Der Berg Fuji in der Zeitgenössischen Kunst: Eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten [1 ed.] 9783412524128, 9783412524104

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Der Berg Fuji in der Zeitgenössischen Kunst: Eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten [1 ed.]
 9783412524128, 9783412524104

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DER BERG FUJI IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST Eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten

Jutta Teuwsen

Studien zur Kunst 46

Jutta Teuwsen

Der Berg Fuji in der Zeitgenössischen Kunst Eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

D 61

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022, Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: IKEDA Manabu, Claw Marks, 2010, pen, acrylic on paper, mounted on board, 22 × 27cm, Photography by MIYAJIMA Kei, ©︎IKEDA Manabu, Courtesy of Mizuma Art Gallery Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Korrektorat: Katharina Freisinger, Köln Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52412-8

Dieses Buch widme ich meinem Sohn Leo. Seine Neugier, seine Offenheit, seine Unvoreingenommenheit und seine Liebe waren für mich die größte Inspiration und werden es immer sein.

Inhalt

1 Noch ein Buch über den heiligen Berg?  . .

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2 Eine kurze visuelle Kulturgeschichte: Die vielen Symboliken des Fuji . . 2.1 Die frühen Künste: Der Fuji als Gottheit und Objekt der spirituellen Verehrung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Fujizuka und Badehäuser: Der Fuji als Naherholungsort für alle  . . 2.3 Das Wahrzeichen der erstarkenden Hauptstadt Edo: Der Fuji als regionales politisches Symbol  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Meiji-Restauration und Ukiyo-e : Der Fuji wird nationales Symbol Japans  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Die Kreation, Gefährdung und Neuschaffung einer japanischen Identität: Der Fuji als Symbol des imperialen Nationalstaats Japan  . 2.6 Rückbezug auf die Moderne und Exotisierung: Der Fuji als Träger komplexer Symboliken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Konsum und Sexualisierung: Der Fuji als Werbeversprechen  . . . . 2.8 Müll auf zertrampelten Pfaden: Der Fuji als touristischer Sehnsuchtsort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Zeitgenössische Fotografie: Der Fuji als ewiges Ikon  . . . . . . . . 2.10 Ausblick: Das Ikon Fuji und das Visuelle  . . . . . . . . . . . . . .

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3 DAV: Diskursanalyse mit Visuellen Daten  . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Diskursanalyse nach Foucault  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Visuelle Daten und Kunst – worum genau geht es hier eigentlich?  . . 3.3 Annäherung an die Diskursanalyse mit Visuellen Daten  . . . . . . . 3.4 Semiotik I: Warum Bilder mehr sind als Ansammlungen von Zeichen ­­   . . 3.5 Semiotik II: Warum Bilder keine Texte sind  . . . . . . . . . . . . . 3.6 Macht – Bilder – Kontext: Zur Diskursivität von Bildern  . . . . . . . 3.7 Von der Bilddiskursanalyse zur DAV  . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Visuelle Daten in Texte übersetzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Visuelle Daten und diskursive Praktiken  . . . . . . . . . . . . . . .



4 Abgrenzung des Diskurses: Grundlagen für die DAV am Beispiel Berg Fuji  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Wie süß: Zeitgenössische japanische Kunst  . . . . . . . . . . 4.2 Die Suche nach dem Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst: Recherche und Feldforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Ergebnisse der Recherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Subdiskurs I: Fuji – Tradition – Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Altern und Einsamkeit in Japan: Der Fuji als ewiger Freund und treuer Begleiter (Subsubdiskurs 1.1)  . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Zukunftsvisionen: Der Fuji als Relikt vergangener Generationen (Subsubdiskurs 1.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Massentourismus und Fotografie: Der Fuji als Souvenir (Subsubdiskurs 1.3)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Heilige Stätten und Matsuri: Der Fuji als religiöses Requisit (Subsubdiskurs 1.4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Scheideweg ­zwischen Tradition und Moderne: Der Fuji als Symbol für das Traditionelle (Subsubdiskurs 1.5)  . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Wiedergeborener Gott: Der Fuji als Produkt der Moderne (Subsubdiskurs 1.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Von Damals über Früher bis Jetzt: Der Fuji als historisch gewachsenes Monument (Subsubdiskurs 1.7)  . . . . . . . . . . . . 5.8 Der gegenwärtige visuelle Fuji-Diskurs: Was heute sagbar und zeigbar ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



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6 Subdiskurs II: Provokationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Winzig und zwergenhaft: Der Fuji als schutzloses Objekt (Subsubdiskurs 2.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Nach dem Kampf: Der Fuji als Wunde einer ganzen Nation (Subsubdiskurs 2.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Militarismus und Potenz: Der Fuji als Symbol männlicher Dominanz (Subsubdiskurs 2.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Fuji-Geisha-Erotik und Pädosexualität: Der Fuji als (pädo-)sexuelle Einladung (Subsubdiskurs 2.4)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Die Rückkehr des Vulkans: Der Fuji als Bedrohung durch die Natur (Subsubdiskurs 2.5)  . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Die Dreifachkatastrophe 2011: Der Fuji als Anti-AtomenergieDemonstrant (Subsubdiskurs 2.6)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Devianz: Der Fuji als Aggressor (Subsubdiskurs 2.7)  . . . . . . . . . 6.8 Fuji-Spiritualität reloaded: Der Fuji als Missionar (Subsubdiskurs 2.8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9 Kleine Neuheiten, große Wirkung? – Der Diskurs im Wandel  . . . .



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7 Und wie geht es weiter?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zusammenfassung, oder: Diskursanalyse mit Visuellen Daten – Der Berg Fuji in der Zeitgenössischen Kunst  . . . . . . . . . . 7.2 DAV: Unzulänglichkeiten, Potenziale und Ausblick . . . . . . 7.3 Der Fuji und Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt | 9

Nachtrag  . . . . . . . . Danksagung  . . . . . . Literaturverzeichnis  . . Abbildungsverzeichnis  .

