebot seit den 1960er Jahren an Chinesen. Damals begannen Chinesen die englische Sprache gegenüber dem Mandarin als Erziehungssprache vorzuziehen, um dadurch besseren Anschluss an die westliche Moderne im unabhängigen und aufstrebenden Malaysia zu finden.56 Mit dieser Sprachentscheidung war aus Sicht der Chinesen verbunden, dass Englisch – und damit der von den Singhalesen propagierte englischsprachige Theravāda-Buddhismus – als „moderner“ und intellektueller galt als der mandarinsprachige traditionelle chinesische Mahāyāna-Buddhismus. Zusammenfassend zeigt sich die Interaktion zwischen Theravāda-Buddhismus und chinesischen Formen des Buddhismus in Malaysia somit in dreifacher Weise. Chinesen rezipieren Theravāda-Praktiken entweder (a) als Ritualform, die sich Mahāyāna-Einflüssen und Praktiken chinesischer Volksreligiosität gegenüber als sehr aufnahmefähig erweist; diese Form wird von traditionellen mandarinsprachigen Chinesen favorisiert, führt jedoch auch zu inner-theravāda-buddhistischer Kritik, indem solche Formen einer „Sinisierung“ als nicht theravāda-angemessen verstanden werden; (b) als Meditationsform, die englischsprachige Laien erfasst und die besonders von (jüngeren) Thai-Mönchen bzw. eingeladenen birmanischen Lehrern angeboten wird; oder (c) als intellektuelle Form des Buddhismus, die durch die singhalesische Buddhist Missionary Society unter englischsprachigen und westlich orientierten Chinesen verbreitet wird.

5. Buddhismus im islamischen Malaysia Die Propagierung von Buddhismus (und anderen Religionen) unter Muslimen in Malaysia ist laut Verfassung des Landes untersagt, so dass Informationsschriften der BMS, die in malaysischer Sprache veröffentlicht werden, folgenden Aufdruck tragen (müssen): untuk bukan Islam sahaja („nur für Nicht-Muslime“). Damit wird der Verfassungsbestimmung Rechnung getragen, ohne dass das Anliegen der Society, Buddhismus als eine der Religionen Malaysias landesweit zu fördern, aufge55 Vgl. Lee/Ackerman 1997: 63f. 56 Vgl. Lee/Ackerman 1997: 59.

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geben wird. Trotz der in § 11 der Verfassung von Malaysia festgeschriebenen Religionsfreiheit im Land ist in Malaysia keine offizielle staatliche Institution vorhanden, die die Belange der Buddhisten als offizieller Ansprechpartner gegenüber dem Staat vertritt. Dadurch kann es zu Spannungen zwischen staatlichen Stellen und buddhistischen Interessensvertretungen kommen, etwa in Fragen der Visum-Erteilung für ausländische Mönche oder in Fragen der Baugenehmigungen für religiöse Funktionsbauten.57 Daher obliegt es verschiedenen buddhistischen Vereinigungen, die Anliegen des Buddhismus in der malaysischen Öffentlichkeit publik zu machen. An erster Stelle dieser Einrichtungen kann man die MBA nennen.58 Dabei handelt es sich um eine von mandarinsprachigen Chinesen geprägte Organisation, die sich zwar als Sprachrohr für alle buddhistischen Belange versteht, der allerdings nur Mahāyāna-Tempel angehören. Die Pläne für die Gründung dieser Organisation reichen bis in die britische Kolonialzeit zurück und am 19. April 1959 fand die feierliche Gründungszeremonie der Malayan Buddhist Association unter Teilnahme des Premierministers Tuanku Abdul Rahmans im Kek Lok Si-Tempel statt. Am 22. November 1973 wurde der Name in „Malaysian Buddhist Association“ (MBA) – angepasst dem Namen der Republik Malaysia – geändert. Gegenwärtig gehören der Association rund 740 Einzelorganisationen als Mitglieder an, wobei die MBA Niederlassungen in allen 13 Bundesstaaten von Malaysia besitzt. Insofern ist diese Vereinigung inzwischen eine landesweite Organisation, deren Ziele die Förderung des Buddhismus im Allgemeinen, die Pflege von buddhistischer Kultur und Erziehung sowie die Vertretung bzw. Verteidigung buddhistischer Interessen innerhalb der malaysischen Gesellschaft sind. Wegen der Ausrichtung der MBA am „traditionellen“ chinesischen Buddhismus mit seiner reservierten Haltung gegenüber den englischsprachig orientierten Chinesen und gegenüber den im Theravāda-Buddhismus verankerten Meditationspraktiken entstehen jedoch latente Spannungen hinsichtlich der Frage, inwieweit die Vereinigung für alle Buddhisten sprechen kann.59 Innerhalb der Theravāda-Richtungen gab es lange keine mit der MBA vergleichbare Organisation, die die verschiedenen Theravāda-Richtungen und Interessen in ähnlicher Weise vertreten würde. Daher schlossen sich im Mai 2012 theravādabuddhistische Organisationen im TBCM (= Theravāda Buddhist Council of Malaysia) als Dachverband zusammen, dem inzwischen rund 40 lokale Gruppierungen und Organisationen landesweit angehören. Das Ziel des TBCM ist es, gemeinsam die Anliegen der Theravāda-Buddhisten – auch in Kooperation mit Einrichtungen anderer buddhistischer Richtungen – in der malaysischen Gesellschaft zu fördern.

57 Vgl. Ang 2002: 89f. 58 Vgl. Ang 2002: 137f.; Ders. 2005: 69; ferner Lee/Ackerman 1997: 66; Yousif 1998: 70. 59 Vgl. Yousif 1998: 76.

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Neben diesem Dachverband kann man aber noch weitere wichtige theravāda-buddhistische Vereinigungen nennen, die ebenfalls landesweit agieren. Die vorhin genannte BMS ist dabei v. a. auf dhammadūta-Aktivitäten konzentriert.60 Hinsichtlich der Organisationsform ist bei diesen Gruppierungen hervorzuheben, dass es sich um Laienorganisationen handelt. Dies spiegelt zugleich die Situation der einzelnen Tempel in organisatorischer Hinsicht wider, die zwar von einem Mönch der entsprechenden Theravāda- oder Mahāyāna-Richtungen geleitet werden, allerdings obliegt die Tempelverwaltung in allen Fällen einem Board, das aus Laien besteht; bei den – ethnisch geprägten – Theravāda-Tempeln ist dabei die Zusammensetzung des Boards ethnisch durchaus vielfältig, wobei auch chinesische Laien eine wichtige Rolle im Tempelmanagement spielen. Die Rolle der Laien, die in ihrer religiösen Praxis weniger exklusiv an einen Tempel bzw. an eine Schulrichtung gebunden sind,61 als dies bei Mönchen der Fall ist, führt dabei auch zur Entstehung eines Netzwerks zwischen einzelnen Tempeln und Organisationen, um dadurch richtungsübergreifend die buddhistischen Interessen in Malaysia zu unterstützen, auch im Hinblick auf die Bewahrung der Religionsfreiheit in der muslimischen Umgebung. Dieses Thema gewinnt seit den 1980er Jahren zunehmend an Bedeutung, wobei die Kooperation nicht nur zwischen den buddhistischen Tempeln, sondern auch zwischen Buddhisten und den anderen nicht-islamischen Religionsgemeinschaften in Malaysia vermehrt verstärkt wird.62 Im Jahr 1983 wurde zu diesem Zweck der „Malaysian Consultative Council of Buddhism, Christianity, Hinduism, Sikhism and Taoism“ gegründet. Als größte religiöse Minderheit im Land spielt dabei der Buddhismus eine wichtige Rolle, um beständig als kritischer Opponent gegenüber Islamisierungstendenzen in Malaysia zu fungieren, damit der ethnische, kulturelle und religiöse Pluralismus des Staates in Harmonie erhalten bleibt.

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228

ENTWICKLUNGEN

IM

THERAVĀDA-BUDDHISMUS

INDONESIEN

IN

Julia Linder Der Buddhismus kam im Zuge der so genannten „Indisierung“ bzw. „Hinduisierung“ Südostasiens nach Indonesien. Dort bestand er zusammen mit dem Hinduismus auf Sumatra und Java.1 Zentren dieser hindu-buddhistischen Epoche waren Śrīvijaya im 7. Jahrhundert auf Sumatra, ab dem 8. Jahrhundert die Śailendraund Sañjaya-Dynastie in Zentraljava2 sowie ab dem 10. Jahrhundert Singosari und Majapahit im Osten Javas. Der moderne Buddhismus in Indonesien legitimiert sich durch Rückbezüge auf diese Königreiche. Nach dem Niedergang Majapahits im 15. Jahrhundert erhielten sich Formen des Buddhismus in verschiedenen Enklaven über das Archipel verteilt.3 Eine ausführliche Darstellung der frühen Königreiche und der Buddhismus-Formen sowie ihrer Verschmelzung in der Religionspraxis auf Bali hat vor einiger Zeit Jacob Ensink vorgelegt.4 Ab dem 16. Jahrhundert gibt es Zeugnisse chinesischer Tempel und Klöster (klenteng) in Indonesien. Neben dem Konfuzianismus und Daoismus wurde dort die chinesische Form des Mahāyāna-Buddhismus, eingebettet in die Tradition der drei Lehren (chines. sanjiao) der peranakan-Bevölkerung5 praktiziert. Der Buddhismus hat jedoch bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht auf andere Teile der Bevölkerung übergegriffen. Die Wieder(er)findung eines indonesischen Buddhismus hat ihren Ursprung Anfang des 20. Jahrhunderts, getragen von Europäern, peranakan und pribumi6. Ein wichtiger Motor der Buddhismusbewegung waren hierbei die Theosophische Gesellschaft sowie die regen Übersetzungs- und Publikationsbemühungen der peranakan; so finden über die Rezeptionen des Buddhismus im Westen und europäische Übersetzungen die schriftlichen Quellen des Buddhismus ihren Weg in die Kolonialgebiete. Ein zentraler Protagonist der ersten Phase des Revivals ist Kwee Tek Hoay, der durch seine Übersetzungen und Publikationen einen erheblichen Beitrag zum Import von Theravāda- wie auch Mahāyāna-Schriften und zur Verbreitung dieser Lehren in Indonesien leistet.7 1 Bechert 1982–83: 24. 2 Franke 2005: 385. 3 Sich als Nachkommen der Buddhisten Majapahits verstehende Gemeinden sind besonders, aber nicht ausschließlich, auf Ostjava konzentriert. 4 Ensink 2000. Des Weiteren Gonda 1975 und Ensink 1978. 5 Nachkommen der frühen chinesischen Migranten: indonesisch-sprachige, ethnisch-chinesische Indonesier. 6 Ethnisch-malaiische Indonesier. 7 Ishii 1984: 108–111.

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Entwicklungen im Therava¯da-Buddhismus in Indonesien

In den 1930er Jahren werden die ersten buddhistischen Organisationen gegründet: die Organisation Sam Kauw Hwee (später Tridharma) mit Ausrichtung auf die drei Lehren und ferner die Theravāda-ausgerichtete Organisation Java Buddhist Association unter der Führung von E. Power und Josias van Dienst.8 Die Bereitstellung der MahāyānaInfrastruktur für die Verbreitung von Theravāda-Lehren ist eine wesentliche Grundlage des buddhistischen Revivals und bereitet ferner den Boden für den Re-Import des Theravāda-Buddhismus aus dem buddhistischen Umland. So wird auf die Initiative der theosophischen und buddhistischen Gruppen hin 1934 der ceylonesische TheravādaMönch Nārada Thera eingeladen, der in drei Wochen ein intensives Missionsprogramm absolviert und unter anderem in chinesischen klenteng predigt. Nārada Thera führt in Indonesien die Rezitation von paritta-Texten9 als Teil der liturgischen Praxis ein. Eine Zusammenstellung von paritta-Texten von Nārada Thera wurde Hauptbestandteil des Pantjaran Bahagia („Strahl des Glücks/der Glückseligkeit“), des Standardwerks buddhistischer Liturgie in Indonesien.10 Insbesondere der indonesische Theravāda-Orden betont Nārada Theras disponierte Stellung als Wegbereiter des buddhistischen Revivals in Indonesien.11 Im Zuge der japanischen Okkupation Indonesiens 1942 werden die buddhistischen Organisationen und deren Magazine eingestellt.12

1. Die Entwicklung des Buddhismus im indonesischen Nationalstaat13 Die Re-Etablierung des Buddhismus in Indonesien nach der indonesischen Unabhängigkeit ist in besonderem Maße mit dem chinesischen Intellektuellen Teh Boan An 8 Widyadharma 1989: 8. 9 Der Pāli-Begriff paritta (Schutz) bezeichnet hier eine Sammlung an Texten und Formeln, deren Rezitation schutzbringend auf die Gemeinde wirkt. Paritta-Lesungen innerhalb der Gemeinde sind, ebenso wie rituelle Paritta-Rezitationen des Saṅgha, fester Bestandteil der Theravāda-Tradition in Indonesien. 10 Kandahjaya 2011: 30f. 11 Jayamedho 2011: 80–82. 12 Brown 2004: 50–52. 13 Es gibt verschiedene Überblicksartikel zur Entwicklung des Buddhismus im heutigen Indonesien, vgl. u. a. Brown 1987; 2004; Ishii 1984; Bechert 1981a; 1981b; 1982–83; Kandahjaya 2011 und Franke 2005. Die Artikel von Bechert, Brown 1987 und Ishii liefern einen historischen Überblick über das Revival des Buddhismus in Indonesien, letztere mit Fokus auf die Protagonisten Kwee Tek Hoay und Ashin Jinarakkhita. Brown 2004; Ekowati 2012 und Kandahjaya 2011 betrachten das Buddhismuskonzept von Ashin Jinarakkhita, insbesondere im Hinblick auf politisierte Aspekte in der Ernennung des Adibuddha zum Göttlichkeitsprinzip im indonesischen Buddhismus. Franke 2005 beleuchtet im Speziellen die Positionierung des Buddhismus in Indonesien und die Entwicklung eines Selbstverständnisses als indonesische Religion.

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(1923–2002) verbunden. Während seines Studiums in den Niederlanden engagiert er sich aktiv in theosophischen und buddhistischen Gruppen. Nach seiner Rückkehr erhält er 1953 als Mönchsanwärter Unterweisungen von Benqing, einem Chan-Lehrer der Linji-Tradition, der ihn anschließend zum weiteren Studium des Buddhismus unter Mahāsi Sayādaw nach Birma entsendet. Dort empfängt er Ende 1954 die Mönchsordination. Mit dem Namen Ashin Jinarakkhita kehrt er 1955 nach Indonesien zurück und fördert dort nun aktiv den Aufbau des Buddhismus.14 So wird 1955 die „Indonesische Gemeinschaft buddhistischer Laien“ (PUUI = Persaudaraan Upasaka Upasika Indonesia) gegründet.15 Zentrale Funktion der PUUI ist die Unterstützung des bislang einzigen Theravāda-Mönches bei der qualifizierten Verbreitung der Lehre und Versorgung der Gemeinden. Die PUUI ändert im Laufe ihrer Entwicklung mehrmals ihren Namen16 und nennt sich heute „Indonesische Vereinigung des Buddhayana“ (MBI = Majelis Buddhayana Indonesia). 1958 organisiert sich die Laiengemeinde ferner in der breiter ausgerichteten „Gemeinschaft der Buddhisten Indonesiens“ (PERBUDI = Perhimpunan Buddhis Indonesia17). Ein breites Netzwerk und eine überregionale buddhistische Infrastruktur werden eingerichtet.18

1.1. Die Entwicklung der buddhistischen Orden 1959 werden Mahāsi Sayādaw und Nārada Thera zusammen mit zwölf weiteren Mönchen aus dem Ausland einberufen, um bei Semarang einen internationalen Klosterbezirk (sīmā19) einzurichten. Dort wird kurz darauf die erste Mönchsordination der Theravāda-Tradition in Indonesien durchgeführt. Im Rahmen dieser Ereignisse wird auch 14 Zur Biographie Ashin Jinarakkhitas vgl. Bechert 1981a; 1981b; 1982–83; Juangari 1995 und Kandahjaya 2011. 15 Indonesische Wörter, die dem Sanskrit oder Pāli entlehnt sind, werden ohne Diakritika wiedergegeben (vgl. z. B. skt. upāsaka vs. indones. upasaka). Dadurch kommt es zu unterschiedlichen Schreibweisen, je nachdem, ob auf die Sanskrit- (oder Pāli-) bzw. die indonesische Form Bezug genommen wird. 16 PUUI wird 1972 zur „Indonesischen Vereinigung buddhistischer Religionsgelehrter“ (MUABI = Majelis Ulama Agama Buddha Indonesia). 1976 wird der Namensbestandteil Ulama (religiöser Gelehrter) zu Upasaka Pandita (Laien und Lehrunterweiser) umgeändert und schließlich wird MUABI 1979 zur „Indonesischen Vereinigung des Buddhayana“ (MBI = Majelis Buddhayana Indonesia). 17 1970 wird im Zuge einer Fusionierung die Namensänderung von PERBUDI zu PERBUDHI beschlossen (Widyadharma 1989: 8). 18 Brown 2004: 52. 19 Mit sīmā wird ein abgegrenzter Bereich bezeichnet, in dem die Mitglieder des Saṅgha zusammenkommen. So markiert sīmā auch die Grenzen eines Klosters. Er ist Voraussetzung für die rechtmäßige Durchführung von Ritualen der Ordensmitglieder – in diesem Fall für die Ordination von Novizen und Mönchen. Da in Indonesien keine TheravādaMönchstradition bestand, musste man sich mit dieser internationalen Alternativlösung behelfen.

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Entwicklungen im Therava¯da-Buddhismus in Indonesien

der indonesische Orden „Heiliger Saṅgha“ (Sangha Suci) gegründet. Der Sangha Suci wird 1963 umbenannt in „Großer Orden Indonesiens“ (Maha Sangha Indonesia). In diesem Saṅgha sind Mahāyāna- und Theravāda-Mönche gemeinsam organisiert. Für den Aufbau des Buddhismus und den Ausbau des Saṅgha im Speziellen ist Ashin Jinarakkhita in den kommenden Jahrzehnten weiterhin auf Unterstützung des buddhistischen Umlands angewiesen. Der thailändische Thammayutnikai20 gewinnt hierdurch an Einfluss. Die erste Entsendung buddhistischer Lehrgesandter (pāli dhammadūta) aus Thailand erfolgt im Juli 1969 auf Bitten Ashin Jinarakkhitas. Mönchsanwärter werden nun vor Ort rekrutiert und unterwiesen, zur Vertiefung der Studien und Vollordination dann nach Thailand entsandt. So etablieren die Thai-Dhammadūta seither ihre Theravāda-Tradition in Indonesien. Das sektenübergreifende Verständnis, das Ashin Jinarakkhita von der theosophischen Bewegung und seinem ersten Lehrer Benqing mitgegeben wurde, ist mitkonstituierend für den indonesischen Buddhismus, den er in dem von ihm geführten Saṅgha implementiert. Dieses Verständnis gerät nun durch zunehmende Einflüsse aus dem buddhistischen Umland in Kritik.21

1.2. Politisierung des indonesischen Buddhismus Die Entwicklungen des Buddhismus in Indonesien rücken ab den 1960er Jahren zunehmend in Abhängigkeit der politischen Rahmenbedingungen. Der Buddhismus musste sich zur fortlaufenden Anerkennung als Religion an den Klassifikationsmodellen des Religionsministeriums orientieren und ist in manchen seiner Ausformungen heute noch wesentlich von dieser Ausrichtung geprägt. So ist seit 1945 durch die Pancasila22, die fünf Säulen des indonesischen Staates als konzeptionelles Fundament des indonesischen Nationalstaats, die Vorgabe des „Glaubens an die all-eine Gottheit bzw. Göttlichkeit“23 der Verfassung übergeordnet. Ferner treten in den 1950er Jahren spezielle Bedingungen zur Anerkennung einer Glaubensrichtung in Kraft, darunter das Vorweisen eines Propheten, einer heiligen Schrift, internationaler Anerkennung sowie die Darlegung des Regelsystems der Anhänger.24 Diese gesetzlichen Bestimmungen wer20 Der Thammayut-Orden vertritt eine streng und ausschließlich am Pāli-Kanon ausgerichtete Lehrtradition. Er versteht sich damit als Bewahrer der reinen Lehre des Buddha. 21 Ekowati 2012. 22 Abgesehen von der begrifflichen Entlehnung der buddhistischen „fünf Gebote“ (pāli pañca sīla) besteht zu diesen kein direkter Zusammenhang. 23 Dieses Konzept war, der religiösen Landschaft des Landes Rechnung tragend, auf die monotheistischen Religionen Islam und Christentum ausgerichtet. Durch die grammatikalische Konstruktion ke-an, welche das Wort tuhan „Gott“ zu einer abstrakteren Form ke-tuhan-an „Göttlichkeit“ macht, wurde jedoch eine exklusiv monotheistische Formulierung vermieden und eine Einbindung anderer theistischer Konzepte zumindest nicht ausgeschlossen. 24 Kandahjaya 2011: 24.

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den im Laufe der Geschichte von den buddhistischen Akteuren mit unterschiedlichen Konzepten beantwortet und bilden den Rahmen für die Entwicklungen und Aushandlungsprozesse des Buddhismus in Indonesien.

1.2.1.

Indonesianisierung des Buddhismus unter der Neuen Ordnung

Die „Bewegung des 30. September“, in der mehrere hochrangige Generäle ermordet werden, beschließt 1965 den Machtwechsel in Indonesien von der „Alten Ordnung“ Sukarnos zur „Neuen Ordnung“ unter Suharto. Der politische Kurswechsel tritt eine Kommunistenverfolgung los und implementiert gesetzlich eine Chinesen-diskriminierende Assimilationspolitik in Indonesien. Dieses Spannungsverhältnis befördert eine klare Abwertung der Mahāyāna-Tradition, die als chinesischer Import mit Konnotation einer Ausrichtung zum Heimatland verklärt wird, unter gleichzeitiger Befürwortung des Theravāda, insbesondere des Buddhismus-Konzepts von Ashin Jinarakkhita, das als indonesischer Buddhismus in Szene gesetzt wird.25 Mit der Neuen Ordnung geht ferner eine erneute Bekräftigung der Pancasila einher. Die Auseinandersetzung mit dem Konzept einer all-einen Göttlichkeit wird nun unabwendbar: In Folge interner Treffen einigen sich die buddhistischen Protagonisten auf die Einsetzung des Ādi Buddha als all-eine Göttlichkeit, basierend auf dem altjavanischen buddhistischen Text Sang Hyang Kamahāyānikan aus dem 14. Jahrhundert.26 Befördert wird dieses Konzept von Ashin Jinarakkhita in seiner Funktion als Leiter des Maha Sangha Indonesia und damaligem Repräsentant des Buddhismus in Indonesien.27 Diese Konzeptionierungsprozesse sind Teil einer politisch eingeforderten Indonesianisierung des Buddhismus; daraus folgt eine politisch-konforme Positionierung und Profilierung eines indonesischen Buddhismus, der sich nun öffentlichkeitswirksam als theistische Religion (agama yang bertuhan) darstellt.

1.2.2. Die Spaltung der Gemeinde Dieses Konzept und die vermeintliche Einheit der buddhistischen Laien sowie des indonesischen Ordens lässt sich bis 1972 halten – dann jedoch kommt es zu einer ersten Spaltung mit einer offen formulierten Ablehnung Ashin Jinarakkhitas, des 25 Franke 2005: 395f. 26 Franke 2005: 394. 27 Nach Bhikkhu Jayamedho (vor seinem Eintritt in den Sangha Theravada Indonesia Herman S. Endro), der im Rahmen interner Treffen an dem Konzept mitgearbeitet hat, einigte man sich auf die Einsetzung des Ādi Buddha unter der Bedingung, dass dieses Konzept nicht Teil einer rituellen Verehrungspraxis werde (Jayamedho 2011: 131). Später wurde Jayamedho ein klarer Kontrahent Ashin Jinarakkhitas.

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Entwicklungen im Therava¯da-Buddhismus in Indonesien

Maha Sangha Indonesia sowie des Gotteskonzeptes, das er repräsentiert.28 Durch einen Mediationsprozess werden die Gruppen 1974 im „Großen Saṅgha Indonesiens“ (SAGIN = Sangha Agung Indonesia) wieder zusammengeführt. Die Monopolstellung des SAGIN wird jedoch angegriffen und die Zerbrechlichkeit dieser vermeintlichen Einheit ist offenkundig.29 Differenzen und Anderspositionierungen treten nun nach außen und treiben die Spaltung der Gemeinde voran. Am 3. Oktober 1976, noch vor der Gründung des „Theravāda Ordens Indonesiens“ (Sangha Theravada Indonesia), formiert sich die Laienorganisation „Indonesische Vereinigung der Unterweiser in die Lehren Buddhas“ (MAPANBUDHI = Majelis Pandita Buddha Dhamma Indonesia). Der Tenor dieser Gründung liegt auf einem Schutz- und Bewahrungsauftrag der reinen Theravāda-Tradition, deren Existenz durch Willkür, hartnäckige Angriffe und unrechtmäßige Anschuldigungen des Sangha Agung Indonesia bedroht sei.30 MAPANBUDHI benennt sich nach 1995 in „Vereinigung des Theravada-Buddhismus Indonesiens“ (MAGABUDHI = Majelis Agama Buddha Theravada Indonesia) um. Die Bildung des Sangha Theravada Indonesia wird am 23. Oktober 1976 beschlossen. Obwohl die Formierung des neuen Saṅgha durch interne Differenzen und die Spaltung der buddhistischen Gemeinde gefördert und letztendlich auch dadurch besiegelt wird, konstituiert sie keine Spaltung des Sangha Agung Indonesia, sondern bietet sich de facto als Einrichtung eines neuen, unabhängigen Saṅgha dar. Alle fünf Gründungsmitglieder, Bhikkhu Aggabalo31, Bhikkhu Khemasarano, Bhikkhu Sudhammo, Bhikkhu Khemiyo und Bhikkhu Nanavutto, sind keine direkten Schüler Ashin Jinarakkhitas, sondern Schüler der Dhammadūta aus dem buddhistischen Umland, auf deren Initiative hin sie ihre Lehre in Thailand und Sri Lanka vertieften und im Ausland vollordiniert wurden. Erst in den Jahren darauf werden Mönche des Sangha Agung Indonesia in den Sangha Theravada Indonesia übertreten – und sich von Ashin Jinarakkhita trennen. Die Errichtung des Sangha Theravada Indonesia erfolgt dennoch deutlich in Ablehnung Ashin Jinarakkhitas, als Kritik an einer NichtEinhaltung der Mönchsregeln (vinaya) und intendierten Vermischung der Schulrichtungen sowie der Überhöhung und rituellen Verehrung des Ādi Buddha als personales Gotteskonzept. Diese Entwicklung bildet den Ausgangspunkt einer zunehmenden Zersplitterung der buddhistischen Landschaft in Indonesien. So wird 1978 ferner der „Mahayana Orden Indonesiens“ (Sangha Mahayana Indonesia) gegründet.

28 Die Spaltung erfolgt über die schriftlichen Zusagen von drei Mönchen in absentia, zwei verweilen zu jenem Zeitpunkt in Thailand und einer in Sri Lanka. 29 Jayamedho 2011: 132f. 30 Jayamedho 2011: 132. 31 Nach seinem Austritt aus dem Sangha Theravada Indonesia führt er wieder seinen bürgerlichen Namen Cornelis Wowor. Von 1999 bis 2006 hatte Wowor das Amt des Generaldirektors für die Angelegenheiten des Buddhismus im Religionsministerium inne.

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2. Profil der buddhistischen Verbände In Indonesien bestehen somit bis heute drei Saṅgha, zwei davon mit TheravādaAusrichtung, die im Sangha Agung Indonesia inklusiv ist, während im Sangha Theravada Indonesia eine exklusive Theravāda-Ausrichtung vorliegt.

2.1. SAGIN: Sangha Agung Indonesia Der Sangha Agung Indonesia steht in der Tradition des ersten indonesischen Ordens Sangha Suci und führt sich auf seinen Gründer Ashin Jinarakkhita zurück. Diese Ausrichtung definiert sich in neuesten Publikationen mit den fünf Charakteristika: Nicht-sektiererisch, inklusiv, pluralistisch, universal und den Glauben an die all-eine Göttlichkeit, repräsentiert durch das Konzept des Sang Hyang Adi Buddha (dharmakāya32). Ferner verschreibt sich der SAGIN dem Buddhayāna33 durch Studium, Praxis und das Teilen eines Lebens voller Achtsamkeit miteinander sowohl in der Tradition des Theravāda, des Mahāyāna wie auch des Vajrayāna, unter der Voraussetzung, dass keine der einzelnen Schulrichtungen den gemeinsamen sekten-übergreifenden Charakter gefährdet und zu schwächen versucht.34 In den Tempeln des Buddhayāna sind die religiösen Dienste (skt. pūjābhakti) nicht exklusiv auf eine Tradition ausgerichtet, sondern werden von den Vertretern der jeweiligen Tradition durchgeführt. Ebenso werden die Feste von den Traditionen gemeinsam begangen.35 SAGIN wird durch die Laienorganisation MBI unterstützt.

32 Der „Körper der Lehre“ (skt. dharmakāya) ist Teil der Drei-Körper-Lehre (trikāya) im Buddhismus, einem komplexen Konzept von Verkörperungen des Buddha, das in verschiedenen Schulrichtungen unterschiedlich weiterentwickelt wurde. Ausgangspunkt ist das Konzept einer geistigen Verkörperung der Lehren und Erkenntnisse Buddhas, die in der Form des dharmakāya auch nach seinem physischen Verscheiden erhalten bleiben. In der indonesischen Buddhayāna-Richtung wurde das Ādi Buddha-Konzept im Laufe der Zeit nicht stringent durch die Gleichsetzung mit anderen buddhistischen Konzepten zu erklären versucht. Im aktuellen Diskurs findet eine Gleichsetzung des Ādi Buddha mit dem dharmakāya statt. 33 Buddhayāna („Fahrzeug/Weg des Buddha“; auch Ekayāna „das eine Fahrzeug“, „der eine Weg“) bezieht sich hier auf ein schulenübergreifendes Konzept, nach dem die unterschiedlichen Praktiken und Regeln, repräsentiert durch die jeweiligen Richtungen, letztlich als Mittel zur Erreichung des gemeinsamen übergeordneten Ziels, der Verwirklichung der Lehre des Buddha, dienen und diesem untergeordnet sind. 34 Dharmawimala 2012: 10. 35 Dharmawimala 2012: 1–11.

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Entwicklungen im Therava¯da-Buddhismus in Indonesien

2.2. STI: Sangha Theravada Indonesia Daneben besteht der Sangha Theravada Indonesia, der exklusiv an der TheravādaLehre ausgerichtet ist und ausschließlich aus Theravāda-Mönchen besteht. Er hat bis heute eine enge Verbindung zum thailändischen Thammayutnikai und leitet daraus ferner eine klare Ordinationslinie her. Der STI bietet ein Alternativ-Konzept der Göttlichkeit im Buddhismus, in dem er das Nibbāna als All-Eines (yang maha esa) bezeichnet, mit Bezügen auf das Khuddaka Nikāya.36 In der religiösen Praxis wird dieses Absolute und Unbedingte in der Form der „drei Juwelen“ (sang triratna) verehrt.37 Mit den dazugehörigen Laiengemeinschaften MAGABUDHI, der Jugendorganisation „Indonesische Theravāda-Jugend“ (PATRIA = Pemuda Theravada Indonesia) und der „Indonesischen Theravāda-Frauengruppe“ (WANDANI = Wanita Theravada Indonesia) bildet sich die „Familie des Theravāda-Buddhismus Indonesiens“ (KBTI = Keluarga Buddhis Theravada Indonesia). Der mühsame Prozess sich selbst zu definieren und sich ein abgrenzendes Werteprofil zu geben, wie ihn der SAGIN nun seit mehr als 50 Jahren durchläuft, ist damit überflüssig. Der SAGIN steht in diesem Zusammenhang in der Kritik des unklaren Status (status tidak jelas), d. h. dass er keine akzeptable, hier mit dem Thai-Saṅgha vergleichbare, Ordinationslinie vorweisen kann: So führe sein Entstehen aus einem internationalen sīmā heraus und die Ordination der Mönche des SAGIN in unterschiedlichen Schulrichtungen zum Fehlen einer einheitlichen, legitimierenden Traditionslinie. Dies sei eine Folge des Schulen übergreifenden Verständnisses und der Ordenspolitik von Ashin Jinarakkhita.38

2.3. Die Dachorganisationen: Zusammenarbeit der buddhistischen Verbände 1979 wird mit Unterstützung der indonesischen Regierung ein ökumenischer Kongress durchgeführt. Ergebnis dieses Kongresses ist eine Erklärung zur gegenseitigen Zusammenarbeit und Förderung indonesischer Werte im Buddhismus sowie die Formung der Körperschaft „Vertretung der buddhistischen Gemeinde Indonesiens“ (WALUBI = Perwalian Umat Buddha Indonesia).39 In dieser Dachorganisation waren neben weiteren Laiengruppen alle drei Orden und die ihnen jeweils zugehörigen Laiengruppen repräsentiert. Mitte der 1990er Jahre kommt es jedoch zu erheblichen Konflikten im Zuge einer zunehmenden Politisierung der Organisa36 37 38 39

Bechert 1982–83: 28; Ishii 1984: 113f. Brown 1987: 116. Racheman 2011: 73–76. Jayamedho 2011: 153–166.

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tion. Strategische Manöver der WALUBI-Führung, unter Miteinbeziehung des Militärs und Anwendung übertriebener Härte, schaffen eine klare Theravāda-Dominanz im Dachverband. Die Konflikte kulminieren schließlich 1995 im Ausschluss des SAGIN und der dazugehörigen Laienorganisation MBI. Als Begründung wird angeführt, der SAGIN und die MBI verträten eine Glaubensrichtung (kepercayaan) und keine Religion (agama).40 Ferner würden beide Gruppen die Disziplin der Organisation verletzen, die buddhistischen Schulrichtungen synkretistisch vermischen, die Gemeinde mit Vorsatz aufzuhetzen und aufzuspalten versuchen und traditionelle chinesische Religionspraktiken durchführen.41 Das Religionsministerium ließ zugleich verlauten, dass alle ihm unterstellten Abteilungen die Entscheidungen von WALUBI anerkennen und unterstützen. Damit standen der SAGIN und die MBI nicht länger unter dem Schutz des Religionsministeriums. Nach dem Rücktritt Suhartos im Zuge der Reformasi 1998 wird WALUBI aufgelöst, allerdings unter sofortiger Neuformierung.42 Eingebürgert haben sich für die Differenzierung mittlerweile die Bezeichnungen „Alter WALUBI“ (WALUBI lama) und „Neuer WALUBI“ (WALUBI baru).43 Die drei Orden in Indonesien lösen daraufhin ihre Verbindung zum Neuen WALUBI und gründen eine eigene, Saṅgha-geführte Dachorganisation „Große Ordenskonferenz Indonesiens“ (KASI = Konferensi Agung Sangha Indonesia), die als repräsentative Körperschaft des Buddhismus in Indonesien dienen soll. Bis heute bestehen beide Dachverbände nebeneinander, wobei nur die KASI die volle Unterstützung aller drei indonesischen Orden genießt. Ferner kommt es zu einer Wiederaufnahme des SAGIN und der MBI in den Schutz des Religionsministeriums und einer Rehabilitierung beider Verbände, insbesondere unter der Präsidentschaft von Abdurrahman Wahid (Amtsperiode 1999 bis 2001), der den alten wie auch den neuen WALUBI und die Politik der Führungsriege deutlich kritisiert.44 Die mit KASI verbundenen Organisationen sind MBI, MAGABUDHI, die „Vereinigung des Mahayana-Buddhismus Indonesiens“ 40 Agama sind vom indonesischen Staat offiziell anerkannte Religionen. Sie genießen einen privilegierten Status gegenüber den Kepercayaan. In die Kategorie „Glaubensrichtungen“ fallen in Indonesien u. a. die traditionellen Religionskonzepte der einzelnen Volksgruppen, mystische sowie neue religiöse Strömungen (Franke 2012: 122; ferner Handes 2011: 165). 41 Wijaya-Mukti 2011. 42 Die Neuformierung läuft unter dem gleichem Akronym WALUBI, allerdings wird der Namensbestandteil „Perwalian“ (wali: „Vertreter“, perwalian: „Vertretung“) zu „Perwakilan“ (wakil: „Stellvertreter“, perwakilan: „(Stell-)Vertretung“) geändert. 43 Jayamedho 2011: 165–169; Wijaya-Mukti 2011. 44 Faktisch zeigt sich jedoch, dass trotz der vielen positiven Entwicklungen die Organisationen immer noch nicht frei sind von Politisierung. So war die Ausrichtung der Nationalen Waisak-Zeremonie am Borobudur im Sinne einer jährlichen Abwechslungsregelung beiden buddhistischen Dachorganisationen zugesprochen worden. De facto ist diese Regel jedoch im Zuge eines Wechsels im Religionsministerium nun außer Kraft gesetzt – wie mir der Generalsekretär der KASI, Bhikkhu Dhammakaro Thera, in einem persönlichen Interview im April 2014 mitteilte.

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(MAJABUMI = Majelis Agama Buddha Mahayana Indonesia) und die „Indonesische Vereinigung des Buddhismus der drei Lehren“ (Majelis Agama Buddha Tridharma Indonesia). Aus der Satzung der KASI wird deutlich, dass man aus den negativen Erfahrungen mit WALUBI Konsequenzen zieht: Entsprechend dem Tripiṭaka sind der Saṅgha und die Laien eine Gemeinschaft, die jeweils für sich alleine bestehen. Die Anwesenheit des Saṅgha ist obligatorisch, wohingegen die Anwesenheit der Laiengemeinschaft segensreich, aber dennoch fakultativ ist. Die Organisationen der Laien dürfen sich ändern, gar auflösen und neuformieren, aber der Saṅgha muss seine Existenz entsprechend den im Tripiṭaka niedergelegten Vorschriften des Vinaya wahren.45

3. Schlussbetrachtung Der Buddhismus im heutigen Indonesien ist ein Konglomerat u. a. javanischer Mystik, chinesischen Synkretismus und europäischer Theosophie. Dazu kommen Einflüsse aus den buddhistischen Nachbarländern: insbesondere Birma, Thailand und Sri Lanka, die ebenfalls ihren Beitrag zu den Konzepten in Indonesien geleistet haben. Eine Momentaufnahme des Buddhismus im heutigen Indonesien ist ferner Ergebnis und Zusammenspiel verschiedener historischer, kultureller, ethnischer und politischer Faktoren: Der aufkommende Nationalismus, die japanische Okkupation, die indonesische Unabhängigkeit, der Coup von 1965, die Kommunistenverfolgungen und anti-chinesische Verfolgungswellen bilden den historischen Kontext, in dem sich der Buddhismus in Indonesien herausbildete. Ferner waren die Pancasila und die Vorgaben des Religionsministeriums richtungsweisend für die Positionierung des Buddhismus im indonesischen Nationalstaat. Gerade die Art und Weise, wie diese Faktoren zusammenkommen und zusammenwirken, macht das besondere Gepräge der religiösen Gegenwartskultur aus: So ergibt nicht die gleichteilige Addition der oben genannten Faktoren einen statischen indonesischen Buddhismus, sondern die Zusammensetzung verschiebt sich permanent und rückt für einzelne Gruppen jeweils bestimmte Aspekte zeitweilig in den Vordergrund. Die unterschiedlichen Akzentsetzungen und Differenzen spielen jedoch hauptsächlich in den Zentren der jeweiligen Organisationen und Orden eine Rolle. Die Gemeinden selbst sind selten von diesen Konflikten direkt betroffen, auch wenn sie sich meist deutlich zu ihrem jeweiligen Saṅgha zugehörig verstehen. Jedoch können die Konflikte innerhalb der buddhistischen Organisationen auch bis auf die Gemeinde- und Dorfebene ausstrahlen, wenn ein Gemeindetempel in 45 Gründungsdokument von KASI 1998.

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die Zuständigkeit einer anderen Organisation und damit eines anderen Saṅgha übergeht. Die Betrachtung der buddhistischen Organisationen und eine Aufarbeitung ihrer Entwicklungen, insbesondere seit 1972, sind richtungsweisend in der Frage nach der Kategorisierung des Buddhismus im heutigen Indonesien. Denn gerade diese Verbände haben jeweils klar zueinander und zu einem Buddhismus-Konzept in Indonesien Stellung bezogen. Sie sind Träger der Aushandlungsprozesse um Positionierung und Profilierung dessen, was sich heute als Agama Buddha (di) Indonesia, d. h. „Buddhismus in Indonesien“ oder eben „Indonesischer Buddhismus“, darbietet. Das macht ihre Betrachtung interessant, gerade im Hinblick auf ihre ursprünglichen und noch immer erhaltenen Gemeinsamkeiten sowie ihre Abgrenzungen zueinander. Sie sind das Ergebnis konfliktbeladener Aushandlungsprozesse und zeigen auf, was im gegenwärtigen Indonesien unter dem Begriff Theravāda-Buddhismus – inklusiv wie exklusiv – besteht.

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B. DIE VERBREITUNG DES TANTRISCHEN BUDDHISMUS

BUDDHISMUS

IN

TIBET

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1. Einführung Die bunte Bilderwelt des tibetischen Buddhismus, berühmt für ihr umfassendes und buntes Pantheon von tantrischen Gottheiten in diversen Stimmungserscheinungen – friedlich, ekstatisch oder auch rasend –, angerufen in komplexen Ritualen unter Trommelwirbeln und dem schrillen Klang von Tschinellen mit tief dröhnenden Stimmen, scheint wenig gemeinsam zu haben mit den ursprünglichen Lehren des Buddha Gautama. Dennoch finden wir einzig in Tibet eine buddhistische Tradition, in der alle Hauptwege der buddhistischen Geistesschulung wie Hīnayāna, Mahāyāna und Vajrayāna nicht nur textlich – mitunter auch in ihren Sanskrit-Urfassungen – erhalten waren, sondern auch studiert, präzise kontempliert und letztendlich von einer großen Anzahl von Anhängern auch gemeistert und realisiert worden sind, so dass die essenziellen Übertragungslinien über die Guru-Schüler-Stammbäume bis zum heutigen Tag lebendig erhalten werden konnten. Diese spezielle Besonderheit der ungebrochenen Übertragungslinien sowie der unermessliche Schatz an buddhistischen Manuskripten in Sanskrit und Pāli als auch Kleinbronzen der Pāla-Epoche, konserviert in den Klöstern in Tibet selbst bis zum Exodus Mitte des 20. Jahrhunderts, spiegeln den eigentlichen Wert dieser einzigartigen Tradition als Weltkulturerbe der Weisheit wider. Im Unterschied zur Entwicklung des Buddhismus auf dem indischen Subkontinent, wo – mit Ausnahme der peripheren tantrischen Adepten – die Lehren des erhabenen Buddha gesellschaftlich stets elitär blieben, indem sie im Umfeld der örtlichen Herrschermetropolen kontempliert oder philosophischen Debatten in den großen monastischen Universitäten vorbehalten blieben, ergriff der Buddhadharma in Tibet die gesamte Bevölkerung. Diese Entfaltung vollzog sich seit der ersten „legendären“ Kunde über die Lehre des Buddha unter dem 28. König der tibetischen Yarlung-Dynastie (5. Jahrhundert) über die erste „historische“ Einführung unter König Songsten Gampo (7. Jahrhundert), die Etablierung des tantrischen Buddhismus durch Padmasambhava (8. Jahrhundert), bis zur so genannten „Zweiten Verbreitung“ unter dem indischen Gelehrten Atīśa Dīpaṃkara (11. Jahrhundert) über sechs Jahrhunderte. Mit der Popularisierung des Tārā-Kultes in Tibet und der Strukturierung und Einführung neuer Tantraüberlieferungen aus Indien gab Atīśa den Impuls für eine Kulturrenaissance in Tibet nach einem Interim von 150 Jahren säkularer und klerikaler Anarchie. 243

Buddhismus in Tibet

In dieser Epoche war der Ruf der Klosteruniversitäten wie Nālandā, Odāntapuri und Vikramaśīla weit über die Grenzen Indiens über die Seidenstraße, den Seeweg oder den Himalaya ins tibetische Schneeland, nach China und Zentralasien gedrungen. Zahlreiche wissbegierige Pilger scheuten nicht die Gefahren langer Anreisen, um an diesen Stätten zu studieren und das angereicherte Wissen in der eigenen Heimat zu verbreiten. Gewisse Reisende aus Tibet bezeugten jedoch weniger Interesse an akademischer Exzellenz, sondern folgten vielmehr einem inneren Ruf und machten sich auf die Suche nach authentischen Meistern der direkten Geistesübertragung, praktiziert und verwirklicht von tantrischen Mahāsiddhas der Sahaja-Tradition1 an der gesellschaftlichen Peripherie, auf Leichenstätten, im Wald oder in Höhleneremitagen. Die Leistungen beider Ambitionen, akademisch und/ oder praxisbezogen, fanden in Tibet einen fruchtbaren Boden und gipfelten nach und nach in der Bildung verschiedener Schulen und Traditionen, deren Entwicklung, Neuorientierung, Assimilation oder Synkretisierung sich bis zum heutigen Tag nicht nur in Tibet, sondern im gesamten Himalaya-Gürtel bis in die Mongolei und schließlich auch im außerasiatischen Bereich fortsetzt. Jede dieser in Tibet als vier Hauptschulen differenzierten Traditionen, die „alte“ Schule der Nyingmapa (rNying-ma-pa), gegründet von Padmasambhava, die „neuen“ Schulen der „oralen Transmission“ (bKa’-brgyud-pa) von Marpa (11. Jahrhundert), die Sakya-Schule (11. Jahrhundert) der „Grauen Erde“ (Sa-skya-pa) der Khon-Dynastie sowie die „tugendhafte“ Schule (dGe-lugs-pa) des Tsongkhapa (14./15. Jahrhundert), betont bestimmte Schriften, Transmissionen und spirituelle Stammbäume. Alle jedoch beinhalten eine volle Ausbildung und einen Weg bis zur Erleuchtung in einem Leben. Jede Lebensphase eines traditionellen Tibeters ist durchdrungen von den ethischen Grundlagen des Buddhismus, insbesondere des Mahāyāna. Und es gibt wohl keinen Tibeter, der nicht in die Übung des Vajrayāna initiiert ist. Meist ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule oder dem Zweig einer Schule sowohl orts- als auch familienbestimmt. Und schulenmäßige Intoleranz ist weniger philosophisch begründet als vielmehr natürliche Selektierung aufgrund geographischer Abgeschiedenheit. Ein tibetisches Sprichwort bekundet: „Jedes Tal hat seine Sekte“. Eine besondere Ausprägung des Buddhismus in Tibet erfolgte aufgrund der Begegnung und der Symbiose des Buddhismus mit der indigenen Glaubensrichtung des Bön, das einerseits in seiner ländlichen Rohform schamanische Züge aufweist, aber in der höfischen Kultur Zeuge seines ursprünglichen iranisch-zentralasiatischen Erbes ist, auch mit Einfluss des Manichäismus. Diese Assimilation mit den lokalen Kulten Tibets und der Himalaya-Region ist vergleichbar mit der Symbiose oder dem Synkretismus des Buddhismus mit dem Brahmanismus oder Hinduismus Südasiens.

1 „spontan“, „natürlich“, „einfach“: ein Ausdruck spiritueller Emanzipation aus der indischen Tantra-Tradition des frühen Mittelalters; zur Sahaja-Tradition siehe Loseries 2015.

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Abgesehen von den Lehrinhalten verfolgte oder verursachte die Bildung von unterschiedlichen Schulen auch eine politische Vernetzung, zumindest mitverursacht durch die Einführung einer spirituellen Erblinie auf der doktrinalen Grundlage der mahāyānischen „Drei-Körper-Lehre“ (sku-gsum; skt. trikāya), des so genannten Tulku-Systems (sprul-sku), das im 11. Jahrhundert in der Karmapa-Linie der Kagyüpa seinen Anfang nahm. Unter anderem führte die ideologische Grundidee einer „erleuchteten“ panasiatisch symbiotischen Idealherrschaft, geteilt zwischen „Gabenherr“ (sbyin-bdag) und Ratgeber oder Guru (bla-ma), zu politischen Konkordaten zwischen der mongolischen Yuan-Dynastie und dem tibetischen Herrscherhaus der Khon unter Vorschub ihrer Sakya-Hierarchen (12./13. Jahrhundert) sowie in der Folge zur Institution eines Dalai Lama unter mongolischer Patronanz (16. Jahrhundert). Des Weiteren konnte der fünfte Dalai Lama mit Hilfe der Qošud-Mongolen die politische Vorherrschaft der Gelugpa (dGe-lugs-pa) in Tibet sichern (17. Jahrhundert). Die neugegründete hierokratische Regierung mit ausgedehnten Privilegien für Klerus und Adel kam in der Folge mehr und mehr in Abhängigkeit von zuerst mongolischer, später chinesischer Schirmherrschaft, was schließlich im Trubel der Spätindustrialisierung und Revolution in China in der Mitte des 20. Jahrhunderts zum Untergang des Reiches und somit auch des politisch geförderten Buddhismus in Tibet führte. Eine Inkarnationslinie der „Drachen-Schule“ (ʼBrug-pa) der Kagyüpa flüchtete ebenfalls aus territorial begründeten Zwistigkeiten in ein im Süden gelegenes unbewohntes Grenzland und begründete dort das eigene klerikale und säkulare Reich der Namgyal-Dynastie (rNam-rgyal), nun als Bhutan bekannt, wo als einziges Land auf der Welt bis zum heutigen Tag die tibetische Tradition des Vajrayāna-Buddhismus als Staatsreligion anerkannt ist.

2. Die erste Verbreitung des Buddhismus in Tibet (7. bis 9. Jahrhundert) 2.1. Die Anfänge Die bisher erfolgten archäologischen Untersuchungen ergaben, dass das tibetische Hochplateau wahrscheinlich um 2800 v. Chr. vom Nordosten und Süden her besiedelt worden ist. Die frühesten Bewohner, die zu den tibeto-birmanischen Volksgruppen zählten, waren Hirtennomaden, die wie viele Steppenhirten Zentralasiens in ständiger Furcht vor den Mächten ihrer unwirtlichen Umwelt einem Geisterund Dämonenglauben mit starken animistischen und schamanischen Elementen anhingen. Exorzistische und apotropäische Riten standen im Mittelpunkt ihres 245

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Umgangs mit ihrer inneren und äußeren Erfahrungswelt, Grundzüge, die sich bis heute auch unter dem Deckmantel des tibetischen Buddhismus erhalten haben. Die buddhistische Geschichtsschreibung, die erst mit Einsetzung einer eigenen Schrift ab dem 7. Jahrhundert langsam Gestalt annahm, überlieferte die Epoche vor dem Einzug der edlen Lehre des erhabenen Buddha als eine Zeit der Finsternis und Barbarei. Einem buddhistisch gefärbten Schöpfungsmythos nach stammten die ersten Menschen Tibets von einer Felsdämonin und einem Affen ab, die sich an einem Ort namens „Spielplatz“ (rTse-thang) im Yarlung-Tal, wo auch später die ersten Könige sesshaft wurden, gepaart haben sollen.2 Die Dämonin wird schlechthin als die böse, weibliche Urkraft geschildert, deren Gewalt sich über das ganze Land erstreckte. Der Affe jedoch wurde als Emanation des Bodhisattva Avalokiteśvara, einer Ausstrahlung des Mitgefühls aller Buddhas, verstanden, der bis heute als Schutzpatron Tibets mit seinem Sechs-Silben-Mantra Oṃ Maṇi Padme Hūṃ („Halter von Juwel und Lotus“)3 höchste Verehrung genießt. Die Anfänge des Buddhismus in Tibet sind folglich im Laufe der Yarlung-Dynastie zu finden, deren Linie buddhistischer Könige später als „Dharma-Könige“ (chosrgyal) bekannt wurde. Bis vor dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert war Tibet in kleine Fürstentümer ohne eine gemeinsame tibetische Identität aufgeteilt. Erst Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gelangte ein aus seiner Heimat vertriebener indischer Prinz nach Tibet, wo er im Jahre 127 v. Chr. unter dem Namen Nyatri Tsenpo (Nyaʼ-khrid bTsan-po) zum König gekrönt wurde. Er errichtete den ersten Palast im Lande, den Yumbu Lagang (Yum-bu Bla-sgang) im fruchtbaren YarlungTal. Er und seine Nachfolger breiteten ihre Herrschaft über ganz Tibet aus. Die erste Berührung Tibets mit den Lehren des Buddha wird in tibetischen Quellen während der Regierung des Königs Lha-tho-tho-ri, dem 28. König der tibetischen Yarlung-Dynastie (5. Jahrhundert), angesetzt. Damals soll der Legende nach ein goldener Stūpa, ein buddhistischer Text und ein wunscherfüllender Juwel vom Himmel auf das Dach des Yumbu-Lagang-Palastes gefallen sein und eine himmlische Stimme verkündete, dass deren Bedeutung erst nach fünf Generationen verstanden werde. In historischen Quellen4 wird jedoch Songtsen Gampo (Srong-btsan sGam-po), der 33. König (7. Jahrhundert), als Begründer des Buddhismus in Tibet angegeben. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass schon zur Zeit des Lha-tho-tho-ri buddhistische Texte und Gegenstände nach Tibet gebracht worden sind. Denn in den Grenzgebieten Tibets waren solche wie auch die Lehre des Buddha wohlbekannt. Chinesische Quellen bezeugen, dass tibetische Stämme bereits im vierten Jahrhundert nach Ostkansu, Shensi und Sechuan gekommen seien, wo sie bedürftige Mönche unterstützt haben sollen. Auch Kumārajīva (4. Jahrhun-

2 Stein 1972: 26–37. 3 Zur Übersetzung des Mantra siehe Kapstein 1997: 71. 4 Blaue Annalen, Roerich 1988: 39.

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dert), der berühmte Übersetzer und Erneuerer des chinesischen Buddhismus, soll von einem tibetischen Herrscher im späteren Liang gefördert worden sein.5 Deshalb ist anzunehmen, dass zumindest in Osttibet während und nach der Zeit des Königs Lha-tho-tho-ri Wissen über den Buddhismus unter der Führungselite verbreitet war. Denn die buddhistische Lehre wurde entlang der Seidenstraße über westliche und nördliche Grenzgebiete Tibets nach China gebracht. Möglicherweise haben Händler Kunde davon nach Zentraltibet gebracht. Als Songtsen Gampo im Jahre 627 den Thron bestieg, war das Land jedenfalls für eine Adaptierung und Verbreitung des Buddhismus genügend vorbereitet.

2.2. Der erste Dharma-König Songtsen Gampo (613/14–649/50 n. Chr.) Songtsen Gampo, der 33. Herrscher der Yarlung-Dynastie, wird als der eigentliche Einiger Tibets angesehen. Der Expansionspolitik seines Vaters Namri Songtsen (gNam-ri Srong-btsan) folgend besiegte er alle innertibetischen Rivalen und wurde so mächtig, dass er den chinesischen Kaiser Tang Taizong mit militärischer Gewalt zwingen konnte, ihm eine Prinzessin zur Frau zu geben. Desgleichen gelang ihm eine Allianz mit seinem südlichen Nachbarn, dem König von Nepal. Mit seinem Sieg über das im Westen gelegene Königreich Shangshung, eine Hochburg der Bön-Religion, kam auch eine Shangshung-Prinzessin an seinen Hof.6 Auch diese Verbindung sollte nachhaltigen Einfluss auf die kulturpolitische Entwicklung Tibets haben. Songtsen Gampos Bekehrung zum Buddhismus wird dem Einfluss seiner zwei Hauptgemahlinnen zugeschrieben, der Prinzessin Bhṛkutī, Tochter des Königs Aṃśuvarmā von Nepal, und Prinzessin Wencheng, Tochter des Kaisers Tang Taizong von China. Beide waren fromme Buddhistinnen und brachten kostbare heilige Objekte in ihrer Mitgift nach Tibet. Sie unterstützten auch den Bau der ersten zwei Tempel in der neu gegründeten Königsstadt Lhasa, den Jokhang-Tempel (Jokhang), gegründet von Bhṛkutī, und den Ramoche-Tempel (Ra-mo-che), erbaut unter der Patronanz der chinesischen Prinzessin im Herzen der Stadt, wo auch die sancti sanctorum aufbewahrt wurden, die berühmte Statue „Kostbarer Herr“ (jo-bo rin-po-che), eine goldverzierte Bronzestatue des Buddha Śākyamuni, die mit Prinzessin Wencheng aus China nach Tibet kam, sowie ein Bildstock des Buddha Akṣobhya (Mi-bskyod rDo-rje), den Bhṛkutī aus Nepal gebracht hatte. Ferner ließ der König zwölf andere Grenzen und „Glieder“ fixierende Kapellen im Lande errichten, um angeblich die Gewalt der dämonischen Ahnenmutter (srin-mo) zu ban5 Dargyay 1979: 5. 6 Stein 1972: 59.

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nen, die mit ihrem Körper sein ganzes Reich besetzt gehalten haben soll. Einige dieser Kapellen wie z. B. Katsel Lhakang (sKa-tshsal Lha-khang) in Uru (dBu-ru) sind noch heute erhalten. Durch den Bau dieser Tempel wurden die Glieder der Dämonin mit einem Zauberdolch (phur-bu) angepflockt. Ihr Herz soll in einer unterirdischen Höhle im Fundament des Jokhang-Tempels festgenagelt sein; heute noch meinen Gläubige, aus dem tiefen Untergrund durch einen Felsschlund im Tempel das Rauschen des Blutes und den Herzschlag der Dämonin mit Hilfe eines Muschelhorns zu hören. Prinzessin Wencheng wird in den tibetischen sowie chinesischen Quellen7 zugeschrieben, dass sie nicht nur chinesisches Wissen über Medizin, Astrologie und Geodäsie am königlichen Hof vermittelt hat, sondern auch Gepflogenheiten aus ihrer Heimat bezüglich Essenskultur und Kleidung. So soll es ihr gelungen sein, zumindest am Königshof die Sitte, die Gesichter zum Sonnenschutz rot zu färben, abzuschaffen. Darüber hinaus gelang es ihrer chinesischen Gefolgschaft auch, landwirtschaftliche und handwerkliche Reformen am Dach der Welt einzuführen, wie künstliche Bewässerung für den Gerstenanbau, ferner Bierbrauen und Töpferei. Aus China wurden Papier und Tinte, später auch Tee importiert. Prinzessin Bhṛkutī kommt das Verdienst für den Bau des Jokhang sowie für den Einsatz newarischer Handwerkskunst in der Gestaltung der Tempel und Paläste zu. Wahrscheinlich unter dem Einfluss seiner Gemahlinnen entwarf Songtsen Gampo auch eine neue Verfassung, bestehend aus sechs Gesetzeskodizes für sein Volk, nach dem Muster buddhistischer Prinzipien und Disziplin. Ferner war er für den Bau des Potala, des „roten Palastes“, in Lhasa für seine chinesische Gemahlin verantwortlich.8 Die größte Leistung in der Geschichte des tibetischen Buddhismus vollbrachte Songtsen Gampo jedoch mit der Einführung einer neuen Schrift für die tibetische Sprache. Es ist anzunehmen, dass bereits eine Schrift im Umlauf war; nicht zuletzt hatte Songtsen Gampo auch das westliche Königreich Shangshung im Umkreis des heiligen Berges Kailāsa eingenommen, eine Hochkultur des Bön, das zu jener Zeit ebenfalls schon eine Schrift besaß. Ob nun für administrative Zwecke oder für die Übersetzung buddhistischer Schriften, so war es doch diese Adaptierung der nordindischen Form der Gupta-Schrift für tibetische Bedürfnisse, die letztendlich die lange und erfolgreiche literarische Traditionen des Buddhismus in Tibet in Bewegung gesetzt hat. Diese Schriftreform ist Songtsen Gampos Minister Thonmi Sambhota zu verdanken, den der König mit einer großen Gefolgschaft nach Indien, wahrscheinlich Kaschmir, entsandte, um dort die nordindischen Sprachen zu studieren. Nach seiner Rückkehr nach Tibet entwickelte er die tibetische Schrift nach dem Vorbild der indischen Modelle. Er wandelte diese so ab, dass sie sich zur Wiedergabe des tibetischen

7 Bacot 1962: 12. 8 Bacot 1962: 14.

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Lautsystems eignete. Dazu mussten Buchstaben hinzugefügt, andere fortgelassen werden. Er verfasste in acht Werken deren Grundgrammatik und Phonetik, von denen heute nur noch zwei erhalten sind. Dennoch dienen diese als Standardwerke zum Erlernen der tibetischen Sprache und Schrift bis zum heutigen Tag. Somit begann unter der Anleitung von Thonmi Sambhota die größte literarische Übersetzungswelle der Weltgeschichte, die sich über mehrere Jahrhunderte fortsetzen sollte. Thonmi Sambhota übersetzte die Texte aus der Zeit von Lha-tho-tho-ri sowie mehrere Sūtras und wurde somit zum ersten Übersetzer in der tibetischen Geschichte. Songtsen Gampo soll sich den Quellen nach für Wochen zurückgezogen haben, um die tibetische Schrift und Grammatik zu meistern. Danach übersetzte er zahlreiche Avalokiteśvara-Texte ins Tibetische und beauftragte ein Team ausgebildeter Übersetzer in Zusammenarbeit mit Gelehrten aus Indien, Nepal und China mit der Übertragung buddhistischer Texte ins Tibetische. Somit wird König Songtsen Gampo auch die Schriftsammlung Mani Gambum (Maṇi bKaʼ-ʼbum, „Maṇi-Lehrsammlung“) zugeschrieben, die als Schatztext (gterma) im 12. und 13. Jahrhundert wiederentdeckt wurde und in deren Mittelpunkt Avalokiteśvara, der Bodhisattva des großen Mitgefühls, steht. In ihr wird der Bodhisattva als Vater des tibetischen Volkes, als das höchste spirituelle Prinzip sowie als Bodhisattva des Mitgefühls, vom Affenmythos bis zum König von Tibet, Songtsen Gampo, verherrlicht.9 Somit wurde postum Songtsen Gampo als Emanation des Avalokiteśvara verehrt und seine beiden Gemahlinnen genossen als Ausstrahlungen der Weißen und Grünen Tārā kultische Verehrung. Wenn der chinesische Einfluss in Tibet zu jener Zeit mehr politischer und sozialer Natur war, der sich auf materieller Ebene manifestierte, war der Einfluss Indiens rein spirituell. Bis zum heutigen Tag verehren Tibeter Indien als das „Land der Edlen“ (’Phags-pa lung-pa). Denn das gesamte buddhistische Schrifttum Tibets beruht hauptsächlich auf Sanskrit-Fassungen der „Drei-Korb-Lehren“ (snod-gsum; skt. tripiṭaka) sowie der Tantras, die wortgetreu ins Tibetische übertragen über Jahrhunderte studiert, kontempliert und kommentiert worden sind. Während der Regierungszeit Songtsen Gampos, der als erster Dharmarāja (chosrgyal) Tibets in die Geschichte eingegangen ist, war die Ausbreitung der buddhistischen Lehre jedoch nur auf den königlichen Hof beschränkt, und deren Priester waren Inder und Chinesen. Riten des täglichen Lebens und vor allem die aufwendigen Totenrituale für die Herrscherfamilie erfolgten nach der am Hofe zumeist von Ministern vertretenen Bön-Tradition. Auch Songtsen Gampos Nachfolger zeigten kein großes Interesse, den Buddhismus im Volk zu verbreiten. Erst der 38. König der Yarlung-Dynastie, Trisong Detsen, bekannt als zweiter Dharmarāja, vermochte das Werk seines edlen Vorfahren fortzusetzen und einen entscheidenden Impuls für die Verbreitung des Buddhismus in Tibet leisten.

9 Kapstein 1997: 70–72.

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2.3. Der zweite Dharma-König Trisong Detsen (755–797) Unter Trisong Detsen (Khri-srong lDe-btsan) erreichte das tibetische Reich seine größte Ausdehnung. Es reichte von Persien bis zum Gelben Fluss sowie im Süden bis ins indische Magadha-Reich, wo die Tibeter wahrscheinlich auf der Suche nach Reliquien des Buddha schließlich die Pāla-Könige zu Tributzahlungen verpflichteten (755–56). In China gelang es der tibetischen Armee, die Hauptstadt Changan einzunehmen und einen anderen Kaiser auf den Thron zu setzen (763). Es sind aber nicht die militärischen Eroberungen, die Trisong Detsen in die tibetische Geschichtsschreibung eingehen ließen, sondern sein erstaunlicher Beitrag zur Förderung des Buddhismus in Tibet, als er letztendlich die indische Form des Buddhismus offiziell übernahm. Diese Entscheidung kam nicht überraschend, denn schon der Vater des Königs, Tride Tsugten (Khri-lde gTsug-brtan, 704–745), zeigte Interesse am Buddhismus, indem er zwei Gesandte nach Indien beorderte und Mönche aus Indien zur Meditation am heiligen Berg Kailāsa eingeladen hatte. Er ließ sogar fünf Tempel errichten. Allerdings blieben seine Bemühungen angesichts der zunehmenden Feindseligkeit unter seinen Ministern beschränkt. Trisong Detsen soll schon als Kind Interesse für den Buddhismus gezeigt haben. Als er einige Zeit nach dem Tod seines Vaters alt genug für die Thronübernahme war, ließ er chinesische und indische Texte übersetzen und schickte einen gewissen Selang aus dem Ba-Klan nach Indien, der letztendlich Śāntirakṣita, einen Abt der Klosteruniversität Nālandā, nach Tibet brachte. Der König beauftragte ihn mit der Gründung eines staatlichen Tempels und eines Klosters am Ufer des Tsangpo, wo erstmals Tibeter eine Ausbildung als Mönche erhalten konnten. Śāntirakṣita, in Tibet liebevoll „Bodhisattva-Abt“ (byang-chub mkhan) betitelt, der die Sūtra-Tradition des indischen Mahāyāna-Buddhismus vertrat, stieß jedoch beim Bau des Klosters auf den Widerstand der örtlichen Götter und Dämonen (lha-srin). Schließlich überzeugte er den König von der Notwendigkeit, Padmasambhava, den berühmten tantrischen Meister aus Oddiyana im heutigen Swat-Tal, einzuladen. Diesem gelang es mit seiner magischen Mantrakraft, die lokalen Geister zu besiegen und durch einen Bann zu hilfreichen Schützern des Buddhismus zu machen. Somit konnte das Kloster Samye (bSam-yas, „jenseits der Vorstellung“; oder mit vollem Namen dPal bSam-yas Mi-ʼgyur-lhun-gyis-grub-pa „glorreich, jenseits der Vorstellung, unwandelbar und spontan vollendet“) nach zwölfjähriger Bautätigkeit im Jahre 775 (?) von Padmasambhava mit einem tantrischen Ritual eingeweiht werden. Śāntirakṣita seinerseits wählte sieben intelligente Persönlichkeiten aus dem Adel, um ihnen als „die sieben Auserwählten“ bzw. „die Sieben der Erprobung“ (sad-mi mi-bdun) die Mönchsweihe zu erteilen. Das Kloster selbst war nach dem Vorbild der indischen Klosteruniversität Odāntapuri in Form eines großen Maṇḍalas mit dem Haupttempel als Axis mundi oder Weltenberg Sumeru im Zentrum und acht Nebengebäuden in den Kardinal- und Zwischenrichtungen sowie vier Stūpas

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im Außenbereich errichtet worden. Die dreigeschossige Architektur des Haupttempels weist indische, chinesische und tibetische Stilelemente10 auf. Die Großminister des Reiches und die fünf Königinnen sollen mit ihren Spenden den Klosterbau unterstützt haben. Trisong Detsen veranlasste, dass 150 Familien mit ihrem ganzen Besitz für die Erhaltung des Tempels und die Durchführung der vorgeschriebenen Riten verantwortlich wurden. Weitere hundert Familien wurden für den Unterhalt des Klosters und seiner Insassen beordert. Der Unterhalt hatte in Form von Naturalien aus dem Ertrag der Ländereien der jeweiligen Familien zu erfolgen. Somit wurde das Kloster eine selbstbestimmte wirtschaftliche Einheit, ein Faktum, das alsbald zu einem tiefen Spalt zwischen der religiösen und spirituellen Elite des Landes und der traditionellen politischen Organisation führen sollte.11 Was Padmasambhava betrifft, so soll er nach der Einweihung von Samye auf Druck der gegnerischen Bön-Anhänger auf mysteriöse Weise aus Tibet verschwunden sein.12 Um die Figur des „Lotus-geborenen“ Padmasambhava (Pad-maʼByungnas), von den Tibetern auch „Meister“ (slob-dpon; skt. ācārya) oder „kostbarer Guru“ (gu-ru rin-po-che) genannt, ranken sich viele Legenden. Seiner Hagiographie nach („Lotus-Chronik“, Padma bKa’-thang), ein Schatztext, der im 14. Jahrhundert entdeckt wurde,13 soll er als Achtjähriger auf einem Lotus im See Danakośa treibend von Indrabhūti, König von Oddiyana, gefunden worden sein, der ihn an Sohnes statt als potenziellen Nachfolger annahm. Entgegen den Erwartungen des Königs entwickelte Padmasambhava spirituelle Ambitionen. Nach inneren Zwistigkeiten verließ er den königlichen Hof und ging nach Zahor, ein Land im nordöstlichen Bengalen, wo tantrische Praktiken im Umlauf waren. Mit Mandāravā, einer Zahor-Prinzessin, als Partnerin erlangte er rasch spirituelle Vollkommenheit. Als er der Einladung des Königs Trisong Detsen nach Tibet folgte, war er für seine magischen und übernatürlichen Kräfte (sngos-grub; skt. siddhis) bereits über die Grenzen Indiens und Nepals bekannt. Nach der erfolgreichen Bannung der böswilligen lokalen Götter und Dämonen und dem Bauabschluss von Samye wurden unter seiner Anleitung tantrische Texte ins Tibetische übersetzt. Unter seinen 25 Adepten, die er in die Tantras initiiert hatte, waren der König selbst sowie auch eine seiner Gemahlinnen, Yeshe Tsogyel (Ye-shes mTsho-rgyal, 757–817), die als Padmasabhavas tantrische Gefährtin für die Abfassung seiner Lehren verantwortlich zeichnete und diese auf sein Geheiß als Schatztexte versteckte. Sie sollten dann laut Prophezeiung zu einem späteren, „reiferen“ Zeitpunkt wieder aufgefunden und in Umlauf gebracht werden. In Zentral- und Südtibet wie auch am heiligen Berg Kailāsa werden zahlreiche Berghöhlen als Meditationseremitagen dieses tantrischen Paares bis zum heutigen Tage von Pilgern verehrt. Von den Tibetern als 10 11 12 13

Siehe Vergara 1987: 260–262. Tucci 2011: 9. Stein 1972: 65–67. Siehe die Übersetzung von Tsogyal 1993.

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„zweiter Buddha“ angesehen, wird Padmasambhava als körperlicher Ausstrahlung des Buddha Amitābha das Verdienst zugeschrieben, den tantrischen Buddhismus, der als „Diamantfahrzeug“ oder Vajrayāna bezeichnet wird, in Tibet unter der Patronanz des Königs Trisong Detsen eingeführt zu haben. Seine Lehren sollten sich in der Renaissance des Buddhismus in Tibet im 12. Jahrhundert als „Schule der Alten“ oder Nyingmapa (rNying-ma-pa) fortsetzen. Während Padmasambhava in Tibet tantrische Riten und Praktiken eingeführt hatte und somit auch für eine Infiltrierung lokaler Götter des tibetischen Volksglaubens in das buddhistisch-tantrische Pantheon verantwortlich zeichnete, sorgte der indische Gelehrte Śāntirakṣita (725–788) als erster Abt des Samye-Klosters und Mentor der ersten sieben ordinierten tibetischen Mönche für die Einführung eines rigorosen philosophischen Studiums des Buddhismus nach dem Vorbild der großen indischen Klosteruniversitäten wie Nālandā und Vikramaśīla. Diese Aufgabe war von einer regen Übersetzungstätigkeit unterstützt, die – beginnend unter Songtsen Gampo – sich über neun Jahrhunderte fortsetzen sollte, als „einer der größten Kulturaustausche in der Geschichte der Menschheit“.14 Unter König Trisong Detsen wurden hundert indische Gelehrte und Mönche als Übersetzer nach Tibet eingeladen. In Samye wurde ein Team von vier Übersetzern (lo-tsā-ba) zusammengestellt, die die Übersetzung des Tripiṭaka zu überwachen hatten.15 Sowohl die Quantität als auch die Qualität der produzierten Übersetzungen buddhistischer Texte unter königlicher Patronanz, die sich bis ins 9. Jahrhundert fortsetzen sollte, sind so einzigartig, dass diese als Vorlage für eine Rückübersetzung von in Indien verloren gegangen Texten ins Sanskrit dienlich sind. Die Übersetzungsgruppen bestanden aus indischen und tibetischen Gelehrten, darunter auch Vimalamitra und Vairocana, die sich auf der Grundlage von vielen Diskussionen, Analysen und Vergleichen auf eine bis ins kleinste Detail der Sanskrit-Vorlage entsprechend präzise tibetische Übersetzung von buddhistischen Termini einigten. Diese Fachgremien von Übersetzern waren nicht nur sprachlich und philosophisch hoch gebildet, sondern auch reich an meditativer Erfahrung. Unter Śāntirakṣita und später unter seinem Schüler Kamalaśīla wurden die tibetischen Mönchsgelehrten und Übersetzer in die indische – sowohl buddhistische als auch nicht-buddhistische – Philosophie eingeführt und zu richtigem Studium, kritischer Analyse und vertiefender Meditation angeleitet. Somit war es durch eine Vereinheitlichung einer tibetisch-buddhistischen Terminologie möglich, die früheren Übersetzungen zu revidieren und neue Regeln festzulegen. Eines der Grundwerke war die Kompilierung von Sanskrit-Tibetisch-Lexika genannt Mahā und Madhya Vyutpatti, die „Große“ und „Mittlere Etymologie“, die wahrscheinlich erst unter dem dritten Dharma-König Ralpachen zwischen 812 und 814 fertiggestellt worden sind.16

14 Khyentse Foundation 2009: 23. 15 Siehe Raine 2010. 16 Verhagen 1994: 16.

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Die erstellten und vom königlichen Hof per Dekret akkreditierten Etymologien wurden somit als Standardübersetzungen festgelegt, von denen jede Abweichung oder eigenständige Veränderung verboten war.17 Die Übersetzung der Tantras und deren Praxis war nur jenen zugänglich, die die rechtmäßige Ermächtigung dafür vom tantrischen Meister erhalten hatten. Ohne königliche Erlaubnis war das Studium und das Übersetzen tantrischer Schriften untersagt.18 Die einzigartigen Leistungen von Śāntirakṣita, Padmasambhava und Trisong Detsen, die bis zum heutigen Tag in den Gebetshymnen der Tibeter als „Abt, Meister und Dharma(-König)“ (mkhan slob-chos gsum) gepriesen werden, nämlich der Bau von Samye, die Erschließung der Tantras und die große Übersetzungstätigkeit, kulminierten schließlich in der berühmten Debatte von Samye (ca. 792) einige Jahre nach dem Ableben Śāntirakṣitas und Padmasambhavas wundersamem Verschwinden aus Tibet. Nicht lange nach der Gründung von Samye brach in Tibet eine politisch motivierte Kontroverse aus; denn gleichzeitig mit Śāntirakṣita und seiner indischen Gelehrten- und Mönchsgesandtschaft fanden auch die Vertreter des chinesischen Buddhismus Anklang beim tibetischen Adel. Jene waren Mönche verschiedener Schulen, vor allem der Huayan (Avataṃsaka), der Schule des Seng Chao (starb 414) und des Chan unter der Leitung eines gewissen Ho Shang Mohoyen. Die traditionelle tibetische Geschichtsschreibung berichtet, dass Śāntirakṣita solch eine Auseinandersetzung vorausgesehen hatte und deshalb in seinem letzten Willen die Anweisung hinterlassen haben soll, dass sein Schüler Kamalaśīla aus Indien nach Tibet berufen werden sollte, um der chinesischen Vertretung in ihrer philosophischen Auslegung die Stirn zu bieten. Dabei ging es um die Frage, ob Erleuchtung blitzartig sei oder wie ein Aufgehen der Sonne, lang und andächtig. Nach der indischen Tradition wurde Erleuchtung als ein schrittweiser Prozess der Reinigung in Verbindung mit tugendhaften Taten, meditativer Ausdauer und philosophischer Einsicht gelehrt. Die chinesischen Überlieferungen sprachen von einer innewohnenden Buddhaschaft, derer man sich direkt gewahr sein konnte, ohne die als notwendig betrachtete Ansammlung guter Verdienste und strenger Übungen. Laut tibetischer und chinesischer Aufzeichnungen kulminierte diese Kontroverse schließlich in einer öffentlichen Debatte zwischen Kamalaśīla und Ho Shang Mohoyen, während Trisong Detsen als Richter fungierte. Kamalaśīla vertrat den nordindischen Mahāyāna-Buddhismus, den „Mittleren Pfad“ (Madhyamaka) des Bodhisattva, eines Anwärters auf Buddhaschaft nach den Lehren Nāgārjunas, die Notwendigkeit der Ansammlung von großem spirituellen Verdienst und Einsicht für Vollendung (pha-rol tu phyin-pa; skt. pāramitā), die als Stufenweg der karmischen Reinigung den Adepten helfen soll, ohne Hindernisse schließlich die Er-

17 Kapstein 2003: 757. 18 Snellgrove 2004: 443.

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leuchtung zu erlangen. Der Mönch Ho Shang als Vertreter des chinesischen Buddhismus, in dem auch daoistische Ideen assimiliert wurden, vertrat ebenso die Madhyamaka-Lehre, allerdings als spontanen Prozess in der Erfahrungswirklichkeit. Kamalaśīla wies diese Auslegung jedoch zurück. Letztendlich oblag es dem König, als oberster Richter eine Entscheidung zu treffen. Laut chinesischer Überlieferung soll der König der chinesischen Delegation den Vorzug gegeben haben.19 Nach der tibetischen Tradition, die aber eine spätere Überlieferung darstellt, gab König Trisong Detsen der indischen Auslegung den Vorzug. In der Folge wurde Ho Shang des Landes verwiesen und der König erklärte den indischen MahāyānaBuddhismus zur Staatsreligion. Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der König trotz aller Verdienste der indischen und chinesischen philosophisch fundierten Argumente eine politisch nachhaltige Entscheidung zu treffen hatte. Tibet, zu jener Zeit am Zenit seiner militärischen Macht, hatte als größten Gegner China und nicht Indien. Eine stärkere Bindung an Indien als das „edle Land“ und Ursprung der Lehre des Buddha stellte eine geringere Gefahr dar als eine weitere Annäherung an China, in einer Zeit, wo das Schwinden des Einflusses Tibets in Zentralasien bereits abzusehen war. Nicht zuletzt hat der als zweiter Dharmarāja und später als Inkarnation des Mañjuśrī gepriesene Trisong Detsen einer neuen innerpolitischen Macht, dem buddhistischem Klerus, seine Legitimation gegeben, obwohl er noch – laut den königlichen Annalen – an vorbuddhistischen Praktiken des Bön festhielt, insbesondere hinsichtlich wichtiger rites de passage wie Todeszeremonien, wo auch Menschen- und Tieropfer praktiziert wurden.20 Trotzdem erließ König Trisong Detsen ein Edikt zugunsten der indischen Version des Mahāyāna-Buddhismus mit ihrer Wertlegung auf die Ansammlung von heilsamen Verdiensten wie Großzügigkeit bezüglich Opfergaben und Spenden, äußere und innere Disziplin, Ausdauer und innere Besinnung. Nicht zuletzt war damit ein Volk leichter zu regieren als eine individualistisch ausgerichtete Heilsbewegung ohne hierarchische Kontrolle, wie sie die chinesischen Vertreter proklamiert hatten.

2.4. Der dritte Dharma-König Ralpachen (815–838) Während der Regierung von Trisong Detsen erreichte Tibet einen hohen Grad an säkularer und spiritueller Entwicklung. Diese Arbeit wurde unter seinen Nachfolgern fortgesetzt. Trisong Detsen starb 797 nach einer Regierungszeit von 41 Jahren. Sein Nachfolger21 Senaleg (Sad-na-legs), der nur kurz regierte, spendete der Samye-Biblio19 Siehe Tucci 2011: 13. 20 Lopez 1997: 7. 21 Laut den Blauen Annalen war sein unmittelbarer Nachfolger Mune Tsenpo (797–799?), siehe Bacot 1962: 30 Anm. 5; siehe auch Stein 1972: 68.

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thek eine Sanskritausgabe der Tripiṭaka, die noch heute vorhanden sein soll. Er rief auch Kamalaśīla zurück ins Land. Aber seine Mutter vereitelte seine guten Absichten, indem sie den 17-jährigen vergiftete. Er hatte drei legitime Söhne. Der erste wurde Mönch. Der zweite, Tritsug Detsen (Khri-gtsug lde-btsan), mit dem Beinamen Ralpachen (Ral-pa-can, „der mit langem Haar“), erbte 815 den Thron. Er war durch und durch religiös und abgesehen von einem Friedensabkommen mit den Chinesen (821– 22), wie eine Säuleninschrift in Lhasa bezeugt, war er nicht an militärischen Operationen interessiert. Vielmehr begünstigte er einzig den Buddhismus. Er propagierte insbesondere das Herzsūtra der „Vollkommenheit der Weisheit“ (Shes-rab Pha-rol-tu Phyin-pa’ i sNying-po; skt. Prajñāpāramitā-hṛdaya) als essenzielle Aussage des „Mittleren Pfades“ (Madhyamaka) von Nāgārjuna. Angeblich ging Ralpachen so weit in seiner Hingabe, dass er seine königlichen Privilegien einer „göttlichen Abstammung“ zu Gunsten des monastischen Klerus untergrub, indem er seine langen Zöpfe seinen buddhistischen Lehrmeistern als Sitzkissen untergeschoben haben soll. Ralpachen trug wesentlich zur Förderung des Buddhismus bei. Er setzte das große Übersetzungswerk, das Trisong Detsen begonnen hatte, fort. Sanskrit wurde zur offiziellen religiösen Sprache ernannt und das Übersetzungsvokabular, das unter Trisong Detsen festgelegt worden war, wurde nochmals revidiert und neue Übersetzungsregeln per königlichem Erlass festgelegt. Diese „neue“ Schriftsprache war dem eigentlichen Tibetisch näher. Somit wurden die Übersetzungen besser verständlich. Gleichzeitig nahm aber der Einfluss der Chan-Anhänger merklich ab. In den Katalogen der königlichen Bibliotheken wurden Chan-Texte immer seltener aufgelistet. Der König war so ergriffen von religiöser Hingabe, dass er die Mönchsordination annahm. Die zahlreichen Privilegien, mit denen er den Klerus überhäufte, stießen am Hof auf großen Widerstand, der schließlich in der Ermordung des Königs gipfelte. Ihm folgte sein älterer Bruder Langdarma (Glang-dar-ma, 836– 842). Dieser setzte dem großen Übersetzungswerk der indischen buddhistischen Literatur in Form von Sūtras, Tantras und deren Kommentaren (skt. śāstras) aus dem Sanskrit ins Tibetische ein Ende. Gleichzeitig wurden monastische Institutionen unterdrückt. In den tibetisch-buddhistischen Quellen wird Langdarma als das inkarnierte Böse geschildert, der Klöster vernichtete und Mönche und Nonnen verfolgte und diese zur Heirat zwang. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass diese Verfolgung, falls überhaupt stattgefunden, einzig das Privilegienmonopol der Klöster brechen sollte.22 Im Jahre 84223 fiel Langdarma einem Attentat zum Opfer. Ein Mönch namens Pelgi Dorje (dPal-gyi rDo-rje) soll sich der Legende nach dem König in der schwarzen Gewandung und Tanzmaske eines Bön-Priesters genähert haben, um dann einen Pfeil zu ziehen und ihn aus nächster Nähe zu töten. Auf der Flucht wendete der Mönch seinen schwarzen Umhang, so dass das weiße

22 Lopez 1997: 19. 23 Bacot 1962: 35; hingegen Stein 1972: 69 gibt das Jahr 846 an.

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Innenfutter sichtbar wurde. Er entkam auf einem Hengst mit schwarz gefärbtem Fell. Nach Überquerung des Flusses vermochte er auf dem nun weißen Schimmel reitend seine Verfolger abzuschütteln.24 Unter den zwei Söhnen Langdarmas brach ein Streit aus, der zur Entweihung der königlichen Gräber führte, und auch der Brauch der königlichen Bestattung wurde nicht mehr fortgesetzt. Sein zweiter Sohn Ösung (ʼOd-srung), der als frommer Buddhist dargestellt wird, soll hundert Tempel erbaut haben. Dennoch verlor er schließlich die Herrschaft über Zentraltibet mit den Provinzen Ü und Tsang (dBus und gTsang) und wurde von seinen Untertanen letztendlich erschlagen. Damit endete die Erblinie der königlichen Dynastie. Seine beiden Söhne zogen nach Westtibet (mNga’-ris), wo deren Nachkommen separat über Maryül, Purang und Guge herrschten.25 Somit erlosch mit ihm die Yarlung-Dynastie, die 127 v. Chr. (?) mit 26 legendären Herrschern begann, aber erst ab dem 7. Jahrhundert historisch belegbar wurde. Damit endete auch die erste Verbreitungswelle des Buddhismus in Tibet, die hauptsächlich auf die Patronanz der drei Dharma-Könige Songtsen Gampo, Trisong Detsen und Ralpachen zurückzuführen ist. Nach tibetischer Überlieferung soll die Verfolgung des monastischen Buddhismus der Grund für das Ende der glorreichen Zeit der Königsmacht gewesen sein. Aber sicherlich waren dafür auch innere Zwistigkeiten sowie äußere militärische Rückschläge, wie der Verlust der chinesischen Grenzstädte und der Gebiete in Turkestan, maßgebend. Für die nächsten 150 Jahre bleiben in jedem Fall die Berichte in den tibetischen Chroniken vage, was die Entwicklung der zwiespältigen Machtverhältnisse in Zentraltibet betrifft.

2.5. Hintergründe und Lehrinhalte der ersten Verbreitung des Buddhismus in Tibet Wenn die buddhistische Geschichtsschreibung auch ein ideologisch verklärtes Bild über die Einführung des Buddhismus durch die drei Dharma-Könige überliefert hat, so ist auf Grund der chinesischen Quellen und aus den tibetischen Königsannalen, die um 1930 in den Höhlen von Dunhuang entdeckt worden sind,26 eine Korrektur dieser Aussagen möglich. Insbesondere ist hervorzuheben, dass während dieser historischen Epoche der Yarlung-Dynastie der Buddhismus zwar sehr wohl gefördert wurde, gleichzeitig hielten selbst die Dharma-Könige an den überlieferten Riten der Bön-Tradition fest, die auch von Tier- und Menschenopfern 24 Bacot 1962: 35. 25 Stein 1972: 70. 26 Imaeda 2008.

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begleitet wurden.27 Die Königswürde selbst war mit der Idee der „göttlichen Abstammung“ eng verbunden. Und Songtsen Gampo soll nicht nur mit diesem Kult seiner göttlichen Abstammung sehr verbunden gewesen sein, sondern er soll diesen auch noch erweitert haben. Diese Tradition geht auf die Überlieferung zurück, dass die frühen Könige der Yarlung-Dynastie vom ersten bis zum siebenten König durch ein Seil (dmu-thag) mit dem Himmel verbunden waren. Sie übten deshalb als göttliche Boten eine irdische Funktion aus, bis sie zur Zeit ihres „Todes“ wieder über das Himmelsseil in den Himmel aufstiegen. Diese Verbindung wurde erst unter dem achten König Drigum Tsenpo (Gri-gum bTsan-po) in einem magischen Duell mit einem seiner Minister unterbrochen. Somit begann die Tradition der Königsgräber mit ihrem komplexen Begräbnisritual, das sich bis zum Ende der Dynastie fortsetzen sollte.28 Selbst Trisong Detsen, der größte königliche Förderer des Buddhismus in Tibet laut späteren tibetischen Quellen, wird auf seiner Grabinschrift in Chonggye (ʼPhyongs-rgyas) als Verteidiger und göttlicher Vertreter des alten Glaubens dargestellt und gleichzeitig als Bodhisattva. Auch Ralpachen, der dritte große Dharma-König, wurde – obwohl vom Buddhismus eingenommen – nach den Riten der Bön-Tradition in der königlichen Grabstätte von Chonggye beigesetzt.29 Die Einstellung der tibetischen Könige gegenüber dem Buddhismus war somit eine Mischung aus Toleranz, Synkretismus und gleichzeitig eine Bereitschaft zu kultureller Erneuerung. Wie schon vorhin erwähnt, waren frühe Kontakte zu Strömungen des chinesischen Buddhismus über militärische Expansionen wie auch über Handelsrouten durchaus gegeben. Gleichzeitig aber gelangte Indien zur Zeit der Pāla-Dynastie mit seinen großen Wissenszentren wie Nālandā, Vikramaśīla und anderen Klosteruniversitäten zu Weltruf, der sogar über die Pässe des Himalaya in die Abgeschiedenheit des Hochplateaus Tibets reichte. Songtsen Gampo erkannte den kulturellen Wert Indiens. Somit gelang ihm mit Hilfe seines fähigen Ministers Thonmi Sambhota für sein Volk – und somit vorrangig für die Übersetzung indischer Weisheit – nicht nur die Schaffung einer eigenständigen Schrift, sondern auch die Erstellung einer neuen Verfassung nach den ethischen Prinzipien des MahāyānaBuddhismus, vertreten in den nordindischen Reichen seiner Zeit. In Indien war dies die Epoche der großen buddhistischen Dialektiker und Philosophen, aber gleichzeitig auch die Blüte der Tantras, der Schaffung großer tantrischer Bildkunst sowie des Auftauchens einer eigenen Tradition jenseits von Klostermauern, der Tradition der großen Siddhas oder tantrischen Großmeister. Sollte Songtsen Gampo noch nach Einführung einer neuen Schrift mit der Entschlüsselung der „vom Himmel gefallenen“ geerbten Textschatullen beschäftigt

27 Lopez 1997: 7. 28 Siehe Stein 1972: 48–49. 29 Snellgrove/Richardson 1968: 92–94.

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gewesen sein, so war Trisong Detsen aus gegebenem Anlass für die Propagierung des Buddhismus nicht nur auf die Gelehrsamkeit von Śāntirakṣita angewiesen, sondern auch auf die exorzistischen Mantra-Kräfte von Padmasambhava. Der Einfluss, den der „Kostbare Guru“ auf den königlichen Hof und darüber hinaus auf das Volk ausübte, war sicherlich tief greifender als das feine Gewebe buddhistischer Dialektik von Śāntirakṣita. Das Verdienst des Großmeisters von Nālandā ist, dass er eine Elite voll ordinierter und in den Schriften nach dem Vorbild seiner Alma Mater gebildeter Mönche als Übersetzer erzogen hat, deren Werk eine einzigartige Nachhaltigkeit in der tibetischen Religionsgeschichte bewirken sollte. Was jedoch Padmasambhava dem tibetischen Volk, beginnend mit tantrischen Ermächtigungen (dbang) des Königs selbst und seiner engsten Familie sowie erwählten Ministern, übermittelte, war ein coup d’état von unten, mehr denn von oben. Auf Grund seines Ruhmes als Exorzist und tantrischer Magier nach Tibet vom König geladen, vermochte er nicht nur den königlichen Hof, sondern auch das Volk von seiner erleuchteten Zauberkraft zu überzeugen. Diese Tantrakraft des Meisters hinterließ einen nachhaltigen Eindruck, da solch eine magische Fähigkeit im Einklang mit den gegebenen Glaubensvorstellungen des illiteraten Volkes war. Methoden der Zauberkraft, des Exorzismus in Bezug auf einen vorgegebenen Glauben an Geister und Dämonen, entsprachen durchaus lokalen Gepflogenheiten. Padmasambhava gelang es nicht nur, diese Vorstellungen einer energetischen Ebene von nicht-menschlichen Wesen auf Grund seiner besonderen Kräfte (skt. siddhis) sichtbar zu machen, sondern diese auch nachhaltig an den buddhistischen Tantrismus zu binden. Der vorherrschende Glaube an ein Lebensprinzip oder einen „Lebensgeist, Seele“ (bla) stammt aus früher Vorzeit und bleibt ein wichtiger Bestandteil der tibetischen Glaubensvorstellung bis zum heutigen Tag.30

2.6. Die Welt der Götter und Dämonen im tibetischen Volksglauben Für die Entwicklung dieser Sonderform des Buddhismus in Tibet ist es vorerst notwendig, sich mit den autochthonen Glaubensvorstellungen dieses halbnomadischen Hirtenvolkes auseinanderzusetzen. Tibeter, wie viele andere alte Stammesvölker, leben in einer reziproken Beziehung zu ihrer Umwelt, die für sie mit einer Schar von Göttern und Dämonen belebt ist. Die Welt dieser Naturgeister ist für sie wirklich und nicht metaphorisch oder als eine psychologische Projektion von Einbildungen zu verstehen. Diese bewohnen eine Wildnis, die außerhalb menschlicher Kontrolle liegt. In der tibetischen Kultur wird zwischen dem Unkontrollierbaren (rgod-pa) und dem Gezähmten oder Zivilisierten (ʼdul-ba) unterschieden. Die tibetischen Bauern und Hirten 30 Lopez 1997: 5.

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leben in enger Beziehung mit ihren Naturgeistern (gzhi-bdag, wörtlich „Erdherren“), die gutmütig, aber auch feindlich gegenüber den Menschen sein können. Die meisten dieser Götter und Dämonen (lha-ʼdre) sind den Menschen gegenüber unvoreingenommen. Jedoch einmal in ihrem Habitat gestört und verärgert, können sie Mensch und Vieh großen Schaden zufügen. Dem tibetischen Glauben nach manifestieren sich die Geister in natürlichen Gegebenheiten wie Bergen, Steinen, Flüssen, Seen oder Bäumen. Oft sind es außergewöhnliche Naturformationen, die ihnen als Wohnstätte dienen. Allerdings sind diese Geisterwesen weder materiell noch immateriell, sondern sie befinden sich in einem Zustand zwischen Materie und Geist und sind so mitunter für Menschen sichtbar. Sie sind subtile Luftwesen, die mit Menschen energetisch kommunizieren können, entweder direkt oder subtiler, indem sie eigenartige Stimmungswandlungen sowie Krankheiten verursachen. Nach buddhistischer Sicht sind Geister Lebewesen wie Menschen und Tiere, mit einem persönlichen Bewusstsein. Der Buddha hat die Existenz von Göttern (lha; skt. deva) der alten vedischen Tradition Indiens nie bestritten, ebenso wenig die Geister des Volksglaubens seiner Zeit, wie Baum- (skt. yakṣa) und Wassergeister (klu; skt. nāgas). Jedoch lehrte der Buddha, dass diese Götter und Dämonen nicht erleuchtet seien, sondern ihren Begierden, Leidenschaften und Karma unterliegen. Nach der buddhistischen Lehre gibt es drei Erfahrungsebenen, den physischen Körper (gzugs), Sprache oder Wort als Ausdruck von Energie (ngag) und den Geist als mentale Ebene (yid). Der Zwischenzustand zwischen materieller Wirklichkeit und geistiger Wahrnehmung ist die Psyche. Nach der tibetischen autochthonen Tradition hat jedes Lebewesen eine Art „Seele“ oder Lebenskraft „La“ (bla), die sämtliche persönlichen Emotionen und deren Energiefeld trägt. Solange dieses gesund und vollständig ist, lebt man aus voller Kraft. Die Götter und Geisterwesen sind nach tibetischer Vorstellung imstande, dieses La negativ zu beeinflussen (gdon). Es können Teile davon von ihnen gestohlen und in der Unterwelt verborgen werden. Die meisten schamanischen Heiltechniken sind auf das Zurückholen des La ausgerichtet. Diese Methoden wurden schließlich auch in die buddhistische Tradition Tibets aufgenommen; und in den Medizintantras (z. B. des rGyud bzhi), deren erste Abfassung unter Songtsen Gampo und Trisong Detsen begonnen hat, wird La in Verbindung mit dem Mondzyklus behandelt. Auch Schutzgeister besitzen ein La. Viele der majestätischen Berge und Seen Tibets werden als „SeelenBerg“/„La-Berg“ (bla-ri) und „Seelen-See“/„La-See“ (bla-mtsho) bestimmter Schutzgottheiten und Heiliger verehrt. Tägliche Opferrituale an die an ein bestimmtes Kloster oder Tradition gebundenen Dharma-Schützer (chos-skyong) sind seit dem Wirken Padmasambhavas ein integraler Teil buddhistischer Tantrapraxis in Tibet.31 Die Einbindung des indigenen Glaubens an Geister und Dämonen in die buddhistische tantrische Ritualpraxis war ein wesentlicher Faktor für die nachhaltige Durchsetzung des Buddhismus unter dem tibetischen Volk.

31 Siehe Reynolds 2004: 57–80; Loseries 2015.

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2.7. Zur Entstehung und Entwicklung der Bön-Religion Obwohl Bön („wahre Lehre“) allgemein als die vorbuddhistische Religion in Tibet bezeichnet wird, ist dies nicht ganz korrekt, da über das religiöse Leben Tibets vor Einführung des Buddhismus und einer eigenen Schrift aus Mangel an Aufzeichnungen wenig bekannt ist. Es ist nur anzunehmen, dass – wie unter vielen zentralasiatischen Stämmen – eine Art animistischer Volksglaube in Verbindung mit Schamanismus32 verbreitet war, die dann als „primitiver“ oder alter Bön bezeichnet wurde, im Unterschied zum so genannten Yungdrung-Bön („ewiger Bön“)33 (gyung-drung bon), der aus dem westlichen Shangshung-Reich nach Tibet gebracht wurde. Diese Lehren und Praktiken wurden also nicht wie der Buddhismus aus dem südlichen Indien nach Tibet gebracht, sondern aus dem alten Königreich Shangshung um den heiligen Berg Kailāsa, das bis zur Integration in das tibetische Großreich der Yarlung-Dynastie im 8. Jahrhundert ein unabhängiges Land mit einer eigenen Schrift und Kultur war. Diese Kultur hatte enge Verbindungen zu den persisch sprechenden Völkern Zentralasiens. Laut Bön-Tradition gehen diese als Yungdrung-Bön bekannten Lehren auf einen Buddha namens Tönpa Shenrab Miwo (sTon-pa gShen-rab Mi-bo) zurück, der als Prinz und spiritueller Meister im prähistorischen Tasig (sTag-gzig) Zentralasiens lebte, lange vor Erscheinen des Buddha Śākyamuni im sechsten vorchristlichen Jahrhundert Nordindiens. Es heißt, dass Shenrab auf der Suche nach sieben Pferden, die sein dämonischer Widersacher Lagring (Lag- ring) gestohlen hatte, nach Yarlung, in den Süden Tibets – in die Gegend um den heiligen Bön-Berg (bon-ri), dessen Entstehung diesem Meister zugeschrieben wird – gelangte. Allerdings gelangten seine Lehren erst über die Shangshung-Sprache im 7. Jahrhundert nach Tibet.34 Während der ersten Verbreitung des Buddhismus in Tibet unter der Patronanz der Yarlung-Dynastie waren dessen Protagonisten mit den hochrangigen und adeligen Anhängern und Priestern der Bön-Religion am königlichen Hof konfrontiert. Insbesondere deren Expertise sowie auch ihr Privileg im Vollziehen der Todesriten für die königliche Familie und deren Hofstaat waren eine Gepflogenheit, die selbst die drei als Dharma-Könige verehrten Herrscher nicht zu übersehen vermochten. Wie aus den königlichen Annalen ersichtlich, waren die Sterberiten und das Begräbnis der Tsenpo-Königsfamilie eine komplexe Staatsangelegenheit, die lange Vorbereitungen erforderte, wie die Mumifizierung des Leichnams und die Errichtung eines aufwendigen Mausoleums. Damit waren die Durbön (dur-bon), die „Bestattungspriester“, beauftragt. Der Versuch der buddhistischen Mönche, die Aufgabe zu übernehmen, stieß auf heftigen Widerstand der Priester, die Erben dieses

32 Siehe Eliade 1975. 33 Siehe Reynolds 1991. 34 Siehe Snellgrove/Richardson 1968: 99–104.

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Amtes waren, wie aus buddhistischen sowie auch Bön-Quellen aus der Regierungszeit des Königs Trisong Detsen ersichtlich ist. Mit der Zeit, insbesondere mit der Abfassung des Bön-Kanons, nahm Bön ein lokales spiegelhaftes Kolorit des Buddhismus an, dessen Anhänger sowohl monastischer Klerus wie auch tantrische Adepten und Laien waren. So verwendeten BönAutoren häufig auch buddhistische Terminologie. Gleichzeitig bewahrte die BönTradition eine Reihe archaischer und autochthoner Glaubenssysteme und Praktiken, die ihrerseits auch in die buddhistische Vorstellung und tantrische Praxis der Tibeter Eingang fanden. So dokumentierten Bön-Schriften zahlreiche traditionelle Praktiken der Tibeter im Umgang mit der Geister- und Dämonenwelt. Die Transzendenz dieses Volksglaubens sowie die Beherrschung dieser göttlichen und dämonischen Einflüsse der äußeren und inneren Erscheinungswelt wurden zum integralen Bestandteil der tibetisch-buddhistischen Sicht und Praxis.35 Die „Neun Wege des Bön“36, die Anfang des 11. Jahrhunderts nach dem Vorbild Padmasambhavas neunfacher „Kette der Anschauungen“37 entwickelt wurden, die die Grundlage für Sichtweise, Meditation, Praxis und Frucht (lta, sgom, spyod, ʼbras) der „alten“ Nyingma-Schule (sNying-ma) bildet, listen diese Praktiken systematisch auf. Diese sind geteilt in „vier Wege der Ursache“, „vier Wege der Frucht“ und einen „Großen Weg“. Die ersten vier werden als Shen (gshen; „Priester-Wege“) bezeichnet und sind auf weltliches Wohlergehen ausgerichtet: Der Shen der guten Wünsche, insbesondere mit Hilfe von Wahrsagekunst, Astrologie, Exorzismus und Medizin zur Beseitigung von Schwierigkeiten, die von bösartigen Geistern verursacht worden sind; der Shen des Visuellen: Methoden zur Befriedung der Götter und Dämonen des Diesseits, eine Reihe von Ritualen zur Schaffung bzw. Erhaltung einer positiven Beziehung zwischen Mensch und Götter- und Geisterwelt; der Shen der Illusion: Methoden zur Beherrschung von Feinden und besonders wilder Dämonen; und der Shen der Existenz mit Methoden zur Erlösung und Fragen über den Zeitraum zwischen Tod und Wiedergeburt sowie eine Kodifizierung der Totenriten. Die „vier Wege der Frucht“ entsprechen den buddhistischen Lehren; der Weg der tugendhaften Laienanhänger lehrt ethische Verhaltensmaßregeln zur Beherrschung von Körper, Rede und Geist sowie das Ansammeln von heilsamem Verdienst; der Weg der Asketen lehrt die monastische Bön-Disziplin mit Betonung auf Mitgefühl; der Weg des reinen Schalls entspricht den exoterischen Tantras des Buddhismus mit seinen Anleitungen zur Verwandlung durch Maṇḍalas; der Weg des urzeitlichen Shen ist vergleichbar mit den inneren Tantras des Buddhismus, Mahāyoga und Anuyoga. Der siebente Große Weg der Vollkommenheit (rDzogschen) ist identisch mit dem Atiyoga oder Dzogchen (rDzogs-chen) der Nyingmapa.38 35 36 37 38

Siehe Kapstein 2014: 23–25. Snellgrove 1967. Siehe Loseries, U. 1989. Siehe Snellgrove 1967 sowie Baumer 1999; Reynolds 2005.

