Der “Bestrafte Brudermord”: Shakespeares “Hamlet” auf der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts 9783111326207, 9783110983043

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Der “Bestrafte Brudermord”: Shakespeares “Hamlet” auf der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts
 9783111326207, 9783110983043

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Kapitel 1. Nachweis Über Aufführungen Des „Bestraften Brudermordes" Im 17. Jahrhundert In Deutschland
Kapitel 2. Ursprung Und Entwicklung Des „Bestraften Brudermordes"
Kapitel 3. Der Prolog. Beziehungen Zum Ur-Hamlet
Schluss
Literatur

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Britannica et Americana (Britannica, neue Folge)

Herausgegeben von den Englischen Seminaren der Universitäten Hamburg und Marburg/Lahn (Prof. Dr. Ludwig Bonnski, Prof. Dr. Walther Fischer und Prof. Dr. Horst Oppel) Band 3

Der Bestrafte Brudermord Shakespeares „Hamlet" auf der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts

von

Reinhold Freudenstein

1958 Cram, de Gruyter & Co., Hamburg

D i e Drucklegung erfolgte mit freundlidier Unterstützung des Marburger Universitätsbundes

© Copyright 1958 by Cram, de Gruyter & Co., Hamburg Alle Rechte einsdiließlidi der Obersetzungsrechte und der Redite auf Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen vorbehalten. Printed in Germany. Satz und Druck: $ Saladruck, Berlin N 65.

INHALT Seite

Einleitung

7

Kapitel 1. Nachweis über Aufführungen des „Bestraften Brudermordes" im 17. Jahrhundert in Deutschland

11

1. 1616 in Danzig

12

2. 1625 in Hamburg

17

3. 1626 in Dresden

24

4. 1626 bis 1628 in Frankfurt

25

5. Aufführungen durch deutsche Komödianten

28

a) 1669 in Danzig

30

b) 1686 in Frankfurt

31

c) 1770 in Altona

36

Ubersicht

37

Kapitel 2. Ursprung und Entwicklung des „Bestraften Brudermordes" A. Quellen

38

a) Personenverzeichnis

42

b) Erster Akt

45

c) Zweiter Akt

53

d) Dritter Akt

63

e) Vierter Akt

69

f) Fünfter Akt

77

B. Entstehungszeit und Verfasser

83

Der Stammbaum des „Bestraften Brudermordes"

95

Kapitel 3. Der Prolog. Beziehungen zum Ur-Hamlet

96

Schluß

121

Literatur

124

Einleitung Der Titel dieser Arbeit wurde ganz bewußt so formuliert, daß in ihm bereits eine Zweiteilung deutlich wird, die sowohl f ü r das Drama als auch f ü r die Untersuchungsergebnisse der Forschung charakteristisch ist. Der Bestrafte Brudermord ist seinem stofflichen Charakter nach mit der Geschichte des H a m let-Textes eng verbunden; seine Überlieferung kann nicht von dem Auftreten und Wirken der englischen und deutschen Komödianten im 17. Jahrhundert getrennt werden. Darum dürfen wir von einem „deutschen Hamlet-Drama der Komödiantenbühne" (Komödianten-Hamlet) sprechen, dessen überlieferter Titel „Der bestrafte Brudermordt oder Prinz Hamlet auß Dännemark" an erster Stelle steht, weil das Spiel als solches in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt wurde. Der Untertitel nimmt bereits eines der Ergebnisse voraus, die sich im Laufe der hier vorgelegten Untersuchungen einstellen werden; er weist damit in eine der beiden Richtungen, die von der Forschung im Blick auf die Quellen des Bestraften Brudermordes gewiesen worden sind. Die Frage, ob sich im Komödianten-Hamlet die verlorengegangene Fassung des Ur-Hamlet spiegele oder ob Shakespeares Hamlet in ihm bewahrt sei, ist häufig untersucht worden, konnte aber noch nicht endgültig entschieden werden. Leech 1 stellte z w a r zusammenfassend fest: "In recent years Der Bestrafte Brudermord has rarely been seen as a straightforward derivative of the Ur-Hamlet", — mußte jedoch gleichzeitig einräumen: "Critical studies that are partially dependent on out-moded textual theories cannot be dismissed from present-day consideration." Eine spätere Übersicht wird verdeutlichen, daß der Nachweis der Abhängigkeit des Komödianten-Hamlet vom Ur-Hamlet heute von einer "old-fashioned air" (Leech) umgeben ist, immerhin aber noch bis in die jüngste Vergangenheit hinein mit mehr oder weniger gewichtigen Argumenten vertreten worden ist. Drei Fragen werden im Vordergrund der Untersuchungen stehen: die nach dem s t o f f l i c h e n C h a r a k t e r des Textes, nach dem V e r f a s s e r und nach der E n t s t e h u n g s z e i t . Sie bestimmen die Anlage dieser Arbeit, in der zunächst nachgewiesen werden soll, daß die bis heute mühsam zusammengetragenen und weithin anerkannten Zeugnisse über Aufführungen des Bestraften Brudermordes im 17. Jahrhundert zum größten Teil nicht stichhaltig sind. Ledig1

Clifford Leech, Studies in Hamlet, Shakespeare-Survey 9, Cambridge 1956, S. 1. 7

lidi die kurze Notiz in einem Dresdener Almanadi, nach der am 24. Juni 1626 „eine Tragoedia von Hamlet einen printzen in Dennemarck gespielt worden" sei, darf als einzige sidier bezeugte Nachricht über das Schicksal des Spiels auf der Wanderbühne angesehen werden. Dieser Ausgangspunkt macht es notwendig, den Text unter anderen Voraussetzungen zu betrachten. Begnügte man sich bisher damit, das Drama dem Typus des Komödiantenstücks zuzuordnen, so gilt es nun, nachträglich den Beweis dafür zu erbringen, indem die innere und äußere Struktur des Bestraften Brudermordes analysiert und im Stil des Komödianten-Hamlet den Wesensmerkmalen eines Dramas der Wanderbühne nachgespürt wird. Auf diesem Wege ergeben sich wesentliche Erkenntnisse über die Arbeitsweise eines Verfassers von Komödiantendramen, die es ermöglichen, die Quellenbestimmung unter veränderten Gesichtspunkten vorzunehmen. Die Fragen nach der Entstehungszeit des Bestraften Brudermordes und nach dem Namen des Verfassers bleiben in diesem Zusammenhang sekundär und sind darum auch erst aufgegriffen und — soweit das möglich ist — beantwortet worden, nachdem ausreichend erörtert wurde, wo die Quellen des Komödianten-Hamlet mit großer Sicherheit zu suchen sind. Zwei Ziele bestimmen auch die Richtung im Gang der Abhandlung. Neben dem Nachweis, daß beide Quarto-Ausgaben der Shakespeareschen HamletTragödie (1603, 1604) bei der Entstehung des deutschen Textes mitgewirkt haben, ist die Aufgabe, in Geist und Wesen der Komödiantenbühne des 17. Jahrhunderts einzudringen, nie aus den Augen verloren worden. Besonders wichtig schien dabei, immer wieder darauf hinzuweisen, daß es sich bei der Übertragung des englischen Textes ins Deutsche n i c h t um einen Zersetzungsprozeß eines Dichtwerkes handelt, sondern eher um das Absinken eines Kunstwerkes auf eine niedere Entwicklungsstufe, die aber nichtsdestoweniger ihre bestimmten Gesetze hat und einen Formdrang verrät, dem ein ernstes Bemühen um bewußte Gestaltung innewohnt. Eine „Entgeistigung durch Verstofflichung" (Gundolf) ist zwar an keiner Stelle zu leugnen, jedoch gilt dieses Wort nur insoweit, als damit kein abschätziges Werturteil über die Komödiantenbühne verbunden ist. Die Theaterwirksamkeit des Stoffes allein hätte niemals die langanhaltende, alle Kreise der Bevölkerung umfassende Bewegung hervorrufen können, von der die Kunst des Schauspiels im 17. Jahrhundert getragen war. Am Komödiantendrama entzündete sich die Begeisterungsfähigkeit des Publikums genau so wie die Phantasie mancher Dichter; diese Wurzeln wurden entscheidend für eine spätere Epoche, in der auf den Trümmern einer anfangs revolutionierenden Theaterkunst sich eine Erneuerung der Dichtung vollzog, in der die Kunst der Bühne mit der Kunst des Wortes vereint wurde. Man sollte darum nicht von „komödiantischem Schutt" sprechen, der als „üble Zutat" über den Aufführungen ausländischer Dichtwerke auf der Komödiantenbühne lagerte 2 , weil am Beispiel des Bestraften Brudermordes gezeigt werden kann, 2 Adolf Winds, Hamlet auf der deutschen Bühne bis zur Gegenwart, Schriften der Gesellschaft für Theatergesdiidite, Band X I I , Berlin 1909, S. 8.

8

wie die „Goldkörner" der Shakespearesdien Poesie geschickt in ein wohlgeordnetes Mosaik eingebaut wurden und uns, zwischen manchen wertlosen Steinchen, entgegenglänzen. Shakespeares Hamlet wurde nicht nur im „Stil des Puppenspiels" für die Komödiantenbühne bearbeitet 3 , sondern bewußt in eine andere Gedankenwelt transponiert. Die Konzeption des Dramas wurde dadurch eine andere, nicht aber ging sie „in einer recht ordinären Art von Volksthümlidikeit" völlig verloren 4 . Davon wird noch an H a n d von Beispielen zu sprechen sein. Freilich muß eingeräumt werden, daß der Komödianten-Hamlet erhebliche Unterschiede zu Shakespeares Tragödie in Geist und Stil aufweist. Das Streben der Komödianten nach Einfachheit und Klarheit zerstörte die Feinheiten der Vorlage; Andeutungen wurden zu diesem Zweck zu plumpen und breiten Darlegungen ausgewalzt, der Schwerpunkt einer in sich geschlossenen Handlung auf viele Einzelsituationen verlagert. Die bewußte Zeit- und Raumgestaltung im englischen Hamlet erkannten die Komödianten nicht als einen „bestimmenden Zug in der Gestalt dieser Dichtung" 5 , sondern setzten an seine Stelle ein nicht näher bestimmtes, ohne Zweifel ziemlich unbekümmert entworfenes Nacheinander der Geschehnisse. Die Zeitbestimmungen an den entscheidenden Stellen sind sehr vage und werden grundsätzlich mit "Worten wie „unlängst" oder „eines Tages" übergangen. Der Schauplatz wird jeweils dort gewählt, wo ein Ereignis gerade vorgeführt werden soll; nichts mehr ist davon zu spüren, daß Shakespeare im Hamlet auf weiten Strecken die „Einheit des Ortes wahrt, über die er sich anderwärts bedenkenlos hinwegzusetzen pflegt" 6 . Diese Beobachtungen sind entscheidend für die Beurteilung des Bestraften Brudermordes, denn „eine Veränderung der räumlichen Zuordnung (in Shakespeares Hamlet) würde nicht eine nebensächliche, eine szenisch nur äußerliche Eigenschaft dieses Dramas betreffen, sondern sie würde das künstlerische Gesetz, den Bauplan, die organische Form, also Wuchs und Gestalt dieser Dichtung von Grund auf verändern" 7 . Genau das ist im Komödianten-Hamlet geschehen. Hinter Hamlets Zweifel an der Echtheit der Geist-Erscheinung8 erheben sich im Bestraften Brudermord keine philosophischen oder theologischen Erkenntnisse, Bedenken oder Erörterungen. Der Geist ist als eine handgreifliche Wirklichkeit gedacht, er verteilt sogar Ohrfeigen, und wenn Hamlet dennoch Zweifel an seinen Worten hegt, dann nur, weil die Quelle das Vorbild abgab und die Fortführung der Handlung diesen Zweifel verlangt. Wie an dieser Stelle, wird sich immer wieder ergeben, daß trotz der eigenen, primitiven Gestaltungsweise 3 R. von Liliencron, Das deutsche Drama im sechzehnten Jahrhundert und Prinz Hamlet aus Dänemark, Deutsche Rundschau, Band 65, Berlin 1890, S. 257. 4 Liliencron, a. a. O., S. 256. 5 Horst Oppel, Die Zeitgestaltung im Hamlet, Jahrbuch für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 1951 (Band 1), Stuttgart 1951, S. 152. 6 Oppel, a. a. O., S. 150. 7 Ebenda. 8 Gustav F. Hartlaub, Hamlet und das Jenseits, Euphorion, Band 48, H e f t 4, Heidelberg 1954, S. 435 f.

9

des Redaktors manches im Verlauf der Textanalyse unverständlich bleiben müßte, wenn nicht der Shakespeare-Text als Vergleichsfolie zur Verfügung stünde. Diese Abhängigkeit wird bis in Einzelheiten hinein nachgewiesen werden können. Es ist bezeichnend für die Wanderbühne und charakterisiert ihr künstlerisches Wollen, wenn dramatisch wirkungsvolle Züge oder eine bestimmte dichterische Technik der Vorlage über Gebühr betont und aus ihrer dem Gesamteindruck dienenden Randstellung in den Vordergrund gerückt werden. Wiederholungen als Formungselement künstlerischer Steigerung9 sind dem Bestraften Brudermord fremd, in dem ständig bereits Gesagtes oder Angedeutetes einzig zu dem Zweck wiederholt wird, um ein geschlossenes, klares und eindeutiges Bild des ohnehin schon primitiven Handlungsverlaufes zeichnen zu können. Die Wiederholungen sind einer Klammer vergleichbar, die einzelne Situationen verkettet und einen folgerichtigen Ablauf des Geschehens garantiert. Auch finden Musik und Gesang als Ausdrucksmittel einer Stimmung oder gar einer Wortmelodie 10 im Komödianten-Hamlet keinen Platz. Hier übertönen Trommeln, Pfeifen, Pauken und Trompeten mit lautem Klang alle auch akustisch zarten Töne des Vorbildes. Damit ist bereits angedeutet, daß es unumgänglich notwendig ist, die Grundstruktur der geistigen Welt der Wanderbühne bei der Untersuchung eines ihrer Texte mit zu beachten. Die gerechte Beurteilung eines Wanderbühnendramas ist um so schwerer, je höher der literarische und künstlerische Wert seiner Quelle von der Forschung eingeschätzt wird. Aber Shakespeares Hamlet und der Bestrafte Brudermord dürfen gar nicht nach rein ästhetischen Gesichtspunkten miteinander verglichen werden, weil es sich um zwei Werke ungleichen Charakters handelt, deren Betrachtung immer die Geringschätzung des schwächeren nach sich ziehen muß. Aus einem solchen Vergleich jedoch rührt das abschätzige Urteil über die Komödianten im 17.Jahrhundert, das bis heute noch nicht völlig zugunsten einer objektiven Sicht verdrängt werden konnte. Es wird darum auch die Aufgabe dieser Arbeit sein, am Beispiel des Bestraften Brudermordes die Deutung einiger wesentlicher Grundzüge der Wanderbühnenkunst aus "der besonderen, nur ihr eigenen Situation heraus zu versuchen. Das Bild, das die Forschung über die Komödianten gezeichnet hat, wird sich vervollständigen, wenn die Abhängigkeit der Mimen von den geistigen Strömungen und ihren Äußerungen in der Dichtung im 17. Jahrhundert aufgezeigt wird. Die Rehabilitierung der Komödiantenkunst darf neben der Erneuerung unseres Barockbildes, das sich in der Forschung des 20. Jahrhunderts abzeichnet11, als eine lohnende und wichtige Aufgabe angesehen werden. 9

Wilhelm König, Über die bei Shakespeare vorkommenden Wiederholungen, Shake-

speare-Jahrbuch 13, Weimar 1878, S. 111 ff. 1 0 H. B. Lathrop, Shakespeare's dramatic use of songs, Modern Language Notes, Band X X I I I , Nr. 1, Baltimore 1908, S. 1 ff. 1 1 Rudolf Stamm, Die Kunstformen des Barockzeitalters, München 1956, S. 5 ff.

10

Kapitel 1. Nachweis über Aufführungen des „Bestraften Brudermordes" im 17. Jahrhundert in Deutschland Seit der Veröffentlichung des Manuskriptes des Bestraften Brudermordes12 ist immer wieder versucht worden, den Nachweis über Aufführungen dieses Komödiantendramas in deutschen Städten zu erbringen. Nur e i n e s dieser Zeugnisse vermag einer kritischen Betrachtung standzuhalten; alle anderen können widerlegt, zumindest ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Mit dieser Feststellung ist keineswegs die Behauptung verbunden, daß der Bestrafte Brudermord im 17. Jahrhundert unpopulär gewesen und wenig gespielt worden sei. Dagegen spricht schon die Erhaltung des Textes, nicht in einer zeitgenössischen Textsammlung, sondern in der lebendigen Tradition der Wanderbühne 13 . "Wenn uns trotzdem so gut wie nichts über das Schicksal des Dramas auf den weitverzweigten "Wegen der Komödianten durch die deutschen Lande überliefert ist, darf nicht versucht werden, das Fehlen unmittelbarer Zeugnisse durch einseitig ausgelegte Dokumente und in ihrer Bedeutung eingeengte Nachrichten zu ersetzen. Überdies bedarf es keineswegs gewaltsamer Nachweise, da der Text selbst Spuren einer Überarbeitung aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts enthält und von sich aus darauf hinweist, daß er zum Repertoire mindestens e i n e r zunächst englischen, dann deutschen Truppe gehört haben muß. Um genau feststellen zu können, wann und wo der Bestrafte Brudermord in Deutschland nachweisbar aufgeführt worden ist, müssen die bisher dafür vorgetragenen Zeugnisse erneut überprüft werden. 12 Olla Potrida, herausgegeben von Heinrich August Ottocar Reichard, Nr. 2, auf das Jahr 1779 (Gotha) Zweites Stück, S. 18 ff., Berlin 1781. Im Theaterkalender hatte Reichard bereits eine ausführliche Inhaltsangabe und Stilproben (S. 47 ff.) zum Abdruck gebracht. 1 3 Das Manuskript stammt nach den Angaben Reichards aus dem Nachlaß des Schauspielers und Gothaer Theaterdirektors Conrad Ekhof (1720—1778) und ist im Jahre 1710 in „Pretz" abgeschrieben worden. Wilhelm Widmann (Hamlets Bühnenlaufbahn, Schriften der deutschen Shakespeare-Gesellschaft, Neue Folge Band 1, Leipzig 1931, S. 17) vermutet, daß es sich um das holsteinische Städtchen Preetz handelt, in dem gleichfalls im Jahre 1710 die Spiegelbergsdie Schauspielgesellschaft gegründet wurde. Da Spiegelberg der Schwiegervater Ekhofs war, ist es möglich, daß Ekhof durch ihn in den Besitz des Bestraften Brudermordes gelangt ist. Aufführungen des Bestraften Brudermordes durch Spiegelbergs Truppe sind allerdings nicht nachweisbar.

11

1. 1616 in Danzig Unter den vielen Bittschriften, die Bolte bei seinen Untersuchungen über das Danziger Theater 14 zu ordnen hatte, fiel ihm eine Petition englischer Komödianten an den Rat der Stadt besonders auf, weil sie n i c h t in der stilisierten Form der übrigen abgefaßt war. Sie ist vom 28. Juli 1616 datiert und trägt die Unterschriften von „Johann Green" und „Robert Reinald". In dieser Bittschrift heißt es an einer Stelle: „Nun ist gewis, das der Lauf der weit nicht künstlicher kan abgebildet sein als in Comoedien vnd Tragoedien, die gleich wie im Spiegel aller Menschen leben vnd wesen, guttes und böses repraesentiren vnd fürstellen, darin ein ieder sich sebst magk sehen und erkennen, Welche kunst bey den Alten Griechen vnd Römern vber alle maße weert, hodi vnd ansehenlich gehalten ist vnd wol tawren wird, so lang die weit s t e h e t t . .

Green hielt sich, wie aus anderen Dokumenten hervorgeht 18 , bis zum 25. August 1616 in Danzig auf. Während dieses Gastspiels, folgert Hoenig, sei der Bestrafte Brudermord in Danzig zur Aufführung gelangt 17 . Green soll den oben zitierten Teil seiner Bittschrift inhaltlich dem Text des KomödiantenHamlet entnommen haben, in dem an zwei Stellen ebenfalls die Ansicht geäußert wird, im Drama spiegele sich Leben und Wesen der Menschen. Die beiden Stellen lauten wörtlich 18 : „Hamlet. Ich bin ein großer Liebhaber eurer Exercitien, und meine es nicht übel, denn man kan in einem Spiegel seine Flecken sehen . . (H,7). „Hamlet. Tractieret sie wohl, sag ich, denn es geschiehet kein größer Lob, als durch Comödianten, denn dieselben reisen weit in die Welt: geschiehet ihnen an einem Ort etwas Gutes, so wissen sie es an einem anderen O r t nicht genug zu rühmen, denn ihr Theatrum ist wie eine kleine Welt, darinnen sie fast alles, was in der großen Welt geschieht, repräsentiren . . . " (II, 9).

Eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen diesen Worten Hamlets und den angeführten Sätzen aus Greens Bittschrift liegt vor. Der Nachweis einer direkten Entlehnung verliert aber von seiner Überzeugungskraft, wenn gleich z w e i voneinander unabhängige Stellen aus dem Drama herangezogen werden müssen, um wörtliche Anklänge anführen zu können 19 . Ernsthaft bezweifelt 14 Johannes Bolte, Das Danziger Theater im 16. und 17. Jahrhundert, Theatergeschichtliche Forschungen, Band XII, Hamburg/Leipzig 1895. 15 Bolte, a. a. O., S. 48. 16 Bolte, a. a. O., S. 49 ff. 17 B. Hoenig, Anzeiger für Deutsches Altertum und Deutsche Litteratur, Band X X I V , S. 377 ff., Berlin 1898. 18 Diese und alle folgenden Textstellen des Bestraften Brudermordes sind dem Neudruck der Tragödie bei Albert Cohn, Shakespeare in Germany in the sixteenth and seventeenth Centuries, London 1865, S. 236 ff., entnommen. Die römischen Ziffern bezeichnen jeweils den entspredienden Akt, die arabischen die entsprechende Szene. 19 Hoenigs These setzt also voraus, daß die Bittschrift von dem Spieler der HamletRolle verfaßt wurde, will man nicht annehmen, daß Green sämtliche Rollen seines Repertoires so souverän beherrschte, daß er einzelne Stellen zu Zitaten zusammenzu-

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werden muß jedoch, daß die inhaltliche Ubereinstimmung zwischen der Bittschrift und dem Text des Bestraften Brudermordes notwendig zu dem Schluß führt, Greens Truppe habe das deutsche Hamlet-Drama tatsächlich aufgeführt. Seit alters (— „welche kunst bey den Alten Griechen vnd Römern vber alle maße weert" —) kommt in der Vorstellung der Menschen dem Theater die Aufgabe des Abbildens und der Erhöhung der Wirklichkeit zu. Wie man davon spricht, daß seelisdie Bewegungen sich körperlich zu „spiegeln" vermögen („Haß spiegelte sich in seinem Gesicht"), wie sich das Wesen eines Volkes in seiner Kunst „spiegelt", können auch die Dichter tatsächliche Vorgänge „gleich wie im Spiegel" ihrem Leser- und Hörerkreis vor Augen stellen. Besonders auf literarischem Gebiet treffen wir schon in frühen Zeugnissen auf den „Spiegel", der auszusagen hat, was wirklich geschieht oder geschehen sollte. So steht er im Titel des ältesten Rechtsbuchs des Mittelalters, dem Sachsenspiegel, und er begegnet uns in den verschiedenen Fürstenspiegeln. Auf seine Bedeutung im Märchen („Spieglein, Spieglein, an der W a n d . . . " ) und als Zauberspiegel20 kann nur hingewiesen werden. Aus all dem soll deutlich werden, daß Green in seiner Petition den „Spiegel-Vergleich" durchaus unabhängig von bestimmten Quellen hat verwenden können. Diese Möglichkeit wird durch die Tatsache erhärtet, daß der „Spiegelvergleich" auch in einem anderen Komödiantendrama benutzt wird. Im Epilog der Tragoedia Hibeldeha Von einem Buler und Bulerin des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig heißt es: „ . . . das solches alles ein Zeitlang weret / und der Krug so lange zu Wasser gehet / bis das er entlich bricht / Wie dann soldis klärlich an dem Exempel des Pamphili und Dinae I als in einem Spiegel jedermenniglich für die Augen gestellet w e r d e n . . . " 2 1

Dieses Drama war bereits im Jahre 1593 gedruckt worden und kann deshalb nicht von der entsprechenden Stelle im Bestraften Brudermord beeinflußt worden sein. Aber auch der „Spiegel-Vergleich" aus Shakespeares HamletDrama: " . . . For any thing so ore-doone, is from the purpose of playing, whose end both at the first, and novve, was and is, to holde as twere the Mirrour vp to nature, to shew vertue her feature . . ( Q u a r t o 2 ) 2 2

kann Herzog Heinrich Julius nicht als Quelle gedient haben, da die Tragödie erst nach der Jahrhundertwende gedruckt und für die Leser zugänglich wurde. ziehen vermochte. Hätten die Komödianten dagegen wörtlich zitiert, müßten sich mehr Anklänge erhalten haben. 2 0 Als wichtiges dramatisches Motiv dient der Zauberspiegel in dem Komödiantendrama Von eines Königes Sohne aus Engelland und des Königes Tochter aus Schottland (Julius Tittmann, Die Schauspiele der Englischen Komödianten in Deutschland, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Band 13, Leipzig 1880, S. 197 ff.). — Das Spiegelgleichnis ist gerade auch in der geistlichen Dichtung des 17. Jahrhunderts von nicht unerheblicher Bedeutung. Vergl. Kurt Berger, Barode und Aufklärung im geistlichen Lied, Marburg 1951, S. 94 ff. 2 1 Willi Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 330. 2 2 Wilhelm Vietor, Hamlet, Parallel Texts, Shakespeare Reprints II, Marburg/ London/New York 1913, Second Edition, S. 153. Im folgenden zitiert als „Reprints". 13

Aber selbst dann, wenn Green die Sentenz wirklich entlehnt haben sollte, ist noch immer nicht erwiesen, daß er mit seiner Truppe im Jahre 1616 den Bestraften Brudermord in Danzig wirklich aufgeführt hat, noch nicht einmal, daß er im Besitz des deutschen Hamlet-Manuskriptes war. Er könnte den „Spiegel-Vergleich" sowohl in Shakespeares Hamlet-Tragödie gehört haben, als er noch in England weilte, oder dem Bestraften Brudermord entliehen haben, von dem er in Deutschland gehört oder ihn gar selbst gesehen haben könnte. Er wäre ihm dann als besonders eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ("My tables, meet it is I set it downe"23), und er verwandte ihn an geeigneter Stelle, eben in jener Bittschrift an den Rat der Stadt Danzig. Hoenig sucht seine These mit der Feststellung zu stützen, daß Green im Jahre 1616, bevor er das Gastspiel in Dresden antrat, von „der Löblichen Cron Dennemarcken"24 kam. Daß ein Verweilen am Hof des dänischen Königs die Möglichkeit einer Aufführung des Hamlet-Dramas einschließt, soll nicht bestritten werden. Sie ist jedoch derart ungewiß, daß sie nicht mehr als eine bloße Vermutung sein kann, deren Ursprung wohl in einer Gedankenassoziation zwischen dem dänischen Hofe und dem Hamlet-Drama, dessen Schauplatz dieser Hof ist, zu suchen ist und durch nichts belegt werden kann. Die These Hoenigs, daß zur Zeit der Wanderbühne eine innige Wechselbeziehung zwischen Spiel und Wirklichkeit bestanden habe, wird mit dieser Interpretation nicht zurückgewiesen. Das Auftreten des Principal Carl im Bestraften Brudermord (11,7 ff.) ist sicher ein Beweis dafür, daß tatsächliche Vorgänge aus dem Erleben der fahrenden Schauspieler in den Dramen, die sie zur Aufführung brachten, Widerhall fanden. Die Aufgabe, derartige Anspielungen dem Publikum in geeigneter Form vorzutragen, fiel wohl in erster Linie dem P i c k e l h e r i n g zu, dessen extemporierte Einlagen aber, wenn sie uns zufällig erhalten sind, nichts von der schillernden Lebendigkeit verraten, die ihnen der Komödiant zu geben vermochte. Die Einlagen in unserem modernen Theater, vor allem in der Operette, dienen einem ähnlichen Zweck, wenn populäre Ereignisse in humorvoller Art umschrieben werden; jedoch dürften sie nur ein ganz schwacher Nachklang dieser von der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts hochentwickelten Routinekunst sein. Sie wurde in Deutschland nicht nur von der englischen Bühne übernommen25. Dort war der Clown ein feststehender Bühnentyp, dessen Vertreter sich die Freiheit nahmen, abweichend von einem Konzept zu agieren, wogegen sich Shakespeare im Hamlet wendet, wenn der Prinz den Schauspieler aufträgt: " . . . let those that play your clownes speake no more then is set downe for them . . ."2® Reprints, S. 63. Bolte, a. a. O., S. 49. Carl-Hermann Kaulfuß-Diesdi (Die Inszenierung des deutschen Dramas an der Wende des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, Probefahrten, Band 7, Leipzig 1905, S. 113) zeigt auf, daß „die lustige Person an sich durchaus keine Neuschöpfung der Englischen Komödianten ist", sondern schon im altdeutschen Drama vorgebildet 23

24

25

War

14

2" Reprints, S. 155.

Vielmehr ergab sich die besondere Bedeutung des Clowns im Theater, der Wandermimen 27 notwendig aus dem Entwicklungsgang der Komödiantenbühne in Deutschland. Als die ersten englischen Truppen am Ende des 16. Jahrhunderts nach Deutschland kamen, spielten sie ihre Dramen noch in englischer Sprache28. Sie mußten aber Anklang in weitesten Kreisen finden, um für ihre nicht geringen Lebenshaltungskosten und die hohen Abgaben durch direkte und indirekte Steuern aufkommen zu können 29 . Eine ständige Anziehung auf das Publikum konnten sie auf die Dauer in einer fremden Sprache nidit ausüben, wenn auch Mimik, Tanz und Musik im Vordergrund der Darbietungen standen 30 . Das Ende dieses für Spieler und Publikum unbefriedigenden Zustandes leitete der Narr ein. Es ist urkundlich belegt, daß er zunächst zwischen den einzelnen Akten, die nodi in englischer Sprache vorgetragen wurden, seine Witze in der Muttersprache der Zuschauer anbrachte31. Von hier aus entwickelte sich dann das zu eigener Handlung angewachsene Zwischenspiel32. So kann man von den Sprachschwierigkeiten der Komödianten her eine wesentliche Wurzel für die „Kulturlosigkeit" der Wanderbühne entdecken. Der Schauspieler gestaltet, wie Flemming grundsätzlich herausgearbeitet hat, nicht mit Mimik, sondern aus der dramatischen Sprache, aus der die Sprachgeste entwächst33. Wenn das Spiel als Bühnenkunst nicht mehr den Worten entspringt, wenn es sidi aus seiner wesenhaften Verwicklung mit dem Worte löst und das Drama nur noch Zutat zum Spiel ist, fungiert der Schauspieler nicht mehr als Interpret des Dichterwortes, sondern benutzt allein seinen Körper als Ausdrucksmittel, was ihn in die Nähe der Tanzkunst rückt. Von hier aus gesehen ist es nicht zufällig, wenn in frühen Zeugnissen über englische Komödianten in Deutschland neben Musikern, Fiedlern, Trompetern und Pfeifern, den sogenannten Instrumentalisten, immer wieder die Erfolge der Springer und Tänzer erwähnt werden 34 . Die wandernden Schauspieler aus fremden Landen mußten notwendig dem „ S p i e l " , der Mimik, den Hauptakzent verleihen, 2 7 „Pickelhering steht an so zentraler Stelle, daß man mit seiner Darstellung gleichzeitig das Wesen des Komödiantenstückes miterfaßt." Anna Baesecke, Das Schauspiel der Englischen Komödianten in Deutschland, Studien zur englischen Philologie, Band L X X X V I I , Halle 1935, S. 69. 2 8 Tittmann, a. a. O., S. VII; Kaulfuß-Diesch, a. a. O., S. 34; Winds, a. a. O., S. 10. 2 9 Flemming, a. a. O., S. 7. 3 0 Baesecke, a. a. O., S. 73ff.; Kaulfuß-Diesch, a. a. O., S. 37ff. 3 1 Ernst Leopold Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, Stuttgart 1947, S. 10; Cohn, a. a. O., S. C X X X V f . ; Wilibald Wodik, Jakob Ayrers Dramen in ihrem Verhältnis zur einheimischen Literatur und zum Schauspiel der englischen Komödianten, Halle 1912, S. 48. 3 2 Flemming, a. a. O., S. 27. 3 3 Willi Flemming, Epik und Dramatik, Dalp-Tasdienbüdier 311, München 1955, S. 34. 3 4 Julius Tittmann, Schauspiele aus dem 16. Jahrhundert, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Band 3, Teil 2, Leipzig 1868, S. X I ff. — Baesecke ( a . a . O . , S. 69) zeigt auf, wie sich akrobatische Leistung und mimisches Talent in der Person des Clowns vereinten.

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weil ein dramatisches Gestalten der Sprache zunächst unmöglich, später schwierig war. Diese einseitige Uberbetonung wurde für die Wanderbühne — unter Hinzukommen weiterer Faktoren, die diese Entwicklung stärkten — kennzeichnend35 und wich auch dann nicht, nachdem im 17. Jahrhundert sich die fremdländischen Spieler die deutsche Sprache angeeignet hatten und die Verständigungsschwierigkeiten geringer wurden. Unter diesen Gesichtspunkten wird es vielleicht verständlicher, wie es möglich werden konnte, daß die Spieler, die aus dem England einer blühenden, echten Schauspielkunst auf den Kontinent kamen, hier nicht diese Kunst repräsentierten, sondern zu „Komödianten" wurden. Die Gründe für dieses Absinken können nicht darin gesucht werden, daß etwa nur solche Spieler ihre Heimat verließen, die dort versagt hatten und sich keines guten Rufes erfreuten, oder daß etwa die unkünstlerisdie Roheit der Komödiantendramen und ihre charakteristische Verstümmelung gegenüber den Originaltexten erst durch die deutschen Wandermimen veranlaßt wurden, während die Engländer selbst noch auf einem höheren Niveau standen. Gerade die Engländer müssen es gewesen sein, die eine mangelnde Beherrschung der Sprache durch eine besondere Leistung im mimischen Agieren auszugleichen versuchten36. Ihr weitgehend freies Handhaben eines Textes erlaubte es ihnen leicht, Einlagen jeglicher Art zuzulassen. Johann Rist hat in seiner Schrift Die Alleredelste Belustigung kunstliebender Gemühter ein schönes Beispiel dafür aufgezeichnet, wie die Wirklichkeit des Alltags mitunter in das Spiel auf der Komödiantenbühne eindrang37. Es ist darum andererseits auch wahrscheinlich, daß die Komödianten die eine oder andere Stelle aus ihren Dramen, die ihnen besonders geeignet erschien, in Petitionen und im Verkehr mit Behörden und anderen amtlichen Stellen zitierten. Irgendwelche weitreichenden Schlüsse daraus ziehen zu wollen, wird in -dem von Hoenig erwähnten Fall nicht möglich sein. 3 5 Baesecke (a. a. O., S. 17, 28, 40, u. a.) weist immer wieder auf der Komödiantendramen hin und belegt mit vielen Beispielen „die Gestaltungsweise der Englischen Komödianten" (S. 37 ff.). Vergl. auch Englische Komödianten, Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, lage, Berlin 1956, S. 350.

die „Spielnähe" betont mimische Willi Flemming, 1. Band, 2. Auf-

3 6 Kaulfuß-Diesdi (a. a. O., S. 84) hält die Prosaform der Dramen der Englischen Komödianten, wie sie uns vorliegt, für „das Produkt einer fortgeschrittenen Verwahrlosung; die ursprüngliche Fassung in Versen klingt . . . nicht nur in Sidonia und Theagenes, sondern auch in den anderen Dramen durch". An anderer Stelle widerspricht er selbst dieser Ansicht, wenn er sagt, daß das gesprochene W o r t in den Darbietungen der Englischen Komödianten „nur von untergeordneter Bedeutung sein konnte" (S. 34). Vergl. auch Baesecke, a . a . O . , S. 40 ff.; Flemming, a . a . O . , S. 350. Bei der Untersuchung des Verhältnisses von Schauspieler und T e x t hat Baesecke klar herausgearbeitet, „daß die Stücke . . . in ihrer vorliegenden Fassung aus den Händen der englischen Schauspieler selbst stammen müssen" (S. 95 ff.). 3 7 Johannes Rist, Aller Edelsten Belustigung Kunst- und Tugendliebender Gemähter ..., Hamburg (1666). Nachgedruckt bei Willi Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 132 ff.

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Eine Aufführung des Bestraften Brudermordes durdi englische Komödianten unter der Führung Greens kann für das Jahr 1616 in D a n z i g nicht nachgewiesen werden. Die Übereinstimmung einer allgemeinen Sentenz des Dramas mit einer Bittschrift Greens 38 reicht nicht aus, eine direkte Entlehnung zu bezeugen oder den Nachweis zu erbringen, der deutsche Hamlet-Text habe zum Reportoire der Truppe Greens gehört.

2. 1625 in Hamburg39 Eine Aufführung des Bestraften Brudermordes für das Jahr 1625 in H a m burg versucht Litzmann nachzuweisen 40 . In dem Werk Johann Rists 41 fand er eine Textstelle, von der er glaubt, daß sie sich nur auf den Bestraften Brudermord beziehen könne. D a die „Hamburger Aufführung" vom Jahre 1625 weitgehend als nachgewiesen gilt 4 2 , ist es notwendig, näher auf die von Litzmann verwiesene Stelle bei Rist einzugehen, um die Gültigkeit seiner These zu prüfen. Rist beschäftigt sich in Form eines Rundgespräches mit der Frage, ob es zulässig sei, in „Traur- und F r e u d e n s p i e l e n . . . auch wol grosse Herren zu beschimpffen?" Der Gesprächspartner Palatin verneint diese Frage, räumt aber ein, die Komödianten hätten „mit Stichel-Reden grosse Macht / lasterhafften Personen tapffer auf die Haube zu greiffen / und deroselben Untugenden gleichsahm lachend zu straffen". Wörtlich lesen wir weiter: „Gleich itz erinnere ich midi einer Komoedien / welche ich in meiner Jugend von den Engelländern habe gesehen spielen in einer großen / Volkreichen Statt / die ich nicht nennen will. Es hatte eben dazumahl ein großer und hertzhaffter Potentant / mit welchem die Statt nidit gahr zu wol stund / eine stattliche Krieges-Madit auff die Beine gebracht / welche ihr Lager nahe bey der Statt hatte / nicht zwahr zu dem Ende / daß er 38 Die angeführten Zeugnisse legen die Vermutung nahe, daß der „Spiegel-Vergleich" im 17. Jahrhundert weithin bekannt und beliebt gewesen sein muß. Zur Rechtfertigung des Theaters gegenüber allen ablehnenden Stimmen bot er sich als geeignetes Bild an, die lobenswerten Aufgaben der Bühne zu umschreiben. 39 Liliencron (a. a. O., S. 257) spricht davon, daß die erste Aufführung des Bestraften Brudermordes für das Jahr 1624 nachgewiesen werden könne. Diese Angabe ist sicher falsch. Vermutlich liegt eine Verwechselung mit der Dresdener Darbietung vom Jahre 1626 vor. 40 Berthold Litzmann, Hamlet in Hamburg 1625, Deutsche Rundschau, 18. Jahrgang, H e f t 6, Berlin 1892, S. 427 ff. 41 Flemming, a. a. O., S. 134 ff. 42 Selbst Flemming (a. a. O., S. 335) hält die Hamburger Aufführung f ü r erwiesen. Im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte (1. Band, 2. Auflage, Berlin 1956, S. 347) zählt er die Aufführung von 1625 in Hamburg zu den sicher belegten Darbietungen der Englischen Komödianten. Audi Alexander v. Weilen (Hamlet auf der deutschen Bühne bis zur Gegenwart, Schriften der deutschen Shakespeare-Gesellschaft, Band III, Berlin 1908, S. 1), Stahl (a. a. O., S. 12) und Kaulfuß-Diesch (a. a. O., S. 43) vertreten die These Litzmanns. Widmann (a. a. O., S. 15) dagegen schreibt: „Einige Bemerkungen, die sich in einem Bericht des Pastors Johann Rist . . . finden, lassen sich auf Hamlet und Hamburg deuten, bieten jedoch keinen sicheren Nachweis."

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F r e u d e n s t e i n , Brudermord

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derselben feindlich wolte zusetzen / sondern vielmehr / einem anderen Krieges-Herren / die gleich dazumahl anderswoh' gegen einander zu Felde lagen / etlicher mahssen eine Furcht inzujagen. Nun begab sichs / daß täglich viele fürnehme Krieges-Bediente / aus dem Lager in die Statt giengen / ritten und fuhren / allerhand Sachen / derer sie benöhtiget waren / zu kauffen / da sie denn auch häuffig bey den Komoedien sich finden Hessen / und eine sonders große Lust aus denselben schöpften. Eines Tages / wie daß Komoedien Hauß so wol mit Soldaten und KriegesBedienten als Bürgern der Statt sehr war angefüllet / spieleten die Komoedianten / von einem Könige / der seinen Sohn / den Printzen mit des Königs von Schottland Tochter wolte verheirahten. Unter anderen Handlungen geschähe es / daß / wie der Printz oder Bräutigam mit etlichen seiner Edelleuten I auff der Schaubühne / von seinem herrlichen / bevorstehnden Beylager sich unterredete / etliche mahl gar starck ward geschossen und dabey auff Paucken gespielet und mit Trompetten geblahsen. Der Printz fragte seine Edelleute / was das zu bedeuten hätte / er müchte wol wissen / demnach er schier vermuhtete / das es auff dem Königlichen Schlosse wäre / wer sich doch daselbst so lustig machete? Der Stallmeister / der viel bey dem Printzen zu sagen hatte / antwohrtete: Mich wundert / das ihre Durchleüchtigkeit noch darnach fragen mügen / es ist eben derselbe / der alle Tage auff solche Ahrt turniret / lustig herümmer säuft / bey der Damen sitzet / bey welchen angenehmen Übungen denn frisch muß geschossen / gepaucket und geblahsen werden / dieses Handwerck treibet man ja täglich / Wunder / wie man es noch kan außhalten! Der Printz sähe den Stallmeister über die halbe an und sagte: Oho / Ich verstehe eüdi wol / ihr meinet / unseren Herren Vatter den König / und damit schwieg er stille." Rist erzählt, dieser Spaß habe die Soldaten sehr unangenehm berührt, während die Bürger der Stadt an der Beschreibung der losen Hofsitten des Königs ihre wahre Freude empfunden hätten. Aber, so fährt Rist fort und beschreibt eine zweite Szene aus der erwähnten Komödie, „diese Freüde währete nicht lange / denn bald hernach / wie der König mit dem Printzen und seinen fürnehmsten Rähten auff der Schaubühn sich befunden / ward gefraget / woher man doch den Sammit / Seiden / gülden Stükke / güldene und silberne Spitzen / Tuch / Hühte / seidene Strümpffe / und was sonst mehr auff das Beylager von nöhten / nicht nur für den König und dem Printzen: Sondern auch Liberey Kleider darvon machen zu lassen / solte verschreiben? Worauff der eine Venetien / der andere Amsterdam / der dritte Genua, der vierte Augspurg / der fünffte Leipzig / der sechste Franckfurt / andere noch andere Stätte führschlugen / biß endlich einer herauß fuhr und sagte: Was haben wir doch von n'ihten so grosse Unkosten zu machen / und die Sachen eben von so weit abgelegenen öhrten hohlen zu lassen / da wir ja die Statt / bey welcher wir unser Läger itzo geschlagen / gleichsahm für der Tühre haben / und aus dieser Statt können wir ja alles das jenige bekommen / was wir auf dem Beylager benöhtiget sein werden. Was / sagte der König / solten wir dieser Statt unser Geld gönnen? Wisset ihr nicht / daß die Inwohner die allergrösseste Betrieger / und diese Kauffleute die gottloseste Schinder sind / welche in gantz Europa gefunden werden?" Jetzt waren es die Krieger, schreibt Rist, denen „dieser schöne Lobspruch" wohl gefiel, während die Bürger der Stadt wünschten, „das die Komoedianten mit ihren Spielen für den Teüfel wären". 18

„Wie nun besagte Komoedianten es auff beyden Seiten also hatten verkerbet / und sie sahen / wie so wol Bürger als Soldaten ihnen die Köpffe zuschüttelten / und mit den Feüsten draüeten / brachten sie den dritten Auffzug und zwahr auff nachfolgende Ahrt: Wie der König abermahl nebenst dem Printzen und seinen fürnehmsten Herren / auff dem Theatro oder Schaubühne sich befand / kahm ein Edelman / und gab ihrer Königlichen Majestätt unterthänigst zu vernehmen / daß eine Compagnie Engelländischer Comoedianten wäre ankommen / welche / nachdem sie verstanden hätten / daß ein hochansehnliches Beylager hieselbst solte gehalten werden / unterthänigst behten / ob ihnen nicht müchte erlaubet sein / etliche schöne Komoedien und Tragoedien auff demselben zu spielen? Was / sagte der König / Komoedianten? Wo führe der Henker diese leichtfertige Buben her / hinweg mit dem Geschmeiß! An Komoedianten ist ja kein redliches Hahr / die rechte Gotteslästerer / die Lügener / die Huhren Jäger / die Geldaussauger / die Landläuffer sind nicht wehrt / daß sie der Erdboden sol tragen / lasset sie nur herkommen / sie sollen mir bald eine Komoedia im Zucht-Hause vom Herren Raspinus spielen / oder ein Ballett für den Drekkarren tantzen / die Gottesschändigten Buben. J a nicht allein der König / sondern auch fast alle seine Edelleüte schalten / dem Könige zu Gefallen / die arme Komoedianten für Schelm und Diebe / die man mit faulen Eyern solte zum Lande außwerffen." An dieser Stelle lachten nun beide, Bürger und Soldaten, und die Komödianten hatten „dadurch allen Neid und Wiederwillen klüglich von sich abgewendet". Dieses Beispiel empfiehlt Rist den Wandermimen zur Nachahmung, damit man mit Recht von ihnen sagen dürfe: „Sie nützen und ergetzen." Rist bezieht seine Inhaltsangabe auf eine Komödie „von einem Könige, der seinen Sohn, den Printzen, mit des Königs von Schottland Tochter wolte verheirahten". Dabei kann es sich nicht um das uns erhaltene Komödiantendrama Eine schöne lustig triumphirende Comoedia von eines Königes Sohne aus Engelland und des Königes Tochter aus Schottland43 handeln, weil dieses D r a m a inhaltlich von Rists Bericht nicht nur abweicht, sondern ihm sogar widerspricht. D a Rist aus vierzigjähriger Erinnerung aus seiner Studentenzeit berichtet — wie Litzmann aus der Angabe „welche ich in meiner Jugend von den Engelländern habe gesehen spielen" schließt — wäre es durchaus denkbar, daß eine Titelverwechselung vorliegt. Litzmann glaubt darum, der Bericht beziehe sich auf den Bestraften Brudermord, wobei man die „stark getrübten Erinnerungen" des Autors berücksichtigen müsse. Aber auch das deutsche H a m l e t - D r a m a widerspricht inhaltlich der Schilderung Rists. Eine bloße Titelvertauschung kann deshalb nicht vorliegen. Weder in der Comoedia von eines Königes Sohne aus Engelland noch im Bestraften Brudermord steht die Heirat eines Prinzen mit einer Königstochter im Vordergrund der Handlung, wie sowohl aus der Titelangabe als auch aus den drei Szenenschilderungen bei Rist zu schließen ist. Richtig ist dagegen, daß Einzelheiten des Berichtes an verschiedene Szenen des deutschen Hamlet-Dramas anklingen. 4 3 Julius Tittmann, Die Schauspiele der Englischen Komödianten in Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Band 13, Leipzig 1880, S. 197 ff.

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Deutschland, 19

Litzmann bezieht die Unterredung des Prinzen mit seinen Edelleuten über sein bevorstehendes „Beylager" bei Rist auf eine Szene im Bestraften Brudermord, in der sich Hamlet seinem Freund Horatio anvertraut (1,4). Hamlet bekennt ihm, er wisse nicht, „warum nach meines Herrn Vaters Tod ich allezeit solche Herzensangst gehabt". In dieser Szene, in der „Gesundheit geblasen" und damit Festlichkeiten im Hintergrund angedeutet werden, ist von einem „Beylager" gar keine Rede. Es heißt lediglich von Hamlets Mutter, daß sie den alten König, Hamlets Vater, „gar bald vergessen" habe; die Hodizeit der Königin mit Hamlets Onkel ist also bereits vorüber. Eine Übereinstimmung mit dem Bestraften Brudermord liegt nur insofern vor, als in beiden Texten „Trompetten geblahsen" werden. Die Einbeziehung der Musik in die dramatische Darstellung ist aber ein für die Wanderbühne besonders typischer Zug ihrer Wirksamkeit. Es wird kaum ein Drama von den Komödianten vorgeführt worden sein, in dem nicht mit diesem Mittel gearbeitet worden wäre 44 . Dabei darf man f ü r bestimmte, in vielen Dramen vorkommende Situationen eine festgelegte musikalische Untermalung annehmen; um eine solche handelt es sich bei der außerordentlich häufigen Verwendung von Trommeln und Trompeten. Litzmann wird sich zu seiner Vermutung vor allem durch den Text des englischen Hamlet haben leiten lassen. Man kann zwischen dem Bericht Rists — die „stark getrübten Erinnerungen" immer vorausgesetzt — und dem Shakespeareschen Text wohl auch eine gewisse inhaltliche Ubereinstimmung wahrnehmen. Bei Shakespeare fragt Horatio den Prinzen, nachdem "a florish of trumpets" erklungen ist: . . What does this meane my Lord? Ham. The King doth wake to night and takes his rowse. Keepes wassell and the swaggring vp-spring reeles: And as he draines his drafts of Rennish downe, The kettle drumme, and trumpet, thus bray out The triumph of his pledge. Hora. Is it a custome? Ham. I marry ist, But to my minde, though I am natiue heere And to the manner borne, it is a custome More honourd in the breach, then the obseruance . . . "

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Es ist nicht nachweisbar, daß diese Szene im deutschen Text immer gefehlt hat. Das handschriftliche Manuskript des Bestraften Brudermordes, das Reichard noch vorgelegen hat, trug die Jahreszahl 1710. Uber hundert Jahre zuvor war, wie an späterer Stelle gezeigt werden wird, der Text des KomöniantenHamlet aus dem Englischen übertragen worden. Während dieser Zeit war er mancher Veränderung und wohl auch Streichung unterworfen. Dennoch weichen die Angaben bei Rist derart stark von der Handlung des Hamlet-Dramas ab, 44 Willi Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 25. Audi bei Tittmann, a. a. O., S. LIX f.; Baesecke, a. a. O., S. 34; Kaulfuß-Diesch, a. a. O., S. 33 ff. 43 Reprints, S. 49.

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daß eine direkte Entlehnung nicht als erwiesen gelten kann; besonders deshalb nicht, weil auch die folgenden von Rist erwähnten Szenen nur sehr lose in einen Zusammenhang mit dem Bestraften Brudermord gebracht werden können. Die zweite Szene bei Rist stimmt nur insofern mit dem Bestraften Brudermord überein, als in beiden Texten „der König mit dem Printzen und seinen fürnehmsten Räten auff der Schaubühne sich befunden". Da die Beliebtheit der „Staatsszenen" in höfisch-barocker Prachtentfaltung auf der Wanderbühne außer Zweifel steht 46 , dürfte auch von dieser Angabe Rists keine direkte Verbindung zum deutschen Hamlet-Drama herzustellen sein. Litzmann sucht sie durch den Hinweis zu stützen, daß Rists besondere Erwähnung der Kleider im Bestraften Brudermord eine Parallele finde. In der siebten Szene des ersten Aktes heißt es in der Rede des Königs: „Obschon unsers Herrn Bruder», T o d noch in frisdiem Gedäditniss bey jedermann ist, und uns gebietet, alle Solennitäten einzustellen, werden wir doch anjetzo genöthiget, unsere schwarze Trauerkleider in Carmosin, Purpur und Scharladi zu verändern, weil nunmehro meines seeligen Herrn Bruders hinterbliebene Wittwe unsere liebste Gemahlin worden . .