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1 Noch ein Buch über den heiligen Berg?

Der Fuji – höchster Berg Japans, das ewige Symbol einer ganzen Nation und immerwährendes Ikon. Für unzählige Menschen hatte und hat dieser Berg einen immensen kulturellen und oft auch persönlichen Stellenwert. Die Verbreitung des Ikons lässt bereits auf seine Bedeutung schließen: Man begegnet dem Fuji in und auf Reisekatalogen zu Japan, auf Postkarten, in Dokumentationen und nicht zuletzt in ganz Tokio. Der Fuji ist omnipräsent. Das trifft auf Japan und für Japaner*innen genauso zu wie für den Rest der Welt. Somit sollte es zunächst nicht vermessen erscheinen, d ­ iesem Ikon ein ganzes Buch zu widmen. Über den Berg Fuji – seine Geschichte, seine Bedeutung, seine Rezeption – ließen sich tausende Bücher schreiben. Das Material aus Wissenschaft, Populärkultur, Kunst, Medien und vielen anderen Bereichen ist schier unermesslich. Womöglich wurden bereits tausende Arbeiten geschrieben; wozu bedarf es einer weiteren? Dieses Buch beantwortet zwei Fragen. Die erste Frage verfolgt ein inhaltliches Ziel, das sich konkret auf den Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst bezieht: (1) Welche heutigen gesellschaftlichen Bedeutungen des Fuji lassen sich durch die A ­ nalyse der zeitgenössischen Werke feststellen? Hierzu muss auch erklärt werden, inwiefern und warum sich die Darstellung historisch verändert hat, w ­ elche Darstellungsweisen heute unterschieden werden können und worauf diese, bezogen auf die japanische Gesellschaft, hindeuten. Die zweite Frage verfolgt ein methodisches Ziel: (2) Wie lässt sich eine so große Menge visueller Daten unter Einbezug des historischen Kontexts und der gesellschaftlichen Realität analysieren? Diese Arbeit unternimmt also den Versuch, eine neue Methode zu entwickeln, sie zu begründen und auf den inhaltlichen Aspekt anzuwenden: die Methode der Diskursanalyse mit Visuellen Daten, kurz DAV. Es existieren zwar bereits umfassende Abhandlungen über unterschiedlichste Facetten des heiligen Berges (vgl. Kapitel 2). Jedoch konzentrieren sich dabei die wenigsten auf die visuelle Darstellung des Fuji. In den Texten zu den zweihundert Jahre alten Holzschnitten aus der Edo-Zeit (vgl. Kapitel 2.4) ist das noch am ehesten der Fall. Auch gibt es viele Bildbände, die den heiligen Berg damals und heute zeigen, ohne aber die Darstellungen zu analysieren. Dem visuellen Phänomen Fuji in der heutigen Zeit wird aus wissenschaftlicher Perspektive, wenn überhaupt, kaum Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Kapitel 2.7). Das betrifft besonders die Abhandlungen zur zeitgenössischen Kunst; hier wird über den Fuji kein Wort verloren. Obwohl er immer wieder abgebildet, dargestellt, illustriert und inszeniert wird, wurden die mehreren hundert zeitgenössischen Fuji-Darstellungen bisher nicht umfassend und übergreifend betrachtet. Um dies zu tun, bedarf es einer Methode, die der Komplexität des Vorhabens angemessen ist. Immerhin stammen die zeitgenössischen Darstellungen des Fuji aus der ganzen Welt und sind äußerst heterogen. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten gab es über Jahrhunderte hinweg nur eine einzige angemessene Darstellungsform für den Fuji: die erhabene und

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ikonische, wie sie die Holzschnittkünstler Hokusai, Hiroshige und viele mehr in der EdoZeit geprägt haben (vgl. Kapitel 2.4). Das hat sich seit den 2000er Jahren grundsätzlich geändert. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit hat sich die Norm, den Fuji in einer einzigen Weise darzustellen, zu einem großen Bouquet an Möglichkeiten entwickelt. Dieses schöpfen die zeitgenössischen Künstler*innen voll aus: Zwar wird der Fuji auch heute noch in seiner erhabenen, mächtigen Form gezeigt. Aber er wird auch sexualisiert, klitzeklein, als Aggressor oder als gefährlicher Vulkan inszeniert. Dadurch wird die Auseinandersetzung mit den Darstellungen interessant. Die Pluralität an Fuji-Darstellungen in der heutigen Zeit ist kein Zufall; dafür sind Machtstrukturen in der Kunstszene verantwortlich, Geschehnisse in der jüngeren japanischen Geschichte und nicht zuletzt Veränderungen in der Verbreitung von Kunstwerken heute (vgl. Kapitel 4.1). So viel sei vorweggenommen: Im Verlauf der Arbeit werden diese Punkte anhand der Fuji-Darstellungen explizit herausgearbeitet und begründet. Dazu hat sich die hier entwickelte und angewandte DAV, die werkanalytische Aspekte mit der Methode der Diskursanalyse zusammenbringt, als sehr geeignet erwiesen. Um eine DAV bestmöglich durchzuführen, ist es entscheidend, auch den Hintergrund der zu behandelnden visuellen Daten, in d ­ iesem Fall Kunstwerke, miteinzubeziehen. Für den Berg Fuji ist dieser Hintergrund sehr umfassend und komplex, denn der Fuji ist nicht erst seit seiner visuellen Blüte in der Edo-Zeit ein wichtiges visuelles Phänomen in Japan und darüber hinaus. Seine Kulturgeschichte, die zu großen Teilen auch visuell ist, reicht mehr als tausend Jahre zurück (vgl. Kapitel 2.1). Dabei ist es faszinierend zu verfolgen, wie der Fuji zu dem geworden ist, was er heute ist: das Symbol Japans. Im zweiten Kapitel wird die visuelle Kulturgeschichte des Fuji zusammengefasst. Ziel ist es, die wesentlichen Punkte in der Entwicklung des Fuji von einem Berg unter vielen zum Ikon und Symbol Japans nachzuzeichnen. Das Kapitel ist die essenzielle Grundlage dafür, die heutigen Darstellungen des Fuji in ihren historischen Kontext einordnen und umfassend analysieren zu können. In Kapitel 3 geht es darum, die Methode DAV: Diskursanalyse mit Visuellen Daten zu entwickeln. Dazu ist es wichtig, die bereits bestehenden Ansätze für verwandte Vorhaben heranzuziehen und zu bewerten. Es wird gezeigt, inwiefern sie sich nicht dazu eignen, visuelle Daten generell für die Diskursanalyse nutzbar zu machen. Stattdessen wird dafür argumentiert, mit den Begriffen der Diskursanalyse nach Foucault zu arbeiten. Mit ihnen lässt sich die große Menge visueller Daten zum Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst ordnen und analysieren. Bevor es daran geht, das umfassende visuelle Material zu untersuchen, ist es notwendig, in Kapitel 4 die Ursprünge und Quellen des Materials herauszuarbeiten. Die jeweiligen Hintergründe der Werke sind wichtig, weil sie auf gesellschaftliche Prozesse und institutionelle Machtstrukturen in der Kunstszene hindeuten. Da viele Werke von japanischen Künstler*innen stammen und weil sich auch die Werke der internationalen ­Künstler*innen oft auf das japanische Zeitgeschehen beziehen, erfolgt ein Überblick über die zeitgenössische japanische Kunst. Weiterhin wird die Suche nach den gegenwärtigen Fuji-Darstellungen beschrieben und das Resultat der Recherche vorgestellt. Dieses Ergebnis, das

