Der Buddhismus: Ostasiatischer Buddhismus und Buddhismus im Westen 9783170283640, 9783170283657, 9783170283664, 9783170283671, 3170283642

Der abschließende Band des dreiteiligen Werkes zum Buddhismus behandelt detailliert die Mahayana-Richtungen in Ostasien.

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Der Buddhismus: Ostasiatischer Buddhismus und Buddhismus im Westen
 9783170283640, 9783170283657, 9783170283664, 9783170283671, 3170283642

Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhalt
A. Buddhismus in Ostasien
Buddhismus in China
1. Die Religionen Chinas in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung
1.1. Ahnenkult und lokale Kulte
1.2. Daoismus
1.2.1. Daoismus der Himmelsmeister (tian shi dao)
1.2.2. Daoismus der Höchsten Klarheit (shang qing dao)
1.2.3. Tradition des Wirkungsmächtigen Juwels (ling bao dao)
2. Historischer Abriss
2.1. Frühphase (65-317 n. Chr.)
2.1.1. Die Anfänge des Buddhismus
2.1.2. Zeit der Drei Reiche
2.2. Aufbauphase: Trennung Nord-Süd (317-589)
2.2.1. Nördliche Zhao-Dynastie
2.2.2. Nördliche Wei-Dynastie
2.2.3. Buddhismus als Staatsreligion
2.2.4. Nördliche Zhou-Dynastie: Buddhismusverfolgung des Jahres 574
2.2.5. Südliche Dynastien
2.2.6. Liang-Dynastie
2.3. Blütephase (6.-10. Jahrhundert)
2.3.1. Sui-Dynastie
2.3.2. Tang-Dynastie
2.3.3. Die Buddhistenverfolgung von 845
2.4. Phase des Niedergangs (10.-19. Jahrhundert)
2.4.1. Zur ökonomischen Situation
2.4.2. Zur intellektuellen Situation
2.4.3. Außerchinesische Faktoren
2.5. Moderne (19.-20. Jahrhundert)
2.6. Taiwan (17. Jahrhundert bis heute)
3. Grundlagen und Aspekte des chinesischen Buddhismus
3.1. Quellen
3.1.1. Übersetzungen
3.1.1.1. Han-Zeit
3.1.1.2. Zeit der Drei Reiche
3.1.1.3. Westliche Jin-Zeit
3.1.1.4. Nördliche und südliche Dynastien
3.1.1.5. Tang-Zeit
3.1.2. Kopien
3.1.3. Buchkult
3.1.4. Drucke und Kataloge
3.1.5. Kanon
3.1.6. Apokryphe buddhistische Schriften
3.1.7. Sammlungen
3.1.8. Wunderberichte
3.1.9. Lebensbeschreibungen
3.1.9.1. Gao yi sha men zhuan
3.1.9.2. Ming seng zhuan
3.1.9.3. Bi qiu ni zhuan
3.1.9.4. Chu san zang ji ji
3.1.9.5. Gao seng zhuan
3.1.10. Enzyklopädien
3.2. Die Übersetzungsproblematik
3.3. Anhänger des Buddhismus
3.3.1. Mönche
3.3.1.1. Wundermänner
3.3.1.2. Heiler
3.3.1.3. Haushalts- oder Familienmönche
3.3.1.4. Kritik
3.3.2. Nonnen
3.3.3. Laien
3.3.3.1. Laien-Vereinigungen
3.3.3.2. Abstinenzraum
3.3.3.3. Texte für Laien
3.4. Meditation
3.4.1. Vorbuddhistische chinesische Meditation
3.4.2. Chinas früheste buddhistische Meditationsformen
3.4.3. Visualisierung im Daoismus
3.5. Das Seelenproblem
3.5.1. Die chinesische Tradition: hun- und po-Seele
3.5.2. Unsterblichkeit
3.5.3. Die Seele in frühen chinesischen buddhistischen Texten
3.5.4. Debatten um die Unsterblichkeit der Seele
3.6. Das Verhältnis zwischen Buddhismus und Daoismus
3.6.1. Parallelen: Xi-wang-mu und Buddha Amitāha
3.6.2. Parallelen: Lao-zi - Buddha
3.6.3. Text-Entlehnungen
3.6.4. Regelwerke: Prāimokṣ - Die von Herrn Lao verkündeten 180 Vorschriften
3.6.5. Konversion der Barbaren
3.7. Apokalyptische Vorstellungen
3.7.1. Vorbuddhistische chinesische Modelle von Zeitzyklen
3.7.2. Erste vorbuddhistische Rettergestalten und frühe daoistische Apokalyptik
3.7.3. Vorbuddhistische zyklische kosmische Katastrophen
3.7.4. Der daoistische "Messias" Li Hong
3.7.5. Die buddhistische kalpa-Idee und ihre Adaptation im Daoismus
3.7.6. Die buddhistische mo fa-Lehre
3.7.7. Das Verlöschen des dharma
3.7.8. Buddhistische Adaptation daoistischer Apokalyptik
3.7.9. Rettung des Tripiṭka angesichts der Katastrophe
3.8. Buddhistische Apologetik
3.8.1. Mou zi li huo lun
3.8.2. Zheng wu lun
3.8.3. Yu dao lun
3.8.4. Sha men tan fu lun
3.8.5. Xiao dao lun
3.9. Buddhismus und Staatsmacht
3.9.1. Auseinandersetzung um die Unterordnung der Mönche
3.9.2. Interesse des Kaisers am Buddhismus
3.9.3. Buddhistische Legitimation politischer Herrschaft
Literaturverzeichnis
Chinesische Primärliteratur
Allgemein
Buddhistischer Kanon
Daoistischer Kanon
Sekundärliteratur
Buddhismus in Vietnam
1. Einführung
2. Historischer Überblick
2.1. Anfänge des Buddhismus in Vietnam
2.2. Die Blütezeit des Buddhismus
2.2.1. Die Entstehung der wichtigsten Schulen unter der Lý-Dynastie
2.2.2. Die Trầ-Dynastie und die Etablierung der Bambuswald-Schule
2.3. Bedeutungsverlust durch den Konfuzianismus
3. Das Wiedererstarken des Buddhismus
3.1. Der buddhistische Frühling
3.2. Die Reformbewegung und buddhistische Vereinigungen
4. Der vietnamesische Buddhismus im heutigen Kontext
4.1. Die großen Mahāāa-Schulen des vietnamesischen Buddhismus
4.2. Die Bedeutung des Buddhismus im vietnamesischen Alltag
4.3. Der Buddhismus und die Religiosität im heutigen Kontext
5. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Buddhismus in Korea
1. Die Zeit der Drei Reiche
1.1. Koguryŏ
1.2. Paekche
1.3. Silla
2. Das Vereinigte Silla
3. Koryŏ
4. Chosŏ
5. Japanisches Protektorat und Kolonialherrschaft
6. Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart
Literaturverzeichnis
Entwicklung und Vielfalt des japanischen Buddhismus
1. Einleitung
1.1. Einführende Überlegungen
1.2. Terminologie und Konventionen
2. Anfänge
2.1. Zeitgeschichtliche Orientierung
2.2. Kaiserin Suiko und Prinz Shōoku
2.3. Tempel und Ikonographie
2.4. Anfänge der Shōoku-Verehrung
2.5. Lehrtraditionen
2.6. Einflussreiche Texte
3. Nara-Buddhismus
3.1. Heijōyōund "Nara-Buddhismus"
3.2. Tempel-Umsiedlungen
3.3. Tōaiji, Tōhōaiji und Saidaiji
3.4. Weitere Ausbreitung des Buddhismus
3.5. Lehrrichtungen und Vermächtnis des Nara-Buddhismus
4. Heiankyōund Tendai-Buddhismus
4.1. Neue Hauptstadt, neuer Buddhismus
4.2. Das Werk Saichō
4.3. Bedeutung und Botschaft des Lotos-Sūra
4.4. Kernpunkte der japanischen Tendai-Lehre
4.5. Buddhismus in Japan während der Heian-Zeit
5. Shingon-Buddhismus und die "Geheimen Lehren"
5.1. Der esoterische Turn
5.2. Einführung des Shingon-Buddhismus durch Kūai
5.3. Ritual und Symbolik
5.4. Kūais Schriften
5.5. Verschiedene Shingon-Schulen
5.6. Die Tendai-Shingon-Vorherrschaft
6. Kulturelle Anpassung, Shugendōund Shintō
6.1. Kulturelle Anpassung und Symbiose
6.2. Bergaskese und übermenschliche Fähigkeiten
6.3. Gründer und Systematisierung des Shugendō
6.4. Komplexe Beziehungen mit dem Shintō
6.5. Ausblick
7. Der Buddhismus des Reinen Landes
7.1. Amida-Buddhismus und Mahāāa
7.2. Anfänge des Amida-Buddhismus in Japan
7.3. Hōens Leben und Lehre
7.4. Hōens Schüler und Widersacher
7.5. Ippens nenbutsu-Praxis und Ji-shū
8. Rinzai-Zen und die "Fünf Berge"
8.1. Allgemeine Bemerkungen zum "Zen-Buddhismus"
8.2. Eisais Einführung des Zen in Japan
8.3. Tempelgründungen des Rinzai-Zen in Kyōo und Kamakura
8.4. Das System der "Fünf Berge"
9. Shin-Buddhismus
9.1. Shinran und die Radikalisierung des Amida-Buddhismus
9.2. Shinrans Hauptschriften und Ideen
9.3. Neubildungen und die Festigung des Shin-Buddhismus durch Rennyo
10. SōōZen
10.1. Dōens Entwicklung
10.2. Dōens Schriften
10.3. Der Kern der Sache
10.4. Das Zazengi
10.5. Weitere Entwicklungen des SōōZen
11. Nichiren und der Buddhismus des Lotos-Sūra
11.1. Buddhismus in der Kamakura-Zeit
11.2. Nichirens Entwicklung und seine Botschaft
11.3. Neue Schriften und neue Lehren
11.4. Der Haupttempel Kuonji auf dem Berg Minobu
12. Kulturelle Blüte
12.1. Muromachi und Azuchi-Momoyama
12.2. Etappen der buddhistischen Skulptur
12.3. Gärten
12.4. Tee-Zeremonie und Kunst der Blumen
12.5. Dichtung
12.6. Das NōTheater
12.7. Tempel als Horte der Kunst
13. Buddhismus in der Edo-Zeit
13.1. Buddhismus unter den Tokugawa-Shōunen
13.2. Berühmte Mönche der Edo-Zeit
13.3. Buddhismus und die Religion des Volkes
13.4. Der frühe Modernismus kommt in Fahrt
14. Die Herausforderungen der Moderne
14.1. Meiji-Politik und Modernisierung
14.2. Zerstörung der Symbiose zwischen Shintōund Buddhismus
14.3. Westlicher Einfluss und eine neue Buddhismus-Forschung
14.4. Universalismus, Spiritualität und Erziehung
14.5. Botschaften an den Westen
14.6. Die Kyōo-Schule
15. Buddhistischer Laizismus
15.1. Wurzeln des buddhistischen Laizismus in Japan
15.2. Fragen des Gender
15.3. Freiräume außerhalb des Tempelsystems
15.4. Zaike bukkyō
16. Buddhismus im gegenwärtigen Japan
16.1. Der Nachkriegsaufschwung des Buddhismus
16.2. Buddhismus als kulturelles Erbe
16.3. Tempelbesuche für religiöse Bedürfnisse
16.4. Globales Bewusstsein und japanischer Buddhismus in Übersee
16.5. Gelehrtenbuddhismus
16.6. Buddhismus und die Ahnen
16.7. Ausblick
Literaturverzeichnis
B. Buddhismus im Westen
Geschichte und Analyse der Anpassung und Etablierung des Buddhismus in Ländern außerhalb Asiens
1. Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen
1.1. Zielsetzungen des Beitrages
1.2. Theoretisch-analytische Rahmung: Religionskontakte im religiösen Feld
2. Buddhismus im Westen - Geschichte und Analyse der Rezeption und Verbreitung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts
2.1. Frühe Kontakte
2.2. Buddhismus als Text und Buddha als rationaler Analytiker
2.3. Erste Bekenner und Vereinigungen
2.4. Europäische Mittelschicht-Mönche und vergessene Lumpenmönche
2.5. Austausch zwischen West und Ost: Anfänge eines globalen Buddhismus
2.6. Ankunft und Etablierung in den Vereinigten Staaten: Migranten und Konvertiten
2.7. Erste buddhistische Schritte in der südlichen Hemisphäre
2.8. Buddhistische Gemeinden in Deutschland und England, 1920er bis 1940er Jahre
2.9. Weitere buddhistische Aktivitäten von Paris bis Sankt Petersburg
3. Pluralisierung und Popularisierung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts
3.1. Neuanfang und Pluralisierung in der Nachkriegszeit Europas
3.2. Zen-Buddhismus: Ankunft und Amerikanisierung
3.3. Zen-Boom im deutschsprachigen Raum
3.4. Abgrenzung und Anpassung: Zen-Buddhismus in Brasilien und Australien
3.5. Ankunft und Etablierung tibetisch-buddhistischer Schulen
3.6. VipassanāZentren, Pāi-Kanon-Gesprächsgruppen und westliche Waldmönche
3.7. Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens: Nordamerika
3.8. Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens: Australien und Europa
3.9. Weitere Entwicklungen und neue Orden
3.10. Quantitative Entwicklungen und aktuelle Zahlen
3.11. Intrabuddhistische Begegnungen und Buddhistisches Bekenntnis
4. Buddhismus im Westen und gesellschaftliche Megatrends
4.1. Individualisierung
4.2. Säkularisierung
4.3. Kommerzialisierung
5. Schluss
Literaturverzeichnis
C. Resümee
Gesellschaftliche Aufgaben des Buddhismus in der modernen Welt
Literaturverzeichnis
Register
Geographische Namen
Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten
Sachregister

Citation preview

Die Religionen der Menschheit Begründet von Christel Matthias Schröder

Fortgeführt und herausgegeben von Peter Antes, Manfred Hutter, Jörg Rüpke und Bettina Schmidt

Band 24,3

Manfred Hutter (Hrsg.)

Der Buddhismus III

Ostasiatischer Buddhismus und Buddhismus im Westen

Verlag W. Kohlhammer

Umschlagbild: Laternen-Festival im Vesakh im Chogye-Tempel, Seoul, Südkorea (Rechte unbekannt).

1. Auflage 2018 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-028364-0 E-Book-Formate: pdf: ISBN 978-3-17-028365-7 epub: ISBN 978-3-17-028366-4 mobi: ISBN 978-3-17-028367-1 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

INHALT

A. BUDDHISMUS

BUDDHISMUS

IN

OSTASIEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

CHINA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

IN

Stephan Peter Bumbacher 1.

Die Religionen Chinas in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Ahnenkult und lokale Kulte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Daoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 16 18

2.

Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Frühphase (65–317 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Aufbauphase: Trennung Nord-Süd (317–589) . . . . . . . . . . . 2.3. Blütephase (6.–10. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Phase des Niedergangs (10.–19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . 2.5. Moderne (19.–20. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Taiwan (17. Jahrhundert bis heute) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 33 42 45 48 50

3.

Grundlagen und Aspekte des chinesischen Buddhismus . . . . . . . 3.1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Übersetzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Anhänger des Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Das Seelenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Das Verhältnis zwischen Buddhismus und Daoismus . . . . 3.7. Apokalyptische Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8. Buddhistische Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9. Buddhismus und Staatsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 82 90 107 116 128 137 154 160 165

5

Inhalt

BUDDHISMUS

IN

VIETNAM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Trang-Dai Vu 1.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

2.

Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Anfänge des Buddhismus in Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Blütezeit des Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Bedeutungsverlust durch den Konfuzianismus . . . . . . . . . .

176 176 178 183

3.

Das Wiedererstarken des Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Der buddhistische Frühling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Reformbewegung und buddhistische Vereinigungen

185 185 187

4.

Der vietnamesische Buddhismus im heutigen Kontext . . . . . . . . 4.1. Die großen Mahāyāna-Schulen des vietnamesischen Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die Bedeutung des Buddhismus im vietnamesischen Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Der Buddhismus und die Religiosität im heutigen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190

5.

Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

BUDDHISMUS

IN

190 192 194 195 195

KOREA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Jörg Plassen 1.

Die Zeit der Drei Reiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Koguryŏ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Paekche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Silla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199 199 202 204

2.

Das Vereinigte Silla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

206

3.

Koryŏ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212

4.

Chosŏn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216

5.

Japanisches Protektorat und Kolonialherrschaft . . . . . . . . . . . . . .

221

6.

Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223 226

6

Inhalt

ENTWICKLUNG

UND

VIELFALT

DES JAPANISCHEN

BUDDHISMUS . . . . . . . . 229

Michael Pye 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Einführende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Terminologie und Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 229 231

2. Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Zeitgeschichtliche Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Kaiserin Suiko und Prinz Shōtoku . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Tempel und Ikonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Anfänge der Shōtoku-Verehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Lehrtraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Einflussreiche Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 233 235 236 238 239 241

3. Nara-Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Heijōkyō und „Nara-Buddhismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Tempel-Umsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Tōdaiji, Tōshōdaiji und Saidaiji . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Weitere Ausbreitung des Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Lehrrichtungen und Vermächtnis des Nara-Buddhismus

243 243 244 245 246 248

4. Heiankyō und Tendai-Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Neue Hauptstadt, neuer Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Das Werk Saichōs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Bedeutung und Botschaft des Lotos-Sūtra . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Kernpunkte der japanischen Tendai-Lehre . . . . . . . . . . . . . 4.5. Buddhismus in Japan während der Heian-Zeit . . . . . . . . . .

250 250 250 253 255 258

5. Shingon-Buddhismus und die „Geheimen Lehren“ . . . . . . . . . . . . 5.1. Der esoterische Turn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Einführung des Shingon-Buddhismus durch Kūkai . . . . . . 5.3. Ritual und Symbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Kūkais Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Verschiedene Shingon-Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6. Die Tendai-Shingon-Vorherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

260 260 262 263 266 267 268

6. Kulturelle Anpassung, Shugendō und Shintō . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Kulturelle Anpassung und Symbiose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Bergaskese und übermenschliche Fähigkeiten . . . . . . . . . . 6.3. Gründer und Systematisierung des Shugendō . . . . . . . . . . 6.4. Komplexe Beziehungen mit dem Shintō . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269 269 269 271 273 273

7

Inhalt

7. Der Buddhismus des Reinen Landes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Amida-Buddhismus und Mahāyāna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Anfänge des Amida-Buddhismus in Japan . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Hōnens Leben und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4. Hōnens Schüler und Widersacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5. Ippens nenbutsu-Praxis und Ji-shū . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274 274 275 277 279 282

8. Rinzai-Zen und die „Fünf Berge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Allgemeine Bemerkungen zum „Zen-Buddhismus“ . . . . . . 8.2. Eisais Einführung des Zen in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3. Tempelgründungen des Rinzai-Zen in Kyōto und Kamakura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4. Das System der „Fünf Berge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284 284 285 287 290

9. Shin-Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1. Shinran und die Radikalisierung des Amida-Buddhismus 9.2. Shinrans Hauptschriften und Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Neubildungen und die Festigung des Shin-Buddhismus durch Rennyo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

298

10. Sōtō-Zen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1. Dōgens Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2. Dōgens Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3. Der Kern der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4. Das Zazengi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5. Weitere Entwicklungen des Sōtō-Zen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299 299 301 302 304 306

11. Nichiren und der Buddhismus des Lotos-Sūtra . . . . . . . . . . . . . . . 11.1. Buddhismus in der Kamakura-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2. Nichirens Entwicklung und seine Botschaft . . . . . . . . . . . . . 11.3. Neue Schriften und neue Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4. Der Haupttempel Kuonji auf dem Berg Minobu . . . . . . . . .

307 307 309 311 313

12. Kulturelle Blüte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1. Muromachi und Azuchi-Momoyama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2. Etappen der buddhistischen Skulptur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3. Gärten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4. Tee-Zeremonie und Kunst der Blumen . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5. Dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6. Das Nō-Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7. Tempel als Horte der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

314 314 315 317 319 320 322 323

13. Buddhismus in der Edo-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1. Buddhismus unter den Tokugawa-Shōgunen . . . . . . . . . . .

324 324

8

293 293 295

Inhalt

13.2. Berühmte Mönche der Edo-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3. Buddhismus und die Religion des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . 13.4. Der frühe Modernismus kommt in Fahrt . . . . . . . . . . . . . . .

327 331 334

14. Die Herausforderungen der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1. Meiji-Politik und Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2. Zerstörung der Symbiose zwischen Shintō und Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3. Westlicher Einfluss und eine neue BuddhismusForschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4. Universalismus, Spiritualität und Erziehung . . . . . . . . . . . . 14.5. Botschaften an den Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.6. Die Kyōto-Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

336 336

339 342 344 346

15. Buddhistischer Laizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1. Wurzeln des buddhistischen Laizismus in Japan . . . . . . . . 15.2. Fragen des Gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3. Freiräume außerhalb des Tempelsystems . . . . . . . . . . . . . . . 15.4. Zaike bukkyō . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349 349 352 354 355

16. Buddhismus im gegenwärtigen Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1. Der Nachkriegsaufschwung des Buddhismus . . . . . . . . . . . . 16.2. Buddhismus als kulturelles Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3. Tempelbesuche für religiöse Bedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . 16.4. Globales Bewusstsein und japanischer Buddhismus in Übersee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5. Gelehrtenbuddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6. Buddhismus und die Ahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359 359 360 362

B. BUDDHISMUS

IM

338

366 367 368 370 371

WESTEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

GESCHICHTE UND ANALYSE DER ANPASSUNG UND ETABLIERUNG DES BUDDHISMUS IN LÄNDERN AUßERHALB ASIENS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Martin Baumann 1.

Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Zielsetzungen des Beitrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Theoretisch-analytische Rahmung: Religionskontakte im religiösen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

379 379 381

Inhalt

2.

3.

4.

Buddhismus im Westen – Geschichte und Analyse der Rezeption und Verbreitung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts 2.1. Frühe Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Buddhismus als Text und Buddha als rationaler Analytiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Erste Bekenner und Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Europäische Mittelschicht-Mönche und vergessene Lumpenmönche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Austausch zwischen West und Ost: Anfänge eines globalen Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Ankunft und Etablierung in den Vereinigten Staaten: Migranten und Konvertiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Erste buddhistische Schritte in der südlichen Hemisphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Buddhistische Gemeinden in Deutschland und England, 1920er bis 1940er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9. Weitere buddhistische Aktivitäten von Paris bis Sankt Petersburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pluralisierung und Popularisierung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Neuanfang und Pluralisierung in der Nachkriegszeit Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Zen-Buddhismus: Ankunft und Amerikanisierung . . . . . . . 3.3. Zen-Boom im deutschsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Abgrenzung und Anpassung: Zen-Buddhismus in Brasilien und Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Ankunft und Etablierung tibetisch-buddhistischer Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Vipassanā-Zentren, Pāli-Kanon-Gesprächsgruppen und westliche Waldmönche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens: Nordamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8. Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens: Australien und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9. Weitere Entwicklungen und neue Orden . . . . . . . . . . . . . . . 3.10. Quantitative Entwicklungen und aktuelle Zahlen . . . . . . 3.11. Intrabuddhistische Begegnungen und Buddhistisches Bekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buddhismus im Westen und gesellschaftliche Megatrends . . . . 4.1. Individualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

384 384 385 388 391 394 395 398 400 403

406 406 409 412 416 418 422 425 429 433 438 441 443 444

Inhalt

4.2. 4.3. 5.

Säkularisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommerzialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

446 448

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

450 451

C. RESÜMEE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

GESELLSCHAFTLICHE AUFGABEN DES BUDDHISMUS IN DER MODERNEN WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Manfred Hutter Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

472

REGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Geographische Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

475

Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

478

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

484

11

A. BUDDHISMUS

IN

OSTASIEN

BUDDHISMUS

IN

CHINA

Stephan Peter Bumbacher

Jeder Versuch, eine umfassende Darstellung des „chinesischen Buddhismus“ zu entwerfen, sieht sich größten Schwierigkeiten ausgesetzt. Das überlieferte Primärmaterial ist viel zu umfangreich, sowohl was Texte als auch was archäologische und ikonographische Zeugnisse anbelangt. Ein historischer Überblick, wie ihn Kenneth Ch’en vor über fünfzig Jahren vorlegte und wie er seit kurzem in französischer Übersetzung vorliegt, ist im hier vorgegebenen Rahmen nicht möglich. Zudem sind verschiedene Forschungsfelder noch nicht oder nicht hinreichend erschlossen. So stehen z. B. Untersuchungen der individuellen Idiome der frühen Übersetzer, etwa eines Lokakṣema oder Zhi Qians1, erst am Anfang. Diese werden zur Zeit hauptsächlich in Japan vorangetrieben. Und die von den Übersetzerteams vorgenommenen Interpolationen wurden bisher erst am Beispiel der in die Übersetzungen eingefügten „Seele“ (shen) untersucht. Eine wichtige Quelle stellen die Mönchs- und Nonnenbiographien dar. Hier ist das Bi qiu ni zhuan (Biographien von buddhistischen Nonnen) die bisher einzige Vitensammlung aus einer umfangreichen literarischen Gattung, die vollständig in eine westliche Sprache übersetzt und untersucht wurde. Erst in den letzten drei Jahren wurde die erste Sammlung apologetischer Traktate, gelehrter Korrespondenzen und kurzer Kompendien, das Hong ming ji (Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes]), umfassend übersetzt. Seine spätere Erweiterung, das etwas anders gelagerte Guang hong ming ji (Erweiterte Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes]), harrt jedoch noch der entsprechenden systematischen Auswertung. Ebenfalls noch ausstehend ist die Aufarbeitung der „Buddhismen der kleinen Leute“. Neben epigraphischen Quellen dürfte vor allem die Analyse der so genannten zhi guai-Literatur Erfolg versprechen, also derjenigen Texte, die sich mit „übernatürlichen“ Begebenheiten beschäftigten. Mit der kürzlichen Übersetzung der Fragmente des Ming xiang ji (Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich]) durch Robert F. Campany wurde ein Anfang gemacht. Dabei ist es ihm u. a. gelungen, die zentrale Bedeutung der halbmonatlichen gemeinsamen Fastenzeremonien (zhai) von Laiengruppen aufzuzeigen. Eines der wohl interessantesten

1 Als Umschrift des Chinesischen wird das heute übliche Pinyin verwendet (mit wenigen Ausnahmen, die kommentiert werden). Um dem isolierenden Charakter des Chinesischen gerecht zu werden, stehen die Pinyin-Silben unverbunden da, außer bei Personen-, geographischen und Ortsnamen.

15

Buddhismus in China

Forschungsgebiete stellen die so genannten apokryphen Sūtras, d. h. in China entstandenen Schriften dar. Dieser Gattung haben sich in jüngster Vergangenheit eine Reihe von jungen vor allem amerikanischen Forschenden zugewandt. Auch können chinesischer Buddhismus und Daoismus nicht unabhängig voneinander verstanden werden. Die Erforschung ihrer gegenseitigen Beeinflussung sowie ihrer Interaktion mit lokalen Kulten hat vor wenigen Jahren begonnen. Dieser Beitrag hat es sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt der religiösen Diskurse anhand ausgewählter Themen und Textbeispiele anschaulich zu machen. Die wechselhafte Rezeption buddhistischen Gedankenguts zwischen (Miss-)Verständnis, Neuinterpretation und Aneignung steht vor dem Hintergrund indigener religiöser Vorstellungen, sich verändernder ökonomischer Rahmenbedingungen und wechselnder zeitgeschichtlicher politischer Machtverhältnisse.

1. Die Religionen Chinas in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung2

1.1. Ahnenkult und lokale Kulte Die ausschlaggebende soziale Einheit der chinesischen Gesellschaft ist und war der erweiterte Familienverband (Clan), bestehend aus der Abstammungslinie (lineage) aus dem gemeinsamen Gründerahn mit ihren Seitenlinien. Den Zusammenhalt gewährleistete der gemeinsame Ahnenkult, die älteste, wichtigste, und verbreitetste Form religiöser Praxis in China. Als Zeichen der Zusammengehörigkeit dienten umfangreiche Trauerriten, bei denen über längere Zeitperioden Trauerbekleidung getragen sowie Versammlungen im Ahnentempel und auf dem Friedhof abgehalten wurden. Dort und auf dem Hausaltar wurden die Namenstafeln aufgestellt und aufbewahrt, welche den Hauch-Seelen (hun)3 der Verstorbenen als temporärer Aufenthaltsort dienten.4 Legitimiert wurde der Ahnenkult zwar mit der konfuzianischen Forderung nach kindlicher Pietät, welche die Lebenden den Verstorbenen dadurch schuldeten, dass sie diesen ihr Leben verdankten. Viel bedeutsamer aber war die sehr viel ältere Vorstellung, dass die Ahnen die primäre Sanktionierungsinstanz für die Lebenden bildeten. Ihnen gegenüber war man letztlich für sein Tun verantwortlich. Wohlverhalten wurde von ihnen mit einer Verbesse-

2 Zum Folgenden vgl. Bumbacher 2005 und Bumbacher 2012b. 3 Zum Seelenkonzept s. u. Kapitel 3.5. 4 Thompson 1979: 38.

16

Stephan Peter Bumbacher

rung der ökonomischen Verhältnisse und des sozialen Status belohnt, Fehlverhalten mit ökonomischer Verschlechterung und sozialem Abstieg bestraft. Damit die Ahnen ihre Nachkommen aktiv unterstützen konnten, mussten diese rituell über jeden wichtigen Aspekt des Familienlebens informiert werden. Ihnen wurden in do-ut-des-Manier Opfer dargebracht, welche den Ahnen die „Energie“ verliehen, sich erkenntlich zu zeigen. Sie konnten sich den Lebenden gegenüber bemerkbar machen, etwa im Traum, wenn sich z. B. ein verstorbenes Familienmitglied darüber beklagen wollte, dass seine Grabstätte falsch angelegt war, nicht den geomantischen Erfordernissen (feng shui) entsprach und es sich darin nicht wohl fühlte. Oder es konnte die Nachkommen mit Krankheit bestrafen, wenn es ihm im „Jenseits“ an etwas mangelte. Zu früh oder eines gewaltsamen Todes Verstorbene konnten zudem als Dämonen zurückkehren und die Lebenden solange heimsuchen, bis diese mit Hilfe von religiösen Spezialisten die Ursache eruieren und den entsprechenden Ahn durch Opfer besänftigen konnten. Abgesehen vom familiären Ahnenkult stellten die so genannten lokalen Kulte die weitaus häufigste Form religiöser Aktivitäten dar. Deren Ausübung beschränkte sich auf einen mehr oder weniger engen geographischen Raum, etwa einen DorfSchrein oder einen Tempel, der sich an einem „wirkmächtigen“ (ling) Ort befand. Dort wird man auch den ätiologischen Mythos (mündlich, seltener in schriftlicher Form) aufbewahrt haben, der die Geschichte des Schreines oder die Biographie der in ihm verehrten Gottheit erzählte. Diese Heiligtümer konnten zwar von Priestern oder Priesterinnen beaufsichtigt werden, lagen jedoch häufiger in der Obhut von Dorfbewohnern, welche zu diesem Zwecke „Tempelgemeinschaften“ bildeten. Nicht alle lokalen Kulte organisierten sich um ein Heiligtum. Der berühmte Kult des Gottes des Gelben Flusses, bei dem jährlich ein junges Mädchen mit dem Flussgott „verheiratet“ (geopfert) wurde, fand unter freiem Himmel an den Gestaden des Huang-he statt.5 „Erfolgreiche“ lokale Kulte, d. h. solche, deren Gottheiten verlässlich die Bitten der Gläubigen erhörten, konnten Pilger aus entlegeneren Gegenden anziehen, was zwangsläufig zu einer Erweiterung der örtlichen Infrastruktur in Form von Herbergen und Devotionalienläden etc. führte. Gelegentlich kam es vor, dass heimkehrende Pilger zu Hause ebenfalls einen Tempel für dieselbe Gottheit errichteten. Solche „Töchtertempel“ bezogen ihre Legitimation vom Ursprungstempel und blieben diesem nicht nur durch den gegenseitigen Besuch der Tempelweihefeste, sondern auch ökonomisch verbunden. Bildeten sich bei besonders erfolgreichen Kulten gar weiträumige, eigentliche Netzwerke von Töchtertempeln aus, spricht man von regionalen Kulten. Lokale oder regionale Kulte wurden von den nicht-ortsgebundenen Beamten der Zentralregierung prinzipiell mit Argwohn beobachtet. Der Hauptgrund dafür

5 Bumbacher 2010: 63–66.

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Buddhismus in China

war ein ökonomischer. Wie das Beispiel des Kultes des Gottes des Gelben Flusses zeigt, mussten von den Gläubigen z. T. beträchtliche Summen für die Durchführung des Kultes und den Unterhalt der Priesterinnen aufgebracht werden. Dieses Geld stand den Beamten bei der Eintreibung der Steuern für den Staat und die eigene Bereicherung nicht mehr zur Verfügung. Entsprechend finden sich immer wieder in den Dynastiegeschichten und anderen für die Beamten relevanten Schriften Hinweise über Kulte, welche von einfallsreichen Beamten erfolgreich ausgemerzt wurden.6

1.2. Daoismus Der Daoismus kann als die eigentliche chinesische Religion bezeichnet werden. Deren Traditionen haben sich ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. entwickelt. Das Ziel bestand letztlich darin, körperlich unsterblich zu werden, wobei sich die entsprechenden Praktiken z. T. erheblich unterschieden. Generell ging man von verschiedenen Stufen von Unsterblichen aus. Jene der höchsten Stufe sollen vor Zeugen bei helllichtem Tage in den Himmel aufgefahren sein, um dort Funktionen in der himmlischen Administration zu übernehmen. Unsterbliche einer niedrigeren Stufe konnten nur heimlich in den Himmel aufsteigen, nachdem sie zunächst sterben und bestattet werden mussten. Wurde aus irgendeinem Grunde das Grab geöffnet und man fand anstelle der Leiche einen persönlichen Gegenstand, beispielsweise ein Paar Sandalen, einen Stock oder ein Schwert, dann galt dies als Indiz, dass die Person das Grab als unsterblich verlassen hatte. Die irdischen Unsterblichen hingegen verweilten über Jahrhunderte auf der Erde, wechselten häufig den Wohnort und ihre soziale Identität, bis auch sie schließlich in den Himmel auffuhren. Das Ziel der Unsterblichkeit zu erreichen war aber nur solchen Menschen vorbehalten, die ihr ganzes Leben ausschließlich darauf ausrichteten, sich einer entsprechenden Lebensweise befleißigten und die notwendigen Rituale durchführten. Alle anderen männlichen und weiblichen Daoisten konnten wenigstens auf ein langes Leben (shou) hoffen, solange sie bestimmte Gebote beachteten,7 oder sie konnten mit dem Schutz vor Dämonen und Krankheiten rechnen. Alle Traditionen dieses so genannten religiösen Daoismus können in drei Gruppen eingeteilt werden: a) in gemeindeorientierte, deren Mitglieder innerhalb der Gesellschaft lebten und sich für diese einsetzten,

6 Z. B. Kapitel neun der Durchdringenden Bedeutungen der Bräuche (Feng su tong yi). 7 Siehe Meister, der die Einfachheit umfasst, innere Kapitel (Bao pu zi nei pian): 19–20, englische Übersetzung in Ware 1966: 47f.

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b) individuumorientierte, die durch einen Meister sorgfältig ausgewählt wurden, sich um diesen scharten und unter einem Eid der Verschwiegenheit in sein Wissen und seine heiligen Texte eingeweiht wurden,8 c) klösterliche Traditionen, welche ursprünglich unter buddhistischem Einfluss entstanden. Beispiele für gemeindeorientierte Traditionen sind die Himmelsmeister-Tradition (tian shi dao) und die Tradition des Wirkungsmächtigen Juwels (ling bao dao). Ein Beispiel der eremitischen Form ist die frühe Tradition der Höchsten Klarheit (shang qing dao), auch bekannt unter dem Namen Mao-shan-Tradition (mao-shan dao), benannt nach dem Zentrum auf dem Berg Mao. Als monastische Traditionen können der spätere mao-shan dao und die Tradition der Perfekten Realisation (quan zhen dao) gelten.

1.2.1. Daoismus der Himmelsmeister (tian shi dao) Hervorgegangen aus einer revolutionären Massenerhebung im Jahre 184 n. Chr. gegen die im Niedergang befindliche Spätere Han-Dynastie konnten sich die „Himmelsmeister“ gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. für rund dreißig Jahre als theokratischer Staat im Gebiet des heutigen Si-chuan etablieren. Sie unterteilten ihr Gebiet in vierundzwanzig Distrikte oder „Diözesen“ (zhi), welche sowohl religiöse, als auch administrative und politische Bezirke darstellten. Ihre Anhänger rekrutierten sie in „Gasthäusern der Rechtschaffenheit“ (yi she), die sie entlang der Hauptverkehrswege errichteten und in welchen die Reisenden kostenlos Essen und Unterkunft erhielten, dafür aber sich von Priestern in der Religion der Himmelsmeister unterrichten lassen mussten. Sie waren gehalten, nach ihrer Heimkehr bei den Priestern ihrer eigenen Diözese zwecks weiterer Unterweisung vorzusprechen. Die Himmelsmeister organisierten sowohl die religiösen als auch die politischsozialen Aspekte ihrer Anhänger. So wurde die Infrastruktur, welche von der Administration der zerfallenden Han-Dynastie vernachlässigt worden war, durch Gemeindemitglieder als Buße für Übertretungen der Gemeinderegeln instandgesetzt und unterhalten. Jeder Haushalt hatte eine Steuer von fünf Scheffel Reis abzugeben, weshalb die Bewegung allgemein auch die „Fünf-Scheffel-Reis“-Tradition (wu dou mi dao) genannt wurde. Dieser Reis wurde unter den bedürftigen Gemeindemitgliedern verteilt. Obwohl die Himmelsmeister die offiziellen Repräsentanten der schwachen kaiserlichen Administration „neutralisiert“ hatten, betrachteten sie das kaiserliche Regime durchaus nicht als ihren Gegner. Kaiserliche militärische Aktionen waren höchst unwahrscheinlich, da Si-chuan durch eine vorteilhafte Topographie ge-

8 Bumbacher 2017.

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schützt und leicht zu verteidigen war. Opposition erwuchs der Bewegung vielmehr aus den lokalen Kulten, deren Anhänger nicht bereit waren, sich in das neue daoistische System zu integrieren und dadurch dessen Gottheiten und Riten als den eigenen überlegen anzuerkennen. Die daoistischen Texte sprechen denn auch von „exzessiven Kulten“ (yin si) oder der „Verehrung schädlicher Dämonen“, wenn die Rede von Kulten ist, in deren Zentrum blutige Opfer standen, also Schlachten, Opfern und Verzehren von zu diesem Zwecke getöteten Tieren.9 Die Opfergaben, respektive deren im Rauch emporsteigender „Feinstteile“, dienten den Göttern als Nahrung. Was übrig blieb, konsumierten die Kultteilnehmenden gemeinsam. Dadurch kamen auch Menschen, die es sich üblicherweise nicht leisten konnten, zu fleischlicher Nahrung. Schließlich wurden die Priester der lokalen Kulte für ihre Dienste entschädigt. Es war daoistischen Priestern nicht gestattet, persönliche Honorare entgegenzunehmen. Stattdessen verlangten sie von ihren Gemeindemitgliedern als Gegenleistung für Rituale (z. B. zur Krankenheilung) Papier, Tusche, Schreibpinsel usw., alles Dinge, die dann wieder im Ritual und in der Gemeindeadministration Verwendung fanden und somit der Gemeinschaft insgesamt zu Gute kamen. Anstelle von Opfern für Geister, Dämonen oder lokale Gottheiten griffen die Daoisten auf die üblichen administrativen Verfahren zurück wie schriftliche Eingaben, Beschwerden und Gesuche an ihre Götter, was alles dem Vorbild der säkularen kaiserlichen Verwaltung nachgebildet war. So richteten sie z. B. schriftliche Petitionen an das zuständige Amt der himmlischen Verwaltung, in welchen sie die dortigen Götter darum ersuchten, ihre Autorität auszuspielen und kleinere Mächte wie etwa krankheitsverursachende Dämonen in ihre Schranken zu verweisen. Auf diese Weise versuchten die Himmelsmeister, lokale Gottheiten als unbedeutendere Dämonen in ihr eigenes religiöses System zu integrieren und der überlegenen Macht ihrer eigenen Götter zu unterstellen. Die offensichtlichen politischen, administrativen und ökonomischen Probleme der Han-Dynastie wurden als Folge des Ungleichgewichtes interpretiert, in das die kosmischen Energien (qi) Yin und Yang dadurch geraten waren, dass der Kaiser den von ihm erwarteten moralisch-ethischen Ansprüchen nicht mehr gerecht wurde. Aufgrund der traditionellen Vorstellung, dass irdisches Verhalten sich auf den Kosmos als Ganzes auswirkt und der Kosmos entsprechend wieder das irdische Geschehen beeinflusst, war eines der wichtigsten Rituale der Himmelsmeister die Vereinigung (oder Harmonisierung) der Energien (he qi) durch Geschlechtsverkehr.10 Wenn die Gemeindemitglieder durch bis ins Detail vorgeschriebene und von den Priestern beaufsichtigte geschlechtliche Vereinigung die beiden Energien auf der menschlichen Ebene wieder ins Gleichgewicht brachten, musste dies auf

9 In seltenen Fällen wurden auch Menschen geopfert, etwa durch Versenken in Flüssen. 10 Vgl. Raz 2008.

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die kosmischen Energien positiv zurückwirken. Jedes Gemeindemitglied trug somit Mitverantwortung für die Aufhebung von Energie-Blockaden und den Stillstand der natürlichen Zyklen und Prozesse sowie den Austausch zwischen Erde, Mensch und Himmel. Es war gerade dieses he qi-Ritual, das später den Buddhisten ein Dorn im Auge war und immer wieder in ihren Kritiken gegen den Daoismus ins Feld geführt wurde. Als sich im Jahre 215 n. Chr. die Anführer der Himmelsmeister-Tradition dem neuen militärisch-politischen Führer Nordchinas unterwarfen und in dessen Familie einheirateten, wurden Zehntausende von Anhängern nach Chang-an umgesiedelt. Dort musste sich der Himmelsmeister-Daoismus in einer neuen geographischen, kulturellen, sozialen und politischen Situation zurechtfinden und seine religiösen Vorstellungen den gegebenen Bedingungen anpassen. Die in Si-chuan verbliebenen Anhänger waren nicht mehr länger unter der engen Kontrolle ihrer Priester und entwickelten ihre Religion in neue Richtungen weiter.

1.2.2. Daoismus der Höchsten Klarheit (shang qing dao) Im Jahre 311 eroberten fremde Turk-Völker und alliierte Stämme Nordchina. Viele Familien der chinesischen Elite emigrierten in der Folge in den Süden, darunter auch eine beträchtliche Anzahl von Anhängern der Himmelsmeister-Tradition. Die Situation im Süden gestaltete sich komplex. Zunächst bestand die Bevölkerung aus einem Substrat von Ureinwohnern, welches dann von einer Führungsschicht überlagert wurde, bestehend aus ursprünglich aus dem Norden stammenden HanChinesen, die bereits nach dem Zusammenbruch der Han-Dynastie nach Süden emigriert waren. Und nun kamen die Neuankömmlinge, die von ihrem Herkommen und Selbstverständnis her ebenfalls gewohnt waren, die Führungselite zu stellen, in ein Gebiet, in dem die Positionen bereits vergeben waren. In religiöser Hinsicht waren andere als die bereits bekannten lokalen Kulte aktiv. Zudem kannte der Süden ein starkes schamanistisches Moment und es hatte sich zu dem Zeitpunkt auch bereits eine Form des Buddhismus etabliert. Die religiösen Bedürfnisse der Immigranten konnten nicht gänzlich durch die vorgefundenen Kulte befriedigt werden, aber auch die Anhänger der Himmelsmeister, nun getrennt vom ursprünglichen Diözesen-System, mussten sich neu orientieren. Einige Familien sahen sich daher nach lokalen religiösen Spezialisten um, z. B. nach begabten Medien, welche ihnen individuelle spirituelle Führung anbieten konnten. Ein solches Medium war ein gewisser Yang Xi (fl. 364–370), ein Visionär, der häufig mit dem Besuch einer Gruppe von Perfekten Unsterblichen (zhen ren) vom Himmel der Höchsten Klarheit (shang qing tian) beehrt wurde. Diese Gottheiten überbrachten Yang eine neue religiöse Literatur, bestehend aus hagiographischen und „doktrinären“ Schriften sowie begleitenden mündlichen Erläuterungen, wie die Texte zu verstehen und zu verwenden seien.

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Diese neue daoistische Richtung bezog sich – anders als die Himmelsmeister-Tradition – ausschließlich auf das Individuum. Wesentlich waren die direkten persönlichen Beziehungen zwischen dem Einzelnen und den Göttern, beziehungsweise zwischen dem Meister oder Medium und dem Schüler. Die Beziehung zwischen dem Medium Yang Xi und den ihn besuchenden Göttern waren so eng, dass letztere ihm sogar die Heirat mit einer Tochter einer Göttin versprachen. Die sexuellen Interaktionen zwischen den Gemeindemitgliedern des tian shi dao wurden im shang qing dao aufgehoben und auf eine höhere Ebene transponiert, auf die des hieros gamos zwischen einem Menschen und einer Gottheit des anderen Geschlechtes. Eine vor gut zwei Generationen aus dem Norden eingewanderte, nun hochangesehene und einflussreiche Familie namens Xu hatte bereits zuvor mit „privaten“ Priestern respektive Medien gearbeitet, war aber mit diesen nicht zufrieden. In Yang Xi schien sie nun genau die richtige Person gefunden zu haben, die nach Kontaktaufnahme mit den Göttern die Fragen der Xus betreffend des jenseitigen Schicksals von verstorbenen Familienmitgliedern, aber auch über die göttliche Einschätzung des eigenen religiösen Fortschrittes hinreichend präzise beantworten konnte. Yang Xi war von seinem Herrn Xu Mi beim früheren Prinzen von Gui-ji, Sima Yu, eingeführt worden. Dieser gilt in den offiziellen Dynastiegeschichten als glühender Förderer des Buddhismus, der Mönche wie den berühmten Zhi Dun (314–366) bewunderte. Er, der spätere Kaiser Jian-wen (reg. 371–373), nahm, als er noch Prinz von Lang-ye war, Yang Xi in seinen eigenen Haushalt auf. Sein Hof war ein beständiger Begegnungsort von Buddhisten, Mönchen wie Laien. Spätestens hier muss Yang Xi mit buddhistischen Schriften – in chinesischer Übersetzung – in Kontakt gekommen sein. Ihr hohes Ansehen und ihre Wertschätzung konnten seiner Aufmerksamkeit sicherlich nicht entgangen sein, ihr musste er in seinen eigenen religiösen Aktivitäten Rechnung tragen. Dies tat er auf zweierlei höchst interessante Weisen: einerseits integrierte er verstorbene hochrangige Beamte und Generäle des frühen 4. Jahrhunderts, deren Sympathien und Beziehungen zum Buddhismus bekannt waren, in sein neues daoistisches Pantheon als nun jenseitige daoistische Beamte. Andererseits übernahm er buddhistische Texte und fügte sie mutatis mutandis in seine eigenen ein. So „transformierte“ er z. B. die berühmten Zweiundvierzig Abschnitte buddhistischer Schriften (Fo jing si shi er zhang) in einen daoistischen Text.11 Zunächst trennte er das ursprüngliche „Vorwort“, respektive den narrativen Teil, welcher nicht nur den Buddha explizit erwähnt, sondern auch auf den Titel referiert, und übernahm ihn unverändert. Dann ersetzte er im Hauptteil des ursprünglichen Textes alle eindeutig buddhistischen Bezüge, welche aus seiner Sicht keine Entsprechung im

11 Bumbacher 2006.

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Daoismus hatten oder die er nicht für seine Zwecke verwenden konnte. Schließlich ersetzte er „der Buddha sagte“ durch eine ganze Reihe der neu eingeführten daoistischen Gottheiten, welche die entsprechenden Abschnitte ihm direkt enthüllten. Das bedeutet nun, dass die Götter ihm die „verbesserte“, also die daoistische, Version des Textes übermittelten, deren ursprüngliche Überlieferung durch den Buddha sie nicht mehr länger als adäquat ansahen. Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, dass man den buddhistischen Ursprung gar nicht erst verschleiern musste, da jene Version ja jetzt durch die verbesserte daoistische obsolet geworden war. Interessanterweise hatte Yang Xi dasselbe Verfahren bereits zuvor angewandt, als ihm die Götter eine neue, überarbeitete Version des daoistischen Textes Schrift des Gelben Hofes (Huang ting jing) übergaben, deren Originalversion von den Anhängern der Himmelsmeister-Tradition in Ehren gehalten wurde. In beiden Fällen wurden die jeweiligen Originalversionen, die zu Yang Xis Zeiten gut bekannt waren, von ihm weder explizit kritisiert noch verworfen, sondern dadurch entwertet, dass ihnen eine je neue und „autoritative himmlische“ Version zur Seite gestellt wurden.12

1.2.3. Tradition des Wirkungsmächtigen Juwels (ling bao dao) Als Verfasser der frühesten heiligen Schriften der dritten daoistischen Tradition gilt Ge Chao-fu, der sie um das Jahr 400 herum in etwa derselben Gegend geschrieben hat, in der eine Generation zuvor Yang Xi seine Texte herausgebracht hatte.13 Nach der Absicht ihres Verfassers sollten die Ling bao-Schriften sämtliche religiösen Texte, die bisher erschienen waren, seien es buddhistische oder daoistische, ersetzen. Diese hätten „lediglich die nur teilweise verstandenen Offenbarungen von [göttlichen] Mitteilungen dargestellt, die erst jetzt vollständig enthüllt werden können“.14 Entsprechend stellen diese Schriften „Überarbeitungen“ ganzer Teile buddhistischer Sūtras, daoistischer und volksreligiöser Quellen dar. Die Ling bao-Tradition richtete sich nicht länger an Individuen einer gesellschaftlichen Elite und deren religiöse Bedürfnisse. Im Gegenteil, sie bot ihre Konzepte und Rituale der ganzen Gesellschaft, ja sogar der ganzen Menschheit an. Sie knüpfte dadurch in gewisser Weise wieder an die Tradition der Himmelsmeister an. Sie wurde auch schon wie folgt charakterisiert:15 Eine ganze Reihe ‚himmlischer Persönlichkeiten‘ […] wurden mittels einer Serie von Liturgien verehrt, die im Verlaufe des 5. Jahrhunderts in der daoistischen Praxis den höchsten Rang einnahmen und die älteren, einfacheren Riten der Himmelsmeister voll-

12 13 14 15

Strickmann 1977: 10. Bokenkamp 1983, Yamada 2000. Bokenkamp 2001: 188. Vgl. Strickmann 1991: 403.

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Buddhismus in China kommen absorbierten. Da jede himmlische Persönlichkeit einen je eigenen Aspekt des Daos darstellte, diente jeder Ritus einem anderen Ziel. Die Rituale werden generell zhai („Fasten“) genannt, da jedem Ritual ein für alle Teilnehmenden verbindliches Fasten [zur Reinigung] vorausging. Die Dauer betrug, je nach Ritual, einen Tag und eine Nacht oder drei, fünf oder sieben Tage. Die Anzahl der Zelebranten war ebenfalls festgelegt und den Kern bildete eine Gruppe von sechs Priestern. Das eigene Heil war untrennbar verbunden mit dem der Ahnen, entsprechend richtete sich das „Fasten des Gelben Registers“ (huang lu zhai) an die Erlösung der Verstorbenen. Das „Fasten des Goldenen Registers“ (jin lu zhai) andererseits sollte günstige Einflüsse unter den Lebenden verbreiten. Das „Schlamm- und Ruß-Fasten“ (tu tan zhai) wiederum war ein kollektives Reueritual, das mit dem Ziel vollzogen wurde, Krankheit und Strafe für die begangenen Sünden nach vorausgegangener Beichte abzuwenden.

Eines dieser Rituale – welches heute noch (wenn auch nun von den Himmelsmeistern) vollzogen wird – war das „Ritual der kosmischen Erneuerung“ (jiao).16 Es diente hauptsächlich der Erlösung aller ruhelos umherirrenden Seelen, deren früherer Körper nach dem Tode nicht die richtige Behandlung erfuhr oder deren Besitzer eines gewaltsamen Todes gestorben waren.17 Gleichzeitig sollte dadurch aber auch der ganze, in den vorausgegangenen Jahrzehnten in Unordnung geratene Kosmos erneuert werden. Dieses Ritual, an welchem die gesamte Bevölkerung eines Dorfes oder Stadtteiles samt Freunden und Verwandten sowie allen anwesenden Fremden teilnehmen konnten, endete mit einem riesigen Bankett, wozu alle Beteiligten ihren Beitrag beisteuerten und das der gegenseitigen Versöhnung diente.

2. Historischer Abriss 2.1. Frühphase (65–317 n. Chr.) Falls die Texte des Pāli-Kanons soziale Verhältnisse des frühesten Buddhismus zuverlässig widerspiegeln sollten, ergibt eine entsprechende Auswertung der Liste der Spitze der Jüngerschaft, wie sie im Anguttara nikāya (1, 24) festgehalten ist,18 dass 44% der 75 erwähnten Namen der Kaste der Vessas, der Handelstreibenden, zugeordnet werden können.19 Da sich die Mitglieder des saṅgha vorzugsweise entlang der Handelswege bewegten, werden die Kontakte mit Händlern entsprechend

16 17 18 19

Saso 1972, Lagerwey 1987. Siehe Bumbacher 2000b. Deutsche Übersetzung in Nyanatiloka 1984, Bd. 1: 27f. Schumann 1976: 41.

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häufig vorgekommen sein. Zudem förderten indische Kaufleute die Anhänger des Buddha durch erhebliche Zuwendungen. Es werden auch primär Handelsleute aus Indien und Zentralasien gewesen sein, die den Buddhismus nach China brachten.20 Informelle Kontakte zwischen China und Indien gehen mindestens bis in die Zeit der Streitenden Reiche (481–221 v. Chr.) zurück. Für diese Zeit ist der Import indischer Baumwolle nach Chu belegt.21 Laut der Geschichte der Früheren Han-Dynastie (Han shu) existierten bereits während der Früheren Han (206 v. Chr. bis 8 n. Chr.) Ausländerkolonien im heutigen Gan-su.22 Und Zhang Qian berichtete dem Han-Kaiser Wu (reg. 104–87 v. Chr.), dass er auf seiner Mission in den Westen (140– 134 v. Chr.) auf Märkten in Baktrien Waren aus Si-chuan gesehen habe, von denen man ihm sagte, sie seien über Indien dorthin gelangt.23 Während König Wu-tou-lao (Azilises, 1. Jahrhundert v. Chr.) aus dem Königreich Ji-bin (Kaschmir) noch chinesische Gesandte tätlich angegriffen hatte, entsandte sein Sohn Azes II. eine offizielle Mission nach China. Jedoch scheiterten mehrere chinesische Gesandtschaften an den Feindlichkeiten von Ji-bin.24 Die lokalen Herrscher waren offenbar nicht an allzu engen Kontakten mit dem offiziellen China interessiert, was aber nicht heißt, dass Handelskontakte auf einer mehr privaten Ebene mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert waren. Die Geschichte der Späteren Han[-Dynastie] (Hou Han shu) enthält einen Dialog zwischen dem Beamten Du Qin und General Wang Feng aus der Zeit des Kaisers Cheng (reg. 32–7 v. Chr.), in welchem sich Du Qin über die häufigen Reisen von Händlern („kleinen Geschäftemachern“) aus Ji-bin zu den Märkten Chinas aufhielt, während deren Regierung keinerlei Anstalten unternahm, hochrangige Repräsentanten mit Tributzahlungen zu entsenden.25 Zu dieser Zeit konnte der Handel zwischen China und dem Westen, insbesondere der Seidenhandel, auf eine bereits mehrhundertjährige Geschichte zurückblicken. So fand sich chinesische Seide zusammen mit den Überresten eines anderen asiatischen „Produktes“, des Haushuhns, im Grab eines keltischen Fürsten auf der Heuneburg (Süddeutschland, 5. Jahrhundert v. Chr.).26 Seide fand sich ebenfalls in den etwas jüngeren Schichten des Kerameikos von Athen.27 Der griechische Historiograph Herodot beschrieb um 430 v. Chr. einigermaßen präzise die nördliche Route der Seidenstraße von ihrem westlichen Ende Cherson (äußerster Westen der Halbinsel Krim) bis zum Land der Argyppaioi in Zentralasien, rund 3 000 Kilometer südöstlich von Cherson (möglicherweise im Ili-Tal westlich des Ferghana-Tals).

20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. Bumbacher 2007: 204f. Haussig 1983: 81. Zürcher 1959: 325 Fn. 30. Han shu 61: 2689. Sen 2003: 3f. Ebd. Champion et al. 1994: 287; Spindler 1996: 71. Haussig 1983: 16.

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Von dort aus übernahmen die Issedones oder Seres, wie er sie nannte, auf der südlichen Route der Seidenstraße, assistiert von skythischen Dolmetschern, die Kontrolle über den Handel über weitere 3 000 Kilometer nach Osten bis tief in chinesisches Gebiet hinein.28 Die Geschichte der Späteren Han[-Dynastie] berichtet, dass im Jahre 97 n. Chr. eine chinesische Mission unter Gan Ying ins Römische Reich (Da Qin) entsandt wurde. Als sie Charakene (Tiao-zhi), auch Mesene genannt, am Persischen Golf erreichten, wurde ihnen von parthischen Seeleuten dringend abgeraten, ihre Reise fortzusetzen, da diese zu gefährlich sei.29 Wahrscheinlich fürchteten die Parther, dass eine erfolgreiche chinesische Mission ihre Position im West-Ost-Handel gefährden könnte. Drei Jahre später erreichten Abgesandte des Römischen Reiches China über die Seidenstraße. Sie wurden laut chinesischer Quelle von „den beiden Staaten Mengqi und Doule“ geschickt. Mengqi wurde mit Mazedonien und Doule mit Tyrus identifiziert,30 dem wichtigen Mittelmeer-Hafen im heutigen Libanon, der das westliche Ende einer Handelsroute darstellte, welche über Palmyra (heutiges Syrien) bis nach Parthien und darüber hinaus führte.31 Die Intensität des Handels entlang der Seidenstraße steigerte sich während der beiden Han-Dynastien beträchtlich. Als Folge davon gelangten mehr und mehr fremde Kaufleute nach China. Unter Kaiser Ling (reg. 168–190) siedelte sich z. B. der Indo-Skythe Zhi Fa-du, der Großvater des berühmten Übersetzers Zhi Qian (gest. 252–257), zusammen mit einer Kolonie von mehreren hundert Leuten, alle aus Kuṣāṇa (Yue-zhi) stammend, in Luo-yang an.32 Schon der Parther An Xuan, der 181 in Luo-yang eintraf, war Kaufmann, der weiterhin seinem Beruf nachging, bis er in ein Übersetzungsprojekt eingebunden wurde, da er in der Lage war, eine ganze Reihe buddhistischer Sūtras aus dem Gedächtnis wiederzugeben.33 Ebenfalls in Luo-yang war Kang Meng-xiang, der Sohn eines sogdischen Händlers, als Übersetzer buddhistischer Texte aktiv.

2.1.1. Die Anfänge des Buddhismus Zweifellos kam den Kaufleuten bei der Verbreitung des Buddhismus entlang den Handelsrouten und in die Städte der Zielmärkte entscheidende Bedeutung

28 29 30 31

Herodot, Historien, zitiert in Haussig 1983: 17–19. Hou Han shu 88: 2909. Lin Meicun 1992. Auch in Palmyra wurden bei Ausgrabungen Überreste chinesischer Seide gefunden (Haussig 1983: 69). Dieser Umstand ist deshalb wichtig, weil von philologischer Seite der Versuch unternommen worden ist, (indirekte) buddhistische Einflüsse auf das Neue Testament plausibel zu machen. Siehe Klatt 1982. 32 Chu san zang ji ji T 2145: 97b14. 33 Gao seng zhuan T 2059: 324b.

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zu.34 Entsprechend haben sich die ersten nachweisbaren buddhistischen Gemeinschaften in Handelszentren gebildet. Zunächst dürfte der fremde Glaube auf die Kreise der fremden Händler beschränkt gewesen sein. Dann aber diffundierte er langsam in die Familien ihrer chinesischen Handelspartner, breitete sich dann auch unter deren Verwandten und Freunden aus und erreichte schließlich auch die Spitzen der chinesischen Gesellschaft. Allerdings ist die Quellenlage für das 1. Jahrhundert n. Chr. äußerst spärlich. Zwar sind archäologische Zeugnisse vorhanden, doch sind sie schwierig zu datieren, da begleitende Textzeugen fehlen. Unabhängige nicht-buddhistische Quellen aus der Zeit sind äußerst selten. Erst von dem Moment an, in welchem der Buddhismus in das Blickfeld des Kaiserhofes oder höchster Staatsstellen geriet, fand er in offiziellen Dokumenten, respektive in der offiziellen Historiographie Erwähnung. Ein erstes Mal war dies im Jahre 65 n. Chr. der Fall. Kaiser Ming erlaubte jenen, welche sich ein schweres Vergehen hatten zu Schulden kommen lassen, sich davon freizukaufen. Sein Halbbruder Liu Ying, Prinz von Chu mit Residenz in Peng-cheng (einem der Handelszentren), sandte eine beträchtliche Menge Seide als Wiedergutmachung für seine Vergehen.35 Zwar entwickelte er in vorgerücktem Alter eine Vorliebe für die Lehren des daoistischen Gottes Huang-lao-jun, gleichzeitig praktizierte er aber auch buddhistisches Fasten, hielt buddhistische Gebote ein und ließ für den Buddha Opfer ausrichten. Ihm antwortete der Kaiser: Der Prinz von Chu rezitiert die feinsinnigen Worte des [Gottes] Huang-lao und schätzt die frommen Opfer zugunsten des Buddha. Nach drei Monaten des Fastens hat er für diese Gottheiten einen Eid geleistet. Welche Abneigung oder welchen Argwohn [von unserer Seite] könnte es geben, so dass er Reue zeigen müsste? Lasst daher [die Seide für] die Wiedergutmachung zurücksenden und so einen Beitrag leisten zum freizügigen Unterhalt der yi pu sai (skt. upāsakas = Laienanhänger) und sang men (skt. śramaṇas = Mönche).36

Von Liu Ying ist auch bekannt, dass er sich mit religiösen Spezialisten (fang shi) umgab – gewissermaßen den Vorgängern der daoistischen Meister des 2. Jahrhunderts –, welche sich mit verschiedenen Techniken zur Erlangung der Unsterblichkeit befassten.37 Es darf bezweifelt werden, dass er tatsächlich über vertiefte Kenntnisse des Buddhismus verfügte, da der Text beide, die daoistische Gottheit und den Buddha, als Götter bezeichnet. Vielmehr wird er den Buddha als einen Gott verstanden haben, der wie Huang-lao-jun den Gläubigen die Unsterblichkeit zu verleihen vermag. Ähnlich finden sich im Si-chuan des 1. Jahrhunderts n. Chr.

34 In geringerem Maße dürften auch Mönche, die aus irgendwelchen Gründen Zentralasien oder Indien verlassen mussten oder wollten, Übermittler des neuen Gedankengutes gewesen sein. 35 Hou Han shu 42: 1428. 36 Hou Han shu 42: 1428; vgl. Zürcher 1959: 27. 37 Ngo 1976, DeWoskin 1983, Kohn et al. 2000 passim.

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über den Eingängen zu Grabanlagen sowohl das Symbol der Göttin Xi-wang-mu (Königliche Mutter des Westens), welche den Bestatteten zu einem jenseitigen ewigen Leben verhilft, als auch Darstellungen des sitzenden Buddha, der, ebenfalls aus dem Westen stammend, offenbar analog verstanden wurde.38 Gut drei Jahrzehnte später war zumindest den chinesischen Intellektuellen der Hauptstadt Luo-yang der Begriff sang men (skt. śramaṇa) geläufig. Die folgende Textstelle legt die Annahme nahe, dass man davon ausging, dass die so bezeichneten Männer wohl zölibatär lebten. Die berühmte Rhapsodie der Westlichen Hauptstadt (Xi jing fu) des Zhang Ping-zi alias Zhang Heng (78–139), verfasst zwischen 95 und 99 n. Chr., enthält den Passus: [Schöne Frauen –] ihre Augen werfen „schleudernde“ Blicke; Ein Einziger könnte eine ganze Stadt besiegen. Selbst [der moralisch äußerst integre] Zhan Ji oder ein sang men – Nicht einer – würde nicht irregeführt.39

Somit war im späten 1. Jahrhundert zumindest in Luo-yang der Anblick von ausländischen buddhistischen Mönchen keine Seltenheit mehr. Sowohl am Hofe als auch in Teilen der Bevölkerung wird man in diesem Anfangsstadium einen „hybriden“ buddho-daoistischen Kult betrieben haben: ein noch sehr rudimentäres buddhistisches Wissen setzte den Buddha in Analogie zu chinesischen Gottheiten und praktizierte vergleichbare Kulthandlungen. Die ausländischen Kaufleute und Mönche aber verfügten – wenn auch in unterschiedlichem Grade – über genuine buddhistische Kenntnisse und besaßen, physisch oder im Gedächtnis, originale Schriften. Mit der Zeit entstand offenbar in chinesischen Kreisen das Bedürfnis, selber über buddhistische Texte zu verfügen, was natürlich voraussetzte, dass diese ins Chinesische übersetzt werden mussten. Da die Ausländer sicherlich die Texte in ihren Originalsprachen (Pāli, Sanskrit, mittelindische Sprachen, zentralasiatische Sprachen) lesen konnten und daher keine Übersetzungen benötigten, wurden diese zweifellos auf chinesisches Verlangen hin angefertigt. Das könnte der tiefere Grund für den bekannten Mythos gewesen sein, wonach der Han-Kaiser Ming (reg. 57–75) als Folge eines Traumes Gesandte nach Indien geschickt habe, um buddhistische Schriften zu erwerben und nach China zu bringen.40 Beachtenswert ist der Umstand, dass laut diesem Mythos der Buddhismus nicht selber nach China kam, sondern Chinesen – auf kaiserlichen Befehl – sich aktiv die Texte in Indien beschafft haben.

38 Bumbacher 2007: 206–212. 39 Knechtges 1982: 237. 40 Siehe die Einleitung zu den Zweiundvierzig Abschnitten buddhistischer Schriften (Fo jing si shi er zhang, T 784). Dazu Bumbacher 2006.

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Der erste namentlich bekannte Übersetzer, der sich im Jahre 148 in Luo-yang niederließ, war der Parther An Shi-gao.41 Unterstützt wurde er von seinem Landsmann, dem Kaufmann An Xuan, und dem Chinesen Yan Fo-tiao, dem ersten namentlich bekannten chinesischen Mönch. An Shi-gao werden sechzehn Übersetzungen, entstanden zwischen 150 und 170, zugeschrieben.42 Mindestens vier weitere Übersetzungsteams (bestehend u. a. aus Parthern, Indo-Skythen, Sogden und sogar drei Indern) waren in Luo-yang zwischen 150 und 220 tätig, die weitere fünfzehn Übertragungen anfertigten.43 Bezeichnenderweise waren diese frühen Übersetzungen noch nicht in der geschliffenen und raffinierten Sprache der Intellektuellen verfasst. Vielmehr weisen linguistische und stilistische Eigenheiten darauf hin, dass es sich bei der Leserschaft wohl um Laien mit elementarer Schulbildung gehandelt haben muss, die nicht zum Kreis der Literaten-Beamten gehörten, jedoch hinreichend des Lesens und Schreibens kundig waren, um diese Texte mit ihrem eingeschränkten Vokabular und ungeschmückten Stil lesen zu können. Am ehesten kommen als Leser wohl Angehörige der niedrigsten Ränge der Beamtenschaft, also Kanzlisten und Kopisten, sowie Kaufleute und Kunsthandwerker in städtischem Kontext in Frage.44 Der im Jahre 167 in Luo-yang eingetroffene Indo-Skythe Lokakṣema (Zhi Loujia-qian) repräsentiert bereits die zweite Generation von Übersetzern. Zusammen mit einem Inder und drei chinesischen Laienmitarbeitern (von denen zwei in daoistischen Quellen auftauchen) wird diesem Team die Einführung von MahāyānaSūtras zugeschrieben. Der Gelehrte Xiang Kai verfasste im Jahre 166 eine Throneingabe, in welcher er Kaiser Huan (reg. 146–167) dafür kritisierte, dass er zwar dem Huang-lao und dem Buddha Opfer darbringe, aber im Gegensatz zu ihnen, deren Wege (dao) lauter seien und die Nicht-Aktiv-Handeln (wu wei) schätzten, das Leben liebten und das Töten von Lebewesen hassten, diesen Vorgaben zuwiderhandle.45 Das Dokument ist bemerkenswert, weil es darauf hinweist, dass der erstmals im Jahre 65 erwähnte gemeinsame Kult für Huang-lao und den Buddha am Hofe noch immer praktiziert wurde. Dann verrät die Formulierung, dass man die mit Huang-lao verbundenen daoistischen Vorstellungen und das, was man vom Buddha zu wissen meinte, als vergleichbar ansah. Und schließlich wird implizit der Text Zweiundvierzig Abschnitte buddhistischer Schriften (Fo jing si shi er zhang) zitiert, welcher traditionell als der älteste erhaltene chinesische buddhistische Text gilt. Die bis heute überlieferte Fassung steht in der Hīnayāna-Tradition und setzt voraus, dass der Leser die fünf Gebote für Laien und die 250 Gebote für Mönche sowie eine Reihe

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Zu An Shi-gao siehe Forte 1995. Die Liste findet sich in Zürcher 1991: 297f. Zürcher 1991: 279. Zürcher 1991: 289; sowie Zürcher 1977. Hou Han shu 1082–1083. Englische Übersetzung in Zürcher 1959: 37.

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technischer Begriffe bereits kennt. Es handelte sich somit nicht um eine Einführung in den Buddhismus, sondern war wohl bestimmt als eine Art aide mémoire für Mönche, die mit einigen Aspekten des Buddhismus schon vertraut waren. Zwischen 193 und 194 war Zhai Rong, ein berüchtigter Warlord, verantwortlich für den Getreidetransport in drei Präfekturen im heutigen Jiang-su, wobei er sich den Erlös gleich selber aneignete. In Xia-pei, gute 65 Kilometer östlich von Pengcheng, errichtete er einen großen buddhistischen Tempel46 sowie eine BuddhaStatue: „Aus Bronze machte er eine menschliche [Statue], deren Körper vergoldet und in Seide und Brokat gekleidet war“. Das Gebäude „bestand aus mehreren Stockwerken mit gedeckten Verandas, welche mehr als dreitausend Personen Platz boten, die alle buddhistische Schriften lesen und studieren konnten“. Dort wurde auch regelmäßig das Ritual des „Badens des Buddha“ praktiziert, „wobei er jeweils große Mengen Alkohols (sic!) und Speisen bereitstellte. Entlang den Zugangsstraßen wurden Sitzmatten auf eine Distanz von Dutzenden von Meilen ausgelegt. Bei diesen Gelegenheiten kamen rund zehntausend Leute, um das Spektakel und die Speisen zu genießen. Die Ausgaben beliefen sich auf mehrere Millionen.“47 Das Ritual des Badens der Buddhastatue dürfte in China somit bedeutend früher bekannt gewesen sein als die entsprechende Schrift der Weihe und des Waschens von Buddhabildern (Guan xi fo xing xiang jing), welche erst um 300 von Fa-ju ins Chinesische übersetzt wurde.48 Als weitere frühe Klöster werden in einem alten Kolophon das Fo-si genannt, in welchem im Jahre 208 die Übersetzung des Ban zhou san mei jing überarbeitet wurde, und das Xu-chang si, beide in Luo-yang. Letzteres stand vermutlich auf dem Grund der Herrschaftsvilla des Xu Chang, Marquis von Long-shu, einem Vetter des bereits erwähnten Liu Ying, Prinz von Chu.

2.1.2. Zeit der Drei Reiche Nach dem Zusammenbruch der Han-Dynastie war das Reich zunächst in drei Teile zerfallen, nämlich Shu im Südwesten, Wei im Norden und Jin im Yangzi-Gebiet und Südchina. In dieser Zeit der Drei Reiche (221–268) muss bereits eine große Zahl von buddhistischen Texten in den Originalsprachen im Umlauf gewesen sein. Nur so ist verständlich, dass vom berühmten indo-skythischen Laienanhänger und Übersetzer Zhi Qian gesagt werden konnte, „die Schriften waren [hauptsächlich] nur in ‚barbarischer‘ (hu) Sprache vorhanden, welche niemand verstehen konnte. Da er sowohl im Chinesischen als auch in der ‚barbarischen‘ Sprache gut beschla-

46 Fan Yes (398–446) Hou Han shu spricht von einem „Buddha-Kloster“ (fo tu si) (73: 2368), Chen Shous (233–297) San guo zhi, die „Geschichte der Drei Reiche“, von einem „BuddhaAhnentempel“ (fo tu ci) (49: 1185). 47 Für eine englische Übersetzung siehe Zürcher 1959: 28. 48 Zürcher 1959: 327 Fn. 53.

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gen war, sammelte er alle [diese] Texte und übersetzte sie ins Chinesische“.49 Um 220 herum, der Zeit, als die Han-Dynastie zusammenbrach, zog er in den Süden in den Staat Wu, zunächst nach Wu-chang und 229 in die dortige Hauptstadt Jianye. Dort scheint er sehr rasch Zugang zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft erlangt zu haben. Um 241 zog er sich auf den Qiong-long-Berg zurück, wo er zwischen 252–257 starb. Sein großes Verdienst bestand darin, dass er sich bei der Übersetzung der buddhistischen Schriften weniger von linguistischer Genauigkeit als vielmehr von gutem Stil und Eleganz leiten ließ, was diese Texte für die Elite attraktiv machte. Um 250 übersetzte in Luo-yang der aus Mittelindien stammende Mönch Dharmakāla den Prātimokṣa der Mahāsāṅghikas und der sogdische Mönch Saṅghavarman alias Kang Seng-kai das Karmavācanā, den grundlegenden Text für die Mönchsordination der Dharmaguptaka. Das zeigt zum einen, dass nun offenbar das Bedürfnis nach präziseren Formulierungen der für den Mönchsorden geltenden Regeln bestand.50 Zum anderen sieht man hier deutlich, dass der Buddhismus nicht als einheitliches Gebilde nach China gelangte, sondern gleichzeitig Texte aus verschiedenen Schulen des Hīnayāna und Schriften des Mahāyāna ins Chinesische übertragen wurden. Für die Chinesen war es lange Zeit nicht möglich, diesen Umstand zu erkennen. Zudem gelangten unterschiedliche Versionen einzelner Schriften nach China, je nachdem aus welchem indischen oder zentralasiatischen Zentrum und welcher Phase der Textentwicklung sie stammten. Außerdem waren die frühen Übersetzungen z. T. schwierig verständlich, so z. B. die von Lokakṣema hergestellte des Prajñāpāramitā. Gerüchten zufolge sollte es vom „Original“ noch andere Versionen geben, z. B. in 25 000 ślokas, was den in Luo-yang tätigen, ursprünglich aus Khotan stammenden Mönch Zhu Shixing um 260 bewog, nach Westen zu reisen, um sich nach Möglichkeit das Original dieser Version zu beschaffen. In Khotan wurde er schließlich fündig. Dies ist das älteste bekannte Beispiel solch einer „Pilgerfahrt“.51 Etwa um dieselbe Zeit wurde in Nordchina Luo-yang, das bisherige Zentrum buddhistischer Aktivitäten, infolge der unermüdlichen Übersetzungsarbeit des Indo-Skythen Dharmarakṣa alias Fa-hu und seiner Mitarbeiter und Schüler durch Chang-an abgelöst.52 Auch Dharmarakṣa hatte im Rahmen intensiver Reisetätigkeit in Zentralasien nach buddhistischen Originaltexten gesucht, die er nach seiner Rückkehr nach und nach übersetzte. Von den 154 Werken, die ihm Shi Dao-an (312–385) in seinem Katalog Zong li zhong jing mu lu zuschreibt, sind noch 72 erhalten. Das wichtigste von seinem Team übersetzte Werk ist die erste vollstän-

49 50 51 52

Gao seng zhuan T 2059: 325a, vgl. Zürcher 1959: 24. Vgl. Zürcher 1959: 56. Siehe Zürcher 1959: 61. Zu Dharmarakṣa siehe Boucher 1996.

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dige Version des Lotos-Sūtra, betitelt Schrift der Blume des wahren Gesetzes (Zheng fa hua jing T 263; skt. Saddharmapuṇḍarīka). Dass um 280 der Buddhismus in China bereits eine gewisse Verbreitung gefunden hatte, kann auch aus dem Umstand erschlossen werden, dass sich offensichtlich bereits kritische Stimmen gegen ihn erhoben haben mussten. Anders ist nicht zu erklären, warum zu der Zeit die erste bekannte apologetische Schrift, Meister Mous Traktat über die Zerstreuung von Zweifeln (Mou zi li huo lun)53 verfasst wurde. Das Werk ist in der Form eines Dialoges zwischen anonymen Kritikern und dem sonst unbekannten Meister Mou verfasst, der die Fragen zu beantworten und die Kritik zu entkräften sucht.54 Als Beispiel möge Abschnitt 30 dienen, in welchem die Frage gestellt wird: Unter den Daoisten gibt es solche, die sich des Essens von Getreide enthalten, aber sie trinken alkoholische Getränke und verzehren Fleisch. Der Weg (dao) des Buddha betrachtet Alkohol und Fleisch als absolut verboten, hingegen ist Getreidenahrung erlaubt. Warum gibt es solche eklatanten Unterschiede [zwischen beiden]?55

Meister Mou macht in seiner Antwort die genannte daoistische Vorschrift lächerlich und weist zu Recht darauf hin, dass sich solche nicht im Klassiker Lao zi finden. Ebenso wenig finde sich Ähnliches in den konfuzianischen Schriften. Dann erklärt er, dass keine der daoistischen Schriften den Buddha in seiner Geistesruhe und Haltung des Nicht-Aktiv-Handelns übertreffe, obwohl – so könnte man ergänzen – doch gerade das Nicht-Aktiv-Handeln (wu wei) eine der Grundmaximen des Daoismus war. Dass die meisten im Traktat kritisierten Punkte Daoisten und, weniger häufig, Konfuzianern in den Mund gelegt wurden, kann kein Zufall sein. Die Daoisten scheinen in den Buddhisten bereits ihre Konkurrenten in der Werbung um Anhänger in der Bevölkerung erkannt zu haben und die Konfuzianer waren ohnehin gegenüber allen religiösen Richtungen ablehnend eingestellt, über die sie keine direkte Kontrolle hatten. Angaben über die Größe der Laienanhängerschaft gegen Ende dieser Frühphase des chinesischen Buddhismus haben sich keine erhalten. Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass solche erhoben worden sind. Spätere Quellen beziffern die Anzahl der Klöster in den beiden Hauptstädten Luo-yang und Chang-an im Zeitraum 265– 316 auf 180 und die Zahl der Mönche und Nonnen auf 3 700.56 Die Anzahl der Klöster in Luo-yang alleine wird für das Jahr 316 mit, je nach Quelle, 32 oder 42 angegeben, wobei die Bevölkerung Chang-ans im Jahre 299 auf etwa eine halbe Million geschätzt wurde, die Hälfte davon Ausländer.57

53 54 55 56 57

Erhalten in der Sammlung Hong ming ji T 2102. Eine englische Übersetzung liefert Keenan 1994. Vgl. Keenan 1994: 151. Falins im Jahr 626 verfasstes Buch Bian zheng lun T 2110: 502. Zürcher 1959: 81.

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2.2. Aufbauphase: Trennung Nord-Süd (317–589) Im Jahre 280 gelang eine kurze Wiedervereinigung der drei Teilstaaten unter den Westlichen Jin. Ihr Ende kam, als 311 fremde Xiong-nu-Stämme aus dem Norden zunächst Luo-yang und 316 dann auch Chang-an eroberten. Die chinesische Elite emigrierte in den Süden, 317 wurde mit der Gründung der Östlichen Jin (Hauptstandt Jiang-kang, heutiges Nan-jing) der Grundstein für die so genannten Südlichen Dynastien gelegt, während der Norden bis 589 unter der Fremdherrschaft verschiedener Turk-Völker blieb. Die weitere Entwicklung des Buddhismus in China ging vorerst getrennte Wege in Nord und Süd, wobei die heute verfügbaren Informationen über den Norden bis ca. 380 sehr fragmentarisch sind.

2.2.1. Nördliche Zhao-Dynastie Hier regierten von 319–349 zwei Herrscher der Jie-Ethnie, einem zentralasiatischen Zweig der Xiong-nu, Shi Le und Shi Hu. Sie riefen den möglicherweise sogdischen Mönch Fo-tu-deng (gest. 349), der 310 nach Luo-yang gekommen war, an ihren Hof und hielten ihn gleichsam als „Hofmagier“. In seiner Biographie heißt es: [Der Herrscher] ließ ihn kommen und fragte: ‚Welche wundersame Wirksamkeit hat der Buddhismus?‘ Deng wusste [daher], dass [Shi] Le die tiefen Weisheiten [des Buddhismus] nicht verstehen würde und bloß dazu fähig wäre, Magie als Evidenz [für die Macht des Buddhismus] anzuerkennen.58

Entsprechend sagt sein Biograph weiter, dass Fo-tu-deng „erfahren war im Psalmodieren von magischen Zaubersprüchen und die Geister zu seinen Dienern machen konnte“.59 Ebenso wichtig war für seinen Dienstherrn, dass er „wenn er den Klang von Glocken hörte, künftige Ereignisse vorhersagen konnte und [diese Voraussagen] sich niemals nicht erfüllt haben“.60 Nicht zuletzt der Umstand, dass er sämtliche Folgen geplanter militärischer Aktionen richtig vorherzusagen wusste, trug zu seinem enormen Ansehen und Wertschätzung bei. Für seine Missionstätigkeit setzte er (und seine Schüler) auch seine medizinischen Fähigkeiten ein: Zu jener Zeit wütete eine chronische Krankheit, die niemand zu heilen vermochte. Wenn Deng sie behandelte, trat umgehend Heilung ein. Diejenigen, welche er insgeheim behandelte und daraus Nutzen zogen, waren Unzählige.“61

58 59 60 61

Gao Gao Gao Gao

seng seng seng seng

zhuan zhuan zhuan zhuan

T T T T

2059: 2059: 2059: 2059:

383c, vgl. die englische Übersetzung in Wright 1948: 339. 383b, vgl. Wright 1948: 337. 383b, vgl. Wright 1948: 337. 383c, vgl. Wright 1948: 340.

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Fo-tu-deng wird auch mit dem sich entwickelnden Nonnenorden in China in Verbindung gebracht. Von der zweiten namentlich bekannten Nonne, An Ling-shou, wird gesagt, dass es Fo-tu-deng gewesen sei, der ihren Vater, der sich zunächst dagegen gesperrt hatte, davon überzeugen konnte, seine Tochter Nonne werden zu lassen. Er war es denn auch, der An Ling-shou ordinierte und ihr eine Robe überreichte, die er selber zuvor von Shi Le erhalten hatte.62 Für die Periode der Trennung in Nord und Süd wurde die sehr enge Verbindung zwischen Fo-tu-deng und den zeitgenössischen Machthabern zum Paradigma für das Verhältnis zwischen Staat und Buddhismus in Nordchina. Mönche und Nonnen genossen zwar mit ihren Einrichtungen staatliche Protektion und Förderung in noch nie gesehenem Ausmaß, aber sie waren der direkten Kontrolle unterstellt.

2.2.2. Nördliche Wei-Dynastie Nach ihrer Machtübernahme im Jahre 386 waren die Tuo-ba, welche die Dynastie der Nördlichen Wei bildeten, als Stamm der Xianbei-Hunnen am ehesten noch dem Daoismus zugeneigt. Entsprechend installierten sie im Jahre 400 das Amt der „Daoistischen Unsterblichkeits-Gelehrten“ (xian ren bo shi) und ließen ein Labor zur Herstellung des Unsterblichkeitselixiers (xian fang) in der Nähe ihrer Residenz errichteten. Dennoch unterstützten Dao-wu (reg. 386–409) und Ming-yuan (reg. 409–423) den Buddhismus aus politischen Überlegungen. So wies Dao-wu seine Armee an, bei ihren militärischen Aktionen zur Konsolidierung seiner Macht buddhistische Tempel und Klöster zu schonen. Er machte den Mönch Seng-lang zu seinem Berater und ordnete in einem Dekret des Jahres 398 an, dass seine Beamte in der Hauptstadt Baulichkeiten als Unterkünfte für Mönche bereitzustellen haben. Unter Tai-wu (reg. 424–452) änderten sich die Verhältnisse jedoch zu Ungunsten des Buddhismus. Dies ist hauptsächlich auf zwei Personen zurückzuführen, denen es gelang, entsprechenden Einfluss auf ihn auszuüben: Cui Hao (381–450) und Kou Qian-shi (gest. 448). Cui entstammte einer altbekannten chinesischen Familie. Sein Vater hatte bereits in den Diensten der Tuo-ba gestanden. Als Konfuzianer verstand sich Cui Hao gut in Astrologie. Das Erscheinen eines hellen Sterns (Komet?) im Jahre 415 beunruhigte Kaiser Mingyuan zutiefst, da dies nach der Theorie des Himmelsmandates als Zeichen dafür gedeutet werden konnte, dass der Himmel dem Herrscher die Macht entziehen werde. Cui konnte jedoch den Kaiser davon überzeugen, dass das Vorzeichen den Tod Yao Xins (reg. 393–415), des Herrschers der konkurrierenden Späteren Qin-Dynastie, anzeigte. Als im Jahre 423 Tai-wu sechzehnjährig zur Macht kam, war er hauptsächlich mit deren Konsolidierung und der Arrondierung seines Herrschaftsgebietes beschäftigt. Auch er

62 Bi qiu ni zhuan T 2023: 935a, englische Übersetzung in Cissell 1972: 145.

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konnte auf die Dienste Cui Haos nicht verzichten. Cuis Strategie war die längerfristige Re-Sinisierung Nordchinas. Entsprechend versuchte er, die wichtigsten politischen Positionen mit Chinesen zu besetzen, konfuzianische Normen durchzusetzen und die Fremdreligion Buddhismus durch den einheimischen Daoismus zu ersetzen. Seine Freundschaft zu Kou Qian-shi schien dazu eine günstige Voraussetzung zu schaffen. Kou Qian-shi wurde nebst seiner daoistischen Erziehung zusätzlich von Buddhisten unterrichtet, darunter Cheng-gong Xing (gest. 417?), einem Schüler des Mönchs und Mathematikers Shi Tan-ying (gest. zwischen 405 und 418) und Mitarbeiter des berühmten Übersetzers Kumārajīva. Im Jahre 394 zog sich Kou für dreißig Jahre als Eremit zunächst auf den Hua-shan und dann auf den Song-shan zurück, um sich seinen daoistischen Studien hinzugeben. Auf dem Song-shan erschien ihm 415 der Gott Tai-shang-lao-jun, der ihm das Amt des Himmelsmeisters verlieh und ihm das Buch Die Gebote aus den Wolken für das Absingen der neuen [religiösen] Vorschriften (Yun zhong yin song xin ke zhi jie) in 20 Kapiteln63 offenbarte. Es enthält detaillierte Anweisungen zur Organisation der Himmelsmeister-Gemeinden, zur Übermittlung der Amtsinsignien, zum Bau der privaten „Hausgebetskapellen“ usw. Daneben finden sich Vorschriften zur Durchführung von Ritualen, z. B. für die Toten, für die Beichte und Sündenvergebung oder für die sexuellen Initiationen. Damit sollte Kou die alte daoistische Tradition der Himmelsmeister grundlegend reformieren. Für Cui Haos Plan der Re-Sinisierung Nordchinas dürften die Reformbestrebungen Kous sehr dienlich gewesen sein. Denn ein unter staatlicher Kontrolle erneuerter Daoismus als eine Art Staatsreligion würde es erlauben, die ethnisch heterogenen Segmente der Wei-Gesellschaft religiös zu einen. Besonders attraktiv dürfte Kous Idee gewesen sein, das alte daoistische Konzept des „perfekten Herrschers des großen Friedens“ (tai ping zhen jun) wieder aufleben und Tai-wu als solchen darstellen zu lassen. Dies wäre in gewisser Weise das daoistische Gegenstück zur buddhistischen Konzeption, nach welcher der Mönch Fa-guo den ersten Tuo-ba-Herrscher Dao-wu zum personifizierten Tathāgata erklärte. Höchstwahrscheinlich auf Cui Haos Veranlassung hin präsentierte sich Kou Qian-shi im Jahre 424 am Hofe. Cui interpretierte das freiwillige Erscheinen des Weisen ebenso wie dessen Geschenk der von Göttern offenbarten Schriften als Zeichen des Himmels, welches die „himmlische Bestätigung“ (tian ying) des Mandats des eben inthronisierten Tai-wu darstellte. Im Gegenzug erhielt Kou das verwaiste Amt des Unsterblichkeits-Gelehrten (xian ren bo shi) zugesprochen. Zudem wurde im ganzen Land die Verbreitung von Kous Schriften gefördert. Nach der Dynastiegeschichte der Wei (Wei shu) entsprach Tai-wu den Empfehlungen Cuis, „ver-

63 Erhalten als Schrift des Herrn Lao für das Absingen der Vorschriften (Lao jun yin song jie jing, DZ 785).

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ehrte den Himmelsmeister, förderte die neuen [daoistischen] Vorschriften und verbreitete sie im Reich, mit dem Resultat, dass nun der Daoismus aufblühte“. Im Jahre 425 wurde ein nach den astronomischen Positionierungsvorgaben des Cui Hao errichteter fünfstufiger daoistischer Altar errichtet und 438 der Palast des ruhigen Rades (jing lun gong) in dessen Nähe eingeweiht, damit dort Kou Qian-shi mit den Göttern des Himmels kommunizieren konnte. Im selben Jahr wurde ein Dekret veröffentlicht, welches den Menschen unter fünfzig Jahren verbot, sich buddhistischen Orden anzuschließen. Als die Armee Tai-wus im Jahre 439 in Liang-zhou einmarschierte, schlossen sich offensichtlich dortige Buddhisten dem Widerstand gegen die Invasoren an. Mehrere Tausend Mönche gerieten in Gefangenschaft. Nur aufgrund einer Intervention von Kou Qian-shi verzichtete Tai-wu auf deren Hinrichtung. Stattdessen wurden sie zu Zwangsarbeit verurteilt. Nach dem militärischen Erfolg in Liang-zhou und der entsprechenden Ausweitung des Herrschaftsgebietes der Tuo-ba Wei akzeptierte Tai-wu den Titel „Perfekter Herrscher des großen Friedens des Nordens“ (bei fang tai ping zhen jun), wie es Kou entsprechend einer in seinen Büchern gemachten Weissagung vorgeschlagen hatte. 442 empfing Tai-wu auf dem daoistischen Altar die daoistischen Insignien aus Kous Hand, welche ihn als den „weisen Herrscher“ legitimierten. Zwei Jahre später erklärte Tai-wu den Daoismus zur wichtigsten Religion des Reiches. Im selben Jahr erging ein Erlass, der sich nicht nur gegen die lokalen Kulte (yin si) und die Medien („Schamanen“, wu xi) richtete, sondern auch die private Unterstützung buddhistischer Mönche und Nonnen verbot. Zur Abschreckung wurden zwei führende Mönche, Xuan-gao und Hui-chong, hingerichtet. Cui Hao forderte in einer Throneingabe, dass die im ganzen Reich omnipräsenten Tempel lokaler Gottheiten, der so genannten „kleinen Götter“ (xiao shen), bis auf siebenundfünfzig ausgewählte Schreine zu zerstören seien. Das Ziel war nun offensichtlich zugunsten des Daoismus – qua Investitur die religiöse Legitimationsbasis des Herrschers – sollten die religiösen „Alternativen“ weitgehend (aber nicht vollständig) beseitigt werden. Im Winter 445 kam es in Chang-an zu einem Aufstand gegen die Tuo-ba. Als die Truppen Tai-wus in der Nähe eines buddhistischen Klosters in dazugehörenden Gebäuden auf große Mengen an Waffen stießen, schloss Tai-wu, die Mönche würden mit den Aufständischen gemeinsame Sache machen, und verurteilte sie zum Tode. In einer systematischen Durchsuchung der Gebäude fand man angeblich unterirdische Räumlichkeiten, in denen sich Mönche mit Damen der gehobenen Gesellschaft vergnügten, sowie Keller, in denen wohlhabende Familien große Mengen alkoholischer Getränke gelagert haben sollen. Auf Vorschlag Cui Haos, alle Mönche in Wei seien hinzurichten, wurde angeordnet, dass, „die Generäle, die Truppen und die Behörden sämtliche Stupas, Bilder und fremde Schriften vollständig zu zerstören und zu verbrennen haben und die Mönche unbesehen ihres Alters hinzurichten sind“. Kou Qian-shi und der dem Buddhismus zugewandte Kronprinz sowie hohe Beamte forderten in Eingaben Mäßigung. Der Erlass wurde zwar nicht

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zurückgenommen, aber immerhin schwächte Tai-wu den Wortlaut ab. Gemäß der Geschichte der Wei ,,ermöglichte dies, […] dass die meisten Mönche der vier Himmelsrichtungen flohen und sich verbargen [ ...]. Vom Gold, Silber, den Schätzen, Bildwerken sowie den Sūtras und Traktaten konnte vieles in Sicherheit gebracht werden. Die Baulichkeiten und Stupas [ ...] jedoch wurden vollständig zerstört.“64 Im Jahre 448 starb Kou Qian-shi und 450 wurde Cui Hao wegen Verfälschung der von ihm auf Veranlassung des Kaisers kompilierten Geschichte der Tuo-ba hingerichtet. 452 kam Tai-wus Sohn als Wen-cheng (reg. 452–465) zur Macht und verfügte, dass an jedem Ort in jeder Provinz, jeder Präfektur und Subpräfektur, der dicht besiedelt ist, eine Pagode zu errichten sei. Zudem dürften unbesehen ihres Alters alle diejenigen, welche Gefallen fänden am Buddhismus und Mönche werden wollten, ihre Familien zugunsten eines klösterlichen Lebens verlassen, wenn sie einer guten Familie entstammten und von ihrer Veranlagung und ihrem Lebenswandel her aufrichtig und in ihren Dörfern bekannt seien, und zwar fünfzig Personen je große und vierzig je kleine Provinz.

2.2.3. Buddhismus als Staatsreligion Dies war der erste Schritt einer Strategie, den Buddhismus im Norden zur Staatsreligion zu machen und den saṅgha direkt der staatlichen Kontrolle zu unterstellen. Es wurde das von einem Mönch geleitete „Amt zur Beaufsichtigung der Verdienste“ (jian fu cao) eingerichtet. Diesem unterstanden in den Provinzen die ,,saṅgha-Ämter“ (seng cao), beaufsichtigt von je einem „Regionalen Mönchsaufseher“ (zhou sha men tong). Oberster Herr über den saṅgha war der Kaiser selber, der in der Hauptstadt eine steinerne Buddhastatue mit seinen eigenen Gesichtszügen errichten ließ, um seinen Anspruch, ein ,,Tathāgata-Herrscher“ zu sein, zu unterstreichen. Als nächstes wurden ,,saṅgha-Haushalte“ und ,,Buddha-Haushalte“ eingeführt. „Saṅgha-Haushalte“ waren administrative Einheiten, welche bäuerliche Haushalte umfassten, die jährlich 60 Scheffel (shi) Getreide an die lokalen „saṅghaÄmter“ abzuliefern hatten. Dieses „saṅgha-Getreide“ wurde dort gelagert, um es in Jahren schlechter Ernte an Bedürftige zu verteilen. Die ,,saṅgha-Ämter“ durften solches Getreide aber auch bei Bedarf veräußern, um die Einnahmen für religiöse Zwecke zu verwenden. Diese Einrichtung stellt mit größter Wahrscheinlichkeit eine buddhistische Adaptation einer älteren daoistischen dar. Als im Jahre 184 im heutigen Si-chuan die Himmelsmeister-Daoisten ihren theokratischen Staat errichteten, führten sie eine Abgabe von fünf Scheffeln Reis für die Anhänger ein, weshalb diese Bewegung auch „Fünf-Scheffel-Reis-Daoismus“ (wu dou mi dao) ge-

64 Wei shu 3035.

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nannt wurde. Dieser Reis wurde in den zentralen Tempeln der 24 ,,Diözesen“ (shi) gelagert und von dort aus an die Bedürftigen verteilt. „Buddha-Haushalte“ hingegen sollten aus verurteilten Verbrechern und Sklaven gebildet werden. Beaufsichtigt von Mönchen wurden sie als eine Art Klosterdiener eingesetzt, denen die Reinigung und Instandhaltung der Kloster- und Tempelanlagen oblag, die aber auch zum Transport des „saṅgha-Getreides“ eingesetzt wurden. So konnten Gefangene sinnvoll beschäftigt werden. Anlässlich einer Tempelweihe im Jahr 476 verkündete der Kaiser eine allgemeine Amnestie und im Folgejahr begnadigte er alle zum Tode Verurteilten. Die so Freigelassenen wurden in die ,,Buddha-Haushalte“ integriert. Nach ihrer Einrichtung verbreiteten sich „saṅgha-Haushalte“, „saṅgha-Getreide“ und „Tempel-(Buddha)-Haushalte“ großflächig. Sie erwiesen sich als sehr nützlich für den Staat, da Delinquenten sinnvoll beschäftigt wurden und weil sie ihn, was die Nahrungsverteilung im Krisenfalle anging, teilweise entlasteten. Sie dienten aber auch dem Buddhismus, der so eine flächendeckende Administration parallel zur staatlichen unterhalten konnte, die sich auch für die Missionierung einsetzen ließ. Für die Familien, welche sich „saṅgha-Haushalten“ anschlossen, brachte dies den Vorteil, dass sie nach Abgabe der sechzig Scheffel Getreide von jeglicher staatlichen Steuer befreit waren. Das enorme Wachstum des Buddhismus unter Kaiser Wen-cheng und seinen Nachfolgern kann zumindest teilweise auf diese Institutionen zurückgeführt werden.65 Um 530 herum soll es rund 30 000 Klöster und andere Einrichtungen und etwa zwei Millionen Mönche und Nonnen gegeben haben.

2.2.4. Nördliche Zhou-Dynastie: Buddhismusverfolgung des Jahres 574 Kaiser Wu erließ im Jahre 574 ein folgenreiches Verbot des Buddhismus. Vorausgegangen war 567 die Einreichung einer Throneingabe durch die zwielichtige Gestalt Wei Yuan-song.66 Dieser griff darin die Buddhisten wegen ihrer Kloster-Bauten an, wegen der neun Etagen hohen Gebäude, die zu den Wolken reichten, und den Buddha-Bildern. An ihre Stelle solle der wahre Buddha-Geist treten, der Geist des Mitgefühls, der die Massen niemals leiden lasse. Es solle [in diesem Geiste] ein großes, die gesamte Bevölkerung des Reiches umfassendes buddhistisches Kloster gegründet werden. Er meinte nicht den engstirnigen Buddhismus der zwei Fahrzeuge und fünf Kategorien von Schriften, sondern einen Buddhismus, in dem es keinen Unterschied zwischen saṅgha und Laien gebe. Die Stadtgott-Tempel sollten

65 Ch’en 1964: 158. 66 Eine Zusammenfassung ist erhalten in Guang hong ming ji T 2103: 131c-132b; englische Übersetzung in Kohn 1995: 177f.

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in buddhistische Klöster und Pagoden umgewandelt und der Herrscher der Zhou sollte zu einem Tathāgata werden. Im Jahre 569 wurde in drei aufeinanderfolgenden Hofdebatten das Problem diskutiert, welche der drei Traditionen Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus die ältere und demnach die ehrwürdigere sei und somit als Staatsideologie verwendet werden könne. Dies schloss an eine frühere Debatte um die daoistische Schrift über die Zivilisierung der Barbaren (Hua hu jing) an, in der von Meister Lao (Lao-zi) gesagt wurde, er sei nach Indien gegangen und habe angeordnet, „dass alle Asketen werden und um die Nahrung betteln müssen, um dadurch ihren mörderischen und geizigen Geist in Schranken zu halten. Er ließ sie ein braunes (= Farbe des Buddhismus) Gewand mit einer entblößten Schulter tragen, um ihre gewalttätige und aggressive innere Natur zu unterdrücken. […] Er verbot strikt Heirat und Geschlechtsverkehr, um ihre rebellische und widerspenstige Saat (= Nachkommen) auszulöschen […].“67 Die Ergebnisse der Debatten waren widersprüchlich, so dass der Kaiser eine detaillierte Untersuchung des Buddhismus und des Daoismus in Auftrag gab. Zhen Luan präsentierte 570 seinen vernichtenden Traktat zur Lächerlichmachung des Daoismus (Xiao dao lun)68. Unzufrieden mit dem Resultat ordnete der Kaiser seine Zerstörung an, worauf der buddhistische Meister Dao-an seinen moderateren Traktat über die beiden Lehren (Er jiao lun)69 einreichte. Über die unmittelbaren Folgen sind wir nicht informiert, dagegen hält die buddhistische Quelle Wie die versammelten daoistischen und Laien-Disputanten der Zhou-[Dynastie] das buddhistische Gesetz zerstörten (Zhou mie fo fa ji dao su yi shi) fest:70 Fünf Jahre71 gingen [seither] vorüber. Am 17. Tag des 5. Monats des 3. Jahres der „errichteten Tugend“[-Periode] (574) wurden die Lehren des Buddhismus und des Daoismus verboten. [Buddhistische] Mönche und Daoisten mussten in den Laienstand zurückkehren (huan su), der Reichtum und das Vermögen der „drei Juwelen“ wurde unter die Beamten verteilt, buddhistische und daoistische Klöster, Pagoden und Schreine wurden den Adligen gegeben.

Als im Jahre 577 Kaiser Wu auch die Nördlichen Qi eroberte, wurden die Maßnahmen auf das ganze restliche Nordchina ausgedehnt.

67 Der Text als Ganzes ist bis auf Zitate verloren. Diese Stelle findet sich im Bian zheng lun T 2110: 535a; vgl. Zürcher 1959: 298. 68 Erhalten in Guang hong ming ji T 2103: 143c-152b, englische Übersetzung in Kohn 1995: 49–154. 69 Erhalten in Guang hong ming ji T 2103: 136b-143c, französische Übersetzung in Despeux 2002: 166–227. 70 Guang hong ming ji T 2103: 136b; englische Übersetzung in Kohn 1995: 29. 71 Chinesische Zählweise; vier Jahre nach westlicher Zählung.

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2.2.5. Südliche Dynastien Die Entwicklung des Buddhismus im Süden erscheint in den Quellen weitgehend als ein Phänomen des Adels und der Herrscherfamilien. Die Intellektuellen und Gebildeten unter den Mönchen waren wohlgesehene Gäste privater Veranstaltungen, bei denen man sie übersetzte Sūtras kommentieren und zu wichtigen chinesischen philosophischen Texten wie dem Alten Meister (Lao zi oder Dao de jing [Schrift des Weges und seiner inneren Kraft]) oder Meister Zhuang (Zhuang zi) Stellung nehmen ließ. Ein Beispiel solch eines Anlasses findet sich in den Neuen Gesprächen der Diskussionen der Welt (Shi shuo xin yu): [Der Mönch] Zhi Dun, Xu [Xun], Xie [An] und andere [Männer] von herausragender Tugend versammelten sich im Hause des Wang [Meng]. Xie, sich umblickend, sprach zu den Anwesenden: ‚Heute können wir von einer außergewöhnlichen Versammlung sprechen. Weil die Zeit nicht angehalten werden kann und es schwierig ist, diese Versammlung zu verlängern, sollten wir uns gemeinsam in Worten oder Gedichten äußern, um unsere Gefühle schriftlich festzuhalten‘. Xu fragte daraufhin den Gastgeber: ‚Haben Sie eine Ausgabe des Meisters Zhuang?‘ In der Tat besaß er das eine Kapitel ‚Der alte Fischer‘. Xie besah sich den Titel und bat alle Anwesenden, sich darüber auszulassen. Zhi Dun war als erster fertig und hatte mehr als 700 Worte verwendet. Die Ideen seiner Ausführungen waren komplex und differenziert, der Stil seines Aufsatzes war wunderbar und einzigartig. Die gesamte Versammlung pries ihn als wunderbar.72

Der Mönch Zhi Dun (314–366) sah sich sogar veranlasst, einen eigenen Kommentar zum Kapitel Freies und leichtes Wandern (xiao yao you) des Meisters Zhuang zu verfassen, welcher bekannt ist unter dem Titel Herrn Zhis Traktat über das freie und leichte [Wandern] (Zhi shi xiao yao lun, bis auf Zitate verloren). Zur südlichen Verbreitung des Buddhismus trug ganz entscheidend die persönliche Unterstützung einiger Kaiser bei, die von einigen wenigen, z. T. hochkultivierten der Aristokratie entstammenden Mönchen beeinflusst wurden. Kaiser Ming (reg. 323–326) der Östlichen Jin-Dynastie scheint der erste Herrscher gewesen zu sein, der das buddhistische Laien-Gelübde ablegte. Vom Beginn der Herrschaft des Kaisers Ai (362) an bildeten buddhistische Kulthandlungen gar einen festen Bestandteil des höfischen Lebens. Jian-wen (reg. 371–373) war bereits vor seiner Thronbesteigung mit mehreren Mönchen befreundet, die er danach in den Palast einlud, um sich Sūtras auslegen zu lassen. Als sich im Jahre 372 der Planet Mars retrograd ins Sternbild Tai-wei bewegte, wurde dies als schlechtes Omen interpretiert und der Kaiser ordnete an, dass buddhistische Mönche die negativen Energien dieses ‚üblen Sterns‘ (yao xing) zu exorzieren hätten. Dies ist insofern bemerkenswert, als die „Behandlung“ astronomischer Phänomene in die Zuständigkeit der meist konfuzianischen Hofhistoriographen oder dann der Daoisten fiel.

72 Shi shuo xin yu 4: 60. Vgl. Mather 2002: 127f.

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Auch der Bau einer großen, dreistufigen Pagode südlich der Hauptstadt geht auf seine Anordnung zurück. Den größten Erfolg verzeichnete der Buddhismus am Hofe allerdings unter Kaiser Xiao-wu (reg. 373–397), der ebenfalls das Laiengelübde ablegte. Im Jahre 381 ließ er ein Kloster innerhalb seines Palastes errichten und lud Mönche ein, dort zu leben. Sein Schwager, General Wang Gong (gest. 398), ebenfalls Buddhist, erhob unter der Bevölkerung zusätzliche Steuern und richtete Frondienst ein, um Klöster erbauen zu können. Auch der letzte Kaiser der Östlichen Jin, Gong (reg. Februar 419 bis Juli 420), zeichnete sich durch pro-buddhistische Aktivitäten aus, so etwa durch das Schmelzenlassen von 10 Millionen Kupfermünzen zur Herstellung einer 16 Fuß hohen bronzenen Buddhastatue. Die breite Förderung, welche dem Buddhismus sowohl durch den Kaiserhof als auch durch den Adel zuteilwurde, ließ sowohl den saṅgha als auch die buddhistischen Einrichtungen anwachsen und bewirkte großen Wohlstand der Klöster. Um das Jahr 400 umfasste der Süden rund 1 700 Klöster und gut 80 000 Mönche und Nonnen. Ab der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts dominierte der Buddhismus das intellektuelle Leben am Hofe vollständig.73

2.2.6. Liang-Dynastie Die größte Blüte erreichte der Buddhismus während der Reichstrennung im Süden unter Kaiser Liang Wu (reg. 502–549). Er ließ sich im Jahre 502 am 8. Tag des 4. Monats inaugurieren, was damals als das Geburtsdatum des Śākyamuni Buddha angesehen wurde, und ließ so bereits seine buddhistische Agenda erkennen. Wu, der eine daoistische Ausbildung erfahren hatte, führte am selben Tag zwei Jahre später, wie es heißt, „20 000 Beamte und gewöhnliche Leute an, um pu ti-Geist (skt. bodhicitta) zu erzeugen und für immer die daoistische Lehre aufzugeben“. Ferner schrieb er, dass er lieber als ein Buddhist für lange Zeit in den üblen Pfad versinken denn als Anhänger des Lao-zi für kurze Zeit im Himmel wiedergeboren werden wolle. Ob darauf tatsächlich Aktionen gegen Daoisten erfolgten, ist aufgrund der Quellenlage allerdings zweifelhaft. Seinen Freund Tao Hong-jing (456– 536), Patriarch der Tradition der Höchsten Klarheit (shang qing dao) auf dem Berg Mao, und seine daoistische monastische Gemeinde unterstützte er jedenfalls weiterhin. Wu ließ nicht nur eine Sammlung aller bestehenden Kommentare zum Mahāparinirvāna-sūtra anfertigen, er verfasste selber Kommentare zum Mahāprajñāpāramitā, Vimalakīrtinirdeśa und Nirvāna-Sūtra. Im Jahre 519 stellte er das so genannte Bodhisattva-Ordinationsritual zusammen und legte als erster das erneuerte Bodhisattva-Gelübde (pusa jie) ab. Dadurch erhoffte er sich vermutlich nicht nur die religiöse Führerschaft über die buddhistischen Laien, sondern auch entsprechen-

73 Zürcher 1959: 151.

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den Einfluss auf die Belange des saṅgha, welcher streng genommen ja autonom war. Kaiser Wu ließ in den großen, z. T. von ihm gestifteten Klöstern „öffentliche Versammlungen“ (wu zhe da hui) organisieren, die Mönchen, Nonnen wie auch Laien offen standen und in denen er selber Sūtras auslegte. Während mindestens dreier solcher Anlässe (527, 529, 547) entsagte er seinen weltlichen Verpflichtungen und wurde zum Klosterbediensteten. Er kehrte jeweils erst wieder auf den Thron zurück, wenn die kaiserlichen Beamten ihn mit ungeheuren Summen „loskauften“, wodurch den Klöstern bedeutende Geldbeträge zuflossen.

2.3. Blütephase (6.–10. Jahrhundert) 2.3.1. Sui-Dynastie Der buddhistisch erzogene Yang Jian vereinte 581 zunächst den von Fremdvölkern beherrschten Norden Chinas, dann 589 den Han-chinesischen Süden, stellte die Reichseinheit wieder her und begründete als Kaiser Wen (reg. 581–604) die SuiDynastie. Auch wenn er zu Beginn den Konfuzianismus durch Gründung von Klassiker-Schulen auf lokaler Ebene und den Daoismus durch Errichtung eines Lao-ziTempels (586) förderte, setzte er längerfristig auf den Buddhismus als einheitsstiftende Ideologie. Bereits 581 ließ er am Fuße der Fünf Heiligen Berge Klöster erbauen und mit Ländereien ausstatten, wodurch rituell die Inbesitznahme des Reiches markiert wurde. Demselben Zwecke diente die Verteilung von Reliquien im ganzen Reich und die Errichtung von 111 Pagoden über den Reliquien in den Jahren 601–604, womit dem Beispiel Aśokas gefolgt wurde. Im Jahre 585 ordnete Wen-di in den Präfekturen die Errichtung von 45 Staatsklöstern (da xing guo si) an und legte öffentlich das Laien-Gelübde ab. Sein Selbstverständnis liest sich wie folgt: Obwohl [meine Wenigkeit] der Kaiser als Großer Wohltäter (da tan yue; skt. dānapati) persönlich mit zehntausend Angelegenheiten verbunden ist, vergnügt er sich den ganzen Tag über mit dem Weg (dao), fördert die Drei Kostbarkeiten [buddha, dharma, saṅgha], stellt sie wieder her und handelt als „König des Gesetzesrades“ (fa lun wang; skt. cakravartin).74

Gleichsam als Gegenleistung mussten sich die Buddhisten einer strikten staatlichen Kontrolle unterwerfen und am Kult für das Wohlergehen der Dynastie und des Staates teilnehmen. Yang Guang (569–617) ließ sich von Zhi-yi (538–598), dem Abt des Tian-tai-Klosters, als Bodhisattva ordinieren (und führte so die von Liang

74 Zhong jing mu lu T 2146: 149a20.

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Wu eingeführte Praxis weiter) und setzte als Kaiser Yang (reg. 605–617) die probuddhistische Politik seines Vaters fort.

2.3.2. Tang-Dynastie Der Beginn der Tang-Dynastie stand unter dem Zeichen des Daoismus. Nach dem Untergang der Sui war der Buddhismus als Legitimationsbasis vorerst diskreditiert. Hinzu kommt, dass die Tang-Herrscher der Familie Li entstammten, welche sich vom mythischen Verfasser Lao-zi herleitete. Unter dem ersten Kaiser der Tang, Gao-zu (reg. 618–626), präsentierte der Großastrologe des Hofes (tai shi ling) und Daoist Fu Yi (554−639) eine Reihe von Vorschlägen (621 und 624) zur Vernichtung des Buddhismus. Dabei bediente er sich auch älterer Argumente, mit denen er vertraut wurde, als er die Überlieferungen eminenter Gelehrter (Gaoshi zhuan, eine Sammlung von 25 Viten früherer Gegner des Buddhismus) kompilierte. Er argumentierte gegen das Zölibat und für den Heiratszwang von Buddhisten, um den für die Arbeit und die Steuern dringend benötigten Nachwuchs zu sichern. Die ungeheure Zahl an Kloster- und Tempelbauten bänden zu viele Ressourcen und Arbeitskräfte. Diese seien für die Armee und öffentliche Bauten zu verwenden. Für die zehn von Mönchen angeführten bewaffneten Revolten sei die soziale Desintegration des Buddhismus verantwortlich zu machen. Von einer Rückführung der Mönche und Nonnen in die arbeitende Bevölkerung würde der Staat profitieren, usw.75 Er fand allerdings nur einen einzigen Fürsprecher unter den Beamten am Hofe. Gleichwohl erließ der Kaiser ein Edikt, das die Reduktion des saṅgha verlangte, doch wurde die Verordnung, welche sich auch gegen die Daoisten richtete, infolge Herrscherwechsels nicht umgesetzt. Hingegen provozierte Fu Yi eine Reihe buddhistischer apologetischer Schriften wie z. B. Fa-lins Über die Zerstörung von Irrtümern (Po xie lun, T 2109) von 622 und dessen Über die Erörterung des Korrekten (Bian zheng lun, T 2110) von 626. Im Jahre 640 kam ein junges Mädchen aus buddhistischem Hause namens Wu Chao (ca. 627–705, auch bekannt als Wu Ze-tian) als Konkubine fünften Ranges an den Hof Tai-zongs (reg. 626–649). Nach dessen Tod verließ sie offenbar den Palast, ob sie jedoch als Nonne in ein buddhistisches Kloster eintrat, ist umstritten. Jedenfalls holte sie Tai-zongs Sohn und Nachfolger, Gao-zong (reg. 649–683), wieder in den Harem. Aufgrund von Intrigen wurde die legitime Kaiserin 655 abgesetzt und Wu Chao zur Kaiserin erklärt. Mit großer Brutalität ließ sie ihre Vorgängerin sowie ihre mögliche Rivalin umbringen und beseitigte systematisch ihre Opponenten am Hofe. Ihr Einfluss stieg stetig, insbesondere befördert durch die beeinträchtigte Gesundheit des Kaisers (Hirnschläge). Nach dessen Tod 683 verbannte sie ihren

75 Guang hong ming ji T 2103: 134a-135b.

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Sohn, den Kaiser Zhong-zong (reg. 683–684 und 705–710) und begründete eine neue Dynastie der Zhou (684–704). Ihre Machtübernahme und Herrschaft wurde buddhistisch legitimiert: In ihrem 699 geschriebenen Vorwort zu Śikṣānandas Übersetzung der Blütenkranz-Schrift des unermesslichen Buddhas (Da-fang-guang Fo Hua-yan jing, Buddhāvataṃsaka mahāvaipulya-sūtra, T 279; vollendet 699) verweist sie explizit auf zwei Sūtras, die Voraussagen über ihr Erscheinen als Bodhisattva und Cakravartin enthielten. In der Tat wurde in das erste Kapitel der Neuübersetzung der Schrift des Juwelenregens (Bao yu jing, skt. Mahāmegha-sūtra, T 660) folgender apokrypher Abschnitt interpoliert, der sich in keiner anderen Übersetzung des Werkes findet: In der vierten 500-Jahrperiode nach meinem Nirvāṇa, wenn das Gesetz [des Buddha] am Erlöschen sein wird, wirst Du [, Yue-guang] im Lande Mahācina (China) in der nordöstlichen Region dieser Jambudvīpa[-Welt] die Stellung eines Nichtmehr-Rückfälligwerdenden (avaivartika) einnehmen. Da du tatsächlich ein Bodhisattva sein wirst, wirst du in einem weiblichen Körper erscheinen und wirst [politischer] Herrscher sein. Während mehrerer Jahre wirst du kraft des rechten (= buddhistischen) Gesetzes herrschen.76

Die Herrschaft der einzigen regierenden Kaiserin Chinas und das Interregnum ihrer Zhou-Dynastie währten gut zwei Jahrzehnte, während welcher der Buddhismus in großem Maße gefördert wurde. Die Errichtung der großen Statuen der Feng-xian-Höhle der Long-men-Grotten erfolgte ebenso auf ihre Veranlassung wie der Bau von Große-Wolke-Klöstern (da yun si) in allen Präfekturen des Reiches. Nach ihrer Abdankung 705 stellte ihr Sohn die Herrschaft der Tang-Dynastie wieder her. Von den verschiedenen Schulen (zong, wörtl.: Abstammungslinien), die sich während der Tang-Zeit in China etablierten, wie Tian-tai, Fa-xiang (Yogācāra), Hua-yan (Girlande, Blütenkranz) oder Tantra, kann man als eigenständige chinesische Entwicklungen diejenigen des Reinen Landes (jing tu) und des Chan (japan. Zen) ansehen.77

2.3.3. Die Buddhistenverfolgung von 845 Während immer wieder anti-buddhistische Argumente, in der Regel von der konfuzianischen Beamtenschaft oder von Daoisten, vorgebracht wurden – das berühmteste Beispiel ist die Denkschrift von 819 des Literaten Han Yu –, waren schließlich ökonomische Gründe ausschlaggebend für die bis dahin beispiellose Verfolgung des Buddhismus im Jahre 845. In diesem Jahr reichte das kaiserliche Sekretariat (zhong shu sheng) eine Throneingabe ein, die besagte:78

76 Bao yu jing T 660: 284b; vgl. Forte 2005: 196. 77 Zur Herausbildung chinesischer buddhistischer Schulen siehe von Brück 2007: 325–335. 78 Jiu Tang shu 605.

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Stephan Peter Bumbacher Die [buddhistischen] Bronzestatuen und Glocken sind dem Kommissar für Salz und Eisen zu übergeben, damit sie in Münzen umgeschmolzen werden. Eiserne Statuen sind den lokalen Behörden auszuhändigen, damit sie in Landwirtschaftsgeräte umgeschmiedet werden. Statuen aus Gold, Silber, Jade usw. sind dem Amt für Staatseinkünfte abzuliefern. Sämtliche Statuen aus Gold, Silber, Kupfer und Eisen im Besitze wohlhabender und prominenter Personen sind binnen eines Monats nach Bekanntgabe dieses Erlasses der Regierung auszuhändigen. […] Kultobjekte aus Keramik, Holz oder Stein dürfen weiterhin in den Tempeln verbleiben.

Der durch Steuerbefreiung, Investitionen in Agrarland, Bau und Unterhalt von Mühlen usw. bedingte große Reichtum der Klöster wurde zu einem erheblichen Teil für deren Ausschmückung und Ausstattung mit Kultobjekten verwendet. Dies hatte u. a. eine Verknappung der verfügbaren Metalle zur Folge. Die Anzahl steuerbefreiter Personen wurde auf rund 260 000 Mönche und Nonnen und 100 000 Klostersklaven geschätzt, hinzu kamen nochmals gut eine Viertelmillion Klosterbediensteter. Dass die anti-buddhistische Zielrichtung der Regierung nicht gegen religiöse Inhalte, sondern gegen ökonomische Aspekte wies, zeigte sich schon 844, als Kaiser Wu-zong nicht die Zeremonie der Verehrung von Buddhas Zahnreliquie als solche verbot, sondern diejenigen einer Prügelstrafe unterzog, welche hierfür Geld spenden wollten. 845 ordnete der Kaiser die Zerstörung sämtlicher buddhistischer Einrichtungen im Lande an, mit Ausnahme je eines Klosters in den größeren Präfekturen und je zwei Klöstern in den beiden Hauptstädten, von denen jedes nur noch dreißig Mönche beherbergen durfte. Aller Landbesitz und die materiellen Güter wurden konfisziert. Das Resultat wurde im kaiserlichen Edikt festgehalten:79 Mehr als 4 600 Klöster sind im Reich zerstört, mehr als 260 500 Mönche und Nonnen sind laisiert und der Steuerpflicht unterstellt, mehr als 40 000 Tempel und Schreine sind zerstört, mehrere Zehnmillionen qing fruchtbaren Landes und guter Felder sind konfisziert, 150 000 Sklaven sind übernommen und der Steuerpflicht unterstellt worden.

Auch wenn sich später der saṅgha wieder vergrößern konnte – vom Verlust seiner vorherigen ökonomischen Macht hat er sich nie mehr erholt.

2.4. Phase des Niedergangs (10.–19. Jahrhundert) Anders als nach den früheren Verfolgungen erholte sich der Buddhismus nach derjenigen von 845 nicht mehr. Zwar nahm die Zahl der Mönche und Nonnen wieder zu – von 260 000 vor der Verfolgung im Jahre 845 auf rund 460 000 im Jahre 1221 –, doch von den verschiedenen Schulen, die während der Tang-Dynastie

79 Jiu Tang shu 606.

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entstanden, blieben nur noch diejenigen des Chan und des Reinen Landes aktiv. Der Niedergang war ein qualitativer. Dafür werden gewöhnlich drei Hauptgründe angenommen – ökonomische, intellektuelle und außerchinesische.

2.4.1. Zur ökonomischen Situation Die finanzielle Situation des Song-Staates war angespannt: Zum einen waren große Summen für ein stehendes Heer aufzuwenden und Tributzahlungen an die Kitan und Tanguten zu leisten. Zum anderen hatte sich der Beamtenapparat von 1007 bis 1088 um das Vierfache aufgebläht. Mönche und Nonnen erhielten nach bestandener Prüfung in den heiligen Texten ein Zertifikat, das sie von Steuerzahlungen und obligatorischem Arbeitsdienst befreite. Um zusätzliche Einnahmen zu generieren, begann der Staat im Jahre 1068, solche Ordinationszertifikate an Mönche und Nonnen zu verkaufen, „um die Folgen der durch Brüche von Dämmen des Gelben Flusses verursachten Hungersnöte zu mildern“. Dies hatte kurzfristig den Effekt, dass sich die Einnahmen vergrößerten, längerfristig aber die Zahl der Nichtsteuerzahler zunahm. Die Steuerausfälle vergrößerten sich umso mehr, als es dank dieses Zertifikats nicht mehr nötig war, weiterhin den Schädel kahlzuscheren und eine Mönchs- oder Nonnenrobe zu tragen. Die solchermaßen ‚rechtmäßig ordinierte‘ Person konnte sogar zu Hause bleiben und ihren normalen sozialen und ökonomischen Verpflichtungen nachgehen. Der Kauf solcher Titel erlaubte auch Rechtsbrechern und anderen dubiosen Elementen, in Klöstern Aufnahme und damit Schutz vor Verfolgung, Steuer und Arbeitsdienst zu erlangen. Die Zertifikate wurden sogar auf dem Markt gehandelt, Reisende konnten damit ihre Reisekosten begleichen und Kaufleute ihre Käufe finanzieren. Schließlich wurden sie sogar zu einer Art Äquivalent der frühesten Form von Papiergeld.80 Der Staat verkaufte aber auch buddhistische Ehrentitel. Kaiserin Wu Ze-tian der Tang-Dynastie hatte bereits den Titel „Meister der purpurnen Robe“ verliehen und zwar zunächst ihrem Vorzugsmönch Huai-yi, dann weiteren zehn Mönchen, die zur Legitimation ihrer Herrschaft eine entsprechende apokryphe Schrift verfasst hatten. Ursprünglich konnten nur Mönche diesen Titel erlangen, die mindestens seit fünf Jahren ordiniert waren, oder automatisch, wenn sie über achtzig Jahre alt waren. Wer sich auf der Suche nach Originalschriften ins Ausland begeben hatte, wer an Sūtrasübersetzungsarbeiten teilgenommen hatte sowie ausländische Mönche, die sich an Übersetzungen und in der Mission beteiligten hatten, waren im Prinzip berechtigt, die Auszeichnung zu erhalten. Mit der Zeit wurde der Titel durch Abstufung differenziert. Da es aber nicht einfach war, auf diese Weise vom Kaiser geehrt zu werden, gab es Mönche, die bereit waren, dafür zu

80 Gernet 1995: 60.

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bezahlen. Das brachte Beamte auf die Idee, die Titel generell gegen Geld verleihen zu lassen. So wurden im Jahre 1129 insgesamt schätzungsweise 5 000 Titel verkauft. Zertifizierte „Pseudomönche“ und mit gekauften Titeln „ausgezeichnete“ Mitglieder waren dem Ansehen des saṅgha verständlicherweise abträglich. Die Klöster setzten während der Song-Dynastie die ökonomischen Aktivitäten fort, die sie schon während der Tang-Dynastie begonnen hatten: den Betrieb von Ölpressen, Wassermühlen, Pfandhäusern und Hotels gegen Bezahlung. Die Gewinne ließen sich wieder in Landzukäufe, Tempelbauten, Renovierungen, Herstellung von Kultobjekten und Infrastrukturprojekte investieren. Ländereien wurden den Klöstern üblicherweise von Mitgliedern der Kaiserfamilie, des Adels und der wohlhabenden Familien geschenkt und verblieben im Besitz des saṅgha. Daneben gab es aber auch die Institution der „Verdienst-Klöster“ (gong de yuan oder gong de fen si). Darunter verstand man Klöster, welche von reichen Familien auf eigenem Grund erbaut wurden und welche um offizielle Anerkennung baten. Wurde dem Gesuch stattgegeben, nahmen die Familien Steuerbefreiung nicht nur für das Kloster, sondern für das gesamte Anwesen in Anspruch. Sie konnten aber auch bereits bestehende, offiziell anerkannte Klöster als ihr Eigentum ausgeben und ihnen dann Land überschreiben, um so von den Steuerprivilegien zu profitieren. Obwohl Staat und Öffentlichkeit dies als saṅgha-Eigentum verstanden, betrachteten die Donatorenfamilien sie weiterhin als eigenen Besitz und setzten auch nach Belieben eigene Verwalter ein. Im Jahre 1109 wurde ein Dekret erlassen, wonach es den großen Familien untersagt war, sich offiziell anerkannte buddhistische Einrichtungen als eigenen Privatbesitz anzueignen, und 1113 wurden die Steuerprivilegien für Verdienst-Klöster aufgehoben.

2.4.2. Zur intellektuellen Situation Beginnend mit Han Yu (768–824) und Li Ao (gest. ca. 844) in der Tang-Zeit erfuhr der Konfuzianismus insbesondere während der Song eine starke Aufwertung. Während es Konfuzius selber vermieden hatte, sich über religiöse Inhalte zu äußern, wurden nun Elemente des Daoismus und des Buddhismus in die eigene Lehre integriert. Z. B. übernahm Shao Yong (1011–1077) vom Buddhismus die Vorstellung der Äonen oder kalpas, führte ihre „indische“ Länge von 432 000 000 Jahren aber auf das „chinesische“ Maß von 360 Tagen zu 12 Doppelstunden zu der menschlichen Generation von 30 Jahren, also 129 600 Jahren zurück. Andererseits wurden den buddhistischen Konzepten „Leerheit“, „Unbeständigkeit“ oder „Buddha-Natur“ eigene entgegengestellt, wie etwa „[Struktur]prinzip“ (li), „Energie“ resp. „Materie“ (qi), und „menschliche Natur“ (xing). An Stelle des buddhistischen Ideals der Weltabgewandtheit als Askeseform trat das Eintreten für soziale Verantwortung in der Welt.

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Der Neo-Konfuzianismus gab dem Individuum einen Platz im Diesseits zurück, wie es Zhang Zai (1021–1077) in seiner Westinschrift formulierte:81 Der Himmel ist mein Vater, die Erde meine Mutter, und selbst ein winziges Wesen wie ich findet einen traulichen Platz in ihrer Mitte. So sehe ich in allem, was das Universum durchzieht, meinen eigenen Körper, und in allem, was das Universum regiert, meine eigene Seele. Alle Menschen sind meine Geschwister und alle Dinge sind meine Gefährten. Der große Herrscher ist der älteste Sohn dieser meiner Eltern, […] während andererseits selbst die, die weder eigene Brüder noch Kinder noch Ehegatten haben, immer noch meine Brüder sind in der Not. […] Reichtum und Ehre, Wohltat und Segen sollen mein Leben bereichern, Armut und Fehlschläge, Kummer und Sorgen sollen helfen, es zu erfüllen. Im Leben werde ich [Himmel und Erde] dienen, im Tode werde ich den Frieden finden.

Der Neo-Konfuzianismus verdrängte zusehends den Buddhismus in Intellektuellenkreisen und gewann eine ähnliche Position zurück, die der Konfuzianismus in der Han-Zeit einmal innegehabt hatte.

2.4.3. Außerchinesische Faktoren Als dritter Grund für den Niedergang des Buddhismus während der Song-Dynastie wird die Entwicklung in Indien angesehen. Während der Gupta-Zeit (4.–6. Jahrhundert) begann der Mahāyāna-Buddhismus, Hindu-Gottheiten in sein eigenes Pantheon zu integrieren, um so Anhänger zu gewinnen. Dies hatte offenbar zur Folge, dass der Hinduismus den Buddhismus als eigene Sekte und den Buddha als eine der vielen Inkarnationen Viṣṇus anzusehen begann. Offenbar gab es Buddhisten, die diese Sicht durchaus akzeptierten, worauf zeitgenössische künstlerische Darstellungen hinzudeuten scheinen. Dieser Prozess der Hinduisierung verwischte zusehends die Unterschiede zwischen beiden Religionen und führte zu einer Marginalisierung des Buddhismus im 8. und 9. Jahrhundert. Als schließlich die Moslems im Jahre 1193 Magadha, das Kernland des indischen Buddhismus, eroberten und die buddhistischen Klöster zerstörten, hatte der Buddhismus in Indien aufgehört zu existieren. Direkte Folge davon war das Wegbleiben indischer Missionare in China, aber auch das Ende chinesischer Pilgerreisen nach Indien. Neue Impulse konnten nicht mehr von außen kommen.

2.5. Moderne (19.–20. Jahrhundert) Einen eigentlichen Tiefpunkt erlebte der Buddhismus, als die „Gesellschaft der Gottes-Verehrer“ (bai shang di hui) des Hong Xiu-quan (1813–1864) im Jahre 1850 in

81 Eichhorn 1937: 36–67.

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Guang-xi einen Aufstand anzettelte, der im Folgejahr zur Ausrufung eines eigenen Staates, des „Himmlischen Reichs des allgemeinen Friedens“ (tai ping tian guo) führte. Die Taiping-Aufständischen vernichteten während des Bürgerkrieges (1851–64) den Buddhismus in seinem Kerngebiet Südchinas nahezu völlig, indem sie Mönche und Nonnen umbrachten sowie Klöster, Tempel und Schriften zerstörten. In den folgenden Jahrzehnten wurde beträchtliche Energie dafür aufgewendet, mittels Spenden die zerstörten Einrichtungen wiederherzurichten. Im späten 19. Jahrhundert existierten verschiedene Typen von Einrichtungen, in denen Nonnen und Mönche lebten.82 Dies waren einerseits große „öffentliche Klöster“ (shi fang cong lin), die sich als gemeinsames Eigentum des buddhistischen saṅgha verstanden und bis zu mehreren Hundert Langzeitbewohnern beherbergen konnten. Andererseits gab es die „erblichen Klöster“ (zi sun miao) ähnlicher Größenordnung, welche von spezifischen Traditionslinien kontrolliert wurden. Daneben existierten kleinere Anlagen des „erblichen“ Typs, darunter solche mit lediglich einem bis fünf Mönchen. Tempel konnten auch von der örtlichen Gemeinschaft oder von einer Gruppe von Laien verwaltet werden. Zudem gab es auch einfache Behausungen für einzelne Eremiten. Trotz der großen Anzahl vorhandener buddhistischer Texte spielte nur eine kleine Gruppe eine größere Rolle, nämlich die „drei großen Sūtras“ Hua yan jing (Avatamsaka-sūtra), Lotos-Sūtra und Leng yan jing (Śūraṅgama [samādhi]-sūtra). Für Chan-Mönche waren noch das Sūtra vom vollständigen Erwachen, das Plattform-Sūtra des sechsten Patriachen sowie das Vimalakīrti nirdeśa-sūtra von Interesse. Der Versuch einer Wiederbelebung des Buddhismus wurde gegen Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von gebildeten Laien wie Yang Wenhui (1837–1911) und Ou-yang Jing-wu (1871–1943) unternommen, die sich als Herausgeber buddhistischer Schriften betätigten. 1929 wurde durch die beiden Protagonisten der Erneuerungsbewegung, den „fortschrittlichen“ Abt Tai-xu (1899–1947) und den „konservativen“ Yuan-ying (1878–1953) die „Chinesische buddhistische Vereinigung“ gegründet. Ziel war es, die alten Schulen des Tian-tai, Hua-yan sowie des Yogācāra wiederzubeleben. Diesen Bestrebungen war jedoch kein Erfolg beschieden. Nach der Ausrufung der Volksrepublik (1949) führte die Regierung ab 1950 eine Reihe von Landreformen durch, in welchen die Ländereien großer Klöster und einiger der wichtigsten Laienunterstützer konfisziert und neuverteilt wurden, was die ökonomische Basis der auf Zuwendungen der Gläubigen angewiesenen Mönche und Nonnen empfindlich beeinträchtigte. Mönche wurden als „Landbesitzer“ (di zhu) denunziert, Klöster zerstört oder in Fabriken, Warenhäuser oder Schulen umfunktioniert. 1953 erfolgte die Gründung der neuen „chinesischen buddhistischen Vereinigung“ (Zhong guo fo jiao xie hui), welche bis heute als staatlich kontrolliertes

82 Birnbaum 2003.

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Verbindungsglied zwischen den Buddhisten und der Regierung dient und sowohl in der Hauptstadt wie auch in den Provinzen mit Büros vertreten ist. Nach dem tibetischen Aufstand von 1959 wurden harte Unterdrückungsmaßnahmen gegen den dortigen Buddhismus (Lamaismus) durchgesetzt. Während der Kulturrevolution (1965–1969) hatten auch die Buddhisten schwer unter den Gewalttaten und dem Vandalismus der Roten Garden zu leiden, viele Mitglieder des saṅgha wurden in den Laienstand zwangsversetzt und Klöster, sofern sie nicht bereits zerstört waren, geschlossen. Für junge Leute wurde es ausgesprochen schwierig, Nonne oder Mönch zu werden. Nach 1976 wurde die Politik der Partei gegenüber dem Buddhismus etwas liberaler und seit den frühen 1980er Jahren verbesserten sich nicht nur seine ökonomischen Bedingungen. Auch Neuordinationen unter staatlicher Kontrolle sind wieder möglich und öffentliche Kulthandlungen werden zunehmend toleriert.

2.6. Taiwan (17. Jahrhundert bis heute) Vor etwa 7 000 bis 5 000 Jahren erreichten und besiedelten Austronesier die Insel Taiwan, von wo aus sie im Laufe der folgenden Jahrtausende große Teile der pazifischen Inselwelt „kolonisierten“.83 Späte Nachfahren, welche noch immer Sprachen sprechen, die den austronesischen zugeordnet werden, leben auch heute noch auf Taiwan, allerdings zurückgezogen in der Bergwelt. Hierhin wurden sie von fliehenden Festlandchinesen verdrängt, denen es im Jahre 1661 nicht gelungen war, unter der Leitung von Zheng Cheng-gong (alias Guo-xing-ye, holländisch Koxinga) die darniederliegende Ming-Dynastie wiederherzustellen. Dieser vertrieb die Niederländer, deren Niederländische Ost-Indien-Kompanie von 1624–1662 mehrere Stützpunkte auf der Insel unterhielten. Die auf dem Festland auf die Ming folgende Qing-Dynastie eroberte schließlich 1683 die Insel und beherrschte sie bis 1895, als sie die Herrschaft an die Japaner abtraten, welche die Kontrolle bis 1945 ausübten. Seither wird Taiwan von Han-Chinesen regiert. Can-che, der erste namentlich bekannte buddhistische Mönch, kam im Jahre 1675 auf Einladung des Stabsoffiziers Chen Yong-hua von Fu-jian auf die Insel und wurde Abt im von diesem errichteten Long-hu Yan-Kloster.84 Später gründete er mit Unterstützung der benachbarten Dorfbewohner sein eigenes Kloster auf dem Huo-shan, das Bi-yun si. Zwischen 1664 und 1683 wurden drei Klöster errichtet (Zhu-xi si, Hai-hui si und Mi-tuo si), zwei weitere folgten 1738 (Long-shan si) und 1763 (Chao-feng si). Sie wurden mit genügend Ländereien ausgestattet, um sich selber versorgen zu können.85 Da allerdings keines die Ordination verlieh, dürften

83 Tsang 2002. 84 Jones 1999: 9f. 85 Jones 1999: 38.

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die meisten Mönche und Nonnen lediglich das Noviziat erlangt haben. Über Reisen auf das Festland zur Erlangung der vollen Ordination ist kaum etwas bekannt. Nonnen gab es zu Beginn der Qing Dynastie offenbar nur wenige und an deren Ende gar keine mehr. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Regierung aufgrund der „herrschenden Atmosphäre“ die Weihen sowohl von Daoistinnen als auch Buddhistinnen untersagte.86 Als charakteristisch für die Periode wird das zhai jiao-„System“ angesehen, was mit „Fastenlehre“ oder, freier, mit „vegetarische Religion“ übersetzt werden kann.87 Hierbei handelte es sich um eine Laienbewegung, die vollständig ohne saṅgha auskam, weder dessen Unterweisung beanspruchte noch ihn wohltätig unterstützte.88 Die Anhänger trafen sich zu gemeinsamen Textlesungen und praktizierten den Verzicht auf Fleischkonsum („Fasten“). Die zhai jiao-Bewegung lässt sich zurückführen auf Luo Qings (1442–1527) Lehre. Luo, ein gebildeter Laienbuddhist, entstammte einer Familie von Militärpersonen aus Shan-dong und diente in der „GetreidekanalTransport-Truppe“. Zu seinen frühesten Anhängern zählten Schiffsleute, sowie Bauern und buddhistische Mönche.89 Ausgebreitet hat sich sein Gedankengut entlang der Schiffskanäle, zunächst nach Zhe-jiang, schließlich über ganz Festlandchina.90 Zwischen 1505 und 1521 verfasste er fünf Schriften in umgangssprachlichem Chinesisch, die in der Folge von Mönchen vor allem der Lin-ji-Tradition des Chan kommentiert wurden und große Verbreitung fanden. Zu den Quellen, die er zitierte, gehörten u. a. das Jin gang jing (Diamantsūtra), das Jin gang jing ke yi bao juan (Wertvolle Schriftrolle zur Erklärung des Diamantsūtra),91 das Xin jing (Herz-), das Nirvāna-, das Hu ayan-(Avatamsaka)-Sūtra und das Yuan jue jing (Sūtra der vollkommenen Erleuchtung). Seine Quellen waren somit „orthodoxe“ Mahāyāna-Texte. Ausgehend von der Vorstellung, dass sich sowohl die Buddhas als auch ihre Paradiese („Reines Land“) personal, d. h. im Geiste einer jeden einzelnen Person befinden, ausgedrückt als „du bist selbst ursprünglich der alte Amitābha“ oder „erkenne, dass alle Buddhas sich in einem selbst versammeln und dass die Welten aller Buddhas sich im [eigenen] Geiste befinden“,92 lösten sich für ihn alle Gegensätze auf. Es gab weder Unterschiede nach Rang und Geschlecht noch als Mönch/ Nonne und Laie. Entsprechend bestand der Erlösungsweg nicht in der Observanz irgendwelcher Regeln und Anweisungen, schon gar nicht der Almosengabe. Wesentlich war, „den [ursprünglichen] Geist wiederherzustellen“ (hui xin).93

86 Jones 1999: 11. 87 Auch bai yi fo jiao („Buddhistische Lehre der Weißgekleideten [Laien]“) oder zai jia fo jiao („Buddhistische Lehre der Haushalter“) genannt, vgl. Jones 1999: 12. 88 Jones 1999: 14. 89 Overmyer 1978: 285. 90 Overmyer 1985: 231. 91 Overmyer 1985: 225. 92 Overmyer 1985: 235. 93 Overmyer 1985: 233.

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Buddhismus in China

Als Folge des sino-japanischen Krieges trat die chinesische Regierung 1895 Taiwan an Japan ab. Mit den Truppen, die taiwanesische Aufstände niederzuschlagen hatten, kamen auch japanische buddhistische Mönche ins Land, einerseits, um die religiösen Bedürfnisse der eigenen Truppen zu befriedigen, andererseits in missionarischer Absicht. Mangelnde japanische finanzielle Unterstützung infolge der Bevorzugung des Shintō gegenüber dem Buddhismus im eigenen Land im Zuge der Meiji-Reform und die Sprachbarriere (die Han-Chinesen Taiwans sprachen mehrheitlich Hokkien) führten dazu, dass die Zahl derjenigen Taiwan-Chinesen gering blieb, die sich in den rund fünfzig Jahren japanischer Herrschaft japanischen buddhistischen Traditionen anschlossen (1941: rund 28 000).94 Als eine Reaktion auf die fremde Einflussnahme errichteten vier Klöster „Ordinationsplattformen“, auf denen Mönche und Nonnen die Tonsur mit den vollen Weihen erhalten konnten, nämlich Ling-quan chan si (in Kee-lung), Fa-yun chan si (Miao-li), Chao-feng si (Kao-hsiung) und Ling-yun chan si (auf dem Guan-yinshan in Taipei).95 Die vier Äbte hatten ihre Ordination auf dem Festland im Yongquan-Kloster in Fu-zhou erhalten. Somit war die Voraussetzung zur Begründung chinesischer buddhistischer Tempeltraditionslinien auf Taiwan geschaffen.96 Als 1915 eine großangelegte anti-japanische Verschwörung unter Leitung von zhai jiao-Anhängern aufflog, sahen sich Laien, zhai jiao-Anhänger und „orthodoxe“ buddhistische Mönche genötigt, gemeinsame Organisationen zu gründen, die als Mittler zwischen der japanischen Verwaltung und den chinesischen Gläubigen wirkten. Das war die einzige Zeit, in der es zu einer Zusammenarbeit zwischen zhai jiao-Gemeinden und dem saṅgha kam. Nach 1945 verliefen die Entwicklungen wieder getrennt.97 1945 verließen die Japaner Taiwan, die Insel kam wieder unter chinesische Verwaltung. Nach der kommunistischen Machtübernahme auf dem Festland im Jahre 1949 flüchteten rund 1,5 Millionen Anhänger der unterlegenen Guo min dang („Volkspartei“) mit Chiang Kai-shek und seinen Truppen vom Festland auf die Insel. Unter den Einwanderern fanden sich auch buddhistische Mönche und Nonnen, die mehrheitlich aus den Provinzen Zhe-jiang und Jiang-su stammten und ihre ursprünglichen Netzwerke beibehielten. Mitglieder der 1927 in Shang-hai gegründeten Zhong guo fo jiao hui (Buddhistische Vereinigung Chinas) begründeten diese auf Taiwan neu. Die Vereinigung stellte das Verbindungsglied zwischen den Buddhisten und der Regierung dar, registrierte die Mitglieder des saṅgha und die Tempel, organisierte und überwachte die Ordinationen und beriet die Regierung bei der Ausarbeitung von die

94 95 96 97

Jones Jones Jones Jones

1999: 1999: 1999: 1999:

37. 38. 39. 64–81.

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Religionen betreffenden Gesetzen. Aufgrund einer entsprechenden Gesetzesrevision im Jahre 1989 verlor die Vereinigung jedoch ihre Vormachtstellung. Unter den Flüchtlingen nach Taiwan von 1949 fand sich ein 22-jähriger Mönch namens Xing-yun, damals bereits Abt des Hua-zang-Klosters in Nan-jing. Nach einer Reihe von Tätigkeiten im Dienste des Buddhismus, nicht zuletzt als Autor und Redakteur, gründete er 1967 das Fo-guan-shan-Kloster. Dessen Einnahmen aus Sprachkursen, Schulen, öffentlichen Bibliotheken, Museen, Retreats, Bereitstellung von Konferenzräumlichkeiten für große internationale Veranstaltungen usw. wurden in die Gründung weiterer Klöster und religiöser Einrichtungen investiert. 1992 verfügte Fo-guan-shan über vierzehn Tempel verstreut über ganz Taiwan sowie zweiundzwanzig Lehrsäle und Laieneinrichtungen. Inzwischen sind seine Mönche auch international aktiv und verfügen über Tempel auf sämtlichen Kontinenten.98 Eine noch größere Institution stellt die durch die Nonne Zheng-yan im Jahre 1966 gegründete Fo jiao ke nan ci ji gong de hui (Buddhistische Vereinigung des Verdienstes der Überwindung von Schwierigkeiten und mitfühlenden Hilfsbereitschaft) dar. Aus Spenden wurde ein Krankenhaus errichtet, das eng mit der medizinischen Fakultät der National Taiwan University zusammenarbeitet. Um über genügend Pflegepersonal verfügen zu können, wurde 1989 noch eine Schwesternschule gegründet, der sich 1994 eine eigene medizinische Fakultät angliederte. Im selben Jahr belief sich die Zahl der Mitglieder weltweit auf 3,5 Millionen.99

3. Grundlagen und Aspekte des chinesischen Buddhismus

3.1. Quellen Als Quellen für die Erforschung des chinesischen Buddhismus steht einerseits eine ganze Reihe von verschiedenen Textgattungen zur Verfügung, andererseits kann auf archäologisch-ikonographische und epigraphische Zeugen zurückgegriffen werden. Die bislang für die Buddhologie wichtigsten Textgattungen waren die chinesischen Übersetzungen indischer respektive zentralasiatischer Texte, insbesondere diejenigen von Sūtras, Klosterregeln (vinaya) und scholastischen Texten (abhidharma) sowie Kommentare. Von besonderem Interesse sind jedoch die in China eigenständig verfassten Schriften. Hierzu zählen kurzgefasste Handbücher und Zusammenfassungen, apokryphe Schriften, apologetische und polemische Texte, Ste-

98 Jones 1999: 185–198. 99 Jones 1999: 198–217.

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leninschriften, Lebensbeschreibungen von Mönchen und Nonnen, Wunderberichte, Kataloge und andere.

3.1.1. Übersetzungen 3.1.1.1. Han-Zeit Zu den frühesten Übersetzungen zählen der Meditationstext Schrift vom ānāpānasmṛti (Da an ban shou yi jing, T 602), einer der einflussreichsten Texte der frühen Phase,100 die Schrift vom acht[fachen] korrekten Pfad (Ba zheng dao jing, T 112), die Schrift von den vier [edlen] Wahrheiten (Si di jing, T 32), die Schrift von den zwölf Ursachen [der Transmigration] (Shi er yin yuan jing, verloren), die Schrift von skandha, dhātu und ayatana (Yin chi ru jing, T 603) und die Schrift vom Grund des Wegs [zur Erleuchtung] (Dao di jing, Saṅgharakṣas Yogācārabhumi, T 607) des Parthers An Shigao101 (fl. 148–170), der sich im Jahre 148 in Luo-yang niedergelassen hatte. Diese in umgangssprachlichem Chinesisch verfassten Texte gelten „als Übersetzungen generell von bescheidenster Qualität“102, haben aber gleichwohl eine wichtige Rolle in der Frühphase des chinesischen Buddhismus gespielt. Neben diesen der Sarvāstivāda-Schule des Hināyāna zugehörigen Schriften wurden zwischen 168 und 188 auch bereits stilistisch völlig anders geartete Texte des Mahāyāna übersetzt. In dieser Zeit gelangte der Indo-Skythe Lokakṣema (chines. Zhi Lou-jia-qian) nach Luo-yang, der die prajñāpāramitā-Literatur erstmals den Chinesen bekannt machte und dessen wichtigste Übersetzung die um 180 fertigestellte Schrift der Perfekten Weisheit in 8 000 Zeilen (Dao xing bo ruo jing, Aṣṭasāhasrikā prajñāpāramitā, T 224) darstellt. Bemerkenswert ist, dass das Original vom indischen Mitarbeiter Zhu Shuo-fo aus Indien mitgebracht und Lokakṣemas mündliche Übersetzung von den chinesischen Laienmitarbeitern Meng Fu (aus Luo-yang), Zhang Lian (aus Nan-yang) und Zi-bi (aus Nan-hai) niedergeschrieben wurde – die letzteren beiden sind aufgrund entsprechender Quellen als Daoisten ausgewiesen.103 Sehr wichtig waren auch die Übersetzungen der Meditationstexte Schrift des Pratyutpanna samādhi (Ban zhou san mei jing, T 418)104 und Schrift des Śūraṃgama samādhi (verloren), die die Chinesen mit neuen Formen der geistigen Versenkung bekannt machten. Mit Lokakṣemas Übertragung der Schrift des [von] A-mi-tuo, dem wahrhaftig und vollständig erleuchteten Buddha, den Menschen gegebenen Wegs des Hinübersetzens [ans andere Ufer] (A mi tuo san ye san fo sa lou fo tan guo du ren dao

100 101 102 103 104

Zu diesem Text siehe Zacchetti 2007 und Zacchetti 2008. Siehe Forte 1995. Zürcher 1959: 34. Zürcher 1959: 35. Englische Übersetzung von Harrison 1998.

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jing, Sukhāvatīvyūha-sūtra, T 362105) wurden die Chinesen erstmals mit dem Buddha Amitābha und der Vorstellung eines westlichen Buddha-Landes vertraut. Die Idee eines „westlichen Paradieses“ war in China nicht neu, denn es gab bereits die Vorstellung des im Westen gelegenen, von der Göttin Xi-wang-mu beherrschten Kun-lun, des Berges der Unsterblichen.106 Dieses bereits bestehende, vom Daoismus übernommene und weiterentwickelte Konzept dürfte der Aufnahme des sukhāvatī-Gedankens förderlich gewesen sein. Auch Lokakṣemas Übersetzungen – von denen sieben im Zeitraum von 168–188 hergestellte noch heute vorhanden sind107 – waren noch in umgangssprachlichem Chinesisch abgefasst und richteten sich somit noch nicht an eine gebildete Interessentenschicht, sondern eher an Handel- und Gewerbetreibende sowie Angehörige der niedrigsten Ränge der Beamtenschaft, etwa Kanzlisten und Kopisten.108

3.1.1.2. Zeit der Drei Reiche Nach dem Fall der Han-Dynastie siedelten viele Chinesen in den Süden über, wo in der Hauptstadt Jian-ye des Wu-Reiches ein Übersetzungszentrum eingerichtet wurde.109 Kang Seng-hui, Sohn einer sogdischen Händlerfamilie, übersetzte die erste Sammlung von Berichten über Buddhas in früheren Existenzen vollbrachte gute Taten (avadānas), die Schrift der Sammlung [von Erzählungen] von den Sechs [Arten der Praxis, die zum anderen] Ufer [führen] (Liu du ji jing, T 152). Nach 229 begann hier der upāsaka Zhi Qian,110 Enkel eines Indo-Skythen, der sich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts in Luo-yang niedergelassen hatte, sein wichtiges Übersetzungswerk. Ihm, der offenbar zweisprachig aufgewachsen war, gelang der Zugang zu den höchsten Kreisen – er soll zum Lehrer des Kronprinzen des Sun Quan (reg. 229–252) ernannt worden sein. Nicht zuletzt sein Sprachstil machte seine Texte nicht mehr nur für Kaufleute und niedrigrangige Beamte, sondern auch für die gebildete Elite attraktiv. Er war der einzige bedeutende Übersetzer in Südchina vor dem 4. Jahrhundert. Zu seinen wichtigsten und einflussreichsten Übersetzungen zählt die Schrift von der Lehre des Wei-mo (Wei mo jie jing, Vimalakīrti nirdeśa-sūtra, T 474) und die Schrift des A-mi-tuo (A mi tuo jing, skt. Amitābha-sūtra, Sukhāvatīvyūha-sūtra, T 362), der grundlegende Text über den Amitābha-Buddha und sein westliches Paradies Sukhāvatī.

105 Zur revidierten Zuschreibung des traditionell mit Zhi Qian verbundenen Textes siehe Nattier 2008: 87. 106 Loewe 1994: 86–126. 107 Zürcher 1977: 202f. 108 Zur Frage der Umgangssprache in den Übersetzungen siehe Zürcher 1977 und Zürcher 1991. 109 Hureau 2010: 744. 110 Für das Folgende siehe u. a. Zürcher 1959: 48–51.

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Das Vimalakīrti nirdeśa-sūtra wurde insgesamt nicht weniger als sieben Mal ins Chinesische übersetzt, wobei Kumārajīvas Version von 406 zur einflussreichsten wurde, während diejenige von Xuan-zang (650) als die technisch genaueste gilt. Das Vimalakīrti nirdeśa-sūtra übte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss nicht zuletzt auf die Intellektuellen und Aristokraten aus. Hier war es nun ein Laie, Weimo (Vimalakīrti), der als reicher Kaufmann und Haushalter (ju shi, „zurückgezogen lebender Gelehrter“) – im Gegensatz zu den hauslosen Mönchen – höchste Weisheit erlangte und etablierte Mitglieder des Ordens zurechtzuweisen vermochte. Im Wissen um die Natur der Leerheit konnte er – um den dharma zu lehren – in Wirts- und Freudenhäusern verkehren, ohne davon affiziert zu sein. Dieser Text erlaubte es den Wohlhabenden und den Prinzen, die die Laiengelübde abgelegt hatten, das gewohnte bisherige luxuriöse Leben „mit einem anderen Bewusstsein“ weiterzuleben. Einflussreich wurde auch Zhi Qians Schrift der allumfassenden Wahrnehmung des [Buddhas der] grenzenlosen Reinheit (Wu liang qing jing ping deng jue jing, Amitābhasūtra, T 361), sie stellte jedoch die stilistische Überarbeitung von Lokakṣemas früherer Übersetzung dar. Wie populär Zhi Qians Werke gewesen sein müssen, kann man daraus ersehen, dass sie teilweise verbatim Eingang in apokryphe buddhistische Sūtras gefunden haben, aber auch wortwörtlich in Texte der daoistischen Ling bao-Tradition eingeflossen sind.111

3.1.1.3. Westliche Jin-Zeit Die wohl bedeutendste Übersetzung des Indo-Skythen Dharmarakṣa112 (chines. Fahu), der im Zeitraum zwischen 266 und 308 hauptsächlich in Chang-an tätig war, stellt die erstmalige Übertragung der Schrift der Blume des wahren Gesetzes (Zheng fa hua jing, Saddharmapuṇḍarīka oder Lotos-Sūtra, T 263) im Jahre 286 dar. Einer der Gründe für den großen Erfolg des Lotos-Sūtra liegt in seiner Einführung des Konzeptes des „geschickten Heilsmittels“ (fang bian, skt. upāya). Das Sūtra zeigte, dass der Buddha seine Methoden (Heilsmittel) der jeweiligen kognitiven Fähigkeit und der persönlichen Situation des (Noch-Nicht-)Gläubigen anpasste. Die augenscheinlichen Widersprüche der Lehre des Buddha, wie sie in der großen Zahl von Übersetzungen unterschiedlicher geographischer wie traditioneller Provenienz (z. B. verschiedene Hīnayāna-Schulen sowie Hīnayāna vs. Mahāyāna usw.) auftraten, ließen sich dadurch auflösen. Auch Dharmarakṣa kannte Übersetzungen seiner Vorgänger und benutzte sie für seine eigenen. So machte er umfangreiche Anleihen bei Zhi Qians Terminologie und übernahm sogar Elemente seines Stils.113

111 Nattier 2005: 324. 112 Boucher 1996. 113 Nattier 2008: 140.

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3.1.1.4. Nördliche und südliche Dynastien Der aus Kucha stammende große Übersetzer und Exeget Kumārajīva (344–413) führte zum einen bislang unbekannte Schriften ein, z. B. die Mādhyamika-Texte Abhandlung über die Mitte (Zhong lun, *Mādhyamaka śāstra, T 1564), die Abhandlung über die zwölf Tore (Shi er men lun, T 1568; skt. *Dvādaśamukha śāstra?,) oder die Abhandlung über die Hundert (Bai lun, *Śata śāstra, T 1569). Zum anderen revidierte er bereits vorhandene Übersetzungen. Dabei weist z. B. seine Neuübersetzung des Vimalakīrti nirdeśa-sūtra teilweise wortwörtlich identische Sätze auf, wie sie sich bereits in Zhi Qians Übertragung finden. Gleiches gilt auch hinsichtlich seines Lotos-Sūtra und der vorausgegangenen Version des Dharmarakṣa.114 Dessen ungeachtet werden seine Werke noch heute in Asien am höchsten wertgeschätzt. Die von Buddhabhadra (359–429) in den Jahren 418 bis 421 als erstes übersetzte Blütenkranz-Schrift des unermesslichen Buddhas (Da fang guang Fo Hua yan jing, Buddhāvataṃsaka mahāvaipulya-sūtra, T 278) zählt mit zu den einflussreichsten Texten des ostasiatischen Buddhismus überhaupt.

3.1.1.5. Tang-Zeit Während der Tang-Dynastie gelangte schließlich eine neue Richtung des Buddhismus nach China, der Tantrismus.115 Wichtige Übersetzer waren Xuan-zang (600– 664), Śubhakarasiṃha (chines. Shan-wu-wei; 637–735), Vajrabodhi (chines. Jingang-zhi; 671–741) und Amoghavajras (chines. Bu-kong; 705–774), wobei Xuanzang der erste war, welcher ein vollentwickeltes tantrisches Sūtra übersetzte, das Prajñāpāramitānayaśatapañcāśatikā. Śubhakarasiṃha übertrug nicht nur das Mahāvairocanābhisaṃbodhi ins Chinesische, wobei ihm Amoghavajra assistierte, sondern fungierte auch als dessen Exeget und beeinflusste sowohl verwandte Konzepte des Chan als auch des Tian-tai. Zu seinen weiteren Übersetzungen tantrischer Schriften zählen das Su-xidi-jie-luo jing (Susiddhikara)116 und das Su po hu tong zi qing wen jing (Subāhuparipṛcchā, T 895), welche die ganze Bandbreite von siddha-Praktiken und Geboten präsentieren. Von Amoghavajra sind an Übersetzungen u. a. das Ren wang hu guo bo re bo luo mi jing (T 8) und das Jin gang ding yi qie ru lai zhen shi she da sheng xian zheng da jiao wang jing (Sarvatathāgatatattvasaṃgraha, T 865) bekannt. Die letzten großen Übersetzungsaktivitäten fanden während der Song-Zeit unter Kaiser Tai-zong (reg. 960–976) im Institut für die Übersetzung von Schriften (Yi jing yuan) statt, das später in Institut für die Übermittlung des Gesetzes (Chuan fa

114 Vgl. Nattier 2008: 25. 115 Für das Folgenede siehe Lehnert 2007. 116 Drei Rezensionen sind überliefert: T 893: 603a-633c, 633c-663b, 663b-692a.

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yuan) umbenannt wurde.117 Doch wurden diese Werke kaum mehr rezipiert. Der letzte noch übrig gebliebene Sanskritexperte, der Inder Ri-cheng (Sūryakīrti?) der Nördlichen Song (960–1127), starb im Jahre 1078.

3.1.2. Kopien Sobald ein Sūtra ins Chinesische übersetzt worden war, wurde es sogleich breit kopiert und auch außerhalb der Klöster verbreitet. Zwar erfolgte die Abschrift von Texten in den Klöstern zum Eigengebrauch, doch wurden daneben auch in privatem Rahmen Kopien von Texten hergestellt. Im Kolophon einer frühen Handschrift, der Schrift der zwölf Tore (Shi er men jing), heißt es: „kopiert im siebenten Jahr der Jia he-Ära (238 n. Chr.) in Jian-ye im Haus des Zhou, des Kommandanten der Polizeitruppen des Hauptstadt-Bezirks“. Das Manuskript wurde in der Folge privat weitergegeben und im 4. Jahrhundert von einem Mönch in der Bibliothek eines nicht weiter bekannten Laien in Dong-yuan (He-nan) entdeckt.118 Als im Sommer des Jahres 291 die Schrift des glänzenden Lichtes (Fang-guang jing), welches aus Khotan stammend 282 nach Luo-yang gebracht worden war, von Mokṣala rezitiert und von Zhu Shu-lan übersetzt wurde,119 „verbreitete es sich großflächig in der chinesischen Hauptstadt (Luo-yang) und Heerscharen von ‚zurückgezogenen Herren mit ruhigem Geiste‘ (d. h. der Oberschicht entstammende Laien) machten sich Abschriften davon. Der upadhyāya Zhi von Zhong-shan (Hebei) sandte Leute nach Cang-yuan, um es auf Seide abschreiben zu lassen. Als [diese Kopie] nach Zhong-shan zurückgebracht wurde, hießen der Prinz von Zhong-shan (Si-ma Dan, gest. 292) und alle Mönche das Sūtra [bereits] vierzig Meilen südlich der Stadt mit Flaggen und Bannern willkommen. Auf diese Weise verbreitete sich [diese Schrift] in der Welt.“120 Diese „Ur-Kopie“ wurde in den folgenden Jahren weiter abgeschrieben, wobei sich die Kopierfehler akkumulierten. Nach einiger Zeit enthielten die diversen im Umlauf befindlichen Varianten so viele Irrtümer und Auslassungen, dass das Bedürfnis nach einer neuerlichen Kopiervorlage entstand und Zhu Shu-lan mit einem weiteren Mönch den Text redigierte. Zu diesem Zwecke kollationierten sie im Shui-bei-Kloster fünf verschiedene chinesische Manuskripte und den „westlichen [Original-]“ Text (hu ben) im Zeitraum von fünf Monaten (Dezember 303 bis Mai 304).121

117 118 119 120 121

Sen 2002. Zürcher 1959: 48. Chu san zang ji ji T 2145: 48a23, cf. Boucher 1996: 73. Chu san zang ji ji T 2145: 48a15, cf. Zürcher 1959: 64. Chu san zang ji ji T 2145: 47c24, cf. Zürcher 1959: 64.

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Selbst Mitglieder der Herrscherhäuser waren sich nicht zu schade, eigenhändig Kopien von buddhistischen Texten zum eigenen Gebrauch anzufertigen wie z. B. Xiao Zi-liang (460–494), Prinz von Jing-ling.122 Unbesehen ihres theologischen Inhaltes konnten Kopien auch wegen des mit ihnen verbundenen Schutzes vor oder der Heilung von Krankheiten durch höhere Mächte angefertigt werden. Die apokryphe Schrift zur Errettung aller Lebewesen von aller Not (Jiu zhu zhong sheng yi qie ku nan jing, Ms. Stein 4479) wurde laut Kolophon (datiert 879) als Opfergabe für den Devarāja des Nordens, Vaiśravaṇa, abgeschrieben, damit das Haus des Kopisten beschützt werde. Die ebenfalls apokryphe Schrift der Voraussagen des Königs Yan-luo (= Yama) (Yan luo wang shou ji jing, Ms. Stein 6230) wurde von einem Kopisten anlässlich der Erkrankung seiner Mutter kopiert, um dadurch eine rasche Genesung derselben sowie ihre Bewahrung vor der Hölle und die Harmonie der ganzen Familie zu erlangen.123 Die meisten Laien dürften wohl kaum vollständige Schriften besessen haben, was übrigens auch für die traditionellen chinesischen Texte galt. Von umfangreichen Texten dürften es ein bis zwei Kapitel gewesen sein. So wird von Shi Fa-xian gesagt, dass er jemanden traf, der „in der Nähe des Zhu-qiao-Tores [in der Stadt Nan-jing] lebte und dessen Familie seit Generationen dem Buddhismus diente. Er kopierte einen Teil [des Mahāpariṇirvạ̄na-sūtra (Da ni huan jing)] […] und, da er nicht über einen separaten Sūtra-Raum verfügte, stellte er es zu den übrigen Büchern.“124 Auf einen interessanten Punkt wies Hui-jiao (497–554) hin: „Generell suchen die buddhistischen Studenten nicht mehr als [den Inhalt] eines einzigen Werkes zu vertiefen. Sie behaupten, dass eine umfassendere Lektüre zu viele Zweifel verursachen würde.“125 Dies mag zumindest während der ersten Jahrhunderte des Eintreffens der Texte verschiedenster buddhistischer Provenienz auch dem Umstand geschuldet sein, dass es für die chinesischen Buddhisten schwierig gewesen sein dürfte, die sich scheinbar zwischen hīnayānischen und mahāyānischen Schriften ergebenden Widersprüche zu verstehen. Erst nachdem Kumārajīva (344–413) auf die Unterschiede beider Richtungen hingewiesen hatte, lernten die Chinesen beide zu unterscheiden.

3.1.3. Buchkult Buddhistische Texte wurden nicht nur als Medien religiöser Inhalte angesehen, sie wurden, unbesehen ihres Inhaltes, auch selber zu Objekten der Verehrung.

122 123 124 125

Chu san zang ji ji T 2145: 87a05. Kuo 2000: 691. Gao seng zhuan T 2059: 338b. Gao seng zhuan T 2059: 346a.

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Hui-jiaos Vita des Fa-xian enthält u. a. folgende Stelle: „Er kopierte einen Teil [des Mahāparinirvāna-sūtra (Da ni huan jing)], las ihn, rezitierte ihn und opferte ihm.“126 Dies ist einer der wenigen expliziten Hinweise auf einen buddhistischen Buchkult, wie er offenbar analog zum Daoismus zu finden war.127 Die Möglichkeit hierzu ist allerdings im normativen Schrifttum bereits angedeutet. So heißt es in Kumārajīvas Übersetzung des Lotos-Sūtra: Zu dieser Zeit erhoben sich die aus den anderen Ländern herbeigekommenen Bodhisattvas, Mahāsattvas in der großen Versammlung […] und sagten zum Buddha: ‚Oh Weltverehrter! Mögest Du zustimmen, dass wir nach Deinem Verlöschen in der Sabhā-Welt dieses Sūtra mit äußersten Kräften beschützen, bewahren, lesen, rezitieren, abschreiben und ihm Spenden darbringen […]‘.128

Warum sollte man einem Buch – dem Sūtra – opfern? Das Lotos-Sūtra begründet es so: „Weil dieses Sūtra beschützt wird durch die übernatürlichen Kräfte (shen li) aller Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“129 Dabei übersteigt die Zahl der Beschützer des Sūtra jegliches Vorstellungsvermögen: „Ich selbst habe Bodhisattvas, Mahāsattvas in dieser meiner Sabhā-Welt sechzigtausend Mal so viele wie es Sandkörner im Fluss Gaṅgā gibt. All diese können nach meinem Verlöschen dieses Sūtra beschützen“.130 Dieser Schutz erstreckt sich übrigens auch auf die Lesenden. Letztlich erklären sich so auch die exorzistischen Eigenschaften der Sūtras: [Der Laie] Dong Ji der Jin Dynastie (265–419) praktizierte permanent [das Fasten], [beobachtete] die Vorschriften [des Vinaya] und rezitierte das Shou leng yan jing (Śūraṅgama [samādhi]-sūtra). Immer wenn in seinem Dorfe jemand erkrankte und man Ji bat, das Sūtra zu rezitieren, wurden viele, denen seine Hilfe zuteilwurde, gesund.131

Es werden also diese Buddhas und Bodhisattvas gewesen sein, welche das Sūtra unsichtbar „begleiteten“ und denen die Opfer galten, um dieses selbst, seine Leser und deren Anvertraute mit ihrer Macht zu beschützen. Ganz analog brachten die Daoisten ihren Schriften und deren Göttern Opfer dar.132 Hier waren es unsichtbare „Jademädchen“ und „Jadejungen“, welche als Vollzugspersonen der Götter die Besitzer daoistischer Schriften beschützten oder sie bestraften, sollten diese die Texte falsch behandeln.

126 127 128 129 130 131 132

Gao seng zhuan T 2059: 338b. Bumbacher 2012a: 131. Miao fa lian hua jing T 262: 39c, übersetzt von Deeg 2007: 225 (kursiv von Vf.). Miao fa lian hua jing T 262: 38c, Deeg 2007: 218. Miao fa lian hua jing T 262: 39c, Deeg 2007: 225. Vgl. Campany 2012: 117f. Bumbacher 2012a: 113–133.

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3.1.4. Drucke und Kataloge Erst im 4. Jahr der Ära Kai bao der Nördlichen Song-Dynastie (971) wurde der Druck des damaligen Kanons der buddhistischen Schriften vom ersten Song-Kaiser Taizu (reg. 960–975) in Auftrag gegeben. Die über 130 000 hölzernen Druckstöcke wurden 983 in Shu (Si-chuan) fertig gestellt, daher auch der zweite Name, nämlich Shu-Edition (Shu ban). Sie umfasste 1 076 Werke in 5 048 Kapiteln. Diese Druckstöcke wurden in die kaiserlichen Bibliotheken der Hauptstadt Kai-feng überführt. Die Drucke dieses so genannten Kai-bao-Kanons wurden einerseits bis nach Xi-xia und Khitan, andererseits nach Japan und Korea (Koryō) versandt. Nachdem Kaifeng im Jahre 1127 von den einfallenden Jurchen erobert wurde, gingen die Druckblöcke verloren. Bei den buddhistischen Katalogen133 handelt es sich um ein „ur-chinesisches“ Phänomen, sind doch in der indischen buddhistischen Literatur keine solchen bekannt. Andererseits geht die chinesische Tradition der Zusammenstellung von Bücher-Katalogen bis auf das Ende der Früheren Han-Dynastie zurück. Beinahe sämtliche Dynastiegeschichten, angefangen von der Geschichte der [früheren] Han[Dynastie] (Han shu), enthielten einen bibliographischen Teil. Doch nur das „Yi wen zhi“ der Geschichte der [früheren] Han, das „Jing ji zhi“ der Geschichte der Sui[-Dynastie] (Sui shu) und das „Jing ji zhi“ der Älteren Geschichte der Tang[-Dynastie] (Jiu Tang shu) beruhen auf Analysen des tatsächlichen Bestandes der jeweiligen kaiserlichen Bibliothek. Bibliothekskataloge waren somit fester Bestandteil der chinesischen Kultur, bevor sich auch die Buddhisten dieses Hilfsmittel für ihre Belange zu eigen machten. Nicht zuletzt aufgrund der großen Anzahl Übersetzungen, die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung hergestellt worden waren, aber auch wegen der in China selbst verfassten, so genannten apokryphen Texte, sah man sich genötigt, die bereits bekannten buddhistischen Schriften zu katalogisieren. Im Rückblick begründete Zhi-sheng (669–740) diese Vorhaben zu Beginn seines eigenen, 730 beim Thron eingereichten Katalogs der Lehren Shis (= Śākyamunis) [kompiliert während] der Kai yuan-Ära (Kai yuan shi jiao lu, T 2154) wie folgt:134 Was nun die Anfänge der Kataloge betrifft – sie wurden verfasst, um zwischen genuin und Fälschung zu unterscheiden, korrekt und unkorrekt zu klären, die Zeitperioden der Verfasser aufzuzeichnen, die Zahl der Kapitel und Abschnitte zu verzeichnen, [zuvor] Weggelassenes zu ergänzen und Wiederholungen auszumerzen.

133 Sämtliche überlieferten chinesischen buddhistischen Kataloge finden sich in Band 55 des Taishō shinshū Daozōkyō. Die nachfolgende Beschreibung beschränkt sich auf wenige Beispiele. Für eine eingehende Diskussion der wichtigsten Kataloge siehe Tokuno 1990. 134 Kai yuan shi jiao lu T 2154: 477a6-12. Vgl. Tokuno 1990: 52–58.

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Bis ins 5. Jahrhundert waren bereits eine Reihe von Katalogen erstellt worden, die entweder die in einem bestimmten Zeitabschnitt übersetzten Texte oder die von einem speziellen Übersetzer oder die an einem bestimmten Ort verfassten Schriften umfassten.135 Dao-ans (312–385) im Jahre 374 zusammengestellter Umfassender systematischer Schriftenkatalog (Zong li zhong jing mu lu) stellte den ersten Versuch dar, das gesamte ihm bekannte Schrifttum zu katalogisieren. Dieses Werk ist nicht unabhängig überliefert, sondern in Seng-yous (435–518) spätere Gesammelte Notizen zu den übersetzten drei Speichern (= Tripiṭaka) (Chu san zang ji ji, T 2145, ca. 515)136 integriert. Es umfasste bereits rund 600 Titel, welche chronologisch nach Übersetzern angeordnet waren und weder vinaya- noch abhidharma-Texte enthielten. Einer der Beweggründe Dao-ans bestand darin, „echte“ Übersetzungen namentlich bekannter Übersetzer von „unechten“, in China entstandenen Werken zu unterscheiden. Aufgrund des Kanons der Liang-Dynastie revidierte der Mönch Bao-chang (ca. 466–518?) einen bereits bestehenden Katalog im Jahre 517 und nannte ihn den Katalog der [buddhistischen] Schriften des Liang-Zeitalters (Liang shi zhong jing mu lu, verloren), der 1 433 Werke in 3 741 Kapiteln („Rollen“) aufführte.137 Ebenfalls in der Liang-Zeit inventarisierte Ruan Xiao-xu (479–536) neben der kaiserlichen auch die privaten Bibliotheken verschiedener Prinzen, hoher Beamter sowie seine umfangreiche eigene und kompilierte den Katalog Sieben Register (Qi lu). Dieser enthielt auch einen Katalog der buddhistischen Schriften, das Register des buddhistischen Gesetzes (= dharmas) (Fo fa lu), mit 2 410 Titeln in 5 400 Kapiteln. Der nach der Wiedervereinigung ganz Chinas in der Sui-Dynastie (581–618) auf kaiserlichen Befehl hin im Jahre 589 hastig zusammengestellte Katalog der [buddhistischen] Schriften (Zhong jing mu lu) bediente sich bereits bestehender Kataloge und beruhte nicht auf Autopsie. Ebenfalls auf Anordnung des Kaisers kam der Katalog der [buddhistischen] Schriften (Zhong jing mu lu) von Yan-cong im Jahre 602 zustande. Auch dieser stützte sich auf frühere Kataloge. Der im Jahre 594 kompilierte Katalog der [buddhistischen] Schriften (Zhong jing mu lu, T 2146) des Mönchs Fa-jing ist der älteste erhaltene, welcher die Texte in die sechs Kategorien Mahāyāna-Sūtras, Vinaya und Śāstras und Hīnayāna-Sūtras, Vinaya und Śāstras und zusätzlich Werke westlicher und chinesischer Autoren unterteilte. Insgesamt waren es 3 357 Werke in 5 310 Kapiteln.138 Zhi-shengs privat verfasster Katalog von 730 umfasste einen tripiṭaka-Kanon mit Sūtras, Vinaya und Śāstras sowie Biographien, Katalogen etc. von insgesamt 2 278 Werken in 7 046 Kapiteln.139 Dieser Katalog, obwohl aus heutiger Sicht nicht im-

135 136 137 138 139

Hureau 2010: 758. Chu san zang ji ji T 2145: 55. Li dai san bao ji T 2034: 126b5-c10. Zhong jing mu lu T 2146: 141a8. Kai yuan shi jiao lu T 2154: 700c.

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mer zuverlässig, galt als der beste seiner Art und wurde zum Vorbild für alle späteren. Unter dem Eindruck der frühen buddhistischen Kataloge kompilierte der eminente daoistische Meister Lu Xiu-jing (406–477)140 Meister Lus Katalog der Schriften und Bücher der drei Grotten (Lu Xian sheng San dong jing shu mu lu, bis auf das Inhaltsverzeichnis verloren). Die „drei Grotten“ (san dong) bedeuten die drei Traditionen der Höchsten Klarheit oder shang qing, des Wirkungsmächtigen Juwels oder ling bao und der Drei Erhabenen oder san huang und lehnten sich möglicherweise an die „drei Körbe“ (san zang) des buddhistischen Kanons (Sūtras, Vinaya und Śāstras) an.141

3.1.5. Kanon Sowohl im unter Fremdherrschaft stehenden Nordchina als auch im Süden entstanden etwa zur selben Zeit von Angehörigen der jeweiligen Herrscherfamilien initiierte Kanons. Von Feng Xi, dem Bruder der Kaiserin Wen-cheng Wen-ming (gest. 495) der Wei-Dynastie in Nordchina, wird gesagt, dass er „sechzehn Kopien der gesamten buddhistischen Schriften“ hat herstellen lassen.142 Dem muss die Existenz einer entsprechenden Sammlung vorausgegangen sein. Im Süden soll es Kaiser Ming (reg. 494–498) der Südlichen Qi-Dynastie gewesen sein, der die Abschrift des möglicherweise von ihm in Auftrag gegebenen Kanons veranlasst hat.143 Kaiser Wu (reg. 502–550) der Liang-Dynastie ließ aus den in der Bibliothek seines Hua-lin-Palastes vorhandenen buddhistischen Schriften einen Kanon zusammenstellen und katalogisieren. War erst einmal ein Kanon hergestellt, wurden davon Abschriften angefertigt, die an verschiedene Klöster verteilt wurden.144 So veranlasste Kaiser Wu der Chen-Dynastie (reg. 557–559) zwölf Kopien, sein Nachfolger Kaiser Wen (reg. 559–566) fünfzig und Kaiser Xuan (reg. 568– 582) wiederum deren zwölf.145 Die Involvierung der Kaiser in die Kompilation von Kanons bedeutete, dass nur diejenigen Texte gemäß ihren Anweisungen an die Herausgeber aufgenommen werden durften, welche den Herrschern genehm waren. Das gilt genauso für die unter kaiserlicher Aufsicht erstellten daoistischen Kanons der Tang-, Song- und Mingzeit. Der erste Druck eines Kanons wurde im 4. Jahr der Kai bao-Periode (971) vom Song-Kaiser Tai-zu (reg. 960–975) angeordnet (s. o.). Der heutzutage insbesondere in der Forschung am meisten verwendete Kanon ist die von Takakusu Junjirō und

140 141 142 143 144 145

Bokenkamp 2001. Zur Geschichte des daoistischen Kanons siehe Schipper et al. 2004 Wei shu 1819. Vgl. Gernet 1995: 280. Bian zheng lun T 2110: 503a. Sui shu 1099; vgl. Hureau 2010: 759. Bian zheng lun T 2110: 503b-c., vgl. Hureau 2010: 759.

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Watanabe Kaikyoku in den Jahren 1924–1929 herausgegebene, mit einem kritischen Apparat versehene Neue Edition des Tripiṭaka der [japanischen] Taishō[-Ära] (Taishō shinshū Daizōkyō) in 100 Bänden. Davon umfassen 85 Text-Bände 2 920 Werke (sowohl chinesischer als auch japanischer Provenienz), 12 Bände sind der Ikonographie und 3 Bände Katalogen gewidmet. Als Grundlage der chinesischen Texte diente die koreanische Holzdruck-Ausgabe von 1251, kollationiert mit chinesischen Ausgaben der Song- (Si xing zang, ca. 1123–1175), Yuan- (Pu ning zang, 1277–1290) und Ming-Dynastie (Jia xing zang, 1589–1676), sowie die in Dun-huang gefundenen Manuskripte (in Band 85).146

3.1.6. Apokryphe buddhistische Schriften Unter „chinesischen buddhistischen Apokryphen“ sind Texte zu verstehen, die die Form eines Sūtra haben – also z. B. die Einleitung „so habe ich gehört“ –, die aber keine Übersetzung indischer Schriften darstellen, sondern innerhalb des chinesischen Kulturraumes entstanden sind. Für eine Buddhologie, die sich an den indischen Ursprüngen des Buddhismus und seiner Rekonstruktion orientiert und die chinesischen Übersetzungen als Quellen hierfür ansieht, sind solche Schriften allenfalls belanglos. Hingegen sind diese lange Zeit vernachlässigten Quellen von großer Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung des Buddhismus in China. Ihre Untersuchung begann im Westen erst in jüngster Zeit. Als deren Ausgangspunkt kann der von Robert E. Buswell herausgegebene Sammelband Chinese Buddhist Apocrypha angesehen werden.147 Die Unterscheidung zwischen „kanonischen“ Texten, also solchen, deren Übersetzer den Bibliographen namentlich bekannt waren und die von ihnen als authentisch angesehen wurden, und „apokryphen“, deren Inhalt als zweifelhaft (yi jing) oder als Fälschung (wei) galten oder deren Übersetzer unbekannt waren („Übersetzer[name] verloren“, shi yi), wurde bereits in den ältesten erhaltenen Katalogen vorgenommen. So klassifizierte im Jahre 374 Dao-an bereits 26 Werke als von zweifelhafter Authentizität und 143 als kürzlich erworben, von unbekannten Übersetzern. Bei Seng-you stellten im Jahre 515 die 46 apokryphen Schriften noch rund 4% des Gesamtbestandes an Texten (1 067) dar, während es in Zhi-shengs Katalog von 730 bereits 406 oder rund 18% von 2 278 Titeln waren.148 Der Umfang dieser Textgattung war somit beachtlich. Eine von den Chinesen nicht erkannte, aber von westlichen Sinologen identifizierte Form von Apokryphen stellen Werke dar, deren Originale sich als derart

146 Sowohl die Taishō- als auch der faksimilierte koreanische Kanon sind im Internet verfügbar: www.cbeta.org, resp. www.sutra.re.kr. 147 Buswell 1990. 148 Kuo 2000: 684f.