Aber auch damit ist ein Zusammenhang zwischen beiden Texten noch nicht nachgewiesen. Abgesehen von den völlig verschiedenen inhaltlichen Entwicklungen handelt es sich bei der Kleidererwähnung ebenfalls um einen allgemeinen Zug der Komödiantenbühne, die mit dem Prunk einer übertriebenen Kostümierung nicht sparte, vor allem, weil die Kostüme während der Wanderzüge leicht zu transportieren waren und manches fehlende Requisit durch abwechselungsreiche Verkleidungen ausgeglichen werden konnte 47 . Es ist durchaus denkbar, daß — wie Rist es bestätigt — die Mimen zuweilen auf diesen einen ihrer besonderen Vorzüge, durch die sich ihre Kunst kennzeichnete, nicht ohne Stolz hinwiesen. Unter diesen Voraussetzungen könnte man die Theorie eines direkten Bezuges, wie Litzmann sie aufstellt, nur unter Hinweis wörtlicher Anklänge stützen. Das ist in diesem Fall nicht möglich. Auch die dritte Szene bei Rist stimmt inhaltlich mit dem Bestraften Brudermord nicht überein. Ein Zusammenhang ist lediglich durch das in beiden Texten erwähnte „ S p i e l im S p i e l " gegeben; diese Technik ist wiederum nicht nur dem deutschen Hamlet-Drama eigen. Das Theater der Barockzeit versucht an keiner Stelle, seinen Spielcharakter und die auf das Agieren gerichtete Gesamtwirkung zu verleugnen, die durch das „Spiel im Spiel" eine Betonung und Steigerung erfuhren. Die Schmährede auf die Schauspieler bei Rist, die Litzmann mit der siebten Szene des zweiten Aktes im deutschen Hamlet-Drama in Verbindung bringt, kehrt die Worte aus dem Bestraften Brudermord in ihr G e g e n t e i l . Hamlet l o b t die Schauspieler, weil sie der Welt den „Spiegel" vorhalten; der König bei Rist r ü g t mit harten Worten ihre Verkommenheit. Flemming, a. a. O., S. 25. Flemming, a. a. O., S. 4 1 ; Julius Tittmann, Schauspiele aus dem 16. Jahrhundert, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Band 3, 2. Teil, Leipzig 1868, S. X X ; KaulfußDiesdi, a. a. O., S. 106 ff. 46

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Alle diese Abweichungen können nicht allein der mangelnden Erinnerungsfähigkeit Rists zugeschoben werden. Die Behauptung Litzmanns, sdion die englischen Komödianten und nicht erst die deutschen Wandertruppen hätten ihre Texte „roh und unkünstlerisch" behandelt, ist sicher richtig; sie dadurch zu stützen, daß der Text aus Rists Rundgespräch sich auf den Bestraften Brudermord beziehen müsse, wird aber nicht möglich sein. Rists Worte müssen eindeutig dahingehend interpretiert werden, daß zumindest die dritte von ihm geschilderte Szene ex tempore vorgetragen wurde („Wie nun besagte Komoed i a n t e n . . . sahen, wie so wol Bürger als Soldaten i h n e n . . . mit den Feüsten draüeten, brachten sie den dritten Auffzug und zwahr auff nachfolgende A h r t . . . " ) . Zur Umwandlung des Hamlet-Dramas in ein Hochzeitsspiel bedarf es, wenn man sie überhaupt für möglich halten will 48 , einer geistigen Wendigkeit, die den Komödianten selbst bei weitgehender Anerkennung ihrer Verdienste und Fähigkeiten nicht zugesprochen werden kann, solange keine Belege dafür zu erbringen sind. Die Dramen der Komödianten waren kein rohes Gerippe, das je nach Bedarf mit einem verschiedenen Sinngehalt erfüllt werden konnte 49 . Alles, was der Auflockerung eines Komödiantendramas diente — Musik, Tanz, Vor- und Nachspiele — konnte das Drama als solches nicht berühren. Es blieben E i n l a g e n , auch wenn sie direkt im Anschluß an einen bestimmten Satz der Haupthandlung vorgetragen wurden. Auch haben die Komödianten ihren Spielen oder bestimmten Szenen ihrer Spiele einen Symb'olgehalt sicher nur in den allerwenigsten Fällen zugeschrieben. Die Art der Darstellung bei Rist läßt vielmehr darauf schließen, daß er sich nicht direkt auf ein bestimmtes Drama stützt, sondern zur Entwicklung seines Gedankenganges Bruchstücke verschiedener Dramen, deren er als Theaterliebhaber eine Menge kannte, oder besser: allgemein auf der Komödiantenbühne bekannte und beliebte Darstellungsmittel zu einem bestimmten Zweck zusammenstellte. Das geht schon aus der Anlage und der Durchführung seines Themas hervor. Nicht ein bestimmtes Drama ist der Ausgangspunkt seines Berichtes, sondern eine These steht voran, die er mit einem Beispiel belegen möchte. Die ausführlichen Einzelheiten, die Rist zur Illustrierung seiner drei Szenen anführt, sind als aus48 D a ß der Prinz in den Hamlet-Bearbeitungen Heufelds und Schröders überlebt (v. Weilen, a. a. O., S. 11 ff., 22 ff.), ist „nicht eine bloße Konzession für das wehleidige deutsche Publikum, es ist die Konsequenz der Idee, die man einmal in das Stüde hineingelegt" hatte (S. 36). Solche Voraussetzungen sind bei den Englischen Komödianten nicht gegeben. 49 Hierin widerspreche ich v. Weilen (a. a. O., S. 1), der ausführt: „In vielen Szenen erscheint dieser ,Hamlet' nur wie das Gerippe eines Dramas, das durch gewisse Einschübe, die auch Rist erwähnt, etwas Fleisch angesetzt erhielt." Audi Winds (a. a. O., S. 11 ff., 22) vermag die These Litzmanns nicht zu stützen, wenn er anführt, die Komödianten könnten „im Besitze eines Soufflierbuches, und dürfte das Stegreifspiel in Übung gewesen sein. Einzelne Szenen, der Grundplan des Stückes, Pointen des Dialogs waren wohl im Gedächtnis der Schauspieler haften geblieben, alles andere wurde den Umständen und den Anforderungen der Zeit gemäß ergänzt, willkürlich umgeändert . . . " (S. 13 f.). Gerade der Grundplan des Stückes jedoch widerspricht der Shakespearesdien Hamlet-Tragödie.

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schmückende, aber durchaus überflüssige Bestandteile seiner Rede leidit erkennbar; nicht umsonst hat ihm die Freude am Erzählen den Ruf der Eitelkeit und der Geschwätzigkeit eingetragen. Wenn der Autor sich genau daran erinnert, weldie Stoffe und Schmuckstücke zur bevorstehenden Hochzeit des Prinzen eingekauft werden sollen, wäre es unnatürlich, wenn ihn sein Gedächtnis bezüglich des Titels eines Dramas verlassen haben sollte. Vielmehr ist auch der Titel, den er selbst angibt, ganz auf den Inhalt der nachfolgend geschilderten Szenen eines uns unbekannten Dramas bezogen. Es liegt darum die Annahme sehr nahe, daß dieses Drama nie bestanden hat, sondern seine Existenz einer gedanklichen Konstruktion Rists verdankt. Da er nur sehr vage inhaltliche Zusammenhänge aussagt, die an mehrere Komödiantendramen anklingen, vermochte er geschickt den Eindruck zu erwecken, als handele es sich um ein Drama, das tatsächlich bestanden und erfolgreiche Aufführungen erlebt hat 50 . Litzmanns Hypothese kann auch in der Bestimmung des Aufführungsortes und des Aufführungsjahres der von ihm angenommenen Vorstellung des Bestraften Brudermordes keine Überzeugungskraft gewinnen. Allein aus der Tatsache, daß im Jahre 1625 der Dänenkönig Christian mit seinen Truppen in Hamburg lagerte, schließt Litzmann, daß Spannungen zwischen den Hamburger Bürgern und den Dänen aufgetreten sein mögen, die ihren Niederschlag auf der Bühne fanden. Es sei anzunehmen, daß dänische Offiziere und Mannschaften die Stadt Hamburg besucht und dort Theateraufführungen beigewohnt hätten 51 . Der Inhalt des Bestraften Brudermordes sei den Komödianten zum Ausdruck der feindseligen Haltung gegenüber den Dänen entgegengekommen, weil er leidit durch Textstellen voller Haß und Spott auf den Dänenkönig hätte erweitert werden können. Das Jahr 1625 ist aus Rists Bericht selbst nicht zu erschließen; Hamburg als Aufführungsort wird nie genannt. Diese Angaben hat Litzmann an den Text herangetragen. Auf diesem Wege ließen sich leicht noch andere Interpretationsmöglichkeiten erschließen52. Aber selbst, wenn sich Rist wirklich auf den Bestraften Brudermord bezöge, was nach den vorausgegangenen Untersuchungen bezweifelt werden darf, ist nicht erwiesen, daß er dieses Drama in Hamburg gesehen hat. Zwar ist Rist Norddeutscher, aber er berichtet aus seiner Jugendzeit. Ohne Zweifel ist er als Student viel gereist und hat sich in vielen deutschen Städten aufgehalten. Die Bestimmung Hamburgs als Aufführungsort ist also durchaus nicht zuverlässig53. 5 0 Eine solche Konstruktion darf Rist ohne weiteres zugetraut werden, da er selbst Dramen für die Komödiantenbiihne geschrieben hat. 5 1 E. Herz, Englische Schauspieler und englisches Schauspiel zur Zeit Shakespeares in Deutschland, Theatergeschichtliche Forschungen, Band 18, Hamburg/Leipzig 1903, kann Aufführungen durch englische Komödianten in Hamburg für das Jahr 1625 nicht nachweisen. 5 2 Das Verweilen fremder Truppen in einer deutschen Stadt bedeutete zur Zeit des 30jährigen Krieges kein außergewöhnliches Ereignis. 5 3 Darf man Rists Bericht Glauben schenken, scheiden die Orte Venedig, Amsterdam, Genua, Augsburg, Leipzig und Frankfurt als Aufführungsorte aus; sie werden als die „weit abgelegenen öhrter" bezeichnet, während die ungenannte Stadt „gleidisahm für der Tühre" liege.

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Ferner sei noch darauf hingewiesen, daß Rist von einer Comoedia spricht. Die Unterscheidung von Komödien und Tragödien ist auf der Wanderbühne zuweilen schwierig. Der Bestrafte Brudermord, dürfte jedoch wohl kaum jemals als „Komödie" bezeichnet worden sein. Der Tod des Helden am Schluß des Dramas sicherte das Spiel trotz der lustspielartigen Durchsetzung und der possenhaften Auffassung ausreichend als Tragödie 54 . Den Bestraften Brudermord oder die Tragoedia von Hamlet einen printzen in Dennemarck, wie der Titel des Dramas im Jahre 1626 in Dresden belegt ist, hätte Rist — das sei noch angemerkt — sicherlich wieder in das Gedächtnis zurückrufen können, wenn die von Litzmann vermuteten Umstände tatsächlich zugrunde lägen. Eine Aufführung, deren Handlung in Dänemark spielt und an deren Einzelheiten sich der Berichterstatter noch genau zu erinnern vermag, müßte in den wesentlichsten Punkten mit dem uns bekannten Original des Dramas übereinstimmen. Nichts von dem kann Litzmanns Hypothese klären. *

Es darf zusammenfassend festgestellt werden, daß die bei Rist erhaltenen Aufzeichnungen über eine Schauspielaufführung englischer Komödianten nicht unbedingt oder ausschließlich auf den Bestraften Brudermord bezogen werden können. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß der Autor von einem Drama berichtet, das er sich selbst erdacht hat, um an einem Musterbeispiel eine bestimmte Theorie entwickeln zu können. Sollte tatsächlich ein Komödiantendrama zugrunde liegen, so handelt es sich um eines der vielen, uns nicht überlieferten Spiele der Komödiantenbühne. Nimmt man dennoch an, daß Rists Angaben derart entstellt sind, daß sie auf das Hamlet-Drama Bezug nehmen, muß man gleichzeitig einräumen, daß in diesem Falle auch noch andere Komödiantendramen als Ausgangspunkt in Betracht kommen könnten. Für das Aufführungsjahr und den Aufführungsort des bei Rist erwähnten Dramas gibt es keinerlei Beweise, die mit einiger Sicherheit anzuführen wären. 3. 1626 in Dresden Das älteste sichere Zeugnis über eine Aufführung des Bestraften Brudermordes in Deutschland ist uns aus dem Jahre 1626 in D r e s d e n erhalten. Unter den am dortigen kurfürstlichen Hof durch Englische Komödianten dargebotenen Dramen befand sich eine Hamlet-Tragödie. Folgende Aufzeichnung ist darüber erhalten: „Junius 24. Dresten. Ist eine Tragoedia von Hamlet einen printzen in Dennemarck gespielt worden."®"

Es darf als so gut wie sicher angenommen werden, daß es sich bei dieser Dresdener Aufführung um das gleiche Spiel handelt, das uns im Bestraften 54 „Die Tragik sieht man . . . (auf der 'Wanderbühne) . . . nur in den traurigen und furchtbaren Zufällen des Lebens." Baesecke, a. a. O., S. 104. 55 Cohn, a. a. O., S. CXV.

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Brudermord erhalten ist. Diese Annahme, die bisher nahezu unbestritten56 allen Untersuchungen über den Bestraften Brudermord zugrunde gelegt wurde, darf deshalb als sehr wahrscheinlich bezeichnet werden, weil sich eine direkte Verbindung zwischen Shakespeares Hamlet und dem erhaltenen Text aufzeigen läßt, die an späterer Stelle nachgewiesen werden soll. Anderenfalls wäre es theoretisch möglich, die Identität des Dramas in Dresden und des Bestraften Brudermordes zu leugnen, um dafür zwei verschiedene, voneinander unabhängige Texte anzusetzen. Das ist nicht nötig, wenn sich der Bestrafte Brudermord als Übertragung aus dem Original Shakespeares erweist, die unter dem Einfluß deutscher Wandertruppen Veränderungen erfahren hat. Auf diese Weise ist eine Kontinuität in der Entwicklung des deutschen Hamlet-Dramas ersichtlich, in die sich die Dresdener Aufführung folgerichtig einreihen läßt. Die Differenz der Titel ergibt sich aus dem Bedürfnis der Wandermimen, gleiche Dramen zuweilen unter anderem Titel anzukündigen, um ihnen den Reiz der Neuheit zu verleihen57. Im Jahre 1626 ist noch der Titel des Shakespearesdien Dramas erhalten, der dann später — vielleicht zu der Zeit, als deutsche Komödianten die Tragödie übernahmen58 — nur noch als Untertitel Verwendung fand 59 . In diesem Zusammenhang erscheint es notwendig, darauf hinzuweisen, daß in der Liste der in Dresden vom 1. Juli bis zum 4. Dezember 1626 aufgeführten Komödiantendramen außer dem Hamlet noch weitere Titel Shakespearescher Dramen erscheinen (Romeo vnd Julietta, Julio Cesare, Lear). 4. 1626 bis 1628 in Frankfurt Zu Ostern des Jahres 1626 zogen, wie Mentzel in ihrer Geschichte des Frankfurter Theaterlebens berichtet, Komödianten in die Stadt am Main 60 . Aus einer erhaltenen Petition geht hervor, daß sie direkt aus England kamen und ihre Reise in Köln zu einem vierzehntägigen Gastspiel unterbrochen hatten 61 . Führer dieser Truppe war John Green. Von Frankfurt zogen die Spieler nach Dresden weiter. Mentzel vermutet, daß sie mit den Komödianten identisch sind, die am 5 8 Cohn, a. a. O., S. C X X , hält den überlieferten T e x t des Bestraften Brudermordes allerdings nur für eine schwache Version eines deutschen Hamlet-Dramas, das 1626 noch gespielt worden sein soll. 5 7 Flemming, a. a. O., S. 12. Vergl. auch Willi Flemming, Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1956, S. 349. C 8 Vergl. Baesecke, a. a. O., S. 123. 5 9 Der Titel des Quarto 1-Textes lautet: The Tragicall Historie of Hamlet Prince of Denmarke. Der Bestrafte Brudermord trägt den Untertitel: „ . . . oder Prinz Hamlet auß Dännemark." 6 0 Elisabeth Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt am Main, Frankfurt 1882, S. 62 ff. 6 1 Angaben dieser Art in Petitionen der Komödianten sollten grundsätzlich nicht bezweifelt werden. Dennodi muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die Bittsteller zuweilen unrichtige oder nur bedingt richtige Angaben machten, um sich bei den Stadtvätern in ein günstiges Licht zu setzen. Ein Hinweis darauf z. B., daß sie direkt aus England kämen, ließ vermuten, daß sie in der Heimat ihr Repertoire erweitert hatten und in der Lage waren, neue Spiele darzubieten.

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Hof zu Dresden vom 1. Juni bis zum 4. Dezember auftraten und dort am 24. Juni das Hamlet-Drama darboten. Aus diesen Zusammenhängen zieht Mentzel den Schluß, daß das deutsche Hamlet-Drama auch schon in Frankfurt gespielt worden sei, da es zum Repertoire der Truppe gehört habe. Daß es sich bei den Dresdener Spielern um Greens Truppe handelt, ist aber nicht erwiesen. Wir wissen noch immer zu wenig über die Zahl der Wandertruppen, die in Deutschland umherzogen, um aus den wenigen erhaltenen Zeugnissen gültige allgemeine Aussagen ablesen oder gar zufällig bekannte Einzelheiten untereinander in Verbindung bringen zu können. Zwischen dem Auftreten Greens in Frankfurt um Ostern 1626 — der Ostersonntag fiel auf den 19. April — und dem Beginn der Dresdener Aufführungen am 1. Juni liegen sechs Wochen, während derer wir über Green nichts erfahren. Es ist möglich, daß die in Dresden erwähnten „Engeilender" unter Greens Führung standen; es ist ebenso möglich, daß dort eine Truppe gastierte, die unabhängig von Green arbeitete62. Eine Darbietung des Hamlet-Dramas in Frankfurt kann deshalb auf diesem Wege nicht nachgewiesen werden. Ebensowenig wissen wir, ob es sich bei den „Chursächsisch bestallten Hofkomödianten", die zur Herbstmesse des Jahres 1627 in Frankfurt auftraten und mit Unterbrechungen und mehrfach veränderten Namen bis zum 28. August 1628 dort spielten, gleichfalls um Greens Truppe handelt63. Mentzel erschließt hier Beziehungen, deren Gültigkeit unbewiesen bleiben64. Am 28. August 1628 soll das Frankfurter Publikum noch einmal den Hamlet gesehen haben. An diesem Tage gaben die Engländer eine Abschiedsvorstellung, „da sie von hieraus ihren Weg sofort nach der Heimath zurück lenken wollten. Aber ehe sie auf immer von Frankfurt, dem langjährigen Ziel ihrer erfolgreichen Thätigkeit schieden, wollten sie zu guter letzt noch ,etzlich neue denkwürdige 8 2 Frederick Gard Fleay, A Chronical History of the Life and Work of William Shakespeare, London 1886, S. 307 ff., nimmt an, daß die englische „Company of the Revels" in Dresden gastierte, da sie wegen der Pest in London (1625) auf Reisen gehen rrhißte. E r stützt seine Hypothese auf die Tatsache, daß unter den in Dresden aufgetretenen Komödianten drei die Vornamen R o b e r t , T h o m a s und J o h n trugen, die er den englischen Spielern L e e , B a s s e und C u m b e r zuordnet. Diese drei, so behauptet Fleay, seien die einzigen englischen Schauspieler mit den oben genannten Vornamen, die uns aus der Zeit des beginnenden 17. Jahrhunderts bekannt seien. Inzwischen wissen wir, daß es weit mehr Spieler mit diesen Vornamen gab (Robert Browne, Thomas Sackeville, John Green, Johann Bradstreat, u. a.). Ist Fleays Argumentation also nicht beweiskräftig, so darf man seine Ausführungen aber dennoch als wichtigen Hinweis darauf heranziehen, daß es außer den urkundlich erfaßten sicher noch andere wandernde Komödiantentruppen gab. Die meisten Darstellungen über die Truppen der Englischen Komödianten (Flemming, a. a. O., S. 346; Kaulfuß-Diesdi, a. a. O., S. 33ff.; Stahl, a. a. O., S. 27ff. u. a.) lassen wenig Spielraum für diese Möglichkeit. Noch immer sind erst ganz wenige Städte nach Quellenmaterial durchforscht worden (Flemming, a. a. O., S. 346); es ist darum nicht möglich, die Gesellschaften der Englischen Komödianten im 17. Jahrhundert in Deutschland auf nur wenige „Stammtruppen" — Browne, Spencer, Joliphus — zurückzuführen.

Mentzel, a. a. O., S. 63 f. „Nur in ganz wenigen Fällen und für kurze Zeiträume lassen sich wirklich die Wege einer Truppe festlegen." Flemming, a. a. O., S. 346. 63

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Comödien und Tragödien agieren', deren Eindruck ihnen ein ewiges Gedächtniss im Herzen ihrer hiesigen Anhänger sichern sollte. Wer aber war denn der dramatische Dichter," fragt Mentzel, „mit dessen Beistand sie sich eine irdische Unsterblichkeit in der Erinnerung ihrer Frankfurter Zuschauer erwerben wollten? Kein anderer kann es gewesen sein als Shakespeare."65 Diese Folgerung ist aus dem Blickpunkt einer Zeit heraus gezogen worden, in der Shakespeare als der große Dramatiker der Engländer begeistert verehrt wurde. Im beginnenden 17. Jahrhundert war er aber, auf jeden Fall in Deutschland, völlig unbekannt. Die entstellten Versionen seiner Meisterwerke, die durch die Wandertruppen im Lande bekannt wurden, verschwiegen seinen Namen. Es besteht keinesfalls die Notwendigkeit, daß es ein Werk Shakespeares gewesen sein muß, dessen Eindruck „ein ewiges Gedächtniss" sichern sollte. Zudem wird der Hamlet nicht zu den „neuen" Dramen gezählt haben dürfen, wenn er bereits 1626 in Dresden und — wie Mentzel selbst folgerte — im gleichen Jahr schon in Frankfurt aufgeführt worden ist. Das Fehlen zeitgenössischer Zeugnisse über Hamlet-Aufführungen läßt nicht vermuten, daß dieses Drama damals unbedingt als ein „gewaltiges, für die darstellende Kunst insbesondere so hoch bedeutsames Werk" angesehen wurde66. Mentzel stützt sich bei ihren Folgerungen vornehmlich auf eine Abhandlung Uhlichs, der von einem „leider verlorenen Anschlagzettel" berichtet, „auf welchem englische Komödianten ungefähr 1628 oder 1630 in Frankfurt als Abschiedsspiel eine in hochdeutscher Sprache gegebene Vorstellung des Hamlet ohne Angabe des Verfassers angezeigt haben sollen" 67 . Diese Mitteilung wird an keiner anderen Stelle bestätigt. Theaterzettel wurden zwar um diese Zeit schon vereinzelt verwandt68, jedoch hat Uhlich den von ihm beschriebenen Zettel nie gesehen; er hat seine Nachricht lediglich vom Hörensagen. Die Verbindung dieser Mitteilung mit der belegten „Abschiedsvorstellung" durch englische Komödianten am 28. August 1628 in Frankfurt liegt zwar nahe, verliert aber viel von ihrer Bedeutung, wenn man sich daran erinnert, welch eine Fülle von „Abschiedsvorstellungen" — in der Attraktion etwa vergleichbar einer glanzvollen Abschiedsvorstellung eines Zirkus in unseren Tagen — eine Stadt wie Frankfurt erlebt haben muß, in der die Komödianten ein und aus gingen. Green gehörte ursprünglich der Truppe Brownes an und übernahm nach dessen Tod die Leitung der in ihr zusammengeschlossenen Komödianten69. Browne ist mehrfach in den Jahren nach 1602, dem Erscheinungsjahr der Shakespeareschen Hamlet-Tragödie in der Quarto 1-Ausgabe, in Frankfurt aufgetreten70; unter den Dramen, die er zur Aufführung brachte, könnte sich schon Mentzel, a. a. O., S. 64 f. Mentzel, a. a. O., S. 65. 6 7 Mentzel, ebenda. 6 8 Willi Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 9; Tittmann, a . a . O . , S. X X I . Die wenigen aus früher Zeit erhaltenen Theaterzettel sind undatiert. 6 9 Kaulfuß-Diesdi, a. a. O., S. 35 f. 7 0 Mentzel, a. a. O., S. 52 ff. 65

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damals die Hamlet-Tragödie befunden haben. Derartige Überlegungen sind jedoch, ebenso wie die Mentzels, rein konstruktiver Art und bleiben darum völlig ungewiß. *

Aufführungen des Bestraften Brudermordes sind für F r a n k f u r t in den Jahren 1626 bis 1628 nicht hinlänglich beglaubigt. Die von Mentzel erwähnte Greensche Truppe weilte vor ihrem Auftreten im Jahre 1626 zu einem Gastspiel in Köln. Enthielt Greens Repertoire tatsächlich den deutschen Hamlet, könnte auch schon in K ö l n der Bestrafte Brudermord aufgeführt worden sein 71 . Eine Anerkennung der These Mentzels und ihre konsequente Anwendung würde bedeuten, zuzugestehen, daß die Truppe, die sich im Besitz des HamletTextes befand, dieses Drama in allen Orten spielte, in denen sie auftrat 7 2 . Das ist nicht nachweisbar; es läßt sich noch nicht einmal ernsthaft vermuten. 5. Aufführungen durch deutsche Komödianten Die sicheren Zeugnisse einer Aufführung des Bestraften Brudermordes durdi englische Komödianten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind auf die Dresdener Darbietung am 24. Juni 1626 beschränkt. Da Reichard den ersten Druck der deutschen Tragödie anhand eines Manuskriptes vornahm, das aus dem Nachlaß eines deutschen Schauspielers stammte, dürfen wir vermuten, daß der Komödianten-Hamlet im Laufe des Jahrhunderts in die Hände inzwischen entstandener deutscher Truppen übergegangen ist. Wahrscheinlich geschah das um die Mitte des Jahrhunderts, als sich die englischen Schauspieler langsam aus Deutschland zurückzogen und die „hochteutsdien Comödianten" ihre Tradition fortsetzten 73 . Diese Vermutung wird aus dem Text heraus bestätigt. Die siebte Szene des zweiten Aktes ist häufig zum Anlaß genommen worden, Näheres über das Schicksal des deutschen Hamlet-Textes in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu erfahren. Die Ankunft der Schauspieler am dänischen Königshof wird folgendermaßen beschrieben: Z W E Y T E R ACT, SCENE VII. COMÖDIANTEN. PRINCIPAL CARJL CARL. Ihro Hoheiten wollen die Götter allezeit mit Seegen, Glück und Gesundheit beschenken. HAMLET. Ich dank euch, mein Freund, was verlanget ihr? CARL. Ihro Hoheiten wollen uns in Gnaden verzeihen, wir sind fremde hochteutsche Comödianten, und hätten es gewünscht, das Glück zu 7 1 Nach seinen Ausführungen zu schließen, hält Albert Cohn (Englische Komödianten in Köln H92—1656, Shakespeare-Jahrbuch 21, Weimar 1886, S. 265) diese Möglichkeit nicht für ausgeschlossen. 7 2 Widmann (a.a.O., S. 15) scheint einer solchen Folgerung zuzuneigen, wenn er schreibt: „Außer in Dresden hat sie (die Truppe Greens) gewiß noch in etlichen der von ihr besuchten Städte Hamlet aufgeführt, ebenso werden noch andere englische Wandertruppen, die im 17. Jahrhundert Deutschland durchzogen, Hamlet auf ihrem Repertoire gehabt haben." 7 3 Flemming, a. a. O., S. 56ff.; Baesedte, a. a. O., S. 148 ff.

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haben, auf Ihro Majestät des Königs Beylager zu agiren, allein das Glück hat uns den Rücken, der contraire Wind aber das Gesichte zugekehret, ersuchen also an Ihro Hoheiten, ob wir nicht noch eine Historie vorstellen könnten, damit wir unsere weite Reise nicht gar umsonst möchten gethan haben. HAMLET. Seyd ihr nidit vor wenig Jahren zu Wittenberg auf der Universität gewesen, mich dünckt, ich habe euch da sehn agiren. CARL. Ja, Ihro Hoheiten, wir sind von denselben Comödianten. HAMLET. Habt ihr dieselbe Compagnie noch ganz bey euch. CARL. Wir sind zwar nicht so stark, weilen etliche Studenten in Hamburg Condition genommen, doch seynd wir zu vielen lustigen Comödien und Tragödien stark genug. HAMLET. Könnt ihr uns nun wohl diese Nacht eine Comödie präsentiren. CARL. Ja, Ihro Hoheiten, wir sind stark und exercirt genug. HAMLET. Habt ihr noch alle drey Weibspersonen bey euch, sie agirten sehr wohl? CARL. Nein, nur zwey, die eine ist mit ihrem Mann an den Sächsischen Hof geblieben.

Einen Prinzipal C a r l hat es im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts tatsächlich gegeben. Litzmann hat ihn urkundlich erschlossen und nachgewiesen, daß er für das Theaterleben in den Jahren zwischen 1670 und 1690 von einiger Bedeutung gewesen sein muß 74 . Creizenadi 75 identifiziert Carls Truppe mit der zur gleichen Zeit nachweisbaren Gesellschaft des C a r l Andreas P a u l (auch: Paulsen, Paulson), die sidi während der Ostermesse des Jahres 1665 in Frankfurt rühmte, bereits in Dänemark, Braunschweig und Lüneburg aufgetreten zu sein76. Alle Nachforschungen über das Wirken einer Carlschen oder Paulschen Wandertruppe haben jedoch keine Zeugnisse zu ermitteln vermocht, die bestätigen würden, daß der Komödianten-Hamlet sich in ihrem Besitz befand. Über Aufführungen sind keine Eintragungen erhalten; in den Repertoirelisten ist das Drama nirgends erwähnt. Darum können alle Verbindungen, die zwischen dem Text des Bestraften Brudermordes und einer bestimmten deutschen Komödiantengesellschaft hergestellt werden» nur hypothetischen Charakter tragen. Ob es sich bei der Truppe Carls, der Truppe Pauls und den „Hamburgischen Comödianten", als deren Prinzipal Creizenadi ebenfalls Carl Andreas Paul bestimmt hat 77 , jeweils um die gleiche Theatergesellschaft unter verschiedenen Bezeichnungen handelt, ist nicht erwiesen. Die unbedingte Sicherheit, mit der Bolte 78 die Truppen identifiziert, ist nicht genügend fundiert. Die Möglichkeit, daß es sich, um drei v e r s c h i e d e n e Wandergesellschaften handelt, die unabhängig voneinander arbeiteten, muß bei dem gegenwärtigen Stand der Forschung noch immer eingeräumt werden. 74 Berthold Litzmann, Die Entstehungszeit des ersten deutschen Hamlet, Zeitschrift für Vergleichende Literaturgeschichte und Renaissance-Litteratur, Neue Folge, Band 1, H e f t 1, Berlin 1887, S. 6 ff. 75 Wilhelm Creizenadi, Die Schauspiele der englischen Komödianten, Deutsche National-Litteratur, Band 23, Bandausgabe 118, Berlin/Stuttgart (1889), S. 143 ff. 76 Mentzel, a. a. O., S. 92. 77 Creizenadi, a. a. O., S. 144. 78 Bolte, a. a. O., S. 96, Anm. 1.

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In einer im Jahre 1775 veröffentlichten Chronologie des deutschen Theaters 79 wird von einem Karl Paul berichtet, der im Jahre 1628 als Führer junger Studentenspieler durch Deutschland zog, um die „Wust der Meistersänger" durch übersetzte Dramen aus dem Ausland zu verdrängen. Litzmann bezeichnet dieses Werk als unzuverlässig, jedoch darf dieser Hinweis nicht übergangen werden, da er vor allzu sicheren Verknüpfungen des Textes des Bestraften Brudermordes mit dem späteren Carl Andreas Paul ausdrücklich warnt. Schließlich könnte die Erwähnung eines Prinzipal Carl im KomödiantenHamlet auch nur willkürlich erfolgt sein; der Name „Carl" ist zu geläufig* um auf einen bestimmten Komödiantenführer bezogen zu werden 80 . Übereinstimmende Einzelheiten zwischen dem Text der Schauspielerszene im Bestraften Brudermord und Vorgängen innerhalb deutscher Komödiantentruppen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wie sie im folgenden näher ausgeführt werden sollen, können sich zufällig ergeben haben, zumal sie alltägliche und in keiner Weise außergewöhnliche Ereignisse beinhalten. Nimmt man an, daß in der Schauspielerszene allgemein für die Wanderbühne gültige Züge zusammengetragen wurden, um dem Auftreten der Mimen im Spiel ein möglichst lebendiges und überzeugendes Aussehen zu verleihen, entfallen die Einwände, die sich gegen eine Interpretation der Szene erheben, die das Drama als Spiegel bestimmter Vorgänge betrachtet. Zu diesen Einwänden gehört die Frage, warum die angenommenen Ubereinstimmungen zwischen dem Text und tatsächlichen Ereignissen innerhalb der Carlschen Truppe in einer Abschrift des Bestraften Brudermordes erhalten sind, die mindestens zwanzig Jahre nach dem Auftreten dieser Truppe angefertigt wurde (1710). Man sollte vermuten, daß gerade die Schauspielerszene jeweils dem Ort und der Zeit entsprechend Veränderungen unterworfen gewesen sein müßte, will man nicht annehmen, der Bestrafte Brudermord sei zuletzt von der Carlschen Truppe aufgeführt worden und dann in Vergessenheit geraten. In diesem Falle bliebe die Anfertigung einer Abschrift im Jahre 1710 unerklärt. Aus der Schauspielerszene ist mit Sicherheit lediglich abzulesen, daß sie durch deutsche Komödianten gegenüber ihrer ursprünglichen Form unter den englischen Spielern Abwandlungen erfahren hat, die allein aus der Situation der deutschen Wanderbühne verständlich werden. Am augenscheinlichsten zeigt sich dieser Einfluß darin, daß keine englischen, sondern „hochteutsche Comödianten" auftreten; als solche werden sie von Carl ausdrücklich vorgestellt (II, 7). a) 1669 in Danzig Bolte berichtet über das Auftreten der Paulschen Truppe im Jahre 1669 in D a n z i g 8 1 . Uber acht der dort gespielten Dramen sind Aufzeichnungen des Danziger Ratsherrn Georg Schröder erhalten; der Bestrafte Brudermord findet Litzmann, a. a. O. W a r u m sollte übrigens der Führer einer bestimmten Truppe seinen eigenen Namen einer Dramengestalt geben, die an keiner Stelle namentlich angeredet wird? 8 1 Bolte, a. a. O., S. 95 ff. 79

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sich nicht unter ihnen. Dennoch glaubt Bolte, daß die Tragödie „mit mehr oder minder Sicherheit" zum Repertoire Pauls gehört habe, da „der Principal Carl selber auftritt und dem Prinzen von seinen Wanderzügen nach Hamburg, Dresden und Wittenberg erzählt" 82 . Obwohl Bolte an keiner Stelle direkt die Behauptung vertritt, der Bestrafte Brudermord sei in Danzig zur Aufführung gelangt, ist seinen Ausführungen aber doch zu entnehmen, daß er diese Möglichkeit für nicht ausgeschlossen hält. Die angebliche Selbstcharakteristik Pauls in der Schauspielerszene reicht allerdings nicht aus, den Komödianten-Hamlet als Repertoirestück Pauls zu bestimmen. Selbst wenn er als solches angesprochen werden könnte, wäre damit noch immer kein Beweis für Aufführungen in bestimmten Städten erbracht. Daß der Bestrafte Brudermord im Jahre 1669 in Danzig gespielt worden sei, ist darum nicht zu belegen. b) 1686 in Frankfurt Mentzel vertritt die Ansicht, daß unter Pauls Schwiegersohn Velthen im Jahre 1686 der Bestrafte Brudermord in F r a n k f u r t aufgeführt worden sei83. Sie stützt sich dabei hauptsächlich auf die Aussagen eines „eifrigen Sammlers", der einen Theaterzettel in Besitz gehabt haben soll, auf dem die „Kurfürstlich sächsischen Hofkomödianten" eine solche Veranstaltung angekündigt hätten. „Der Beschreiber dieser gedruckten Ankündigungen, die leider nach dem Tode jenes Sammlers spurlos verschwunden sind84, ist sicher von seinem auch in anderen Dingen ausgezeichneten Gedäjditnis in keiner Weise getäuscht worden." Diese Behauptung glaubt Mentzel aufstellen zu dürfen, weil der Bestrafte Brudermord von „der größtenteils aus Studenten bestehenden Velthen'schen Truppe schon bald nach deren Gründung in Dresden gegeben und später auf ihren weiteren Wanderzügen durch das Reich auch in süddeutschen Städten aufgeführt worden" sei85. Dafür gibt es keinerlei Beweise86. Als einzigen Nachweis für ihre Behauptung stützt sich Mentzel, außer auf den nicht hinlänglich beglaubigten verlorenen Theaterzettel, wiederum auf die Schauspielerszene, die jetzt allerdings nicht mehr Pauls Erleben spiegeln, sondern „genau mit der Einrichtung der Bühne zu Velthen's Zeit" übereinstimmen soll. Bolte, a. a. O., S. 121. Mentzel, a . a . O . , S. 120ff. 8 4 Audi die angenommene Hamlet-Aufführung im Jahre 1628 in Frankfurt stützt Mentzel unter Hinweis auf einen verlorengegangenen Theaterzettel (a. a. O., S. 65). (Anm. d. Verf.). 8 5 Mentzel, a. a. O., S. 121. Auf diese unsichere Angabe scheint sich F. W. Schulze (Hamlet, Geschichtssubstanzen zwischen Rohstoff und Endform des Gedichts, Halle 1956, S. 45) zu stützen, wenn er schreibt: „Um 1665 wurde die dänische Tragoedia von der Veltheim-Truppe gespielt." 8 6 v. Weilen (a. a. O., S. 6) vermag ebenso keine Belege für seine kühne Behauptung beizubringen, daß „der Hamlet-Stoff . . . vereinzelt Bearbeitung auf der Bühne der Jesuiten, treu nach Saxo Grammaticus", fand. Vermutlich liegt hier eine Verwechselung mit dem Opernlibretto des A p o s t o l o Z e n o vor. Vergl. Widmann, a. a. O., S. 22 ff. 82

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Nachforschungen von Mentzel haben ergeben, daß erst unter Velthen die Bezeichnung „Principal" aufgekommen ist. Vor seiner Zeit hießen die Anführer der Truppe „Meister", hier und da schon „Directores" oder einfach „Führer". Audi dieser Hinweis reicht aber nicht aus, eine Aufführung durch Velthen zu rechtfertigen; Velthen führte zwar die neue Bezeichnung ein, sie blieb aber keineswegs auf seine Truppe beschränkt. Mentzels Hinweis bestätigt vielmehr, daß der „Principal Carl" des deutschen Hamlet-Textes nicht mit dem historischen Carl identisch sein kann, da zu dessen Zeit das Wort „Principal" für den Führer einer Truppe noch gar nicht gebräuchlich war 8 7 . In Erweiterung der These Mentzels glaubt auch Heine 8 8 , daß Velthens Truppe den Bestraften Brudermord im Jahre 1686 in verschiedenen Orten aufgeführt habe. Er stützt sich vornehmlich auf Hamlets Frage: „Habt ihr nodi alle drey Weibspersonen bey euch, sie agirten sehr wohl?" (11,7). Im Jahre 1686 soll Velthen drei Schauspielerinnen in seine Gesellschaft aufgenommen haben. D a Velthen öfter durch coupletartige Bemerkungen von der Bühne herab auf Neuerungen innerhalb seiner Truppe aufmerksam gemacht haben soll, schließt Heine, die Redaktion des uns überlieferten Textes des Bestraften Brudermordes stamme aus dem Jahre 1686. Eine Sensation, noch nicht einmal eine auffallende Neuerung, kann das Auftreten von Frauen im Jahre 1686 nicht gewesen sein, da Joris Joliphus schon im Jahre 1654 in einer Petition verkündet, er habe „rechte Weibsbilder" in seiner Truppe 8 9 . Daß Velthen auf drei neue Spielerinnen in seinem Ensemble aufmerksam gemacht haben könnte, wäre durchaus denkbar. Allerdings bleibt die Frage, warum diese „Neuerung" dann in das Manuskript aufgenommen worden ist und in ihm fünfundzwanzig Jahre lang unverändert erhalten blieb, da sie doch schon einige Wochen oder Monate danach veraltet gewesen sein müßte. Die These, daß der Bestrafte Brudermord von Velthen aufgeführt worden sei, läßt sich mit diesen Argumenten nicht stützen 90 . Velthen, der als einer der einflußreichsten deutschen Schauspieler des 17. Jahrhunderts angesehen werden darf, trug maßgeblich dazu bei, die englischen Dramen von der Komödiantenbühne zugunsten der französischen und spanischen zu verdrängen 91 . Fast die Hälfte des Repertoires seines Schwiegervaters 8 7 Nachdem Corambus die Ankunft der Schauspieler gemeldet hat, sagt Hamlet zum Hofmarsdiall: „Wohlan, Alter, laß den Meister von den Comödianten hereinkommen" (II, 6). Zehn Zeilen später tritt nicht der „Meister", sondern der „Principal" Carl auf (II, 7). Vielleicht darf man hieraus schließen, daß Änderungen deutscher Komödianten am Text des zweiten Aktes nur in der siebten und achten Szene vorgenommen wurden. 8 8 Carl Heine, Johannes Velten. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Theaters im 17. Jahrhundert, Dissertation Halle 1887, S. 33 ff. 8 9 Albert Cohn, Shakespeare in Germany in the sixteenth and seventeenth Centuries, London 1865, S. Cllf. 9 0 Überdies kann, wie noch gezeigt werden wird, die Erwähnung der Frauen direkt aus dem englischen Original hergeleitet werden. 9 1 Bolte, a. a. O., S. 122 f.; Baesecke, a. a. O., S. 149.

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Paulsen wurde von ihm übernommen. Dabei ist die Feststellung interessant, daß sich unter den übernommenen Dramen nur ein einziges von zehn Stücken befindet, das der englischen Texttradition entstammt (Ein lustig PickelhäringsSpiel, darinnen er mit einen Stein gar lustige Possen machet)92. Dieser Zweiakter aus der Sammlung englischer Komödien und Tragödien vom Jahre 1620 ist überdies keine Übertragung eines englischen Originals. Dagegen hat Velthen aus Paulsens Besitz fünf von elf bis zwölf französischen, vier von sieben spanischen, zwei von drei bis vier italienischen und beide holländischen Dramen übernommen93. Audi von dieser Seite her wird nicht bestätigt, daß Grund zu der Annahme besteht, Velthen habe die deutsche Übertragung des englischen Hamlet als ein aufführungswürdiges Stück erachtet. *

Trotz mancher Ubereinstimmungen zwischen dem Text der Schauspielerszene im Bestraften Brudermord mit Ereignissen innerhalb bestimmter Komödiantengesellschaften in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kann dennoch an keiner Stelle nachgewiesen werden, daß direkte Verbindungen zwischen beiden Zeugnissen bestehen oder notwendig gefolgert werden müßten. Daß Andeutungen im Drama zu dem, was wir von der Carlsdien Truppe und der Gesellschaft Velthens wissen, ungefähr übereinstimmen, muß auf Zufall beruhen. Das ergibt sidi schon daraus, daß die im folgenden näher bestimmten Verbindungen zu zwei unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeiten arbeitenden Truppen hergestellt werden können. Es fiele nicht schwer, einzelne Angaben aus der Sdiauspielerszene mit weiteren deutschen Komödiantentruppen in Beziehung zu setzen. Hamburg und Dresden („der Sächsische Hof"), die im Bestraften Brudermord erwähnt werden, sind nicht nur von Carl oder Velthen besucht worden. Meier verbindet die Erwähnung des sächsischen Hofes mit dem Dresdener Aufenthalt englischer Komödianten im Jahre 15 89 9 4 ; sicherlich ist diese Vermutung falsch, zumal sie die These stützen soll, der Bestrafte Brudermord stelle eine Übertragung des Ur-Hamlet dar. Wichtig ist allein die Erwähnung der vielen Möglichkeiten, die sich aus einer wörtlichen Interpretation ergeben könnten. Wenn im Bestraften Brudermord auf schauspielernde S t u d e n t e n hingewiesen wird, so ist damit keineswegs die Folgerung verbunden, daß hier auf die besondere Situation einer bestimmten Truppe aufmerksam gemacht werden solle. Es ist ein Charakteristikum der Wanderbühne, daß sich ein beachtlicher Prozentsatz von Studenten in ihren Dienst stellte95. Schon unter den Engländern zogen sie mit durch die Lande und waren sicherlich maßgeblich an der Übertragung und Bearbeitung der dargebotenen Dramen beteiligt. Leider wird 92

Julius Tittmann, Die Schauspiele

der englischen

Komödianten

in

Deutschland,

Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Band 13, Leipzig 1880, S. 235 ff. 9 3 Zusammengestellt nach Angaben bei Bolte, a. a. O., S. 110 ff. 9 4 Konrad Meier, Sonntagsbeilage der Dresdener Zeitung, 27. März 1904, N r . 13. Vergl. Shakespeare-Jahrbuch 41, S. 276. Flemming, a. a. O., S. 15. 3

Freudenstein,

Brudermord

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sich nidit mehr feststellen lassen, inwieweit sie die Wanderbühne prägen halfen; es ist jedodi nicht ausgeschlossen, daß die Studenten neben ihrem Auftreten als Spieler die Funktion der Dramaturgen innehatten, und daß der besondere Stil der Komödiantensprache ihren Bemühungen mit zu verdanken ist. In keinem Falle wird die Erwähnung der Studenten im Bestraften Brudermord dazu ausreichen, die Tragödie als Repertoirestück Pauls oder Velthens zu bestimmen. Mentzel 96 bezeichnet ihre Vermutung selbst als „Mythe", nach der sich Studenten der Velthen-Gesellschaft vorteilhaft verheiratet haben sollen und daß dieses Ereignis in den Worten Carls zum Ausdruck komme, „etliche Studenten" hätten „in Hamburg Condition genommen" (II, 7). Solche Begebenheiten ohne weittragende Bedeutung haben sich in allen Truppen ereignen können. Litzmann 97 geht vom Text des Bestraften Brudermordes und nicht von einem bezeugten, tatsächlichen Vorkommnis aus, wenn er behauptet, ein Ehepaar der Carlschen Truppe sei am Dresdener Hof zurückgeblieben („ . . . die eine ist mit ihrem Mann am Dresdener Hof zurückgeblieben." II, 7). Daß der Principal Carl zum Prinzen Hamlet in der Form eines Bittgesuches spricht („ . . . ersuchen also an Ihro Hoheiten, ob wir nicht noch eine Historie vorstellen könnten, damit wir unsere weite Reise nicht gar umsonst möchten gethan haben." II, 7), kann nicht als Besonderheit des historischen Carl interpretiert werden. Creizenach versucht sogar, diese Stelle auf eine ganz bestimmte Petition zu beziehen98. Bittgesuche der Komödianten sind zu Dutzenden überliefert und wurden von allen Truppen abgefaßt und vorgetragen, um sich die Gunst von Fürsten und Stadtvätern zu erwerben. Sie sind alle im gleichen Ton gehalten, der auch von Carl im Bestraften Brudermord — abgekürzt und vereinfaäit, die schriftlichen Petitionen waren wortreicher — getroffen wird. *

Alle Verbindungen, die zwischen der Schauspielerszene im deutschen Hamlet und deutschen Komödiantentruppen hergestellt worden sind, beruhen auf sehr vagen Vermutungen. Die siebte Szene des zweiten Aktes des Bestraften Brudermordes verrät uns nicht mehr, als daß das Drama von deutschen Komödianten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bearbeitet worden sein muß. Diese Behauptung ergibt sich aus der Tatsache, daß das Vorkommen eines „Principals" und das Auftreten weiblicher Schauspieler erst nach der Jahrhundertmitte nachzuweisen sind99. Wahrscheinlicher als der Versuch, der Schauspielerszene .tatsächliche Ereignisse zugrunde zu legen, ist es, daß nicht bestimmte, sondern Mentzel, a. a. O., S. 122. Litzmann, a. a. O. 9 8 Er vermutet (a. a. O., S. 144), sie spiele auf ein Ansuchen Carls an Herzog Gustav Adolf an. 9 9 Zwar spricht schon Shakespeare in der player-scene (Reprints, S. 144) eine „young lady and mistris" an, die jedoch ohne Zweifel nur von einem männlichen Spieler dargestellt worden sein kann. Die Illusion der Bühne wurde aber selbst an dieser nebensächlichen Stelle nicht durchbrochen. Die gleiche Szene im Bestraften Brudermord läßt in ihrer Art und ihrem Ton darauf schließen, daß sie den veränderten Bedingungen seit dem Auftreten von Schauspielerinnen angepaßt worden ist. 96

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typische Vorgänge aus dem Erleben der Spieler ihren Niederschlag fanden. Selbst wenn wirkliche Ereignisse das Vorbild abgaben, müssen sie so verallgemeinert worden sein, daß von ihnen aus kein W e g wieder zum Ursprung zurückführt. Die weit verbreitete Ansicht, daß der aus dem Jahre 1710 überlieferte Bestrafte Brudermord noch ganz die Gestalt hat, „die er zur Zeit der Carlischen Gesellschaft erhielt", ist sicher richtig 100 . Diese Gestalt darf aber nicht als das Resultat einer völlig neuen Fassung des Dramas betrachtet werden, sondern lediglich als das Ergebnis einer mehr oder weniger gründlichen Überarbeitung des im wesentlichen seit der Übertragung aus dem Englischen unveränderten Textes. Baesecke 101 verfolgt die Entwicklung des Schauspiels der Englischen Komödianten, indem sie vier Zeitstufen erarbeitet, die sich durch die S p r a c h e , den S t o f f , den I n h a l t und die G e i s t e s h a l t u n g der Dramen gegenseitig abgrenzen. Jede Stufe ist durch besondere Eigentümlichkeiten charakterisiert, die sich am besten in verschiedenen, zeitlich auseinanderliegenden Fassungen eines gleichen Dramas spiegeln. Sind uns, wie im Fall des Bestraften Brudermordes, mehrere Fassungen aber nicht erhalten, bleibt die Einordnung eines Komödiantenstüdss in ein solches Schema unbefriedigend. Der Bestrafte Brudermord läßt sich, wie noch gezeigt werden wird, d i r e k t aus dem Text der Shakespeareschen Tragödie ableiten und muß kurz nach Erscheinen der englischen Quartoausgaben (1603, 1604) ins Deutsche übertragen worden sein; er zeigt gleicherweise aber auch eine Beeinflussung durch deutsche Komödianten. So durchdringen sich in ihm typische Formen der Wanderbühne sowohl aus der ersten als auch aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die im einzelnen nicht mehr an Hand allgemein-charakteristischer Erscheinungen bestimmter Zeiträume getrennt werden können 102 . Trotz des „alten Stils", der auf die dritte Zeitstufe deutet, weist Baesecke den Bestraften Brudermord der vierten Zeitstufe zu 1 0 3 , weil sie eine „moralisierende Tendenz", Ansätze zu einer „sprachlichen Stilisierung" und die „Charakterisierung der Menschen aus ihrem Verhalten" zu erkennen glaubt. Für die erste Szene des ersten Aktes nimmt sie sogar eine völlige Neufassung gegenüber einer vorangegangenen deutschen Vorlage an 1 0 4 . Die Textanalyse des Bestraften Brudermordes wird zeigen, daß grundsätzlich verschiedene Fassungen des Dramas n i c h t nachgewiesen werden können. Erscheinungen, die von Baesecke erst für die Zeit nach 1650 als allgemein typisch aufgezeigt werden, müssen schon in die erste Übertragung des Komödianten-Hamlet aus dem Englischen aufgenommen gewesen sein; sie werden sich als Eigentümlichhkeiten des deutschen Bearbeiters erweisen. Eine strenge Trennung besonderer Merkmale der Wanderbühnen-Produktion nach zeitlichen Gesichtspunkten, wie sie Baesecke durchführt, wird allgemein nicht möglich sein. Als Charakterisierung des Komödiantendramas und seiner Entwicklung bieten die Untersuchungen Baeseckes wertvolle Anhaltspunkte. Die ausschließliche Anwendung ihrer Ergebnisse kann jedoch im einzelnen Fall nicht immer zu gültigen Schlüssen führen. Das gilt in besonderer Weise für den Bestraften Brudermord, der ja nicht — wie etwa ein Drama aus einer Sammlung von Komödiantenspielen — einem bestimmten, Widmann, a. a. O., S. 22; Liliencron, a. a. O., S. 257. Baesecke a . a . O . S. 70 ff. 102 Vergl. Stahl, a. a'. Ö„ S. 17 ff. Schulze (a. a. O., S. 46 f.) hat erarbeitet, daß sich z e i t l i c h e und ö r t l i c h e Spracheigentümlichkeiten im Bestraften Brudermord vom 17. bis zum frühen 18. Jahrhundert und vom Oberdeutschen bis zum Niederdeutschen mischen. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist ein „mittlerer Wert", der ihn auf Dresden und die Mitte des 17. Jahrhunderts weisen läßt. 1 0 3 Baesecke, a . a . O . , S. 118ff. Ihre dritte Zeitstufe umschließt die Jahre 1620 bis 1648, die vierte die Jahre 1648 bis 1700. 1 0 4 Baesecke, a.a.O., S. 136. Vergl. Anm. 147. 100

101

eindeutig nachweisbarem Zeitraum entstammt, sondern sehr wahrscheinlich mehr als hundert Jahre hindurch ständig unwesentlichen Änderungen und Verbesserungen unterworfen war.

c) 1770 in Altona Devrient erwähnt eine Hamlet-Aufführung im Jahre 1770 durch Ilgener in A l t o n a 1 0 5 . Es ist nicht belegt, ob es sich dabei um den Bestraften Brudermord oder aber bereits um Wielands Hamlet-Übersetzung gehandelt hat, die 1773 in der Bearbeitung von Franz Heufeld in Wien auf die Bühne gebracht worden ist 106 . Winds glaubt an eine Darbietung der „alten Staatsaktion", da sich die Aufführung, „wenn sie überhaupt um diese Zeit stattgefunden hat und kein Irrtum vorliegt, sonst doch wohl bemerkbar gemacht haben würde" 107 . Diese Annahme ist jedoch unbegründet. Wielands Übersetzung und Heufelds Bearbeitung blieben tatsächlich weithin unbeachtet; ihre Verdienste sind erst durch die Forschung unseres Jahrhunderts gewürdigt worden108. Es darf bezweifelt werden, daß das Komödiantendrama nach der Theaterreform auf deutschen Bühnen überhaupt noch zur Aufführung gelangt ist. Als Reichard im Theaterkalender auf das Jahr 1779 eine ausführliche Inhaltsangabe des Dramas veröffentlichte, schloß er mit den Worten: „So sah es vor achtzig Jahren mit dem Geschmack der deutschen Bühnen, und der deutschen Parterren aus!" 109 Die Art der Beschreibung, in der Reichard den Inhalt des Bestraften Brudermordes wiedergibt, läßt darauf schließen, daß er in ihm nicht mehr als ein originelles Zeugnis vergangener Theaterzeiten erblickte. Eine Aufführung wenige Jahre vor der Sdiröderschen Bearbeitung (1776) 1 1 0 , durch die der Hamlet zu großem Ruhm gelangte, ist nahezu ausgeschlossen. Daß man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Bestraften Brudermord bereits vergessen hatte, geht auch aus dem Dramenverzeichnis der Neuhaus-Hartmannschen Truppe hervor, die im Jahre 1778 den Hamlet in Frankfurt aufführte 111 . Dort wird die Tragödie als ein „Trauerspiel nach Schakespear" bezeichnet, die von „Herrn Bock" für die Truppe eingerichtet worden ist. Das Bemühen, zu den Quellen der Shakespeareschen Dramen vorzudringen, ist unverkennbar und äußert sich in den vielen Hamlet-Übersetzungen, die seit dieser Zeit in Deutschland veröffentlicht worden sind. 1 0 5 Eduard Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Dramatische, und dramaturgische Schriften, Band 6 (Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Band 2), Leipzig 1848, S. 359 ff. 106

153 ff 107

Widmann, a. a. O., S. 4 7 f f . ; v. Weilen, a. a. O., S. 11 ff.; Winds, a. a. O., S. 25, Winds, a. a. O., S. 25.

Siegfried Korninger, Shakespeare Jahrbuch 92, Heidelberg 1956, S. 19 ff. 108

und seine deutschen

Übersetzer,

Shakespeare-

Gotha (1778), S. 60. Widmann, a. a. O., S. 60ff.; v. Weilen, a. a. O., S. 2 2 f f . ; Winds, a. a. O., S. 25 f., 35 ff., 157 ff. 1 1 1 Mentzel, a. a. O., S. 3 8 0 und 526. 109 110

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Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen führen zu folgender Übersicht: Z E U G N I S S E Ü B E R A U F F Ü H R U N G E N DES „ B E S T R A F T E N B R U D E R M O R D E S " Jahr

1616 1625 1626 1626 1628 1669 1686 1686 1770

Ort

Danzig Hamburg Frankfurt Dresden Frankfurt Danzig Frankfurt versch. Altona

Truppe

Green Engländer Green Engländer Green Paul Velthen Velthen Ilgener

in Anspruch genommen von:

tatsächlich nachweisbar:

Hoenig Litzmann Mentzel Urkunden* Mentzel Bolte** Mentzel Heine Devrient** Winds

nein nein nein ja nein nein nein nein nein

* Die Eintragung erfolgte in ein Dresdener Almanach des Jahres 1626, das als Tagebuch benutzt wurde und wahrscheinlich den Söhnen von Johann Georg I. gehörte (Cohn, a. a. O., S. C X V ) . ** Diese Forscher weisen eine Aufführung des Bestraften Brudermordes nicht eigentlich nach, lassen aber immerhin die Möglichkeit offen, daß das Komödiantendrama dargeboten wurde.