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heißt die ausfindig gemachten Fuji-Darstellungen, fungiert schließlich als Grundlage für die DAV zum Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst. In den Kapiteln 5 und 6 erfolgt die Darstellung der analytischen Arbeit: der Ergebnisse der Diskursanalyse mit visuellen Daten anhand der hier entwickelten Methode. Die Zweiteilung entspricht der groben Struktur des Diskurses als zwei Subdiskurse: In Kapitel 5 geht es um den Subdiskurs Tradition–Moderne und in Kapitel 6 um den Subdiskurs Provokationen. Um die Werke aus dem ersten Subdiskurs einordnen und analysieren zu können, ist es notwendig zu klären, was die Kernbegriffe überhaupt bedeuten: Tradition und Moderne. Dieses Begriffspaar wird sehr häufig im medialen Kontext zum Thema Japan verwendet und deutet einen dichotomen Konflikt innerhalb der japanischen Kultur an: Japan sei das Land, das Tradition und Moderne im Alltag versöhnlich vereint. Zuerst gilt es also, diesen scheinbaren Konflikt zu untersuchen. Dabei wird schnell deutlich, was die wesentlichen Elemente des Subdiskurses sind; und es sind genau die, mit denen auch in anderen Medien als in der Kunst der angenommene Gegensatz z­ wischen Tradition und Moderne dargestellt wird. Die Symboliken des Fuji aus seiner langen Geschichte werden hier wieder aufgegriffen und gestärkt, jedoch auch vorsichtig infrage gestellt. Im sechsten Kapitel zum Subdiskurs Provokationen finden sich vor allem Fuji-Darstellungen, die vom lange etablierten Diskurs abweichen. Zuerst muss die Frage danach beantwortet werden, was der Begriff Provokation im kulturwissenschaftlichen Feld Japan überhaupt bedeutet: Was ist eine Provokation, wie kann ein Kunstwerk provozieren und auf ­welche Weise können Künstler*innen mit ihrer Kunst Tabus brechen? An ­diesem Subdiskurs lässt sich hervorragend zeigen, wie sich der Diskurs seit den letzten Jahren erweitert und verschiebt. Dabei ist die Vielfalt der Abweichungen erstaunlich. Der Fuji wird in ­diesem Subdiskurs mit neuen Bedeutungen aufgeladen und immer wieder werden dabei Verbindungen in die Vergangenheit hergestellt. Im letzten Kapitel werden die beiden Subdiskurse schließlich zusammengeführt und übergreifend analysiert. Abschließend erfolgen eine Bewertung der Methode und ein Ausblick: Wie wird sich der Diskurs weiterentwickeln? Hier muss betont werden, dass ein Diskurs immer im Wandel ist – so auch jener um den Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst.

2 Eine kurze visuelle Kulturgeschichte: Die vielen Symboliken des Fuji On 5 February 1953, commuters passing through the plaza at Tokyo’s Shinbashi Station encountered an unusual sight: a portable shrine […] shaped like Mt. Fuji that had been conveyed on a flatbed truck from Fujiyoshida 冨士吉田, a town in Yamanashi prefecture at the mountain’s northern base […]. A large crowd milled around it as politicians, pundits, and policymakers, speaking from a nearby stage, loudly condemned the ‘privatization’ […] of Fuji, ‘symbol of the Japanese people’ […]. Several months earlier, a committee of bureaucrats, clerics, and academics appointed by the Finance Ministry had determined the peak of Fuji to be the property of a Shinto shrine […] located at the southwestern base of the mountain in Shizuoka prefecture. Protestors argued that the summit should be designated public, state-owned land instead. The committee’s decision and the subsequent protest initiated a battle fought for the next twenty years in the Diet and the courts. (Bernstein 2008: 51 – 52)