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schwierig zu übersetzen erwiesen, dass die Übersetzer anstelle der zu übertragenden originalen Sätze oder Wörter ganze Abschnitte und Geschichten aus anderen Sūtras wortwörtlich übernahmen und in die vorliegenden Texte einfügten149 oder gar gänzlich eigene Formulierungen wählten. Die kategoriale Zuweisung war offenbar alles andere als einfach. So bemerkte Seng-you: „Aber [infolge] schlechter Gelehrsamkeit und mangelnder Erfahrung [gibt es] vieles, das noch nicht vollständig [verstanden] ist. [Mögen] künftige weise Gebildete es auf sich nehmen, diese Mängel zu beheben.“150 Die Kategorisierung eines Werkes als apokryph konnte sich, den Umständen entsprechend, durchaus ändern. So bezeichnete Dao-an im Jahre 374 die Schrift der Piluo Versenkung (Pi luo san mei (= samādhi) jing, verloren) als „zweifelhaft“, im Katalog der Kaiserin Wu des Jahres 695 wurde sie jedoch als „authentisch“ klassifiziert und 730 von Zhi-sheng schließlich als „Fälschung“ zurückgewiesen.151 Zudem konnten Werke, welche in kaiserlich kontrollierten Klöstern als apokryph eingestuft wurden, in anderen Klöstern durchaus als authentisch akzeptiert sein. Apokryphe Texte entstanden auch in Korea und Japan. So wurde z. B. das Vajrasamādhi-sūtra um 685 in Korea verfasst und gelangte von dort gut drei Jahrzehnte später nach China – wo es die Entwicklung des Chan mitbeeinflusste – und von da aus schließlich nach Tibet.152 Da die apokryphen Texte ab der Tang-Zeit größtenteils von den Kanons ausgeschlossen wurden, haben viele nur an entlegenen Orten als Manuskripte überlebt. Die herausragende Rolle spielte dabei Dun-huang, aus dessen Höhlen Paul Pelliot und Marc Aurel Stein viele Texte nach Europa brachten, wo sie heute in der Bibliothèque nationale in Paris und in der British Library in London aufbewahrt werden. In den 1990er Jahren wurden zudem in Japan Manuskripte chinesischer buddhistischer Apokryphe im Kloster Nanatsudera in Nagoya und im Kongō-ji in der Präfektur Osaka gefunden und seither publiziert.153 In der Regel weniger mit dogmatischen Prinzipien befasst, standen die Apokryphen im Dienste der Verbreitung des Buddhismus in der breiten Bevölkerung und versuchten, buddhistische mit chinesischen Vorstellungen in Einklang zu bringen. So wurden im Buch des Ti-wei (skt. Trapuṣa) und des Bo-li (skt. Bhallika) (Ti wei Bo li jing) die fünf Gebote für Laien mit den fünf Wandlungsphasen (wu xing) und den fünf Himmelsrichtungen (wu fang) korreliert und damit in einen chinesischen Kontext gestellt. Apokryphe konnten auch als Reaktion auf politische Ereignisse verfasst werden. Unter Kaiser Tai-wu (reg. 424–451) und beeinflusst durch den Daoisten Kou Qian-

149 150 151 152 153

Buswell 1990: 11. Chu san zang ji ji T 2145: 21c8-9. Kuo 2000: 690; vgl. Buswell 1990: 16f. Buswell 1990: 23. Hureau 2010: 768.

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shi und den konfuzianischen Beamten Cui Hao fand in der Nördlichen Wei-Dynastie 446 eine Buddhistenverfolgung statt. Als Reaktion darauf verfassten unter Kaiser Wen-cheng (reg. 452–465), der im Jahre 452 den Buddhismus offiziell wiederherstellte, der aus dem Westen stammende Kiṅkara (chines. Ji-jia-ye) und der Einheimische Tan-yao (ca. 410–485) die Tradition der Ursache und Bedingungen der Überlieferung des Gesetzes-Speichers (Fu fa zang yin yuan zhuan, T 2058). Der Text reagierte auf Cui Haos Argument, dass es keine historischen Aufzeichnungen gebe, welche die Existenz des Buddha oder einer lebendigen indischen buddhistischen Tradition bestätigen würden, mit der Genealogie der indischen Patriarchen, angefangen bei Śākyamuni bis zu Siṃha bhikṣu. Zudem betonte er die Bedeutung der indischen Patriarchen als Berater und sogar Bezwinger der indischen Könige und machte sie so zu Vorbildern für die chinesischen Mönche.

3.1.7. Sammlungen Spätestens im 5. Jahrhundert wurde damit begonnen, wichtige buddhistische, in China entstandene Texte wie Essays, Kritiken an und Diskussionen über Traktate, Briefwechsel usw. zu sammeln, zusammenzustellen und zu verbreiten. Eine der frühesten bekannten Sammlungen ist die umfangreiche Abhandlung über das Gesetz (Fa lun), welche der Vizedirektor des kaiserlichen Sekretariats Lu Cheng (425–494) auf Befehl des Kaisers Ming der Liu Song-Dynastie (reg. 465472) kurz nach 465 kompilierte. Das in 103 Kapiteln auf 16 Abteilungen verteilte Werk ist verloren, doch hat sich sein Inhaltsverzeichnis in Kapitel 12 von Seng-yous Gesammelten Notizen zu den übersetzten drei Speichern (= Tripiṭaka) (Chu san zang ji ji, T 2145) erhalten. Kaiser Wu der Liang-Dynastie gab bei Bao-chang eine Fortsetzung der Abhandlung über das Gesetz in Auftrag, um „das, was seit der Ausbreitung der Großen Lehre nach Osten Mönche und Laien über die buddhistische Lehre gesagt und an umfassenden Darstellungen verfasst haben, herauszugeben“.154 Das Ergebnis, Fortgesetzte Abhandlung über das Gesetz (Xu Fa lun) in mehr als 70 Rollen, ist jedoch ebenfalls verloren. Erhalten haben sich hingegen die von Seng-you möglicherweise aus eigenen Motiven und nicht als Auftragsarbeit155 zwischen 515 und 518 kompilierten Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes] (Hong ming ji, T 2102)156. Diese Zusammenstellung zumeist apologetischer Texte stellt ein außerordentlich wichtiges Zeugnis buddhistischen Argumentierens im 4. und 5. Jahrhundert dar.

154 Schmidt-Glintzer 1976: 24. 155 Schmidt-Glintzer 1976: 25. 156 Englische Übersetzung von Ziegler 2015 und 2017. Deutsche Studie und Teilübersetzung von Schmidt-Glintzer 1976.

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Eine ganze Reihe der dokumentierten Auseinandersetzungen fanden zwischen konfuzianischen Spitzenbeamten, Laien der Oberschicht, Mönchen und zuweilen Herrschern statt. Wichtige Themen waren die Auseinandersetzung um die Abhandlung über die Barbaren und die Chinesen (Yi xia lun) des Gu Huan aus dem Jahre 467, in dem argumentiert wurde, dass der Buddhismus als barbarische Lehre für China nicht geeignet sei und der indigene Daoismus die religiösen Belange hinreichend abdecke. Großer Raum wurde dem Problem der Unsterblichkeit der Seele gewidmet, die von den Buddhisten verteidigt wurde (entgegen der indisch-buddhistischen anattā resp. anātman-Lehre), während andererseits daoistische Praktiken der Lebensverlängerung verworfen wurden. Ein zentrales Thema war das Verhältnis zwischen dem Mönchsorden und dem Staat, insbesondere das von Konfuzianern vorgebrachte Argument, die Buddhisten würden sich nicht dem Herrscher unterwerfen. Daneben findet sich z. B. auch das Kompendium Das Wesentliche zur Befolgung des Gesetzes (Feng fa yao) des Laien Xi Chao (336–377) sowie verschiedene Briefwechsel zwischen Beamten und Mönchen über Verständnisfragen der Lehre. Insgesamt dienten die gesammelten Dokumente dazu, nicht nur die Angriffe der Schicht gut ausgebildeter konfuzianischer Beamter und gebildeter Gelehrter der Mittel- und Oberschicht abzuwehren, sondern sie womöglich gar zum Buddhismus hinzuführen. Ein anderes Ziel scheint die von Dao-xuan (596–667) zusammengestellte zweite große Sammlung, Erweiterte Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes] (Guang hong ming ji, T 2103) aus dem Jahre 664 gehabt zu haben. Dem Kompilator ging es offensichtlich um die Diskreditierung des als gefährliche Konkurrenz empfundenen Daoismus in seinen verschiedenen Formen. Von großer Bedeutung ist die in der Sammlung enthaltene, von Zhen Luan (Lebensdaten unbekannt) beim Hofe der Nördlichen Zhou-Dynastie eingereichte Abhandlung zur Lächerlichmachung des Daoismus (Xiao dao lun)157, die vom Kaiser im Jahre 569 in Auftrag gegeben worden war und als Grundlage für eine Beurteilung der beiden Lehren des Daoismus und des Buddhismus dienen sollte. Dem gingen Hofdiskussionen voraus, welche eine direkte Folge einer im Jahr 567 von Wei Yuan-song verfassten Throneingabe waren, in welcher die buddhistischen Mönche der Unmoral bezichtigt und der Buddhismus kritisiert wurde.158 Zhen Luan stellte zu ihm wichtig erscheinenden Themen Zitate aus daoistischen Werken unterschiedlicher Entstehungszeit und Provenienz zusammen, die sich widersprachen. Auf den Satz „ich lache darüber“ folgten jeweils seine buddhistischen Argumente gegen die lächerlich gemachten daoistischen Positionen. Kaiser Wu (reg. 560–578),

157 Englische Übersetzung in Kohn 1995. 158 Übersetzung in Kohn 1995: 177f.

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der Sympathien für den Daoismus empfand, war mit der offen anti-daoistischen Stoßrichtung des Werkes nicht einverstanden und ließ es verbieten159 – die Abhandlung wurde dennoch in den Erweiterten Aufzeichnungen bis heute überliefert und stellt eine unschätzbare Quelle (heute verlorener) daoistischer Texte dar. Etwa zur selben Zeit wie Zhen Luan reichte der Buddhist Dao-an (gest. ca. 574) seine Abhandlung über die zwei Religionen (Er jiao lun)160 ein. Er unterteilte den Daoismus in einen „philosophischen“, den er unter die konfuzianische Tradition subsummierte, und einen „religiösen“, den es zu bekämpfen galt. Auch dieses Werk ist in den Erweiterten Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes] überliefert. Daneben findet sich in Erweiterte Aufzeichnungen und viele anderen auch der Briefwechsel zwischen dem buddhistisch orientierten Historiographen Shen Yue (441–513) und seinem Freund, dem wichtigsten Daoisten seiner Zeit, Tao Hong-jing, über Fragen der buddhistischen und der daoistischen Lehre.161

3.1.8. Wunderberichte Das Dokumentieren außergewöhnlicher Ereignisse lässt sich in China bis in die frühesten schriftlichen Quellen zurückverfolgen. Scheinbar anomale Phänomene wie Sonnenfinsternisse, das Auftreten von Kometen, Erdbeben u. ä. wurden festgehalten und als Zeichen des Himmels gedeutet, meist als Ausdruck des Missfallens gegenüber dem Verhalten des irdischen Herrschers. Berichte über Menschen, denen Außergewöhnliches widerfuhr – etwa die Wiederkehr eines zu Unrecht Getöteten als Dämon – finden sich in frühen historiographischen Texten wie den Traditionen des [Herrn] Zuo (Zuo zhuan). Ein im Jahre 1986 in Fang-ma-tan (Gan-su) ausgegrabenes Bambus-Manuskript berichtet gar von der Auferstehung eines beerdigten Selbstmörders.162 Der Dämonenglaube spielte in der ganzen chinesischen Tradition eine große Rolle. Bereits das philosophische Werk Meister Mo (Mo zi) des 5. Jahrhunderts v. Chr. widmete drei Kapitel, wovon nur noch eines erhalten ist, dem Nachweis der Existenz von Dämonen.163 In Grab 11 in Shui-hu-di, datiert 217 v. Chr., fand sich unter den entdeckten Bambus-Manuskripten im so genannten Ms. A eine eigentliche Dämonographie.164 Gu Yong, Gelehrter und Minister unter dem Han-Kaiser Cheng (reg. 33–7 v. Chr.), beklagte sich in einer Throneingabe über die „Spezialisten“ (fang shi), welche mit ihrem Gerede über Geister und Dämonen das Volk betrögen

159 Der Bericht über die Ereignisse findet sich in Guang hong ming ji T 2103: 135c-136b, Kohn 1995: 25–29. 160 Für eine französische Übersetzung siehe Despeux 2002. 161 Englische Teilübersetzung in Mather 1988: passim. 162 Harper 1994. 163 Schmidt-Glintzer 1992: 179–193. 164 Harper 1985.

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und die Massen täuschten.165 Das Werk Abwägung der Erörterungen (Lun heng) des Wang Chong (27 v. Chr. bis ca. 100 n. Chr.) diskutierte eine ganze Reihe von geläufigen Theorien über die Dämonen. Vom Großen Exorzismus (da no), dem jährlich am Kaiserhof der Han durchgeführten Ritual, bei dem es darum ging, sämtliche üblen Einflüsse einschließlich der Dämonen aus dem Palast zu vertreiben, berichten die frühen Dynastiegeschichten.166 Überragende Bedeutung gewann der Dämonenglaube jedoch in Zeiten großer Krisen, etwa gegen Ende der späteren Han und der anschließenden Spaltung des Reiches (220–581). Militärische Auseinandersetzungen wie die Niederschlagung des daoistischen Gelbturbanen-Aufstandes, die Kämpfe verschiedener Kriegsherren um die Vorherrschaft sowie in ihrem Gefolge entstandene Versorgungsengpässe mit entsprechenden Hungersnöten auch in der Bevölkerung forderten viele Menschenleben. Von den während der Kampfhandlungen sowie bedingt durch die Umstände nach allgemeiner Ansicht viel zu früh Verstorbenen glaubte man, sie würden zu heimatlosen Dämonen, welche die Überlebenden heimsuchten und drangsalierten. Entsprechend wichtig wurden z. B. im Daoismus apotropäische und exorzistische Methoden, mit denen man die Dämonen abwehren oder vertreiben konnte.167 Die Dämonenproblematik fand entsprechend ihrer überragenden Bedeutung ihren Niederschlag auch in der literarischen Produktion. Dies führte zu einer großen Anzahl von Werken, die Dämonen, Geister und wundersame Begebenheiten behandelten. An erhaltenen oder fragmentarisch überlieferten einschlägigen Texten führt Campany rund 65 an.168 Als älteste Sammlung „seltsamer Erzählungen“ nimmt man die Aneinandergereihten wundersamen Überlieferungen (Lie yi zhuan; bis auf Zitate verloren) an, welche Cao Pi (187–226, reg. als Wei Wen-di 220–226) zugeschrieben werden. Die Geschichten handeln von Göttern, Geistern, Dämonen, Unsterblichen, aber auch von Wiederbelebungen Verstorbener und prophetischer Träume.169 Zur Veranschaulichung möge folgendes Beispiel dienen: Zhou Nan, Prinz von Zhong-shan, wurde während der Periode „erster Anfang“ (Zheng shi; 240–248) Administrator der Xiang-yi-Präfektur. Es war da eine Ratte, bekleidet und mit einer Mütze kam sie aus dem Loch hervor und sagte in der Audienzhalle: ‚Zhou Nan, du wirst in dem-und-dem Monat, an dem-und-dem Tag sterben.‘ Zhou Nan antwortete nicht und die Ratte kehrte ins Loch zurück. Später, als sich der Zeitpunkt näherte, kam sie mit Mütze und in einem tiefroten Gewand heraus und sagte: ‚Zhou Nan, du wirst zur Mittagszeit sterben.‘ Wiederum antwortete er nicht und die Ratte ging langsam ins Loch. Nach kurzer Zeit kam sie heraus und sagte: ‚Es ist beinahe Mittag.‘ Mehrmals kam sie

165 166 167 168 169

Siehe DeWoskin 1983: 38. Siehe Bodde 1975: 81f. Bumbacher 2012a. Siehe Campany 1996. Campany 1996: 47.

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Buddhismus in China heraus, ging wieder hinein und sagte jeweils dasselbe. Zur Mittagszeit sagte die Ratte: ‚Zhou Nan, du antwortest nicht, was soll ich da weitersagen?‘ Als sie gesprochen hatte, fiel sie um und war tot und trug weder Kleid noch Mütze. Zhou Nan veranlasste einen Diener, sie aufzuheben und zu untersuchen. Sie sah wie eine gewöhnliche Ratte aus.170

In diesem Falle nahm ein Dämon die Gestalt einer Ratte an, um einen Menschen zu erschrecken. Als sein Verhalten aber nicht die gewünschte Wirkung zeigte, verschwand er wieder unter Zurücklassung des toten „Wirtes“, um möglicherweise woanders und in anderer Form aktiv zu werden. Selbst ein Historiograph wie Gan Bao (fl. 317–350), Vorsitzender des Büros für Geschichte unter Kaiser Yuan der Jin-Dynastie (reg. 317–322) und Verfasser der Aufzeichnungen der Jin[-Dynastie] (Jin ji), versammelte die Wunderberichte, welche er nicht in sein Geschichtswerk integrieren konnte, aber der Überlieferung für würdig empfand, in einem separaten Werk, den Aufzeichnungen über die Suche nach Übernatürlichem (Sou shen ji).171 Ein Beispiel daraus lautet: [Ein gewisser] Shou Guang-hou war Zeitgenosse des Kaisers Zhang der Han (reg. 75–88). Er war gut im Untersuchen der hundert Dämonen und der zahlreichen Naturgeister und konnte sie dazu bringen, sich in ihrer [wahren] Form zu zeigen. Ein Bewohner seines Distriktes hatte eine Frau, welche aufgrund eines Dämons erkrankte. Als Hou ihn [den Dämon] anschuldigte, kam eine große Schlange, mehrere Fuß lang, zum Vorschein. Sie lag tot außerhalb der [Haus-]Tür. Die Frau lebte daraufhin in Frieden.172

In der Bevölkerung war der Glaube weit verbreitet, dass Krankheiten von Dämonen, sogar häufig im Auftrage von Göttern verursacht wurden, etwa um die Betroffenen für eine Missetat zu bestrafen. Entsprechend bot z. B. der HimmelsmeisterDaoismus, der sich hauptsächlich mit Geistern und Dämonen befasste, Rituale zur Identifikation der Verursacher und deren Beseitigung an, etwa durch Abfassung und Übermittlung von Eingaben zu Händen der Götter.173 Unerklärliches, Wunder, seltsame Erscheinungen und dergleichen konnten auch von Göttern selbst herrühren und waren ein wichtiges Thema beispielsweise in Ge Hongs Werken Der Meister, der die Einfachheit umfasst (Bao pu zi)174 und Biographien göttlicher Unsterblicher (Shen xian zhuan).175 Die literarische Gattung der Wundergeschichten kam offensichtlich einem großen Bedürfnis entgegen, sodass auch die Buddhisten entsprechende Sammlungen als didaktische Hilfsmittel kompilierten.176 Das Älteste unter den sieben bekannten ist ein kleines Werk von Xie Fu, einem berühmten buddhistischen Laien der zwei-

170 171 172 173 174 175 176

Vgl. Foster 1974: 28. Englische Übersetzung in DeWoskin 1996. Vgl. DeWoskin 1996: 19. Siehe Cedzich 1987. Englische Übersetzung Ware 1966. Übersetzt von Campany 2002. Vgl. Gjertson 1981.

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ten Hälfte des 4. Jahrhunderts und Gefährten des Mönches Zhi Dun mit dem Titel Aufzeichnungen der Evidenz [wundersamer] Entsprechungen durch [den Bodhisattva] Beobachter der Stimmen der Welt (Guang shi yin ying yan ji, bis auf Zitate verloren). Der Beobachter der Stimmen der Welt (Guang-shi-yin) stellt die chinesische Entsprechung des indischen Avalokiteśvara dar, der in der Übersetzung des Lotos-Sūtra des Indo-Skythen Dharmarakṣa (ca. 233 bis ca. 310) als mitleidvolle Rettergestalt eingeführt worden war. Eine der Geschichten177 aus den Aufzeichnungen der Evidenz [wundersamer] Entsprechungen schildert die Bewahrung eines Anwesens vor einer herannahenden Feuersbrunst offenbar durch das Einwirken des Bodhisattvas Beobachter der Stimmen der Welt: Die Ahnen Zhu Zhang-shus waren Westler (Inder). Während Generationen hatten sie Güter angesammelt und wurden reich. Während der Ära „ursprünglicher Friede“ (yuan kang, 291–299) der Jin zogen sie nach Luo-yang. Als glühender Verehrer des Buddha liebte es [Zhang-shu] besonders, die Schrift des Beobachters der Stimmen der Welt (Guang shi yin jing, Avalokiteśvara sūtra) zu rezitieren. [Eines Tages] brach im Nachbarhaus direkt hinter [seinem Haus] ein Feuer aus. Zhang-shus Haus war strohbedeckt und lag darüber hinaus direkt in Windrichtung. Er dachte, dass das Feuer bereits bedrohlich nahe war und keine Zeit mehr bliebe, Hab und Gut hinauszuschaffen. Nun sagt die Schrift des Beobachters der Stimmen der Welt, dass, wenn man von Feuer bedroht ist, man [diese Schrift] aufrichtig rezitieren und [darüber] meditieren soll. Also ließ er die Mitglieder des Haushalts in der Bergung der Güter innehalten und das Löschen des Feuers einstellen. Sie sollten lediglich die Schrift aus vollem Herzen rezitieren. Kurz darauf hatte das Feuer das Nachbarhaus vollständig zerstört und näherte sich bereits Zhang-shus Hecke, als der Wind plötzlich drehte und das Feuer gerade bei seinem Haus von selbst erlosch. Jedermann hielt dies für ein Wunder.

Wundergeschichten wie diese dienten dazu, den Glauben an die Macht und Hilfsbereitschaft des Bodhisattva zu fördern. Dadurch wurde dem Repertoire indigener chinesischer Rettergestalten wie etwa der Göttin Xi-wang-mu eine weitere, buddhistische Option hinzugefügt. Besonderer Erwähnung bedarf die zwischen 485 und 493 entstandene Sammlung Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich] (Ming xiang ji, Zitate erhalten) des Wang Yan (ca. 454 bis nach 502).178 Das vermutlich umfangreichste vor-tangzeitliche entsprechende Werk179 erlaubt höchst interessante Einblicke in die Vorstellungen und Praktiken der dem Buddhismus zugeneigten Bevölkerung des 3. und 4. Jahrhunderts. Ein erstes Beispiel zeigt die Auseinandersetzung eines buddhistischen Laien mit lokalen Dämonen:180

177 178 179 180

Gjertson 1981: 296. Englische Übersetzung von Campany 2012. Campany 1996: 82. Vgl. Campany 2012: 117f.

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Buddhismus in China [Ein gewisser] Dong Ji aus der Jin[-Dynastie] stammte aus Yu-qian. [Die Familie] hatte sich während dreier Generationen an das [buddhistische] Gesetz gehalten, bis Ji noch eifriger [darum] bemüht war. Er befolgte immer die Fastenregeln und psalmodierte die Shou leng yan Schrift (Śūraṃgama-sūtra). Wann immer im Dorf eine Krankheit auftrat, bat man jedesmal Ji, die Schrift zu rezitieren. Viele von denen, welchen [er so] half, genasen. […] Nordwestlich von Jis Behausung gab es einen Berg, hoch und steil, auf dem es viele Dämonen gab, die oft die [umliegenden] Bewohner angriffen. Ji wollte sie mittels der Macht der Schriften und Gebote schlagen und unterwerfen. Eigenhändig fällte er die Bäume auf dem Berg im Umkreis von vier oder fünf Morgen Land und erstellte darauf eine kleine Hütte. [Darin] errichtete er eine erhöhte Plattform und rezitierte [dort] die Shou leng yan Schrift. Nach mehr als hundert Tagen wurde es ruhig, es war nichts [mehr] zu hören und die Angriffe [der Dämonen] auf die Bevölkerung unterblieben. Später erschienen mehrere Personen am Ort des Ji und unterhielten sich mit ihm während einer geraumen Zeit. Ji dachte, dass, bezogen auf das, was diese Gäste sprachen, sie keine Leute von Yu-qian waren. Kommt hinzu, dass der Berg dunkel und abgelegen ist, warum würden sie kommen? Er argwöhnte, dass dies Dämonen seien und sprach zu ihnen: ‚Sind Sie, Ihr Herren, nicht etwa die Dämonen dieser Gegend?‘ Die Antwort war: ‚Ja. Wir hörten von Ihrem tugendhaften Wandel und reinen Ehrfurcht, daher kamen wir Sie zu sehen. Zudem bitten wir um eine Sache, von der wir denken, dass sie sicherlich [Ihr] Gehör finden wird. Seit Generationen besitzen wir diesen Berg und was [uns] Wanderer wie sesshafte [Menschen] [als Opfer] anvertrauen. Seit Sie kamen und sich niederließen, sind wir besorgt und unruhig. Nun wünschen wir die Grenze [zwischen Ihrem und unserem Gebiet] zu verändern. Entsprechend [werden wir] Bäume töten und die Trennung markieren.‘ Ji sagte: ‚[…] Die Schriften und Gebote zu rezitieren und zu psalmodieren hätte nicht Ihren Anstoß erregen sollen. Es würde mich freuen, [Ihren] Schutz und Hilfe erhalten zu dürfen.‘ Die Dämonen antworteten: ‚Und [wir] wiederum verlassen uns auf Sie, dass [wir] nicht widerrechtlich angegriffen werden.‘ Als die Rede beendet war, entfernten sie sich. Nach einem Tag verdorrten die Bäume alle außerhalb des Bereiches, den [Ji] gerodet hatte, und starben, wie wenn Feuer [sie] verbrannt hätte. Ji starb im Alter von siebenundachtzig Jahren.

Einerseits könnte diese Geschichte ein Hinweis darauf sein, wie die Bereiche, in denen Buddhisten sich für die Bevölkerung einsetzten, und diejenigen, für welche sich lokale Kulte („Dämonen“) zuständig sahen, ausgehandelt werden mussten. Andererseits sollte sie als ein Beispiel dafür dienen, welche Macht Sūtras sogar in den Händen von Laien entfalten konnten. – Das zweite Beispiel handelt von der karmischen Vergeltung:181 Der aus Ying-yang stammende kaiserliche Sekretär und Chefbeamte Zheng Xian-zhi nahm im vierten Jahr der Periode „ursprüngliches Lob“ (Yuan jia; 427–428) der Song[Dynastie] im kaiserlichen Tross an einer Inspektionsreise teil. Als sie die Hauptstadt erreichten, starb er plötzlich in der Nacht. Seine Seele sprach durch ein Medium und sagte: ‚Die mir zugeteilte Lebensdauer war schon lange abgelaufen, früher [schon] hätte

181 Ming xiang ji ap. Fa yuan zhu lin T 2122: 6.315b; vgl. Campany 2012: 196f.

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Stephan Peter Bumbacher ich die Welt verlassen sollen. Da jenes Jahr bereits gekommen war, vertraute ich ergebenst dem Gesetz des Buddha, befreite Lebewesen [aus ihrer Gefangenschaft], spendete Almosen und mittels dieser Verdienste verlängerte [sich mein Leben um] mehrere Jahre. Die Vergeltungen des dunklen (= Jenseits) wie des sichtbaren [Bereichs] (= Diesseits) sind wie der Schatten[, der unmittelbar dem Gegenstand folgt,] und das Echo[, das unmittelbar dem Ton folgt]. [Ihr] sollt die ordinären Beschäftigungen loslassen und die große Lehre verehren und [Euern] Geist [danach ausrichten].‘ Viele der ausgezeichneten und vornehmen [Leute] haben [ihn dies] damals sagen hören.

Die Mitteilung ist klar: Wer sich dem Buddhismus verpflichtet, wird nicht nur eine bessere künftige Existenz haben, er wird bereits in der jetzigen die Früchte seines guten Lebenswandels ernten können. Die erhaltenen Geschichten der Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich] können größtenteils in zwei Kategorien eingeteilt werden: In Beispiele für die Wirksamkeit des Buddhismus in Notsituationen und in Beispiele für die karmische Vergeltung der Taten, insbesondere die in den Höllen zu erleidenden Strafen nach Fehlverhalten.

3.1.9. Lebensbeschreibungen Lebensbeschreibungen stellten in China ein sehr wichtiges literarisches Genre dar.182 Ihre Ursprünge lassen sich bis zum ältesten umfassenden Geschichtswerk zurückverfolgen, den Aufzeichnungen des [Groß-]Historiographen (Shi ji). Seit diesem von Si-ma Qian (145 bis ca. 86 v. Chr.) kompilierten Werk weisen alle späteren Dynastiegeschichten einen Biographie-Teil auf. Bereits bei Si-ma Qian stellen die Viten den umfangreichsten Teil überhaupt dar und umfassen gut zwei Fünftel des Werkes, bei späteren Dynastiegeschichten können sie sogar mehr als die Hälfte des Gesamtumfangs ausmachen. Die Biographien der Dynastiegeschichten folgen einem bestimmten Schema:183 Auf den Namen des Protagonisten folgt zunächst die Angabe des Heimatsortes und der Abstammung. Finden sich unter den Vorfahren bedeutende Persönlichkeiten, so werden sie und ihre Hauptleistungen, resp. das höchste von ihnen bekleidete Amt erwähnt. Daran schließt sich die Aufzählung der verschiedenen alias des Protagonisten an. Es folgen mehrheitlich, jedoch nicht ausschließlich, chronologisch angeordnete Perikopen, die mitteilungswürdige Ereignisse aus dem Leben der Person erzählen. Üblicherweise schildert die erste Perikope ein Ereignis aus der Kindheit, das bereits vorausweist auf die künftigen Qualitäten: Wer z. B. ein wichtiger Gelehrter werden sollte, meisterte bereits im Alter von sieben Jahren die Klassiker. Aus narratologischer Sicht sind die Perikopen lose aneinandergereiht, ihre Verbindung wird lediglich durch den gemeinsamen Protagonisten ge-

182 Vgl. Bumbacher 2010. 183 Das Folgende aus Bumbacher 2010.

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währleistet. Diese offene Form ermöglichte es, dass spätere Hände weitere Perikopen einfügen oder bestehende entfernen konnten, wenn die Person in einem etwas anderen Lichte dargestellt werden sollte. Um „objektive“ oder „neutrale“ Geschichtsschreibung ging es nicht. Zum einen dienten die Dynastiegeschichten als „Fürstenspiegel“, d. h. den aktuellen Herrschern sollte gezeigt werden, warum und woran ihre Vorgänger scheiterten. Zum anderen griffen Kompilatoren durchaus auch aktiv in aktuelle Diskussionen ein. Ein Präzedenzfall findet sich bereits im Shi ji.184 Die Dynastiegeschichten blieben aber nicht das alleinige literarische Gefäß für Lebensbeschreibungen. So wurden bereits während der Han-Zeit separate Viten-Sammlungen angelegt, die bestimmten Personengruppen gewidmet waren, etwa die Lebensbeschreibungen exemplarischer Frauen (Lienü zhuan), welches aus konfuzianischer Sicht vorbildliche Frauen beschrieb.185 Genauso kennen wir daoistische Viten. Die erste erhaltene Sammlung sind die Aneinandergereihten Biographien von Unsterblichen oder alternativ (je nach Lesung des Zeichens lie) die Biographien verdienstvoller Unsterblicher (Lie xian zhuan).186 Erstmals zitiert im Jahre 117 n. Chr. wurde die Sammlung traditionellerweise Liu Xiang (77–6 v. Chr.) zugeschrieben, diese Zuschreibung ist jedoch nicht belegbar. Das Werk beinhaltet 70 Viten von Figuren beiderlei Geschlechts, die die Unsterblichkeit erlangten. Während der Jin-Dynastie kompilierte Huang-fu Mi (215–282) die Biographien eminenter Persönlichkeiten (Gao shi zhuan), welches rund 90 Personen aus „acht Zeitaltern“ umfasste, die sich weigerten, in die Dienste der Herrschenden zu treten, und sich stattdessen aus der Gesellschaft zurückzogen, um ihren Prinzipien treu zu bleiben.187 Eine weitere Sammlung daoistischer Lebensbeschreibungen sind die vor 317/18 kompilierten Biographien göttlicher Unsterblicher (Shen xian zhuan) des Ge Hong (283–343). Das nicht original überlieferte Werk bestand aus zehn Kapiteln mit möglicherweise 117 Viten. Greifbar sind Rekonstruktionen basierend auf Exzerpten und Zitaten in Texten des 10. Jahrhunderts.188 Das Werk hat apologetischen Charakter: Ge Hong wandte sich gegen die Kritiker des Glaubens an die Unsterblichkeit und legte diese Lebensbeschreibungen als Beweise für deren Existenz vor. Der Buddhismus konnte auf diese traditionelle, propagandistisch und apologetisch verwendbare Gattung nicht verzichten und brachte ebenfalls Sammlungen von Mönchs- und Nonnenbiographien hervor. Früheste bekannte Beispiele sind Sun Chuos (ca. 300–380) und Zhu Fa-jis (2. Hälfte des 4. Jahrhunderts) bis auf Zitate

184 185 186 187 188

Bumbacher 2010: 62. Untersuchung und englische Übersetzung in O’Hara 1971. Studie und Übersetzung in Kaltenmark 1987. Vgl. Bumbacher 2000a. Vorwort des Gao shi zhuan, übers. Berkowitz 1989: 456–459. Vgl. Bumbacher 2000c. Vollständige Übersetzung der identifizierten Teile von Campany 2002.

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verlorene Werke. Sun Chuos Abhandlung über Buddhisten und [daoistische] Weise (Dao xian lun) verglich sieben hervorragende Mönche mit den „sieben [daoistischen] Weisen des Bambushaines“. Dahinter stand die Absicht, Buddhismus und Daoismus als im Grunde identisch darzustellen. Zudem stellte Sun einen Katalog der Abhandlungen berühmter und tugendhafter buddhistischer Mönche (Ming de sha men lun (var. ti) mu) zusammen, welcher offenbar Charakterisierungen der wichtigen Mönche enthielt.

3.1.9.1. Gao yi sha men zhuan Laut Fei Zhang-fangs Katalog Aufzeichnungen über die drei Juwelen [aus] aufeinanderfolgenden Dynastien (Li dai san bao ji, T 2034) aus dem Jahr 597 hat der Mönch Zhu Fa-ji während der Zeit des Kaisers Xiao-wu der östlichen Jin (reg. 373–397) die Lebensbeschreibungen von hervorragenden buddhistischen Einsiedlern (Gao yi sha men zhuan) verfasst.189 Den wenigen noch vorhandenen Zitaten kann entnommen werden, dass zumindest die Viten von Yu Fa-kai, Zhi Dun, Zhu Dao-qian, und Zhu Qian darin enthalten waren.190 In den Fragmenten finden sich Aussagen wie: „Der Kaiser [Fei, Si-ma Yi (reg. 366–371)] sandte aus Ehrerbietung gegenüber seinen feinen Umgangsformen und seiner moralischen Kraft einen Boten, um [den Mönch Zhu Daoqian] in die Hauptstadt einzuladen.“ Oder: „Kaiser Ai der Jin-Dynastie (reg. 362–365) fühlte sich vom Verhalten […] [des Mönchs Zhi Dun] angezogen und entsandte einen Boten in den Osten, um ihn in die Hauptstadt einzuladen.“191 In beiden Fällen scheinen die Mönche zumindest zeitweise eremitisch gelebt zu haben, was vom Titel des Werkes her zu erwarten ist (gao yi, „hervorragende Einsiedler“). Auffallend ist die zweimalige Erwähnung von Gunsterweisungen durch Kaiser Mönchen gegenüber. Möglicherweise wollte Zhu Fa-ji zeigen, wie man durch geeignetes Verhalten Zugang zur allerhöchsten Stelle im Staat — und damit Einfluss auf sie — erlangen konnte. Wer das Gehör des Kaisers hatte, der hatte größere Chancen, die Bedingungen für den saṅgha und für die Mission positiv zu beeinflussen.

3.1.9.2. Ming seng zhuan Zu den wichtigsten Sammlungen buddhistischer Viten zählten Bao-changs bis auf Fragmente verlorene Biographien berühmter buddhistischer Mönche (Ming seng zhuan). Im Jahre 519 vollendete er das Werk, das er 510 zu verfassen gelobt hatte.192

189 190 191 192

Li dai san bao ji T 2034: 74a. Vgl. Bumbacher 2000a: 403–406. Ebd. Neben Zitaten in chinesischen Werken hat sich eine Zusammenfassung des Ming seng zhuan, nämlich das vom Japanischen Mönch Sōshō im Jahre 1235 verfasste Meisōdenshō im Tōdai-ji erhalten.

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Ebenfalls dem Bao-chang zugeschrieben wurden die Biographien buddhistischer Nonnen (Bi qiu ni zhuan). Auf Bao-changs Ming seng zhuan stützte sich u. a. Hui-jiao für seine Biographien herausragender Mönche (Gao seng zhuan). Bao-chang scheint ein wichtiges Mitglied des saṅgha von Jiang-kang, der Hauptstadt der Liang-Dynastie, gewesen zu sein. Im Jahre 505 wurde er auf Geheiß des Kaisers Wu (reg. 502–550) zum Abt des Xin-an-Klosters ernannt und mit der Kompilation einer Reihe von buddhistischen Werken beauftragt, von denen der Kaiser sich spirituelle Protektion für seine Herrschaft versprach.193 In Erfüllung eines Gelübdes, das Bao-chang während einer Erkrankung gemacht hatte, verließ er unerlaubterweise sein Kloster, um nach Quellen für seine Sammlung von Mönchsviten zu suchen. Eine Rohfassung stellte er im vierjährigen, vom Kaiser als Strafe verordneten Exil her. Die Endversion umfasste 30 Kapitel.194 Nach seiner Begnadigung wurde er 515 mit der Neufassung eines Katalogs buddhistischer Schriften beauftragt und danach als Bibliothekar der buddhistischen Privatbibliothek des Kaisers eingesetzt. Kritisiert wurde Bao-chang und sein Ming seng zhuan von Hui-jiao, dem missfiel, dass Bao-chang die „berühmten“ (ming), also von der Gesellschaft bewunderten Mönche für erinnerungswürdiger erachtete als die „eminenten“ (gao), die vom saṅgha geschätzten, weshalb Hui-jiao das Leben des Bao-chang nicht in seine eigene Sammlung von Mönchsviten aufnahm.195

3.1.9.3. Bi qiu ni zhuan Nach dem Jahr 516 wurde eine Sammlung von Nonnenviten, die Biographien von bhikṣuṇīs (Bi qiu ni zhuan) kompiliert,196 welche erstmals in Zhi-shengs Katalog der Lehre Shis (= Śākyamuni) aus der [Tang] Kai-yuan[-Regierungsära] (Kai yuan shi jiao lu, T 2154) von 730 Bao-chang zugeschrieben wurde.197 Wie der Kompilator selber schreibt, war es das erste Werk dieser Art.198 Er ging davon aus, dass er in einer Zeit des Zerfalls lebte: „Die Zeitgenossen verwechseln Glauben und Blasphemie […]. Das wahre Dharma (skt. saddharma) stirbt […], das gefälschte Dharma breitet sich nach Osten aus […]“.199 Dem wollte er Beispiele untadeligen Lebenswandels von Nonnen entgegengehalten: „In der Tat sind sie [Beispiele von] Tugend in einem herbstlichen Zeitalter“.200

193 Zu Bao-chang vgl. de Rauw 2005. 194 Shinohara 1994: 482. 195 Dies holte dann Dao-xuan nach, der ihm eine prominente Stelle in seinen Fortgesetzten Biographien herausragender Mönche einräumte. Siehe de Rauw 2005: 208. 196 516 ist das späteste, im Werk selber erwähnte Jahr, siehe Bi qiu ni zhuan T 2023: 948a. 197 Kritik an dieser Zuschreibung findet sich in de Rauw 2005: 215–218. 198 Bi qiu ni zhuan T 2023: 934b25; Cissell 1972: 136f. 199 Bi qiu ni zhuan T 2023: 934b18; Cissell 1972: 135f. 200 Bi qiu ni zhuan T 2023: 934b23; Cissell 1972: 136.

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Bao-chang konnte einerseits auf Beispiele von Historiographen wie Shen Yues (441–513) Vita der Nonne Jing-xiu201 zurückgreifen, andererseits lagen ihm offenbar Klosterdokumente vor wie die Aufzeichnungen des Klosters der südlichen Hauptstadt der Jin[-Dynastie] (Jin nan jing si ji),202 welches er für die Biographie der Nonne Dao-rong mitverwendete.203 Zudem benutzte er die um 490204 entstandene buddhistische Mirabilia-Sammlung Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich] (Ming xiang ji) des Wang Yan, um die Viten mit Wundergeschichten anzureichern.205 Zwar schreibt Bao-chang im Vorwort zu seinen Biographien von bhikṣuṇīs: „Ich […] begann intensiv Stelen-Inschriften zusammenzutragen und suchte weitherum in Aufzeichnungen und Sammlungen. Bisweilen befragte ich Personen, die sich als in diesen Dingen kundig erwiesen hatten. Manchmal erkundigte ich mich bei alten Leuten“206, doch scheint er sich tatsächlich eher auf literarische Vorlagen denn auf epigraphische oder mündliche Quellen verlassen zu haben. Die Biographien von bhikṣuṇīs befassen sich hauptsächlich mit Nonnen der südlichen Dynastien, dem Gebiet des unteren Yang-zi, mit Schwergewicht auf der Gegend um Nan-jing. Angeordnet sind die 65 Viten nicht nach Kategorien, sondern chronologisch. Das erste Kapitel umfasst die östliche Jin-Dynastie (317–420), das zweite die frühere Song (420–479), das dritte die Qi (479–502) und das vierte die Liang (502–557). Die frühesten in diesem Werk beschriebenen Nonnen traten dem Orden in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts bei. Den ersten Konvent in Nordchina scheint die Nonne Zhu Jingjian mit Gleichgesinnten 317 in Chang-an gegründet zu haben.207 Den ältesten südlichen Konvent soll der einflussreiche Minister He Chong (292–346) für die Nonne Kang Min-gang gestiftet haben: „Zusammen mit [der Nonne] Hui-zhan und anderen – insgesamt zehn – setzten sie über den Fluss, um den Minister für öffentliche Werke, He Chong, zu besuchen. Als Chong sie sah, hielt er sie sehr in Ehren. Da es zu der Zeit in der Hauptstadt noch keinen Konvent gab, nahm Chong ein [bestehendes] Gebäude und machte es zu einem Konvent für sie.“208

3.1.9.4. Chu san zang ji ji Obwohl kein eigentlich biographisch-hagiographisches Werk, sondern ein Katalog buddhistischer Schriften, enthalten die Gesammelten Notizen zu den übersetzten drei

201 Guang hong ming ji T 2103: 270b-272a. Bao-changs Übernahmen sind zum großen Teil sogar wortwörtlich. Eine Synopse findet sich in Cissell 1972: 19–23. 202 Bis auf Zitate verloren. 203 Synopse in Cissell 1972: 19–23. 204 Campany 2012: 11. 205 Für Beispiele von Wundern, welche das Bi qiu ni zhuan dem Ming xiang ji entlehnt hat, siehe Cissell 1972: 5–24. 206 Bi qiu ni zhuan T 2023: 934b; Cissell 1972: 137. 207 Bi qiu ni zhuan T 2023: 934c, Cissell 1972: 140. 208 Bi qiu ni zhuan T 2023: 935c, Cissell 1972: 153.

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Speichern (= Tripiṭaka) (Chu san zang ji ji, T 2145) des Mönches Seng-you, welches 515 erstmals publiziert wurde, in den drei letzten Kapiteln Lebensbeschreibungen von Mönchen (juan 13–15). Es handelt sich dabei um 32 Viten von Übersetzern und Exegeten, deren Werke im Katalogteil aufgeführt sind.209

3.1.9.5. Gao seng zhuan Möglicherweise kaum zwei Jahrzehnte nach Bao-changs Ming seng zhuan legte Huijiao seine Lebensbeschreibungen hervorragender Mönche (Gaoseng zhuan, T 2059) in 14 Kapiteln vor. Hui-jiaos Leben scheint unspektakulär gewesen zu sein.210 Geboren in Shang-yu (Bezirk Kuai-ji) trat er in jungen Jahren in das Kloster Jia-xiang ein, wo er bis zum Jahre 553 verblieb. Zur Hauptstadt und den dortigen Mönchen, die seiner Meinung nach zu sehr auf Ruhm und Einfluss bedacht waren, scheint er eine kritische Distanz bewahrt zu haben. Andererseits muss ihm Kuai-ji als idyllisches Rückzugsgebiet der hauptstädtischen Elite durchaus Gelegenheit gegeben haben, mit ihren Exponenten in Kontakt zu treten. Die Hälfte des Jahres widmete er jeweils dem Unterricht und in der anderen pflegte er das Studium der Schriften und die eigene Schreibtätigkeit. Neben seinem Hauptwerk Lebensbeschreibungen hervorragender Mönche verfasste er einen Kommentar zum Nirvāṇa-Sūtra sowie einen zum vinaya-Teil des Brahmajāla-sūtra. Beide Kommentare wurden offenbar bis Ende des 6. Jahrhunderts breit rezipiert, gingen danach aber verloren. Hui-jiaos Motivation ist teilweise aus seinem Vorwort ersichtlich, teilweise von seiner eigenen Biographie und dem Gao seng zhuan selber herleitbar.211 Ihm missfiel, wie die Mönche in der nicht-buddhistischen Literatur abgehandelt wurden, andererseits war er auch nicht einverstanden mit deren Darstellung in früheren buddhistischen Vitensammlungen. Letztlich ging es ihm wohl darum, den Buddhismus von der Aura des Fremden und Exotischen zu befreien und ihn insbesondere für die Mittel- und Oberschicht als attraktiv erscheinen zu lassen. Entsprechendes Gewicht liegt auf der Erwähnung von Zuwendungen und Protektion durch Angehörige des Kaiserhauses, die Mönchen zuteilwurden. In seiner Würdigung (lun) der Exegeten (Kapitel 4–8) zitiert er einen unbekannten Text wie folgt: „Will man die wahre Lehre begründen, muss man sich gegebenenfalls dem Herrscher des Staates und denen, die die Macht ausüben, genehm machen und sich an sie halten“.212 Wichtig erschien ihm auch die Darstellung guter Beziehungen zwischen Mönchen und führenden Beamten und Literaten, also der staatstragenden Elite. Die Sammlung umfasst 257 ausführlichere Lebensbeschreibungen sowie zusätzlich 243 Kurzbiographien, deren Protagonisten im Zeitraum von 67–519 n. Chr.

209 210 211 212

Zürcher 1959: 10. Zu Leben und Werk Hui-jiaos immer noch grundlegend Wright 1954. Wright 1954: 384–387. Schmidt-Glintzer 1976.

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gelebt haben. Diese Zahl ist verschwindend klein angesichts des Berichts, wonach es allein 317–420 im Gebiet der Östlichen Jin 1 768 Klöster und Konvente sowie rund 24 000 Mönche und Nonnen gegeben habe.213 Es kann sich bei den von Huijiao berücksichtigten Mönchen somit nur um eine insgesamt wenig repräsentative absolute Elite gehandelt haben, worauf bereits der Titel „hervorragende“ (gao) Mönche hindeutet. Hui-jiao unterteilte die Viten in zehn ungleich umfangreiche Kategorien: 1. Sūtra-Übersetzer (yi jing; Kap. 1–3), 2. Exegeten (yi jie, Kap. 4–8), 3. Wundertäter (shen yi, Kap. 9–10), 4. Meditierende (xi zhan, Kap. 11), 5. vinaya-Spezialisten (ming lü, Kap. 11), 6. Selbstopferer (Kap. yi shen, Kap. 12)214, 7. Sūtra-Rezitierer (song jing, Kap. 12), 8. Förderer verdienstvoller Taten (xing fu, Kap. 13), 9. Hymnen-Meister (jing shi, Kap. 13), 10. Instruktoren (chang dao, Kap. 13). Zwar liegt das Hauptgewicht auf der Darstellung der Übersetzer und der Exegeten, aber auch die Wundertäter erhielten einen größeren Raum zugestanden. Als Quellen215, von denen ganze Abschnitte wortwörtlich übernommen wurden, dienten einerseits frühere Sammlungen wie etwa Seng-yous Gesammelte Notizen zu den übersetzten drei Speichern oder Bao-changs Biographien berühmter buddhistischer Mönche, was sich z. B. in Hui-jiaos Vita des Gunabhadra nachweisen lässt. Ebenfalls von früheren Sammlungen übernahm er Eulogien (zan), z. B. Sun Chuos Eulogie für Kang Seng-hui216 oder Zhi Jiao-lun217, sowie die Idee, Kategorien von Viten mit seiner eigenen kritischen Würdigung (lun) abzuschließen, aber auch ausgewählte Einzelbiographien zu „evaluieren“ (lun). Daneben bediente sich Hui-jiao auch epigraphischer Quellen und „privater“, so genannter separater (bie) Biographien. Äußerst wichtig war die Mirabiliensammlung Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich] (Ming xiang ji), der er je nach Bedarf Wunderberichte entnahm und an geeignet erscheinenden Stellen in seine Lebensbeschreibungen einfügte. Es lassen sich mindestens zweiunddreißig wörtliche Passagen aus den Aufzeichnungen in seinen Biographien nachweisen.218 Zusätzlich zu den genannten Biographien gibt es noch spätere Sammlungen. Ins siebte Jahrhundert datiert Dao-xuans Fortgesetzte Biographien herausragender Mönche (Xu gao seng zhuan) mit 485 Biographien.219 Auf kaiserlichen Befehl hin verfasste Zan-ning (919–1001) seine Songzeitliche Biographien herausragender Mönche

213 Bian zheng lun T 2110: 503b; vgl. Zürcher 1959: 255. 214 Unter dieser Kategorie sind Mönche zu verstehen, die ihr eigenes Leben dem Buddha durch Selbstverstümmelung oder Selbstverbrennung zum Opfer bringen. Siehe Benn 2001. 215 Siehe Wright 1954. 216 Gao seng zhuan T 2059: 326b. 217 Gao seng zhuan T 2059: 346c. 218 Campany 1996: 83 Fn. 190. 219 Siehe Wagner 1995.

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(Song gao seng zhuan), welches er im Jahre 988 fertigstellte und das mehr als fünfhundert Viten umfasste.220

3.1.10. Enzyklopädien Ein wichtiges Genre der chinesischen Literaturgeschichte bilden die so genannten Enzyklopädien oder lei shu (wörtl.: Bücher [mit] nach Kategorien [geordneten Inhalten]), von denen zwischen dem frühen 3. bis zum 18. Jahrhundert rund 600 kompiliert wurden, von denen etwa 200 noch heute vorhanden sind. Das älteste bekannte Exemplar war das [Für die] Lektüre des Kaisers (Huang lan, verloren), welches für Wei Wen-di (Cao Pi, reg. 220–226) kompiliert wurde. Eine erste Blüte erlebte das Genre in der Tang-Zeit, als Werke wie die Kategorisierte Sammlung literarischer Schriften (Yi wen lei ju, 604), die Schriftlichen Urkunden der nördlichen Halle (Bei tang shu chao, ca. 630) oder die Aufzeichnungen für beginnendes Lernen (Chu xue ji, 713–742) entstanden. Formal war der Inhalt nach bestimmten Topoi oder Kategorien geordnet, zu deren Illustration explizite Zitate aus einer Vielzahl von relevanten Werken zusammengestellt wurden. Je nach Enzyklopädie-Typ konnten die verwendeten Quellen historiographische, literarische, religiöse etc. Texte oder Kombinationen davon sein. Die früheste bekannte Enzyklopädie des Daoismus, das Wesentliche der allerhöchsten Geheimnisse (Wu shang bi yao, rund zwei Drittel des Textes noch vorhanden), wurde im Tong-dao-Kloster in Nordchina auf kaiserliche Initiative hin im Jahre 577 verfasst. Die Hofdebatten von 570 zwischen Buddhisten und Daoisten ließen – zum Leidwesen des Kaisers Wu der Nördlichen Zhou – die Daoisten in schlechterem Lichte dastehen als ihre Kontrahenten. Um den Daoismus zu einer Art Staatsreligion machen zu können, musste er auf eine orthodoxe Grundlage gestellt werden. Dazu sollte diese Enzyklopädie dienen.221 Das darin enthaltene Wissen wurde laut vollständig erhaltenem Inhaltsverzeichnis in sieben Teilen angeordnet (die sich in eine Vielzahl von Topoi untergliederten):222 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Himmel, Gestirne und Unsterbliche (Abschnitte 1–26) Erde und Regierung (27–44) Göttliche Wesen, ihre Aufenthaltsorte sowie ihre Bekleidung (45–110) Heilige Schriften und Talismane (111–146) Regeln, Gebote und Reinigungsrituale (147–182) Techniken zur Erlangung der Unsterblichkeit und Elixiere (183–249) Rangordnung der Unsterblichen (250–292).

220 Siehe Kleine 2009. 221 Lagerwey 1981. 222 Kohn 2000: 296f.

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Zu den weiteren, im späten 7. Jahrhundert verfassten daoistischen Enzyklopädien zählen u. a. die Tasche der Perlen aus den drei Höhlen (San dong zhu nang, DZ 1139)223 und Kategorien und Realien der daoistischen [Tradition des Himmels] der Höchsten Reinheit (Shang qing dao lei shi xiang, DZ 1132)224 des Wang Xuan-he (fl. 683) sowie Meng An-pais Kernpunkt der Bedeutung der daoistischen Lehre (Dao jiao yi shu, DZ 1129)225. Möglicherweise beeinflusst durch die daoistischen Beispiele kompilierte der buddhistische Mönch Dao-shi (613–681) zwei große buddhistische Enzyklopädien, die Sammlung des Wesentlichen aus den Schriften (Zhu jing yao ji) und den Perlenhain des Gesetzes-Gartens (Fa yuan zhu lin). Die Vorarbeiten für die Sammlung (20 Kapitel) erfolgten 656 bis 661. Der umfangreichere Perlenhain (100 Kapitel), an welchem er laut Zan-nings Song[-zeitliche] Biographien herausragender Mönche (Song gao seng zhuan, T 2061) zehn Jahre lang gearbeitet hatte,226 lag in einer ersten, wohl noch provisorischen Fassung im Jahre 664 (vielleicht sogar 661) vor. Sicherlich motiviert durch die Politik des Tang-Kaisers Gao-zong (reg. 649– 683), der nach seinem großen Opfer auf dem Tai-shan im Jahre 666 angeordnet hatte, dass in jeder Präfektur je ein daoistischer und ein buddhistischer Tempel zu errichten seien,227 erfolgte Dao-shis formelle Präsentation des Perlenhains im Jahre 668.228 Die Sammlung umfasst dreißig Kategorien und spannt den Bogen von den „drei Juwelen“ (san bao, nämlich Buddha, dharma, saṅgha), und „Pagoden-Verehrung“ (jing ta) bis zu „Höllen“ (di yu, wörtl.: „Erdgefängnis“), „Bestattung“ (song zhong) und „vermischte wesentliche [Elemente]“ (za yao).229 Jede Kategorie beginnt mit Dao-shis umfassender Einleitung. Daran schließen die umfangreichen Belegstellen an – Zitate aus chinesischen Übersetzungen indischer buddhistischer Texte, aber auch aus apokryphen chinesischen buddhistischen Texten. Sechsundzwanzig der dreißig Kategorien der Sammlung hat Dao-shi in den weit umfangreicheren Perlenhain mit insgesamt einhundert Kategorien übernommen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sammlung den noch auf buddhistische Kernelemente konzentrierten „Prototyp“ darstellte, während der Rahmen im Perlenhain um soziale Themen wie „gute Freunde“ (shan you), „schlechte Freunde“ (e you), „Auswählen von Partnern“ (ze jiao) usw. oder Verhaltensweisen wie „Akzeptieren von Zurechtweisungen“ (na jian), „Loyalität und Pietät“ (zhong jiao) erweitert wurde.

223 224 225 226 227 228 229

Hierzu siehe Schipper 2004: 440f. Schipper 2004: 628f. Schipper 2004: 442. Song gao seng zhuan T 2061: 726c. Ch’en 1964: 219. Die Behandlung der zwei Enzyklopädien Dao-shis basiert z. T. auf Teiser 1985. Für eine Übersetzung der Titel der 30 Abteilungen siehe Teiser 1985: 124f.

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Das im Perlenhain verwendete, gegenüber der Sammlung stark erweiterte Klassifikationsschema wurde im Wesentlichen der traditionellen chinesischen Klassifizierung angepasst und weist daher notwendigerweise eine gewisse Ähnlichkeit mit der des daoistischen Wesentlichen der allerhöchsten Geheimnisse auf. Den Anfang macht die Kosmologie (kalpas, die „drei Welten“, Sonne, Mond und Gestirne) gefolgt von Buddha und der Verehrung der „drei Juwelen“, anschließend der Welt mit den Laien beiderlei Geschlechts, den buddhistischen Paraphernalia (Kleidung, Laternen, Banner etc.), Gebeten, Gebäuden (Tempel, Klöster etc.), Regierung, Verhaltensweisen, sozialen Beziehungen, Opfern, karmischen Bedingungen, Klosterleben, Tod und Wiedergeburt, Ende des dharmas und Historiographie.230 Der Aufbau jeder Abteilung des Perlenhains entspricht im Prinzip dem der Sammlung. Diejenigen Topoi, die vom Perlenhain übernommenen wurden, stimmen weitestgehend wörtlich mit denen der Sammlung überein, werden aber durch zusätzliche Zitate erweitert. Berücksichtigung finden hierbei klassische wie nichtklassische chinesische Schriften und historiographische Aufzeichnungen. Am Ende jeder Abteilung finden sich Erzählungen, welche Sammlungen von Wundergeschichten wie den Berichten aus dem dunklen Bereich (Ming xiang ji) des Beamten Wang Yan, den Aufzeichnungen der verborgenen und sichtbaren [Welt] (You ming lu) des Liu Yi-qing, Prinz von Lin-chuan (403–444) etc. entnommen sind und die „karmische Vergeltung“ illustrieren sollen. Die Geschichten und Anekdoten zu jedem Topos sind chronologisch geordnet und mit der expliziten Quellenangabe versehen. Mehr als fünfundsiebzig Titel werden zitiert, wovon mehr als zwei Dutzend Wundersammlungen sind. Da die meisten dieser Werke heute verloren sind, kommt dem Perlenhain – von seiner Wichtigkeit für die chinesische Buddhismusgeschichte ganz abgesehen – große Bedeutung für die Sinologie zu. So konnten die Berichte aus dem dunklen Bereich (Ming xiang ji) praktisch zur Gänze aus den Zitaten im Perlenhain rekonstruiert werden.231

3.2. Die Übersetzungsproblematik Zunächst werden Informationen über die fremde Religion Buddhismus in direktem Kontakt zwischen buddhistischen Mönchen und Laien mit interessierten Chinesen mündlich weitergegeben worden sein. Über diesen Prozess ist naturgemäß wenig bekannt, er dürfte sich angesichts der bedeutenden Kolonien ausländischer Händler in China weitgehend in Handelskreisen abgespielt haben.

230 Vollständige Übersetzung der Titel der 100 Kategorien in Teiser 1985: 113–119. 231 Campany 2012.

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Mehr ist hingegen bekannt über den Prozess des Übersetzens der fremden Texte ins Chinesische. Die Schriften kamen entweder im Gedächtnis232 von indischen und zentralasiatischen Laien und Mönchen oder als Manuskripte nach China, geschrieben auf Birkenrinde, Palmblättern oder gar Papier. Die Manuskripte waren nicht nur in verschiedenen Schriften wie Kharoṣṭhī oder Brāhmī233 sondern auch in unterschiedlichen mittelindischen Dialekten, aber auch Sanskrit abgefasst. Erschwerend kam hinzu, dass sie verschiedenen Traditionen wie etwa der Sarvāstivāda-, der Mūlasarvāstivāda-, der Dharmaguptaka-, der Mahāsāṃghikaoder der Kāśyapīya-Schule des Hīnayāna oder dann dem Mahāyāna entstammten, ohne dass sich die Chinesen ursprünglich dessen bewusst gewesen sein dürften. Der Umstand, dass die fremden Texte nicht immer in gutem Zustand vorgelegen haben dürften, fand sogar seinen Niederschlag in den populären buddhistischen Wundersammlungen. So heißt es z. B. in den Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich] (Ming xiang ji): [Der indische Mönch] Zhu Fa-hu stammte aus Dun-huang. […] Zu jener Zeit waren die Schriften frisch übersetzt und enthielten viele indische Ausdrücke (fan yu), die Wörter und Sätze waren ‚gestört und verworren‘ (fan wu), die Abschnitte und gāthas nicht korrekt. [Fa-hu] verstand das Wesentliche ihrer Bedeutung und brachte sie in flüssige literarische [Form] (you wen).234

Wie die Übersetzerteams zusammengesetzt waren und sich in ihrer Arbeit organisierten, erfährt man in knapper Form aus den Kolophonen der übersetzten Texte.235 Danach las eine Person den ihr vorliegenden fremden Text vor236 oder rezitierte237 ihn aus dem Gedächtnis. Dann übersetzte ihn entweder dieselbe Person, wenn sie des Chinesischen hinreichend mächtig war, oder ein anderes Mitglied des Teams in die chinesische Umgangssprache. Zum Beispiel: „Zu der Zeit waren diejenigen, welche die Wörter [ins Chinesische] übersetzten (chuan yan zhe), der Parther An Wen-hui und Bo Yuan-xin [aus Kucha].“238

232 So heißt es im Chu san zang ji ji T 2145: 47c, dass im Jahre 179 n. Chr. „Meng Yuan-shi aus Luo-yang in He-nan mündlich dem indischen bodhisattva Zhu Shuo-fo das [Aṣṭasāhasrikā] übermittelte“. 233 Am 8. November 284 „erhielt Dharmarakṣa das Brāhmī-Manuskript des Avaivartikacakrasūtra (A wie yue zhe zhi jing) von Marquis Mei-zi, dem Gesandten aus Kucha“. Siehe Chu san zang ji ji T 2145: 50b; Boucher 1996: 68. 234 Ming xiang ji ap. Fa yuan zhu lin T 2122: 63; vgl. Campany 2012: 101. 235 Eine gute Beschreibung findet sich in Boucher 1996: 88–102. 236 „Dharmarakṣa hielt das fremde Sūtra in seinen Händen und übertrug es mündlich“, Chu san zang ji ji T 2145: 63b; Boucher 1996: 80. 237 „Dharmarakṣa rezitierte übersetzte den Brāhmī-Text“, Chu san zang ji ji T 2145: 57c; Boucher 1996: 68. 238 Chu san zang ji ji T 2145: 57c, Boucher 1996: 68.

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Buddhismus in China

Im Falle der Übersetzung des Abhidharma vibhāṣā śāstra wurde der Originaltext mündlich von Saṅghabhūti vorgetragen, dann aber zunächst von Dharmanandi in indischer Schrift (hu wen) niedergeschrieben, bevor Buddharakṣa ihn ins Umgangschinesische übersetzte, worauf Zhi Min-du ihn in literarischem Chinesisch (han wen) niederschrieb.239 Es waren also die Nicht-Chinesen im Team, welche die Primärübersetzung besorgten. Noch zu Beginn des sechsten Jahrhunderts kommentierte Seng-you diesen Aspekt der frühen Übersetzungen: „Während einige gut in den hu-(fremden) Bedeutungen waren, aber den chinesischen Sinn nicht verstanden, waren andere klar in der chinesischen Sprache, kannten aber die fremden Ideen nicht.“240 Der nächste Schritt bestand in der „Übertragung“ der umgangssprachlichen, mündlichen Rohform ins literarische Chinesisch. Schließlich konnte die Übersetzung überarbeitet werden,241 worauf man sie kopierte242 und verbreitete.243 Der wichtigste dieser Schritte war die „Umsetzung“ der mündlichen chinesischen Rohübersetzung in die Hochsprache und die Niederschrift in chinesische Zeichen – das war in jedem Falle die Aufgabe entsprechend ausgebildeter Chinesen.244 Zunächst ging es für sie darum zu verstehen, was der Übersetzer sagte. Das dürfte wiederholtes Nachfragen und wohl auch Diskussionen beinhaltet haben. Man sollte aber nicht übersehen, dass die Chinesen zu verstehen vorgegeben haben mochten, selbst wenn sie nicht verstanden, um vor den Fremden nicht das Gesicht zu verlieren. „Verstehen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, die fremden Vorstellungen und Begriffe mit einem „Feld chinesischer Konzepte“ zu vergleichen und nach Übereinstimmungen zu suchen. Wurde eine Übereinstimmung gefunden, konnte der fragliche indische Begriff mit dem entsprechenden chinesischen wiedergegeben werden. War das nicht möglich, mussten die Mitarbeiter ein chinesisches Wort wählen, das ihrem eingeschränkten Verständnis nach dem buddhistischen am nächsten kam. Oder sie mussten es in eigenen Worten umschreiben (Interpolation). Oder sie ließen den Ausdruck unübersetzt und gaben ihn mit „sinnlosen“, aber phonetisch äquivalenten Wörtern wieder (Transkription).

239 Chu san zang ji ji T 2145: 99a27-29. 240 Chu san zang ji ji T 2145: 4c21. 241 „Das Pratyutpannasamādhi-sūtra (Ban zhou san mei jing) wurde im 13. Jahr der Ära jian an (208) im buddhistischen Kloster überarbeitet“, Chu san zang ji ji T 2145: 48c. 242 „[Im Jahre 255] kopierte der śramaṇa Fo-da aus dem Bodhisattva Kloster westlich der Stadt Luo-yang [das Dao xing jing]“, Chu san zang ji ji T 2145: 47c. 243 „[Dharmarakṣa] übergab [das Avaivartikacakra-sūtra] dem śramaṇa Fa-sheng, welcher es verbreiten ließ, [sodass] alle davon hören und es kennen konnten“, Chu san zang ji ji T 2145: 50b; Boucher 1996: 68. 244 „Diejenigen, welche [den Text] verschriftlichten, waren [die Chinesen] Nie Cheng-yuan, Zhang Xuan-bo und Sun Xiu-da“, Chu san zang ji ji T 2145: 57c; Boucher 1996: 68.

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So ließ sich beispielsweise der Begriff buddha, also der „Erwachte“, transkribieren als bu da245 (Mandarin-Aussprache fu tu; wörtl.: „fließende Illustration“), oder bu do (M.: fu dou; „fließender Kopf“) oder bu tuo (M.: fu tu; „fließender Metzger“) oder ba thai (M.: ba ta, „in den Fußstapfen anderer folgen“) usw. Der chinesische Leser wird sofort realisiert haben, wenn solche Ausdrücke keinen Sinn machten, und wird sie phonetisch gelesen und als Fremdwort erkannt haben. Diese Methode hatte den Vorzug, dass die Übersetzer nicht lange nach (allenfalls nicht vorhandenen) chinesischen Bedeutungsäquivalenten suchen mussten. Sie hatte den Nachteil, dass der Leser bei Personen nachfragen musste, von denen er annehmen durfte, dass sie wüssten, worum es geht. Bisweilen fanden sich aber Interpretationen in von Chinesen verfassten buddhistischen Texten. So heißt es beispielsweise in Mou-zis apologetischer Schrift Über die Korrektur von Irrtümern (Li huo lun, enthalten in T 2102), welche aufgrund textimmanenter Hinweise auf die Zeit nach 247 datiert werden kann:246 Das Wort bjut (M.: fo; „groß“; Transkription für buddha) ist eine postume Ehrenbezeichnung, wie die [sagenhaften] Drei Erhabenen als „göttlich“ (shen) und die [sagenhaften] Fünf Kaiser als „weise“ (sheng) bezeichnet werden. […] es bedeutet „erwacht“ (jue).247

Ein weiteres Beispiel für eine Transkription findet sich in den Zweiundvierzig Abschnitten [aus] buddhistischen Schriften (Si shi er zhang jing). Dieser Text wird traditionsgemäß als ältester erhaltener chinesischer buddhistischer Text angesehen. Die einleitende Erzählung muss hingegen um 250 entstanden sein, während der Hauptteil vor 166 kompiliert worden sein dürfte. Hier wird eine Definition des Ausdrucks ṣai mən gegeben: Der Buddha sagte: Diejenigen, welche ihre Verwandten verlassen und aus ihren Häusern fortziehen, um den Weg (dao) zu praktizieren, werden ṣai mən (M.: sha men; „Sandtor“, Transkription für śramaṇa „Buddhistischer Mönch“ oder „Asket“) genannt.248

Einige Sätze später liefert derselbe Text eine ausführlichere Beschreibung eines ṣai mən: Der Buddha sagte: Diejenigen, welche ihre Köpfe und Gesichter rasieren, sind ṣai mən. Sie erhalten Unterweisung, geben weltliches Vermögen und Besitz auf, betteln und nehmen gerade so viel, dass sie genug haben. Mittags nehmen sie eine einzige Mahlzeit zu

245 In diesem und den nächsten Abschnitten wird, anders als im gesamten Beitrag, nicht nur die heutige Peking-Aussprache (Mandarin) angegeben, die sich infolge der Sprachentwicklung von derjenigen der ersten Jahrhunderte n. Chr. unterscheidet, sondern auch die rekonstruierte Aussprache jener Zeit. Dadurch soll die damalige Transkribierweise deutlicher werden. Die Aussprachen sind die für die Han-Zeit rekonstruierten wie in Schuessler 2007 oder entsprechend Karlgren 1957. 246 Bumbacher 2006: 805. 247 Li huo lun in T 2102: 2a7-9; vgl. Keenan 1994: 64. 248 Si shi er zhang jing T 784: 722a24.

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Buddhismus in China sich, lagern eine einzige Nacht unter [demselben] Baum und sind darum besorgt, es nicht ein zweites Mal [zu tun].249

Gegen Ende des ersten Jahrhunderts fand für śramaṇa auch die Transkription saŋ mən (M.: sang men; wörtl.: „Maulbeerbaum-Tor“) Verwendung. Zum späteren Standard hingegen wurde das Sanskrit-Wort bhikṣu (pāli bhikkhu) für Mönch. Als Transkriptionen hierfür dienten entweder bi khu (M.: bi qiu; „vereinigte Hügel“), bi ha (M.: bi hu; „vereinigte Rufe“) oder pĭ stṣho (M.: bi chu; „duftendes Heu“). Als zweite Option konnten die Übersetzerteams neben der Transkription chinesische semantische Äquivalente für die indischen Begriffe suchen. So fand man z. B. für Sanskrit bhikṣu chinesisch khĭt dżə (M.: qi shi), was soviel bedeutete wie „bettelnder Gelehrter“, und für buddha fand man z. B. kǒk waŋ (M.: jue wang), der „erleuchtete Prinz“ oder kǒk ṭjak (M.: jue zhe), der „Erleuchtete“. Der scheinbare Vorteil dieser Methode lag darin, dass die Begriffe unmittelbar verständlich schienen. Doch verständlich bedeutete, dass sie im Rahmen der chinesischen Tradition verstanden wurden. Tiefgreifende Missverständnisse blieben daher nicht ausgeschlossen. Als mögliche Quellen für semantische Äquivalente dienten die philosophischen Texte Lao zi (alias Dao de jing) und Zhuang zi, Texte, die vermutlich zwischen dem späten vierten und dem späten dritten Jahrhundert v. Chr. abgefasst worden waren. Sie gehörten der Tradition des „philosophischen Daoismus“ an – zu unterscheiden vom späteren „religiösen Daoismus“. Beide waren sie Resultat tiefgreifender meditativer Erfahrungen.250 Da der Meditation in verschiedenen Formen auch im Buddhismus eine grundlegende Bedeutung zukam, war hier – im Prinzip – eine gewisse gemeinsame Basis vorhanden. Ein interessantes Beispiel für den buddhistischen Rückgriff auf Zhuang zi liefert eine spätere Quelle, die Biographien erhabener Mönche (Gao seng zhuan): Als [der Mönch Hui-yuan (334–417)] vierundzwanzig Jahre alt war (357 n. Chr.), nahm er an einer Predigt [des Shi Dao-an] teil, bei der ein Gast, welcher der Exegese [eines Sūtra] zuhörte, Bedenken äußerte gegen das Konzept der ‚transzendenten Wahrheit‘ (shí xiang)[, wie es Dao-an interpretierte]. Die Diskussion dauerte geraume Zeit, doch Zweifel und Missverständnis auf Seiten des Hörers nahmen weiter zu. Da erwähnte Hui-yuan ein Konzept, das dem Zhuang zi entlehnt war, als Analogie, worauf der verunsicherte [Hörer] ein klares Verständnis gewann. Von da an ermächtigte Dao-an den Hui-yuan, die [chinesische] säkulare Literatur [zum Zwecke der Exegese buddhistischer Schriften] beizubehalten.“251

Offenbar wurde diese Methode bereits ein Jahrhundert früher angewandt, denn der Autor von Über die Korrektur von Irrtümern begründete, warum er zur Erklärung

249 Si shi er zhang jing T 784: 722b03. 250 Siehe Roth 1999. 251 Gao seng zhuan T 2059: 358a11; vgl. Zürcher 1959: 241.

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buddhistischer Konzepte ausschließlich traditionelle chinesische Texte heranzog.252 Dazu ein Beispiel: Eines der wichtigsten buddhistischen Konzepte ist das des endgültigen Verlöschens oder nirvāṇa (pāli nibbāna), die endgültige Befreiung aus dem saṃsāra, dem im Prinzip unendlichen Kreislauf von Geburt, Leben, Tod, Wiedergeburt und dem damit verbundenen omnipräsenten Leiden. Da eine solche Vorstellung den Chinesen absolut unvertraut war, existierte kein semantisches Äquivalent in ihrer Sprache. Wie war also nirvāṇa zu übersetzen? Einige der frühen Übersetzer wählten im Rückgriff auf Lao zi und Zhuang zi den Ausdruck wu wei. Dort hat wu wei jedoch eine von „endgültigem Verlöschen“ völlig verschiedene Bedeutung. Zunächst bezeichnet er einen Zustand des Geistes, wie er in der Meditation erlangt werden kann. Dann bedeutet er auch eine aus der meditativen Erfahrung abgeleitete Verhaltensanweisung. Die wörtliche Bedeutung ist „keine Aktivität entwickeln“, „nicht agieren“: Wenn sich diese vier Sechsergruppen (d. h. die ‚Vorurteile der Gedanken‘, die ‚Verwirrungen des Herzens‘, die ‚Verwicklungen des Charakters‘ und die ‚Hindernisse des rechten Weges‘) nicht [mehr] in der Brust ausbreiten, dann wirst du aufrecht. Wenn du aufrecht bist, wirst du ruhig werden. Wenn du ruhig bist, wirst du erleuchtet werden. Wenn du erleuchtet bist, wirst du leer werden. Wenn du leer bist, wirst du nicht aktiv handeln, aber es wird nichts geben, das nicht getan wird (xu ze wu wei, er wu bu wei ye).253

Dieser Abschnitt beschreibt in knappster Form eine vierstufige Meditationstechnik, die sich auch in anderen Texten des „philosophischen“ Daoismus wiederfindet:254 Aufrechtsein (korrekte Körperhaltung), Ruhe (Beruhigung der Emotionen), Erleuchtung und schließlich Leere. Auf der letzten Stufe, wenn der Meditierende sich selber als integralen Teil der allumfassenden Einheit erfährt und so vollkommen leer ist, handelt er nicht, greift er nicht aktiv in die ablaufenden Prozesse ein (wu wei). Die zweite Bedeutung von wu wei betrifft die Konsequenzen, welche sich aus der in der Meditation gewonnen Einsicht ergeben. Die Schlüsselpassage findet sich in Kapitel 48 des Lao zi (Dao de jing) und als wörtliches, aber nicht als solches deklariertes Zitat im Zhuang zi: Diejenigen, welche den Weg (dao) praktizieren, reduzieren täglich [ihr Handeln], sie reduzieren es und reduzieren es, um zum Nicht-Handeln (wu wei) zu gelangen. Wenn sie [schließlich] nicht mehr handeln, wird es nichts geben, das nicht getan wird.255

252 253 254 255

Li huo lun in T 2102: 5c3. Zhuang zi yin de 64/23/69f.; vgl. Watson 1968: 259. Siehe Roth 1999. Zhuang zi yin de 57/22/9; vgl. Watson 1968: 235.

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Buddhismus in China

Hieraus wurde die politische Anweisung an die Herrscher abgeleitet: Die Tugend der Herrscher und Könige [soll] sich Himmel und Erde zum Ahnen (Vorbild), den Weg (dao) und seine innere Kraft zum Herrn und das Nicht-Handeln (wu wei) zur konstanten [Handlungsmaxime] machen. Das Nicht-Handeln, wenn es sich der Welt bedient, generiert Überfluss, das Handeln, wenn es sich der Welt bedient, generiert Mangel. Darum haben die Männer des Altertums das Nicht-Handeln so hochgeschätzt.256

Xiang Kai hat nun das Nicht-Handeln als tatsächliche Praxis sowohl der Gottheit Huang-lao-jun des (nun religiösen) Daoismus als auch des (als Gott verstandenen) Buddha in seiner berühmten Throneingabe des Jahres 166 n. Chr. hervorgehoben: Darüber hinaus habe ich vernommen, dass im Palast Opfer dargebracht wurden für Huang-lao[-jun] und Buddha. Ihre Wege sind rein und leer. Sie schätzen das Nicht-Handeln hoch, lieben es, [die Lebewesen] leben zu lassen und hassen es [sie] zu schlachten. Sie [leiten ihre Anhänger dazu an,] die Wünsche zu verringern und die Zügellosigkeit auszutreiben.257

Der buddhistische Text Über die Korrektur von Irrtümern bringt nun explizit nirvāṇa in Verbindung mit wu wei: Am fünfzehnten Tage des zweiten Monats ging (khĭa, M.: qu) [der Buddha weg], indem er ‚Lehm-Fluss‘ (nei γuan, M.: ni huan, phonetisches Äquivalent für nirvāṇa) [praktizierte]. Seine Schriften und seine Vorschriften [hingegen] sind weiterhin vorhanden. Wer danach handelt und sie praktizieren kann, wird ebenfalls Nicht-Handeln (wu wei) erlangen und [sein] Verdienst wird in die folgenden Generationen einfließen.258

Der Zeitgenosse, welcher diese Zeilen las, wird unmittelbar realisiert haben, dass es sich beim Ausdruck nei γuan (M.: ni huan) um die Transkription eines fremdländischen Begriffs handeln muss, da er im Satzkontext keinen Sinn machte. Doch wird ihm der Text selbst keinen Hinweis für die mögliche Bedeutung geliefert haben. Syntaktisch gesehen hatte nei γuan die Funktion eines Verbs, nei γuan ńə khĭa (M.: ni huan er qu) bedeutet wörtlich „während er nei γuan-te, ging er weg“. Da khĭa (M.: qu) „weggehen“, „verlassen“ überhaupt nicht mit Tod oder Sterben konnotiert ist, hätte man „er ging weg“ durchaus daoistisch verstehen können als „er verschwand als Unsterblicher, das Land durchstreifend und seine Spuren verwischend“. Da der Satz mittels jak (M.: yi) „ebenfalls“ mit tək mua wai (M.: de wu wei) „er wird Nicht-Handeln erlangen“ verbunden ist, dürfte der Leser „NichtHandeln“ mit nei γuan (M.: ni huan) gleichgesetzt und im Wissen um „Nicht-Handeln“ als einem meditativen Zustand in Zhuang zi und Lao zi auch nei γuan als eine zur Meditation gehörende Tätigkeit aufgefasst haben.

256 Zhuang zi yin de 34/13/17; vgl. Watson 1968: 144. 257 Hou Han shu 1082. 258 Li huo lun in T 2102: 1c29; vgl. Keenan 1994: 61.

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Der Verfasser des Über die Korrektur von Irrtümern hatte aber auch die politische Dimension des Nicht-Handelns im Blick, wie die folgende Passage zeigt: „Yao, Shun, [der Herzog von] Zhou, und Konfuzius pflegten weltliche Geschäfte (M.: shi shi). Der Buddha und der Alte Meister hatten Nicht-Handeln (M.: wu wei) zur Absicht.“259 Die sagenhaften Kulturheroen Yao und Shun, der Herzog von Zhou und Konfuzius handelten politisch mit der Absicht, dem Gemeinwohl zu dienen. Laozi andererseits propagierte die Maxime „handle nicht und nichts bleibt ungetan“. Wenn nun der Autor des Über die Korrektur von Irrtümern wie ersichtlich den Laozi und den Buddha gleichstellte (fo yu lao zi: „der Buddha und Lao-zi“), implizierte er, dass der Buddha derselben Agenda verpflichtet war wie Lao-zi, also dem politischen Nicht-Handeln nachlebte. Diese Interpretation von nirvāṇa ist von der ursprünglichen Bedeutung von „verlöschen“ denn doch sehr verschieden. Unter den chinesischen Übersetzungen von nirvāṇa, welche versuchten, die Bedeutung zu übertragen, finden sich Wörter wie mie „Zerstörung“, „Auslöschung“ oder jie tuo „befreien und sich entledigen“ oder jie tuo wei „Geschmack der Befreiung“, die dem indischen Konzept des endgültigen Verlöschens deutlich näherkommen. Schwieriger zu verstehen war dagegen yan dian „Ort der Flammen“, „flammender Fleck“, möglicherweise der Ort (in der Zeit?), an welchem die Möglichkeit künftiger Existenzen vernichtet wurde? Daneben war eine ganze Reihe von phonetischen Äquivalenten gebräuchlich. Neben dem bereits genannten ni huan oder „Lehm-Fluss“ auch ni wan „Lehm-Kugel“, ni pan „lehmige Küste“ usw. Die Leser chinesischer Übersetzungen buddhistischer Schriften konnten also durchaus in verschiedenen Texten auf unterschiedliche Transkriptionen desselben Namens oder desselben „technischen“ Ausdrucks stoßen. Solange die phonetischen Äquivalente ähnlich genug klangen, wie etwa bu da, bu do, bu tuo oder aber ṣai mən, saŋ mən, konnte der Leser annehmen, es handle sich möglicherweise um dieselbe Sache oder Person. Problematischer wurde es, wenn dasselbe indische Wort verschieden transkribiert wurde, etwa bu da statt ba thai oder put. Schwierigkeiten könnte zu Beginn auch der Umstand bereitet haben, dass es für dasselbe Phänomen durchaus verschiedene indische Wörter geben konnte, die entsprechend verschieden transkribiert wurden, wie z. B. bi khu (bhikṣu oder bhikkhu) statt ṣai mən (śramaṇa). Das Hauptproblem hingegen dürften aber die den daoistischen Texten entliehenen semantischen „Äquivalente“ gebildet haben, da sie vor ihrem daoistischen Hintergrund verstanden wurden. Sūtra-Übersetzungen, die eine daoistische Terminologie verwendeten, erschienen den Chinesen zwangsläufig als daoistische Texte, was anfänglich zum weitverbreiteten Missverständnis beitrug, es handle sich beim Buddhismus um eine daoistische Tradition. Andererseits könnte dieses Missver-

259 Li huo lun in T 2102: 3b6; vgl. Keenan 1994: 91.

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Buddhismus in China

ständnis durchaus positiv zur frühen Ausbreitung des Buddhismus in China beigetragen haben. Mönche, denen in den Bibliotheken ihrer Klöster verschiedene Übersetzungen derselben Texte zur Verfügung standen, waren sich der Problematik durchaus bewusst.260 So wurden bisweilen Synopsen (he ben „kombinierte Ausgaben“) hergestellt, für die eine Version als Ausgangstext verwendet wurde, an die man die Varianten der anderen Versionen anhängte. Frühestes bekanntes Beispiel ist Zhi Qian, der im 3. Jahrhundert die Versionen dreier dhāraṇī-Texte kombinierte (nur noch das Vorwort ist erhalten261). Dao-an und Zhi Dun sind Beispiele aus dem 4. Jahrhundert.262 Beginnend mit Zhu Shi-xing, möglicherweise im Jahre 260263, gingen einige Mönche gar soweit, eine beschwerliche und lange Reise in den Westen zu unternehmen, mit der erklärten Absicht, sich indische Originalschriften zu beschaffen, um die Probleme der frühen Übersetzungen klären zu können.

3.3. Anhänger des Buddhismus Der saṅgha, die Gemeinschaft der Mönche und Nonnen (und Novizen), bildete traditionsgemäß neben dem Buddha und dessen Lehre eine der drei Säulen des Buddhismus.

3.3.1. Mönche264 Anders als es dieser kollektive Begriff auszudrücken scheint, stellte der Mönchsorden keineswegs ein einheitliches Gebilde dar, sondern bestand aus einer großen Vielfalt von verschiedenen Typen von Mönchen. Das Spektrum reichte von intellektuellen Klosterbewohnern über Wald- und Bergeremiten bis hin zu Wandermendikanten oder gar Scharlatanen. Entsprechend breit war die Bandbreite der individuellen Lebensvollzüge. Einen ersten, wenn auch nicht repräsentativen Eindruck vermitteln die Kategorien, in welche die Mönchsbiographien in den Viten-Sammlungen eingeordnet sind. Die Gelehrten-Mönche, welche über eine entsprechende Ausbildung verfügten, sicherlich nur eine kleine Minorität ausmachten und sich zur Hauptsache in den gut ausgestatteten Klöstern befanden, teilen sich in Kategorien wie SūtraÜbersetzer, Sūtra-Rezitierer, Exegeten, vinaya-Spezialisten und Hymnen-Meister. Eher volkstümliche, sich der breiten Bevölkerung widmende Mönche finden sich

260 261 262 263 264

Zürcher 1959: 99f. Chu san zang ji ji T 2145: 51c18. Zürcher 1959: 352 Fn. 83. Zürcher 1959: 61. Für das Folgende vgl. Kieschnick 1997.

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unter den Instruktoren, den Förderern verdienstvoller Taten und den Wundertätern, während die Meditierenden und die Selbstopferer vermutlich eher als zurückgezogene Individuen ihren Glauben lebten.

3.3.1.1. Wundermänner Mönche mit „wunderbaren“ (shen yi) Fähigkeiten bildeten sowohl in den Sammlungen von Wundergeschichten, wie etwa den Aufzeichnungen der verborgenen und sichtbaren [Welt], als auch in den Biographiesammlungen ein sehr wichtiges Motiv. Zwar werden entsprechende Eigenschaften 28 von insgesamt 35 indischen und zentralasiatischen Übersetzern in den Biographien herausragender Mönche zugeschrieben, doch ist dieses Merkmal nicht auf ausländische Mönche beschränkt, da von den insgesamt 257 Mönchen derselben Vitensammlung 86 oder rund ein Drittel über entsprechendes Wissen und Techniken verfügen. Dass es sich hierbei vermutlich nicht um einen bloß literarischen Topos gehandelt haben wird, ist aus einem apologetischen Text ersichtlich, dem Traktat über das Auflösen von Widersprüchen (Shi bo lun, verfasst zwischen 405–417) des Shi Dao-heng (346–417): Andere [Mönche] wiederum wenden geschickt seltsame Lehren (yi duan) an, um [ihren] Lebensunterhalt zu bestreiten. Wieder andere weissagen [aufgrund] der Physiognomie über Glück und Unglück und sprechen unsinnig über positives und negatives Schicksal. Mittels listenreicher Methoden und angeblicher Beeinflussungsmöglichkeit wollen sie auf die Absichten der Zeitgenossen zielen.265

Das Vorhersagen künftiger Ereignisse gehörte zu den Wunder-Techniken von Mönchen. So beeindruckte Fo-tu-deng den Barbaren-Herrscher Li She (reg. 319–333) durch seine immer zutreffenden Voraussagen militärischer Ereignisse. Seine Methode bestand darin, seine Handinnenfläche mit Öl zu bestreichen, dieses dann mit der anderen Hand darin zu verteilen und im Ölglanz – gleichsam wie in einem Film – die zukünftigen Ereignisse sich abspielen zu sehen. Divination scheint unter Mönchen eine so verbreitete Praxis gewesen zu sein, dass die apokryphe Schrift des Brahma-Netzes (Fan wang jing, T 1484) diese kategorisch verbieten musste. Eine weitere Wunder-Technik bestand im Herbeizaubern von Regen, die insbesondere tantrischen Mönche wie etwa Vajrabodhi zugeschrieben wurde. Doch schon She-gong konnte Geisterdrachen mittels Zaubersprüchen vom Himmel herunterzaubern. Wann immer eine Dürre herrschte, bat ihn Fu Jian – Herrscher der Früheren Qin und seit 376 Herr über sämtliche Provinzen des Nordens –, einen Zauber zu sprechen, worauf in seiner Bettelschale jeweils ein Drache erschien und vom Himmel sich ein Wolkenbruch ergoss.266

265 Hong ming ji T 2102: 35b. 266 Gao seng zhuan T 2059: 389b.

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Für die Bevölkerung von größerer Wichtigkeit war hingegen die Dämonenbeschwörung. Die Vorstellung, dass Dämonen Menschen angreifen und verletzen können, lässt sich spätestens für das 4. Jahrhundert v. Chr., als Ursache von Erkrankungen spätestens für die Han-Zeit nachweisen. Von einer Reihe von Mönchen wird nun gesagt, dass sie mittels Zaubersprüchen die krankheitserregenden Dämonen exorzieren konnten. Von Pu-ming etwa heißt es, dass er auf entsprechende Bitten hin Zaubersprüche sang, um so die erkrankte Frau eines Dorfbewohners zu heilen. Unmittelbar darauf habe man eine Gestalt in Form eines Fuchses – offenbar den Dämon – aus dem Hundetor hinauseilen sehen, worauf die Frau genas.267 Dharmakṣema soll gesehen haben, wie Dämonen in ein Dorf eindrangen. Er soll daher die Bevölkerung vor einer drohenden Epidemie gewarnt haben. Obwohl ihm einer der Bewohner nicht glaubte, sang er drei Tage lang Zaubersprüche, um dann zu verkünden, dass die Dämonen sich nun entfernt hätten. Just zu dem Zeitpunkt sah jemand, wie hunderte von Dämonen aus dem Dorfe flohen.268 Sowohl für Hui-jiao, den Kompilator der Biographien herausragender Mönche, als auch für Dao-xuan, Verfasser der Fortgesetzten Biographien herausragender Mönche, dienten die „Wundertechniken“ (shen dao) der Bekehrung (hua) (Hui-jiao). Ohne sie wäre es schwierig, den Buddhismus zu verbreiten (Dao-xuan). Aufgefordert, die Vorzüge des Buddhismus darzustellen, war Fo-tu-deng klar, dass er den Xiongnu-Herrscher der Späteren Zhao-Dynastie, Shi Le, nicht mit den Lehren des Buddhismus würde beeindrucken können. Also griff er zum Zauber: Er nahm ein Gefäß mit Wasser an sich, verbrannte Weihrauch und sprach einen Zauberspruch. Kurz darauf zeigte sich im Gefäß eine wunderschöne Lotos-Blüte. Von diesem Moment an war Shi Le vom Buddhismus überzeugt.269

3.3.1.2. Heiler Ebenfalls in den „Dienst der Mission“ stellten die Buddhisten ihr medizinisches Können. Es gab offenbar Mönche, die als Heiler im Lande umherzogen, um Kranke zu behandeln. Zhu Fa-kuang (327–402) „wanderte durch die Dörfer und Weiler und rettete die Schwerkranken.“270 Ein bekanntes Beispiel muss Qi Yu (Jīvaka?) gewesen sein. Seine Biographie schildert u. a. folgende Begebenheit: [Der buddhistische Laie] Teng Yong-wen aus Nan-yang, Magistrat von Heng-yang, hielt sich in Luo[-yang] auf, wo er im Nan-shui-Kloster Quartier erhielt. Er war bereits seit einigen Jahren leidend, hatte verkrümmte Beine und war unfähig, [ohne fremde Hilfe] aufzustehen und zu gehen. Yu besuchte ihn und fragte: ‚Wünschen Sie eine schnelle

267 268 269 270

Gao Gao Gao Gao

seng seng seng seng

zhuan zhuan zhuan zhuan

T T T T

2059: 2059: 2059: 2059:

407b. 336b. 383c. 386c.

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Stephan Peter Bumbacher Heilung ihrer Krankheit?‘ Er nahm ein Gefäß mit klarem Wasser und ein Zahnreinigungsstäbchen, bestrich damit das Wasser, stellte sich Yong-wen gegenüber, erhob die Arme und sagte einen Zauberspruch. Nachdem er das dreimal getan hatte, hieß er Yong-wen aufstehen, indem er mit seinen Händen dessen zwei Knie drückte. Einmal auf den Füßen war [Yong-wen] fähig, sich so zu bewegen, wie er es früher gewohnt war.271

Der Mönch Yu Fa-kai (ca. 310–370) war offenbar derart berühmt für sein medizinisches Wissen, dass die Kaiserinmutter und faktische Regentin Chu ihn im Jahre 361 an den Hof rief, um den erkrankten Kaiser Mu (345–361) zu behandeln. Kaum hatte er dessen Puls beobachtet, als er auch schon wusste, dass dem Kranken nicht zu helfen sei, und er sich daraufhin weigerte, den Raum wieder zu betreten. Seiner Verhaftung auf Betreiben von Chu konnte er nur durch den tatsächlichen baldigen Tod des Kaisers entgehen.272 Während sich Yu Fa-kai in diesem Beispiel einer traditionell chinesischen diagnostischen Methode bediente, führte der Tiantai-Exeget Zhi-yi neben den Geistern und Dämonen, welche mit Zaubersprüchen zu behandeln seien, vier Krankheitsursachen auf, wie sie in der indischen Medizin diskutiert wurden: Ungleichgewicht der „vier Elemente“ (si da) – anstelle der chinesischen „fünf Wandlungsphasen“ (wu xing) –, ungeeignete Nahrung, Symptome, welche durch ungeeignete meditative Praktiken verursacht werden, und karmische Voraussetzungen. Der Buddhismus erweiterte somit das Angebot der traditionellen chinesischen und der daoistischen Medizin um eine dritte Option und wurde dadurch für Kranke attraktiv.

3.3.1.3. Haushalts- oder Familienmönche Auch wenn es durchaus engere Beziehungen geben mochte zwischen Kaiser und prominenten Mitgliedern des saṅgha, wussten letztere sich immer ihren unabhängigen Status zu bewahren. In der Regel waren sie nicht bereit, sich für die Zwecke des Herrschers einspannen zu lassen. Andererseits stand der Kaiser Wu der LiangDynastie trotz seines mehrmaligen Eintritts in die Gemeinschaft, aus der ihn seine hohen Beamten jeweils wieder „loskaufen“ mussten, letztlich außerhalb des saṅgha. Wollte er aber Einfluss auf dessen innere Angelegenheiten nehmen, benötigte er eine Art Mittelsmänner, die einerseits selber dem Orden angehörten, andererseits von ihm direkt abhängig waren. Aus diesem Grunde führte Kaiser Wu einen besonderen Typ von Mönchen ein: die Haushalts- oder Familienmönche (jia seng).273 Diese entstammten ursprünglich niederen Gesellschaftsschichten, genossen als Mönche aber einen untadeligen Ruf. Sie wurden vom Kaiser äußerst reich beschenkt und mussten gleichsam als Gegenleistung im Sinne des „Dienstherrn“ aktiv werden. So wurde z. B. Fa-yun als Abt über das Guang-zhai-Kloster eingesetzt,

271 Gao seng zhuan T 2059: 388b. 272 Gao seng zhuan T 2059: 350a. 273 Vgl. De Rauw et al. 2011.

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wo er damit beauftragt wurde – entsprechend den Reformideen des Kaisers – neue Regeln für die Mönche (seng zhi) zu verfassen. Als nächstes musste er formal die Hofdebatten um die Unsterblichkeit der Seele organisieren, welche zwischen 507 und 508 stattfanden. Der Lohn für die Dienste konnte beträchtlich sein. So ordnete Kaiser Wu an, dass Fa-chong274 „die vier Jahreszeiten über ohne Unterlass Wagen, Ochsen, Hilfskräfte und Nahrung zur Verfügung gestellt werden. Und da [sein] Kloster ursprünglich eher klein war und der Kaiser zugunsten [seines verstorbenen älteren Bruders,] des Prinzen von Xuan-wu Segnungen erwirken wollte, erließ er an die Bediensteten des [verstorbenen] Prinzen den Befehl, [das Kloster] zu vergrößern und auszuschmücken, um [Fa-chong] dort als einen Ehrengast zu behandeln. Entsprechend gab man ihm den Namen Xuan-wu-Kloster.“

3.3.1.4. Kritik Dass sich nicht alle Mönche strikt an die Regeln (vinaya) gehalten haben werden, muss bei ihrer großen Zahl nicht erstaunen. Insbesondere Vorschriften, die der biologischen Natur des Menschen zuwiderlaufen – etwa das Zölibatsgebot – haben es in allen Religionen schwer, konsequent befolgt zu werden. Es erstaunt daher nicht, dass in China schon früh Kritik an Mönchen geübt wurde, die nicht nach den Regeln ihres Ordens lebten. In einer Denkschrift des Generals Xu Rong aus dem Jahre 389 an den Kaiser, welche in der Dynastiegeschichte der Jin[-Dynastie] (Jin shu) zitiert wird, etwa heißt es: Ich habe gehört, der Buddha ist ein Gott (shen) der Reinheit, weitreichender [Intelligenz] und geheimnisvoller Leere. Er machte die fünf Gebote zur Lehre, [wie z. B. den Genuss von] alkoholischen Getränken aufgeben und keine Unzucht treiben. Doch diejenigen, welche heutzutage [diese Gebote] empfangen, sind liederlich und unhöflich […], Alkohol und Frauen sind [ihre] Vergnügungen, sie handeln den zwei [Geboten] zuwider. […] Darüber hinaus plündern sie das Volk, betrachten das sich Verschaffen von Gütern als Gunsterweis und stimmen nicht überein mit dem [buddhistischen] Weg des Almosen-Gebens.275

Dieser Außenwahrnehmung entspricht durchaus auch eine Innensicht. So wird etwa in der frühen apologetischen Schrift Meister Mous Traktat über die Beseitigung von Zweifeln (Mou zi li huo lun, entstanden zwischen 247 und 465) dem hypothetischen Kritiker die Aussage in den Mund gelegt: „Heutzutage sind die Mönche alkoholischen Getränken ergeben, halten Frauen und Kinder, kaufen [Waren] zu tiefen Preisen und verkaufen sie teuer und befleißigen sich der Täuschung und Lüge.“276

274 Xu Gao seng zhuan T 2060: 461b24-26. 275 Jin shu 1733, vgl. Zürcher 1959: 153. 276 Zürcher 1959: 261 und Fn. 39.

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Nicht regelkonformes Verhalten von Mönchen muss ab dem 3. Jahrhundert immerhin soweit in der öffentlichen Wahrnehmung präsent gewesen sein, dass selbst die buddhistischen Hagiographen nicht umhinkamen, Schwächen einzelner ihrer Protagonisten entsprechend herauszustellen. Von Zhu Shu-lan (um 300), dessen Eltern aus Indien stammten, wissen sie zu berichten, dass er, der geachtete Übersetzer, sich dem Trunke und Ausschweifungen hingab, alkoholische Getränke gleich literweise zu sich nahm und danach den Rausch in Straßengräben ausschlief. Und das, obwohl seine beiden Onkel mütterlicherseits Mönche waren und ein untadeliges Leben führten.277 Anstößig war Shu-lans Verhalten höchstens vor dem Hintergrund buddhistischer Normen. China kannte durchaus prominente Intellektuelle, die dem Alkohol frönten und sich gar als eine Art „heiliger Trinker“ definierten: die so genannten Sieben Weisen des Bambushaines (3. Jahrhundert n. Chr.), eine Gruppe von sieben Poeten, Philosophen, Musikern und hohen Beamten. Sie trafen sich gewöhnlich in einem Bambushain zu philosophischen Gesprächen und ungehindertem Alkoholgenuss.

3.3.2. Nonnen278 Auf die Wichtigkeit der Nonnen im indischen Buddhismus hat bereits Gregory Schopen hingewiesen.279 Die verschiedenen Vinayas implizieren, dass Nonnen über finanzielle Mittel verfügt haben müssen, die es ihnen ermöglichten, Land für Klöster zu erwerben und Klöster, stūpas usw. zu stiften.280 Von daher drängt sich die Frage auf, wie es in China um die buddhistischen Nonnen bestellt war, um ihre soziale Stellung, welche ökonomischen Möglichkeiten sie hatten, welche Aktivitäten sie in der Gesellschaft entfalten konnten. Der buddhistische Nonnenorden war jedoch keineswegs eine solitäre Erscheinung. Auch im Daoismus fanden Frauen verschiedene Optionen der Betätigung im Rahmen ihrer Religion. Somit wird sich die Frage nach dem Verhältnis von buddhistischen Nonnen zu Daoistinnen stellen. Als wichtigste Quelle zur Beantwortung dieser Fragen bieten sich die chinesischen Nonnenviten an. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass das literarische Genre Nonnenbiographien nicht unabhängig ist von der älteren Literaturgattung Lebensbeschreibungen von bemerkenswerten Personen, aus der es sich entwickelt hat und von der es verschiedentlich Themen und Motive übernimmt.281 Nachdem bereits Si-ma Qian in sein Shi ji ein Kapitel mit Viten von Kaisergattinnen aufgenommen hatte, reservierte Fan Ye in seiner Geschichte der Späteren Han[Dynastie] (Hou Han shu) ein ganzes Kapitel der Beschreibung von Frauen, deren

277 278 279 280 281

Chu san zang ji ji T 2145: 98.b. Bumbacher 2000a: 494–524. Schopen 2004: 330. Ebd. Bumbacher 2010.

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Lebenswandel und Schicksal es in seinen Augen wert waren, der Nachwelt überliefert zu werden.282 Daneben setzte ebenfalls in der Hanzeit der Brauch ein, separate Biographiesammlungen zu kompilieren, welche speziellen Bevölkerungsgruppen gewidmet waren. So entstanden z. B. die traditionell dem Liu Xiang zugeschriebenen Biographien exemplarischer [daoistischer] Unsterblicher (Lie xian zhuan) und Biographien exemplarischer Frauen (Lie nü zhuan). Letzteres kann als eine Art Propagandaschrift für die konfuzianischen Tugenden der exemplarischen Frau aufgefasst werden, die zur Nachahmung empfohlen werden. Zu diesen zählen Mitmenschlichkeit (ren), Verantwortlichkeit (yi), Ehrerbietung (li), konfuzianische Prinzipien (li), Keuschheit (jie), Perfektion (zhen), Tugend (de) usw. Die Biographien sind nach sieben Kategorien geordnet: geziemendes Benehmen von Müttern, Weisheit und Intelligenz, Menschlichkeit und Wissen, Tugend und Gehorsam, Keuschheit und Moral, Argument und Verstand. Als einzige negative Kategorie erscheint Verwerflichkeit und Unzucht. Abgesehen von den Müttern, welchen das erste Kapitel gewidmet ist, und den Konkubinen, die vorzugsweise in der Kategorie Verwerflichkeit und Unzucht abgehandelt werden, handelt die überwiegende Mehrzahl aller Viten von Ehefrauen. Im Jahre 517 wurde ein Bi qiu ni zhuan (Biographien buddhistischer Nonnen) kompiliert, das Bao-chang zugeschrieben wird. Die Lebensbeschreibungen der Biographien buddhistischer Nonnen sind höchstwahrscheinlich nicht repräsentativ für die große Mehrzahl der Nonnen. Der Text legt großen Wert auf die Erwähnung enger Beziehungen zwischen berühmten Förderern des Buddhismus, vor allem, aber nicht nur, Mitgliedern der kaiserlichen Familien einschließlich Kaisern, Kaiserinnen, Prinzen, Prinzessinnen usw., und den von ihnen unterstützten Nonnen. D. h. es wird hier ein sehr elitärer, hauptstädtischer Buddhismus thematisiert. Zudem sollten diese Viten nicht für sich gelesen werden, denn sie setzen die säkularen Frauenviten voraus, als deren Gegenbeispiele sie offensichtlich konzipiert worden waren. Den konfuzianischen Normen des Lie nü zhuan werden hier buddhistische Alternativen entgegengehalten. Abgesehen vom ersten und letzten Kapitel des Lie nü zhuan, die den Müttern resp. den Konkubinen gewidmet sind, handelt die überwiegende Mehrzahl aller Viten von Ehefrauen. Es kann daher behauptet werden, das Lie nü zhuan erhebe implizit das Eheleben zum Hauptinhalt des Lebens einer aus konfuzianischer Sicht darstellungswürdigen Frau. Begründet wird die Notwendigkeit der Heirat „anthropologisch“, mit spezifisch weiblichen negativen Eigenschaften, die durch die Ehe im Zaume gehalten werden sollen. So werden der alten Frau eines gewissen Qu Wu von Wei die Worte in den Mund gelegt: „Eine Frau ist schwankend in ihrer Entschlussfassung, sie ist nachlässig im Herzen, ihm darf in üblen Zeiten nicht freier Lauf gelassen werden. Aus diesem Grund muss sie vom fünfzehnten Alters-

282 Hou Han shu Kap. 84.

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jahr an ihr Haar aufstecken und damit zeigen, dass sie heiratsfähig ist und mit zwanzig wird sie in die Ehe gegeben.”283 In jedem Fall werden die Frauen als weitgehend rechtlos und völlig abhängig dargestellt. In der Biographie der Frau des Qi Liang heißt es: „Eine Frau muss jemanden haben, von dem sie abhängig ist. Während der Vater noch lebt, ist sie von ihm abhängig. Während der Mann noch lebt, ist sie von ihm abhängig. Während ihr Sohn noch lebt, ist sie von ihm abhängig.“284 Den Ehemann kann sich die Frau in aller Regel nicht selber aussuchen: „Es ist Pflicht der Frau zu warten, bis jemand zu singen anfängt285 und sie ihn dann begleitet.“286 Als Ehestifter fungierten die Eltern, je nachdem auch die Brüder. Die Frau hatte den ihr zugewiesenen Gatten vorbehaltlos zu akzeptieren. Es gab offenbar kaum eine Möglichkeit für die Frau, ein Ehebegehren zurückzuweisen. Nur wenn der Mann die Heiratsrituale nicht vollständig durchgeführt hatte, konnte die Frau ihn als Gatten ablehnen. War die Frau erst einmal verheiratet, so erwarteten sie eine ganze Reihe von Aufgaben: „Das richtige Verhalten einer Frau besteht in ihrer Fähigkeit, die fünf Sorten von Nahrung und fermentierten Wein herzustellen, für die Schwiegereltern zu sorgen, Kleider anzufertigen – und damit hat sich’s.“287 Zudem war sie an Haus und Herd gebunden, weite Reisen standen ihr nicht zu. So sagte die Mutter des Philosophen Menzius (Meng Ke): „Die Pflicht einer Frau besteht darin, für den Haushalt zu sorgen; sie sollte daher keine Wünsche wegzureisen haben.“288 Die kanonische Formulierung findet sich im konfuzianischen Ritenklassiker (Li ji): „[Die Frau] hält sich den ganzen Tag innerhalb der Tore der Innengemächer auf. Sie begibt sich zu keiner Beerdigung, die über hundert Meilen (li) weit entfernt ist. In ihrer Arbeit kennt sie kein eigenmächtiges Handeln, in ihrem Tun kein eigenmächtiges Werk. Sie berät sich, ehe sie sich bewegt. [ ...] Die Seidenraupenzucht und das Spinnen und Weben besorgt sie, und die Haustiere zieht sie innerhalb des Hauses auf. Das heißt Zuverlässigkeit.“289 Was waren nun die Alternativen, welche der Buddhismus den chinesischen Frauen anbot? Mit welchen Versprechen warb er um sie? Zunächst zeigte er auf, dass (Zwangs-)Heirat und Mutterschaft nicht die einzige Bestimmung zu sein brauchte. Dazu diente das Motiv der Heiratsverweigerung in den Biographien buddhistischer Nonnen.290 In der Biographie der Nonne Tao Tan-bei (324–396) wird berichtet, sie habe allein mit ihrer Mutter gelebt und sich ihr aufopfernd zur Seite gestellt. Wegen ihres vorbildlichen Lebenswandels wurde sie von ihrem Clan „als

283 Lie nü zhuan (nachfolgend abgekürzt LNZ), Ed. Sibu beiyao: 3.9b; englische Übersetzung O’Hara 1971. 284 Lie nü zhuan 4.5a. 285 Dies ist eine Metapher für die Brautwerbung. 286 Lie nü zhuan 3.9b. 287 Lie nü zhuan 1.11b. 288 Lie nü zhuan 1.11bf. 289 Wilhelm 1981: 272f. 290 Bumbacher 2000a: 504f.

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gute Partie“ empfohlen und mehrere Familien warben um sie. Sie erlaubte jedoch die Annahme von Verlobungsgeschenken nicht. Die Mutter musste sie in ihrem Wunsch, das Leben im Hause aufzugeben, gewähren lassen.291 Ming Seng-ji wünschte ebenfalls, das häusliche Leben aufzugeben. Doch ihre Mutter verlobte sie heimlich und verbarg die Verlobungsgeschenke vor ihr. Erst als sich der Hochzeitstag näherte, wurde Seng-ji informiert, worauf sie die Nahrung verweigerte. Nach sieben Tagen war ihre Gesundheit in solch desolatem Zustand, dass man den Bräutigam kommen ließ. Dieser hatte jedoch ein Einsehen und bat darum, man möge dem Willen der jungen Frau stattgeben.292 Die Eltern einer gewissen Sengduan konnten sich den Wünschen einer wohlhabenden Familie, ihre Tochter wegen ihrer Schönheit einheiraten zu lassen, nicht widersetzen. Da floh Seng-duan drei Tage vor dem Hochzeitstermin in ein buddhistisches Kloster. Die Äbtissin wies ihr einen gesonderten Raum zu und versorgte sie mit dem Nötigsten. Nach drei Tagen und drei Nächten ununterbrochenen Weinens und Betens erschien ihr ein Buddhabild, welches sie über den bevorstehenden Tod ihres Bräutigams informierte. Nach dessen Ableben durfte sie das weltliche Leben aufgeben.293 Dem konfuzianischen Ideal der gehorsamen Gattin und fürsorglichen Mutter stellte der Buddhismus in den Biographien buddhistischer Nonnen Beispiele rebellischer junger Frauen entgegen, die sich – selbst gegen Widerstände der beteiligten Clans – der Verheiratung entzogen, um sich der Nonnengemeinschaft anzuschließen. Doch welche alternative Lebensweise bot nun der chinesische saṅgha den jungen Frauen? Was konnte das Leben im Konvent so attraktiv erscheinen lassen? Zunächst mag sicherlich ein wichtige Rolle gespielt haben, sich mit Gleichgesinnten auf die religiöse Praxis, nämlich den Kult294 und die Meditation295, konzentrieren zu können. Dann aber war auch das Reisen möglich, einerseits von Konvent zu Konvent, andererseits, um Laien und Donatoren zu besuchen. Die vorgeschriebenen Einschränkungen – eine Nonne durfte nicht allein, sondern nur in Begleitung reisen, nicht zu Pferd oder im Wagen, sondern nur zu Fuß, nach Sonnenuntergang war der Aufenthalt außerhalb eines Konventes untersagt und sie durfte nicht bei Laien übernachten – scheinen nicht sehr schwer gewogen zu haben. Obwohl es sich im Prinzip um einen Mendikantenorden handelte, mussten die Nonnen nicht um ein karges Mahl betteln. Die häufig durch Zuwendungen reichen und großen Konvente verfügten über eigene Küchen, die von Novizinnen und Sklavinnen betrieben wurden.296 Die Nonnen konnten offenbar auch über eigene Mittel verfügen, die sie nach ihrem Ermessen zugunsten des saṅgha verwenden

291 292 293 294 295 296

Bi qiu ni zhuan T 2023: 935c; Cissell 1972: 154–156. Bi qiu ni zhuan T 2023: 936a; Cissell 1972: 157–159. Bi qiu ni zhuan T 2023:939a; Cissell 1972: 189f. Cissell 1972: 97–119, 120–127. Cissell 1972: 119f. Bi qiu ni zhuan T 2023: 946b; Cissell 1972: 259–264.

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konnten. Von Bao-xian berichten die Biographien buddhistischer Nonnen: „Kaiser Wen der Song (424–453) behandelte sie mit ehrerbietender Höflichkeit und beschenkte sie mit Kleidern und Nahrung. Und Kaiser Xiao-wu (454–464) brachte ihr äußersten Respekt entgegen und gab ihr jeden Monat 10 000 Kupfermünzen.“297 Nach der Ordination konnten ihr verantwortungsvolle Funktionen im Konvent übertragen werden, etwa als „Meditationsvorbild“ (chan fan), betraut mit der Durchführung gemeinschaftlicher Meditationsveranstaltungen (chan hui). Oder als „Aufgabenzuteilerin“ (wei na), der rechten Hand der Äbtissin, oder „Kontrolleurin“ (gang ji), welchen die Aufsicht über die Novizinnen und Nonnen und die Organisation des täglichen Lebens oblagen. Schließlich konnte sie als Äbtissin den Konvent als ganzen kontrollieren. Allerdings scheint dieses Amt tatsächlich nur wenigen Nonnen offen gestanden zu sein: nämlich herausragenden Frauen, für die die Stifter die notwendigen Mittel zu einer Konventsgründung bereitgestellt hatten, oder die auf Anordnung eines Mitglieds der kaiserlichen Familie dazu bestimmt wurden. Der Konvent eröffnete darüber hinaus ungeahnte neuartige Betätigungsfelder: etwa Engagement im Klosterbauwesen oder Unterricht nicht nur für Novizinnen, sondern auch für Laien, was ihnen Zugang zu den höchsten sozialen Schichten ermöglichte. Mit zu den hervorstechenden Aktivitäten der buddhistischen Nonnen in den Biographien buddhistischer Nonnen gehören Klostergründungen, die Organisation von Erweiterungsbauten und die Errichtung von Pagoden. Nicht weniger als zehn Nonnen werden als Klosterbauherrinnen dargestellt. Eindrücklich ist das Beispiel der Tan-luo, Schülerin der Tao Tan-bei. Von ihr wird gesagt, dass sie eine vierstufige Pagode, eine Vortragshalle, Wohnzellen für Nonnen, aber auch eine Halle für die sieben früheren Buddhas errichten und eine Buddhastatue herstellen ließ.298 Tan-hui (422–504) erbaute eine Pagode sowie einen Konvent, „dessen Hallen, Räume, Nebenräume und Veranden in kürzester Zeit vollendet waren“. Zudem ließ sie drei weitere Konvente „wunderbar rasch“ errichten, was ihr allgemeine Bewunderung eintrug.299 Was impliziert das? Einerseits mussten diese Tätigkeiten finanziert werden, d. h. die Nonnen mussten sich um die Mittelbeschaffung kümmern. Entweder mussten Beziehungen zu Donatoren und Donatorinnen hergestellt und unterhalten werden. In der Tat werden Kaiser, Kaiserinnen, Prinzen, Präfekten etc. als Spender genannt.300 Andererseits galt es, Verhandlungen mit Landeigentümern über den Verkauf geeigneter Grundstücke zu führen und mit Baumeistern und Handwerkern über Größe, Aussehen und Ausstattung der Gebäude, Auswahl der Materialien usw. zu verhandeln. Zu den vergebenen Aufträgen gehörte auch die Herstellung von Buddhastatuen aus Stein, Bronze oder gar aus Gold: „[Die

297 298 299 300

Bi qiu ni zhuan T 2023: 941a; Cissell 1972: 209. Bi qiu ni zhuan T 2023: 935c; Cissell 1972: 155. Bi qiu ni zhuan T 2023: 945c; Cissell 1972: 262. Bumbacher 2000a: 500.

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Nonne Seng-shu] bat um Spenden, um fünf goldene Bilder herstellen zu lassen, welche alle groß und schön wurden.“301 Dies waren alles Tätigkeiten, welche in der konfuzianisch geprägten Gesellschaft Chinas bisher ausschließlich den Männern vorbehalten waren. Ein weiteres Motiv, das in den Biographien buddhistischer Nonnen prominent in Erscheinung tritt, ist der Zugang der Nonnen zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft und deren Protektion. Nonnen waren offenbar in den Frauengemächern des Kaiserpalastes und der Residenzen der Prinzen wohlgesehene Gäste, sowohl als buddhistische Lehrerinnen als auch als Freundinnen.302 Z. B. wird von der Frau des Prinzen von Yu-zhang und anderen Damen der Familie gesagt, dass sie die Nonne Hui-xu (431–499) hoch verehrten und sich von ihr in die Meditation einweisen ließen.303 Auch konnten sie problemlos Kontakte zur Außenwelt herstellen – die Haremsdamen waren dadurch nicht mehr ausschließlich auf die guten Dienste der Eunuchen angewiesen. Auf der anderen Seite scheinen Kaiserinnen wie kaiserliche Konkubinen in den berühmtesten Konventen über eigene Räumlichkeiten für ihr „Studium des Buddhismus“ verfügt zu haben, so etwa im berühmten von Xuan-wu di (reg. 499–515) in Luo-yang gegründeten Yao-guang-Konvent. Aber auch die Männer des Palastes bis hin zum Kaiser selbst mochten auf die religiösen Kenntnisse der Buddhistinnen nicht verzichten. So erließ z. B. Kaiser Wu von Qi (reg. 483–493) einen Erlass, der die Nonne Miao-zhi aufforderte, das Srīmālādevī und das Vimalakīrti-sūtra im Palast zu erläutern. Er nahm, wie es heißt, mehrmals selber an ihren Ausführungen teil und stellte Fragen dazu.304 Ähnliches wird auch vom Kronprinzen Wen-hui von Qi (458–493)305 und von Wen-xuan, dem Prinzen von Jing-ling (460–494)306 berichtet. Dass prominente Mitglieder der Elite ein Interesse an Kontakten mit den Nonnen hatten, zeigte sich auch im Umstand, dass sie Konvente stifteten. Zu den Stiftern gehörten Kaiser,307 Kaiserinnen,308 Prinzen,309 aber auch Mütter von Prinzen konnten ihre eigene Residenz in einen Konvent umwidmen,310 oder Präfekten einen Teil ihres Landes für den Bau eines vihāra zur Verfügung stellen.311 Daneben war es offenbar auch möglich, dass mehrere Familien sich zusammenschlossen, um auf ihren Ländereien einen Konvent zu errichten.312 So verwundert es nicht, dass sich von den 52 in den Biographien buddhisti-

301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 311 312

Bi Bi Bi Bi Bi Bi Bi Bi Bi Bi Bi Bi

qiu qiu qiu qiu qiu qiu qiu qiu qiu qiu qiu qiu

ni ni ni ni ni ni ni ni ni ni ni ni

zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan zhuan

T T T T T T T T T T T T

2023: 2023: 2023: 2023: 2023: 2023: 2023: 2023: 2023: 2023: 2023: 2023:

947b; Cissell 1972: 278. 941b; Cissell 1972: 212. 943c; Cissell 1972: 249. 942c: Cissell 1972: 225. 943a; Cissell 1972: 228. 943b; Cissell 1972: 235. 944a; Cissell 1972: 242. 936a; Cissell 1972: 158. 944a; Cissell 1972: 241. 947b; Cissell 1972: 276. 937b; Cissell 1972: 171. 942b; Cissell 1972: 220.

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scher Nonnen genannten Nonnen-Konventen mindestens 21 innerhalb der Hauptstädte der südlichen Dynastien (Jian-kang während der Östlichen Jin, Jianye während der Song, Qi und Liang) und 20 in deren naher Umgebung befanden. Die Biographien buddhistischer Nonnen suggerierten somit, dass Frauen, die sich dem Orden anschlossen, adäquat ausgebildet wurden und eine entsprechende Reputation erlangen konnten, sogar am höfischen Leben teilnehmen konnten – anders, als es ihnen in einem „säkularen“ Leben je auch nur denkbar gewesen wäre. Auf die Biographien buddhistischer Nonnen folgten keine weiteren buddhistischen Sammlungen von Nonnenviten. Der Text muss offensichtlich so wichtig gewesen sein, dass er sogar die Daoisten beeinflusste und dazu führte, dass Ma Shu (gest. 581) in sein Werk Biographien solcher, die das Dao erlernten (Dao xue zhuan) ein Kapitel mit Daoistinnen mit aufnahm. Auffällig ist, dass eine ganze Reihe von Motiven, die sich bereits in den Biographien buddhistischer Nonnen finden, hier nun in daoistischem Gewand wieder erscheinen. In beiden Texten findet sich der Topos, dass Frauen schon in sehr jungen Jahren sich zur entsprechenden Religion hingezogen fühlen, in beiden verlassen die jungen Frauen bereits früh die Familie, um sich der religiösen Gemeinschaft ihrer Wahl anzuschließen. Das Motiv der Heiratsverweigerung spielt auch in den Biographien solcher, die das Dao erlernten eine Rolle. Z. B. wurde Song Yu-xian von ihren Eltern in bekannter Manier einem Mann aus der Familie Xu in die Ehe gegeben. Als die Familie des Bräutigams die traditionellen Hochzeitsriten durchführen wollte, schockte Yu-xian sowohl Wirte als auch Gäste damit, dass sie die Kleidung einer daoistischen Nonne anzog, das Weihrauchgefäß hervornahm und so — als offenbar zölibatäre Gläubige — offensichtlich die Heirat verweigerte. Die Familie Xu, unzufrieden mit dieser Wendung, versuchte mit Gewalt, die junge Frau zur Vernunft zu bringen, augenscheinlich ohne Erfolg. Schließlich wurde sie ins Elternhaus zurückgeschickt. Später verließ sie dann ihre Familie, um sich ganz dem Daoismus zu widmen.313 Der religiöse Daoismus hat seit seinen Anfängen als „Daoismus der Himmelsmeister“ (tian shi dao) im Si-chuan des späten 2. Jahrhunderts n. Chr. die Frauen den Männern praktisch gleichgestellt. Diese Tradition kannte noch keine zölibatäre Lebensweise. Weder der legendäre Begründer Zhang Dao-ling noch seine Nachfolger hatten zölibatär gelebt. Die Funktion des Himmelsmeisters war erblich und ist es heute noch. Die Frauen spielten in dieser Tradition eine ebenso wichtige Rolle wie die Männer. Sie konnten dieselben hierarchischen Stufen einnehmen. Beispielsweise stand dem Meister (shi) einer religiös-administrativen Einheit (zhi) seine Frau als „weibliche Meisterin” (nü shi) zur Seite, die die Frauen der Gemeinde anführte und unterrichtete.314 Die Frauen konnten dieselben Rituale durchführen wie die Männer, so z. B. die Eingabe von „Petitionen” an die Götter oder die Verlei-

313 Dao xue zhuan Fragment 186, Bumbacher 2000a: 295f. 314 Despeux 1986: 56.

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hung von „Talismanen“ (fu).315 Insbesondere im sexuellen Ritual „Vereinigung der ‚Energien‘“ (he qi) waren Frauen unverzichtbarer Part. Dieser Ritus bestand darin, dass unter Aufsicht eines Meisters zwei Adepten, ein Mann und eine Frau, gemeinsam einen Tanz aufführen und zunächst in dessen Gefolge beide im Körperinnern einen Odem „visualisieren” mussten, der vom Zinnoberfeld (Gegend des Nabels) emporstieg und zwischen den Augenbrauen den Körper verließ, um diesen vollständig zu umhüllen und ihn in Licht zu tauchen, sodass man die Eingeweide, die Neun Paläste und die Wohnungen der Körpergottheiten sehen konnte. Dann wurde nach Form einer streng vorgeschriebenen Choreographie, in der u. a. Sternkonstellationen „nachgeschritten“ wurden, schließlich eine physische Vereinigung vollzogen, um die Energien yin und yang zu vereinigen. Gemäß der Vorstellung einer Korrespondenz zwischen den irdischen und den himmlischen Phänomenen sollten durch diese Harmonisierung der Energien im irdischen Ritual die aus den Fugen geratenen Energien des Kosmos wieder ins Lot gebracht werden. Frauen waren in diesem Ritus somit unverzichtbare Partnerinnen; die Männer waren ebenso sehr auf ihre Hilfe für die Erlangung des eigenen Heils angewiesen wie umgekehrt die Frauen auf die Männer. Solche Rituale wurden später zur Zielscheibe der buddhistischen Polemik.316 Hinsichtlich der Rollen der Frauen kam es in der etwas jüngeren daoistischen Tradition, der Mao-shan- oder Shang-qing-Tradition – deren Protagonisten in den Biographien solcher, die das Dao erlernten überwiegend vertreten sind – zu gewichtigen Veränderungen. Zu beachten ist dabei, dass die Mao-shan-Tradition, aus einer Verschmelzung lokaler Traditionen, aus schamanistischen Elementen und dem Himmelsmeister-Daoismus hervorgegangen, auch buddhistische Einflüsse317 aufweist. Die Beziehung zwischen den Himmelsmeistern und der um sie gruppierten Gemeinschaft der Gläubigen, dem „Saatvolk“ (zhong min) oder Volk der Auserwählten, verschob sich zugunsten einer direkten Beziehung Meister-Schüler einerseits, respektive Meister-Vollkommene (zhen ren) oder Unsterbliche andererseits. Nicht mehr das in der Gemeinschaft der Gläubigen vollzogene Ritual war nun das Wesentliche, sondern die direkte Verbindung zwischen Adept und Unsterblichen. Die Vereinigung mit letzteren in mystischer Ekstase bildete eine vollkommenere Einheit als die „Vereinigung der Energien“. Voraussetzung für diese geistige Heirat mit einer oder einem Vollkommenen war die Einhaltung strikter Keuschheit. So ist von einer Reihe von Daoisten, u. a. von Tao Hong-jing selber überliefert, dass sie im Interesse einer unio mystica zölibatär lebten. Für beide religiösen Traditionen, Buddhismus wie Mao-shan-Daoismus, war – aus je unterschiedlichen Gründen – eine zölibatäre Lebensweise zentral. Das Motiv

315 Zu Bedeutung und Funktionen von fu und Petitionen siehe Bumbacher 2012a. 316 Kohn 1995: 147–150. 317 Bumbacher 2006.

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der Heiratsverweigerung in den Biographien buddhistischer Nonnen ließ sich daher ohne Weiteres in die daoistischen Biographien solcher, die das Dao erlernten (Dao xue zhuan) übernehmen. Ein weiteres gemeinsames Motiv ist das der Klostergründungen. Dies ist die am häufigsten erwähnte Aktivität der Daoistinnen. Von Zhang Yuan-fei werden sogar zwei Konventsgründungen berichtet. Sogar der Topos der erstaunlichen Schnelligkeit, mit der die Gebäude errichtet wurden, wird von den Biographien buddhistischer Nonnen übernommen. So heißt es in den Biographien solcher, die das Dao erlernten, als Wang Dao-lian den Konventswohntrakt errichtete: „Da die mehrgeschossigen Pavillons und verbundenen Zimmer in kurzer Zeit errichtet wurden, [ ...], war es, wie wenn sie übernatürliche Unterstützung genossen hätte.“318 Auch den Daoistinnen werden Kontakte zu den höchsten Kreisen nachgesagt. Die Konkubine Xu des nachmaligen Liang-Kaisers Yuan (reg. 552–554) lässt Li Lingcheng in ihrem Konvent aufsuchen und bittet sie um Hilfe für den erkrankten Kronprinzen Xiao Fang-deng (528–549).319 Xiao Lun (gest. 551), der Prinz von Shao-ling, sechster Sohn des Liang-Kaisers Wu, lässt den Konvent der Qian Miaozhen mit Umfassungsmauern versehen.320 Dass die Daoistinnenbiographien der Biographien solcher, die das Dao erlernten Motive der Biographien buddhistischer Nonnen übernahmen, kann als ein weiterer Hinweis darauf gesehen werden, dass beide Religionen in Konkurrenz zueinander standen. Geht man davon aus, dass Biographien u. a. auch eine propagandistische Funktion gehabt haben, liegt der Schluss nahe, dass beide mit vergleichbaren Alternativvorstellungen zu den traditionellen konfuzianischen Normen für sich warben. Die propagierten alternativen Handlungsmöglichkeiten für Frauen scheinen allerdings kein bloß literarisches Phänomen der Textgattung Lebensbeschreibungen gewesen zu sein, denn in einer anderen Quellengattung finden sich Belege, die diese zumindest teilweise bestätigen. So heißt es in einer Stifterinschrift, welche in einer Nische der Gu-yang-Höhle der Long-men-Grotten (nahe Luo-yang, Nordchina) neben dem in den Fels gemeißelten Relief des Maitreya eingraviert wurde: „Im zweiten Jahr der yong ping-Ära (509 n. Chr.), am 25. Tag des 4. Monats, äußerten die bhikṣunīs Fa-wen, Fa-long und andere, im Bewusstsein der vergänglichen Welt, tiefempfunden den aufrichtigen Wunsch, ihr eigenes Vermögen zu verwenden – jede zu ihrem eigenen Wohle –, und haben [dieses] Maitreya-Bild herstellen lassen. […]“321 Somit verfügten zumindest einige buddhistische Nonnen tatsächlich über eigene Mittel, mit welchen sie Kunsthandwerker dafür bezahlen konnten, Felsenreliefs nach eigenen Motiv-Vorgaben herzustellen.

318 319 320 321

Dao xue zhuan Fragment 192, Bumbacher 2000a: 301f. Dao xue zhuan Fragment 182, Bumbacher 2000a: 292f. Dao xue zhuan Fragment 196, Bumbacher 2000a: 305. Lingley 2004: 1.

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3.3.3. Laien Bereits in der frühesten Phase spielten Laien eine gewichtige Rolle in der Aufnahme und Ausbreitung des Buddhismus in China. Sie „förderten und unterstützten“ (quan zhu zhe) Übersetzungswerke und nahmen aktiven Anteil an der Arbeit, wie das Beispiel der drei Laienmitarbeiter Meng Fu aus Luo-yang, Zhang Lian aus Nan-yang (He-nan) und Zi-bi aus Nan-hai (Guang-zhou) im Team des Lokakṣema zeigt. Auch der wichtigste Übersetzer Südchinas war Laie, Zhi Qian, Schüler des Indo-Skythen Zhi Liang, der seinerseits ein Schüler des Lokakṣema war.

3.3.3.1. Laien-Vereinigungen Der Zweck religiöser Laien-Vereinigungen bestand darin, auf freiwilliger Basis gemeinsame Aktivitäten zu finanzieren und durchzuführen. Diese lassen sich bis in die Han-Zeit zurückverfolgen. Während von der Zhou- bis zur Han-Zeit nicht nur jedes Dorf (yi oder li) seinen eigenen Erdgott she mit zugehörigem Altar besaß und die Einwohner für die Ausgaben für damit verbundene Rituale und Feste gemeinsam aufkamen, fand während der Han-Zeit eine Entwicklung hin zu „Privatisierung“ und Freiwilligkeit statt: Gruppen mit gemeinsamen Interessen konnten sich zu she-Vereinigungen zusammenschließen, etwa um gemeinsam ein Stück Land zu erwerben oder einen Kult zu unterhalten. She-Gemeinschaften konnten für Stelen aufkommen, deren Inschrift nicht nur den Kult und allenfalls dessen mythischen Ursprung beschrieb, sondern auch die Namen der Donatoren mit ihren offiziellen Titeln und die Anzahl der Mitglieder des she aufführte.322 Solche she- oder yi-Vereinigungen bildeten das direkte Modell für spätere buddhistische Kult-Gemeinschaften (yi-she oder yi-yi), welche im 5. Jahrhundert entstanden und karitative Werke zur Verdienstübertragung sowie die Herstellung von Votivstatuen, Errichtung von Stelen usw. finanzierten. Das älteste bekannte Beispiel ist eine beschriftete Steinplatte aus dem Jahre 414, die möglicherweise unter dem stūpa (fu tu) begraben wurde, welche man „gemeinsam“ (tong) zum Gedächtnis des (sonst unbekannten) 412 verstorbenen Mönchs Wu-jing des Ling-yan-Klosters am Berg Tai-yi (Sha-an-xi) errichtete. Ebenfalls früh ist die von Hui-yuan im Jahre 416 auf dem Lu-shan ins Leben gerufene Vereinigung (she) von 123 Mönchen und Laien, die sich der Anrufung des BuddhaNamens (nian fo) widmeten.323 Explizit genannt wird eine aus 54 Mitgliedern bestehende yi-yi-Gesellschaft aus dem Jahre 483 als Sponsorin von 95 Wandbildern in Höhle 11 von Yun-gang: „[Diese Bilder wurden] am 30. Tag des 8. Monats im 7. Jahr, [Jahr] Gui hai, der Tai

322 Wong 1995: 228–233. 323 Fo zu tong ji T 2035: 343a.

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he-Ära (483) durch 54 gläubige (xin) Männer und Frauen einer yi yi-[Gesellschaft] geweiht.“324 Die große Zahl erhaltener Widmungsinschriften aus der Zeit der Nördlichen Wei (386–534) verdeutlicht die Bedeutung der buddhistischen yi yiVereinigungen.

3.3.3.2. Abstinenzraum325 In der ältesten chinesischen Übersetzung des Lotos-Sūtra, in Dharmarakṣas Schrift der Blume des wahren Gesetzes (Zheng fa hua jing, T 263) aus dem Jahre 286, findet sich der Satz „[das ist] wie sich im Raum der Ruhe (jing she), im Abstinenzraum (zhai tang) oder im Heim (shi zhai) aufhalten“,326 wobei nicht klar ist, welcher Sanskrit-Satz hier wiedergegeben ist. Der erste Begriff, nämlich „Raum der Ruhe“, stand für eine Institution, die sich bereits in Biographien von Han-Gelehrten findet und dort eine abgeschiedene Wohnung bedeutet, in der sich Lehrer und Schüler zum privaten Unterricht treffen konnten. Im Himmelsmeister-Daoismus327 der späten Han-Dynastie bezeichnete er zunächst eine vom Gemeindezentrum abgetrennte, fensterlose Hütte, in welcher Kranke über ihre Verfehlungen nachdenken konnten und der Priester meditative Rituale zu ihrer Heilung vollzog.328 Später waren die Anhänger insgesamt gehalten, innerhalb ihres Anwesens eine entsprechende Hütte einzurichten, in der sie meditieren, beten und opfern konnten. Der Ausdruck „Abstinenzraum“ (zhai tang) findet sich zwar in einer ganzen Reihe früher Sūtra-Übersetzungen, was zeigt, dass er im 3. Jahrhundert bereits bekannt und verbreitet war, doch wird er in der normativen Literatur nirgends weiter beschrieben. Hingegen gibt sein Vorkommen in einigen der Wundergeschichten der Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich] (Ming xiang ji, Zitate erhalten) des Wang Yan Hinweise darauf, dass es sich um einen speziell dafür reservierten Raum im Hause gehandelt hat, in welchem die Laien dreimal jährlich und sechsmal pro Monat ihre „Abstinenz-Zeremonie“ (zhai) durchführten – entweder alleine oder mit Gästen, zu denen bisweilen Mönche und Nonnen zählen konnten. Dass der buddhistische Abstinenzraum das Gegenstück zum daoistischen Raum der Ruhe darstellte und möglicherweise von jenem inspiriert gewesen sein dürfte, deutet folgende Textstelle aus den Aufzeichnungen von Zeichen aus dem dunklen [Bereich] an: Liu Ling der [Liu-] Song[-Dynastie], dessen Herkommen unbekannt ist, wohnte im Dorf Lu-cheng östlich von Jin-ling. Er respektierte das [buddhistische] Gesetz sehr und errich-

324 325 326 327 328

Chinesischer Text und englische Übersetzung in Wong 1995: 295. Grundlegend: Campany 2015. Zheng fa hua jing T 263: 124b. Bumbacher 2000a: 478–481. Bumbacher 2012a: 83–96.

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Buddhismus in China tete in seinem Heim einen Raum der Ruhe (jing she), in welchem er bisweilen AbstinenzZusammenkünfte organisierte.329

Somit verfügten sowohl daoistische als auch buddhistische Laien über eine Art „Privatkapelle“ im (oder beim) eigenen Haus, die vergleichbaren religiösen Aktivitäten diente. Die Ausstattung hingegen war verschieden: Während im daoistischen Raum der Ruhe nur ein Tisch, ein Weihrauchgefäß und Schreibutensilien zulässig waren, konnten im buddhistischen Abstinenzraum Buddhabilder und Sūtras sowie Blumen aufgestellt sein.

3.3.3.3. Texte für Laien Bereits das Sanskrit-Sūtra Vimalakīrtinirdeśa, welches erstmals im Jahre 188 (heute verloren) und dann zwischen 223 und 228 vom Laien Zhi Qian ins Chinesische übersetzt wurde (Schrift von der Lehre des Wei-mo, Wei mo jie jing T 474), trug der enormen Bedeutung der Laien für den saṅgha Rechnung. Sein Hauptprotagonist war weder der Buddha noch einer der Bodhisattvas oder ein eminenter Mönch, sondern der reiche Kaufmann Wei-mo (Vimalakīrti), der außerhalb des Ordens seine Weisheit erlangt hatte und sowohl die direkten Schüler des Buddha als auch eine Reihe von Bodhisattvas des Irrtums zu bezichtigen und zurechtzuweisen vermochte. Eigens für Laien verfasst wurde das apokryphe Sūtra Buch des Ti-wei (skt. Trapuṣa) und des Bo-li (skt. Bhallika) (Ti wei Bo li jing; sich gegenseitig ergänzende Manuskripte erhalten), entstanden in Peng-cheng (Nord-China) zwischen 460 und 464.330 Hier predigt der Buddha zu einer Versammlung von 500 Kaufleuten über die moralischen Grundsätze und wird dazu von Ti-wei befragt. Die fünf Sittenregeln für Laien (nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen, nicht lügen, keine berauschenden Getränke einnehmen) werden in typisch chinesischer Weise in Verbindung gebracht mit den fünf Planeten, den fünf Himmelsrichtungen, den fünf heiligen Bergen, den fünf mythischen Herrschern, den fünf Wandlungsphasen und den fünf Körperorganen. Alle diese werden gemäß den Sittenregeln dadurch beherrscht, dass sie die allen innewohnende „Energie“ (qi) zirkulieren lässt. Wer die Gebote einhält, wird mit Gesundheit, hohem Sozialstatus, Karriere, glücklichem Familienleben, Wiedergeburt im Himmel und sogar Buddhaschaft belohnt. Zudem leitet der Buddha zur siebentägigen Abgeschiedenheit an, welche vom Gott des Herdes (zao shen) überwacht und deren Ausführung von ihm an Sakra Indra, den König der Götter, berichtet wird. Wer die Gebote eingehalten hat, den lässt Indra durch Götter und Geister beschützen und der (daoistische) Gott des Schicksals (si ming) verlängert die Anzahl der Lebensjahre.331

329 Campany 2012: 207. 330 Studie und englische Übersetzung: Tokuno 1994. 331 Manuskript Pelliot 3732; vgl. Tokuno 1994: 101–104.

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Eine Art Zusammenfassung der aus seiner Sicht wichtigsten Aspekte des Buddhismus hat der Laie Xi Chao verfasst, welcher der so genannten Gentry-Schicht Südchinas angehörte. Das Kompendium trägt den Titel Das Wesentliche zur Befolgung des Gesetzes (Feng fa yao)332 und wurde in die Sammlung Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes] (Hong ming ji) aufgenommen.

3.4. Meditation Zentrale Praxis des Buddhismus war in Indien seit seinen Anfängen die Meditation. Davon zeugen nicht nur unzählige Statuen, die den Buddha in meditativer Versenkung darstellen, davon zeugen auch Texte im Pāli-Kanon. Nicht zuletzt das Erleuchtungserlebnis des Buddha wird als der Höhepunkt einer komplexen, mehrstufigen Meditation dargestellt. Von den verschiedenen Meditationsformen sind zwei hervorzuheben: die Atemmeditation und die Visualisierung. Von der Atemmeditation heißt es, dass die Achtsamkeit auf das Ein- und Ausatmen für den Adepten von großem Nutzen sein wird, welches über verschiedene Stadien klares Wissen und Befreiung zu ihrem Höhepunkt vorantreiben wird.333 Daneben gehörten zu den frühesten Meditationsmethoden auch verschiedene Formen der Visualisierung, darunter solche über das Abstoßende und Unreine (aśubhabhāvanā) des menschlichen Körpers, insbesondere des verstorbenen Körpers und der verwesenden Leiche,334 sowohl angesichts realer Leichen auf den Verbrennungsplätzen als auch unabhängig von konkreten Objekten. Eine andere Visualisierungsmethode bestand darin, sich den Buddha real vorzustellen (buddhānusmṛti), anfänglich wohl mithilfe eines Bildes oder einer Statue, schlussendlich als ausschließlich geistiger Vorgang. Diese Meditationsformen fanden sich im „Gepäck“ der ersten Buddhisten, die von Indien und Zentralasien nach China gelangten. Der Einführung buddhistischer Meditationsformen ging allerdings die Existenz vorbuddhistischer, daoistischer voraus. Hinweise auf entsprechende Praktiken finden sich bereits im späten 4. Jahrhundert v. Chr.

3.4.1. Vorbuddhistische chinesische Meditation Erhalten hat sich ein zwölfseitiger Jadezylinder, dessen Funktion und Datierung nicht geklärt sind. Es könnte sich um die Verzierung einer Schwertscheide, um einen Schwerthandgriff oder um den Knauf eines Daoistenstabes gehandelt haben.

332 Englische Übersetzung in Zürcher 1959: 164–176. 333 Majjhima Nikāya 118. 334 Dessein 2014.

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Die Datierungsvorschläge bewegen sich zwischen ca. 380 v. Chr. und „letztem Teil“ des 4. Jahrhunderts v. Chr. Die zwölf Seiten sind beschriftet. Die Inschrift lässt sich etwa wie folgt übersetzen: Die Zirkulation des Atems (qi) [geht wie folgt:] Schlucke ihn, dann sammelt er sich. Ist er gesammelt, weitet er sich aus. Hat er sich ausgeweitet, steigt er hinab. Ist er hinabgestiegen, wird er stabil. Ist er stabil, wird er fest. Ist er fest, schlägt er Wurzeln. Hat er Wurzeln geschlagen, wächst er. Ist er gewachsen, kehrt er zurück. Ist er zurückgekehrt, wird er himmlisch. Der himmlische Dynamismus manifestiert sich in [seinem] Aufsteigen, der irdische Dynamismus manifestiert sich in [seinem] Absteigen. Befolge dies und du wirst leben. Widersetze dich [dieser Anweisung] und du wirst sterben.335

Was immer diese Sätze technisch in allen Einzelheiten bedeuten mögen, das einleitende Thema xing qi „Zirkulation des Atems“ macht deutlich, dass es sich beim Text um die Beschreibung einer Atemtechnik handeln muss. Das Bedeutungsspektrum von qi ist allerdings größer, als es die Übersetzung „Atem“ anzudeuten scheint: es impliziert ebenfalls die „Energie“, welche mit dem Atem aufgenommen wird und Leben erst ermöglicht. Im späten 4. bzw. im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. (oder etwas später) finden sich Hinweise auf Atemmeditation in philosophischen Werken wie dem Guan zi (Meister Guan), Lao zi (Alter Meister) oder Dao de jing (Schrift des Weges und seiner inneren Kraft) und dem Zhuang zi (Meister Zhuang). Letzterer enthält die Anweisung des Konfuzius, der sich unter dem Einfluss des Lao-zi vom Konfuzianer in einen Daoisten gewandelt hat,336 an seinen Schüler Hui-yuan, er solle sich des „Fastens des Geistes“ befleißigen, wenn er weitere Fortschritte machen wolle. Darunter versteht er: Wenn Du Deine Aufmerksamkeit fokussieren willst (yi zhi), dann höre nicht mit den Ohren, höre mit dem Geist! Höre nicht mit dem Geist, höre mit dem Atem! Hören endet mit [der Hörfähigkeit der] Ohren, der Geist endet bei den Dingen [, mit denen er befasst ist]. Es ist der Atem (qi), welcher in seiner Leerheit offen ist für alles (wörtl.: die Dinge erwartet). Nur der „Weg“ (dao) sammelt sich in der Leere. Die Leere – das ist das „Fasten des Geistes“.337

Die Fokussierung der Aufmerksamkeit führt über die Konzentration auf den Atem schließlich zur Erfahrung der Leerheit, die offen ist für alles. An anderer Stelle wird der Text konkreter: Nach vorbereitenden Übungen, die dazu dienen, die möglichen Störfaktoren zu minimieren, nimmt man eine aufrechte Position ein (zheng). Diese führt zu einer Beruhigung (jing) des Geistes, diese Beruhigung führt zur Klarheit (ming) und diese Klarheit zur Leerheit (xu) von jeglichen Bewusstseinsinhalten. Schließlich führt diese Leerheit zur Erfahrung einer vollständigen Einheit

335 Chinesischer Text und englische Übersetzung in Roth 1999: 162f. 336 Siehe Bumbacher 2009. 337 Zhuang zi yin de 9/4/28.

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mit dem „Weg“ (dao) oder der All-Einheit.338 Die zur Beschreibung dieses Ziels verwendeten Begriffe sind „die Einheit erlangen“ (de yi), „den Weg der Leerheit erlangen“ (de xu dao), „mit dem Dunkeln/Mysteriösen sich vereinen“ (xuan tong).339 Die Schwierigkeit, den einmal erlangten Zustand der All-Einheit auch bewahren zu können, kommt in Formulierungen zum Ausdruck wie „die Einheit bewahren“ (shou yi), „die Einheit umfassen“ (bao yi) oder „an der Einheit festhalten“ (zhi yi). Daneben, und zumindest zeitgleich, existierten noch andere Traditionen, zu deren Praktiken atembezogene Meditationsformen zählten. Charakteristisch für sie ist, dass die Atempraktiken nicht eine All-Einheitserfahrung zum Ziele hatten, sondern im Verbund mit weiteren Techniken, z. B. Sexualpraktiken, zur Lebensverlängerung und schließlich zur physischen Unsterblichkeit führen sollten. Aber gerade diese wurden von den Autoren des Zhuang zi explizit kritisiert: Keuchen und schnaufen, auspusten und einschlürfen, den alten [Atem] ausspucken und den neuen reinziehen, sich recken wie ein Bär und strecken wie ein Vogel [als YogaÜbungen], Langlebigkeit [anstreben] und damit hat sich’s – dies ist, was diejenigen lieben, welche Gelehrte des Atemlenkens (dao yin) sind, welche Menschen der Pflege des Körpers (yang xing) sind, welche langlebig werden wollen wie Peng Zu.340

Bis zum Eintreffen des Buddhismus in China existierten bereits mindestens drei indigene Meditationsformen: die zur All-Einheitserfahrung führende Atemmeditation, die der Lebensverlängerung resp. Unsterblichkeit dienende Atemmeditation und die Visualisation, auf die zurückzukommen sein wird.

3.4.2. Chinas früheste buddhistische Meditationsformen Der erste namentlich bekannte Übersetzer buddhistischer Schriften ins Chinesische, An Shi-gao, möglicherweise ein Mönch341 aus Parthien (chines. An-xi), traf 148 n. Chr. in der chinesischen Hauptstadt Luo-yang ein, wo er während gut dreier Jahrzehnte aktiv war. Rund 15 im chinesischen Kanon erhaltene Texte können mit einiger Sicherheit ihm zugeschrieben werden.342 Hinzu kommen noch vier Manuskripte (drei Übersetzungen und ein exegetisches Werk), die im Jahre 1999 im Kongō-ji, einem Tempel in der Präfektur Osaka, in Japan entdeckt wurden.343 Einen breiten Raum unter diesen Übersetzungen nehmen Meditationstexte ein, worunter sich sowohl solche befinden, die von Atemmeditation handeln, als auch

338 339 340 341 342 343

Zhuang zi yin de 64/23/66-70; vgl. auch Roth 2000: 305f. Roth 2000: 32. Zhuang zi yin de 40/15/5-6; vgl. Watson 1968: 167–168. Nattier 2008: 40. Nattier 2008: 44–72. Zacchetti 2004; Zacchetti 2008.

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solche, die Visualisierungsmethoden betreffen. In der neuentdeckten Schrift der An ban-Konzentration der Aufmerksamkeit (An ban shou yi jing) des Kongō-ji wird zunächst der Titel, welcher eine Kombination darstellt aus phonetischer Wiedergabe (an ban [wörtl.: „Friede“ und „Art“] = ānāpāna [wörtl.: „einatmen und ausatmen“]) und Übersetzung (shou yi = skt. smṛti), erklärt („Zeilen“ 61f.). Dann folgen sechs atembezogene Meditationsstufen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Zählen der Atemzüge (shu = gaṇanā) (Z. 64–75), Verfolgen des Atemvorganges (sui = anugama) (Z. 75–77), Konzentrierung (zhi = sthāpanā) (Z. 77–80), Beobachtung (guan = upalakṣanā) (Z. 81–108), Umkehrung (huan = vivarta) (Z. 109–120), Reinigung (jing = pariśuddhi) (Z. 121–126).

Während An Shi-gao traditionellerweise als Übersetzer der im chinesischen Kanon enthaltenen Großen Schrift der An ban-Konzentration der Aufmerksamkeit (Da an ban shou yi jing, T 602) angesehen wurde, geht man mittlerweile von einem komplizierteren Sachverhalt aus. Danach setzt sich der Text aus drei Komponenten zusammen.344 Einerseits enthält er tatsächlich Teile der Übersetzung An Shi-gaos. Andererseits ist ein Kommentar eingearbeitet, der auf seine eigene Exegese des Textes zurückgehen dürfte. Und schließlich ist noch ein Subkommentar integriert, der von Chen Hui und Kang Seng-hui (beide frühes 3. Jahrhundert) verfasst sein dürfte. Dieser Text begründet die Notwendigkeit der Atemmeditation: [Der Praktizierende] soll selber im Innern in sein Herz sehen und dem Atem (xi) folgen, wie er ein- und ausgeht. Man konzentriere sich auf den Zeitpunkt des Verlöschens [des Atems], wenn der Atem austritt und klein und schwach ist. Warum soll man sich auf den Zeitpunkt des Verlöschens [des Atems] konzentrieren? Um bewusst zu werden, dass es nichts gibt, was existiert. Ist die Aufmerksamkeit fokussiert, wird das Bewusstsein leer. Ist das Bewusstsein leer, ist man bewusst, dass es nichts gibt, was existiert. Warum? Wenn der Atem nicht zurückkehrt, stirbt man. Man weiß, dass der Körper das ist, was die [Atem-]energie (qi) bewirkt. Verlöscht die [Atem-]energie, tritt Leere ein. Wird man [dieser] Leere gewahr, geht man in das Dao ein.345

Die Atemmeditation diente als eine Art Vorstufe zu weiteren Meditationsformen, darunter die Konzentration auf die Unreinheiten des Körpers. Die Große Schrift der An ban-Konzentration der Aufmerksamkeit unterscheidet zwischen einer „äußeren Meditation“ (wai chan) und einer „inneren Meditation“ (nei chan): Wenn man [die Atemzüge] zählt, nennt man das „vergegenwärtigen“ (nian); bis zu zehn Atemzüge [zählen] bedeutet „festhalten“ (qi) – dies bedeutet „äußere Meditation“. Sich

344 Zacchetti 2008: 464. 345 Da an ban shou yi jing T 602: 169b26-c4; vgl. Greene 2014: 163.

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Stephan Peter Bumbacher vergegenwärtigen, dass der Körper unrein ist und zur Leere zurückkehrt (stirbt und zerfällt), dies nennt man „innere Meditation“.346

Dass die Atemmeditation der Visualisierung der körperlichen Unreinheit vorauszugehen hat, wird wie folgt begründet: Frage: Aus welchem Grund betrachtet man nicht zuerst innerlich und äußerlich den Körper, sondern zählt umgekehrt zuerst die Atemzüge, verfolgt [den Atemvorgang], konzentriert sich, beobachtet, kehrt um und reinigt sich? Antwort: Weil die Aufmerksamkeit nicht rein ist, sieht man den Körper nicht an. Ist die Aufmerksamkeit rein, betrachtet man vollständig Inneres wie Äußeres des Körpers.347

Die Visualisierung der Unreinheit des Körpers beschreibt der buddhistische Text dann so: Den Körper anderer Menschen zu visualisieren (guan) bedeutet, sein farbiges Fleisch, die hellen und dunklen Augenbrauen und die roten Lippen zu sehen. Um das Fleisch zu visualisieren, soll man sich die Aufblähung eines toten Menschen vergegenwärtigen. Um das Weiß zu visualisieren, soll man sich die Knochen eines toten Menschen vergegenwärtigen. Um die dunklen Augenbrauen zu visualisieren, soll man sich das tiefe Schwarz eines toten Menschen vergegenwärtigen. Um die roten Lippen zu visualisieren, soll man sich das tiefe Rot des Blutes vergegenwärtigen. Man überprüfe [so] alles, was der Körper [als Teile] besitzt, um zu erreichen, dass die Aufmerksamkeit sich transformiert und nicht wieder den [eigenen] Körper schätzt. […] Ein [noch immer] der Gier Verhafteter soll sich das Unbeständige und Verderbliche vergegenwärtigen. Ein [noch immer] der sinnlichen Begierde Verhafteter soll sich vergegenwärtigen, was [sein] Gegenüber an Unreinheiten aufweist.348

Unter den im Kongō-ji entdeckten Texten findet sich auch die Schrift der zwölf Tore (Shi er men jing), deren chinesische Übersetzung An Shi-gao zugeschrieben wird. Auch hier wird der Visualisierung der Unreinheit entsprechendes Gewicht gegeben: Visualisiert werden sollen die 36 Unreinheiten des Körpers und seiner Organe, der Fokus liegt auf der Vorstellung der Verwesung beispielsweise des weiblichen Körpers anstatt auf dessen Lieblichkeit, mit dem Ziel der Erkenntnis: „Alles hat nichts, was es hat, nur der Geist produziert es.“ In der vorbuddhistischen chinesischen Kultur findet sich nichts, was der buddhistischen Unreinheitsmeditation gleichkäme. Der Zerfall des menschlichen Körpers mit all seinen unangenehmen Aspekten spielt in den überlieferten Texten keine Rolle. Hingegen findet sich im Zhuang zi eine Perikope, in welcher der Protagonist über einen Totenschädel reflektiert:

346 Da an ban shou yi jing T 602: 165b1-2; vgl. Greene 2014: 155. 347 Da an ban shou yi jing T 602: 167c4-6; vgl. Greene 2014: 156. 348 Da an ban shou yi jing T 602: 171c3-7; vgl. Greene 2014: 154.

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Buddhismus in China Meister Zhuang begab sich nach Chu. Da sah er einen leeren Totenschädel. Der war zwar gebleicht, hatte aber noch immer seine [ursprüngliche] Form. Er tätschelte ihn mit der Reitpeitsche und fragte: ‚Waren Sie gierig nach Leben, aber haben die [ihm zugrundeliegenden] Prinzipien vergessen, sodass Sie zu diesem wurden? Oder waren Sie mit dem Geschäft betraut, einen Staat zu zerstören, und erlitten die [Todes-]Strafe der Axt oder Hellebarde, sodass Sie zu diesem wurden? Oder führten Sie einen üblen Lebenswandel und waren beschämt über die Widerwärtigkeiten, die Sie über Vater, Mutter, Frau und Kinder gebracht haben, sodass Sie zu diesem wurden? Oder litten Sie unter Kälte und Hunger, sodass Sie zu diesem wurden? Oder war es die Anzahl Ihrer Jahre (wörtl.: Frühlinge und Herbste) und Sie erreichten diesen [Zustand]?‘ Daraufhin beendete er seine Worte, behändigte den Schädel, nahm ihn zum Kissen und legte sich [darauf] schlafen.349

Es ist durchaus denkbar, dass eine solche daoistische „Schädelmeditation“ den Chinesen den Zugang zur buddhistischen Unreinheitsmeditation erleichterte, wie sie erstmals durch An Shi-gaos Werke in China eingeführt wurde. Offensichtlich muss sie dort auf erhebliches Interesse gestoßen sein, wurden doch noch im 3. Jahrhundert apokryphe Texte wie die Schrift über die Verunglimpfung des Geistes (Ma yi jing) oder die Schrift über die Visualisierung des [buddhistischen] Gesetzes (Fa guang jing) verfasst,350 welche u. a. die Unreinheitsmeditation zum Inhalt hatten. Rund zwanzig Jahre nach An Shi-gao gelangte der Indo-Skythe Lokakṣema (chines. Zhi Lou-jia-qian) nach China. Im Jahre 179 übertrug er mit seinem Team die Schrift der Konzentration auf die direkte Begegnung mit den Buddhas der Gegenwart (Pratyutpanna [Buddhasaṃmukhāvasthita] samādhi-sūtra; chines. Ban zhou san mei jing). In diesem frühen Mahāyāna-Text spielt die meditativ hervorgerufene direkte Begegnung mit einem Buddha eine wesentliche Rolle. Die bis in die Anfänge des Buddhismus zurückreichende Entwicklung des buddhānusmṛti, die schließlich zu diesem samādhi geführt hat, kann hier nicht ausgeführt werden. Jedenfalls sollen die praktizierenden Mönche wie Laien ausgehend von den 32 körperlichen Merkmalen des Buddha und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Bildes oder einer Statue einen der unzähligen Buddhas der Gegenwart in dessen Buddhafeld visualisieren: So wie dies, Bhadrapāla, sollten bodhisattvas – ob sie Mönche oder weißgekleidete [Laien] sind – [im] Buddha-Feld des Amitābha im Westen, von dem sie gehört haben, den Buddha jener Gegend sich vergegenwärtigen (nian). Sie sollten nicht gegen die Gebote verstoßen und mit konzentriertem Denken (yi xin) [ihn] vergegenwärtigen entweder während eines Tages und einer Nacht oder während sieben Tagen und sieben Nächten. Nach sieben Tagen werden sie den Buddha Amitābha sehen. Wenn sie ihn nicht im Wachzustand sehen, werden sie ihn im Traume sehen.351

349 Zhuang zi yin de 46/18/24-29; vgl. Watson 1968: 193. 350 Greene 2014: 166–169. 351 Ban zhou san mei jing T 418: 905a14-17; vgl. Harrison 1998: 17f., Hervorhebung von mir.

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Welche Möglichkeiten in dieser Praxis steckten, wird im folgenden, daran anschließenden Ausschnitt klar: In diesem Zustand der konzentrierten Visualisierung des Buddha kann der Praktizierende die direkte Übermittlung der Lehre erhalten: Es ist wie was ein Mensch im Traum sieht – er weiß nicht, ob es Tag ist oder Nacht, noch weiß er, ob [sich das Geschehen] innen oder außen [abspielt]. Weder hindert die [ihn umgebende] Dunkelheit [ihn] daran, dass er sieht, noch hindern Blockierungen [ihn] daran, dass er sieht. Es ist dasselbe, Bhadrapāla, wenn der Geist der bodhisattvas sich in diesem Zustand der Vergegenwärtigung befindet und die berühmten großen Berge und die Berge Sumeru aller Buddha-Länder und ihre Orte der Dunkelheit ihnen offenbar sind, [ihre] Augen nicht behindert sind und [ihr] Geist nicht blockiert ist. Diese bodhisattvas mahāsattvas sehen [dann] nicht vermittels eines himmlischen Auges durchdringend, noch hören sie vermittels eines himmlischen Ohres durchdringend, noch gelangen sie in jenes Buddhafeld vermittels übernatürlicher Macht. Sie sterben nicht in diesem Raum und werden in den Buddhafeldern jenes Raumes [wieder-]geboren und erst dann sehen sie, sondern sie sitzen in diesem Raum und sehen den Buddha Amitābha und hören die Schriften, welche er verkündet, und empfangen sie alle. Und wenn sie aus dem samādhi herauskommen, können sie [diese] vollständig anderen Menschen verkünden.352

Die beiden letzten Sätze sind von besonderem Interesse, zeigen sie doch einen Weg auf, wie immer wieder neue Sūtras entstehen konnten, die den neuen Erfordernissen entsprachen, obwohl der Kanon des frühen Buddhismus geschlossen war.

3.4.3. Visualisierung im Daoismus Auch das vor-buddhistische China kannte Visualisierungspraktiken. Der bislang früheste bekannte Hinweis datiert ins 1. Jahrhundert v. Chr. Im Traktat „VorstadtOpfer“ (jiao si zhi) der Geschichte der [früheren] Han-Dynastie (Han shu) wird eine Throneingabe des Ministers Gu Yong zitiert, welche er gegen Ende der Herrschaft des Kaisers Cheng (reg. 33–7 v. Chr.) eingereicht hatte.353 Darin kritisiert er das Interesse des Herrschers an Dämonen und Geistern und zählt eine ganze Reihe von gebräuchlichen religiösen Praktiken auf, derer sich ein „erleuchteter Herrscher“ zu enthalten habe, darunter die „Methode der Transformation der Farben und fünf Speicher“ (hua se wu cang zhi shu). Was darunter zu verstehen sei, wird nicht ausgeführt. Hingegen erklärt dies Li Qi, ein Kommentator der Späteren HanZeit, mit Bezug auf das traditionelle Konzept der fünf Wandlungsphasen wie folgt: [Man] meditiert (si) [darüber, dass es] im Körper fünf Farben gibt und wiederum in diesen die Gottheiten der fünf Speicher[organe]. Werden die fünf Farben visualisiert

352 Ban zhou san mei jing T 418: 905a18-a27; vgl. Harrison 1998: 18. 353 Han shu 1260, übersetzt von DeWoskin 1983: 38.

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Buddhismus in China (cun), dann stirbt man nicht, werden die fünf Speicher[organe] visualisiert, dann wird man nicht hungern [selbst, wenn man nichts zu essen hat].354

In der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. lässt sich die Visualisierung als eine spezifische Meditationsform in verschiedenen daoistischen Bewegungen epigraphisch nachweisen.355 Die Stele des Wang-zi Qiao (Wang zi Qiao bei) – im Jahre 164 errichtet und Cai Yong (132–192) zugeschrieben – schildert, wie der Kaiser durch Gesandte hat Opfer ausrichten lassen, um den Geist des früheren Prinzen Qiao zu ehren, der zu einem Unsterblichen geworden war. Dieser Unsterbliche galt als wirkmächtig, der Kranke, welche zu seinem Grab pilgerten, zu heilen vermochte. Weiter heißt es, dass „Verehrer des Dao“ von weit herkamen, von denen „einige sich über das Visualisieren unterhielten, um [mittels dieser Technik] das Zinnoberfeld zu durchqueren“. Das Zinnoberfeld bezeichnete eine Stelle im Körperinnern etwas unterhalb des Nabels. Leider konkretisiert die Inschrift nicht, was genau unter Visualisierung (si) in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Entweder ist gemeint, dass man den Atem visualisiert, wie er im Körperinnern das Zinnoberfeld durchquert, oder es bedeutet, dass die meditierenden Daoisten visualisierten, wie sie in ihrer Vorstellung selber das Zinnoberfeld passierten, um mit den sich dort befindenden Körpergottheiten zu kommunizieren. Für die letztere Möglichkeit spricht eine Stelle der Inschrift der im Jahre 1991 in He-nan entdeckten Stele des Fei Zhi (Fei Zhi bei), die ins Jahr 169 datiert ist: „Das Herz des Jian, des Sohns des [Xu] You, war gütig und von seiner Veranlagung her war er pietätsvoll. Regelmäßig visualisierte er [seine Körper-] Gottheiten (chang si xiang shen ling).“356 Gegen Ende und nach der Späteren Han-Dynastie entstanden daoistische Schriften, in denen Körpergottheiten eine eminente Rolle zukam.357 In der von einer nicht weiter bekannten daoistischen Tradition nach dem Jahre 185 n. Chr. in der Gegend von Cheng-du (Si-chuan) verfassten Schrift der Verwandlungen des Lao-zi (Lao zi bian hua jing), die lediglich als ein in Dun-huang aufgefundenes Manuskript überliefert ist, treffen wir auf folgende Stelle: „[Wenn] du mich in der Meditation verlierst, wird [dein] Geist fortgehen“ (jing si fang wo, shen wei zou).358 Gemäß diesem Text befindet sich Lao-zi „in der ‚Essenz‘ (Samen) und im Geist“ des Menschen (wu yu jing shen).359 Die hinter diesen Sätzen stehende Vorstellung ist die, dass der im Jahre 165 n. Chr. vom Kaiser zum Gott erklärte Lao-zi durch Visualisation dazu gebracht werden kann, sich in den genannten Teilen des Körpers aufzuhalten und dadurch den Körper vor Schaden zu bewahren. Lässt jedoch die Kon-

354 355 356 357 358 359

Han shu 1260; siehe Greene 2014: 170. Das Folgende ist ausführlicher behandelt in Bumbacher 2007: 220–228. Chinesischer Text in Schipper 1997: 247. Bumbacher 2001. Seidel 1969: 71. Seidel 1969: 71.

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zentration der Meditation nach und kann man das „Bild“ des Gottes nicht länger festhalten, so verlässt er den Körper, der nun schutzlos den Gefahren des Lebens ausgesetzt ist. Die vor 255 n. Chr. entstandene Schrift der Gelben Halle, äußere Version (Huang ting wai jing jing) spricht davon, dass „die Person im Gelben Hof [im Körperinnern] in zinnoberrote Gewänder gekleidet ist“ und „die beiden Torflügel der Gelben Halle (Mund?) schließt und verriegelt“ (Verse 8 und 9). Offensichtliche Funktion der Körpergottheiten ist die Kontrolle über die Organe: „Die Gottheit in der Milz gebietet über [deren] zentralen Palast“ (Vers 164). Visualisierung dieser Wesen hat positive Auswirkungen für den Meditierenden, wie die Verse 20 und 21 zeigen: „Im ‚Wohnhaus‘ (Kommentar: im Herzen) gibt es einen Herrn, der sich permanent in karmesinrote Kleider hüllt. Wenn du fähig bist, ihn [meditativ] zu sehen, kannst du [es erreichen,] nicht krank zu werden“. Vielleicht schon in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. datieren lässt sich der Jadekalender des Perlenpalastes (Zhu gong yu li), auch bekannt als Mittlere Schrift des Lao-zi (Lao zi zhong jing). Dieser Text beschreibt eine ganze Reihe von Gottheiten, die sowohl in bestimmten Sternkonstellationen ihren Wohnsitz haben als auch temporär auf Erden residieren. Durch meditative Techniken kann man sie dazu bringen, sich im eigenen Körper aufzuhalten und dort bestimmte Organe zu beaufsichtigen: „Der Mensch muss den Vater, den König [des Ostens], und die Mutter, die Königin [des Westens], erlangen (de) und sie in den beiden Augen bewahren (hu).“360 Hinweise auf die Meditation finden sich im Text explizit, z. B. in folgendem Satz: „Will ich mir die Wahrhaftigkeit bewahren, muss ich den Vater, König des Ostens, und die Mutter, Königin des Westens, visualisieren (nian).“361 Eine Besonderheit dieses Textes besteht darin, dass der Meditierende mit den visualisierten Gottheiten in Kommunikation treten kann. Im folgenden Beispiel wird zunächst ein Götterpaar eingeführt.362 Der Gott „Herr des Dao, der Eine“ ist der höchste Herrscher des Himmels (huang tian shang di) und residiert im Polarstern. Befindet er sich im menschlichen Körper, hat er eine Gattin, nämlich „das Jademädchen Dunkler Glanz des Größten Yin“ (tai yin xuan guang yu nü). Sie trägt dunkle und gelbe Gewänder, die mit fünffarbenen Perlen besetzt sind, und ist neun Zehntel Zoll groß.“ Zu diesem Paar gesellt sich noch ein Säugling, möglicherweise ihr gemeinsames Kind. Wenn sich das Jademädchen im menschlichen Körper aufhält, „säugt sie [den göttlichen Säugling], Wahrhafter Mensch, Herr Zinnober“ (zhen ren zi dan). Schritt für Schritt wächst er heran und wird [schließlich] so groß wie dein eigener Körper.“ Der Daoist kann nun meditativ mit diesem göttlichen Kind kommunizieren: „Wenn du ihn (den Säugling) visualisieren kannst, [kannst

360 Lao zi zhong jing DZ 1032, § 4. 361 Lao zi zhong jing DZ 1032, § 3. 362 Lao zi zhong jing DZ 1032, § 5.

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du] mit ihm sprechen.“ Über seine Vermittlung kann der Daoist nun den höchsten Gott, wenn er sich im Himmel aufhält, besuchen und zu ihm beten: Dann wird [der Säugling] dich rufen, [und bitten, zum Himmel] aufzusteigen und den Herrn Dao zu besuchen. […] Das Gebet [an ihn] lautet: ‚Himmlische Macht […], ich wünsche ein langes Leben zu erlangen. [Du,] der Eine des Höchsten Geheimnisses, bewahre meinen Körper. Herr der fünf [körperlichen Haupt-]Organe, ich wünsche dauerhaften Frieden.‘

China verfügte zum Zeitpunkt des Eintreffens des Buddhismus also bereits über eigenständige Formen der Meditation, wie Atemmeditation, die zu einer All-Einheitserfahrung führen konnte, Atemmeditation im Zusammenhang mit Lebensverlängerungspraktiken, Meditation auf Totenschädel und Visualisierung von Körpergottheiten. Dies könnte ein wichtiger Grund dafür gewesen sein, warum die frühesten Übersetzer buddhistischer Texte, An Shi-gao und Lokakṣema, zwar nicht ausschließlich, aber doch vorzugsweise buddhistische Meditationstexte, sowohl über Atemmeditation als auch Unreinheitsmeditation sowie Visualisierung von gegenwärtigen Buddhas in ihren Buddhafeldern ins Chinesische übersetzten. Die bereits vorgefundenen indigenen Traditionen dürften die Akzeptanz der in den Augen der Chinesen möglicherweise entfernt vergleichbaren fremden Traditionen erleichtert und das Bekannte dürfte den Weg für das Neue geebnet haben.

3.5. Das Seelenproblem In der frühen Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad der spätvedischen Überlieferung Indiens findet sich die Vorstellung, dass dasjenige, was den Tod des Individuums überdauert, das Selbst (ātman), oder, wie wir sagen würden, die „Seele“ ist. Der Tod ist gleichbedeutend mit dem Verlassen des Körpers durch den Lebensodem,363 aber nach dem Tod sucht sich das Selbst einen neuen Körper, in den es eingehen kann. Die Form des Körpers hängt dabei davon ab, wie die verstorbene Person zuvor gelebt hat, wobei – aufgrund des so genannten Karma-Gesetzes – die Gier zu einer prinzipiell unendlichen Folge von Wiedergeburten in den verschiedensten Existenzformen führt. Da jede Existenzform mit Leiden verbunden ist, besteht das Erlösungsziel darin, diesem leidvollen Zyklus endgültig zu entkommen und in dasjenige einzugehen, was alles durchdringt, ewig und unzerstörbar ist, das All-Eine, brahman.364 Auch der Buddhismus sieht die Gier als Ursache an, dass eine Existenz aufgrund des karmischen Gesetzes auf die vorhergehende folgt. Im Gegensatz und in bewusster Abgrenzung zur upaniṣadischen Auffassung lehnt er jedoch eine konstante

363 Bṛhadāraṇyaka Upaniṣad 4.4.1, vgl. Olivelle 1998: 119. 364 Bṛhadāraṇyaka Upaniṣad 4.4.6, vgl. Olivelle 1998: 121.

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Seele ab, die den Tod überdauert. Für ihn gibt es kein permanentes Selbst (pāli: attā; skt. ātman). Dies drückt das Alagaddūpama-Sutta durch die anattā-Lehre, die Lehre vom „Nicht-Selbst“, aus.365

3.5.1. Die chinesische Tradition: hun- und po-Seele In China war die Vorstellung einer Instanz, welche den Tod des Menschen überdauert, nicht einheitlich: Einerseits machte sie im Verlaufe der Jahrhunderte eine Entwicklung durch, andererseits verfügten verschiedene religiöse Traditionen über unterschiedliche Vorstellungen, was etwa die Anzahl der Seelen oder deren Aufenthaltsort und Schicksal nach dem Tode betrifft. Allen gemeinsam hingegen war der Glaube an die Unauslöschlichkeit der Seele. Bereits die ältesten schriftlichen Zeugnisse, die Inschriften der Knochenorakel des 13.–11. Jahrhunderts v. Chr., dokumentieren die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode.366 Häufig finden sich Fragen an das Orakel in der Form: „Der König hat Zahnschmerzen, hat der verstorbene Großvater XY ihn verflucht?“ Oder: „Ist die Krankheit auf einen Tadel zurückzuführen? Sind es die [verstorbenen] Vater Jia, Bruder Ding, Vater Xin, Vater Yi oder Prinz Gui, die mich tadeln?“367 Man ging also davon aus, dass die Verstorbenen als Ahnen in irgendeiner Weise noch existierten und das Leben der Nachkommen beeinflussten. Die offenkundige Überlappung der „Zuständigkeiten“ von Göttern und Ahnen, wie sie in den Orakel-Inschriften zutage treten, legt zudem die Annahme nahe, zwischen Göttern und Ahnen habe es keinen grundsätzlichen, sondern höchstens einen graduellen Unterschied gegeben. Erste explizite Hinweise auf eine Seelenvorstellung finden sich über ein halbes Jahrtausend später im historiographischen Werk Überlieferung des [Herrn] Zuo (Zuo zhuan), welches zwischen 468 v. Chr. und 300 v. Chr. kompiliert worden sein dürfte. Für das Jahr 593 v. Chr. findet sich der Eintrag: Der Marquis von Jin entsandte Zhao Tong, um dem Hofe des Zhou[-Königs] Kriegsgefangene des Di[-Stammes] zu überreichen. Aber [er tat dies] nicht mit [dem nötigen] Respekt. Da sagte der Herzog Liu Kang: ‚In weniger als zehn Jahren wird Yuan Shu (= Zhao Tong) großes Unglück widerfahren: Der Himmel hat ihm die po[-Seele] entrissen‘.368

Fehlverhalten wird demnach durch den Himmel als Strafinstanz mit dem Entzug der po-Seele geahndet, was innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes zum Tode führt. Tatsächlich ist aber die Seelenvorstellung im genannten Staat Jin zu dieser

365 366 367 368

Zumwinkel 2001: 273–275. Grundlegend ist Chang 1970. Vgl. Chang 1970: 42. Vgl. Legge 1994: 329.

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Zeit komplexer, wie der Locus classicus der vollentwickelten chinesischen Seelenvorstellung in einem Eintrag zum Jahr 534 v. Chr. zeigt:369 Daraufhin begab sich Zichan nach Jin. Zhao Jing-zi fragte ihn: ‚Kann [der verstorbene] Bo-you noch zu einem Dämon (gui) werden?‘ Zichan antwortete: ‚Er kann. Entsteht der Mensch, generiert er zuerst die so genannte po[-Seele]. Hat er die po erzeugt, bringt er die so genannte hun[-Seele] hervor. Sind die Feinstteile der [im Leben] „verwendeten Dinge“ (= Nahrung) viele, dann werden hun und po stark, haben daher feinste Klugheit und gelangen zu geistiger Intelligenz. Stirbt ein gewöhnlicher Mann oder eine gewöhnliche Frau gewaltsam, können ihre hun und po noch die Menschen bedrängen und [sich ihnen] nähern, um sie intensiv zu belästigen. Um wieviel schlimmer [im Falle des] Liang Xiao (= Bo-you), Nachkomme unseres früheren Herrschers Herzog Mu, Großsohn des Ziliang, Sohn des Zi-er – [alles] Minister unseres Staates und drei Generationen aufeinanderfolgende Herrschaft. Auch wenn [unser Staat] Cheng über keine Macht verfügt – oder wie man sagt: „Ein kleiner und unbedeutender Staat“ ist – , und doch hatte [sein Clan] während dreier Generationen die Regierungsgewalt darüber inne. [Bo-yous] „verwendete Dinge“ waren umfangreich, die von ihm aufgenommenen Feinstteile viele, sein Clan war darüberhinaus groß und das, worauf er zurückgreifen konnte, war umfangreich. Dass er, nachdem er einen gewaltsamen Tod erlitt, zu einem Dämon werden kann, ist das nicht passend?‘370

Bemerkenswerter Weise ist nicht von einer, sondern von zwei Seelen die Rede, welche nacheinander bei der Geburt des Menschen entstehen. Sie sind offensichtlich einerseits von der Qualität und Quantität der Nahrung abhängig, sind somit keine „immateriellen“ Instanzen. Aber auch die Macht, über welche eine Person verfügt, trägt zu ihren Eigenschaften bei. Man ist versucht, von einer impliziten „Energie“-Vorstellung zu sprechen: Nahrung wie Macht führen den Seelen Energie zu. Diese Energie wird beim Tode des Menschen nicht vollständig vernichtet, sondern führt dazu, dass die Seelen weiterhin aktiv sein können und abhängig von den Umständen des Todes etwa als Dämonen die lebenden Menschen bedrängen können. Leider erfährt man in diesem frühen Text noch nichts über den Unterschied zwischen hun und po. Auf einen neuen Aspekt trifft man im Zhuang zi, einem philosophischen Werk des 3. Jahrhunderts v. Chr, wo es heißt:371 „Wenn sie (die Menschen) schlafen, haben die hun[-Seelen] Kontakt miteinander“. D. h. die hun-Seele verlässt während des Schlafes den Körper, kann sich frei bewegen und dabei auf die hun-Seelen anderer Menschen treffen. Damit ist elegant erklärt, warum man von anderen Personen träumt, weil eben die eigene Seele im Schlaf diejenige des anderen Menschen trifft. Das erklärt auch, warum man von Verstorbenen träumen kann: Zu-

369 Ob die Textstelle tatsächlich auf das späte 6. Jh. v. Chr. zurückgeht oder allenfalls eine spätere Interpolation darstellt, ist in unserem Zusammenhang nicht von Belang. 370 Legge 1994: 618. 371 Zhuang zi yin de 3/2/10.

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mindest ihre hun-Seelen sind noch gegenwärtig und können mit derjenigen des Schlafenden kommunizieren. Implizit wird auch gesagt, dass es die hun-Seele ist, welche die „Wachheit“ und, davon abgeleitet, die „Intelligenz“ bewirkt, wenn sie sich im Körper aufhält. An anderer Stelle heißt es, dass im Tode „die hun und die po[-Seelen] fortgehen“.372 Nun ist es also nicht nur die eine, welche temporär den Körper verlässt, sondern es sind beide, die sich permanent von ihm entfernen und zu ihren jeweiligen (nicht explizit genannten) Ursprüngen zurückkehren: „dann ist es die Große Rückkehr!“, wie es heißt. Im etwa zeitgleichen Werk Zeremonien und Riten (Yi li), welches die Verhaltensweisen niedriger Adliger vorschreibt, findet sich eine Anleitung zur Rückrufung der hun-Seele von gerade verstorbenen Personen. Der damit Beauftragte hat die Amtsmütze des Toten und dessen Gewänder zu nehmen, beide über seine linke Schulter zu legen und den Kragen an seinem eigenen Gürtel zu befestigen. Dann hat er den vorderen östlichen Dachbalken des Hauses zu besteigen und sich zur Mitte des Daches zu begeben. Nach Norden gewandt muss er die Kleidungsstücke aufhalten und rufen: „Hoh! NN kehre zurück!“ Nachdem er dies dreimal getan hat, hat er die Kleider an der Vorderseite des Hauses hinunterzureichen. Unten nimmt man sie in Empfang, steigt die östliche Treppe hoch und legt sie im Hausinnern auf die Leiche. Der mit dem Zurückrufen Beauftragte steigt vom hinteren westlichen Dachbalken herunter und reiht sich unter die übrigen Anwesenden ein.373 Diesem Ritual lag die Vorstellung zugrunde, dass die hun-Seele, welche sich mit dem gerufenen Namen identifizierte, zurückkommen, die hochgehaltenen Kleider als die „ihren“ erkennen, sich darin niederlassen und schließlich, wenn die Kleider auf den Leichnam gelegt wurden, wieder in diesem Wohnsitz nehmen sollte, damit der Tote wieder zum Leben erwacht. Die Tatsache, dass nur die hun-, nicht aber die po-Seele zurückgerufen wird, deutet an, dass sich die po-Seele nach dem Tode nicht in gleicher Weise frei bewegen kann wie die hun-Seele. In der Han-Zeit wurde das „energetische“ Konzept systematisiert. Danach besitzt der Mensch verschiedene „Energien“ (qi), darunter die „Energie“ der hun-Seele und diejenige der po-Seele. Erstere bildet den Geist (shen), letztere den Dämon (gui). Solange der Mensch lebt, sind beide gewissermaßen „aneinandergekoppelt“ und, so muss man schließen, bilden die Lebensaktivitäten des Menschen. Stirbt er, dann „differenzieren sich diese Energien aus“, wobei die ‚Energie‘ der po-Seele als „Dämon“ (gui) zur Erde und die ‚Energie‘ der hunSeele als „Geist“ (shen) in den Himmel zurückkehrt. Ergänzt wurde dieses Konzept noch um eine funktionale Komponente. Der einflussreiche konfuzianische Philosoph Zheng Xuan (127–220) sah die hun-Seele als die Basis für den Geist und die Intelligenz des Menschen, also für alle höheren

372 Zhuang zi yin de 59/22/41. 373 Vgl. Hawkes 1985: 219.

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Eigenschaften. Der po-Seele schrieb er die Funktion zu, das differenzierte Hören und das klare Sehen des Menschen zu ermöglichen. Die hun-Seele war somit zuständig für die geistigen Eigenschaften des Menschen und die po-Seele für die materiellen, einschließlich der Sinne. Somit konnte die hun-Seele mit Geist (shen) gleichgesetzt werden. Die Formulierung des Li ji und die von Zheng Xuan angesprochene Erweiterung bildeten von der Han-Zeit (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) an die kanonische Form der chinesischen Seelenvorstellung. Zwar haben verschiedene daoistische Traditionen diese noch modifiziert – so nahmen sie ab dem 4. Jahrhundert an, der Mensch besitze drei hun- und sieben po-Seelen. Auch hatten verschiedene Richtungen divergierende Vorstellungen von den Aufenthaltsorten der hun nach dem Tode – und in verschiedenen Bevölkerungsschichten mögen zu verschiedenen Zeiten die Einzelheiten variiert haben,374 doch die allseits akzeptierte Grundannahme einer Zweiteilung in hun und po mit ihren je verschiedenen Funktionen und Verhaltensweisen blieb über die folgenden Jahrhunderte bestehen.