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2.8. Zur Entwicklung der monastischen Tradition Tibets Nach der philosophischen Sicht des Mahāyāna-Buddhismus sind alle Phänomene ihrer Essenz nach leer und Buddhaschaft als solche ist inhärente Universalität. Die Lehre der zweifachen Wirklichkeit oder Wahrheit (don gnyis), relativ und absolut, ermöglichte dem Adepten die Wahl, ob er sein spirituelles Ziel im Schutze des streng geregelten Klosterlebens verfolgen wollte, oder außerhalb konventioneller Methoden alle relativen Vorurteile und Konzepte loszulassen und direkt die Buddhaschaft als universelle Eigennatur bloßzulegen anstrebte. Der monastische Befreiungsweg in der frühen wie auch der späteren Verbreitung des Buddhismus in Tibet genoss stets die tatkräftige Unterstützung der Könige und etablierten Herrscher. Wie auch im Europa des Mittelalters waren Klöster als Eliteerziehungsinstitutionen ein wesentlicher Teil des organisierten sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Individuelles Erleuchtungsstreben, frei und spontan, war nur bedingt geduldet, aber umso populärer in der Vorstellung der ländlichen, nicht schriftkundig Bevölkerung. Bei ihr fanden Erzählungen über wundersame magische Kräfte und Taten einzelner „verrückter“ Eremiten oder Yogis mehr Anklang als philosophische Debatten der ordinierten Geistlichkeit. So waren es auch die tantrischen Yogis und nicht Mönchsgelehrte, von denen das an Geister und Dämonen glaubende Volk sich Schutz vor allen Schwierigkeiten in ihrer unwirtlichen Umwelt versprachen. Die Yogis und Einsiedler mochten wohl auch bedingt an Geister glauben, aber durch ihre philosophische Schulung und meditative Erfahrung erkannten sie diese als nicht wirklich, wie letztendlich jegliche Erscheinung in der Welt. Somit konnten sie als Heiler, Exorzisten und schutzspendende Magier dem Volk mehr dienlich sein als große Bibliotheken. Letztendlich kulminierte die erste Verbreitung des Buddhismus in Tibet in der Entwicklung von zwei Strömungen, der konventionellen buddhistischen Theorie und Praxis, die vom königlichen Hof gefördert wurde, und der freien religiösen Praxis, die je nach Bedarf unterschiedliche Glaubenstraditionen, darunter auch die des Bön, verschmelzen konnte. König Trisong Detsen beabsichtigte unter seinem Volk nicht nur die ethischen Grundlagen des Mahāyāna-Buddhismus bekannt zu machen, sondern auch die Grundlagen der indischen buddhistischen Philosophie und Logik einzuführen, d. h. ein Wissen, das zwei gültige Ursprünge (skt. pramāṇa) aufweist, nämlich direkte Wahrnehmung (skt. pratyakṣa) durch die Sinne und intellektuelle Eingebung und Schlussfolgerung (skt. anumāna), das, was verborgen und nicht offensichtlich ist. Diese Untersuchung vom Ursprung des Wissens wurde zum Hauptgegenstand der monastischen Schulung in Tibet. Mit der Gründung des ersten Klosters in Samye und der Ordinierung der ersten Mönche durch Śāntirakṣita folgte der tibetische Saṅgha der monastischen Disziplin (ʼdul-ba; skt. vinaya) der indischen Mūlasarvāstivāda-Schule, der Śāntirakṣita angehörte. Philosophisch stand er in der Tradition der siebzehn großen Meister von

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Nālandā, insbesondere Nāgārjuna, Candrakīrti und Śāntideva als Vertreter des „Mittleren Weges“ oder Madhyamaka, sowie Asaṅga und Vasubandhu als Protagonisten der Cittamatra „Nur-Geist-Schule“ oder Yogācāra. Als Hilfsmittel zum Verständnis der Dogmatik führte Śāntirakṣita das Studium der von Dignāga und Dharmakīrti entwickelten Logik (mtshan-nyid; skt. nyāya) als Teil der Klostererziehung ein. Ein gewaltiges Konvolut von Vorschriften regelte die Mönchsweihe und Klosterordnung. Die Disziplinarregeln und die Offenbarungen des Buddha in den Sūtras (mdo) und Tantras (rgyud) mussten ohne Widerrede akzeptiert werden. Über dogmatische Fragen waren Diskussionen zugelassen. Diese bestanden hauptsächlich in der Untersuchung der Wirklichkeit, die alles in empirischer Erfahrung Denkbare eines eigenen Seins (rang-bzhin; skt. svabhāva) entbehrt und insofern als „leer“ (stong-pa; skt. śūnya) betrachtet. Somit ist die Wirklichkeit nichts anderes als Vorstellung des Geistes (sems; skt. citta), der seinem Wesen nach ebenfalls leer und reine Lichthaftigkeit ist. Für die Heilserfahrung boten die von den Tantras gebotenen Wege zahlreiche gnostische und yogische Methoden, deren Zugang jedoch – wie schon eingangs erwähnt – streng reglementiert war. Die Gründung von Klöstern und religiösen Ausbildungsstätten bedingte eine durchgreifende Änderung der politischen Ordnung des Landes, das vorwiegend militärische Aufgaben zu tragen hatte. Die Untertanen, die vormals ausnahmslos zu Kriegsdienst und Arbeitsleistung verpflichtet waren, wurden jetzt zum Unterhalt der Klöster herangezogen. Mit den Sonderschenkungen des Königs an die Klöster und den vorgeschriebenen Unterhaltszahlungen an die Mönche und deren Lehrer wurden diese zu einer in sich geschlossenen Einheit mit bedeutenden Machtbefugnissen für den zuständigen Abt. Gleichzeitig mit dem Kloster Samye entstand in dessen Nähe aber auch eine Zweigniederlassung in der „Grotte von Chimphu“ (mChims-phu), die Asketenyogis (sgom-chen) vorbehalten war, die sich hauptsächlich tiefer Meditation und Yoga verschrieben hatten. Nach Padma Thangyig (Padma thang-yig), der Biographie des Padmasambhava, ist solch ein Nebeneinander von monastischer und yogischer Tradition aus jener Zeit bezeugt. Beide Richtungen befolgen unterschiedliche Regeln. Während die Mönchsgemeinde im Kloster lebt und die von den Sūtras vorgeschriebenen Riten befolgt, leben die Yogis in abgeschiedenen Höhlenzellen (grub-khang) und folgen tantrischen Riten, ohne an Regeln des Gemeinschaftslebens gebunden zu sein. In jedem Fall unterhielten die Klöster und Klausuren eigenes Eigentum und Bedienstete, da der König das Prinzip der Freigiebigkeit oder Schenkungsfreude als erste der tugendhaften Vollkommenheiten (phar-rol-tu phyin-pa) eines Bodhisattva in den Vordergrund stellte. Stiftungen an die Mönchsgemeinde in Form von Schenkungen von Bildnissen, Bücherabschriften und der Bau von Tempelhallen galten als Ansammlung heilsamen Tuns zur Läuterung und Vorbereitung auf die letztendliche Erleuchtung. Dank der Unterstützung des königlichen Hofes und der dazu verpflichteten Laienbevölkerung entwickelten sich die Klöster zu einem vom Staat unabhängigen und steuerbefreiten Wirtschaftsorganismus mit einem eigenen Handelsbetrieb. 263

Buddhismus in Tibet

Während der Regierungszeit des Königs Ralpachen nahmen die Anzahl und der Reichtum der klösterlichen Gemeinschaft ständig zu, die bald als eine neue Macht innerhalb der tibetischen Gesellschaft den alten Feudalfamilien entgegentrat. Die von Langdarma ausgelöste Verfolgung der buddhistischen monastischen Gemeinde hatte also nicht nur religiöse Ursachen. Denn die stetige Ausweitung der geistlichen Gemeinschaft bedeutete eine große Gefahr für den Bestand des Staates. Diese Entwicklung und deren wirtschaftliche Auswirkungen beraubten den Staat beträchtlicher Hilfsmittel an Menschen und Geldmitteln, zu einer Zeit, da die Oberhoheit Tibets in Zentralasien immer mehr im Schwinden begriffen war. Somit hatten Langdarmas Gegenwehr und sein Verbot monastischer Institutionen einen konkreten politischen und wirtschaftlichen Hintergrund.39

2.9. Die Nyingmapa-Schule der „Alten“ Als König Trisong Detsen im Anschluss an die Samye-Debatte dem indischen Mahāyāna-Buddhismus gegenüber dem chinesischen Chan den Vorrang gab, war damit nicht nur die Verbreitung der Sūtras und metaphysischen Belehrungen des Buddha gegeben, sondern auch die der esoterischen Schriften oder Tantras, die zu jener Zeit in Indien bereits weit verbreitet waren. Mit Padmasambhava fanden diese Praktiken auch in Tibet fruchtbaren Boden. Die Übertragungen und Lehren des „Kostbaren Guru“ oder Guru Rinpoche, wie Padmasambhava von seinen Anhängern genannt wird, wurden im Laufe der späten oder zweiten Verbreitung des Buddhismus in Tibet (phyi-dar) im Unterschied zu den Praktiken der „neuen Transmissionen“ (gsar-brgyud) als die Schule der Alten oder Nyingmapa (rNying-ma-pa) bezeichnet. Die tantrischen Lehren des Buddhismus sind essenziell nicht als ein separater Heilsweg zu verstehen, sondern sie sind in ihrer dogmatischen Ausrichtung ein Ausläufer des Mahāyāna, der sich vom Sūtraweg durch Anwendung esoterischer Mittel (thabs; skt. upāya) oder Meditationstechniken wie Mantra, Mudrā und Maṇḍala unterscheidet. Der Fortschritt eines Bodhisattvas auf dem Weg zur vollen Erleuchtung, der sich über Äonen von Zeitaltern ziehen kann, vermag durch die speziellen rituellen Techniken und Yoga-Praktiken rasant verkürzt zu werden und einen spirituell qualifizierten Adepten sogar in einem Menschenleben vom Kreislauf der Wiedergeburt zu befreien. Wesentlicher Faktor dafür ist die Einführung, Transmission und persönliche Betreuung durch einen Meister oder Guru, der – unter Adaptierung einer Bön-Terminologie – als Quelle jeglicher Segnungskraft (byin-rlabs) auch als Lama (Bla-ma), „Seelenmutter“ bezeichnet wird. Der Praxisweg beginnt mit der Ermächtigung oder Initiation (dbang) des Schülers durch den Meister während eines Rituals der Reinigung und einer symbolischen Weihe, die in Erinnerung an die altindische Tradition der Königsweihe den Adepten 39 Tucci 1970: 21–25.

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mit göttlichen Attributen ausstattet und ihn ermächtigt, sich mit Hilfe von Mantras als Idealbild einer seiner Persönlichkeit entsprechenden Gottheit (yi-dam; skt. iṣṭadevatā) im Zentrum eines Maṇḍalas, Sinnbild einer idealisierten Welt der Vollkommenheit,40 zu visualisieren. Mit Übung soll dieser alchemistische Prozess einer psychosomatischen Wandlung negative Neigungen oder Geistesgifte wie Hass, Begierde und Eifersucht in inhärente Weisheiten (ye-shes) verändern, die die Natur des Geistes an sich (sems-nyid) als Klarheit und Wonneleerheit bloßlegen.41 In der Nyingmapa-Tradition wird dabei insofern auf den Lichtaspekt des Geistes Bezug genommen. Historisch berufen sich die Nyingmapa auf den indischen Tantriker Padmasambhava sowie auf andere Meister des 8. und 9. Jahrhunderts, wie den indischen Weisen Vimalamitra und den tibetischen Übersetzer Vairocana. In seinem Werk „Kette der Anschauungen“ hat Padmasambhava diese Lehren in einem neunfachen Stufenweg zur Erleuchtung dargelegt, deren letzte drei eine Besonderheit der Nyingmapa-Schule darstellen. Die ersten drei Wege sind die dialektischen Fahrzeuge oder „Wege der Ursache“: Das Fahrzeug der Hörer (skt. śrāvaka), das der Einzelbuddhas (skt. pratyekabuddha) und das der Bodhisattvas für Geschöpfe mit geringen Fähigkeiten, die den Befreiungsweg des Hīnayāna und Mahāyāna umfassen. Die Hörer bemühen sich um einen entspannten Geist und Körper mit Hilfe der Meditation der Ruhe (zhi-gnas; skt. śamatha) und Klarschau (lhag-mthong; skt. vipaśyanā) über die Vier Noblen Wahrheiten unter Einhaltung der achtfachen moralischen Disziplin (skt. pratimokṣa) mit dem Ziel, die Arhatschaft zu erlangen. Die Einzelbuddhas beachten ebenfalls die Pratimokṣa-Gelübde und üben die Meditation der Ruhe und Klarschau in Verbindung mit der Kette des Abhängigen Entstehens (skt. pratītyasamutpāda), um ebenfalls die Arhatschaft zu erlangen. Bodhisattvas üben die gleichen Arten der Versenkung, allerdings mit der Motivation, Erleuchtung zum Wohl aller Wesen zu erlangen, die als Bodhicitta (byangchub-sems), Erleuchtungsgeist, bezeichnet wird. Bodhisattvas gelangen über die Praxis der Sechs Vollkommenheiten (skt. pāramitās) zur höchsten Erleuchtung sowie durch die Meditation über die Wesenlosigkeit aller äußeren und inneren Gegebenheiten. Danach erscheinen sie in der Welt in unterschiedlichen Formen, bis alle Wesen die Erleuchtung erlangt haben. Die sechs Wege des tantrischen oder Diamantfahrzeuges (Vajrayāna) bzw. die „Wege der Frucht“ sind Folgende: Die drei unteren Tantraklassen sind für Personen mittelmäßiger Befähigung, nämlich Kriyāyoga oder Kriyātantra (bya-rgyud), das in Kommunikation mit dem idealisierten Persönlichkeitsbild als Gottheit aus einer Folge von Reinigungsritualen und Opferwesen besteht; Upayoga oder Caryātantra (spyod-pa’i rgyud) ist der Weg, der den Leerheitsaspekt der visualisierten Gottheit einbezieht, indem er Reinigungsrituale mit Meditation verbindet; und

40 Siehe Loseries-Leick 1995. 41 Siehe Loseries 2013: 64–69.

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Yogatantra (rnal-ʼbyor-rgyud) ist auf eine Verschmelzung mit der Gottheit in tiefer Versenkung (ting-nge-ʼdzin; skt. samādhi) bedacht und zielt auf spirituelle Transformation. Die drei oberen Tantraklassen für die Höchstbefähigten sind Mahāyoga (bskyed-pa’i mahā-yoga), der „große Yoga der Entwicklung“, mit Betonung auf den Stufenweg der Entfaltung des Maṇḍala über Visualisation; Anuyoga (rdzogs-pa’i anu-yo-ga) der vollkommenen Meditation mit Betonung auf den Vibrationsaspekt des Maṇḍala; und Atiyoga (rdzogs-pa chen-po a-ti-yo-ga) der großen Vollkommenheit, ein abstrakter und visionärer Zugang der Versenkung mit dem Ziel einer völligen Integration mit Leere-Licht-Sein schon in diesem Leben. Die Tiefe der Erfahrungswelt der Nyingmapa kann hier nur angedeutet werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der starke Nachdruck auf die Fortsetzung der „großen Wonne“ (bde-ba chen-po; skt. mahāsukha) aus der Tantra-Erfahrung.42 Die Lehren der Nyingmapa weisen zwei große Transmissionsysteme auf, die ebenfalls eine Besonderheit dieser Tradition sind: die lange kanonische Transmission (ring-brgyud bka’-ma) und die kurze Schatz-Transmission (nye-brgyud gter-ma). Während die erste Transmission eine ungebrochene Übertragungslinie vom Lehrer auf den Schüler darstellt, sind die Termas (gter-ma) oder „Schatztexte“ Lehren, die von Padmasambhava in Höhlen, Seetiefen oder einzig im Raum verborgen worden sind, um zu einem späteren Zeitpunkt von spirituell hochentwickelten Personen, die als „Schatzfinder“ bezeichnet werden, aufgefunden zu werden. Die lange kanonische Transmission erfolgt in drei Stadien: die direkte telepathische Geist-zu-Geist-Übertragung (dgongs-brgyud), die Transmission über Symbole und Zeichen (brda-brgyud) und letztlich die sprachliche Transmission über das Hören (snyan-brgyud). Die vollständige und authentische Transmission ist wesentlich für den Erfolg der spirituellen Praxis. Die kanonische Nyingmapa-Literatur ist eine umfassende Sammlung von alten Tantras (rNying-ma rgyud-ʼbum) in 33 Bänden. Die Terma-Transmission weist kurze Übertragungslinien auf, da die jeweiligen Schatzfinder, die erst ab dem 11. Jahrhundert in Erscheinung treten, nach Padmasambhava als Zweitgereihte in der Transmissionskette gelistet sind. Die Terma-Literatur kennt über tausend solcher Schatzfinder oder Tertön; darunter werden hundert als die großen Tertön bezeichnet, wie Sangye Lama (Sangs-rgyas Bla-ma, 1000–1080) und die fünf Tertön-Könige Nyangrel Nyima Özer (Myang-ral Nyi-ma ʼOd-zer, 1124–1192), Guru Chöwang (Gu-ru Chos-dbang, 1212– 1270), Dorje Lingpa (rDo-rje Gling-pa, 1346–1405), Padma Lingpa (Padma Gling-pa, 1450– 1521) und Jamyang Khyentse (ʼJam-dbangs mKhyen-brtse, 1820–1892). Die wichtigste Terma-Textsammlung ist der „kostbare Terma-Schatz“ Rinchen Terdzö (Rin-chen gTer-mdzod), der sechzig Bände umfasst.43

42 Über die neun Yānas siehe Tucci 1970: 94–100; Dargyay 1979: 16–18; Tulku Thondup 1987: 41–45. 43 Tulku Thondup 1987: 40f.

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Während der so genannten Zweiten Verbreitung oder Renaissance des Buddhismus in Tibet erlangte die Schule der Nyingmapas nie die politische Vorrangstellung, die die anderen „neuen“ Schultraditionen hatten. Viele der über tausend Nyingma-Klöster und -Tempel in Tibet, von denen einige bis ins 7. und 8. Jahrhundert zurückreichen, gelangten später unter die Administration der Sakya- und Gelugpa-Hierarchen. Jedoch sind zahlreiche Felshöhlen, Leichenstätten und andere Machtplätze in Zentral- und Westtibet eng mit der legendenhaften Person des Padmasambhava verbunden44 und werden als heilige Pilgerorte verehrt. Das Kloster Mindoling (sMin-grol-gling) in Zentraltibet, 1676 gegründet von Terchen Gyurme Dorje (gTer-chen ‘Gyur-med rDo-rje), entwickelte eine eigene Tradition von Sakralmusik, die bis zum heutigen Tag ausgeübt wird. Auch andere Klöster in der Kham-Provinz sowie in Golog und Amdo wurden zu bedeutenden spirituellen Zentren der Schule. Die Achtung und Verehrung, die die tibetische Bevölkerung Padmasambhava als kostbarem Guru und Zweitem Buddha zollt, ist bis zum heutigen Tag lebendes Erbgut der Schule der „Alten“. Allerdings waren – im Unterschied zu den neuen Schulen der zweiten Verbreitung – die Nyingmapas nicht hierarchisch orientiert und hatten in Tibet selbst kein erwähltes Oberhaupt ihrer Tradition. Eine große Zahl von Yogis und Eremiten in den meist nicht monastisch orientierten Nyingmapa-Niederlassungen in Tibet, Nepal, Bhutan, Sikkim und Ladakh vollziehen neben ihren meditativen Yoga-Praktiken auch tantrische Rituale und schamanische „Seelenrückführungen“ zum Wohl der Bevölkerung.

3. Die zweite Verbreitung des Buddhismus in Tibet 3.1. Die Zersplitterung des Reiches (10. bis 11. Jahrhundert) Mit der Verfolgung des Buddhismus unter König Langdarma (verstorben 842) fand die frühe oder erste Verbreitung des Buddhismus in Zentraltibet ein Ende (sngadar). Mit einem Schlag verlor die buddhistische Mönchsgemeinschaft nicht nur den Schutz des Hofes, sondern auch ihr gesamter Besitz wurde beschlagnahmt, alle Liegenschaften eingezogen und die gesamte Organisation zerschlagen. Mit Langdarma begann auch die politische Einheit Tibets zu zerbröckeln und seine beiden Söhne, Yumten von seiner ersten Frau und Ösung von seiner zweiten, stritten um die Macht. In den tibetischen Geschichtsbüchern45 wird diese Periode, 44 Dowman 1988. 45 Siehe Chos-ʼbyung von Bu ston in der Übersetzung von Obermiller 1931; ferner Szerb 1990.

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in der das tibetische Großreich in Kleinstaaten zersplitterte, als Anarchie bezeichnet, die zwei Jahrhunderte währen sollte. Tibet sollte es nie mehr gelingen, seine militärische und politische Vorrangstellung in Zentralasien wiederzugewinnen. Auch der geistige Austausch mit Indien war während dieser Zeit unterbrochen. Die aufgezwungene Auflösung der monastischen Institutionen unter Langdarma im 9. Jahrhundert in Tibet bedeutete nicht die völlige Abkehr vom Buddhismus. Denn trotz der Zerstörung der Klöster und Zwangsvertreibung der Mönche konnte die tantrische Tradition der Yogis oder Ngapas (sNgags-pa, „Mantrahalter“), die als Eremiten oder Haushalter nicht an die Regeln der Mönchsdisziplin gebunden waren, weiterbestehen; insbesondere, da die tantrischen Praktiken auf Aspekte des Volksglaubens eingingen, was den urtümlichen Glaubensvorstellungen der Bevölkerung entgegenkam. Es waren jedoch gerade diese in den historischen Schriften als degenerierte oder zu wörtliche Auslegung bezeichnete praktische Umsetzung der tantrischen Texte, die allmählich auf Kritik von Seiten einzelner lokaler Herrscher, vor allem in Westtibet, stieß. Wie oben erörtert, war die Übersetzung wie auch die Praxis der tantrischen Wissenskunde per königlichem Dekret während der ersten Verbreitung des Buddhismus streng reglementiert. Mit der Aufhebung dieser Kontrolle war der Interpretation dieser esoterischen Lehroffenbarungen Freilauf gegeben, und ohne spirituelle Führungskraft oder Autorität war es wohl mit gewissen Ausnahmen für viele schwierig, die Reinheit der Übertragungslinie, die mit Padmasambhava so wirkungsvoll begonnen hatte, in die Praxis umzusetzen. Auch schienen die Anweisungen des Guru Rinpoche bezüglich tantrischer Disziplin, die trotz innerer Ekstase große Betonung auf Mäßigung im Verhalten nach Außen legte, und vorherrschend den Zustand des Gewahrseins des Geistes an sich (rig-pa) als große Vollkommenheit (rdzogs-pa chen-po) zu kultivieren ermahnte, für manche als tantrische Yogis in der Gemeinschaft Wirkende in Vergessenheit geraten zu sein. Im 10. und 11. Jahrhundert wird von „Mönchsbanditen“ (ar-tsho ban-dhe) berichtet, die im Namen der Tantras vor kriminellen Ausschweifungen nicht zurückgeschreckt sein sollen. Von Entführung, Vergewaltigung und selbst Kannibalismus wird berichtet. In Anbetracht dieser Zustände wurde der Wunsch nach einer gültigen Auslegung der Schriften, die auch die öffentliche Moral unterstützen sollte, immer dringlicher.46

3.2. Renaissance oder Kontinuität der Lehre des Buddha 3.2.1. Die Wiederbelebung der Mönchsweihe Das Wiederaufleben des Buddhismus gegen Ende des 10. Jahrhunderts vollzog sich nur allmählich. Zusammen mit der weiteren Entwicklung und Formung einzelner 46 Stein 1972: 71; Tucci 1970: 34.

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Schulen ab dem 11. Jahrhundert wird dies als die zweite oder spätere Periode der Verbreitung des Buddhismus in Tibet bezeichnet (phyi-dar). Über die Einzelheiten dieses Vorganges sind sich die Quellen vielfach uneins. Jedoch waren die Historiker vorrangig darauf bedacht, eine Wiederauflebung der gemäß dem Vinaya (tshulkhrims, „monastische Disziplin“) vollzogenen Mönchsordination als entscheidendes Verbindungsglied darzustellen. Den Berichten in den „Blauen Annalen“ von Gö Lotsāva47 zufolge sollen drei Mönche aus Zentraltibet, Rabsel (Rab-gsal), Gedjung (dGe-ʼbyung) und Mar Śākyamuni vor den Verfolgungen Langdarmas mit den Vinaya-Texten im Gepäck nach Osttibet geflüchtet sein. Dort trafen sie auf einen jungen Hirtennomaden, der sie in seiner Hingabe zum Dharma erst um die Novizenweihe (dge-dsnyen; skt. upāsaka) und später auch um die Weihe zum Vollordinierten (dge-slong; skt. bhikṣu) bat. Anfangs bereitete dieser Wunsch Schwierigkeiten, da für diese Zeremonie die Anwesenheit von fünf vollordinierten Mönchen erforderlich ist. Letztendlich gelang es aber mit der Hilfe von zwei Mönchen der Ho Shang-Tradition, die Ordination zu erteilen. Jener Jüngling (832–915?), der unter den Mönchsnamen Gongpa Rabsel (dGongs-pa Rab-gsal) bekannt wurde, zeichnete schließlich für die Wiederauflebung der monastischen Tradition in Zentraltibet verantwortlich, indem er trotz seiner Jugend an der Weihe von weiteren zehn jungen Männern, die aus Ü und Tsang angereist waren, mitwirkte. Unter diesen war ein gewisser Lume Sherab Tshulthrim (Klu-mes Shes-rab Tshul-khrims, 950–1015). Nach ihrer Schulung kehrten die jungen Mönche nach Zentraltibet zurück, wo sie später in Verbindung mit Atīśa kurz nach 1042 an der Verbreitung und Organisation des Buddhismus mitzuwirken vermochten, indem sie an verschiedenen Orten neue monastische Zentren gründeten. Diese Darstellung Butöns (Bu-ston)48, die in der Folgezeit als schlüssiges historisches Dokument akzeptiert wurde, scheint laut Tucci49 den Versuch darzustellen, das Bestehen einer ununterbrochenen Kontinuität zwischen der ersten und zweiten Verbreitung des Buddhismus in Tibet zu beweisen. Damit wurde auch die Rechtsgültigkeit der kleinen monastischen Zentren und Tempel (lha-khang), die in der Zwischenzeit entstanden waren, bestätigt. In jedem Fall führte die Verfolgung durch Langdarma keineswegs zu einer völligen Vernichtung des Buddhismus in Tibet, sondern höchstens zu einem temporären Niedergang. Im Nordosten des Landes leistete der Buddhismus im 10. und 11. Jahrhundert erfolgreich Widerstand. Dort war es einerseits möglich, wie schon erwähnt, für die Fortsetzung der Mönchsweihe die erforderliche Anzahl von Mönchen zu stellen. Andererseits fanden dort die Lehren des nach der Samye-Debatte aus Zentraltibet vertriebenen Übersetzers und Dzogchen-Meisters Vairocana eine breite Anhängerschaft. In

47 Roerich 1988: 63–67. 48 Siehe Szerb 1990; Roerich 1988: 77–79. 49 Tucci 1970: 31–35.

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Kham hat ein aus Nepal stammender Mönch namens Smṛti eine Schule gegründet, die sich dem Studium der buddhistischen Metaphysik (Abhidharma) widmete. Er initiierte auch die Übersetzung neuer tantrischer Texte, die als „neue Tantras“ (gsar-rgyud) von den „alten“ (rnying-rgyud) unterschieden wurden.50 Unter Smṛtis Schülern war unter anderem auch Dromtön (ʼBrom-ston), der nach Ü zurückgekehrt das Kloster Reting (Rva-sgreng) in der Nähe von Lhasa gründete (1057) und der Hauptschüler Atīśas wurde. Darüber hinaus kam es nach der Vertreibung der Tibeter aus Turkestan zu einer massiven Rückwanderung von buddhistischen Laien, Kaufleuten wie auch Mönchen nach Tibet. Somit überlebte der Buddhismus diese Krisenzeit einerseits in einem vorwiegend magisch oder tantrisch orientierten Halblaientum mit einer subjektiven Auslegung der Texte, das alte rituelle Gebräuche im buddhistischen Gewande aufleben ließ. Andererseits kam es auch allmählich wieder zur Gründung kleiner Tempelanlagen (lha-khang), wo sich kleine Gemeinschaften um einen Lehrmeister scharten. Die tibetischen Lehrer, die gegen Ende des 10. Jahrhunderts aus Osttibet nach Lhasa zurückkehrten, fanden bald wieder die Unterstützung einflussreicher Adelsfamilien. Diese hatten nach hundert Jahren der Wiederbelebung des Buddhismus wieder die Möglichkeit, als Förderer des Dharma aufzutreten. Ein weiterer Anstoß zur zweiten Verbreitung des Buddhismus erfolgte aus Westtibet (mNga’-ris) im Umfeld des heiligen Berges Kailāsa, wo sich die Nachkommenschaft der alten Königslinie die Herrschaft in Ladakh, Zanskar, Purang und Guge teilte, und an der Tradition, als Gönner der buddhistischen Lehre zu wirken, festhielt.

3.2.2. Rinchen Zangpo (958–1055) Gegen Ende des 10. Jahrhunderts begann in Tibet ein neues Zeitalter ökonomischer und politischer Natur. Lokale Herrscher kämpften um den Vorrang in religiöser Autorität und weltlicher Macht. Abenteurer und Pilger suchten nach authentischen Quellen der buddhistischen Lehren in Indien und in Nepal. Vor allem die Königshäuser Westtibets, das Zanskar, Guge, Spiti und Kinnaur umfasste, waren wohl auch aus politischen Überlegungen wohlwollende Förderer des Buddhismus. Sie befanden sich inmitten eines eroberten Landes, das zum Teil feindselig gestimmt war und wo der Einfluss der einheimischen Bön-Meister deutlich spürbar war. Jedoch blühten im benachbarten Kaschmir noch die buddhistischen Schulen in den Klosteruniversitäten, wo sowohl Studien der Logik und Metaphysik wie auch der tantrischen Praxis betrieben wurden. Wie auch einst zur Zeit von König Trisong Detsen entsandte ein Herrscher des westtibetischen Reiches (mNga’-ris), der sich mit dem Namen Yeshe Ö (lHa bla-ma Ye-shes ʼOd, 947–1024, 988 abgedankt, „Licht der Weisheit“) im reifen Alter zum Mönch weihen ließ, eine Reihe von Jünglingen zum Studium der buddhistischen 50 Snellgrove/Richardson 1968: 113.

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Lehre nach Kaschmir. Nach Abschluss ihrer Ausbildung kehrten diese mit einigen ihrer Lehrmeister sowie Künstlern und Handwerkern zurück in ihre Heimat, wo sie im Schutze des königlichen Hofes weiter für die Verbreitung des Buddhismus tätig wurden. Diese tibetischen Mönche und indischen Meister, die nach Tibet geladen wurden, waren alle Anhänger der tantrischen Lehren, die zu jener Zeit in Nordindien vorherrschten. Diese bestanden nicht nur aus den mündlichen Überlieferungen einzelner verwirklichter tantrischer Yogis (sgrub-chen), sondern auch aus den Kommentaren zu den Tantras, die in den indischen Klosteruniversitäten verfasst worden waren. Aber mit der Verbreitung dieser Lehren in Westtibet waren diese Protagonisten darauf bedacht, symbolische Interpretationen der Tantras zu vermitteln, wie es auch bereits in den indischen Klosterkollegien üblich geworden war.51 Unter jenen Mönchen, die König Yeshe Ö nach Indien entsandte, befand sich gewisser Rinchen Zangpo (Rin-chen bZang-po, 958–1055), der in Westtibet geboren und schon im Alter von dreizehn Jahren als Mönchnovize ordiniert worden war. Er unternahm insgesamt drei Reisen nach Kaschmir und Indien zum Studium des Buddhismus und indischer Sprachen. Sein erster Aufenthalt währte dreizehn Jahre. Später, als er vom König Yeshe Ö mit dem Bau des königlichen TolingKlosters in Guge beauftragt wurde, kehrte er nochmals für sechs Jahre nach Indien zurück, um dort indische Künstler und Handwerker für die Gestaltung des neuen Tempels zu finden. Während dieses zweiten Aufenthaltes soll er im Alter von 47 Jahren die volle Mönchsordination erhalten haben. Als Gelehrter zeichnete er für eine Reihe von neuen sowie Revisionen von früheren Übersetzungen der Sūtras und Tantras mit ihren umfangreichen Kommentaren aus dem Sanskrit verantwortlich. Insbesondere widmete er sich der Prajñāpāramitā-Literatur, indem er nicht nur die Abfassungen in 8 000 und 20 000 Versen ins Tibetische übertrug, sondern auch deren umfangreichen Kommentar Abhisamayālaṃkāra, einen der wichtigsten Kommentare zur Prajñāpāramitā-Literatur. In den „Blauen Annalen“ von Gö Lotsāva wird eingehend auf seine Biographie eingegangen und ihm eine Vorrangstellung in der Renaissance des Buddhismus sowohl in Bezug auf den Vinaya wie auch die „neuen Tantras“ in Tibet eingeräumt.52 Insbesondere leistete er mit den Übersetzungen des Guhyasamāja-Tantra53 und des Cakrasaṃvara-Tantra54 Pionierarbeit. Laut Gö Lotsāva sollen die weit verbreiteten Meditationsanleitungen (sgrub-yig) für die Initiation und die Praxis des Cakrasaṃvara mit der spirituellen Transmissionslinie des Rinchen Zangpo in Tibet begonnen haben.55 Er sammelte zahlreiche als Übersetzer geschulte Schüler um

51 Siehe Loseries 2015: 142–155. 52 Roerich 1988: 901, 968; Germano 1994: 204; siehe auch Biographical Encyclopedia (s.v. Rinchen-Zangpo). 53 Roerich 1988: 359, 372f.; Wayman 1977: 103. 54 Gray 2007: 11. 55 Roerich 1988: 380–383.

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sich, so dass man von einer Art Übersetzungsinstitut sprechen kann.56 Insofern gilt Rinchen Zangpo als die Gallionsfigur der Renaissance. Das Aufkommen der „neuen Traditionen“ (gsar-ma), das wiedererweckte Interesse an Indien und den erstmals entdeckten Yoginītantras sowie die Unterstützung des Königshauses sind alle Rinchen Zangpo zuzuschreiben. Neben seiner Tätigkeit als Gelehrter soll er auch für die Errichtung zahlreicher, in den Schriften als 108 gezählten Tempelanlagen (lha-khang) in Westtibet verantwortlich gezeichnet haben, eine symbolische Zahl. Unter diesen sind neben Toling in Guge auch Tempel in Ladakh, in Spiti und Kinnaur erhalten und gelten als Beispiele kaschmirischer Handwerkskunst.57 Im hohen Alter von 85 Jahren traf Rinchen Zangpo den indischen Großmeister Atīśa Dīpaṃkara, als dieser 1042 erstmals Toling besuchte. Dieser war anfangs vom tiefen Wissen des Rinchen Zangpo sehr beeindruckt. Als er jedoch fragte, wie dieser die Tantras praktizierte, erkannte er, dass Rinchen Zangpo es nicht verstand, die verschiedenen Tantras homogen zusammenzuführen. Somit erteilte ihm Atīśa Anweisungen vor allem bezüglich Cakrasamvara und forderte ihn auf, diese in Abgeschiedenheit zu praktizieren. Reste eines drei-dimensionalen Cakrasaṃvara-Maṇḍalas in der obersten Kapelle der Tsaparang-Festung in Guge bezeugen die Wichtigkeit dieses Tantrazyklus seit jener Zeit. Nach dieser Begegnung mit Atīśa praktizierte Rinchen Zangpo zehn Jahre lang. Er starb im Alter von 98 Jahren.

3.2.3. Atīśa Dīpaṃkara (982–1054) und die Schule der Kadampa Wohl der größte Stimulus für die Entwicklung des Buddhismus im Tibet des 11. Jahrhunderts war die Mission des indischen Lehrmeisters Atīśa Dīpaṃkara, der im Alter von 60 Jahren auf Einladung der westtibetischen Könige in Guge ankam. Er studierte und lehrte an den Klosteruniversitäten von Nālandā, Odāntapuri und Vikramaśīla und war einer der berühmtesten buddhistischen Lehrer seiner Zeit in Indien, neben seinen Studien des Śivaismus und der Logik. In jungen Jahren zum Mönch ordiniert, reiste Atīśa im Alter von 31 Jahren nach Sumatra, wo er zwölf Jahre lang unter seinem Meister und Guru Dharmakīrti studierte. Danach kehrte er nach Indien zurück, wo er bald als Abt von Vikramaśīla fungierte. Biographische Details von Atīśa sind in 44 tibetischen Texten festgehalten. Für die Kulturgeschichte Tibets ist jedoch von großer Bedeutung, dass dieser im Jahre 1042 auf Einladung des Königs Changchub Ö (Byang-chub ʼOd), einem Sohn des vorhin erwähnten Königs Yeshe Ö von Guge, nach Westtibet kam, zu einer Zeit, als die 56 Roerich 1988: 68f. 57 Über die Tempel in Westtibet siehe Details in Tucci 1988; zu Tabo siehe Klimburg-Salter 1997 und Thakur 2001; zu Nako siehe Loseries 2016; zu Alchi Göpper/Poncar 1999.

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Praktiken der Tantras, die während der ersten Verbreitung des Buddhismus in Tibet populär geworden sind, ohne fehlende Autorität entartet waren. Mit dem Kommen eines in allen buddhistischen Yānas und Tantras bewanderten indischen Gelehrten, der beispielhaft war in monastischer Disziplin und spiritueller Reife, hofften die Könige von Guge auf einen frischen und heilsamen Impuls für die Praxis des Buddhismus in Tibet. Mehrmals wurden auf den ausdrücklichen Wunsch von Yeshe Ö (Ye-shes ʼOd) und seinem Sohn Changchub Ö Gesandte mit großzügigen Gaben und viel Gold nach Indien entsandt, um Atīśa zu bewegen, ihrer Einladung nach Westtibet zu folgen. Laut Biographien soll ihn schließlich seine Meditationsgottheit Tārā dazu bewegt haben, nach Tibet zu gehen, da es ihrer Prophezeiung nach von großem Nutzen für die Bewohner des Schneelandes sein werde, selbst wenn dadurch seine Lebensspanne um 25 Jahre verringert werden sollte. So kam der bereits betagte Atīśa nach Guge, wo er in Toling auch auf Rinchen Zangpo traf. Diese Begegnung führte zur Erkenntnis Atīśas, dass trotz großer Begabung und Gelehrsamkeit die essenzielle Sicht und Praxis der Tantras bislang in Tibet fehlerhaft war und dringend einer Reform bedurfte. Während seines dreijährigen Aufenthaltes in Guge verfasste Atīśa seine berühmte Schrift „Lampe für den Weg zur Erleuchtung“ (Bodhipathapradīpa) über den MahāyānaStufenweg.58 Danach reiste er nach Zentraltibet, wo er in Nyetang in der Nähe von Lhasa im Jahre 1054 verstarb.59 Trotz seiner insgesamt 117 Werke umfassenden Schriften zeichnete sich Atīśa mehr als spiritueller Meister denn als Gelehrter aus. Insbesondere war sein Leben erfüllt von einer Reihe von Visionen der Gottheit Tārā, deren kultische Verehrung und Riten er in Tibet nachhaltig einführte. Seine Hymnen und poetischen Invokationen an Tārā sind bis zum heutigen Tag populär. Auch die Übersetzungen von 77 indischen Schriften aus dem Sanskrit ins Tibetische sowie generell seine Kenntnis der tibetischen Sprache verhalfen zu einem vertieften Studium der buddhistischen Soteriologie.60 Seine Nachfolger, insbesondere die in der Linie seines Laienschülers Dromtön (ʼBrom-ston, 1008–1064), wurden unter dem Namen Kadampa (bKa’-gdams-pa, wörtlich „Adepten der Schriften und Lehren“) als erster Orden bekannt. Dromtön gründete später das Kloster Reting (Rva-sgreng) in der Nähe von Lhasa (1056), wo er bis zu seinem Tode ein zurückgezogenes Leben in Meditation im unbesiedelten Gebiet pflegte. Seine strenge Askese hielt ihn auch von jeglicher Lehrtätigkeit ab.61 Die Kadampa-Schule war für ihre asketische Disziplin in der Einhaltung des Bodhisattva-Pfades bekannt, oft auch auf Kosten der philosophischen Studien. Nichtsdestotrotz gründete ein gewisser Ngok Legpe Sherab, ein Schüler des Atīśa, ein Collegium (1071). Auch sein Neffe Ngog Lotsava Loden She58 59 60 61

Dazu siehe z. B. Prajnalankar 2013. Kapstein 2014: 30. Beyer 1988: 11f. Snellgrove/Richardson 1968: 131.

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rab (1051–1109) verbrachte viele Jahre in Kaschmir an der Klosteruniversität Vikramaśīla, wo er auch eine Schule für Logik gründete, die später als Modell für monastische Schulen in Tibet gelten sollte.62 Es war wohl Atīśas Schüler Dromtön zuzuschreiben, dass der indische Meister so lange in Tibet verblieb. Allerdings hinderte Dromtöns puritanische Haltung Atīśa daran, mehr auf die mystischen tantrischen Lehren einzugehen. Er hielt sich im Rahmen der philosophischen Prajñāpāramitā-Literatur. Allerdings zeichnete Atīśa neben dem Tārā-Kult für die Einführung von zwei weiteren wichtigen Kulten in Tibet verantwortlich: das indische Kosmos-System Kālacakra („Rad der Zeit“) und eine neue Entwicklung des Avalokiteśvara-Kultes (sPyan-ras-gzigs). Während seines Aufenthaltes in Toling verfasste Atīśa eine spezielle Version des Guhyasamāja-Tantra („Tantra der geheimen Gesellschaft“), das als das älteste schriftlich überlieferte Tantra gilt (4. Jahrhundert). Dieses Tantra beruht auf der meditativen Entfaltung des Fünf-Buddha-Maṇḍalas (Pañcatathāgata), wie die Wandmalereien in den Rinchen Zangpo zugeschriebenen Tempelbauten in Westtibet bezeugen.63 Atīśa jedoch ersetzte den zentralen Buddha Vairocana durch Lokeśvara („Herr der Welt“), mit der Absicht, eine devotionale Verbindung zu einer Meditationsgestalt herzustellen, die im Hindupantheon als Śiva göttlich verehrt wird. Hier folgte Atīśa offensichtlich einem Trend, der für die Praxis des in den letzten Zügen liegenden indischen Buddhismus in Nordindien üblich war.64 Vorrangig in Atīśas Bestreben war jedoch die Wiedereinführung eines monastischen Ordens und damit verbunden die Notwendigkeit, von einem wahrhaften Lehrmeister als Schüler angenommen und unterrichtet zu werden, um diesem mit voller Hingabe zu folgen. Dieses Ultimatum der Notwendigkeit eines erleuchteten Meisters für die letztendliche Erleuchtung brachte schließlich die Praktiken von Mönchen und Yogis für die höheren tantrischen Weihen zusammen. Die unmittelbare Belehrung (gdamsngag) der Jünger seitens des Meisters gewährleistete die richtige Auslegung der Schriften und Riten. Aus dem Schrifttum der Kadampa geht deutlich hervor, dass das Ziel der Lehrmeister darin bestand, einen Orden oder eine Schule zu schaffen und die jeweiligen Besten der Schüler mit der Weiterführung der Überlieferung zu betrauen. Diese Unterweisungen, von Atīśa an Dromtön und andere in Form von beispielhaften Erzählungen (gtam) oder Antworten auf Fragen der Adepten weitergegeben, zielten in erster Linie auf eine „Geistesschulung“ (blo-sbyong) zur Läuterung und Anwendung der ethischen und esoterischen Prinzipien des Buddhismus.65 Im Mittelpunkt steht dabei die Anleitung zur Erkenntnis der Natur des eigenen Geistes in Verbindung mit der Leerheitsnatur aller inneren und äußeren Phänomene, umgesetzt in Empathie für alle Wesen, verstrickt in der Nichterkennt62 63 64 65

Kapstein 2014: 30. Siehe Wayman 1977; Thakur 2001. Snellgrove/Richardson 1968: 130. Snellgrove/Richardson 1968: 130.

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nis des Seins an sich. Atīśas Betonung der Vereinigung von Leerheit eingebunden in Mitgefühl (skt. śunyatākarunāgarbhā), das Herz jeglicher Mahāyāna-Lehre, wurde schließlich mit dieser zweiten Verbreitung des Buddhismus für alle nachfolgenden Ordensgründungen und Vajrayāna-Schulen in Tibet bezeichnend. Die KadampaSchule schuf zum Thema „Geistesschulung“ ein großes Korpus an Literatur, wobei die Alltagspraxis als Fokus für die Kultivierung von Liebe und Mitgefühl dient. Dieser Aspekt wurde im Laufe der Zeit als verbindendes Charakteristikum aller buddhistischen Vajrayāna- wie auch der Bön-Traditionen in Tibet als integrer Weg zur Erleuchtung übernommen und bis zum heutigen Tag als solcher deklariert und praktiziert. Hingegen ist die Tantrapraxis in Indien in Verruf geraten und gilt heutzutage nur mehr als magischer Schutz oder als Hilfsmittel zur Vernichtung von Feinden oder von anderen Schwierigkeiten. Insbesondere scheint im Laufe der Zeit in Indien der Mitgefühlsaspekt aufgrund Mangels an Einsicht in die Leerheitsnatur aller Dinge trotz großer Meister des „Einheitswissens“ (skt. Advaita Vedānta) wie Śańkaryācaryā (788–820) abhanden gekommen zu sein. Wo in Tibet tantrische Meister verehrt werden, wird indischen Vertretern nunmehr mit Missgunst und Furcht begegnet. Atīśas Mission in Tibet gab nicht nur einen starken Impuls für die Renaissance eines aus der Gelehrsamkeit und Erfahrung extrahierten lebendigen Buddhismus aus Indien, dem einige Mutbehaftete aus Tibet auf der Suche nach indischen Gurus in den Subkontinent folgten. Ebenso waren indische Meister der buddhistischen Philosophie wie auch der tantrischen Praxis bewegt, so wie Atīśa ihre Lehre und Transmission unter enthusiastischen Schülern im Hochland Tibets zu verbreiten, insbesondere, da das Gönnertum lokaler Herrscher und Fürstenhäuser in Gold aufgewogen die Strapazen solch einer Reise in ein „barbarisches“ Land erträglich machte. Gleichzeitig zeichnete sich zu jener Epoche ein Niedergang königlicher Patronanz in Indien ab, der letztendlich mit dem Einfall muslimischer Eroberer der institutionalisierten Lehre des Buddha in dessen Heimat alsbald ein Ende bereiten sollte. In Tibet jedoch war Atīśas Same für eine Fortführung buddhistischer Lebensart und spiritueller Praxis durch seine persönlichen Schüler wie auch gleichgesinnte Zeitgenossen aufgegangen.

3.3. Die neuen tantrischen Transmissionen in Tibet (11. bis 14. Jahrhundert) 3.3.1.

Die Schule der Sakyapa und die Transmission des Lamdre-Systems

Im 11. und 12. Jahrhundert war die Wiederbelebung des Buddhismus in Tibet von verschiedenen Faktoren gekennzeichnet: Rivalität unter den bestehenden und neu aus Indien importierten spirituellen Traditionen, die Kontroverse monastischer 275

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Gelehrtheit gegenüber Tantrismus und Yoga, Wettbewerb um fürstliche Schutzherrschaft sowie örtliche Klanzwistigkeiten. Immer mehr tritt der Guru oder Lama (bla-ma) als religiöse und politische Autorität in den Vordergrund. Und trotz gewisser Vorurteile gegenüber Tantrapraktiken in der Nachfolge Atīśas wurden die Bemühungen um Übersetzungen und Transmission neuer tantrischer Traditionen in dieser Periode wieder aufgenommen. Diese neuen Tantra-Überlieferungen (gsarrgyud) reflektierten wichtige Entwicklungen innerhalb des indo-buddhistischen Tantrismus, insbesondere hinsichtlich eines stärker betonten Erotismus in der inhärenten Symbolik wie auch in der Betonung wirkungsvoller Methoden zur Erlangung von übernatürlichen Kräften (skt. siddhis) für die höchste Erleuchtung. Jene tibetischen Meister auf der Suche nach solch einem Wissen fanden darin auch eine neue Quelle für Macht und Prestige.66 Obwohl das Zeitalter der neuen tantrischen Übersetzungen mit Rinchen Zangpo beginnt, gilt dennoch einer seiner jüngeren Zeitgenossen, Drogmi Sakya Yeshe (ʼBrogmi Sa-skya Ye-shes, 992–1064), als erster Protagonist der innovativen Formen des indobuddhistischen Tantrismus. Er wurde nach der Wiederbelebung der monastischen Gemeinschaften Anfang des 11. Jahrhunderts ordiniert und verbrachte zwölf Jahre zu Studien in Indien, wo er an der Klosterunversität Vikramaśīlā direkte Unterweisungen von Nāropa, Ratnākaraśānti und anderen großen Panditas erhielt. Später setzte er seine Studien auch in Tibet fort. In Zusammenarbeit mit seinem indischen tantrischen Lehrmeister Gayādhara wusste er das tantrische Lamdre-System (lam-’bras, „Weg und Frucht“; skt. mārgaphala) in Tibet zu verbreiten, das als zentrale esoterische Transmission der Sakyapa-Schule bis zum heutigen Tag erhalten bleiben sollte.67 Dieser Orden wurde von Konchog Gyalpo (dKon-mchog rGyal-po, 1034–1102) gegründet, einem Spross der renommierten Adelsfamilie Khon (ʼKhon), die in früheren Generationen treue Anhänger und Förderer der Nyingmapa waren. Konchog Gyalpo jedoch suchte den großen Übersetzer Drogmi Sakya Yeshe auf und erhielt von diesem die Belehrungen und Initiationen der neuen Tantras (gsar-ma), insbesondere des LamdreSystems, das auf den indischen Mahāsiddha Vīrupa zurückgeht und sowohl Sūtras als auch Tantras umfasst. Schließlich gründete Konchog Gyalpo in Zentraltibet in der Provinz Tsang an einer ihm in Visionen zugewiesenen Stelle, wo die Erde grau (saskya) war, im Jahre 1073 ein Kloster, das bin zum heutigen Tag der Hauptsitz der nach diesem Ort benannten Schule der Sakyapa ist. Es gelang Konchog Gyalpo, dieses besondere Stück Land von einem lokalen Herrscher zu erhalten, der ein Abkömmling der Yarlung-Könige war. Im Laufe der Zeit, als der Einfluss der Sakya-Hierarchen sich groß entfaltet hatte, wurde diesbezüglich eine genealogische Verbindung der KhonFamilie mit dem alten Königshaus hergestellt. Der Ort, an dem Konchog Gyalpo das Sakya-Kloster erbauen ließ, stellte sich als glücksverheißend heraus. Denn es war di-

66 Kapstein 2014: 31f. 67 Vgl. Davidson 2008: 178–194.

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rekt an der Handelsroute nach Nepal gelegen, in einer fruchtbaren Agrarlandschaft in der Nähe von Shigatse und am Rande der Weideländer der nomadischen Viehzüchter, die das Kloster mit Butter und Wolle versorgen konnten. Somit konnte die Schule mit der Unterstützung der lokalen Fürsten und dem Organisationstalent der Sakyapa rasch zu Ruhm und Ehre gelangen.68 Die Übersetzung des Urtextes des Lamdre-Systems, die Drogmi zugeschrieben wird, ist der wichtigste und am meisten geheim gehaltene Text der SakyapaSchule.69 Die Lamdre-Lehren stützen sich auf das Hevajratantra,70 dessen Erstübersetzung ebenfalls Drogmi zugeschrieben wird. Sie umfassen sowohl die „Ursachen“-Lehren des exoterischen Mahāyāna als auch die „Frucht“-Instruktionen der Tantras. Die philosophische Grundlage oder Sichtweise (lta-ba) ist die „Vereinigung von Klarheit und Leerheit frei von jeglicher Vorstellung“ oder die „Untrennbarkeit von Samsāra und Nirvāṇa“. Die Sūtren der Lamdre berufen sich auf die indischen Mahāsiddhas Nāgārjuna und Maitrinātha. Die Nāgārjuna-Tradition umfasst die Lehre von den drei Praktiken der „Umkehr“ (bzlog-pa), die darauf zielen, über kontemplative Analyse (1) des Leidens im Wesenskreislauf, (2) der Anhaftung an ein Ich als Wirklichkeit und (3) der Vorstellung einer Unwirklichkeit eine Umkehr von gegebenen Sichtweisen und Verhaltensmustern zu erreichen. Die Maitrināthasūtra-Tradition des Lamdre lehrt den natürlichen Zustand von Klarheit und Weisheit als Grundlage für Samsāra und Nirvāṇa. Das Nichterkennen dieser Basis und das Anhaften an die Wirklichkeit von Subjekt und Objekt sind die Wurzel von Samsāra. Diese Unwissenheit gilt es in der letztendlich absoluten Raumsphäre (chos-dbyings; skt. dharmadhātu) aufzulösen.71 Der tantrische Aspekt der LamdreLehren, der die drei Praktiken der „Fortsetzung“ (rgyud) umfasst, dient zur Verwirklichung der Natur des Geistes in Vereinigung von Klarheit und Leerheit (gsalstong). Diese ist die Praxis der Fortsetzung des Grundes (gzhi) oder des inhärent (lhan-skyes; skt. sahaja) vorhandenen Potenzials der Erleuchtung; ferner die Fortsetzung des Weges (lam) in Form des Stufenweges der tantrischen Praxis und die Fortsetzung der Frucht (ʼbras), die Offenbarung der Verwirklichung der Buddhaschaft, die latent in relativer wie auch absoluter Wirklichkeit gegeben ist.72 Es gelang Drogmi, seinen Guru Gayādhara zu überreden, einzig ihm die Lamdre-Lehren zu übertragen. Somit konnte er diesen esoterischen Wissensschatz als sein Monopol für die Sakyapa-Schule in Tibet halten. Im Mittelpunkt ihrer Praxislinie steht die Verwirklichung der Lichthaftigkeit des Geistes oder der Denkenergie (sems), deren Wesen (rang-bzhin) als leer (stong-pa) gesehen wird.

68 Snellgrove/Richardson 1968: 132. 69 Dessen indischer Ursprung wurde allerdings in Frage gestellt, siehe Davidson 2008: 183– 184. 70 Siehe Snellgrove 1959: 11–19. 71 Tulku Thondup 1987: 59. 72 Siehe Kapstein 2014: 32 sowie Davidson 2008: 162–209.

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In den folgenden Generationen brachte die Khon-Familie eine Reihe von einflussreichen Meistern hervor. Konchog Gyalpos Sohn Sachen Kunga Nyingpo (Sa-chen Kun-dga’ sNying-po, 1092–1158) wurde ein großer Gelehrter wie auch Siddha, der von dem indischen Siddha Vīrupa direkt eine spezielle Transmission der LamdreLehren erhalten haben soll, als dieser angeblich auf wundersame Weise ins Kloster Sakya gekommen war.73 Ferner studierte er unter dem Übersetzer (lo-tsā-ba) Bari, von dem er den Hundert-Sādhanā-Zyklus erhielt, sowie mit Mal Lotsawa, der ihm die Vajrayoginī-Linie Naro Khachöma (Nā-ro mKha’-spyod-ma) übertrug. Zwei seiner Söhne, Sönam Tsemo (bSod-rnams rTse-mo, 1142–1216) und Dagpa Gyaltsen (Gragspa rGyal-mtshan, 1147–1216), galten ebenso als hervorragende Gelehrte und Meister. Deren Neffe Kunga Gyaltsen (Kun-dga’ rGyal-mtshan, 1181–1251) zeichnete sich durch besondere intellektuelle und spirituelle Fähigkeiten aus. Er wurde Mönch und verfasste zahlreiche Schriften, darunter „Schatz der Logik“ (tshad-ma-rig-gter) und „Unterscheidung der drei Gelübde“ (sdom-gsum rab-dbye), in der er auf die unterschiedlichen Verpflichtungen der drei Yānas einging. Später unter dem Namen Sakya Pandita bekannt, wurde er zusammen mit seinem Neffen „Phagpa, Schützer der Wesen, edler Dharmarāja“ (ʼgro-mgon chos-rgyal ʼPhags-pa, 1235–1280) an den Hof des mongolischen Fürsten Goden als dessen spiritueller Berater und Lehrer geladen. Nach dem Tod seinen Onkels übernahm Phagpa die spirituelle Betreuung des Kaisers Qubilai Qan der Yuan-Dynastie. Als Gegenleistung für eine Initiation in den hoch geschätzten Hevajra-Zyklus übergab Qubilai Qan im Jahre 1264 die Herrschaft über Zentral-, West- und Südtibet an Phagpa und machte ihn somit zum ersten herrschenden Lama über Tibet. Von diesem Zeitpunkt an dienten insgesamt acht Sakya-Thronhalter als Statthalter für die Kaiser der mongolischen Yuan-Dynastie in China, bis schließlich im Jahr 1350 die Ming-Dynastie der Han-Chinesen der mongolischen Herrschaft in China ein Ende bereitete.74 Die fünf großen Persönlichkeiten der Khon-Familie, Sachen Kunga Nyingpo, Sönam Tsemo, Dagpa Gyaltsen, Sakya Pandita und Phagpa, sind als „die Fünf Höchsten der Sakya“ (Sa-skya gong-ma rnam-lnga) bekannt. Seit der Gründung der Schule blieb die Hauptlinie der Sakyapa innerhalb der Khon-Familie. Das Amt des Thronhalters wird seit dem Gründer Konchog Gyalpo in zwei sich abwechselnden Erblinien oder „Palästen“ übertragen, dem Dolma Photrang (sGrol-ma Pho-brang) und dem Phuntsog Photrang (Phun-tshogs Pho-brang). Das gegenwärtige Oberhaupt der Schule ist der 41. Thronerbe Sakya Thrizin Kunga Thinle Wangyal (Sa-skya Khri-ʼdzin Kun-dga’ ʼPhrin-las dBang-rgyal, geb. 1945) aus dem Dolma Photrang, der seit 1959 mit seiner Familie im indischen Exil in Rajpur lebt. Thronfolger wird sein ältester Sohn Ratnavajra. Das Oberhaupt des Phuntsog Photrang ist Jigdral Dagchen Sakya (ʼJigs-bral bDag-chen Sa-skya, geb.

73 Tulku Thondup 1987: 57. 74 Siehe Loseries-Leick 1986:127f.

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1929), der zusammen mit Deschung Rinpoche III. das erste tibetische Kloster der Vereinigten Staaten in Seattle gegründet hat. In der Nachfolge der „Großen Fünf“ entwickelten sich drei verschiedene Schulzweige. Die größte ist die Ngor-Schule, gegründet von Ngorchen Kunga Zangpo (Ngor-chen Kun-dga’ bZang po, 1382–1457) in Tsang; gefolgt von Evam Choden (Evaṃ Chos-ldan), deren Anhänger zur Zeit die größte Sakya-Gemeinde im indischen Exil darstellen; und die Tsar-Schule, gegründet von Tsarchen Losal Gyatso (Tsharchen bLo-gsal rGya-mtsho, 1496–1560). Deren drei Hauptklöster in Tibet sind das Sakya-Kloster (1073), Ngor Evam Choden (1429) und Phanyul Nalendra (1455).

3.3.2. Die Schulen der Kagyüpa 3.3.2.1. Marpa Lotsava und die Transmission des Nāropa Unter Drogmis zahlreichen Schülern befand sich auch Marpa Chöyi Lodo (Mar-pa Chos-kyi bLo-gros, 1012–109775), dessen Eltern von Ladakh nach Lhodrak in Südtibet emigrierten, wo er geboren wurde. In den besten Quellen wird Marpa als jähzornige, kampflustige und hyperaktive Person dargestellt. Deshalb sandten seine wohlhabenden Eltern ihn im Alter von elf Jahren zur Erziehung zu Drogmi Sakya Yeshe, unter dem er auch Sanskrit lernte. Allerdings war Drogmi dafür bekannt, dass sein Unterricht sehr hohe finanzielle Aufwendungen erforderte. Nach drei Jahren Unterricht beschloss Marpa deshalb, nach Nepal zu gehen, um dort direkt von nepalesischen und indischen Meistern zu lernen. Vorerst veräußerte er sein gesamtes Erbe und legte es in Gold an, um damit seine Reise sowie die Ausgaben für angemessene Geschenke an die indischen Lehrer zu finanzieren. Als Jüngling reiste Marpa mit dem älteren Übersetzer Nyo Lotsawa Yonten Drak und zwanzig anderen Studenten. Die Aufzeichnungen in den Archiven des Nyo-Klans bieten eine gute Gegenüberstellung zu der eher fiktiven Hagiographie über Marpa, die im 16. Jahrhundert von Tsangnyon Heruka (gTsang-smyon He-ru-ka, 1452–1507) verfasst worden war.76 In Parphing, Nepal, traf Marpa auf zwei renommierte Schüler des indischen Mahāsiddha Nāropa (1016–1100),77 das Brüderpaar Paindapa und Chītherpa. Nach einer gewissen Zeit in Nepal reiste die Gruppe nach Indien, wo Marpa sich von seinem Mentor trennte und nach Kaschmir ging, um dort in Pullahari mit dem berühmten Mahāsiddha Nāropa sowie mit Kukuripa und dreizehn anderen Panditas zu studieren.78

75 76 77 78

Nach den Blauen Annalen; Davidson 2008: 143 setzt seine Geburt mit 1009 oder 1021 an. Übersetzt von Nalanda Translation Committee 1982; vgl. Davidson 2008: 142f. Siehe Günther 1963: xi. Tsangnyon Herukas Hagiographie verlegt Pullahari in die Nähe von Nalāndā.

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In der Geschichte des tibetischen Buddhismus nimmt Nāropa eine einzigartige Stellung ein, denn seine Lehren, von Marpa nach Tibet gebracht, waren der Beginn einer neuen und fruchtbaren Epoche buddhistischer Praxis. In Bengalen als Sohn einer fürstlichen Familie geboren, verbrachte er insgesamt sechs Jahre mit Studien in Kaschmir, damals ein wichtiges Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit.79 Später kehrte er nach Magadha zurück, wo er ausführlich über Hevajra- und CakrasaṃvaraTantras schrieb. Bald wurde er zum Abt von Nalāndā ernannt, bis er durch visionäre Hinweise der tantrischen Meditationsgottheit Vajrayoginī seine akademische Karriere aufgab und das Leben eines Wanderyogi aufnahm, auf der Suche nach seinem Guru Tīlopa (988–1069). Nach vielen Entbehrungen und harten Prüfungen erteilte dieser ihm schließlich die volle Transmission seiner Mahāmudrā-Lehren. Diese sollte Nāropa später an Marpa übertragen. Insgesamt reiste Marpa dreimal nach Indien und viermal nach Nepal. Die Blauen Annalen sprechen von zwölf Jahren Aufenthalt in Indien, während Nyons Aufzeichnungen sieben Jahre und sieben Monate angeben. Von seinen zahlreichen Lehrern erhielt er viele tantrische Unterweisungen sowie die Einführung in die Mahāmudrā-Doktrin von Mahāsiddha Maitrīpa. Nach seiner Rückkehr nach Tibet begann er eine lebhafte Übersetzertätigkeit, weshalb er auch Marpa der „Übersetzer“ (lo-tsā-ba) genannt wird. Seinen vier engsten Schülern Ngogton Chou Dorje (rNogston Chos-kyi rDo-rje), Tsurtong Wango (mTshur-stong dBang-ngo), Meton Tsonpo (Mes-ston Tshon-po) und Milarepa (Mi-la-ras-pa), die von Nāropa als die vier „Säulen“ seiner Transmissionlinie prophezeit worden sind, übertrug er die tantrischen Lehrzyklen Cakrasamvara, Guhyasamāja, Hevajra und Mahāmāyā. Nach dem Tode seines Sohnes Darma Dode (Darma mDo-sde) setzte Marpa seinen Lieblingsschüler Milarepa als spirituellen Nachfolger ein. Die esoterischen Transmissionen des Marpa umfassen die so genannten „Sechs Lehren des Nāropa“ (Nā-ro chos-drug), die den inneren Yoga der höchsten Tantras sowie die Praxis des „Großen Siegels“ oder Mahāmudrā (phyag-rgya chen-po) betreffen.80 Die sechs Yoga-Praktiken des Nāropa sind: (1) der Yoga der Inneren Hitze (gtum-mo); dies ist die Grundpraxis aller sechs Yogas, die sich auf die Kanalisierung der subtilen Körperenergien bezieht und durch Atemkontrolle und Visualisation die Verschmelzung von Wonne und Leerheit (bde-stong) hervorbringt, die als das „Große Siegel“ die Natur des Geistes an sich offenlegt. (2) Der Yoga des Illusionskörpers (sgyu-lus) zielt darauf, alle Erscheinungen als Illusionskörper der Gottheiten zu erkennen. (3) Traumyoga (rmi-lam) soll die Stärke und Nachhaltigkeit der Praxis testen, indem der Yogi seine Bewusstheit auch im Traum und Tiefschlaf beibehält. (4) Der Yoga des Klaren Lichtes (ʼod-gsal) enthüllt die innere und äußere Erscheinungswirklichkeit als Lichthaftigkeit. (5) Der Bardo-Yoga (bar-do) zwischen

79 Über den Buddhismus in Kaschmir siehe Sharma 2012 und Loseries 2012. 80 Siehe dazu Chang 1977.

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Tod und Wiedergeburt führt zu einem Zustand der Befreiung frei von leidhafter Wiedergeburt im Wesenskreislauf. (6) Phowa (ʼpho-ba), der Yoga der Bewusstseinsübertragung, dient zur Stärkung und Bewahrung des klaren Bewusstseins während des Lebens und zur Übertragung des Bewusstseinsprinzips (rnam-shes) direkt in eine Sphäre der Erleuchtung im Moment des Todes oder unmittelbar danach. Marpa hatte zu diesem Yoga eine besondere Geheimlehre, die das Ziel verfolgte, das Bewusstseinsprinzip in andere Wesen, besonders in einen Verstorbenen zu übertragen (ʼgron-ʼjug bka’-babs). Marpa gab diese an seinen Sohn Darma Dode weiter, die jedoch mit dessen Tode verloren ging.81 Die Mahāmudrā-Praxis stellt das zweite große Vermächtnis Marpas dar. Sie wird sowohl auf der Sūtra-Ebene wie auf der Tantra-Ebene gelehrt. Die Praxis zielt direkt auf die kontemplative Verwirklichung der absoluten Wirklichkeit des Geistes, hier als das „Große Siegel“ bezeichnet, das alle möglichen Facetten weltlicher und transzendenter Erfahrungen umfasst. Die Mahāmudrā-Sūtra-Praxis ist die Meditation in Hinblick auf den natürlichen Zustand des Geistes, der Erscheinung und Leerheit untrennbar erfährt; wo die Verschleierung der relativen Wirklichkeit und die absolute Wirklichkeit als innewohnende Buddhanatur erkannt werden. Auf dem tantrischen Pfad wird der Übende in die Natur des Geistes durch den Guru eingeführt, auf die dieser sich dann völlig konzentriert. In der Folge sammelt sich die Prāṇa-Energie im Zentralkanal (dbu-ma). Die daraus resultierende Erfahrung von großer Wonne (bde-ba-chen-po) frei (stong-pa) von jeglicher Projektion ist das Ziel der Mahāmudrā-Verwirklichung. Die Praxis der Mahāmudrā weist große Affinitäten zur Tradition der „Großen Vollkommenheit“ (rdzogs-pa chen-po) der Nyingmapa auf. Deshalb haben spätere Vertreter beider Schulen nicht gezögert, die beiden Systeme eng zusammenzuführen. Da die Lehren Marpas weniger auf Textstudien beruhen, sondern die direkte Übertragung in Form von Initiation und mündlicher Übertragung durch den Guru an den Schüler im Vordergrund steht, wird diese Schule Kagyüpa, „Anhänger der mündlichen Transmission“, genannt. Die Guru-Linie nimmt ihren Anfang mit dem Urbuddha Vajradhāra als direkte telepathische Offenbarung an den indischen Mahāsiddha Tīlopa, Nāropas Guru, von dem Marpa die Lehren nach Tibet brachte, wo diese durch Milarepa verwirklicht und an dessen Schüler weitergegeben wurden.

3.3.2.2. Der große Yogi Milarepa und sein Schüler Gampopa Der große Yogi und Dichter Milarepa (1052–1135)82 ist wohl der berühmteste Vertreter der mystischen Tradition Tibets. Sein Beiname Repa weist ihn als Asketen aus, der selbst in der eisigen Kälte der tibetischen Bergwelt nur ein Baum-

81 Tucci 1988: 50. 82 Zur Biographie des Milarepa siehe Evans-Wentz 1978; Chang 1962; Lhalungpa 1979.

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wolltuch (ras-cha) als Bekleidung benötigte, dank seiner Meisterung des Yoga der Inneren Hitze. Wie einst Nāropa erhielt auch Milarepa die vollständigen Lehren der „Sechs Yogas“ und der Mahāmudrā erst nach schwersten Prüfungen von seinem Meister Marpa. Von seinem Onkel nach dem Tod seines Vaters des Erbes beraubt, erlernte Milarepa in jungen Jahren schwarze Magie, um sich damit an seiner verräterischen Verwandtschaft zu rächen. Nachdem ihm dies gelungen war, wusste er, dass nur Erleuchtung die Befreiung von den karmischen Folgen seiner Untaten bringen kann. Durch Marpas harte Schulung gelang es ihm, sich so weit spirituell zu reinigen, dass er die kostbaren Lehren seines Meisters aufnehmen konnte. Diese scheinbar grausame Schulung sowie seine außergewöhnliche Hingabe und spiritueller Eifer, mit denen er anschließend seine spirituellen Übungen in langjährigen Mediationen in Höhlen des Himalaya vollzog, sind in seiner im 15. Jahrhundert verfassten Hagiographie festgehalten, die mitsamt seinen Liedern,83 die nach dem Muster der indischen Dohās und Caryāgīti84 verfasst wurden, heute noch eine große Quelle der Inspiration sind.85 Milarepa steht beispielhaft für die Vajrayāna-Tradition Tibets, die davon ausgeht, dass es möglich ist, in einem Menschenleben die volle Erleuchtung (skt. samyaksambodhi) zu erlangen, sowie auch die Meisterschaft übernatürlicher Kräfte, wie durch die Lüfte fliegen, durch Felsen gehen u. a., die alle eingehend in seiner Biographie geschildert werden. Unter Milarepas zahlreichen auch überirdischen Schülern befand sich ein gewisser „Arzt von Dagpo“ (Dvags-po lha-rje) namens Gampopa (sGam-po-pa, 1079– 1153). Früh verwitwet erhielt Gampopa im Alter von 26 Jahren die Mönchsordination und folgte den Lehren der Kadampa-Schule, die für ihre Strenge sowie ihre Übungen zur Läuterung des Geistes bekannt geworden war. Auf der Suche nach weiteren Lehren hörte er den Namen Milarepa. Von tiefer Hingabe ergriffen machte er sich im reifen Alter auf die Suche nach dem mittlerweile in allen Bergen und Tälern berühmten Yogi, der ihn als Schüler annahm und ihm seine Lehren übermittelte. Er wurde nicht nur ein voll verwirklichter Meister, sondern auch ein großer Gelehrter, der es nach dem Tode Milarepas verstand, die Kadampa-Tradition in die des Milarepa einzubinden. Diese Fusion schrieb er in seinem berühmten Werk Juwelenschmuck der Befreiung (dvags-po-thar-gryan) nieder, das eine klare Einführung in die Sicht und Praxis des Bodhisattvaweges darstellt.86 Ein weiterer bedeutender Schüler Milarepas war Rechungpa (Ras-chung-pa, 1084–1161), den Milarepa nach Indien entsandte, damit dieser dort tiefer in den Yoga der „Sechs Lehren des Nāropa“ eindringen konnte.87 83 84 85 86 87

Mi-la Gur-ʼBum, „The Hundred Thousand Songs of Milarepa“. Siehe ausführlich Loseries 2015. Siehe die deutsche Übersetzung von Evans-Wentz 1978. Siehe die deutsche Übersetzung Gampopa 1996 sowie Günther 1970. Tucci 1970: 50.

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3.3.2.3. Gampopas Nachfolge Der Einfluss, den Gampopa auf die weitere Entwicklung der Schule des Marpa ausübte, war äußert nachhaltig. In Dagpo (Dvags-po), Südtibet, gründete er am Ufer des Tsangpo-Flusses ein Kloster (Dvags-lha sGam-po), wo er seine Lehren an höchst begabte Schüler weitergab. Seine direkten spirituellen Nachkommen etablierten sechs berühmte Schulen, die sich alle auf Gampopas Lehren berufen. Drei der größten seiner unmittelbaren Nachfolger waren Lama Phagmodrupa (Phag-mo gru-pa, 1110–1170), Düsum Khyenpa (Dus-gsum mKhyen-pa, 1110–1193, der „Kenner der drei Zeiten“) und Gompa (sGom-pa, 1116–1169). Lama Phagmodru alias Dorje Gyalpo (rDo-rje rGyal-po) fand in Gampopa seinen Guru erst in höherem Alter. Vorher studierte er unter Lehrern der Kadampa-Schule, wie auch mit Sachen Kunga Nyingpo, einem der Gründer der Sakya-Schule. Der Beiname Phagmodru bezieht sich auf eine Stelle am Ufer des Tsangpo in der Nähe des Ortes Nathang (sNa-gdang), wo er sein Kloster Densathil (gDan-sa-mthil) gründete, was man wörtlich als „Saufähre“ (phag-mo-gru) übersetzen kann. Dort lebte er in einer einfachen Strohhütte im Kreise seiner Schüler. Aber nach seinem Ableben entwickelte sich das Kloster rasch zu einem wohlhabenden Zentrum der Macht dank der Unterstützung der Adelsfamilie Lang (Rlangs), die wie die Khon-Familie, die die Sakya-Hierarchen protegierte, ihre Ahnenreihe in die Yarlung-Königsdynastie zurückführen konnte. Später hat ein Nachfolger der Lang-Familie, Tai Situ Changchub Gyaltsen (Taʼi Si-tu Byang-chub rGyal-mtshan, 1302–1364), nach Beendigung der Sakya-Herrschaft über Tibet unter der Patronanz der mongolischen Yuan-Herrscher, ein unabhängiges Königreich der Phagmodru-Dynastie in Tibet errichtet, das bis Anfang des 17. Jahrhunderts bestand.88 Düsum Khenpo, der andere bedeutende spirituelle Sohn Gampopas und später als der erste Karmapa-Hierarch bekannt, war einer seiner ersten und hingebungsvollen Schüler. Obwohl in Kham in Osttibet geboren und aufgewachsen und vorerst in der Kadampa- sowie in allgemeiner Sūtra-Tradition geschult, traf er im Alter von 30 Jahren auf Gampopa, der ihm Milarepas Transmission weitergab. Seine meditative Einsicht und Praxis zeigte bald in Form von außergewöhnlichen magischen Kräften (skt. siddhis) Früchte. Er und die späteren Inkarnationen der Karmapas wurden für die erleuchteten Aktivitäten aller Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Kar-ma-pa dus-gsum-mkhyen-pa) bekannt. Die Karmapas, in vielen Sūtras und Tantras89 prophezeit, sind dafür bekannt, allein durch ihre leuchtende warme Präsenz tiefe Einsicht und auf wundersame Weise Klarheit und spirituelle Erhabenheit zu vermitteln.90 88 Siehe Blaue Annalen, Roerich 1988: 552–595; Snellgrove/Richardson 1968: 135f.; zur Hagiographie Phagmodupas siehe Könchog Gyaltsen 1986: 22–28. 89 Z. B. im Samdhirājasūtra, im Laṃkāvataraʼsūtra, im Mañjuśrīmūlatantra u. a., siehe Martin 2004: 271–273. 90 Siehe auch Levine 2013.

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Nach der Gründung mehrerer Klöster in Osttibet, darunter auch Karmagön (Karmadgon), etablierte Düsum Khyenpa sein Hauptkloster im Jahre 1185 in Tsurphu (mTshur-phu) in Zentraltibet. Er sowie alle seine folgenden Inkarnationen hielten aber die Verbindung zu Kham stets aufrecht. Somit wurde die Karma-KagyüSchule für ihre steten Reisen zwischen Zentral-und Osttibet – sowie in China – bekannt. Denn die Karmapa-Hierarchen bewegten sich wie einst der Königshof in gewaltigen Zeltcamps (sgar). Der erste Karmapa hinterließ vor seinem Tod genaue Prophezeiungen in Form eines Briefes bezüglich der Auffindung seiner Wiedergeburt; diese Methode der Auffindung seiner Reinkarnation ist nur für die KarmapaHierarchen dokumentiert. Die Einführung des Tulku-Systems (sprul-sku), das von den Karmapas initiiert auf die gesellschaftspolitische Anerkennung des so genannten „Formkörpers“ (skt. nirmāṇakāya) der Erleuchtung im Sinne der „Drei-KörperLehre“ (skt. trikāya) des Vajrayāna91 Bezug nimmt, wurde mit der Zeit von allen Schulen des tibetischen Buddhismus akzeptiert. Neben der Erbübertragung eines spirituellen Amtes innerhalb einer Familie oder Dynastie wie z. B. von den SakyaHierarchen praktiziert, sollte sich das Tulku-System als nachhaltiges Mittel für den spirituellen wie auch ökonomischen Zusammenhalt einer monastischen Herrschaftsstruktur entwickeln. Die Karma-Kagyü-Schule unter der Führung von insgesamt 21 prophezeiten Inkarnationsfolgen der Karmapas, von denen zur Zeit der 17. Karmapa Urgyen Trinley Dorje (U-rgyan ʼPhrin-las rDo-rje, geb. 1984) die Thronfolge im indischen Exil hält, vereint in ihrer Lehrübertragung die Grundlagen aller buddhistischen Traditionen und zugleich einen direkten Zugang zu den höchsten Vajrayāna-Praktiken in der Nachfolge von Gampopa. Im Kreise der Karmapas, die auch als Halter der „Schwarzen Krone“ (zhva-nag) bekannt sind, entwickelten sich auch andere Reinkarnationslinien wie die Sharmapas (zhva-dmar-pa; „roter Hut“), die Situ-Inkarnationen von Palpung (dPal-spungs) in Kham und die Pabo-Linie (dPa’-bo) von Nenag (gNas-nang) in Zentraltibet. Den Karmapas gelang es im Laufe der Geschichte, ihre spirituelle Unabhängigkeit vor feudalen Interessen zu bewahren, obwohl der zweite wie auch der fünfte Karmapa als Gurus chinesischer Kaiser fungierten. Vielmehr proklamierten sie die Notwendigkeit für eine Vielheit von Ordensrichtungen und strebten nicht nach politischer Macht. Für ihre erleuchteten Aktivitäten, ihre Wunderkräfte sowie spezielle künstlerische Begabung waren sie über die Grenzen des Landes als Mahāsiddhas bekannt.92 Gompa, der dritte Nachfolger Gampopas, bewirkte, dass dessen Schüler Lama Shang (Bla-ma Zhang, 1123–1193) ein Kloster namens Gung-thang in der Provinz Tsel (Tshal) nahe Lhasa gründete (1175), nach der die Schule benannt wurde. Die Nachfolge der Klostervorstände war erblich oder durch Berufung geregelt. Dieser Orden war politisch engagiert und es war auch ein Lama von Tsel, der die Ver-

91 Siehe Schumann 1994: 153–159. 92 Levine 2013: xxii.

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handlungen für Tibets Unabhängigkeit mit Činggis Qan führte. Aber später verlor diese Schule an Bedeutung und hörte auf, als solche unabhängig zu bestehen.93 Drei weitere Kagyü-Orden wurden von Phagmodrus Schülern gegründet. Der bedeutendste davon ist die Drikung-Schule (ʼBri-khung), die von Lama Jigten Sumgön (ʼJig-rten Sum-mgon, 1143–1212)94 gestiftet wurde. Hier ist die Nachfolge wie für die Karmapas durch Reinkarnation geregelt, die mitunter mehrfach als „Sprach“- oder „Geist“-Inkarnationen auftreten. Die Drikung-Yogis und -Yoginīs sind für ihre oft lebenslangen Meditationsklausuren und Yoga-Praktiken bekannt. Die Anleitungen zur Praxis sind in dem Werk „Der Fünffache Mahāmudrā-Pfad“ (phyag-chen lnga-ldan) zusammengefasst. Diese sind (1) die Praxis des Erleuchtungsgeistes (skt. bodhicitta), (2) die Praxis der persönlichen Gottheit (yi-dam), (3) Guruyoga, (4) Mahāmudrā und (5) die Praxis der Verdienstwidmung. Auf Jigten Sumgön geht auch eine besondere Praxis des Yoga der Bewusstseinsübertragung (ʼpho-ba) zurück, für deren Erfolg in der Sterbebegleitung sich die Drikung-Lamas auszeichnen. Diesbezüglich initiierte Jigten Sumgön das alle zwölf Jahre stattfindende öffentliche „Große Phowa-Fest“ (ʼpho-ba chen-mo), zu dem sich der Kunde nach Hunderttausende von Menschen aus allen Teilen des Landes versammelten. Ebenso öffnete Lama Jigten Sumgön den heiligen Berg Kailāsa für Pilger und Eremiten, indem er drei verschiedene Gesandtschaften von Mönchen und Yogis dorthin schickte, die dort das erste Kloster errichteten.95 Ein weiterer Zweig der Kagyüpa ist die Taglung-Schule (sTag-lung), die nach ihrem Gründer Taglung Thangpa Tashipal (sTag-lung Thang-pa bKra-shis-dpal, 1142– 1209), ebenfalls ein Schüler des Phagmodru, benannt ist, der 1185 ein Kloster im Taglung-Tal errichtete. Im Sinne seiner Lehrmeister hielt er strikte Mönchsdisziplin. Aus diesem Orden gingen zwei bedeutende Historiker hervor, Taglung Shabdrung Ngawang Namgyal (sTag-lung Zhabs-drung Ngag-dbang rNam-rgyal, 1571– 1626), der eine Religionsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der TaglungSchule schrieb, sowie Thukwan Lobsang Chökyi Nyima (Thu’u-kvan Blo-bzang Choskyi Nyi-ma, 1737–1809), der in seinem Werk „Kristallspiegel der philosophischen Systeme“ (Grub-mtha’ shel-gyi me-long) einen Abriss über die Geschichte und Inhalte der buddhistischen Schulen in Tibet gab.96 Der Drukpa-Zweig (ʼBrug-pa) der Kagyü-Schulen geht auf Phagmodrupas hervorragenden Schüler Ling Repa (Gling Ras-pa Pad-ma rDo-rje, 1161–1211) und dessen Schüler Tsangpa Gyare (gTsang-pa rGya-ras, 1161–1211) zurück, der auch unter dem Namen Palden Drukpa Yeshe Dorje (dPal-ldan ‘Brug-pa Ye-shes rDo-rje) bekannt war. Der Name Tsangpa weist auf seinen Herkunftsort, die Provinz Tsang hin, während rgya-ras „der chinesische Baumwollgekleidete“ (d. h. Yogi) bedeutet, da er einem 93 94 95 96

Snellgrove/Richardson 1968: 137. Zur Hagiographie Jigten Sumgöns siehe Könchog Gyaltsen 1986: 29–46. Siehe Loseries 1990 und Loseries-Leick 1998: 155–157. Blaue Annalen, siehe Roerich 1988: 610–621.

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chinesischen Adelsgeschlecht entstammte. Diese Schule teilte sich später in drei Zweige, die mittleren Drukpa (Bar-ʼBrug), die sich auf Tsangpa Gyare berufen. Dieser gründete um 1180 in Zentraltibet das Ralung-Kloster (Rva-lung) und später in Südtibet das ʼBrug-Kloster, wo bei seiner Ankunft neun brüllende Drachen (ʼbrug) durch die Luft geflogen seien. Dieser Vorfall gab dem Kloster und schließlich auch der gesamten Schule den Namen. Nach seinem Tod übernahm sein Neffe Dharma Sengge (Dharma Seng-ge, 1184–1251) das Erbe der beiden Klöster. Dieser entsandte im Sinne von Tsangpa Gyare die erste offizielle Mission nach Bhutan, wo in Westbhutan eine gute Grundlage für die Drukpa-Schule mit einigen Klostergründungen geschaffen wurde, die schließlich diesem kleinen Himalaya-Staat auch den Namen „Drachenland“ (ʼBrug-yul) geben sollte. Später brachte dieser Drukpa-Zweig großartige Gelehrte wie Padma Karpo (Pad-ma dKar-po, 1527–1592) hervor, dessen gesammelte Werke vierzehn Bände füllen. Er wird als die vierte Drukchen-Inkarnation des Tsangpa Gyare gezählt. Er gründete an der indischen Grenze ein Kloster (gSang-sngags chos-gling), das schließlich der Hauptsitz der Drukchen-Hierarchen wurde. Auf ihn gehen zwei Inkarnationslinien zurück, wovon letzterer Ngawang Namgyal (Ngag-dbang rNam-rgyal, 1594–1651) nach Bhutan ging und dort das spirituelle und politische Oberhaupt des Landes wurde. Zwei weitere Schüler des Tsangpa Gyare etablierten die „Untere“ (sMad-ʼBrug) und „Obere“ (sTod-ʼBrug) Linie.97 Letztere geht auf Gö Tsangpa Gonpo Dorje (rGod Tshang-pa mGon-po rDo-rje, 1189–1258) zurück, der sich als wichtigster Schüler des Tsangpa Gyare erwies. Tsangpa Gyare wird in der tibetischen Religionsgeschichte als Inkarnation Nāropas verehrt. So kam es auch, dass der zweite Drukchen, Rinpoche Gyalwang Je Kunga Paljor (rGyal-dbang rJe Kun-dga’ dPal-ʼbyor, 1428–1476) in der Inkarnationslinie des Tsangpa Gyare auf wunderbare Weise in den Besitz der Vase sowie des sechsfachen Knochenschmucks des Mahāsiddha Nāropa kam, den dieser 17 Jahre lang getragen haben soll. Als Marpa zum dritten Mal Indien besucht hatte, um weitere Unterweisungen von seinem Guru Nāropa zu erbitten, händigte er Marpa diese Reliquien aus und setzte ihn als seinen spirituellen Erben ein. Diese Gegenstände reichte Marpa an seinen Schüler Ngogton Chöku Dorje (Ngog-ston Chos-sku rDo- rje, 1036–1102) weiter, bis dass der siebente Ngok-Linienhalter sie an den rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben hatte. Seitdem ist dieser Reliquienschatz in den Händen der Drukchen-Linie und wird zu besonderen Gelegenheiten in öffentlichen Audienzen zur Schau gestellt. 98 Eine weitere Kagyü-Schule, die Shangpa Kagyü (Shangs-pa bKa’-brgyud, „die mündliche Transmission des [Mannes aus] Shang“), wird auch als die „geheime“ Linie der Kagyüpas beschrieben, insofern sie nicht auf die Tradition des Nāropa und Marpa zurückgreift, sondern sich auf indische Yoginīs beruft, nämlich Nāropas

97 Tulku Thondup 1987: 53f. 98 Siehe Loseries-Leick 2008:126–130.

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königliche Gemahlin Niguma, die auch als seine Schwester ausgegeben wird, und Sukhasiddhi, eine Schülerin des Mahāsiddha Vīrupa.99 Beide waren die spirituellen Lehrer von Kungpo Naljor (Khyung-po rNal-ʼbyor, 978–1079), einem tibetischen Yogi und Bönpo, der nach Indien gereist war, um dort tieferes Verständnis über die in Tibet erhaltenen Unterweisungen zu erhalten. Von diesen beiden Yoginīs sowie von dem Mahāsiddha Maitripa erhielt er Mahāmudrā-Belehrungen und die sechs Yogas der Niguma, die ähnlich, aber nicht identisch mit den sechs Yogas des Nāropa sind. Nach seiner Rückkehr nach Tibet etablierte er in Shang (Tsang-Provinz) ein Kloster sowie viele weitere monastische Institutionen. Die Shangpa-KagyüLinie wird als geheim bezeichnet, weil er auf Anweisungen seiner Yoginī-Gurus die erhaltenen Instruktionen in den ersten sieben Generationen nur an einen einzigen Schüler weitergeben durfte. Diese werden als die sieben großen Juwelen der Shangpa-Schule bezeichnet. Mit der achten Generation, einem gewissen Sangye Tenpa (Sangs-rgyas bsTan-pa), verzweigte sich die Shangpa-Schule in mehrere Linien.100

3.3.3. Padampas Schije-Transmission (zhi-byed) und Macigs Friedhofpraxis Tschöd (gcod) Eine besondere Transmissionslinie, die im Laufe der Zeit in alle Schulen der Nyingmapa wie auch der „neuen“ Orden als Praxis integriert worden ist, ist die so genannte Schije (zhi-byed) „Befriedungs“-Linie, die auf den indischen Yogi Padampa Sangye (Pha-dam-pa Sangs-rgyas, gestorben 1117) zurückgeht. Dieser südindische Yogi, bekannt für seine besondere Fähigkeit als „Trance-Läufer“ (rlung-sgom-pa) oder „Schnell-Füßler“ (rkang-mgyogs), die ihm ermöglichte, große Distanzen in einer Art von Trance schnell zurückzulegen,101 reiste insgesamt sechsmal nach Tibet. Bei seinem letzten Besuch 1098 soll er unter seinen zahlreichen Schülern eine Frau namens Labki Donma (Labs-kyi sGron-ma, 1055–1143), später bekannt als Macig Labdrön (Ma-gcig Labs-sgron, „einzige Mutter, Leuchte aus dem Ort Lab“) als seine spirituelle Nachfolgerin eingesetzt haben, die manchmal als Nonne, manchmal als Ehefrau lebte. Das besondere dieser Praxislinie ist, dass ihre Gründer und Nachfolger nie einen eigenständigen Klostersitz schufen, sondern als wandernde Yogis und Yoginīs einsame und vor allem furchteinflößende Orte wie Leichenstätten für ihre Kontemplationen und Riten bevorzugten. Padampa Sangye hat die von ihm propagierte „Befriedungs“-Doktrin aus verschiedenen Sūtras und Tantras zusammengestellt, mit besonderer Berücksichtigung der Prajñāpāramitā-Literatur („Vollkommenheit der Weisheit“). Auf dieser 99 Siehe Loseries 2012: 53. 100 Tulku Thondup 1987: 49. 101 Zu den Trance-Läufern siehe Loseries-Leick 2008: 59–72, 126–132.

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Basis lehrte Padampa Sangye eine Methode, um dämonische Hemmnisse äußerer und innerer Natur zu durchschneiden (bdud-kyi gcod-yul), die deshalb kurz als Tschöd (gcod, „Abschneiden“) bezeichnet wird. Padampa Sangye lehrte diese Praxis seinem Verwandten Kyoton Sönam Lama (sKyo-ston bSod-nams Bla-ma) und Macig Labdrön, die diese Praxis an ihre Kinder weitergaben. Insofern wird in dieser Tradition zwischen dem „Vater-Tschöd“ (Pha-gcod) und „Mutter-Tschöd“ (Ma-gcod) unterschieden. Macig, die aus Dingri nördlich des Mount Everest stammte, zeigte schon als junges Mädchen eine außergewöhnliche Begabung und war bekannt für ihre Fähigkeit, das Prajñāpāramitā-Sūtra auswendig, fehlerfrei und in rasanter Geschwindigkeit zu rezitieren. Somit wurde sie als Emanation der Göttin Tārā oder als Dākinī102 angesehen und gelangte aufgrund ihrer besonderen transzendenten Kräfte noch zu Lebzeiten zu großer Verehrung. Im Kontext der Prajñāpāramitā-Lehre ist Macigs Tschöd-Praxis insbesondere mit der Abhandlung über die Māras verbunden,103 die als Spiegelungen persönlicher Fehler aufgrund von Anhaftung auftauchen. Macig lehrte, dass diese Anhaftung an ein „Ich“ sowie die Illusion, dass dieses „Ich“ eine von anderen getrennte Einheit ist, abzuschneiden sei, um in die Erfahrung des nackten Geistes als solchen (semsnyid) zu gelangen. Das Tschöd-Ritual, das mit Glocke, Knochentrompete und Trommel sowie melodiösem Gesang und Tanz zelebriert wird, ist ein Weg zur Erkenntnis absoluter Wirklichkeit. In meditativer Trance visualisieren der Yogi oder die Yoginī eine psychische Übertragung in die Form der schwarzen, zornvollen Göttin Krodhakālī (Khros-ma Nag-mo), die mit einem Streich ihres Hackmessers den Kopf des Yogis oder der Yoginī abtrennt und anschließend den Leichnam im Schädel mit Hilfe von Mantrakraft zu Nektar verkocht, mit dem alle erleuchteten Wesen wie Buddhas und Bodhisattvas, Gurus und Gottheiten gelabt werden sowie auch sämtliche feindlich gesinnten Schuldner, Geister und Dämonen mit dieser Kost befriedet werden.104 Im Grunde dient diese asketische Praxis dazu, jegliche Furcht und Anhaftung abzuschneiden. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Fassungen des Tschöd auch als „Schatztexte“ (gter-ma) in Umlauf gebracht. Diese reichhaltige Literatur mit Kommentaren füllt viele Bände. Die Ausführung des Rituals an unheimlichen Orten wie Leichenstätten, die explizit auf eine als wirklich erfahrbare Begegnung mit Dämonen und Geistern auf relativer Ebene ausgerichtet ist, um das Bewusstsein in den Raum der Absolutheit zu steuern, entspricht der indischen Siddha-Tradition par excellence und findet in anderen buddhistischen Kulturen keine Parallele. Darüber hinaus erwies sich diese Praxis bald als ideale apotropäische Methode für Exorzismus, Geistheilung und Befriedung nach gewaltsamen Todesfällen.105 102 103 104 105

Zu Dākinī siehe Herrmann-Pfandt 1992; Loseries 2008: 215–224. Siehe Tucci 1970: 106–112. Siehe zu Macig und Tschöd im Detail Harding 2003; Loseries-Leick 2008: 51–59. Loseries 2007: 26f.; Edou 1996.

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3.4. Bemerkungen zur Institutionalisierung des „Lamaismus“ in Tibet Die zweite Verbreitungswelle des Buddhismus in Tibet, ausgehend von dem indischen Meister und Gelehrten Atīśa, bewirkte nach der Zersplitterung des Reiches nicht nur eine Rückbesinnung auf die Grundwerte des Mahāyāna sowie eine Wiederbelebung der Mönchsweihe nach dem Vinaya-System der MūlasarvāstivādinSchule, sondern auch die Einführung neuer Transmissionslinien, die die indische Siddha-Tradition mit ihren tantrischen Riten und Yogalehren im Schneeland Tibets fortleben ließ. Unter der Patronanz lokaler Herrscher wurden wieder Tempel errichtet, Übersetzungen in Auftrag gegeben und die Künste gefördert. Die unmittelbare und direkte Belehrung der Jünger (gdams-ngag) durch den Guru – in Tibet Lama (bla-ma) genannt – wie sie in der Nachfolge Atīśas von den Mönchen der Kadampa-Schule und später von den neuen tantrischen Transmissionslinien praktiziert wurde, führte schrittweise zur Institutionalisierung eines reinkarnierten Lama-Systems, das ausgehend von den Karmapa-Hierarchen schließlich mit einigen Ausnahmen von allen Schulen übernommen worden ist. Nach indischer Vajrayāna-Tradition ist die Tantra-Praxis nur mit der Kraftübertragung (dbang-bskur) eines verwirklichten Meisters möglich, der in seiner Gestalt die buddhistische Lehre unverfälscht verkörpert; sein Geist wird als Buddha wahrgenommen, seine Rede als Dharma verstanden und seine körperliche Präsenz als Saṅgha erfahren. Dem Lama wird als religiöser Meister vom Schüler bedingungslose Verehrung entgegengebracht, so wie der große Yogi Milarepa stets seines Gurus Marpa mit inniger Hingabe gedachte. Es ist einzig der Guru, der als Wurzel (rtsa-ba’i bla-ma) aller Erleuchtungserfahrungen dem Jünger die Natur des Geistes zu enthüllen vermag. In ihm vereinigen sich alle Formen von Meditations- und Schutzgottheiten; somit verkörpert er die einzige Zuflucht. Dem Lama oblag es auch, Rituale zu lehren und auszuführen. Als geistige Autorität konnte er auch einem Kloster vorstehen und politischen Einfluss besitzen. Aus der Biographie des Marpa ist ersichtlich, dass dieser in jungen Jahren unter dem Kadampa-Meister Drogmi studierte, aber sich letztendlich auf die Suche nach neuen Lehrern nach Nepal und Indien begab, nicht zuletzt weil die Geldforderungen Drogmis unerschwinglich für ihn geworden waren. Dieser Hinweis lässt darauf schließen, dass bereits Anfang des 11. Jahrhunderts einzelne Lamas eine außergewöhnliche Vorrangstellung genossen und die Erhaltung ihres klösterlichen Hofes mehr und mehr Geldmittel bedurfte. Marpa selbst, zwar ein begüteter Haushalter, sowie sein Schüler Milarepa, der extreme Askese als Lebensweise wählte, hielten sich vom Klosterleben fern. Aber in zahlreichen Gesängen weist Milarepa auf die Dekadenz gewisser Lamas und deren protzigen Lebensstil in satirischer Weise hin. Auf den spirituellen Wert des Lamas weist der besonders qualifizierten Meistern verliehene Ehrentitel Rinpoche (rin-po-che, „der Kostbare“) hin. Da der Lama im

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tibetischen Buddhismus solch eine hervorragende Rolle spielt, wurde diese Form des Buddhismus im Westen als „Lamaismus“ bezeichnet; dabei ist jedoch die Gleichsetzung von Lama und Mönch irreführend. Ein besonderes Merkmal dieser frühen Epoche nach der Renaissance des Buddhismus in Tibet war die allgemein verbreitete beinahe fanatische Heilsuche. Diese Besessenheit mit Spiritualität spiegelt sich in den zahlreichen Hagiographien der großen Meister wider. Sie war aber nicht nur auf den Klerus beschränkt, sondern die Bevölkerung ganz Tibets war davon erfasst worden. Es waren einzelne außergewöhnliche Persönlichkeiten, die, mitunter ihre Herkunft von alten Adelsgeschlechtern herleitend, ob ihrer spirituellen Erleuchtung und ihres magnetisierenden Charismas begabte Jünger und potente Anhänger um sich zu scharen vermochten, mit deren Unterstützung schließlich aus kleinen Eremitagen gewaltige und einflussreiche Klöster entstanden. Im 11. Jahrhundert waren die Klostergründungen wie Reting der Kadampas (1056) und das Sakya-Kloster (1073) verglichen mit kleineren Tempelbauten und Kapellen nach dem ersten Klosterbau in Samye (779) zur Zeit der Yarlung-Dynastie singuläre Bauwerke in Zentraltibet, doch folgte im nächsten Jahrhundert in kurzen Abständen eine Reihe von Großklöstern der Kagyüpa-Schulen, beginnend mit Drikung (1179), Ralung (1180) und Tsurphu (1185). An strategisch und wirtschaftlich wichtigen Stellen errichtet, entwickelten sich diese wie Festungen gebauten Anlagen mit ihren großen Versammlungshallen (ʼdu-khang), Prunktempeln (gser-khang), Schützerkapellen (sgong-khang), Tempeln der Gottheiten (lha-khang), Bibliotheken, Kollegien (bshad-grva), Verwaltungsgebäuden, Großküchen, monastischen Wohneinheiten, Meditationsklausuren (sgrub-khang) und Eremitagen (ri-khrod) zu selbstständigen Machtzentren mit großer Autorität in religiösen und zivilen Belangen. Öffentliche Belehrungen, Initiationsriten und Praxisanleitungen der Ordensvorstände zogen Tausende von Anhängern aus allen sozialen Schichten – Fürsten wie auch Bauern und Hirten – in ihren Bann. Klosterchroniken berichten von außergewöhnlichen Erscheinungen bei solchen Gelegenheiten, von öffentlichen Wundern und Segenspenden für reiche Ernten und für das Bannen von Epidemien. Mit in Meditation errungenen spirituellen Kräften vermochten die Lamas bald die Schamanen und Orakelpriester (lhadbang), die bislang für die weltlichen Bedürfnisse im Dorf und Nomadenzelt wirkten, zu verdrängen. In der Folge entwickelte sich in Tibet ein spezielles Kultwesen, das örtliche Glaubensvorstellungen an Götter, Geister und Dämonen wirkungsvoll assimilierte. Das tantrische Pantheon der indischen Schutzgötter (chos-skyong; skt. dharmapāla) wurde somit mit ganzen Scharen von tibetischen Berggöttern und Dämonen als Wächter der Lehre (srung-ma) bereichert. Wenn auch eine Vielfalt von Ordensrichtungen mit eigenen Transmissionslinien sich während dieser zweiten Verbreitungsphase des Buddhismus in Tibet entwickelte, so waren die Unterschiede der Schulen weniger dogmatischen Inhalts, sondern eher in einer Spezialisierung der Künste, des Zeremoniells und Auswahl der Paraphernalien zu finden, sei es eine bestimmte Art der Rezitation, spezielle Melodien der Sakralmusik, Fertigung der Zeremonialhüte, der Faltenwurf des Mönchsgewandes sowie die Tempelarchitektur oder ein bevorzug290

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ter Malstil. Kontakte der Sakya-Hierarchen wie auch der Karmapas zum mongolischen Hof der Yuan-Dynastie sowie später zu den chinesischen Ming-Kaisern brachten mongolische und chinesische Einflüsse in den Hofstaat der Klöster und fürstlichen Burgen. Brokate und Seiden ersetzten die derben Gewebe aus Yakwolle und Leder. Die klösterliche wie auch höfische Etikette wurde dem chinesischen Kaiserprotokoll angeglichen, mit einer genau nach Rang vorgeschriebenen Anzahl von Sitzkissen für den Thron; die recht bescheidenen tibetischen Essensgewohnheiten wurden mit chinesischer Raffinesse in den Küchen wohlhabender Lamas und des Adels mit ausländischen Zutaten bereichert; Tempelausstattungen folgten mongolischen und chinesischen Mustern mit prachtvollen Bannern, kostbaren Teppichen und buntem Möbelwerk. Trotz dieses starken Kultureinflusses behielten die tibetische Kunst und Architektur ihren eigenen Charakter, der sich insgesamt in großer Farbenprächtigkeit und klimagerechter Funktionalität ausdrückte. Der zunehmende Reichtum der Klöster, die von Steuern befreit durch die Spendenfreudigkeit ihrer fürstlichen Förderer und die Ehrfurcht ihrer Untertanen wohl gediehen, sowie die sich verfestigende Institutionalisierung des Lamatums als spiritueller Autorität zeigte sich nicht nur in den vergoldeten Dächern ihrer Tempelanlagen mit prunkvoller Ausstattung, sondern auch in den Paraphernalien; die Altargerätschaften wie Butterlampen, Opferschalen, Vasen usw. wurden aus kostbarsten Materialien wie Gold, Silber und Kupfer angefertigt und mit Edelsteinen besetzt. Tantrische Ritualgegenstände, wie Schädelschalen, Trompeten und Handtrommeln, traditionellerweise aus Menschenknochen gefertigt, wurden aus edlem Elfenbein geschnitzt und mit Gold und Silber verziert. In der spirituellen Ergriffenheit, in der das tibetische Volk zu jener Zeit schwebte, sah es in dem Prunk ihrer Klöster und der Eleganz ihrer Lamas, die zu erhalten ihnen oblag, eine Ansammlung guter Verdienste, eine heilsame Tat als Baustein zur künftigen Erleuchtung und Befreiung aus dem Wesenskreislauf des Leidens. Gleichzeitig jedoch verblasste das Wissen um den eigentlichen Sinn und die Symbolik mancher Zeremonien und deren Ausstattung. Und mit der Institutionalisierung des Klerus als spirituelle und politisch einflussreiche Autorität ging auch eine Kommerzialisierung der monastischen Kultur mit ihrer Funktionalität Hand in Hand.106 Der religiöse Eifer und die Begeisterung des tibetischen Volkes für ihre charismatischen Oberhäupter der neugegründeten Orden hatten auch ihre Auswirkungen auf die alte, von Padmasambhava ins Leben gerufene Schule der „Alten“, die Nyingmapa, die ebenfalls in der Renaissance des Buddhismus auflebte. Im Unterschied zu den neuen Schulen blieben die Nyingmapa-Niederlassungen jedoch eher klein, unter der Führung eines meist verheirateten Lamas, der für seine speziellen meditativen Kräfte und seine Konsekrationen, die er ausführen konnte, bekannt war und einen Kreis von Anhängern um sich zu scharen vermochte. Diese Nyingmapa-Zentren organisierten

106 Siehe Loseries-Leick 2008: 152–163, 192–198.

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sich nicht unter einem gemeinsamen Oberhaupt, wie es die Sakya- und KagyüpaSchulen hielten. Aber mit den zunehmenden Entdeckungen der Padmasambhava und seiner Gefährtin Yeshe Tsogyel zugeschriebenen Terma-Texte konnten die Nyingmapa-Lehren aktualisiert und spezielle Terma-Linien in ganz Tibet etabliert werden. Diese Wiederauffindung von Geheimlehren und anderen religiösen Schätzen und Reliquien begann mit Sangye Lama (Sangs-rgyas Bla-ma, 1000–1080) und sollte sich bis ins 20. Jahrhundert fortsetzen. Diese als „Schatzheber“ (gter-ston) bezeichneten Entdecker galten als Inkarnationen der 25 Hauptschüler des Padmasambhava; die wichtigsten sind die so genannten Fünf Tertön-Könige und Acht Großen Lingpas, darunter waren die ersten Nyangral Nyima Öser (Myang-ral Nyi-ma ʼOd-zer, 1124–1192), Guru Chöwang (Guru Chos-kyi dbang-chug, 1212–1270), Rinchen Lingpa (Rin-chen Gling-pa, 1295–1375), Sangye Lingpa (Sangs-rgyas Gling-pa, 1340–1396) sowie Karma Lingpa (Karma Gling-pa, 1326–1386), der Entdecker des Bardo Thödröl (Bar-do mthos-sgrol), das im Westen unter dem Namen „Tibetisches Buch der Toten“ bekannt geworden ist.107 Das tiefe Interesse für alles Spirituelle wurde zum Merkmal tibetischer Gläubigkeit, die ihren spirituellen Höhepunkt wohl zur Zeit ihrer erleuchteten Ordensgründer der neuen tantrischen Transmissionen zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert erreicht hatte. Die Institutionalisierung des Klosterwesens in Tibet sollte jedoch zu einer Verflachung der ursprünglich indischen tantrischen Tradition in Tibet beitragen. Gleichzeitig brachte der allgemeine Religionseifer, der sich auf Seiten der esoterischen Praktizierenden in Meisterleistungen in Meditation und Yoga ausdrückte, in Klosterkollegien nach der Tradition von Nālandā und anderen berühmten Lehrstätten Indiens großartige Gelehrte in den buddhistischen Philosophien hervor. Das Klosterwesen hielt aber auch generell die Bevölkerung mit der altruistisch ausgerichteten Mahāyāna-Ethik im Banne und ließ mit der Ausbreitung der weltlichen Autorität der Lamas die einstige militärische Vormachtstellung des tibetischen Reiches in Zentralasien ins Wanken geraten.