Welche Bedeutung hat ein Berg für eine Nation, wenn auf höchster Instanz um ihn gestritten werden muss? In Japan wird der Fuji mit seiner perfekt symmetrischen und von allen Makeln ungebrochenen Silhouette, emporstehend auf der Ebene und ohne Konkurrenz naher Berge, aus einer Vielzahl von Gründen verehrt, bestiegen, vereinnahmt und schließlich instrumentalisiert. Zudem wird er über die Landesgrenzen hinaus in seiner charakteristischen Form erkannt und als das Symbol Japans und der Japaner*innen schlechthin betrachtet. Die Idee Japans und die Silhouette des Fuji scheinen untrennbar miteinander verbunden zu sein (vgl. Earhart 2011: xvii). Über Jahrhunderte hinweg hat der Berg eine ikonische Bedeutung gewonnen (vgl. ebd.), die komplexe Symboliken beinhaltet. Diese bleiben über alle Umbrüche und Kriege hinweg bis heute unbestritten, wurden durch letztere sogar immer wieder verstärkt und werden bis heute stetig erweitert. Diese komplexen Bedeutungen und Symboliken werden auf verschiedene Weisen auch in die gegenwärtige Kunst getragen. Die Forschung zum Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst zeigt bis heute jedoch nur eine große Lücke auf. Seine lange zurückreichende (visuelle) Kulturgeschichte hingegen ist gut erforscht, so dass diese Arbeit auf eine Vielzahl von hervorragenden Publikationen zurückgreifen kann, z. B. Mount Fuji: Icon of Japan von H. Byron Earhart aus dem Jahr 2011, Visions of Fuji: An Incurable Malady of Modern Japan von Kohara Masashi aus demselben Jahr und Hokusai’s Great Wave: Biography of a Global Icon von Christine N. E. Guth von 2015. Dabei ist zu beachten, dass viele wertvolle Hinweise zur Symbolik und Bedeutung des Fuji auch aus Überblickswerken verschiedener Disziplinen stammen. Als Beispiele ­seien hier History of Japanese Art von Penelope Mason aus dem Jahr 2003 und Symbols of Japan von Merrily Baird aus dem Jahr 2001 genannt. Ebenso weitreichend ist der Forschungsstand zum Berg Fuji in der Kunst der Edo-Zeit. Bücher wie Mount Fuji: Sacred Mountain of Japan von Merel Molenaar und

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Chris Uhlenbeck aus dem Jahr 2000 und Aufsätze wie Hokusai and the Blue Revolution in Edo Prints von Henry D. Smith II von 2005 tragen mit umfassenden Erkenntnissen grundlegend zu dieser Arbeit bei. Zu nennen sind auch die hervorragend dokumentierten Sammlungen der Museen, deren Inhalte und assoziierte Publikationen online und in Veröffentlichungen für wissenschaftliche und private Zwecke nutzbar gemacht werden, vor allem das Honolulu Museum of Arts und das Asian Art Museum in San Francisco. Alle diese bilden die notwendige Grundlage zur Interpretation der Fuji-Darstellungen in der zeitgenössischen Kunst. Sie erlauben die Analyse der heutigen Werke im Kontext ihrer eigenen Geschichte: der visuellen Kulturgeschichte des Fuji.

2.1 Die frühen Künste: Der Fuji als Gottheit und Objekt der spirituellen Verehrung Bereits Jahrhunderte bevor der Fuji das erste Mal bildlich dargestellt wurde, befasste man sich mit ihm in literarischer Weise. Blickt man auf die Poesie, die sich auf den Berg bezieht, so wird man bis ins achte Jahrhundert nach Christus zurückgeführt: Hier entstand das Man’yōshū, wörtlich Die Sammlung der zehntausend Blätter. Diese Sammlung von mehr als 4500 Gedichten ist die erste solcher Art in Japan. Die gesammelten Werke gehen bis ins vierte Jahrhundert nach Christus zurück; die meisten stammen aus den Jahren ­zwischen 625 und 750 (vgl. Mason 2003: 46). Wunderbare Landschaften werden in den Gedichten angepriesen und dazu gehören auch Berge – nicht zuletzt der Fuji. Er wird auf verschiedene Weisen beschrieben: als landschaftliches Phänomen, als Objekt der religiösen Verehrung und als Gegenstand persönlicher ästhetischer Verzückung (vgl. Earhart 2011: 9). Earhart zitiert ein Gedicht aus dem Band, welches die Verbindung ­zwischen spiritueller und weltlicher Bedeutung des Fuji widerspiegelt und gleichzeitig das Antlitz des als so schön betrachteten Berges trefflich visualisiert: Since that ancient time when heaven and earth were sundered, like a god soaring in high towering majesty over Suruga has stood Fuji’s lofty peak. ------------------------------At Tago Bay I came out, and looked afar– to see the pure white of Mount Fuji’s lofty peak, amidst a flurry of snow. (Earhart 2011: 9; zitiert nach Carter 1991: 3 – 4)

Die frühen Künste: Der Fuji als Gottheit und Objekt der spirituellen Verehrung  | 17

In der Beschäftigung mit der Poesie zum Fuji werden auch sein Name und darüber ­hinaus seine Schreibweise relevant: In Japanese the word ‘Fuji’ can be written with different characters, or the sound itself can be a play on ‘unparalleled’ or ‘undying’ or ‘unextinguished’; poets made full use of these and other nuances. Even when written with the more commonly used characters, the term fuji could be linked, through its homophones, to ‘not dying’ or ‘eternal,’ and the mountain was remembered especially for its fire (passion) or (unextinguished) smoke: in this manner just to mention ‘Fuji’ in post-Man’yōshū classical poetry was to invoke the imagery and mood of burning passion, unquenched desire. (Earhart 2011: 13)