3.5.2. Unsterblichkeit In der ausgehenden Bürgerkriegsphase und dem beginnenden Kaiserreich (4.– 3. Jahrhundert v. Chr.) entwickelten sich verschiedene Konzepte von Unsterblichkeit. Diese lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen, nämlich Vorstellungen einer innerweltlichen und einer postmortalen, jenseitigen Unsterblichkeit. Unter innerweltlichen Unsterblichen sind Menschen zu verstehen, welche nicht sterben (bu si), sich jedoch auf der Erde aufhalten und so prinzipiell von „Normalsterblichen“ wahrgenommen werden können. So berichten die Aufzeichnungen des Großhistoriographen (Shi ji): Seit den Fürsten Wei (reg. 378–343 v. Chr.) und Xuan (reg. 342–324) und dem König Zhao (reg. 311–279) von Yan fing man damit an, Leute aufs Meer hinauszusenden, um nach den drei Geisterbergen Peng-lai, Fang-zhang und Ying-zhou zu suchen, die angeblich im Bo-hai-Meer liegen sollen. Sie sind gar nicht weit von den Menschen entfernt, das Schlimme besteht nur darin, dass in dem Augenblick, da man sie beinahe erreicht hat, das Schiff von einem Wind erfasst und weggetragen wird. Einmal aber kam es vor, [dass Schiffsleute] ganz nahe herankommen konnten. [Sie sahen, dass] auf den Inseln nur Unsterbliche (xian ren) wohnen, welche die ‚Droge des Nicht-Sterbens‘ erlangt haben. Alle Wesen dort, Vögel und Tiere, sind von klarstem Weiß, die Paläste und Tore aus reinstem Gold und Silber. […] [Als die Schiffsleute] wirklich angelangten, versanken jedoch die drei Geisterberge im Wasser, und ein ihnen entgegenwehender Wind trieb das Boot ab. Sie gelangten niemals wieder dorthin.375

374 Zu den Han-zeitlichen Vorstellungen der weniger privilegierten Bevölkerung siehe Seidel 1985. 375 Shi ji 1369–1370, übersetzt von Bauer 1974: 145, modifiziert.

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Ab der späteren Han-Zeit finden sich nicht nur Berichte über Unsterbliche, die mitten unter den Menschen lebten, sondern auch Beschreibungen, wie man durch Herstellung und Einnahme bestimmter Elixiere, durch Befolgen von Fastenvorschriften und Anwenden bestimmter Sexualpraktiken selber ein Unsterblicher werden konnte.376 Dieser Weg galt als außerordentlich schwierig und musste, von der anfänglichen Unterweisung durch einen Meister und der Zuhilfenahme entsprechender Texte abgesehen, prinzipiell ohne fremde Hilfe bewältigt werden. Seit der Früheren Han-Zeit finden sich auch Hinweise auf eine postmortale Unsterblichkeit: Zwar stirbt man zunächst und wird bestattet, doch danach erlangt man unter Mithilfe der Göttin Königliche Mutter des Westens (Xi-wang-mu) eine jenseitige Unsterblichkeit. Die damit verbundenen Vorstellungen dürften die Akzeptanz scheinbar ähnlicher, (miss-)verstandener buddhistischer Ideen in der Frühphase begünstigt haben. Schriftliche Informationen über die Königliche Mutter des Westens, in der HanZeit die wohl populärste Gottheit Chinas, sind dürftig. Sehr wichtig sind zusätzliche ikonographische Hinweise, die Aspekte aufzuzeigen gestatten, die sich nicht oder nur ansatzweise aus den Textzeugen erschließen lassen. Als Tochter des höchsten Gottes (tian di) kann man sie als eine „kosmische“ Gottheit bezeichnen, denn sie kontrolliert nicht nur einzelne Himmelsobjekte, sondern sie kann das ganze zeitliche Gefüge des Kosmos in Unordnung bringen, wenn sie ihren Kopfschmuck zerstört. Ihr Kopfschmuck, der sie ikonographisch eindeutig identifiziert, ist der (verkleinerte) Kettbaum des Webstuhls (sheng), das Symbol ihres himmlischen Wohnsitzes im chinesischen Sternbild „Webstuhl“. Spätestens im 1. Jahrhundert v. Chr. wurde die Königliche Mutter des Westens als Retterin in der Not verstanden, die in Zeiten der Gefahr um Hilfe angerufen wurde.377 Im Jahre 3 v. Chr. eilten unter einer schweren Hungersnot leidende Bewohner Ostchinas zu Tausenden in Panik nach Westen, in Richtung der Hauptstadt, wo sie die Parusie der Göttin erhofften, welche sie als Retterin vom drohenden Untergang bewahren würde. Erwartet wurde sie in Begleitung von „Personen mit vertikalen Pupillen“, Unsterblichen, welche ihre Garde bildeten und all diejenigen bestrafen sollten, welche nicht an sie glaubten und daher die drohende Katastrophe nicht überleben durften. Auch sollten sie vermutlich allen Gläubigen helfen, unbehelligt die Apokalypse zu überstehen. Dies weist auf eine weitere, äußerst wichtige Eigenschaft der Göttin hin: Sie konnte Menschen ihrer Wahl die Unsterblichkeit verleihen. Ab der Späteren Han-

376 Z. B. die Biographien aneinandergereihter Unsterblicher (Lie xian zhuan, kritische Ausgabe und französische Übersetzung in Kaltenmark 1987), Ge Hongs Biographien göttlicher Unsterblicher (Shen xian zhuan, englische Übersetzung in Campany 2002) sowie seine Inneren Kapitel des Meisters, der die Einfachheit umfasst (Bao pu zi nei pian, englische Übersetzung von Ware 1966). 377 Für das Folgende vgl. Bumbacher 2007: 206–208.

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Buddhismus in China

Zeit wird sie in Gräbern auch als auf der Erde sich aufhaltend abgebildet. Sie residiert auf dem Kun-lun-Gebirge im fernen Westen, umgeben mit den für sie typischen mythischen Tieren, aber auch vergesellschaftet mit einem oder zwei Hasen, die stehend und je einen Stößel in den Vorderläufen haltend die Ingredienzien in einem Mörser zur Pille der Unsterblichkeit zerstoßen. Explizit erwähnt wurde das Elixier bereits im Buch Meister von Huai-nan (Huai nan zi, kompiliert 139 v. Chr.): „Beispielsweise erbat sich [der mythische Bogenschütze] Yi die Pille des Nicht-Sterbens von der Königlichen Mutter des Westens, doch [seine Frau] Heng’e stahl sie und entfloh damit zum Mond.“378 Andere Grab-Darstellungen zeigen die Göttin umgeben von geflügelten Unsterblichen und knienden Bittstellern, welche sie vermutlich um eben dieses Elixier angehen. Als westliches Paradies, das als axis mundi die direkte Verbindung zwischen Himmel und Erde darstellt, wird das Kun-lun-Gebirge im Buch Meister von Huainan (Huai nan zi) geschildert: [Die Berge] ‚Hängender Garten‘, ‚Kühler Wind‘ und ‚Umzäunter Paulonienpark‘ liegen in der Kun-lun-Stadt, sie bilden ihre Parkanlagen. Die Teiche in diesen Parkanlagen werden von einem gelben Wasser gespeist, das, wenn es die drei [Parkanlagen] durchflossen hat, wieder zu seiner Quelle zurückkehrt. Man spricht von ihm als dem ‚Zinnober-Wasser‘, wer es trinkt, wird unsterblich. […] Wenn man den dritten, wiederum doppelt so hohen [Berg] (den ‚Umzäunten Paulonienpark‘) besteigt, kann man direkt von dort in den Himmel aufsteigen und zu einer Gottheit (shen) werden, denn dann ist man in dem Palast des höchsten Himmelskaisers (da di).379

Dieses paradiesische Gebirge im Westen mit seinem direkten Zugang zum Himmel war das irdische Zuhause der Königlichen Mutter des Westens. Es scheint mit dem indischen Konzept des Berges Sumeru verwandt zu sein, vielleicht sogar aus Indien zu stammen. Die Göttin kommt ja aus dem Westen.

3.5.3. Die Seele in frühen chinesischen buddhistischen Texten Der Seelen-Glaube war in China so tief verankert, dass die frühen chinesischen Buddhisten nicht umhinkamen, die Seele in ihren Schriften zu berücksichtigen. Sowohl – interessanterweise – in Sūtra-Übersetzungen als auch in apologetischen Schriften findet sich eine entsprechende Terminologie. In der möglicherweise frühesten buddhistischen Schrift, die in chinesischer Sprache verfasst wurde,380 den Zweiundvierzig Abschnitten [aus] buddhistischen Schriften (Fo jing si shi er zhang), oder, wie der heute übliche Titel lautet: Schrift in Zweiundvierzig Abschnitten (Si shi er zhang jing, T 784), definiert der erste Abschnitt

378 Huai nan zi 98. 379 Huai nan zi 56–57, vgl. Bauer 1974: 143f. 380 Sharf 1996: 360.

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des Haupttextes die verschiedenen Stufen, welche vom Asketen (sha men; skt. śramaṇa) zum „Heiligen“ (a luo han; skt. arhat) führen. Hier findet sich der Passus: „Als nächster [kommt] der a na han (skt. anāgamin). Ein a na han ist jemand, [dessen] Wirksamkeit der hun-[Seelen] am Ende eines langen Lebens zum neunzehnten Himmel emporsteigt und dort zu einem a luo han wird.“381 Bezeichnenderweise ist hier nicht vom karma eines anāgamin die Rede, welches sich am Ende seines Lebens in einen arhat „konstelliert“, sondern von der hunSeele, welche mittels ihrer Wirkmächtigkeit zum neunzehnten Himmel aufsteigt und dort zu einem arhat wird. Es ist also nicht das „abstrakte“ karma, das von einer Existenz in eine andere führt, sondern es ist die „konkrete“ hun-Seele, resp. deren „Energie“, welche aktiv aufsteigt und sich selber „reinkarniert“. Im selben Text findet sich auch die Definition des „In den Strom Eingetretenen“ (xu tuo huan; skt. śrotāpanna): „Als nächster [kommt] der xu tuo huan. Der xu tuo huan [ist einer, der] sieben Mal stirbt und sieben Mal [wieder-]geboren wird.“382 Diese Formulierung besagt, dass dieselbe „Person“ jeweils wiedergeboren wird, was eine permanente Instanz, die von einer Existenz in die nächste übergeht, voraussetzt. Dabei kann es sich, chinesisch gedacht, nur um die Seele handeln. Einer der frühesten Übersetzer buddhistischer Sūtras war der Indo-Skythe Lokakṣema. Von zwei seiner drei chinesischen Laienmitarbeitern, nämlich von einem gewissen Meng Fu und einem Guo Zhi, konnte gezeigt werden, dass es sich um Daoisten handelte.383 Ihren Einfluss auf die bereinigte Formulierung der chinesischen Übersetzung wird man wohl nicht unterschätzen dürfen. An zwei Stellen ihrer Übersetzung des Pratyutpanna samādhi-sūtra (Ban zhou san mei jing, T 418) verwendeten sie die Begriffe hun-Seele (hun shen) respektive hun. Die Stelle lautet: Die Schriften, welche [der Buddha Amitābha] erläutert, sind von unzerstörbarer (bu huai bai) Form. Was ist von unzerstörbarer Form? Schmerzen, Gedanken, Leben und Tod, Bewusstsein, hun-Seele (hun shen), Erde, Wasser, Feuer, Wind, die Welt und was oberhalb des Himmels ist, bis hin zu Brahmā und Mahābrahmā sind von unzerstörbarer Form.384

Diese Textstelle ist deshalb bemerkenswert, als hier zum ersten Mal von der Unzerstörbarkeit der hun-Seele die Rede ist. In Lokakṣemas Übersetzung des Sukhāvatī-sūtra (A mi duo san ye san fo sa lou fo tan guo du ren dao jing, T 362)385 findet sich eine größere Interpolation (sie hat kein Gegenstück in der Sanskritversion386), welche besagt, dass es die hun-Seele ist, welche post mortem in einen neuen Leib, in eine neue Existenz übergeht:

381 382 383 384 385

Si shi er zhang jing T 784: 722a27; vgl. Sharf 1996: 365. Si shi er zhang jing T 784: 722a29; vgl. Sharf 1996: 365. Zürcher 1959: 35 und 332, Endnote 91. Ban zhou san mei jing T 418: 905b17; vgl. Harrison 1998: 19. Ursprünglich wurde die Übersetzung Zhi Qian zugeschrieben, doch neuerdings mehren sich die Hinweise auf Lokakṣemas Autorschaft, siehe Nattier 2008: 87. 386 Gómez 1996: 124.

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Buddhismus in China Die [dem Menschen] zugemessene Lebensspanne (shou ming) ist entweder kurz oder lang. [Danach] treten die hun-Seele und [ihr] subtiles Bewusstsein (jing shi) von selbst in eine [neue] Existenz (qu) ein, erhalten eine [neue leibliche] Form und bewohnen einen [neuen] schwangeren Schoß.387

Hier sind es also explizit die hun-Seele und das mit ihr verbundene subtile Bewusstsein, welche nach dem Tode eine neue körperliche Form in einem neuen Mutterleib annehmen und dann wiedergeboren werden. Der Sogdier Kang Meng-xiang übertrug im Jahre 197 zusammen mit dem Inder Zhu Dali (? Mahābala) in Luo-yang eine von einem Mönch namens Tan-guo (? Dharmaphala) aus Kapilavastu mitgebrachte (aber in der Originalsprache nicht mehr vorhandene) Buddha-Biographie ins Chinesische – die Schrift des Verhaltens und der früheren Ereignisse [betreffend den Buddha] (Xiu xing ben qi jing, T 184). Darin werden die verschiedenen möglichen Wiedergeburten der hun-Seele als Folge der Handlungen des Menschen im jetzigen Leben aufgeführt: Von den hun-Seelen der Menschen wird eine jede entsprechend den [im Leben begangenen] Taten auf [einem von] fünf Wegen [wieder-]geboren: Entweder sinkt sie ins Erdgefängnis („Hölle“), oder wird zu einem Tier des Bodens, oder sie wird zu einer DämonenSeele (gui shen), oder sie wird im Himmel [wieder-]geboren, oder sie nimmt eine menschliche Gestalt an.388

Auch hier ist es die hun-Seele, welche als permanente Instanz den Tod des menschlichen Körpers überdauert und in die nächste Existenz, in die nächste Gestalt hineingeboren wird. In Zhi Qians Übersetzung der Schrift von Ānandas vier Angelegenheiten (A nan si shi jing, T 493) findet sich in einer Unterweisung des Ānanda durch den Buddha der Satz: „Die hun-Seele erlischt nicht, sie kehrt zurück und sucht sich wieder einen Körper“.389 Auch in zwei weiteren seiner Übersetzungen betont er die Unsterblichkeit der Seele: „Die sublime Seele verlöscht nicht (jing shen bu mie)“390 und „die Seele vergeht nicht (shen bu mie)“391. Wie Lokakṣema und Kang Meng-xiang zuvor, so betont auch Zhi Qian, dass die hun-Seele nach dem Tode in einen neuen Leib eingeht. Offensichtlich hatten weder die frühen Übersetzer in der Hauptstadt des HanReiches noch der maßgebliche Übersetzer in Südchina nach dem Zusammenbruch der Han-Dynastie die karmisch bedingte Folgeexistenz anders verstehen können denn als Weiterleben der als unsterblich gedachten hun-Seele (die po-Seele fand offensichtlich keine Berücksichtigung) in einem neuen Körper. Und so haben sie ihr (Miss-)Verständnis auch an ihre Leserschaft weitergegeben.

387 388 389 390 391

A mi duo san ye san fo sa lou fo tan guo du ren dao jing T 362: 313c20. Xiu xing ben qi jing T 184: 471c17. A nan si shi jing T 493: 757a17. Ban nie huan jing (Mahâparinibbâna-Sutta) T 6: 185c26. Tai zi rui ying ben qi jing T 185: 475a2.

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Meister Mous Traktat über die Beseitigung von Zweifeln (Mou zi li huo lun) widmet dem Seelen-Problem einen ganzen Abschnitt. Die darin von einem anonymen Kritiker geäußerten Argumente gegen das Konzept der Wiedergeburt dürften tatsächliche Bedenken seiner Zeitgenossen widerspiegeln, was bedeutet, dass die Vorstellung einer Wiedergeburt offenbar ein Problem darstellte. Zwar kannte man verschiedene Möglichkeiten unsterblich zu werden, aber das war, auf das betroffene Individuum bezogen, ein einmaliger Vorgang und von der periodischen Reinkarnation in einem saṁsāra völlig verschieden. Der in diesem Zusammenhang relevante Abschnitt aus Meister Mous Traktat lautet: Der Kritiker fragte: ‚Der Weg (dao) des Buddha besagt: Ist der Mensch tot, muss er wiedergeboren werden. Meine Wenigkeit vertraut dieser Beurteilung nicht‘. Meister Mou sagte: ‚Ist ein Mensch dem Tode nahe, besteigt seine Familie [das Dach] des Hauses und ruft ihn. Ist er bereits tot, rufen sie wiederum wen?‘ [Der Kritiker] antwortete: ‚Sie rufen seine hun- oder poSeele‘. Meister Mou sagte: ‚Wenn die Seele (shen) zurückkommt, lebt [der Mensch]. Wenn sie nicht zurückkommt, welche Seele ruft man [dann]?‘ Antwort: ‚Die Seele, welche zu einem Dämon (gui) wurde‘. Meister Mou sagte: ‚Dies ist [so]. Die hun-Seele erlischt sicherlich nicht! Allein der Körper zerfällt und vermodert von selbst. Der Körper ist vergleichbar mit den Wurzeln und Blättern der fünf Getreidesorten und die hun-Seele ist wie die Samen und Früchte der fünf Getreidesorten. Die Wurzeln und Blätter entstehen und müssen notwendigerweise sterben. Die Samen und Früchte, wie könnten sie ein Ende haben? [Auch wenn] man den Weg (dao) erlangt hat, erlischt der Körper. […] Der Kritiker sagte: ‚Wer den Weg (dao) praktiziert, stirbt. Wer ihn nicht praktiziert, stirbt auch. Was ist [da] der Unterschied?‘ Meister Mou sagte: ‚[…] Obwohl diejenigen, welche den Weg (dao) erlangt haben, sterben, kehrt ihre Seele an einen glücksverheißenden Ort zurück. Beim Tode derjenigen, welche Übles getan haben, erleidet die Seele ihr Unglück.392

Der vom Kritiker hier geäußerte Zweifel an der von den chinesischen Buddhisten gelehrten Wiedergeburt dürfte in der damaligen Gesellschaft von den meisten geteilt worden sein, denn diese Vorstellung war mit dem Ahnenkult und dessen ideeller Voraussetzung inkompatibel. Wenn die Seele z. B. eines aus armem Hause stammenden Menschen aufgrund seines erworbenen karma nach dem Tode in eine reiche Familie wiedergeboren wurde und aufgrund der hier begangenen Taten im nächsten Leben als Tier inkarniert wurde, wo und welches war dann der Ahne, dem die Nachkommen des ursprünglich armen Menschen opfern sollten und von dem sie Gegenleistungen erwarten konnten?

3.5.4. Debatten um die Unsterblichkeit der Seele Die Frage, ob die Seele(n) unsterblich sei(en), wurde in China in der Schicht der gebildeten Beamtenschaft und im Adel auch außerhalb buddhistischer Kreise –

392 Mou zi li huo lun in T 2102: 3b10; vgl. Keenan 1994: 94f.

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wahrscheinlich verursacht durch letztere – spätestens ab dem späten 4. Jahrhundert offenbar breit diskutiert. Für Seng-you erschien es vom beginnenden 6. Jahrhundert aus gesehen wichtig, Dokumente der frühen Diskussionen in seiner apologetischen Sammlung Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes] (Hong ming ji) für die Nachwelt festzuhalten. Dabei beschränkte er sich nicht auf Texte, die sich ausschließlich auf den Buddhismus bezogen. Zum Ausgangspunkt nahm er den im Jahr 373 vom Beamten Luo Han (ca. 310–380) verfassten Traktat über die Wiedergeburt (Geng sheng lun) und die Reaktion des Sun Sheng (302–373). Während von Luo Han keine Beziehungen zum Buddhismus dokumentiert sind, weiß man von Sun Sheng, dass er zumindest mit dem Mönch Zhi Dun bekannt gewesen war. Gerade weil Luo und Sun offenbar keine Buddhisten gewesen sind, zeigt ihr Gedankenaustausch, dass man zumindest in höheren Beamtenkreisen von der „Wiedergeburtslehre“ durchaus Kenntnis hatte und diese problematisierte. Der Traktat geht bemerkenswerterweise zunächst, wie Erik Zürcher schon bemerkte,393 von einer Art „Energieerhaltungssatz“ aus: Der Kosmos ist vollständig angefüllt mit einer konstanten Anzahl Lebewesen. Diese kann sich weder verringern noch vergrößern. Könnte sie sich verringern, würde das letztlich das Ende des Kosmos bedeuten, da offenbar die Gesamtheit der Lebewesen den Kosmos erst ausmachen. Dass diese Konstanz erhalten bleibt, ist nur dadurch möglich, dass die Lebewesen nach ihrem Tod, der ja eine Reduktion der Anzahl Wesen bedeuten würde, wiedergeboren werden. Die Wesen sind gedacht als aus Seele (shen) und Materie (zhi) bestehend. Beim Tod zerfällt die Materie und „zerstreut“ sich, macht also eine „unordentliche“ Phase durch, während die Seele selber intakt bleibt. Dann akkumulieren sich die zwischenzeitlich unordentlichen materiellen Bestandteile wieder und werden zusammen mit der Seele in einem neuen Wesen wiedergeboren. Der Text postuliert eine „Konstanz der Arten“: Ist das Lebewesen, welches nun stirbt und danach wiedergeboren wird, jetzt ein Mensch, so wird es zwingend als Mensch wiedergeboren, sodass eine ununterbrochene Traditionslinie gedacht werden kann zwischen irgendeinem willkürlich gesetzten „Ur“-Ahn und irgendeinem noch so zukünftigen Nachkommen. Dasselbe muss dann implizit auch für alle anderen Lebewesen gelten. Möglicherweise kann man das verstehen als eine Gegenkonstruktion zur chinesisch verstandenen buddhistischen Lehre, wonach man, nach Maßgabe des bis zum Tode erworbenen karma, zu einem anderen Wesen, z. B. einen Hungergeist oder einem Tier usw., werden kann. Dieser Text kann auch verstanden werden als eine implizite Absage an die karma-Lehre, gerade weil er eine „Artkonstanz“ postuliert. Diesem Konzept könnte ein implizites Verständnis des Buddhismus zugrunde liegen, wie es vom Zeitgenossen und berühmten konfuzianischen Historiographen

393 Zürcher 1959: 136.

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Yuan Hong (328–376) in seinen Aufzeichnungen der Späteren Han-[Dynastie] (Hou Han ji) dokumentiert wurde. Yuan Hong fügte in sein Werk eine Art Definition des Buddhismus ein: Fou tu (= die früheste phonetische Umschrift des Begriffs Buddha) ist Buddha (fo). Im Westen, in Indien, gibt es eine Lehre (dao) des Buddha. ‚Buddha‘ (fo) – das chinesische Wort für ‚zu Bewusstsein gekommen‘ – lässt alle Lebewesen erwachen. Seine Lehre erhebt Kultivierung des Guten und Sanftmütigkeit zur Hauptsache, [vertritt] das NichtTöten von Lebewesen und das besondere Beschäftigen mit Reinheit und [innerer] Ruhe. Der Name seiner Anhänger ist sha men. Sha men – das chinesische Wort für ‚zur Ruhe kommen lassen des Geistes‘ (xi xin) – lassen nun die Gedanken zur Ruhe kommen (xi yi), machen sich von Wünschen frei und kehren zurück zum Nicht-Handeln (gui yu wu wei). Darüber hinaus nehmen sie an, dass, wenn der Mensch stirbt, die sublime Seele nicht verlöscht, [sondern] in der Folge wiederum einen Körper erhält. Was an Handlungen zur Zeit des [früheren] Lebens gut oder böse gewesen war, findet alles [seine] Vergeltungsentsprechung. Was sie daher hochschätzen, ist, gute Taten zu begehen und den Weg (dao) zu pflegen, um die sublime Seele zu läutern, damit sie das Nicht-Handeln erreicht und zu einem Buddha wird.394

Yuan Hongs Formulierung, dass die Seele nach dem Tode einen neuen Körper annimmt und zwar als Vergeltung der im vorherigen Leben begannen Taten, schließt die Wiedergeburt als ein nichtmenschliches Wesen nicht aus. Luo Han aber lehnt sowohl einen solchen „Artenwandel“ als auch ein Vergeltungsprinzip ab – man bleibt auch als Wiedergeburt der ursprünglichen Kategorie verhaftet. In seiner kurzen, brieflichen Erwiderung zu Luo Han nimmt Sun Sheng in der wichtigsten Frage eine diametral entgegengesetzte Position ein: Ich sage: Wenn ein Körper in die Kleinstteile zerfällt und zerstreut wird, [verhält sich] das Bewusstsein (zhi) ebenfalls so. [Die Kleinstteile] vermischen sich, sie verwirren sich, werden chaotisch und wandeln sich und werden zu einem [neuen, vom ursprünglichen] verschiedenen Wesen. Ein jedes [dieser] anderen Wesen verliert [den Zusammenhang mit] seiner Vergangenheit und kehrt nicht zurück zu [seinen] früheren Tagen. Dies ist, weswegen, wer über Gefühle verfügt, sich beklagt und Bedauern äußert.395

Interessanterweise vermeidet Sun den Begriff „Seele“ (shen). Stattdessen spricht er von „Bewusstsein“ (zhi, eigentlich das Wissen, die Kenntnis), welches ebenfalls aus „Bestandteilen“ besteht, analog zum im Tode in die Einzelteile zerfallenden Körper. Das schließt nicht aus, dass Sun sich die buddhistische Lehre vom Selbst als aus fünf je veränderlichen Faktoren bestehend angeeignet hat. Jedenfalls streitet er jeglichen direkten Bezug zwischen einem lebenden Wesen und dessen „Vorgänger“ im vorherigen Leben ab.

394 Vgl. Zürcher 1959: 137; Ch’en 1964: 46. 395 Hong ming ji T 2102: 27c15; vgl. Ziegler 2015: 163.

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In seiner Antwort an Sun Sheng stellt Luo Han klar, dass auch er nicht gesagt habe, dass sich die Lebewesen nicht wandelten. Aber er bekräftigt seine Position der Artkonstanz: „Ein jedes aber, welches sich wandelt, erlangt selber das, wohinein es sich wandelt, und was zerstört wird, verliert nicht seine frühere Substanz (ti).“396 Die Wiedergeburt scheint damit ein aktiver Vorgang zu sein, bei dem sich implizit unter Anleitung der Seele die zerfallenen Bestandteile des früheren Wesens wieder zum neuen Wesen konstituieren. Episoden der lange anhaltenden Kontroverse sind vom späten 4. Jahrhundert (Östliche Jin-Zeit) bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts (Liang-Dynastie) dokumentiert. Selbst Hui-yuan, der seinerzeit wohl einflussreichste Mönch des Südens, verteidigte die Vorstellung einer unvergänglichen Seele in seinem Traktat Über das Nicht-Verlöschen der Seele (Shen bu mie lun, enthalten in T 2102). Und noch im 5. Jahrhundert behauptete der kritische Mönch Hui-lin – den die Gemeinde auszustoßen versuchte, wovor ihn aber Kaiser Wen bewahrte397 – in seinem Traktat Über Schwarz und Weiß (Bai hei lun, enthalten in T 2102), dass die Seelen durch endlose Transformationen hindurch leben.398 Einen weiteren Höhepunkt erlebte die Auseinandersetzung mit Fan Zhens (ca. 450 bis ca. 515) Traktat Vom Untergehen der Seele (Shen mie lun, erhalten in der Geschichte der Liang [Liang shu])399 und der von Kaiser Wu der Liang-Dynastie organisierten Hofdebatte zu diesem Thema. Sowohl in den von Mönchen verfassten Sūtra-Übersetzungen als auch in Textgattungen wie Steleninschriften, die dem Laienbuddhismus zugeordnet werden müssen, wurde als aktive Instanz, welche den Tod überdauert und in die nächste Existenz übergeht, die hun-Seele (hun shen) bzw. die Seele schlechthin (shen) angenommen, dies offensichtlich ganz im Gegensatz zur buddhistischen anātman-Lehre. Die Seelenvorstellung war in China zu tief verwurzelt, als dass man sie hätte aufgeben können. Erst vom späten 6. Jahrhundert an, seit dem Mönch Ji-zang (549–623), begannen die buddhistischen Theoretiker das Thema der unvergänglichen Seele zu meiden.

3.6. Das Verhältnis zwischen Buddhismus und Daoismus Das dynamische Verhältnis zwischen Buddhismus und Daoismus war sehr komplex. Beide Seiten standen in Konkurrenz zueinander. Es ging um Einfluss bei der Bevölkerung, um Privilegien und Macht bei Hofe. Beide haben gegenseitig Aspekte übernommen und sich diese zu eigen gemacht, bis hin zu Plagiaten ganzer Texte.

396 397 398 399

Hong ming ji T 2102: 27c22; vgl. Ziegler 2015: 163. Song shu 2391. Song shu 2388–2391, neue englische Übersetzung in Kroll 2012: 6–14. Liang shu 665–670.

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Ihre Identität haben sie sich dabei zu wahren gewusst. Trotz beachtlicher Erfolge in den letzten Jahren steht die Erforschung dieses Verhältnisses erst am Anfang.

3.6.1. Parallelen: Xi-wang-mu und Buddha Amitābha Ikonographisch lässt sich zeigen, wie eine vor-buddhistische, daoistische Vorstellung den Weg bereitet hat für die Einführung einer scheinbar ähnlichen buddhistischen und wie letztere wieder rückgewirkt hat auf die daoistische Lehre. Im heutigen Si-chuan finden sich Han-zeitliche, in den Felsen gegrabene Grabanlagen, über deren Eingängen sich Reliefs befinden mit den Symbolen der daoistischen Göttin „Königliche Mutter des Westens“ (Xi-wang-mu). Daneben erscheint sie in bildlichen Darstellungen innerhalb verschiedener Grabanlagen als himmlische Gestalt, welche die Seelen der in der Anlage Bestatteten in Begleitung mythologischer Tiere aufsucht, um von ihr die postmortale Unsterblichkeit zu erlangen. Die Göttin führt im Jenseits die Seelen in ihr westliches Paradies Kun-lun. Zur selben Zeit wie die Eingangssymbole der Xi-wang-mu erscheinen nun in derselben Gegend Si-chuans ebenfalls auf den Linteln der Eingänge von Grabanlagen die Reliefs eines sitzenden Buddhas mit uṣṇīṣa und mit der abhayamudrāHaltung. Dies erlaubt den Schluss, dass der aus dem Westen kommende Buddha als eine Gottheit verstanden worden sein muss, die ebenfalls die gläubigen Seelen von Verstorbenen rettet – im Gegensatz zum traditionellen Hīnayāna-Konzept des Buddha.400 Während in den ältesten Darstellungen Xi-wang-mu in einer so genannten Dreiviertel-Position erscheint, der Buddha hingegen frontal, ändert sich die Haltung der Göttin unter dem Einfluss der buddhistischen Darstellung: Sie wird von nun an ebenfalls frontal dargestellt. Auf verschiedenen Seiten derselben Säule des berühmten Yi-nan-Grabes (Shan-dong; 2. Jahrhundert n. Chr.) sind nun beide, Xiwang-mu und der Buddha, frontal abgebildet, der Buddha in der abhayamudrāPose, beide mit stilisierten Flammen auf den Schultern. In Gandhāra (KuṣāṇaPeriode) finden sich Statuen des Buddha in dhyānāsana-Pose mit Flammen auf den Schultern. Als „geflammte“ Buddhas kommen im indischen Kontext sowohl der Dīpaṃkara als auch der Śākyamuni oder der Amitābha vor. Am wahrscheinlichsten scheint im chinesischen Kontext Amitābha zu sein, der wie Xi-wang-mu über ein westliches „Paradies“, in diesem Falle Sukhāvatī, herrscht. Sollte dies tatsächlich zutreffen, wäre die Analogie zwischen den beiden Gottheiten perfekt. Offenbar öffnete Xi-wang-mu dem ähnlich verstandenen Buddha das Tor nach China. Dann musste sie sich ihm jedoch ikonographisch angleichen, was darauf hinweist, dass er zwischenzeitlich zumindest im Grab-Zusammenhang bereits eine entsprechende Popularität erlangt hatte. In einigen Grabanlagen kamen sie sogar

400 Bumbacher 2007.

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gemeinsam vor. Solch eine Assoziation buddhistischer Elemente mit Tod und Jenseits findet sich nur im archäologisch-ikonographischen Befund, sie ist in schriftlichen Quellen nicht belegt.401

3.6.2. Parallelen: Lao-zi – Buddha Vom mythischen Autor des philosophisch-daoistischen Werkes Alter Meister (Lao zi) oder der Schrift vom Weg und [seiner inneren] Kraft (Dao de jing), Lao-zi, wurde ursprünglich lediglich angenommen, er sei außerordentlich alt geworden. Während der späteren Han-Zeit wurde er unsterblich und sogar zu einer Gottheit, wie sich in den verschiedenen überlieferten Biographien nachzeichnen lässt. Im Jahre 164 wurde ihm gemeinsam mit dem offenbar ebenfalls als Gott verstandenen Buddha am Kaiserhof ein Kult eingerichtet. Etwas früher, um 150 n. Chr. identifizierten ihn einige Kreise sogar mit dem dao selbst, d. h. er wurde gedacht als die letztliche Ursache der Kosmogenese, als das, was bereits existierte, bevor irgendetwas existierte, fähig, sich jederzeit und in alles zu verwandeln. Einige Buddhisten mussten den Lao-zi wohl als eine Art Konkurrenz zum Buddha empfunden haben. Nur so erklärt sich, dass ihr Buddhaverständnis entsprechend beeinflusst wurde: Das frühe apologetische Werk Meister Mous Traktat über die Eliminierung der Zweifel (Mou zi li huo lun; entstanden nach 222 n. Chr., enthalten in T 2102) macht den Buddha nun ebenfalls zu einer kosmologischen Größe, siedelte ihn aber zeitlich noch früher an: Der Buddha ist der ursprüngliche Ahn der Macht des dao, das Ende der Linie, die [ihn mit] den Göttern verbindet. […] Schattenhaft und ununterscheidbar, durch Wandlung in verschiedenste Körper und Formen [erschien er in verschiedenen Welten]. Manchmal anwesend, manchmal abwesend kann er klein oder groß, himmlisch oder irdisch, alt oder jung, verborgen oder sichtbar erscheinen. Er kann auf Feuer gehen, ohne sich zu verbrennen.

Während Lao-zi als das dao gedacht war, wurde der Buddha in Meister Mous Traktat über die Eliminierung der Zweifel sogar zu dessen Ahn, also früher angesetzt und daher mit größerem Prestige ausgestattet. Als originale Buddha-Viten ins Chinesische übersetzt wurden, wurde nicht nur diese frühe Buddha-Vorstellung „überschrieben“. Das neue Buddha-Bild beeinflusste nun auch seinerseits alle späteren Lao-zi-Biographien. Zwischen 222 und 229 kompilierte Zhi Qian aus zwei bestehenden Übersetzungen die Buddha-Biographie Schrift des ursprünglichen Aufbruchs des Kronprinzen in Übereinstimmung mit den Omina (Tai zi rui ying ben qi jing, T 185). Diese „lieh“ der Lao-zi-Vita in den Biogra-

401 Zürcher 1990: 167.

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phien göttlicher Unsterblicher (Shen xian zhuan; vor 320 n. Chr., verloren, längere Zitate überliefert) des Ge Hong wichtige Elemente. In der Schrift des ursprünglichen Aufbruchs finden wir: „Der bodhisattva verwandelte sich und auf einem weißen Elefanten reitend kam er [vom Himmel] herab als Sonnenstrahl. Da seine Mutter untertags schlief, erschien er ihr im Traum und drang durch ihre rechte Seite in sie ein [und schwängerte sie].“ – In Ge Hongs Lao-zi-Biographie steht: „Seine Mutter fühlte, wie ein großer Meteor in sie eindrang, und so wurde sie schwanger.“ Obwohl im Detail verschieden, haben beide Geschichten gemein, dass die Schwängerung der Mutter durch eine himmlische Ursache (Sonnenstrahl, Meteor) erfolgt. Die Geburt wird dann wie folgt beschrieben: „Daraufhin ergriff Māyā den Ast eines Baumes, der Säugling trat aus ihrer rechten Flanke aus und kam auf den Boden. Er glitt auf den Boden, machte sieben Schritte, erhob seine Hand und rief mit Löwenstimme: ‚Unter allen göttlichen Wesen bin ich allein Herr‘.“ – Die entsprechende Passage der Lao-zi-Vita lautet: „Als er geboren wurde, erschien er, indem er die linke Achselhöhle [der Mutter] durchbrach. […] Einige sagen, seine Mutter habe ihn unter einem Pflaumenbaum geboren und er, bereits bei Geburt fähig zu sprechen, habe auf den Baum gewiesen und gesagt: ‚Diesen werde ich als meinen [Familien-]Namen wählen‘.“ Gemeinsam ist beiden Texten, a) dass die Mutter unter einem Baum niederkommt, b) dass das Kleinkind sogleich sprechen kann, c) dass es eine Handbewegung macht und d) eine selbstreferentielle Aussage macht („ich bin Herr“; „diesen wähle ich als meinen Namen“). Der entscheidende Punkt jedoch ist, dass in beiden Fällen der Säugling nicht durch den Geburtskanal das Licht der Welt erblickt, sondern sich seinen Weg durch die Flanke/Achselhöhle der Mutter ins Freie bahnt. Was in der indoeuropäischen Mythologie ein häufiger Topos ist, ist für China neu: Das Kind wird aus irgendeinem Körperteil der Mutter oder des Vaters geboren, man denke etwa an Athenes Geburt aus dem Kopfe des Zeus. Während der Buddha aus der rechten Seite der Mutter hervorkommt, die im indoeuropäischen Raum traditionell als die „bessere“ gilt, erscheint Lao-zi aus der linken, welche in China die bevorzugte Seite ist! Somit erhält Lao-zi, als aus der besseren Seite der Mutter geboren, das höhere Prestige als der Buddha. Hier wurde also eine fremde Idee von den Daoisten aufgenommen, aber zu ihren Gunsten modifiziert.

3.6.3. Text-Entlehnungen Die Konkurrenz zwischen Daoismus und Buddhismus brachte es mit sich, dass beide Texte des Konkurrenten „entliehen“ und sie sich – allenfalls mit Modifikationen – zu eigen machten. Traditionellerweise werden die Zweiundvierzig Abschnitte [aus] buddhistischen Schriften (Fo jing si shi er zhang, T 784) als ältester buddhistischer Text Chinas angesehen. Er besteht aus zwei Teilen ungleicher Länge, einer

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jüngeren, kurzen narrativen Einleitung, welche die Entstehung des Textes schildert – entstanden etwa 250 n. Chr. – und dem längeren und älteren Haupttext – entstanden vor dem Jahr 166 n. Chr.402 Letzterer enthält die Mönche betreffende Gebote und Anweisungen des Buddha wie ethisches Verhalten und korrektes Benehmen. Yang Xi, daoistisches Medium und Begründer der Mao-shan-Tradition, der als Administrativkraft am Hofe Si-ma Yus (320–372) verkehrte, des Herrschers von Gui-ji und späteren Kaisers Jian-wen (reg. 371–373) – einem glühenden Verehrer des Buddhismus und Bewunderer des Mönches Zhi Dun –, kam selbstverständlich in Kontakt mit buddhistischen Schriften. In seine eigenen Schriften übernahm er die Einleitung der Zweiundvierzig Abschnitte beinahe unverändert403 – sein Kommentator Tao Hong-jing betont, dass sie „mit dem buddhistischen Text (wai shu) identisch ist“. Hingegen schrieb er den Hauptteil in eine daoistische Version um.404 Dabei eliminierte er einerseits Abschnitte, für die er keine Verwendung finden konnte, wie etwa die Definition von śramaṇa, arhat, anāgāmin, sakṛdāgāmin und śrotāpanna. Andererseits behielt er ganze Abschnitte wortwörtlich bei, brachte aber die notwendigen Modifikationen an, um den Text zu einem daoistischen zu machen. So heißt es z. B. im buddhistischen Original: Der Buddha sagt: ‚Es gibt fünf Schwierigkeiten unter dem Himmel. Es ist für einen Armen schwierig, Almosen zu geben. Es ist für die Mächtigen und Privilegierten schwierig, den Weg (dao) zu studieren. Es ist schwierig, das Schicksal zu kontrollieren und dem Tod zu entgehen. Es ist schwierig, einen Blick auf Buddhas Schriften zu erhaschen und es ist schwierig, zur [selben] Zeit [wie] ein Buddha geboren zu werden‘.

Yang Xi ersetzte nun den Buddha durch eine daoistische Gottheit. Buddhas Schriften wurden zu den daoistischen Grotten-Schriften und die Zeit eines lebenden Buddha wurde zum [apokalyptischen] Späteren Weisen des Ren chen [Jahres]: Die Dame der purpurnen Vollkommenheit sagt: ‚Es gibt fünf Schwierigkeiten unter dem Himmel. Es ist für einen Armen schwierig Almosen zu geben. Es ist für die Mächtigen und Privilegierten schwierig, den Weg (dao) zu studieren. Es ist schwierig, das Schicksal zu kontrollieren und dem Tod zu entgehen. Es ist schwierig, die Grotten-Schriften zu sehen und es ist schwierig, zur [selben] Zeit [wie] der [apokalyptischen] Späteren Weisen des Ren chen [Jahres] geboren zu werden‘.

Dabei ging es Yang Xi nicht darum, den buddhistischen Ursprung des Textes zu kaschieren – im Gegenteil. Er machte klar, dass die buddhistische Version zur Zeit ihrer Entstehung Gültigkeit besaß, dass sie aber jetzt durch die von den daoistischen Göttern aktualisierte Version obsolet geworden ist.

402 Bumbacher 2006. 403 Zhen gao DZ 1016: 9.19b-20a. 404 Zhen gao DZ 1016: 6.6a-10a.

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Aber auch der Buddhismus entlehnte ganze Texte wortwörtlich dem Daoismus und gab sie als eigene aus, so die Vom Buddha verkündete Schrift der göttlichen Talismane der 7 000 Buddhas zur Vergrößerung der Anzahl [der Lebensjahre] (Fo shuo qi qian fo shen fu yi suan jing, T 2904). Seit dem Ende des 7. Jahrhunderts wurde der Text zwar als apokryph katalogisiert, doch die große Anzahl an erhaltenen Manuskripten aus Dun-huang belegt seine Popularität in der Tang-Zeit. Der Text ist beinahe vollkommen identisch mit der daoistischen Vom Tai shang Lao jun verkündeten wunderbaren Schrift zur Verlängerung des Lebens und Vergrößerung der Anzahl [der Lebensjahre] (Tai shang Lao jun shuo chang sheng yi suan miao jing, DZ 650). Beiden Texten geht es darum, nicht nur das Leben der Gläubigen zu schützen, sondern es bis zur Maximaldauer von 120 Jahren zu verlängern. Zu diesem Zwecke verwenden beide dieselben Spruchformeln und dieselben Talismane (fu)405 – sowohl prophylaktische wie exorzistische zur Austreibung von Dämonen –, welche auf dem Körper zu tragen sind.

3.6.4. Regelwerke: Prātimokṣa – Die von Herrn Lao verkündeten 180 Vorschriften Die gegenseitige Beeinflussung erfolgte jedoch nicht nur über Entlehnungen von Texten oder Textteilen. Auch Ideen konnten übernommen und in eigene Formulierungen gefasst werden. Im Falle von Verhaltensregeln hatte der Buddhismus etwas vorzuweisen, was in dieser Form dem Daoismus bis dahin fremd war. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt übersetzte im Jahre 251 der indische Mönch Dharmakāla den Prātimokṣa der Mahāsāṅghika als Vorsicht[smaßnahmen] für Sāṅghika (Seng ji jie xin) ins Chinesische. Dieser Text ging verloren. Erhalten haben sich hingegen die 218 Regeln des Mahāsāṅghika Prātimokṣa in der Übersetzung Buddhabhadras (zwischen 398–421; T 1426). Alle drei wichtigen daoistischen Traditionen sahen sich durch die buddhistischen Beispiele veranlasst, ebenfalls Sammlungen von Vorschriften herauszugeben. Die Himmelsmeister kompilierten die Von Herrn Lao verkündete 180 Vorschriften (Lao jun shuo yi bai ba shi jie, enthalten in Yun ji qi qian, DZ 1032, 39.1a-14b), die Mao-shan- oder Höchste Klarheit-Tradition den Text der Großen Vorschriften der Selbsterforschung [mittels] des Wissens [aus der Abteilung] Wahrheit der Höhle [des Himmels] der höchsten Reinheit (Shang qing dong zhen zhi hui guan shen da jie wen, DZ 1364) und die Wirkungsmächtiges Juwel-Tradition die Schrift der großen und kleinen Verdienste und die nach den drei Prinzipien [klassifizierten] Regeln des Wirkungsmächtigen Juwels [aus der Abteilung] Mysterium der Höhle des allerhöchsten [Himmels] (Tai shang dong xuan ling bao san yuan pin jie gong de qing zhong jing; DZ 456), wobei der jüngere Höchste Klarheit-Text 96 Regeln mit dem älteren

405 Zu Geschichte und Funktion der fu siehe Bumbacher 2012a.

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Wirkungsmächtigen Juwel-Text und 77 Gebote mit dem ältesten Himmelsmeister-Text gemein hat. Zwar finden sich keine wortwörtlichen Übereinstimmungen zwischen Buddhabhadras chinesischem Prātimokṣa und den daoistischen Regelwerken, hingegen sind inhaltliche Parallelen offensichtlich. Beispielsweise heißt Gebot 66 der 180 Vorschriften: „Uriniere nicht im Stehen“ und Gebot 116: „Uriniere nicht auf lebende Pflanzen oder in Wasser, das getrunken werden soll“. Als buddhistische Parallelen finden sich in Gebot 64 „nicht urinieren, nicht stuhlen oder spucken auf lebende Pflanzen, außer im Falle von Krankheit, soll befolgt werden“, in Gebot 65 „nicht ins Wasser urinieren, stuhlen oder spucken, außer im Falle von Krankheit, soll befolgt werden“, oder in Gebot 66 „nicht urinieren oder stuhlen während man steht, außer im Falle von Krankheit, soll befolgt werden“. Dies ist bemerkenswert, weil in chinesischen religiösen Kontexten bis dahin Körperentleerung überhaupt kein Thema war. Auch werden buddhistische Regeln wie „sollte ein Mönch absichtlich ein Tier ums Leben bringen, ist dies pāyantika“ (61) akzeptiert als „du sollst nicht irgendetwas töten oder verletzen“, oder „im Trinken von berauschenden Getränken, geistigen Getränken und Alkoholika gibt es ein pācattika“ (76) als „du sollst nicht Alkohol trinken oder Fleisch essen“ (24). Gerade im Himmelsmeister-Daoismus, in dessen Mitte die 180 Vorschriften entstanden und zu dessen wichtigen Ritualen die Vereinigung (oder Harmonisierung) der Energien (he qi) durch Geschlechtsverkehr gehörte, wirkt ein Gebot wie „Männer und Frauen sollen nicht zusammen sitzen, um zu essen, oder die Hände berühren, um Dinge zu geben oder zu empfangen“ (164) wie ein Fremdkörper.

3.6.5. Konversion der Barbaren Wenn die Zahlen (Zensus und Regierungsschätzungen) der Klöster, Mönche und Nonnen zumindest tendenziell auch auf die Laienbevölkerung übertragbar sein sollten, weisen sie auf eine wachsende und erhebliche Popularität des Buddhismus im China der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung hin. Dass sein zunehmender Einfluss auf die regierende Oberschicht und das Volk nicht von allen geschätzt wurde, dürfte einleuchten, zumal sich auch Vorstellungen und Verhaltensweisen ausbreiteten, die der angestammten Tradition zuwiderliefen, wie etwa das Zölibat. So erstaunt nicht, dass sich zunehmend auch Widerstand formierte. Sichtbar wird er etwa an Texten der direkten Gegenspieler, der Daoisten. Eine große Rolle spielte hierbei die so genannte Konversion der Barbaren (hua hu; wörtl.: Verwandlung der Hu[-Ethnien]). Ein erster Hinweis findet sich in Xiang Kais Throneingabe von 166, in der gesagt wird: „Einige Leute sagen, dass Lao-zi in die [Gegend der] Yi und Di[-Barbaren] gegangen und zum Buddha geworden

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sei.“406 Das stellte eine wegweisende Weiterentwicklung dessen dar, was noch in Si-ma Qians Aufzeichnungen des Historiographen (Shi ji) in der Biographie des Lao-zi gestanden hatte, dass nämlich Lao-zi, frustriert über den Zustand des Reiches, sich nach Westen begeben und dem Grenzbeamten auf dessen Bitten hin das Buch Schrift des Weges und [seiner inneren] Kraft (Dao de jing) in zwei Teilen verfasst habe. Danach sei er fortgegangen, niemand wisse wohin. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts finden sich schon die wesentlichen Punkte der künftigen Diskussionen. In Huang-fu Mis Biographien eminenter Gelehrter (Gao shi zhuan; bis auf Zitate verloren) wird gesagt:407 „Lao-zi überquerte den Pass und betrat Indien, wo er den hu-König belehrte und zum Buddha wurde“. Und408: „Die buddhistischen (fou tu) Schriften der śramaṇas (sang men) wurden von Lao-zi verfasst.“ Diese Aussagen sind insofern interessant, als von Huang-fu Mi nicht bekannt ist, dass er einer daoistischen Tradition angehört hätte. Die Zitate scheinen auch deshalb authentisch zu sein, weil für Buddha die frühe Transkription fou tu statt das spätere fo und sang men statt sha men für śramaṇa verwendet wurde. Dies deutet bereits auf eine gewisse Verbreitung der hua hu-Vorstellung in intellektuellen Kreisen hin. In einer ausgefeilten Form findet sich die hua hu-Idee in der daoistischen Schrift des Allerhöchsten [über] den wundersamen Anbeginn (Tai shang miao shi jing, DZ 658) des frühen 5. Jahrhunderts. Dieser Text handelt zunächst von dem Erscheinen des Wegs (dao) aus einem noch undifferenzierten Urkosmos. Dann wird die weitere Ausdifferenzierung des dao in Kosmos (Himmel, Sterne, Erde usw.) bis hin zum Menschen geschildert. Schließlich sagt Lao-zi, ebenfalls eine Konstellation des dao, von sich: Als ich beim Niedergang und den Unruhen zur Zeit des Zhou-Königs You anlangte, erreichte ich den Huan-gu-Pass und unterrichtete den Passwächter Yin Xi in den daoistischen Techniken. Nachdem [Yin] Xi den Weg (dao) erlangt hatte und zu einem perfekten Menschen (= Unsterblichen) geworden war, führte ich Yin Xi nach Westen und [wir] betraten das hu-Land. Zuerst erreichten wir den Berg Anjue in Kaschmir, wo wir den Weg praktizierten. Der König versuchte uns zu verbrennen, aber ohne Erfolg. Als das dao als [menschlicher] Körper in der leeren [Luft] erschien, Sonnenglanz vom Genick [ausstrahlend] (= Nimbus), einen Körper aus Diamant mit 72 Zeichen und 81 Merkmalen, da fügte sich der König und empfing diese Lehre (dao). Für die hu[-Menschen] verfasste ich Schriften [bestehend aus] 40 000 Worten, betitelt Prajñāpāramitā (Ban ruo bo luo mi) und die [Schrift vom] Weg und [seiner inneren] Kraft in 5 000 Worten (dao de [jing] wu qian wen), total 30 Abschnitte. Daraufhin gelangte ich mit Yin Xi nach Śrāvastī. Am achten Tag des vierten Monats verwandelte ich mich und wurde geboren als Kronprinz des Landes [dieses] Königs. Mit fünfzehn Jahren verließ ich das Land, um den Weg (dao) zu

406 Hou Han shu 1082. 407 Bian zheng lun T 2110: 522b7. 408 Bian zheng lun T 2110: 534c19.

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Buddhismus in China studieren. Als der Weg vollendet war, nannte [ich mich] Śākyamuni Buddha (Shi jia fo). Fo ist ein hu-Wort, auf Chinesisch (han yan) ist es ‚Unsterblicher‘ (xian). Der Passwächter Yin Xi nannte [sich] Ānanda (A nan). Die śramaṇa (sha men)-Schüler, welche dieses Gesetz (fa; skt. dharma) lernten, 1 250 Personen, werden bodhisattva (pu sa) genannt. Pusa ist eine hu-Kategorie und ist das heutige [chinesische] ‚Volk des Weges‘ (dao min). Als die Unterweisung und Verwandlung der hu[-Menschen] beendet war, am 15. Tag des fünften Monats ‚befreite‘ ich mich mittels des ‚Leichnams‘ (shi jie) und trat als Vorwand ins ni wan (= Lehmkugel, skt. nirvāṇa) ein. Ni wan ist ‚Nicht-Aktiv-Eingreifen‘. Der Weg (dao) hat keinen permanenten Namen, der Weg hat keine permanente Form; einige nennen [ihn] Śākyamuni Buddha (shi jia wen fo), andere nennen [ihn] Vimalakīrti (Wei mo qi), wieder andere nennen [ihn] König des drehenden Rades (zhuan lun wang; skt. cakravartin); diese teilen den Körper [des Wegs], sodass die Energie (qi) sich wälzt, dreht, unterweist und verwandelt. An Verwandlungen gibt es Myriaden.409

In diesem Text ist also Lao-zi als eine Konstellation des dao sowohl der Verfasser der daoistischen als auch der buddhistischen Texte. Um den feindlich gesinnten König im Westen umzustimmen, nimmt er die Form eines überirdischen, in der Luft schwebenden und von einem ‚Heiligenschein‘ umgebenen Wesens an, das den König solchermaßen beeindruckt, dass er für die Lehre des Lao-zi empfänglich ist. Er ist es auch, der den Menschen sowohl als Śākyamuni als auch als Vimalakīrti oder als ein Cakravartin erscheinen kann. Die Reaktion der Buddhisten auf die hua hu-Idee blieb nicht aus. Bereits in einer der ersten überlieferten chinesischen Buddha-Viten, der Schrift des ursprünglichen Aufbruchs des Kronprinzen in Übereinstimmung mit den Omina (Tai zi rui ying ben qi jing, T 185) des Zhi Qian, heißt es:410 Hinsichtlich seiner Wandlungen – entsprechend den Anforderungen der Zeit – zeigte er sich [in verschiedener Form]: Manchmal war er ein heiliger Herrscher oder er wurde der Ahn der konfuzianischen Intellektuellen (ru lin zhi zong; wörtl.: Ahn des Waldes der Literaten) oder Landeslehrer und daoistischer Gelehrter. Er verwandelte sich, wo immer sich zeigte.

Das Thema wurde spätestens ab dem späten 4. Jahrhundert in verschiedenen buddhistischen Apokryphen weiterentwickelt, indem wichtige Figuren aus der chinesischen Vergangenheit als Erscheinungen von Bodhisattvas dargestellt wurden. Die Schrift der Praxis des Gesetzes der Reinheit (Qing jing fa xing jing; Kopie kürzlich in Nanatsudera in Nagoya, Japan, wiederentdeckt)411 sowie Zitate von (nicht überlieferten) Werken machen z. B. den Konfuzius zum Ru-tong (skt. Māṇava) resp. Bodhisattva Sumedha oder zum Bodhisattva Guang-jing, den Yan Hui – Lieblingsschüler des Konfuzius – zum Bodhisattva Candraprabha oder zum

409 Tai shang miao shi jing DZ 658: 6a-6b. 410 Tai zi rui ying ben qi jing T 185: 473b10. 411 Kohn 1995: 16f.

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Bodhisattva Guang-jing, oder den Lao-zi zu Kāśyapa, einem der Hauptschüler des Buddha.

3.7. Apokalyptische Vorstellungen Für den historischen Buddha scheinen Endzeitvorstellungen irrelevant gewesen zu sein. Da eine Beschäftigung mit diesen Themen von der vordringlichen Aufgabe, der Praxis der Meditation zur Erlangung der Erleuchtung und dadurch Erlösung, nur ablenkt, werden u. a. diejenigen, welche über Vergangenheit, Zukunft, aber auch Endlichkeit oder Unendlichkeit spekulieren, kritisiert.412 Gleichwohl fanden sich die frühen Buddhisten in einer kulturellen Umwelt vor, in der verschiedene Traditionen über zyklische Weltbilder verfügten, welche am Ende jedes Zyklus eine Zerstörung des Kosmos annahmen. Der Auseinandersetzung mit diesen vorbuddhistischen Zyklentheorien konnte sich die neue Lehre offenbar nicht ganz verschließen. Denn bereits im Anguttara Nikāya ist von vier unermesslichen Zeitabschnitten die Rede, wobei man wohl davon wird ausgehen dürfen, dass diese Perioden als sich stetig wiederholend gedacht waren.413 Danach endet jede Weltperiode in einem Weltuntergang, gefolgt von einer Zeit des Chaos, worauf sich eine neue Weltentstehung anschließt, die nun ihrerseits so lange anhält, bis sich ein erneuter Weltuntergang ereignet.

3.7.1. Vorbuddhistische chinesische Modelle von Zeitzyklen Zwar finden sich im Werk des Konfuzianers Menzius (Meng Ke alias Meister Meng [Meng-zi], um 320 v. Chr.) noch keine Endzeit- oder Weltuntergangsvorstellungen, es vermittelt jedoch bereits eine Sicht der Geschichte, die sich einerseits durch eine Periodisierung, andererseits durch eine diese überlagernde Deterioration charakterisieren lässt.414 Menzius ging von drei bisherigen Perioden aus, der „Dynastie“ der legendären Kaiser oder Kulturheroen Yao und Shun, sowie der historischen Shang- und Zhou-Dynastien. Jede begann mit einem überragenden oder wahren Herrscher, der sich durch ethisches Verhalten und eine weise Regierung auszeichnete. Danach begann die Qualität der Dynastie nach und nach abzunehmen, bis der letzte Herrscher infolge schlechter Eigenschaften die Herrschaft verlor: „Menzius sagte: ‚Die drei Dynastien gewannen das Reich durch Güte und verloren es durch

412 Brahmajāla-Sutta, DN 1.5.70; vgl. Mehlig 1987: 105. 413 Anguttara nikāya IV 156; Nyanatiloka 1984, Bd. 2: 121f. 414 Vgl. zum Folgenden Weber-Schäfer 1968: 77.

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Grausamkeit‘.“415 Aufgrund seiner Überlegungen dauern die Perioden von wahrem Herrscher zu wahrem Herrscher rund fünfhundert Jahre: Menzius sagte: „Von den [legendären Herrschern] Yao und Shun zu [dem Begründer der Shang-Dynastie] Tang waren es etwas mehr als fünfhundert Jahre. […] Von Tang zu König Wen (dem Begründer der Zhou-Dynastie) waren es etwas mehr als fünfhundert Jahre. […] Von König Wen zu Konfuzius waren es etwas mehr als fünfhundert Jahre.“416

Eigentlich hätte Konfuzius – so Menzius – der Begründer einer neuen Dynastie sein sollen, was aber offenkundig nicht der Fall war. Stattdessen war die Herrschaft von den Königen auf Hegemonen übergegangen, welche die Macht usurpierten. Waren die legendären Herrscher noch „von Natur aus“ gut gewesen, so wurden es die Könige Tang und Wen dank eigener Anstrengung.417 Die Hegemonen schließlich wiesen nur noch dem Scheine nach gute Eigenschaften auf.418 Diese Deterioration fand Menzius nicht nur in der Herrschaftsabfolge, sondern sie galt für ihn generell: „Menzius sagte: ‚Der fruchtbare [Einfluss] des edlen Mannes vergeht nach fünf Generationen. Der fruchtbare [Einfluss] des kleinen Mannes vergeht [ebenso] nach fünf Generationen‘.“419 Die Konzeption eines voll entwickelten zyklischen Dynastieabfolgemodells geht auf Zou Yan (möglicherweise Zeitgenosse des Menzius) zurück, das allerdings auf eine Berücksichtigung der Deterioration im Sinne des Menzius verzichtete. Nach eingehender Untersuchung der ihm zugänglichen Quellen hinsichtlich der darin erwähnten Omina und Vorzeichen, welche im Zusammenhang mit der Etablierung einer jeweils neuen Dynastie auftauchten, leitete er ein System von fünf Kräften (wu de) her, das später (und bis heute) besser bekannt wurde unter der Bezeichnung fünf Phasen oder fünf Wandlungsphasen420 (wu xing). In strikter Reihenfolge wechseln diese Phasen, genauer gesagt die in ihnen jeweils wirksame Energie (qi). Das Werk Zou Yans ist leider verloren, doch haben sich wenigstens einige Zitate erhalten. Die folgende Passage aus den Frühlings- und Herbstannalen des Herrn Lü (Lü shi chun qiu), welches 239 v. Chr. abgeschlossen war, wird auf ihn zurückgehen: So oft ein Herrscher oder König im Begriff ist aufzutreten, offenbart der Himmel sicher glückliche Vorzeichen unter den Menschen. Zur Zeit des [legendären] Huang-di ließ der Himmel erst einen großen Regenwurm und eine große Maulwurfsgrille erscheinen. Huang-di sprach: ‚Die Kraft der Erde ist siegreich‘. Weil die Erdkraft im Siegen war, machte er gelb zur höchsten Farbe und nahm die Erde in seinen Handlungen zum Vorbild. Zur Zeit des [legendären] Yu ließ es der Himmel zuerst geschehen, dass Gräser und Bäume im Herbst und Winter nicht abstarben. Da sprach Yu: ‚Die Kraft des Holzes ist siegreich‘.

415 416 417 418 419 420

Meng zi 4A.3. Meng zi 7B.38. Meng zi 7B.33. Meng zi 7A.30. Meng zi 4B.22. Oft fälschlicherweise mit fünf „Elemente“ wiedergegeben.

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Stephan Peter Bumbacher Weil die Holzkraft im Siegen war, machte er grün zur vornehmsten Farbe und nahm das Holz in seinen Handlungen zum Vorbild. Zur Zeit des Tang [der Shang-Dynastie] ließ der Himmel erst eine Metallklinge im Wasser erscheinen. Tang sprach: ‚Die Kraft des Metalls ist siegreich‘. Weil die Metallkraft im Siegen war, darum machte er weiß zur vornehmsten Farbe und nahm das Metall in seinen Handlungen zum Vorbild. Zur Zeit des Königs Wen [der Zhou-Dynastie] ließ der Himmel zuerst eine rote Krähe erscheinen, die einen roten Brief im Schnabel hielt und sich auf dem Erdaltar von Zhou niederließ. Der König Wen sprach: ‚Die Kraft des Feuers ist siegreich‘. Weil die Feuerkraft im Siegen war, darum machte er rot zur vornehmsten Farbe und nahm das Feuer in seinen Handlungen zum Vorbild.421

Da zur Zeit des Zou Yan nominell noch immer die Zhou-Dynastie an der Macht war, konnte die nachfolgende Dynastie und ihr erster Herrscher noch nicht benannt werden. Hingegen erlaubte diese Theorie zumindest gewisse Voraussagen: Wenn ein anderes Geschlecht die Herrschaft des Feuers ablösen wird, so wird es sicher durch die Kraft des Wassers geschehen. Der Himmel hat bereits offenbart, dass die Kraft des Wassers im Siegen sein wird, darum wird [der neue Herrscher] schwarz zur vornehmsten Farbe machen und in seinen Handlungen sich das Wasser zum Vorbild nehmen.422

Wenn die Energie des Wassers ihren Höhepunkt erreicht und sich schließlich erschöpft haben wird, wird wiederum die Energie der Erde zum Zuge kommen, wird der Zyklus sich schließen und ein neuer Zyklus mit identischer Abfolge der Phasen und ihrer Energien beginnen.423 Ein anders geartetes, komplexes zyklisches Modell wurde während der Früheren Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 25 n. Chr.) von Astronomen entwickelt. Diese empfanden das Bedürfnis, die verschiedenen, gleichzeitig ablaufenden natürlichen Zyklen, mit denen sie es zu tun hatten, wie etwa das Mondjahr, das Sonnenjahr, das Jupiterjahr, die Lunationen usw., sowie die komplementär zu- und abnehmenden Kräfte Yin und Yang und die aufeinander folgenden fünf Wandlungsphasen miteinander in Übereinstimmung zu bringen.424 Das Resultat war ein System, in welchem bestimmte Sonnen-, Mond- und weitere Ereignisse gleichzeitig zur selben Tageszeit eintreffen und den Anfangspunkt eines komplexen Zyklus bilden, so wie sich beispielsweise Neumond und die Wintersonnenwende um Mitternacht desselben Tages ereignen. Dieser Zyklus wurde Konkordanz-Zyklus (tong) genannt und erstreckte sich über 1 539 Jahre. In einem nächsten Schritt wurde dieser Zyklus mit dem traditionellen Sechzigtage-Zyklus synchronisiert, sodass Neumond und die Wintersonnenwende um Mitternacht des ersten Tages eines Sechzigtage-

421 422 423 424

Vgl. Wilhelm 1971: 160f. Vgl. Wilhelm 1971: 161. Ebd. Sivin 1969.

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Zyklus fielen. Dies nannte man den Dreifachen Konkordanz-Zyklus (san tong). Dieser „Hyperzyklus“ umfasste dreimal 1 539 resp. 4 617 Jahre. Eine solche Periode von 4 617 Jahren wurde eine „Epoche“ (yuan) genannt. Den Anfang eines solchen yuan bezeichnete man als „Konjunktion“ (hui), da hier der gleichzeitige Beginn mehrerer Zyklen seinen Ursprung hatte. Was dieses Modell so populär machte, war der Umstand, dass Yin (Flut) und Yang (Dürre) als Verursacher von Katastrophen integriert waren. Jede „Epoche“ enthielt eine bestimmte Anzahl Katastrophenjahre, die als Konsequenz der wechselnden Verhältnisse zwischen diesen Kräften auftraten. Nach den ersten 106 Jahren ab Beginn des Zyklus folgte eine Periode von neun Dürrejahren, was als „yangneun“ bezeichnet wurde. Nach den nächsten 374 Jahren folgten neun Jahre von Überflutungen und Hochwassern, „yin-neun“ genannt. In nun folgenden größeren Abständen ereigneten sich jeweils kürzer werdende Dürre- und Flutperioden, sodass die „Epoche“ insgesamt 9 Katastrophenperioden aufwies und aus 4 560 „normalen“ und 57 „Katastrophenjahren“ bestand.425 Auf dieses Modell wird sich noch die zu Beginn des 4. Jahrhunderts entstandene apologetische buddhistische Schrift Über die Berichtigung von Verleumdungen (Zheng wu lun) explizit beziehen.426 Diese indigen chinesische Vorstellung bereitete gewissermaßen den Boden für die Verbreitung der kalpa-Idee des Buddhismus in China.

3.7.2. Erste vorbuddhistische Rettergestalten und frühe daoistische Apokalyptik Ebenfalls in der Früheren Han-Dynastie kam die Idee auf, dass verheerende Katastrophen nicht alle Menschen erfassen, sondern diejenigen errettet würden, welche an bestimmte Rettergestalten glaubten. Ältestes dokumentiertes Beispiel ist die Panik des Jahres 3 v. Chr. Das letzte Jahrzehnt des ersten vorchristlichen Jahrhunderts war einerseits von undurchsichtigen Verhältnissen am Kaiserhof geprägt, wo die Politik von rivalisierenden Clans bestimmt wurde, die je auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren, was sich auf die gesamte Administration und somit auch auf das Volk unvorteilhaft auswirkte. Andererseits hatte die Bevölkerung unter negativen Naturereignissen zu leiden. Diese wurden als Zeichen des Himmels gedeutet, die darauf hinwiesen, dass sich das Haus der Han im Niedergang befand. Eine ganze Reihe von Omina schien das Ende der Dynastie anzukündigen. Als eines dieser Omina wurde die Bewegung fanatisierter Massen gedeutet, die für

425 Han shu 984. Knechtges 1982: 374 Fn. L. 21. Alle Trocken- und Flutperioden eines „Epochen“-Zyklus werden von Link aufgelistet, Link 1961: 156 Fn. 94. Eine Kritik an diesem Modell findet sich in der ältesten Schicht (2. Jh. n. Chr.) des daoistischen Textes Schrift des großen Friedens (Taiping jing), in welchem für die Katastrophen das „ererbte Übel“ (cheng fu) der Menschen verantwortlich gemacht wird. Vgl. Petersen 1990: 1–41. 426 Hong ming ji T 2102: 7a-9a; vgl. Link 1961: 156.

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die Historiographen offenbar wie aus dem Nichts auftauchte und für die sie kein Verständnis aufbrachten. Diese Bewegung wird von der Geschichte der [Früheren] Han[-Dynastie] wie folgt beschrieben: Im ersten Monat des vierten Jahres der Ära Jian ping der [Regierung] des Kaisers Ai (Februar bis März 3 v. Chr.) rannte die Bevölkerung in Panik umher, [die Leute] hielten einen Strohhalm oder Hanfzweig [in Händen], gaben dieses Symbol weiter, übermittelten es und sagten „[Wir] reichen das kaiserliche Erkennungszeichen [der Mutter, Königin des Westens (Xi-wang-mu)] herum“. Die Menge [derer, die] sich [so] auf den Straßen begegneten, zählte häufig mehrere Tausend. Einige trugen ihr Haar aufgelöst und gingen barfuß, andere brachen nachts die Türen [der Häuser] ein, andere überkletterten die Mauern, [um in die Häuser] hinein [zu] gelangen, wieder andere bestiegen Wagen oder ritten im Galopp umher, um Stafetten einzurichten und [das Erkennungszeichen] weiterzugeben. Nachdem sie [so] 26 Kommandanturen und Bezirke (guo) durchquert hatten, erreichten sie die Hauptstadt. In jenem Sommer versammelten sich sowohl die Leute aus der Hauptstadt als auch diejenigen aus den [anderen] Kommandanturen und Bezirken in den Quartieren und Gassen und auf den Feldwegen, bereiteten [Opfergaben] und stellten Divinationsbretter auf, sangen und tanzten und verehrten die Mutter, Königin des Westens. Sie gaben ebenfalls ein Schriftstück weiter, welches besagte: „Die Mutter (gemeint ist: die Mutter, Königin des Westens) tut dem Volke kund: ‚Wer dieses Schriftstück am Gürtel trägt, wird nicht sterben. [Wer] meinen Worten nicht glaubt, sehe unter den Türscharnieren nach, [dort] muss es weiße Haare geben‘. Im Herbst [desselben Jahres] fand [das Ganze] ein Ende.427

Ergänzt wird diese Beschreibung durch zwei weitere Hinweise, die sich in demselben Geschichtswerk, aber an anderen Stellen finden. So wird in der Biographie des Kaisers Ai gesagt: Im Frühling des vierten Jahres [der Jian ping-Ära des Kaisers Ai] herrschte eine große Dürre. Die Bevölkerung östlich des Passes reichte das kaiserliche Erkennungszeichen der Mutter, Königin des Westens (Xi-wang-mu), herum. […] Einige hielten des Nachts Fackeln und bestiegen Haus[dächer], schlugen Trommeln und riefen [die Mutter, Königin des Westens,] beim Namen und [trieben] einander in Panik und Furcht.

Die letzte Textstelle, die sich auf diese Ereignisse bezieht und sich in der Abhandlung über Astronomie befindet, besagt: „Im ersten, zweiten und dritten Monat des vierten Jahres [besagter Regierungsperiode] belästigten sich die Leute gegenseitig, brüllten herum und rasten umher. […] Auch sagten sie: ‚Leute mit senkrecht [geschlitzten] Pupillen werden kommen‘.“ Die z. T. wörtlichen Entsprechungen in diesen drei Textpassagen lassen vermuten, dass sie alle aus ein und demselben Bericht stammen müssen, der von den Kompilatoren der Geschichte der [Früheren] Han[-Dynastie] „zerschnitten“ wurde und dessen einzelne „Schnipsel“ an geeignet erscheinenden Orten in das Gesamtwerk

427 Han shu 1476.

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„eingeklebt“ wurden. Wie ist nun dieser Texttorso zu interpretieren? Ausgangspunkt ist eine große Dürre, die im Gebiet östlich des Han-gu-Passes im heutigen He-nan herrschte. Diese muss so groß gewesen sein oder so große Ängste hervorgerufen haben, dass die Bevölkerung jenes Gebietes in Panik geriet. Es ist nicht mehr feststellbar, ob es tatsächlich das Ausmaß der Dürre gewesen ist, welches die Leute auf die Straße trieb. Es ist auch denkbar, dass die Trockenheit als weiteres Zeichen des Himmels gedeutet wurde, welches gesandt wurde, um Volk und Kaiserhaus zu verdeutlichen, dass das Mandat der Dynastie abgelaufen sei. Darauf weist jedenfalls hin, dass die Leute – unter Überwindung von Hindernissen aller Art – in die Hauptstadt eilten, wo offenbar die Parusie der Göttin erwartet wurde, welche die in Agonie verharrende Dynastie durch eine neue Herrschaft ablösen sollte. Die betroffene Bevölkerung hat offensichtlich noch viel größere Katastrophen als die herrschende Dürre erwartet, da der Bericht sagt, dass die Besitzer des im Umlauf befindlichen Schriftstückes „nicht sterben werden“. Es muss also davon ausgegangen werden, dass man die Ankunft der Göttin als von einer Katastrophe begleitet erwartete. Bestätigt wird diese Annahme im berichteten Gerücht, dass „Leute mit senkrecht [geschlitzten] Pupillen kommen werden“. Wesen mit solchen Augen sind todbringend. Im zeitgleichen Kommentar zu den Liedern von Chu (Chu ci) ist von Geistern des Westens die Rede, die u. a. senkrecht [geschlitzte] Pupillen aufweisen, sich unbändig freuen, wenn sie Menschen in ihre Hände bekommen, diese malträtieren und schließlich töten können. Da auch die Göttin, wie ihr Name „Mutter, Königin des Westens“ (Xi-wang-mu) schon sagt, aus dem Westen stammt, wird es sich bei diesen „Leuten mit senkrecht [geschlitzten] Pupillen“ also um die Vollzugsgehilfen der Göttin handeln, die alle Menschen töten werden, die nicht im Besitze des entsprechenden Schriftstückes sind. Da spätestens seit der Han-Zeit die Xi-wang-mu als Garantin der Unsterblichkeit galt, ist davon auszugehen, dass die Anhänger der Göttin glaubten, dass diejenigen sogar selber unsterblich werden würden, welche unbeschadet die Katastrophe überleben. Schließlich ist noch das offenbar abrupte Ende der Bewegung erklärungsbedürftig. Die politischen und ökonomischen Bedingungen hatten sich in den wenigen Monaten, in denen die Bewegung in Erscheinung trat, kaum geändert. Von einer militärischen Unterdrückung der Bewegung ist im Text auch nicht die Rede. Es wird wohl so gewesen sein – und darauf weist die berichtete Hast der Leute hin –, dass das Erscheinen der Göttin auf ein bestimmtes und zwar kurz bevorstehendes Datum hin erwartet wurde. Als zu diesem Zeitpunkt die Parusie der Xi-wang-mu ausblieb, müssen sich ihre Anhänger wohl neu orientiert haben, allerdings ohne dass sich darüber irgendein Hinweis erhalten hat. Eine weitere Rettergestalt findet sich etwa zwei Jahrhunderte nach dieser Bewegung in Si-chuan, bezeichnenderweise wiederum in einer politischen Krisensituation, als die Spätere Han-Dynastie (25–220 n. Chr.) ihrem Ende entgegensah. Zumindest unter einem Teil der Bevölkerung müssen eschatologische Vorstellungen populär gewesen sein. In diesem Falle wurde nicht die Göttin Xi-

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wang-mu als Retterin aus der bevorstehenden Katastrophe angesehen, sondern Lao-zi, der im Jahre 165 n. Chr. vom Kaiser offiziell – vermutlich als Reaktion auf entsprechende Vorstellungen im Volk – zum Gott erklärt und zusammen mit dem Buddha in einem gemeinsamen Kult verehrt worden war.428 Über diese Bewegung schweigen sich die offiziellen Dynastiegeschichten aus, was als Hinweis darauf gewertet werden kann, dass es sich einerseits um ein volksreligiöses Phänomen handelte, andererseits sich die Bewegung nicht so stark bemerkbar gemacht hat, dass sie vom Hofe und seinen Beamten hätte zur Kenntnis genommen werden müssen. Zufällig wurde aber ein entsprechender Text (in einer Abschrift des 7. Jahrhunderts) in den Höhlen von Dun-huang gefunden. Diese Schrift von den Transformationen des Lao-zi (Lao zi bian hua jing) ist zwar nicht in originaler Länge erhalten und an manchen Stellen korrupt, dennoch ist der Text sehr aufschlussreich.429 In einem ersten Teil wird Lao-zi als Wesen beschrieben, das schon vor der Entstehung des Universums im Ur-Chaos existierte. Nicht nur ist er der Herrscher über alle Gottheiten, der Urahn der polaren Kräfte Yin und Yang, die positive wie auch die negative Seele (hun und po) aller Wesen, er stützt auch die Erde und befestigt den Himmel. In einem zweiten Teil werden seine bisherigen Inkarnationen aufgezählt, in welchen er in mythischer und historischer Vergangenheit bereits auf Erden erschienen ist. „Entsprechend den Umständen“, in denen sich die Welt jeweils befand, trat er in der Regel als ein Weiser auf, der den Königen und später Kaisern als Ratgeber diente. Die in der gegenwärtigen Periode jedoch als Zeichen einer schlechten Herrschaft überall wütenden Epidemien und Hungersnöte zeigen, dass Lao-zi mit der herrschenden Späteren Han-Dynastie derart unzufrieden ist, dass er sie zu zerstören gedenkt. Die Unglückseligen jedoch, die unter den derzeitigen Verhältnissen unverschuldet zu leiden haben, sollen errettet werden. Die Auswahl der Glücklichen wird Lao-zi selber vornehmen, nach Maßgabe des Verhaltens der Menschen (Aufrichtigkeit und meditative Selbstkontrolle, 10 000-faches Rezitieren des Dao de jing und Bekennen der Sünden). Es gibt jedoch eine Möglichkeit zu erfahren, ob man zu den Auserwählten gehören wird. Schon Xi-wang-mu hatte als Verfahren zur Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit empfohlen, unter den Türscharnieren nachzusehen, und wenn man dort weiße Haare findet, ist das der Beweis für die Richtigkeit dessen, was sie verkündet. Lao-zi erklärt nun, dass er jene, die Tag und Nacht an ihn denken, nicht verlassen werde, und dass er denjenigen, die selbst im Traume noch an ihn denken, im Traume erscheinen werde – als Beweis seiner Vertrauenswürdigkeit. Der Text enthält einen expliziten Hinweis darauf, wann die Katastrophe über China hereinbrechen wird. Dies wird der Fall sein, wenn der Planet Venus seine

428 Vgl. Zürcher 1959: 37. 429 Vgl. Seidel 1978: 153–157.

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Bahn verlassen wird.430 Dann soll man sich schnell zum Berg des Südens (? Lesung unsicher) begeben und Lao-zi dort suchen. Dann werde man aus der Gefahr errettet. Lao-zi übernimmt hier also die Funktion eines Retters, eines „Messias“. Im Jahre 184 brachen sowohl in Si-chuan als auch in Ostchina zwei große, von Daoisten angeführte Revolten aus. Während die so genannten Gelbturbane des Ostens unter Aufbietung erheblicher militärischer Mittel vonseiten der Regierung schließlich besiegt werden konnten, gelang es den Himmelsmeistern in Si-chuan, für wenige Jahrzehnte einen unabhängigen theokratischen Staat im Staate zu bilden. Obwohl die beschriebene Lao-zi-Bewegung trotz geographischer Nähe mit den Himmelsmeistern ursprünglich nichts gemein gehabt haben dürfte, sind ihre Mitglieder wohl in das neue Gebilde integriert worden.

3.7.3. Vorbuddhistische zyklische kosmische Katastrophen Möglicherweise bereits im 3. Jahrhundert n. Chr.431 wurde die ursprüngliche Theorie des Dreifachen Konkordanz-Zyklus (san tong) in der daoistischen Mittleren Schrift des Lao-zi (Lao zi zhong jing) dahingehend modifiziert, dass sich an den zeitlichen Knotenpunkten der verschiedenen Zyklen kosmische Katastrophen ereignen. Über die Provenienz des Textes und die damit zu verbindende religiöse Bewegung kann nichts gesagt werden. In sehr knapper Form werden darin drei fundamentale Zyklen dargestellt: 1. der Zyklus, welcher sich auf die Bewegung des Sternes Tai-yi durch die Neun Paläste des Himmels bildet, 2. der Zyklus, den die komplementäre Bewegung des als weiblich gedachten Gegenstückes, des Sternes Tai-yin beschreibt, und 3. der Zyklus der so genannten schädlichen Energie, welche jeweils an einem bestimmten Tag des ersten Monats jeder Jahreszeit auftritt. Wann immer diese drei Zyklen zusammenfallen, nämlich alle 36 Jahre, nennt man dieses Ereignis „Dreifache Vereinigung“. Das entsprechende Jahr ist dann geprägt von Katastrophen wie Überflutungen, Trockenheit, Hungersnöten und Feuersbrünsten. Zusätzlich können Kriege und Epidemien auftreten, die Transportwege sind unpassierbar und die Bevölkerung der betroffenen Gebiete wandert in andere Regionen aus. Das Zusammentreffen weiterer Zyklen führt darüber hinaus alle 45 Jahre zu kurzen Trockenperioden, alle 90 Jahre zu kurzen Hungerperioden, zu großen Trockenperioden alle 180 Jahre und zu großen Hungerperioden alle 360 Jahre. Aufgrund der fortschreitenden Verschlechterung der Verhältnisse, die in diesem Text nun nicht mit der schlechten Politik eines Herrschers und seiner Regierung in Verbindung gebracht, sondern als unausweichliche Konsequenz kos-

430 Dass der Planet Venus seine Bahn verlässt, wird heute so verstanden, dass die Projektion seiner Bahn am Himmel eine retrograde Schleife bildet, die Venus sich also scheinbar rückwärts bewegt. 431 Schipper 1995.

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mischer Prozesse gedeutet wird, erscheint alle 500 Jahre eine kleine Gruppe tugendhafter Menschen, alle 1 000 Jahre eine kleine Gruppe Weiser und alle 3 600 Jahre eine große Gruppe Weiser. Vermutlich besteht deren Aufgabe darin, den Rechtschaffenen unter den Menschen, genauer: denjenigen, die sich gewissenhaft an die liturgischen Anweisungen des Textes halten, bei ihren Bemühungen sich zu vervollkommnen behilflich zu sein. Alle 18 000 Jahre erscheint ein Wahrhafter Mensch, um die Welt zu regieren, alle 36 000 Jahre der Unsterbliche des Höchsten Poles (= des Sternes, der dann Polarstern sein wird) mit derselben Absicht. Dennoch ist es unausweichlich, dass es nach 360 000 Jahren zu einer Vereinigung von Himmel und Erde kommt, wobei die Ur-„Energie“, aus welcher alles entstanden ist, wieder in den Zustand des ursprüngliche Chaos vor der Entstehung des Kosmos zurückkehrt und alle Formen sich auflösen. Danach werden diejenigen, die vor der Katastrophe Menschen gewesen waren, als Tiere wiederkehren, und die Tiere von ehedem werden zu Menschen – und das Ganze kann wieder von vorne beginnen. Unbeschadet werden hingegen die Unsterblichen den Prozess überstehen, da sie sich weit außerhalb des „Kosmos“ im Unendlichen aufhalten. In der kurzen Beschreibung scheint nichts auf eine Rettergestalt hinzuweisen, welche die Gläubigen durch die Katastrophe hindurch in das Hernach führen würde. Vielmehr legt der Kontext nahe, dass es in der Macht der Daoisten selbst zu liegen scheint, durch genaues Befolgen der Anweisungen des Textes zu Unsterblichen zu werden und so den Kataklysmus zu „überleben“. Unter den bisher betrachteten Beispielen stellt diese somit eine Ausnahme dar.

3.7.4. Der daoistische „Messias“ Li Hong Die herausragende Retterfigur, die nach der Han-Dynastie das Erbe der Xi-wangmu und des Lao-zi antrat, war Li Hong.432 Ursprünglich eine historische Gestalt, die sich im Si-chuan des 1. Jahrhunderts v. Chr. einen Namen gemacht hatte, als sie ein ihr angetragenes Amt ablehnte, war Li Hong gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. bereits zu einem Heiligen geworden, für den man eine Stele errichtete und einen Kult installierte. Im 4. Jahrhundert traten dann Rebellen unter diesem Namen auf und verbreiteten die Vorstellung, dass ein revolutionärer Li Hong mittels religiöser Praktiken der leidenden Bevölkerung zu Hilfe kommen wolle. Spätestens ab der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wurde aus dem religiös-politischen Li Hong eine himmlische Retterfigur, die als „Messias“ einen Teil der Menschheit aus der unmittelbar bevorstehenden Apokalypse erretten werde. Im Glauben der shang qing-Tradition würden die guten Menschen in einem Jia shen-Jahr als „Saatvolk gesät“, während die üblen und gewalttätigen Menschen durch Epidemien, Flutkatastrophen, Waf-

432 Seidel 1969–1970.

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fengewalt und Feuer ausgelöscht werden. In einem Ren chen-Jahr würde der Weise Herr Li Hong als Himmlischer Kaiser des Goldenen Tores vom Himmel herabsteigen, sich den Menschen in seiner Herrlichkeit zeigen und die Herrschaft übernehmen. Das Saatvolk werde dann in ein neues Zeitalter überführt werden.433

3.7.5. Die buddhistische kalpa-Idee und ihre Adaptation im Daoismus Bereits in einer der ersten Mahāyāna-Sūtras, die Lokakṣema und sein Team ins Chinesische übersetzten, im Pratyutpanna buddha saṃmukhāvasthitasamādhi-sūtra (Ban zhou san mei jing, T 418), taucht das Zeichen kĭap (heutige Mandarin-Aussprache jie) fünfundzwanzig Mal auf. Seine wörtliche Bedeutung „rauben“ oder „plündern“ machte im Kontext überhaupt keinen Sinn, also musste es als phonetisches Äquivalent für ein Fremdwort, nämlich kappa (Pāli) resp. kalpa (Sanskrit) verwendet worden sein. Vielleicht geht die Verwendung von jie für kalpa sogar schon auf An Shi-gao zurück, falls das Qi chu san guan jing (T 150A)434 tatsächlich von ihm stammen sollte.435 In buddhistischen Texten, die in China selber verfasst wurden, findet sich das Zeichen kĭap in der apologetischen Schrift Über die Berichtigung von Verleumdungen (Zheng wu lun), welche nach 324 n. Chr. geschrieben wurde. Die fragliche Passage lautet: „[Der Buddha] kultivierte das Gute der fünf Gebote, schöpfte das Schöne der zehn Tugenden aus und er praktizierte dies während vieler kĭap.“436 Ein uneingeweihter Chinese dürfte bei der Lektüre des Ausdrucks lui kĭap (M.: lei jie; wörtlich: „viele Räubereien“) wohl zunächst gestutzt haben, insbesondere da nirgendwo im Text eine Definition oder Erklärung geboten wird. Andererseits waren ähnlich konstruierte Ausdrücke wie lei ri („während vieler Tage“) oder lei shi („während einer langen Zeit“) gebräuchlich, die nahe legten, dass lei jie wohl eine Art Zeitbezeichnung sein müsse. In Über die Berichtigung von Verleumdungen wird allerdings keine Verbindung hergestellt zwischen kalpas und Endzeitvorstellungen, während der Autor durchaus den Han-zeitlichen Katastrophenzyklus mit seiner „106 [Jahre] Theorie“ gekannt hat, wie folgende Sätze belegen: „Schicksal ist, was die Prinzipien von yin und yang hervorbringen. Wenn die Extreme der „106 [Jahre]“ auftreten, befinden sich [die Katastrophen] auf dem Höhepunkt.“437 Ein chinesischer Leser müsste daher im Prinzip in der Lage gewesen sein, eine Verbin-

433 Shang qing hou sheng dao jun lie ji DZ 442: 3b-4b; vgl. Bokenkamp 1997: 345–347. 434 Eine Sammlung von 47 sehr kurzen Sūtras, von denen 30 ein Pāli-Gegenstück im Aṅguttara nikāya besitzen. Siehe Zürcher 1991: 297. Jie kommt insgesamt viermal vor. 435 Zur Zuschreibung siehe Nattier 2008: 46. 436 Li huo lun in T 2102: 7c27. Siehe Link 1961: 148. 437 Li huo lun T 2102: 8c1. Vgl. Link 1961: 156–157.

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dung zwischen dem bereits bekannten Han-zeitlichen „Epochen-Zyklus“ und dem neuen, buddhistischen kĭap- oder kalpa-Zyklus herzustellen. Im 4. Jahrhundert ist die kalpa-Vorstellung schließlich soweit Allgemeingut geworden, dass sie auch Eingang in daoistische Schriften fand, etwa in Gedichte, welche Gottheiten der shang qing-Tradition ausgewählten Menschen übermittelten. Dort diente sie dazu, nicht weiter spezifizierte, sehr lange Zeiträume anzudeuten, in welchen sich das Leben der Götter abspielte.438 Spätestens seit dem frühen 5. Jahrhundert übernahmen Daoisten den kalpa-Begriff in ihre apokalyptische Visionen. So heißt es im etwa um 420 entstandenen Teil der Schrift des Allerhöchsten von den göttlichen Zauberformeln des Abgrundes (Tai shang dong yuan shen zhou jing, DZ 170)439: Ihr alle, hört gut zu, das Dao verkündet: ‚Ich will euch nun von den Dingen berichten, die sich am Ende des [jetzigen] kalpas ereignen werden. 3 000 Jahre nach dem (legendären Kulturbringer) Fu-xi wird eine große Flut die Menschen überwältigen und die Hälfte wird untergehen. […] Wind und Regen werden nicht jahreszeitgemäß eintreffen, die fünf Getreidearten werden nicht mehr reifen, Übel wird die Herzen der Menschen ergreifen. […] Epidemische Energien werden sich überall unter dem Himmel ausbreiten und neunzig Arten von Krankheiten werden alle Übeltäter auslöschen.‘440

Die Zerstörung wird ihren Anfang in einem Ren wu-Jahr (genaue Datierung unsicher: 382?, 442? oder 502?) nehmen. Als Vollzugsgehilfen werden 37 000 rotgesichtige Mörderdämonen walten, die mittels todbringender Energien alle Lebewesen außer den Daoisten und den Anhängern dieser Schrift, die tief im Innern der heiligen Berge überleben, vernichten werden. Kriege, Epidemien und Fluten werden die Welt reinigen. Dann wird der Höchste Herr Lao (Tai shang Lao jun) Li Hong in einem Ren chen-Jahr (392?, 452?, 512?) senden, der das „Saatvolk“ (die Auserwählten) in eine Herrschaft des Großen Friedens überführen wird.441 Sämtliche bekannten daoistischen Traditionen brachten im 4. und 5. Jahrhundert apokalyptische Texte hervor. Besonders produktiv scheinen allerdings kleinere, periphere Gruppierungen gewesen zu sein, deren entsprechende Schriften mit der Zeit von den großen Traditionen kooptiert wurden.442 Die typischen Elemente, welche in verschiedener Auswahl oder zur Gänze in diesen Texten auftreten, sind Voraussagen von Katastrophen, Beschreibungen bevorstehender Desaster, eschatologische Herrscher, die für eine begrenzte Zeit eine vollkommene Herrschaft ausüben werden, ein göttlicher Retter, die eigentliche Apokalypse, Errettung auserwählter Gläubiger, die Errichtung einer neuen Welt. Diese Vorstellun-

438 Z. B. Zhen gao DZ 1016: 3.5a, vgl. Smith 2013: 174; 4.5b, Smith 2013: 255; 4.8b, Smith 2013: 269. 439 Hierzu siehe Mollier 1990. 440 Tai shang dong yuan shen zhou jing DZ 170: 1.3b-4a, vgl. Seidel 1985: 169. 441 Vgl. Seidel 1985: 169. 442 Einen ersten Überblick bietet Mollier 1990: 22–25.

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gen müssen in den ersten Jahrhunderten n. Chr. in China so populär gewesen sein, dass der Buddhismus nicht umhinkam, diese mutatis mutandis in seine Lehre zu integrieren.

3.7.6. Die buddhistische mo fa-Lehre Vielleicht ein Jahrhundert nach dem Tod des Buddha kam in verschiedenen nikāyas die Vorstellung auf, dass der Dharma nur für eine beschränkte Zeit überleben und schließlich völlig verschwinden werde. Im Saddhammappatirūpaka-Sutta beispielsweise ist die Rede davon, dass, wenn die Wesen zurückgehen und die gute Lehre verschwindet, die Anzahl Vorschriften des vinaya sich vergrößert und weniger Bhikkhus sich im Stand der höchsten Erkenntnis befinden.443 Das Sūtra führt dies auf die zunehmende Verschlechterung der moralischen Qualität des sangha und der Laien zurück. Fünf Dinge (die vermieden werden müssen) führen zum Aufhören und Verschwinden der guten Lehre, nämlich: 1. dass bhikkhus und bhikkhunis, Laienbrüder und Laienschwestern dem Meister gegenüber weder Ehrfurcht noch Hochachtung entgegenbringen; 2. dass sie der Lehre gegenüber weder Ehrfurcht noch Hochachtung entgegenbringen; 3. dass sie der Gemeinde gegenüber weder Ehrfurcht noch Hochachtung entgegenbringen; 4. dass sie gegenüber der Schulung weder Ehrfurcht noch Hochachtung entgegenbringen; 5. dass sie gegenüber der geistigen Sammlung weder Ehrfurcht noch Hochachtung entgegenbringen.444 In ähnlicher Form erscheint dieses Motiv in einer ganzen Reihe von Suttas des Pāli-Kanon. Daneben wird aber auch die Aufnahme der Frauen in den Orden als Ursache genannt. Hätte die Frau nicht die Erlaubnis erhalten, unter der vom Buddha verkündeten Lehre und Zucht vom Hause in die Hauslosigkeit zu ziehen, so würde der Heilige Wandel noch lange Bestand haben, so würde die Gute Lehre noch tausend Jahre fortbestehen. Da nun aber die Frau diese Erlaubnis erhalten hat, wird jetzt der Heilige Wandel keinen langen Bestand haben, nur noch fünfhundert Jahre wird jetzt die Gute Lehre bestehen.445 Als man sich bewusst wurde, dass die fünfhundert Jahre verstrichen waren, die Lehre aber noch immer existierte, begann man, deren Lebensdauer als länger zu denken. Zunächst war von 1 000, dann von 1 500, 2 000, 2 500 bis schließlich sogar von 5 000 Jahren die Rede. Nach dem vollständigen Verschwinden des Dharmas werde es Jahrmillionen dauern, bis der Maitreya erscheinen werde, der nächste Buddha, der das Gesetz wieder verkündet. Wurde ursprünglich die 500-jährige Lebensdauer nicht weiter differenziert gedacht, so stellte man sich die längeren

443 SN 16.13. 444 SN 16.13. 445 AN 8.51.

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Fristen zunächst als zweiperiodisch und in China schließlich als dreiperiodisch vor. Im „indischen“ Zweiperiodenmodell folgt auf den Tod des Buddha eine Zeit des „wahren dharma“ (saddharma), welche von einer Zeit der „Fälschung des wahren dharma“ (saddharma-pratirūpaka) abgelöst wird. In China wurden für saddharma der „wahre dharma“ zheng fa und für saddharmapratirūpaka der „Schein-dharma“ xiang fa446 von Dharmarakṣa sowohl in seiner Übersetzung des Lotos-Sūtra aus dem Jahr 286 als auch weiterer Werke eingeführt. Generell für die Zeit nach dem Tode des Buddha verwendeten die indischen Buddhisten das Sanskritwort paścimakāle, oder „in der späteren Zeit“,447 was Dharmarakṣa mit mo shi „Endzeit“ wiedergab und was, wie auch zheng fa und xiang fa, von weiteren Übersetzern übernommen wurde. Als Synonym zu mo shi „Endzeit“ wurde verschiedentlich auch mo fa „End-dharma“ verwendet, wie z. B. in Kumārajīvas Übersetzung des Lotos-Sūtra aus dem Jahr 405 oder 406: „Nach dem Verlöschen des Tathāgata, während des ‚End-Dharmas‘ (mo fa), werden diejenigen, welche dieses Sūtra zu verkünden wünschen, in ruhigem und freudigem Wandel verharren.“448 Mit der Zeit nahm die Verwendung von mo fa eine Eigenentwicklung an und änderte seine Bedeutung.449 Hui-si (515–577) scheint der erste gewesen zu sein, der 558 in seiner Schrift Das vom großen dhyāna-Meister von Nan-yue abgelegte Gelübde (Nan yue si da chan shi li shi yuan wen, T 1933) mo fa als „eigenständiges“ drittes Stadium der Lehre des Buddha angenommen hat und so das ursprüngliche Zweiperioden- zu einem Dreiperiodenmodell erweiterte – zu der Reihe zheng fa „wahrer dharma“, xiang fa „Schein-dharma“ und mo fa „End-dharma“, letzteres in der Bedeutung von „Untergang des dharma“. Einige der großen Meister des 6. und 7. Jahrhunderts befassten sich in ihren Schriften mit diesem Modell, darunter Huiyuan (523–592), Ji-zang (549–623), Dao-xuan (596–667), Dao-chuo (562–645), Xinxing (540–594) und Ling-yu (517–605) und Dao-shi (613–681).450 Zwei wichtige Traditionen basieren auf dieser Lehre, nämlich die Schule des Reinen Landes (jing tu zong) und die Lehre der Drei Stufen (san jie jiao). Dao-shis Kompendium Perlenhain im Garten des dharma (Fa yuan zhu lin, T 2122) von ca. 668 zitiert aus über fünfzehn Schriften, in welchen vom Untergang des dharma die Rede ist.451

3.7.7. Das Verlöschen des dharma In seinem Werk Die autographisch [festgehaltenen] Ereignisse der Reise nach Indien des Mönchs Fa-xian der östlichen Jin-Dynastie (Dong jin sha men shi fa xian zi ji you tian

446 447 448 449 450 451

Zheng fa hua jing (Lotos sūtra) T 263. Xiang fa kommt ingesamt 21-mal vor. Nattier 1991: 109. Miao fa lian hua jing (Lotos sūtra) T 262: 37c29. Nattier 1991: 103. Hubbard 1986: 34. Fa yuan zhu lin T 2122: 1005a-1013a.

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zhu shi, T 2085) berichtet der chinesische Mönch Fa-xian, wie er auf seiner Reise nach und durch Indien (399–413) in Ceylon (412) die Rede eines Mönches hörte, in welcher dieser u. a. predigte: Die Tausend Buddhas des bhadra kalpa verwendeten alle diese eine [Bettel]schale [des Buddha Śākyamuni]. Wenn die Schale einmal verschwunden sein wird, wird das Gesetz (dharma) des Buddha allmählich verlöschen. Nach dem Verlöschen des Gesetzes des Buddha wird sich die Lebensspanne der Menschen verkürzen bis sie [nur noch] fünf Jahre beträgt. Während dieser ‚Fünf-Jahre-Zeit‘ werden Reis und Butter vollständig verschwinden, die Menschen werden extrem böse werden und wenn sie Holz[zweige] in der Hand halten, dann werden sich [diese] verwandeln und zu Schwertern und Stöcken werden und gemeinsam werden sie sich gegenseitig Schaden zufügen. Diejenigen unter ihnen, welche Glück haben werden, werden fliehen, in die Berge gehen und werden, wenn die bösen Menschen sich gegenseitig umgebracht haben, wieder zurückkommen und zueinander sagen: ‚Früher war die Lebenszeit der Menschen extrem lang. Weil sie aber böse wurden und gesetzlose [Taten] begingen, wurde unsere Lebensspanne in der Folge verkürzt, bis sie [nur noch] fünf Jahre betrug. Wir sollten nun gemeinsam [nur noch] Gutes tun, Mitgefühl entwickeln und treues und rechtschaffenes Handeln kultivieren. Wenn dann jeder treu und rechtschaffen handeln wird, wird sich die Lebensspanne vervielfachen und schließlich 80 000 Jahre betragen‘. Wenn Maitreya in die Welt kommen und beginnen wird, das Rad des Gesetzes zu drehen, wird er zuerst die Anhänger des von Śākya[muni] überlieferten Gesetzes erlösen. […]. Als Fa-xian (= ich) wünschte, dieses Sūtra zu kopieren, sagte jener Mensch: ‚Davon gibt es keinen [schriftlichen] Sūtratext – aus meiner Erinnerung (wörtl.: Herzen) habe ich es mündlich vorgetragen‘.452

Unter den in China entstanden apokryphen Texten, also Texten, die nicht aus indischen Sprachen übersetzt wurden, befindet sich auch die kurze Schrift über das vollständige Verlöschen des dharma (Fa mie jin jing, T 396), welche vor 515 verfasst wurde und in leicht gekürzter Form und mit Schreibvarianten in Seng-yous Clanregister der Śākya (Shi jia pu, T 2040) zitiert wird. Es lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die kurze Rahmengeschichte setzt drei Monate vor dem Verlöschen (parinirvāna) des Buddha ein. Auf wiederholte Fragen nach seinem seltsamen Verhalten antwortet der Buddha, dass nach seinem Weggang eine üble Zeit folgen werde, in der mo-Dämonen (skt. māra) ihr Unwesen treiben, zu Mönchen werden und die buddhistische Lehre verderben werden. Sie würden sich prächtig kleiden, Alkohol trinken, Fleisch essen und Lebewesen töten, um ihrer Gier nach feinen Genüssen zu frönen. Obwohl es dann noch bodhisattvas, pratyeka-buddhas und arhats geben mag, die sich voll und ganz für die Armen und Bedürftigen einsetzen, werden die mo-Mönche alles gegen sie in Bewegung setzen und sie vertreiben. Dann wird niemand mehr sich Verdienste erwerben können entsprechend der Lehre. Die Tempel werden leer und in desolatem Zustand sein, man wird sie nicht in Stand halten, sondern zulassen, dass sie zerfallen. Die Mönche werden nur noch an mate-

452 Dong jin sha men shi fa xian zi ji you tian zhu shi T 2085: 865c.

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riellen Gütern interessiert sein, Sklaven halten und Ackerbau betreiben, [entlaufene] männliche Sklaven werden zu Mönchen, weibliche zu Nonnen. Einige werden den Behörden entgehen und Zuflucht in seinem Weg (dao) finden wollen. Sie werden zwar Mönche werden, aber weder die Regeln noch die Gebote befolgen wollen. Die Schriften werden sie nicht rezitieren, die Texte nach Belieben abkürzen. […] Ihre Seelen werden in die avici-Hölle fallen, während unendlicher kalpas werden sie als Hungergeister und Haustiere vegetieren. […] Wenn das Gesetz verlöschen wird, werden sich die Frauen um Verdienst bemühen, die Männer, faul und träge, werden keine Verwendung haben für die Worte des Gesetzes. Wenn das Gesetz zugrunde gehen wird, werden alle devas weinen, Überschwemmungen und Dürren werden sich nicht ausgleichen, die fünf Getreidearten werden nicht reifen, krankmachende Energien werden im Umlauf sein und der Toten werden viele sein. Das Volk wird Mühsal erleiden, die Beamten werden fordernd und berechnend sein. […] Die üblen Menschen werden überhandnehmen. Weil das kalpa zum Ende kommen wird, werden die Tage und Monate kürzer werden, die Lebenszeit der Menschen gedrängter, mit vierzig werden sie ergrauen, die ungezügelt ausgelebte Sexualität wird die Lebenszeit der Männer verkürzen, so dass sie [höchstens] noch sechzig Jahre alt werden. Während die Männer kurzlebiger werden, wird das Leben der Frauen sich verlängern auf siebzig, achtzig, neunzig, in einzelnen Fällen gar hundert Jahre. Große Fluten werden plötzlich hereinbrechen, Lebewesen aller Art werden […] ertrinken und weggeschwemmt werden. […] Sollte es dann noch bodhisattvas, pratyeka-buddhas und arhats geben, werden sie, von dem mo-Dämonen vertrieben, nicht mehr an den [prātimokṣa-]Versammlungen teilnehmen können, sondern sich in die Berge und in glückliche und gesegnete Gebiete zurückziehen. […] Ihre Lebensspannen werden länger, die devas werden sie beschützen und [der bodhisattva Prinz] Mondlicht (yue guang) wird in der Welt erscheinen. Sie werden sich treffen können und gemeinsam werden sie meinen Weg (dao) [wieder] erblühen lassen. Nach 52 Jahren werden das Śūraṅgama-sūtra und das Pratyutpannasamādhi-sūtra verlöschen und verschwinden, danach werden die zwölf Abteilungen der Schriften [des Mahāyanā] vollständig erlöschen und nicht wiedererscheinen. […] Die Roben der Mönche werden spontan weiß werden. Wenn mein Gesetz verlöschen wird, wird das sein wie eine Öllampe – wenn sie am Verlöschen ist, leuchtet ihr Schein nochmals hell auf, dann verlischt sie. […] Mehrere hunderttausend Jahre später wird Maitreya auf die Erde herniederkommen und zum Buddha werden, das Reich wird sich großen Friedens (tai ping) erfreuen, die Übel[-bringenden] Energien werden zerstreut, […] die Menschen werden achtzig Fuß groß und alle werden 84 000 Jahre alt werden. Unzählige Lebewesen werden die Erlösung erlangen. […] Die Rahmenerzählung setzt wieder ein und Ananda fragt, wie dieses Sūtra denn heißen soll, worauf der Buddha den Titel [Sūtra über] das vollständige Verlöschen des dharma (Fa mie jing) nennt. Während in den daoistischen Apokalypsen bisher eine Rettergestalt begegnete, Li Hong, werden hier zwei Figuren eingeführt. Zunächst erscheint der bodhisattva

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Prinz Mondlicht, der für eine kurze Renaissance des Buddhismus sorgt, zusammen mit den bodhisattvas, pratyeka-buddhas und arhats, die sich zurückgezogen hatten. Fünf Jahrzehnte später wird es aber zur vollständigen [Selbst-]Zerstörung des dharma kommen. Hunderttausende Jahre später wird Maitreya erscheinen, unter dem sich paradiesische Zustände einstellen werden.

3.7.8. Buddhistische Adaptation daoistischer Apokalyptik Von den buddhistischen apokryphen apokalyptischen Sūtras haben offenbar zwei weitere aus dem 6. Jahrhundert stammende Manuskripte in Dun-huang überlebt, das Sūtra des Mönchs Shou-luo (Shou luo bi qiu jing) und das Sūtra des bezeugten Verständnisses gelehrt vom Bodhisattva Samantabhadra (Pu xian pu sa shuo zheng ming jing). Ersteres, auf das sich das Augenmerk nun richtet, lässt sich wie folgt zusammenfassen.453 Das Sūtra des Mönchs Shou-luo besteht aus wenigstens drei Episoden. Die erste handelt im legendären „Land der Vollkommenen“ (jun zi guo), einer Insel im Ostmeer, welche von langlebigen heiligen Wesen bevölkert und in der chinesischen Tradition seit der Schrift von den Bergen und Gewässern (Shan hai jing, vermutlich Han-Zeit) bekannt ist. Eingangs wird die Begegnung zwischen einem gewissen bhikṣu Shou-luo (Śūra?), der im Tai-ning-Kloster (anscheinend nahe der Hauptstadt dieses Landes) lebt, und dem Anführer einer Gruppe von fünfhundert daoistischen (sic) Unsterblichen, die dort eintreffen, geschildert. Diese sind zwar auf dem Wege zum Aufenthaltsort des [bodhisattva] Prinz Mondlicht (yue guang tong zi), folgen aber Shou-luos Einladung, eine Weile im Kloster zu bleiben. Es schließt sich ein längerer Dialog an zwischen dem Mönch und dem „Großen Unsterblichen“ (da xian) über die unmittelbar bevorstehenden Katastrophen und wie man diesen entgehen könnte.454 In der zweiten Episode des Textes erscheint der König des „Landes der Vollkommenen“ mit riesigem Gefolge von Ministern und Höflingen und lässt sich vom Großen Unsterblichen über die Absicht seiner Reise informieren. Dann beschließt der König, sich der Gruppe der Unsterblichen anzuschließen, genau wie Shou-luo. Die ungeheure Reisegesellschaft macht sich auf den beschwerlichen Weg zu den Inseln Peng-lai, die in der daoistischen Tradition bereits lange bekannt waren als einer der Aufenthaltsorte der Unsterblichen. Dort residiert Prinz Mondlicht mit einem Gefolge von 3 000 Heiligen in einer unterirdischen Höhle. Er erläutert die Details der apokalyptischen Ereignisse und die zu befolgenden Methoden, um errettet zu werden.

453 Das Folgende gründet auf Zürcher 1982. 454 Zürcher 1982: 36.

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In der dritten Episode kehrt die Reisegesellschaft ins „Land der Vollkommenen“ zurück. Der König setzt alles daran, das vom künftigen Retter Gehörte zu verbreiten, um so viele Menschen wie möglich in letzter Minute zu bekehren. Dieser Teil enthält auch konkrete Hinweise, wie bestimmte geistige Übungen im Verbund mit dhāraṇī-Rezitationen455 und rituellen Reinigungen zu praktizieren sind, damit man den Retter, hier Herr des Lichtes genannt, mit all seinen Attributen visualisieren kann. Auf die offensichtlich daoistischen Elemente in dieser buddhistischen Schrift hat bereits E. Zürcher hingewiesen: 1. die Gruppe daoistischer Unsterblicher auf der Suche nach dem buddhistischen Retter Bodhisattva Prinz Mondlicht; 2. die Beschreibung der bevorstehenden Katastrophen, welche der daoistische „Große Unsterbliche“ dem buddhistischen Mönch Shou-luo gibt; 3. die quasi-präzise zeitliche und räumliche Verortung der apokalyptischen Ereignisse; 4. die Existenz (daoistischer) Weiser, die im Verborgenen bereits in der jetzigen Welt leben (ein häufiges Motiv in der daoistischen Hagiographie); 5. die berühmten daoistischen Peng-lai-Inseln; 6. der eschatologische Herrscher (Prinz Mondlicht); 7. die Errettung der wenigen Auserwählten und ihre Evakuierung auf hohe Berge, 8. die Präzisierung der Anzahl der Auserwählten (84 000 resp. 87 000).456 Ganz offensichtlich sahen sich die buddhistischen (Laien?-)Autoren dieser Schrift angesichts der Popularität und des Umfangs der daoistischen apokalyptischen Literatur veranlasst, die ihrer Ansicht nach wichtigen Aspekte zu übernehmen und in die eigenen Vorstellungen zu integrieren.

3.7.9. Rettung des Tripiṭaka angesichts der Katastrophe Beeinflusst von der Idee, dass das derzeitige Weltalter binnen Kürze in einer Katastrophe zugrunde gehen und damit auch der Buddhismus verschwinden werde, begann ein Mönch namens Jing-wan (gest. 631) um 600 n. Chr., Sūtras auf Steinplatten meißeln zu lassen. Er deponierte diese in einer eigens dazu hergerichteten Höhlen. Auf diese Weise konnten die Texte in das kommende, neue Weltzeitalter hinübergerettet werden und einer dann neu entstehenden Menschheit zur Verfügung stehen.457

455 Die dhāraṇī ist in Pseudo-Sanskrit, nota bene. 456 Zürcher 1982. 457 Lancaster 1989.

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In mehreren Etappen wurden bis ins Jahr 1118 am Ort weitere Sūtras in Stein festgehalten, unter ungünstigen politischen Rahmenbedingungen wurden die letzten Steine allerdings nicht mehr in Höhlen gestapelt, sondern in der Erde vergraben und an deren Oberfläche durch einen Pfeiler markiert. Insgesamt wurden in diesem Projekt über 15 000 Steinplatten mit insgesamt gut 30 Millionen chinesischen Zeichen hergestellt und für die Nachwelt eines zukünftigen Weltalters aufbewahrt.

3.8. Buddhistische Apologetik Spätestens seit der Mitte des 3. Jahrhunderts müssen buddhismuskritische Stimmen so stark geworden sein, dass verschiedene Autoren sich bemüßigt sahen, apologetische Schriften zu verfassen. Die in Sammlungen überlieferten Verteidigungsschriften sind derart zahlreich, dass man von einer eigenen literarischen Gattung sprechen kann. Da seit kurzem eine vollständige englische Übersetzung der Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes] (Hong ming ji, T 2102)458 sowie eine solche des Traktates Über das Lächerlichmachen des Daoismus (Xiao dao lun, enthalten in T 2103)459 vorliegen, kann sich die nachfolgende Darstellung auf eine kurze Charakterisierung einiger weniger Besispiele beschränken.

3.8.1. Mou zi li huo lun Die Entstehungszeit von Meister Mous Traktat über die Beseitigung von Zweifeln (Mou zi li huo lun)460 ist nicht bekannt. Enthalten ist der Text in Seng-yous Sammlung Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes].461 Der Traktat bezieht sich auf Prinz Sudāna, dessen Geschichte dem Vessantara-Jātaka entnommen ist. Dieses Jātaka wurde erstmals zwischen 247 und 280 ins Chinesische übersetzt. Andererseits wurde der Traktat in Lu Chengs (425–494) Sammlung buddhistischer Literatur vom Gesetz (Fa lun, nur Inhaltsverzeichnis erhalten) aufgenommen, die 465 zusammengestellt wurde. Der Text muss somit zwischen 247 und 465 verfasst worden sein. Die Argumentstruktur könnte auf eine Entstehung zwischen 250 und 300 hindeuten. Das Werk ist, von einem einleitenden Teil und einem abschließenden Absatz abgesehen, in Dialogform gehalten. Ein anonymer Kritiker des Buddhismus äußert darin seine Bedenken oder stellt kritische Fragen, auf welche der ansonsten unbekannte Meister Mou antwortet. Der Kritiker, der sich allmählich von den Argumenten des

458 Vollständig ins Englische übertragen in Ziegler 2015 und 2017. 459 Studie und englische Übersetzung von Kohn 1995. 460 Englische Übersetzungen und Analyse von Keenan 1994; englische Übersetzung in Ziegler 2015: 5–36. 461 Hong ming ji T 2102: 1b-7a, insbesondere 4c.

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Meisters überzeugen lässt, macht im Verlaufe der Diskussion einen Wandel durch und wird schließlich zu einem Laienanhänger des Buddhismus. Die insgesamt 37 Fragen und Kritiken sind explizit in Beziehung gesetzt zu den 37 buddhistischen „Elementen für die Erleuchtung“ einerseits und den 37 Kapiteln des daoistischen Dao de jing andererseits. Die Form des Dialogs ist das vom Autor eingesetzte geschickte Mittel, um die Richtigkeit seiner Argumente anhand ihrer Überzeugungskraft auf den (imaginären) Kritiker darzustellen. Genau dasselbe Verfahren wurde vom Daoisten Ge Hong angewandt, um in seinem Meister, der die Einfachheit umfasst, innere Kapitel (Bao pu zi nei pian) einen imaginären Zweifler von der tatsächlichen Existenz von Unsterblichen sowie den Methoden, wie man einer werden kann, zu überzeugen.462 Auf die Frage nach der Person des Buddha folgt als Antwort eine eigentliche Buddha-Biographie, gefolgt von einer kurzgefassten Unterscheidung zwischen Laien und Mönchen. Die Frage nach der Bedeutung von „Buddha“ wird dadurch beantwortet, dass das Wort als postumer Ehrentitel definiert und in den Kontext traditioneller chinesischer Ehrentitel gestellt wird. Da dao nicht nur die allumfassende Gesetzmäßigkeit des Daoismus, sondern (in seiner ursprünglichen Bedeutung „Weg“) auch die je verschiedenen Lehren des Konfuzianismus, Mohismus, Daoismus, Buddhismus usw. bezeichnen kann, wird das dao des Buddhismus erklärt. Es wird als ‚Weg‘ definiert, der die Menschen zu wu wei führt. Wu wei ist hier somit als Übersetzung von nirvāṇa verwendet.463 Da wu wei in seiner wörtlichen Bedeutung von „handle nicht aktiv“, „greife nicht aktiv ein“ die explizite Maxime der Daoisten darstellt, ist hier auch gleich die Möglichkeit eines (eventuell bewussten) Missverständnisses gegeben. Die vom Autor gewählte methodische Strategie besteht darin, zu jedem vorgetragenen Kritikpunkt zu zeigen, dass der kritisierte buddhistische Sachverhalt sich in analoger Form genauso in der konfuzianischen oder daoistischen Tradition Chinas findet, die Kritik somit hinfällig ist. Im Gegensatz zu den konfuzianischen Klassikern und dem daoistischen Lao zi werden keinerlei buddhistische Schriften zitiert, weder explizit noch implizit. Es werden nur rudimentärste Kenntnisse des Buddhismus, andererseits umfassende des konfuzianischen Kanons vorausgesetzt. Somit dürfte sich der Text in erster Linie an die konfuzianische Bildungselite und Beamtenschaft gerichtet haben.

3.8.2. Zheng wu lun Aufgrund textimmanenter Anhaltspunkte wird der anonyme Traktat Über die Berichtigung von Verleumdungen (Zheng wu lun, enthalten in T 2102)464 ins frühe

462 Vgl. Bumbacher 2010. 463 Siehe oben, Kap. 3.2. 464 Studie und englische Übersetzung in Link 1961, englische Übersetzung in Ziegler 2015: 37–48.

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4. Jahrhundert datiert. Auch er ist als Dialog zwischen einer kritischen und einer apologetischen Stimme konstruiert. Auch hier handelt es sich um (insgesamt elf) allgemeine Kritikpunkte, wie sie wohl von Laien vorgebracht worden sein dürften. Die Antworten fallen dementsprechend unprätentiös aus. Zunächst bezieht sich der Kritiker implizit auf eine nicht mehr vorhandene Schrift, die eine Form der hua hu-Theorie zum Inhalt gehabt haben muss, und sagt von Yin-wen zi – wohl ein Fehler für Yin Xi, den Passwächter –, er habe sich aus Mitleid mit den hu- und den di-Barbaren, die über ganz schlechte Charaktereigenschaften verfügen, für diese eingesetzt. Zudem habe er einen Schüler gehabt (gemeint ist der Buddha), der den Weg (dao) des Verwandelns erlangt habe. Und er habe diesen Schüler angewiesen, den Barbaren u. a. die Heirat zu untersagen und sie daran zu hindern, Nachwuchs zu erzeugen. Er hat ihnen das Zölibat aufgedrängt. Dadurch sollten die Barbaren sich selber ausrotten. Das Gegenargument macht den Buddha zum Lehrer und Lao-zi zu dessen Schüler. Yin-wen zi wiederum sei der Schüler des Lao-zi gewesen. Somit stehe der Buddha am Anfang dieser Traditionslinie und dadurch am Anbeginn der Weisen. Wie aber könne ein Weiser, dem am Wohlergehen der Menschen gelegen ist, die vollständige Ausrottung der Feinde wollen? Ein weiterer Punkt betrifft die ökonomische Ausnutzung des Volkes durch die Buddhisten, welche mit dessen Geld extravagante und großartige Tempel bauten. Das Gegenargument weist darauf hin, dass die Herrschenden in China immer schon Aufwand betrieben hätten, um damit Hochachtung und positive Emotionen der Bevölkerung sicherzustellen. Reiche Ausstattung von Buddhastatuen würde die Wertschätzung des Buddha und die Ehrerbietung ihm gegenüber zum Ausdruck bringen. Ein Kritikpunkt bringt die Unfähigkeit der Buddhisten – man könnte sagen – zur ‚Verdienstübertragung‘ zum Ausdruck, da die Mönche z. B. die Lebenszeit des Kaisers nicht zu verlängern vermögen. Eine Reihe von weiteren Punkten befasst sich mit Beispielen bekannter Persönlichkeiten, die als Buddhisten entweder gegen das Gesetz verstoßen hatten und daher exekutiert wurden oder die Früchte ihres Glaubens nicht ernten konnten. Das Gegenargument weist darauf hin, dass erstere den buddhistischen Regeln zuwidergehandelt hätten und daher die gerechte Strafe erlitten, während letztere Mönche hätten werden sollen.

3.8.3. Yu dao lun Der Laie Sun Chuo, Abkömmling einer alten Beamten- und Gelehrtenfamilie, bekleidete mehrere mittlere und höhere Positionen am Hofe. Neben Eulogien auf wichtige Persönlichkeiten verfasste er ein Werk Über Daoisten und [buddhistische] Weise (Dao xian lun, bis auf Zitate verloren), in welchem er jedem der daoistischen „sieben Weisen des Bambushaines“ je einen wichtigen buddhistischen Mönch ge-

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genüberstellte. Zwischen 373 und 385 schrieb er das apologetische buddhistische Werk Traktat zur Erklärung des [buddhistischen] Wegs (Yu dao lun, enthalten in T 2102).465 Einer anonymen Person, die Zweifel bezüglich des „höchsten Weges“, d. h. des Buddhismus, hegte, versucht Sun diese auszureden. Zunächst bezeichnet er das Universum (wörtl.: die sechs Himmelsrichtungen) als unermesslich, das Wissen der Wesen aber als durch ihre Lebensumstände beschränkt. Daher können sie das, was jenseits der (gewöhnlichen) Welt liegt, gar nicht sehen. Deshalb wolle er die Prinzipien des Buddhismus erklären: Der Buddha ist jemand, der den Weg (dao) verkörpert und, obwohl er nicht aktiv eingreift, nichts ungetan lässt (wu wei … wu bu wei, das Hauptprinzip des Daoismus!). Den unterschiedlichen Zielen der Wesen entsprechend sind seine Lehrmethoden entweder grob oder raffiniert. Dann sagt Sun, dass dort, wo die Götter regieren, noch die unscheinbarste Tat in gleicher Weise vergolten werde. Dies belegt er mit einer Anzahl von Beispielen, die der chinesischen Tradition entstammen. Im Gegensatz zur „klassischen“ karma-Lehre, nach der sich die Tatfolgen in einer nächsten Existenz auswirken, spricht sich Sun für die Vergeltung während des jetzigen Lebens aus, wie die von ihm zitierten Beispiele zeigen. Auf die Frage, warum der Herzog von Zhou (11. Jahrhundert v. Chr.) und Konfuzius (6. Jahrhundert v. Chr.) denn die Todesstrafe vollstreckt haben, antwortet Sun Chuo: Die Weisen hätten keinerlei Absicht, Leben zu nehmen. In der idealen Frühzeit Chinas hätten alle in Frieden und Eintracht gelebt. Doch die Zeiten hätten sich zunehmend verschlechtert, bis (im Bürgerkrieg) gegenseitiges Abschlachten einsetzte. Die Weisen hätten entschieden, lieber ein Wesen zu töten, wenn dadurch viele gerettet werden könnten, so wie man ein Glied nach einem Schlangenbiss amputiere, um den Körper zu retten. Eine weitere Frage: Wenn dem so sei, weshalb bestehe der Buddha auf generellem Gewaltverzicht? Wie können die Übeltäter denn bestraft werden? Die Antwort schlägt eine neue Richtung ein: Der Herzog von Zhou und Konfuzius seien niemand anderer als Buddha und umgekehrt! Sie hätten sich bloß jeweils den Erfordernissen der Zeit angepasst. Der Herzog von Zhou und Konfuzius hätten Rezepte gegen die großen Übel ihrer Zeit angegeben, der Buddha hingegen konnte sich (in friedlichen Verhältnissen) auf die Lehre der grundlegenden Prinzipien beschränken. Insgesamt gesehen seien beide Lehren identisch (sic!). Die zweite Hälfte des Traktats ist der Widerlegung des Vorwurfs gewidmet, die Mönche würden gegen das (chinesische) Gebot der kindlichen Pietät verstoßen, indem sie die Pflege ihrer Ahnen aufgäben. Das Gegenargument beginnt mit der Bestätigung der Vorstellung, dass Eltern und Kinder ein Körper seien und das Schicksal teilten. Das höchste Ziel der Pietät bestehe darin, den Eltern (und da-

465 Ziegler 2015: 91–100.

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durch sich selber) ewigen Ruhm zu bringen. Nun gebe es allerdings ein Problem, dass nämlich das Pietätsgebot in Konflikt geraten könne mit der Loyalitätsforderung dem Staat gegenüber, wofür eine Reihe von historischen Beispielen angeführt werden. Sun „löst“ es durch die Forderung, dass in allen Fällen die Loyalität der Gesellschaft gegenüber höher zu werten sei als die Pietät gegenüber den Eltern. Es folgt eine Buddha-Vita, die zeigt, wie Gautama durch seinen Thronverzicht das Loyalitätsprinzip und durch das Verlassen der Familie das Pietätsgebot verletzte. Mittels der sechsstufigen Meditation erlangte er die Erleuchtung und einen Zustand, der dem identisch ist, den die Daoisten (Lao-zi, Zhuang-zi) erreicht hatten. Mit Hilfe seiner übernatürlichen Macht wirkte er Wunder, kontrollierte die Dämonen und verbreitete die Lehre. Dadurch folgte er einer höheren Loyalität (der Menschheit gegenüber). Da auch sein Vater die Erleuchtung erlangte und die Ahnen (mittels Verdienstübertragung) im Himmel wiedergeboren würden, bewies er seine Pietät. Dass sich ein Drittel der zwölf Teile der buddhistischen Schriften auf die Praxis der kindlichen Pietät beziehe, belege, welch außerordentliches Gewicht ihr der Buddhismus beimesse. Diese Schrift richtete sich ganz offensichtlich an konfuzianisch Gebildete der Mittel- und Oberschicht, die mit den historischen Beispielen der konfuzianischen Lehre und den daoistischen Klassikern Dao de jing und Zhuang zi vertraut waren. Die explizite Gleichsetzung der „Erzkonfuzianer“, Herzog von Zhou und Konfuzius, mit dem Buddha sollte ihre Bedenken gegenüber der fremden Lehre zerstreuen.

3.8.4. Sha men tan fu lun Das Erscheinungsbild der Mönche in der Gesellschaft muss offenbar zuweilen Anstoß erregt haben. Nur so lässt sich erklären, weshalb Hui-yuan in seinem Traktat Über die [schulter-]entblößende Kleidung der śramaṇas (Sha men tan fu lun, entstanden 409/410 n. Chr., enthalten in T 2102)466 einen Anonymus, bei dem es sich um den General He Wu-ji (?-410) handeln muss, fragen lässt: „Entspricht die [schulter]entblößende Kleidung der sha men der Sitte der buddhistischen Lehre?“ Da die buddhistische Lehre von außerhalb der chinesischen Tradition stamme, hätten die Disputanten hierüber Zweifel. Worauf der Mönch antwortet: „[Wenn man] daher nach indischem Gesetz das Verehrungswürdige vollständig respektiert oder den Göttern gegenüber Aufrichtigkeit zeigt, trägt man im Allgemeinen [schulter-]entblößende Kleidung.“ Die Veröffentlichung der kleinen Schrift führte zu einem Briefwechsel zwischen Hui-yuan und dem General He Wu-ji, dabei zeigte sich, dass nicht die Entblößung an sich das Problem darstellte, sondern die dazu gewählte Körperseite. Im Gegensatz zu Indien ist in China die linke (yang) Seite die positiv konnotierte, daher ist,

466 Englische Übersetzung in Ziegler 2015: 190–192.

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nach Hui-yuan, „bei glücksverheißenden Gelegenheiten die linke Seite die geschätzte, […], während bei unheilvollen die rechte geehrt wird.“ Chinesisch verstanden würden die Inder also den Göttern die „kalte Schulter zeigen“. Hui-yuan löste das Problem dadurch, dass er die in China üblichen Sitten als für die in der Welt Lebenden gut heißt, aber die Mönche als Menschen außerhalb der Welt abgrenzt: „Sha men sind nicht so. […] Sie leben in Abgeschiedenheit, vergessen den Ruhm und verhalten sich im Gegensatz zur gewöhnlichen [Welt].“ Für sie gelten andere Regeln.

3.8.5. Xiao dao lun Yu-wen Yong (543–578; als Kaiser Wu reg. 560–578), Abkömmling eines der drei fremden Xian-bei-Stämme (Tuo-ba, Mu-rong und Yu-wen), erachtete die Etablierung einer für seinen Herrschaftsbereich verbindlichen religiösen Orthodoxie als unabdingbare Voraussetzung nicht nur für die Konsolidierung seiner Herrschaft, sondern auch für sein strategisches Ziel der Wiedervereinigung Chinas. Zu diesem Zwecke berief er erstmals 569 (und dann wieder 573) Versammlungen am Hofe ein, in welchen über die Vorzüge und Nachteile der drei Religionen (Daoismus, Buddhismus, Konfuzianismus) debattiert wurde. Obwohl nach buddhistischer Quelle der Daoismus zunächst obenauf schwang, kam es in keiner der drei Diskussionsrunden des Jahres 569 zu der vom Kaiser intendierten Verurteilung des Buddhismus. Wu gab daraufhin dem Kommandanten der Hauptstadt, Zhen Luan, den Auftrag für einen „analytischen Vergleich der beiden Lehren“ (Daoismus und Buddhismus), der ein für allemal festlegen sollte, welche der beiden Lehren die überlegene sei. Als Zhen sein Werk mit dem Titel Über das Lächerlichmachen des Daoismus (Xiao dao lun, enthalten in T 2103)467 570 vorlegte, ließ Wu erneut eine Versammlung einberufen, um das Ergebnis kritisch zu würdigen. Man kam zum Schluss, das Werk entstelle den Daoismus und schade ihm. Zudem entsprach es nicht der Intention des Herrschers, eines ursprünglichen Buddhisten, aber seit 567 nota bene initiierten Daoisten. Es wurde daher offiziell verbrannt. Was sich davon dennoch erhalten hatte, fand Eingang in die Erweiterten Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes] (Guang hong ming ji, T 2103). Den Kern des Werkes bilden die (heute verlorene) daoistische Schrift über die Konversion der Barbaren (Hua hu jing) und die damit verwandte, etwas jüngere Biographie des Meisters Wen (Wen shi zhuan), welche jeweils wörtlich zitiert werden, sowie ihre Widerlegung durch Zhen Luan. Dies verdeutlicht, wie sehr sich die Buddhisten durch die hua hu-Theorie angegriffen gefühlt und wie ernst sie diese genommen haben.

467 Untersuchung und englische Übersetzung in Kohn 1995.

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Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt stellen die daoistischen Plagiate buddhistischer Schriften und die Adaptation buddhistischer Konzepte durch die Daoisten dar. Zu guter Letzt zeigt Zhen Luan die Widersprüchlichkeit innerhalb des Daoismus auf. Dazu stützt er sich auf eine beachtliche Anzahl daoistischer Schriften (zweiundvierzig), die er z. T. in extenso zitiert, um durch die Konfrontation einander widersprechender Passagen (verschiedenen Traditionen entstammend!) die Inkonsistenz der daoistischen Lehre zu belegen.

3.9. Buddhismus und Staatsmacht Die Beziehung zwischen der Staatsmacht und dem Buddhismus war vielfältig, kompliziert und häufigen Änderungen unterworfen. Eine systematische Darstellung ist hier aus Raumgründen nicht möglich. Stattdessen sollen paradigmatisch drei Beispiele herausgegriffen werden. In Indien waren die Mitglieder des saṅgha zumindest im Grundsatz unabhängig von staatlicher Macht. Zudem soll vorgekommen sein, dass sich sogar der König vor seinem eigenen, entlaufenen Sklaven verneigte, der Mönch geworden war.468 Analoges war in China undenkbar. Der Philosoph Menzius lässt Konfuzius sagen: „Es kann keine zwei Könige für das Volk geben, wie es am Himmel keine zwei Sonnen geben kann“.469 Und bereits das Buch der Lieder (Shi jing, vor 7. Jahrhundert v. Chr.) enthält das Sprichwort: „Unter dem weiten Himmel ist nichts nicht des Königs Land; innerhalb des meerumflossenen Landes ist niemand nicht des Königs Untertan.“470 Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Stimmen erheben würden, die darauf hinweisen würden, dass der saṅgha mit seinen Privilegien gewissermaßen „einen Staat im Staate“ darstellt.

3.9.1. Auseinandersetzung um die Unterordnung der Mönche Während der Reichsteilung stellten sich im Südosten zwei Familien als die einflussreichsten heraus: die Yus und die Wangs. Wang Dao (267–339) fungierte als Premierminister, Wang Dun (266–324) war Oberbefehlshaber der Armee. Yu Liang, Bruder der Kaiserinwitwe, zog als inoffizieller Regent für den neuinthronisierten Kindkaiser Cheng im Hintergrund die Fäden. Als Yu Bing (296–344) offiziell Regent für Kaiser Cheng wurde, wollte er seine Macht dadurch konsolidieren, dass er eine temporäre Schwäche der Wangs auszunutzen suchte. Da der Wang-Clan eng mit dem Buddhismus liiert war, griff Yu Bing den Buddhismus an, stellvertretend für

468 Dīgha Nikāya 2.36. 469 Meng zi 5A4. 470 Shi jing, Mao # 205.

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die Wangs. In der Auseinandersetzung wurde der Wang-Clan durch He Chong repräsentiert, einen Mitarbeiter Wang Daos. Im Jahre 340 fand Yu Bing, dass die Mönche ihre Pflicht zu erfüllen und dem Herrscher die Ehre zu erweisen hätten, d. h. sich vor ihm verbeugen müssten.471 In einer kurzen Throneingabe argumentiert He Chong, dass die beiden ersten Kaiser der jetzigen Dynastie von den Mönchen nicht verlangt hätten, niederzuknien und sich zu verneigen, und man daher weiterhin darauf verzichten solle. Yu Bing argumentierte, der Buddhismus sei all-umfassend und eine solche Lappalie sollte ihn nicht kümmern. Hierarchische Ordnung entstamme dem Verhältnis Vater-Sohn und habe seine Gründe – warum davon abweichen? Falls der Buddha tatsächlich existiere, würde seine Lehre ohnehin erfolgreich sein, falls nicht, mache das Festhalten an Geboten keinen Sinn. Der Konfuzianismus mit seiner Hierarchie habe sich seit Jahrhunderten bewährt, warum sollte man ihn über Nacht aufgeben? Die Mönche als Teil des Volkes stünden nicht über diesem, daher sei Insubordination nicht akzeptabel. Es sei Aufgabe der Mönche, die Wichtigkeit der staatlichen Ordnung zu betonen. In seiner Replik sagt He Chong, dass er nicht in der Lage sei, zu entscheiden, ob es [jetzt] einen Buddha gebe. Hingegen würden die buddhistischen Schriften den Herrscher darin unterstützen, einen positiven Einfluss [auf die Untertanen] auszuüben. Die Lehre sei noch nie durch üble Praktiken korrumpiert worden und als göttlicher Weg (shen dao) habe sie noch jeden anderen [religiösen Weg] überlebt. Sobald nun aber die Mönche dem Herrscher die Reverenz erweisen müssten, würde ihre Lehre zerstört. Falls man ihnen keine Einschränkungen auferlegte, würden die Gesetze des Staates keinen Schaden nehmen. Hierauf antwortete Yu Bing, dass keiner der vergangenen Herrscher den Einfluss fremder Sitten in die Verwaltung der Regierung zugelassen habe. Die fünf Gebote [des Buddhismus] würden in etwa die [vom Konfuzianismus geforderten] Beziehungen zwischen den Menschen nachahmen, und doch verweigerten sie dem Herrscher den geschuldeten Respekt. Selbst wenn hoher und tiefer [gesellschaftlicher Status] nicht festgelegt würden, müsste die Lehre des Herrschers dennoch eine einheitliche sein. Würde der Herrscher zwei verschiedene Standards gleichzeitig verfolgen, würde das zu Unordnung führen. Wenn die Menschen persönlich oder innerhalb ihrer Familien [den Buddhismus] kultivierten, sei das in Ordnung, aber im Staat und am Hofe könne das nicht toleriert werden. Schließlich hält He Chong fest, dass in der Vergangenheit niemand verlangt habe, vom [geltenden Zustand] abzuweichen, und dennoch hätten weder [die Unterscheidung zwischen sozial] hoch und tief noch die [staatlichen] Gesetze Schaden genommen. Dann weist er darauf hin, dass die Mönche in ihrem Ritual des Betens und Weihrauchabbrennens immer zuerst für den Staat und sein Wohlerge-

471 Englische Übersetzungen: Zürcher 1959: 160–163; Ziegler 2015: 193–199.

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hen beteten. Zwänge man die Mönche nicht, dem Herrscher die Reverenz zu erweisen, würden die Gesetze [des Staates] keinerlei Schaden davontragen. Offensichtlich entwickelten sich in der Folge die Machtverhältnisse am Hofe so, dass dieser Disput fallengelassen wurde und die Mönche nicht zum Kniefall gezwungen wurden. Die Auseinandersetzung über die Stellung des saṅgha brach damit aber nicht ab, sondern erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte, wobei die vorgebrachten Argumente größtenteils dieselben waren wie diejenigen aus der He Chong-Yu Bing-Debatte.

3.9.2. Interesse des Kaisers am Buddhismus In Südchina gewann der Buddhismus im Verlaufe des 4. Jahrhunderts zunehmend an Einfluss, zunächst in der Oberschicht, schließlich sogar im Kaiserhaus. Persönliches Interesse der Herrscher war einerseits gleichbedeutend mit Protektion, andererseits mit materieller wie ideeller Unterstützung. So berichtet die Geschichte der Jin[-Dynastie] (Jin shu) vom letzten Kaiser der östlichen Jin, Gong (reg. 419–420):472 Er wandte sich [dem Buddhismus zu] und glaubte tief an den Weg (dao) des Buddha (fou tu). Er [ließ] zehn Millionen an Geld[münzen] schmelzen, eine Metall-Statue von sechzehn Fuß [Höhe] anfertigen, empfing sie persönlich beim Wa-guan-Kloster und folgte ihr zu Fuß über zehn Meilen [zum Bestimmungsort].

Von Kaiser Wen (407–453, reg. 424–453) der nachfolgenden Liu-Song-Dynastie heißt es in der Biographie des Mönches Hui-yan:473 Als Kaiser Wen auf den Thron kam, wurde die Freundschaft [mit Hui-yan] noch enger. Jedesmal wenn sie sich trafen, pries er [den Buddha] überschwänglich und fragte [den Mönch] nach dem Gesetz des Buddha. Früher verehrte der Kaiser [den Buddha] noch nicht besonders bis zum zwölften Jahr der Ära Yuan-jia (435), als Xiao Mo-zhi (fl. 435), der Gouverneur der Hauptstadt, einen Brief unterbreitete mit der Bitte um Bekanntmachung [eines Dekrets], [unter welchen Umständen] buddhistische Klöster zu errichten und [Buddha-]Statuen zu gießen seien. Als der Kaiser ihn mit dem „Kammerherrn“ He Shang-zhi (382–460), Yang Xuan-bao (370–463) – dem „Edelmann“ des Innern des Personal-Ministeriums –, und weiteren erörterte, sagte er zu Shang-zhi: Als Wir jung waren, lasen Wir nicht viel an Schriften (oder Sūtras). In näherliegenden Tagen haben Wir noch weniger Muße – ‚Ursache und Folge‘ [innerhalb] der ‚drei Zeitalter [der Existenz]‘ konnten [Wir] noch nicht wunschgemäß besprechen. Der Grund dafür, dass [Wir] es nicht wagen, eine abweichende [Meinung] zu bilden, liegt genau in dem, was die Minister und illustren Führer dieser Zeit verehren und glauben. Fan Tai (355–428) und Xie Ling-yun (385–433) sagen beständig, dass die Wurzeln der Satzungen und Texte der sechs [konfuzianischen, kanonischen] Schriften darin liegen, das Laien[volk] zu fördern und dem Regie-

472 Jin shu 270. 473 Gao seng zhuan T 2059: 367c.

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Stephan Peter Bumbacher ren zu dienen, wolle man aber unbedingt nach dem tatsächlichen Mysterium der wirkmächtigen Natur [des Buddha] suchen, wie erreichte man das, ohne die buddhistischen Schriften zum Kompass (wörtl.: Südenzeiger) zu machen? […] Wenn [die oben vorgeschlagenen Maßnahmen] nun bewirkten, dass innerhalb der Grenzen der Erde alle diese Wandlung [zum Buddhismus] wertschätzten, dann könnten Wir [einfach] sitzen bleiben und [dadurch] den ‚großen Frieden‘ bewirken. Was wäre da noch [weiter] zu tun?

So gab es also chinesische Herrscher, die ein ganz persönliches Interesse am Buddhismus hatten und ihn daher förderten. Andere unterstützten ihn, weil sie das volksbildende und zivilisatorische Potential des Buddhismus erkannten. Dann kam es auch vor, dass man dem Buddhismus eine magische Wirkmächtigkeit unterstellte und hoffte, davon zugunsten des Staates und des eigenen Machterhalts zu profitieren.

3.9.3. Buddhistische Legitimation politischer Herrschaft Vermutlich in der Phase der nachhaltigen Erholung des Buddhismus in Nordchina wurde ein apokryphes Sūtra verfasst, das sich direkt an den Herrscher richtete und ihm das notwendige Wissen zur Verfügung stellen sollte, damit er seinen Staat und seine Herrschaft gegen Feinde beschützen konnte. In gewisser Weise wurde hier bereits vorweggenommen, was in der Tang-Dynastie der buddhistische Tantrismus den Herrschern bieten würde. Und tatsächlich wurde dieses Sūtra während der Tang von Amoghavajra als tantrisches Werk „neuübersetzt“ unter dem Titel Schrift vom perfekten Wissen für mitmenschliche Könige, die ihren Staat beschützen wollen (Ren wang hu guo ban ruo bo luo mi duo jing). Die anonymen Autoren griffen auf eine chinesische Tradition zurück, die im 2. Jahrhundert v. Chr. fassbar wird, als Zhang Liang von einem Unsterblichen, dem Herrn vom gelben Stein, eine Schrift übermittelt wurde, die Militärischen Strategien nach [der Art des] Tai-gong (Tai gong bing fa)474. Mit dem darin enthaltenen Wissen war Zhang Liang, der spätere Fürst von Liu, in der Lage, Liu Bang, den nachmaligen Kaiser Gao-zu, strategisch erfolgreich zu beraten und ihm schließlich zur Errichtung der Früheren Han-Dynastie zu verhelfen. Entsprechend soll der von den Buddhisten beratene Herrscher mit Hilfe des Ren wang jing sein Reich beschützen können, wie folgender Auszug aus dem fünften Kapitel zeigt:475 Zu der Zeit informierte der Buddha den großen König [Prasenajit]: Hören Sie gut zu. […] Sie werden nun das Prajñāpāramitā erhalten. Wann immer das Land sich an der Schwelle eines Aufstandes befindet oder Zerstörung, Räuberei, Feuer und Diebe kommen und das Land ruinieren, müssen [Sie] einhundert Buddhabilder, einhundert Bodhisattvabilder und einhundert Arhatbilder aufstellen. Laden Sie einhundert Dharmameister ein, das Prajñāpā-

474 Bauer 1956. 475 Ren wang ban ruo bo luo mi jing T 245: 829c-830a.

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Buddhismus in China ramitā zu erläutern. Vor einhundert hohen „Löwengebrüll“-Sitzen [für die Dharmameister] entzünden [Sie] einhundert Lampen, verbrennen [Sie] einhundert verschiedene Weihrauch[sorten], [und stellen Sie] einhundert verschiedenfarbige Blumen auf, um sie als Opfer für die drei Kleinodien [des Buddhismus] darzubringen. […] Großer König, [lassen Sie dann] zweimal täglich dieses Sūtra erläutern und rezitieren. In Ihrem Land gibt es hundert Arten von Dämonen und Geister. Und von diesen hat eine jede Art wiederum hundert Arten von Vergnügungen. Wenn sie dieses Sūtra hören, werden all diese Dämonen und Geister Ihr Land beschützen. Großer König, bevor ein Land in Aufruhr gerät, sind die Dämonen und Geister in Aufruhr. Befinden sich die Dämonen und Geister in Aufruhr, gerät das Volk in Aufruhr, Diebe treten auf und berauben das Land, die hundert Familien gehen zugrunde, Herrscher, Kronprinz, Prinzen, die hundert Beamten alle ergehen sich in Fehlverhalten, im Himmel und auf Erden zeigen sich wundersame [Erscheinungen], die achtundzwanzig Sternkonstellationen, der Lauf der Gestirne, Sonne und Mond verlieren die [rechte] Zeit [ihres Erscheinens] und verlieren [die rechte Zeit ihres] Untergehens, in großem Maße treten Räuber auf. Großer König, wenn Brandkatastrophen, Flutkatastrophen, Sturmwinde oder überhaupt alle [möglichen Arten von] Katastrophen auftreten, müssen [Sie] dieses Sūtra erläutern und rezitieren [lassen] und die Praktizierung des Rituals muss sein wie oben erklärt. Großer König, wenn man aber nicht den Staat, sondern [das eigene] Glück beschützen [will] und nach Reichtum und Ehre, Beamtenpositionen oder den sieben wertvollen Dingen strebt, so werden sie wunschgemäß eintreffen. Wenn man Söhne und Töchter wünscht, wenn man Weisheit, Verständnis, Ruhm und Reputation wünscht, wenn man die sechs Vergeltungen des Himmels oder die neun Belohnungen der Menschen anstrebt, dann lege man ebenfalls dieses Sūtra aus und die Praktizierung des Rituals sei wie sie oben dargelegt wurde. Großer König, wenn [Sie nun] aber nicht [das eigene] Glück, sondern die Schwierigkeiten aller [im Staate] schützen wollen: wenn Krankheiten und Katastrophen [auftreten], [Leute] in Fesseln [liegen] und ihre Körper gebunden sind, die vier schwerwiegendsten Sünden, die fünf Abscheulichkeiten, die acht schwierigen Übertretungen begangen, […]überhaupt alle unermesslichen Katastrophen auftreten, dann legen [Sie] ebenfalls dieses Sūtra aus und die Praktizierung des Rituals sei wie sie oben dargelegt wurde. Großer König, früher gab es einen König, Shi-ti-huan-yin (Śakra-devanamindra). Er wurde der „vom Scheitel geborene“ König. Er kam zum oberen Himmel und wünschte dessen Reich zu zerstören. Zu dieser Zeit kannte Di-shi (Śakra), der Himmelskönig, die Verwendung des Dharmas der sieben Buddhas. Er arrangierte einhundert hohe Sitze und bat einhundert Dharmameister, das Prajñāpāramitā zu erläutern. Der vom Scheitel Geborene lenkte daraufhin ein.

In gewisser Weise übernahmen die Buddhisten so die von Kou Qian-shi im Norden eingeführte religiöse Legitimation des Herrschers durch Verleihung daoistischer Schriften, indem sie nun ihrerseits dem Herrscher eine göttliche Schrift, nämlich das an die Herrschenden gewandte Wort des Buddha, überreichten, was der Kaiser als Zeichen des Himmels interpretieren konnte, das ihm von diesem zum Beweis der Legitimation seiner Herrschaft gesandt wurde. Zudem konnte er sich, wenn er sich an die darin beschriebenen Rituale hielt, der Hilfe der Bodhisattvas gewiss sein. Der Buddhismus stellte sich somit in den Dienst des Herrschers zugunsten des Staates und der Gesamtbevölkerung.

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Stephan Peter Bumbacher

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476 T-Nummer und Texte entsprechend der Ausgabe von Junjirō Takakusu et al.: Taishō shinshū daizōkyō (100 Bände), Tōkyō 1924–1935.

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Buddhismus in China Dong jin sha men shi fa xian zi ji you tian zhu shi (Die autographisch [festgehaltenen] Ereignisse der Reise nach Indien des Mönchs Fa-xian der östlichen Jin-Dynastie) T 2085. Fa mie jin jing (Schrift über das vollständige Verlöschen des dharma) T 396. Fa yuan zhu lin (Perlenhain im Garten des dharma) T 2122. Fo jing si shi er zhang (Zweiundvierzig Abschnitte buddhistischer Schriften) T 784. Fo zu tong ji (Aufzeichnungen der Abstammungslinien buddhistischer Patriarchen) T 2035. Gao seng zhuan (Biographien Eminenter Mönche) T 2059. Guang hong ming ji (Erweiterte Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes]) T 2103. Hong ming ji (Aufzeichnungen über die Verbreitung und Erhellung [des Gesetzes]) T 2102. Kai yuan shi jiao lu (Katalogs der Lehren Shis (= Śākyamunis) [kompiliert während] der Kaiyuan-Ära) T 2154. Li dai san bao ji (Aufzeichnungen über die drei Juwelen [aus] aufeinanderfolgenden Dynastien) T 2034. Li huo lun (Über die Richtigstellung ungerechtfertigter Kritik), in T 2102. Miao fa lian hua jing (Lotos-Sūtra, Kumārajīvas Übersetzung) T 262. Mou zi li huo lun (Meister Mous Traktat über die Beseitigung von Zweifeln), in T 2102. Nan yue si da chan shi li shi yuan wen (Das vom großen dhyāna-Meister von Nan-yue abgelegte Gelübde) T 1933. Ren wang ban ruo bo luo mi jing (Schrift vom perfekten Wissen für mitmenschliche Könige) T 245. Sha men tan fu lun (Über die [schulter-]entblößende Kleidung der śramaṇas), in T 2102. Shi jia pu (Clanregister der Śākya) T 2040. Si shi er zhang jing, siehe Fo jing si shi er zhang jing. Song gao seng zhuan (Songzeitliche Biographien herausragender Mönche) T 2061. Tai zi rui ying ben qi jing (Schrift des ursprünglichen Aufbruchs des Kronprinzen in Übereinstimmung mit den Omina) T 185. Xiao dao lun (Über das Lächerlichmachen des Daoismus), in T 2103. Xu Gao seng zhuan (Fortgesetzte Biographien herausragender Mönche) T 2060. Yu dao lun (Traktat zur Erklärung des [buddhistischen] Wegs), in T 2102. Zheng fa hua jing (Schrift der Blume des wahren Gesetzes) T 263. Zheng wu lun (Über die Berichtigung von Verleumdungen), in T 2102. Zhong jing mu lu (Verzeichnis aller Schriften) T 2146.

Daoistischer Kanon477 Lao jun shuo yi bai ba shi jie (Von Herrn Lao verkündete 180 Vorschriften), in DZ 1032. Lao jun yin song jie jing (Schrift des Herrn Lao für das Absingen der Vorschriften) DZ 785. Lao zi zhong jing (Mittlere Schrift des Lao-zi), enthalten in Yun ji qi qian DZ 1032, Kap. 18–19. Shang qing hou sheng dao jun lie ji (Aneinandergereihte Aufzeichnungen des Herrn des Dao der späteren [Tage] [des Himmels] der höchsten Reinheit) DZ 442.

477 DZ-Nummer entsprechend Schipper et al. 2004; Texte entsprechend des Faksimile-Druckes Shanghai 1921–1923 der Ausgabe von 1445.

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Stephan Peter Bumbacher Shang qing dong zhen zhi hui guan shen da jie wen (Text der Großen Vorschriften der Selbsterforschung [mittels] des Wissens [aus der Abteilung] Wahrheit der Höhle [des Himmels] der höchsten Reinheit) DZ 1364. Tai shang dong xuan ling bao san yuan pin jie gong de qing zhong jing (Schrift der großen und kleinen Verdienste und die nach den drei Prinzipien [klassifizierten] Regeln des Wirkungsmächtigen Juwels [aus der Abteilung] Mysterium der Höhle des allerhöchsten [Himmels]) DZ 456. Tai shang dong yuan shen zhou jing (Schrift des Allerhöchsten von den göttlichen Zauberformeln des Abgrundes) DZ 170. Tai shang Lao jun shuo chang sheng yi suan miao jing (Vom Tai shang Lao jun verkündete wunderbare Schrift zur Verlängerung des Lebens und Vergrößerung der Anzahl [der Lebensjahre]) DZ 650. Tai shang miao shi jing (Schrift des Allerhöchsten [über] den wundersamen Anbeginn) DZ 658. Yun ji qi qian (Wolken-Buchtruhe mit sieben Etiketten) DZ 1032. Zhen gao (Mitteilungen der Perfekten [Götter]) DZ 1016.

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BUDDHISMUS

IN

VIETNAM

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1. Einführung Die Fläche Vietnams entspricht etwa 93% der Fläche Deutschlands und mit seiner Lage am östlichen Rand des kontinentalen Südostasiens stand das Land in seiner langen Geschichte stets im Zentrum politischer und wirtschaftlicher Interessen verschiedener Großmächte. Denn die geographischen Gegebenheiten machten es zu einer Drehscheibe verschiedener Kulturen und bildeten gleichsam den Rahmen, der für die Geschichte und die Besonderheiten des Buddhismus in Vietnam berücksichtigt werden soll. Geographisch und kulturell nimmt Vietnam eine Zwischenstellung inmitten zweier kulturgeschichtlich geprägter Regionen ein: zwischen dem indisch geprägten Südostasien, in dem später der TheravādaBuddhismus vorherrscht, und dem chinesisch-konfuzianisch geprägten Ostasien, wo der Mahāyāna-Buddhismus bis heute allgegenwärtig ist. Auch wenn im heutigen Vietnam beide Traditionen vorzufinden sind, ist mit dem „vietnamesischen Buddhismus“ zumeist eine Ausformung des Mahāyāna-Buddhismus gemeint, der auf den chinesischen Chan zurückzuführen ist. Der Theravāda-Buddhismus ist in Vietnam einerseits unter der Minderheit der Khmer Krom (vietnames. Khơ Me Crộm) im Süden des Landes verbreitet, andererseits wurden seit der französischen Kolonialzeit auch Vietnamesen von kambodschanischen Theravāda-Klöstern als Mönche ordiniert. Als Dachverband für den Theravāda-Buddhismus in Vietnam fungiert die im Jahr 1957 gegründete Giáo Hội Tăng Già Nguyên Thủy Việt Nam. Die meisten Klöster und Tempel dieser Richtung befinden sich bis zur Gegenwart in Sài Gòn (Thành phố Hồ Chí Minh). Die Bevölkerungszahl Vietnams beträgt 92,7 Millionen Einwohner (Stand 2016)1 mit 88% ethnischer Vietnamesen (Việt, Kinh) als Majorität neben 53 anerkannten Minderheitengruppen. Die größte Gruppe bilden mit 1,2 Millionen die Chinesen (Hoa), die zum größten Teil Nachkommen von Einwanderern zur Zeit der MingDynastie (1368–1644) sind.2 Daneben zählen auch die Tây, Thái, Khmer und Môn zu den größeren Minderheitengruppen, die vor allem in den Bergregionen des Landes leben. Hinsichtlich der Religionszugehörigkeit gibt es sehr unterschiedliche

1 https://data.worldbank.org/country/vietnam (Zugriff am 30.11.2017). 2 West 2009: 290.

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Angaben und die offiziellen Religionsstatistiken geben meist nicht die tatsächliche Anzahl der Gläubigen wieder. Zum einen sind Vietnamesen gegenüber offiziellen Stellen nicht immer bereit, sich zu ihrem Glauben zu bekennen, da die geschichtlichen und politischen Ereignisse in den letzten Jahrzehnten in Vietnam zu einer Säkularisierung geführt haben. Zum anderen machen die meisten keine klare Grenzziehung zwischen dem Buddhismus (Phật Giáo) und ihrer Volksreligion, den „Drei Lehren“ (Tam Giáo), die eine Verbindung zwischen dem Mahāyāna-Buddhismus, dem Konfuzianismus und dem Daoismus ist. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2010 bekennen sich 45,3% zu ihrer Volksreligion (Tam Giáo) und nur 16,4% sehen sich als Buddhisten.3 Diese Angaben variieren je nach Quellen zwischen 16,4% und 80% Buddhisten, wobei nicht immer eindeutig ist, wie die Anhängerschaft von religiösen Gruppierungen wie Cao Đài und Hòa Hảo in solchen Statistiken gezählt wird. Etwa 8 bis 9% sind Katholiken und kleine Minderheiten gehören dem Protestantismus, dem Islam und dem Hinduismus an.4 Der Buddhismus in Vietnam stellt zudem eine besondere Form des Buddhismus dar, weil er historisch und soziokulturell vielen Einflüssen ausgesetzt war, wobei diese Vielschichtigkeit von einigen Autoren auch als „religiöses Mosaik“ bezeichnet wird.5 Die Entwicklung des Buddhismus sollte daher vor dem Hintergrund der vietnamesischen Geschichte betrachtet werden.

2. Historischer Überblick 2.1. Anfänge des Buddhismus in Vietnam Zur Frage, wann die buddhistische Lehre zum ersten Mal in Vietnam Eingang fand, gibt es unterschiedliche Theorien. Geopolitische Veränderungen des Landes in den vergangenen 2 000 Jahren und der damit einhergehende Mangel an materiellen Quellen haben dazu beigetragen, dass sich die Frage nach den Anfängen des vietnamesischen Buddhismus nicht eindeutig beantworten lässt. Die meisten Forscher sind sich jedoch darüber einig, dass der Buddhismus bereits um das 2. Jahrhundert n. Chr. im heutigen Nordvietnam (Giao Chỉ / Tongkin) Verbreitung fand.6 Dabei gab

3

http://www.pewforum.org/2012/12/18/table-religious-composition-by-country-in-perc entages (Zugriff am 30.11.2017). 4 Ho 2012: 54. Für einen Überblick zum religiösen Pluralismus Vietnams siehe z. B. auch den rezenten Sammelband Bourdeaux/Hoffman/Nguyễn 2013. 5 Bezacier 1975: 297f. 6 Giao Chỉ war der alte Name Vietnams und seit 111 v. Chr. dem chinesischen Reich als Präfektur angegliedert. Ab dem 3. Jh. n. Chr. wurde er in Giao Châu aufgrund eines Antrags von Gouverneur Sĩ Nhiếp umbenannt (Trần 2006: 53).

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es zwei mögliche Wege, wie die Lehre dorthin gelangte: entweder aus Indien bzw. durch Indien beeinflusste Länder über das Meer aus dem Süden oder vom Norden aus über China.7 Einigen vietnamesischen Autoren zufolge könnte es noch einen dritten Weg gegeben haben, und zwar aus Indien über Myanmar nach Nordvietnam. Demnach könnte der erste Kontakt bereits im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. aus Indien durch Gesandte des Königs Aśoka mit den beiden Mönchen Soṇa und Uttara in Vietnam zustande gekommen sein. Ausgrabungen sollen belegen, dass in Đồ Sơn (etwa 12 km von Hải Phòng) ein Turm zu Ehren Aśokas bereits in dieser Zeit erbaut wurde.8 Es wird davon ausgegangen, dass der buddhistische Glaube mit den ersten Händlern aus Indien über den Seeweg nach Vietnam kam. Bedingt durch Windverhältnisse mussten die Seeleute häufig länger als ein Jahr in Giao Chỉ verweilen, bevor sie den Rückweg nach Indien antreten konnten. Mit ihnen im Schiff reisten auch buddhistische Mönche, die für das Wohlbefinden der Besatzung beteten und an Land die Lehre lebten und verbreiteten. Die Seeleute verehrten die buddhistischen Gottheiten Quan Thế Âm (skt. Avalokiteśvara) und Nhiên Đăng (skt. Dīpaṃkara), die bekannt dafür sind, Menschen auf hoher See Schutz zu gewähren. Vietnamesischen und chinesischen Quellen zufolge wurde das erste buddhistische Zentrum Trung Tâm Phật giáo Luy Lâu in Giao Chỉ bereits gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. von indischen Mönchen und Händlern gegründet. Von da aus soll sich der Buddhismus in Richtung Norden nach Südchina verbreitet haben, wo sich mit Lạc Dương9 und Bành Thành zwei weitere buddhistische Zentren bildeten.10 Eine weitere unterstützende Theorie dafür, dass der Buddhismus zuerst über den Seeweg aus Indien und nicht über den Landweg aus China kam, fand ihren Beleg in der Sprache. Der veraltete bzw. ältere Begriff für Buddha (Bụt) stammt aus dem Sanskrit, erst später wurde er vom sino-vietnamesischen Begriff Phật (chines. Fo) verdrängt.11 Bụt existierte aber weiterhin in der Bedeutung „Heiliger/ Erleuchteter“. Heute wird in vielen buddhistischen Texten bewusst wieder der ältere Sanskritbegriff Bụt für „Buddha“ verwendet. Aus diesen Gründen sprechen viele Autoren davon, dass der Buddhismus zuerst aus Indien nach Vietnam gekommen sein musste, bevor er Eingang nach China fand. Aus den ersten Schriften konnte festgestellt werden, dass der Buddhismus in Vietnam bereits im 2. Jahrhundert allgegenwärtig war. Gouverneur Sĩ Nhiếp, der Giao Chỉ von 187–226 verwaltete, ließ zahlreiche buddhistische Klöster bauen und nahm Flüchtlinge aus China auf, die im Jahr 189 nach dem Tode des Kaisers Ling-

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Bezacier 1975: 301. Thích Đức Nghiệp 1995: 27–29. Chinesisch Luoyang war die Hauptstadt Chinas zu Zeiten der Han-Dynastie. Nguyễn 1979: 9–11. Huỳnh 2011: 140–141; Nguyễn 1979: 24.

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De nach Giao Chỉ flohen.12 Gegen Ende des 2. Jahrhunderts wurde die erste buddhistische Schrift Lý Hoặc Luận in Giao Chỉ von dem Philosophen Mâu Tử (chines. Mouzi, geboren um 165–170) in chinesischer Schrift verfasst, der mit den Pilgern aus China kam und ursprünglich ein „orthodoxer Konfuzianer“ war. Mâu Tử soll von indischen Mönchen in Giao Chỉ den Buddhismus studiert haben und erst infolgedessen zum Buddhismus bekehrt worden sein.13 Demnach musste er ebenfalls Sanskrit beherrscht haben, jedoch ist nicht klar, ob er auch an den ersten übersetzten Schriften aus dem Sanskrit ins Chinesische beteiligt war. Bereits gegen Ende des 2. Jahrhunderts soll es in Giao Chỉ über 15 übersetzte religiöse Schriften, 20 Tempel und über 500 Mönche gegeben haben.14 Im folgenden Jahrhundert gab es Zeugnisse von drei Mönchen. Die drei waren der Indo-Skythe Chi-Cương-Lượng (skt. Kalyāṇaruci) um 255–256, der Inder MaLa-Kì-Thành (skt. Mārajīvaka) um 294, die beide auf ihrem Weg aus Indien nach China in Giao Chỉ verweilten und die Lehre dort verbreiteten, und Khương-TăngHội (chines. Kang Seng-Hui) in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts.15 Letzterer wurde als Sohn sogdischer Eltern im Norden des heutigen Vietnam geboren und wird auch als der erste Thiền-Patriarch Vietnams bezeichnet, da von ihm das Ānāpānānusmṛti-Sūtra, das dem frühen Buddhismus zugehört, in einer Weise ausgelegt wurde, wie sie sich nur aus seinen Mahāyāna-Studien heraus entwickelt haben konnte.16 Von ihm wurden die Mahāyāna-Sūtren, z. B. die 8 000 Verse des Prajñāpāramitā-Sūtra, das früheste aller Prajñāpāramitā-Sūtren, übersetzt und kommentiert. Das Buch mit dem Titel „Sammlung der sechs transzendenten Tugenden“ wurde ebenfalls von ihm verfasst. Die Lehren des Thiền (chines. Chan) wurden in Nordvietnam demnach schon im 3. Jahrhundert verbreitet. Khương-Tăng-Hội begab sich 248 von Vietnam aus nach Südchina, gründete den ersten buddhistischen Tempel und blieb dort bis zu seinem Tode 33 Jahre später.

2.2. Die Blütezeit des Buddhismus 2.2.1. Die Entstehung der wichtigsten Schulen unter der Lý-Dynastie Obwohl der Buddhismus zunächst von Nordvietnam ausgehend in China seinen Einzug hielt, kamen zu späterer Zeit drei große Schulen von China nach Vietnam zurück. Der Geschichtsschreiber Nghĩa-Tinh, der ebenfalls mit den chinesischen

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Bezacier 1975: 301. Nguyễn 1979: 12. Thích Đức Nghiệp 1995: 28; Nguyễn 1979: 20. Bezacier 1975: 301. Thich Nhat Hanh 1997: 11.

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Pilgern nach Vietnam kam, berichtet, dass zwischen dem 3. und dem 10. Jahrhundert viele chinesische Mönche auf ihrem Weg nach Indien in Vietnam verweilten und dort ihre Lehre verbreiteten.17 Die erste buddhistische Thiền-Schule in Vietnam wurde von dem indischen Mönch Vinītaruci (Tỳ Ni Đà Lưu Chi) gegründet, der 582 von China nach Giao Chỉ kam und eine Reihe von Sūtren ins Chinesische übersetzte. Er lehrte eine Art von Meditation, die eng mit dem Tantrayāna verwandt war.18 Vinītaruci war in China Schüler des chinesischen Meisters Sengcan, des dritten Patriarchen des chinesischen Chan, der im 6. Jahrhundert von Bodhidharma (ca. 470–543) etabliert wurde. Die Schule des gebürtigen Inders, der sich im Tempel Pháp-Vân in der Provinz Bắc Ninh niederließ, war, durch seine Herkunft bedingt, auch von dem indischen Dhyāna beeinflusst.19 Die Vinītaruci-Schule hatte eine sehr wichtige Stellung im vietnamesischen Buddhismus, zumal sie auch die erste Thiền-Schule war, wobei ihr Einfluss vom 6. bis weit ins 13. Jahrhundert hineinreichte.20 Die zweite Thiền-Schule wurde von Vô Ngôn Thông im 9. Jahrhundert gegründet, der im Jahre 820 aus China nach Vietnam kam und sich im Tempel Kiến Sơn in der Provinz Bắc Ninh niederließ.21 Er übte eine Methode der „Mauerkontemplation“ (bích-quan-Meditation) aus und seine Lehre war der ihres Gründers Bodhidharma näher als die vorangegangene.22 Obwohl Vô Ngôn Thông sich bis zu seinem Tod dort nur sechs Jahre aufhielt, konnte sich seine Schule schnell verbreiten, da sie sich an der zu jener Zeit in China populären Tradition von Baizhang Huaihai (720–814; vietnames. Bách Trượng) orientierte, sich aber auch den Bedürfnissen des vietnamesischen Volkes anpasste. Vor allem wurde die Organisation des klösterlichen Lebens von der Art beeinflusst, wie Baizhang Klöster in China organisiert hatte. Von ihm stammt die Regel „Keine Arbeit, kein Essen“.23 Mönche der VôNgôn-Thông-Schule waren meist gelehrt, dennoch ähnlich der Vinītaruci-Schule auch volksnah. Viele widmeten sich der Kunstdichtung. Daher finden sich auch diverse Versdichtungen in ihren buddhistischen Schriften wieder. Die Vô-NgônThông-Tradition überdauerte fünfzehn Generationen bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts.24 Bis zum Jahre 1068 waren die Einflüsse dieser beiden Thiền-Schulen maßgebend für den Buddhismus auf vietnamesischem Boden. Im Jahre 939 wurde Vietnam von den chinesischen Besatzern durch den Befehlshaber Ngô Quyền befreit, der jedoch nur wenige Jahre herrschen konnte. Nach einer Zeit der Anarchie bestieg Đinh Tiên Hoàng, ein gläubiger Buddhist, im

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Bezacier 1975: 301. Thich Nhat Hanh 1997: 11. Malalasekera 2009: 584. Nguyễn 1979: 119. Cleary 1991: 102. Bezacier 1975: 302. Thich Nhat Hanh 1997: 11. Nguyễn 1979: 119.

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Jahre 968 den Thron. Drei Jahre später führte er eine Hierarchie von religiösen Beamten ein, an deren Spitze er Ngô Chân Lưu, einen Mönch der Vô-Ngôn-ThôngSchule, mit dem Titel Khuông Việt Thái Sư als „Meister und Stütze des Landes“ ernannte.25 Ab dieser Zeit konnte der Buddhismus durch die Gunst der Könige seinen Einfluss noch stärker entfalten. Nach dem Vorbild von Đinh Tiên Hoàng holten die nachfolgenden Könige buddhistische Geistliche in ihren Beraterstab, selbst wenn sie sich mit der Lehre des Konfuzianismus beschäftigten. In dieser Zeit waren die Mönche Pháp Thuận und Vạn Hạnh der Vinītaruci-Schule wichtige Berater, die zuerst König Lê Đại Hành und später König Lý Thái Tổ dienten.26 In der Lý-Dynastie (1009–1225), deren Machtübernahme vom buddhistischen Klerus gefördert worden war, erreichte der Buddhismus seine Blütezeit.27 Er wurde von den Königen durch den Bau zahlreicher Tempel gefördert, die oftmals mit Schenkungen aus Privatbesitz finanziert wurden. Die Mönche waren von Steuern und vom Militärdienst befreit und viele buddhistische Klöster verfügten über große Ländereien, die von Leibeigenen bewirtschaftet wurden. Die buddhistischen Mönche genossen sowohl am Hofe als auch in der Bevölkerung ein hohes Ansehen, da sie zumeist als königliche Berater, Gelehrte und Ärzte fungierten. Aufgrund ihrer Gewandtheit in der chinesischen Schrift dienten sie den Königen bei der Pflege diplomatischer Beziehungen mit China. Die Lý-Könige warben nicht nur Mönche an, sondern sie ließen für die Verbreitung des Buddhismus auch religiöse Werke unter das Volk verteilen.28 Außerdem wurden zahlreiche Missionen nach China entsandt, um „heilige Texte“ zu holen. Bereits im Jahre 1008 baten Gesandte von König Lê Đại Hành um die Sammlung der „Neun klassischen religiösen Schriften“ (Cửu Kinh) und des „Tripiṭaka“ (Đại Tạng) und kaum zehn Jahre später bekam König Lý Thái Tổ 1018 durch die Entsendung einer Delegation ein weiteres Exemplar vom chinesischen Hofe der Song geschenkt.29 Es gab viele buddhistische Feste und Feiern und in den Jahren 1036 und 1040 wurde Steuerfreiheit anlässlich der Einweihung von Bildern Buddhas erlassen, die auf Befehl des Königs auf öffentliche Plätze gemalt worden waren. Tempelgründungen im ganzen Land sowie der Guss zahlreicher Bronzeglocken zeugen von der rasanten Entwicklung und Blütezeit des Buddhismus. Bis zum Jahre 1068 fanden die beiden Thiền-Schulen, die Vinītaruci- und die Vô-Ngôn-Thông-Schule, sehr viele Anhänger, von denen viele Angehörige der Königsfamilie waren. Die dritte Thiền-Schule wurde von dem chinesischen Mönch Thảo Đường gegründet, der sich bei einem siegreichen Feldzug von König Lý Thánh Tông (1054–

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Bezacier 1975: 302. Nguyễn 1979: 122. Nguyen 2010: 52. Bezacier 1975: 302f. Im Jahre 1299 bittet Trần Anh-Tôn wieder erneut um das Tripiṭaka und ließ diese Texte in der Öffentlichkeit verbreiten.

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1072) nach Champa im Jahre 1069 unter den Gefangenen befand. Von seiner Gelehrtheit überzeugt, verlieh ihm der König noch im selben Jahr den Titel „Lehrer des Königreiches“ (Quốc Sư). Die von ihm gegründete Thiền-Schule zeichnete sich dadurch aus, dass sie den konfuzianischen Gelehrten den Buddhismus näherbrachte, da sie mehr der intellektuellen Schicht zugewandt war als dem einfachen Volk. Aus diesem Grund war die Thảo-Đường-Schule zwar nicht so weit verbreitet wie die beiden oben beschriebenen, dennoch war sie bei Anhängern der anderen Schulen hoch angesehen. Die nachfolgenden Kaiser Lý Anh Tôn (1138–1175) und Lý Cao Tôn (1175–1210) schlossen sich dieser Schule an.30 Um das Jahr 1190 kam es schließlich durch den Mönch Thường Chiếu zu einer Verschmelzung der Schulen. Aus der Vô-Ngôn-Thông-Schule stammend, bekleidete Thường Chiếu das Amt des Abtes im traditionellen Tempel Lục Tổ der Vinītaruci-Schule, er studierte aber auch die Lehren der Thảo-Đường-Schule.31 Thường Chiếu legte damit den Grundstein für den Zusammenschluss der drei Schulen und bildete zugleich die Verknüpfung zwischen dem Buddhismus der Lýund der nachfolgenden Trần-Dynastie. Einer seiner Schüler war Hiền Quang, der Gründer der Yên-Tử-Tradition, aus der die spätere „Bambuswald“-Schule (TrúcLâm-Schule) durch König Trần Nhân Tông hervorging.

2.2.2. Die Trần-Dynastie und die Etablierung der BambuswaldSchule Die Blütezeit des Buddhismus unter den Lý-Königen konnte sich weiter in der Trần-Dynastie (1225–1413) fortsetzen, insbesondere erfreute er sich der Gunst der ersten Trần-Könige. In dieser Periode etablierte sich die Bambuswald-Schule (Trúc-Lâm-Schule), ausgehend von Hiền-Quang. Von ihm ging die Transmission auf König Trần Thái Tông (reg. 1225–1258) über, danach auf den bedeutenden Mönch Tuệ Trung (1229–1291) und anschließend auf den Patriarchen der Bambuswald-Schule, König Trần Nhân Tông, der der sechsten Generation dieser Tradition angehörte. Unter ihm wurde die Schule im 14. Jahrhundert systematisiert. König Trần Nhân Tông (1258–1308) war ein beliebter und erfolgreicher König, da auch während seiner Regierungszeit zwei Angriffe der Mongolen erfolgreich abgewehrt wurden. Nach zwanzig Jahren auf dem Thron gab er diesen im Jahr 1299 auf, um sich als Mönch auf den Berg Yên Tử zurückzuziehen. Er nahm den Mönchsnamen Trúc Lâm („Bambuswald“) an und gründete die BambuswaldSchule, die auf einen Zweig der chinesischen Chan-Schule Linji (vietnames. Lâm Tế Tông) zurückgeht.32 Sie enthielt sowohl die Überlieferungen des ersten vietna-

30 Nguyễn 1979: 121. 31 Nguyễn 1979: 139–145. 32 Bezacier 1975: 304.

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mesischen Thiền-Patriarchen, Khương Tăng Hội, als auch die der anderen drei oben erwähnten Thiền-Schulen.33 Aufgrund der Beliebtheit des Königs war dieser Schritt ein weiterer Meilenstein für das Ansehen und die Verbreitung des Buddhismus im ganzen Land. In der Absicht, eine Gesellschaft auf den Lehren Buddhas aufzubauen, begab er sich als Mönch häufig unters Volk. Da die Menschen höchsten Respekt vor ihm hatten, wurde seine Lehre von allen Bevölkerungsschichten bereitwillig angenommen. Trúc Lâm beabsichtigte nicht nur eine vereinte und starke buddhistische Gemeinde im Lande zu etablieren, sondern war auch darauf bedacht, dass seine Schule nach seinem Tod weiterhin vom Hofe respektiert und anerkannt wurde. Er lud deshalb zur feierlichen Bekanntgabe seines Nachfolgers Pháp Loa das gesamte Königshaus und König Trần Anh Tôn ein, der sein Testament befolgte und die Bambuswald-Schule unter der Führung von Pháp Loa weiterhin stark unterstützte.34 Trúc Lâm und seine Schüler Pháp Loa und Huyền Quang zählen nach wie vor zu den berühmtesten Mönchen des Landes und gelten als die drei Patriarchen dieser Schule. Pháp Loa (1284–1330), der nach dem Tode Trúc Lâms im Jahre 1312 offiziell zum zweiten Patriarch der Bambuswald-Schule ernannt wurde, war ein beliebter Mönch und Lehrer, zu dessen Predigten häufig 600 bis 1 000 Anhänger kamen. Gleichzeitig war er in der Verbreitung der Trúc-Lâm-Schule sehr aktiv.35 Unter seiner Führung wurden in einem Zeitraum von 24 Jahren über 5 000 Kopien des Tripiṭakas angefertigt. Er gab zahlreiche buddhistische Texte heraus und baute ein System von Ordinierten auf, die die Lehren verbreiteten. Im Jahre 1313 zählte man bereits über 100 Pagoden und über 1300 Buddha-Statuen der Trúc-Lâm-Schule. Da die Zahl der Ordinierten zu schnell wuchs, stellte Pháp Loa im selben Jahr eine Regelung auf, wonach nur noch alle drei Jahre neue Mönche aufgenommen werden durften. Dennoch betrug die Zahl der Ordinierten der Trúc-Lâm-Schule im Jahr 1329 mehr als 15 000.36 In der Trần-Dynastie war der Buddhismus Staatsreligion und auf seinem Höhepunkt, dennoch begann sein Einfluss seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stetig zu schwinden. Die Ursachen lagen zum einen darin, dass viele buddhistische Ordinierte ihr Ansehen als Mönch und Heiler verloren hatten, da sie sich durch den Einfluss des Daoismus der Magie und übernatürlichen Kräften zuwandten.37 Zum anderen mochten auch die großzügigen Schenkungen und Begünstigungen der Königsfamilien an die buddhistischen Klöster Neid und Missgunst in der Bevölkerung und bei den konfuzianischen Gelehrten und deren Anhängern ausgelöst haben. Zuletzt war das buddhistische System so stark auf die Unterstützung des

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Thich Nhat Hanh 1997: 14. Nguyễn 1979: 201. Malalasekera 2009: 585f. Thích Minh Châu 1991: 111–117. Bezacier 1975: 304.

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Königshauses angewiesen, dass es auch mit dem Machtverlust des jeweiligen Herrschers zu schwanken begann.

2.3. Bedeutungsverlust durch den Konfuzianismus Der Buddhismus als Staatsreligion mit all seinen Einrichtungen und seinem Ansehen beeinflusste die vietnamesische Gesellschaft tief und für lange Zeit. Doch ein Land, das ständig unter der Gefahr von Naturkatastrophen und Invasionen litt, bedurfte nicht nur eines starken Monarchen und einer gut funktionierenden Mandarinatsbürokratie, sondern auch einer Ideologie, die den Menschen Treue und Gehorsamkeit gegenüber dem System abverlangte. Vietnam orientierte sich daher immer mehr am Beispiel der Kaiser-Dynastien Chinas, die seit den Han den Konfuzianismus zur Staatsdoktrin erhoben hatten.38 Der sich konsolidierenden Monarchie und der komplizierten sozialen Hierarchie genügte der Buddhismus nicht mehr, zumal die Könige seit der Lý-Dynastie trotz der Förderung des Buddhismus und vieler buddhistischer Geistlicher im Beraterstab auch den Konfuzianismus stark unterstützten. Im Jahre 1070 hatte König Lý Thánh Tông im heutigen Hà Nội den Literaturtempel erbauen lassen, der Konfuzius und seinen Schülern gewidmet war und der als Ausbildungsstätte für den Nachwuchs des Mandarinats dienen sollte. Erste Auswahlverfahren fanden schon 1075 statt, wobei anfangs ausschließlich Angehörige der Aristokratie zugelassen wurden.39 Später hatten auch zunehmend Gebildete aus dem einfachen Volk Zugang. Da aber die Hierarchie des Mandarinats genauestens festgelegt war, standen ihnen zunächst nur die niederen öffentlichen Ämter zu. Unter den Trần wurde das Auswahlverfahren weiter kodifiziert und regelmäßiger abgehalten. Das Studium des Konfuzianismus erhielt mit der Einführung des Doktortitels noch größeres Ansehen, was sich in der Gründung weiterer öffentlicher und privater Schulen niederschlug. Das Prestige des Studiums, das Mandarinatssystem und die Möglichkeit, dass Gebildete aus dem Volk Zugang hatten, brachten es mit sich, dass der Konfuzianismus im öffentlichen Leben immer mehr geschätzt wurde. Ab dem 13. Jahrhundert kam es zunehmend zu ideologischen Auseinandersetzungen zwischen dem Buddhismus und dem Konfuzianismus, und während der Einfluss des Buddhismus weiter zurückging, beanspruchten die konfuzianischen Gelehrten immer wichtigere Positionen im öffentlichen Leben. Die späteren Trần-Könige versuchten ebenfalls, den Einfluss des Buddhismus einzugrenzen. So wurde beispielsweise durch einen Erlass aus dem Jahr 1396 die Anzahl der Mönche eingedämmt, da diese seit der Blütezeit der Trúc-Lâm-Schule stetig

38 Nguyen 2010: 54. 39 Nguyen 2010: 55f.

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angestiegen war. Einerseits erhoffte man sich damit, dass junge Mönche unter 40 Jahren ins Laienleben zurückgezwungen würden, um so den Einfluss des Buddhismus und die Anzahl der Ordinierten unter Kontrolle zu halten.40 Andererseits sorgte der Erlass dafür, dass junge Männer dem Staat in Kriegszeiten dienlich waren, zumal dem Land Unruhezeiten bevorstanden. Als Truppen der Ming-Dynastie aus China gegen Anfang des 15. Jahrhunderts in Vietnam einfielen und das Land über 20 Jahre lang regierten, wurden zahlreiche buddhistische Einrichtungen und Schriften systematisch zerstört. Die Trúc-LâmSchule hatte trotz der chinesischen und indischen Einflüsse ein Zuviel an vietnamesischer Kultur und somit auch eine nationale Identität zum Inhalt. Daher wurden im Jahre 1419 auf Befehl der Ming sämtliche vietnamesischen Schriften zerstört bzw. gegen diejenigen aus China ausgetauscht, unter denen sich zahlreiche Bücher über die Lehren des Konfuzianismus und Daoismus befanden.41 Die Zerstörung der vietnamesischen Kultur und Literatur dieser Zeit hatte zur Folge, dass später nur etwa ein Zehntel der von Vietnamesen verfassten Schriften, einschließlich vieler Sūtren-Kommentare, wiedergefunden werden konnte.42 Im Jahr 1428 wurde schließlich der Konfuzianismus offiziell als Staatsreligion von den Lê-Herrschern eingeführt, nachdem sie die chinesischen Truppen der Ming zerschlagen hatten. In der Lê-Dynastie (1428–1788) kam es zur Diskriminierung und Verfolgung des Buddhismus. Sogar der Bau neuer Tempel wurde durch das Gesetzbuch Hồng-Đức Ende des 15. Jahrhunderts unterbunden.43 Der Buddhismus war jedoch bereits tief in der Gesellschaft verwurzelt und konnte den Menschen so die moralische und spirituelle Unterstützung bieten, was dem Konfuzianismus nicht gelang.44 In dieser Zeit der Unruhen des 15. und 16. Jahrhunderts, in der das Land zweigeteilt wurde, erkannten die Machthaber sowohl im Norden als auch im Süden, dass die buddhistische Lehre wichtig für die Wiederherstellung des Vertrauens der Bevölkerung war. Mit der Zweiteilung des Landes im Jahre 1620 regierten im Norden die Trịnh- und im Süden die Nguyễn-Fürsten. Sowohl die Trịnh als auch die Nguyễn waren Förderer des Buddhismus. Die Nguyễn ließen beispielsweise 1601 von Nguyễn Hoàng in ihrer Hauptstadt Huế die Thiên-MụPagode errichten, die bis heute dort eine der bedeutendsten Pagoden ist. Auch im Norden wurde der Buddhismus seit dem 17. Jahrhundert mit der zunehmenden Macht der Trịnh-Fürsten gefördert. Es wurden zahlreiche neue Tempel und Pagoden gebaut und alte wiederhergestellt.