4. Die Gelbe Kirche (15. bis 20. Jahrhundert) 4.1. Tsongkhapa, der Reformator Gegen Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts war die Gesellschaft Tibets bereits völlig im Banne des Buddhismus. Selbst Anhänger der vorbuddhistischen Bön-Religion hatten ihre Glaubensvorstellungen unter anderen Bezeichnungen in107 Zur Termatradition siehe Tulku Thondup 1994; zum Tibetischen Totenbuch siehe die Pionierübersetzung von Evans-Wentz 1960 sowie Coleman/Jinpa 2005.

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haltlich der tibetischen Form des Buddhismus so angepasst, dass Unterscheidungen dogmatischer Natur äußerst subtil wurden. Gleichzeitig hatte der Lamaismus viele Riten und Mythen des Bön und der Volksreligion in seine religiöse Welt einverleibt, die nicht auf indischem Einfluss beruhten.108 Das gesamte Literaturschaffen war in den Händen des Klerus; auch eine Fortsetzung der indischen Dohāund Caryāgitī-Mahāsiddha-Tradition war nur Yogis wie Milarepa mit deren spirituellen Gesängen (mgur-ma) möglich.109 Die monastischen Institutionen gewannen immer mehr politischen Einfluss und waren häufig in Fehden lokaler Prinzen verstrickt. Die Aufsplitterung der Sakyapa und in der Nachfolge Gampopas der Kagyüpa in Untergruppen verdichtete das Netz der als authentisch angesehenen Transmissionslinien. Gleichzeitig unterhielten die einzelnen Schulen einen offenen Lehrzirkel. Es war durchaus üblich, dass sich um einen in den Schriften bewanderten und erleuchteten Meister Anhänger der verschiedensten Traditionen scharten. So geschah es auch, dass ein dreijähriger Knabe, der nach seinem Geburtsort „Zwiebeltal“ (Tsong-kha) im Nordosten Tibets unter dem Namen Tsongkhapa (1357–1419) berühmt werden sollte, seine ersten Laiengelübde vom vierten Karmapa Rolpa Dorje (Kar-ma-pa Rol-pa’i rDo-rje, 1340–1383) erhalten hatte, der dem Kind große Bodhisattvatätigkeit prophezeite.110 Im Alter von sieben Jahren erhielt er von Dondrub Rinchen (Don-grub Rin-chen, 1309–1385) die Novizengelübde mit dem Namen Lobsang Dragpa (Blo-bzang Grags-pa, „Berühmt für gute Gelehrsamkeit“), bevor er sich für weitere Weihen und Studien nach Zentraltibet begab. Als Sohn eines mongolischen Vaters und einer tibetischen Mutter im Grenzland von Kokonor geboren, soll er als Emanation des Bodhisattva der Weisheit Mañjuśrī von Buddha Śākyamuni prophezeit worden sein. An der Stelle, wo bei seiner Geburt die Nabelschnur fiel, soll ein Sandelbaum entsprossen sein, dessen Blätter alle ein Buddhabild aufwiesen. Später, im Jahre 1560, wurde an dieser Stelle ein Kloster gegründet, das diesem Wunder entsprechend den Namen Kumbum (sKu-ʼbum, „Hunderttausend Gestalten [des Buddha]“) trägt. Tsongkhapa hatte schon in jungen Jahren die besondere Gabe, viele Sūtras zu rezitieren, und zeichnete sich als strebsamer Adept der höheren Tantras aus. Gleichzeitig studierte er die monastischen Regeln des Vinaya und praktizierte mit Elan die Sechs Yogas des Nāropa sowie die Lehren der Mahāmudrā. Im Alter von 24 Jahren erhielt er von Sakyaśrī Bhadra (1127–1225), einem Gelehrten und Übersetzer der Sakya-Schule aus Kaschmir, die volle Mönchsordination. Im Alter von 40 Jahren kehrte er ins Kloster Reting der Kadampa-Schule ein, wo er sein berühmtes Opus „Der große Stufenweg“ (Lam-rim chen-mo) verfasste, das ebenso wie Gampopas „Juwelenschmuck der Befreiung“ eine Überarbeitung 108 Tucci 1970: 43f. 109 Siehe Loseries 2015. 110 Zur Biographie des Tsongkhapa siehe Blaue Annalen, Roerich 1988: 1073–1075 und Berzin 2003.

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von Atīśas schon erwähntem Werk „Lampe für den Weg der Erleuchtung“ darstellt. Alle Lehren zum Stufenweg (lam-rim) der Erleuchtung basieren auf den Weisheitssūtren des Buddha, wie sie von Asaṇga und Maitripa (4. Jahrhundert) im Abhisamayālaṃkara („Schmuck der Verwirklichung“) zusammengefasst wurden. Darin werden Themen wie Karma, Wiedergeburt, Bodhisattvageist, buddhistische Kosmologie und Meditationspraktiken in logischer Reihenfolge erklärt. Tsongkhapas Lam-rim chen-mo umfasst ca. 1000 Seiten. Ferner gibt es eine mittlere Fassung mit ca. 200 Seiten, und eine Kurzfassung von zehn Seiten wird von den Mönchen der Gelugpa-Schule täglich rezitiert. Ein weiteres Werk „Die Großen Stufen des Mantra“ (sNgags-rim chen-mo) befasst sich mit der Praxis der Tantras oder geheimen Mantras (gsang-sngags). Als Emanation des Mañjuśrī soll Tsongkhapa spirituell besonders mit Atīśa eins im Geist gewesen sein und erhielt alle Transmissionen der Kadampa-Schule. Gleichzeitig studierte und praktizierte er alle neuen Tantra-Linien, mit Meistern der Sakyapa- und Kagyüpa-Schulen, sowie der Nyingmapa in der Tradition des Padmasambhava.111 Als Jünger seiner Epoche assimilierte Tsongkhapa somit alle vorherrschenden Praxislinien Zentraltibets. Darüber hinaus hatte er großes Talent für Gelehrsamkeit und schrieb im Laufe seines Lebens über 210 Abhandlungen, die zwanzig Bände umfassten. Philosophisch folgte Tsongkhapa den Lehren der Prāsaṇgika-Madhyamaka und den neuen Tantras (gsang-sngags gsar-ma). Tsongkhapa betonte in seinen Schriften stets den rationalen Charakter der buddhistischen Lehre. Dies führte zu einer innovativen Interpretation von Candrakīrtis Madhyamaka-Philosophie, indem Tsongkhapa argumentierte, dass selbst eine relative Existenz eines Speicherbewusstseins (kungzhi rnam-shes; skt. ālayavijñāna) hinsichtlich Karma und Ursächlichkeit nicht gegeben ist. Diese Ansicht stand philosophisch in Widerspruch zu den anderen Schulen, insbesondere der Sakyapa, und zeichnete sich im Laufe der Zeit als das Hauptmerkmal der Gelugpa-Dialektik ab.112 Seine Interpretation der „inhärenten Leerheit“ (rang-stong) stand auch in Opposition zur Lehre der „Leerheit von anderen“ (gzhan-stong), d. h. Qualitäten der äußeren Phänomene unter Ausnahme der inhärenten Natur aller Gegebenheiten. Diese Theorie beruhte auf der Jonangpa-Kālacakra-Übertragungslinie, die im 14. Jahrhundert Sherab Gyaltsen (Shes-rab rGyal-mtshan, 1292–1361), ehemals ein Sakyapa, mit einer Klostergründung in Jonang (Jo-nang), 160 km nordwestlich von Shigatse, als eine eigenständige Schule gleichen Namens konstituiert hatte. Obwohl selbst von einem Schüler Sherab Gyaltsens in dieser Tradition unterrichtet, distanzierte sich Tsongkhapa von dieser der indischen Yogācāra-Schule nahen philosophischen Interpretation der Leerheit.113 111 Geshe Tenzin Zopa (http://www.fpmt-ldc.org/res_ebook.php); Tarthang Tulku 1971: 464. 112 Kapstein 2014: 72–76. 113 Siehe Gruschke 2002: 183–214.

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Tsongkhapa hatte wahrscheinlich genauso wenig die Absicht, eine eigene Schule zu gründen, wie viele andere Großmeister Tibets. Auch hier war die treibende Kraft sicher seine ambitionierte Anhängerschaft und Jüngerschar, die sich von anderen Gruppen elitär abzusetzen trachtete. Das Training und das Studium, denen sich Tsongkhapa unterzog, sind trotzdem beispielhaft für die engen Verbindungen zwischen allen Schulen Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Abgesehen von seinen intellektuellen Errungenschaften war er auch ein großer Meister der Meditation, deren Gottheiten sich ihm in mystischen Gesichtern offenbarten. Dies ist auf zahlreichen Malereien aus seiner Zeit ersichtlich. Bildlich ist Tsongkhapa in der tibetischen Kunst stets mit dem gelben Gelehrtenspitzhut dargestellt und als Verkörperung des Mañjuśrī, des Bodhisattva, der als Emanation der Weisheit aller Buddhas verehrt wird, ikonographisch auch mit dem Schwert der Weisheit ausgestattet.114 Gleichzeitig legte Tsongkhapa großen Wert auf die Ethik seines monastischen Saṅgha. Mit der Gründung des Riwo-Ganden-Klosters (Ri-bo dGa’-ldan, wörtlich „freudvoller Berg“) auf der Spitze eines Berges in der Nähe von Lhasa im Jahre 1409 fand er für sich einen Ort der Meditation und Einkehr, wo er auch seine klösterliche Gemeinde nach den Regeln der monastischen Disziplin schulte. Tsongkhapa unterwies seine Schüler in den Tantras Guhyasamāja, Hevajra und Kālacakra. Vor allem aber förderte er das Studium der Logik, für die er formale Debatten einführte, eine Übung, die bald von allen anderen Schulen übernommen wurde, wenn auch mit weniger Schwergewicht. Ganden wurde im Laufe der Zeit das drittgrößte Klosterzentrum Tibets, mit über 3300 Mönchen.115 Die dogmatische Nähe zu Atīśa und der Schule der Kadampas führte anfangs zur Bezeichnung „neue Kadampa“; ein anderer Name der Gemeinschaft bezog sich auf den Klosternamen, nämlich Gandenpa (dGa’-ldan-pa). Erst später wurde die Schule als Gelugpa (dGe-lugs-pa, „Schule der Tugend“) bezeichnet. In chinesischen Schriften als „Gelbmützen“ im Unterschied zu den „Rotmützen“, d. h. Kagyüpas, ausgewiesen, wurde durch den österreichischen Ethnologen Robert Bleichsteiner (1891–1954) der Ausdruck „Gelbe Kirche“ in der westlichen Welt eingeführt.116 Tsongkhapa war von der Heiligkeit der Haupstadt Lhasa so angetan, dass er im Jahre 1408 im Jokhang (Jo-khang), dem zu Zeiten Songtsen Gampos im 7. Jahrhundert erbauten Tempel, der bis zum heutigen Tag das Herz der Altstadt bildet, ein jährliches Neujahrsfest (sMon-lam chen-mo, „Das Große Gebetsfest“) eingeführt hat. Dabei zelebrierten tausende Gelugpa-Mönche beginnend vom vierten Tag des ersten Monats im tibetischen Lunarkalender drei Wochen lang Gebete und Riten, und die Stimmen der predigenden Lehrer verstummten selbst nachts nicht.117 114 115 116 117

Siehe z. B. Essen/Thingo 1989: 1–89, Tafelband 146. Shakabpa 1984: 85. Bleichsteiner 1936. Shakabpa 1984: 85.

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In Lhasa und Umgebung fand Tsongkhapa von Seiten des Adels und des Volkes große Unterstützung. Diese Region war unter den Einfluss der Phagmodupa-Familie von Densathil gekommen, die Tsongkhapa und seinen Schülern einen warmen Empfang bereitete. Das Beispiel eines Ordens, der bislang noch in keine politischen Rivalitäten verstrickt streng auf monastische Disziplin bedacht war, mochte wohl positiv auf Kritiker der offensichtlichen Weltlichkeit mancher etablierter religiöser Gruppen gewirkt haben. Trotz des großen Erfolges Tsongkhapas kam es während der Lebenszeit dieses großen Meisters zu keinerlei Zwistigkeiten zwischen seiner Gemeinschaft und anderen. Tsongkhapa selbst mischte sich nie in Angelegenheiten außerhalb seines Klosters ein. Dennoch wurde er so bekannt, dass der dritte Kaiser der chinesischen Ming-Dynastie, Yongle, ihm im Jahre 1408 eine Einladung nach China sandte, die Tsongkhapa jedoch ablehnte und an seiner Stelle einen seiner Schüler schickte. Im Jahre 1419 starb der Großmeister im Alter von 62 Jahren. Sein Grabmal in Ganden enthielt bis zur Zerstörung des Klosters während der Kulturrevolution als heiligen Schatz des Ordens die hochverehrten Reliquien Tsongkhapas.118 Als die Autorin 1987 das Ganden-Kloster aufsuchte, wurde mit Stolz als letzter Rest der Reliquien ein Zahn des Großmeisters in einem stark beschädigten Silberschrein gezeigt, der mittlerweile aber nicht mehr dort aufbewahrt wird.119 Sein Todestag wird bis heute jährlich in jedem tibetischen Haushalt mit Opferlichtern memoriert.

4.2. Tsongkhapas Erbe und Nachfolge Vor seinem Ableben in Ganden übergab Tsongkhapa seinen Zeremonienhut sowie seine Mönchsroben seinem Lieblingsschüler Gyaltsabje Dharma Rinchen (rGyaltshab-rje Dar-ma Rin-chen, 1364–1432), der den Thron von Ganden als Abt zwölf Jahre lang innehatte. Damit begann die Tradition der Ganden-Thronfolger (dGa’ldan khri-pa), die nicht auf Erbfolge oder Reinkarnation beruhte, sondern durch Wahl erfolgte. Der Abt von Ganden fungierte auch als Oberhaupt der GelugpaSchule. Der nächste Thronfolger war Kedrubje Gelek Palzang (mKhas-grub-rje dGelegs dPal-bzang, 1385–1438), seitdem gedieh die Gelugpa-Linie mit großem Erfolg. Der Zuwachs an Anhängerschaft im Bezirk Lhasa führte dazu, dass kurz vor Tsongkhapas Tod zwei seiner Schüler am Stadtrand zwei besser zugängliche Klöster gründeten: Drepung (ʼBras-spungs dgon-pa, „Reishaufen-Kloster“), gegründet von einem weiteren engen Schüler Tsongkhapas, Jamyang Chöje Tashi Palden (ʼJam-dbyangs Chos-rje bKra-shis dPal-ldan, 1379–1449) im Jahre 1416. Im Laufe der 118 Siehe Snellgrove/Richardson 1968: 181f. 119 Siehe die Abbildung in Loseries-Leick 2008: Farbabbildung 257.

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Jahre sollte es sich zum größten monastischen Zentrum Tibets, zu einer wahren Klosterstadt mit Kollegien, Dutzenden von nach Bezirken gelisteten Mönchsheimen (tshang, „Nest“) entwickeln, mit mehr als 7700 residierenden Mönchen bis zur Zeit der Kulturrevolution 1959.120 Sera (Se-ra dGon, „Wildrosen-Kloster“), das zweite Groß- bzw. Universitätskloster der Gelugpa-Schule am Rande von Lhasa, wurde 1419 von Jamchen Chöje Sakya Yeshe (Byams-chen Chos-rje Sa-skya Ye-shes, 1354–1435) gegründet, jenem Schüler Tsongkhapas, den der Meister an seiner Statt im Jahre 1408 an den kaiserlichen Ming-Hof nach China entsandt hatte. Dieser war nach erfolgreicher Mission mit kostbaren Geschenken versehen nach acht Jahren wieder nach Tibet zurückgekehrt, wo er mit Unterstützung des Adels an einer bereits für Meditationsklausuren genutzten Stelle, wo Wildrosen wucherten, das dritte Großkloster der Gelugpa-Schule errichtete, bis ihn eine weitere Mission wieder nach China an den Ming-Hof brachte, wo er insgesamt 21 Jahre lehrend tätig war. Auch das Sera-Kloster entwickelte sich mit den Jahren zu einem erstrangigen Klosterkollegium, das mit 19 Klausen und vier Nonnenklöstern vor 1959 mehr als 5500 Mönche zählte.121 Ein dritter bedeutender Nachfolger war Gedündrup (dGe-ʼdun-grub, 1391–1475), angeblich ein leiblicher Neffe des Tsongkhapa. Es waren hauptsächlich sein Elan und seine Ambition, Tsongkhapas Schule zu expandieren und zu fördern, um den Orden erstrangig unter den etablierten buddhistischen Gruppen in Tibet zu machen. Die Gunst des Adels gegenüber dieser neuen Bewegung nutzend, gründete er in der Nähe von Shigatse, genau an der Grenze der Machtausübung der mächtigen Rinpung-Prinzen (Rin-spungs), die den Karmapa-Hierarchen der Kagyüpa-Schule unterstützten, im Jahre 1445 das Tashilhunpo-Kloster (bKra-shis lHun-po), das 3000 Mönche unterhielt. Gedündrup wurde zum ersten Klostervorsteher mit dem Titel Panchen, „Großer Pandit“. Allerdings verließ er Tashilhunpo alsbald, um eine neue Position in Drepung anzunehmen.122 Er starb in Tashilhunpo im Alter von 84 Jahren.123 Gedündrup hatte wohl den Vorteil des von Karmapa eingeführten erfolgreichen Systems der Reinkarnationsnachfolge erkannt. Denn mit der Auffindung der Wiedergeburt eines verstorbenen und als erleuchtet betrachteten Meisters oder Abtes zerstreute sich nicht die Schar der Adepten und Förderer; damit war der Zusammenhalt der Gemeinschaft wie auch des Klosterbesitzes und Einkommens besser gesichert. In jedem Fall wurde nach dem Tod des Lama Gedündrup bald in einem mit besonders günstigen Zeichen und Merkmalen versehenen Kind seine Wiedergeburt proklamiert, die unter dem Namen Gendün Gyatso (dGe-ʼdun rGya-mtsho, 1475–1542) die Nachfolge Gedündrups als Vorstand des Tashilhunpo-Klosters an120 121 122 123

Shakabpa 1984: 85. Shakabpa 1984: 85. Kapstein 2014: 40. Shakabpa 1984: 91.

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trat. Dieser gründete hoch in der Bergwelt südöstlich von Lhasa das Kloster Chökhorgyal (Chos-ʼkhor-rgyal) im Jahre 1509, in der Nähe eines Gletschersees, dessen Spiegelungen für Prophezeiungen berühmt waren. Später sollten sich diese für die Auffindung des dreizehnten und vierzehnten Dalai Lama als richtig erweisen. Beim Besuch der Autorin im Jahre 1987 waren nur mehr Ruinenreste vom einstigen Kloster auffindbar. Der See jedoch, betrachtet als „Seelenkraftsee“ der zornvollen Schutzgöttin Śrīdevī (dPal-ldan lHa-mo), war nur über äußerst schwieriges Gelände mit einem Blick von oben auf die spiegelgleiche Seenfläche zugänglich; er strahlte eine Kristallklarheit aus, die Visionen in einem ruhigen Geisteszustand gerne zulässt. Während Gendün Gyatso in seinem Bergkloster weilte, brachen 1537 religiöse Konflikte aus, die zum Verlust von achtzehn Gelugpa-Klöstern an den DrikungOrden führten. Gendün Gyatso starb im 65. Lebensjahr in Drepung.124 Weitere Konflikte zwischen den wohlhabenden Klöstern der Gelugpas und der etablierten Schulen und deren fürstlichen Gönnern waren absehbar.

4.3. Die Einführung der Dalai Lama-Würde Ein Jahr nach dem Tode des Abtes von Drepung, Gendün Gyatso, wurde ein Knabe als dessen Reinkarnation unter dem Namen Sönam Gyatso (bSod-nams rGya-mtsho, 1543–1588) erkannt, der in Drepung erzogen wurde und sich bald als ein brillanter Schüler erwies. Sönam Gyatso war als Abt von Tashilhunpo gleichzeitig auch für Sera und Drepung verantwortlich. Bald machte er sich als Mediator bei Gewaltausbrüchen zwischen politischen, religiösen wie auch Umwelt-bedingten Fraktionen populär. Altan Qan, das Oberhaupt der Tümed-Mongolen, lud 1577 Sönam Gyatso an seinen Hof ein, der sich als nomadisches Zeltlager entpuppten sollte.125 Sönam Gyatso lehnte zunächst ab, nahm jedoch auf Drängen und aufgrund vieler Geschenke die Einladung des Mongolenfürsten letztendlich an. Am Mongolenhof lehrte er öffentlich und bekehrte den Qan zum Buddhismus. Altan Qan verlieh Sönam Gyatso den Titel „Dalai Lama“; dalai bedeutet auf mongolisch „Ozean“, was auf tiefes und weitläufiges Wissen hinweist. Postum wurden seine vorigen Inkarnationen, Gedündrup und Gendün Gyatso, ebenfalls mit diesem Titel bedacht, womit Sönam Gyatso als dritter Dalai Lama in die Geschichtschroniken einging. Alle weiteren Dalai Lamas tragen ebenfalls den Beinamen Gyatso (rGya-mtsho, „Ozean“). An dem Ort selbst, wo die Titelverleihung stattfand, wurde ein Kloster errichtet.126 Nach drei Jahren von Lehrpredigten in der Mongolei, in Ostturkestan

124 Shakabpa 1984: 92. 125 Shakabpa 1984: 93. 126 Finanziert von Altan Qan, siehe Shakabpa 1984: 95.

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und benachbarten chinesischen Provinzen begab sich Sönam Gyatso nach Kham, wo er 1580 das Kloster Lithang gründete. Während seines Aufenthaltes in Osttibet wurde ihm die Nachricht von Altan Qans Tod überbracht, mit der Aufforderung, an den mongolischen Hof zurückzukehren. Als er auf diesem Weg die KokonorGegend durchreiste, gründete er 1582 am Geburtsort Tsongkhapas das Kloster Kumbum (sKu-ʼbum), das „Hunderttausend-Bilder-Kloster“. Nach zwei Jahren Aufenthalt am Hofe von Altan Qans Nachfolger starb der Dalai Lama 1588 auf der Rückreise nach Tibet. Da die Lamas der älteren Schulen wenig Interesse an der buddhistischen Unterweisung der mongolischen Fürsten an den Tag gelegt hatten, öffnete die Mission Sönam Gyatso eine Verbundenheit der Mongolei mit Tibet, insbesondere mit dem neuen Gelugpa-Orden, dessen Vertreter die mongolischen Gabenherren mit reichen Geschenken überhäuften.127 Ein paar Jahre später kam die Kunde, dass ein Urenkel des Altan Qan als Inkarnation Sönam Gyatsos erkannt worden war. Nach genauester Prüfung entschieden tibetische Mönche, dass der im Jahre 1589 geborene mongolische Knabe in der Tat die wahre Inkarnation des dritten Dalai Lama sei. Mit dieser diplomatischen Strategie gewann die Gelugpa-Schule die ausschließliche Unterstützung der Mongolen, die bald eine Einmischung in die Innenpolitik Tibets bewirken sollte. Yonten Gyatso (Yon-tan rGya-mtsho, 1589–1616), als vierter Dalai Lama inthronisiert, wurde auf Wunsch der Eltern erst im zwölften Lebensjahr nach Zentraltibet begleitet, wo er im Kloster Drepung vom Tashilhunpo-Lama Lobsang Chökyi Gyaltsen (Blo-bzang Chos-kyi rGyal-mtshan, 1570–1662) unterrichtet wurde, der ihm auch die Mönchsgelübde übertrug. Auf Grund seiner Gelehrsamkeit wurde dieser Panchen, „Großer Pandit“, genannt. Später, als Lehrmeister des fünften Dalai Lama, wurde ihm dieser Titel exklusiv verliehen und postum auch auf seine Vorgänger übertragen. Er wird als erster oder auch vierter in der Linie gezählt, beginnend mit Tsongkhapas berühmtem Schüler Khedubje (1385–1438).128 Dieses wechselseitige Schüler-Lehrerverhältnis zwischen den Dalai Lamas und den Panchen Lamas setzte sich über Generationen fort.129 Vorerst wurden die großen Feierlichkeiten um die Inthronisierung und Weihung des vierten Dalai Lama in Lhasa in Anwesenheit aller namhaften Gelugpa-Vertreter sowie einer stattlichen bewaffneten mongolischen Eskorte in Lhasa toleriert. Doch bald kam es zwischen dem Shamarpa, dem Träger der „Roten Krone“ innerhalb der Karma-Kagyü-Linie, und den Lamas der GelugpaSchule zu Unstimmigkeiten, die schließlich zu einem militärischen Zusammenstoß zwischen deren politischen Förderern, dem Phagmodrub-Klan auf Seiten der Gelugpa und den Tsang-Herrschern (gTsang) auf Seiten der Kagyüpa, führten. Mit dem Sieg der Tsangpa unter der Führung von Karma Phuntsog Namgyal gewannen

127 Snellgrove/Richardson 1968: 184. 128 Kapstein 2014: 42. 129 Shakabpa 1984: 96f.

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diese als Tsang-Könige erstmals die völlige Herrschaft über Zentraltibet (dBus). Sie verhielten sich gegenüber der Autorität der Gelugpa anfangs äußerst moderat, indem sie ihnen die spirituelle Vertretung Lhasas übergaben. Diese huldvollen Gesten wurden jedoch nicht erwidert, und selbst Bitten um spirituelle Ermächtigungen wurden provokant verweigert. Schließlich attackierte der König von Tsang die Klöster von Drepung und Sera mit solcher Gewalt, dass der Dalai Lama die Flucht ergreifen musste. Trotz Versuchen der friedlichen Mediation trafen die Gelugpa-Mönche eine fatale Entscheidung, indem sie die Mongolen um militärische Unterstützung baten. Wenn es auch nicht unmittelbar zu tätlichen Auseinandersetzungen kam, so war doch eine ausländische Intervention in tibetischen Angelegenheiten nach 250 Jahren der Freiheit wieder Wirklichkeit. Der vierte Dalai Lama Yonten Gyatso starb 1616 im Alter von 27 Jahren wahrscheinlich an einer Vergiftung. Ab nun verfolgten die Vertreter der Gelugpa die gleichen weltlichen Ziele wie die älteren Orden der zweiten Verbreitung des Buddhismus in Tibet, während die Nyingmapa als Anhänger der alten Tradition von Padmasambhava keine machtpolitischen Ambitionen verfolgten.130 Somit lag im 16. Jahrhundert die Macht Tibets in den Händen der Gelugpa, während die Tsang-Könige andere Schulen, insbesondere die Tradition der Kagyüpa und der Jonangpa, förderten.

4.4. Der Sieg der Gelben Kirche Bald nach dem frühen Ableben des mongolischgebürtigen vierten Dalai Lama Yonten Gyatso wurde dessen Wiedergeburt aufgefunden. Dies war Ngawang Lobsang Gyatso (1617–1682), der in Chonggye (ʼPhyongs-rgyas), im Tal der alten Königsgräber, geboren war. Seine Familie gehörte dem Nyingmapa-Orden an und hatte enge Verbindungen zum Samye-Kloster sowie zum Phagmodrup-Klan. Wahrscheinlich aus diesem Grund beanspruchten auch die Karmapas ihn als eigene Inkarnation. Auf Grund der unsicheren politischen Situation wurde die Auffindung der Wiedergeburt des Dalai Lama vorerst geheim gehalten. Vor den Toren von Lhasa hatten mongolische Truppen ihr Lager aufgeschlagen, wurden aber 1620 von Tsang-Truppen geschlagen. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, intervenierten der Panchen Lama und der Abt von Ganden; die Mongolen räumten schließlich das Feld, aber auch die Tsang-Truppen mussten aufgelöst werden. Nach einer Regierungszeit von elf Jahren starb Phuntsok Namgyal, der König von Tsang, im Jahr 1621. Ihm folgte sein 16-jähriger Sohn Karma Tenkyong Wangpo auf den Thron. Der Tod des Tsang-Königs entspannte die kriegerische Situation, so dass schließlich im folgenden Jahr die Wiederauffindung der Inkarnation des Dalai Lama öffentlich

130 Snellgrove/Richardson 1968: 184–193.

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bekundet werden konnte. Aber erst 1625 wurde er nach Drepung gebracht, wo der Panchen Lama ihm die Mönchsweihen erteilte.131 Bei seiner Inthronisierung in Lhasa sah man wiederum eine starke Präsenz der Mongolen, die vor allem der König von Tsang als rechtmäßiger Laienherrscher über Tibet mit Recht als Bedrohung erkannte. Obwohl er spirituell den Karmapas nahe war, wäre er bereit gewesen, alle religiösen Schulen auf gleicher Ebene zu akzeptieren und somit eine politische Laienverwaltung vom Klerus nachhaltig freizuhalten. Denn die Schismen und gärenden Zwistigkeiten unter den etablierten Schulen und deren Untergruppen hatten der nationalen Einheit und Stärke Tibets bereits beträchtlichen Schaden zugefügt. So aber zwangen immer häufigere Einmischungen der Mongolen in die inneren Angelegenheiten Tibets den König von Tsang dazu, strengere Maßnahmen gegenüber den Gelugpas zu ergreifen, zu deren Schutz sich mongolische Truppen im Land aufhielten. Ein Kampf wäre unvermeidlich gewesen, hätte nicht der Panchen Lama von Tashilhunpo aus interveniert. Seit dem Tode Altan Qans entbehrten die mongolischen Horden eines starken Anführers. Aber Guśri Qan, der Anführer des Stammes der Oiraten, obwohl ohne historische Verbindung zu Tibet, hatte auf einer geheimen Pilgerreise nach Tibet Kontakt zum amtierenden Dalai Lama aufgenommen und war von dessen Persönlichkeit tief beeindruckt. Deshalb zögerte er nicht, seine Truppen im Kampf gegen den Tsang-König zur Unterstützung der Gelugpas einzusetzen, die auf politische Vorrangstellung aus waren. Die Initiative zu kriegerischen Auseinandersetzungen ging aber weder von den Mongolen noch vom Dalai Lama selbst aus, der sich immer wieder um eine friedliche Lösung bemüht hatte. Sein oberster Gefolgsmann Sönam Chöphel befürchtete die Auslöschung der Gelugpas; deshalb rief er ohne direkte Anweisung des Dalai Lama die Truppen Guśri Qans ins Land. Allerdings rechnete Sönam Chöphel nicht mit dem starken Widerstand der Tsangpa-Armee und letztendlich war ein Kampf unvermeidlich. Der Dalai Lama war darüber sehr ungehalten und rügte seinen Dienstmann öffentlich, allerdings zu einem Zeitpunkt, wo jegliche Friedensverhandlungen hinfällig waren.132 Es kam zu bitteren Schlachten, bis schließlich die mongolische Armee und deren Gelugpa-Freunde den Sieg davontrugen. Denn auch der friedliebende zehnte Karmapa Chöying Dorje (Chos-dbyings rDo-rje, 1604–1674), wenn auch auf der Gegenseite stehend, befürwortete nicht das Einsetzen von Gewalt; und eine Unterstützung von Seiten eines charaktermäßig eher politisch gesinnten Shamarpa war durch dessen Tod und das Fehlen einer sofortigen Nachfolge vereitelt. Somit wurde der König von Tsang vorerst gefangen genommen und schließlich getötet. Karmapa Chöying Dorje, in seiner Jugend von den Herrschern von Tsang zum

131 Shakabpa 1984: 100–102. 132 Shakabpa 1984: 109f.

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„König“ ausgerufen, musste fliehen. Als hochbegabter Künstler und Meister der Mahāmudrā-Meditation bekannt, verbrachte er den Großteil seines Lebens im Südosten Tibets, wo ihm große Achtung von Seiten der örtlichen Herrscher entgegengebracht wurde.133 Erst nach zwanzigjähriger Wanderschaft kam er wieder nach Lhasa, wo schließlich 1674 eine Versöhnung mit dem fünften Dalai Lama stattfand. Inzwischen waren zahlreiche Klöster des Karmapa-Ordens, wie das von Gampopa gegründete Kloster Daglha Gampo (Dvags-lha sGam-po, 1120) in Dagpo, unter Zwang dem Gelugpa-Orden unterstellt worden.134 Mit dem Tode des letzten Tsang-Königs war auch die Autorität der Karmapa-Hierarchen in Zentraltibet vorübergehend untergraben, die jedoch als Vertreter einer reinen Praxislinie in der Tradition des Milarepa und Gampopa nie politisch Stellung bezogen hatten, sondern einzig durch außergewöhnliche spirituelle Talente und Vollkommenheiten zum Wohl der Wesen bis zum heutigen Tage wirken.

4.5. Der Große Fünfte Dalai Lama Im Jahre 1642 zog der Dalai Lama in Begleitung von hunderten mongolischen Reitern, Gefolgsleuten und Mönchen in Shigatse ein, wo ihm in der Audienzhalle des Palastes der höchste Ehrensitz angeboten wurde, während sein Gefolgsmann Sönam Chöphel und Guśri Qan auf zwei niedrigeren Thronen Platz nahmen. Im Laufe der folgenden symbolischen Opferzeremonie von Körper, Rede und Geist des Buddha in Form einer goldenen Buddhastatue, eines heiligen Textes sowie eines Votivstūpas (mchod-rten) erklärte der Qan den Dalai Lama zur höchsten Autorität über ganz Tibet, vom westlichen Ladakh bis in die Ostgrenze von Tachienlu. Die politische Administration des Staates wurde Sönam Chöphel mit dem Titel Desi übertragen, der dem Rang eines Ministerpräsidenten entspricht. Somit wurde der Dalai Lama erstmals als der weltliche und geistliche Führer Tibets anerkannt, wodurch der Grundstein für eine tibetische Oligarchie gelegt war. Nach seiner Rückkehr nach Lhasa erklärte der Dalai Lama Lhasa zur Hauptstadt des Landes. Die Regierung nannte er Ganden Phodrang (dGa’-ldan Pho-brang, „freudvoller Palast“) – entsprechend seiner Palastresidenz im Kloster Drepung. Er verkündete Gesetze für öffentliches Benehmen, ernannte Gouverneure über verschiedene Bezirke und erwählte Minister, um eine neue Regierung zu formen.135 Zusammen mit Guśri Qan inspizierte der Dalai Lama Klöster jedes Ordens überall im Land; wo er es für notwendig erachtete, wandelte er Klöster der älteren Schulen in Gelugpa-Institutionen um und ersetzte lokale Statthalter mit seinen

133 Kapstein 2014: 43. 134 Siehe Snellgrove/Richardson 1968: 194f.; Shakabpa 1984: 100–111. 135 Shakabpa 1984: 112.

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eigenen Leuten. Generell jedoch erwies er sich als souveräner Herrscher und war gegenüber den Kagyüpas tolerant. Seine spirituelle Nähe zu den Praxislinien der Nyingmapa – wohl auch familiär begründet – wirkte sich insbesondere vorteilhaft für eine kleine Eremitage in Zentraltibet aus, wo der Dalai Lama in Terdag Lingpa Gyurme Dorje (gTer-bdag Gling-pa ’Gyur-med rDo-rje; 1646–1714) seinen Lehrmeister für die esoterischen Praktiken in der Transmission des Padmasambhava fand. Dieser vermochte dann im Jahre 1676 unter der Patronanz seines hohen Schülers die Klause zu einem bedeutenden Klosterzentrum auszubauen, das sich unter dem Namen Mindoling (sMin-grol-gling) als Hauptsitz der Nyingmapa entwickeln konnte. Aber auch die Bön-Anhänger wurden von ihrem neuen Herrscher nicht in ihrer Religionsausübung gestört; sie unterhielten lokale Klöster vor allem im Osten Tibets. Die Hauptleidtragenden jedoch waren die Vertreter des Jonangpa-Ordens, die unter dem Vorwand der dogmatischen Häresie, jedoch eher aus staatspolitischen Gründen, völlig verbannt und deren Institutionen entweder zerstört oder unter Zwang in Gelugpa-Zentren transformiert wurden.136 Ein bedeutender Gelehrter der Jonangpa-Schule, der Historiker Tāranātha (1575–1634), wurde ebenfalls in die Mongolei vertrieben, wo er schließlich verstarb. Seine Inkarnation in einem direkten Nachfahren des Činggis Qan in der 33. Generation wurde im Jahre 1649 vom fünften Dalai Lama in Lhasa als solche erkannt und in Lhasa erzogen: Boγda Zanabazar (1635–1723), der als großer Künstler und religiöser Herrscher in die mongolische Geschichtsschreibung eingegangen ist.137 Nach dem Tode Guśri Qans im Jahr 1654 fiel die gesamte politische Macht in die Hand des fünften Dalai Lama, auch die Ernennung eines Regenten. Die kulturelle Verbindung zu den Mongolen blieb jedoch bestehen, und wie einst Tibeter auf der Suche nach Bildung nach Indien zogen, so gab es einen regen Lehrer- und Schüleraustausch zwischen den mongolischen Klöstern und denen Tibets – ein intimer Kontakt auch hinsichtlich des Kunsthandwerks, der sich bis 1959 als äußerst fruchtbar erweisen sollte. Mit Hilfe mongolischer Künstler gelang es dem fünften Dalai Lama, eine neue Phase monastischen Glanzes in Tibet einzuleiten, die sich vor allem in der pompösen Architektur spiegelte. Anstelle der bislang bevorzugten in entlegenen Bergtälern versteckten Stätten der Zurückgezogenheit, auf die die tibetische Bezeichnung für Kloster als Gompa (dgon-pa) etymologisch hinweist, traten nun burgenartige Klosterfestungen an strategischen Punkten in den Vordergrund. Dieser Neugeist erreichte seinen Höhepunkt im Ausbau der kleinen Burg, die einst Songtsen Gampo auf einem „roten“ Felshügel (dmar po-ri) in der Nähe von Lhasa als königliche Residenz errichten ließ, dem Potala. Der Ausbau begann 1645 und gilt als Protobeispiel tibetischer Architektur, mit den sich nach

136 Gruschke 2002: 183–214. 137 Siehe Loseries 2015.

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oben verjüngenden, aus dem Felsen auf unterschiedlichen Ebenen herausragenden massiven Mauern und Gebäuden. Die dunkelrot gefärbten Mauern mit ihren schwarzen Fensterumrahmungen kennzeichnen die ursprüngliche Festung mit der über einer Höhle errichteten Kapelle, die auf König Songtsen Gampo zurückgeht, und der weiß gefärbte Teil der Palastfestung stellt die spätere Erweiterung des fünften Dalai Lama dar. Das Innere des Potala-Palastes weist neben administrativen Gebäuden, Arsenalen und Fluchten von Thron- und Audienzsälen sowie persönlichen Residenzen der Dalai Lamas und deren Gefolge auf jeder Ebene prachtvolle Wandmalereien auf, deren Ikonographien und Themen ein wunderbares Zeugnis des Hofstaates seit Songtsen Gampos Regierung wiedergeben. Benannt nach der indischen Bergresidenz des indischen Śiva, des „Herrn der Welt“ (Lokeśvara), der in seiner buddhistischen Manifestation als der „Große Mitleidvolle“ Avalokiteśvara (sPyan-ras-gzigs) gilt, wurden ab nun an die Dalai Lamas bewusst mit diesem identifiziert, analog zu den Königen des alten Tibets. Im Jahre 1665 bestätigte der Dalai Lama die Wiedergeburt des Panchen Lama. Als er bald darauf nach Lhasa gebracht wurde, gab es lange Diskussionen über die Thronhöhe der einzelnen Würdenträger. Schließlich wurde bestimmt, dass der Panchen Lama auf einem etwas niedrigeren Sitzpolster als dem des Dalai Lama Platz zu nehmen hatte. Gleichzeitig erließ der Dalai Lama auch ein Gesetz, das anstelle der chinesisch und mongolisch beeinflussten Prunkgewänder ab nun eine Nationaltracht in Anlehnung an die Mode der alten tibetischen Königsdynastie festlegte. Diese Verordnung trat mit den Neujahrsfeierlichkeiten im Jahre 1672 in Kraft. 1677 wurde nach mehrmaligem Wechsel Sangye Gyatso (Sang-rgyas rGya-mtsho, 1653–1705) zum Desi oder Regenten ernannt. Der fünfte Dalai Lama starb im Jahre 1682 im Alter von 68 Jahren. Mit Recht blieb er der Nachwelt als der „Große Fünfte“ bekannt. Er war eine Persönlichkeit, die den schönen Künsten, insbesondere der Dichtkunst zugetan war. Ebenso war er ein brillanter Sanskritgelehrter und stand auch anderen Wissenschaftszweigen offen gegenüber. Ebenfalls gelang es ihm als politischer Drahtzieher das Land zu einigen und Grenzkonflikte mit Ladakh und Bhutan zu lösen. Gleichzeitig übte er einen großen geistigen Einfluss auf die buddhistischen Völker Chinas und der Mongolei aus. Der Tod des „Großen Fünften“ wurde von seinem Regenten Sangye Gyatso angeblich fünfzehn Jahre geheim gehalten. Nur wenige enge Vertraute waren in dieses Staatsgeheimnis eingeweiht. Öffentlich wurde bekundet, dass der Dalai Lama sich zur Meditation in seine Gemächer zurückgezogen hätte. Nur zu wenigen Anlässen, wo seine Anwesenheit unerlässlich war, wurde eine ihm ähnliche Gestalt im Thronsaal präsentiert. Sangye Gyatso führte weiterhin seine administrativen Pflichten vorbildlich aus. Unter ihm wurde auch 1695 nach mehr als 45 Jahren Bautätigkeit die Konstruktion des Potala abgeschlossen. Die gigantische Anlage erstreckt sich auf dreizehn Stockwerken. Das prunkvollste unter den Grabmälern ist dem fünften Dalai Lama vorbehalten, dessen Bau sein Regent Sangye Gyatso 304

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kurz vor seiner Abdankung 1703 zu vollenden vermochte.138 Es umfasst drei Ebenen in einem Hof von fast achtzehn Metern und besteht aus mehr als dreieinhalb Tonnen Gold. Erst nach Vollendung des Potala verkündete der Desi Sangye Gyatso den Tod des Dalai Lama. In der Zwischenzeit war dessen Inkarnation bereits dreizehn Jahre alt. Unmittelbar nach dem eigentlichen Tod des Dalai Lama im Jahr 1682 führte Sangye Gyatso eine Suchaktion nach dessen Inkarnation aus. Schließlich wurde 1685 ein Knabe, geboren im indischen Grenzgebiet von Tawang,139 als solche erkannt, aber vorerst geheim in einem Kloster außerhalb von Lhasa erzogen. Erst 1697 zog Tsangyang Gyatso (Tshangs-dbyangs rGya-mtsho, 1683–1706) als sechster Dalai Lama in Lhasa ein.140

4.6. Theokratie als Streitpunkt ausländischer Macht Der fünfte Dalai Lama hatte Peking kurz nach der Machtübernahme der QingDynastie (1644–1911) besucht. In den folgenden Jahrzehnten sollte sich Tibet immer mehr als Hauptstreitpunkt zwischen den Mandschus der Qing-Dynastie und den Mongolen um ihre Vorherrschaft in Zentralasien herauskristallisieren. Der sechste Dalai Lama mit seinen unkonventionellen Vorlieben wurde bald ein leichtes Opfer für politische Intrigen. Desi Sangye Gyatso gelang es, die theokratische Oligarchie aus Klerus und Adel, die der „Große Fünfte“ als Staatsform für Tibet festgelegt hatte, lange über dessen Tod hinaus zu festigen. Tsangyang Gyatso, der sechste Dalai Lama, wuchs zu einem gutaussehenden und intelligenten Jüngling heran, der seine religiöse und politische Erziehung von Desi selbst erhielt. Darüber hinaus brillierte er als Bogenschütze, eine Kunst, die er gerne in den öffentlichen Parkanlagen außerhalb des Potala übte. Sowohl der Desi als auch der Panchen Lama versuchten vergebens, den jungen Dalai Lama zu bewegen, die vollen Mönchsgelübde der Tradition entsprechend zu nehmen. Jedoch verweigerte dieser nicht nur die Weihe zum Gelong (dge-slong; skt. bhikṣu), sondern er gab zum Gram seiner Lehrmeister 1702 auch die ihm früher auferlegten Novizengelübde trotz aller Proteste und Bitten von politischer und klerikaler Seite dem Panchen Lama zurück.141 In der Folge entzog er sich immer mehr dem Einfluss des Desi als seines Vormundes und Lehrers; vielmehr bevorzugte er die feuchtfröhliche Gesellschaft des einfachen Volkes in den Kneipen des Dorfes zu Füßen der Potala-Festung. Bald wurde der Dalai Lama mehr für seine Meisterschaft der Liebes- wie auch der Dichtkunst als für monastische Einkehr und Gelehrsamkeit im Lande bekannt, was jedoch nicht seine Beliebtheit beim Volk trübte. Seine tantrischen Lieder und Ge138 139 140 141

Kapstein 2014: 131. Im heutigen Arunachal Pradesh im Nordosten Indiens. Siehe Snellgrove/Richardson 1968: 95–203; Shakabpa 1984: 100–129. Shakabpa 1984.

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dichte, gerichtet an eine Vielzahl von Mädchen seines Herzens, zeugen von einem wachen, wenn auch melancholischen Geist von erstaunlicher Tiefe und Doppelsinnigkeit.142 Da jedoch Tsangyang Gyatso nur mehr seinen weltlichen Pflichten nachkam und schließlich auch die öffentlichen spirituellen Belehrungen eingestellt hatte, führte dies nicht nur zur wachsenden Unzufriedenheit der Mongolen, die nach wie vor in Lhasa präsent waren, sondern der Desi war auch gezwungen, sich aus der aktiven Politik zurückziehen, auch wenn er weiterhin als Drahtzieher der Verwaltung im Hintergrund wirkte. Zu jener Zeit war der Anführer der Qošut-Mongolen Lhazang Qan, ein Enkel des Guśri Qan, der die Herrschaft 1697 übernommen hatte. Im Laufe der Jahre entwickelte sich eine Feindseligkeit zwischen den beiden, bis schließlich in einer Konferenz in Lhasa 1705, an der auch der sechste Dalai Lama, der Panchen Lama und die Äbte von Sera, Ganden und Drepung teilnahmen, beschlossen wurde, dass Lhazang Qan nach Kokonor zurückkehren sollte, um von dort aus seine Beziehung zu Tibet fortzusetzen. Allerdings gelang es Lhazang Qan, mit einer beträchtlichen Armee wieder in Lhasa einzuziehen. Nur der Mediation des Dalai Lama und des Panchen Lama war es zu verdanken, dass es nicht zu Kampfhandlungen kam. Sangye Gyatso, der ehemalige Desi, sollte allerdings Lhasa verlassen und nach Gongkhar ziehen.143 Dort wurde er von Lhazang Qans Gefolgsleuten gefangengenommen und getötet. In der Folge rief dieser auch den Dalai Lama an seinen Hof und verordnete seine Festnahme. Das Volk war darüber sehr aufgebracht, aber kam gegen die mongolischen Truppen nicht an. Lhazang Qan hatte sich inzwischen mit dem Mandschu-Kaiser angefreundet, der immer stärkeres Interesse an tibetischen Angelegenheiten hatte. Es wurde beschlossen, den Dalai Lama ins Exil zu schicken. Tibetische Aufzeichnungen verweisen darauf, dass er in die Mongolei verschleppt werden sollte; andere sagen, dass der chinesische Kaiser ihn nach Peking gebracht haben wollte. Als seine Karawane am Kloster Drepung vorbeiziehen wollte, schwärmten die Mönche aus und brachten den Dalai Lama innerhalb der Klosterfestung in Sicherheit. Nach dreitägiger Belagerung verließ der Dalai Lama jedoch aus freiem Wunsch Drepung mit dem Versprechen alsbald wiederzukehren. An einem kleinen See in der Gegend von Kokonor verstarb der Dalai Lama. Die Ursache seines Todes blieb ungeklärt. Tibetische und chinesische Quellen sprechen nur von einer Krankheit. Er war dreiundzwanzig Jahre alt.144 In der Zwischenzeit erklärte Lhazang Qan die Inkarnation des sechsten Dalai Lama für ungültig und setzte einen anderen jungen Mönch als „wahre“ Inkarnation ein, der jedoch vom Volk allgemein nicht akzeptiert worden ist.145 Lhazang 142 Tsangyang Gyatso 1986. 143 Dort befindet sich heute der Flughafen von Lhasa, ca. 65 km südöstlich von der Hauptstadt. 144 Shakabpa 1984: 125–133. 145 Shakabpa 1984: 134.

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Qan konnte seine politische Vorrangstellung bis 1717 innehalten. Aber die Großklöster in Lhasa trugen ihm die Entthronung des sechsten Dalai Lama sowie seine Machtposition nach. Es gelang den Großklöstern schließlich, die Dsungaren als Alliierte zu gewinnen, Stämme mongolischen Ursprungs in Ostturkestan, damit die bislang geheim gehaltene Inkarnation des im Exil verstorbenen sechsten Dalai Lama nach Lhasa gebracht werden konnte. Die Dsungaren töteten Lhazang Qan, jedoch anstatt als Befreier zu kommen, entpuppten sie sich als brutale Eroberer, die weder vor einer Schändung des Grabmals des fünften Dalai Lama im Potala zurückschreckten noch vor einer besonders grausamen Verfolgung der Nyingmapas. In den folgenden Jahren blieb Tibet ständig von Bürgerkriegen geschüttelt.146

4.7. Die Dalai Lamas als Spielball der Mandschu Die Auffindung des siebenten Dalai Lama wurde somit wieder zu einem Machtspiel zwischen den Mongolen und den Mandschu. Als bekannt wurde, dass ein Knabe namens Kelsang Gyatso (bsKal-bzang rGya-mtsho, 1708–1757) in Kham als Inkarnation des Dalai Lama erkannt worden sei, wurde dieser zu seinem Schutz von mongolischen Sympathisanten nach Kokonor gebracht. Die Mandschu sahen darin eine Gelegenheit, um wieder ihren Einfluss in Tibet geltend zu machen; der Kaiser veranlasste, dass der Knabe im Kloster Kumbum seine erste religiöse Schulung erhielt. Mittlerweile erkannten die Tibeter in einem geheimen Schreiben nach Kumbum den Knaben als rechtmäßige Inkarnation des sechsten Dalai Lama an, woraufhin auch der Mandschu-Kaiser dessen Anerkennung öffentlich mit der Überreichung eines goldenen Siegels bestätigte. Nach einem militärischen Zusammenstoß zwischen Dsungaren und den von einer kaiserlichen Truppe unterstützten Tibetern in Nagchuka, aus dem die Dsungaren als Sieger hervorgingen, schickte Kaiser Kangxis eine zweite Armee gegen die Dsungaren, um den siebenten Dalai Lama nach Lhasa zu begleiten; daraufhin ergriffen die Dsungaren die Flucht.147 Kelsang Gyatso, als Sohn aristokratischer Eltern in Lithang geboren, wurde im Oktober 1720 nach der militärischen Intervention der Mandschus und der Unterstützung der Tibeter in Lhasa inthronisiert. Der falsche „sechste“ Dalai Lama wurde nach China deportiert, wo er fünf Jahre später starb. Eine neue Regierungsform wurde gegründet, die das Amt des Desi abschaffte und einen Ministerrat einführte. Die chinesische Garnison, die seit der Inthronisierung des Dalai Lama in Lhasa stationiert war, wurde drei Jahre später vom neuen MandschuHerrscher abgezogen. Damit oblag die Regierung Tibets einzig dem tibetischen Ministerrat. 146 Snellgrove/Richardson 1968: 217–232. 147 Shakabpa 1984: 139.

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Bald war das Land erneut von Bürgerkriegen gezeichnet. Denn der in den Ministerrat berufene Pholhanas (Pho-lha-nas bSod-nams sTobs-rgyas, 1689–1747), der einst Lhazang Qan unterstützt hatte148, machte sich für eine Allianz mit den Mandschu stark, die aber von den anderen Ministern abgelehnt wurde. Dann traf im Jahr 1726 eine Mission des Kaisers Yongzheng mit der Instruktion ein, die Lehren der Nyingmapas strengstens zu unterdrücken. In der Folge kam es zu Streitigkeiten unter den Ministern, die schließlich zu Mord und Totschlag führten. Pholhanas, der sich gegen die Verfolgung der Nyingmapas ausgesprochen hatte, musste aus Zentraltibet fliehen. Mit Vermittlung der Großlamas kam es zwar zu einem Waffenstillstand, der aber bald von Pholhanas gebrochen wurde, als er mit einer starken Armee gegen Lhasa zog, wo er vom Dalai Lama die Auslieferung der gegnerischen Minister verlangte, die sich im Potala verschanzt hatten. Schließlich lenkte Pholhanas auf Bitten des Dalai Lama ein und gestattete, dass die Minister bis zum Eintreffen einer kaiserlichen Mission unter Hausarrest gestellt wurden. Als kurz darauf eine Expedition des Kaisers Yongzheng Lhasa erreichte, hatte Pholhanas die Stadt fest im Griff. Die Minister wurden vor Gericht gestellt und als für schuldig befunden allesamt hingerichtet. Da der leibliche Vater des Dalai Lama auch in die Intrige verstrickt gewesen sein soll, wurde dieser mit seiner Familie und dem siebenten Dalai Lama nach Garthan in der Nähe von Lithang in Kham ins Exil geschickt, wo sie sieben Jahre verweilten. Während dieser Zeit regierte Pholhanas mit fester Hand in Lhasa, denn er konnte mit der Unterstützung der Mandschus alle Forderungen des Klerus und des Volkes nach einer Rückrufung des Dalai Lama nach Lhasa ignorieren. Die Mandschu hatten ihre Garnison in Lhasa wiederhergestellt und als Schutzmaßnahme gegen einen weiteren Bürgerkrieg als direkte Repräsentanten des kaiserlichen Hofes zwei chinesische Ambane stationiert, die bis zum Fall der Mandschu-Dynastie im Jahre 1911 ihre Position als Statthalter in Tibet halten konnten. Pholhanas erwies sich als tüchtiger Administrator. Aber auch in religiösen Belangen handelte er nachhaltig, indem er die Holzblockdruckstöcke für den buddhistischen Kanon (bKaʼ-ʼgyur und bsTan-ʼgyur) anfertigen ließ (1730–1732); die Textsammlung ist unter dem Namen Narthang-Edition bekannt. Pholhanas gelang es auch, einen inneren Streit unter den Machthabern in Bhutan zu schlichten. Während seiner Regierungszeit kamen auch die ersten christlichen Missionare, Kapuziner und Jesuiten, nach Tibet, die dort mit geringem Erfolg kurzfristig Missionsstationen in Lhasa einrichten durften. Im Jahre 1735, als die Regierung unter Pholhanas störungsfrei lief, war es dem Dalai Lama wieder erlaubt, nach Lhasa zurückzukehren. Im Jahr 1747 erlag Pholhanas einer Krankheit. Während seiner neunzehn Jahre an der Spitze der Regierung herrschte in Tibet Wohlstand und Friede. Gleichzeitig hielt er aber den siebenten Dalai Lama stets auf Abstand. Ob-

148 Shakabpa 1984: 136–148.

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wohl er der alleinige Herrscher Tibets war, bereitete seine Allianz mit den Mandschu den Boden für Chinas späteren Anspruch auf Tibet. Pholhanas Nachfolger war dessen jüngster Sohn Gyumed Namgyal (ʼGyur-med rNam-rgyal), der den Mandschu gegenüber weniger freundlich gesinnt war. Anfangs gab der Kaiser dem Drängen Gyumed Namgyals nach und reduzierte die stationierte chinesische Garnison in Lhasa auf eine Hundertschaft. Als dieser jedoch auch forderte, die Ambane zurückzuberufen, da eine tibetische Garnison für den Schutz des Dalai Lama ebenso wirken könnte, und im Geheimen Vorbereitungen für die Aufstellung einer Armee traf sowie Kontakte mit den gegenüber den Mandschu feindlichen Dsungaren wiederherstellte, informierten einige Pro-Mandschu Tibeter die beiden Ambane. Diese lockten Gyumed Namgyal 1750 in einen Hinterhalt und töteten ihn. In der Folge brachen Kämpfe zwischen Tibetern und Chinesen in Lhasa aus; viele Chinesen fanden den Tod und die Residenz der Ambane wurde in Brand gesteckt. Die wenigen, die entkamen, fanden kurzfristig Zuflucht hinter den Mauern des Potala, bis auch sie vom zornigen Mob zu Gericht gebracht wurden. In den kurzen drei Jahren seiner Herrschaft verhielt sich Gyumed Namgyal trotz seiner offenen Feindseligkeit gegenüber dem Dalai Lama dem Klerus wohlgesinnt. In jedem Fall erkannte er die Gefahr einer chinesischen Präsenz in Tibet, was ihn schließlich das Leben kostete. Danach übernahm der Dalai Lama wieder selbst die Regierungsgeschäfte, aber wiederum kamen ihm die Mandschu zuvor. Die überlebenden Vertreter Chinas handelten schneller und der Kaiser sandte erneut eine Armee, die Lhasa 1751 besetzte. Die Anführer des Volksaufstandes wurden nach einer kurzen Gerichtsverhandlung exekutiert und dem Dalai Lama wurde die Regierung überantwortet. Vier Minister (bka’-blon) bildeten den Regierungsbeirat. Aber auch den beiden chinesischen Ambanen wurde ein Mitspracherecht in der Regierung eingeräumt, das vor allem die Außenpolitik Tibets betraf. So führte der siebente Dalai Lama Kelsang Gyatso juristisch wie praktisch zwischen 1751 bis 1756 die Regierung, bis er sich zur Meditation zurückzog und im Alter von fünfzig Jahren im Jahre 1757 verstarb. Der siebente Dalai Lama zeichnete sich durch hohe Gelehrsamkeit und Spiritualität aus, aber seine weltliche Laufbahn war bis auf die letzten Jahre seines Lebens von großen Schwierigkeiten gekennzeichnet.149 Der achte Dalai Lama Jampel Gyatso (ʼJam-dpal rGya-mtsho, 1758–1804) wurde in Tsang geboren und im Alter von vier Jahren in Lhasa inthronisiert. Zeit seines Lebens ließ er sich nicht in die politischen Ereignisse seiner Zeit hineinziehen. Sein Mentor und Lehrer war der sechste Panchen Lama (Blob-bzang dPal-ldan Yeshes, 1738–1780), der bis zur Volljährigkeit des Knaben einen Mönch als Regenten einsetzte. Die eigentliche Macht lag aber beim Panchen Lama, der bis zu seinem Tod das Land ohne Einmischung der Ambane als Handlanger der Mandschus in

149 Shakabpa 1984: 140–152.

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Frieden regierte. Erst 1781 war der achte Dalai Lama bereit, die weltliche Macht zu übernehmen, allerdings unter der Bedingung, dass der amtierende Regent Ngawang Tsultim weiterhin im Amt blieb, um ihn bei den Regierungsgeschäften zu unterstützen. Mit dem achten Dalai Lama eng verbunden ist der Bau des berühmten Norbulingka im Jahr 1783. In einem großen Park westlich des Potala, wo der Tradition nach alljährlich im Frühjahr der Hofstaat des Dalai Lama unter Zelten ein vierzehntägiges Picknickfest organisiert hatte, ließ Jampel Gyatso kurz nach seiner Machtübernahme einen Sommerpalast errichten, den er „Juwelenpark“ Norbulingka (Nor-bu Gling-kha) nannte. Danach änderte sich jedoch das politische Gleichgewicht. Einerseits wurde der Regent an den chinesischen Hof geladen, wo er eine Weile verblieb. In der Zwischenzeit gelang es den Ambanen in Abwesenheit des resoluten Regenten, ihren Einfluss in Lhasa wieder langsam geltend zu machen. Dies wurde durch den Umstand begünstigt, dass Sharmapa, ein Halbbruder des verstorbenen sechsten Panchen Lama, wegen Erbstreitigkeiten eine Verschwörung in Shigatse anzettelte, die darin gipfelte, dass er den König von Nepal zu Hilfe rief und das Land in zwei Kriege stürzte. Im ersten Krieg rückten die Nepalesen 1790 erfolgreich in Richtung Lhasa vor. Ein Friedensdiktat lehnte der Dalai Lama jedoch gegen den Willen der Ambane ab. Im zweiten Krieg wurde 1791 das Kloster Tashilhunpo geplündert und auch ein chinesischer Gesandter misshandelt, was den Kaiser zum direkten Eingreifen veranlasste. 1792 wurde die nepalesische Armee zurückgeschlagen, die in der Folge sämtliche Forderungen zurücknehmen musste.150 Der Kaiser allerdings misstraute nun der Regierung des Dalai Lama und ermächtigte seine Ambane mit Zustimmung des Dalai Lama und des Panchen Lama, direkt Entscheidungen in administrativen Angelegenheiten zu fällen. Sämtliche wichtige Belange wie Finanzen, Steuerwesen, Militär, Handel, Postverkehr und auswärtige Beziehungen liefen von nun an über sie. Auch der Modus zur Wiederauffindung der Inkarnationen des Dalai Lama wurde geändert. Eine Losziehung aus einer „Goldene Urne“ (gser-bum skrug-pa; chines. [Pinyin] jīnpíng chèqiān) sollte die letztendliche Wahl der nominierten Kandidaten entscheiden. Das Nechung-Orakel musste unter der Aufsicht der kaiserlichen Ambane drei Knaben erwählen. Die Auswahl aus diesen Namen oblag dem Regenten, der in Anwesenheit der Ambane einen Namen aus der Goldenen Urne zu ziehen hatte. Jenen, denen das Recht zustand, den Ort einer etwaigen Wiedergeburt anzugeben, wurde verboten, auf einflussreiche Familien, Verwandte des Verstorbenen, solche mongolischen Ursprungs oder militärische Oberbefehlshaber hinzuweisen. Allerdings sollten von der neunten bis zur zwölften Wiedergeburt alle Dalai Lamas schon in jungen Jahren sterben, alle aufgrund ungeklärter Todesursachen. Der neunte Dalai Lama Lungtok Gyatso (Lung-rtogs rGya-mtsho, 1805–1815) starb im Kindesalter. Der zehnte Dalai Lama Tsultim Gyatso

150 Shakabpa 1984: 153–182.

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(Tshul-khrims rGya-mtsho, 1816–1837) erlangte auch nicht die Volljährigkeit. Der elfte Dalai Lama Khedrup Gyatso (mKhas-grub rGya-mtsho, 1838–1856) starb ebenso jung an Jahren, und der zwölfte Dalai Lama Thinle Gyatso (ʼPhrin-las rGya-mtsho, 1856–1875) vermochte durch ein frühes Ableben ebenfalls nicht, die weltliche Macht zu übernehmen. Somit wurde Tibet praktisch ab 1788 für mehr als hundert Jahre nicht von einem Dalai Lama, sondern von Regenten geführt. Gleichzeitig gelang es den Mandschu mehr denn je, ihren Einfluss in Tibet nicht nur zu verstärken, sondern mit einem unmündigen Kind auf dem Thron des Dalai Lama und einer Marionette als Regenten Tibet und damit auch die Gelbe Kirche fest in ihrem Griff zu halten.

4.8. Der Dreizehnte Dalai Lama – Reformer und Politiker Erst der dreizehnte Dalai Lama vermochte wie vor ihm nur der fünfte Dalai Lama, wieder politische Autorität über ganz Tibet auszuüben und sich als intelligenter Reformer mit diplomatischem Fingerspitzengefühl zu beweisen. Aber auch seine Regierungszeit war von außenpolitischen Machtspielen geprägt. Thubten Gyatso (Thub-bstan rGya-mtsho, 1876–1933) wurde in der Nähe vom Kloster Samye geboren und im Alter von drei Jahren in Lhasa inthronisiert. Die Auswahl seiner Inkarnation erfolgte diesmal aus Mangel an anderen Kandidaten nicht über Losziehung aus der Goldenen Urne, sondern nach den tibetischen traditionellen Prüfungen.151 Seine spirituelle Erziehung oblag entsprechend der Tradition dem Panchen Lama. Während seiner Studienzeit stand ihm auch ein burjatischer Mönch namens Agvan Doržiev (1853–1938) als Tutor zur Seite, der in jungen Jahren nach Tibet gereist war und im Kloster Drepung den höchsten akademischen Rang (dge-bshes lha-rams-pa) errungen hatte. Mit der Volljährigkeit übernahm Thubten Gyatso im Jahre 1895 die politische Führung, gerade als Tibet zum Streitobjekt der Großmächte Russland und England wurde. Als 1904 die erste britische Militärexpedition unter der Führung von Francis Younghusband152 in Tibet eintraf, um Handelsabkommen durchzusetzen, was in Shigatse zu Kampfhandlungen führte und die tibetische Regierung zu Friedensverhandlungen zwang, war der Dalai Lama auf Anraten seines burjatischen Lehrers nach Urga geflohen, wo er über ein Jahr den Mongolen buddhistische Unterweisungen erteilte. Zu dieser Zeit traf er auch mehrmals den achten Boγdo Gegen Jebtsundampa Khutuktu (1870–1923), den religiösen und politischen Herrscher über die Mongolei. Im Laufe dieser diplomatischen Begegnungen fasste der Dalai Lama den Beschluss, Tibet endgültig vom Joch Chinas zu befreien. Inzwischen unterzeichnete die tibetische Regierung in Lhasa in Abwesenheit des Dalai Lama, jedoch in Ge151 Shakabpa 1984: 192. 152 Shakabpa 1984: 205–213.

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genwart der Ambane und der Vertreter von Nepal und Bhutan, mit den Briten ein Abkommen, das den Briten beschränkte Handelsrechte in Tibet einräumte, aber nur unter der Bedingung, dass weder eine Annektierung Tibets an das britische Reich noch Einmischung der Briten in tibetische Angelegenheiten erfolge. Gleichzeitig unterzeichnete China ein Abkommen, das jegliche Einmischung oder territoriale Besetzung Tibet durch eine ausländische Macht untersagte. Dieser Vertrag wurde nach zwei Jahren von England und China ratifiziert. Daraufhin beschloss der Dalai Lama nach Tibet zurückzukehren. Nach einem kurzen Aufenthalt im Kloster Kumbum und einer Pilgerreise zu den dem Bodhisattva Mañjuśrī geweihten heiligen „Fünf Berggipfeln“ Wutaishan, wo er zahlreiche britische Gesandte empfing, sprach er in Peking vor Kaiser Guangxu und Kaiserinwitwe Cixi vor, denen er jedoch den obligaten Kniefall verweigerte. Als er 1908 nach Tibet zurückgekehrt war, begann er alsbald mit einer Regierungsumbildung und gründlichen Reformen. Diese Maßnahmen erzürnten das chinesische Kaiserhaus, das daraufhin eine Armee nach Tibet entsandte.153 Abermals musste der Dalai Lama ins Exil gehen. Mit sechs seiner Minister im Gefolge floh er nach Sikkim. Er besuchte auch Kalimpong und Kolkata, wo er Gelegenheit hatte, den englischen Vizekönig zu sprechen. Diese Jahre im Exil, erst auf der Flucht vor den Briten (1904–1909), dann vor der chinesischen Armee (1910–1913), machten dem Dalai Lama erstmals die Wichtigkeit von Beziehungen zu ausländischen Mächten bewusst. Als er schließlich nach Lhasa zurückkehrte, war die QingDynastie der Mandschu in China zu Fall gebracht worden. Die letzten chinesischen Truppen hatten das Land 1912 verlassen. Die neue chinesische Regierung überbrachte eine offizielle Entschuldigung für die Verfehlungen der Qing-Herrscher mit dem Versprechen, das Amt des Dalai Lama wieder anzuerkennen. Aber Thubten Gyatso wies dieses Angebot vehement zurück und übernahm die volle spirituelle und politische Führung Tibets. Er behielt es sich auch vor, direkte diplomatische Beziehungen mit Sikkim und Nepal zu unterhalten. Am 13. Februar 1913 erklärte er die Unabhängigkeit Tibets von China in Form einer öffentlichen Deklaration.154 Als Symbol dafür standardisierte er die tibetische Nationalflagge mit zwei Schneelöwen vor einem leuchtenden Schneeberg. Ein Postwesen mit Stempel wurde eingeführt, eine Strom- und Telefonversorgung angelegt, die ersten Autos kamen nach Tibet. Das Steuerwesen wurde reformiert, das Strafsystem vereinheitlicht und eine neue Gesetzgebung sollte Korruption eindämmen. Erstmals wurden eine Polizei zum Schutz der Bevölkerung sowie ein öffentliches Schulsystem neben der traditionellen klösterlichen Erziehung eingerichtet. Studenten wurden erstmals zum Studium nach England entsandt. In Lhasa wurde die Medizinschule Mentsikhang (sMan-rtsis-khang) etabliert, sowie in Gyantse eine englische Schule, die aber drei Jahre später aufgrund von Einwänden einiger monastischen Gruppen, die einen schlechten Einfluss auf den

153 Shakabpa 1984: 224–245. 154 Shakabpa 1984: 246f.

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tibetischen Buddhismus fürchteten, im Jahre 1926 wieder geschlossen werden musste.155 Auch wurden mehr Laienbeamte in die Regierung aufgenommen, um die Vorrangstellung der Mönche zu verringern. Diese Reformen und Modernisierungen wurden allerdings nicht von allen politischen Entscheidungsträgern wohlwollend aufgenommen. Die Verfügung, dass alle Beamten tibetische Tracht zu tragen hatten, eine Einfuhrsperre von Tabak, Opium und Alkohol sowie der Aufruf des Dalai Lama, Mäßigung in der Verschwendung von Geld für Luxusgüter wie Schmuck und kostbare Kleidung zu üben, und das Verbot von Glücksspielen waren unter der reichen Bevölkerungsschicht des Landes keine beliebten Erlasse. Zeit seines Lebens gelang es dem dreizehnten Dalai Lama, einen Machtausgleich zwischen China und Indien zu halten. Die neue chinesische Nationalregierung unter Chiang Kai-shek versuchte mehrmals vergeblich, den Dalai Lama zu bewegen, Tibet als Teil Chinas anzuerkennen. Seit der Unabhängigkeitserklärung Tibets im Februar 1913 hatte kein Chinese mehr tibetischen Boden betreten. Während er militärischen Druck auf die Chinesen ausübte, drängte der Dalai Lama gleichzeitig die Briten auf die Abhaltung einer DreiParteien-Konferenz auf der Basis von gleichem Status der chinesischen, britischen und tibetischen Regierungsvertreter. Diese fand schließlich 1914 in Simla statt, mit Sir McMahon als Vertreter der britischen Krone in Indien. Dabei wurde festgelegt, dass Amdo und der östliche Teil von Kham unter chinesische Kontrolle kam; eine Einmischung in die Administration Tibets von Seiten der Chinesen wurde untersagt und die Grenzen zwischen Tibet und China bzw. Tibet und Britisch-Indien („McMahon Line“) bestimmt. Diese Vereinbarung wurde später von China zurückgezogen.156 Trotz aller Bemühungen gelang es dem Dalai Lama jedoch nicht, das Land weiter dem Ausland gegenüber zu öffnen und seine Reformen und Modernisierungsmaßnahmen zu erweitern. Er starb im Jahre 1933 im Alter von 58 Jahren unter nicht eindeutig geklärten Umständen, offiziell jedoch an einer Erkältung. Nach seinem Tod blieb das Land bis 1950 von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont. In seinem letzten schriftlichen Vermächtnis, ein Jahr vor seinem unerwarteten Tod, gab der Dalai Lama an seine Regierungsbeamten genaue Richtlinien für eine fruchtvolle Zusammenarbeit zwischen den einzelnen politischen Fraktionen. Mit einem Hinweis auf die kommunistische Machtübernahme in der Äußeren Mongolei, wo Tempel und Klöster zerstört wurden und die Reinkarnation des Jetzun Dampa verboten war, prophezeite er, dass auch Tibet vom Kommunismus nicht verschont bleiben würde, ob von außen oder von innen infiltriert. Er sah noch eine Chance, dass Tibet genügend Zeit hätte, geeignete Vorbereitungen zu treffen und seine Stärke auszubauen. Diese Warnungen kamen jedoch zu spät. Sein Tod stürzte das Land wieder in innere Zwistigkeiten um die politische Führung.157

155 Shakabpa 1984: 264. 156 Shakabpa 1984: 251–258. 157 Shakabpa 1984: 270f.

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4.9. Der Fall der Gelben Kirche – die kommunistische Invasion der Chinesen Der plötzliche Tod des dreizehnten Dalai Lama ließ das Land in politischer Unruhe versinken. Unter dem Vorwand, dem verstorbenen Dalai Lama Kondolenzen erweisen zu wollen, konnte eine offizielle Mission der chinesischen Nationalregierung nicht daran gehindert werden, nach Lhasa zu kommen, erstmals wieder seit 1912, als die letzten zivilen wie militärischen chinesischen Beamten aus Tibet vertrieben worden waren. Versuche des chinesischen Generals, die tibetische Regierung zu überreden, die Oberhoheit Chinas über Tibet anzuerkennen, blieben mit Verweis auf die Simla-Konvention wirkungslos. Allerdings gelang es im Jahr 1934, knapp ein Jahr nach dem Ableben des dreizehnten Dalai Lama, einer Truppe von über hunderttausend schlecht ausgerüsteten chinesischen Kommunisten, die durch Auseinandersetzungen mit den Nationalisten aus China vertrieben worden waren, in ihrem „langen Marsch“ gegen Nordwesten in Gebiete Osttibets einzudringen, die aber bald von tibetischen Truppen zurückgeschlagen wurden, so dass sie schließlich gezwungen waren, ihren Marsch nach Nordwestchina fortzusetzen. Dies war das erste Mal, dass chinesische Kommunisten Fuß auf tibetischen Boden gesetzt hatten.158 Inzwischen hatte die Suche nach der Reinkarnation des Dalai Lama entsprechend den überlieferten Methoden begonnen. Im Jahre 1935 reiste der amtierende Regent, der fünfte Reting Rinpoche (Rwa-sgreng Rin-po-che Thub-bstan ʼJam-dpal Yeshes rGyal-mtshan, 1912–1947), mit einer kleinen Gefolgschaft zum „Seelensee“ der Palden Lhamo (dPal-ldan lHa-mo; skt. Śrīdevī), der zornvollen Schutzpatronin Tibets. Dieser „Seelensee“ der Göttin (lha-mo’i bla-mtsho), in der Nähe des vom zweiten Dalai Lama gegründeten Klosters Chökhor im Südosten von Lhasa auf einer Höhe von 5300 Metern gelegen und von Gletschern umgeben, gilt als Spiegelorakel (pra) für die Auffindung einer Inkarnation des Dalai Lama. Angeblich hat die Schutzgöttin dieses Sees dem ersten Dalai Lama in einer Vision versprochen, stets die Reinkarnationslinie des Dalai Lama zu schützen.159 Somit war es üblich, dass spirituelle Würdenträger, die mit der Auffindung einer neuen Inkarnation beauftragt waren, auf einen bestimmten Berggipfel pilgerten, von wo aus der See gut zu sehen war. Dort wurden Opferrituale zelebriert und längere Zeit in meditativer Andacht verbracht, bis dass sich auf der spiegelklaren Seenoberfläche Bilder oder Buchstaben als Hinweise auf die Wiedergeburt des Dalai Lama in Visionen offenbarten. Im Falle der Auffindung des vierzehnten Dalai Lama erschienen dem Regenten Reting in seiner Vision die drei tibetischen Buchstaben A, Ka und Ma, ein Bild eines Klosters mit einem Dach aus grünen und goldenen Jadesteinen und ein Haus ge158 Shakabpa 1984: 278. 159 Dalai Lama 1962: 21f.

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deckt mit türkisen Ziegeln. Diese Vision wurde schriftlich abgefasst und unter geheimem Verschluss gehalten.160 Im folgenden Jahr wurden mehrere Suchtruppen in alle Richtungen des Landes entsandt. Eine davon erreichte das Kloster Kumbum in Amdo, im Nordosten Tibets, das grüne und goldene Dächer aufwies. Dem Spiegelorakel des heiligen Sees nach wurde der Buchstaben A für Amdo und Ka für Kumbum interpretiert. Und im nahen Dorf fanden sie ein Haus mit türkisfarbenen Ziegeln. Dort wurde in einem dreijährigen Knaben nach genauen Prüfungen die Inkarnation des Dalai Lama aufgefunden und in einer öffentlichen Erklärung 1939 als solche anerkannt. Geboren am 6. Juli 1935 in einer Bauernfamilie im Dorf Tagtser unter dem Namen Lhamo Dondrup (lHa-mo Don-grub), wurde der Knabe vorerst ins Kloster Kumbum gebracht. Erst nach achtzehn Monaten gelang es der Suchtruppe, den Dalai Lama und seine Familie nach Lhasa zu bringen, da ein lokaler chinesischer Muslimführer die Abreise des jungen Dalai Lama erst nach Bezahlung einer bedeutenden Geldsumme erlaubte. Die beschwerliche Reise dauerte drei Monate. Schließlich wurde der Knabe am 22. Februar 1940 als vierzehnter Dalai Lama mit dem geistlichen Namen Tenzin Gyatso (Kurzform für rJe-btsun ʼJamphal Ngag-dbang Blo-bzang Ye-she bsTan-ʼdzin rGya-mtsho) im Potala als spirituelles Oberhaupt Tibets inthronisiert. Wie üblich sollte die politische Führung bis zur Volljährigkeit des Dalai Lama in Händen eines Regenten, in diesem Fall von Reting Rinpoche, liegen. Erst wurde der junge Tenzin Gyatso in den traditionellen Lehrfächern unterrichtet, die aus fünf Hauptfächern und fünf Nebenfächern bestanden. Die fünf Hauptfächer waren Logik, tibetische Kunst und Kultur, Sanskrit, Medizin und buddhistische Philosophie. Letztere war unterteilt in Prajñāparamitā (Vollkommenheit der Weisheit), Madhyamaka (die Philosophie des Mittleren Weges), Vinaya (Monastische Disziplin), Abhidharma (Metaphysik) und Pramāṇa (Logik und Erkenntnistheorie). Die fünf Nebenfächer waren Dichtkunst, Musik und Drama, Astrologie, Aufsatz und Formulierung. Die Jahre seiner Kindheit in Amdo sowie die langen Unterrichtstunden im Potala hat der Dalai Lama in seinen Memoiren ausführlich beschrieben.161 Während der junge Dalai Lama seinen Studien nachging, kam es innerhalb der Gelugpa-Regierung immer wieder zu Unstimmigkeiten und Zwistigkeiten. Im Gelugpa-Orden galt nach dem Dalai Lama der Panchen Lama als höchste Autorität, während der Thronhalter von Ganden die politische Führung innehatte. Wie schon erwähnt, ernannte der fünfte Dalai Lama seinen Lehrer zum Panchen Lama mit Sitz im Kloster Tashilhunpo in Shigatse. Seit dieser Zeit teilte dieser zusammen mit dem amtierenden Regenten die Verantwortung für die Wiederauffindung der Wiedergeburt eines Dalai Lama. Umgekehrt oblag es auch den Dalai Lamas, die jeweilige Inkarnation eines Panchen Lama anzuerkennen. Die freundschaftliche

160 Dalai Lama 1962: 22. 161 Dalai Lama 1962.

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Beziehung zwischen dem Dalai Lama und dem Panchen Lama war während der Regierungszeit des siebenten Dalai Lama mit dem fünften und sechsten Panchen Lama am engsten. Das Kloster Tashilhunpo genoss aufgrund seiner Größe und reicher Besitztümer viele Privilegien; so wurde das Kloster mit Ausnahme von Frondienst und Kriegssteuer weit weniger besteuert als andere Klöster. Da Tibet seit 1910 ständig kriegerische Auseinandersetzungen hatte, verlangte die tibetische Regierung, dass Tashilhunpo ein Viertel der Armeekosten als Kriegssteuer abzugeben hatte. Nach einigen Jahren scharfer Verhandlungen, als Tashilhunpo zustimmte, den Forderungen der Regierung nachzukommen, verließ Thubten Chökyi Nyima (Thub-bstan Chos-kyi Nyi-ma, 1883–1937), der neunte Panchen Lama, in Begleitung einer Gefolgschaft von ca. hundert Personen in einer Nacht- und Nebelaktion 1923 ohne das Wissen der Regierungsbeamten Tibet in Richtung China. Bald wurde klar, dass der neunte Panchen Lama China näher stand als der tibetischen Regierung, da er nicht die Meinung des Dalai Lama bezüglich der Unabhängigkeit Tibets teilte. Allerdings unternahm er mehrere Versuche, aus dem Exil wieder nach Tibet zurückzukehren. Aber erst 1932 gestattete der Dalai Lama die Rückkehr unter der Bedingung, dass er nur in Begleitung seiner tibetischen Gefolgschaft kommen dürfe und außerdem eine neue Steuer für das nationale Verteidigungsprogramm abzugeben hatte. Im folgenden Jahr, nach dem plötzlichen Tod des Dalai Lama, hielten der Regent und die Kabinettsmitglieder es für notwendig, den Panchen Lama unter den vom dreizehnten Dalai Lama verkündeten Bedingungen nach Tibet zurückzubringen. Im Jahre 1935 gab jedoch die nationalistische Regierung Chinas bekannt, dass der Panchen Lama als „spezieller Kulturkommissar für die westliche Region“ in Begleitung von 500 chinesischen Soldaten Tibet betreten werde. In Anbetracht dieser Drohung kontaktierten die Tibeter die britische Regierung in Indien und baten um Intervention, die eine solche Empfehlung nach London sandte. Mittlerweile machte sich der Panchen Lama mit einer bewaffneten chinesischen Eskorte auf den Rückweg nach Tibet. Dringende Nachrichten wurden hin- und hergesandt, um den Panchen Lama zu bewegen, ohne chinesische Soldaten heimzukehren. Sollte dieser der Forderung nicht nachkommen, würden tibetische Truppen sein Betreten des Landes verhindern. Mittlerweile kam von der nationalistischen Regierung in China der Befehl, dass die chinesische Eskorte abziehen sollte. Gleichzeitig erkrankte der Panchen Lama und starb im Dezember des Jahres 1937. Danach verstreuten sich die tibetischen Gefolgsleute, jedoch eine Gruppe erreichte Tashilhunpo mit den sterblichen Resten des Panchen Lama, die 1938 dort in einem silbernen Stūpa beigesetzt wurden.162 Die Auffindung der Wiedergeburt des Panchen Lama löste wieder einen Zwist zwischen der Regierung in Lhasa, den Anhängern des Panchen Lama und den Chinesen aus. Der Dalai Lama wählte drei Kandidaten aus, von denen zwei in der

162 Surkhang 1960; Shakabpa 1984: 280–283.

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Provinz Qinghai (China) geboren waren und einer in Kham. Der Tradition nach konnte eine Entscheidung erst fallen, wenn alle Anwärter in Lhasa sich dem Losorakel aus der Goldenen Urne unterzogen hatten. Der tibetische Kandidat war bereits in Lhasa angekommen. Die chinesischen Beamten weigerten sich jedoch, die beiden in China geborenen Knaben nach Lhasa zu senden. Als einer der beiden Jungen starb, verlangten der Dalai Lama wie auch die Beamten von Tashilhunpo, dass der tibetische Knabe namens Tseten aufgrund vieler wundersamer Merkmale anerkannt werde. Aber die Gefolgsleute des neunten Panchen Lama förderten mit der Unterstützung der chinesischen Regierung den Knaben aus Qinghai. Dieser wurde im Jahr 1949 vom nationalistischen Gouverneur Ma Bufang, der bereits dem jungen Dalai Lama die Ausreise nach Lhasa erst nach der Bezahlung eines Lösegeldes gestattet hatte, unter dem Namen Chökyi Gyaltsen (Kurzform von Blo-bzang ʼPhrin-las lHun-grub Chos-kyi rGyal-mtshan, 1938–1989) im Kloster Kumbum inthronisiert. Dieser aber wurde von Lhasa und von Tashilhunpo nicht anerkannt. Entgegen der Hoffnung der chinesischen Nationalisten weigerte sich der Panchen Lama, ihnen ins Exil nach Taiwan zu folgen und erklärte seine Unterstützung der Volksrepublik China, wo er als Kader der Regierung wirkte. Auf Druck der einfallenden kommunistischen Truppen in Tibet war die tibetische Regierung gezwungen, Chökyi Gyaltsen als Panchen Lama anzuerkennen. Als dieser letztendlich im Jahre 1952 mit seiner Gefolgschaft in Lhasa eintraf, musste der Dalai Lama offiziell die Anerkennung dieses Panchen Lama verkünden und war gezwungen, die Abdankung seiner beiden amtierenden Tibet-treuen Premierminister zu verlangen. Während des offiziellen ersten Zusammentreffens des Dalai Lama mit dem Panchen Lama verhielt sich Chökyi Gyaltsen zum Missfallen der anwesenden Chinesen dem Dalai Lama gegenüber ehrerbietig und vollzog die traditionelle Prostration. Denn die chinesischen Kommunisten wollten eigentlich beweisen, dass das Amt des Dalai Lama und das des Panchen Lama getrennte Einheiten seien. Wenn in China vormals die tibetische Regierung „Tibet Office“ genannt wurde und Tashilhunpo als „Panchen Lama Office“ bezeichnet worden war, sprachen die kommunistischen Vertreter nur mehr vom „Dalai Lama Office“ und „Panchen Lama Office“; ohne die Erwähnung von „Tibet“. Während der aufwendigen Inaugurationsfeierlichkeiten zu Ehren des Panchen Lama in Lhasa und Tashilhunpo wurden jedoch keine der Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Fraktionen behandelt.163 Abgesehen von der internen Spaltung der Gelben Kirche zwischen der tibetischen Regierung und dem Tashilhunpo-Amt, gab es jedoch auch andere innere Zwistigkeiten politischer Natur. Kurz nach der Inthronisierung von Tenzin Gyatso als vierzehnter Dalai Lama wurde Reting Rinpoche, der für die Auffindung der Inkarnation verantwortlich gezeichnet hatte, als Regent abgesetzt und an seine Stelle trat im Jahr 1941 Taktra Rinpoche (sTag-brag Rin-po-che, 1874–1952). Später

163 Surkhang 1960: 1.

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wurde der Ex-Regent wegen Hochverrats verhaftet und verstarb schließlich 1947 unter Hausarrest. Ihm wurde vorgeworfen, mit dem chinesischen Nationalistenpräsidenten Chiang Kai-shek Kontakt aufgenommen zu haben, um einen Umsturz in Tibet zu unterstützen.164 Hier sei nur hinzugefügt, dass eine lange Regentenschaft zwischen der Volljährigkeit der einzelnen Inkarnationen des Dalai Lama als spirituelles und politisches Oberhaupt Tibets seit der Epoche des fünften Dalai Lama eine Schwachstelle der Gelugpa-Regierung in Tibet war. Im Oktober 1949 erklärte das kommunistische Regime in China in einer Radiokundgebung, dass Tibet ein integraler Teil Chinas sei und die Volksbefreiungsarmee gegen Tibet marschieren werde, um das Land von „ausländischen Imperialisten“ zu befreien. Sämtliche Proteste der Regierung und persönlichen Appelle des jungen Dalai Lama an die Vereinten Nationen, an den Präsidenten der Vereinigten Staaten und an die indische Regierung blieben wirkungslos. Schließlich war trotz der Bedrohung durch das kommunistische China und die innermonastischen Zwistigkeiten der Regent mit seinem Ministerrat doch bemüht, die Reformen und Modernisierungsbestrebungen, die unter dem dreizehnten Dalai Lama begonnen hatten, fortzusetzen. So wurde 1947, kurz nach der Unabhängigkeitserklärung Indiens, eine Handelsdelegation nach Indien, Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika und nach China entsandt, die erstmals mit tibetischen Reisepässen ausgestattet war. Unter den Teilnehmern war auch Tsepon W.D. Shakabpa, Tibets Sekretär für Finanzen (1930–1950).165 Ein Jahr nach der Radiokundgebung Pekings, dass Tibet ein integraler Bestandteil Chinas sei, sandte die tibetische Regierung eine Delegation nach Peking, um mit den Kommunisten über die Bewahrung der Unabhängigkeit Tibets zu verhandeln. Wieder war Tsepon Shakabpa Mitglied der Gesandtschaft. Während die Delegation in Indien auf die notwendigen Reisedokumente wartete, hatte sie Gelegenheit, mit Premierminister Nehru und dem chinesischen Botschafter in Indien Gespräche zu führen. Inzwischen war jedoch Osttibet aus acht verschiedenen Richtungen von bewaffneten chinesischen Einheiten angegriffen worden (7. Oktober 1950). In Anbetracht dieser prekären Situation übergab das tibetische Parlament (tshogs-ʼdu) dem nur 15-jährigen Dalai Lama die volle Regentschaft. Inzwischen wurde Thubten J. Norbu, der Abt des Klosters Kumbum und der ältere Bruder des Dalai Lama, von lokalen Kommunistenführern gezwungen, den Dalai Lama zu überreden, die Herrschaft Chinas über Tibet anzuerkennen. Als er jedoch gezeichnet von psychischen und physischen Qualen nach Lhasa kam, warnte er den Dalai Lama vor der immanenten Gefahr des kommunistischen China. Bald darauf verließ Thubten Norbu seine Heimat und ließ sich schließlich

164 Shakabpa 1984: 293. 165 Shakabpa 1984 kann daher für viele Aussagen als authentische Zeitzeugenquelle bewertet werden.

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in Amerika nieder.166 Im November 1950, nachdem Indien sich nicht als große Hilfe für die Rechte Tibets erwiesen hatte und auch die Vereinten Nationen die Frage Tibets als Verhandlungspunkt vertagt hatten, sandte die tibetische Regierung auf Rat des chinesischen Botschafters in Delhi eine Delegation nach Peking, wo diese unter Druck die so genannte 17-Artikel-Vereinbarung ohne Rücksprache mit dem Dalai Lama zu unterzeichnen gezwungen waren, versehen mit von Chinesen gefälschten Regierungssiegeln Tibets.167 Der Dalai Lama, der auf Anraten des Parlamentes Lhasa verlassen hatte und in Yatung, einer südlichen Provinz an der indischen Grenze verweilte, zelebrierte inzwischen in Anwesenheit von tausenden Buddhisten aus Indien, Sikkim und Bhutan eine religiöse Zeremonie. Im Juli 1951 kehrte der Dalai Lama auf Bitten des neu bestellten chinesischen Kommissärs von Yatung wieder nach Lhasa zurück. Kurz darauf trafen über 20 000 Mann starke chinesische Truppen in Lhasa ein. Mit ihnen begann unter General Chang die so genannte „chinesische Befreiungsfront“ und die Unterdrückung des tibetischen Volkes. Die Anwesenheit einer so großen Armee führte zu einer Nahrungsmittelknappheit, gegen die die Minister Lukhangwa (kLu-khang-ba Tse-dbang Rab-rten, 1869–1966)168 und Lobzang Tashi (Blob-bzang bKra-shis, 1897–1966) heftig protestierten, bis der Dalai Lama von den Chinesen gezwungen war, die beiden ihres Amtes zu entheben. Während der Panchen Lama mit einer großen chinesischen Gefolgschaft in Tashilhunpo eingezogen war, begannen die Chinesen mit dem Bau zweier Straßen zwischen Lhasa und China. Auch ein Flugplatz wurde südlich der Hauptstadt angelegt. Der Dalai Lama bemühte sich inzwischen Reformen einzuführen, die mit den örtlichen Gebräuchen übereinstimmten. Im Jahre 1954 lud die Regierung in Peking den Dalai Lama und den Panchen Lama zur Teilnahme an der Nationalversammlung des chinesischen Volkes nach China ein, wo er Gespräche mit Mao Zedong führen konnte.169 In der Folge wurde in Lhasa das „Vorbereitungskomitee für die Autonome Region Tibet“ mit dem Dalai Lama als Vorsitzenden und dem Panchen Lama als Vizevorsitzenden inauguriert (17. April 1956). Das Komitee hatte 51 Mitglieder, davon waren nur 15 als Vertreter der tibetischen Regierung unter Einbeziehung des Dalai Lama und von Mitgliedern der Großklöster und anderer prominenter Persönlichkeiten vorgesehen. 1956 bereitete sich Indien für die Feierlichkeiten anlässlich des 2500-jährigen Geburtstages (Buddha Jayanti) des Buddha Śākyamuni vor, zu der auch der Dalai Lama mit einer Delegation wichtiger Lamas geladen war. Trotz chinesischen Protestes konnte dieser zusammen mit dem Panchen Lama, dem sechzehnten Gyalwa 166 Dalai Lama 1962: 83f.; Shakabpa 1984: 301. 167 Der gesamte Text der Vereinbarung ist bei Richardson 1962: 275–278 einsehbar. 168 Siehe Jamyang Norbus Blog 2016 (http://www.jamyangnorbu.com/blog/2016/02/23/ the-man-who-said-no-to-chairman-mao/). 169 Dalai Lama 1962: 100–126.

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Karmapa und anderen dieser Einladung Folge leisten. Während der Dalai Lama in Delhi weilte, hatte Mao Zedong im Februar 1957 verkündet, dass die Landreformen für Tibet sechs Jahre lang zurückgestellt und das „Vorbereitungskomitee“ in Lhasa verkleinert werden sollte. Jedoch nach Lhasa zurückgekehrt, musste der Dalai Lama feststellen, dass die Kommunisten trotz der vielversprechenden Ankündigung scharfe Propaganda verbreiteten, die jegliche Bemühungen von Seiten der tibetischen Regierungsvertreter zur Einführung sanfter Reformen mit Rücksicht auf lokale Gepflogenheiten verhinderten. Ab 1957 verstärkten die kommunistischen Chinesen ihre militärische Präsenz im Lande.170 Als 1958 die Tibeter von Kham und Amdo als Guerillakämpfer in die Berge zogen, zerstörte die chinesische Artillerie unbarmherzig die Klöster und Städte. Die Widerstandsbewegung war mittlerweile kräftig gewachsen, insbesondere aufgrund der chinesischen Propaganda, die den Buddhismus öffentlich verhöhnte. Gegen Ende des Jahres kontrollierte der tibetische Widerstand ganz Südtibet sowie einen Großteil von Osttibet. Der Erfolg der tibetischen Widerstandkämpfer schürte die patriotischen Gefühle des Volkes erheblich. Im Februar 1959, während des großen Neujahrsgebetsfestes (sMon-lam chen-mo) in Lhasa, als der junge Dalai Lama sich seinen strengen akademischen Abschlussprüfungen unterzog, erhielt dieser eine Einladung, ohne Eskorte einer Theateraufführung im chinesischen Militärkommando beizuwohnen. Diese Aufforderung war höchst ungewöhnlich und ein Verstoß gegen jegliches Hofprotokoll. Bald bekam die Bevölkerung von Lhasa davon Kunde, und gleich versammelten sich mehr als 30 000 Tibeter vor den Toren des Sommerpalastes Norbulingka, um den Dalai Lama vor den Chinesen zu beschützen. Berichte über den Aufstand erreichten auch Indien und eine Gesandtschaft von Tibetern in Indien ersuchte Premierminister Nehru um Unterstützung. Zahlreiche Tibeter hatten aus Verzweiflung Selbstmord begangen und ganz Lhasa und die meisten Provinzen des Landes waren in Aufruhr. Der Dalai Lama bemühte sich, die steigende Spannung zu vermindern, während die Bevölkerung um den Norbulingka Barrikaden errichteten. Schließlich, in der Nacht des 17. März 1959, floh der Dalai Lama mit einer kleinen Gefolgschaft und in Verkleidung aus seinem Sommerpalast; unter dem Schutz der Guerillakämpfer gelang es der Gruppe, den Tsangpo-Fluss zu überqueren. Am 19. März, zwei Tage nach der Flucht des Dalai Lama aus Lhasa, bombardierten die Chinesen die strategischen Plätze von Lhasa, wie Norbulingka und Chagpori, den „Eisenberg“ von Lhasa, wo sich eine berühmte klösterliche Ausbildungsstätte der tibetischen Medizin befand. Circa 12 000 Tibeter fanden den Tod, viele gerieten in Gefangenschaft. Als bekannt wurde, dass die Chinesen die tibetische Regierung aufgelöst hatten, gründete der Dalai Lama auf der Flucht sofort eine neue temporäre Regierung (29. März 1959). Bald folgten tausende Flüchtlinge dem Dalai Lama ins Exil nach Indien, wo er und seine Gefolg-

170 Shakabpa 1984: 299–315.

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schaft und in der Folge eine große Schar von Flüchtlingen warmherzig augenommen wurden. Das alte Tibet unter der Herrschaft der Gelben Kirche mit dem Dalai Lama als geistliches und politisches Oberhaupt gab es somit nicht mehr.171

5. Klosterleben und religiöse Praxis in Tibet 5.1. Monastische Erziehung Unter der tibetischen Königsherrschaft oblag es den buddhistischen Klöstern, die Novizen als Schriftgelehrte auszubilden, welche neben ihren klerikalen Pflichten auch als Lehrer der königlichen Familie dienten und gelegentlich Sekretärsdienste ausführten. Nach dem Niedergang des tibetischen Reiches im 9. Jahrhundert waren Bildung und Schriftkunde einzig religiösen Experten vorbehalten und die Übersetzung buddhistischer Texte wurde zur Grundlage des so genannten klassischen Tibetisch. Somit wurde eine formelle Ausbildung vom 10. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit zum Hauptschwerpunkt einer monastischen Erziehung, mit Ausnahme von speziellen Wissensgebieten wie Kunst, Medizin oder Astrologie, die auch für Laien offenstanden sowie für aristokratische Familien, die wiederum auf Mönchsgelehrte als Privatlehrer zurückgriffen. In buddhistisch besonders hingebungsvollen Kreisen von Laien war jedoch selbst unter Nomaden und Bauern ein gewisses Grundwissen der Schrift zur Rezitation von Gebeten und Sūtren mitunter vorhanden. Aber allgemein war dieses selbst unter Mönchen und Nonnen nur rudimentär und beschränkte sich meist nur auf das Erkennen der Schriftzeichen. Die komplexen Regeln der Orthographie und Grammatik sowie der Kalligraphie waren als Voraussetzung für höhere Bildung nur wenigen Klosterangehörigen vorbehalten, mit Ausnahme jener Mönche, die die Kunst der philosophischen Debatte einzig durch memorierte Rezitationen studierten. In Tibet war es üblich, dass jede Familie, egal welcher sozialer Herkunft, zumindest einen Sohn für das Mönchtum auserwählte. Die jungen Zöglinge, die mitunter schon im Alter von vier oder fünf Jahren ins Kloster kamen, lebten innerhalb des Klosterkomplexes in einzelnen Wohneinheiten oder Heimen (tshang, wörtlich: Nest, Familie) unter der Obhut eines älteren und eines jüngeren Lehrers, die sie auch im Lesen und Schreiben unterrichteten. Sie bildeten zusammen eine Küchengemeinschaft. Dieser familienartige Verband blieb mitunter bis nach Abschluss der Grundausbildung, oft bis zum Ableben seiner Mitglieder erhalten. Die einstigen Zöglinge wurden schließlich selbst zu Lehrern der neuankommenden Mönchs171 Shakabpa 1984: 317–322.