Die Ursprünge des religiösen Fuji-Kults lassen sich kaum zeitlich eingrenzen. Die sakrosankte Bedeutung des Berges geht viele Jahrtausende zurück und als Gottheit wird er seither verehrt. Interessant ist, dass sich die Identität der Gottheit Fuji laufend änderte. Mal wurde er als Schintokami, das heißt als Gottheit, mal hingegen als buddhistischer Bodhisattwa verehrt (vgl. Earhart 2011: 6). Im Deutschen ist der Fuji durch seinen persönlichen maskulinen Artikel wie auch die grammatikalisch maskuline Einordnung des Begriffs Berg männlich konnotiert. In der japanischen Sprache ist er das nicht. Auch historisch waren seine Gottheiten nicht durchweg maskulin oder feminin, sondern auch nichts dergleichen oder beides gleichzeitig bzw. abwechselnd (vgl. ebd.). Ein Meilenstein in der Geschichte der Verehrung des Fuji als heiliger Berg ist sein verheerender Ausbruch im Jahr 864. Die Regierung ordnete Friedensgebete an den Fuji und das Lesen von Sutras an, so dass bald in der Region um den Fuji Ritualisten und Priester stationiert wurden. Sie sollten den Vulkan beschwichtigen (vgl. ebd.). So hochtrabend die Beschreibungen des Fuji im Man’yōshū noch waren, so zurückhaltend waren die visuellen Darstellungen: Bis ins elfte Jahrhundert hinein lassen sich keine erhaltenen Abbildungen des Fuji finden. Darstellungen auf Papier und Seide wären bis heute sicherlich verfallen. Jedoch würde man, ginge man davon aus, der Fuji sei ein gängiges Motiv gewesen, auch Bildnisse in bzw. aus haltbaren Materialien wie Stein oder Ton erwarten (vgl. Earhart 2011: 15). Insbesondere weil die Heian-Zeit (794 – 1185) für ihren Reichtum in der Entwicklung und Hervorbringung der schönen Künste bekannt ist, diese Zeit deswegen sogar als japanische Klassik bezeichnet wird (vgl. Pohl 2008: 24), ist das Fehlen des Fuji in den Zeugnissen zunächst überraschend. Hierfür lassen sich jedoch zwei wichtige Gründe ausmachen. Ein wohl entscheidender Grund ist, dass die frühesten visuellen Erzeugnisse Japans, nämlich die aus der Nara-Zeit (710 – 794) und schließlich der Heian-Zeit, sehr durch den Buddhismus geprägt und motiviert waren. Malerei hatte religiösen Zwecken zu dienen (vgl. Earhart 2011: 15). Während in der europäischen Kunst religiöse Darstellungen Landschaften im Hintergrund enthielten (vgl. Büttner 2006: 33 – 34), wurden diese in der japanischen Kunst selbst dort vermieden (vgl. Earhart 2011: 15). Vielleicht ist es aber auch gerade die falsche Herangehensweise, den Fuji im Kontext buddhistischer Darstellungen nur als Landschaftselement zu kategorisieren. Dies führt zum zweiten Grund für das Fehlen des Fuji in den frühen

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Darstellungen: Insbesondere die Abbildung des Fuji könnte in der buddhistisch geprägten Kunst vermieden worden sein, weil er so unfassbar strahlend in seiner Wirkung und Bedeutungsmacht ist, dass er vom eigentlichen religiösen Inhalt des Bildwerks ablenken würde (vgl. Earhart 2011: 15). Für die Beförderung des Status des Fuji als heiliger Berg (vgl. Baird 2001: 33) über Jahrhunderte hinweg ist vor allem die religiöse Gruppe Shugendō verantwortlich. Sie trat in Japan seit dem 12. Jahrhundert zunehmend auf den Plan. Diese Gruppe konzentrierte sich mit ihrem Bergkult aber nicht nur auf den Fuji, sondern auf alle Berge. Zu jener Zeit galt der Fuji immerhin noch nicht als der bedeutendste Berg Japans. Das Besteigen der Berge, also auch des höchsten Berges des Landes, des Fuji, ist eng mit der Ankunft des Buddhismus in Japan verbunden. Auch finden sich taoistische und schintoistische Elemente in dieser religiösen Lehre wieder (vgl. Scoble 2015: 13). Im 15. Jahrhundert formierte sich dann die Gruppe Fujikō, deren Anhänger das Besteigen des Fuji als eine rituelle Praxis etablierten. Im frühen 17. Jahrhundert formalisierte sich diese Praxis (vgl. Scoble 2015: 13). Der Fuji wurde durch die Fujikō damit vom Ort individueller Askese zunehmend zu einem Ort ritueller Gruppenpraxis (vgl. Earhart 2011: 22). […] ‘Mountain entry’ within Shugendō was a highly defined group activity. Generally the purpose of mountain entry is to leave the ordinary world, purify and transform oneself through contact with the sacred mountain, perform ascetic and devotional practices, and then return to the ordinary world in a renewed and empowered state. (Earhart 2011: 29 – 30)

Schon recht früh, seit der Kamakura-Zeit (1185 – 1333), wurden Fuji-Mandalas kreiert, die sich mit der Pilgerreise zum heiligen Berg auseinandersetzten (vgl. Earhart 2011: 35). Sehr aufschlussreich sind die Darstellungen des Fuji als kosmische Größe in den Minuki: Das sind illustrierte Diagramme, die den Berg mitsamt kosmischen Elementen zeigen, zudem in Verbindung mit kryptischen religiösen Versen und schließlich verschriftlicht durch kryptische sino-japanische Schriftzeichen (vgl. Earhart 2011: 40). Diese Diagramme auf Rollen, ­welche auch Objekte der Verehrung waren und somit angebetet wurden, hatten einen standardisierten Aufbau (vgl. ebd.). Das hier abgebildete Tokugawa-Minuki (Abb. 1) entspricht ­diesem genau: Der Umriss des Berges wird gekrönt durch das als drei Kreise dargestellte himmlische Dreigestirn aus Sonne, Mond und Sternen. Letztere repräsentieren hier das Universum (vgl. Earhart 2011: 43). Bevor sich die Linien, w ­ elche die Außenkanten des Berges markieren, treffen, entfernen sie sich wieder voneinander und weichen nach innen (vgl. ebd). Earhart fasst mit der Bedeutung der Minuki auch gleichzeitig zusammen, ­welche kosmische Bedeutung der Berg Fuji über die Jahrhunderte hinweg bis zur MeijiRestauration entwickelt hat und seitdem mit sich führt: „There are many ‚meanings‘ of such a diagram, but these minuki emphasize the mountain spirit as the source of the universe and all creation. Although the details of the many minuki are obscure, the overall framework is consistent.“ (Earhart 2011: 45; Hervorhebungen im Original) Die früheste erhaltene Abbildung des Fuji ist sogar noch einige Jahre vor den ersten Minuki datiert. Es handelt sich um Hata no Chiteis illustrierte Bildrolle (emaki) Shōtoku

Die frühen Künste: Der Fuji als Gottheit und Objekt der spirituellen Verehrung  | 19

Abb. 1 Kakugyō, o. T. Datierung, Material und Größe unbekannt.