40 Malalasekera 2009: 586. In anderen Quellen ist auch von unter 50 Jahren die Rede, vgl. Nguyễn 1979: 352. 41 Nguyễn 1979: 273. 42 Thich Nhat Hanh 1997: 14. 43 Bezacier 1975: 305. 44 Thich Minh Châu 1991: 123–131.

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3. Das Wiedererstarken des Buddhismus 3.1. Der buddhistische Frühling Während des 17. Jahrhunderts flüchteten mit dem Zusammenbruch der Ming-Dynastie in China viele chinesische Mönche nach Vietnam. Unter ihnen waren Lehrer der Linji- und der Caodong-Schule. Diese Zeit wird auch als „buddhistischer Frühling“ bezeichnet, da sie neue Schulen hervorbrachte.45 In Nordvietnam wurde die Schule Tào-Động, ein Zweig der Schule des Bodhidharma, von dem chinesischen Mönch Thủy Nguyệt gegründet, der von 1664 bis 1667 zum Studium der heiligen Schriften nach China reiste. Die Lehre der Tào-Động-Schule wird noch bis heute in einigen Tempeln in und um Hà Nội befolgt.46 Eine weitere, die Liên-Tôn-Schule, wurde von einem Trịnh-Fürsten, dem Mönch Lân Giốc, gegründet. Dieser war ein Schüler des chinesischen Mönchs Chuyết-Công, der 1633 nach Hà Nội kam und die Schule des Reinen Landes (Tịnh Độ Tông) in Vietnam gründete. Auf seinem Weg aus China nach Süden durchquerte Chuyết-Công Kambodscha und ließ sich im Tempel Khán-Sơn in Südvietnam nieder. Von dort aus lehrte er aus China mitgebrachte Texte des Kanons und des Rituals, unter denen auch das „Ritual der Feiern zu Ehren der im Wasser und auf der Erde umherirrenden Seelen“ (Thủy-lục chư khoa) war, das noch heute bei buddhistischen Feierlichkeiten Verwendung findet.47 Der chinesische Kulturtransfer in dieser Zeit und die Gründungen der neuen Schulen, insbesondere der Schule des Reinen Landes, haben den vietnamesischen Buddhismus bis heute bedeutend geprägt. Im ganzen Land gab es mehrere buddhistische Geistliche, die sich in dieser Zeit um das buddhistische Erbe bemühten. Im Norden versuchte Chân Nguyên (1646–1726), ein Mönch der Bambuswald-Schule, mit seinen Schülern, die von den Ming-Eindringlingen gestohlenen und teilweise zerstörten Meditationstexte wiederzufinden oder sie zu ersetzen. In der Provinz Hưng Yên eröffnete der Mönch Hương Hải (1627–1715) das Nguyệt-Đường-Meditationszentrum, wo er fünfzehn Jahre lang Tausende Schüler lehrte.48 Auch hinterließ er viele Werke, die teils auf Chinesisch und teils auf Chữ Nôm geschrieben wurden.49 Im Süden wurde 1683 eine neue Thiền-Schule von dem aus China gekommenen ChanMeister Nguyễn Thiệu aus der Linji-Tradition errichtet, die ihre Zentrale im

45 46 47 48 49

Bezacier 1975: 305. Nguyễn 1979: 626–628. Bezacier 1975: 305. Thich Nhat Hanh 1997: 14. Chữ Nôm ist die klassische Schrift der vietnamesischen Sprache. Sie basiert auf chinesischen Schriftzeichen und fand vom 14. bis zum 19. Jh. Verwendung.

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Thập-Tháp-Tempel in der Provinz Bình Định hatte. 1708 wurde eine weitere Thiền-Schule am Thiền-Tông-Tempel und später eine weitere am Viên-ThôngTempel am Fuß des Berges Ngự Bình von dem vietnamesischen Mönch Liễu Quán (1670–1742) gegründet, der sowohl Schüler der Linji- als auch der Caodong-Schule gewesen war, aber die Dharma-Überlieferung von einem Linji-Meister erhalten hatte. Es heißt, dass Liễu Quán seine Schule stark den vietnamesischen Bedürfnissen angepasst habe.50 Seine vier Schüler Tổ Huấn, Trạm Quan, Tế Nhân und Từ Chiếu gründeten vier große Zentren, aus denen mehrere Tempel entstanden. Die Schule wurde zur bedeutendsten Schule des Landes und florierte bis ins 20. Jahrhundert. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es für den Buddhismus sowohl im Norden als auch im Süden daher eine neue Blütezeit, die jedoch mit der Tây-SơnRevolte zwischen 1778 und 1802 stark eingedämmt wurde. Es kam zu Zerstörungen von Tempelanlagen, Mönche wurden zum Kriegsdienst gezwungen und Statuen und Glocken eingeschmolzen. Erst mit der Vereinigung des Landes durch Gia Long, den Gründer der Nguyễn-Dynastie (1802–1945), wurde der Buddhismus erneut begünstigt. Unter der letzten Dynastie Vietnams kam es zu weitreichenden Veränderungen für den Buddhismus, der unlängst zu einem politischen Instrumentarium geworden war.51 Die Nguyễn-Könige waren zwar Förderer des Buddhismus, strebten jedoch danach, das geistige Leben im Land zu kontrollieren. Für Mönche und Nonnen wurden daher Prüfungen eingeführt und sie mussten fortan ihre Gelehrsamkeit unter Beweis stellen. Dorfvorsteher hatten Listen von Ordinierten zu führen, die Sanierung und der Neubau von buddhistischen Einrichtungen und das Gießen von Buddha-Statuen und Glocken wurden ebenfalls in einem konfuzianisch geprägten Edikt von 1804 unter Kontrolle gehalten.52 Im Versuch, das kulturelle Leben der neuen Hauptstadt Huế zu zentralisieren, wurde der Buddhismus von den Nguyễn-Herrschern dort besonders protegiert. Die Nguyễn strebten eine Sinisierung an, doch die vietnamesische Expansion gegen Süden war jung und man begegnete überall im Mekong-Delta „indisierten“ Kultureinflüssen,53 so auch dem kambodschanischen Theravāda-Buddhismus, der schon im 2. Jahrhundert im Süden bekannt war. Doch während sich Huế unter den Nguyễn zu einem Zentrum des Buddhismus entwickelte und der „sinisierte Buddhismus“ im ganzen Land Verbreitung fand, konnte sich der Theravāda-Buddhismus im Süden bis heute nur bei den dort lebenden Khmer durchsetzen.

50 51 52 53

Nguyễn 1979: 417–422. Bezacier 1975: 306. Gia Long Emperor 2012: 320–324. McHale 2004: 30.

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3.2. Die Reformbewegung und buddhistische Vereinigungen Mit der Ankunft der Franzosen im Jahr 1859 und ihrer Kolonialherrschaft breitete sich der Katholizismus besonders im Süden stark aus.54 Es entstanden synkretistische Bewegungen wie die der Cao Đài und Hòa Hảo, die in dieser Zeit der Unruhe schnell auf eine große Anhängerschaft kamen und in der Kolonialzeit auch politisch aktiv waren.55 Dem Rückgang des Buddhismus im Süden trat die buddhistische Reformbewegung (Chấn hưng Phật giáo) entgegen, die in den 1920er Jahren Vietnam erfasste. Angefangen in Sài Gòn und getragen von gläubigen Akademikern und Sozialreformern, entstanden im ganzen Land Verbindungen zum chinesischen Reformbuddhismus, angeregt durch den chinesischen Mönch Taixu (1890– 1947), dessen Appelle in der Modernisierung und Systematisierung der Klosterausbildung und des von ihm entwickelten „Buddhismus für diese Welt“ (Nhân gian Phật giáo) bestanden.56 Mönche wie Khánh Hòa (1877–1947) oder Thiện Chiếu (1898–1974), die aus dem Süden stammten, hielten im ganzen Land Vorträge und betonten die Notwendigkeit einer Saṅgha-Ausbildung und der Reformation der Ordensorganisation sowie eine stärkere soziale Verantwortung.57 Die ersten buddhistischen Zeitungen wurden von ihnen in Quốc Ngữ58 herausgegeben und trugen zur Verbreitung dieser Reformen in Vietnam bei. Zwischen 1930 und 1933 kam es in verschiedenen Regionen des Landes zu Neugründungen buddhistischer Vereinigungen. Sie alle publizierten verschiedene Schriften, durch die sie ihre Reformideen verbreiteten und eine bessere Ausbildung für Buddhisten sowie soziales Engagement zum Ziel hatten, das sich im Bau von neuen Ausbildungszentren und sozialen Einrichtungen niederschlug. Die im Jahre 1931 entstandene Forschungsvereinigung für buddhistische Studien in Südvietnam (Hội nam Kỳ Nghiên cứu Phật học) mit der Zeitschrift Từ Bi Âm („Stimme des Mitgefühls“) hatte ihren Sitz in der Linh-Sơn-Pagode in Sài Gòn. Ihr standen zusammen mit Khánh Hòa acht buddhistische Würdenträger vor. In Huế gab es die Buddhistische Vereinigung Annams (Hội An Nam Phật Học), die 1932 gegründet wurde und im Jahr darauf die Zeitschrift Viên Âm („Stimme der Vollendung“) herausgab. Bemerkenswert war

54 Vgl. Nguyen 2003: 68–78. 55 Als Gründungsdatum der Bewegung Cao Đài wurde offiziell der 7. Oktober 1926 angegeben und schon Ende jenes Jahres gab es mehr als 20 000 Anhänger. Hòa Hảo wurde etwas später gegründet und zählte Ende der 1930er Jahre mehr als 100 000 Mitglieder (vgl. Fall 1955: 238–244). Heute sind beide mit mehreren Millionen Gläubigen immer noch bedeutend in der Religionslandschaft Vietnams. Eine ausführliche Darstellung und weiterführende Literatur dazu findet sich u. a. bei Fall 1955 und bei Bourdeaux 2010; vgl. auch Anderhuber 2013; 2014 sowie Blagov 2018: 552–561. 56 Ho 1999: 26; DeVido 2009: 413–415. Die Idee Taixus diente Thích Nhất Hạnh ferner als Inspiration für den Begriff Engaged Buddhism (vgl. DeVido 2009: 415). 57 Beuchling/Tuan 2013: 35. 58 Die von den Franzosen in den 1920er Jahren eingeführte, an lateinischen Buchstaben angelehnte „Nationalschrift“ Vietnams.

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auch das 1932 in Huế geschaffene Bảo-Quốc-Seminar als zentrale buddhistische Bildungsstätte Vietnams, aus dem fast alle späteren Führer der buddhistischen Bewegungen hervorgingen.59 Schließlich entstand 1934 in Hà Nội die Buddhistische Vereinigung von Nord-Vietnam (Hội Bắc Kỳ Phật Giáo), die ein Jahr später die Zeitschrift Đuốc Tuệ („Fackel der Erleuchtung“) herausgab. In ihrem Hauptsitz, der altehrwürdigen Quán-Sứ-Pagode, wurde eine Schule für Mönche und in der BồĐề-Pagode eine für Nonnen errichtet.60 All diese Bewegungen fanden große Resonanz in ihren Landesteilen. Man zählte bei der nordvietnamesischen Vereinigung im Jahr 1935 bereits über 2 000 Mönche und 10 000 Laienmitglieder.61 Auch in Zentral- und Südvietnam kann man von ähnlich hohen Zahlen ausgehen. Bemerkenswert war auch die Gründung der einzigartigen buddhistischen Jugendbewegung (Gia Đình Phật Tử / GĐPT) im Jahre 1948 in Huế, deren Organisation und Aktivitäten sich an die der Pfadfinder anlehnten und an welcher der Laienbuddhist Lê Đình Thám (1897–1969) maßgeblich beteiligt war, der als erster Vietnamese in Frankreich einen Doktortitel in Medizin erwarb. Die buddhistische Jugendbewegung ist noch heute kennzeichnend für den vietnamesischen Buddhismus im In- und Ausland.62 Während der Kolonialzeit und den Wirren der Kriege hatten die buddhistischen Einrichtungen und Pagoden zweierlei Funktion: Sie dienten den Menschen einerseits als religiöse und spirituelle Zuflucht, und auch wenn sie sich offiziell nie als anti-kolonialistische Institutionen bekannten, gaben sie vielen Patrioten Rückhalt und dienten ihnen als Versteck.63 Einer der Hauptgedanken jener Zeit der Reformbewegung (Chấn hưng Phật giáo) war es, der Kolonialherrschaft entgegenzuwirken und der Dominanz der christlichen Weltanschauung zu begegnen.64 Neben der Gründung vieler Vereinigungen wurden in dieser Zeit vor allem die Lehren und Praktiken der Schule des Reinen Landes hervorgehoben, die eine charakteristische Ausprägung des Mahāyāna ist und die bis heute die dominierende Tradition des vietnamesischen Buddhismus darstellt. Obwohl es seitens der Regierung Versuche gab, eine Vernetzung der Bewegungen zu unterbinden, schlossen sich 1951 die verschiedenen regionalen buddhistischen Vereinigungen zu einer Dachorganisation auf nationaler Ebene zusammen, der „Allgemeinen Buddhistischen Vereinigung/Kirche von Vietnam“ (Giáo Hội Phật Giáo Việt Nam Thống Nhất). In ihr vereinten sich elf verschiedene Schulen sowohl der Theravāda- als auch der Mahāyāna-Tradition. Der Zusammenschluss beider Traditionen in dieser Form ist für den Buddhismus weltweit einzigartig. Nach der

59 60 61 62 63 64

Bezacier 1975: 306. Beuchling/Tuan 2013: 36. Nguyen 2008: 274. Weigelt 2013: 114. Malalasekera 2009: 586. DeVido 2009: 415.

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Teilung des Landes entlang des 17. Breitengrades im Jahr 1954 kam es zu einer Teilung dieser Vereinigung, die in Südvietnam ihren Namen beibehielt und im Norden den Namen „Vereinigte Buddhistische Assoziation von Vietnam“ (Giáo Hội Phật Giáo Việt Nam) annahm. Bemerkenswert ist, dass beide Führer der Vereinigungen aus der Bảo-Quốc-Schule hervorgingen.65 Sämtliche Zusammenschlüsse ähnlicher Art wurden Anfang der 1980er Jahre von der kommunistischen Regierung zu einer staatlichen Organisation zusammengeführt, wobei der nordvietnamesische Name Giáo Hội Phật Giáo Việt Nam bis heute beibehalten wurde. In der Auseinandersetzung zwischen der kommunistischen Regierung im Norden, angeführt von Hồ Chí Minh, und dem kapitalistischen Süden mit Ngô Đình Diệm als Präsident und Förderer des Katholizismus, gerieten die Buddhisten im Süden ab 1954 in Schwierigkeiten. Wieder einmal wurde der vietnamesische Buddhismus in seiner Geschichte von den Machthabern diskriminiert. In Südvietnam rangen buddhistische Gläubige und Geistliche um einen Weg zu Frieden und Versöhnung, der auf gewaltlosem Handeln gegründet war.66 Als die Regierung Diệms die buddhistische Flagge sowie wichtige Feiertage der Buddhisten verbieten wollte, kam es zu Massenprotesten. Im Mai 1963 wurden bei einer Versammlung in Huế neun Buddhisten getötet und mehrere verletzt. Es kam in dieser Zeit zu zahlreichen Verhaftungen und Hausarresten von Mönchen und Nonnen und vielen buddhistischen Einrichtungen und Pagoden drohte die Schließung. Um ein Zeichen zu setzen und das Bemühen um eine Beendigung des Krieges und der Gewalt kundzutun, verbrannte sich der Mönch Thích Quảng Đức am 11. Juni 1963 bei lebendigem Leibe auf den Straßen von Sài Gòn. Mehrere Mönche und Nonnen folgten in kurzen Abständen seinem Beispiel.67 Spätestens damit hatte die buddhistische Protestwelle gegen Krieg und Unterdrückung die Aufmerksamkeit der internationalen Presse auf sich gezogen. Nachdem Diệm im November 1963 durch ein Attentat ums Leben gekommen war, gab es weiterhin Aktivitäten der Buddhisten während des Vietnam-Kriegs, sich für den Frieden einzusetzen. Die Vereinigte Buddhistische Kirche konnte seitdem ihren Einfluss stetig ausbauen. So wurde auf ihre Initiative hin am 17. Oktober 1964 die Vạn-Hạnh-Universität als erste akkreditierte buddhistische Hochschule gegründet, für deren Aufbau und Leitung der Mönch Thích Minh Châu (1918–2012) verantwortlich war. Vorläufer der VạnHạnh-Universität war die „Akademie der Buddhismuskunde Vạn Hạnh“ (Viện Cao Đẳng Phật Học Vạn Hạnh), die von Thích Nhất Hạnh mitgegründet und von Thích Trí Thủ geleitet wurde.68 Der Buddhismus dieser Zeit maß Bildung und sozialem Engagement sowie einem aktiven Gemeindeleben einen hohen Stellenwert zu. Zwischen 1964 und 1975 konnte sich die Vereinigte Buddhistische Kirche als

65 66 67 68

Bezacier 1975: 307. Thich Nhat Hanh 1997: 15. Nguyễn 1979: 737–762; Soucy 2017: 181f. Chapman 2007: 301f.; Beuchling/Tuan 2013: 117.

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größte Massenorganisation Südvietnams behaupten, denn in diesen Jahren nahmen über zwei Millionen Vietnamesen aktiv am buddhistischen Gemeindeleben teil, acht Millionen besuchten regelmäßig eine Pagode und weitere vier Millionen taten dies an besonderen Feiertagen.69 Nach der Wiedervereinigung Vietnams im Jahr 1975 blieb der Buddhismus im Süden des Landes lange unter strikter Kontrolle der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam, allerdings führte die in den späten 1980er Jahren beginnende (wirtschaftliche) Erneuerungsbewegung (đổi mới) zur Öffnung des Landes, was auch die Möglichkeiten der Praktizierung der Religion erweiterte. Daher gingen in den letzten Jahrzehnten viele Mönche, die im Exil lebten, in ihr Heimatland Vietnam zurück, um wieder dort zu praktizieren. Im Januar 2005 kehrte zum Beispiel Thích Nhất Hạnh erstmals nach 39 Jahren Exil wieder für drei Monate nach Vietnam zurück, wo er Vorträge und Retreats an verschiedenen Orten im ganzen Land abhalten konnte. Im Rahmen eines diplomatischen Indienaufenthaltes besuchte im Jahr 2014 der damalige Premierminister Nguyễn Tấn Dũng auch Bodh Gayā.70

4. Der vietnamesische Buddhismus im heutigen Kontext 4.1. Die großen Mahāyāna-Schulen des vietnamesischen Buddhismus Im Laufe seiner historischen Entwicklung hat sich der Buddhismus in Vietnam, beeinflusst durch den chinesischen Mahāyāna-Buddhismus, von zwei großen Traditionen des Mahāyāna dominieren lassen: der Schule des Reinen Landes (Tịnh Độ Tông) und der Chan-Schule (Thiền Tông). Bis zum heutigen Tage werden in den meisten Mahāyāna-Pagoden beide Schulen nebeneinander ausgeübt (Thiền Tịnh Song Tu „Meditation und Reines Land parallel ausüben“). Der größte Teil der vietnamesischen Buddhisten gehört heute noch dieser Ausformung an, die am meisten jedoch von der Schule des Reinen Landes geprägt wurde.71 Die heutige Thiền-Tradition ist bekannt als Lâm Tế Tông (chines. linji; japan. rinzai-shu) und steht in der Patriarchenlinie von Lâm Tế Nghĩa Huyền (chines. Linji Yixuan), der in der linearen Nachfolge des Patriarchen Bodhidharma (Bồ Đề Đạt Ma) steht. In Praxis und Lehre zeichnet sich diese durch Thiền (chines. chan; japan. zen; „meditative Versenkung“), Tọa Thiền (chines. cuo chan; japan. zazen) und das

69 Dommen 2001: 955. 70 Soucy 2017: 183. 71 Beuchling/Tuan 2013: 41; vgl. ferner Soucy 2017: 184f.

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Fragen von Công Án (chines. gong’an; japan. kōan) durch den Lehrer an den Schüler bzw. Laien aus. Das Ziel dieser Schule ist hauptsächlich auf die Erkenntnis des „Nicht-Selbst“ (Vô Ngã) im Diesseits ausgerichtet. Das Erlangen der Erkenntnis kann aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, dem Luân Hồi, führen.72 Im Verhältnis zur Thiền-Tradition hat die Lehre des Reinen Landes bzw. der Amitābha-Buddhismus eine weitaus größere Bedeutung im vietnamesischen Buddhismus erlangt. Besonders wird dies in der täglichen Ausübung der Laien deutlich, deren Handlungen durch die Verehrung des Buddha Amitābha (A Di Đà) und verschiedenster Bodhisattvas (Bồ Đề Tát Đóa; „Erleuchtungswesen“) bestimmt wird.73 Letztere sind Personen, die selbst auf dem Weg zur Erleuchtung sind, aber aus Mitgefühl auf das Erreichen des Nirvāṇa verzichten, um allen Lebewesen auf ihrem Weg zur Erlösung zu verhelfen. Neben Buddha Amitābha und seinem Reinen Land Sukhāvatī (Cực Lạc), die den zentralen Bestandteil dieser Schule bilden, kommt dem Bodhisattva des Mitgefühls, Avalokiteśvara (Quan Thế Âm Bồ Tát), die größte Verehrung zu. Das Reine Land wird als Land des höchsten Glücks bezeichnet, da alle Lebewesen dort von ihrem Leiden befreit sind und ausschließlich Glück empfangen.74 Die meisten Praktizierenden richten ihr Denken und Handeln auf das Idealziel, im Reinen Land des Buddha Amitābha wiedergeboren zu werden. Sie verfolgen das Bodhisattva-Ideal und helfen anderen Lebewesen um eigener karmischer Verdienste willen. Durch den festen Glauben an Buddha Amitābha und die Bodhisattvas sowie tägliche Rezitation bestimmter Sūtren (Kinh) und Mantras (Chân Ngôn), unterstützt durch devotionale Niederwerfungen und den Erwerb von religiösen Verdiensten (Công Đức; skt. puṇya), erhoffen sich die Gläubigen einen Austritt aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, um durch Erkenntnis des „Nicht-Selbst“ (Vô Ngã) das Nirvāṇa (Niết Bàn) zu erreichen.75 Im Gegensatz zur Thiền-Schule wird hier angenommen, dass eine Erkenntnis des „Nicht-Selbst“ für einen Laien fast unmöglich ist und diese daher auf die Hilfe der Bodhisattvas angewiesen sind, welche selbst erleuchtete Wesen sind. Die drei von dieser Schule am meisten rezitierten Sūtren (Kinh) sind das Kleine Sukhāvatīvyūha-Sūtra („Kleines Sūtra vom Land des höchsten Glücks“; Vô Lượng Thọ kinh), das Große Sukhāvatīvyūha-Sūtra („Großes Sūtra vom Land des höchsten Glücks“; A-di-đà kinh) und das Amitāyur-Dhyāna-Sūtra („Sūtra von der Meditation über Amitāyus“; Quán Vô Lượng Thọ kinh). Als Richtlinien für die Ausübung der Glaubenspraxis gelten die drei Dharmasiegel: Tín, Nguyện, Hạnh: Dabei bedeutet Tín („Vertrauen“) Glaube an die Worte des Buddhas und die eigenen Verdienste. Nguyện („Wunsch“) besteht darin, im Reinen Land wiedergeboren zu werden. Die

72 73 74 75

Bechert/Vu 1970: 109. Soucy 2007: 356–360; Weigelt 2013: 111. Ho 2012: 45. Ho 1999: 26.

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ständige Wiederholung des Namens des Buddha Amitābha während des Rezitierens und ein Leben nach dem Bodhisattva-Ideal sollen diesen Wunsch verstärken. Hạnh („Praxis“) bezeichnet die Glaubenspraxis, deren Häufigkeit und Intensität darüber entscheidet, auf welcher Stufe man im Reinen Land wiedergeboren wird. Dieses Ziel der Wiedergeburt im Reinen Land bildet die Grundlage des Systems, der Philosophie und der Praxis des Glaubens der Anhänger der Schule des Reinen Landes und damit auch derjenigen des vietnamesischen Buddhismus. Die heutige Bedeutung dieser Schule ist auf die Reformbewegung buddhistischer Lehren in Vietnam seit 1920 zurückzuführen.76 Charakteristisch für den Mahāyāna-Buddhismus in Vietnam ist ferner die einflussreiche Stellung von Nonnen. Anders als in den Theravāda-Ländern ist es vietnamesischen Frauen seit Jahrhunderten erlaubt, in den Ordensstand einzutreten und die vollwertige Ordination zu erhalten.77 Auch wenn ihr Einfluss auf die vietnamesische Gesellschaft und innerhalb des Ordensstands groß ist, so besitzen sie dennoch nicht die gleichen Rechte wie die Mönche. Deshalb haben vietnamesische Nonnen mehr Regeln einzuhalten und dürfen bei gemeinsamen Zeremonien erst hinter den Mönchen in den Andachtsraum einziehen.78

4.2. Die Bedeutung des Buddhismus im vietnamesischen Alltag Laut einer Statistik aus dem Jahr 2005 gibt es in Vietnam insgesamt 37 775 buddhistische Mönche und Nonnen, 16 972 registrierte Andachtsstätten und Pagoden, 40 buddhistische Ausbildungsinstitutionen und 1 076 Sozialeinrichtungen.79 Auch wenn die tatsächliche Anzahl der buddhistischen Laien schwer erfassbar ist, spiegeln diese Zahlen die Bedeutung des Buddhismus für die Bevölkerung Vietnams wider. Der vietnamesische buddhistische Laie lebt fest in dem Glauben, dass nicht nur Gebete, sondern auch gute Taten, worunter auch Spenden und Arbeitseinsatz für sein buddhistisches Kloster fallen, zu seinen karmischen Verdiensten zählen. Jede Pagode ist auf das freiwillige Spendensystem in Geld- und Sachspenden sowie in Arbeitskraft der Laien angewiesen. Für besondere Projekte wird oft mit Spendenaufrufen gearbeitet und es stehen in jedem Andachtsraum mehrere Spendenkisten (phước sương), in die von den Laien nach jedem Besuch, insbesondere nach den

76 DeVido 2009: 413–458. 77 Beuchling/Tuan 2013: 42f. 78 Gemäß der vietnamesischen Mahāyāna-Tradition geloben die Mönche die Einhaltung von 250 Regeln und die Nonnen dagegen von 348 Regeln (vgl. Beuchling/Tuan 2013: 83). 79 Beuchling/Tuan 2013: 39f.

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Feierlichkeiten, Geld gesteckt wird. An Festtagen oder nach größeren Zeremonien ist es üblich, gemeinsame Mahlzeiten in der Pagode einzunehmen. Diese erfordern aufwändige Vorbereitungen und wären ohne die Unterstützung der Laiengemeinschaft nicht möglich.80 Für jeden vietnamesischen Laien gibt es eine bestimmte Anzahl von Festtagen, an denen er seiner Pagode einen Besuch abstattet. Über das ganze Jahr verteilt gibt es eine Reihe von religiösen Festen, die regelmäßig in der Gemeinde gefeiert werden. Das bedeutendste Fest ist das Neujahrsfest Tết nach dem Mondkalender (Tết Nguyên Đán), an dem man mit seiner ganzen Familie den Tempel aufsucht, um für das Glück im neuen Jahr zu beten, seine Horoskope zu ziehen oder soziale Kontakte zu pflegen. Seinen Ursprung hat das Neujahrsfest außerhalb des Buddhismus. Das zweitwichtigste Fest des Jahres ist das Vesakh-Fest (Lễ Phật Đản), an dem die Geburt und die Erleuchtung Buddhas gefeiert wird und das auf einen Vollmondtag zwischen Mai und Anfang Juni fällt. Die Vorbereitungen dafür trifft die Laienschaft zusammen mit Novizen, Nonnen und Mönchen meist wochenlang vorher, um alle Tempelbesucher an diesen Tagen mit Essen und Spezialitäten versorgen zu können. Das Ullambana-Fest (Vu lan) stellt ebenfalls ein großes Ereignis im vietnamesischen Buddhismus dar, an dem den Pflichten der Kinder den Eltern, insbesondere der Mutter, gegenüber Bedeutung beigemessen wird.81 Zum Ullambana-Fest werden in der Pagode Rosen verteilt, eine weiße für diejenigen, deren Mutter bereits verstorben ist, und die roten für diejenigen, deren Mutter noch lebt. Neben diesen Festen gibt es im Laufe des Jahres noch eine ganze Reihe von Zeremonien und Feiern, die in den Pagoden begangen werden. Es gibt außerdem Feierlichkeiten wie Hochzeiten oder Trauerfeiern, zu denen Nonnen und Mönche für die Durchführung der Zeremonien nach Hause eingeladen werden. Für die meisten Vietnamesen stellt die Pagode mit ihrer Ordens- und Laiengemeinschaft nicht nur ein religiöses, sondern auch ein soziales Zentrum dar, dies gilt insbesondere für die ältere Generation.82 Jedoch nicht nur das Gemeindeleben, sondern vielmehr das soziale Engagement für das Wohl der Gesellschaft trägt zur Beliebtheit des Buddhismus auch in der jüngeren Generation bei.83 In der heutigen Gesellschaft, in der Konsum und Schnelllebigkeit, aber auch Existenzängste den Alltag bestimmen, suchen viele einen Sinn im Dasein und finden ihn in den Lehren und in der Praxis des Buddhismus wieder.84 Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Internetseiten buddhistischer Gemeinschaften, die ihre jüngere Zielgruppe informiert halten.85 Die Präsenz dieser Internetseiten zeugt deutlich von der Flexi-

80 81 82 83 84 85

Beuchling/Tuan 2013: 86f. Phan 2012: 211–214. Đặng 2012: 223. Nguyễn 2012: 230. Phan 2012: 214–219. Đặng 2012: 227.

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bilität und Offenheit des vietnamesischen Buddhismus, sich dem Wandel der Zeit anzupassen.

4.3. Der Buddhismus und die Religiosität im heutigen Kontext Heute wird der vietnamesische Buddhismus häufig als eine „Volksreligion“ oder auch die vietnamesische Religiosität als „Mosaik“ bezeichnet, das durch eine historisch gewachsene religiöse Vielfalt bedingt ist. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich nicht nur die großen Mahāyāna-Schulen verbunden, sondern ihre Lehren wurden den landesspezifischen Gegebenheiten angepasst. Die heutige Bedeutung dieser Schulen ist auf die Reformbewegung buddhistischer Lehren in Vietnam seit 1920 zurückzuführen. Trotz dieser Revitalisierung ist in der vietnamesischbuddhistischen Tradition eine starke Beeinflussung durch andere Glaubenssysteme zu verzeichnen. So existieren die verschiedenen Traditionen aus China heute neben den ursprünglich vietnamesischen Sitten und Bräuchen und man hat neben der Verbindung von Tịnh Độ Tông und Thiền Tông weitere Praktiken der Ahnenverehrung (Đạo Thờ Cúng Tổ Tiên), der Verehrung der Muttergottheiten (Đạo Mẫu), des Heroenkults (Huyền Thoại Anh Hùng), der Verehrung von Schutzgottheiten (Tín Ngưỡng Thờ Thánh Hoàng) und nicht zuletzt des Daoismus (Đạo Giáo) und des Konfuzianismus (Khổng Giáo).86 Die Vermischung dieser Glaubenssysteme, insbesondere die Beeinflussung durch daoistische und konfuzianische Lehren, ist in der buddhistischen Alltagspraxis allgegenwärtig. Daher geben viele Vietnamesen Tam Giáo („drei Lehren“) als ihre Religion an, denn während die „Drei Lehren“ bis Anfang des 20. Jahrhunderts meist nur von der gebildeten Oberschicht ausgeübt wurden,87 haben sie heute eine große Bedeutung bei den religiösen Praktiken der meisten Vietnamesen. Die Ahnenverehrung kann als größter gemeinsamer Nenner zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen gesehen werden, denn in fast keinem Haushalt fehlt ein Altar mit Bildern bzw. Namenstafeln der verstorbenen Vorfahren, die alle Familienmitglieder täglich an ihre Wurzeln erinnern. Die Altäre sind durchgehend mit Kerzen, Blumen und Obst geschmückt. Jährlich zu den Todestagen (ngày giỗ) wird häufig das Lieblingsessen der Verstorbenen zubereitet und in Gedenken an sie feierlich mit der ganzen Familie zusammen eingenommen. Für die meisten Vietnamesen ist es selbstverständlich, in personifizierter Form über die verstorbenen Verwandten zu reden und an andere „Daseinsebenen“ zu glauben.88 Ihren Ursprung hat die Ahnenverehrung im konfuzianischen Prinzip der kindlichen Pietät (Đạo Hiếu), wonach ein Mensch stets gegenüber seinen Eltern und Ahnen eine

86 Weigelt 2013: 112. 87 Ho 1999: 22. 88 Weigelt 2013: 119.

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moralische Dankesschuld (Ơn) besitzt.89 Kinder wachsen früh damit auf, ihren Eltern gegenüber täglich zahlreiche, auch rituelle Verpflichtungen zu erfüllen. Man glaubt an Schutzgottheiten und Geister und so werden auf vielen Altären, insbesondere in den buddhistischen Pagoden, Schutzgottheiten (Long Thần Hộ Pháp) aufgestellt, um böse Geister fernzuhalten.90 Diese und weitere Praktiken bei den vietnamesisch-buddhistischen Akteuren zeugen davon, dass der Buddhismus in Vietnam nicht als hermetisch abgeschlossene Glaubensform vorzufinden ist, sondern dass die „Drei Lehren“ sowie andere Glaubenselemente integriert wurden.

5. Schlussbemerkung Die geographisch und soziokulturell bedingte Offenheit gegenüber anderen Traditionen und Praktiken kann als ein Charakteristikum für den vietnamesischen Buddhismus genannt werden. Nachdem die verschiedenen Traditionen aus dem chinesischen Mahāyāna-Buddhismus ins Land gekommen, adaptiert und miteinander verschmolzen waren, erfuhren Tịnh Độ Tông und Thiền Tông durch die Reformbewegung einen neuen Aufschwung und haben heute in der vietnamesischen MahāyānaTradition nebeneinander Bestand. Wenn man vom „vietnamesischen Buddhismus“ spricht, stehen zwar beide Traditionen, insbesondere die Schule des Reinen Landes, im Vordergrund, jedoch kann der Buddhismus in der Alltagspraxis kaum als eigenständige Glaubensform betrachtet werden, da er immer in Wechselwirkung mit anderen vietnamesischen Traditionen sowie den „Drei Lehren“ steht. Die Offenheit für neue Traditionen hat ebenfalls dazu geführt, dass heute neben den größeren Religionen wie Buddhismus und Katholizismus eine Reihe neuer synkretistischer Formen und religiöser Minderheiten ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben. Dadurch ist Vietnam zu einem multireligiösen Land mit verschiedenen Weltanschauungen geworden und der Glaubenskomplex innerhalb des Buddhismus sowie die religiöse Vielfalt rechtfertigen das Bild eines „religiösen Mosaiks“.

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Die koreanische Halbinsel in Nordostasien schließt sich geographisch an den chinesischen Kulturraum an. Entsprechend stand das spätere Korea früh unter chinesischem Einfluss. Die Gründung eines ersten koreanischen Großreiches soll dem Gründungsmythos des buddhistischen Geschichtswerkes Samguk yusa (spätes 13. Jahrhundert) zufolge bereits in das 3. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen. Datiert die nordkoreanische Propaganda die Gründung des Reiches Alt-Chosŏn sogar in das vierte Jahrtausend zurück, wird diese Frühgeschichte von seriösen südkoreanischen Historikern als mythologisch betrachtet. Deutlicher fassbar wird die koreanische Geschichte ab 108 v. Chr. mit der Gründung han-chinesischer Kommandanturen auf der Halbinsel, die eigene Handelsinteressen sichern sollten. Nach dem Zusammenbruch der Han-Dynastie verlor China zunehmend seinen politischen und militärischen Einfluss über die koreanische Halbinsel, und nach dem Fall der wichtigsten Kommandantur im Jahr 313 konnte sich das Reich Koguryŏ schrittweise bis in die Mandschurei ausbreiten. In dieser Frühgeschichte scheint der Buddhismus auf der koreanischen Halbinsel noch nicht bekannt. Daher setzt die hier vorgelegte Beschreibung der Geschichte des Buddhismus in Korea mit der Zeit der drei Reiche als erstem Kapitel ein. Die weiteren Kapitel orientieren sich an der Reihenfolge politischer Epochen, so dass nachfolgend der Buddhismus im Vereinigten Reich Silla, in Koryŏ, während der Chosŏn-Zeit, der japanischen Kolonialzeit und abschließend seit 1945 behandelt wird.

1. Die Zeit der Drei Reiche 1.1. Koguryŏ Die Anfänge des Buddhismus im Norden der koreanischen Halbinsel liegen aufgrund der unzureichenden Quellenlage weitgehend im Dunkeln. Unsere Vorstellungen zur Einführung der neuen Religion im 4. Jahrhundert beruhen maßgeblich auf der sehr viel späteren Darstellung im Samguk sagi („Geschichtliche Aufzeichnungen der Drei Reiche“, 1146) des konfuzianischen Gelehrten Kim Pusik (1075– 1151).

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Dem Samguk sagi zufolge traf im Jahre 372 mit einer Gesandtschaft der Früheren Qin auch der Mönch Shundao (korean. Sundo; keine Datierung möglich [= k. D.]) am Königshof ein.1 Nach dem Sieg der Früheren Qin über das Barbarenreich der Yan waren deren ehemaligen Herrscher nach Koguryŏ geflohen, den Qin jedoch umgehend ausgeliefert worden. Die Gesandtschaft ist daher wohl zugleich als Dankerweisung wie auch als Aufforderung zur Einordnung in ein neues politischkulturelles Machtgefüge in Nordostasien zu verstehen. Nachdem 384 mit Ado (k. D.) ein weiterer Mönch gefolgt war, wurden im Folgejahr zwei Tempel errichtet, und 392 empfahl König Kwanggaet’o (reg. 391–413) den Buddhismus seinen Untertanen in einer offiziellen Verlautbarung als dem persönlichen Wohlergehen förderlich. Mögen diese Ereignisse den Beginn der staatlichen Förderung des Buddhismus markieren, scheint jedoch ein im chinesischen Gaosengzhuan („Biographien eminenter Mönche“, 519 n. Chr.) zitierter Brief des namhaften chinesischen Gelehrten Zhi Dun (Zhi Daolin, ?-366) an einen Glaubensbruder in Koguryŏ zu belegen, dass der Buddhismus des chinesischen Festlandes bereits Jahrzehnte zuvor auf der Halbinsel Fuß gefasst hatte. Nur ein Jahrhundert später sollte ein Mönch aus Koguryŏ eine Schlüsselrolle in der Frühphase einer der geistesgeschichtlich bedeutendsten buddhistischen Traditionen auf dem chinesischen Festland spielen: Der vornehmlich während der Dynastien Qi und Liang südlich des Jiangzi wirkende Sŭngnang (eigentlich Sŭng, also „Mönch“, Tonang, 476?-512) begründete eine dem Studium der Sanlun (korean. Samnon, „Drei Abhandlungen“) verpflichtete Schule2, auf die sich später auch der berühmte Exeget Jizang (547–623) im Rahmen der Etablierung einer „Lineage der Drei Abhandlungen“ (Sanlun zong) zurückführte.3 Letzterer wie auch dessen aus Paekche stammender Mitschüler Hye’gyun (k. D.) schreiben dem „Meister Nang aus Ko[gu]ryŏ“ die Formel der

1 Zur Einführung des Buddhismus in der Periode der Drei Königreiche vgl. u. a. Ahn 1989: 1–27 sowie Tamura 1985: 1–30, ferner auch Best 2005: 15–42. 2 Der Ausdruck „Schule“ wird in der Sekundärliteratur meist etwas unspezifisch für das sich in der Tang-Zeit entwickelnde Konzept einer zong (ursprünglich „Ahnherr“ bzw. „Ahnenhaus“, davon abzuleiten „Lineage“ bzw. „Tradition“) verwendet, bezeichnet hier jedoch konkret eine Gruppe von Schülern um einen Lehrer. 3 Ein westlichsprachiger Versuch, Leben und Lehren des Tonang auf Basis verschiedener Quellen zu rekonstruieren, findet sich in Plassen 2005: 165–198. – Jorgensen 2005: 81–83 zweifelt nicht nur an Sŭngnangs Beitrag zum chinesischen Buddhismus, sondern auch an dessen [proto-]koreanischer Ethnizität, zumal dieser auf der im 5. Jahrhundert zeitweise unter chinesischer Oberhoheit stehenden Halbinsel (korean.) Yodong bzw. Liaodong geboren wurde. Jizang, so das Kernargument, habe Sŭngnang als Barbaren zeichnen wollen, da er selbst sogdischer Abstammung war. Zwar illustriert der Fall eines Zeit seines Lebens auf dem chinesischen Festland wirkenden Mönches deutlich die Probleme eines nationalgeschichtlichen Herangehens an die Geschichte des frühen ostasiatischen Buddhismus. Andererseits erscheint das Argument konstruiert. So ist es wenig wahrscheinlich, dass Jizang wie Hye’gyun sich nur wenig mehr als ein Jahrhundert nach den Geschehnissen fälschlich auf einen ausländischen Gründer hätte berufen können.

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„Drei Urteile“4 (sandi, korean. sanch’e) zu: Um eine allzu starre Dichotomie zwischen dem „Gemeinen Urteil“ (sudi, korean. sokch’e) und dem „Wahren Urteil“ (zhendi, korean. chinch’e) zu überwinden, wird, im Wesentlichen dem Kommentar des Zhonglun („Mittlere Abhandlung“) zu Nāgārjunas Mūlamadhyamakakārikā (24:18) folgend, mit einem „Dritten Urteil“ eine weitere, umfassende Perspektive eröffnet. In dieser tritt zu den Phänomenen (se, korean. saek, wörtl. „Farbe“) und der Leere (kong) als Drittes der „Mittlere Weg“ (zhongdao, korean. chungdo) hinzu, der sich der Festlegung auf jedes der beiden Extreme entzieht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass damit auch zumindest die Ursprünge der integrativen Konzeption der drei Urteile in der Lehrtradition des Tiantai letztlich auf Tonang zurückgehen.5 Wird der starke kontinentale Einfluss auf die Elite von Koguryŏ bereits anhand der chinesischsprachigen Kwanggaet’o-Stele (414) sowie Darstellungen aus der chinesischen Mythologie und Astronomie in Grabkammern des 5. Jahrhunderts greifbar, belegen Grabkammern mit Darstellungen von apsaras aus dem 6. und 7. Jahrhundert auch eine starke Verbreitung des buddhistischen Glaubens innerhalb der aristokratischen Oberschicht. Vor allem jedoch erlauben relativ zeitnahe Berichte über das Wirken von Mönchen aus Koguryŏ auf dem chinesischen Festland und dem japanischen Archipel in frühen chinesischen bzw. japanischen Quellen belastbarere Rückschlüsse über ein Prosperieren des Buddhismus in Koguryŏ. So wird mit Hyeryang im Jahre 551 ein Mönch aus Koguryŏ der erste Kukt’ong (in etwa „Reichs-Superintendent“) im Staate Silla, und für das 6. Jahrhundert sind diverse Mönche verzeichnet, die auf dem chinesischen Festland die unterschiedlichen dort gerade populären Lehrrichtungen studierten. Ebenso spielten Mönche aus Koguryŏ eine bedeutende Rolle bei der Missionierung und Kultivierung der japanischen Inseln: Aus Koguryŏ kam im Jahre 610 der Mönch Tamjing (k. D.), bezeichnenderweise zugleich bewandert in der Herstellung von Papier und Schreibgeräten. Der Koguryŏ-Mönch Hye’gwan (k. D.) wiederum studierte zunächst in Tang-China unter dem bereits erwähnten Jizang und kam im Jahre 625 nach Japan, wo er sich besonders im Regenmachen hervortat und wohl auch deshalb dem aus Paekche stammenden Kwallŭk (k. D.) in dessen Amt als Sōjō („Mönchs-Korrektor“, d. h. Oberster Aufseher des Klerus) nachfolgte.

4 Die unter indologischem Einfluss weit verbreitete Lesung von di als „Wahrheit“ ist im chinesischen Sanlun weder konzeptuell widerspruchsfrei noch von der Wortbedeutung her zu halten. So bezeichnet bereits das für skt. satya benutzte Schriftzeichen di die vorsichtige Untersuchung eines Sachverhaltes, per Extension also eher ein gesetztes Dogma denn eine gegebene Wahrheit. 5 Tatsächlich finden sich bisher kaum beachtete wörtliche Entsprechungen zwischen einem im – wiederum Jizang zugeschriebenen, vermutlich jedoch erst auf dem japanischen Archipel auf Basis verschiedener Texte desselben kompilierten – Dasheng xuanlun enthaltenen „Erdi yi“ („Die Bedeutung der Zwei Urteile“) und dem traditionell Zhiyi (538– 597) zugeschriebenen, jedoch von dessen Schüler Guanding (561–632) kompilierten Mohe zhiguan („Mahā-“ bzw. „Große“ „Konzentration und Kontemplation“).

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1.2. Paekche Die offizielle Übernahme des Buddhismus in Paekche wird traditionell mit der Ankunft des Mönches Maranant’a (k. D.) auf das Jahr 384 datiert. Auch dieses Datum ist jedoch nicht ganz zweifelsfrei, zumal die nächsten verzeichneten Ereignisse erst ca. einhundertfünfzig Jahre später in die Herrschaftsperiode von König Sŏng (reg. 523–554) fallen. Folgt man dem Samguk yusa („Überlieferte“ bzw. „Sonstige“ „Vorkommnisse aus den Drei Reichen“), einem buddhistischen Geschichtswerk aus dem 13. Jahrhundert, kehrte im Jahre 526 der Mönch Kyŏmik (k. D.) aus Indien zurück und brachte sowohl philosophische Abhidharma-Texte als auch fünf Versionen von Ordensrichtlinien mit. Im Jahre 541 sandte König Sŏng eine Gesandtschaft an den Liang-Hof, mit der Bitte um Kommentare zum Nirvāṇasūtra sowie um Entsendung von Kunsthandwerkern und Malern. Im Jahre 545 betete er anlässlich der Fertigstellung einer Buddhastatue dafür, dass alle Lebewesen die Buddhaschaft erlangen mögen. Wie in Koguryŏ ist der Aufschwung des Buddhismus also nicht zuletzt vor dem Hintergrund der diplomatischen Beziehungen zum chinesischen Festland zu sehen. Eine besondere Förderung erfuhr der Buddhismus durch König Pŏp (reg. 599– 600), welcher dem Samguk yusa zufolge in offensichtlicher Anlehnung an das chinesische Vorbild von Liang Wu (reg. 502–549) im ersten Jahr seiner Herrschaft das Töten von Tieren verbot und die Freilassung der Jagdfalken sowie die Zerstörung von Jagdwaffen und Geräten zum Fischfang anordnete. Kontinentalen Ursprunges war auch das Rollenmuster, das prägend für den Staatsbuddhismus dieser Zeit sein sollte: das des cakravartin, des Herrschers als „Raddreher“. In einer Endzeitperiode des Verfalls des Dharmas sollte dieser durch Förderung des Dharmas die Voraussetzungen dafür bereiten, dass der zukünftige Buddha Maitreya eben in seinem Herrschaftsgebiet erscheinen würde. Dieses an den Maurya-Herrscher Aśoka anschließende Muster war zuvor unter der LiangDynastie gepflegt worden. So hatte Liang Wu überall im Reiche nach Stelen des Aśoka suchen lassen und hatte dessen Bemühungen um religionspolitische Allpräsenz seinerseits mit der Verbreitung von Reliquien in die entlegensten Winkel des Imperiums nachgeahmt. Der eschatologische Glaube an die baldige Herabkunft des Maitreya (korean. Mirŭk) spielte in der Ideologie des Paekche-Reiches eine bedeutende Rolle, wie nicht nur der im Samguk yusa erwähnte und archäologisch bestätigte Bau des mit drei Hallen und einer großen Pagode versehenen Mirŭk-sa durch den nachfolgenden König Mu (reg. 600–641) nahelegt.6 So finden sich unter den Funden aus dieser Periode zahlreiche Statuetten in sitzender Position, das Kinn des kronengeschmückten Kopfes mit dem Unterarm nachdenklich auf das übergeschlagene Bein

6 Zum Mirŭk-sa vgl. Best 2007: 35–50.

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gestützt. Diese werden als Darstellungen des (auf sein baldiges Erscheinen in der Welt als nächster Buddha) wartenden Mirŭk gedeutet, wobei einige Exemplare aufgrund der feinen Gesichtszüge und des eleganten Faltenwurfes der Kleidung als Höhepunkte der ostasiatischen Skulptur gelten. Bereits kurz vor oder nach dem Jahre 600 n. Chr. dürfte das Taesŭng saron hyŏnŭi ki („Dem Mahāyāna zugehörige Aufzeichnungen zur dunklen Bedeutung der vier Abhandlungen“) verfasst worden sein. Ungeachtet seines lediglich auf Schriften der Gegner verweisenden Titels ist dieses wiederum der Tradition der „Drei Abhandlungen“ zuzuordnen. Das Werk ist ein wichtiger Zeuge für die Darstellung der frühen Geschichte der Hauptlinie des chinesischen Sanlun in japanischen SanronKompendien, es findet sich dort aber kaum etwas zu seinem Autor. Indessen konnte aufgrund der Erwähnung eines Tempels, dessen Name ansonsten nur durch den archäologischen Fund eines der Adressierung einer Warensendung dienenden Holzstreifens (mokkan) in der Gegend der damaligen Paekche-Hauptstadt Sabi bekannt ist, der Abgrenzung der „hiesigen Meister“ von den „Meistern in Wu und Lu“ und ferner der Erwähnung der Insel T’amna (das heutige Jeju-do) Paekche als Entstehensort des bis dahin für „chinesischen“ Ursprungs gehaltenen Textes identifiziert werden. Wenn auch einige Kapitel fehlen, handelt es sich somit doch um das früheste auf der koreanischen Halbinsel entstandene Kommentarwerk, das in größeren Teilen erhalten ist. Der Autor Hye’gyun (k. D.) hatte unter Falang (507–581) als Gaststudent und Mitschüler des bereits erwähnten Jizang die „Drei Abhandlungen“ studiert und präsentiert mit diesem Text eine monographische Abhandlung zu den wichtigsten Lehrinhalten der Schule um Falang. Grundlegend ist dabei die Anwendung des „Chungga ch’ojang“ („Erster Abschnitt von ‚Mitte‘ und ‚Provisorischem‘“), einer Formel, mit deren Hilfe die scheinbar feststehenden, tatsächlich jedoch einander bedingenden und somit gegenseitig abhängigen Gegensatzpaare in den Texten in meditativer Übung aufgelöst bzw. aufgehoben werden sollen. Das Taesŭng saron hyŏnŭi ki gibt Details zu Übungsmethoden und Geschichte der frühen Tradition des Sanlun preis, die mitunter in den Schriften von Jizang nicht zu finden sind und auch über spätere japanische Exzerptsammlungen hinausgehen. So ist es eine der wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion des Denkens von Falang.7 Die Weiterverbreitung des Buddhismus nach Japan erfolgte zunächst über inoffizielle Kontakte, im Wesentlichen dann jedoch wiederum unter diplomatischen Vorzeichen. Dem japanischen Geschichtswerk Nihon shoki zufolge im Jahre 552, möglicherweise auch bereits 538, empfahl König Sŏng (reg. 523–534) von Paekche dem japanischen Herrscher den Buddhismus als Grundlage einer segensreichen Regierung und übersandte neben einer Buddha-Statue, Fahnen und Seidenschirmen auch Sutren und Kommentare. Den offiziellen, diplomatischen Charakter der

7 Vgl. Plassen 2007a: 29–52.

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nachfolgenden Missionsanstrengungen belegt auch der Umstand, dass einige Jahrzehnte später Imsŏng (k. D.), der dritte Sohn des Paekche-Königs Sŏng, den Glauben an Avalokiteśvara nach Japan gebracht haben soll. Die Missionierung des japanischen Hofes ging einher mit einem umfassenden Kulturtransfer: Nachdem 554 die ersten Mönche entsandt worden waren, schickte König Widŏk (reg. 554–598) im Jahre 577 erneut Sutren und Kommentare. Zum Tross der Gesandtschaft zählten ein Vinaya- und ein Meditations-Meister, eine Nonne, ein Mantra-Spezialist, aber auch ein auf die Herstellung von Buddha-Statuen spezialisierter Kunsthandwerker und ein Tempelarchitekt. 588 folgten mehrere Exegeten, zwei Zimmerleute, ein Experte im Metallguss, vier Spezialisten in der Herstellung von Dachziegeln und ein Maler. Während japanische Nonnen zum Studium nach Paekche gingen, traf wohl im Jahre 597 der Mönch Hyech’ong (k. D.) in Japan ein. Zusammen mit dem Koguryŏ-Mönch Hyeja (k. D.) sollte dieser keinen Geringeren als den Kronprinzen und Regenten Shōtoku Taishi (reg. 593–622) in der buddhistischen Literatur unterweisen, wenn auch noch mit eher mäßigem Erfolg, wie ein diesem zugeschriebener, recht ungelenker Kommentar belegt. Der gleichermaßen in den Samnon wie in weltlicher Literatur versierte Kwallŭk (k. D.) brachte 602 Schriften zur Astrologie, zum Kalenderwesen, zur Geographie und den geheimen Künsten. Der Mönchsgelehrte machte sich nicht nur als Arzt einen Namen, sondern avancierte wie erwähnt zum ersten Sōjō (in etwa: Mönchs-Superintendent) Japans. Wie die angeführten Beispiele zeigen, waren es vor dem Einsetzen eines großen Stromes von Gaststudenten im Wesentlichen zunächst Mönche aus Paekche und Koguryǒ, welche die ursprünglich aus China übernommenen Lehren auf den japanischen Archipel trugen und so die Gestalt des frühen Buddhismus in Japan prägten. Zudem trugen sie durch die Vermittlung künstlerischer und technischer Fertigkeiten nicht unerheblich zum Fortschritt der materiellen Kultur auf dem japanischen Archipel bei.

1.3. Silla Spätestens seit dem 5. Jahrhundert wirkten buddhistische Missionare auch in Silla, die Übernahme des Buddhismus durch das Herrscherhaus erfolgte jedoch erst in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts im Zusammenhang der Durchsetzung eines zentralen Königtums unter König Pŏphŭng (reg. 514–540). Die offizielle Einführung des Buddhismus bzw. die Entscheidung zur Errichtung des zentralen Reichstempels Hwangnyong-sa (Baubeginn 527, Fertigstellung 535) verlief alles andere als reibungslos. So berichtet das Samguk yusa unter Berufung auf in Teilen widersprüchliche ältere Quellen vom Unwillen der Aristokraten und dem Märtyrium des Ich’adon bzw. Pak Yŏmch’ŏk. Einer der Quellen zufolge ließ der König Ich’adon wegen ausbleibender Fortschritte im Bau des Tempels, nach einer anderen jedoch

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wegen eigenmächtiger Veranlassung des Baues hinrichten – auf dessen eigenes Betreiben hin, um den Zorn des Hochadels abzulenken. Dass nach dessen Hinrichtung aus der Wunde sich Unmengen von Milch ergossen und der Kopf bis in das jenseits der heutigen Grenze zu Nordkorea gelegene Kŭmgang-Gebirge flog, mag nach heutigem Kenntnisstand zu bezweifeln sein. Dennoch dürfte die Legende im Hinweis auf den energischen Widerstand des Hochadels gegen die Einführung der neuen Religion und eine Hinrichtung im Kontext der Auseinandersetzungen einen historischen Kern haben.8 War der König zuvor höchster Priester eines schamanistischen Kultes und primus inter pares in einem eher föderalen Stammesgebilde, markierte die Hinwendung zum Buddhismus nicht nur einen Bruch mit der Tradition, sondern zugleich den Übergang zu einem zentralisierten Königtum. Wie in Paekche bildete auch in Silla zunächst das von den Liang entlehnte, letztlich auf Aśoka verweisende Rollenmuster des cakravartin bzw. „Raddrehers“ der buddhistischen Lehre die Grundlage der Königsherrschaft. So benannte König Chinhŭng (reg. 540–577) seine beiden Söhne nach dem „Kupfernen“ (Tongnyun) bzw. dem „Goldenen Rad“ (Kŭmnyun) und damit nach zwei der vier von einem cakravartin in Gang zu setzenden Räder der buddhistischen Lehre.9 In die Regentschaft von Chinhŭng fiel auch die größte Expansion Sillas, das sich in der Auseinandersetzung mit Koguryŏ, aber auch auf Kosten des Bündnispartners Paekche einen Landzugang zum chinesischen Meer eröffnen konnte. Die Periode der militärischen Expansion sollte jedoch wenige Jahrzehnte währen: Nachdem sich schließlich Koguryŏ und Paekche verbündet hatten, wurde im 7. Jahrhundert die Lage für Silla zunehmend bedrohlicher, zumal wiederholte Hilfsersuchen an die Tang-Dynastie als dem im Rahmen der Tributbeziehungen militärischen Schutz schuldigen Souzerän zunächst ohne Wirkung zu bleiben schienen. Vor dem Hintergrund der außen- wie innenpolitisch immer prekäreren Lage des Königshauses wurde die Herrschaftsideologie um den cakravartin schließlich durch noch mächtigere Narrative ergänzt. In diesem Zusammenhang scheint der Superintendent Chajang (um 636–650) eine wesentliche Rolle gespielt zu haben.10 Folgt man dem Samguk yusa, erschien diesem während eines China-Aufenthaltes mehrfach der Bodhisattva Mañjuśrī und offenbarte u. a., dass das regierende Königshaus (wie der Buddha) auf ein Kṣatriya-Geschlecht zurückgehe, die regierende Königin ein Bodhisattva sei und bereits die Voraussagung zukünftiger Buddhaschaft erhalten habe, dass auf einem großen Stein im zentralen Hauptstadttempel Hwangnyong-sa vor Urzeiten die Buddhas Kāśyapa und Śākyamuni

8 Eine nützliche Quellensammlung traditioneller koreanischer Mythen in annotierter Übersetzung findet sich in Grayson 2012. Zu Ich’adon bzw. Pak Yômchon vgl. ebd. 174– 177. 9 McBride 2008: 18. 10 Zu Chajang und der Buddhaland-Ideologie vgl. v. a. Rhi 1988: 163–179, ferner den Versuch einer Widerlegung dieses Standardnarratives in Kim Jong Myung 1995: 23–55.

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gepredigt hätten und dass noch heute am Odae-Massiv Zehntausende von Buddhas und Bodhisattvas weilten. Die wohl eigentümlichste Geschichte, die älteren Quellen zufolge auf Chajang zurückgehe, betrifft eine Maitreya-Trias im Reichstempel Hwangnyong-sa: So habe Aśoka selbst dereinst ein mit Gold beladenes Schiff ausgesandt, mit dem Auftrag, in einem besonders tugendhaften Land eben eine solche Trias gießen zu lassen. Nach einer Reise von 800 Jahren und nachdem das Schiff die Küsten unzähliger Länder bereist und 80 000 Häfen angelaufen war, landete es an den Gestaden von Silla. Erst dort gelang dann die Herstellung der Trias, die später in den Hwangnyong-sa gebracht wurde. – Der vornehmlich militärische Sinn dieser mythologischen Aufladung Sillas als einzigartiges Buddhaland erhellt sich vielleicht am deutlichsten anhand der ebenfalls auf Chajangs Initiative zurückgeführten Errichtung einer neunstöckigen Holzpagode im Hwangnyong-sa, deren steinerne Fundamente noch teilweise erhalten sind. Von der von diesem Bauwerk ausgehenden spirituellen Macht versprach man sich die baldige Unterwerfung sämtlicher umliegenden Staaten, wie der Kompilator des Samguk yusa erwähnt, einer älteren Quelle zufolge auch die von Tang-China.

2. Das Vereinigte Silla Die neue Ideologie sollte lange über die (aus dem schlussendlichen Eingreifen der Tang resultierende) Niederwerfung Paekches (660) und später Koguryŏs (668) sowie die Vertreibung der Tang-Truppen (676) hinaus nachwirken: Noch heute sind insbesondere der „Südberg“ (Namsan) der einstmaligen Silla-Hauptstadt Kŭmsŏng (das heutige Kyŏngju), aber auch die Täler bis hin zur Küste mit steinernen Pagoden, Felsreliefs und Buddhastatuen überzogen. Diese zeugen von Jahrhunderte währenden gewaltigen Anstrengungen bei der Transformation auch der physischen Landschaft Sillas in ein Buddhaland. Das beeindruckendste Resultat dieser materialisierten Ideologie ist zweifelsohne ein vom Sangdaedŭng bzw. Premierminister Kim Taesŏng (gest. 774) im Jahre 751 zum Wohle seiner verstorbenen Eltern in Auftrag gegebenes architektonisches Ensemble: der etwas abseits der Hauptstadt errichtete Pulguk-sa („Klostertempel des Buddhalandes“) und die in den Bergen darüber gelegene Felsengrotte Sŏkkuram, deren zentrale Buddhagestalt als ein weiterer Höhepunkt der ostasiatischen Kunstgeschichte gilt. Zwar ist diese auch als Darstellung des Maitreya interpretiert worden, es dürfte sich jedoch um den im Moment seines Erwachens mit der Handgeste der bhūmi sparśa die Erde zum Zeugen anrufenden Śākyamuni handeln. Ikonographische Details der Grotte und wohl auch die – großes mathematisches Geschick voraussetzenden – genauen Entsprechungen zwischen den Maßen deuten

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zugleich auf das Hwaŏmgyŏng bzw. Avataṃsakasūtra als unmittelbaren Referenzrahmen, so dass die Statue zugleich sicherlich als Verkörperung des Buddhas Vairocana zu deuten ist.11 Der Grotte und deren zentraler Buddhastatue werden sowohl astrologische als auch militärische Dimensionen zugeschrieben. So wird die Ausrichtung der Statue zum Meer hin mit der Sonnenwende, aber auch mit dem Schutz vor proto-japanischen Piraten in Verbindung gebracht. Im Zusammenhang mit militärischen Funktionen stand auch ein Detail des weiter östlich gelegenen Tempels Kamŭn-sa. Dieser hatte laut Samguk yusa eine Öffnung zum Meer hin, die es dem nach seinem Tode angeblich als Meeresdrache die Küste bewachenden König Munmu (626–681, reg. 661–681) erlauben sollte, dort ein- und auszuschwimmen. Das Samguk yusa und die tang- und song-zeitlichen chinesischen hagiobiograpischen Sammlungen belegen, dass das ganze Spektrum der in China populären Lehren auf der Halbinsel vertreten war.12 Ein Blick auf die seit dem 7. Jahrhundert aufblühende Kommentarliteratur zeigt indessen, dass dabei wie im zeitgenössischen China den neuen Lehren des Hwaŏm- bzw. Huayan-Buddhismus und der Nur-Bewusstseins-Lehre des Yusik/Weishi- bzw. Yogācāra-Buddhismus mehr und mehr Bedeutung zukam. Erstere Lehrrichtung repräsentieren vor allem Ŭisang (625–702), Wŏnhyo (617–686), Pyowŏn (wirkte im 8. Jahrhundert) und Kyŏndŭng (k. D.), für letztere stehen neben dem in China wirkenden Xuanzang-Schüler Wŏnch’ŭk (613–696), dessen Werk bis nach Tibet hin rezipiert wurde, insbesondere Kyŏnghŭng (spätes 7. Jahrhundert), Toryun (8. Jahrhundert) und Taehyŏn (8. Jahrhundert).13 Wie bereits diese unvollständige Auflistung wichtiger Exegeten nahelegt, kam es in der Silla-Periode seit dem 7. Jahrhundert zu einer Blütezeit der Kommentarliteratur. So schuf Ŭisang mit dem Hwaŏm Ilsŭng pŏpkyedo ki („Aufzeichnungen zum Diagramm von der Dharma-Sphäre des Einen Fahrzeuges des Hwaŏm“) einen für die spätere Tradition bedeutenden Kommentar zu einer in nur 210 Zeichen versifizierten und in einem Diagramm angeordneten Summa der Hwaŏm-Lehren. Mögen die Verse als solche auf den Lehrer Zhiyan (602–668) zurückgehen, ist Ŭisang zweifellos die überaus geniale Idee zuzuschreiben, die vom Zentrum zu den Rändern und wieder zurück mäandernde Abfolge von Schriftzeichen mit einer einheitlichen roten Linie zu verbinden: Stehen die Zeichen für die einzelnen Sachverhalte (sa) der Wahrnehmung, zeigt die ununterbrochene Linie deren einheitliche Grundstruktur (li) auf. Aus dem Kommentartext erfahren wir nur beiläufig, dass die Windungen des Diagrammes die innere Ruhe vertiefen. In Fragmenten eines im koryŏ-zeitlichen Pŏpkyedo ki ch’ongsunok überlieferten silla-zeitlichen Subkommen-

11 Vgl. Kang 2003: 176f. 12 Eine nicht mehr ganz aktuelle, für einen groben Überblick jedoch nützliche Liste erhaltener Werke findet sich in Ahn 1991: 14–18. 13 Zum Yogācāra vgl. Kim Yong-tae 2014: 34, 67.

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tares jedoch wird die Frage thematisiert, in welcher Reihenfolge man Zeichen und Linie schreiben bzw. zeichnen solle. Die Antwort lautet, dies hänge davon ab, ob man sich von Sachverhalten zur Struktur oder umgekehrt bewegen möchte. Ganz offensichtlich diente die Reproduktion von Text und Linie den Schülern also als Mittel der Meditation: Zwei grundlegenden dhāraṇī-Merkversen des Grundtextes („Das Eine ist die Vielen, die Vielen sind das Eine“, „Das Eine ist Alle, Alle sind das Eine“) folgend, machte diese das gegenseitige Durchdringen der Perspektiven von Einheit und Vielheit und deren letztendliche Aufhebung erfahrbar.14 Als bedeutendster Vertreter des Buddhismus in Silla und des koreanischen Buddhismus insgesamt gilt im Allgemeinen der Exeget Wŏnhyo, der für die „Harmonisierung der streitenden [Meinungen]“ (hwajaeng) eines weiten Spektrums buddhistischer Texte bekannt ist. Vor allem im Dasheng qixin lun („Dem Großen Fahrzeug [zugehörige] Abhandlung über das Erwecken des Vertrauens“) sieht Wŏnhyo mit dem Konzept des Einen Geistes (ilsim), der sich in zwei „Toren“ bzw. Zugängen äußert, den grundlegenden Widerspruch zwischen der kataphatischen Psychologie des Yogācāra und der apophatischen Leerheitsphilosophie des Mādhyamika aufgehoben. Betrachtet man Wŏnhyos Kommentar Taesŭng kisillon so („Interlinearkommentar zu der dem Großen Fahrzeug [zugehörigen] Abhandlung über das Erwecken des Vertrauens“) jedoch genauer, so zeigt sich, dass dieser die zwei Tore als sich gegenseitig beinhaltend denkt: Die Interpretation folgt erkennbar bereits Grundgedanken des Hwaŏm. Vollendung findet dieser Ansatz im wohl letzten Werk von Wŏnhyo, dem Kûmgang sammaegyŏng non („Abhandlung zum Sutra von der Diamantenen Versenkung“), das mit der kompromisslosen Realisierung der Grundidee der Durchdringung in einer vollendeten Textstruktur in der chinesischsprachigen buddhistischen Literatur ihresgleichen sucht.15 Hier unterläuft Wŏnhyo mehrfach sein eigenes Gliederungsschema, indem er am vermeintlichen Ende einer Sektion das Thema einer anderen aufgreift. Erscheint dieses Vorgehen zunächst willkürlich, hat es bei näherer Betrachtung doch Methode. So setzen sich die Spiegelungen auch auf der Ebene des Satzbaues fort, indem höchst kunstvoll arrangierte parallele Strukturen die Gegensatzpaare wie Einheit und Vielheit miteinander verschränken. Ganz offensichtlich ist auch hier das Anliegen, das Aufheben der Gegensätze von Einheit und Vielheit durch die Form des Textes erfahrbar werden zu lassen.16 Mehr noch als die Schriften von Wŏnhyo lebten im Bewusstsein der Bevölkerung dessen Biographien nach. So soll Wŏnhyo der späteren Überlieferung zufolge

14 Vgl. Plassen 2007b: 261–280. 15 Ursprünglich ein so (Interlinearkommentar), wurde der Text durch einen chinesischen Herausgeber in ein lun (korean. non) unbenannt, um durch diese eigentlich Werken indischer und zentralasiatischer Bodhisattvas vorbehaltene Bezeichnung einer besonderen Wertschätzung Ausdruck zu geben. Eine autoritative Übersetzung und eine umfassende Einführung finden sich in Buswell 2008. 16 Zu dieser Spiegelung des Inhaltes in der Form vgl. Plassen 2010: 71–90.

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gleich zweimal den Versuch unternommen haben, mit seinem Freund Ŭisang zum Studium nach Tang-China zu reisen. Beim ersten Mal wurden beide von KoguryŏTruppen gefasst. Beim zweiten Versuch suchten die Freunde vor einem Unwetter Zuflucht in einer Höhle. Wŏnhyo ertastete im Dunkel ein Gefäß, mittels dessen er Wasser schöpfte, um sich zu erfrischen. Am nächsten Tag stellte Wŏnhyo fest, dass er aus einem Schädel getrunken hatte, übergab sich und kam zu der Einsicht, dass Alle Wahrnehmung letztlich nur der Eine Geist sei, worauf er sich entschloss, die Reise abzubrechen. Einer anderen Episode zufolge schwängerte der Mönchsgelehrte eine königliche Prinzessin – eine Verbindung, aus der mit Sŏlch’ong (k. D.) ein konfuzianischer Gelehrter und der angebliche Erfinder einer frühen Verschriftungsform des Koreanischen hervorging –, legte die Mönchsrobe ab und bezeichnete sich fortan als „Laiengelehrter aus niedrigem Geschlechte“. Gegen Ende seiner Karriere als Exeget wiederum ließ Wŏnhyo beim Verfertigen eines Kommentares zum Hwaŏmgyŏng den Pinsel fallen, als er zum Kapitel über die „Umwidmung der Verdienste“ gelangte, und zog daraufhin geraume Zeit mit einer großen Bettelschale singend und tanzend durch die Dörfer, um die einfache Bevölkerung zu bekehren, bevor er dann doch noch sein erwähntes magnum opus schrieb.17 Derartige Details sind wohl größtenteils als hagiographisch zu betrachten, dürfen aber in jedem Falle Wahrheitsgehalt beanspruchen, insofern sie auf wichtige Aspekte der Lehren des Protagonisten anspielen. So kann der Bruch der Mönchsgelübde nicht zuletzt auch als Allegorie auf Wŏnhyos Betonung der vollkommenen Durchdringung der Gegensätze gelesen werden, ebenso wie die kuriose Benennung der Bettelschale als Muae („ohne Hindernis“) zugleich auf einen Kernbegriff seiner Huayan-Exegese verweist. Ferner erinnert der Verweis auf Sŏlch’ong an die Bedeutung des silla-zeitlichen buddhistischen Vorlesungswesens für die Entwicklung von Systemen für die Annotation chinesischer Texte mit und das Verfassen eigenständiger Texte in den – bezeichnenderweise als pangŏn („Lokalsprachen“) bezeichneten – Vernakularen der koreanischen Halbinsel und der japanischen Inseln. Wichtiger als die doktrinären und zeitgenössischen historischen Bezüge der Hagiobiographie jedoch ist deren Nachwirkung. So setzten sich die farbenreichen Narrative, u. a. im Samguk yusa überliefert und so einem breiteren Publikum zugänglich, derart im kollektiven Bewusstsein fest, dass Wŏnhyo in der Koryŏ-Zeit, unter der japanischen Kolonialherrschaft und schließlich in den 1970er Jahren unter der Militärdiktatur von Park Chung-hee (1917–1979) als kollektiver Erinnerungsort instrumentalisiert werden konnte.

17 Eine ähnliche Zugewandtheit dem einfachen Volke gegenüber findet sich auch in der Biographie von Ŭisang: Als der König diesem Land und Sklaven anbietet, lehnt Ŭisang ab, indem er bemerkt, Hoch und Niedrig seien der buddhistischen Lehre nach gleich.

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Hoffnung bezüglich einer besseren Existenz gerade auch für die einfache Bevölkerung des Silla-Reiches bot der Glaube an die Möglichkeit einer Wiedergeburt im Reinen Land des Amitābha. So finden sich Kommentare zu den einschlägigen Sutren quer durch das buddhistische Spektrum, wobei die Wŏnhyo zugeschriebenen wiederum durch Ausführungen des späteren Huayan-Patriarchen Zhiyan beeinflusst sind.18 Die rege Kommentartätigkeit in diesem Kontext dürfte dabei nicht zuletzt mit dem Aufkommen von Laiengesellschaften und damit zusammenhängenden konkurrierenden Vorstellungen vom Heilsweg zu verbinden sein. Zunehmende Popularität kam auch der gleichermaßen durch den Hof wie von Laiengesellschaften geförderten Verehrung von Vairocana und Avalokiteśvara zu. Dabei vermischten sich, wie seit der Mitte des 8. Jahrhunderts auch in der Ikonographie ersichtlich, Vorstellungen des Hwaŏm und des esoterischen Buddhismus. Die zahlreichen Parallelen zum Buddhismus der Tang-Dynastie beruhten auf einem intensiven wirtschaftlichen und kulturellen Austausch. So hatten sich Kaufleute aus Silla in Chang’an niedergelassen, um von dort aus Handel bis nach Zentralasien und das ferne Arabien zu treiben, und aus den biographischen Sammlungen sind Dutzende von Mönchen aus Silla bekannt, die im 7. oder 8. Jahrhundert zum Studium in das Tang-Reich reisten. Einige gelangten auf der Suche nach einem authentischen Buddhismus sogar bis nach Indien. So ist mit großen Teilen des Wang o Ch’ŏnch’ŭk kuk chŏn („Aufzeichnungen zu einer Reise in die fünf Reiche Indiens“) von Hyech’o (704–787) eine für die Erforschung der Geschichte Zentralasiens und des indischen Subkontinents wichtige Quelle erhalten.19 Während sich die Spuren von Hyech’o mit dem Ende der überlieferten Abschnitte in China verlieren, ist von anderen Silla-Mönchen, etwa dem Chan-Meister Musang (auch unter dem Namen Wuxiang bekannt, 680–756 oder 684–762), mit Sicherheit bekannt, dass sie in China blieben. Einen Eindruck von der „internationalen“ Atmosphäre im buddhistischen Klerus jener Epoche gibt ein dem chinesischen Exegeten Fazang (643–712) zugeschriebener Brief an dessen früheren Mitstudenten Ŭisang, von Antonino Forte mit einigen Kautelen auf das Jahr 690 datiert,20 in dessen Anhang Fazang einige Texte auflistet, die er zu kritischer Prüfung übersendet. Tatsächlich dürfte dieser Austausch von Schriften zum Huayan zwischen dem chinesischen Festland und der Halbinsel jedoch bidirektional gewesen sein. So ist hinlänglich bekannt, dass Fazangs Dasheng Qixinlun yiji („Aufzeichnungen zu den Bedeutungen der dem Großen Fahrzeug [zugehörigen] Abhandlung über die Erweckung des Vertrauens“) zahlreiche Parallelen zu Wŏnhyos bereits erwähntem Taesŭng kisillon so aufweist. Darüber hinaus lässt sich ein in der US-amerikanischen Literatur wahrgenommener deutli-

18 Vgl. hierzu Hiroyuki 1991: 131–168. 19 Edition des Dunhuang-Manuskriptes und Übersetzung in Fuchs 1938: 426–469. 20 Vgl. Forte 2000.

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cher geistesgeschichtlicher „Bruch“ innerhalb des Huayan zwischen Fazang und Chengguan (738–839) erheblich besser erklären, wenn man den nachweislichen Einfluss von Wŏnhyos Hwaŏmgyŏng so („Interlinearkommentar zum Blumengirlanden-Sūtra“) in Rechnung stellt.21 Während sich die Bedeutsamkeit des Einflusses der silla-zeitlichen Autoren auf ihre chinesischen Zeitgenossen nur auf Grundlage textlicher Parallelen bzw. verdeckter Zitate (zuweilen nur über den Umweg von Zitierungen in japanischen Quellen) erschließt, tritt der Einfluss auf das Nara-zeitliche Japan umso offener hervor. So erfolgte die Missionierung seit Ende des 7. Jahrhunderts maßgeblich durch Mönche aus Silla oder aber solche, die in Silla studiert hatten, und unzählige offene Zitate in (mittels chinesischer Schriftsprache verfassten) Werken des japanischen Buddhismus zählen neben den – vor allem aufgrund der Mongoleneinfälle des 13. Jahrhunderts in nicht wenigen Fällen nur in Japan überlieferten – Kommentartexten als solchen zu den wichtigsten Quellen für die Erforschung der exegetischen Literatur der Silla-Zeit. Erst unter den veränderten außenpolitischen Vorzeichen des 10. Jahrhunderts sollte eine teilweise „Sinisierung“ des japanischen Buddhismus einsetzen, die nachfolgend auch zu einer Reihe von Fehlzuschreibungen von Werken an Fazang führte.22 Ähnlich wie im Tang-Reich erfuhr im Zuge eines im folgenden Jahrhundert einsetzenden Niederganges der Zentralmacht der sich in scharfer Konkurrenz zum „doktrinären“ Buddhismus posierende Sŏn-Buddhismus (chines. Chan) einen bedeutenden Aufschwung. War diese Strömung erstmals wohl bereits im 7. Jahrhundert eingeführt worden, kehrte im 8. und 9. Jahrhundert eine Anzahl von Mönchen aus Tang-China vom Studium unter Chan-Meistern zurück und siedelte sich, zunächst unter der Protektion von Lokalmachthabern, in den Gebirgsregionen an und erfreute sich teilweise bald auch der Protektion des Hofes. Die Mehrzahl der in der Koryŏ-Zeit retrospektiv als „neun Berge“ bezeichneten, tatsächlich wohl jedoch zwölf distinkte Schulen23 bildenden Lehrtraditionen des 9. Jahrhunderts stand dabei in der Traditionslinie des Mazu Daoyi (709–788), der vor dem Hintergrund der Problematisierung der Zeitlichkeit des Übungsweges im Huayan durch sonderbare Dialoge, plötzliches Andonnern, Stockschläge und dergleichen zu einem plötzlichen Erwachen führen wollte.

21 Vgl. Plassen 2011: 63‐90. 22 So konnte etwa der koreanische Gelehrte Kim Sanghyun [Kim Sanghyŏn] (1947–2013) anhand textlicher Parallelen mit Zitaten in anderen Werken zeigen, dass ein diesem bis dato als Huayanjing wenda („Fragen und Antworten zum Blumengirlanden-Sūtra“) ˘ isang zuzugeschriebenes Werk tatsächlich auf Aufzeichnungen zu Vorlesungen von U rückgeht. Vgl. Walraven 1996: 95–97. 23 Eine luzide Einführung zum silla-zeitlichen Sŏn mit detaillierteren Informationen zu den einzelnen Lehrtraditionen findet sich in Sørensen 2011: 192–219.

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3. Koryŏ

Die frühe Koryŏ-Zeit ist geprägt durch den Aufbau einer professionellen, d. h. durch Prüfungen rekrutierten, konfuzianischen Beamtenschaft nach chinesischem Vorbild. Die zunehmende Bedeutung des Konfuzianismus zeigt sich in einer Formulierung des als Architekt des Staatswesens geltenden Ch’oe Sŭngno (927–989), derzufolge die Ausübung des Buddhismus die Basis der spirituellen Entwicklung, die des Konfuzianismus hingegen Grundlage der Regierung des Landes sei. Eine entsprechende Aussage wird auch dem Dynastiegründer Wang Kon (reg. 918/36943) zugeschrieben. Zwar handelt es sich bei dieser ersten von „Zehn Ermahnungen“ des Wang Kon an dessen Nachfahren um eine Fälschung des 11. Jahrhunderts, diese spiegeln aber dennoch die politisch-militärische Bedeutung des Buddhismus und die damit einhergehenden Versuche der Herrschenden, Kontrolle über den Klerus auszuüben, wider. Auch unabhängig von staatlicher Kontrolle ist die Koryŏ-Dynastie durch ein enges Miteinander zwischen Zivil- und Militärbeamten und Klerus geprägt. So verfasste der Hofbeamte Hyŏngnyŏng Chŏng (ca. 11./12. Jahrhundert), wohl dem Silla-Gelehrten Ch’oe Chiwŏn (857-?) und dessen Biographie des Fazang (643–712) nacheifernd, eine Vita des bedeutenden Hwaŏm-Exegeten Kyunyŏ (923–973). Der Text ist aufgrund der darin enthaltenen Gesänge des Kyunyŏ nach dem Vorbild der „Zehn ehrenwerten Gelübde des Samantabhadra“ auch für die Sprach- und Literaturwissenschaft von immenser Bedeutung: Diese machen elf von insgesamt 25 überlieferten Liedern in silla- bzw. früh koryŏ-zeitlicher „Lokalsprache“ (pangŏn) bzw. „Heimatschrift“ (hyangch’al) aus und sind zudem mit einer Übertragung eines weiteren Gelehrten in das Chinesische ergänzt.24 Dienten die Gesänge wohl der Missionierung breiterer Bevölkerungsschichten, ging die Verwendung vernakularer Verschriftungs- und Annotationsformen weit darüber hinaus. So beklagen die Kolophone zu den in das 13. Jahrhundert datierenden Editionen der Kyunyŏ zugeschriebenen Texte den Zustand der herangezogenen Manuskripte (größtenteils Überarbeitungen von Vorlesungs-Mitschriften von dessen Schülern), die voller veralteter Lokalsprache seien und um eines besseren Verständnisses wegen eine Neuausgabe erforderlich machten. Dabei scheuten sich die Editoren nicht, auch Mitschriften zu unterschiedlichen Vorlesungen in einem Text zusammenzuführen, und in einem Falle erwies sich die Ausgabe in chinesischer Schriftsprache als derart unzuverlässig, dass man sich lieber gleich an einer Textfassung in Lokalsprache orientierte. Man übersetzte das Werk also aus der Lokalsprache ins Chinesische!

24 Übersetzung und hilfreiche Erläuterungen in Buzo/Prince 1993.

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Diese Werkstattberichte lassen nicht nur erhebliche Zweifel aufkommen, ob die Kommentare wirklich Kyunyŏ zugeschrieben werden können oder nicht besser als Produkt Jahrhunderte überspannender multipler Autorschaft zu verstehen sind. Zudem deuten sie auf eine weit größere Bedeutung vernakularer Verschriftungsformen bis in die frühe Koryŏ-Zeit hinein, als der bis auf einige Lieder, Kolophone und desgleichen fast ausschließlich in hanmun bzw. chinesischer Schriftsprache überlieferte Textbestand annehmen lässt. Gleichzeitig bezeugen die Anstrengungen, lesbare Texte in chinesischer Schriftsprache herzustellen, einen Trend zur Literarisierung und Sinisierung. Dieser beruhte wohl nicht zuletzt auf der Übernahme der song-zeitlichen Mode des so genannten Wenzi-Chan („Schriftzeichen-“ bzw. „Literarisches Chan“), dürfte dabei jedoch im 13. Jahrhundert in Antwort auf die mongolische Dominanz einen weiteren Schub erfahren haben. Diese feingeistige Sinisierung sollte u. a. dazu führen, dass man die – freilich bereits in China literarischen, aber eben doch Mündlichkeit fingierenden – „Gesprächsprotokolle“ (chines. yulu; korean. orok) statt in schnöder koryŏzeitlicher Umgangssprache in formvollendetem song-zeitlichem Vernakular verfasste, und im Vergleich zu Song-China überproportional viele munjip („Gesammelte Werke“, eigentlich ein Genre der konfuzianischen Beamtenschaft) für bedeutende Sŏn-Meister kompilierte. Als zweite der bereits erwähnten „Zehn Ermahnungen“ wird Wang Kon in den Mund gelegt, dass Tempelbauten nur an den durch den Sŏn-Mönch und Geomanten Tosŏn (827–892) bestimmten Orten zulässig sind. Zwar ist der historische Tosŏn schwer zu fassen, aber die Praxis der Geomantik sollte fest mit buddhistischen Klerikern verbunden bleiben. Aufgrund der doktrinären Affinität etwa zu Lehren von den Fünf Wandlungsphasen sollten dabei zunehmend Mönche des Milgyo bzw. „Esoterischen Buddhismus“ in den Vordergrund treten. Mit einem geomantischen Problem sollte auch eine schwerwiegende Erschütterung des Koryŏ-Reichs beginnen: Nachdem die Hauptstadt Kaesŏng 1126 infolge eines Aufstandes des feindlichen Clans der Yi aus Inju abgebrannt war, plante der König die Verlegung seiner Residenz nach P’yŏngyang. Der Geomant Myoch’ong (?-1135), ein Mönch des esoterischen Buddhismus (Milgyo), wählte einen günstigen Ort aus und die Bauarbeiten begannen. Dann schlug jedoch der Blitz in den neuen Palast ein und der König entschloss sich ob dieses Omens, die Pläne für den Umzug aufzugeben. Myoch’ong rief sich daher als Inkarnation von Maitreya zum Herrscher aus. Der entsprechend als „Unruhe des Myoch’ong” bekannte, jedoch ebenso vom Adel in P’yŏngyang getragene Aufstand wurde von keinem Geringeren als Kim Pusik (1075–1151), dem späteren Verfasser des konfuzianischen Geschichtswerkes Samguk sagi („Geschichte der Drei Reiche“, 1146), niedergeschlagen. Interessanterweise findet sich im Kontext der Überlieferung zu Myoch’ong bereits ein ähnliches terminologisches Gemisch aus Geomantik und esoterischem Buddhismus wie im erstmals im Samguk yusa am Ende des 13. Jahrhunderts in Zeiten mongolischer Dominanz aufscheinenden proto-nationalen Tan’gun-Mythos.

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Lassen Bär und Tiger als wichtige Protagonisten des Mythos zunächst auf einen ursprünglich totemistischen Hintergrund schließen, deutet das Vokabular auf einen in Geomantik wie esoterischem Buddhismus versierten koryŏ-zeitlichen Verfasser.25 Die wohl bedeutendste Unternehmung des koryŏ-zeitlichen Staatsbuddhismus war die Herstellung des buddhistischen Kanons in einem aufwändigen Holzdruckverfahren. Unter König Hyŏnjong (reg. 1009–1031) begann man – wahrscheinlich sowohl im Hinblick auf die Verdienstübertragung auf dessen verstorbene Eltern als auch zur Abwendung eines drohenden Einfalls der Khitan – mit der Herstellung der ersten Druckplatten für die Übersetzungen indischer und zentralasiatischer Werke ins Chinesische. Die Arbeiten an dem Kanon, der auf dem der Nördlichen Song, mehreren Supplementen zur Song-Edition sowie dem Kanon eben der Khitan beruhte, sollten erst nach mehr als sieben Jahrzehnten abgeschlossen sein. Der Königssohn Ŭich’ŏn (1055–1101) ließ in ganz Nordostasien nach Ausgaben von auf dem chinesischen Festland oder auf der koreanischen Halbinsel verfassten Texten fahnden, um ein Supplement zum Kanon zusammenzutragen. Der überlieferte Katalog verzeichnet 1010 Schriften in 4 740 Rollen und ist ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Erforschung des chinesischen und koreanischen Buddhismus. Kanon wie Supplement sollten jedoch bei einem Mongolen-Einfall im Jahre 1232 verbrennen, und nur wenige Texte sind bis heute als Abdrucke in Japan überliefert. Nach der Vernichtung der ersten Ausgabe des Kanons ließ der auf die Insel Kanghwa geflohene König Kojong (reg. 1213–1259) in offenkundig apotropäischer Absicht eine weitere Ausgabe herstellen. Diese mit Bezug auf ihre 81 258 Druckplatten als P’alman Taejanggyŏng bekannte, heute im Kloster Haein-sa nahe Taegu aufbewahrte zweite Edition enthält leider nur sehr wenige ostasiatische Texte. Ihrer philologischen Präzision wegen diente sie jedoch den japanischen Philologen des frühen 20. Jahrhunderts als Grundstock sowohl für den Zōkuzōkyō- als auch für den Taishō-Kanon und damit für die noch heute maßgeblichen Standardausgaben der buddhistischen Schriften Ostasiens.26 Ein weiteres folgenreiches Unterfangen war die Gründung der Ch’ŏnt’ae-jong, eines koreanischen Pendants zur chinesischen Tiantai zong, durch den bereits erwähnten Ŭich’ŏn nach einem Besuch am Berg Tiantai in Song-China. Unter dem neuen Dach sollten die Hwaŏm-jong, deren Patriarch Ŭich’ŏn war, sowie ein Großteil der Denominationen unter Einschluss großer Teile des Sŏn aufgehen, während die bis dahin ebenfalls einflussreiche Pŏpsang-jong (chines. Faxiang zong) explizit außen vor bleiben sollte. Vor dem Hintergrund der bereits zu diesem Zeitpunkt

25 Jorgensen 1998: 222–255. 26 Nunmehr auch als CBETA-Edition in elektronischer Fassung vorliegend, siehe www. cbeta.org.

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bestehenden Spannungen des Königshauses mit den Inju Yi und angesichts des Umstandes, dass sich in den Gesammelten Werken (munjip) von Ŭich’ŏn kaum auf das Ch’ŏnt’ae bezogene, dafür aber umso mehr dem Hwaŏm zuzuordnende Texte finden, besteht kein Zweifel daran, dass die Gründung dieses „Dachverbandes“ im Kern politisch motiviert war.27 Blieb dieses politisch motivierte Manöver zunächst folgenlos, indem die neue Lineage schon bald nach dem Tode ihres Gründers zerfiel, schuf die Gründung einer Sŏn („Meditation“) und Kyo („Lehre“) versöhnenden Traditionslinie doch einen Präzedenzfall für einen umso erfolgreicheren gegenläufigen Reformationsversuch unter der Militärherrschaft gegen Ende des 12. Jahrhunderts: Unzufrieden mit der laxen spirituellen Praxis seiner Zeit, begründete der Mönch Chinul (1158–1210) mit einigen Gefährten eine Meditationsgesellschaft. Nach Umzug zum im Südwesten der Halbinsel gelegenen Kloster Kilsang-sa (dem heutigen Songgwang-sa) erfreute sich die rasch wachsende Gemeinde der Patronage der Militärdiktatoren und des formaliter herrschenden Königs, welcher das Bergmassiv, in dem das Kloster gelegen war, in Anspielung auf den Wirkungsort des legendären chinesischen Patriarchen Huineng (638–713) in „Chogye-san“ umbenannte. In seinem die Komplementarität von Chan und Huayan betonenden Grundansatz von Li Tongxuan (635–730) und vor allem vom Chan-Gelehrten Yongming Yanshou (904–975) beeinflusst, übernahm der später als „Reichslehrer des universalen Leuchtens der Buddha-Sonne“ kanonisierte Chinul als eine von mehreren favorisierten Übungsmethoden die Huatou-Methode des chinesischen Chan-Meisters Dahui Zonggao (1089–1163).28 Obgleich es scheint, dass Chinul selbst die Praxis des mu’nyŏm („Nicht-Haben von Gedanken“) als fortgeschrittenste Meditationstechnik betrachtete, wird heutzutage eben diese Hwadu-Methode, die von den Nachfolgern besonders betont werden sollte und mittlerweile als besonderes Markenzeichen des koreanischen Sŏn gilt, mit Chinul assoziiert. Die neu begründete Imje-Lineage (ein Verweis auf die chinesische Patriarchengestalt Linji) sollte unter Chinuls Nachfolger Hyesim (1178–1234) noch größeren Zulauf erfahren und stand auch nach der Militärherrschaft in enger Beziehung zu den Herrschenden, wie eine illustre Abfolge von nicht weniger als 16 „Reichslehrern“ bis ins frühe 15. Jahrhundert belegt.29

27 Zu der politischen Motivation der Gründung dieser neuen Traditionslinie vgl. Choe/ Sørensen 1995: 57–69. 28 Hierbei konzentriert sich der Adept auf den „Phrasen-Kopf“ bzw. die entscheidende Phrase, auf die ein gegebenes kung-an hinausläuft. – In dem bekannten gongan „,Hat der Hund eine Buddha-Natur?‘ – ,Nicht(s)‘ (wu/mu)“ wäre dieses das Wort „Nicht(s)“. 29 Zu Chinul und dessen Werken vgl. Buswell 1983 sowie Ders. 1991; zur Entwicklung nach Chinul s. ebd. 34–36.

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4. Chosŏn Mit der Rebellion des Generals Yi Sŏnggye (reg. 1392–1408) im Jahre 1388 und der nachfolgenden Gründung der Yi-Dynastie bzw. des Chosŏn-Reiches (1392–1910) kam es zu einem Wandel des religiösen Klimas. Wichtige Vordenker des neuen Staatswesens wie Chŏng Tojŏn (1337–1398) orientierten sich strikt an neo-konfuzianischen Vorstellungen und sahen, dem chinesischen Vorbild Zhuxi (1130–1200) folgend, im Buddhismus eine einzudämmende Gefahr für Staat und Gesellschaft. Entsprechend folgten unter T’aejong (reg. 1401–1418) erste Konfiszierungen und Zwangslaisierungen, die Einführung eines die Zulassung zum Mönchsstand regulierenden monastischen Prüfungssystems sowie die Begrenzung der Zahl der Tempel und die Reduktion der ursprünglich elf Traditionslinien auf sieben. Unter dem Druck von Teilen der Beamtenschaft beschränkte König Sejong (reg. 1418– 1450) die Zahl der Haupttempel weiter und ließ die verbliebenen Lehrrichtungen in den zwei Denominationen der Sŏn- bzw. Kyo-jong („Meditations“- bzw. „Lehrtradition“) aufgehen. Privat sucht Sejong nach dem Tode seiner Königin verzweifelt Trost im Buddhismus, so dass er im Palast eine Pagode errichten lässt und um der Verdienstübertragung an die Verstorbene willen volkssprachliche Viten des Buddha herausgibt. Sein Nachfolger Sejo (reg. 1455–1468) ist dem Buddhismus von Anfang an auch in seiner Rolle als Monarch erheblich freundlicher gesonnen und richtet sogar mit dem Kan’gyŏng to’gam ein eigenes Hofamt für die Publikation buddhistischer Texte ein. Der nachfolgende Sŏngjong (reg. 1470–1490) lässt dieses jedoch bald wieder abschaffen. Mag dieses hier nur angedeutete, in jedem Überblick zur Geschichte des chosŏn-zeitlichen Buddhismus zu findende Narrativ von Repression, Restauration und neuerlicher, umso harscherer Unterdrückung des Buddhismus im Groben den Tatsachen entsprechen, waren die Geschehnisse doch vielschichtiger: So reduzierte zwar, wie erwähnt, bereits T’aejong in seinem sechsten Jahr (1406) die Zahl der Klöster. Dies hinderte denselben Herrscher offensichtlich jedoch nicht daran, den Druck buddhistischer Schriften zu fördern: Unter Aufsicht des Gouverneurs von Kyŏngsang-do wurde 1413 zuvor in drei verschiedenen Provinzen hergestelltes Papier zum Kloster Haein-sa geschickt, um den Neudruck des buddhistischen Kanons zu ermöglichen. Als exemplarisch für die ungeachtet der zunehmenden Dominanz des Neo-Konfuzianismus nicht wirklich konsequente Durchsetzung konfuzianischer Normen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts darf wohl nicht zuletzt auch das Tongmunsŏn („Anthologie der Schriften des Ostens“, eine selbstbewusste Anspielung auf das chinesische Wenxuan) von 1478 gelten: In die 4 302 Titel umfassende Sammlung fanden immerhin noch 82 buddhistische Schriftstücke Eingang. Zwar enthält die Kompilation weder Gedichte noch Prosatexte von einflussreichen Sŏn-Mönchen der KoryŏZeit wie Hyesim, Iryŏn oder Pou (1301–1382), aber doch zumindest die Texte eini-

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ger Inschriften. Vor allem jedoch finden sich unter der Rubrik „Vorworte“ (sŏ) sechs Abschnitte aus dem bereits hinlänglich erwähnten Wŏnhyo zugeschriebenen Kommentartexten, die gemeinhin als taeŭi („Intention im Großen“) bezeichnet werden und eigentlich nur den ersten von mehreren integralen Bestandteilen des Haupttextes bilden. – Offensichtlich versuchten die Herausgeber, mit einem kleinen Kunstgriff zumindest Teile literarisch als bedeutend erachteter buddhistischer Texte in das konfuzianische Ordnungsschema der Anthologie „hinüberzuretten“. Wie bereits kursorisch erwähnt, ließ bereits Sejong nach dem Tode seiner Königin unter Verwendung des wohl auch in Anlehnung an das Phags-pa bereits einige Jahre zuvor geschaffenen koreanischen Alphabets die volkssprachlichen Texte Wŏrin sŏkpo („Den Siegelabdrucken des Mondes [gleichende] Biographie[n] des Śākyamuni“) und Wŏrin ch’ŏn’gang chi kok („Lied über die Siegelabdrucke des Mondes in den tausend Flüssen“) herausgeben. Waren diese Erzählungen zu den verschiedenen Existenzen des Buddha eher für ein breiteres Publikum bestimmt, kam es unter Sejo zur Veröffentlichung von spezialisierteren Kommentarausgaben für diverse Sutren, die eindeutig dem monastischen Gebrauch dienten. Während der Regierungszeit des Königs wurden elf dieser ŏnhae (wörtlich „Erklärungen in allgemeiner Sprache“) veröffentlicht, von 1482 bis 1496 unter der Patronage mehrerer Königswitwen weitere sieben Texte. Bereits die weitgehende Übereinstimmung der Textauswahl mit den Titeln annotierter Textausgaben des 13. und 14. Jahrhunderts zeigt, dass das – nach anfänglichem Widerstand einige Jahrzehnte später auch von Konfuzianern übernommene – neue Genre auch unter Einsatz des neuen Alphabets die buddhistische Annotationspraxis der späten Koryŏ-Zeit getreu fortführte, wobei als eigentliches Novum zum annotierten Grundtext eine umgangssprachliche Übersetzung hinzutrat. Weniger bekannt ist auch, dass der Impuls zur Anfertigung der wohl spezialisiertesten sŏn-buddhistischen Kommentarausgaben auf niemand anderen als Sejong selbst zurückgehen dürfte. So deuten spätere Quellen darauf hin, dass Sejong anspruchsvolle Sŏn-Texte „mittels der Landessprache“ (i kugŏ) übersetzen wollte und das Projekt in einem noch sehr unfertigen Stadium an die späteren Könige Munjong (reg. 1450–1452) und Sejo übergab. – Es ist also in der Tat durchaus Vorsicht geboten vor einer unkritischen Übernahme des in den konfuzianischen Regesten propagierten Bildes vom „neo-konfuzianischen“ Herrscher Sejong, dessen Interesse am Buddhismus offensichtlich eben doch weit über die Trauerarbeit und den Versuch der Verdienstübertragung hinausging.30 Dennoch befand sich der Buddhismus seit Beginn des 15. Jahrhunderts auch intellektuell in der Defensive. Nachdem Chŏng Tojŏn in seiner erkennbar am Yüan

30 Zum Rollenverständnis der frühen Chosŏn-Herrscher und ihrem Verhältnis zum Buddhismus vgl. u. a. Pu 2011: 35–55. Zur Diglossie im koreanischen Buddhismus im Allgemeinen und zum buddhistischen Hintergrund des Ŏnhae-Genres im Besonderen vgl. Plassen, im Druck, 38 S.

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dao des Han Yu (768–814) anknüpfenden Streitschrift Pulssi chappyŏn („Verschiedene Kritik an den Buddhisten“) in 19 Punkten mangelnde Logik buddhistischer Vorstellungen zu Wiedergeburt oder zum Verhältnis von Geist und Natur sowie die durch Pietätlosigkeit die Moral zersetzende und für den Untergang diverser Dynastien verantwortliche Wirkung des Buddhismus kritisiert hatte, bemühte sich Kihwa (Hamhŏ Tŭkt’ong, 1376–1433) in seinem – Chŏng Tojŏns Werk freilich nicht offen erwähnenden – Hyŏn chŏng non („Abhandlung über das Aufzeigen des Rechten“), die Vorwürfe aus dem konfuzianischen Horizont heraus zu entkräften: So habe der Buddha zwar tatsächlich seine Familie verlassen, dies aber nur, um den Eltern später das umso größere Geschenk der buddhistischen Lehre darbringen zu können. An anderer Stelle heißt es in ähnlich gewundener Argumentation, dass die zeitgenössischen Konfuzianer Mengzi und Konfuzius nicht wirklich verstünden: Textstellen wie die zum Unbehagen des Konfuzius in der Küche aufgrund der Schreie der Schlachttiere belegten, dass dieser einen auch Mitleid für die Kreatur beinhaltenden Begriff der Menschlichkeit (chines. ren/korean. in) vertreten habe. Während Chŏng Tojŏn der Auffassung war, dass die Annahme einer Gleichzeitigkeit von Leere und Differenzierung sowie Ruhe und Stimulanz ein besonderes Merkmal des Konfuzianismus sei, kommt Kihwa mit leicht veränderten Worten zu dem Schluss, dass die Gleichzeitigkeit von Aktivität und Nicht-Aktivität sowie Ruhe und mentaler Aktivität die allen Drei Lehren (Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus) zu Grunde liegende Kernaussage sei.31 Diese Einschätzung der letztlichen Übereinstimmung der Drei Lehren sollte nur wenige Dekaden später Ausgangspunkt der noch weit radikaleren Konzeption von Sŏlcham (1435–1493) werden. Aufgrund seiner exquisiten Lyrik und des den Anfang der Erzählliteratur in Korea markierenden Kŭmo sinhwa („Neue Erzählungen vom [Berg] Kŭmo“) besser unter seinem weltlichen Namen Kim Sisŭp (Maewŏldang, 1435–1493) bekannt, führte dieser ein ungewöhnliches Leben zwischen konfuzianischem Beamtentum und Mönchsdasein. Nach Sejos Usurpation wurde er Mönch, später kehrte er in den Laienstand zurück und heiratete, um nach dem Tode seiner Frau erneut Mönch zu werden. Im Chodong owi yohae („Wesentliche Erläuterungen zu den Fünf Positionen der Caodong[-Tradition]“) verwebt Sŏlcham auf zunächst abenteuerlich erscheinende Weise buddhistische Inhalte mit konfuzianischen. Dabei werden inhaltlich und graphisch die fünf Kreisdiagramme des Caodong mit den fünf graphischen Grundbestandteilen des T’ai-chi t’u („Diagramm vom Großen Äußersten“) des Zhou Dunyi (1017–1073) und Zhu Xis Erläuterungen dazu in Beziehung gesetzt. Während für Kihwa die Stille in der Bewegung das verbindende Moment zwischen den Lehren ausmachte, ist dies für Sŏlcham die überzeitliche Mitte jenseits aller temporalen

31 Eine Übersetzung und ausführliche Diskussion von Kihwas Text findet sich in Muller 2015.

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Bewegung oder Stille. Die eigentliche Besonderheit scheint jedoch zu sein, wie sich Kim Sisŭp alias Sŏlcham gleichermaßen souverän des konfuzianischen wie auch des buddhistischen Idioms bedient, diese in unauffälliger Weise ineinander überblendet und dabei doch in seinen Aussagen konsistent bleibt.32 Die Bedingungen für derartige Gelehrsamkeit sollten sich jedoch bald drastisch verschlechtern. Der aufgrund wechselnder Verfolgungen von Fraktionen der Beamtenschaft als Tyrann in die Geschichte eingegangene Yŏnsan’gun (reg. 1454– 1506) ordnete die Schließung der Hauptquartiere der beiden Traditionslinien an, und nach einer kurzen Phase der Entspannung kam es unter Chungjong (reg. 1506–1544) im Jahre 1508 zur Abschaffung des monastischen Prüfungssystems – eine rasche Abfolge von nachwirkenden Schlägen, die den koreanischen Buddhismus buchstäblich in die Berge zurückdrängten. Unter denjenigen, die sich den Folgen der Marginalisierung entgegenstemmten, ragt insbesondere Hyujŏng (Sŏsan, 1520–1604) hervor. Selbst ein Absolvent der unter der Patronage der Königinmutter Munjŏng (1501–1565) im Jahre 1552 nochmals restituierten monastischen Prüfungen, wurde er vom später in der Verbannung ermordeten Pou (Hŏŭng, 1515–1565) zum Oberhaupt der Kyo- und wenig später auch der bisher von jenem selbst geleiteten Sŏn-Denomination ernannt, trat aber früh genug von den Ämtern zurück, um als langjähriger Wandermönch der nach dem Tode der Königinmutter einsetzenden Verfolgung zu entkommen. Wenn auch wohl nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen lehnte Hyujŏng seinerseits Polemiken gegen den Konfuzianismus ab, zumal die Drei Lehren auf einen Bereich jenseits des Sprachlichen verwiesen. Eine ähnlich versöhnende Perspektive vertrat Hyujŏng in Bezug auf den Buddhismus. Wie Jahrhunderte vor ihm Chinul setzte sich Hyujŏng in Schriften wie dem – ursprünglich ein Kapitel des Samga kwigam („Spiegel der Drei Häuser“, eine Summa von Buddhismus, Konfuzianismus und Daoismus) bildenden – Sŏn’ga kwigam („Spiegel des Sŏn-Hauses“) für ein sich ergänzendes Studium von Sŏn und Kyo ein, wobei natürlich die Sŏn-Praxis als letztlicher Zugang zum Bereich des Außersprachlichen priorisiert bleiben sollte. Die restaurativen Bemühungen von Hyujŏng dürften entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich im 17. Jahrhundert ein festes monastisches Curriculum etablierte. Des Weiteren dürfte Hyujŏngs neuerliche Betonung des Kyo bzw. des Hwaŏm – zusammen mit dem Zufall, dass 1681 ein Handelsschiff, das den Jiaxing Dazangjing und damit bis dato auf der Halbinsel nicht verfügbare HuayanTexte (darunter ein voluminöser Chengguan zugeschriebener Kommentar) geladen hatte, auf dem Weg nach Japan Schiffbruch an der koreanischen Küste erlitt – einen entscheidenden Impuls dafür gegeben haben, dass sich die Sŏn-Buddhisten des 17. und 18. Jahrhundert erneut der Hwaŏm-Exegese zuwandten.

32 Zu Sŏlchams Synthese vgl. Plassen 2012: 363–377.

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Hyujŏngs Nachruhm gründet letztlich jedoch weniger auf seinen Schriften, sondern auf seiner patriotischen Organisationstätigkeit während der Hideyoshi-Invasion (1592–1597). So leistete Hyujŏng, nachdem bereits einer seiner Schüler als Anführer einer Mönchsmiliz im Kampf gefallen war, einen bedeutenden Beitrag zum Widerstand, indem er überall im Lande derartige Milizen organisierte. Diese sollen eine Stärke von insgesamt mehreren Tausend Mann erreicht haben und wurden teilweise wiederum von Schülern Hyujŏngs geführt.33 Die Aufopferungsbereitschaft des Klerus im Kampf gegen die japanischen Invasoren sollte den nachfolgenden Herrschenden jedoch keinen Grund geben, die Politik der fortschreitenden Marginalisierung zu beenden. Unter König Injo (reg. 1623–1649) wurde den Mönchen der Zutritt zum Palast versagt, und der Eintritt in den Klerus war nur noch Mitgliedern der niedrigen Bevölkerungsschichten erlaubt. Im Jahre 1747 wurde schließlich Mönchen wie Schamanen das Betreten der Hauptstadt verboten. Indem die staatliche Unterstützung ausblieb, hing das Überleben der Tempel in der späten Chosŏn-Zeit verstärkt von Fundraising- und sonstigen ökonomischen Aktivitäten des Klerus ab. Einen maßgeblichen Beitrag leisteten dabei unterschiedliche Formen von durch Kleriker und Laien gemeinsam getragenen Tempel-Vereinigungen zur gegenseitigen Unterstützung (sach’al kye) sowie Gesellschaften zur Unterstützung von Tempeln (posach’ŏng). Die verbreiteten Tempel-Vereinigungen widmeten sich dabei der allgemeinen finanziellen Unterstützung von Tempeln, der Durchführung bestimmter Zeremonien oder spezielleren Vorhaben wie der Wiederaufforstung in direkter Umgebung von Tempeln. Zwar wurden Mönche für Bauprojekte oder den militärischen Widerstand gegen die Mandschuren herangezogen, die staatliche Patronage des Buddhismus erfuhr jedoch nur unter Chŏngjo (reg. 1770–1800) ein kurzes Wiederaufleben. So ließ dieser, wohl nicht zuletzt im Gedenken an seinen – auf Geheiß des Großvaters und vorangegangenen Herrschers ermordeten und daher im konfuzianische Hofritual dezent übergangenen – Vater, u. a. diverse Tempel errichten bzw. restaurieren sowie diverse Ŏnhae-Ausgaben drucken und das auch konfuzianische Grundwerte transportierende Fumu enzhong jing bzw. Pumo ŭnjŏnggyŏng („Sutra über die Gewichtigkeit der Gnade der Eltern“) über offizielle Kanäle verbreiten.34 Ritualtexte für Totenfeiern und erhaltene großformatige Hängebilder zeugen von der großen Bedeutung des Buddhismus im Kontext der Trauer abseits der konfuzianisch geprägten offiziellen Memoria. Die zunehmende Bedeutung der Laien im Sŏn spiegelt sich auch darin, dass eigens der elementaren Praktik der Anrufung von Amitābha gewidmete Vereinigungen gegründet wurden. Bereits seit

33 Zu Hyujŏng vgl. Buswell 1999: 134–159. Zum sich etablierenden Curriculum und der revitalisierten Hwaŏm-Exegese unter Sŏn-Mönchen s. Kim Yong-tae 2014: 138–149. 34 Zu dieser Vielfalt von Vereinigungen s. Kim Yong-tae 2014: 126–128, zu den Aktivitäten von Chŏngjo ebd. 131.

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dem 16. Jahrhundert war eine Anzahl von Dhāraṇī-Sammlungen und Zeremonialtexten gedruckt worden, darunter diverse Ŏnhae-Editionen nach dem Vorbild der erstmals 1485 publizierten O tae chinŏn („Fünf große Wahre Worte“), die das Intonieren der dhāraṇī allein auf Basis des koreanischen Alphabets ermöglichten. So wurde das Pul Sŏl ch’ŏnsu ch’ŏnan Kwanseŭm Posal kwangdae wŏnman muae taebi sim tae taranigyŏng („Das vom Buddha gesprochene Sutra über das große dhāraṇī des breiten, vollständigen und vollen, ungehinderten und in großem Maße mitleidsvollen Herzens des tausendarmigen und tausendäugigen Bodhisattva Kwanseum [bzw. Avalokiteśvara]“) unter wechselnden, zuweilen weniger ermüdenden Titeln bis 1859 in mindestens elf Ausgaben nachgedruckt. Die stärkere Bedeutung von Praktiken für Laienanhänger implizierte jedoch keinesfalls eine Vernachlässigung monastischer Gelehrsamkeit. So führte Paekp’a (Kŭnsŏng, 1767–1852) in seinem Sŏnmun su’gyŏng („Handspiegel des Sŏn-Tores“) eine deutlich hierarchischere Distinktion von Patriarchen-Sŏn, Tathāgata-Sŏn und Theoretischem Sŏn ein und stieß so eine grundlegende Kontroverse an.35 Der Sŏn-Buddhismus der späten Chosŏn-Zeit war also durchaus von größerer Vitalität, als es dessen Marginalisierung durch die konfuzianische Beamtenschaft erwarten lässt. Dennoch behinderte das Verbot, die Hauptstadt zu betreten, nach wie vor die einzelne Denominationen übergreifenden Reformanstrengungen und limitierte weiterhin den politischen Einfluss des Buddhismus. – Ironischerweise sollte erst die japanische Dominanz nach dem Sieg im Chinesisch-Japanischen Krieg von 1894–1895 größere Freiräume bringen, indem ein Missionar der Nichiren shū im Jahre 1895 die Aufhebung des Hauptstadt-Bannes erwirkte.36

5. Japanisches Protektorat und Kolonialherrschaft Wie die koreanische Gesellschaft im Allgemeinen war auch der koreanische Buddhismus der Öffnungs- und frühen Kolonialperiode durch einen Zwiespalt geprägt: Einerseits orientierte man sich am fortschrittlichen Japan und dessen Reformen im Bildungswesen, andererseits verfolgte man, spätestens nachdem Korea 1905 zum Protektorat erklärt worden war, die Selbststärkung des eigenen Landes durch Ausbildung nationaler Strukturen. Die größeren Freiräume für den Buddhismus unter der japanischen Vorherrschaft nutzend, gründete man 1908 die verschiedene Denominationen vereinigende Wŏn-jong und setzte Yi Hoe’gwang (1863– 1933), den respektierten Abt des noch heute als Kaderschmiede geltenden Tempels

35 Zu Paekp’a und dessen Gegnern vgl. z. B. Jorgensen 2007: 119–158. 36 Vgl. hierzu z. B. Park 2015: 34.

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Haein-sa, als Patriarchen ein. Nachdem jedoch bekannt wurde, dass dieser 1910 in Japan einer Fusion der Denomination mit der Sōtō-shū zugestimmt hatte, kam es zu breiter Empörung im Klerus und führende Reformbuddhisten gründeten 1911 mit der Imje-jong eine neue Traditionslinie. An dieser sich – letztlich natürlich vergeblich – gegen die Vereinnahmung und Kontrolle durch Japan wendenden klerikalen Revolte beteiligte sich auch Han Yongun (Manhae, 1879–1944), der nachfolgend vor allem als einer der Protagonisten der Unabhängigkeitserklärung von 1919 und – mit dem buddhistischen Zyklus Nim-ŭi ch’immok („Das Schweigen des Geliebten“, 1926) – als einer der wichtigsten modernen Lyriker in die Geschichte eingehen sollte. Noch im Winter 1909/10 hatte Manhae mit dem erst 1913 veröffentlichten Chosŏn Pulgyo yusillon („Abhandlung zur Erneuerung des Chosŏn-Buddhismus“) einen Traktat geschrieben, der auch Ideen aus dem japanischen Buddhismus aufgreift. So wird darin nicht nur gefordert, dass die Mönche aus den Bergen zu den Menschen in den Städten zurückkehren mögen oder dass die monastische Erziehung modernisiert werden solle, sondern auch, dass es Mönchen (wie in Japan) erlaubt sein müsse zu heiraten. – Nur so könne sich der koreanische Buddhismus langfristig gegenüber dem Christentum behaupten. Gelingt es jedoch, die momentane Krise zu überstehen, so das Kalkül, wird sich aufgrund des – seiner Natur nach wissenschaftlichen und fortschrittlichen – Buddhismus langfristig eine friedliche Weltzivilisation ohne Unterdrückung der schwächeren Nationen entfalten. Manhaes modernes Fortschrittsdenken lässt dabei im Ziel der py’ŏngdŭng („Gleichheit“), die sowohl die Gleichheit aller dharmas bzw. psychischen Gegebenheiten in der Leerheit des Geistes als auch Gleichheit im politischen Sinne bezeichnet, religiöses Heilsziel und politische Utopie in einem Punkte zusammenlaufen. – Während es mittlerweile ein Allgemeinplatz in der Literatur ist, dass der Ausgangspunkt dieser Überlegungen in der Rezeption des Sozialdarwinismus und Spencers struggle of nations zu sehen ist, ist der Ursprung der diesem entgegengesetzten Utopie kaum bekannt: Manhae nimmt hier ganz offensichtlich wesentliche Grundgedanken des Ren shu („Schrift über die Menschlichkeit“) des chinesischen Reformers Tan Sitong (1865–1898) auf. Mögen die Reformvorstellungen von Manhae auch an Tan Sitong und anderen chinesischen Reformern angelehnt sein, ist deren Nachwirkung nicht zu unterschätzen: So wurden wichtige Ideen bereits von Pak Chungbin (Sot’aesan, 1891– 1943), dem Gründer der heute als Wŏn-Buddhismus bekannten Pulbŏp yŏn’guhoe („Forschungsgesellschaft [zur Erforschung] des Buddha-Dharmas“) aufgenommen.37

37 Die bunt zusammengewürfelte Urgemeinde dieser Neuen Religion hatte natürlich nur dem Anspruch nach etwas mit einer Forschungsgesellschaft zu tun, bildet aber eine umso interessantere Vignette für den Zeitgeist. Vgl. hierzu Walraven 2003: 133–153. Für einen Überblick zu Geschichte und Praxis des Wŏn-Buddhismus siehe Chung 2018.

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In die frühe Kolonialzeit fallen auch die ersten wissenschaftlichen Monographien zum „Koreanischen Buddhismus“ wie das Chosŏn Pulgyo yaksa („Abgekürzte Geschichte des Koreanischen Buddhismus“, 1917) von Kwŏn Sangno (1879–1965) oder das von Yi Nŭnghwa (1869–1943) verfasste und von Ch’oe Namsŏn (Yuktang, 1890– 1957) redigierte Chosŏn Pulgyo t’ongsa („Durchgängige Geschichte des Koreanischen Buddhismus“, 1918)38 sowie ein einflussreicher Artikel von Ch’oe, den dieser 1930 in Entgegnung auf die Polemik einer japanischen Gesamtdarstellung ursprünglich für eine internationale Konferenz verfasste. Darin unterschied er drei Stufen eines anfänglichen Buddhismus in Indien, eines sektiererischen in China und eines – wiederum durch Wŏnhyo geprägten und dabei spezifisch koreanischen – durchgängigen bzw. harmonisierenden Buddhismus in Korea. Insbesondere in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde die Kontrolle der religiösen Institutionen durch die japanische Kolonialregierung zunehmend strikter, was nicht nur ein faktisches Ende derartiger Selbststärkungs- und Widerstandsbemühungen zur Folge hatte, sondern auch zu Kollaboration bis hin zur Beteiligung an Mobilisierungskampagnen führte.

6. Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart Der schon in der Kolonialzeit auf den Buddhismus ausgeübte politische Druck sollte sich in der 1948 gegründeten Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) noch deutlich erhöhen, wobei aufgrund der restriktiven nordkoreanischen Religionspolitik und einer entsprechend spärlichen Quellenbasis darüber hinaus kaum verlässliche Angaben über die gesellschaftliche Rolle von Religionen – nicht nur des Buddhismus – möglich sind. Begrenzte Rückschlüsse können im Wesentlichen nur aus der Propaganda gezogen werden. So finden sich Pressemitteilungen der zentralen Nachrichtenagentur zum Buddhismus in den letzten zwei Jahrzehnten fast ausschließlich im Zusammenhang von Ergebenheitsadressen dem Regime gegenüber, was eher für eine museal-politische Funktion denn für ein tatsächliches religiöses Leben spricht. Wo – wie etwa beim Besuch von Kim Jong Il im Jahr 2002 im buddhistischen Ryangchon-Tempel im Süden des Landes – Religion in die Öffentlichkeit kommt, wird der Buddhismus (ähnlich wie der Konfuzianismus oder Daoismus) als kulturelles Erbe der koreanischen Nation beschrieben. Zwar garantiert die Verfassung der DVRK Glaubensfreiheit und die Ausübung der Religion, seit 1992 die Verfassung insofern geändert wurde, als religiöse Ver-

38 Zu den Anfängen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem „Koreanischen Buddhismus“ vgl. Kim Yong-tae 2014, 155–161, bes. 159.

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sammlungen und die Benutzung von Kultstätten erlaubt und antireligiöse Propaganda untersagt wurde. Dennoch sind organisierte religiöse Gemeinschaften in ihrem Wirkungsfeld beschränkt und kontrolliert, so dass kaum von Religionsfreiheit gesprochen werden kann. So berichtete etwa der Vorsitzende der Vereinigung nordkoreanischer Katholiken im Jahr 2002, dass es für die Katholiken des Landes keinen Priester gibt. Auf der Grundlage einer Verfassung, die die Einmischung fremder Mächte in religiöse Angelegenheiten verbietet, ist auch der Austausch nordkoreanischer Buddhisten mit Glaubensbrüdern oder -schwestern jenseits der Landesgrenzen sehr beschränkt. Während der südkoreanische Klerus aufgrund der historischen Verbindungen auf unterschiedlichen Ebenen rege Kontakte mit Buddhisten in ganz Asien unterhält, scheinen innerkoreanische Treffen meist auf den Kontext der Wiedervereinigungsfrage beschränkt. Im Süden bleib der Einfluss Japans, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen, auch nach der Befreiung 1945 und der Gründung der Republik Korea 1948 zunächst noch prägend. So zog sich ein Graben zwischen nach japanischem Vorbild verheirateten und das Zölibat einhaltenden Sŏn-Mönchen. Präsident Syng-man Rhee (1875–1965, reg. 1948–1960) ergriff im Bemühen der Säuberung der koreanischen Gesellschaft von Relikten der Kolonialherrschaft Partei für die letzteren, aber die verheirateten Mönche nutzten den kurzen demokratischen Frühling für die Anfechtung diverser Gerichtsurteile. Die Auseinandersetzung entschied sich erst, als der Militärdiktator Park Chung-hee (1917–1979, reg. 1961–1979) eine Vereinigung der Gruppierungen dekretierte. In der 1962 gegründeten Taehan Pulgyo Chogyejong, noch heute die bei weitem größte Denomination des koreanischen Buddhismus, behielten die Zölibatsanhänger jedoch die Oberhand und die weiter marginalisierten verheirateten Mönche spalteten sich schließlich ab, indem sie 1970 die T’aego-jong bildeten. Während das buddhistische Establishment sich mit Park Chung-hee arrangierte, weigerten sich Teile des Klerus 1980 offen, den neuerlichen Putsch von Chun Doohwan mitzutragen, was im selben Jahr zur Verhaftung einer Anzahl buddhistischer Mönche führte. Nachfolgend arrangierte man sich wieder mit den Herrschenden, so dass man sich auch nicht an der Demokratiebewegung 1986/87 beteiligte, was dem Bild des Buddhismus in der Öffentlichkeit nicht gerade zuträglich war.39 Erst in jüngerer Zeit, unter der Präsidentschaft des Protestanten Lee Myung Bak (reg. 2008–2013), ging auch die Führung mit Großdemonstrationen buddhistischer Mönche wieder deutlich in Opposition zur Regierung. Dies jedoch erst, nachdem diese zu verschiedentlichen Gelegenheiten den Protestantismus bevorzugt hatte und die Polizei auf der Suche nach Tempelasylanten den Wagen des Patriarchen Jigwan der Chogye-jong hatte durchsuchen lassen.

39 Zu den Entwicklungen von 1945–1980 vgl. Kim Yong-tae 2014: 163–169.

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Im Zuge der erfolgreichen Demokratisierung Südkoreas seit 1987 und der damit einhergehenden Herausbildung einer aktiven Zivilgesellschaft finden sich zunehmend Mönche, die sich zusammen mit anderen NGO-Akteuren für den Erhalt der Umwelt bzw. gegen umweltzerstörende Projekte einsetzen. Vor allem jedoch sollte der große Aufschwung des Protestantismus in der Hochphase der Industrialisierung der 1980er bis 1990er Jahre nicht ohne Auswirkungen auf den Buddhismus bleiben, indem die alte Forderung, verstärkt auf die Laien zuzugehen, neuen Widerhall fand. Bereits 1970 hatte man mit dem Pulgyo Taejŏn ein Pendant zur Bibel herausgegeben, und in den 1980er Jahren verbreiteten sich mit dem Piano auch neu vertextete englische und irische Kirchenlieder in städtischen Andachtsstätten. Die letzten Jahre sind dabei von intensiven Bemühungen eines professionellen Tempel-Managements geprägt, auch in der Gemeindebildung den christlichen Denominationen nachzuziehen: So gibt es im großen hauptstädtischen Tempel Bongŭn-sa mittlerweile Mitgliedsausweise und Freizeiten für die Tempeljugend, und für die Erwachsenen neben buddhistischen Kochkursen u. a. in englischer Sprache gehaltene Einführungen in die Grundlagen des Buddhismus. Wohl nicht zufällig gehen diese Konzessionen an den urban lifestyle und die Bedürfnisse der Werktätigen auf der anderen Seite einher mit einer zunehmenden nostalgischen Verklärung des „reinen“ Kanhwa Sŏn der Patriarchen in den Bergen.40 Ebenfalls Jahrzehnte zurück reicht das Bemühen des Klerus, den koreanischen Buddhismus zu „internationalisieren“ bzw. zu exportieren, ein Unterfangen, das mit Zweigtempeln in den USA und Europa seinen Anfang nahm und mit den beliebten Tempelstay-Programmen eine touristische Erweiterung fand. Gleichzeitig sind der buddhistische Klerus und die mit diesem eng verwobenen Buddhismus-Forscher jedoch auch im herkömmlichen Sinne internationalisiert: Ist der Klerus mit Partnern in ganz Asien vernetzt, unterhalten Wissenschaftler einen besonders engen Austausch mit Partnern in der VR China und Japan. Eine voraussehende Forschungsförderung hat es zudem erlaubt, begabte Forscher zurück ins Land zu holen und jüngeren koreanischen Absolventen ausländischer Universitäten wie begabten Wissenschaftlern aus dem Inland längerfristige Perspektiven zu eröffnen, so dass die südkoreanische buddhologische Forschung zunehmend international sichtbar wird. Insgesamt scheint es, dass der südkoreanische Buddhismus auf verschiedenen Ebenen gut darauf vorbereitet ist, um in der nach diversen Skandalen v. a. im protestantischen Milieu und der schmerzhaften Finanzkrise der 1990er Jahre nicht mehr ungebrochen zukunftsgläubigen und sich daher wieder mehr der Tradition zuwendenden, dabei jedoch modernen und weltoffenen südkoreanischen Gesellschaft auch zukünftig eine wichtige Rolle zu spielen.

40 Zu den Entwicklungen des letzten Jahrzehntes vgl. Galmiche 2011.

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ENTWICKLUNG

UND

VIELFALT

DES JAPANISCHEN

BUDDHISMUS Michael Pye

1. Einleitung 1.1. Einführende Überlegungen Die verschiedenen Formen des japanischen Buddhismus haben seit langem das Interesse vieler Menschen geweckt und dabei eine große Anzahl an Fragen aufgeworfen. Sind die bekannten Lehrrichtungen einzelner herausragender Personen wie Shinran oder Nichiren noch im Einklang mit den grundsätzlichen Ideen des Mahāyāna-Buddhismus? Wenn dem so ist, wo finden sich Unterschiede? Was haben die Lehren und Praktiken, die in Japan so weit verbreitet sind, noch mit der ursprünglichen Botschaft des Buddha gemeinsam? Solche Fragen kommen auf, weil Außenstehende von der Vielfalt, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat, oft schier überwältigt werden, wohingegen die meisten japanischen Buddhisten der festen Überzeugung sind, dass ihr „Japanischer Buddhismus“ einfach nur „Buddhismus“ mit ein paar Ausschmückungen ist. Viele gebildete und tiefgläubige Mönche werden in höchstem Maße verehrt, fast als wären sie Gottheiten wie die vielen kami des Shintō. Man geht dabei nicht davon aus, dass sie vom rechten Weg des Buddhismus abgewichen wären, sondern vielmehr davon, dass sie diesem Weg trotz Schwierigkeiten und Repressalien mit besonderer Hingabe gefolgt sind und Andere darin unterwiesen haben. Dies zeigt deutlich, dass man den japanischen Buddhismus immer im Kontext der allgemeinen Religionsgeschichte Japans sehen muss, die wiederum mit kulturellen und politischen Entwicklungen zusammenhängt. Diese allgemeine Religionsgeschichte des Landes wird jedoch unter Berücksichtigung der verschiedensten Religionen sowie deren Wechselwirkungen in einem eigenen Band dieser Buchreihe behandelt werden. Die hier vorliegende Darstellung des japanischen Buddhismus und die Hinweise darüber in dem vorgesehenen Band sind daher als komplementär und sich gegenseitig ergänzend zu verstehen. Der Buddhismus in Japan war von Beginn an in wichtige Fragen des politischen und sozialen Lebens verstrickt. Das wird schon durch die ersten buddhistischen Artefakte deutlich, die ihren Weg im Zuge des diplomatischen Austausches auf die japanischen Inseln fanden. Dort wurde die Religion schnell zu einer tragenden Stütze des jungen Staates, und über Jahrhunderte hinweg blieben führende buddhis-

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tische Tempel einflussreiche Machtzentren. Nach dem Ende der Bürgerkriege des 16. Jahrhunderts machte sich der endgültig siegreiche Feldherr, der Shōgun Tokugawa Ieyasu, das System der Tempelgemeinden zunutze, um die gesamte Bevölkerung in Registern aktenkundig zu machen. Dadurch kam den Tempeln eine besonders privilegierte Stellung im Staatsgefüge zu, aus der sie allerdings im 19. Jahrhundert im Verlauf der Modernisierung zu Gunsten einer neuen vom Shintō beeinflussten Ideologie verdrängt wurden. Als der daraus erwachsene Militarismus mit der Niederlage von 1945 unterging, hatten die buddhistischen Zentren zwar mit einer Landreform zu kämpfen, konnten sich ansonsten aber wieder stabilisieren und in einigen Bereichen erneut großen Einfluss erlangen. In dem vergleichsweise knappen Raum, der nun hier zur Verfügung steht, wird es nicht möglich sein, eine eigentlich notwendige Einbettung des Buddhismus in die allgemeine japanische Geschichte vorzunehmen, seine Entwicklung ist aber sicherlich Teil dieser Geschichte. Buddhistisches Gedankengut und Darstellungsweisen hatten auch einen tiefgreifenden Einfluss auf die japanische Kunst. Aber ebenso wie bei der politischen Geschichte wird es unmöglich sein, hier die Kulturgeschichte Japans umfassend zu behandeln. Die Tee-Zeremonie, das Bogenschießen, bekannte Kampfkünste, die Schwertherstellung oder die Töpferei, und natürlich Malerei und plastische Künste – sie alle wurden auf vielfältige Weise vom Buddhismus beeinflusst. Manches davon soll Ehrerbietung hervorrufen, besonders die Statuen bedeutender Buddhas und Bodhisattvas, deren unterschiedliche Namen für zufällige Betrachter häufig eher unergründlich sind. Andere künstlerische Elemente sind subtiler und deuten eher an, als dass sie beim Betrachten direkt ins Auge springen. Sie spiegeln das Flüchtige und Vergängliche wider, besonders in der Malerei und der damit eng verbundenen Kalligraphie. Diese Künste verdanken der buddhistischen Empfindsamkeit und in gewisser Weise auch der Lehre sehr viel. Hier soll es nun vorrangig um einen kompakten geschichtlichen Grundriss des japanischen Buddhismus gehen, weshalb sowohl wissenschaftliche Streitpunkte als auch religiöse Sonderwege eher vermieden werden. Hier wird nicht beansprucht, das eine oder andere Geheimnis des japanischen Buddhismus bis in seine Tiefen ergründet zu haben. Vielmehr soll ein möglichst einfacher, jedoch zugleich ausgeglichener Überblick gegeben werden, der als Grundlage für weitere Studien dienen kann. Nach dieser Einleitung folgen daher fünfzehn weitere kurze Kapitel, in denen man sich beim Lesen schnell orientieren kann.1 Ohne dass eine zu extreme Periodisierung angelegt wurde, wird sich trotzdem zeigen, dass die ersten fünf Abschnitte von der Ankunft und Etablierung des Buddhismus in Japan beginnend mit der Asuka-Zeit bis zu den großen Tendai/Shin-

1 Obwohl der japanische Buddhismus auch hier natürlich nicht als kulturell oder gesellschaftlich isoliertes Phänomen verstanden wird, gibt es vortreffliche Werke, in denen das Umfeld viel stärker berücksichtigt werden konnte, z. B. Bowring 2005 (Geschichte jedoch nur bis zum Jahr 1600) oder Deal/Ruppert 2015.

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gon-Niederlassungen der Heian-Zeit berichten. Die folgenden fünf Abschnitte zeigen einige typisch japanische Elemente in der weiteren Entwicklung des Buddhismus, wie die Konzentration auf das Reine Land, die Zen-Praxis oder das Lotos-Sūtra. Dabei wetteiferten die Gelehrten und Praktizierenden des japanischen Buddhismus um die Aufmerksamkeit einer großen Anhängerschaft im ganzen Land. Das letzte Drittel des Beitrags befasst sich mit der Tokugawa-Periode, einer Zeit, in der die verschiedenen Strömungen ihre jeweiligen Positionen verfestigten, und führt schließlich in die Moderne des 20. und 21. Jahrhunderts.

1.2. Terminologie und Konventionen Da die kanonischen Texte und Kommentare des japanischen Buddhismus in den ersten Jahren fast ausschließlich aus China übernommen wurden, kommen zahlreiche chinesische Begriffe vor, die an die japanische Phonetik angepasst wurden. Zum Teil weicht die Aussprache der Schriftzeichen für Fachbegriffe, Tempel- oder Personennamen von dem ab, was später die japanische Standardlesart der gleichen Zeichen wurde. Hinzu kommt, dass manche dieser Bezeichnungen die chinesische Aussprache indischer Wörter widerspiegeln. Daher werden hier gelegentlich sowohl chinesische als auch Sanskrit-Begriffe aufgeführt. Im Laufe der Zeit entstanden viele Texte direkt in Japan, zunächst im klassischen Chinesisch des Buddhismus, später auch in der Landessprache. Da solche Schriften die speziellen Lehren einzelner führender Mönche oder „Heiliger“ (shōnin)2 wiedergeben, werden sie in einigen Fällen neben den älteren kanonischen Texten geehrt oder sogar im tatsächlichen Gebrauch diesen gegenüber bevorzugt. Die Übertragung asiatischer Namen und Begriffe folgt hier dem modernen Standard. Diakritische Zeichen im Sanskrit werden daher so verwendet, wie dies in der heutigen Indologie üblich ist, während für das Chinesische das pīnyīn-System gilt. Abgesehen von Eigennamen werden asiatische Begriffe kursiv geschrieben. Davon ausgenommen sind die folgenden: – – – – –

Buddha: als „der Buddha“ oder Bestandteil eines Buddha-Namens. Bodhisattva: ein Bodhisattva oder als Bestandteil eines Bodhisattva-Namens. Dharma: der Dharma, die Lehre des Buddha. Dharmas: elementare Faktoren der menschlichen Existenz oder Psychologie. Karma: moralische Ursache und Wirkung in nacheinander folgenden Existenzen. – Nirvāṇa: Zustand der Befreiung aus der Karma-bedingten Existenzfortsetzung.

2 Für das erste Element dieser Vokabels gibt es zwei Schreibweisen: (i) 上 mit der Bedeutung von „hoch“ oder „erhaben“ und (ii) 聖 mit der Bedeutung von „heilig“; die erste Schreibweise ist häufiger.

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Für das Japanische wird das Hepburn-System mit leichten, heute üblichen, Abwandlungen verwendet. Trotzdem wird „n“ nicht zu „m“ gemacht. Zum Beispiel wird hier die korrekte Schreibweise nenbutsu mit „n“ verwendet, obwohl anderswo Nembutsu mit „m“ gefunden werden kann.3 Der Unterschied zwischen den langen und kurzen Vokalen o/ō und u/ū ist im Japanischen sehr wichtig, und Nichtbeachtung kann zu Missverständnissen führen. Nur im Namen der modernen Hauptstadt Tokyo (eigentlich Tōkyō) werden die Verlängerungszeichen weggelassen.4 Zum Teil wird der originelle Wortbau durch Trennungen oder Bindestriche deutlich gemacht, die es in der Originalsprache so nicht gibt. Japanische Endungen wie -shū (Denomination/Schule) werden hier normalerweise mit einem Bindestrich angehängt, z. B. Jōdo-shū, Shingon-shū, Tendai-shū, Shin-shū. Davon ausgenommen sind zusammengesetzte Bezeichnungen von Lehrrichtungen wie Jōdo Shinshū und Fälle, bei denen eine Elision stattfindet, wie z. B. bei Risshū (aus Ritsu- und -shū). In den Namen japanischer Tempel finden sich verschiedene Endungen; die beiden häufigsten sind -ji und -tera (in Namen meist -dera). Beide Endungen werden mit dem gleichen Schriftzeichen (kanji)5 geschrieben (寺). Diese Endungen sind Teil des Tempelnamens, weshalb es ihrer Verwendung in der japanischen Sprache gerechter wird, sie auch in dieser Form zu nutzen. Kiyomizudera bedeutet also Kiyomizu-Tempel, und Myōshinji bedeutet Myōshin-Tempel, Dopplungen des Wortes „Tempel“ (wie „Kiyomizudera-Tempel“) werden möglichst vermieden. Gleiches gilt für die Endung -dō (堂), was „Halle“ bedeutet und ein spezielles Gebäude innerhalb eines Tempelkomplexes bezeichnet. Beispiele wären eine Kannondō, eine Halle des Bodhisattva Kannon, oder eine Daishidō, eine Halle für die als Heiligen betrachtete Gestalt Kōbō Daishi. Die Endung -den (殿) bezieht sich auf eine besonders prächtige Halle, z. B. in der Bezeichnung Butsuden (Halle des Buddha). Durch das Anhängen dieser Silben ergeben sich dann also meist Eigennamen. Zwei weitere Endungen für Tempelgebäude beginnen mit einem Vokal und werden aus Gründen der Klarheit mit Bindestrichen abgetrennt. Die häufigste ist -in (院) wie in Chion-in. Weniger verbreitet ist -an (庵) wie in Shūon-an. Beide Begriffe verweisen auf ein spezielles Gebäude, beispielsweise die Residenz einer hochstehenden Persönlichkeit, das zugleich oder nachträglich als Tempel eingeordnet werden kann. Wie auch bei chinesischen und koreanischen Tempelnamen verweisen die im Namen verwendeten Schriftzeichen oft auf Konzepte aus den buddhistischen Lehren oder auf den Namen eines Buddha oder Bodhisattva. So bedeutet Ichijōji

3 Die tatsächliche Aussprache ist kaum dichter an „m“ als an „n“, ihr wird lediglich durch das nachfolgende „b“ dieser Anschein gegeben. 4 Die verbreitete deutsche Schreibweise Tokio entspricht keinem heute gebrauchten Umschreibungssystem. Es handelt sich um zwei Silben: Tō + kyō. 5 Kanji sind Schriftzeichen chinesischen Ursprungs. Phonetische Schriftzeichen (kana) sind auch im Gebrauch, und die normale Schriftsprache besteht aus einer Kombination dieser beiden.

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„Tempel des einen Fahrzeugs“, während Kanzeonji nach dem Bodhisattva Kanzeon und Yakushiji nach dem Buddha Yakushi benannt sind.6 Um den Text nicht zu überfrachten, da es doch zahlreiche Eigennamen und japanische Begriffe gibt, wird auf das Einfügen von Schriftzeichen grundsätzlich verzichtet. Ausnahmen werden nur in wenigen Fällen gemacht, wenn es wie im vorhergehenden Absatz oder in Fußnote 2 einer direkten Differenzierung dienlich ist. Soweit nicht anders angegeben orientieren sich alle verwendeten Jahreszahlen an der westlichen Zeitrechnung. Sie wurden mit Standardhilfsmitteln abgeglichen.7 Die Jahresdaten für Personen werden beim ersten Vorkommen genannt, jedoch gegebenfalls bei einer längeren Behandlung einmal wiederholt. Angesichts des Zwecks und Umfangs eines Grundrisses muss betont werden, dass die in dieser Synthese benutzten Informationen in Japan grundsätzlich allgemein bekannt oder sonst zugänglich sind, so dass es müßig wäre, überall „Quellen“ wie zum Beispiel Nachschlagewerke8 zu Namen und Sekten des japanischen Buddhismus aufzulisten, die für Nichtjapanologen sowieso verschlossen bleiben würden. Die Literaturliste am Ende ist daher überwiegend westlich. Einerseits ist sie auf weiterführende Hinweise beschränkt, wobei allerdings die Erscheinungsjahre beachtet werden sollten, andererseits dient sie der dankbaren Ehrlichkeit, weshalb spezialisierte Werke mitunter auch Erwähnung finden.

2. Anfänge 2.1. Zeitgeschichtliche Orientierung Der Buddhismus wurde Mitte des 6. Jahrhunderts in Japan eingeführt, die frühesten schriftlichen Informationen finden sich jedoch erst in dem viel später zusammengestellten Nihonshoki (oder Nihongi), was Chroniken Japans bedeutet.9 Dieses

6 Für eine grundsätzliche Einführung in die Namen buddhistischer Tempel in Japan siehe Seckel 1985. 7 Wie z. B. Iwao 1978 oder Kodama 1995. Für die ersten Jahrhunderte kann inzwischen Bowring 2005 herangezogen werden. 8 Als nur ein Beispiel seien die sechsundsechzig Bände der 1976 bis 1982 vom Verlag Kōtansha veröffentlichten Serie zu allen führenden Tempeln West-Japans genannt, die gruppenweise verteilt jeweils mit allen wesentlichen Informationen und sorgfältigen Chronologien versehen sind. Hauptherausgeber war der bekannte Autor Inoue Yasushi (1907–1991), anfänglich zusammen mit dem ebenfalls bekannten Buddhologen Tsukamoto Zenryū (1898–1980). Je nach Tempel-Tradition standen ihnen zahlreiche hoch angesehene Experten wie Yanagida Seizan zur Seite, der weiter unten Erwähnung findet. Siehe Inoue et al. 1976–1982. 9 Aston 1956.

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Textkorpus wurde erst 720 abgeschlossen, und Berichte über Ereignisse, die über einhundert Jahre zuvor stattgefunden haben, müssen selbstverständlich mit gewisser Vorsicht betrachtet werden. Zum Teil stimmen sie jedoch auch mit den archäologischen Funden aus dieser Zeit überein. Das Datum, welches im Nihonshoki für die Einführung des Buddhismus oder zumindest buddhistischer Artefakte genannt wird, entspricht nach der westlichen Zeitrechnung 552, wobei sich ein etwas früheres Datum, 538, in den Chroniken des Tempels Gangōji findet. Auf die prähistorischen Phasen, mit denen wir uns hier nicht beschäftigen, folgte die frühe japanische Zivilisation, die sich im westlichen Zentrum des Landes unter der Herrschaft der Yamato-Sippe gründete und deren längste Datierung von 300 bis 710 reicht. Diese Datierung schließt den Großteil der Kofun-Periode (250– 552) mit ein, die besonders bekannt ist für ihre riesigen Königsgräber in der Form von Hügeln (kofun), Bronzeartefakte und einen zweifellos signifikanten, wenn auch nicht im Detail nachweisbaren Kultureinfluss von der koreanischen Halbinsel. Die Zeit der Drei Königreiche in Korea, bestehend aus den Königreichen Paekche (auch Baekje geschrieben) und Silla im Süden sowie Koguryŏ (auch Goguryeo geschrieben) im Norden, reicht von 57 v. Chr. bis 668 n. Chr., und die koreanische Halbinsel lieferte den unmittelbaren Zugang für den Import von politischen und kulturellen Konzepten, die auf dem Kontinent entstanden waren. In der Kofun-Periode, also noch in vor-buddhistischer Zeit, gab es kein religiöses System, das schon als „Shintō“ bezeichnet werden könnte. Es gibt allerdings wichtige Hinweise auf bestimmte Mythen, Legenden und Rituale, die unter der regierenden Klasse durchgeführt und weitergegeben wurden. Solche Elemente, die im Kojiki („Chronik/en der antiken Angelegenheiten“) überliefert sind, wurden erst später, in verschiedenen Schritten, als konstitutiv für „Shintō“ (wörtlich „Weg der Götter“) angeeignet. Das Kojiki wurde 710 abgeschlossen, kurz vor dem Nihonshoki. Es beinhaltete einen Schöpfungsmythos und einen Bericht über die Geburt zahlreicher Gottheiten oder Geister (kami). Außerdem beinhaltet es Erzählungen über verschiedene Generationen von Herrscherfamilien, welche später als die Grundlage des japanischen Kaiserhauses angesehen wurden. Diese Chronik, die auch viele mündliche Überlieferungen beinhaltet, beschreibt die Zeit bis zum Tod der Kaiserin Suiko 628, in deren Regierungszeit buddhistische Einrichtungen erstmals großflächiger gegründet wurden. Erst in der Asuka-Zeit (552–646) begann der systematische kulturelle Import aus China. Abgesehen von den Schriftzeichen, welche übernommen und in komplexer Weise verwendet wurden, fiel in diese Zeit auch die Einführung ideologischer Konzepte, basierend sowohl auf den Klassikern des Konfuzius als auch auf den Lehren und Praktiken des Buddhismus. Während dieses Prozesses blieb die Vermittlerfunktion der koreanischen Halbinsel weiterhin von großer Bedeutung. Die frühen koreanischen Königreiche hatten mit der Übernahme der gleichen chinesischen Kulturelemente begonnen und ähnliche sprachliche Hürden überwunden. Buddhistische Bilder und Texte erreichten Japan erstmals durch eine diplo-

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matische Mission des Königreichs Paekche, womit die Verbreitung dieser Religion, besonders im Adel, ihren Anfang nahm.

2.2. Kaiserin Suiko und Prinz Shōtoku Während der Machtkämpfe über die Vorherrschaft unter den Yamato waren nicht alle Beteiligten der neuen Religion gegenüber positiv eingestellt. Die MononobeSippe lehnte sie ab, wohingegen die Soga-Sippe sie unterstützte. Der Sieg der Soga über die Mononobe 587 und die daraus resultierende Dominanz dieser Familie kann daher als erster wichtiger Schritt für die Institutionalisierung des Buddhismus gesehen werden. Vielerorts in Asien wurde der Buddhismus als willkommenes Mittel für die Legitimation und den Schutz der Herrscher angesehen, so auch von der Kaiserin Suiko (reg. 593–628) und ihrem Neffen Umayado, besser bekannt als Prinz Shōtoku (japan. Shōtoku Taishi), der von 593 bis zu seinem Tod im Jahr 622 Suikos Regent war. Schon 594 erklärte die Regierung der beiden den Buddhismus zur Staatsreligion. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass zu diesem Zeitpunkt das Yamato-Königreich geographisch nur einen kleinen Teil des heutigen Japans umfasste. In dem semi-legendarischen Nihonshoki finden sich bereits die Anfänge eines Verehrungskults um Shōtoku (siehe weiter unten), der schließlich als eigenständiger Bodhisattva angesehen wurde. Historisch gesehen ist jedoch klar, dass Shōtoku ein erfolgreicher Regent war, der sich an den chinesischen Modellen zur Staatsführung orientierte, die sowohl konfuzianische als auch buddhistische Elemente beinhalteten. Prinz Shōtoku kann daher als die erste Schlüsselfigur in der Entwicklung des Buddhismus in Japan angesehen werden. Shōtoku wird eine Liste von „Gesetzen“ oder grundlegenden Anweisungen zugeschrieben, die in siebzehn Artikeln im 12. Buch des Nihonshoki10 festgehalten sind. Diese Liste wurde mehrfach auch an anderen Stellen wiedergegeben und mit Kommentaren versehen. Der erste Punkt beginnt „Harmonie (wa) soll geschätzt werden“, was ein Zitat aus den Analekten ist, die Konfuzius zugeschrieben werden. Der zweite Punkt hingegen beginnt mit „Ehre aufrichtig die drei Schätze“, wobei die drei Schätze ausdrücklich als Buddha, Dharma und Saṅgha benannt werden. Die weiteren Punkte bestehen vor allem aus moralischen Ermahnungen für die Staatsbeamten, die über jeden Verdacht schlechten Benehmens erhaben sein sollten. Gegen Ende gibt es eine generelle Regelung über saisonale Beschäftigung und den Aufruf, wichtige Entscheidungen erst nach der Beratung mit anderen zu beschließen. Buddhistische Lehrer werden nicht detailliert erwähnt und auch nicht in das Gesamtgefüge einbezogen. Die Empfehlung des Buddhismus wird da-

10 Aston 1956, Teil 2: 129ff. Deutsche Übersetzung und Erläuterung bei Bohner 1940: 173– 228.

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mit begründet, dass nur wenige Menschen gänzlich schlecht wären und somit die buddhistischen Lehren der Mehrheit der Menschen helfen würden, in rechtschaffener Weise zu leben. Auf dieser Grundlage kam es zu einer vielfältigen Unterstützung des Buddhismus durch die Regierung, vor allem durch die Gründung von Tempeln und die Förderung von Schriftstudien unter einer gelehrten Minderheit.

2.3. Tempel und Ikonographie Die Entwicklung des Buddhismus in Japan kann auch durch eine nähere Betrachtung der Gründung der frühesten Tempel nachvollzogen werden. Der Bau des ersten Tempels wurde bereits 588 unter der Regierung des Kaisers Sushun (reg. 587–592) in Asuka, dem damaligen Regierungszentrum, begonnen. Er wurde unter der Anleitung von koreanischen Spezialisten aus Paekche errichtet und 596 vollendet. Der Tempel wurde Asukadera genannt, aber auch Hōkōji und später noch Gangōji. Als das Hauptgebäude später unter diesem Namen an einen neuen Platz im heutigen Nara versetzt wurde (vgl. unten), wurde das ursprüngliche Gelände weiterhin als eine Tempelstätte unterhalten, die heute noch als Ango-in bekannt ist. Asukadera war besonders berühmt für seine Statuen, besonders eine große Darstellung des Śākyamuni. Der Tempel ist außerdem der Ort, an dem der koreanische Mönch Hyegwan, auf Japanisch Ekan, die Lehren zweier Schulen einführte, der Jōjitsu (Satyasiddhi) und der Sanron (Drei Traktate), dazu jedoch später mehr. Es ist auch der Heimattempel des japanischen Mönchs Dōshō (道昭 629–700),11 der nach einem etwa siebenjährigen Aufenthalt im Tang-zeitlichen China 660 nach Japan zurückkehrte und zahlreiche buddhistische Texte mitbrachte, sowie eine spezielle Vorliebe für die Yogācāra-Lehren, auf Japanisch als Hossō bekannt, in denen er scheinbar direkt von Xuánzàng (japan. Genjō) unterrichtet wurde. Noch vor Fertigstellung des Asukadera wurde 593, im ersten Jahr der Herrschaft von Kaiserin Suiko und Prinz Shōtoku, der berühmte Shitennōji unter kaiserlicher Patronage gebaut. Die Entscheidung dazu wurde kurzfristig von der neuen Regierung getroffen, die ursprünglichen Pläne scheinen jedoch noch von Suikos VorVorgänger Yōmei (reg. 585–587) zu stammen. Der Name Shitennōji bedeutet „Tempel der Vier Himmlischen Könige“ und ist eine direkte Referenz zu seinem Nutzen. Diese Vier Himmlischen Könige werden in den Kapiteln 11 und 12 des Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts12 erwähnt, ein Text, der in den Tagen des frühen japanischen Buddhismus regelmäßig rezitiert wurde. Seine Funktion war, in klassischer Symbiose, sowohl den buddhistischen Dharma als auch den Staat, welcher die klösterliche Gemeinschaft unterstützte, zu schützen. Leider bestehen die origina-

11 Nicht zu verwechseln mit dem Shingon-Priester Dōshō (798–875). 12 Auch als das Goldglanz-Sūtra bekannt, vgl. Nobel 1958.

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len Gebäude des Shitennōji nicht mehr. Die ältesten noch erhaltenen Statuen der Vier Himmlischen Könige befinden sich in einem anderen sehr alten Tempel, dem Hōryūji, welchem wir uns nun zuwenden. Hōryūji („Tempel des blühenden Dharma“) ist einer der bedeutendsten Tempel des frühen japanischen Buddhismus und liegt nahe der heutigen Stadt Nara. Die Tempelchroniken von 747 nennen das Jahr 607 als Datum der ursprünglichen Gründung. Das zentrale Buddhabild ist eine Darstellung von Yakushi Nyorai (skt. Bhaiṣajyaguru), der für seine Heilfähigkeiten bekannt war. Der Grund für diese Gründung lag darin, dass der bereits genannte Kaiser Yōmei ein Gelübde ablegte, ein Bildnis zu stiften und dafür einen Tempel zu bauen, wenn er von einer Krankheit geheilt werden würde. Trotzdem starb er, und so fiel es seinem Nachfolger zu, diesen Eid zu beachten. Dem Nihonshoki zufolge ereignete sich 670 ein schweres Feuer im Hōryūji, das Ausmaß der Zerstörung ist jedoch nicht überliefert. Trotzdem nimmt der Tempel für sich in Anspruch, die ältesten Holzbauten der Welt sowie buddhistische Wandgemälde von immenser historischer Bedeutung und Statuen aus frühesten Zeiten zu haben. Nahe des Hōryūji befindet sich auch das alte Nonnenkloster Chūgūji, welches als Residenz für die Mutter Shōtokus errichtet wurde. Im Jahr 680, immer noch in der Asuka-Zeit, ordnete der Kaiser Tenmu (reg. 673–686) den Bau eines Tempels für Yakushi Nyorai an und nannte ihn Yakushiji. Dies sollte die Gesundheit seiner Gemahlin fördern, die später die Kaiserin Jitō (reg. 690–697) werden sollte und unter der der Bau abgeschlossen wurde. Die Errichtung dieses Tempels und der Umstand, dass er nur kurze Zeit später in die neue Hauptstadt Heijōkyō (jetzt Nara) verlegt und dort errichtet wurde, machen deutlich, von welcher Bedeutung und welchem Einfluss politische Patronage war. Die Ikonographie des frühen Buddhismus in Japan schließt bedeutende Statuen mit ein, die fast ausnahmslos von höchster Qualität sind. Einige waren Geschenke aus Korea und andere wurden unter der Anleitung koreanischer Spezialisten angefertigt. Skulpturen von Buddhas und Bodhisattvas hatten verschiedene Funktionen, welche sich im Wesentlichen in drei Aspekten zusammenfassen lassen. Sie waren erstens häufig Votivobjekte, die ein ersehntes Resultat wie eine Heilung hervorbringen sollten. Zweitens dienten sie zur Fokussierung von Meditation, Rezitationen oder anderen Ritualen. Drittens sollten sie mit ihrer Kombination aus Friedfertigkeit und Macht alle beeindrucken, die die Möglichkeit hatten, vor ihnen zu stehen. Ein wichtiges Beispiel aus dem 7. Jahrhundert ist die große und schlanke Statue des Bodhisattva Kannon (skt. Avalokiteśvara) im Hōryūji. Sie ist auch als Kudara Kannon bekannt, da sie eindeutig von der Bildhauertradition Kudaras (ein anderer Name für Paekche) beeinflusst wurde. Einige denken, dass sie von Korea nach Japan gebracht wurde. Es gibt eine weitere zierliche Statue des gleichen Bodhisattva in dem nahegelegenen Konvent Chūgūji, wo sich außerdem eine über alle Maßen schöne Statue des Bodhisattva Miroku (skt. Maitreya) aus der gleichen Zeit

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befindet. Eine ähnliche Statue Mirokus steht in einem Tempel, der heute als Kōryūji bekannt ist und (von Nara aus gesehen) im entfernten Kyōto liegt. Diese Statue wird ebenfalls in die Asuka-Periode datiert und soll von Prinz Shōtoku gestiftet worden sein.

2.4. Anfänge der Shōtoku-Verehrung Im Hōryūji gibt es eine besondere Quelle über das Leben von Shōtoku Taishi, die noch vor das Nihonshoki datiert wird, nämlich eine Inschrift auf der Rückseite einer Śākyamuni-Triade aus dem Jahr 623. Bemerkenswert ist, dass als mittlere Figur der historische Buddha dargestellt wird, wobei allerdings seine sieben mythologischen Vorgänger in einem großformatigen Heiligenschein zu sehen sind. Als Begleiter zu seinen Seiten hat er außerdem zwei mythische Buddhas von hoher spiritueller Bedeutung, den oben erwähnten Yakushi (skt. Bhaiṣajyaguru) und Amida (skt. Amitābha). In der Inschrift heißt es, dass sowohl der Prinz als auch seine Frau krank geworden seien (622) und dass „aus Ehrfurcht vor den Drei Schätzen ein Bildnis des Śākyamuni mit den körperlichen Maßen des Herrschers erschaffen werde.“13 Dies wird üblicherweise als erster Hinweis nicht nur für die historische Existenz Shōtokus, sondern auch für den Ursprung seiner Verehrung gesehen. Aber wie soll die Aussage über die „körperlichen Maße“ interpretiert werden? Die Herstellung einer Śākyamuni-Darstellung nach dem Bild des kranken Shōtoku ist wohl am besten als eine magische Identifikation zu verstehen, die die Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass sie dem Kranken Heilung bringe, indem Shōtokus vergänglicher irdischer Körper so wie der des Tathāgata unzerstörbar werde. Trotzdem lassen sich hier die vorsichtigen Anfänge einer Verehrung von Shōtoku selbst sehen. Er wird immerhin als hōō bezeichnet, was Dharmarāja oder Dharma-König bedeutet. Weitere Einzelheiten werden durch eine Stickerei aus dem 7. Jahrhundert deutlich, die Szenen aus Shōtokus Leben darstellt und von der sich Teile im Tempel Chūgūji befinden.14Ausführlichere hagiographische Details finden sich in einer bekannten Passage des deutlich späteren Nihonshoki.15 Dort ist von seiner bemerkenswert leichten Geburt zu lesen. Sie soll vor den kaiserlichen Pferdeställen während einer Inspektion durch die Kaiser-Gemahlin Anahobe no Hashibito stattgefunden haben und führte zu seinem Spitznamen Umayado, was „Stalltür“ bedeutet. Der Text lobt außerdem seine Fähigkeit, bereits direkt nach der Geburt sprechen zu können, seine besonders frühzeitige Aufnahmefähigkeit als Kind für buddhistische und konfuzianische Lehren und wie er stets im Voraus

13 Carr 2012: 26. 14 Vgl. Kamstra 1967. 15 Aston 1956, Teil 2: 122. Es gibt einen kurzen, prä-hagiographischen Verweis dazu im Kojiki.

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wusste, was passieren würde. Die Shōtoku-Verehrung entwickelte sich später so weit, dass zahllose legendarische und künstlerische Ausschmückungen vorgenommen wurden, daher wird von der kritischen modernen Forschung zum Teil sogar seine grundsätzliche Existenz angezweifelt. Dies wäre jedoch eine historisch unverantwortliche Übertreibung. In moderner Zeit ist Shōtoku Taishi in vielen Tempeln eine zentrale Verehrungsfigur geblieben.

2.5. Lehrtraditionen Seit Beginn der Geschichte des Buddhismus in Japan wurde eine Vielzahl von Lehrrichtungen vom Kontinent herübergebracht. Die Jōjitsu-, Sanron- und HossōSchulen wurden bereits in Verbindung mit dem Asukadera erwähnt. Eine andere, schon früh eingeführte Tradition war die Kusha-Lehre, benannt nach der Schrift Abhidharma-kośa. Die Reihenfolge der Ankunft der Schulen entspricht jedoch nicht der Entstehungsgeschichte in Indien, weshalb auch dialektische Verbindungen zwischen ihnen für die damaligen Japaner nicht sofort offensichtlich waren. Insbesondere ist zu bemerken, dass das Kusha-System eine Art von Sonderstellung einnimmt, da es eine Prä-Mahāyāna-Konstruktion16 der abhidharma-Analyse, einer systematischen Aufstellung aller Bestandteile der buddhistischen Psychologie, darstellt, mit deren Hilfe die verschiedenen Meditationswege und die daraus resultierenden Bewusstseinszustände nachvollzogen werden konnten. In diesem abhidharma-System werden die Faktoren der „drei Welten“ von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als gleichermaßen existent angesehen, wenn auch von chronologisch unterschiedlichem ontologischen Status. Die Bezeichnung Sarvāstivāda-Schule soll aus der Lehre entstanden sein, dass alle Dinge (skt. sarva) der drei Zeiten oder Welten als seiend (asti) zu betrachten sind. Die anderen oben genannten Lehren basierten auf den Voraussetzungen, die durch die Kusha-Lehre geschaffen wurden, auch wenn sie sie für sich modifizierten und schließlich durchbrachen. Sogar der Autor des Abhidharma-kośa, Vasubandhu, schrieb eine eigene Kritik dazu aus der Sichtweise des Mahāyāna. Diesen Vorstellungen der Sarvāstivāda-Schule hätte man die Sautrāntika-Lehre gegenüberstellen können, eine Schule, die das Konzept von Vergänglichkeit oder Unbeständigkeit preist und die Kurzlebigkeit der Realität betont. Dieses Konzept wurde jedoch nicht für sich nach Japan gebracht. Es gelangte andererseits der Satyasiddhi-śāstra genannte Traktat von Harivarman (4. Jahrhundert) nach Japan, und zwar in einer chinesischen Übersetzung von Kumārajīva. Die Lehre dieses Textes wurde in Japan unter der Bezeichnung Jōjitsu zusammengefasst. Es han-

16 Obwohl hier der wissenschaftlich neutralere Begriff „Prä-Mahāyāna“ bevorzugt wird, sei angemerkt, dass das sino-japanische Äquivalent xiǎochéng/shōjō für „Hīnayāna“ während der gesamten Geschichte des japanischen Buddhismus in Gebrauch war.

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delte sich um eine Deutung „der Entstehung der Realität“, welche eine andere Alternative zur traditionellen Dharma-Auslegung darstellte, ohne sich jedoch bereits dem Mahāyāna zuzuwenden. Letztendlich war es die Sanron-Schule (Schule der Drei Traktate), die versuchte, die Schwierigkeit von Realität und Unmittelbarkeit versus Chronologie und Transzendenz zu überwinden. Dies tat sie ganz geschickt dadurch, dass die Wahrnehmung der Leerheit der differenzierbaren Elemente der Existenz durch den Gedankengang ergänzt wurde, dass das Konzept „Leerheit“ selbst leer sei. Damit wird „die Leerheit“ als ein Mittel betrachtet, das selbst aufgehoben werden muss. Hierbei bezog sich die Schule auf Nāgārjunas Auslegungen, auch wenn nicht alle drei Texte von ihm selbst stammten. Mit der Lehre von „Leerheit“ (skt. śūnyatā, japan. kū) wurden die zahlreichen Bestandteile von Existenz und Erfahrung, die bisher nahezu endlos klassifiziert wurden, als ohne eine beständige „Eigen-Natur“ (skt. svabhāva) charakterisiert, was in Einklang mit der Lehre des Buddha von der Unbeständigkeit stand. Dadurch wurde es möglich, die Kritik der Kusha-/SarvāstivādaSchule aufrechtzuerhalten, die sehr direkt die Existenz aller Bestandteile der Existenz behauptete, ohne sich gleichzeitig in verschiedene andere Lösungsversuche zu verstricken. Da die Sanron- und Jōjitsu-Lehren vor der Kusha-Lehre in Japan bekannt wurden, muss die Beziehung zwischen diesen dreien für die ersten japanischen Buddhisten ziemlich rätselhaft gewesen sein. Tatsächlich gab es kaum ein Verständnis von fortlaufender Lehrentwicklung. Die wesentlich einfachere Botschaft, die man in Japan zuerst vom Buddhismus empfing, war, dass es unglaublich mächtige Buddhas sowie große Bodhisattvas und verschiedene andere spirituelle Wesen gab, die es alle verdienten in den besten Gebäuden, die zu dieser Zeit errichtet werden konnten, verehrt zu werden. Das Große Fahrzeug unterstützte allem Anschein nach die gleichzeitige Existenz mehrerer Buddhas in verschiedenen Gefilden, alle von gleichem Status. Darüber hinaus hatten diese großen Buddhas und Bodhisattvas bestimmte Fähigkeiten und Kräfte, mit denen sie den „Lebewesen“ aller sozialen Schichten, wenn diese es wünschten, beistehen konnten. Die Einführung von Kusha, Jōjitsu, Sanron und Hossō stellt bereits den Beginn von vier Traditionen dar, die üblicherweise dem „Nara-Buddhismus“ zugeordnet werden, auch wenn die Nara-Zeit politisch noch nicht begonnen hatte. Die Hossō-/ Yogācāra-Lehren, die auf den Schriften der Inder Asaṅga und Vasubandhu basierten, obwohl sie zuerst von Dōshō eingeführt worden waren, hatten ihre Blütezeit in Japan während der Nara-Zeit. Diese Lehrtradition stand in keinem Gegensatz zu den Lehren der Sanron von der „Leerheit“ der existierenden Phänomene, sie trug jedoch zu der Ansicht bei, dass diese alle im „Bewusstsein“ enthalten seien und daher gleichzeitig präsent wären. Auf lange Sicht hatten die Lehren der Sanron/Mādhyamika (von Nāgārjuna) und der Hossō/Yogācāra den größten Einfluss auf die späteren Formen des japanischen Buddhismus. Die Lehre Nāgārjunas war

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ein wichtiger Bezugspunkt für den Tendai-Buddhismus, während das Konzept von „Bewusstsein“ eine wichtige Rolle im esoterischen Buddhismus in Japan spielte.

2.6. Einflussreiche Texte Neben den Traktaten und Kommentaren, die bereits in Verbindung mit den verschiedenen Schulen genannt wurden, gab es eine bestimmte Gruppe von Sūtras, die aus zweierlei Gründen von maßgeblicher Bedeutung waren. Der Hauptgrund war, dass sie regelmäßig rezitiert wurden. Ein zweiter Grund war, dass zu dreien von ihnen japanische Kommentare verfasst wurden, die niemand anderem als Prinz Shōtoku zugeschrieben wurden. Diese drei sind (mit vereinfachten Titeln): das Lotos-Sūtra, die Lehre des Vimalakīrti und Königin Śrīmālās Löwengebrüll-Sūtra. Für die Rezitation war das Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts (Konkōmyōkyō) aufgrund seines Kapitels über die Vier Himmlischen Könige besonders wichtig, aber auch wegen seines generellen Werts. Da dieses Sūtra in den späteren konfessionellen Entwicklungen keine große Rolle mehr spielte, wird es häufig in allgemeinen Darstellungen über den japanischen Buddhismus übergangen. Es ist jedoch ein zentraler Text mit einer Reihe von Motiven, die typisch für den Mahāyāna-Buddhismus sind. Unter anderem kombiniert es verschiedene Empfehlungen von „dies-seitigen Vorteilen“ mit den Lehren von der Leerheit.17 Andere wichtigen Sūtras, die häufige rituelle Verwendung fanden, waren das Große Prajña-Sūtra (Daihannyakyō) und das Große Nirvāṇa-Sūtra (Dainehangyō). Rezitationen fanden vielfach öffentlich statt und illustrieren daher wiederholt das Patronat des Staates für den Buddhismus und die Unterstützung der klösterlichen Gemeinschaft für die Legitimität und das Wohl des Staates. Bereits in dieser frühen Phase des japanischen Buddhismus ist es bemerkenswert, dass es ein starkes Interesse an den diesseitigen Vorteilen gab, die die neue Religion mit sich zu bringen versprach. Während die adeligen Herrscher die Tempel bei vegetarischen Festen (sai-e) oder rituellen Freilassungen (hōjō-e) von Tieren und Vögeln, die man vorher gefangen hatte, finanziell unterstützten, erwarteten sie als Gegenleistung, dass die Mönche und Nonnen für die Sicherheit und Stabilität des Staates beteten. Weitere Vorteile, die man sich erhoffte, waren zum Beispiel Heilungen, Schutz vor Epidemien und üblen Geistern oder effiziente Regenrituale. Zusammenfassend kann man sagen, dass einer der Hauptgründe für den frühen Erfolg des Buddhismus in Japan neben der Legitimation des Staates die Hoffnung auf seine erfolgreiche Magie in verschiedenen Bereichen war. Diese Praktiken waren bis in die NaraZeit und darüber hinaus üblich.18

17 Für eine vollständige Übersetzung des chinesischen Texts ins Deutsche siehe Nobel 1958. 18 Für viele Einzelheiten vgl. die zweibändige Studie von de Visser 1928–1935.

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Der Umstand, dass Kommentare zu den drei genannten Texten Shōtoku Taishi zugeschrieben wurden, zeigt, dass sie bereits früh von großer Bedeutung waren. Unter ihnen ist das Lotos-Sūtra dasjenige, welches im japanischen Buddhismus die wichtigste Position einnahm, dank seiner späteren zentralen Rolle im Tendai- und Nichiren-Buddhismus (vgl. die entsprechenden Kapitel unten). Die Lehre des Vimalakīrti wurde besonders von den Laien geschätzt, da es ihnen eine Grundlage lieferte, das klösterliche Leben nicht als den einzigen Weg der buddhistischen Spiritualität anzusehen. Es scheint, dass die Mahāyāna-Botschaft vom universellen Weg zur Bodhisattvaschaft und, in letzter Konsequenz, der Gedanke der Buddha-Natur aller Lebewesen etwas war, das bei den Anführern und Herrschern besonderen Anklang fand, die sich stets vielen praktischen Fragen mit großer Eile widmen mussten. Daher wird im späteren Verlauf noch genauer auf diese beiden Texte eingegangen werden. Das Shōmangyō (Śrīmālā-Sūtra) oder Königin Śrīmālās Löwengebrüll-Sūtra ist der kürzeste der drei Texte, die Shōtoku kommentiert haben soll. Wie auch die Lehre des Vimalakīrti basiert es auf den Aussagen einer Laiin, wenn auch einer Königin, welche den „wahren Dharma“ des großen Fahrzeugs in verschiedener Weise ausführt. In Zusammenhang mit dem derzeitigen Interesse für die „Nur-Bewusstsein“-Schule des Buddhismus (d. h. die Yogācāra-/Hossō-Lehre) haben sich einige Ausleger besonders mit dem Konzept der „Gebärmutter des Tathāgata“ (skt. tathāgatagarbha) beschäftigt, welches im 7. Kapitel des Sūtra hervorgehoben wird. Der Text ist jedoch auch aus anderen Gründen interessant. Beispielsweise lehren die Kapitel 10 und 11, dass von den vier edlen Wahrheiten drei vergänglich seien, jedoch eine unvergänglich. Das soll daher rühren, dass die ersten drei festgesetzt sind, während die vierte, die edle Wahrheit von der Auslöschung, das ist, was Freiheit von allem Festgesetzten verspricht. Besonders beachtenswert ist der hohe Status, der der einsichtsvollen Erklärung der Lehren des Buddha durch eine Frau gegeben wird – Königin Śrīmālā. Da sie als Bodhisattva beschrieben wird, ist sie selbst ein potentieller Buddha, auch wenn dies nie so explizit gesagt wird. Vielmehr bleibt die Frage ungeklärt, ob sie zunächst männlich werden muss, so dass die Frage nach Geschlechtergleichheit, die auch im Vimalakīrti thematisiert wird, als nicht eindeutig abgeschlossen betrachtet werden muss. Wie dem auch sei, das Śrīmālā-Sūtra war in der Anfangszeit offensichtlich weit verbreitet und einflussreich, und die, die es hörten oder lasen, wurden wohl schon durch seinen vollständigen chinesischen Titel inspiriert, der lautet: Sūtra von Śrīmālās Löwengebrüll über die Umfangreiche Verkündung der Geschickten Mittel des Einen Fahrzeugs.19 Dieser Titel kann als passender Slogan für die ursprüngliche Einführung des Mahāyāna-Buddhismus überhaupt in Japan angesehen werden.

19 Der Sanskrit-Titel lautet Śrīmālādevī-siṃhanāda Sūtra, aber nur wenige Teile sind noch in dieser Sprache erhalten. In japanischer Aussprache lautet der Titel der in Japan gebrauchten chinesischen Version Shōman shishiku ichijō daihōben hōkōkyō.

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3. Nara-Buddhismus 3.1. Heijōkyō und „Nara-Buddhismus“ Im Jahr 710 zog der Yamato-Hof in einen weitläufigen neuen Palast namens Heijōkyō (Heijō bedeutet „Stadt des Friedens“, -kyō „Hauptstadt“) um, welcher sich nahe der heutigen Stadt Nara befand. Dies war der Beginn der so genannten NaraZeit, die von 710 bis 794 dauerte.20 Während dieser Periode setzte sich die Verbreitung des Buddhismus in Japan schnell fort. Es kam zur Errichtung von Tempeln, die bis heute berühmt sind, einem ansehnlichen Wachstum an ordinierten Mönchen und Nonnen und einer Vielzahl von organisatorischen Bestimmungen. Die Hauptaufgabe des buddhistischen Klerus, neben dem Studium der buddhistischen Texte, war die Durchführung der rituellen Praktiken in den Tempeln, darunter Meditation und Rezitation. Diese Handlungen wurden als dem allgemeinen Wohl zuträglich angesehen. In knappen Darstellungen der japanischen Geschichte ist häufig von den „Sechs Schulen des Nara-Buddhismus“ die Rede, und es ist in der Tat möglich, sechs wichtige Strömungen buddhistischer Tradition für den Zeitraum der Asuka- und Nara-Zeit auszumachen. Dies ist jedoch eine sehr textbasierte und intellektuelle Perspektive. Tatsächlich entwickelte sich die Geschichte des japanischen Buddhismus vor allem durch das Leben an den einflussreicheren Tempeln. Bedeutende Gründungen in Nara wie der Kōfukuji, der Tōdaiji, der Tōshōdaiji und der Saidaiji waren maßgebend in ihrer eindrucksvollen Architektur und Ikonographie, durch die Führungspersönlichkeiten, die an ihnen tätig waren, und ihre zentralen Ritualfeste, die ihre Beziehung zum Staat und der Aristokratie untermauerten. Basierend auf derartigen Grundlagen waren sie Zentren des Lernens mit einem Bezug zu bestimmten Sūtras, Lehrtraditionen oder Schulen. Von den „Sechs Schulen“ wurden lediglich zwei erst in der Nara-Zeit in Japan eingeführt, die Kegon- und die Ritsu-Schule. Wie im letzten Kapitel gezeigt wurde, waren die übrigen, Jōjitsu, Sanron, Kusha und Hossō, bereits während des 7. Jahrhunderts ins Land gekommen. Allerdings gewannen sowohl Sanron als auch Hossō in der Nara-Zeit an Bedeutung. Der Sammelbegriff „Nara-Buddhismus“ ist daher ein rückblickender. Obwohl er im modernen Japanisch (Nara Bukkyō) weit verbreitet ist, hat er seinen Ursprung in der älteren Bezeichnung Nanto Bukkyō (Buddhismus der Südlichen Hauptstadt). Dieser Begriff spricht aus der Perspektive der späteren Hauptstadt Heiankyō, heute Kyōto. Ähnlich ist der Ausdruck „die Sieben Großen Tempel von Nara“ eine Formulierung, die erst im Rückblick entstehen

20 Der Zeitraum von 646 bis 710 kann auch als Frühe Nara- oder Hakuhō-Periode, und die Zeit zwischen 710 und 794 als Späte Nara- bzw. Tenpyō-Periode bezeichnet werden.

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konnte, nachdem eine Reihe von Tempel-Umsiedlungen und Gründungen ein neues institutionelles Geflecht gebildet hatten.21 All diese Bezeichnungen werfen verschiedene Elemente des buddhistischen Lebens zusammen, die damals nicht notwendigerweise zusammengehörten. Im Gegenteil, die Nara-Zeit war durch Vielfalt, Konkurrenz und vor allem durch die ständige Suche nach einer besseren Version buddhistischer Lehren und Praktiken geprägt.

3.2. Tempel-Umsiedlungen Das neue politische Zentrum war wie ein Magnet für die Neugruppierung verschiedener buddhistischer Einrichtungen. Der früher erwähnte, symbolisch bedeutende Tempel Hōkōji (Asukadera) wurde 718 nach Heijōkyō/Nara umgesiedelt, wo er heute noch unter seinem neuen Namen Gangōji besucht werden kann. Der Tempel bezeichnet sich nach wie vor als ältester Tempel Japans. Etwa zur selben Zeit wurde ein weiterer Tempel nach Heijōkyō umgesiedelt, der bereits eine komplizierte Vorgeschichte hatte: Dem Nihonshoki zufolge wurde er erstmals 639 als Kudara Daiji durch den Kaiser Jomei (reg. 629–641) errichtet – es sei daran erinnert, dass das Nihonshoki erst wesentlich später fertiggestellt wurde. Der Name Kudara Daiji spiegelt noch den starken koreanischen Bezug dieser Zeit wider. Später wurde der Tempel an den Berg Kagu verlegt, einen der Hauptberge in der Yamato-Region, und in Daikandaji umbenannt. Nach der Umsiedlung nach Heijōkyō wurde er 729 wiedererrichtet und erneut umbenannt, diesmal in Daianji. Diese Umsiedlung wurde von dem Mönch Dōji (gest. 744) beaufsichtigt, der in hohem Ansehen stand. Dōji hatte etwa siebzehn Jahre in China verbracht und dabei viele Lehrer besucht und Texte gesammelt. Da er bereits am Hōryūji mit der Sanron-Schule bekannt geworden war, war es auch diese Lehrrichtung, die am Daianji dominierend wurde, welcher sich im Folgenden zu einem Haupttempel der Sanron-Schule entwickelte. Ebenfalls nach Heijōkyō umgesiedelt wurde 718 der Yakushiji, der ursprünglich im Gebiet um Asuka errichtet worden war (siehe vorangegangenes Kapitel). Trotz seiner erfolgreichen Neuerrichtung behielt er keineswegs das Monopol auf den „Arznei-Buddha“ Yakushi Nyorai. 747 wurde nämlich ein anderer Tempel namens Kōyakuji gegründet, der ebenfalls hauptsächlich diesen Buddha verehrte. Er wurde von Kōmyō, der Königin-Gemahlin des Kaisers Shōmu (siehe auch unten), als großangelegtes Zeichen der Verehrung errichtet, um Heilung für Shōmu zu erwirken, der an einer Augenkrankheit litt. Aufgrund der Konzentration auf Yakushi in die-

21 Die Liste wird nicht immer gleich wiedergegeben, jedoch lautet eine Version: Gangōji, Daianji, Hōryūji, Kōfukuji, Tōdaiji, Saidaiji und Yakushiji. Dabei fällt auf, dass die wichtigen Tempel Tōshōdaiji und Shinyakushiji fehlen.

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sem Tempel wurde er als Shinyakushiji („Neuer Yakushi-Tempel“) bekannt. Trotz mehrerer Brände und Umbauarbeiten in späterer Zeit sind die Haupthalle und verschiedene ikonographische Schätze, darunter die „Zwölf Himmlischen Generäle“, die Yakushi Nyorai bewachen, noch aus der Nara-Zeit erhalten. Der einflussreichste Tempel, der in die neue Hauptstadt umgesiedelt wurde, war der Kōfukuji. Der Name, der „Tempel der blühenden Freude“ bedeutet, bezieht sich auf seine Versetzung nach Heijōkyō 710, als die aristokratische Fujiwara-Familie es schnell schaffte, ihren Einfluss am neuen Ort zu festigen. Der Tempel wurde zuerst 669 in Yamashina Suehara, nahe dem heutigen Kyōto, gegründet.22 Der Zweck der ursprünglichen Errichtung war, dass hier für die Genesung von Fujiwara no Kamatari, dem Begründer des Fujiwara-Clans, gebetet werden sollte.23 Das Hauptbildnis der Verehrung war in diesem Tempel eine Triade mit Śākyamuni Buddha und zwei Begleitern, die bereits Kamatari 645 nach einem militärischen Erfolg in Auftrag gegeben hatte. Kōfukuji behielt seine besondere Beziehung mit der weitläufigen Fujiwara-Familie bei, ebenso mit dem Schutzschrein der Familie, dem Kasuga-Schrein, der etwas tiefer in den nahen Hügeln lag. Gleichzeitig entwickelte er sich zu einem wichtigen Zentrum buddhistischer Lehren, mit einem speziellen Fokus auf der Nur-Bewusstsein-Schule.

3.3. Tōdaiji, Tōshōdaiji und Saidaiji Eine hervorstechende Sehenswürdigkeit in Nara ist der gewaltige Tempel Tōdaiji (d. h. „Östlicher Großer Tempel“), der auf Anweisung des Kaisers Shōmu (reg. 724– 749) errichtet wurde, um eine massive Bronzestatue zu beherbergen. Das Bildnis wurde vor allem geschaffen, um Epidemien zu beenden, die unter der Bevölkerung wüteten. Das Ausmaß des gesamten Projekts war eine große ökonomische Belastung und konnte erst 752 nach Aufbringung von vielen Ressourcen und Arbeitskräften eingeweiht werden. Aus diesem Anlass gab der Mönch Ryūson (702–760) vom Gangōji eine öffentliche Erläuterung des Kegon-Sūtra, was sich zu diesem Zeitpunkt zu einem Gegenstand intensiver Studien entwickelt hatte. Die gewaltige Statue stellt den Buddha Roshana24 (skt. Locana) dar, ein allumfassender kosmischer Buddha, der auf einem Lotosthron sitzt, welcher aus eintausend Blütenblättern besteht, die jedes für eine „Welt“ mit ihrem eigenen Buddha steht. Die dahinterstehende Idee ist, dass das gesamte Universum, bestehend aus zahllosen Welten, mit Buddhaschaft und Erleuchtung durchdrungen ist, und dass diese Viel-

22 Daher wurde der Tempel zunächst Yamashina-dera und später, nach einer ersten Umsiedlung, Umayasaka-dera genannt. 23 Fujiwara no Kamatari bedeutet Kamatari aus der Familie der Fujiwara. 24 Dieser Buddha wird manchmal mit dem Buddha Vairocana identifiziert, auf Japanisch Birushana.