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kinder. Dieses Vater-Sohn gleiche Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern mochte von großer Zuneigung geprägt sein; es war jedoch leider nur zu oft auch Ursache für nie in die Öffentlichkeit gebrachten sexuellen Missbrauch.172 Die Schulbildung von Nonnen, die im Vergleich zu den hunderttausenden von Mönchen zahlenmäßig eine Minderheit bildeten und aus Mangel an Nonnenklöstern oft im elterlichen Haushalt als Mägde dienend verblieben, war – bis auf wenige Ausnahmen – meist auf das Erlernen von Gebeten beschränkt. Die jungen Klosternovizen hatten neben der Übung von Schönschrift auch die Ritualtexte ihrer Tradition auswendig zu lernen und in den regelmäßig abgehaltenen Ritualen zum Wohl der Gönner und der zu schützenden Gemeinschaft zu rezitieren. Ob dabei der Inhalt verstanden wurde, war nicht relevant. Meist handelte es sich um Invokationen von Buddhas, Bodhisattvas und Lehrmeistern der Transmissionslinie sowie um Opferungen an Gottheiten, Liturgien, Reinigungsrituale und Widmungsgebete. Für eine glatte und pünktliche Durchführung der Zeremonien war es notwendig, dass die Mönche im Laufe der Jahre hunderte Textseiten auswendig konnten. Für die meisten war damit die formale Klostererziehung beendet. Vereinzelt jedoch gab es begabte Schüler, die für höhere Bildung in Klöster mit einem spezialisierten Kollegium (bshad-grva) wechselten. Vor allem die Großklöster der Gelugpa-Schule in Zentraltibet und in Tsang – Ganden, Sera, Drepung und Tashilhunpo – waren berühmt und geschätzt als Hochburgen des Wissens. Ab dem 11. Jahrhundert, also zur Zeit der zweiten Verbreitung des Buddhismus in Tibet, legten die monastischen Kollegien mehr Wert auf ein von Erkenntnis geprägtes Studium der Schriften. Allen voran war das Kloster Sangphu Neuthog (gSang-phu Ne’u-thog, gegründet 1073) die Wirkungsstätte des großen Übersetzers Ngog Lotsava Loden Sherab (rNgog Lo-tsā-ba Blo-ldan Shes-rab, 1059–1109), der als eine der „Zehn Säulen des tibetischen Buddhismus“ (ka-chen bcu) geachtet wird.173 Er ist dafür verantwortlich, dass das sorgfältige Studium der wichtigsten philosophischen Werke, insbesondere des Logiksystems von Dharmakīrti (ca. 600 n. Chr.), zur Grundlage der gesamten buddhistischen Ausbildung wurde. Dieses zusammen mit der Prajñāpāramitā-Literatur, den metaphysischen Lehren des Abhidharma, dem monastischen Vinaya sowie dem „mittleren Weg“ des Madhyamaka (dbu-ma) des indischen Meisters Nāgārjuna galten als die „fünf großen Schriften“ (zhungchen lnga), die zum Kern jedes Kollegiumlehrplanes aller Schultraditionen wurden. Entsprechend den indischen Quellen folgten die Buddhisten Tibets vier erkenntnistheoretischen Haupttraditionen, die in den „fünf großen Schriften“ behandelt werden: die Vaibhāṣika-Schule, eine späte Phase des Sarvāstivāda, die eine atomis172 Diese Behauptung stützt sich auf meine zahlreichen Beobachtungen und Aussagen von Opfern in Klöstern in Tibet und dem Himalayaraum. 173 Kapstein 2014: 64–68; zu den „Zehn Säulen des tibetischen Buddhismus“ siehe http:// www.rinpoche.com/stories/zangpo.htm (abgerufen 21.4.2016).

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tische Vorstellung von Wirklichkeit lehrt und die Theorie vertritt, dass Wahrnehmung ihren Gegenständen direkt begegnet; die Schule der Sautrāntika, die annimmt, dass die Wahrnehmung von Phänomenen durch eine Interaktion zwischen Objekten und Sinnesorganen erfolgt, ohne direkte Wahrnehmung der Objekte; Yogācāra vetritt einen Idealismus, bei dem Subjekt und Objekt nur Aspekte eines nichtdualen Erkennens sind; und Madhyamaka, das die These vertritt, dass in einer letztendlichen Analyse Wirklichkeit weder gedanklich noch in Worten zu fassen ist, dass selbst Konzepte eines nichtdualen Erkennens falscherweise ein konkretes Absolutes vertreten, obwohl nichts dergleichen bestätigt werden kann. Der Begriff „Leerheit“ (stong-pa-nyid; skt. śūnyatā) dient dazu, auf das ungreifbare Wesen der Wirklichkeit hinzuweisen, soll aber nicht als letztes Faktum aufgefasst werden. Der Vinaya (ʼdul-ba) folgt der ethischen Disziplin der Vaibhāṣika-Schule; Abhidharma (mngon-pa) beschreibt die Metaphysik der Vaibhāṣika, Sautrāntika und Yogācāra; Pramāṇa (tshad-ma) stützt sich auf die Erkenntnistheorien der Sautrāntika und Yogācāra; Prajñāpāramitā (phar-phyin) untersucht die Lehren des Mahāyāna von der Perspektive des Yogācāra und Madhyamaka; Madhyamaka (dbuma) schult in der Einsicht der universellen Relativität und Leerheit, was das philosophische System des Madhyamaka charakterisiert.174 Somit bildeten die Hauptwerke der großen siebzehn Panditas von der altindischen Klosteruniversität Nālandā175 und deren zahlreiche tibetische Kommentare den Schwerpunkt der philosophischen Klosterbildung. Das Studium dieser Fächer erforderte das Memorieren der essenziellen Texte. Das erlernte Wissen wurde im Rahmen öffentlicher Debatten überprüft, welche eine tibetische Version der altindischen Argumentationstechnik darstellten. Insbesondere Vertreter der Gelugpa-Schule erlangten Meisterschaft in dieser Kunst des Streitgespräches, das mit theatralischen Gesten und Tanzschritten ausgeführt wurde. Das klösterliche Studium beschränkte sich aber nicht nur auf liturgische, dogmatische und esoterische Schriften, sondern dem Studierenden wurden auch Nebenfächer und Hilfswissenschaften angeboten. In Sonderschulen wurden folgende Wissensgebiete (rig-pa) unterrichtet: Medizin (sman-rig), Astrologie und Astronomie sowohl nach dem indischen (rtsis-dkar) als auch dem chinesischen System (rtsis-nag), Kalligraphie, Rhetorik und Dichtkunst (snyan-ngag), Malkunst (lha-bris), Grammatik (sgra-rig), das Zeichnen von Maṇḍala-Grundrissen, das Fabrizieren von 174 Kapstein 2014: 62–67. 175 Darunter Nāgārjuna (2. Jh. n. Chr.), der Begründer des Mittleren Weges (Madhyamaka) und Enthüller der Sūtras der Prajñāpāramitā, dessen Schüler Asaṇga (3. Jh. n. Chr.), die Brüder Asaṇga (300–390 n. Chr.) und Vasubhandhu (4. Jh.), Begründer der YogācaraSchule, Dignāga (6. Jh.) und Dharmakīrti (600–660), die beiden Hauptvertreter des buddhistischen Logiksystems und der Erkenntnistheorie. Diese werden als die „Sechs Schmuckstücke“ (rgyan drug) von Nālandā bezeichnet. Zusätzlich gelten als die „Zwei Hervorragenden“ (mchog gnyis) die Meister der monastischen Disziplin Guṇaprabha (9. Jh.) und Śākyaprabha. Siehe dazu Sikkim Research Institute of Tibetology 1986.

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Opferkuchen (gtor-ma), Ritualmusik, Ausbildung in Sakraltanz (ʼchams) und vieles mehr. Die Literaten unter den Mönchen waren zahlenmäßig wenige, denn die gesamte Lehrzeit eines äußerst trockenen Schrifttums betrug in der Gelugpa-Tradition zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre. Hatte der Studierende die vorgeschriebenen Prüfungen mit Erfolg abgeschlossen, dann erhielt er den Titel eines Geshe (dgebshes), wörtlich „tugendhafter Freund“, der ungefähr einem Magister der buddhistischen Philosophie entspricht und vom Studienseminar verliehen wurde. Danach konnte er einen Geshe-Titel erster Klasse erlangen, etwa äquivalent mit einem Doktor der Philosophie, was eine Beförderung darstellte und auf Vorschlag der Studienanstalt seitens der Regierung verliehen wurde. In der Gelugpa-Tradition ist der höchste akademische Rang der eines Geshe Lharampa (dge-bshes lha-ramspa), wörtlich „hochgelehrter tugendhafter Freund“, der quasi einem Universitätsprofessor entspricht. Diese konnten die höchsten Stufen der geistlichen Hierarchie erklimmen; sie waren als Klosterabte auserkoren, aber auch für das Amt des „Thronhalters“ (khri-pa) von Ganden. Wenn auch bei den Gelugpa Dogmatik und Dialektik eine große Rolle spielte, so war in der Nachfolge ihres Gründers Tsongkhapa176 nach Abschluss eines vorbereitenden Lehrganges auch das Tantrastudium möglich, das jedoch in dieser Schule einer strengen Auswahl unterworfen war. Jenen Mönchen, die nicht imstande waren, den vorgeschriebenen Studiengang zu Ende zu führen, aus Mangel an Begabung, Interesse oder finanziellen Mitteln, oblagen einfachere Aufgaben, wie das Instandhalten des Klosterkomplexes, Reinigung und Betreuung der Altäre, Küchendienste oder Arbeiten in den verschiedenen Klosterwerkstätten wie Schneiderei, Druckerei, Tischlerei oder als Knechte. Diese Mönche machten die Mehrheit im Kloster aus. Darunter bildeten starke und groß gewachsene Mönchsarbeiter, genannt Dobdob (ldob-ldob), eine Art Mönchspolizei, die z. B. in Sera und Ganden sich gegenseitig sportlichen Wettkämpfen unterzogen und während der Klosterfeste wie dem Mönlam Chenmo (smon-lam chen-mo) in Lhasa recht rüpelhaft auf die Bevölkerung einschlugen. In Drepung, wo früher ca. 12 000 Mönche lebten, gab es ca. fünfhundert Dobdob, von denen aber nur wenige Sportkämpfer waren.177 Solche manuellen Arbeiten erbrachten ein geringfügiges Einkommen. Während die Klosterverwaltung zwar für die Ausspeisung der Mönche während der Liturgien und Festtage verantwortlich war, so waren diese doch auf Zuwendungen der eigenen Familie oder des heimischen Dorfes angewiesen, die ihnen regelmäßig Grundnahrungsmittel und andere Bedarfsgüter zukommen ließen. Wenn jemand nicht auf solche Unterstützung von außen zurückgreifen konnte, 176 Tsongkhapa fasste seine Lehren in zwei Hauptwerken zusammen: dem „Stufenweg zur Erleuchtung“ (lam-rim chen-mo, wörtlich „Große Darlegung der Stufen des Weges“) und der „Großen Darlegung des Geheimen Mantra“ (snags-rim chen-mo). Letztere stellt Tsongkhapas überarbeitete Version der Tantras dar. 177 Siehe Loseries-Leick 1996: 111–115; Harrer 1977; Stein 1972: 140–142.

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so war er genötigt, sich seine Versorgung durch Dienstleistungen im Klosterbetrieb oder durch das Rezitieren von Liturgien in den Dorfgemeinden zu verdienen. Manchen war auch aus diesem Grund der Zugang zu höheren Studien nicht möglich, obwohl besonders begabte Mönche mitunter von wohlhabenden Gönnern eine Art von Stipendium in Form von Naturalien erhielten. Alle Klosterinsassen, ob studierend oder manuell tätig, waren jedoch verpflichtet, am liturgischen Leben in einer Fülle von Kulthandlungen teilzunehmen. Obwohl die Gelugpa-Großklöster als akademische Ausbildungsstätten besonderen Ruhm erlangten, so boten auch die anderen Schulen universitäre Lehrgänge an. Denn die dogmatischen Richtungen der einzelnen Traditionen erforderten ebenso das sorgfältige Studium ihrer als Grundlage dienenden Schriften und Kommentare der bedeutendsten Lehrmeister der jeweiligen Schule. Leitfaden und Prüfstein war dabei die besondere Auslegung dieser Meister der eigenen Transmissionslinie. Die Lehrgänge in den Seminaren der Sakyapa, Kagyüpa und Nyingmapa erforderten jedoch nur ein Studium von fünf Jahren. Das theoretische Lehramt wurde stets vom Abt (mkhan-po) des Kollegiums geleitet, der die Ausbildung der ihm unterstehenden Mönche streng zu überwachen hatte. Der Studienablauf in den Mönchsgemeinden begann frühmorgens mit einer Morgenandacht, die in der Versammlungshalle (ʼdu-khang) abgehalten wurde, gefolgt von den respektiven Meditationen, wobei die dafür geeigneten Praxistexte (sgrub) rezitiert wurden. Danach folgte die Auslegung eines Lehrtextes durch den Klostervorstand, die in zwei Klassen unterrichtet wurde. Der Nachmittag war dem Studieren und Memorieren jener vorgetragenen Textstellen vorbehalten. Danach konnten die Schüler ihr Wissen einer Prüfung unterziehen, bevor zur gemeinsamen Abendliturgie aufgerufen wurde. Der Rest des Abends wurde wieder bis zehn Uhr nachts in Studienklausur verbracht. Ein Aufseher (skyor-dpon) hatte die disziplinäre Gemeindeordnung der Mönche und deren Lernfortschritt zu überwachen. Auf diese Weise wurde für einen geregelten Unterricht im Kolleg gesorgt. Verstöße gegen diese Ordnung wurden mit Strenge und mitunter auch körperlicher Züchtigung oder anderen Disziplinarverweisen bestraft. Bei besonders schweren Vergehen wurde der Student aus dem Seminar verwiesen. Somit hielten die großen Lehrstätten in Tibets Klöstern die Tradition der altindischen akademischen Mahāvihāras wie Nālandā und Vikramaśīla im eigenen Land aufrecht, die vom 5. Jahrhundert bis zu ihrer Zerstörung im 12. Jahrhundert zahlreiche Tibeter in Indien zu namhaften Schriftgelehrten ausgebildet hatten. Diese konnten später in Tibet als große Übersetzer der in Sanskrit abgefassten buddhistischen Mahāyāna-Schriften wirken, darunter auch jener Gründer des Sangphu-Kollegiums, Ngog Lotsava Loden Sherab, der insgesamt siebzehn Jahre in Indien zum Studium verbracht hatte und für die Entwicklung dieses klösterlichen Kolloquiums in Tibet letztendlich verantwortlich zeichnete.178

178 Siehe im Detail Tucci 1970: 144–165.

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5.2. Mystik und Ekstasetechniken Im Unterschied zu Dialektik und Erkenntnistheorie, die bei den Gelugpa im Vordergrund standen, legten die Schule der Nyingmapa und die verschiedenen Zweige der Kagyüpa die größte Bedeutung auf die in einem siebenjährigen Lehrgang errungenen mystischen Erfahrungen (bsnyen-sgrub) als Heilsweg. Die religiöse Führung dieses Seminars (sgrub-grva) oblag einem geistlichen Leiter (sgrub-dpon), der die von der jeweiligen Schule besonders gepflegten Tantraklassen regelmäßig unterrichtete. Die Schüler hatten einerseits die Ritual- und Praxistexte, so genannte Sādhanās (sgrub-thabs), auswendig zu lernen, sowie auch dieses Wissen sich meditativ in insgesamt vier täglichen Sitzungseinheiten (thun) einzuprägen. Meditative Versenkung (sgom) und dazu unterstützende psychisch-physiologische Yogapraktiken standen im Mittelpunkt eines ekstatischen und nicht intellektuell orientierten Heilsstrebens, dessen Verwirklichung die tibetischen Yogis den altindischen Mahāsiddhas quasi gleichzusetzen vermochte. Diese war aber nicht den ordinierten Mönchen vorbehalten, sondern auch die Domäne der tantrischen Mantrahalter (sngags-pa), die sowohl in Einsiedeleien in den Bergen, gerne auch in Höhlen wie einst der große Yogi Milarepa Meditationsvertiefung und Ekstasetechniken pflegten. Auch Laienpraktizierenden oder Haushaltern (khyim-pa rdo-rje ʼdzin-pa) war der Vajrayāna als Heilsweg unter der Führung eines kompetenten persönlichen Stammgurus (rtsa-ba’i bla-ma) zugänglich, der für die Korrektheit aller Transmissionen und Initiationen verantwortlich zeichnete. Eine Unterweisung in die Lehre des esoterischen Buddhismus in Tibet durch einen traditionellen Lama, ohne Unterscheidung welcher Schule angehörig, beginnt jeweils mit der Exegese, da entsprechend der tibetischen Überlieferung der Buddha 84 000 verschiedene Dharmabelehrungen als Gegengift für 84 000 verschiedene Geistesgifte (nyon-rmongs; skt. kleśa), an denen Lebewesen leiden, gelehrt hatte. Als Gegengift für Hass (zhe-sdang; skt. dveṣa) lehrte er 21 000 unterschiedliche Sūtras, als Gegengift für Begierde (ʼdod-chags; skt. rāga) empfahl er 21 000 verschiedene Regeln der Disziplin (ʼdul-ba; skt. vinaya), und zur Überwindung von Verwirrung (gti-mug; skt. moha) lehrte der Buddha 21 000-faltig die Vorstellung von Kosmos oder Metaphysik (chos-mgnonpa; skt. abhidharma). Diese Unterweisungen sind als die „Drei Korb-Lehren“ (snodgsum) des Buddha bekannt, in Anbetracht der Korbgeflechte, in denen diese Schriften aufbewahrt wurden. In der tibetischen Tradition werden als vierter „Korb“ die Lehren des „Geheimen Mantra“ (gSang-sNgags; skt. Guhyamantra) oder des Diamantfahrzeuges (rDo-rje theg-pa; skt. Vajrayāna) genannt, die als Gegengift für alle 84 000 Geistesgifte wirken. Einer anderen Klassifizierung nach wird zwischen dem Heilsweg der Sūtras (skt. Sūtramarga), auch Merkmalheilsweg (skt. Lakṣanamarga) genannt, und dem Heilsweg der Tantras (skt. Tantramarga) unterschieden. Auf der Grundlage monastischer Weihe (so-sor thar-pa; skt. prātimokṣa) und der Verpflichtung eines Bodhisattva, zum Wohl aller Wesen dem Heilsweg bis zur vol-

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len Erleuchtung zu folgen (chang-chub sems-pa’i sdom-pa; skt. bodhisattvasaṃvaraśīla),179 besteht die Hauptpraxis des Sūtraheilsweges in meditativ erprobter Geistesruhe (zhi-gnas; skt. śamatha) und Klarschau (lhag-mthong; skt. vipaśyanā). Der vollendete Adept hat die Natur seines Geistes erkannt. Wenn man den Heilsweg über die wirkungsvollen Methoden der Tantras anstrebt, so sind lange Vorbereitungen nötig: völlige spirituelle Entsagung als kontemplative Vorübung (thun-mong-gi sngon-ʼgro), wochenlanges In-sich-Kehren über die Vergänglichkeit (mi-rtag-pa), über die Leidhaftigkeit des Seins (sdug-bsngal), über die Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung (las) sowie die kostbare Gelegenheit, auf der Basis eines menschlichen Körpers (mi-lus rin-po-che) die Erleuchtung in diesem Leben durch die vorbereitende „Vierfache Gedankenumkehr“ (loggros rnam-bzhi) zu erlangen. Diesem Eintritt in die tantrische Praxis folgt eine weitere „außerordentliche“ Vorbereitung (thun-mong ma-yin-pa’i sngon-ʼgro), die jeweils eine hundertfache Repetition von Prostrationen (phyag-ʼtshal), Hundertsilben-Reinigungsmantras (rdo-rje sems-dpa’ sngags-grub), Maṇḍalaopfer (tshogs) und Guruyoga (bla-ma’i-rnal-ʼbyor) erfordert. Diese sollen in Klausur von mindestens vier Monaten bis zu einem Jahr oder mehr vollzogen werden. Dies sind die erforderlichen Grundvorbereitungen, die die Ausdauer des Adepten in der Praxis und seine Hingabe zum Lama unter Beweis stellen. Die eigentliche Praxis des Heilweges der Tantras konzentriert sich auf die Stufen der Erschaffung (bskyed-rim; skt. utpannakrama) und Auslösung (rdzogs-rim; skt. sampannakrama) von Gottheitsmaṇḍalas, um volle Erleuchtung zu entfalten. Während der Erschaffungsstufe taucht der Praktizierende in die Visualisation seiner innewohnenden Erleuchtungsnatur in Form einer Gottheit in einen Maṇḍala-Kosmos ein, die ihrem Wesen nach klares Licht (ʼod-gsal) ist, ohne jegliche objektive Wirklichkeit. Dieser Prozess, der das allgemeine Merkmal jeder Tantrapraxis darstellt, bringt eine Wandlung der unreinen, von Gedanken und Emotionen verdunkelten Vision in eine reine Vision (dag-snang) mit sich. Indem man von gewöhnlichen Erscheinungen ablässt, wird die innewohnende Reinheit des eigenen Seins offengelegt, die durch die Übertragung einer Ermächtigung oder Einweihung (dbang; skt. abhiṣeka) durch den Guru auf den Schüler zur Reife gelangt (smin). Diese Alchemie der Vision während des meditativen Erschaffungsprozesses und anschließend wiederum deren Auflösung gründet sich erkenntnistheoretisch auf die wirkungsvolle Verschmelzung der Sichtweisen des Yogācāra und Madhyamaka, ohne sich jedoch in innere Dialektik oder Schlussfolgerungen zu verlieren. Für die richtige Ausführung dieser Wandlung der Sichtweise ist als solide Grundlage eine vollendete Einsicht (shes-rab-kyi pha-rol-tu phyin-pa; skt. prajñāpāramitā) in die eigentliche Natur von äußeren und inneren Gegebenheiten, die frei von einem Eigenwesen (rang-bzhin med-pa) oder einer unwandelbaren und ewigen

179 Dalai Lama 2001: 65–71.

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Ursache sind, die Voraussetzung. Indem der praktizierende Geist an sich (semsnyid) als essenziell leer (ngo-bo stong-pa), dem Wesen nach als Klarheit (rang-bzhin gsal-ba) und als alles durchdringende mitfühlende Energie (thugs-rje kun-khyab) ähnlich dem Himmel oder einem Spiegel wahrnimmt, in dem die Welt und ihre Wesen wie Luftspiegelungen oder Spiegelbilder erscheinen, erlebt der in die Tantras initiierte Übende mit dem Segen (byin-rlabs) seines Meisters (bla-ma) während der Stufen der Erschaffung eine Art alchemistische Wiedergeburt, die mit dem anfangslosen Urzustand der Leerheit (stong-pa-nyid) ihren Anfang nimmt. Aus dem grenzenlosen Raum des Bewusstseins entsteht spontan ein strahlender Erleuchtungssamen, in der Form der Keimsilbe der Gottheit des jeweiligen Praxistextes (sgrub-thabs; skt. sādhanā) eines Tantrazyklus. In diesen Texten, die erst nach einer mündlichen Transmission (lung) studiert und benutzt werden dürfen, sowie in den begleitenden „loslösenden“ (sgrol) persönlichen Schlüsselunterweisungen (khrid) durch den Vajrameister (rdo-rje slob-dpon) mag offenbart werden, dass diese Keimsilbe auf einem Lotos, dem Symbol unbefleckter Reinheit, ruht: zwischen oder auf einer Sonnen- und Mondscheibe, Symbole für den weiblichen Keim (Sonne) und den männlichen Samen (Mond), die zur Zeit der physischen Befruchtung miteinander verschmelzen. Die Erkenntnis dieses Schöpfungsprozesses aus dem Zustand der Leerheit ist die Bewusstheit, die der Praktizierende mit dem Mantra Om svabhāva śuddha sarva dharma svabhāva śuddha atmako ham („Dem Wesen nach rein sind alle Gegebenheiten, und dem Wesen nach rein bin auch ich“) in sich wach ruft, bevor er mit der Visualisierung der Gottheit und des Maṇḍala beginnt. Diese Reinheit entfaltet sich als Licht, das mit vibrierender Kraft in alle zehn Richtungen strahlt sowie schallt. So wie ein Spiegel jede Form wiedergibt, die vor seiner schimmernden Oberfläche erscheint, so werden auch diese Lichtstrahlen reflektiert, versehen mit dem Segen aller Buddhas. Sie verschmelzen wiederum mit der Keimsilbe, die sich dann embryoartig in den Zustand erleuchteter Erscheinung in Form eines strahlenden blauen Vajra, eines Lotos, eines Rades oder eines anderen Symbols einer respektiven Buddhafamilie (rigs; skt. kula) des jeweiligen Tantrazyklus verwandelt. Dieser Schöpfungsprozess setzt sich durch weitere Lichtemissionen aus dieser symbolischen Form mit der Keimsilbe im Zentrum fort, bis die so angerufene Gottheit, mit der sich der Übende (skt. sādhaka) identifiziert, im Zentrum des dreidimensionalen Maṇḍalas Form annimmt, das aus den Lichtessenzen der vier Elemente geschaffen ist. Für diese Stufe der Erschaffung bedient man sich der Methode der Visualisierung oder geistiger Vorstellung (dmigs-pa); nicht zu verwechseln mit einer Lichtvision, die sich ohne geistige Anstrengung des Sādhaka in einem Zustand der Offenheit von selbst offenbart. Es wird hier vielmehr mit Willenskraft und konzentrierter Vorstellung, die genau den Textvorgaben folgen, eine Wirklichkeit der anderen Art geschaffen. Alle Einzelheiten der Erscheinungsform, Farbe, Anzahl der Köpfe und Gliedmaßen, Ausdruck, Körperhaltung, Gesten und Ausstattung sind in den Schriften genauestens aufgelistet und ihre Funktion und tiefenpsychologische Symbolik er328

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klärt. Darüber hinaus hat der Guru und Vajrameister den Adepten im Laufe der Initiation mit der sakralen Geschichte (lo-rgyus) der jeweiligen Transmission vertraut gemacht, deren tiefe Bedeutung und Symbolik diesem im Laufe der Praxis der Erschaffungsphase langsam einleuchtet. Entsprechend den jeweiligen Fähigkeiten der Adepten sind die Tantras in verschiedene Kategorien eingeteilt. Padmasambhava und in seiner Nachfolge die Schule der Nyingmapa reihte die Tantras in ein neunfaches Yāna-System ein; alle diese neun Yānas sind in sich vollkommene und gleichwertige Heilswege bestehend aus Grundlage, Weg und Frucht (gzhi lam ʼbras-bu). Die Tantras sind in äußere und innere Tantras gegliedert, nämlich Kriyātantra (bya-rgyud), Caryātantra (spyodrgyud) und Yogatantra (rnal-ʼbyor-rgyud) sowie Mahāyoga, Anuyoga und Atiyoga (rdzogs-chen).180 Die neuen Tantras (gsar-rgyud), die auf Atīśa zurückgehen, unterscheiden vier Tantraklassen: Kriyātantra, Caryātantra, Uttarayogatantra (rnalʼbyor-rgyud) und Anuttarayogatantra (bla-med rnal-ʼbyor-rgyud). Diese Klassifikation entspricht ebenfalls den vier im alten Indien dominanten philosophischen Richtungen, nämlich Sarvāstivāda, Sautrāntika, Yogācāra und Madhyamaka. Darüber hinaus stellen die vier Tantragruppen auch Analogien zu den vier Kasten (skt. varṇa) der indischen Gesellschaft her. In der ersten Klasse der Kriyātantras ist die Verbindung zwischen Praktizierenden und der jeweiligen tantrischen Meditationsgottheit (yi-dam, wörtlich „an den Geist gebunden“; skt. iṣṭadevatā) ein sich Zulächeln voller Respekt und Verehrung, eine mentale Reinigung in Gegenwart der Gottheit, die dem Sarvāstivādin-Konzept der Wirklichkeit entspricht und analog zur Brahmanenkaste ist. Die Gottheiten, die im Kriyātantra visualisiert werden, sind stets friedlich (zhi-ba) und wohlwollend wie Avalokiteśvara, Tārā u. a. Im Caryātantra ist die Beziehung zwischen Sādhaka und yi-dam wie ein Händehalten und Austausch von Geschenken; dies beinhaltet aufwendige Opferungen und Waschungen. Auch diese Gottheiten sind friedvoll, jedoch mit einem herrischen Aspekt (skt. kṣatriya). Im Yogatantra wird die Verbindung zur Gottheit inniger, wie eine liebevolle Umarmung oder ein Kuss. Dieses Tantra hebt mit ersten inneren Yogapraktiken von Prāṇāyāma (rtsa-rlung) und Yantrayoga (ʼkhrul-ʼkhor rnal-ʼbyor) mehr die Stufe der Auflösung hervor. Die Gottheiten sind halbzornig (zhi-khro) wie Vajrayoginī und Vajravārāhī. Was die Sichtweise betrifft, so korrespondiert Yogatantra mit Yogācāra und ist analog zur indischen Vaiśya-Kaste. Die vierte und höchste Tantraklasse bezieht sexuelle Vereinigung in die Praxis ein; deshalb sind die meisten Gottheiten der Anuttarayogatantras in halb- oder zornvoller Erscheinung in Vereinigung (yab-yum, wörtlich „Vater-Mutter“) vorzustellen. Dieser Meditationsweg (thabs lam) als Praxis stützt sich auf die Sichtweise der Śūnyatāvādin-Schule des Madhyamaka und ist analog zur Śūdra-Kaste. In diesem Zustand fallen alle Hemmungen und Unterscheidungen

180 Zu den neun Yānas siehe U. Loseries 1989.

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weg, transzendiert in die Erfahrung der großen Wonne (bde-ba chen-po; skt. mahāsukha) durch die Praxis der Inneren Hitze (gtum-mo; skt. caṇḍalā), verursacht durch das Eindringen und Hochziehen der vitalen Energie (rlung; skt. prāṇa) in den Zentralkanal (dbu-ma) des psycho-physischen Körpers. Ferner unterteilt sich Anuttaratantra in Mutter-, Vater-, und neutrale Tantras (ma pha gnyis-med-kyi rgyud), in deren Praxis entweder die Verwirklichungserfahrung (nyams-rtogs) mehr in Richtung Wonne (Muttertantra, ma-rgyud), Klarheit (Vatertantra, pha-rgyud) oder Leerheit (neutrales Tantra, gnyis-med-rgyud) geht. Generell ist die Praxis der Tantras an den physischen Körper und dessen Energie gebunden. Während die Praktiken des Sūtramarga den Schwerpunkt auf die Behandlung des kognitiven Geistes legen, stehen in der tantrischen Praxis die Handhabung von Energie durch Ton und Kontrolle des Prāṇa (rlung), der subtilen Energiezellen (thig-le; skt. bindu) und der psychischen Kanäle (rtsa; skt. nāḍī) im Vordergrund. Nur der Initiierte, der alle tantrischen Verpflichtungen einhält (dam-tshig-pa), vermag in den noumenalen Weisheitsaspekt (ye-shes-pa) der Meditationsgottheit einzutreten und damit zu verschmelzen (zung-ʼjug dmyer-med). Sich selbst als Gottheit im Maṇḍala zu erschaffen, erfüllt von „göttlichem Stolz“ (lha’i nga-rgyal; skt. abhimāna), soll eine authentische Erfahrung sein, lebendig und voller Gefühl sowie vollständig in allen Einzelheiten der Erscheinungsform. Diese Ausstattung ermöglicht erst das Eindringen in die reine Dimension des Maṇḍala, wo gewöhnliche Verkörperungen und Identitäten zerstört werden. Insofern kann diese Erfahrung wie die eines „Psychonauten“, parallel zum Astronauten, umschrieben werden.181 Diese reine Vision (dag-snang) seiner selbst als Gottheit inmitten des Maṇḍala ist eine Art mesokosmische Heilserfahrung, durchlebt in meditativer Praxis und Ritualen. Die Alchemie der Tantras erfordert starke Leidenschaftlichkeit, um alle Gefühlsverwirrungen (nyonmongs) in Weisheit zu verwandeln. Es geht hier nicht um deren Vermeidung oder Unterdrückung, sondern eben diese Leidenschaften dienen als Mittel zur Erleuchtung. Ziel ist das Aufrechterhalten einer Bewusstheit, die ein ungezwungenes Intersein ist, das ein grenzenloses Potential von Mitgefühl in Zeitlosigkeit (dus-med) im endlosen Raum entfaltet, wo das Spiel (skt. līlā) seinen Lauf nimmt.182 Die Stufe der Auslösung (rdzogs-rim) beginnt, sobald alle Stufen der Visualisierung abgeschlossen sind und erstere stabil und wirklichkeitsnah, fühlbar und dennoch leer von Konzepten einer körperlichen Wirklichkeit (snang-stong) geworden ist. Danach folgt die Mantrarezitation (zlos) mit einer kontemplativen Visualisierung der Keimsilben in Verbindung mit Licht und Ton als Leerheit (sgra-stong). Diese Praxis ist zeitaufwendig, da es um die Verschmelzung der Erscheinungsform mit der essenziellen Erleuchtungsenergie geht; traditionell bedeutet es eine 100 000-fache Repetition jeder einzelnen Silbe des Mantras der jeweiligen Meditationsgottheit. Gewöhnlich wird

181 Diese Analogie wurde von Gray 2007: x formuliert. 182 Loseries 2013: 64–69.

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diese in strikter Klausur durchgeführt, die mehrere Monate oder auch Jahre in Anspruch nehmen kann. Fehler in der Praxis sind mit einem abschließenden Feueropferritus (sbyin sregs; skt. homa) zu bereinigen. Erst wenn gewisse Zeichen der Realisation auftauchen und diese vom Guru geprüft und für gut befunden wurden, darf der Schüler in die eigentliche Praxis des inneren Yoga eintreten. Diese besteht aus verschiedenen psychischen Yogapraktiken,183 wie die schon erwähnten „Sechs Yogas“ des Mahāsiddha Nāropa, im Wesentlichen aus der Praxis der Inneren Hitze (gtummo), der Bewusstseinsübertragung (ʼpho-ba) u. a., die in der Tradition aller tibetischen Schulen verankert wurden. All diese Yogapraktiken sind schnelle und wirkungsvolle Methodenwege (thabs-lam) in der Tradition der indischen Mahāsiddhas, um innerhalb eines Menschenlebens die volle Erleuchtung zu erlangen – ein Beispiel, das Milarepa gesetzt hatte. Letztendlich besteht die Verwirklichung als Vermächtnis des Buddha Śākyamuni Gautama im All-Gutsein (skt. samantabhadra) und dessen wonniger Ausstrahlung in allen Formen der Natur (sku-gsum; skt. trikāya). Waren es nun die unwirtliche Natur, die solch einen extremen Hang zur Spiritualität auf dem Dach der Welt bewirkte, die Monotonie der Landschaft, die Menschenleere, die Nähe zum Himmel, der Mangel an äußerer Abwechslung, der Sauerstoffmangel auf dieser Höhe, die den Himmel mit Regenbogen füllen und im Geist leicht Visionen hervorrufen?184 In jedem Fall erwiesen sich die tibetischen Yogis – ob Mönch oder Laie – als gute Gefäße für die Lehre des Buddha und zahlreich sind jene, die durch die Praxis der Tantras Erleuchtung erlangten. Die „Kunst“ des Sterbens (bar-do), das Überkommen von jeglicher Art von äußeren Nöten, wie Mangel an Kleidung (gtum-mo) und Nahrung (bcud-len) sowie große Distanzen („Trancelaufen“, rlung-sgom) konnten durch diese Art von psychischem Yoga trotz aller Implikationen als Wege zur Befreiung dienen. All diese asketischen Praktiken sind höchst wirksame Methoden, um am Ende der Auflösungsphase in die Wonne-Leerheit des eigenen Geistes einzutauchen und in tiefer Versenkungstrance (ting-nge-ʼdzin; skt. samādhi) zu verweilen, bis dass in der postmeditativen Phase die Erscheinungswelt als Maṇḍala, alle Töne als Mantras, Gedanken als Weisheit und alle Lebewesen als Emanationen der Meditationsgottheit völlig rein wahrgenommen werden (dag-snang). Die Praxis der tantrischen Sādhanas kulminiert mit den tiefen Belehrungen der Mahāmudrā und des Dzogchen über die Natur und Luminosität des eigenen Geistes, deren Verwirklichung noch zu Lebzeiten zur Beherrschung der grobstofflichen Elemente zu führen vermag, um durch Felsen zu schreiten oder wie Milarepa durch die Lüfte zu fliegen. Im Moment des Sterbens besteht die höchste Realisierung in der großen Übertragung (’pho-ba chenmo) in einen Regenbogenkörper (ʼja’-lus), die selbst einen der Vergänglichkeit unterworfenen materiellen Körper von der Fessel des Todes befreit, und bei der kein

183 Siehe Loseries-Leick 1997: 583–593. 184 Siehe Loseries 1989: 171–183.

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Leichnam hinterlassen wird. Auch nach dem Tode, im Zwischenzustand des Bardo, bestehen für einen in diesen profunden Praktiken geschulten Geist noch Gelegenheiten, Befreiung zu erlangen sowie die freie Wahl einer begünstigten Wiedergeburt zum Wohle der Wesen.185 Insofern ist es für tibetische Buddhisten möglich, durch die Lehren Padmasambhavas sowie der Siddhas und Protagonisten der neuen Tantraschulen die drei Erleuchtungskörper (sku-gsum)186 sowohl im Leben als auch im Tode zu verwirklichen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Weg des Vajrayāna von dem Sūtrapfad einerseits durch seine vielfältigen höchst wirksamen Methoden sowie auch durch die einzigartige Vorrangstellung, die der Guru als Lehrmeister innerhalb der tantrischen Tradition einnimmt. Er verkörpert die Drei Juwelen (dkon-mchog-gsum), Buddha, Dharma und Saṅgha. Als Herr des Maṇḍalas ist er Vajrameister und eins mit der Meditationsgottheit. Letztendlich ist es einzig der Guru, der als Wurzel (rtsa-ba’i bla-ma) des Seins die Natur des eigenen Geistes wie ein Spiegel zu enthüllen vermag. Guruyoga (bla-ma’ i rnal-byor) wird somit die Grundfeste jeder Sādhana-Praxis. Die charismatischen Großmeister und oft auch Gründer der diversen Schulrichtungen in Tibet wurden als verwirklichte Emanationskörper (skt. nirmaṇakāya), genannt Tulku (sprul-sku), wie Buddha selbst verehrt und wurden mit Rinpoche (rin-po-che „Kostbarer Juwel“) oder „Wunschjuwel“ (yid-bzhin nor-bu) angeredet. Die Hingabe an den eigenen Guru und dessen Transmissionslinie war mitunter so stark, dass einige Praktizierende in ihrem glühenden Enthusiasmus, die Übertragungslinie und ihre Lehren rein zu halten, jegliche Unterweisungen von Lehrern anderer Traditionen zurückwiesen und einzig die Schriften ihrer eigenen Schule studierten. Darüber hinaus waren die Klöster der verschiedenen Schulen meist in einsamen Tälern oder Berghöhen errichtet, so dass wenig oder mitunter gar kein Kontakt zwischen den Klöstern verschiedener Traditionen bestand. Außerdem waren im Laufe der Geschichte Tibets Rivalitäten zwischen Fürstenfamilien, die gerne als Gabenherren für eine bestimmte Schule auftraten, oder eine Voreingenommenheit gegenüber der Gelben Kirche der Gelugpa als zentrale Machthaber keine Seltenheit. So waren im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts oft Isolation und Mangel an Toleranz ein fruchtbarer Boden für ein zunehmendes Sektierertum und Ausbrechen von Feindlichkeiten zwischen Anhängern verschiedener Traditionen. Um dieser unheilsamen Tendenz entgegenzuwirken, gründete Jamgon Kongtrul Lodro Thaye (ʼJam-mgon Kong-sprul Blo-gros mTha’-yas, 1813–1899) die so genannte Rime-Bewegung (ris-med, wörtlich „nicht sektarisch“), nicht zuletzt, weil die Gelugpa mit ihrer Regierungsmacht die Schulen der Kagyüpa, Nying-

185 Siehe Padmasambhava 2006: 96–303. 186 Dharmakāya, Sambhogakāya und Nirmaṇakāya (chos-sku, longs-spyod-sku, sprul-sku); zur Trikāyalehre siehe Schumann 1994: 153–159.

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mapa und Sakyapa in Tibets kulturellem Leben marginalisierten. Im fernen Kham geboren, war Jamgon Kongtrul ein sowohl in der Nyingma- als auch der KagyüTradition ausgebildeter Lama. Als Grundlage für die Rime-Bewegung verfasste er in über neunzig Bänden, bekannt als „Große Schätze“ (mdzod chen-mo), enzyklopädische Schriften zu den Sūtras und Tantras, in denen er unter anderem die alten Übersetzungen der Tantras mit den neuen gleichsetzte. Seine Textsammlung des Rinchen Terdzod (Rin-chen gTer-mdzod) besteht aus einer vollständigen Kompilation aller Terma-Texte und -Lehren der Nyingmapa. Die Rime-Bewegung fand auch einen weiteren hochgeachteten Vertreter in Person von Jamyang Khentse Wangpo (ʼJam-dbyangs mKhyen-rtse dBang po, 1820–1892), der – ebenfalls in Kham geboren – in einer starken Sakyapa-Tradition erzogen worden war. Er hatte über 150 Lehrer aus allen vier Schulen des tibetischen Buddhismus. Die Rime-Bewegung von Kongtrul und Khentse hatte zur Folge, dass nicht nur ein großer Teil der Schriftwerke der Nyingma- und Kagyü-Schulen erhalten blieben, sondern damit konnte auch die Isolation der einzelnen Transmissionslinien aufgehoben werden. Von nun an war es möglich, Lehren der verschiedenen Schulen von einem Meister an einem Ort zu erhalten. Diese Tradition konnte auch nach der kommunistischen Invasion in Tibet im Exil mit dem vierzehnten Dalai Lama Tenzin Gyatso als Vorbild fortgesetzt werden.187

5.3. Klosterorganisation und Zeremonialwesen Volkszählungen geben einen statistischen Überblick, welchen Rang die Klöster in Tibet gesellschaftlich einnahmen. Ein Zensus, der unter dem fünften Dalai Lama durchgeführt worden war, zählte insgesamt 1800 Klöster und 100 000 Mönche und Nonnen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren es bereits ca. 2 500 Klöster mit 760 000 Insassen, die somit ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Tibets ausmachten.188 Chinesische Quellen gaben die Einwohnerzahl Lhasas im Jahr 1910 mit 40 000 an. Jedoch hatten allein die Großklöster um Lhasa – Sera, Ganden und Drepung – 20 000 Insassen. Somit waren die Klöster Tibets auch bedeutende Wirtschaftskörper. Aus ihrem Vermögen und Liegenschaften mussten die Kosten für die im Festkalender vorgesehenen religiösen Zeremonien bestritten werden, sowie auch der Unterhalt der Mönche während dieser Handlungen. Solche großen monastischen Betriebe bedurften einer straffen Hausordnung und Verwaltung. Während die Leitung der Lehrämter der Abt (mkhanpo) innehatte und die disziplinäre Kontrolle der Mönche einem speziellen Aufseher (chos-khrims-pa) oblag, so gab es auch für die Leitung der Rituale eigene Funktionen, wie die eines Propstes (dbu-mdzad) und eines tantrischen Zeremonienmeisters (rdo187 Siehe Ringu Tulku 1997: 817–829. 188 Stein 1972: 139f.

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rje slob-dpon). Die Klosterorganisation erforderte jedoch auch andere Ämter, die wenig mit der Ausbildung der Mönche zu tun hatten. Die größeren Klöster waren meist in verschiedene Sektoren (gling) gegliedert, deren jeder der Ordnungskontrolle einer zehngliedrigen Körperschaft (bcu-dpon) unterstand. Die Verwaltung eines Sektors und dessen Eigenbesitz oblag einem Leiter (spyi-pa) und zwei Assistenten (dung-dpon). Ein Verwalter des Schatzamtes (mi-chen) waltete über das Klostereinkommen. Der Wirtschaftsleiter des Wohnsitzes des Klostervorstands (phyag-mdzod) betreute den Haushalt des obersten Lama, der meist eine „Inkarnation“ (sprul-sku) war; das Ansehen eines Klosters stand in direktem Zusammenhang mit solch einer als erleuchtet verehrten Persönlichkeit.189 Die Organisation der tibetischen Klöster weist hinsichtlich der unterschiedlichen Schulen keine wesentlichen Unterschiede auf. Mit geringen Ausnahmen befolgen alle Lehrrichtungen bei der Mönchsweihe die Prātimokṣa-Vorschriften; in Tibet ist das Vinaya-System der Mūlasarvāstivādin-Schule verbreitet. Im Allgemeinen beruhen die Unterschiede zwischen den Klosterorganisationen auf der größeren und geringeren Bedeutung, die einerseits der Ritualistik und den Tantrapraktiken beigemessen wird (sngags), und andererseits der in den Sūtras festgehaltenen Offenbarung des Buddha (mdo). Dabei handelt es sich stets nur um eine Akzentuierung und nicht um einen gänzlichen Ausschluss des anderen Bereiches. Das gesamte Klosterleben ist durch regelmäßige liturgische Abläufe (cho-ga) geregelt. Diese Liturgien umfassen Zeremonien während der Rezitationen der Yidam-Texte, apotropäische und exorzistische Riten, Langlebensriten, Todesrituale, Weihen u. a. Diese sind von bestimmten Handgebärden (phyag-rgya; skt. mudrā) und von liturgischen Instrumenten wie Glocke (dril-bu) und Vajra (rdo-rje) begleitet, die der Erläuterung der rezitierten Texte eine entsprechende Wirksamkeit verleihen. Opferrituale (mchod-pa) setzen sich ebenso aus Textrezitationen und liturgischen Verrichtungen zusammen. Der Kult dient hier als Läuterungsmittel und zur Ansammlung von heilsamem karmischem Verdienst. Ein wesentliches Element der Opfergaben sind aus Mehl und Butter geknetete Opferkuchen (gtor-ma), die je nach Liturgie unterschiedlich gefärbt und kunstvoll verziert werden. Weitere Substanzen (bcud), die zusammen mit Torma geopfert werden, sind die „drei Weißen“ (dkar-gsum): Milch, Gerste und Butter sowie die „drei Süßen“ (mngar-gsum): Zucker, Melasse und Honig. Dazu kommen Tsampa (rtsam-pa)190 für befriedende (zhi-ba) sowie Fleisch und Alkohol für zornvolle Riten (khro). Von Bedeutung ist auch das Material, aus dem die Opfergefäße bestehen; empfohlen sind Schalen aus Gold, Silber, Kupfer, Holz, Terrakotta oder Messing, außerdem Menschenschädel oder Schädelknochen.191 Opferempfänger sind die „Drei Juwelen“, die Schutzgötter der

189 Tucci 1970: 148–150. 190 Geröstetes Gerstenmehl, das Hauptnahrungsmittel in Tibet. 191 Zum Gebrauch von Menschenknochen im tibetischen Ritualwesen siehe Loseries 2008.

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Schulrichtung (mgon-po), der Gott des Reichtums (nor-lha) und die jeweiligen Lokalgötter (yul-lha) und „Herren des Bodens“ (sa-bdag). Dadurch sollen die Mächte zufriedengestellt und Missgeschicke abgewendet werden. Auf den Altären in den Tempelhallen werden vor den Bildnissen von Buddhas, Gottheiten und Lamas der Transmissionslinie Opfergaben von Wasser, Blumen und Speisen dargebracht. Das überall vertretene „Sieben Schalen-Opfer“ (ting-phor) besteht aus sieben mit Wasser gefüllten Silber- oder Kupferschalen, die der Reihe nach Trinkwasser, Wasser zum Füßewaschen, frische Blumen, Räucherwerk, Butterlampe, Parfum und Speise als Gaben an einen geschätzten Gast symbolisieren.192 In kostbar verzierten Metallgefäßen gefüllt mit Butter werden Lichtopfer dargebracht, Wacholder und anderes Räucherwerk dienen als Opfer von Wohlgerüchen. Die Opferrituale sind von Preishymnen (stod-pa) begleitet, dazu werden Becken (sil-snyan) und Zimbeln (ting-shag) geschlagen, Muschelhörner (dung-dkar) und Oboen (rgya-gling) erklingen mit großen Paukenschlägen (rnga). Die Art der Musikinstrumente (mchod-rol) hängt vom Charakter der Liturgie ab. Vor einer Lehrunterweisung und vor einer Initiation wird dem vorstehenden Lama zeremoniell ein Maṇḍalaopfer dargebracht. Dabei werden auf einer Silberplatte Reiskörner in 37 ringförmig angereihten Häufchen innerhalb von drei Ringen aufgetürmt, die den gesamten Kosmos mit dem Weltenberg Meru im Zentrum symbolisieren; gekrönt von einem Dharmacakra wird dieses dann dem Meister ehrfurchtsvoll angeboten.193 Die gebräuchlichsten Kultutensilien für die niederen Tantraklassen sind symbolische Opfer an die fünf Sinne, nämlich Spiegel (me-long) als Symbol des Sichtbaren, kleine Zimbeln, Räucherwerk, Speisen und ein Seidenlappen als Symbol für den Tastsinn. Für Opferungen an eine zornvolle Gottheit besteht das Fünf-SinneOpfer, genannt „Blume der fünf Sinne“ (me-tog dbang-po lnga), aus einem aus Teig geformten Torma, dessen Basis eine Schädelschale darstellt, die auf einem Dreizack oder drei kleinen Menschenköpfen steht. Die fünf Sinne sind plastisch als ein herausgerissenes Herz (Tastsinn), ein paar Augäpfel, eine Zunge, eine Nase und ein Paar Ohren geformt und wirklichkeitsgetreu eingefärbt und bemalt. Manchmal steckt im Herzen noch ein mit Seidenbändern geschmückter Pfeil als Symbol für Bewusstsein als sechster Sinn.194 Opfergaben der „fünf Fleische“ (sha lnga) und „fünf Nektare“ (dud-rtsi lnga)195 an Gottheiten der höheren Tantras werden durch Alkohol und Tee in kleinen aus Messing gefertigten Miniaturschädelschalen mit Deckel ersetzt. Der Gebrauch solcher als unrein geltenden Substanzen als Opfer erklärt sich aus der altindischen Siddha-Tradition, die damit bezeugt, dass sie alle 192 193 194 195

Beer 2003: 56–58. Beer 2003: 84–86. Beer 2003: 215–217. Die „fünf Fleische“ sind Rind, Hund, Pferd, Elefant und Mensch. Die „fünf Nektare“ sind Kot, Blut, Sperma, Speichel und Urin.

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Konventionen von Reinheit und Unreinheit überwunden hat. Die tibetischen Riten weisen somit ein sehr komplexes und aufwendiges Gefüge auf.196 Der Bereich erstreckt sich von alltäglichen Opferliturgien bis zu komplexen Tantrariten, die auch Feueropfer (sbyin-sreg), Rauchopfer (bsang-mchod) und Ritualtänze (ʼcham) umfassen. Die Nyingmapa-Schule ist inbesondere bekannt für ihre aufwendigen Drubchen (sgrub-chen, „große Vollbringung“), die sich über mehrere Tage oder Wochen ziehen. Während der intensiven Gruppenpraxis, die aus einer bestimmten Anzahl von Yogis und Yoginīs zu bestehen hat und in täglichen sechs Sitzungen absolviert wird, sollen die Mantrarezitationen nie unterbrochen werden. Die Rituale, die mit großer Perfektion ausgeführt werden, umfassen den Bau eines Maṇḍalapalast-Modelles, die vollständige Sādhana-Praxis und Visualisierung, Mudrās, Gesänge und Orchester, dazu kommen Tormas und Opferungen aus geweihten Substanzen und kostbaren Reliquien, aufwendige Opferfeste (tshogs; skt. gaṇacakra), Maskentänze, das Streuen eines Sandmaṇḍalas und Feueropfer. Die Praxis wird ohne Unterbrechung Tag und Nacht fortgesetzt. Dadurch wird eine besondere Segenskraft freigelegt, die es den Teilnehmern ermöglicht, ihre Umgebung als reines Buddhafeld der Gottheit wahrzunehmen. Ein Drubchen hat somit einen besonders starken und reinigenden Effekt auf die Umwelt.197 Die Riten sind in ihrer zeremoniellen Ausführung äußerst bunt und theatralisch gestaltet. Die sonoren Stimmen der Mönchsgesänge, das Schlagen der Trommeln und Becken, der Glocken und Flöten, kurz, das gesamte Szenario der tibetischen Tempelmusik sowie visuell die prunkvolle Ausstattung der Tempelhalle und Altäre, die eindrucksvollen Zeremonienhüte der Lamas, gehüllt in dunkelrote Wollmäntel auf mit Drachenmotiven verzierten Teppichen sitzend mit meditativem Wiegen der Oberkörper im Rhythmus der Rezitationen, die Lichter der Opferlampen, die Schleier der Räucherwerke und der schwere Geruch von Duftharzen – all das erzeugt eine Stimmung von überweltlicher Kraft und ansteckend mystischer Trance und Ekstase. Aus den umliegenden Dörfern strömen die Pilger in Scharen in die Klöster, um dort in Schlangen sich anstellend die Opferlichter mit Butter aufzufüllen, vor den Altären Prostrationen zu verrichten, Spenden auszuteilen und am Ritualleben mit Mantrarezitationen und frommen Umwandlungen der einzelnen Kapellen teilzunehmen. Dank der vielseitigen Methodenwege des Vajrayāna ist die religiöse Praxis in Tibet nicht nur auf Klöster beschränkt. In den nichtreformierten Schulen war es durchaus Tradition, dass ein Yogi oder eine Yoginī, aber selbst Laien und Haushalter mit ausreichender Grundpraxis sich regelmäßig für intensive Meditationsklausuren zurückzogen. In so genannten Praxisklausen (sgrub-khang) der Nyingmapa und Kagyüpa folgten die völlig von der Außenwelt abgeschnittenen Eremiten ei-

196 Siehe Tucci 1970: 127–147. 197 Padmasambhava 2013.

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nem streng geregelten Meditations- und Yogazyklus, der sich über drei Jahre, drei Monate, drei Wochen und drei Tage erstreckte. Manche Praktizierende zogen sogar eine lebenslange Meditationsklausur dem öffentlichen Leben vor. Fortgeschrittene Adepten der Nyingmapas erlangten selbst die Fähigkeit, ihre Lichtmeditationen in Dunkelheitsklausur (mun-mtshams) ohne jegliche äußere Lichtquelle zur Vollendung zu führen. Nicht zuletzt verdankte Tibet den Ruf einer mystisch verklärten, dem Himmel so nahen Welt dem Erleuchtungsstreben einer tiefgläubigen Bevölkerung, einer stark verwurzelten Klostertradition unter der Führung von charismatischen, hoch gebildeten und erleuchteten Lamas und den wundersamen Verwirklichungen freidenkender, asketischer Yogis und Yoginīs, deren entlegenen Eremitagen so manche unwegsame Berghöhen wie leuchtende Pilze bedeckten.

6. Neubeginn im indischen Exil (1959 bis 2016) „Wenn der Eisenvogel fliegt und das Pferd auf Rädern läuft, wird der Dharma in das Land der Rotgesichter kommen.“ Diese Prophezeiung, die zwar ohne Beleg gerne Padmasambhava zugeschrieben wird, wurde oft zitiert, um zu veranschaulichen, dass erst die Diaspora der Tibeter mit deren Flucht vor den kommunistischen Chinesen nach Indien eine Verbreitung des tibetischen Buddhismus in der westlichen Hemisphäre ermöglicht hätte.198 Während in Tibet nach dem MärzAufstand im Jahre 1959 und in den Folgejahren bis zum Ende der Kulturrevolution (1966–1976) jegliche Religionspraxis unter härtester Strafe stand, die meisten der tausende Tempel und Klöster ausgeraubt und zerstört, die Bibliotheken und Kunstwerke niedergerissen oder geplündert, Mönche, Nonnen und alle Dissidenten des neuen Regimes gemartert, eingesperrt oder getötet wurden, entstanden im indischen Exil unter der Führung des knapp 22-jährigen Dalai Lama tibetische Kolonien, in denen tibetische Religion, Kunst und Kultur nach und nach wieder gepflegt werden konnten. Die indische Regierung stellte dem Dalai Lama und seiner Exilregierung Dharamsala, im nordöstlichen Himalaya-Randgebiet Indiens, als permanente Residenz zur Verfügung. Viele der 100 000 Flüchtlinge, die vorerst in Lagern untergebracht im Straßenbau gearbeitet hatten, wurden im feucht-heißen Süden in Bylakuppe, Karnataka, angesiedelt, wo sie trotz härtester Bedingungen in kurzer Zeit Land für Ackerbau urbar gemacht haben. Die indische Regierung sponserte tibetische Schulen. Mit Hilfe ausländischer Organisationen wurden Kin198 http://www.stephenbatchelor.org/index.php/en/tibet-tibet; https://monlam.word press.com/2010/12/14/when-the-iron-bird-flies (abgerufen 3.3.2016).

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derdörfer eingerichtet, Bibliotheken, Archive, Musik- und Tanzakademien sowie eine Reihe von Handwerkszentren gegründet, wo die tibetische Sachkultur wieder belebt werden konnte. UNICEF und andere internationale Hilfsorganisationen unterstützten jahrzehntelang die Flüchtlingslager, Schulen, Klöster und Siedlungen der Tibeter. Die Schweizer Regierung hatte sich bereit erklärt, 200 tibetische Kinder aufzunehmen, die von Schweizer Familien adoptiert worden sind.199 Die Library of Congress, Washington D.C., finanzierte den Nachdruck von allen in Indien auffindbaren tibetischen Texten (1968–1993). Eine Rockefeller-Stiftung sorgte dafür, dass einige vollausgebildete tibetische Gelehrte Mitte der 1960er Jahre als Stipendiaten an Universitäten in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach England, Frankreich, Italien und Dänemark gebracht wurden, die dort den Studien der Tibetologie und Buddhismuskunde neuen Aufschwung gaben. 200 Für die lokalen tibetisch-stämmigen Buddhisten, von Ladakh bis Arunachal Pradesh, in Sikkim, Bhutan und auch Nepal, bewirkte die Ankunft der hochrangigen Lamas aus Tibet eine Vertiefung und Weiterentwicklung ihrer religiösen Tradition. Diese sowie auch Besucher aus Amerika und aus Europa, die ebenfalls ein großes Interesse am tibetischen Buddhismus entwickelten, waren für den Aufbau von Klöstern und Tempeln von großer Hilfe. Unter den Lamas, die sich besonders erfolgreich mit der Verbreitung ihrer Tradition in Indien und Übersee erwiesen, waren das Oberhaupt der Nyingmapa-Schule Dudjom Rinpoche (bDud-’joms ʼJigsbral Ye-shes rDo-rje, 1904–1987), der sechzehnte Karmapa (Rang-byung Rig-pa’i rDorje, 1924–1981), Dilgo Khyentse Rinpoche (Dil-mgo mKhyen-brtse, 1910–1991) sowie der Meister der Shangpa-Kagyü-Schule Kalu Rinpoche (Rang-byung kun-khyab, 1905–1987). Sie konnten international ein Netzwerk von Dharmazentren errichten. Der sechzehnte Karmapa, zum Oberhaupt der Kagyü-Linie ernannt, hatte seinen Hauptsitz nach Rumtek in Sikkim verlegt. Kalu Rinpoche wirkte in Sonada im Bezirk von Darjeeling, Dudjom Rinpoches Zentrum ist in Kalimpong, Dingo Khyentse Rinpoche hatte Residenzen in Nepal und in Bhutan. Anderen jüngeren Lamas wie Chogyam Trungpa (1939–1987), Tarthang Tulku (geb. 1934), Namkhai Norbu (geb. 1938) und Sogyal Rinpoche (geb. 1947) gelang es ebenso, erfolgreich in der westlichen Hemisphäre eine große Anhängerschaft zu gewinnen, so wie auch dem Meditationsmeister Bönpo Lopon Tenzin Namdak (geb. 1926). Allerdings bewirkte das Ableben großer als erleuchtet eingestufter Lamas wie des sechszehnten Karmapa und Kalu Rinpoche ein enormes spirituelles Vakuum. Dies bewirkte in der Folge anlässlich der traditionellen Suche und Auffindung ihrer Reinkarnationen in den Exilgemeinschaften in Indien und Übersee das Aufbrechen von alten sekta199 Bernstorff 2013: 107–110; Dalai Lama 1990: 176–193. 200 Darunter waren u. a. als Vertreter der Gelugpa-Schule Dagpo Rinpoche (Paris) und Tarap Tulku (Kopenhagen), der Nyingmapa-Vertreter Namkhai Norbu (Rom), von der Sakyapa-Richtung Dezhung Rinpoche (Seattle) sowie als Vertreter der Bön-Religion Lopon Tenzin Namdak (Oxford) und Karmay Samten (Paris).

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rischen Konflikten innerhalb der Schulen. Dem siebzehnten Karmapa Urgyen Trinley Dorje (U-rgyan ʼPhrin-las rDo-rje), 1985 in Osttibet geboren, gelang im Jahre 2000 die Flucht nach Indien, wo er seine Ausbildung fortsetzen konnte und seine traditionelle Rolle als Oberhaupt der Karma-Kagyü-Linie fortsetzt.201 In Bodh Gayā zelebrieren er und die Vertreter aller tibetischen Traditionen alljährlich große öffentliche Gebetsklausuren, zu denen sich viele hunderttausende Gläubige aus dem In-und Ausland einfinden. Da jedoch einige Lamas und Anhänger der KarmaKagyü-Tradition in Trinley Thaye Dorje (’Phrin-las mTha’-yas rDo-rje, geb. 1983) eine weitere Person als Karmapa ansehen, bleiben politisch motivierte Spannungen innerhalb der Karma-Kagyü bestehen. Auch Kulturkonflikte und mangelnde Anpassung einzelner Mönche, die mit der Leitung von Zentren in Amerika oder Europa betraut waren, führten immer wieder zu negativen Pressemeldungen. Und die neue, im indischen Exil geborene Generation tibetischer „Reinkarnationen“ ruft auf zu drastischen Reformen des starren monastischen Gesellschaftssystems und zögert nicht mit der Offenlegung bislang verheimlichter Missstände.202 Nichts kann jedoch den grandiosen Erfolg des vierzehnten Dalai Lama in den Schatten stellen, der in nunmehr sechs Jahrzehnten selbst auferlegten Exils die Rolle eines internationalen Superstars eingenommen hatte. Im politischen Asyl in Indien hatte der junge Dalai Lama drei Grundanliegen: weltweite Unterstützung für die Freiheit Tibets zu gewinnen, die Demokratisierung des theokratischen politischen Systems und die Bewahrung der tibetischen buddhistischen Kultur, insbesondere der Religion mit ihren tiefenpsychologischen Einsichten und hochentwickelten Theorien und Methoden zur Schärfung des Bewusstseins und der letztendlichen Erleuchtung.203 Dank seiner unermüdlichen Energie, persönlichen Integrität, Offenheit gegenüber anderen Kulturen und seinem lebhaften Interesse an Dialogen jeglicher Art – religiös, politisch, wissenschaftlich – konnte sich der Dalai Lama weit über die relativ enge Gruppe westlicher Freunde des Buddhismus hinausreichend in weitläufigen Gesprächen über verschiedene Themen, inklusive interreligiösen Dialogen, Menschenrechten, Umweltschutz und Wissenschaft engagieren. Seine weltweite Popularität und nicht zuletzt die Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 1989 geben der chinesischen Regierung Anlass zu großer Frustration, die auch nachteilige Auswirkungen für die Praxis des tibetischen Buddhismus in Tibet haben. So hat China Gyaltsen Norbu (rGyalmtshan Nor-bu, geb. 1990) als den elften Panchen Lama anerkannt und im Jahr 2005 den vom Dalai Lama als elften Panchen Lama anerkannten Gendün Chökyi Nyima (dGe-’dun Chos-kyi Nyi-ma) an einen unbekannten Ort gebracht, so dass er 201 Martin 2004: 19. 202 Z. B. die Anschuldigungen von June Campbell gegen Kalu Rinpoche in „Traveller in Space“ (Campbell 1996); sowie http://www.elephantjournal.com/2011/12/the-sex-lives-ofmonks-confessions-of-kalu-rinpoche/. 203 Bernstorff 2013: 106.

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nicht als Amtsträger fungieren kann. Auch durch immer wiederkehrende Restriktionen für die Ausübung des tibetischen Buddhismus in China, die teilweise bis zur Verhängung von Gefängnisstrafen gehen, machen chinesische Behörden deutlich, dass sie diese Religion zu marginalisieren versuchen. Während der Kulturrevolution wurden selbst traditionelle Handwerker, wie Schuhmacher und Hutmacher, Ärzte der tibetischen Medizin u. a. als „reaktionär eingestufte Tibeter“ auf Jahrzehnte eingekerkert und gefoltert. Die wenigen für den Tourismus wieder aufgebauten oder restaurierten Tempel und Klöster beherbergen nur eine streng limitierte Anzahl von Mönchen und Nonnen, die sich regelmäßig politischen Disziplinarseminaren zu unterziehen haben. Spitzelwesen innerhalb der Klostergemeinschaften versetzt deren Insassen in ständige Furcht und Misstrauen. Die Altstadt von Lhasa um den Jokhang-Tempel wurde zum Großteil niedergerissen und durch gesichtslose moderne Bauten ersetzt. Sämtlicher so genannter Fortschritt dient nur den chinesischen Kadern und Siedlern. Das Schulwesen lehrt die tibetische Sprache nur bis zur Unterstufe. Jede höhere Ausbildung erfolgt nur auf Chinesisch. Mittlerweile ist der Besitz eines Fotos des Dalai Lama bei Strafe verboten.204 Wie sehr jedoch die Bevölkerung Tibets sich geistig dem Dalai Lama verbunden fühlt und wie stark die Abneigung gegen das totalitäre Regime der chinesischen Regierung in Tibet und in den Randprovinzen von Amdo und Kham selbst nach über fünfzigjähriger Besetzung ist, bezeugen die zahlreichen Selbstverbrennungen von auch jungen Tibetern in Tibet wie auch kürzlich im indischen Exil.205 Das stete Bemühen, den Dalai Lama als politisch Abtrünnigen hinzustellen, der die Einheit des Mutterlandes China zu sprengen versucht, verhallt jedoch international weitgehend ungehört.206 Und kürzlich mit seinem Appell an die Welt, dass Ethik wichtiger sei als Religion,207 vertritt der Dalai Lama die Ansicht, dass im 21. Jahrhundert eine säkulare Ethik „hilfreich und brauchbar“ sei und Ausdruck einer „elementaren menschlichen Spiritualität“208. Mit diesem Aufruf an die in jedem Menschen angelegte Neigung zur Liebe, Güte und Zuneigung bezeugt der nun 81-jährige Dalai Lama seine traditionelle Rolle als menschliche Verkörperung des transzendenten Bodhisattva Avalokiteśvara, eine Ausstrahlung des universellen Mitleids aller Buddhas, und Schutzpatron des alten Tibets, die nunmehr in alle Richtungen verweht.

204 Hier beziehe ich mich auf meine eigenen Beobachtungen in Tibet (1987–1999). 205 Bis 11. April 2015 haben 138 Selbstverbrennungen in Tibet stattgefunden (Wong 2015); siehe auch http://www.aljazeera.com/news/2016/03/tibet-immolation-protest-india160304070801820.html (abgerufen 21.4.2016). 206 Kapstein 2014: 106–109. 207 Mit diesen Worten kommentierte der Dalai Lama im Januar 2015 die islamistischen Terroranschläge auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt in Paris; siehe http://www.readersdigest.de/ethik-istwichtiger-als-religion (abgerufen 21.4.2016). 208 Alt 2015.

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BUDDHISMUS

IN

BHUTAN

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1. Einleitendes Bhutan ist das letzte buddhistische Königreich der Welt und der einzige moderne Staat, der sich in der Eigenbezeichnung nach einer Schule des tibetischen Buddhismus benennt. Der Landesname Drukyül (ʼBrug-yul), übersetzt etwa „Land des Drachens“, bezieht sich auf die Drukpa-Kagyüpa-Schule (ʼBrug-pa bKaʼ-brgyud-pa) des Buddhismus, eine Unterschule der Kagyüpa, die auf Lingrepa Pema Dorje (Gling-raspa Pad-ma rDo-rje, 1128–1188) und dessen Schüler Tsangpa Gyare (gTsang-pa rGya-ras, 1161–1211) zurückgeht. Die international verwendete Bezeichnung „Bhutan“ prägten erst die britischen Kolonialherren Indiens im 19. Jahrhundert in einer Abwandlung des tibetischen Namens für Tibet (Bod). Den Namen Drukyül hat erstmals der Kleriker Shabdrung Ngawang Namgyel (Zhabs-drung Ngag-dbang rNam-rgyal, 1594–1651?) der Drukpa-Kagyüpa-Schule verwendet, der im 17. Jahrhundert die erste zentralistisch geführte politische Einheit auf dem heutigen Staatsgebiet (etwas kleiner als die Schweiz) etablierte. Dieser Schule, die heute auch oft als Staatsreligion bezeichnet wird, folgen die meisten der ca. 75% buddhistischen Bewohner des Landes (ca. 22% sind Hindus, vor allem Einwanderer aus Nepal im Süden des Landes, daneben gibt es eine kleine muslimische und eine ganz kleine christliche Minderheit, Gesamtbevölkerung knapp über 700.000). Die erblichen Könige der heutigen konstitutionellen Monarchie stammen aus einem Geschlecht der Nyingmapa-Schule (rNying-ma-pa), deren Anhänger zahlenmäßig hinter der Staatsreligion stehen. Die namensgebende Religion stammt ebenso wie der Staatsgründer aus Tibet. Was unterscheidet Bhutan von Tibet, wenn es um den Buddhismus geht? Auf den ersten Blick nicht allzu viel, erst auf den zweiten tut sich eine frappante Eigenheit auf: Auf unzähligen Altären des Landes steht eine Gruppe von drei Statuen, die es in Tibet nie geben könnte. In der Mitte dieser die „drei Juwelen Bhutans“ (ʼBruggi nor-bu rnam-gsum) genannten Gruppe steht der historische Buddha Śākyamuni, rechts von ihm Guru Rinpoche (Gu-ru Rin-po-che) und links ein Mensch, der im 17. Jahrhundert gelebt hat, der Staatsgründer.1 Ein Mensch Seite an Seite mit zwei als Gottheiten verehrten Erscheinungen – das gibt es nur hier. 1 Jackson 2008: 78.

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Buddhismus in Bhutan

Der Staatsgründer Shabdrung Ngawang Namgyel brachte aus seiner tibetischen Heimat das seit dem 7. Jahrhundert stark strapazierte Konstrukt der „Verbindung von Religion und Staat“ (chos-srid zung-ʼbrel) nach Bhutan, das immer wieder politische Machtpositionen mit religiösen Ansichten legitimierte, wobei es im Laufe der Geschichte mannigfaltigste Ausdrucksformen erfuhr. In diesem Kontext werden wir uns auf den folgenden Seiten mit dem Handeln von Menschen im Feld religiöser Vorstellungen außerhalb der Klostermauern beschäftigen. Wir werden auf so manches stoßen, was nicht direkt mit der Lehre des historischen Buddha Śākyamuni und deren Entwicklung in Zusammenhang steht. Mit dem Streben nach Erleuchtung lässt sich kein Staat machen, noch werden damit die ideellen Grundlagen für ein Leben in dieser Welt geschaffen. Während eine große Zahl Gottheiten Fruchtbarkeit und Wohlergehen garantieren, hat eine bestimmte Gottheit zweimal wesentlich dazu beigetragen, eine zentrale politische Macht zu etablieren; dieselbe Gottheit beschützt und unterstützt den König Bhutans auch noch in rezenter Zeit bei bewaffneten Auseinandersetzungen. Wird das Hauptaugenmerk auf dem ideellen Aspekt historischer Entwicklungen und politischen Tuns liegen, muss dabei natürlich immer mitgelesen werden, dass reale politische Ziele mit realen Mitteln wie Krieg, Mord und Brandschatzung verfolgt wurden. Wir werden uns allerdings auf die Vorstellungswelt konzentrieren, die eine allgemeine Akzeptanz der so geschaffenen sozialen und politischen Realitäten produzierte und diese in einen Zustand göttlicher Permanenz erhob. Für die Bewohner Bhutans stehen der Himmel und die Welt in einer Wechselentsprechung zweier Hälften, die nur zusammen ein Ganzes ergeben. Himmlisches und Irdisches erkennt sich aneinander wieder, wenn das Weltganze redet. Dafür muss das Irdische die Sprache des Himmlischen sprechen. Der Mensch will in einer Welt der Einheit leben; nicht umsonst folgt ein Volk einem König mit der Nähe zum Göttlichen. So fühlt man eine Sicherheit gegenüber Vorgängen, auf die kein Mensch Einfluss hätte. Vor diesem Hintergrund werden wir auf Gottheiten treffen, die mit der religiösen Doktrin des Buddhismus nicht allzu viel zu tun haben, diese Religion aber ebenso beschützen, wie sie das physische Leben in Bhutan überhaupt erst ermöglichen. Dabei mischt sich so viel Landesübliches mit dem aus Indien gekommenen Buddhismus, dass das Ursprüngliche beinahe als der Hauptbestandteil erscheint und die buddhistische Doktrin als Beimischung. Wo ist nun die Grenze zu ziehen zwischen buddhistischen und „eigentlich nicht-buddhistischen“ Göttern? Wie sind die in Bhutan verehrten Götter zu ordnen? Im Denken und Fühlen der Bhutaner bliebe solch ein Versuch immer der eines wissenschaftlich denkenden Beobachters von außerhalb. Als Kriterium der Darstellung sollen daher die mit diesen Göttern in handelnder Beziehung stehenden Menschen gelten, und diese würden sich eindeutig der buddhistischen Welt zuordnen. Begeben wir uns nun auf eine Reise durch die Zeit. Allerdings beginnen wir nicht an dem Tag, an dem der Buddhismus das erste Mal ins Land kam, und 348

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verfolgen sein Wirken bis heute. Wir beginnen im Jahr 2008, gehen von hier über das 17. Jahrhundert weiter in das 8. Jahrhundert zurück, um schließlich über das 16. und 19. Jahrhundert wieder im Heute anzukommen. So sehen wir, welche Vorstellungen und welche Götter diesen Kreislauf prägen und Zuständen auf dieser Welt den Anstrich einer ewigen Wahrheit verleihen.

2. Der Buddhismus im Verfassungsrang Auf Betreiben von König Jigme Singye Wangchuck (ʼJigs-med Seng-ge dBang-phyug) hat am 18. Juli 2008 die königliche Regierung Bhutans die erste geschriebene Verfassung2 beschlossen. In der offiziellen Landessprache Dzongkha (rDzong-kha) „das große grundlegende Recht Bhutans“ (ʼBrug-gi bcaʼ-khrims chen-mo) genannt, verwandelt diese Verfassung eine damals 101 Jahre alte absolute Monarchie in eine demokratisch konstitutionelle. Wie erscheint der Buddhismus darin, welche Rolle spielt der König am Schnittpunkt von Religion und Politik? Im ersten Paragraphen von Artikel 3, „Spiritual Heritage“, ist der Buddhismus als das spirituelle Erbe Bhutans festgeschrieben, das die Prinzipien und Werte von Frieden, Gewaltlosigkeit, Mitgefühl und Toleranz fördert. Schon im nächsten Paragraphen ist der König als Beschützer aller Religionen („all religions“)3 in Bhutan angeführt. Artikel 2 „The Institution of Monarchy“ schreibt im Paragraph 2 fest, dass der König das duale System von Religion und Politik (chos-srid gnyis) vereint und er der Erhalter dieses Systems ist. Hier kommt ihm eine Sonderstellung zu, heißt es doch im dritten Artikel, Paragraph 3, dass Religion getrennt von der Politik bleiben muss und dass religiöse Institutionen und Persönlichkeiten über der Sphäre der Politik stehen müssen („shall remain above politics“). Dass Mönche in Bhutan kein aktives Wahlrecht, geschweige denn das passive haben, schließt sie vollends aus dem demokratischen Bereich des Politischen aus. Die superiore Stellung des Königs im Land vervollständigt der Paragraph 4 des dritten Artikels, „Spiritual Heritage“, der festlegt, dass der König auf Empfehlung von fünf Klerikern das religiöse Oberhaupt Bhutans, den Je Khenpo (rJe mKhan-po), bestimmt. So zieht die moderne Verfassung einen radikalen Schlussstrich unter all die Probleme des dualen Systems von Religion und Politik mit all seinen verschiedensten Ausformungen, welche die Geschichte Bhutans seit der Staatsgründung im 17. Jahrhun2 The Constitution of The Kingdom of Bhutan, in: http://www.bhutanaudit.gov.bt/ About%20Us/Mandates/Constitution%20of%20Bhutan%202008.pdf (abgerufen 1.10.2015). 3 Andere Religionen als der Buddhismus sind erlaubt, im Artikel 7, „Fundamental Rights“, Paragraph 4 wird allen Bürgern des Landes die Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion versichert.

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Buddhismus in Bhutan

dert geprägt haben. Wie wir noch ausführlich darstellen werden, hat die Vormachtstellung religiöser und politischer Machthaber mehrmals gewechselt. War es ursprünglich ein Kleriker, der die Politik dominierte, scheint diese Möglichkeit nun für alle Zeiten ausgeräumt zu sein. Zu diesem Kleriker gehen wir nun ins 17. Jahrhundert, zu Shabdrung Ngawang Namgyel; sein Erbe prägt Bhutan bis heute.

3. Buddhismus und Staat I: Shabdrung Ngawang Namgyel Ngawang Namgyel wurde in Tibet im Jahr 1594 als Spross des fürstlichen Klans Gya (rGya) geboren, der eine tragende Rolle in der Drukpa-Kagyüpa-Schule spielte. Er wuchs in einem klösterlichen Umfeld auf und erhielt schon bald den monastischen Titel Shabdrung (Zhabs-drung) verliehen, der so viel wie „der, zu dessen Füßen man sich unterwirft“ bedeutet. Gab es in Tibet sehr viele Shabdrungs (der Titel ist kein allzu hoher), wird in Bhutan mit der Bezeichnung Shabdrung immer nur er, eben der Shabdrung, gemeint. Ngawang Namgyel wurde schon in jungen Jahren als Reinkarnation des Gelehrten Pema Karpo (padma dkar po, 1527–1592) erkannt, der wiederum eine Wiedergeburt von Tsangpa Gyare Yeshe Dorje (gTsang-pa rGya-ras Ye-shes rDo-rje, 1161–1211), dem Gründer der Drukpa-Kagyüpa-Schule, war. Aufgrund politischer Verwicklungen – im Tibet der damaligen Zeit wurden Auseinandersetzungen zwischen politischen Gruppen gerne unter dem Deckmantel von Auseinandersetzungen zwischen den mit ihnen verbündeten religiösen Persönlichkeiten ausgetragen – wurde sein Anspruch auf diese Position angezweifelt und ein aussichtsreicher Gegenkandidat präsentiert. Bald schon verbreitete sich das Gerücht, dass sich Ngawang Namgyel seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte. Mord, auch angesehener religiöser Würdenträger, war keine ungewöhnliche Methode, solche Auseinandersetzungen zu lösen. So begann sich der Shabdrung mit dem Gedanken zu tragen, seinem Schicksal in das Gebiet des heutigen Bhutan zu entfliehen. Den Entschluss nach Süden zu gehen erleichterte das Wissen, dass dort bereits seine Vorfahren engste Kontakte zu wichtigen Einrichtungen der Drukpa-KagyüpaSchule aufgebaut hatten und deren Vertreter ihn herzlich willkommen heißen würden. Schon lange vor ihm kamen die ersten Lama der Drukpa Kagyüpa nach Bhutan. So gründete Lorepa (Lo-ras-pa, 1187–1250) das Kloster Chödra (Chos-rjebrag), im 16. Jahrhundert stattete Drukpa Künle (ʼBrug-pa Kun-legs, 1455–1529) Bhutan einen Besuch ab, kurz darauf kam Ngagi Wangchuck (Ngag-gi dBang-phyug, 1517–1554), der Urgroßvater des Shabdrung. Auf ihn gehen die frühesten Bauten der Klosterburgen von Jakar (Bya-kar) und Trongsa (dKrong-gsar) zurück, aus denen zu Beginn des 20. Jahrhundert die Monarchie hervorgehen sollte. Nachdem der Shabdrung folgende Nachricht von Lama Tenzin Drugye (bsTan-ʼdzin ʼBrug-rgyas, 350

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1591–1656) erhalten hatte, entschied er sich endgültig zur Flucht: „Rinpoche, falls Ihr Euch mit dem Desi4 von Tsang schlecht steht, kommt in unser Land des Südens, wo es weder einen Lama noch einen Herrscher gibt (der im Land die Oberherrschaft besitzt). Hier wird Euch geistlicher Besitz zufallen“.5 Für ihn als gläubigen Bhutaner waren es nicht nur die rationalen Überlegungen, einem Attentat zu entfliehen, vielmehr leitete ihn eine Gottheit, die ihn das ganze Leben begleiten und beschützen sollte: Mahākāla (mGon-po). In einem visionären Traum sah er sich hinter einem Raben entlang eines Weges aus klarem Licht nach Süden fliegen. Dieser Rabe war niemand anderer als Mahākāla in seiner rabenköpfigen Form (Las-mgon Bya-rog gdong-can), der Hauptschutzgott der Drukpa-KagyüpaSchule. Mahākāla eröffnete dem Shabdrung das Land an den Südhängen des Himalayas als „Himmlisches Feld“ (zhing-khams). Später sollten auch dem Guru Rinpoche zugeschriebene Prophezeiungen folgen, die dieses „Himmlische Reich“ einem „Religiösen Reich“ (mchod-gzhis) gleichsetzten.6 Einige Jahre nach dem Tod des Shabdrung schrieb der ebenfalls aus Tibet geflohene Mönch Tsang Khanchen (gTsang mKhanchen ʼJam-dbyangs dPal-ldan rGya-mtsho) in einer Biographie7 des Shabdrung, wie ihn Guru Rinpoche prophetisch nach Bhutan gesandt hatte. Aus dieser Biographie zitiert Ardussi: „Suche Erholung in den südlichen Tälern, an der Grenze, durch das südliche Tor; tust du dies, erwirbst du dir ebenso viel Erfolg in sieben Tagen in Meditation als in sieben Jahren in Tibet“.8 In Träumen erschien dem Shabdrung sein verstorbener Vater Tenpa Nyima (bsTan-paʼi Nyi-ma, 1567–1619) und sandte ihn ebenfalls nach Süden, wo er nach altbekanntem Vorbild einen Staat gründen sollte, in dem Religion und Verwaltung als zweifaches System (lugs-gnyis) eine Einheit zum Wohle aller Lebewesen bilden sollten. Die Bedeutung all dessen war klar: Der Shabdrung sollte nach Bhutan gehen, wo er sich vieler Anhänger sicher sein konnte. Er trat die Reise aber nicht nur mit seinem menschlichen Gefolge an. Sein ganzes Leben begleitete ihn eine Gruppe von drei sehr mächtigen Schutzgöttern (mgon-po lcam-dral gsum), bestehend aus der weiblichen Palden Lhamo (dPal-ldan lHa-mo), Mahākāla und dessen Erscheinung mit dem Kopf eines Raben, in der sich der aktive Aspekt des Mahākāla entfaltet.

3.1. Mahākāla Mahākāla kam als „Beschützer der Lehre“ (chos-skyong) mit dem Buddhismus aus Indien in den Himalaya. Rob Linrothe nennt ihn die buddhistische Entsprechung 4 5 6 7

Desi (sde-srid) ist der Titel eines weltlichen Herrschers. Pommaret 1997: 194. Aris 1979: 209. Dasho Sangye Dorji zitiert in seiner 2008 erschienenen Biographie des Staatsgründers ausführlich aus diesem Werk. 8 Ardussi 2004: 16.

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des hinduistischen Śiva in dessen zornvoller Erscheinung als Bhairava. Stand er ursprünglich im Schatten eines Bodhisattvas, ist er im Laufe der Entwicklung daraus hervorgetreten und hat seine eigenständige Bedeutung gewonnen.9 Der blauen Vajra-Familie angehörend gelten die verschiedenen Formen von Mahākāla als Emanation der Buddhas Vajradhara oder Akṣobhya. Im tibetischen Buddhismus gehören sowohl Palden Lhamo als auch Mahākāla zu der Klasse der „Beschützer der Lehre“, die jenseits der „Sechs Sphären weltlicher Existenz“ stehen (ʼjig-rtenlas ʼdas-paʼi srung-ma).10 In ihren bildlichen Darstellungen erscheinen Mahākālas blau oder schwarz mit zornvollem Gesicht, am Rücken tragen sie eine Elefantenhaut, um den Körper haben sie den König der Schlangengötter in Form einer Schlange gewickelt. Die fünffache Schädelkrone und eine Kette aus Menschenköpfen lassen sie wie Yidam-Gestalten erscheinen. Auf Rollbildern (thang-ka) sind sie von einem aus der Hauptfigur emanierten Gefolge (las-kyi mgon-po) umgeben, das den aktiv handelnden Teil des Wesens Mahākāla versinnbildlicht, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen.11 Alle 72 Erscheinungsformen des Mahākāla stehen im zehnten Rang der Götter des tibetischen Pantheons und damit weit über den Schutzgöttern, die noch dem karmischen Gesetz unterworfen sind. Götter, die in diese Klasse (ʼjig-rten-paʼi srungma) fallen, sind in ihrem Einflussgebiet meist regional eingeschränkt. Es scheint dem Shabdrung Sicherheit gegeben zu haben, von einem Gott begleitet worden zu sein, der nicht an einen Ort gebunden war. Für seine Anhänger bedeutete es Sicherheit, einem Mann zu folgen, der in direktem Kontakt zu einer solch mächtigen Gottheit stand. Auf welche politische und religiöse Landschaft blickte die eigenartig zusammengesetzte Gruppe aus dem Shabdrung, seinem Gefolge und Mahākāla hinab, als sie das erste Mal den Bergpass Lingzhi (Gling-bzhi-la) nach Süden überquerten? Zu Beginn des 17. Jahrhunderts lag auf dem Gebiet des heutigen Bhutan eine große Anzahl kleiner Lokalreiche. Der Osten wurde von alten adeligen Familien regiert, die alle ihre Autorität von einer göttlichen Abstammung herleiteten. Im mittleren Landesteil gingen die herrschenden Familien Allianzen mit Klöstern ein, woraus die klerikale Aristokratie der Chöje (Chos-rje) hervorging, die sich alle auf große Kleriker der Nyingmapa-Schule zurückführen konnten. Die meisten Herrscher dieser kleinen Reiche waren klare Widersacher der Drukpa im westlichen Landesteil, da sie sich sicher waren, unter deren Oberhoheit die eigene Macht zu verlieren. Wenn einige von ihnen dennoch die Drukpa unterstützten, dann in der Hoffnung, sich dadurch des einen oder anderen Rivalen entledigen zu können. Im Westen teilten sich die Drukpa mit Klöstern anderer buddhistischer Schulen die Macht,

9 Linrothe 1999: 123, 144. 10 Nebesky-Wojkowitz 1956: 23. 11 Essen/Thingo Tsering Tashi 1989: 206.

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so dass mehrere voneinander unabhängige Kleinreiche die Herausbildung einer größeren politischen Einheit vereitelten.12 So hatte jeder Landesteil seine eigene religiöse und politische Organisation, in jedem aber spielte die Kombination aus beiden Sphären, der weltlichen und der religiösen, eine grundlegende Rolle.

3.2. Die Heiligen Berge und das Modell der Welt Eine zentrale Rolle in dieser kombinierten Welt spielen die Heiligen Berge. Sie stehen seit jeher in einer besonderen Beziehung zu den Herrschern einer bestimmten Region, eine Beziehung, die dem Herrschaftsanspruch dieser Männer ihre religiöse Legitimation verleiht. Der Kosmos ist aus drei Ebenen aufgebaut. Dieses Welterklärungsmodell (lha-btsan-klu rigs-gsum) weist jeder von den drei Ebenen eine bestimmte Kategorie Götter zu. In der obersten Welt (gnam) weilen die „Himmelsgötter“ (gnam-gyi lha). Sie haben mit dem Leben der Menschen nur mehr wenig gemein. Wer sich in Gebeten an sie wendet, kann auf ihre Hilfe hoffen, aber ansonsten zeigen sie wenig Interesse am täglichen Tun der Menschen. Die mittlere Ebene (bar) bevölkern verschiedenste Gottheiten, die den weltlichen Bereich noch nicht verlassen haben (ʼjig-rten-paʼi lha). Unter ihnen kommen die ideellen Besitzer des Bodens (gzhi-bdag), verschiedene Dämonen (btsan) und die Heiligen Berge den Menschen am nächsten. Auf der untersten Ebene (ʼog) siedeln schlangenhafte Wesen (klu) in Seen oder Flüssen. Sie gewähren Fruchtbarkeit – allerdings nur, wenn ihre Orte nicht verunreinigt werden und ihre Ruhe nicht gestört wird. Die mittlere Ebene teilen sich Menschen mit verschiedensten übernatürlichen Wesen. Am nachhaltigsten wirken hier die Heiligen Berge auf das Leben der menschlichen Gemeinschaft ein. In Bhutan als „Götter des Landes“ (yul-lha) bezeichnet, erscheinen sie in Felsen oder hohen Bergen. Diese Erscheinungen der Landschaft, die in Europa als „Natur“ gelten, werden in ihrer Ausformung als Heilige Berge in den Bereich der höchsten kosmologischen Wahrheit aufgenommen und mit transzendenter Bedeutung ausgestattet. Während die Götter des Buddhismus letztendlich den Menschen helfen sollen, den Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen – eine Eigenschaft, die wenig zur Meisterung von Problemen in der diesseitigen Welt beiträgt – sind es die Heiligen Berge, die aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften das Leben in dieser Welt erst ermöglichen. Immer gelten sie als Voraussetzung dafür, in einem bestimmten Gebiet leben zu können. Sie wehren alle möglichen schädlichen Einflüsse ab, etwa Hagel oder Dämonen, die immer und überall auf der Lauer liegen, Mensch und Vieh zu schaden. Sie sind die Herren über die Zeit und beschützen die Grundlagen des Lebens, etwa die Ernte oder die Viehherden. Für die Laien geht es zuallererst um das Brot (in 12 Pommaret 1997: 186–192.

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Bhutan ist es besser, „um den Reis“ zu sagen), das Streben nach Erleuchtung wird den Mönchen in den Klöstern überlassen. Und wenn es um den Reis geht, sind viele Götter eine Beruhigung. Nur so grünt die Feldfrucht und wird gelb, nur so geben die Tiere Milch, Wolle und Fleisch.

3.3. Die Reichseinigung durch Shabdrung Ngawang Namgyel In dieser ideellen Landschaft schickte sich der Shabdrung an, die kleinen Reiche zu einem großen zu vereinen. Dabei spielten Diplomatie, politische Intrigen, Verwandtschaftsbande und auch Krieg – der Shabdrung war auch ein taktisch geschickter Heerführer – wichtige Rollen. Bleiben wir aber bei den religiösen Implikationen. Politische Herrschaft, will sie bestehen, muss als universelle, religiös untermauerte Wahrheit von breiten Schichten der Bevölkerung erkannt werden. Kämpft im Krieg Mann gegen Mann, so kämpfen im Glauben der Bhutaner letztendlich auch die Schutzgötter beider miteinander. Und hierbei erweist sich Mahākāla immer als mächtiger als alle Heiligen Berge, gilt er doch als deren Herr; sein Einfluss ist nicht wie der ihre auf ein klar definiertes Gebiet begrenzt. Dies zeigt sich auch in vielen künstlerischen Darstellungen Mahākālas. Nimmt er auf einem in Bhutan gemalten Rollbild die zentrale Position ein, sind die lokalen Schutzgötter als seine Gefolgschaft (ʼkhor) in Form kleiner „Nebenfiguren“ unter ihm dargestellt.13 Mit seinem Tun hat der Shabdrung Mahākāla in einem zweifachen Wortsinn „hochgehoben“. Für alle sichtbar hat er ihn über all die lokalen Götter gestellt und – zu dieser Zeit noch von niemandem zu erahnen – hat er ihn für eine weitere Staatsgründung in der Zukunft bereitgestellt. Doch dazu kommen auch wir später. Der Shabdrung hat selbst mit den lokalen Gottheiten interagiert. Wenngleich die nun dazu exemplarisch erzählte Geschichte nicht direkt mit der Staatsgründung zusammenhängt, gibt sie doch einen lebendigen Eindruck, wie und in welchem Kontext er mit solch einem Gott in Kontakt trat. Wie bei so vielen dieser nicht verschriftlichten, sondern nur mündlich tradierten Geschichten sind sie nicht in der realen Historie verortet, sie werden auch nur in einem bestimmten Gebiet erzählt und sind nur dort bekannt. Vor einigen Jahren erzählte mir ein Laienpriester (sgom-chen), was sich am Oberlauf des Paroflusses ereignet hat: Schon lange bevor der Shabdrung in diese Gegend kam, schlug der tibetische Heilige Drukpa Künle (ʼBrug-pa Kun-legs, 1455–1529) genau in der Höhle sein Nachtlager auf, in der der Gott Ödöpa (ʼOd-ʼdod-pa) sein Haus (gnas-khang) hat. Schlag Mitternacht kehrte Ödöpa von seinen Streifzügen durch das Land zurück, seine Klauen ausgestreckt, sein langes Haar schliff über den Boden, seine Augen funkelten. Er weckte Drukpa Künle und herrschte ihn an, warum er ihn nicht verehrte. Der entgegnete, er verehre nur sich

13 Eine Abbildung dazu in Schicklgruber 2009: 65.

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Christian Schicklgruber selbst und sonst niemanden. Noch bevor Ödöpa zu seinem tödlichen Schlag ausholen konnte, packte ihn Drukpa Künle, zog ihm die Haut seines Penis ab und sperrte ihn darin wie in einem Sack ein. Das war eine furchtbare Folter. Regnete es, wurde der Sack weit und schwer, schien aber die Sonne, zog er sich zusammen und drohte Ödöpa zu ersticken. Drukpa Künle ließ den Gott um Gnade winselnd zurück und zog weiter. Erst nach vielen Jahren kam er wieder in diese Gegend und ließ Ödöpa unter der Bedingung frei, dass er einen feierlichen Schwur (dam) ablege, den Buddhismus und all dessen Anhänger zu beschützen. Der Gott hatte keine Wahl und legte den Eid ab. Er bat aber Drukpa Künle, ihm ein Gebiet zuzuteilen, in dem er Opfer verlangen könne. Der Lama meinte, es werde bald jemand kommen, der ihm diesen Wunsch erfülle. Erst viele Jahre später kam Shabdrung Ngawang Namgyel in diese Gegend und traf auf Ödöpa. Sofort erkannte er in diesem Menschen denjenigen, den sein Bezwinger angekündigt hatte. Er forderte von ihm die Einlösung des Versprechens, ein Gebiet zu bekommen. So kamen Gunitsawa und die Nachbardörfer zu ihrem Schutzgott.14

Der Shabdrung spielt in dieser Geschichte nicht die Hauptrolle, vielmehr vollendet er ein Werk, das der große Heilige Drukpa Künle lange vor ihm begonnen hat. Der Neuankömmling reiht sich nahtlos in die Lokalgeschichte ein, die Machtstellung des Staatsgründers in der Gegenwart ist schon durch eine religiöse Geschichte aus der Vergangenheit legitimiert. Andere Begebenheiten sind in der oben schon erwähnten Biographie des Shabdrung schriftlich festgehalten. Demnach besuchte er unmittelbar nach seiner Ankunft in Bhutan den Tempel Dechenphu (bDe-chen-phug). Hier bedankte er sich für die sichere Reise und schloss einen engen Kontakt mit dem großen Schutzgott Genyen Jagpa Melen (dGe-bsnyen Jag-pa Me-len).15 Hierin liegt für viele Bhutaner der Schlüssel einer Erklärung, warum der Shabdrung in all seinen Unternehmungen so erfolgreich war. Des Weiteren half ihm auch seine meisterhafte Beherrschung der schwarzen Magie, der schon viele seiner Widersacher in Tibet zum Opfer gefallen sein sollen.16 Denn der Shabdrung bedurfte im versprochenen Land im Süden seiner magischen Fähigkeiten und seiner göttlichen Beschützer. War er in den von den Drukpa kontrollierten Gebieten willkommen und fand er dort Unterstützung, zeigte sich eine gänzlich andere Situation in den Gebieten der anderen buddhistischen Schulen. Deren Herrscher verstanden, dass die Bestrebungen des Shabdrung, eine Hegemonie der Drukpa zu konsolidieren, die eigenen Interessen massiv bedrohten. So schlossen sich außer den Sakyapas – sie standen immer in friedlichen Beziehungen zu den Drukpas – alle anderen Schulen zur „Allianz der Fünf Lamas“ (blama khag-lnga) zusammen. In den mehr als 30 Jahren blutiger Auseinandersetzungen stand der Shabdrung unter übernatürlicher Patronanz, die im Sinne einer beinahe psychologischen Kriegsführung seinen Anhän-

14 Schicklgruber 1997: 159. 15 Aris 1979: 212. 16 Ardussi 2004: 16.

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gern Zuversicht und Stärke versicherte, seinen Gegnern Angst und Schrecken einflößte. Bis der Shabdrung das „Land des Drachens“ formen konnte, galt es auch noch mehrere tibetische Invasionsversuche abzuwehren. An deren Spitze standen in den Jahren 1632 und 1639 der Herrscher von Tang (gTsang sde-srid) und in den Jahren 1644 und 1649 eine Allianz des fünften Dalai Lama mit den Mongolen. In unserer Konzentration auf die religiöse Untermauerung politischen Handelns tut sich hier eine eigenartig anmutende Tatsache auf. Wie Tsang Khanchen, der Biograph von Shabdrung Ngawang Namgyel, schreibt, war der Shabdrung eine Verkörperung des Bodhisattva Avalokiteśvara.17 Wie sich dieselbe Gottheit auch in der führenden Figur des Gegners verkörpern kann, soll hier nicht näher erörtert werden. Jedenfalls behielt der Shabdrung in mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen die Oberhand und konnte die eindringenden tibetischen Truppen zurückdrängen. In diese Schlachten zogen der Shabdrung und seine Anhänger in Kleidung und Ausstattung von Tantrikern, und das Schlachtfeld wurde zur Bühne einer schwarzen Magie. Dieser Ruf sollte dem Shabdrung bald überall vorauseilen und ließ seine Widersacher erschaudern; es ist anzunehmen, dass dieser Ruf deren Kampfmoral nicht wirklich förderte. Nachdem die letzte kriegerische Auseinandersetzung mit den Tibetern gewonnen war, führte der Shabdrung im Punakha Dzong (sPu-na-kha rDzong) groß angelegte Rituale zur Verehrung der multiplen Formen des Mahākāla ein. Bis heute bilden diese Rituale die Grundlage der offiziellen Neujahrsfeiern in Bhutan.18 Als Grundlage der Herrschaft des vereinten Landes „importierte“ der Shabdrung das Modell eines religiös konzipierten Staates aus Tibet, das dort schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden ist, als der Mongolenherrscher Qubilai Qan und der Kleriker Phagpa (Gro-mgon chos-rgyal ʼPhags-pa, 1235–1280) ein ideales Gleichgewicht zwischen ihren Positionen entwickelten. Während in Tibet die weltliche und religiöse Autorität voneinander getrennt waren, vereinigte der Shabdrung in Bhutan beide in seiner Person. Er errichtete eine Regierungsform, die sich fundamental von anderen Staaten des buddhistischen Himalaya unterschied. Die von ihm geschaffene Position eines weltlichen Herrschers (sde-srid) stand klar unter ihm; auch wenn es galt, kriegerisch gegen die interne Opposition oder gegen tibetische Invasoren vorzugehen (für den fünften Dalai Lama besorgte dies Guśri Qan). Die Verteidiger dieser speziellen Personalunion fanden dafür einen Text aus der Sammlung des Ganǰur (bKaʼ-ʼgyur). Das „Tantra über das Auftreten der yogischen Kräfte eines schreckerregenden Gebieters“ rechtfertigt sogar das Töten von Widersachern durch einen Bodhisattva, wenn es gilt, ein weltliches Königreich zu schaffen, in dem die religiöse Lehre gedeihen kann.19 Angesichts

17 Ardussi 2004: 11. 18 Aris 1979: 228. 19 Ardussi 2004: 19.

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der Rolle, die Kleriker in der Geschichte Bhutans spielten, mag der Artikel 3, Paragraph 3 der aktuellen Verfassung in einem anderen Licht erscheinen, der Religion explizit von der Politik trennt und den König das geistliche Oberhaupt Bhutans bestimmen lässt (Artikel 3, Paragraph 4). Als sich der Shabdrung in den Punakha Dzong zurückzog, um seine letzten Lebensjahre der Meditation zu widmen, war das Reich geeint und es herrschte Frieden. Solange die von ihm eingesetzten Männer an der Macht waren, blieb seine Politik intakt. Schon bald nachdem sein Blutsverwandter Tenzin Rabgye (bsTan-dzin Rab-rgyas, 1638–1696) starb, ohne einen direkten Erben hinterlassen zu haben, wurden beide Herrschaftsbereiche strikt getrennt und deren Spitzen mit voneinander mehr oder weniger unabhängigen Personen besetzt. Die Frage nach den rechtmäßigen Nachfahren des Reichsgründers sollte Bhutan in eine lange Reihe von Bürgerkriegen stürzen, finstere Jahrhunderte nahmen ihren Lauf. Rivalisierende Desi, Fürsten der verschiedenen Klosterburgen (rdzong), alte aristokratische Familien und sogar manche Kleriker, die sich durchaus weltlicher Mittel bedienten, um zur Herrschaft zu gelangen, kämpften um die zentrale Machtposition im Land. Dabei konnte niemand auch nur annähernd die übergroßen Fußstapfen des Shabdrung ausfüllen. Mahākāla – um wieder zum religiösen Ausdruck realer Verhältnisse zurückzukehren – hat die ursprünglich selbstständigen lokalen Reiche zu einer zentral geführten Einheit verklammert. Verklammert, aber nicht verschmolzen, behielten die alten Schutzgötter doch ihre Stellung und unterstützen die jeweiligen Fürsten der Kleinreiche. Der radikale Schritt in eine neue Götterwelt wurde nicht getan, die alten Götter nie aus den Köpfen oder von den Altären verbannt. Das zeigt, dass einerseits die handelnden Personen selbst so sehr an all die alten Götter glaubten, dass sie im eigenen Weltbild gefangen blieben, andererseits wäre in Bhutan das Wollen eines Einzelnen dem kollektiven Eins-Sein-Wollen des etablierten Oben und Unten unterlegen geblieben. Eine Phase der Ruhe in den turbulenten Jahrhunderten nach dem Tod des Staatsgründers setzte nur für wenige Jahrzehnte ein, als unter Sherab Wangchuk (Shes-rab dBang-phyug, 1697–1765) die Lehre der Wiedergeburten des Shabdrung offiziell anerkannt wurde. Demnach reinkarniert sich der Reichsgründer dreifach in seinen Aspekten von Körper, Rede und Geist. Am bedeutendsten wurde die Linie der Reinkarnationen des Geistes. Doch auch diese offiziell anerkannten Wiedergeburten konnten die Stelle des Shabdrung nicht einnehmen, sie waren vielmehr Werkzeuge in Händen politischer Interessen der weltlichen Macht.20 Die letzte in Bhutan anerkannte Wiedergeburt, die sechste des Geist-Aspektes, stürzte Ende 1931 aus einem Fenster des Klosters von Talo (rTa-log). Dieser überraschende Tod von Shabdrung Jigme Dorji (Zhabs-drung ʼJigs-med rDo-rje, 1905–1931) war der Kon-

20 Aris 1979: 244.

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solidierung der 1907 entstandenen Monarchie sicher nicht abträglich, die Gerüchte, er sei ermordet worden, sind bis heute nicht verstummt. Im Denken des Buddhismus ist es nur logisch, dass eine Reinkarnationsreihe nicht erlischt. Seit dem Tod des letzten Shabdrung in Bhutan werden dessen Wiedergeburten nur mehr in Indien anerkannt. Nachdem die neunte Wiedergeburt des Geist-Aspektes, Jigme Ngawang Namgyel (ʼJigs-med Ngag-dbang rNam-rgyal, geboren 1955) am 5. April 2003 im indischen Kalimpong starb, konterte nicht einmal eine Woche darauf die bhutanische Zeitung Kuensel den Gerüchten seiner Ermordung mit der klaren Feststellung, er sei an Rachenkrebs gestorben.21 Seitdem ist es in Bhutan ruhig geworden zu dieser Frage; spricht man sie an, wird schnell das Thema gewechselt. Gern und viel wird vom ersten Shabdrung gesprochen, im Land begegnet man seinem Erbe auf Schritt und Tritt. Er wird religiös verehrt und steht auf unzähligen Altären als einer der „Drei Juwelen Bhutans“ neben Buddha Śākyamuni. Auf der anderen Seite steht die Figur, die den Buddhismus erstmals nach Bhutan brachte – Guru Rinpoche. Vieles von dem, was er an kulturellen Einrichtungen zur Schaffung einer einheitlichen und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen verbindenden Identität schuf, prägt das Land bis heute, sei es sein System der Handwerkskünste (bzo-rig bcu-gsum), sein Kodex von Verhaltensweisen und Verpflichtungen (sgrig-lam rnam-bzhag) oder die von ihm kreierte Tracht der Männer (gos), die heute bei offiziellen Anlässen zu tragen gesetzlich vorgeschrieben ist. Am augenfälligsten ist aber der von ihm geprägte Architekturstil. In den großen Klosterburgen, den Dzongs, goss der Shabdrung das zweifache Herrschaftssystem in Architektur. Bis heute beherbergen diese Dzongs als politisches Zentrum jeder Provinz in einem Teil Tempel und Klöster, im anderen hat die politische Verwaltung ihre Räumlichkeiten. Ihr vom Shabdrung entworfener Architekturstil muss sich per Gesetz an jedem Gebäude in Bhutan wiederfinden lassen.