Das Fehlen jeglidier sicherer Zeugnisse über eine kontinuierliche Entwicklung des Dramas durch das 17. Jahrhundert hindurch berechtigt zu der Frage, inwieweit der Nachweis einer einzigen Aufführung im Jahre 1626 und eines Druckes nach einem Manuskript aus dem Jahre 1710 ausreichen, den Bestraften Brudermord als ein Drama der Komödiantenbühne zu bezeichnen, das sowohl in der ersten als auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts über die Bretter gegangen ist. Die Beantwortung dieser Frage wird sich aus dem folgenden Kapitel ergeben, in dem der Nachweis erbracht werden soll, daß in der uns überlieferten Fassung des Bestraften Brudermordes der Shakespearesdie Text noch durchgehend erhalten ist, und daß alle Abweichungen von ihm aus den typischen Gegebenheiten der Komödiantenbühne zu erklären sind. Mit dem direkten Anschluß des deutschen Textes aus dem Jahre 1710 an das Original Shakespeares aus dem Jahre 1602 ist der Weg vorgezeichnet, den das Drama in den hundert Jahren zurückgelegt hat, in denen es l e b e n d i g e r B e s i t z der fahrenden Truppen war.

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Kapitel 2. Ursprung und Entwicklung des „Bestraften Brudermordes" Eine Gegenüberstellung der Texte des Bestraften Brudermordes und der Hamlet-Tragödie Shakespeares führt zu dem Ergebnis, daß das deutsche Hamlet-Drama in seinen Grundzügen der Quarto 1-Ausgabe des englischen Textes folgt, einige Stellen aber der Quarto 2-Ausgabe entlehnt hat. Diese Stellen sind als nachträgliche Einfügung in eine bereits zuvor durchgeführte Übertragung des Quarto 1-Textes ins Deutsche erklärbar. Alle Abweichungen gegenüber Shakespeares T e x t verstehen sich aus der Tatsache, daß beliebte, allgemeine und typische Züge der lebendigen Tradition der Wanderbühne, die uns auch in anderen Komödiantendramen begegnen, dem Bestraften Brudermord zugefügt worden sind. Diese These, die im folgenden entwickelt und belegt werden soll, vermag gleichzeitig die Frage nach dem V e r f a s s e r und nach der A b f a s s u n g s z e i t des deutschen Textes klären zu helfen. A. Q U E L L E N Seit genau einhundert Jahren bemühen sich Anglisten und Germanisten, die Abhängigkeit des Bestraften Brudermordes von Shakespeares Hamlet zu beweisen oder zu widerlegen. Eine nachfolgende Übersicht wird veranschaulichen, daß eine einhellige Ansicht über die Quellen des deutschen Hamlet-Textes zu keiner Zeit bestanden hat. Während auf der einen Seite die Cambridge-Autoren Clark und "Wright die Feststellung treffen, nichts deute darauf hin, daß im Bestraften Brudermord irgendetwas aus Shakespeares Hamlet übernommen sei 112 , haben andererseits vor allem Cohn 1 1 3 und Tanger 1 1 4 nachzuweisen versucht, daß ein enger Zusammenhang zwischen dem Komödianten - Hamlet und der Quarto 1-Ausgabe des Shakespeareschen Textes bestehe. Die Verfechter der These, daß der Bestrafte Brudermord auf den Ur-Hamlet115 zurückgehe, argumentieren vornehmlich unter Hinweis auf den Prolog des Komödiantendramas, der die Übersetzung eines ähnlichen Prologes darstellen soll, den K y d als Nachahmer Senecas seinem Hamlet vorangestellt haben könnte. Solange der UrHamlet allerdings nur durch Rekonstruktionen ermittelt werden kann, müssen derartige Lösungen unbefriedigend bleiben. 1 1 2 W. G. Clark, W. A. Wright, Shakespeare I Select Plays I Hamlet, Prince of Denmark, Clarendon Press Series, 2. Auflage, Oxford 1876, S. XII. 1 1 3 Cohn, a. a. O., S. C X X . 1 1 4 Gustav Tanger, Anglia, Band IV, Heft 3, Anzeiger, Halle 1881, S. 27f.; ferner: „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet aus Dänemark" und sein Verhältniß zu Shakespeare's „Hamlet", Shakespeare-Jahrbuch 23, Weimar 1888, S. 224 ff. 1 1 5 Diese Bezeichnung ist unzutreffend. Der eigentliche Ur-Hamlet ist im Sagenkreis des Nordens zu suchen und liegt zeitlich vor der ersten schriftlichen Uberlieferung der Hamlet-Geschichte durch Saxo Grammaticus. Da sich die Bezeichnung Ur-Hamlet aber in der Fachliteratur zur Kennzeichnung der Vor-Shakespeareschen HamletDramatisierung durchgesetzt hat, benutze ich sie ebenfalls.

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Aber auch die Hypothese, nach der das deutsche Hamlet-Drama der Quarto 1-Ausgabe des Shakespeareschen Textes folge, vermag dem Quellenproblem nicht ganz gerecht zu werden, da es Stellen im Bestraften Brudermord gibt, die, da sie nur in der Quarto 2-Ausgabe vorgezeichnet sind, allein von dort übernommen sein können. Verschiedene Forscher haben versucht, vermittelnd in die Auseinandersetzungen über diese Fragen einzugreifen. Sarrazin 116 will einen doppelten Einfluß erkennen; sowohl Kyds Ur-Hamlet als auch Shakespeares Drama sollen bei der Entstehung des Bestraften Brudermordes als Vorlage gedient haben. Dadurch waren die Voraussetzungen zur Annahme einer Hamlet-Bearbeitung Shakespeares gegeben, die er als Vorstufe zu dem uns überlieferten Text des Dramas vorgenommen haben könnte. Gray 117 , Widmann 118 , Schücking119 u. a. erklären die Textgestaltung des Bestraften Brudermordes, indem sie das Stück als Übertragung der Shakespeareschen Tragödie ansehen, die auf verschiedene Weise durch den Kydschen Ur-Hamlet beeinflußt worden sei. All diese Erklärungsversuche arbeiten mit den unbekannten Texten des Ur-Hamlet und angenommenen frühen Bearbeitungen des Hamlet durch Shakespeare; das dürfte der wesentliche Grund dafür sein, daß keiner von ihnen völlig zu überzeugen vermag. Creizenadi hält sich zunächst an bekannte Texte, wenn er im Bestraften Brudermord Dialogstellen beider englischen Quarto-Ausgaben wiedererkennt 120 . Um ihren gemeinsamen Einfluß auf das deutsche Komödiantendrama rechtfertigen zu können, konstruiert aber auch er eine angeblich verlorengegangene Fassung der Hamlet-Tragödie, in der die im Bestraften Brudermord vorkommenden Eigenschaften aus der Quarto 1 und der Quarto 2 des Shakespeareschen Hamlet nebeneinander vorhanden gewesen sein sollen. Zur Erklärung der in der Übersicht vorwiegenden Meinung, daß der Bestrafte Brudermord aus dem Ur-Hamlet übertragen worden sei, muß erwähnt werden, daß eine Reihe von Forschern — nach den Formulierungen ihrer Stellungnahmen zu urteilen — sich nicht selbst mit eingehenden Quellenstudien befaßt zu haben scheint. Viele übernahmen die auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung, die plumpe und verwilderte Gestalt des deutschen Textes könne höchstens eine Korruption von Shakespeares Vorlage darstellen. Die Bedenken, die Schick gegen die These der Entlehnung des Bestraften Brudermordes aus dem 1 1 6 Gregor Sarrazin, Die Entstehung der Hamlet-Tragödie, Anglia, Band X I I : S. 143ff.; Band X I I I (NF Band 1): S. 177ff.; Band X I V (NF Band 2): S. 322ff., Halle 1889, 1891, 1892. 1 1 7 Henry David Gray, Reconstruction of et Lost Play, Philological Quarterly, Vol. VII, Iowa 1928, S. 254ff. 1 1 8 Widmann, a. a. O., S. 3 ff. und S. 20. 1 1 9 Levin L. Schücking, William Shakespeare, „Hamlet", Sammlung Dieterich, Band 82, Leipzig 1941, S. X X V f. Im Anschluß an Duthie vertritt Schulze ( a . a . O . , S. 57) die Ansicht, „das deutsche Drama sei aus dem Gedächtnis nach einer ,provincial version' von Shakespeares Spiel rekonstruiert worden, worin Teile aus einer Aufführung des Quarto 1-Raubdruckes und Teile einer Aufführung des vor-shakespeareschen Hamlets vermengt worden waren". 1 2 0 Creizenadi, a. a. O., S. 125 ff.

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Ur-Hamlet hegt, versucht er dadurch zu zerstreuen, daß es eine „ S ü n d e g e g e n d e n h e i l i g e n G e i s t " 1 2 1 sei, wenn das deutsche D r a m a tatsächlich auf Shakespeares Tragödie zurückgehe. Die Vielzahl der Stimmen, die eine Verbindung zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Ur-Hamlet zu erkennen glauben, resultiert weiterhin aus dem nicht seltenen Versuch, das Komödiantendrama als willkommene Hilfe zur Rekonstruktion des Ur-Hamlet heranzuziehen. Vor allem W i d g e r y 1 2 2 , E v a n s 1 2 3 , Thorndike 1 2 4 , Allen 1 2 5 und W o l f f 1 2 6 belegen Dialoge, Szenen und Eigentümlichkeiten im Ur-Hamlet unter Hinweis auf das deutsche Drama. Eine solche Abhängigkeit kann selbstverständlich nicht als Beweis gelten, da diesen Untersuchungen zwei Unbekannte zugrundeliegen, die nichts über ihren gegenseitigen W e r t auszusagen vermögen. In der Tabelle werden die hauptsächlichsten Vertreter der Quellenforschung zum Bestraften Brudermord in chronologischer Reihenfolge namhaft gemacht. Die Abkürzungen besagen: Q 1

= daß der Bestrafte Brudermord allein vom Quarto 1-Text der englischen Hamlet-Tragödie abhängig sein soll; Qs = daß der Bestrafte Brudermord einen Einfluß beider QuartoTexte Shakespeares aufweist; Sh = daß der Bestrafte Brudermord auf die Shakespearesche HamletTragödie zurückgeht, ohne daß näher bestimmt wird, welche der beiden Quarto-Ausgaben als Vorlage gedient haben soll; S h + U = daß der Bestrafte Brudermord sowohl unter der Beeinflussung der Shakespeareschen Tragödie als auch des Ur-Hamlet entstanden sein muß; Urh = daß der Bestrafte Brudermord auf den Ur-Hamlet zurückgeht, wobei ein Teil der Forscher Shakespeare, ein anderer Teil Kyd als Verfasser des Ur-Hamlet annimmt. Daß der Text der Q u a r t o 2 oder der F o l i o 1 der Hamlet-Tragödie a l l e i n als Quelle gedient haben könnte, ist so gut wie ausgeschlossen und darum auch von keinem Kritiker bisher vertreten worden 127 . Diejenigen Forscher, die einen Einfluß beider 1 2 1 J . Schick, Die Entstehung des Hamlet, Shakespeare - Jahrbuch 38, Berlin 1902, S. X X I V . 122 w H. Widgery, The First Quarto Edition of Hamlet, 1603, Harness Prize Essays, London 1880. 1 2 3 Marshall Blakemore Evans, Der Bestrafte Brudermord — sein Verhältnis zu Shakespeare's Hamlet, Dissertation Bonn 1902; Theatergeschichtliche Forschungen, Band 19. Ferner: „Der Bestrafte Brudermord" and Shakespeare's „Hamlet", Modern Philology, Vol. II, Nr. 3, Januar 1905, S. 433 ff. 1 2 4 Ashley H. Thorndike, The Relation of Hamlet to Contemporary Revenge Plays, Publications of the Modern Language Association of America, Vol. X V I I (NS Vol. X ) , Nr. 2, Baltimore 1902, S. 125 ff. 1 2 5 Joseph C. Allen, Thomas Kyd's Hamlet, The Westminster Review, Vol. 170, Nr. 5: S. 551 ff.; Nr. 6: S. 684ff., November und Dezember 1908. 1 2 6 Max J . Wolff, Zum Urhamlet, Englische Studien, Band 45, Leipzig 1912, S. 9 ff. 1 2 7 Daß der „deutsche Verfasser des .bestraften Brudermordes' zuverlässig auch die spätere Folioausgabe gekannt" habe, vertritt neben Winds (a. a. O., S. 15) lediglich Widmann (a. a. O., S. 20), der sagt: „Andererseits weisen verschiedene Stellen der alten Handschrift (des Bestraften Brudermordes) darauf hin, daß auch die spätere Ausgabe

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Quarto-Ausgaben auf den Bestraften Brudermord vertreten, gehen in ihren Ansichten, auf welchem Wege dieser Einfluß stattgefunden hat, teilweise erheblich auseinander. Jahr

Kritiker

1857 1865

Bernhardy Cohn Dyce Gene Stumme ZWEY COMÖDIANTEN J

Francisco

Rossencraft Gilderstone

Die Anordnung der Spieler in der Reihenfolge ihrer Auftritte ist, wie Latham 1 3 1 festgestellt hat, ein Brauch, der sich erst in jüngerer Zeit eingebürgert haben soll. In älteren Dramen seien die Spieler n i c h t nach männlichen und weiblichen Rollen getrennt aufgeführt gewesen, sondern erschienen im Personenverzeichnis nach ihrer gesellschaftlichen Stellung. Da der Bestrafte Brudermord sich dem älteren Brauch füge, folgert Latham, er sei dem Ur-Hamlet entlehnt worden. Für die Zusammenstellung der „Dramatis Personae" scheinen feste Regeln aber zu keiner Zeit verbindlich gewesen zu sein. Zwar haben alle Komödiantendramen ein gemischtes Personenverzeichnis, führen die Rangordnung aber nicht einheitlich durch. In der Tragödie Von Remio und Julietta132 erscheint die 1 2 8 Die Angabe bei Winds (a. a. O., S. 15), der Hofnarr Phantasmo sei im Personenverzeichnis nicht aufgeführt, ist falsch. 1 2 9 In der Schreibung des Wortes „zwey" folge ich hier dem ersten Druck des Bestraften Brudermordes durch Reichard; Cohn schreibt fälschlicherweise „zwei". 1 3 0 Bei Cohn: „HOFDIENER". 131 Two Dissertations ort the Hamlet of Saxo Grammaticus and of Shakespeare, London 1872; bei: Horace Howard Furness, A New Variorum Edition of Shakespeare, 3. Auflage, Vol. IV (Hamlet, Vol. II), S. 118. 1 3 2 Cohn, a. a. O., S. 309.

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Gräfin Capolet nach dem Pickelhäring, in der Comoedia von Jemand und Niemand133 König Edowart nach dem Bauern und dem Thorwächter. Audi in den Drucken englischer Dramen um die Wende des 17. Jahrhunderts ist eine völlig einheitliche Gestaltung der Personenverzeichnisse nicht nachweisbar. Ben Jonsons Every Man in bis Humour134 steht eine Personenliste voran, die zunächst die männlichen Hauptpersonen, dann die weiblichen Spieler und zuletzt die Nebenrollen aufführt. In den meisten Fällen aber weisen Dramen aus dieser Zeit überhaupt keine Personenverzeichnisse auf. N u r insofern läßt sich Lathams These vertreten, als bei Neudrucken elisabethanischer Dramen im 19. J a h r hundert generell Spielerlisten zugefügt wurden, die getrennt nach männlichen und weiblichen Rollen aufgestellt worden sind. Von hier aus steht der Theorie, daß das Personenverzeichnis des Bestraften Brudermordes an H a n d des Textes der Quarto 1-Ausgabe der Hamlet-Tragödie zusammengestellt und später mit Hilfe des Quarto 2-Textes verbessert worden ist, kein Einwand entgegen. Eine Personenliste konnte vom Bearbeiter des Bestraften Brudermordes weder aus dem Quarto 1-, noch aus dem Quarto 2 - T e x t kopiert werden, da beide Ausgaben ohne eine solche Liste veröffentlicht worden sind. Die Zusammenstellung der Spieler blieb also der Initiative des deutschen Bearbeiters überlassen. Es scheint, als ob Spuren seiner Tätigkeit noch erkennbar seien. Der Hofmarschall im Bestraften Brudermord trägt den gleichen Namen (Corambus) wie in der Quarto 1-Ausgabe (Corambis). Die Eindeutschung des Namens Laertes (Quarto 2) in Leonhardus könnte umso besser zu verstehen sein, wenn man als Vorlage die Form des Namens „Leartes" (Quarto 1) annimmt. Während in der Quarto 2-Ausgabe der König und die Königin bei ihrem ersten Auftritt (I, 2) in einer Bühnenanweisung namentlich aufgeführt sind (Claudius, Gertradt), steht an entsprechender Stelle der Quarto 1-Ausgabe lediglich „King, Queene". Der Bearbeiter übernahm diese Bezeichnung als „König" und „Königin" und setzte eigene Vornamen ein. Als er im Text der Quarto 1-Ausgabe später auf einen Namen der Königin stieß (Gertred, zuerst I I I , 1), sah er keine Veranlassung, den bereits von ihm eingeführten Namen zu ändern. „Francisco" wird ursprünglich wohl als „Corporal von der Wache" aufgetreten sein. Unter dem Einfluß des Quarto 2-Textes bekam er später den Namen „Francisco" und wurde als solcher in das Personenverzeichnis aufgenommen, ohne daß aber der „Corporal von der Wache" daraus gestrichen wurde 135 . Ein „Corporal" tritt nämlich im Text gar nicht auf, wohl aber wird Francisco als solcher bezeichnet: „2. SCHILDW. Steh Runde! Corporal heraus, Bursche ins Gewehr! (FRANCISCO und Wache heraus, geben das Wort auf der anderen Seite.") (1,3) Sicherlich ist auch der Name „Ophelia" unter dem Einfluß der Quarto 2-Ausgabe an Stelle eines ursprünglich aus dem Quarto 1-Text übernommenen „Ofelia" getreten. Tittmann, a. a. O., S. 126. C. H. Herford, Percy Simpson, Ben Jonson, Vol. III, Oxford 1927, S. 302. 1 3 5 Diese Beobachtung läßt es ausgeschlossen erscheinen, daß das Personenverzeichnis zum Bestraften Brudermord erst von Reichard hinzugefügt worden ist. Er hätte keine Personen angegeben, die überhaupt nicht auftreten. Auch die Pluralbildung des Wortes „Hofdiener" (mit -s) deutet auf eine ältere Vorlage. Die Schreibung des Wortes „zwey" (mit -y) ist dagegen zu Reichards Zeit noch gebräuchlich gewesen; vergl. Olla Potrida, a. a. O., 2. Stück, S. 89; 3. Stück, S. 94 ff. u. a. 133

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In den wenigen Szenen, in denen sie auftritt, war diese Änderung Ieidit durchzuführen. Daß „Ofelia" in „Ophelia" vom Bearbeiter „eingedeutscht" worden sei, ist nicht anzunehmen, wenn auch nicht ausgeschlossen. Genei 1 3 8 schließt aus der Tatsache, daß das „Spiel im Spiel" im Bestraften Brudermord nur durch eine Inhaltsangabe vertreten ist, der Dialog sei bei einer Aufführung von den Schauspielern improvisiert worden. Es ist aber wahrscheinlich, daß das „Spiel im Spiel" lediglich als „dumbshow" dargeboten wurde 1 3 7 , während Hamlet gleichzeitig erläuternde Bemerkungen vortrug. Diese Interpretation wird durch das Personenverzeichnis bestätigt, in dem die „Zwey Comödianten" unter den „Stummen" genannt werden. Es ist ein Merkmal der Wanderbühne, daß sie sich dem literarischen Kunstwerk gegenüber nicht verpflichtet fühlte 1 3 8 . Der deutsche Bearbeiter des Bestraften Brudermordes stand vor der A u f gabe, den T e x t seiner Vorlage auf ein gerade noch zum Verständnis hinreichendes Minimum zu verkürzen. Bei diesem Vorgang handelt es sich nicht einfach um einen „Zersetzungsprozeß, an dessen Ende eine amorphe Trümmermasse läge"; vielmehr entsteht „ein eigener Formtypus von ganz bestimmter Struktur" 139 . Die Vereinfachung gegenüber dem Original, aus dem lediglich die „story" herausgelöst wurde, zeigt gerade beim Bestraften Brudermord von der ersten bis zur letzten Szene unverkennbar einen F o r m d r a n g , der zwar auf einem niederen N i v e a u steht, der aber auch davon kündet, daß der deutsche Bearbeiter mit Überlegung an seine Aufgabe herangegangen ist. Er fügte dem Spiel neue Gedanken und eigene Pointen hinzu, wobei ihm das allen Komödiantendramen eigene Verlangen nach Eindeutigkeit erlaubte, zuweilen Szenen der Shakespeareschen Tragödie, die bis heute Ausgangspunkt literarischer Streitgespräche geblieben sind („Spiel im Spiel", das Zögern des Prinzen, u. a.), auf naive Weise zu interpretieren 140 . Der auf diese Weise geleistete Beitrag zur Lösung umstrittener Fragen des Hamlet-Textes vermag selbstverständlich nichts über das Drama Shakespeares und die Absichten des englischen Dichters auszusagen. Wir 136 Rudolph Genei, Geschichte der Shakespeareschen Dramen in Deutschland, Leipzig 1870, S. 415ff. Ebenso: Winds, a. a. O., S. 19. 137 Diese Auffassung vertritt auch v. Weilen: „Gleich darauf erscheint der Hof zur Komödie, die bloß aus der Pantomime besteht." (a. a. O., S. 2). 138 Flemming, a . a . O . , S. 22 ff. Ferner: Julius Tittmann, Schauspiele aus dem 16. Jahrhundert, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Band 3, 2. Teil, Leipzig 1868, S. XVI ff.; Stahl, a. a. O., S. 15. 139 Flemming, a. a. O., S. 22. Ebenso: Baesecke, a. a. O., S. 19. Die gleiche Ansicht vertritt verhältnismäßig früh (1890) schon Liliencron (a. a. O., S. 256), wenn er schreibt: „Sie (die Englischen Komödianten) machten sich die Dichtungen . . . nach den äußerlichen Bedürfnissen ihrer kleinen Truppen, nach ihrem eigenen offenbar sehr niedrigen künstlerischen Standpunkt und nach dem Geschmack ihres . . . deutschen Publicums zurecht." 140 v. Weilen (a. a. O., S. 5) glaubt, daß Interpretationen dieser Art der englischen Bühnentradition entlehnt seien; nur die wenigsten Stellen im Bestraften Brudermord lassen sich auf diese Weise aber erklären. Solange nicht von zweiter Seite eine Bestätigung für die Interpretation umstrittener Textstellen des englischen Originals durch den Bestraften Brudermord beigebracht werden kann, müssen jegliche Folgerungen hypothetisch bleiben.

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werden aber darauf hingewiesen, daß der deutsche Bearbeiter des englischen Textes an jenen Stellen Phantasie und Überlegung walten ließ, um einerseits seiner Vorlage, andererseits seiner Übertragung gerecht werden zu können. U m eine solche „Übertragung" der T e x t e aus der W e l t der Dichtung in die W e l t der Komödianten handelte es sich allein im Bereich der Wanderbühne 1 4 1 . W e r mit T i t t m a n n 1 4 2 von „Übersetzungen" spricht, die „in jeder Beziehung mangelhaft genug" ausfielen, verkennt den Kunstwillen der Mimen. Z w a r sind die Ergebnisse ihres Bemühens in Form und Ausdruck nicht wesentlich von unzureichenden Übersetzungen verschieden; sie gewinnen aber an Bedeutung, wenn ihnen der W i l l e zu eigener Gestaltung zugrunde gelegt werden kann. Bei der Übertragung aus dem englischen Text konnte sich der deutsche Bearbeiter nidit immer an die Szenenfolge, schon gar nicht an die Reihenfolge der ihm vorliegenden Dialoge halten. Es ist darum verständlich, daß Wendungen des englischen Textes im Bestraften Brudermord an anderen Stellen wie in der Vorlage erscheinen. Worte, die beispielsweise im Quarto 1-Text von Horatio gesprochen werden, können im deutschen aufeinanderfolgender Szenen — zum Teil wohl audi erst später durch Abschriften oder geringfügige Änderungen verursacht — müssen beim Textvergleich berücksichtigt werden. b) Erster A k t Alle Szenen, in denen der Geist auftritt, stehen am Anfang des Dramas, ohne durch die in der Quarto 1-Ausgabe (I, 2) erscheinende Thronrede des Königs unterbrochen zu werden. Die erste bis sechste Szene des ersten Aktes im Bestraften Brudermord umfassen die erste, vierte und fünfte Szene des ersten Aktes im Quarto 1-Text. Eine Reihe wörtlicher Anklänge sind zu verzeichnen. 1,1 1. SCHILDW. Wer da? 1. SCHILDW. Oho, Camerad, kommst du, midi abzulösen . . . 1. SCHILD W. Ob es gleich kalt i s t . . .

QUARTO 1 1. Stand: who is that? (I, 1) 1. O you come most carefully vpon your watch (1,1) Ham. The ayre bites shrewd (I, 4)

1.3 H O R A T . Bey meinem Leben, es ist ein Geist, und sieht recht ähnlich dem letztverstorbenen König von Dännemark.

Hor. What art thou that thus vsurps the state, in Which the Maiestie of buried Denmarke did sometimes Walke? (I, 1)

1.4 2. SCHILDW. Wer da? HAMLET. Des Reichs Freund. H O R A T . Ihro Durchlaucht, es trägt sich ein wunderlicher Casus zu, massen sich allhier alle Viertelstunde ein Geist sehn läßt; er .gleicht, meinen Einbildungen nach, recht dem verstorbenen König, Dero Herrn Vater . . . HAMLET. Wie ist es an der Zeit? FRANCISCO. Es ist recht Mitternacht. 141 142

1. Stand: who is that? (1,1) Hor. Friends to this ground. (I, 1) Hor. Two nights together had these Gentlemen . . . on their watch, In the dead vast and middle of te night. Beene thus incountered by a figure like your f a t h e r . . . (I, 2) Ham. . . . what houre i'st? (I, 4) Hor. I think it lacks of twelue (I, 4)

Baesecke, a . a . O . , S. 79 ff. Tittmann, a. a. O., S. X V I f. 45

HAMLET. Eben recht, denn um dieselbe Zeit pflegen sich die Geister sehn zu lassen, wenn sie wandeln. (Es wird wieder Gesundheit geblasen.) 1.5 2. SCHILD W. O wehe, der Geist kommt wieder! HAMLET. Der Geist winkt mir . . . ich will den Geist folgen . . . H O R A T I O . Ihr Herren, wir wollen ihm folgen, damit ihm kein Leid wiederfahre. GEIST. Höre mich . . . HAMLET. Rede, du seeliger Schatten meines Königlichen Herrn Vaters. GEIST. So höre, mein Sohn Hamlet, was ich dir erzählen will von deines Vaters unnatürlichem Tode. HAMLET. Was? unnatürlichem Tode? GEIST. Wisse, daß ich den Gebrauch hatte, welchen mir die Natur angewöhnet, daß ich täglich nadi der Mahlzeit zu Mittage in meinem Königlichen Lustgarten zu gehn pflegte, um midi allda eine Stunde der Ruhe zu bedienen. Als ich denn eines Tages auch also thät, siehe da kommt mein Kronsüchtiger Bruder zu mir, und hatte einen subtilen Saft von Ebeno genannt bey sich; dieses Oel oder Saft hat diese Wirkung, daß, sobald etliche Tropfen von diesen unter das menschliche Geblüt kommen, sie alsobald alle Lebensadern verstopfen, und ihm das Leben nehmen. Diesen Saft goß er mir, als ich schlief, in meine Ohren, sobald dasselbe in den Kopf kam, mußte ich augenblicklich sterben, hernach gab man vor, ich hätte einen starken Schlagfluß bekommen. Also bin ich meines Reichs, meines Weibes, und meines Lebens von diesem Tyrannen beraubt. 1.6 H O R A T . Wie stehts mit Ihre Durchlaucht? HAMLET. So leget Eure Finger auf meinen Degen: Wir sdiwören. GEIST (inwendig). Wir sdiwören.

Ham. O the king doth wake to night, & takes his rowse . . . (I, 4) Sound Trumpets.

(1,4)

Hor. Looke my Lord, it comes. (I, 4) Ham. Still am I called, go on, ile follow thee. (I, 4) Mar. Lets follow, tis not fit thus to obey him. (I, 4) Ghost. Marke me. (I, 5) Ham. I will (I, 5) Gho. Reuenge his foule, and most vnnaturall murder: (1,5) Ham. Murder. (I, 5) Ghost. . . . Sleeping within my Orchard, my custome alwayes In the after noone, vpon my secure houre.

Thy vncle came, with iuyce of Hebona In a viall, and through the porches of my eares Did powre the leaprous distilment, whose effect Hold such an enmitie with blood of man, That swift as quickefilner, it posteth through The naturall gates and allies of the b o d y . . .

. . . Thus was I sleeping by a brothers hand Of Crowne, of Queene, of life, of dignitie At once d e p r i u e d . . . (I, 5)

Mar. How i'st my noble lord? (I, 5) Ham. Nay vpon my sword. (I, 5) Gho. Sweare. The Ghost vnder the stage. (I, 5)

Die siebte Szene des ersten Aktes im Bestraften Brudermord spiegelt die zweite Szene des ersten Aktes der Shakespeareschen Hamlet-Tragödie. Unverkennbar sind hier Anklänge aus der Quarto 2-Fassung zu verzeichnen. 46

1,7 KÖNIG. Obsthon unsers Herrn Bruders Tod nodi in frischem Gedäditniss bey jedermann ist, und uns gebietet, alle Solennitäten einzustellen, werden wir doch anjetzo genöthiget, unsere schwarze Trauerkleider in Carmosin, Purpur und Scharlach zu verändern, weil nunmehro meines seeligen Herrn Bruders Hinterbliebene Wittwe unsere liebste Gemahlin w o r d e n . . . . . . Ihr aber, Prinz Hamlet, gebet Euch zufrieden; sehet hier Eure Frau Mutter, wie traurig und betrübt daß sie ist über Eure Melancholie. Auch wir haben vernommen, daß ihr gesonnen seyd, wieder nach Wittenberg zu reisen, thut solches nicht Eurer Mutter wegen; bleibt hier, denn wir Euch lieben und gerne sehen, wollten also nicht gerne, daß Euch einiger Schade wiederfahren sollte, bleibt bey uns am Hofe . . . K Ö N I G I N . . . . darum, liebster Sohn, bleibt hier . . . HAMLET. Ihrem Befehl will ich von Herzen gern gehorsamen . . .

QUARTO 2 Claud. Though yet of Hamlet our deare brothers death The memorie be greene, and that it vs befitted T o beare our harts in griefe, and our whole Kingdome, T o be contracted in one browe of woe . . . . . . Therefore our sometime Sister, now our Queene Th'imperiall ioyntresse to this warlike state Haue we . . . Taken to wife (I, 2) QUARTO 1 King. And now princely Sonne Hamlet, What meanes these sad and melancholy moodes? For your intent going to Wittenberg, Wee hold it most vnmeet and vnconuenient, Being the Ioy and halfe heart of your mother. Therefore let mee intreat you stay in C o u r t . . . (1,2) Que. . . . Stay here with vs, go not to Wittenberg. (1,2) Ham. I shall in all my best obay you madam. (I, 2)

In dieser ausführlichen Gegenüberstellung von Textstellen aus dem Bestraften Brudermord und der Shakespeareschen Hamlet-Tragödie mögen manche Parallelen enthalten sein, die sich rein zufällig ergeben oder erhalten haben. Dennoch ist ohne weiteres zu erkennen, daß die Grundlage des KomödiantenHamlet aus dem Raubdruck, der „bad" Quarto 1, übernommen ist. Creizenach 1 4 3 hat insgesamt neunzehn Übereinstimmungen zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Quarto 2 - T e x t gefunden, die vor allem von T a n g e r 1 4 4 teilweise angefochten und widerlegt worden sind, teilweise von Creizenach selbst als nur „wahrscheinliche" Entlehnungen nachträglich in Zweifel gesetzt wurden. Es ist weithin eine Frage der persönlichen Entscheidung, welche Stellen man im Bestraften Brudermord als aus der Quarto 2-Ausgabe entlehnt betrachten möchte oder nicht. Sicherlich gibt es Passagen, bei denen man im Zweifel sein kann, auf welcher Quarto-Ausgabe sie basieren. D a uns der erhaltene Druck des Bestraften Brudermordes einen T e x t überliefert, an 1 4 3 Creizenach, a. a. O., S. 125 ff. Ferner: Die Tragödie „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet aus Dänemark" und ihre Bedeutung für die Kritik des Shakespeareschen Hamlet, Berichte der phil.-hist. Klasse der königl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften, 1887. — „Der bestrafte Brudermord" and its Relation to Shakespeare's "Hamlet", Modern Philology, Vol. II, Nr. 2, Oktober 1904, S.249ff. 1 4 4 Gustav Tanger, „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet aus Dänemark" und sein Verhältniß zu Shakespeares „Hamlet", Shakespeare-Jahrbuch 23, Weimar 1888, S. 224 ff.

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dem durch hundert Jahre hindurch wahrscheinlich mehrfach Änderungen vorgenommen worden sind, können als sichere Parallelen nur Stellen gelten, die direkt als solche erkennbar und erklärbar sind. Grundsätzlich muß anerkannt werden, daß Worte, Sätze und Gedankengänge im Bestraften Brudermord, die in der Quarto 1-Ausgabe zu finden sind, auch von dort in den deutschen T e x t übernommen wurden. N u r da, wo der T e x t des Bestraften Brudermordes mit dem Quarto 2 - T e x t übereinstimmt, entsprechendes in der Quarto 1-Ausgabe aber fehlt, darf eine Beeinflussung durch den T e x t der Quarto 2 als sicher angenommen werden. Eine wörtliche Übereinstimmung von Stellen im Bestraften Brudermord mit gleichen im Quarto 2 - T e x t kann nicht als Beweis einer Entlehnung gelten, wenn eine inhaltliche Übereinstimmung mit dem Quarto 1 - T e x t bereits vorliegt 1 4 6 . Aus diesem Grunde müssen die Worte der Schildwache „Ob es gleich kalt i s t . . ( 1 , 1 ) nicht notwendig von den Worten Hamlets " . . . it is very cold" (Quarto 2) angeregt worden sein; sdion in der Quarto 1-Ausgabe sagt Hamlet: "The ayre bites shrewd." Bei dieser und anderen, ähnlich allgemein gehaltenen Aussagen ist eine Entlehnung überhaupt nicht beweiskräftig nachweisbar. Sie darf an dieser Stelle sogar mit gutem Grund bezweifelt werden. Während alle anderen Stellen der ersten Szene des ersten Aktes aus der gleichen Szene bei Shakespeare entlehnt sind, müßte die Erwähnung, daß es kalt sei, als e i n z i g e Stelle aus der vierten Szene bei Shakespeare übernommen sein. Weit eher dürfte darum möglich sein, daß der Bearbeiter den Hinweis auf die Kälte selbständig gegeben hat, um den Worten der Schildwache einen K o n t r a s t verleihen zu können. Der vollständige Satz lautet nämlich: „Ob es gleich kalt ist, so hab ich doch hier einen Höllenschweiß ausgehalten." Dieser Ausspruch ist weder inhaltlich noch wörtlich in einer der beiden Quarto-Ausgaben nachweisbar. Creizenach führt ihn auf eine Zeile in der Quarto 2 zurück: "Fran tis bitter cold, And I am sick at hart." Wie schon Tanger 1 4 6 aufgezeigt hat, rührt der „Höllenschweiß" von der Angst her, die die Schildwache wegen der regelmäßigen Erscheinungen des Geistes aussteht; eine gedankliche Verbindung zu den Worten Franciscos im Quarto 2-Text ist völlig unwahrscheinlich. Baesecke 147 glaubt, die erste Szene im Bestraften Brudermord mache „den bedeutenden Fortschritt in der sprachlichen Gestaltung augenfällig", den die Dramen der Englischen Komödianten in der Zeit nach 1648 im allgemeinen aufweisen. „Man kann sicher annehmen, daß bei den früheren Aufführungen des Stückes noch in ganz direkten Worten das Erscheinen des Geistes berichtet wurde. Hier wird nun erst im Laufe eines gesdiidct begonnenen Gesprächs zwischen den Soldaten die Rede darauf gebracht." Es ist hingegen nicht wahrscheinlich, daß die Szene jemals eine von der uns bekannten Fassung abweichende Gestalt gehabt haben sollte. Warum könnte der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes die innere Struktur der bei Shakespeare vorgezeichneten Szene auf der Terrasse des Schlosses nicht übernommen haben? Unter seinen Händen nahm die kunstvolle Exposition des englischen Textes eine ohnehin schon stark abgekürzte Form an, 1 4 5 Daß die Grundlage des Bestraften Brudermordes nur der Quarto 1-Text gewesen sein kann, wird sich im Verlauf der Untersuchungen noch ergeben. Abgesehen von der in dieser Arbeit vorgetragenen Theorie, daß der auf der Quarto 1 basierende Text des Bestraften Brudermordes später mit Hilfe der Quarto 2 erweitert und verbessert wurde, zeigt ein Vergleich der drei Texte weit mehr wörtliche und inhaltliche Parallelen zwischen dem Bestraften Brudermord und der Quarto 1 als mit dem Quarto 2-Text. Auch von hier aus würde also der Annahme, daß der deutsche Text nach der Quarto 2-Ausgabe zusammengestellt worden sei, widersprochen werden können. 1 4 6 Tanger, a . a . O . , S. 234 ff. 1 4 7 Baesecke, a. a. O., S. 136.

die keinerlei Anhaltspunkte dafür bietet, daß sie unabhängig von Shakespeare erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gestaltet wurde. Als erste Übertragung ist die Szene auf jeden Fall einfacher zu erklären als durch die Annahme, daß sie zunächst vom Verfasser des deutschen Textes selbst gestaltet wurde, um dann später wieder eine dem Shakespeareschen Text entsprechende Umschreibung gefunden zu haben. Der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes hat sich, soweit der deutsche T e x t überhaupt seine ursprüngliche Fassung bewahrt hat 1 4 8 , im allgemeinen nicht wörtlich an seine Vorlage gehalten. Er gibt die bei Shakespeare vorgezeidinete Handlung mit eigenen Worten und in eigener Interpretation wieder; aus dieser Sicht sind alle wörtlichen Anklänge nicht mehr als zufällig und sollten nicht notwendig auf eine bestimmte Lesart des englisdien Textes zurückgeführt werden. Wenn der König im Bestraften Brudermord seinen Hofmarschall fragt, ob die Abreise des Leonhardus mit dem „Consens" des Vaters geschehen sei, so dürfen wir dem Bearbeiter des deutschen Textes zumuten, dieses Wort eigens f ü r diese Stelle erfunden zu haben. Bestimmt war er nicht darauf angewiesen, es der Quarto 2 ("Vpon his will I seald my hard consent", Creizenach) oder der Quarto 1 ("forced graunt", Tanger) zu entnehmen. Der deutsche Text enthält viele Fremdworte, die sein Bearbeiter sichtlich gern verwandt hat. Unter Verben wie permittieren, agieren, visitieren und alterieren, unter Substantiva wie Adhaerenten und Solennitäten reiht sich auch „Consens" ein, ohne daß dafür eine Vorlage vorhanden gewesen sein müßte. Da das Wort Consens zu einem Wortspiel verwandt ist — (»Ja, mit Ober-Consens, mit Mittel-Consens und mit Unter-Consens") — wird die Vermutung, der Bearbeiter habe es von sich aus dem Text zugefügt, bekräftigt. Er versuchte wohl, die dem Corambis an anderer Stelle eigene Sprechweise nachzuahmen ("The best Actors in Christendome, Either for Comedy, Tragedy, Historie, Pastorall, Pastorall, Historicall, Historicall, Comicall, Comicall historicall, Pastorall, Tragedy historicall...", II, 2). Tanger versucht, die von Creizenach vermutete Obereinstimmung zwischen den Worten des Geistes („Höre mich, Hamlet, denn die Zeit kommt bald, daß ich mich wieder an denselben Ort begeben muß, wo ich hergekommen") und den Quarto 2-Zeilen ("My houre is almost come When I to sulphrous and tormenting flames Must render vp my seife") dadurch zu widerlegen, daß er das Fehlen markanter englischer Ausdrücke im deutschen Text als Beweis f ü r eine unabhängige Bearbeitung ansieht 149 . Er behauptet, der deutsche Bearbeiter hätte sich bei einer Benutzung des Quarto 2-Textes die "tormenting flames" bestimmt nicht entgehen lassen. Ausgangspunkt aller Betrachtungen muß der T e x t bleiben, der uns vorliegt. Ein Austausch der Ansichten über das, was der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes für gut oder schlecht gehalten haben mag, würde die Untersuchungen über das Drama nie zu einem Abschluß gelangen lassen. Auch die Quarto 1 spricht davon, daß der Geist "all the day confinde in flaming fire" sei, ohne daß diese Worte übertragen worden wären. Möglich ist indessen, daß anfänglich im Bestraften Brudermord vom „ F e g e f e u e r " die Rede gewesen ist, daß diese Stelle aber später gestrichen wurde, um katholische Einflüsse auszumerzen. An anderer Stelle (III, 6) wird der Papst beschuldigt, das. Zustandekommen der zweiten Ehe von Hamlets Mutter erlaubt zu haben. Vielleicht verdanken derartige Stellen ihre Entstehung einer Konzession der Wandermimen, die sie in vorwiegend protestantischen Gegenden einräumen mußten. Solche Vermutungen sind allerdings rein spekulativ und können keineswegs als endgültige Aussagen betrachtet werden. Sie finden nur deshalb Erwähnung, damit die unmittelbar vom Text angeregten Interpretationsmöglichkeiten möglichst vollständig erfaßt werden. 148 Das darf nach den überaus häufigen Anklängen an den englischen Text jedoch mit guten Gründen angenommen werden. 149 Tanger, a. a. O., S. 234.

4

Freudenstein,

Brudermord

49

Die These, daß der Bestrafte Brudermord in seiner ersten Fassung auf dem Text der Quarto 1-Ausgabe der Shakespearesdien Hamlet-Tragödie basiert und später mit Hilfe der Quarto 2-Ausgabe an einigen Stellen erweitert, ergänzt und verbessert wurde, wird durch den ersten Akt des Komödianten-Hamlet bestätigt. Er darf als freie Übertragung des ersten Aktes der Quarto 1-Ausgabe bezeichnet werden. N u r an einer Stelle ist ein Einfluß des Quarto 2-Textes ersichtlich; andere Berührungen mit dem Quarto 2-Text sind mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Die Stelle, an der das deutsche Hamlet-Drama der Quarto 2Lesart folgt, kann — ohne den Zusammenhang der Handlung zu stören — dem Text entnommen werden; aus diesem Grunde ist es nicht ausgeschlossen, daß sie auch erst später hinzugefügt worden ist. Creizenach 150 hält eine solche Möglichkeit von vornherein für ausgeschlossen, und auch Tanger 1 5 1 bemüht sich, die Quarto 2-Lesarten im Bestraften Brudermord anders als durch spätere Einfügung zu erklären. Grundsätzlich stehen dieser Auffassung jedoch keine Einwände entgegen. Wie die wandernden Spieler zuweilen die Titel ihrer Dramen änderten, um alten Spielen das Aussehen neuer „lustiger Comoedias und Tragoedias" zu verleihen, dürfen wir annehmen, daß sie sich auch vor inhaltlichen Veränderungen nicht scheuten, wann immer sich eine Möglichkeit dazu bot 152 . Das braucht nicht nur ex tempore vorgenommen worden zu sein. "Wir wissen, daß eine Reihe Manuskripte von Komödiantendramen öfters abgeschrieben und dabei gelegentlich leicht abgeändert wurden 153 . Der Quarto 2-Text des englischen Hamlet, der in London unter Hinweis darauf, daß er "newly imprinted and enlarged to almost as much againe as it was" verkauft wurde, mußte jenen Komödianten, die den Hamlet in Deutschland bereits gespielt hatten, eine willkommene Gelegenheit bieten, ihren deutschen Text damit zu vergleichen und an einigen Stellen zu erweitern 154 . Solche „ a d d i t i o n s " — wie sie in England sogar von Dichterhand vorgenommen wurden, um ein altes Drama neu und zugkräftiger zu gestalten 155 — werden auf der Wanderbühne nicht nach literarischen, sondern vornehmlich nach schauspielerischen Gesichtspunkten ausgewählt worden sein. Der Zusatz im ersten Akt des Bestraften Brudermordes bietet in dieser Hinsicht vielfältige Möglichkeiten; der Wechsel der „Trauerkleider", vorwiegend dunkler Gewänder also, in „Carmosin, Purpur und Scharlach" 156 konnte farbenprächtig dargestellt, der Wechsel von trauervoller in freudenreiche Stimme wirkungsvoll vorgetragen werden. 150 ^ff Creizenach, Die Schauspiele der englischen Komödianten, Deutsche NationalLitteratur, Band 23, Bandausgabe 118, Berlin/Stuttgart (1889), S. 133 f. 151 Tanger, a. a. O., S. 245. 152 Die Schauspieler-Szenen im Bestraften Brudermord können als Beispiel dafür betrachtet werden. 153 Flemming, a. a. O., S. 34. 154 Im Kapitel 2 B wird versucht, die hierzu nötigen praktischen Voraussetzungen aufzuzeigen und ihre Gegebenheit für die Truppe, in deren Besitz sich das Manuskript des Bestraften Brudermordes befand, wahrscheinlich zu machen. 155 Die Spanish Tragedy wurde im Jahre 1602 mit „additions" versehen herausgebracht. Vergl. A . K . Mcllwraith, Five Elizabethan Tragedies, World's Classics Nr. 452, Oxford 1952, S. 227 ff. 50

Darüber hinaus diente dieser Zusatz gleichzeitig dem Bestreben der Mimen, die Handlung so eindeutig wie möglich zu führen und zu motivieren. D a ß ohne den Zusatz eine „Lücke" im T e x t verbleibe, wie T a n g e r 1 5 7 ausführt, ist allerdings nicht ersichtlich. Auch der Quarto 1 - T e x t enthält den Hinweis des Königs auf seine Heirat mit Hamlets Mutter nicht, die aber an anderen Stellen — auch im Bestraften Brudermord (I, 4 ; I, 5 ; I, 6 u. a.) — ausreichend angedeutet und erwähnt wird. Die Handlung im deutschen Komödiantendrama würde auch ohne den Zusatz aus dem Quarto 2 - T e x t geschlossen und verständlich bleiben; daß er sich notwendig von selbst ergebe, kann nicht angenommen werden, weil er auffällig dem Quarto 2 - T e x t ähnelt, der auch an anderen Stellen auf den Bestraften Brudermord eingewirkt haben muß. Die Abhängigkeit des Bestraften Brudermordes von den beiden ersten Quarto-Ausgaben des Shakespeareschen Hamlet ergibt für den ersten Akt folgendes Bild: ERSTER AKT DER B E S T R A F T E B R U D E R M O R D 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Szene Szene Szene Szene Szene Szene Szene

Vorlage

Akt/Szene

Quarto 1 — 1,1 Verbindungszwischenstück Quarto 1 1,1 Quarto 1 1,1, 2 + 4 Quarto 1 1, 4 + 5 Quarto 1 1, 5 Quarto 2 1,2 Quarto 1 1, 2

Die Szenenanordung läßt erkennen, daß der Bearbeiter sich bemüht, die Handlung auf das I n h a l t l i c h e zu konzentrieren. Alle Szenen, in denen der Geist auftritt, stehen am Anfang des Dramas. Die Ereignisse, die in Shakespeares Eingangsszenen dramatisch wirkungsvoll ineinander verschlungen sind, werden in einfachem Nacheinander vor Augen geführt. Der Abschied des Laertes von seinem Vater und seiner Schwester fehlen völlig. Die Staatsszene, die stark gekürzt wurde und in der ein Hinweis auf Fortinbras nicht gegeben wird 1 5 8 , ist an das Ende des ersten Aktes gerückt. Diese wenigen Andeutungen genügen bereits, um Cohn widersprechen zu können, der die Ansicht vertritt, der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes sei mit "unskilful hands" ans W e r k gegangen 1 5 9 . E r fügt sich vielmehr den Regeln des Wanderdramas, das in seiner Struktur natürlich literarischen P r o dukten unvergleichbar ist. 1 5 6 Es ist auffällig, daß die genannten Stoffarten sämtlich auf den Grundton rot abgestimmt sind. Vielleicht darf man folgern, daß die Spieler einheitlich rote Gewänder trugen, die Worte indes die Illusion hervorriefen, es handele sich um verschiedene Farbnuancen. 1 5 7 Tanger, a. a. O., S. 241. 1 6 8 „Audi die historische Hintergrundzeichnung wird in den Stücken der Englischen Komödianten ganz vernachlässigt." Baesedce, a. a. O., S. 102. 1 5 6 Cohn, a. a. O., S. C X X I .

4*

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Neben dem Bemühen, die Handlung eindeutig zu führen, darf als besondere Eigentümlichkeit der Wanderbühne die Einfleditung des K o m i s c h e n angesehen werden 1 8 0 . Dieser Zug, dem wir als derbem H u m o r bereits in der zweiten Szene des Bestraften Brudermordes begegnen und der hier vom Bearbeiter ohne englisches Vorbild eingefügt wurde, ist obligatorisch für alle Komödiantendramen. E r entspringt zunächst dem Wunsch nach Auflockerung der Handlung, ist aber zugleich eine w e s e n s m ä ß i g e N o t w e n d i g k e i t , die sich aus dem künstlerischen Wollen der Komödianten ergibt. Sie waren in erster Linie M i m e n , die ihr S p i e l zur Geltung bringen wollten und sich dazu literarischer Kunstwerke bedienten, die sie für ihre Zwecke bearbeiteten. U m den Charakter des S p i e l s zu wahren, achten sie mit peinlicher Genauigkeit darauf, daß eine echte Anteilnahme am Geschehen vermieden wird. Sie bemühen sich geradezu, die Illusion immer wieder zu zerstören. Zugleich kamen sie mit ihren possenhaften Einlagen dem Publikum der Wanderbühne entgegen, dessen Welt zum allergrößten Teil nicht die der höfischen Gesellschaft war. Originelle Züge hat der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes indessen nicht zu erfinden vermocht. Das Motiv vom feigen Soldaten und der Besuch von Geistern bei der Schildwache ist auch in anderen Komödiantendramen beliebt 1 6 1 . Eine gewisse Ungeschicklichkeit verrät er durch seine besondere Liebe für Wiederholungen 162 , soweit sie nicht mehr der Eindeutigkeit der Handlung dienen, und durch ausführliche Beschreibung von Nebensächlichkeiten. Die Erzählung des Geistes von seiner Ermordung (1,5) wiederholt Hamlet kurz danach fast wörtlich (1,6), als er sie dem Horatio berichtet. Langatmig erzählt Hamlets Vater nicht nur, wie er selbst durch das Gift „Ebeno" zu Tode kam, sondern auch, welche Wirkungen „dieses Oel oder Saft" im allgemeinen zeitigt. Gerade an dieser Stelle kann aber die Umständlichkeit des Bearbeiters auch wieder beabsichtigt sein, um die Spannung der Zuschauer zu erhöhen, indem sie nur langsam erfahren, was am Todestag des alten Königs geschehen ist. Daneben beweist der erste Akt des Bestraften Brudermordes, daß sein Bearbeiter die Übertragung ins Deutsche nicht ohne Überlegung durchgeführt hat. Die Frage, wieso es möglich war, daß Claudius König von Dänemark werden konnte und Hamlet als Thronfolger nicht — wie es in England Brauch war — seine Rechte geltend machen konnte, wird durch die folgende Umschreibung beantwortet: „ . . . weil ich in Teutschland gewesen, hat er (Claudius) sich geschwinde zum König in Dännemark krönen lassen, unter dem Schein des Rechtens aber hat er mir die Krone von Norwegen überlassen, und beruft sich auf die Wahl der Stände." In gleicher Weise ist die unklare Stellung des Horatio bei Shakespeare im Bestraften Brudermord fester und eindeutiger umrissen. Zwar kann auch hier Horatio seinen Freund bei der Ausübung der Rache nicht tatkräftig unterstützen, wird aber von Hamlet ins Vertrauen gezogen und erfährt schon im ersten Akt (I, 6) Einzelheiten der Ermordung des alten Königs. All dies verbietet, dem Bearbeiter des Bestraften Brudermordes vorzuwerfen, er habe sich mit Sorglosigkeit an seine Arbeit begeben. Sind seine Interpretationen des Shakespeareschen Textes oft auch recht einfältig, so kann doch nicht Flemming, a. a. O., S. 26; Baesecke, a. a. O., S. 46 f. Creizenach, a. a. O., S. 138; Willi Flemming, Die deutsche Barockkomödie, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Barockdrama, Band 4, Leipzig 1931, S. 340 ff. 1 6 2 Baesecke, a. a. O., S. 43 f. 160

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abgestritten werden, daß er sich ü b e r h a u p t und g r u n d s ä t z l i c h bemüht hat 1 8 3 . Dieses Lob hat er bei allem Tadel verdient.

darum

c) Zweiter A k t Verkürzt und auf das wesentliche beschränkt finden wir im zweiten Akt des Bestraften Brudermordes den Handlungsverlauf der Hamlet-Tragödie, den Shakespeare von der ersten Szene des zweiten Aktes bis zur dritten Szene des dritten Aktes niedergelegt hat. Audi hier erkennen wir wieder im Bestraften Brudermord den groben Niederschlag des Shakespeareschen Textes. II, 1 KÖNIGIN. . . . ich habe große Betrübnisse über die Melandiolie meines Sohnes Hamlets, welcher mein einziger Prinz ist, und dieses schmerzt mich. 11,2 CORAMB. Prinz Hamlet ist t o l l . . . 11,3 CORAMB. Was ist es denn, mein Kind?

OPHELIA. Ach, Herr Vater, Prinz Hamlet plagt midi, ich kann keinen Frieden für ihn haben. CORAMB. . . . O nun weiß ich schon, warum Prinz Hamlet toll ist; er ist gewiß in meine Tochter verliebt? KÖNIG. Hat denn die Liebe eine solche Kraft, einen Menschen toll zu machen? CORAMB. . . . freylidi ist sie kräftig genug... KÖNIG. Kann man aber seine Raserey und Tollheit nidit selbst in Augenschein nehmen? KÖNIG. Liebste Gemahlin, Sie lasse sich belieben, in Ihr Gemach zu gehn . . .

QUARTO 1 King. . . . our deere cosin Hamlet Hath lost the very heart of all his sence, It is most right, and we most sory for him. (II, 2) Cor. . . . touching the yong Prince Hamlet, Certaine it is that hee is madde (11,2) Cor. Farewel, how now Ofelia, what's the news with you? (II, 1) und: Cor. Why what's the matter my Ofelia? (II, 1) Ofe. O my deare father . . . So great an alteration in a Prince . . . fearefull to mee . . . (II, 1) Cor. Madde for thy loue (II, 1) King. Thinke you t'is so? (II, 2) Cor. . . . I would very faine know That thing that I haue saide t is so, positiuely . . . (II, 2) King, how should wee trie this same? (11,2) Cor. Madame, will it please your grace To leaue vs here? (II, 2)

1 6 3 Sicherlich hat der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes nicht beabsichtigt, in der Schwurszene des ersten Aktes die Worte des Geistes „Wir schwören" als Echo aufklingen zu lassen, um damit die Realität der Geistererscheinung in Frage zu stellen (W. W. Greg, Hamlet's Hallucination, The Modern Language Review, Vol. X I I , Nr. 4, Oktober 1917, S. 393 ff.). In keiner Hamlet-Version tritt der Geist derart real wie im Bestraften Brudermord auf: „GEIST giebt von hinten der Sdiildwadie eine Ohrfeige, daß er die Musquete fallen läßt" (1,2). Zur Diskussion über die Frage der Echtheit des Geistes im Shakespeareschen Hamlet-Drama kann der Bestrafte Brudermord nicht herangezogen werden.