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falt durch einen einzigen Bewusstseinsakt zusammengehalten werden kann. Die linke Hand des Roshana-Buddha symbolisiert Weisheit und die rechte Hand Mitgefühl, zwei komplementäre und bestimmende Grundsätze des Mahāyāna-Buddhismus. Die durchschnittliche Bevölkerung war sicherlich, genau wie heute, einfach beeindruckt von diesem gewaltigen Buddha, ohne speziellen Lehren oder Erklärungen große Bedeutung beizumessen. Daher wird die Statue meist einfach als Daibutsu (Großer Buddha) bezeichnet. Ebenfalls am Tōdaiji führte der chinesische Mönch Ganjin (Jiànzhēn 688–763) eine förmliche „Ordinationsplattform“ (kaidan) ein, d. h. eine erhöhte Plattform (dan), auf welcher Ordinationen durch Annahme der Vorschriften (kai-) korrekt ausgeführt werden konnten. Die institutionelle Bedeutung davon war, dass es an einem Ort einen rituell geweihten Raum für die Legitimierung von religiöser Autorität gab. Die Frage, welche kaidan als rechtmäßig angesehen werden konnte, war jedoch nicht nur eine religiöse Angelegenheit, sondern auch eine Frage von politischer Zustimmung und Autorität, was später noch zu Spannungen im Machtverhältnis zwischen verschiedenen Tempeln und Lehrtraditionen führen sollte. Für die Mönche, die ordiniert wurden, lag die Bedeutung der „Ordinationsplattform“ in der Adoption von Richtlinien und Gedanken der Ritsu-Schule. Der japanische Begriff ritsu bezieht sich auf die klösterliche Disziplin, das Vinaya, und der japanische Name der Schule lautet Risshū, gebildet aus ritsu und shū („Traditionslinie“ oder in moderner Übersetzung „Schule“ oder gar „Denomination“). Nach seinem Rückzug vom Tōdaiji siedelte Ganjin an einem neuen Tempel namens Tōshōdaiji. Dort befindet sich bis heute (wenn sie nicht gerade als Leihgabe in einem auswärtigen Museum steht) eine eindrucksvolle und realistische Statue von ihm, die zu Recht sehr berühmt ist. Tōshōdaiji ist der Haupttempel der Risshū. Saidaiji, der „Westliche Große Tempel“, wurde 765 als direktes Gegenstück zum „Östlichen Großen Tempel“ (Tōdaiji) auf Betreiben der Kaiserin Shōtoku (reg. 764– 770) errichtet. Mehr zu dieser Kaiserin, die nicht mit dem bereits erwähnten Prinzen Shōtoku verwechselt werden darf, wird an späterer Stelle zu lesen sein. Das weitläufige Gelände des Saidaiji diente zunächst als ein Zentrum für Sanron-Studien, kam jedoch später unter den Einfluss der Hossō- und Ritsu-Schulen.25

3.4. Weitere Ausbreitung des Buddhismus Dem Buddhismus fiel eine wichtige Rolle im Zuge der politischen Konsolidierung und Ausweitung der höfischen Herrschaft über die weiteren zugänglichen Gebiete Japans zu. Diese Ausweitungen führten auch zu einer Stärkung des Buddhismus

25 Im 13. Jahrhundert geriet Saidaji unter den Einfluss der Shingon-Schule, wurde jedoch im 19. Jahrhundert zum Haupttempel einer eigenen Schule namens Shingon-Risshū.

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selbst, besonders unter dem Einfluss des Kaisers Shōmu (reg. 724–748). Shōmu ließ in allen Provinzen (kuni bzw. koku), die unter die Herrschaft der zentralen Regierung gekommen waren, eine Erhebung durchführen und errichtete dann systematisch in jeder Provinz einen Tempel. Diese Tempel wurden als kokubunji, wörtlich „Provinz-Teiltempel“, bezeichnet. Jeder dieser „Tempel“ (-ji) bestand aus einem Kloster für zwanzig Mönche und einem Konvent für zehn Nonnen. Komplizierte Bezeichnungen wie Kōmyō-shitennō-gokokuji brachten zum Ausdruck, dass die Tempel genau wie der ursprüngliche Shitennōji oder Tōdaiji dazu da waren, von den „Vier Himmlischen Königen“ (shitennō) Schutz für den Staat zu erflehen. Die Rezitation des Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts war dabei ein zentrales Ritual. Die dazugehörigen Konvente besaßen andere förmliche Namen, etwa Hokkemetsuzaiji, was „Tempel für die Auslöschung von Sünden durch das Lotos“ heißt und auf eine Konzentration auf das Lotos-Sūtra hindeutet. Diese StaatsschutzVereinbarung war in vollem Einklang mit einem dreistufigen Konstrukt, welches in ganz Asien verbreitet war, um politische Stabilität auf der Grundlage von mit dem Buddhismus verbundenen Monarchien zu sichern. Der Gedanke war, dass (a) die Monarchien den saṅgha (die klösterliche Gemeinschaft) mit der Vergabe von Ackerland, Siedlungsgebieten und Gebäuden für die rituelle Nutzung unterstützten, dass (b) die religiös gesinnten Buddhisten Rituale zum Schutz des Staates durchführten und den Laien Gehorsam und grundlegende Moral vermittelten, die wiederum (c) für den ökonomischen Erhalt des monarchischen Staates arbeiteten. Aus diesem Grund behielt das Kapitel über die „Vier Himmlischen Könige“ aus dem Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts eine sehr bedeutende Stellung in den rituellen Rezitationen in den Tempeln, obwohl es keine Rolle in den unterschiedlichen Lehrdebatten des damaligen Buddhismus spielte. Die Begeisterung für die Verbreitung des Buddhismus setzte sich unter Shōmus Tochter fort, die zweimal als Kaiserin herrschte. Als Shōmu sich ins Kloster zurückzog, regierte sie als Kaiserin Kōken von 749 bis 758. Sie dankte dann zu Gunsten des Kaisers Junnin (reg. 758–764) ab, änderte jedoch ihre Meinung später und stürzte ihn wieder. In ihrer zweiten Amtsperiode herrschte sie als Kaiserin Shōtoku von 764 bis 770. Während sie politisch als skrupellos galt, ist sie auch dafür bekannt, zehn führenden Tempeln eine Million kleiner Holzstupas gestiftet zu haben, die jeweils ein Papier mit einem Zauberspruch (darani; skt. dhāraṇī) aus einem Text namens Mukujōkōdaidaranikyō („Großes Darani-Sūtra des Makellos Reinen Lichts“) enthielten. Produziert mit einem oder mehreren Holzdruckblöcken ist dieses Projekt die älteste datierbare Produktion von Mehrfachdrucken weltweit. Viele dieser Artefakte, im Japanischen bekannt als hyakumantō-darani („darani in einer Million Stupas“), sind seitdem durch Feuer und andere Katastrophen verloren gegangen, doch eine große Anzahl blieb im Hōryūji erhalten, während andere inzwischen auf verschiedene Museen und Sammlungen verteilt sind. Kaiserin Shōtoku ist auch bekannt für ihre enge Beziehung zu dem Mönch Dōkyō (gest. 772), der sowohl charismatisch als auch ehrgeizig war. Er stand in

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dem Ruf, am Berg Katsuragi fortgeschrittene spirituelle Fähigkeiten erworben zu haben (vgl. Shugendō unten), erwarb sich aber auch administrative Macht bei Hofe. Nicht nur wurde er „Haupt-Minister“, sondern er erhielt auch den Titel hōō (Dharma-König). Aus dieser günstigen Position heraus versuchte er zum Nachfolger der Kaiserin Shōtoku zu werden, seine Gegner beschafften jedoch ein Orakel von der berühmten Gottheit (kami) Hachiman von Usa, in der weit entfernten Südinsel Kyūshū, welches besagte, dass die imperiale Nachfolge an die Blutlinie gebunden sei. In späterer Zeit wurde Dōkyō in dieser Erzählung meist als boshafter Usurpator dargestellt, besonders wenn der Vorfall aus einer Shintō-Perspektive dargestellt wurde, so etwa in dem Schrein Goō Jinja in Kyōto, welcher Wake no Kiyomaru (733–799) verehrt, den loyalen Anhänger der Monarchie, der die anstrengende Reise nach Kyūshū auf sich nahm, um das göttliche Orakel einzuholen. Allerdings war die royale Nachfolge in dieser Zeit tatsächlich weniger starr, als sie es in der Folgezeit wurde. Es gab eine Grauzone mit Kaisern, die abdankten, um Mönche zu werden, dabei aber weiterhin einflussreiche Ex-Kaiser blieben, und Mönchen, die ihrerseits zur politischen Macht gelangten. Der Dōkyō-Vorfall war vielmehr ein kritischer Punkt, an dem Japan beinahe zu einer buddhistischen Theokratie wurde. Die skizzierten Ereignisse machten jedoch deutlich, dass es (anders als etwa in Tibet) hierzu nicht kommen würde. Da die Herrscherlinie in Japan sich weiterhin auf die göttlichen kami und ihre von ihnen abstammenden legendarischen Vorfahren bezog, sorgte dies dafür, dass die Unterscheidung zwischen Buddhismus und dem, was später als Shintō bezeichnet wurde, bestehen blieb.

3.5. Lehrrichtungen und Vermächtnis des Nara-Buddhismus Wie bereits im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, hatten die Kusha-, die Jōjitsu-, die Sanron- und die Hossō-Schulen bereits vor der Etablierung der neuen Hauptstadt Heijōkyō einen gewissen Einfluss erlangt. Während der Nara-Zeit bauten die Sanron- und die Hossō-Schulen diese Stellung weiter aus, letztere besonders durch die Unterstützung von Mönchen aus dem einflussreichen Tempel Kōfukuji. Zur gleichen Zeit machte die verwirrende Ansammlung der doch ziemlich verschiedenen Texte und Lehren sicherlich die scheinbare Stabilität der RitsuSchule sehr ansprechend, wurde sie doch auch von dem angesehenen chinesischen Gelehrten Ganjin empfohlen. Zu diesem Sammelsurium von Traditionen gab es noch eine nennenswerte Ergänzung: die Kegon-Schule. Diese konzentrierte sich auf das Studium des KegonSūtra (skt. Avataṃsaka Sūtra), ein Text, der in Anspruch nimmt, die ursprünglichen Lehren des Buddha direkt nach seiner Erleuchtung zu beinhalten. Es gab in Indien selbst keine strukturierte Schule, die auf diesem Mahāyāna-Text basierte, in China hingegen entwickelte sich eine Tradition von Kommentaren, besonders durch Fǎzàng (643–712, japan. Hōzō), der rückblickend als dritter Patriarch der Huáyán-

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Schule (japan. Kegon-Schule) betrachtet wurde. Die Gründung in Japan geht auf das Jahr 740 und die Lehren eines koreanischen Mönches zurück, der in Japan als Shinjō (korean. Simsang) bekannt war. Der zweite Kegon-Patriarch in Japan war der Mönch Rōben (689–773), Leiter des Tōdaiji, der ebenfalls koreanischer Abstammung war. Das hervorstechendste Merkmal der Kegon-Lehre liegt in der Vorstellung, dass alle Dinge im Universum ihre innere Buddha-Natur ausstrahlen und dadurch auch einander reflektieren, was sich zu einem harmonischen Ganzen zusammensetzt. Durch das etwa zeitgleiche Aufkommen der Ritsu- und der KegonTraditionen wurden die „sechs Schulen des Nara-Buddhismus“ komplettiert. Der Buddhismus der Asuka- und Nara-Zeit in Japan reflektiert die lange Reise, die diese Religion bereits von Indien durch Zentralasien, China und Korea hinter sich hatte. Die Komplexität des Ansiedlungsprozesses war nicht zuletzt ein Resultat der verschiedenen buddhistischen Texte und Schulen, die sich bereits in Indien und China gebildet hatten. Dies führte unvermeidlich zu einem Wettbewerb zwischen den großen Tempeln, die jeweils die Studien einer bestimmten Sammlung von Lehren vertraten oder sich auf ausgewählte Sūtras und Traktate bezogen. Wenn wir jedoch über diese wetteifernden Gruppen hinausblicken, werden drei allgemeine Merkmale sichtbar: erstens die auffällige Schönheit der Architektur und besonders auch der Skulpturen; zweitens die deutliche politische Sichtbarkeit der staatlichen Patronage und die Erwartungen des Schutzes für den Staat durch die Verehrung der Vier Himmlischen Könige und drittens gab es die Versprechen und Erwartungen, dass komplizierte und kostspielige buddhistische Rituale vor Katastrophen wie zum Beispiel Epidemien schützten, das Wohlwollen der Natur sicherten, etwa durch Regenmachen, und die Heilung wichtiger Personen gewährleisteten, meist durch die Anrufung des „Medizin-Buddha“ Yakushi Nyorai. Es ist schwierig zu sagen, welchen Einfluss die buddhistischen Lehren auf die arbeitende Bevölkerung hatten, die Menschen, die der Buddhismus-freundlichen Aristokratie dienten und sie ernährten, oder diejenigen, die aus dem Nichts einen Platz im klösterlichen Leben fanden. Einige Hinweise können in den im Nihon ryōiki gesammelten Geschichten gefunden werden. Diese Schrift, eine Bündelung von lebhaften Anekdoten, wurde von dem Mönch Kyōkai zusammengestellt, der Ende des 8. Jahrhunderts im Tempel Yakushiji lebte. In diesen Anekdoten wird unter anderem deutlich, dass sich das Konzept der karmischen Vergeltung oder Belohnung bis zum Ende der Nara-Zeit zu einem Teil des kollektiven Denkens in Japan entwickelt hatte. Dies ist insofern besonders interessant, da in den folgenden Jahrhunderten diese Denkweise aus verschiedenen Gründen langsam untergraben wurde. Obwohl der „Nara-Buddhismus“ im Allgemeinen durch die folgende Welle von Tendai-Lehren, die sich nahe der späteren Hauptstadt Heiankyō (Kyōto) entwickelten, polemisch zurückgewiesen wurde, beeindrucken seine großen Tempel und verschiedene Lehrtraditionen bis in die Gegenwart. Vielen Besuchern von Nara und seiner Umgebung sind die Feinheiten zwischen den unterschiedlichen Lehr-

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meinungen wahrscheinlich nicht bewusst, aber trotzdem werden sie von den Gebäuden und ikonographischen Darstellungen inspiriert. Sie sind eine Erinnerung daran, dass der japanische Buddhismus nicht nur aus den großen Denominationen besteht, die in späteren Zeiten die Religionskultur des Landes dominierten. Statuen von Amida, Yakushi, Kannon und Jizō liefern Verbindungen auch zu heutigen Verehrungspraktiken, obwohl in einigen Fällen der altertümliche Stil von damals den modernen Besuchern aus fernen Landesteilen nicht mehr geläufig ist. Dabei sind viele Skulpturen zu „Nationalschätzen“ oder „bedeutenden kulturellen Objekten“ erklärt worden, was ihnen wiederum noch mehr Respekt einbringt.

4. Heiankyō und Tendai-Buddhismus 4.1. Neue Hauptstadt, neuer Buddhismus Mit dem Umzug der regierenden Klasse von Nara in eine neue Hauptstadt, erst für kurze Zeit nach Nagaoka (nahe dem heutigen Kyōto) und dann 794 nach Heian (Kyōto), eröffneten sich auch neue Möglichkeiten für die Entwicklung des japanischen Buddhismus. Der entscheidende Schritt hierfür war die Gründung eines Zentrums für Tendai-Buddhismus (der Name entspricht dem chinesischen Tiāntái-Buddhismus) am Berg Hiei, in den Bergen nordöstlich der Hauptstadt. Nach vielen Auseinandersetzungen mit der religiösen Führung in Nara und dem Wettbewerb mit dem neu entstehenden Shingon-Buddhismus erlangte die Einrichtung am Berg Hiei endlich die staatliche Anerkennung seiner eigenen „Ordinationsplattform“ (kaidan) als Ritualzentrum für die jährliche Aufnahme neuer Mönche in die Schule. Dies war ein wichtiger Akt, um die Weitergabe des Dharma zu gewährleisten und die Loyalität der Mönche gegenüber dem Staat sicherzustellen. Die treibende Kraft hinter der Etablierung des Tendai-Buddhismus in Japan war Saichō (767–822).

4.2. Das Werk Saichōs Im Alter von zwölf Jahren wurde Saichō von seinem frommen Vater in den offiziellen Tempel (den kokubunji) der Ōmi-Provinz (nordöstlich von Nara und Kyōto) gebracht, in welchem er von Gyōhyō (720–797) in den Hauptlehren des damals in Japan bekannten Buddhismus angeleitet wurde. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf der Meditation, was später seine Vorliebe für den Tendai-Buddhismus gegenüber den anderen Schulen gefördert haben mag. Mit 19 Jahren wurde er im Tōdaiji in Nara zum Mönch ordiniert, doch nach Abschluss seines anfänglichen

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Trainings entschied er sich dazu, den Gipfel des Bergs Hiei zu besteigen. Auch wenn seine genauen Beweggründe heute nicht mehr nachzuvollziehen sind, war dies sicherlich als eine asketische Erfahrung angelegt, wie man an seiner kurzen Schrift Ganmon („Gelübde“) sehen kann. Darin spiegelt sich sein tiefer Wunsch, die Regeln in aller Reinheit zu befolgen, volle Einsicht (hannya) zu erlangen und die so erreichten Leistungen auf andere zu übertragen, so dass auch sie Erleuchtung erlangen mögen.26 Die frühen Jahre am Berg Hiei verbrachte er in Meditation und Rezitation, besonders des Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts, des Lotos-Sūtra und des Sūtra der Großen Weisheit. Darüber hinaus war er damit beschäftigt, die praktische Organisation des Lebens auf dem Berg voranzutreiben. Es ist überliefert, dass er neben dem grundsätzlichen Überleben in diesem entlegenen und unwirtlichen Lebensraum schrittweise, wenn auch wohl nicht alleine, Gebäude errichtete, die Yakushi Nyorai und Monju Bosatsu (Mañjuśrī) geweiht waren. In dieser Zeit erwarb er außerdem Schriften des Gründers des chinesischen TiāntáiBuddhismus, Zhìyǐ (538–597, japan. Chigi), in Japan allgemein bekannt als Tendai Daishi. Die Gründung buddhistischer Einrichtungen am Berg Hiei zog bald die Aufmerksamkeit des kaiserlichen Hofs im nahegelegenen Tal auf sich, der ein besonderes Interesse an effektivem spirituellem Schutz vor negativen Einflüssen aus dem Nordosten hatte, da dieser kosmologisch als gefährliche Gegend angesehen wurde.27 Saichō erlangte weitere Berühmtheit, indem er Vorlesungen im Takaosanji hielt, einem Tempel, der von der adeligen Wake-Familie unterhalten wurde, die der kaiserlichen Familie nahestand (vgl. den Dōkyō-Vorfall in Kapitel 3). Die Mächte in der neuen Hauptstadt hatten den gemeinsamen Wunsch, den weiterhin bestehenden Einfluss der Nara-Schulen auszugleichen, weshalb Saichōs Bestrebungen, den Tendai-Buddhismus in Japan zu etablieren, sehr begrüßt und unterstützt wurden. Für die Etablierung war es notwendig, weiteres Wissen und Texte aus China zu sammeln, und daher wurde Saichō 804 offiziell auf den Kontinent entsandt. Saichōs Motive auf dieser Reise waren komplex; er hatte eindeutig auch ein Interesse an „esoterischen“ Praktiken und Ordinationen, konzentrierte sich jedoch auf seine Aufgabe, die notwendigen Texte und Weihegrade am Berg Tiāntái zu erhalten, die nötig waren, um den Tendai-Buddhismus in Japan fortzuführen. Er kehrte 805 nach Japan zurück und wurde dort sofort von organisatorischen und zeremoniellen Aufgaben in Anspruch genommen. Im gleichen Jahr beauftragte ihn sein Förderer, der Kaiser Kanmu (reg. 781–806) mit der Durchführung einer abhiṣeka-Ordination (japan. kanjō); dies war das erste Mal, dass diese Zeremonie in Japan vollzogen wurde. Trotz seiner punktuellen Rezeption der esoterischen Tradition war Saichō sehr interessiert an der Ordination in Einklang mit dem Fànwǎng

26 Groner 2000: 27. 27 Beispielsweise in der Geomantie oder im fūsui (Chin. fēngshǔi).

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jīng (japan. Bonmōkyō)28, wie er sie selbst in China erhalten hatte. Dies stellte eine in Ostasien verbreitete Form der Mahāyāna-Ordination dar, die besonders als eine Alternative zu den alten Mustern der Vinaya-Ordination angesehen wurde. Die Durchsetzung dieser „Bodhisattva-Regeln“ in Japan war ein langwieriger und kontroverser Prozess, der Saichō für den Rest seines Lebens in Anspruch nahm. Erst kurz nach seinem Tod 822 erhielt das neue System volle politische Zustimmung, wodurch der Berg Hiei mit seiner eigenen Ordinationsplattform (kaidan) zu einem offiziellen Zentrum des japanischen Buddhismus wurde.29 Während dieser Zeit gab es große Spannungen mit den mächtigen Tempeln in Nara, und nach turbulenten Debatten wurden die Anführer der Nara-Schulen, besonders Tokuitsu (749–824) von der Hossō-Schule, durch ihre Tendai-Kollegen für widerlegt erklärt. Als Autoritäten führten die Tendai-Gelehrten den Inder Nāgārjuna an, der bereits von der Sanron-Schule beansprucht wurde, den Chinesen Zhìyǐ (Tendai Daishi) und vor allem das Lotos-Sūtra, welches als ein entscheidender Text in der inneren Entwicklung der Lehren des Buddha angesehen wurde. Der Nara-Buddhismus, obwohl in sich divers, trat schließlich in den Hintergrund und wurde zu einer einzelnen überholten Gesamtgruppe, Nanto Bukkyō, dem Buddhismus der Südlichen Hauptstadt abgestempelt. Die Entwicklung des japanischen Tendai-Buddhismus wurde von Beginn an von der parallelen Entstehung des Shingon-Buddhismus unter der charismatischen Führung von Kūkai (774–835) herausgefordert und beeinflusst. Kūkai war gleichzeitig mit Saichō nach China gereist. Allerdings reiste er auf einem anderen Schiff und hatte den Auftrag, den esoterischen Buddhismus zu untersuchen. Die Attraktivität des Shingon lag in der systematischen Aktivierung einer großen Anzahl symbolischer Elemente, die üblicherweise als mikkyō zusammengefasst werden, was wörtlich „Geheimlehre“ bedeutet (mehr dazu im folgenden Kapitel). Wie wir gesehen haben, war Saichō selbst bis zu einem gewissen Grad mit dieser neuen, populären Strömung vertraut, die gemeinhin als „esoterischer“ Buddhismus bezeichnet wird. Während er sich hauptsächlich auf die vor-esoterischen Lehren von Tendai Daishi konzentrierte, gab es andere Tendai-Gelehrte, die ein großes Interesse an esoterischem Symbolismus hatten. So enthält das Tagebuch des dritten Abts des Enryakuji, Ennin (794–864), welches er während einer China-Reise verfasste, immer wieder Hinweise auf das Sammeln von Mandalas und anderen esoterischen Artefakten.30 Ein weiterer engagierter Unterstützer solcher Tendenzen war Enchin (814–891). Seine Interpretationen der Lehre führten schließlich zu einer als Tendai-Mikkyō bekannten Synthese, die mit dem Shingon-Buddhismus um die Gunst der spirituell interessierten Aristokratie wetteifern konnte. Der Erfolg des Tendai-

28 Der Titel dieses Sūtra, welches nicht in Sanskrit existiert, bedeutet „Brahmas NetzSūtra“. Es wird davon ausgegangen, dass es im 5. Jahrhundert in China verfasst wurde. 29 Für mehr Details über Saichōs Leben und Wirken siehe Groner 2000. 30 Für eine englische Übersetzung dieses inhaltsreichen Textes siehe Reischauer 1955.

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Buddhismus ließ Raum für Vielfalt und interne Auseinandersetzungen, unter anderem über den Umgang mit den lokalen japanischen Gottheiten. Besondere Rivalitäten gab es zwischen dem Haupttempel auf dem Gipfel des Bergs Hiei, Enryakuji, und der unabhängigen Jimon-Schule im Tempel Onjōji (auch als Miidera bekannt), der sich tiefergelegen an den Ufern des Biwa-Sees befand. Letzterer wurde ursprünglich von Enchin geleitet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Tendai-Buddhismus, kaum, dass er in Japan eingeführt wurde, sich in ein religiöskulturelles Konstrukt verwandelte, das nicht mehr das Gleiche war wie der voresoterische Tiāntái-Buddhismus in China. Trotzdem wurde an der Identifikation mit Tendai Daishi (Zhìyǐ) und zentralen Punkten seiner Lehre vehement festgehalten.

4.3. Bedeutung und Botschaft des Lotos-Sūtra Die japanischen Buddhisten dieser Zeit waren nicht nur von den chinesischen Übersetzungen indischer Texte abhängig, sondern auch von den frühen chinesischen Versuchen, die unsystematisch aus Indien eingeführten Texte in eine gewisse Reihenfolge zu bringen. Der „chinesische buddhistische Kanon“, den wir heute in seiner enzyklopädischen Form kennen,31 war zu diesem Zeitpunkt auch in China noch nicht vollständig ausgeformt. Buddhisten in Japan waren von den Entscheidungen verschiedener Schulen und Traditionen abhängig, welche Texte ihrer Ansicht nach die vollständige oder endgültige Lehre des Buddha enthielten. Dies war schon seit dem Aufkommen des Großen Fahrzeuges eine Streitfrage gewesen. Die Kegon-Schule lehrte, dass es das Kegon-Sūtra sei, welches den Höhepunkt der Lehren Buddhas darstelle. Unter den chinesischen Buddhisten, die sich für das Lotos-Sūtra interessierten, entwickelte sich jedoch eine andere Vorstellung. Diesem Narrativ zufolge, welches für Zhìyǐ und seine Anhänger maßgeblich wurde, gab es fünf „Phasen“ in den Lehren des Buddha. Nach dem resultierenden Schema, welches, wie wir heute wissen, stark konstruiert ist, verkündete der Buddha zunächst die Kegon-Lehre, die er in drei Wochen darlegte. Da diese sich jedoch als zu schwierig für seine Hörer herausstellte, vereinfachte er dann die Lehre und legte zwölf Jahre die Agon-Sūtras (skt. Āgama-Sūtras) dar, die auf den vier edlen Wahrheiten und der kausalen Kette abhängigen Entstehens als sachliche Analyse menschlicher Erfahrungen basierten. Während der dritten Phase, die acht Jahre dauerte, kamen die Hōdō (skt. vaipulya) oder „gedehnten“ Sūtras des Großen Fahrzeugs hinzu. Die allgemeine Erklärung hierfür war, dass die Sūtras der zweiten Phase lediglich ein Mittel waren, um schrittweise zum Großen Fahrzeug hinzufüh-

31 Z. B. in der Form der „Taishō-Ausgabe“ (Taishō shinshū daizōkyō) von Takakusu/Watanabe 1924–32.

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ren. Es sei angemerkt, dass die Lehre des Vimalakīrti, die eine dialektische Kritik an dem Kleinen Fahrzeug brachte, zu den „gedehnten“ Sūtras zählt. Hiernach war der Buddha in der vierten Phase in der Lage, „den Staub und Schmutz der Differenzierung abzuspülen“, der zwischen dem Kleinen und dem Großen Fahrzeug lag, und die wahre Leerheit aller Dinge zu lehren. Dies ist die Zeit der „Weisheit-“ oder „Einsicht-“Sūtras (skt. prajñā; japan. hannya). Die fünfte Phase ist durch das Lotos-Sūtra gekennzeichnet, in dem der Buddha seine abschließende, alles verbindende Lehre darlegte, sowie durch das Große Nirvāṇa-Sūtra, welches die Erzählung seines Lebensendes wiedergibt. Wichtige Themen im Lotos-Sūtra sind die Erklärungen über die Art und Weise der buddhistischen Lehren und die Unermesslichkeit der Lebensspanne des Buddha, während das Große Nirvāṇa-Sūtra in seiner Mahāyāna-Version eindeutig lehrte, dass alle Lebewesen über die Buddha-Natur verfügen. Diese so genannte hankyō-Klassifizierung wurde als Teil des gesamten TendaiSystems nach Japan mit übernommen, obwohl sie gänzlich unhistorisch ist, und verhalf damit dem Großen Nirvāṇa-Sūtra und noch mehr dem Lotos-Sūtra zu großer Popularität. Obwohl andere Texte wie das Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts in Ritualen des Tendai-Buddhismus verwendet werden, haben sie keinen zentralen Bezug zu seinen Lehren. Das Lotos-Sūtra (skt. Saddharmapuṇḍarīkasūtra, d. h. das „Sūtra über die Lotosblüte des wahren Dharmas“) war einerseits ein grundlegender Text des frühen Mahāyāna-Buddhismus zur Zeit seiner Entstehung und spielt andererseits bis zum heutigen Tag eine beachtliche Rolle in Ostasien.32 Dies gilt insbesondere für Japan, da es nicht nur in der Tendai-Schule von zentraler Bedeutung ist, sondern später aufgrund seiner Hervorhebung durch Nichiren (s. Kapitel 11) zu einem absoluten Anhaltspunkt der Hingabe in der von ihm gegründeten Lehrrichtung wurde, sowie in daraus resultierenden Laienorganisationen der Neuzeit wie Reiyūkai, Risshō Kōseikai und Sōka Gakkai (siehe Kapitel 15). Der Text des Sūtras wurde im Jahr 286 als Zhèng fǎhuā jīng von Dharmarakṣa ins Chinesische übersetzt, jedoch wurde diese Version ab dem Jahr 406 durch die Übersetzung Kumārajivas mit dem Titel Miàofǎ liánhuā jīng (Sūtra über die Lotosblüte des erlesenen Dharmas) weitgehend ersetzt. Aus diesem Titel ergibt sich die Anbetungsformel Namu myōhō renge kyō (japanische Aussprache), die in Rezitationen als eine Verehrung des gesamten Sūtras gebraucht wird. Nicht übersehen werden sollte, dass erhaltene Handschriften des Sanskrittextes alle späteren Datums sind. Inhaltlich ist vor allem der Begriff der geschickt eingesetzten Mittel (skt. upāya) von besonderer Bedeutung. Demnach lehrt der Buddha grundsätzlich auf diejenige Weise, die für die verschiedenen Lebewesen jeweils am verständlichsten ist, jedoch ist es für diese notwendig, über die „geschickten Mittel“ hinaus zum eigentlichen Ziel zu kommen. Die Mittel selbst müssen zurückgelassen oder aufgehoben wer-

32 Für deutsche Übersetzungen dieses Textes s. Kuhlmann 1989 und von Borsig 1992.

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den. Dieses Prinzip, das in gewissem Sinne die Dynamik des Mahāyāna-Buddhismus überhaupt verständlich macht, wird in einer Reihe von Gleichnissen veranschaulicht. Zum Beispiel werden spielende Kinder mit dem Versprechen aus einem brennenden Haus gelockt, dass draußen verschiedene schöne Fahrzeuge auf sie warten, woraufhin sie mit einem noch schöneren Fahrzeug belohnt werden. In einer anderen Erzählung erholt sich eine Gruppe, die einen schwierigen Weg durch einen dichten Wald gehen muss, an einer von ihrem Anführer vorgezauberten Stadt, nur um dann zu erfahren, dass dies immer noch nicht das endgültige Nirvāṇa sei. Ein neuer Aufbruch sei daher notwendig. Berühmt ist auch die Erzählung über einen jungen Mann, der auf Reisen geht, jedoch so weit verarmt, dass er seinen eigentlichen Status als Sohn eines inzwischen sehr wohlhabend gewordenen Mannes überhaupt nicht mehr erkennen kann. Als er nach Hause kommt, lässt ihn sein Vater daher aus pädagogischer Nachsicht erst mal Dreckarbeit machen. Er soll einen Misthaufen wegschaufeln. Mit weiteren Aufträgen führt er ihn immer näher an sich heran, bis die wahre Situation für den Sohn psychologisch erträglich wird. Damit gelangt er zur Kenntnis seiner wahren Natur. Dies steht für die Möglichkeiten, die normale Menschen haben, durch die Anwendung verschiedener Hilfsmittel ihre eigene Buddha-Natur zu erkennen. Nach dem gleichen Prinzip ist jeder Aspekt der buddhistischen Tradition zu deuten. Sogar die Erzählung über den Buddha als Lehrer, der die vier edlen Wahrheiten verkündete, die Mönchsgemeinde gründete und achtzig Jahre lang lebte, sollte als Hilfsmittel verstanden werden. Die üblichen Angaben darüber sind zwar hilfreich, aber zugleich täuschen sie, denn eigentlich sei seine Lebensdauer nicht achtzig Jahre, sondern unermesslich lang. Der Buddha wird damit zu einem übermenschlichen Wesen, das aus reiner Barmherzigkeit in dieser Welt erscheint. Sein Lebensweg mit der Erfahrung der Erleuchtung und dem Erreichen des Nirvāṇa sei nur provisorisch vorgeschoben, um für die Menschen die Möglichkeit der Befreiung plausibel erscheinen zu lassen. Im Allgemeinen kann man die Botschaft des Lotos-Sūtra wie folgt zusammenfassen: Der Dharma soll so präsentiert werden, dass jedes Lebewesen ihn verstehen und annehmen kann, ohne dass die verschiedenartigen Formulierungen an innerem Zusammenhalt verlieren. Gleichzeitig darf kein Einzelaspekt zu einer spirituellen Barriere werden. Jede Darstellung des Dharmas ist daher ein Provisorium, von dem letztlich Abschied genommen werden muss.33

4.4. Kernpunkte der japanischen Tendai-Lehre Der japanische Tendai-Buddhismus übernimmt die zentralen Lehren der chinesischen Tiāntái-Tradition, von der er seine Inspiration bezog. Die Faszination dieses

33 Für weitere Analysen siehe Pye 1978.

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religiösen Systems liegt in dem Umstand, dass Zhìyǐ selbst eine Reihe von Themen, die zuvor von unterschiedlichen Vorgängern vertreten wurden, zusammenführte. Durch die Verbindung ihrer Lehren, oder richtiger des gesamten Buddhismus, wie er ihm bekannt war, zu einer gemeinsamen Einheit konnte er betonen und weiter herausarbeiten, was seiner Ansicht nach der Kern des Buddhismus war. Sein ausgedehnter inklusivistischer Ansatz wurde in der späteren Geschichte der Tradition reflektiert, wodurch verschiedene Formen der buddhistischen Lehre, Meditation und Verehrung innerhalb des Gefüges gestattet und sogar gefördert wurden. Dieses Charakteristikum des Tendai wurde von Saichō auch in Japan eingeführt und lieferte einen Rahmen für die weitere Entwicklung des japanischen Buddhismus. Im Folgenden werden einige Schlüsselelemente erläutert, die Saichō übernahm.34 Die oben erwähnten fünf Phasen der Lehren Buddhas beziehen sich eng auf die acht Formen der Lehre (hakkyō, wörtlich „acht Lehren“). Diese beinhalten „das Allumfassende“, „das Durchdringende“, „das Besondere“ und „das Perfekte“ kombiniert mit „dem Plötzlichen“, „dem Schrittweisen“, „dem Geheimen“ und „dem Unbestimmten“. Es war jedoch nicht genug, die angenommenen Abfolgen von Buddhas Erklärungen mit den verschiedenen Ausdrücken von Gedanken und Regeln der „acht Lehren“ zu verbinden. Die Techniken mussten auch mit dem Inhalt verknüpft werden. Dazu wurde das Konzept der „drei Wahrheiten“ (sandai) verwendet, diese sind Leerheit (kū 空), provisorische Ausdrucksformen (ke 化) und die Mitte (chū 中). Der Gedankengang hier ist, dass „Leerheit“ das erste Prinzip ist, welches die wahre Natur der Dinge bezeichnet, was durch die Mittel der provisorischen Ausdrucksformen vermittelt wird. Es geht an den Mitteln kein Weg vorbei, und trotzdem müssen die provisorischen Ausdrucksformen zurückfallen, um dem, worauf sie hinweisen, den Vorzug zu geben. Indem sich der Meditierende durch diese drei Ebenen bewegt, erreicht er die notwendige Balance, da man sich weder der Leerheit noch den herkömmlichen Bezeichnungen, die darauf hinweisen, völlig zuwendet. Das Prinzip der Mitte (chū) ist daher nicht als ein statischer Punkt zu verstehen, sondern vielmehr als ein dialektischer Hebel. Das System der Praktiken wurde auch in klassifizierter Form übernommen. Die oben erwähnte differenzierte Konzeptionalisierung wurde wiederum mit vier Typen von Meditation verknüpft: sitzende Meditation, d. h. zazen, gehende Meditation, was das Umrunden eines Konzentrationszentrums aus Räucherwerk und Opfergaben bedeutet, sowie die „halb-gehende und halb-sitzende“ und die „weder gehende noch sitzende“ Meditation. Auch wichtig und systematisch festgelegt waren die Vorbereitungen zur Meditation, etwa durch richtiges Essen und angemessene Kleidung, das Vermeiden von Auseinandersetzungen, das Finden eines ruhigen Ortes, oder das Erreichen eines Gleichgewichts zwischen Entspannung und

34 Vgl. Petzold 1979.

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Anspannung. Die Vorschriften gingen ins Detail, z. B. mit der Empfehlung, Zahnstocher bereitzuhaben, um den Mund für die Rezitation zu reinigen. Eine weitere Besonderheit der Tendai-Schule ist die Auseinandersetzung mit dem Lotos-Sūtra mit Blick auf das, was man als ihm innewohnende Struktur ansieht, auch wenn diese nur für die 28 Kapitel dargelegt werden kann, in die Kumārajīvas chinesische Version unterteilt wurde.35 Wieder gibt es ein deutliches dialektisches Element, indem „das Ursprüngliche“ (hon) gegen „die Spur“ (jaku) entgegengesetzt wird. Besonders zwei Formeln aus der chinesischen Version des Sūtras werden als mystisch bedeutsam angesehen, zum einen die „dreitausend Dharmas in einem Gedanken“ (ichinen sanzen) und zum anderen die „zehn Soheiten“ (jūnyoze). Solche Konzepte hatten Einfluss auf die verschiedenen Formen des Buddhismus, die sich aus dem Tendai heraus entwickelten, besonders auf die Schule Nichirens (siehe Kapitel 11). Obwohl Saichō sich vor allem auf die Lehren Zhìyǐs stützte, führte die Übertragung des Tendai-Systems auf Japan zur besonderen Ausprägung einiger Elemente. Am stärksten sah man dies im Wettstreit zwischen verschiedenen dogmatischen Haltungen. Saichō sah sich genötigt, den zunehmenden Einfluss der Hossō-Schule durch die Lehren Nāgārjunas auszugleichen, wie diese durch die Sanron-Schule überliefert wurden. Hier waren die „drei Wahrheiten“ von Leerheit, provisorischen Ausdrucksformen und Mitte bereits Schlüsselelemente, wobei „die Mitte“ eine zu starke Hingabe sowohl zur Leerheit als auch zu den herkömmlichen Bezeichnungen vermeiden sollte. Vor diesem Hintergrund betrachteten auch spätere Schulen Nāgārjuna als einen zentralen Lehrer in ihrer jeweiligen Überlieferungslinie. Im japanischen Tendai-Buddhismus wurde das Verständnis des Erlangens der Erleuchtung erweitert und geradezu universalisiert. Es wurde ohnehin gelehrt, dass alle Lebewesen über „Buddha-Natur“ (busshō) verfügten. Dieser Gedanke schloss nicht nur Menschen, sondern alle organischen Lebewesen und damit Tiere und Pflanzen mit ein. Wenn vereinfacht dargestellt, scheint sich dies wenig von der Vorstellung der KegonSchule von einem Kosmos, der in allen Elementen mit Buddha-Natur durchdrungen ist, zu unterscheiden. Der Unterschied liegt jedoch in dem Bewusstsein oder dem Begreifen, dass diese grundsätzliche Buddha-Natur als eine sich fortsetzende, dynamische Herausforderung zu verstehen ist, die immer wieder erfüllt werden muss. Wie kann dies geschehen? Hierfür wurde die Idee von „ursprünglicher Erleuchtung“ (hongaku) entwickelt und heftig debattiert. Es wurde argumentiert, dass Lebewesen das Merkmal der „Buddha-Natur“ nicht einfach so tragen würden, sondern dass dies per Definition auch eine vorbestehende, latente Erleuchtung einschließe, die nur noch entdeckt und erweckt werden müsse.36

35 Zur textgeschichtlichen Entwicklung siehe Pye 1978, Appendix. 36 Für eine umfassende Studie des hongaku-Konzepts im mittelalterlichen Kontext siehe Stone 1999.

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Eine derart weitgefasste Ansicht ging Hand in Hand mit Saichōs Engagement in den Diskussionen oder Auseinandersetzungen über das Wesen religiöser Disziplin im buddhistischen Leben. Darin wurde er unterstützt durch eine zunehmende Sichtbarkeit der so genannten „Bodhisattva-Regeln“. Diese scheinen der Bezeichnung nach sehr fortgeschritten und elitär zu sein, wurden aber sowohl unter Laien als auch im Kloster verwendet. Zum einen war es nicht notwendig, alles zu befolgen, was die komplizierteren Regeln der alten Vinaya-Schule beinhalteten, zum anderen konnten damit mehr Menschen zur buddhistischen Hingabe und zu meditativen Praktiken gebracht werden. Die Verbreitung durch diese „Regeln“ lieferte daher eine weite Basis für die spätere Entwicklung des Laien-Buddhismus, die aber weniger paradox war als die, die sich in den Lehren des Vimalakīrti fand. Die Bedeutung der Lehrinhalte des Tendai-Buddhismus für die weitere Entwicklung des japanischen Buddhismus lag besonders in zwei Punkten. Erstens schufen die Nebenlinien einen Raum für unterschiedlichste Praktiken, von der jede genutzt werden konnte, um das buddhistische Training zu fördern. Die verschiedenen Formen der Meditation beinhalteten z. B. auch das Rezitieren von Formeln, die den Namen Amidas anriefen, das nenbutsu. Des Weiteren gab es die stille Meditation in verschiedenen Körperhaltungen, darunter sowohl die gehende als auch die sitzende. Aus der sitzenden Meditation oder zazen bildete sich die besondere Grundlage für den Zen-Buddhismus. Zweitens legitimierte die Vorstellung einer chronologischen Entwicklung der Buddha-Lehren die Tendenz, eine spezielle Form oder ein Element des Dharmas herauszugreifen und dieses als über einen langen Zeitraum entscheidend anzusehen. Dies galt nicht nur für den Buddhismus des Reinen Landes oder den Zen-Buddhismus, sondern auch für die Schulen des NichirenBuddhismus, die das Lotos-Sūtra ins Zentrum rückten.

4.5. Buddhismus in Japan während der Heian-Zeit Der Einfluss des Tendai-Buddhismus, zusammen mit dem des Shingon, förderte die Entwicklung des Buddhismus überall in Japan. Das kokubunji-System hatte zwar, zumindest symbolisch, in jeder Provinz einen Ort für den Buddhismus vorgesehen, aber tatsächlich nahm die Zahl der Tempelgründungen außerhalb der Hauptstadt nun stark zu. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte wahrscheinlich wenig Wissen über die Komplexität der Tendai-Lehren oder irgendeiner anderen Lehre, war aber zweifellos von den vielen neuen Statuen beeindruckt, die sowohl den Eindruck von Gelassenheit als auch Mitgefühl vermittelten. Jeder „neue“ Tempel wurde vor allem über sein Hauptverehrungsobjekt (gohonzon) definiert, wobei Wesen wie der Buddha der Heilung, Yakushi Nyorai, und der soteriologisch allmächtige Bodhisattva Kanzeon oder Kannon (skt. Avalokiteśvara) beliebt waren. Die Fähigkeiten Kanzeons werden in Kapitel 25 des LotosSūtras (Kapitel 24 in den Sanskrit-Texten) gelobt, welches daher auch als eigen-

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ständiges „Kannon-Sūtra“ (Kannongyō) bekannt wurde. Der Bodhisattva erscheint darin in 33 verschiedenen Formen, um Lebewesen in Not beizustehen. Die Zahl 33 lieferte die Grundlage für eine Pilgerroute, die kettenartig zu 33 Kannon geweihten Tempeln in West-Japan führt (der Saikoku-Pilgerweg) und die von dem jungen Kaiser Kazan (reg. 984–986) auf einer vermutlich bereits bestehenden Grundlage neu begründet wurde.37 Auch beliebt war Jizō Bosatsu, der als ein Bodhisattva bekannt war, der Menschen aus den Höllen herauszieht. Daher wurde seine Rolle als Wächter von Friedhöfen, Wegen und Kreuzungen ständig ausgeweitet. Das ikonographische Vermächtnis der Heian-Zeit sollte nicht unterschätzt werden, nicht nur in der Hauptstadt und Umgebung, sondern in weiten Teilen Japans und nicht zuletzt in Ost-Japan. In Tempeln gehörte die Sūtra-Rezitation, wenig überraschend, zu den täglichen Ritualen und wurde lange Zeit mittels handschriftlicher Kopien der Texte durchgeführt. Exemplare der Hauptsūtras wurden nicht nur hierfür in großer Anzahl benötigt, sondern das Kopieren von Sūtras (shakyō) wurde selbst als religiös verdienstvoll angesehen. Dies hatte den Nebeneffekt, dass die Schriftlichkeit unter den aus der Umgebung aufgenommenen Novizen beider Geschlechter zunahm. In der späten Heian-Zeit kam es nicht nur zu einer Intensivierung dieser Praktik des Sūtra-Kopierens, sondern auch zu einem verstärkten ästhetischen Interesse. Besonders geschätzt wurden Kopien mit goldenen Schriftzeichen vor einem dunkelblauen Hintergrund. Bemerkenswert sind auch die Manuskripte des Tempels Kunōji (heute Tesshūji in der Stadt Shizuoka), die sehr detaillierte Verzierungen von Lotos-Blättern oder winzigen Stupas aufweisen, aber auch Schmetterlinge, kleine Vögel oder abstrakte Farbmuster.38 Langfristige Folgen hatte es, dass Saichō ein reges Interesse an einer Anzahl japanischer Geisterkulte entwickelte, die den Frühformen des Shintō nahestanden. Für ihn standen diese Geister (kami) in einer engen Symbiose mit dem Buddhismus, wenn sie auch als unbedeutend für die eigentliche Lehre angesehen wurden. Institutioneller Druck führte häufig zur Integration von kami-Schreinen in Tempelkomplexe. Am Berg Hiei selbst kam es zur Entstehung des Sannō-Shintō, d. h. „Kami-Weg des Bergkönigs“, der sein Zentrum im Hiyoshi-Schrein am Fuße des Berges hatte. Tendai wurde auch schnell zu einem Motor für das shinbutsu shūgōKonzept, eine Synthese der kami und der Buddhas, die unten wieder zur Sprache kommen muss. Die soziale und politische Stärke der buddhistischen Einrichtungen am Berg Hiei, die zunächst bis zu ihrer Zerstörung durch Oda Nobunaga 1571 andauerte, kann kaum überschätzt werden. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Idee des Buddha-Dharma (buppō) einen sozialen Ausdruck in der Kombination von

37 Siehe Pye 2015: 29–32. 38 Für Beispiele s. Nara National Museum 2015.

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„König und Buddha“ (ōbō) finden konnte, die weit in das buddhistische Indien zurückgeht. Obwohl einige Darstellungen des Buddhismus sich stark auf die Lehrinhalte und die religiös inspirierten Führer konzentrieren, ist es kaum verwunderlich, dass Sozialhistoriker versuchen, das System in einem größeren historischen Kontext zu verorten. Bekannt für diesen Standpunkt war in den letzten Jahren besonders der vielfach zitierte Historiker Kuroda Toshio, der betonte, dass sowohl buddhistische als auch später Shintō-Einrichtungen Teil eines weitverzweigten Systems von Institutionen mit Autoritätsansprüchen (kenmon taisei) waren.39 Aus diesem Blickwinkel verband er die „exoterische“ (ken) und „esoterische“ (mitsu) Variante des Tendai mit dem fast gänzlich „esoterischen“ Shingon zu einem einheitlichen Phänomen, das er zusammen mit noch einflussreichen Nara-Tempeln als kenmitsu-Buddhismus bezeichnete. Tatsächlich schienen die einzelnen religiösen Unterschiede ihre Bedeutung zu verlieren, wenn es um Macht und Einfluss der Einrichtungen ging. Trotz der scheinbaren Autorität von patriarchalen Figuren waren die Machtstrukturen jedoch wenig monarchistisch; Entscheidungsprozesse waren zumindest republikanisch, um nicht zu sagen quasi-demokratisch.40 Wenn wir zu einer explizit religiösen Betrachtung zurückkehren, dann zeigt sich, dass das Tendai-System in Japan eine komplexe Brutstätte für speziellere Formen des Buddhismus lieferte, ein Umstand, auf den die heutige Tempelleitung am Berg Hiei sehr stolz ist. Die schnelle Entwicklung „esoterischer“ Aspekte im Tendai kann zum Teil als eine Reaktion auf die Konkurrenz mit dem von Kūkai begründeten Shingon-Buddhismus gesehen werden. Von anhaltender Bedeutung war, dass der große Tempelkomplex um Enryakuji am Berg Hiei durch die Entfaltung meditativer Praktiken und Lehrstudien eine vielseitige Entwicklung des japanischen Buddhismus ermöglichte und vorantrieb.

5. Shingon-Buddhismus und die „Geheimen Lehren“ 5.1. Der esoterische Turn Der aus China stammende Tendai-Buddhismus hatte sich kaum als dominanter Einfluss nahe der neuen Hauptstadt etabliert, als es zu einer Umorientierung der buddhistischen Kultur hin zur Esoterik kam. Dieser Umschwung fand vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, im Shingon-Buddhismus statt, der von Kūkai

39 Siehe Kuroda 1996. 40 Detailliert zu sehen bei Rambelli 2009.

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(774–835) aus China importiert worden war und ebenso wie der Tendai einen großen langfristigen Einfluss in Japan haben sollte. Kūkai verfasste nicht nur bedeutsame Schriften, sondern wurde auch zum Mittelpunkt einer eigenen Schule, die eine weit verbreitete Anhängerschaft um sich sammelte. Nach seinem Tod ehrte der Kaiser Daigo (reg. 897–930) Kūkai mit dem Titel Kōbō Daishi, mit dem er seither häufig bezeichnet wird.41 Die Bezeichnung als „esoterisch“ für diese Form des japanischen Buddhismus ist nicht unproblematisch, da „esoterisch“ sonst oft Lehren und Übungen beschreibt, die nicht allen zugänglich sind. Im Buddhismus ist das Verständnis jedoch etwas anders. Es bedeutet vielmehr, dass einige bereits in der Lage sind, etwas zu verstehen und zu begreifen, das anderen noch verschlossen ist. Das grundsätzliche Ziel ist daher, weitere Anhänger von der Unwissenheit zur Einsicht und Weisheit zu führen. Im Shingon wird dieser Prozess als etwas verstanden, das grundsätzlich unter der Anleitung eines ausgebildeten Lehrers stattfindet. Daher spielt mündliche Überlieferung trotz der zentralen Texte, die allen zugänglich sind, eine wichtige Rolle. Diese Überlieferung wird kuden genannt, was wörtlich „mündliche Weitergabe“ bedeutet. Das umfassende System an ikonographischer und ritueller Symbolik im Shingon-Buddhismus führte zwangsläufig dazu, dass nicht alles sofort von jedem verstanden wurde, was eine gestufte Interpretation notwendig machte. Die allgemeine Bezeichnung für diese Formen des Buddhismus, die sich starker Symbolik bedienen, um ihr Wissen zu transportieren, ist im Japanischen „geheime Lehre“ (mikkyō), was wie oben verstanden werden sollte. Der Shingon-Buddhismus war und ist die Hauptform von mikkyō und trug am meisten zu ihrer Verbreitung bei. Parallel gab es jedoch auch esoterische Entwicklungen im Tendai-Buddhismus, die als Tendai-Mikkyō bekannt wurden. Die detailreiche und unterschiedliche Ikonographie und Gestaltung von Ritualen lieferte in der mikkyō zahlreiche Anknüpfungspunkte an die einheimischen Geister oder kami-Traditionen aller Art, welche man zumindest teilweise und rückblickend dem Shintō zuordnen kann. Besonders bemerkenswert war die symbolische Verschmelzung von „Gottheiten“ (shin bzw. kami) mit „Buddhas“ (butsu, hier jede Art buddhistischer Gottheit), was man als shinbutsu shūgō bezeichnet. Dabei handelte es sich nicht nur um die Zusammenfassung von Gottheiten, sondern vielmehr um einen dynamischen Prozess ohne konkreten Abschluss. Dass dies keine stumpfe Synthese, sondern ein mehrdeutiger Synkretismus war, kann auch daran gesehen werden, dass noch Jahrhunderte später in einer politischen Maßnahme namens shinbutsu bunri (vgl. Kapitel 14) möglich war, die verschiedenen Wesenheiten weitgehend wieder voneinander zu trennen.

41 Gelegentlich auch verdoppelt als Kōbō Daishi Kūkai.

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5.2. Einführung des Shingon-Buddhismus durch Kūkai Der Shingon-Buddhismus in Japan wurde von Kūkai gegründet und verbreitet, der die zentralen Texte und notwendigen sakralen Gegenstände von einem ChinaAufenthalt zwischen 804 und 806 mitgebracht hatte. Zu dieser Reise entschloss er sich nach seinem Fund des damals wenig bekannten Textes Dainichikyō (Mahāvairocana-Sūtra) während eines Besuches im Tempel Kumedera in Yamato, was in ihm den Wunsch weckte, sein Wissen zu vertiefen. Nach einigen Schwierigkeiten erreichte Kūkai schließlich Cháng-ān, eine Metropole mit zahlreichen buddhistischen, daoistischen, nestorianischen und manichäischen Tempeln. Hier studierte er das Mahāvairocana-Sūtra unter Huíguǒ (746–805, japan. Keika) und wurde in viele Aspekte des esoterischen Buddhismus eingeführt. Huíguǒ hatte die esoterische oder tantrische Überlieferung von dem indischen Gelehrten Amoghavajra (705–774) erhalten. Die Anhänger des Shingon beziehen sich auf eine nachträglich konstruierte, fiktive Überlieferungslinie, die auf Nāgārjuna (ca. 200) und seinen Schüler Nāgabodhi (Lebensdaten nicht bekannt) zurückgeht, gefolgt von den Übersetzern Vajrabodhi (670–740) für das Yugikyō, Śubhakarasiṃha (637–736) für das Dainichikyō und Amoghavajra für das Kongōchōgyō. Hierbei fällt auf, dass eine signifikante Lücke von mehreren Jahrhunderten zwischen Śākyamuni und Nāgārjuna besteht, jedoch wird diese mit niemand geringerem als dem kosmischen Buddha Dainichi (Mahāvairocana) überbrückt. Er wird als ein Ausdruck des Dharma-Körpers des historischen Buddha gesehen und soll die esoterischen Sūtras verbreitet haben. Diese wurden von dem nicht weniger mythischen Bodhisattva Vajrasattva (Diamantwesen, japan. Kongōsatta) empfangen, der sie in einem eisernen Stūpa in Südindien versteckt haben soll, bis sie schließlich von Nāgārjuna gefunden wurden. Einige Elemente des „esoterischen“ Buddhismus zeigen eine enge Verwandtschaft mit dem frühen Mahāyāna-Buddhismus, obwohl sie so nicht in die Überlieferungskette gebracht werden. Zum Beispiel war die Übung, den Namen eines spezifischen Buddha oder Bodhisattva mit einer kurzen Mantra-Formel anzurufen, weithin bekannt und fand einen elaborierten Ausdruck im Butsumyōkyō („BuddhaNamen-Sūtra“). Auch die Technik der „Visualisierungssūtras“ unterstützte die Vorstellung von der Identifizierung eines Adepten mit einer bestimmten Gestalt wie Fugen, Yakushi oder Amida. Trotz allem kann eine großflächige Verbreitung dieser Praktiken in Indien nicht vor der Mitte des 7. Jahrhunderts nachgewiesen werden, so dass deutlich ist, dass Kūkais eigener Zugang zu ihnen sehr zeitig erfolgte, noch vor ihrer Einführung in Tibet. Offensichtlich war er von dem neuen Stil in Lehre und Praxis vollauf begeistert. Huíguǒ beauftragte Kūkai mit der Verbreitung des Shingon in Japan und Kūkai verfasste seinerseits ein überschwängliches Totengedicht für Huíguǒ. Nach seiner Rückkehr aus China 806 befasste sich Kūkai also mit der Verbreitung des Shingon-Mikkyō in Japan. Erst verbrachte er eine kurze Zeit am Kanze-

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onji, einem wichtigen Tendai-Tempel in Dazaifu, Kyūshū. Sein richtiges Wirken begann jedoch in der Hauptstadt Heian (Kyōto). Tatsächlich war das Mahāvairocana-Sūtra inzwischen innerhalb des Tendai bekannt geworden und Saichō zeigte Interesse an dem esoterischen Ansatz, allerdings streng innerhalb der Richtlinien des Tendai. Kūkai hingegen war weit entfernt davon, sich dieser Hierarchie unterzuordnen, und gründete seine eigene Schule in Japan. Er etablierte sich zuerst im Jingoji, Tempel des göttlichen Schutzes, was ihm ermöglichte, seine Loyalität zum Staat mit angemessenen Ritualen unter Beweis zu stellen. 816 erhielt er die Erlaubnis, sich am damals schwer erreichbaren Berg Kōya niederzulassen, wo er den Tempel Kongōbuji gründete. Kōya-san wurde das symbolische Zentrum für alle Formen des Shingon, sowohl wegen seiner frühen Gründung als auch aufgrund der Tatsache, dass nach Kūkais Tod sein Mausoleum dort errichtet wurde. Kūkai selbst verbrachte jedoch nicht seine gesamte Zeit auf dem Berg, sondern bereiste das Land und versuchte seine Lehren auch in den obersten politischen Kreisen zu verbreiten. Dies gelang ihm auch, und als Ergebnis gründete Kaiser Saga 823 den Tempel Tōji, den „Östlichen Tempel“, für den Shingon-Buddhismus. Dieser Tempel blieb ein wichtiges religiöses Zentrum im modernen Kyōto, auch wegen der dort prominenten Verehrung von Kōbō Daishi. Kūkai wurde nämlich selbst Gegenstand enthusiastischer Verehrung, beinahe wie Shōtoku Taishi, und seine Lebensgeschichte wurde im Stil einer wundersamen Hagiographie weiterentwickelt. Viele Orte soll er besucht haben, wo er seinen Stab des Tages in den Boden gestoßen haben soll, der daraufhin Wurzeln trieb. Außerdem soll er zahlreiche Statuen selber geformt und Tempel gegründet haben, obwohl solche Zuschreibungen in vielen Fällen eher eine spätere Pietät widerspiegeln. Die berühmte Pilgerroute zu 88 Tempeln auf Japans viertgrößter Insel, Shikoku, soll aus seinen Reisen hervorgegangen sein. Neben der religiösen Verehrung hat Kūkai einen unauslöschlichen Platz in der allgemeinen japanischen Kulturgeschichte, da ihm die Erfindung der Silbenschrift kana zugeschrieben wird, welche als erste systematische Alternative zu den chinesischen Schriftzeichen gilt und heute noch in Kombination mit diesen verwendet wird. Es ist kein Zufall, dass die phonetische Sequenz der Silben in etwa mit denen des Sanskrits übereinstimmt.42

5.3. Ritual und Symbolik Die bedeutendsten Symbole im Shingon-Buddhismus sind zwei Mandalas, das Daihitaizō Mandara (Mandala der Gebärmutter des großen Mitgefühls) und das Kongō-

42 Ein detaillierter Bericht über das Leben Kūkais ist bei Hakeda 1972 zu finden.

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kai Mandara (Diamant-Mandala),43 die zusammen ein Paar bilden. Kūkai wurde in China durch Huíguǒ in den Gebrauch von Mandalas initiiert. Einfach ausgedrückt sind Mandalas in diesem Zusammenhang eine Meditationshilfe, die über die Vielfalt der verschiedenen Buddhas zur Identifikation des Adepten mit Dainichi Nyorai und der Erkenntnis der eigenen Buddhaschaft führen sollten.44 In Kūkais Fall wird dies deutlich durch die Blume, die während eines Rituals immer wieder auf Dainichi Nyorai fiel, was als sehr bedeutsam wahrgenommen wurde. Das GebärmutterMandala repräsentiert die äußere Erscheinungsform, während das Diamant-Mandala die Weisheit verkörpert. Im letzten Schritt wird das Verhältnis zwischen Weisheit und Erscheinung jedoch als nicht-dual verstanden. Andere Mandalas stellen die „Keimsilben“ verschiedener Buddhas und Bodhisattvas zu dem gleichen Zweck dar, meist mit Hilfe der aus dem Sanskrit entstandenen siddham-Schrift. Die fünf Hauptbuddhas des Gebärmutter-Mandalas sind Dainichi, Hōdō, Kaifuke-ō, Muryōju und Tenkuraion, die des Diamant-Mandalas sind Dainichi, Ashuku, Hōshō, Muryōju und Fukūjōju. Sie alle werden als Nyorai, also als „so gekommene“ bezeichnet.45 Die Riten zur Initiation in den Shingon werden kanjō genannt (Sanskrit abhiṣeka). Dieser Begriff ist eine allgemeine Bezeichnung, die das Benetzen des Kopfes mit Wasser während der Initiation beschreibt. Es gibt verschiedene Stufen von kanjō für Laien und Nonnen bzw. Mönche, wobei das „Kopf-Benetzen zur DharmaÜbertragung“ (denpō kanjō) besonders wichtig ist, welches die Nachfolge von Meister zu Meister sicherstellt. Kūkai wird stets mit einem Krug dargestellt, was deutlich macht, dass er offiziell initiiert wurde und seinerseits neue Schüler initiieren durfte. Ein wichtiges Ritual im Shingon, aber auch darüber hinaus, ist die goma-Liturgie. Dies ist ein charakteristisches Feuer-Ritual, das von den Brahmanen Indiens übernommen wurde, allerdings mit einer neuen Bedeutung. Während der Zeremonie werden Bittgebete, die auf kleine Holzstäbe geschrieben wurden, im Feuer verbrannt. Gleichzeitig symbolisiert dieses Feuer jedoch paradoxerweise die Auslöschung allen Verlangens, welches spezifische Wünsche erst ermöglicht. Das Ergebnis ist eine zumindest theoretische Bewegung weg von der Anhänglichkeit und hin zur Unabhängigkeit von Wünschen und Begierden. Neben der Rezitation wichtiger Sūtras wie dem Rishukyō und sehr häufig auch dem Herz-Sūtra ist ein bemerkenswertes Element der mündlichen Praxis das stetige Wiederholen der auf Japanisch als shingon bekannten Mantras. Ein shingon ist das

43 Skt. Mahākaruṇāgarbha bzw. Vajradhātu. 44 Tajima 1959: 37. 45 In den Texten entspricht dies immer Sanskrit „Tathāgata“ (so gegangener), während das chinesische/japanische Schriftzeichen eindeutig „kommen“ darstellt. Die Soheit des Gegangenseins und des Kommens ist ausschlaggebend, so dass auf dieser Ebene keine Differenzierung mehr notwendig ist.

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„wahre Wort“ (shin + gon) eines bestimmten Buddha oder Bodhisattva und damit Wort der Identifizierung. Der Umstand, dass diese Worte aus Sanskrit-Silben bestehen und keine Bedeutung im normalen Japanisch haben, lässt sie magisch und vor allem auch mächtig erscheinen. Ein Beispiel ist das shingon des „hellen Königs“ Fudō Myōō (siehe unten): Nōmaku sanmanda bazara dan kan. Einige shingon enthalten jedoch Bedeutungselemente, auch wenn diese für moderne Japaner nicht immer offensichtlich sein mögen, so etwa die „wahren Worte von dem Streben nach dem Geist der Erleuchtung“: On bōjishatta boda hadayami. Besonders bemerkenswert ist im Shingon die Verwendung einer großen Anzahl an Handzeichen und symbolischen Gesten, die mit dem Sanskrit-Begriff mudrā bezeichnet werden.46 Ihr Ursprung liegt in Indien und sie werden auch nicht nur im esoterischen Buddhismus verwendet. Die Verwendung von mudrās an angemessenen Stellen während eines Rituals wurde von Shingon-Buddhisten mit großer Begeisterung übernommen. Das japanische Wort für diese Gesten, die aus einer Anzahl präziser Fingerpositionen bestehen, ist in, was Zeichen oder auch Siegel bedeutet. Der Gedanke dahinter ist, dass das, was gesagt oder getan wird, durch die entsprechende Geste begleitet wird. Daher finden sich diese Gesten nicht nur in der Ikonographie, sondern auch in der gelebten Praxis. Die kombinierte Verwendung von shingon und in verleiht der Shingon-Praxis einen Ausdruck von Macht, die gehört und gesehen werden kann. Allgegenwärtig im Shingon und gelegentlich in anderen buddhistischen Kontexten ist das gorintō, ein fünfstufiger Stūpa (sotoba), ein bis zwei Meter hoch, meist aus Stein, der normalerweise wie folgt aufgebaut ist: Die Basis bildet ein Quadrat bzw. ein Würfel, darauf befindet sich ein Kreis bzw. eine Kugel. Darüber kommen ein Dreieck, ein Halbmond und schließlich ein tropfenförmiger Stein. Das Dreieck entsteht durch die Teilung des Quadrats, der Halbmond durch die Teilung der Kugel. Die vier unteren Teile basieren auf Dualität, wohingegen der oberste Teil die Nicht-Dualität darstellt. Die einzelnen Teile werden auch noch als Allegorien für verschiedene andere Dinge wie die fünf Elemente, die Jahreszeiten oder Farben gedeutet und werden mit den mystischen Sanskrit-Silben „a – va – ra – ha – kha“ (in japanischer Phonetik a-ba-ra-ka-kya), von unten nach oben, bezeichnet. Kūkai erklärte diese Silben in seinem Sokushinjōbutsugi folgendermaßen: a – das, was ungeboren ist (Element Erde); va – das, was Sprache nicht ausdrücken kann (Element Wasser); ra – frei von aller Unreinheit (Element Feuer); ha – das Alltägliche überwinden (Element Wind); kha – leer wie der Raum (Element Raum).47 Die fünf Teile können auch als die fünf Nyorai (Tathāgata) gelesen werden, von unten nach oben: Yakushi, Amida, Hōshō, Shaka und Dainichi. Die fünfstufige Form ist stark gestreckt auch in der Form der hölzernen sotoba zu finden, die Gräber auf Shin-

46 Diese wurden von Saunders 1960 detailliert illustriert und klassifiziert. 47 Für den gesamten Text siehe Hakeda 1972.

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gon-, Tendai- oder Nichiren-kei-Friedhöfen markieren. Darauf steht üblicherweise der Buddha-Name des/der Verstorbenen und Erklärungen über seine Bedeutung in der siddham-Schrift. Auf der Rückseite findet sich häufig die „Ursilbe“ ban (skt. vāṃ), welche sich auf die reinigende Wirkung des Wassers der Dharma-Natur bezieht, welches aus der Diamanten-Welt stammt und dank des Mitgefühls von Dainichi Nyorai alle Fehler und alles Verlangen auslöscht. Zwei Figuren werden im Shingon besonders häufig als Statuen dargestellt und sind von großer Bedeutung. Die eine ist Dainichi Nyorai (Dainichi Butsu), der in vielen Tempeln beheimatet ist und als zentraler Buddha auftritt, der die Buddhaschaft aller, die sich mit ihm identifizieren, symbolisiert. Dem ikonographischen Protokoll zufolge ist Dainichi immer der zentrale Bezugspunkt (gohonzon) in einem Shingon-Tempel. Ebenfalls von hoher Bedeutung ist Fudō Myōō, „Unerschütterlicher leuchtender König“, im Sanskrit bekannt als Ācāla. Fudō steht für Unbeweglichkeit und Unerschütterlichkeit gegenüber den Flammen des Verlangens, welche meist hinter seinem Kopf, möglichst in Rot, abgebildet werden. Berühmte Beispiele Fudōs sind der „Rote Fudō“ des Myōō-in am Berg Kōya und der „Gelbe Fudō“ des Manju-in nahe Kyōto. Seine Statue findet sich jedoch auch in zahlreichen anderen Tempeln und auch im Freien, besonders neben Wasserfällen, die von Shingon-Adepten für asketische Praktiken verwendet wurden. Ein weiterer „Himmlischer König“, der im Shingon hoch verehrt wird, ist Aizen Myōō, der für Liebe im weltlichen Sinne steht und damit einen Gegenpart zu Fudō darstellt. Tatsächlich ist der Shingon-Buddhismus offen für die Verehrung zahlreicher anderer Buddhas, wie Yakushi, den medizinischen Buddha, und Bodhisattvas wie Kanzeon (bzw. Kannon), die Menschen in verschiedenen Situationen unterstützen.

5.4. Kūkais Schriften Die wichtigsten esoterischen Sūtras, die im Shingon-Buddhismus verwendet werden, sind das Dainichikyō (= Mahāvairocana-Sūtra), das Kongōchōgyō und das Yugikyō. Ein weiterer wichtiger und häufig rezitierter Text ist das kurze Rishukyō, welches effektiv den Shingon mit der Prajñapāramitā-Tradition verbindet, wenn auch in einer spät-tantrischen Form.48 Die entsprechenden Bände des chinesisch-buddhistischen Kanons (siehe Taishō-Edition) enthalten wesentlich mehr esoterische Texte, unter anderem auch stark illustrierte ikonographische Traktate. Hier wenden wir uns jedoch einigen Hauptpunkten in Kūkais eigenen Schriften zu. Von besonderer Bedeutung für seine Anhänger ist die Abhandlung „Über das Erlangen von Erleuchtung in dieser Existenz“ (Sokushin jōbutsu gi). Dieses „Prinzip“

48 Siehe Astley-Kristensen 1991.

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(wie Inagaki gi übersetzt)49 ist wichtig, da es die Grundlage für die besondere Hingabe zu einer Reihe von rituellen Praktiken ist, die nicht nur im Shingon, sondern auch im bergasketischen Shugendō eine Rolle spielen (siehe unten). Er zitiert aus esoterischen Texten, die dem Buddha zugeschrieben werden, und interpretiert das Versprechen von schneller Erleuchtung als das Erlangen von Erleuchtung „in diesem Körper“ (sokushin jōbutsu).50 Kūkai schrieb auch über verschiedene andere Themen. Besonders bemerkenswert sind seine Ausführungen über die Beziehungen zwischen verschiedenen Religionen in seinem Werk Sangō shiki („Drei Lehren“). Darin sinniert ein suchender Bettler über die Lehren von Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus und kommt letztendlich zu dem Ergebnis, dass der Mahāyāna-Buddhismus am bedeutendsten und nachhaltigsten ist, da „er die Erlösung des Selbst und der Anderen lehrt“ und „nicht einmal Tiere oder Vögel ausschließt.“51 In Kūkais Schriften können wir eine Kombination aus Universalität und Unmittelbarkeit finden. Jede Facette der menschlichen Erfahrung kann, sofern entschlüsselt, der symbolische Träger von einer Veränderung sein, die für die eingeführten und praktizierenden Adepten im Hier und Jetzt verfügbar wird.

5.5. Verschiedene Shingon-Schulen In Bezug auf die Denominationen und Schulen im Shingon-Buddhismus gibt es zunächst die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Kogi-Shingon-shū (Shingon des alten Stils) und Shingi-Shingon-shū (Shingon des neuen Stils). Erstere ist auch einfach als Shingon-shū bekannt und beinhaltet drei Hauptgruppen, die Kōya-Schule, die Tōji-Schule und die Daigo-Schule. Die letztgenannte hat ihren Sitz an einem wichtigen Tempel in Süd-Kyōto, der 874 von dem Mönch Shōbō (832–909, postum Rigen Daishi) gegründet wurde. Der Tempel hieß zunächst Shōgyō-in und wurde erst später in Daigoji umbenannt. Die Unterteilung dieser drei Gruppen richtet sich vor allem nach ihrem Standort und weniger nach ihrer Lehrausrichtung. Die Shingi-Shingon-shū hingegen entwickelte sich aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Stellung von Amida Buddha und dem Reinen Land. Hier sorgten die Aktivitäten des Shingon-Mönches Kakuban (覚鑁, 1095–1143) für Aufregung und Streitigkeiten. Zu den wichtigen späteren Abspaltungen des Shingon-Buddhismus gehören die Chizan-Schule, die Buzan-Schule und die Omuro-Schule.

49 Inagaki 1975. 50 Vgl. auch Hakeda 1972. 51 Hakeda 1972: 139.

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5.6. Die Tendai-Shingon-Vorherrschaft Innerhalb der allgemeinen Kategorie „esoterischer Buddhismus“ oder mikkyō (mitsu + kyō) wird zwischen der Shingon-Richtung, bezeichnet nach dem Tempel Tōji als Tōmitsu, und der Tendai-Richtung, bezeichnet als Taimitsu, unterschieden; der Name Taimitsu greift das -dai aus Tendai auf. Wie schon gesehen hatte nicht nur Saichō selbst Interesse an dem „esoterischen“ Zugang gezeigt, sondern auch Ennin und Enchin. Mikkyō beeinflusste außerdem stark Shugendō, die Praxis der Bergaskese, und in gewisser Weise auch den Buddhismus Nichirens und seiner Anhänger. Beide Gruppen werden weiter unten thematisiert werden. Darüber hinaus unterstützte der mikkyō-Buddhismus im japanischen Mittelalter sowohl in seiner Shingon- als auch seiner Tendai-Ausprägung den Synkretismus mit den Shintō-Gottheiten. Dies unterstützte die Verbindung zwischen Bergaskese und Berggottheiten. Können aber der Shingon und der Tendai der Heian-Zeit einfach als ein einzelnes System unter der Überschrift des oben erwähnten kenmitsu-Buddhismus betrachtet werden? Bei der Beantwortung dieser Frage ist der Blickwinkel von entscheidender Bedeutung. Für ungelernte Aristokraten und Andere, die die Tempel aufsuchten, mag es keinen großen Unterschied zwischen Tendai und Shingon gegeben haben. Die Mönche waren von den Laien getrennt, sie trugen ihre Roben, rezitierten Sūtras, führten bunte und mystische Zeremonien durch, verwendeten offenes Feuer im goma-Ritual. Viele der verehrten Buddhas und Bodhisattvas waren die gleichen. Zuflucht zu Yakushi, Amida oder Kannon konnte in Tempeln beider Gruppen gesucht werden. Aber es gab auch Unterschiede. Hallen und Bilder von Dainichi Nyorai, Fudō-son und natürlich von Kōbō Daishi selbst deuteten auf den Shingon hin, während der Tendai seine eigene Linie von Lehrern hatte. Beide Gruppen waren in der Hauptstadt sehr präsent, hatten aber zugleich ihre jeweiligen, nicht leicht erklimmbaren Berge, Hieizan und Kōya-san, als deutliche Hauptzentren der eigenen Tradition. Die ajari (spirituelle Adepte), die ein sehr anstrengendes 1 000-tägiges Rennen als Askese durchführten, hatten ihren Sitz am Hieizan, während der Kōya-san für die yamabushi des Shugendō attraktiver war. In Bezug auf die zugrundeliegenden Denkmuster verdankte der Shingon der „Nur-Bewusstsein“-Tradition des Yogācāra viel, welche mit der Meditationspraxis der Mandalas gut harmonierte. Der Tendai hingegen richtete sich mehr nach den Doktrinen seines Gründers Zhìyǐ (japan. Chigi) und verwendete ein komplexeres Muster an meditativen Techniken, die besonders den mittleren Pfad der geistigen Nicht-Anhaftung betonten, der von Nāgārjuna bekannt gemacht worden war. Es darf auch nicht gedacht werden, dass die relative Vorrangstellung von Tendai- und Shingon-Buddhismus die Tempel und Schulen des Nara-Buddhismus unterdrückte. Der vielfältige „Buddhismus der südlichen Hauptstadt“ (Nanto Bukkyō)

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verfolgte seinen eigenen Weg mit mehr oder minder großem Erfolg. Die Mönche der berühmten Tempel studierten weiterhin ihre Texte und praktizierten ihre Rituale, um so die Traditionen zu bewahren, die früher dort begründet worden waren.

6. Kulturelle Anpassung, Shugendō und Shintō 6.1. Kulturelle Anpassung und Symbiose Die schon erwähnte älteste japanische Chronik, das Kojiki, gibt Aufschluss über wichtige mündliche Überlieferungen. Dabei ist es auffällig, dass es im Kojiki, obwohl von zahlreichen übernatürlichen Wesen (kami) und ihren schöpferischen Handlungen erzählt wird, keinerlei Hinweis oder Bezug zum Buddhismus gibt, obwohl dieser lange vor der Niederschrift des Textes in Japan eingeführt worden war. Allem Anschein nach hatten sich diese beiden Welten bisher nicht überschnitten. Dabei blieb es jedoch nicht. Wie in anderen asiatischen Ländern entwickelte sich auch in Japan über viele Jahre hinweg eine enge Verbindung des Buddhismus mit lokalen Ritualen und Konzepten, was in diesem Fall zu einer zunehmenden Komplexität des so genannten Weges der kami führte. Vor einer anachronistischen Anwendung der Bezeichnung „Shintō“ ist allerdings zu warnen. Die Symbiose nahm mit dem wachsenden Einfluss des Shingon-Buddhismus zu, da dieser eine Faszination mit konkreten Anhaltspunkten in einer verzauberten Welt mit dem Wunsch verband, zu einem Verständnis der letzten Realität oder Soheit durchzudringen. Regionale Wunder, unerwartete Erscheinungen von Gottheiten, Orakel, Wunderheilungen durch augenscheinlich mächtige religiöse Gestalten, Schutz vor Dämonen und anderem Übel: all dies ermöglichte es zumindest indirekt den buddhistischen Ideen, in der breiteren Bevölkerung Wurzeln zu schlagen. Da die Tendai-Schule bei dem Vorantreiben solcher „esoterischen“ Zugänge entscheidend mitwirkte, war der Ausgangspunkt für eine weitreichende Integration der indigenen religiösen Kultur gegeben.

6.2. Bergaskese und übermenschliche Fähigkeiten Ein Schlüsselelement im Prozess der kulturellen Angliederung ist shugen, d. h. übermenschliche Kräfte (gen), die durch asketische Übungen (shu) erworben wurden. Diese Fähigkeiten waren auf der einen Seite etwas, das man von den Kräften der Natur in den Bergen und Wäldern, den heimtückischen, aber auch den guten

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Geistern zu erlernen meinte. Auf der anderen Seite wurden sie mit den übernatürlichen Kräften (jintsūriki) gleichgesetzt, die man den Texten zufolge als fortgeschrittener Bodhisattva zu erlangen erhoffte. Als das Interesse am Erwerb solcher Fähigkeiten zunahm, entstand eine großflächigere Bewegung namens Shugendō mit der wӧrtlichen Bedeutung von „Weg der Übung und Kräfte“.52 Die Anhänger wurden shugenja genannt oder auch yamabushi (die, die in den Bergen liegen), da sie häufig im Zuge ihrer Wanderungen die Nächte in den Bergen verbrachten. Shugendō hatte seinen Ursprung im Shingon und esoterischen Tendai, entwickelte sich aber dann selbstständig, weshalb seine Geschichte von Auseinandersetzungen mit den einflussreichen Schulen geprägt ist, deren Lehren zum Teil unterstützt, zum Teil aber auch angezweifelt wurden. Die shugenja waren mehrheitlich wenig an den institutionellen Streitigkeiten interessiert, sondern konzentrierten sich auf die Herausforderungen ihres asketischen Lebens. Dieses Leben bestand vor allem aus dem Wandern durch abgelegene Berge und die Durchführung von körperlich anstrengenden Ritualen, zum Beispiel unter eisigen Wasserfällen oder in gefährlichen Haltungen am Rande von Klippen. Ihre Unabhängigkeit und Überlebensfähigkeit in diesem schwierigen Terrain führte dazu, dass die einfache Bevölkerung den shugenja meist sehr respektvoll und ehrfürchtig begegnete. Bei ihnen wurde auch Hilfe und Führung beim Umgang mit Dämonen und Geistern aller Art gesucht. Im Laufe der Zeit wurden die Bergpfade zugänglicher und ausgetretener, wodurch auch die Praktiken gemeinschaftsfähiger und die Rituale routinierter und gesellschaftlich strukturierter wurden. Die Hauptursprungsorte dieser Aktivitäten waren Yoshino, am Rande der Yamato-Tiefebene, und Kumano, auf der anderen Seite der Ōmine-Berge, nahe der pazifischen Küste. Die Ōmine-Gebirgskämme waren für asketische Übungen besonders geeignet und der beschwerliche Weg zwischen den beiden Zentren wurde zu einem ganz eigenen Trainingsparcours. Yoshino gewann viele Anhänger, da es für die gehobene Gesellschaft von Nara und Heian (Kyōto) relativ leicht zugänglich war, die aus verschiedenen Gründen spirituelle Führung und übernatürliche Hilfe suchte. Außerdem gab es dort heiße Quellen, die Entspannung für den Körper lieferten. Der Shingon-Mönch Shōbō war der geistige Führer in Yoshino, allerdings gelang es erst im späten 10. Jahrhundert, unter dem Priester Dōken, die lokalen Gottheiten zu zähmen. Diesen Furcht-einflößenden Wesenheiten wurde der buddhistische Name Kongō Zaō Gongen gegeben und man integrierte sie in einer Reihe buddhistisch-asketischer Verehrungen in Yoshino und darüber hinaus. Später wurde ein berühmtes Bildnis des Gongen in der Zaōdō untergebracht, die zum Tempel namens Kinpusenji gehört.

52 Für autoritative Untersuchungen des Shugendō siehe Miyake 2001. Vgl. auch Earhart 1970.

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Kumano war weiter entfernt von den politischen Zentren, dafür lag es sehr dicht an einem von Japans höchsten Wasserfällen in Nachi, einem der Hauptübungsplätze für shugenja. Die Bekanntheit wurde außerdem durch den buddhistischen Tempel Seigantoji gefördert, der für die Verehrung einer Statue des Bodhisattva Kannon errichtet wurde, welche angeblich aus der Zeit der Kaiserin Suiko (reg. 592–628) stammte. Durch die Patronage des Kaisers Kazan wurde der Tempel zur bedeutendsten Station der schon erwähnten Saikoku-Pilgerroute, die zu 33 Verehrungsorten des Bodhisattva führt. Der Grund dafür war eine angebliche Vision des Kaisers nach langer asketischer Meditation unter dem Wasserfall, in welcher er den großen kami von Kumano als Kannon sah. Die Geister von Kumano wurden jeweils buddhistischen Wesenheiten der esoterischen Kosmologie zugeordnet und bildeten zusammen eine komplexe Gruppe. Ein grundlegendes Konzept in Kumano war genau wie in Yoshino das des gongen, d. h. „vorübergehende Erscheinung“ oder „Manifestation“ (ähnlich dem Sanskrit avatāra). Andere Legenden vertreten die Auffassung, dass die Gongen von Kumano die Manifestationen der Berggottheit des Berges Tiāntái in China wären, dem Ursprungsort des Tendai-Buddhismus, welche sich nun in der Form des Mondes in Kumano niedergelassen hätten. Trotz der besonderen Stellung von Yoshino, Ōmine und Kumano war Shugendō eine über weite Teile Japans verbreitete, variantenreiche Bewegung. Diese Vielfalt war durch die gebirgige Landschaft geradezu unvermeidbar, die mehrheitlich weit schwieriger zugänglich war als einzelne Zentren wie der Berg Kōya oder auch die Ōmine-Berge. Aber gerade von den weitläufigen Gebirgen glaubte man, dass in ihnen mächtige Geister lebten, und unerschrocken wandernde yamabushi hofften, an deren Kräften teilhaben zu können. Beispiele für Berge, an denen die shugenja dauerhafte Präsenz zeigten, waren der Hiko-san (Berg Hiko) auf der südlichen Insel Kyūshū, der Haku-san nahe dem Japanischen Meer, wo oft ein hartes winterliches Klima herrschte, die drei Berge von Dewa (Dewa-Sanzan) im Nordwesten Japans, der Ontake-san, ein zentraler Berg in der Hida-Provinz, und auch der Fujisan in Ost-Japan. Da jeder Berg zunächst für die asketischen Praktiken erschlossen werden musste, gab es große Unterschiede zwischen den lokalen Traditionen, und es entwickelten sich Gruppen um die jeweiligen Gründerfiguren, die zuerst „den Berg erschlossen“ (kaisan) hatten. Es war beispielsweise der Mönch Taichō (682– 767), der 717 zuerst den Haku-san „erschloss“ und im Namen des Bodhisattva Myōri Daibosatsu für den Buddhismus beanspruchte.

6.3. Gründer und Systematisierung des Shugendō Der älteste und am meisten verehrte „Erschließer“ von Bergen war der legendäre En no Ozunu (En der Klein-Gehörnte), auch bekannt als En no Gyōja (En der Asket, wörtlich „En, der übt“). Da er (nach der Überlieferung) von 634 bis 701 lebte, steht En no Gyōja als historische Persönlichkeit vor dem, was sonst als shugenja-Tradi-

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tion bekannt ist. Obwohl er im Nihonshoki kurz Erwähnung findet, wurde seine Legende vor allem von der Shugendō-Religion, wie wir sie einmal nennen wollen, ausgebaut, als diese sich strenger organisierte und klarere Formen annahm. Die Verehrung von En no Gyōja wurde zu einem gemeinsamen Bezugspunkt aller shugenja und in ganz Japan finden sich Orte, die er angeblich besucht hat. Bis heute steht sein Bildnis in unzähligen kleinen Schreinen, wo es von shugenja und vorbeikommenden Pilgern und Reisenden verehrt werden kann. Obwohl En no Gyōja ein eigenständiger Pionier war, der die Berge aus eigenem Antrieb für die asketische Praxis öffnete, wurde sein Ansehen ironischerweise verwendet, um einen gemeinsamen kultischen Fokus für die sich gerade konstituierenden Strukturen zu schaffen.53 Institutionell gesehen gibt es zwei Hauptlinien, wobei die relative Unabhängigkeit der Hauptberge als Zentren nicht unterschätzt werden darf. Die beiden Hauptlinien des Shugendō sind die Honzan-ha (Honzan-Schule), die sich am esoterischen Tendai-Buddhismus orientiert, und die Tōzan-ha (Tōzan-Schule), beeinflusst vom Shingon-Buddhismus. Der Hauptsitz der Honzan-ha befindet sich in einem Tempel in Kyōto, dem Shōgo-in. Der ehemalige Kaiser Shirakawa hatte diesen Tempel für den Tendai-Priester Zōyo (1032–1116) errichten lassen, zur Belohnung für seine erfolgreiche Verbreitung des Shugendō in Kumano. Zōyos Heimattempel war Onjōji (später bekannt als Miidera) gewesen, ein wichtiger Tendai-Tempel der von Enchin eingeleiteten Jimon-Schule an den niedrigeren Hängen des Berges Hiei, der langfristige Verbindungen zu drei Schreinen in Kumano besaß. Die sich von Shōgo-in aus entwickelnde Linie des Shugendō sah Zōyo als ihren unmittelbaren Patriarchen-Gründer, nannte aber En no Gyōja als ihren entfernten Stifter und beanspruchte so eine führende Stellung über alle shugenja. Diese Linie versuchte sich, weitgehend erfolgreich, im gesamten Land strukturell zu festigen. Die Shingon-Linie wollte sich nicht bevormunden lassen und entwickelte eine eigene Tradition, die sich auf die Figur des Shōbō stützte, der den einflussreichen ShingonTempel Daigoji gegründet hatte. Der Legende nach hatte Shōbō seine eigene Überlieferung von En no Gyōja erhalten. Eine Gruppe von 36 asketischen Führern, den Shōdaisendatsu, erkannte diese Überlieferung an, und diese Linie wurde später als die Tōzan-ha bekannt. Die Gruppe veranstaltete spezielle Zusammenkünfte in Ozasa in den Ōmine-Bergen, war institutionell aber mit dem Kōfukuji in Nara und dem Daigoji im südlichen Kyōto verbunden. Innerhalb des Daigoji-Komplexes war für sie der Sanbō-in, der ursprünglich von Shōbō gegründet worden war, von besonderer Bedeutung und wurde ihr Hauptsitz. Dieser Wettstreit zwischen den beiden Linien blieb über eine sehr lange Zeit bestehen, und erst in der Edo-Zeit (nach 1600) kam es unter politischem Druck zu einem Zusammenschluss der Schu-

53 Zu den geschichtlichen Details vgl. weiter Renondeau 1965 sowie Kapitel 3 „Shugendō in History“ bei Miyake 2005.

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len. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurde eine legendenhafte Biographie des En no Gyōja verfasst, das En no Gyōja hongi. Obwohl es innerhalb der Honzan-Schule entstand, minderte die Postulierung von En no Gyōjas Einfluss über ganz Japan die Rivalitäten zwischen den Strömungen etwas und lieferte einen gemeinsamen Ursprungsmythos.

6.4. Komplexe Beziehungen mit dem Shintō Die Systematisierung des Shugendō wurde durch intime Beziehungen zu den lokalen Geistern und Gottheiten, die wenigstens retrospektiv als kami im Sinne des Shintō bezeichnet werden können, vorbereitet und gefördert. Diese Beziehungen wurden vor allem durch zwei Begriffe bestimmt. Der erste ist shinbutsu shūgō, was eine direkte Verschmelzung von Göttern (shin, d. h. zugleich kami) und Buddhas impliziert. Der zweite ist Ryōbu Shintō, d. h. zweiseitiger oder doppelter Shintō. Demnach werden die kami als verständliche Formen der eher mysteriösen Buddhas und Bodhisattvas gedeutet; z. B. wurde die Sonnengöttin Amaterasu als eine Erscheinung des Dainichi Nyorai (wörtlich „Tathāgata Große Sonne“) ausgelegt. Dieses komplexe Thema ist jedoch eher Teil der allgemeinen Religionsgeschichte Japans und kann hier nicht näher behandelt werden.

6.5. Ausblick Mit diesem Kapitel erreichen wir das Ende der Entwicklung des mehr oder weniger einheitlichen religiösen Systems, welches im mittelalterlichen Japan vorherrschte. Diese scheinbare Geschlossenheit des Systems mag jedoch auch nur eine Illusion sein. Die religiöse Welt dieser Zeit kann passender als ein tausendteiliges Puzzle beschrieben werden, von dem wir bisher lediglich eine Handvoll an Teilen zusammensetzen konnten.54 Die mystischen Beziehungen zwischen den spirituellen Wesen konnten nicht immer zu einer reinen Verschmelzung reduziert werden, da stets davon ausgegangen wurde, dass sie ihre Anhänger auf ihrer spirituellen Reise durch verschiedene Erfahrungsstufen und Zeichen unterstützen würden. Auch wenn das „esoterische“ Muster eine gewisse Kohärenz zu liefern scheint, so gab es doch auch diejenigen in der buddhistischen Welt Japans, die mit einem routinierten übernatürlichen Schema oder konventionellen Mysterien nicht zufrieden waren und die vielmehr dem politischen Druck entgehen wollten, um den eigenen inneren spirituellen Frieden zu suchen. Um dies zu erreichen, konzentrierten sie sich zunehmend auf einzelne Aspekte des großen, komplizierten Geflechts, welche

54 Mündlicher Vorschlag von James C. Dobbins.

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eine Chance auf persönliche Entfaltung und vielleicht auch für andere eine hilfreiche Lehre zu bieten schienen. Herausragende Personen, die dies versuchten, waren Genshin und Eisai (auch als Yōsai bekannt). Ihnen folgten weitere große Persönlichkeiten wie Dōgen, Hōnen, Nichiren, Shinran und Rennyo, die jeder auf seine Weise dem japanischen Buddhismus zu seinem speziellen Charakter verhalfen. Diese und andere religiöse Lehrer werden die Hauptrolle in den folgenden Kapiteln spielen.

7. Der Buddhismus des Reinen Landes 7.1. Amida-Buddhismus und Mahāyāna Der mythische Buddha Amida (skt. Amitābha; chines. Āmítuófó) ist in ganz Ostasien bekannt und erhält überall vielfältige Verehrung mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Motiven. Besonders bekannt ist er für seine Gelübde, die er bereits in grauer Vorzeit abgelegt haben soll, als er noch ein Bodhisattva war. Diese Gelübde ermöglichen seinen Anhängern die Wiedergeburt im Reinen Land (japan. jōdo), welches von ihm im westlichen Viertel des Kosmos errichtet wurde. Die Bezeichnung „Buddhismus des Reinen Landes“ (Jōdo bukkyō) ist also eine allgemeine und umfasst die unterschiedlichen Interpretationen, Denominationen und Schulen, die sich auf Amida Buddha beziehen. Die japanischen Traditionen profitierten sehr von den Lehren chinesischer Gelehrter wie Dàochuò (japan. Dōshaku, 562–645) und Shàndǎo (japan. Zendō, 613–681), bevor sie ihre eigenen Besonderheiten entwickelten.55 Die wichtigsten Jōdo-Traditionen in Japan sind die Jōdo-shū, basierend auf den Lehren von Hōnen (1133–1212), und die Jōdo Shinshū, welche auf Hōnens einflussreichsten Schüler Shinran (1173–1262) zurückgeht. Jōdo-shū bezeichnet die Denomination, die im Kern besonderen Wert auf Hōnens Person und Lehren legt. Die verschiedenen Formen der Jōdo Shinshū werden allgemein als „Wahre Schule des Reinen Landes“ bezeichnet. In beiden Fällen gibt es weitere Untergruppen mit anderen Bezeichnungen, auf die zum Teil im weiteren Verlauf eingegangen werden wird. Gemeinsame Elemente der verschiedenen Formen des Amida-Buddhismus seit seiner Entwicklung in China sind zum einen der Bezug auf drei besonders relevante Sūtras, die in Japan als Gesamtheit Amida Sanbukyō (Drei Amida-Sūtras) genannt werden, und zum anderen die zentrale Stellung der prägnanten Formel des

55 Für relevante Texte siehe insbesondere Kleine 2015.

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nenbutsu, welche auf Japanisch Namu Amida Butsu lautet. Das achtzehnte der vielen Gelübde des Amida Buddha war die Zusicherung, dass er nicht eher endgültig in das Nirvāṇa eingehen würde, bevor nicht alle, die ihn sich bis zu zehn Mal ins Gedächtnis rufen, die Gewissheit haben, im Reinen Land wiedergeboren zu werden, von wo aus sie das Nirvāṇa erreichen würden. Dieses „ins Gedächtnis rufen“ ist die Praktik des nenbutsu, wobei der Name in der Regel laut ausgesprochen oder zumindest geflüstert wird. Die drei Sūtras werden im Japanischen wie folgt bezeichnet: Das längste ist das Daimuryōjukyō (chines. Dàwúliàngshòu jīng). Im Japanischen wird dieser Titel häufig als Daikyō abgekürzt, was im Gegensatz zum kürzeren Amida-kyō „Großes Sūtra“ bedeutet. Der Sanskrit-Titel lautet Sukhāvatīvyūha-sūtra. In diesem Text werden detailliert die Gelübde beschrieben, die Amida Buddha während seiner letzten Existenz als Bodhisattva ablegte. Meist wird die Anzahl der Gelübde mit achtundvierzig angegeben, es gibt allerdings auch Variationen mit leichten Abweichungen. Es ist vor allem das achtzehnte Gelübde, welches das nen unterstützt, das „ins Gedächtnis rufen“ des Namens Amida. Die Beschreibung des Reinen Landes findet sich im Amida-kyō (chines. Āmítuó jīng), welches ebenfalls in Sanskrit überliefert ist. Es ist unter der kürzeren Bezeichnung Shōkyō, „Kleines Sūtra“, bekannt. Das dritte ist das Kanmuryojukyō (chines. Guānwúliàngshòu jīng), von dem kein SanskritOriginal erhalten ist.56 Der verkürzte Titel ist hier Kangyō, was „Meditations-Sūtra“ bedeutet, und der hauptsächliche Inhalt ist die schrittweise Beschreibung einer Meditationstechnik für die Visualisierung des Amida Buddha.

7.2. Anfänge des Amida-Buddhismus in Japan Wie bereits erwähnt, haben neuere Studien über den japanischen Buddhismus die Geschlossenheit des so genannten kenmitsu-Systems hervorgehoben. Dabei wird eine lange anhaltende Integration von Tendai und Shingon und nur ein geringes Maß an schulischen Aufsplitterungen betont. Selbst in der Blüte der kenmitsu-Zeit war jedoch die Verehrung des Amida Buddha verbreitet und nahm häufig sogar eine prominente Stellung ein, sowohl in der klösterlichen als auch in der privaten Praxis. Es ist daher keine Übertreibung zu sagen, dass die verbreitete Verehrung von Amida überhaupt ein wichtiger Katalysator für die Entwicklung des JōdoBuddhismus in die unterschiedlichen Formen von Jōdo-shū und Jōdo Shinshū war. Zunächst einmal gibt es eine beeindruckende Anzahl Skulpturen des Amida Buddha, die vor der Gründung spezifischer Schulen entstanden. Zwei davon sind mit berühmten Tempeln der Heian-Periode verbunden. Sie wurden kurz nacheinander von adeligen Familien errichtet und besonders geschätzt. 1053 wurde

56 Möglicherweise wurde dieses Sūtra erst in China verfasst.

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Byōdō-in, ein atemberaubendes Gebäude, als privater Tempel in Uji errichtet, dessen Hauptbildnis Amida Nyorai zeigt. Nicht weit von Nara liegt Jōruriji, der 1047 von dem Mönch Gimyō gegründet wurde, ursprünglich mit einer Darstellung des Yakushi Nyorai als zentrales Verehrungselement (gohonzon). Dieses wurde jedoch 1107 in einem anderen Gebäude untergebracht und die Haupthalle wurde für die Verehrung von nicht weniger als neun Amida-Figuren umgebaut. Daher wird Jōruriji manchmal auch als „Tempel der neun Statuen“ (Kutaiji) bezeichnet. Der Garten, der die Tempelgebäude umgibt, wurde von der Beschreibung des Reinen Landes inspiriert und lebt von der natürlichen Schönheit der Jahreszeiten. Des Weiteren scheint die Rezitation des nenbutsu bereits im Kontext der MantraRezitation des Shingon und des esoterischen Tendai-Buddhismus verbreitet gewesen zu sein. Bei dieser Praxis wurden verschiedene Buddhas mit ähnlichen Formeln angerufen, die sich im „Sūtra der Buddha-Namen“ (Butsumyōkyō) finden. Sie wurden verwendet, um Hilfe oder Schutz in Situationen von Not und Gefahr zu erbitten. Wie oben dargestellt, wurde diese Praktik zuerst am Berg Kōya von Kakuban gefördert, aber zur Zeit des frühen Amida-Buddhismus war sie bereits allgemein verbreitet. Da Amidas Gelübde die Hoffnung auf das Forttragen der Toten ins Reine Land versprach, wurde das nenbutsu besonders für Verstorbene rezitiert, damit sie Frieden finden und nicht als ruhelose Geister zurückkehren. Unzufriedene Geister konnten von jedem Priester ausgetrieben werden, der eine zufriedenstellende Rezitation des nenbutsu für sie durchführte, so die Erwartung. Der große Vorteil des nenbutsu war, dass es durch seine Kürze, Namu Amida Butsu, mehr oder weniger immer und überall gesprochen werden konnte. Dadurch wurde es auch nicht so stark von einer einzelnen religiösen Autorität vereinnahmt, sondern blieb im Wesentlichen eine Praxis der nenbutsu hijiri, der „Heiligen Männer des nenbutsu“, die ungebunden von Ort zu Ort zogen. Kūya (903–972) war ein früher Vertreter dieser Form des Amida-nenbutsu, er hatte allerdings auch eine klare Meinung zu seiner Bedeutung. Er separierte diese Praktik deutlich von „Doktrinen“, die – so sein Argument – lediglich provisorischer Ausdruck von der Vielfalt menschlichen Denkens seien und daher keinen ultimativen Wert besäßen. Es sei daher besser, sich auf das einfache Rezitieren von Namu Amida Butsu zu konzentrieren und sowohl Weisheit als auch Torheit zu vergessen. Diese einfache Handlung allein würde einen in Einklang mit dem ursprünglichen Gelübde des Amida Buddha bringen. Kūya ist außerdem dafür bekannt, ab 931 einen nenbutsu-Tanz (nenbutsu odori) verbreitet zu haben, welcher die ekstatische Identifikation mit Amida förderte. Deutlich später, aber auch mit großem Erfolg, initiierte der Tendai-Mönch Ryōnin (1072–1132) die Yūzū Nenbutsu-Bewegung, die das nenbutsu regelmäßig rezitierte. Beeinflusst von dem Kegon-Sūtra und dem LotosSūtra legten die Anhänger besonderen Wert auf die Vergegenwärtigung der gegenseitigen Abhängigkeit aller Dinge, was es wiederum allen gleichermaßen ermöglichen sollte, die Hilfe Amidas in Anspruch zu nehmen.

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Ein dritter Punkt ist, dass es zunächst Tendai-Mönche waren, die in verschiedenen Schriften die Bedeutung von Amida zu erklären begannen. Die ersten, die dies taten, waren Senkan (918–983) und Zen’yu (909–990). Ryōgen (912–985), der 18. Abt des Hieizan, schrieb eine „Erklärung der neun Stufen der Wiedergeburt im Reinen Land“ (Gokuraku jōdo kuhon ōjōgi), ein Konzept, welches im Kangyō vorkommt und die oben erwähnten neun Amida-Statuen im Jōryuriji inspirierte. Noch wirkungsvoller waren aber die einflussreichen Schriften seines Schülers Genshin (942–1017), dessen Ōjōyōshū („Wichtige Passagen über Wiedergeburt“) über die Wiedergeburt im Reinen Land immensen Einfluss auf Hōnen ausübte. Genshins Ōjōyōshū wurde 985 veröffentlicht und Hōnen, Shinran und andere mehr machten es zu einer Grundlage ihrer eigenen Arbeit. Die Schrift legte besonderes Gewicht auf die Gelübde des Amida Buddha inmitten der großen Bandbreite an Meditationen und Lehren, die sich insgesamt im Tendai-Buddhismus finden. Obwohl das Reine Land dadurch ausgesondert und vergeistigt wurde, blieb die Rezitation des nenbutsu weiterhin eine gebräuchliche Praxis im Tendai als ein Element der umfassenden Reihe von Praktiken, die auch zazen beinhaltete. Es sei nur daran erinnert, dass Hōnen und Shinran beide ihre buddhistische Ausbildung am Berg Hiei, dem Zentrum des Tendai-Buddhismus, begannen. Dort markiert bis heute ein Stein die Stelle, an der Shinran „praktizierte“ (wörtlich „shugyō machte“).

7.3. Hōnens Leben und Lehre Es war Hōnen (postum auch Genkū), der den Jōdo-Buddhismus zu einem eigenständigen Glauben für viele Japaner machte.57 Der Schlüssel dazu lag in seiner radikalen Fokussierung auf eine einzige Praktik – die Rezitation des nenbutsu. Hōnen hat diese Technik nicht entwickelt und war auch bei weitem nicht der Erste, der sie nutzte, aber er praktizierte sie selbst und ermutigte andere, es ihm gleich zu tun. Alle übrigen Praktiken verwarf er hingegen als zu kompliziert und schwierig. In jungen Jahren hatte Hōnen seinen Vater bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung verloren und wurde daher zur Unterweisung in den „Tempel der Erleuchtung“ (Bodaiji) in seiner Heimatregion geschickt. Einige Jahre später wechselte er zum Berg Hiei nahe Kyōto, dem Zentrum der monastischen Ausbildung, wo er umfassend in den Lehren und Meditationstechniken des Tendai-Buddhismus unterwiesen wurde. Diese Ausbildung wurde schließlich jedoch so unbefriedigend für ihn, dass er sich in ein entlegenes Tal des Hiei-Berges namens Kurodani zurückzog, um sich dort ganz auf die Lehren des Reinen Landes zu konzentrieren. Hier kam Hōnen in Kontakt mit den „Preisungen über die Wiederge-

57 Für eine umfassende Behandlung siehe Kleine 1996, für repräsentative Texte Hōnens siehe Steineck 1997.

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burt“ (chines. Wǎngshēng lĭzàn, japan. Ōjōraisan) des Chinesen Shàndǎo (japan. Zendō), und Genshins oben genanntes Ōjōyōshū. Das Hauptwerk Hōnens, in dem er eine ausschließliche Verwendung des nenbutsu rechtfertigt, besteht aus einer Sammlung von Texten mit der Betitelung „Passagen über die Auswahl des nenbutsu des ursprünglichen Gelübdes“ (Senjaku-hongan-nenbutsu-shū). Dieser Titel wird in der Regel zu Senchakushū verkürzt, unter ShinBuddhisten ist das Werk anderereits unter der alternativen Lesart Senjakushū bekannt. Hierin sammelte Hōnen im Jahr 1198 Textstellen verschiedener bekannter buddhistischer Gelehrter, die – wenn auch mit anderen Intentionen – zur Anrufung Amidas rieten. Parallel dazu tat er sein Möglichstes, um die Praktik des nenbutsu sowohl unter Mönchen und Nonnen als auch unter der Laienbevölkerung zu verbreiten. Dabei war er so erfolgreich, dass die Tendai-Führung sich ernsthafte Sorgen um den Verlust des eigenen Einflusses machte. Aus diesem Grund wurde 1207 das nenbutsu als eigenständige Praktik verboten und Hōnen auf die viertgrößte japanische Insel, Shikoku, verbannt, eine Gegend, die zu dieser Zeit als sehr abgelegen galt. Allerdings begnadigte man ihn bereits nach kurzer Zeit und er durfte schließlich über das Binnenmeer nach Kyōto zurückkehren. Warum hatte Hōnen nun einen so großen Einfluss? Erstens zeigte er auf sehr praktische Weise, wie das überfrachtete Tendai-Shingon-System zu Gunsten eines einfacheren, individuelleren und weniger intellektualisierten Glaubens verworfen werden konnte, der für alle zugänglich war. Das war auch eine deutliche Abwendung vom esoterischen Buddhismus. Zweitens wird an Hōnen in Berichten und Darstellungen als eine besonders freundliche Person erinnert. Im Unterschied zu manch anderen, die eine besondere Botschaft zu vermitteln glaubten, war er nicht herrisch darauf bedacht, seine eigenen religiösen Lehren starr durchzusetzen. Dies gab seinen direkten Nachfolgern Raum, trotz der Zentralität des nenbutsu, ihr Verständnis davon auf eigene Art zu entfalten. Dies führte zur Bildung einer Anzahl von Schulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten innerhalb des Jōdo-Buddhismus, wodurch der allgemeine Einfluss nur noch wuchs. Drittens wurden die existierenden Machtstrukturen durch diese Öffnung des Glaubens für die Massen stark erschüttert. Damit begann in gewisser Weise eine Aufweichung der hierarchischen Beziehungen zwischen Frauen und Männern, und Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen, wenn auch nur auf religiöser Ebene. Hōnen selbst brachte keinen Krieg über das Land, aber von nun an war die Loyalität verschiedener religiöser Gruppen und mächtiger neuer Tempel ein Faktor, der von den Feldherren während der Zeit der Bürgerkriege, bis zur Errichtung der Tokugawa-Herrschaft, einkalkuliert werden musste. Somit bewegte sich Japan von einer annähernd hochmittelalterlichen Epoche in die komplizierten Entwicklungen, die letztendlich die Grundlage für die Frühmoderne bildeten. Natürlich war dies nicht Hōnens Intention, und doch ist es bezeichnend, dass die Lehren dieses sanften Mönchs für einige Zeit als staatsgefährdend verboten waren.

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7.4. Hōnens Schüler und Widersacher Die formelle Gründung der Jōdo-shū wird mit 1175 datiert, jedoch mussten die Schüler Hōnens, die die Lehre verbreiteten, sich mit verschiedenen Fragen beschäftigen. Zwei waren von besonderer Bedeutung. Problematisch war erstens die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Vertrauen in die Macht von Amidas Gelübden und der traditionellen buddhistischen Aufforderung, gute Taten gegenüber anderen zu vollbringen. Es waren sich zwar alle einig, dass der glaubende Geist (shinjin) entscheidend sei, die Balance mit dem moralischen Handeln wurde jedoch sehr unterschiedlich gesehen. Eine zweite Frage, zu der viele verschiedene Antworten gegeben wurden, war die, wie und wie oft das nenbutsu gesprochen werden sollte. Einige waren der Ansicht, dass man es möglichst häufig rezitieren solle, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass man es zumindest einmal mit der richtigen geistigen Verfassung sagen würde. Andere legten von Beginn an die Betonung auf die richtige Intention, weshalb für sie die Anzahl der nenbutsu von keinerlei Bedeutung war. Der bekannteste von Hōnens direkten Schülern ist zweifellos Shinran (1173– 1262), der die Schule des Shin-Buddhismus (Jōdo Shinshū) gründete, auf die unten in einem eigenen Kapitel noch genauer eingegangen wird. Üblicherweise werden fünf weitere Schüler als besonders wichtig für die Verbreitung des nenbutsu im 12. und frühen 13. Jahrhundert genannt. Drei von diesen haben keine langfristig tradierten Schulen eingerichtet, weshalb sie hier auch nur kurz erwähnt werden sollen. Ryūkan (1148–1228) betonte den geistigen Zustand, der erreicht werden könne, wenn man das gesamte Leben der Rezitation des nenbutsu widmen würde. Kōsai (1163–1247) lehrte, dass durch das Vertrauen auf die Gelübde Amidas der eigene Geist in Einklang mit dem des Buddha gebracht werden würde. Chōsai (1184–1228) hatte zwar keinen Zweifel an dem Wert guter Taten, empfahl aber dennoch die ständige Anrufung des Namens Amidas. Es scheint, als hätten alle diese Schüler das nenbutsu weiterhin als eine Form des Meditationstrainings verstanden, durch das eine Identifikation mit dem Geist des Amida Buddha, einem Geist von Weisheit und Mitgefühl, erlangt werden konnte. Von den einflussreicheren Schülern steht Benchō (1162–1238) den drei eben genannten am nächsten. Er trat für eine ständige Anrufung Amidas ein und betrachtete das Vollbringen guter Taten als einen untergeordneten Wert. Seine Lehren wurden im Chinzei-Zweig des Jōdo-Buddhismus überliefert. Eine weitere Variation fand sich in den Lehren von Shōkū (1177–1247), wie er sie in seinen „Bemerkungen zu den achtundvierzig Gelübden Amidas“ (Shijūhachiganyōshakushō) darlegte. Shōkū war der Ansicht, man solle alle guten Werke tun, diese aber im Geiste des nenbutsu verrichten und Amida weihen. Dadurch würde man im Reinen Land wiedergeboren werden. Um diese Umwandlung der Taten zu erreichen, solle man die Praktik des nenbutsu so oft wie möglich ausführen. Auch

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wenn man als Mensch oft von schlechten Gedanken heimgesucht werde, so könne man diese Gelegenheiten nutzen, um sich an Amida zu erinnern, und wenn man dieses oder jenes begehrte, so solle man sich die Wunder des Reinen Landes in Erinnerung rufen, um sich von seinen weltlichen Begierden zu lösen. Wenn man also das Verlangen nach musikalischer Zerstreuung verspürte, riet er, sich die himmlische Musik des Reinen Landes vorzustellen, die bezaubernder sein würde als jede irdische Musik. Und wenn man Qualen und Ungemach erleiden müsse, solle man sich an die Qualen der Höllen erinnern, in denen man ohne die Hilfe Amidas enden könnte.58 Mit der Zeit bildeten Shōkūs Anhänger den Seizan-Zweig der Jōdo-shū und er selbst wurde als Seizan Shōnin bezeichnet. Shōkū hatte auch Einfluss auf den Shingon-Mönch Dōhan (1179–1252), der sich, wenn er auch kein direkter Schüler Hōnens war, nachhaltig bemühte, die Praktik des nenbutsu auf dem Berg Kōya zu verbreiten. Dafür fand er einige Anknüpfungspunkte in den Lehren Kakubans (siehe oben) und Dōhan versuchte, die andächtige Anrufung Amidas mit den Lehrkonzepten sowohl des Shingon- als auch des Tendai-Buddhismus zu verbinden. Es bleibt jedoch unklar, ob er gezielt versuchte, Shingon-Mönche vom Wert des nenbutsu zu überzeugen oder ob er die populäre Praktik nur integrieren wollte, um im Wettbewerb mit der neuen Schule erfolgreich zu sein. Hōnens Lehre stieß andererseits auf scharfe Kritik auch inhaltlicher Art. Dafür waren insbesondere zwei Mönche aus Nara verantwortlich. Der erste war Jōkei (1155–1213), auch als Gedatsu-bō bekannt, der am Kōfukuji die Hossō-shū förderte. Der zweite war Myōe (1173–1232), auch als Kōben bekannt, der bemüht war, die Kegon-Lehre am großen Tōdaiji wieder zu beleben. Beiden passte der Erfolg Hōnens nicht, da er die religiöse Motivation des Volkes in ganz andere Bahnen leitete, als ihnen genehm war. Die Reaktion von Jōkei auf die zunehmende Beliebtheit von Hōnens Selektion des nenbutsu war systematisch und öffentlich. Aus orthodoxeren, oder genauer gesagt, bislang in Japan etablierteren Perspektiven, war dies eine unannehmbare Reduzierung buddhistischer Praxis auf einen einzigen Punkt, die alle drei Schätze, nämlich Buddha, Dharma und Saṅgha bedrohte. Außerdem fühlten sich Vertreter der Hossō-shū, die schon durch das Aufkommen von Tendai und Shingon an Einfluss eingebüßt hatte, noch einmal durch institutionelle Schwächung bedroht. Jōkei verfasste daher ein Gesuch an die Regierung, in dem er die Verbannung Hōnens verlangte. Diese Schrift, Kōfukuji sōjō genannt, wurde im Jahr 1205 eingereicht. Sie besteht aus neun Kapiteln, die jeweils einen bestimmten Irrtum beschreiben.59 Der Haupttenor läuft darauf hinaus, dass grundsätzliche Aspekte des Buddhismus außer Acht gelassen werden und dass die Bewegung vor allem

58 Siehe Sugihira 2011a: 40–42. 59 Für eine Einleitung und englische Übersetzung des vollen Textes siehe Morrell 1987.

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für Unruhe sorgt. Hōnen habe auch überhaupt kein Recht, ohne offizielle Erlaubnis eine neue Lehrrichtung einzurichten. Im fünften Kapitel wird außerdem bemängelt, dass Hōnen die Gottheiten (kami) des Landes vernachlässigen würde, eine Kritik vor dem Hintergrund der engen Beziehungen zwischen Kōfukuji und dem großen Kasuga-Schrein der weiterhin einflussreichen Sippe der Fujiwara. Myōe vertrat zwar eine andere Lehrrichtung des Nara-Buddhismus, jedoch empfand er die Bedrohung durch die alleinige Praxis des nenbutsu ähnlich. Die Kegon-Lehre war genau wie die Yuishiki-Lehre der Hossō-shū ein Verständnis des Buddhismus, das auf der Grundlage des Mahāyāna alles umfassen wollte, und zugleich setzte Myōe auf strenge monastische Disziplin. Vor diesem Hintergrund erschien Hōnens radikale Selektionsstrategie unmöglich. Seine einschlägigen Schriften gegen Hōnen sind das Zaijarin („Traktat zur Widerlegung von Irrlehren“) und das weitergehende Zaijarin shōgonki („Elaborierung des Traktats zur Widerlegung von Irrlehren“). Myōe sollte jedoch nicht allein dafür in Erinnerung gehalten werden, denn er wurde als äußerst spiritueller und gar legendärer Mönch, zum Teil als Einsiedler bewundert. Unter anderem entwickelte er einen Plan, bis nach Indien zu reisen, und rechnete die Entfernungen zahlreicher Etappen spekulativ durch. Diesen Plan gab er jedoch auf, weil er davor gewarnt wurde, die heimischen Gottheiten im Stich zu lassen. Dieses spannende Thema wurde später in einem berühmten Nō-Drama des Zeami verewigt.60 Mit dem Blick zurück auf die direkte Nachfolge Hōnens sollten einige Tempel erwähnt werden, die immer noch eine wichtige Rolle in der symbolischen Landschaft Japans spielen. Der Tempel Konkaikōmyōji steht an der Stelle in Okazaki,61 Kyōto, wo Hōnen erstmals das nenbutsu als eigenständige Schule ausrief. Hier wird auch sein berühmtes „Schriftliches Gelübde auf einer Seite“ (Ichimaikishōmon) aufbewahrt. Das zentrale Verehrungsobjekt ist Amida Buddha. Die Haupthalle des Chion-in, ebenfalls in Kyōto, ist Hōnen selbst gewidmet, es gibt dort allerdings auch eine Halle für Amida. Dieser Tempel ist der oberste Haupttempel (sōhonzan) der dominierenden Lehrrichtung der Jōdo-shū, der Chinzei-ha. Ein weiterer in Kyōto gelegener Tempel, der ebenfalls als ein großer Haupttempel (daihonzan) bezeichnet wird, trägt einen ähnlichen Namen, Chionji, mit vollem Namen Hyakumanben Chionji. Dieser Tempel ist für seinen gewaltigen Rosenkranz bekannt. Bei besonderen Anlässen können die Gläubigen die großen Perlen drehen und im Kreis weiterreichen. Der Ausdruck hyakumanben bedeutet so viel wie „100 000mal“ das nenbutsu sprechen. Der Haupttempel des anderen großen Zweiges, der Seizan-ha, ist Kōmyōji, im Südwesten von Kyōto (Nagaokakyō) gelegen. Eine wei-

60 Auch zu Myōe siehe Morrell 1987, der eine Übersetzung von Zeamis Nō-Drama bringt. Zu Myōes Kritik an Hōnen siehe auch Bando 1974. 61 Diese Gegend ist auch unter dem Namen Kurodani bekannt, aber nicht identisch mit der gleichnamigen Region am Berg Hiei, wo Hōnen zuvor viele Jahre verbracht hatte.

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tere Untergruppe des Seizan-ha, Seizan Fukakusa-ha genannt, hat ihren Sitz am Seiganji in Kyōto selbst. Das direkte Erbe Hōnens ist vor allem darin zu sehen, dass er eine klare Trennung zwischen der „Anrufung des Namens“ (nenbutsu) und der sonstigen Meditation als unterschiedliche buddhistische Praktiken vornahm. Bei seinem Jōdo-Buddhismus kann das Rezitieren des nenbutsu nur noch in einem sehr vagen Sinne als Meditation beschrieben werden. Im Shin-Buddhismus wird eine derartige Auffassung sogar explizit abgelehnt, da sie andeuten würde, dass die Menschen selbst etwas „tun“ oder „erreichen“ könnten, ohne sich auf die Kraft des Amida Buddha zu verlassen. Allerdings führen alle Nachfolger Hōnens trotz ihrer verschiedentlich nuancierten Wege letztendlich doch immer alle relevanten menschlichen Handlungen, sei es das nenbutsu oder gute Taten, auf den Geist Amidas zurück. Daher sollte die Frage nach dem Verhältnis zwischen nenbutsu und Meditation nicht zu sehr vereinfacht werden. Der relativ „weiche“ Charakter des Jōdo-Buddhismus im Hinblick auf Doktrin ermöglichte es, eine unabhängige Gruppe von Schulen zu bilden und sich gleichzeitig leicht in das größere Geflecht des japanischen Buddhismus einzufügen. So ist es nicht besonders überraschend, aber trotzdem erwähnenswert, dass Zenkōji, eigentlich ein Tendai-Tempel, sich zu einem Ort entwickelte, an dem auch der Jōdo-Buddhismus Fuß fasste und wo schließlich beide Schulen Seite an Seite beheimatet waren.

7.5. Ippens nenbutsu-Praxis und Ji-shū Ippen (1239–1289) wurde erst fast dreißig Jahre nach Hōnens Tod geboren und gehörte damit zu einer späteren Generation. Bis zu dieser Zeit hatte Shōkū den Seizan-Zweig des Reines-Land-Buddhismus entwickelt, und es war in dieser Tradition, dass Ippen seine buddhistischen Studien begann. Als er mit nur zehn Jahren seine Mutter verlor, wurde er zur Erziehung in einen Tempel gebracht. Sein Vater starb, als Ippen vierundzwanzig war, und nun sah er sich selbst mit der Unbeständigkeit und Unsicherheit des weltlichen Lebens konfrontiert. Dies führte zu einer längeren Phase des religiösen Suchens, die erst nach einem Besuch in dem bekannten Zenkōji in den Bergen von Shinano und einem dreijährigen Rückzug in sein altes Zuhause in Iyo zu einem Abschluss kam. Schlussendlich gab er alle Gedanken an spirituelle Fortschritte aus eigener Kraft (jiriki) auf und übernahm das nenbutsu als eine Zusammenfassung des Prinzips von „Einem Gedanken“ (ichinen), was einen Geisteszustand bedeutet, in dem alle gegensätzlichen Prinzipien, wie zum Beispiel Subjekt und Objekt, überwunden werden. Nach diesem persönlichen Wandel hatte Ippen das starke Bedürfnis, seine Erkenntnisse auch anderen zu vermitteln und machte dies zu seiner Lebensaufgabe. Dafür entwickelte er eine einfache Methode, die er erstmals am wichtigen Shiten-

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nōji in Ōsaka zur Anwendung brachte. Er gab beliebigen Personen eine Karte, worauf der Name des Amida Buddha geschrieben war, und forderte sie auf, Namu Amida Butsu mit dem Bewusstsein von „Einem Gedanken“ zu sagen. In dieser Weise bereiste er Japan und gewann Anhänger, die diese Technik in gleicher Weise anwandten. Eine bekannte Anekdote berichtet von einer Begegnung Ippens mit einem anderen Priester, als er sich auf dem Weg vom Berg Hiei nach Kumano befand. Es ist nicht überliefert, welcher Schule der Priester angehörte, aber in der Region war besonders der Shingon-Buddhismus verbreitet. Jedenfalls wandte dieser Priester ein, dass er – obwohl vertraut mit dem Sūtra von den Gelübden Amidas – bisher das Konzept von „Einem Gedanken“ nicht verstanden hätte. Um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, bat Ippen ihn, die Karte ganz unabhängig von seinem Verständnis oder seinem Glauben an ichinen trotzdem zu nehmen.62 Wahrscheinlich beschäftigte ihn diese Episode immer noch, als er 1274 den KumanoSchrein erreichte und dort die „Wundersame Gottheit“ (myōjin) um Hilfe beim Finden einer Lösung bat. In einem Traum erklärte ihm die Gottheit, dass der wahre Grund, warum Menschen im Reinen Land wiedergeboren werden konnten, die Erleuchtung des Amida Buddha vor langer Zeit sei. Ippens eigene Technik zur Verbreitung des nenbutsu würde keinen Unterschied machen. Er solle daher seine Karten fortan unabhängig von den moralischen Qualitäten oder dem Glauben der Empfänger verteilen. Entsprechend der zu dieser Zeit noch sehr einflussreichen shinbutsu shūgō-Theorie wurde der myōjin des Kumano-Schreins als eine andere Erscheinungsform des Amida Buddha selbst verstanden. Diese Erzählungen zeigen, wie Ippen zu der Überzeugung kam, dass nichts zwischen dem Individuum und der Praktik des nenbutsu stehen sollte, nicht einmal sein eigenes, bevorzugtes Konzept von „Einem Gedanken“, das für ihn die Quintessenz seiner Bedeutung war. Während Ippen sich schließlich gänzlich auf das nenbutsu verließ, sollte die Zen-Artigkeit seiner Lehre nicht übersehen werden. Über das nenbutsu schrieb er: „Ist dies nicht die Meditation, die nach der Identität der eigenen Natur und Buddha sucht, ist dies nicht die Erkenntnis von Nicht-Form und Nicht-Gedanke?“63 Ippen verbrachte die letzten Jahre seines Lebens als Wandermönch und wurde als „Entsagender Heiliger“ (sute-hijiri) bezeichnet. Später nannte man ihn Yugyō Shōnin, was „Wandernder Heiliger“ bedeutet. Kurz vor seinem Tod erklärte er, er sei einfach zum Namu Amida Butsu geworden und verbrannte die von ihm verfassten Schriften. Wenig überraschend wurden jedoch seine Aussprüche und sein Leben von seinen Schülern gesammelt und weitererzählt.64 Es entstanden zwei Lehrlinien, jedoch besteht bis heute nur noch eine, die Ji-Schule, welche von Shinkyō

62 Sugihira 2011b: 51. 63 Sugihira 2011b: 53. 64 Zu Ippens Lebensweg und Wanderungen in Bilderrollen siehe Ehmcke 1992.

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(1237–1319) begründet wurde. Ji bedeutet „Zeiten“, und die Schule heißt so, weil bestimmte Zeiten für das Sprechen des nenbutsu vorgeschrieben wurden. Der Haupttempel dieser Strömung ist Shōjōkōji in Fujisawa in der heutigen KanagawaPräfektur in Ost-Japan.

8. Rinzai-Zen und die „Fünf Berge“ 8.1. Allgemeine Bemerkungen zum „Zen-Buddhismus“ Das Wort Zen, das dem Chinesischen Chan und dem Koreanischen Sŏn entspricht, leitet sich von dem Sanskritbegriff dhyāna ab und bedeutet nicht weniger – und wie einige sagen würden auch nicht mehr – als „Meditation“. Trotzdem hat es sich zum Inbegriff einer breiten Kultur innerhalb der buddhistischen Tradition entwickelt, die in dieser Form in China ihren Anfang nahm und nur theoretisch aus Indien abgeleitet wird und sich tatsächlich vor allem mit Meditation beschäftigt. Für Chan/Zen ist der Ausgangspunkt in der Meditation eine einschneidende, dialektische Reaktion auf die buddhistische Scholastik. Erstens wurde der Scholastik das einfache „Sitzen“ entgegengesetzt, und zweitens sollten sich die Lernenden durch einen regen Austausch mit den Meistern von konzeptionellen Anhaftungen lösen, die die Erleuchtung verhinderten. Gleichzeitig fußt diese Loslösung von „Ansichten“ fest auf der frühen Tradition des Mahāyāna-Buddhismus, so dass es nicht wirklich eine Neuerung des Zen ist. Was soll schon entstehen, wenn man „Nichts“ zur „Leerheit“ hinzufügt? Was von außen als besonders angesehen worden sein mag, war das Bestreben, die Erkenntnis der eigenen Buddhaschaft, d. h. die Erleuchtung, in diesem Leben zu erlangen und sich nicht mit einem unbestimmten Aufschub zufriedenzugeben. Aber selbst das ist nicht einzigartig im Buddhismus, es ist vielmehr deutlich im Einklang mit der Idee von sokushin jōbutsu (Erlangen der Buddhaschaft in diesem Körper), wie sie von Kūkai vertreten wurde. Im Zen-Buddhismus wurde dieser Punkt jedoch stärker hervorgehoben, und es wurde keine Zeit mehr mit der ausgefallenen Symbolik der mikkyō-Lehren verbracht. Die Freiheit des Einzelnen, die dadurch, zumindest für anerkannte ZenMeister, gewährt wurde, führte zu einer großen Vielfalt von künstlerischen Ausdrucksformen, die die ostasiatische Kultur dauerhaft prägten. Insgesamt übernahm der japanische Zen den ursprünglichen Impuls des chinesischen Chan und führte die Hauptelemente mit beträchtlicher Hingabe und Begeisterung fort. Man sollte sich aber merken, dass zen, im allgemeinen Sinne von „Meditation“, seit den Anfängen Teil des japanischen Buddhismus war und dass verschiedene Formen von zen von vornherein ihren festen Platz im systematisierten Gefüge des TendaiBuddhismus hatten.

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Es ist üblich und auch angemessen, in Japan zwischen Rinzai- und Sōtō-Zen zu unterscheiden. Rinzai-Zen geht auf die Schule des chinesischen Meisters Línjì Yìxuán (japan. Rinzai Gigen, gest. 866) zurück und besonders auf seine in der Rinzairoku festgehaltenen Äußerungen. Sōtō-Zen hingegen beruft sich auf die Lehren der Mönche Dòngshān und Cáoshān, die im 9. Jahrhundert in China lebten. Sie werden meist als Cáodòng zusammengefasst, was in japanischer Aussprache Sōtō ergibt. Die beiden Richtungen haben sich in Japan nicht genau parallel entwickelt. Die Rinzai-shū besteht aus einer Anzahl großer, unabhängiger Tempel und ist damit eher ein Verbund von Haupttempeln, wohingegen die Sōtō-shū eine einzige Schule mit nur zwei großen Haupttempeln ist, dem Eiheiji und dem Sōjiji (siehe Kapitel 10). Im 17. Jahrhundert entstand mit dem Ōbaku-Zen noch eine weitere Richtung (siehe Kapitel 13). Ōbaku-Zen ist besonders stolz auf seine Nähe zu den chinesischen Quellen, was auch in der Architektur im chinesischen Stil zum Ausdruck kommt. Der Gedanke, diese verschiedenen Traditionen als „Zen-Buddhismus“ oder Zen-Shū zusammenzufassen, ist eine moderne Konstruktion und sollte daher nicht pauschal auf frühere Zeiten angewendet werden, jedenfalls nicht achtlos. Aus chronologischen Gründen wird sich dieses Kapitel vor allem mit der frühen Phase der Etablierung des Rinzai-Zen in Kyōto und Kamakura befassen.

8.2. Eisais Einführung des Zen in Japan Myōan Eisai (1141–1215), ein Zeitgenosse Hōnens, ist eine Schlüsselfigur für die weitere Entwicklung des japanischen Buddhismus, da er die Praktizierung des Zen aus dem zunehmend komplexer werdenden Geflecht von Lehren und Praktiken löste, die durch die Shingon- und Tendai-Mikkyō entstanden waren. Hier findet sich das gleiche Streben nach Vereinfachung und Fokussierung, das zur einzigartigen Verbreitung des nenbutsu in Japan führte. Während das nenbutsu aber nötig erschien, weil die Menschen nicht mehr in der Lage seien, selbstständig die Erleuchtung und den Zustand des Nirvāṇa zu erreichen, war genau das nach wie vor Ziel des Zen. Das Ideal war hier nicht ein transzendenter Amida Buddha, der andere Lebewesen aufgrund seiner Kräfte und Bodhisattva-Gelübde gütig mitnahm, sondern die Leistung von Śākyamuni, dem historischen Buddha selbst, das Vorbild schlechthin für alle, die ihm zu folgen gedenken. Eisai (der Name wird mitunter auch Yōsai ausgesprochen) wurde mit vierzehn ordiniert und studierte das Tendai-System wie viele andere auf dem weitläufigen Tempelgelände am Berg Hiei. Er trat auch nie von seiner Tendai-Ordination zurück. Um sein Wissen zu vertiefen, reiste er 1168 zum ersten Mal nach China. Bei einer zweiten Chinareise versuchte er, auf der Suche nach den Ursprüngen des Buddhismus bis nach Indien zu kommen, was sich allerdings als undurchführbar erwies. In China kam er in Kontakt mit den charakteristischen Lehren und Praktiken des Chan-Buddhismus, die ihn sehr beeindruckten. In der Lehrtradition von

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Línjì wurde der direkten Auseinandersetzung zwischen Meistern und Schülern eine neue Bedeutung zugemessen. Das Ziel war, die Schüler zu einer neuen Wahrnehmung der Realität anzuregen, die die Fallen gewöhnlicher, einschränkender Denkweisen überwinden sollte. Eisais Lehrer in dieser Tradition war Xūān Huáichǎng (japan. Koan Eshō). Er war es auch, der Eisai autorisierte, die Tradition in Japan fortzuführen, wo sie nach Línjì genannt als Rinzai-Zen bekannt wurde. Im Rinzai-Zen gewann der Gedanke einer separaten Weitergabe jenseits der Schriften zunehmend an Bedeutung und geht vermutlich auf den „sechsten Patriarch“ Huìnéng (japan. Enō 638–713) zurück. Auf der einen Seite sollte die Erfahrung der Erleuchtung, die als das Ziel der Anhänger des Buddha angesehen wurde, direkt, individuell und schlagartig sein. Das Tendai-System hingegen gestattete theoretisch auch eine schrittweise Erleuchtung, was von Huìnéng nicht anerkannt wurde, da man damit weiterhin in dem meditativen Zustand feststecken würde, der der eigentlichen Erleuchtung vorausgeht.65 Aber wie kann man auf der anderen Seite wissen, dass man tatsächlich „erleuchtet“ ist, wenn die Erleuchtung schlagartig geschieht und mit den vorherigen Erfahrungen der Meditation bricht? Könnte nicht vermutet werden, dass ein erleuchteter Meister es einfach „weiß“, so wie der Buddha von seiner eigenen Erleuchtung wusste? Aber wie wissen andere davon? Um das Problem der Willkürlichkeit zu vermeiden, musste ein Lehrer in der Zen-Tradition dem Erleuchteten ein „Siegel-Zertifikat“ (japan. inka shōmei 印可証明), das Siegel der Dharma-Weitergabe, ausstellen. Eine zweite Garantie für Kohärenz liegt in der Verwendung einer umfangreichen Sammlung schwieriger Fragen, die kōan genannt werden, oder kurze Denkaufgaben namens mondō, d. h. „Frage und Antwort“. Sie werden in Texten wie dem Hekiganroku (chines. Bìyán Lù, „Niederschrift von der blauen Klippe“) oder dem Mumonkan (chines. Wúménguān, „Die Torlose Sperre“)66 überliefert. Da sie alle gesammelt und wiederholt werden und die mondō sowohl Frage als auch Antwort enthalten, wurden sie ritualisiert. Ein Novize muss aber trotzdem den kompletten Gedankenprozess durchlaufen und Verwunderung und Zweifel selbst erfahren, bis er je nach eigenem Tempo die nächste Stufe erreicht. Dieser Prozess ist eine personalisierte, geleitete Alternative zu dem, was letztendlich das Studium der gleichen Mahāyāna-Gedanken ist, die sich in den frühen Sūtras, den Kommentaren von Nāgārjuna und so weiter finden. Es impliziert jedoch eine individuelle Aneignung dessen, was sich dort in ausschweifenden Narrativen und Kommentaren findet, daher wird die schlichte Form der kōan sehr geschätzt. Bei einer Person, die als

65 Für Details hierzu siehe The Platform Sutra of the Sixth Patriarch (Yampolsky 1989) und Das Sutra des sechsten Patriarchen (Morinaga/Jarand 2008). 66 Das Mumonkan wird oft als „Das Torlose Tor“ bezeichnet, aber das ist nicht zutreffend, da die normale Bedeutung von kan (chines. guān) eine Grenze oder ein Grenzübergang ist. In diesem Fall ist es eine Absperrung ohne Tor, ein Problem für jede/n, der/die es durchqueren möchte.

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würdig angesehen wird, das inka zu empfangen, wird davon ausgegangen, dass sie die Sammlung der überlieferten kōan studiert hat. Und dabei hat sie sie nicht nur als spirituelle Orientierung und Herausforderungen gelesen, sondern auch, um die dahinterstehenden Prinzipien der Erleuchtung zu verstehen, so dass eine solche Person als Zen-Lehrer, als rōshi, auftreten kann. Die zentrale Erfahrung ist kenshō, das Erblicken der eigenen Natur, d. h. der zugrundeliegenden eigenen BuddhaNatur. Das zu wissen oder zu sehen, ist satori, Erleuchtung, oder das Erwachen zu diesem grundlegenden Daseinszustand.67 Es wird davon ausgegangen, dass die Linie von Lehrern und Schülern, die die Autorisierung erhalten, seit der Zeit des Buddha ununterbrochen sei, jedoch sind die frühen Teile der Traditionskette bei einer derart individualisierten Form zweifellos nachträglich konstruiert. Später, in der Blütezeit des Chan in China, wurde das Muster notwendigerweise ritualisiert, denn ohne autorisierte Weitergabe konnte es keine verlässliche Lehre geben. Das findet auch Ausdruck in der komplexen Linie der Zen-Nachfolge, die eindrucksvoll als kechimyaku, wörtlich „Blutlinie“, bezeichnet wird, was aber rein metaphorisch zu sehen ist. Man muss mit diesem Ausdruck vorsichtig sein, da in einigen Schulen des japanischen Buddhismus die direkte Vererbung eines Amtes tatsächlich üblich ist. Auch das metaphorische Konzept des kechimyaku wurde von einem materiellen Beweis für die Weitergabe begleitet. In dem wichtigen Zen-Tempel Tōfukuji werden beispielsweise die von einem Meister zum nächsten weitergegebenen Roben bis heute sorgfältig aufbewahrt.68 Von dieser Art war auch der Zen, zu dessen Einführung in Japan unter dem Namen Rinzai-Zen Eisai ermächtigt worden war. Und aufgrund dieser ineinandergreifenden Vorstellungen von Autorität und Weitergabe wurde eine Loslösung vom Tendai-Buddhismus schließlich unvermeidbar.

8.3. Tempelgründungen des Rinzai-Zen in Kyōto und Kamakura Die Geschichte des Rinzai-Zen in Japan besteht in weiten Teilen aus der Geschichte der großen Tempel, von denen einige sehr einflussreich wurden und blieben. Die frühen, führenden Rinzai-Tempel wurden in der Hauptstadt Heian (Kyōto) und Kamakura gegründet. Eisai war 50 Jahre alt, als er 1191 von seiner zweiten Chinareise zurückkehrte, und 1202 war er die treibende Kraft hinter der Gründung dessen, was als erster Zen-Tempel in Japan angesehen wurde, nämlich Kenninji in

67 Für eine einführende Studie zum Thema kōan siehe Miura/Sasaki 1965. Diese Arbeit beinhaltet auch ein hilfreiches Glossar mit relevanten Ausdrücken. 68 Yamakawa 2015.

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Kyōto. Zu Beginn war Kenninji allerdings noch Teil des Tendai-Systems und wurde erst später offiziell als Rinzai-Einrichtung neu kategorisiert. Trotzdem wird seine Gründung durch Eisai mit einigem Stolz als Schlüsselmoment in der Geschichte des Rinzai-Zen in Japan angesehen, was seit langem durch den Umstand unterstrichen wird, dass die Tempel-Autoritäten den Namen des Gründers nachdrücklich als Yōsai aussprechen. Der nächste große Rinzai-Tempel war Tōfukuji, der auch in Kyōto eröffnet wurde. Er wurde auf Wunsch des wohlhabenden und einflussreichen Sponsors Fujiwara Michiie (1192–1252) gebaut, der 1236 auch Enni Ben’en (1202–1280) als ersten Abt an den Tempel rief. Der Name Tōfukuji hat die wörtliche Bedeutung „Tempel des Östlichen Glücks“ und verbindet Tō- aus dem Tōdaiji mit -fuku aus dem Kōfukuji, zwei der einflussreichsten Tempel in Nara. Ben’en hatte einige Zeit die offizielle Position des daikanjin am Tōdaiji inne, und Kōfukuji hatte von jeher eine enge Verbindung mit der weitläufigen Fujiwara-Familie. Das verdeutlicht den Umstand, dass für Ben’en, ebenso wie für Eisai, Chan bzw. Zen ausgeübt werden konnte, ohne einen besonderen Bruch mit einer der bestehenden buddhistischen Traditionen zu vollziehen. Ben’en hatte seine Erfahrungen mit dem Chan-Buddhismus über etwa sechs Jahre hinweg in Sòng-China gesammelt und war nach seiner Rückkehr bereits in Zen-Tempeln in Kyūshū tätig gewesen. In der Hauptstadt war er wegen seines Wissens über verschiedenste chinesische Angelegenheiten sehr gefragt. Aufgrund seiner Erfahrung erhielt er auch die Aufgabe, den Wiederaufbau des Kenninji nach einem Feuer zu organisieren, wodurch die beiden Tempel durch seine Person miteinander verbunden wurden. Es gibt nach wie vor die Tradition, die Glocke des Tōfukuji zu der Zeit zu schlagen, zu der er zum Kenninji aufbrach, und die dortige Glocke zu dem Zeitpunkt zu schlagen, als er dort eintraf.69 Zu seiner Zeit wird es eine Weile gedauert haben, bis er von einem Tempel zum anderen gelangte. Der Tōfukuji selbst entwickelte sich zu einem beachtlichen Kloster-Tempel-Komplex, und auch wenn er heute noch floriert, ist es doch schwer vorstellbar, dass auf seinem Gelände einmal siebzig untergeordnete Tempel bestanden. Neben der Meditationshalle, der riesigen Gemeinschaftsküche und anderen notwendigen Bauten ist der Tempel für seine Kannon-Halle und sein gewaltiges „Tor“ (sanmon) bekannt, das ein eigenständiges Gebäude darstellt.70 Zu der Zeit, als Eisai nach Japan zurückkehrte, begann sich die Macht des Kamakura-Shōgunats zu festigen. Kamakura war das Machtzentrum der Genji-Sippe und ab 1185 die neue politische Hauptstadt im Osten des Landes. Kurz nach dem Tod

69 Suzuki 2013: 61, 66. 70 Die Schreibweise von sanmon kann je nach Tempel variieren, da san- sowohl mit dem Zeichen für „drei“, also wie hier 三門, als auch dem Zeichen für „Berg“, also als 山門, geschrieben werden kann. Am Tōfukuji und am Nanzenji (unten) wird das Schriftzeichen für „drei“ verwendet, da das Haupttor über zwei seitliche Stützstrukturen verfügt.

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des Kriegsherrn Minamoto71 Yoritomo (1147–1199) wurde ihm zu Ehren im Jahr 1200 der Tempel Jufukuji in Kamakura errichtet, und Eisai wurde dort als erster Abt eingesetzt. Das bedeutet, dass Rinzai-Zen bereits ab dem Beginn der Kamakura-Zeit in der Stadt präsent war. 1257 wurde auch Ben’en an den Jufukuji eingeladen, was die Verbindung zwischen den Rinzai-Tempeln in Kyōto und Kamakura weiter festigte. Die Stellung des Rinzai in Kamakura wurde später noch verstärkt. Der bedeutende Kenchōji wurde 1253 gegründet und Daitō (1282–1337), der später der erste Abt des Daitokuji wurde, verbrachte dort in seiner Jugend vier Jahre (1301–1305). Im weiteren Verlauf folgten Gründungen der Jōdo-shū und der Nichiren-shū (vgl. Kapitel 11). Unter den Rinzai-Tempeln in Kamakura befand sich das Nonnenkloster Eishōji, das allerdings später in einen Amida-Tempel umgewandelt wurde, an dem sich heute von Nonnen nur noch Gräber befinden. Trotz der Etablierung des Rinzai-Zen in Kamakura blieb Kyōto weiterhin von großer Bedeutung für diese Richtung. Nanzenji zum Beispiel wurde 1274 als Alterssitz für den Kaiser Kameyama (reg. 1259–1274) an einer Stelle errichtet, an der sich bis dahin ein Tendai-Tempel befunden hatte. Er war als ein Ausbildungstempel geplant und Dutzende Behausungen wurden angelegt, von denen nur noch eine geringe Anzahl erhalten ist. Die Hauptgebäude sind ausgesprochen beeindruckend, nicht zuletzt das riesige „Tor“ (sanmon), das jedoch erst 1627 errichtet wurde. Es gestattet einen weiten Blick über Kyōto und beheimatet in der Halle auf der oberen Ebene eigene Statuen, insbesondere von Śākyamuni Buddha und seinen sechzehn großen Schülern, sowie andere Würdige (skt. arhat; japan. rakan).72 In diesem Punkt unterscheidet sich Nanzenji von anderen großen RinzaiEinrichtungen mit ihren weiten Zen-Hallen und vielen Unter-Tempeln. Daitokuji, eine der größten Rinzai-Zen-Klosteranlagen, wurde 1326 durch die Patronage des Ex-Kaisers Hanazono und des Kaisers Godaigo (reg. 1318–1339) von dem Zen-Meister Daitō Kokushi gegründet. Der Titel kokushi bedeutet wörtlich „Lehrer des Landes“, während Daitōs eigener Name „Große Laterne“ bedeutet. Er bezog sich auf die Zen-Tradition von Daiō Kokushi (1235–1308), der unter dem Namen Nanpo Jōmyō von 1259 bis 1267 den Chan in China studierte und dort das Recht zur Weitergabe von Xutang Zhiyu (japan. Kidō Chigū, 1185–1269) erhielt. Daitō ist bekannt für seine Dichtung, Dialoge und Predigten. Der Tempel besitzt schöne Portraits dieses und anderer Gelehrten. Der einflussreiche Tempel Myōshinji wurde 1342 von Kanzan Egen (1277–1360) gegründet. Er erhielt den postumen Namen Kanzan Kokushi und im 19. Jahrhundert wurde ihm außerdem der Name Musō Daishi verliehen. Kanzan stand in der Dharma-Nachfolge von Daiō und Daitō des Daitokuji und somit auch in der Nach-

71 Genji wird auch Minamoto ausgesprochen. 72 „Würdige“ sind diejenigen, die einen Stand erreicht haben, von wo aus sie in den Zustand des Nirvāṇa eintreten können.

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folge Nanpo Jōmyōs. Mit der Hinzufügung von Kanzan wurde diese Linie der Weitergabe summarisch als die Linie Ō-tō-kan bekannt. Trotz Kanzans Bedeutung als erstes geistliches Oberhaupt des Tempels war die treibende Kraft hinter der Gründung des Myōshinji eigentlich der Kaiser Hanazono (1297–1348, reg. 1308–1313). Er war ein ernsthafter Anhänger des Zen-Buddhismus und seiner kulturellen Ausprägung, besonders in seinen späteren Jahren. Ein weiterer hoch angesehener Tempel ist Tenryūji, der 1339 gegründet wurde, aber erst 1345 unter der Förderung des Ashikaga-Shōgun Takauji (1305–1358) vollendet werden konnte. Takauji führte das Projekt als Zeichen des Respekts für den verstorbenen Kaiser Godaigo fort, mit dem er zuvor politische Auseinandersetzungen gehabt hatte. Erster Abt wurde Musō Soseki (1275–1351), der Takauji auch bei der Etablierung anderer Tempel und Pagoden in ganz Japan beratend zur Seite stand. Diese Stätten wurden errichtet, um die Geister derer zu befrieden, die während der Auseinandersetzungen, die zur Errichtung des Ashikaga-Shōgunats führten, ums Leben gekommen waren. Nicht zuletzt aufgrund seiner glänzenden Verbindungen bewahrte sich der Tempel über die Jahre hinweg ein hohes Ansehen und ist, neben seiner Position als Zentrum der Zen-Tradition und des Trainings, auch für die Schönheit seines Gartens berühmt.73

8.4. Das System der „Fünf Berge“ Die Struktur des Rinzai-Zen-Buddhismus in Japan wird also durch eine Anzahl an Haupttempeln charakterisiert, die trotz Kontakten untereinander großen Wert auf die unterschiedlichen ausdifferenzierten Traditionen der Dharma-Weitergabe legen. Obwohl Eisai sicherlich eine gewisse Sonderstellung hat, als erster Mönch, der den Rinzai-Zen nach Japan brachte, so wurde er dadurch nicht zum Begründer einer einzelnen, einheitlichen Schule. Es gibt im Gegenteil mehrere Traditionszentren, die von ihren Vertretern sorgfältig geschützt werden. Dieser Polyzentrismus des Rinzai-Zen findet weiterhin Ausdruck in dem System der „Fünf Berge“, im Japanischen bekannt als gozan 五山 (auch gosan ausgesprochen), das direkt, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, aus dem Reich der südlichen Sòng-Dynastie in China übernommen wurde. Berge waren einst Rückzugsorte für diejenigen, die sich einem klösterlichen Leben verschrieben hatten und Abgeschiedenheit suchten. In diesem neuen Verständnis wurden die „Berge“ jedoch zu einer Metapher für die großen Tempel, die eine Leitungsfunktion gegenüber einer Anzahl kleinerer Tempel oder ähnlicher Einrichtungen hatten. Das ist auch der Grund, warum der Begriff honzan 本山 oder „Hauptberg“ im japanischen Buddhismus allgemein

73 Zu den berühmten Kinkakuji und Ginkakuji, die ebenfalls von den Ashikaga-Shōgunen finanziert wurden und für ihre Gärten besonders bekannt sind, siehe 12.2. unten.

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verbreitet ist; er bezeichnet Haupttempel, die nicht immer zwangsläufig in der Nähe eines Berges gelegen sind. Unbequem für die Geschichtsschreibung ist der Umstand, dass die Liste der „Fünf Berge“ des Zen in Japan aufgrund politischer Veränderungen im Verhältnis zwischen Kyōto und Kamakura und Konkurrenz unter den Tempeln immer wieder überarbeitet wurde. Die volle Komplexität dieses Prozesses kann hier nur angedeutet werden.74 Das Ziel des „Fünf Berge“-Systems war einerseits inner-buddhistisch die Legitimierung der Zen-Tempel neben den älteren bestehenden Schulen, andererseits die Entwicklung eines Tempel-Netzwerkes, das der Staat beeinflussen konnte und umgekehrt. Vor allem die zweite Funktion führte immer wieder zu Veränderungen. Das System wurde zuerst in Kamakura eingeführt, wo Rinzai-Zen von den Hōjō-Regenten begeistert unterstützt wurde. Hier bezeichnete man die fünf führenden Tempel in der Reihenfolge ihres Status als Kenchōji, Engakuji, Jufukuji, Jōchiji und Jōmyōji. Die chronologische Reihenfolge nach ihrer Gründung wäre hingegen: Jōmyōji (1188), Jufukuji (1200), Kenchōji (1253), Engakuji (1282)75 und Jōchiji (1283). Das Gründungsdatum des Jōmyōji bezieht sich auf seine ursprüngliche Gründung als Shingon-Tempel, als Rinzai-Tempel umgewidmet wurde er erst einige Zeit nach der Errichtung des Kenchōji. Obwohl der Jufukuji bei weitem der älteste Tempel war und noch den erhabenen Eisai in seinen Mauern beherbergt hatte, kann die relative Bedeutung des Kenchōji an dem Umstand ersehen werden, dass sein Name auf einen der Ära-Namen76 des Kaisers Gofukakusa (reg. 1246– 1259) zurückgeht, unter dem er gebaut wurde. Als sich die politische Macht im 14. Jahrhundert wieder nach Kyōto verlagerte, beschloss der einflussreiche Kaiser Godaigo (reg. 1318–1339), das gozan-System nach seinen Wünschen umzugestalten, und setzte Tempel aus Kyōto, nämlich Nanzenji, Tōfukuji und Kenninji, an die Spitze der Liste; von Kamakura wurden nur Kenchōji und Engakuji beibehalten. Für die Ashikaga-Shōgune war das nicht tragbar und ab 1341 wurden die Listen anders zusammengeführt, indem die Ränge verschiedentlich doppelt belegt wurden.77 Dabei übernahmen Kenchōji (Kamakura) und Nanzenji (Kyōto) gemeinsam den ersten Rang, während Engakuji (Kamakura) und der neuere, aber prestigeträchtige Tenryūji (Kyōto) dem zweiten Rang zugeordnet wurden. Jōchiji in Kamakura wurde mit dem Status eines Zusatztempels unter den gozan (jun-gozan) wieder aufgenommen. In den folgenden Jahren wurde weiter an der Liste herumgebastelt, aber 1380 erreichte man schließlich

74 Für eine ausführliche Studie vgl. Collcutt 1981. 75 Dieser Tempel wurde in neuerer Zeit durch seinen rōshi Shaku Sōen und seinen international berühmten Schüler Suzuki Daisetsu bekannt. 76 Im Unterschied zur Moderne, in der ein Kaiser nur einen Ära-Namen hat, wurde die Regierung eines Kaisers früher häufig in mehrere „Ära-Namen“ unterteilt, die gewählt wurden, um möglichst glücksverheißend zu sein. 77 Vgl. die Tabelle bei Collcutt 1981: 110.

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eine Balance mit fünf Tempeln aus jeder Stadt. In der Zwischenzeit hatte man einen neueren Tempel der Tōfukuji-Linie, den Manjuji, für den fünften Rang in Kyōto eingeführt. 1386 musste Platz für einen weiteren neuen und gesellschaftlich einflussreichen Rinzai-Tempel, den Shōkokuji, geschaffen werden. Dieser war Ende des 14. Jahrhunderts in bester Lage, im Norden des kaiserlichen Palastes, auf Geheiß von Ashikaga Yoshimitsu (1358–1408) errichtet worden. Um ihn in die Liste aufnehmen zu können, wurde Nanzenji in eine Position sogar über den gozan (gozan no jō) erhoben, während Tenryūji eine Stufe aufstieg. Damit wurde die Reihenfolge für Kyōto Tenryūji, Shōkokuji, Kenninji, Tōfukuji und Manjuji. In diese Listen wurden Myōshinji und Daitokuji trotz ihrer großen Bedeutung niemals mit aufgenommen, da sie ihre eigenen, unabhängigen Traditionslinien hatten. Es ist dagegen bemerkenswert, dass Kenninji und Tōfukuji, die als zwei der frühesten Rinzai-Tempel miteinander verbunden waren, es schafften, gegen alle Einwirkungen von Kaisern und Shōgunen ihren Status zu bewahren. Unterhalb der gozan gab es eine weitere Gruppe von Tempeln, die als jissatsu bezeichnet wurden. Theoretisch war dies eine Liste von zehn Tempeln, aber auch hier gab es immer wieder Variationen, um das politische Gleichgewicht zu wahren. In diesen Listen78 stehen andere Tempel, wie etwa Zenkōji79 und Zuisenji in Kamakura oder Rinsenji und Daitokuji in Kyōto. Als der Rinzai-Zen seine Position weiter gefestigt hatte, entstanden kleine Tempel, die den lokalen Bedürfnissen überall im Land gewidmet waren und mit Tempelpriestern besetzt wurden, die in einem Haupttempel, nicht zwingend einem der gozan, ausgebildet wurden. Auf diese Weise entstanden Untergruppen oder -ha, die sich an dem entsprechenden Haupttempel orientierten und auch nach ihm benannt waren. So kam es zu Schulbezeichnungen wie Rinzai-shū Daitokuji-ha, Myōshinji-ha oder Shōkokuji-ha. Der Streit über die Stellung und den Status von Tempeln innerhalb des gozan-Systems scheint wenig mit Erleuchtung und viel mit politischer Kontrolle zu tun gehabt zu haben, aber der Status eines Tempels war auch mit der Frage nach seiner traditionellen Abstammung verbunden und somit eine Frage der Autorität der Weitergabe der Lehre. Der Charakter des Rinzai-Zen ist dadurch gekennzeichnet, dass er diese Fragen kaum vermeiden kann. Als Gegenstück dazu kann man eine Zen-Gruppe oder Bewegung ansehen, die nicht so stark von dem zunehmend formalisierten System der Klöster und Tempel abhängig war und im 13. Jahrhundert entstand – die Fuke-shū. Die Wandermönche dieser Gruppe, die komusō, waren bekannt für ihre eindringliche Musik, die sie auf kräftigen Bambusflöten (shakuhachi) spielten. Da sie ihre Köpfe mit großen, geflochtenen Bambushüten verdeckten, konnte ihre typische Erscheinung leicht als Verkleidung verwendet werden, weshalb sie in Kostümdramen häufig als

78 Vgl. Collcutt 1981: 114. 79 Nicht zu verwechseln mit dem Tendai/Jōdo Zenkōji in Zentral-Japan.

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Schwindler auftreten. Fuke-Zen unterhielt zeitweilig einige eigene Tempel, aber letztendlich konnte er sich nicht mehr als Tempelschule von der Unterdrückung erholen, der er als suspekte Gruppe in der modernen Meiji-Zeit ausgesetzt war. Die Musikkultur der shakuhachi hingegen ist erhalten geblieben, besonders im Myōanji, der schließlich auch Teil des Tōfukuji-Komplexes in Kyōto ist.

9. Shin-Buddhismus 9.1. Shinran und die Radikalisierung des Amida-Buddhismus Im 12. Jahrhundert kam es zu einer deutlichen Radikalisierung des Amida-Buddhismus, die zur Gründung einer neuen großen Bewegung führte, nämlich Jōdo Shinshū („Die wahre Linie des Reinen Landes“), auch als Shin-Buddhismus bekannt. Diese Bewegung wurde vorrangig von Shinran (1173–1263), respektvoll auch Shinran Shōnin, initiiert und betrieben. Als einer von Hōnens einflussreichsten Schülern erhob er Anspruch darauf, die wahre Bedeutung von dessen Lehren weiterzuführen. Das beinhaltete auch eine Suche nach Genauigkeit der Lehre, basierend auf intensiven Studien. Trotzdem war es vor allem eine spirituelle Radikalisierung. Der Schlüssel lag in der Abwendung von allen praktischen und mentalen Konstruktionen, welche die Gläubigen von dem Vertrauen auf die andere Kraft (tariki) des Amida Buddha ablenken könnten. Die Kraft, eine Kraft der Erlösung, wird den Menschen durch das Gelübde des Bodhisattva Dharmākara (der später zum Amida Buddha geworden sein soll), und besonders durch die Kraft dessen 18. Gelübdes, unabhängig vom Stand ihrer moralischen Leistungen zugänglich. Shinran wurde als Mitglied der Hino-Familie nahe Kyōto geboren. Wie Dōgen verlor er schon sehr jung seine Eltern und dies führte zu seinem frühen Eintritt ins Kloster. Viele Jahre lang übte er sich in der Jōgyōzanmai-Halle am Berg Hiei in der Amida Buddha gewidmeten Meditation. Jōgyōzanmai bedeutet „Meditation durch ununterbrochenes Gehen“, aber es beinhaltet auch die Rezitation des Namens Amida. Es gelang Shinran jedoch nicht, die von sich selbst erwarteten Fortschritte zu erzielen, und deshalb gab er die Praktik schließlich auf und verließ den Berg. Während seiner weiteren Suche hatte er 1201 ein Schlüsselerlebnis, als er sich für 100 Tage in die Abgeschiedenheit begab, und zwar in den alten Tempel Chōhōji im Zentrum des heutigen Kyōtos. Dieser Tempel, der aufgrund seiner Form oft auch Rokkakudō („Sechseckige Halle“) genannt wird, beherbergte Kannon Bosatsu (Bodhisattva). Gegen Ende seines Aufenthaltes hatte Shinran einen Traum, in welchem ihm Prinz Shōtoku erschien, der seinerseits schon lange mit diesem Tempel assoziiert war und außerdem als Inkarnation Kannons galt. Auf diese Weise riet ihm Kannon Bosatsu, den Jōdo-Lehrer Hōnen aufzusuchen und

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bei ihm zu studieren, was Shinran auch tat. Wie schon gesehen, lehrte Hōnen den „einfachen Pfad“, im Gegensatz zum „schwierigen Pfad“ von Möchtegern-Heiligen, welche spirituellen Erfolg durch ihre eigenen endlosen Bemühungen zu erlangen suchten. Nach seinen Erfahrungen am Berg Hiei fand Shinran die Lehren Hōnens und sein Vertrauen auf das nenbutsu sehr überzeugend und wandte sich diesem Glaubensweg der „ursprünglichen Gelübde“ Amidas zu. Er wurde einer von Hōnens gewissenhaftesten und bekanntesten Schülern. Trotz der Einfachheit der Glaubensstruktur entwickelte er sein Wissen über die komplizierten schriftlichen Grundlagen, indem er 1204 Hōnens Schrift Senchakushū (im Shin-Buddhismus später als Senjakushū bezeichnet) abschrieb, und dies war der Ausgangspunkt für seine eigenen späteren Arbeiten. Die Einfachheit der neuen Form der nenbutsu-Lehre führte dazu, dass Hōnen und seine Schule sehr populär wurden, gleichzeitig jedoch zu einer staatspolitischen Unterstützung der bestehenden buddhistischen Schulen, die eine Verbannung der führenden Jōdo-Anhänger durchsetzen konnten. Wie Hōnen selbst wurde auch Shinran ins Exil geschickt, in seinem Fall in die Provinz Echigo am Japanischen Meer, die in dieser Zeit weitab von der Hauptstadt lag. Dies stoppte jedoch nicht die Verbreitung seiner Lehren, und Shinran sammelte in Echigo eine ansehnliche Anhängerschaft um sich, welche in dieser Region bis in die Gegenwart besteht. Außerdem entschied er sich dazu, sich vom monastischen Leben abzuwenden und zu heiraten. Seine Frau, Eshin-ni, war ebenfalls einflussreich in der Shinbuddhistischen Bewegung und Briefe von ihr sind erhalten geblieben. In dieser Zeit begann Shinran sich selbst als „weder Mönch noch Laie“ zu bezeichnen, was wegweisend für die spätere Ausrichtung des Führungsstils und der Seelsorge war. Die Folge war, dass der Klerus im Shin-Buddhismus nicht dazu gezwungen war, das häusliche Leben hinter sich zu lassen. Als das Exil aufgehoben wurde, reiste Shinran zunächst nach der Kantō-Region im Osten und gewann dort viele Anhänger unter der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung. Danach kehrte er in die Hauptstadt Heian zurück und setzte seine Misison dort fort. Als Folge dieser verschiedenen Aktivitätsphasen etablierte sich Shinrans Version von Hōnens Lehre in drei unterschiedlichen Regionen des Landes. Später erlebte Shinran eine große Enttäuschung durch seinen Sohn Zenran, welcher sich unter ärgerlichen Umständen von seinen Lehren abwandte. Sein Urenkel Kakunyo, Enkel einer seiner Töchter, gründete schließlich den Tempel Honganji (Tempel der Ursprünglichen Gelübde), welcher trotz vieler Unbeständigkeiten die Lehren des Shin-Buddhismus seitdem bewahrt hat. Die Geschichte von Shinrans Leben, von seiner Geburt bis zu seiner Grablegung in einem Mausoleum in Kyōto namens Ōtani-byō, wurde schnell Gegenstand illustrierter Rollen, sowohl von langen, horizontalen emakimono als auch von Hängerollen (kakejiku). Letztere hatten eine Anzahl Paneele, die vertikal angeordnet wurden. Das erste emakimono wurde von Shinrans Urenkel Kakunyo (1270–1351) geschaffen. Dessen Sohn Zonkaku (1290–1373) wird die Trennung von Text und

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Bildern zugeschrieben, so dass die Bilder leicht in Hängerollen dargestellt werden konnten, deren Verwendung später von Rennyo (1415–1499, siehe unten) in den örtlichen Shin-buddhistischen Tempeln gefördert wurde. Besonders die kakejiku wurden bis in die moderne Zeit als Lehrmittel eingesetzt und zu besonderen Anlässen in den Tempeln ausgehängt. In den meisten Fällen stellen sie Shinrans Leben in einer frommen, aber trotzdem rationalen Weise dar. Es gibt jedoch auch eine weniger bekannte und nur unzureichend untersuchte hagiographische Tradition, welche Wunderdarstellungen einschließt.80

9.2. Shinrans Hauptschriften und Ideen Shinrans bedeutendste Schrift trägt den konventionellen Kurztitel Kyōgyōshinshō, was sich als „Lehre, Praxis, Glaube und Erleuchtung“ übersetzen lässt. Der volle Titel ist eher erklärend und lautet: „Eine Sammlung von Texten über die wahre Lehre, die Praxis und die Erleuchtung des Reinen Landes“.81 Während der Begriff „Glaube“ (shin) nur in dem Kurztitel vorkommt, wird „Lehre“ in dem Untertitel als „wahre Lehre“ (shinjitsukyō) weiter spezifiziert, und es ist dieses Konzept, von dem sich die Bezeichnung als Shin-Buddhismus ableitet.82 Insgesamt ist die Arbeit eine Sammlung von kommentierten Passagen, oder Beweistexten, zusammengestellt in der Text-Tradition von Genshin und Hōnen. Es wird davon ausgegangen, dass Shinran diese Schrift während seines Aufenthaltes in der Kantō-Region verfasste und sie möglicherweise bis 1223 vollendete, später wurde sie jedoch in Kyōto erneut kopiert und überarbeitet.83 Das erste Kapitel konzentriert sich auf die Textgrundlage der Lehren, wie sie auch in dem „großen Sūtra“, dem Daimuryōjukyō, zu finden ist und welche die Gelübde Amidas, die er als Bodhisattva ablegte, aufführt. Das Sūtra wird als „die endgültige Lehre des Einen Fahrzeugs“ beschrieben und gleichzeitig als „die wahre Lehre, die der Zeit und den Fähigkeiten der empfindsamen Lebewesen entspricht.“84 Da die Zeiten verkommen und die Fähigkeiten der empfindsamen Lebewesen wie der Menschen gering seien, könne die „wahre Praktik“ nicht die Meditation sein, welche durch die eigene Stärke durchgeführt wird, sondern sie finde sich vielmehr in der Praktizierung des nenbutsu im Glauben. Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass man sich auf die ursprünglichen Gelübde des Amida Buddha verlässt, in denen er versprach, alle, die seinen Namen im vollen Vertrauen anrufen, in das Reine Land zu bringen.

80 81 82 83 84

Für Beispiele vgl. Pye/Triplett 2011: 34–39. Ishida et al. 1983. Shin als „Glaube“ wird mit 信 und als „wahr“ mit 真 geschrieben. Vgl. Ishida et al. 1983: 4f. Ishida et al. 1983: 36.

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In Bezug auf die Gelübde folgt Shinran einem Auswahlprozess, der als „Durchschreiten der Gelübde“ bezeichnet wird, so dass die Serie mit Hōnens Schwerpunktsetzung auf das achtzehnte Gelübde endet. Hier wird die Anrufung des Namens in wahrem Glauben „bis zu zehn Mal“ mit dem Versprechen auf die Geburt im Reinen Land in Verbindung gebracht. Die Betonung liegt hier jedoch nicht auf dem Vollzug der „Praxis“, sondern auf der Einstellung zum wahren Glauben (shinjin), mit welchem diese durchzuführen ist. Shinran nutzte jede Gelegenheit, um zu betonen, dass dieser Glaube keine Spur von Selbstständigkeit oder „eigener Kraft“ (jiriki) haben dürfe. Man müsse sich gänzlich auf die „andere Kraft“ (tariki) verlassen. Der Schlüssel ist daher nicht das bloße Aussprechen des nenbutsu, egal wie oft, sondern die nach innen gewandte Annahme seiner Bedeutung als etwas, das durch das überschwängliche Mitgefühl Amidas gegeben wurde. In letzter Konsequenz ist es nicht einmal notwendig, das nenbutsu überhaupt vokal auszusprechen. Natürlich kann es keine Garantie geben, dass man es wirklich richtig rezitiert hat; man verlässt sich einzig auf das Gelübde und die „andere Kraft“ Amidas. Gleichzeitig sollte die endgültige Erwartung dieser Form des Glaubens nicht unterschätzt werden. Obwohl Geburt im Reinen Land nach dem Tode das Ziel der Gläubigen war und blieb, die dies größtenteils mit viel Vertrauen bildlich verstanden, hatte diese „Geburt“ als letztendliche Erfüllung die Verwirklichung „wahrer Erleuchtung“ (shinjitsu no shō). Was bedeutet das? In den Eröffnungsworten des vierten Kapitels des Kyōgyōshinshō lesen wir von „der endgültigen Erfüllung des unübertrefflichen Nirvāṇa“ und der „ewigen Glückseligkeit“ der „großen Ruhe.“85 Die Geburt in das Reine Land wurde ohnehin als ein helfender Schritt und Ausgangspunkt auf dem Weg zum Erlangen von Erleuchtung und Nirvāṇa verstanden. Bei Shinran wird dies sogar radikalisiert, indem er die Geburt in das Reine Land direkt mit dem Erlangen von Nirvāṇa gleichsetzte. Zwei weitere Kapitel des Kyōgyōshinshō befassen sich mit der Natur des Amida Buddha, des „wahren Buddha“ und seines „Landes“, sowohl in Bezug auf ihre finale Form als auch ihre einstweilige Erscheinung. Verse über diese zentralen Ideen namens Shōshinge („Verse über den richtigen Glauben“) sind von besonderer Bedeutung, da sie sich als geeignet für die regelmäßige Rezitation erwiesen haben.86 Nicht direkt von Shinran geschrieben ist das Tannishō („Beklagen von Unterschieden“), welches eine Sammlung von Aussprüchen Shinrans durch den Mönch Yuien darstellt. Da es nicht nur einen einzigartigen Einblick in Shinrans Gedanken liefert, sondern auch sehr kurz und gut lesbar ist, erfreut sich das Tannishō seit jeher unter seinen Anhängern großer Beliebtheit. Gerade wegen dieser hohen Beliebtheit gibt es verschiedene Übersetzungen in europäische Sprachen, von de-

85 Vgl. Ishida et al. 1983: 139f. 86 Für eine einführende Auswahl seiner Schriften siehe Steineck 1997.

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nen nicht alle gleichermaßen zufriedenstellend sind.87 Hier sind jedenfalls berühmte Sprüche zu finden wie: „Selbst ein guter Mensch kann Geburt [im Reinen Land] erzielen, umso mehr ein schlechter.“88 Dies zeigt pointiert, von welch radikaler Art diese Erlösung war. Diejenigen, die sich am meisten ihrer spirituellen und moralischen Schwäche bewusst sind, benötigen nicht nur das Mitgefühl des Amida Buddha dringender, sie haben auch eine größere Chance, es zu erhalten. Shinran sagte von sich selbst in Paragraph II, dass er nicht wisse, ob das nenbutsu ihm wirklich die Geburt im Reinen Land bringen würde, und dass ihn vielleicht sogar sein Karma in die Hölle führen würde. Unfähig jeder Praktik habe er jedoch keine andere Wahl, als sich auf die Lehren Hōnens zu verlassen. Daher löse er sich von jedem Vertrauen auf seine eigenen Verdienste und wende sich den Werten der ursprünglichen Gelübde Amidas zu. Und doch ist seine Position kein willkürlicher Fundamentalismus. Im Gegenteil, sie begründet sich auf den Erkenntnissen der Mahāyāna-Lehren, wie sich in Sätzen wie den folgenden zeigt: „Das nenbutsu ist der ungehinderte einzelne Pfad“89 oder „Die Bedeutung (gi) des nenbutsu liegt in Nicht-Bedeutung (mugi)“90, worin „Nicht-Bedeutung“ sowohl eine Nicht-Abgrenzung verschiedener Bedeutungen und eine Nicht-Zuschreibung von untergeordneten Bedeutungen auf das nenbutsu selbst impliziert. Von Shinrans kleineren Arbeiten sollte das Songō shinzō meimon („Bemerkungen zu den Inschriften der Heiligen Rollen“) erwähnt werden, in welchem er sich mit der Kalligraphie und den Gemälden auf Hängerollen beschäftigt. Shinran schätzte solche Rollen eindeutig als Fokuspunkt für Instruktionen und Verehrung. Die häufigsten sind, wenig überraschend, solche, die die sechs Schriftzeichen für Namu Amida Butsu zeigen, oder die längere Variante „Nimm Zuflucht zum Tathāgata des in die zehn Richtungen ungehinderten Lichts“. Obwohl Shinrans Verwendung und Darstellung des nenbutsu-Glaubens in sehr grundlegenden Punkten seine eigene ist, sah er sich selbst nicht, wie manchmal angenommen wird, als Erneuerer, der sich von der buddhistischen Tradition abwendete. Ganz abgesehen von der Loyalität zu seinem direkten Lehrer Hōnen versetzten ihn seine intensiven Studien buddhistischer Texte in die Lage, durch eine Reihe von Zeugnissen bis zu den Fundamenten des Buddhismus durchzudringen. Die Auswahl von rückblickenden Bezugspunkten in seinem Kōsōwasan („Hymnen zu den Patriarchen“) ist in diesem Punkt sehr erhellend. Die Abfolge bezieht sich zurück auf Genkū, d. h. Hōnen, und Genshin (942–1017), die drei berühmten chinesischen Gelehrten des Reinen Landes, Shàndǎo (japan. Zendō, 613–681), Dàochuò (japan. Dōshaku, 562–645) und Tànluán (japan. Donran, 476–542), sowie vor

87 Besonders praktisch zu gebrauchen ist die Übersetzung von Fujiwara 1962, die hilfreich kommentiert und mit dem Originaltext versehen ist. 88 Paragraph III. Übersetzungen sind auf dem Text bei Fujiwara 1962 basiert. 89 Paragraph VII. 90 Paragraph X.

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ihnen die berühmten Inder Vasubandhu (japan. Seshin, 4. Jahrhundert) und Nāgārjuna (japan. Ryūju, 2.–3. Jahrhundert). Seit früher Zeit wurden diese sieben Lehrer auf Hängerollen dargestellt, die zu Verehrungs- und Lehrzwecken verwendet wurden. Die „Hymnen“ (wasan) in japanischer Sprache waren für Shinran ein wichtiges Genre. Neben den Lobgesängen auf die Patriarchen und Shōtoku Taishi schrieb er weitere auf das Reine Land (Jōdo wasan) und andere Verehrungsinstanzen (Shōzōmatsu wasan).

9.3. Neubildungen und die Festigung des Shin-Buddhismus durch Rennyo Das Tannishō mag als „Klage“ geschrieben worden sein und um Unterschiede oder zugespitzte „Divergenzen“ zu bekämpfen, aber es konnte die spätere Verbreitung von um Tradition und Einfluss rivalisierenden Zentren, basierend auf bestimmten Shin-buddhistischen Tempeln, trotzdem nicht verhindern. Rückblickend zeigt sich, dass der Großteil der Anhänger dem von Kakunyo gegründeten Honganji und seiner Lehre folgte. Diese Richtung spaltete sich später noch einmal in zwei unterschiedliche Denominationen, die „Westliche“ und die „Östliche“ (siehe unten). Für die Generationen direkt nach Shinrans Tod waren jedoch zwei andere Tempel von besonderer Bedeutung, nämlich Senjuji, nahe der Pazifikküste südlich von Ise, und Bukkōji in Kyōto. Senjuji, noch von Shinran selbst gegründet, wurde der Haupttempel (honzan) einer Linie, die später als Takada-Senjuji-ha, oder auch einfach Takada-ha, bekannt wurde. Sie war trotz der Entfernung besonders in der KantōRegion, d. h. im Osten Japans erfolgreich. Bukkōji wurde ursprünglich als Koshoji durch Ryōgen (1295–1336)91 gegründet und blieb der Honganji-Linie nahe. Im größeren Gefüge der Geschichte des Buddhismus sind die Unterschiede zwischen diesen Gruppen jedoch sehr geringfügig, und sie alle beziehen sich auf Shinran als Hauptgründer. Entscheidend für die spätere Etablierung des Shin-Buddhismus als eine wichtige Größe in der japanischen Kultur und Gesellschaft war die Arbeit von Rennyo (1415–1499).92 Rennyo, ein Nachfahre Shinrans und 8. Hauptmönch des Honganji, sah es als seine Mission, nicht nur der Tradition eine gesicherte Stellung zu verschaffen, zum Beispiel durch den Neubau des Honganji zu Yamashina, sondern auch Shin-Buddhisten aus anderen Gruppen wie den oben genannten für seine Sache zu gewinnen. Aus der Sicht der Honganji-ha, die sich über ihre direkte Abstammung von Shinran legitimierte, war eine solche Führung besonders wich-

91 Nicht zu verwechseln mit Ryōgen (912–985), dem 18. Abt des Enryakuji. 92 Für eine umfassendere Darstellung über Rennyo siehe Blum/Yasutomi 2006.

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tig. Gleichzeitig war es sehr schwierig, zum einen wegen der sozialen Unruhen aufgrund der Ōnin-Rebellion, zum anderen wegen des andauernden Widerstands der Tendai-Führung gegenüber dem nenbutsu-zugewandten Buddhismus, da diese ihren eigenen Einfluss zu verlieren fürchtete. Es kam sogar zu direkten Angriffen auf Shin-buddhistische Tempel durch bewaffnete Mönche vom Berg Hiei, dem Zentrum des Tendai. Rennyo war nicht nur ein geschickter Aktivist, sondern verfasste auch mehrere einflussreiche Schriften. Die bekanntesten sind seine knappen offenen Briefe oder Epistel (O-fumi), die verschiedene Sachverhalte in knapper Form ansprechen und erklären.93 Besonders zu erwähnen ist eine davon namens „Weiße Knochen“ (Hakkotsu), diese wird häufig bei formalen Anlässen gelesen, besonders zu Gedenkfeiern anlässlich Shinrans Tod und zu den Bestattungen einzelner Shin-Buddhisten. Diese Epistel reflektiert kurz, aber klar über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Die Spaltung des Honganji-Shin-Buddhismus in eine „westliche“ und eine „östliche“ Linie fand 1602 statt. Der Anlass war eine Auseinandersetzung über die Ansprüche an die Nachfolge in der religiösen Führung und hatte keine dogmatischen Auswirkungen. Die Schlichtung wurde durch den Shōgun Tokugawa Ieyasu (1543– 1616) vorgenommen, dessen vorrangiges Ziel wie immer das Erreichen politischer Stabilität war. Das Ergebnis war, dass es nun zwei Haupttempel gab, den Nishi Honganji als Haupttempel der Honganji-ha94 und den Higashi Honganji, welcher der Haupttempel der Ōtani-ha wurde. Diese beiden Haupttempel sind nur einige hundert Meter voneinander entfernt, und die erblichen religiösen Oberhäupter (monshu) beider Linien tragen nach wie vor den Namen Ōtani.95 Lediglich ein paar rituelle Gebräuche haben sich auseinanderentwickelt.

10. Sōtō-Zen 10.1. Dōgens Entwicklung Wie bereits in Kapitel 8 dargestellt, war die Entwicklung des Zen-Buddhismus in Japan von einer zunehmenden Vielfalt unter der Leitung starker Persönlichkeiten und der Gründung verschiedener einflussreicher Tempelzentren geprägt. In einer zweiten Welle war es Dōgen (1200–1253), der einen bedeutenden und einzigartigen

93 Siehe Rogers/Rogers 1991. 94 Die Tempelführung bezeichnet dies in Fremdsprachen immer noch mit einer überholten Romaji-Schreibweise als Nishi Hongwanji. 95 Für die Anfänge des Shin-Buddhismus im Allgemeinen siehe Dobbins 1989.

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Einfluss auf den japanischen Buddhismus ausübte und so zum Aufkommen des Sōtō-Zen mit Tempeln im ganzen Land beitrug. Nachdem er bereits im Säuglingsalter seine Eltern verloren hatte, wuchs Dōgen in der Obhut des Hieizan auf und wurde dort 1213 in der Tendai-Tradition ordiniert. Im Jahr darauf trat er in Eisais Trainingszentrum (muro) am Kenninji ein und erlernte dort die Lehren des Zen nach Línjì (japan. Rinzai) und Eisai selbst (vgl. Kapitel 8). 1217 trainierte er im muro Myōzens (1184–1225), ebenfalls am Kenninji, und empfing 1218 die Bodhisattva-Vorschriften (bosatsukai) am Enryakuji (Hieizan). Im Jahr 1223 reiste Dōgen gemeinsam mit Myōzen nach China. Sein Reisegefährte verstarb dort, doch Dōgen selbst blieb bis 1227 in China.96 Der Chan-Meister, in dessen Tradition Dōgen dort lernte, war Rújìng (1162– 1228), auch bekannt als Tiāntóng Rújìng nach dem Berg, an dem sein Tempel gelegen war (Tiāntóng Shān, japan. Tendōzan). Rújìngs Zen-Tradition führt sich, wie die gesamte Südschule des Chan-Buddhismus, auf Huìnéng zurück, was sowohl ihn als auch Dōgen im großen Stammbaum des Zen-Buddhismus verortet. Eine Anekdote erzählt, dass eines Tages während der Sitzmeditation Dōgens Nachbar einschlief, keine Seltenheit während solcher Übungen. Rújìng, der die Meditation leitete, sagte: „Zu meditieren ist den Körper und den Geist abzulegen, warum also schläfst du?“ Dieser Ausspruch gilt als Ursprung des japanischen Ausdrucks shinjin datsuraku („Ablegen von Körper und Geist“), der im Sōtō-Zen weit verbreitet ist. Dieser Vorfall führte zu Dōgens Erleuchtung, und Rújìng, der das erkannte, betraute ihn mit der Weitergabe des Dharma in Japan. Er wies ihn an, Kaiser, Minister und Generäle zu meiden und sich tief in die Berge zurückzuziehen. Dōgen folgte diesem Rat und gründete seinen Haupttempel später weit entfernt von der Hauptstadt. Es darf jedoch nicht einfach angenommen werden, dass Dōgens Lehren nur die des Rújìng wären, auch wenn sie die grundsätzliche Idee teilten, dass „Sitzen“ selbst der Ort der Erleuchtungserfahrung sei, für sie wie einst für den historischen Buddha. Der Überlieferung nach sagte Dōgen, er sei mit „leeren Händen“ aus China zurückgekehrt. Das war jedoch wahrscheinlich nicht als Respektlosigkeit gegenüber seinem Lehrer gemeint, sondern verwies vielmehr auf die Unmittelbarkeit von zazen für das Verständnis der buddhistischen Erfahrung. Nach seiner Rückkehr nach Japan ging Dōgen zunächst an den Tempel Kenninji zurück. Beinahe sofort verfasste er dort seine Schrift Fukanzazengi, in der er die Technik des zazen empfiehlt, wie er sie in China unter Rújìng gelernt hatte und die zu einem Schlüsselelement der japanischen Sōtō-Tradition wurde. Aus Gründen, die im Einzelnen nicht bekannt sind, entschloss er sich, Kenninji zu verlassen. Es ist naheliegend zu vermuten, dass es einen unterschwelligen Streit über die Interpretation und damit die Autorität in Fragen der Lehre gab, da Kenninji schließlich zu dieser Zeit das führende Zentrum des Rinzai-Buddhismus war. Dō-

96 Für Dōgens Zeit in China vgl. Kodera 1980.

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gen zog daraufhin 1233 nach Fukakusa in Fushimi, nahe Kyōto, wo er 1236 einen kleinen Tempel namens Kōshōji als Ausgangspunkt der Verbreitung seiner eigenen Meditationslehre gründete. Einige Jahre später war er für eine ganz neue Tempelerrichtung verantwortlich. Diese war bei ihrer Gründung 1244 zunächst als Daibutsuji („Tempel des Großen Buddha“) bekannt, wurde aber 1245 in Eiheiji („Tempel des Ewigen Friedens“) umbenannt. Dieser Tempel, der berechtigterweise als oberster Haupttempel der Sōtō-shū in Japan angesehen werden kann, lag bewusst in einer abgelegenen Region in der heutigen Fukui-Präfektur, weit im Norden des Biwa-Sees. Er war verständlicherweise vorrangig der Meditation gewidmet, was für heutige Besucher noch sofort offensichtlich ist. Die frühe Entwicklung des Sōtō-Zen in Japan war weitaus komplexer, als die scheinbar gradlinige Geschichte Dōgens bis zur Gründung des Eiheiji vielleicht vermuten lassen würde.97 Dōgen selbst war rein historisch gesehen sicherlich die Schlüsselfigur, aber die spätere Institutionalisierung verlangte, wie in anderen Fällen, dass man aus ihm eine eher ahnenähnliche Persönlichkeit machte. Die gut überlegte Auswahl von Kerntexten, nicht nur für den gelegentlichen Verweis oder gar das intensive Studium, sondern als Teil von Ritualen, führte dazu, dass die spätere Wahrnehmung Dōgens einem andauernden, wenn auch größtenteils konsistenten Prozess der Überarbeitung unterworfen war.