Taishi eden (deutsch: Visuelle Biografie des Prinzen Shōtoku) aus dem Jahr 1069. Der Prinz Shōtoku lebte im sechsten bis siebten Jahrhundert. Der Fuji nimmt in dieser Bildrolle eine untergeordnete Rolle ein: Er ist nur sehr klein in der oberen rechten Ecke des Bildes abgebildet. Denn: Der Fokus des Bildes liegt weder auf dem Berg noch auf den anderen dargestellten landschaftlichen und architektonischen Elementen oder den anderen Personen. Es geht um das Leben des Prinzen. Der Berg ist hier nur insofern bedeutsam, als eine Geschichte davon erzählt wird, wie der Prinz sich auf die Suche nach einem hervorragenden Pferd begibt. Er findet ­dieses und es übertrifft alle Erwartungen: Selbst die Spitze des Fuji vermag der Prinz nun mit ­diesem Pferd zu überfliegen (vgl. Earhart 2011: 16). Die Imposanz und die Bedeutung des Berges sind hier also nicht Selbstzweck. Das Ansehen des Berges soll die Bedeutung und die Macht des Prinzen stärken, indem er den heiligen Berg noch übertrifft (vgl. ebd.). Neben der geringen Größe des Fuji in dem Bild ist bemerkenswert, dass er für heutige Betrachter*innen in seiner Formgebung kaum zu erkennen ist. Im Bild ist er sehr steil und hat gleich mehrere Spitzen. Tatsächlich hat die Form des Fuji in visuellen Darstellungen bis heute eine Evolution durchlaufen, die hier vereinfacht in drei Schritten aufgezeigt werden soll. Gerade die frühen Darstellungen zeigen den Fuji mit drei Spitzen und so steil, wie es auf das eben beschriebene Bild zutrifft. Diese Darstellungsweise dauerte zunächst über die Kamakura-Zeit (1185 – 1333) an. Dann, bis hinein in die Muromachi-Zeit (1336 – 1573),

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stellte man den Fuji weniger steil dar, während die drei Spitzen zunächst etabliert blieben (vgl. Earhart 2011: 17). Immer wieder wurde der Fuji zudem mit mehreren Ebenen dargestellt (vgl. ebd.). Erst in der Edo-Zeit (1603 – 1868) gelangte er in den Abbildungen zu seiner naturalistischen Darstellung, die fortan zur Regel wurde. Für die nicht-naturalistische Darstellung des Fuji bis zur Edo-Zeit gibt es mehrere Ursachen. Als ein wesentlicher Grund für die drei Spitzen wird die Bedeutung der Zahl Drei im Buddhismus herangezogen: It may also have to do with prevalent esoteric Buddhist ideas, which suggest that the three peaks represent the three forces of nature (sankyoku: heaven, earth and man), the three states of existence (sanze: past, present and future) and the sangoku (Three (sic!) countries: India, China and Japan). (Molenaar und Uhlenbeck 2000: 15; Hervorhebungen im Original)

Die mehreren Ebenen des Berges könnten auch die taoistische Idee widerspiegeln, nach der ein spiritueller Aufstieg erfolgen kann. Ihr Ursprung liegt in China. Die idealisierte Darstellung des Berges in der chinesischen Kunst jener Jahrhunderte mag demnach einen großen Einfluss auf die ersten Darstellungen des Fuji mit drei Ebenen gehabt haben (vgl. Earhart 2011: 17). Es kommt hinzu, dass ein deutliches Reiseaufkommen in Japan erst mit dem Verlegen des Regierungssitzes nach Kamakura in der gleichnamigen Epoche zu erkennen ist. Für die Fuji-Darstellungen vorher bedeutet das, dass sie weitestgehend von Personen stammen müssen, die den Berg nicht selbst gesehen haben. Sie kannten ihn nur aus Erzählungen, z. B. aus der Literatur oder aus der Poesie (vgl. Earhart 2011: 18), oder kopierten von anderen Darstellungen. Mit der zunehmenden Reisetätigkeit wurde die Darstellung des Fuji somit immer naturalistischer. Gleichzeitig nahmen Landschaftsdarstellungen zu, wenngleich diese weiterhin nur dazu dienten, den Hintergrund religiöser, historischer, narrativer oder literarischer Begebenheiten zu staffieren. In d ­ iesem Verlauf wurde das Bildwerk in Japan generell komplexer und erzählte immer umfassendere Geschichten. Schließlich wurden Schlachtfelder, heilige Berge, Schreine und viele andere Orte dargestellt, die als Schauplätze dienten, wie auch bereits am Beispiel des Prinzen Shōtoku beschrieben, der den Berg Fuji überfliegt. Landschaftsdarstellungen wurden hierdurch weiter gestärkt (vgl. Earhart 2011: 19). Der Berg Fuji gelangte während der Muromachi-Zeit, wie bereits oben beschrieben, insbesondere durch die Minuki der Fujikō ins Zentrum einiger Bildwerke. Zunächst wurde der heilige Berg also nur in religiösen Bildern für die Hauptrolle zugelassen. In der Edo-Zeit änderte sich das und der Fuji wurde immer öfter im Vordergrund auch solcher Bilder sichtbar, die nicht religiösen Zwecken oder der Darstellung und Verherrlichung anderer Geschichten und Personen dienten. Bis dahin symbolisierte der Fuji jedoch den perfekten natürlichen Ort für spirituelle Kontemplation: Er war der heilige Berg. Die Künste haben erheblich zur Festigung dieser Attribuierung beigetragen; bis heute haftet sie dem Fuji an und prägt seine komplexen Symboliken mit (vgl. Baird 2001: 33).