4. Der Zweite Buddha: Guru Rinpoche Guru Rinpoche brachte im 8. Jahrhundert den Buddhismus aus Indien nach Bhutan. Laut dem 69. Je Khenpo Gendun Rinchen (dGe-ʼdun Rin-chen) kam er bereits im Jahr 737 hierher und erst zwölf Jahre später nach Tibet.22 Heute wird er in Bhutan als „Zweiter Buddha“ (sangs-rgyas gnyis-pa) verehrt. Der tibetische Ehrentitel „Guru Rinpoche“ bedeutet „kostbarer, juwelengleicher Lehrer“, sein Sanskritname ist Padmasambhava („der aus der Lotusblüte Geborene“) und verweist auf 21 http://www.kuenselonline.com/2003/04/?lang=en. 22 Tulku Mynak 1997: 140.

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seine wundersame Geburt im heutigen nordwestlichen Kaschmir. Dort begann auch seine religiöse Tätigkeit. Schon bald drang sein Ruf als tantrischer Meister mit magischen Kräften bis in den Himalaya vor. Ein reicher Legendenschatz erzählt, wie er auf zahllosen Reisen die dort seit jeher ansässigen Gottheiten in magischen Kämpfen besiegte. Sie hatten sich ihm in den Weg gestellt, um die Ankunft einer neuen Religion zu vereiteln und den befürchteten Machtverlust abzuwenden. Ihr Schicksal wollen wir nun etwas genauer beleuchten. Zweikämpfe mit den „alten“ Göttern hatte der Guru viele zu fechten. Dabei folgten alle demselben Muster: Nachdem er die Alteingesessenen besiegt hat, hat er sie weder zerstört noch verbannt, sondern in die buddhistische Sicht der Welt integriert, wobei er ihnen ihren Charakter und ihre Eigenschaften beließ. Guru Rinpoche hat ihnen den Eid (dam) abgerungen, die neue Religion und deren Anhänger in alle Zukunft zu beschützen – diese zusätzliche Aufgabe scheint für die „Eidgebundenen“ (dam-can) kein Problem gewesen zu sein. Sozusagen als Gegenleistung für ihre neue Funktion werden ihnen regelmäßig Opfer dargebracht, wodurch ihr nach wie vor latent ungestümes Wesen in nützliche Bahnen gelenkt wird. Guru Rinpoche schuf diesen Prototyp von Handlungen, die immer wieder von großen heiligen Männern wiederholt wurden. Zwei davon haben wir ja bereits kennen gelernt – Drukpa Künle und den Shabdrung. Der Umstand, dass die alten Götter bleiben konnten, erwies sich als mehr als eine bloße Gebärde höflicher Rücksichtnahme. Wenn dem Volk ein abrupter Austausch der alten gegen neue Götter erspart und so Ruhe bewahrt wurde, war das nur eine Wirkung oder berechnende Intention? Nach dieser grundlegenden Vorstellung des großen Gurus wollen wir nun genauer beobachten, wie er das erste Mal nach Bhutan kam. Eine gerne erzählte Begebenheit illustriert das soeben skizzierte Grundmuster aufs Trefflichste:23 Vor sehr langer Zeit regierte in Zentralbhutan König Sendharkha (Se-ʼdar-kha) über sein kleines Reich. In einer Schlacht mit seinem Nachbarn im Süden, König Nahuche, fiel sein Sohn. Der König grollte darauf seinem Schutzgott Shelging Karpo (Shel-ging dKar-po) ob seines vernachlässigten Schutzes so sehr, dass er ihm nicht nur sämtliche Opfergaben vorenthielt, sondern darüber hinaus anordnete, dessen heilige Orte mit Exkrementen zu verunreinigen. Shelging Karpo rief erzürnt eine Versammlung aller lokaler Gottheiten in einer „Diamantenzelt“ (rDo-rje-gur) genannten Höhle ein, bei der beschlossen wurde, den König für diesen Frevel zu bestrafen. So entzogen sie ihm dessen Lebenskraft (bla), worauf dieser schwer erkrankte; keine Medizin und auch keine Zeremonien konnten ihn heilen. Jetzt konnte nur mehr Guru Rinpoche helfen. König Sendharkha hat dessen Ruf als Bezwinger böser Dämonen ja schon vor langem vernommen und sandte einen Boten zu ihm mit der Bitte, nach Bhutan zu kommen. Zu dieser Zeit weilte der Guru mit seiner tantrischen Partnerin, der indischen Prinzessin Mandarava, in Nepal und praktizierte in 23 Diese Geschichte wurde dem Autor 1995 in Bumthang erzählt. Für eine textbasierte längere Version siehe Olschak 1979: 66–70.

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Buddhismus in Bhutan der Höhle Maratika seine geheimen tantrischen Rituale, die ihm Einsicht in die „Wahre Wirklichkeit“ (don-dam bden-pa) und auch die Kraft des Buddha Amitāyus verliehen. So gestärkt flog Guru Rinpoche in seiner Emanation als Dorje Drolö (rDo-rje Gro-lod) auf einer Tigerin stehend nach Bhutan. Bevor er zu König Sendharkha nach Bumthang zog, meditierte er drei Monate lang in einer Höhle hoch über dem Paro-Tal. In Bumthang angekommen wurde er mit sieben Töpfen gefüllt mit Goldstaub empfangen. Auch hier zog er sich vorerst in eine Höhle zur Meditation zurück, wobei sein Körper so viel Energie erzeugte, dass er den Fels schmelzen ließ. Bevor er den Kampf mit der beleidigten Gottheit aufnahm, stellte er eine Bedingung: er brauchte eine tantrische Partnerin, welche die 21 Zeichen einer Dakini aufweisen musste. Und tatsächlich, eine der vier Töchter des Königs konnte diese Bedingung erfüllen. Mit ihr zog er sich in genau dieselbe Höhle „Diamantenzelt“ zurück, in der der Schutzgott seine Versammlung abhielt. Von hier sandte der Guru seine neue Partnerin mit einer prächtig scheinenden Vase (bum-pa) zu einer nahegelegenen Quelle, um ihm Wasser zu bringen. Für Shelging Karpo, der die beiden schon eine Weile beobachtet hatte, schien der passende Moment gekommen zu sein. Er verwandelte sich in eine Schlange und wollte das Mädchen rauben. Gerade als er sie fassen konnte, fiel ein Sonnenstrahl auf die glänzende Vase, wurde reflektiert und blendete ihn. Darauf hatte der Guru gewartet. Umgehend verwandelte er sich in den mythologischen Vogel Garuḍa (Chos-skyong), fasste die Schlange mit seinen Klauen und drohte, sie zu fressen. In letzter Sekunde schwor der unterlegende Gott, nicht nur dem König dessen Lebenskraft zurückzugeben, sondern gelobte darüber hinaus, den Buddhismus und seine Anhänger für alle Zeiten zu beschützen. Als Guru Rinpoche dem König seine „Seele“ in einer metallenen Schachtel zurückbrachte, forderte er ihn auf, mit seinem verfeindeten Nachbarn König Nahuche Frieden zu schließen. Beide wurden Freunde und der Guru sagte ihnen voraus, dass sie sich in ihrem nächsten Leben im Paradies wieder finden würden.

Das religiöse Erbe von Guru Rinpoche geht weit über diese frühen Zusammentreffen mit den einheimischen Göttern hinaus. Vieles davon prägt bis heute das geistige Leben. Die von ihm erstmals aufgeführten Heiligen Tänze (ʼcham) bilden im Rahmen der mehrtägigen Tshechu (tshes-bcu) genannten Feste den Höhepunkt im Jahresablauf eines jeden Bhutaners. In der besten Kleidung und mit dem schönsten Schmuck pilgern sie in oft tagelangen Fußmärschen zur Klosterburg in ihrer Provinz, um den Festen beizuwohnen. Andere Tshechus werden im kleinen Rahmen im einen oder anderen Dorf aufgeführt. In der Bezeichnung Tshechu steckt die Zahl „zehn“ (bcu), der Tag, an dem der Geburtstag von Guru Rinpoche im siebten Monat des Mondkalenders begangen wird. Dieser zehnte Tag ist aber auch in anderen Monaten von Bedeutung, soll er doch an diesem Tag viele seiner erstaunlichen Taten vollbracht haben. So findet fast in jedem Monat irgendwo in Bhutan ein Tshechu-Fest statt.24 Da sich die Praxis des gelehrten Buddhismus auf die Klöster zentriert, ist es keine Überraschung, in den Höfen der Klosterburgen Mönche tanzen zu sehen;

24 Schicklgruber 2009: 101–104.

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der Laienbevölkerung bleibt die Rolle als Zuseher. Bei diesen Veranstaltungen führt jedoch schon die bloße Anwesenheit zu einer Segnung durch den Buddha, auch kann jeder Anwesende spirituelle Befreiung durch eine tantrische Gottheit erfahren. All dies ist aber nicht der alleinige Grund dabei zu sein. Neben den religiösen Bedeutungen bieten diese mehrtägigen Veranstaltungen einen beliebten Ort für soziale Interaktionen. Man trifft sich, isst und trinkt gemeinsam, kauft bei eigens vor den Dzongs errichteten Verkaufsständen ein, vor allem die jungen Besucher nützen die Möglichkeit, solche des anderen Geschlechts kennenzulernen oder Bekanntschaften auszubauen. Die oftmals bis tief in die Nacht hinein ausgelassene Atmosphäre verschmilzt alle Besucher zu einer Gesellschaft mit geteilten Traditionen und Werten. Im Fokus des sakralen Geschehens stehen die heiligen Tänze. Der Begriff Cham (ʼcham) für die theatralischen Darbietungen der Mönche entspricht am ehesten unserem Begriff „Mysterienspiel“. Trotz dieser gewissen Unschärfe wird der in der Literatur eingebürgerte Begriff Tanz auch in dieser Abhandlung weiterhin verwendet. Die ersten Tänze sah Guru Rinpoche in einer göttlichen Offenbarung des Buddha Amitābha, zum ersten Mal selbst tanzte er bei der Grundsteinlegung des tibetischen Klosters Samye (bSam-yas). Der Ort musste spirituell gereinigt und alle schädlichen Einflüsse vertrieben werden. In Bhutan geschah dies beim Bau des Kurje-Tempels. Dort machte er in Tänzen den schon bekannten Shelging Karpo zu dessen Schutzgott. Die heute in Bhutan aufgeführte Form geht vor allem auf Pema Lingpa (Pad-ma Gling-pa, 1450–1521) zurück. Nach einer Überlieferung sah er in einer Offenbarung von Guru Rinpoche himmlische Wesen in dessen „Südwestlichem Paradies“ (Zangsmdog dPal-ri) tanzen, worauf er sie einlud, auch auf Erden aufzutreten. Schnitt, Farbe und Muster der dabei getragenen Kostüme sind heute in heiligen Texten ebenso festgelegt, wie jeder Tanzschritt, jede Geste und vor allem jede Szene präzise verschriftet wurden. Diese Texte müssen zuallererst penibel studiert und das Gelernte oftmals geübt werden, bevor ein Tänzer erstmals öffentlich auftreten kann. Der Weg bis dahin ist weit und steinig. Zu Beginn der Spiele wird der Aufführungsort vom Lama geweiht und zum Maṇḍala transformiert. Auf dieser heiligen Fläche können in den folgenden Tagen die verschiedensten Figuren der Reihe nach auftreten. Noch bevor die eigentlichen Tänzer erscheinen, okkupieren die „Clowns“ die Bühne. Ihre oftmals sehr derben Masken und noch mehr ihre sexuell anzüglichen Posen werden immer wieder die Tänzer herausfordern und deren Darstellungen hinterfragen. Die Clowns stellen – zumindest für den Wissenden – niemand anderen dar als die religiösen Lehrer (skt. ācārya), die durch ihr eigenes Verhalten ein Beispiel geben. Nur ihnen ist es gewährt, sich über religiöse Darstellungen lustig zu machen. Hinter ihren Späßen liegt die Einsicht des Buddhismus, dass die Erkenntnis der „Wahren Wirklichkeit“ dem Menschen solange verwehrt bleibt, solange er im Kreislauf der Wiedergeburten gefangen gehalten wird. Demnach kann für den Zuseher das, was die Tänzer aufführen, nicht diese Form der 361

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Wahrheit sein, für ihn bleibt die Aufführung letztendlich im Bereich der „Relativen Wirklichkeit“ (kun-rdzob-bden-pa) gefangen. Dieser philosophische Sinn hinter dem Tun der Clowns bleibt den meisten Zusehern verschlossen. Sie amüsieren sich umso besser, desto expliziter die vulgären Späße der Clowns werden. Noch bevor die Tänzer ihre Kostüme oder Masken anlegen, beginnt in den von Besuchern abgeschirmten Räumen der Tempel die Transformation der Darsteller in die Wesen, die sie darstellen. In einer der subtilsten Formen buddhistischer Meditation, dem von Buddha Samantabhadra offenbarten Atiyoga (rdzogs-chen) erschaffen sie die Gottheiten „in sich selbst“.25 Für den Darsteller weist der Tanz den Weg aus der Verstrickung mit dem Selbstgedachten; die Verschmelzung mit dem Dargestellten kann zur erlösenden Einsicht führen. Letztendlich geht es für sie um die Lösung aus der anthropomorphen Verankerung, um das Verlassen des Milieus des Menschlichen. Wie grundsätzlich in der Kunst des Buddhismus, entfaltet sich die Bedeutung des Gesehenen aus der spirituellen Erkenntnis des aktiv Handelnden oder dem Wissen des Betrachters. Ein distanziert außenstehender Beobachter könnte anmerken, dass die Götter als Form eines von allen Anwesenden geteilten Willens erscheinen. Zuseher und Tänzer halten mit ihrem gemeinsamen Tun den Himmel und die Erde zusammen; die Tänzer machen die Götter und die Götter die Tänzer. Was auch immer der Einzelne versteht – das Erleben steht im Mittelpunkt der Wirkung, die Tänze drücken das aus, was mit Worten schwer vermittelbar ist. Eine Belehrung bieten die Aufführungen allemal. So sieht, um nur wenige Beispiele zu nennen, jeder, wie der Tanz der Schwarzhüte spirituelle Verunreinigung beseitigt und vor Dämonen schützt. Der Tanz des Totengerichts gibt eine Vorschau auf das, was jedem zwischen Tod und Wiedergeburt blühen kann, der Tanz der acht Manifestationen des Guru Rinpoche schließlich stellt sein Leben, seinen Triumph und den des Buddhismus im Allgemeinen dar.

5. „Heilige Schätze“ und Pema Lingpa Für vieles, was der Guru dachte oder schrieb, waren die Menschen seiner Zeit noch nicht reif, sie hätten es weder verstanden, geschweige denn etwas damit anfangen können. Wurden zu seiner Zeit die Grundlagen der neuen Religion gelegt, bedurfte es noch einiger Jahrhunderte geistiger Entwicklung, um sie in der religiösen Praxis zu verwirklichen. So versteckte er religiöse Texte und heilige Gegenstände an verschiedenen Orten wie etwa Höhlen oder Quellen, von wo sie 25 Bonn 1988: 114.

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ausgewählte Männer bergen sollten, sobald die Zeit reif dafür war. Ihnen ließ er Visionen oder Träume zukommen, wo diese „Schätze“ (gter-ma) vorborgen seien. Einer der ganz großen dieser „Schatzfinder“ (gter-ston) lebte in Bhutan, Pema Lingpa. Pema Lingpa wurde im Jahr 1450 in eine angesehene Abstammungslinie von tantrischen Priestern der Nyingmapa-Schule geboren. Er sollte zu einem der berühmtesten heiligen Männer Bhutans werden, dessen Einfluss bis weit über die Landesgrenzen hinaus reichte, und der auch in Tibet höchste Anerkennung fand. Sein religiöses Erbe prägt bis heute das spirituelle Leben des Königsreiches, seine leiblichen Nachfahren stehen an der Spitze des modernen Staates. Seine Reinkarnationslinie führt zu den bedeutendsten Lamas der NyingmapaSchule zurück, darunter der große Longchenpa (Klong-chen-pa, 1308–1363), der als der überragendste Philosoph gilt, den die Nyingmapa-Schule jemals hervorbrachte. In seiner Autobiographie lässt Pema Lingpa seine Reinkarnationsreihe schon viel früher, und zwar bei Pemasal (Padma-gsal) beginnen, einer Tochter des tibetischen Königs Trisong Detsen (Khri-srong lDe-btsan, reg. 755–797). Diese wurde von Guru Rinpoche von den karmischen Auswirkungen schlimmer Taten aus einem ihrer vorigen Leben befreit, indem er sie mit einem Kasten voll mit seinen Schriften an der Stirn berührte und dem König weissagte, dass seine Tochter in einer zukünftigen Wiedergeburt diese Schriften finden und wirksam werden lassen wird.26 Diese Prophezeiung hat Pema Lingpa erfüllt, er barg diese Schriften. Pema Lingpa verstand sich als die irdische Repräsentation Guru Rinpoches.27 In seiner Autobiographie bezeichnet er sich als dessen „Herzenssohn“ (thugs-sras), wobei „Herz“ im spirituellen Sinn zu verstehen ist.28 Als solcher hat er nie einen Lehrer akzeptiert, vielmehr hat ihm Guru Rinpoche selbst in Träumen und Visionen seine Lehre vermittelt, um so jeden Fehler durch die Auslegung eines Menschen zu vermeiden. In einer Vision hat der Heilige seinen Guru auf dessen Kupferberg Zangdog Palri (Zangs-mdog dPal-ri), dem Südwestlichen Paradies, besucht, wo er direkte Unterweisungen erhielt. Bei diesem Treffen verlieh ihm Guru Rinpoche auch den Namen Pema Lingpa, wobei Pema für „Lotusblüte“ steht und Lingpa ein tibetischer Titel für einen Finder der heiligen Schätze ist. In Träumen und Visionen führte ihn Guru Rinpoche zu vielem, was er einmal versteckt hatte. Dazu gehörten so genannte „Erdschätze“ (sa-gter), Statuen und Ritualgegenstände, sowie „Lehrschätze“ (chos-gter). Diese heiligen Schriften erläutern verschiedenste Meditationstechniken oder die korrekte Durchführung von Ritualen. Sie gehören zur wichtigsten liturgischen Literatur der monastischen Praxis und viele der darin beschriebenen Rituale werden bis heute zum Wohle des

26 Aris 1989: 26. 27 Aris 1989: 40. 28 Phuntso 2008: 69.

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Staates durchgeführt. Dies gilt auch für die Drukpa-Kagyüpa-Schule, was ein weiteres Mal die Wertschätzung dieses Nyingmapa-Heiligen unterstreicht. Nach einem langen und ereignisreichen Leben war für Pema Lingpa im Jahr 1521 die Zeit gekommen, diese Welt zu verlassen. Von seinen Fähigkeiten überzeugt, viele Seelen aus dem Kreislauf der Wiedergeburten befreien zu können, versprach er noch am Totenbett, nicht ins Nirvāṇa eingehen zu wollen, sondern auch in Zukunft in Bhutan zu wirken. Bis heute tut er das in mehrfacher Weise. Zum einen wird seine spirituelle Tradition in ununterbrochener Weise von Lehrer zu Schüler weitergegeben, zum anderen reinkarnieren sich Pema Lingpa, sein ältester leiblicher Sohn Dawa Gyaltsen (Zla-ba rGyal-mtshan, geboren 1499) und auch dessen Sohn Pema Thrinley (Padma ʼPhrin-las, geboren 1564) bis zum heutigen Tag. Residieren die Wiedergeburten der beiden ersten im tibetischen Lhalung (lHhalung), steht die von Pema Lingpas Enkel dem Kloster Gangteng (sGang-steng) in Westbhutan vor. Die biologischen Nachfahren Pema Lingpas, er zeugte in drei Ehen eine Tochter und sechs Söhne (abgesehen von vielen Nachfahren aus weiteren sexuellen Beziehungen), waren alle bei der lokalen Aristokratie als Schwiegersöhne sehr begehrt. Aus diesen Verbindungen von alteingesessenem Erbadel mit der Elite des geistlichen Lebens entstand eine neue Qualität von Adel, dessen Angehörige auch nach der Staatsbildung von den Drukpas auf höchste Stellen des theokratischen Staates berufen wurden. Aus der Abstammungslinie des vierten Sohnes von Pema Lingpa, Kunga Wangpo (Kun-dgaʼ dBang-po, geboren 1505), sollte am Beginn des 20. Jahrhundert die Monarchie auf dem Boden der verfallenen zentralen Herrschaft hervorgehen. Die dunklen Zeiten nach dem Tod von Shabdrung Ngawang Namgyel dauerten bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, bis sich der Gouverneur (dpon-slob) von Trongsa, Jigme Namgyel (ʼJigs-med rNam-rgyal, 1825–1881) zum starken Mann Bhutans aufschwang.

6. Buddhismus und Staat II: Von Jigme Namgyel bis heute Weil er sich stets schwarz kleidete und immer ein schwarzes Pferd ritt, wurde Jigme Namgyel der „Schwarze Regent“ genannt. Im Jahr 1825 wurde er in eine Chöje (chos-rje), eine „Kirchenadel-Familie“, geboren, deren Einfluss sich über Ostund Zentralbhutan erstreckte und deren Mitglieder wichtige Regierungsposten bekleideten. Sein Weg an die Spitze des Staates erschien bereits in Träumen und Prophezeiungen vorgezeichnet. Ein Traum führte ihn schon in jugendlichen Jahren nach 364

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Trongsa, um dort in den Dienst des Gouverneurs Urgyen Phuntsho (O-rgyan Phuntshogs) zu treten. Dessen Nachfolger Tshokye Dorje (mTsho-skyes rDo-rje) wurde in einer Prophezeiung vorausgesagt, dass dieser junge Mann Großes für das Land leisten werde. Jigme Namgyel beeindruckte den Gouverneur durch seine Unerbittlichkeit im Umgang mit Feinden, durch seine Treue und durch seine starke Persönlichkeit so sehr, dass ihn dieser seinem eigenen Sohn vorzog und 1853 zu seinem Nachfolger machte. In dieser Position legte er den Grundstein zu seiner Vormachtstellung im Land. In vielen kriegerischen Auseinandersetzungen stand er immer in den vordersten Reihen seiner Truppen, wobei er seine körperliche Stärke ausspielte. Er festigte seine Position aber auch, indem er Vertrauenspersonen an Schlüsselstellen der Verwaltung installierte und geschickte Allianzen mit anderen großen Familien einging. So wurde Jigme Namgyel nach endlosen konfliktreichen Jahren im Jahr 1870 der 50. weltliche Herrscher von ganz Bhutan. Als er im Alter von 56 Jahren so unglücklich von einem Yak stürzte, dass er starb, war das Tor zu einem endgültigen Frieden weit geöffnet und die Grundlage zu einer Monarchie gelegt. Sein Sohn Urgyen Wangchuck (O-rgyan dBang-phyug, 1862–1926) konnte im Jahr 1907 als erster König einer erblichen Monarchie den Thron besteigen. Blicken wir auf den religiösen Aspekt von Jigme Namgyels Macht: Für die Bhutaner verdankte er seinen Erfolg nicht nur seiner körperlichen Kraft und seinem diplomatischen Geschick, sondern auch der Hilfe „von oben“. Als hochreligiöser Mensch stand er in enger Beziehung zu mehreren Gottheiten. Wie schon den Shabdrung begleiteten ihn Palden Lhamo, Mahākāla und dessen rabenköpfige Form. Ein alter Lama im Trongsa Dzong erläuterte mir einmal in einem persönlichen Gespräch die Verhältnisse innerhalb dieser Dreiergruppe (mgon-po lcam-dral gsum): „Mahākāla und Palden Lhamo sind so wie Vater und Mutter, der rabenköpfige Mahākāla agiert wie ein Sohn. Er war der Aktive, der Jigme Namgyel immer zur Seite stand, wenn es notwendig war; er war immer mit ihm, sei es am Schlachtfeld gegen die Engländer oder gegen die vielen Feinde im Land.“29 Dabei war es vor allem ein Lama, der als Vermittler zwischen dem starken Mann aus Trongsa und dessen Göttern stand: Lama Changchub Tsöndrü (Byangchub brTson-ʼgrus, 1817–1856).30 Der Lama wurde in Zentraltibet in eine Familie geboren, deren Abstammungslinie väterlicher- und mütterlicherseits berühmte Lamas hervorbrachte. In seinen frühen Jahren als Mönch stand er unter starkem Einfluss der Gelugpa-Schule (dGe-lugs-pa), wobei aber sein spirituelles Leben eine Offenheit für alle Wege prägte, die zu Einsichten in das wahre Wesen aller Erscheinungen führen. Er kann als typischer Vertreter einer „überkonfessionellen“ Auf-

29 Lama Pema (Bla-ma Padma), persönliches Gespräch im Oktober 2008. 30 Bei der Betrachtung seines Lebens folgen wir seiner Biographie, deren Inhalt von Pommaret 2004 zusammengefasst und veröffentlicht wurde.

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fassung (ris-med) bezeichnet werden. Auf der Suche nach religiösen Unterweisungen war er stets von Lehrer zu Lehrer und von heiliger Stätte zu heiliger Stätte unterwegs. Alle seine Wanderungen präzise aufzulisten, würde den Rahmen dieser Betrachtung bei weitem sprengen. Konzentrieren wir uns auf seine Aufenthalte in Bhutan. Er war nicht nur ein Suchender, sondern wurde sehr bald auch zum gesuchten und verehrten Lehrer. Schon bald nachdem er mit Jigme Namgyel zusammentraf, wurde er sein persönlicher Guru, sein „Wurzellama“ (rtsa-ba’i bla-ma). Der Ausdruck „Wurzel“ verweist darauf, dass solch ein Lama als Wurzel aller religiösen Einsichten einer Person gilt. Zwischen beiden entwickelte sich ein Verhältnis höchster, von Vertrauen geprägter Wertschätzung. So war Changchub Tsöndrü auch über die profanen machtpolitischen Unternehmungen des Herrschers bestens unterrichtet und unterstützte ihn auch in diesen Belangen mit Mitteln der Religion. Mahākāla sollte nach 250 Jahren ein zweites Mal eine entscheidende Rolle spielen, als es galt, das Land wieder auf ein festes Fundament zu stellen. Seine besondere Beziehung zum „Schwarzen Regenten“ wurde für jeden in Gestalt der so genannten „Rabenkrone“ (dbu-zham bya-rog gdong-can) sichtbar. Lama Changchub Tsöndrü fertigte diese Krone in den 1840er Jahren für seinen Schüler. Dabei befestigte er an der Spitze eines klassischen Kriegshelmes den Kopf eines Raben, beides aus Stoff gefertigt (die Rabenkrone hat kein wirklich schützendes festes Innenleben). Während auf der Spitze Mahākāla thront, verweisen drei gestickte Augen an der Vorderseite auf die kriegerische Gottheit Changdü (Byang-bdud), den so genannten „Nördlichen Dämon“ und persönlichen „Geburtsgott“ (skye-lha) von Jigme Namgyel. Als Angehöriger der Gruppe der „fünf Geburtsgottheiten“ (ʼgo-baʼi lhalnga) weilte Changdü ab der Geburt auf seinem Körper und begleitete ihn sein ganzes Leben lang auf all seinen Wegen. Diese Gruppe spielt im Leben eines jeden Menschen eine entscheidende Rolle: „These gods relate man to his group in space and time: in space, because identical with those controlling the physical environment, house or country; in time, because they preside over the fortunes of the line, from ancestors to descendents. For man himself, in whom these relationships intersect, his gods guarantee – if all goes well – life-force, power, longevity and success.“31 Die Rabenkrone vereint Mahākāla und den persönlichen Geburtsgott von Jigme Namgyel; sobald er sie trug, stand er unter dem Schutz beider. Der Erfolg in der Schlacht war ihm sicher. So wird bis heute gerne erzählt, dass er einmal bei einem Angriff gegen ein Heerlager der Briten ganz im Süden des Landes einen Pfeil abschoss, obwohl noch niemand das Lager auch nur sah. Mahākāla führte den Pfeil über eine unglaublich weite Distanz direkt in das Auge eines Briten – für die

31 Stein 1972: 222.

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Soldaten des Jigme Namgyel eine Bestätigung, unter welchem göttlichen Schirm ihr Führer stand, für den Engländer ein tragischer Tod. Beim wahrscheinlich selben Feldzug tötete Jigme Namgyel im Jahr 1865 mit einem einzigen Gewehrschuss vier oder fünf englische Offiziere. Dieser Schuss wurde exakt zu dem Zeitpunkt abgefeuert, als ein Lama in einem Ritual Mahākāla herbeirief und zur Schlacht ermahnte. Schon auf dem Weg in die Schlacht wurden alle lokalen Schutzgottheiten, an denen der Tross vorbeizog, um Unterstützung angerufen.32 Bis heute wird die Rabenkrone aufgrund ihrer historischen und religiösen Bedeutung verehrt. Aus der ursprünglichen entwickelten sich zwei weitere Formen, die bis heute von den Königen bei sehr speziellen Anlässen getragen werden. In beiden hat sich die ursprüngliche Bedeutung, aus der Schlacht siegreich hervorzugehen, zu einem Zeichen royalen Pomps gewandelt. Dennoch symbolisieren sie nach wie vor die sakrale Natur des Königtums und verweisen auf die Stellung der Könige weit oberhalb normaler Sterblicher. Mahākāla und Changdü waren nicht die einzigen Götter, die Jigme Namgyel zur Seite standen. Wieder war es Lama Changchub Tsöndrü, der den direkten Kontakt herstellte. So riet er ihm bei Problemen mit einem übelwollenden Dämon (rgyalʼgong), Tandrin Sangyang (rTa-mgrin gSang-yang) als helfende Schutzgottheit anzurufen. Bis heute steht eine prächtige Statue dieser zornvollen Erscheinung von Buddha Akṣobhya in der privaten Kapelle der Könige Bhutans im Dzong von Trongsa.33

6.1. Lokale Schutzgötter Neben dieser Gottheit aus „höheren Sphären“ des buddhistischen Pantheons wollen wir auf zwei weitere Gottheiten aus der Gruppe derer eingehen, die eng an das Dorf Trongsa und die gleichnamige Klosterburg beziehungsweise an die Provinz gebunden sind – Nepo Gara Wangchuk (gNas-po dGaʼ-rab dBang-phyug) und Mutsen Dorji Drajom (rMug-btsan rDo-rje dGra-bcom). Ihre Eigenschaften und ihr Verhältnis zur Region und dessen Herrscher, aber auch zum Buddhismus, zeigen ein Grundmuster, das auf die meisten Regionen Bhutans gelegt werden kann. Eine etwas genauere Darstellung scheint daher angebracht. Im Jahr 1856 begegnete Changchub Tsöndrü auf dem Weg nach Trongsa dem Schutzherren des Ortes, Nepo Gara Wangchuk, meist nur kurz Nepo genannt. Der Gott opferte als Ausdruck einer ehrfurchtsvollen Begrüßung dem Lama einen weißen Schal (ka-thag) und verneigte sich vor ihm – eine eigentümliche Begrüßung, denn meist opfert der Mensch dem Gott und nicht umgekehrt wie hier. Nepo hat 32 Aris 1994: 62. 33 Abbildung in Schicklgruber 2009: 66.

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den Lama immer wieder in wichtigen Angelegenheiten beraten und so auch die Geschicke des Dzongherren positiv beeinflusst. Mit ein wenig Phantasie bildlich vorgestellt eine eigenartige Szene: Ein Schutzgott berät einen Geistlichen, wie er einem weltlichen Herrscher in seinen Machtkämpfen beistehen kann! Nepo wird in einem schroffen Felsen nahe dem Dzong gesehen, Mutsen Dorji Drajom (meist nur kurz Mutsen) bewacht die gesamte Provinz von einem hohen Berg nahe der Grenze zu Tibet. Die Frage, ob diese Naturerscheinungen ihr Körper sind oder ob sie darin nur wohnen, führt zu keiner eindeutigen Antwort. Einmal heißt es von ein und derselben Person „Nepo wohnt in diesem Felsen“, am nächsten Tag „Nepo ist dieser Felsen“. Im persönlichen Gespräch zeigt sich immer wieder, dass ein starres „Entweder-Oder“ einem westlichen Denken entspringt und vor Ort nicht weit führt. Was die Verehrungstexte dazu sagen, werden wir bald lesen. Aus Ton geformt stehen Nepo und Mutsen im Tempel der Schutzgötter (mgonkhang) des Dzongs, dort, wo auch Palden Lhamo und Mahākāla anwesend sind. Wie bei Gottheiten dieser Art üblich, sitzen die beiden Herren der Region auf feurigen Rössern, gekleidet in der Montur mythologischer Krieger, offensichtlich jederzeit bereit in den Kampf zu ziehen. Noch keine Frau hat sie in diesem speziellen Raum gesehen, auch ausländischen Besuchern ist der Eintritt strikt verwehrt. Zu leicht könnten Nepo und Mutsen gestört werden; einmal erzürnt sind sie unberechenbar. Welche Auswirkung hatte der Weg in den Tempel eines buddhistischen Klosters auf diese ursprünglichen Kriegsgötter (dgra-lha)? Wie erscheinen sie in ihren Verehrungstexten? Mit dem Buddhismus kam auch die Schrift in das Land. Die Verschriftung der „alten“ Götter hatte eine zweifache, auf den ersten Blick widersprüchliche Auswirkung. Einerseits kam es zu einer Subordination der alteingesessenen Schutzgötter unter die des Buddhismus. Sie werden oftmals deren Gefolgschaft (ʼkhor) zugerechnet und dienen den „neuen“ Göttern. Andererseits gewannen sie aber auch an Bedeutung, hebt sie die monastische Verschriftung doch über die Ebene der nur mündlich tradierten „Volksreligion“ (mi-chos). Dies kann so weit gehen, wie dies in dem im Trongsa Dzong verfassten Text der Fall ist, dass Mutsen die buddhistische Eigenschaft der Allwissenheit (rnam-mkhyen) zugeschrieben wird oder dass Buddha selbst die Form des lokalen Schutzherren annimmt. Die Lesung solcher Texte ist nur im Einflussbereich dieser Schutzgötter wirksam, jenseits ihres Gebietes sind sie nicht einmal bekannt. Sie folgen meist einem grundlegenden Muster. Der Schutzgott wird mit seiner ikonographischen Beschreibung angerufen, am Ritual teilzunehmen und einen aus Teig geformten Körper (gtor-ma) für die Zeit des Rituals zu akzeptieren. Sodann werden ihm verschiedenste Opfergaben dargebracht. Sozusagen als Gegenleistung kann er nun um Schutz gebeten und nach der Erfüllung von Wünschen gefragt werden. Diese reichen von der Sicherstellung der Grundlagen des physischen Lebens bis hin zum Schutz des Buddhismus. 368

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Sehen wir uns Ausschnitte aus den Verehrungstexten von Mutsen und Nepo näher an. Beide Texte wurden von Drukpa Rinpoche Döngyun Nyima (ʼBrug-pa Rin-po-che Don-rgyun Nyi-ma) verfasst, der im Jahr 1980 in Trongsa verstarb. Wir wissen nicht, ob sie auf älteren Vorlagen beruhen oder ob er eine geschaute Vision verschriftet hat. Die beiden vorhin genannten Tonfiguren im Tempel setzen diese schriftliche Ikonographie (so weit als möglich) in materielle Form um.34 Beide Texte werden vom Lama des Trongsa Dzong regelmäßig gelesen, beide illustrieren, wie man als Gläubiger die Welt um die Klosterburg sehen kann. Beginnen wir mit dem „größeren“ der beiden Schutzgötter, dem Herrscher über die Provinz. Im wahren Verständnis bist du, Mutsen, die Manifestation der Rede des Kuntu Sangpo (Kun-tu bZang-po) (des Urbuddha Samantabhadra). Du hast ein scheinendes rotes Gesicht, eine Schrecken erregende Erscheinung und Furcht einflößende Hauer. Du starrst deine Feinde so schauderhaft an, dass sie Angst überfällt, aus deinen Nüstern weht ein Sturm, der alles hinwegblasen kann, schneller als der Blitz, aus deiner langen Zunge schlagen Flammen. Deine Rechte hält eine rote Flagge und reicht bis in den Himmel, die Linke einen Haken mit einem Wunsch erfüllenden Juwel. Der ganze Körper besteht aus einem unzerstörbaren Diamantenszepter (rdo-rje), die Kleider sind aus Metall, eine Unzahl weiße Schärpen flattern daran wie Schmuckstücke. An deiner Stirn trägst du ein Juwel, all der andere Schmuck ist aus Gold, an den Füßen trägst du wertvolle Stiefel. Du hast übernatürliche Kräfte und Schnelligkeit, du hast Flügel aus Wind. Du reitest auf einem Pferd mit der Macht tausend Universen in einem Augenblick zu durcheilen. Mit all deiner Macht unterstützt du die Religion, du leuchtest mit der Strahlkraft von hunderttausend Sonnen.35

Der Text des Nepo beginnt mit einer Beschreibung seines Palastes (für unsere Augen ein Felsen) und dessen Umgebung, gefolgt von ihm selbst. Vor mir, aus dem Nichts, erscheinen Urwälder aus Juwelen, umgeben von weißen Felsen aus Diamantenszeptern, alle Bäume sind aus Diamanten. Da lebst du. In verschiedenste Richtungen erstrecken sich Seen aus Türkisen, das Wasser bewegt sich mit melodischem Klang. Die Gärten sind reich an Blumen. Alles ist sehr lieblich. Da liegt ein rechteckiger Palast aus Juwelen, drei Stockwerke hoch, das Tor und die Wände aus Metall. In der Mitte erscheint dein schönes Gesicht aus Smaragd. Bäume aus Juwelen wiegen sich an deiner Seite wie Tempelfahnen. Du weilst zwischen weißen und süßen Wolken, du Besitzer unseres Ortes, du große Gottheit bist ein mächtiger Beschützer – das bist du – Nepo Garab Wangchuk. Dein Körper gleicht einem schneebedeckten Berg, deine Schönheit sendet hunderttausend Lichtstrahlen aus. Die Banner der Götter bekleiden dich. All dies sieht man klar und leuchtend. Du trägst ein weißes Kostüm, preislose Juwelen und an deiner Brust einen goldenen Amulettschrein voll mit Juwelen. An deiner Stirn trägst du ein rotes Band mit einem Wunsch erfüllenden Juwel. In deiner rechten Hand hältst du

34 Abbildungen in Schicklgruber 2009: 74f. 35 Aus dem dmu btsan bskang rgyun betitelten Manuskript, das bei Verehrungsritualen der lokalen Schutzgötter gelesen wird. Eingesehen in Trongsa, Oktober 2008.

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Buddhismus in Bhutan ein Banner, das die Macht über die Welt der Götter (gnam-steng lhaʼi srid-pa), die Welt der Menschen (saʼi-steng miʼi srid-pa) und die Welt der Geister (sa-ʼog kluʼi srid-pa) zeigt. In deiner linken Hand hältst du einen Haken, der diese Drei Welten (srid-gsum) sofort einfangen kann. Du reitest auf einem göttlichen Pferd mit bläulichen Beinen, Juwelen und ein Banner zieren den Sattel.“36

6.2. Mahākāla im 21. Jahrhundert Diesen beiden Schutzgöttern war Jigme Namgyel nur nahe, solange er in Trongsa weilte. Über die Grenzen der Provinz hinaus verloren sie ihren Einfluss. Anders Mahākāla und Palden Lhamo, sie kannten diese regionalen Beschränkungen nicht. Wir machen nun einen großen Schritt voran in der Zeit und gehen vom Vater des ersten Königs zum vierten, vom 19. in das 21. Jahrhundert. Die enge Beziehung zwischen Mahākāla und den Monarchen blieb über all diese Zeit bestehen. Erst in jüngster Vergangenheit, genauer im Jahr 2003, spielte sie wieder eine tragende Rolle. Seit 1995 unterhielten in Südbhutan Rebellen der „United Liberation Front of Assam“ (ULFA) beinahe 20 Lager als Rückzugs- und Ausgangspunkt für ihre Guerillaaktivitäten im indischen Assam. Da mehrjährige Verhandlungsversuche, sie aus dem Land zu bringen, nicht fruchteten, entschloss sich Bhutan auf Drängen aus Neu Delhi, militärisch gegen diese Kampftruppen vorzugehen. Am 15. und 16. Dezember 2003 führte König Jigme Singye Wangchuck eine 7 000 Mann zählende Truppe ins Feld und vertrieb unter Verlusten auf beiden Seiten die Rebellen aus dem Land. Zur Erinnerung daran betitelte am 14. Dezember 2013 Kuensel, die älteste Zeitung Bhutans, einen Bericht darüber mit der Schlagzeile „The Buddhist Warrior“. Laut Kuensel kämpfte der König an vorderster Front im selben Geiste wie der epische König Gesar (Ge-sar rgyal-po).37 Des Weiteren wird berichtet, dass Gebete und Zeremonien die Operation vorbereiteten, auch um buddhistische Prinzipien in den Soldaten zu wecken: „Because the mind of a Buddhist warrior is developed to overcome uncontrolled aggression, he is neither arrogant nor conceited. He becomes humble and compassionate, not trapped by the pettiness of hope and fear. It is through the use of these qualities that made the Bhutan experience of resolving conflict unique“.38 36 Aus dem Chos rtse’i gnas srung dga’ rab dbang phyug gsal mchod kyi zur ʼdebs mngon rtog bshug betitelten Manuskript, das bei Verehrungsritualen der lokalen Schutzgötter gelesen wird. Eingesehen in Trongsa, Oktober 2008. 37 Der legendäre kriegerische Held Gesar von Ling wird im gesamten buddhistischen Himalaya verehrt. Bis heute besingen Barden in einem der längsten Epen der Welt seine Taten, die ihn als Personifizierung der Macht des Buddhismus über alle Arten von Gefahren, seien es böswillige Dämonen oder Hindernisse am Weg meditativer Erkenntnis, erscheinen lassen. Siehe dazu David-Neel 1987. 38 http://www.kuenselonline.com/the-buddhist-warrior/#.U2nmD-Ia5–4.

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Aus Dank für den glücklichen Ausgang des militärischen Unternehmens ließ die Königinmutter Ashi Dorji Wangmo Wangchuck (A-zhe rDo-rje dBang-mo dBangphyug) am Dochula-Pass (rdo chu la) in der Nähe der Hauptstadt Thimphu den Tempel Druk Wangyel (ʼBrug dBang-rgyal), „Sieg des glorreichen Drachen“, errichten, der vom Je Khenpo eingeweiht wurde. Im Raum der Schutzgottheiten wacht die schon bekannte Dreiergruppe Magon Chamdrel Sum (ma-mgon lcam-dral gsum) über den Tempel und das ganze Land. Diese Gruppe mit Palden Lhamo, dem vierarmigen Mahākāla (dPal Ye-shes mGon-po) und dem rabenköpfigen Mahākāla ließ in der Meinung vieler Bhutaner den König heil und erfolgreich aus dem Kampf zurückkehren. Fast ist man verführt, von einer Wiederholung bestens aus der Geschichte bekannter Bündnisse zwischen politischen Machthabern und diesen Göttern zu sprechen, wenn es gilt, mit notgedrungen gewaltsamen Handlungen den Frieden im Land zu sichern. Die Königinmutter initiierte auch ein Tshechu, das seit dem Jahr 2011 an jedem 13. Dezember vor dem Tempel aufgeführt wird. Mit der Choreographie beauftragte sie einen der führenden Intellektuellen des Landes, Dasho Karma Ura (Drag-shos Kar-ma U-ra). Neben anderen Darbietungen finden Palden Lhamo und Mahākāla jedes Jahr eine Bühne, um ihre Rolle einem breiten Publikum theatralisch vorzuführen und zu zeigen, wie sie seit jeher den Herrschern des Landes zur Seite stehen. In unserem Denken schleicht sich leicht die Interpretation ein, dass einer historischen Realität eine religiöse Entsprechung folgt. In der Welt derer, über die hier gesprochen wird, dominiert eher ein „Alles-auf-einmal“; in Bhutan erschaffen sich göttliches Tun und historische Realität wechselseitig und erhalten sich gegenseitig am Dasein. Schließen wir diesen Absatz mit der Bemerkung, dass dieses zeitlos anmutende Treiben nicht von Erscheinungen der modernen Zeit gestört wird. Selten sieht man so viele Toyota Land Cruiser oder Mitsubishi Pajero wie auf dem Parkplatz vor der Bühne der Götter, selten fotografieren so viele Gläubige ihre Götter mit dem iPhone, um sie am nächsten Tag auf Facebook mit Freunden in der ganzen Welt zu teilen.

7. Buddhismus und moderne Politik Lag das Hauptaugenmerk unserer Betrachtungen bisher vor allem auf Handlungen von Individuen in einem buddhistischen Kontext und auf bestimmten göttlichen Erscheinungen, wollen wir nun kurz beleuchten, welche Rolle der Buddhismus in der Gestaltung der rezenten Staatspolitik spielt. Die leitende Philosophie dabei wird mit „Gross National Happiness“, meist nur kurz als GNH, bezeichnet. Diesen Begriff prägte im Jahr 1972 König Jigme Singye Wangchuck in einem Interview. Einem Journalisten konterte er auf dessen Frage nach dem gross national pro371

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duct – da dieses in einem Land, dessen Bewohner zum größten Teil Subsistenzlandwirtschaft betreiben, nicht wirklich aussagekräftig ist – mit dem Begriff „Gross National Happiness“. Darum gehe es, wenn es gilt etwas über Bhutan auszusagen, danach wird gestrebt und nicht nach einer bloßen Steigerung der Wirtschaftskraft. Das Glück aller Bhutaner setzt sich aus neun Bereichen zusammen: Ökologie, Gesundheit, Ausbildung, Kultur, Lebensstandard, Verwendung von Zeit, Lebendigkeit der Gemeinschaft, gute Staatsführung und psychologisches Wohlbefinden. Prämisse staatlicher Politik ist es, die Qualität in all diesen neun Bereichen zu steigern. Zur Untermauerung dieser Vorgabe wurde dieses Konzept in der Verfassung festgeschrieben. Im Artikel 9, „Principles of State Policy“, heißt es im Paragraphen 2: „The State shall strive to promote those conditions that will enable the pursuit of Gross National Happiness“.39 Das GNH-Konzept hat sich in den letzten Jahren zu so etwas wie einem „ideologischen Exportschlager“ entwickelt.40 In unzähligen internationalen Presseberichten taucht dabei der Buddhismus als eine der tragenden Säulen auf. Um ein Beispiel zu nennen, wurde in der Washington Post am 20. März 2010 ein Artikel veröffentlicht, in dem der Öffentlichkeitsreferent des Centre for Bhutan Studies, Tshoki Zangmo (mTsho-skyes bZang-mo), zur Leitidee der bhutanischen Politik zitiert wird: „a notion of wholeness that is embedded in Bhutan’s authentic Buddhist culture“. Im selben Beitrag berichtet der GNH-Sekretär Karma Tshiteem (Karma Tshul-khrims), dass der Buddhismus der Schlüssel zum Glück der Menschen sei und „Happiness is about one’s outlook on life, and Buddhist values help people appreciate and focus on what they have rather than what they do not. Values such as compassion and respect foster greater social interaction”.41 Vieles, was im Ausland zu diesem Thema geäußert wird, erinnert frappant an das, was buddhistische Meister ihren Anhängern im Westen zu einer sinnvollen Lebensführung raten. Der Buddhismus dient dabei oftmals als Anleitung zu einer ethischen Lebensführung, zum Beispiel wenn es um das Mitgefühl mit allen lebenden Wesen und ein entsprechendes Handeln gegenüber dem Mitmenschen geht. In Bhutan selbst wird mehr in die Tiefe gegangen. Am 25. März 1999 wurde von der höchsten exekutiven Körperschaft der königlichen Regierung das „Centre for Bhutan Studies and GNH Research“ feierlich eröffnet. Zu den Zielvorgaben dieses Institutes gehören neben der wissenschaftlichen Forschung vor allem die Durchführung von evaluierenden Studien über Regierungsprogramme und das Erstellen von Rückinformationen, auf deren Basis die Regierung ihre Politik verbessern kann. Dieses Institut entwarf einen standardisierten Fragebogen, mit dem im 39 http://www.bhutanaudit.gov.bt/About%20Us/Mandates/ Constitution%20of%20Bhutan%202008.pdf (abgerufen 1.10.2015). 40 Mehr zum GNH-Konzept in Schicklgruber 2015. 41 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/03/19/ AR2010031903939.html.

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Jahr 2010 im ganzen Land insgesamt 7142 Interviews durchgeführt wurden. Unter den 33 Indikatoren, mit denen durch komplizierte statistische Methoden das Glücksempfinden des Einzelnen errechnet wird, kommt der Buddhismus als Begriff nicht vor, vielmehr fällt er unter den Bereich „psychological wellbeing“. Unter diesen Indikator des Glücks fallen die beiden Sub-Indikatoren „positive emotions“ und „spirituality“. Zu letzterem wird nach dem „spiritual level“ mit „how spiritual do you consider yourself“ gefragt. Das Interesse der Interviewer gilt auch dem „account of Karma in daily life“, der „prayer recitation“ und der „meditation“. Je länger gebetet und meditiert wird, desto mehr Punkte werden vergeben, aus denen der Glückszustand errechnet wird. Das Resultat der Umfrage 2010 weist 50% der in Städten lebenden Bevölkerung als glücklich aus, in ländlichen Gebieten sinkt dieser Prozentsatz auf 37%.42 In den letzten 15 Jahren zeichnete sich dieses Institut auch durch eine beeindruckende Anzahl von wissenschaftlichen Publikationen zum Thema Glück und Buddhismus aus. Zu den umfangreichsten gehören dabei die Veröffentlichungen der Beiträge bei zwei internationalen Konferenzen in Bhutan.43 Viele Autoren gehen ausführlich auf grundlegende Begriffe des Buddhismus wie śīla (Sittlichkeitsregeln und moralische Leitlinien), samādhi (Versenkung, Sammlung) und prajñā (umfassende Weisheit) ein und untersuchen, welchen Nutzen das Individuum für sein persönliches Glück daraus ziehen kann.44 Dabei zeigt sich, dass individuelles Glück nicht ohne mitfühlende Haltung gegenüber allen Mitmenschen erreicht werden kann. Letztendlich soll eine buddhistisch fundierte Ethik in allen Bhutanern gefördert werden, eine Ethik, die nicht nur das Handeln des „Normalbürgers“ bestimmt, sondern auch das der politischen Entscheidungsträger. In diesem Zusammenhang taucht hier das Ideal des gütigen Dharmarājā wieder auf, des Herrschers, der sein Leben und Tun dem Erblühen der buddhistischen Lehre widmet und die grundlegenden politischen Voraussetzungen dafür schaffen will. Manche Autoren warnen vor einer Gefahr für eine glückliche Zukunft des Landes. So schreibt der Mönch Khenpo Phuntsok Tashi (mKhen-po Phun-tshogs bKrashis) in seinem Beitrag „The Role of Buddhism in Achieving Gross National Happiness“: „One of the major issues of today is the gap between the younger generation’s level of spiritual understanding and factual knowledge. This gap seems to be becoming wider and wider. For example, most young Bhutanese attend the ceremony of empowerment given by Lamas and Rinpoches, but they do not fully understand and appreciate the significance of the ceremony”.45 Ähnliches sagte auch die damals erst 24-jährige Kusine von König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck (ʼJigs-med Ge-sar rNam-rgyal dBang-phyug) in der Online-Ausgabe der Huffing42 43 44 45

www.grossnationalhappiness.com (abgerufen 1.10.2015). Ura/Galay 2004; Ura/Chophel 2012. Wangmo/Valk 2012. Tashi 2004: 486.

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ton Post vom 6. März 2012: „Most youth of my age are confused, they are living each day as it comes, having no idea about GNH, no idea about religion and customs that have been passed on“.46 So wird von vielen im Land gefordert, dass buddhistische Inhalte nicht nur so wie seit jeher innerhalb von Klostermauern gelehrt werden, sondern auch von einem modernen Schulsystem.

8. Buddhismus und Laien Dass die Laienbevölkerung – und bei weiten nicht nur junge Menschen – wirklich nicht allzu tief in die buddhistische Philosophie eingedrungen ist und auch die unüberschaubare Vielfalt von buddhistischen Gottheiten auf den Altären der beinahe 2000 Tempel im Land nicht mit deren Namen benennen, geschweige denn deren Bedeutungen erklären kann, zeigt sich bei Aufenthalten im Land immer wieder. Das schwächt aber die Ehrfurcht vor den buddhistischen Göttern in keinster Weise ab. Immer wieder bekommt man bei gemeinsamen Tempelbesuchen mit Laien den Eindruck, dass hinter der Vielfalt der göttlichen Erscheinungen die Einheit des mächtigen Wesens mit seiner großen Wirkmacht „erfühlt“ wird. Für den Laien scheint es wichtig, dass die Götter da sind, und weniger, wer sie sind. Er muss sich mit seinen Sorgen, Hoffnungen und Wünschen an sie wenden können, sei es Gesundheit und Wohlergehen in diesem Leben, bis hin zur Möglichkeit, in einer künftigen Wiedergeburt als Lama oder Mönch letztendlich den Kreislauf der Wiedergeburten verlassen zu können. Religiöse Betätigung mit dem Ziel der Erleuchtung ist wenigen vorbehalten. Nur innerhalb der Klostermauern führt ein geistiger Lehrer seine Schüler über eine Stufenleiter geistiger Übungen mit steigendem Schwierigkeitsgrad zum befreienden Erlebnis. Für sie führt das Dasein der Götter zum Einssein mit ihnen und so zur Auflösung aller Begrifflichkeiten, die den Menschen mit dieser Welt verstricken. Für den Laien hingegen ermöglicht das Dasein der Götter ein gutes Leben in dieser Welt. Nicht nur auf den prächtigen Altären der Tempel, sondern in jedem Haus, und ist es auch noch so klein, stehen sie auf einem Hausaltar. Mit ihnen teilt sich der Mensch diese Welt, mit ihnen steht er auch permanent in Kontakt. Für ein Gleichgewicht zwischen Menschen und Göttern sorgt ein großes Repertoire an buddhistischen Zeremonien.

46 www.huffingtonpost.com/2012/03/06/ bhutan-happiness-index-gnh-gross-national-happiness_n_1324918.html 1.10.2015).

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Im Tempel nehmen Laien an den Ritualen und Gebeten nicht teil. Der Buddhismus kennt keine Liturgie im Sinne der christlichen Messe, die sich an die Gemeinschaft der Gläubigen richtet und sie aktiv einbindet. In Bhutan konzentriert sich deren aktives religiöses Tun auf die Anhäufung von Tugendverdiensten durch Spenden an religiöse Einrichtungen, durch Anzünden von Butterlampen vor Darstellungen der Götter, durch das Verbrennen wohlriechender Substanzen, um die Götter zu erfreuen, durch Pilgerfahrten, durch das Rezitieren von Mantras mit dem buddhistischen Rosenkranz oder auch durch das Aufstellen von Gebetsfahnen und das Drehen von Gebetsmühlen. Der Gläubige erwartet sich dadurch gemäß karmischer Vorstellungen eine günstige Wiedergeburt, die letztendlich den Weg zur Erleuchtung öffnen soll. All diese Tätigkeiten fördern darüber hinaus die religiöse Andacht. Auch erfreuen sich bei Laien groß angelegte Gebets- und Belehrungszeremonien durch bedeutende buddhistische Lama besonderer Beliebtheit. Solche Veranstaltungen können bis zu 20 000 Menschen anziehen. Unter der großen Zahl von Besuchern verstehen nur wenige die oftmals äußerst komplizierten Darlegungen der buddhistischen Philosophie, jeder kommt aber in den Genuss des erteilten Segens. Je höher ein Lama in der klerikalen Hierarchie steht, desto mehr Besucher erfreuen sich dieser Veranstaltungen, umso ausführlicher wird in den Medien darüber berichtet. Im bhutanesischen Buddhismus steht die Figur des Lama letztendlich über den verschiedensten Erscheinungen des Buddha. „Ein einziges Haar des Lehrers zu verehren ist ein größeres Verdienst (bsod-nams) als die Verehrung aller Buddhas aller drei Zeiten“ − so hat eine Dākinī, ein weibliches Himmelswesen im tantrischen Buddhismus, die Bedeutung des Lama beschrieben.47 Beziehung und gegenseitige Erwartungshaltung zwischen Menschen und Göttern müssen regelmäßig in Zeremonien reproduziert werden. Wollen dabei Laien mit ihren Göttern in Kontakt treten, bedarf es eines religiösen Spezialisten, sei es ein Klosterlama, ein (oftmals verheirateter) Dorf- oder Laienpriester (sgom-chen) oder ein tantrischer Meister (sngags-pa). Dabei kommt ein Kerninhalt der Ritualistik des tibetischen Buddhismus immer zur Wirkung: Eine Gottheit ist in gewissem Sinn „objektiv“ gegenwärtig, erst sie macht den Ritus wirksam. Ihr bringt man Opfergaben dar und erhält Segnungen. Gleichzeitig kann man die Gottheit um Erfüllung des Anliegens bitten, aufgrund dessen das Ritual durchgeführt wurde. Dies soll zum Abschluss durch die Beschreibung einer Purifikationszeremonie (lhabsang) im Altarraum eines Bauernhauses illustriert werden, die der Laienpriester des Dorfes Gunitsawa im Parotal durchgeführt hat. Zentraler Adressat war der Schutzgott des Dorfes, Apa Yülha (A-pha Yul-lha). Stammen die folgenden Beobachtungen48 auch aus dem Jahr 1996, wird das Ritual bis heute und wohl auch in der nächsten Zukunft

47 John 1999: 143. 48 Schicklgruber 1997: 171–173.

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Buddhismus in Bhutan

nicht anders durchgeführt – daher das grammatikalische Präsens in der Beschreibung. Noch bevor die eigentlichen religiösen Handlungen beginnen, hat der Priester Figuren aus Teig geformt, so genannte Torma (gtor-ma), die mit Butter geschmückt und zum Teil rot bemalt werden. Diese Figuren werden den Göttern als Körper angeboten, in denen sie sich auf Einladung des Priesters niederlassen und die dargebrachten Opfer annehmen können. So wird nicht nur Apa Yülha, sondern auch sein gesamtes religiöses Umfeld dargestellt. Darunter finden sich auch Gottheiten, welche die lokalen Grenzen sprengen und durch ihre Anwesenheit das ganze Geschehen auf eine überregionale Ebene anheben und in das weitere buddhistische Weltbild eingliedern. Vor diesen Gottheiten werden verschiedenste Opfergaben wie Milch, Butter, Wasser, Räucherwerk, Blumen, Alkohol, Tee sowie Butterlampen aufgestellt. Der Dorfpriester nimmt nun mit seinem Helfer gegenüber dem so vorbereiteten Altar Platz. Hier werden sie in den nächsten Stunden ihre Musikinstrumente spielen, Gebete sprechen und Texte lesen. Im Verehrungstext des Herrschers über das Dorf tut sich die Welt auf, in der ein überwiegender Teil der Bewohner Bhutans Seite an Seite mit ihren Göttern lebt. Gleich zu Beginn wird der lokale Schutzgott mit Buddha und weiteren Göttern gleichgesetzt: Oh Buddha (sangs-rgyas), großer Befreier aller Lebewesen von großer Güte. Du selbst hast die Form des Apa Yülha angenommen, um das Glück der Lebewesen zu erhöhen. Ich bete zu dir, der du die Form des Yülha (Gott des Landes) aller Lebewesen angenommen hast, um den Frieden und das Glück der Lebewesen zu vermehren. Ich bete zu dir, dessen Güte die aller Lebewesen überragt, indem du die Form des göttlichen Besitzers des Ackerbodens (yul-gzhi-bdag), des Gottes der Spitze der Befestigung (mkhargyi rtse lha), des Gottes des Tores (sgo-lha), des Kriegsgottes (dgra-lha), des Gottes der Felder (zhing-lha), des Gottes des Heeres (dmag-dpon), des Gottes des Reichtums (nor-lha) und des Königs all der restlichen Götter (lha sogs) angenommen hast. Wie Könige ihre Untergebenen beschützen, so mögen wir von dir beschützt werden. Deine Güte ist überall, sie erstreckt sich auf alle Lebewesen dadurch, dass sie Form in all den Göttern angenommen hat.49

Allen diesen Göttern werden nun die Opfergaben vorgelesen: Betet man (die Silben) ram yam kham, so fülle man den Ozean an Opfergaben, die vom Geist erschaffen wurden, in ein Gefäß aus Juwelen, so groß wie Wolken. Die stofflichen Opfer an die sechs Sinne, alle angenehmen Dinge seien geopfert: Getreide, Gerste, Bier, Milch, Butter, Joghurt, Blumen, Weihrauch, Butterlampen, Parfum, Wasser, Flöten- und Trompetenspiel, Trommeln, Zimbeln – wir opfern all diese Dinge an unseren Gott. Wir opfern als Trank einen See an exzellentem Nektar und Blut, schöne und wohlschmeckende Torma, schöne Dinge, schöne Körper, melodiösen Klang, süßen Geruch. Alle Opfer an Götter und Menschen haben wir dargebracht. Möge dein Herz erfüllt sein mit diesen Opfern von geröstetem Mehl, glosendem Weihrauch, Seide, Gartenblumen, schnell galop-

49 Übersetzung der Rezitation des Laienpriesters von Gunitsawa im Zuge eines Verehrungsrituals am 22. September 1996.

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Christian Schicklgruber pierenden Pferden, Yaks, Schafen, Ziegen, Wildtieren, Büffeln, Kühen, Kreuzungen aus Yak und Kühen, Pfauen, Schwänen, Kranichen und allen schönen Kreaturen.50

Nun kann um die Gegenleistung gebeten werden: Wenn ich dir Opfer darbringe, will ich dich um einige Gefallen bitten. Das Haupt der Drei Juwelen (dgon-mchog gsum) sei hoch. Mögen die Klöster, in denen das Rad des Dharma gedreht wird, die rituellen Zentren, die Praktiker der Sūtren und Tantren, mögen sie alle immer von Wohltätigen (sbyin-bdag) unterstützt werden. All die Wünsche der Lebewesen seien erfüllt von der Kraft der Segnung des Dreifachen Juwels, der Lama und der reinen Götter. Alle Wünsche mögen erfüllt werden. Alle Krankheiten, Krieg, Hunger, Frost und Hagel und Unkraut in den Feldern, all diese Dinge, seien sie abgewehrt. Möge der Regen zur rechten Zeit kommen, mögen dadurch Felder und Vieh gedeihen. Von allen dämonischen Kräften (dgra-bgegs-rgyur gsum), von teuflischen Gedanken an einen, von verschiedenen Arten böser Geister, von allen, die böse Gedanken gegen einen hegen, mögen wir von allen bösen Einflüssen beschützt sein. Mögen unser Glück, Lebenszeit und Ruhm sich vermehren. Die auf Reisen sind und die zu Hause weilen, all ihre Wünsche sollen so erfüllt werden, wie ich euch bitte.51

Am Ende des Rituals verabschiedet der Lama die Götter wieder – die einen in ihren Himmel oder Tempel, andere in Felsen und wieder andere auf die hohen Berge. Von ganz oben überblicken sie die Ordnung der Welt. Dieser Satz könnte aus dem Mund eines Bhutaners kommen – den letzten Satz nimmt sich der Autor heraus: Alles hängt mit Allem zusammen, das scheint das Naturganze der Welt in Bhutan zu sein.

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DER

MONGOLISCHE

BUDDHISMUS

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1. Der geographische Bereich Wenn heute der Begriff „Mongolei“ verwendet wird, ist hiermit im strengen Sinne der Staat Mongolei gemeint. Das Gebiet dieses Staates ist die Heimat Činggis Qans, jenes Nomadenfürsten, der um 1200 „die Völker mit den Filzzelten“1 zwischen Altai und Mandschurei, Baikal-See und Gobi botmäßig gemacht hat. Hiermit begründete er eines der größten Reiche der Weltgeschichte, das Weltreich der Mongolen, das sich von Korea bis Ungarn und dem Nahen Osten, von Sibirien bis Indochina erstrecken sollte. Die ersten Völkerschaften, welche sich Činggis Qan unterworfen hatten und diesen im Jahre 1206 auf einer großen Versammlung am Onon-Fluss im Nordosten der Mongolei als höchsten Herrscher anerkannten, waren ihrer sprachlichen Herkunft nach Türken und Protomongolen. Da Činggis Qan aus dem Familienverband Mongqol, „Mongolen“, stammte, erhielt das neue Volk den Namen „Mongolen“. Ihre gemeinsame Sprache bezeichnet man entsprechend als „mongolisch“. Die Mongolen, welche den Buddhismus annahmen, leben heute in der Mongolei, in China und in Russland. In China leben sie vor allem in der Inneren Mongolei, in den nordöstlichen Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang sowie in den nordwestlichen Provinzen Gansu und Qinghai wie auch im Autonomen Gebiet Xinjiang und in Tibet. Die mongolischsprachigen Völker in Russland sind die Burjaten am Baikalsee und die Kalmücken zwischen unterer Wolga und Don. Die letzteren sind freilich nicht mehr Nachbarn der Mongolei. Im 17. Jahrhundert sind sie aus Ostturkestan, dem heutigen Xinjiang, ausgewandert. In ihrer fernen Heimat haben sie bis heute die Religion ihrer Vorfahren bewahrt und sogar in eine nochmalige Emigration mitgenommen, zu welcher sich ein Teil der Kalmücken im 1. und im 2. Weltkrieg gezwungen sah: nach Serbien, in die Tschechoslowakei, nach Deutschland und Frankreich und schließlich sogar bis in die USA. Zu den an die Mongolei angrenzenden Gebieten, deren Bevölkerung den Buddhismus angenommen hat, gehört die zu Russland gehörende kleine Republik Tuwa zwischen Hoch-Altai und Sajanischem Gebirge. Die Tuwiner, von denen ein 1 Die Geheime Geschichte der Mongolen (Mongqol-un niuča tobčaʼan) § 202, siehe de Rachewiltz 2004: 133; Taube 1989: 136.

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Teil auch in der Mongolei lebt, sprechen eine türkische Sprache und sind deshalb das einzige türkische Volk, das sich noch heute zum Buddhismus bekennt. Buddhistische Einflüsse finden sich auch bei den benachbarten altaitürkischen Altaiern und Chakassen.2

2. Die vormongolische Zeit: Der Buddhismus in den Staaten Liao und Jin Als Činggis Qan die Steppenvölker zum Volk der Mongolen machte, kann diesen der Buddhismus nicht unbekannt gewesen sein. Die Gebiete, in denen sie lebten, gehörten zum Staat Liao der wahrscheinlich protomongolischen Kitan (907–1125) und zum Staat Jin der tungusischen ˇJürčen (Dschurdschen, Jurchen; chines. Nüzhen; mongol. Altan ulus) (1115–1234). In beiden Staaten hat der Buddhismus eine bedeutende Rolle gespielt und sichtbare architektonische Zeugnisse, aber auch lebendige Traditionen hinterlassen. Die Liao-Herrscher, die über die Mongolei, die Mandschurei und Nordchina herrschten, waren große Förderer des Buddhismus. Sie errichteten zahlreiche Tempel und Klöster, welche sie auch weiterhin durch großzügige Zuwendungen unterstützten. In den Jahren 1031 bis 1064 wurde sogar eine Ausgabe des chinesischen Tripiṭaka gedruckt. Die Liao haben den Buddhismus hauptsächlich aus China übernommen. Hierauf deutet neben den literarischen Zeugnissen der chinesische Stil der Überreste von Kultbauten und Kunstwerken, wenngleich es höchstwahrscheinlich auch uigurische und tangutische Einflüsse gab. Als Schulrichtungen sind die Huayan-Schule und der Tantrismus bezeugt.3 Die Kitan besaßen offensichtlich eine reiche buddhistische Literatur: Sūtras und religiös-philosophische Traktate. Es ist durchaus möglich, dass auch Werke über Medizin, Astronomie, Architektur und Sprachwissenschaft zur buddhistischen Literatur der Kitan gerechnet werden können, denn auch diese scheinbar „weltli-

2 Zu den in Russland lebenden Völkern, bei denen der tibetisch-mongolische Buddhismus Eingang gefunden hat, gehören auch die den Burjaten benachbarten tungusischen Ewenken, siehe Terent´ev 2014: 21. Die Zahl der buddhistischen Ewenken ist allerdings klein und die entsprechenden Informationen sind so spärlich, dass auf eine Darstellung des „ewenkischen Buddhismus“ verzichtet werden muss. 3 Zum Buddhismus der Liao (Kitan) siehe Franke, O. 1948: 9–18; Wittfogel/Fêng 1949: 291– 297 und passim; Ch’en 1964: 409–411; Franke, H./Twitchett 1994: 137, 287, 312; Kessler 1994: 103, 107, 112; Shen 2007 passim. Zur buddhistischen Literatur siehe auch Starikov 1981: 49.

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chen“ Disziplinen dienen ja letztlich der Religion und gehören zu den „zehn Bereichen des Wissens“ (skt. daśavidyāsthāna).4 Seine Bedeutung behielt der Buddhismus auch im Reich Qara Kitai/Xi Liao (West-Liao, 1125–1211).5 Dieses war von einem Teil der Kitan gegründet worden, welche vor den Angriffen der ˇJürčen nach Turkestan geflohen waren und dort über eine muslimische und nestorianische Bevölkerung herrschten. Die Eroberer haben jedoch offensichtlich an ihrer buddhistischen Tradition festgehalten. Ein Beweis hierfür ist, dass der mongolische Fürst Güčülüg, welcher nach seiner Niederlage gegen Činggis Qan im Jahre 1204 zu den Qara Kitai floh, eine Tochter des Kitan-Herrschers, des Gür Qan, zur Frau erhielt und daraufhin vom Nestorianismus zum Buddhismus konvertierte. Güčülüg hat 1211 den Gür Qan vom Thron gestoßen. Überraschend ist, dass er sich gegenüber den Muslimen sehr intolerant zeigte. So zwang er die Bevölkerung von Kaschgar, zum Buddhismus überzutreten, und die Bewohner von Chotan mussten Buddhisten oder Christen werden. Es sei dahingestellt, ob dies ein Ausdruck der Gegnerschaft zwischen Buddhismus und Islam war oder politische Gründe hatte. Der nomadischen Tradition religiöser Toleranz, der sich auch die Liao-Herrscher verpflichtet hatten und die auch von den Mongolen geübt wurde, entsprach ein solches Verhalten jedenfalls nicht.6 Ein Einfluss des tibetischen Buddhismus lässt sich bei den Qara Kitai nicht feststellen.7 Von einer späteren tibetisch-buddhistischen Missionierung auf dem ehemaligen Gebiet der Qara Kitai zeugen Inschriften am Issyk-Kul.8 Doch sogar weit im Westen, in Merw im heutigen Turkmenistan, wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts noch einmal ein buddhistisches Heiligtum errichtet, offensichtlich nach ostasiatischer Tradition.9 Die blühende buddhistische Tradition der Liao fand ihre Fortsetzung unter den Jin, welche die Liao 1125 ablösten.10 Vor allem die frühen Herrscher verhielten sich gegenüber dem Buddhismus besonders wohlwollend und förderten ihn durch den Bau von Klöstern und Tempeln wie auch durch großzügige Schenkungen. Auch spätere Spannungen, die strenge staatliche Kontrolle der Klöster und die Konkurrenz von Konfuzianismus und Daoismus vermochten dem Buddhismus nicht wesentlich zu schaden. Bis zur Beseitigung der Jin-Herrschaft durch die Mon-

4 Starikov 1981: 49. Starikov zählt die Werke über Medizin, Astronomie, Architektur und Sprachwissenschaft allerdings nicht zur buddhistischen Literatur. 5 Zum Buddhismus der Qara Kitai bei Wittfogel/Fêng 1949: 670f.; Franke, H. 1990: 411; Klein 2000: 99; Vásáry 1999: 137. Auf das Fehlen von archäologischen Zeugnissen für den Buddhismus bei den Qara Kitai weist Klein 2000: 74 hin. 6 Wittfogel/Fêng 1949: 670f.; Vásáry 1999: 134; Klein 2000: 40. 7 Klein 2000: 74. 8 Klein 2000: 75 nach Litvinsky 1979: 48. 9 Klein 2000: 74f. nach Litvinsky 1979: 48. 10 Zum Jin-Buddhismus siehe Ch’en 1964: 411–414; Vorob´ev 1975: 375–377; Vorob´ev 1981: 31; Vorob´ev 1983: 133–135; Franke, H./Twitchett 1994: 313–316.

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Der mongolische Buddhismus

golen blieb der Buddhismus eine maßgebliche religiöse, gesellschaftliche und kulturelle Kraft. Auch unter den Jin wurde eine (chinesische) Tripiṭaka-Ausgabe gedruckt (1148–73). Die wichtigsten Schulen waren die Chan- oder Meditationsschule (chines. Chan-zong), die Schule vom Reinen Land (Jingtu-zong) und die VinayaSchule (Lü-zong). Bezeichnend für den Jin-Buddhismus ist eine Reihe von heterodoxen Schulen wie die messianischen Schulen der Weißen Wolken (Baiyun-zong) und des Weißen Lotos (Bailian-zong). Wie lebendig die religiöse Szene unter den Jin war, beweisen auch die synkretistischen Versuche einer Verbindung von Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus. All dies kann den mongolischen Eroberern nicht verborgen geblieben sein.

3. Der Buddhismus zur Zeit des mongolischen Großreiches und der Teilreiche 3.1. Frühzeit und das Khanat China11 Die Frage, seit wann wir von mongolischem Buddhismus sprechen können oder, genauer gesagt, seit wann es bei den Mongolen Buddhismus gibt, hängt davon ab, was wir unter Mongolen verstehen. Wir wollen diese Frage ganz pragmatisch beantworten: Mongolen gibt es, seit Činggis Qan die türkisch- und mongolischsprachigen Nomaden der Nordmongolei zu Anfang des 13. Jahrhunderts zum Volk der Mongolen gemacht und das mongolische Weltreich begründet hat. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass bereits Činggis Qan selbst mit dem Buddhismus in Berührung gekommen ist, denn dieser war bei jenen Völkern beheimatet, welche erste Ziele der mongolischen Expansion waren: bei den türkischen Uiguren, bei den Chinesen, bei den Tanguten und bei den Tibetern. Den uigurischen Buddhismus hat Činggis Qan vermutlich kennengelernt, nachdem er um 1204 das Volk der Naiman besiegt hatte.12 Hierbei fiel der Siegelbewahrer des Naiman-Fürsten Tayang Qan, Tatatungγa13, in die Hände der Mongolen. Tatatungγa war kein Naiman, sondern ein Uigure und somit der Vertreter eines Volkes mit einer hochentwickelten Kultur und drei Religionen: dem Buddhismus, dem nestorianischen Christentum und dem Manichäismus. Tatatungγa trat in die 11 Für die folgende Darstellung wurde v. a. Sagaster 2007: 379–395 herangezogen. – Neben der gebräuchlichen Schreibweise Khan wird – bei Namen bzw. als mongolischer sprachlicher Terminus – Qan verwendet. 12 Die Geheime Geschichte der Mongolen (Mongqol-un niuča tobčaʼan) § 196, siehe Haenisch 1948: 84, 183; de Rachewiltz 2004: 122, 721f. 13 Franke, O. 1948: 276; Franke, O. 1952: 148.

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Dienste Činggis Qans und führte offensichtlich das Uigurische als Kanzleisprache ein, deren Schrift schon bald auch für die Wiedergabe des Mongolischen und der ins Mongolische übersetzten buddhistischen Texte benutzt wurde. Es ist höchst wahrscheinlich, dass Činggis Qan mit Tatatungγa auch über den Buddhismus gesprochen hat, der bei den Uiguren seit Jahrhunderten eine sehr große Rolle spielte und eine reiche Literatur in uigurischer Sprache besaß.14 Vor allem müssen aber auch die Söhne und jüngeren Brüder Činggis Qans, welche von Tatatungγa in die mongolische Schrift eingeführt wurden, vom Buddhismus gehört haben.15 Mit dem tangutischen und tibetischen Buddhismus ist Činggis Qan höchstwahrscheinlich ebenfalls schon sehr früh bekannt geworden, und zwar zwischen 1205 und 1209 bei seinen Feldzügen gegen das nordöstlich von Tibet gelegene Reich Xixia, das Reich der Tanguten (1032–1227).16 Es erstreckte sich vom NanshanGebirge und der Takla Makan-Wüste bis zum Ordos-Gebiet im Westen der heutigen Inneren Mongolei. Das Siedlungsgebiet der Tanguten war altes buddhistisches Kulturland, in dem sich der zentralasiatische, der chinesische und der tibetische Buddhismus trafen und je eine eigene tangutische Form entwickelten. Die Einflüsse des tangutischen Buddhismus in der Mongolei waren offenbar größer als bisher angenommen. Bei den Ausgrabungen am so genannten Palasthügel auf dem Gelände der mongolischen Reichshauptstadt Karakorum sind Fragmente von Skulpturen und Fresken gefunden worden, die eindeutig den Stil der tangutischen Kunst von Qara Qota im Nordwesten der Inneren Mongolei zeigen.17 Neben tangutischen Mönchsgemeinden gab es in Xixia auch tibetische, chinesische und tangutisch-chinesische.18 Ob tangutische und chinesische Mönche von Xixia aus die Mongolei besucht haben, wissen wir nicht. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass tibetische bKaʼ-brgyud-pa- und Sa-skya-pa-Mönche von Xixia aus in die Mongolei gekommen und dort sogar mit Činggis Qan zusammengetroffen sind. Einer dieser Mönche war gTsang-pa Dung-ʼkhur-ba, ein Schüler des Begründers der Tshal-pa bKaʼ-brgyud-pa-Schulrichtung, Zhang Tshal-pa brTson-ʼgrus Gragspa (1123–1193). Činggis Qan soll von ihm so beeindruckt gewesen sein, dass er der buddhistischen Geistlichkeit Steuerfreiheit gewährte.19 Auf Vertreter des chinesischen Buddhismus traf Činggis Qan sehr wahrscheinlich auf seinem Feldzug von 1211 bis 1216 gegen das Jin-Reich der ˇJürčen (1115– 1234), dessen führende Religion der Buddhismus war.20 Ob er bereits damals den jungen chinesischen Mönch Haiyun (1202–1257) kennengelernt hat oder erst ei-

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Klimkeit 1988: 203–206. Vgl. auch Wilkens in diesem Band. Franke, O. 1948: 276. Über das Tanguten-Reich Xixia siehe Kytschanow 1993. Hüttel 2005: 145. Kytschanow 1993: 56. Čoyiǰi 1998: 122–125. Franke/Trauzettel 1968: 339.

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Der mongolische Buddhismus

nige Jahre danach, ist nicht sicher. Haiyun gehörte der Chan-Schule an, welche zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Nordchina einen sehr großen Einfluss besaß.21 Činggis Qan soll von Haiyuns Fähigkeiten sehr beeindruckt gewesen sein. In einem Erlass befahl er Haiyun und dessen Lehrer Zhongguan, zum Himmel zu beten und Wunschgebete zu verrichten. Zugleich ordnete er an, sie „an die Spitze“ zu stellen. Dies kann nichts anderes bedeuten, als dass Činggis Qan ihnen, genauer gesagt dem Haiyun, die Oberhoheit über die buddhistische Geistlichkeit in China übertragen hat.22 Der Chan-Meister (chines. chanshi) Haiyun erfreute sich auch der höchsten Wertschätzung von Činggis Qans Nachfolgern Ögedei (1229–1241), Güyüg (1242– 1246) und Möngke (1251–1259). Bereits im Jahre 1229 erließ Ögedei Qan ein Gesetz, durch welches die buddhistischen Mönche (mongol. quvaraγ), aber auch die daoistischen Mönche (mongol. bombo) von allen Steuern und Abgaben befreit wurden. Dies war eine Maßnahme von großer politischer Bedeutung, da in den letzten Jahren der Jin-Dynastie die Buddhisten gegenüber den Konfuzianern (mongol. bičig-ün surγaγulitan) sehr benachteiligt wurden. Im Jahre 1247 übertrug auch Güyüg Qan dem Haiyun die Oberaufsicht über die buddhistischen Mönche. Die Ernennung wurde von Möngke Qan bei seinem Regierungsantritt im Jahre 1251 bestätigt.23 Von besonderer Bedeutung waren Haiyuns Beziehungen zu Činggis Qans Enkel Qubilai (1215–1294; reg. ab 1260, als chinesischer Kaiser Shizu ab 1280). Die Tradition berichtet, dass Qubilai von Haiyun wissen wollte, ob man mit der Religion Buddhas die Welt befrieden könne, und ihn fragte, welche der drei Lehren, der Buddhismus, der Daoismus oder der Konfuzianismus, die beste sei. Für Haiyun war dies natürlich der Buddhismus, denn er umfasse auch die Regeln für die weltliche Ordnung, das „Gesetz des Königs“ (mongol. qaγan-u ǰasaγ, chines. wangfa). Die Gespräche mit Haiyun haben Qubilais politisches und religiöses Weltbild höchstwahrscheinlich wesentlich beeinflusst.24 Zu ersten Kontakten mit dem Buddhismus in Tibet selbst kam es im Jahre 1240. Im Jahre 1227 hatte Činggis Qan den Tangutenstaat Xixia endgültig vernichtet. Hierdurch wurde das mongolische Reich ein direkter Nachbar Tibets. Nach der Thronbesteigung Ögedeis 1229 wurde dessen Sohn Göden25 (1206–1251) mit dem Westteil des ehemaligen Tanguten-Reiches belehnt. 1240 entsandte er ein Heer unter dem Oberbefehl des Feldherrn Doorda (tibet. rDo-rta) nach Zentraltibet. Das Hauptheer drang bis in das Gebiet nordöstlich von Lhasa vor. Dort zerstörten die Mongolen die Klöster Rva-sgreng und rGyal lha-khang und töteten fünfhundert

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Über Haiyun siehe Franke, O. 1952: 173–175; Čoyiǰi 1998: 126. Čoyiǰi 1998: 128. Abramowski 1979: 19; Čoyiǰi 1998: 129–133. Čoyiǰi 1998: 131–133. Tibetische Schreibweise: Go-dan, mongol. auch Godan. Čoyiǰi 1998: 137 transkribiert mit Köten.

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Mönche. Als die Mongolen auch das weiter östlich gelegene Kloster ʼBri-gung angreifen wollten, verhinderte dies ein hoher Lama, der sPyan-snga Rin-po-che Grags-pa ʼByung-gnas (1175–1255), indem er vom Himmel Steine regnen ließ. Wie auch immer der Rin-po-che in Wirklichkeit sein Ziel erreicht haben mag, ist diese Legende typisch für die Taktik der tibetischen Lamas, durch angebliche Wunder die Stärke und den Wert ihrer Religion zu demonstrieren und die mongolischen Machthaber dadurch zu beeindrucken. Wahrscheinlich ist dies einer der Gründe, weshalb die mongolische Eroberung Tibets nicht so grausam war wie die Eroberung anderer Länder.26 Doorda war offensichtlich nicht nur von dem Rin-po-che von ʼBri-gung, sondern auch von Vertretern anderer Schulrichtungen so beeindruckt, dass er dem Prinzen Göden vorschlug, einen hohen Lama an seinen Hof einzuladen. Die Wahl fiel auf den ob seiner Gelehrsamkeit hochberühmten Sa-skya Paṇḍita Kun-dgaʼ rGyalmtshan (1182–1251), das Oberhaupt der Sa-skya-pa-Schulrichtung.27 Trotz seines hohen Alters von 63 Jahren nahm Sa-skya Paṇḍita die Einladung an und machte sich im Jahre 1244 zusammen mit zwei Neffen, dem zehnjährigen ʼPhags-pa Blogros rGyal-mtshan (1235–1280) und dem sechsjährigen Phyag-na rDo-rje (1239– 1267) vom Kloster Sa-skya im südwestlichen Zentraltibet aus auf die lange und beschwerliche Reise. Im 8. Monat des Jahres 1246 trafen sie in Gödens Hoflager ein, das sich in der „Gelben Ebene“, Sira Tala, befand, in der Nähe von Liangzhou in der Mitte der heutigen Provinz Gansu.28 Sa-skya Paṇḍitas Besuch bei Göden bedeutete den eigentlichen Beginn der mongolischen Beziehungen mit Tibet im Allgemeinen und mit dem tibetischen Buddhismus im Besonderen. Die Gründe für die Einladung waren sicher komplex. Einer von ihnen war offensichtlich der Wunsch, sich der Dienste eines Vertreters einer wirkmächtigen Religion zu versichern, der Göden zeigen solle, wie er in richtiger Weise seinen Eltern sowie dem Himmel und der Erde die erwiesenen Wohltaten vergelten könne. Dies deutet darauf hin, dass Sa-skya Paṇḍita zum Himmel beten und Wunschgebete darbringen sollte, wie dies bereits Činggis Qan dem chinesischen Mönch Haiyun befohlen hatte. In einem wahrscheinlich 1249 verfassten Schreiben Sa-skya Paṇḍitas an die Mönche und Laien von Tibet wird diese Vermutung bestätigt, da der Paṇḍita dort ausdrücklich dazu auffordert, für das Glück des Khan und der Fürsten zum Himmel (und nicht etwa zu Buddha!) zu beten und Wunschgebete darzubringen. Die mongolischen Herrscher waren zumindest bis zu Qubilai Qan kaum an der religiösen Wahrheitsfrage interessiert. Schamanen, Daoisten, Christen, Muslime und Buddhisten hatten nur eine Aufgabe: ihre Kraft zu nutzen, um die überirdischen Mächte günstig zu stimmen. Solange 26 Čoyiǰi 1998: 142. Zum mongolischen Einfall in Tibet siehe Tucci 1949: 652; Čoyiǰi 1998: 137–139. Über die Legende siehe Tucci 1949: 634, 662; Ferrari 1958: 112; Čoyiǰi 1998: 140. 27 Über Sa-skya Paṇḍita Kun-dgaʼ rgyal-mtshan siehe Bosson 1969: 2–7. 28 Čoyiǰi 1998: 140–150.

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sie dieser staatlichen Pflicht nachkamen, wurden sie alle gleich behandelt und waren von allen Steuern und Abgaben befreit.29 Ein weiterer wesentlicher Grund für die Einladung Sa-skya Paṇḍitas war offensichtlich ein rein politischer. Als Oberhaupt der Sa-skya-pa-Schulrichtung war Kun-dgaʼ rGyal-mtshan nicht nur ein religiöser Würdenträger, sondern vor allem auch eine der einflussreichsten politischen Persönlichkeiten Tibets. Für den mongolischen Einfluss auf Tibet musste es von größter Wichtigkeit sein, dass sich am Hofe des für Tibet zuständigen Fürsten einer der prominentesten Vertreter der tibetischen Führungsschicht aufhielt. Der Paṇḍita selbst war, wie er in dem oben erwähnten Schreiben an die Mönche und Laien von Tibet feststellt, der Einladung Gödens gefolgt, um das von den Mongolen drohende Unheil von Tibet abzuwenden.30 Sa-skya Paṇḍita war jedoch, wie sich schnell erweisen sollte, sehr viel mehr als eine Art politischer Geisel. Als einer der bedeutendsten buddhistischen Geistlichen von Tibet nutzte er seinen Aufenthalt im buddhistischen Liangzhou, um den dortigen Gläubigen – Mongolen, Chinesen, Uiguren und Tanguten – zu predigen.31 Ob Sa-skya Paṇḍita und Göden über die Bedeutung des Buddhismus für die Ordnung der weltlichen Dinge gesprochen haben, wie dies Qubilai und Haiyun getan hatten, wissen wir nicht. Möglich ist dies schon, da Sa-skya Paṇḍita eine berühmte didaktische Spruchsammlung verfasst hat, in welcher es zum Beispiel heißt: „Wenn es auch sehr viele Könige gibt, so gibt es doch nur wenige, die sich dem Dharma gemäß um den Staat sorgen“.32 Eher wahrscheinlich ist, dass Sa-skya Paṇḍita den Mongolenfürsten mehr durch seine medizinischen Kenntnisse für sich eingenommen hat. Es wird berichtet, er habe Göden von einer schweren Krankheit geheilt und dadurch den Mongolenfürsten so beeindruckt, dass dieser gläubig geworden sei.33 Medizinische Fähigkeiten und vor allem auch die Wunderkräfte der tantrakundigen tibetischen Lamas waren wichtige Mittel, um die Überlegenheit des Buddhismus zu zeigen und zur Annahme dieser Religion zu führen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Göden von Sa-skya Paṇḍita eine buddhistische Weihe empfangen und ihn zu seinem persönlichen Lama genommen hat. Selbst wenn es sich hierbei für Göden nur um einen äußerlichen Akt gehandelt haben mag, wären dadurch beide von da an formal als „Opferort (mongol. takil-un oron, tibet. mchodgnas) und Gabenherr (mongol. öglige-yin eǰen, tibet. yon-bdag)“, geistlicher Führer und weltlicher Gönner, miteinander verbunden gewesen. Das Verhältnis von „Op29 Čoyiǰi 1998: 147–158. – Weitere Literatur zu den Gründen der Einladung bei Everding 1988: 230 Anm. 314; Zusammenfassung des Schreibens des Sa-skya Paṇḍita bei Shakabpa 1967: 63; Beispiele für die Steuerbefreiung in Poppe 1957: 47, 49, 55. 30 Čoyiǰi 1998: 153f., 158. 31 Čoyiǰi 1998: 152. 32 Tibet. Legs-par bshad-pa rin-po-cheʼi gter; mongol. Sayin üge-tü-yin erdeni-yin sang. „Edelsteinschatz der guten Sprüche“ [Subhāṣitaratnanidhi], Spruch Nr. 199, siehe Bosson 1969: 164, 244. 33 Schmidt 1829: 113; Čoyiǰi 1998: 151, 160.

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ferort und Gabenherrn“, geistlichem Führer und weltlichem Gönner, sollte fortan eine entscheidende Rolle im Verhältnis zwischen den mongolischen Fürsten und den buddhistischen Geistlichen spielen. Sa-skya Paṇḍita hatte keine Gelegenheit mehr, nach Tibet zurückzukehren. Im Jahre 1251 starb er in Liangzhou, ebenso wie sein Gastgeber Göden.34 Sein Ziel, die Vernichtung Tibets und seiner Kultur zu verhindern, hatte er erreicht und darüber hinaus die Weichen dafür gestellt, dass sich die mongolischen Fürsten in der Folge für die Annahme des tibetischen Buddhismus entschieden und hierbei der Sa-skya-pa-Schulrichtung eine besondere Bedeutung zukam. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die mongolischen Fürsten auch mit den anderen Schulen des tibetischen Buddhismus in guten Beziehungen standen. So hat jeder der vier Söhne von Činggis Qans jüngstem Sohn Tolui in Tibet ein bestimmtes Gebiet zum Lehen erhalten, welches jeweils von einer anderen Schule dominiert wurde. Infolgedessen stand Möngke, der 1251 der vierte mongolische Großkhan wurde, in einem besonderen Verhältnis zu den ʼBri-gung-pa, Qubilai zu den Tshal-pa, Hülegü (Ülegü) zu den ʼPhag-mo Gru-pa und Ariγbuqa zu den sTaglung-pa. Die führende Stellung in Tibet behielten allerdings die Sa-skya-pa, welchen Möngke Qan, wie vermutlich schon Göden, die Oberaufsicht über die gesamte buddhistische Geistlichkeit in Tibet übertrug und zudem in guter alter mongolischer Tradition die Befreiung von allen Steuern und Abgaben gewährte.35 Ein für die Beziehungen zwischen den Mongolen und dem tibetischen Buddhismus noch folgenreicheres Ereignis war die Begegnung zwischen Möngke Qans jüngerem Bruder und späteren Nachfolger Qubilai mit Sa-skya Paṇḍitas Neffen ʼPhags-pa Blo-gros rGyal-mtshan im Jahre 1254. ʼPhags-pa hatte inzwischen die Nachfolge seines Onkels als Oberhaupt der Sa-skya-pa angetreten. Es heißt, dass Qubilai damals viele Fragen über die Geschichte Tibets und über den Buddhismus gestellt habe und von den Antworten des jungen Mönches so beeindruckt gewesen sei, dass er gläubig wurde, von ʼPhags-pa die Weihe der Tantragottheit Hevajra empfing und ihn zu seinem Lama, seinem geistlichen Führer, nahm.36 Wie hoch Qubilai ʼPhags-pas Fähigkeiten einschätzte, beweist die Tatsache, dass er ihn an der Lösung eines Problems, des langjährigen Konflikts zwischen den Daoisten und den Buddhisten, beteiligte, welcher eine ernsthafte Gefahr für die innere Ruhe des mongolischen Reiches war.37 Zwar waren die mongolischen Herrscher allen Religionen gegenüber duldsam, doch bedeutete dies nicht, dass es zwischen diesen keine Differenzen gab. In drei von Möngke und Qubilai veranstal-

34 35 36 37

Schmidt 1829: 113; Čoyiǰi 1998: 165. Čoyiǰi 1998: 165–169. Čoyiǰi 1998: 170ff. Den Streit zwischen den Buddhisten und Daoisten beschreibt Thiel 1961. Siehe auch Waley 1931: 29–33; Franke, O. 1948: 308f., 482; Franke, O. 1952: 165, 202; Čoyiǰi 1998: 183–203.

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teten Streitgesprächen, an deren drittem 1257 ʼPhags-pa als Vertreter des tibetischen Buddhismus teilnahm, wurde versucht, eine Entscheidung herbeizuführen. Der Streit wurde schließlich Jahre später zugunsten der Buddhisten entschieden. Getreu der von Činggis Qan geschaffenen Religionspolitik besaß der Daoismus dennoch immer noch die gleiche offizielle Achtung und die gleichen steuerlichen Privilegien wie die anderen Religionen. Politisch gesehen war jedoch bereits unter Möngke eine bedeutende Veränderung eingetreten: die Bevorzugung des Buddhismus vor den anderen Religionen. Unter Qubilai kam es zur Bevorzugung des tibetischen Buddhismus. Auch die Nachfolger Qubilais, der im Jahre 1280 nach seinem Sieg über die Song-Dynastie Kaiser von China wurde und die Yuan-Dynastie (1280– 1368) begründete, räumten dem tibetischen Buddhismus eine letztlich verhängnisvolle Vorrangstellung ein. Qubilais Politik wurde durch sein besonders enges Vertrauensverhältnis zu seinem tibetischen geistlichen Lehrer ʼPhags-pa bestimmt. Es steht außer Frage, dass sich Qubilai von dem gelehrten Oberhaupt der Sa-skya-pa-Schulrichtung nicht nur weiterhin religiösen Rat erwartete, sondern ihn vor allem auch für seine politischen Ziele benutzen wollte. Eines dieser Ziele war der Ausbau der mongolischen Macht in Tibet, welche durch die politischen Aktivitäten der rivalisierenden Schulrichtungen und deren Allianzen mit ebenfalls rivalisierenden mongolischen Machthabern behindert wurde.38 Ein zweites Ziel war das offensichtliche Bestreben Qubilais, die verschiedenen buddhistischen Schulrichtungen im gesamten mongolischen Reiche unter eine einheitliche Leitung zu stellen, um eine wirksamere Kontrolle dieser politisch, gesellschaftlich und ökonomisch bedeutenden Machtfaktoren zu ermöglichen. Wie schnell Qubilai diese beiden Zielsetzungen erreichen wollte, zeigt die Tatsache, dass er noch 1260, im Jahre seiner Wahl zum Großkhan, seinen Vertrauten ʼPhags-pa zum „Lehrer des Reiches“ (guoshi) ernannte und ihm sowohl die Verwaltung von Tibet als auch die Oberaufsicht über die gesamte buddhistische Geistlichkeit im mongolischen Reich übertrug.39 Die außerordentliche Machtstellung von ʼPhags-pa hatte zur Folge, dass die Sa-skya-pa schon bald die politisch führende Position unter den tibetischen Schulrichtungen einnahmen, aber auch den Vorrang vor den chinesischen Buddhisten gewannen. Noch unter Möngke standen die Chan-Buddhisten an erster Stelle. Hiervon wurden sie durch die Politik Qubilais nicht nur verdrängt, sondern sogar ihrer Selbstständigkeit beraubt und dem tibetischen „Lehrer des Reiches“ unterstellt.40 Die Autorität ʼPhags-pas wurde im Jahre 1270 durch seine Erhebung zum „Kaiserlichen Lehrer“ (dishi) noch weiter erhöht. Hiermit wurde er der erste einer Reihe von „Kaiserlichen Lehrern“, die erst zur Zeit des Kaisers Toγan Temür/Shundi (1333–1367) endete.41 38 39 40 41

Čoyiǰi 1998: 208. Čoyiǰi 1998: 255f. Delger 1989: 59–71; Čoyiǰi 1998: 231–233, 243. Tucci 1949: 14f.; Everding 1988: 106; Delger 1989: 62–69; Čoyiǰi 1998: 243.

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Der Kaiserliche Lehrer hatte einen sehr großen Aufgabenbereich, der sowohl religiöse Pflichten als auch administrative Obliegenheiten umfasste: Als Hofgeistlicher nahm er religiöse Gelübde ab, erteilte Weihen und brachte Gebete für das lange Leben des Kaisers und für das Wohl des Staates dar. Er war zuständig für die Verbreitung der Lehre, für die Erklärung der religiösen Schriften und für die Errichtung und Restaurierung von Klöstern und Tempeln.42 Seine wohl wichtigste politische und administrative Aufgabe war die Verwaltung der Angelegenheiten der buddhistischen Geistlichkeit im gesamten Reiche und die Verantwortung für die weltlichen und geistlichen Angelegenheiten von Tibet. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben wurden den Kaiserlichen Lehrern erhebliche Mittel bewilligt. Schon unter Qubilai, aber vor allem unter den späteren Kaisern wurde die tibetisch-buddhistische Geistlichkeit materiell so stark gefördert und rechtlich so sehr bevorzugt, dass dies den Unmut der konfuzianischen Beamtenschaft, des einfachen Volkes und der anderen Religionen zur Folge hatte. Häufig verhielten sich die Mönche auch arrogant, dass sie selbst vor Beleidigungen von Mitgliedern der kaiserlichen Familie nicht zurückschreckten, ihre Privilegien schamlos ausnutzten und nicht selten Schrecken verbreiteten. Die Kaiser schritten in der Regel teils aus Bigotterie und teils aus politischem Kalkül nur dagegen ein, wenn ihre eigenen Interessen oder die Interessen des Staates keinen anderen Ausweg erlaubten.43 Unter dem letzten Kaiser der Yuan-Dynastie, Toγan Temür, kam es zur Katastrophe. Der immer schnellere politische Niedergang der Mongolenherrschaft in China wurde begleitet von einem immer schlimmer werdenden moralischen Verfall sowohl bei Hofe als auch innerhalb der buddhistischen Geistlichkeit. 1354 wurden im kaiserlichen Palast tantrische Geheimzeremonien veranstaltet, die in Wirklichkeit sexuelle Orgien gewesen sein sollen und an denen sogar der Kaiser und der Kaiserliche Lehrer persönlich teilnahmen. Damit hatten die Sa-skya-pa ihr Ansehen völlig verspielt. Ohne Zweifel war die traurige Rolle der tibetischen Lamas einer der Gründe, die den schnellen Zusammenbruch der Mongolenherrschaft in China verursacht haben.44 Trotz ihrer führenden Stellung waren die Sa-skya-pa nicht die einzigen Vertreter des tibetischen Buddhismus, die an den mongolischen Hof kamen. Grundsätzlich verfolgten Qubilai und seine Nachfolger ja immer noch eine Politik der guten Beziehungen zu allen Religionen. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die Kaiser ˇJiyaγatu/Tuγ Temür (Wenzong) (1330–1332) und Toγan Temür (1333–1367) die Oberhäupter der Karma bKaʼ-brgyud-pa-Schulrichtung, den dritten Karma-pa Rang-byung rDo-rje (1284–1339)45 und den vierten Karma-pa Rol-paʼi rDo-rje (1340–1383)46 einluden. 42 43 44 45 46

Delger 1989: 69ff. Delger 1989: 53–60, 106–113. Franke, O. 1948: 534; Franke/Trauzettel 1968: 240; Delger 1989: 60f. Douglas/White 1976: 49. Shakabpa 1967: 71f.; Douglas/White 1976: 55–58.

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Das Bild, welches vor allem die chinesischen Quellen von der Rolle des tibetischen Buddhismus zur Zeit der Yuan-Dynastie zeichnen, ist allerdings offensichtlich einseitig. Die sehr konkreten Beweise für seine dunkle Seite können nicht bestritten werden, doch kann die Tätigkeit der Lamas im mongolischen Reich nicht nur negativ gewesen sein. Inwieweit der tibetische Buddhismus lediglich eine Religion des Hofes und der Fürsten war, sei dahingestellt.47 Es ist kaum wahrscheinlich, dass die Lamas nicht versucht haben, auch das einfache mongolische Volk zu bekehren, wie auch immer die Missionserfolge bei den Anhängern des so genannten mongolischen Schamanismus ausgesehen haben mögen. Es steht jedenfalls fest, dass zumindest unter den mongolischen Fürsten ein genuines Interesse für die neue Religion bestanden hat. Das beste Beispiel hierfür ist Qubilai, der ja schon mit Haiyun über die Lehre Buddhas diskutiert hat und der seinen geistlichen Führer ʼPhags-pa gebeten hat, für den Kronprinzen Činggim eine Einführung in den Buddhismus zu verfassen. ʼPhags-pa folgte diesem Wunsch und schrieb im Jahre 1278 in tibetischer Sprache ein kurzes Werk, die „Erklärung dessen, was man wissen soll“ (Shes-bya rab-gsal).48 In diesem meisterhaften Abhidharma-Traktat stellt ʼPhags-pa das gesamte buddhistische Weltbild dar, angefangen von den vier Elementen bis zur Erlösung vom Leiden. Das Werk wurde für so bedeutend gehalten, dass es bereits im Jahre 1306 ins Chinesische mit dem Titel Zhangsuozhilun „Abhandlung über die Erklärung des Wissbaren“ übersetzt und in das chinesische Tripiṭaka aufgenommen wurde.49 Unter dem Titel Medegdekün-i belgetey-e geyigülügči šastir „Lehrbuch, welches vortrefflich das, was man wissen soll, erklärt“ wurde der Text zur Yuan-Zeit auch ins Mongolische übertragen.50 Der Wunsch nach einer so anspruchsvollen Erläuterung der Religion lässt darauf schließen, dass die Mongolen nicht nur aus taktisch-politischen Erwägungen am Buddhismus interessiert waren. Es ist auch zu bezweifeln, dass die bald einsetzende Übersetzungstätigkeit nur dem Bestreben des Kaisers entsprang, sich religiöse Verdienste zu erwerben. Es muss vielmehr ein genuines Interesse bestanden haben, die wichtigsten buddhistischen Texte auch in mongolischer Sprache zugänglich zu machen. Die ersten Übertragungen buddhistischer Werke ins Mongolische stammen bereits vom Ende des 13. und von der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Namentlich bekannt und teilweise noch erhalten sind Übersetzungen einer Reihe von grundlegend wichtigen buddhistischen Gebeten und Lehrtexten.51 Zu ihnen gehören z. B. eine Hymne an die Schutzgöttin Mahākālī52, das „Herz-Sūtra“ (Prajñāpāramitāhṛdaya)53,

47 48 49 50 51 52 53

Delger 1989: 117, 119. Englische Übersetzung: Hoog 1983. Englische Übersetzung: Willemen 2004. Textausgabe: Uspensky 2006. Cerensodnom/Taube 1993; Cėrėnsodnom 2002: 263–271. Cerensodnom/Taube 1993: 114–120. Cerensodnom/Taube 1993: 106–108.