10.2. Dōgens Schriften Obwohl Dōgen selbst die „sitzende Meditation“ (zazen) als herausragend ansah, konnte er offensichtlich nicht erwarten, dass auch andere dies als eine Selbstverständlichkeit betrachten würden. Daher verstand er die Notwendigkeit, die Bedeutung des „Sitzens“ in sorgfältig abgefassten Schriften zu erläutern. Diese Texte erlangten unter seinen Anhängern eine maßgebliche Bedeutung, wie es auch bei Hōnen, Shinran und anderen der Fall war. Hier kann nur eine kurze Orientierung über diese textliche Überlieferung gegeben werden. Obwohl Dōgen einerseits die Vorrangigkeit von zazen vor allem anderen betonte, haben eher einige seiner Texte bestimmt, wie sein Zen von Außenstehenden wahrgenommen wurde. Eine besondere Stellung nimmt das Shōbōgenzō („Schatzkammer des Auges des Wahren Dharma“) ein. Es ist eine umfangreiche Schrift mit zahlreichen Kapiteln und ergänzten Variationen, die Dōgen bis zu seinem Tod stetig weiter- und umschrieb. Diese Vorgehensweise wirkte als Vorbild für seine Anhänger(innen) und in den folgenden Jahrhunderten entstand eine ganze Reihe nachträglicher Editionen mit einer variierenden Zahl von Kapiteln. Die moderne Standardedition, die auf frühere Versionen zurückgreift, umfasst ganze 95 Kapitel.

97 Vgl. Bodiford 1993: 1–36.

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Dieses Werk ist in der Tat eine „Schatzkammer“ oder Sammlung recht kurzer Texte, die einen weiten Themenbereich behandeln. Das Wort für „Schatzkammer“ ist hier das gleiche, das auch allgemein für die Bezeichnung von Sūtra-Sammlungen verwendet wird. Einige Teile waren ursprünglich als Einzelstücke entstanden und wurden erst später in die Sammlung aufgenommen, und daher sind sie unter ihren eigenen Titeln bekannt, so etwa das Bendōwa aus dem Jahr 1231. Wie oben bereits erwähnt, verfasste Dōgen sein Fukanzazengi 1227 kurz nach seiner Rückkehr nach Japan. Daher kann es als eine anfängliche Programmankündigung angesehen werden, die die Richtung für seine Lehre vorgab. Unter seinen späteren Anhängern ist das ähnliche, aber kürzere Shōbōgenzō zazengi, das, wie der Name schon andeutet, Teil des Shōbōgenzō ist, allerdings bekannter. Dieser Text wird auch separat zum Studium verwendet, unter anderem auch für die rituelle Rezitation im Rahmen der Meditation. Ein weiterer kurzer Text Dōgens, der in das Shōbōgenzō aufgenommen wurde, ist das bereits genannte Bendōwa. Es besteht hauptsächlich aus achtzehn Fragen und Antworten und soll ein früheres Treffen mit Koun Ejō (1198–1280) widerspiegeln, der Dōgen als zweiter Abt des Eiheiji folgte. Ejō verfasste selbst eine Arbeit namens Shōbōgenzō zuimonki, die zahlreiche kurze Reden, ebenfalls aus der Anfangszeit, wiedergibt, die Dōgen zwischen 1235 und 1237 vor interessierten Mönchen und Schülern hielt. Zuimonki bedeutet „Aufzeichnungen von gehörten Dingen“ – in diesem Fall in Bezug zu den Inhalten des „Schatzkammer des Auges des Wahren Dharma“, auch wenn das Shōbōgenzō zu diesem Zeitpunkt noch nicht in seiner charakteristischen Form vorlag. Dieses Zuimonki ist eine leicht verständliche Schrift, die vielfach in preiswerten japanischen Ausgaben erhältlich ist.98 In den Reden fordert Dōgen seine Zuhörerschaft beständig auf, sich vor allem auf die Suche nach dem Weg zu konzentrieren und sich nicht durch irgendwelche Bedenken, wie z. B. über die Unterscheidung zwischen Mönchen und Laien, oder durch die Lektüre nicht-buddhistischer Texte ablenken zu lassen.

10.3. Der Kern der Sache Während zumindest für Historiker als Außenseiter die verführerische Falle des „Essenzialismus“ vermieden werden muss, ist es doch notwendig, einen kurzen Blick auf die Schlüsselelemente von Dōgens Zen zu werfen. Da Eihei Dōgen Zenji, wie er später genannt wurde, ein Insider seines eigenen Systems war, war er natürlich einer eigenen Form des Essenzialismus nicht abgeneigt! Der Titel des Shōbōgenzō, das auch als seine Summa gesehen werden könnte, bezieht sich schließlich auf das „Auge des Wahren Dharma“. Aber wo kann man den wahren Dharma

98 Für englische Übersetzungen s. Masunaga 1971; Cleary 1980.

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sehen? Letztendlich ist er für Dōgen nur in der sitzenden Meditation zu finden, in der man Körper und Geist ablegt (shinjin datsuraku). Eine tiefer liegende Frage, mit der Dōgen sich in seinen früheren Überlegungen befasste, war das scheinbare Paradox zwischen der „ursprünglichen Erleuchtung“ aller Lebewesen und der Tatsache, dass Buddhas und ihre Anhänger danach strebten, Erleuchtung zu „erlangen“. Wenn alle Lebewesen von vornherein eine Buddha-Natur besitzen, warum ist es dann überhaupt notwendig, zu üben oder zu meditieren? Auf diese Frage können verschiedene Antworten gegeben werden. Einige würden sagen, dass es keinen Nutzen hat, dass vielmehr der ständige Versuch, mit der eigenen Kraft (jiriki) zu „üben“, nur zu Enttäuschungen und sogar Unheil führen kann. Die Anhänger(innen) des nenbutsu sind der Überzeugung, dass man sich stattdessen auf die andere Kraft (tariki) der Gelübde Amidas verlassen solle, die verspricht, dass aufgrund einer innewohnenden Buddha-Natur die Lebewesen durch eine Wiedergeburt im Reinen Land errettet werden. Shinran verwendete in seinem Kyōgyōshinshō den gleichen Begriff für Erleuchtung, lehrte aber, dass diese durch Vertrauen auf den Glauben (shin) erreicht werde. Dōgens Lösung war es, die beiden zu verschmelzen: Übung ist Erleuchtung. Diese Lehre ist gleichzeitig kompliziert und einfach. Genau wie bei dem historischen Buddha von damals braucht man nichts anderes und nichts mehr als zazen, so Dōgen. Die Gleichsetzung von Erleuchtung (shō) und Übung (shu) scheint in direktem Gegensatz zu Shinrans Verwendung zu stehen, und doch gibt es beeindruckende Parallelen in dem Umstand, dass beide Lehrer alles andere einfach außer Acht lassen: Ahnen, Eltern, diesseitige Vorteile, verschiedene verdienstbringende Tätigkeiten und so weiter. In ihrem Drang nach Bestimmtheit suchen sie beide eine konzentrierte Fokussierung auf einen einzelnen Punkt, die zwangsläufig ein radikales Brechen mit vielen gewöhnlichen religiösen Praktiken mit sich bringt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es gewisse Gemeinsamkeiten in der klaren Struktur und Diszipliniertheit der Gemeinschaften gibt, die daraus entstanden. Trotzdem sind die jeweiligen Antworten unterschiedlich. Während Shinran seine Anhänger dazu aufruft, das von außen kommende nenbutsu zu hören, auszusprechen und vor allem zu verinnerlichen, fordert Dōgen jeden auf, selbst zazen zu praktizieren. Zazen verlangt kein diskursives Denken. Zazen ist der Schlüssel zur Erleuchtung, indem man wie ein erleuchteter Buddha sitzt, denn man verfügt bereits über die BuddhaNatur. Während zazen einzuschlafen sollte vermieden werden, da dies nicht Ausdruck des „Abstreifens von Körper und Geist“ wäre. Aus Dōgens Verständnis davon, wie man ein Anhänger des Buddha sein kann, ergeben sich drei interessante Schlussfolgerungen. Erstens: die Frage nach der Lehrbeziehung zwischen Mahāyāna und Prä-Mahāyāna-Buddhismus wird unnötig. Es gibt keinen Grund für komplizierte Untersuchungen der Verhältnisse zwischen verschiedenen Sūtras und der Entwicklung von Lehren. Der historische Buddha ist schlicht und ergreifend das Vorbild per se. Zweitens: mit der richtigen Sichtweise

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ist es auch in der Gegenwart an sich einfach, die Zen-Praxis des historischen Buddha nachahmend zu übernehmen. Die Idee eines Zeitalters des letzten Dharma (mappō), in dem der Dharma unklar und der Weg zu schwer sei, um beschritten zu werden, wird von Dōgen gänzlich verworfen. Da Erleuchtung für die Menschheit „ursprünglich“ ist, ist sie in der Gegenwart genauso zugänglich, wie sie es immer war. Drittens: da alle Menschen durch ihre Buddha-Natur charakterisiert werden, sind alle Menschen auch gleich.

10.4. Das Zazengi Es mag erstaunlich erscheinen, dass in der alltäglichen Sōtō-Praxis Texte überhaupt noch eine Rolle spielen. Dazu kam es, dass Dōgen zwar sehr erfolgreich darin war, zazen zum zentralen Element seiner Schule zu machen, und damit vieles hinter sich ließ, das im Tendai-, Shingon- oder auch im Jōdo-Buddhismus eine Rolle spielte, gleichzeitig aber detailliert niederschrieb, warum gerade das Sitzen von so großer Bedeutung sei. Seine Anhänger verehrten natürlich seine Worte und verwendeten sie, um folgende Generationen zu unterweisen. Das scheint naheliegend, doch je mehr wir uns den zentralen Elementen von Dōgens Lehre annähern, desto paradoxer wird es. Seine Texte, besonders das Shōbōgenzō zazengi, wurden für Studien verwendet, doch das Zazengi wird auch regelmäßig und rezitationshaft in der Meditationshalle gelesen. Das geschieht vor allem in zazen-Einheiten für Novizen und Laien. Der Wert des Textes liegt sowohl in seinen praktischen Anweisungen als auch in seiner knappen Einführung in die Bedeutung des zazen. Die Anweisungen für das zazen im Zazengi sind sehr praktischer Natur. Gleichzeitig sind sie durchsetzt mit Hinweisen auf ihren Zweck. Man kann sie etwa wie folgt zusammenfassen: Der Ort des „Sitzens“ sollte gut ausgewählt werden. Er sollte ruhig, gut beleuchtet, im Winter warm und im Sommer kühl sein. Der Sitz selbst sollte stabil, aber nicht zu hart sein. So wie sich die alten Meister auf einen festen Felsen setzten, der mit dickem Gras bewachsen war, nimmt man nun ein Kissen (futon), das mit Binsen gefüllt ist. Das Kissen ist dick, klein und rund und soll nur das Ende der Wirbelsäule unterstützen. Die Beine, in der Lotos- oder HalbLotos-Position gekreuzt, sollen zur Vorderseite des Kissens ausgerichtet sein. In der vollen Lotos-Position wird jeder Fuß auf den gegenüberliegenden Oberschenkel gelegt, in der Halb-Lotos-Position nur der linke Fuß auf den rechten Oberschenkel. Auch wenn das Zazengi das nicht speziell erläutert, liegt der Nutzen des Kissens darin, dass damit das Becken und die Knie eine Art Dreifuß bilden, wodurch es möglich ist, besser in einer aufrechten Haltung zu sitzen, als wenn man die Wirbelsäule nicht stützen würde. Die übliche Kleidung, die kesa, sollte locker, aber ordentlich getragen werden. In dieser Haltung sitzt der Meditierende aufrecht und lehnt sich in keine besondere Richtung, die Ohren bilden eine Linie mit den Schultern, und die Nase eine Linie mit dem Nabel. Lippen und Zähne sind

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geschlossen, so dass durch die Nase geatmet wird, die Augen sind ein wenig, aber nicht übertrieben geöffnet. Zu Beginn der Meditation nimmt man einen ersten tiefen Atemzug, um sich vorzubereiten. Zusammengefasst bedeutet das Vorhergehende, dass die physische Umgebung für zazen neutral sein sollte und in keiner Weise störend. Auch wenn Anfänger zunächst einige Schwierigkeiten haben werden und sich konzentrieren müssen, um es richtig zu machen, geht es nicht darum, zazen als extreme Askese zu praktizieren oder mit einer vermeintlich schwierigen physischen Übung eine ungewöhnliche spirituelle Erfahrung zu erreichen. Hierin grenzt sich Dōgen deutlich von den Bestrebungen des esoterischen Buddhismus ab. Um eine Formulierung von Rújìng zu verwenden, ist es vielmehr eine Frage von „nur sitzen“ (shikantaza, japanische Aussprache). Das Zazengi enthält aber auch ein paar eigene, eindrucksvolle Aussprüche. Während des Sitzens soll man darauf achten, nicht zu denken. Man lässt eventuell aufkommende Gedanken wieder weggehen. Das ist jedoch keine Anstrengung, da es zu „Nicht-Denken“ (hishiryō) führt. Der hier verwendete Begriff für „denken“ ist shiryō, und der Teil ryō drückt eine Nuance von Berechnung aus. Es ist übrigens das gleiche Element, das in dem Ausdruck muryōju verwendet wird, das bei einem Tathāgata die „unmessbare Länge des Lebens“ bezeichnet. Der springende Punkt ist, dass in zazen alle gedanklichen Überlegungen zu Gunsten eines Zustandes von „Nicht-Denken“ zurückgelassen werden. Es mag eine kurze Zeit dauern, bis man diesen Zustand erreicht hat, aber mit fortschreitender Übung kann man fast sofort nach der physischen Vorbereitung in diesen Geisteszustand eintreten. Also „ist das die wahre Kunst der zazen“ (kore sunawachi zazen no hōjutsu nari). Dōgen fügt ausdrücklich hinzu, dass es bei zazen nicht um das Lernen von zen, d. h. Meditation geht. Zazen selbst ist das Tor zum Dharma (hōmon) und öffnet damit den Weg zu einer großen Ruhe. Damit ist der leicht mysteriös klingende Einleitungssatz des Zazengi einfacher zu verstehen, in dem es heißt: „Sanzen ist zazen.“ Die beiden Worte mögen im weiteren Sinne als synonym angesehen werden, aber dieser Satz kann nur dann sinnvoll sein, wenn die beiden nicht die gleiche Bedeutung haben. Analysiert bedeutet der Begriff sanzen so viel wie „zur Meditation gehen“ (oder „in die Meditation hineingehen“), und daher, weil es verschiedene Formen der Meditation gibt, stellt sich die Frage, wie genau dies zu tun ist. Die Antwort lautet: zazen. Dōgen sagt also, dass Meditation als zazen durchgeführt werden soll. Man kann fragen, mit welcher Autorität er diese Aussage trifft, besonders in Anbetracht der alternativen Meditationsformen, die es zu dieser Zeit in Japan gab. Neben der Autorität seiner eigenen Linie der Dharma-Weitergabe verweist er beispielsweise am Beginn seines umfangreicheren Fukanzazengi darauf, dass dies die Praktik von Bodhidharma und Śākyamuni selbst war.99

99 Bielefeldt 1988: 168; Waddell/Abe 1973: 122.

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10.5. Weitere Entwicklungen des Sōtō-Zen Eine weitere bemerkenswerte Persönlichkeit für die Entwicklung des Sōtō-Zen war Keizan Jōkin (1268–1325), der den postumen Titel Butsuji Zenji erhielt, gemeinhin aber meist als Keizan bekannt ist. Er studierte Zen im Eiheiji unter der Anleitung von Dōgens direktem Schüler Ejō (s. oben) und Gikai (1219–1309), von dem er schließlich die Erlaubnis zur Dharma-Weitergabe erhielt. Keizan war an einigen Sōtō-Tempeln aktiv und so zentral in der Festigung und Verbreitung der Schule, dass er weithin als zweitwichtigster Lehrer nach Dōgen angesehen wurde. Besonders wichtig ist seine Gründung des Sōjiji 1321, indem er den Morookaji, dem er selbst vorstand, einfach umbenannte. Mit seiner Lage in der Provinz Noto (heutige Ishikawa-Präfektur) wurde Sōjiji ein Zentrum für die Verbreitung des Sōtō-Zen im nordwestlichen Japan. Zu seiner Zeit war Keizan für eine deutliche Verschiebung in der Ritualpraxis der Tempel verantwortlich, indem er eine stärkere Betonung komplexerer Rituale im Stil des esoterischen Buddhismus förderte, um besser den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung zu entsprechen. Dadurch wurde es einfacher, wenig genutzte Tempelgebäude in Zentren des Sōtō-Buddhismus umzuwandeln. Denn tatsächlich erreichte Sōtō-Zen nicht allein durch zazen seine Popularität in der Bevölkerung. Die schrittweise Ausbreitung der Sōtō-Gemeinschaften über ganz Japan und die oftmals rivalisierenden Beziehungen zwischen verschiedenen Lehrern und Tempeln sind viel zu kompliziert, um hier aufgerollt zu werden.100 Sōjiji wurde schließlich neben dem Eiheiji der zweite große Haupttempel der Sōtō-shū. Als die ursprünglichen Gebäude 1898 einem Feuer zum Opfer fielen, wurde der Tempel in die wichtige Hafenstadt Yokohama verlegt und dort 1911 wieder eröffnet. Dadurch erhielt der Sōjiji-Zweig der Sōtō-shū eine starke Basis in Ost-Japan. Bis dahin hatte sich jedoch auch diese Form des Buddhismus im allgemeinen sozialen Gefüge des Landes längst etabliert. Vor allem spielten Sōtō-Tempel genau wie die meisten anderen Lehrrichtungen sowohl für die Registrierung der Bevölkerung in der Tokugawa-Zeit als auch darüber hinaus für Bestattungsrituale eine wichtige Rolle (siehe weiter unten). Hier soll jedoch abschließend über einen interessanten Sonderfall in der Geschichte des Sōtō-Zens berichtet werden, der mit zazen wenig zu tun hat. Eine besondere Anziehung der Sōtō-shū in Zentral-Japan ergab sich aus ihrer Rolle als Verwalterin eines der größten Inari-Schreine des Landes, gelegen in Toyokawa. Inari ist ein kami, der überall in Japan Verehrung findet und heutzutage üblicherweise dem Shintō zugeordnet wird. Mehrere große Inari-Schreine und zahllose kleinere ziehen Besucher an, die vor allem für kommerziellen Erfolg beten. Im Fall des Toyokawa-Inari ist die Gottheit jedoch in einem Sōtō-shū Tempel namens Myōgonji beheimatet, der 1441 errichtet wurde. Als später die politisch

100 Für eine fundierte und faszinierende Studie vgl. Bodiford 1993.

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motivierte „Trennung zwischen Gottheiten und Buddhas“ (vgl. Kapitel 14) erzwungen wurde, entschied sich diese Einrichtung dafür, sich dem Buddhismus zuzuordnen. Doch bis heute steht vor der Haupthalle ein großes torii (symbolischer Torweg) im Shintō-Stil. Es ist mit einer kleinen buddhistischen Swastika an den beiden Enden des oberen Querbalkens markiert. Auf dem Tempelgelände stehen eindrucksvolle Alleen von kleinen, zinnoberroten Votiv-torii, genau wie bei jedem anderen Inari-Schrein. Außerdem gibt es einen großen Bereich mit nebeneinander aufgestellten Votivfiguren des Fuchses, des Boten der Gottheit Inari, die wie anderswo jeweils ein rotes Lätzchen tragen. Lätzchen dieser Art sind normalerweise ein Merkmal der vielen kleinen Statuen von Jizō Bosatsu, die als Votivschenkung im Gedenken an verstorbene Kleinkinder oder nie geborene Kinder zu verstehen sind, und daher wie Kleinkinder ein Lätzchen brauchen. Bei den Füchsen stellen sie lediglich eine wohlwollende Spende dar. Obwohl die Gottheit Inari normalerweise als kami eingestuft wird, gilt er in diesem Fall zugleich als die vorgeschobene Persona eines Bodhisattva, und zwar von keinem anderen als „Kannon mit Elf Gesichtern“ (Jūichimen Kannon). An diesem Beispiel ist zu sehen, dass aus der sich entwickelnden und sich etablierienden Sōtō-Denomination viel mehr wurde als nur zazen, auch wenn dies für einige bis heute noch den Kern darstellt.

11. Nichiren und der Buddhismus des Lotos-Sūtra 11.1. Buddhismus in der Kamakura-Zeit Obwohl der Sammelbegriff „Kamakura-Buddhismus“ ziemlich fest etabliert ist, auch im Japanischen, sollte man sich vor einer Vereinfachung hüten, die dadurch entstehen könnte. Es macht einen Unterschied, ob man als allgemeine historische Zeitangabe von der Kamakura-Zeit (1185–1333 bzw. auch bis 1382) spricht oder die verschiedenen Formen des Buddhismus, die nun an Bedeutung gewannen, so subsumiert. Der Umstand, dass das Shōgunat, oder wenn man an die Staatsverwaltung an sich denkt, das bakufu, in Kamakura an der Küste südlich des heutigen Tokyos stationiert war, führte zu einem Anstieg an Tempelgründungen in dieser Region. Aus diesem Grund spricht man zuweilen von „Kamakura-Buddhismus“, und dieses Konzept umfasst verschiedene Formen des Zen, des Buddhismus des Reinen Landes und des Nichiren-Buddhismus, die in dieser Zeit florierten und untereinander wetteiferten. Die neu aufkommenden Ausprägungen des Buddhismus zu dieser Zeit waren jedoch sehr unterschiedlich, auch in ihrem Verhältnis zur politischen Führung des Landes in Kamakura. Dass die neuen Lehren des Shinran in der Kamakura-Zeit so viel Zulauf erhielten, kann beispielsweise eher als zufällig angesehen werden, da diese Schule sich nicht in Kamakura selbst ansie-

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delte. Es sollte außerdem nicht übersehen werden, dass der Tendai- und der Shingon-Buddhismus trotz der neuen Konkurrenz weiter bestanden und vielfach das Land dominierten. Diese Periode ist damit nicht nur durch den „Kamakura-Buddhismus“ geprägt, sondern vielmehr wurde das Spektrum der großen, einflussreichen Denominationen aufgerundet, die bis heute bestehen und gemeinsam als „japanischer Buddhismus“ bezeichnet werden können. Schon in der frühen Kamakura-Zeit wurde großer Wert auf das Verhältnis von Religion und Staat sowie dessen Legitimierung gelegt. In einer Schrift um 1220, mit dem Titel Gukanshō, vertritt der Tendai-Mönch Jien (1155–1225) ein stufenförmiges Geschichtsmodell, wonach die gegenwärtige Zeit von allen negativen Aspekten des mappō, einer Phase des „letzten Dharma“, geprägt sei, was zur politischen Schwäche des Hofes führe. Er bezog sich dabei auch auf die Shintō-Mythologie und argumentierte, dass die kaiserliche Familie, wenn sie in direkter Abstammung herrsche, unweigerlich hin und wieder sehr junge oder schwache Thronprätendenten haben müsse. Aus diesem Grund habe nach Jien Amaterasu (die Sonnengöttin) Ama-no-koyane (Klan-Gottheit und Ahnenherr der ausgedehnten FujiwaraFamilie) angewiesen, das Kaiserhaus in der Regierung zu unterstützen. Jien argumentierte, dass dieses Mandat nun auf das Kamakura-Shōgunat übertragen wurde, welches ebenfalls über Verbindungen zu den Fujiwara verfügte. Schließlich würden schlechte Zeiten starke Regierungen erfordern.101 Die gegenseitige Legitimation von religiöser und politischer Autorität war daher sehr wohl ein Thema von Interesse in dieser Zeit, und es ist daher auch nicht überraschend, dass sich dies in den Schriften und Tätigkeiten Nichirens (1222–1282) widerspiegelte. Allgemein lässt sich sagen, dass die neueren Lehrformen gemeinsam hatten, dass sie Einfachheit anstelle von Komplexität und Zugänglichkeit statt esoterischer Unverständlichkeit lieferten. Die religiösen Führer betrachteten die Lehren des Buddha, aus Indien stammend und in China etabliert, nun auch in Japan als vollständig angekommen. Diese Reihung der drei Länder – Indien, China, Japan – schloss Korea auffällig nicht mit ein. Die chinesischen Gelehrten waren diejenigen, die als Vermittler in den genealogischen Reihen eingesetzt wurden und so die Verbindung zu den sehr spärlichen Erinnerungen an die indisch-buddhistischen Denker, inklusive Śākyamuni selbst, herstellten. Schließlich war inzwischen eine lange Zeit vergangen, seit der historische Buddha auf der Erde gewandelt war. Es wurde weithin angenommen, dass die Zeit des mappō bereits begonnen hatte, auch wenn Dōgen dies für irrelevant erklärt hatte. Daher waren nun in manchen Augen zusammenfassende Formen der Lehren notwendig, die den einfachen Menschen leicht zugänglich wären. Diese Sichtweise, wichtig für Hōnen und Shinran, wurde auch von Nichiren als Selbstverständlichkeit übernommen. Es sollte jedoch nicht daraus geschlussfolgert werden, dass die Gründer neuer Schulen selbst einen ver-

101 Varley 1971: 15–21.

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einfachten Blick besaßen. Im Gegenteil, sie waren nicht nur gleichermaßen versiert in den zahlreichen Texten des chinesisch-buddhistischen Kanons, den Sūtras und Kommentaren, sondern ihre Versuche, mittels kompakter Versionen das, was sie als Kern der Lehre ansahen, weiter zu kommunizieren, waren ausgesprochen durchdacht und geschickt.

11.2. Nichirens Entwicklung und seine Botschaft Vor diesem Hintergrund können wir uns nun dem Leben und Wirken Nichirens zuwenden, der einer der wichtigsten Reformatoren und Erneuerer der KamakuraPeriode war. Er initiierte eine dynamische, neue Ausrichtung des japanischen Buddhismus, basierend vor allem auf dem Lotos-Sūtra. Obwohl seine Bewegung zunächst kontrovers war, entwickelte sie sich doch zu einer stabilen, wenn auch vielfältigen konfessionellen Ausrichtung, die bis heute fortbesteht. Sein Leben kann in drei Phasen eingeteilt werden: Erstens seine Jugend in Ost-Japan, worauf Studien am Hieizan (1222–1253) folgten, sowie die Veröffentlichung seiner Lehren über das Lotos-Sūtra (1253–1268); zweitens seine Verbannung auf die entlegene Insel Sado, abseits der Westküste Japans, auf der er weitere wichtige Schriften verfasste und die Feinheiten seiner Lehre entwickelte (1271–1274); und drittens sein Leben und Wirken im neuen Hauptquartier am Berg Minobu (1274–1282). Zu diesen drei Phasen sollen nun einige Details folgen. Anders als die meisten anderen buddhistischen Führer seiner Generation entstammte Nichiren nicht der Aristokratie, sondern war in einfachen Verhältnissen als Sohn eines Fischers an der Ostküste, in der heutigen Chiba-Präfektur, geboren worden. Dies erklärt sicherlich bis zu einem gewissen Grad seinen eigenen Freigeist und außerdem den Umstand, dass viele seiner späteren Anhänger einfache Leute waren. Sein Geburtsname war Zennichimaro, woraus das Schriftzeichen nichi, was „Sonne“ bedeutet, später mit ren („Lotos“) zu seinem bekannten Ehrentitel Nichiren kombiniert wurde. In seiner Heimatregion trat er im Alter von elf Jahren erstmals einem Tendai-Tempel, dem Kiyozumidera, bei. Mit fünfzehn wurde er ordiniert (1237) und erhielt den Dharma-Namen Renchō. Ab 1238 beschäftigte er sich kurzzeitig in Kamakura mit dem Amida-Buddhismus und zwischen 1243 und 1253 studierte er am Enryakuji, dem Haupttempel des Tendai-Buddhismus am Berg Hiei. Neben den grundlegenden Studien in den Lehren des Tendai-Buddhismus musste er sich nicht nur mit der inzwischen etablierten und zunehmend populären Lehre des nenbutsu, wie es von den Anhängern Hōnens verbreitet wurde, sondern auch mit der Konkurrenz durch Dōgens neue Schwerpunktsetzung auf das zazen als einzige Praktik auseinandersetzen. Diese starken Strömungen bedeuteten, dass die Frage nach dem Verständnis des Buddhismus und der Wahl der Praktiken für jeden jungen Mönch, der seine Studien ernst nahm, von großer Bedeutung war. Nichiren übernahm die orthodoxe Tendai-Klassifizierung der Lehren gemäß

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der Reihenfolge, in welcher der Buddha die Sūtras gelehrt haben soll (siehe oben), wonach das Lotos-Sūtra und das Große Nirvāṇa-Sūtra die Höhepunkte seiner Lehre wären. Daher sah Nichiren das Lotos-Sūtra (ihm bekannt in der chinesischen Version Kumārajīvas) als einen Schlüssel für das Verständnis des gesamten Korpus der buddhistischen Schriften und das Große Nirvāṇa-Sūtra (in der Mahāyāna-Version) als entscheidend für die Lehre von der Buddha-Natur aller Lebewesen an. Nichirens grundsätzliche Auffassung war daher, dass das Lotos-Sūtra den krönenden Höhepunkt der Buddha-Lehre darstellt, der alles Vorhergehende nicht einfach überholt, sondern es aufnimmt und integriert. Diese Integration wird mit der Fahrzeug-Metapher veranschaulicht, die im Sūtra selbst zu finden ist. Demnach schließt das Buddha-Fahrzeug (butsu-jō; skt. buddha-yāna) oder das Eine-Fahrzeug (ichijō; skt. ekayāna) alle sekundär differenzierten Fahrzeuge, sprich das Fahrzeug der Würdigen (skt. śrāvaka-yāna), das Fahrzeug der Für-sich-Erwachten (skt. pratyekabuddha-yāna) und das Fahrzeug der Bodhisattvas (skt. bodhisattva-yāna) mit ein. Mit der Ansicht, dass diese Lehren durch die Sonderformen des Jōdo- und ZenBuddhismus kompromittiert worden seien, kehrte Nichiren in seine Heimatregion und zum Kiyozumidera zurück, wo er leidenschaftlich seine Loyalität zu den Lehren des Lotos-Sūtra als endgültiger Wahrheit des Buddhismus bekannte. Andere Formen von Lehre und Praktik, für die das Tendai-System irgendwie Raum gefunden hatte, seien demzufolge schlichtweg falsch und wären als Ausdruck des Niedergangs in der Zeit des mappō anzusehen. Diese seine starken Überzeugungen trafen jedoch dort auf wenig Gegenliebe, so dass Nichiren sich entschied, nach Kamakura, dem politischen Zentrum, zu ziehen, in dem die Hōjō-Regierung herrschte. Dort lebte er in einer kleinen privaten Unterkunft und organisierte sein Vorgehen. Seine Argumentation war, dass die Sicherheit und das Wohl des Staates, welche in verschiedener Weise bedroht schienen, nur durch die Patronage des richtigen Buddhismus – und nicht irgendeines Buddhismus – gewährleistet werden könnten. Diese korrekte Form sollte eine reformierte Version des TendaiBuddhismus sein, die durch Persönlichkeiten wie den chinesischen Gelehrten Zhìyǐ oder den angesehenen Inder Nāgārjuna eine verlässliche Tradition versprach und außerdem die Spitze der buddhistischen Lehren im Lotos-Sūtra sah. Damit warf Nichiren grundsätzliche Fragen über das Wesen der buddhistischen Botschaft und das Schicksal der japanischen Nation auf, während er gleichzeitig die beiden miteinander verknüpfte. Seine Botschaft fand in Kamakura zunehmenden Anklang, als das Land von einer Reihe von Naturkatastrophen, Erdbeben, Taifunen, einer Dürre und verschiedenen Epidemien heimgesucht wurde. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte Nichiren zwei Schriften von aktueller Relevanz, das Shugo kokka ron („Abhandlung zum Schutz des Staates“) und das Sainan taiji shō („Abhandlung zur Abwehr von Katastrophen“). 1260 erschien eine seiner bekanntesten Schriften, Risshō ankoku ron („Abhandlung über die Etablierung von Orthodoxie und die Sicherheit des

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Landes“). Obwohl sehr fundiert, war dies ein überaus ausdrucksstarker Text, der den Unmut sowohl anderer Buddhisten, die es in großer Anzahl in Kamakura gab, als auch der Regierung hervorrief. Im gleichen Jahr wurde Nichirens Unterkunft niedergebrannt und 1261 wurde er selbst auf die Izu-Halbinsel verbannt, die zu dieser Zeit, wenn auch nicht weit entfernt, so doch recht unzugänglich war. Dort wurde er von einigen Anwohnern versorgt, bis er 1263 nach Kamakura zurückkehren durfte. Falls die Obrigkeiten angenommen hatten, eine Zeit der Verbannung würde Nichirens Begeisterung abkühlen, so hatten sie sich getäuscht, denn nach seiner Rückkehr setzte er seine Reden gegen den Amida-Buddhismus fort, in denen er argumentierte, Amida habe die Stellung des ursprünglichen Buddha Śākyamuni usurpiert. Dies scheint wie eine Vorwegnahme von modernen Vorwürfen gegen den Jōdo-Buddhismus, die diesen als eine Abweichung von den ursprünglichen Lehren sehen. Zur gleichen Zeit folgte Nichiren dem Lotos-Sūtra in der UmInterpretierung Śākyamunis als ein Buddha mit unbegrenzter Lebensspanne und kosmischer Bedeutung. Es dauerte nicht lange, bis er damit wieder den Zorn anderer auf sich zog, so wurde er 1264 von Anhängern des Jōdo-Buddhismus zusammengeschlagen. Er hatte jedoch auch durchaus seine eigene Anhängerschaft und seine Verkündigung wurde sowohl in Kamakura als auch in seiner Heimat an der Pazifikküste fortgesetzt. Die Botschaft seines Risshō ankoku ron schien sich zu erfüllen, jedenfalls nach Ansicht seiner Anhänger, als Gerüchte über eine bevorstehende Invasion durch die Mongolen aufkamen. In diesen Jahren verfasste Nichiren eine Anzahl Briefe an eine Reihe hochgestellter Persönlichkeiten, in der Hoffnung, beim Shōgun Gehör zu finden. Damit blieb er jedoch erfolglos und wurde nun vielmehr als besorgniserregender Störenfried angesehen, nicht als Retter des Staates, sondern eher als subversiv. 1271 verhinderte ein Blitzeinschlag seine Hinrichtung, was seine Anhänger übernatürlicher Intervention zuschrieben. Trotzdem wurde er erneut verbannt, diesmal auf die entfernte Insel Sado abseits der Westküste Japans.

11.3. Neue Schriften und neue Lehren Auf der Insel Sado fand Nichiren eine Anzahl neuer Anhänger unter der lokalen Bevölkerung, die sich um seine alltäglichen Bedürfnisse kümmerten. Während dieser Zeit (1271–1274) tat er wenig anderes als zu studieren und zu schreiben. So verfasste er Texte, in denen er seine charakteristische Version der Loyalität zu Buddha, wie sie im Lotos-Sūtra verstanden wird, darlegte. Nichirens Arbeiten waren stets mehr als einfache, fromme Schriften. Sein Anfang 1272 fertig gestelltes Kaimokushō ist beispielsweise ein komplexer Text, der versucht, seine Lehrposition zu rechtfertigen, indem er sich auf die große Bandbreite buddhistischer Schriften bezieht. Gleichzeitig sind die Lehren Saichōs und Zhìyǐs, die er mit ihren postumen Ehrentiteln Dengyō Daishi und Tendai Daishi bezeichnete, Schlüsselaspekte in sei-

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nen Interpretationen. Eines der Konzepte des Lotos-Sūtra, welches er wiederholt im Kaimokushō zitierte, war das ichinen sanzen, „dreitausend [Welten] in einem [Gedanken]“, was auf kompakte Weise den mystischen Kern des Tendai-Systems zusammenfasst. Obwohl Nichiren also manchmal – übereilt – als wütender Aktivist dargestellt wird, zeigen solche und ähnliche Texte, dass er ein sehr gelehrter Ausleger der ihm bekannten buddhistischen Tradition war. In dieser Phase seines Lebens wurde Nichiren andererseits ausgesprochen erfinderisch, was die Symbolik seiner Lehren betraf. Zunächst verschaffte er dem daimoku, dem Titel des Lotos-Sūtra (in der Übersetzung von Kumārajīva), größere Bedeutung. Dieser Titel war schon lange ehrfurchtsvoll verwendet worden, jedoch adaptierte ihn Nichiren jetzt als seine vorgezogene Rezitationsformel. Da es üblich war, das Präfix namu voranzustellen, so dass Namu Myōhōrengekyō entstand, wurde diese Formel wohl nicht zufällig zu einer Alternative zum nenbutsu des Jōdo-Buddhismus. Zweitens stellte Nichiren in seinem Kanjinhonzonshō ein spezielles Mandala vor, welches als zentrales Verehrungsobjekt (gohonzon) für die breite Masse die Mandalas des esoterischen Buddhismus ersetzen sollte. Seine Mandalas stellten immer das daimoku als große Kalligraphie ins Zentrum und hoben so wieder das Lotos-Sūtra hervor. Links und rechts davon standen die beiden Buddhas, die dem Sūtra zufolge im himmlischen Stupa erschienen, Śākyamuni und Prabhūtaratna (in der Form Tahōtō Nyorai). In den vier Ecken fanden sich vier Schutzgottheiten, wie etwa Bishamonten, dargestellt mit kräftiger Schrift, um einen visuellen Eindruck zu hinterlassen, und in kleinerer Schrift die Namen verschiedener Bodhisattvas, unter anderem Jōgyō Bosatsu, mit dem sich Nichiren selbst identifizierte (s. auch unten). Es finden sich auch Erwähnungen anderer Gottheiten, darunter die für Japan sehr wichtige Sonnengöttin Amaterasu, oder Myōken, die Personifizierung des Nordsterns. Saichō, der Begründer des japanischen Tendai-Buddhismus, wird mit der Formel Namu Dengyō Daishi geehrt. Obwohl vertikale Kalligraphie auch zuvor in Rollen verwendet wurde, besonders in den amidistischen Namu Amida Butsu-Rollen, gestaltete Nichiren ein wirkliches Mandala im Sinne eines einheitlichen, visuellen Arrangements von Glaubenselementen. In ihrer größtenteils standardisierten, aber doch leicht variierenden Form bestehen diese Mandalas meist nur aus Kalligraphie, kühn und dynamisch wie Nichiren selbst. Das dritte zentrale Konzept Nichirens war das der kaidan, der Ordinationsplattform, die er mit einer neuen Interpretation versah. Auf der einen Seite forderte Nichiren eine Reformierung der kaidan unter der Patronage des Staates, so dass die wahre Form der Tendai-Tradition garantiert werden könnte. Auf der anderen Seite lehrte er gleichzeitig, wohl in dem Bewusstsein, dass diese Reformierung nicht stattfinden würde, dass die wahre kaidan im Herzen eines jeden Gläubigen zu finden sei. Somit wurde ein subjektives Element des Glaubens für alle mit einem äußeren Verehrungsobjekt, dem gohonzon, und der Möglichkeit einer einfachen Anrufung durch die Rezitation des daimoku verknüpft. Durch diese verschiedenen Techniken gelang es Nichiren, Teile der Religion so zu gestalten, dass sie leicht

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verbreitet werden konnten, ohne von seinem speziellen Fokus auf das Lotos-Sūtra abzurücken. Unter Beibehaltung seiner Ansichten über das Wohl des Staates entwickelte er ein sehr effektives Modell religiöser Praktiken, die genügend Aufmerksamkeit im Volk erhielten, um auch unabhängig von staatlicher Unterstützung bestehen zu können.

11.4. Der Haupttempel Kuonji auf dem Berg Minobu Vor dem Hintergrund eines mongolischen Invasionsversuchs, der nur dank eines Taifuns nicht zustande kam, erhielt Nichiren im Jahr 1274 wieder die Erlaubnis, sich frei im Land zu bewegen. Er kehrte daraufhin für eine kurze Zeit nach Kamakura zurück und siedelte dann an einem Berg im Westen des Fuji, dem Minobu. Diesen Ort wählte er, da er ausreichend entfernt von den Zentren der Politik und des Handels war, um gegebenenfalls schutzfähig zu sein. Gleichzeitig war er jedoch nicht so unzugänglich, dass es Gläubigen unmöglich wäre, eine Pilgerreise dahin zu unternehmen. Weniger leicht erreichbar war ein anderer Berg in der Region, der Shichimenzan, auf dem ein Tempel für die weibliche Gottheit Shichimen errichtet wurde. Diese Gottheit wurde als Unterstützerin derer angesehen, die das Lotos-Sūtra verehrten. Von beiden Bergen gingen imaginäre Linien aus, die den Gipfel des Fuji, den Sonnenaufgang und Nichirens Elternhaus an der Pazifikküste verbanden. Der Haupttempel trägt den Namen Kuonji („Tempel der Ewigkeit“). Dieser Name bezieht sich auf die unermessliche Lebensdauer des Tathāgata, die im 16. Kapitel des Lotos-Sūtra enthüllt wird. Das Narrativ, dass der historische Buddha 80 Jahre lebte, war damit als ein „geschicktes Mittel“ zurückgestuft worden, das dafür gedacht war, die „lebendigen Wesen“ zu ermutigen und von der Erreichbarkeit des Nirvāṇa zu überzeugen. Bei dem Namen Kuonji lässt sich ein subtiler Übergang von „unermesslich“ zu „ewig“ feststellen, der im Urtext nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist. Anstelle der Lehre der geschickten Mittel, die immer hinterfragt oder zurückgelassen werden soll, geriet damit die eher ontologische Behauptung eines ewigen Buddha in den Mittelpunkt. Nichiren blieb bis zu seinem Tode 1282 im Alter von 60 Jahren aktiv in der Unterweisung und Organisation seiner Anhänger. Sein Mausoleum befindet sich am Kuonji, der bis heute der Haupttempel der größten Nichiren-Schule, der Nichiren-shū, ist. Keine andere buddhistische Gruppe in Japan ist direkt nach ihrer Gründungsfigur benannt. Der Grund, warum hier Nichirens Name verwendet wurde, liegt darin, dass die Ausrichtung der neuen Denomination in besonderer Weise mit seinem persönlichen Sendungsbewusstsein verbunden ist. Er hatte sich selbst mit dem Bodhisattva Viśiṣṭacāritra identifiziert, bekannt nach japanischer Leseart als Jōgyō Bosatsu, der laut dem 15. Kapitel des Lotos-Sūtra als einer der

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Führer der großen Bodhisattva-Schar kurz vor der Offenbarung des unermesslichen Lebens des Buddha erscheint.102 Da Nichirens Lehre von Beginn an als eine Verbesserung von Missverständnissen im Mahāyāna-Buddhismus gedacht war, ist es nicht überraschend, dass seine Anhänger diese Lehre sorgfältig bewahren wollten und dass es gerade dadurch zu Streitigkeiten zwischen ihnen kam. Alle Untergruppen des Nichiren-Buddhismus sehen sich als Bewahrer der wahren Lehre. Es ist bemerkenswert, dass die Namen der meisten Nachfolger Nichirens ebenfalls das Schriftzeichen nichi, was „Sonne“ bedeutet, beinhalteten. Häufig wird dies durch die nachfolgenden Schriftzeichen zu niss- oder nikk-, wie etwa bei Nisshō oder Nikkō. Es wird allgemein so gesehen, dass so wie Nichiren im Osten Japans aufgewachsen war, wo die Sonne über dem Meer aufsteigt, diese erneuerte Form des Buddhismus nun in den Westen nach China und in das Ursprungsland Indien zurück vermittelt werden sollte. Nichiren gewann in neuerer Zeit wieder an Bedeutung durch das Aufkommen von engagierten Laienbewegungen, die sich ebenfalls auf das Lotos-Sūtra konzentrierten (vgl. das Kapitel zum „Laienbuddhismus“). Obwohl Nichiren oft als „aggressiv“ kritisiert wurde und auch wirklich eine sehr energische Persönlichkeit war, so sollte doch daran erinnert werden, dass er selbst nur die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes nutzte, um seine Botschaft zu verbreiten, wohingegen er und seine Anhänger teilweise gewaltsam verfolgt wurden.

12. Kulturelle Blüte 12.1. Muromachi und Azuchi-Momoyama Obwohl wir in diesem Kapitel in beide Richtungen über die zeitlichen Grenzen der oben genannten Epoche hinausschauen müssen, beginnen wir doch mit einer einfachen Aktualisierung der politischen Umstände, die am Ende der KamakuraZeit zutrafen. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts zeigte das Kamakura-Shōgunat, vertreten durch die mächtige Hōjō-Familie, erste Anzeichen von Schwäche und brach schließlich zusammen. In der Zwischenzeit hatte sich der kaiserliche Hof in Kyōto in einen „Nördlichen und Südlichen Hof“ (Nanbokuchō) gespalten, der Großteil der politischen Macht ging jedoch auf die Ashikaga-Shōgune über, die ebenfalls in Kyōto residierten. Ihre Herrschaftszeit, auch als Muromachi-Zeit bekannt, wird unterschiedlich datiert, der früheste Beginn liegt bei 1392, das Ende wird spätestens 1573 angesetzt. Darauf folgte die Zeit der Bürgerkriege, bekannt

102 Murano 1974: 236.

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als die „Streitenden Reiche“ (Sengoku Jidai, 1482–1558), die „Reiche“ waren die kuni oder Provinzen, die in einer andauernden Rivalität zueinander standen. Schrittweise gewannen mächtige Kriegsherren die Oberhand und ein langsamer Integrationsprozess begann, der schließlich mit der Errichtung des Tokugawa-Shōgunats in Edo endete (vgl. Kapitel 13). Die Zeit zwischen 1568 und 1600, oder auch noch kurz danach, in der diese Politik durch militärische Gewalt durchgesetzt wurde, nennt man in der Sozial- und Kulturgeschichte die Azuchi-MomoyamaZeit. Für die Geschichte des Buddhismus in Japan war diese Phase zwischen der Kamakura- und Edo-Zeit trotz aller politischen Instabilität eine Zeit weiterer Stabilisierung. Es entstanden keine neuen, großen Schulen, aber an Orten, die nicht gerade direkt von Unruhen betroffen waren, kam es zu einer Blüte verschiedener Künste, die zumindest teilweise vom Buddhismus beeinflusst wurden und die japanische Kulturgeschichte dauerhaft prägten. Ohne Illustrationen kann hier allerdings nur ein kleiner Eindruck davon gegeben werden. Allgemein lässt sich sagen, dass in dieser Zeit politische Unruhe und kulturelle Komplexität einander gegenüberstanden.

12.2. Etappen der buddhistischen Skulptur Im Bereich der Künste denkt man wohl als Erstes an die lange Tradition der buddhistischen Skulptur in Japan. Seit den Anfängen in der Asuka- und Nara-Zeit hatten plastische Figuren die wichtigste Stellung in der buddhistischen Ikonographie inne, auch wenn Gemälde nicht unbekannt waren. Der Hauptgrund dafür war, dass normalerweise jeder Tempel über ein zentrales Verehrungsobjekt (gohonzon) eines der führenden nyorai (tathāgata) – Shaka, Yakushi, Amida, Dainichi – oder des mitfühlenden Bodhisattva Kannon verfügte. Für die Statuen wurde Holz oder Bronze verwendet, entweder in einem Stück oder in mehreren, die dann zusammengesetzt wurden (yosegi-Technik). Zusätzliche Figuren konnten zur Bildung einer „Triade“ hinzugefügt oder in separaten Hallen, wie in einem Yakushidō, Amida-dō oder Kannon-dō, aufgestellt werden. Weitere wichtige Gestalten waren die vier Himmlischen Könige (Shitennō), und später die „leuchtenden Könige“ (myōō) wie etwa Fudō und Aizen, oder Gottheiten wie Benzaiten (die Endung ten entspricht hier dem Sanskrit-Wort deva). Solche Ikonographie setzte sich in der Heian-Zeit, der Kamakura-Zeit und darüber hinaus fort, da berühmten Tempeln wie dem Tōdaiji und dem Kōfukuji in Nara bei Gelegenheit neue Statuen gespendet wurden und auch weil für die Tempelneugründungen in Kamakura und anderswo angemessene gohonzon benötigt wurden. Solche Figuren, auch der historische Buddha Shaka (Śākyamuni), wurden alle als Repräsentanten einer transzendenten Welt dargestellt, weshalb sie trotz ihrer menschlichen Gestalt meist nicht realistisch waren. Eine Statue dieser Art verfügte zum Beispiel grundsätzlich über die

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stilistischen Merkmale eines Buddha (theoretisch sind dies 33 Hauptmerkmale und 80 kleinere Merkmale), während die mitfühlende Natur eines Bodhisattva durch verschiedene symbolische Gegenstände ausgedrückt wurde, die bei Erlösungshandlungen verwendet werden, wobei einige mehrere Arme und Hände haben, um diese zu halten. Solche Wesen machen daher alle einen übermenschlichen, überirdischen Eindruck.103 Zusätzlich zu diesen Nebenfiguren, die in den Tempelhallen aufgestellt wurden, gab es auch Statuen von Personen, die noch nicht eine übernatürliche Ebene erreicht hatten, sondern als menschlich angesehen und demzufolge auch so dargestellt wurden. Darunter waren zum Beispiel die direkten Schüler des Śākyamuni, die rakan (chines. luóhàn; skt. arhat), die meist in einer Gruppe abgebildet werden, in der Regel mit sechzehn oder achtzehn Personen, manchmal aber auch in anderer Zahl. Um die Mahāyāna-Tradition zu betonen, wurden auch wichtige buddhistische Denker und Lehrer dargestellt, darunter die indischen Weisen Ryūju (Nāgārjuna), Seshin (Vasubandhu) und Mujaku (Asaṅga) oder der chinesische Gelehrte Ganjin. In Bezug auf die ikonographische Darstellung kann man den berühmten Laienlehrer des Dharma, Yuima (Vimalakīrti), auch zu dieser Gruppe zählen, obwohl man ihn in modernen Zeiten eher als legendäre Gestalt einstuft. Solchen Personen wurde zwar großer Respekt entgegengebracht, aber sie waren nicht überirdisch und es wurde üblich, sie mit sehr realistischen Gesichtsausdrücken oder anderen physischen Attributen, wie Muskeln oder ausgeprägten Venen, darzustellen. Als ein Höhepunkt in der einheimischen Produktion buddhistischer Skulpturen kann die Arbeit von Unkei (ca. 1150–1223) angesehen werden. Er gehörte zu denen, die begannen, natürliche Elemente des menschlichen Körpers zu akzentuieren, wie etwa in seinen zwei Schutzkönigen, den Kongō Rikishi, die 1203 am Tōdaiji aufgestellt wurden. Hier wurde eine übernatürliche Größe mit einer durchaus natürlichen Muskelstruktur kombiniert. Eine ähnlich realistische Darstellungsweise in den Skulpturen wurde auch für die neuen Heiligen Japans verwendet. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Statue von Kūya aus der KamakuraZeit, die am Tempel der Sechs Vollkommenheiten (Rokuharamatsuji) steht, der von ihm selbst 951 gegründet wurde. Sie zeigt in einzigartiger Weise, wie kleine Abbilder des Amida Buddha aus seinem Mund herausströmen, während er das nenbutsu rezitiert. Andere Lehrer, wie Kūkai, Ippen, Shinran oder Nichiren wurden auch bald in ähnlicher Weise als freistehende Statuen abgebildet, die in der Lage waren, dem Einfluss des Wetters zu widerstehen. Diese Form der Bildhauerei verschmolz in modernen Zeiten mit der Monumentalbauweise, die für Skulpturen von politischen Persönlichkeiten und anderen säkularen Anführern und Pionieren verwendet wurde. Trotz solcher Entwicklungen war es weiterhin immer wieder

103 Für eine ausführliche, allgemeine Übersicht zur Entwicklung der buddhistischen Ikonographie in Ostasien mit einem speziellen Augenmerk auf Japan vgl. Seckel 1985.

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nötig, neue Hauptverehrungsobjekte (gohonzon) traditionsgemäß für Tempel herzustellen, welche die üblichen ikonographischen Konturen berücksichtigten.

12.3. Gärten Es ist nicht mehr möglich, die ganz frühe Herangehensweise an die physische Umgebung buddhistischer Einrichtungen in Japan zu rekonstruieren, aber man kann wohl davon ausgehen, dass bereits damals viel Sorgfalt auf die Genauigkeit und Sauberkeit von Sand, Kies und Steinen gelegt wurde. Mit Bedacht platzierte kleine Bäume oder Gewässer gab es in der Umgebung der ältesten Tempel, wie dem Hōryūji, allerdings erst wesentlich später und diese waren dann auch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Die ältesten angelegten Gärten gaben im Zusammenspiel mit der Architektur einen Eindruck vom Reinen Land Amidas, mit seinen fröhlichen Bächen, ruhigen Teichen und schönen Pflanzen. Die zwei Tempel Jōruriji und Byōdō-in wurden schon wegen ihrer Amida-Skulpturen erwähnt (vgl. Abschnitt 7.2.). Jōruriji ist vor allem für seine neun Darstellungen des Amida bekannt, aber zwischen der Amida-Halle im Westen und der Yakushi-Halle im Osten gibt es einen Teich mit einer kleinen Insel. Diese symbolisieren die Erde im Zentrum des Ozeans und gelten zusammen als ein Abbild des Reinen Landes. Im Falle des Byōdō-in zu Uji soll die ätherisch-schöne Phönix-Halle das westliche Reine Land repräsentieren. Amida Nyorai, der darin sitzt, kann von der gegenüberliegenden Seite eines größeren Teiches vor der Halle gesehen werden, als würde man über den Garten in das Zentrum des Reinen Landes hinübersehen. Am Saihōji in Kyōto wurde die Darstellung des Reinen Landes als Motiv zu Gunsten neuer Konzepte aus dem Zen-Buddhismus aufgegeben, die auf die Arbeit von Musō Kokushi (1275–1351) zurückgehen. Im Laufe der Zeit wurde dieser Tempel als Kokedera, Moos-Tempel, bekannt und gab damit den Startschuss für die große Beliebtheit von Moos auf vielen Tempelgeländen im ganzen Land, aufgrund seiner Natürlichkeit und als Anzeichen für das Vergehen der Zeit. Musō gründete und entwarf auch die Anlage des Rinzai-Tempels Zuisenji in Kamakura im Jahr 1327. Zuisenji ist bekannt für seinen Landschaftsgarten, der natürliche Felsen, frei fließendes Wasser und eine offene Höhle für die Meditation integriert. Mit dem wachsenden Einfluss des Zen-Buddhismus nahm die Bedeutung der direkten Wahrnehmung der Natur in ihrer ursprünglichen Einfachheit, Natürlichkeit oder „Soheit“ zu. Aber auch „Natürlichkeit“ musste geschaffen und erhalten werden, wodurch Künstlichkeit unvermeidbar wurde. Das spiegelt die zugrundeliegende Idee wider, dass Leerheit nur durch vorläufige Konstruktionen verstanden werden kann, so kurzlebig diese auch sein mögen. Typische Konzepte sind shakkei, eine „geborgte Landschaft“, die außerhalb des gestalteten Gartengeländes liegt, und kare-sansui, was „trockene Landschaft“ bedeutet. Der Begriff sansui, der hier als „Landschaft“ übersetzt wird, bedeutet wörtlich „Berge und Wasser“, und ist

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eine stehende Bezeichnung für allgemeine Gemälde von weiten Naturszenen, in denen selbst ein Eremit fast keinen Platz hat. Andererseits wurde die Gestaltung von trockenen „Bergen und Wasser“ durch wellenförmig geharkten Sand und sorgfältig arrangierte Steine zum Inbegriff eines „Zen-Gartens.“ Das klassische Beispiel eines derartigen Zen-Gartens ist zweifellos der des Rinzai-Tempels Ryōanji in Kyōto, der auf dem Gelände einer älteren Villa im Jahr 1450 errichtet wurde und viele Nachahmungen inspiriert hat. Der „Garten“ ist ganz ohne Pflanzen und ist vielmehr ein Statement aus geharktem Sand und kleinen Steingruppen, umgeben von einer mit Ziegeln gekrönten Lehmmauer. Die Schönheit des Ryōanji-Gartens, die bei der Konzentration während der Meditation helfen soll, wird durch die Blätter der umstehenden Bäume verstärkt, die je nach Jahreszeit ihre Farbe wechseln, sowie durch den sanften Farbverlauf im Putz der Schutzmauern. In diesem Fall scheint es unangemessen, Spekulationen über mögliche Allegorien anzustellen, obwohl diese später nicht gefehlt haben. Es ist zweifellos angemessener, den Garten an einem ruhigen Tag in der Stille auf sich wirken zu lassen. Die umstehenden Bäume im Hintergrund und die Gebäude des Tempels haben über die Jahre einige Veränderungen erlebt. Als Kogaku 1509 in Daitokuji den Untertempel Daisen-in gründete, wurde sofort ein weiterer von den Gebäuden umschlossener Garten mit Steinen und Sand angelegt, der von der Haupthalle einsehbar ist und die Zeiten überdauert hat. Das Zusammenspiel von Architektur und Garten zeigt sich außerdem sehr gut in den beiden berühmten Villen Kinkakuji (so genannter „Goldener Pavillon“) und Ginkakuji („Silberner Pavillon“) in Kyōto. Beide wurden auf den Wunsch von Ashikaga-Shōgunen hin errichtet, der Kinkakuji 1398 durch Yoshimitsu und der Ginkakuji 1484 durch Yoshimasa.104 Wahre „Zen-Gärten“ sind nicht nur Gärten, sondern Teil eines lebendigen Komplexes von Gebäuden für Menschen, die sich einem Leben der Reflexion und Meditation verschrieben haben. Der Rinzai-Zen-Meister Ikkyū Sōjun (1394–1481) aus der Daitokuji-Linie hatte das Glück einen kleinen Tempel namens Myōshōji zu übernehmen, der ursprünglich aus dem 13. Jahrhundert stammte, und benannte ihn in Shūon-an um. Dieses Klausen-ähnliche Gelände (-an statt -ji) liegt zwischen Nara und Kyōto und wurde für seine Gärten sowie Ikkyūs eigenen Zugang zu den Zen-Lehren bekannt, die auf eine lustig ansprechende Weise ein breiteres Publikum ansprachen. Er hinterließ einen derart bleibenden Eindruck, dass die Erinnerung an ihn bis in die Edo-Zeit in der populären Kunst bewahrt wurde und der Tempel selbst im Volksmund als Ikkyūji bekannt wurde.105 Der Einfluss von „ZenGärten“ auf die japanische Gartengestaltung im Allgemeinen ist sehr groß, was

104 Kinkakuji wurde 1950 durch Brandstiftung zerstört und fünf Jahre später wieder errichtet. 105 Vgl. Steiner 2014.

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jedoch nicht bedeutet, dass sich immer auch eine Zen-bezogene Bedeutung findet. Doch die Tradition der Gestaltung von Landschaften und Gärten wurde weiterhin für das Zen in Anspruch genommen. Das wird etwa sichtbar an der großen Rekonstruktion der Gärten des Tōfukuji, die in moderner Zeit durch den Autodidakten, Laien und Gartenarchitekten Shigemori Mirei (1896–1975) durchgeführt wurde. Trotz seiner minimalistischen Verwendung von Gesteinen und Moosen scheute sich Shigemori nicht davor, Bezeichnungen wie „hassō no niwa“ zu verwenden, was sich auf die acht Phasen im Leben des Śākyamuni bezieht. Das lässt eine interpretierende, sogar allegorische Gestaltung der Landschaft eher zu als eine indirekte, wie man bei dem Ansatz des Rinzai-Zen vielleicht eher erwarten würde.

12.4. Tee-Zeremonie und Kunst der Blumen Gebäude mit Gärten eigneten sich gut für die Errichtung kleiner Pavillons oder Teehäuser, die sich gänzlich der Zubereitung von Tee in Einklang mit einer ausgefeilten Ritualisierung widmeten, die die natürliche Einfachheit einer jeden kontrollierten Handlung ausdrückt. Die Verwendung von starkem, stimulierendem Grünen Tee in Pulverform wurde im Zusammenhang mit dem Zen-Buddhismus im Laufe des 13. Jahrhunderts aus China übernommen. Eisai soll die Teepflanze bei seiner Rückkehr nach Japan 1191 mitgebracht haben. Sorgfältige Pflege bei ihrer Zubereitung führte zur Perfektionierung einer Routine, die schließlich als chadō (oder sadō, geschrieben mit den gleichen Schriftzeichen) bezeichnet wurde, was „der Weg des Tees“ bedeutet. Man bezeichnet es auch schlicht als wörtlich „heißes Wasser für Tee“ (chanoyu). Sen Rikyū (1522–1591) wird allgemein als derjenige angesehen, der die Kunst des chadō vervollkommnete. Im Zuge eines ungerechten Vorwurfs des Kriegsherrn Hideyoshi, der auch sein Schüler im chadō war, sah Rikyū sich gezwungen, seppuku106 zu begehen. Obwohl der „Weg des Tees“ auch mit bekannten Zen-Persönlichkeiten in Verbindung gebracht wurde, zum Beispiel mit Kamiya Sōtan (1553–1635), der unter anderem Teespezialist am Daitokuji war, entwickelte dieser Weg auch ein Eigenleben. Seit Rikyū wurde der chadō weitgehend unabhängig und konnte ohne bewussten Bezug zum Zen praktiziert werden. Im besten Falle spiegelten die Schlichtheit der Vorbereitung, die Zubereitung und der Genuss des Tees die buddhistische Idee der Natürlichkeit oder Soheit wider, wie sie im Zen vermittelt werden. Andererseits wurde die Technik des chadō bis heute außerhalb des Tempellebens über zwei Zweige der Sen-Familie weitergegeben, die Omote-senke- und die Ura-senke-Schule, beide mit einem Hauptquartier in Kyōto. Man kann diese Traditionen fast als eigenständige Religionen ansehen. Weniger bekannt, aber auch sehr interessant ist die Tradition der Yabunouchi-

106 Selbsthinrichtung. Die gleichen Schriftzeichen können auch harakiri gelesen werden.

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Schule für Tee, die von Yabunouchi Kenchō (1536–1672) gegründet wurde. Das Besondere an dieser Tradition ist, dass sie Verbindungen zum Shin-Buddhismus des Nishi Honganji und nicht zum Zen hat. Die mit dem Ritual verknüpften spirituellen Werte sind Ehrlichkeit, Reinheit, Höflichkeit und Einfachheit.107 Eine der Errungenschaften der Muromachi-Zeit ist das Aufkommen des Arrangierens von Blumen als eigenständige Kunstform, formal bezeichnet als kadō – „der Weg der Blumen“. Kadō wird im Japanischen auch als ikebana bezeichnet, was wörtlich „lebende Blumen“ bedeutet. Die Tradition des ikebana kennt verschiedene Variationen, die hier nicht ausführlich erläutert werden können und auch nur teilweise von buddhistischen Vorstellungen beeinflusst wurden. Ein buddhistischer Hauch kann in der dialektischen Beziehung zwischen der Natürlichkeit der Blumen und der Künstlichkeit, durch die dieser Natürlichkeit künstlerischer Ausdruck verliehen wird, gespürt werden. Diese Beziehung wird in der Formulierung „Wahrheit und Falschheit in gleichen Teilen“ zusammengefasst, hinter der man leicht den buddhistischen Gedanken von der Nicht-Dualität des Provisorischen und des Realen (gonjitsu funi) erkennen kann. Direkt neben dem früher erwähnten Rokkakudō in Kyōto, mit dem formellen Tempelnamen Chōhōji, steht das hohe, moderne und trotzdem anmutige Gebäude von Japans führender Schule für das Arrangieren von Blumen, Ikenobō.108 Die Lehrer(innen) und anderen Angestellten erweisen häufig Kannon Bosatsu am Tempel ihren Respekt, bevor sie ihre Arbeit antreten. Der Name Ikenobō bezieht sich auf den Chōhōji-Mönch Ikeno-bō Sennō (1482–1543, bō bedeutet Mönch), der als Initiator einer disziplinierteren und organisierteren Herangehensweise an das Arrangieren von Blumen angesehen wird, das die wohlhabende Schicht der japanischen Gesellschaft bereits seit der Heian-Zeit fasziniert hatte. Seit seiner Zeit wurde der Name Ikenobō als Titel über Generationen von eingeweihten Lehrer(inne)n des ikebana weitergegeben. Eine Schrift mit Sennōs Lehren, das Sennō Kuden („Mündliche Überlieferung des Sennō“), wird auf das Jahr 1542 datiert.

12.5. Dichtung Die japanische Dichtung ist bekannt für ihre Kürze, Schlichtheit und andeutungsartige Ausdrucksweise. Schon in der Heian-Zeit finden sich einige Verknüpfungen in der Entwicklung buddhistisch-inspirierter Dichtung. Mit der Arbeit von Fujiwara Shunzei (1114–1204) rückte der andeutungsvolle Begriff yūgen in den Blickpunkt. Die wörtliche Bedeutung von yūgen ist etwas Dunkles und Mystisches, in der Dichtung von Shunzei und seinem Sohn Teika (1162–1241) verschmilzt dies

107 Für faszinierende weitere Informationen vgl. Porcu 2008. 108 Sie ist eingetragen als Nihon Kadōsha. In Kyōto gibt es außerdem noch ein modernes Ikenobō Junior College.

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jedoch mit der Unbeständigkeit der Dinge. Selbst dann birgt diese Vergänglichkeit ihre eigene Schönheit, indem sie den Dichter zu einer positiven Beziehung mit dem mysteriösen Unbeständigen zurückführt. Das wird etwa deutlich in folgendem bekannten Gedicht Teikas: Schauend in die Ferne weit vorbei an Blüten oder Ahornblättern, dahin, wo sie nicht mehr sind; versinken dort am Wasserrand die Hütten herbstlich in der Dämmerung.109

Die „Blumen“ (hana) sind zweifelsohne Kirschblüten, die hier als frühlingshaftes Gegenstück zu den leuchtend roten Ahornblättern des Herbstes gedacht sind. Sie werden aber im Gedicht nicht ausdrücklich so bezeichnet. Die Hütten am Hafen sind einfach, und doch verschwinden sie in ihrer Vergänglichkeit in der Dämmerung. Gleichzeitig ist eben diese Gewöhnlichkeit das, was real ist, wenn man über die Blüten und Blätter der Jahreszeiten hinausblickt. Durch solche Gedichte wird sichtbar, wie die buddhistische Vorstellung von der Vergänglichkeit gewöhnlicher Dinge das Feld der bloßen Lehre verlässt und zu einer positiven Annahme des Gewöhnlichen, gerade in dessen Einfachheit, hingezogen wird. Es gibt in diesem Gedicht keinen ausdrücklichen Bezug zum Buddhismus, jedoch deutet seine ontologische Ambivalenz darauf hin. Damit trägt uns die Dichtung über die wörtlichen, wenn auch häufig fantastischen Erzählungen von karmischer Vergeltung, wie sie im Nihon ryōiki zu lesen sind, hinaus. Sie führt uns über die vielfältige Welt von Frühlingsblumen und Herbstblättern, voller Tun und Ergehen, zur Wahrnehmung, in der Dämmerung, der gleichmäßigen Einfachheit der Soheit aller Dinge.110 Im Laufe der Jahre finden sich viele buddhistische Mönche, die für ihre Beiträge zur japanischen Dichtung bekannt sind, insbesondere für das Genre renga. Dieser Ausdruck bedeutet „verbundene Verse“, in der Weise, dass Verse von unterschiedlichen Personen bei einem Dichtertreffen verknüpft werden. Der Rinzai-Zen Mönch Sōgi (1421–1502) zum Beispiel lebte in dem zentral gelegenen Tempel Shōkokuji in Kyōto, reiste aber auch durch ganz Japan und war ein hochgeschätzter renga-Dichter. Ein weiterer buddhistischer Dichter, der sich auf renga spezialisierte, war der Shingon-Mönch Ōgo (1537–1608). Er entstammte einer Samurai-Familie und wurde im Shingon-Zentrum am Berg Kōya ordiniert. Nicht nur verfasste er selbst renga, sondern im Jahr 1603 schrieb er einen Text mit dem Titel „Notizen

109 Miwataseba/hana mo momiji mo/nakarikeri/ura no tomaya no/aki no yūgure. (vgl. LaFleur 1983: 7). LaFleur 1983: 7 übersetzt ins Englische: Gaze out far enough/beyond all cherry blossoms and scarlet maples/to those huts by the harbour/fading in the autumn dusk. 110 Für eine ausführliche, feinfühlige Behandlung des Themas siehe LaFleur 1983.

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ohne Worte“ (Mugonshō), der sich zu einem Standardwerk für diese Kunstform entwickelte. Trotz seiner Samurai-Herkunft war Ōgo nicht nur ein Dichter, sondern auch ein Friedensstifter. Als er hörte, dass der Kriegsherr Hideyoshi (vgl. Kapitel 13) einen Angriff auf den Berg Kōya plante, um dessen politischen Einfluss zu mindern, überredete er ihn erfolgreich, davon abzulassen. Mit Blick auf buddhistische Praktiken ist vor allem die asketische Gestaltung seiner Ernährung bekannt. In Phasen des Rückzugs in die Bergwälder verzichtete er auf alle Formen kultivierten Gemüses und lebte einzig von Blättern und Früchten der Bäume. Diese Praktik nennt sich mokujiki („Baumkost“) und Ōgo erhielt schließlich deswegen den Ehrentitel Mokujiki Shōnin.

12.6. Das Nō-Theater Die Dialektik des Mahāyāna-Buddhismus findet bis heute packenden Ausdruck in den überaus stilisierten Bühnendramen des Nō (die langgezogene Silbe wird manchmal in der lateinischen Umschrift auch als Noh oder Nô wiedergegeben). Die Frühgeschichte des Nō ist kompliziert, nicht zuletzt da der frühe Gebrauch des Begriffes sehr unpräzise ist.111 Nō bedeutet so viel wie „gekonnte Vollendung“ und wurde ursprünglich als Ergänzung für frühe Formen der Unterhaltung verwendet, die eine Mischung aus musikalischer und schauspielerischer Vorführung waren, bekannt als ennen, dengaku und sarugaku. Diese wurden von buddhistischen Priestern verwendet, um ihre Lehren zugänglicher zu präsentieren. Mit der Zeit wurden diese Aufführungen verfeinert, und diese „vollendete“ Form wurde z. B. als sarugaku-no-nō bezeichnet. Obwohl sarugaku eigentlich „Affentheater“ bedeutet und sich auf die verspielte, wilde Art schauspielerischer Präsentationen bezieht, wurde dieser Aspekt größtenteils durch die schleppend langgezogene Ernsthaftigkeit der intonierten Sprache und musikalischen Begleitung überdeckt, die dem Nō in seiner voll entwickelten Form seine endlose Faszination verleihen. Das, was heute als Nō bekannt ist, erhielt seine klassische Form durch die Werke von Zeami Motokiyo (1363–1443).112 Buddhistische Themen sind hierbei vorherrschend, besonders solche, die sich zur erzählerischen Darstellung eignen. Eines davon ist Nichirens Begegnung mit der Göttin Shichimen am Berg Minobu. Wie schon erwähnt, ist Shichimen die Beschützerin all derer, die das Lotos-Sūtra verehren, und nach ihrer wundersamen Erscheinung vor Nichiren wurde sie an einem zweiten Berg, dem Shichimenzan, verehrt. Eine weitere Geschichte ist das Aufeinandertreffen des nenbutsu-Gelehrten Kūya mit dem Drachenkönig auf dem Berg Atago. Letzterer erschien zunächst in

111 Vgl. Lombard 1928. 112 Der Name wird auch als Seami ausgesprochen.

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Gestalt eines alten Mannes, der eine Buddha-Reliquie aus dem Sūtra verlangte, das Kūya soeben gelesen hatte. Später stellte sich heraus, dass dieser alte Mann eine Manifestation des Drachenkönigs war, der in der Lage ist, auf dem Gipfel des Berges dringend benötigtes Wasser zu produzieren. Insgesamt sind vor allem Personen aus dem Amida-Buddhismus vertreten, es gibt aber auch Tendai- oder Shingon-Geschichten.113 Gleichzeitig ist Zeamis Verständnis von Aufführung in derselben Weise strukturiert wie der Mahāyāna-Buddhismus im Allgemeinen, egal ob man an dessen Ausformulierung durch Nāgārjuna oder Dōgen denkt.114 Dies findet Ausdruck in dem berühmten Ausspruch „die Blume ist der Geist, der Keim die Aufführung“, der ein älteres, nicht-buddhistisches Sprichwort umdreht, nach dem der Keim von Dichtung im Geist (oder im Herzen) läge und die entstehenden Blumen ein Mittler der Worte seien.115 Im buddhistischen Verständnis stammt der neue Keim von der bereits bestehenden Blume, genauso wie die Übungen im Kontext der Erleuchtung stattfinden, in der die bereits bestehende Buddha-Natur wahrgenommen wird. In gleicher Weise ist das Nō nicht als die Präsentation eines schrittweisen Lehrstückes zu verstehen, trotz seiner erzählenden Form. Die „Vollendung“ entsteht vielmehr aus einem bereits bestehenden grundsätzlichen Verständnis. Unvermeidbare Aspekte von Kosmologie und karmischen Wechselwirkungen, die typisch für Erzählungen sind, basieren auf einer Weltsicht, die unterschwellig als nicht-dual verstanden wird.

12.7. Tempel als Horte der Kunst Wie bereits am Beginn dieses Kapitels angemerkt, wurde die religiöse, funktionale Ikonographie, die beeindruckend, lehrreich und verehrungswürdig sein sollte, erst später als eigenständig „schön“ angesehen. Religiöse Kunst dieser Art wurde weiterhin hergestellt, besonders in Form von Skulpturen, aber die Kreativität, die durch die unkonventionellen Aspekte des Zen-Buddhismus freigesetzt wurde, gepaart mit der wohlhabenden Patronage, führte durch die Muromachi- und Momoyama-Zeiten zu einer Blüte der bildenden Kunst in einem weiteren Sinne. Ausdruck fand dies vor allem in den Tempeln des Rinzai-Buddhismus und in den zu Tempeln umgewidmeten Alterssitzen der Kaiser und Shōgune. Während riesige Drachen und andere Motive an die Decken gemalt wurden, wurden vor allem in Zen-Tempeln die starken Papierteile der Schiebetüren (fusuma), mit denen die Räume nach Belieben vergrößert oder verkleinert werden konnten, für die Darstellung der lebendigen Stärke eines Tigers, das feingliedrige Flechtwerk von Pflanzen

113 Vgl. Renondeau 1950. Schon erwähnt (vgl. Abschnitt 7.4.) wurde Zeamis spannende Darstellung von Myōes Verzicht auf eine Indienreise. 114 Vgl. LaFleur 1983 (Kapitel 6). 115 LaFleur 1983: 126.

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oder die flüchtige Natur von Vögeln verwendet. Wie es in Japan üblich war (und ist), entstanden für derartige künstlerische Betätigungen verschiedene Traditionsschulen wie zum Beispiel die von Kanō Masanobu (1434–1530) gegründete KanōSchule. In der chinesischen und japanischen Malerei gab es immer eine enge, untrennbare Verbindung zwischen bildlichen Darstellungen und Kalligraphie. Tatsächlich kann im Japanischen das Wort „schreiben“ (kaku) auch „zeichnen“ bedeuten. Und da traditionell vertikal geschrieben wird, ist die Hängerolle das offensichtlichste und am weitesten verbreitete Medium für solche Werke. Wie auch bei anderer buddhistischer Ikonographie wurden Hängerollen zunächst zur Verehrung und Meditation angefertigt. Aber der Wunsch nach künstlerischer und kalligraphischer Perfektion führte zu Variationen in Stil und Inhalt, die weit über die Anforderungen einer rein religiösen Verwendung hinausgingen. Im Zen-buddhistischen Kontext wurde das Interesse an der kreativen „Kunst“ vorherrschend, wobei nicht übersehen werden darf, dass auch Themen, die nicht im üblichen Sinne ikonographisch sind, als selbstständige Aussagen von spiritueller Unabhängigkeit und Originalität angesehen werden können.116 Insgesamt kann das Leben vieler buddhistischer Tempel in Japan als Motor für künstlerische Unternehmungen angesehen werden, und die Schätze, die dies belegen, werden bis heute bewahrt und geschätzt. Obwohl auch in früherer Zeit schon zahlreiche schöne Werke entstanden, erlebte das Verständnis, dass Kunst selbst ein andauernder Prozess kreativer Neugier sein kann, in der Muromachiund Momoyama-Zeit eine merkliche Blüte.

13. Buddhismus in der Edo-Zeit 13.1. Buddhismus unter den Tokugawa-Shōgunen Das Thema dieses Kapitels ist der Buddhismus in der Edo-Zeit, die in der Regel zwischen 1600 und 1867 datiert wird. Diese Phase wird auch als Tokugawa-Zeit bezeichnet, da die Vereinigung des Landes von Tokugawa Ieyasu (1542–1616) abgeschlossen wurde, dessen Nachfolger-Shōgune alle den Namen Tokugawa trugen. Es handelt sich also um Buddhismus unter dem politischen System dieser Shōgune. Die Installierung der politischen Macht in Edo (heute Tokyo) war ein komplexer Prozess, weshalb als Beginn dieser Periode manchmal auch 1603 oder 1615 angegeben werden. Vorher hatte Japan sich zu einem Flickenteppich aus feudalen

116 Vgl. Awakawa 1970.

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Fürstentümern entwickelt, deren Herrscher (daimyō) untereinander um die Macht stritten, während die zentrale Regierung in Kyōto immer schwächer wurde. Die Fürsten entwickelten sich daher zu Kriegsfürsten. Drei von ihnen stechen besonders hervor, sowohl wegen der Rolle, die sie in der Reichseinigung spielten, als auch wegen ihres Einflusses auf das religiöse Leben. Dies waren Oda Nobunaga (1534–1582), Toyotomi Hideyoshi (1536–1598) und der bereits erwähnte Tokugawa Ieyasu. Üblicherweise werden sie jeweils mit ihren persönlichen Namen bezeichnet: Nobunaga, Hideyoshi und Ieyasu. Das Machtzentrum der Oda-Familie war das Schloss von Nagoya in der Mitte Japans. Von dort aus erweiterte Nobunaga seinen Einflussbereich durch eine Reihe geschickter militärischer Aktionen und schaffte es 1568, den letzten AshikagaShōgun, Yoshiaki, in Kyōto einzusetzen. Es folgten weitere Feldzüge, in denen Nobunaga auch Schusswaffen einsetzte, um die wichtige Provinz Ōmi nördlich von Kyōto zu unterwerfen. Die bewaffneten Tendai-Buddhisten hatten sich mit der unterlegenen Seite verbündet, und 1571 eilte Nobunaga zum Hieizan, wo er den Haupttempel Enryakuji und andere Gebäude bis auf die Grundmauern niederbrennen ließ. Damit endete der militärische Einfluss der Tendai-Schule, es war aber zugleich ein großer Rückschlag für das religiöse Leben am Berg. Eine andere buddhistische Gruppe, die Nobunaga ein Dorn im Auge war, waren die Shin-Buddhisten, die damals als Ikkō-shū bekannt ihr Zentrum am von Rennyo gegründeten Honganji zu Ishiyama in Ōsaka hatten. Hier hatten die so genannten Ikkō-Aufstände (ikkō-ikki) ihren Ausgangspunkt, in denen sich Bauern und Mönche verbündeten, um sich gegen die Militärmächte zu verteidigen. Die Belagerung des Ishiyama Honganji war langwierig, aber schließlich fand sie 1580 ihr unvermeidliches Ende und der Tempel wurde zerstört. Kurz darauf, 1582, wurde Nobunaga selbst Opfer eines Überraschungsangriffs durch einen verräterischen General, Akechi Mitsuhide. Der Angriff zwang Nobunaga zum Selbstmord, während er sich gerade im Nichiren-Tempel Honnōji in Kyōto aufhielt. Die Erinnerung an Nobunaga wird nicht nur im Honnōji, sondern auch in einem Jōdo-Tempel namens Amida-ji, weiter im Norden, bewahrt, da er dessen Gründer Seigyoku Shōnin unterstützt hatte. Es zeigt sich also, dass Nobunaga nicht pauschal gegen den Buddhismus war, jedenfalls solange Buddhisten seine militärischen und politischen Strategien unterstützten. Stellten sie sich ihm jedoch entgegen, konnte er hart und effektiv zuschlagen. Nobunagas Tod wurde von einem seiner Anhänger, Hideyoshi, gerächt, der sich schnell selbst als tatkräftiger Kriegsfürst bewährte. Ihm wurde nur im Osten von Tokugawa Ieyasu Einhalt geboten, wobei die beiden allerdings ein Abkommen schlossen, wonach Hideyoshi von Kyōto aus die gesamte Kontrolle ausüben sollte. Sein Einflussbereich erweiterte sich bis Shikoku und Kyūshū. Außerdem ordnete er die Ausweisung aller christlichen (katholischen) Missionare an, besonders aus Nagasaki, um jeden Zweifel über etwaige ausländische Eingriffe auszuräumen. Am Standort des zerstörten Ishiyama Honganji errichtete er das Schloss von Ōsaka als

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eine Militärfestung und entwickelte weitreichende Pläne für Kyōto, welche unter anderem die Umsiedlung einer Anzahl buddhistischer Tempel zur Folge hatten. Die meisten wurden in einem langen Streifen namens Teramachi – Tempel-Stadtteil117 – angesiedelt, manche jedoch auch anderswo, so etwa der Nichiren-Tempel Myōkenji, der zunächst 1548 im Zentrum wieder errichtet worden war (Nijō Nichitōin) und 1584 auf Hideyoshis Anweisung weiter nordöstlich an seinen heutigen Standort versetzt wurde. Bei der Anwendung seiner Finanzierungskraft bewies er einen schlechten architektonischen Geschmack, indem er zum Beispiel überschwängliche Ornamentik anbringen ließ oder ein vergoldetes Teehaus errichtete. Eigentlich sollen kleine, einräumige Häuser für die Tee-Zeremonie bewusst schlicht, natürlich und unauffällig gestaltet sein. Als Hideyoshi 1598 starb, übernahm Ieyasu die Regierung für dessen unmündigen Erben Hideyori. Dieses Arrangement führte jedoch zu neuen Rebellionen, und es fiel Ieyasu als letztem der großen Kriegsfürsten zu, die verschiedenen Querulanten zu unterwerfen. Ein Schlüsselereignis war dabei die Schlacht von Sekigahara 1600, die als Gründungsdatum des vereinigten Japans angesehen wird. 1603 ernannte der Kaiser Tokugawa Ieyasu offiziell zum nationalen Shōgun, der von Edo aus regieren sollte, während der Kaiser selbst (der Tennō) in Kyōto blieb. Ieyasu war in gleichem Maße politischer Stratege wie erfolgreicher Kriegsherr und gründete sein Tokugawa-Shōgunat auf drei wichtigen Vorschriften für die Bevölkerung. Die erste war, dass die Lokalfürsten, die daimyō, einen Teil ihrer Zeit in Edo verbringen mussten und, wenn sie in ihre Besitzungen zurückkehrten, wichtige Familienmitglieder als Geiseln zurückzulassen hatten. Dieses System der wechselnden Residenzen hieß sankin kōtai. So wurde der Flickenteppich aus Fürstentümern in einem dauerhaften Gleichgewicht gehalten. Die zweite Vorschrift war, dass der gesellschaftliche Status in vier Klassen festgeschrieben wurde: Adel, Krieger, Händler und Bauern. Unterhalb dieser Klassen gab es noch die Unberührbaren oder „Nicht-Menschen“ (hinin), die unreine Arbeiten verrichteten und deren Diskriminierung bis weit in die Moderne andauerte.118 Die dritte wichtige Vorschrift war, dass die gesamte Bevölkerung sich als Haushalt (ka, auch ke oder ie gelesen) bei einem buddhistischen Tempel registrieren musste. Dieses System der Tempelregistrierung wurde vor allem genutzt, um Allianzen mit dem Christentum zu verhindern. Darüber hinaus bedeutete es jedoch für den japanischen Buddhismus, dass die Zugehörigkeit eines jeden Haushalts zu einer bestimmten buddhistischen Schule festgelegt wurde. Denn in diesem System wurden die Familienhaushalte über ihren buddhistischen Hausaltar (butsudan) definiert, auf dem man die Vorfahren der Familie verehrte. Wörtlich bedeutet butsudan (仏壇) „Buddha-Platt-

117 Die heutige Teramachi-dōri ist eine lange Nord-Süd-Straße, die dieses Konzept aufgreift und wo sich aus diesem Grund Tempel unterschiedlicher Schulen finden. 118 Für eine detaillierte Analyse der politischen Ereignisse, die zur Entwicklung des Tokugawasystems führten, siehe McMullin 1984.

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form“, und das Schriftzeichen für -dan findet sich im Begriff danka seido (檀家制度, „danka-System“) wieder, der diese Zusammenhänge festhält. Auch nachdem im 19. Jahrhundert die verpflichtende Registrierung der Familien an den Tempeln aufgehoben wurde, setzte sich die Tradition, Beerdigungsrituale und Ahnenverehrung in Verbindung mit dem lokalen Tempel auszurichten, bis heute fort. Dies führte letztendlich zur Verbreitung der modernen Bezeichnung „Beerdigungsbuddhismus“, die, auch wenn nicht völlig, schon bis zu einem gewissen Grade ihre Berechtigtung hat. Dieses danka seido hatte nicht nur Auswirkungen auf die Familien (danka, ke oder ie), sondern es bedeutete auch, dass der demographische Umfang jeder buddhistischen Schule für viele Jahrhunderte mehr oder weniger festgelegt wurde. Neuere Schulen wie die Shin-shū, die Sōtō-shū oder die Nichiren-shū fanden endlich ihren festen Platz im religiösen Gefüge des Landes. Außerdem erhielt Edo als politische Hauptstadt genau wie Kamakura, Kyōto oder Nara nun verschiedene „Haupttempel“ mit unterschiedlicher allgemeiner Autorität. Die generelle Stabilität und der Friede im Land ermöglichten es den Tempeln, ihre Gebäude und andere Besitzungen zu gestalten und auszuschmücken, so dass viele der heutigen „Nationalschätze“ (kokuhō) und „wichtigen Kulturgüter“ (jūyō bunkazai) aus dieser überwiegend ruhigen Edo-Zeit stammen.

13.2. Berühmte Mönche der Edo-Zeit Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund sind einige Mönche zu sehen, die in dieser Zeit auf unterschiedliche Weise von Bedeutung waren, indem sie in vielfältiger Form inspirierend auf das religiöse Leben wirkten, ohne dabei eigene Schulen oder Lehrrichtungen zu gründen. Die Rinzai-Zen-Tradition ist dabei besonders stark vertreten, da diese, trotz eines sorgfältigen Festhaltens an dem Prinzip der Dharma-Weitergabe, in ihrer Tempeltradition eher polyzentristisch war. Dadurch ergab sich Spielraum für ein gewisses Maß an Individualismus und innovativen Erneuerungen, anders als in dem strengeren Sōtō-Zen um den Eiheiji. In der frühen Tokugawa-Zeit stand jedoch für einige Buddhisten die skrupellose und systematische Verfolgung des Christentums an erster Stelle, die nicht gerade kreativ, sondern vor allem politisch war. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Mönch Sūden (1569–1633), der sonst auch noch für die Wiedererrichtung des Rinzai-Tempels Nanzenji in Kyōto bekannt ist. Sūden gelangte als geschickter Beamter in die Dienste Ieyasus und entwarf Bekanntmachungen und Erlasse für das Verbot des Christentums. Dies wurde durch die berüchtigte Technik der fumie durchgesetzt, wobei vemutliche Christen eine Tafel mit einem christlichen Symbol wie einer Abbildung von Christus selbst mit Füßen treten mussten. Weigerte man sich das zu tun, war mit Folter und Tod zu rechnen.

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Die beinahe gänzliche Unterdrückung des Christentums in Japan (d. h. des Katholizismus der spanischen und portugiesischen Missionare) wurde intellektuell durch die Schriften von Fukan Zai Fabian (etwa 1565–1621) unterstützt. Er wurde zunächst im Zen-Buddhismus unterrichtet, später jedoch von Jesuiten konvertiert, für die er jahrelang als Sprachberater arbeitete. In dieser Zeit verfasste er eine christliche Apologetik mit dem Titel Myōtei Mondō (1605), in der die jeweiligen Konzepte von Buddhismus, Konfuzianismus, Shintō und Christentum für eine adelige Dame gegenübergestellt wurden, die zum Christentum konvertiert war.119 Er kehrte jedoch zum Buddhismus zurück und galt den Christen nun als „Apostat“. Nach diesem erneuten Religionswechsel schrieb er Ha Daiusu (d. h. etwa „Contra Deum“ oder auf Deutsch „Gegen Gott“), worin er die katholische Theologie, die er von den portugiesischen Missionaren gelernt hatte, geradezu verriss. Das Manuskript dieser Schrift ist auf 1610 datiert.120 Trotz der allgemeingültigen, unter Zwang eingeführten Regelungen der Tokugawa-Regierung kam es auch von buddhistischer Seite zu Störungen des Systems. Prominent dabei war die Gruppe fujufuse (不受不施), ein Ausdruck, der „weder empfangen noch geben“ bedeutet. Dies war eine Splittergruppe aus der NichirenTradition, die auf Nichiō (1565–1630) zurückging und auf Distanz zum Staat blieb, da dieser den Glauben an das Lotos-Sūtra als offizielle ideologische Orientierung weiterhin nicht akzeptieren wollte. Die Gruppe entschied sich, keine öffentlichen Spenden anzunehmen und keine Rituale für das Wohl des Staates durchzuführen. In einem besonderen Eklat weigerten sich Nichiō und Andere, ein Erinnerungsritual für die Eltern Hideyoshis zu gestalten, ein Verhalten, das natürlich politisch nicht akzeptabel war. Später versuchte Ieyasu, zwischen Nichiō und der Leitung der zugänglicheren Nichiren-shū zu vermitteln, jedoch ohne Erfolg. Da die Gruppe nicht Teil des danka seido-Systems war, mussten sich ihre Anhänger, sehr zu ihrem Verdruss, bei einem anderen Tempel registrieren lassen. Trotzdem behielten einige ihre Haltung im Privaten bei, und die Gruppe erschien im 19. Jahrhundert von Neuem.121 Besser gelang hingegen die Einführung einer neuen Linie des Zen-Buddhismus, des „Ōbaku-Zen“. Diese Orientierung wurde von Yǐnyuán (1592–1673), in Japan als Ingen bekannt, aus China herübergebracht. Yǐnyuán leitete die Gründung des Manpukuji in Uji, südlich von Kyōto. Dieser Tempel im Ming-Stil war dem ursprünglichen Tempel Wànfúsì in China nachempfunden, und beide Namen werden mit den gleichen Schriftzeichen geschrieben, die „Tempel der Zehntausend Freuden“ bedeu-

119 Für die erst kürzlich zusammengeführten Texte in englischer Übersetzung und mit vortrefflichen Kommentaren versehen, siehe Baskind/Bowring 2016. 120 Für Einführung und Übersetzung siehe Elison 1973. 121 1876 wurde sie unter dem Einfluss der modernen Regelungen zur Religionsfreiheit offiziell anerkannt, blieb jedoch klein. Die Gruppe teilte sich in die Nichirenshū Fujufuse und die Fujufuse Nichiren Kōmon weiter auf, mit Honkakuji bzw. Myōkakuji als Haupttempel; sie vereinigten sich aber 1941 wieder zur Honge Seishū.

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ten. Ōbaku (chines. Huángbò) ist dagegen einfach der Name des Berges, an dem sich der Tempel in China befindet. Die Lehre selbst bewegt sich innerhalb der großen Vielfalt des Rinzai-Zen. Es dauerte einige Zeit, bis die Leitung des Tempels nicht mehr chinesisch dominiert war, aber noch in der chinesisch inspirierten Zeit war der Einfluss dieser Schule bereits sehr gewachsen, und es wurden über das Land verteilt zahlreiche weitere Tempel gegründet. Manpukuji wurde nicht nur für sein Zen-Training bekannt, sondern auch für seinen Vegetarismus und seine Förderung der Tee-Zeremonie. Durch die Schaffung einer starken Basis war der Tempel in der Lage, die Produktion von Druckblöcken für den gesamten chinesisch-buddhistischen Kanon zu finanzieren, ein Projekt, das 1678 abgeschlossen wurde. Auch der große Rinzai-Tempelkomplex, der unter dem Namen Daitokuji zusammengefasst wird, hatte, obwohl er ein starkes Zentrum des Zen-Buddhismus war, seine Auseinandersetzungen mit der Regierung. Der Kaiser Gomizuno-o (reg. 1611– 1629), ein Unterstützer des Tempels, wollte den Hauptmönchen des Tempels purpurne Roben schenken, was jedoch durch die Regierung in Edo unter dem Shōgun Tokugawa Hidetada (1578–1631) verhindert wurde. Um den sich daraus ergebenden Protest anzuführen, kehrte daraufhin der frühere Abt Takuan (1573–1645) nach Kyōto zurück. Für seine Rolle in der Auseinandersetzung wurde er für drei Jahre in das strenge Klima Nord-Japans verbannt und ließ sich in Kaminoyama in Uzen (heutige Yamagata-Präfektur) nieder. Obwohl die Schenkung von purpurnen Roben eine unbedeutende Angelegenheit zu sein scheint, die wohl wenig mit dem Weg zur Erleuchtung zu tun hat, dürfen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Edo und Kyōto nicht leichtfertig abgetan werden. Unter dem nächsten Shōgun, Tokugawa Iemitsu (1604–1651), wurde Takuan nicht nur begnadigt und als Lieblingsberater in Fragen des Buddhismus wieder am Hofe des Kaisers zugelassen, sondern auch als erster Abt des neuen Rinzai-Tempels in Edo eingesetzt, des Tōkaiji, der auch einen Garten und ein Teehaus umfasste. Durch derartige Maßnahmen waren die politischen Kräfte stets bemüht, Unruhen in verschiedenen Bereichen der Religion zu verhindern. Der Tendai-Mönch Tenkai (1536–1643) spielte ebenfalls eine wichtige Rolle in der Gestaltung des Stadtbilds von Edo durch den Buddhismus. Er wurde ein persönlicher Vertrauter von Tokugawa Ieyasu und hatte entscheidenden Anteil an dessen postumer Verehrung sowie seiner Umbettung in die beeindruckende Ruhestätte in Nikkō. Außerdem war er beteiligt an der Gründung und Leitung verschiedener Tempel in der Kantō-Region und Edo, darunter auch Kan’eiji122 in Ueno. Neben dem Jōdo-Tempel Zōjōji ist Kan’eiji einer der verschiedenen Orte, an denen

122 Dieser Tempel trägt den hochtrabenden san-Namen Tōeizan, um auszudrücken, dass er als „östliches“ Gegenstück des Hieizan gedacht war. Von dem Gelände ging im Zuge der Kämpfe am Ende der Edo-Zeit viel verloren, und dafür entstand der heute beliebte Ueno-Park unweit des modernen Ueno-Bahnhofs. Man kann jedoch jetzt noch die Pagode sowie den Tōshōgū genannten Schrein sehen, der Ieyasu geweiht ist.

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die Tokugawa-Shōgune ihre letzte Ruhe gefunden haben sollen und weiterhin verehrt werden. Von den beiden ist Zōjōji der ältere, jedoch wurde er von Ieyasu innerhalb Edos verlegt, um Platz für den Ausbau seines Schlosses zu schaffen. Mit Bankei Eitaku (1622–1693), einem Rinzai-Mönch des Myōshinji, wenden wir uns wieder den grundlegenderen Fragen von buddhistischem Denken und Erfahren zu. Bankei war besonders bekannt dafür, die Einfachheit des Zen zu betonen, da er es als wichtig ansah, ihn in einfacher Sprache darzulegen, anstatt mit Hilfe der komplizierten chinesischen kōan. Er sah dies als eine Rückkehr zur Wahrnehmung der ursprünglichen Buddha-Natur, die ohne das Aufgreifen irgendwelcher Hilfsmittel oder künstlicher Konstruktionen vollzogen werden sollte. Mit dieser Position weist er eine große Verwandtschaft zu Dōgen auf, ohne sich jedoch explizit auf diesen zu berufen. Für sein Verständnis des Zen verwendete Bankei die Formel fushō zen („ungeborener Zen“), die bedeutet, dass die Buddha-Natur eines Menschen nicht etwas ist, das erworben oder entwickelt wird, sondern das man einfach erkennt. Indirekt passt Bankeis Zen in einen allgemeinen Trend zur Vereinfachung innerer Werte, begleitet durch eine verbreitetere Aneignung im Volk, die während der Edo-Zeit auch unter dem Einfluss neokonfuzianistischen Denkens deutlich zunahm. Bankeis Zen-Predigten wurden im Übrigen später durch Suzuki Daisetsu mit großem Interesse aufgegriffen.123 Von besonderer Bedeutung aufgrund seines vielseitigen kulturellen Einflusses ist auch der Rinzai-Zen-Buddhist Hakuin Ekaku (1685–1768). Er war für einige Zeit Hauptmönch des Myōshinji, verbrachte jedoch den Großteil seines Lebens mit freiem Wandern durch das ganze Land. Während seiner Reisen wurde er weit bekannt für seine Schriften, seine Kalligraphie und seine eindrucksvollen skizzenhaften Pinselzeichnungen.124 Besonders beeindruckend ist sein ausdrucksstarkes Portrait des Chan-Lehrers Bodhidharma, das im Tōkeiji, einem Tempel in Kamakura, aufbewahrt wird. Bodhidharma, in Japan meist Daruma genannt, wird von Hakuin nicht einfach in sitzender Meditation gezeigt, sondern als jemand, der einen tiefen Einblick in das Wesen der Wirklichkeit erlangt hat. Er war seinerseits eher für den Gebrauch von kōan und erlaubte sich, seine eigenen zu erfinden. Besonders berühmt darunter ist die Frage nach dem Laut, der zu hören ist, wenn man mit einer einzelnen Hand klatscht. Die Dichtung von Matsuo Bashō (1644–1694) ist berechtigterweise dafür bekannt, die Dinge einfach so zu sehen, wie sie sind, ein Wesenszug, der dem Zen-Buddhismus zumindest nahesteht. Sein berühmter Vers „Der alte Weiher, Frosch springt, Geräusch des Wassers“ (furuike ya/kawazu tobikomu/mizu no oto) wurde manchmal als Parabel für eine plötzliche Erleuchtung angesehen. Es mag

123 Vgl. Waddell 1973, wo englische Übersetzungen der Zen-Predigten des Bankei zu finden sind. 124 Für ausgewählte Texte in Übersetzung siehe Yampolsky 1971.

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jedoch ratsamer sein, seine Dichtung im Sinne von sono mama, also „einfach so wie es ist“ zu lesen, anstatt eine konkrete Verbindung zum Buddhismus zu suchen, die vielleicht nicht beabsichtigt war. Seine kurzen Gedichte bestehen vor allem aus hokku (heute allgemein bekannt als haiku), so wie das obige, jedoch war er auch für eine Art Gesellschaftsdichtung sehr gefragt, bei der die Gedichte verschiedener Personen aneinander gereiht wurden (haikai no renga, vgl. auch oben). Außerdem ist Bashō berühmt für seine literarischen Reisen, und einige seiner allgemein geliebten Beobachtungen und kurzen Gedichte sind unter dem Titel Die Enge Straße in den Fernen Norden (Oku no hosomichi) zusammengefasst.125 Obwohl seine Texte säkular waren, scheint sein Schreibstil doch dicht an den buddhistischen Mönchen zu sein, die schreibend und lehrend das Land durchwanderten.

13.3. Buddhismus und die Religion des Volkes Wie bereits erwähnt schlossen die vier Klassen der Edo-Gesellschaft auch die Bauern und Händler mit ein, und Individuen konnten die Klasse, in die sie geboren waren, eigentlich nicht wechseln. Einen Ausweg bot allerdings der Eintritt in ein buddhistisches Kloster. Der tatsächliche Wohlstand innerhalb der vier Klassen variierte beträchtlich, und es kam in der Edo-Zeit besonders unter den erfolgreichen Händlern und Landinhabern zu einer Zunahme von Besitz. Dies geschah vor allem in Edo, wo nicht nur die Führungsspitze des Shōgunats, sondern auch die daimyō bzw. die sie vertretenden Geiseln und die jeweils dazugehörige Dienerschaft verpflegt und unterhalten werden mussten. Die bekannte Straße zwischen der de facto Hauptstadt Edo und der rituellen Hauptstadt Heian (Kyōto) wurde Tōkaidō, „Straße des östlichen Meeres“, genannt und von zahlreichen Raststätten und sekundären Einrichtungen gesäumt. Gleichzeitig wurden die Händler in Ōsaka durch die Regulierung des Reishandels, der das Steuerpflichtsniveau der daimyō bestimmte, und durch Terminhandel mit Reis und Baumwolle reich. Dadurch entwickelte sich eine neue Öffentlichkeit, die von den Buddhisten, aber auch anderen Propagandisten und Moralisten, angesprochen werden musste. Einer, der diese neue Nachfrage auch unter den Bauern frühzeitig erkannte, war Suzuki Shōsan (1579–1655). Ursprünglich ein Samurai, wurde Shōsan SōtōZen-Mönch und soll nach langer Suche 1639 Erleuchtung erlangt haben. In seiner Zeit flackerte die vermeintliche Bedrohung durch das Christentum noch immer wieder auf. So wurde der fremde Glaube als Identitätsmerkmal der Bauern verwendet, die an der Shimabara-Rebellion 1637/1638 in Kyūshū beteiligt waren, welche

125 Matsuo Bashō (übersetzt durch Dombrady) 2011.

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von der Regierung nur unter großen Schwierigkeiten unterdrückt werden konnte. Nach dem Zusammenbruch der Rebellion – anstatt nach einer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Christentum zu suchen, die an Ort und Stelle wohl belanglos gewesen wäre – arbeitete Shōsan intensiv an der Zusammenstellung leicht verständlicher Lektüre für die Allgemeinheit. Das war einer der Anstöße für die Entwicklung des kanazōshi genannten Genres, das auf einem phonetischen Einsatz der kana-Schrift basierte, ohne chinesische Schriftzeichen zu verwenden. Zwei seiner Werke aus dieser Kategorie sind Nenbutsu zōshi und Futari bikuni („Zwei Nonnen“). Parallel machten sich neue Impulse aus der Beschäftigung mit dem Konfuzianismus bemerkbar, die einen bedeutenden Einfluss auf den intellektuellen Austausch der gesamten Epoche hatte. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Arbeit des angesehenen Gelehrten Ishida Baigan (1685–1744) zu beachten. Obwohl seine Lehren hauptsächlich konfuzianistisch geprägt waren, trug er zu der fortschreitenden kulturellen Verbreitung Zen-buddistischer Ideen bei. Seine Lehren, die als shingaku („Lehren des Herzens“ oder „des Geistes“) zusammengefasst werden, heben die allgemeine konfuzianische Tugend der Harmonie hervor, verweisen aber auch auf Werte, die besonders für Händler bedeutsam waren, insbesondere Genügsamkeit, Geduld und Ehrlichkeit. Auch unter den Samurai entwickelte sich eine öffentliche Form vereinfachter Lehre. Aus dem Buddhismus übernahmen sie die Bereitschaft zur Loslösung vom Diesseits, da dies im Falle von Kämpfen oder rituellem Selbstmord den Mut stärken könnte. Aus einem komprimierten Verständnis der konfuzianischen Tradition übernahmen sie die Loyalität gegenüber ihrem Herrn als wichtigste Tugend. Diese Ideologie wurde später vor allem in Büchern glorifiziert, die für ein ausländisches Publikum geschrieben wurden (siehe Kapitel 14). Dass es jedoch in der Edo-Zeit eine gewisse Orientierung an gemeinsamen Werten gab, kann kaum bezweifelt werden, wenn man sich das Leben und Sterben der 47 Rōnin ansieht. Rōnin sind Samurai, die – aus welchem Grund auch immer – ihren Dienstherren verloren haben. Diese 47 Samurai zogen aus, um sich nach listigen Vorbereitungen an einer hoch gestellten Person zu rächen, die ihren eigenen Herrn gedemütigt hatte, so dass er gewalttätig wurde. Dies hatte zu seinem von der Regierung verordneten Selbstmord geführt. Nachdem es den übrig gebliebenen Samurai gelungen war, ihre Rache durchzuführen, wurden auch sie zum rituellen Selbstmord aufgefordert. Nach ihrem Tod setzte man sie im Sōtō-Zen-Tempel Sengakuji in Edo bei. Diese Ereignisse trugen sich 1703 zu und wurden ein beliebter Gegenstand der Literatur. Die bekannteste Version ist das Chūshingura, das zu einem kabuki-Stück verarbeitet wurde. Ein Feld buddhistischer Aktivitäten, das in der Edo-Zeit besonders florierte, waren die Pilgerwege zu Ehren von Kannon Bosatsu, die 33 Stationen umfassten, in Anlehnung an die 33 Manifestationen, die dieser Bodhisattva laut dem Lotos-

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Sūtra zugunsten der leidenden Lebewesen annimmt.126 Der älteste dieser Rundwege mit 33 Tempeln ist der Saikoku-Pilgerweg, die Pilgerfahrt des westlichen Landes, die wie schon erwähnt zumindest unter Adligen bereits in der HeianZeit bekannt war. In Anlehnung daran wurde in Ost-Japan der Pilgerweg „Bandō Dreiunddreißig Spirituelle Orte“ (Bandō Sanjūsan Reijō) etabliert, was vermutlich in der Kamakura-Zeit geschah. Ähnlich sind die „Chichibu Vierunddreißig Spirituellen Orte“ (Chichibu Sanjūyon Reijō), deren Zusammenstellung in der MuromachiZeit angesetzt wird. Die Chichibu-Route umfasst 34 Stätten, damit die Gesamtzahl der Tempel aller drei Pilgerstrecken 100 umfasst. Dies ist historisch insofern bedeutsam, weil sich der älteste Nachweis für alle drei Wege gemeinsam in einer Steininschrift von 1525 findet.127 Die wörtliche Bedeutung des Namen „Bandō“ ist „im Osten der Hügel“, und tatsächlich liegen die ersten acht Tempel dieser Route in der (heutigen) Kanagawa-Präfektur, östlich der Berge Ashigara und Hakone. Die übrigen Tempel sind über das gesamte Kantō-Gebiet Ost-Japans verteilt, wobei sich jedoch nur einer in Tokyo befindet. Die Tempel des Chichibu-Weges liegen alle relativ dicht beieinander in und um die Stadt Chichibu, nicht weit von Tokyo im Nord-Westen. Soweit bekannt ist, waren diese buddhistischen Pilgerfahrten vor der Edo-Zeit gesamtgesellschaftlich von eher geringer Bedeutung. Im 17. und 18. Jahrhundert scheinen sie jedoch zunehmend beliebt geworden zu sein. Besonders das 18. Jahrhundert war eine Blütezeit für Pilgerreisen, wenn man von der Anzahl an Pilgern und Pilgerinnen ausgeht, die Chichibu besuchten; diese war wesentlich größer als die örtliche Bevölkerung. Ebenfalls bekannt und immer beliebter war der Pilgerweg der „Achtundachtzig Spirituellen Orte“ auf der Hauptinsel von Shikoku, die mit der Erinnerung an Kōbō Daishi verbunden ist. Die Vollendung dieser Pilgerfahrt war deutlich anspruchsvoller, wenn man bedenkt, dass es noch keine moderne Infrastruktur gab. Trotzdem entwickelte sich der Pilgerweg von Shikoku zu einer echten Alternative zu den Kannon-Strecken und erweckte schon bald außerhalb des Shingon-Buddhismus Interesse. Bei den anderen Pilgerrouten ist auffällig, welche Bandbreite an Schulen sie aufweisen. Die Tempel, die besucht werden, gehören unterschiedlich dem Tendai-, Zen- und Jōdo-Buddhismus an. Es ist allerdings zu beachten, dass sich die Zuordnung einiger Kannon-Hallen aus verschiedenen Gründen änderte. Das große Interesse an den 33 Formen des Kannon Bosatsu wird durch eine Sammlung von Gemälden des Bodhisattva aus der Edo-Zeit deutlich, die im Rinzai-Tempel Ikkyūji

126 Es handelt sich um Kapitel 25 der chinesischen Version von Kumārajīva, in der die Nummerierung von Sanskrit-Texten abweicht. Der Bodhisattva heißt dort Kanzeon (japanische Aussprache), von dem Kannon eine Abkürzung ist. Er (später sie) ist ansonsten unter dem Sanskrit-Namen Avalokiteśvara bekannt. 127 Information durch das International Research Centre for Japanese Studies, Kyōto (Website „Nihon Hyakku Kannon“ 2009: www.nichibun.ac.jp/graphicversion/dbase/rei kenki/gaiyou.html).

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bei Nara aufbewahrt werden.128 In der späten Edo-Zeit gab es außerdem eine Veröffentlichung von genau 100 illustrierten Holzblockdrucken, die die Gründe für die Entstehung jedes Tempels für Kannon Bosatsu auf den drei Pilgerwegen darstellten. Durch verschiedene Hinweise, wie das Aufkommen einfach zu verwendender Karten und Rezitationshandbüchern wissen wir, dass die Durchführung einer Pilgerfahrt spätestens ab dem 18. Jahrhundert für die städtische Bevölkerung eine zu bewältigende und vor allem auch erfreuliche Unternehmung wurde. Wie die bekannte Pilgerreise zu den Schreinen in Ise (o-Ise-mairi) gaben diese Reisen der normalen Bevölkerung die Möglichkeit, aus ihrer Heimatregion zu verreisen und einfach etwas vom Land zu sehen. Sie waren jedoch nicht nur eine Legitimierung dafür, dem Fernweh nachzugeben, sondern auch die religiöse Bedeutung darf nicht unterschätzt werden. Es wurde und wird heute noch angenommen, dass durch Pilgerfahrten, beschwerliche Reisen, die mit religöser Hingabe durchsetzt sind, Verdienste gesammelt werden, die sich entweder schon in diesem Leben positiv auswirken, oder gar für den Weg zur Erleuchtung hilfreich sein können. Diese Verdienste konnten auch auf andere Personen übertragen werden, etwa auf kränkliche Eltern, die die Reise nicht mehr selbst durchführen konnten. Abgesehen von kurzen Rezitationstexten wurde die grundsätzliche Stimmung der Reise durch das Singen kurzer Pilgerlieder (go-eika) gehoben. Diese Lieder erwähnen die lokalen Besonderheiten jedes Tempels und liefern Inspiration und Sehnsucht. Zunehmend populär sowohl für kleinere Pilgerwege als auch individuelle Verehrung wurden in der Edo-Zeit auch die Sieben Glücksgötter (shichifukujin).129 Sie wurden vorrangig für die Gewährung diesseitiger Vorteile (genzeriyaku) verehrt, für die sie im Austausch finanzielle und devotionale Opfergaben erhielten. Von diesen Sieben war bzw. ist lediglich eine Gottheit weiblich, nämlich Benzaiten. Aber gerade diese Gottheit, die sich von der indischen Flussgöttin Sarasvatī herleitet, stellte eine reguläre Verbindung zum Buddhismus dar, da sie als Verteidigerin des Dharma gilt. Das Konkōmyōkyō (Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts), das seit der ersten Einführung des Buddhismus in Japan bekannt war, enthält ein langes Kapitel über ihre Verdienste und Leistungen.130 Meist wird Benzaiten mit einer Laute dargestellt, denn sie ist die Gottheit der Musik und Redegewandtheit, sowohl allgemein als auch speziell für die Verbreitung der buddhistischen Botschaft.

13.4. Der frühe Modernismus kommt in Fahrt Das Stereotyp der politischen Stabilität der Edo-Zeit bedeutet nicht, dass es in intellektuellen Bereichen ebenfalls ruhig zuging. Im Gegenteil, es war eine Zeit

128 Siehe http://www.ikkyuji.org/en/. 129 Pye 2015: 141–149. 130 Nobel 1958: 227–266.

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intensiver Erkundungen in einer Vielzahl von Bereichen.131 Es ist hier nicht möglich, die verschiedenen Stufen in der Entwicklung von Konfuzianismus und NeoKonfuzianismus vorzustellen, ebenso wenig die große Zahl unabhängiger Denker in Bereichen von lebensrelevanter Bedeutung wie Wirtschaft oder Geographie, oder die frühmoderne, quasi-romantische Beschäftigung mit den antiken Mythen und Legenden Japans (vgl. jedoch hierzu kurz unten). Was wir hier auf keinen Fall übergehen können, ist die Entstehung einer ersten modernen, kritischen und historisch arbeitenden Bewertung buddhistischer Traditionen durch Tominaga Nakamoto (1715–1746). In seiner Schrift Shutsujō Kōgo („Worte nach der Meditation“)132 befindet sich eine Kritik an den verschiedenen buddhistischen Texten und Lehrhaltungen, die alle der Möglichkeit beraubt, Normativität für sich in Anspruch zu nehmen. Den Grund für Streitigkeiten unter den Schulen sieht Tominaga in dem Bestreben der Autoren, sich immer gegenseitig noch zu übertreffen. Er bezeichnet dies als kajō, was wörtlich „hinzufügen und darüber hinausgehen“ bedeutet oder einfacher als „ablösen“ übersetzt werden kann. Die Schlussfolgerungen aus dieser Theorie, die Tominaga Schritt für Schritt aufzählt, sind überaus drastisch. Sie bedeutet, dass alle Ansprüche auf normative Autorität durch die verschiedenen Schulen in der Relativität der Geschichte verloren gehen. Solche Aussagen stießen bei den Führern der japanischen Schulen natürlich nicht auf Begeisterung, da sie ihre jeweiligen Ansprüche auf Wahrhaftigkeitsbehauptungen der Tradition oder spezifischer Texte zurückführten, die als normgebend angesehen wurden. Tominaga ließ in seiner Kritik nichts unausgesprochen und griff liebgewonnene Ideen direkt an, zum Beispiel die Formulierung nyozegamon („So habe ich gehört“), die am Anfang von jedem Sūtra in der buddhistischen Textüberlieferung steht. Diese Formulierung sieht er provokativ als Hinweis dafür, dass das darauf folgende Sūtra nur angeblich „gehört“ wurde und nicht direkt aus dem so genannten „goldenen Mund“ des Buddha stammt. Tominaga war damit der erste, der darauf hinwies, dass die Sūtras des Mahāyāna-Buddhismus nicht durch den Buddha selbst verkündet wurden, wie man normalerweise mit Pietät annahm und behauptete. Die kritischen Ideen Tominagas wurden eifrig von Shintō-Apologeten wie Motoori Norinaga (1730–1801) und Hirata Atsutane (1776–1848) aufgegriffen. Vor allem Motoori war ein angesehener und einflussreicher Gelehrter der antiken japanischen Traditionen, wie sie im Kojiki überliefert sind, und wird als Gründungsfigur der neuen Schule der „Nationalphilosophie“ (kokugaku) angesehen. Sein Einfluss bewirkte, dass zumindest unter Intellektuellen eine klare Gegenüberstellung

131 Für einen guten Überblick mit Textbeispielen siehe Tsunoda et al. 1958. 132 Für eine englische Übersetzung und Einführung siehe Pye 1990. Für eine deutsche Übersetzung des Shutsujō Kōgo siehe Radke 2003, wo der Titel auch wie hier wiedergegeben wird. Spätere lesen den Titel Shutsujō kogo.

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zwischen Buddhismus und Shintō nachvollziehbar wurde, die die Grundlage für eine spätere Entflechtung bildete. Außerdem wurden erste Unzufriedenheiten mit einem Buddhismus deutlich, der vor allem auf lokalen Gemeinden und Friedhofsverwaltung fußte, und diese führten zu einigen schulischen Veränderungen. Selbst die dynamische NichirenTradition hatte sich den konfessionellen Mustern angepasst. 1857 zog sich ein Mönch namens Nagamatsu Seifu (religiöser Name Nissen) aus der Hokke-shū zurück, die er als zu konservativ empfand, und begründete die Honmon Butsuryūshū, die eine eifrigere persönliche Religiosität forderte.133 Statt der Rezitation des LotosSūtra als Text lehrte Nissen die Rezitation des hoch symbolischen Titels, da Nichiren diesen als Quintessenz der Lehre des Sūtras angesehen habe. Der Titel wird bis heute in den Lehren der Schule als Odaimoku bezeichnet und besteht aus den Silben Namu Myōhō Rengekyō, wie von Nichiren gelehrt. Neu war dagegen die feste Überzeugung, dass eine solche Rezitation schlechtes Karma unmittelbar auslöschen würde. Dadurch wird es für Einzelpersonen nützlich, nicht nur für ihre spirituelle Entwicklung, sondern auch mit Blick auf die psychische und körperliche Gesundheit. Die große Bedeutung dieser Technik, zusammen mit der Erwartung spürbarer Verdienste in diesem Leben, machen die Honmon Butsuryūshū im weiteren Sinne zu einem Vorläufer der Lotos-Sūtra-Bewegungen der Moderne. In diesem Fall blieb jedoch die traditionelle Unterscheidung zwischen Klerus und Laien bestehen. Wie weithin bekannt, endeten das Tokugawa-Shōgunat und damit die Edo-Zeit auf Druck von ausländischen Mächten, die eine Öffnung für den Handel erzwangen. Die nun veraltete Ordnung musste sich für ein neues Japan, das im Namen des Kaisers Meiji geführt wurde, radikal modernisieren und mit den Anforderungen der westlichen Welt Schritt halten.

14. Die Herausforderungen der Moderne 14.1. Meiji-Politik und Modernisierung Das ausdrucksstärkste Bild für den Druck, den die westlichen Imperial-Mächte auf Japan ausübten, war das Erscheinen der bekannten amerikanischen „schwarzen Schiffe“ 1854 im Hafen von Yokohama nahe Edo. Dieses Ereignis führte zu einer mehr oder weniger erzwungenen Vereinbarung, die ausländischen Schiffen weiteren Zugang zu japanischen Häfen gestattete. Tatsächlich hatte es bereits früher

133 Informationen aus dem Haupttempel bei Fukuoka 1998.

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mehrere Vorfälle gegeben, bei denen fremde Schiffe – britische, russische und andere – angelegt hatten, um ihre Wasser- oder Essensvorräte aufzufüllen, um Skorbut unter den Seeleuten zu verhindern. Das Shōgunat hatte versucht, jeden westlichen Kontakt, der über die Sondervereinbarungen für die künstliche Insel Dejima hinausging, zu unterbinden, aber die lokalen Entscheidungen deckten sich eben nicht immer mit der offiziellen Politik. In einem Klima zunehmender Unsicherheit kam es im Süden zu Aufständen in den Gebieten der Satsuma und Chōshū, die versuchten, eine Regierung unter kaiserlicher Führung in Kyōto zu etablieren. Trotz des Widerstandes anderer Familien, besonders der Aizu nördlich von Edo, wurde die Tokugawa-Regierung schließlich gestürzt. Die Sieger herrschten im Namen des damaligen noch sehr jungen Kaisers (tennō), der den Thronnamen Meiji angenommen hatte, was „erleuchtete Herrschaft“ bedeutet. Die Hauptstadt wurde von Kyōto nach Edo verlegt und der Kaiser ersetzte den Shōgun in seinem großen Schloss. Die Stadt wurde in Tō-kyō-to umbenannt, d. h. östliches Kyō-to. Dieser Wechsel vereinigte maßgeblich das symbolische, kaiserliche und das politische Zentrum. Zu der Frage, wie mit den verschiedenen Forderungen der Ausländer umzugehen sei, kam bald auch die Herausforderung, wie man mit ihnen, „dem Westen“, in Bereichen wie Wissenschaft oder Technik gleichziehen könnte. Es wird häufig gesagt, dass eine Verwestlichung nicht angestrebt wurde, wohl aber eine Modernisierung. In der Realität waren diese beiden jedoch oftmals nicht zu trennen, was sich beispielsweise an der parallelen Verwendung von westlicher und japanischer Kleidung sehen lässt. Auch eine neue westliche Kaffeehauskultur erfreute sich unter der Stadtbevölkerung großer Beliebtheit. Andere Entwicklungen wiederum lassen sich eher als Modernisierung bezeichnen: Es wurde ein neues Rechtssystem und eine allgemeine Schulbildung eingeführt, die allerdings auch zur ideologischen Indoktrination verwendet wurde. Politische Strukturen wurden bis zu einem gewissen Grad demokratisiert. Fortgeschrittenes medizinisches Wissen, besonders aus Deutschland, war stärker als zuvor gefragt und wurde in neue Krankenhäuser und Lehreinrichtungen übernommen. Die Industrialisierung schritt schnell voran und ein Eisenbahnnetz wurde in etwa zur gleichen Zeit gebaut wie anderswo auch, zum Beispiel in Deutschland.134 Die zunehmende Industrialisierung lieferte auch die Grundlage für größere Schlagkraft der Waffen, was zu einem Interesse an militärischen Abenteuern führte, die tragische Konsequenzen für alle hatten, die davon betroffen waren. In der Politik war man der Ansicht, dass eine starke, zentral verordnete Ideologie vonnöten wäre, weshalb man der Institution des Kaisers einen symbolischen Schub versetzte. Der Shintō, mit seinen Bezügen zu den mythischen bzw. legendären Ursprüngen des Herrscherhauses, wurde zu einer Stütze

134 Für die allgemeine Geschichte dieser häufig beschriebenen Geschehnisse vgl. Totman 2000.

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der neuen Ideologie und hatte dadurch auch einen direkten Einfluss auf die Stellung des Buddhismus im Land.

14.2. Zerstörung der Symbiose zwischen Shintō und Buddhismus Um den Shintō neu zu erfinden, entschieden die neuen Politiker, dass man ihn vom Buddhismus separieren müsse. Militanter Anti-Buddhismus war bereits bei Autoren wie Hirata Atsutane (1776–1843) Teil der Shintō-Apologetik gewesen, einem der bekanntesten Denker der kokugaku-Bewegung (s. oben, 13.5). Der Slogan haibutsu kishaku (廃仏毀釈: „verwerft den Buddhismus und zerstört Śākyamuni“) war bereits am Ende der Edo-Zeit verbreitet gewesen. Obwohl sie sich auf diesen neuen Nationalismus stützte und seine anti-buddhistischen Tendenzen mit übernahm, war das Hauptziel der Meiji-Regierung eher die Ausdifferenzierung und „Reinigung“ ihrer neuentwickelten Form des „Shintō“ und weniger ein Angreifen des Buddhismus per se. Trotzdem war nach Jahrhunderten der engen Verbindung und gegenseitigen Durchdringung eine Trennung von Shintō und Buddhismus schwierig. Die Politik der „Separierung von kami und Buddha“ (shinbutsu bunri) führte daher zu einem großen Maße an Bedrängnis und auch Zerstörungen für den Buddhismus. Soweit möglich wurden die Schreine und Tempel voneinander getrennt, wenn nötig wurden Gebäude abgerissen, buddhistische Statuen wurden entweder zerstört oder zumindest aus den Verehrungshallen entfernt. An großen Schreinen wie Ise, Hie oder Usa Hachimangū wurden buddhistische Elemente entfernt und die Schreine erhielten eine neue Zuschreibung, die besser mit der nationalen Ideologie übereinstimmte.135 Hachiman wurde nun als kami und nicht mehr als „großer Bodhisattva“ (daibosatsu) kategorisiert, obwohl sich die alte Bezeichnung trotzdem an einigen Stellen zumindest in der Erinnerung hielt. Ein besonderes Problem stellten die Gottheiten dar, die einen indischen Ursprung hatten, wie etwa Benzaiten, und die daher nicht japanisch genug waren, um als kami im Sinne des neuen, gereinigten Shintō verehrt zu werden. Auf der Insel Chikubushima im Biwa-See wurde beispielsweise Benzaiten aus dem Shintō-Schrein entfernt und in einer neuen Halle unter Shingon-Leitung wieder aufgestellt. In einem weiteren Schritt wurde die Registrierung der Haushalte von den etablierten buddhistischen Gruppen auf säkulare Büros in den Städten und Bezirken verlagert. Die Durchführung von Beerdigungen und damit verbundenen pastoralen Besuchen, die für die Ahnenverehrung von Belang waren, verblieb jedoch mehr oder weniger wie zuvor. Die neue Regierung unternahm keinen Versuch, in diese Angelegenheiten einzugreifen. Obwohl es nun die neue Situation der „Glaubens-

135 Vgl. Rambelli/Reinders 2012.

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freiheit“ (shinkō no jiyū) gab, wussten einzelne Familien, zu welcher buddhistischen Tradition sie grundsätzlich gehörten oder hatten zumindest die Möglichkeit, dies bei Bedarf in Erfahrung zu bringen. Außerdem waren die buddhistischen Hausaltäre (butsudan), auf denen sich die Ahnentafeln befanden, unterschiedlich, je nach buddhistischer Schule, der die Familie traditionell angehörte, so dass auch diese die Loyalität festigten. Trotzdem war dies für buddhistische Einrichtungen und Geistliche eine sehr schwierige Zeit und sie suchten nach eigenen Wegen der Modernisierung, sowohl für die praktische Handhabung als auch in intellektueller Hinsicht. Einige Punkte dieses komplexen Prozesses sollen nun dargestellt werden.

14.3. Westlicher Einfluss und eine neue BuddhismusForschung Zunächst sahen sich die religiösen Gelehrten Japans im 19. Jahrhundert einer neuen Geschichte des Buddhismus als Ganzem gegenüber. Bisher war die TendaiVersion der Abfolge, in welcher der Buddha die Sūtras gelehrt hatte, die für die Entwicklung des Mahāyāna entscheidend gewesen waren, die vorherrschende Ansicht gewesen. Diese Lehre wurde entweder vorbehaltlos akzeptiert, wie im Tendai- oder Nichiren-Buddhismus, oder sie wurde einfach zu Gunsten einer anderen Form von fester Dogmatik ignoriert, so wie mit der beschränkten Auswahl von drei Standardsūtras im Jōdo-Buddhismus. Kegon- und Shingon-Buddhismus hatten ihre analogen, ebenfalls unhistorischen Diskurse, die jeweils das Kegonkyō bzw. Dainichikyō als endgültige Lehre des Buddha hervorhoben. Die einzige Ausnahme fand sich in den frühzeitigen Schriften von Tominaga Nakamoto, der seiner Zeit voraus war (siehe oben), aber da dieser keiner bestimmten Gruppierung angehörte, wurde seine Sichtweise im Wesentlichen ignoriert, außer von Shintō-Apologeten, die zunehmend dankbar waren, Schwierigkeiten für den Buddhismus zu finden. Nachdem man es in Japan verpasst hatte, den eigenen Denker ernst zu nehmen, war der Kontakt mit der westlichen Forschung über den „Buddhismus“ geradezu ein Weckruf für japanische Gelehrte. Die neuen Einblicke gründeten sich zunächst vor allem auf Sri Lanka (damals unter britischer Kolonialherrschaft als „Ceylon“ bekannt), wobei man den dort verbreiteten Theravāda-Buddhismus als eine Quelle von Authentizität oder zumindest des buddhistischen Altertums entdeckte. Im Bewusstsein des japanischen Buddhismus gewann auch Indien eine ganze neue Bedeutung. Die Heimat des Buddhismus, die man sich lange ausgemalt hatte, ohne sie erreichen zu können, rückte nun viel näher. Diese neuen Wahrnehmungen ermöglichten es japanischen Gelehrten, nicht nur ihre eigenen akademischen Studien auf der gleichen Grundlage durchzuführen wie die philologischen Untersuchungen der westlichen Wis-

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senschaftler zu dieser Zeit vor allem in Europa, sondern boten auch die Möglichkeit, über die eigene Stellung in der Entwicklung des Buddhismus in Asien zu reflektieren. Führende Vertreter, namentlich Nanjō Bunyu136 (1849–1927) und Takakusu Junjirō (1866–1945), waren in der Lage, in Oxford mit dem ausgesprochen einflussreichen Indologen Friedrich Max Müller zusammenzuarbeiten. Müllers großes Publikationsprojekt der Sacred Books of the East (zwischen 1879 und 1910) verbreitete den Gedanken im Westen, dass die östlichen Kulturen ebenfalls ihre heiligen Schriften hatten, wenn auch die verschiedenen Rollen dieser „heiligen Bücher“ nicht thematisiert wurden. Von den 50 Bänden beschäftigen sich acht mit buddhistischen Texten, darunter einige Beiträge aus dem Pāli von T.W. Rhys Davids und Hermann Oldenberg und eine kleinere Anzahl von Mahāyāna-Texten. Unter letzteren waren das Lotos-Sūtra in Übersetzung aus dem Sanskrit von H. Kern, zwei Jōdo-Sūtras und drei Prajñāpāramitā-Sūtras, von Müller selbst übersetzt, sowie ein dritter Schlüsseltext des Amida-Buddhismus, übersetzt aus dem Chinesischen von Takakusu, aber mit dem erfundenen Sanskrit-Titel Amitāyur dhyāna-sūtra präsentiert. Es ist wohl überflüssig zu sagen, dass all diese Übersetzungen inzwischen völlig überholt sind.137 Gleichzeitig ist es interessant, dass es Takakusu überhaupt gelang, das Kanmuryōjukyō in die Sammlung einzubringen und somit den quasikanonischen Texten der Jōdo-shū und Jōdo Shinshū zu Aufmerksamkeit zu verhelfen, auch wenn sie nicht als eigene Gruppe in einem gemeinsamen Band veröffentlicht wurden. Nanjō Bunyu trug nicht zu den Übersetzungen bei, aber die Zusammenarbeit beeinflusste ihn augenscheinlich in der Idee eines „Kanons“ heiliger Texte. Seine Aufzählung buddhistischer Texte unter dem Titel A catalogue of the Chinese translation of the Buddhist Tripitaka, the Sacred Canon of the Buddhists in China and Japan (1883) blieb für Jahrzehnte von Bedeutung. Leider wurde es durch das Einfügen erfundener Sanskrittitel für chinesische Texte beeinträchtigt, für die keine indischen Originale überliefert sind, wahrscheinlich mit der Genehmigung akademisch fundamentalistischer Indologen. Diese Vorgehensweise wurde vermutlich durch die Glaubenshaltung der Jōdo-Buddhisten gestärkt, die keinen Zweifel daran aufkommen lassen wollten, das eines ihrer drei Sūtras kein indisches Original haben könnte, etwa das oben erwähnte Amitāyur dhyāna-sūtra, das eigentlich das so genannte Guānwúliàngshòu jīng (観無量寿経; japan. Kanmuryōjukyō) ist. Dieser Text gehört zur Gruppe der „Visualisierungssūtras“, die in China während des vierten und fünften Jahrhunderts aufkamen. Aber es waren noch die frühen Tage der

136 Der Name wurde damals als Nanjio wiedergegeben. 137 Die meisten Texte liegen in einer moderneren Übersetzung vor. Unglücklicherweise lässt eine moderne, kritische Übersetzung des Lotos-Sūtra aus dem Sanskrit noch auf sich warten, und daher dominieren Übersetzungen aus dem Chinesischen (das sich in einigen Punkten unterscheidet) das Feld, die von der Risshō Kōseikai und der Sōka Gakkai verbreitet werden.

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kritischen Studien buddhistischer Texte, und es wäre daher anachronistisch, bereits zu viel zu erwarten. Der Umstand, dass Nanjōs Katalog „auf Anordnung des Staatsministers für Indien zusammengestellt“ wurde, war sicherlich sehr befriedigend. Eine große Anzahl buddhistischer Texte wurde lange Zeit in China und dem übrigen Ostasien unter der Bezeichnung „Großes Lager der Sūtras“ (japan. Daizōkyō) zusammengefasst. Dieser Name rührte daher, dass diese Texte üblicherweise in einem Lager aufbewahrt wurden. Die Abfolge ihrer Katalogisierung in China, Korea und Japan ist natürlich komplex. Ab 1924 wurde von Takakusu Junjirō und Watanabe Kaikyoku eine neue Edition des „Kanons“ unter dem Titel Taishō Shinshū Daizōkyō herausgegeben, wobei der Begriff Taishō den Thronnamen des amtierenden Kaisers darstellte. Das Erscheinen dieser Edition führte dazu, dass man die beinahe unendliche Anzahl an Texten, inklusive aller Versionen von verschiedenen Übersetzern, mit einer neuen Nummerierung versah, der der Buchstabe T für Taishō vorangestellt wurde. Dieses System verdrängte das von Nanjō verbreitete. Ein weiteres großes Projekt war die Erstellung japanischer Übersetzungen von vielen Texten, beispielsweise im Kokuyaku Issaikyō (verschiedene Herausgeber), womit in den 1920er Jahren begonnen wurde. Solche „Übersetzungen“ waren wenig mehr als eine Neuordnung des chinesischen Textes, bei dem Elemente der japanischen Syntax eingefügt wurden, man aber die chinesischen Schriftzeichen für alle relevanten Konzepte beibehielt. Somit lieferten sie eine Möglichkeit des „Lesens“ der chinesischen Texte, ohne mit den Implikationen der chinesischen Wortreihenfolge, geschweige denn ihrer Aussprache, vertraut zu sein. Es blieb jedoch nach wie vor die Frage, ob und in welchem Maße diese Texte tatsächlich im Ursprung „indisch“ seien und in welchem Zusammenhang sie mit der Entstehung des Mahāyāna-Buddhismus standen. In wichtigen Fällen wurden daher Editionen angefertigt, die einen synoptischen Überblick lieferten, indem man Seite für Seite den chinesischen Text und seine japanische Übertragung oder Umschrift, wie eben erläutert, zusammen mit einer modernen japanischen Übersetzung eines entsprechenden Sanskrit-Manuskripts darstellte. Solche Editionen wurden zu einem wichtigen Studienwerkzeug für eine moderne Generation japanischer Buddhisten und ermöglichten es ihnen, die eigene Lehrtradition im weiteren Feld buddhistischer Forschung zu verorten. Dies wurde bald durch ein recht frühes Interesse an den fortgeschrittenen historischen und textlichen Studien des tibetischen Buddhismus vervollständigt, wobei sich dies ausschließlich auf Spezialisten beschränkte. Unter japanischen Buddhisten ist das Interesse für den tibetischen Buddhismus im Allgemeinen vergleichsweise gering, aus dem einfachen Grund, dass seine exotische Anziehung sich bereits in der komplexen Symbolik des Shingon- und des esoterischen Tendai-Buddhismus findet. Abgesehen von den sich entwickelnden philologischen Wissenschaftsmethoden, an die sie sich erst gewöhnen mussten, brauchten die japanischen Gelehrten dieser Zeit eine Weile, um die Folgen dieser fortgeschrittenen Forschung für das allgemeine Verständnis der Geschichte des Buddhismus zu verarbeiten. Besonders die

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zögerliche Annahme, dass der Mahāyāna-Buddhismus nicht direkt auf die persönlichen Lehren des historischen Buddha zurückging und dass für einige der verehrten Texte keine indischen Originale nachgewiesen werden konnten, waren Dinge, die erst langsam angenommen wurden und nicht einfach in das allgemeine Bewusstsein übergingen. Für die meisten Menschen hatte die Einleitungsphrase nyozegamon („So habe ich es gehört“) weiterhin das gleiche Gewicht wie immer.

14.4. Universalismus, Spiritualität und Erziehung Eine der Strategien, mit dem Druck der Rezeption westlicher Denkweisen umzugehen, war es, der Herausforderung des einheitlichen Monotheismus geradeheraus zu begegnen. Dieser wurde als treibende Kraft hinter der westlichen Ideologie angesehen, sei es in der kirchlichen Mission oder in der ökonomisch-imperialistischen Vorgehensweise. Hier ist nicht der Ort, um darüber zu debattieren, ob der christliche Glaube wirklich in der Weise „monotheistisch“ ist, in der es für den Islam zweifellos der Fall ist. Fakt ist, dass die dominante Darstellung westlicher Religion mit „der Bibel“ als einem einzigen Text aufgefasst wurde, mit geringer oder gar keiner Unterscheidung zwischen Altem und Neuem Testament und einem einzigen Schöpfergott, der sowohl streng richtet als auch sein Volk errettet (ein Volk, das Japaner nicht mit einschloss, es sei denn, sie konvertierten). Dieses vereinfachte Bild würde von Theologen heute als eine Karikatur abgelehnt werden, aber es besteht kein Zweifel, dass es in dieser Zeit sehr einflussreich war. Für viele waren die entscheidenden Punkte, dass eine einzige Gottheit zu einem vereinenden naturwissenschaftlichen Weltbild passte und dass ein einziger „Gott“ für die gesamte Welt auch für Japaner einen Platz unter der Menschheit schaffen würde, genau wie für alle anderen. Obwohl die hartnäckige christliche Mission bei einer Minderheit Erfolg hatte, nicht zuletzt aus den eben genannten Gründen, wurde sie mehrheitlich eher als Herausforderung oder sogar Bedrohung für den Buddhismus angesehen. Vor diesem Hintergrund passt auch das besonders interessante Phänomen des „Unitarismus“ (d. h. der Lehre von Gott als „Einem“ und nicht als Trinität), der in Japan den besonderen Vorteil hatte, dass er die Interaktion mit dem breiten theistischen, westlichen Weltbild ermöglichte, ohne die zusätzliche Komplikation, oder was man als solche empfand, der christologischen Theologie. Als Reaktion auf diese weit verbreitete westliche Form des Monotheismus entwickelte sich der Trend, eine einzige dominante oder gar unierte Gottheit zu betonen. Die staatlich geförderte Form des Shintō konzentrierte ihre Verehrung besonders auf die Sonnengöttin Amaterasu als herausragende Gottheit, obwohl in diesem Zusammenhang andere kami weiterhin verehrt wurden. Noch deutlicher legten verschiedene neue Religionen, wie die Shintō-nahe Kurozumikyō oder die unabhängigen Bewegungen Konkōkyō und Tenrikyō, ihren Schwerpunkt auf eine einzelne Gottheit.

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Im Buddhismus war es kaum anders. Amida Nyorai hatte schon immer recht singulär im Zentrum des Jōdo-Buddhismus und des Jōdo Shinshū gestanden. Im Nichiren-Buddhismus setzten die durchschnittlichen Gläubigen ihr Vertrauen in den „ewigen Buddha“ aus der zweiten „Hälfte“ des Lotos-Sūtra, auch wenn dies, wie oben erklärt, ursprünglich wohl keine „Hälfte“ gewesen sein wird. Der ShingonBuddhismus verlieh Dainichi Nyorai größere Bedeutung als zuvor und so fand jede dieser Strömungen ihren eigenen Umgang mit dem Wunsch nach einem Einheitsprinzip, was häufig eine implizite universalistische Botschaft mit sich brachte.138 Eine weitere Möglichkeit mit den Herausforderungen des Westens umzugehen war, sich außerhalb der traditionellen buddhistischen Lehren in einem Bereich zunehmender persönlicher Spiritualität zu bewegen. Ein gutes Beispiel dafür findet sich in den Ideen von Kiyozawa Manshi (1863–1903). In seinem relativ kurzen Leben hatte er einen beeindruckenden Einfluss auf den modernen Shin-Buddhismus, besonders auf die Ōtani-ha, der er angehörte. Das hervorstechende Konzept in seiner Philosophie war die gänzliche Abhängigkeit von den Gelübden des Amida Buddha, was gut zu den traditionellen Lehren des Shin-Buddhismus passte. Es waren jedoch die kontextuellen Verbindungen, die er vornahm, und sein Eintreten für „Spiritualismus“ (seishinshugi), im Unterschied zu „Materialismus“ oder „klösterlichem Idealismus“, die sein Denken besonders charakterisierten und Traditionalisten in Sorge versetzten. Das Konzept „Spiritualismus“ wurde vor allem durch eine Zeitschrift namens Seishinkai („Die spirituelle Welt“) verbreitet. Seine ersten Übersetzer ins Englische verwendeten zunächst aus nachvollziehbaren Gründen das Wort „spiritualism“, was sich auch mehr oder weniger gehalten hat. Es muss jedoch deutlich gemacht werden, dass Kiyozawa sich dabei nicht wie andere auf eine Kommunikation mit Geistern in einer anderen Welt bezog, sondern vielmehr eine spirituelle Ausrichtung oder einen Geisteszustand meinte, der durch die Kraft des nenbutsu mit dem Glauben in Einklang gebracht werden kann.139 Außerdem lehrte er, dass Spiritualismus kein passiver Rückzug sei, sondern dass „er eine friedliche Kooperation fördert, um den Wohlstand der Gemeinschaft oder des Staates zu vergrößern.“140 Kiyozawa unterrichtete an verschiedenen Bildungsanstalten, und spielte eine führende Rolle als „Vorsteher der Studierenden“ an der Shinshū-Hochschule in Tokyo, einer Vorgängerin der Ōtani-Universität in Kyōto. Sowohl Kiyozawas Lehrplan als auch der seines Zeitgenossen Inoue Enryō (1858–1919), dem Gründungspräsidenten der Tōyō-Universität, thematisierten westliche Philosophie. Ein solcher Zugang war durchaus zeitgemäß, da die Beschäftigung mit westlichem Gedankengut im Allgemeinen unterstützt wurde, was eine Tradition begründete, die bis heute an den Universitäten zu finden ist. Wäh-

138 Hierzu vgl. besonders Mohr 2014. Die enge Verbindung in Nordamerika zwischen „Unitarianism“ und „Universalism“ ist bekannt und wird als „U-U“ bezeichnet. 139 Vgl. Kiyozawa 1936: 3. 140 Kiyozawa 1936: 4 (eigene Übersetzung).

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rend Kiyozawa allem Anschein nach Epictetus ebenso gerne wie Mencius las, sah er keinen bestimmten abendländischen Denker als Autorität an. Im Unterschied dazu hob Inoue Enryō bewusst Buddha, Konfuzius, Sokrates und Kant als die vier Hauptdenker aller Zeiten für Ost und West hervor und diese schmücken bis heute verschiedene Werbemittel der Tōyō-Universität. Weitere Bildungsneuerungen gab es unter der Führung des Sōtō-Zen-Buddhismus mit der Gründung der Sōtō-Universität, der Vorgängerin der Komazawa-Universität. Der erste Direktor der Komazawa-Universität war Nukariya Kaiten (1867– 1934). Er verfasste verschiedene japanische Schriften zum Zen-Buddhismus und sammelte eine informelle Gruppe von Anhängern, die den Spitznamen „Nukariya Gruppe“ erhielten. Andere führende buddhistische Denominationen gründeten ebenfalls Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen, zum Teil, um den neuen christlichen Gründungen im ganzen Land etwas entgegenzustellen, zum Teil, um in diesem neuen inner-buddhistischen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten. Denn nach dem Ende des ausbalancierten Gemeindesystems der Edo-Zeit war ein solcher Wettbewerb, so freundschaftlich er auch sein mochte, unausweichlich. Eine typische Gründung dieser Zeit war die Risshō-Universität, die der Nichirenshū nahesteht und 1872 in Tokyo gegründet wurde. Sie führt ihren Ursprung auf eine „Bildungseinrichtung für Priester des Nichiren-Buddhismus“ aus dem Jahre 1580 zurück. Die Taishō-Universität, ebenfalls in Tokyo, wurde 1925 gegründet, was spät scheinen mag, allerdings handelt es sich hier um eine ökumenische Verbindung zwischen der Tendaishū Daigaku (1885), der Shingonshū Shingiha Daigaku (1887) und einer Jōdo-Hochschule namens Shūkyō Daigaku (1887). Eine weitere Jōdo-Einrichtung, die Bukkyō-Universität („Buddhismus-Universität“) entstand in Kyōto in den 1870er Jahren aus einer Serie von Bildungsvereinbarungen im Zusammenhang mit dem Chion-in, dem Haupttempel der Schule. Die Hanazono-Universität, die dem Rinzai-Zen-Buddhismus nahesteht, wurde 1872 auf Anregung des Myōshinji, einem der führenden Rinzai-Zen Tempel in Kyōto, gegründet. Die Ryūkoku-Universität, ebenfalls in Kyōto, sieht ihre früheren Wurzeln in einer Schule für den Klerus der Honganji-Schule des Shin-Buddhismus (Shinshū Honganji-ha) aus der Edo-Zeit und wurde als allgemeine Universität 1876 gegründet. Wesentlich später, nämlich 1972, entstand die Sōka-Universität, gefördert von der buddhistischen Laienbewegung Sōka Gakkai. Alle diese Universitäten führen, genauso wie die bereits erwähnte Ōtani-Universität, nicht nur Bildung und Forschung bezogen auf ihre jeweilige Denomination durch, sondern auch im Bereich des Buddhismus im Allgemeinen.

14.5. Botschaften an den Westen In gewisser Weise stellten die bisher genannten Neuerungen nach innen gerichtete Reaktionen auf das internationale Umfeld dar, das sich mit Macht in das

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kulturelle Leben Japans drängte. Doch bald richteten sich die Reaktionen auch nach außen. Nukariya Kaiten, ausgebildet als Zen-Mönch in der Sōtō-Tradition, wandte sich in seiner Schrift The Religion of the Samurai. A Study of Zen Philosophy and Discipline, in China and Japan (1913) an ein westliches Publikum. Diese Botschaft an den Westen schloss einen neuen Diskurs über die vermutete Religion der Samurai mit ein.141 Nitobe Inazo (1862–1933) stellte diese als bushidō („Weg des bushi“)142 dar und schrieb, obwohl er selbst zum Christentum übergetreten war, ein erfolgreiches Buch mit dem Titel Bushidō, The Soul of Japan (1900). Solche Beispiele können vielleicht als eine Entfernung vom „Buddhismus“ angesehen werden und doch wurden sie später durch das Erscheinen von Suzuki Daisetsus (1870–1966) Zen Buddhism and Japanese Culture (1938) bestärkt, welches ein Kapitel über die Schwertkunst enthält. Die durch Eugen Herrigel dargestellte Verbindung zwischen der Übung des Bogenschießens und Zen, so faszinierend sie auch sein mag, stellt eher eine ihm eigene Konstruktion dar, die dann rückwirkend durch japanische Lehrer in Japan aufgegriffen wurde. Damit arbeitete er sozusagen (anscheinend ohne wesentliche Japanisch-Kenntnisse) für die japanische Rückmeldung an den Westen. Eine weitere in dieser Hinsicht bedeutende Figur war Okakura Kakuzō (1862– 1913), der in der Hafenstadt Yokohama geboren wurde. Okakura erwarb großartige Kenntnisse des Englischen und während eines Aufenthaltes in einem buddhistischen Kloster auch über verschiedene chinesische Klassiker. Er etablierte sich dadurch als Experte für orientalische und insbesondere für japanische Kunst. Vor allem in seinen späteren Jahren reiste er viel und wurde Berater des Museum of Fine Arts in Boston, USA. Beeinflusst von diesem Austausch verfasste er The Book of Tea (1906), in dem er begeistert die ästhetische Einfachheit der Tee-Zeremonie darstellt und ihre Wurzeln im Daoismus und Zen-Buddhismus erläutert. In allen diesen Fällen haben wir mit den bekannten Spannungen zwischen Orientalismus, Okzidentalismus und Gegenorientalismus zu tun.143 Ein bemerkenswerter Schritt nach außen war die Teilnahme des Zen-Mönchs Shaku Sōen aus Kamakura am Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago. Fast unmittelbar hierauf folgten die Tätigkeiten und Veröffentlichungen von Suzuki Daisetsu. Aufgrund seiner guten Englischkenntnisse hatte dieser Shaku Sōen bereits bei seinen Vorbereitungen für den Auftritt in Chicago geholfen und bereiste kurze Zeit später selbst die Vereinigten Staaten. Dort hatte er unter anderem großen Einfluss auf den passionierten Komparatisten Paul Carus, den Autor des Buches The Gospel of Buddha (1894). Suzuki widmete den Rest seines langen Lebens der Interpretation des Zen-Buddhismus für den Westen. Viele seiner Tätigkeiten,

141 Benesch 2014. 142 Bushi bedeutet etwa „bewaffneter Krieger“, ob von Samurai-Rang oder nicht. 143 Für verschiedene Aufsätze zu diesem Thema im Allgemeinen siehe Schalk 2003.

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etwa die Veröffentlichung einer informativen wissenschaftlichen Zeitschrift, The Eastern Buddhist, führte er in Kooperation mit anderen durch, besonders mit seiner amerikanischen Frau Beatrice Lane Suzuki. Während sie schon 1939 starb, konnte Suzuki selbst bis in die sechziger Jahre hinein die Weitergabe des Zen an den Westen mitprägen. Eine populärere englischsprachige Zeitschrift war Young East, die von Takakusu herausgegeben wurde. Hier erschienen in den von Nationalismus und Krieg bestimmten Jahren mehrere von Ideologie durchtränkte Artikel. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist andererseits zunehmend über die Teilhabe japanischer Buddhisten an der militarisierten Kultur jener Zeit diskutiert worden. In gewissem Sinne entwickelten sich solche Schriften zu einer Art kultureller Gegenoffensive, die zeigen sollte, dass Japan zwar viel von den verschiedenen westlichen Ländern lernen konnte, deren Vertreter sich oftmals in einer überlegeneren Position sahen, dass im Endeffekt aber die japanischen Werte von Kultur und Religion wichtiger wären und man geduldig versuchen sollte, sie zumindest ansatzweise weiter zu vermitteln. Gleichzeitig beeinflusste diese Begegnung die westliche Rezeption des Buddhismus. Sir Edwin Arnold veröffentlichte 1879 in London The Light of Asia or The Great Renunciation, was später auch als Taschenbuch erschien. Der Titel ist in Anlehnung an die Bezeichnung von Jesus Christus als „Licht der Welt“ zu sehen, die im Viktorianischen Zeitalter durch das berühmte Gemälde von Holman Hunt (1851) sehr populär geworden war. Zugleich war der Gedanke vom „Licht aus dem Osten“ eine willkommene Metapher für alle, die japanische Werte verbreiten wollten und buddhistische Bezugspunkte in ihren Arbeiten verwendeten.

14.6. Die Kyōto-Schule Die „Kyōto-Schule“ ist eine lockere Bezeichnung für eine Reihe von buddhistischen Denkern, die an der Kyōto-Universität (früher Kaiserliche Universität Kyōto) lehrten oder studierten, einer der führenden säkularen, staatlich betriebenen Universitäten des Landes. Ihre Arbeit bewegte sich auf einem spezialisierteren und anspruchsvolleren Niveau als das bislang Besprochene. Hier müssen wir uns jedoch auf die allerwesentlichsten Informationen beschränken.144 Als Gründer wird Nishida Kitarō (1870–1945), Professor für Philosophie, betrachtet, dessen Nachfolger im Amt Tanabe Hajime (1885–1962) wurde. Weitere wichtige Denker, die an der Kyōto-Universität lehrten, waren Hisamatsu Shin’ichi (1889–1980), Nishitani Keiji (1900–1990), Takeuchi Yoshinori (1913–2002) und Ueda Shizuteru (geb. 1926). Auf vielfältige Weise beschäftigten sich diese intellektuellen

144 Für einen ausführlichen Überblick siehe Dumoulin 1993, Kapitel II; Heisig 2002.

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Buddhisten mit führenden westlichen Philosophen und Gelehrten, von Kant bis Heidegger, und in geringerem Maße auch mit christlichen Theologen und Mystikern wie Meister Eckhart. Sie befassten sich jedoch nicht mit den zeitgenössischen westlichen Entwicklungen von analytischer und linguistischer Philosophie. Vor allem interessierten sie sich für metaphysische und existentialistische Überlegungen. Der Umstand, dass deutsche Denker das Konzept des „Nichts“ verwendeten, lieferte einen scheinbaren Anknüpfungspunkt zum Mahāyāna-Konzept der Leerheit aller Phänomene, eine faszinierende, aber letztendlich irreführende Parallele. Aufgrund ihrer anspruchsvollen Schriften entwickelten sie sich wiederum selbst zu einem Forschungsgegenstand für philosophisch interessierte westliche Theologen und andere Denker, und dieser Austausch wurde zu einer Art eigenständiger Dialogindustrie, wenn auch fast ohne Bezug zu Basisorganisationen. Die vorherrschende buddhistische Perspektive in der Kyōto-Schule war ein weitgefasster ZenBegriff, auch wenn Tanabe und Takeuchi eigentlich Shin-Buddhisten waren. Hervorstechende Themen in der Vielfältigkeit der Kyōto-Schule waren unter anderem Folgende: In seinem Zen no kenkyū („Studie über das Gute“, 1911)145 versuchte Nishida die Grundlagen der Ethik mit der „reinen Erfahrung“ in einer Weise zu verbinden, die sich im Wesentlichen auf die westliche Philosophie bezog, aber bereits auf einen Hintergrund im Zen hinwies. Er wollte dabei nicht einfach den Zen-Buddhismus erklären, sondern vielmehr seine Denkweise für einen internationalen philosophischen Diskurs zugänglicher machen. Zentral bei diesem Unterfangen war der Gedanke von der „Logik des Ortes“, die eine spezielle existenzialistische Denkweise andeutete, die nicht an systematische Metaphysik oder Ontologie gebunden wäre. Er verwendete auch das Konzept von „Religion“ (shūkyō), was in Japan relativ neu war. Mit einer Kritik an der „Objektivierung“ Gottes öffnete er außerdem die Türen für einen Dialog mit dem Christentum im Bereich der kenotischen Theologie. Nishidas Schüler und Nachfolger Tanabe studierte sowohl in Deutschland als auch in Kyōto und traf in den frühen 1920er Jahren mit Husserl und Heidegger zusammen. Seine intellektuelle Schaffenszeit erstreckte sich über die Kriegsjahre hinweg. In dieser Zeit des Ultra-Nationalismus unterstützten die ersten Mitglieder der Kyōto-Schule in bedeutendem Maße die militaristische Ausrichtung der japanischen Regierung. Auch wenn die Details Spielraum für Diskussionen lassen, wird die Ernsthaftigkeit ihrer Beteiligung an einer Schrift von Tanabe sichtbar, die er als Neubewertung gegen Ende des Krieges verfasste. Unter dem Titel „Philosophie als Metanoetik“ (im Englischen Philosophy as Metanoetics, 1987) beschreibt er sein Konzept von „Metanoetik“, welches den Gedanken von „Buße“ einschließt, philosophisch aber über die Noetik hinausgehen will und somit gleichzeitig den Ratio-

145 „Zen“ 善 bedeutet hier „gut“ oder „das Gute“ und ist nicht das gleiche zen 禅 wie in zazen 座禅.

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nalismus und auch rational formulierte Religion kritisiert, eine Ansicht, die sowohl zum Zen- als auch zum Jōdo-Buddhismus passt. Nishitani ist am bekanntesten für seine Beschäftigung mit dem Problem des Vergleichs der westlichen nihilistischen Philosophie mit dem Konzept der Leerheit im Buddhismus, speziell im Zen-Buddhismus. An sich dürfte dieses Problem nicht schwer zu lösen sein, da „das Nichts“ in der deutschen metaphysischen Philosophie, etwa bei Nietzsche oder Heidegger, eine Bedeutung hat, die sich sehr von dem unterscheidet, was der Sanskritbegriff śūnyatā bezeichnet, der in den Sūtras und etwa bei Nāgārjuna ausgeführt wird. Letzteres bezieht sich darauf, dass die Dinge in ihrer eigentlichen Natur ohne ontologische Selbstbehauptung seien, so dass ihr charakteristisches Merkmal die Leerheit ist. Da dies eigentlich recht einfach darzustellen ist, kann man wohl sagen, dass Nishitani die große Diskussion, die sich aus seinen Schriften ergab, vor allem dafür nutzte, Zen-buddhistische Apologetik gegenüber dem Westen zu betreiben. Als sein wichtigstes Werk in dieser Hinsicht wird sein Buch Was ist Religion? (1982) angesehen, in dem er versucht, eine „religiöse“ Erklärung des Kosmos mit einer naturwissenschaftlichen auf einen Nenner zu bringen, indem er beide von einer „Philosophie des Nichts“ ausgehend aufzubauen versucht. Die Beziehung zwischen Zen-Buddhismus und westlicher Philosophie in der Kyōto-Schule erhielt einen weiteren Anstoß durch die Arbeit von Ueda Shizuteru. Ueda studierte in Marburg und führte intensive Studien über den christlichen Mystiker Meister Eckhart durch, über den auch Nishitani bereits geschrieben hatte. Bei beiden Verfassern ging es um die Frage, ob die negative Theologie der christlichen Tradition, besonders so wie sie sich in Eckharts Vokabular darstellt, mit der Realitätswahrnehmung, wie sie in der Zen-Erleuchtung angedeutet wird, gleichgestellt werden kann. Ueda vertritt die Ansicht, dass Eckhart, so anregend er auch sei, nicht weit genug gehe. Er nutzt dafür besonders die bekannte Bildserie vom Ochsen und der Ochsenherde, um zu argumentieren, dass die „Verneinung“ im Zen-Buddhismus wesentlich radikaler ist als in den mystischen Schriften Eckharts. Es gab weitere buddhistische Gelehrte, die im weiteren Sinne an diesem Austausch teilhatten, aber nicht unmittelbar in die Reihe der Philosophie-Professoren der Kyōto-Universität gehören. Ein führendes Beispiel dafür ist Abe Masao (1915– 2006), der an der Kyōto-Universität über die Beziehung zwischen Zen-Buddhismus und westlicher Philosophie forschte und später an zwei Universitäten in Nara lehrte. Abe war besonders involviert in die Verbreitung von Zen-buddhistischen Ideen, während er sie mit verschiedenen Aspekten der westlichen Mentalität verglich. Auf seinen Überseereisen wurde er von einigen als eine Art „Nachfolger“ Suzuki Daisetsus gesehen. Seine Arbeiten waren allerdings philosophisch schärfer und deckten ein größeres Feld ab. So schloss er zum Beispiel Themen wie Whiteheads Prozessphilosophie mit ein. Eine gute Zusammenstellung seiner Aufsätze wurde unter dem Titel Zen and Western Thought (1985) veröffentlicht.

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Insgesamt wurde der Herausforderung der „Moderne“ in Japan durch brillante buddhistische Gelehrte gut begegnet, die es gleichzeitig schafften, ihr Denken mit westlichen Entwicklungen interaktiv zusammenzuführen. Trotzdem muss deutlich gemacht werden, dass diese Leistung kaum Auswirkungen auf die Ausbildung junger Tempelpriester hatte. Ihre Studien, auch auf Universitätsniveau, waren darauf ausgerichtet, ihnen eine Grundlage in den Texten und Lehren der entsprechenden Schule zu vermitteln, die sie in den Gemeinden repräsentieren sollten – dazu waren keine störenden Überlegungen notwendig. Die Erkenntnisse der kritischen Wissenschaft verbreiteten sich nur sehr langsam und wurden vielfach auch komplett ignoriert. Die regelmäßige Rezitation von Sūtras blieb unbeeinflusst von Diskussionen über ihren Ursprung, ihre schrittweise Zusammenstellung oder Fragen der Autorenschaft. Bei Beerdigungen wurden die religiösen Pflichten der Familie durchgeführt wie bisher und in unterschiedlichem Maße durch seelsorgerische Fürsorge seitens des Klerus begleitet. Weitere Beobachtungen über den gegenwärtigen japanischen Buddhismus finden sich unten im letzten Kapitel, vorher jedoch soll insbesondere auf einen weiteren wichtigen Strang eingegangen werden, nämlich auf das Verständnis der Rollen und der Religiosität des Laientums.

15. Buddhistischer Laizismus 15.1. Wurzeln des buddhistischen Laizismus in Japan Die buddhistische Laienkultur erhielt in Japan im Rahmen der rapiden Modernisierung neuen Aufschwung. Mit „Laizismus“ ist hier eine bewusste, starke Betonung von Laien im religiösen Leben, in diesem Fall besonders des Buddhismus, gemeint. Dabei kommt es nicht zwangsläufig auch zu einer Verweltlichung oder einem Säkularismus im Sinne eines Verlustes religiöser Orientierungen.146 Auch wenn der Begriff „Säkularisierung“ seit langem für die Verweltlichung von Priestern oder Mönchen verwendet wurde, hat die moderne Soziologie ihn neu definiert und verweist damit nun allgemein auf den Verlust von Einfluss und sozialer Macht seitens religiöser Einrichtungen. In Japan gab es zweifellos auch Prozesse dieser Art von Säkularisierung, aber Laizismus kann im Unterschied dazu auf eine Stärkung von religiöser Bedeutung in der Gesellschaft hindeuten, nicht zuletzt durch neue Organisationen.

146 Diese zweite Verwendung kommt von dem französischen „laїcisme“ oder „laїcité“, Begriffe, die im frankophonen Bereich oftmals in Verbindung mit Säkularisierungsdiskussionen gebracht werden.

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Laizismus in diesem Sinne hat eine lange Tradition in Japan. Berechtigterweise erinnert man sich hier an die Anfänge des Buddhismus in diesem Lande, als der Laien-Prinz Shōtoku Taishi die Lehren des Vimalakīrti in den Vordergrund stellte. Außerhalb dieses Textes gibt es keinen Hinweis darauf, ob Vimalakīrti wirklich als eine historische Person existiert hat. Sollte dies jedoch der Fall gewesen sein, so war er definitiv ein Laie und vielleicht wirklich „ein wohlhabender Hauseigentümer“, wie es im Text heißt. Er soll jedoch in spirituellen Angelegenheiten besonders bewandert gewesen sein. Dem Bericht nach war er sogar zum Beispiel in der Lage, seinen Raum mit übernatürlichen Kräften zu leeren. Dadurch bereitete er sich darauf vor, den Bodhisattva-Mönch Mañjuśrī für Dharma-Gespräche zu empfangen und mit ihm über Leerheit und Nicht-Dualismus zu diskutieren. Er war also nicht „nur ein Laie“, wie man es manchmal salopp formuliert. Wenn wir seine Lehren über die wahre Bedeutung von Verzicht oder das „Verlassen des Haushaltes“ (japan. shukke) in Betracht ziehen, wie sie sich in seiner Erläuterung zu Rāhula im dritten Kapitel des Textes finden, müssen wir ihn vielmehr als großen Vorreiter des Konzeptes von „weder Mönch noch Laie“ ansehen, wie dies später von Shinran formuliert wurde. Im Vimalakīrti findet sich der paradoxe Satz „Verzicht ist weder dies, noch das, noch dazwischen“.147 Durch die anhaltende Bedeutung von Shōtoku Taishi verblieb auch das Vimalakīrti in hohem Ansehen, unabhängig davon, ob Shōtokus Kommentar dazu wirklich von ihm selbst verfasst wurde. Es ist zu bedenken, dass bei der allgemeinen Alphabetisierung moderner Zeiten solche Texte, die sehr dicht am Original bleiben, direkt in japanischer Umschreibung (kakikudashibun) gelesen werden können. Anders als im Falle des Lotos-Sūtra wurde das Vimalakīrti nicht von einer bestimmten Schule übernommen, was seiner Betonung der Gleichwertigkeit von Laien freie Bahn ließ. Ein anderer Beitrag zur Entwicklung der Laien-Spiritualität in Japan war gerade der Erfolg der Popularisierungsversuche mittelalterlicher Mönche. Ein Kloster ist zum Beispiel nicht notwendig, um ein Shingon-Mantra zu rezitieren. Obwohl die Mantras (japan. shingon) „esoterisch“ waren, bezog sich dies nur auf ihre inhaltliche Bedeutung, und die Praktik selbst wurde populär. Genauso ist ein Kloster oder Tempel nicht wirklich notwendig für die Rezitation des nenbutsu. Bekannt sind vor allem die freien Aktivitäten der hijiri, Wanderer, die sich einem spirituellen Leben verschrieben hatten. Ein dramatisches Beispiel hierfür war Kūya (vgl. Kapitel 7). Solche nenbutsu-Lehrer wurden in verschiedenen Schulen, die sich anschließend entwickelten, als Gründer verehrt. Der entscheidende Einfluss blieb jedoch, dass man nicht Mönch oder Nonne sein musste, um das nenbutsu zu rezitieren und im Reinen Land wiedergeboren zu werden. In ähnlicher Weise war Nichirens Verbreitung des daimoku nicht auf die Tempel begrenzt. Obwohl es in den Tempeln der Nichiren-Schulen regelmäßig zusammen mit zent-

147 Vgl. Izumi 2014: 43: „O Rāhula, renunciation is neither this, nor that, nor between.”

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ralen Kapiteln des Lotos-Sūtra rezitiert wurde, fand es letztendlich seinen Weg weit über die Tempelmauern hinaus. Ein weiterer wichtiger Faktor in der Entwicklung der Laienbewegungen war die Aufweichung monastischer Vorschriften in der Meiji-Zeit. Das hervorstechendste Merkmal ist hierbei die Aufhebung des Zölibats, zunächst freiwillig und später von der Regierung verpflichtend durchgesetzt. Dabei handelte es sich nicht unbedingt um eine neue Idee, denn sie reicht zurück in die Zeit von Shinran Shōnin (vgl. Kapitel 9), der durch seine Eheschließung mit Eshin-ni ein bewusstes gesellschaftliches Zeichen setzen wollte. Diese Maßnahme war konstruktiv ambivalent. In seiner Kyōgyōshinshō hatte er sein Verständnis seines neuen Status als „weder Mönch noch Laie“ dargelegt. Der von ihm benutzte Begriff dafür ist hisō hizoku (非僧非俗), oder in der eher artikulierten japanischen Lesart der gleichen vier Schriftzeichen sō ni arazu zoku ni arazu, d. h. „kein Mönch sein und kein Laie sein“. Dies wurde prägend für den späteren Shin-Buddhismus. Das Verständnis dabei ist, dass es einerseits theoretisch keinen Bedarf für einen Klerus gibt, andererseits seelsorgerliche Handlungen, besonders im Rahmen von Beerdigungen, ihn jedoch praktisch notwendig machen. Daher müssen Personen schon entsprechend ausgebildet werden, und diese erhalten die Qualifikation als kyōshi (wörtlich „Meister der Lehre“). Die Aufgaben der kyōshi, ob Männer oder Frauen, schließen verlässliche Begleitung über den Glauben in Einklang mit dem Gelübde Amida Buddha ein, so dass die Anhänger (monto) nicht durch andere buddhistische Praktiken verwirrt werden, die die Möglichkeit des Erlangens von Verdienst durch Werke vertreten. Shinrans Begriff des hisō hizoku ist bemerkenswert, da er nicht nur ein Slogan für die Säkularisierung ist, sondern zu einer Loslösung von den zusammengehörenden Konzepten von shukke und zaike aufruft. Damit ist er in Anlehnung an das Vimalakīrti eine Kritik an dem grundsätzlichen Konzept des Verzichtes, da dies eine Form von Dualismus konstruiert, die dem vollen Verständnis nicht dienlich ist. Die Lockerung der Ernährungsvorschriften war ebenfalls gravierend. Es gibt nach wie vor so etwas wie spezielles vegetarisches148 Essen für Laien, die sich in besonderer Weise auf einen Tempelbesuch oder ähnliches vorbereiten wollen. In Verbindung mit Manpukuji etwa, dem Haupttempel des Ōbaku-Zen, gibt es ein Menü namens fucha ryōri, das sich an chinesische vegetarische Speisen anlehnt. Andere konzentrieren sich eher auf tōfu-Gerichte. Für einige mag dies eine Erinnerung an die „Vegetarischen Feste“ sein, die von aristokratischen Sponsoren in der Nara- und Heian-Zeit veranstaltet wurden. Ihr Ursprung lag in der Annahme, dass es auch für Laien verdienstvoll sei, zu bestimmten Gelegenheiten kein Fleisch zu essen. In der Moderne hat sich jedoch die Ernährung der meisten buddhistischen

148 Auf Japanisch impliziert „vegetarisches Essen“ (saishoku) in diesem Zusammenhang veganisch, obwohl es in allgemeineren Zusammenhängen nichts Genaueres als „ohne Fleisch“ bedeuten kann.

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Geistlichen derjenigen der übrigen Bevölkerung angeglichen. Darin eingeschlossen sind auch Fleisch, Fisch und viele Produkte aus Fischextrakten, die das Leben für wirkliche Vegetarier erschweren. Insgesamt bedeuten solche Veränderungen, dass, während einige einfache buddhistische Praktiken weitere Verbreitung in der Bevölkerung finden, viele Mönche, Nonnen oder ordinierte Tempelbetreuer in verschiedenen praktischen Bereichen in den Zustand des „Lebens im Haushalt“ (japan. zaike) zurückkehren. Die vielen buddhistischen Pilgerrouten in Japan sind auch für den Laien-Buddhismus bedeutsam, da sie nicht auf einer Differenzierung zwischen Laien und Mönchen oder Nonnen beruhen. Am bekanntesten sind nach wie vor die schon erwähnte Route, die über 88 Tempel in Shikoku führt (Shikoku hachijūhakkasho) und angeblich den Spuren des Kōbō Daishi folgt, sowie die weit ausgedehnte Kette der 33 Kannon-Tempel in der Saikoku-Region (Saikoku sanjūsan reijō). Viele weitere Rundwege beziehen sich auf diese beiden, und ähnliche Routen sind anderen buddhistischen Verehrungsgestalten wie Yakushi Nyorai, Jizō Bosatsu gewidmet.149 Obwohl die Ursprünge der ältesten Pilgerfahrten bis in die Heian-Zeit zurückverfolgt werden können, waren selbst damals die meisten Pilger, obwohl aristokratisch, Laien. Dies galt ebenfalls in der Edo-Periode, als die Zahl der Pilgerreisenden aus anderen sozialen Schichten zunahm, und auch heute sind die Pilger oder Pilgerinnen überwiegend Laien. Die Tempelpriester bleiben vor Ort und lassen ihre Assistenten die Erinnerungsbüchlein, Schriftrollen oder Pilger-Hemden kalligraphisch unterschreiben und stempeln, die als Beweis für die Reise dienen. Es gibt natürlich auch Fälle, in denen ordinierte Personen eine lange Pilgerreise unternehmen, etwa um eine eigene neue Praktik einzuführen. Eine wichtige Mittlerfunktion als lehrende Reiseführer übernehmen erfahrene Pilger beider Geschlechter, die so genannten sendatsu, die auch an der Grenze zwischen Laientum und Klerus bleiben.150 Die vielen kleinen Pilgervereine werden von Laien dominiert, nicht weil sie die traditionelleren Einrichtungen ablehnen, sondern weil die Tempel auf den meisten Strecken zu unterschiedlichen Schulen gehören. Ausschlaggebend ist das gohonzon, das Hauptverehrungsobjekt des Tempels (zum Beispiel Yakushi Nyorai) oder die ansonsten zu besuchende Figur in der entsprechenden Halle (zum Beispiel Kannon oder Fudō Myōō), und nicht die Lehrrichtung.

15.2. Fragen des Gender In der japanischen Gesellschaft wurde bis in moderne Zeiten hinein meist sehr deutlich zwischen den Rollen von Männern und Frauen unterschieden. Doch war

149 Für Einzelheiten s. Pye 2015 (Kapitel 4). 150 Vgl. Reader 1993.

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ein Element der Erweiterung religiöser Rollen, dass auch Frauen zunehmend daran teilhaben konnten. Die Heirat zwischen Shinran und Eshin-ni war auch hier von großer symbolischer Bedeutung und signalisierte einen deutlichen Wechsel, da Eshin-ni ihre eigene Rolle in der Etablierung dieser neuen Form des Buddhismus spielte. Es war vor allem im Shin-Buddhismus, dass die Bezeichnung bōmori in Gebrauch kam, was eine weibliche Person bezeichnet, die das bō „beschützt“, d. h. den Tempelpriester oder sein Haus. Es bedeutet aber noch mehr, denn die Frauen, die so benannt wurden, unterliefen in der Regel eine Initiation zur tokudo und konnten auch kyōshi werden. Daher übernahmen sie auch die Durchführung von Ritualen und verschiedene pastorale Aufgaben.151 Eheschließungen von Priestern waren nicht nur im Shin-Buddhismus ein Thema. Die Zunahme an kleinen, lokalen Tempeln während der Edo-Zeit, die hauptsächlich die politische Aufgabe hatten, die Bevölkerung demographisch zu erfassen, bedeutete, dass die Tempelpriester alleine überleben mussten, ohne die Unterstützung eines Klosters mit zum Beispiel einer dazu gehörenden Gemeinschaftsküche. Es ging jedoch nicht nur um die Versorgung der Amtsinhaber, sondern auch um die Absicherung der meist erblichen Nachfolge. Um zu gewährleisten, dass die Gemeindearbeit der Tradition entsprechend fortgeführt wurde, wurde es üblich, die Verheiratung von Tempelpriestern auf lokaler Ebene zu tolerieren. 1872 wurde schließlich von der Meiji-Regierung ein Edikt erlassen, das entgegen der traditionellen Auffassung die Ehe für Kleriker gestattete.152 Seitdem kam es sogar bei Mönchen in Tempeln ohne regionale Gemeindeaufgaben – etwa in großen Zen-Anlagen – zu langfristigen Beziehungen oder sogar Heiraten. Es gibt freilich nach wie vor Neueintritte ins Kloster aus der Überzeugung, dass dort die spirituelle Suche besonders erfolgreich sein kann, aber örtliche Tempel werden weiterhin überwiegend der Erbfolge entsprechend betreut. Im 18. Jahrhundert, im Zuge der generellen Zunahme populärer religiöser Aktivitäten wie Pilgerreisen, wurde auch die Genderdiskriminierung im Bereich der asketischen Praktiken bis zu einem gewissen Grad gelockert. Der Shichimenzan, der Gipfel nahe des Berges Minobu, der der weiblichen Schutzgottheit Shichimen Daimyōjin aus dem Lotos-Sūtra geweiht war, war traditionell für Frauen verboten. Bereits im 17. Jahrhundert wollte jedoch ein hochgestelltes weibliches Mitglied der Tokugawa-Familie, O-man no kata (お萬の方), Shichimen Daimyōjin unbedingt verehren und bestand darauf, den Berg zu besteigen. Sie betrieb sieben Tage lang Askese unter dem Wasserfall Shiraito no Taki (Wasserfall „Weißer Faden“) am Fuße des Berges und erklomm ihn dann. Seit dieser Zeit war Shichimenzan für

151 Für eine ausführliche Studie siehe Heidegger 2006. 152 Für eine ausführliche Studie zu den historischen Schwankungen in dieser Frage siehe Jaffe 2001.

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Frauen wie für Männer geöffnet, und das ausschlaggebende Ereignis wird am unteren Wasserfall am Beginn des Aufstiegs dokumentiert. Im Falle des Ontake-san, einem von vielen shugenja aufgesuchten Vulkan-Berg, wurde 1785 ein neuer Weg „geöffnet“. Der Priester Kakumyō (1719–1787) markierte einen neuen Pfad für Laiengruppen jedes Geschlechts, so dass sie den schwierigen Aufstieg vornehmen konnten, ohne die bislang verlangten strengen und langwierigen rituellen Vorbereitungen befolgen zu müssen. Deshalb wird Kakumyō von seinen Anhängern als kaisan („Öffner des Berges“) angesehen, obwohl der Berg bereits einmal vor ihm geöffnet worden war. Außerdem wird er als ein ryōjin bezeichnet, ein spirituelles Wesen, das über übernatürliche Kräfte verfügt.153 Im Allgemeinen vergrößerten solche Entwicklungen ebenfalls die Laienbasis der verschiedenen buddhistischen Schulen.

15.3. Freiräume außerhalb des Tempelsystems Im 20. Jahrhundert verließen viele buddhistische Gruppen das Schema der etablierten Schulen. Ein Beispiel dafür ist die Jōdo Shinshū Shinrankai (d. h. Jōdo Shinshū Shinran-Gesellschaft), die im Jahr 1958 von Takamori Kentetsu gegründet und charismatisch geführt wurde. Takamori entging knapp einem Tod als kamikaze-Pilot und fühlte sich mit seinem geretteten Leben keinem großen Tempel verpflichtet. Vielmehr versuchte er, die Einmischung von Lehrautoritäten zu vermeiden und sich ausschließlich auf die Lehren Shinrans zu konzentrieren. Er verbreitete seinen Ansatz durch leicht zugängliche Publikationen und nimmt in Anspruch, die „wahre“ Interpretation von Schriften wie dem Tannishō zu verkünden. Dies geschieht zum Beispiel durch eine moderne japanische Wiedergabe im Manga-Stil sowie mündliche Erzählungen. Neben Studiengruppen besteht der rituelle Aspekt dieser dynamischen, inzwischen auch in Nordamerika präsenten Neugründung überwiegend aus frommen Großveranstaltungen mit Ansprachen und Rezitationen. Ein sehr bekanntes Beispiel für das Laienengagement in der Verbreitung „des Buddhismus“ im Allgemeinen findet man in den Aktivitäten der Bukkyō Dendō Kyōkai, die 1965 von Numata Yehan (1897–1994)154 gegründet wurde. Der englische Name lautete zuerst „Buddhist Promoting Foundation“, was später in „Society for the Promotion of Buddhism“ geändert wurde. Numata betrachtete es als sein Lebensziel, so viel Geld wie möglich für die Verbreitung des Buddhismus zu sammeln. Dies soll bereits 1934 seine Motivation gewesen sein, als er die Mitsutoyo Manufacturing Company gründete. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelang

153 Der Ausdruck ryōjin ist wörtlich eine Zusammensetzung aus Geist und Gottheit. 154 Die Standardschreibweise wäre Ehan, für aktualisierte Informationen vgl. die Website der Gesellschaft.

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es ihm, den expandierenden japanischen Markt für Messschrauben zu dominieren, den Exportboom auszunutzen und so seinen Traum in vielfältiger Weise zu erfüllen. 1975 veröffentlichte er Die Lehre des Buddha (auch auf Japanisch erschienen), eine nicht-konfessionelle Sammlung von Texten, die seither in zahllosen Hotelräumen als Alternative zu den „Gideon“-Bibeln einen Platz gefunden hat. In den 1980er Jahren folgte die finanzielle Unterstützung von Kultureinrichtungen, öffentlichen Veranstaltungen und Lehrstühlen an ausländischen Universitäten und vor allem Projekten für die Übersetzung buddhistischer Texte. Diese Aktivitäten umfassten eine große Bandbreite und wurden auch nach Numatas Tod fortgesetzt; seine persönliche Religiosität konzentrierte sich jedoch mehr auf Shinran Shōnin und Amida Buddha, wie in einem autobiographischen Text unter dem Titel Mein Weg mit Shinran Shōnin155 deutlich wird. In der weitgefassten Nichiren-Tradition entstanden zahlreiche moderne Bewegungen, die sich von den alten Schulen loslösten und einen Schwerpunkt auf die Leitung durch Laien legten. Diese Entwicklung begann verstärkt schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Tanaka Chigaku (1861–1939). Tanaka war zunächst ordinierter Priester der Nichiren-shū, entschied sich dann jedoch bewusst, seinen geistlichen Stand zu verlassen und zu heiraten. Seine Lehren hatten einen starken nationalistischen Einschlag und zogen besonders in den Jahren bis zum Ende des Pazifikkrieges 1946 eine sehr engagierte Anhängerschaft an. Inspiriert von Tanaka entstanden zwei Laiengesellschaften, die Risshō Ankoku Kai (Gesellschaft für [Nichirens Abhandlung] Risshō Anoku Ron) und die Kokuchūkai (Gesellschaft „Stütze der Nation“). Durch die Gründung dieser Laiengesellschaften trennte sich die ideologische Bewegung von den eigentlichen Nichiren-Denominationen, die weiterhin ihren Klerus hatten.

15.4. Zaike bukkyō Weitere neue buddhistische Bewegungen des 20. Jahrhunderts, besonders diejenigen, die sich auf das Lotos-Sūtra konzentrieren, sind ausdrücklich Laienbewegungen und betonen ihre Ausrichtung als „Buddhismus im Familienbereich“ (zaike bukkyō). Drei solcher Gruppen stechen besonders hervor, die Reiyūkai, die Risshō Kōseikai und die Sōka Gakkai. Alle drei haben ihre Ursprünge vor dem Zweiten Weltkrieg, waren aber erst danach wirklich erfolgreich. Sie beziehen sich auf die Lehren Nichirens und das Lotos-Sūtra, legen diese jedoch für ihre Anhängerschaft jeweils auf unterschiedliche Weise aus.

155 Tokyo (Bukkyo Dendokai), ohne Jahr, aber wahrscheinlich 1977 oder kurz darauf. Der englische Titel lautete My Path with Saint Shinran.