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11,4 OPHELIA. Eure Durchlaucht nehmen doch das Kleinod wieder, welches Sie mir geschenket. HAMLET. . . . ihr Jungfern, ihr thut nichts anders, als die junge Gesellen verführen, eure Schönheit kauft ihr bey den Apothekern und Krämern . . . . . . — doch, gehe nur fort nach dem Kloster... K Ö N I G . . . . uns dünkt aber, daß es keine rechte Tollheit, sondern vielmehr eine simulirte Tollheit sey.

Ofel. My Lord, I haue sought opportunitie . . . to redeliuer to your worthy handes, a small remembrance, such tokens which I haue receiued of you. ( I l l , 1) Ham. Nay, I haue heard of your paintings too, God hath giuen you one face, And you make your selues a n o t h e r . . . (Ill, 1) . . . to a Nunnery goe, T o a Nunnery goe. (Ill, 1) King. Loue? No, no, that's not the cause, Some deeper thing it is that troubles him. (Ill, 1)

11.5 HAMLET. Was aber bringt der alte N a r r Neues?

Ham. Do you see yonder great baby? (11,2)

11.6 CORAMB. Neue Zeitung, gnädiger Herr!

Cor. My lord, I haue news to tell you.

Die Komödianten sind angekommen!

Cor. The Actors are come hither, my lord. (11,2) Ham. When Rossios was an Actor in Rome. (II, 2) H a . O Iepha Iudge of Israel! what a treasure hadst thou? Ham. . . . one faire daughter, and no more . . . (II, 2) Ham. . . . This spirit that I haue seene may be the D i u e l l . . . I will haue sounder proofes, The play's the thing, Wherein I'le catch the conscience of the King. (II, 2)

HAMLET. Da Marus Russig ein Comödiant war zu Rom . . . HAMLET. O Jeptha, Jeptha, was hast du vor ein schönes Töchterlein! HAMLET. Diese Comödianten kommen eben recht, denn durch ihnen will ich probiren, ob mich der Geist mit Wahrheit berichtet, oder nicht.

(H,2)

11,7 H A M L E T . . . . mich dünckt, ich habe euch da sehn agiren. HAMLET. Habt ihr noch alle drey Weibspersonen bey euch . . . CARL. Ihre Hoheit, ich nehme mit unterthäniger Ehrerbietung diese Correction an, und werden uns künftig besser gewöhnen.

Ham. I heard thee speake a speech once . . . (II, 2) Ham. . . . What my olde friend . . . My yong lady and m i s t r i s . . . (II, 2) players. My Lord, wee haue indifferently reformed that among vs. ( I l l , 2)

HAMLET. Ich bin ein großer Liebhaber eurer Exercitien, und meine es nicht übel, denn man kan in einem Spiegel seine Flecken sehen . . .

QUARTO 2 Hamlet. . . . For any thing so ore-doone, is from the purpose of playing, whose end both at the first, and novve, was and is, to holde as twere the Mirrour vp to nature, to shew vertue her feature . . . (Ill, 2)

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HAMLET. . . . Höret mir nun, ihr agirtet dazumahlen eine Materie in Wittenberg von dem König Pir Pir — es pirt sich so. HAMLET. . . . könnt ihr wohl sie diesen Abend noch präsentiren? CARL. O ja, das können wir leicht machen . . . HAMLET. Diese Comödianten kommen mir itzo sehr wohl zu Passe. Horatio, gieb wohl acht auf den König: wo er sich entfärbt oder alterirt, so hat er gewiß die That verrichtet... . . . Höre, ich will dir eine artige Historie erzählen: In Teutschland hat sich zu Straßburg ein artiger Casus zugetragen . . . . . . ich bitte dich aber, observire alle Dinge genau. H O R A T . Ihro Durchlaucht, ich werde meinen Augen eine scharfe Aufsicht anbefehlen. 11,8 K Ö N I G . . . . Prinz Hamlet, wir haben vernommen, daß Comödianten sind anhero kommen, welche uns noch an diesem Abend eine Comödie präsentiren wollen: sagt uns, verhält sich das also? K Ö N I G . Was ist es vor eine Materie, es ist ja wohl nicht etwa was Widerwärtiges oder was Unhöfliches? HAMLET. Es ist eine gute Materie; uns, die wir gutes Gewissen haben, denen gehet es nichts an. (Hier kommt die Comödie: Der König mit seiner Gemahlin. Er will sich schlafen legen ... er legt sich doch nieder, die Königin nimmt ihren Abschied... und geht ab. Des Königs Bruder kommt mit einem Gläschen, gießt ihm was ins Ohr und geht ab.) K Ö N I G . Fackeln, Windlichter her, die Comödie gefällt uns nicht! CORAMB. Pagen, Lakeyen, brennt die Fadkeln an, der König will abgehn. HAMLET. . . . Nun, siehst du, daß mich der Geist nicht betrogen hat! 11,9 HAMLET. . . . darum gehet hin tractiret mir diese Leute wohl.

und

QUARTO 1 Ham. I heard thee speake a speech once, . . . Let me see. The rugged Pyrrus, like th'arganian beast: N o t'is not so, it begins with Pirrus: O I haue it. The rugged P i r r u s . . . (II, 2) Ham. . . . can you not play the murder of Gonsago? (II, 2) players. Yes very easily my good Lord. (H,2)

Ham. . . . The play's the thing, Wherein I'le catch the conscience of the King. (II, 2)

Ham. . . . Marke thou the King, doe but obserue his lookes . . . (Ill, 1) Ham. . . . About my braine, I haue heard that guilty creatures sitting at a play, Hath, by the very cunning of the scene, confest a murder Committed long before. (II, 2) Ham. . . . Horatio, haue a care, obserue him well. (Ill, 1) Hor. My lord, mine eies shall still be on his face, And not the smallest alteration That shall appeare in him, but I shall note it. (Ill, 1) King. H o w now son Hamlet, how fare you, shal we haue a play? ( I l l , 2)

King. Haue you heard the argument, is there no offence in it? ( I l l , 2) Ham. . . . it toucheth not vs, you and I that haue free S o u l e s . . . ( I l l , 2) Enter in a Dumbe Shew, the King and the Queene, he fits downe in an Arbor, she leaues him: Then enters Lucianus with poyson in a Viall, and powres it in his eares, and goes away ... (Ill, 2) King. Lights, I will to bed. ( I l l , 2) Cor. The king rises, lights hoe. (Ill, 2) Ham. . . . i'le take the Ghosts word For more then all the coyne in Denmarke. (Ill, 2) Ham. . . . Will you see the Players well b e s t o w e d . . . (II, 2) 55

CORAMB. J a ja, ich will sie tractiren, wie sie es verdienen. HAMLET. Tractiret sie wohl, sag ich . . . denn ihr Theatrum ist wie eine kleine Welt, darinnen sie fast alles, was in der großen Welt geschieht, repräsentiren.

Cor. My lord, I will vse them according to their deserts. (II, 2) Ham. O farre better man . . . Ham. . . . I tell you they are the Chronicles And briefe abstracts of the time . . . (II, 2)

Die Übersicht veranschaulicht die Beziehungen des zweiten Aktes des Bestraften Brudermordes zum Shakespeareschen H a m l e t - T e x t : ZWEITER AKT DER BESTRAFTE BRUDERMORD

Vorlage

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Quarto Quarto Quarto Quarto Quarto Quarto Quarto

Szene Szene Szene Szene Szene Szene Szene

8. Szene 9. Szene

:

Akt/Szene 1 1 1 1 1 1 1

II, 2 II, 2 II, 1 + 2 III, 1 II, 2 II, 2 II, 2 III, 1 + 2 Quarto 2 III, 2 Bearbeitung dtsdi. Komöd. Quarto 1 III, 2 Quarto 1 II, 2

Audi der zweite Akt des Bestraften Brudermordes bestätigt die These, daß der nach der Quarto 1-Ausgabe zusammengestellte Text nachträglich durch eine Quarto 2-Lesart korrigiert und erweitert worden ist. Tanger behauptet, der Spiegel-Vergleich brauche nicht aus der Quarto 2-Ausgabe übernommen worden zu sein, da er in der damaligen Zeit allgemein bekannt gewesen sei 1 6 4 . Im ersten Kapitel dieser Arbeit ist bereits versucht worden, die allgemeine Beliebtheit des Spiegel-Vergleichs nachzuweisen. Gerade aber, wenn der Vergleich nicht ungebräuchlich war, ist um so eher zu erklären, warum der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes bei einer Revision seines Textes an Hand der Quarto 2-Ausgabe ihn von dort in den Komödianten-Hamlet übernommen hat. Eine Veranlassung, ihn grundlos oder notwendig hinzuzufügen, bestand nicht. Da es sich bei dieser Stelle nicht um die einzige handelt, bei der wir einen Quarto 2-Einfluß zu erkennen glauben, darf es als sicher gelten, daß sie von dort übernommen worden ist. Der Spiegel-Vergleich erscheint im Bestraften Brudermord an einer Stelle, an der er ohne Schwierigkeiten eingeflickt werden konnte. Hamlet hat die Belehrung der Schauspieler — (die wohl, da nur sehr lose Verbindungen zum Shakespeareschen Text herzustellen sind, zum größten Teil das geistige Gut deutscher Komödianten ist) — gerade beendet, und der Prinzipal hat versprochen, die Worte des Prinzen beherzigen zu wollen. Bevor Hamlet mit den Spielern die Aufführung eines Schauspiels bespricht, resümiert er im Spiegel-Vergleich noch einmal Sinn und Zweck des Theaters. Solche Stellen, die dem T e x t des Bestraften Brudermordes entnommen werden können, ohne den Sinnzusammenhang des ganz auf äußere Handlung abgestimmten Verlaufs des Dramas zu zerstören, sind relativ selten. Natürlich gibt es auch in dem nach Quarto 1 übertragenen T e x t eine Reihe von Passagen, 164

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Tanger, a . a . O . , S . 2 4 0 f .

die .zur Handlungsentwicklung nicht unbedingt notwendig erscheinen; immerhin handelt es sich um ein Schauspiel, das ohne Dialoge nicht auskommt und trotz aller Konzentration auf das Stoffliche ganz bewußt nicht n u r der Mitteilung von Tatsachen dient. Dennoch ist es auffällig, daß s ä m t l i c h e Stellen, die in der Quarto 2 ihre Parallele haben, in j e d e m Falle ausfallen, also auch nachträglich hinzugefügt worden sein könnten. Ist es bei sehr vielen anderen Stellen eine Frage der Interpretation, ob sie aus dem Gang der Handlung entfernt werden können oder nicht, steht es hier ohne jeden Zweifel fest, daß es sich um erläuternde, beschreibende, immer aber um Stellen handelt, auf die ohne weiteres verzichtet werden kann. Uber den Spiegel-Vergleich hinaus ist ein weiterer Einfluß des Quarto 2-Textes auf den Bestraften Brudermord im zweiten Akt nicht nachweisbar. Eine Entlehnung des „Spiels im Spiel" aus der Quarto 2 ist unwahrscheinlich, audi wenn dort die Spieler als „King" und „Queene" — wie im Bestraften Brudermord — auftreten, während sie in der Quarto 1 als „Duke" und „Dutchesse" bezeichnet werden. In der Beschreibung der „dumb-show" werden sie nämlich aiuch in der Quarto 1-Ausgabe als „King and Queene" eingeführt. Da der Bearbeiter des deutschen Textes über die „dumbshow" hinaus nichts vom eigentlichen „Spiel im Spiel" übernommen hat, kann er den „König" und die „Königin" also aus der Quarto 1 entlehnt haben. Die zweite Szene des zweiten Aktes stellt eine freie Bearbeitung dar, zu der der englische Text lediglich das Inhaltliche — die Mitteilung des Hofmarschalls über Hamlets Tollheit — beigetragen hat. Die Worte aus der Quarto 1: " . . . touching the yong Prince Hamlet, Certaine it is that hee is madde: mad let vs grant him then . . . " — werden vom deutschen Bearbeiter zu folgendem Zwiegespräch weiterentwickelt: „CORAMB. Prinz Hamlet ist toll, ja so toll, als der griechische Tolleran jemals gewesen. KÖNIG. Und warum ist er toll? CORAMB. Darum, daß er seinen Verstand verloren. KÖNIG. Wo hat er denn seinen Verstand verloren? CORAMB. Das weiß ich nicht, das mag derjenige wissen, welcher ihn gefunden hat." Corambus vertritt hier die „einfachste Art" der Einflechtung des Komischen in die Komödiantendramen, die Flemming als die „bloße Zwischenaktsfüllung durch Späße des Clowns" bezeichnet 185 . Sie ist verbunden mit der Weiterführung der Handlung, f ü r die darum aber ein Vorbild im englischen Text nicht gesucht zu werden braucht. Auch die entsprechende Quarto 2-Stelle konnte dem deutschen Bearbeiter nicht mehr als die Tatsache von Hamlets Wahnsinn vermitteln 168 und darf ebensowenig wie der Quarto 1-Text als unmittelbare Vorlage für die plumpen Späße des Corambus betrachtet werden. Man würde einerseits die Sorgfältigkeit der Arbeit und die Kombinationsfähigkeit des deutschen Bearbeiters überschätzen, andererseits seine Möglichkeiten zu eigener Gestaltung zu gering bewerten, wollte man mit Tanger und Schulze 167 annehmen, die Späße des Clowns aus der Kirchhofszene (Quarto l) 1 6 8 , die im Bestraften Brudermord fehlt, hätten hier ihren Niederschlag gefunden. Daß die Komödianten im Bestraften Brudermord eine Tragödie aufführen sollen, in der „ein Bruder den andern im Garten ermordet" (II, 6), ist inhaltlich auch der Quarto 166 -wüü Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 27. 168 II, 2, 92 ff.; Reprints S. 89. 187 Tanger, a. a. O., S. 235; Schulze, a. a. O., S. 60. 168 V, 1; Reprints S. 276. 57

1-Ausgabe zu entnehmen und braucht deshalb nicht aus dem Quarto 2-Text entlehnt zu sein ("Ile haue these Players Plav something like the murther of my father Before mine Vncle . . , " ) 1 8 9 . Das „Spiel im Spiel" vermag uns etwas über die Arbeitsweise des deutschen Bearbeiters zu verraten, dessen Streben nach Kürze und Eindeutigkeit zuweilen eine gewisse Überlegung notwendig machte, die an dieser Stelle rekonstruiert werden kann. Die P y r r h u s - R e d e , deren Sinn und dramatische Intensität er nicht erkennen konnte, ließ er aus. Dafür gab sie den Titel für das „Spiel im Spiel" her; zunächst, weil e{ sich so gut „pirren" ließ („ . . . von dem König Pir Pir — es pirt sich so", II, 7), dann aber auch, um die Handlung nicht noch um einen weiteren Namen (Gonzago) zu erweitern. Das Spiel, das die Komödianten nur in der „dumb-show" vorführten, ist eine bloße Dramatisierung dessen, was der Geist von Hamlets Vater in seiner Erzählung offenbart hatte* 70 . Somit folgt der Bestrafte Brudermord genau der Intention Shakespeares, die in beiden Quarto-Ausgaben zum Ausdruck kommt, wenn sie auch dort nicht so einfach und ungeschminkt zutage tritt wie im Komödianten-Hamlet. Das Bemühen nach n a i v e r K l a r h e i t ist dem Text auch des zweiten Aktes durchgehend abzuspüren. Die Handlung, die derjenigen in der Quarto 1-Ausgabe folgt, wurde verdichtet. Alle Szenen mit den am Hofe auftretenden Komödianten laufen nacheinander ohne Unterbrechung ab. Die Aushorchung Hamlets und Ophelias durch Corambus und den König folgt unmittelbar, nachdem Corambus sie vorgeschlagen hat. Irgendeine Verzahnung von Situationen, die Wiederaufnahme einer bereits angelaufenen Nebenbehandlung gibt es nicht. Zartere Regungen des Gefühls, deren Wiedergabe in der Quarto 1 hin und wieder versucht wird, sind brutal unterdrückt. Inhaltlich Quarto 2, 11, 2, 624ff.; Reprints S. 123. Da die Königin im „Spiel im Spiel" des Bestraften Brudermordes den König zunächst pantomimisch bittet, er möge sich n i c h t schlafen legen, folgert v. Weilen (a. a. O., S. 2), sie habe von dem beabsichtigten Mordanschlag vielleicht gewußt und ihn reumütig verhindern wollen. Das ist jedoch nicht anzunehmen, da an anderen Stellen eine Mitwisserschaft der Königin am Mord ihres Gatten nirgends ausgesprochen oder angedeutet wird. Die Zusammenhänge lassen vielmehr deutlich werden, daß Hamlets Mutter um den Mord n i c h t gewußt haben kann. Wenn der Prinz kurz vor seinem eigenen Tod sagt, die Königin habe ihr Leben „wegen ihrer Sünden halben" lassen müssen (V, 5), so ist unter diesen „Sünden" allein die schnelle Heirat mit Hamlets Onkel zu verstehen. Zumindest an dieser Stelle, an der Hamlet den Tod aller Ermordeten zu rechtfertigen sucht, hätte der Bearbeiter einen Hinweis auf die Mitwisserschaft der Königin gegeben. Der von Shakespeare abweichende Zug im „Spiel im Spiel" ist möglicherweise allein darum aufgenommen worden, um die Spieldauer der Pantomime zu verlängern. Hier konnten die Mimen, ohne durch Worte behindert zu werden, die reine Kunst des Schauspielens voll zur Geltung bringen. Diese Erklärung scheint mir einleuchtender zu sein als der von Creizenach (a. a. O., S. 139 ff.) unternommene Versuch, das Schlafen des Königs in der „dumb-show" mit einem (angeblich verlorengegangenen) englischen Text in Verbindung zu bringen, in dem eine Regieanweisung gestanden haben könnte, nach der Claudius während der Aufführung der „dumb-show" schlafen mußte. Auf diese Weise wäre die Unklarheit beider Quarto-Lesarten des Hamlet beseitigt, wieso Claudius die Darstellung seines eigenen Verbrechens in der Pantomime ruhig hinnimmt, die gleiche Darstellung kurz darauf in dem von Worten begleiteten Spiel aber unterbricht. Creizenach erklärt weiter, in jenem englischen Text könnte die Königin den schlafenden König gebeten haben, aufzuwachen, und diese Regieanweisungen wären durch ein Versehen vom Bearbeiter des Bestraften Brudermordes mit der Handlung der „dumb-show" im deutschen Text verbunden worden. Diese zunächst einleuchtende Erklärung verliert jedoch von ihrer Uberzeugungskraft, wenn man sich daran erinnert, daß Creizenach den von ihm herangezogenen englischen Text lediglich konstruktiv ermittelt hat und seine Existenz durch kein direktes Zeugnis nachweisen kann. 169 170

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folgt der Bestrafte Brudermord dem Hamlet Shakespeares genau; dieser Inhalt nimmt aber unter den Händen des deutschen Bearbeiters eine völlig neue Gestalt an. Nicht an einer Stelle gibt Hamlet eine Probe seiner „simulierten Tollheit", von der er so oft spricht 171 . Die Art, in der er Ophelia begegnet (II, 4), unterscheidet sich nur g r a d m ä ß i g , n i c h t g r u n d s ä t z l i c h von dem Benehmen, dem Auftreten und dem Ton, mit denen er und alle anderen Personen uns im Text gegenübertreten. Für „artige Historien" hat der Verfasser des Bestraften Brudermordes eine besondere Vorliebe. Geschickt nutzt er in der vierten Szene des zweiten Aktes die Feststellung Shakespeares, daß die Schönheit der Frauen käuflich sei, dazu aus, sie mit einem handgreiflichen, pikanten Beispiel zu belegen. Ob die Geschichte von dem betrogenen Bräutigam zu Anion bereits von dem englischen Bearbeiter oder erst später durch deutsche Komödianten (nach 1650) eingeflickt wurde, läßt sich natürlich nicht mehr nachweisen. Bei Shakespeare ist sie auf jeden Fall nicht erwähnt und konnte darum auch von ihm nicht entlehnt werden. Da aber der Ort Anion fremdländische Herkunft verrät und eine zweite, im gleichen Akt eingefügte Geschichte aus England überliefert ist, dürfen wir annehmen, daß auch die erste schon in die ursprüngliche Fassung des Bestraften Brudermordes aufgenommen worden ist. Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, daß die schon an früherer Stelle beobachtete Neigung des Bearbeiters für Wiederholungen auch hier Ausdrudk gefunden zu haben scheint. Beide Geschichten folgen kurz aufeinander (11,4; 11,7); die erste mag dazu angeregt haben, eine zweite folgen zu lassen. Die von Creizenach erwähnte ähnliche Anekdote in Lope de Vegas El Mayor Imposible172 wird zur Quellenklärung kaum nützlich sein. Alles, was wir sicher sagen können, ist nur, daß die Geschichte dem Bearbeiter bekannt gewesen ist. Darüber hinaus ist es aber wahrscheinlich, daß er von der Klosterszene des Quarto 1-Textes die unmittelbare Anregung bekam, sie abweichend von Shakespeare in den Bestraften Brudermord einzufügen. Hamlet spricht im englischen Text sowohl von den „paintings" der Frauen als auch vom Heiraten ("But if thou wilt needes m a r r y . . . " ) 1 7 3 , den beiden wichtigsten Bestandteilen auch der Geschichte des Kavaliers von Anion. Die Aufforderung, in ein Kloster zu gehen, ist dann wieder direkt von Shakespeare übernommen worden 174 . Durch die Einfügung dieser 1 7 1 Daß Hamlet die Rolle eines Wahnsinnigen im Bestraften Brudermord besonders ausgeprägt spiele (v. Weilen, a. a. O., S. 4), kann dem Text nicht entnommen werden. 1 7 2 Creizenach, a. a. O., S. 138. 1 7 3 I I I , 1,144 fr.; Reprints S. 134. 1 7 4 Mit dem bloßen Hinweis Hamlets, Ophelia möge in ein Kloster gehen ("Go to a Nunnery goe . . . Quarto 1, I I I , 1, 123 ff., Reprints S. 132 f.) begnügte sich der Verfasser des Bestraften Brudermordes nicht: „ . . . Aber warte, Mädchen — doch, gehe nur fort nach dem Kloster, aber nicht nach einem Kloster, wo zwey Paar Pantoffeln vor dem Bette stehen" (II, 4). Eine auffällige Parallele dieses Ausspruches findet sich in dem „Schertz-Spil" des Andreas Gryphius Die geübte Dornrose. Im zweiten Aufzug verkündet Dornrose, (— die Heiratsanträge des aufdringlichen Aschewedels abwehrend —), sie spiele mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen. Darauf antwortet Aschewedel: „Ins Kluster! das wer mer a Pussen, wos wellt ihr am Kluster machen? Ihr ward doch keine Abttischn waren, wir wällen mit anander in a Kluster zihn do zwee poor Schu fürm Bette stihn . . . " (Willi Flemming, Die deutsche Barockkomödie, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Barockdrama, Band 4, Leipzig 1931, S. 191). Möglicherweise spricht der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes in seiner frivolen Anspielung nur offen aus, was Shakespeare bereits mit der bloßen Erwähnung des „nunnery" anzudeuten vermochte; John Dover Wilson (What happens in Hamlet, Cambridge 1935, S. 134; ferner: Hamlet, 2. Auflage, Cambridge 1948, S. 193) weist darauf hin, daß „nunnery" sowohl bei Fletcher als auch bei Nash und anderen ihrer Zeitgenossen als "a cant term for a house of ill-fame" verwandt wird. Darum liegt die Annahme nahe, daß das "Go to a Nunnery . . . " im Bestraften Brudermord nichts anderes als die traditionelle englische Bühneninterpretation dieses Wortes im 17. Jahrhundert auf deutschem Boden gefunden hat. Ebenso dürfte jedoch auch möglich sein,

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Geschichte entsteht ein Bruch in der Handlungsentwicklung. Kurz danach sagt der König im Bestraften Brudermord, er habe „des Prinzen Tollheit und Raserey mit großer Verwunderung gesehn" und Hamlets Wahnsinn sei „keine rechte Tollheit, sondern vielmehr eine simulirte Tollheit". Dem Gang der Handlung im Bestraften Brudermord hat er das nicht entnehmen können, denn die Geschichte, die Hamlet vorträgt, ist in ihrem Anliegen recht vernünftig, in ihrer Ausdrudesweise fügt sie sich in den Rahmen des übrigen Textes. Diese Beobachtung, daß der Bearbeiter an einer Stelle von Shakespeare abweicht, eigenes einfügt, und ihm kurz darauf wieder folgt, bestätigt, wie eng er sich im Grunde an den englischen Hamlet-Text angelehnt hat. Auch die bei Shakespeare nur angedeutete Begebenheit, nach der eine Frau während einer Theatervorstellung einen früher begangenen Mord gesteht, weiß der Verfasser des Bestraften Brudermordes ausführlich zu berichten. In A Warning for fair women wird, um die Vorteile einer Theateraufführung zu beweisen, eine ähnliche Geschichte aus "Linne, a town in Norfolk" erzählt 175 . Heywood schildert die gleiche Begebenheit in seinem Apology for Actors aus Amsterdam, wo sie sich während einer Aufführung englischer Komödianten ereignet haben soll. Auffällig ist an all diesen Geschichten, daß sie sämtlich von einer Frau berichten, die sich verraten haben soll, und ferner, daß sie innerhalb eines Vierteljahrhunderts (A Warning for fair women, um 1590; Shakespeare, 1603; Heywood, 1612) n u r von Engländern erzählt werden. Es ist darum sehr wahrscheinlich, daß die Geschichte ebenfalls durch Engländer in den Bestraften Brudermord gelangt ist, also bereits bei der ersten Übertragung des Textes aus dem Englischen eingefügt wurde. Die Verlegung des Schauplatzes nach S t r a ß b u r g geschah wohl, um das Ereignis dem deutschen Publikum besonders nahezubringen176. Daraus zu schließen, die Truppe, zu deren Repertoire der Bestrafte Brudermord gehörte, sei in Straßburg aufgetreten, wäre verfehlt. Cohn 1 7 7 sieht eine Verbindung zu der im Jahre 1654 in Straßburg belegten englischen Wandertruppe und folgert, "that the first form of the version of the piece (= Der Bestrafte Brudermord) now before us was made about that time". Der enge Anschluß an den Shakespeareschen Quarto 1-Text, der bisher bereits nachgewiesen wurde und auch für die folgenden Akte noch aufgezeigt werden soll, verbietet es, von grundlegend unterschiedlichen „ V e r s i o n e n " des Bestraften Brudermordes zu sprechen. Geändert worden sind im Laufe der Zeit wohl Einzelheiten, auch Schreibung und Ausdrucksweise mögen modernisiert worden sein, während die ursprüngliche Fassung als solche aber erhalten blieb. Daß Straßburg als Ort erwähnt wird, in der sich die eingefügte Geschichte ereignet haben soll, kann als Hinweis darauf gelten, daß die Komödianten in einer weit davon entfernten Gegend spielten; in Straßburg selbst, sowie in seiner näheren und weiteren Umgebung hätten die Zuschauer gewußt, daß der Vorfall dort gar nicht geschehen war 1 7 8 . Sich derart offen einer Lüge preiszugeben, dürften die Mimen im eigenen Interesse vermieden haben. daß der deutsche Bearbeiter von sich aus die Erweiterung des englischen Textes vornahm, zumal — wie das Beispiel des Gryphius zeigt — das „Kloster, wo zwey Paar Pantoffeln vor dem Bette stehen", nicht nur ihm bekannt war. 1 7 5 Cohn, a. a. O., S. C X X I I f. 1 7 6 Straßburg wird ausdrücklich als „deutsche" Stadt bezeichnet. Dieser Hinweis muß also v o r dem Jahre 1681 gegeben worden sein; danach kam die Stadt im Zuge der Riunionen Ludwig X I V . unter französische Herrschaft. Wenn die Geschichte Anfang des Jahrhunderts in den Bestraften Brudermord aufgenommen worden war, konnte sie auch von deutschen Komödianten (nach 1648) unverändert übernommen werden, da Straßburg im Westfälischen Frieden beim Reich verblieb. 1 7 7 Cohn, a. a. O., S. C X X I I I . 1 7 8 Es wäre schon ein außergewöhnlicher Zufall, sollte sich die Geschichte, die wahrscheinlich in England wirklich geschehen ist und dann von Engländern frei weitererzählt wurde, unabhängig davon auch in Straßburg noch einmal ereignet haben.

Teils zufällig, teils wohl aber auch nicht unbeabsichtigt, löst der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes auf die ihm eigene Weise mehrere Fragen, die in der Shakespeare-Kritik lange Jahrzehnte hindurch Ausgangspunkt sich gegenseitig ausschließender Interpretationen waren. D a das „Spiel im Spiel" nur als „dumb-show" aufgeführt wird, zu der Hamlet erläuternde Bemerkungen gibt, kann nicht beanstandet werden, daß der König das stumme Spiel mit der D a r stellung seines eigenen Verbrechens unbemerkt vorüberziehen lasse. Im Komödianten-Hamlet bricht der König die „dumb-show" ab; das eigentliche „Spiel im Spiel" beginnt erst gar nicht. Auf die aktive Einbeziehung des Horatio in das Geschehen des deutschen Spiels wurde bereits hingewiesen. Auch die Frage nach dem Grund von Hamlets Zögern bei der Ausübung seiner Rache hat den deutschen Bearbeiter beschäftigt. Zweimal wird im zweiten Akt darauf hingewiesen, der König sei von Wachen umgeben und es falle schwer, an ihn heranzukommen („ . . . mein Vater ist allezeit mit vielen Trabanten u m g e b e n . . I I , 5; „ . . . von dieser Stund an will idi darnach trachten, wo ich den König allein finde...", II, 9). Wird diese einfache Interpretation auch nicht der weit vielschichtigeren Zurückhaltung Hamlets vor seinem Racheauftrag bei Shakespeare gerecht, ist sie dennoch als Erklärung des Spielverlaufs nicht unzutreffend gewählt. Schon zuvor legt Hamlet seiner Rachewut bis zum Ende des „Spiels im Spiel" selbst Fesseln an; sofort, als er von der Ankunft der Schauspieler hört, teilt er Horatio seinen Entschluß mit, die Aussagen des Geistes mit Hilfe der Komödianten prüfen zu wollen. Bis dahin muß die Rache zurückstehen 179 . Diese erklärenden Züge allein dem Walten des Zufalls zuzuschreiben, kann die Häufigkeit ihres Vorkommens nicht erklären. W i r müssen dem Bearbeiter des Bestraften Brudermordes zugestehen, daß er sich immer wieder bemüht, die Eindeutigkeit der Handlung auf Kosten der seelischen Weite — soweit man überhaupt davon sprechen kann — hervorzuheben. Den r o t e n F a d e n , der einen folgerichtigen Ablauf des Geschehens garantiert, verliert er nie. An zwei Beispielen des zweiten Aktes soll das erläutert werden. In der fünften Szene bezweifelt Horatio die Echtheit des Geistes und damit die Aussagen über die Ermordung von Hamlets Vater. Zwar teilt Hamlet die Zweifel seines Freundes nidit, faßt aber unmittelbar darauf den Plan (sechste Szene), mit dem „Spiel im Spiel" den König prüfen zu wollen. In der neunten Szene sagt Hamlet, er werde nunmehr danach trachten, den König allein zu finden, um ihn ermorden zu können. Dieser Wunsch wird ihm in der ersten Szene des dritten Aktes (Gebetsszene) erfüllt; die neuerliche Verschiebung der Rache wird auch hier ausreichend erklärt. 179 Während durch das ganze Drama hindurch immer wieder nachdrücklich und lückenlos die Verzögerung der Rache motiviert wird, hat der Bearbeiter dennoch an einer Stelle vergessen, eine solche Erklärung zu geben. Da Hamlet gleich zu Beginn des Spiels (1,5) erfährt, daß sein Vater ermordet wurde, sollte man annehmen, er stürze sich bei der nächsten Gelegenheit (Staatsszene, I, 7) auf seinen Onkel, um ihn umzubringen; dagegen bleibt er jedoch gelassen und ruhig und tut, als wüßte er von nichts. Zum Verständnis dieses Versehens dient — wie schon an früheren Stellen — wiederum der englische Text: In der Quarto 1-Version des Shakespeareschen Dramas, der der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes folgt, weiß Hamlet während der Staatsszene noch nichts von der Ermordung seines Vaters. Auch dieses Beispiel vermag einen lebendigen Eindruck vom Schaffen des deutschen Bearbeiters, von seinen Fähigkeiten und Mängeln zu vermitteln. 61

In der zweiten Szene meldet Corambus, Hamlet sei wahnsinnig; der Grund sei ihm nicht bekannt. In der dritten Szene erscheint Ophelia und berichtet, sie werde von Hamlet verfolgt. So findet Corambus die Antwort auf seine Frage: Hamlet ist toll aus Liebe! All diese Folgerungen sind e i n f a c h u n d p r o b l e m l o s , weil sie in der Beschränkung auf das Tatsächliche den Reiz des Poetischen entbehren; sie sind aber n i c h t u n ü b e r l e g t u n d s o r g l o s vorgenommen worden. Rosenkrantz und Güldenstern sind aus dem Shakespeareschen Text nicht übernommen worden. Sie fehlen im Bestraften Brudermord ebenso wie jeglicher Hinweis auf ein politisches Geschehen, vor dessen Hintergrund sich der Untergang der Dynastie Hamlet vollzieht. Nicht erwähnt ist im Bestraften Brudermord schließlich auch, daß Corambis früher einmal Schauspieler gewesen ist und in seiner Universität den Caesar darzustellen hatte 1 8 0 . Dafür berichtet der Hofmarschall ein anderes Jugenderlebnis. Er erinnert sich, einst ebenso wie Hamlet jetzt, „verrückt aus Liebe" gewesen zu sein (II, 3). Diese Stelle als durch den englischen Text angeregt zu betrachten, ist nicht abwegig. Der Wunsch des deutschen Bearbeiters, seinen Text an jeder Stelle so klar wie möglich zu gestalten, führt gelegentlich zu "Widersprüchen, sobald man einen größeren Handlungszusammenhang überblickt. Als die Königin in der ersten Szene des zweiten Aktes ihrer Sorge über Hamlets Melancholie Ausdruck verleiht, fragt der König überrascht: „Wie? ist er melancholisch?" Kurz zuvor aber hatte er Hamlet selbst noch mit den Worten angesprochen: „Sehet hier Eure Frau Mutter, wie traurig und betrübt daß sie ist über Eure Melancholie" (I, 7). Schon im ersten Akt war ein ähnlicher Widerspruch aufgetreten. In der sechsten Szene fragt Horatio seinen Freund Hamlet: „Haben Ihro Durchlaucht den Geist gesehn?" In der fünften Szene hatte er selbst den Prinzen auf das Erscheinen des Geistes aufmerksam gemacht. T r o t z des Einflusses deutscher Komödianten auf die siebte Szene des zweiten Aktes (nach dem Jahre 1650) ist dennoch die ursprüngliche Vorlage des Shakespeareschen Textes ersichtlich. Die wenigen wörtlichen Anklänge in der Schauspielerszene sind in der Textgegenüberstellung verzeichnet. Inhaltlich jedoch stimmt diese Szene mit der Shakespeareschen Version weit .enger überein. E r halten ist unter anderem die Belehrung der Schauspieler durch den Prinzen, wenn auch seine Ratschläge dürftig sind und nicht im entferntesten einem V e r gleich mit der parallelen Stelle bei Shakespeare standzuhalten vermögen. Der Abschied der Schauspieler am königlichen H o f vollzieht sich so, wie er sich im Wechsel vollen Leben der Komödianten im 17. Jahrhundert manches Mal zugetragen haben mag: „CARL. Wir bedanken uns, und bitten um einen Reisepaß." (II, 8) Ein solcher Reisepaß diente an anderen Orten dazu, auf die bisherigen E r folge der Truppe hinweisen zu können. Aus sehr vielen Bittschriften wissen wir über die weite Verbreitung dieses Brauches 1 8 1 . 111,2, 105 ff.; Reprints S. 160. Das folgende Beispiel ist bei Bolte (a. a. O., S. 42) abgedruckt: „Dehmnach vnser Gnedigster Churfürst vnndt Herr, Ihr Churf. G. zu Brandenburgk, welchen wier jungst verloffenen wintter mit vnsern Actionibus Comicis gehorsahmist (vermög beigelegten von dero Gn. vns gnedigst mitgetheiltenn patent) aufgewartett...". Weitere Beispiele finden sich bei Bolte, S. 63, 69, 93 u. a. Auch in Frankfurter Petitionen sind ähnliche Hinweise erhalten; vergl. Mentzel, a. a. O., S. 110, 118 u. a. 180

181

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d) Dritter Akt D e r d r i t t e A k t des Bestraften Brudermordes zeigt einerseits w i e d e r u m die enge A n l e h n u n g des deutschen Bearbeiters an die englische V o r l a g e , andererseits durch die E i n f ü h r u n g n e u e r Personen u n d die Verflechtung eines nicht v o r gezeichneten komischen Zwischenspiels m i t der H a u p t h a n d l u n g die U n b e f a n g e n heit des Bearbeiters bei der Zusammenstellung seines Textes. D i e charakteristischen M e r k m a l e des K o m ö d i a n t e n d r a m a s , die schon in den beiden ersten A k t e n nachgewiesen w e r d e n k o n n t e n , sind auch im d r i t t e n A k t ausgeprägt erhalten. Soweit d e r Q u a r t o - T e x t des Shakespeareschen Hamlet im D i a l o g des Bestraften Brudermordes noch e r k e n n b a r ist, soll er zunächst wieder der deutschen Version gegenübergestellt w e r d e n . 111,1 K Ö N I G . Nunmehro beginnet mein Gewissen aufzuwachen, der Stachel der Betrügerey beginnet mich hart zu stechen, es ist Zeit, daß ich midi zur Bekehrung wende, und dem Himmel mein gethanes Unrecht bekenne. Ich fürchte, daß meine Missethat so groß ist, daß sie mir nicht wird können vergeben werden, doch will ich die Götter inbrünstig bitten, daß sie mir meine schwere Sünden vergeben wollen. 111,2 HAMLET. . . . nun ist es Z e i t . . . ich will ihn . . . ums Leben bringen . . . Doch nein, ich will ihn erstlich sein Gebet thun lassen . . . meinen Vater hat er nicht so viel Zeit gelassen, daß er erstlich ein Gebet hätte thun können, sondern hat ihn vielleicht in seinen Sünden schlafend nach der Höllen geschickt. . . K Ö N I G . . . . der nagende H u n d liegt noch unter meinem Herzen.

QUARTO 1 King. O that this wet that falles vpon my face Would wash the crime cleere from my conscience! When I looke vp to heauen, I see my trespasse . . . O these are sinnes that are vnpardonable . . . Aske grace of heauen to keepe thee from despaire. (III, 3)

Ham. I so, come forth . . . And thus hee dies... No, not so: he tooke my father sleeping, his sins brim full. (Ill, 3) King. . . . my sinnes remaine below. (Ill, 3)

111.4 H O R A T . Gnädigste Königin, Prinz Hamlet . . . begehret in geheim Audienz.

Cor. Madame, I heare yong comming. (III, 4)

CORAMB. Ja ja, ich werde mich ein wenig verstecken.

Cor. Tie shrowde my seife behinde the Arras. (III, 4)

111.5 HAMLET. . . . dort in jener Gallerie hängt das Conterfait Eures ersten Ehegemals, und da hängt das Conterfait des itzigen . . . Ist der erste nicht ein majestätischer Herr?

Hamlet

Ham. . . . see here, behold this picture, It is the portraiture, of your deceased husband . . . Looke you now, here is your husband . . . See here a face . . . A front wherin all vertues are set downe For to adorne a king . . . (Ill, 4) 63

HAMLET. Aber still, sind Thüren vest verschlossen?

alle

Ham. Fie tell you, but first weele make all safe. ( I l l , 4 )

K Ö N I G I N . . . . mein Sohn, was thut Ihr!

Queene. Hamlet, what hast thou done? (111,4)

111,6 GEIST

geht über das

auch

Theater

Enther the ghost . . . (Ill, 4)

HAMLET. . . . was ist dein Begehren? forderst du Rache?

Ham. . . . Doe you not come your tardy sonne to chide, That I thus long haue let reuenge slippe by? ( I l l , 4)

HAMLET. Sehet Ihr nicht den Geist Eures seeligen Ehegemals? K Ö N I G I N . Wie? idi sehe ja nichts.

Ham. . . . doe you nothing see? ( I l l , 4)

K Ö N I G I N . . . . wie hat doch die Melancholie diesen Prinzen so viele Raserey zugebracht! Ach, mein einziger Prinz hat seinen Verstand ganz verloren! . . . Ich will hingehen, und midi aufs höchste bemühen . . .

Queene. Alas, it is the weakenesse of thy braine, Whidi makes thy tongue to blazon thy hearts griefe . . .

111,9 OPHELIA. . . . mein Kütschchen, mein Kütsdichen . . .

QUARTO 2

Queene. Not I. (Ill, 4)

. . . I will conseale, consent, and doe my b e s t . . . (Ill, 4)

Oph. . . . Come my Coach . . . (IV, 5)

III, 10 K Ö N I G . Wo ist Corambus sein Leichnam geblieben?

QUARTO 1 King. . . . where is this dead body? (IV, 3)

K Ö N I G . . . . Gehet hin, und lasset ihn wegtragen... Ach, Prinz Hamlet . . . Wir aber aus väterlicher Vorsorge . . .

King. Make haste and finde him out. (IV, 3) King. Well sonne Hamlet, we in care of you:

(KÖNIG). Wir haben bey uns beschlossen, Euch nacher England zu schicken... als könnt Ihr Euch eine Zeit, weil eine gesundere Luft allda, in etwas refrigiren . . . Wir wollen Euch etliche von unsern Bedienten mitgeben . . .

but specially in tender preseruation of your health, . . . It is our minde you forthwith goe for England . . . . . . Lord Rossencraft and Gilderstone shall goe along with you. (IV, 3)

und: K Ö N I G . . . . diese beyden sollen mit Euch auf der Reise seyn . . . HAMLET. N u n Adieu, Frau Mutter!

Ham. . . . farewel mother. (IV, 3)

HAMLET. Mann und Weib ist ja ein Leib . . .

Ham. . . . man and wife is one f l e s h . . . (IV, 3)

HAMLET. . . . laßt uns fahren nach England.

Ham. . . . for England hoe. (IV, 3)

Die Übersicht verdeutlicht den Aufbau des dritten Aktes und die Beziehungen zum englischen Hamlet-Text: 64

DRITTER AKT DER BESTRAFTE BRUDERMORD 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Szene Szene Szene Szene Szene Szene Szene Szene Szene

10. Szene 11. Szene

Vorlage

Akt/Szene

Quarto 1 III, 3 Quarto 1 III, 3 Verbindungszwischenstück Quarto 1 111,4 Quarto 1 III, 4 Quarto 1 111,4 Zwischenspiel Zwischenspiel Zwischenspiel Quarto 2 IV, 5 Quarto 1 IV, 3 Zwischenspiel

Ein nachweisbarer Einfluß aus dem Quarto 2-Text zeichnet sich lediglich in der Wahnsinnsszene der Ophelia ab (III, 9). Die Frage, warum der Bearbeiter ausgerechnet den Ruf Ophelias nadi ihrem „Kütsdichen" aus der Quarto 2 übernommen haben sollte, wird eine voll befriedigende Antwort nicht finden können. Der im folgenden vorgetragene Erklärungsversuch ist nur einer unter möglichen anderen, für deren Richtigkeit keine Beweise erbracht werden können. Die Obereinstimmung ist derart auffällig, daß an eine zufällige Parallele nicht gedacht werden darf, zumal auch an dieser Stelle deutlich zu erkennen ist, daß eine nachträgliche Einschiebung durchaus nicht unwahrscheinlich sein dürfte. Vor ihrem Abtritt sagt Ophelia: „OPHELIA. O potz tausend, was hätte ich bald vergessen! Der König hat midi zu Gaste gebeten, ich muß geschwinde laufen. Siehe da, mein Kütsdichen, mein Kütsdichen! (ab.* Daß ein Komödiant diesen Ausruf während einer Hamlet-Vorstellung in England gehört und im Gedächtnis behalten haben sollte, er also „durch die lebendige schauspielerische Tradition" 1 8 2 in den Bestraften Brudermord gelangt sei, kann bei dieser unwesentlichen Stelle nidit als ausreichende Erklärung gelten. Es ist auffällig, daß ohne den letzten Satz („Siehe da, mein Kütsdichen, mein Kütsdichen!") die Wahnsinnsszene (III, 9) in sidi geschlossener wäre. Ophelia beginnt sie mit den Worten: „OPHELIA, toll. Idi laufe und renne, und kann doch mein Sdiätzdien nidit antreffen . . . ". Danach spricht sie — mit einer Ausnahme — ausschließlich von ihrer Hochzeit und den damit verbundenen Kleidersorgen, bevor sie wieder „geschwinde laufen" möchte, um zur Tafel des Königs zu eilen. Daß sie im Wahn spricht, ist dem Text nur dadurch zu entnehmen, daß sie Phantasmo als ihren „Liebsten" bezeichnet; daß sie ihm ungeschminkt verkündet, sie wolle mit ihm „zu Bette gehen", braucht nicht Ausdruck ihrer Tollheit zu sein; man braucht sich nur daran zu erinnern, wie — um nur ein Beispiel der lockeren und frivolen Redeweise auf der Komödiantenbühne herauszugreifen — die durchaus vernünftigen Gestalten des Pickelhering und der Franciscina im Juden von Venedig183 miteinander reden. Ophelias Wahnsinn mußte in erster Linie mimisch dargestellt werden, um überzeugend wirken zu können. Erst dann konnten sich die KomöTanger, a. a. O., S. 241 ff. (Zitat: S. 245). Willi Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 234, 240. 182 183

5

F r e u d e i i s t e i n , Brudermord

dianten eine Erhöhung der Wirkung versprechen, wenn sie das kranke Mädchen und den von Berufs wegen tollen Phantasmo zusammen auftreten ließen, — gegenüber der Vorlage eine „widerwärtige Entstellung" 184 , für die Wanderbühne ein Zug, der dem Amüsement der Zuschauer diente. Möglicherweise hat der Bearbeiter bei einem Vergleich des deutschen Textes mit der Ausgabe des Quarto 2 des englischen Hamlet den Mangel gespürt, daß Ophelias Wahnsinn lediglich durch die Darstellung, nicht aber auch durch die von ihr vorzutragenden Worte zum Ausdruck kommen konnte; in diesem Fall hätte er ihm durch die zusätzliche Einfügung zusammenhangloser Sätze abhelfen wollen. So könnte das „Kütschchen" in den Bestraften Brudermord gelangt sein. Diese Interpretation würde auch eine zweite Stelle erklären, die den Zusammenhang der Rede Ophelias in der neunten Szene stört. Wiederum am Ende einer Dialogzeile, wo ein Nachtrag im Manuskript am einfachsten war, sagt sie: „OPHELIA, toll. ... Ach gedenke doch, der Schneider hat mir meinen cartunen Rock ganz verdorben. Siehe, da hast du ein schönes Blümdien, mein Herz!" Die Erwähnung der Blumen geschieht zwar schon im Quarto 1-Text 1 8 5 , könnte aber dennoch erst auf dem erwähnten Wege in den Bestraften Brudermord gelangt sein. Nachweisbar ist ein Einfluß des Quarto 2-Textes auf den Bestraften Brudermord nur an solchen Stellen, an denen inhaltliche und zugleich wörtliche P a rallelen festzustellen sind, die mit dem Quarto 1 - T e x t nicht hergestellt werden können. Gerade aber, weil solche Parallelen aufgezeigt sind, wird es wahrscheinlich, daß der deutsche Bearbeiter auch noch an anderen Stellen, die nicht sicher oder überhaupt nicht mehr bestimmt werden können, den auf der Grundlage des Quarto 1-Textes entstandenen Wanderbühnen-Hamlet nach dem V o r bild von Quarto 2-Lesearten geändert haben wird. Die Bestimmung solcher Stellen bleibt dennoch in jedem Fall bloße Vermutung. Das gilt besonders für die von Creizenadi im dritten Akt festgestellte Übereinstimmung zwischen dem Bestraften Brudermord („Adi werther Schatten meines V a t e r s . . . ", III, 6) und dem Quarto 2-Text ("A King of shreds and patches.. . " 1 8 e ) , die schon Tanger 1 8 7 unter Hinweis darauf entkräftet hat, daß Hamlet auch an einer anderen Stelle seinen toten Vater ähnlich anredet („seeliger Schatten", I, 5), ohne ein englisches Vorbild dafür entlehnt haben zu können. Abweichend vom englischen Hamlet ist das Zwischenspiel mit Jens und Phantasmo in den Bestraften Brudermord eingefügt worden. Wegen der engen Verknüpfung der Gestalt des Phantasmo mit der Haupthandlung (III,. 9) ist es wahrscheinlich, daß die Zwischenspiel-Szenen bereits in die ursprüngliche Übertragung des Komödianten-Hamlet eingearbeitet wurden. Phantasmo, der „engellische N a r r " oder Hanswurst, Pickelhering oder J a n Bouset, trat unter den verschiedensten Namen in allen Komödiantendramen auf 1 8 8 und durfte Creizenadi, a. a. O., S. 141. V, 5, 170 ff.; Reprints S. 240. 1 8 6 111,4, 103 ff.; Reprints S. 201. 1 8 7 Tanger, a. a. O., S. 235. 1 8 8 Julius Tittmann, Die Schauspiele der englischen Komödianten in Deutschland, Deutsche Dichter des 16. Jahrhnuderts, Band 13, Leipzig 1880, S. L X I . Die Sammlung Engelische Comedien vnd Tragedien aus dem Jahre 1620 hebt den Pickelhering schon auf dem Titelblatt besonders hervor (Tittmann, S. 1). 184 185

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darum auch im Bestraften Brudermord nicht fehlen 1 8 9 . Daß er erst im dritten Akt in Erscheinung tritt, hat seinen Grund sicher in der Tatsache, daß seine Rolle zuvor von Corambus mit vertreten wurde. Nach dessen Tod wurde es nötig, eine besondere Narrengestalt einzuführen, die dann bis zum Ende des fünften Aktes hin regelmäßig in der Handlung ihren Platz fand. Die Szenen mit dem Bauern Jens und Phantasmo (III, 7 und 8) scheinen nicht das Bruchstück einer ursprünglich umfangreicheren Nebenhandlung zu sein 190 . Weit eher dürfen sie als der Versuch des Bearbeiters angesehen werden, Phantasmo angemessen in die Handlung „einzuführen" 1 9 1 . Das Publikum erfährt durch Jens und seine Unterhaltung mit Phantasmo, daß der Narr ein Freund der niederen Stände, daß er hilfsbereit ist, und daß er in Diensten des Hofes steht. Bauern und Handwerker treten auf der "Wanderbühne in Dramen höfischer Umwelt nicht selten und nicht ohne Grund auP 9 2 . Ihre Auftritte mußten sich sogleich der Gunst des Publikums erfreuen, denn sie waren „einer von ihnen", über deren Erlebnisse, Späße und Ränke man sich herzhaft freuen konnte, weil der eigene Alltag auf die Bühne verlegt zu sein schien. So w a r auf recht geschickte Weise ein enger und lebendiger Kontakt vom Parterre zur Bühne und, über die Zwischen- oder Nebenhandlung, zur Hauptaktion hergestellt. Bauer Jens hat im Bestraften Brudermord nur einen einzigen Auftritt, der aber in sich abgeschlossen und nicht weniger bruchstückhaft ist als der Komödianten-Hamlet im ganzen 1 9 3 . Die Kürze der Szenen — oft nicht mehr als wenige Zeilen — muß nicht besagen, daß der Bestrafte Brudermord ursprünglich länger und ausführlicher gestaltet w a r ; nicht an einer Stelle sind Spuren einer Kürzung zu entdecken, die eine Handlungslücke hinterlassen hätten. Wenn immer der Bestrafte Brudermord also gekürzt worden wäre, hätte sich der Bearbeiter nicht mit dem Streichen von Zeilen begnügen können, sondern eine vollständig neue Kurz-Version des Stückes angefertigt. Das ist nicht anzunehmen, da auch die meisten anderen Komödiantendramen, die uns als Übersetzungen englischer Originale bekannt sind, den gleichen Charakter wie der Bestrafte Brudermord aufweisen 1 9 4 . Ein „abendfüllendes" Stück war der Komödianten-Hamlet sicherlich nicht; zusammen mit Vor- und Nachspielen, 1 8 9 „Das komische Element war bei den Englischen Komödianten dasjenige, was auf die Menge die meiste Anziehungskraft ausübte." Kaulfuß-Diesdi, a. a. O., S. 109. 1 8 0 Creizenach, a. a. O., S. 141; v. Weilen, a. a. O., S. 2 f. 1 9 1 Baesedke (a. a. O., S. 61 ff.) entwickelt ausführlich, wie „die auf das äußere Geschehen zusammengestrichene, auf den sichtbaren Schauplatz eingegrenzte Handlung" im Schauspiel der Wanderbühne in sehr vielen Dramen eine Auffüllung und Ausweitung erfuhr. 1 9 2 So u. a. in der Comoedia Von der Königin Esther und in der Comoedia von Jemand und Niemand; Tittmann, a. a. O., S. 3 und 125. 1 9 3 Es handelt sich also weniger um eine Nebenhandlung, als um eine jener auch in anderen Komödiantendramen auftretenden „kleinen Szenen, die aus der Spielsituation selbst erwachsen sind". Baesecke, a. a. O., S. 61 f. 194 v e r g l . Romio und Julietta (Cohn, a . a . O . , S. 309 ff.), Tito Andronico (Cohn, S. 161 ff.), u. v. a.

i*

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Tanz, Musik und ex tempore-Einlagen fügte er sich aber sdion unter den Engländern ohne Zweifel in ein Programm ein, mit dem die Zuschauer durchaus zufrieden sein konnten195. Als unter den deutschen Komödianten die artistischen Einlagen seltener wurden, kamen häufig zwei und mehr Dramen in einer Vorstellung zur Aufführung 196 . Diese Notwendigkeit ergab sich zwangsläufig aus der Kürze der von den Engländern überlieferten Dramen. Alles, was der Eindeutigkeit und Klarheit der Handlung dient, ist auch im dritten Akt nicht ausgelassen worden. Die dritte Szene ruft lediglich in die Erinnerung zurück, daß Hamlet »eben nodi so toll" sei, „als er vorhin gewesen"; darauf hinzuweisen scheint notwendig, weil Hamlet an keiner Stelle eine Gelegenheit geboten wird, seine „Raserey" selbst vorzuführen 1 9 7 . In der fünften Szene 198 bekennt die Königin ihre Schuld an der zweiten Heirat und auch daran, daß sie Hamlet damit „die Krone Dännemark aus der H a n d gespielt" habe. Aber sie weiß sidi zu entschuldigen: „Hätte mir der Pabst solche Ehe nicht erlaubt: so wäre es auch nimmer geschehen." Creizenach 199 will an dieser Stelle eine Anspielung auf den Bruch der Ehe Heinrichs VIII. mit Katharina von Arragon erkennen. Weder das Publikum, das den Bestraften Brudermord in Deutschland sah, noch die Komödianten selbst konnten aber ein Interesse daran haben, diesen geschichtlich f ü r England zweifellos wichtigen, f ü r sie selbst jedoch unbedeutenden Vorgang in einem Drama dargestellt zu sehen. Läge ein direkter Einfluß vor, hätten die Komödianten, denen versteckte Anspielungen geschichtlicher Art nirgends nachgewiesen werden können, die Stelle sicher präziser und nicht so allgemein gefaßt, wie sie uns vorliegt 200 . Nidit anders als dural das Bestreben des Bearbeiters, nichts unerklärt zu lassen, wo Fragen und Zweifel sich erheben könnten, werden die Worte der Königin gedeutet werden dürfen. Damit ist die Folgerung verbunden, daß der Bearbeiter protestantischen Glaubens gewesen sein muß; selbst ein Katholik, der nicht als ein völlig überzeugter Anhänger seiner Kirche bezeichnet werden kann, würde mit einem solch scharfen Angriff auf Rom 195

Tittmann, a. a. O., S. LVII ff. Mentzel ( a . a . O . , S. 439 ff.) bringt zahlreiche Beispiele f ü r diesen Brauch an H a n d von Theaterzetteln und Repertoirelisten zum Abdruck. 197 Diese Folgerung ergibt sich aus dem überlieferten Text des Dramas. Möglich ist indessen, daß Hamlet durch sein S p i e l die Illusion hervorrief, er sei von Sinnen. Entsprechende Regieanweisungen sind allerdings nicht gegeben. 198 Es ist nicht ausgeschlossen, daß in dieser Szene ein Hinweis auf die englische Bühnenpraxis der gleichen Szene bei Shakespeare erhalten ist. v. Weilen (a. a. O., S. 5) weist darauf hin, daß die beiden Bilder des ehemaligen und jetzigen Königs im Bestraften Brudermord an der Wand hängen, wenn auch — wie er mit Recht vermutet — das Publikum sie nicht gesehen haben wird. Diese Folgerung ergibt sidi aus dem Text des Komödianten-Hamlet: „ . . . dort in jener Gallerie hängt das Conterfait Eures ersten Ehegemals, und da hängt das Conterfait des itzigen . . . (III, 5). H a t der Bearbeiter diese Stelle wirklich unter dem Eindruck einer englischen HamletAufführung geschrieben, der er beigewohnt haben oder in der er selbst aufgetreten sein könnte, oder ist sie ihm von englischen Komödianten in dieser Form erläutert worden, wäre die strittige Frage beantwortet, ob Shakespeare unter den „portraitures" große Gemälde oder Miniaturbildchen verstanden haben wollte. 199 Creizenach, a. a. O., S. 141. 200 Es ist „von Bedeutung f ü r die Entwicklung des Theaters, daß die Englischen Komödianten keinerlei (Tendenzstücke, weder politischer noch konfessioneller Art spielen; ihre Stücke tragen dem Interesse weiterer Volkskreise Rechnung, weil sie AllgemeinMenschliches darstellen. Spiele vom Wesen und von der Vitalität des Menschen könnte man sie n e n n e n . . . " (Baesecke, a. a. O., S. 99). Das gilt sowohl f ü r die Themen der Dramen als solche, als auch f ü r den Inhalt einzelner Szenen innerhalb dieser Dramen. 196

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sicher zurückhalten, solange ihn keine drängenden Gründe zwängen, diese Zurückhaltung aufzugeben. Allerdings zeigt sich an anderer Stelle ein indifferentes Verhalten in Fragen des Glaubens, das für die Komödiantendramen im allgemeinen als typisch bezeichnet werden darf 2 0 1 . In der Gebetsszene (III, 1) bittet der König „die Götter", sie mögen ihm seine Sünden vergeben. Sichere Schlüsse sind also in dieser Hinsicht nicht zu erwarten. Auf W i e d e r h o l u n g e n verzichtet der Bearbeiter selbst innerhalb eines einzigen Monologes nicht, wenn er sie f ü r dramatisch wirkungsvoll erachtet. So setzt Hamlet in der Gebetsszene zweimal dazu an, den König zu durchbohren (III, 2). Die folgenden Wiederholungen innerhalb einer Szene (III, 10) sollen wohl vornehmlich der Eindeutigkeit der Handlung dienen. Der König sagt zu Hamlet: „ . . . diese beyden sollen mit Euch auf der Reise (nach England) seyn . . H a m l e t erwidert: „Sind das die Laquaien? Das sind saubere Bursche!" Elf Zeilen später fragt Hamlet erneut: „ . . . welches sind denn die rechten, die mitreisen sollen?" Darauf der König: „Diese zwey . .

e) Vierter Akt Trotz mancher Freiheiten, die sich der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes in den drei ersten Akten bei der Textgestaltung nahm, konnte dennoch immer die Vorlage an Hand verhältnismäßig zahlreicher Parallelstellen zum englischen Text klar bestimmt werden. Wörtliche Anklänge an die QuartoTexte des Hamlet werden in den beiden letzten Akten seltener. Die Dialoge weichen noch stärker von denen Shakespeares ab, als es bisher bereits geschah. Die Szenenfolge scheint sich völlig von der im englischen Text gelöst zu haben. Dennoch ist die inhaltliche Abhängigkeit von der Quarto 1-Vorlage, — gestützt durch wenige, immerhin noch nachweisbare wörtliche Parallelen —, unverkennbar erhalten. Der Charakter des deutschen Textes an sich weicht nicht von dem in der ersten Hälfte des Dramas ab, aber der deutsche Bearbeiter schöpft bei der Gestaltung der Handlung nicht mehr so reichlich aus seiner unmittelbaren Quelle. Das ist zunächst damit zu erklären, daß er durch die bisherige Übertragungsarbeit derart mit dem Text vertraut war, daß er ihn notfalls mit eigener Konzeption hätte zu Ende führen können. Weiterhin mußte die im dritten Akt neu hinzugefügte Gestalt des Phantasmo organisch in den Spielverlauf eingearbeitet werden. Die bei Shakespeare sich zum Ende hin dramatisch zuspitzende und damit gleichzeitig verwickelnde Handlungsführung galt es, einfach, übersichtlich und eindeutig darzustellen. Gewisse Fertigkeiten, die sich der Bearbeiter durch seine Tätigkeit im Umkreis der Komödianten und durch die Beschäftigung mit ihren Texten erworben hatte, konnte er nun im Bestraften Brudermord erschöpfend unter Beweis stellen. Gleich zu Beginn des vierten Aktes tritt mit der Banditenszene ein solch eigener, f ü r das Komödiantendrama typischer Zug hervor, durch den der Verfasser die Tragödie abweichend von Shakespeare erweiterte. Daß der Bearbeiter glaubte, damit einen besonders guten Einfall gehabt zu haben, der den Bestraften Brudermord zu dessen Gunsten bereichern konnte, dürfte durch die Ausführlichkeit der Darstellung und die Sorgfalt in der Wahl der Worte, die er der ersten Szene des vierten Aktes angedeihen ließ, ausreichend belegt sein. Die Schilderung, wie Hamlet von „zwey Banditen" umgebracht werden soll, zeigt sowohl die handwerklich „dichterischen" Möglichkeiten des Verfassers, als auch seine Abhängigkeit von Anregungen aus dem Text des Shakespearesdien Hamlet. Die Banditenszene ist das dritte Beispiel f ü r die Vorliebe 201

Baesecke, a. a. O., S. 104 f.