Fujizuka und Badehäuser: Der Fuji als Naherholungsort für alle  | 21

2.2 Fujizuka und Badehäuser: Der Fuji als Naherholungsort für alle Die Minuki waren zusammen mit den Fujizuka bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die am meisten verbreiteten Darstellungen des Fuji. Fujizuka sind gartenlandschaft­ liche Imitate des Berges, die zuerst der religiösen Praxis dienten und es schließlich allen Menschen ermöglichten, den Fuji in einer offiziellen Repräsentation 1 zu besuchen und zu erklimmen (vgl. Scoble 2015: 8 – 9). Die Reise zum und auf den Fuji war schließlich meist zu beschwerlich und mit Restriktionen verbunden, die im Verlauf des Kapitels noch beschrieben werden. Zunächst mag die Tatsache, dass diese Fuji-Repliken errichtet wurden, einen banalen Hintergrund vermuten lassen. Diese kleinen und augenscheinlich unscheinbaren Hügel stellten jedoch einen wichtigen Verweis auf eine grundlegende Bedeutungsebene des Fuji dar, die seine Autorität historisch prägt und zugleich für viele andere seiner Bedeutungskontexte herangezogen werden kann: Diese Fujizuka wurden in der Region Edos als Repräsentationen des heiligen Berges Fuji etabliert, wie er in verschiedenen religiösen und spirituellen Gemeinschaften, vor allem in und um Edo, verehrt wurde (vgl. Scoble 2015: 8). Inklusive der ca. 60 Fujikuza in Edo wurden insgesamt 200 in der Region errichtet. Der erste Fujizuka wurde 1765 durch Mitglieder der religiösen Gruppe Fujikō initiiert und im Jahr 1779 fand die feierliche Eröffnung statt (vgl. Earhart 2011: 94 – 95). Hauptsächlich verantwortlich war der Landschaftsgärtner Takada Fujishirō, der es sich zum Ziel machte, so viel des wahren Fuji wie möglich in seiner gärtnerischen Repräsentation zu vermitteln (vgl. ebd.). Als jemand, der den Fuji selbst gesehen und bestiegen hatte, wollte er diese eigene Erfahrung auch auf bescheidene Art und Weise den Fujizuka-Besucher*innen ermöglichen, die wahrscheinlich nicht die Möglichkeit hatten, den Fuji zu erklimmen. Beispielsweise durften Frauen den heiligen Berg bis 1872 überhaupt nicht besteigen (vgl. Miyazaki 2005: 339). Es ging Takada also nicht um eine abstrakte oder künstlerische ästhetische Erfahrung, die er mit dem Werk ermöglichen wollte. Die authentische FujiErfahrung war sein Ziel.2 Es ist zu erwarten, dass das Erklimmen eines kleinen Hügels innerhalb weniger Minuten keine Erfahrung liefern kann, die der Besteigung des Fuji auch nur im Ansatz ähnelt. Dennoch waren die Fujizuka sehr beliebt. Das bestätigt auch 1

Mitchell beschreibt Repräsentationsformen als Beziehungsdreiecke: „Repräsentation ist stets eine von etwas oder jemandem, durch etwas oder jemanden und für jemanden“ (Mitchell 2008: 79; Hervorhebungen im Original). Unter ­welchen Bedingungen und ob eine Repräsentation gelingt, hängt u. a. von der semiotischen Beziehung ab (vgl. Mitchell 2008: 83). 2 Angemerkt sei an dieser Stelle, dass dieser Begriff der authentischen Erfahrung mehrere Probleme birgt. Zum einen ist der Begriff der Authentizität schwer greifbar und es ist schwierig, überhaupt festzumachen, worauf sich etwas Repräsentiertes beziehen soll, damit es das Authentische authentisch wiedergibt. In zweiter Instanz ist zu fragen, wer die Kompetenz hat, zu beurteilen, ob etwas authentisch ist. Nicht zuletzt stellt sich die Frage danach, welcher Authentizitätsbegriff überhaupt verwendet wird, da er gleichermaßen „empirische, interpretative, evaluative und normative Elemente“ (Knaller und Müller 2006: 8) enthalten kann.