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Die Reiyūkai, gegründet im Jahr 1925, ist besonders für die Verehrung von Ahnen ohne Nachkommenschaft bekannt. Auf Japanisch werden Verstorbene meist als Buddhas, nach japanischer Lesart des Schriftzeichens hotoke, bezeichnet, und der Begriff muenbotoke heißt somit wörtlich „Buddhas ohne Affinität“ und inhaltlich „Verstorbene ohne karmische Verbindung zu Lebenden“. Damit verbunden ist die Annahme, dass sie noch verlorene oder wandernde Seelen sind, die der Fürsorge bedürfen.156 In den letzten Jahren hat die Reiyūkai ein starkes soziales Programm entwickelt, und die individuelle Spiritualität einer jüngeren Generation wird durch ein Programm namens „Inner Trip“ gefördert. Nach Problemen in der Führungsspitze wurde die Reiyūkai im Jahr 2008 „neu gegründet“ und damit fortgesetzt. Davor war es jedoch zu verschiedenen abgesplitterten Neugründungen wie Risshō Kōseikai, Myōchikai Kyōdan und Busshogonenkai gekommen, deren Anhängerzahl zusammen mehrere Millionen beträgt. Die Risshō Kōseikai entstand im Jahr 1938. Ausgangspunkt dafür waren Offenbarungen, die eine Frau namens Naganuma Myōkō empfing. Ihr Mit-Begründer Niwano Nikkyō (1906–1999), ein nach spiritueller Erfüllung suchender Laie, verschob den Fokus jedoch gänzlich auf das Lotos-Sūtra, das er als verlässlichere Basis für ihre Lehren ansah. In der riesigen Verehrungshalle in Tokyo, der Großen Heiligen Halle, findet sich daher ein gewaltiges Standbild des „Ewigen Buddha“ (Kuonbutsu), wie dieser in der zweiten „Hälfte“ des Lotos-Sūtras offenbart wird. Die Gruppe ist vor allem bekannt für ihre Gruppenberatungen (hōza), in denen Probleme des alltäglichen Lebens diskutiert werden und unter Bezug auf die buddhistische Lehre von Ursache und Wirkung nach Lösungen gesucht wird. In Anlehnung an die Ursprünge in der Reiyūkai haben alle Mitglieder eine spezielle Ahnentafel (sōkaimyō), die alle Ahnen, die bekannten wie die unbekannten, einschließt. Die Sōka Gakkai hat ihren Beginn in den Lehren von Makiguchi Tsunesaburō und seinem Partner Toda Jōsei in den 1930er Jahren. Beide wurden unter der Anklage des Verrats inhaftiert und Makiguchi starb im Gefängnis. Nach seiner Freilassung nach Ende des Krieges begann Toda, die Bewegung erneut aufzubauen. Dabei ging er mit solchem Enthusiasmus ans Werk, dass der damalige politische Arm der Bewegung, die Kōmeitō (wörtlich: „Partei für Helle Öffentlichkeit“), schnell in der japanischen Politik aufstieg. Die Gruppe verehrt eine bestimmte Form von Nichirens Mandala und die Anhänger glauben, dass sie durch die Verehrung nicht nur geistlichen Beistand, sondern vor allem auch einen diesseitigen Nutzen erhalten. Daher ist sie besonders attraktiv für kleine Ladenbesitzer und andere Menschen ohne finanzielle Privilegien. Die Anhängerschaft soll mehrere Millionen Familien umfassen. Die Gruppe zählt nach „Familien“ in der Annahme,

156 Vgl. das Standardwerk von Hardacre 1984, dessen Informationen selbstverständlich nur bis zum Erscheinungsdatum reichen.

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dass jeder Konvertierte, ob männlich oder weiblich, die Familie mitzieht. Dies ist jedoch nicht immer unbedingt der Fall. Eine Gemeinsamkeit dieser drei Bewegungen ist, dass sie grundsätzlich Laienbewegungen sind, die sich nicht der Führung einer historischen, Nichiren-nahen Schule unterordnen. Für einige Zeit war die Sōka Gakkai der Nichiren Shōshū, der „rechten“ (shō) Nichiren-Lehre, angegliedert, die ihren Haupttempel Daisekiji nahe des Fuji-san hat. Da die Nichiren Shōshū wesentlich kleiner und auch stärker definiert ist als die Nichiren-shū, schien sie der Sōka Gakkai ein guter Partner zu sein, und letztere wurde unter dem Namen Nichiren Shōshū Sōka Gakkai zu ihrer affiliierten Laienorganisation. Ab 1991 zerbrach diese Allianz jedoch, da es zu Auseinandersetzungen zwischen dem ordinierten Klerus der Nichiren Shōshū und dem einflussreichen Präsidenten der Sōka Gakkai, Ikeda Daisaku, kam. Die Nichiren Shōshū erzwang schließlich eine Entscheidung und die Sōka Gakkai – mit der Mehrheit ihrer Anhänger – wurde wieder zu einer unabhängigen Laienbewegung. 1997 ließ die Leitung der Nichiren Shōshū das große Hauptgebäude und die Verehrungshalle neben ihrem Haupttempel Daisekiji unter einem Vorwand dem Erdboden gleich machen. Die Reiyūkai und die Risshō Kōseikai haben sich bisher nicht offiziell mit ordinierten Gruppen zusammengeschlossen und betonen weiterhin ihre Stellung als Laienbewegung. Die Risshō Kōseikai unterhält jedoch gute Beziehungen mit der Nichiren-shū, und ihre Mitglieder besuchen den Haupttempel am Minobu-san und den nahegelegenen Shichimenzan. Die buddhistisch orientierte Gruppe Shinnyoen hat ebenfalls eine große Anhängerschaft und kann letztendlich, trotz früherer Beziehungen der Führungsebene zum Shingon-Buddhismus des angesehenen Tempels Daigoji, als eine „neue Religion“ eingestuft werden, da sie sich auf eine neue Offenbarung aus der Geisterwelt beruft. Gleichzeitig stellt sie sich aber auch als eine dritte Phase des mikkyō-Buddhismus dar, die auf das mikkyō des Shingon und des Tendai folgt. Hier ist besonders interessant, dass die Organisation nicht an der traditionellen Unterscheidung zwischen shukke und zaike festhält. Viele aktive Mitglieder tragen die kesa, die einen qualifizierten, ordinierten Status als tokudo oder kyōshi symbolisiert. Diese Mitglieder, die als kyōto („Anhänger der Lehre“) bezeichnet werden, sind so zahlreich, dass bei Großveranstaltungen, etwa im Tonda-Zentrum in der Stadt Takatsuki in West-Japan, Aushänge angebracht werden, an welchen Orten des riesigen Gebäudes die kesa getragen bzw. abgelegt werden soll. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Mitglieder das Leben im Haushalt verlassen haben und einen zölibatären Saṅgha bilden. Es besteht im Gegenteil die deutliche Auffassung, dass es sich hierbei um eine Form des zaike-Buddhismus handelt. Mit Shinnyoen stoßen wir zugleich an das Phänomen der zahlreichen neuen Religionen in Japan, die hier nicht unser Thema sein können. Einige – wie Agonkyō – sind zumindest teilweise buddhistisch inspiriert, wenngleich mit anderen Elementen verbunden. Andere – wie Kōfuku no Kagaku („Wissenschaft des

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Glücks“)157 oder gar Aum Shinrikyō, jetzt als Aleph bekannt – wollen gern, aber nur gelegentlich einen Bezug zum Buddhismus beanspruchen, was kaum überzeugend ist. Im Allgemeinen ist die Frage, ob die eine oder andere Neugründung oder gar neue Religion gleichzeitig als „Buddhismus“ eingestuft werden kann, daher eine äußerst heikle Frage, der man sich allerdings auch als Historiker nicht ganz entziehen kann.158 Dieser Abschnitt kann passenderweise mit den Grundprinzipien einer Gesellschaft beendet werden, die sich einfach „Laien-Buddhismus-Gesellschaft“ (Zaikebukkyō Kyōkai) nennt und 1953 gegründet wurde. Diese Prinzipien lauten in der Imperativform wie folgt: 1. Glaube an die unfehlbare Wahrheit der Verkündigung des Dharma durch Shakuson [d. h. Śākyamuni]. 2. Glaube, dass der Inhalt der Verkündigung Shakusons über das Dharma die ewige Wahrheit ist, aber dass die Mittel zur Verbreitung unter allen Menschen eine ständige Anpassung der Begriffe entsprechend der Zeit, dem Ort und den Menschen notwendig macht. 3. Lehne jede Form der Magie konsequent ab. 4. Strebe danach, den Buddhismus nur im Leben als Laie auszuleben. Diese vier Prinzipien, die regelmäßig in der Zeitschrift Zaike Bukkyō abgedruckt werden, wurden 1954 von dem ersten Beiratsvorsitzenden, Katō Benzaburō, formuliert. Ohne auf bestimmte Schulen Bezug zu nehmen, ist klar, dass mikkyōRichtungen wie Shingon und Tendai ausgeschlossen werden. Gleichzeitig wird in modernistischer und essentialistischer Weise davon ausgegangen, dass es möglich ist, auf eine ursprüngliche Lehre des Śākyamuni, außerhalb jeder Schule, zurückzugreifen (was in der Wissenschaft natürlich als fraglich angesehen wird). Es wird behauptet, dass Śākyamunis Dharma in einem gewöhnlichen Leben im Haushalt (zaike seikatsu) ausgelebt werden kann. Die Gesellschaft behauptet, über zwei Arten von Unterscheidung hinauszugehen, zum einen diejenige zwischen ordiniert und säkular (sō und zoku) und zum anderen diejenige zwischen verschiedenen Schulen. Abschließend kann Folgendes festgehalten werden. Einige Schulen, besonders diejenigen mit der längsten Geschichte, haben die Unterscheidung zwischen Kloster/Laien bzw. ordiniert/säkular stärker aufrechterhalten als andere. Somit ist das Konzept des Saṅgha in Japan nicht gänzlich verschwunden. Parallel haben jedoch die oben dargestellten Entwicklungen und Neuerungen zu einem Verschwimmen der alten Kategorien geführt, so dass die soziale und religiöse Realität „des Bud-

157 Der frühere englische Name „Science of Happiness“, der an sich das Japanische direkt wiedergibt, wurde später in „Happy Science“ umgeändert, da dies angeblich für Westler ansprechender sei. 158 Weiter zu dieser Problematik s. Pye 2013, Vol. 2: Part Five, wo entsprechende Beispiele besprochen sind.

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dhismus“ in Japan, wie in anderen Ländern auch, auf jeden Fall auch unter Laien und mitten in der allgemeinen Gesellschaft gesucht werden muss.

16. Buddhismus im gegenwärtigen Japan 16.1. Der Nachkriegsaufschwung des Buddhismus Nach dem dramatischen Ende des Zweiten Weltkriegs, das schwere Zerstörungen in vielen der großen japanischen Städte mit sich brachte, wurde die Zukunft vieler zentraler, religiöser Einrichtungen auf einmal ungewiss. Unter Führung der Vereinigten Staaten, die die Nachkriegsbesatzung dominierten, wurden zwei Grundsätze für die Trennung von Religion und Staat entwickelt, um Glaubensfreiheit (shinkō jiyū)159 zu gewährleisten. Der Shintō musste seine bisherige, privilegierte Position aufgeben und sich als eine Religion unter vielen neu organisieren. Eine Anzahl neuer Religionen war in der Lage, wieder an Einfluss zu gewinnen oder sich neu aufzustellen, und noch mehr neue Religionen tauchten zum ersten Mal auf, einige davon als Ableger bereits bestehender Gruppen. Solche Neugründungen zeichneten sich durch eine charismatische Spitze, unternehmerische Leitung und starkes persönliches Engagement der Gläubigen aus. Einige der kleineren christlichen Kirchen, die gezwungen gewesen waren, sich zusammenzuschließen, kehrten zu ihren ursprünglichen Konfessionen zurück. In der Nachkriegszeit wurden die buddhistischen Tempel und Schulen zwar des staatlichen Drucks enthoben, aber dafür sahen sie sich nun ökonomischen Schwierigkeiten gegenüber, da eine weitreichende Landreform ihren Grundbesitz beträchtlich verkleinerte. Obwohl sie weiterhin für Friedhöfe und die Ahnenverehrung verantwortlich waren, mussten die Tempel doch neue Möglichkeiten finden, um die buddhistische Kultur und Verehrung im weiteren Sinne populärer zu machen. Haupttempel unternahmen größere Anstrengungen, die ihnen unterstehenden Tempel im ganzen Land zu organisieren, teilweise durch die Weiterentwicklung ihrer Bildungseinrichtungen und spezielle Trainingsprogramme für interessierte Laien. Insgesamt kann man also von einem neuen Ausbalancieren der großen buddhistischen Traditionen Japans in dieser Zeit sprechen. Einige große Tempel nutzten die Gelegenheit, um sich von ihren Mutter-Denominationen zu lösen und, unter der neuen Rechtslage für religiöse Organisationen, selbstständige religiöse Einrichtungen (shūkyō hōjin) zu werden. Ein bekanntes Bei-

159 Im Englischen ist meistens von „religious freedom“ die Rede, jedoch ist es angemessen, im Deutschen zwischen Religionsfreiheit (japan. shūkyō jiyū) und Glaubensfreiheit (japan. shinkō jiyū) zu unterscheiden.

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spiel hierfür ist der Shingon-Tempel Sensōji in Asakusa (Tokyo), der für seine riesige rote Laterne am Haupttor berühmt ist. Die Autoritäten des Sensōji entschieden sich, die Betreuung von Friedhöfen und Ahnen anderen zu überlassen, und konzentrierten sich stattdessen darauf, ein allgemeines Publikum zu besonderen Festtagen wie Neujahr oder an den Affinitätstagen von Kannon Bosatsu (immer am 18. des Monats) auf kommerziellere Weise anzusprechen. Der antike Tempel Hōryūji bei Nara (vgl. Kapitel 2) trennte sich 1952 von der Hossō-shū und erfand sich, unter Rückbezug auf seine Wurzeln, als Shōtoku-shū neu. Ähnlich machte es Shitennōji in Ōsaka. Dieser Tempel wurde unter dem Namen Wa-shū zu einer neuen Schule, die sich auf das Prinzip von wa (Harmonie) in Shōtoku Taishis 17-Punkte-Erklärung bezog.

16.2. Buddhismus als kulturelles Erbe Es war eine wichtige Unterstützung für die großen buddhistischen Schulen, dass sie trotz der Kriegszerstörungen viele der eindrucksvollen Gebäude und künstlerischen Errungenschaften der Vergangenheit erbten. Viele dieser Bauten und Artefakte waren bereits zu „Nationalschätzen“ (kokuhō) oder „wichtigem Kulturgut“ (jūyō bunkazai) erhoben worden, wodurch sie sich zu touristischen Sehenswürdigkeiten entwickelten. Auch wenn es in der Zeit nach dem Krieg keinen Religionsunterricht innerhalb des öffentlichen Schulsystems gab, wurde durch die standardisierten, vom Ministerium abgesegneten Geschichtsbücher und durch Schulausflüge die Wahrnehmung dieser Schätze als nationales Erbe, das man bewundern und auf das man stolz sein solle, verstärkt. Folglich hatten viele junge Leute zumindest ein Mindestmaß an Respekt für buddhistische Darstellungen aller Art. Nach dem Schulabschluss unternehmen vor allem junge Frauen in Zweier- oder Dreiergruppen Reisen zu berühmten Orten, worunter sich viele buddhistische Tempel befinden, und dokumentieren dies großzügig mit Fotos. Einige der ikonogaphischen Schätze sind besonders interessant. So ist etwa um eine filigrane Statue eines ashura (skt. asura)160 aus der Nara-Zeit eine diffuse, aber halb-kommerzielle Verehrung entstanden. Dieser Nationalschatz wird im Kōfukuji aufbewahrt und geht möglicherweise auf die Gründung der Saikondō (Westliche Goldene Halle) im Jahr 734 zurück. Die Statue war ursprünglich Teil einer Aufstellung von den „Acht Gruppen“ (japan. hachibushū) himmlischer Wesen, und auch wenn ein ashura eigentlich ein himmlischer Krieger ist, ein Wesen unterhalb der devas, so ist diese Darstellung überhaupt nicht grimmig. Sie hat im Gegenteil ein sehr sanftes Gesicht und sechs anmutige Arme, die einen femininen Eindruck vermitteln, mit dem sich junge Frauen offenbar gut identifizieren können.

160 Die Aussprache Ashura stammt von dem Chinesischen Āxiūluō.

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Rentnergruppen bilden eine weitere Klientel, die besonders im Rahmen von Tagesausflügen die buddhistischen Sehenswürdigkeiten gerne besuchen. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen, die zu solchen Reisen ermuntern, wobei sie besonders die Geschichte des Tempels und die Schönheit der Ikonographie rühmen. Viele bekannte Tempel gestalten ihren Außenbereich mit Pflanzen, die während ihrer Blütezeit besonders eindrucksvoll sind, etwa Schwertlilien, Hortensien und natürlich die unvermeidlichen Kirschblüten und roten Herbstblätter der Ahornbäume. Wenn der nötige Platz vorhanden ist, finden sich auch häufig aufgrund des buddhistischen Symbolismus umfangreiche Sammlungen verschiedener Lotosblüten. Oft wird die ruhige, traditionelle Natur älterer Tempel durch die bewusste Platzierung von Moos betont, was während der Regenzeit besonders ansprechend ist. Der Tempel Saihōji in Kyōto mit dem Spitznamen Kokedera (Moostempel) wurde schon erwähnt, jedoch wird Moos auch außerhalb der Tempelgelände eingesetzt. Da es oft als Untergrund für bonsai verwendet wird, finden sich kleine Stücke verschiedener Moosarten, die in bestimmten Tempeln gedeihen und an diese denken lassen, manchmal auch auf Freiluftmärkten. Das kulturelle Erbe der Tempel wird aber nicht nur gefeiert, sondern auch neu entwickelt. Der unabhängige Kiyomizudera in Kyōto, der sowohl von Schulklassen als auch Touristen frequentiert wird, ist ein gutes Beispiel dafür. 1965 entschied sich der Abt Ryōkei (1875–1983), der sein klösterliches Leben am Kōfukuji (Lehrrichtung Hossō-shū) begonnen hatte, eine eigene „Nördliche Hossō-Schule“ zu gründen. Zur Erinnerung an Ryōkei wurde 2013, dreißig Jahre nach seinem Tod im Alter von 107 Jahren, eine Reihe von Gemälden des Künstlers Hakozaki Mutsumasa im nihonga-Stil enthüllt. In einem farbenfrohen, naiven Realismus stellen diese Bilder über 1200 Jahre hinweg die Geschichte des Kiyomizudera auf neun Rollen mit einer Gesamtlänge von 65 Metern dar. Dieses Ereignis rief ein großes Echo in den Medien und in Ausstellungen hervor und ist beispielhaft für die aufwändige Entwicklung buddhistischer Einrichtungen als kulturelles Erbe, die sowohl Antike als auch Moderne für sich beanspruchen. Erinnerungen an historische Ereignisse sind in allen Lehrrichtungen beliebt, und häufig handelt es sich dabei um Sterbedaten, an denen man für das Leben einer heiligen Figur wie Hōnen, Shinran oder Rennyo dankt. Solche Anlässe werden nicht nur durch spezielle Zeremonien (hōyō) gefeiert, sondern auch durch Symposien, Veröffentlichungen, besondere Vorträge, Ausstellungen oder ähnliches. Alle Jahre feiern die beiden großen Honganji-Tempel des Shin-Buddhismus (Nishi- und Higashi-Honganji) den Todestag von Shinran Shōnin mit einem vielfältigen Programm. Der wichtige Rinzai-Zen-Tempel Myōshinji hält im Prinzip alle 50 Jahre eine Jubiläumsfeier (onki) für Kanzan Egen ab, obwohl es nicht immer möglich war, diesen Rhythmus beizubehalten. Kōfukuji in Nara feierte 2013 seine Gründung vor 1200 Jahren mit einer besonderen Ausstellung von Nationalschätzen und dadurch, dass seine zwei „Rundhallen“ (endō) für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die südliche Rundhalle (Nan’endō) enthält eine große und beein-

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druckende Darstellung von Fukūkensaku Kannon.161 Die nördliche Rundhalle (Hoku-endō) beherbergt als zentrale Figur eine Darstellung des Miroku Nyorai (Maitreya) sowie sehr eindrucksvolle Statuen von Seshin (Vasubandhu) und Mujaku (Asaṅga), die von dem schon erwähnten Kamakura-Bildhauer Unkei geschaffen wurden. Am Tempel Zentsūji in der Kagawa-Präfektur fand am 9. Mai 2014 eine religiöse Zeremonie statt, um an die Begründung des berühmten Pilgerweges zu den 88 Tempeln in Shikoku durch Kōbō Daishi (Kūkai) zu erinnern. Dieser Tempel ist der 75. auf der Route und wurde angeblich an Kūkais Geburtsort errichtet. Teil der Feier bildete die Ankunft eines jungen Geistlichen, der gerade die Pilgerfahrt von insgesamt etwa 1 400 Kilometern unternahm. Auf seinem Rücken trug er dabei eine Kiste mit sich, in der er für alle sichtbar ein hölzernes Bildnis von Kūkai aufbewahrte.162 Das zeigt auf materielle Weise den spirituellen Grundsatz, dass die Shikoku-Pilger sich auf ihrer Reise immer als von Kūkai selbst begleitet sehen. Dieser Gedanke der Gemeinschaft mit dem verehrten Gründer wird mit dem Ausdruck dōgyō ninin bezeichnet, was „zwei Menschen auf dem gleichen Weg“ oder „zwei Menschen mit der gleichen Praktik“ bedeutet. Die vier Schriftzeichen für dōgyō ninin (同行二人) werden häufig auf relevanten Gegenständen wie den Strohhüten traditionell bekleideter Pilger wiedergegeben.

16.3. Tempelbesuche für religiöse Bedürfnisse Es wäre nicht zutreffend, den Eindruck zu hinterlassen, dass der allgemeine kulturelle Einfluss des Buddhismus gegenüber dem religiösen ganz überwiegt. Die eben dargestellten Beispiele zeigen, dass es sich hierbei um ein Spektrum handelt. Die Grenzen zwischen Tourismus und religiösen Reisen sind oftmals nicht klar zu definieren. Selbst wenn Buddha-Abbildungen in Galerien oder anderswo ausgestellt werden, können sie trotzdem zu religiöser Verehrung einladen, beispielsweise durch kleine Verbeugungen oder Geldgaben. Außerdem haben zahllose Tempelbesuche nichts mit dem jeweiligen kulturellen Erbe zu tun. Es gibt zwei Hauptgründe, warum Menschen zu religiösen Zwecken einen Tempel besuchen. Der erste ist die Pflege von Gräbern und die Verehrung von Ahnen, der zweite ist die Suche nach übernatürlichem Beistand für diesseitige Angelegenheiten. Was die Verehrung oder Versorgung der Verstorbenen angeht, sind die buddhistischen Tempel nach wie vor führend unter den verschiedenen Religionen in Japan, und

161 Fukūkensaku Kanzeon: eine der sieben traditionellen ikonographischen Formen von Kannon mit dem besonderen Kennzeichen eines bei der Jagd benutzten Seils (kensaku), das als Symbol für die Entschlossenheit gilt, mit der sich Kanzeon für die Befreiung der Lebewesen einsetzt. 162 Vgl. den Bericht in Asahi Shinbun vom 10.5.2014.

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auf diesen Zusammenhang wird am Ende dieses Kapitels etwas genauer eingegangen werden. Angesichts der Bedürfnisse dieser Welt sind die meisten Tempel Teil eines zusammenhängenden Ganzen, das auch die vielen Shintō-Schreine des Landes mit einschließt. Hilfe für Belange des alltäglichen Lebens wird bei den übernatürlichen Kräften beider Religionen gesucht. Obwohl gemeinhin oft von einem sinkenden Interesse an „Religion“ im heutigen Japan gesprochen wird, sind viele Menschen dazu bereit, einen buddhistischen Tempel, einen Shintō-Schrein oder auch beides zu besuchen, um für Unterstützung zu beten. Das geht natürlich stets mit einer entsprechenden Geldspende einher, die zu dem steuerfreien Einkommen der jeweiligen religiösen Einrichtung beiträgt, aber gleichzeitig den Besuch zu einem rituellen Vorgang macht. Die Auswahl, an welche Gottheit man sich wenden soll, hängt vorrangig von dem speziellen Bedürfnis des Einzelnen ab. Für die Hilfe bei Augenleiden ist es beispielsweise üblich, sich an den entsprechenden Buddha, Yakushi Nyorai, zu wenden, wohingegen die Gottheiten bestimmter Shintō-Schreine als besonders hilfreich bei der Suche nach Ehepartnern angesehen werden. Die rituelle Reinigung von Fahrzeugen und Gebete für Sicherheit im Straßenverkehr werden vielfach in ShintōSchreinen angeboten, zumindest soweit man zu einer bestimmten Stelle hineinfahren kann. So etwas kann es aber auch in buddhistischen Tempeln geben. Ein gutes Beispiel dafür liefert der große Shingon-Tempel Heikenji in Kawasaki nahe Tokyo, der unter dem Namen „Kawasaki Daishi“163 bekannt ist. Dieser zwanglose Wechsel zwischen buddhistischen und shintōistischen Gottheiten wird, wie häufig betont wird, von den meisten buddhistischen Geistlichen toleriert. Es darf aber nicht vergessen werden, dass es sehr wohl Teilgruppen gibt, die dies ablehnen, besonders im Shin-Buddhismus, der schließlich selbst eine große Zahl Anhänger hat. Nach dem Verständnis Shin-buddhistischer Lehren ist der Gedanke, kleine Zuwendungen in Form von Zeit oder Geld zu machen in der Hoffnung, dadurch Vorteile zu erhalten, nicht mehr als eine Versuchung, sich auf die „eigene Kraft“ zu verlassen. Aus anderen Gründen ist auch die oben erwähnte Sōka Gakkai in dieser Hinsicht exklusiv, zumindest theoretisch, da ihrer Ansicht nach alle positiven Entwicklungen auf die Verehrung ihres eigenen zentralen Verehrungsobjekts zurückgehen – das der Nichiren-Tradition entlehnte Mandala. Normalerweise ist gohonzon die allgemeine Bezeichnung für das höchste Verehrungsobjekt eines jeden buddhistischen Tempels, je nachdem, welcher Buddha oder Bodhisattva dort beheimatet ist. Im Fall der Sōka Gakkai wurde „Gohonzon“ jedoch zu einem Eigennamen für „das“ ultimative Gohonzon, im Vergleich mit dem alle anderen in die Bedeutungslosigkeit abgleiten.

163 Daishi („großer Lehrer“) bezieht sich hier auf Kōbō Daishi.

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Wenn man diese besonderen Fälle einmal außen vor lässt, wird deutlich, dass die meisten buddhistischen Tempel mit einem Bezug zum Tendai, Shingon oder Jōdo, und sogar Zen-Tempel mit lokalen Aufgaben, eine Reihe von Möglichkeiten anbieten, um diesseitige Vorteile zu erbitten, und sei es nur durch Votivtafeln (ema). Im Fall von Tendai und Shingon gibt es oft noch eine weitere Möglichkeit, Fürbitten (kigan) vorzubringen, und zwar durch das goma-Ritual. Hierbei werden die Gebete oder eine spezielle Bitte mit dem Namen des oder der Gläubigen auf ein kleines Holzstück (gomaki) geschrieben und zu einem festgesetzten Zeitpunkt von prunkvoll gekleideten Mönchen verbrannt. Ob die Gläubigen dabei anwesend sind, ist irrelevant. Die Zeremonie findet normalerweise innerhalb des Tempels statt und wird von Gesängen und Schlaginstrumenten begleitet. Die Fürbitten werden durch die Verbrennung vor den Buddha gebracht, und gleichzeitig reinigen die Flammen alles diesseitige Begehren, das mit den Wünschen einhergeht. Dieser zweite Aspekt ist für die Gläubigen in der Regel nicht ersichtlich, und sie hoffen einfach, dass ihre Fürbitten gehört werden. Es ist üblich, einen buddhistischen Tempel an einem bestimmten Tag des Monats zu besuchen. Einen solchen Tag nennt man ennichi, ein Tag der Affinität und Verbundenheit. Einige wichtige solche Tage sind die Folgenden: Yakushi Nyorai – 8. Tag des Monats; Kannon Bosatsu – 18. Tag des Monats; Kōbō Daishi (Kūkai) – 21. Tag des Monats; Benzaiten – 22. Tag des Monats; Jizō Bosatsu – 24. Tag des Monats; Fudō-son – 28. Tag des Monats. Wiederholte Tempelbesuche zu den ennichi können eine Möglichkeit für die Befragung des eigenen Glücks, der allgemeinen Verehrung oder auch das Vorbringen einer speziellen Bitte sein. In einigen Fällen, wie dem Shingon-Tempel Arai Yakushi in Nakano oder dem Tōji in Kyōto, gibt es als besonderes Angebot an diesen Tagen Märkte im Freien mit Antiquitäten und Recyclinggegenständen. Gelegenheitsbesucher dieser Märkte übersehen leicht, dass an diesem Tag auch viele religiöse Transaktionen oder andere Rituale wie Sūtra-Rezitationen in den Hallen stattfinden. Jedes Einzelgebet vor einer Buddhastatue wird von einem einfachen Zusammenlegen der Hände begleitet, nicht einem Klatschen, wie es an Shintō-Schreinen der Fall ist. Diese Gebetsgeste der Hände wird gasshō genannt, und obwohl „buddhistisch“, wird sie oft im täglichen Leben vor Beginn des Essens ausgeführt. In einem Tempel, vor einem Bildnis oder dem buddhistischen Hausaltar drückt sie entweder Dankbarkeit oder die Bitte um Unterstützung oder auch beides aus. Ein weiteres Angebot, das mehr oder weniger kommerzialisiert wurde, ist die Bereitstellung von oftmals sehr großen Flächen, auf denen gespendete, kleine Statuen von Jizō Bosatsu aufgestellt werden. Jede einzelne dieser Statuen steht für ein Kind. Einige stehen für im Säuglingsalter gestorbene Kinder, die meisten jedoch für Embryos, bei denen sich die Frauen für eine Abtreibung entschieden haben. Diese Statuen und ihre Pflege haben die seelsorgerliche Aufgabe, den Frauen dabei zu helfen, ihre Gefühle, häufig Reue oder Schuld, zu verarbeiten. Sie

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geben ihnen das Gefühl, das Nötige für das Lebewesen, für das sie verantwortlich waren, getan zu haben. Männer scheinen an dieser Praktik keinen Anteil zu haben. Jizō Bosatsu ist in weiten Teilen West-Japans auch als eine Weggottheit in den lokalen Gemeinden präsent und unter kleinen Holzunterständen, so genannten hokora, beheimatet. Die Bildnisse sind meist wenig mehr als unbehauene Steine, die einen roten Latz tragen, aber sie werden von der Bevölkerung gut versorgt. In der Regel stellen Bewohnerinnen der Umgebung für jede der Jizō-Statuen eine Tasse Tee in den Unterstand. Oft sind es zwei oder drei Statuen, manchmal aber sogar mehr, und die Zahl der Tassen passt genau. Die meisten Fußgänger gehen einfach daran vorbei, aber einige bleiben kurz stehen und legen die Hände in der gasshō-Haltung zum Gebet zusammen. Während eines Festes für die Nachbarschaft in den heißen Sommermonaten, „o-bon für Kinder“ (kodomo o-bon) genannt, wird die buddhistische Verbindung durch ein kurzes Ritual gestärkt, das durch einen extra dafür bestellten Tempelpriester durchgeführt wird. Dabei ist die Denomination unerheblich, und der Priester rezitiert Texte seiner Wahl. Während viele Angebote in den Tempeln einer hergebrachten Routine folgen, werden auch neue Möglichkeiten entwickelt, um die buddhistische Botschaft in zugänglicher Weise, etwa durch Mangas oder Musik, zu verbreiten. Kürzlich war in dem Jōdo-Tempel Daikichiji164 in Tokyo ein junger Tempelpriester namens Kanamori Shōken zu sehen, der mit geschorenem Kopf und buddhistischen Roben „Biwa-Predigten“ durchführte. Er nutzte die Musik der japanischen Laute (biwa), um originelle erzählerische Ausführungen über buddhistische Lehren zu begleiten. Einige Traditionen, wie die Tendai-, Shingon- und Jōdo-Schulen, geben ihrem Klerus eher größere Freiheiten bei der Entwicklung neuer Verbreitungswege für die buddhistischen Lehren. Andere halten hingegen sehr streng an den klassischen Mustern der Lehrinhalte fest, besonders in der Shin-shū und der Sōtō-shū. Trotzdem versuchen auch sie, die Werte des Buddhismus in einer leicht verständlichen, weniger lehrhaften Weise zu vermitteln. Als Beispiel hier ein kurzer Auszug aus einem Text, der von einer der führenden Shin-shū-Schulen, der Honganji-ha mit Zentrum im Nishi Honganji, veröffentlicht wurde. LEHRE. – An die Lehre des Namu Amida Butsu glauben, sich freuen über das Wissen, dass man zweifellos zur Buddhaschaft gebracht werden wird, und somit für die Welt und andere leben. LEBENSWEISE. – Die Schule (shūmon) ist eine Gemeinschaft (kyōdan) gleichgesinnter Menschen, vereint in der Freude eines gemeinsamen Glaubens. Die Gläubigen sind umsichtig in Worten

164 Der Name bedeutet „Tempel des Großen Glücks“.

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Entwicklung und Vielfalt des japanischen Buddhismus und Taten, menschenfreundlich und gesetzestreu, und sie arbeiten zusammen, um das wahre Gesetz des Lebens (nori) in der Welt zu verbreiten. – Da sie eine tiefe Einsicht in den Bezug zwischen Ursache und Wirkung haben, vollführen sie keine diesseitigen Gebete und Beschwörungen und verlassen sich nicht auf Aberglauben und Weissagungen. JŌDO SHINSHŪ-LEBENSGRUNDSÄTZE. – Stark und heiter durch das Leben gehen, an das Gelübde des Buddha glauben und seinen erhabenen Namen rezitieren. – Mit Dankbarkeit fleißig sein, auf das Licht des Buddha sehen und stets über sich selbst reflektieren. – Das wahre Gesetz des Lebens verbreiten, den Lehren des Buddha folgen und den richtigen Pfad annehmen. – Sich selbst der Gesellschaft verschreiben, sich freuen über die Gnade des Buddha und andere respektieren und unterstützen.165

Es ist auffällig, dass dieser Text sich auf eine einfache, moderne Form des Ausdrucks konzentriert und sogar die konkreten Inhalte der Shin-buddhistischen Lehren kaum aufnimmt. Es werden keine direkten Zitate von Shinran oder Rennyo verwendet, genausowenig aus einem der relevanten Sūtras. Dabei ist es an vielen Tempeln aller Schulen durchaus üblich, inspirierende Zitate ihrer Gründer oder Lehrmeister auszuhängen. Diese sind in Schaukästen an den Tempeleingängen zu sehen und werden regelmäßig ausgetauscht.

16.4. Globales Bewusstsein und japanischer Buddhismus in Übersee Mit der Zunahme eines globalen Bewusstseins in den letzten Jahrzehnten hat auch das Interesse an den indischen Wurzeln des Buddhismus unter Buddhisten in Japan zugenommen. Besonders beliebt sind Reisen, die auch in gewissem Sinne „Pilgerfahrten“ sind, zu den historischen Stätten in Indien, die häufig durch Spenden aus Japan unterstützt werden. Ein gewisses Bewusstsein einer buddhistischen Ökumene wird durch das Aufstellen großer Banner in den Farben der „buddhistischen Flagge“ vor Tempeln gestärkt. Leider wird dabei keine Rücksicht auf die ansonsten meist eindrucksvolle Ästhetik der Tempelgebäude genommen. Von Japan aus wird auch der personelle Austausch mit Buddhisten anderer Länder betrieben und der Besuch von Geistlichen zu den verschiedensten Gelegenheiten, wie etwa Konferenzen oder Symposien, wird gerne gesehen.

165 Auszug eines kurzen Textes namens Jōdo Shinshū no Kyōsho („Die Botschaft der Jōdo Shinshū“) aus einem Handbuch für Gläubige mit dem Titel Shinshūgongyōshū (undatiert, aber aus den 1980er Jahren).

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Japanische Gruppen haben sich auch in bemerkenswerter Weise in Übersee etabliert. Da sie in der Regel mit den Immigranten kamen, finden sich die größten Zentren außerhalb Japans in den USA, besonders auf Hawaii und in Kalifornien, sowie in Brasilien und Lateinamerika im Allgemeinen. Durch den Generationenwandel und das Interesse der nicht-japanischen Bevölkerung kam es zu einer nicht unwesentlichen kulturellen Adaption. Die Tempel haben daher oftmals Stühle, es werden Lieder gesungen und Gemeindeleiter beider Geschlechter werden als „Pfarrer“ oder „Bischöfe“ bezeichnet. Zen-buddhistische Einrichtungen widerstehen diesem Trend in gewissem Maße zugunsten der Erwartungen westlicher Praktizierender. Innerhalb der japanischen Gesellschaft beschäftigt man sich vor allem mit der Überwindung unterschiedlicher Formen von Diskriminierung, mit Alter und Pflege und mit Krisenhilfe bei nationalen Katastrophen. Solche Themen haben in letzter Zeit unter der Bezeichnung „engagierter Buddhismus“ Aufmerksamkeit erhalten – positive und negative.166 Dieser engagierte Buddhismus ist jedoch nicht ganz so neu, wie auf den ersten Blick erscheinen mag. Ein deutlich früheres Beispiel findet man bereits ab den 1880er Jahren, während Japans erster großer von Menschen verursachter Umweltkatastrophe, der Vergiftung des landwirtschaftlich bedeutenden Flusses Watarase durch das Kupferbergwerk in Ashio, als sich der Sōtō-ZenTempel Unryūji in der Präfektur Gunma als regelmäßiger Versammlungsort der protestierenden Bauern zur Verfügung stellte.167 Einige große Tempel, besonders der Higashi Honganji und der Nishi Honganji des Shin-Buddhismus, haben eine führende Rolle in der Friedensarbeit übernommen. Außerdem haben sich prominente Buddhisten verschiedener Schulen und beider Geschlechter an der Kampagne gegen die Abschaffung des 9. Paragraphen der japanischen Verfassung beteiligt, der den Einsatz von Krieg zur Lösung internationaler Konflikte untersagt.

16.5. Gelehrtenbuddhismus Buddhistische Wissenschaft im heutigen Japan ist ein komplexes Phänomen. Auch nach der Verbreitung wissenschaftlicher Forschungsmethoden im modernen Sinne im 19. Jahrhundert besteht heute noch eine enge Verbindung zu den führenden Schulen des Buddhismus, aus dem einfachen Grund, dass diese vielfach die Universitäten unterhalten, an denen eine solche Wissenschaft stattfindet. Neben „Buddhismus-Studien“ (bukkyōgaku) gibt es daher an solchen Universitäten auch wei-

166 Der aus dem Englischen stammende Ausdruck bedeutet so etwas wie gesellschaftlich involviert. Vgl. Main/Lai 2013 für eine neuere Diskussion. 167 Die jahrzehntelange Protestbewegung wurde von dem Abgeordneten Tanaka Shōzō (1841–1913) in aufopfernder Weise betreut. Für eine ausführliche Biographie siehe Strong 1977.

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terhin Kurse für die spezifischen Lehren der jeweiligen Tradition. Neue Laienbewegungen wie Reiyūkai, Risshō Kōseikai und Sōka Gakkai finanzieren eigene Forschungsinstitute mit umfangreichen Veröffentlichungsprogrammen. An der Tokyo-Universität, einer säkularen staatlichen Einrichtung, sind die Buddhismus-Studien mit der Indologie (im älteren philologischen Verständnis) zusammengelegt. Hier wird auch die größte wissenschaftliche Zeitschrift für „Indische und Buddhistische Studien“ in Japan herausgegeben, Indogaku bukkyōgaku. Wie in früheren Zeiten gab es weiterhin Persönlichkeiten, die besonders prägend waren. Hier kann nur eine kleine Auswahl genannt werden, um einen Eindruck über die Vielfalt des Feldes zu vermitteln. Yanagida Seizan (1922–2006) ist vor allem bekannt für seine Forschung zur chinesischen Chan-/Zen-Tradition. Neben der weithin anerkannten Qualität seiner Arbeit ist er ein hervorragendes Beispiel für das Wechselspiel zwischen den entsprechenden Universitäten. Im Laufe seines Lebens war er an der Rinzai-nahen Hanazono-Universität, der Shin-buddhistisch geprägten Ōtani-Universität und schließlich der säkularen Kyōto-Universität tätig. Inagaki Hisao (geb. 1929; buddhistischer Name Zuiō) war über zehn Jahre Dozent an der Universität London und wurde dann Professor an der Ryūkoku-Universität. Er ist bekannt für seine an ein sowohl westliches als auch östliches Publikum gerichteten Arbeiten und Übersetzungen. Neben Aspekten des Shin-Buddhismus behandelte er weitere Themen wie Kūkais Sokushin jōbutsugi168 und veröffentlichte nützliche terminologische Wörterbücher wie ein Glossary of Zen Terms.169 Nakamura Hajime (1912– 1999), der lange Zeit Professor an der Tokyo-Universität war, ist international bekannt für Ways of Thinking of Eastern Peoples170 sowie umfassende Übersichten und Nachschlagewerke (auf Japanisch) zum Buddhismus in Japan. Sein Lebenswerk kann als weitere Station in der Entwicklung des umgekehrten Orientalismus („reversed orientalism“) gesehen werden. Das gilt besonders mit Blick auf seine Gründung der Tōhōgakuin („Die östliche Akademie“), die öffentliche Kurse über unterschiedliche Themen der Buddhismus-Studien anbietet, einschließlich des indischen Buddhismus. Die Erwähnung dieser Personen gewährt nur einen kurzen Einblick in den hochentwickelten Bereich der japanischen Buddhismus-Studien, die sich nicht nur auf japanische Quellen und Schulen beziehen, sondern auf die gesamte asiatische Welt, in der der Buddhismus verbreitet war und ist.

16.6. Buddhismus und die Ahnen Kehren wir aber nun zum Buddhismus der japanischen Bevölkerung zurück, wie er sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt hat. Obwohl viele Tempel und ihre

168 Inagaki 1975. 169 Inagaki 1991. 170 Nakamura 1968.

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Priesterschaft sich der heutigen Welt zugewandt haben, wie oben gezeigt wurde, beziehen die großen Schulen ihren Einfluss weiterhin vor allem aus Beerdigungen und Friedhofsdiensten. Das mag jedoch negativer klingen als es eigentlich ist. Im Japanischen gibt es zwar den schon erwähnten abschätzigen Ausdruck sōshiki bukkyō, „Beerdigungsbuddhismus“. Angemessener ist es jedoch, an die „Pflege der Ahnen“ zu denken, wofür es ebenfalls eine japanische Bezeichnung gibt, nämlich senzo kuyō. Im Deutschen findet man die Übersetzung „Ahnenverehrung“, die bis zu einem gewissen Maß gerechtfertigt ist. Kuyō impliziert jedoch, dass man sich um die Ahnen (senzo) kümmern muss. Tut man dies nicht, so ist die Annahme, dass es ihnen nicht gelingt, Buddhas (hier hotoke) zu werden. Sie bleiben dann stattdessen in einem Schwebezustand als unglückliche Seelen. Sorgt man jedoch für sie, können sie vielleicht noch in ihrem eigenen Bereich im Jenseits davon profitieren und im Gegenzug durch den Hausaltar weiterhin bei den Lebenden präsent sein, um bei Bedarf Orientierung und Unterstützung zu gewähren. Es ist aber nicht so, dass es keine Veränderungen gegeben hätte. Die Tempel müssen sich mit dem demographischen Wandel auseinandersetzen, etwa wenn durch die Abwanderung der Bevölkerung in urbane Zentren immer weniger typische Haushalte bestehen, in denen drei Generationen gemeinsam leben. Der Erwerb einer Grabstelle wird immer teurer, da die Besitzungen der Tempel aus verschiedenen Gründen stetig verkleinert wurden. In den Ballungsgebieten ist die Versuchung groß, die Friedhöfe so stark zusammenzudrängen wie möglich, um Einnahmen aus neuen Wohnanlagen oder Parkplätzen zu bekommen. Es hat sich ein Wettbewerb mit kommerziellen Bestattungsunternehmen entwickelt, die zum Teil eigene, neue Friedhofsgelände außerhalb der Stadt anbieten, preiswerte Komplettpakete vermarkten und „unabhängig“ von der konfessionellen Zugehörigkeit arbeiten. Solche Angebote sind vor allem für kleine Familien attraktiv, deren soziales Netzwerk geschwächt ist und die trotzdem Vorsorge auch für die Ahnen treffen müssen. Hierin besteht auch ein Teil der Attraktivität von modernen Laienbewegungen wie Reiyūkai, Risshō Kōseikai oder Busshogonenkai. Sie betonen die Ahnenverehrung sehr und bieten gemeinschaftliche Rituale dafür an. Dass Tradition in solchen Angelegenheiten wichtig ist, wird jedoch nach wie vor weitgehend angenommen, so dass die großen Denominationen, die schon die Edo-Zeit dominierten, auch heute noch einflussreich sind. Im Allgemeinen ist es die Aufgabe des ältesten Sohnes, den buddhistischen Hausaltar zu übernehmen und sich darum zu kümmern. In diesem Zusammenhang werden Hausbesuche durch den entsprechenden Tempelpriester zu besonderen Zeiten im Jahr arrangiert: Neujahr, die beiden Higan-Zeiten zu den Tag-und-Nachtgleichen und das Hochsommer-Fest der Toten, o-bon. Dieses Familienzentrum wird honke genannt, die Hauptfamilie. Sollte es jedoch notwendig werden, kann auch ein anderes Familienmitglied die rituellen Aufgaben übernehmen. Sollte es aus irgendwelchen Gründen eine schwerwiegende Spaltung der Familie geben, kann außerdem eine neue honke gebildet werden. Es ist jedoch unüblich, die Schulzuge-

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hörigkeit zu wechseln, außer im Zuge einer Heirat. Daher wissen ältere Familienmitglieder oftmals sehr genau, welcher Schule sie angehören. Jüngere Familienmitglieder sind eher unsicher und verwechseln zum Beispiel Shingon und Shinshū, die ein wenig gleich klingen, obwohl sie so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht. Aber auch ältere Menschen sind unter Umständen wenig an den übrigen Angeboten „ihrer“ Schule interessiert. Nur weil eine Familie dem Sōto-Zen angehört, bedeutet das zum Beispiel nicht, dass die Familienmitglieder selbst zazen praktizieren möchten. In der Hauptfamilie findet sich der für die entsprechende Schule passende buddhistische Hausaltar (butsudan). Falls sich die Familienverhältnisse ändern, mag es notwendig werden, einen neuen butsudan anzuschaffen, und in den Tageszeitungen finden sich immer wieder Flyer mit entsprechender Werbung. Darin wird auf die Besonderheiten der einzelnen konfessionellen Varianten eingegangen, der Preis kann bei ein bis drei oder sogar vier Monatsgehältern liegen. Einigen dürfte die Ausstattung der buddhistischen Hausaltäre etwas überschwänglich oder gar abschreckend vorkommen, jedoch befinden sie sich meistens hinter den Türen eines speziellen Schranks, der als butsuma („Buddhazimmer“) bezeichnet und nur zu rituellen Zwecken geöffnet wird. Eine neuere Entwicklung sind butsudan, die mit einer glatteren Oberfläche modernen Holzmöbeln ähneln. Es ist üblich, die Ahnentafeln (kaimyō) sowie Fotografien der Verstorbenen in dem Butsudan aufzustellen. Die Verstorbenen werden mit symbolischen Mengen an Essen und Trinken versorgt, und eine kurze tägliche Rezitation ist üblich. Die Ahnen können auch direkt angesprochen werden, um eine Berichterstattung entgegenzunehmen, oder wenn Rat erwünscht ist.

16.7. Ausblick Da das hier geschriebene ein historischer Abriss ist, mag es nicht angemessen sein, über die Zukunft zu spekulieren. Und doch wächst die Zukunft aus der Vergangenheit, sieht man von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunamis und menschengemachten Katastrophen wie Kriegen und Unfällen einmal ab. Vieles aus der Vergangenheit verbleibt in der Gegenwart, wo es ständig neu definiert und ausgelotet wird. Von führenden buddhistischen Mönchen, Tempelpriestern und Lehrern in Japan kann also erwartet werden, dass sie weiterhin die Geschichte ihrer Traditionen aufmerksam untersuchen. Gleichzeitig werden sie nach modernen Ausdrucksformen für neue Generationen suchen, die möglichst weit mit der kostbaren Vergangenheit übereinstimmen. Die normale Bevölkerung wird weiterhin ihre Ahnen verehren und versorgen, auf gelegentliche Vorteile in ihrem eigenen Leben wie die Erleichterung von Leiden und gutes Gelingen hoffen und die architektonischen und ikonographischen Schätze der buddhistischen Tradition ihres Landes in Ehre halten. In einigen Fällen, meist später im Leben, werden sie

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außerdem in Erwägung ziehen, durch Lektüre, Vorträge, Pilgerfahrten, Meditationsübungen und den Besuch sowohl von Sonderausstellungen als auch von eindrucksvollen rituellen Ereignissen sich persönlich in einem buddhistischen Sinn weiterzuentwickeln.

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B. BUDDHISMUS

IM

WESTEN

GESCHICHTE UND ANALYSE DER ANPASSUNG UND ETABLIERUNG DES BUDDHISMUS IN LÄNDERN AUßERHALB ASIENS Martin Baumann

1. Einleitung und konzeptionelle Vorüberlegungen 1.1. Zielsetzungen des Beitrages Buddhistische Ideen und Philosophie sind seit mehr als 300 Jahren in Ländern Europas bekannt und erste Immigranten buddhistischen Glaubens aus China und Japan kamen vor 150 Jahren nach Nord- und Südamerika. Seitdem sind zahlreiche buddhistische Lehrer, Orden, Schulen und Traditionen aus Ländern Asiens über unterschiedliche Rezeptionswege und Zuwanderungen in wohl alle Länder Europas, in die zwei Amerikas, in Länder Afrikas und nach Australien sowie Ozeanien gekommen. Der Beitrag rekonstruiert die vielen Geschichten und unterschiedlichen Entwicklungen der Aufnahme, Neuinterpretation, Etablierung und Anpassung buddhistischer Lehrinhalte und Praktiken durch zahlreiche Mönche, Nonnen und Priester sowie Lehrer und Lehrerinnen in Ländern außerhalb Asiens. So wie der gelebte Buddhismus in Ländern Asiens sehr unterschiedlich in Ausdruck und Form ist, so ist das Erscheinungsbild des Buddhismus außerhalb Asiens ebenfalls durch eine große Unterschiedlichkeit geprägt. Die ganze Bandbreite Theravāda-, Mahāyāna- und tibetisch-buddhistischer Traditionen ist außerhalb Asiens häufig in einem Land und nicht selten in einer Großstadt mit zahlreichen Gruppen unterschiedlicher buddhistischer Traditionen zu finden. Der Beitrag verfolgt vier Ziele: Er rekonstruiert erstens die Geschichten der Aufnahme und Interpretation buddhistischer Ideen und Praktiken in Ländern außerhalb Asiens vom 17. bis zum frühen 21. Jahrhundert, mit dem Schwerpunkt deutschsprachiger Länder. Zweitens analysiert er mit Hilfe der Feldtheorie Pierre Bourdieus, welche Angleichungsprozesse und Neuerungen buddhistische Interpreten und Interpretinnen aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Kontexte vornahmen. Die Feldtheorie in Kombination mit konzeptionellen Überlegungen zu Religionskontakten stellt die theoretisch-analytische Rahmung der Geschichten buddhistischer Rezeption und Interpretation im Westen dar. Der Beitrag zeigt drittens auf, wie Entwicklungen in westlichen Ländern in engen Wechselwirkungen mit Reformen in Ländern Asiens stehen. Gänzlich anders als vielfach angenommen sind viele buddhistische Neuerungen nicht

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vornehmlich in westlichen Ländern, sondern oftmals zuerst aufgrund von Neuinterpretationen in asiatischen Ländern erfolgt. Buddhismus im Westen zeigt sich hochgradig interdependent im globalen Austausch mit Neuerungen in Asien. Viertens gilt es die in Europa, Nordamerika und vielen weiteren Ländern dominanten gesellschaftlichen Megatrends der Individualisierung, Säkularisierung und Kommerzialisierung mit ihrem Einfluss auf buddhistische Interpretationen und Reaktionen darzustellen. Ein kurzer Schluss rekapituliert wichtigste Ergebnisse. Der Begriff des ‚Westens‘ – vom Blickpunkt Europas, mit Ausnahme Australien und Ozeaniens, die westlich von Asien gelegenen Länder – ist hier übergreifend zur Bezeichnung der unterschiedlichen Länder Europas, der zwei Amerikas sowie der Länder Afrikas und Australiens verwendet. Konzeptionelle Ansprüche sind mit dem Begriff des Westens nicht verbunden.1 Vielmehr ist die Pragmatik leitend, nicht stets die Vielzahl an Ländern aufzählen zu müssen und eine geografisch deskriptive – nicht wertende oder normative – Bezeichnung zu verwenden. Die große Unterschiedlichkeit der Länder hinsichtlich der Trennung von Politik und Religion, kultureller und politischer Vielfalt, gesellschaftlicher Exotisierungs- und Gefährdungsdiskurse und vielem mehr soll keinesfalls durch den Begriff überdeckt werden. Der Beitrag wird nicht auf die in der Literatur mittlerweile vielfach aufgearbeiteten ‚issues‘, demnach Themen eingehen wie bspw. (Un-)Gleichheit von Männern und Frauen im Buddhismus, Rollenaspekte von Ordinierten und Laien, die Konzipierung eines sozial engagierten Buddhismus sowie Psychologie und Buddhismus. Eine Darstellung würde den Rahmen der ohnehin überaus vielfältigen Entwicklungen und Anpassungsprozesse in Ländern außerhalb Asiens sprengen.2 Aus konzeptionellen Gründen unterlässt der Beitrag es zudem, auf die kontrovers debattierte Unterscheidung von zwei Buddhismen, dem von Immigranten und Immigrantinnen praktizierten Buddhismus auf der einen und dem von Konvertiten und Konvertitinnen auf der anderen Seite, einzugehen.3 Shannon Hickey kritisiert diese Strukturierung des US-amerikanischen Buddhismusfeldes als Ausdruck von Definitionsmacht und verstecktem Rassismus von weißen akademischen Forschern, auch Victor Hori erachtet solch eine Zweiteilung als fehlerhafte Stereotypik angesichts der Vielfalt buddhistischer Traditionen und Schulen in Nordame-

1 So prominent Hall 1992 und Ferguson 2011. 2 Zu diesen Themen siehe Prebish 1979: 180–193; Kornfield 1988; Baumann 1995: 268–309; Prebish/Tanaka 1998: 183–286; Prebish 1999: 51–93, Prebish/Baumann 2002: 245–347; Seager 2012: 207–247 und jüngst Mitchell 2016, Teil 3. 3 Den Beginn markierte Prebish 1979: 51, präzisiert in Prebish 1993. Zur Debatte der ‚Zwei Buddhismen‘-These siehe u. a. Numrich 1996: 63–79; Prebish 1999: 57–63; Baumann 2002; Numrich 2003; Seager 2012: 265–280.

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rika.4 Der Autor schließt sich der Kritik an und folgt dem Ansatz von Wendy Cadge, angesichts von vielen Gemeinsamkeiten der differenzierten Buddhismen im Westen vielmehr von einem Spektrum unterschiedlicher Ausdrucks- und Zugangsformen auszugehen. Zugänge von westlichen Konvertiten und aus Ländern Asiens immigrierten Buddhisten sind nicht als Endpole des Spektrums, sondern als je spezifische Ausprägungen auf dem breiten Spektrum buddhistischer Handlungen und Orientierungen zu verstehen.5 Die leitende These des Beitrages ist, dass buddhistische Entwicklungen und Neuinterpretationen in westlichen Ländern vielfach ihre Vorläufer in Ländern Asiens hatten und dass der Buddhismus im Westen nur als globaler, mit Prozessen in Asien eng verknüpfter Buddhismus gedacht werden kann.

1.2. Theoretisch-analytische Rahmung: Religionskontakte im religiösen Feld Bei ihrer Übertragung aus Ländern Asiens trafen buddhistische Ideen und Formen der Lebensführung in europäischen, amerikanischen und anderen Ländern nicht auf einen kulturell und ideengeschichtlich vermeintlich leeren Raum. Vielmehr waren in den jeweiligen westlichen Ländern schon je vielfältige kulturelle, religiöse, politische und soziale Vorstellungen, Traditionen und Religionsgemeinschaften vorhanden. Auf diese nahmen Interpreten buddhistischer Praxis, Lehre und Gemeinschaftsformen unweigerlich Bezug und setzten sich mit ihnen auseinander. Europäische Gelehrte des 19. Jahrhunderts beispielsweise priesen den Buddhismus als ethisch überlegene und dogmenlose Religion. Die Idealisierung bildete einerseits eine Kulturkritik im Fin de Siècle und andererseits eine Projektion, gar Hoffnung auf eine neue ethisch-religiöse Anschauung, die Vernunft, Religion und Wissenschaft miteinander versöhne. Mit buddhistischer Realität in Ceylon oder Japan hatte diese Hochstilisierung hingegen wenig gemein. In konzeptionell-theoretischer Perspektive fasst der Beitrag das Themenfeld „Buddhismus im Westen“ als vielfältige Religionskontakte in religiös-kulturell geprägten Feldern. Die Kontakte erfolgten dabei wechselseitig in Ländern außerhalb Asiens und in Ländern Asiens. Dort sahen sich buddhistische Wortführer durch den europäischen Imperialismus und Kolonialismus sowie christliche Missionen mit neuen Ideen, Herausforderungen und Techniken konfrontiert. Die resultierenden Religionskontakte im religiösen Feld der jeweiligen Länder Asiens führten zu maßgeblichen Veränderungen wie bspw. neuen religiösen Struk-

4 Hickey 2010: 3–10; Hori 2010, siehe auch instruktiv Spencer 2014. Anders als in Europa rangiert in den USA die Rassismusthematik als dominante Analyseperspektive zur Deutung und Erklärung von Ungleichheiten. 5 Cadge 2004.

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turen, neuen Autoritäten und „eine durch Vereinigungen und Zeitschriften verbundene Laien-Öffentlichkeit“, wie der Historiker Christopher Bayly dies für Ceylon festhielt.6 Diese neuen Strukturen wie etwa die laienbasierte, universalistische Mahā Bodhi Society, neue Autoritäten wie der Reformer Dharmapāla und standardisierende Vereinheitlichungen eines rationalen textbasierten Buddhismus wirkten zurück nach Europa und Nordamerika. Sie veränderten die dortigen religiösen Felder durch Bildung von Zweigstellen der Mahā Bodhi Society und Verbreitung weltzugewandter buddhistischer Ideen. Die mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzenden weltumspannenden Austauschformen, die je lokal zu Veränderungen und Neuerungen führten, charakterisierte der Kultursoziologe Roland Robertson mit dem Begriff der Glokalisierung.7 Der Begriff drückt aus, dass globale Prozesse wie Nationenbildung, Verbreitung von Druck und Text, von Bildungsidealen und Organisationsformen oder Missionsaktivitäten sich je lokal niederschlugen, dabei zugleich je lokal Partikulares hervorbrachten und betonten.8 Glokalisierungsprozesse buddhistischer Ideen und Praktiken beeinflussen und formen je religiöse Felder. Den Begriff des religiösen Feldes als wissenschaftlichanalytisches Konstrukt prägte der Sozialwissenschaftler Pierre Bourdieu in Auseinandersetzung mit Max Webers Religionssoziologie.9 Knapp skizziert stellt ein religiöses Feld einen strukturierten sozialen Raum mit eigenen Regeln und Besonderheiten dar. In diesem von ökonomischen Entwicklungen „relativ autonomen religiösen Feld“10 sind neben Wechselbeziehungen insbesondere Interessen grundlegend. Die Interessen religiöser Deutungshoheit lassen die unterschiedlichen Akteure und religiösen Spezialisten in Konkurrenz und ‚Kampf‘ um Macht treten. Das „Korps von religiösen Spezialisten“11 produziert, reproduziert, verwaltet und verbreitet monopolistisch ‚religiöse Güter‘ bzw. ‚Heilsgüter‘, während demgegenüber „Laien bzw. Profane ihres religiösen Kapitals […] beraubt sind“12. In Bourdieus Theorie ist ein religiöses Feld nicht statisch, sondern dynamisch und ‚Kräfteverhältnisse‘ können sich verändern. Beispiele sind Konkurrenzbeziehungen unterschiedlicher religiöser Spezialisten, Monopolisierungsprozesse wie auch „Anfechten des Monopols auf die Verwaltung des Heiligen“13 oder etwa das Auftreten einer neuen „religiöse[n] Botschaft, die am ehesten die religiöse Nachfrage einer

6 Bayly 2008: 419. 7 Robertson 1998: 193. 8 Robertson 1998: 200–202. Beispiel für dieses Partikulare ist in Ceylon etwa die traditionskritische, anti-ritualistische und sozial-karitative Buddhismusinterpretation des singhalesischen Patrioten Dharmapāla, siehe nachfolgend Abschnitt 2.5. 9 Bourdieu 2000, zuerst im Französischen 1971; hier zitiert nach der Ausgabe 2009. 10 Bourdieu 2009: 42. 11 Bourdieu 2009: 45, ohne Hervorhebung wie im Original. 12 Bourdieu 2009: 45, ohne Hervorhebung wie im Original. 13 Bourdieu 2009: 53.

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bestimmten Gruppe von Laien befriedigen kann“.14 Einen solchen „Eintritt neuer Heilsunternehmen […] zum Markt, aber auch die individuelle Heilssuche“15 versuchen monopolistische Verwaltungsinstanzen des ‚Heiligen‘ hingegen zu unterbinden und den Monopolanspruch und damit die Macht der Deutungshoheit zu verteidigen. Wenn auch von Bourdieu nicht explizit benannt, stellen Religionskontakte durch das Auftreten neuer ‚Akteure‘ und ‚Propheten‘, die als „unabhängige Unternehmer“16 neue ‚Heilsgüter‘ in das umkämpfte religiöse Feld einführen, Veränderungen des Feldes dar, gegebenenfalls mit einem Anfechten des vorhandenen Monopols verbunden. Beispielsweise öffneten Übersetzungen buddhistischer Schriften und erste buddhistische Konvertiten im deutsch- und englischsprachigen Raum für interessierte Laien den Zugang zum neuen ‚Heilsgut‘ buddhistischer Lehre, Philosophie und Ethik. Die Verteidigung der Macht religiöser Deutungshoheit durch christliche Kirchen zeigt sich exemplarisch in den Auseinandersetzungen zwischen protestantischen Pfarrern und ersten bekennenden Buddhisten in Deutschland um 1900. Die neue Konkurrenzbeziehung im religiösen Feld veranlasste Pfarrer, das „Monopol über die Verwaltung der Heilsgüter und der legitimen Ausübung der religiösen Macht“ vehement zu verteidigen.17 Zur Bedeutung solcher Religionskontakte im religiösen Feld hielt Volkhard Krech generalisierend fest: Religious contacts challenge religious traditions to differentiate themselves, position themselves and establish an identity and thus promote the controversy of the religious field inwardly and outwardly as well as the demarcation of boundaries. But equally, religious contacts can also lead to explicit or creeping amalgamation of elements of various traditions.18

Im Beispiel betrafen diese Herausforderungen aufgrund von Religionskontakten sowohl die Interpretation neu eintreffender buddhistischer ‚Angebote‘ durch buddhistische ‚Akteure‘ als auch die ‚Verwaltung der Heilsgüter‘ durch Pfarrer und Kirchen. Der Kontakt hat beide zur Präzisierung eigener Identität, zu Grenzziehungen und zu Angleichungsprozessen gezwungen. Die nachfolgenden Kapitel 2 bis 4 zeigen unterschiedliche Dynamiken und Wechselwirkungen solcher Identitätspräzisierungen und Angleichungsvorgänge auf.

14 15 16 17 18

Bourdieu 2009: 59. Bourdieu 2009: 63. Bourdieu 2009: 68. Bourdieu 2009: 62. Zu den Kontroversen siehe Abschnitt 2.3. Krech 2012: 199.

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2. Buddhismus im Westen – Geschichte und Analyse der Rezeption und Verbreitung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Buddhismus im frühen 21. Jahrhundert in Ländern des ‚Westens‘ ist global und hochgradig transnational vernetzt. Schon im 19. Jahrhundert hatten transkontinentale Reisen und der Austausch von Lehrern und Texten stattgefunden, jedoch ermöglichen erst neue Transportmittel seit der Mitte des 20. Jahrhunderts eine nie dagewesene Intensität der Kommunikation. Zudem befähigen die Entwicklungen des Internets und neuer sozialer Medien, dass vormals abgelegene oder ländliche Orte zu aktiv Handelnden in einem globalen Netz geworden sind. In dieser verschränkten und vernetzten Weltgesellschaft erfolgt die Aufrechterhaltung enger Kommunikation einer buddhistischen Tradition sowohl mit dem (meist) asiatischen Herkunftsland als auch mit den weltweit vorhandenen Zentren in einem historisch beispiellosen Ausmaß. Der Anfang dieser Entwicklungen und damit die Begegnung der asiatisch-buddhistischen und europäischen Welt in der Neuzeit liegt mindestens drei Jahrhunderte zurück.

2.1. Frühe Kontakte Südafrikanische Wissenschaftler stießen in ihren Forschungen auf einen eigenartigen, in der Geschichte beinahe vergessenen Versuch, den Buddhismus schon im 17. Jahrhundert in den Westen zu bringen. Im Jahre 1686 entsandte der siamesische König Narai etwa zehn Gesandte, darunter drei bhikkhus (pāli „Mönche“), um Don Pedro, den katholischen König von Portugal, in den Gebräuchen und religiösen Überzeugungen Siams zu unterweisen. Die Gesandtschaft umfasste höchstwahrscheinlich eine Sammlung von suttas (Lehrtexten) in Thai. Unglücklicherweise erlitt das portugiesische Schiff vor der Westküste von Südafrika Schiffbruch. Die siamesischen Adligen und Mönche wurden gerettet und später von der Kapkolonie aus zurück nach Siam verschifft. Die Gesandten kamen nie in Europa an; in der Folge sollte es noch zwei Jahrhunderte dauern, bis der erste voll ordinierte Theravāda-Mönch in einem westlichen Land eintraf.19 Zeitlich vor dem beabsichtigten persönlichen Kontakt waren seit dem 17. Jahrhundert erste bruchstückhafte und verzerrte Kenntnisse über Gebräuche und Kon-

19 Siehe Wratten 1995: 32–35, 336. Zu früheren Kontakten, beginnend mit der Begegnung zwischen Griechen und buddhistischen Indern im frühen 2. Jh. v. Chr., später gefolgt von der Entsendung christlicher Missionare in asiatische Königreiche, siehe Fields 1981: 13–30 und Batchelor 1994: 3–35.

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zepte der ‚fernen‘ Buddhisten Asiens nach Europa gekommen. Reisende „an die Grenzen der Alten Welt“20 und jesuitische Missionare in Tibet, China und Japan hatten unterschiedliche, wertende Berichte über den obskuren Kult des ‚falschen Gottes‘ namens „Bod“ geliefert.21 Gestützt auf diese Quellen nahm Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) zu Beginn des 18. Jahrhunderts in seiner Théodizée Bezug auf diese neue Lehre und charakterisierte sie als eine Lehre, in der alles „auf das Nichts als das erste Prinzip aller Dinge zurückzuführen“ sei.22 Diese Interpretation und Zuspitzung sollte über zahlreiche nachfolgende Dichter und Denker, so Herder, Hegel, Schelling, Schopenhauer und Nietzsche, bis weit ins 20. Jahrhundert das Bild und Verständnis des Buddhismus mitprägen.23 Im Nachgang der europäischen Aufklärung in Europa hatte die romantische Bewegung um 1800, die die Vormachtstellung des Rationalismus verwarf, eine verklärende Begeisterung für den Osten ausgelöst. Die orientalische Renaissance, erstmals 1803 von Friedrich Schlegel (1772–1829) so bezeichnet, entdeckte die asiatische Welt mit ihren religiösen und philosophischen Traditionen. Wie viele andere Romantiker war Schlegel entschlossen, der verlorenen, authentischen Spiritualität Indiens, die in Sanskrit-Texten zu finden sei, nachzugehen.24 Im Verlauf europäischer Expansionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts trugen britische, portugiesische und niederländische Kolonialherren Informationen über Bräuche und Geschichten der Völker und Regionen Asiens zusammen, auch um die eigene Herrschaft besser abstützen zu können. Die gesammelten Texte und Beschreibungen wurden nach London und Paris geschickt und erlangten in Übersetzungen eine erste Verbreitung und Aufmerksamkeit in akademisch-gelehrten Kreisen.

2.2. Buddhismus als Text und Buddha als rationaler Analytiker Orientalisten und Gelehrte hatten in Textform buddhistische Inhalte als erste im Westen bekannt gemacht. Nach den schwärmerischen Interpretationen der orientalischen Renaissance lösten in Deutschland die Schriften des Philosophen Arthur Schopenhauer (1788–1860), insbesondere sein Werk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819), unter Intellektuellen, Akademikern und Künstlern ein breites Interesse an buddhistischer Philosophie und Ethik aus. Schopenhauer wurde im Nachhinein

20 Zitat des Titels des thematisch instruktiven Beitrages von Osterhammel 1989. 21 Wessels 1992. Jesuiten verfassten lateinische Übersetzungen klassischer konfuzianischer Werke, so Prosper Intorcetta: Sapientia sinica, 1662 und Scientiau sinicae liber, 1673, siehe dazu Batchelor 1994: 161–183. 22 Leibniz [1710] 1924: 41. 23 Siehe von Glasenapp 1960: 5–60; Dumoulin 1979 und Zotz 2000. 24 Siehe im Detail Schwab 1984; Halbfass 1988 und Almond 1988.

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als „Wegbereiter des Buddhismus im Abendland“ bezeichnet.25 Schopenhauer verstand sich nicht so sehr als Interpret oder Rezipient buddhistischer Inhalte, sondern sah in der buddhistischen Lehre eine Bestätigung und Bekräftigung seiner eigenen Anschauungen. Er bezeichnete sich selbst als „Buddhaist“ und hatte im Jahr 1856 eine tibetische Buddhastatue an die Stelle des segnenden Christus in seinem Zimmer aufgestellt.26 Das Verdienst der erstmaligen Systematisierung der rasch zunehmenden Kenntnisse über buddhistische Texte und Ideen gebührt zweifellos Eugène Burnouf (1801–1852). In seinem Werk Introduction à l’histoire du buddhisme indien27 legte der Pariser Philologe eine wissenschaftliche Untersuchung der Geschichte und Lehren des Buddhismus vor. In rationaler Weise ordnete er Ideen, zwischen denen zuvor kein Bezug zueinander gesehen worden war, und schaffte damit den Prototyp des europäischen Buddhismuskonzepts.28 Weitere Textübersetzungen und neue Kenntnisse zur Figur des Buddha führten in den 1850er Jahren zu einer Welle von neuen Studien und Darstellungen. Durch sie wurde der Weg für ein zunehmendes Interesse an den philosophisch-buddhistischen Lehren eröffnet. Der Buddhismus wurde nicht von asiatischen Buddhisten exportiert, vielmehr importierten ihn europäische Orientalisten und Gelehrte als Textobjekt in Büchern und Orient-Bibliotheken. Buddhismus, wie er in Ländern Asiens tatsächlich gelebt und praktiziert wurde, war nicht von Interesse und außerhalb des Wahrnehmungshorizonts.29 Die Kenntnisnahme und das Interesse an buddhistischen Inhalten waren jedoch keinesfalls auf Europa begrenzt. An der Ostküste der Vereinigten Staaten priesen die Transzendentalisten Ralph Waldo Emerson (1803–1882), Henry David Thoreau (1817–1862) und Walt Whitman (1819–1892) in ähnlich verklärt-romantischer Weise wie Schlegel die indische Philosophie und brachten in Europa angefertigte Übersetzungen Angehörigen der amerikanischen Mittel- und Oberschicht nahe. Zeitschriftenbeiträge, Bücher und Diskussionen in Zeitungen verbreiteten buddhistische Ideen und verorteten Buddhismus, ähnlich wie in Europa, einzig in Wort und Text. In diesem religiösen Feld, dominant protestantisch und durch kulturelle Charakteristika wie Individualismus, Aktivismus und Optimismus geprägt, betonten frühe Sympathisanten die reformerischen Soziallehren des Buddha und interpretierten die Lehre – gerade auch um Differenzen zu minimieren – als ‚indischen Protestantismus‘. Protestantische Pfarrer erkannten zwar Buddhas Moral- und Soziallehre an, betonten jedoch die unzweifelhafte Überlegenheit des

25 26 27 28 29

Notz 1984: 33. Siehe von Glasenapp 1960: 66–101; Dumoulin 1979: 393–399. Burnouf 1844. Batchelor 1994: 239. Almond 1988.

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Christentums und warfen dem Buddhismus vor, atheistisch, anti-individuell und pessimistisch zu sein.30 Bis in die 1870er Jahre hinein waren tibetische, nepalesische und chinesische Texte und deren Übersetzungen maßgeblich für die Aufnahme buddhistischer Ideen und Vorstellungen in Europa und Nordamerika. Um 1880 war sodann eine doppelte Akzentverschiebung unter westlichen Sympathisanten zu beobachten: Einerseits nahmen verherrlichende Stimmen wie Sir Edwin Arnolds (1832–1904) berühmtes Gedicht The Light of Asia, das den Buddha verklärte und in der englischsprachigen, gebildeten Welt weit verbreitet war, zu. Andererseits wurden mit den Texten des Pāli-Kanons verstärkt Schriften des südlichen Buddhismus erschlossen. Den Reiz indischer Spiritualität verstärkte in organisatorischer Form die 1875 in New York gegründete Theosophische Gesellschaft. Die zwei Gründer, die extravagante Helena P. Blavatsky (1831–1891) und der ehemalige US-amerikanische Colonel Henry Steel Olcott (1832–1907), meinten im so genannten ‚prähistorischen Buddhismus‘ nicht nur die Urreligion Indiens, sondern aller Religionen entdeckt zu haben. Zweigstellen der Theosophischen Gesellschaft entstanden 1884 in Deutschland, 1897 in Österreich und 1910 in der Schweiz. 1880 reisten Blavatsky und Olcott nach Indien, dann nach Colombo, Ceylon, um die fünf Selbstverpflichtungen eines Laienbuddhisten zu nehmen. Sie waren damit die ersten westlichen Laienbuddhisten, wenn auch mit deutlich theosophischer Prägung. Olcott verblieb in Ceylon und konzipierte 1881 seinen Buddhistischen Katechismus, der zentrale Elemente eines – so von ihm konzipierten – rational-wissenschaftlichen Buddhismus zusammenfasste. Der Katechismus erreichte zahlreiche Neuauflagen und Übersetzungen in vielen westlichen Sprachen und erzielte durch das im Westen bekannte Format und die Darstellung des Buddhismus als rational und ethisch eine weite Verbreitung. Nach Richard Gombrich stellte „der buddhistische Katechismus […] den Beginn der modernen weltweiten buddhistischen Bewegung dar“.31 Nicht mehr der Saṅgha und die Mönche allein, sondern Laien wie Dharmapāla und Olcott interpretierten und verbreiteten die buddhistische Lehre.32 Nachdrücklich unterstützt wurden diese Entwicklungen durch Übersetzungen und Studien auf der Grundlage der Texte des Pāli-Kanons. Thomas W. Rhys Davids (1843–1922) gründete 1881 die Pāli Text Society mit dem Ziel, das Studium buddhistischer Texte, die in Pāli erhalten sind, und die Verbreitung solcher Texte durch wissenschaftliche Editionen und Übersetzungen voranzutreiben. David McMahan fasst die Bedeutung und Wirkung der Arbeiten von Rhys Davids und seiner Frau Caroline A. F. Rhys Davids (1857–1942) prägnant zusammen:

30 Tweed 1992: 13–24. 31 Gombrich 1996: 186. 32 Zu Olcott und dem von ihm mitgeprägten „Protestant Buddhism“ siehe Prothero 1996.

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Anpassung und Etablierung des Buddhismus außerhalb Asiens Their influence in establishing a standard interpretation of early Buddhism was immense, not only in the West but in Asia as well. Both presented Buddhism as an ethical psychology, deemphasizing ritual and religious elements. Impressed by the sophisticated analysis of mind in the Abhidharma [philosophical teachings], they were among the first to refer to Buddhism as a “science of mind”, a term that became widespread among Buddhist modernists.33

Die Interpretation und Wahrnehmung des Buddhismus als Ethik und Psychologie, nicht aber als gelebte Praxis mit religiösen und apotropäischen Ritualen, bekräftigte Interpretationen buddhistischer Reformer in Südasien und spiegelte Fortschrittsoptimismus und bürgerliche Bildungsansprüche im spätviktorianischen England wider. Der neue Primat naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Erfindungen in den religiösen Feldern europäisch-industrieller Länder prägte mit dem positivistischen Wissenschaftsbegriff auch die Deutung des Buddhismus in Südasien. Im deutschsprachigen Raum verschaffte die nunmehr ebenso Pāli-basierte Studie Buddha: Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde (1881) von Hermann Oldenberg (1854–1920) dem Buddhismus mehr Popularität als jedes andere Werk seiner Zeit. Der Pāli-Kanon galt als Darstellung der authentischen, ursprünglichen „reinen“ buddhistischen Lehre, die frei von den verfälschenden Interpretationen und Veränderungen späterer Zeiten und Traditionen sei. Die Suche nach dem Ursprung, die in der Religionsgeschichte und Anthropologie in evolutionistischen Modellen weit verbreitet war, hatte sich auch auf die wissenschaftliche Erforschung des Buddhismus niedergeschlagen.

2.3. Erste Bekenner und Vereinigungen In diesem Kontext der Idealisierung des Buddha und der Betonung von Ethik, Wissenschaftlichkeit und Rationalität traten auch erstmals Personen auf, die sich öffentlich zum Buddhismus bekannten. Paul Carus (1852–1919) war um 1880 Buddhist geworden und er entfaltete nach seiner Emigration in die USA eine rege, für buddhistische Werke wichtige Verlagstätigkeit in Chicago. Er interpretierte Buddhismus als rational-wissenschaftliche Religion, wie sein weit rezipiertes Buch The Gospel of Buddha (1894) zeigt. Aufsehen erregte sein öffentlicher Übertritt zum Buddhismus im Anschluss an eine Rede des ceylonesischen Reformers Dharmapāla (1893, Chicago); er war damit der erste bekennende Buddhist in den USA, so Rick Fields.34

33 McMahan 2008: 52. 34 Fields 1981: 129. Siehe auch Peiris 1973: 251–255 und Hecker 1997: 38–41. Carus war Gründungsmitglied des amerikanischen Zweiges der Mahā Bodhi Society (1897).

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Ebenfalls von großer Bedeutung für die Verbreitung buddhistischer Ideen war Friedrich Zimmermann (1852–1917), der unter dem Pseudonym Subhadra Bhikshu 1888 einen Buddhistischen Katechismus, gestützt allein auf Pāli-Quellen, publizierte. Im Unterschied zu Olcotts theosophisch geprägtem Katechismus verstand Zimmermann seine nachfolgend in viele Sprachen übersetzte Darstellung als „bereinigten Buddhistischen Katechismus unter ‚Weglassung allen Beiwerks‘“.35 Von ebensolcher Bedeutung waren die Übersetzungsarbeiten des Wieners Karl Eugen Neumann (1865–1915). Er war über Schopenhauers Werke und Oldenbergs Buddha „zum Buddhisten [geworden] und beschloss, sein Leben der Übersetzung des PāliKanons zu widmen“.36 Seine Übersetzungen hatten nicht nur die Pāli-Quellen, sondern auch die Zielgruppe vor Augen. Begriffe und sprachliche Gestaltung waren dem Zeitgeschmack der Gelehrten, die sich durch dichterische und künstlerische Übertragungen angesprochen fühlten, verpflichtet.37 Schon früh sind damit interpretative Angleichungen buddhistischer Inhalte an das bürgerlich-gebildete Feld zu beobachten. Im Deutschland der 1890er Jahre war das religiös-kulturelle Feld nicht nur durch den preußisch-nationalen Staatsprotestantismus geprägt, sondern auch durch viele lebensreformerische und ethisch-kulturkritische Gesellschaften wie Vegetarier-, Antialkoholismus- und Freidenkerbewegung.38 Die Rezeption buddhistischer Ideen und Ethik wurde von Protagonisten als deckungsgleich für ihre Sache angesehen. Die 1893 gegründete ‚Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur‘ sah sich in buddhistischen Aussagen in ihren Zielen der Charakterschulung, Streben nach Selbsterkenntnis und der Bildung einer ‚gottlosen Ethik‘ bestätigt.39 Der Oberpräsidialrat Theodor Schultze (1824–1898) pries offen Vedanta und Buddhismus als „Fermente für eine künftige Regeneration des religiösen Bewusstseins innerhalb des europäischen Kulturkreises“, so der programmatische Titel seiner Abhandlung.40 Schultze sah im Buddhismus die ‚Zukunftsreligion‘ und sparte nicht mit Kultur- und Christentumskritik. Er zeichnet eine grenzziehende Argumentationsschiene vor, die nachfolgende organisierte buddhistische Protagonisten noch verstärkt artikulieren sollten. Auch in Theaterstücken, Opern, Dramen oder Romanen verarbeiteten Künstler buddhistische Inhalte für ein breiteres Publikum. Die um die Jahrhundertwende so populäre Gestalt des ‚indischen Erwachten‘ gewann eine oft angeführte Vorbild-

35 Hecker 1997: 394. Zu den Übersetzungen u. a. 1889 ins Französische und Niederländische, 1890 ins Englische und Schwedische, siehe Hecker 1997: 396f. 36 Hecker 1996: 127. 37 Griese 1984 [1918]: 12 in der Einführung zum buddhistischen Werk Dhammapadam, übersetzt von Neumann. 38 Siehe Kerbs/Reulecke 1998: 73–154 und Buchholz et al. 2001. 39 Slepčević 1920: 17. Zweigstellen der ‚Ethischen Gesellschaft‘, 1876 in New York gegründet, entstanden in England 1887 und in Österreich 1896. 40 Schultze 1893.

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rolle. Künstler rezipierten zudem ausgiebig den Gedanken der Wiedergeburt und der Erlösung im Nirvāṇa. Schon Richard Wagner (1813–1883) hatte, beeinflusst durch Schopenhauers Werke, buddhistische Motive wie die Seelenwanderung und Entsagung in die Opern Tristan und Isolde und Parsifal eingeflochten.41 Kurz nach der Jahrhundertwende nahmen bekennende Buddhisten die Kritik Schultzes in energischer Weise auf. Der Indologe und Privatgelehrte Karl Seidenstücker (1876–1936) kritisierte unter dem Pseudonym Bruno Freydank die europäische Kultur und das Christentum mit scharfer Polemik. Das in analytischer Perspektive gefasste ‚religiöse Feld‘, demnach das religiös-kulturelle Umfeld, befand Seidenstücker als „ein großes Grab, äußerlich reich geschmückt mit Zierrat und Schmuck, innerlich aber morsch und voll Moder und Totengebein“.42 Der christlichen Dekadenz und dem Verfall würde nun das Licht der buddhistischen Lehren entgegenstehen und eine neue Zeit einläuten. Protestantische Pfarrer reagierten mit Vehemenz darauf und kritisierten ihrerseits den Buddhismus als Atheismus, Nihilismus und Pessimismus. In Bourdieus Begriffen verteidigten die Verwalter ‚religiöser Güter‘ ihren Monopolanspruch, während Seidenstücker als ‚neuer Anbieter‘ das Monopol anfocht und mit einem neuen ‚Heilsgut‘ in den ‚Markt‘ eintrat. Das neue ‚Heilsgut‘ interpretierte er dabei in Angleichung an den gesellschaftlichen Deutungsprimat der Naturwissenschaften als eine „wissenschaftliche, eine Erkenntnis-Religion“.43 Mit dem Buddhismus sei „eine Versöhnung zwischen Wissenschaft, Philosophie und Religion nicht nur möglich, sondern tatsächlich vorhanden“, so Seidenstücker triumphierend.44 1903 gründete Seidenstücker mit der ‚Buddhistischen Mission in Deutschland‘ die erste buddhistische Organisation in Europa. Der ‚Missionsverein‘, ebenso wie bald nachfolgende buddhistische Gesellschaften, bemühte sich in Vorträgen, Büchern, Flugschriften und Zeitschriften, die bürgerlichen, gebildeten Bevölkerungsschichten des deutschen Kaiserreiches für die buddhistische Lehre zu interessieren und zu gewinnen. Auch wenn die frühe buddhistische Bewegung einen überdurchschnittlich hohen Bildungsgrad mit zahlreichen Promovierten aufwies, so umfasste sie jedoch nicht nur Akademiker und Mitglieder der Oberschicht. Auch kaufmännische Angestellte und kleine Beamte, Journalisten und Lehrer zählten zu den Mitgliedern dieser ersten buddhistischen Gesellschaften.45 Der ‚Missionsverein‘, 1906 umbenannt in ‚Buddhistische Gesellschaft in Deutschland‘, hatte 50 Mitglieder und 500 Abonnenten der Zeitschrift Der Buddhist. Die 1909 in Breslau gegründete ‚Deut-

41 Zu Wagner und der Rezeption indischer Ideen siehe Suneson 1989. 42 Freydank 1903: 16f. 43 Seidenstücker 1907: 265. Das Christentum bezeichnete Seidenstücker an gleicher Stelle polemisch als Religion, die es „vorwiegend mit Zöllnern und Sündern versuchen und in seiner ‚Heiden-Mission‘ internationale Lumpensammler-Arbeit verrichten“ wolle; ebd. 44 Seidenstücker 1911: 32. 45 Baumann 1995: 234–239 zur Auswertung des Elternhauses und der Berufe auf der Grundlage von Hecker 1996 und 1997.

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sche Pāli-Gesellschaft‘ von Walter Markgraf (?-1915) hatte 35 Mitglieder als Höchstzahl und gab die Zeitschrift Die Buddhistische Welt heraus. Die frühen buddhistischen Zeitschriften publizierten Artikel von Buddhisten aus Ceylon, Japan, Amerika und Europa und ihre Protagonisten verstanden sich als Teil einer wachsenden internationalen Missionsbewegung. So war in London 1907 die ‚Buddhist Society of Great Britain and Ireland‘ entstanden, schon zehn Jahre zuvor hatte Dharmapāla den amerikanischen Zweig der Mahā Bodhi Society gegründet. Auch wenn die Zahl der Buddhisten begrenzt war, so traten schon früh Differenzen auf: Seidenstücker, der einen für Laien konzipierten und rational orientierten Buddhismus vertrat, zerstritt sich mit Walter Markgraf, der einen Buddhismus am Mönchsideal orientiert favorisierte. Markgraf bemühte sich, das „erste Vihāro [Kloster] auf deutschem Boden“ für Theravāda-Mönche zu gründen und der deutschgebürtige Mönch Nyānatiloka war 1909/10 dafür in die Schweiz gekommen – das Unternehmen scheiterte jedoch an zu geringen Spenden.46 Überdies gründete der Lebensreformer und Arzt Wolfgang Bohn (1871–1942?) in Kritik am weit verbreiteten akademisch-wissenschaftlichen Verständnis des Buddhismus 1912 den ‚Bund für Buddhistisches Leben‘: Der Buddhismus als „die Religion der Tat“ sollte nicht nur gedacht, sondern „zur Arbeit für das eigene Heil“ auch im persönlichen Leben umgesetzt und gelebt werden.47 Eine ähnliche Kritik äußerte der Militärpfarrer Hermann Römer, der die frühen Buddhisten polemisch als eine „geistige Aristokratie von Kennern“ bezeichnete und bemängelte, dass „zwar in weiten Kreisen mit dem Buddhismus gespielt wird, aber selten Ernst mit ihm gemacht wird“.48 Insgesamt blieben die buddhistischen Kreise und Gesellschaften klein, oft kurzlebig. Buddhisten wurden als exotisch und kurios angesehen. Abgesehen von einer Reihe bemerkenswerter Ausnahmen betrachteten viele Buddhisten und die wenigen Buddhistinnen die Annahme der fremden Lehre als intellektuelle und schöngeistige Beschäftigung.

2.4. Europäische Mittelschicht-Mönche und vergessene Lumpenmönche Die Suche nach neuer Orientierung, einfacher Lebensform und das Ideal des monastischen Lebens in Südasien führte um die Jahrhundertwende erste Entschlossene nach Ceylon und Indien. Den Beginn markierte Gordon Douglas (?-1900), englischer Aristokrat und Schullehrer im britisch-kolonialen Ceylon und 1899 als

46 Zitat Markgraf/Zimmermann 1910: 66. Markgraf war 1907/08 von Nyānatiloka als Novize Samanero Dhammanusāri in Birma ordiniert worden. Die Robe trug Markgraf nur ein halbes Jahr, siehe Hecker 1997: 188. 47 Bohn 1910: 8, 12; siehe zu Bohn auch Hecker 1997: 28f. 48 Römer 1910: 163, 174.

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Bhikkhu Aśoka in Colombo ordiniert.49 Bekannter als Douglas wurde Allan Bennett McGregor (1872–1923), der über die Theosophie und Arnolds Werk mit buddhistischen Ideen in Kontakt gekommen war. Er trat 1901 in ein burmesisches Kloster ein, wurde 1902 als Ananda Metteyya ordiniert und rief die ‚International Buddhist Society‘ und eine buddhistische Zeitschrift ins Leben. Unterstützung erhielt er von U Silacara (J. F. McKechnie, 1871–1951), 1907 in Birma zum Novizen ordiniert. Im Vorfeld der Rückkehr von Ananda Metteyya nach England gründeten T. W. Rhys Davids und andere Honoratioren 1907 die ‚Buddhist Society of Great Britain and Ireland‘, den Vorläufer der heutigen ‚Buddhist Society‘. Metteyyas London-Aufenthalt 1908 als bhikkhu (Mönch) mit geschorenem Kopf und gelber Robe erregte in der Öffentlichkeit und Presse viel Aufsehen. Doch als wenig begnadeter Redner und mit nur kurzer Anwesenheit vermochte er der stark intellektuell ausgerichteten Gesellschaft wenig Impulse zu geben.50 Aus dem deutschsprachigen Raum war Anton W. F. Gueth (1878–1957), Konzertviolinist, Vegetarier und über Schopenhauer, die Theosophie und Zimmermanns Katechismus zum Buddhismus gekommen, der als erster 1903 nach Südasien reiste und 1904 in Birma als Nyānatiloka zum Mönch ordiniert wurde. Nyānatiloka ordinierte später zahlreiche Europäer, gründete 1911 an der Südspitze Ceylons die Mönchs-Einsiedelei Polgasduwa und gewann durch seine Pāli-Übersetzungen und buddhistischen Belehrungen allgemeine Anerkennung in den gebildeten, wohlsituierten Kreisen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz.51 Diese gebildeten, der europäischen Mittelklasse zugehörigen Pioniere erlangten durch ihr organisatorisches und editorisches Wirken große Bekanntheit in Europa und wurden aufgrund ihres Standes in eben der Mittel- und Oberklasse weithin geschätzt. Sie bildeten bislang das Meisternarrativ wissenschaftlicher Rekonstruktionen der Anfänge des Buddhismus im Westen.52 Doch schon Nyānatiloka hatte in seiner Autobiographie in einer Seitenbemerkung auf die Anwesenheit weiterer Mönche europäischer Herkunft in Südasien verwiesen: 1904 machte ich, von einem singhalesischen Aufwärter begleitet, eine Seereise nach Singapur […], wo ich zuerst bei dem irischen buddhistischen Mönch U Dhammaloka, von zweifelhaftem Ruf, abstieg und dann später bei einem sehr freundlichen, zwar verheirateten japanischen Priester ca. 14 Tage wohnte.53

Wer war dieser ‚irische buddhistische Mönch‘, von Nyānatiloka zwar erwähnt, jedoch abschätzig zur Seite geschoben und lange Zeit in der Forschung übersehen?

49 Nyānasatta 1967: 109; Webb 1969: 63. 50 Humphreys 1968: 1–7; Oliver 1979: 43–45 und besonders Harris 2013. 51 Zu Nyānatiloka siehe die kommentierte Autobiographie in Hecker 1995, ebenso Carrithers 1983: 26–45 und Hecker 1996: 58–83. 52 So Peiris 1973: 60; Bechert 2002: 340f.; Almond 1988: 147; Baumann 1995: 53; Bell 2000: 7f.; Payer 2005: Abschnitte 1–2 und 6. 53 Hecker 1995: 21.

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Ein interdisziplinäres Forscherteam hat jüngst das Leben von U Dhammaloka, der nicht den gebildeten Mittelschichten, sondern vermutlich der Arbeiterschaft Dublins (geb. ca. 1850–1856) entstammte, rekonstruiert: Als junger Mann kam er über die USA und Japan um 1880 nach Birma. Dort trat er weniger aus romantischverklärenden Motiven, als vielmehr aus pragmatischen Gründen in den Saṅgha ein. Als nunmehr U Dhammaloka war er 1901–1911 in Birma, Singapur und Japan organisatorisch und als viel beachteter Redner tätig, nach 1914 verlieren sich die Spuren. Zeitungen und Zeitzeugen in Britisch-Indien berichteten über Dhammaloka, weil er energisch gegen christliche Missionare und Missionen in Birma antrat und Burmesen aufrief, ihren Buddhismus zu verteidigen. Dhammaloka sprach 1902 bei der Gründung der ‚International Young Men’s Buddhist Association‘ in Tokyo als einziger Europäer, gründete 1903 die ‚Siam Buddhist Society‘ und die Antialkoholiker-Gesellschaft in Bangkok mit und rief 1907 die ‚Buddhist Tract Society‘ in Rangoon ins Leben.54 In den Traktaten pries er den Buddhismus als höchste Religion und der bekennende Atheist und Freidenker kritisierte das Christentum und die Missionare als falsch, minderwertig und von schädlichem Einfluss. Zu seiner Bedeutung als einer von vielen der oft verarmten und wenig gebildeten bhikkhus aus Europa,55 die die Forschung bislang aufgrund des middleclass bias vieler westlicher Forschender übersah, hält Cox fest: If Dhammaloka provides a window into other worlds, those include that of poor whites, loafers and beachcombers; of those who ‚went native‘, including Buddhist converts and western bhikkhus; and of the emerging Asian Buddhist networks which employed, resisted, collaborated with, invited or distanced themselves from this highly visible figure in their attempts to shape the future of Buddhist Asia.56

Diese ,verarmten Weißen‘ in den europäischen Kolonien konterkarierten den Anspruch europäischer Überlegenheit und ihr going native als Mönch und Verteidiger der Sache der Kolonisierten verwischte Grenzen konstruierter Dominanz. Mönche wie Dhammaloka hatten großen Rückhalt in der lokalen Bevölkerung und ihre Aktivitäten zielten nicht auf die Bereitstellung buddhistischer Übersetzungen zum Gebrauch in gebildeten europäischen Kreisen und Etablierung des Buddhismus als respektable Religion. Vielmehr trat Dhammaloka den kolonialen Missionaren kämpferisch entgegen, entsprach nicht den in Europa aufgestellten Ansprüchen eines dezenten und gebildeten Mönches und rief, wenn auch letztlich nicht von

54 Zu diesen und weiteren organisatorischen Aktivitäten siehe Turner/Cox/Bocking 2010: 138–140. 55 Siehe die Liste von 13 weiteren europäischen Ordinierten in Asien in Turner/Cox/Bocking 2010: 128f. Zu einem von ihnen, dem 1873 in Estland geboren Karl Tõnisson, in den 1890er Jahren in Burjatien zum Mönch ordiniert, in den 1920er Jahren in den Baltischen Ländern buddhistisch aktiv und über China und Siam nach Birma gekommen, 1962 in Rangoon verstorben, siehe Talts 2008 und Payer 2012. 56 Cox 2013: 130.

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Dauer, internationale buddhistische Organisationen zur Wiederbelebung und Stärkung des Buddhismus in Ländern Asiens ins Leben.57

2.5. Austausch zwischen West und Ost: Anfänge eines globalen Buddhismus Die ersten europäischen Mönche in Ländern Asiens und die Aktivitäten des ceylonesischen Reformers Dharmapāla sowie des japanischen Rinzai-Mönches Shaku Sōen mit Aufenthalten in Europa bzw. den USA (1893, Weltparlament der Religionen) markierten den Beginn eines global interdependenten Buddhismus. Alle Protagonisten propagierten einen text- und lehrbasierten Buddhismus, gereinigt von Devotionsformen und Ritualen. Eine modernistische, stark rational und kognitiv geprägte Form des Buddhismus sollte prägend für die Anfänge des globalen Buddhismus werden. Die Anfänge dazu finden sich in Reformen in Ländern Asiens, die hier knapp am Beispiel Ceylons dargestellt werden. In Ceylon wie in anderen kolonisierten Ländern sahen sich buddhistische Mönche und Wortführer mit Kolonialismus, neuen Technologien, wissenschaftlichen Ideen und christlicher Mission konfrontiert. Neuinterpretationen des Buddhismus in Anpassung an dominante Ideen der westlichen Moderne – Wissenschaftlichkeit, Gleichheit, Individualismus und Sozialreform – wurden wichtige Ressourcen für die Erneuerung der nationalen Identität und des Nationalstolzes. Gebildete Buddhisten hoben die rationalen und wissenschaftlichen Aspekte der buddhistischen Lehren hervor und kritisierten religiöse Praktiken wie den Glauben an böse Geister und von Dorfmönchen durchgeführte Ritualhandlungen. Modernistische Buddhisten auf Ceylon präsentierten den Buddhismus als entmythologisiert, textbasiert, rational, universal, pragmatisch und gesellschaftlich aktiv.58 Die Verherrlichung buddhistischer Ideen in Europa und die buddhistische Zufluchtnahme von Olcott und Blavatsky stärkten das nationale und religiöse Selbstbewusstsein. Olcott traf in Colombo auch den Reformer Don David Hewavitarne, besser bekannt unter seinem buddhistischen Namen Anagārika Dharmapāla (1864– 1933), und gemeinsam setzten sie sich für die Erneuerung des Buddhismus in Ceylon durch Gründung von Schulen ein.59 Dharmapāla, der als „Hausloser“ (pāli anagārika) eine neue Rolle zwischen Laie und Mönch bekleidete, war 1891 nach Bodh Gayā (Nordindien), dem Ort der Erleuchtung des Buddha, gereist. Angesichts des vernachlässigten Orts gründete er die Mahā Bodhi Society mit dem Ziel, den

57 Siehe Bocking et al. 2014; Turner 2014 und die Webseite: https://dhammalokaproject. wordpress.com/ (Zugriff 5.9.2016). 58 Siehe Bechert 1966: 2002; Gombrich/Obeyesekere 1988: 202–240; Gombrich 1996: 172– 197 sowie Drover/Hutter 2016: 31–34. 59 Zu Olcott siehe Prothero 1996.

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unter hinduistischer Kontrolle stehenden Ort für Buddhisten wieder instand zu setzen und den Buddhismus in Indien wiederzubeleben. Im Gegensatz zu früheren Theravāda-Organisationen wurde die Mahā Bodhi Society nicht von Mönchen geleitet, sondern von einem buddhistischen Laien. Durch seinen Auftritt und seine Reden beim Weltparlament der Religionen in Chicago 1893 etablierte sich Dharmapāla zudem als der wichtigste Sprecher und Vertreter der buddhistischen Erneuerung in Südasien. In Chicago konvertierte ebenso wie Paul Carus der DeutschAmerikaner Carl Theodor Strauss (1852–1937) durch die Zufluchtnahme zum Buddhismus. In den darauffolgenden Jahren arbeiteten Strauss und Dharmapāla eng zusammen, um die buddhistischen Lehren zu verbreiten und ausgedehnte Reisen in der ganzen Welt zu unternehmen. Den Beginn einer sich global verstehenden buddhistischen Bewegung zeigen eindrücklich die Reisen Dharmapālas. Er besuchte England viermal (1893, 1897, 1904 und 1925/26), war sechsmal in den USA (1893, 1896, 1897, 1902–04, 1913–14 und 1925), bereiste ebenso China, Japan und Thailand (1893–94) und machte in Frankreich und Italien (und dem Buddhistischen Haus in Berlin 1925) auf seinem Weg nach England oder den Vereinigten Staaten Halt.60 Auslandsniederlassungen der Mahā Bodhi Society entstanden 1897 in den USA, 1911 in Deutschland und 1926 in Großbritannien. Zweifellos war Dharmapāla durch seine Reisen und Vorträge der erste global tätige buddhistische Missionar und ‚Netzwerker‘ und die Mahā Bodhi Society die erste inter- bzw. transnationale buddhistische Organisation.61

2.6. Ankunft und Etablierung in den Vereinigten Staaten: Migranten und Konvertiten Dharmapāla hatte gezielt ein gebildetes Publikum angesprochen. Nicht im Blick hatte er chinesische und japanische Migranten, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach Kalifornien und British Columbia (Kanada) gekommen waren, um beim gold rush möglichst Reichtum zu erlangen. Bis in die 1880er Jahre war die Zahl an Chinesen in Gold Mountain (Kalifornien), Montana und Idaho auf über 100 000 Personen gestiegen. Nach ihrer Ankunft errichteten sie chinesische Tempel, die ersten beiden 1853 in San Francisco. Während der nächsten fünfzig Jahre entstanden im Westen der USA Hunderte von Ritualhäusern, in denen sich Traditionen des Buddhismus, Daoismus und des chinesischen Volksglaubens vermischten. In auffallendem Kontrast zu der hohen Wertschätzung, die buddhistische Texte und Ideen

60 Gokhale 1973: 34. 61 Zu den Reisen siehe Gokhale 1973: 35. Zu Dharmapāla siehe die ausführliche Erwähnung in den Studien in Fußnote 58 sowie Kemper 2015. Zu Dharmapālas Einfluss in den USA siehe Fields 1981: 130–135. Zu Strauss siehe Fields 1981: 128; Tweed 1992: 39 und Hecker 1997: 338–340.

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unter Intellektuellen an der Ostküste erlangt hatten, werteten Amerikaner an der Westküste die ostasiatische Kultur als exotisch, fremd und unverständlich ab. Die chinesischen Wäscher, Köche, Minenarbeiter und Bauarbeiter bei der Eisenbahn wurden als unwillkommene Einwanderer angesehen; ihr Leben und ihre Kultur riefen Verwunderung und häufig Verachtung hervor. Die scharfe, rassistisch begründete Ablehnung gipfelte darin, dass etliche Chinesen ermordet und ihre Tempel und Ritualhäuser niedergebrannt wurden. Die Chinesen konzentrierten sich in den ihnen zugestandenen Chinatowns, wo sie eine eigene soziale, wirtschaftliche und religiöse Infrastruktur entwickelten. Der Chinese Exclusion Act 1882 beschränkte die weitere Einwanderung chinesischer Staatsangehöriger in die USA, so dass die Zahl auf etwa 62 000 zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückging. Mit dem Rückgang ihrer Zahl schlossen mehr und mehr Tempel, was auch auf das schwindende religiöse Interesse der in den USA geborenen Chinesen zurückzuführen war. Auch Kanada begrenzte Immigrationen aus China bis hin zum Chinese Exclusion Act 1923.62 Auch die zweite Gruppe ostasiatischer Migranten, japanische Arbeiter, die seit den 1880er Jahren als ‚Verlierer‘ der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse der Meiji-Regierung an die US-Westküste und nach British Columbia gekommen waren, sahen sich Rassismus und gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt. Ein Regierungsbeamter bezeichnete den Buddhismus als „fremde Religion“, wodurch er den Austausch zwischen der amerikanischen Regierung und der japanischen Meiji-Regierung gefährdete. Angesichts des feindlich-abwehrenden soziokulturellen Umfeldes wurden 1898 zwei japanische Jōdo Shinshū-Priester geschickt, um die japanischen Arbeiter religiös und sozial zu betreuen. Die zwei Priester riefen die Laienorganisation jung-buddhistischer Männer (Young Men’s Buddhist Association, japan. Bukkyo Seinen Kai) nach dem Vorbild der christlichen Organisation in Japan ins Leben, welche die Grundlage für familienbezogene Gemeinschaften und Tempel wurden. In den USA und Kanada entwickelten sich die Tempel anders als in Japan zu multifunktionalen Orten mit religiösen, sozialen, kulturellen und freizeitbezogenen Aktivitäten. Als hierarchische Leitungsfunktion der mittlerweile 25 Tempel erfolgte 1914 die Gründung der Buddhist Mission to North America (inkl. Kanada), mit dem ‚Bischof‘ (japan. Socho) an der Spitze und direkt dem Hauptsitz in Japan, dem Abt des Nishi Hongwanji-Klosters, unterstellt.63 In den 1920er und 1930er Jahren setzten Anpassungs- und Akkulturationsprozesse ein, um den Bedürfnissen der in Nordamerika geborenen Generation (japan. Nisei) gerecht zu werden. Zudem versuchte man dadurch der markanten antijapanischen und anti-buddhistischen Diskriminierung zu begegnen. Die buddhisti-

62 Siehe Wells 1971; Lyman 1976; Fields 1981: 70–76 und Chandler 1998: 16f. 63 Zu den Anfängen des Jōdo Shinshū (Buddhismus des Reinen Landes) in den USA siehe Fields 1981: 76–82; Tanaka 1999: 5f. und Seager 2012: 75f., zu Kanada siehe McLellan 1999: 42–44 und Watada 2010.

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schen Tempel nannten sich fortan „churches“ und die Priesterschaft übernahm die christlichen Begriffe „minister“ oder „reverend“. Zudem boten die Tempel neben ihren buddhistischen Aufgaben säkular-amerikanische Bildungs- und Freizeitprogramme an. Die Tempel setzten sich damit zugleich für den Fortbestand der religiös-kulturellen Tradition und für Anpassungen an den amerikanischen Mainstream ein. Der Zweite Weltkrieg stellte für Japaner in den Vereinigten Staaten und Kanada einen nachhaltigen Wendepunkt durch die Internierung und die beschleunigte Anpassung dar. Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour im Dezember 1941 ließ der amerikanische Präsident Roosevelt die etwa 111 000 Personen japanischer Abstammung von 1942 bis 1945 in Lagern internieren; gleiches geschah in Kanada. Unter ihnen waren annähernd 62 000 Buddhisten, mehrheitlich Gläubige in der Jōdo Shinshū-Tradition (Lehre des Reinen Land Buddhismus). In den Lagern mussten religiöse Zusammenkünfte und Rituale in englischer Sprache abgehalten werden. Die Internierung führte zur Auflösung der vormals engen Verbindungen mit den Jōdo Shinshū-Muttertempeln in Japan. Diese Emanzipation von normativen japanischen Strukturen zeigte sich im neuen Namen der Organisation: Nicht mehr als eine ‚Buddhistische Mission [von Japan] in Nordamerika‘, sondern nunmehr als ‚Buddhist Churches of America‘ (bzw. Kanada) kam das neue Selbst- und Zugehörigkeitsverständnis zum Ausdruck. Die USA waren zur Heimat der einstigen Einwanderer, ihrer Nachkommen und der nun unabhängigen buddhistischen Tradition geworden. Diese Entwicklung der amerikanisch-strukturellen Angleichung und buddhistischen Neupositionierung im christlich-pluralen Feld fand ihren Abschluss in der Gründung einer eigenen priesterlichen Ausbildungsinstitution, dem Institute of Buddhist Studies 1966 in Berkeley, Kalifornien. Priesteranwärter mussten nun nicht mehr nach Kyoto zur Ausbildung (auf Japanisch), sondern erhielten diese auf Englisch und zugeschnitten auf die Bedürfnisse der heranwachsenden dritten Generation (japan. Sanei). Die kleine Minderheit der Jōdo Shinshū-Buddhisten war damit religiös eigenständig und hatte zugleich den sozioökonomischen Aufstieg in die Mittelklasse geschafft.64 Der andere buddhistische Strang in Kalifornien, derjenige der Konvertiten, war in dieser Zeit noch weniger erfolgreich, buddhistische Aktivitäten zu initiieren. Obwohl die japanischen Zen-Meister Nyogen Senzaki (1876–1958) und Sokei-an Sasaki (1882–1945) jahrelang blieben, fanden die in San Francisco eingerichteten Zen-Meditationsgruppen nur geringes Interesse. Erst mit der Rückkehr von Daisetz Teitaro Suzuki (1870–1966) nach Nordamerika für einen Aufenthalt von 1950 bis 1958 wurde Zen populär und weit verbreitet.65

64 Zu den Internierungslagern siehe Williams 2002. Zur Entwicklung des Jōdo Shinshū siehe Tanaka 1999: 6–8; Seager 2012: 76–81 und Spencer 2014, zu Kanada McLellan 1999: 44–46 und Watada 2010. 65 Fields 1981: 168–194.

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An der Ostküste, in den rasch wachsenden Städten New York, Boston und Chicago, waren durch die Transzendentalisten, die Theosophische Gesellschaft und die Vortragsreisen von Dharmapāla buddhistische Ideen, Philosophie und Ethik aufgrund von zahlreichen Büchern und Zeitschriften in bürgerlich-gebildeten Kreisen weit verbreitet. Neben Diskussionskreisen, der Theosophischen Gesellschaft und der Ethisch-kulturellen Gesellschaft, in denen Sympathisanten buddhistischer Ideen und Ethik zusammenkamen, war die durch Dharmapāla gegründete Mahā Bodhi Society die einzige buddhistische Organisation. Insgesamt schätzt Thomas Tweed die Zahl euro-amerikanischer Buddhisten auf zwei- bis dreitausend Buddhisten und mehrere zehntausend Sympathisanten.66

2.7. Erste buddhistische Schritte in der südlichen Hemisphäre In Darstellungen zum Buddhismus im Westen oft vergessen, lassen sich buddhistische Aktivitäten in der südlichen Hemisphäre – Südamerika, Südafrika und Australien – bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. 1908 waren japanische Arbeiter in den brasilianischen Bundesstaat São Paulo gekommen, zuvor schon nach Peru und Mexiko (1897). Die zehntausenden Arbeiter – bis 1941 kamen zwischen 175 000 bis 200 000 – beabsichtigten, nur für wenige Jahre auf den Bananen-, Kaffee- und Baumwollplantagen zu arbeiten und dann nach Japan zurückzukehren. Meist wurde jedoch daraus ein langjähriger Aufenthalt, zumal die japanischen Arbeiter anders als in den USA als fleißig und gescheit galten. In dieser frühen Phase zeigten die männlichen Einwanderer kein ausgeprägtes Interesse an religiösen Praktiken und nur beim Tod von Familienmitgliedern wurden sie daran erinnert, die entsprechenden buddhistischen Rituale durchzuführen.67 Während der ersten vierzig Jahre des Aufenthalts in Brasilien entstand daher nur ein japanisch-buddhistischer Tempel, 1932 in Cafelândia im Bundesstaat São Paulo. Von den japanischen Arbeitern wurde zudem erwartet, sich so schnell wie möglich in die brasilianische Kultur zu assimilieren. Das dominant katholische Feld übte hohen Druck aus, die nichtchristlichen, „heidnischen“ Praktiken aufzugeben und zum Katholizismus zu konvertieren. Viele Japaner kamen der Forderung nach, denn eine Konversion betrachteten sie als notwendigen Teil ihrer Brasilianisierung. Dieser Schritt bedeutete jedoch zugleich, den lang gehegten Mythos einer Rückkehr nach Japan aufzugeben. Für einen Verbleib in Brasilien sprach jedoch die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg (1945). Eine Rückkehr in das wirtschaftlich und moralisch zerstörte Japan erschien wenig attraktiv. Die Entscheidung, den Status vom zeitlich begrenz-

66 Tweed 1992: 46. 67 Siehe Shimazono 1991: 109; Rocha 2006: 30–36 und Carvalho 2003: Kap. 1 und 2.

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ten Arbeitsaufenthalt zur Einwanderung zu ändern, resultierte in deutlich stärkeren Bemühungen, die mitgebrachte japanische Kultur und Identität zu bewahren. Ab den 1950er Jahren gründeten die Immigranten und Neubrasilianer religiöse und kulturelle Gesellschaften und errichteten mit dem Zuzug japanischer Priester Shintō-Tempel und buddhistische Klöster. Diese religiöse Etablierung wurde von einem sozioökonomischen Aufstieg und zunehmender Urbanisierung der einstigen Plantagenarbeiter und ihrer Nachkommen begleitet. Der soziale Aufstieg in die Mittelklasse ging nach und nach mit einer Emanzipation vom früheren Heimatland Japan einher. Der Fokus der Identifikation hatte sich fort von Japan hin zum neuen Heimatland Brasilien verändert.68 In Südafrika waren in der Volkszählung von 1921 eigenartigerweise 12 500 Buddhisten asiatischer Abstammung gezählt worden. Auch wenn diese Zahl äußerst fragwürdig erscheint, weil die Volkszählung von 1936 nur 1 771 asiatische Buddhisten ergab, so weist sie doch auf eine Konversionsbewegung hin, die zuvor in Südindien stattgefunden hatte und in Westindien 30 Jahre später mit Bhimrao Ambedkar an Bedeutung gewinnen sollte. 1917 hatte der Inder Rajaram Dass die Overport Buddhist Sakya Society gegründet und rief Hindus aus niedrigen Kasten im südafrikanischen Natal auf, die buddhistische Lehre anzunehmen. So könnten sie der entwürdigenden gesellschaftlichen und religiösen Stellung entgehen, die ihnen durch die Hindu-Gebräuche auferlegt worden sei. Louis van Loon hält fest: In addition to freedom from caste restrictions, many of these Hindus felt that Buddhism would give them more respectability in the eyes of European society around them as they believed that Buddhism's lack of deity worship would make them more acceptable to their Christian superiors.69

Diese Erwartung blieb unerfüllt und weder die Kolonialherren noch die indischen Hindus erkannten die Bewegung an. Nach einem Höhepunkt mit etwa 400 Familien in den 1930er Jahren – ein Prozent der gesamten indischen Bevölkerung – ging die Bewegung im Laufe der Zeit zurück. In den späten 1990er Jahren lebten nur wenige, dem Namen nach indische Buddhisten in Natal.70 Auf dem östlichen Kontinent der südlichen Hemisphäre, in Australien, waren ab Mitte des 19. Jahrhunderts wie in den USA chinesische Arbeiter in den Goldminen tätig. Sie verehrten in ihren Ritualhäusern daoistische Götter und buddhistische Bodhisattvas. Ab 1870 kamen singhalesische Perlentaucher nach Nordaustralien. Sie feierten das Vesakh-Fest, errichteten einen kleinen Tempel und pflanzten in den 1890er Jahren zwei Ableger, die vom Bodhibaum in Bodh Gayā stammen sollten. Rassistische Anfeindungen veranlassten viele Singhalesen zurück nach

68 Rocha 2006: 34–36. 69 Van Loon 1999: 36. 70 Van Loon 1999: 36. Zu der indisch-buddhistischen Gemeinschaft der 1920er bis zu den späten 1970er Jahren siehe van Loon 1980 und Wratten 1995: 164–178.

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Ceylon zu gehen; ihren Platz nahmen japanische Perlentaucher ein. Mit dem Zusammenschluss der sechs Kolonien zur Föderation und der Unabhängigkeit 1901 erließ die neue Regierung im gleichen Jahr noch den Immigration Restriction Act. Das Gesetz beendete weitere Zuwanderungen von Chinesen, Singhalesen oder Japanern. Der erste nationale Zensus 1911 hatte noch 3 269 Buddhisten gezählt, was auf den Aufenthalt der japanischen Buddhisten verweist. Bis 1947 sollte die Zahl jedoch auf 411 Buddhisten schrumpfen.71 Mit Blick auf die Oberschicht in den sich formierenden Städten hatte 1878 die Amerikanerin Emma Harding Britten eine Vortragsreise durch die australischen Kolonien durchgeführt. 1889 formte sich sodann die Theosophische Gesellschaft Australiens, die Olcott auf seiner mehrmonatigen Vortragstour 1891 und erneut 1897 besuchte. Für die Zuhörerinnen und Sympathisanten repräsentierte die Theosophie in der Zeit populärer spätviktorianischer, romantischer Ideale die Idee des ‚mystischen Ostens‘ und ließ die Mitgliederzahl steigen. Mit dem Wechsel zu einer Politik des ‚White Australia‘ und dem gegen asiatische Zuwanderer gerichteten Anti-Immigrationsgesetz (1901) schwanden jedoch Verklärungen des Ostens und ein Interesse am Buddhismus. Eine buddhistische Gesellschaft, abgesehen von zwei kleinen buddhistischen Kreisen 1925 und 1938 in Melbourne, sollte sich erst in den 1950er Jahren bilden.72

2.8. Buddhistische Gemeinden in Deutschland und England, 1920er bis 1940er Jahre Zurück auf dem ‚alten Kontinent‘ in Europa hatte der Erste Weltkrieg (1914–1918) das Staatskirchentum mit dem Kaiser an der Spitze beendet, ebenso die einsetzenden buddhistischen Bewegungen. Unmittelbar nach dem Krieg entstanden neue buddhistische Aktivitäten und Kreise, insbesondere in Großbritannien und Deutschland. Im Gegensatz zu der Anfangszeit sollte die buddhistische Lehre nun nicht nur mit dem Verstand erfasst, sondern auch praktisch umgesetzt und auf das Leben angewendet werden. Religiöse Praktiken wie geistliche Exerzitien und devotionale Handlungen wurden Teil des deutschen und britischen buddhistischen Lebens der 1920er und 1930er Jahre. In Deutschland nahm der 1912 von Bohn gegründete ‚Bund für Buddhistisches Leben‘ einen deutlichen Aufschwung und Ortsgruppen entstanden in den großen Städten. Die Aufnahme in den Bund erfolgte erstmals durch die dreifache Zufluchtnahme, die Buddha-Lehre wurde als ‚religiös-ethisches System‘ interpretiert. Die ethischen Anliegen des Bundes wirkten weit über den eigenen Kreis in das

71 Croucher 1989: 2–6 und Adam/Hughes 1996: 6f. 72 Croucher 1989: 8–13.

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alternativreligiöse Feld mit Vegetarierbewegung, Pazifismus und Lebensreform. Nachdem Bohn jedoch zum Katholizismus rückkonvertiert war und ab Mitte der 1920er Jahre ein Mitgliederschwund einsetzte, fand der ‚Bund‘ 1928 sein Ende.73 Der Landgerichtsrat Georg Grimm (1868–1945) und Seidenstücker gründeten 1921 die ‚Buddhistische Gemeinde für Deutschland‘. Der Begriff der Gemeinde wurde bewusst gewählt und sollte eine Gemeinschaft von buddhistischen Laienanhängern sein, die anstrebten, die Lehre nach der „vom Buddha aufgestellten Sittenlehre für weltliche Anhänger nachzuleben“.74 Vorträge von Grimm wurden von 500 und gelegentlich bis zu 1 000 Zuhörern besucht. Grimm vertrat einen Buddhismus auf der Grundlage der Pāli-Texte und war der Auffassung, durch die Quellen hindurch den „ursprünglichen Buddhismus“ ohne anattā-Lehre und stattdessen den „Altbuddhismus“ mit einer Lehre des ‚Selbst‘ und ‚Ich‘ entdeckt zu haben. Mit der Umwandlung der Gemeinde zur ‚Buddhistischen Loge zu den Drei Juwelen‘ im Sinne einer Bruderschaft im Jahr 1924 erfolgte für die ca. 25 Mitglieder jedoch eine Abschließung nach außen.75 Grimms großer Opponent sollte der Berliner homöopathische Arzt Paul Dahlke (1865–1928) werden, der um 1900 auf seinen Reisen nach Ceylon mit dem dortigen Studium des Pāli Buddhist geworden war. Um die Lehre europäischen Personen zugänglich zu machen, interpretierte Dahlke die buddhistische Lehre im naturwissenschaftlichen Licht als nüchterne Wirklichkeitslehre (Neubuddhismus). Das von ihm 1924 erbaute Buddhistische Haus am Rande Berlins ließ Dahlke weit über Deutschland hinaus bekannt werden. Das Haus, halb Wohnhaus, halb Kloster, sollte ein Sammelpunkt für buddhistisch Interessierte werden und ein buddhistisches Leben in Anlehnung an die monastische Lebensweise südasiatischer Mönche ermöglichen. Dahlke verwirklichte durch ein streng asketisches Leben seine romantisch-heroischen Ideale von Entsagung, Läuterung und Kultivierung der Person. Nur eine kleine Anhängerschar wohnte im Haus und folgte der strikten Hausordnung. Zwei Jahre später ergänzte Dahlke einen Tempel, der bei Vollmondfeiern mit über 100 Personen übervoll war. Dahlke ließ zudem auf der Insel Sylt ein ca. vier Meter hohes Denkmal errichten und ehrte durch die weithin sichtbare Inschrift „Namo Buddhaya. Ehre dem Erhabenen. P. Dahlke 1927“ öffentlich den Buddha.76 Die Interpretationen des Pāli-Kanons und Theravāda-Buddhismus durch Grimm und Dahlke führten zur Spaltung in einen Alt- und Neubuddhismus. Die beiden

73 Notz 1984: 45 und Hecker 1997: 29. 74 Aus der Satzung der ‚Buddhistischen Gemeinde‘, § 2a, in: Buddhistischer Weltspiegel 3, 2 (1921) 79. 75 Hecker 1985: 64f.; Steinke 1996: Teil 5 und Hecker 1996: 38–41. Die anattā-Lehre besagt, dass jenseits der fünf Komponenten einer Person nichts Bleibendes besteht. 76 Zu Dahlke und dem Buddhistischen Haus siehe Auster et al. 1974; Hecker 1985: 51f.; Hecker 1996: 1–3 und Baumann 1997. Zum heutigen Haus siehe http://das-buddhisti sche-haus.de/ (Zugriff 20.1.2016).

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angesehenen Lehrer fochten einen heftigen und polemischen Streit über die Interpretation der zentralen buddhistischen Lehre des anattā aus. Insgesamt blieb die Anzahl der Buddhisten und Buddhistinnen klein, die Zahl der Sympathisanten war ungleich größer. Trotz der interpretativen Angleichungen von Bohn, Grimm und Dahlke erschien vielen in den politisch instabilen und ökonomisch schwierigen Zeiten der Weimarer Republik die geforderte Umsetzung und ethische Lebensführung als sehr, wenn nicht zu herausfordernd.77 Beide Gemeinschaften setzten ihre Arbeit während der NS-Herrschaft fort, zeitweise unter politischer Kontrolle der Nationalsozialisten und auf kleine, private Zirkel begrenzt. Grimms Loge wurde im Zuge des Freimauerverbots (1934) verboten und nannte sich 1935 in ‚Altbuddhistische Gemeinde‘ um. Buddhisten wurden von den Nazis als Pazifisten und Exzentriker betrachtet. Der Zeitzeuge Helmut Klar resümierte, „dass die Verfolgungen der Buddhisten relativ glimpflich verliefen“.78 Jedoch wurden Juden, die Buddhisten geworden waren – eine überproportional große Anzahl – öffentlich verfolgt oder zur Emigration gezwungen. Die buddhistischen Aktivitäten kamen insgesamt ab 1940 gänzlich zum Erliegen.79 In London gründete Christmas Humphreys (1901–1983) 1924 die ‚Buddhistische Loge der Theosophischen Gesellschaft‘. Anders als in Deutschland markierten Humphreys und die wenigen weiteren Aktiven keine Distanz zur Theosophie, sondern propagierten lange eine Übereinstimmung von Theosophie und Buddhismus. 1925 wurde ein buddhistisch-theosophischer Lese-, Meditations- und Andachtsraum für die Öffentlichkeit eröffnet und regelmäßig Vesakh gefeiert. Im gleichen Jahr kam der Reformer Dharmapāla für eine Woche nach London, um den Kontakt zu den britischen Buddhisten zu pflegen und für seinen Plan zu werben, ein Vihāra mit residenten Mönchen in London zu etablieren. Bei seinem erneuten Besuch ein Jahr später gründete er die britische Mahā Bodhi Society. Dharmapāla sammelte im Folgejahr in Ceylon Gelder für den Kauf eines Hauses für ein Vihāra und fand drei Mönche, die bereit waren, nach London zu gehen. Die drei ceylonesischen Mönche zogen im Juli 1928 in das neu gekaufte Haus im Zentrum Londons und es war damit das erste Mal, dass mehrere Mönche dauerhaft in Europa blieben (bis 1940, erneut ab 1954). Frühere Versuche, den Theravāda-Saṅgha zu etablieren, waren zuvor gescheitert.80 Die Ankunft der Mönche in London fand in Südasien und unter den eher wenigen Buddhisten und Buddhistinnen Englands ein breites Echo. Zugleich wurden

77 Zu Einzelheiten über die spezifischen buddhistischen Interpretationen siehe Notz 1984: 58–67 und Bechert 2002: 351f. 78 Klar 1991: 8. 79 Siehe Klar 1995: 29–34, 105–108 und Baumann 1995: 65–67. 80 Siehe Humphreys 1968: 20–315; Oliver 1979: 50–53 und Cousins 1994: 146f. Zu dem gescheiterten Versuch von bhikkhu Nyānatiloka, in der Schweiz 1910 ein TheravādaKloster zu gründen, siehe Abschnitt 2.3. sowie Hecker 1995 und Baumann 1998: 256– 258.

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Stimmen nach einer notwendigen Anpassung laut. Der Herausgeber der Zeitschrift The Buddhist Annual of Ceylon bemerkte: We think that the Buddhism that will find foothold in the West in any appreciable degree will not be the popular faith of the Buddhist East. It will be an embodiment of the Philosophy of the Buddha which, while not differing from the essentials of the Dhamma […] must adapt himself to the environments in that country.81

Der Herausgeber unterschied den dörflich-volkstümlichen, rituell bestimmten Buddhismus vom philosophischen Buddhismus, der bei seiner Anpassung den Kerngehalt der buddhistischen Lehre nicht verlieren dürfe. In gleicher Weise forderte Humphreys schon in seiner Ansprache zur Begrüßung der drei bhikkhus, dass es notwendig sei, die Grundsätze des Buddhismus in einer für das westliche Denken angemessenen Weise darzustellen. Nicht die Mönche, sondern buddhistische Laien definierten, wie sich die Arbeit der neu importierten buddhistischen Autoritäten im theosophisch-buddhistischen Feld der Londoner Buddhisten und Sympathisanten zu gestalten habe. Es waren auch Laien (Humphreys, Mrs Rhys Davids), die in Büchern und einer eigenen Zeitschrift buddhistische Positionen publizierten. Im weiteren religiösen Feld stellte beispielsweise die ‚Catholic Truth Society‘ den Buddhismus als dem Christentum ebenso abträglich dar wie der in bürgerlichen Kreisen weit verbreitete Spiritualismus und Materialismus.82

2.9. Weitere buddhistische Aktivitäten von Paris bis Sankt Petersburg Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren in Deutschland die stärksten buddhistischen Aktivitäten in Europa zu finden, gefolgt von Großbritannien. In anderen europäischen Ländern erfolgten nur wenige organisatorische Entwicklungen. Buddhistische Aktivitäten beruhten fast ausschließlich auf einer Hauptperson, die in der Lage war, weitere Personen um sich zu scharen. In Frankreich gründete die wohlhabende Amerikanerin Grace Constant Lounsbery (1876–1964) im Jahr 1929 die Gesellschaft ‚Les amis du Bouddhisme‘. Die in Paris ansässige Gruppe blieb allerdings klein. Trotzdem gelang es ihr, eine eigene Zeitschrift zu veröffentlichen.83 In der Schweiz war Max Ladner (1889–1963) in den 1930er bis in die frühen 1960er Jahre der wichtigste Initiator. Der philosophisch stark interessierte Ladner war über die Schriften Schopenhauers, Neumanns und Grimms zum Buddhismus gekommen und ab 1929 Mitglied in Grimms ‚Buddhistischer Loge‘. Nach dem Aus-

81 Zitat in Humphreys 1968: 31. 82 Humphreys 1968: 31. 83 Siehe Humphreys 1968: 47 und Klar 1991: 14f.

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tritt aus der ab 1935 benannten Altbuddhistischen Gemeinde im Jahr 1936 baute er über seine Mitgliedschaft in der Freimauerloge Sapere Aude (Großloge Alpina) und dortige Vorträge 1942 eine eigene buddhistische Gruppe auf, die ‚Buddhistische Gemeinschaft Zürich‘. Ziel war es gemäß Statuten, gemeinsam Pāli-Texte zu lesen, ein Vihāra zu gründen, den „menschlichen Fortschritt durch buddhistische Ethik und Kultur“ zu fördern und die Zeitschrift Die Einsicht herauszugeben. Die kleine Gruppe traf sich regelmäßig im Haus von Ladner. Mit dem Einstellen der Zeitschrift durch den Christiani Verlag 1961 gegen den Willen Ladners endete auch die Gruppe. Insgesamt blieb das rege Wirken Ladners in der Schweiz durch den starken Einfluss der reformierten und römisch-katholischen Kirchen sowie in der Zeit der ‚geistigen Landesverteidigung‘ während der Kriegsjahre begrenzt, auch wenn im religiösen Feld mit den Freimauern und lebensreformerischen Ansätzen Überschneidungen und Anknüpfungspunkte bestanden. International war Ladners Zeitschrift jedoch gerade in der Kriegs- und Nachkriegszeit für viele Sympathisanten und Buddhisten von großer Bedeutung.84 In weiteren Ländern wie Österreich, Ungarn und Italien (einschließlich des bekannten Tibetologen Giuseppe Tucci) gab es zwar einige konvertierte Buddhisten, jedoch entstanden eigene buddhistische Gruppen erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren. In Europa wurde die engagierte, früh transkontinental vernetzte, von den Zahlen her noch begrenzte buddhistische Bewegung von Männern und wenigen Frauen dominiert, die die buddhistische Lehre als ihre neue Wert- und Lebensorientierung angenommen hatten. Anders als in den zwei Amerikas waren bis auf zwei Ausnahmen keine buddhistischen Migranten in größerer Zahl und auf Dauer nach Europa gekommen. Beide Ereignisse fanden fern der frühen buddhistischen Zentren Leipzig, London, Breslau, Berlin und München statt und standen im Zusammenhang mit mongolisch-kalmückischen Buddhisten und Buddhistinnen. Die mehrheitlich tibetisch-buddhistischen Kalmücken waren im 17. Jahrhundert an die südliche Wolga gekommen und bald dem russischen Zarenreich angegliedert worden. Im frühen 20. Jahrhundert hatten sich zahlreiche Kalmücken und südostsibirische Burjaten in der zaristischen Hauptstadt Sankt Petersburg niedergelassen und dort in den Jahren 1909 bis 1915 einen Tempel und ein Kloster für tibetischbuddhistische Gelugpa-Mönche erbaut. Das erste buddhistische Kloster in Europa entstand damit nicht durch konvertierte Buddhisten – der Plan der Deutschen Pāli-Gesellschaft für ein Vihāra 1910 in der Schweiz war gescheitert –, sondern durch kalmückisch-burjatische Buddhisten und den burjat-mongolischen Geshé Agvan Lovsan Dordžejev (1853/54-1938).85 Dordžejev war Lehrer des 13. Dalai Lama, Sonderbotschafter des Dalai Lama in Sankt Petersburg, um mit Zar Nikolaus

84 Siehe Hecker 1996: 116–126; Baumann 1998: 259f. sowie ausführlich Frey 2016. 85 Siehe auch Sagaster 2016: 434f.

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II. eine mögliche Allianz Tibets mit Russland zu besprechen, und Erneuerer des Buddhismus in Kalmückien. Der buddhistische Tempel in Sankt Petersburg war gegen den Widerstand der russisch-orthodoxen Kirche erbaut worden und diente nach seiner Einweihung 1915 der ansehnlichen kalmückisch-burjatisch-buddhistischen Gemeinschaft. Zwei Jahre später wurde der Tempel im Zuge der Russischen Revolution jedoch entweiht und Dordžejev zeitweise gefangen genommen. Nach der relativen Ruhe der 1920er Jahre wurden Buddhisten und Gelehrte unter der Diktatur Stalins (1928 bis 1953) verfolgt und ermordet. Erst in den 1980er Jahren verbesserte sich unter Gorbatschow im Zeichen von Glasnost (russ.: Redefreiheit, Offenheit) und Perestroika (russ.: Umbau, Umgestaltung) die Lage für Buddhisten und Buddhistinnen in der Sowjetunion. Dordžejevs Tempel in Leningrad (ab 1991 erneut Sankt Petersburg) wurde den Buddhisten in der Stadt 1989 zurückgegeben. Heutzutage leben dort erneut Mönche.86 Die zweite Ausnahme von buddhistischen Migranten in Europa betraf wiederum kalmückische Buddhisten und Buddhistinnen: Auf der Flucht vor den Folgen der Russischen Revolution und nach einem kurzen Aufenthalt in der Türkei ließen sich einige hundert Kalmücken Ende der 1920er Jahre am Rande von Belgrad nieder. Dort errichteten die Flüchtlinge einen Tempel mit typischem Pagodenturm, 1929 durch traditionelle Rituale geweiht. Der Tempel wurde recht bald ein Wahrzeichen Belgrads und eine Attraktion für Serben und Reisende. Ab 1930 erwähnte der Belgrader Stadtführer den Tempel und 1931 wurde die Straße, an der der Tempel stand, in Buddhistische Straße umbenannt. Die Kalmücken begingen die buddhistischen Zeremonien und Hauptfeste gewissenhaft, schlossen Ehen im Tempel und hielten Gedenkfeiern für Verstorbene ab; sie gründeten auch eine kalmückische Sonntagsschule, um Kultur und Sprache weiterzugeben und den Fortbestand der Gemeinschaft zu sichern. Da die Minderheit während des Zweiten Weltkrieges auf Seiten der deutschen Wehrmacht gekämpft hatte, musste sie nach Ende des Krieges aus Belgrad fliehen. Sie kamen nach München und gingen später in die USA und Frankreich.87 Im Rückblick gesehen war das erste Jahrhundert der Buddhismusrezeption in Europa durch das philosophisch-ethische Interesse an den Lehren Buddhas und deren rational-wissenschaftlicher Interpretation bestimmt. Damit einher ging die weitgehende Orientierung an den Lehrtexten des Pāli-Kanons und am Mönchsideal mit Bemühungen, ein Vihāra zu etablieren. Rituale und liturgische Formen wurden demgegenüber minimiert, wenn nicht negiert. Frühe Buddhisten interpretierten im Kontext des Deutungsprimats der Naturwissenschaften das neu in den ‚Markt‘

86 Siehe Snelling 1993 und Batchelor 1994: 283–291, 301. 87 Siehe Pekic 2000; Klar 1995: 7f., 20f.; 125; Sagaster 2016: 429f. Der deutsche Buddhist Helmut Klar hatte den Tempel Anfang 1944 besucht und erstellte die wohl letzten existierenden Bilder. Während der so genannten Belgrader Operation im Oktober 1944 wurde der Tempel stark beschädigt.

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eingeführte ‚Heilsgut Buddhismus‘ als Erkenntnis-Religion (Seidenstücker), Wirklichkeitslehre (Dahlke) und als Religion der Tat (Bohn). Die interpretatorischen Positionierungen und die teils scharfen Polemiken gegen christliche Kirchen markierten das hohe Selbstbewusstsein und zugleich Abgrenzungen im religiösen Feld. Als „unabhängige Unternehmer“88 stellten die buddhistischen Gesellschaften und Gemeinden ebenso wie die Ethik-Gesellschaften, Freimaurer, Lebensreform und die Theosophische Gesellschaft die monopolistische kirchliche Deutungshoheit des ‚Heiligen‘ in Frage. Noch waren Buddhisten jedoch zu wenige und die Gemeinschaften zu klein, als über idealistische Enklaven hinaus den marktbeherrschenden christlichen Kirchen ernsthaft Konkurrenz zu sein. Fünfzig Jahre später, um die Wende zum 21. Jahrhundert, sollten sich die ‚Macht‘-Verhältnisse in vielen westlichen Ländern jedoch deutlich verändert haben.

3. Pluralisierung und Popularisierung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist durch die Ankunft vieler Mönche, Nonnen, Priester und Lehrer unterschiedlicher Schulen und Traditionen Asiens gekennzeichnet, zugleich durch die Gründung zahlreicher buddhistischer Gruppen, Zentren und Klöster. Neben die bisherige dominante Rezeption des Buddhismus des Pāli-Kanons traten Mahāyāna- und tibetisch-buddhistische Traditionen sowie später traditionsübergreifende westliche Interpretationen. Ebenso setzte ein markanter Zustrom von Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens ein und überflügelte zahlenbezogen den intern vielfältigen Strang buddhistischer Konvertiten um das Mehrfache. Aufgrund der vielfältigen Entwicklungen kann die Rekonstruktion der Buddhismusrezeption nur selektiv sein und bemüht sich, wichtigste Stationen der Institutionalisierung und interpretierenden Anpassung nachzuzeichnen.

3.1. Neuanfang und Pluralisierung in der Nachkriegszeit Europas Der Zweite Weltkrieg hatte die meisten öffentlichen buddhistischen Aktivitäten in Europa zum Erliegen gebracht. Nach 1945 jedoch, als die Kriegstrümmer in Deutschland noch nicht geräumt waren, reaktivierten Buddhisten und Buddhistin-

88 Bourdieu 2009: 68.

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nen frühere Theravāda-Gruppen und gründeten neue Gemeinden, so in Berlin (1946), Hamburg (1947), München (1948) und vielen weiteren Städten. Die Leiden des Krieges ließen zahlreiche vom Christentum Desillusionierte nach nichtchristlichen, alternativen Lebensausrichtungen suchen. Buddhistische Vorträge wurden gut besucht und buddhistische Bücher und Zeitschriften fanden weite Verbreitung. 1949 schlossen sich zehn Gemeinschaften zum ‚Deutschen Zweig der Mahā Bodhi Society of Ceylon‘ mit dem Ziel zusammen, eine „möglichst geschlossene Mission des buddhistischen Gedankenguts in Deutschland zu erzielen“.89 Das Werben für die buddhistische Idee war erklärtes Ziel. Einige Jahre später entstand auf Betreiben der Großstadtgesellschaften und der Altbuddhistischen Gemeinde um Grimm (gest. 1945) die ‚Deutsche Buddhistische Gesellschaft‘, die 1958 in die ‚Deutsche Buddhistische Union‘ (DBU) überging und heute die weithin anerkannte Vertretung buddhistischer Gemeinschaften und Zentren ist. In der ab 1949 bestehenden Deutschen Demokratischen Republik bestanden kleine buddhistische Kreise in Halle, Leipzig und Dresden, 1966 kam ein ‚Buddhistisches Zentrum‘ in Halle/Saale für akademische Forschungen hinzu.90 Auch in Österreich entstand mit der ‚Buddhistischen Gesellschaft Wien‘ 1949 eine erste buddhistische Organisation, ab 1955 langjährig geleitet von Fritz Hungerleider (1920–1998). Die Mitglieder waren vornehmlich ältere Personen der gehobenen Gesellschaftsschicht. Schon zuvor hatte es vereinzelt buddhistische Aktivitäten in Österreich gegeben, so war der aus Graz stammende Arthur Fritz 1913 von Nyānatiloka in Ceylon als Novize und bald als Mönch ordiniert worden und in den 1920er Jahren hatte Axel Grasel öffentliche buddhistische Vorträge in Wien gehalten.91 Das dominant katholisch-konservativ geprägte religiöse Feld war jedoch lange Zeit, bis in die 1970er Jahre, einem Aufschwung der kleinen, lange auf Wien konzentrierten buddhistischen Bewegung abträglich. Trotz der „rund 1 000 Vorträge, die Hungerleider während der zwei Jahrzehnte“ seiner Präsidentschaft der ‚Buddhistischen Gesellschaft‘ hielt, war die Zahl von Buddhisten und Buddhistinnen bis in die Mitte der 1970er Jahre „kaum über 30 regelmäßig Praktizierende hinausgegangen“, hielt Manfred Hutter fest.92 Ab den 1950er Jahren erreichten neue buddhistische Traditionen in Mahāyānasowie tibetisch-buddhistischer Ausrichtung die Länder Europas. Der japanische Jōdo Shinshū fasste nach Vorträgen durch Kosho Ohtani – direkter Nachkomme Shinran Shōnins (13. Jh.) in der 23. Generation – in Großbritannien (1952) und Deutschland (1956) mit kleinen Gruppen Fuß. Die Schriften von D. T. Suzuki und

89 Zitat Buddhistische Monatshefte, 1, 12 (1949), 2. Umschlagseite. 90 Siehe Hecker 1985 und Baumann 1995: 70–72. Zu den buddhistischen Aktivitäten in der DDR siehe Götze 2012. 91 Zu Arthur Fritz siehe Hecker 1997: 93–94, zu frühen buddhistischen Aktivitäten siehe Hutter 2001: 100 und Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft, o. J. 92 Hutter 2001: 101.

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Eugen Herrigel (1884–1955) machten Zen-Meditation und Zen-Kunst bekannt. Herrigels Buch Zen in der Kunst des Bogenschießens (1948) errang „größte Aufmerksamkeit“ und war zum „Bestseller der deutschen buddhistischen Literatur überhaupt geworden“, so der Chronist der buddhistischen Entwicklungen in Deutschland, Hellmuth Hecker.93 In Übernahme der spezifischen Zen-Interpretation Suzukis (s. Abschnitt 3.2.) deutete Herrigel Zen als ‚unmittelbare Erfahrung‘, die nicht denkerisch erfasst, sondern über das Denken hinaus im absichtslosen Handeln erlebt werden könne. Die Abkehr vom rational-wissenschaftlichen Zugang zum Buddhismus und der Handlungs- und Erfahrungszugang werden hier zentral und sollten mit dem Boom der Zen-Rezeption und -Meditation ab Mitte der 1960er Jahre ihren Niederschlag finden.94 Der tibetische Buddhismus gewann 1952 seine ersten Anhänger durch die Gründung des westlichen Zweiges des Ārya Maitreya Mandala in Berlin. Diesen Orden hatte der deutsch-gebürtige Lama Anagārika Govinda (1898–1985) 1933 in Indien gegründet und sein Schüler Hans-Ulrich Rieker weihte in Berlin bald erste AMMMitglieder und gewann viele Interessenten.95 Darüber hinaus kamen nach dem Wirken Dharmapālas um die Jahrhundertwende erneut missionarische Aktivitäten von Ceylon nach Deutschland. Der Juwelier Aśoka Weeraratna (1917–1999) hatte 1952 in Colombo die ‚Lanka Dharmaduta Society‘ (Srilankische Gesellschaft zur Verbreitung der Lehre) gegründet und 1957 das Buddhistische Haus von Paul Dahlke gekauft. Das Haus war in den Nachkriegsjahren teilweise verfallen und Flüchtlinge hatten buddhistische Bücher und Aufzeichnungen zum Heizen in den kalten Wintern benutzt. Ab 1958 wurden Theravāda-bhikkhus nach Berlin entsendet, um den Dhamma durch Vorträge und später durch Meditationsangebote zu verbreiten.96 Die missionarischen Aktivitäten hatten sich vom Entsenden christlicher Missionare aus Europa zum Entsenden buddhistischer Mönche aus Asien gekehrt, zugleich als Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins asiatischer Laien und Mönche. Die Etablierung des ‚World Fellowship of Buddhists‘ 1950 in Colombo und die Ausrichtung des viel beachteten 6. Buddhistischen Konzil in Rangoon (Birma) 1952–56 bestärkten zudem die Position asiatischer Mönche und Laien als ebenbürtig dem euro-amerikanischen Christentum.97 In vielen weiteren europäischen Ländern entstanden ebenfalls neue buddhistische Gruppen und Gesellschaften. Mit der leichteren Verfügbarkeit attraktiver Bücher und Übersetzungen verbreiteten sich buddhistische Ideen literarisch und

93 Hecker 1985: 108. 94 Zu Herrigel in Japan und seinem Erlernen des Bogenschießens siehe kritisch Sharf 1995: 233–235. 95 Siehe Hecker 1985: 93–96. 96 Siehe Bhikkhu Bodhi 2000; Weeraratna 2000 und die Webseite des Buddhistischen Hauses http://das-buddhistische-haus.de/ (Zugriff 8.2.2016). 97 Siehe die Webseite der WFB http://www.wfbhq.org/ (Zugriff 8.2.2016).

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führten zur Gründung neuer Gruppen in größeren Städten. Gleichzeitig begannen Mönche, Priester und Zen-Lehrer, sei es aus Sri Lanka, Birma oder Japan, die neu entstandenen bzw. sich neu bildenden Gruppen regelmäßig zu besuchen, Vorträge zu halten und erste Praxis-Kurse zu geben. In der Bundesrepublik Deutschland leitete der Österreicher Fritz Hungerleider 1964 einen solchen ersten mehrtägigen Zen-Kurs, ein sesshin (japan.). Mit nachfolgenden Aktivitäten vieler weiterer Lehrer und Lehrerinnen setzte damit ab Mitte der 1960er Jahre eine markante Verschiebung im Zugang und der Umsetzung der buddhistischen Lehren ein, eine Veränderung, die in den USA schon ein Jahrzehnt zuvor stattgefunden hatte.

3.2. Zen-Buddhismus: Ankunft und Amerikanisierung In den USA waren neben den stigmatisierten ostasiatischen Immigranten und ihren buddhistischen Ritualformen buddhistische Lehren und Praxis bis in die 1950er Jahre vornehmlich auf bürgerliche Zirkel und künstlerische Kreise – erste Zen-Gruppen in San Francisco – begrenzt. In den 1950er Jahren sollten D. T. Suzuki und Alan Watts für einen markanten Aufschwung und eine große Popularität des Buddhismus in den USA sorgen. Der Japaner D. T. Suzuki, der 1897 bis 1908 in den USA im Open Court Verlag von Paul Carus als Übersetzer gearbeitet und 1911 die Amerikanerin Beatrice Lane geheiratet hatte, lehrte in den 1950er Jahren für sechs Jahre an US-amerikanischen Universitäten. Seine Vorlesungen, Vortragsreisen und Bücher98 weckten großes Interesse bei Akademikern, Künstlern und Dichtern, bald auch bei den Medien. Suzuki interpretierte Zen weniger als japanisch-buddhistische Lehr- und Praxisform als vielmehr als Erfahrung fern aller Doktrin, allen Rituals und aller Institution. Zen sei die unvermittelte, spontan zu erreichende mystische Erfahrung der Realität und der Kern aller Religionen. Die Erfahrung übersteige rational-logisches Denken und soziale Konventionen. Zen sei Einfachheit, Einsamkeit, Hochschätzung von Natur und intuitiv – Suzuki rekurrierte damit auf klassische romantische Motive, die er in Umwertung orientalischer Etikettierungen des ‚Ostens‘ dem technisch-logischen ‚Westen‘ anpreisend entgegenhielt. Die Zen-Deutung Suzukis als religionsübergreifende, kontextunabhängige, antiinstitutionelle und in westlich-psychologische Begriffe gefasste Ursprungserfahrung sollte in den gegenkulturellen, künstlerischen und alternativen Bewegungen der amerikanischen Ost- und Westküste und später in Europa rasch Furore machen. Diese Personen standen den Errungenschaften von urbanem Leben, Technik, Rationalität und Modernität kritisch gegenüber und sahen im ‚mystischen Osten‘ einen Ausweg aus der Engführung von materialistischem Denken und Kapitalismus. Typisch modernistisch trug ein asiatisch-buddhistischer Laie und nicht ein

98 Vgl. u. a. Suzuki 1956; 1959.

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Mönch die Neuinterpretationen vor – Suzuki war zwar Schüler von Shaku Sōen, jedoch nicht ordiniert und hatte keine Ermächtigung als Zen-Lehrer.99 In der zunehmenden Popularität von Zen fasste Alan Watts (1915–1973) mit seinem Buch Beat Zen, Square Zen, and Zen (1959) die Stimmung der Zeit zusammen und pries Zen als Kreativität, Individualität, Freiheit und Spiritualität. Watts und Suzuki eröffneten den Dialog von Zen und Psychotherapie bzw. Zen und humanistischer Psychologie. Zeitgleich popularisierten Autoren und Interpreten der ‚Beat Generation‘ wie Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Gary Snyder und andere in ihren Gedichten und Werken Zen und Buddhismus. Psychedelische Drogen, LSD und Meskalin waren dabei oft ein Begleiter oder Wegbereiter, um sich mit Zen und buddhistischer Praxis zu befassen. Seager resümiert dazu: „Suzuki, Watts, and the Beats helped to create a distinctive American approach to Buddhism, which many regarded in hindsight as both highly creative and deeply problematic.“100 Im USamerikanischen religiösen Kontext von Individualität, Optimismus, Exklusivität und Aktivismus wurde Zen ‚neu verpackt‘ (repackaged), von Ritual, Liturgie und männerdominierter Hierarchie in Japan getrennt und individuelle Meditationspraxis, Geschlechterparität und soziales Engagement betont.101 In den 1960er Jahren erfolgten Gründungen von Zen-Gruppen und Zentren, „der amerikanische Zen wechselte vom Intellektuellen zum Praktischen“, wie Fields festhielt.102 Der Umschwung von der literarisch-künstlerischen Rezeption zur Praxis war entscheidend mitbestimmt durch die Ankunft japanischer ZenMeister und die Rückkehr amerikanisch-europäischer Schüler aus den Klöstern Japans. Bücher der Zen-Meister und Schüler, ihrerseits bald selbst Lehrer und Lehrerinnen, machten Zen als meditative, universale Praxis weit bekannt und förderten nachdrücklich die Nachfrage nach individueller Praxis und authentischen Lehrenden. Der Sōtō-Zen-Meister Shunryu Suzuki Rōshi (1904–1971) eröffnete als einer der ersten 1961 mit Schülern das ‚San Francisco Zen Center‘, 1967 gefolgt vom fernab in den kalifornischen Bergen gelegenen klösterlichen ‚Tassajara Zen Mountain Center‘, um dort monastische Zen-Perioden durchzuführen. Suzuki Rōshis Buch Zen Mind, Beginner’s Mind (1970) avancierte zu einem Bestseller und sein Schüler und Dharma-Erbe Richard Baker Rōshi zu einem wichtigen Lehrer (jedoch 1983 Rücktritt wegen sexuellen Fehlverhaltens). Hakuyu Zanzan Maezumi Rōshi (1931–1995), Schüler von Suzuki Rōshi, gründete das später bekannte ‚Zen Center

99 Zu Suzuki und seinem Zen-Verständnis, das sich sowohl aus japanischen (Nishida Kitarō) als auch euro-amerikanischen Quellen (u. a. deutsche Idealisten, amerikanische Transzendentalisten, P. Carus, W. James) speiste, ist viel geschrieben worden, siehe u. a. Faure 1993: 53–74 und McMahan 2008: 74, 122–134. 100 Seager 2012: 49. Siehe zu dieser Zeit ebenso Fields 1981: 204–224, 247–253 und Prebish 1999: 8–13. 101 McMahan 2002 arbeitet dies überzeugend für Shaku Sōen, Suzuki und nachfolgende amerikanische Zen-Interpreten und -Interpretinnen heraus. 102 Fields 1981: 243 (eigene Übersetzung).

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of Los Angeles‘ und verband die strikte Sitzmeditation des Sōtō und die kōanPraxis des Rinzai-Zen. Zudem rief Maezumi Rōshi den ‚White Plum Sangha‘ ins Leben, in dem Schüler von ihm wie Charlotte Joko Beck, John Daido Loori, Bernhard Tetsungen Glassmann sich organisierten und ihrerseits Zen-Zentren in anderen Teilen der USA gründeten. Die Schule des Rinzai-Zen fasste durch japanische Ordinierte wie Joshu Sasaki mit dem Rinazi Zen Dojo in Los Angeles und Eido Tai Shimano mit der ‚Zen Studies Society‘ 1964 in New York Fuß. Anpassungen wie die gemeinsame Praxis von Männern und Frauen nahmen die zwei Lehrer nur zögerlich vor und behielten viel vom japanischen Dekor. Auf der Seite westlicher Schüler und Schülerinnen, die in Japan Zen erlernten, muss die Engländerin Peggy T. N. Kennett (1924–1996) erwähnt werden: Sie wurde als eine der ersten westlichen Frauen 1962 im Sōtō-Sōjiji-Tempel in Japan als Priesterin ordiniert, erhielt bald die Ermächtigung zur Lehrweitergabe und kam als Jiyu Kennett Rōshi nach Kalifornien, wo sie 1970 das Zen-Kloster Shasta Abbey etablierte. Zudem kam Philip Kapleau (1912–2004), der in Japan bei Yasutani Rōshi (1885–1973) gelernt hatte, 1966 zurück und gründete das ‚Zen Meditation Center‘ in Rochester, New York. Sein Buch The Three Pillars of Zen (1965) – die erste englischsprachige Einführung in die Zen-Praxis aus Zen-Perspektive – machte ihn weithin bekannt. In Fortführung der Reformen der Sanbo Kyodan-Schule von Yasutani (und Harada Rōshi) in Japan trieb Kapleau die Amerikanisierung des Zen durch Unterrichten von Männern und Frauen, Tragen westlicher Kleider, Rezitieren in Englisch und Reduzieren der Liturgie sowie Komprimieren der Praxis auf Wochenend-Retreats voran. Nicht mehr ein jahrelanger Aufenthalt in Zen-Klöstern, sondern Verbindung von strikter Praxis auf Retreats mit Familienleben und Lohnarbeit sollte so ermöglicht werden. Ein weiterer wichtiger Schüler von Yasutani, Robert Aitken (1917–2010), führte ebenso die Anpassung des Zen an die Alltagsbedürfnisse amerikanischer Praktizierender weiter. Aitken, der mit seiner zweiten Frau Anne Hopkins auf Hawaii den Diamond Sangha gegründet hatte, übersetzte zahlreiche japanisch-buddhistische Lehrtexte und Hymnen, beteiligte sich aktiv an sozialpolitischen Initiativen und war 1978 mit Gary Snyder und Joana Macy Mitbegründer der ‚Buddhist Peace Fellowship‘. Aitken begründete das zivilgesellschaftliche Engagement, das vielen amerikanischen Zen-Gruppen zu eigen ist, Kapleau legitimierte die Anpassung von Zen an den Alltag der amerikanischen Praktizierenden, während u. a. das Tassajara-Bergkloster und Daido Looris ‚Zen Mountain Monastery‘ in den Catskill-Bergen (New York) strikter monastischer Zen-Praxis und Zen-Zeremoniell folgen. Zen in den USA, ebenso wie bald nachfolgend in Kanada, den Ländern Europas und Australien entwickelte sich in den Anpassungen, Innovationen und Rückbindungen an Japan zu einem intern vielfältigen Praxis- und Lehrstrang. Neben den (wenigen) ordinierten Priestern, Lehrern und Zen-Meistern (japan. rōshi) ist Zen in den USA durch berufstätige Laien der Mittelklasse, nicht wie in Japan durch klösterlich Ordinierte, charakterisiert. Wich-

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tige Schritte der Individualisierung, Laisierung und Hierarchienivellierung des Zen gehen dabei schon auf Reformen in Japan und Pioniere wie D. T. Suzuki zurück.103

3.3. Zen-Boom im deutschsprachigen Raum Der Zen-Boom lässt sich – zeitlich mitunter versetzt – ebenso in weiteren Ländern und Kontinenten beobachten. Zeitgleich boten zudem ‚westliche‘ Mönche, die aus Südasien in ihre Herkunftsländer zurückkehrten, erste Meditationskurse im Stile der Theravāda-Tradition an. Im europäischen Raum setzte ab Mitte der 1960er Jahre eine Schwerpunktverschiebung der Buddhismusrezeption ein. Zum bislang textbestimmten, denkerischen Zugang zur buddhistischen Lehre traten verstärkt meditative Praktiken als Zugang und Übungsform. Interessierte und Sympathisanten wollten Buddhismus als neue Praxis mit körperlich-spirituellen Erfahrungen kennenlernen und einüben. Antibürgerliche, alternativkulturelle Kreise, Künstler, Studenten, Indienreisende entdeckten auf ihrer Suche nach ‚östlicher Weisheit‘ als Alternative zu christlicher Religiosität neue, andere asiatische Formen des Buddhismus. Hermann Hesses Buch Siddhartha (1922) traf den Zeitgeist des kulturellen Aufbruchs und popularisierte in literarischer Form indische Philosophie und Religiosität. Seine ‚indische Dichtung‘ begründete in Romanform den Vorrang von erlebter Erfahrung vor gelehrter Weisheit. In der Zeit der Kritik des Etablierten und der Suche nach Alternativen waren Zen-Seminare ebenso wie Meditationskurse in der TheravādaTradition oft schon frühzeitig ausgebucht. Neben die etablierten, an den Lehrreden des Pāli-Kanons ausgerichteten Gemeinden traten neue, an der Meditationspraxis orientierte Gruppen. Diese Akzentverschiebung in der Buddhismusrezeption spiegelt damit den breiten gesellschaftlichen Wertewandel wider, der sich in der Betonung von individueller Freiheit und Teilhabe (Gesellschaft, Konsum) bei gleichzeitiger Kritik von Autorität und traditionellen Rollenzuschreibungen (Kirchlichkeit, Berufsethos) ausdrückte.104 Die neuen buddhistischen Praktiken passten in die Zeit, zugleich entstanden mit neuen buddhistischen Tagungshäusern, Zentren und Wochenendkursen adäquate Angebotsstrukturen für die Interessierten.

103 Zur Etablierung von Zen-Zentren, den Lehrenden und den Entwicklungen in den USA siehe Fields 1981: 225–247, 256–272; Prebish 1999: 13–20; Seager 2012: 112–127 und McDaniel 2015a, zu den westlichen Lehrern siehe auch Rawlinson 1997, zur nachfolgenden zweiten Lehrergeneration siehe McDaniel 2015b. Jeweilige Websites zu den benannten Zentren und Klöstern finden sich leicht und sollen nicht eigens angeführt werden. 104 Zum Wertewandel und der kulturellen Revolution der 1960er Jahre in vielen westlichen Ländern siehe Inglehart 1977 und McLeod 2007.

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In Deutschland war es das ländliche, abseits von Hamburg gelegene ‚Haus der Stille‘ in Roseburg, in dem erste Kurse in Zen- und satipaṭṭhāna-Meditation stattfanden. Das Haus war 1962 von Mitgliedern der ‚Buddhistischen Gesellschaft Hamburg‘ gegründet worden, um fern der Großstadt in Ruhe „die Lehre zu studieren, zu meditieren oder einfach nur geistigen Urlaub zu machen“ sowie um eine „Keimzelle eines deutschen buddhistischen Mönchsordens“ zu schaffen.105 Fritz Hungerleider, der zuvor acht Monate in Japan Zen geübt hatte, bot 1964 das erstes sesshin in der Bundesrepublik an. Dies war der Auftakt zu vielen weiteren sesshins, geleitet durch Hungerleider und weitere. Zudem bot Bhikkhu Dhammiko (Manuel Kulbarz, geb. 1931) ab 1962, gefolgt von seinem Zwillingsbruder Bhikkhu Vimalo (Walter Kulbarz) ab 1965, gut besuchte Meditationskurse in der satipaṭṭhānaÜbungsform (Grundlagen der Achtsamkeit) an, „für die damaligen Verhältnisse in Deutschland etwas völlig Neues“, wie Kassapa urteilte.106 Auffallend ist, dass diese Kurse in den 1960er Jahren nicht durch junge, alternativkulturelle Interessierte, sondern durch Personen aus dem bildungsbürgerlichen Milieu im Alter zwischen 45 bis 65 Jahren besucht wurden. Erst mit den 1970er Jahren kamen jüngere Interessenten aus alternativkulturellen Kreisen hinzu.107 Viele Studenten, Künstler und Alternativkulturelle waren in den 1960er Jahren an den politischen Bewegungen der 1968er Zeit beteiligt und kamen erst nach einer Neuorientierung zu buddhistischen Gruppen.108 Das wachsende Interesse an buddhistischer Meditation und zuvor die Etablierung erster mahāyāna-buddhistischer Gruppen mit Jōdo Shinshū und dem Ārya Maitreya Mandala markierten den Beginn einer wachsenden innerbuddhistischen Pluralität in Deutschland. Die am Pāli-Kanon orientierten, länger etablierten Gruppen waren davon wenig begeistert und daran interessiert, durch Präzisierung der eigenen Identität und Grenzziehungen ihr bisher unangefochtenes buddhistisches ‚Monopol‘ und die Macht buddhistischer Deutungshoheit zu verteidigen. Felix Knobeloch (1890–1985), Gründungsmitglied der ‚Buddhistischen Gesellschaft Berlin‘, sprach von den neuen Gruppen abschätzig als „Importgut“ und bezeichnete

105 Kassapa, 1987a: 3. Schon 1952 hatte der Schüler Nyānatilokas, der ebenso hoch geschätzte Nyānaponika (Siegmund Feniger) den Vorschlag zu einem ‚Haus der Stille‘ formuliert. Zum ‚Haus der Stille‘ siehe Hecker 1985: 82–84; Kassapa 1987a und Baumann 1995: 184–189. 106 Kassapa 1987b: 17. Für die satipaṭṭhāna-Meditation ist das Mahāsatipaṭṭhāna Sutta in den Lehrreden des Pāli-Kanons im Digha Nikāya (Mahā Vagga, 2. Teil, 9. Rede) bzw. im Majjhima Nikāya 10 grundlegend. 107 Die fehlende Beteiligung junger Personen an Meditationskursen ab 1963 im ‚Haus der Stille‘ zeigt sich anhand der Fotobände in der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg, siehe Band 2 für die Jahre 1961–1968 und Band 3 für 1968–1977. 108 Dieser Sachverhalt wird eindrücklich anhand der Lebenserzählungen von Buddhisten und Buddhistinnen, die in den 1980er und 1990er Jahren Leitungsfunktionen in der Deutschen Buddhisten Union und in buddhistischen Zentren inne hatten, deutlich, siehe Waskönig 2003.

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den rein denkerischen Zugang als die spezifische Form des Buddhismus in Deutschland. Ein solcher „deutscher Buddhismus“ würde sich auf Vernunft, Logik und rationale Erkenntnis gründen, er sei eine „mathematische“ Religion.109 Solche Zuspitzungen und teils Polemiken vermochten jedoch nicht, die aufkommende Konkurrenz von „neuen Heilsunternehmern“110 im buddhistischen Feld in die Schranken zu weisen. Ganz im Gegenteil, die nachfolgenden Entwicklungen, die mit dem Auftreten neuer Lehrer und Lehrerinnen und ihren unterschiedlichen buddhistischen „Botschaft[en] […] die religiöse Nachfrage einer [je] bestimmten Gruppe von Laien befriedigen“ konnten,111 führten zu einer großen innerbuddhistischen Pluralität und Heterogenität. Ab den 1970er Jahren bildeten sich zahlreiche neue Zen-Gruppen, da japanische Zen-Meister wie Tetsuo Nagaya Kiichi Rōshi (1895–1993) und Taisen Deshimaru Rōshi (1914–1982) regelmäßig zu Lehrseminaren nach Europa kamen und Schüler annahmen. Gerade in der Sōtō-Tradition nach Deshimaru, der in Frankreich mit dem großen Zen-Tempel La Gendronnière einen zentralen Übungsort für Übende und Ordinierte in Europa schuf, bildeten sich viele lokale Zentren und Klöster unter dem Dach der ‚Association Zen Internationale‘.112 Auch der amerikanische Lehrer Kapleau kam 1975 und hielt im ‚Haus der Stille‘ ein sesshin ab; Schüler von ihm hatten ein Jahr zuvor das ‚Zen Center Hamburg e.V.‘ gegründet. Weitere amerikanische Lehrerinnen und Lehrer, u. a. Baker Rōshi, kamen in den Folgejahren und es entstanden zahlreiche neue Lokalgruppen, Zentren wie die ‚Hakuin Zen Gemeinschaft‘ um Genpo H. R. Döring und Verbände wie die ‚Zen-Vereinigung Deutschland e.V.‘ in der ‚Dharma-Linie‘ von Sawaki Kodo Rōshi, Deshimaru Rōshi und L. Tenryu Tenbreul (geb. 1956). Im Jahr 2016 listete das unabhängige Webportal ‚Zen-Guide Deutschland‘ über 300 Zen-Zentren in Deutschland auf, wobei beispielsweise jedoch nur wenige der 15 Dōjōs (Übungshalle) und 11 Zen-Gruppen der ‚Zen-Vereinigung‘ verzeichnet waren.113 Mit anderen Worten, es dürften in Deutschland, ebenso auch anderen Ländern Europas, deutlich mehr Zen-Gruppen und Dōjōs bestehen, als Verzeichnisse dies zu erfassen vermögen. Das Interesse an den Meditationsübungen des Zen ist seit den 1970er Jahren ungebrochen und Ausdruck der Suche nach Erfahrung, Ruhe, Selbstdisziplinierung und Einfachheit.114

109 110 111 112

Knobeloch 1960: 19, 21. Zum Kontext Baumann 1995: 268–270. Bourdieu 2009: 63. Bourdieu 2009: 59. Siehe http://www.zen-azi.org/de (Zugriff 5.9.2016), dort auch zum Tempel La Gendronnière. 113 Zur Zen-Vereinigung siehe www.zen-vereinigung.de/ (Zugriff 5.9.2016), zur 1988 gegründeten Hakuin Zen Gemeinschaft siehe Döring 2003. 114 Zur frühen Entwicklung siehe Baumann 1995: 78–81, zu den weiteren Entwicklungen 100–103 und generell in Europa Koné 2001.

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Schon vor der Institutionalisierung erster Zen-Gruppen und -Zentren in der Bundesrepublik hatten die Publikationen der in Japan lebenden Jesuitenpater Heinrich Dumoulin (1905–1995) und Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990) sowie von Karlfried Graf von Dürckheim (1896–1989) die Meditation im Stile des Zen in weiteren Kreisen bekannt gemacht.115 Insbesondere Lassalle, der bei Yamada Kōun Rōshi in der Sanbo Kyodan-Schule Zen erlernt hatte, verband Zen mit der Feier der katholischen Eucharistie und eröffnete manchen Katholiken und Katholikinnen einen neuen Zugang zu christlicher Frömmigkeit, zog andererseits auch Kritik von buddhistischer Seite auf sich. 1968 hielt Lassalle Zen-Kurse in verschiedenen Benediktiner-Abteien, ein Jahr später auch im ‚Haus der Stille‘, jedoch „nicht ohne Widerstand orthodoxer Buddhisten“.116 Die Verbindung von Zen-Meditation und katholischer Frömmigkeit im Stile Lassalles fand in den Folgejahren im deutschsprachigen Raum viele Schüler und Übungsorte, u. a. im Meditationshaus St. Franziskus im fränkischen Dietfurt (von Lassalle 1977 eingeweiht), der Würzburger Abtei Münsterschwarzach und dem Benediktushof in Unterfranken unter Leitung des Zen-Lehrers Willigis Jäger (geb. 1925, Schüler von Yamada), mit dem LassalleHaus Bad Schönbrunn in der Schweiz sowie dem ‚Zendo Wien 5‘, geleitet vom katholischen Priester und Zen-Meister Karl Obermayer (geb. 1939, Schüler von Lassalle und Nagaya), in Österreich. In der Theorie der Religionskontakte handelt es sich hier um Fusions- und Verschmelzungsprozesse, wobei je nach Lehrer und Haus stärker katholische, Zen-buddhistische oder traditionsungebundene Aspekte in den Vordergrund treten. Widerspruch von ‚Hütern der Tradition‘, sei es von römisch-katholischer oder Zen-buddhistischer Seite, fand sich teils von hoher Stelle.117 Ebenso wie in Deutschland setzte ab den 1970er Jahren in der Schweiz nach Vorträgen von Nagaya Rōshi und Deshimaru Rōshi die Gründung von Zen-Gruppen ein. In der Schweiz führte Nagaya Rōshi 1970 in Brissago und 1971 in Caviano im Tessin erste sesshins durch und kurz darauf entstanden 1972 in Genf (in der Übungstradition von Deshimaru Rōshi) und 1975 in Zürich Zen-Gruppen (durch Heinrich B. Platov, Schüler von Sasaki Rōshi). In zahlreichen Städten und Gemeinden bildeten sich in den folgenden Jahren affiliierte Ortsgruppen. Die ‚Zen-Vereinigung Schweiz‘ als regionaler Zweig der französischen ‚Association Zen Internationale‘ (AZI) nach Deshimaru Rōshi ist ähnlich wie in Deutschland einer der größten

115 Dumoulin 1959, 1966; Lassalle 1959, 1966; von Dürckheim 1959, 1961. 116 Hecker 1985: 109. 117 Beispielsweise erteilte die römisch-katholische Glaubenskongregation unter der Leitung von Kardinal Josef Ratzinger im Jahr 2000 Pater Willigis Jäger ein Rede- und Schreibverbot. Von buddhistischer Seite polemisierte schon früh der Berliner Zen-Lehrer Klaus Zernickow (Sōtetsu Yūzen Sensei) gegen ein ‚Zen für Christen‘ als „Etikettenschwindel“ und eine „Zweckentfremdung des Zen“, siehe Zernickow 1983: 155. Wegen seiner Lehrmethoden geriet Zernickow später selbst in Kritik.

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Verbände mit fünf Gruppen und sechs Dōjōs. Zu der Zen-Praxis aus Japan kamen Zen-Übungsformen von Traditionen Vietnams und Koreas hinzu.118 In Österreich verliefen die Entwicklungen etwas langsamer und zeitlich um ein Jahrzehnt später als in Deutschland. 1975 hatten Erich Skrleta, der in Wien eine buddhistische Versandbuchhandlung gegründet hatte, und Franz Ritter im ländlich gelegenen Scheibbs in Niederösterreich das ‚Buddhistische Zentrum Scheibbs‘ ins Leben gerufen. Als überregionales, traditionsungebundenes Zentrum ermöglichte es die Durchführung buddhistischer Meditationsseminare und Retreats, besonders von Zen- und vipassanā-Seminaren (Klarblick-Meditation). Mit der Ankunft 1979 des Zen-Priesters Dai Osho Genro (Herbert Koudela, 1924–2010), der ab 1972 in Kalifornien Schüler des Rinzai-Zen-Meisters Kyozan Joshu Sasaki Rōshi (1907– 2014) war, kam ein autorisierter Zen-Lehrer nach Österreich. Mit der Gründung des ‚Bodhidharma Zendo Wien‘ 1979 und regelmäßigen Zen-Seminaren von Joshu Sasaki Rōshi im Zentrum Scheibbs stieg die Zahl Interessierter und Mitglieder an. In Innsbruck entstand 1986 die ‚Zen Gemeinschaft Kannon-do‘ in der Traditionslinie des ‚Phönix Wolken Ordens‘ von Kobun-Chino Rōshi und Vanja Palmers. Mit dem ländlichen ‚Haus der Stille‘ in Puregg hat sich die Gemeinschaft 1989 einen Ort für längere und intensive Praxis geschaffen, ebenso wie zuvor US-amerikanische Stadt-Zentren in den Bergen der West- und Ostküste sowie etwa Hamburger Buddhisten mit dem ‚Haus der Stille‘ in Roseburg ruhige und abgelegene Praxisorte schufen. Insgesamt ist die Zahl von Zen-Gruppen und -Zentren in Österreich im Vergleich zur Schweiz und zu Deutschland jedoch begrenzt geblieben, deutlich stärker ist die Zahl tibetisch-buddhistischer Lokalgruppen und Zentren.119

3.4. Abgrenzung und Anpassung: Zen-Buddhismus in Brasilien und Australien Die Entwicklungen des Zen-Booms in weiteren Ländern Europas und der südlichen Hemisphäre verliefen teils ähnlich wie bei den exemplarisch im Detail dargestellten Gründungs- und Institutionalisierungsprozessen im deutschsprachigen Raum und in den USA.120 Aufschlussreich ist dabei etwa für Brasilien, dass Zen-Buddhismus nach der Gründung erster Zen-Tempel zur religiösen Betreuung japanischer Personen (Mitte 1950er Jahre) im Zuge der westlichen Idealisierung, verbunden

118 Zum Zen in der Schweiz siehe Baumann 1998 und die Seite der Schweizerischen Buddhistischen Union/SBU, http://www.sbu.net/traditionen (Zugriff 19.2.2016) 119 Siehe ÖBR, o. J. und die Webseiten der benannten Häuser und Zentren. Zur Anzahl buddhistischer Gruppen siehe www.buddhismus-austria.at/buddhismus-in-oesterreich/ oebr-gruppen-und-orden/ und die dortige Karte (Zugriff 19.2.2016). 120 Zu Entwicklungen etwa in Großbritannien siehe Oliver 1979: 178–192 und Bluck 2006: 18f., 65–88, zu weiteren Ländern Europas siehe Rommeluère 1997.

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mit einer starken Popularisierung und Kommerzialisierung, in den 1990er Jahren zu einem Merkmal sozialen Klassenunterschieds wurde. Den Medien zufolge betone Buddhismus und besonders Zen Einfachheit, inneres Glück, Frieden und Ausgeglichenheit. In der von Korruption, Gewalt und großer Ungleichheit gekennzeichneten brasilianischen Gesellschaft assoziieren die oberen, vermögenden Mittelschichten Zen mit Attributen wie modern, kosmopolitisch, chic und ästhetisch. Sie sind in der Lage, ihre Wohnung im ‚Zen-Stil‘ minimalistisch zu möblieren, passende Accessoires für die Zen-Meditation zu kaufen und an Zen-Retreats im Ausland teilzunehmen. In dieser Weise modisch und kosmopolitisch, sind Buddhismus und Zen zu Markenzeichen von gehobener Konsumkultur geworden, die ihre Träger als sozioökonomisch distinkt von den als ‚rückständig‘ angesehenen katholischen und evangelikalen unteren Schichten ausweisen. Das in den USA konstruierte Bild von Zen (s. Abschnitt 3.2.) verwenden im Kontext Brasiliens obere Schichten und ihre konsumierten Medien zur Markierung von Habitus- und Klassendistinktion.121 Während im religiösen und ökonomischen Feld Brasiliens Buddhismus und Zen für soziale Grenzziehungen angewandt wird, bemühten sich Zen-Praktizierende im multikulturellen Politikkontext Australiens der 1980er und 1990er Jahre um Angleichung und Heimisch-werden. Wie Spuler am Beispiel des von Robert Aitken gegründeten Diamond Sangha aufzeigt, zielt die Lehre und Praxis auf eine Anwendung in Beruf und Alltag. Übungen der Achtsamkeit und Konzentration sollen aus dem Retreat und der Meditationshalle herausgetragen werden und sich in zivilbürgerlichem Engagement etwa bei Wohltätigkeits- und Hilfsorganisationen niederschlagen.122 Während Spuler im Jahr 2000 fünf Diamond Sanghas und weitere zehn Zen-Gruppen und Zentren in japanischer Tradition zählte, führte das Online-Portal BuddhaNet für das Jahr 2016 zehn Diamond Sanghas und knapp 20 Zen-Gruppen und Zentren auf: Zudem bestehen zahlreiche Zentren und Tempel in vietnamesischer, chinesischer und koreanischer Zen-Tradition.123 Die aktuelle Prominenz von Zen und einer Vielzahl weiterer buddhistischer Gruppen, Zentren und Klöster kontrastiert dabei auffallend mit dem Beginn der Institutionalisierung des Buddhismus in Australien. Der ersten 1952 gegründeten Organisation gehörten vornehmlich Mitglieder mit höherer Bildung an und sie betrachten ihr Buddhistsein als nicht viel mehr als ein „Hobby“, so Croucher.124 Führende Buddhisten wie Charles F. Knight (1890–1975) und Natasha Jackson

121 Zu Zen als Klassendistinktion siehe Rocha 2006: 144–152. Rocha analysiert ebenso instruktiv Prozesse von Angleichung und Vermischung von Zen-Buddhismus im religiösen Feld Brasiliens, siehe ebd. 91–126. Siehe auch Usarski 2002. 122 Spuler 2003: 78–81. 123 Spuler 2003: 18 und www.buddhanet.info/wbd/search.php?keyword=Diamond&search= Search&country_id=18&province_id=0&tradition%5B%5D=mahayana (Zugriff 8.9.2016). 124 Croucher 1989: 45.

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(1902–1990) sahen Buddhismus als einen Triumph von Rationalismus und benutzen diesen als Gegenpart in ihren Attacken auf das Christentum. Dazu Croucher: „It was a strongly intellectualized approach, going to great lengths to prove that Buddhism was fully consonant with scientific thinking“.125 Ab den 1970er Jahren sollten sich jedoch das Selbstverständnis, die Themen und die Zusammensetzung buddhistischer Organisationen in Australien, insbesondere aufgrund umfangreicher Einwanderungen aus Vietnam, Laos und Kambodscha, gewaltig ändern.126 Während der 1960er und 1970er Jahre kamen, mit Ausnahme Australiens, zudem sri-lankische, thailändische, chinesische, taiwanesische, koreanische und japanische Lehrer und Lehrerinnen sowie weitere buddhistische Traditionen in viele westliche Länder. Als eine der stärksten unter diesen transnational ansässigen Organisationen erwies sich die japanische Sōka Gakkai International, die in den USA Mitte der 1990er Jahre 300 000 Mitglieder geltend machte.127

3.5. Ankunft und Etablierung tibetisch-buddhistischer Schulen Dem Zen-Boom folgte ein steiler Anstieg des Interesses am tibetischen Buddhismus. Schon Ende der 1960er Jahre waren mit Tarthang Tulku (geb. 1935) und Chögyam Trungpa (1939–1987) zwei ranghohe tibetische Lehrer in die USA gekommen. Sie gründeten mit Vajradhatu (später umbenannt zu Shambhala International) und dem Nyingma Institute neue Organisationen und prägten mit neuen, an den US-amerikanischen Kontext angepassten Lehr- und Praxisformen stark die Interpretation tibetisch-buddhistischer Inhalte und Praxisformen in den USA und später in Europa und weiteren Ländern.128 In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren reisten mehr und mehr junge Europäer und US-Amerikaner nach Nepal und Indien, um die nach ihrer Flucht aus Tibet nunmehr dort wohnenden Mönche und Lamas aufzusuchen. Viele waren fasziniert von den Begegnungen und begannen enthusiastisch die tibetische Spra-

125 Croucher 1989: 54f. Für weitere Details zur Frühzeit siehe Croucher 1989: 37–79 und Adam/Hughes 1996: 6–9. 126 Siehe Adam/Hughes 1996: 31–66 und Rocha/Barker 2011. 127 Hammond/Machacek 1999: 37. Zur Sōka Gakkai, die 1930 in Japan als Werte- und Bildungsgesellschaft gegründet wurde und sich unter ihrem dritten Präsidenten Daisaku Ikeda stark internationalisierte, siehe Prebish 1999: 23–26, 114–127; Hammond/Machacek 1999 sowie Seager 2006. In Brasilien bspw. gab es um 2005 etwa 150 000 Mitglieder, Seager 2006: 184. 128 Zu Tarthang Tulku siehe u. a. Seager 2012: 142–150, zu Chögyam Trungpa siehe Prebish 1999: 43–46, 158–171 und Rakow 2014. Die Themen der Faszination mit Tibet und der Flucht von zehntausenden Tibetern Ende der 1950er Jahre nach Nepal und Indien soll hier nicht rekapituliert werden, siehe dazu ausführlich Korom 1995, 1997; Dodin/Räther 1997; Bishop 1993; Brauen et al. 2000.

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che, Texte, Lehre und Praxis zu erlernen.129 Auch die beiden Dänen Hannah und Ole Nydahl, die 1969 auf Hochzeitsreise in Indien und Bhutan waren, begegneten dort ‚ihrem‘ tibetischen Lehrer, dem 16. Gyalwa Karmapa (1923–1981).130 Sie ließen sich in die Lehren und Meditationsformen der tibetischen Schule der Karma-Kagyü einführen und gründeten nach ihrer Rückkehr 1972 in Kopenhagen das erste Karma-Kagyüpa-Zentrum Europas. Diesem Zentrum folgten in den nachfolgenden Jahrzehnten hunderte von Zentren auf allen Kontinenten, initiiert durch Reisen des 16. Gyalwa Karmapa, Linienhalter der Karma-Kagyüpa, und seinem dynamischen Schüler Ole Nydahl (geb. 1941). Dem Chronisten Hecker zufolge „schossen jetzt an vielen Stellen der westlichen Welt Karmapa-Zentren aus dem Boden“, wie er 1985 konstatierte.131 Die Ende der 1990er Jahre in ‚Diamantweg-Buddhismus‘ umbenannte Organisation ist stark auf Lama Ole Nydahl zentriert, so stehen die 652 Zentren weltweit (Stand November 2016) unter seiner Leitung.132 So war Nydahl bspw. in Osteuropa schon vor der politischen Wende 1989 nach Polen, Bulgarien, in die seinerzeitige Sowjetunion und in die baltischen Republiken gereist und hatte zahlreiche lokale Gruppen gegründet. Die frühe Präsenz und wiederholte Vortragsreisen Nydahls führten gemäß Eigenangaben zur Bildung vieler Gruppen und Zentren des Diamantweg-Buddhismus: in Russland bestehen 20 Gruppen und 46 Zentren und in Polen elf Gruppen und 47 Zentren. Gruppen und Zentren gibt es etwa auch in der Tschechischen Republik, in Bulgarien, Rumänien und der Ukraine. Das Interesse an Meditation, die unkonventionellen, wenig formalistischen Lehrmethoden Nydahls und die stark positiv geprägte Deutung des Buddhismus in Nordamerika und Westeuropa dürften zum Aufschwung dieser Buddhismusinterpretation in osteuropäischen Ländern beigetragen haben.133 Andererseits hat in Westeuropa Nydahls unkonventioneller Lehrstil und der Anspruch, eine tausend Jahre alte buddhistische Lehrtradition für die Anwendung in Alltag und Beruf zu lehren, auch viele Kritiker und Kritiken in der westlich-buddhistischen Welt.134 Viele andere tibetische Lamas reisten ebenso in den frühen 1970er Jahren in den Westen, so 1971 der fast 70-jährige Kagyüpa Lama Kalu Rinpoche (1905–1989).

129 Exemplarisch schildert die bekannte deutsche Buddhistin Sylvia Wetzel ihre lebensverändernde Begegnung mit dem Lama Thubten Yeshe in Dharamsala, Wetzel 2003: 299f. 130 Dazu aufschlussreich Nydahl/Nydahl 1975 und Nydahl 1990. 131 Hecker 1985: 101. 132 Siehe die Webseite www.diamondway-buddhism.org/diamondway-buddhist-centers/ (Zugriff 5.11.2016). Religiöser Linienhalter ist der als 17. Karmapa angesehene Trinley Thaye Dorje (geb. 1983). 133 Siehe die Webseite www.diamondway-buddhism.org/diamondway-buddhist-centers/ country/ und dortige Länder (Zugriff 24.10.2016). 134 Kritiker bemängeln u. a. Nydahls Äußerungen zum Islam, seinen Alleinvertretungsanspruch für den Buddhismus, die Vereinfachung von Lehrinhalten und Ritualen, das Frauenbild Nydahls und seinen Lebenswandel; siehe Saalfrank 1997: 129–140 und Peljor 2007.