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die Dhāraṇī-Sammlung „Der fünffache Schutz“ (Pañcarakṣā)54, das berühmte Lehrgedicht des Śāntideva „Der Eintritt in den Wandel zur Erleuchtung“ (Bodhicaryāvatāra)55 und nicht zuletzt das bei den Mongolen bis heute besonders hoch geschätzte „Goldglanz-Sūtra“ (Suvarṇaprabhāsa/mongol. Altan Gerel), in welchem unter anderem ausführlich die Pflichten der Könige behandelt werden (Kap. 20).56 Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts wurde die berühmte didaktische Spruchsammlung des Sa-skya Paṇḍita, Subhāṣitaratnanidhi, ins Mongolische übertragen.57 Die intellektuelle Leistung, welche Übersetzer wie Chos-kyi ʼOd-zer58 und Shes-rab Seng-ge59 hierbei erbracht haben, ist bewundernswert und deutet darauf hin, dass die Technik der Übersetzungen ins Mongolische angesichts der schwierigen religiösen Fachsprache eine lange Vorgeschichte gehabt haben muss. Eine primitive, nur auf das Äußere bedachte Religion hätte eine solche Leistung nie erbringen können. Es ist nicht wahrscheinlich, dass all diese Texte, von denen viele auch noch im heutigen Laienbuddhismus populär sind, nur in elitären Zirkeln und nicht auch beim einfachen Volk bekannt waren, wie auch immer sie inhaltlich verstanden worden sein mögen. Und auch die Klöster, für welche so viel Aufwand getrieben worden ist, können nicht hermetisch vom Volk abgeschirmt gewesen sein.

3.2. Die westlichen Mongolenreiche 3.2.1. Der Buddhismus im Ilkhanat von Iran60 Als die Mongolen unter Činggis Qans Enkel Hülegü (Ülegü) (gest. 1265), dem Bruder des späteren Großkhans Qubilai, die iranischen Länder eroberten und dabei den Buddhismus mitbrachten, kamen sie in Gebiete, in denen diese Religion schon früher heimisch gewesen war, und zwar bereits seit etwa dem 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum erfolgreichen Vordringen des Islam im 7./8. Jahrhundert.61 Inwieweit Hülegü, der Gründer des Ilkhanats (1256–1335), selbst als Buddhist bezeichnet werden kann, sei dahingestellt. Als guter Mongole war er allen Religionen gegen54 55 56 57 58 59 60

Cėrėnsodnom 2002: 264. Cerensodnom/Taube 1993: 75–95; Cėrėnsodnom 2002: 264. Cerensodnom/Taube 1993: 136–138; Cėrėnsodnom 2002: 264. Cerensodnom/Taube 1993: 136–138; Cėrėnsodnom 2002: 267–271. Heissig 1954: 16f., 28, 120; Klafkowski 1987: 376–377; Cėrėnsodnom 2002: 264. Heissig 1954: 16f.; Cėrėnsodnom 2002: 264. Über die religiösen Verhältnisse und den Buddhismus unter den Ilkhanen unterrichtet Spuler 1985, vor allem 149–160. Neuere wichtige Arbeiten sind Grupper 2004; Elverskog 2010: 133–174 (Abschnitt „Mongols, Buddhism, and Islam“); Foltz 2010; Vaziri 2012 und Prazniak 2014. 61 Näheres über die erste Verbreitung des Buddhismus in Iran bei Vaziri 2012: 15–28 (Kap. 2: „The Early Spread and Influence of Buddhism in Iran“). Ältere kürzere und längere Darstellungen sind Barthold 1933; Emmerick 1990; Scott 1990; Spuler 1952: 217f.

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über offen.62 Allerdings lag ihm der Buddhismus schon früh ganz besonders am Herzen. In Iran war er sein erster großer Förderer, selbst wenn unter ihm und seinen Nachfolgern vor allem auch die Schamanen großen Einfluss hatten.63 Welcher Art der Buddhismus in Iran war, ist schwer zu sagen. Der Grund hierfür ist der Mangel an Quellen, die Auskunft geben könnten.64 Mit den mongolischen Eroberern kamen sicherlich tibetische und vielleicht auch schon mongolische Mönche, da im mongolischen Ostreich die tantrisch geprägte tibetische Form des Buddhismus immer mehr Einfluss gewann. Doch auch kaschmirische, uigurische und chinesische Geistliche fanden ihren Weg in die iranischen Länder. In welchem Grade es ihnen gelang, die einheimische Bevölkerung zu missionieren, ist unklar. Dafür dass der iranische Buddhismus der Ilkhanzeit inhaltlich sowohl kaschmirisch-tibetisch als auch chinesisch geprägt war, spricht die Darstellung des Buddhismus, welche der persische Historiker Rašīd ad-Dīn (ca. 1250–1318) um 1305/ 06 im zweiten Teil seiner „Geschichte Indiens“ gibt.65 Für dieses Werk standen ihm ein kaschmirischer und zwei chinesische Informanten zur Verfügung: der kaschmirische Gelehrte (baḫši) Kamalaśrī und die Chinesen Litaji und Kamsun.66 Inwieweit sich noch Erinnerungen an den vorislamischen Buddhismus auf das Wissen über den Buddhismus in Iran ausgewirkt haben, sei dahingestellt.67 Auf jeden Fall wissen wir, dass das Land voller buddhistischer Tempel war, vom Schwarzen Meer bis zum Kaspischen Meer, von Aserbaidschan bis Chorasan.68 Es muss deshalb auch entsprechend viele Geistliche gegeben haben, die toyïn (uigur. tojïn/tojun; mongol. toyin < chines. daoren „buddhistischer Mönch“) und baḫši (uigur. baqši; mongol. baγsi < chines. boshi „Lehrer, Gelehrter“) genannt wurden.69 Unter „Tempel“ sind wahrscheinlich die Vihāras (skt. vihāra; altuigur. vrˈhr70; mongol. buqar) und die butkhāna, „Buddhahäuser“71, zu verstehen, die Klöster und Lehranstalten, in denen es natürlich auch Tempel gab.72 Besonders Hülegü und sein Sohn Abaqa (reg. 1265–1282) erbauten solche „Tempel“, die offenbar prachtvoll ausgestattet wa62 Über die Offenheit – nicht Indifferenz – der Mongolen allen Religionen gegenüber siehe z. B. Elverskog 2010: 136, 139. 63 Spuler 1985: 178–179. Über Hülegüs frühes Interesse für den Buddhismus, insbesondere für die chinesische Meditationsschule (Chan), und seinen Kontakt zu dem Dhyāna-Meister Haiyun (gest. 1257) siehe Prazniak 2014: 654. Später wandte er sich vor allem dem tibetischen Buddhismus zu. Siehe z. B. Elverskog 2010: 139. 64 Bausani 1968: 541. Zum Problem der Quellen siehe Spuler 1985: 179f. und Prazniak 2014: 651. 65 Übersetzung des persischen Textes in Jahn 1980: 70–104. Für die Inhaltsanalyse und die Untersuchung der Quellen wichtig ist Elverskog 2010: 145–162. 66 Jahn 1980: 10, 19; Elverskog 2010: 149. 67 Zu möglichen Einflüssen des früheren Buddhismus siehe Prazniak 2014: 657. 68 Spuler 1985: 151; Prazniak 2014: 661. 69 Bausani 1968: 541; Prazniak 2014: 662. 70 Freundliche Mitteilung von Professor Klaus Röhrborn, Göttingen. 71 Azad 2010: 211. 72 Spuler 1952: 218. Ein solcher Vihāra war das Kloster von Qonqor-Ölöng bei Soltanije an der iranisch-aserbaidschanischen Grenze, siehe Scarcia 1975; Prazniak 2014: 665.

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ren.73 Eine dieser Tempelanlagen war das 1260/61 errichtete Heiligtum von Labnasagut nordöstlich des Van-Sees im damaligen Armenien.74 Eine ähnliche Klosteranlage in Khūy (Choi) im nordwestlichen Aserbaidschan wurde ebenfalls von Hülegü gefördert.75 Wegen des nomadischen Lebensstils der Mongolen und folglich auch der Ilkhane bestanden die Klosteranlagen oft auch aus beweglichen Zelten.76 Im Gebiet von Marāgha (Maragha) und Sultānniya (Soltanije) gab es Höhlentempel, die vermutlich auch buddhistische Heiligtümer waren.77 Große buddhistische Gemeinden bestanden in Sultānniya, Märw (Merw), Khūy und Täbriz (Täbris).78 Die Missionserfolge der buddhistischen Mönche müssen entsprechend groß gewesen sein. Die wohl früheste Nachricht über buddhistische Mönche in Iran verdanken wir dem armenischen Historiker Kirakos von Gandzak (1203–1271). In seiner 1265 beendeten „Geschichte der Armenier“ schreibt er: „Diese toyin bringen mit ihren magischen Künsten Pferde und Kamele, Tote und Filzfiguren zum Sprechen. Sie alle sind Priester; sie rasieren Haare und Bart, tragen gelbe Gewänder und verehren alles, am meisten aber Sakmoni (Śākyamuni) und Madrin (Maitreya)“.79 Die besondere Verehrung von Maitreya belegt auch das lange Kapitel „Von dem, was Śākyamuni über den kommenden Propheten mitteilte“ in Rašīd adDīns Darstellung des Buddhismus.80 Eine bedeutende Rolle haben die Mönche offensichtlich bei Hofe gespielt.81 Dort waren sie wohl weniger aus theologischen Gründen geschätzt, sondern eher als Experten für Medizin, Landwirtschaft und andere Wissenschaften und sicherlich auch für die Kunst des richtigen Regierens.82 Es ist durchaus möglich, dass bereits Hülegü das Suvarṇaprabhāsa-Sūtra (Goldglanz-Sūtra) gekannt hat, das sich auch später bei den Mongolen besonderer Beliebtheit erfreut hat. Dieser Text war von besonderer Bedeutung für die Regierenden, da er wie kein anderer die Regeln für die richtige und damit erfolgreiche Ausführung der Herrschaft aufzeigt.83 Ein Hinweis darauf, wie wichtig das Goldglanz-Sūtra für die mongolischen Fürsten war, ist der aufwändige Neudruck der tangutischen Übersetzung im Jahre 1247. Der Schreiber des Vorworts erklärte, dass der Text als Medizin für die Heilung und Erneuerung des Glaubens verbreitet werden solle.84

73 Spuler 1985: 150f.; Prazniak 2014: 662, 664. Über weitere buddhistische Anlagen siehe Prazniak 2014: 664–665. 74 Grupper 2004. 75 Prazniak 2014: 664. 76 Prazniak 2014: 661, 665. 77 Azad 2010: 209ff.; Prazniak 2014: 664. 78 Prazniak 2014: 66. 79 Zitiert bei Elverskog 2010: 140 und Vaziri 2012: Pos. 1261. 80 Jahn 1980: 94–98; siehe auch Elverskog 2010: 151. 81 Prazniak 2014: 667f. 82 Prazniak 2014: 651, 667; Vaziri 2012: Pos. 3668. 83 Hierüber handelt vor allem das 20. Kapitel des Goldglanz-Sūtras, „Die rechte Unterweisung im Königsdharma“. Siehe Nobel 1958: 283–293. 84 Prazniak 2014: 654.

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Möglicherweise war den Ilkhanen auch die Abhidharma-Literatur nicht unbekannt. Dass sie auch in der Lehre des iranischen Buddhismus einen bedeutenden Platz einnahm, kann man als sicher ansehen. Ein Beweis dafür, wie wichtig die Kenntnis des durch den Abhidharma vermittelten Weltbilds war, ist das oben erwähnte Werk „Die Erklärung dessen, was man wissen soll“, Shes-bya rab-gsal. Es wurde auf besonderen Wunsch des Großkhans Qubilai von ʼPhags-pa Blo-gros rgyal-mtshan für den Kronprinzen Činggim, einen Neffen Hülegüs, auf Tibetisch verfasst und danach ins Chinesische und Mongolische übersetzt. Es ist anzunehmen, dass es auch zu den Mongolen in Iran gelangt war. Auch Rašīd ad-Dīn schöpft in seiner durch Kamalaśrī vermittelten Darstellung des Buddhismus indirekt aus einem Abhidharmawerk, vielleicht ja sogar aus dem Abhidharmakośa. In seiner Einleitung (Kapitel 1) schreibt er: „Der Prophet Śākyamuni besitzt ein Buch namens Abhidharma, d. h. ‚erstes und letztes aller Bücher‘“, und dieses Buch enthalte „alle Bedeutungen der immer gleichen Worte sämtlicher Propheten“, d. h. Buddhas.85 Es ist nicht anzunehmen, dass die Ilkhane erst nach ihrem Übertritt zum Islam durch Rašīd ad-Dīn das durch den Abhidharma vermittelte buddhistische Weltbild kennengelernt haben, sondern dass es ihnen ebenso wie den ostmongolischen Herrschern bekannt war. Natürlich waren nicht alle Mitglieder des Herrscherhauses und des Adels Buddhisten. Es gab unter ihnen auch viele nestorianische Christen. Die Muslime waren noch in der Minderzahl. Offenbar waren überhaupt die meisten Mongolen in Iran zumindest formal Buddhisten.86 Inwieweit dies auch für die einheimische iranische Bevölkerung zutrifft, muss dahingestellt bleiben. Auch der Übertritt von Abaqas Nachfolger Aḥmad (reg. 1282–1284) zum Islam konnte an der Vorrangstellung des Buddhismus nichts ändern. Aḥmad ließ zwar buddhistische Tempel zerstören; buddhistische Geistliche wurden jedoch nicht vertrieben. Gegen Aḥmad stellte sich mit Erfolg der buddhistische Adel, und als sein Nachfolger Arġūn (Arγun; reg. 1284–1291) sich gegen seinen Onkel Aḥmad erhob, begann eine neue Blütezeit des Buddhismus und eine Periode der Islamfeindlichkeit. Arġūn veranstaltete Streitgespräche indischer, tibetischer und uigurischer Buddhisten mit einheimischen islamischen Gelehrten.87 Der Einfluss der buddhistischen Geistlichkeit auf den Ilkhan war so groß, dass Arġūn schließlich außer seinen drei Wesiren nur noch baḫši zu sich ließ.88 Unter Arġūn verlor auch der Schamanismus seinen offiziellen Status, den er seit Hülegü neben dem Buddhismus besessen hatte.89 Die Mongolen sollen sogar die Absicht gehabt haben, aus der Kaaba einen „Götzentempel“, also wohl einen buddhistischen Tempel, zu 85 86 87 88 89

Jahn 1980: 71–72. Zu Rašīd ad-Dīns Abhidharma siehe auch Elverskog 2010: 156. Spuler 1985: 152. Elverskog 2010: 140. Spuler 1985: 153f. Bausani 1968: 541; Vaziri 2012: Pos. 3640.

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machen.90 Auch Arġūns Nachfolger Gaiḫātū (mongol. Γayiqatu) (reg. 1291–1295) und Bāidū (mongol. Bayidu) (reg. 1295) waren Buddhisten. Gaiḫātū hatte sogar einen tibetischen religiösen Namen, Rin-chen rDo-rje, den er 1291 bei seiner Investitur im Rahmen einer tantrischen Initiation erhielt.91 Die Zeremonie wurde wahrscheinlich von Mönchen der ʼBri-gung-pa und Phag-mo Gru-pa – Zweige der bKaʼbrgyud-pa-Schulrichtung – ausgeführt, welche bereits seit Hülegü in Westtibet den besonderen Schutz der Ilkhane genossen.92 Die entscheidende Wende kam jedoch unter Bāidūs Rivalen und Nachfolger Ġāzān (reg. 1295–1304). Ġāzān hatte zwar eine buddhistische Erziehung genossen und war zunächst ein Förderer dieser Religion. Im Juni 1295 trat er aber aus offenbar politischen Gründen zum Islam über.93 Im November 1295 bestieg er nach seinem Sieg über Bāidū den Thron.94 Ġāzān ließ die buddhistischen Tempel zerstören oder in islamische Schreine und Moscheen verwandeln.95 Die Geistlichkeit stellte er vor die Wahl, entweder zum Islam zu konvertieren oder das Land zu verlassen.96 Aller Widerstand von Seiten mongolischer Adliger hatte keinen Erfolg.97 Das Schicksal des Buddhismus in Iran war besiegelt. Dennoch ist das Bild von Ġāzān nicht ohne Widersprüche. Reuven Amitai-Preiss meint, dass Ġāzān vielen grundlegenden Glaubensvorstellungen und Sitten der Mongolen treu geblieben sei, selbst wenn sie den Grundsätzen des Islam widersprachen; Rechtsangelegenheiten, Rituale, Heiratsbräuche wurden weiterhin durch das mongolische Recht bestimmt und nicht durch die Scharia.98 So hat Ġāzān bestimmt, dass in jedem Dorf Mittel für Vogelschutzbauer bereitgestellt werden sollten. Der Schutz von Vögeln wurde damals als typisch hinduistisch und buddhistisch angesehen.99 Nach dem Fall von Damaskus (1299) soll Ġāzān sogar erklärt haben, dass alle Religionen gleich seien.100 Der Rechtsgelehrte Ibn Taimīya (1263–1328) war der Meinung, dass

90 91 92 93 94 95 96

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Vaziri 2012: Pos. 3640. Spuler 1985: 54, 76, 163; Elverskog 2010: 140. Elverskog 2010: 149; Prazniak 2014: 655. Zu den Gründen für den Übertritt Ġāzāns zum Islam siehe Elverskog 2010:14 und Vaziri 2012: Pos. 3668. Spuler 1985: 81, 154. Vaziri 2012: Pos. 3667. Den Bericht Rašīd ad-Dīns über die Zerstörung der buddhistischen Heiligtümer (pers. butkhāna) und aller anderen Tempel, die durch die Scharia verboten waren, zitiert Bausani 1968: 542. Siehe auch Elverskog 2010: 141. Die zwangsweise zum Islam übergetretenen baḫši hatten nach Rašīd ad-Dīn ihre Bekehrung nur geheuchelt und waren in ihrem Herzen ihrer alten Religion treu geblieben. Ġāzān stellte ihnen anheim, in die Länder, aus denen sie kamen, zurückzukehren, so nach Indien, Kaschmir und Tibet, oder eben wahre Muslime zu werden. Zugleich verbot er unter Todesstrafe jeden Versuch, neue buddhistische oder zoroastrische Tempel zu errichten. Siehe Bausani 1968: 542. Spuler 1985: 156. Amitai-Preiss 1996: 9. Prazniak 2014: 675. Prazniak 2014: 674.

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Ġāzāns Bekehrung zum Islam nur eine dünne Tünche über einer buddhistischen Weltsicht gewesen sei.101 Ġāzāns Nachfolger Ölğäitü (mongol. Ölǰeyitü) (1304–1316) war ebenfalls zunächst Buddhist und ist zum Islam übergetreten. Auch er war kein radikaler Feind des Buddhismus, denn wie wäre sonst zu erklären, dass er Rašīd ad-Dīns Geschichte des Buddhismus unterstützt hätte, die schließlich für ein islamisches Lesepublikum bestimmt war? Offenbar hatten buddhistische Mönche immer noch einen gewissen Einfluss bei Hofe,102 und auch beim mongolischen Adel gab es wohl noch Anhänger des Buddhismus. Bis zu Ölğäitüs Tod befanden sich immer noch buddhistische Geistliche in Iran, sogar in der Nähe der beiden Hauptstädte Tabrīz und Sultānniya. Zweifellos waren Ġāzān und Ölğäitü für den Niedergang des Buddhismus in Iran verantwortlich. Doch erst als Abū Saʽid (reg. 1317–1335) Ölğäitüs Nachfolge antrat, mussten auch die letzten buddhistischen Laienanhänger in den Untergrund gehen, aus dem Lande fliehen oder eben zum Islam konvertieren.103 Als Religion war der Buddhismus aus dem Iran verschwunden. Gleichwohl hinterließ er in der neuen Religion des Islam unübersehbare Spuren: in Kunst, Ikonographie, Architektur und in der Mystik des Sufismus.104 Noch 1980 sah der Verfasser im stark iranisch beeinflussten westtibetischen Baltistan in Nordost-Pakistan eine Moschee, die im typisch westtibetischen Tempelstil erbaut war.

3.2.2. Der Buddhismus im Khanat Čaγatai Vom Buddhismus im Khanat Čaγatai (ca. 1227 bis ca. 1514) ist kaum etwas bekannt. Dass er auch dort eine wichtige Rolle gespielt hat, wird von dem arabischen Historiker al-cUmarī (1301–1349) bezeugt. Dieser berichtet, dass die Čaγatai-Herrscher den Lehren der buddhistischen baḫši wohl gewogen waren.105 Dies lässt vermuten, dass es im Khanat Čaγatai nicht nur buddhistische Mönche gab, sondern natürlich auch Klöster. So restaurierten, wie eine chinesisch-uigurische Inschrift aus dem Jahre 1326 berichtet, Uiguren einen Maitreya-Tempel.106 Wahrscheinlich war die Lehre des Buddha auch beim Volk verbreitet, das ja, wie al-cUmarī betont, gleich seinen Herren besonders treu an den alten mongolischen, d. h. vorislamischen, Traditionen festhielt.107 Hierbei darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil des Gebietes des Khanats Čaγatai altes buddhistisches Kulturland war. 101 Prazniak 2014: 674. Über Ibn Taimīyas Kritik an den Mongolen siehe auch Elverskog 2010: 143f. 102 Prazniak 2014: 667. 103 Vaziri 2012: Pos. 3686. 104 Elverskog 2010: 144f., 162ff.; Vaziri 2012: Pos. 3617, 3688, 3979ff. 105 Lech 1968: 118. 106 Elverskog 2010: 150. 107 Lech 1968: 118f.

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3.2.3. Der Buddhismus im Khanat der Goldenen Horde Auch über den Buddhismus im mongolischen Teilreich der Goldenen Horde im Gebiet der unteren Wolga (1223–1502) wissen wir fast nichts.108 Die Mongolen, welche dieses Gebiet eroberten, waren kaum schon Buddhisten. Für die Frühzeit werden zwar buddhistische baḫši erwähnt, doch ist nicht klar, welche Rolle sie spielten. Auch die Ausgrabungsfunde einiger buddhistischer Figuren können wohl kaum ein Beweis für eine weite Verbreitung des Buddhismus in der Goldenen Horde sein. Von Qan Toḫtu (reg. 1290–1312) wissen wir, dass er uigurische Buddhisten unterstützte.109 Als der Khan Özbeg (reg. 1313–1341) bei seiner Thronbesteigung zum Islam übertrat, wurde dieser schon bald zur alleinherrschenden Religion. Bis dahin gab es offensichtlich noch buddhistische Mönche in der Goldenen Horde, denn es wird berichtet, dass Özbeg sowohl die Schamanen als auch die buddhistischen Mönche vertrieben habe. Ob dies ein indirekter Hinweis auf die Existenz von buddhistischen Gemeinden ist, sei dahingestellt. Mit Özbeg verschwand der Buddhismus vollständig aus dem Wolgagebiet.

4. Der Buddhismus bei den Ostmongolen seit 1368110 Im Jahre 1368 brach die Yuan-Herrschaft zusammen. Ihr folgte die han-chinesische Ming-Dynastie (1368–1644). Die mongolische Geschichte vom späten 14. bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war von internen Kämpfen und vor allem von Kriegen der Ostmongolen gegen die westmongolischen Oiraten geprägt, denen es gelang, im 15. Jahrhundert ein eigenes Reich zu gründen.111 Der Verfall der zentralen Macht bedeutete zwar eine erhebliche Schwächung der Position der buddhistischen Geistlichkeit, doch nicht das Ende des Buddhismus. Wenn auch die späteren Quellen Klage über die „finstere Zeit“ führen, in welcher die Macht der Schamanen wieder zunahm und die Menschen nicht mehr nach den Regeln der Religion lebten, sondern sündhafte Werke taten,112 gab es doch immer noch Lamas in der Mongolei, ja es wurden sogar neue Klöster gebaut.113 Mongolische Fürsten, vor allem die westmongolischen Herrscher Toγon Tayiši (reg. 1418–1440) und Esen 108 109 110 111

Die folgende Darstellung beruht hauptsächlich auf Spuler 1965: 216f., 224. Elverskog 2010: 150. Für die folgende Darstellung wurde ebenfalls Sagaster 2007: 395–425 herangezogen. Hambly 1966: 153; Bawden 1989: 23f. – Zu Fragen der Geschichte des Buddhismus bei den Mongolen von 1368 bis 1578 siehe insbesondere Dumas 2005. 112 ˇJirγal 1996: 152. 113 Serruys 1963; Serruys 1966. Über den Klosterbau besonders Serruys 1963: 192f.

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Tayiši (reg. 1440–1455/56), haben hochrangige Mönche als Mitglieder von Tributund Handelsgesandtschaften an den Hof des Ming-Kaisers geschickt und diesen sogar um die Verleihung von Titeln an die geistlichen Gesandten ersucht.114 Die Lamas gehörten wohl kaum schon der von Tsong-kha-pa Blo-bzang Grags-pa (1359–1419) begründeten vierten großen Schulrichtung des tibetischen Buddhismus, den dGe-lugs-pa oder „Gelbmützen“ (Zhva-ser), an, sondern waren vermutlich Vertreter der rNying-ma-pa, bKaʼ-brgyud-pa und Sa-skya-pa, also der „Rotmützen“ (Zhva-dmar). 1431 wurde in Peking eine Dhāraṇī-Sammlung in Sanskrit, Chinesisch, Tibetisch und Mongolisch gedruckt.115 Auch dies weist darauf hin, dass es zu jener Zeit Mongolen gab, die Buddhisten waren. Die Situation des Buddhismus in der Mongolei änderte sich entscheidend gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Im Jahre 1566 sandte Altan Qan (1507–1582), der mächtige Fürst der südwestmongolischen Tümed, seinen Neffen Qutuγtai Sečen Qungtayiǰi auf eine militärische Mission nach Nordosttibet. Hierbei kam es zu Kontakten mit Lamas, die offenbar den dGe-lugs-pa angehörten und den Qungtayiǰi über diese jüngste der tibetischen Schulrichtungen informierten. Jedenfalls schlug Qutuγtai Sečen Qungtayiǰi im Jahre 1576 dem Altan Qan vor, den höchsten Repräsentanten der dGe-lugs-pa, bSod-nams rGya-mtsho (1543–1588), zu sich einzuladen. Der Lama nahm die Einladung an und erreichte im 5. Monat des Jahres 1578 den Platz Čabčiyal in der Nähe des Kukunor, wo ihn Altan Qan erwartete.116 Mit der Begegnung zwischen Altan Qan und dem dritten Dalai Lama begann eine neue Ära in der Geschichte des Buddhismus in der Mongolei. Die Behauptung, dass es sich hierbei um eine „zweite Bekehrung der Mongolen“ handelt, ist allerdings nicht haltbar.117 Wie wir gesehen haben, hat sich der Buddhismus auch nach dem Fall der Yuan noch in der Mongolei behauptet, wenngleich in einem viel geringeren Maße als unter den idealen Bedingungen der mongolischen Großreichszeit. Neben den Hinweisen in den Quellen spricht hierfür der Wiederbeginn der Übersetzung buddhistischer Texte ins Mongolische. Dieser Wiederbeginn muss in einer Tradition gestanden haben, die nicht grundsätzlich unterbrochen war. Für eine Übersetzungstätigkeit, die in die Zeit vor 1578 zurückreicht, sprechen z. B. die Handschriftenfunde von Olon

114 Serruys 1963: 187–190; Zlatkin 1964: 35; ˇJirγal 1996: 151. 115 Serruys 1963: 187; Heissig 1976b: 8ff. 116 ˇJirγal 1996: 153–159; MSNT 2007: 509, 607. Über das Kloster von Čabčiyal (Čabčiyal süme) siehe Kollmar-Paulenz 2001: 74; Charleux 2006: 42f. und passim; MSNT 2007: 607. – Die wichtigste Quelle über Altan Qan, seine Zeit und die politischen Entwicklungen, die zu dem Bündnis zwischen Altan Qan und anderen mongolischen Fürsten mit den dGe-lugs-pa führten, ist die Biographie Altan Qans Erdeni tunumal neretü sudur, „Das Buch genannt ‚Edelsteingleiche Klarheit‘“, verfasst um 1607. Kommentierte Übersetzungen: Kollmar-Paulenz 2001 und Elverskog 2003. Über das Treffen von Altan Qan und dem dritten Dalai Lama und seine Folgen für die Geschichte des mongolischen Buddhismus siehe auch Heissig 1970: 327ff. 117 Serruys 1963: 186; Serruys 1966: 165.

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Süme in der Inneren Mongolei118 und von Charbuchyn Balgas (Qara Buqa-yin Balγasun) in der Äußeren Mongolei.119 Die zumeist nur fragmentarisch erhaltenen mongolischen Texte stammen aus der Zeit um 1600. Sie repräsentieren eine große Zahl von religiösen und divinatorischen Texten verschiedenster Thematik und sind typische Gebrauchstexte, wie sie auch heute noch verwendet werden. Damit beweisen sie, dass die buddhistische Praxis bereits am Ende des 16. Jahrhunderts Bestandteil des täglichen Lebens der Mongolen war.120 Der Begriff „zweite Bekehrung der Mongolen“ ist somit falsch und eindeutig politisch tendenziös. Mit ihm sollte postuliert werden, dass die alten, die „Rotmützen“Schulen des tibetischen Buddhismus, sich als unfähig erwiesen haben, die Religion Buddhas bei den Mongolen am Leben zu erhalten. Es bedurfte vielmehr der Initiative der „Gelbmützen“-Schule, der dGe-lugs-pa, um das Licht des Glaubens wieder leuchten zu lassen. Der Vorwurf an die alten Schulen war gewiss nicht ganz unberechtigt. Das Treffen zwischen Altan Qan und dem dritten Dalai Lama leitete in der Tat eine Wiederbelebung des Buddhismus bei den Mongolen ein, welche nicht nur die Kreise des Adels erfasste, sondern in der Folge auch tiefe Wurzeln beim einfachen Volk schlug und bis heute die Identität der Mongolen bestimmt.121 Im Jahre 1578 kehrte Altan Qan in das Tümed-Gebiet zurück. Wie ernst er es mit seinen Beziehungen zum Dalai Lama meinte, zeigt die Tatsache, dass er eine größere Anzahl von hohen Beamten als Verbindungsleute bestimmte. Der Dalai Lama seinerseits ernannte als Vertreter bei Altan Qan einen hohen Geistlichen, den zweiten sTong-ʼkhor Mañjuśrī Qutuγtu Yon-tan rGya-mtsho (mongol. Doyingqor Mancuširi Qutuγtu Yondanǰamso (1557–1587).122 Bereits 1579 ließ Altan Qan in der von ihm gegründeten Stadt Kökeqota, der heutigen Hauptstadt der Inneren Mongolei, das Kloster Yeke ˇJoo (chines. Da Zhao), das „Große Kloster“, errichten.123 Im ersten Monat des Jahres 1582 starb Altan Qan. Sein Nachfolger wurde sein Sohn Sengge Dügüreng Qungtayiǰi (1521–1585), der die Politik seines Vaters fortsetzte.124 Dem Beipiel seines Vaters folgend hat auch er in Kökeqota ein Kloster gegründet: das Siregetü ˇJoo Keyid, dessen erster Qutuγtu, d. h. wiederverkörperter Lama, der berühmte Übersetzer Siregetü Güüsi Čorǰi wurde.125 118 Ausgabe: Heissig 1976a. 119 Ausgabe: Chiodo 2000; Chiodo 2009. 120 In Charbuchyn Balgas wurde auch das Manuskript einer Sammlung von mongolischen Rechtstexten gefunden, welche auch die buddhistische Geistlichkeit und Religion betreffen. Siehe Chiodo 2005: 116. 121 Zur Bildung einer neuen mongolischen buddhistischen Identität im frühen 17. Jh. siehe Kollmar-Paulenz 2014. 122 ˇJirγal 1996: 160; Kollmar-Paulenz 2001: 77; MSNT 2007: 709. 123 Altan Orgil 1981: 75, 266; Kollmar-Paulenz 2001: 83; Charleux 2006 passim (Yeke juu); MSNT 2007: 323f. 124 Zur Persönlichkeit des Sengge Dügüreng Qungtayiǰi siehe Kollmar-Paulenz 2001: 64, 247. 125 Altan Orgil 1981: 266; ˇJirγal 1996: 160; Charleux 2006 passim.

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1586 besuchte der dritte Dalai Lama auf Einladung von Sengge Dügüreng Qungtayiǰi die Stadt Kökeqota. 1586 oder 1587 folgte er einer Einladung des Čaqar-Fürsten ˇJasaγtu Tümen Qan (reg. 1558–1592) in das südostmongolische Čaqar-Gebiet. In seinem Gefolge befanden sich viele gelehrte tibetische und mongolische Mönche, unter ihnen auch ein weiterer berühmter Übersetzer, Ayusi Güüsi.126 Der Aufenthalt des Dalai Lama und seiner Begleiter im Čaqar-Gebiet ist ein gutes Beispiel für die geschickte Missionsmethodik der dGe-lugs-pa: Sie beschränkten sich nicht nur auf die Verkündung der Lehre, sondern sie gründeten Schulen, in welchen auch Gegenstände wie Literatur, Geschichte, Grammatik, Schreibkunst und Übersetzungstechnik gelehrt wurden. Die Bedeutung dieser Schulen für die kulturelle Entwicklung war immens. Es ist sicherlich kein Zufall, dass gerade im Čaqar-Gebiet die 108-bändige Sammlung der Buddhaworte, der Ganǰur (bKaʼ-ʼgyur), ins Mongolische übersetzt wurde. Die Arbeit wurde in den Jahren 1628/1629 zur Regierungszeit des letzten Großkhans Ligdan abgeschlossen.127 Die Einladung des dritten Dalai Lama durch Sengge Dügüreng Qungtayiǰi hatte zur Folge, dass das Čaqar-Gebiet für die Verbreitung der Gelben Lehre (sira šasin) der „Gelbmützen“ in der Ostmongolei eine entscheidende Bedeutung gewann. Doch auch im Südwesten führte das Wirken der dGe-lugs-pa-Missionare dazu, dass immer mehr Fürsten sich für die neue Religion interessierten, Bücher sammelten und sich davon eine Erhöhung ihres Ansehens versprachen.128 Mit dem dritten Dalai Lama hatte eine neue Zeit begonnen. 1588 starb bSod-nams rGya-mtsho während eines Aufenthalts bei den ostmongolischen Qaračin.129 Die Frage des Nachfolgers des bSod-nams rGya-mtsho wurde auf eine ganz bezeichnende Weise gelöst. Nach buddhistischer Lehre konnte der Dalai Lama selbst bestimmen, ob und wo er wiedergeboren werden will. Deshalb beschloss der dritte Dalai Lama, sich als Mongole wiederzuverkörpern, und zwar zweckmäßigerweise gleich in der Tümed-Familie des Činggis-Qan-Nachkommens Altan Qan als Sohn des Sümer Dayičing, des vierten Sohnes des Sengge Dügüreng Qungtayiǰi, des ältesten Sohnes des Altan Qan. In die Realität umgesetzt wurde dieser Beschluss von Siregetü Güüsi Čorǰi und einigen weiteren tibetischen Lamas, die sich in der Mongolei aufhielten. Zusammen mit den Fürsten der Tümed bestimmten sie den 1589 geborenen Altan-Qan-Enkel Yon-tan rGya-mtsho zur Wiederverkörperung des bSod-nams rGya-mtsho. Er wurde der vierte Dalai Lama und der einzige Mongole in diesem Amt (1589–1616).130

126 Schmidt 1829: 255; Ya 1991: 25–26; ˇJirγal 1996: 161; MSNT 2007: 509. Zu Ayusi Güüsi siehe Kas´janenko 1993: 131f.; MSNT 2007: 45f. 127 Heissig 1954: 40f.; Heissig 1957; Heissig 1962; Heissig 1979: 35f.; ˇJirγal 1996: 161f. 128 ˇJirγal 1996: 161. 129 Ya 1991: 26; Kollmar-Paulenz 2001: 336f. Nach ˇJirγal 1996: 162 verstarb der Dalai Lama bei den Čaqar. 130 ˇJirγal 1996: 162–163. Für seine Biographie siehe u. a. Ya 1991: 27f.; MSNT 2007: 708f. (Yondanǰamso).

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Die Wahl eines mongolischen Dalai Lamas hatte zweifellos für das weitere Schicksal des Buddhismus in der Mongolei und insbesondere der Gelben Lehre eine entscheidende Bedeutung. Hierfür spielte es keine Rolle, dass Yon-tan rGya-mtsho nicht persönlich in der Mongolei wirken konnte. 1602 wurde der zwölfjährige Knabe nach Tibet gebracht, wo er 1603 als vierter Dalai Lama inthronisiert wurde131 und danach im Kloster `Bras-spungs bei Lhasa lebte, das bis heute der beliebteste Studienort für mongolische Mönche in Zentraltibet ist. Bereits 1616 starb er mit nur 28 Jahren, ohne wieder in seiner mongolischen Heimat gewesen zu sein.132 Als seine Wiedergeburt wurde ein Tibeter aus Zentraltibet erkannt, der fünfte Dalai Lama Ngag-dbang Blobzang rGya-mtsho (1617–1682), der „Große Fünfte“, dessen politisches Schicksal ebenfalls eng, wenn auch in ganz anderer Weise als das des dritten und des vierten Dalai Lama, mit den Ereignissen in der Mongolei verknüpft werden sollte. In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts fasste die Gelbe Lehre nicht nur bei süd- und südostmongolischen Stämmen Fuß, sondern auch bei den westmongolischen Oiraten, in der Ostmongolei und in der Nordmongolei. Als eine ihrer wichtigsten Aufgaben bei der Verbreitung des buddhistischen Glaubens sahen die dGe-lugs-pa die Beseitigung des Schamanismus an. Der „Schwarze Glaube“ (qara šasin), die „Schamanen-Religion“ (böge-yin mörgöl), ist die traditionelle Volksreligion der Mongolen. Ihre wichtigsten Funktionäre, die Schamanen (böge), waren die natürlichen Feinde der Lamas, welche kaum Chancen hatten, die Herzen des Volkes zu gewinnen, solange die Schamanen und die schamanischen Geisterfiguren, die Ongon (ongγon), nicht vernichtet waren. Besonders stark war der Schamanismus bei den Ostmongolen, den Qorčin, Ongniγud und anderen. Der Widerstand gegen den Buddhismus war dort naturgemäß besonders stark. Eine besonders aktive Rolle beim Kampf gegen den Schamanismus spielte der oiratische adlige Mönch Neyiči Toyin (1557–1653),133 dem es in erbittertem Kampf gelang, die Adligen und das Volk, aber auch die Schamanen und Schamaninnen (iduγan) zu zwingen, die Ongon-Figuren herauszugeben und verbrennen

131 Ya 1991: 27; MSNT 2007: 718. 132 Ya 1991: 28; ˇJirγal 1996: 163; MSNT 2007: 708f. 133 Zur Biographie von Neyiči Toyin siehe vor allem Heissig 1953a, Heissig 1953b und Purbueva 1984. – Mit Neyiči Toyin wurde eine Wiederverkörperungsreihe begründet, die Neyiči Toyin Qutuγtus. Der neunte Neyiči Toyin Qutuγtu starb 1995. Ob es inzwischen einen zehnten gibt, ließ sich nicht feststellen. Für die Kurzbiographien siehe MSNT 2007: 17. Nach MSNT 2007: 16f. zählen die Neyiči Toyin Qutuγtus zu den (für die Mongolen) wichtigsten Wiederverkörperungsreihen der dGe-lugs-pa. Die „Vier Heiligen der Gelben Lehre“ (sir-a-yin šasin-u dörben boγda) sind 1. die Dalai Lamas (Dalai boγda), 2. die Panchen Lamas (Bančin boγda), 3. die „Nördlichen Heiligen“ (Aru boγda), d. h. die rJe-btsun Dam-pa (mongol. ˇJebcundamba) Qutuγtus der Äußeren Mongolei und 4. die „Südlichen Heiligen“ (Öbör boγda), d. h. die Neyiči Toyin Qutuγtus der Mongolei. – Nach Yang/Bulag 2003: 87 war allerdings nicht der Neyiči Toyin Qutuγtu die Nummer Vier der tibetisch-mongolischen buddhistischen Hierarchie, sondern der lCang-skya Qutuγtu, nach dem Dalai Lama, dem Panchen Lama und dem rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu.

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zu lassen. Die Feststellung der Quellen, dass hiermit die Verehrung der OngonFiguren ihr Ende gefunden hat, sollte man freilich nicht wörtlich nehmen, denn noch heute gibt es in der östlichen Mongolei viele Schamanen. Altan Qans Einladung an den dritten Dalai Lama war nicht nur der Beginn der Verbreitung der dGe-lugs-pa in der Süd- und Westmongolei, sondern auch in der Nordmongolei. Im Jahre 1586 oder 1587134 machte der Qalqa-Fürst Abadai Tayiǰi (1554–1588) dem Dalai Lama seine Aufwartung. Dieser soll ihn hierbei zu einer Verkörperung des Bodhisattva Vajrapāṇi, des Schutzgottes der Mongolen, erklärt und ihm den Titel „Großer Vajra-Khan des Dharma“ (nom-un yeke vačir qaγan) verliehen haben.135 Bereits 1586 hatte Abadai in unmittelbarer Nähe der Ruinen der alten Hauptstadt Karakorum das Kloster Erdeni ˇJoo (kyrill. Ėrdėnė Zuu) gegründet, welches nach dem Modell von Altan Qans Kloster Yeke ˇJoo in Kökeqota gebaut wurde.136 Das neue Kloster sollte von keinem Geringeren als vom Dalai Lama geweiht werden, doch folgte dieser weder der ersten noch der zweiten Einladung. Als Vertreter entsandte er zunächst den Sa-skya-pa-Mönch Blo-gros sNyingpo und danach den berühmten Übersetzer Siregetü Güüsi Čorǰi, welcher der erste Vorsteher von Erdeni ˇJoo wurde.137 Die Entsendung eines Sa-skya-pa-Mönches als Vertreter des höchsten dGe-lugspa-Hierarchen war nicht zufällig. Die ersten Mönche von Erdeni ˇJoo, in der Mehrheit Tibeter, waren keine dGe-lugs-pa, sondern Sa-skya-pa, also Angehörige der Schulrichtung des großen Mongolenmissionars ʼPhags-pa zur Zeit Qubilais. Die Saskya-pa waren zwar „Rotmützen“, doch wurden sie von den „Gelbmützen“ im Gegensatz zu den Karma-pa offensichtlich nicht als Gegner angesehen, sondern als Vorbilder für das ideale Verhältnis zwischen den weltlichen und den geistlichen Dingen, zwischen König und Lama. Hierfür spricht auch, dass sich in der Begleitung des dritten Dalai Lama viele Sa-skya-pa-Mönche befanden.138 Erdeni ˇJoo entwickelte sich schon bald zum geistlichen Zentrum der gesamten QalqaMongolei. Dennoch blieb es noch bis ins 18. Jahrhundert ein Sa-skya-pa-Kloster. In ein dGe-lugs-pa-Kloster wurde es wahrscheinlich erst unter dem siebenten Abt Dag-pa Dar-rgyas (1734–1802) umgewandelt.139 Das erste Kloster der buddhistischen Renaissance im Qalqa-Gebiet ist untrennbar verbunden mit dem ersten Großlama der dGe-lugs-pa in der Nordmongolei, dem ersten rJe-btsun Dam-pa (mongol. ˇJebcundamba) Qutuγtu Blo-bzang bsTan134 Kollmar-Paulenz 2001: 332 Anm. 671, 674. 135 Schmidt 1829: 253; Bawden 1961: 36, 38. 136 Cendina 1999: 34. Kollmar-Paulenz 2001: 331 Anm. 667. Eine Anfang des 19. Jh. verfasste „Geschichte von Erdeni ˇJoo“ (Erdeni ǰoo-yin teüke) wurde von Cendina 1999 übersetzt. Über das Kloster und seine Geschichte siehe z. B. auch Pozdneyev 1971: 281–302, Tulisow et al. 2012: 63–91 und Bareja-Starzyńska 2012. 137 Cendina 1999: 42. 138 Cendina 1999: 35–43. 139 Cendina 1999: 36, 48.

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paʼi rGyal-mtshan, auch Öndör Gegen („Hoher Illustrissimus“) und ˇJanabaǰar (von skt. Jñānavajra) genannt (1635–1723).140 Wie der dritte Dalai Lama entstammte auch er einem Adelsgeschlecht: Er war ein Urenkel des Abadai Qan, des Gründers des Klosters Erdeni ˇJoo.141 Blo-bzang bsTan-paʼi rGyal-mtshan war trotz seiner offensichtlich religionspolitisch bedingten „Auffindung“ eine starke Persönlichkeit, die maßgeblich zur Verbreitung der dGe-lugs-pa-Schule in der Nordmongolei beigetragen hat. Außer als Theologe und Politiker hat er sich auch als Künstler einen großen Namen gemacht. Seine Bronzeskulpturen gehören noch heute zu den bedeutendsten Schöpfungen der buddhistischen Kunst überhaupt.142 Die Renaissance des Buddhismus in der Mongolei durch die dGe-lugs-pa hatte zur Folge, dass die Beziehungen zwischen den Mongolen und Tibet nunmehr weitaus enger wurden, als sie dies zur Zeit des Großreiches, geschweige denn in der „dunklen Zeit“ danach, gewesen waren. In dem Wunsch, den mongolischen Dalai Lama zu sehen und die heiligen Stätten der neuen Religion zu besuchen, reisten immer mehr mongolische Fürsten und Mönche nach Tibet. Das Schneeland wurde immer mehr zum religiösen Mutterland der Mongolen, zum Ort, von dem die heilige Lehre kam, von deren Göttern sie wirksameren Schutz als von den Göttern der Schamanen erwarteten. Von Tibet empfingen die Mongolen eine neue, höhere Kultur, die sie mit ihren eigenen Traditionen zu einem unverwechselbaren Neuen verbanden, welches fortan die mongolische Gesellschaft in allen ihren Bereichen entscheidend beeinflussen sollte. Von wesentlicher Bedeutung für die Ostmongolen und damit auch für den ostmongolischen Buddhismus waren selbstverständlich nach wie vor die Beziehungen zu China. Dort kündigte sich im frühen 17. Jahrhundert die Ablösung der MingDynastie durch eine neue Macht aus dem Norden an, die tungusischen Mandschuren, welche das letzte Kaiserhaus Chinas begründeten, die Qing-Dynastie (1644– 1911).143 In der Mandschurei hatte ja der tibetische Buddhismus inzwischen Fuß gefasst. Und so erkannte bereits Nurhaci (1559–1626), der Begründer der MandschuMacht, wie wichtig es war, die Lamas zu achten, um das Volk auf seine Seite zu

140 Zwei seiner Biographien wurden von Bawden 1961: 41–67 und Kämpfe 1979/1981 übersetzt. Für die Biographien des zweiten und dritten rJe-btsun Dam-pa (gestorben 1773) siehe Bawden 1961: 67–89. Die Biographien des ersten bis achten rJe-btsun Dam-pa behandelt Pozdneyev 1971: 321–391 (Kapitel VIII; russisches Original von 1892). Zu Blo-bzang bsTan-paʼi rGyal-mtshan als Wiederverkörperung des berühmten tibetischen Geistlichen Kun-dgaʼ sNying-po (1575–1635) siehe Bareja-Starzyńska 2009–2010. 141 Cendina 1999: 46, 69. 142 Über das künstlerische Werk des ersten rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu ˇJanabaǰar siehe Cultėm 1982; Uranchimeg 2015. 143 Über die Religionspolitik der Mandschu, die Struktur und Wirtschaft und den Beitrag des Buddhismus zur mongolischen Kultur siehe Očir/Ėnchtyvšin 2003: 202–221.

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ziehen. Er verbot die Zerstörung von Klöstern und befreite die Geistlichkeit von Steuern und von der für Laien geltenden Gesetzgebung. Auch als sich die Mongolen der Mongolei ab 1634 nach und nach den Mandschu offiziell unterwarfen, erkannten die neuen Herrscher schnell, dass ein ganz wichtiges Mittel, sich die Loyalität ihrer mongolischen Untertanen zu sichern, in der Achtung und Förderung ihrer Religion lag. Diese Politik der Herrschaft über die Mongolen durch die Religion verfolgte Nurhacis Nachfolger Hûng Taiji (mongol. Qung Tayiǰi; 1626– 1643). Er ließ sogar an den vier Stadttoren von Mukden jeweils einen Tempel errichten. Außerdem baute er einen weiteren Tempel für eine Bronzestatue des Schutzgotts Mahākāla, eine der wichtigsten Schutzgottheiten der Mongolen. Die Statue war von keinem Geringeren als Qubilai in Auftrag gegeben worden und hatte die Wirren der folgenden Jahrhunderte überlebt, bis sie schließlich zu den Čaqar und von dort als Kriegsbeute in die Hände der Mandschu geriet.144 Zwar mussten sich auch die Mandschu mit dem alten Übel der moralischen Verderbtheit der Lamas und mit anderen Missständen auseinandersetzen und die Zahl der Mönche beschränken, doch änderte dies nichts an ihrer grundsätzlichen Einstellung gegenüber der Lama-Religion. Die Mongolen der Äußeren Mongolei, des Qalqa-Gebiets, unterwarfen sich erst ein halbes Jahrhundert später. Religiöse Gründe waren hierfür zwar zweitrangig, doch spielten sie dennoch eine wesentliche Rolle und mussten von dem regierenden Kaiser Kangxi (1662–1722) beachtet werden. Wichtig hierbei war sicherlich, dass an den Unterwerfungszeremonien, die 1691 in Dolonor (Doloγan Naγur) im Südosten der Inneren Mongolei stattfanden, das Oberhaupt der dGe-lugs-pa in der Qalqa-Mongolei, der erste rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu, teilnahm.145 Die Ehrungen, welche Kaiser Kangxi hierbei dem rJe-btsun Dam-pa und damit dem Glauben seiner neuen Untertanen bezeigte, entsprachen ganz dem Prinzip der MandschuHerrscher, die Religion zur Erreichung politischer Zwecke einzusetzen. Mit dem rJe-btsun Dam-pa hatte die Äußere Mongolei eine höchste religiöse Autorität, die jetzt unter dem Einfluss Chinas stand. Kangxi hielt es für angebracht, nunmehr in der Inneren Mongolei und vor allem in der Hauptstadt Peking ebenfalls einen höchsten Repräsentanten der dGe-lugspa einzusetzen. Dementsprechend berief er 1693 einen angesehenen hohen Lama aus dem Kloster dGon-lung im tibetisch-mongolisch-chinesischen Grenzgebiet in der Nähe des Kukunor nach Peking, Ngag-dbang Blo-bzang Chos-ldan (1642–1714), den ersten Vertreter der Reinkarnationslinie der lCang-skya (mongol. ˇJangǰa, ˇJanggiya) Qutuγtus.146 Der erste lCang-skya Qutuγtu entstammte übrigens nicht, wie 144 Heissig 1970: 334; Grupper 1983; ˇJirγal 1996: 208–212. 145 Bawden 1989: 79. 146 Über den ersten lCang-skya Qutuγtu siehe Sagaster 1967. Für die Biographien der bis auf den Buddha-Jünger Cunda zurückgeführten konstruierten Präexistenzen der lCangskya Qutuγtus siehe Everding 1988.

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der vierte Dalai Lama und der rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu, einer Adelsfamilie, sondern war der Sohn eines einfachen chinesischen Kaufmanns und einer tibetischen oder mongolischen Mutter.147 Er wurde der erste Großlama von Peking und der Inneren Mongolei. Zugleich nahm er die Funktion eines Hofgeistlichen wahr und wurde 1706 zum „Großen Lehrer des Reiches“ (da guoshi) ernannt. Zusammen mit den Dalai Lamas, den Panchen Lamas (Paṇ-chen Bla-ma, Paṇ-chen Rin-po-che) und dem rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu waren die lCang-skya Qutuγtus fortan die höchsten und einflussreichsten Vertreter der dGe-lugs-pa. Auch wurden zahlreiche andere hohe Lamas nach Peking berufen, das somit zu einem der bedeutendsten Zentren der Gelben Lehre wurde.148 Die Förderung durch die Mandschu-Kaiser führte nicht nur zu einem regen Klosterbau, sondern auch zu einem Aufblühen des Übersetzungswesens. Zwar war die Unterrichts- und Kultsprache der Klöster das Tibetische, doch wurden bereits zur Yuan-Zeit wichtige Texte auch ins Mongolische übersetzt.149 Die Übertragung der heiligen Schriften in die Sprache der neuen Gläubigen diente sicher nicht nur der Ansammlung von religiösen Verdiensten, sondern sollte denjenigen, welche des Tibetischen nicht mächtig waren, also vor allem den Laien, die Texte in ihrer Muttersprache vermittelten. Wirtschaftlicher als die handschriftliche Vervielfältigung war die Blockdrucktechnik, welche allerdings für die Herstellung der Druckstöcke ein erhebliches Anfangskapital erforderte. Die finanziellen Hilfen, welche die Mandschu-Herrscher hierfür gewährten, waren deshalb sehr willkommen. Der bedeutendste Druckort mongolischer Texte sollte schon sehr bald Peking werden.150 Bereits 1659 wurde das Goldglanz-Sūtra, Altan Gerel, gedruckt. Nicht alle Texte mussten neu übersetzt werden. Oft konnte man auf frühere Übersetzungen zurückgreifen, die allerdings in der Regel redaktionell überarbeitet wurden. Dies war auch bei der Druckausgabe der mongolischen Fassung des bKaʼ-ʼgyur der Fall. Bereits 1700 war in Peking ein tibetischer Holzschnitt des bKaʼ-ʼgyur fertiggestellt worden, denn natürlich erstreckte sich die kaiserliche Förderung auch auf den Druck von Werken in der „Kirchensprache“ Tibetisch. 1717 ordnete Kaiser Kangxi an, dass der bKaʼ-ʼgyur auch in mongolischer Sprache gedruckt werden solle. Daraufhin wurde ein Redaktionskomitee von 35 tibetischen und mongolischen Gelehrten einberufen, welche in einer erstaunlich kurzen Zeit bis 1720 die 120 Bände des mongolischen bKaʼ-ʼgyur der Ligdan-Zeit überarbeiteten, in 108 Bänden neu anordneten und für den Druck vorbereiteten151. Das Gleiche geschah wenig später mit der zweiten großen Sammlung der kanonischen Schriften, dem bsTan-ʼgyur (mongol. Danǰur), der Übersetzung der Lehrschriften der indischen „Kirchenväter“. 147 148 149 150 151

Sagaster 1967: 175f. Miller 1959: 105–108; Sagaster 1967: 105–108, 126f.; ˇJirγal 1996: 220. Heissig 1976b; Cėrėnsodnom 2002: 263–271. Siehe hierzu vor allem Heissig 1954. Heissig 1954: 39–42.

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Bereits 1724, kurz nach dem Regierungsantritt des neuen Kaisers Yongzheng (1723–1735), lag die tibetische Druckausgabe des bsTan-ʼgyur vor. 1741 befahl Yongzhengs Nachfolger Qianlong (1736–1796), den bsTan-ʼgyur auch auf Mongolisch zu drucken. Wiederum wurde eine große Anzahl von mongolischen und tibetischen Gelehrten nach Peking berufen. Diesmal konnte man nur teilweise auf bereits vorliegende Übersetzungen zurückgreifen. Ein großer Teil der Werke musste neu übersetzt werden. Die Arbeit an dem 226-bändigen Werk dauerte von 1742 bis 1749.152 Der erste lCang-skya Qutuγtu verstarb im Jahre 1714. Zehn Jahre später berief der neue Kaiser Yongzheng die 1717 im osttibetischen Amdo-Gebiet geborene Wiedergeburt des ersten lCang-skya Qutuγtu nach Peking, den zweiten lCang-skya Qutuγtu Ye-shes bsTan-paʼi sGron-me Rol-paʼi rDo-rje (1717–1786).153 Dort lernte der junge Mönch schon bald den künftigen Kaiser Qianlong kennen, mit dem er zusammen Chinesisch, Mandschurisch und Mongolisch studierte.154 Nach Qianlongs Thronbesteigung wurde Rol-paʼi rDo-rje einer der einflussreichsten Berater des neuen Herrschers. Er war maßgeblich an der mongolischen Druckausgabe des bsTan-ʼgyur beteiligt155, erwarb sich aber auch durch zahlreiche eigene Schriften einen bedeutenden Namen als Gelehrter156. Vor allem aber war Rol-paʼi rDo-rje Hofgeistlicher und musste als solcher diplomatische Aufträge ausführen als auch bei wichtigen zeremoniellen Anlässen zugegen sein. 1780 reiste er dem dritten Panchen Lama Blo-bzang dPal-ldan Ye-shes (1738–1780) entgegen, um ihn zu seinem Besuch nach Jehol und Peking zu geleiten und dort bis zu dessen Tode im elften Monat des gleichen Jahres zu betreuen.157 Die Beziehungen zwischen Qianlong und Rol-paʼi rDo-rje waren gewiss von Vertrauen und Achtung geprägt. Dies bedeutete jedoch nicht, dass der Kaiser von dem Prinzip der mandschurischen Religionspolitik abwich, die Religion zu nutzen, um die Mongolen und die Tibeter zu „befrieden“. Hierbei scheute er sogar nicht davor zurück, sich in die Auffindung von reinkarnierten Lamas einzumischen. Theoretisch handelte es sich hierbei um eine rein religiöse Angelegenheit. In der Praxis diente das System jedoch religions- und familienpolitischen Zielen, wie z. B. der Auffindung des vierten Dalai Lamas in der Familie des Altan Qan. Im Jahre 1792 verfügte Qianlong, dass von nun an hohe Lamas, vor allem die Dalai Lamas, die Panchen Lamas, die lCang-skya Qutuγtus und die rJe-btsun Dam-pa Qutuγtus, durch ein Losverfahren bestimmt werden mussten, für welches goldene Urnen

152 153 154 155 156 157

Heissig 1954: 84; Kämpfe 1976: 192. Über den zweiten lCang-skya Qutuγtu siehe vor allem Kämpfe 1976. Kämpfe 1976: 82. Heissig 1954: 84f.; Kämpfe 1976: 93. Siehe z. B. die Aufzählung der Werke des Rol-paʼi rDo-rje bei Taube 1966: 1121–1125. Kämpfe 1976: 49–51; Ya 1994: 147–153 [nach dortiger Zählung: 6. Panchen Lama (Paṇchen Rin-po-che)].

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verwendet wurden.158 Die Verhinderung von Manipulationen durch Geistlichkeit und Adel bedeutete jedoch andererseits, dass nunmehr auch der Kaiser Einfluss auf die Auswahl der Kandidaten hatte. Ebenso wie die hohen Geistlichen standen auch die großen Klöster unter der Kontrolle des Kaisers. Ihre Zahl wuchs immer mehr. Als der erste lCang-skya Qutuγtu im Jahre 1714 starb, erhielten zum Beispiel folgende Klöster staatliche Zuwendungen, um die Totenzeremonien durchzuführen: die 24 Klöster von Peking, das Kloster von Jehol, die sechs Klöster von Kökeqota, die Klöster auf dem heiligen Berge Wutaishan im Nordosten der Provinz Shanxi, das Kloster des Caya Bandida Qutuγtu Blo-bzang ʼPhrin-las (1642–1715) im Qalqa-Gebiet und das Kloster des ersten rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu.159 Das Kloster des rJe-btsun Dam-pa hieß im Jahre 1714 nicht mehr Örgöge, „Palast“, sondern Yeke Küriye, „Großes Kloster“.160 Als Sitz des höchsten Lamas von Qalqa machte es schon bald dem Kloster Erdeni ˇJoo den Rang als führendes Kloster streitig.161 Die Zeltstadt Yeke Küriye nomadisierte zunächst durch das Orchon-Tal und dann durch die ganze mittlere Nordmongolei162, bis sie schließlich 1778 am Ort der heutigen Hauptstadt Ulaanbaatar ankam. Bereits 1651 hatte der erste rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu, der Öndör Gegen, am Orte des heutigen Ulaanbaatar ein Kloster gegründet, das „Östliche Kloster“, ˇJegün Küriye.163 Bald wurden in der Hauptstadt weitere Klöster errichtet, vor allem im Jahre 1809 das Kloster dGaʼ-ldan Theg-chen-gling (kyrill. Gandan Tėgčėnlin), das bis heute das Hauptkloster der dGe-lugs-pa in der Mongolei ist.164 Im ganzen Lande entstanden immer mehr Klöster. Entsprechend wuchs auch die Zahl der Mönche. 1921 gab es in der Äußeren Mongolei ungefähr 700 große und 1 000 kleine Klöster und etwa 113 000 Mönche. Jede Familie trachtete danach, einen ihrer Söhne ins Kloster zu geben, um hierdurch religiöse Verdienste zu sammeln, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen, da es sich auch in der Mongolei im Kloster besser lebte als in einer einfachen Nomadenfamilie.165 Viele dieser Mönche kehrten allerdings zu ihren Familien zurück und nahmen seelsorgerische Aufgaben auf dem Lande wahr. Die große Zahl der Klöster mit ihren wirtschaftlichen Privilegien und die hohe Zahl der Mönche, die zumindest theoretisch im Zölibat lebten, wurde immer mehr zu einem gesellschaftlichen und politischen Problem.

158 159 160 161 162 163 164 165

Lessing 1942: 58–60; ˇJirγal 1996: 220. Sagaster 1967: 136. Pozdneyev 1971: 75–77; Majdar 1972: 64. Cendina 1999: 48. Cendina 1999: 48. Majdar 1972: 65. Über das Kloster und seine Geschichte siehe u. a. Soninbajar 1995 und Sėrėėtėr1999. Bawden 1989: 160.

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Grundsätzlich spielten die Klöster jedoch eine positive Rolle.166 Sie waren Wirtschaftsbetriebe und Handelszentren mit großen Märkten, die während der großen religiösen Feste abgehalten wurden. Vor allem aber waren die Klöster die Orte von Kunst, Wissenschaft und Bildung. Viele junge Adlige lernten in ihnen Lesen und Schreiben. Die in den Klöstern ausgebildeten Ärzte trugen wesentlich zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung bei. Es gab keine religiösen Grenzen zwischen den mongolischen Gebieten, aber auch nicht zwischen der Mongolei, Tibet und China. Immer mehr Pilger reisten nach Zentraltibet, aber auch in die großen Klöster Osttibets, vor allem nach sKu-ʼbum Byams-pa-gling (Kumbum, chines. Taersi, gegründet 1573 in der Nähe des Geburtsortes des Tsong-kha-pa) und nach Bla-brang bKra-shis-ʼkhyil (Labrang, gegründet 1708). Auch der heilige Berg Wutaishan war ein beliebtes Pilgerziel. Bis heute lassen die Mongolen dort ihre Toten begraben. Hohe Lamas, aber auch einfache Mönche erhielten ihre Ausbildung in Zentral- oder Osttibet und brachten nicht nur ihr theologisches Wissen in die Mongolei zurück, sondern auch künstlerische Kenntnisse und Fertigkeiten. So beeinflusste vor allem das Kloster Labrang die Entwicklung eines eigenen mongolischen Stils in Malerei und Skulptur. Die Bauform der mongolischen Klöster wurde allerdings sehr stark von der chinesischen Architektur beeinflusst.167 Die buddhistische Gelehrsamkeit war keineswegs eine Einbahnstraße von Tibet in die Mongolei. Mongolische Gelehrte haben ihrerseits einen großen Beitrag zur geistlichen Kultur Tibets geleistet, sei es als Theologen oder als Historiker. So hat zum Beispiel ein hoher Lama aus dem Kukunor-Gebiet, Sum-pa mKhan-po Ye-shes dPal-ʼbyor (1704–1788), ein berühmtes Werk über die Geschichte des Buddhismus in Indien, Tibet und der Mongolei geschrieben.168 Einer der bedeutendsten tibetischsprachigen Logiker ist Blo-bzang rTa-mgrin (1864–1937) aus dem Qalqa-Gebiet, der zugleich auch Autor einer Geschichte des Buddhismus in der Mongolei 166 Eine zusammenfassende Darstellung der Klöster in der Äußeren Mongolei ist die „Geschichte der mongolischen Klöster“ (Mongolyn chürėė chiidijn tüüch) von Banzragč/ Sajnchüü 2004. Die neueste Übersicht ist die Website Mongolian Temples 2015. Eine umfassende Studie über die Klöster und Tempel in der Mongolei ist Charleux 2006. Die wichtigsten mongolischen Klöster in China werden in MSNT 2007 beschrieben (siehe Inhaltsverzeichnis S. 29–31); siehe auch die Liste in Charleux 2006: 271–278. Wertvolle Angaben finden sich auch in Berichten europäischer Reisender, so bei Consten 1920: 54–66 (Urga-Heiligtümer); Pozdneyev 1971; Pozdneyev 1977; auch bei Kotwicz nach Tulisov et al. 2012. 167 Über die Baustile der mongolischen Klöster siehe z. B. Majdar 1972: 20–42; Pozdneyev 1978: 67 (russ. Original von 1887); Majdar/Pjurveev 1980: 50–123; Charleux 2006. Über die Organisation der Klöster und der buddhistischen Geistlichkeit siehe u. a. Pozdneyev 1978 und Miller 1959. Über die Religionspolitik der Mandschu, die Struktur und Wirtschaft und den Beitrag des Buddhismus zur mongolischen Kultur siehe Očir/Ėnchtyvšin 2003: 202–221. 168 „Der Wunschbaum“ (dPag-bsam ljon-bzang). Über den Autor und sein Werk siehe Vostrikov 1970; Pubaev 1981.

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ist.169 Die mongolischen Schüler der Tibeter sind schon bald selbst Meister geworden.170 Der dGe-lugs-pa-Buddhismus war auch in der Mongolei schon sehr früh nicht allein die Religion der Mönche und des Adels, sondern wurde zunehmend auch die Religion des Volkes. Die Mönche sorgten durch ihre Rituale für den Schutz gegen die täglichen Gefahren des Lebens. Zugleich trugen sie auch zur moralischen Erziehung des Volkes bei, indem sie durch ihre Belehrungen dazu anhielten, sich an die zehn Gebote zu halten, um dadurch in eine bessere Existenz und schließlich zur Buddhaschaft zu gelangen. Ein Beweis hierfür sind die Handschriftenfunde von Olon Süme und Charbuchyn Balgas, die davon zeugen, dass bereits Ende des 16. Jahrhunderts sowohl in der Inneren als auch in der Äußeren Mongolei gleiche Texte verwendet wurden, die mit Sicherheit auch für die religiöse Betreuung der Laien bestimmt waren.171 Die Klöster der Mongolei standen in ständigem Austausch sowohl untereinander als auch mit Tibet. Das Netz der Beziehungen und Abhängigkeiten wurde vor allem dadurch eng geknüpft, dass die hohen Lamas häufig in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis standen und durch die Weihen und Gelübde in besonderer Weise miteinander verbunden waren.172 Im Laufe der Zeit stellte sich allerdings wieder das alte Übel ein, das schon zum Ende der Mongolenherrschaft in China beigetragen hatte: die moralische und wirtschaftliche Korruption der hohen Geistlichkeit, gepaart mit der Korruption der Fürsten und der fehlenden Bildung der einfachen Mönche und Laien. Das System der Qubilγane, die jeweils beträchtliche wirtschaftliche Privilegien genossen, wurde immer weiter ausgebaut. Allein in der Hauptstadt der Äußeren Mongolei gab es zur Zeit der Autonomie (1911–1924) sieben echte Qutuγtus, also wiedergeborene Lamas, und zusätzlich vierzig andere hohe Lamas, welchen der QutuγtuTitel verliehen worden war. Viele dieser Qutuγtus waren falsche Heilige, die sich um die geistlichen und weltlichen Sorgen ihrer Schutzbefohlenen nur wenig kümmerten. Unrühmliche Beispiele waren die höchsten Heiligen selbst, die rJe-btsun Dam-pa Qutuγtus, welche die Titel Boγda Lama („heiliger Lama“) und Boγda Gegen („heiliger Illustrissimus“) trugen. Der siebente rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu Ngagdbang Chos-kyi dByang-phyug ʼPhrin-las rGya-mtsho (1850–1869) war ein Trinker und liebte sexuelle Freuden, die ihm als hohem dGe-lugs-pa-Geistlichen natürlich verboten waren. Noch schlimmer war sein Nachfolger, der achte rJe-btsun Dampa Qutuγtu, der Boγda Gegen Ngag-dbang Blo-bzang Chos-kyi Nyi-ma bsTan-ʼdzin dBang-phyug (1869–1924). Auch er war ein Trinker, hatte Syphilis und trotz des

169 „Das Goldene Buch“ (gSer-gyi deb-ther), hrsg. von Lokesh Chandra 1964. Über Leben und Werk des Blo-bzang rTa-mgrin siehe Lokesh Chandra 1964: v–vii. 170 Ein Katalog der von mongolischen Autoren verfassten tibetischen Werke ist Bjambaa 2004. Die historischen Werke werden eingehend in Bira 1970; 2001 behandelt. 171 Siehe die Ausgaben von Heissig 1976a; Chiodo 2000; Chiodo 2009. 172 Siehe z. B. Kämpfe 1976: 90, 111.

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Heiratsverbots der dGe-lugs-pa hintereinander zwei offizielle Frauen.173 Im 19. Jahrhundert wurde die Unzufriedenheit mit der Geistlichkeit immer größer. Auch Mönche kritisierten mit scharfen Worten, dass die Lamas sich nicht mehr an die Gebote ihrer Religion hielten und das Volk ausbeuteten. Als der vereinzelte Widerstand schließlich im frühen 20. Jahrhundert zu einer Reformbewegung wurde, war es längst zu spät.174 Im Jahre 1911 brach die Qing-Herrschaft zusammen. Die Äußere Mongolei erklärte ihre Unabhängigkeit in Form einer Monarchie, an deren Spitze der achte rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu berufen wurde.175 Diese Wahl war eine kluge Entscheidung, denn trotz seiner moralischen Schwächen war der achte Boγda Gegen eine starke Persönlichkeit und genoss sowohl beim Adel als auch beim einfachen Volk hohes Ansehen. Die Befreiung von der mandschurisch-chinesischen Fremdherrschaft wurde als ein Akt der nationalen Wiedergeburt empfunden, die in der Person des Boγda Gegen ihren besonderen Ausdruck fand. Obwohl von Geburt her ein Tibeter, war er theologisch nichts anderes als der erste rJe-btsun Dam-pa des 17. Jahrhunderts in einer neuen Existenzform und damit ein Nachkomme Činggis Qans.176 Der politische Neubeginn sollte freilich nicht lange währen. Zwar führte die Volksrevolution von 1921 nicht zur Absetzung des Königs, doch als der Boγda Gegen 1924 starb, wurde die Monarchie abgeschafft und die Mongolische Volksrepublik ausgerufen. 1926 wurden Staat und Religion getrennt und 1929 wurde die Einsetzung eines neuen rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu und aller anderen Qubilγane durch ein Dekret der kommunistischen Partei verboten.177 Der buddhistische Glaube war jedoch im Volk so fest verwurzelt und der Einfluss der Geistlichkeit so stark, dass die Religionspolitik der Partei zunächst noch recht vorsichtig war. Schon bald aber begann der offene Kampf. Zwischen 1936 und 1939 wurden fast alle Klöster zerstört und eine große Zahl von Lamas ermordet.178 Die Überlebenden wurden gezwungen, Laien zu werden. Lediglich das 1938 geschlossene Kloster Gandan (Gandan Tegčenling, tibet. dGaʼ-ldan Thegchen-gling, kyrill. Gandan Tėgčėnlin) in Ulaanbaatar durfte als Vorzeigeobjekt der liberalen kommunistischen Religionspolitik mit einigen Lamas ab 1944 wieder „arbeiten“ und wurde zum Zentrum der kommunistischen Organisation „Buddhists for Peace“. In den 1970er Jahren lockerte sich der Griff auf die Religion etwas. 1970 wurde sogar eine geistliche Akademie gegründet, die nicht nur

173 Bawden 1989: 160–167. 174 Bawden 1989: 166ff. 175 Baabar 1999: 136; Barkmann 1999: 97. Siehe auch die Monographie von Batsaikhan 2009 über den neunten rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu. 176 Bawden 1989: 195f. 177 Sanders 1968: 66; Bawden 1989: 260, 263. 178 Rupen 1964: 277f.; Bawden 1989: 372f.; Baabar 1999: 363.

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der Ausbildung von Mönchen der Mongolei, sondern auch aus Burjatien und Kalmückien diente.179 Frei wurde der Buddhismus in der Äußeren Mongolei erst durch die demokratische Revolution von 1990. Die Bildung eines mongolischen Nationalstaats im Norden führte in den mongolischen Gebieten Chinas nach 1911 zu panmongolischen Bestrebungen, die jedoch nicht von allen hohen Lamas unterstützt wurden. Vor allem war es der sechste lCang-skya Qutuγtu Chos-dbyings Ye-shes rDo-rje (1891–1958),180 welcher offensichtlich die Konkurrenz seines nordmongolischen Amtsbruders, des rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu fürchtete und sich auf die chinesische Seite stellte. Um eine Abtrennung der mongolischen Gebiete zu verhindern, führte die Chinesische Republik die Religionspolitik der Kaiser weiter und verlieh dem lCang-skya Qutuγtu den Titel eines „Lehrers des Staates/Reiches“ (guoshi). Die Förderung der Religion war umso wichtiger, als die japanische Besetzung der Mandschurei und der Inneren Mongolei in den 1930er Jahren die Lage noch weiter verkomplizierte. Um die Mongolen von ihrer politischen und religiösen Hinwendung zu China zu lösen und von einer Hinwendung zur kommunistischen Nordmongolei abzuhalten, versuchte Japan, den Lamaismus zu „reformieren“ und zu diesem Zweck zu „japanisieren“. Deshalb wurden junge japanische Mönche, die oft Agenten des japanischen Geheimdienstes waren, in mongolische Klöster in der Mandschurei und der Inneren Mongolei geschickt und junge mongolische Mönche nach Japan, vor allem in den Chion-in, den Haupttempel der „Schule vom Reinen Land“ (Jōdo-shū) in Kyoto, und zum Zentrum der „Schule vom Wahren Wort“ (Shingon-shū) auf dem heiligen Berg Kōyasan. Um diese politisch motivierte Überfremdung des angestammten Glaubens zu verhindern und die Religion selbst zu „reinigen“, kam es zu einer innermongolischen Gegenbewegung. Ihr Erfolg wurde freilich schon bald durch den Sieg der chinesischen Kommunisten verhindert.181 Wie alle anderen Religionen in der Volksrepublik China wurde auch der tibetisch-mongolische Buddhismus ein Opfer der kommunistischen Religionspolitik. Vor allem während der Kulturrevolution (1966–1976) wurden die Mönche gezwungen, in den Laienstand zurückzukehren. Ein großer Teil der Klöster wurde zerstört oder für nichtreligiöse Zwecke verwendet.182 1976 trat jedoch eine Wende ein. Es wurde wieder erlaubt, Mönch zu werden; überall im Lande wurden Klöster restauriert oder neu gebaut. In den Klöstern durfte religiöse Literatur gedruckt werden und selbst staatliche Verlage veröffentlichten in großer Zahl religiöse und religi-

179 „Religionshochschule“ (Šašny Dėėd Surguul´), siehe Soninbajar 1995: 21–22. Heutiger Name: „Buddhistische Öndör Gegeen Zanabazar-Universität“ (Öndör gegėėn Zanabazaryn nėrėmžit Burchan Šašny Ich Surguul´). 180 Über den sechsten lCang-skya Qutuγtu siehe Yang/Bulag 2003 und MSNT 2007: 643f. 181 Über die japanische Religionspolitik in der Mongolei siehe Jagchid 1980 und die Monographie Li 1998. 182 Jagchid 1980: 238.

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onshistorische Werke. Der zehnte Panchen Lama Chos-kyi rGyal-mtshan (1938– 1989) wurde aus dem Gefängnis entlassen und wohnte als Nachbar von Deng Xiaoping in Peking. Sein dortiges Kloster war der „Gelbe Tempel“ (mongol. Sira süme; chines. Huangsi), in dem er eine Akademie für Höhere Buddhistische Studien gründete. Die Anwesenheit des Panchen Lama in Peking war für die Mongolen und Tibeter von ganz großer Bedeutung. Jede Woche empfing er in seiner Residenz Gläubige und bei seinen Reisen durch das Land besuchte er sogar die Oiraten im fernen Tianshan. Dass sich auch trotz aller Erleichterungen die kommunistische Religionspolitik nicht geändert hatte, zeigen die Probleme, die sich bei der Wiederauffindung der Wiederverkörperung des Panchen Lama ergeben haben.183 Auch heute leidet der tibetisch-mongolische Buddhismus unter der chinesischen Religionspolitik. Der sechste lCang-skya Qutuγtu war zusammen mit der nationalchinesischen Regierung 1948 nach Taiwan geflohen und dort 1954 gestorben. Die kommunistische Regierung hielt es offensichtlich nicht für opportun, seine Wiederauffindung zu betreiben. Schließlich wurde er doch wiedergeboren, und zwar nach dem Ende der Kulturrevolution, im Jahre 1980, im osttibetischen Tsongkha-Gebiet, aus dem auch der Dalai Lama stammt. Er erhielt den Mönchsnamen bsTan-ʼdzin Don-yod Ye-shes rGya-mtsho. 1998 floh der junge siebente lCang-skya Qutuγtu nach Indien und wurde dort im August 1998 durch den Dalai Lama offiziell anerkannt.184 Auch der nordmongolische rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu ist wiedererstanden. Das Dekret der Partei von 1929, welches seine Einsetzung und die aller anderen Qubilγane verbot, nützte nichts.185 Der achte Boγda Lama verkörperte sich 1932 als neunter rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu ʼJam-dpal rNam-grol Chos-kyi rGyal-mtshan in Lhasa wieder. 1961 floh er ins indische Exil und 1991 wurde er vom Dalai Lama offiziell bestätigt. Nach anfänglichem Zögern erlaubte ihm die demokratische Regierung der Mongolei den ständigen Aufenthalt in der Mongolei 2009 und verlieh ihm mongolische Staatsbürgerschaft. Am 1. März 2012 starb der neunte Boγda Lama in Ulaanbaatar. Von einer Wiederverkörperung ist bisher nichts bekannt.186 Die Zurückhaltung der mongolischen Regierung war politisch bedingt, denn man wusste nicht, welche Folgen die Anwesenheit der Wiederverkörperung des früheren Staatsoberhaupts in der Mongolei haben würde. Die grundsätzlich positive neue Haltung gegenüber dem Buddhismus begann jedoch sofort nach der 183 Der vom Dalai Lama anerkannte elfte Panchen Lama dGe-ʼdun Chos-kyi Nyi-ma wurde bereits 1989 geboren, aber von der chinesischen Regierung abgelehnt. Die hiermit verbundenen dramatischen Ereignisse werden in Barnett 1996 beschrieben. Der auf Betreiben der chinesischen Regierung gewählte Panchen Lama rGyal-mtshan Nor-bu wurde 1990 geboren. Siehe Website Panchen Lama. 184 Website Changkya Khutukhtu. 185 Sanders 1968: 66; Bawden 1989: 263. 186 Website Jebtsundamba Khutukhtu; Website Jampel Namdröl Chökyi Gyeltshen (ausführliche Biographie).

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Revolution von 1990.187 1992 wurde ihm im Rahmen der allgemeinen Religionsfreiheit Verfassungsrang zuerkannt.188 Die Wiederkehr seiner politischen und gesellschaftlichen Vormachtstellung wünscht allerdings kaum jemand. Doch immer noch ist der Buddhismus die Religion der Mongolen. Seit 1990 sind auch in der Nordmongolei zerstörte Klöster restauriert und/oder neu errichtet worden. Viele frühere Mönche sind wieder Lamas geworden und viele junge Männer sind in den geistlichen Stand eingetreten. Auch die Rote Lehre gibt es wieder und kann nicht mehr von ihren Gegnern, den Gelbmützen, gegängelt werden. Bemerkenswert ist, dass auch viele Frauen Gelübde abgelegt und Konvente gegründet haben, die hauptsächlich der Rotmützen-Schulrichtung angehören.189 Das Wiedererstarken des Buddhismus in der Mongolei wurde wesentlich durch die Hilfe von tibetischen Mönchen aus dem indischen Exil gefördert, die nach 1990 in die Mongolei kamen und halfen, die abgebrochene einheimische Lehrtradition zu erneuern und die Verbindung mit den tibetischen Zentren wiederherzustellen. Der Dalai Lama, dessen Ansehen bei den Mongolen ungebrochen ist, kam mehrmals in die Mongolei. Von besonderer Bedeutung war im Jahre 1990 die Berufung des höchsten dGe-lugs-pa-Lamas von Ladakh, Kushok Bakula Rinpoche (sKushog Ba-ku-la Rin-po-che) (1917–2003), zum indischen Botschafter in der Mongolei.190 Kushok Bakula Rinpoche gründete 1999 in Ulaanbaatar ein Kloster, das er dPethub-gling (kyrill. Pėtublin) „Kloster, das ein Beispiel sein kann“, nannte. Dieser Name war zwar der gleiche wie der von Kushok Bakula Rinpoches Heimatkloster in Ladakh, doch wurde er wahrscheinlich auch deshalb gewählt, weil er Programm einer Erneuerung des Buddhismus in der Mongolei sein sollte. Nach Auffassung der tibetischen Missionare war der mongolische Buddhismus nicht mehr „rein“. Viele Mönche lebten nicht mehr nach den Vorschriften des Vinaya. Sie waren verheiratet und lebten nicht mehr im Kloster, sondern kamen nur zu den religiösen Diensten dorthin. Das Kloster dPe-thub-gling, das ganz in der Nähe des Gandan-Klosters, des Hauptklosters des tibetischen Buddhismus, erbaut worden war, sollte hingegen dazu beitragen, den „reinen“ Buddhismus wiederherzustellen. Dies traf freilich auf Widerstand, denn in der mongolischen Geistlichkeit und sicher auch in politischen Kreisen gab es den Wunsch nach einem eigenen „mongolischen Buddhismus“, der möglichst frei von fremden Einflüssen sein sollte. Wie weit die entsprechenden Spannungen heute noch eine Rolle spielen, sei dahingestellt. Ein weiteres Problem ist, dass die Lamas offensichtlich immer noch nicht

187 Zum Wiedererstarken des Buddhismus im Staat Mongolei siehe Kollmar-Paulenz 2003; Bareja-Starzyńska/Havnevik 2006; Elverskog 2006; Sabirov 2012; Vanchikova 2014. 188 Mongolische Verfassung von 1992, Artikel I.9, siehe Mongol ulsyn ündsėn chuulʼ 1992: 5. 189 Siehe hierzu Havnevik et al. 2007. 190 Zu seiner Biographie siehe u.a Kushok Bakula 2006; zu seinen Aktiviäten in der Mongolei ebd. 51–67.

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begriffen haben, dass eine Religion auch eine soziale Verantwortung hat und dass das Mitgefühl mit den lebenden Wesen nicht nur theoretisch sein darf, vor allem dann nicht, wenn man gegen die starke Konkurrenz der ausländischen Missionare anderer Religionen bestehen will. Dies gilt auch für die Vermittlung der religiösen Inhalte an die Laien, von denen vor allem die älteren immer noch durch die antireligiöse Erziehung der kommunistischen Zeit geprägt sind und wenig Interesse an einem vertieften inhaltlichen Verständnis der buddhistischen Lehre haben. Auch die meisten gläubigen Laien dürften sich immer noch damit begnügen, zum Astrologen zu gehen, das oṃ maṇi padme hūṃ zu beten, Weihwasser zu holen und Gutscheine für wirkungsmächtige tibetische Texte zu kaufen, die sie dann von Mönchen rezitieren lassen, um sich gegen alle möglichen Gefahren zu schützen. Immerhin sind seit 1990 zahlreiche Institutionen gegründet worden, welche sich die religiöse Bildung der Laien zur Aufgabe machen. Viele religiöse Texte wurden neu ins Mongolische übersetzt, denn die in der alten uiguro-mongolischen Schrift geschriebenen Werke kann kaum noch jemand lesen. Die Kultsprache ist zwar nach wie vor weitgehend das Tibetische, doch es gibt auch Tempel, in denen die Rituale in mongolischer Sprache abgehalten werden. Bereits im 19. Jahrhundert hatte ja der innermongolische Lama Mergen Gegen der Urad das Mongolische als Kultsprache eingeführt, allerdings ohne eine Chance gegenüber dem übermächtigen Tibetischen.191 Inwieweit die Bemühungen zu Modernisierungsbewegungen einen nachhaltigen Erfolg haben werden, bleibt abzuwarten. Eine wirkliche Gefahr für den Buddhismus in der Mongolei sind die gegenwärtigen Probleme jedoch kaum. Die Religion ist in den Herzen der Mongolen so stark verwurzelt, dass weder physischer Zwang noch intellektuelle Zweifel sie ernsthaft gefährden können. Nach wie vor ist der Buddha einer der beiden Pfeiler, auf denen die mongolische Identität beruht. Der andere Pfeiler ist, wie könnte es anders sein, Činggis Qan.192

5. Der Buddhismus bei den Westmongolen 5.1. Der Buddhismus bei den Oiraten Im Jahre 1207 unterwarfen sich die Oiraten zusammen mit den Burjaten und anderen „Waldvölkern“ im Norden der Mongolei und darüber hinaus der Herrschaft 191 Siehe hierzu Heissig 1954: 127f.; Ujeed 2014. 192 Über die Rolle von Buddha und Činggis Qan als Identifikationsfiguren siehe Sagaster 1999; Kollmar-Paulenz 2003: 24f.; Bareja-Starzyńska/Havnevik 2006: 224–226; Wallace 2015b.

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Činggis Qans.193 Der Name Oiraten (oirat. Oyirad194) wurde später zur Sammelbezeichnung für die Westmongolen, die sich sprachlich und politisch von den „Mongolen“ (Mongγol), den Ostmongolen, unterscheiden. Die Oiraten leben seit Jahrhunderten nördlich und südlich vom Tianshan, dem Himmelsgebirge im heutigen Xinjiang, aber auch im Westen der Inneren Mongolei, in den chinesischen Provinzen Gansu und Qinghai (Kukunor) sowie in Tibet nördlich von Lhasa und im Westen der Äußeren Mongolei, des heutigen Staates Mongolei. Ende des 16. Jahrhunderts und im frühen 17. Jahrhundert emigrierte ein Teil der Oiraten nach Russland und ließ sich dort unter dem Namen „Kalmücken“ vor allem zwischen unterer Wolga und Don nieder. Der heutige Staat, die Republik Kalmückien, ist ein Teil der Russischen Föderation. Im 16./17. Jahrhundert umfasste das nomadische Siedlungsgebiet der Oiraten fast das gesamte Territorium des heutigen Xinjiang: Nach Norden und Nordwesten reichte es über die Dsungarei hinaus bis zum Issyk-kul im heutigen Kyrgyzstan und bis zum Balchasch-See und dem oberen Irtysch nördlich von Semipalatinsk im heutigen Kasachstan. Nach Osten hin erstreckte es sich über den Altai hinaus bis zum Ubsa-See und dem Changai-Gebirge in der heutigen Mongolei.195 Zur Zeit des mongolischen Großreiches (1206–1368) kamen auch die Westmongolen in Berührung mit dem Buddhismus, vor allem in seiner tibetischen Form. Die größte Bedeutung hatte hierbei offenbar die bKaʼ-brgyud-pa. Dies lässt sich daraus schließen, dass die Oiraten, die zur Zeit des Ilkhans Hülegü in großer Zahl nach Persien gingen, Anhänger der bKaʼ-brgyud-pa waren.196 Auch nach dem Ende des mongolischen Großreichs scheint die bKaʼ-brgyud-pa die bei den Oiraten führende Schulrichtung gewesen zu sein. Beinahe jedes Jahr reisten oiratische Gesandtschaften an den chinesischen Kaiserhof, zu denen auch hochrangige Lamas gehörten.197 Die Fürsten Toγon Tayiši und Esen Tayiši, Herrscher über ein mächtiges oiratisches Reich im 15. Jahrhundert, waren gläubige Buddhisten und beauftragten die Lamas Kamalaśrī und Guši Jamchen (Byams-chen) mit der Übersetzung buddhistischer Texte aus dem Tibetischen.198 Der Buddhismus hatte zu jener Zeit bei den Oiraten zweifelsohne eine stärkere Stellung als bei den politisch schwachen Ostmongolen. 193 Geheime Geschichte der Mongolen § 239; siehe de Rachewiltz 2004: 163f., 527. – Zur Frühgeschichte der Oiraten und zur Geschichte des oiratischen Khanats im 17./18. Jh. siehe z. B. Schorkowitz 1992. 194 Die oiratischen Namen und Begriffe werden aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit mit den bekannteren ostmongolischen schriftsprachlichen Formen nicht in der Transliteration ihrer oiratisch-schriftsprachlichen Formen wiedergegeben, es sei denn, dies wird durch den Zusatz „oirat.“ ausdrücklich vermerkt. So erscheinen die Namen oirat. Bātur Qung Tayiži, Qo Örlöq, Qošuud, Torγuud in den Formen Baγatur Qung Tayiǰi, Qo Örlög, Qošud, Torγud. 195 Siehe die Karte bei Zlatkin 1964, zwischen den Seiten 466 und 467. 196 Kitinov 2004: 64ff. 197 Serruys 1966: 165ff.; Kitinov 2004: 105. 198 Kitinov 2004: 81f.

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In der Mitte des 15. Jahrhunderts begann bei den Oiraten die Verbreitung der von Tsong-kha-pa Blo-bzang Grags-pa (1357–1419) gegründeten neuen Schulrichtung der dGe-lugs-pa. Als erste kamen Oiraten der Stämme Torγud und Qošud, welche im Norden von Tibet und in den einstmals zum Tangutenreich gehörenden Gebieten von Amdo und Kukunor nomadisierten, mit den dGe-lugs-pa in Berührung. Vermutlich drangen die dGe-lugs-pa auch schon bald in das oiratische Kernland in der Dsungarei, im Norden des Tianshan, vor. Allerdings sind dort wohl noch lange die „Rotmützen“ der bKaʼ-brgyud-pa in der Überzahl gewesen. Es scheint, dass es den dGe-lugs-pa erst im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts gelang, die führende Stellung bei den Oiraten zu gewinnen. Eine entscheidende Bedeutung hierbei kam offensichtlich einem hochrangigen Lama zu, dem dritten sTong-ʼkhor Mañjuśrī Qutuγtu rGyal-baʼi rGya-mtsho (mongol. Düingqor Manǰusiri Qutuγtu ˇJalbiǰamso) oder Čaγan nom-un qan (1588– 1639).199 Dieser kam im Jahre 1615 als Vertreter des Dalai Lama vom Kukunor in die Dsungarei und soll dort den Qošud-Fürsten Bayibaγas, einen der beiden Vorsitzenden des Oiratischen Bundes, so beeindruckt haben, dass dieser sogar Mönch, toyin (Mönch aristokratischer Herkunft), werden wollte. Nur der politisch begründete Widerstand anderer oiratischer Fürsten habe ihn von diesem Schritt abgehalten. Stattdessen beschlossen 32 oiratische Fürsten auf Anraten des Čaγan nom-un qan, je einen ihrer Söhne in den geistlichen Stand eintreten und Novize, bandi, werden zu lassen. Zu diesen Fürsten gehörten die Anführer der wichtigsten oiratischen ethnopolitischen Gruppen: der Ögeled (Ölöten) oder ˇJungγar (Jˇegünγar; Dsungaren), der Dörbed (Dörbeten), der Torγud (Torguten) und der Qošud (Khoschuten). Mit der Hinwendung der oiratischen Fürsten zu den dGe-lugs-pa waren nun auch die Westmongolen dem Beispiel der Nord- und Südmongolen gefolgt und hatten die Gelbe Lehre zur offiziellen Religion gemacht. Hiervon zeugt eine der wichtigsten mongolischen Gesetzessammlungen, der „Mongolisch-oiratische Gesetzeskodex“ (Mongγol-Oyirad-un čaγaǰa-yin bičig), der von einer Versammlung der wichtigsten nordmongolischen und oiratischen Fürsten im Jahre 1640 unter Beisein hoher Geistlicher beschlossen worden ist. Die Gesetze betreffen sowohl geistliche (šasin) als auch weltliche (törö) Angelegenheiten. Besonders bemerkenswert sind hierbei die Strafbestimmungen, die sich gegen die Schamaninnen (iduγan) und Schamanen (böge) richten und davon zeugen, dass in der Westmongolei der Schamanismus ebenso scharf verfolgt wurde wie in der Ostmongolei.200

199 MSNT 2007: 666. Zur Frage der Identität des Manǰusiri Qutuγtu mit dem Čaγan Nomun qan siehe Norbo 1999: 160f. und MSNT 2007: 614. 200 Eine neuere russische Übersetzung des Gesetzbuches ist Dylykov 1981, eine gut kommentierte neue mongolische Ausgabe ist Buyanölǰei/Boo 2000. Den Buddhismus und den Schamanismus betreffen die Paragraphen 7, 15f., 109f. Zahlreiche die gleichen Gegenstände betreffende Bestimmungen finden sich in den Ergänzungen zu dem Gesetzbuch von 1640, die von dem kalmückischen Khan Dongrubrasi (Dongrub Dasi) (reg. 1741–1761) erlassen worden sind, siehe Buyanölǰei/Boo 2000: 283–395; Ustjugov et al. 1967: 175, 194f.

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Zu den Teilnehmern des Treffens gehörten Fürsten, welche in der Geschichte der Westmongolen und der Verbreitung der dGe-lugs-pa-Schule eine besondere Rolle spielten: Erdeni Baγatur Qung Tayiǰi aus dem dsungarischen Geschlecht der Čoros, Güüši Qan von den Qošud und Qo Örlög sowie sein Sohn Šükür Dayičing von den Torγud. Der ˇJungγar-Fürst Erdeni Baγatur Qung Tayiǰi (reg. 1635–1653) war zusammen mit dem Qošud-Fürsten Bayibaγas nicht nur Vorsitzender des Bundes der oiratischen Fürsten; sein Herrschaftsantritt in der Nachfolge seines Vaters Qara Qula markierte vielmehr zugleich auch den Beginn des Dsungarischen Reiches (1635– 1757), das zu einem der mächtigsten Staaten Zentralasiens und gefährlichsten Gegner der chinesischen Qing-Dynastie werden sollte.201 Der Qošud-Fürst Töröbayiqu, mit Herrschernamen Güüši (Güüsi) Qan (oirat. Güši, tibet. Gu-shrī) (1582–1655) schuf als Ergebnis seiner militärischen Hilfe für die in Tibet von mächtigen Gegnern bedrängten dGe-lugs-pa mit Billigung des Oiratischen Bundes ein zweites oiratisches Reich, welches vom Kukunor im Nordosten bis zur Grenze von Ladakh im Westen reichte (1642–1717). Die Herrschaft der Qošud-Könige über Tibet war freilich weitgehend nur nominell. Die eigentliche Macht lag bis zu seinem Tode im Jahre 1682 in den Händen des fünften Dalai Lama Ngag-dbang Blo-bzang rGya-mtsho und bis 1705 in den Händen des Regenten Sangs-rgyas rGya-mtsho. Für die Geschichte Tibets sollte Güüši Qan nicht als Fremdherrscher von Bedeutung werden, sondern aus einem anderen Grund: 1642 übertrug er dem Dalai Lama die Autorität über die beiden Ordnungen (tibet. lugsgnyis, lugs-zung; mongol. qoyar yosun) der weltlichen und geistlichen Dinge (tibet. chos-srid, bstan-srid; mongol. nom törö, šasin törö) und begründete somit das Regierungssystem der Dalai Lamas, welches bis in die jüngste Zeit bei den Tibetern gültig war.202 Der dritte oiratische Staat, der allerdings unter russischer Oberhoheit stand, war das Kalmückische Khanat an der unteren Wolga. Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen wanderten um 1700, ebenfalls mit Billigung des Oiratischen Bundes, Teile der Oiraten aus der Dsungarei nach Nordwesten aus. In den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts erreichte ein großer Teil der Torγud sowie Teile der Dörbed und Qošud das Gebiet zwischen der unteren Wolga und dem Ural-Fluss. Das Oberhaupt der Torγud war der Fürst Qo Örlög. Ihm folgte 1644 sein Sohn Šükür Dayičing (bis 1661). Sein Herrschaftsantritt bedeutete den Beginn des Kalmückischen Khanats, das mit der Rückkehr des auf der östlichen Seite der Wolga nomadisierenden Teils der Oiraten in die Dsungarei Anfang 1771 endete.203 201 Zlatkin 1964, bes. 111–115. 202 Zu Güüši Qan siehe u. a. Petech 1950 passim (Guśri Qan); Shakabpa 1967: 103–114 und passim (Gushri Qan); Norbo 1999: 212–215 (Güüši Nomin-chan); MSNT 2007: 375. 203 Zum Kalmückischen Khanat siehe u. a. Ustjugov et al. 1967; zur Auswanderung nach Russland siehe auch Zlatkin 1964: 166ff.

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Es ist erstaunlich, wie schnell es den dGe-lugs-pa gelang, auch bei den Oiraten Fuß zu fassen. Natürlich setzten sie mit ihrer Missionstätigkeit bei den Fürsten an. Doch der Umstand, dass diese nicht nur eigene Söhne für den geistlichen Stand bestimmten, sondern zugleich auch zweihundert Söhne ihrer Untertanen (albatu), zeigt, dass schon bald auch die einfache Bevölkerung mit der neuen Lehre bekanntgemacht werden sollte. Der kalmückische Historiker Gaban-Šarab (Γabang Šesrab) berichtet in seiner 1739 verfassten Geschichte der Oiraten204, dass alle oiratischen Fürsten, große und kleine, nach Güüši Qans Sieg über die Gegner der dGe-lugs-pa den Dalai Lama als „ihren Lama“ anerkannt haben.205 Dies weist darauf hin, dass das traditionelle Verhältnis zwischen den weltlichen Gabenherren (öglige-yin eǰen; tibet. yon-bdag, sbyin-bdag) und ihren Lehrern, den Lamas, den „Gegenständen der Verehrung“ (takil-un oron; tibet. mchod-gnas), nunmehr auch für die Beziehungen zwischen den Oiraten und den dGe-lugs-pa galt, so wie dies bei den Ostmongolen mit der Begegnung zwischen dem Altan Qan der Tümed und dem dritten Dalai Lama der Fall gewesen war. Dies bedeutete zugleich auch die Bestätigung des traditionellen Verhältnisses zwischen den beiden Ordnungen Religion und Staat. Gaban-Šarabs Bericht ist die Bestätigung eines fait accompli. Schon vorher sind oiratische Fürsten und auch Fürstinnen nach Tibet gereist, so Töröbayiqu Güüši Qan im Jahre 1638, wo er vom Dalai Lama religiöse Unterweisungen erhielt. In einer feierlichen Zeremonie im Jokhang-Tempel in Lhasa verlieh ihm der Dalai Lama den Titel „Bewahrer der Lehre und König der Religion“ (bstan-ʼdzin chos-kyi rgyal-po). Die Überlieferung berichtet, dass Töröbayiqu bereits lange vorher, 1609, seine Verdienste als Vermittler in einem Krieg zwischen den Khalkha (Qalqa)Mongolen und den Oiraten den hohen weltlichen Titel güüši (güüsi, güši; tibet. gushrī von chines. guoshi „Lehrer des Reiches“), verliehen bekommen habe.206 Dass Titelverleihungen durch hohe buddhistische Geistliche neben der religiösen auch eine politische Komponente hatten, zeigt noch einmal das Beispiel des Güüši Qan. Auch 1639 hat er vom Dalai Lama sicherlich nicht nur wegen besonderer Frömmigkeit den Titel „Bewahrer der Lehre und König der Religion“ erhalten, sondern vor allem wegen seiner Bereitschaft, den Vorrang der dGe-lugs-pa in Tibet zu sichern. Eine eindeutig weltliche Qualität hatte der Titel qan, qaγan „Khan, König“ ohne den Zusatz „der Religion“. So trug der Qošud-Fürst Očirtu Tayiǰi, der zusammen mit Erdeni Baγatur Qung Tayiǰi dem Oiratischen Bund vorstand, erst dann den Titel Qan, nachdem ihm der Dalai Lama im Jahre 1666 den Titel Čečen Qan, „weiser König“, verliehen hatte.207 Auch Galdan Qung Tayiǰi, der von 1670 204 „Geschichte der Vier Oyirod“ (oirat. Dörben oyirodiyin tüüke). – Die „Vier Oyirad (Oyirod)“ ist die historische politische Sammelbezeichnung für die Oiraten. 205 Zlatkin 1964: 226. 206 Norbo 1999: 212. 207 Norbo 1999: 157.