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des Bearbeiters zu „artigen Geschichten"; hier ist sie in Handlung aufgelöst und unmittelbar mit der inhaltlichen Entwicklung des Dramas verwoben worden. Im dritten Akt schon (III, 10) befahl der König den zwei Banditen (Rosenkrantz und Güldenstern), Hamlet eigenhändig umzubringen, sobald sie in England eingetroffen seien. Vorsorglich gab er ihnen für den Fall, daß der Anschlag nicht gelingen möchte, noch einen Brief an einen nicht genannten englischen Empfänger mit; „derselbige wird wohl dahin bedacht seyn, daß er (Hamlet) nimmer wieder aus England kommen soll". Die Englandreise an sich ist also nach dem Vorbild Shakespeares übernommen worden, obwohl sie für den offenen, nur Hamlet gegenüber geheim gehaltenen Anschlag auf dessen Leben eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre. In England angekommen 202 , entledigt sich der Prinz seiner beiden Begleiter auf recht groteske Weise, indem er es einzurichten weiß, daß sie sich selbst erschießen, während Hamlet sich auf die Rückreise nach Dänemark begibt. In einem Monolog verkündet er, daß er diesmal den Wasserweg nicht benutzen wolle, „wer weiß, ob der Schifscapitain nicht auch ein Schelm ist" (IV, 1). Er will mit „der Post" in seine Heimat zurückkehren; daß es einen Landweg durch den Kanal nicht geben kann, und daß ja auch der Postmeister „ein Schelm" sein kann, hat der Bearbeiter bei seinem sonst so scharfen Denken wohl nicht bedacht. Diese widersprüchliche Stelle wäre ohne Kenntnis des Quarto 1-Vorlage kaum zu erklären. Horatio berichtet dort der Königin, Hamlet habe seinen eigenen Todesbrief auf dem Schiff gefunden, sei an Land gesetzt worden und inzwischen zurückgekehrt 203 ; danach ist er überhaupt nicht nach England gelangt und hätte durchaus mit „der Post" reisen können. Ebenso kann Hamlet im Bestraften Brudermord die Vertrauenswürdigkeit des Kapitäns nur darum in Zweifel setzen, weil er während der Fahrt nach England (Quarto 1) auf dem Schiff erfahren mußte, daß dies seine letzte Reise sein sollte, und deshalb annahm, der Kapitän sei einer seiner Gegenspieler. Durch die Überschneidung zwei verschiedener Konzeptionen (1. Rückkehr, bevor er nach England gelangte, Quarto 1; 2. Rückkehr von der Insel, wo das Duell der Banditen stattgefunden hatte, Konzeption des Bearbeiters) ergab sich dann jener Widerspruch, der weniger auf nachlässiges Denken des Bearbeiters, als vielmehr auf eine in ihrer Verwicklung nur schwer überschaubare Situation zurückzuführen ist, der er nicht gewachsen war. Sind auf diese Weise die Tatsache der Fahrt nach England und die glückliche Heimkehr Hamlets parallel zum Shakespeareschen Text gestaltet worden, so ist die Posse der Errettung Hamlets der Gedankenwelt des Bearbeiters entsprungen 204 . Ob es sich dabei um eine eigene Erfindung handelt, ob er sie einer ihm bekannten Geschichte entnommen hat oder in einem Komödiantendrama vorgezeichnet fand, ist unwesentlich, weil es sich in keinem Falle um einen originellen Zug handelt 205 . 2 0 2 Ob Hamlet und die beiden Banditen tatsächlich bis nach England gelangten, ist aus dem Text nicht eindeutig zu erfahren. In der zweiten Szene des fünften Aktes erzählt der Prinz, daß sie „an ein Eyland, nicht ferne von Dovern anker setzten". Es kann sich hierbei um eine England vorgelagerte Insel handeln, jedoch ebenso auch um das englische Festland selbst. In diesem Falle stände „ein Eyland" für „das Eyland". Da D o v e r erwähnt wird, darf in jedem Fall dem Sinne nach geschlossen werden, daß Hamlet nach England gelangte und nicht, wie in der Vorlage, an kontinentales Festland verschlagen wurde. 2 0 3 I V , 6, 221 ff.; Reprints S. 244, 246. 2 0 4 „Typisch für das Komödiantentheater ist die Szene mit Hamlet und den Banditen." (Baesecke, a. a. O., S. 63.) Es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Banditenszene, die uns grotesk erscheint, von den Komödianten durchaus ernst aufgefaßt wurde. Das Publikum sollte sich zwar über Hamlets Rettung freuen, sicher jedoch auch den Einfallsreichtum des klugen Prinzen bewundern, der sich auf ungewöhnlichem, nicht aber heiterem Wege seiner Begleiter entledigte. 2 0 5 Hans Sachs schrieb im Jahre 1558 ein Gedicht, das Historia. Fengo, ein fürst in Itlandt, erwürget sein bruder Horwendillum überschrieben ist und in dem er die HamletSage, wie sie bei S a x o G r a m m a t i c u s überliefert ist und die er aus der Fassung

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Der vierte Akt spiegelt an einigen Stellen den Text des Shakespeareschen Hamlet in wörtlidien Anklängen: IV, 4

QUARTO 1

L E O N H . G n ä d i g e r H e r r und K ö n i g , ich begehre v o n I h r o M a j e s t ä t meinen V a t e r , oder die Rache der Gerechtigkeit, weil er so jämmerlich e r m o r d e t . . .

L e a r t . S t a y there vntill I come, O thou vilde king, giue me m y f a t h e r : Speake, say, where's m y father? ( I V , 5 )

K Ö N I G . Leonhardus, gieb dich zufrieden, w i r sind unschuldig an deines V a t e r s Tod.

K i n g . . . . I am guiltlesse of y o u r fathers death . . . ( I V , 5 )

. . . wir aber wollen dahin bedacht seyn, d a ß er wieder gestraft werde. IV, 5 P H A N T A S M O . P r i n z H a m l e t ist wieder kommen. K Ö N I G . D e r T e u f e l ist wieder kommen, und nicht P r i n z H a m l e t . K Ö N I G . Leonhardus, höre hier, nun kannst du deines V a t e r s T o d rächen . . . K Ö N I G . W i r wollen zwischen dir und ihm einen W e t t s t r e i t anstellen, nemlich also: ihr sollt mit Rapieren fechten, und der von euch beyden die ersten drey Stöße b e k o m m t . . .

QUARTO 2

QUARTO 1 king. C o n t e n t you good Leartes . . . A n d thinke already the reuenge is done. ( I V , 5) H o r . . . . y o u r sonne is safe a r r i v ' d e in Denmarke . . . ( I V , 6) King. H a m l e t f r o m E n g l a n d ! is it possible? ( I V , 7 ) king. Leartes, content y o u r selfe . . . A n d you shall haue no let f o r y o u r reuenge. 7) , , , K i n g . M a r y Leartes thus: I ' l e l a y a wager . . . T o t r y the maistry, t h a t in twelue venies Y o u gaine n o t three o f him...

von Albertus K r a n t z kannte, auf seine bekannte A r t wiedergibt. (Adalbert v. K e l l e r , Hans Sachs, 8. B a n d , Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart, C X X I , T ü b i n gen 1874, S. 591 ff.). Sachs berichtet, der K ö n i g habe Ampletus mit zwei Knechten f o r t geschickt; sie „solten in würgen a u f f der Straß". Es ist so gut wie ausgeschlossen, d a ß diese kurze, in f ü n f Zeilen (S. 5 9 3 , Z . 2 8 ff.) gegebene Darstellung eine Anregung f ü r die Gestaltung der ersten Szene des vierten Aktes im Bestraften Brudermord geboten haben sollte. D e r B e a r b e i t e r des K o m ö d i a n t e n dramas hätte dieser Darstellung nur entnehmen können, d a ß zwei Knechte b e a u f t r a g t wurden, H a m l e t umzubringen; das Entscheidende, die Ausführung ihres A u f t r a g s in einer nicht beabsichtigten Weise, ist bei Sachs nicht vorgezeichnet.

Evans (Der bestrafte Brudermord — Sein Verhältnis zu Shakespeare's Hamlet, Disser-

tation Bonn 1902, Theatergeschichtliche Forschungen, B a n d 19, S. 17 ff.) glaubt, es habe eine m ü n d l i c h e H a m l e t - T r a d i t i o n gegeben, in der das M o t i v des T o d e s b r i e f e s ersetzt w a r durch den mündlichen B e f e h l des Königs, H a m l e t während der Reise nach E n g l a n d zu ermorden. K r a n t z habe diese T r a d i t i o n in seiner Hamlet-Geschichte festgehalten, Sachs habe sie von ihm übernommen. Auch K y d soll sie gekannt und f ü r den Ur-Hamlet v e r w a n d t haben; v o n dort sei sie in den Bestraften Brudermord gelangt. Diese A n n a h m e ist überflüssig. D i e Änderung gegenüber S a x o G r a m m a t i c u s bei K r a n t z erklärt sich weit eher aus dem Zug zur R a t i o n a l i s i e r u n g der Sage, der seit der ersten Überlieferung in allen folgenden Aufzeichnungen w a h r n e h m b a r ist; das T o d e s b r i e f - M o t i v wurde unglaubhaft. D a im Bestraften Brudermord sowohl die B a n d i t e n Geschichte als auch das T o d e s b r i e f - M o t i v anklingen, dürfen w i r folgern, d a ß das letztere aus dem Shakespeareschen T e x t übernommen wurde, die Banditen-Geschidite dagegen unabhängig von einer mündlichen Überlieferung vom Bearbeiter des deutschen T e x t e s dem D r a m a zugefügt wurde. 71

Aber mitten in diesem Gefedit sollt ihr euer Rapier fallen lassen, und anstatt desselben sollt ihr einen sdiarf gespitzten Degen bey der H a n d haben . . . die Spitze desselben aber must du mit starken Gift bestreiken . . . sobald du nun seinen Leib damit verwunden wirst, wird er alsdenn gewiß sterben müssen . . . K Ö N I G . . . . um deines Vaters Tod zu rädien, must du dieses thun . . .

K Ö N I G . . . . Wir wollen einen orientalischen Diamant klein stoßen lassen, und ihm denselben, wenn er erhitzt, in einem Becher voll Wein und Zucker süß vermischt beybringen: so soll er auf unsere Gesundheit doch den T o d saufen. L E O N H . Wohl denn, Ihro Majestät, . . . will idis verrichten. IV, 6 K Ö N I G I N . Meine liebste Staatsjungfer, die Ophelia . . . man meynet, daß sie gänzlich von ihrem Verstände ist. IV, 7 O P H E L I A . Siehe, da hast du ein Blümchen, du auch, du auch. L E O N H . Mein Vater ist todt, und meine Schwester ist ihres Verstandes beraubt! K Ö N I G . Leonhardus, stelle dich zufrieden . . .

When you are hot in midst of all your play, Among the - foyles shall a keene rapier lie, Steeped in a mixture of deadly poyson, T h a t if it drawes but the least dramme of blood, In any part of him, he cannot liue . . . (IV, 7) QUARTO2 King. . . . what would you vndertake T o showe your selfe indeede your fathers sonne More then in words? (IV, 7) QUARTO 1 King. . . . I'le haue a potion that shall ready stand, In all his heate when that he calles for drinke, Shall be his period and our happinesse. (IV, 7)

Lean. My Lord, I like it well. (IV, 7)

Queene. . . . Hath piersed so the yong Ofeliaes heart, That she, poore maide, is quite bereft her wittes. (IV, 5) Of el. . . . I a bin gathering of floures: Here, here is rew for you . . . Heere's some for me too . . . Here loue . . . (IV, 5) Leart. . . . my father murdered, My sister thus distracted . . . (IV, 5) King. Content you goodLeartes...(IV, 5)

D i e große Selbständigkeit des Bearbeiters bei der Textzusammenstellung des Bestraften Brudermordes wird aus der Übersicht zum vierten A k t besonders deutlich. Nicht ersichtlich ist indessen, daß die Verbindungszwischenstücke ebenfalls durdi inhaltliche Übereinstimmungen v o m T e x t des englischen Hamlet abhängig sind. Unmittelbare wörtliche Beziehungen können hier allerdings nicht nachgewiesen werden. D i e Kürzungen am englischen T e x t geboten, die erhaltene Resthandlung durch erläuternde Szenen zu verbinden. Darum wird es auch unmöglich sein, genau bestimmen zu können, an welchen Stellen der Quarto 2 - T e x t auf das D r a m a eingewirkt haben dürfte. D i e Möglichkeit, daß Parallelen sich zufällig ergeben haben, ist im vierten A k t vor allem an solchen Stellen besonders groß, 72

die der deutsche Bearbeiter aus dem T e x t der Quarto 1-Ausgabe hat folgern können, ohne Einsidit in die Quarto 2 genommen haben zu müssen, die dann eine gleidie oder ähnlidie Lesart aufweist. V I E R T E R AKT DER BESTRAFTE BRUDERMORD 1. 2. 3. 4.

Szene Szene Szene Szene

5. Szene 6. Szene 7. Szene

Vorlage

Akt/Szene

Bearbeitung des Verfassers Verbindungszwischenstück Verbindungszwischenstück Quarto 1 IV, 5 Quarto 2 IV, 5 Quarto 1 IV, 6 + 7 Quarto 2 IV, 7 Quarto 1 IV, 5 Quarto 1 IV, 5

Einen Einfluß des Quarto 2-Textes auf den vierten Akt des Bestraften Brudermordes über die im vorangegangenen Textvergleich angeführten und auch nur als wahrscheinlich bezeichneten Stellen hinaus wird man nachweisbar nicht aufzeigen können. Das soll durch das folgende Beispiel belegt werden 208 . Hamlets Rüdekehr aus England wird in der Quarto 2-Ausgabe während eines Gespräches zwischen dem König und Laertes gerne![det (IV, 7 , 1 ff.); auch im Bestraften Brudermord hören der König und Leonhardus gemeinsam von der Heimkehr des Prinzen (IV, 5). Im Quarto 1-Text dagegen wird die Rückkehr Hamlets zunächst durch Horatio der Königin mitgeteilt (IV, 6 , 1 ff.); die Unterrichtung des Königs erfolgt hier nicht auf der Bühne, vielmehr weiß er bereits zu Beginn seiner Unterredung mit Leartes (IV, 7,37 ff.), daß Hamlet in Dänemark weilt. Daraus notwendig schließen zu wollen, daß der Bestrafte Brudermord der Quarto 2-Lesart folge, wäre verfehlt. Bei der eigenständigen Gestaltung des vierten Aktes durch den Bearbeiter ist die Annahme nicht abwegig, er habe die Szene zwischen Horatio und der Königin (Quarto 1) nicht übertragen, um Handlung und Text zu konzentrieren. Die Meldung vön Hamlets Rückkehr mußte aber an irgendeiner Stelle erfolgen; die erste Gelegenheit dazu bestand während der Unterredung des Königs mit Leonhardus (IV, 4 ff.). Auf diese Weise erreichte der Verfasser des Bestraften Brudermordes gleichzeitig, daß ein Zusammenhang zwischen der Rückkehr Hamlets aus England, der Radieforderung des Leonhardus und dem Mordansdilag des Königs durch aufeinanderfolgende Szenen gewahrt blieb. Diese Interpretation findet eine Bestätigung durch die schon von Tanger angeführte Ubereinstimmung der dritten mit dem Anfang der fünften Szene im Bestraften Brudermord. Die unabhängig vom englischen Text gestaltete dritte Szene (Meldung von der Rückkehr des Leonhardus) wiederholt sich, völlig gleich in Aufbau und Wortwahl, zwanzig Zeilen später (Meldung der Rückkehr Hamlets). Beide Male ist Phantasmo der Überbringer der Nachricht. Diese Wiederholung — bestimmt nicht unbeabsichtigt207 — erklärt sidi einfacher, wenn man sie für eine durch den Quarto 1-Text angeregte freie Erfindung des deutschen Bearbeiters ansieht, als über den nicht einleuchtenden Weg über die Quarto 2. Creizenadi hat die folgende Übereinstimmung zwischen dem Komödianten-Hamlet und dem englischen Quarto 2-Text herausgefunden208: 206 207 208

Siehe auch Tanger, a. a. O., S. 237. Vergl. auch Baesecke, a. a. O., S. 89. Creizenadi, a. a. O., S. 134. 73

IV, 5 KÖNIG. . . . weil ihm seine Frau Mutter den Rücken hält, und ihn die Unterthanen sehr lieben . . .

QUARTO 2 King. . . . the Queene his mother Liues almost by his lookes . . . the other motiue . . . Is the great loue the generali gender beare him . . . (IV, 7)

Bereits an anderen Stellen konnte nachgewiesen werden, daß der deutsche Bearbeiter immer wieder versucht, alle beim Zuschauer möglicherweise aufkommenden Zweifel durch eindeutige Erklärungen sdion im Keime zu ersticken. In der fünften Szene des Bestraften Brudermordes will der König den Sohn des Corambus davon überzeugen, daß Hamlet den Tod verdient habe, und daß Leonhardus nach einem bereits festgelegten Plan den Mordanschlag ausführen solle. Sofort erhebt sich die Frage, warum der König nicht selbst den ihm unbeliebten Gegenspieler umbringt. Die Antwort: nicht aus Feigheit kann er „keine Gerechtigkeit an ihn haben", sondern weil die Mutter und das Volk ihn lieben; „dürfte also, wenn wir öffentlich uns an ihm rächen wollten, ein Aufruhr leicht geschehen" (IV, 5). Die Anregung zu dieser Stelle kann dem Bearbeiter des Bestraften Brudermordes bereits aus dem Quarto 1-Text vermittelt worden sein ("Being the Ioy and hälfe heart of your m o t h e r . . . All Denmarkes hope our coosin and dearest Sonne." 2 0 9 ). Immerhin ist die Parallele zur Quarto 2 auffällig genug, zumal sie im englischen Text ebenso wie im Bestraften Brudermord während der Unterredung des Königs mit dem Sohn des Hofmarschalls auftritt. Sollte also tatsächlich ein Einfluß des Quarto 2-Textes hier vorliegen, würde er — wie an allen anderen Stellen auch — erst nachträglich auf einen bereits bestehenden deutschen Hamlet-Text eingewirkt haben. Die Stelle, in der die Worte über Hamlets Beliebtheit bei seiner Mutter und dem Volk vom König gesprochen werden, könnte fortfallen, ohne den Sinnzusammenhang der Szene zu zerreißen. Nach dem Vorschlag des Königs, er solle mit Hamlet ein Fechtspiel austragen, antwortet Leonhardus: „LEONH. Ihro Majestät wollen mir verzeihen; ich darf mich dieses nicht unterstehen, dieweil der Prinz ein geübter Fechtmeister ist, und könnte mir dieses (eine Verwundung) wohl selbst wiederfahren. K Ö N I G . Leonhardus, weigere dich hierinnen nicht, sondern thue deinem König solches zu gefallen, um deines Vaters Tod zu rächen, must du dieses thun . . . ". Hierauf folgt dann die Erwähnung der Beliebtheit Hamlets, an die sich, wohl um den Zusammenhang mit dem Vorhergehenden zu wahren, noch ein Satz des Königs anschließt, in dem er wiederholt, was er bereits zuvor in seiner Antwort auf den Einwand des Leonhardus gesagt hatte: „KÖNIG. . . . Thut solches, was wir von euch verlangen, so werdet ihr den König seiner Furcht benehmen, und euch verblümterweise an eurem Vatermörder rächen." Erst nach einer zweiten Zweifelsäußerung des Leonhardus, die sinngemäß die erste wiederholt, gibt der König die Antwort, die man bereits vorher hätte erwarten sollen: „KÖNIG. Zweifelt nicht; im Fall es euch mißlingen sollte, so haben wir schon eine andere List e r d a c h t . . . " Hier folgt der Vorschlag, Hamlet einen Becher vergifteten "Weines zu reichen, wenn er in der Hitze des Kampfes durstig werde. Die zweite Szene, in der Übersicht als Verbindungszwischenstück bezeichnet, verdient trotz ihrer Kürze eine besondere Beachtung. 309

74

I, 2, 67 und 69; Reprints S. 20.

SCENE II. König mit Staat. K Ö N I G . Uns verlanget zu erfahren, wie es mit unserem Sohn, Prinz Hamlet, muß abgelaufen sein, und ob diejenigen, welche wir als Reisegefährten ihm mitgegeben, auch treulich werden verrichtet haben, was wir befohlen. Die erste Szene des vierten Aktes hatte die Episode Hamlets mit seinen Begleitern in England geschildert. U m dem Publikum deutlich zu zeigen, daß der Schauplatz der Handlung nun wieder am dänischen H o f liegt, erscheint der „König mit Staat" auf der Bühne; die Beliebtheit der S t a a t s s z e n e n mit ihren Möglichkeiten der Entfaltung von Prunk und Pracht auf der Wanderbühne wurde bereits an anderer Stelle hervorgehoben. Gleichzeitig erreichte der Bearbeiter damit einen folgerichtigen Ablauf des Geschehens: 1. Szene: Hamlets Erlebnisse mit den Banditen in England. 2. Szene: Frage des Königs, ob die Banditen ihren Auftrag recht ausgeführt hätten. 3. Szene: Rückkehr des Leonhardus. 4. Szene: Leonhardus fordert Rache für den Tod seines Vaters. 5. Szene: Rückkehr Hamlets und Vorschlag des Königs, wie Leonhardus seine Rache ausführen könne. Diese eindeutige Gedankenführung, in der sich ein Glied unmittelbar an das vorhergehende anschließt, ist auch in den folgenden Szenen gewahrt. In der sechsten Szene unterrichtet die Königin ihren Gemahl über den Wahnsinn Ophelias. Der Komödianten-Text folgt hier der Quarto 1-Vorlage 2 1 0 ; in der Quarto 2-Ausgabe sprechen nicht der König und die Königin, sondern die Königin, Horatio und ein Gentleman über das Unglück, das Ophelia widerfahren ist 2 1 1 . Unmittelbar danach tritt das Mädchen selbst auf. Das Verteilen der Blumen ist aus dem Shakespearesdien Text übernommen worden (Quarto 1), ohne daß der deutsche Bearbeiter sich jedoch des tieferen Sinnes jener Stelle bewußt geworden wäre. Im Bestraften Brudermord heißt es lediglich: „(giebt jedem eine Blume)", — für die Symibolspradie dieser Blumen hatten die Komödianten und ihr Publikum kein Verständnis 212 . Nach dem Abtritt der wahnsinnigen Ophelia wiederholt der König fast die gleichen Worte, die er schon in der ersten Szene des zweiten Aktes gesagt hatte, als er von Hamlets „Melancholie" hörte: IV, 5 1 ff.; Reprints S. 224. IV, 5 1 ff.; Reprints S. 227. 2 1 2 Wenn Ophelia beim Verteilen der Blumen sich „mit dem kindlichen ,du', das dem kindlichen Tun entspricht" (Baesecke, a. a. O., S. 139), an das -Königspaar wendet, so kann man damit sicherlich nicht eine „gewandtere Methode der Personencharakterisierung" belegen, die erst in der Zeit nach 1648, der vierten Zeitstufe in der Entwicklung des Komödiantendramas, auf der Bühne Eingang gefunden haben soll. Auch schon zuvor blieb in Wahnsinnsszenen gar keine andere Möglichkeit, als die Menschen „aus ihrem Gehaben und ihrem Verhalten" mittelbar darzustellen. „Untransponierte direkte Selbstcharakterisierung" ist hier gar nidit möglich. Daneben wird auf den zerrütteten Geisteszustand Ophelias, ebenso wie auf die „Tollheit und Raserey" Hamlets, auch durch „untransponierte direkte Charakterisierung" hingewiesen. Das erscheint nötig, da die Worte, die den Wahnsinnigen im Bestraften Brudermord in den Mund gelegt sind, sie nur sehr unvollständig charakterisieren. Das „du", mit dem Ophelia den König anredet, bedeutete allerdings für den Barockmenschen, der seinen Fürsten als höchstes Wesen verherrlichte, mehr als uns ein „wahnsinniges" Vergehen. 210

211

75

„KÖNIG. Man lasse die Sadie an unsre Leibmedici gelangen . . . " (IV, 7) „KÖNIG. . . . Wir wollen alle vornehme Doctores und Aerzte in unserm ganzen Königreich zusammen verschreiben, damit ihm geholfen werde."

(II, 1)

Im Quarto 1-Text meldet Horatio der Königin, daß Hamlet aus England zurückgekehrt sei (IV, 6, 1 ff.); diese Szene befindet sich im Bestraften Brudermord nicht. Dafür meldet aber bereits im dritten Akt (III, 4) Horatio der Königin, Hamlet stehe im Vorgemach und begehre Einlaß zu einer Unterredung, in deren Verlauf er dann Corambus erstechen sollte. Möglicherweise ist diese Stelle im Bestraften Brudermord durch die spätere im Quarto 1-Text angeregt worden, denn es besteht an sich für den Bearbeiter kein Grund, Hamlet bei der Königin durch Horatio anmelden zu lassen (III, 4), da Corambus, der diese Aufgabe leicht hätte übernehmen können, ebenfalls anwesend ist. Auch an dieser Stelle sind die Fäden zu erkennen, die sich ganz eng zwischen dem Bestraften Brudermord und der Quarto 1-Ausgabe spinnen lassen, während sie zum Quarto 2-Text nur vereinzelt nachgezogen werden können. Der im Hamlet Shakespeares so wichtige Volksaufstand gegen den König, der von Laertes angeführt wird, findet sich im Bestraften Brudermord ebensowenig wie in der Quarto 1. Im deutschen Text fällt im Gegenteil die Unterwürfigkeit auf, mit der Leonhardus selbst in seiner unbändigen Wut dem König begegnet: „LEONH. Gnädiger Herr und König, ich begehre von Ihro Majestät meinen Vater, oder die Rache der Gerechtigkeit, weil er so jämmerlich ermordet. Wo dieses nicht geschieht, werde ich vergessen, daß Ihr König seyd, und mich an den Thäter rächen." Diese Haltung spiegelt die Gedankenwelt des Barockzeitalters wider, in dem die kompromißlose Anerkennung der souveränen Autorität des Fürsten und Königs sowohl in der Wissenschaft als auch beim Volk unumstößliche Geltung hatte21®. Auch an anderen Stellen wird die gesellschaftliche Stellung aller Personen streng beachtet. Baesecke weist darauf hin, daß an dem gesellschaftlichen Abstand zwischen Hamlet und Horatio trotz ihres Vertrauensverhältnisses pedantisch festgehalten wird 214 . Selbst die Banditen weisen Hamlet sehr höflich darauf hin, daß sie ihn umbringen werden: „1. BAND. Gnädiger Herr, hier ist nicht Essenszeit, denn von diesem Eiland werden Sie nimmer kommen; denn hier ist der Ort, der Ihnen zum Kirchhof bestellt ist." (IV, 1) „2. BAND. Nein, es ist kein Scherz, sondern unser rechter Ernst. Sie präpariren sich nur zum Tode." (IV, 1) Sicherlich widersprach es auch der gesellschaftlichen Rangordnung, wenn Corambus die Königin gebeten hätte, „in Ihr Gemach zu gehn" (11,3). Im Bestraften Brudermord übernimmt der König selbst diese Aufgabe, die in der Quarto 1-Vorlage der Hofmarschall zu erfüllen hatte. Eine Ausnahme von dieser Regel ist nur dem Narren Phantasmo erlaubt, der vom „Vetter König" (IV, 5) sprechen darf. In einem dramatischen Spiel, in dem eine innere Entwicklung durch das rasche Voranschreiten der äußeren Ereignisse unterdrückt wird, müssen Stellen, die nur unter der Hand eines Dichters überzeugendes Aussehen gewinnen können, flach und unglaubhaft wirken. Ein Beispiel dafür bietet sich in der vierten Szene des vierten Aktes: Leonhardus tritt vor den König und klagt ihn des Mordes an; der König antwortet: „KÖNIG. Leonhardus, gieb dich zufrieden, wir sind unschuldig an deines Vaters Tod. Prinz Hamlet hat ihn unversehenerweise hinter den Tapeten erstochen, wir aber wollen dahin bedacht seyn, daß er wieder gestraft werde. 213 214

76

Vergl. Carl J . Friedrich, Das Zeitalter des Barotk, Stuttgart 1954, S. 38 ff. Baesecke, a. a. O., S. 125 f.

LEONH. 'Weil denn Ihro Majestät unschuldig sein an den Tod meines Vaters, als bitte ich auf gefällten Knieen, mir soldies zu verzeihen. Der Zorn hatte midi, wie auch die kindliche Liebe übernommen, daß ich fast selber nicht gewußt, was ich gethan." Zwar ist der plötzliche Umschwung des Leonhardus vom Bearbeiter zu erklären versucht worden; eine überzeugende Motivierung konnte ihm hingegen nicht gelingen. f) Fünfter Akt Der fünfte Akt des Bestraften Brudermordes stimmt inhaltlidi mit dem fünften Akt des Shakespeareschen Textes überein. Folgende Parallelstellen lassen sich nachweisen: V, 3 HAMLET. . . . Wir wollen hören, was er vorbringt. PHANTASMO. Willkommen zu Hause, Prinz Hamlet!... Der König hat eine Wette auf Euch . . . geschlagen . . . Ihr sollt zusammen in Rapieren fechten, und wer -dem anderen die ersten zwey Stöße anbringen w i r d . . . HAMLET. Sehet nur, . . . es ist greulich kalt. PHANTASMO. Ja ja, es ist greulich kalt HAMLET. Aber nun ist eine große Hitze. PHANTASMO. O welch eine greuliche Hitze! HAMLET. . . . gehe wieder hin zum Könige, und sage ihm, daß ich ihm bald aufwarten werde . . . HAMLET. . . . Indem ich gedachte, nach Hofe zu gehn, überfiel mich eine schleunige Ohnmacht...

QUARTO 1 Ham. I shall sir giue you attention (V, 2) Gent. Now God saue thee, sweete prince H a m l e t . . . The King . . . hath layd a wager on your side . . . young Leartes in twelue venies At Rapier and Dagger do not get three oddes of you . . . (V, 2) H a m . . . . By my troth me thinkes t is very colde. (V, 2) Gent. It is indeede very rawish colde. (V,2) Ham. T'is hot me thinkes. (V, 2) Gent. Very swoltery hote: . . . (V, 2) Ham. Goe tel his maiestie. I wil attend him. (V, 2) Ham. . . . my hart is on the sodaine Very sore all here about. (V, 2)

V,5 HAMLET. . . . idi in den Rappier wenig geübt bin . . .

Ham. . . . hath laide a the weaker side. (V,2)

V,6 KÖNIG. . . . bringe die Rappiere . . .

King. . . . deliuer them the foiles. (V, 2)

HAMLET. Wo ich aber einen Exces begehen möchte, bitte ich zu excusiren, denn idi lange nicht gefoditen. LEONH. . . . Sie sdierzen nur.

QUARTO 2 Ham. . . . in mine ignorance Your skill shall like a starre i'th darkest night Stick fiery of indeed. (V, 2) Leart. You modte me sir. (V, 2)

HAMLET. Nun das war eins, Leonhardus.

QUARTO 1 Gent. A hit, a most palpable hit. (V, 2) 77

LEONH. Es ist wahr . . . . . . Allo Revange! (... sie beyde die Gewehre fallen lassen. Sie laufen ein jeder nach dem Rappier. sticht Leonhardus todt.) Hamlet... LEONH. O wehe, ich habe einen tödtlichen Stoß! ich bekomme den Lohn, mit welchem ich dachte einen anderen zu bezahlen. LEONH. . . . was Ihr in Eurer Hand habt! es ist ein vergifteter Degen. KÖNIG. Holla, Ihr Herren, erhohlet Euch ein wenig und trinket. (... die Königin ... trinket...) KÖNIG. . . . was thut sie? Dieses, was hier eingeschenket, ist mit dem stärksten Gift getränket. LEONH. . . . ich sterbe auch. Adi, verzeihet mir, Prinz! HAMLET. Ich werde ganz matt, meine Glieder werden schwach . . . meine Sprache vergeht mir . . . . . . bringet die Krone nach Norwegen an meinen Vetter, den Herzog Fortempras...

Leart. I, I g r a n t . . . (V, 2) Leart. . . . lie hit you now . . . (V, 2) They catch one anothers Rapiers, and both are wounded, Leartes falles downe ... (V, 2) Leart. Euen as a coxcombe should, Foolishly staine with my owne weapon: . . . The fatall Instrument is in thy hand. Vnbated and invenomed . . . (V, 2) King. Giue him the wine. (V, 2) Shee drinkes. (V, 2) King. Do not drink, Gertred: O t'is the poysned cup! (V, 2) Leart. dies. Ham. gue

. . . I doe forgiue thee. Leartes (V, 2) . . . O my heart sinckes... my ton(has lost) his vse . . . (V, 2)

QUARTO 2 Ham. On Fortinbrasse, he has my dying voyce . . . (V, 2)

In der Quellenübersicht des letzten Aktes wird nochmals der Einfluß des Quarto 2-Textes auf den nach der Qu; rto 1-Ausgabe übertragenen Bestraften Brudermord deutlich: FÜNFTER AKT DER BESTRAFTE BRUDERMORD

Vorlage

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Verbindungszwischenstück Bearbeitung des Verfassers Quarto 1 V, 2 Verbindungszwischenstück Quarto 1 V, 2 Quarto 1 V, 2 Quarto 2 V, 2

Szene Szene Szene Szene Szene Szene

Akt/Szene

Wiederum können die beiden im Textvergleich angeführten Stellenübernahmen aus der Quarto 2 als nachträglich in den deutschen Text vorgenommene Einfügungen bestimmt werden. In der fünften Szene des fünften Aktes weist Hamlet vor den Zuschauern des Feditspiels darauf hin, daß er ungeübt im Fechten sei; die Begründung dieser Feststellung geschieht abweichend von Shakespeare („Leonhardus aber kommt kürzlich aus Frankreich, allda er sich ohne Zweifel wird gut exercirt haben, darum wollen Sie mich entschuldiget halten"). Seine zweite Entschuldigung kurz danach in der sechsten Szene könnte zwar nichts anderes als eine Wiederholung der ersten sein; da aber nicht nur eine Entschuldigung Hamlets, sondern darüberhinaus auch noch eine Antwort seitens 78

Leonhardus („Sie scherzen nur") auftritt, und beide Dialogstellen im Quarto 2-Text eine Parallele finden, kann an eine zufällige Übereinstimmung (Tanger 21 ®) wohl nicht gedacht werden. Sowohl die zweite Entschuldigung Hamlets als auch die darauf erfolgende Antwort des Leonhardus sind zudem an einer Stelle eingefügt, wo ihr Fehlen die Geschehensfolge nicht unterbrechen würde: „HAMLET. Wohlan denn, Leonhardus, so kommet denn an, wir wollen zusehn, wer dem andern die Schellen wird anhängen. (Wo ich aber einen Exces begehen möchte, bitte ich zu excusiren, denn ich lange nicht gefochten. LEONH. Ich bin Ihro Durchlaucht Diener, Sie scherzen nur.) (In dem ersten Gang fechten sie reine. Leonhardus bekommt einen Stoß...") Ebenso verhält es sich mit der Bitte des Prinzen, Horatio möge die Krone des Landes an „Fortempras" übergeben. Hamlets Schilderung, wie ihn seine Kräfte verlassen, wäre ohne den zusammenhanglosen Hinweis auf seinen „Vetter", der im Drama nicht an einer einzigen anderen Stelle erwähnt wird, in sich geschlossener: „HAMLET. Ach, Horatio, ich fürchte, es wird nach meiner verübten Rache auch mein Leben kosten, denn ich bin am Arme sehr verwundet. Ich werde ganz matt, meine Glieder werden schwach, und meine Beine wollen nicht mehr stehn; meine Sprache vergeht mir, ich fühle den Gift in allen meinen Gliedern. (Doch bitte ich euch, lieber Horatio, und bringet die Krone nach Norwegen an meinen Vetter, den Herzog Fortempras, damit das Königreich nicht in andre Hände falle.) Ach, o weh, ich sterbe!" In der Quarto 1-Ausgabe ist ein Hinweis auf Fortinbras an entsprechender Stelle n i c h t gegeben; wohl tritt er unmittelbar nach Hamlets Tod auf 2 1 6 , so daß der deutsche Bearbeiter den Namen (Fortenbrasse) dort schon entlehnt haben könnte. Dennoch bleibt eine Interpretation, die eine nachträgliche Einschiebung vermutet, überzeugender, da Fortinbras in der Quarto 2 genau so wie im Bestraften Brudermord vom sterbenden Hamlet erwähnt wird; überdies kann man diese Erwähnung inhaltlich 217 und strukturell im deutschen Text als spätere Einfügung erkennen . Creizenach hat auf eine weitere Stelle aufmerksam gemacht, die eine Beeinflussung durch den Quarto 2-Text erfahren haben könnte 2 1 8 . In der zweiten Szene berichtet Tanger, a . a . O . , S . 2 3 8 f . V, 2, 372ff.; Reprints S. 312, 314 und 316. Neben der bloßen Übernahme dieser Stelle aus dem Quarto 2-Text ist auch die eigene gedankliche Arbeit des Verfassers zu erkennen. Fortinbras wird zum nahen Verwandten Hamlets („Vetter Fortempras"), damit deutlich wird, warum ausgerechnet ein Norweger die Krone Dänemarks tragen soll. Ob zwischen dieser Stelle und dem Hinweis Hamlets, der König habe ihm „unter dem Schein des Rechtens . . . die Krone von Norwegen überlassen" (I, 4), ein Zusammenhang besteht, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Ganz sicher aber sind die Worte der Königin, daß Hamlet ihr „einziger Prinz" sei („ . . . ich habe große Betrübnisse über die Melancholie meines Sohnes Hamlets, welcher mein einziger Prinz i s t . . . II, 1; „Ach, mein einziger Prinz hat seinen Verstand ganz verloren!", III, 6), nicht unbeabsichtigt wiederholt worden. In den Zitaten soll sicher nicht ein Zärtlichkeitsgefühl zum Ausdruck gebracht werden („mein ein und alles"), und auch als Ausdrude des Mutterstolzes („mein einzig(artig)er Prinz") können diese Stellen nicht gelten. Vielmehr wird auf das besondere Unglück verwiesen, das Dänemark durch den Tod des einzigen Thronerben treffen mußte. 218 Wilhelm Creizenach, „Der bestrafte Brudermord" and its Relation to Shakespeare's „Hamlet", Modern Philology, Vol. II, Nr. 2, Oktober 1904, S. 249 f. 215

216

217

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Hamlet seinem Freund Horatio in breiter Ausführlichkeit, wie er den beiden Banditen in England entkommen ist. Zwar nicht inhaltlidi, aber doch formal entspricht diese Szene einer ähnlichen im fünften Akt der Quarto 2-Ausgabe 219 . Audi dort erzählt Hamlet dem Horatio, was ihm auf der Reise nach England zugestoßen ist. Da es sich aber um eine dem deutschen Drama organisch zugehörige Szene handelt, ist mit größerer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß hier keine nachträgliche Einfügung, sondern eine jener W i e d e r h o l u n g e n vorliegt, für die der deutsche Bearbeiter an vielen anderen Stellen ebenfalls besonderes Interesse hegt. Sicherlich unabhängig vom Quarto 2-Text konnte der deutsche Bearbeiter seinen Hamlet zum sterbenden Leonhardus die Worte sagen lassen: „Der Himmel geleite deine Seele" (V, 6). Wir dürfen dem Bearbeiter zutrauen, einen solch allgemeinen Ausspruch ohne Hilfe einer Quelle geprägt haben zu können. Die Annahme der Vorlage "Heauen make thee free of it" (Quarto 2, V, 2, 343 280 ) verbietet sich schon deshalb, weil ihr ein anderer Sinn unterliegt. Eine Ubereinstimmung bleibt nur für das Wort „Himmel" bestehen, dessen Benutzung in einer Sterbeszene nicht ungewöhnlich sein dürfte. Unbestimmt muß auch jene Stelle bleiben, an der Hamlet seinen Radieauftrag vollendet. Bei der Ermordung des Königs ruft er aus: „Und Du, Tyranne, sollst sie in dem Tod begleiten" (V, 6). Diese Worte können ihre Anregung sowohl dem Text der Quarto 1 ("Come drinke, here lies thy vnion here", V, 2. 333), als auch dem der Quarto 2 ("Follow my mother", V, 2, 338) verdanken; sie können aber ebenso auch vom deutschen Bearbeiter ohne Benutzung einer Vorlage niedergeschrieben worden sein. Auch im fünften Akt sind die Besonderheiten des Bearbeiters stark ausgeprägt. Seine Eigenart, Wichtiges zu begründen und zu wiederholen, kommt in der ersten Szene deutlich zum Ausdruck. Hamlet begründet hier sein Zögern vor der Racheausführung erneut mit den gleichen Argumenten, die er schon zuvor (11,5; 11,9) vorgetragen hatte: „Ich bin nun wieder (aus England) anhero gelanget, kann aber noch zu keiner Revange kommen, weil der Brudermörder allezeit mit viel Volk umgeben." An dieser Stelle war eine Begründung des Zögerns in den Augen des Bearbeiters notwendig geworden, weil man hätte erwarten können, jetzt — da Hamlet die Hinterhältigkeiten des Königs am eigenen Leibe erfahren hatte — warte er keine Sekunde mehr mit dem Totschlag des Schurken221. In der dritten Szene redet Hamlet den Narren mit „Signora Phantasmo" an. Sicher ist dieses absichtliche Verwechseln eines Mannes mit einer Frau von jener Shakespeare-Stelle angeregt worden, in der Hamlet den König mit „mother" (Quarto 1, IV, 3, 51) bezeichnet. Diesen Scherz hat der Bearbeiter in die zehnte Szene des dritten Aktes übernommen und wiederholt ihn hier. Späße dieser Art scheint er besonders geliebt zu haben; vor der b r e i t e n A u s m a l u n g einer kurzen Vorlage schredtte er nicht zurüdk. So finden wir im deutschen Text eine Erweiterung jener Szene bei Shakespeare, in der Hamlet den „Bragart Gentleman" verulkt 222 . Im Bestraften Brudermord tritt Phantasmo an seine Stelle. Er soll nun nicht nur Hitze und Kälte, sondern auch zweimal eine „so recht ins Mittel" gehende Temperatur empfinden (V, 3). In der fünften Szene werden zum drittenmal innerhalb eines kleinen Textabschnittes die Wettspielbedingungen des Kampfes 219

V,2, Iff.; Reprints S. 287, 289. Siehe auch Tanger, a. a. O., S. 239. 221 Wüß t e man nicht, daß diese Szene mit großer Sicherheit dem deutschen Verfasser zugeschrieben werden kann, könnte man sie auch durch den Monolog Hamlets nach der Begegnung mit dem Heer des Fortinbras (Quarto 2, IV, 4, 32 ff.; Reprints S. 223, 225) angeregt finden. Die Worte „Aber ich schwöre, ehe die Sonne ihre Reise von Osten in's Westen gethan, will ich mich an ihm rächen" muten wie ein Nachklang der Zeile " . . . 6 from Ais time forth, My thoughts be b l o o d y . . . " (IV, 4, 65/6) an. 222 V, 2, 99 ff.; Reprints S. 292, 294. 220

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zwischen Hamlet und Leonhardus bekanntgegeben223. Alle diese Wiederholungen — der Text enthält weitere Beispiele — vermitteln uns ein anschauliches Bild der Arbeitsweise des deutschen Verfassers, der auf seine Weise absolute Klarheit in die Zusammenhänge zu bringen versuchte. Wie in der Quarto 1-Ausgabe, dort allerdings mit anderen Worten und in anderer Weise, berichtet die Königin in der sechsten Szene, Ophelia habe sich von einem hohen Berg gestürzt und „um das Leben gebracht". An dieser Stelle bestand für den Bearbeiter des Bestraften Brudermordes die einzige, dramatisch günstige Gelegenheit, die Bekanntgabe vom Tod des wahnsinnigen Mädchens nachzutragen, die im Quarto 1-Text schon früher vorgenommen wird 224 . Sie geschieht im deutschen Text unmittelbar vor Beginn des Kampfes zwischen Hamlet und Leonhardus, den der Tod der Schwester zu noch bitterem Haß gegen seinen Gegenspieler aufreizen mußte. Interessant ist eine Abweichung gegenüber dem englischen Text, die als Bestätigung der Beobachtung gelten darf, daß die gesellschaftliche Rangordnung der Personen strikt gewahrt worden ist. Während in der Quarto 1-Ausgabe der Prinz dem Leartes die Hand zur Versöhnung reicht ("First Leartes, heere's my hand and loue, Protesting that I neuer wrongd Leartes", V, 2, 237) und Leartes dem Hamlet verzeiht ("I doe forgiue thee", V, 2, 340), ist es im Bestraften Brudermord Leonhardus, der um Verzeihung bittet („Ach, verzeihet mir, Prinz!", V, 6). Als für die Wanderbühne typisch dürfen die nun folgenden Änderungen im Bestraften Brudermord gegenüber dem Shakespeareschen Hamlet-Text bezeichnet werden. Die trüben Ahnungen Hamlets vor der Schlußkatastrophe225 (— eine Wiederholung ähnlicher Empfindungen, die die Königin vor dem „Spiel im Spiel" in die Worte kleidete: „Ich glaube schwerlich, daß sich mein Herz wird zufrieden geben, denn ich weiß nicht, was vor ein bevorstehendes Unglück unser Gemüth verunruhiget", II, 8 —) sind im Quarto 1-Text in die Worte gefaßt: "Ham. Beleeue me Horatio, my hart is on the sodaine Very sore all here about." (V, 2, 227 f.) Mit derartigen Andeutungen begnügte sich der Verfasser des Bestraften Brudermordes nicht gern; er stellte seinem Publikum die Angst und das Vorgefühl des Todes handgreiflicher vor Augen: „HAMLET. . . . Nun kommt, Horatio, ich will gleichwohl gehn, und mich dem König präsentiren. Aber ach! was bedeutet dieses? mir fallen Blutstropfen aus der Nase; mir schütten der ganze Leib! O wehe, wie geschieht mir! (fällt in Ohnmadht.)" (V. 3) Mitunter gelingen dem Bearbeiter recht geschickte und kluge Anmerkungen. Abweichend von der Vorlage, in der nur Hamlet vom König den vergifteten Trunk angeboten bekommt 226 , soll im Bestraften Brudermord auch Leonhardus durch ihn sterben. Der Bearbeiter weiß durch die folgenden Worte den König als Verbrecher hervorragend zu charakterisieren: „Ich hoffe, wenn sie beyde von dem Wein trinken werden, daß sie alsdenn sterben, und diese Finte nicht offenbar werde." (V, 6). 2 2 3 Fechtszenen lassen sich „die Englischen Komödianten um ihrer theatralisch steigernden Wirkung willen selten entgehen . . . In diesen Situationen g e s c h i e h t wirklich noch etwas, es wird ein Meinungsgegensatz nicht im Rededuell, sondern im echten Zweikampf ausgetragen. Es ist ein wirklicher Vorgang, und zwar von natürlicher dramatischer Dichte und Gedrängtheit..." (Baesecke, a. a. O., S. 34). Von daher wird der wiederholte Hinweis auf den Wettkampf im deutschen Hamlet verständlich. 2 2 4 IV, 7, 166 ff.; Reprints S, 260, 262. 2 2 5 „Zahllos sind die ,bösen Vorahnungen' (im Schauspiel der Englischen Komödianten), die teils nur die Stimmung vorbereiten, häufig aber auch schon Gelegenheit zu genaueren Angaben dessen, was kommen wird, geben." Baesecke, a. a. O., S. 54. 2 2 6 Quarto 1, V, 2, 292; Reprints S. 306.