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Er gründete 1972 in Vancouver das erste Kagyüpa-Zentrum in Nordamerika. Diesem folgte drei Jahre später das Zentrum Dhagpo Kagyu Ling in Plaige im Burgund. Dort leitete Kalu Rinpoche das erste Drei-Jahresretreat zur Ausbildung westlicher Buddhisten und Buddhistinnen zum Lama: für drei Jahre, drei Monate und drei Tage schlossen sich für sieben Männer und sechs Frauen unterschiedlicher Nationen die Türen zur Außenwelt. Weitere solcher Langzeit-Retreats folgten in den kommenden Jahren auch in den anderen der tibetisch-buddhistischen Schulen, womit der Grundstein für die Ausbildung eines tibetisch-buddhistischen Saṅgha mit westlichen Mönchen und Nonnen gelegt wurde.135 Ebenso in die frühen 1970er Jahre fiel die erste Reise des 14. Dalai Lama nach Europa. Schon 1968 war in der Schweiz unter seinem Patronat mit dem Klösterlichen Tibet-Institut Rikon (in der Nähe von Winterthur und Zürich) ein erstes Gelugpa-Kloster zur Betreuung der tibetischen Flüchtlinge erbaut worden. Viele weitere Reisen des Dalai Lama nach Europa, Nordamerika und weiteren Kontinenten folgten. Für die Gelugpa in Deutschland wurde das 1977 in Hamburg von Geshe Rabten eingeweihte Tibetische Zentrum wichtig. Als Meditations- und Studienzentrum konzipiert, erhielt das Zentrum 1979 mit Geshe Thubten Ngawang (1931– 2003) einen bedeutenden und weithin geachteten spirituellen Leiter.136 Mit der Übersiedlung vieler bedeutender buddhistischer Lamas und Rinpoches nach Europa und Nordamerika, so bspw. dem Nyingmapa-Tulku Sogyal Rinpoche (geb. ca. 1945/48), der 1975 in London und 1976 in Paris erste Zentren und 1981 die Rigpa Fellowship mit Sitz in Santa Cruz, Kalifornien, gründete, entstanden in zahlreichen Städten neue buddhistische Gruppen und Zentren.137 Ohne hier ins Detail gehen zu können, verliefen die Entwicklungen des Aufschwungs und der Etablierung tibetisch-buddhistischer Zentren und Retreathäuser ebenso in Australien, Afrika und Südamerika. Festzuhalten ist, dass neben der Übertragung der vier bzw. fünf tibetisch-buddhistischen Schulen von Nyingmapa, Sakyapa, Kagyüpa, Gelugpa und Rime auch neue Untergruppierungen und Organisatio-

135 Siehe Fields 1981: 333–335; Batchelor 1994: 73, 111 und den Erfahrungsbericht McLeod 1988. Für die Ausbildung westlicher Schüler und Schülerinnen ist das Kopan-Kloster in der Nähe von Kathmandu ebenso bedeutend. Das in der Gelug-Tradition stehende Kloster war 1969 von Lama Thubten Yeshe (1935–1984), einem engen Schüler Geshe Rabtens, und von Lama Thubten Zopa (geb. 1946) sowie der US-amerikanischen Exil-Russin und Erbin Zina Rachevsky (1931–1972) ins Leben gerufen worden; siehe Snelling 1991: 284 und Batchelor 1994: 200–201. 136 Das Zentrum (www.tibet.de) bietet bspw. ein sich über sieben Jahre erstreckendes systematisches Studium des Buddhismus an. Dem Tibetischen Zentrum angegliedert ist das 1986 eröffnete Meditationshaus Semkye Ling in der Lüneburger Heide. 137 Zu Sogyal Rinpoche und der Rigpa Fellowship und anderen tibetisch-buddhistischen Lehrenden und Organisation in Deutschland siehe Baumann 1995: 89–96; in den USA siehe Prebish 1999: 40–46 und Seager 2012: 141–157. Zur Attraktivität des tibetischen Buddhismus für westliche religiöse Sucher siehe instruktiv Bitter 1988, ebenso Bishop 1993: 97–106 und Capper 2004.

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nen wie Chögyam Trungpas Vajradhatu oder Sogyal Rinpoche Rigpa Fellowship durch charismatische, hochrangige Lamas und Rinpoches in den 1970er und 1980er Jahren entstanden. Verstehen sich diese Organisationen als Teil ihrer tibetischen Schule, so stellt sich die 1991 etablierte ‚Neue Kadampa-Tradition‘ (NKT) außerhalb solch eines Schulkontextes. Ihr Gründer und Initiator, der Gelugpa-Gelehrte und Leiter des 1976 in England gegründeten Manjushri-Instituts, Geshe Kelsang Gyatso (geb. 1932), reklamiert vielmehr, die ‚eigentlichen‘ Lehren des Reformers Tsongkhapa (14./15. Jahrhundert) wieder zum Leben zu erwecken. Der Prozess der Verselbstständigung des Manjushri-Instituts ging mit einer zunehmenden Distanzierung Geshe Kelsang Gyatsos von etablierten Gelugpa-Lehrmeinungen einher. Er gipfelte in öffentlichen Anschuldigungen gegen den Dalai Lama im Zuge der ‚Dorje Shugden-Affäre‘ ab 1996, dem Jahr, in dem der Dalai Lama zur Aufgabe der ShugdenPraxis aufrief. Trotz der teils negativen Schlagzeilen, die diese Kontroverse hervorbrachte, entwickelte sich die Neue Kadampa-Tradition zu einer dynamischen und sehr schnell wachsenden Organisation. Reklamierte sie 2004 knapp 700 Kadampabuddhistische Zentren, so Mitte 2016 bereits 1 200 Zentren in über 40 Ländern.138 Die NKT ist nicht nur ein Beispiel des mitunter äußerst schnellen Wachstums einer global und missionarisch orientierten tibetisch-buddhistischen Organisation.139 Sie verdeutlicht zugleich, dass der Prozess der Ausbreitung intern zu Reibungen und Konflikten führen kann. Skandale um den Missbrauch von LehrerSchülerinnen-Beziehungen,140 Dispute um zwei inthronisierte 17. Karmapas, die Kontroverse um die Schutzgottheit Dorje Shugden oder harte Kritik am Dalai Lama141 hätten womöglich Zweifel an der Idealisierung von allem, was tibetisch ist, anmelden können. Die Themen wurden in der Öffentlichkeit und Medien jedoch als Einzelfälle gewertet, die den Positivdiskurs nicht in Frage stellten. Vielmehr hatte die Filmindustrie Tibet und den tibetischen Buddhismus mit Filmen wie Little Buddha (1993) und Sieben Jahre in Tibet (1997) entdeckt und romantisierend idealisiert.142 Dieses beflügelte die Gründung von Gruppen und Zentren, die von global reisenden Lamas und Nonnen betreut werden. Zudem unterstützen zahlreiche tibetisch-buddhistische Lehr- und Praxisbücher sowie Autobiographien die Wachstumsdynamik, die sich weiterhin fortsetzt.

138 Siehe die Webseite http://kadampa.org/centers (Zugriffe 13.9.2004 und 9.8.2016). Zur NKT und Dorje Shugden-Affäre siehe Lopez 1998: 188–196 und Kollmar-Paulenz 2009. Ausführliche Portraits zur NKT und lokalen Gruppen in Großbritannien geben Waterhouse 1997: 135–182, Kay 2004 und Bluck 2006: 129–151. Die NKT wird aufgrund ihrer stark missionarischen, exklusiven und nach innen rigiden Ausprägung wiederholt kritisiert, siehe u. a. DBU 2014. 139 Zu missionarisch global agierenden tibetisch-buddhistischen Organisation siehe Obadia 1999, der dieses für Frankreich aufzeigt. 140 Dazu Campbell 1996 und Bell 2002. 141 Trimondi/Trimondi 1999. 142 Dazu instruktiv Brauen et al. 2000: 176–181.

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3.6. Vipassanā-Zentren, Pāli-Kanon-Gesprächsgruppen und westliche Waldmönche Die Ankunft japanischer Rōshis und tibetischer Lamas und Rinpoches seit den 1970er Jahren in Europa und Nordamerika, bald auch in der südlichen Hemisphäre, hat zu einem steilen Anstieg der Anzahl von Gruppen und Zentren in einem Land geführt. Diesen Anstieg verstärkten zudem zahlreiche weitere neue Meditationsgruppen, die vipassanā (Klarblick-Meditation) oder satipaṭṭhāna (Achtsamkeits-Meditation) vermittelten. Traditionell war Meditation als siebtes (pāli sammā sati, Rechte Achtsamkeit) und achtes Glied (samādhi, Rechte Sammlung) des Edlen Achtfachen Pfades im Theravāda-Buddhismus nur Mönchen vorbehalten und bedurfte eines langen und aufwendigen Übungswegs. Die Vermittlung von Meditation an Laien ist keine westliche Neuerung, sondern auf Reformen des Theravāda-Buddhismus im frühen 20. Jahrhundert zurückzuführen: Als Reaktion auf die Kolonialerfahrung besann sich die neue städtische Mittelschicht in Birma, Thailand und Ceylon auf das religiöse Erbe, um die nationale Identität und Würde wiederzuerlangen. In Anlehnung an das britische Christentum betonte die Theravāda-Reform den Wert des Individuums und die textliche Grundlage, kritisierte zugleich volksreligiöse Praktiken und Rituale. Reformerische thailändische bzw. birmesische Mönche wie Phra Ajahn Mun (1870–1949), Ledi Sayādaw (1846–1923) und U Nārada (1868–1955) entwickelten auf der Grundlage eigener Erfahrungen und textlicher Basis neue Meditationsmethoden, die ohne die in kanonischen Texten geforderten vorbereitenden aufwendigen Übungen (samatha) unmittelbar die vipassanā-Meditation ermöglichten. Die Schüler dieser Reformer, die Meditationsmeister Sayagyi U Ba Khin (1899–1971), Mahasi Sayādaw (1904–1982), Ajahn Chah (1918–1992) sowie Satya Narayan Goenka (1924–2013, ein Schüler von U Ba Khin) verbreiteten die neuen Meditationsmethoden mit der Etablierung von neuen, im Theravāda-Buddhismus bislang unbekannten Meditationszentren.143 In diesen reformerischen Klöstern und den Zentren lernten in den 1960er Jahren die ersten westlichen Interessierten und Enthusiasten, allen voran Jack Kornfield, Joseph Goldstein, Sharon Salzberg, Ruth Denison, John Colemann, Fred von Almen und Christopher Titmuss. Propagierte die erste Generation Europäer in Südasien mit Nyānatiloka, Ananda Metteyya und U Dhammaloka (siehe Abschnitt 2.4.) das Mönchsideal und kanonische Lehrinhalte, so betonte diese zweite

143 Zu den Reformen siehe Sharf 1995: 242–243; 251–259, zu Birma (heute Myanmar) siehe den Klassiker von King 1964, zu Ceylon (heute Sri Lanka) siehe Bond 1988: 130–240. Bei den frühen Reformen ist auch Anagarika Dharmapāla zu nennen. Zu den südasiatischen Theravāda-Meditationslehrern siehe Kornfield 1977. Für den deutschsprachigen Bereich ist der gebürtige Deutsche bhikkhu Nyānaponika (1901–1994), Schüler und Nachfolger von Nyānatiloka und Autor des Bestsellers The Heart of Buddhist Meditation (1953) anzuführen; siehe Bhikkhu Bodhi 1995; Hecker 1997: 60–92.

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Generation westlicher Männer – und Frauen (!) – nach ihrer Rückkehr nach Europa und den USA die Meditation für Laien, die Möglichkeit, Erleuchtung in diesem Leben zu erlangen, und eine Orientierung am Lehrer bzw. Lehrerin, nicht mehr am Saṅgha. Diese neue, stark auf das Individuum bezogene Akzentuierung führte in Folge der kulturellen Aufbrüche der 1960er Jahre zur starken Verbreitung und Popularisierung dieses neuen ‚Heilsguts‘ südasiatischer Meditationspraktiken im Westen. Das wohl bekannteste „neue Heilsunternehmen“, das die „religiöse Nachfrage einer bestimmten Gruppe von Laien befriedigen kann“,144 ist die 1975 von Salzberg, Kornfield und Goldstein in Barre (Massachusetts, USA) gegründete Insight Meditation Society (IMS). Die IMS verzichtet bewusst auf südasiatisches Vokabular und Dekorum und präsentiert in Seminaren, Vorträgen, Büchern und Videos vipassanā-Meditation als universale Achtsamkeitstechnik für individuelles ‚Erwachen‘, Mitfühlen und psychologische Gelassenheit. Die Betonung des Individuums, eigene Erfahrungen, Umsetzung im Alltag und ein vager Bezug auf die Lehren des Buddha – nicht auf die buddhistische Tradition – markieren die Angleichung an den US-amerikanischen Gesellschaftskontext und ermöglichten deren Popularisierung in weite Bevölkerungskreise.145 Im deutschsprachigen Raum ist die deutschgebürtige Nonne Ayya Khema (Ilse Ledermann, 1923–1997) die bekannteste vipassanā-Lehrerin. 1979 als dasa sila mata (Frauen, die die zehn Gelübde befolgen146) in Sri Lanka und 1988 in Los Angeles über die chinesische Linie ordiniert, gründete sie 1989 das Buddha-Haus im Allgäu. Diesem folgte 1997 das Waldkloster Metta Vihara. Ayya Khema lehrte samathaund vipassanā-Meditation und bezog sich auf die Lehren des Buddha, jedoch nicht auf rituelle Aspekte der Theravāda-Tradition. Aufgrund ihrer wachsenden Schülerzahl gründeten die zahlreichen Lehrenden viele Meditationsgruppen von Kiel bis Konstanz: Gab es 1991 nur 16 dem Buddha-Haus angeschlossene Gruppen, so wuchs die Zahl auf 70 Lokalgruppen im Jahr 2016 an.147 In der Schweiz gründete der vipassanā-Lehrer Fred von Allmen 1978 die Dhamma-Gruppe Bern und eröffnete 1998 in Zusammenarbeit mit weiteren Meditationslehrern das großzügige Meditationszentrum Beatenberg oberhalb des Thunersees.

144 Bourdieu 2009: 63, 59. 145 Zur Insight Meditation Society und ihrem Pendant an der Westküste, dem Spirit Rock Center, siehe Prebish 1999: 148–158; Seager 2012: 168–173 und Wilson 2014: 31–74 sowie die Webseiten www.dharma.org/ und www.spiritrock.org/ (Zugriffe 4.10.2016). Für einen Überblick zu vipassanā-Lehrern in Europa siehe Batchelor 1994: 349–352 und Gruber 1999. Zum westlichen vipassanā-Saṅgha siehe auch instruktiv Rawlinson 1997: 586–596. 146 Die Frauen führen den Lebenswandel einer buddhistischen Nonne, sind vom sri-lankischen Saṅgha aber nicht als bhikkhuni (Nonne) anerkannt; siehe Lindberg Falk 2007: 25–30; Drover/Hutter 2016: 40f. 147 Zu Ayya Khema siehe ihre Autobiographie 1997 und Rawlinson 1997: 372–374. Zum Buddha-Haus und den ihm verbundenen Meditationsgruppen siehe die Liste auf der Webseite des Buddha-Hauses, www.buddha-haus.de/ > Meditationsgruppen (Zugriff 10.9.2016).

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Zudem bestehen im deutschsprachigen Raum verschiedene regional verankerte Initiativen, in denen sich Buddhisten und Buddhistinnen mit Lehr-, weniger mit Praxisinhalten des Pāli-Kanons auseinandersetzen. Schon seit den ausgehenden 1940er bis in die 1970er Jahre hatte Paul Debes (1906–2004) im norddeutschen Raum gut besuchte Vorträge und ‚Besinnungswochen‘ für die Vertiefung in der ‚Wirklichkeitslehre‘ des ‚Erwachten‘ angeboten. Den analytischen Ansatz führen Schüler von Debes unter der langjährigen Leitung von Hellmuth Hecker (geb. 1923) seit 1976 im Lehrredenkreis in der Buddhistischen Gesellschaft Hamburg fort.148 In der Schweiz wirkte Kurt Onken (1914–2007) mit der Herausgabe der Schriftenreihe Bodhi Blätter und der Gründung des Tagungshauses ‚Haus der Besinnung' in Dicken (Nordostschweiz) im Jahr 1974, welches u. a. von Debes, Hecker und verschiedenen Mönchen besucht wurde.149 In Österreich führt die TheravādaSchule seit 1984 mit dem singhalesischen Mönch Bhante Seelawansa und der durch Ayya Khema autorisierten Lehrerin Ursula Lyon in Wien, Salzburg, Linz und Graz Veranstaltungen zu Achtsamkeits-Meditation sowie Vollmondtage mit Andachtszeremonien durch.150 Das theravāda-buddhistische Spektrum im Westen, das in Westeuropa seit dem späten 19. Jahrhundert bis auf die Ausnahme weniger Mönche durch Nicht-Ordinierte (‚Laien‘) interpretiert wurde, erfuhr mit den 1980er Jahren die Etablierung des monastischen Theravāda-Saṅgha. Einerseits gründeten westliche bhikkhus in der thailändischen Waldtradition von Ajahn Chah erste Klöster in England, andererseits kamen im Zuge von Zuwanderungen Buddhisten und Buddhistinnen aus Südasien, von Mönchen religiös betreut (s. Abschnitt 3.7.). Der Orden der westlichen Waldmönche, ‚Forest Sangha‘, führt seinen Beginn auf die Ordination des US-Amerikaners Robert Jackman (geb. 1934, Ordinationsnane Sumedho) als erstem westlichen Schüler des thailändischen Mönchs Ajahn Chah (Schüler des Reformers Ajahn Mun) zurück. Als weitere ‚Westler‘ zu Ajahn Chah kamen, der statt volksreligiöser Rituale den Fokus auf Meditation und umsetzungsbezogene Erklärungen des Dhamma legte, bat er 1975 Sumedho, das Waldkloster Wat Pah Nanachat (Internationales Waldkloster) zu gründen. In ihm werden westliche Interessierte in dem strikten Tagesablauf eines bhikkhus eingeübt, auf Englisch unterrichtet und auf Bitten ordiniert. 1978 entstand in der Folge des Besuchs von Ajahn Chah mit vier westlichen bhikkhus auf Einladung des English Sangha Trust in Sussex, Südostengland, das Chithurst Buddhist Monastery. Dieses bildet den Grundstein für die ste-

148 Zu Debes siehe Baumann 1995: 115–123 und das Portrait auf den Webseiten www.bud dha-dhamma.de/pauld.htm und www.theravada.ch/ unter Theravada-Buddhismus > Große deutschsprachige Buddhisten (Zugriffe 5.10.2016). 149 Zu Onken siehe das ausführliche Portrait auf der Webseite www.theravada.ch/ unter Theravada-Buddhismus > Große deutschsprachige Buddhisten (Zugriff 5.10.2016). Siehe auf der Webseite auch zu weiteren Gruppen, Zentren und Klöstern in Theravāda-Ausrichtung. 150 Siehe die Webseite www.theravada-buddhismus.at/ (Zugriff 5.10.2016).

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tige Aufnahme neuer westlicher bhikkhus und die Gründung von derzeit 14 Zweigklöstern in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland (Stand 2016). Die jeweiligen Klöster wiederum betreuen lokale Meditationsgruppen, so etwa das Kloster Dhammapala im Berner Oberland mit zwölf Gruppen in der Schweiz und sieben in Deutschland.151 Mit dem Forest Sangha ist erstmals in der Geschichte des Buddhismus ein Saṅgha außerhalb Asiens etabliert, der alleinig durch westliche Mönche gebildet wird und in Asien volle Anerkennung hat. Ajahn Chah und seinem Haupt- und Seniorschüler Ajahn Sumedho ist die strikte Orientierung an den Vorgaben des Vinaya (Regelwerk für Mönche), die Bedeutung des Saṅgha und die ‚Makellosigkeit‘ des Dhamma zentral. Abstriche daran schließt Ajahn Sumedho aus, weswegen die rund 100 Waldmönche (Stand: Oktober 2016) Hochachtung gerade unter thailändischen Buddhisten und Buddhistinnen im Westen und in Thailand genießen. Zugleich hat die individualisierte und religionsplurale Umwelt in England und anderswo den ‚Forest Sangha‘ zu Anpassungen in Form von öffentlichen Vorträgen, Familien-Dhamma-Gruppen, einer Dhamma-Schule sowie Beteiligung an interreligiösen Dialogaktivitäten veranlasst.152

3.7. Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens: Nordamerika Parallel zum Aufschwung des Buddhismus in Ländern außerhalb Asiens, der weitgehend von Konvertiten getragen wurde, waren auch Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens in westliche Länder gekommen. Forschungen und Medien interessierten sich jedoch fast ausschließlich für die Seite der Konvertiten und Konvertitinnen, asiatische Buddhisten wurden lange Zeit übersehen. Dabei waren erste Immigranten aus China schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts als Goldsucher und Minenarbeiter in die USA gekommen, gefolgt von Arbeitern aus Japan an der US-Westküste und in Brasilien (s. Abschnitte 2.6. und 2.7.). Ab Mitte der 1960er Jahre kamen im Zuge der Änderung der Immigrationsbestimmungen in den USA, Kanada und Australien hunderttausende Immigranten aus Süd- und Ostasien. Ihnen folgten ab den 1970er und 1980er Jahren Flüchtlinge aus Vietnam, Laos und Kambodscha. Sie veränderten die religiöse Landschaft in den Ländern nachdrücklich, neue buddhistische Andachtsstätten, Tempel und Pagoden in den jeweiligen

151 Zu Ajahn Chah siehe Kornfield 1977: 32–48 und Chah 2002. Zum ‚Forest Sangha’ siehe Batchelor 1994: 38–49; Bell 2000: 12–23 und Bluck 2006: 25–48, sowie die Webseiten https://forestsangha.org/ und http://cittaviveka.org/ (Zugriffe 4.10.2016). Zum Dhammapala-Kloster und affiliierten Meditationsgruppen siehe http://dhammapala.ch/klos ter-der-waldtradition/#meditationszentren (Zugriff 4.10.2016). 152 Siehe Rawlinson 1997: 553–559.

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landestypischen Traditionen entstanden derart rasch, so dass das US-Pluralismusprojekt von einem ‚Tempel-Boom‘ spricht.153 Paul Numrich erforschte als einer der Ersten immigrierte Theravāda-Buddhisten und -Buddhistinnen in den USA.154 Lebten dort Ende der 1960er Jahre etwa 6 000 Immigranten aus Thailand, Laos und Kambodscha, so waren dies Ende der 1980er Jahre über 600 000 Personen. Sie hatten bis Mitte der 1990er Jahre etwa 150 Tempel gegründet, die vielen der neuen Immigranten als erste Anlauf- und Kontaktstelle dienten. In den Tempeln geben Mönche Belehrungen, rezitieren PāliVerse und führen schutzgewährende Rituale wie Amulettbesprechungen aus. Laien haben die Möglichkeiten, den Mönchen Gaben zu spenden, Rat zu erhalten und an den Vollmondtagen im Tempel achtsam den acht buddhistischen Selbstverpflichtungen (pāli atthanga sīla) zu folgen. Hier wie bei anderen buddhistischen Diaspora-Tempeln weltweit fungieren die Tempel als kleine Heimat in der Fremde. Zugleich ist zu beobachten, dass viele Immigranten erst im individualistisch geprägten, religionspluralen Kontext ihre Religion neu und bewusster als zuvor kennenlernten. Weitgehend unausweichlich sind zudem Anpassungen an den neuen US-amerikanischen Kontext vorgenommen worden: Rituelle Andachten finden vorzugsweise am Sonntag statt, die großen Jahresfeste werden auf das Wochenende verlegt und buddhistische Laien beanspruchen in den neuen demokratischen Strukturen wesentlich mehr Mitsprache im Tempelmanagement. Letzteres führte bspw. Mitte der 1980er Jahre zur Entlassung von Mönchen und in der Folge zur Spaltung einer Thai-Tempelgemeinschaft, mit einem Saṅgha-dominierten Tempel, der sich mehr und mehr von der gesellschaftlichen Umwelt isolierte, und einem stärker laien- und meditationsbasierten Zentrum, das Sonntagsandachten in Englisch durchführte und thai-kulturelle Aspekte zugunsten eines ‚gereinigten Buddhismus‘ zurückdrängte.155 Die Anzahl chinesischer Immigranten nahm nach der wirtschaftlichen Öffnung Chinas 1978 ebenso rasant zu wie die der Immigranten aus Südasien. Lebten 1980 knapp 400 000 Hongkong- und Festland-Chinesen in den USA, so stieg die Zahl auf 1,2 Millionen im Jahr 2000 und 2 Millionen Personen im Jahr 2013 an.156 Neben vielen unscheinbaren kleinen buddhistisch-konfuzianischen Tempeln bestehen ebenso spektakulär große Tempel wie der Jade Buddha-Tempel in Houston und der Hsi Lai-Tempel in Hacienda Heights (bei Los Angeles). Der Hsi Lai-Tempel,

153 Webseite des Pluralism Project at Harvard University, http://pluralism.org/religions/ buddhism/buddhism-in-america/new-asian-immigration-and-the-temple-boom/ (Zugriff 6.10.2016). 154 Numrich 1996. 155 Numrich 1996: xviii, 1–38, 80–97. Cadge arbeitet in ihrer dichten Ethnographie eines Thai-Tempels den Prozess der bewussten Neuentdeckung buddhistischer Identität der Immigranten heraus, siehe Cadge 2004. 156 Hooper/Batalova 2015. Für Kanada beläuft sich die Zahl auf 900 000, für Australien auf 550 000 Chinesen und Chinesinnen.

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1989 gegen anfänglichen Widerstand aus der Nachbarschaft erbaut, zeigt eindrücklich den sozialen Wandel und Status: Chinesische Buddhisten bauten nicht mehr versteckte, enge Hinterhoftempel in Chinatowns des 19. Jahrhunderts, sondern großflächige, pompöse Tempel in chinesischer Architektur, mit einer großen Zahl residenter Nonnen und Mönche. Zudem sind sie, typisch für amerikanische Religionsgemeinschaften, etwa mit Wohltätigkeitsveranstaltungen und der Teilnahme an Paraden des 4. Juli zivilbürgerlich engagiert.157 Der Tempel gehört zum Fo Guang Shan-Orden, der 1967 in Taiwan vom buddhistischen Meister Hsing Yun (geb. 1927) gegründet wurde und einen gemäß Selbstbezeichnung „Humanistischen Buddhismus“ mit sozialen und edukativen Zielen vertritt. Ähnlich große Tempel errichtete der global agierende Orden seit den 1990er Jahren in Australien in Wollongong (1995), in Südafrika in Bronkhorstspruit (2005), in Frankreich östlich von Paris (2013) sowie weltweit 90 weitere Tempel, so auch in Berlin, Genf und Wien.158 Auch Vietnamesen, die als Flüchtlinge in die USA kamen und deren Zahl von 231 000 im Jahr 1980 auf knapp 1,3 Millionen Personen im Jahr 2014 anstieg, darunter knapp 1 Million Buddhisten und Buddhistinnen, errichteten bald nach ihrer Ankunft eigene Tempel.159 Zu Beginn oft im Wohnzimmer eines Mönches eingerichtet, mussten die provisorischen Tempel mit dem anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen vergrößert werden und neu erbaute Pagoden mit großer BuddhaHalle entstanden. Besonders in Orange County in Kalifornien, oft auch ‚Little Saigon‘ genannt, lebt die überwiegende Mehrheit. Dort ist eine vietnamesisch-chinesische Infrastruktur mit Restaurants, Einkaufsläden, Dienstleistungsbüros und kleinen wie großen Tempeln entstanden. Die Tempel werden vorzugsweise an den Wochenenden besucht, besonders jedoch an den großen Festtagen zum Neujahrsfest nach dem Mondkalender (Tết Nguyên Đán), beim Vesakh-Fest (Lễ Phật Đản) und beim Ullambana-Fest (Vu lan bồn) als Gedenktag für Verstorbene. Dann kommen Hunderte zur Buddha-Halle, folgen den Ritualen und Gesängen der Mönche und bringen den Vorfahren im Gedenkraum Opfergaben dar. Den Tempeln und Klöstern kommt für die religiöse und kulturelle Selbstvergewisserung sowie Festigung von Wertvorstellungen vieler Vietnamesen eine herausragende Bedeutung zu.

157 Siehe Chandler 1998, zum Hsi Lai-Tempel siehe zudem Lin 1996; Prebish 1999: 139–148; Eck 2002: 142–148 und die Webseite des Tempels, www.hsilai.org/en/ (Zugriff 6.10.2016). 158 Siehe die Liste in Chandler 2002: 51–52, für eine aktuelle Tempelliste siehe die Webseite www.ibps.org/english/links.htm (Zugriff 6.10.2016). Zum großen, in minimalistischer Architektur erbauten und 2013 eingeweihten Tempel bei Paris siehe die Webseite http://fr.ibps.fr/?page_id=752 (Zugriff 25.10.2016). Dem Orden angeschlossen ist die Laienorganisation ‚Buddha’s Light International Association‘ (BLIA), in der Personen die buddhistische Zuflucht nehmen können und sich in den hunderten Lokalgruppen sozial engagieren. 159 Immigrationszahlen nach Zong/Batalova 2016. Für Kanada beläuft sich die Zahl auf 183 000 Vietnamesen.

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Ähnlich wie bei südasiatischen Buddhisten entdeckten viele Vietnamesen erst in der Fremde ihren Glauben und nahmen bewusst die Zuflucht zu den ‚Drei Juwelen‘. Es besteht jedoch ein Mangel an Mönchen und Nonnen, da die gut ausgebildete zweite Generation stärker an sozialem Aufstieg und Erfolg als an einer traditionellen Ausbildung zum Mönch bzw. Nonne interessiert ist. Reformerische Stimmen fordern, dass Laien mehr Mitsprache auch in religiösen und rituellen Angelegenheiten erhalten und Hochzeiten, Beratungen und Bestattungen durchführen dürfen.160 In Kanada, Australien und Ländern Europas verliefen viele der Entwicklungen sehr ähnlich, die Immigrationszahlen waren jedoch geringer. In Kanada stieg die Anzahl der Buddhisten und Buddhistinnen aufgrund von anhaltenden Immigrationen von 52 000 Personen im Jahr 1981 auf knapp 367 000 Personen im Jahr 2011 an.161 McLellan betont in ihrer vergleichenden Studie zu Immigranten aus Japan, Tibet, Vietnam, Kambodscha und China im Großraum Toronto die Bedeutung buddhistischer Tempel und Klöster als Garanten kulturell-religiöser Identität, emotionaler und materieller Unterstützung sowie sozialer Netzwerke. Gleich wie in den USA sind im religionspluralen Kontext und aufgrund christlich-evangelikaler Missionierungsaktivitäten Prozesse einer neuen, bewussten Auseinandersetzung mit Religion zu beobachten. Dazu McLellan: The revitalized Buddhist identity that must be achieved is significantly different from that in the homeland, where individuals are born and acculturated into an established tradition of beliefs and practices. Redefined Buddhist identities strengthen new concepts of self, become an effective coping strategy for finding a place in Toronto’s multicultural environment, and help to sustain social and religious networks in the diaspora.162

Dieses neue religiöse Verständnis vieler Buddhisten und Buddhistinnen auf der individuellen Ebene wirkt sich auf der Ebene buddhistischer Gemeinschaftsstrukturen durch einen stärkeren Anspruch auf Mitsprache seitens buddhistischer Laien und auf die Berücksichtigung demokratischer Entscheidungsstrukturen aus. Unterschiedlich je nach Gemeinschaft, Tradition und Dauer in Kanada räumt der Saṅgha den Laien und hier auch Frauen mehr Mitgestaltung bei Führungsaufgaben und der Durchführung von Ritualen und Zeremonien ein. Zugleich besteht der Anspruch seitens der Laien, dass der Saṅgha die jeweilige Zuwanderergruppe etwa bei interreligiösen oder staatlichen Anlässen repräsentiert und den Tempel bzw.

160 Siehe Nguyen/Barber 1998; Eck 2002: 203–208 und Ho 2003: 201–252. Zu weiteren Immigranten und Immigrantinnen aus anderen Ländern Asiens siehe Eck 2002: 142–221 und die Webseite http://pluralism.org/religions/buddhism/ (Zugriff 7.10.2016). 161 Beyer 2006: 85 und Canada Statistics 2013. Überproportional war die Immigration von Festland-Chinesen und Vietnamesen, wobei sich viele auch als nicht religiös gebunden verstehen, siehe Beyer 2006: 86–89. 162 McLellan 1999: 197. Cadge 2004 hält Gleiches für Thais in den USA fest. Siehe für Kanada zudem die wichtigen Sammelbände von Harding et al. 2010 und 2014.

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die Pagode für Besucher öffnet. Solche und andere Kommunikations- und Vernetzungsformen würden die Reputation der buddhistischen Minderheit als integriert und erfolgreich fördern. Trotz aller Anpassungen verbleiben die verschiedenen buddhistischen Tempel und Traditionen in Kanada eng in die globalen Netzwerke ihrer asiatischen Herkunftstraditionen eingebunden. Dort hatten ebenfalls Modernisierungsprozesse schon seit längerem die Traditionen verändert und neue, global agierende Orden waren entstanden, bspw. der Fo Guang Shan-Orden in Taiwan, Dhammakaya und Santi Asoke in Thailand sowie Laienbewegungen wie Sōka Gakkai International von Daisaku Ikeda in Japan und die Tzu Chi-Stiftung der Nonne Cheng Yen in Taiwan.163

3.8. Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens: Australien und Europa In Australien hatte die Anzahl der Buddhisten und Buddhistinnen nach dem Ende der ‚White Australia Policy‘ 1973 in den Folgejahren durch Immigrationen aus Vietnam, Kambodscha und China ebenso wie in Nordamerika rasch zugenommen: Die Anzahl der Buddhisten und Buddhistinnen stieg von 35 000 im Jahr 1981 über knapp 200 000 im Jahr 1996 auf 529 000 Personen im Jahr 2011. ‚Buddhismus‘ als Zensuskategorie war die am schnellsten wachsende Religion in Australien, der Zuwachs belief sich von 0,2 Prozent auf 2,46 Prozent an der Gesamtbevölkerung.164 Die Immigrationen und der Zuwachs waren jedoch in keiner Weise ohne Widerspruch. Konservative als selbsternannte Verwalter nationaler Identität, die zur Begrenzung von Zuwanderung aufrufen, sehen Australien nicht so sehr Asien, sondern deutlich stärker Großbritannien und Nordamerika zugewandt. Dieses Schutz- und Gefährdungsszenario ist Teil der gegenwärtigen Politik der australischen Multikulturalismus-Rhetorik, indem der Mythos einer ‚asiatischen Invasion‘ durch die ‚nördliche Gefahr‘ aufrecht erhalten wird.165 Der Gefährdungsdiskurs und die Ausgrenzung des asiatischen ‚Anderen‘ zeigt sich emblematisch in Fällen, in denen asiatische Buddhisten und Buddhistinnen Tempel und Klöster errichteten: Die etwa 50 Tempel und Klöster, die die geschätzt 250 000 vietnamesischen Buddhisten eröffneten, sahen sich Nachbarschaftsprotes-

163 Zu den Anpassungen in Kanada siehe McLellan 1999: 197–203. Zur globalen Einbindung sowie Reformen und Neugründungen in Asien siehe instruktiv Soucy 2010 und McMahan 2012. 164 Zu den Zahlen siehe Adam/Hughes 1996: 40–42; Rocha/Barker 2011: 7–9 und Australian Bureau of Statistics 2013. 165 Zu Australiens ambivalentem Verhältnis zu Asien siehe Rocha/Barker 2011: 4–7 und Elder 2007.

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ten und Verzögerungen durch lokale Planungsbehörden gegenüber.166 Demgegenüber genehmigten Behörden den Bau einer von australischen, ‚weißen‘ Buddhisten beantragten Stupa rasch. Wie konnte jedoch der vermutlich größte buddhistische Tempel der südlichen Hemisphäre, zumal von einem taiwanesischen Orden in auffällig chinesischer Architektur erbaut, 1995 in New South Wales 80 km südlich von Sydney errichtet werden? In der in den 1980er Jahren von ökonomischem Wandel und Niedergang betroffenen Stadt Wollongong sah der seinerzeitige Bürgermeister mit der Ansiedlung des großen Tempelkomplexes die Chance, durch Tourismus neue ökonomische Felder im Dienstleistungsbereich zu erschließen. Protesten von christlichen Kirchen und Asien-kritischen Bürgern entgegnete das Stadtparlament, dass der exotische Tempel der Stadt weithin Bekanntschaft verleihen und das ‚fremde Andere‘ die benötigte neue Attraktion darstellen würde. Der Exotisierungs- und Orientalisierungsdiskurs ebnete als gesellschaftlicher Regulierungsund Aufnahmemodus den Weg zum Bau des Nan Tien-Tempels, den – wie den Hsi Lai-Tempel – der Fo Guang Shan-Orden erbaute.167 In Ländern Europas schließlich waren tibetische Flüchtlinge, die in den 1960er Jahren in der Schweiz aufgenommen wurden, die erste Immigrantengruppe aus Ländern Asiens. Tibeter und Tibeterinnen, viele von ihnen Waisenkinder, wurden in der Schweiz im Kontext des Kalten Krieges und unter der Leitidee, dass ein ,Bergvolk’ dem anderen ,Bergvolk’ helfe, mit offenen Armen empfangen. Mit dem Aufbau des Pestalozzi Kinderdorfes Trogen und einer tibetischen Schule sowie Arbeitsmöglichkeiten in der Pfannenfabrik Kuhn wurden unkompliziert viele Unterstützungsformen geschaffen. Für die kulturelle und religiöse Betreuung entstand 1968 unter der Schirmherrschaft des 14. Dalai Lama das Klösterliche TibetInstitut Rikon bei Winterthur mit residenten Gelugpa-Mönchen. Das Tibet-Institut versteht sich sowohl als Sakralstätte mit Tempel und Stupa für die gegenwärtig ca. 4 000 tibetischen Buddhisten und Buddhistinnen als auch als Begegnungsort des Austausches von Buddhismus und Wissenschaft. Die zahlreichen Besuche des 14. Dalai Lama haben das Tibet-Institut – wie auch das 1977 gegründete Tibetische Zentrum Hamburg mit dem langjährigen religiösen Leiter Geshe Thubten Ngawang (1932–2003) – überregional als Ort der Bewahrung tibetisch-buddhistischer Tradition, als Studienort und Ort interreligiöser Begegnung bekannt werden lassen.168 Überhaupt kommt tibetischem Buddhismus und Tibetern im Kontext eines

166 Luu 2011: 135. Der Autor berichtet ebenso vom Engpass, dass der Großteil der Klöster und Tempel von Erstgenerations-Mönchen und Nonnen, die noch in Vietnam ausgebildet wurden, betreut werden und es schwierig ist, junge vietnamesische Buddhisten und Buddhistinnen für den religiösen Dienst zu gewinnen; dieses ähnelt sehr der Lage in den USA, siehe Ho 2003: 227f. 167 Siehe Waitt 2011 und die Webseite des Tempels www.nantien.org.au (Zugriff 12.10.2016). 168 Siehe Lindegger 1988; Schlieter et al. 2014 und die Webseite www.tibet-institut.ch. Zum Tibet Zentrum Hamburg siehe die Webseite www.tibet.de (Zugriffe 14.10.2016).

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verklärenden Tibet-Mythos in großen Teilen der westlichen Welt eine Idealisierung zu, die alles Tibetische als spirituell rein, ursprünglich und friedliebendtolerant, nachgerade durch den 14. Dalai Lama verkörpert, exotisiert.169 Ungleich größere Flüchtlingsgruppen als die Tibeter kamen nach Ende des Vietnamkriegs aus Südostasien. Angesichts des Leids der so bezeichneten boat people im südchinesischen Meer entschlossen sich zahlreiche westliche Staaten, Aufnahmekontingente für Flüchtlinge aus Vietnam, Laos und Kambodscha bereitzustellen. In Deutschland hatte das Bundesland Niedersachen unter dem seinerzeitigen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht rasch und unbürokratisch erste vietnamesische Flüchtlinge aufgenommen. In Hannover entstand 1991 durch das Wirken des Mönches und späteren Abtes Thich Nhu Dien (geb. 1949) die große Pagode Viên Giác, in deren großer Glocke in der Buddha-Halle der bleibende Dank an den Ministerpräsidenten eingraviert ist. In Deutschland leben nach der Vereinigung der zwei Staaten 165 000 Vietnamesen und Vietnamesinnen (Stand Ende 2014).170 Etwa die Hälfte von ihnen dürften Buddhisten und Buddhistinnen sein, die in der Pagode Viên Giác in Hannover und etwa zehn weiteren Pagoden sowie zahlreichen lokalen Andachtsstätten von Mönchen und Nonnen religiös betreut werden. Der Bau neuer Pagoden ist dabei noch nicht abgeschlossen, wie die Einweihung der Pagode Chùa Phước Nghiêm zu Vesakh 2016 in Leipzig zeigte.171 In den religiösen Stätten drücken gerade ältere Buddhistinnen und Buddhisten ihre Religiosität in Devotionalhandlungen wie Bitt- und Dankgebeten zu Ahnengeistern, in Spenden an den Saṅgha sowie in hingebungsvollem Vertrauen zu verschiedenen Bodhisattvas und transzendenten Buddhas aus. Änderungen, ähnlich wie in den USA und Kanada, zeigen sich etwa mit dem Verlegen großer Festtage auf das Wochenende, der Funktionserweiterung einer Pagode zu einem soziokulturellen Zentrum und dem Mangel an Ordinierten.172 Mit der Etablierung der Pagode Viên Giác und des dortigen Saṅghas aus Mönchen und Nonnen, die die in Deutschland größte Anzahl Buddhisten und Buddhistinnen vertraten, wurde die Deutsche Buddhistische Union (DBU) mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: Waren die 19 Ratsmitglieder der angegliederten Buddhistischen Religionsgemeinschaft (für Einzelmitgliedschaften von Personen)

169 Zum Exotisierungsdiskurs Lopez 1998; Brauen et al. 2000; speziell zum jüngeren Diskurs in der Schweiz Kollmar-Paulenz/Funk 2010. 170 Angabe nach GIZ 2016: 13. Zur Ankunft in der BRD und der DDR siehe ebd. 8–13 und Baumann 2000: 30–36. 171 Die Einweihung vermeldete die Regionalausgabe der Bildzeitung groß, inkl. Bilder und Video, siehe www.bild.de/regional/leipzig/buddhismus/erster-pagoden-neubau-desostens-eingeweiht-45912754.bild.html; zur Webseite der Pagode in Leipzig www.phu ocnghiemleipzig.de/, sie ist trotz 30-jährigem Aufenthalt in Deutschland nur in Vietnamesisch gehalten (beide Zugriff 14.10.2016). 172 Siehe Baumann 2000: 61–67, 83–86; Beuchling/Tuan 2013 und die Webseite der Pagode http://viengiac.de/ (Zugriff 15.10.2016).

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zumeist buddhistische ‚Laien‘ (Nicht-Ordinierte), so insistierte Abt Thich Nhu Dien auf den Vorrang von Ordinierten gegenüber Laien und lehnte eine Mitgliedschaft in der DBU daher ab. Der fehlende Einbezug vietnamesischer Buddhisten erschwerte den 1988 von der DBU eingereichten Antrag auf Anerkennung des Buddhismus als Körperschaft des öffentlichen Rechts (s. Abschnitt 3.11.) und zeigte zugleich nachdrücklich, dass Annäherungs- und Verständigungsprozesse deutscher Buddhisten zu den aus Asien neu heimisch gewordenen Buddhisten noch zu leisten waren.173 Auch in andere Länder Westeuropas kamen vietnamesische Buddhisten in größeren Zahlen, sei es in skandinavische Länder, in die Schweiz, nach Österreich, England oder Frankreich.174 Insbesondere nach Frankreich als frühere Kolonialmacht in Südostasien kamen etwa 300 000 Flüchtlinge aus Südostasien. Der Großraum Paris fungiert als zentrale Region für die Flüchtlinge; so erbauten Vietnamesen in Évry die in Europa größte vietnamesisch-buddhistische Pagode Khánh-Anh und weihten diese 2004 ein. Mit Pagodentürmen, großer Buddha-Halle, Klosterkomplexen für die Ordinierten und vielem mehr dürfte sie einer der größten buddhistischen Bauten in Europa sein.175 Auch Migranten und Geschäftsleute aus Thailand, Japan, China und weiteren Ländern Asiens haben ihre religiösen, kulturellen und teils ökonomischen Infrastrukturen in westeuropäischen Ländern errichtet. Die Sōka Gakkai International (SGI), die in den 1960er Jahren unter japanischen Studenten, Geschäftsleuten und Familien verbreitet war, überschritt durch ihre starken Missionsaktivitäten in den 1980er Jahren die bis dahin sprachlich-nationale Grenze und gewann seitdem zehntausende Mitglieder und Anhänger in Großbritannien, Deutschland, Italien und anderen Ländern. SGI, die aus dem Nichiren-Buddhismus erwachsene neue Religion Japans, rechnet sich in Europa 130 000 Mitglieder zu und eröffnete 2015 in Mörfelden-Walldorf ihr neues „Frankfurt Ikeda Peace Culture Centre“ als zentrales europäisches Kulturzentrum. SGI organisiert sich auf der lokalen Ebene in Kleingruppen, die sich in Privaträumen der Praktizierenden treffen. Diese Lokalgruppen gehören jeweiligen Bezirken zu, die wiederum Regionen und nationalen Einheiten.176

173 Baumann 1995: 193–202. 174 Zu Dänemark siehe Borup 2005: 100–123, zur Schweiz Weigelt 2013, zu Frankreich siehe die nachfolgende Fußnote. Studien zu Immigranten aus Asien in europäischen Ländern sind die Ausnahme, symptomatisch geht etwa Bluck 2006 auf Immigranten aus Ländern Asiens nicht ein. 175 Siehe Webseite www.khanhanh.fr/ (Zugriff 15.10.2016). Hinsichtlich asiatischer Buddhisten, die sich in Frankreich niedergelassen haben, siehe Choron-Baix 1991; MatrasGuin/Taillard 1992; Kalab 1994. 176 Zur SGI in Großbritannien siehe Dobbelaere/Wilson 1994 und Bluck 2006: 89–109 sowie in Deutschland Kötter 2006. Zur weltweiten Verbreitung und regionalen Anpassungen siehe instruktiv Seager 2006. Zur SGI-Webseite siehe www.sgi.org/ (Zugriff 15.10.2016).

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3.9. Weitere Entwicklungen und neue Orden Nicht nur in Ländern Europas, auch in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern kam es seit den 1980er Jahren zu weiteren Entwicklungen. Auf dem afrikanischen Kontinent bildeten sich im Zuge weltweiter Handelsvernetzungen und dem verstärkten ökonomischen Einsatz Chinas in Subsahara-Afrika einerseits sowie einer aufkommenden Mittelschicht in verschiedenen afrikanischen Großstadtregionen andererseits buddhistische Gruppen und Zentren. Der taiwanesische Fo Guang Shan-Orden führt Zentren in Pointe Noire im Kongo sowie in Durban, Kapstadt, Newcastle, Cyruldene, Bloemfontein, Ladybrand und dem großen Nan HuaTempel in Bronkhorstspruit in Südafrika auf.177 Sōka Gakkai International (SGI) listet in Afrika 17 nationale Mitgliedszweige von Angola, Benin und Kamerun über Kenia und Nigeria bis zu Sambia, Südafrika und Togo auf. Die auf lokaler Ebene unkomplizierten Strukturen mit Gruppen in Privaträumen, in denen Mitglieder gemeinsam Nam Myoho Renge Kyo rezitieren, sowie das Versprechen auf Erfolg haben die Verbreitung von SGI in Afrika begünstigt.178 Weitere buddhistische Aktivitäten konzentrieren sich auf Südafrika, wo Lehrer und Lehrerinnen verschiedener global agierender Organisationen und Traditionen in den 1980er und 1990er Jahren Gruppen und Zentren gründeten, so u. a. die Kwan Um Zen-Schule, die Gelugpa und der Diamantweg-Buddhismus sowie Theravāda-Mönche aus Birma und Indien. Der südafrikanische Forscher Michel Clasquin ist der Auffassung, dass sich der bislang institutionalisierte Buddhismus unvollständig an die Gegebenheiten des Landes angepasst habe, da er sich vornehmlich an den Bedürfnissen der weißen Mittelklasse und ihren Interessen orientiere. Die buddhistischen Gruppen und Zentren hätten andere Bevölkerungsgruppen bislang jedoch kaum erreicht und sich auch nicht auf den Kontext afrikanischer religiöser Vorstellungen eingelassen.179 Auch in Süd- und Lateinamerika entstanden durch global reisende Lamas, Meditationslehrer und -lehrerinnen sowie Aktivitäten von SGI und anderen Organisationen buddhistische Gruppen und Zentren in zahlreichen Ländern. Aufschlussreich ist, dass die SGI seit einigen Jahren in Kuba mit Billigung der Regierung ihre Lehre verbreiten darf. Gemäß Girado Rodriguez Plasencia eröffnet der SGI ihre nichttheistische, humanistische Philosophie, die zweckorientierte religiöse Ausrichtung

177 Siehe die Webseite www.hsilai.org/en/eFGS/africa.php, zum Nan Hua Tempel, 50 km östlich von Pretoria und 2005 offiziell eingeweiht, siehe die Webseite http://en.nanhua temple.org/ (Zugriffe 24.10.2016). 178 Siehe die SGI-Webseite www.sgi.org/snapshot/sgi-organizations-registered-constituent. html (Zugriff 24.10.2016), Studien zu SGI in Ländern Afrikas gibt es nach Kenntnisstand des Autors nicht. 179 Clasquin 2002: 161 sowie jüngst Clasquin 2017; siehe zudem Wratten 1995 und Clasquin/ Krüger 1999.

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und der Mythos ‚orientalistischer Spiritualität‘ die Anwesenheit.180 Auch in Argentinien, Bolivien, Chile, Costa Rica, Ecuador, Kolumbien und Mexiko sind buddhistische Aktivitäten zu verzeichnen, wobei Cristina Rocha die Anzahl der Buddhisten und Buddhistinnen in diesen Ländern unter 10 000 Personen schätzt, mit Ausnahme Brasiliens mit geschätzten 250 000 Personen.181 Parallel zu den buddhistischen Reformorganisationen aus Asien und Immigranten aus Ländern Asiens kreierten einzelne buddhistische Lehrer und Lehrerinnen auch neue, gezielt an die westlichen soziokulturellen Kontexte angepasste inhaltliche Schwerpunktsetzungen und Praxisformen sowie eigene Ordinationslinien. Diese neuen westlichen Orden legitimieren ihre Schwerpunktsetzungen im interpretatorischen Rückgriff auf die so bezeichneten ‚Worte des Buddha‘ bzw. den ‚Kern‘ buddhistischer Lehren. Der Orden ‚Ārya Maitreya Mandala‘ (AMM), 1933 von Lama Govinda (Ernst Lothar Hoffmann, 1898–1985) in Darjeeling, Nordindien, gegründet, bezieht sich auf die Inspiration von Tomo Geshe Rinpoche I (1866–1936). Der AMM sieht sich nicht in der Tradition einer bestimmten buddhistischen Schule, sondern beansprucht, in der Gesamtschau der verschiedenen historischen Entwicklungen buddhistischer Traditionen, „das Essentielle aller Schulen des Buddhismus“ herauszukristallisieren und dieses „den Menschen des Industriezeitalters“ in einer angepassten Lehr- und Übungsmethodik zu erläutern.182 Mitglieder initiierte Govinda selbst in den Orden, ebenso seine Nachfolger Advayavajra, Asanga und seit 2015 Sudarśanavajra Volker Zotz als Ordensleiter. In Indien blieb der Orden weitgehend unbedeutend, doch der ‚westliche Orden‘ des AMM wurde in Europa in den 1950er bis 1980er Jahren eine wichtige Gemeinschaft und stellte mit Max Glashoff, Karl Schmied und Vajramālā (Sabine Thielow) teils langjährige Vorsitzende der DBU. Nach Govindas Tod 1985 bildete sich neben dem AMM zusätzlich das ‚Maitreya Mandala Netzwerk‘ mit der spirituellen Leiterin Vajramālā, die 1973 persönliche Schülerin Govindas und später von ihm zum Lehren beauftragt worden war. Dem Netzwerk gehören Zentren in Überlingen am Bodensee, Schaffhausen und Budapest an, in Ungarn gemäß Angaben von Vajramālā allein mit 900 Mitgliedern und ca. 3 500 Unterstützern. Der AMM wirkt vornehmlich in Deutschland und Österreich, früher auch in den Niederlanden.183 Legitimiert sich der Orden AMM durch den integrativen Bezug auf das ‚Essentielle‘ buddhistischer Schulen, so beziehen sich die ‚Freunde des Westlichen

180 Rodriguez Plasencia 2014: vii-viii. 181 Rocha 2017: 302. 182 Erstes Zitat Govinda 1986: 44, Hervorhebung im Original, zweites Zitat aus dem Informationsflyer des AMM, Überlingen 1990. 183 Zum AMM und Lama Govinda siehe Govinda 1969, 1986; Winkler 1991; Baumann 1995: 146–164 und die Webseite http://arya-maitreya-mandala.org/, zum Maitreya Mandala Netzwerk siehe http://maitreya-mandala.de/ (Zugriffe 18.10.2016). Angaben zur ungarischen Gemeinschaft gemäß E-Mail von Vajramālā am 21.10.2016.

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Buddhistischen Ordens‘ (FWBO) auf die Figur des Buddha Śākyamuni und seine als ‚spirituell‘ bezeichnete Erleuchtungserfahrung zurück.184 Ihr Gründer Sangharakshita (Dennis Lingwood, geb. 1925) war 1950 in Indien zum Theravādabhikkhu ordiniert worden, erhielt in den 1950er Jahren in Darjeeling tibetischbuddhistische Einweihungen und engagierte sich in Dr. Ambedkars buddhistischer Konversionsbewegung. 1967 nach England zurückgekehrt, rief er in London die FWBO als ‚westlich spirituelle Bewegung‘ praktizierender Buddhisten und Buddhistinnen in Kritik an der in England vornehmlich akademischen Buddhismus-Rezeption ins Leben.185 Die FWBO verstehen sich schul- und traditionsunabhängig und wählen Inhalte und Praxisformen eklektisch aus buddhistischen und europäisch-philosophisch-künstlerischen Quellen aus: „We take whatever will help us grow under the conditions of Western life“, so Sangharakshita.186 Die dreifache Zufluchtnahme zum Buddha, Dharma, Saṅgha versteht Sangharakshita als zentralen Wendepunkt im Leben des Individuums, um sich in der spirituellen Gemeinschaft des Ordens ganz dem Streben nach Erleuchtung zu widmen. Die FWBO umfassen den Orden, die Anwartschaft (Mitra) und die Freunde sowie buddhistische Zentren, Wohngemeinschaften und ökonomische Kooperativen, in denen Ordensmitglieder in einer buddhistischen Umwelt leben und arbeiten.187 In den 1970er Jahren wuchsen die FWBO in Großbritannien rasch und verbreiteten sich in den 1980er Jahren international. In Indien sind die FWBO im Zusammenhang mit Ambedkars Konversionsbewegung besonders aktiv und rechnen sich mehr als 100 000 Freunde und mehrere hundert Ordensmitglieder zu. Im Jahr 2010 benannten sich die FWBO in „Triratna Buddhistischer Orden und Gemeinschaft“ um, da angesichts der globalen Verbreitung und insbesondere der Aktivitäten in Indien die Selbstbezeichnung als westlich nicht mehr adäquat sei. Der Gemeinschaft Triratna (skt. „drei Juwelen“) gehörten im Herbst 2016 etwas mehr als 2 000 Ordensmitglieder an, knapp die Hälfte von ihnen in Großbritannien; etwas mehr als 3 000 Personen bereiteten sich auf die Ordination vor.188 Die Webseite listet 100 Zentren (davon 43 in Großbritannien) und 61 Gruppen (28 in Großbritannien) sowie 33 Kooperativen (11 in Großbri-

184 Sangharakshita 1957: 4, 228. 185 Sangharakshita 1990: 54. 186 Sangharakshita 1990: 64, Hervorhebung im Text. Siehe zur inhaltlichen Begründung und Zielsetzung der FWBO aus der Binnenperspektive ebenso Dharmachari Subhuti 1988, aus religionswissenschaftlicher Sicht Baumann 1995: 164–181 und Bluck 2006: 152–178. 187 Dharmachari Subhuti 1988: 129–173. In den 1990er Jahren waren Sangharakshita und die FWBO in öffentliche Kritik wegen Machtmissbrauch und sexueller Übergriffe in den Zentren und Wohngemeinschaften gekommen, siehe die Vorwürfe unter www.ex-cult. org/fwbo/fwbofiles.htm und die Antworten der FWBO unter http://response.fwbo.org/ fwbo-files/response.html (Zugriffe 19.10.2016). 188 E-Mail von Triratna-Mitglied Candradasa vom 3.11.2016 an den Verfasser.

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Anpassung und Etablierung des Buddhismus außerhalb Asiens

tannien) von Australien über Russland bis Venezuela auf, zudem eine starke Nutzung neuer sozialer Medien.189 Gleich wie diese zwei europäischen, in Südasien buddhistisch sozialisierten Ordensgründer wirkt der vietnamesische Meditationsmeister, Dichter und Friedensaktivist Thich Nhat Hanh (geb. 1926) vornehmlich in Europa und Nordamerika, ist jedoch deutlich prominenter und in den USA so bekannt wie der Dalai Lama. Thich Nhat Hanh war nach dem Fall des Diem-Regimes (1963) in Vietnam politisch aktiv und gründete 1966 in Saigon den Tiep Hien-Orden, den ‚Orden des Interseins‘. Der Orden umfasst Laien, Mönche und Nonnen, die sich auf 14 Übungen der Achtsamkeit, ethischen Verhaltens und ‚mitfühlenden Handelns‘ in der Gesellschaft verpflichten. Die im vietnamesischen Buddhismus sonst wichtige Unterscheidung zwischen Ordinierten und Laien stellte Thich Nhat Hanh zurück, um im sich verschärfenden Krieg zwischen Nord- und Südvietnam zu vermitteln. Er verließ im selben Jahr für eine Vortragsreise Vietnam und verblieb dauerhaft im Exil, da sein Leben in Vietnam bedroht war. Thich Nhat Hanh ließ sich erst in der Nähe von Paris nieder, um dann 1982 in Südfrankreich bei Bordeaux die ‚Plum Village Gemeinschaft‘ mit einem Kloster zu errichten. Mit zunehmender Bekanntheit Thich Nhat Hanhs aufgrund seiner zahlreichen Bücher, Vortragsreisen und Meditationsseminare wuchsen die Gemeinschaft und der monastische Saṅgha kontinuierlich, dabei stark international geprägt. Im Plum Village Kloster leben Eigenangaben zufolge derzeit über 200 residente Mönche und Nonnen und das Zentrum empfängt jährlich mehrere tausend Besucher und Besucherinnen zu Meditationsseminaren und Teilnahme am achtsam geprägten Alltag.190 Neben dem Mönch und Meditationsmeister ist Sister Chan Khong (geb. 1938), die Thich Nhat Hanh seit Ende der 1950er Jahre bei seinen Aktivitäten unterstützt, die zweite Identifikationsperson in Plum Village. Seit 2000 wurden Klöster und Praxiszentren in der Lehr- und Übungstradition von Plum Village in den USA, Australien, Hong Kong und Thailand sowie in Deutschland (das „European Institute of Applied Buddhism“) gegründet. Zudem bestehen 2016 in Deutschland 93 „Saṅghas, […] die in der Tradition von Thich Nhat Hanh praktizieren“, in Österreich sind es sechs und in der Schweiz zehn.191 Die Lehr- und Praxisinterpretationen stoßen insbesondere bei ‚Westlern‘, weniger in der vietnamesischen Diaspora auf großes Interesse, da Thich Nhat Hanh Rituale in den Hintergrund und Meditation und Achtsamkeitsübungen in den Vordergrund rückte. Nguyen und Barber beurteilen die Meditati-

189 Siehe https://thebuddhistcentre.com/text/triratna-around-world; zum Orden Triratna siehe aus der Binnenperspektive Vajragupta 2010 und die Webseiten www.sangharaks hita.org und www.triratna-buddhismus.de/ (Zugriffe 19.10.2016). 190 Siehe Webseite von Plum Village, http://plumvillage.org/about/plum-village/ (Zugriff 20.10.2016). 191 Angaben gemäß der ‚Gemeinschaft für achtsames Leben, Bayern‘, siehe die Webseite www.intersein.de/gemeinschaften.html (Zugriff 20.10.2016).

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onsübungen kritisch als ‚New Age stilisierten Zen‘ und stufen die Rituale als von Thich Nhat Hanh kreiert an, ohne jegliche Verbundenheit mit traditionellen vietnamesisch-buddhistischen Praktiken wie Rituale zum Erwerb religiöser Verdienste (skt. puṇya; vietnames. công đức).192 Viele, gerade ältere Vietnamesen betrachten die Neuerungen mit Skepsis und einige sprechen von einem ‚verwässerten Buddhismus‘.193 Bei vielen ‚Westlern‘ wird Thich Nhat Hanh als Mitbegründer eines engagierten Buddhismus hoch geachtet, wobei er insbesondere durch die Popularisierung von mindfulness großen Zulauf in den USA hat.194 Weitere neue buddhistische Orden und Organisationen sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, der Diamond Sangha von Robert Aitken, der Diamantweg-Buddhismus von Lama Ole Nydahl und den 16. und 17. Karmapas, Shambhala International von Chögyam Trungpa und seinem ältesten Sohn Sakyong Mipham sowie die Insight Meditation Society und ihre Interpretation der vipassanā-Meditation. Gerade die letzten zwei Genannten betonen Aspekte wie das Erwecken persönlichen Potentials, Reduzierung von Stress und das Erfahren grundständiger Freude – Hinweise auf eine buddhistische Herkunft der Praktiken und Inhalte sind wenig prominent. Diese Eigendarstellung kann als eine Strategie der Anpassung an dominante Diskurse Nordamerikas und Westeuropas mit der Zentralität des Individuums, dessen Gefühlen und Wohlbefinden sowie der Steigerung von Kräften und Potentialen gedeutet werden. Eine gänzlich andere, technikbegründete Form der Neuentwicklung sind internetbasierte Diskussions-, Informations- und Lehrforen, auch „Cybersangha“ und „Cyber-Communities“ genannt.195 Heutzutage verfügt fast jede buddhistische Organisation über eine eigene Webseite mit vielerlei Informationen, Bildern, Texten und oft auch Videos. Zudem bestehen übergreifende Informationsdienste wie www.dharmanet.org und www.buddhanet.net, die Informationen zu buddhistischen Lehren, Gruppen, Texten und vielem mehr zusammenstellen. Darüber hinaus existieren verschiedene Cybersanghas als Online-Gemeinschaften in Ergänzung zu realen Saṅghas, wie bspw. der Blog von Sharon Salzberg und die Gemeinschaft von Mondo Zen.196 Jüngste Entwicklungen sind neben buddhistischen Blogs auch auf dem Smartphone geladene Apps wie buddhify und ReWire,

192 Nguyen/Barber 1998: 131. 193 So nach Ho 2003: 194. 194 Zu Thich Nhat Hanh siehe seine populären Bücher 1988, 1997, 2001 sowie die Webseite Plum Village http://plumvillage.org/. Zur großen Popularität in den USA siehe Wilson 2014: 33–34, 109–112 und die Webseite Mindfulness Bell www.mindfulnessbell.org/ (Zugriffe 6.11.2016), die für die USA 357 angeschlossene Gruppen auflistet (Stand Dezember 2012). 195 Prebish 1999: 203, 225. Dort auch zur Entwicklung der zahlreichen buddhistischen ChatForen, Databases sowie akademischen E-Mail-Listen und Online-Zeitschriften, ebd. 203– 225. 196 Siehe die Webseiten www.sharonsalzberg.com/ > Blog, und www.mondozen.org/an nouncements/cyber-sangha-practice-program (Zugriffe 27.10.2016).

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Anpassung und Etablierung des Buddhismus außerhalb Asiens

mit denen Achtsamkeitsmeditationen ortsunabhängig und in vielerlei Situationen praktiziert werden können.197

3.10. Quantitative Entwicklungen und aktuelle Zahlen Im Rückblick sind in den 1980er und 1990er Jahren in Europa, den zwei Amerikas, in verschiedenen Ländern Afrikas und Australien-Neuseeland die Zahlen buddhistischer Gruppen, Zentren, Meditationshäuser und Klöster stark angewachsen. In Großbritannien verfünffachte sich die Zahl von 74 auf 400 Gruppen und Zentren im Zeitraum 1979 bis 2000; für Deutschland ist ein exponentieller Anstieg von knapp 40 auf über 500 Gruppen, Meditationskreise, Zentren und Klöster im gleichen Zeitraum festzuhalten. In der Schweiz wuchs die Zahl von 120 auf 180 Gruppen und Zentren im Zeitraum 1998 bis 2008 an, für Österreich sind aktuell etwa 60 Mitgliedsgruppen und -orden in der Österreichischen Buddhistischen Religionsgemeinschaft (ÖBR) verzeichnet und die Gesamtzahl liegt nach dem Webportal buddhistisch.at bei knapp 100 Gruppen, Zentren und Orden.198 Im frühen 21. Jahrhundert flachten die Anstiegskurven in vielen Ländern ab, so dass für Deutschland bei aller Unsicherheit von ca. 600 bis 700 Gruppen und in Großbritannien von etwa 500 bis 600 lokalen Gruppen und Zentren auszugehen sein dürfte. Nicht mitgezählt sind hier jedoch die vielen lokalen Gruppen der Sōka Gakkai International, da jeweils nur die nationalen Hauptsitze öffentlich angegeben sind. Auch in den USA und Kanada wuchs die Gruppenzahl rasant. Don Morreale ermittelte einen Anstieg von 487 auf 1062 Gruppen und Meditationszentren für den Zeitraum 1988 bis 1998. „[M]ore Buddhist meditation centers – nearly sixty percent – were established in the last twelve year period than the total number founded in the first eighty-five years of the twentieth century.“199 Gleiches zeigt sich mit einer Verdreifachung von Gruppen und Zentren in Australien, im Zeitraum 1991 bis 2006 stieg die Gruppenzahl von 167 auf 570 an.200 Bei all den Zuwächsen an Gruppen und Zentren gilt generell, dass zum Buddhismus Konvertierte viele und oft kleine Gruppen gründeten, während aus den Ländern Asiens Zuge-

197 Grieve/Veidlinger 2015, dort auch zu vielerlei weiteren Internet- und social media-Entwicklungen im Buddhismus. 198 Zu Großbritannien Waterhouse 1997: 13–19 und The Buddhist Directory (1. Aufl. 1979, 8. Aufl. 2000); zu Deutschland Baumann 1995: 218–223 und Baumann 2000: 57; zur Schweiz Weigelt 2009: 775; zu Österreich die interaktive Karte auf der ÖBR-Webseite www.buddhismus-austria.at/buddhismus-in-oesterreich/oebr-gruppen-und-orden/ sowie www.buddhistisch.at/meditation/buddhistische-meditationsgruppen (Zugriffe 24.10. 2016). 199 Morreale 1988 und 1998: xvi. Die Zusammenstellung führt vorwiegend Meditationsgruppen und -zentren auf, so dass auch hier Lokalgruppen der Sōka Gakkai fehlen sowie viele Klöster von Immigranten. 200 Rocha/Barker 2011: 7.

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wanderte zumeist wenige Pagoden und Tempel errichteten, jedoch mit teils großen Zugehörigkeitszahlen. Die verschiedenen Zählungen und Angaben unterliegen jedoch grundsätzlichen methodischen Problemen und normativen Ansätzen, da unterschiedliche Kriterien zugrunde gelegt werden, welche Gruppen als „buddhistisch“ gezählt werden, ab welcher Anzahl Besucher bzw. Praktizierender eine Gruppe mitgezählt wird, wie jüngst erloschene oder neue Gruppen ermittelt werden und wie mit Gruppen teils kritisierter buddhistischer Organisationen, z. B.SGI oder Neuer Kadampa-Buddhismus, umgegangen wird. Die Gruppenzahlen sagen letztlich nur annäherungsweise etwas zur Anzahl Buddhisten und Buddhistinnen aus. Auch die Erhebung der Anzahl Buddhisten eines Landes ist nicht ohne methodische Probleme, was ebenso für nationale Zensus zutrifft: Wurde nach der formalen oder subjektiven religiösen Zugehörigkeit gefragt? Wer gilt als ein Buddhist bzw. Buddhistin und wird als solche gezählt? Gab es eine Änderung der Erhebungsgröße wie bspw. in der Schweiz, in der ab 2010 nur noch Personen ab 15 Jahre gefragt werden?201 Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheiten führt Tabelle 1 zur Orientierungszwecken die Zahlen von Buddhisten und Buddhistinnen exemplarischer westlicher Länder für die Jahre 2000/2001 und 2010 bzw. 2014 an. Tabelle 1: Buddhisten und Buddhistinnen in ausgewählten westlichen Ländern in den Jahren 2000/2001 und 2010/2014 Land

Buddhisten und Buddhistinnen 2000/2001

Buddhisten und Buddhistinnen 2010/2014

Bevölkerung 2000/2001 und 2010/14

prozent. An- Quelle teil Bevölkerung 2000/1 u. 2010/14

England und Wales

144 500

247 700

52/56 Mio.

Deutschland

160 000

270 000

82/81 Mio.

0,2/0,33 Statistisches Bundesamt, Schätzung

Schweiz

22 300

34 700

6,3/6,6 Mio.

0,29/0,52 Bundesamt für Statistik, ab 2011/14 nur noch Personen ab 15 Jahren erfasst

0,28/0,44 Office of National Statistics, Religion

201 Zur Problematik siehe Bluck 2004 und Borup 2016, zur Frage, wer ein Buddhist ist bzw. als solcher gilt, siehe Tweed 2002.

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Anpassung und Etablierung des Buddhismus außerhalb Asiens

Land

Buddhisten und Buddhistinnen 2000/2001

Buddhisten und Buddhistinnen 2010/2014

Bevölkerung 2000/2001 und 2010/14

Österreich

10 400

25 000

8/8,5 Mio.

Frankreich

?

770 000

-/64,7 Mio.

30 000

50 000

46/48,8 Mio.

0,06/0,1 Instituto Nacional de Estadistica, Schätzung

?

257 000

69/60,8 Mio.

-/0,42 Cesnur, Schätzung

Spanien

Italien

USA

1 082 000

2 242 000 208/320 Mio.

Kanada

300 300

366 800

29,6/ 32,8 Mio.

Brasilien

214 800

244 000 169/190 Mio.

Südafrika

30 000

100 000

45/50 Mio.

Australien

357 800

529 000

17,7/ 21,5 Mio.

prozent. An- Quelle teil Bevölkerung 2000/1 u. 2010/14 0,1/0,29 Statistik Austria -/1,2 Angabe der Union Bouddhiste de France für 2010

0,52/0,7 United States Census Bureau; Pew Research Center 1/1,12 Statistics Canada 0,13/0,13 Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística Português Español 0,07/0,2 Van Loon (1999) und Pew Research Center, Schätzungen 2,02/2,46 Australian Bureau of Statistics

Die Aufstellung zeigt, dass Buddhismus in westlichen Ländern den reinen Zahlen nach ein klares Minderheitenphänomen ist. Die mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit geht jedoch weit über die Zahlen hinaus: Eine US-Studie zeigt beispielsweise, dass 12,5 Prozent von US-Amerikanern in 2003 angaben, dass buddhistische Lehren oder

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Praktiken einen wichtigen Einfluss auf ihre Religion bzw. Spiritualität gehabt haben.202 Festzuhalten ist, dass die numerischen Zuwächse vornehmlich auf Immigrationsprozessen beruhen, weniger auf Annahme des Buddhismus durch Konversion. Die teils deutlichen Zuwächse wie in England/Wales, Deutschland und den USA von 2000 zu 2010 verweisen erneut auf die Unsicherheiten der Erhebungen und der Schätzwerte.

3.11. Intrabuddhistische Begegnungen und Buddhistisches Bekenntnis Die Zahlen zu Gruppen und Zentren sowie buddhistischen Personen in einem westlichen Land verbergen die große interne Unterschiedlichkeit und Vielfalt buddhistischer Schulen, Traditionen, Orden und Laienorganisationen. In Asien über tausende Kilometer entfernt, sind die unterschiedlichen Traditionen und Schulen in westlichen Ländern erstmals Nachbarn und in Kontakt miteinander. Diese Nähe hat Initiativen entstehen lassen, möglichst die einigenden Gemeinsamkeiten aller Traditionen für Verständigungsprozesse nach innen sowie gemeinsame Deklarationen nach außen gegenüber anderen Religionen und staatlichen Behörden zu formulieren. Seit den 1980er Jahren feiern Buddhisten und Buddhistinnen beispielsweise in Hamburg oder München, Wien oder Rom sowie in verschiedenen Regionen der USA gemeinsam das buddhistische Vesakh-Fest als Zeichen der Verständigung und des gegenseitigen Kennenlernens. Jede Tradition rezitiert Texte und führt Rituale in der je eigenen Tradition durch, um so das Eigene zu wahren und sich mit den anderen Auffassungen und Handlungsformen vertraut zu machen. Vielerorts ist die Begegnung eine Form des abtastenden Nebeneinanders, jedoch auch der Anerkennung der anderen Lehr- und Praxisinterpretation sowie des Formulierens einer gemeinsamen Einheit in der Vielfalt des Buddhismus.203 In deutschsprachigen Ländern erfolgten überdies vertiefende inhaltliche Verständigungsprozesse in der Formulierung von standardisierten Lehrinhalten für unterschiedliche buddhistische Traditionen. Hintergrund für deutsche Buddhisten und Buddhistinnen in der DBU war, dass die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft (ÖBR) als einer der ersten nationalen buddhistischen Verbände in Europa Ende 1982 vom Staat die offizielle Anerkennung erreicht hatte.204 Dieses stellte sie mit

202 Wuthnow/Cadge 2004: 363. 203 Zu Entwicklungen in den USA siehe Seager 2012: 248–250, zu traditionsübergreifenden Vesakh-Feiern in bundesdeutschen Städten siehe die Ankündigungen unter http://ve sakh.de/, für die Schweiz siehe www.sbu.net/ (Zugriffe am 26.10.2016). Nicht weiter vertieft werden sollen hier buddhistische Verbände wie die 1975 gegründete Europäische Buddhistische Union (http://europeanbuddhism.org/) und die 1950 gegründete World Fellowship of Buddhists (http://wfbhq.org/). 204 Siehe Ritter 1993 und Hutter 2001: 102–104.

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anderen anerkannten Religionsgemeinschaften gleich, etablierte den Buddhismus als respektable Religion und verlieh Rechte wie Schulunterricht zu erteilen, Kranke in Spitälern und Gefangene in Gefängnissen betreuen zu können und weiteres mehr. In der DBU und ebenso in anderen nationalen Verbänden sahen buddhistische Vertreter und Vertreterinnen durch den Vorreiter Österreich die Chance, mittels staatlicher Anerkennung Buddhismus stärker in der Öffentlichkeit zu positionieren und als gleichwertig mit christlichen, teils Buddhismus-kritischen Kirchen zu positionieren. Ebenso würde dies im stigmatisierenden Diskurs der 1980er Jahre ermöglichen, sich gegenüber so genannten „Sekten“ wie der Krishna-Gemeinschaft und Bhagawan Shree Rajneeshs Sannyasins, mit denen Buddhisten gelegentlich verwechselt wurden, klar abzugrenzen. In der Bourdieu’schen Analyse religiöser Felder gingen Bemühungen buddhistischer Verbände in Deutschland, Italien, Portugal und weiteren Ländern dahin, sich als „neue Heilsunternehmer“ und Stakeholder mit dem ‚Produkt‘ eines geeinigten Buddhismus im diverser werdenden religiösen Markt zu positionieren, sich gegen unliebsame ähnliche ‚Anbieter‘ abzugrenzen und das bisherige „Monopol [christlicher Kirchen] auf die Verwaltung des Heiligen“ nicht mehr fraglos hinzunehmen.205 Der intrabuddhistische Verständigungs- und zugleich Abgrenzungsprozess hat zur Präzisierung inhaltlicher Positionen und zu Standardisierungen geführt. In Deutschland war Voraussetzung für die staatliche Anerkennung neben einem organisatorischen Rahmen auch das Vorhandensein eines gemeinsamen Bekenntnisses, vergleichbar den Bekenntnissen christlicher Kirchen. In einem Klärungs- und Ausklammerungsprozess über strittige Punkte, z. B.die im vietnamesischen Buddhismus betonte Sonderstellung von Ordinierten gegenüber Laien, gelang 1985 den Delegierten buddhistischer Schulen und Traditionen die einvernehmliche Verabschiedung eines Buddhistischen Bekenntnisses. Es ist ein Bekenntnis, „um das uns Buddhisten in aller Welt beneiden“, so stolz und euphorisch die Delegierte und DBU-Vorstandsrätin Sylvia Wetzel.206 Das Buddhistische Bekenntnis der DBU beginnt mit der buddhistischen Zufluchtnahme: Ich bekenne mich zum Buddha, meinem unübertroffenen Lehrer. Er hat die Vollkommenheiten verwirklicht und ist aus eigener Kraft den Weg zur Befreiung und Erleuchtung gegangen. Aus dieser Erfahrung hat er die Lehre dargelegt, damit auch wir endgültig frei von Leid werden. Ich bekenne mich zum Dharma, der Lehre des Buddha. Sie ist klar, zeitlos und lädt alle ein, sie zu prüfen, sie anzuwenden und zu verwirklichen. Ich bekenne mich zum Saṅgha, der Gemeinschaft derer, die den Weg des Buddha gehen und die verschiedenen Stufen der inneren Erfahrung und des Erwachens verwirklichen.207

205 Zitate Bourdieu 2009: 63, 53. 206 Wetzel 1988: 5. 207 Zitiert in der überarbeiteten Fassung von 2004, siehe die DBU-Webseite www.buddhis mus-deutschland.de/Buddhistisches-Bekenntnis/ (Zugriff 26.10.2016).

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Es folgen das „feste Vertrauen zu den Vier Edlen Wahrheiten“ und in die drei Daseins-Merkmale buddhistischer Auffassung, das Bekenntnis „zur Einheit aller Buddhisten“, zu den fünf Selbstverpflichtungen (pāli pañcasīla) und den „vier grenzenlosen Geisteshaltungen“ Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut (brahmavihāra).208 Trotz gemeinsamem Bekenntnis und organisatorischem Rahmen wurde die Anerkennung 1986 nicht zugeteilt, da die Anzahl Buddhisten noch zu gering und die Gewähr der Dauer nicht gesichert sei. Für einen neuen Anerkennungsversuch mehren sich seit einigen Jahren in der DBU die Stimmen, wobei innerbuddhistische Kritik nicht fehlt.209 Das Buddhistische Bekenntnis, das zu Beginn Ergebnis eines Verständigungsprozesses zur Erreichung eines rechtlichen Status war, stellt mittlerweile die inhaltliche Grundlage der Arbeiten der DBU dar: Es ist Richtschnur für DBU-Mitgliedsgemeinschaften und Voraussetzung zur Aufnahme neuer buddhistischer Mitgliedsgemeinschaften.210 In der Schweiz übernahm die Schweizerische Buddhistische Union 2002 in enger Anlehnung an das DBU-Bekenntnis diese Standardisierung buddhistischer Inhalte, begrifflich als ‚buddhistische Grundwerte‘ gefasst. In Österreich liegt der ÖBR nicht solch ein kondensiertes Bekenntnis zugrunde, sondern eine ausführliche Darstellung zur Figur des Buddha und buddhistischen Lehrinhalten.211 Die intrabuddhistischen Kontakte resultierten in den deutschsprachigen Ländern in einer von vielen Traditionen und Schulen mitgetragenen Verständigung darüber, „was fester Bestandteil des Dharma ist und was Tradition, Spezifikum und verzichtbares Beiwerk“.212 Diese Bestimmung des ‚Spezifikums‘ dient als Referenzpunkt nach innen wie außen und geeinte Selbstdarstellung im religiös differenzierten Feld des jeweiligen Landes.

4. Buddhismus im Westen und gesellschaftliche Megatrends Die unterschiedlichen Rezeptionen und Institutionalisierungen buddhistischer Lehrinhalte, Praktiken und Gemeinschaftsformen in Ländern außerhalb Asiens

208 Ebd. Zum Prozess der Verabschiedung des Bekenntnisses siehe Baumann 1995: 194– 202, 252–258. 209 Siehe die DBU-Webseite www.buddhismus-deutschland.de/anerkennung-als-koer/ (Zugriff 7.11.2016). 210 Siehe die DBU-Webseite www.buddhismus-deutschland.de/mitglied-werden/ (Zugriff 26.10.2016). 211 Siehe zur SBU www.sbu.net/grundwerte, zur ÖBR siehe http://oebr.at/die-lehre-desbuddha/ (Zugriffe 26.10.2016). 212 Weil 1988: 22.

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sind in den zurückliegenden 150 Jahren unweigerlich durch die jeweiligen religiösen, kulturellen und sozialpolitischen Bedingungen – die religiösen Felder (Bourdieu) – mitbestimmt gewesen und sind es weiterhin. Insbesondere die gesellschaftlichen „Megatrends“213 der Individualisierung, Säkularisierung und Kommerzialisierung haben nachhaltigen Einfluss auf buddhistische Anpassungsund Selbstdarstellungsprozesse gehabt. Diese gilt es im abschließenden Querschnittskapitel darzustellen.

4.1. Individualisierung Religionssoziologische Forschungen betonen, dass im Zuge der Modernisierungsprozesse in Industriestaaten und insbesondere im Nachklang der 1960er Jahre ein deutlicher „Individualisierungsschub“214 festzustellen ist. Jörg Stolz und Edmée Ballif sprechen von einem gesellschaftlichen „Megatrend“ der Individualisierung, der bewirkt, dass Personen nicht mehr Zeit ihres Lebens „auf eine soziale Schicht, eine Konfession, eine mögliche soziale Rolle, einen fixen Wohnort festgelegt [sind]. Vielmehr haben sie nun die Wahl“.215 Der bzw. die Einzelne entscheidet selbst über religiöse Präferenzen, bevorzugte Praktiken und etwaige Gruppenmitgliedschaften. Dieses schlägt sich am großen Interesse an Meditationspraktiken und der daraus mitunter resultierenden Annahme buddhistischer Lehren und Verhaltensnormen als neuen Orientierungsrahmen nieder. Gerade in den 1970er und nachfolgenden Jahren entstanden aufgrund dieser individuellen Wahl zahlreiche neue buddhistische Gruppen und Zentren (s. Abschnitte 3.2. bis 3.6.). Wie Studien, Biographien und Autobiographien zeigen, haben bspw. Buddhisten und Buddhistinnen in Deutschland oftmals verschiedene Gruppen von Yoga, Theosophie bis Sufismus besucht, um schließlich im Auswahlprozess sich für eine buddhistische Gruppe und „ihren“ Lehrer bzw. „ihre“ Lehrerin zu entscheiden.216 Andere setzten mitunter das ‚Shopping around‘ bei unterschiedlichen Gruppen und Gemeinschaften fort und wechseln erneut, sobald Anforderungen den eigenen Erwartungen und Ansprüchen nach zu hoch werden. Individualisierung bedeutet eben auch, selbst über Bindungen und Wechsel entscheiden zu können. Ein großer Teil von Interessierten kommt zuerst über Bücher mit buddhistischen Themen in Kontakt. Thomas Tweed nennt diese Personen Sympathisanten und ‚Nachttisch-Buddhisten‘.217 Diese haben mitunter buddhistische Accessoires

213 Stolz/Ballif 2010: 35. 214 Stolz/Ballif 2010: 36. 215 Stolz/Ballif 2010: 35, Hervorhebung im Original. Zu Individualisierungstheorien siehe auch Pickel 2011: 178–197. 216 Siehe Hecker 1995, 1996, 1997; Ayya Khema 1997; Bitter 1988; Waskönig 2003. 217 Tweed 2002: 20.

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in ihrer Wohnung und auf dem Nachttisch liegt ein Buch vom Dalai Lama, Thich Nhat Hanh oder Shunryu Suzukis Zen-Geist, Anfänger-Geist. Lesen als individuelle Auswahl und persönliches Interesse können, müssen jedoch bei weitem nicht den Weg zum Besuch einer buddhistischen Gruppe ebnen. Individualisierung als Megatrend charakterisiert in dieser Hinsicht, dass die Interessen und Bedürfnisse des Individuums im Vordergrund stehen. Dieses gilt ebenso für das in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsene Interesse an Meditation. Im Vordergrund steht bei nicht wenigen das persönliche Bedürfnis nach Entspannung, Ruhe und Abschalten von Beruf und Alltag. Deutlich nachgeordnet sind stärker buddhistische Zielsetzungen wie das Einüben von Mitgefühl und Gleichmut und damit Bezüge zu anderen Personen und Problemlagen. Insbesondere die in den USA entwickelten und nachfolgend in weitere Ländern verbreiteten Zen-Interpretationen von D. T. Suzuki als individuelle Erfahrung und von Alan Watts als Individualität und Freiheit (s. Abschnitt 3.2.) sowie die schon in Südasien individualisierten Interpretationen von vipassanā-Meditation, popularisiert durch die Insight Meditation Society (s. Abschnitt 3.6.), betonen die Bedeutung des Individuums und die persönliche Erfahrung. Dieser Fokus auf das Individuum ermöglichte es erst, dass solcherlei an den Megatrend Individualisierung angepasste buddhistische Meditationsmethoden breite Kreise von Sympathisanten und Praktizierenden in westlichen Ländern ansprechen konnten. Bei Immigranten aus buddhistischen Ländern Asiens, die oftmals in der Diaspora ihre Religion neu entdeckten (s. Abschnitte 3.7. und 3.8.), sind Individualisierungstrends insbesondere bei den zweiten und dritten Generationen zu beobachten. Eine Studie zu tibetisch-buddhistischen jungen Erwachsenen in der Schweiz zeigt grundlegende Verschiebungen auf: Sind tibetischen Eltern und Großeltern religiöse Praktiken mit Gebeten, Pflege des heimischen Altars, Niederwerfungen und Besuchen des Klosters wichtig, so hinterfragen junge tibetische Buddhisten und Buddhistinnen rituelle Handlungen und suchen nach Erklärungen. Für sie sind nicht Klosterbesuche oder Rituale wichtig, sondern vielmehr buddhistische Werte wie Mitgefühl, Genügsamkeit und Weisheit, die sie im Alltag zu leben sich bemühen. Buddhismus ist für sie eine Lebensphilosophie und lebenspraktische Anleitung im Umgang mit anderen und sich selbst. Der denkerische und individuelle Zugang zur buddhistischen Lehre und zu philosophischen Konzepten ist zentral. Als gelebte Religiosität ist sie stark ethisiert, individualisiert und privatisiert. Buddhismus geht insofern bei der nachwachsenden Generation nicht verloren, sondern wird in enger Anlehnung an das gesellschaftliche Umfeld neu interpretiert.218

218 Schlieter et al. 2014: 180–209. Beyer/Ramji 2013 zeigen in ihrer Studie zu jungen Buddhisten und Buddhistinnen in Kanada ebenso Aspekte der Ethisierung und Distanzierung von Ritualen auf, mit einer Differenzierung von sich schwächer und stärker buddhistisch verstehenden jungen Erwachsenen.

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4.2. Säkularisierung Neben dem gesellschaftlichen Megatrend der Individualisierung ist der Vorgang der Säkularisierung in vielen Ländern Europas, zunehmend in den USA und Kanada sowie weiteren Ländern – auch in Asien – von prägender Bedeutung. Zwischen Säkularisierung und Individualisierung besteht ein systematischer Zusammenhang, insofern als moderne Säkularisierungstheorien eine „nachlassende Bindung der Individuen an Religion“ konstatieren, ebenso die Abnahme gesellschaftlicher Bedeutung von Religion sowie Prozesse der Rationalisierung und Zurückdrängen religiöser Konzepte.219 Von besonderem Interesse sind hier Vorgänge der Rationalisierung. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten europäische und asiatische Buddhisten rituelle und religiöse Elemente im Buddhismus zurückgedrängt und die Lehre als wissenschaftlich und rational dargestellt (s. Abschnitte 2.2., 2.3. und 2.5.). Dieser Interpretationslinie folgen gegenwärtige Interpreten und stellen Inhalte der buddhistischen Lehre wie karma und Wiedergeburt als metaphysische Glaubensaussagen dar. Sie interpretieren diese Lehrinhalte als provisorische Zugeständnisse des Buddha an die damalige indische Umwelt. Der Buddha habe jedoch eine rationale Lehre der Einsicht, Analyse und praktischen Umsetzung gelehrt, keine zu glaubenden Lehrsätze. Zu einem Glaubenssystem wie andere Religionen sei der Buddhismus erst durch spätere Traditionen und Schulen geworden, kontrolliert von einer Elite von Priestern bzw. Mönchen. Dieses Szenario einer klassischen Priesterbetrugstheorie à la französischer Aufklärer vertritt der derzeit prominenteste Vertreter eines rationalen Buddhismus, Stephen Batchelor (geb. 1953). In den 1970er und 1980er Jahren war er tibetisch-buddhistischer Mönch in Klöstern in Indien und der Schweiz, später in einem südkoreanischen Zen-Kloster; 1985 legte er die Robe ab und heiratete Martine Fages. Batchelor wirbt in seinem bekannten Buch Buddhism without Beliefs (1997) für einen „existential, therapeutic, and liberating agnosticism“,220 den der Buddha verkündet habe und der in die Praxis umzusetzen sei. Ein Jahrzehnt später nennt er diesen glaubenslosen Buddhismus einen säkularen Buddhismus, der das Gegenteil von religiös, nämlich säkular, und den Bedürfnissen der jetzigen, säkularen Zeit angemessen sei. Batchelors agnostisch-säkulare Buddhismus-Interpretation beansprucht, die befreienden Potentiale von Buddhas Lehre als Buddhismus 2.0 für die gegenwärtige moderne Zeit in rationaler Sprache herauszuarbeiten – eine Anpassungsmethode durch ausdrückliche Orientierung

219 Pickel 2011: 139. Zum Begriffsumfang und verschiedenen Theoretikern siehe Pickel 2011: 137–178. 220 Batchelor 1997: 15.

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an den wissenschaftlich-aufklärerischen Diskursen spätmoderner Gesellschaften.221 Eine zweite Form der Rationalisierung bildet die Vermittlung von Achtsamkeitsmeditation (pāli sammā sati) unter nur noch ansatzweiser bzw. loser Einbettung in buddhistische Bezüge. Das Interesse an Achtsamkeitsmeditation und -übungen (engl. mindfulness) hat seit den 1960er Jahren kontinuierlich und seit den 1990er Jahren rasant zugenommen, wie Verkaufszahlen von Büchern und Googles Ngram Viewer eindrücklich zeigen.222 Insbesondere die Verbreitung der vipassanā-Meditation durch Satya N. Goenka und durch die US-Amerikaner Jack Kornfield, Sharon Salzberg und Joseph Goldstein und ihre zum Unterrichten autorisierten Schüler und Schülerinnen erreichten weite Kreise der breiten Mittelschichten (s. Abschnitt 3.6.). Auch Thich Nhat Hanhs Achtsamkeitsinterpretationen trugen wesentlich zur Verbreitung und Zugänglichkeit von mindfulness bei. Weniger als buddhistische als vielmehr universelle Technik für persönliche Erfahrungen und spirituelle Entwicklung dargestellt, gilt mindfulness seit den 2000er Jahren als chic und trendy, ist Teil der US-amerikanischen Medien- und Popkultur und wird in zahllosen Büchern zu unterschiedlichen Lebensbereichen wie Selbsthilfe, Fitness, Studium, Essen, Beziehungen und Arbeit vermarktet. Einst auf monastische Praxis begrenzt, ist Achtsamkeit durch Reformen in Südasien sowie Übernahme und interpretatorische Angleichungsprozesse durch westliche Schüler stark individualisiert und universalisiert sowie im US-amerikanischen Selbsthilfe- und Therapiemarkt popularisiert und säkularisiert worden – und so in vielen weiteren Ländern außerhalb Asiens rezipiert worden.223 Die dritte Rationalisierungs- und Säkularisierungsform stellt die Interpretation von Achtsamkeitsmeditation im Medizin- und Gesundheitssektor dar und ist eng mit dem Namen Jon Kabat-Zinn (geb. 1944) verbunden. Als Doktorand der Molekularbiologie in den ausgehenden 1960er Jahren hatte Kabat-Zinn Zen-Meditation bei Philip Kapleau und Thich Nhat Hanh sowie vipassanā-Meditation bei der Insight Meditation Society geübt und war kurze Zeit als Meditationslehrer tätig. KabatZinn verwendet Achtsamkeitsmeditation in einem wissenschaftlichen, nicht buddhistischen Rahmen, um chronisch Kranken und anderen Stressbelasteten in einem 8-Wochen-Kurs zu vermitteln, wie sie durch Achtsamkeitsübungen Stress und Schmerz reduzieren können. Er gründete 1979 die Stress Reduction Clinic an der medizinischen Fakultät der Massachusetts-Universität und entwickelte dort das

221 Batchelor 2012. Siehe auch die Webseite von Batchelor www.stephenbatchelor.org/ sowie die Webseite www.saekularerbuddhismus.org/ mit Texten verschiedener buddhistisch-säkularer Interpreten (Zugriffe 30.10.2016). 222 Siehe Google Ngram Viewer zum Begriff mindfulness, https://books.google.com/ngr ams/graph?content=mindfulness&year_start=1800&year_end=2000&corpus=15&smooth ing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Cmindfulness%3B%2Cc0 (Zugriff 1.11.2016). 223 Siehe zu den Entwicklungen in den USA instruktiv Wilson 2014: 36–61.

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Übungsprogramm der Mindfulness-Based-Stress-Reduction (MBSR). Zur Kernidee von Achtsamkeit und des Programms sagt Kabat-Zinn in seinem Bestseller Full Catastrophe Living: Simply put, mindfulness is moment-to-moment awareness. It is cultivated by purposefully paying attention to things we ordinarily never give a moment’s thought to. It is a systematic approach to developing new kinds of control and wisdom in our lives, based on our inner capacities for relaxation, paying attention, awareness, and insight.224

Klinische Studien belegten den Nutzen der Methodik der Achtsamkeit und Körperwahrnehmung bei chronischem Schmerz, Umgang mit Stress und Verbesserung der Gesundheit. Die Studien und Kabat-Zinns Bücher machten ihn und seinen Ansatz in den 1990er Jahren in den USA berühmt, bald auch in Europa und weiteren Ländern. Zu dem in den USA weit verbreiteten Gang zum Psychologen oder Therapeuten stellt die Praxis von Achtsamkeitsmeditation für viele eine gangbare Alternative dar. MBSR wird im US-Gesundheitssystem und im deutschsprachigen Raum zunehmend als Teil der ganzheitlichen Medizin eingesetzt (und von Krankenkassen bezuschusst), zudem erfolgt unter der Trademark MBSR in großer Zahl die Ausbildung neuer Lehrender und die Gründung zahlreicher Ausbildungs- und Anwendungsinstitute. Nicht nur im Medizin- und Gesundheitsbereich, auch im Ausbildungs-, Therapie-, Familien- und Arbeitsbereich, in Strafanstalten und anderen Einrichtungen mit Stressbelastungen bieten MBSR-Lehrer und -Lehrerinnen das Übungsprogramm zur Anwendung im alltäglichen Leben an.225 Im Kontext des Megatrends Säkularisierung haben buddhistische Lehrer und Lehrerinnen sowie Kabat-Zinn durch rationale Reinterpretationen buddhistische Lehrinhalte und Meditationspraktiken als nichtreligiös, in vielerlei Lebensbereichen anwendbar und als medizinisch wertvoll angepasst. In dieser Form und Darstellung erreichen insbesondere Achtsamkeitspraktiken sehr große Publika, womöglich weit größer als die vieler buddhistischer Lehrenden und Autoren zusammen.

4.3. Kommerzialisierung Als dritter Megatrend haben Vorgänge der Kommerzialisierung weitreichende Implikationen für die Rezeption buddhistischer Praktiken und Inhalte sowie die Selbstdarstellung von Gemeinschaften. Seit den 1980er Jahren politisch gefördert,

224 Kabat-Zinn 1990: 2. 225 Siehe Kabat-Zinn 1990; 1994 sowie die Analyse von Wilson 2014: 35f., 84–101. Zu Ausbildungsstrukturen im deutschsprachigen Raum siehe die Webseiten www.mbsr-ver band.de/, www.mbsr-mbct.at/ und http://mbsr-verband.ch/; der Anbor-Verlag vertreibt die Bücher von Kabat-Zinn und führt ebenso MBSR-Seminare durch, siehe die Webseite www.arbor-seminare.de/ (Zugriffe 1.11.2016).

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ist der marktwirtschaftliche Primat von Wettbewerb und Angebot das Credo gegenwärtiger Konsumgesellschaften, wie sie sich nicht nur in Nordamerika und Ländern Europas, sondern rasant in der südlichen Hemisphäre und Ländern Asiens wie Japan, Vietnam und China zeigen. Auch buddhistische Artikel wie Sitzkissen und Klangschalen, Bücher und Zeitschriften, Seminare und Retreats und vieles mehr sind käufliche Produkte auf einem millionenschweren Markt geworden. Kommerzialisierung bezeichnet den Vorgang, immaterielle Gegenstände, kulturelle Werte und religiöse Ideen und Praktiken wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen und im Streben nach Gewinn einer ökonomischen Handlungslogik, demnach als erwerbbare Produkte auf einem kompetitiven Markt zum Kauf anzubieten. Einen ersten Zugang des Vorgangs der Vermarktung bieten buddhistische Zeitschriften wie Buddhismus Aktuell (früher Lotusblätter, seit 1987) als Organ der DBU, Buddhismus in Österreich (seit 2011) als Organ der ÖBR und Ursache und Wirkung (seit 1991) als unabhängige buddhistische Zeitschrift. Fehlten Anzeigen für Produkte und Dienstleistungen in Ausgaben der 1990er Jahren noch weitgehend, so nahmen sie etwa ab der Jahrtausendwende mehr und mehr zu. In aktuellen Ausgaben finden sich halb- und ganzseitige Anzeigen für Buddhastatuen, Ritualartikel und Zafus (Sitzkissen für Meditation) in verschiedenen Farben und Ausführungen, für buddhistische Vorträge, Anfängerkurse und thematische Seminare, für mehrjährige Studien- und Meditationslehrgänge, für Bücher buddhistischer Autoren und vieles mehr. Solche Anzeigen nutzen der Ausgaben-Einnahmen-Balance der Zeitschriften, lassen zugleich manche Ausgaben wie einen aktuellen Produktkatalog rund um alles Buddhistische erscheinen. Einen Schritt weiter gehen kommerzielle Online-Anbieter buddhistischer Artikel wie DharmaCrafts, Dharma Communication und Tsatsa-Shop der Einzelfirma Buddhawerkstatt e.K. Bei DharmaCrafts sind Bestseller im Online-Shop derzeit Armreifen mit eingraviertem liebende-Güte-Spruch (metta prayer) von $ 119 bis $ 1698, die Meditationsuhr für $ 99 und der Set von Zafu und Matte für $ 119.226 Dharma Communication des von Daido Loori Roshi gegründeten Zen-Ordens ‚Mountains and Rivers‘ im Staat New York bietet im Online-Shop des Klosters ‚für die Unterstützung der spirituellen Praxis‘, wie es heißt, den Set Zafu und Matte von $ 113 bis $ 218 an, ebenso passende Meditationskleidung wie T-Shirts und bequeme Hosen, buddhistische Statuen (von $ 10 bis $ 125), Bücher und Ritualgegenstände.227 Die Kommerzialisierung rund um buddhistische Praxis, Lehrangebote und Artikel wendet sich zuerst einmal an praktizierende Buddhisten und Buddhistinnen sowie Sympathisanten als potentielle Käufer. Über diese Nischenökonomie hinaus

226 DharmaCrafts Webseite www.dharmacrafts.com/05_bs/best-sellers (Zugriff 2.11.2016). 227 Dharma Communication Webseite http://monasterystore.org/ (Zugriff 2.11.2016).

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ist seit etwa einem Jahrzehnt der Trend zu beobachten, dass in Möbel- und Einrichtungshäusern im Sortiment Buddhafiguren als Dekorationsartikel zu finden sind, Lotusblüten und Bodhi-Baumblätter in vielerlei Ausführungen angeboten werden. Beispielsweise bietet das Online-Einrichtungsportal moebel.de den DekoBuddha mit Windlicht für 29,99 €, die Solarleuchte Buddha für 17,99 € und das Kissen mit Lotusblume, 30x30 cm, für 29,99 € an.228 Wie lässt sich diese Entwicklung der Kommerzialisierung buddhistischer Artefakte erklären? Einerseits werden der buddhistischen Religion im Rahmen der großen Medienaufmerksamkeit positive Eigenschaften und Qualitäten zugeschrieben, beispielhaft personifiziert im 14. Dalai Lama, Thich Nhat Hanh und lächelnden Mönchen. Andererseits besteht ein Exotisierungsdiskurs, der Buddhistisches als Faszinierendes mit Qualitäten von Friedfertigkeit und Ausgeglichenheit einstuft. Die Buddhafigur im Wohnzimmer verweist auf einen Lebensstil, der sich als weltgewandt und weltoffen, als weit gereist und interessiert an ‚fremden‘ Kulturen und Religionen versteht. Zugleich verweist sie darauf, dass buddhistische Artefakte Teil des gesellschaftlichen Mainstreams geworden sind – seit Schopenhauers provozierender Buddhafigur an der Stelle des segnenden Christus als Ausweis seines „Buddhaist-Seins“ im Jahr 1856 haben buddhistische Entwicklungen einen kontinuierlichen Anpassungs-, Innovations- und Anerkennungsprozess durchlaufen. Einst Provokation und Protest, sind Buddhafiguren heutzutage mainstream und positiver Ausweis.229

5. Schluss Buddhismus im Ländern außerhalb Asiens zeigt sich vor dem Hintergrund seiner 300-jährigen Rezeptionsgeschichte und mehr als einhundertjährigen Institutionalisierungsgeschichte heutzutage als äußerst vielfältig. Von einem einheitlichen westlichen Buddhismus zu sprechen, verkennt die immensen internen Unterschiede. In den vergangenen Jahrzehnten haben Buddhistinnen und Buddhisten in großer Zahl Gemeinschaften, Orden und Saṅghas fest etabliert, repräsentative Tempel und Klöster erbaut sowie dauerhafte Infrastrukturen mit Zentren, Netzwerken, Retreathäusern, profitablen Kooperativen, Hospizen, Friedhöfen und vielem mehr geschaffen. Von den absoluten Zahlen her zumeist vergleichsweise gering, erreichen celebrities wie der Dalai Lama, Praxisformen wie die Achtsamkeitsmeditation, zugeschriebene Werte wie Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit

228 Webseite www.moebel.de/suche?keyword=asien (Zugriff 2.11.2016). 229 Zu Kommerzialisierungsprozessen in den USA siehe Wilson 2014: 133–139, zum „consumer Zen“ siehe Irizarry 2015. Die Kommerzialisierung ist nicht ohne Kritik, siehe Carrette/King 2005: 95–114.

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überproportional hohe Aufmerksamkeit in der breiten Bevölkerung und den Medien. Trotz der großen Unterschiedlichkeit sind verschiedene Hauptlinien festzuhalten, wobei Neuerungen oftmals unmittelbar auf vorgängige Reformen in Ländern Asiens zurückgehen: Laien und hier auch Frauen kommt ein großes Gewicht und Mitspracherecht in Gemeinschaften und Zentren zu und die meisten Gruppen sind laiengeführte Gemeinschaften. Es hat eine Demokratisierung stattgefunden und buddhistische Laien sind oftmals genauso Experten und Expertinnen wie Mönche und Nonnen. Entscheidungen werden, wenn möglich, im Konsens getroffen. In vielen Gemeinschaften sind buddhistische Texte als Grundlage für Verständnis, Interpretation und Praxis prominent, dies nicht nur in Gruppen vornehmlich westlicher Konvertiten. Texte und die ‚ursprünglichen‘ Lehraussagen des Buddha, nicht jedoch die Traditionsgeschichte, sind legitimierende Referenzpunkte. Der hohe Individualismus vieler Praktizierender wünscht Resultate und Lösungen für die eigenen spirituellen, emotionalen und alltagsweltlichen Sorgen und Bedürfnisse. Buddhistische Praktiken, Interpretationen und Vergemeinschaftungsformen sollen alltagstauglich sein für Familie, Arbeit und Freizeit – ebenso wie bei Reformern in Asien sind Meditation, Weltdeutung und Ethik aus den Klöstern herausgeführt zur Umsetzung und Bewährung im Alltag. Die Buddhismen in den Gegenwartsgesellschaften westlicher und asiatischer Länder sind global vernetzt durch reisende Lamas, Rōshis und Lehrende, die ihre Gemeinschaften und Zentren weltweit für Belehrungen und Austausch aufsuchen. Neue soziale Medien erhöhen die Kommunikation und Interaktionsformen und verbinden die globalen Netzwerke. Govinda, Batchelor, Kabat-Zinn und viele, viele andere mehr betonen, dass in der Moderne und im Westen der Buddhismus erst sein volles Potential entwickeln und unter Trennung von kulturellen Formen das ‚Spezifikum‘ herauskristallisiert werden könne. Sie wiederholen oft jedoch nur reformerische Selbstlegitimierungen der Anpassung buddhistischer Lehren und Praktiken an veränderte kulturelle, soziale und politische Umwelten, die vor ihnen schon Reformer und Erneuerer in Ländern Asiens nicht erst im 19. Jahrhundert, sondern ebenso wie bspw. bereits Nichiren mit der Betonung des Lotos-Sūtra im 12. Jahrhundert oder Bodhidharma mit dem Fokus auf Meditation und persönlicher Erfahrung im 5./6. Jahrhundert geäußert hatten.

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C. RESÜMEE

GESELLSCHAFTLICHE AUFGABEN DER MODERNEN

DES

BUDDHISMUS

IN

WELT

Manfred Hutter

Die vorliegende Darstellung des Buddhismus in drei Bänden kann dem Leser die Vielfalt dieser rund 2 500 Jahre alten Religion näherbringen.1 Dass die Vielfalt des Buddhismus immer eine Problematik für die ausgewogene Darstellung beinhaltet, ist unübersehbar, zumal unterschiedliche Autor(innen) – insgesamt 24 im gesamten dreibändigen Werk – auch unterschiedliche Zugänge in der Darbietung des Materials auf dem ihnen zur Verfügung gestellten Raum wählten. Dies brachte eine unterschiedliche Gewichtung der Präsentation der historischen Entwicklung der (lokalen) buddhistischen Schulen und Lehrmeinungen, Kultpraktiken und Organisationsformen, Weltanschauungen und Alltagsformen mit sich. Ein Leitmotiv war dabei, den Buddhismus – im Rahmen des Möglichen – auch in Wechselwirkung mit der direkten Umgebung und den jeweiligen kulturellen Gegebenheiten zu beachten. Denn ein großer Teil der Kultur Süd- und Südostasiens sowie Zentral- und Ostasiens ist bis heute buddhistisch geprägt, sowohl in kunstgeschichtlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Buddhistische Kultbauten sind aus dem Landschaftsbild vieler asiatischer Länder nicht wegzudenken und buddhistische Wallfahrtsorte tragen zur Entwicklung der Infrastruktur bei. Motive aus buddhistischen Erzählungen prägen die volkstümliche Überlieferung sowie Wertvorstellungen in einzelnen Gegenden bis zur Gegenwart, wobei die – teilweise aufgrund von Kultur- und Kolonialkontakten mit dem „Westen“ – seit dem späten 19. Jahrhundert einsetzenden Reformströmungen die Verbindung von Buddhismus und moderner Welt vorbereitet haben. Genauso setzen aufgrund dieser Begegnungen im 19. Jahrhundert auch die Rezeptionsprozesse „des“ Buddhismus im „Westen“ ein. Somit sind 2 500 Jahre Buddhismus zugleich eine Geschichte beständigen Wandels und kultureller Kontakte. Als Abrundung der Bände sei daher anhand von Ethik und religiösem Pluralismus die gesellschaftliche Verflechtung des Buddhismus in aller Kürze abschließend angesprochen, um so die „globale“ Rolle dieser Religion historisch wie gegenwärtig für weitere Fragestellungen zu verdeutlichen. Ein dem Buddha zugeschriebener Satz legt die Prinzipien des sittlichen Handelns fest: „Alles Böse meiden, das Gute tun und das eigene Herz läutern – das ist

1 Vgl. auch die Überlegungen von Bechert 2000: 1–11, mit denen er den ersten Band einleitet. Die Schnittstelle zwischen dem zweiten und dem vorliegenden, dritten Band bietet der Beitrag von Wilkens 2016 zu Zentralasien.

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Gesellschaftliche Aufgaben des Buddhismus in der modernen Welt

die Lehre aller Buddhas“ (Dīgha Nikāya 14.3.28). Nimmt man die drei Elemente des Satzes ernst, so wäre Ethik im buddhistischen Verständnis nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel zur „Läuterung des Herzens“, d. h. eine Hilfe zur Erlangung des Nirvāṇa. Weil aber ein „weltlich“ unethischer Mensch nur schwerlich der Lehre Buddhas folgen wird, beschreiben bereits frühe buddhistische Texte auch ethische Verhaltensmaßnahmen; dies illustrieren vor allem die so genannten „fünf Gebote des Buddhismus“ (pañca śīla), die jeder Laie befolgen soll: es handelt sich um das Gebot, nicht zu töten, nicht zu stehlen, sich unerlaubter sexueller Kontakte zu enthalten, nicht zu lügen und keinen Alkohol zu sich nehmen.2 Damit schaffen diese Aussagen eine normative und auf den Religionsstifter zurückgehende Rahmenbedingung, die zwar allgemein gehalten ist, die aber in den verschiedenen Bereichen des Buddhismus immer wieder – auch beispielhaft – konkretisiert wurde. Dadurch entwickeln Buddhisten aller Richtungen ethische Konzepte, die auf den Religionsstifter und seine „Daseinsanalyse“, wie sie in den vier edlen Wahrheiten geliefert wird, rational zurückgeführt werden. In einer möglichst allumfassenden Beschreibung ließe sich dabei buddhistische Ethik als „Achtung vor dem menschlichen und nicht-menschlichen Leben“ im weitesten Sinn beschreiben. Solche allgemeinen Grundlagen der Ethik verbieten daher im Prinzip für Buddhisten den Handel mit lebenszerstörenden Gegenständen wie Waffen, Gift oder Alkohol sowie die Ausübung gewisser Berufe, bei denen Lebewesen getötet oder unterdrückt werden. Dadurch soll ein buddhistisch-ethisches Leben das Verhältnis zu den Mitmenschen und der Gesellschaft regeln, was sich immer wieder in konkretisierbarer Form zeigen muss. Ein erster diesbezüglicher Themenkreis, der die Religionsangehörigen in der modernen Welt vor Herausforderungen stellt, sind Fragen im Bereich der Geschlechterverhältnisse, der Partnerschaft und den Formen von Sexualität.3 Das dritte śīla, d. h. Fragen der (unerlaubten) Sexualität, betreffen dabei – trotz der Ehelosigkeit von Mönchen und Nonnen – diese genauso wie Laien, da die Praktizierung aller Form von Sexualität ihnen untersagt ist. Laien müssen Fehlformen vermeiden, d. h. alle jene Praktiken von Sexualität unterlassen, durch die der/die Sexualpartner/in Schaden erleidet. Da dies für Männer und Frauen in gleicher Weise gilt, ist auch die teilweise misogyne Sichtweise auf Frauen ein Verstoß gegen dieses śīla. Denn der/die (Sexual-)Partner/in muss immer als gleichwertige Person akzeptiert werden. Strittig ist die ethische Einschätzung von gleichgeschlechtlicher Sexualität, da dafür keine eindeutigen Aussagen in den traditionellen buddhistischen Texten vorliegen.4 Moderne Buddhisten stehen der Fragestellung entweder neutral oder tendenziell skeptisch gegenüber. Neutrale Positi-

2 Vgl. z. B. Kieffer-Pülz 2000: 369; Freiberger/Kleine 2015: 225. 3 Vgl. z. B. Harvey 2000: 357–367; Grünhagen 2013: 100–130; Collett 2018. 4 Siehe Harvey 2000: 423–434; Grünhagen 2013: 137–145; Langenberg 2018: 573f.

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onen, die gleichgeschlechtliche Sexualität nicht weiter problematisieren, argumentieren damit, dass solche Formen von Sexualität erlaubt sind, solange sie in beidseitigem Einverständnis der Partner geschehen. Skeptische Positionen argumentieren in unterschiedlicher Weise damit, dass Praktiken des Anal- bzw. Oralverkehrs durch tibetische Kommentarliteratur über Mönchsverhalten verboten sind, so dass daraus ein Verbot von Homosexualität abgeleitet wird. Manchmal wird auch die fehlende Möglichkeit, durch gleichgeschlechtliche Sexualität Nachkommen zu zeugen, als Argument für die ethische Ablehnung solchen Verhaltens genannt. Sexualität im weitesten Sinn und andere Sozialbeziehungen zeigen, dass sie der Umsetzung des achtgliedrigen Pfades im eigenen Leben dienen sollen bzw. man selbst moralisch dazu verpflichtet ist, seine eigenen Sozialbeziehungen auch dazu einzusetzen, dass diese für den anderen spirituell bereichernd sind. Diese Unterstützung des Freundes oder des Schwächeren bedingt zugleich die eigene ethische Entwicklung, da sie zur Überwindung von Gier oder Hass sowie zur Aufgabe einer Fixierung nur auf eigene egoistische Vorlieben dient. Dabei kann man sagen, dass Sozialbeziehungen auch andere gesellschaftliche bzw. gesellschaftspolitische Bereiche tangieren, vor allem den ökonomischen Bereich. Arbeit und ökonomische Aktivitäten kann man zwar als Recht und Pflicht jedes Einzelnen sehen, aber solche Aktivitäten sollten immer so gestaltet werden, dass sie heilsam und dem Erlösungsweg förderlich sind. Ein zentraler Akzent liegt darauf, dass die eigene Arbeit andere Lebewesen nicht schädigen darf. Da die „Natur“ Lebensraum für andere Lebewesen ist, ist die Schädigung der Natur zu unterlassen, was zugleich eine Verbindung zwischen ökonomischem und ökologischem Denken begründet.5 In konkreten Situationen weisen Buddhisten eine ökologische Orientierung für ihr wirtschaftliches Verhalten auf bzw. sie unterstützen eine solche Orientierung. Im Kontext der dāna-Vorstellung mag wirtschaftlicher Erfolg als passendes Mittel eingesetzt werden, um im Streben nach Nirvāṇa weiter zu kommen. Arbeit und damit verbundenes Heilsstreben hängen auch mit sozialer Gerechtigkeit zusammen, wodurch solche Fragen zur Thematik des Umgangs mit gesellschaftlichen Minderheiten bzw. zur Rolle von Menschenrechten führen. Als dogmatische Basis solcher Fragen kann der „Lehrsatz des Entstehens in Abhängigkeit“ (pratītyasamutpāda)6 gelten. Da es eine gegenseitige Abhängigkeit bzw. gegenseitige Verflechtung aller Lebewesen gibt, gelten ethische Werte wie dāna („Geben“), karuṇā („Mitgefühl“) oder maitrī („Güte“) auch für Menschenrechtsaktivitäten. Buddhistische Menschenrechte zielen daher darauf ab, in den Gesellschaften der buddhistisch geprägten Länder nach der Vereinbarkeit dort bestehender Werte mit buddhistischer Ethik zu fragen. In diesem Kontext können für buddhistische

5 Siehe dazu Cooper/James 2005: 106–136. 6 Freiberger/Kleine 2015: 202–204; Bronkhorst 2000: 55.

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„Menschenrechte“ auch die „internationalen“ Menschenrechte rezipiert werden. Vor einem solchen Hintergrund ist auch das „International Network of Engaged Buddhists“ zu sehen. Während Menschen im Westen gewohnt sind, von MenschenRechten zu sprechen, betonen Buddhisten der Gegenwart stärker die MenschenPflichten oder universellen Pflichten,7 da der Anspruch auf „Recht“ immer auch die Konsequenz haben muss, dass der Betreffende nicht nur sein Recht einfordert, sondern daraus auch richtiges Handeln ableiten muss, damit der Andere zu seinem „Recht“ kommt. In der aus dem Jahr 1995 stammenden „buddhistischen Erklärung über das Verhältnis zwischen Buddhismus und Menschenrechten“ werden folgende drei Grundlagenthesen aufgestellt:8 (1) Jedes Lebewesen soll von anderen Individuen und Regierungen menschlich so behandelt werden, indem diese das buddhistische Gebot des Nicht-Tötens und der Ehrfurcht vor dem Leben beachten. (2) Jedes Lebewesen muss in gleicher Weise behandelt werden, ohne Diskriminierung auf Grund von Rasse, Nationalität, Religion, Geschlecht, Hautfarbe, geistigen Fähigkeiten oder politischen Ansichten. (3) Alle Menschen haben Verantwortung gegenüber anderen Lebewesen und der Umwelt, da hinsichtlich des Lebens und des Wohlergehens alles voneinander abhängig ist, jetzt und in Zukunft. Daher haben Menschen eine Verantwortung für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, die Umwelt zu bewahren, die sie mit anderen Lebewesen teilen, und alles zu vermeiden, was eine direkte oder indirekte Verletzung von anderen Lebensformen verursacht.

In praktischer Hinsicht hängt der Umgang mit Menschenrechten und Minderheiten innerhalb eines buddhistisch geprägten Gemeinwesen mit der Verbindung zwischen Religion, Staat und Nationalismus zusammen.9 Buddhistisch inspirierte „Staatsideen“ gehen vom Ideal des cakravartin aus. Dadurch sollte eine Regierung in Übereinstimmung mit dem dharma stehen. Allerdings hat die moderne buddhistische Geschichte auch negative Entwicklungen hervorgebracht, indem mit dem Aufkommen von Nationalismus-Bewegungen im 19. Jahrhundert der Buddhismus mit politisch-nationalen Interesse gekoppelt wurde. Dadurch entstanden fundamentalistische Strömungen,10 in deren Kontext für Nicht-Buddhisten oder ethnische Minderheiten wenig Platz geblieben ist. Dabei sind in der Tat weite Strecken der buddhistischen Geschichte von Friedensliebe geprägt gewesen, dennoch sind kriegerische Ereignisse in der rund zweieinhalb Jahrtausende dauernden Geschichte buddhistischer Länder nicht unterblieben. Auseinandersetzungen zwischen buddhistischen Mönchsarmeen im mittelalterlichen China oder Japan, Kon-

7 8 9 10

Vgl. Harvey 2000: 119–122; ferner King 2005: 118–163. Zitiert nach Harvey 2000: 121f.; vgl. auch Keown 2018: 538f. Harvey 2000: 113–118. Vgl. z. B. für fundamentalistische Tendenzen in Theravāda-Buddhismus die kurzen Ausführungen bei Hutter 2006; siehe auch Freiberger/Kleine 2015: 470–473.

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flikte zwischen buddhistischen Herrschern Birmas und den benachbarten Ländern in Südostasien zu verschiedenen Epochen des 2. Jahrtausends, tibetisch-buddhistische Zwangsbekehrungen in der Mongolei in der Mitte des 2. Jahrtausends, die Unterstützung des japanischen Imperialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch ranghohe Vertreter des Zen-Buddhismus oder der buddhistische Nationalismus im unabhängigen Sri Lanka seit der Mitte der 1950er Jahre mit dem daraus erwachsenen Bürgerkriegszustand auf der Insel sowie die aktuellen Konflikte Myanmars mit der muslimischen Rohingyas sind einige Beispiele dafür.11 Aufbauend auf den vorhin genannten Menschenrechten stellt sich abschließend die Frage nach dem Umgang mit anderen religiösen Gruppen, wobei – neben einigen grundlegenden Vorüberlegungen – auf das Verhältnis des Buddhismus zum Islam bzw. zum Christentum eingegangen sei. Der Buddhismus hat den Ruf, eine tolerante Religion zu sein, wobei einige Grundkonzepte des Buddhismus einen solchen weitgehend toleranten Umgang mit anderen Religionen und Glaubensvorstellungen prägen. Dies hat jedoch nicht verhindert, dass es im Laufe der Geschichte auch (politisch motivierte) Auseinandersetzungen mit Angehörigen anderer Religionen gegeben hat bzw. dass versucht wurde, die eigene Religion unter Anhängern anderer Glaubensrichtungen aktiv zu verbreiten.12 Für diese buddhistische „Mission“ beruft man sich auf den historischen Buddha, der in einer Umgebung gepredigt hatte, die durch religiösen Pluralismus geprägt war. Buddhas Gesprächspartner nahmen seine Lehre an und wurden Laienanhänger. „Bekehrungsgeschichten“ spiegeln somit den religiösen „Wettbewerb“ wider, bei dem Buddha andere religiöse Lehren nicht pauschal ablehnt, sondern ihre Vorläufigkeit durch seine eigene vollkommen heilbringende Lehre überbietet. In einer inklusivistischen Weise wird anderen Religion ein gewisser relativer Wert zwar nicht abgesprochen, aber sie werden durch die Erklärung des Buddha erst „verständlich“ und damit in der buddhistischen Lehre aufgehoben. In MahāyānaRichtungen taucht ferner ein zusätzliches Argument auf: Nach dem Menschenbild des Mahāyāna-Buddhismus hat jeder Einzelne die Buddha-Natur in sich, was heißt, dass auch Angehörige anderer Religionen ebenfalls zu einem Buddha „erwachen“ können. Dadurch schließt diese potenzielle Buddhaschaft aber aus, dass Angehörige anderer Religionen als „Ungläubige“ abgelehnt und religiös verfolgt werden. Wie zeigt sich diese Vorstellung nunmehr im konkreten Umgang mit anderen Religionen, vor allem mit dem Islam und dem Christentum?

11 Vgl. u. a. Harvey 2000: 255–270; Kollmar-Paulenz/Prohl 2003: 143–147; Freiberger/Kleine 2015: 467–469; Jerryson 2018: 454–458, 472–474. 12 Zu solchen Konversionsgeschichten und dem Konzept buddhistischer „Mission“ siehe Tansrisook 2014: 47–88; Drover 2016: 72–90, 106–108. Zum buddhistischen Umgang mit religiösem Pluralismus siehe allgemein Freiberger/Kleine 2015: 441–446 sowie SchmidtLeukel 2017: 71–89.

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Mit der Ausbreitung des Islam von Iran in den Osten entlang der Seidenstraße setzten im 8. Jahrhundert bereits die ersten – zunächst eher negativen – Begegnungen zwischen beiden Religionen ein,13 die auch aus der Erfahrung der politischen Unterlegenheit ehemals buddhistischer Gebiete genährt wurden. Daneben finden sich bei Mystikern auf islamischer und buddhistischer Seite Elemente, die das Gemeinsame beider Religionen und die gegenseitige Wechselwirkung zeigen. Geographisch stammen solche Wechselwirkungen – vor allem vom Ende des 1. bis in die Mitte des 2. Jahrtausends – aus ostiranischen und zentralasiatischen Gebieten, in denen die beiden Religionen nebeneinander existierten: Buddhistische Mystiker und muslimische Sufis werden dabei in gleicher Weise beschrieben. Sie wohnen als Einsiedler in Höhlen, haben eine Almosenschale und einen Wanderstab. Lediglich an der unterschiedlichen Farbe des Gewandes lässt sich eindeutig ihre „Religionszugehörigkeit“ erkennen: Sufis tragen weiße, buddhistische Einsiedler rote Kleidung. Solche Begegnungen kamen jedoch kurz nach der Mitte des 2. Jahrtausends zum Erliegen, nachdem der Islam sich auf Kosten des Buddhismus fast flächendeckend über Zentralasien verbreitet hatte. In der Gegenwart konzentriert sich die Begegnung zwischen Buddhismus und Islam vor allem auf jene Staaten in Süd- und Südostasien, in denen beide Religionen mit entsprechenden Anhängerzahlen verbreitet sind: Sri Lanka, Bangla Desh, Myanmar, Thailand und Malaysia. Da in diesen Ländern jeweils klare Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse gegeben sind, ist das Verhältnis zwischen den beiden Religionen auch von politischen und nationalistischen Interessen beeinflusst. In den mehrheitlich buddhistisch geprägten Ländern Sri Lanka, Myanmar und Thailand führt dies dazu, dass Muslime an den Rand einer buddhistisch-nationalistisch geprägten Gesellschaft gedrängt sind. Auf theologischer Ebene gibt es aber auch Versuche, aus der Sicht des Buddhismus islamische Vorstellungen mit buddhistischen Konzepten zu verbinden. So etwa nützt der japanische Buddhist Masao Abe (gest. 2006) die buddhistische Drei-Körper-Lehre als Erklärungsmodell, das Gemeinsamkeiten zwischen beiden Religionen aufzeigen kann. Dadurch kann er die buddhistische Vorstellung der Leerheit mit der absoluten Transzendenz im Islam vergleichen, genauso lassen sich mit diesem Modell Muhammad und Buddha hinsichtlich ihres irdischen Auftretens als „Religionsstifter“ in eine „Dialog-Beziehung“ setzen. Unter dem Aspekt der „Lehrverkündigung“ versuchen muslimische Denker ihrerseits im buddhistischen Umfeld der Gegenwart, Buddha als Bringer einer „göttlichen Offenbarung“ zu deuten, um dadurch eine Gesprächsbasis zwischen islamischer Theologie und buddhistischen Anschauungen zu eröffnen. Solche Beispiele zeigen, dass einzelne Stimmen innerhalb des Buddhismus – trotz nicht zu übersehender

13 Vgl. z. B. Scott 1998; Freiberger/Kleine 2015: 459f. sowie mit zahlreichen Detailbeobachtungen Schmidt-Leukel 2017: 185–203.

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Unterschiede zwischen den beiden Religionen – Möglichkeiten des Dialogs mit Muslimen suchen. Die Begegnung zwischen Buddhismus und Christentum14 hat eine lange Geschichte, die zwar bereits im 2. Jahrhundert eingesetzt hat, allerdings wird erst mit dem Beginn der katholischen „Asienmission“ im 16. Jahrhundert die geistige Auseinandersetzung mit dem Christentum ein Thema für buddhistische Lehrer und Philosophen. Dabei ist die Reaktion weitgehend von Kritik und Ablehnung bis hin zur Polemik geprägt. Buddhistische Kritikpunkte am Christentum waren häufig der Fleischgenuss (und die damit verbundene Tötung von Tieren) und die Ablehnung der Wiedergeburtslehre durch die Christen. Mit zunehmendem kolonialen Anspruch Europas auf buddhistisch geprägte Länder Asiens gingen Kritik am Christentum und Kritik an den europäischen Kolonialherrn mehr und mehr Hand in Hand. Trotz dieser historisch mehrheitlich kritischen Kontaktnahme des Buddhismus zum Christentum gab es aber auch Versuche, „Schnittmengen“ zwischen Buddhismus und Christentum zu finden: Zu nennen sind z. B. die Bewertung der Vergänglichkeit und Vorläufigkeit der Welt sowie das Streben nach einem Jenseits, wobei Buddhisten versuchten, solche christlichen Lehren in ihren eigenen Überlieferungen wieder zu erkennen. Denn der Buddhist besitzt die „geschickten Mittel“ (skt. upāya), die religiösen Vorstellungen der Anderen „richtig“ zu deuten, dadurch die andere Meinung zu relativieren und sie nach dieser Relativierung in das eigene Denkmuster zu integrieren. Gegenwärtige Stimmen des Dialogs des Buddhismus mit dem Christentum sind ausgewogener und versuchen, Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Religionen hinsichtlich von gemeinsamen Lehrinhalten und ethischen Werten zu formulieren. Dabei spielt der Vergleich zwischen Jesus und Buddha als Menschheitslehrer eine wichtige Rolle. Manche Buddhisten, z. B. Thich Nhat Hanh, versuchen, Jesus und Buddha im Inneren jedes Menschen lokalisieren. Der „lebendige“ Jesus und der „lebendige“ Buddha sind auf diese Weise für Thich Nhat Hanh in jedem Menschen zu finden. Die historischen Personen sind dabei für ihn nur hinsichtlich ihres Lebens, durch das sie das von ihnen Verkündete in idealer Weise vorgelebt haben, von Bedeutung. In seinem dialogischen Bemühen sieht Thich Nhat Hanh auch eine Verbindung zwischen (christlichen) Gottesvorstellungen und dem buddhistischen Nirvāṇa. Ein anderer wichtiger buddhistischer Denker der Gegenwart war der thailändische Mönch Buddhadasa Bhikkhu (gest. 1993): Für seine dialogische Theologie der Religion ist die buddhistische DhammaVorstellung der Ausgangspunkt: Dhamma, die „Lehre“, ist nach Buddhadasa Bhikkhu in zweierlei Hinsicht – gleichsam in zwei verschiedenen Sprachen – zu sehen. Dhamma in der „Alltagssprache“ meint die buddhistische Lehre, Dhamma in der „spirituellen Sprache“ meint jedoch jene „Ur-Lehre“, die allen Religionen zu-

14 Vgl. von Brück/Lai 1997; Freiberger/Kleine 2015: 457–459 sowie Schmidt-Leukel 2017: 164–184.

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grunde liegt und die absolut ist. Dadurch kann Buddhadasa Bhikhhu die Gleichung aufstellen, dass der Dhamma (von dem Buddhisten in der „spirituellen Sprache“ sprechen) nicht anderes ist als Gott (von dem die Christen sprechen). Sieht man sich solche Deutungen – unter Berücksichtigung historischer Kontexte – näher an, so wird deutlich, dass diese „Religionstheologie“ letztlich der Interpretationstendenz des historischen Buddha folgt. Zusammenfassend kann man Folgendes sagen: Die genannten Themen sind selbstverständlich nur einige exemplarische Bereiche, die für den Buddhismus in der Gegenwart eine Rolle spielen: Dabei ist der Umgang von Menschen miteinander auf individueller Ebene zu beachten, wie dies kurz anhand von Fragen der Sexualität illustriert wurde; genauso ist das Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft, wie der beispielhafte Hinweis auf Menschenrechte bzw. das Themenspektrum des religiösen Pluralismus zeigen, zu berücksichtigen. Daraus ergeben sich Aufgabenfelder, mit denen der Buddhismus zwar schon in der Vergangenheit in je unterschiedlicher Form konfrontiert war, die jedoch in der globalisierten Welt deutlicher in den Vordergrund rücken. Dazu muss der Buddhismus – wie andere Religionen auch – immer wieder erneut seine Position formulieren und sich dabei mit den Werthaltungen anderer Religionen oder Gesellschaftsgruppen auseinandersetzen. Dazu ist es für alle Buddhisten – unabhängig von der Schulzugehörigkeit bzw. von der durch lokale Traditionen beeinflussten konkreten Ausprägung – notwendig, die Lehre Buddhas für die Herausforderungen der Weltgemeinschaft immer wieder neu zu bedenken und fortwährend Prozesse der Dynamiken der Entwicklung zu gestalten, was das vielfältige Bild des „Buddhismus“ auch weiter verändern wird, wie dies schon während der ganzen Verbreitungsgeschichte der Religion der Fall war.

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473

REGISTER

Geographische Namen Arai Yakushi 364 Asukadera 236, 244 Australien 398 f., 417, 429, 438 Bandō 333 Belgrad 405 Berlin 401, 407 f. Birma 392 f. Bodh Gayā 394, 399 Bongŭn-sa 225 Brasilien 367, 398, 416 Breslau 390 Buddhistisches Haus 401 Bukkōji 298 Byōdō-in 276, 317 Ceylon 150, 381 f., 387, 391 f., 394, 401 f. Chang-an 21, 31, 33, 36, 77, 210, 262 Chōhōji 293, 320 Chicago 388, 395, 398 Chichibu 333 Chikubushima 338 China 16, 177 f., 180, 201 f., 207, 213, 300, 385, 426 Chithurst Buddhist Monastery 424 Chosŏn 199, 216 Chūgūji 237 f. Colombo 387 Daianji 244 Daibutsuji 301 Daigoji 267, 272, 357 Daisekiji 357 Daitokuji 289, 292, 318 f. Dazaifu 263 Deutsche Demokratische Republik 407

Deutschland 383, 387, 389, 400, 406, 413, 434, 436, 438, 442 Dewa-Sanzan 271 Đồ Sơn 177 Dong-yuan 58 Dun-huang 65, 114, 143 Edo 329, 331 Eiheiji 285, 301, 306, 327 Eishōji 289 Engakuji 291 England 388, 435 Enryakuji 252, 260, 300, 309, 325 Europa 382, 387, 390 Fo-guan-shan-Kloster 53 Frankreich 403, 414, 432 Fuji 313 Gandhāra 129 Gangōji 234, 236, 244 f. Gan-su 25, 68 Giao Chỉ 176–178 Ginkakuji 318 Guang-xi 49 Hà Nội 183, 185, 188 Haein-sa 214, 216, 222 Hamburg 407 Han-gu-Pass 142 Hannover 431 Hawaii 367 Heian 250, 263, 287, 294, 331 Heiankyō 243, 249 Heijōkyō 237, 243, 245, 248 Hiei 250 f., 259, 268, 277, 285, 294, 309, 325 Higashi Honganji 299, 367

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Register Hiko 271 Hōkōji 236, 244 Honganji 294, 298, 325, 361 Honnōji 325 Hōryūji 237 f., 244, 247, 317, 360 Hsi Lai-Tempel 426 Huế 184, 186 f., 189 Huang-he 17 Huan-gu-Pass 135 Hwangnyong-sa 205 f. Ichijōji 232 Ikkyūji 318, 333 Indien 28, 48, 150, 177, 202, 210, 391, 418, 435 Ise 334, 338 Japan 15, 52, 61, 65, 201, 203, 211, 214, 220 f., 224, 381, 385, 393, 396, 398 Jiang-kang 33, 76 Jiang-su 52 Jian-ye 31, 55, 58 Ji-bin 25 Jōchiji 291 Jōmyōji 291 Jōruriji 276, 317 Jōryuriji 277 Jufukuji 289, 291 Kaesŏng 213 Kai-feng 61 Kalifornien 367, 395, 397, 411, 427 Kamakura 285, 287, 291, 309–311 Kambodscha 175, 185 Kanada 395 f., 428, 438 Kan’eiji 329 Kantō-Region 329 Kanzeonji 233 Kasuga-Schrein 245, 281 Kenchōji 291 Kenninji 287 f., 291, 300 Khán-Sơn 185 Khitan 61 Kinkakuji 318 Kiyomizudera 232, 361 Kōfukuji 243, 245, 248, 272, 280 f., 315, 361 Koguryŏ 199–202, 205, 234

Kokedera 317 Kōmyōji 281 Kongō-ji 65, 109, 111 Kongo 433 Konkaikōmyōji 281 Kopenhagen 419 Korea 61, 65 Koryŏ 199, 209, 212 Kōryūji 238 Kōya 263, 266, 268, 280 Kōyakuji 244 Kuba 433 Kudara Daiji 244 Kumano 270–272, 283 Kŭmgang-Gebirge 205 Kŭmsŏng 206 Kun-lun-Gebirge 55, 122 Kuonji 313 Kuṣāṇa 26 Kyōto 243, 250, 285, 291 La Gendronnière 414 Linh-Sơn-Pagode 187 London 391 f., 402 Long-hu Yan-Kloster 50 Long-men-Grotten 44, 103 Los Angeles 411, 426 Luo-yang 26, 28–31, 33, 58, 100 Mandschurei 199 Manjuji 292 Manpukuji 328, 351 Mao, Berg 19, 41 Miidera 253, 272 Minobu 309, 313, 322, 357 Mirŭk-sa 202 München 407 Myōgonji 306 Myōkenji 326 Myōō-in 266 Myōshinji 232, 289, 330, 361 Nagoya 65, 136, 325 Namsan 206 Nanatsudera 136 Nan-jing 33, 53, 59, 77 Nanzenji 289, 291, 327 Nara 211, 237, 243, 252

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Geographische Namen New York 398, 411 Nishi Honganji 299, 320, 365, 367 Nishi Hongwanji 396 Nordamerika 382, 387 Nordkorea 205, 223 Odae-Massiv 206 Ōmine 270 f. Onjōji 253, 272 Ontake-san 271, 354 Österreich 387, 404, 407, 416, 434, 436, 438 Ōtani-byō 294 Paekche 200, 202 f., 205, 234 f., 237 Parthien 26 Peng-lai 120, 152 f. Polen 419 Polgasduwa 392 Pulguk-sa 206 P’yŏngyang 213 Republik Korea 224 Rikon 420, 430 Rinsenji 292 Rokkakudō 293, 320 Rokuharamatsuji 316 Russland 419 Ryangchon-Tempel 223 Ryōanji 318 Sado 309, 311 Sài Gòn 175, 187 Saidaiji 246 Saihōji 317, 361 San Francisco 395 Sankt Petersburg 404 São Paulo 398 Schweiz 387, 403, 415, 423, 430, 436, 438, 445 Seigantoji 271 Senjuji 298 Sensōji 360 Shōgo-in 272 Shichimenzan 313, 322, 353, 357 Shikoku 263, 333, 352, 362 Shitennōji 236, 247, 360

Shōjōkōji 284 Shōkokuji 292, 321 Shui-bei-Kloster 58 Shui-hu-di 68 Si-chuan 19, 21, 25, 27, 37, 61, 114, 129, 142, 144 f. Silla 199, 201, 204–206, 208, 210, 234 Sōjiji 285, 306 Sŏkkuram 206 Sōtō-Sōjiji 411 Südafrika 398 f., 433 Südamerika 398, 433 Sumeru 113, 122 Tenryūji 291 Teramachi 326 Tian-tai 251, 271 Tibet 65, 385 Tōdaiji 243, 245, 247, 249 f., 315 Tōfukuji 287 f., 291, 293 Tōji 263, 364 Tongkin 176 Tōshōdaiji 243, 246 Ungarn 434 Unryūji 367 USA 396 f., 409, 426 f., 438, 445 Usa Hachimangū 338 Viên-Thông-Tempel 186 Vietnam 431 Wei 34, 36 Wollongong 430 Yakushiji 233, 237, 244, 249 Yan 200 Yao-guang-Konvent 100 Yi-nan 129 Yokohama 306 Yoshino 270 f. Zenkōji 282, 292 Zentralasien 25, 210 Zentsūji 362 Zhe-jiang 51 f. Zōjōji 329 Zuisenji 292, 317

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Register

Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten Abe Masao 348, 470 Aitken, Robert 411, 417 Aizen 266, 315 Ajahn Chah 422, 424 f. Ama-no-koyane 308 Amaterasu 273, 308, 312, 342 Ambedkar 399, 435 Amida 238, 250, 265, 267, 274 f., 281, 295, 311, 315, 343 Amitābha 51, 55, 112, 129, 191, 210, 220, 238, 274 Amoghavajra 57, 163, 262 An Ling-shou 34 An Shi-gao 29, 54, 109–111, 146 An Xuan 26, 29 Ananda Metteyya 392, 422 Arnold, Sir Edwin 346, 387, 392 Ashikaga Takauji 290 Ashikaga Yoshimitsu 292 Ashuku 264 Aśoka 42, 177, 202, 206 Avalokiteśvara 210, 237 Ayya Khema 423 Bách Trượng 179 Baker Rōshi, Richard 410, 414 Bankei Eitaku 330 Bao-chang 62, 66, 75–78, 96 Bao-xian 99 Batchelor, Stephen 446 Benzaiten 315, 334, 338, 364 Bhaiṣajyaguru 237 f. Blavatsky, Helena 387, 394 Bodhidharma 179, 190, 305, 330, 451 Bohn, Wolfgang 391, 400 Bo-li 65, 106 Bourdieu 379, 382 f., 390, 442, 444 Buddha 27–29, 41, 66, 82, 88 f., 112, 127, 129 f., 132, 143, 148–150, 155–157, 388, 394, 443, 470 Buddhabhadra 57, 134 Buddhadasa Bhikkhu 471

Bu-kong 57 Burnouf, Eugène 386 Campany, Robert F. 15, 69 Can-che 50 Candraprabha 136 Cao Pi 69, 80 Carus, Paul 345, 388, 395 Chajang 205 f. Ch’en, Kenneth 15 Cheng-gong Xing 35 Chiang Kai-shek 52 Chigi 251, 268 Chinhŭng 205 Chinul 215, 219 Chân Nguyên 185 Ch’oe Namsŏn 223 Ch’oe Sŭngno 212 Chögyam Trungpa 418 Chŏng Tojŏn 216–218 Chŏngjo 220 Chōsai 279 Cui Hao 34–36, 66 Dahlke, Paul 401 Dainichi 262, 264–266, 273, 315, 343 Dalai Lama (14.) 420 f., 430, 436 Dao-an 31, 39, 62, 64, 68, 86, 90 Dao-chuo 149, 274, 297 Dao-rong 77 Dao-shi 81, 149 Dao-xuan 67, 79, 92, 149 Debes, Paul 424 Deshimaru Rōshi 414 f. Dharmakāla 133 Dharmākara 293 Dharmanandi 84 Dharmapāla 387 f., 394, 398, 402 Dharmarakṣa 31, 56 f., 71, 105, 149 Đinh Tiên Hoàng 179 Dīpaṃkara 129, 177 Dōgen 299–301, 303, 308 f., 323, 330 Dōhan 280

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Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten Dōkyō 247 Donran 297 Dōshō 236, 240 Dōshaku 274, 297 Douglas, Gordon 391 Eido Tai Shimano 411 Eisai 285, 287 f., 290, 300, 319 Ejō 302, 306 En no Gyōja 272 En no Ozunu 271 Enchin 252, 272 Enō 286 Enomiya-Lassalle, Hugo 415 Eshin-ni 294, 351, 353 Fa-hu 31, 56 Fa-ju 30 Fa-lin 43 Fa-long 103 Fa-wen 103 Fa-xian 60, 150 Fa-zang 210, 248 Fei Zhi 114 Forte, Antonino 210 Fo-tu-deng 33 f., 91 f. Fu Yi 43 Fudō 265 f., 315, 352, 364 Fujiwara Michiie 288 Fujiwara no Kamatari 245 Fujiwara Shunzei 320 Fukan Zai Fabian 328 Fukūjōju 264 Ganjin 246, 248, 316 Ge Hong 70, 74, 131, 155 Genkū 277, 297 Genshin 277 f., 295, 297 Gia Long 186 Ginsberg, Allen 410 Glassmann, Bernhard Tetsungen Godaigo 289–291 Goenka, S. N. 422, 447 Gott des Gelben Flusses 18 Gott des Herdes 106 Gott des Schicksals 106 Grimm, Georg 401–403 Gu Yong 68, 113

Guang-jing 136 Gueth, Anton 392 Gunabhadra 79 Guo Zhi 123 Guo-xing-ye 50 Hakozaki Mutsumasa 361 Hakuin Ekaku 330 Hakuyu Zanzan Maezumi 410 Han Yongun 222 Han Yu 44 He Chong 77, 161 f. Hecker, Hellmuth 408, 424 Heidegger, Martin 348 Herr des Dao, der Eine 115 Herrigel, Eugen 345, 408 Herzog von Zhou 89, 157 Hesse, Hermann 412 Hideyoshi 319, 322, 325 f., 328 Hiền Quang 181 Hirata Atsutane 335, 338 Hisamatsu Shin’ichi 346 Hồ Chí Minh 189 Hōnen 274, 277, 281, 293–297, 301, 308 f., 361 Hong Xiu-quan 48 Hōshō 264 f. Huang-di 138 Huang-fu Mi 74, 135 Huang-lao-jun 27, 29, 88 Hui-guo 262 Hui-jiao 59 f., 76, 78 f., 92 Hui-neng 215, 286, 300 Hui-si 149 Hui-xu 100 Hui-yuan 86, 104, 108, 128, 149, 158 Hui-zhan 77 Humphreys, Christmas 402 f. Hungerleider, Fritz 407, 409, 413 Hương Hải 185 Huyền Quang 182 Hyech’o 210 Hyech’ong 204 Hye’gyun 200, 203 Hyeryang 201 Hyujŏng 219

411

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Register Ich’adon 204 Ikkyū Sōjun 318 Imsŏng 204 Inagaki Hisao 368 Inari 307 Indra 106, 164 Ingen 328 Inoue Enryō 343 Ippen 282 f., 316 Jademädchen Dunkler Glanz des Größten Yin 115 Jian-wen 22, 40 Jien 308 Ji-jia-ye 66 Jing-wan 153 Jing-xiu 77 Jizō Bosatsu 250, 259, 307, 352, 364 f. Ji-zang 128, 149, 200, 203 Jōkei 280 Kaifuke-ō 264 Kaiser Ai 40, 141 Kaiser Cheng 68, 113, 160 Kaiser Gao-zu 43, 163 Kaiser Gong 162 Kaiser Jian-wen 132 Kaiser Liang Wu 41, 202 Kaiser Ling De 178 Kaiser Ming 27 f., 40, 63, 66 Kaiser Tai-zong 57 Kaiser Tai-zu 63 Kaiser Wen 42, 63, 99, 128, 162 Kaiser Wen-cheng 66 Kaiser Wu 25, 38 f., 63, 66 f., 76, 80, 93, 100, 128, 159 Kaiser Wu-zong 45 Kaiser Xiao-wu 41, 75, 99 Kaiser Xuan 63 Kaiser Yuan 103 Kaiser Zhong-zong 44 Kaiserin Wu 65 Kakuban 276 Kakumyō 354 Kakunyo 294, 298 Kalu Rinpoche 419 Kanamori Shōken 365

Kang Meng-xiang 26, 124 Kang Min-gang 77 Kang Seng-hui 55, 79, 110, 178 Kannon 237, 250, 258, 266, 271, 293, 307, 332, 334, 352, 360, 362, 364 Kanzan Egen 289, 361 Kanzeon 258, 266 Kapleau, Philip 411, 414 Kāśyapa 137, 205 Katō Benzaburō 358 Kazan 259, 271 Keizan Jōkin 306 Kennett Rōshi 411 Kern, H. 340 Kerouac, Jack 410 Khương Tăng Hội 182 Kihwa 218 Kim Jong Il 223 Kim Pusik 199, 213 Kim Sisŭp 218 Kiyozawa Manshi 343 f. Kōbō Daishi 261, 263, 362, 364 Kojong 214 Konfuzius 89, 108, 136, 138, 157, 160, 183, 218, 235 Königliche Mutter des Westens 28, 121 f., 129 Kornfield, Jack 422 Kou Qian-shi 35 f., 66, 164 Kūkai 252, 260, 262, 265, 316, 362 Kumārajīva 35, 56 f., 59, 239, 310 Kūya 276, 322 Kwallŭk 201, 204 Kwanggaet’o 200 f. Kwanseum 221 Kwŏn Sangno 223 Kyōkai 249 Kyŏndŭng 207 Kyŏnghŭng 207 Kyunyŏ 212 f. Ladner, Max 403 Lama Govinda 408, 434 Lao-zi 39, 43, 89, 108, 114, 130 f., 135–137, 143, 145, 156 Lê Đình Thám 188

480

Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten Leibniz, Gottfried Wilhelm 385 Li Hong 145, 147, 151 Liễu Quán 186 Ling-yu 149 Lin-ji 285 f. Liu Xiang 74, 96 Liu Ying 27, 30 Lokakṣema 15, 29, 54, 104, 112, 123, 146 Lu Cheng 66, 154 Luo Han 126–128 Lý Thái Tổ 180 Lý Thánh Tông 180, 183 Ma Shu 101 Macy, Joana 411 Mahāvairocana 262 Maitreya 103, 148, 152, 202, 206, 213, 237, 362 Makiguchi Tsunesaburō 356 Manhae 222 Mañjuśrī 205, 251, 350 Maranant’a 202 Markgraf, Walter 391 Matsuo Bashō 330 Mâu Tử 178 McGregor, Allan Bennett 392 Meister Eckhart 347 f. Meister Nang 200 Meng Fu 54, 104, 123 Menzius 97, 137 f., 160 Miao-zhi 100 Ming Seng-ji 98 Mirŭk 202 Miroku 237, 362 Monju Bosatsu 251 Motoori Norinaga 335 Mou-zi 32, 85, 125, 154, 178 Mujaku 316, 362 Müller, F. Max 340 Munmu 207 Muryōju 264 Musō Kokushi 317 Musō Soseki 290 Myōe 280 f. Myōken 312 Myoch’ong 213

Myōri Daibosatsu 271 Naganuma Myōkō 356 Nāgārjuna 240, 252, 257, 262, 268, 298, 310, 323 Nagaya Rōshi 414 f. Nakamura Hajime 368 Nanjō Bunyu 340 Neumann, Karl Eugen 389 Nghĩa-Tinh 178 Ngô Chân Lưu 180 Ngô Đình Diệm 189 Nguyễn Tấn Dũng 190 Nhiên Đăng 177 Nichiō 328 Nichiren 229, 242, 308–310, 314, 316, 322, 356, 451 Nietzsche, Friedrich 348, 385 Nishida Kitarō 346 Nishitani Keiji 346, 348 Nissen 336 Nitobe Inazo 345 Niwano Nikkyō 356 Nukariya Kaiten 344 f. Numata Yehan 354 Nyānatiloka 391 f., 422 Nydahl, Hannah und Ole 419 Oda Nobunaga 259 Ōgo 321 Okakura Kakuzō 345 Olcott, Henry Steel 387, 389, 394, 400 Oldenberg, Hermann 340, 388 f. Ou-yang Jing-wu 49 Pak Yŏmch’ŏk 204 Park Chung-hee 209, 224 Pelliot, Paul 65 Pháp Loa 182 Pŏp 202 Pŏphŭng 204 Pou 216, 219 Prinz Mondlicht 151–153 Pyowŏn 207 Quan Thế Âm 177, 191 Rāhula 350 Renchō 309 Rennyo 298 f., 325, 361

481

Register Rhys Davids, Carolin A. F. 387 Rhys Davids, Thomas W. 340, 387, 392 Ri-cheng 58 Rikyū 319 Rinzai Gigen 285 Ritter, Franz 416 Rōben 249 Roshana 245 Ru-jing 300 Ru-tong 136 Ryōgen 277, 298 Ryōkei 361 Ryōnin 276 Ryūju 298, 316 Ryūkan 279 Saichō 250 f., 256–259, 311 Śākyamuni 129, 136, 205 f., 238, 245, 262, 285, 289, 305, 308, 311 f., 316, 358 Sangharakshita 435 Sarasvatī 334 Schlegel, Friedrich 385 f. Schopen, Gregory 95 Schopenhauer, Arthur 385, 389, 392, 403, 450 Schultze, Theodor 389 Seelawansa, Bhante 424 Seidenstücker, Karl 390, 401 Seizan Shōnin 280 Sejo 216 f. Sejong 216 f. Seng-duan 98 Seng-you 62, 64, 66, 78 f., 84, 126, 150, 154 Senkan 277 Seshin 298, 316, 362 Shaka 265, 315 Shaku Sōen 345, 394 Shan-dao 274, 297 Shōbō 267, 270, 272 She-gong 91 Shi Le 33 f., 92 Shichimen 313, 322, 353 Shigemori Mirei 319 Shinran 229, 274, 277, 279, 293 f., 297, 301, 308, 316, 351, 353, 361

Shōkū 279 f., 282 Shōmu 244 f., 247 Shōtoku 204, 235 f., 238, 241 f., 263, 293, 298, 350, 360 Shōtoku, Kaiserin 246 Shou-luo 152 f. Shun 89, 137 Shunryu Suzuki 410 Sĩ Nhiếp 177 Sieben Weise des Bambushaines 95 Si-ma Qian 73, 95, 135 Si-ma Yu 22, 132 Simsang 249 Skrleta, Erich 416 Snyder, Gary 410 f. Sōgi 321 Sogyal Rinpoche 420 Sokei-an Sasaki 397 Sŏlcham 218 Sŏlch’ong 209 Sŏng 202 f. Song Yu-xian 101 Sot’aesan 222 Stein, Marc Aurel 65 Strauss, Theodor 395 Śubhakarasiṃha 57, 262 Sūden 327 Suiko 234–236, 271 Sumedho 424 f. Sun Chuo 74, 156 f. Sun Sheng 126–128 Sundo 200 Sŭngnang 200 Suzuki 330, 345, 397, 407, 409, 445 Suzuki, Beatrice Lane 346 Syng-man Rhee 224 Taehyŏn 207 T’aejong 216 Tahōtō Nyorai 312 Taichō 271 Tai-wu 34–36, 65 Tai-xu 49, 187 Takakusu 63, 340, 346 Takamori Kentetsu 354 Takeuchi Yoshinori 346

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Namen von historischen und mythologischen Personen bzw. Gottheiten Takuan 329 Tamjing 201 Tan Sitong 222 Tanabe Hajime 346 f. Tanaka Chigaku 355 Tan-hui 99 Tan-luo 99 Tao Hong-jing 68, 102 Tao Tan-bei 97, 99 Tarthang Tulku 418 Tathāgata 35, 39 Teika 320 Tendai Daishi 251–253 Tenkai 329 Tenkuraion 264 Thích Minh Châu 189 Thích Nhất Hạnh 189, 436, 447, 471 Thích Quảng Đức 189 Thích Trí Thủ 189 Thich Nhu Dien 431 f. Thường Chiếu 181 Thubten Ngawang 420, 430 Ti-wei 65, 106 Toda Jōsei 356 Tokugawa Hidetada 329 Tokugawa Iemitsu 329 Tokugawa Ieyasu 230, 299, 324–326, 329 Tokuitsu 252 Tominaga Nakamoto 335, 339 Tonang 200 f. Toryun 207 Trần Nhân Tông 181 U Ba Khin 422 U Dhammaloka 392 f., 422 Ueda Shizuteru 346, 348 Ŭich’ŏn 214 Ŭisang 207, 209 f. Umayado 235, 238 Unkei 316 Vairocana 207, 210 Vajrabodhi 91, 262 Vạn Hạnh 180 Vasubandhu 239 f., 298 Vimalakīrti 56, 106, 136 Vinītaruci 179

Vô Ngôn Thông 179 Wagner, Richard 390 Wahrhafter Mensch, Herr Zinnober 115 Wake no Kiyomaru 248 Wang Chong 69 Wang Gong 41 Wang Kon 212 f. Wang Xuan-he 81 Wang Yan 71, 77, 82, 105 Wang-zi Qiao 114 Watanabe Kaikyoku 64 Watts, Alan 409 f., 445 Weeraratna 408 Wei Yuan-song 38, 67 Wei-mo 56, 106 Wen-cheng 37 f. Widŏk 204 Wŏnch’ŭk 207 Wŏnhyo 207–209, 217 Wu Chao 43 Wu Ze-tian 43, 46 Wu-xiang 210 Xi Chao 67, 107 Xiang Kai 88, 134 Xie Fu 70 Xing-yun 53 Xin-xing 149 Xi-wang-mu 28, 55, 71, 121, 129, 141–143, 145 Xuan-zang 56, 236 Yakushi Nyorai 237, 244, 249–251, 258, 265, 276, 315, 352, 363 f. Yan Fo-tiao 29 Yan Hui 136 Yanagida Seizan 368 Yan-cong 62 Yang Wen-hui 49 Yang Xi 21–23, 132 Yao 89, 137 Yi Hoe’gwang 221 Yi Nŭnghwa 223 Yin Xi 135, 156 Yŏnsan’gun 219 Yōsai 285, 288 Yu Bing 160–162

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Register Yu Fa-kai 93 Yuan-ying 49 Zan-ning 81 Zeami 281, 323 Zendō 274, 278, 297 Zenran 294 Zen’yu 277 Zhang Dao-ling 101 Zhang Lian 54, 104 Zhang Liang 163 Zhang Ping-zi 28 Zhang Yuan-fei 103 Zhen Luan 39, 67, 159 Zheng Cheng-gong 50 Zheng-yan 53 Zhi Dun 40, 90, 132, 200 Zhi Lou-jia-qian 29, 54, 112

Zhi Min-du 84 Zhi Qian 15, 26, 30, 55–57, 104, 106, 124, 136 Zhi-sheng 61 f., 64 f., 76 Zhi-yan 207, 210 Zhi-yi 42, 93, 251 f., 256, 268, 311 Zhu Fa-ji 74 f. Zhu Jing-jian 77 Zhu Shi-xing 31, 90 Zhu Shu-lan 58, 95 Zi-bi 54, 104 Zimmermann, Friedrich 389, 392 Zonkaku 294 Zou Yan 138 f. Zōyo 272 Zürcher, Erik 126, 153

Sachregister Abhidharma-kośa 239 Abhidharma-Texte 202 Abstinenz 105 acht Lehren 256 Achtsamkeit 417, 423, 436, 447 f. Āgama-Sūtras 253 Agonkyō 357 Agon-Sūtras 253 Ahnen 17, 356, 368, 370 Ahnentafel 356, 370 Ahnenverehrung 16 f., 327, 359, 369 Akademie der Buddhismuskunde Vạn Hạnh 189 All-Einheit 109 Altbuddhistische Gemeinde 402 Amida Sanbukyō 274 Amitāyur dhyāna-sūtra 191, 340 Ānāpānānusmṛti-Sūtra 178 anātman-Lehre 67, 117, 128 apokryphe Texte 61, 64, 136, 150 Arbeiterschaft 393 arhat 123, 289, 316

Ārya Maitreya Mandala 408, 413, 434 Askese 266, 268, 270, 305, 353 Astrologie 34 Astronomie 201 Asuka-Zeit 234, 238 Atemmeditation 107, 110 Atheistismus 387 Avataṃsaka Sūtra 248 avici-Hölle 151 ōbō 260 bakufu 307 Ōbaku-Zen 285, 328, 351 Bambuswald-Schule 181 f., 185 Bandō Sanjūsan Reijō 333 Baumkost 322 Beerdigungen 327, 338, 369 Bendōwa 302 bhikkhu 384, 392 f., 403, 424 Bi-yan Lu 286 bōmori 353 boat people 431 bodhicitta 41

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Sachregister Bodhidharma Zendo Wien 416 bodhisattva-yāna 310 Bogenschießen 345 Bonmōkyō 252 Bảo-Quốc-Schule 189 Buddha-Haushalte 38 Buddha-Natur 47, 257, 287, 304, 330 buddhānusmṛti 112 buddha-yāna 310 Buddhist Churches of America 397 Buddhist Mission to North America 396 Buddhist Peace Fellowship 411 Buddhist Society of Great Britain and Ireland 392 Buddhistenverfolgung 44, 66 buddhistische Flagge 366 Buddhistische Gemeinde für Deutschland 401 Buddhistische Gemeinschaft Zürich 404 Buddhistische Gesellschaft Hamburg 413 Buddhistische Gesellschaft Wien 407 Buddhistische Loge der Theosophischen Gesellschaft 402 Buddhistische Mission in Deutschland 390 Buddhistische Vereinigung von NordVietnam 188 Buddhistischer Katechismus 387, 389, 392 Buddhistisches Bekenntnis 442 f. Buddhistisches Haus 408 Buddhistisches Zentrum Scheibbs 416 Bukkyō Dendō Kyōkai 354 bukkyōgaku 367 Bund für Buddhistisches Leben 391, 400 buppō 259 Burjaten 404 bushidō 345 busshō 257 Busshogonenkai 356, 369 butsudan 326, 339, 370 butsuma 370 Butsumyōkyō 262, 276 Buzan-Schule 267 cakravartin 44, 136, 202, 205, 468 Cao Đài 176, 187 Cao-dong-Schule 185 f., 285

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chadō 319 Chan 51, 57, 175, 178, 190, 211, 215, 284 Chichibu Sanjūyon Reijō 333 Chinatowns 396, 427 chinch’e 201 Chinzei-Zweig 279 Chizan-Schule 267 Ch’ŏnt’ae-jong 214 Chodong owi yohae 218 Chogye-jong 224 Chosŏn Pulgyo yusillon 222 Christentum 327 f., 331, 342, 347, 359, 383, 403, 471 Christentumskritik 389 chū 256 Chūshingura 332 Cybersangha 437 daibosatsu 338 Daihannyakyō 241 Daihitaizō Mandara 263 Daikyō 275 daimoku 312, 350 Daimuryōjukyō 275, 295 daimyō 326, 331 Dainehangyō 241 Dainichikyō 262, 266 Daizōkyō 341 Dämonen 68, 71, 92, 113, 118 f., 133, 269 danka seido 327 f. dao 32, 109 Daoismus 16, 18, 32, 36, 39, 42, 88, 101, 128, 134, 159, 176, 182, 194, 218, 267, 399 Da-sheng qi-xin lun 208 Deutsche Buddhistische Union 407, 431, 441 Deutsche Pāli-Gesellschaft 391 dhāraṇī 90, 153, 208, 221, 247 dharma 56 Dharmaguptaka 31 Dharma-Natur 266 Dhyāna 179 dhyānāsana-Pose 129 Diamant-Mandala 264 Diamantweg-Buddhismus 419, 433

Register Diamond Sangha 411 Dichtung 320 dōgyō ninin 362 đổi mới 190 Dorje Shugden-Affäre 421 drei Abhandlungen 200, 203 drei Grotten 63 drei Lehren 218, 267 drei Schätze 235, 238, 280 drei Wahrheiten 256 f. drei Welten 239 dreifache Vereinigung 144 Druckstöcke 61 Dynastiegeschichte 18, 22, 61, 73 f., 143 Eastern Buddhist 346 Ehe 96, 101, 353 Ein-Geist-Konzept 208 Einheit und Vielheit 208 Einheitsprinzip 343 ekayāna 310 ema 364 emakimono 294 Endzeit 149 engagierter Buddhismus 367, 468 ennichi 364 Entsagung 401 Erdgott she 104 Erfahrung 409, 414, 445, 447, 451 Erkenntnis-Religion 390, 406 Erleuchtung 286 f., 296, 303 f. esoterischer Buddhismus 213, 252, 262, 268 Ethik 388, 466 f. Exorzismus 69 Exotisierung 380, 430, 450 Fälschung des wahren dharma 149 fang shi 27 Fasten 15, 24, 51, 121 Feuer-Ritual 264 Fo Guang Shan-Orden 427, 429 f., 433 Freidenker 389, 393 Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens 435 Friedensarbeit 367 fucha ryōri 351

fujufuse 328 Fukanzazengi 302, 305 Fuke-shū 292 fumie 327 Fundamentalismus 468 fünf Berge 290 f. fünf Kräfte 138 fünf Wandlungsphasen 138 Fünf-Scheffel-Reis-Daoismus 19, 37 Fürstenspiegel 74 fushō zen 330 Futari bikuni 332 Gärten 317 gasshō 364 f. Gebärmutter-Mandala 264 Gelübde 274 f., 279, 294 f., 343, 351 Gelugpa 404, 420 Genderdiskriminierung 353 Geomantik 213 f. geschickte Mittel 56, 313 Glaube 295, 303 Glaubensfreiheit 339, 359 Gleichnisse 255 globaler Buddhismus 394 f., 451 Glokalisierung 382 go-eika 334 gohonzon 258, 276, 312, 315, 317, 363 goma-Ritual 264, 268, 364 gongen 271 gonjitsu funi 320 gorintō 265 gozan 290, 292 Gräber 265 Großes Nirvāṇa-Sūtra 241, 254, 310 gui 118 f., 125 Gukanshō 308 Ha Daiusu 328 haiku 331 Hakkotsu 299 hakkyō 256 Hanazono-Universität 344, 368 Hängerollen 220, 294, 297, 324 hankyō-Klassifizierung 254 hannya 251, 254

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Sachregister Harmonisierung der Energien 20, 102, 134 Harmonisierung der streitenden Meinungen 208 hassō no niwa 319 Hausaltar 326, 339, 364, 369 Haushalts-, Familienmönche 93 he qi 20, 102, 134 Heiler 92 Heilsgut 382 f., 390, 406, 423 Heilung 237 f., 249, 258 Hekiganroku 286 Herz-Sūtra 264 Hideyoshi-Invasion 220 Higan-Zeiten 369 hijiri 350 Himmelsmeister 19 f., 133, 144 hinin 326 hisō hizoku 351 Hòa Hảo 176, 187 Höchste Klarheit-Tradition 133 Hōdō 253 hōjō-e 241 Hokke-shū 336 hokora 365 honke 369 Honmon Butsuryūshū 336 honzan 290 Honzan-ha 272 hōō 238, 248 Hossō 236, 239 f., 242, 246, 248, 252, 257, 280, 360 f. hotoke 356, 369 hōza 356 hua hu-Theorie 156, 159 Hua-yan 207, 210 f., 215, 248 hun-Seele 16, 118, 123–125 Hwadu-Methode 215 hwajaeng 208 Hwaŏm 207, 214, 219 Hwaŏmgyŏng 209 hyangch’al 212 Ichimaikishōmon 281 ichinen 257, 282 f. Idealisierung 388

ikebana 320 Ikkō-shū 325 Ikonographie 323 f. ilsim 208 Imje-jong 222 Imperialismus 381 in (Siegel) 265 Inari-Schreine 306 Individualisierung 380, 412, 444 f. Individualismus 394, 410, 451 inka shōmei 286 innerbuddhistische Pluralität 413 Insight Meditation Society 423, 445, 447 Islam 470 jaku 257 Jesuiten 328, 385 jia seng 93 jing she 105 jintsūriki 270 jiriki 282, 296, 303 Ji-Schule 283 jōdo 274 Jōdo Shinshū 274 f., 279, 293, 340, 343, 396 f., 407 Jōdo Shinshū Shinrankai 354 Jōdo-shū 274 f., 279, 339 f., 343 Jōgyōzanmai 293 Jōjitsu 236, 239 f., 248 kadō 320 kaidan 246, 250, 252, 312 Kaimokushō 311 kaimyō 370 kaisan 354 kajō 335 kakejiku 294 Kalligraphie 297, 312, 324, 330 Kalmücken 404 f. kalpa 47, 82, 146 f. Kamakura-Buddhismus 307 kami 229, 234, 248, 259, 261, 269, 281, 307 kōan 191, 286, 330, 411 kana-Schrift 263, 332 Kan’gyŏng to’gam 216 kanjō 264 Kanjinhonzonshō 312

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Register Kanmuryōjukyō 275, 340 Kannongyō 259 Kanon 61, 64, 214, 216, 340 kare-sansui 317 karma 116, 123, 125 f., 157 Karma-Kagyü 419 karmische Vergeltung 72 f., 82 Katholiken 415 Katholizismus 398 kechimyaku 287 Kegon 243, 248, 253, 257, 281, 339 Kegon-Sūtra 245, 248, 253, 276 kenmitsu-Buddhismus 260, 268, 275 kenmon taisei 260 kenshō 287 Khmer Krom 175 Kloster 350, 358, 391 Kōfuku no Kagaku 357 Kōfukuji sōjō 280 Kofun-Periode 234 Kogi-Shingon-shū 267 Kojiki 234, 269, 335 kokubunji 247, 258 Kokuchūkai 355 kokugaku 335, 338 kokushi 289 Kokuyaku Issaikyō 341 Kolonialismus 381, 385, 393 f. Kōmeitō 356 Kommerzialisierung 380, 417, 448 f. komusō 292 Konfuzianismus 32, 39, 42, 159, 176, 180, 183, 194, 212, 218, 267, 328, 332, 335 Kongōchōgyō 262, 266 Kongōkai Mandara 264 Königin Śrīmālās LöwengebrüllSūtra 241 f. Konkōkyō 342 Konkōmyōkyō 334 Konkordanz-Zyklus 139, 144 Konvent 98 f., 101 Konversion der Barbaren 134 Konvertiten 380, 383, 397, 425, 441 koreanisches Alphabet 217, 221 Körpergottheiten 114

Kōsōwasan 297 kū 240 kuden 261 Kukt’ong 201 Kulturkritik 381, 389 Kuonbutsu 356 Kurozumikyō 342 Kusha 239 f., 248 Kūya 350 Kyōgyōshinshō 295 f., 303, 351 Kyo 215 f., 219 kyōshi 351, 353, 357 Kyōto-Schule 346, 348 Kyōto-Universität 346, 368 Laien 27, 38, 40, 104, 106, 155, 188, 192 f., 210, 225, 258, 349, 358, 380, 387, 395, 403, 409, 411, 422, 424, 428, 432, 451, 466 Laizismus 349 Lâm Tế Tông 181, 190 Lebensreform 391, 401, 406 Leerheit 240 f., 254, 256, 284, 317, 348, 350 Lehre des Vimalakīrti 241 f., 254, 258, 350 lei shu 80 ling bao dao 19, 23 Ling bao-Tradition 56 Lin-ji 51, 181, 185 Liên-Tôn-Schule 185 Logik des Ortes 347 lokale Kulte 16 f., 20, 72 Lokalsprache 209, 212 Lotos-Position 304 Lotos-Sūtra 241 f., 251–254, 257 f., 276, 309–311, 313, 336, 340, 351, 355 f. Mādhyamika 57, 208, 240 Magie 241 Mahā Bodhi Society 382, 394 Mahāsāṅghika 31, 133 Mahāvairocana-Sūtra 262 f., 266 Mandala 263, 312 Mantra 262, 264, 276 mao-shan dao 19 Mao-shan-Tradition 19, 133 mappō 304, 308, 310

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Sachregister māra 150 Mauerkontemplation 179 Meditation 54, 87, 107, 109, 112, 190, 215, 256, 258, 264, 268, 271, 275, 277, 282– 284, 286, 293, 300–303, 305, 317 f., 324, 330, 410, 412 f., 436, 444, 451 Meeresdrache 207 Meiji-Regierung 396 Menschenrechte 467, 469 Messias 144 f. Migranten 395 f., 404 f., 425, 445 mikkyō 252, 261, 268, 284, 357 Milgyo 213 Mission, buddhistische 201, 469 Mission, christliche 342 Missionare, buddhistische 395 Missionare, christliche 385, 393 Missionare, katholische 325, 328 Mitgefühl 246, 296 f. Mittelklasse 392, 399, 411, 417, 433, 447 mo fa 149 mo shi 149 mo-Dämonen 150 Modernismus 394, 409 mokujiki 322 Mönche 27, 90, 402 Mönchsideal 391, 405, 422 mondō 286 Monotheismus 342 monto 351 muenbotoke 356 Mugonshō 322 Mumonkan 286 mu’nyŏm 215 muryōju 305 Musik 292, 334, 365 myōō 315 Myōchikai Kyōdan 356 myōjin 283 Myōtei Mondō 328 Namu Amida Butsu 275, 283, 297 Namu myōhō renge kyō 254 Namu Myōhōrengekyō 312 Nanto Bukkyō 243, 252, 268 Nara Bukkyō 243

Nationalismus 338, 346, 468 Nationalschätze 250, 327, 360 Nationalsozialismus 402 Naturwissenschaften 390, 405 nenbutsu 258, 275–280, 282, 294 f., 297, 303, 312, 343, 350 nenbutsu hijiri 276 nenbutsu odori 276 Neo-Konfuzianismus 48, 216, 330, 335 Neubuddhismus 401 Neue Kadampa-Tradition 421 Neujahr 193, 369 neun Berge 211 Nguyễn-Dynastie 184, 186 ni huan 88 nichi 314 Nichiren Shōshū 357 Nichiren-Buddhismus 258, 339, 343 Nichiren-shū 313, 328, 355, 357 Nichiren-Tradition 328, 336 Nicht-Aktiv-Handeln 29, 32, 87 Nicht-Denken 305 Nicht-Dualität 265, 350 Nicht-Menschen 326 Nichts 347 Nihilismus 390 Nihon ryōiki 249, 321 Nihon shoki 203 Nihongi 233 Nihonshoki 233–235, 237 f., 244, 272 Nirvāṇa 87, 89, 155, 191, 285, 296, 313 Nonnen 95, 289 Nō-Theater 281, 322 nyorai 264 f., 315 Oberschicht 386, 390, 392, 400 o-bon 365, 369 Odaimoku 336 O-fumi 299 Ōjōraisan 278 Ōjōyōshū 277 Ökologie 467 Ökonomie 467 Oku no hosomichi 331 Omote-senke 319 Omuro-Schule 267

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Register ŏnhae 217, 220 Orakel 117, 269 Ordensrichtlinien 202 Ordinationsplattform 52, 246, 250, 252, 312 Ordinationszertifikate 46 Ordinierte 380 Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft 441 Ōtani-ha 343 Ōtani-Universität 343, 368 Ō-tō-kan 290 Pāli-Kanon 388, 401, 404 f., 413 Pazifismus 401 Pessimismus 387, 390 Phags-pa 217 Philosophie des Nichts 348 Pilger 17, 352 Pilgerlieder 334 Pilgerwege 259, 263, 332 f., 352, 362, 366 Plum Village Gemeinschaft 436 Popularisierung 437, 447 po-Seele 117, 119, 125 prajñā 254 prajñāpāramitā-Literatur 54 Prajñāpāramitā-Sūtra 178, 340 Prajñapāramitā-Tradition 266 Prä-Mahāyāna 239 Prātimokṣa 133 provisorische Ausdrucksformen 256 Psychologie 388, 409 f. Psychotherapie 410 Pulssi chappyŏn 218 rakan 289, 316 Rassismus 396, 399 Rationalismus 388, 394, 418, 446 Reformbuddhisten 222 Reines Land 51, 210, 258, 267, 274, 277, 296, 397 Reiyūkai 254, 355–357, 368 f. Religionskontakte 379, 381, 383, 415, 469 ren 218 renga 321 Rettergestalt 140, 145 reversed orientalism 368

Rezeption 379, 443, 450 Rezitation 264, 302, 334, 349, 370 Rinzai 285, 287, 300, 319, 329 f., 411 Rishukyō 264 Risshō Ankoku Kai 355 Risshō ankoku ron 310 Risshō Kōseikai 254, 355–357, 368 f. Risshū 246 Ritsu 243, 246, 248 Ritual des „Badens des Buddha 30 Ritualhäuser 395, 399 Rōnin 332 Rückrufung der hun-Seele 119 Russische Revolution 405 Saatvolk 146 f. sadō 319 saddharma 76, 149 saṅgha 38, 41, 43, 160, 187, 393 saṅgha-Haushalte 37 f. sai-e 241 Saikoku-Pilgerweg 259, 271, 333 Sainan taiji shō 310 Säkularisierung 349, 351, 380, 446 Samguk sagi 199 f., 213 Samguk yusa 199, 202, 204, 206 Samnon 200, 204 Samurai 331, 345 san dong 63 Sanbo Kyodan-Schule 411, 415 sanch’e 201 sandai 256 sang men 28 Sangō shiki 267 Sanlun 200, 203 sanmon 288 f. Sannō-Shintō 259 Sanron 203, 236, 239 f., 244, 246, 248, 252, 257 sansui 317 sanzen 305 sarugaku 322 Sarvāstivāda 54, 239 f. satipaṭṭhāna-Meditation 413, 422 satori 287 Satyasiddhi-śāstra 239

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Sachregister Sautrāntika 239 Schöpfergott 342 Schule des Reinen Landes 185, 188, 190 f., 195 Schweizerische Buddhistische Union 443 Seele 15 f., 116, 126 seishinshugi 343 Seizan Fukakusa-ha 282 Selbstdisziplinierung 414 Selbstmord 332 Senchakushū 278, 294 sendatsu 352 Senjakushū 278, 294 Sennō Kuden 320 senzo kuyō 369 seppuku 319 Sexualität 121, 466 shakkei 317 shakyō 259 Shambhala International 418 shang qing dao 19, 21, 41 shen 15, 119, 125 f. she-Vereinigungen 104 shichifukujin 334 shikantaza 305 Shimabara-Rebellion 331 shin 295, 303 Shin-Buddhismus 295, 325, 343, 363 shinbutsu bunri 261, 338 shinbutsu shūgō 259, 261, 273, 283 shingaku 332 Shingi-Shingon-shū 267 Shingon 250, 252, 260, 266, 269, 280, 339, 343 Shingon-Mantra 350 Shingon-Mikkyō 262 shinjin 279, 296 shinjin datsuraku 300, 303 shinkō jiyū 339, 359 Shinnyoen 357 Shinran 350 Shintō 229, 248, 259, 269, 328, 336 f., 359 Shintō-Apologeten 339 Shintō-Mythologie 308 Shintō-Schreine 363, 399

shitennō 315 shō 303 Shōbōgenzō 301 f. Shōgunat 307 f., 324 Shōkyō 275 Shōmangyō 242 shōnin 231 Shōshinge 296 Shōtoku-shū 360 shu 303 shugen 269 Shugendō 267, 270–272 shugenja 270 f., 354 Shugo kokka ron 310 shukke 350 f., 357 shūkyō 347 Shutsujō Kōgo 335 siddham-Schrift 264, 266 Sieben Glücksgötter 334 Sieben Weisen des Bambushaines 156 Skulpturen 250, 275, 315 f., 323 Soheit 317, 321 Sōjō 201, 204 Sōka Gakkai 254, 344, 355 f., 363, 368, 418, 429, 432 f. sōkaimyō 356 sokch’e 201 sokushin jōbutsu 267, 284 Sokushinjōbutsugi 265 Sŏn 211, 214, 216, 219, 221, 284 sōshiki bukkyō 369 Sōtō 285, 300, 327, 410 sotoba 265 Sōtō-shū 222 Sozialbeziehungen 467 soziales Engagement 410 Sozialreform 394 Spiritualismus 343, 403 Spiritualität 343, 385, 387, 410 śramaṇa 86, 123 śrāvaka-yāna 310 Staatsklöster 42 Statuen 266 Steuerbefreiung 45 Stress Reduction Clinic 447

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Register Stūpa 95, 265 Sukhāvatī 55, 129, 191 Sukhāvatīvyūha-sūtra 191, 275 śūnyatā 240, 348 Sūtra der Großen Weisheit 251 Sūtra des Brillianten Goldenen Lichts 236, 241, 247, 251, 254, 334 Sūtra-Rezitation 259, 364 svabhāva 240 Synkretismus 261, 268 T’aego-jong 224 Taehan Pulgyo Chogye-jong 224 Taesŭng kisillon so 208, 210 Taesŭng saron hyŏnŭi ki 203 Taimitsu 268 Taishō-Kanon 214 Takada-ha 298 Tam Giáo 176, 194 Tan’gun-Mythos 213 Tannishō 296, 298, 354 Tantrismus 57, 163, 179 Tào-Động-Schule 185 tariki 293, 296, 303 tathāgatagarbha 242 Tây-Sơn-Revolte 186 Tee-Zeremonie 319, 326, 329, 345 Tempelregistrierung 326 Tempel-Vereinigungen 220 Tendai 241 f., 250, 255, 258, 260, 268 f., 277, 280, 299, 308–310, 339 Tendai-Mikkyō 252, 261 Tenrikyō 342 Tết-Fest 193, 427 Thảo-Đường-Schule 181 Theosophie 392, 402 Theosophische Gesellschaft 387, 398, 400, 406 Theravāda-Buddhismus 175, 401 Theravāda-Mönche 391, 408, 433 Thiền Tông 178, 190, 195 Thiền-Patriarch 178 Thiền-Schule 179 f., 185 tian shi dao 19 Tian-tai 57, 201, 214 tibetischer Buddhismus 341, 418

Tịnh Độ Tông 185, 190, 195 tokudo 353, 357 Tōmitsu 268 tong 139, 144 Tongmunsŏn 216 torii 307 Töten von Tieren 202 Tōzan-ha 272 Tradition der Höchsten Klarheit 19, 41 Tradition des Wirkungsmächtigen Juwels 19, 23, 133 Traditionsunabhängigkeit 415 f., 435 Transzendentalisten 398 Trennung von Shintō und Buddhismus 338 tripiṭaka 62, 180 Triratna Buddhistischer Orden und Gemeinschaft 435 Trịnh-Dynastie 184 Trúc-Lâm-Schule 181, 183 f. Tuo-ba 34, 36 Übersetzungen 28 f., 54, 83, 123, 341 Ullambana-Fest 193, 427 Unitarismus 342 Unsterbliche 18, 21, 120, 136 Unsterblichkeit 27, 120 upāya 56, 254 Ursilbe ban 266 ursprüngliche Erleuchtung 257 vaipulya 253 Vegetarismus 241, 329, 351, 389, 392, 401 verbundene Verse 321 Verdienstübertragung 158 Vereinigte Buddhistische Assoziation von Vietnam 189 Vereinigte Buddhistische Kirche 189 Vergänglichkeit 321 Vesakh-Fest 193, 399, 402, 427, 441 Vier Himmlische Könige 247 Vinaya-Ordination 252 Vinītaruci-Schule 179–181 vipassanā-Meditation 422 f., 437, 445, 447 Visualisierung 107, 113, 275 Visualisierungssūtras 262, 340 Vô-Ngôn-Thông-Schule 180 f.

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Sachregister Vorzeichen 138 Votivobjekte 237, 364 Votivschenkung 307 wahrer dharma 149 wahres Wort (shin + gon) 265 Waldtradition 424 Weg der Blumen 320 Weggottheit 365 Weishi 207 weißer Elefant 131 Weltparlament der Religionen 345, 394 f. Weltperiode 137 Weltuntergang 137 Wenzi-Chan 213 westliches Paradies 55, 129 Wiedergeburtslehre 126 Wissenschaftlichkeit 388, 394, 446 Wŏn-Buddhismus 222 Wŏn-jong 221 wu wei 32, 87, 155 wu xing 65, 93, 138 Wu-men guan 286 Wunder 269, 280, 295 Wunderberichte 68, 70 xiang fa 149 xing qi 108 yamabushi 268, 270 f. yang-neun 140 Yên-Tử-Tradition 181 yi she 19 yin si 20 yin und yang 20, 102 yin-neun 140

yi-Vereinigungen 104 f. Yogācāra 207 f., 236, 240, 242, 268 yūgen 320 Yugikyō 262, 266 Yusik 207 Yūzū Nenbutsu-Bewegung 276 Zaijarin 281 zaike 351 f., 357 zaike bukkyō 355, 358 zaike seikatsu 358 Zaikebukkyō Kyōkai 358 zazen 256, 277, 300 f., 304 f., 309, 370 Zazengi 304 f. Zen 258, 284, 397 Zen no kenkyū 347 Zen-Garten 318 Zen-Meditation 408, 413, 415, 417 zhai 15, 24, 105 zhai jiao-Bewegung 51 zhai tang 105 zheng fa 149 zhi 19, 126 zhong min 102 Zirkulation des Atems 108 zivilbürgerliches Engagement 417 Zōkuzōkyō-Kanon 214 Zölibat 94, 101, 156, 224, 351, 357 Zufluchtnahme 395, 400, 435, 442 Zuimonki 302 Zukunftsreligion 389 Zweiter Weltkrieg 397 f. Zwölf Himmlische Generäle 245 zwölf Schulen 211

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