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bis 1697 als Galdan Bošoγtu Qan Herrscher des Dsungarenreiches war, erhielt vom Dalai Lama im Jahre 1678 den Titel Bošoγtu Qan, „Auserwählter König“.208 Auch der Herrscher des Kalmückischen Khanats, Šükür Dayičing (1644–1661), bekam vom Dalai Lama den Qan-Titel verliehen. Die russische Regierung verbot ihm aber, diesen zu benutzen, da er ihm als Untertanen des Zaren nicht zukam.209 Schon sehr bald wurden junge Oiraten zur Ausbildung nach Tibet geschickt. Der bekannteste von ihnen ist der bereits erwähnte Adoptivsohn des Qošud-Fürsten Bayibaγas, Caya Bandida Namqayiǰamso (tibet. Dza-ya Paṇḍi-ta Nam-mkhaʼi rGyamtsho; mongol. Oγtarγui-yin dalai). Die von seinem Schüler und langjährigen Begleiter Ratnabhadra (oirat., mongol. Radnabhadra; tibet. Rin-chen bzang-po) 1691 verfasste Biographie Saran-u gerel, „Licht des Mondes“, ist ein ganz besonders wertvolles Zeugnis der religiösen, politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Geschichte der Oiraten des 17. Jahrhunderts.210 Caya Bandida (skt. Jayapaṇḍita, „Siegreicher Gelehrter“) wurde 1599 als Enkel eines bekannten Wahrsagers (ǰayagači) der Qošud geboren. Seit 1617 studierte er in Lhasa und erwarb sich dort den hohen akademischen Grad eines rabǰamba (tibet. rab-ʼbyams-pa). Caya Bandida hat sich durch seine akademischen Erfolge ein so hohes Ansehen erworben, dass ihn der fünfte Dalai Lama und der erste Panchen Lama zu den „(Völkern) mongolischer Sprache“, den Mongolen und Oiraten, sandten, um „zum Nutzen der Lehre und der Lebewesen heilige Texte zu übersetzen“.211 1638 verließ Caya Bandida nach 22-jährigem Aufenthalt Tibet und kehrte 1639 in seine Heimat, die Dsungarei, zurück.212 Dort war er über viele Jahre der bedeutendste und auch politisch einflussreichste Vertreter der „Gelben Kirche“. Doch auch bei den Ostmongolen und den Kalmücken verbreitete er die neue Lehre. Ganz besondere Verdienste hat sich Caya Bandida für die oiratische Sprache und Literatur erworben. Vor seiner Abreise aus Tibet im Jahre 1638 beauftragte ihn der Dalai Lama, an seiner statt zu den mongolischsprachigen Völkern zu reisen und die heiligen Bücher zu übersetzen.213 Dies war auch ganz im Interesse der mongolischen Fürsten. Für die oiratischen Fürsten war es offensichtlich ein Problem, die in der traditionellen altmongolischen, d. h. uiguromongolischen Schrift geschriebenen Texte ohne Schwierigkeiten zu verstehen. Auf jeden Fall baten Erdeni Baγatur Qung Tayiǰi, der Herrscher des Dsungarischen Reiches, und der Qo-

208 Čimeddorji 1991: 50. 209 Ustjugov et al. 1967: 129f. Zur Titelverleihung siehe auch Dylykov 1981: 34; Buyanölǰei/ Boo 2000: 14 Anm. 51. 210 Kommentierte russische Übersetzung: Norbo 1999. Faksimileausgabe des oiratischen Textes, Transkription, Übersetzung: Rumjancev/Sazykin 1999, Faksimile/Transkription zitiert als Radnabhadra 1999. 211 Norbo 1999: 41; Radnabhadra 1999: 3a: oirat. mongγol keletün-dü γarči. šažin kiged amitanu tusa-du nom orčiulži. 212 Norbo 1999: 42 (Radnabhadra 1999: 3a). 213 Norbo 1999: 41–42 (Radnabhadra 1999: 3a).

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šud-Fürst Abalai den Caya Bandida, eine eigene oiratische Schrift zu entwerfen. Caya Bandida folgte dieser Aufforderung und schuf im Jahre 1648 auf der Grundlage der altmongolischen Schrift die „deutliche Schrift“ (todorqai üsüg, todo üsüg), welche die Laute der mongolischen und damit auch der oiratischen Sprache genauer wiedergibt als die alte Schrift.214 Dies war der Beginn einer eigenen oiratischen Literatur, deren Inhalte natürlich zunächst vor allem religiös waren. Die zuvor übersetzten Texte wurden in die neue Schrift übertragen und eine große Zahl weiterer Texte aus dem Tibetischen übersetzt. Ratnabhadra, der Verfasser der Biographie, führt 183 Werke auf, die Caya Bandida selbst übersetzt hat, und 34 von seinen Schülern übertragene Werke.215 Dies war eine unglaubliche Leistung, denn viele der Texte waren sehr umfangreich und stellten allein schon deshalb eine übersetzerische Herausforderung dar, ganz abgesehen von den damit verbundenen inhaltlichen und terminologischen Schwierigkeiten. Im Jahre 1662 starb Caya Bandida auf einer Reise nach Tibet. Schon bald verkörperte er sich wieder, und zwar in einer einfachen tibetischen Familie in der Gegend von Nag-chu, nicht weit vom Himmelssee (gNam-mtsho) nördlich von Lhasa, wo die oiratischen Dam-Mongolen leben. Von seinem Residenzkloster in der Dsungarei, dem „Großen Kloster der Oyirad“ (Oyirad-un Yeke küriye), konnte er jedoch nie Besitz nehmen: Als er seine Ausbildung in Tibet beendete, gab es dieses nicht mehr. Es wurde nach 1680 im Verlauf eines bewaffneten Konflikts zwischen dem Očirtu Čečen Qan der Qošud und Galdan Bošoγtu Qan zerstört.216 Das „Große Kloster der Oyirad“ war wegen der Bedeutung seines Gründers Caya Bandida lange Zeit das religiöse Zentrum der Oiraten.217 Es gehörte zum Typus der „nomadisierenden“ Klöster, der Wanderklöster (negüdel-ün süme), die den Bedürfnissen der Seelsorge bei den Nomaden in ganz besonderer Weise entsprachen, viel besser als die „sesshaften“, die stationären Köster (saγurisil-ün süme). Die Tempel und Klosterschulen sowie die Wohnungen der Mönche waren keine festen Gebäude, sondern Zelte, die leicht auf- und abgebaut werden konnten. Das „Große Kloster der Oyirad“ hatte zwar einen festen Platz auf der Nordseite des TarbagataiGebirges im Norden der Dsungarei, doch verließ es diesen immer wieder ganz oder teilweise.

214 Norbo 1999: 51 (Radnabhadra 1999: 7 [oirat. todorxoi üzüq; mongol. todorqai üsüg]). – Näheres zur oiratischen Schrift z. B. bei Kara 2005: 137–152 und Norbo 1999: 204. Zur Bedeutung Caya Bandidas für die mongolische Kultur siehe Poppe 1966. 215 Liste der übersetzten Werke bei Norbo 1999: 53–61 (Radnabhadra 1999: 8b-10b). Siehe auch die mit tibetischen Entsprechungen versehene und leicht abweichende Liste bei Damdinsürüng 1959: 327–334. 216 Siehe hierzu Norbo 1999: 268. 217 Über das „Große Kloster der Oyirad“ siehe Norbo 1999: 187–188. Eine auf mündlicher Tradition beruhende etwas abweichende Darstellung gibt MSNT 2007: 85–86 (unter Oyirad-un qutuγtu-yin küriye „Kloster des Qutuγtu der Oyirad“).

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In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden viele weitere oiratische Klöster218 errichtet, die zumeist ebenfalls Wanderklöster waren. Die Zelte dieser Klöster waren in der Regel die typischen mongolischen Filzzelte (ger, „Jurte“), doch mitunter dienten als Tempelzelte auch Stoffzelte (mayiqan).219 Im Laufe der Zeit konnten die Klöster auch stationär werden. Besonders im Norden des oiratischen Siedlungsgebiets gab es auch von Anfang an Klöster mit festen Gebäuden, die sogar die Form von Festungen haben konnten. Eines von ihnen ist das „Kloster des Abalai“ (Abalai-yin süme, Abalaiyin keyid), welches, da am Irtysch in der Nähe der heutigen Stadt Kamenogorsk in Nordost-Kasachstan gelegen, auch „Irtysch-Kloster“ (Erčis-ün süme) hieß.220 Es wurde von dem Qošud-Fürsten Abalai Tayiǰi zwischen 1644 und 1657 erbaut und von Caya Bandida geweiht221. Das Kloster war aus Ziegeln errichtet und besaß zwei große Versammlungshallen (duγang, tibet. ʼdu-khang). Nicht ungewöhnlich war die große Zahl der Mönche (lama quvaraγ): es waren mehr als tausend. Wie viele andere Klöster wurde das Kloster des Abalai im dsungarisch-chinesischen Krieg, der mit der Vernichtung des Dsungarischen Reiches endete, im Jahre 1757 zerstört.222 Das Kloster des Abalai wurde schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert bekannt, als in seinen Ruinen buddhistische Kultbilder, Bronzen und Wandgemälde gefunden wurden, vor allem aber auch Überreste einer Bibliothek mit tibetischen und mongolischen Manuskripten auf Papier und mongolischen Texten auf Birkenrinde. Sechs Druckblöcke mit mongolischer Schrift zeugen davon, dass im Kloster des Abalai auch der Buchdruck geübt wurde.223 Das größte Kloster der Oiraten im Gebiet des heutigen Xinjiang war wohl das „Kloster von Γulja (Kuldscha)“ (Γulja-yin süme), auch „Goldenes Kloster“ (Altan süme) genannt, im Ili-Gebiet. Es wurde zur Zeit des Galdan Bošoγtu Qan nach 1671 errichtet und hatte zu seiner Blütezeit mehr als 6000 Mönche. Entsprechend groß war auch die Zahl der Versammlungshallen und Kollegiengebäude (rasang, tibet. grva-tshang). Besonders zum Neujahrsfest, dem Fest des „Weißen Monats“ (čaγan sara), kamen die Gläubigen und brachten dem Kloster als „Gabenherren“ reiche

218 Mit „Kloster“ werden unterschiedliche mongolische Begriffe wiedergegeben: küriye, keyid, küriye keyid, süme, süme keyid; oirat. qurul/qurulai, ling (< tibet. gling). Der Begriff ǰoo (< tibet. jo-bo) scheint bei den Oiraten nicht üblich gewesen zu sein. Zur Problematik der Übersetzung der Termini, die mitunter identisch sind, jedoch auch Größen- und Funktionsunterschiede bezeichnen können, vgl. Miller 1959: 11ff. Siehe auch Charleux 2006: 99–101. 219 MSNT 2007: 655. 220 MSNT 2007:72; weitere Angaben u. a. bei Norbo 1999:169, 233. Eine genaue Beschreibung des Klosters aufgrund älterer Berichte findet sich bei Ritter 1832: 575ff. Zur Geschichte des Klosters siehe auch Borodaev/Kontev 1999. 221 Über die Weihe, „Belebung“ (amila), des Klosters berichtet Radnabhadra 1999: 16b (Norbo 1999: 77). 222 MSNT 2007: 72. 223 Über die dort gefundenen tibetischen und mongolischen Manuskripte informieren Knüppel 2014 und Alekseev et al. 2014.

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Geschenke. Es wurde ebenfalls während des dsungarisch-chinesischen Krieges in den Jahren 1754 bis 1758 zerstört.224 Viele Klöster wurden nach der Rückkehr der Torguten von der Wolga 1771 und später errichtet bzw. wiedererrichtet. Zu ihnen gehört das Kloster von Anǰai (Anǰai-yin küriye), das größte und einflussreichste Kloster der Wolga-Torguten, welches zur Zeit des Kalmücken-Khans Ayuki (1669–1724) erbaut worden war. Nun wurde es im Norden des Bagrasch-Sees im Gebiet der Bayanγool-Mongolen südlich vom Tianshan angesiedelt.225 Das größte Kloster der Oiraten südlich des Tianshan war das Gelbe Kloster von Balγantai (Balγantai-yin Sira süme), nicht weit vom Kloster von Anǰai am Balγuntai-Fluss gelegen. Sein Bau begann mit Erlaubnis des dreizehnten Dalai Lama im Jahre 1888. Zu seinen vielen Gebäuden zählten auch die um 1915 errichteten Gästehäuser (kamcan; tibet. khang-tshan) für Mönche und Pilger, die sogar aus dem Norden, aus der Dsungarei, kamen. Das Kloster hatte, wie viele andere große Klöster, auch Filialklöster.226 Es ist eines der Klöster, welche zwar während der chinesischen Kulturrevolution in den Jahren 1966 bis 1977 ganz oder teilweise zerstört, aber danach wieder aufgebaut wurden. Auch die Klöster im Westen der Nordmongolei, also in den oiratischen Gebieten der Mongolischen Volksrepublik, wurden von der Zerstörung nicht verschont, und zwar bereits in den 1930er Jahren.227 Erst nach dem Ende der Kulturrevolution und der politischen Wende im nordmongolischen Staat kam die neue Freiheit.228 Von Anfang an war der Buddhismus der Oiraten in Lehre, Organisation und Praxis echter mongolischer Buddhismus tibetischer Prägung. Bereits die oiratisch-mongolischen Gesetze von 1640 belegen die Existenz der traditionellen geistlichen Hierarchie.229 Die Klosterstrukturen waren schon früh ausgebaut. Die großen Klöster waren die Sitze von reinkarnierten Lamas.230 Eine besondere Wertschätzung bei den Oiraten

224 MSNT 2007: 370. 225 MSNT 2007: 9. Zu diesem Kloster siehe auch Charleux 2006: 190 Anm. 95 (tibet. Yunbde lha-khang, chines. Jinding si). 226 MSNT 2007: 177f. 227 Über die Zerstörungen von Klöstern und die Verfolgung der Mönche in der Mongolischen Volksrepublik siehe u. a. Rupen 1964: 228–230. – Klöster im Westen des heutigen Staates Mongolei werden in Banzragč/Sajnchüü 2004, 178–199 sowie auf der Website Mongolian Temples (Aimags Bayan-Ölgii, Uvs und Khovd) beschrieben. Ein Kloster der westmongolischen Ögeled („Ölötiin süme“/Ögeled-ün süme) in der Zentralmongolei in der Nähe der Ruinenstadt Qara Balγasun wurde 1912 von Kotwicz besucht, siehe Tulisow et al. 2012: 99–107. 228 44 Klöster im Gebiet des heutigen Xinjiang werden in MSNT 2007 beschrieben (siehe Inhaltsverzeichnis S. 33). Eine Liste von Klöstern in Alashan (Alaša, Alxa) und Ejin (Eǰin γool) gibt Charleux 2006: 272f. 229 Vgl. Buyanölǰei/Boo 2000: 50f. 230 Potanin 1881: 88ff.; Zlatkin 1964: 157 und Ėrdniev 1993: 33 behaupten, dass bei den Oiraten das Qubilγan-System fehlte bzw. sich nicht einbürgerte. Diese Behauptung lässt sich m. E. angesichts der vielen in den Quellen genannten oiratischen reinkarnierten Lamas nicht halten. Ein besonders bekannter Qubilγan ist der Historiker Sum-pa mKhan-po Ye-shes dPal-ʼbyor (1704–1788), ein Oirate aus dem Kukunor-Gebiet.

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genoss offensichtlich der Panchen Lama. Als ich 1988 im Tianshan, dem Himmelsgebirge, war, nahm ich an einer von Lamas vollzogenen Zeremonie zur Einweihung eines Obo (oboγa), einer Pyramide aus Steinen und anderen Opfergaben für die Ortsgötter, teil. Dass es Lamas waren, die den Obo einweihten, ist einer der vielen Beweise dafür, wie die Lamas alte volksreligiöse Vorstellungen und Praktiken nutzen, um die Bedürfnisse der Gläubigen zu erfüllen. Unter den vielen Teilnehmern war ein alter Herr, der mir voller Freude und Stolz erzählte, dass der in Peking residierende Panchen Lama bei seinen Visitationsreisen durch die mongolischsprachigen Gebiete Chinas sogar die Oiraten im Tianshan besucht habe.231 Nur die Rücksicht auf den alten Glauben in all seiner Vielfalt konnte der Schlüssel zu den Herzen des einfachen Volkes sein. Auch bei den Oiraten scheinen alle Bemühungen, vor allem den Schamanismus zu beseitigen, keinen wirklichen Erfolg gehabt zu haben. So schreibt der Forschungsreisende Carruthers noch 1914, dass der Buddhismus zwar die offizielle Religion im Land der Uriankhai, d. h. der AltaiUriyangqai im Westen der Nordmongolei, sei; der Glaube an die Wirksamkeit der schamanistischen Riten sei jedoch im Volk so stark verwurzelt, dass er als seine wirkliche Religion angesehen werden müsse.232

5.2. Der Buddhismus bei den Kalmücken233 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam es bei den westmongolischen Oiraten zu einer politischen und wirtschaftlichen Krise, bedingt durch innere Kämpfe und den Druck der Ostmongolen, welcher zum Verlust von Weideland führte. Einige Fürsten sahen den einzigen Ausweg darin, neue Weidegebiete zu suchen, und begannen mit ihren Völkern um 1600 eine Westwanderung, die sie in den folgenden Jahrzehnten aus der Dsungarei nach Europa führte, in das Gebiet nördlich und nordwestlich des Kaspischen Meeres, wo einst die Nachkommen Činggis Qans das Reich der Goldenen Horde errichtet hatten. Von den Russen und Türken wur231 Die Wertschätzung des Panchen Lama bei den Oiraten wird auch durch zwei Bilder in Nima/Mende 2011: 292f. belegt. Die Bilder befinden sich in dem von Nima/Mende ausführlich beschriebenen Kloster Burqan baγsi-yin süme/Boγda ibegegči süme der Qošud Ögeled des Gebiets von Mongγol Küriye am Tekes-Fluss im Westen der Dsungarei. Sie zeigen den neunten Panchen Lama Chos-kyi Nyi-ma (1883–1937) (neben einem Bild von Činggis Qan!) und den zehnten Panchen Lama Chos-kyi rGyal-mtshan (1938–1989). – Das Kloster ist identisch mit dem Kloster Mongγol küriye, siehe MSNT 2007: 414. 232 Carruthers 1914: 241, ähnlich 152. 233 Der folgende Überblick beruht weitgehend auf Bakaeva 1994. Eine ältere Gesamtdarstellung ist Darbakova 1977. Vielfältige Materialien über den kalmückischen Buddhismus enthalten auch die Sammelbände Očirova et al. 2004; Očirova et al. 2008 sowie Žukovskaja 1987. Wichtige Monographien sind Rubel 1967; Schorkowitz 2001; Kitinov 2004; Nadneeva 2005; Guchinova 2006; Baschaev 2007; Kitinov 2010. Kleine, aber sehr informative Studien über den Buddhismus bei den Don-Kalmücken sind Bormanshinov 1980; 1991.

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den die Oiraten seit jeher Kalmücken genannt. Ein großer Teil der Kalmücken floh, bedingt durch russische Repressalien, 1771 unter großen Opfern zurück in die Dsungarei. Die Nachfahren der Zurückgebliebenen leben noch heute größtenteils in der zu Russland gehörenden Republik Kalmückien sowie in den Gebieten Astrachan, Rostow am Don, Wolgograd und Stawropol.234 Aus ihrer alten Heimat brachten die Kalmücken natürlich ihre Religion mit, den so genannten Schamanismus und tibetischen Buddhismus der dGe-lugs-paSchulrichtung. Doch bereits im 17. Jahrhundert wurden Gesetze erlassen, durch welche der Schamanismus abgeschafft werden sollte. Schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist der Buddhismus bei den Kalmücken als Staatsreligion anerkannt worden. Der Schamanismus spielte bald keine Rolle mehr. Erste ausführliche Nachrichten über den kalmückischen Buddhismus, die zugleich früheste Darstellungen des tibetisch-mongolischen Buddhismus im Westen überhaupt waren, sind den deutschsprachigen Werken der Forschungsreisenden Peter Simon Pallas (1741–1811) und Benjamin Bergmann (1772–1856) zu verdanken.235 Pallas gibt einen bemerkenswert umfassenden Überblick über den „Götzendienst, die Geistlichkeit, Tempel und abergläubische Gebräuche der mongolischen Völkerschaften; hauptsächlich über die aus Tybet abstammende Fabellehre“, einschließlich der „Burchane oder Götzen der Lamaischen Mythologie“, dann über die „Tybetanische Hierarchie, und die verschiedenen Classen der Lamaischen Geistlichkeit“, darunter „Etwas von den so genannten Chubilgans“, den wiederverkörperten Lamas. Hierauf folgt das den kalmückischen Buddhismus besonders betreffende Kapitel „Von den Tempeln und Götzenhütten der Mongolen und Kalmücken, ihren Verzierungen, Heiligthümern, gewönlichen (sic!) Gottesdienst, Festen u. s. w.“.236 Auch Bergmann beschreibt eingehend den „Religionsdienst der Kalmüken“ und behandelt dabei Geistlichkeit, Ritualgegenstände, Kunst, Buchwesen, Gebete, Fasten, die guten Werke, „Taufe“ (Reinigung und Namengebung der Neugeborenen), „Firmelung“ (Schutz des Kleinkinds durch Amulette), Leichenbestattung und Feste. Die Tempel der kalmückischen Nomaden bezeichnet Bergmann nicht mehr, wie es

234 Eine kurze Darstellung der Geschichte der Kalmücken gibt Rubel 1967:11–23. Zur kalmückischen Geschichte von 1660 bis 1771 siehe Khodarkovsky 1992. Zu den russischkalmückischen Beziehungen siehe auch Vernadsky 1966. Zur sozialen und politischen Organisation der Kalmücken siehe Schorkowitz 1991. Ein ausführlicher Überblick über die Geschichte der Kalmücken ist Remilev 2010. Wertvolle, mit vielen seltenen Fotos illustrierte Informationen über die Geschicke des Buddhismus der Kalmücken bis zur Gegenwart finden sich bei Terent´ev 2014. Die Geschichte des Buddhismus in Kalmückien von 1985 bis 1999 wird eingehend beschrieben bei Očirova 2011: 68–105. Für eine kurze Gesamtdarstellung der Geschichte des Buddhismus in Russland siehe ebenfalls Očirova 2011: 17–67. 235 Pallas 1801; Bergmann 1804–1805. Schon bald folgte die russischsprachige Übersicht über die Geschichte der Oiraten und Kalmücken von Bičurin 1834. 236 Pallas 1801, d. h. der gesamte 2. Teil seines Werkes. Zitierte Überschriften auf S. 3, 75, 109, 138, 141.

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Pallas getan hat, als „Götzenhütten“, sondern nennt sie respektvoll „heilige Hütten“. Mittelpunkt des religiösen Lebens waren – und sind auch heute wieder – die Tempel und Klöster, die beide Churul (kalmück. xurul) genannt werden. Sie bestanden, wie bereits Pallas und Bergmann berichten, zunächst aus den üblichen kalmückischen Nomadenzelten. Bald wurden jedoch auch feste Gebäude errichtet. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es ungefähr 200. Diese Zahl nahm allerdings wieder ab, da die wirtschaftlichen Bedingungen für ihre Erhaltung durch die Wegnahme von Weideland durch russische Kolonisten ungünstiger wurden. Oberhaupt der Geistlichkeit der verschiedenen kalmückischen Verwaltungsbezirke (ulus) war jeweils ein Würdenträger mit dem Titel „Lama“ und als solcher zugleich das Oberhaupt der Äbte aller Klöster. Später wurde auch das Amt eines Oberhaupts der gesamten kalmückischen Geistlichkeit mit dem Titel Šažin (mongol. Šaǰin) Lama („Lama der Religion“) eingeführt. Die geistlichen Würden und Ämter standen grundsätzlich jedem offen; nur der Lama wurde aus den Kreisen des Adels ernannt. Der geistliche Stand war nicht zuletzt deshalb sehr attraktiv, weil der Klerus Steuerfreiheit genoss. Wie in Tibet und der Mongolei gehörten zur Geistlichkeit auch Ärzte und Astrologen. Das bei den Tibetern und Mongolen so einflussreiche System der reinkarnierten Lamas war bei den Kalmücken jedoch nicht gebräuchlich.237 Die Religion prägte bis zur religiösen Unterdrückung während der Sowjetzeit das gesamte öffentliche und private Leben der Kalmücken und hatte auch einen starken Einfluss auf die Politik. Buddhistische Geistliche spielten eine bedeutende Rolle bei den diplomatischen Kontakten mit Russland und China sowie mit dem Dsungarischen Reich (1635–1758). Vor allem aber hatten sie großen Einfluss auf die Beziehungen zu Tibet. Für die Kalmücken war Tibet ja nicht nur das religiöse Zentrum ihrer Welt, der Sitz ihres geistlichen Oberhaupts, des Dalai Lama, sondern auch ein Garant politischer Autonomie. So lange sie sich auf die Autorität und den Schutz des Dalai Lama berufen konnten, waren die Kalmücken in der Lage, ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Wie eng die politischen Beziehungen zu Tibet waren, wird daraus deutlich, dass mehrmals sogar der Khanstitel von den Dalai 237 Es gab – und gibt – jedoch Ausnahmen. So erklärte sich Lama Blo-bzang rGya-mtsho (kyrill. Lobsan Džamco), der im 18. Jh. Oberhaupt der kalmückischen Geistlichkeit war, zu einer „Wiederverkörperung“; siehe Bakaeva 1994: 15. Möglicherweise ist er identisch mit dem „dsungarischen“ Lama bDe-legs (kyrill. Delek), der 1758 in Kalmückien erschien und von sich behauptete, er sei eine Wiederverkörperung des berühmten oiratischen Lamas Caya Bandida Nam-mkhaʼí rGya-mtsho (1599–1662). Über Lama Delek handelt insbesondere Kurapov 2004 in einem eigenen Aufsatz. Der Lama wird als „Songarischer Lama Delek-dschamzo“ (bDe-legs rGya-mtsho) bereits bei Pallas 1801: 121, 139–140 erwähnt. Wahrscheinlich war er kein eigentlicher Dsungare (Jˇungγar), also kein Westmongole, sondern ein türkischer Altaier und wurde nur deshalb als Dsungare bezeichnet, weil zu seiner Zeit der sibirische Altai zum Dsungarischen Reich gehörte. Auch der jetzige höchste kalmückische Geistliche, Telo Tulku Rinpoche, ist ein wiederverkörperter Lama (siehe unten).

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Lamas verliehen wurde. Immer wieder waren Lamas die Ratgeber kalmückischer Fürsten, so z. B. Šukur Lama, der Hauptberater des Khans Ayuki (reg. 1690–1724). Es ist allerdings kein Wunder, dass die zaristische Regierung die enge Bindung an Tibet mit großem Misstrauen beobachtete und sie zumindest im politischen Bereich zu verhindern suchte, denn Tibet gehörte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu China, dem großen Rivalen Russlands. In der Folge ging deshalb der politische Einfluss Tibets stark zurück.238 In religiösen Dingen orientierten sich die Kalmücken freilich weiterhin nach Lhasa und der Mongolei. Immer wieder fanden Pilgerreisen nach Tibet statt. Junge Kalmücken reisten nach Tibet, um dort zu studieren.239 In der Regel erfolgte die geistliche Ausbildung in den einheimischen Klöstern. Die geistlichen Stufen waren traditionsgemäß die manži (Mönchsschüler, Klosterjunge; mongol. bandi; tibet. grva-phrug), die gecül (Novize; tibet. dge-tshul) und gelong („Vollmönch“; tibet. dge-slong). Die geistlichen Lehrer der Gelong-Stufe führten den Titel baqši, „Lehrer“.240 Von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren den Klöstern auch weltliche Schulen angeschlossen, in denen die Söhne der Adligen das Lesen und Schreiben der oiratischen Schrift, Geschichte und Arithmetik lernten.241 Die heilige Sprache des kalmückischen Buddhismus war natürlich das Tibetische, doch gab es auch eine reiche Übersetzungsliteratur in oiratischer Sprache. Die Kunst folgte dem Beispiel der tibetisch-mongolischen, doch konnte sie auch einen durchaus eigenwilligen Charakter haben.242 Trotz der einschränkenden Kontrolle durch die russische Regierung und der Missionsbestrebungen der Orthodoxen Kirche konnten die Kalmücken bis zur Gründung der Sowjetunion ihren Glauben bewahren.243 Dann aber machte die sowjetische Religionsverfolgung auch vor dem Buddhismus keinen Halt, ja sie traf ihn in Kalmückien ganz besonders hart.244 Alle Klöster, von denen es um 1900 mehr als 100 gegeben hat,

238 Russland seinerseits war natürlich aufgrund des „Großen Spiels“ um die Macht in Zentralasien weiterhin an Tibet sehr interessiert und nutzte hierfür auch die kalmückische buddhistische Geistlichkeit. Ein Beispiel hierfür ist eine geheime kalmückische Gesandtschaft nach Tibet im Jahre 1904, an welcher vier Mönche teilnahmen. Siehe Bormanshinov 1992. 239 Über kalmückische Pilgerreisen siehe Bormanshinov 1992: 168–173; Bormanshinov 1998. Eine berühmte Reise ist die des Abtes Baaza-bakši (Bāza-bakši) von 1891 bis 1894, siehe Pozdneev 1897. Über den Beitrag der Kalmücken zur tibetischen Geschichte informiert Kitinov 1996. 240 Über die „Kalmükische Geistlichkeit“ und ihre Ränge spricht bereits Bergmann 1804 (Teil 3): 73–98; siehe auch Bakaeva 1994: 42f. 241 Über die Ausbildung in den kalmückischen Klosterschulen siehe vor allem Korsunkiev 1977. 242 Siehe z. B. Batyreva 1991. 243 Eine monographische Untersuchung der Religionspolitik der russischen Regierung ist Dordžieva 1995. 244 Zur Verfolgung des Buddhismus in der Sowjetunion siehe u. a. Poppe 1956, Sinicyn 2013 und Teren´tev 2014: 106–167. Zur Verfolgung der buddhistischen Geistlichkeit in Kalmückien siehe insbesondere Dordžieva 2014.

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wurden Ende der 1930er Jahre zerstört, die öffentliche Ausübung von Kulthandlungen war nicht mehr möglich. Alles religiöse Leben war auf den häuslichen Bereich beschränkt und es waren fast nur noch die Alten, welche ihren Glauben ausübten, denn die Jungen wurden streng antireligiös erzogen. Vollends verzweifelt wurde die Lage, als im Jahre 1943 die Kalmücken das gleiche Schicksal erreichte wie die Wolgadeutschen: Ihre Republik wurde aufgelöst und die Bevölkerung nach Sibirien deportiert.245 Religiöses Leben war in der Verbannung nur noch im Verborgenen möglich. Die Situation des kalmückischen Buddhismus änderte sich auch nach der Rückkehr der Kalmücken in den Jahren 1957 und 1958 nicht wesentlich. Es gab zwar inoffizielle buddhistische Zentren, doch erst 1988 wurde wieder eine buddhistische Gemeinde offiziell registriert. Ein erstes Gebetshaus konnte 1989 eröffnet werden.246 Im gleichen Jahr wurden junge Männer nach Indien und in die Mongolei geschickt, um in den dortigen buddhistischen Hochschulen ausgebildet zu werden, so an der Hochschule des Gandan-Klosters in Ulaanbaatar. Im August 1990 fand ein Ereignis statt, das die Wiederkehr des Buddhismus ganz öffentlich sichtbar machte. Aus Anlass des 450-jährigen Jubiläums des oiratisch-kalmückischen Nationalepos Dschangar traf in Elista eine Delegation buddhistischer Geistlicher aus der Mongolischen Volksrepublik ein, geleitet vom Bandida Chamba Lama (kyrill. Bandid Chamba Lam; tibet. Paṇḍi-ta mKhan-po Bla-ma), dem ranghöchsten Lama der Mongolei.247 Es war dies wahrscheinlich das erste Mal, dass buddhistische Mönche in geistlicher Kleidung wieder in der Öffentlichkeit auftreten durften. Sechs Jahre später, 1996, wurde in Elista das erste buddhistische Kloster Geden Šeddup Čojkorling (dGe-ldan bShad-sgrub Chos-ʼkhor-gling) eingeweiht, unter seinem kalmückischen Namen bekannt als Sjakusn Sjume (Sakʼuusun süme), „Tempel der (Religions-)Schützer“.248 2003 waren bereits viele weitere Klöster errichtet.249 Auch die administrativen Strukturen des kalmückischen Buddhismus wurden wieder aufgebaut, so das Amt des höchsten Lamas, des Šadžin (Šaǰin) Lama. Als erster Šadžin Lama wurde ein in einer kalmückischen Emigrantenfamilie in den USA geborener 20-jähriger Mönch ernannt, Telo Tulku Rinpoche (Te-lo sPrul-sku Rin-po-che; bürgerlich: Ėrdni Basanovič Ombadykov), der, wie sein Name sagt, als eine Verkörperung des berühmten indischen Mahāsiddha Telo-pā/Tilo-pā angesehen wird.250 Seine Ausbildung er hielt er im sGo-mang-Kolleg des Klosters ʼBrasspungs (Drepung), das in den 1950er Jahren im indischen Exil im Bundesstaat 245 246 247 248

Gučinova 2003: 38ff. Gučinova 2003: 26f. Eigene Beobachtung des Autors. Eröffnet am 5. Oktober 1996, siehe Website Phayul 2006. Die Angabe 1995 bei Gučinova 2003: 27 ist offensichtlich inkorrekt. 249 Nach Gučinova 2003: 27 waren es ungefähr 40, nach einer anderen Angabe 21 (einschließlich des Sjakusn Sjume), siehe Fagan 2003. 250 Gučinova 2003: 28; Namrueva 2004: 132. Zu seiner Biographie siehe Website Phayul und die Websites Telo Tulku Rinpoche.

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Karnataka gegründet worden war. Einen wichtigen großen Beitrag zur inhaltlichen Wiederbelebung des kalmückischen Buddhismus leistete auch der kalmückische Lama Geshe Wangyal (dGe-bšes dBang-rgyal) (1901–1983), der Anfang der 1920er Jahre zum Studium nach Tibet geschickt worden war und bis 1935 ebenfalls am sGo-mang-Kolleg des Klosters ʼBras-spung bei Lhasa studiert hatte. Wegen der politischen Lage kehrte er nicht mehr in seine Heimat zurück und lebte von da an in Peking, Tibet und Indien. 1955 siedelte er in die USA über, wo er sich der kalmückischen Emigrantengemeinde anschloss und in Howell, New Jersey, das Kloster Labsum Shedrub Ling (bSlab-gsum bShad-grub-gling) gründete. Er ist der Autor vieler englischsprachiger Lehrschriften, die auch ins Russische übersetzt wurden und die ihm in Kalmückien sehr hohes Ansehen verschafft haben.251 Die große Zahl der buddhistischen Heiligtümer darf allerdings nicht über die wirkliche Lage des Buddhismus in Kalmückien täuschen. Die Gläubigkeit beschränkte sich weitgehend auf die Befriedigung religiöser Alltagsbedürfnisse und nicht auf die Vermittlung von religiösen Inhalten. Der Grund hierfür lag in der noch ungenügenden Anzahl von Mönchen, welche die Tempel betreuen und für die religiöse Bildung sorgen konnten. Um dem Mangel an einheimischen „Kadern“ abzuhelfen, wurden schon früh Mönche aus Burjatien und Tuwa eingeladen. Dies führte allerdings zu Schwierigkeiten, da viele von ihnen verheiratet waren – sicherlich eine Folge der auf die Geistlichkeit ausgeübten Zwänge der Sowjetzeit.252 Da es in Kalmückien jedoch seit Langem überhaupt keine Mönche mehr gegeben hatte, waren für die älteren Kalmücken, die sich noch an die strengen Mönchsregeln der Vergangenheit erinnerten, verheiratete Lamas nur schwer akzeptabel.253 2003 gab es in Kalmückien weniger als 10 voll ordinierte Mönche, etwa 11 Novizen studierten in Indien.254 Der Bau eines Tempels ist eine Sache des Prestiges. Auch die nichtgläubigen Kalmücken sind sich sehr wohl ihrer buddhistischen Tradition bewusst, einer Tradition, die wesentlich dazu beigetragen hat, seit dem Auszug aus der dsungarischen Urheimat die kalmückische Identität inmitten einer christlichen und muslimischen Umwelt zu bewahren. Noch heute sind sie stolz darauf, das einzige buddhistische Volk in Europa zu sein.255 Hierdurch erklärt sich auch die besondere Unterstützung, die der kalmückische Staat und sein Präsident Kirsan Iljumžinov dem Buddhismus zuteil werden lassen.256 Wie früher wird auch heute wieder den Bindungen an die buddhistische Welt größte Bedeutung beigemessen. Für das religiöse Selbstbewusstsein sind deshalb die Besuche hoher geistlicher Würdenträger in Kalmückien von größter Bedeu251 Gučinova 2003: 28; Website Geshe Wangyal. 252 Bemerkenswert ist allerdings, dass der jetzige Šadžin Lama, Telo Tulku Rinpoche, ebenfalls verheiratet ist. Dies lässt auf eine ähnliche Entwicklung in Richtung auf einen eigenständigen Buddhismus schließen wie in der Mongolei. 253 Gučinova 2003: 27. 254 Fagan 2003. 255 Gučinova 2003: 27. 256 Fagan 2003.

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tung. Bereits 1989 kam Kushok Bakula Rinpoche, der höchste dGe-lugs-pa-Lama von Ladakh. 1990 war es, wie erwähnt, eine mongolische Delegation aus Ulaanbaatar unter Führung des Bandida Chamba Lama. 1991, 1992 und 2004 besuchte der Dalai Lama Kalmückien sowie 2000 und 2003 der neunte Boγda Gegen (kyrill. Bogd Gėgėėn), der nominelle Nachfolger des höchsten dGe-lugs-pa-Lamas der Nordmongolei, des rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu.257 1993 erhielten die dGe-lugs-pa, die bei den Kalmücken traditionelle Schulrichtung des tibetischen Buddhismus, Konkurrenten: die Karma bKaʼ-brgyud-pa, als der dänische Lama Ole Nydahl in Elista ein buddhistisches Zentrum errichtete. Die Bedeutung dieser Institution wurde schon 1995 durch den Besuch des zweithöchsten Hierarchen der Karma bKaʼ-brgyud-pa, Šva-dmar Rin-po-che, gewürdigt. Von der lebhaften Aktivität des Zentrums zeugt auch die Errichtung von zwei großen Stūpas in Elista und der Siedlung Cagan-Nur.258 Weitere Konkurrenten sind die Zentren der rNying-ma-pa.259 Während die Tradition des kalmückischen Buddhismus zur Zeit der Sowjetunion praktisch ausgelöscht wurde, blieb sie bei den kalmückischen Emigranten in Europa und den USA ungebrochen, auch wenn sie natürlich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Während des auf das Ende des Ersten Weltkriegs folgenden Bürgerkriegs in Russland emigrierte eine erste Welle von Wolga- und Don-Kalmücken nach Westen, vor allem nach Jugoslawien, Bulgarien, in die Tschechoslowakei und nach Frankreich.260 Die Emigranten konnten ihre religiösen Traditionen unbehindert weiter pflegen. Trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten war es ihnen möglich, in Belgrad einen Tempel zu errichten, der Ende 1929 eingeweiht wurde und seinem Zweck bis Ende 1944 diente, als die Kalmücken aus Jugoslawien evakuiert wurden.261 Der religiösen Bedürfnisse nahmen sich die zahlreichen Mönche an, die baqši „Lehrer“. In Jugoslawien gab es sogar einen eigenen „Buddhistischen Geistlichen Rat“262 Eine zweite Welle von Kalmücken, unter ihnen wiederum Lamas, verließ die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs.263 Nach dem Kriege lebten die meisten von ihnen in Lagern für „Displaced Persons“ in Bayern, vor allem in und in der Nähe von München und in Ingolstadt. Auch sie konnten nun wieder ein ungehindertes religiöses Leben führen. Sie richteten eigene Gebetsräume ein, von denen der Tempel (xurul) Tekčen Čespling (Theg-chen Chos-ʼphel-gling) in Lud-

257 Gučinova 2003: 28; Namrueva 2004: 132. 258 Šaptaev 2004. 259 Eine Liste der verschiedenen buddhistischen Gemeinden und Organisationen in Kalmückien findet sich auf der Website Buddijskie obščiny i organizacii 2014. 260 Gučinova 2004: 30ff. 261 Über den Tempel in Belgrad siehe Klar 1980, über die kalmückische Gemeinde in Belgrad siehe Šmitek 1990. 262 Gučinova 2004: 35–40. 263 Über das Schicksal der kalmückischen Emigranten vgl. Loewenthal 1952.

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wigsfeld, einem Stadtteil von München, noch heute erhalten ist.264 Anfang der 1950er Jahre erhielten die Kalmücken in Deutschland die Möglichkeit, in die USA zu emigrieren. Sie siedelten sich vor allem in Philadelphia und in der Stadt Howell, New Jersey, an.265 In Amerika können die Kalmücken ihre religiöse Tradition seither wieder in besonderer Weise pflegen. Sie errichteten in Philadelphia einen und in Howell sogar drei Tempel.266

6. Der Buddhismus bei den Burjaten267 Der größte Teil der Burjaten lebt im Baikalgebiet. In Transbaikal besitzen sie einen eigenen Staat, die Republik Burjatien, die Mitglied der Russischen Föderation ist. Ebenfalls zu Transbaikal, südöstlich von der Republik Burjatien, gehört der Burjatische Autonome Kreis von Aginsk im Bezirk Tschita. Ein weiterer autonomer Kreis, der Burjatische Autonome Kreis von Ust-Urdynsk, liegt innerhalb des Bezirks Ir264 Über die kalmückischen Emigranten in Deutschland siehe Gučinova 2004, über ihr religiöses Leben vor allem 118ff., 142. Über den Tempel in München siehe Klar 1980. Der Gründer und langjährige Leiter des Tempels war Lidži Agdžulov. 1973 und 1982 besuchte der Dalai Lama den Tempel. Siehe Gučinova 2004: 149. 265 Über die Kalmücken in Amerika siehe Rubel 1967; Gučinova 2004; Hopkins 2014; über ihr religiöses Leben und ihre Feste vor allem Rubel 1967: 42–56 und Gučinova 2004: 254–265, 272–283. 266 Der Tempel in Philadelphia heißt „Kalmyk Buddhist Temple of St. Zonkava“, wobei „St. Zonkava“ sich auf den Begründer der dGe-lugs-pa, Tsong-kha-pa, bezieht. Die Tempel in Howell sind Gaden Chophel Ling (dGaʼ-ldan Chos-ʼphel gling, „Tempel der kalmückischbuddhistischen Gesellschaft Niicėn – Einheit“), Rashi Gempil Ling (bKra-shis dGe-ʼphelgling), Tashi Lhunpo (bKra-shis lHun-po) und Baruun-churul („Westliches Kloster“). 267 Die Darstellung beruht vor allem, wenn nicht anders angegeben, auf dem Unterkapitel „Der Buddhismus in Burjatien“ (Buddizm v Burjatii) im Historisch-kulturellen Atlas Burjatiens (Istoriko-kul´turnyj atlas Burjatii) (= Žukovskaja 2001): 440–497. Die Autorin des historischen Teils des Unterkapitels ist C.P Vančikova. Die wohl wichtigste Gesamtdarstellung des Themas für die Zeit vom 18. bis zum Beginn des 20. Jh., auf welche sich Vančikova stützt, ist Galdanova et al. 1983. Immer noch informativ sind die Angaben über den burjatischen Buddhismus und Schamanismus bei Rupen 1964: 3–53. Eine umfassende Gesamtdarstellung des Buddhismus in Burjatien ist Bělka 2001 mit ausführlicher Bibliographie. Zum Buddhismus in Burjatien bis 1985 siehe auch den kurzen Überblick über die Geschichte des Buddhismus auf dem Territorium Russlands in Očirova 2011: 17–67. Wichtige Materialien zur Geschichte des burjatischen Buddhismus enthält Vanchikova 2006. Eine Gesamtdarstellung des Buddhismus in Transbaikal ist Vančikova 2008. Die Geschichte des Buddhismus in Burjatien von 1945 bis 2000 behandeln Vančikova/Čimitdoržin 2006. Die Geschichte des Buddhismus in Burjatien von 1985 bis 1999 wird beschrieben von Vančikova in Očirova 2011: 105–114. Über die religiöse Situation in Burjatien nach dem Ende der 1990er Jahre berichtet Vanchikova 2007. Der Buddhismus bei den Burjaten wird eingehend auch in dem Bildband Terent´ev 2014 behandelt.

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kutsk in Zisbaikalien. Burjaten leben außerdem in Jakutien, Kasachstan, der Mongolei und in der zu China gehörenden Inneren Mongolei. Im Folgenden soll nur der Buddhismus der Burjaten in Russland behandelt werden. Die Vorfahren der heutigen Burjaten sind schon zur Zeit der frühtürkischen Reiche im ersten Jahrtausend n. Chr. und zur mongolischen Großreichszeit im 13./ 14. Jahrhundert mit dem Buddhismus in Berührung gekommen. Die eigentliche Religion der Burjaten war bis zum 17. Jahrhundert der so genannte Schamanismus. Eine nachhaltige buddhistische Mission begann offenbar erst nach 1600. Ab 1620 wanderten mongolische Nomaden in Burjatien ein. Mit ihnen kamen mongolische und vielleicht auch schon tibetische Mönche, welche in Filzzelten die ersten buddhistischen Rituale vollzogen.268 Russische Lehnsleute berichteten, dass in der Mitte des 17. Jahrhunderts einige burjatische Sippen zu buddhistischen Göttern gebetet haben. Der Buddhismus der dGe-lugs-pa-Schulrichtung traf auf den erbitterten Widerstand der Schamanen, doch konnte er sich diesen gegenüber dank der Unterstützung durch die burjatischen Fürsten und Sippenoberhäupter im Laufe der Zeit erfolgreich durchsetzen, auch wenn der Schamanismus noch heute eine bedeutende Rolle spielt. Sehr bald wurden Klöster, so genannte Datsangs (kyrill. dacan < tibet. grvatshang „Klosterschule“) gegründet, und zwar zunächst im Süden Burjatiens im Gebiet des Flusses Selenge. Der erste Datsang war 1707 das Sartul-Kloster (Sartul´skij dacan) nahe der mongolischen Grenze, 1730 gefolgt vom Tsongol-Kloster (Congol´skij dacan) in der Nähe der Grenzstadt Kjachta und 1741 weiter nördlich vom Gusinoozerskij dacan (Tamčinskij dacan), dem „Gänsesee-Kloster“. Die Datsangs waren zufolge der nomadischen Lebensweise der Burjaten zunächst Zeltklöster. Später wurden sie durch Holzgebäude ersetzt. Bereits 1728 war die neue Religion so stark, dass die russische Verwaltung den Zuzug „ausländischer“ Lamas verbot und die Ausbildung einheimischer burjatischer Lamas anordnete. Diese Anordnung wurde jedoch nicht strikt eingehalten. So war der erste Oberlama des Tsongol-Klosters der Tibeter Agvan Puncug (Ngagdbang Phun-tshogs), der sogar zum Oberhaupt aller burjatischen Klöster mit dem Titel šėrėėtė (mongol. siregetü) „Abt“ ernannt wurde. Dies war zugleich der Beginn einer eigenständigen burjatischen buddhistischen „Kirche“, des burjatischen Saṅgha. Bis dahin erkannten die Burjaten die geistliche Autorität der nordmongolischen Hierarchen an, insbesondere die des rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu von Urga. Schon bald reisten burjatische Geistliche zur Ausbildung und später auch zu Pilgerfahrten ins buddhistische Ausland. So studierte Lama Damba Darža Zajaev,

268 Vančikova 2012: 129f. Dort finden sich auch weitere Angaben über die Einführung des dGe-lugs-pa-Buddhismus bei den Burjaten und über die Verehrung, welche den tibetischen Lamas entgegengebracht wurde.

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der spätere Stellvertreter des Oberlamas Agvan Puncuk, in Tibet.269 Lama Žimba Achaldaev, der Gründer des Gänsesee-Klosters, studierte in der mongolischen Hauptstadt Urga. Ab 1758 entstanden auch weiter nördlich Klöster, im Gebiet der Chori-Burjaten östlich des Baikal-Sees. In eines von ihnen, das Kloster von Chudun (Chudunskij dacan), wurde 1775 aus der Inneren Mongolei ein Exemplar der Yum, eines der Prajñāpāramitā-Sūtras, gebracht. Es bestanden also nicht nur Beziehungen zur Nordmongolei und zu Tibet. 1764 ernannte die zaristische Regierung den Oberlama des Tsongol-Klosters, Damba Darža Zajaev, zum Oberhaupt aller Buddhisten südlich vom Baikal-See mit dem Titel Bandida Chamba Lama (tibet. Paṇḍi-ta mKhan-po Bla-ma; russ. Pandita Chambo Lama). In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden auch in anderen burjatischen Gebieten Klöster errichtet, so 1811 der berühmte Datsang von Aginsk (Aginskij dacan) und in Zisbaikalien der Alarische Datsang (Alarskij dacan) im Jahr 1814. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde anstelle des Tsongol-Klosters das Gänsesee-Kloster das burjatische Hauptkloster und sein Abt Gavan Išižamsuev zum Bandida Chamba Lama ernannt. Das Gänsesee-Kloster blieb bis zur Vernichtung des Buddhismus in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts die Residenz des Bandida Chamba Lama und damit der Hauptverwaltungssitz der burjatischen „Kirche“. Die Klöster standen jeweils unter der Leitung eines Abtes. Die Ausbildung der Lamas erfolgte zunächst im Tsongol-Kloster und später auch im Gänsesee-Kloster und zwei anderen Klöstern sowie in der Mongolei und in Tibet. Im 19. Jahrhundert konnten die Mönche in allen burjatischen Datsangs studieren. 1822 gab es 3502 Lamas, 1831 bereits 4637. Zum eigentlichen Zentrum der buddhistischen Bildung entwickelte sich jedoch das Kloster von Aginsk. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in ihm alle klassischen Fakultäten eingerichtet: Philosophie (canid; tibet. mtshan-nyid), Astrologie, Tantra, Medizin und Kālacakra. Um 1660 wurde die berühmte Druckerei eröffnet, wo sowohl mongolische als auch tibetische Bücher in der traditionellen Form von Blockdrucken hergestellt wurden. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts gab es in fast allen Klöstern Druckereien. Die Zahl der Mönche und der buddhistischen Laien in Transbaikalien wuchs immer weiter. Bis etwa 1930 war die gesamte Bevölkerung Transbaikals buddhistisch. Die Situation in Zisbaikalien war freilich anders. In diesem stark von Russen besiedelten Gebiet war die buddhistische Mission der orthodoxen Kirche ein Dorn im Auge. Die zisbaikalischen Klöster wurden der Jurisdiktion des Bandida Chamba 269 Zum Bericht Zajaevs über seine Tibet-Reise von 1734 bis 1741 siehe Sazykin/Yondon 1985: 205. Den Bericht über die Pilgerreise, welche der burjatische Mönch Lubsan Midžid-Dordži (Blo-bzang Mi-bskyod rDo-rje) von 1882 bis 1886 in die Mongolei, nach Tibet und Nepal unternommen hat, haben Sazykin und Yondon mit englischer Übersetzung veröffentlicht (Sazykin/Yondon 1985).

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Lama entzogen und der Aufsicht durch den Generalgouverneur von Irkutsk unterstellt. Viele Burjaten traten zum Christentum über, doch ein großer Teil der Bevölkerung hing immer noch dem Schamanismus an. 1930 waren nur ungefähr zehn Prozent der zisbaikalischen Burjaten Buddhisten.270 Bei den transbaikalischen Burjaten, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts bereits zum allergrößten Teil Buddhisten waren, verfolgte die zaristische Regierung eine andere Politik. Die führende Rolle des Buddhismus wurde anerkannt, wenn auch ebenfalls staatlicher Kontrolle unterworfen. So wurde 1853 die Zahl der Klöster auf 34 festgelegt, die Zahl der Lamas begrenzt und der Etat der Klöster und ihr Verwaltungssystem behördlich festgelegt. Die staatlich anerkannten „etatmäßigen“ Lamas waren von Steuern und Abgaben befreit. Alle Verbote vermochten jedoch nicht zu verhindern, dass sich in den Klöstern auch viele „ungesetzliche“ Mönche aufhielten, die freilich ohne staatliche Unterstützung auskommen mussten. Doch auch so wurden die Abgaben, welche die Bevölkerung für den Bau und die Ausstattung der Klöster sowie für den Unterhalt der Lamas leisten mussten, sehr hoch und zu einem ernsten Problem. Die Regierung übernahm deshalb die Bezahlung der Geistlichkeit und verbot die Errichtung der Klöster über die erlaubte Zahl hinaus. Dennoch wurden in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr Mittel für den Bau, die Ausstattung und Ausschmückung der Klöster verwendet, als sonst in der Geschichte der Burjaten. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Buddhismus in Transbaikalien eine unangefochtene Stellung. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts begann eine neue Etappe in der Entwicklung. Die Gründe hierfür sind einerseits der Widerstand gegen die immer intensivere Politik der gewaltsamen Assimilierung durch Russifizierung und Christianisierung der Burjaten und andererseits die politischen Umwälzungen, die mit der demokratischen Revolution von 1905 und der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 einhergingen. Es kam zu einer Erneuerungsbewegung, die auf eine Anpassung der Strukturen des traditionellen Buddhismus an die neuen gesellschaftlichen Entwicklungen abzielte, aber auch auf inhaltliche Veränderungen, welche durch die modernistischen Auslegungen durch europäische Buddhologen und Buddhisten inspiriert waren. Die Neuerungen waren vor allem mit den Namen der burjatischen Gelehrten Badzar Baradievič Baradin und Cyben Žamcaranovič Žamcarano verbunden.271 Von den Erneuerern wurden folgende Ideen propagiert: Der Buddhismus ist keine Religion, sondern eine ethisch-philosophische Lehre. Buddha ist kein Gott, sondern ein genialer Mensch, Gelehrter und Denker. Der Buddhismus widerspricht

270 Zum Problem der Burjaten als buddhistische Minderheit im Russischen Reich siehe Bělka 2014 und Tsyrempilov 2014. 271 Rupen 1964: 38 (Baradin) und 45–47 (Žamcarano); Žukovskaja 2001: 466.

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nicht der Wissenschaft, dem Materialismus, Kommunismus und Marxismus, er ist vielmehr eine empirische Ethik, ein rationales Denksystem und nicht eine rituelle Verehrung von Göttern. Er ist keine pessimistische, sondern eine optimistische Lehre, die sich mit der Verbesserung des realen Lebens auf der Erde befasst. Der größte Teil der Gläubigen und der Geistlichkeit war jedoch den Ideen der modernisierten Religion nicht zugänglich und wollte nicht zu den Quellen eines asketischen „reinen“ Buddhismus zurückkehren. Nach der Oktoberrevolution führte die Erneuerungsbewegung zu einer Politik der Reform der buddhistischen Geistlichkeit und zur Anerkennung der Sowjetmacht. Sie breitete sich auch in Kalmückien und danach in Tuwa aus. 1922 wurde in Burjatien ein „Zentraler Geistlicher Rat der Buddhisten“ gebildet, der zum höchsten Führungsorgan aller Buddhisten in der Sowjetunion wurde. Die Repressionen in den 1930er Jahren führten zu seiner Auflösung. An seine Stelle trat 1946 die „Zentrale Geistliche Verwaltung der Buddhisten“. Die praktische Erneuerung des Buddhismus in Russland und später in der Sowjetunion ist vor allem mit dem Namen Agvan(g) Doržiev (1853–1938) verbunden.272 Agvan Doržiev (Ngag-dbang rDo-rje) studierte in Lhasa und wurde einer der Lehrer und politischen Berater des dreizehnten Dalai Lama Thub-bstan rGya-mtsho (1876–1933). Seine enge Beziehung zum Dalai Lama und seine Verbindungen zur russischen Regierung, selbst zu Zar Nikolaus II., machten ihn sehr populär bei den russischen Buddhisten, für deren Belange er oft eintrat. Insbesondere wirkte er für die weitere Verbreitung des Buddhismus in Zisbaikalien, aber auch bei den Kalmücken, wo er im Gouvernement Astrachan zwei Klöster mit philosophischen Fakultäten gründete. Agvan Doržiev ist auch die Errichtung des buddhistischen Tempels in St. Petersburg zu verdanken. Hiermit entsprach die russische Regierung einem Wunsch des Dalai Lama. Der Tempel wurde zwischen 1910 und 1915 errichtet. Die antireligiösen Maßnahmen der sowjetischen Regierung führten 1935 zur Schließung des Tempels, seine Ausstattung wurde dem Museum für Religion und Atheismus in Leningrad übergeben. Erst 1989 wurde der Tempel zusammen mit einer Schule für Mönche wiedereröffnet.273 Auch zur Sowjetzeit arbeitete Agvan Doržiev für die Belange der Buddhisten in Russland. Bis zum Ende der 1920er Jahre bemühte er sich um die Erhaltung der Klöster und die Bewahrung der buddhistischen und sogar der schamanistischen Heilkunst. Die Religionsverfolgung der 1930er Jahre verschonte auch Agvan Doržiev nicht, obwohl er die Sowjetmacht anerkannte und ihr gegenüber loyal war. 1931 wurde 272 Für Näheres über Agvan Doržiev siehe u. a. Rupen 1964: 38 und passim; Žukovskaja 2001: 466–468. Für seine tibetische bzw. mongolische Autobiographie siehe Norbu/Martin 1981 und Cendina/Sazykin 2003. 273 Über den buddhistischen Tempel in St. Petersburg siehe Rupen 1964: 38; Andreev 1992.

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er gezwungen, in Leningrad zu leben. Anfang 1937 floh er nach Burjatien. Ende 1937 wurde er verhaftet und wegen folgender Verbrechen angeklagt: Landesverrat, Vorbereitung eines bewaffneten Aufstands, terroristische Tätigkeit, Sabotage, Vorbereitung eines konterrevolutionären Verbrechens. Agvan Doržiev wurde in das Gefängnis der burjatischen Hauptstadt Ulan-Ude gebracht, wo er bereits Anfang 1938 starb. Die Kampagne gegen die Religion – vergleichbar den Aktivitäten der Sowjetunion gegen die Kalmücken – hatte bereits 1924 begonnen. 1925 wurde die Trennung von Religion und Staat sowie von Schule und Religion verfügt. Die Klöster und ihr Besitz wurden nationalisiert und die „Religionsdiener“ ihres Wahlrechts und des Rechts auf Landnutzung beraubt. Anfang der 1930er Jahre wurde der Druck auf die Geistlichkeit immer stärker. Bald begannen auch die Angriffe auf die Erneuerungsbewegung. Die Klöster konnten ihre normalen Aufgaben nicht mehr erfüllen. 1935 kam es zu Maßnahmen gegen die Lamas in Leningrad, die als sozialgefährliche Elemente bezeichnet wurden und in Straflager verschickt wurden. 1937 hörte die Leningrader buddhistische Gemeinde auf zu existieren. Der dort lebende burjatische Orientalist Badzar Baradievič Baradin und andere wurden zum Tode durch Erschießen verurteilt. In den burjatischen Gebieten führten die Repressalien – Verbannung, Zwangsarbeit, Steuererhöhung, Schließung der Klosterwerkstätten – zu einer drastischen Dezimierung der Zahl der Lamas. Von den 15 000 Lamas, die es Anfang des 20. Jahrhunderts gegeben hatte, blieben nur wenige übrig. Über die Zahl der Opfer gibt es keine verlässlichen Angaben. Der Saṅgha, die buddhistische Gemeinde, wurde zerstört, die Freiheit der Glaubensausübung beseitigt. Von 1937 bis 1945 gab es in Burjatien keine offiziellen buddhistischen Institutionen. Doch alle Verfolgungen vermochten den Buddhismus bei den Burjaten nicht auszulöschen. Viele Menschen blieben gläubig, die Religion lebte im Geheimen weiter. Es gab sogar viele illegale Wanderlamas (burjat. badarša; mongol. badarči) und Qubilγane, „Wiedergeburten“ (burjat. chubilgaan, mongol. qubilγan). Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs besserte sich die Situation allmählich. Bereits 1945 erging der Beschluss, das Kloster von Aginsk (Aginskij dacan) wiederzueröffnen und in der Nähe der Hauptstadt Ulan-Ude, in Ivolginsk, ein neues Kloster zu errichten. Ein großer Teil der früheren Geistlichkeit erstrebte die neuerliche Legalisierung der Religion und grenzte sich von den selbsternannten illegalen Lamas ab. Schon 1946 wurde in UlanUde als höchstes Organ aller buddhistischen Gemeinden die „Zentrale geistliche Verwaltung der Buddhisten“ geschaffen. Zu ihrem ersten Vorsitzenden wurde LubsangNima Darmaev gewählt, der seit 1947 auch das wiedergeschaffene Amt des Bandida Chamba Lama bekleidete. Die Residenz des Bandida Chamba Lama wurde das neue Kloster von Ivolginsk (Ivolginskij dacan) und nicht mehr das Gänsesee-Kloster (Gusinoozerskij dacan), welches noch nicht wieder aufgebaut war. Die Aufgabe der Zentralverwaltung war nicht nur die Neuregelung der Beziehungen der buddhistischen Geistlichkeit Burjatiens zum sozialistischen Staat, son435

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dern auch eine interne Reform des burjatischen Saṅgha. Die schwierigen Bedingungen der vergangenen Jahrzehnte hatten dazu geführt, dass viele Mönche ihre Gelübde nicht mehr einhielten und einen zu weltlichen Lebenswandel führten. Nun aber sollten sie wieder nach den Idealen des frühen Buddhismus leben und den Vinaya wieder strikt einhalten. Desgleichen wurden Vergehen gegen die gesellschaftliche Ordnung und den wirtschaftlichen Wohlstand verboten. Das Eintrittsalter in den geistlichen Stand wurde auf achtzehn Jahre erhöht, die Zulassung erfolgte durch den Bandida Chamba Lama. Als besonderes Problem erwies sich die Frage der wiedergeborenen Lamas, der Qubilγane, die auch im burjatischen Buddhismus von großer Bedeutung waren. Zwar waren Wiedergeburten aufgrund entsprechender Forderungen der Erneuerungsbewegung bereits 1922 verboten worden, doch ohne Erfolg, da sie die Grundlagen des traditionellen Glaubens und der geistlich-administrativen Strukturen berührten. Immer wieder erschienen Qubilγane, so z. B. während des Zweiten Weltkriegs der des Chüüchėn Chutagta (mongol. Keüken Qutuγtu; kyrill. Chüüchėn Chutagt), ein 13-jähriger Knabe. Besonders wichtig für die Betreuung der Gläubigen waren nach 1946 die Wanderlamas (burjat. badarša; mongol. badarči), unter denen sich auch viele Wiedergeburten befanden. Die Zahl der offiziellen Lamas reichte einfach nicht aus, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Ihre Tätigkeit war jedoch nicht im Sinne des Staates und der zentralen geistlichen Verwaltung, denen es im Laufe der Zeit gelang, die Zahl der Wanderlamas drastisch zu reduzieren. Zu den bescheidenen Freiheiten, welche dem Saṅgha nach 1945 gewährt wurden, gehörten Kontakte mit dem Ausland. Die Erlaubnis hierfür entsprach freilich nicht staatlicher Sympathie, sondern dem politischen Kalkül, Religionsfreiheit zu demonstrieren und den Buddhismus in den Dienst der kommunistischen Friedensbewegung zu stellen. So durften im Jahre 1956 burjatische Lamas nach Indien reisen, um an den Feierlichkeiten zum 2500. Jahrestag der Geburt Buddhas teilzunehmen. Ab 1968 besuchte einer der höchsten tibetisch-buddhistischen Würdenträger und Vertrauter des Dalai Lama, der ladakhische Lama Kushok Bakula Rinpoche, regelmäßig Burjatien. 1979 kam erstmals auch der Dalai Lama selbst in das Land am Baikal-See, das er danach noch öfter wieder besuchte.274 Die wirkliche Freiheit für den Saṅgha begann allerdings erst mit den politischen Umwälzungen der 1990er Jahre. Die Religion wurde nun nicht mehr verfolgt und nicht mehr auf eine Rolle als Instrument des Kampfes für den Frieden reduziert. Sie wurde wieder die wichtigste geistliche Kraft, in der die burjatischen Buddhisten ihre religiöse und ethnische Identität finden. Damit einher gingen auch das Wiedererstarken des Schamanismus und das Wiederaufkommen panmongolischer Ideen, deren Leitfiguren neben Buddha Činggis Qan und der Epenheld Geser wa-

274 Vančikova/Čimitdoržin 2006: 81f.

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ren.275 Lange verschüttete religiöse Traditionen und Bräuche lebten wieder auf. Viele der zerstörten Tempel und Klöster wurden neu aufgebaut, allen voran 1994 der Haupttempel des ersten burjatischen Klosters, des Tsongol-Klosters, aber auch das Gänsesee-Kloster. Bis 1990 hatte es nur noch zwei „arbeitende“ Klöster gegeben: die Datsangs von Aginsk und von Ivolginsk. 1993 kamen die ersten tibetischen Lehrer aus Indien nach Burjatien. 1994 reiste eine Gruppe von jungen Burjaten nach Indien, um in den dortigen tibetischen Klöstern zu studieren. 1995 wurde ein neuer Bandida Chamba Lama gewählt, der Burjate Damba Ajušiev, ein Absolvent der buddhistischen Hochschule des GandanKlosters in Ulaanbaatar. Wesentliche inhaltliche und administrative Reformen waren 1996 mit der Umbenennung der Geistlichen Zentralverwaltung in „Traditioneller Buddhistischer Saṅgha Russlands“ verbunden. Dieser ist nicht nur für die verschiedenen burjatischen Regionen zuständig, sondern auch für die buddhistischen Gemeinden von Irkutsk, Tschita, Novosibirsk, Krasnojarsk, Omsk, Moskau und anderer Regionen. Die Buddhisten Kalmückiens und Tuwas sind jedoch institutionell selbstständig. Hauptaufgaben des „Traditionellen Buddhistischen Saṅgha Russlands“ bestehen in Folgendem: Verwirklichung des verfassungsmäßigen Rechts auf Glaubensfreiheit; Studium und Bewahrung des geistlichen Erbes und der Gebote Buddhas, der buddhistischen Kultur und der Traditionen der buddhistischen Lehre, ihrer philosophischen und ethischen Grundlagen für die Erziehung der Menschen im Geiste des Mitgefühls und der Liebe gegenüber allen Lebewesen.276 Oberhaupt des Saṅgha Russlands ist wiederum der Bandida Chamba Lama. Das Tätigkeitsgebiet des Saṅgha sind die Verwaltung und Koordination der Aktivitäten der buddhistischen Klöster und Gemeinden, die Errichtung und der Wiederaufbau von Klöstern und Stūpas, die Ausbildung der Geistlichen, die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Gläubigen, die Sorge für die Durchführung der Rituale, das Studium der buddhistischen Literatur und die Errichtung von Druckereien. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Ausbildung der Geistlichen. Diese erfolgt vor allem in den Klöstern von Aginsk und Ivolginsk, wo auch junge Männer aus anderen Gebieten Russlands studieren, so aus Kalmückien, Tuwa und dem Altai. Es gibt Fakultäten für buddhistische Philosophie, Tantra, Kālacakra, Medizin und Kunst. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts stellte sich für den „Traditionellen Buddhistischen Saṅgha Russlands“ zunehmend das Problem, sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen auseinander zu setzen, welche die Öffnung des Landes und die Globalisierung mit sich brachten. Antworten auf diese Probleme waren z. B. die Beteiligung beim Umweltschutz und die Unterstützung sozialer Projekte für Wai-

275 Vančikova 2012: 130. 276 Žukovskaja 2001: 472.

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sen und Behinderte. Eine eigenartige Maßnahme, dem burjatischen Buddhismus ein neues Gepräge zu geben, war 2004 die Erfindung einer „Triade nationaler buddhistischer Symbole“, die für die Burjaten besonders kostbar sind.277 Diese drei Kostbarkeiten sind eine aus China gekommene Figur des Sandelholz-Buddhas (zandan žuu; mongol. candan ǰoo)278, eine Serie von illustrierten tibetischen medizinischen Manuskripten aus dem 17. Jahrhundert279 und der mumifizierte Körper des zwölften Bandida Chamba Lama Daši Dordži Itigelov (1852–1927). Itigelov war eine der politisch bedeutsamsten Persönlichkeiten des burjatischen Buddhismus. Sein unverwester Leichnam, das „Wunder Itigelov“, befindet sich im Kloster von Ivolginsk.280 Der „Buddhistische Traditionelle Saṅgha Russlands“ ist eine Institution der dGe-lugs-pa-Schule, welcher die meisten burjatischen Buddhisten anhängen. Diese ist aber heute nicht mehr ohne Konkurrenz. Inzwischen haben auch andere Denominationen in Burjatien Fuß gefasst: die rNying-ma-pa, Karma bKaʼ-brgyud-pa, Sa-skya-pa, ja sogar die Zen- und die Theravāda-Buddhisten. Die Lehre Tsongkhapas werden sie aber kaum verdrängen können.281 Ein Problem für den Buddhismus in Burjatien ist die Konkurrenz zwischen dem traditionellen burjatischen Buddhismus und dem Buddhismus in der Form, wie sie von den aus dem indischen Exil nach Burjatien gekommenen und dort ansässig gewordenen tibetischen Mönchen praktiziert und propagiert wird. Während einige dieser Lamas in burjatische Klöster eingetreten sind, haben andere eigene Klöster gegründet, die in Lehre und Administration der „reinen“ tibetischen Tradition folgen und gewisse Erscheinungen des von lokalen Traditionen beeinflussten burjatischen Buddhismus kritisieren. Zu Spannungen kommt es auch deshalb, weil die tibetischen Lamas burjatische Anhänger anwerben. Die tibetischen Aktivitäten werden von Seiten des „Buddhistischen Tradionellen Saṅgha Russlands“ als fremde Einmischung missbilligt.282 Die gegenwärtigen Differenzen können jedoch nichts an der grundsätzlichen Feststellung ändern, dass sich Lehre, Klosterwesen und religiöse Praxis des traditionellen burjatischen Buddhismus nur geringfügig vom tibetisch-mongolischen Buddhismus unterscheiden.

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Bělka 2014: 89f. Bělka 2011: 214–218. Veröffentlichung: Atlas tibetskoj mediciny (Parfionovič 1994). Ausführlich bei Amogolonova 2014. Siehe auch Bělka 2014: 83–85, 89. – Über das auch für den burjatischen Buddhismus relevante allgemeine Problem des Verhältnisses zwischen Religion und Globalisierung siehe Varnavsky 2014. 281 Eine Liste der verschiedenen buddhistischen Gemeinden und Organisationen in Burjatien findet sich auf der Website Buddijskie obščiny i organizacii 2014. 282 Über die tibetischen Mönche in Burjatien siehe Vančikova 2013. Über ihre Konkurrenz mit der einheimischen Form des tibetisch-mongolischen Buddhismus siehe vor allem Vančikova 2012: 131.

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7. Der Buddhismus bei den Altai-Türken 7.1. Der Buddhismus bei den Tuwinern283 Die Tuwiner leben größtenteils in der zu Russland gehörenden Republik Tuwa zwischen dem Westlichen Sajan im Norden, dem Altai im Westen und dem Tannuola-Gebirge im Süden. Tuwa grenzt nördlich an den Westen der Mongolei an. Kleine Gruppen der Tuwiner siedeln auch im Westen der Mongolei und im AltaiGebirge in der Dsungarei im Nordosten der chinesischen Provinz Xinjiang. Wann der Buddhismus erstmals in das Gebiet des heutigen Tuwa vorgedrungen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Fest steht, dass er bereits zur Zeit des Köktürkischen Reiches (552–745)284, zu dem auch Tuwa gehörte, als Religion offiziell anerkannt war.285 Die damalige Form des Buddhismus ist allerdings unbekannt. Der Buddhismus war neben dem Manichäismus und dem Nestorianismus auch eine der Religionen des Uigurischen Reiches (745–840) und des Reiches der Jenissej-Kirgisen (9.-12. Jahrhundert), zu denen das Territorium von Tuwa gehörte, doch auch zu dieser Zeit dürfte sein Einfluss eher gering gewesen sein. Der überwiegende Teil der Bevölkerung hing nach wie vor der traditionellen Volksreligion, dem so genannten Schamanismus, an.286 Dies trifft offenbar auch für die Epoche des Mongolischen Weltreichs zu. Archäologische Funde zeugen von buddhistischen Tempeln, Kapellen und Pagoden287, deren Schulzugehörigkeit allerdings nicht klar ist. Nachhaltig konnte der Buddhismus in Tuwa erst im 17. Jahrhundert Fuß fassen. Die tuwinischen Stämme jener Zeit siedelten nicht nur im Gebiet des heutigen Tuwa, sondern weit darüber hinaus, so auch in der Mongolei.288 Dort waren sie der 283 Eine ausführliche Gesamtdarstellung des Buddhismus in Tuwa ist Monguš 2001, eine Überarbeitung und Weiterführung von Monguš 1992; siehe für weitere Arbeiten der Autorin Monguš 2001:184. Vorausgegangen waren vor allem Arbeiten von V. P. D´jakonova (siehe Monguš 2001: 7f., 184). Der tuwinische Buddhismus wird neuerdings auch von Terent´ev 2014 beschrieben und durch wertvolles Bildmaterial dokumentiert. Zur Bedeutung des Buddhismus in der Geschichte und Kultur Tuwas siehe auch Chomušku 1989 und Moskalenko 2000. Eine kurze Gesamtdarstellung der Geschichte des Buddhismus in Russland bis 1985, die auch Tuwa berücksichtigt, ist Očirova 2011: 17–67. Die Zeit von 1985 bis 1999 wird ausführlich von T.M. Sadalova in Očirova 2011: 114–131 behandelt. Mit den Veränderungen nach 1990 befasst sich Anajban 1999. Wertvoll sind immer noch die persönlichen Beobachtungen, welche der Sinologe und Völkerkundler Otto Mänchen-Helfen im Jahre 1929 über den tuwinischen Buddhismus gemacht hat (Mänchen-Helfen 1931). 284 Vásáry 1999: 198f. 285 Monguš 2001: 13. 286 Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 151f. 287 Monguš 2001: 25. 288 Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 191.

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politischen Macht zweier Staaten ausgesetzt, des Staates der Altyn-Khane in der nördlichen Dsungarei (um 1600–1686) und des Dsungarischen Reiches (1635–1758). In beiden Staaten war der tibetisch-mongolische dGe-lugs-pa-Buddhismus die führende Religion. Schon bald war er dies auch bei einem Teil der Tuwiner, wenn auch in immerwährender Konkurrenz und Interdependenz mit dem Schamanismus.289 Mongolische und tibetische Missionare kamen zu den Tuwinern, und die ersten „Klöster“ (chürėė < mongol. küriye) wurden gegründet. Sie befanden sich in den Lagern der Nomadenfürsten und waren deshalb wahrscheinlich nur Filzzelte, in denen religiöse Zeremonien vollzogen wurden.290 Von der politischen Macht des Buddhismus zeugt, dass einige tuwinische Gruppen sogar von Lamas regiert wurden.291 Nach dem Ende des Dsungarischen Reiches kam der größte Teil der Tuwiner 1758 mehrheitlich unter die Herrschaft der chinesisch-mandschurischen Qing-Dynastie (1644–1911).292 Die probuddhistische Politik der Mandschu-Kaiser trug viel zur weiteren Verbreitung des Buddhismus bei den Tuwinern bei. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewann er immer mehr die Stellung der offiziellen Religion. Die führende Schulrichtung war die dGe-lugs-pa, doch auch die „unreformierten“ rNyingma-pa fanden eine gewisse Verbreitung. 1772 wurde der erste eigentliche Klosterkomplex gegründet, das Kloster von Erzin im Süden Tuwas, dem zahlreiche andere in ganz Tuwa folgten.293 Die tuwinischen Klöster – Zeltklöster, Holzklöster und Klöster aus Stroh und Lehm – waren viel bescheidener als ihre tibetischen und mongolischen Vorbilder. Doch nun waren die tuwinischen Mönche für ihre Ausbildung nicht mehr nur auf ein Studium in mongolischen und tibetischen Klöstern angewiesen, sondern hatten eigene Schulen (dugan < tibet. ʼdu-khang; auch: Tempel), in denen die Klosterschüler (chuurak < mongol. quvaraγ) sogar „Vollmönch“ (cheliŋ < tibet. dge-slong) werden konnten. In den Klosterschulen gab es u. a. Abteilungen für Philosophie (canit < tibet. mtshan-nyid), Medizin (mamba < tibet. sman-pa) und Astrologie (čugaraj < mongol. ǰiruqai). In den größeren Klöstern wurden auch Fächer wie Ikonographie, Kalligraphie, Architektur und Bildhauerei gelehrt.294 Es gab wohl auch Tantra-Abteilungen, doch fällt auf, dass das Tantrayāna in Tuwa kaum Eingang gefunden hat. Eigene Tantraklöster fehlten, da die entsprechende Ausbildung besondere Kenntnisse erforderte, und diese waren bei den tuwinischen Mönchen eher selten.295 Eine zusätzliche Schwierigkeit bestand darin, dass die tuwinischen Mönche die heiligen Schriften nicht in ihrer Muttersprache lesen konnten, sondern hierfür Tibetisch

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Monguš 2001: 20–31 Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 212; Monguš 2001: 31. Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 213. Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 305; Monguš 2001: 36ff. Näheres über die tuwinischen Klöster bei Monguš 2001: 55–68 und Vajnštejn/Mannajoola 2001: 261–263. 294 Monguš 2001: 64. 295 Monguš 2001: 75.

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und Mongolisch lernen mussten, also gleich zwei fremde Sprachen.296 Es gab zwar Versuche, Texte ins Tuwinische zu übersetzen, doch waren diese mangels qualifizierter Übersetzer wenig erfolgreich.297 Überhaupt waren die tuwinischen Mönche im Vergleich zu den tibetischen und mongolischen wenig gebildet. Viele von ihnen konnten trotz der Klosterschulen die heiligen Texte weder lesen noch erklären, und manche Mönche kannten nur einige Gebete, die sie auswendig gelernt hatten.298 Dennoch hatten die Klosterschulen für die kulturelle Entwicklung Tuwas eine ganz besondere Bedeutung. Sie waren die einzigen Bildungsanstalten des Landes und standen allen männlichen jungen Tuwinern offen, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, also auch Kindern der ärmsten Bevölkerungsschichten.299 Der einfache Tuwiner hatte zwar kaum Ahnung vom buddhistischen Lehrsystem300 und kannte wohl oft nicht mehr als das oṃ maṇi padme hūṃ, das er mit Inbrunst rezitierte, um die ihm unbegreifliche Buddhaschaft zu erlangen. Seiner Hingabe an die Lehre Buddhas tat dies aber keinen Abbruch. Die Kontakte zu den tibetischen und mongolischen Zentren der buddhistischen Gelehrsamkeit wurden durch Einladungen tibetischer und mongolischer Lamas gesichert, aber auch durch die Entsendung von jungen Tuwinern nach Tibet und in die Mongolei.301 Besondere Verehrung genoss das in der mongolischen Hauptstadt residierende Oberhaupt des nordmongolischen Buddhismus, der Boγda Gegen oder rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu, einer der höchsten „wiederverkörperten“ Lamas des tibetischen Buddhismus.302 In Tuwa selbst gab es das Institut der Wiederverkörperungen allerdings nicht.303 Es gab auch keine Nonnen, doch konnten Frauen Laienschwestern (šyvagančy < mongol. sibaγanča) werden.304 Bemerkenswert ist auch, dass es in Tuwa verheiratete Lamas gab, ein Umstand, der mit den Vinaya-Vorschriften so gar nicht übereinstimmte.305

296 Monguš 2001: 44. 297 Einige Fragmente tuwinischer Übersetzungen werden im Landeskundlichen Museum der Hauptstadt Kyzyl aufbewahrt (Monguš 2001: 63f.). Die religiöse Unterrichtung der Laien in tuwinischer Sprache erfolgte offensichtlich mündlich. Dies ist auch heute noch der Fall. Es gibt in der tuwinischen Hauptstadt Kyzyl einige vom Dalai Lama entsandte tibetische Mönche, welche Tibetisch unterrichten und ihre religiösen Belehrungen in tuwinischer und russischer Sprache erteilen. Junge Tuwiner, die in Indien studieren, haben jedoch damit begonnen, kleinere buddhistische Texte schriftlich ins Tuwinische zu übersetzen. (Freundliche briefliche Mitteilung von Frau Dr. Marina Monguš, Moskau). 298 Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 259–262; Monguš 2001: 40f. 299 Monguš 2001: 42. Zur Bedeutung der Klosterschulen siehe auch Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 261. 300 Monguš 2001: 53. 301 Monguš 2001: 41, 44, 56. 302 Monguš 2001: 52, 56. 303 Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 262; Monguš 2001: 68. 304 Monguš 2001: 70. 305 Näheres hierzu bei Monguš 2001: 78.

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Für ein enges Nebeneinander von Buddhismus und Schamanismus spricht, dass an einigen Festen auch Schamanen teilnahmen. Dies trifft ebenfalls für die Begräbnisriten zu. Der Buddhismus hatte durchaus nicht alle alten religiösen Vorstellungen und Rituale vernichtet. Entweder überdeckte er sie, wobei er sie teilweise veränderte, oder er übernahm sie ganz einfach in ihrer alten Form. Natürlich gab es Kämpfe zwischen Lamas und Schamanen. Oft aber fanden diese auch eine Art gemeinsame Sprache, die ein erträgliches Zusammenleben ermöglichte. Für die Lösung der Probleme des praktischen Lebens blieben die Schamanen nach wie vor wichtig. Allerdings wurden die Lamas mehr geschätzt als die Schamanen.306 Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich an dem Nebeneinander und der gegenseitigen Beeinflussung von Buddhismus und Schamanismus nichts geändert. In der volksreligiösen Praxis ermöglichte der buddhistisch-schamanistische Synkretismus sogar die Institution von Geistlichen, welche gleichzeitig die Funktion eines Lamas und eines Schamanen ausübten und burchan-cham, wörtlich „Buddha-Schamane“ genannt wurden,307 ähnlich dem mongolischen „Schamanen-Lama“ (mongol. böge lama; kyrill. böö lam). Eine ganz besondere Erscheinung des Synkretismus war, dass Lamas sogar Schamaninnen heirateten.308 Der Buddhismus nahm in der Tat eine speziell tuwinische Ausprägung an. So wurde der für Türken und Mongolen so wichtige Obo-Kult des aus aufgehäuften Steinen bestehenden Wohnplatzes der Ortsgeister (ovaa < mongol. oboγa; kyrill. ovoo)309 buddhisiert. Götter der Volksreligion wurden mit buddhistischen Göttern gleichgesetzt; Kurbustu-chan, der mongolische Qormusta, mit dem Götterherrscher Indra und Ėrlik, der mongolische Erlig Qan, mit dem Höllenkönig Yama. Auch der beliebte Weiße Alte (Ak irej; mongol. Čaγan ebügen), der Herr der Natur,310 fand Eingang in das buddhistische Pantheon.311 1911 brach das mandschurisch-chinesische Kaiserreich zusammen. Die an Tuwa angrenzende Äußere Mongolei erklärte ihre Unabhängigkeit. Die Tuwiner, die nunmehr von der chinesischen Oberherrschaft befreit waren, schlossen sich jedoch letztlich nicht etwa ihrem buddhistischen Nachbarstaat an, denn dieser war als Besatzungsmacht schlimmer als die verhassten Mandschus.312 1913 baten sie vielmehr den Zaren, die Schutzherrschaft über Tuwa zu übernehmen.313 Die Bitte der Tuwiner kam nicht überraschend. Ihre Erfahrungen mit dem benachbarten Russland hatten gezeigt, dass dieses trotz der Interessen der orthodoxen Missionare dem Buddhismus durchaus nicht feindlich gesinnt war. Ebenso wie für die Burjaten und Kalmücken war 306 307 308 309 310 311

Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 263–264; Monguš 2001: 82–85. Monguš 2001: 75; Lamin 2007: 58. Monguš 2001: 86. Näheres bei Birtalan 2000: 1016–1019. Zum Čaγan ebügen siehe Birtalan 2000: 958–960. Zum Synkretismus von Buddhismus, Volksreligion und Schamanismus siehe Monguš 2001: 87–94. 312 Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 315. 313 Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 317.

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der russische Zar für die Tuwiner der Beschützer ihrer Religion. Sie sahen ihn als Verkörperung der Weißen Tārā an und nannten ihn deshalb „Weißer Zar“ (Cagan-Chan < mongol. Čaγan Qan/Qaγan; russ. Belyj car´).314 Seit April 1914 stand Tuwa unter russischem Protektorat.315 1914 wurde die Hauptstadt Belocarsk („Stadt des Weißen Zaren“) gegründet, die später in Kyzyl („Die Rote“) umbenannt wurde.316 Der Schutz des Zaren währte nur bis zur Februarrevolution 1917, gefolgt von der Oktoberrevolution.317 Aus den Wirren der folgenden Zeit entstand schließlich 1921 die Volksrepublik Tannu-Tuwa, die bis 1944 ein formal selbstständiger Staat war und dann Teil der Sowjetunion wurde. Seit 1992 ist die Republik Tuwa ein Teil der Russischen Föderation.318 Die Einführung des sozialistischen Systems in Tuwa bedurfte langer Zeit.319 Zunächst behielten Geistlichkeit und Klöster noch ihre politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung.320 Zahlreiche Führungspersönlichkeiten waren ehemalige Klosterschüler. Zwischen 1922 und 1926 wurden sogar noch neue Klöster errichtet. Erst danach begannen die Angriffe auf die buddhistische Geistlichkeit. Zwar waren Glaubens- und Gewissensfreiheit gesetzlich garantiert, doch die Rechte der Geistlichkeit wurden eingeschränkt. 1926 wurde die Trennung von Religion und Staat verfügt, Religion war fortan Privatsache. Die Geistlichkeit sah die ihr drohende Gefahr immer deutlicher und versuchte, ihr durch eine „Reinigung“ der Religion entgegenzusteuern. Im März 1928 fand in der Hauptstadt Kyzyl ein Kongress statt, an dem buddhistische Gelehrte aus Tuwa, Burjatien, der Mongolei und Tibet teilnahmen, unter ihnen der berühmte burjatische Berater des dreizehnten Dalai Lama, Agvan Doržiev. Anliegen des Kongresses waren die Erneuerung der Religion und ihre Umgestaltung im Sinne der neuen politischen Veränderungen und Lebensbedingungen. In den Dokumenten hieß es hierzu: „Die Aufgabe des Kongresses ist es, allem die richtige Richtung zu geben und die Frage zu entscheiden, was Religion eigentlich ist und worin ihre Aufgabe besteht; die Religion von unnötigem Schutt zu reinigen und sie fortschrittlicher zu machen.“321 Es wurden Ideen darüber geäußert, wie die religiöse Dogmatik im Geiste der Zeit erneuert werden könne. Die Lehre Buddhas wurde sogar mit den Lehren von Marx und Lenin gleichgesetzt, denn in beiden stehe der Mensch im Mittelpunkt. Die buddhistische Geistlichkeit Tuwas war sichtlich bemüht, dem Staat gegenüber loyal zu sein und mit ihm vor allem auf dem

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Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 316. Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 319. Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 327. Zur politischen Entwicklung von 1911 bis 1917 siehe Kap. XI in Vajnštejn/Mannaj-oola 2001: 310–327. Lamin 2007: 127, 394. Ausführlich hierzu Lamin 2007: 126–183. Zu diesem und den nächsten beiden Absätzen siehe Lamin 2007: 253–263 (Kap. V-3: Das Verhältnis des Staates zu Religion und Kirche). Lamin 2007: 237.

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Gebiet der Erziehung und Bildung sowie beim Erhalt der traditionellen Kultur und des traditionellen Brauchtums zusammenzuarbeiten. Die auf das staatliche Wohlwollen gesetzte Hoffnung erwies sich jedoch schon bald als trügerisch. Der buddhistische Kongress gab dem religiösen Leben zwar neue Impulse. Es wurden sogar weitere Klöster erbaut und die Zahl der Lamas nahm entsprechend zu.322 Dies und die Tatsache, dass der Buddhismus im Volk immer noch eine hohe Akzeptanz besaß, wurden von Partei und Regierung immer mehr als Gefahr für die sozialistische Entwicklung angesehen. Bereits 1928 erfolgten weitere Eingriffe in die religiösen Rechte der Gläubigen. So wurde verfügt, dass für die Lektüre buddhistischer Texte eine besondere Genehmigung eingeholt werden musste. Im Januar 1929 beschloss die Partei die „Reinigung von Parteigängern der feudal-theokratischen Elemente und den entschiedenen Angriff auf die sozialen klassenbedingten Wurzeln der Religion“.323 Das Eigentum der buddhistischen Gemeinschaft wurde konfisziert, die Geistlichkeit verlor ihre Rechte als juristische Person. Fast alle Klöster und Klosterschulen wurden nach und nach geschlossen. 1930 wurde nicht nur das Wahlrecht der Lamas abgeschafft, sondern auch das der Schamanen, denn auch gegen diese richteten sich die antireligiösen Maßnahmen. Sie wurden zwar als weniger gefährlich angesehen, da sie im Gegensatz zur organisierten Institution des Saṅgha für die revolutionäre Volksmacht keine ernsthafte politische Bedrohung darstellten.324 Schon 1932 gab es in den beiden bedeutendsten Klöstern des Bezirks Dzun-Chemčig keinen einzigen Lama mehr. Vom Einfluss der sozialistisch-kommunistischen Ideologie zeugt, dass sich hierbei vor allem die Jugend hervortat.325 1934 fand die letzte Maitreya (tuwin. Majdyr)-Prozession statt.326 Bis 1960 gab es zwar noch Gebetshäuser, die von Lamas geleitet wurden. Doch als auch diese geschlossen wurden, mussten die Lamas in den Untergrund gehen.327 1987 brachte die Perestroika ein Ende der dunklen Zeit des Buddhismus in Tuwa. Erstmals konnte wieder das buddhistische Neujahrsfest gefeiert werden. 1990 durften wieder buddhistische Rituale durchgeführt werden. 1991 wurde im Dorf Kyzyl-Dag im Südwesten Tuwas der erste neuerrichtete buddhistische Tempel erbaut und das erste Maitreya-Fest gefeiert. In diesem Jahr erschien auch die erste Ausgabe der Zeitschrift Ėrete, des Organs der neugegründeten buddhistischen Ge-

322 Über das religiöse Leben der Tuwiner im Jahre 1929 unterrichtet Mänchen-Helfen 1931: über die Lamas, d. h. über den Buddhismus in Tuwa allgemein (89–96), über die Altäre in den Zelten (65–66), über den Maskentanz (97–98), über die Beziehungen zum tibetischen und mongolischen Buddhismus (103–104), über tibetische Medizin (113–115) und über die Schamanen (116–119). 323 Lamin 2007: 259. 324 Lamin 2007: 261. 325 Lamin 2007: 260. 326 Monguš 2001: 113. 327 Monguš 2001: 122.

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sellschaft Aldyn-Bogda. Hundert tuwinische Lamas und Laien durften im Sommer 1991 am ersten Besuch des Dalai Lama in Burjatien teilnehmen. Ein Jahr später kam der Dalai Lama auch nach Tuwa, ein Ereignis, das in ganz besonderer Weise zur Wiederbelebung des Buddhismus im Lande und zur Wiederherstellung der tibetisch-tuwinischen Beziehungen beitrug, war doch der Dalai Lama für die Tuwiner nach wie vor die höchste geistliche Autorität.328 1993 besuchte der Vertreter des Dalai Lama in Russland, Geshe Jampa Tinlei (tib. dGe-bshes Byams-pa ʼPhrin-las), zum ersten Mal Tuwa.329 Seiner Tätigkeit in den buddhistischen Ländern und Gemeinden Russlands und seinen in russischer Sprache erschienenen Schriften ist es zu verdanken, dass die Lehren des Buddhismus auch den gläubigen Laien wieder zugänglich wurden – natürlich nur, wenn sie Russisch können, aber dies ist ja bei den meisten Stadtbewohnern der Fall. Buddhistische Literatur soll allerdings auch ins Tuwinische übersetzt werden, um auch der ländlichen Bevölkerung mit geringen Russischkenntnissen ein tieferes Verständnis der buddhistischen Lehre zu ermöglichen.330 1997 wurde in Kyzyl das Oberhaupt des buddhistischen Saṅgha in Tuwa, der Kamby-Lama (tibet. mKhan-po Bla-ma) gewählt, der 20-jährige Aganak Chertek, ein Assistent und Übersetzer tibetischer Lehrer, die nach Tuwa gekommen waren. Seine Wahl trug auch zur weiteren Intensivierung der exiltibetisch-tuwinischen Beziehungen bei. Viele hochrangige tibetische Geistliche besuchten Tuwa, so im Oktober 1999 sogar der neunte Boγda Gegen, der rJe-btsun Dam-pa Qutuγtu, das formale Oberhaupt des nordmongolischen dGe-lugs-pa-Buddhismus.331 Insbesondere mit der Wahl des nächsten Kamby-Lama, des 24-jährigen Kuular Dolaan (Mönchsname Yeše Dagba, Ye-shes Grags-pa), eines Absolventen des Buddhistischen Instituts beim Kloster von Ivolginsk in Burjatien, begann die institutionelle und religiöse Wiederbelebung des tuwinischen Buddhismus. Dies geschah nicht ohne Schwierigkeiten. Hierzu gehörten das Problem der verheirateten Lamas, die Frage der Zulassung eines Nonnenordens, das Verhältnis zwischen Buddhismus und Schamanismus, die Beziehungen zwischen den tuwinischen und den tibetischen Mönchen und damit die Frage nach dem wahren Buddhismus, dem tuwinischen oder dem „reinen“ tibetischen. Ein besonderes Problem waren – und sind dies wohl immer noch – die Folgen der zwangsweisen Säkularisierung der tuwinischen Gesellschaft. Nur die Generation der über 80-jährigen kannte Religion ja noch aus eigener Erfahrung. Den Jüngeren war der Buddhismus so nachhaltig ausgetrieben worden, dass sich viele bis heute nicht für ihn interessieren oder sich von den vielen christlichen Missionaren unterschiedlicher Richtung zu einer ganz anderen Religion bekehren lassen. Ein weiterer Grund für die Hinwendung 328 329 330 331

Monguš 2001: 126f. Über Geshe Jampa Tinlei siehe die Website Geshe Jampa Tinlei. Monguš 2001: 129f. Monguš 2001: 133f.

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zum Christentum war sicher auch die im Vergleich zu den christlichen Missionaren immer noch mangelhafte Bildung der tuwinischen Lamas. So war kaum einer von ihnen imstande, Laien die Grundlagen der buddhistischen Lehre zu erklären. Diese Aufgabe blieb vor allem dem tibetischen Lama Geshe Jampa Tinlei überlassen.332 Dennoch ist es erstaunlich, wie schnell Buddhismus und Schamanismus wiederentstanden sind. Es wurden wieder Klöster und Tempel gebaut, junge Tuwiner traten in den Mönchsstand ein, die Beziehungen zu den anderen Buddhisten Russlands und der Mongolei wurden wieder aufgenommen.333 Es ist sicherlich nicht mehr alles so wie früher, aber eines ist geblieben: der tuwinische Buddhismus, der die kulturellen Traditionen des tuwinischen Volkes integriert hat.334

7.2. Der Buddhismus bei den Altaiern und Chakassen Der Buddhismus ist auch zu den Turkvölkern vorgedrungen, die westlich von den Tuwinern und nördlich von den Dsungaren in Russland leben: zu den südlichen Altaiern und den Chakassen. Zu den südlichen Altaiern zählen die Altai Kizhi (die „eigentlichen“ Altaier, altai kiži), die Telengiten und die Teleuten.335 Die Altai Kizhi und die Telengiten leben im Hochaltai, in der heutigen Republik Altai, die im Osten an Tuwa, im Südosten an die Mongolei, im Süden an die zu China gehörende Dsungarei, im Südwesten an Kasachstan und im Norden an das Gebiet (russ. Oblast) Kemerovo grenzt. Die Teleuten leben im mittleren Teil des Gebiets Kemerovo. Der größte Teil der Chakassen lebt in der Republik Chakassien am mittleren Jenissej, östlich von der Republik Altai und dem Gebiet Kemerovo und nordwestlich von Tuwa.336

7.2.1. Altaier Die buddhistische Tradition der Altaier hat sowohl geographische wie historische Gründe. Der Hochaltai grenzt an Gebiete, in denen sich der Buddhismus bis in die 332 Monguš 2001: 137. Zu den Schriften von Jampa Tinlei zählen z. B. die auf Tsong-kha-pas „Großem Stufenweg zur Erkenntnis“ (Byang-chub lam-rim chen-mo) basierenden achtzehn Lektionen über grundsätzliche Themen der buddhistischen Lehre (Džampa Tinlej 1998). 333 Eine Liste der verschiedenen buddhistischen Gemeinden und Organisationen in Tuwa findet sich auf der Website Buddijskie obščiny i organizacii 2014. 334 Monguš 2001: 133–137. 335 Die Turkvölker im nördlichen Altai sind offensichtlich vom Buddhismus unberührt geblieben. Über die Altaier (einschließlich Altai Kizhi) siehe Sarkisyanz 1961: 350–361; Krueger 1963: 73; Šerstova et al. 2006; Halemba 2006: 11–20 und passim; über die Telengiten: Halemba 2006; über die Teleuten: Funk et al. 2006. – Zum (alttürkischen) Buddhismus vgl. auch den Beitrag von Wilkens in diesem Band. 336 Über die Chakassen: Sarkisyanz 1961: 345–350; Krueger 1963: 402f.; Butanaev/Charitonova 2006: 533–542.

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Gegenwart erhalten hat. Wahrscheinlich hat bereits der Buddhismus der frühen zentralasiatischen Reiche in Sprache und Vorstellungswelt der Altaier seine Spuren hinterlassen, denn ihr Gebiet gehörte zu den großen Nomadenreichen Zentralasiens mit ihrer teilweise buddhistischen Kultur: zu den frühtürkischen Reichen (6.–8. Jahrhundert) und zu den Reichen der Uiguren (8.–9. Jahrhundert), Kirgisen (9. Jahrhundert) und Kara-Kitai (1130–1211)337. Mit der tibetischen Form des Buddhismus sind die Altaier vielleicht schon während des mongolischen Großreichs (13.–14. Jahrhundert) bekannt geworden, ganz sicher aber zur Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Dsungarischen Reich (1635–1758), in dem der tibetisch-mongolische Buddhismus die offizielle Religion war.338 Nach Angaben von Andrej Markovič Sagalaev, einem der besten Kenner des Sachverhalts, hat sich der Buddhismus spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bei verschiedenen altaischen Stämmen verbreitet.339 Doch schon vor der Gründung des Dsungarischen Reiches muss es bei den Altaiern Lamas gegeben haben.340 Ein Beleg hierfür ist die Nachricht, dass die russische Regierung bereits 1609 bestrebt war, mit Hilfe altaischer Lamas die Oiraten zur Anerkennung der russischen Oberherrschaft zu bewegen.341 Hierzu waren die Altaier erst 1756 bereit, kurz vor der Vernichtung des Dsungarischen Reiches durch die mandschurische Qing-Dynastie, da sie chinesische Vergeltungsmaßnahmen wegen ihrer Unterstützung der Dsungaren befürchteten.342 An den Verhandlungen mit den russischen Behörden waren offenbar auch Lamas beteiligt.343 Lamas waren auch unter den Altaiern, welche 1757/1758 zu den Wolga-Kalmücken auswanderten. Bei den Kalmücken scheinen die altaischen Mönche keinen

337 Sagalaev 1984: 63. 338 Zur westmongolischen (oiratischen) Herrschaft über die Altai-Türken: Sarkisyanz 1961: 357–359. Zur Übernahme des tibetisch-mongolischen Buddhismus als offizieller Religion durch die westmongolischen Fürsten siehe Zlatkin 1964: 128, 175. Zusammenfassende Darstellungen des Buddhismus bei den Altaiern: Sagalaev 1984; Klešev 2003; Kos´min 2006. Siehe auch Kitinov 2004: 141. Über die gegenwärtige religiöse Situation in der Republik Altai siehe Halemba 2003 und Halemba 2006: 32f., 151f. 339 Sagalaev 1984: 38. 340 Nach Sagalaev 1984: 38 hat sich der Buddhismus seit spätestens Mitte des 18. Jh. bei verschiedenen altaischen Stämmen verbreitet. 341 Kitinov 2004: 141. 342 Kitinov 2004: 137f.; Šerstova et al. 2006: 386. 343 Ein Hinweis hierauf ist eine Angabe in dem Buch des altaischen Forschers G.P. Samaev, Gornyj Altaj v XVII – seredine XIX v.: problemy političeskoj istorii i prisoedinenija k Rossii. Gorno-Altajsk 1991, das mir leider nicht zur Verfügung stand. Der entsprechende Hinweis findet sich in dem Artikel „Istorija vozniknovenija religii i ob´edinenija buddhistov ‚Ak-Burkan‘“ („Geschichte der Entstehung der Religion und der Vereinigung ‚Ak-Burkan‘“), S. 3. (Ich habe diesen Artikel im Internet gefunden, doch offensichtlich ist er inzwischen von dort herausgenommen worden. Ich zitiere ihn ausnahmsweise trotzdem.) Hiernach schworen altaische Fürsten in ihren Schreiben an die russischen Behörden im Namen Buddhas, die russischen Gesetze zu befolgen und dem Weißen Zaren, dem Kaiser von Russland, zu dienen. Unter den Unterschriften findet sich der Name des Lamas Lobsan Sungduj (Blo-bzang gZungs-bsdus).

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geringen Einfluss gehabt zu haben. Einer von ihnen, Lama Delek (bDe-legs), wurde sogar zum Oberhaupt der kalmückischen Geistlichkeit gewählt.344 Wie viele der „altaischen“ Lamas zur dsungarischen Zeit Türken und wie viele Mongolen waren, ist unklar. Ungeklärt ist bisher auch, ob damals buddhistische Klöster errichtet wurden. Zwar gibt es im Südosten des Hochaltai Überreste von Klosteranlagen, doch konnte bisher offenbar noch nicht festgestellt werden, aus welcher Periode sie stammen.345 Wie stark die Position des Buddhismus bei den Altaiern zur Zeit des Dsungarischen Reiches wirklich gewesen ist, lässt sich anhand der bisher bekannten Quellenzeugnisse nicht sagen.346 Wie Sagalaev feststellt, ist der Buddhismus nicht tief in die Glaubensvorstellungen und die geistige Kultur der Altaier eingedrungen, selbst wenn er nicht ohne mongolischen Zwang verbreitet worden sein sollte.347 Nach dem Ende der Dsungarenherrschaft hat die bis dahin von den westmongolischen Herrschern geförderte Religion im Altai offenbar keine große Rolle gespielt, auch wenn um 1758 neben Tuwinern auch Oiraten in den Altai flohen, sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischten und sicherlich auch ihre buddhistische Religion mitbrachten.348 Natürlich bestanden auch immer noch Kontakte mit den mongolischen Nachbarn. Die Handelsbeziehungen reichten bis China und Tibet. Die Reisenden brachten buddhistische Ritualgegenstände, Bilder und Bücher mit. Altaier studierten in buddhistischen Zentren der Mongolei, Tibets und Chinas, und immer wieder besuchten mongolische Lamas den Hochaltai, besonders im 19. Jahrhundert.349 So kommt es, dass dort z. B. ein tibetischer AbhisamayālaṃkāraText, ein Vajra, eine Glocke und eine Gebetskette gefunden wurden.350 Die aus dem Ausland zurückgekehrten sudurči („Sūtra-Kenner“) betätigten sich offensichtlich vor allem als Wahrsager und Heiler.351 Inwieweit die Lamas den Altaiern Grundkenntnisse der buddhistischen Lehre vermittelt haben, sei dahingestellt. Dem Buddhismus gelang es jedenfalls nicht, den Einfluss der Schamanen auszuschalten und die bei den Altaiern tief verwurzelte Naturreligion in genügendem Maße zu verdrängen oder, wie es der buddhistischen Praxis eher entsprach, zu assimilieren.352 Dennoch hat der Buddhismus auch in den volksreligiösen Vorstellungen der Altaier, genauer gesagt der Süd-Altaier, der Altai Kizhi und Telengiten, deutliche

344 Kitinov 2004: 137–145. – Über die mögliche Identität mit dem „dsungarischen“ Lama Delek siehe oben Anm. 237. 345 Klešev 2003: 365 Anm. 3. 346 Abschnitt „Altaj i Džungary“ (Der Altai und die Dsungaren) in Sagalaev 1984: 35–41. 347 Sagalaev 1984: 37f.; Znamenski 2005: 32, 38. 348 Sagalaev 1984: 39; Šerstova et al. 2006: 382. 349 Sagalaev 1984: 80–83. 350 Kos´min 2006: 57. 351 Kos´min 2006: 50–60; siehe auch Sagalaev 1984: 79. – Zum Einfluss der Lamas auf die Telengiten siehe auch Halemba 2002. 352 Sagalaev 1984: 38; Znamenski 1999: 35, 205; Znamenski 2005: 38.