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F r e u d e n s t e i n , Brudermord

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In einer Art Schlußbilanz versucht Hamlet, den Tod aller Ermordeten zu rechtfertigen, denn „nun ist meine Seele ruhig, nun ich mich an meinen Feinden gerochen habe" (V, 6). Es tut ihm leid um Leonhardus, „doch wie die Arbeit, so ist auch der Lohn, er hat seine Bezahlung bekommen". Sehr zu Herzen geht ihm der Tod der Mutter, „doch sie hat diesen Tod wegen ihrer Sünden halben auch verdienet". _ Um auch den letzten Schuldigen nicht ungestraft ausgehen zu lassen, muß schließlich Phantasmo noch sein Leben lassen, da er ein „Werkzeug dieses Unglücks" war. Diese moralisierende Tendenz 2 2 7 kommt auch in dem das Komödiantendrama abschließenden Vers („Denn wie die Arbeit ist, so folget auch der Lohn") zum Ausdruck. Hamlet muß als einzig Unschuldiger sterben. Erst damit wendet sich das Spiel zur „ T r a g o e d i a " , während kurz zuvor noch der Eindruck erweckt wird, als würde Hamlet überleben: „Ich habe zwar auch einen Stoß in den Arm, aber ich hoffe, es werde nichts zu bedeuten haben." Vierzehn Zeilen später verbindet der Prinz mit der gleichen Feststellung, er sei „am Arme sehr verwundet", die Folgerung, er müsse nun sterben 228 . Dieses wider alle Erwarten traurige Ende Hamlets weckte beim Publikum, das sich zuvor köstlich amüsiert haben muß, wohl doch so etwas wie Mitleid und Trauer. *

Die voranstehenden Untersuchungen haben ergeben, daß der Bestrafte Brudermord und die Hamlet-Tragödie Shakespeares i n h a l t l i c h ü b e r e i n s t i m m e n . Alle Abweichungen in einzelnen Zügen gegenüber dem englischen T e x t konnten als Veränderungen bestimmt werden, die charakteristische Merkmale der Wanderbühnenproduktion im 17. Jahrhundert tragen. " W ö r t l i c h e A n k l ä n g e des deutschen Textes an den Quarto 1 - T e x t des Shakespeareschen Hamlet finden sich in großer Zahl in allen fünf Akten; die Quarto 1-Ausgabe darf als die unmittelbare Vorlage für die Übertragung der Hamlet-Tragödie ins Deutsche angesehen werden. Darüberhinaus mußten an einigen wenigen Stellen P a r a l l e l e n z u m e n g l i s c h e n Q u a r t o 2 - T e x t festgestellt werden, die n u r von dort übernommen sein können; an allen diesen Stellen ließ sich nachweisen, daß sie nachträglich ohne größere Umarbeitung des bereits 2 2 7 Den Versuch der Englischen Komödianten, „die gute Gelegenheit zu derartigem Moralisieren" (S. 123) aufzugreifen, erklärt Baesecke aus dem „Streben nach geistiger Durchdringung der Handlung" ( a . a . O . , S. 120ff.), das nach ihren Untersuchungen erst in der Zeit nach 1648, der letzten Zeitstufe in der Entwicklung des Komödiantendramas' in Deutschland, einsetzte. Danach würden die letzten Zeilen des Bestraften Brudermordes hauptsächlich dem Umkreis der deutschen Wanderbühne entstammen, — eine Annahme, der vom Text her nicht widersprochen werden kann, zumal nur an dieser einen Stelle des Dramas der Wunsch des Bearbeiters deutlich wird, „der Theaterhandlung irgendwie größere Bedeutung, einen bleibenden geistigen Gehalt zu geben" (S. 120). 2 2 8 Schon im ersten Akt findet sich ein Beispiel dafür, daß Hamlet zuweilen widerspruchsvolle oder unmotivierte Aussagen trifft. In der Schwurszene (I, 6) klingt das „Wir schwören!" des Geistes als Echo auf; „man begreift, daß Hamlet dies für ein Echo hält; er wechselt also den Platz (das hic et ubique des Originals). Aber der Geist ruft wieder: ,Wir schwören!' Hamlet erkennt daraus, der Geist wünsche nicht, daß er den Gefährten etwas offenbare. Warum er gerade dies daraus erkennt, ist schwer zu begreifen. Gegen Horatio kann er gleichwohl nicht schweigen." (R. von Liliencron, Das deutsche Drama im sechszehnten Jahrhundert und Prinz Hamlet aus Dänemark, Deutsche Rundschau, Band 65, October bis December, Berlin 1890, S. 259). Auch in dieser Szene (I, 6) zeigt sich die Liebe des Bearbeiters für Wiederholungen wirkungsvoller Situationen. Nicht drei (Quarto 1), sondern viermal wird der Schwur wiederholt. Vergl. Baesec&e, a. a. O., S. 43.

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nach dem Quarto 1-Text übertragenen Dramas in den Bestraften haben eingeschoben werden können.

Brudermord

Damit ist immer wahrscheinlicher geworden, daß der Bestrafte Brudermord zuerst an Hand des Textes der Quarto 1 des Shakespeareschen Hamlet übertragen, dann unter dem Einfluß von Quarto 2-Lesarten erweitert und geändert worden sein muß. Es erhebt sich nun die Frage nach der Entstehungszeit und dem Verfasser des Bestraften Brudermordes. B. ENTSTEHUNGSZEIT U N D VERFASSER Evans hat in der Einleitung zu seinen Untersuchungen über den Bestraften Brudermord alle bisherigen Forschungen über das deutsche Komödiantendrama in zwei Leitsätzen zusammengefaßt: „Als von den Shakespeareforschern allgemein anerkannt, dürfen wir diese beiden Sätze obenanstellen: 1. daß die Übereinstimmungen zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Shakespearischen Hamlet so auffällig und zahlreich sind, daß sie nicht als zwei unabhängige Dramatisierungen desselben Stoffes aufgefaßt werden können; und 2. daß der Text von Quarto 1 dem Text des Bestraften Brudermordes viel näher steht als der Text von Quarto 2" 229 . Die vorangegangenen Textgegenüberstellungen fügen sich diesen allgemein anerkannten Forschungsergebnissen und bestätigen gleichzeitig ihre Gültigkeit. Die Quellenuntersuchungen haben ergeben, daß an mehreren Stellen ein unmittelbarer Einfluß der Quarto 2 nicht zu leugnen ist. „Ist es aber nicht merkwürdig", fragt schon Evans, „daß diese . . . Übereinstimmungen zwischen dem Bestraften Brudermord und Quarto 2 . . . k e i n e Textveränderungen zwischen beiden Quartos darstellen, sondern in der Quarto 1 sämtlich fehlen?" 230 Das heißt, daß die Quarto 2-Stellen im Komödiantendrama n u r a u s d i e s e r z w e i t e n e n g l i s c h e n H a m l e t - A u s g a b e vom Jahre 1604 in den Bestraften Brudermord übernommen worden sein können, da sie in der Quarto 1Ausgabe ja nicht verzeichnet sind. Das bedeutet aber weiterhin auch, daß die Quarto 2-Stellen im Bestraften Brudermord für die Entwicklung der Handlung nicht wesentlich sein können, da schon ein nach der (in sich abgeschlossenen) Quarto 1-Handlung übertragener deutscher Text als vollständiges Drama gelten mußte. Diese Folgerungen konnten durch die Textgegenüberstellungen bestätigt werden. Überdies konnte festgestellt werden, daß die Quarto 2-Stellen im deutschen Text immer dort in Erscheinung treten, wo eine nachträgliche Einfügung (in ein handschriftliches Manuskript) ohne Mühe vorgenommen werden konnte. Alle von Shakespeare abweichenden Züge im Bestraften Brudermord durften als Änderungen des Bearbeiters bestimmt werden, der seine Aufgabe nicht in der getreuen Übersetzung seiner Vorlage, vielmehr in deren Bearbeitung zu 229 230

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Evans, a. a. O., S. 4. Ebenda. 83

einem zugkräftigen Stück der Wanderbühne sah. Hiermit stimmt überein, daß alle Änderungen typische Merkmale der Komödiantenproduktion aufweisen, die im Fall des Bestraften Brudermordes durch bestimmte Eigentümlichkeiten des Bearbeiters ein besonderes Gepräge tragen. Diese Feststellungen verdichten sich zu der T h e s e , daß der Bestrafte Brudermord zunächst nach dem Quarto 1 - Text der Shakespeareschen HamletTragödie übertragen worden ist23X. Das konnte frühestens unmittelbar nach dem Erscheinen der Quarto 1-Ausgabe im Jahre 1603 vorgenommen werden. Somit läßt sich als unterste Grenze der Existenz eines uns bekannten Komödianten-Hamlet das Jahr 1603 klar bestimmen. Die Schauspieler konnten in London eine Quarto 1 käuflich erwerben, eine deutsche Fassung anfertigen (oder anfertigen lassen) und sie dann auf ihren Zügen durch Deutschland zur Aufführung bringen. Als die Quarto 2-Ausgabe erschienen war, wurde der deutsche Text mit der neuen, verbesserten und erweiterten englischen Hamlet-Tragödie verglichen; Ergebnis und Niederschlag dieser Arbeit sind die ergänzenden Einfügungen im Text des Bestraften Brudermordes. Sie konnten frühestens im Jahre 1604, dem Erscheinungsjahr der Quarto 2 2 3 2 , aus dem englischen Text übernommen werden. Zwischen der ersten Übertragung der Hamlet-Tragödie aus dem Englischen und den nachträglichen Einfügungen lag vermutlich ein Zeitraum von mehr als nur ein oder zwei Jahren, da nicht anzunehmen ist, daß die Wandertruppe oder Mitglieder der Wandertruppe, zu deren Repertoire der KomödiantenHamlet gehörte, jeweils gerade in den gleichen Wochen in England weilten, in denen die Quarto-Ausgaben auf den Büchermarkt kamen. Muß das genaue Datum der ersten Übertragung und das der späteren Ergänzungen also unbestimmt bleiben, besteht jedoch Grund zu der Annahme, beide seien innerhalb des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts, also etwa bis zum Jahre 1608 oder 1610, erfolgt. Zu dieser Zeit können die Wandertruppen noch nicht über allzu viel Dramen in deutscher Sprache verfügt haben; um die Jahrhundertwende spielten die Engländer zum Teil noch in ihrer Muttersprache 233 . Es mußte ihnen also darauf ankommen, alte Dramen in neuem Gewand wieder erstehen zu 2 3 1 Die Möglichkeit, daß Shakespeares Hamlet-Tragödie auf der Wanderbühne zunächst in englischer Sprache vorgeführt wurde, ist im Rahmen der hier vorgetragenen These sehr gering. Liliencron (a. a. O., S. 257) glaubt, daß bei Hamlet-Vorstellungen der Komödianten in englischer Sprache die „poetische F o r m " noch erhalten' war und erst verlorenging, als die Dichtung — später — ins Deutsche übertragen wurde. E r räumt allerdings ein, daß sie auch schon vorher „von ihrer H ö h e " herabgesunken sein könnte, wenn er ausführt, die Komödianten hätten nidit die Originale englischer Dramen, sondern lediglich „entstellte Abklatsche" zur Aufführung gebracht (S. 256). 2 3 2 John Dover Wilson setzt als Erscheinungsjahr der Quarto 2 das J a h r 1605 an. Vergl. Hamlet, 2. Auflage, Cambridge 1948, S. X X V I ; ferner: The Manuscript of Shakespeare's Hamlet and the Problems of its Transmission, Vol. 1, Cambridge 1934, S. 124. 2 3 3 Julius Tittmann, Schauspiele aus dem 16. Jahrhundert, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Band 3, Teil 2, Leipzig 1868, S. X V I ; Adolf Winds, Hamlet auf der deutschen Bühne bis zur Gegenwart, Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Band X I I , Berlin 1909, S. 10.

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lassen. Mit Hilfe des Quarto 2-Textes konnte der Komödianten-Hamlet auf verhältnismäßig einfache Weise „neu" herausgebracht werden 234 . Das setzt voraus, daß eine erste Übertragung bereits vorhanden war 235 . Alle Zeugnisse über das Auftreten und die Wanderzüge der Engländer in Deutschland bestätigen, daß die Truppen in ständiger Verbindung mit ihrer Heimat standen; sei es nun, daß neue Truppen von der Insel herüberkamen und Kontakt mit alten, in Deutschland bereits heimisch gewordenen Mimen aufnahmen, oder sei es, daß ganze Truppen oder einzelne ihrer Mitglieder zeitweilig Deutschland verließen und in England wirkten 236 . Da wir nicht wissen, welche Wandertruppe im Besitz des deutschen Hamlet-Manuskriptes war, ist es auch nicht möglich, die Züge dieser Truppe zu verfolgen, um festzustellen, wie oft und wann sie nach England zurückkehrte. Daß sie sich dem Brauch ü b e r h a u p t fügte und nicht ständig in Deutschland blieb, dürfen wir nach den Erfahrungen mit den englischen Komödianten zu Beginn des 17. Jahrhunderts voraussetzen. So stehen der These von nachträglichen Einfügungen von Quarto 2-Lesarten in ein bereits bestehendes, nach der Quarto 1 angefertigtes deutsches Hamlet-Drama auch seitens der praktischen Durchführbarkeit keine Einwände entgegen. Natürlich müssen manche Fragen, die in diesem Zusammenhang auftreten, wegen der unwahrscheinlich wenigen Zeugnisse, die wir über den Bestraften Brudermord besitzen, unbeantwortet bleiben, während sich gleichzeitig ein weites Feld von Interpretationsmöglichkeiten auf tut. Hatte die Truppe, die den Bestraften Brudermord in Deutschland aufführte, bereits in England den Shakespeareschen Hamlet gespielt? War diese Truppe bereits vorher in Deutschland gewesen und kannte die besondere Situation der Wanderbühne? Warum sind gerade jene Stellen aus der Quarto 2 übernommen worden, die wir als solche erkennen können, und andere, unserer Ansicht nach weitaus bedeutendere, nicht? 2 3 4 Da nach allem, was wir mit Sicherheit von ihm wissen, der Komödianten-Hamlet keine bedeutende Rolle im Repertoire der Engländer gespielt hat (v. 'Weilen, a. a. O., S. 6), dürfte es nicht unmöglich erscheinen, daß die Komödianten mit den Quarto 2Zusätzen gleichzeitig den — allerdings gescheiterten — Versuch unternehmen wollten, dem Bestraften Brudermord zu einer größeren Popularität zu verhelfen. 2 3 5 "There is every reason to believe that it (Der Bestrafte Brudermord) had been brought to Germany by the English players as early as 1603" (Cohn, a. a. O., S. C X X ) . Audi Liliencron (a. a. O., S. 257) vertritt die Ansicht, daß die Hamlet-Tragödie bald nach ihrer Entstehung nach Deutschland gebracht worden sei. Diese These wird durch den Hinweis, daß im Jahre 1603 in London eine Pestepidemie ausbrach, gestützt. Die Theater wurden im März für ein Jahr geschlossen, und sicherlich sahen sich einige Schauspieltruppen veranlaßt, ihr Repertoire nicht nur auf Reisen in England selbst, sondern auch auf dem Kontinent darzubieten. Auf diesem Wege könnte die Quarto 1Fassung des Hamlet _ frühzeitig nach Deutschland gelangt sein. Auch in den Jahren 1605 bis 1609 verzeichnet Chambers (William Shakespeare, A Study of Facts and Problems, Vol. 1, Oxford 1930, S. 78) zeitweilige Theaterschließungen in England; damit wäre einer der Gründe angeführt, warum englische Schauspieler außerhalb ihres Landes auftraten. 2 3 8 Cohn, a . a . O . , S . L X X V f f . ; Tittmann, a . a . O . , S. X I ff.; Flemming, a . a . O . , S. 50 ff.

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H ä t t e die Benutzung der Quarto 2-Ausgabe nicht mehr Spuren hinterlassen müssen als die wenigen, die den Handlungsverlauf an keiner Stelle beeinflussen237? Keine Antwort auf diese Fragen vermag, wie immer sie ausfällt, die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungen ernsthaft in Zweifel zu ziehen. T r o t z der Anerkennung aller Zufälligkeiten, die bei der Entstehung des Bestraften Brudermordes eine Rolle gespielt haben könnten, und unter der Berücksichtigung der Tatsache, daß das Manuskript des Bestraften Brudermordes über hundert Jahre lang durch die H ä n d e englischer und deutscher Komödianten gegangen ist, die manches an ihm geändert haben mögen, bleiben die Übereinstimmungen mit beiden Quarto-Ausgaben des Shakespeareschen Hamlet derart auffällig, daß nur eine direkte Entlehnung ihr Vorhandensein erklären kann 2 3 8 . Deshalb kann die Annahme Friesens, der gesamte T e x t des Komödianten-Hamlet verdanke seine Entstehung der bloßen Erinnerung einiger Wandermimen an englische Hamletaufführungen 2 3 9 , nicht ernsthaft in E r w ä gung gezogen werden, und deshalb kann auch Tangers These nicht befriedigen, die die Quarto 2-Lesarten im Bestraften,Brudermord ebenfalls durch mündliche Überlieferungen zu erklären versucht 2 4 0 . 2 3 7 Naheliegend scheint die folgende Antwort auf diese Frage zu sein: Die Quarto 2Ausgabe erschien im Jahre 1604. Der Verkaufserfolg des Buches war so groß, daß eine Neuauflage kurz danach (1605) nötig wurde; auf diese Weise wäre geklärt, warum ein Teil der uns erhaltenen Quarto 2-Drucke die Jahreszahl „1604" trägt, ein anderer Teil die Aufschrift „1605" zeigt, während textliche Differenzen nicht bestehen. Die Komödianten, die bereits ein nach der Quarto 1 angefertigtes deutsches Hamlet-Manuskript besaßen, mußten annehmen, daß der „neue" englische Hamlet-Text auch für ihre Zwecke brauchbar sei; vielleicht dachten sie sogar an eine völlig neue Übertragung. Als der Bearbeiter den Quarto 2-Text dann durchsah, ergab sich aber, daß seine Ergiebigkeit für die Komödiantenbühne gering war, da der Handlungsverlauf im allgemeinen nicht von dem der Quarto 1 abwich. So wurde nur hier und da Unwesentliches im deutschen Text nach der Quarto 2-Vorlage geändert. 2 3 8 Da die These, daß dem Bestraften Brudermord die gedruckten Quarto-Ausgaben des Shakespeareschen Hamlet zugrunde liegen, eine einleuchtende und lückenlose Beweisführung ermöglicht, erübrigt sich die Untersuchung der Frage, ob den englischen Spielern die handschriftlichen Manuskripte von Quarto 1 und Quarto 2 zur Verfügung gestanden haben könnten. Zwar besteht die theoretische Möglichkeit einer solchen Annahme, zumal es nicht unmöglich erscheint, daß die Komödianten — als Spieler in England, bevor sie nach Deutschland zogen — Zugang zu diesen Manuskripten hatten; jedoch würde eine Klärung dieses Problems die Untersuchungen unnötig komplizieren. Vor allem wird dieser Fragenkomplex so lange unbeantwortet bleiben müssen, bis die Abhängigkeit zwischen Quarto 1 und Quarto 2 endgültig geklärt und damit die Frage beantwortet ist, ob es überhaupt jemals ein handschriftliches Manuskript der Quarto 1 gegeben hat, das als in sich abgeschlossener Text — z. B. als Souffleurbuch — existiert hat. 2 3 9 Herrn. Freih. von Friesen, Will. Shakspere's Dramen, Shakspere-Studien, Band 3, Wien 1876, S. 45 ff. 2 4 0 Tanger, a. a. O., S. 245; Winds (a. a. O., S. 14) vertritt den Standpunkt, es könne „nicht von einer Bearbeitung gesprochen werden", vielmehr stelle der Bestrafte Brudermord eine „Nachdichtung" dar, „die alle Poesie des Originals zwar vernichtet, aber in den Grundzügen und in vielen Dialogstellen unzweifelhaft das Shakespearesche Stück erkennen läßt". Es wird nicht deutlich, ob Winds an eine „Nachdichtung" aus der Erinnerung, oder an eine solche auf Grund vorliegender englischer Texte denkt.

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Die Theorie einer nachträglichen Einfügung von Quarto 2-Stellen in den Bestraften Brudermord ist vielleicht deshalb bisher nicht vertreten und belegt worden, weil die Annahme der Vorlage beider Shakespearescher Quarto-Ausgaben zunächst den Gedanken einer gleichzeitigen Benutzung aufdrängt. Eine solche Möglichkeit ist für den Verfasser eines Wanderbühnendramas tatsächlich so gut wie ausgeschlossen; sie ginge von der modernen Ansdhauung einer originalgetreuen Übersetzung aus, der zuweilen mehrere, voneinander abweichende Vorlagen zugrunde gelegt werden. Der Verfasser des Bestraften Brudermordes hatte indessen nicht die Absicht, mit nachträglichen Quarto 2-Einfügungen der englischen Dichtung gerecht zu werden, sondern er übernahm nur das, was nach seiner Ansicht einen Publikumserfolg des Komödiantendramas erhöhen konnte. Ist bisher immer vom „ B e a r b e i t e r " oder vom „ V e r f a s s e r " des Bestraften Brudermordes gesprochen worden 241 , soll nunmehr versucht werden, ihn näher zu bestimmen. Da an keiner Stelle, weder im Titel oder im T e x t des Bestraften Brudermordes noch durch andere Zeugnisse, ein Hinweis darauf gegeben wird, wer das Drama übertragen haben könnte, soll zunächst der Umkreis festgelegt werden, in dem der Verfasser des Bestraften Brudermordes gelebt und gewirkt haben muß. Ohne Zweifel entstammt er der Welt der Wanderbühne, die sich um dichterische Qualitäten ihrer Dramen nicht mühte. Die Form des Bestraften Brudermordes entspricht in allen Einzelheiten jenen Gesichtspunkten, die Flemming 242 als typische Merkmale der auf wirkungsvolle Schaustellung der Ereignisse strebenden Wanderbühnendramen erarbeitet hat 2 4 3 . Mit der Zusammenstellung dieser Merkmale wird zusammenfassend noch einmal beleuchtet, was in den Einzelinterpretationen im ersten Kapitel dieser Arbeit bereits ausführlich dargestellt wurde. 2 4 1 Auch die Bezeichnungen „deutscher Verfasser" oder „englischer Bearbeiter" stehen in dieser Arbeit immer für den gleichen Redaktor, dessen Gestalt und Arbeitsweise im folgenden klarer umrissen werden sollen. Mit der Darstellung seiner Eigentümlichkeiten widerspreche ich entschieden Schulze (a. a. O., S. 47), der „nicht die leiseste Spur von Autor-Individualität" im Bestraften Brudermord erkennt. 2 4 2 Flemming, a. a. O., S. 22 ff. 2 4 3 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß das von Kaulfuß-Diesch (a. a. O., S. 58 ff.) als typisches Merkmal der Wanderbühne erarbeitete Alternationsprinzip im Gebrauch der Vorder- und Hinterbühne für den Bestraften Brudermord nicht angewandt werden kann. Der überlieferte Text des Komödianten-Hamlet läßt einen regelmäßigen Wechsel zwischen beiden Spielfeldern nicht erkennen. Vergl. auch Baesecke, a. a. O., S. 40; Willi Flemming, „Englische KomödiantenReallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1956, S. 348. Auch zur Klärung der Frage, zu welcher Zeit der Mittelvorhang auf der Wanderbühne eingeführt wurde, vermag der Bestrafte Brudermord nicht beizutragen, da sein uns erhaltener Text nicht auf einen bestimmten Zeitraum festgelegt werden kann, sobald nach Einzelheiten gefragt wird. Vergl. dazu Baesecke, a. a. O., S. 57, Anm. 19; KaulfußDiesch, a. a. O., S. 64; Willi Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Baro&, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 35 ff.; R. Pascal, The Stage of the "Englische Komödianten" — Three Problems, The Modern Language Review, Vol. X X X V , Nr. 3, Juli, Cambridge 1940, S. 367 ff.

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I. „Zunächst fällt uns immer wieder auf, wie man sich bemüht, die Handlung recht eindeutig zu führen." 244 Dieses Bemühen ist dem Bestraften Brudermord durch alle Akte hindurch unverkennbar abzuspüren. Stein auf Stein baut der Verfasser seine Handlung folgerichtig auf; er entfernt alles, was sich dieser Konzeption hemmend entgegenstellt, und er fügt hinzu, wenn unklare Passagen eine Erklärung verlangen. An mehreren Stellen gelingt ihm dabei eine Interpretation von Situationen, die bei Shakespeare zwielichtig gestaltet sind. Solche Erklärungen folgern jedoch nicht aus der inneren Handlung, sondern bleiben von außen an das Drama herangetragen, um die Abfolge der Ereignisse klar zu bestimmen. Nicht eine Stelle im Bestraften Brudermord läßt eine Frage offen, die im Anschluß an die Ereignisse gestellt werden könnte. Um die allen Komödiantendramen eigene Eindeutigkeit bemüht sich der Verfasser — oft abweichend von der Shakespeareschen Vorlage — bis in Nebensächlichkeiten hinein. II. Als „zweite treibende Kraft, welche die Handlung baut", nennt Flemming „das Bestreben, die Vorgänge in lebhaftem Fluß zu zeigen und zu halten" 245 . Dieses Bestreben erfüllt sich in inniger Verbindung mit der eindeutigen Führung der Handlung. Im Bestraften Brudermord ist nur das Handgreifliche und Tatsächliche aus der Vorlage erhalten. Ein Ereignis löst das andere ab; aneinandergereihte Episoden, nicht eine groß angelegte Handlung und eine Gegenhandlung machen den Inhalt des Komödianten-Hamlet aus. An den meisten Stellen ist erkennbar, wie der Bearbeiter eine Szene mit Spannung füllt, die sich in der folgenden Szene löst, in der aber zugleich ein neues Problem sichtbar wird, das in die darauffolgende Szene hineingetragen wird. So wird das folgende immer schon vorzeitig angedeutet; überraschende Momente treffen wir im Bestraften Brudermord nirgends. Aber auch eine Verzahnung von Handlungsverläufen wird dadurch schon von der Form her unmöglich. Ist es nötig, Zurückliegendes noch einmal aufzugreifen, treffen wir auf breite, ausführliche und langatmige Wiederholungen. I I I . Der dritte Gesichtspunkt für die Zurichtung eines Dramas für die Wanderbühne ist der Versuch, „die Handlung aufregend zu gestalten" 248 . Auch dafür konnten Beispiele im Bestraften Brudermord angeführt werden. Das Auftreten des Geistes im ersten Akt, die Wahnsinnsszenen der Ophelia, der Mordversuch an Hamlet (Banditenszene), der Zweikampf zwischen dem Prinzen und Leonhardus am Ende des Dramas waren dazu angetan, das Publikum in dieser Hinsicht nicht zu enttäuschen. Flemming, a. a. O., S. 22. Flemming, a. a. O., S. 23. Ferner: Baesecke, a. a. O., S. 23 ff.; Liliencron, a. a. O., S. 258. Liliencron weist schon zu einer Zeit (1890), als noch vernichtende Urteile über die Englischen Komödianten die Regel waren (Kaulfuß-Diesch, a. a. O., S. 2 9 ; Baesecke, a. a. O., S. 1 ff.), darauf hin, daß die englischen Mimen den Stoff ihrer Vorlagen „durch Umstellen der Szenen in einen so glatten und raschen Verlauf bringen, daß man nicht umhin kann, diese gelungene Flußcorrectur zu bewundern. Jede Person ist zur Stelle, sobald sie gebraucht wird und aus keinem anderen Grunde, als weil sie jetzt zu thun hat". 2 4 6 Flemming, a. a. O., S. 2 5 ; Baesecke, a. a. O., S. 57ff. 244 245

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IV. „Da die Stücke in der Welt der Könige und Fürsten spielen, benutzen die Wandertruppen auch die Gelegenheit, ihrem Publikum durch Entfaltung von Pracht zu imponieren." 247 Das geschah im Bestraften Brudermord wohl vornehmlich durch die Staatsszenen, die durch Bühnenanweisungen für den ersten, zweiten und vierten Akt besonders vorgeschrieben sind. Ebenfalls bot die Schauspielszene Gelegenheit, das „Spiel im Spiel" prunkvoll darzustellen. Die bunten Gewänder taten ihr übriges,, die Farbenprächtigkeit der Szenenbilder zu erhöhen. Inwieweit musikalische Einlagen im Komödianten-Hamlet ihren Platz fanden, kann heute nicht mehr gesagt werden; irgendwelche Bühnenanweisungen sind in dieser Hinsicht nicht erhalten. Trommeln und Trompeten werden jedoch in jedem Fall zur Untermalung der Handlung verwandt worden sein. V. „Neben dem Schrecklichen und Pompösen ist das melancholisch Rührende überhaupt ein gern benutztes Wirkungsmittel." 248 Für diesen Zug der Wanderbühne bietet der Bestrafte Brudermord an keiner Stelle rein ausgeprägte Beispiele. Immer ist er in Verbindung mit anderen Wirkungsmitteln benutzt worden, meist vor, während oder nach schrecklichen Ereignissen. So weint die Königin in der fünften Szene des dritten Aktes über den Tod ihres ersten Gemahls, während unmittelbar darauf der Hofmarschall von Hamlet erstochen wird, nachdem Corambus „hinter der Tapete" gehustet hat, — ein weiteres Beispiel für das Bemühen nach Eindeutigkeit in jeder Handlungssituation; die Frage, wieso Hamlet von der Anwesenheit eines Lauschers wissen konnte, entfällt für den Bestraften Brudermord. In der dritten Szene des fünften Aktes überfällt den Prinzen eine wehmütige Stimmung. Vorahnungen des Todes überkommen ihn, begleitet jedoch von „Blutstropfen", die ihm „aus der Nase" fallen. Schließlich verfällt Horatio am Ende des Dramas in melancholische Meditationen, nachdem der Prinz vor seinen Augen gestorben ist.

VI. „Besondere Eigentümlichkeit erhält das Stück der Wanderbühne endlich durch die Einflechtung des Komischen." 249 Bis der Spaßmacher Phantasmo im Komödianten-Hamlet selbst auftritt, wird — wie aufgezeigt worden ist — seine Rolle von Corambus mit vertreten. Neben diesen beiden Gestalten, die „hauptamtlich" das Publikum zum Lachen zu bringen hatten, durchziehen den Bestraften Brudermord ununterbrochen von der ersten bis zur letzten Szene komische Situationen und Begebenheiten. Sei es, daß der Geist Ohrfeigen austeilt, daß Hamlet die wundersame Geschichte einer Brautnacht erzählt, daß der Prinz auf lustige Weise seinen Mördern entkommt 250 , — immer ist, meist an Flemming, ebenda; Baesecke, a. a. O., S. 29 ff. Flemming, a. a. O., S. 26. 2 4 9 Ebenda. 2 5 0 „Ganz aus dem Geiste des Theaters der Englischen Komödianten ist das neue dramatische Moment der Befreiung Hamlets von den Banditen geschaffen. In seiner Naivität würde es, heute so dargebracht, komische Wirkung haben. Auf der Wanderbühne ist es durchaus ernsthaft gemeint, ein Muster anschaulicher Vorführung des Geschehens in einem entscheidenden Augenblick." (Baesecke, a. a. O., S. 42 f.). Nichtsdestoweniger dürften sich aber auch schon die Komödianten bei dem durchaus ernsthaften Gestaltungsversuch dieser Szene dennoch ihrer Komik bewußt gewesen sein. 247

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solchen Stellen, wo der Ernst des Schicksals die Zuschauer ergreifen könnte, für eine Auflockerung durch das Komische gesorgt. Witz und Satire suchen wir im Bestraften Brudermord vergeblich; die Späße sind plump und roh und lassen jene Leichtigkeit vermissen, mit der ein Dichter seinen tragischen Stoff im Humor zu kontrastieren vermag. V I I . „Am stärksten enttäuschen" der Komödianten „Stücke durch die Sprache" 251 . Flemming erkennt zwei Wesenszüge in der Sprache der Mimen, die auch im Bestraften Brudermord ihren Ausdruck finden. Einerseits verdeutlicht das Wort das Vorgeführte 252 ; hier hat es eine ähnliche Funktion wie die Beschriftung der Ereignisse im Stummfilm. Nüchtern wird beschrieben, was im Augenblick geschieht, wenn Hamlet verkündet, Blutstropfen fielen ihm aus der Nase (V, 3), wenn er sagt, der Geist winke ihm und er müsse folgen (I, 5), wenn er mit gezogenem Degen vor dem betenden König steht und ausruft, jetzt sei die Zeit gekommen, ihn ums Leben zu bringen (III, 2). Hier ist die Sprache hölzern und ungelenk, während sie andererseits zum Wortpomp drängt, wofür im Bestraften Brudermord allerdings außer in den ehrerbietigen und unterwürfigen Anreden kaum ein Beispiel zu finden ist. Dafür fällt aber an manchen anderen Stellen ein bewußtes S t r e b e n n a c h d i c h t e r i s c h e m A u s d r u c k auf. So, wenn der König in der Gebetsszene vom „Stachel der Betrügerey" (III, 1) spricht, wenn er den nahenden Tag heraufziehen sieht, der „die schwarze Nacht zu vertreiben" vermag (I,7) 2 5 3 , wenn Hamlet, fast lyrisch, auf der Insel um sich blickt und die Schönheiten des Waldes und eines kühlen Wasserstroms preist (IV, l ) 2 5 4 . Dennoch bleibt auch im Bestraften Brudermord die „Sprache der Wandermimen stets im Dienst der Ereignisse oder des Agierens" 255 . Auch die gereimten Aktschlüsse müssen daher unpoetisch bleiben, weil nicht die Dichtung, sondern allein die Handlung im Vordergrund des künstlerischen Wollens der Komödianten steht. Im Bestraften Brudermord sind nüchterne Beschreibungen und erläuternde Passagen, Stellen pomphaften Ausdrucks und versuchter Zartheit eng untereinander vermischt256. Dadurch haben Sprache und Ausdruck weitgehend eine Ausgeglichenheit erhalten, die sich darin äußert, daß alle Personen in der gleichen Weise sprechen; von der Sprachform her unterscheiden sich der König und Flemming, a. a. O., S. 29. „Die Sprache als mimisches Ausdrucksmittel", Baesecke, a. a. O., S. 48 f. 2 5 3 Liliencron (a. a. O., S. 260) findet hier „eine sinnige Anspielung auf das alte Naditwächterlied zur Morgenstunde: ,Der T a g vertreibt die finstre N a c h t ' " . 2 6 4 Diese Stelle findet eine auffällige Parallele in der Gartenszene von Romio und julietta (Cohn, a . a . O . , S. 315), wo Julietta von „lustbahren Wäldern" und einem „rauschenden Bächlein" spricht (I, 2). In beiden Fällen darf man mit Baesecke (a. a. O., S. 136 f.) von „traditionellem Gut" sprechen, jedoch läßt die sprachliche Bearbeitung in einen entschiedenen FortRomio und Julietta gegenüber dem Bestraften Brudermord schritt in der Zeichnung der äußeren Atmosphäre und der Seelenstimmung erkennen. ® 5 Flemming, a. a. O., S. 30. 2 ! i 6 Vergl. dazu auch Baesecke, a. a. O., S. 7 9 ff., S. 89 ff., 108 ff. 251

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der N a r r nur unwesentlich 257 . Das führt zuweilen zu starken Kontrasten. In der ersten Szene des vierten Aktes wird die Diskrepanz zwischen dem Auftreten und Handeln der Banditen und der Art, in der sie sich ausdrücken, besonders deutlich. Obwohl eine sorgfältige Abstufung der Redeweise der verschiedenen Personen wohl zu keiner Zeit im Text des Bestraften Brudermordes enthalten gewesen ist, dürfte jedoch die auffällige Nivellierung der Sprache, wie sie uns in der überlieferten Fassung des Dramas gegenübersteht, erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt worden sein, so etwa beim Anfertigen von Abschriften oder bei der Übernahme des Stückes durch deutsche Komödianten. Anders ist die merkwürdige Mischung nüchterner Beschreibungen und pseudo-dichterischen Ausdrucks kaum zu erklären. Die der Barockprosa eigentümlichen formelhaften Elemente werden von den englischen Komödianten im allgemeinen gern verwandt 258 , jedoch finden sich im Bestraften Brudermord nur wenige der von Baesecke als typisch für die Komödiantensprache bezeichneten Beispiele einer „ D o p p e l f o r m e l " , die überdies für den KomödiantenHamlet nicht einmal charakteristisch genannt werden können: 1. A k t : „weder Freund noch Feind"; „weder Fleisch noch Bein"; „höre und gieb wohl Achtung"; „Freude und Lust". 2. A k t : „Doctores und Aerzte"; „Raserey und Tollheit". 3. A k t : „laufe und renne"; „an Ort und Stelle"; „voriger Verstand und Gesundheit"; „wo ich gehe und stehe". 4. A k t : „traurig und unglücklich"; „ruft und schreyt". 5. A k t : „Glück und Heil"; „Spott und Hohn". Es handelt sich hier weniger um sinngleiche oder um durch „und" miteinander verbundene Glieder, als um formelhafte Wendungen, die „zum größten Teil aus dem gesprodienen Deutsch der Zeit" 2 5 9 stammen. Häufiger treffen wir dagegen auf „formelhafte Adjektiv-Substantivverbindungen, die, ursprünglich aus der Dichtung stammend, in die Umgangssprache abgesunken und zu totem Sprachmaterial geworden sind" 2 8 0 2 5 7 Daß die Redeweise der Personen, „je tiefer sie in der gesellschaftlichen Rangordnung stehen, um so echter im Stil" werde (Baesecke, a. a. O., S. 140), wird am Text des Bestraften Brudermordes nicht illustriert werden können. Baesecke führt aus der vierten Szene des Bestraften Brudermordes das folgende Beispiel an: Horatio meldet dem Prinzen, es trüge sidi „ein wunderlicher Casus zu, massen sich allhier alle Viertelstunde ein Geist sehn läßt; er gleicht, meinen Einbildungen nach, recht dem verstorbenen König . . .". „HAMLET. Das will ich nicht hoffen, denn die Seelen der Frommen ruhen wohl bis zu der Zeit ihrer Erneurung. H O R A T . Es ist nicht anders, Ihro Durchlaucht, ich habe ihn selbst gesehn. FRANCISCO. Mich hat er sehr erschreckt, Ihro Durchl. 2. SCHILDW. Und mich hat er eine brave Ohrfeige gegeben." (1,4) Baesecke kommentiert diese Stelle wie folgt: „Die Äußerungen sind gestaffelt von der allgemeinsten und würdevollen Hamlets bis zu der konkretesten und dramatischen der Schildwache. Nicht das Erwähnen der erhaltenen Ohrfeige, die ja Tatbestand ist, sondern die biedere Kennzeichnung derselben in dem attributiven Adjektiv spiegelt den ,unhöfischen' Geist des Soldaten." Die angebliche „Staffelung" der Äußerungen, soweit überhaupt eine bewußte Gestaltung des sprachlichen Ausdrucks über die bloße Mitteilung des Tatsächlichen hinaus erkennbar ist, beruht wohl nur auf einem Zufall. Auch ist an keiner anderen Stelle ein Versuch in dieser Hinsicht unternommen worden. 2 5 8 Baesecke, a. a. O., S. 91 f. 2 5 9 Baesecke, a. a. O., S. 94. 2 8 0 Baesecke, a. a. O., S. 93 f.

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(„dunkle Nacht", „inbrünstiges Gebet", „guter Freund", u. v. a.), sowie auf feststehende Redewendungen für Gruß und Anrede („Gnädigste Königin", „Ihro Majestät", „Ihro Hoheit") 2 6 1 . V I I I . Die Komödianten „passen alles der geringen intellektuellen Fassungskraft der Masse als Publikum" an 2 6 2 . Beispiele für diesen v o n Flemming beobachteten Zug der Wanderbühne konnten im Bestraften Brudermord, mehrfach angeführt werden. Aus dem Shakespearesciien Hamlet wurde lediglich die Fabel übernommen, an Einzelheiten nur das, was zur Entwicklung der Fabel beitragen konnte und imstande war, der Handlung sensationelle Züge eines Reißers zu verleihen. Eine Analyse seelischer Regungen ist nirgends versucht worden; die Begegnung zwischen Hamlet und Ophelia (II, 4) und zwischen dem Prinzen und seiner Mutter (III, 5) beschränkt sich auf das Tatsächliche und zerstört damit den Sinngehalt dieser Szenen, auf den es Shakespeare zuallererst ankam. Die „geringe intellektuelle Fassungskraft" des Publikums allein dafür verantwortlich zu machen, schließt allerdings die Gefahr einer einseitigen Betrachtungsweise in sich ein 2 6 3 . Immerhin begeisterte sich ein Herzog Heinrich Julius von Braunschweig an den Spielen der Mimen, wurden Wandertruppen an den H ö f e n — die Träger der Kultur des Barock 264 — aufgenommen 2 6 5 , besuchten die Räte der Städte gern die für sie veranstalteten Gratisaufführungen. Sicher steht die Wanderbühne auf dem Boden „geistiger Kulturlosigkeit" 266 , aber der Raum, in dem sie sich so weit entfalten konnte, war der einer blühenden Kultur. In der historischen Betrachtung wird ein Jahrhundert allzu oft nach seinen führenden Vertretern in Kunst und Dichtung, Religion und Philosophie bewertet, — und doch sind die leitenden Mächte der großen Masse seit dem Beginn der Neuzeit außerhalb dieses Raumes zu suchen. Heute sind es, um nur einige zu 261 Baesecke, a. a. O., S. 94. Unter den vielen, von Baesecke angeführten Beispielen bestimmter Stilformen (S. 89 ff.) finden sich bezeichnenderweise keine aus dem Bestraften Brudermord. Zur Zeit seiner Entstehung dürften die formelhaften Elemente in der Sprache der Komödianten noch nicht jene Bedeutung gehabt haben, die ihre häufige Verwendung und starke Ausprägung in späterer Zeit vermuten lassen. Die von Baesecke angesetzten Entwicklungszeiträume von zwanzig und mehr Jahren sind — soweit die Entwicklung der Sprache betrachtet wird — zu weit gefaßt; zweifellos war gerade die Sprachform um 1620 weiter entwickelt als um 1600. 262 Flemming, a. a. O., S. 31. 263 Liliencron (a. a. O., S. 256) spricht davon, daß das Publikum der Englischen Komödianten in Deutschland „von dem Adel der Londoner Bühne noch nicht berührt" war und darum die Komödianten und mit ihnen ihre Dramen von der in England erreichten künstlerischen Höhe wieder in niedere Regionen herabsanken, „bis sie schnell genug in einer recht ordinären Art von Volkstümlichkeit verkamen". 264 Wie die Kultur des 17. Jahrhunderts ganz im „Dienst der Fürsten und Höfe" stand, weist Max Semrau (Die Kunst der Barockzeit und des Rokoko, Grundriß der Kunstgeschichte, hrsg. von Wilhelm Lübke, Band IV, 13. Auflage, Esslingen 1907, S. 3) in zusammenfassender Übersicht an den Beispielen der bildenden Kunst, der Musik und des Theaters nach. 26 ® Daß vor dem Volk und an den Höfen ein unterschiedliches Repertoire nach dem jeweiligen Bedürfnis des Publikums dargeboten wurde (Stahl, a. a. O., S. 14), kann nirgends nachgewiesen werden. 266 Flemming, a. a. O., S. 12.

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nennen, der Film, der Sport,, die publizistischen Erzeugnisse in Millionenauflagen, die gar keinen Anspruch auf literarischen Wert erheben. Verbindungen zwischen den Schichten der Kultur und der Masse gibt es heute genau so wie im 17. Jahrhundert, wobei die Bestrebungen der Masse sich an der Peripherie der Geistigkeit orientieren; der Hinweis auf die Verfilmung literarischer Werke und das Erscheinen „populärwissenschaftlicher" Bücher mag das verdeutlichen. Ähnlich steht die Wanderbühne am Rande des barocken Kulturraumes, lebt aus ihm, und entwickelt sich doch nach eigenen Gesetzen. Ohne die englischen, französischen, deutschen, spanischen, niederländischen und italienischen Dichter des 16. und 17. Jahrhunderts gäbe es keine Wanderbühne, aber ebenso auch nicht ohne die unzähligen Menschen, die zur Dichtung keinen Zugang fanden, die aber auf ihre Weise ebenso am „geistigen Leben" Anteil nehmen wollten. So gab die Wanderbühne einem Bedürfnis der breiten Volksschichten nach. Zur Volkskultur konnte sie sich nidit erheben, weil sie letztlich wurzellos blieb; als Zeiterscheinung sollte sie aber in ihrem Wert nicht verkannt oder herabgemindert werden 267 . Sie gewährt uns einen Einblick in den Alltag eines Jahrhunderts, der zwar unpoetisch, aber echt und wahr ist 268 . IX. Rücksichtslose Zusammendrängungen, die durch die beschränkten Mittel, die den Mimen zur Verfügung standen, verursacht wurden, sind ein weiteres Charakteristikum der Komödiantendramen269. Flemming hat das sehr eindrucksvoll- durch Zahlen verdeutlicht 270 ; im Bestraften Brudermord wurde der erste Akt von Shakespeares Hamlet von 38 auf 8 Seiten verkürzt, der zweite Akt von 26 auf 8 K Seiten, der dritte Akt von 35 auf 7 Seiten, der vierte Akt von 30 auf 6 Seiten und der fünfte Akt von 29 auf 6 Seiten. Auch die Personenzahl wurde gegenüber dem Original verringert. Sehr wahrscheinlich dürfte es ferner sein, daß ein Spieler mehrere Rollen zu übernehmen hatte. So konnten beispielsweise die „Schildwachen" und die „Comödianten" im Bestraften Brudermord leicht von den gleichen Spielern dargestellt werden.

X . „Ihre handfeste Geschlossenheit verdanken diese Stücke wohl dem Umstände, daß in der Reihe der Wandermimen eine Anzahl dramatisch begabter Personen sich immer wieder fanden, bei welchen es zwar zu dichterischer Produktion nicht reichte, die aber doch als Bearbeiter genügend Instinkt und Formkraft besaßen." 2 7 1 Da an Hand der von Flemming angeführten Gesichtspunkte der Bestrafte Brudermord eindeutig als ein Drama der Wanderbühne bestimmt werden kann, ist für die Frage nach dem Verfasser nunmehr der Schluß .zulässig, daß er den Reihen der W a n d e r m i m e n entstammt. Seine Begabung reichte aus, dem 2 6 7 Die theatergeschichtliche Bedeutung der Komödianten ist von der Forschung schon seit langer Zeit ausreichend gewürdigt worden (vergl. Kaulfuß-Diesch, Flemming, Baesecke u. a.). Der Reiz der neuen Bühnenkunst, die sie nach Deutschland brachten, mag es vornehmlich gewesen sein, der den Mimen Eingang und Anerkennung in den „oberen Schichten" finden ließ. 2 6 8 „Die deutsche Bühnengeschichte des ,Hamlet' ist nicht nur eine theatergeschichtliche Angelegenheit, sie gibt geradezu ein Kulturbild für die Wandlungen in den ästhetischen Anschauungen, einen Gradmesser für den geistigen Fortschritt, für die Bewegungen der Volksseele." Winds, a. a. O., S. 223. & 9 Baesecke, a. a. O., S. 27, 50 ff. 2 7 0 Flemming, a. a. O., S. 32. 2 7 1 Flemming, a. a. O., S. 33.

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Bestraften Brudermord eine „handfeste Geschlossenheit" zu verleihen, die im Verlauf dieser Arbeit für alle Akte nachgewiesen werden konnte. Mit dieser Feststellung sind die sicheren Aussagen über den Bearbeiter des KomödiantenHanilet allerdings auch schon erschöpft. Lediglich besondere Eigentümlichkeiten seiner Arbeitsweise können noch einmal hervorgehoben werden, die uns immer wieder im Text entgegentreten und derart organisch zur Handlungsentwicklung dazugehören, daß sie bereits in der ursprünglichen Übertragung des Bestraften Brudermordes gestanden haben dürften. Dazu gehören zunächst eine besondere Vorliebe für Wiederholungen und das Bestreben, nidits unerklärt zu lassen. Beide Züge dienen der Eindeutigkeit und Klarheit des Textes, sind aber an vielen Stellen übertrieben hervorgehoben. An einigen Stellen gibt der Bearbeiter Proben seines erzählerischen Talentes, wenn er die Handlung für wenige Augenblicke unterbricht, um „artige Historien" vortragen zu lassen. Ob der Bearbeiter Deutscher oder Engländer war, läßt sich nicht mehr entscheiden. Indizien, die darüber Auskunft geben könnten, sind wohl durdi Abschriften des Textes im Laufe des 17. Jahrhunderts verwischt worden, so daß dialektische Wendungen, Besonderheiten der Schreibung und die reiche Benutzung von Fremdworten über den Verfasser nichts auszusagen vermögen. Die Einfügung der „artigen Geschichten", die mit großer •Wahrscheinlichkeit als aus dem englischen Sprachbereich überliefert zu betrachten sind, besagen nicht, daß der Verfasser englischer Abstammung sein muß. Ein Deutscher, der in enger Verbindung mit den englischen Komödianten stand, könnte sie ebenso gut v o n ihnen gehört und bei der Bearbeitung des Textes verwandt haben. Audi könnte eine Übertragung des Bestraften Brudermordes durch einen sprachgewandten Engländer unter deutscher Assistenz vorgenommen worden sein.

Eine Entscheidung darüber, ob die nachträglich aus dem Quarto 2-Text eingefügten Stellen von der gleichen H a n d vorgenommen wurden, der schon die Übertragung aus dem Quarto 1-Text anvertraut war, ist gleichfalls nicht mehr möglich. Stilistische Unterschiede fallen nicht auf; das Drama zeigt durch alle Akte hindurch eine gleichbleibende Gestalt. Dennoch steht fest, daß außer der ersten Übertragung und den späteren Ergänzungen auch noch Änderungen durch deutsche Komödianten vorgenommen worden sein müssen. Darauf lassen die siebte und achte Szene des zweiten Aktes schließen, in der „hochteutsche Comödianten" auftreten, die auf Gegebenheiten der Komödiantenbühne aufmerksam machen, die sich erst nach der Mitte des Jahrhunderts eingebürgert hatten. Brudermordes Aus all dem geht hervor, daß der Verfasser des Bestraften nicht ein Komödiantendichter des 17. Jahrhunderts gewesen sein kann. So ist zum Beispiel fast nicht daran zu denken, daß J a k o b A y r e r in Erwägung gezogen werden darf. Er scheidet nicht nur aus, weil in seinem überlieferten Werk eine Hamlet-Tragödie fehlt und weil er in Reimpaaren dichtete, auf deren Benutzung (auch in eventuellen früheren Fassungen) der Bestrafte Brudermord nicht schließen' läßt, sondern vor allem, weil Ayrer viel zu sehr in den formalen und inhaltlichen Traditionen der deutschen Dichtung verhaftet 94

war, als daß er bei der Entstehung des Komödianten-Hamlet in irgend einer Weise beteiligt gewesen sein könnte 272 . Herzog H e i n r i c h J u l i u s v o n B r a u n s c h w e i g betont in allen seinen uns bekannten Dramen außerordentlich den Gehalt, dem starke moralische Kräfte innewohnen und der erzieherisch auf die Zuschauer einwirken sollte 273 . Auch davon ist dem Bestraften Brudermord nichts abzuspüren, sieht man von dem Schluß des Stückes mit seiner — wahrscheinlich erst zu späterer Zeit eingefügten — moralischen Tendenz ab 2 7 4 . So darf zusammenfassend festgestellt werden, daß der Verfasser des Bestraften Brudermordes dem Umkreis der Wanderbühne entstammt. Er muß sowohl die deutsche als auch die englische Sprache beherrscht haben, besaß dramatische Fähigkeiten, die es ihm möglich machten, mit Geschick und Talent ein Komödiantendrama zusammenzubauen, und war in der Lage, Verse zu schmieden, mit denen er — nach dem Vorbild Shakespeares? — einzelne Akte abschloß.

NACHTRAG DER STAMMBAUM DES „BESTRAFTEN BRUDERMORDES" Die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungen ermöglichen die Aufstellung eines Stammbaums der deutschen Hamlet-Tragödie aus der Zeit der Komödianten. Die Abschrift des Bestraften Brudermordes aus dem Jahre 1710 geht auf eine freie Übertragung und Bearbeitung der Quarto 1-Ausgabe des Shakespeareschen Hamlet-Textes (1603) zurück, die zu einem späteren Zeitpunkt an einzelnen Stellen durch Lesarten der Quarto 2-Ausgabe (1604) ergänzt worden ist. Wahrscheinlich sind kleinere Änderungen an diesem Manuskript durch englische Komödianten vor dem Jahre 1650 vorgenommen worden, die jedoch nicht nachweisbar sind. Als der Bestrafte Brudermord in das Repertoire fahrender deutscher Schauspieltruppen übernommen wurde, ist er durch sie weiter verändert worden; Einflüsse auf den T e x t nach dem Jahre 1650 sind nachgewiesen worden. Alle diese Änderungen haben jedoch die grundlegende Fassung des Dramas nicht berührt. Sie blieb erhalten und ermöglicht eine genaue Quellenbestimmung. Der Stammbaum des Bestraften Brudermordes verdeutlicht zusammenfassend und übersichtlich diese Zusammenhänge. 272 wilibald Wodick, Jakob Ayrers Dramen in ihrem Verhältnis zur einheimischen Literatur und zum Schauspiel der englischen Komödianten, Halle 1912. Ferner: Tittmann, a. a. O., S. 121 fi.; Flemming, a. a. O., S. 65. 2 7 3 Willi Flemming, „Englische Komödianten", Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1956, S. 351 f. 2 7 4 „Im Stoff und in einzelnen theatralischen Zügen zeigen sie (Ayrer und Heinrich Julius) den Stil der Englischen Komödianten und können somit zur Erhellung des Bildes, das wir uns von dem Schauspiel der Englischen Komödianten machen, beitragen; als Dramen aber gehören sie nicht zu dem Typ des Komödiantenstücks." Baesecke, a. a. O., S. 21 f. 95

Er läßt besonders die ständigen und unterschiedlichen Einflüsse deutlich werden, die es unmöglich machen, in einzelnen Text- und Quellenfragen endgültige Aussagen aufzustellen. Andererseits sind sie jedoch zu keiner Zeit so weitreichend gewesen, daß dadurch die großen Zusammenhänge seit der Übertragung des Textes aus dem Englischen nicht mehr zu überschauen wären. Quarto 1 x (1603) x Quarto 2 (1604)

Übertragung/Bearbeitung x

Zusätze

Englische Komödianten — x (vor 1650)* Deutsche Komödianten (nach 1650)

Veränderungen x

Veränderungen x

Abschrift (1710) **

x 1. Druck (1781) * Veränderungen durch englische Komödianten vor 1650 sind wahrscheinlich, können aber nicht nachgewiesen werden. ** Weitere Abschriften des Dramas vor dem Jahre 1710 sind wahrscheinlich, können aber nicht nachgewiesen werden. Es ist nicht anzunehmen, daß dem Schreiber im Jahre 1710 ein über hundert Jahre altes, mit Zusätzen und Verbesserungen versehenes Manuskript vorgelegen hat.

Kapitel 3. Der Prolog. Beziehungen zum Ur-Hamlet Immer wieder ist der Prolog des Bestraften Brudermordes in der Forschung zum Beweis dafür herangezogen worden, daß das Komödiantendrama unmittelbar auf den Ur-Hamlet zurückgehe. Die voranstehenden Untersuchungen haben, ohne auf mögliche Zusammenhänge mit dem Ur-Hamlet näher einzugehen, den Bestraften Brudermord als Übertragung der Shakespeareschen Hamlet-Tragödie bestimmt. Darum wird es nun, ausgehend vom Prolog, nötig sein, diejenigen Argumente, die eine Verbindung zum Ur-Hamlet belegen sollen, zu überprüfen. Gelingt ihre Widerlegung, so kann dadurch die eigene These gestützt werden 275 . 275 Die Argumente, die eine Entstehung des Bestraften Brudermordes aus dem UrHamlet stützen sollen, müssen hier einzeln widerlegt werden, auch wenn sie in den allermeisten Fällen von den Forschern nicht isoliert, sondern unter gleichzeitigem Hinweis auf andere Indizien vorgetragen worden sind. Sie verlieren dadurch aber nicht an Überzeugungskraft, da in einer systematischen Zusammenfassung und Widerlegung einzelner wichtiger Punkte, die eine Abhängigkeit des Komödiantendramas vom UrHamlet begründen sollen, schließlich a l l e Argumente Berücksichtigung finden werden.