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Spuren hinterlassen. Im Mittelpunkt der Volksreligion steht die Verehrung von Sonne, Mond und Sternen sowie der Schöpfergottheit Ülgen und des Herren der Unterwelt Erlik. Hierin ist mittelbar der Einfluss der Religionen des alten Zentralasien erkennbar, so die Gestalt des Gottes Kurbustan, des iranischen Ahura Mazdā und mongolischen Qormusta, der mitunter an die Stelle von Ülgen treten kann. Buddhistischer Einfluss lässt sich jedoch in Brauchtum und Folklore feststellen, wovon vor allem Götternamen und Kultgeräte zeugen. So schuf Ülgen als Helfer gegen seinen Erzfeind Erlik aus einer Eisen-Silber-Legierung den Helden Mangdyšyre, unter dem sich natürlich der Bodhisattva Mañjuśrī verbirgt. Der Auftrag, den Todesgott Erlik, den indischen Yama, zu besiegen, erhielt Mangdyšyre gewiss nicht zufällig, denn schließlich ist es die zornvolle Form des buddhistischen Mañjuśrī, Yamāntaka, welcher Yama ein Ende bereitet. Der Gott Ülgen schuf aus Lehm und Schilf sogar den Maitreya, den Buddha der Zukunft, dem er unter dem Namen Maidere die Herrschaft über die ganze Erde verlieh. Maidere wiederum verfertigte aus Lehm und Schilf eine Frau, um das Menschengeschlecht fortzusetzen. Maitreyas Vorgänger Śākyamuni spielt als Maideres Schreiber Šigemine hingegen nur eine untergeordnete Rolle.353 Die Übernahme von Mañjuśrī und Maitreya mit ihren wesentlichen Funktionen ist bemerkenswert und weist darauf hin, dass die Integration buddhistischer Gottheiten in die Vorstellungswelt der Altaier keineswegs automatisch erfolgte. Mañjuśrī-Yamāntaka als Besieger des Todes und Maitreya als Herrscher einer neuen Welt spiegeln zentrale Werte wider. Die mit Maitreya verbundene Vorstellung eines neuen Zeitalters fand seit Anfang des 20. Jahrhunderts ihren bewussten Ausdruck in der neuen Religion des altaischen Burchanismus, dessen höchste Gottheit Ak Burkan („Weißer Burchan“) mit Maitreya gleichgesetzt wurde.354 Die Erschaffung der Frau aus Lehm und Schilf könnte auf christlichen Einfluss hindeuten. Auch hierbei wäre ein tragendes Motiv einer Hochreligion in die volksreligiöse Vorstellungswelt integriert worden. Die buddhistischen Elemente sind jedoch eindeutig zahlreicher. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass die orthodoxe Bekehrungstätigkeit bei den Altaiern relativ spät einsetzte. Die „Orthodoxe Buddhistische Altai-Mission“ wurde erst 1828 gegründet, und zwar als Schild gegen die „fremden Nationen“ buddhistischen Glaubens, die dem AltaiGebiet benachbart waren.355 Die islamische Missionstätigkeit begann ebenfalls relativ spät. Charakteristisch für die Altaier ist, dass ihre animistisch-schamanistisch geprägte Volksreligion gesellschaftlich und ideologisch so stark verwurzelt war, dass sie geradezu als Merkmal der altaischen Identität galt und jede andere Religion als fremd angesehen wurde.356 353 354 355 356

Sagalaev 1984: 46f. Website Buddijskie obščiny i organizacii: 7. Znamenski 1999: 204. Über das Christentum als „Religion der Russen“ und den Islam als „Religion der Kasachen“ siehe Halemba 2003: 167f.

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Buddhistische Einflüsse weist auch die große religiöse Erneuerungsbewegung des anfangs des 20. Jahrhunderts entstandenen so genannten Burchanismus auf. Die neue Religion ist eine altaische Antwort auf die christliche Mission und auf den Schamanismus, dem nicht mehr genügend Kraft zugetraut wird, die ethnische Identität der Altaier zu gewährleisten. Trotz seines Namens ist Burchanismus kein „altaischer Buddhismus“. Das Wort burchan/burkan bedeutet hier nicht „Buddha“, sondern „Gott“, und zwar Gott als höchster Gott neben anderen Göttern. Im Burchanismus verschmelzen Ideen, Götter und Praktiken der altaischen Volksreligion mit Ideen und Praktiken, die aus dem Christentum, vor allem aber aus dem Buddhismus übernommen wurden, so der Kampf gegen die Schamanen. Wie zahlreich und prägend diese fremden Elemente waren, ist meines Wissens allerdings noch nicht systematisch untersucht worden.357 Nach 1990 führte die Erinnerung an die buddhistische Vergangenheit und die große Zeit des Dsungarischen Reiches zu einer Art „Wiedergeburt“ des Buddhismus in der Form des „erneuerten“ Burchanismus.358 1991/1992 wurde die Vereinigung Ak-Burkan („Weißer Burchan“) gegründet, die zunächst als Wiederbelebung der altaischen Religion Ak jang (ak jaŋ, „Weißer Glaube“) verstanden wurde, jedoch dann immer mehr an den Buddhismus angeglichen wurde.359 Auch das Amt eines „Kambo-Lama“ (tibet. mKhan-po Bla-ma) der Republik Altai“ wurde eingeführt. 2003 beantragten die altaischen Buddhisten der Vereinigung Ak-Burkan bei einem Kongress der russischen Buddhisten im burjatischen Kloster von Ivolginsk die Aufnahme in den „Traditionellen Buddhistischen Saṅgha Russlands“.360 Auf der Website „Buddhistische Gemeinden und Organisationen“ wird als Zielsetzung der Vereinigung Ak-Burkan die Wiedergeburt der altaischen Form des Buddhismus in Übereinstimmung mit dem frühtibetischen Buddhismus beschrieben. Das Zentrum der Vereinigung ist in der Hauptstadt Gorno-Altajsk.361 Ein modernes „Retreat Center“ des von Ole Nydahl begründeten westlichen Zweigs der bKaʼ-brgyud-pa befindet sich in Askat bei Gorno-Altajsk.362 Der wachsende Einfluss des Buddhismus trifft bei der Bevölkerung allerdings auch auf Widerstand.363

357 Zum Burchanismus siehe u. a. Danilin 1993; Filatov 2001; Filatov 2002; Sherstova 2006a; Tadina 2006a; Halemba 2006: 29–32. Siehe auch die Aufsatzsammlungen Funk 2005; Balzer 2006a; 2006b (dort insbesondere Funk 2006 mit weiterführender Literatur). 358 Über den „erneuerten“ Burchanismus siehe Tadina 2013a; Tadina 2013b; Tadina/Jabyštaev 2013. 359 Kos´min 2006: 43f.; Halemba 2003: 172–174; Halemba 2006: 32f. – Zum Begriff ak jaŋ und seiner Bedeutung siehe Halemba 2003: 168f.; Halemba 2006: 28f.; Šerstova/Tjuchmeneva/Chalemba/Dobžanskaja 2006: 444; Vinogradov 2006b. – Zum Buddhismus in der Republik Altai nach dem Ende der 1980er Jahre siehe T.M. Sadalova in Očirova 2011: 131–133 360 Nach Pressematerialien, übersandt von Frau Prof. Dr. Ts. P. Vančikova, Ulan-Ude. 361 Website Buddijskie obščiny i organizacii: 7. 362 Halemba 2006: 33; über das Kagyüpa-Zentrum von Askat siehe Gavinskiy 2005. 363 Halemba 2006: 33; Šerstova/Tjuchmeneva/Chalemba/Dobžanskaja 2006: 444.

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Im Gegensatz zu den Altai Kizhi und den Telengiten im Hochaltai sind die viel weiter nördlich lebenden Teleuten offenbar weitaus weniger mit dem Buddhismus in Berührung gekommen. Dennoch sind buddhistische kulturelle Einflüsse feststellbar, die sich wohl vor allem aus den engen Beziehungen zum Dsungarischen Reich erklären.364 Die Religion der Teleuten ist jedoch vor allem durch Schamanismus und orthodoxes Christentum geprägt.365

7.2.2. Chakassen Auch die Chakassen sind spätestens im 17. Jahrhundert mit dem Buddhismus in Berührung gekommen. Dies erklärt sich aus den engen Beziehungen zu zwei Nachbarstaaten, deren Hochreligion der Buddhismus war: zum Staat der AltynKhane in der Nordwest-Mongolei und nördlichen Dsungarei366 und zum Dsungarischen Reich. Beiden Staaten gegenüber waren die chakassischen Stämme tributpflichtig. Vermutlich im 17. Jahrhundert wurden erste Tempel und Stūpas errichtet. Zeugnisse des Buddhismus sind auch die über dreißig buddhistischen Bronzeund Marmor-Figuren, die im Gebiet von Minussinsk in Chakassien gefunden worden sind. Der größte Teil von ihnen kann in die Zeit vor dem 18. Jahrhundert datiert werden und stammt aus Tibet. Von der buddhistischen Vergangenheit zeugen auch einige buddhistische Symbole im chakassischen Brauchtum. Die buddhistische Mission war jedoch offensichtlich nur oberflächlich, denn schon im 19. Jahrhundert gab es im Bezirk Minussinsk keine Lamas mehr. Im gleichen Jahrhundert wurden alle Chakassen offiziell christianisiert. In Wirklichkeit blieben sie jedoch bis heute überwiegend Anhänger der traditionellen schamanistisch geprägten Naturreligion. In der jüngsten Vergangenheit scheint sich auch eine neue Religion herausgebildet zu haben, die dem altaischen Burchanismus ähnelt.367

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C. BUDDHISMUS IN ZENTRALASIEN SCHNITTSTELLE ZU OSTASIEN

ALS

BUDDHISMUS

BEI DEN TÜRKISCHEN

ZENTRALASIEN

VÖLKERN

IN

Jens Wilkens

1. Einleitung Erste Kontakte der Türken mit dem Buddhismus könnten während des Ersten Türkischen Kaganates unter Tatpar Kagan (reg. 572–581 n. Chr.) erfolgt sein, denn ihm soll vom Herrscher der Qi-Dynastie ein Nirvāṇasūtra in der Sprache der Tujue (*Türküt) überreicht worden sein. Möglicherweise war dies ein sogdischer Text, diente doch das Sogdische, eine ostmitteliranische Sprache, damals als Kanzleisprache im Reich der Türk. Die Nachrichten in den chinesischen Quellen hierzu sind aber vage, und da jegliche archäologische oder epigrafische Evidenz fehlt,1 sind kaum weitergehende Schlüsse zur Präsenz des Buddhismus im Reich der Türk möglich. Erst mit den Uiguren, die im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte mit einer Vielzahl von Religionen in Berührung kamen und deren Sprache2 als eine Varietät des Alttürkischen zu klassifizieren ist, verfügen wir über eine Vielzahl von Quellen, die es erlauben, ihre enge Beziehung zum Buddhismus nachzuzeichnen. Der Charakter dieser Zeugnisse bringt es mit sich, dass in vielen Bereichen sehr detaillierte Aussagen getroffen werden können, während das große Ganze weitgehend im Verborgenen bleibt.

1.1. Aspekte der Buddhisierung der Uiguren Die Hinwendung der Uiguren zum Buddhismus kann nach heutiger Quellenlage nicht an einem singulären Ereignis festgemacht werden, das mit der Konversion des uigurischen Kagans Bügü und seiner Entourage zum Manichäismus in den frühen 760er Jah-

1 Die in der Sekundärliteratur – z. B. in Laut 1986: 6 – mehrfach anzutreffende Behauptung, dass in der Bugut-Inschrift (vom Jahr 582) von einer Gründung des Mönchsordens im Ersten Kaganat der Türk die Rede sei, beruht auf einer Fehlinterpretation. 2 Der Einfachheit halber ist in diesem Beitrag vom „Uigurischen“ die Rede. Genauer müsste man vom „Altuigurischen“ sprechen, das sprachgeschichtlich nicht der unmittelbare Vorläufer des heute in Xinjiang (früher: Chinesisch-Turkestan) gebräuchlichen „Neuuigurischen“ ist.

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Buddhismus bei den türkischen Völkern in Zentralasien

ren vergleichbar wäre.3 Es ist vielmehr von einem graduellen Prozess auszugehen, der verstärkt mit der Ankunft der Uiguren in den Oasen des Tarim-Beckens und der Gründung des Westuigurischen Königreichs im Jahr 866 vorangetrieben wurde. In Turfan und in Karašahr, wo der uigurische Buddhismus vermutlich zu einer ersten Blüte gelangte, trafen die Uiguren auf eine hoch entwickelte Oasenkultur, die schon über Jahrhunderte Buddhas Lehre verpflichtet war.4 Einige bereits im Tarim-Becken ansässige Uiguren könnten schon vor dem Jahr 840 Buddhisten gewesen sein, doch scheint die in der Sekundärliteratur zuweilen genannte Datierung des Beginns der buddhistischen Literatur der Uiguren in das 8. Jahrhundert nach dem heutigen Forschungsstand zu früh angesetzt.5 Der Prozess der Buddhisierung lässt sich auf der Basis der zur Verfügung stehenden Quellen nur ansatzweise skizzieren. Eine diesem Thema gewidmete indigene historiografische Literatur ist bislang nicht bekannt. Auch der chinesische Gesandtschaftsbericht des Wang Yande nimmt zwar Bezug auf den Buddhismus in Gaochang (Turfan), das er im Jahr 981 besuchte, bietet aber kaum detaillierte Informationen. Es scheint, dass die fortschreitende Ausbreitung des Buddhismus in direktem Zusammenhang mit dem Niedergang des Manichäismus zu sehen ist.6 Ein deutliches Zeugnis für diesen Vorgang ist die Tatsache, dass in der Höhlenanlage von Bäzäklik bei Turfan vormals manichäische Höhlen durch bautechnische Maßnahmen zu buddhistischen Anlagen umgewidmet wurden.7 Wir besitzen ferner einen Augenzeugenbericht eines uigurischen Manichäers, der die Zerstörung eines manichäischen Klosters beklagt und die Wiederverwendung von architektonischen Elementen und Figuren in einem buddhistischen vihāra („Kloster“) beschreibt.8 Das Manuskript wird in das Jahr 983 datiert,9 woraus zu schließen ist, dass die staatliche Patronage des Manichäismus bereits Ende des 10. Jahrhunderts zugunsten einer Förderung des Buddhismus aufgegeben wurde. Die wichtigsten Quellen, die eine Rekonstruktion der Geschichte des Buddhismus bei den Uiguren ermöglichen, sind neben inschriftlichen Zeugnissen die Kolophone. Diese geben oft Auskunft darüber, aus welchen Sprachen in das Uigurische übersetzt wurde und welche Personen maßgeblich für die Übersetzungen verantwortlich zeichneten, sei es als Übersetzer oder sei es als Veranlasser. Gelegentlich werden Datierungen genannt. Weitere Informationen sind den Texten selbst zu entnehmen, die im Gefolge der Expeditionen nach Zentralasien zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach und

3 Noch nach dem Zusammenbruch des Ostuigurischen Kaganats im Jahr 840 und der anschließenden Abwanderung großer Bevölkerungsteile aus der Mongolei in die am Nordrand des Tarim-Beckens gelegenen Oasen und in den Gansu-Korridor prägte der Manichäismus die Kultur der Uiguren nachhaltig. 4 Zur Verbreitung des Buddhismus nach Zentralasien vgl. Hartmann 2000. 5 Vgl. z. B. die Datierung des Kšanti kılmak (nom bitig) „um 800“ in Weber 1999: 168. 6 Eine Skizze dieses Prozesses gibt Moriyasu 2003a. 7 Moriyasu 2004: 1–38. 8 Moriyasu 2004: 175f., Manuskript M 112 (verso) der Berliner Turfan-Sammlung. 9 Moriyasu 2004: 176–183.

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nach publiziert wurden. Die buddhistische Literatur der Uiguren begann sich offenbar erst nach ihrer Abwanderung in das Tarim-Becken und nach Gansu herauszubilden. Sie besteht zu einem wesentlichen Anteil aus Übersetzungen, was von den Pionieren der Turfan-Philologie wie F.W.K. Müller und anderen sogleich erkannt wurde.

1.2. Der buddhistische Lehnwortschatz Die uigurischen Übersetzer konnten in manchen Fällen auf religiöse Termini zurückgreifen, die ursprünglich für manichäische Texte geschaffen worden waren, mussten jedoch meist neue Begriffe prägen.10 Ferner hat man eine große Anzahl von Lehnwörtern in den buddhistischen Wortschatz des Uigurischen aufgenommen. In der Mehrzahl sind dies Sanskrittermini (Eigennamen, Toponyme, termini technici), die allerdings über tocharische, in Einzelfällen auch sogdische Vermittlung Eingang in das Uigurische gefunden haben. Einige über das Sogdische vermittelte Sanskrittermini sind schon in manichäisch-uigurischen Quellen bezeugt,11 während andere, wie etwa die Bezeichnung des ockerfarbenen Mönchsgewands (uigur. karaža < sogd. Krʼzʼkh < skt. kāṣāya), nur in buddhistischen Texten anzutreffen sind. Obwohl im uigurischen Manichäismus die Götterbezeichnungen äzrua täŋri und hormuzta täŋri für den Vater der Größe und den Urmenschen belegt sind, so geht die Verwendung dieser Namen für die Götter Brahmā und Indra/Śakra im uigurischen Buddhismus jedoch auf die Praxis buddhistisch-sogdischer Texte zurück.12 Ohne Zweifel war aber das Tocharische13 die wichtigste sakrale Sprache der Uiguren in der frühen Phase der Ausbreitung des Buddhismus. Uiguren kamen mit tocharisch-sprachigen Buddhisten in allen drei Regionen des tocharischen Sprachgebietes in Berührung: im Westen in der Region Kučā, im zentralen Gebiet in Karašahr und im Osten in Turfan. Die tocharische Literatur wurde von den Uiguren rezipiert, aber bemerkenswerterweise nur teilweise durch Übersetzungen erschlossen. Die Periode, während der man aus dem Tocharischen in das Uigurische übersetzte, währte offenbar nicht lange. Diese Phase hat aber so tief greifend auf den uigurischen Buddhismus vor allem im Bereich des Lehnwortschatzes eingewirkt, dass noch mindestens bis ins frühe 13. Jahrhundert die über das Tocharische vermittelten indischen Fremdwörter Verwendung fanden. Erst in der Mongolenzeit unterzog man den Lehnwortschatz einer Reform, indem man die Termini in einer Form notierte, die dem Sanskritoriginal 10 Auch waren die uigurischen Manichäer bereits mit der Buddhalegende vertraut (Le Coq 1909: 1208–1211), bevor die Hinwendung großer Teile der Bevölkerung zum Buddhismus einsetzte. 11 Ein wichtiger Terminus, der bereits von den uigurischen Manichäern verwendet wurde, ist z. B. č(a)hšap(a)t < manich.-sogd. cxšʾpṯ, cxš’pδ(δ) für skt. śikṣāpada bzw. śīla. 12 Die Uiguren vermittelten diese Bezeichnungen an die Mongolen weiter. 13 Das Tocharische war in zwei Varietäten, die als Tocharisch A und B bezeichnet werden, an der „nördlichen Seidenstraße“ in Gebrauch.

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angemessener war. Dies ist wohl in Zusammenhang mit der Tatsache zu bringen, dass gleichzeitig auch Elemente anderer Schriftsysteme (Chinesisch, Brāhmī) in Texten erscheinen, die in uigurischer Schrift abgefasst sind. Und zwar sind diese Elemente entweder in den Fließtext integriert – manchmal sogar als Sanskritverse – oder sie erscheinen als interlineare Glossen. Zu Recht hat Peter Zieme diese „Einbeziehung fremder Schriftsysteme“ als „ein Zeichen für die stärkere Hinwendung zu den Originalquellen des Buddhismus“ interpretiert.14 Der tocharische Buddhismus hat gewiss die stärksten Impulse für die Buddhisierung der Uiguren gegeben, doch darf der Beitrag des sogdischen Buddhismus nicht vernachlässigt werden.15 Einige Forscher meinen, dass dieser sich offenbar nicht viel früher (8./9. Jahrhundert) auszubilden begonnen habe als der uigurische.16 Andere plädieren – mit guten Argumenten – für eine frühere Datierung (7./8. Jahrhundert).17

2. Quellen Viele buddhistische Texte, von denen wir Kenntnis haben, sind nur in Form von Fragmenten erhalten, während vollständige Manuskripte und Blockdruckausgaben (indische pustakas, Kodexbücher, Rollen, Faltbücher) die Ausnahme darstellen. Die ältesten Texte dürften auf das späte 9. Jahrhundert zurückgehen, während die jüngste Abschrift, eine in St. Petersburg aufbewahrte Kopie des Goldglanzsūtras, im Jahr 1687 angefertigt wurde. Diese Abschrift stellt aber eine Ausnahme dar, da die Islamisierung der Uiguren zu Beginn des 15. Jahrhunderts verstärkt vorangetrieben wurde und die spätesten Texte wohl in das 14. Jahrhundert zu datieren sind. Die Blockdrucke stammen aus der Mongolenzeit, wurden vorwiegend in Peking hergestellt und von dort in die verschiedenen Verbreitungsgebiete des uigurischen Buddhismus exportiert. In der Frühphase, als die buddhistische Literatur sich bei den Uiguren herauszubilden begann, wurden mehrere Werke aus Tocharisch A übersetzt, das im Osten des Tarim-Gebiets vorwiegend für literarische Texte zur Anwendung kam. Zwei sehr umfangreiche parakanonische Texte waren von besonderer Bedeutung: erstens die visionäre Maitreya-Biografie Maitrisimit (skt. Maitreyasamitināṭaka; „Das Zusammentreffen mit Maitreya“) und zweitens der Erzählzyklus Daśakarmapathāvadānamālā („Kranz von Legenden, die sich auf die zehn Handlungsweisen beziehen“). Von Ersterem sind 14 15 16 17

Zieme 1989a: 443. Siehe hierzu Wilkens 2016: 206–215. Provasi 2013: 192. Yoshida 2009: 291. Siehe auch Yoshida 2013: 156; vgl. die ebd. 157 erwähnten Stifterinschriften der Longmen-Höhlen, von denen einige Ende des 7. Jh. entstanden sind.

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etliche Fragmente verschiedener Manuskripte in Tocharisch A und von Letzterem Fragmente in Tocharisch A und B sowie ein Blatt auf Sogdisch erhalten. Beide Texte sind für die Buddhismusforschung von großem Interesse, da sie nur in zentralasiatischen Idiomen überliefert sind. Sie sind sicher erst in Zentralasien entstanden, auch wenn im Falle der Maitrisimit die Kolophone ein indisches Original zu Beginn der Überlieferungskette erwähnen. Neben den tocharischen, khotansakischen und sogdischen Quellen stellen die uigurischen Texte den wichtigsten Zweig der buddhistischen Überlieferung in indigenen Sprachen des alten Zentralasien dar, wobei das uigurische Corpus unter den genannten Literaturen das späteste, aber auch das umfangreichste und inhaltlich vielfältigste ist. Unter den formalen Charakteristika der buddhistischen Literatur der Uiguren sind zu nennen: (1) Das Gros der Texte besteht aus Übersetzungen aus verschiedenen Quellensprachen (Tocharisch A, Chinesisch, Tibetisch, Sanskrit). (2) Es hat wohl keinen geschlossenen Kanon gegeben, vielmehr wurden im Verlauf von Jahrhunderten immer wieder neue Texte und Genres erschlossen.18 So sind die meisten Übersetzungen bzw. Exzerpte der Āgama- und AbhidharmaLiteratur erst in der Spätphase des uigurischen Buddhismus entstanden. (3) Die Uiguren verfügten über eine hohe Akkulturationsfähigkeit und zeigten stets eine bemerkenswerte Offenheit gegenüber neuen religiösen Entwicklungen. (4) Sie verschrieben sich nachweislich der Pflege tocharischer und sogdischer buddhistischer Schriften, denn uigurische Stifter haben tocharische und sogdische Manuskripte in Auftrag gegeben.19 Sie zeichneten aber auch Texte in Sanskrit und Chinesisch in uigurischer Schrift auf. (5) Oft ist es selbst bei guter Quellenlage schwierig, die genaue Vorlage eines uigurischen Textes zu identifizieren, wenn die Überlieferungssituation komplex ist. In manchen Fällen sind offenbar mehrere Versionen in verschiedenen Sprachen bei der Herstellung einer uigurischen Fassung benutzt worden.20 Manchmal ist die Version, die als Vorlage gedient hat, vermutlich verloren gegangen bzw. wurde noch nicht identifiziert.

2.1. Skizze der buddhistischen Literatur der Uiguren21 Die mit dem frühen 11. Jahrhundert einsetzende klassische Phase der uigurischen Literatur zeichnete sich durch eine Neuausrichtung auf den chinesischen Bud18 Zu Aspekten der Kanonisierung im uigurischen Buddhismus vgl. Wilkens 2011. 19 Pinault 2007; Yoshida 2008: 341. 20 Die komplexe Überlieferungslage wurde beispielhaft für das Āryāparimitāyurjñānanāmamahāyānasūtra diskutiert von Yakup 2012. 21 Für einen Überblick über die buddhistische Literatur der Uiguren vgl. Elverskog 1997; Zieme 2015.

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dhismus hin aus.22 Verschiedene Textsorten (Sūtras, Kommentare, so genannte Apokryphen, Mantik, Erzählungen etc.) wurden übersetzt. Drei der umfangreichsten Werke der uigurisch-buddhistischen Literatur, das Einzeltexte verschiedener Genres versammelnde Goldglanzsūtra, die der Textsorte Hagiografie zuzuordnende Xuanzang-Biografie23 und das dem rituellen Bereich des Bekennens der Verfehlungen zugehörige Kšanti kılguluk nom bitig,24 sind alle aus dem Chinesischen übersetzt worden. Goldglanzsūtra und Xuanzang-Biografie wurden um die Wende des ersten Millenniums von dem Übersetzer Šiŋko Šäli Tutuŋ und seinem Kreis ins Uigurische übertragen. Während die auf der chinesischen Fassung von Yijing beruhende Übersetzung des Goldglanzsūtras25 teilweise umfangreiche Zusätze enthält, die sich in keiner anderen Version nachweisen lassen und vermutlich Glossen des Übersetzers bzw. seines Mitarbeiterstabs darstellen,26 versucht die uigurische Xuanzang-Biografie, den gepflegten Stil des chinesischen Originals auch in der Syntax nachzuahmen. Verkürzungen und Erweiterungen kommen zwar sporadisch vor, sind aber nicht mit den Zusätzen des Goldglanzsūtras zu vergleichen. Von Bedeutung ist aber die Tatsache, dass der Übersetzer gelegentlich eine inhaltliche Redaktion des Textes vorgenommen hat, indem er z. B. Passagen daoistischen Inhalts der chinesischen Vorlage buddhistisch interpretiert oder ganz ausgelassen hat.27 Die Übersetzung des Kšanti kılguluk nom bitig aus dem chinesischen Cibei daochang chanfa geht auf Küntsün Šäli Tutuŋ zurück. Wie Šiŋko Šäli Tutuŋ stammte er aus Bešbalık (chines. Beiting), der Sommerresidenz des Westuigurischen Königreichs. Das Kšanti kılguluk nom bitig hat einen ausgesprochen rituellen Charakter, der durch immer wieder einsetzende Anrufungen von Buddhanamen noch unterstrichen wird. Viele typische Mahāyānawerke wie der Vimalakīrtinirdeśa, das Buddhāvataṃsakasūtra, einige Werke der PrajñāpāramitāLiteratur28, die Hauptwerke des Buddhismus des Reinen Landes (Großes und Klei22 Auch die buddhistische Kunst der Uiguren der Turfan-Region beruht zu einem wesentlichen Teil auf den Traditionen der Tang-Dynastie. Siehe Konczak 2014: 219–226, wo aber auch die stilistischen Unterschiede herausgearbeitet werden. 23 Dieses Werk liegt in einer großen Abschrift vor, von der Teile in den Sammlungen in Paris, Peking und St. Petersburg aufbewahrt werden. Daneben gibt es einzelne Fragmente weiterer Abschriften. 24 Edition in Wilkens 2007. 25 Das Goldglanzsūtra steht in seiner auf Yijings Übersetzung basierenden Fassung dem esoterischen Buddhismus nahe. 26 Hinzu kommen noch ein spezielles Vorwort und die so genannten süü-Texte, also die zum Einleitungsteil gehörigen Textabschnitte, für die sich Parallelen in Texten nachweisen lassen, die nicht mit der chinesischen Vorlage der uigurischen Übersetzung, der Fassung von Yijing, in Beziehung stehen. Zur Textgeschichte dieser Zusätze vgl. Zieme 1996a: 6–9. In der Petersburger Abschrift des Goldglanzsūtras wurde aus unbekannten Gründen im 3. Kapitel ein Abschnitt aus dem 5. Kapitel inkorporiert, der aus dem Tibetischen übersetzt wurde. Vgl. Wilkens 2000: 30–36. 27 Aydemir 2013, I: 19–20. 28 Yakup 2010.

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nes Sukhāvatīvyūhasūtra, Guan wuliang shou jing29) und andere dürften ausschließlich aus dem Chinesischen übersetzt worden sein. Bislang konnte nicht nachgewiesen werden, dass Khotan, das Zentrum des Mahāyāna an der Südroute der Seidenstraße, auf die uigurische Mahāyāna-Literatur ausgestrahlt hätte, obwohl es in Khotan ansässige Uiguren gab. Von besonderer Bedeutung waren bei den Uiguren das Vajracchedikasūtra und die ihm gewidmeten Kommentare, von denen die so genannte Fu-Vajracchedikā hervorzuheben ist. Dieser Verskommentar lag bei den Uiguren in zwei Versionen vor: erstens in einer Fassung, die sowohl die gāthās („Verse“) als auch den Sūtratext enthält, und zweitens in einer reinen gāthā-Fassung.30 Für Letztere konnte bisher noch keine chinesische Vorlage nachgewiesen werden, obwohl eine solche sicher einmal existiert hat.31 Ein weiterer Kommentar, der bisher nur durch zwei Fragmente repräsentiert ist, zeigt enge Übereinstimmungen mit dem chinesischen Kommentar von Li Wenhui, der erst im 12. Jahrhundert entstanden ist.32 Trotz mancher Abweichungen wurde das in zwei unterschiedlichen Rezensionen vorliegende Säkiz Yükmäk Yaruk ebenfalls aus dem Chinesischen übertragen.33 Es existieren zahlreiche Abschriften und Blockdrucke von diesem Text,34 der auch auf Tibetisch und Mongolisch überliefert ist. Ein uigurischer Kommentar zu diesem Werk, der bislang ohne Parallele in der buddhistischen Literatur in anderen Sprachen ist, ist in einem Fragment erhalten.35 Das Säkiz Yükmäk Yaruk schildert in einfachen Worten, wie diejenigen, die dessen Lehren beherzigen, vor Gefahren beschützt werden und schließlich dem Geburtenkreislauf entkommen. Diejenigen, die Irrlehren anhängen, würden von Dämonen, bösen Geistern und Unheil verkündenden Tieren heimgesucht. Neben weltlichen Vorteilen wie der Vermehrung von Reichtum verspricht das Werk aber auch positive Auswirkungen auf die Phase nach dem Tod. Ähnlich häufig wurden nur das Goldglanzsūtra und das Kšanti kılguluk nom bitig vervielfältigt. Das zuletzt genannte Werk zählt ebenso wie das Säkiz Yükmäk Yaruk zu den so genannten Apokryphen. Der chinesische Buddhismus gehörte schon von Beginn an zum religiösen Umfeld der Uiguren, als sie im Tarim-Gebiet eintrafen. Seit der frühen Tang-Zeit ist er für das Klosterleben in der Region Kučā36 und in der Turfan-Oase sogar schon im 4. Jahrhundert von Bedeutung gewesen, wo er die Unterstützung der lokalen Dynastien genoss.

29 30 31 32 33 34

Von diesem Text existiert eine versifizierte Fassung. Siehe Zieme/Kudara 1985. Yakup 2010: 47. Yakup 2010: 49. Yakup 2010: 201. Edition in Oda 2015. Die so genannte Londoner Rolle des Säkiz Yükmäk Yaruk gehört zu den ältesten Texten der buddhistischen Literatur der Uiguren (Laut 1986: 78–88). Bis in die Mongolenzeit behielt das Werk seine Bedeutung. 35 Oda 1998. 36 Pinault 1994: 100.

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Für die Uiguren sollte er seine herausgehobene Stellung bis ins 14. Jahrhundert bewahren, in einer Zeit also, als eine Vielzahl von Texten aus dem Tibetischen übertragen wurde. In dieser Periode stellte der uigurische Buddhismus eine wichtige Quelle des mongolischen Buddhismus dar,37 dessen Terminologie zu einem wesentlichen Teil über das Uigurische vermittelt wurde.38 Texte des esoterischen bzw. tantrischen Buddhismus wurden – wie auch bekannte Schutzzauber (Āṭānāṭikasūtra und Āṭānāṭikahṛdaya, Pañcarakṣā) und andere Ritualtexte39 – vorwiegend, aber nicht ausschließlich, in der Spätzeit übertragen. Vermutlich in das 12. Jahrhundert ist das bekannte Manuskript des Dišastvustik (skt. Diśāsauvāstika) zu datieren, dem später Brāhmī-Glossen zu den indischen Fremdwörtern hinzugefügt wurden. Wie das Āṭānāṭikasūtra ist es, was das Umfeld seiner Entstehung anbetrifft, dem nikāya-Buddhismus zuzurechnen. In welchen Kreisen das Dišastvustik bei den Uiguren tradiert wurde, ist noch nicht erforscht. Angegliedert an die Geschichte von Trapuṣa und Bhallika enthält der Text dhāraṇīs („wirkmächtige Formeln“) und Segenssprüche der Himmelsrichtungen, wobei zahlreiche Namen, unter anderem von yakṣas, aufgelistet werden. Unter den Sanskrithandschriften aus den Turfan-Funden gibt es einige Fragmente, die eine Parallele darstellen. Weitere Übereinstimmungen konnten kürzlich im auf Chinesisch überlieferten Vinaya der Mahāsāṃghikas nachgewiesen werden. Dennoch konnte die genaue Vorlage des uigurischen Textes noch nicht ermittelt werden.40 In der Spätphase der uigurisch-buddhistischen Literatur entstanden zahlreiche Stabreimdichtungen, d. h. Texte mit Zeilenalliteration, in denen auf kreative Weise bekannte buddhistische Themen poetisch verarbeitet wurden. Diese sind bereits für die älteste manichäische Literatur der Uiguren bezeugt, doch hat offenbar der Kontakt mit den mongolischen Machthabern die Vorliebe für derartige poetische Erzeugnisse intensiviert, denn auch die Mongolen pflegten diese Art von Literatur. Kann die buddhistische Literatur der Uiguren generell als weitgehend rezeptivadaptiv charakterisiert werden, so ermöglichte ihnen das Medium der Stabreimdichtung größere künstlerische Freiheiten. Die Bildersprache kann auch in buddhistischem Kontext bisweilen ausgesprochen militärisch sein41 – ein Hinweis auf die enge Verflechtung des uigurischen Adels mit dem Buddhismus. Der spezifisch regionale Charakter des uigurischen Buddhismus tritt in der Literaturgattung der Stabreimdichtungen besonders deutlich hervor.42

37 Vgl. den Beitrag von Klaus Sagaster in diesem Band. 38 Shōgaito 2003. 39 Eine Sammlung von neun Schutzzaubern und Ritualtexten stellt die Edition von Zieme 2005 dar. Einige haben prononcierte astrologische Bezüge, andere handeln von der Herstellung von Amuletten, geweihten Bildnissen oder maṇḍalas. 40 Neuedition der Handschrift in Yakup 2006. Zu einer ausführlichen Diskussion der Parallelstellen vgl. ebd. 11–28. 41 Vgl. das Beispiel in Zieme 1989a: 446–447. 42 Eine mustergültige formale und inhaltliche Analyse dieser Art von Literatur stellt die Arbeit von Zieme 1991 dar.

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3. Religiöse Bewegungen und Schulen Bislang gibt es wie erwähnt keine Hinweise auf eine historiografische Literatur des uigurischen Buddhismus im engeren Sinne. Allerdings ist kürzlich eine Art Chronik veröffentlicht worden, die sehr detaillierte Informationen über buddhistische Konzile und literarische Hauptwerke des indischen Buddhismus enthält.43 Die Verhältnisse im Ursprungsland des Buddhismus waren wohl von höherem Interesse für die Autoren als Schulbildungen im uigurischen Buddhismus. Eine enge Vertrautheit der Uiguren mit zahlreichen Schulrichtungen des Buddhismus und den von diesen vertretenen Lehren verrät der bedeutendste uigurische Abhidharma-Text, eine Übersetzung von Sthiramatis Abhidharmakośabhāṣyaṭīkā Tattvārthā. Dieses Werk stellt einen Kommentar zu Vasubandhus Abhidharmakośabhāṣya dar.44 Das zentrale Werk des frühen uigurischen Buddhismus, die Maitrisimit, verweist neben Aussagen in Kolophonen zu anderen Werken auf die Popularität des Maitreya-Kultes bei den Uiguren schon in der frühen Phase ihrer Buddhisierung. Bis in die Spätzeit sollte der Maitreya-Kult bei den Uiguren aufrechterhalten werden, wenngleich in einer von der frühen Phase abweichenden Ausrichtung.45 Ein von einer dhāraṇī gefolgter Maitreya-Lobpreis ist in Form eines Stabreimgedichtes erhalten, das unter anderem eine Beschreibung von Maitreyas Palästen im TuṣitaHimmel bietet.46 Kürzlich konnte gezeigt werden, dass es bei vielen Texten, so auch bei der Maitrisimit, schwierig oder gar unmöglich ist, die Schulzugehörigkeit zu bestimmen.47 Selbst die Grenzen zwischen „Hīnayāna“ und Mahāyāna können fließend sein.48 Zudem lässt sich feststellen, dass von Beginn an unterschiedliche religiöse Bewegungen und Schulen nebeneinander bestanden haben. Legt man paläografische und sprachliche Kriterien zu Grunde, die auf ein hohes Alter einer Abschrift hindeuten, so zeigt sich, dass auch sehr alte Manuskripte bereits eine Nähe zum esoterischen Buddhismus verraten können. Ein Beispiel ist ein Fragment einer uigurischen Übersetzung des Bhaiṣajyagurusūtra.49 Wir wissen, dass Bhaiṣajyaguru auch bei den Sogdern eine der wichtigsten religiösen Funktionsgestalten war,50 so dass hier möglicherweise ein Zusammenhang besteht.

43 Zieme 2014. 44 Die wichtigste Handschrift, die in der British Library aufbewahrt wird (Or. 8212–75 A und B), enthält das erste Buch dieses Textes und Teile des vierten. Die beste Orientierung über die Charakteristika der uigurischen Version in einer westlichen Wissenschaftssprache bietet immer noch Shōgaito 1996. 45 Siehe ausführlich hierzu Kasai 2013. 46 Zieme 1985: 114–120 (Text 19). 47 Hartmann 2013. 48 Hartmann 2013: 45. 49 Zieme 1989b. 50 Yoshida 2009: 293.

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Im Allgemeinen nimmt man an, dass der tocharische Buddhismus vor allem vom Sarvāstivāda bestimmt war51 und dass auch die aus dem Tocharischen ins Uigurische übersetzten Texte dieser Schulrichtung zugehören könnten. Die Erzählungssammlung Daśakarmapathāvadānamālā enthält aber ausführliche Passagen zur Bodhisattva-Ethik sowie einen Abschnitt, der davon handelt, dass derjenige, der einen anderen davon abhält, die Buddhaschaft zu erlangen, einen potenziellen Buddha tötet. Wie in der Maitrisimit lässt sich auch in diesem Text in einigen Passagen Gedankengut nachweisen, das dem des Mahāyāna verwandt ist, ohne jedoch ein ausgesprochenes Mahāyāna-Werk zu sein. In Anbetracht der künstlerischen Darstellungen und der relativen Datierung der erhaltenen Textfragmente (Kleines und Großes Sukhāvatīvyūhasūtra, Guan wuliang shou jing) ist davon auszugehen, dass der Buddhismus des Reinen Landes sich erst in der klassischen Phase (11. bis frühes 13. Jahrhundert) der buddhistischen Literatur bei den Uiguren herauszubilden begann. Ein wesentlicher Beitrag des Amitābha-Kultes bei der Buddhisierung der Uiguren im 10. Jahrhundert wurde kürzlich postuliert,52 doch lässt sich diese Annahme bisher nicht beweisen. Eine Buddha Amitābha gewidmete Höhle in Toyok wird in einigen späten uigurischen Dokumenten, die mit diesem Ort in Beziehung stehen, als vihāra (uigur. va(r)har) bezeichnet.53 Man hat darauf hingewiesen, dass als Herkunftsorte der mit dem Buddhismus des Reinen Landes in Verbindung stehenden uigurischen Texte ansonsten die Fundstätten von Sängim, Murtuk, Yarkhoto und die Ruinen α und μ in Kočo bekannt sind, so dass die aus sechs Fragmenten bestehende Textgruppe aus der „Amitābha-Höhle“ in Toyok einen weiteren wichtigen Hinweis auf die Verbreitung des Buddhismus des Reinen Landes bei den Uiguren gibt.54 Neben literarischen Zeugnissen und Werken der bildenden Kunst liegen noch weitere Quellen zum Buddhismus des Reinen Landes vor. Hierzu zählt z. B. die in Stabreimversen abgefasste Pilgerinschrift auf einem Wandgemälde mit Höllendarstellungen, die mit „Anrufung des Sukhāvatī-Reiches“ (sukavati ulušnuŋ okıtıgı) betitelt ist und auf die Verfasser Dharmaśrī und Taypodu zurückgeht.55 Von großer Popularität in der Yuan-Zeit war das dem esoterischen Buddhismus in weiterem Sinne zugehörige Āryāparimitāyurjñānanāmamahāyānasūtra, das in zahlreichen Blockdruck- und einigen Manuskriptfragmenten erhalten ist. Das unter dem Kurztitel Abitaki (< chines. Amituo jing) bekannte Werk gehört zu den umfangreichsten Zeugnissen der buddhistischen Literatur der Uiguren. Dieser dem Buddha Amitābha gewidmete Text wurde bisher nur in Auszügen ediert. Eine Vorlage wurde bisher nicht identifiziert. 51 52 53 54 55

Pinault 1994: 85. Matsui 2010: 705. Matsui 2010: 704. Matsui 2010: 705. Zieme 1985: 189f. (Text 59).

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Der Huayan-Buddhismus ist bei den Uiguren vertreten durch Übersetzungen verschiedener Fassungen des Buddhāvataṃsakasūtra und des Samantabhadracaryāpraṇidhāna sowie durch eigene Dichtungen des bekannten Übersetzers Anzang (gestorben 1293) aus Bešbalık, der unter Qubilai wirkte.56 Peter Zieme konnte zeigen, dass Bilder und Texte der Mogao-Höhle B 464 (Nr. 181 in Paul Pelliots Nummerierung) mit dem Gaṇḍavyūhasūtra, einem Abschnitt des Avataṃsakasūtra, in Beziehung stehen.57 Wie die Huayan-Schule dürfte sich auch der Chan-Buddhismus, der z. B. durch Fragmente des Yuan yue jing und Kommentare zu diesem Text bei den Uiguren repräsentiert ist, nicht vor dem 12. Jahrhundert verbreitet haben. Yutaka Yoshida hat darauf hingewiesen, dass die sogdischen Versionen des Vajracchedikasūtra und des Vimalakīrtinirdeśa in Chan-Kreisen tradiert worden sein könnten.58 Diese Hypothese wäre für die uigurischen Fassungen beider Texte und der ihnen zugehörigen Kommentare ebenfalls zu überprüfen. Neben dem Buddhismus des Reinen Landes, der Huayan-Schule und der Tradition des Chan beruhte auch die Faxiang-Tradition, eine östliche Variante des Yogācāra, die von Xuanzangs Schüler Kuiji (632–682) begründet wurde, auf chinesischen Vorbildern, als sie bei den Uiguren eingeführt wurde. Neuerungen der religiösen Landschaft der Turfan-Oase sind spätestens ab dem 11./12. Jahrhundert offenbar nicht ohne Impulse aus Dunhuang zu erklären. Die Idee der mit den zehn Königen der Unterwelt verbundenen Purgatorien strahlte von Dunhuang auch in die Turfan-Region aus. Es ist noch unklar, wie viele uigurische Fassungen des Textes mit dem Kurztitel Shi wang jing („Sūtra der Zehn Könige“) vorliegen.59 Die illustrierten Manuskripte zeigen eine starke Affinität zu den chinesischen Testimonien aus Dunhuang. In der Spätzeit, als man meist Texte aus dem Tibetischen übertrug, ist eine Hinwendung zum esoterischen und tantrischen Buddhismus festzustellen.60 Hierauf weisen nicht nur die Funde aus der Turfan-Oase, sondern auch die neu entdeckten uigurischen Handschriften und Inschriften aus den Nördlichen MogaoGrotten bei Dunhuang hin. Gerade im Bereich der Terminologie führte dies zu einer Reihe von Neuerungen und einer Erweiterung des Wortschatzes. Einige monastische Namen und Titel sind tibetisch. Aber dhāraṇīs und Amulette enthaltende Texte wurden vielfach aus dem Chinesischen übersetzt. Mit der Übertragung des Sūtras des Großen Bären (Yetikän Sudur) verbreiteten sich auch daoistisch beeinflusste Lehren bei den Uiguren. Die Sa-skya-pa-Schule, die in den ersten Jahrzehn-

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Zieme 1992: 35. Zieme 2013a: 422–426. Yoshida 2009: 316. Vgl. vorerst Zieme 1996b. Eine erweiterte Neubearbeitung von Simone-Christiane Raschmann und Peter Zieme befindet sich in Vorbereitung. 60 Auch in der uigurischen Kunst etablierte sich ein tibeto-mongolischer Stil. Siehe Konczak 2014: 220–224.

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ten der Yuan-Dynastie bei den Mongolen dominierte, hat sich unter mongolischer Patronage auch bei den Uiguren etablieren können. So erwähnt ein als Zauberritual bekannter Text des Cakrasaṃvara-Zyklus eine Sukzession von Gurus, die eindeutig auf diese Schule verweist.61 Ein Guruyoga des Sa-skya-Paṇḍita (1182–1251) ist ebenfalls in uigurischer Übersetzung erhalten.62

4. Alltagsrelevanz Die bedeutende Rolle der Stifter im uigurischen Buddhismus ist in verschiedenen Studien herausgearbeitet worden.63 Ohne die finanziellen Zuwendungen an buddhistische Klöster und andere Institutionen wären die Aufrechterhaltung der monastischen Kultur und die Entwicklung der buddhistischen Literatur und Kunst nicht denkbar gewesen. Finanzielle Aufwendungen zur Herstellung kostbarer, bisweilen illustrierter Manuskripte und Wandmalereien erlaubten den Stiftern, religiöses Verdienst zu erwerben. Die Kunstwerke und Handschriften dienten aber sicher auch der Repräsentation. Die Patronage der Herrscherfamilie im Westuigurischen Königreich ist besonders hervorzuheben. Die Hinwendung des uigurischen Königs (ıdok kut) und seiner Familie sowie des Adels zum Buddhismus dürfte Ende des 10. Jahrhunderts erfolgt sein.64 Stifterporträts aus der Turfan-Oase dokumentieren die enge religiöse Bindung des uigurischen Adels an den Buddhismus. Ferner sind die Aktivitäten uigurischer Prinzessinnen als Förderinnen des Buddhismus in Dunhuang für das 10. und 11. Jahrhundert bezeugt.65 Die Ausgestaltung der Höhlen mit buddhistischen Malereien und die Restaurierung der Anlagen waren nur durch Förderung der lokalen Dynastie möglich. Dies gilt auch für das Westuigurische Königreich und die Höhlenanlagen von Bäzäklik, Sängim und Toyok bei Turfan. Auch weiter westlich, in der Region Kučā, traten Uiguren als Förderer des Buddhismus auf, worauf etwa die uigurischen Stifterporträts in Höhle 79 von Kumtura hinweisen.66 Patronage des uigurischen Buddhismus durch die kaiserliche Familie war noch in der Mongolenzeit unter den Yuan und unter den östlichen Čaγatai gegeben. Neben Laien traten aber auch Mönche als Stifter in Erscheinung. Außer den Kolophonen, die recht ausführlich sein können, sind Stifterbilder einschließlich der manchmal beigefügten Namen, Weihinschriften (z. B. auf Tem61 62 63 64 65 66

Kara/Zieme 1976: 31–63 (Text A). Kara/Zieme 1977: 29–64 (Text A). Siehe ausführlich Zieme 2013b, wo auch ältere Literatur zum Thema verzeichnet ist. So Moriyasu 2003a: 98. Russell-Smith 2005. Yan 2009.

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pelfahnen) und Pilgerinschriften wichtige Quellen der persönlichen Frömmigkeit uigurischer Buddhisten. Im Gegensatz zum überwiegenden Teil der Manuskripte sind diese Zeugnisse für einen einmaligen Anlass hergestellt worden. Weih- bzw. Stifterinschriften auf Tempelfahnen stammen vor allem aus der Turfan-Region. Oft handelt es sich nur um Fragmente, doch ist der rituelle Hintergrund einiger Tempelfahnen durch beigegebene dhāraṇīs deutlich.67 Es lassen sich aber auch spezielle religiöse Funktionsgestalten identifizieren, die auf den Fahnen dargestellt sind oder sogar im zugehörigen Inschriftentext selbst erwähnt werden. Eine Stifterinschrift erwähnt beispielsweise, dass die Veranlasser ein Bildnis des Bodhisattva Cintāmaṇicakra Avalokiteśvara in Auftrag gegeben haben. Zugleich geben sie ihrer Hoffnung Ausdruck, im Tuṣita-Himmel wiedergeboren zu werden und in Zukunft mit Buddha Maitreya zusammenzutreffen.68 Verschiedene Erscheinungsformen des Bodhisattva Avalokiteśvara sind in der uigurischen Kunst nachweisbar. Auf Bannern ist besonders der tausendarmige Avalokiteśvara häufig dargestellt,69 und auch die Kultbilder der Tempel 15 und 20 in Bäzäklik sind als diese spezielle Erscheinungsform zu interpretieren.70 Verschiedene Texte sind Avalokiteśvara gewidmet, die teilweise noch der Edition harren. Neben dem als eigenständiger Text überlieferten 25. Kapitel des Saddharmapuṇḍarīkasūtra sind unter den publizierten Werken vor allem die Lobpreisdichtungen zu nennen, die diesen Bodhisattva verherrlichen.71 Die Anzahl der an verschiedenen Fundorten in Xinjiang und Gansu (z. B. in der Turfan-Oase, den Nördlichen Mogao-Grotten, den Yulin-Höhlen oder den Wenshushan-Grotten) angebrachten uigurischen Pilgerinschriften ist beträchtlich, doch bereitet deren Interpretation nicht selten Schwierigkeiten. Inschriften in nord-turkestanischer Brāhmī stammen nicht nur aus dem westlichen Tarim-Becken, aus Kizil und Kumtura, sondern auch aus der Turfan-Oase. Die Namen und Titel in einigen Inschriften deuten auf monastische Provenienz der Verfasser hin.72 Weiter östlich, z. B. aus Bäzäklik, Toyok, den Nördlichen Mogao- oder den Yulin-Grotten, sind Pilgerinschriften in uigurischer Schrift bekannt. Diese können teilweise sogar in Stabreimen abgefasst sein,73 die vermutlich spontan aus

67 Auch andere Texte, wie etwa einige Amulette, haben einen ausgesprochen rituellen Charakter und sind nicht selten mit Opfern verbunden. 68 Museum für Asiatische Kunst, Berlin (Signatur MIK III 6286). Vgl. die Edition und Übersetzung in Moriyasu 2003b: 463a-b. 69 Bhattacharya-Haesner 2003, Kat.-Nr. 206–239. 70 Konczak 2014: 228–270. 71 Zieme 1985: 121–126, 126–130, 132, 132–134 (Texte 20, 21, 23, 24). Text 24 ist ein Lobpreis auf eine spezifische Erscheinungsform des Bodhisattva: Amoghapāśa. Ein in Kursive beschriebenes Faltbuch ist Guanyin auf der Lotus-Mondscheibe gewidmet. Kara/Zieme 1976: 67f. (Text C, ein Avalokiteśvara-Sādhana). Auch Text B (Kara/Zieme 1976: 63–67) ist ein Avalokiteśvara-Sādhana. 72 Maue 1996, Kat.-Nr. 72, 74, 76, 77. Die erstgenannte Inschrift kombiniert Brāhmī mit uigurischer Schrift. 73 Zieme 1985: 190–192 (Text 60).

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dem Stegreif angefertigt wurden.74 Oft haben sich die Pilger – teilweise als Gruppe wallfahrend – mit Namen verewigt. Zentrale Themen, die sich aus diesen Quellen für die Alltagsrelevanz herausschälen lassen, sind Schutz vor Nöten und Gefahren, Dämonenabwehr, Tilgung schlechten karmas durch „Sündenbekenntnis“ und Einflussnahme auf die eigene nächste Wiedergeburt, aber auch Verbesserung der „Lebensumstände“ der verstorbenen Verwandten, Erwerb und Übertragung von Verdienst (skt. puṇyapariṇāma), Ausdruck von Mitfreude (skt. anumodana) oder Stärkung der Schutzgottheiten. Einige Inschriften verweisen auf Gelübde, die vor bestimmten Buddhas oder Bodhisattvas abgelegt wurden. Im Falle der Pilgerinschriften dürfte ein solches Gelübde der eigentliche Anlass für den Besuch einer Kultstätte gewesen sein. In Inschriften und Kolophonen richtet sich die Aufmerksamkeit nicht selten auf die Verstorbenen. Durch Übertragung von Verdienst helfend zum Wohl der verstorbenen Familienmitglieder einzugreifen, war ein wichtiger Aspekt der religiösen Praxis von Laienanhängern. Ein weiterer Grundpfeiler des Laienbuddhismus bei den Uiguren war die Beichte. Ein im Wortlaut nicht klar festgelegter Text, der unter dem Titel Kšanti kılmak (nom bitig) bekannt ist, weist in seiner Formelhaftigkeit Gemeinsamkeiten mit manichäischen Beichtformularen auf, ohne dass eine gegenseitige Abhängigkeit zwingend ist. Neben dem oben erwähnten Kšanti kılguluk nom bitig und dem deśanā-Kapitel des Goldglanzsūtras, von dem auch eine Dichtung in Stabreimen existiert,75 stellt das Kšanti kılmak (nom bitig) das wichtigste Beichtformular dar. Leerformeln boten uigurischen Spendern die Möglichkeit, ihre Namen bei Vervielfältigung der Manuskripte von Kšanti kılguluk nom bitig und Kšanti kılmak (nom bitig) eintragen zu lassen. Sie sind eine wichtige Quelle der Erforschung des Laienbuddhismus. Wegen ihres Modellcharakters als Ausdruck der Frömmigkeit waren die vyākaraṇa-Texte sicherlich so populär. Im Gegensatz zu den ebenfalls in Zentralasien sehr geschätzten Jātakas und Avadānas setzten jene nicht unbedingt die Virtuosenreligiosität der Selbstaufopferungsgeschichten voraus. Auch die uigurische Kunst bezeugt die Populärität der Prophezeiungslegenden, die in ihrem Motivinventar vielfach auf die tocharische Kunst Kučās rekurrieren. Der dominante Bildtypus in den Höhlen von Bäzäklik, in den Ruinen α, β und V in Kočo sowie in Tempel 1 und Höhle 9 in Šorčuk war die Prophezeiungsdarstellung, die in der auf Albert Grünwedel fußenden Forschung früher als Praṇidhi-Bild bezeichnet wurde.76 Unterschiedliche Typen von Dokumenten erlauben Einblicke in das tägliche Leben buddhistischer Gemeinden. Dies sind z. B. persönliche Briefe und offizielle Schreiben, Urkunden, Erlasse und dergleichen mehr. Oft sind es nur monastische

74 So Zieme 1992: 33. 75 Zieme 1985: 86–103 (Text 13). 76 Siehe noch Konczak 2014, v. a. Kap. 3.

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Personennamen oder Namen von Klöstern, die eine Zuschreibung zu einem buddhistischen Umfeld ermöglichen. Durch diese Texte lässt sich manchmal die Lage eines bestimmten Klosters ermitteln. Aus manchen Texten wird deutlich, welche Rolle Klöster im ökonomischen Leben der Turfan-Region gespielt haben. Wir wissen aus vereinzelten Quellenzeugnissen, dass Klöster durch offizielle Erlasse von Steuern und Abgaben befreit werden konnten, oder auch welche ihrer landwirtschaftlichen und ökonomischen Aktivitäten eruiert werden können, was an Almosenspenden einging oder welche Stiftungen es gab.77 Auch im rituellen Bereich können persönliche Dokumente erhellend sein. So bittet der Adressant Samzun in einem Brief aus Toyok einen namentlich nicht genannten Mönch um die Übersendung von Kultfiguren von Vajravidāraṇa, Vajrapāṇi und Marīcī sowie um weitere rituelle Requisiten. Die Handschrift ist ziemlich sicher in die Yuan-Zeit zu datieren.78 Kultisch-rituelle Verrichtungen werden nicht nur in den eigentlichen Ritualtexten esoterischen oder tantrischen Charakters beschrieben, manchmal werden auch in literarischen Werken wie der Maitrisimit religiös motivierte Handlungen wie das Baden von Buddha-Bildnissen, das Bekleben der Statuen mit Blattgold oder deren Verehrung mittels Räucherwerk en passant erwähnt.79 Die Technik des Blockdrucks, die in der Mongolenzeit zur Anwendung kam, hat es den Uiguren ermöglicht, Texte in großer Anzahl zu vervielfältigen. Einzelne gedruckte Blätter konnten als wenig kostspielige Gebete oder Gaben den Gläubigen zum persönlichen Gebrauch leicht zugänglich gemacht werden.80 Andere Stiftungen sind sicher mit einem beträchtlichen finanziellen Aufwand verbunden gewesen. So weist in einem Kolophon der Stifter Buyančog Bahšı, der sich explizit als Laienanhänger bezeichnet, darauf hin, dass er an einem poṣatha-Tag, am achten Tag des sechsten Monats, sechs Werke drucken ließ.81 Auch andere Kolophone erwähnen, dass bestimmte Texte an einem poṣatha-Festtag vervielfältigt, gelesen oder kollationiert wurden.82 Das Bild, das die buddhistischen Quellen hinsichtlich der buddhistischen Feiertage zeichnen, ist differenziert zu betrachten. So sind die Aussagen in Inschriften und Kolophonen grundsätzlich viel verlässlicher als die Angaben in den literarischen Werken. In der Maitrisimit werden z. B. verschiedene Feiertage erwähnt, die mit der Biografie Maitreyas in Zusammenhang stehen. Ob diese tatsächlich auch Alltagsrelevanz hatten, lässt sich nur schwer beurteilen. In einer vyākaraṇa-Dichtung, die Termini, Eigennamen und Syntagmen auf Sanskrit in Brāhmī-Schrift enthält, wird auf die pravāraṇā-Feier Bezug genommen, und zwar

77 Vgl. Raschmann 2007, Kat.-Nr. 26, 45, 50, 53, 57, 58, 62, 88; Raschmann 2009, Kat.-Nr. 273, 302, 305, 306, 312, 346. 78 Edition in Zieme 1995. 79 Tekin 1980 I: 142 (Taf. 51 recto 1–5). 80 Zieme 1995–96: 409. 81 Vgl. Zieme 1995–96: 414f. 82 Belegstellen im Glossar zu Kasai 2008: 315 s.v. posat bačag kün.

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auf den Ebenen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.83 In dieser Dichtung werden vergangene Ereignisse zur Zeit des Buddha Kṣemaṅkara mit den Protagonisten König Reṇu nebst Gattin Prabhāvatī mit solchen der Lebenswirklichkeit Kočos und wiederum solchen der Zukunft bei der Herabkunft Maitreyas verknüpft. Die Sommerresidenzpflicht und die anschließende pravāraṇā-Zeremonie bilden das einende Band. Dies unterstreicht die Bedeutung der Feier für den Zusammenhalt von Saṅgha und Laien. Die pravāraṇā-Feier bildet den Hintergrund einer weiteren Stabreimdichtung.84 Auch das aus später Zeit (ca. 14. Jahrhundert) stammende Insadi-Sūtra, eine spezifisch uigurische Textsammlung in Prosa und Versen, steht in enger Beziehung zu dieser Zeremonie.85

5. Ausblick Viele Bereiche des uigurischen Buddhismus wurden bisher erst in Ansätzen untersucht. Hierzu zählt auch die komplexe philosophische Terminologie.86 Die Etymologie, Semantik und der Bedeutungswandel zentraler religiöser Begriffe ist ebenfalls bislang nur zum Teil erforscht. So wurde als Grundbedeutung von yagıš in dem Standardwerk zur Etymologie türkischer Sprachen von Gerard Clauson „Libation“ angesetzt und eine Ableitung von dem Verbum yag- „gemeinsam herabfließen“ vorgeschlagen.87 In buddhistischen Texten bedeutet yagıš hingegen generell „Opfer, Spende“, auch in Zusammenhang mit der Almosengabe. Das etymologisch zur selben Wortsippe gehörige Verbum ist aber yaga- „opfern“ und nicht yag-. Auch das Selbstopfer eines Bodhisattva kann mit der figura etymologica yagıš yaga„ein Opfer darbringen“ bezeichnet werden. Das Verbum yaga- ist eine denominale Ableitung von yag „Fett“.88 Viel Spekulatives wurde auch bezüglich des Begriffes yaŋı kün vorgebracht. Eine kontextbasierte Untersuchung hat nun gezeigt, dass die Bedeutungen „Feiertag, Zeremonie, Wunder, Spektakel“ zu unterscheiden sind.89 Ebenfalls wenig erforscht und schwer nachzuweisen ist ein vormanichäisches Substrat im uigurischen Buddhismus. Ein Fortleben indigen-türkischer religiöser Vorstellungen und Praktiken im Verbreitungsgebiet des Buddhismus ist aber 83 84 85 86

Siehe Laut/Zieme 1990. Zieme 1985: 103–105 (Text 14). Tezcan 1974. Vgl. etwa die Aufsätze von Röhrborn 1986; 2010–11; 2012–13 und die Arbeiten zur Abhidharma-Literatur von Shōgaito 1996; 2003. 87 Clauson 1972: 908a. 88 Erdal 1991: 426–427. 89 Wilkens 2013.

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wahrscheinlich.90 Gegen religiöse Spezialisten fremder Traditionen wird in uigurischen Texten mehrfach polemisiert. In einem der Höllenkapitel der Maitrisimit kommen unterschiedliche Höllenwesen zu Wort. Eine Gruppe trifft folgende Feststellung: „Als wir früher in der Menschen-Existenz waren, waren wir Magier (kam), Zauberer (bügülängüči) und Zeichendeuter (bälgü sözlädäči). [Wegen] Ehre und Gewinn sprachen wir nichtige, verlogene Worte. Wir sagten, dass Nichtseiendes vorhanden und Seiendes nicht vorhanden sei. Wir sagten, dass wir Dinge gesehen hätten, die wir aber weder gesehen noch gehört hatten. Kraft dieser schlechten Tat wurden wir in den Großhöllen wiedergeboren.“91 Interessant ist an diesem Passus die erstgenannte Kategorie, denn der traditionelle Terminus für einen Schamanen lautet in einigen modernen türkischen Sprachen noch heute kam. Ein zeitgenössischer Leser wird diese Textstelle gewiss auf religiöse Spezialisten der nicht-buddhistischen religiösen Umwelt bezogen haben. In einer Aufzählung von Schutzgottheiten indischer Provenienz wird, wiederum in der Maitrisimit, auch der Schutzgott des heiligen Landes Kočo (kutlug kočo uluš kutı) erwähnt.92 Diese religiöse Funktionsgestalt entstammt sicherlich einem vorbuddhistischen Substrat. Eine in ganz Innerasien verbreitete Technik des Regenzaubers, der von religiösen Spezialisten mit Hilfe von speziellen Steinen durchgeführt wurde, ist auch in uigurischen buddhistischen Texten in Spuren nachweisbar.93 Hierin ist ebenfalls ein Substrateinfluss zu sehen. Ein bereits vor der Bekehrung der Herrscherschicht der Uiguren zum Manichäismus bestehendes sakrales Königtum wird z. T. in der Forschung postuliert.94 Da die Titulatur der Könige des Westuigurischen Königreichs den Begriff ıdok kut (etwa „Heilige Majestät“) umfasst, ist eine Kontinuität indigener alttürkischer Konzeptionen des kut („Charisma, Glücksglanz, Majestät“) und damit verbundener Bezüge zu einem sakralen Königtum noch bis in die mongolische Zeit hinein in buddhistischen Kreisen denkbar.95 Zum Abschluss dieses kurzen Überblicks ist noch darauf hinzuweisen, dass eine turkophone Gruppe bis ins 20. Jahrhundert dem tibetischen Buddhismus anhing. Die Rede ist von den Gelbuiguren in Gansu, die zur Nationalität der Yugur gehören, von denen andere Bevölkerungsteile eine mongolische Sprache sprechen, wieder andere Chinesisch bzw. Amdo-Tibetisch. Vor der Kulturrevolution entstandene, auf Feldforschung beruhende Studien wie die von Hermanns sprechen von einer oberflächlichen Überformung durch den Buddhismus.96 Erst in der Gegen90 Zu einer Skizze der Religion der Alttürken siehe den Aufsatz von Jettmar 2003. 91 Kapitel 20, Blatt 13 recto 29 – Blatt 14 recto 7. Übersetzung Geng/Klimkeit/Laut 1998: 81f. 92 Tekin 1980 I: 53 (Tafel 118 recto 27). 93 Molnár 1994 und der Appendix von P. Zieme ebd. 147–151. 94 Róna-Tas 1987: 43. 95 Róna-Tas 1987: 42. 96 Hermanns 1940–41: 89.

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wart kommt es wieder zu einer zaghaften Wiederbelebung des nach der Kulturrevolution nahezu extinkten Buddhismus.97

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97 Hinweis Hans Nugteren (Göttingen).

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REGISTER

Geographische Namen Abalai-yin süme 421 Adam’s Peak 23, 28 f., 45, 54, 178 Aginsk-Kloster 435 Altan süme 421 Aluvihāra 20, 25 Amarapura 30, 107 Amarāvatī 143 Angkor 145, 194 Aṅkor Vằt 192–196 Anurādhapura 23, 26 f., 40, 48–50, 52, 72, 74 Arakan 30, 62, 71 f., 76, 92, 100, 105, 118 Aserbaidschan 393 Aukana 49 Ava 70–72, 74 f., 80 Ayutthaya 30, 146, 152, 191 Balγantai-yin Sira süme 422 Bangkok 149, 153, 215, 217, 223 Bangladesh 113 Bäzäklik 470, 481 Beikthano 63 Belgrad 429 Bengalen 65–68, 100 Bešbalık 474, 479 Bhutan 245, 347 Birma 27, 30, 62, 99 f., 105, 118, 152, 196, 218 Bodh Gayā 23, 33, 66, 68, 124, 134, 339 Burjatien 428, 430, 435 Bylakuppe 337 Čaqar-Gebiet 400 Charbuchyn Balgas 399, 409 Chiang Mai 72 f., 148, 177 Chitmoron 119

Chittagong 99, 102, 109 Chittagong Hill Tracts 99, 110, 112, 115 Chitu 213 Chökhorgyal-Kloster 298 Daglha-Kloster 302 Devinuwara 47 Dharamsala 337 Dolonor 404 Drepung-Kloster 296, 302, 427 Dunhuang 256, 479 f. Dvāravatī 143 Elista 427, 429 Erdeni ˇJoo-Kloster 402 Erzin-Kloster 440 Frankreich 159, 199, 202 Gandan-Kloster 410, 413, 427 Ganden 295 Gänsesee-Kloster 431 f., 437 Gansu 471, 481, 485 Gaochang 470 Guge 270 f. Halin 63 Hariphunchai 148 f., 183 Igatpuri 138 f. Indien 112, 337, 412 Indonesien 73, 229 Iran 391 f., 394 f. Irtysch-Kloster 421 Isan 182, 217 Ivolginsk 435, 445, 450 Jaffna 29 Jin 380 f., 383 Jokhang-Tempel 247, 295, 418 Kailāsa 248

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Register Kälaṇiya 48 Kalmückien 428 Kalmückisches Khanat 417 Kambodscha 29, 67, 69, 143, 152, 171, 190 Kandy 29 f., 48, 51, 53, 78 Karakorum 383 Karašahr 470 f. Kataragama 47 Kedah 212 f., 217 Kek Lok Si 214, 221 Kelantan 183, 216 Khotan 475 Khūy 393 Kinnaur 270 Kočo 478, 484 Kökeqota 399 Kokonor 306 Kotte 28 f., 47 f. Kuala Lumpur 214 Kučā 471, 475 Kumbum 293, 299, 408 Labnasagut 393 Labrang 408 Ladakh 338, 413 Lan Na 73, 148, 151 f., 177 Lan Sang 150 Laos 143, 171, 197 Leningrad 434 Lhasa 247, 270 Liao 380 f. Loṅvek 194 Lopburi 143, 145, 148 Luang Prabang 73, 145, 151, 159 Magadha 194, 250 Maha Thammakai Ceti 169 Mahiyangana 22 Majapahit 229 Malakka 192 f., 211, 214 Malaysia 211 Mandalay 80 f., 84, 88, 92, 137, 218 Mandschurei 403 Mindoling-Kloster 303 Mongolei 379 München-Ludwigsfeld 430 Murtuk 478

Nagpur 128 Nakhon Pathom 143, 165, 174 Nakhon Si Thammarat 145 Nālandā 244, 250 Nepal 347 Niederbirma 65, 71, 75, 79 f., 149 Norbulingka 310 Odāntapuri 244, 250 Olon Süme 399, 409 Oyirad-un Yeke küriye 420 Pagan 27, 64, 68, 70, 100 Pahartali 107, 119 Pānadurā 32, 35 Pegu 28, 71, 74, 80, 109, 145, 183 Penang 214 Phnoṃ Bằkhèṅ 192 Phnom Penh 191, 197, 199 Polonnaruwa 27, 46, 74 Putrajaya 220 Pyu 62, 64 Qalqa-Gebiet 402 Qara Buqa-yin Balγasun 399 Qara Kitai 381 Qara Qota 383 Ralung-Kloster 290 Ratnapura 46 Reting-Kloster 270, 273, 293, 384 Russland 434, 445 Samye 250, 252 Sängim 478 Sangphu Neuthog-Kloster 322 Sarnath 52, 125, 182 Sartul-Kloster 431 Sa-skya-Kloster 385 Sera-Kloster 297 Shangshung 247 Shigatse 311 Simla 313 Singapur 211, 217, 219, 222 Sira süme 412 Songkhla 217 Spiti 270 Śrī Kṣetra 63 f. Sri Lanka 19, 61 f., 66–69, 71 f., 76, 78, 112, 143, 146, 197, 214 f., 219

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Register Śrīvijaya 212, 229 Suan Mokkh 169 f. Sukhothai 28, 145, 149, 190 f., 215 Sumanakūṭa 23, 29, 46, 51 Suphan Buri 147 Tarim-Becken 470–472 Tashilhunpo-Kloster 297 Thailand 29 f., 51, 143, 189, 197–199, 202, 215, 236 That Luang 160 Thonburi 153 Tibet 246, 383 f., 403, 417 Toyok 478 Tsangpo 250 Tsongol-Kloster 431 f., 437 Tsurphu 284 Turfan 470 f. Turfan-Oase 475, 479 Tuwa 428, 434, 439

Ulaanbaatar 407, 410, 413 Ulan-Ude 435 Urga 432 Vientiane 151, 153, 159 Vietnam 171, 197 Vikramaśīla 244 Wat Bowon Niwet 155 f. Wat Phra Kaeo 191 Westuigurisches Königreich Wutaishan 312, 407 f. Xi Liao 381 Xinjiang 481 Xixia 383 Yarkhoto 478 Yeke ˇJoo-Kloster 399, 402 Yeke Küriye 407 Zahor 251 Zanskar 270

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Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten Abadai Tayiǰi 402 Abaqa 392 Abū Saʽid 396 Achan Chah 164 Achan Maha Bua 164 Achan Man 164 Ādi Buddha 233 f. Aggavamsa Mahāthero 104 Ak Burkan 449 Alaungpaya 76, 148 Altan Qan 298, 398 Ambedkar, B. R. 126, 128, 130 f., 133 Amitābha 252, 478 Anawrahta 27, 65 Arahant Upagutta 218 Arġūn 394 Ariyaratne, Ahangamage T. 39 Asanga 263

Ashin Jinarakkhita 231–236 Aśoka 19, 23, 61, 143, 152, 196 Atīśa Dīpaṃkara 120, 243, 272 Aung San 86 Avalokiteśvara 48, 221, 249, 481 Ayuki 422, 426 Badon Min 75 f. Bāidū (Bayidu) 395 Bandaranaike, S. W. R. D. 36, 38 Baradin, Badzar Baradievič 433, 435 Bayibaγas 416 Bayinnaung 73, 150 Bergmann, Benjamin 424 Bhṛkutī 247 Blavatsky, Helena 32 Bodawphaya 106, 110 Borommatrailokkanat 147 Borommokot 148

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Register Buddhadasa Bhikkhu 164, 169, 171 Buddhaghosa 21, 25, 71, 197 Buddhagupta 212 Butön 269 Cāmadevī 148 Cănd 192 f., 196 Candrakīrti 263 Caya Bandida Namqayiǰamso 419 Caya Bandida Qutuγtu Blo-bzang ʼPhrinlas 407 Čaγan nom-un qan 416 Changchub Ö 272 Chao Anuwong 150, 153 Chiang Kai-shek 318 Chogyam Trungpa 338 Chökyi Gyaltsen 317 Chos-kyi ʼOd-zer 391 Chos-kyi rGyal-mtshan 412 Chöying Dorje 301 Chulalongkorn 156 Chuon Nath 201 Činggim 390, 394 Činggis Qan 303, 381 f. Cintāmaṇicakra Avalokiteśvara 481 Dagpa Gyaltsen 278 Damba Darža Zajaev 431 de Alvis, Catherine 40 de Silva, David 35 Delek (bDe-legs) 448 Deng Xiaoping 412 Devānampiya Tissa 23, 48 Dhammaceti 28, 30, 71 Dhammananda, K. Sri 219 Dhammanandā Bhikkhunī 174 Dhammarāja I. 195 Dharmakīrti 263, 272 Dharmakīrti, Jayabāhu 21 Dharmapāla, Anagārika 33, 35, 123 Dignāga 263 Dilgo Khyentse Rinpoche 338 Doorda 384 Doržiev, Agvan 311, 434, 443 Doyingqor Mancuširi Qutuγtu Yondanǰamso 399 Drigum Tsenpo 257

Drogmi Sakya Yeshe 276 Dromtön 270, 273 Drukpa Künle 350, 354 Dudjom Rinpoche 338 Düingqor Manǰusiri Qutuγtu ˇJalbiǰamso 416 Ḍuoṅ 198 Düsum Khyenpa 283 Duṭṭhagāmaṇī 24, 52 Erdeni Baγatur Qung Tayiǰi 417 Esen Tayiši 398, 415 Fa Ngum 150 Faxian 26, 50 Gaban-Šarab 418 Gaiḫātū (Γayiqatu) 395 Galdan Qung Tayiǰi 418 Gampopa 282 Ġāzān 395 Gedündrup 297 Gendün Chökyi Nyima 339 Gendün Gyatso 297 Geser 436 Geshe Jampa Tinlei 445 f. Geshe Wangyal 428 Gia Long 197 Gö Lotsāva 271 Göden 384–386 Goenka, Satya Narain 137, 139 Gompa 283 f. Gongpa Rabsel 269 Guangxu 312 Guanyin 218, 221 f. Güčülüg 381 Guṇānanda, Mohoṭṭivattē 32, 35 Gür Qan 381 Guru Chöwang 292 Guru Rinpoche 268, 358 Guši Jamchen 415 Guśri Qan 301, 356 Güüši Qan 417 Güyüg Qan 384 Gyaltsabje Dharma Rinchen 296 Gyumed Namgyal 309 Haiyun 383 f. Hem Chieu 202

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Register Hevajra 387 Ho Shang Mohoyen 253 Hülegü 391 f., 394, 415 Hun Sen 205 Hûng Taiji 404 Hūniyam 45 Huot Tath 201, 204 Ibn Baṭṭuṭa 54 Ibn Taimīya 395 Indrajayavarman 191 Indravarman II. 190 Jamchen Chöje Sakya Yeshe 297 Jamgon Kongtrul Lodro Thaye 332 Jampel Gyatso 309 Jamyang Chöje Tashi Palden 296 Jamyang Khentse Wangpo 333 Jayajeṭṭhā I. 193 Jayajeṭṭhā II. 195 Jayavarman VII. 189, 192, 203 Jayavarman VIII. 190 Jetzun Dampa 313 Jigme Namgyel 364 Jigme Ngawang Namgyel 358 Jigme Singye Wangchuck 349, 371 Jigten Sumgön 285 ˇJiyaγatu 389 Kalu Rinpoche 338 Kamalaśīla 252 f., 255 Kamalaśrī 392, 415 Kangxi 404 f. Karma Lingpa 292 Karpelès, Suzanne 201 Kataragama 47, 53 Kedrubje Gelek Palzang 296 Kelsang Gyatso 307 Khedrup Gyatso 311 Khieu Chum 203 Khun Borom 144, 151 Kirakos von Gandzak 393 Konchog Gyalpo 276 Kripāśaran Mahāthera 126 Krodhakālī 288 Kuena 149 Kuiji 479 Kumārajīva 246

Kun-dgaʼ rGyal-mtshan 386 Kunga Gyaltsen 278 Kungpo Naljor 287 Kushok Bakula Rinpoche 413, 429, 436 Kwee Tek Hoay 229 Kyanzittha 66 Lakṣmaṇa 46 Langdarma 255, 267 Ledi Sayadaw 84 Lha-tho-tho-ri 246 Lhazang Qan 306 Lingrepa Pema Dorje 285, 347 Lingwood, Dennis 131 Lithai 146, 191 Lobsang Chökyi Gyaltsen 299 Lokeśvara 274 Lon Nol 203 Lopon Tenzin Namdak 338 Luang Phaw Sot 167 Lungtok Gyatso 310 Ma Bufang 317 Macig Labdrön 287 Mahā Pan 199 Mahā Tissa 24 Mahāghosānanda 205 Mahākāla 351, 357, 365 f., 370, 404 Mahākālī 390 Mahāmuni 76, 101, 107, 119 Mahāsi Sayādaw 218, 231 Mahāsiddha Maitrīpa 280 Mahāsiddha Vīrupa 276, 287 Mahinda 19 f., 23, 62 Maitreya 192, 393, 396, 449, 477, 481, 484 Maitrinātha 277 Malalasekera, G. P. 37 Mandāravā 251 Mangrai 149 Mañjuśrī 47, 254, 449 Mao Zedong 319 Māra 167, 169 Marīcī 483 Marpa 244, 279, 286 McMahon 313 Mergen Gegen der Urad 414 Metteyya 71

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Register Milarepa 281 Mindon Min 79 f., 106 Minh Mạng 197 Moggallāna I. 50 Möngke Qan 384, 387 Mongkut 80, 155, 198 Nāgārjuna 253, 263, 277 Namkhai Norbu 338 Namri Songtsen 247 Nārada Thera 230 f. Narai 147 Nāropa 279, 286 Nātha 48, 53 Ne Win 89–91 Nehru, Jawaharlal 318 Neyiči Toyin 401 Ngag-dbang Blo-bzang rGya-mtsho 401, 417 Ngog Lotsava Loden Sherab 274, 322, 325 Ngok Legpe Sherab 273 Niguma 287 Norodom 199 Nurhaci 403 Nyangral Nyima Öser 292 Nyatri Tsenpo 246 Nydahl, Ole 429, 450 Očirtu Tayiǰi 418 Ögedei Qan 384 Olcott, Henry Steel 32, 123 Ölğäitü 396 Ölǰeyitü 396 Ösung 256 Özbeg 397 Padampa Sangye 287 Padma Karpo 286 Padmasambhava 244, 250 f., 358 Palden Lhamo 298, 314, 365 Pallas, Peter Simon 424 Panchen Lama 299 f., 412 Parakkamabāhu I. 27 Parakkamabāhu II. 28 Parakkamabāhu VI. 28 Paramarāja V. 194 Paramaviṣṇuloka 192 Parameśvara 213

Pattinī 48, 53 Payutto 172 Pema Lingpa 361, 363 Phagmodrupa 283 Phagpa (ʼPhags-pa) 278, 356, 385, 387 f., 390 Phibun Songkhram 157 Pholhanas 308 Phothirak 165, 172 Phothisarat 150 f. Phra Dep Luang Chao 151 Phra Kittiwuttho 159 Phra Thammachayo 167 Phyag-na rDo-rje 385 Pol Pot 203 f. Puncug, Agvan 431 Qianlong 406 Qo Örlög 417 Qubilai Qan 278, 356, 384, 387, 479 Qung Tayiǰi 404 Qutuγtai Sečen Qungtayiǰi 398 Rahula, Walpola 37 Rājasinha I. 29 Ralpachen 252, 255 Ram Khamhaeng 145 Rāma 46, 48, 192 Rama I. 147, 154 Rama II. 154 Rama III. 154 Rama IV. 155, 181, 198 Rama V. 156 Rama VII. 157 Rāmādhipati I. 195 Ramathibodi 147 Rašīd ad-Dīn 392, 394 Ratnabhadra 419 f. Rechungpa 282 Reting Rinpoche 314 Rinchen Lingpa 292 Rinchen Zangpo 271 Rolpa Dorje (Rol-paʼi rDo-rje) 293, 389, 406 Sachen Kunga Nyingpo 278 Saddhanananda Mahāthera 116 Sakya Pandita (Sa-skya Paṇḍita) 278, 385

496

Register Sakyaśrī Bhadra 293 Saman 28, 46 f., 54 Sang Hyang Adi Buddha 235 Saṅghamittā 19, 23, 49 Sangharakshita 131 Sangye Gyatso 304 Sangye Lama 292 Sangye Lingpa 292 Śāntideva 263, 391 Śāntirakṣita 250, 252, 263 Sāramedhā 101, 104 f., 107 Sarit Thanarat 157 Sa-skya Paṇḍita 385 Sengge Dügüreng 399 f. Setthathirat 150, 152 Shabdrung Ngawang Namgyel 347, 350, 354 Shakabpa, Tsepon W.D. 318 Shamarpa 299 Shes-rab Seng-ge 391 Shin Arahan 65 Siddha Vīrupa 278 Siddhārtha, Valānē 32 Sīhanuk 202–205 Siregetü Güüsi Čorǰi 400, 402 Siregetü ˇJoo Keyid 399 Siri Meghavaṇṇa 50 Sisovath 199, 201 Śiva 47, 51 Sivotha 200 Skanda 47 Sogyal Rinpoche 338 Sơn Ngọc Minh 201 Sơn Ngọc Thành 201 Sönam Chöphel 301 f. Sönam Gyatso (bSod-nams rGyamtsho) 298, 398, 400 Songtsen Gampo 246 –248 Sudhammacārī 40 Śrīndravarman 191 Sukhasiddhi 287 Šükür Dayičing 419 Sulak Sivaraksa 171 Sumanadeva 45 Sumangala, Hikkaduve 32

Sümer Dayičing 400 Sum-pa mKhan-po Ye-shes dPal-ʼbyor Suriyawongsa 150, 152 Ta Mok 203 Tai Situ Changchub Gyaltsen 283 Taksin 153 Taktra Rinpoche 317 Tārā 48, 249 Tārā, weiße 443 Tāranātha 303 Tarthang Tulku 338 Tatatungγa 382 Teh Boan An 230 Telo Tulku Rinpoche 427 Tenzin Gyatso 315 Tep Vong 205 Terdag Lingpa Gyurme Dorje 303 Thinle Gyatso 311 Thonmi Sambhota 248 Thrizin Kunga Thinle Wangyal 278 Thub-bstan rGya-mtsho 434 Thubten Chökyi Nyima 316 Thubten Gyatso 311 Thubten J. Norbu 318 Tīeṅ 199 Tilok 149 Tilokarat 147 Tīlopa 280 Toγan Temür 388 f. Tokugawa Iemitsu 194 Tolui 387 Tönpa Shenrab Miwo 260 Toγon Tayiši 397, 415 Töröbayiqu 417 f. Tou Samouth 201 Trinley Thaye Dorje 339 Trisong Detsen 249 f., 252, 363 Tsangpa Gyare 285 Tsangyang Gyatso 305 Tsongkhapa 244, 293 f., 398 Tsultim Gyatso 310 Tuγ Temür 389 Tua Pek Kong 218 U Ba Khin 137 f. U Nu 87, 90

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408

Register U Ottama 85 U Wissara 85 Ukñā Suttantaprījā Ind 201 Upulvan 47, 53 Urgyen Trinley Dorje 284, 339 Urgyen Wangchuck 365 Vairocana 265, 274 Vajradhāra 281 Vajrapāṇi 402, 483 Vajravidāraṇa 483 Vasubandhu 263, 477 Vaṭṭagāmaṇī 20, 24 Vibhīṣaṇa 47 Vijayabāhu I. 27 Vimalamitra 265 Vinayadhara 68

Viṣṇu 47, 136, 192 Visun 151 Vohārika Tissa 25, 42 Wang Yande 470 Weißer Burchan 449 Wencheng 247 f. Xuanzang 26, 479 Yeshe Ö 270, 273 Yeshe Tsogyel 251 Yijing 212, 474 Yongzheng 308, 406 Yon-tan rGya-mtsho 299, 400 f. Younghusband, Francis 311 Žamcarano, Cyben 433 Žimba Achaldaev 432

Sachregister Abhayagiri Vihāra 24 f., 50 Abhidharmakośabhāṣya 477 Abhidharmakośabhāṣyaṭīkā Tattvārthā 477 Abhidharma-Literatur 473 Abhisamayālaṃkāra 271 abhiṣeka 327 Āgama-Literatur 473 Agārtara 104 Ak jang 450 Ak-Burkan 450 ālayavijñāna 294 Aldyn-Bogda-Gesellschaft 445 All Ceylon Buddhist Congress 34 All India Bhikkhu Sangha 133 Altai Kizhi 448 Altaier 446 Altai-Uriyangqai 423 Altan Gerel 391, 405 Altan ulus 380 Amarapura-Nikāya 31, 78 f. Angkor-Zeit 192, 196

Anuttarayogatantra 329 Anuyoga 266 Ari 65 Ariyavaṃsa-Sutta 42 Āryāparimitāyurjñānanāmamahāyānasūtra 478 Āsāḷha 52 Āṭānāṭikahṛdaya 476 Āṭānāṭikasūtra 476 Atiyoga 266 Avataṃsaka 253 baḫši 392, 394, 396 Bailian-zong 382 Baiyun-zong 382 bandi 416 Bandida Chamba Lama 427, 429, 432, 435 Bardo Thödröl 292 Barua 99, 101, 103, 113, 126 f., 134 Bauddha Dharmankur Sabhā 126 Bayanγool-Mongolen 422 Bengali Buddhist Association 108 Beschützer der Lehre 351

498

Register Bhaiṣajyagurusūtra 477 Bhakti 47, 53 Bhātdya-Ritual 104 Bhikkhunī-Bewegung 174 Bildungswesen 90 Birmanen 63, 152, 190, 214, 216 Bodhi-Baum 23, 49, 193 Bodhicaryāvatāra 391 bodhicitta 285 Bodhisattva 249 Bodhisattva-Ethik 478 böge 416 böge lama 442 böge-yin mörgöl 401 Bön 244, 251, 254, 260 f. Boγda Gegen 409 f., 441 Boγda Lama 409, 412 Boγdo Gegen 311 Brahmanen 190 Brahmanismus 145, 179, 181, 190 Brāhmī 19 Buddha Jayanti 319 Buddha-Körper 167 f. Buddhāvataṃsakasūtra 474, 479 Buddhayāna 235 Buddhist Missionary Society 219 Buddhist Society of India 129 Buddhist Theosophical Society 32, 52 Buddhistischer Tradioneller Saṅgha Russlands 438 Bun Bang Fai 182 Bun Pi Mai 180 burchan 450 burchan-cham 442 Burchanismus 450 f. Burjaten 414, 430 burkan 450 butkhāna 392 cakkavattin 56, 147, 177 Cakrasaṃvara-Tantra 271 Cakrasaṃvara-Zyklus 480 Caryātantra 265, 329 Čaγatai 396, 480 Čečen Qan 418 Chakassen 451

Chakma 99, 101, 103, 108, 114, 134 Chakri-Dynastie 145, 153 f., 177 Cham 361 Chan 253, 382, 384, 479 Chinesen 214 f., 217, 221 chos-skyong 351 chos-srid 417 chos-srid zung-ʼbrel 348 Christentum 29, 32, 34, 51, 147, 170, 184, 211, 433, 451 Chroniken 62, 65, 73 Cibei daochang chanfa 474 da guoshi 405 Dalai Lama 298, 405 Dalits 130 Dam-Mongolen 420 Dämonen 44, 259, 290 dāna 39, 220 Daoismus 387 Daśakarmapathāvadānamālā 472, 478 dasasīla-mātā 40 daśavidyāsthāna 381 Datsang 431 Desi 302 dēvatā 45 f., 180 dhammadūta 232 Dhamma-Körper 168 Dhammarucika 24 Dhamma-Sprache 170 dhāraṇīs 476, 479, 481 dharmadhātu 277 Dharma-Könige 246 dharmapāla 290 Dharmarāja 249 Dīpavaṃsa 20 f., 73 Dišastvustik 476 dishi 388 Dobdob 324 Don-Kalmücken 429 Dörbed 416 Dorfbrahmanen 179, 181 Dorfmönche 28 Drei-Körper-Lehre 245 Drikung-Schule 285 Drukpa 285

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Register Drukpa-Kagyüpa-Schule 347 Dschurdschen 380 Dsungaren 307, 416 Engländer 29, 31, 82 Erziehung 162 Evam Choden 279 Feuerlauf 53 Friends of the Western Buddhist Order 131 Fúnán-Zeit 189 Fundamentalismus 166 Gabenherr 245, 332, 386, 418, 421 Gaṇḍavyūhasūtra 479 Ganden Phodrang 302 Geburtsgottheiten, fünf 366 Geister 152, 180, 401 Geisterhäuschen 180 Gelbmützen 398 f., 402, 413 Gelong 305 Gelugpa (dGe-lugs-pa) 245, 398, 400, 403, 409, 418, 438, 440 ger 421 Geshe 324 Geshe Lharampa 324 Goldene Urne 310 Goldglanzsūtra 472, 474 f., 482 Gompa 303 Götter des Landes 353 Gross National Happiness 371 Guan wuliang shou jing 475, 478 Guhyasamāja-Tantra 271 guoshi 388, 411 Gupta-Dynastie 212 Guruyoga 285 Haarreliquie 50 Hevajratantra 277 Himmelsgötter (gnam-gyi lha) 353 Hīnayāna 243, 477 Hinduismus 51, 102, 126, 130, 139, 154, 200, 211, 215, 347 Ho Pha Kaeo 153 Hofbrahmanen 48, 146, 213 Holländer 29–31 homa 331 Huayan 253, 380, 479 iduγan 416

Ilkhanat 391 Insadi-Sūtra 484 Institut Bouddhique 160, 201 Institute of Thai Maechi 175 Islam 184, 195, 391, 395 Jātakas 22, 66 Jetavanārāma-Inschrift 27 Jōdo-shū 411 Jonangpa-Orden 303 ˇJürčen 380 f. Kadampa 273, 275, 289 Kaganat, erstes türkisches 469 Kagyüpa (bKaʼ-brgyud-pa) 245, 281, 336, 383, 395, 398, 415 Kālacakra 274 Kalmücken 415, 419, 424 Kalyāṇī-Inschrift 65 Kamby-Lama 445 Kanjur/Ganǰur (bKaʼ-ʼgyur) 308, 356, 400, 405 Karma bKaʼ-brgyud-pa 284, 339, 389, 429, 438 Karma Kagyü Dharma Society 222 Karmapa 284 Karmapa-Linie 245 Kaṭhina-Zeremonie 93, 119, 182 Khon 245 khwan 179 Kitan 380 f. kleine Tradition 43 f. kleśa 326 Klöster 69, 333, 421, 427, 443 Klosterschulen 82 Köktürkisches Reich 439 Kolonialzeit 29, 31, 34, 39, 82, 104, 214 Kolophone 470, 473, 480, 483 Konzil 61 f., 71, 75, 81, 88, 106, 149, 154, 477 Kremation 56, 178 Kriyātantra 265, 329 Kriyāyoga 265 Kšanti kılguluk nom bitig 474 f., 482 Kšanti kılmak nom bitig 482 Kulturrevolution 411 La (bla) 259

500

Register Lai Heua Fai 183 Laien 27, 31, 34, 55 f., 103, 162 f., 226, 374, 482 Lakṣanamarga 326 Lamdre-System 276 Lam-rim chen-mo 294 Lao Lum 144, 150 Lao Sung 144 Lao Theung 144 Liao 380 Loi Krathong 183 lugs-gnyis 417 Madhyamaka 253 maechi 166, 174 Magh 109, 117 Maha Bodhi Journal 124 Mahā Bodhi Society 33, 123, 125 Mahachulalongkorn-Universität 115, 217 Mahāmudrā 280 f. Mahanikai 155–157, 160, 164, 198 f., 201 Mahar 129 Mahāsāṃghika 476 Mahāsthavīr-Nikāya 108, 114, 120 mahāsukha 266 Mahāvaṃsa 21 f., 24, 33 Mahāvihāra 24 f., 27, 67, 325 Mahāyāna 244, 477 Mahāyāna-Buddhismus, chines. 214, 229 Mahāyoga 266 Maitreya-Prozession 444 Maitrisimit 472, 477 f., 483, 485 Makhabucha 181 Malaysian Buddhist Association 225 Maṇḍala 264, 335 Mandschu 305, 404, 440 Mani Gambum 249 Manichäismus 382, 439, 470 Mantra 264 Māra 288 Marma 99, 110, 117 Marxismus 37 Medegdekün-i belgetey-e geyigülügči šastir 390 Meditation 25, 40, 83, 138, 163 f., 167 f., 218, 224, 329

Minderheiten, religiöse 35, 226 Mindoling 267 Ming-Dynastie 278, 397, 403 Mission 34 Modernismus 31, 156, 201 Mon 64 f., 71, 143, 145 f., 149, 189 f. Mönche 26, 30, 33 f., 56, 135, 155, 162, 181, 216, 393, 407 Mönche, politische 36–38, 44, 85 Mönchsbanditen 268 Mönchsparteien 39 Mönchsschule 32 Mongolen 70, 144, 379 Mongγol-Oyirad-un čaγaǰa-yin bičig 416 Mönlam Chenmo 324 Mudrā 264 Mūlasarvāstivāda-Schule 213, 262, 334 Muslime 35, 51, 57, 93, 102, 116, 148, 159, 184, 211, 216, 224, 381, 394 nāḍī 330 Nāga 22 Naiman 382 Namgyal-Dynastie 245 Nationalismus 33, 35, 38, 84, 157 f. Nats 180 Naturgeister 259 Neo-Buddhismus 31 Neo-Buddhisten 128 f., 139 Nestorianismus 381 f., 394, 439 Neujahrsfest 93, 119, 152, 181, 205, 218, 421, 444 Ngapa 268 Ngor-Schule 279 Nguyễn-Dynastie 195 Nomaden 420 Nonnen 40, 56, 94, 173 f. Nonnenorden 445 Nonnenordination 174 Nüzhen 380 nyāya 263 Nyingmapa (rNying-ma-pa) 244, 252, 264, 266, 336, 347, 363, 398, 438, 440 Obo-Kult 423, 442 Ögeled 416 öglige-yin eǰen 386

501

Register Oiraten 301, 397, 414 Öndör Gegen 403, 407 Ongniγud 401 ongγon 401 Opferrituale 334 Orden 135 Ordensreform 72, 76 Ordination 62, 66 f., 74, 80, 106, 111 Oyirad 415 Pāli-Kanon 19 f., 25 f., 28, 63, 69, 73, 81, 88, 134, 147, 154 f., 197 Pañcarakṣā 476 pañcasīla 114 Panchen Lama 405 pāramitā 253 paritta (pirit) 54, 221, 230 Pathet Lao 160 f. Perahära 48, 51–53 phansa 182 f. phi 144, 153, 180, 183 Phowa 281 Phra Buddha Sihing 177 Phra Kaeo-Buddha 152 f. Phra Lak Phra Lam 177 Phra Phuttabat 51, 147 f., 178 Pilgerinschriften 481 Pirit-Zeremonie 54 f. Portugiesen 29, 74, 214 poṣatha-Festtag 483 Potala 248 Prajñāpāramitāhṛdaya 390 Prajñāpāramitā-hṛdaya 255 Prajñāpāramitā-Literatur 271, 474 Prāṇa 281 Prāṇāyāma 329 Praṇidhi-Bild 482 Prātimokṣa 326, 334 pratītyasamutpāda 265 pratyekabuddha 265 pravāraṇā-Feier 483 Predigt 41, 57, 182 Prophezeiungslegenden 482 protestantischer Buddhismus 31 Purifikationszeremonie 375 qara šasin 401

Qing-Dynastie 305, 403, 440 Qorčin 401 Qošud-Mongolen 245, 416 Qubilγane 409 f., 436 Qutuγtu 409 Rakhaing 99, 117 Rāmakerti 194 Ramakien 154, 177 Rāmañña-Nikāya 31 f., 47, 80 Ramoche-Tempel 247 Rauli 103 f., 107, 114 Reform 80, 90, 101, 106 Reformbuddhismus 222 Reines Land 382, 411, 478 Reliquie 22, 44, 48 f., 88, 119, 178, 182, 197 Rime-Bewegung 332 Rinchen Terdzod 333 Rinpung-Prinzen 297 Risshō Kōseikai 127 Rote Khmer 161, 203 Rotmützen 398, 402, 413 Saddharmapuṇḍarīkasūtra 481 sādhaka 328 Šadžin Lama 427 Sahaja-Tradition 244 Säkiz Yükmäk Yaruk 475 saksit-Qualität 151 Sakyapa (Sa-skya-pa) 276, 383, 389, 398, 402, 438, 479 Samantabhadracaryāpraṇidhāna 479 śamatha 265 Sang Hyang Kamahāyānikan 233 Saṅgha 28, 61, 71 f., 75, 77, 88, 90, 147, 151, 156, 160, 165, 217, 295, 431, 436 Saṅgha Act 156, 158 Saṅgharāja 68, 77, 79, 82 f., 114, 156, 160 f., 174, 199 Saṅgharāja-Nikāya 101, 107 f., 114 f. Saṅgha-Reform 65 f., 92 Saṅgītivaṃsa 147, 153 sanjiao-Konzept 221, 229 Santi Asok 164–166 Sarvāstivāda 478 Sarvōdaya 39

502

Register Sāsana Abhiwurdhi Wardhana Gesellschaft 219 Sautrāntika 323 Šažin Lama 425 Schamanen 392, 397, 401, 444, 448 Schamanismus 390, 401, 416, 423, 431, 433, 439, 442, 451 Schätze, verborgene (gter-ma) 266, 363 Schatzfinder (gter-ston) 266, 363 Schije 287 Schrift, tibet. 248 Schutzgeister 153, 200 Schutzgottheiten 290, 367, 485 Sechs Lehren des Nāropa 280 Sechs Sphären weltlicher Existenz 352 Shabdrung 350 Shan 70, 144, 183 Shangpa Kagyü 286 Shes-bya rab-gsal 390, 394 Shi wang jing 479 Shingon-shū 411 Shwegyin-Tradition 81 Siddha 257, 278 siddhi 276 sikkhamat 166 sīmā 65, 67, 79 Singhalesen 35, 216 Sinisierung des Theravāda-Buddhismus 223 sira šasin 400 Śivaismus 29, 189 Śivaiten 190 Siyāma-Nikāya 30, 32, 78, 148 Smaragd-Buddha 177, 197 Soka Gakkai 222 Song-Dynastie 388 Songkran-Fest 180 Speicherbewusstsein 294 śramadāna 39 śrāvaka 265 śrī pāda 51, 54 Staatsreligion 37 f., 65, 89, 160, 245, 347 Stabreimdichtung 476 f. Stadtmönche 74, 163 Sthaviravādin 20

Stifter 473, 480 Stifterporträts 480 Stūpa 48 f. Subhāṣitaratnanidhi 391 Sudhamma-Nikāya 111 Sukhāvatīvyūhasūtra 475, 478 śūnyatā 323 Śūnyatāvādin 329 Sūtra des Großen Bären (Yetikän Sudur) 479 Sūtramarga 326 Suvarṇaprabhāsa 391, 393 Taglung-Schule 285 Tai 144 takil-un oron 386 Tamilen 24, 35, 47, 57 Tanguten 382 f. Tang-Zeit 213, 475 Tanjur/Danǰur (bsTan-ʼgyur) 308, 405 Tantramarga 326 Tanz 360 Telengiten 448 Thai 190, 194, 196 Thai-Malaien 215 Thai-Nation 156 Thammacarik 158 Thammakai 164, 167–169 Thammathut 158 Thammayutnikai 155–157, 160 f., 164, 198, 232, 236 That Luang 152 Theosophie 238 Theosophische Gesellschaft 32, 124, 229 Theravāda Buddhist Council of Malaysia 225 Thommakāy 201 Thommayut 198 f., 201, 204 thudong-Mönche 163 Tibeter 382 Tocharisch A 472 Tocharisch B 473 tocharische Literatur 471 Todesriten 260 Toling-Kloster 271 Tōṇigala-Inschrift 42

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Register Torma 334 Torγud 416 Totenrituale 222 toyïn 392 Traditioneller Buddhistische Saṅgha Russlands 450 Traditioneller Buddhistischer Saṅgha Russlands 437 Trailokya Bauddha Mahasangha Sahayak Gana 130 traiphum phra ruang 146, 173 Tridharma 230 Tschöd 288 Tulku-System 245, 284 Tümed 298, 398 Turfan-Philologie 471 Tuwiner 439 Übertragung von Verdienst 482 Uiguren 382 f. Unberührbarkeit 128 Upayoga 265 uposatha 51 Uttarayogatantra 329 Vädda 45 Vaibhāṣika-Schule 323 Vaiśya 329 Vajracchedikasūtra 475, 479 Vajravārāhī 329 Vajrayāna 244 Vajrayoginī 329 vassa 221 Vesakh 24, 32, 52, 118, 181, 206, 220 Vessantara Jātaka 183 Vetullavāda 25 Vietnamesen 195 Vimalakīrtinirdeśa 474, 479

vinayadhara 75 Vipassanā 138, 218, 224 Vipassana Research Institute 138 vipaśyanā 265 Visuddhimagga 25 Viṣṇuismus 189 vyākaraṇa-Texte 482 Waldmönche 28, 67, 74, 80, 116, 163 f., 171 Wallfahrt 48 Wanderklöster 420 Wanderlamas 435 Wesak 220 Wirtschaft 26, 30, 111, 115, 215, 291, 333, 409, 483 Wolga-Kalmücken 429, 447 Wolga-Torguten 422 World Buddhist Fellowship 113 Xuanzang-Biografie 474 yab-yum 329 Yakkha 22, 44, 476 yakṣas 476 yang maha esa 236 Yantrayoga 329 Yarlung-Dynastie 246, 256 yi-dam 265, 329 Yogācāra 263, 323, 327, 479 Yogatantra 266 Yoginītantras 272 Young Men’s Buddhist Association 34 Yuan-Dynastie 191, 388, 390, 480 Yugur 485 yul-lha 353 Yumbu Lagang 246 Yungdrung-Bön 260 Zahnreliquie 25, 27, 30, 50, 52, 74

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