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Vornehmlich Sarrazin 276 , in neuerer Zeit Hudson 277 , Parrot und Craig 278 stützen ihre Ansicht, daß der Bestrafte Brudermord die älteste Fassung einer englischen Hamlet-Tragödie spiegele, hauptsächlich unter Hinweis auf den Prolog des Dramas. In ihm treten die „Nacht" ( „ . . . in einer gestirnten Maschine") und die drei Furien Alecto, Thisephone und Mägera auf. Ihre Verwendung im Prolog eines Dramas, argumentieren die Forscher, lasse vermuten, daß dessen Autor ein Nachahmer Senecas und darum mit großer Wahrscheinlichkeit Kyd gewesen sein müsse 279 . Aber bereits an dieser Stelle müssen die ersten Einwände erhoben werden. Selbst wenn man anerkennt, daß der Prolog des Bestraften Brudermordes eine Übersetzung aus dem Englischen darstellt — wofür keine Beweise erbracht werden können —, wird das Auftreten von Rachegöttinnen, Furien und allegorischen Figuren nicht notwendig mit einem Drama Kyds in Verbindung gebracht werden dürfen. Sie sind in vielen Dramen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts verbreitet und wurden vor allem in Blut- und Rachetragödien gern verwandt; besonders die Benutzung von R a c h e g e i s t e r n geschah derart häufig, daß sie zu typischen Figuren des Theaters dieser Zeit wurden und so allgemein bekannt sind, daß es sich erübrigt, einzelne Beispiele anzuführen. Aber auch die namentliche Erwähnung von „bloody Furies" (The Spanish Tragedy, 1, 1, 65 280 ) ist nicht nur auf eine kleine Anzahl von Dramen beschränkt; Sarrazin 2 8 1 führt allein acht Tragödien an, in denen A l e c t o , T h i s i p h o n e und M ä g e r a selbst auftreten oder wenigstens, wie im Bestraften Brudermord („Kinder der Finsternis"), als "dreadful Furies, daughters of the night" (Gorboduc,IV,2,Chor. II 2 8 2 ) bezeichnet werden. Von daher wird deutlich, daß es in der Nachfolge von Seneca auf der englischen- Bühne bis zu Shakespeare allgemeine Bilder, Gedanken und Figuren, ja sogar Wortwendungen gab, die von den Dichtern ständig verwandt worden sind. Kyd ist nur einer von vielen, der sich ihrer bedient. Natürlich könnte er sie darum auch für einen Prolog zum Ur-Hamlet benutzt haben, womit allerdings keineswegs bewiesen ist, daß dieser Prolog der gleiche sein muß, der dem Bestraften Brudermord vorangestellt ist. Auffällig bleiben die von Cohn 283 und Sarrazin 284 erwähnten Übereinstimmungen zwischen dem Prolog des Komödianten-Hamlet und der HexenSzene in Shakespeares Macbeth. Es ergeben sich hier die folgenden Parallelen: 276

Gregor Sarrazin, a. a. O. Norman Hudson, The Tragedy of Hamlet, The New Hudson Shakespeare, Boston 1937, S. X V f. 278 Thomas Marc Parrott, Hardin Craig, The Tragedy of Hamlet (Quarto 2), London/Oxford 1938, Introduction. Vergl. auch Shakespeare-Jahrbuch 75, S. 146. 279 Dieser Schluß wurde nur darum überhaupt erst möglich, nachdem Kyd mit guten Gründen als Verfasser des Ur-Hamlet ermittelt worden war. 280 Mcllwraith, a. a. O., S. 137. 281 Gregor Sarrazin, Die Entstehung der Hamlet-Tragödie, Anglia, Band 13 (NF Band 1), Halle 1891, S. 120 ff. 282 Mcllwraith, a. a. O., S. 115. 283 Cohn, a. a. O., S. CXXI. 284 Sarrazin, a. a. O., S. 121. 277

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Freudenstein,

Brudermord

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PROLOG

. . . hab in meiner Madit, Die Bosheit auszuüben . . . . . . Acherons finstrer Höhle . . . . . . ich fahre auf . . .

MACBETH . . . I, . . . The close contriver of all h a r m s . . . (111,5, 6f.) . . . at the pit of Acheron . . . (Ill, 5, 15) . . . I am for the air . . . (Ill, 5, 20) 2 8 5

Schon bei einer nur flüchtigen Betrachtung ist zu erkennen, daß es sich bei diesen allgemeinen Äußerungen um nichts anderes als um zufällige Übereinstimmungen handeln kann, die nach den vorausgegangenen Bemerkungen nicht allzu sehr überraschen. Sie sind eigentlich sogar zu erwarten, da in beiden Szenen der gleiche Vorgang behandelt wird. H e c a t e ( — die „Nacht" wird im Bestraften Brudermord an einer Stelle ebenfalls mit „Hecate" angeredet —) und drei ihrer Furien beschließen, Unheil zu stiften und einen Königsmord zu rächen. Eine unmittelbare Entlehnung wird in keinem Falle nachzuweisen sein. Dennoch folgert Sarrazin, Shakespeare habe für die Szene in Macbeth die gleiche Vorlage benutzt wie der Verfasser des Prologes im Bestraften Brudermord, nämlich den Prolog zum Ur-Hamlet. Diesen Prolog habe Shakespeare seinem Hamlet n i c h t vorangestellt, ihn dafür aber an anderer Stelle — eben in jener Hexen-Szene des Macbeth — verwandt. Seine Ansicht stützt Sarrazin mit dem Hinweis darauf, daß Macbeth nicht lange nach der Hamlet-Tragödie entstanden sei, den Ur-Hamlet-Prolog also Shakespeare noch in frischer Erinnerung gehabt habe. Zu dieser Interpretation wäre zunächst zu fragen, warum Shakespeare den (angenommenen) Prolog des Ur-Hamlet bei einer Überarbeitung des Kydschen Werkes nicht mit übernommen haben sollte. Da er mehrere seiner Dramen mit einem „Prologue" eröffnet, kann er grundsätzliche Einwände gegen sie nicht gehabt haben. Ferner vermag Sarrazin den stilistischen und inhaltlichen Unterschied zwischen dem Prolog und dem Text des Bestraften Brudermordes nicht ausreichend zu erklären. Der Prolog hebt sich im Ausdruck und in den Satzfügungen wesentlich von dem ihm folgenden, weit minderwertigeren Drama ab. Hätte der Ur-Hamlet mit einem Prolog und dem Text der Tragödie gemeinsam als Quelle gedient, dürfte man annehmen, daß beide Teile in der gleichen Art gestaltet worden wären, also entweder g l e i c h gut oder aber g l e i c h s c h l e c h t . Ein Bearbeiter, der seine Vorlage in gute, ansprechende Verse und in einen poetischen Prosa-Text (Prolog) gießen konnte, wäre auch in der Lage gewesen, die Dialoge eines Dramas entsprechend zu übertragen. Darüber hinaus besteht zwischen dem Prolog des Bestraften Brudermordes und der Handlung ein i n h a l t l i c h e r Zwiespalt. Die „Nacht" spielt auf Ereignisse an, die teilweise nur sehr locker mit dem Inhalt des Komödianten-Hamlet verbunden werden können, teilweise ihm völlig widersprechen. Weder im Bestraften Brudermord noch im Hamlet Shakespeares kann von einer „Uneinigkeit" oder „Eifersucht" in der Ehe des Königs gesprochen werden. Es sind weder „Blutsfreunde in dem Lasternetz" verstrickt, noch sind Ereignisse an280

W. J. Craig, The Complete Works of William Shakespeare, The Oxford Shake-

speare, London/New York/Toronto 1952, S. 859. 98

geführt, die sich in einem „Mordsee" (Nordsee?) abspielen. Aus diesen Abweichungen schließen zu wollen, daß der Ur-Hamlet einen gegenüber dem uns bekannten Text der Hamlet-Tragödie grundlegend verschiedenen Inhalt gehabt haben müsse, wird nicht möglich sein288. Rekonstruktionen des Ur-Hamlet, die den Prolog des Bestraften Brudermordes zu Hilfe nehmen, bleiben verfehlt, solange nicht auch von anderer Seite bestätigt werden kann, daß Abweichungen vom Gang der Handlung, wie ihn Shakespeare zeichnet, für Kyds verlorengegangenes Drama angenommen werden müssen. Es darf die Frage gestellt werden, ob dem Ur-Hamlet überhaupt jemals ein Prolog vorausgegangen sein wird. Ihre Beantwortung erfordert eine Rekonstruktion des verlorengegangenen Dramas, die selbstverständlich sehr verschieden ausfallen kann. Immerhin werden jedoch in der Hamlet-Geschichte alle Funktionen der in einem Prolog auftretenden Figuren vom Geist übernommen, der handelnd in das Spielgeschehen eingreift. In Kyds Spanish Tragedy sind der „Ghost of Andrea" und „Revenge" noch außerhalb des eigentlichen Spielverlaufs eingefügt, wenn sie auch nicht als Prolog, Chor oder Epilog außerhalb der Aktund Szenen-Einteilung auftreten. Sie haben zwei Aufgaben zu erfüllen, die der U n t e r r i c h t u n g des P u b l i k u m s über die Vorgeschichte,, und die der B e g l e i t u n g d e r H a n d l u n g als verborgene Betrachter. Im Geist des alten Hamlet sind sie zu e i n e r Person vereinigt; er ist zugleich „Ghost of King Hamlet" und die allegorische „Revenge"-Figur, die zur Rache aufruft 287 . So erübrigt sich aus dem Blickpunkt der inneren Entwicklung des Dramas und der dramatischen Gesetzlichkeit heraus die Annahme eines Prologes für den UrHamlet. Ihr wohnt zumindest die gleiche Beweiskraft inne wie der Vermutung, daß der Prolog des Bestraften Brudermordes aus dem Ur-Hamlet übernommen sei. Alle Ansichten, nach denen sowohl der Prolog als auch das Drama auf Kyd zurückgehen sollen, übersehen dabei die inhaltliche Diskrepanz, die zwischen beiden besteht und die Kyd, wäre er beider Verfasser, bestimmt vermieden hätte. Zum Beweis, daß der Prolog des Bestraften Brudermordes den Prolog des Ur-Hamlet zur Quelle habe, führt Landsberg an, daß sein Stil dem der „acht2 8 6 In diesem Falle müßte der P r o l o g des Bestraften Brudermordes aus dem UrHamlet, der T e x t der Handlung von Shakespeare übernommen sein, will man nicht annehmen, daß sowohl Shakespeare als auch der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes die gleiche Vorlage unabhängig voneinander in genau der gleichen Weise abgeändert hätten. Diese Annahme stände am Anfang eines umfangreichen Fragenkomplexes, dessen Bearbeitung jedoch kaum zu brauchbaren Ergebnissen führen dürfte. Schulze (a. a. O., S. 47 ff.) zieht die hier angedeutete Konsequenz n i c h t . Er sieht in der Prosastelle des Prologs Nachklänge einer Ur-Hamlet-Handlung, in der Hamlets Vater von Claudius n i c h t der Krone, sondern der Königin wegen ermordet wird. Alles, was sich im nachfolgenden Text des Bestraften Brudermordes dieser Konzeption nicht fügt, wird als Bestandteil einer jüngeren Schicht Shakespearescher Elemente interpretiert, die sich über den ursprünglichen Handlungsverlauf gelagert haben soll. Einen durchgängigen Situationszusammenhang, der von Shakespeares Hamlet wesentlich abweicht, vermag Schulze jedoch an keiner Stelle sichtbar werden zu lassen. 2 8 7 Daß der Geist im Hamlet-Drama Shakespeares aktiv an der Handlung beteiligt ist und zugleich das „heilige Gesetz" der Blutrache verkörpert, stellt auch Julius Thümmel als eine Besonderheit heraus (Allegorisches und Tendenziöses in Shakespeare's Dramen, Shakespeare-Jahrbuch 21, Weimar 1886, S. 55).

7*

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ziger Jahre" des 16. Jahrhunderts in England entspreche 288 . Genausowenig aber, wie im Bestraften Brudermord trotz wörtlicher Übereinstimmungen mit dem Shakespeareschen Hamlet der Stil der Quarto 1 oder der Quarto 2 erhalten blieb, so wenig wird man im Prolog Stileigentümlichkeiten Kyds erkennen können. Alle Dramen der Wanderbühne, die uns überliefert sind, wurden in einem besonderen, n u r den Komödianten eigenen Stil verfaßt, der sie sogleich als solche erkennen läßt. Hinter diesem stereotypen Stil, der nur unwesentliche Varianten aufweist, verbergen sich sehr verschiedene Vorlagen 289 . Ein Meisterwerk Shakespeares trägt darum in der Komödianten-Fassung die gleiche Gestalt wie ein Drama Kyds oder eines anderen englischen oder ausländischen Dichters des 16. oder 17. Jahrhunderts. Daneben gilt es zu beachten, daß jede Sprache ein Eigenrecht besitzt, das sie zu wahren strebt, so daß Übersetzungen — und erst recht Übertragungen, wie sie die Komödianten pflegten — nie den Stil der entsprechenden Vorlage völlig zu treffen imstande sein können 290 . Schon von daher verbieten sich irgendwelche Schlüsse aus übersetzten deutschen Versen auf den Stil der Vorlage in einer fremden Sprache. Die bisher vorgetragenen Untersuchungen über den Prolog des Bestraften Brudermordes lassen es wahrscheinlich werden, daß er ursprünglich n i c h t zum Hamlet-Drama gehört haben kann 291 . Außer einer einzigen Prosastelle, in der inhaltliche Abweichungen gegenüber dem nachfolgenden Text der Tragödie festgestellt wurden, enthält er nur allgemeine Äußerungen und Bemerkungen, die auch in jedem beliebigen anderen Prolog eines Rachedramas vorkommen könnten. Die „Nacht" gibt nicht mehr als eine Selbstcharakteristik, wie sie Hecate, völlig unabhängig von größeren Handlungszusammenhängen, überall dort sprechen könnte, wo ein Dichter ihr Auftreten für nötig hält: „DIE N A C H T von oben Ich bin die dunkle Nacht, die alles schlafend macht, Ich bin des Morpheus Weib, der Laster Zeitvertreib, Ich bin der Diebe Schutz, und der Verliebten Trutz, Ich bin die dunkle Nacht, und hab in meiner Macht, Die Bosheit auszuüben, die Menschen zu betrüben . . 288 Gertrud Landsberg, Ophelia, Neue Anglistische Arbeiten Nr. 1, Cöthen 1918, S. 46 f. Baesecke ( a . a . O . , S. 118) erkennt im Gegensatz dazu einen „hochbarocken Stil". 289 Die „unwesentlichen Varianten" werden natürlich wesentlich, wenn der Stil der Komödianten-Spradie als solcher untersucht wird. Derartige Untersuchungen hat bisher nur Baesecke (a. a. O.) in ausführlicher Breite angestellt. 290 Die Mehrzahl der Arbeiten im Shakespeare-Jahrbuch 92, Heidelberg 1956, beschäftigen sich mit dem Problem von Übersetzungen der Dramen Shakespeares. Rudolf Schaller (Gedanken zur Übertragung Shakespeares in unsere Sprache, S. 157 ff.) fordert, daß der „Stil der Dichtung" in der Übertragung „tunlichst gewahrt wird". Besonderen Nachdruck legt er auf das Wort „ t u n l i c h s t " , denn — so führt er aus — eine genaue "Wiedergabe sei darum unmöglich, weil es neben dem fremdsprachlichen Vorbild audi das eigene Sprachgefühl zu berücksichtigen gelte. Vergl. auch Schallers Aufsatz Klarheit, Schönheit, Gleichniskraft, Thüringische Landeszeitung, Nr. XII/136, Weimar, 9. Juni 1956. 291 Siehe auch v. Weilen, a. a. O., S. 1.

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In ähnlicher Weise sind die wenigen Zeilen* die von den Furien vorgetragen werden, nur auf die Äußerungen der „Nacht" bezogen und damit unabhängig vom Inhalt des dazugehörigen Dramas. Daß sie aus dem Ur-Hamlet entlehnt sein müssen, läßt sich an keiner Stelle nachweisen: „ M Ä G E R A . Aus Adierons finstrer Höhle komm ich Mägera her, Von dir, du Unglücksfrau, zu hören dein Begehr. . . T H I S I P H O N E . Ich höre schon genug, und werde bald verrichten Mehr als die dunkle Nacht von ihr selbst kann erdichten . . . A L E C T O . Ich blas' die Funken an, und mach' das Feuer brennen, Ich will, eh's zweymal tagt, die ganze Lust zertrennen . .

Die Beschränkung des Handlungsgesdiehens auf die Zeit von zwei Tagen, wie sie den "Worten Alectos zu entnehmen ist, kann mit keiner Hamlet-Version in Einklang gebracht werden. So sprechen auch die an und für sich unbedeutenden Nebensächlichkeiten gegen die These, daß der Prolog des Bestraften Brudermordes eine Übertragung des Prologes zum Ur-Hamlet darstelle. Wann, und warum überhaupt die Komödianten dem Bestraften Brudermord einen Prolog zugegeben haben, läßt sich nur vermuten. Wahrscheinlich ist er von einem anderen Drama in den Komödianten-Hamlet übernommen worden. Da inhaltlich gewisse Ubereinstimmungen mit der Hamlet-Geschichte bestehen ( „ . . . denn es ist der König dieses Reichs in Liebe gegen seines Bruders Weib entbrannt, welchen er um ihrenthalben ermordet, um sie und das Königreich zu bekommen . . ,") 2 9 2 , werden die Komödianten zu einer Umpflanzung trotz der kurz darauf folgenden Widersprüche ( „ . . . seyd bereit, den Saamen der Uneinigkeit auszustreuen, mischet Gift unter ihre Eh', und Eifersucht in ihre Herzen. Legt ein Radifeuer an, laßt die Funken in dem ganzen Reich herumfliegen, verwirret die Blutsfreunde in dem Lasternetz, und macht der Hölle eine Freude, damit diejenigen, welche in der Mord-See schwimmen, bald ersaufen . . . " ) ermutigt worden sein. Der Zeitpunkt dieser Übernahme wird nicht gleichzeitig mit der Übertragung des Stückes aus dem Quarto 1-Text anzusetzen sein. Nach allem, was der Bearbeiter durch die Zusammenstellung des Textes über seine Arbeitsweise verraten hat, ist es undenkbar, daß er die auffälligen Widersprüche zwischen dem Prolog und dem Drama nicht ausgemerzt haben sollte. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß Reichard in seinem ersten Abdruck des Bestraften Brudermordes das Personenverzeichnis des Dramas erst nach dem Prolog anführt 293 . Da er das Drama nach einem handschriftlichen Manuskript druckte, darf angenommen werden, daß in diesem Manuskript und in allen ihm vorhergehenden Abschriften der Prolog ebenfalls v o r dem Personenverzeichnis stand. Auch daraus würde zu schließen sein, daß er nachträglich dem Drama zugefügt worden ist. Das kann zu der Zeit geschehen sein, als die fahrenden Engländer noch im Besitz des Bestraften Brudermordes gewesen sind, 2 9 2 Damit wird das dramatisch so wirkungsvolle Moment der Enthüllungen des Geistes — wenigstens für das Publikum — erheblich abgeschwächt. 2 9 3 Der Druck erfolgte in dieser Reihenfolge: 1. Titel; 2. Personen Verzeichnis des Prologs; 3. Prolog; 4. Personenverzeichnis des Dramas; 5. Drama.

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wie auch nadi der Jahrhundertmitte, als das Stück in das Repertoire deutscher Spieler übergewechselt sein muß. Creizenach 294 berichtet, daß es außer dem Bestraften Brudermord, noch andere Komödiantendramen gebe, deren Prolog mit der nachfolgenden Handlung nicht übereinstimme. Er führt das Straßburger Faustspiel an, dem Dekkers Vorspiel von Pluto und den Furien vorangestellt ist, und den Prolog zu Kongehls Innocentia, der ebenfalls mit der Handlung des Dramas nichts zu tun hat. Creizenach schließt daraus, daß Prologe einfach von anderen Dramen übernommen worden seien, weil sie als „modisch" bekannt gewesen sein sollen und in Komödiantendramen nicht hätten fehlen dürfen 295 . Eine solch weite Verbreitung läßt sich allerdings nicht nachweisen. Von sechs bei Cohn 296 veröffentlichten Spielen der Wanderbühne ist nur einem, dem Bestraften Brudermord, ein Prolog vorangestellt. Tittmann 297 bringt sieben Komödiantendramen aus der Sammlung Engelische Comedien vnd Tragedien vom Jahre 1620 zum Abdruck, von denen nicht eines einen Prolog aufzuweisen hat 298 . Die Forschungen Creizenachs haben aber ergeben, daß die meisten der uns erhaltenen Prologe aus der Zeit der Wanderbühne sich in ihrem Charakter untereinander sehr ähnlich sind. Oft begegnen wir den gleichen Figuren, Gedanken und Wortwendungen, die auch in englischen Prologen und Dramen um die Wende des 17. Jahrhunderts, vornehmlich in den Seneca-Nachahmungen, verwandt wurden. Darum ist es nicht ausgeschlossen, daß solche Prologe von den Komödianten nach Deutschland gebracht, übersetzt und dann auch nachgeahmt wurden. Da ihre Theaterwirksamkeit außer allem Zweifel steht, werden sich die Mimen ihrer gern bedient haben. Ebenso ist es aber auch möglich, daß der Prolog erst durch deutsche Wanderspieler dem Bestraften Brudermord zugefügt worden ist 299 . Als Ubersetzung aus einer fremden Sprache ist er nicht ohne weiteres zu erkennen. Versmaß und Wortwahl verraten, daß sein Autor nicht ohne poetisches Gefühl gewesen sein kann. Darum mag er ein fähiger Übersetzer, oder aber auch ein uns unbekannter deutscher Komödiantendichter gewesen sein. Muß die Frage des Ursprungs auch ungelöst bleiben, so haben die Untersuchungen doch ergeben, daß der dem Bestraften Brudermord vorausgehende 2 9 4 W. Creizenach, Die Schauspiele der englischen Komödianten, Deutsche NationalLitteratur, Band 23, Bandausgabe 118, Berlin/Stuttgart (1889), S. 137. 2 9 5 Den Nachweis, daß der Prolog des Bestraften Brudermordes zum Teil „einem Prolog des Gryphius entnommen" sei, bleibt Baesecke (a. a. O., S. 147) schuldig. 2 9 6 Cohn, a. a. O., Part II, S. 1 ff. 2 9 7 Julius Tittmann, Die Schauspiele der Englischen Komödianten in Deutschland, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, Leipzig 1880, S. 3 ff. 2 9 8 Möglich ist indessen, daß ein Prolog jeweils vor einer Aufführung mündlich vorgetragen, einem Abdruck aber nicht beigefügt wurde. Sollte ein solcher Brauch bestanden haben, würde auch von hier aus bestätigt werden, daß Prolog und Drama nicht unbedingt übereinstimmen mußten, da nicht anzunehmen ist, daß die Mimen für jedes Drama einen besonderen Prolog zur Hand hatten. 2 0 9 Dieser Ansicht neigt Baesecke zu, die glaubt, daß der Prolog „nur um des Theatereffektes willen vorangesetzt" worden sei (a. a. O., S. 147). Die Einbeziehung der „Maschine" in die Handlung („DIE N A C H T von oben"; am Ende des Prologs: „Fährt a u f ) läßt zwar vermuten, daß sich hier Einflüsse der barocken Opernbühne

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Prolog n i c h t eine Übersetzung des Prologes zum Ur-Hamlet darstellen kann. Der These, daß der Bestrafte Brudermord auf Shakespeares Hamlet-Tragödie zurückgeht, widerspricht der Prolog des Dramas nicht, der möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt dem bereits zum Repertoire einer englischen oder deutschen Truppe gehörigen Komödianten-Hamlet zugefügt worden ist. *

Neben dem Prolog werden in der Forschung noch eine Reihe weiterer Argumente dafür vorgetragen, daß der Bestrafte Brudermord eine Übertragung des Ur-Hamlet darstelle, oder aber, daß doch wenigstens sehr enge Beziehungen zu ihm bestünden. Soweit sie der These dieser Arbeit ernsthaft entgegenstehen, sollen sie im folgenden näher untersucht werden. Die zehnte Szene des dritten Aktes enthält ein Zwiegespräch zwischen dem König und Hamlet: „KÖNIG. Wir haben bey uns beschlossen, Eudi nacher England zu schicken. . . HAMLET. J a ja, König, schickt mich nur nach Portugall, auf daß ich nimmer wieder komme, das ist das beste. KÖNIG. Nein, nicht nach Portugall, sondern nach England . .

Diese Stelle, so behaupten Widgery 300 und Fleay 301 , könne nur aus dem UrHamlet übernommen sein, da sie auf ein zeitgenössisches Ereignis anspiele, das für England von einiger Bedeutung gewesen sein müsse. Im Jahre 1589 wurde unter der Führung Drakes von England aus eine kriegerische Expedition nach Portugal unternommen. Sie nahm ein blutiges Ende. 11 000 von 21000 Soldaten wurden getötet, nur 750 von 1100 Offizieren kehrten wieder in die Heimat zurück. Wenn in dieser Zeit, so argumentieren die Forscher, jemand davon gesprochen habe, einen anderen nach „Portugal" schicken zu wollen, könne das in Anlehnung an die Expedition Drakes nur bedeutet haben, ihn in den Tod zu schicken. Auf diese Weise bestimmen sie das Erscheinungsjahr des Ur-Hamlet, der nach dem Zeugnis des Thomas Nashe 302 im Jahre 1589 existiert haben muß 303 . (vergl. Edmund Stadler, Die Raumgestaltung im barocken Theater, in: Die Kunstformen des Barockzeitalters, a. a. O., S. 190 ff.) geltend machen, jedoch könnten diese Bühnenanweisungen, die auf die Verwendung einer Flugmaschine schließen lassen, auch erst in späterer Zeit zugefügt worden sein. An einer anderen Stelle des Bestraften Brudermordes wird ebenfalls ein mechanisiertes Wirkungsmittel benutzt: „GEIST geht über das Theater (geblitzet.)" (111,6); auch hier dürfte eine spätere Einfügung des „Feuerwerks" durchaus möglich erscheinen. 3 0 0 Widgery, a . a . O . , S. 107f. 3 0 1 F. G. Fleay, Neglected Facts on Hamlet, Englische Studien, Band 7, Heilbronn 1884, S. 87ff. 302 preface bei: Ronald B. McKerrow, The Works of to R Green's "Menaphort", Thomas Nashe, Vol. III, London 1905, S. 311 f. 3 0 3 Dabei setzen Widgery und Fleay voraus, daß der Bestrafte Brudermord und der Ur-Hamlet identisch sind. Die gleiche Expedition diente übrigens auch der Feststellung des Erscheinungsjahres der Spanish Tragedy von Kyd. Wie Brandl (Göttingische gelehrte Anzeigen, Band 2, Nr. 18, 1. September 1891, S. 708 ff.) ausführt, spielt Kyd in dieser Tragödie auf die englisch-portugiesischen Auseinandersetzungen an, um 103

Die „Portugal"-Stelle im Bestraften Brudermord wird jedodi nicht auf ein bestimmtes zeitgenössisches Ereignis bezogen werden können. Es ist leicht möglich, sie noch mit anderen, zeitlich früher oder später gelegenen politischen Geschehnissen in Verbindung zu bringen, in die England und Portugal gemeinsam verstrickt waren, ohne daß jedoch irgend welche Schlüsse daraus gezogen werden könnten. Die Beziehungen Englands zu Spanien und Portugal waren gerade im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts so mannigfach und vielfältig, daß — doch mehr oder weniger zufällig erhaltene — bestimmte Zeugnisse in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden sollten. Die Möglichkeit aktueller Anspielungen überhaupt soll damit nicht abgestritten werden; jedodi ist es wahrscheinlicher, daß besonders in den ereignisreichen Jahren des Untergangs der Armada allgemeine Hinweise in Dichtwerken eher Aufnahme fanden als spezielle, die dazu noch in verschleierter Form gegeben worden wären. Goldsdimit-Jenter 304 hat die Unterschiede zwischen Dichtung und Geschichtsschreibung definiert und dabei besonders herausgearbeitet, daß „die Geschichte immer mehr das im einzelnen Wahre, die Dichtung das im allgemeinen Wahre" wiedergebe. Das gilt auch für die elisabethanische Literatur, bei der die literarhistorische Forschung sich allzu oft an äußere Daten zu verlieren droht und die Gefahr besteht, daß Kunstwerke als Spiegel zeitgenössischer Ereignisse betrachtet werden. „Das Wort der Dichtung darf vieldeutig sein" 305 , sagt der Geschichtsphilosoph, und der Literarhistoriker muß darum immer dessen eingedenk sein, daß alle Verbindungen, die er zwischen historischen Fakten und ihren vermutlichen Anklängen in der Dichtung knüpft, nur eine unter vielen anderen Möglichkeiten sein kann; „das Dichterwort vermag eine Wahrheit zu geben, die anders ist als die geschichtliche Wahrheit" 3 0 8 . Darüber hinaus muß die Frage gestellt werden, ob der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes, wäre er sich eines Bezuges der „Portugal"-Stelle zur Expedition Drakes bewußt gewesen, nicht sehr wahrscheinlich wie an anderen Stellen auch versucht hätte, sie zu erklären oder zu einer „artigen Historie" breitzutreten. Er mußte sich darüber klar sein, daß niemand in Deutschland eine Anspielung auf Ereignisse, die England im Jahre 1589 bewegt haben mögen, verstehen konnte. Schon von daher gesehen ist es so gut wie ausgeschlossen, daß er den Dialog zwischen Hamlet und dem König einfach aus dem Ur-Hamlet übernommen haben sollte. Chambers 307 weist darauf hin, daß Deutschland seinem Drama aktuelles Ansehen zu verleihen. Ähnlich äußert sich auch Schick (The Spanish Tragedy, London 1907, S. X X I V ) . Schon von daher wird deutlich, wie unsicher derartige Verbindungen zwischen zeitgenössischen Ereignissen und sogenannten Anspielungen in Dramen bleiben müssen. Nicht ein einziges weiteres Zeugnis bestätigt, daß der unglückliche Ausgang von Drakes Expedition England derart erschüttert hätte, daß Dramatiker sich literarisch mit ihm auseinandersetzten und der Volksmund ihn sprichwörtlich in seinen Sprachschatz aufnahm. 3 0 4 Rudolf K. Goldschmit-Jentner, Die Begegnung mit dem Genius, Fischer-Bücherei 56, Frankfurt/Hamburg 1954, S. 70. 3 0 6 Goldschmit-Jentner, a. a. O., S. 71. 3 0 8 Goldschmit-Jentner, ebenda. 3 0 7 Chambers. Band I, a. a. O., S. 423. 104

während des 17. Jahrhunderts am portugiesischen Unabhängigkeitskrieg stark interessiert war. Daß im Bestraften Brudermord auf solche Verbindungen angespielt werden könnte, ist sonst nirgends vertreten worden und wäre doch weitaus wahrscheinlicher als ein zusammenhangloser Hinweis auf die Expedition Drakes 308 . Gegenüber all den vorausgegangenen Interpretationen dürfte die These, daß „Portugall" im Komödianten-Hamlet ohne besondere Absicht und willkürlich erwähnt wird, am meisten einleuchten. In der gleichen Szene, einige Zeilen später, ist eine ähnliche Situation geschildert: „ K Ö N I G . . . . Ihr möget mit gutem Winde an O r t und Stelle kommen. H A M L E T . Nun'Adieu, Frau Mutter! K Ö N I G . Wie, mein Prinz, warum heist Ihr uns Frau Mutter? H A M L E T . Mann und Weib ist ja ein Leib, Vater oder Mutter, es ist mir alles gleich."

Der Bearbeiter hat sich nirgends gescheut, Späße, die er für wirkungsvoll hielt, in kurzen Abständen zu wiederholen. Kaum etwas anderes als eine solche lustige Einlage kann hier in der absichtlichen Verwechselung zweier Länder, wie kurz darauf in der von Vater und Mutter, vorliegen 309 . Dieser Stelle als einziger im Bestraften Brudermord eine tiefere Bedeutung oder gar einen Symbolgehalt zuerkennen zu wollen, würde bedeuten, den Einfalls- und Kombinationsreichtum der Komödianten zu überschätzen. Furnivall 310 hat vor siebzig Jahren darauf aufmerksam gemacht, daß es bestimmte Phrasen gäbe, die sehr lange im Volk lebten und schließlich kaum noch jemand wisse, welches geschichtliche, einst zeitgenössische Ereignis ihnen zugrunde liegt. Er führte unter anderem den volkstümlichen Ausdruck "to go to Coventry" an, der heute noch in England in der Wendung "to send to Coventry" häufig verwandt wird. In Deutschland (oder in England) könnte es vielleicht eine sprichwörtliche Wendung gegeben haben, in der „nach Portugal schicken" soviel wie „in den Tod schicken, ins Verderben jagen" bedeutete, folgerte Tanger 311 kurz danach. Aber bisher ist an keiner anderen Stelle ein solcher Ausdruck nachgewiesen worden, so daß auch diese Möglichkeit zur Erklärung der „Portugal"-Stelle im Bestraften Brudermord entfällt. Zusammenfassend darf festgestellt werden, daß die „Portugal"-Stelle im Bestraften Brudermord nicht zum Nachweis dazu ausreicht, das Komödianten3 0 8 So ist auch der Hinweis Creizenachs (a. a. O., S. 132), daß Geschehnisse aus dem holländisch-portugiesischen Krieg ( 1 5 8 0 — 1 6 4 0 ) aufklingen könnten, die durdi holländische Komödianten oder durch englische Spieler in Holland in das Drama aufgenommen worden sein müßten, nur ein weiteres Beispiel für die vielen Beziehungsmöglidikeiten zu geschichtlichen Ereignissen, die unbewiesen bleiben werden. Eine Entlehnung der „Portugal"-Stelle aus dem Ur-Hamlet, das wird auf jeden Fall deutlich, läßt sich nicht beweisen. 3 0 9 Im fünften Akt treffen wir auf ein drittes Beispiel solcher absichtlichen Verwechselung. In der dritten Szene redet Hamlet den Narren mit „Signora Phantasmo" an. 3 1 0 Furnivall, a. a. O., S. X . 3 1 1 Tanger, a . a . O . , S. 229 f.

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Drama aus dem Ur-Hamlet herzuleiten. Sie wird darüberhinaus auch nicht zu einem solchen Nachweis herangezogen werden dürfen, da sie nicht auf ein bestimmtes zeitgenössisches Ereignis festgelegt werden kann. Es ist wahrscheinlich, daß sie vom Bearbeiter des Bestraften Brudermordes eingefügt wurde, um ein Beispiel für Hamlets verstellten Wahnsinn zu geben, und daß sie durdi eine im gedanklichen Aufbau ähnliche, kurz darauf folgende Stelle angeregt wurde. Diese Auffassung läßt jede mögliche andere „Nebenbedeutung entbehrlich erscheinen"312. Der Prolog und die „Portugal"-Stelle des Bestraften Brudermordes sind die beiden wichtigsten Argumente, mit deren Hilfe die Entstehung des KomödiantenDramas aus dem Ur-Hamlet nachzuweisen versucht worden ist. An Bedeutung stehen ihnen eine Reihe weiterer Anhaltspunkte, die nunmehr einer kritischen Betrachtung unterzogen werden sollen, weit nach. Stellen sie sich als zweifelhaft oder bedeutungslos heraus, sind die Anknüpfungspunkte an den Ur-Hamlet weiter eingeschränkt. Das Vorkommen lateinischer Namen und Worte im Bestraften Brudermord hat verschiedene Forscher bewogen, deren Ursprung bei einem Dichter zu suchen, bei dem eine klassische Gelehrsamkeit vorausgesetzt werden darf. Wohl aus der Einsicht heraus, daß andere Argumente noch nicht zum Nachweis einer Entlehnung des Bestraften Brudermordes aus dem Ur-Hamlet ausreichen, wurde versucht, Kyd mit den lateinischen Brocken im Komödiantendrama in Verbindung zu bringen, obwohl es selbstverständlich noch andere, berufenere Vertreter der klassischen Philologie im elisabethanischen England gab. Bei näherer Betrachtung der aus dem Lateinischen stammenden Sentenzen, Eigennamen und Worte im Bestraften Brudermord stellt sich allerdings heraus, daß über die bei Shakespeare vorgezeichneten Entlehnungen hinaus keine Stelle zurückbleibt, als deren Autor eine wissenschaftlich geschulte Fachkraft angenommen werden müßte. Das soll im einzelnen belegt werden. 1. Im Prolog werden Hecate, Alecto, Thisiphone, Mägera, Morpheus, Phöbus und Pluto namentlich genannt. Gray 3 1 3 hält diese Namen für sorgfältig gewählt und betrachtet das als Hinweis darauf, daß Kyd, der das gleiche Talent auch in der Spanish Tragedy und in Soliman and Perseda verrate, für ihre Erwähnung im Bestraften Brudermord verantwortlich zeichne. Wie bereits nachgewiesen worden ist, sind sowohl die Art als auch verschiedene Wortwendungen des Prologs einschließlich der klassischen Namen keine Eigentümlichkeiten eines bestimmten Verfassers, sondern dürfen als Allgemeingut der Zeit betrachtet werden, das auch in anderen Prologen und Dramen des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts seinen Niederschlag fand. Eine Verfasserschaft Kyds ist unter diesen Voraussetzungen nicht eindeutig zu belegen. 2. Hamlet erwähnt in der sechsten Szene des zweiten Aktes einen „Marus Russig", der Schauspieler in Rom gewesen sein soll. Der Quarto 1-Text führt an entsprechender Stelle — ebenso wie auch die Texte von Quarto 2 und Folio 1 — den Namen „Rossios" an 3 1 4 (Quarto 2: „Rossius"). Latham hat festgestellt, daß es einen S. R o s c i u s 312 313 314

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Tanger, a. a. O., S. 230. Gray, a. a. O., S. 258. II, 2, 410; Reprints S. 142.

(„Rossios") Amerinus („Marus") tatsächlich gegeben hat 3 1 6 ; allerdings ist er zu k e i i n e r Zeit Schauspieler gewesen. Der berühmte Schauspieler Q. R o s c i u s lebte zur Zeit Ciceros in Rom. Beide Namen, folgert Latham, müssen in der Vorlage des Bestraften Brudermordes verwechselt worden sein; "this is a blunder that requires as much scholarship to commit as to avoid, being one that a learned man might make from inadvertency, whereas an unlearned one could not make it at all". Diese Folgerung dient letztlich zum Beweis, daß die Vorlage des Bestraften Brudermordes von K y d verfaßt worden sein muß. Ob überhaupt eine Namensverwechslung vorliegt, muß fraglich bleiben. Shakespeare könnte seinen „Rossius" sowohl aus dem Ur-Hamlet übernommen als auch von sich aus der Tragödie zugefügt haben 3 1 6 ; vielleicht war der römische Schauspieler dem Publikum Shakespeares bekannt und rief einen Bedeutungszusammenhang wach, der uns heute verschlossen ist. Für den Bestraften Brudermord ist die Quellenfrage ebenso einfach zu klären. Der Bearbeiter übernahm den Namen aus dem Quarto 1-Text, wobei er eine Eindeutschung versuchte. So wurde aus „Rossios" = „Russig". Die Wahl des Vornamens muß der Bearbeiter von sich aus getroffen haben; darum hat er nur zufällig — will man eine Identität von „Amerinus" und „Marus" überhaupt zugeben — Ähnlichkeit mit dem des historischen Römers. Auf jeden Fall läßt sich eine direkte Entlehnung des „Marus Russig" aus dem UrHamlet für den Bestraften Brudermord nicht nachweisen. 3. In der ersten Szene des ersten Aktes ist der folgende 'Wortwechsel zwischen zwei Soldaten aufgezeichnet: „2. SCHILDW. Wie so zaghaft! das stehet keinen Soldaten an; er muß weder Freund noch Feind, ja den Teufel selbst nicht fürchten. 1. SCHILDW. Ja wenn er dich einst bey der Cartause kriegen wird, du wirst das Miserere Domine wohl beten lernen?" In dem „Miserere Domine" liege, so behauptet Landsberg 317 , ein Beleg f ü r den Vorwurf Nashes gegenüber den Verfassern von Seneca-Dramen vor, daß sie "could scarcely Latinize their neck verse if they should haue neede" 3 1 8 . Nach dein Oxford English Dictionary (NED) handelt es sich bei dem "latinize their neck verse" um die Fähigkeit, einen Bibelvers — gewöhnlich den Anfang des 51. Psalms — zu übersetzen; dies war die Voraussetzung des "Benefit of Clergy", das den Geistlichen Immunität vor weltlichen Gerichten verlieh, — und manch einem wird dieses Recht tatsächlich den „neck" gerettet haben! Der 51. Psalm beginnt mit den Worten "Miserere mei, domine, ect.". Da Kyd offensichtlich falsch zitiert habe (— das „mei" fehlt bei ihm —), folgert Evans 3 1 9 in Anlehnung an Widgery, er sei von Nashe zurecht angegriffen worden. Auch diese Stelle wird nicht als Nachklang des Ur-Hamlet ausgelegt werden dürfen. Die Komödianten hätten sie ohne Zweifel gestrichen, würde es sich um eine bloße 315 Latham, Two Dissertations on the Hamlet of Saxo Grammaticus and of Shakespeare, London 1872; bei: Horace Howard Furness, A New Variorum Edition of Shakespeare, Vol. IV, Hamlet Vol. II, Third Edition, London/Philadelphia (1877), S. 118 f. Das folgende Zitat: S. 119. 316 Bei Latham (a. a. O.,) klingen Ben Jonsons Worte nach, in denen Shakespeare nur eine Kenntnis von "small Latin and less Greek" zugesprochen wird. An dieser Stelle könnte jedoch gerade der Beweis des Gegenteils erbracht werden. Shakespeare und nicht Kyd wäre der "learned man", wenn er von sich aus den Namen „Roscius Amerinus" des Ur-Hamlets in den richtigen „Roscius" (Rossius) verwandelt und damit die Verwechselung des Ur-Hamlet-Verfassers wieder rückgängig gemacht hätte. Auch wenn er den Namen von sich aus in seinen Quarto-Text eingefügt hat, spräche das f ü r seine „Gelehrsamkeit". 317 Landsberg, a. a. O., S. 48 (Anm.). 318 McKerrow, Band III, a. a. O., S. 315. 319 Evans, a. a. O., S. 45.

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Übernahme aus einem englischen Text gehandelt haben und nicht um eine aus dem kirchlichen oder profanen Sprachgebraudi in den Alltag übernommene bekannte F o r m e l , die im 17. Jahrhundert verbreitet gewesen sein muß. Pater Dr. Stephan Hilpisch, Historiker des Benediktinerordens (Maria Laach), hält das „Miserere Domine" für einen Bittausdruck der Vaganten im mittelalterlichen Sprachgebrauch. Im Mittelalter war weithin das Latein — wenn auch nicht in seiner klassischen Form — Umgangssprache, und so könnte dieser Ausdrude zu der im Bestraften Brudermord verwandten Bittformel geworden sein. Noch heute werden nach Abschluß der Lesung im Offizium oder auch im Refektorium immer die Worte „Tu autem Domine miserere nobis" gesprochen. Daß zwischen dieser Tatsache und der Erwähnung der „Cartause" ein Zusammenhang besteht, wäre durchaus denkbar. Sinngemäß verwendet allerdings die 1. Schildwache die „Cartause" nicht als ein Kloster des Ordo Carthusiensis, sondern als Bezeichnung einer Kopfbedeckung („enger Helm" aus „enger Zelle"?) 3 2 0 . Evans führt ein anderes Beispiel mit einer ähnlichen Erwähnung an 3 2 1 . In Harlequins Hochzeit sagt Harlequin: „O miserere mei, lieber Domine!" Hier wird der Anfang des 51. Psalms wörtlich zitiert, was nicht beweist, daß die Lesart des Bestraften Brudermordes falsch ist. Eine Entlehnung des „Miserere Domine" aus dem Ur-Hamlet setzt voraus, daß Kyd den 51. Psalm falsch zitiert haben müßte, also ohne das „mei"; nur dann wäre, nach Evans, der bereits erwähnte Vorwurf Nashes zurecht ausgesprochen. Das ist jedoch nicht anzunehmen, da gerade der 51. Psalm im Zusammenhang mit dem "Benefit of Clergy" derart verbreitet gewesen sein muß, daß er von einem Mann mit der Bildung Kyds niemals fehlerhaft angeführt worden wäre. Viel eher ist daran zu denken, daß das fehlende „mei" im deutschen Text auf einer unbeabsichtigten Auslassung (Druckfehler) beruht. Da schließlich Harlequins Hochzeit nachweisbar n i c h t mit Kyd in Verbindung gebracht werden kann, das Zitat also unabhängig von bestimmten Vorlagen bekannt gewesen sein muß, ist auch eine Entlehnung der betreffenden Stelle im Bestraften Brudermord aus dem Ur-Hamlet nicht notwendig anzunehmen. Überdies erklärt eine mögliche Entlehnung aus dem lateinischen Sprachgebrauch der Zeit unsere Stelle zu einfach, um auf andere Interpretationsmöglichkeiten zurückgreifen zu müssen. 4. Reminiszensen an J u v e n a l wollen Latham 3 2 2 und Widgery 3 2 3 im Bestraften Brudermord erkennen. Jene Szene, in der Hamlet den Phantasmo zum Narren hält (V, 3), führt Widgery auf die Zeilen zurück: "Pants he (the great man) beneath the summer's common heat? Lo! they (the Greeks) are bath'd in sympathetic sweat." Bei diesem Zitat, für das Widgery keinerlei Quellenangaben bietet, handelt es sich offenbar um eine freie Wiedergabe einiger Zeilen aus der Dritten Satire des Juvenal, die wie folgt lauten: " . . . Rides? meliore cachinno Concutitur: flet, si lacrumas conspexit amici, Nec dolet: igniculum brumae si tempore poscas, Adcipit endromidem: si dixeris, aestuo, sudat. Non sumus ergo pares: melior, qui Semper et omni Nocte dieque potest alienum sumere vultum, A facie iactare manus, laudare paratus . . . " 3 2 4 3 2 0 Könnte nicht auch ein Druckfehler vorliegen? „Cartause" könnte für „Cartaune" stehen, jenem Geschütz, das noch im 17. Jahrhundert Verwendung fand. 3 2 1 Evans, a. a. O., S. 45, Anm. 3. 3 2 2 Latham, a. a. O., S. 119. 3 2 3 Widgery, a. a. O., S. 112. 324 Commentarivs perpetvvs in D. Ivnii Ivvenalis Satiras XVI, hersg. von Ge. Alex. Rvperti, Classici Romanorvm Scriptores, Vol. 1, Pars 1, Göttingen 1803, S. 96,

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Der Nachklang dieser Zeilen, davon ist Widgery überzeugt, sei im Bestraften Brudermord. stärker als an entsprechender Stelle im Quarto 1- (V, 2, 99 ff.) und Quarto 2-Text (V, 2, 95 ff.) des Shakespearesdien Hamlet. Darum bewahre das Komödiantendrama eine größere Nähe zum Original, dem Ur-Hamlet Kyds; nur der Gelehrsamkeit Kyds sei es zu verdanken, daß jene Szene im Hamlet Aufnahme gefunden habe. Sie sei vom deutschen Bearbeiter mehr oder weniger sklavisch übernommen worden, während ihre dichterische Modifikation bei Shakespeare eine Verwischung gegenüber der klassischen Vorlage mit sich gebracht habe. Diese Auslegung soll nicht unwidersprochen bleiben. Selbst wenn Shakespeare die Szene im Ur-Hamlet vorgezeichnet fand, ist nicht erwiesen, daß Kyd zu ihrer Sdiöpfung der. Anregung Juvenals bedurfte. Mit nur ganz geringer Wahrscheinlichkeit verdankt sie den oben zitierten Zeilen ihre Entstehung, da die hier vorgetragene Beschreibung eines Schmeichlers keineswegs ausgefallen oder einmalig bezeichnet werden kann. Soweit inhaltliche Übereinstimmungen (— nur die „Wärme" erscheint in den HamletTexten, die Erwähnung des „Lachens" und „Weinens" fehlt —) bestehen, sind sie im Bestraften Brudermord nicht vollständiger bewahrt als in den Quarto-Texten. Die breitere Ausmalung der Szene im Bestraften Brudermord konnte gegenüber der Shakespearesdien Version bereits als typische Änderung der Komödiantenbühne, auf der sich lustige Einlagen besonderer Pflege erfreuten, bestimmt werden. Nicht zwingend ist schließlich auch die Folgerung, ein angeblicher Einfluß Juvenals auf den Bestraften Brudermord könne n u r über Kyd erfolgt sein. Die dritte Szene des fünften Aktes ist durch die Shakespearesche Vorlage ausreichend belegt und wird darum nicht zum Nachweis einer Entlehnung bei Kyd herangezogen werden dürfen. Daß der Bestrafte Brudermord auf eine Vorlage zurückgeht, deren V e r fasser eine „klassische Gelehrsamkeit" besessen hat, die größer gewesen sein muß als die Shakespeares, und daß diese Gelehrsamkeit, deren Spuren im Bestraften Brudermord erkennbar seien, nur K y d zugeschrieben werden kann, haben die vorangegangenen Untersuchungen n i c h t bestätigen können. Alle angeblich klassischen Anspielungen im deutschen H a m l e t - T e x t konnte der Bearbeiter aus der Shakespearesdien Tragödie übernehmen, oder aber sie stehen — im Falle des Prologs — in keiner nachweisbaren Verbindung zum Ur-Hamlet325. Z. 100 ff. Die deutsche Ubersetzung von D. Carl Friedrich Bardt (Juvenal, Leipzig 1810, S. 55, Z. 101 ff.) lautet: „Du ladist? Er lacht aus vollem Halse nach. Er sieht den gnäd'gen Herrn in Thränen? Schnell fließt, fühlt er auch nichts, die Zähre. Du forderst Winterszeit ein Feuerchen? Er zieht die Wildschnur an. Dir wird Zu warm? Er schwitzt. Fürwahr W i r — sind nichts gegen sie. D e n lob ich mir Der stets, bey Tag und Nacht, die Mienen Nach anderer Mienen faltet, Und alles a p p l a u d i r t . . . " Bardt kommentiert diese Zeilen als die „lächerliche Beschreibung eines Schmeichlers, der als Client seinen Patron hofirt und sich dadurch bey ihm einzunisten und andere edle Männer zu verdrängen sucht" (a. a. O., S. 55). 3 2 5 Flemming (a. a. O., S. 350) weist darauf hin, daß auf der Komödiantenbühne die Tendenz zu erkennen sei, unabhängig von direkten Quellen nach „klassischen" Fremdworten zu streben: „Einige allbekannte Mythologie kommt der zeitgenössischen Verehrung der Gelehrsamkeit entgegen."

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Einen anderen Weg zum Nachweis der Entlehnung des Bestraften Brudermordes aus dem T e x t des Ur-Hamlet beschreitet Evans 3 2 6 . Er stellt alle Übereinstimmungen in Gedanken und Worten, Motiven, stilistischen Einzelheiten und in den Charakteren zwischen dem Bestraften Brudermord und den Kydschen Dramen zusammen, um auf diese Weise die Nähe des deutschen Textes zum Werk Kyds aufzuzeigen. Solche Parallelen, aus ihrem jeweiligen Zusammenhang gelöst, lassen sich aber nicht nur zwischen dem Bestraften Brudermord und den Dramen Kyds 3 2 7 , sondern auch zwischen dem Komödiantendrama und den Werken anderer Dichter zusammenstellen. Gedankliche und wörtliche Übereinstimmungen, zumal wenn sie sich auf keineswegs außergewöhnliche Dialoge und Monologe beschränken, finden sich grundsätzlich in a l l e n D r a m e n und zu a l l e n Z e i t e n . Evans bestätigt dies indirekt selbst durch die Anlage seiner Arbeit, die im zweiten Teil 3 2 8 Übereinstimmungen zwischen den ins Englische übertragenen Dramen S e n e c a s und dem Bestraften Brudermord aufzeichnet. Der Forscher will damit die engen Beziehungen zwischen Kyd und Seneca illustrieren, übersieht aber, daß auf diese Weise leicht die Möglichkeit bestünde, den Bestraften Brudermord auf rein konstruktivem Wege aus einer angenommenen Seneca-Tragödie herzuleiten. Auf Grund von Parallelstellen kann nur dann überzeugend argumentiert werden, wenn neben wörtlichen Anklängen auch größere inhaltliche Zusammenhänge fortlaufend nachgewiesen werden. Einen solchen Nachweis — wie er im ersten Teil dieses Kapitels durchgeführt wurde — muß Evans schuldig bleiben. Hinzu tritt eine weitere Überlegung, die es verbietet, zusammenhanglose Textstellen auf einen bestimmten Autor des elisabethanischen England zurückzuführen. Der Stoff der Hamlet-Geschichte gehört zu der Gruppe der Blutund Rachetragödien, für die im ausgehenden 16. Jahrhundert in England ausgeprägte, von allen Dichtern als verbindlich anerkannte Formen kennzeichnend waren. Dramen dieser Gruppe ähneln sich darum sämtlich untereinander, auch wenn sie von verschiedenen Dichtern verfaßt worden sind. Thorndike 3 2 9 und Sarrazin 3 3 0 zeigen in anderem Zusammenhang die mannigfachen Beziehungen zwischen den Rachedramen dieser Zeit auf. So finden sich Gedanken, Worte und Motive aus dem Bestraften Brudermord nicht nur in den Dramen Kyds wieder, sondern darüber hinaus auch in Antonio''s Revenge, in Hofman und in vielen anderen Werken. Das bekannteste Beispiel solcher Übereinstimmungen dürften die Ähnlichkeiten zwischen Kyds Spanish Tragedy und Shakespeares Hamlet sein. Das gilt in ähnlicher Weise für die Zeichnung von Charakteren. Sie waren zum großen Teil feststehende Typen und differenzierten sich als solche unter Evans, a. a. O., S. 20 ff. Dazu redinet Evans auch Jeronimo und Soliman and Perseda, als deren Verfasser in der Forschung K y d nicht uneingeschränkt anerkannt wird. 3 2 8 Evans, a. a. O., S. 38. 3 2 9 Thorndike, a. a. O., S. 38. 3 3 0 Gregor Sarrazin, Die Entstehung der Hamlet-Tragödie, Anglia, Band 13 ( N F Band 1): S. 117ff.; Band 14 (NF Band 2): S. 322ff.; Halle 1891, 1892. 328

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den gestaltenden Händen der Dichter nur unwesentlich. Landsberg hat das am Beispiel der Ophelia und ihren „Vorgängerinnen" deutlich gemacht 3 3 1 . Die stilistischen Übereinstimmungen schließlich, die Evans zwischen dem Bestraften Brudermord, und den Dramen Kyds festgestellt hat, sind in keiner Weise der zwingende Nachweis einer Entlehnung; sie können nur auf Zufall beruhen. Der literarische Stil Kyds und der unliterarisdie Stil der Komödiantensprache sind so grundverschieden, daß ein Einfluß des einen auf den anderen unmöglich erscheint. In Anlehnung an sieben von Evans erwähnten Beispielen soll im folgenden nachgewiesen werden, daß Motivierungen im Bestraften Brudermord, die von denen in Shakespeares Tragödie abweichen, nicht notwendig von Kyd übernommen sein müssen. Evans belegt jedes dieser Beispiele mit gleich oder ähnlich motivierten Stellen in einem Drama Kyds; damit ist aber weder bewiesen, daß diese von Shakespeare abweichenden Motivierungen für Kyd charakteristisch sind, noch daß sie im Ur-Hamlet Verwendung fanden. Es kann hier nicht darauf ankommen, der Verbreitung solcher Motivierungen über Kyd hinaus im elisabethanischen Drama nachzuspüren. Hier soll allein gezeigt werden, daß alle Motivierungen, die bei Shakespeare nicht vorgezeichnet sind, durdi den Bearbeiter des Bestraften Brudermordes als einem Vertreter der Wanderbühne und ihrer dramatischen Gesetze gegeben worden sein können. Dabei wird einiges zusammenfassend wiederholt werden müssen, was bereits an früherer Stelle ausführlich behandelt wurde. 1. Die „Ahnung eines nahenden Unglücks" 332 (V, 3) ist bei Shakespeare vorgezeichnet ("Beleeue me Horatio. my hart is on the sodaine Very sore all here about" 3 3 3 ) und konnte den Bearbeiter des Bestraften Brudermordes zu seiner krassen Darstellung („mir fallen Blutstropfen aus der Nase; mir schüttert der ganze Leib!") nicht weniger anregen als eine ähnliche Stelle bei Kyd ("I know not what my s e i f e ; . . . my hart foretels me some mischaunce", Spanish Tragedy, II, 4, 14 f.). Da jede feinere Seelenregung auf der Komödiantenbühne vergröbert wurde 3 3 4 ist es nicht absonderlich, daß Hamlets Ahnung des kommenden Unglücks nicht auf die Aussage einer inneren Bewegung beschränkt blieb, sondern realistische Formen annahm. 2. Ophelias Tod, wie er im Bestraften Brudermord berichtet wird („Die Ophelia ist auf einen hohen Berg gestiegen, und hat sich selber heruntergestürzt...", V, 6), weicht von Shakespeares Schilderung ab (". . . Sitting vpon a willow by a brooke, The enuious sprig broke, into the brooke she feil . . ," 3 3 B ). Die von Evans angeführte Parallelzeile in der Spanish Tragedy ( " . . . Ran to a mountaine top and hung himselfe", IV, 1, 129) stimmt auch nur in der Erwähnung des Selbstmordes auf einem Berg, nicht in der Art des Selbstmordes mit dem deutschen Text überein 336 . Das Selbstmord-Motiv war weit verbreitet — Evans selbst führt ein Dutzend Beispiele aus englischen Dramen an 3 3 T — und dürfte ohne Benutzung einer bestimmten Vorlage, aber angeregt von der für den 3 3 1 Landsberg, a. a. O. Vergl. auch Elmer Edgar Stoll, Shakespeare, Marston, and the Malcontent Type, Modern Philology, Vol. I I I , Nr. 3, Januar, Chicago 1906, S. 281 ff.; Gustav Arthur Bieber, Der Melancholikertypus Shakespeares und sein Ursprung, Anglistische Arbeiten 3, Heidelberg 1913. 3 3 2 Evans, a. a. O., S. 28 f. 3 3 3 Quarto 1, V, 2, 225 f.; Reprints S. 300. 334 ^ ¡ H i Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, S. 31. 3 3 5 Quarto 1, IV, 7, 173 ff.; Reprints S. 260, 262. 3 3 6 Evans, a. a. O., S. 29. 3 3 7 Ders., S. 43.

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Komödiantengeschmack viel zu harmlosen Todesschilderung bei Shakespeare dem deutschen Drama vom Bearbeiter zugefügt worden sein. Er besaß genügend Phantasie, daß er die durdiaus nicht originelle Idee des Sturzes von einem Berg — von Shakespeare in King Lear dramatisch vollendet ausgenutzt338 — selbst beigesteuert haben könnte. Eine ausschließliche Vorlage durch den Ur-Hamlet wird nicht nachgewiesen werden können. 3. "Während des Kampfspieles erwägt der König, nicht nur Hamlet, sondern auch Leonhardus mit vergifteten Wein ums Leben zu bringen (V, 6). Evans bemerkt dazu: „Bei Shakespeare finden wir keine Spur davon, aber bei Kyd ist dieser Mord der Diener und Helfershelfer ein sehr beliebtes Motiv" 3 3 9 . Obwohl die Parallele zunächst sehr auffällig erscheint, muß dennoch eine unbedingte Entlehnung dieses Zuges bei Kyd nicht angenommen werden. Der „Mord der Diener und Helfershelfer" reiht sich in die Beispiele überlegter Erklärungen ein, die der deutsche Bearbeiter nicht nur an solchen Stellen des Bestraften Brudermordes gab, wo ihr Fehlen Zweifel an der Handlungsentwicklung aufkommen lassen konnte, sondern auch dort, wo sie der eindeutigen Charakterisierung von Personen — in diesem Falle des Königs — dienten 340 . 4. Im Shakespeareschen Text trägt Hamlet den toten Corambis nach der Beendigung seines Gespräches mit der Mutter von der Bühne ("Exit Hamlet with the dead body"341). Im Bestraften Brudermord bleibt der Leichnam („hinter der Tapete") liegen (III, 5). „Dasselbe Motiv kommt auch in .Soliman and Perseda' vor (V, 3, 54 f.), wo, nachdem Perseda die Lucina erstochen hat, Basilico sagt: Yet dare I beare her hence, to do thee good. Pers.: Not, let her lie, a prey to ravening birds" 342 . Daß hier ebenso wie im Bestraften Brudermord ein Toter an der Stelle liegen bleibt, wo er niedergemetzelt wurde, ist richtig. Eine Verallgemeinerung jedoch, wie sie Evans mit der Behauptung vornimmt, ein Leichnam bleibe bei Kyd i m m e r an dem Ort seiner Ermordung liegen, wird sich nicht beweisen lassen. In der Spanish Tragedy beispielsweise wird der tote Horatio von der Bühne getragen: "They take him up . . . And bear him in from out this cursed place . . .", II, 5, 65 f. Überdies besteht im Bestraften Brudermord gar keine Veranlassung, Corambus von der Bühne zu tragen, weil er sich gar nicht darauf befindet. Hamlet sticht ihn durch die Vorhänge hindurch nieder, und hinter den Kulissen bleibt er liegen. 5. Im Bestraften Brudermord kündigt der König vor Beginn des „Spiels im Spiel" an, es solle „nach der Tafel von unsern Landskindern ein Ballet gehalten werden" (II, 8). „Etwas ähnliches" findet Evans 343 in der Spanish Tragedy, wo der König an einer Stelle sagte: "He (Hieronimo) promised us, in honour of our guest, To grace our banquet with some pompous jest" (I, 5, 21 f.). Eine Ähnlichkeit beider Stellen ist kaum vorhanden; im Bestraften Brudermord wird ein „Ballet" angesagt, das „nach der Tafel" auftreten soll, in der Spanish Tragedy führt Hieronimo während eines „banquet" eine Art Wappen-Quiz durch. Die Umrahmung eines festlichen Essens durch Musik, Tanz und Spiel ist indessen kein außerI V , 6 , 1 ff.; Craig, a.a.O., S.933f. Evans, a. a. O., S. 31 f. 3 4 0 Daneben könnte dieser Zug übrigens auch als Erklärung des weiteren Handlungsverlaufes interpretiert werden. Leonhardus ist mit dem vergifteten Degen verwundet worden; das Publikum erwartet jetzt eine Antwort auf die Frage: „Wird das Verbrechen herauskommen?" In diesem Augenblick überlegt der König: „Sollte ich nicht lieber auch Leonhardus umbringen?" Aber — und hier löst sich die Spannung — es ist zu spät. Die Königin stirbt; Leonhardus offenbart „die Finte". 3 4 1 Quarto 1, III, 4, 216; Reprints S. 208. 3 4 2 Evans, a. a. O., S. 32. 3 4 3 Ebenda. 338 339

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gewöhnliches Dramen-Motiv, zumal es in der Wirklichkeit — bis heute — unzählige Parallelen findet. Flemming 344 bringt mehrere Beispiele für das „Festmahl" auf der Wanderbühne, „wobei die Musik aufspielt". Der Hinweis auf ein Ballett im Bestraften Brudermord konnte darum vom Bearbeiter unabhängig von einer bestimmten Vorlage gegeben werden. Er tat es zunächst wahrscheinlich darum, um seinem Publikum die Pracht des Lebens an einem Königshof zu beschreiben, an dem die „Abendtafel" die Aufführung einer „Comödie" und eines Tanzspieles einschloß. Weiter darf aber auch der Reklametrick nicht übersehen werden, der den Zuschauern, um ihre Spannung zu erhöhen, ein „Ballet" verspricht, das dann über den unmittelbar folgenden turbulenten Ereignissen nach dem unvermittelten Abbruch des „Spiels im Spiel" wieder in Vergessenheit gerät. Audi an dieser Stelle ist übrigens wieder der bearbeitende Eingriff deutscher Komödianten (nach 1650) ersichtlich; ausdrücklich erwähnt der König, daß das Ballett von „unsern Landskindern" getanzt werden soll, womit er sicherlich — als König Dänemarks — keine Dänen meint, sondern — als Spieler einer deutschen Komödiantentruppe — auf die deutsche Spieltradition hinweisen und sie von der englischen absetzen will. 6. „Unerwartet und dem Scheine nach ohne allen Grund schwört Hamlet: ,Ehe die Sonne ihre Reise von Osten in's Westen gethan, will ich mich an ihm rächen.' Gerade so unmotiviert und unerwartet schwört Hieronimo in der ,Spanish Tragedy': 'And heere I vow . . . I will ere long determine of their deathes That causless thus have murdered my sonne', (IV, 1, 42 ff.)345." In jedem Rachedrama wird versucht werden müssen, die Behinderung der Helden bei der Ausführung ihrer Rache verständlich zu machen. Sind diese Widerstände im Zögern der Helden selbst mit begründet, können wiederholte Selbstvorwürfe und Aufstachelungen, die Tat endlich zu vollbringen, nicht ausbleiben. Schon von daher gesehen ist der Racheschwur sowohl im Hamlet als auch in der Spanish Tragedy ausreichend motiviert. Im Bestraften Brudermord glaubte der Bearbeiter, eine Erklärung dafür geben zu müssen, warum Hamlet nach seiner Rückkehr aus England den Brudermörder nicht sogleich umgebracht habe (V, 1). Darum schwört Hamlet an dieser Stelle nicht nur „Revange", sondern sagt auch, warum er die Rache bisher noch nicht habe ausführen können („weil, der Brudermörder allezeit mit viel Volk umgeben"); trotz dieses Grundes — und damit spannt sich der Bogen bis zum Ende des Dramas hin — soll der König jetzt sterben, und zwar „ehe die Sonne ihre Reise von Osten in's Westen gethan". Diese Szene steht nicht mehr oder weniger „unerwartet" im Bestraften Brudermord als andere auch. Nicht dramatisch-künstlerische Impulse bewegten die Komödianten bei der Zusammmenstellung ihrer Texte, sondern sie erstrebten die äußerste Konzentration des Geschehens auf das Tatsächliche, wodurch die abrupte Szenenfolge verständlich wird 346 . Eine Parallele der ersten Szene des fünften Aktes zur Spanish Tragedy kann darum nur zufällig sein; alle engeren Verbindungen zwischen beiden Stellen auf Grund einer ihnen zugrunde liegenden gleichen Konzeption werden hinfällig. 7. Daß sich Hamlets Belehrung der Schauspieler im Bestraften Brudermord in erster Linie auf die Frage der Kostümierung bezieht, erklärt sich aus der Veräußerlidiung aller Stellen im Komödiantendrama, der in der jeweiligen Vorlage ein weiterer oder tieferer Sinn innewohnt. Ganz abgesehen davon, daß Hamlet nicht n u r über die Verkleidungen der Schauspieler spricht (II, 7; II, 9), ist ein innerer Bezug der siebten Szene des zweiten Aktes zur Spanish Tragedy, wie ihn Evans herstellt 347 , nicht gegeben. Hieronimo verteilt Kostüme, um gleichzeitig die Rollen bekanntzumachen, die die Spieler in diesen Kleidern zu verkörpern haben. Dieser Stelle liegt also eine völlig 344 Flemming, a. a. O., S. 25; vergl. auch Baesecke, a. a. O., S. 35. Evans, a. a. O., S. 33. 3 4 8 Flemming, a.a.O., S. 20 ff. 3 4 7 Evans, a. a. O., S. 33. 345

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Freudenstein,

Brudermord

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andere dramatische Absicht zugrunde und sie unterscheidet sich grundsätzlich von der im Bestraften Brudermord. Kyd, dem es nicht auf eine Belehrung von Schauspielern wie im deutschen Text ankam, erwähnt die Kleidungsstücke nicht aus Oberflächlichkeit oder aus einem ihn charakterisierenden Hang zu Äußerlichkeiten, sondern er baut jene Szene organisch in den Entwicklungsgang seiner Handlung ein, so daß ihr Fehlen ein Verständnis des folgenden verhindern würde. Dem Bestraften Brudermord kann eine solche Absicht nicht abgespürt werden. Auch Ophelia spricht in ihrem Wahn über Mode und Kleidung, ohne daß einerseits eine Notwendigkeit dazu bestünde, andererseits eine Vorlage dafür angenommen werden müßte, die eine Parallele im Werk Kyds hätte. 8. „Verstöße gegen die Geographie" 348 sind für Kyd nicht kennzeichnend. Die für diese Behauptung von Evans angeführten Beispiele können sämtlich so interpretiert werden, daß die geographischen Gegebenheiten nicht verletzt werden. Der im Bestraften Brudermord erwähnte Landweg durch den Ärmelkanal (IV, 1) jedoch ist eindeutig fehlerhaft. Da diese Szene auf eine Bearbeitung der Komödianten zurückgeht, muß der Lapsus dem Verfasser des Bestraften Brudermordes unterlaufen sein und kann darum nur ihm zugeschrieben werden. Die Nähe des Bestraften Brudermordes zum Ur-Hamlet ist noch auf einem anderen Weg nachzuweisen versucht worden. Die Entwicklung des Stoffes von Saxo Grammaticus über Belleforest 3 4 9 und K y d zu Shakespeare verläuft folgerichtig ständig aufsteigend, indem der T e x t verbessert, erläutert, dramatisch komprimiert und schließlich durch Shakespeare zu einer nicht wieder erreichten Höhe entwickelt wurde. Dadurch, daß Motivierungen im Bestraften Brudermord abweichend von Shakespeare wieder in eine unkomplizierte, naive E n t wicklungsstufe zurückfallen, soll nun der engere Zusammenhang des Komödiantendramas mit den Quellen Shakespeares bewiesen werden. Die dieser Interpretation zugrundeliegende Ansicht müßte sein, daß jede literarische Arbeit am gleichen Stoff zugleich dessen künstlerische Weiterentwicklung bedeutet; daß dies nicht so ist, beweisen die Hamlet-Bearbeitungen und Faust-Dramen nach Shakespeare und Goethe. Ferner müßte angenommen werden, daß K y d seinen Ur-Hamlet in engster Anlehnung an Belleforest und Saxo Grammaticus schuf und alle Motivierungen von dort übernahm. Auch das kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, da unter Kyds Händen die erste Hamlet-Dramatisierung überhaupt Gestalt gewann, die zwangsläufig manche Umarbeitung und Neumotivierung erforderte. Darüber hinaus sind alle in dieser Hinsicht vorgetragenen Zeugnisse nicht stichhaltig. In den Quellen wird an keiner Stelle erwähnt, Hamlet könne die Rache nicht ausführen, weil der König „allezeit mit viel Volk umgeben" sei (V, 1). Dieses im Bestraften Brudermord mehrfach erwähnte Motiv diente zur Erklärung für das Zögern des Prinzen bei der Ausübung der Rache und ist als solches vom deutschen Bearbeiter erfunden worden. Die von Evans bei Belleforest angeführte Stelle 3 5 0 aus dem Gespräch zwischen Hamlet und seiner Mutter verwendet den Hinweis auf die Umgebung des Königs nicht als Motiv, sondern als deklamatorischen Ausruf, der zur Handlungsentwicklung an keiner anderen Stelle beiträgt: 348 349 360

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Evans, a . a . O . , S . 3 3 f . Robert Geriete, Max Moltke, Shakespeare's Evans, a. a. O., S. 14.

Hamlet-Quellen,

Leipzig 1881.

„ . . . vous priant que selon l'amitié que vous devez à vostre sang, vous ne faciez plus de compte de ce paillard mon ennemy, lequel je feray mourir, quoy que tous les démons le tinssent en leur garde, et ne sera en la puissance de ses courtisans, que je n'en depesche le monde, et qu'eux mesmes ne l'accompaignent aussi bien à sa m o r t . . , " 3 5 1 Der Sinn ist hier ein ganz anderer: Hamlet fürchtet die Höflinge gerade n i c h t , während sie ihn im Bestraften Brudermord an der Racheausführung hindern. Am Anfang seines Gsprächs mit der Mutter bemerkt Hamlet, daß sie „Crocodillsthränen" weint ( I I I , 5). Evans belegt diese Stelle 3 " 2 mit den Worten Amleths bei Belleforest: „ . . . sous le fard d'un pleur dissimulé, vous convriez L-acte le plus meschant.. . " 3 M Gerade an dieser Stelle aber konnte dem Bearbeiter der Quarto 1-Text weit besser als Belleforest zur Vorlage und Anregung dienen: " . . . Hamlet, thou cleaues my heart in twaine . . . " ; "The mother's fearefull . . . " 3 5 4 In ähnlicher Weise können auch alle anderen, von E v a n s 3 6 5 angeführten Übereinstimmungen zwischen dem Bestraften Brudermord, und Belleforest als zufällig bestimmt ( — immerhin unterliegt beiden Versionen der gleiche S t o f f ! — ) oder als voneinander unabhängige Bearbeitungen erklärt werden. Immer sind die Stellen, die Ähnlichkeit mit dem französischen T e x t aufweisen, bereits bei Shakespeare vorgezeichnet und konnten von dort übernommen werden, oder aber der englische T e x t vermittelt Anregungen, die der deutsche Bearbeiter aufnimmt und mit den Mitteln und Möglichkeiten der Komödiantenbühne weiterentwickelt. Das gilt in gleicher Weise auch für die Ubereinstimmungen zwischen dem Bestraften Brudermord und dem H a m l e t - T e x t des Saxo Grammaticus. Evans 3 5 6 sieht eine Verbindung zwischen dem „Eyland, nicht ferne von Dovern" (V, 2) und einer Insel mit „reizenden Gestaden", die bei Saxo Grammaticus als Ort des Zweikampfes zwischen Hamlets Vater und Horvendil genannt wird: „Insula erat medio sita pelago, quam piratae collatis utrinquesecus navigiis obtinebant. Invitabat duces jucunda littorum species; hortabatur exterior locorum amoenitas interiora nemorum verna perspicere lustratisque saltibus secretam sylvarum indaginem pererrare. 5 7 Hier kann selbst ein Ur-Hamlet nidit mehr vermittelnd eingeschoben werden, obwohl unbekannte Texte immer einen besonders weiten Spielraum für Erklärungsmöglichkeiten offenhalten. Die Situationen sind so grundverschieden und die Entlehnung der Stelle im Bestraften Brudermord ist so eindeutig bei Shakespeare nachweisbar, daß es sich erübrigt, die erwähnten Zusammenhänge näher zu untersuchen. Sie seien darum nur kurz skizziert. Der äußere Rahmen der Vorgänge — die Reise nach England, wo Hamlet umgebracht werden soll — ist in der Quarto 1-Ausgabe vorgezeichnet. Daß England eine Insel ist und daß dieser Insel ein „Eyland" vorgelagert sein kann 3 8 8 , brauchte selbst ein KomöGericke-Moltke, a. a. O., S. L X . Evans, a. a. O., S. 12. 3 5 3 Gericke-Moltke, a. a. O., S. L I V . 3 6 4 111,4, 105 und 112; Reprints S. 200. 3515 Evans, a . a . O . , S. 12ff. 3 5 « Evans, a. a. O., S. 16. 3 5 7 Gericke-Moltke, a. a. O., S. I X . 3 6 8 Die Möglichkeit, daß mit dem „Eyland" auch englisches Festland gemeint sein kann, ist an anderer Stelle bereits erwähnt worden (Anmerkung 202). 351 362

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diant mit geringsten geographischen Kenntnissen keiner Quelle zu entnehmen, weil es sidi um allgemein bekannte Tatsachen handelt; vielleicht war der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes sogar selbst ein Engländer, der den Ärmelkanal überqueren mußte, um nach Deutschland zu gelangen. Für die Ausgestaltung der Szene im einzelnen kann Evans bei Saxo Grammaticus keine Parallele aufzeigen. Das wäre zum Nachweis, daß der Bestrafte Brudermord und der Ur-Hamlet identisch seien, jedoch an dieser und an allen anderen Stellen eine Grundvoraussetzung 369 . Auf interessante, mögliche Zusammenhänge zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Ur-Ha.mlet haben Duthie 3 8 0 und Reed 3 6 1 aufmerksam gemacht. In der Quarto 1-Ausgabe berichtet Horatio der Königin, Hamlet sei "by the contention of the windes" 3 6 2 und weil er einen Brief mit seinem Todesurteil bei Rosenkrantz und Güldenstern gefunden habe, nach Dänemark zurückgekehrt. Im Bestraften Brudermord erzählt Hamlet dem Horatio, daß sein Schiff durch „contrairen Wind" (V, 2) an ein Festland verschlagen worden sei, w o ihm von seinen Begleitern eröffnet wurde, daß er umgebracht werden müsse. Beiden Stellen, behauptet Duthie, unterliege ein gemeinsamer T e x t aus dem 359 Völlig zusammenhanglos mit dem Hamlet-Text des Saxo Grammaticus erscheint auch der Hinweis Schulzes (a. a. O., S. 55 f.) auf eine Eigentümlichkeit in der elften Szene des dritten Aktes im Bestraften Brudermord. „Es handelt sich um das anzügliche Gespräch Phantasmos mit der schon irren Ophelia. Das ,elementische Mädchen' sucht den Hofnarren Phantasmo (in Verkennung seiner Person) dazu zu bewegen, mit ihr zu einem Priester zu gehen, um sich . . . trauen zu lassen. Phantasmo wehrt ab . . . ,Ja, es wird lustig hergehen; es werden wohl drey von Einem Teller essen.' Sollte das so zu verstehen sein, daß wegen Geschirrmangel d r e i Gäste von e i n e m Teller essen müssen? Aber warum dann ausgerechnet d r e i , warum nicht v i e r oder z w e i ? . . . Sehr wahrscheinlich unterliegt der Bemerkung doch ein Innuendo, das sich auf Vorgang und Anlaß stützt . . . Offenbar spielt Phantasmo so auf das Kind an, das sie (Ophelia) erwartet; die „drey von Einem Teller" Essenden wären dann: Phantasmo und Ophelia mit Kind, das noch vor der Hochzeit da sein würde. Solche Anspielung kommt in einem Hamlet-Sioli nicht von ungefähr. Den ihr zugrunde liegenden sachlichen Vorgang hat Saxo ja berichtet. Der König habe, um Hamlets Geisteszustand zu prüfen, den Prinzen mit dem Mädchen an verschwiegener Stelle zusammenbringen lassen . . . Die junge Dame hätte, nach dem Vorgefallenen, sehr wohl ein Kind erwarten können . . Abgesehen von der Tatsache, daß in keiner bekannten Hamlet-Version von einem unehelichen Kind Ophelias (oder eines anderen Mädchens, das Ophelias Stellung im Gesamtzusammenhang des Textes innehat) berichtet wird, dürfen wir sicher annehmen, daß es sich der Bearbeiter des Bestraften Brudermordes nicht hätte entgehen lassen, „Vorgang und Anlaß" einer solchen Story breit auszumalen. Der Bearbeiter hat an genügend anderen Stellen des Bestraften Brudermordes seine Fähigkeit bewiesen, Andeutungen seiner Vorlage breit auszuwalzen. Ein Vergleich Ophelias mit Goethes Gretchen im Faust ist zwar trotz mancher Parallelen naheliegend, vermag zur Aufhellung unseres Problems jedoch keinesfalls beizutragen, da beide Mädchenrollen in Anlage und Anliegen allzu sehr differieren. 360 George I. Duthie, The 'Bad' Quarto of 'Hamlet', Cambridge 1941; bei Claude C. H. Williamson, Readings on the Character of Hamlet, 1661—1947, London 1950, S. 692 ff. 381 Edward Bliss Reed, The College Element in Hamlet, Modern Philology, Vol. VI, Nr. 4, April, Chicago 1909, S. 453 ff. 382 IV, 6, 5; Reprints S. 244.

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Ur-Hamlet. In ihm seien 1. die konträren Winde, und 2. die Verschlagung Hamlets an festes Land kurz nach Verlassen des heimatlichen Hafens erwähnt gewesen. Der Bestrafte Brudermord habe beide Elemente — aus dem UrHamlet — vollständiger bewahrt als der Quarto 1-Text, in dem die Vorlage nur unzusammenhängend und darum unverständlich wiedergegeben worden sei. Duthie nimmt also für das englische "contention of the windes" und den deutschen „contrairen Wind" eine gemeinsame Quelle an. Diese Möglichkeit ist aber nur sehr gering gegenüber der bereits an anderer Stelle ausführlich entwickelten Lösung der Quellenfrage dieser Szene, daß nämlich der deutsche Text eine B e a r b e i t u n g der Q u a r t o 1 - V o r l a g e darstellt, die vom Verfasser des Bestraften Brudermordes vorgenommen wurde. Shakespeares Text vermittelt in ausreichender Weise a l l e Anregungen, die der deutsche Bearbeiter nötig hatte, um sie im freien Spiel seiner Phantasie auswerten zu können. Der „contraire Wind" ist auf diesem Wege aus "contention of the windes" entstanden, nicht als Übersetzung, sondern auf Grund einer Gedankenassoziation, die sich durch das Wort „wind" ergab. An früherer Stelle des Bestraften Brudermordes spielt der „contraire Wind" schon einmal eine Rolle, ohne daß dafür eine Quelle angenommen oder nachgewiesen werden könnte. In der siebten Szene des zweiten Aktes — ebenfalls entstanden durch eine Bearbeitung der Komödianten — entschuldigen sich die „hochteutschen Comödianten", daß sie nicht rechtzeitig zur Hochzeit des Königs eingetroffen seien: der „contraire Wind" habe ihnen „das Gesichte zugekehret". Der gleiche Gedanke wird in der oben erwähnten Szene wieder aufgenommen. Von daher wird deutlich, daß sich Existenz und Inhalt einer bestimmten Ur-Hamlet-Szene auf dem von Duthie eingeschlagenen Weg nicht nachweisen lassen. Eine Rekonstruktion des Ur-Hamlet an Hand übereinstimmender Grundzüge zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Quarto 1-Text wird überhaupt nicht möglich sein, solange die Abhängigkeit des deutschen Textes vom Drama Shakespeares, wie sie immer wieder aufgezeigt werden kann, nicht widerlegt worden ist. Reed erklärt, die Gestalt des Horatio könne nur aus dem Ur-Hamlet in den Bestraften Brudermord übernommen worden sein 363 . Bei Shakespeare trete er als Student auf, dem das Hofleben fremd sei. Da er an einer anderen Stelle aber von einem Gefecht zwischen Hamlets Vater und dem alten Fortinbras spreche364, sei erwiesen, daß er im Ur-Hamlet noch Soldat gewesen und erst von Shakespeare zum Studenten umgewandelt worden sei. Wenn darum Horatio im Bestraften Brudermord ebenfalls als Soldat auftrete, müsse er aus dem UrHamlet entlehnt sein. Im Komödianten-Hamlet wird Horatio allerdings an keiner Stelle als Soldat bezeichnet, wie er auch nirgends als Student auftritt. Er ist nur als ein „hoher Freund des Prinzen" im Personenverzeichnis aufgeführt. Das stimmt mit Shakespeares Text überein. Außerdem ist nicht sicher, ob Horatio bei Shakespeare den Zweikampf von Hamlets Vater mit Fortinbras über363 364

Reed, a. a. O. Quarto 1,1, 1, 80ff.; Reprints S. 8,10. 117

haupt als Augenzeuge schildert, oder aber ob er lediglich wiedergibt, was er von anderen gehört hat. Als letztes seien noch jene Beziehungen zwischen dem deutschen Hamlet und Kyds verlorenem Drama untersucht, auf die von einigen Forschern an Hand der Namensgebung und auf Grund verwandtschaftlicher Beziehungen hingewiesen worden sind. Latham nimmt an, daß die Namen des Königs und der Königin im Bestraften Brudermord aus dem Ur-Hamlet übernommen seien365. „Sigrie" sei aus dem nordischen „Signe" entstanden, „Eric" habe ein skandinavisches Aussehen; beide Namen ständen darum der Hamlet-Sage nahe. Da sie aber in keinem Hamlet-Text seit Saxo Grammaticus erwähnt werden, wird sich ein direkter Einfluß auf das deutsche Drama nicht nachweisen lassen. Die Behauptung, der Name „Eric" — aus dem Nordischen vermittelt — erschiene in Shakespeares Text als „Yoricke" 366 , muß bloße Vermutung bleiben. Audi der Name „Eric" im Komödianten-Hamlet wird sicher nicht durch „Yoricke" angeregt worden sein. Schick hält Eric für älter als Claudius, Osric für jünger als Phantasmo und versucht auf diese Weise, Namen aus dem Ur-Hamlet zu erschließen387. Bestimmt läßt sich aber für „Eric" kein älteres und bekannteres Zeugnis anführen als für den Namen „Claudius". Sein Träger erlangte im 1. Jahrhundert nach Christus als Gemahl Messalinas und Agrippinas und als Stiefvater Neros weltgeschichtliche Bedeutung. Will man schon rein gefühlsmäßige Argumente gelten lassen, scheint „Phantasmo" eher ein deutscher „barocker" Name zu sein als ein aus dem Englischen übernommener. Schick vermutet weiterhin, ein „Lenardus" der Vorlage (Ur-Hamlet) habe sich in der Quarto-Ausgabe zu Leartes, im Bestraften Brudermord zu Leonhardus weiterentwickelt. In gleicher Weise wäre aber auch eine Entstehung von Leonhardus aus Leartes möglich. Die Namensgebung kann überall dort, wo sie von Shakespeare abweicht, auf sehr verschiedenem Wege erfolgt sein. Eine Entlehnung von Namen aus dem Ur-Hamlet ist nur e i n e Möglichkeit, die nicht überzeugender sein dürfte als die Annahme, der Bearbeiter des deutschen Textes habe sie bei Shakespeare vorgefunden oder von sich aus dem Bestraften Brudermord zugefügt. In der letzten Szene des fünften Aktes bittet Hamlet seinen Freund Horatio, die Krone des Landes Dänemark seinem „Vetter Fortempras" nach Norwegen zu überbringen. Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Fortinbras und dem Hause Hamlet werden von Shakespeare nicht erwähnt. Gray 368 glaubt darum, sie hätten im Ur-Hamlet bestanden; dort seien Hamlet und Fortinbras möglicherweise gemeinsam als Verbündete gegen den Königsmörder aufgetreten. Man darf die Erwähnung eines „Vetter Fortempras" als Zutat des deutschen Bearbeiters betrachten, der lediglich eine einleuchtende Erklärung dafür abgeben wollte, warum gerade ein Norweger die Krone des Landes tragen sollte, nachdem das Hamlet-Geschlecht ausgestorben war, und nicht ein Vertreter eines 365 366 367 388

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Latham, a. a. O., S. 118. Quarto 1, V, 1, 199fif.; Reprints S. 276. Schick, a. a. O., S. X X I V . Gray, a. a. O. S. 263.

anderen Staates. Würde der Bestrafte Brudermord tatsächlich auf den UrHamlet zurückgeführt werden können, und sei in ihm eine von Shakespeare unterschiedliche Handlung dargestellt gewesen, hätten sich im deutschen T e x t von ihr mehr Spuren erhalten müssen. Die vorangegangenen Untersuchungen haben ergeben, daß alle Stellen im Bestraften Brudermord, die von Shakespeares T e x t abweichen, nicht notwendigerweise bei K y d (oder aus dem Ur-Hamlet) entlehnt worden sein müssen. Kein im Bestraften Brudermord neu auftauchendes Motiv oder neu eingeführtes Handlungselement, und keine bei Shakespeare nicht vorgezeichnete Motivierung stellen Änderungen der Handlungsentwicklung oder der Textgestaltung dar, die nicht auch vom Bearbeiter des deutschen Textes durchgeführt worden sein könnten. An keiner Stelle des deutschen Textes muß es bedenklich erscheinen, daß ihr Bearbeiter die Szenengestaltung von sich aus — meist vom Shakespeareschen Text dazu angeregt — vorgenommen haben könnte. Wenn sich dabei Situationen ergeben und Motive finden, die eine Parallele bei K y d haben, kann es sich um nichts anderes als um zufällige Ubereinstimmungen handeln, die um so weniger überraschen, als sowohl im verlorengegangenen Ur-Hamlet, in Shakespeares Tragödie, als auch im Bestraften Brudermord immer der gleiche Stoff dramatisiert wurde. Die Zufälligkeit der Übereinstimmungen zwischen dem Bestraften Brudermord und den Hamlet-Quellen Shakespeares wird durch einen Hinweis auf die Tradition der Wanderbühne am Anfang des 17. Jahrhunderts noch wahrscheinlicher. Die Komödianten, die nach Deutschland kamen, waren zum großen Teil Schauspieler, die bereits in England ihren Beruf ausgeübt hatten und mit den englischen Dramen im allgemeinen vertraut gewesen sein müssen. Manches Motiv, das im Komödianten-Hamlet „neu" auftaucht, gehörte — wie bereits gesagt worden ist — zu gewissen Standard-Motiven vieler englischer Rachetragödien (Selbstmord der Ophelia, Mord der Helfershelfer, ect.). Es ist darum nicht ausgeschlossen, daß die Komödianten einiges aus den Erfahrungen ihrer englischen Bühnenpraxis zum Bestraften Brudermord beisteuerten, das heute als direkte Entlehnung aus einem bestimmten Werk der elisabethanischen Literatur erscheint. Dazu tritt weiter die Überlegung, daß es sehr wahrscheinlich in dieser Zeit weit mehr Dramen gab, als uns überliefert oder dem Titel nach bekannt sind 369 . Auf die weitverzweigten Möglichkeiten einer indirekten Entlehnung, die sich unter diesen Gesichtspunkten ergeben, soll nur hingewiesen 3 6 9 Henslowe verdanken wir einen Einblick in die unvorstellbare Fülle der damals entstandenen und aufgeführten Dramen (Walter W. Greg, Henslowe's Diary, 2 Bde., London 1904/1908). E r erwähnt in einem bestimmten Zeitraum 282 Stücke, von denen uns aber nur 65 erhalten sind. Aronstein (Ein Theaterunternehmer aus der Zeit Shakespeares, Sonntagsbeilage Nr. 31 zur Vossisdien Zeitung Nr. 355, 1. August, Berlin 1909, S. 244 ff.) hat auf dieser Grundlage errechnet, daß es in der Zeit von 1558 bis 1642 etwa 2820 Dramen gegeben haben dürfte, da wir aus diesen etwas mehr als 82 Jahren nur 650 Stücke kennen. "Wohlgemerkt handelt es sich hierbei nur um solche Dramen, mit denen Henslowe geschäftlich in Berührung gekommen ist.

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werden, um vor allzu sicheren Verbindungen einzelner Stellen oder Motive zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Ur-Hamlet zu warnen. Das einzige Argument, das für eine Entlehnung des Bestraften Brudermordes aus dem Ur-Hamlet sprechen könnte, ist bisher an keiner Stelle vorgetragen worden. Setzt man als — keineswegs unumstrittene 370 — Tatsache voraus, daß der Ur-Hamlet im Gang der Handlung mit der Shakespeareschen HamletTragödie weitgehend übereingestimmt hat, wäre die Annahme nicht ausgeschlossen, daß sowohl Shakespeares Drama als auch der Bestrafte Brudermord auf eine gemeinsame Quelle, den Ur-Hamlet, zurückzuführen sind. Die Beschränkung auf die Darstellung der „Störy" in der Komödiantenfassung des Stückes ließe vermuten, daß sie sowohl aus der poetischen Umschreibung sowohl des älteren als auch des jüngeren Dramatikers herausgelöst worden sein könnte. Die Widerlegung dieser Ansicht muß allein unter Hinweis auf die wörtlichen Anklänge geschehen, die zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Quarto 1 - T e x t der Shakespeareschen Tragödie aufgezeigt worden sind. Die V i e l z a h l d i e s e r B e i s p i e l e läßt es als ausgeschlossen gelten, daß die gleichen Parallelen noch zu einem zweiten D r a m a gleichen Inhalts hergestellt werden können. H a t Shakespeare auch möglicherweise gelegentlich Wortwendungen und Sentenzen aus dem Ur-Hamlet verwandt, wird die Gestaltung der Szenen und die Dialogführung doch nur ihm allein zugeschrieben werden dürfen. Der enge Anschluß des Komödiantenstüdkes an den Shakespeare-Text an H a n d wörtlicher Anklänge und der Nachweis, daß der deutsche T e x t mit Hilfe einer zweiten Shakespeare-Version erweitert werden konnte, lassen es zur Gewißheit werden, daß der Ur-Hamlet bei der Entstehung des Bestraften Brudermordes von keinerlei Bedeutung gewesen ist. Audi wenn die Frage nach der Textbesdiaffung beantwortet werden soll, stößt man bei der Annahme der Entlehnung des Bestraften Brudermordes aus dem Ur-Hamlet auf Schwierigkeiten, denen allerdings kein allzu großes Gewicht beigemessen werden darf. Um die Jahrhundertwende muß der Ur-Hamlet beim Londoner Publikum bereits in Vergessenheit geraten sein; anders läßt sich Shakespeares Neufassung eines alten Dramas nur schwer erklären 371 . Von einem Druck des Ur-Hamlet ist uns nichts be3 7 0 Creizenach (a. a. O. S. 133) postuliert, Shakespeare sei nur ein Plagiator, Kyd aber einer der größten Dichter der 'Weltliteratur gewesen, wenn Shakespeare von ihm den Gang der Handlung unverändert übernommen haben sollte. (Schulze, a. a. O., S. 57: Shakespeare wäre in diesem Fall ein „hödist skrupelloser Plagiator, der sich nicht scheute, gut zwei Drittel des Dramas zu erborgen oder gar zu stehlen".) Dieser Schluß ist unzutreffend. Für die Beurteilung einer Dichtung ist nicht die Fabel, sondern in erster Linie ihre Gestaltung ausschlaggebend. 3 7 1 Zur gleichen Zeit wurde die Spanish Tragedy mit Zusätzen versehen (Levin L. Schütting, Die Zusätze zur ,Spanish Tragedy', Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Band 90, Heft 2, Leipzig 1938); sie war, wie die Auflage einer Quarto-Ausgabe im Jahre 1599 beweist, beim Publikum noch so bekannt, daß eine Neufassung unter dem Namen eines anderen Autors nicht möglich gewesen sein wird. Shakespeare konnte jedoch den Hamlet unter seinem Namen herausbringen, ohne daß er deswegen des „Raubes" von seinen Kollegen beschuldigt werden durfte. Der aus zeitgenössischen Anspielungen bekannte Erfolg des Ur-Hamlet kann also nur von kurzer Dauer gewesen sein.

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kannt. W i r dürfen darum vermuten, daß Shakespeare seine Hamlet-Tragödie an H a n d einer handschriftlichen Theaterkopie angefertigt hat. Eine solche Kopie könnte zwar auch den Komödianten zugänglich gewesen sein; die Möglichkeit, daß sie sidi die Quarto-Texte Shakespeares käuflich erwarben, ist jedoch weitaus größer, d a wir von ihnen sicher wissen, daß sie ohne weiteres zu beschaffen waren.

Zusammenfassend darf festgestellt werden, daß Beziehungen zwischen dem Bestraften Brudermord und dem Ur-Hamlet an keiner Stelle als nadiweisbar anerkannt werden dürfen. Nicht eine einzige Stelle im deutschen Drama muß notwendig aus einem anderen als Shakespeares Text entlehnt sein, da alle Abweichungen gegenüber dem englischen Hamlet als charakteristische Eigentümlichkeiten des deutschen Bearbeiters und der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts bestimmt werden können. Somit ergänzen die Ergebnisse dieses Kapitels die Feststellungen des vorangegangenen, in dem der Bestrafte Brudermord als Übertragung des Quarto 1Textes von Shakespeares Hamlet ermittelt wurde, die an einigen Stellen nachträglich durch Quarto 2-Lesarten verbessert wurde.

SCHLUSS Es ist von der literarhistorischen Forschung im Vergleich zu Quellenstudien anderer Komödiantendramen verhältnismäßig oft versucht worden, den Ursprung des Bestraften Brudermordes zu bestimmen. Wegen der unterschiedlichen Ergebnisse dieser Untersuchungen galt dennoch lange Zeit hindurch, was Furnivall bereits vor siebzig Jahren zu dieser Frage niederschrieb: "The whole matter of this German play is . . . mudi too risky to found anything certain on" 3 7 2 . Zwar hatte zu seiner Zeit noch niemand "either said or shown that it (Der Bestrafte Brudermord) retains any phrases, words, or forms, as early as 1589 (Ur-Hamlet) or 1603 (Quarto 1)", doch auch die Forschungen seit Beginn dieses Jahrhunderts, in denen ein solcher Nachweis versucht wurde, blieben umstritten, weil zwei sich gegenseitig ausschließende Ergebnisse einander im Wege standen. Zwischen dem Nachweis, daß der Bestrafte Brudermord einerseits vom Ur-Hamlet, andererseits vom Shakespearesdien Hamlet-Text abhängig sein sollte, vermochten auch diejenigen Stimmen, die einen Einfluß beider Texte erkennen wollten, nicht überzeugend zu vermitteln. Vielleicht dürfen die Ergebnisse dieser Arbeit, die im folgenden in drei Thesen formuliert werden, mithelfen, die Quellenstudien zum Bestraften Brudermord zu einem einigermaßen befriedigenden Abschluß zu bringen. 1. Von allen in der Forschung bisher nachgewiesenen oder in Anspruch genommenen Aufführungen des Bestraften Brudermordes im 17. Jahrhundert 372

Dieses und das folgende Zitat: Furnivall, a. a. O. S. V I I I und I X . 121

in Deutschland kann nur e i n e (1626 in Dresden) als ausreichend belegt gelten (Kapitel l) 3 7 3 . 2. Der Bestrafte Brudermord darf als eine Ubersetzung des Quarto 1-Textes der Shakespearesdien Hamlet-Tragödie angesehen werden, die von einem deutschen Verfasser aus dem Umkreis der Wanderbühne mit deren Mitteln und Möglichkeiten bearbeitet worden ist. Diese Übertragung wurde nachträglich durch die Einfügung von Quarto 2-Lesarten erweitert. Das Umschreiben des englischen Textes ins Deutsche muß kurz nach dem Erscheinen der Quarto 1-Ausgabe, also bald nach dem Jahre 1603, vorgenommen worden sein; die späteren Einfügungen konnten nach dem Jahre 1604, dem Erscheinungsjahr der Quarto 2, in den deutschen Text eingeflickt werden. Es darf angenommen werden, daß diese Arbeit am deutschen Text innerhalb des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts durchgeführt wurde. Der Verfasser des Bestraften Brudermordes bleibt namentlich unbekannt, jedoch war er keiner der bekannten Dichter der Komödiantenbühne des 17. Jahrhunderts (Kapitel 2). 3. Beziehungen zwischen dem Bestraften Brudermord und dem verlorengegangenen Ur-Hamlet können nicht nachgewiesen werden (Kapitel 3). Mit diesen hier vertretenen Thesen ist die Folgerung verbunden, daß alle bisherigen Theorien, die den Bestraften Brudermord in irgend einer Form mit dem Ur-Hamlet in Verbindung gebracht haben, nicht länger haltbar sind. Auch die Möglichkeit, daß die im Bestraften Brudermord unverkennbar erhaltenen Quarto 2-Einflüsse durch mündliche Tradition in den allein nach dem Quarto 1Text übertragenen Komödianten-Hamlet gelangt seien, wird sich nicht mehr vertreten lassen. Schließlich macht diese Arbeit die Annahme überflüssig, daß es eine englische Fassung der Hamlet-Tragödie gegeben habe, die sowohl Züge des Quarto 1-Textes als auch solche der Quarto 2-Ausgabe gemeinsam enthielt, und daß der Bestrafte Brudermord eine Übertragung dieser Fassung darstelle. Alle hier vorgetragenen Zeugnisse und Argumente sind ständig mit Hilfe der uns bekannten Gegebenheiten der Komödiantenbühne im 17. Jahrhundert überprüft worden, um zu vermeiden, daß der Gedankengang ins rein Konstruktive gerät. Das ist erst möglich geworden, nachdem vornehmlich Flemming 374 3 7 3 Daß der Bestrafte Brudermord auch in anderen europäischen Staaten, die von den englischen Komödianten besucht wurden, aufgeführt worden sei, ist noch nicht nachzuweisen versucht worden. Lediglich Creizenach (a. a. O. S. 132) läßt die sehr vage Vermutung zu, daß der Komödianten-Hamlet in H o l l a n d dargeboten wurde, und Hoenig (a. a. O.) deutet an, daß das Drama um 1616 am dänischen Königshof aufgeführt worden sein könnte. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß durch intensive Nachforschungen — vor allem in den niederländischen Staaten, aber auch in Deutschland selbst, — neues Material entdeckt würde, das wichtige Hinweise auf das Schicksal des Bestraften Brudermordes im 17. Jahrhundert geben könnte. Vergl. dazu auch Willi Flemming, „Englische Komödianten", Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1956, S. 346. 374 w ¡ ] i i Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Barockdrama, Band 3, Leipzig 1931, Einleitung. Ferner: „Englische Komödianten", Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band 1, Berlin 1925, S. 271 ff.

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und Baesecke375 das Auftreten der englischen Komödianten und die äußere und innere Struktur ihrer Darbietungen umfassend und gebührend gewürdigt hatten. Diese neue Sicht, die sich für die Zeit der Wandertruppen eröffnete, machte es möglich, die schon seit langem vertretene These, daß der Bestrafte Brudermord, auf Shakespeares Hamlet zurückgehe, dahingehend zu klären, daß beide Quarto-Ausgaben bei der Entstehung des deutschen Textes unentbehrlich waren. Im Verlauf der Untersuchungen ergaben sich wesentliche Erkenntnisse über die Arbeitsweise eines Redaktors der Komödiantenbühne, dessen Fähigkeiten und Mängel einigermaßen umfassend festgelegt werden konnten. Der weite Spielraum, den die Komödianten mit ihrer Kunst beanspruchten, läßt es nicht zu, von hier aus außer allgemeinen Merkmalen auch Einzelheiten für die Gesamtheit der Redaktoren von Komödiantendramen als verbindlich und typisch auszugeben. Dennoch dürfte es jetzt, nachdem wir wissen, wie der Verfasser des Bestraften Brudermordes bei der Zusammenstellung seines Textes vorging, leichter möglich sein, die bei vielen Dramen noch umstrittene Frage nach dem Autor und den Quellen erneut aufzugreifen. Es wird sich dann zeigen, ob etwa parallel zum Bestraften Brudermord auch bei anderen Dramen Eigentümlichkeiten eines Bearbeiters erkennbar werden, die Rückschlüsse auf typische Erscheinungsformen der Redaktorenarbeit erlauben und die eine Entscheidung darüber erleichtern, ob eine Übertragung oder eine Neuschöpfung vorliegt. Unter diesen Gesichtspunkten scheint das erneute Aufgreifen der noch immer unentschiedenen Streitfrage von besonderer Wichtigkeit zu sein, ob die Dramen der Komödiantensammlung des Jahres 1620 als Bühnenmanuskripte oder Druckbearbeitungen anzusehen sind 376 . Lohnend wäre weiterhin auch eine Überprüfung der allgemein anerkannten Ansicht, daß die Dramen der Komödiantensammlungen aus den Jahren 1630 und 1670 „nicht zu dem T y p des Komödiantenstücks" gehören 377 . Schließlich wäre es eine aussichtsreiche Aufgabe zu untersuchen, ob die Dramen, deren Titel mit denen Shakespearescher Werke übereinstimmen und die wie der Bestrafte Brudermord 1626 in Dresden zur Aufführung gelangten, gleiche Struktur- und Formelemente aufweisen wie der Komödianten-Hamlet. Es ist nicht ausgeschlossen, daß auf diese Weise einerseits ihre alleinige Abhängigkeit von Shakespeare nachgewiesen, andererseits die Arbeitsweise der Redaktoren noch bestimmter fsetgelegt werden könnte, als das schon beim Bestraften Brudermord möglich war. Vielleicht ergibt sich auf diesem Wege ein fester umrissenes Gesamtbild vom Wesen und Wirken der englischen Komödianten in Deutschland.

375 376 377

Baesecke, a. a. O. Ebenda, S. 19 ff. Baesecke, a. a. O. S. 22. 123

LITERATUR Abkürzungen: Diss. = Dissertation; Ed. = Herausgeber; N F = Neue Folge; N S = New Series; o. D. = ohne Angabe des Erscheinungsjahres; Rez. = Rezension; Vol. = Volume. Die in Klammern gesetzten Jahreszahlen bezeichnen das jeweilige im betreffenden Werk nicht genannte Erscheinungsjahr. Allen, Joseph C., Thomas Kyd's Hamlet, The Westminster Review, Vol. 170, Nr. 5 und 6, S. 551 ff. und 684 ff., November und Dezember 1908. Aronstein, Prof. Dr., Ein Theaterunternehmer aus der Zeit Shakespeares, Sonntagsbeilage Nr. 31 zur Vossischen Zeitung Nr. 355, Berlin, 1. August 1909, S. 244 ff. Baesecke, Anna, Das Schauspiel der Englischen Komödianten in Deutschland, Studien zur Englischen Philologie, Heft L X X X V I I , Halle 1935. Diss. Marburg 1934. Bardt, D. Carl Friedrich, Juvenal, übersetzt und mit Anmerkungen für Ungelehrte versehen, neue verbesserte Auflage, Leipzig 1810. Bartlett, Henrietta C., Mr. William Shakespeare's Original and Early Editions of his Quartos and Folios, Second Edition, New Haven/London/Oxford 1923. Bassenge, Edmund, 1st Hamlet Typus oder Individuum? Shakespeare - Jahrbuch 75 ( N F Band 16), Weimar 1939, S. 127 ff. Berger, Kurt, Barock und Aufklärung im geistlichen Lied, Marburg 1951. Bernhardy, Shakespeare's Hamlet. Ein literar-historisch kritischer Versuch, Hamburger Literarisch-kritische Blätter, 1857. s. Furness, Variorum Edition, S. 116 f. Bieber, Gustav Arthur, Der Melancholikertypus Shakespeares und sein Ursprung, Anglistische Arbeiten 3, Heidelberg 1913. Black, Ebenezer Charlton, s. Hudson. Boas, Frederick S„ Ed., The Works of Thomas Kyd, Oxford 1901. Bolte, Johannes, Englische Komödianten in Dänemark und Schweden, ShakespeareJahrbuch 23, Weimar 1888, S. 99 ff. — Das Danziger Theater im 16. und 17. Jahrhundert, Theatergeschichtliche Forschungen, Band X I I , Hamburg/Leipzig 1895. Brandl, Alois, Rez. Schröer, Über Titus Andronikus, Göttingische gelehrte Anzeigen, Band 2, Nr. 18, Göttingen, 1. September 1891, S. 708 ff. Brown, Ivor, Shakespeare, London 1949. Campbell, Oscar James, Ed., Shakespeare's Hamlet, The Second Quarto, 1604, San Marino 1938. Chambers, Edmund K., William Shakespeare, A Study of Facts and Problems, 2 Vol., Oxford 1930. Clark, William George und William Aldis Wright, Ed., Shakespeare, Select Plays, Hamlet — Prince of Denmark, Clarendon Press Series, Second Edition, Oxford 1876. Cohn, Albert, Shakespeare in Germany in the sixteenth and seventeenth Centuries, London 1865. — Englische Komödianten in Köln, 1592—1656, Shakespeare-Jahrbuch 21, Weimar 1886, S. 245 ff. 124

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F r e u d e n s t e i n , Brudermord

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In der neuen Reihe

Britannica et Americana ist bisher erschienen:

Band 1 JOHANNES WALTER

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Chaucers Stellung in der mittelalterlichen Literatur Umfang 160 Seiten • Großoktav • 1956 • Preis: kart. D M 1 2 , —

In diesem Budi wird gezeigt, wie Chaucers Werk mit der Literatur des Mittelalters zusammenhängt und wie es sich unterscheidet. Die Untersuchung geht aus von einer Analyse charakteristisch mittelalterlicher Begriffe, wie Courtoisie, Pitie, Höfische Liebe, Fortuna; sie umgreift das Allgemeine und das Spezielle, sowohl geistesgesdiiditlidie Erörterung wie Einzelinterpretation.

Band 2 J O H N WESLEY THOMAS

The Letters of James Freeman Clarke to Margret Füller Umfang 148 Seiten • Großoktav • 1957 • Preis: kart. DM 12,— Diese Briefe unterrichten ausführlich über Clarkes Tätigkeit als Herausgeber, Schriftsteller und Theologe. Sie liefern beachtliche neue Beiträge zur Biographie von Margret Füller und vermitteln ein anschauliches Bild von der Entwicklung des amerikanischen Transzendentalismus, besonders auch der wichtigen Rolle der deutschen Literatur und Philosophie in dieser Bewegung.

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Als weitere Veröffentlichungen sind in Aussicht genommen:

Britannica et Americana

Band 4 H A N S - J O A C H I M LANG

Das einheimische Erbe und die amerikanische Literaturkritik des frühen 20. Jahrhunderts Wie in Lyrik, Drama und Roman bringen auch in der Literaturkritik die Jahre seit 1910 die jüngere Generation nach vorn; eine Überprüfung des amerikanischen Erbes, der Kultur und Literatur zumal, beginnt. Van Wydc Brooks und andere Kritiker seiner Generation leiten eine Umwertung der amerikanischen Tradition ein, die unser Bild Amerikas und amerikanischer Literatur grundlegend verändert.

Band 5 J O H N T. K R U M P E L M A N N

Bayard Taylor and German Letters Mit dieser Arbeit wird deutlich gemacht, wie nach 1844 die deutsche Literatur das Schaffen des bekannten „Faust"-Übersetzers beeinflußte und wie er durch seine Veröffentlichungen dazu beitrug, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben der englischen vor allem die deutsche Literatur eine besondere Bedeutung f ü r die amerikanischen Schriftsteller gewann.

Ferner konnte er durch seine persönlichen

Beziehungen zu deutschen Autoren auf die Literatur seines Landes in Deutschland hinweisen.

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