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ihre Verbreitung. Selbst wenn den Besucher*innen die Unzulänglichkeiten der Fujizuka, verglichen mit dem Original, bewusst gewesen sein müssen, so fungierten sie doch als Sehnsuchtsorte. Um eine möglichst authentische Erfahrung ermöglichen zu können, war es Tanaka wichtig, auch den Naturaspekt des Fuji als Berg miteinzubeziehen. Das ist wörtlich zu nehmen, denn er ließ ein Stück Lavagestein des Fuji verwenden (vgl. Earhart 2011: 95). Mit seiner Konstruktions- und Arbeitsweise setzte er auch Maßstäbe für die nachfolgenden Fujizuka, für die die Praxis, Teile des echten Fuji mit zu verbauen, weitest­ gehend beibehalten wurde. Durch ihre weite lokale Verbreitung stärkten Fujizuka die ikonische Bekanntheit des Berges in der Region Edo und darüber hinaus. So wie die Beliebtheit der Minuki wuchs, breitete sich auch der Fuji-Kult bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein immer weiter aus. Während zu frühen Shugendō-Zeiten nur Vollzeit-Asketen den Berg besteigen durften (vgl. Earhart 2014: 124), erstrebten dann immer mehr Menschen mit diversen, nicht immer religiösen Hintergründen das Erklimmen des Fuji. Auch die anstrengende und lange Reise zum Fuji und die eingeschränkte Saison von Juli bis August hinderten viele Menschen daran, ihr Ziel zu erreichen. Die Gestaltung der vielen Fujizuka, die seit dem 18. Jahrhundert die Region um Edo schmückten, ist für diese Heranführung nur eine, wenn auch sehr bedeutende, Konsequenz. Diese verschiedenartigen Fuji-Miniaturen, mal als Ansammlungen von Steinen und mal als grasbewachsene Erdhügel, durften fortan von jeder interessierten Person bestiegen werden. Zunehmend wurde auch das nicht-­ sakrale Vergnügen, das diese Miniatur-Fujis anzubieten hatten, in der Planung der neu zu errichtenden Exemplare berücksichtigt. So zeigt das Bild Meguro Shin-Fuji (Abb. 2) von Hiroshige aus dem Jahr 1857 eine Miniatur, die nicht ausschließlich mit der Intention einer Pilgerstätte eröffnet wurde (vgl. Honolulu Museum of Arts: Online-Bilddokumentation auf der offiziellen Website des Museums, o. D.). Das Bild zeigt im Hochformat eine weite Landschaft, die sich den Betrachter*innen bis zum Horizont in einladende Wald- und Wasserlandschaften auffächert. Im oberen rechten Drittel tut sich zaghaft der Berg Fuji empor, umspielt von grauen Wolkenbergen an seinem Fuß. Recht winzig steht er unscheinbar vor dem roten Horizont und drückt durch eine einfache graue Struktur in der weißen Trapez-Fläche nur sehr schüchtern räumliche Präsenz in der dargestellten Landschaft aus. Sehr präsent hingegen ist im linken Vordergrund des Drucks ein grüner Hügel dargestellt, der von einigen Personen entlang eines zart angedeuteten Zick-Zack-Weges sogar bestiegen wird. Er lässt sich als Fujizuka interpretieren. Dieser Fujizuka erhebt sich hinter einigen Kirschbäumen, die in intensivem Rosa den erstrahlenden Frühling anzeigen, gesäumt von einem reinen, blauen Fluss. Hier scheinen sich einige Familien die Zeit entspannt zu vertreiben: Die Frauen unterhalten sich miteinander und mit einem Kind wird gespielt. Auf dem flachen Gipfel des Fujizuka finden sich drei Personen, ­welche nur wenig kleiner dargestellt sind als die Personen im perspektivisch vorderen Teil am unteren Bildrand. Dieser Hügel scheint demnach nicht besonders hoch zu sein, während er dem Fuji im Hintergrund des Bildes doch gerade dadurch, dass er fast die Hälfte der Bildfläche einnimmt, große Konkurrenz zu machen scheint. Auch lässt sich nicht übersehen, dass der echte Fuji im Hintergrund über die Weite der Landschaft hinweg in dem Hügel im

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Abb. 2 Hiroshige, Meguro Shin-Fuji. Farbholzschnitt, 1857, 39 × 26 cm. Boston, Museum of Fine Arts.

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Vordergrund abgebildet wird. In derselben Form, als Trapez, findet der ehrwürdige Berg sein visuelles Echo in ­diesem schönen Garten, umsäumt von Fluss und Kirschbäumen und schließlich im Fujizuka. Das Bild zeigt eindrucksvoll, dass auch die zweite Planungsmotivation befriedigt werden konnte: einen Ort des Freizeitvergnügens und der Rekreation zu schaffen. Mit dem zunehmenden Interesse nicht religiös motivierter Besucher*innen an den Fujizuka und ihrer steigenden Zahl geht eine gravierende Veränderung der Fuji-Erfahrung einher: Die Wahrnehmung einer Vielzahl von Menschen verschiebt sich von dem erhabenen, heiligen Unikat hin zum symbolischen Berg, der zu den Menschen kommt (vgl. Earhart 2011: 94). Die Verbreitung der Fuji-Miniaturen hatte zuerst den Zweck, religiösen und spirituellen Ritualen mehr Raum und Flexibilität zu geben, folglich sie zu stärken. Fast unbemerkt ging damit eine signifikante Säkularisierung des heiligen Berges einher (vgl. Earhart 2011: ebd.). Der Fuji war nun für alle da. Und spätestens im Jahr 1887, als ein 33 Meter hoher Fuji im vergnügungsträchtigen Asakusa errichtet wurde, hatte der Berg offensichtlich die Welt der Unterhaltung erreicht (vgl. Salter 2006: 69). Fortan wurde der Fuji nicht mehr nur als heiliger Berg verehrt, sondern symbolisierte in Form der Fujizuka auch Naherholung, Ruhe und Freizeit. Der Fuji als Symbol für Freizeit und Erholung wurde gleichzeitig durch die lange Geschichte der Sentōs, der öffentlichen japanischen Badehäuser, gestärkt. Seit wann sie etabliert und genutzt wurden, ist nicht genau bekannt. Einige Schätzungen reichen aber bis ins elfte Jahrhundert zurück (vgl. Clark 1994: 25). Während der Moderne erlebte das öffentliche Baden einen großen Aufschwung und die Badetätigkeit wurde zunehmend kultureller Bestandteil des japanischen Alltags. Das Baden diente in erster Linie der Entspannung und nicht der Hygiene (vgl. Clark 1994: 42). Interessant für diese Abhandlung ist, dass von einem Sentō die Malerei einer Landschaft im Badebereich erwartet wurde. Der Fuji war das beliebteste Motiv (vgl. Clark 1994: 48); er wurde klassisch in eine schöne und Ruhe ausstrahlende Landschaft eingebettet. Aufgrund des sinkenden Interesses am gemeinsamen Baden müssen heute immer mehr Badehäuser schließen. So gibt es auch immer weniger Maler*innen, ­welche die SentōLandschaften malen können. Davon gibt es laut dem Online-Magazin Spoon and Tamago heute in ganz Japan nicht mehr als drei (vgl. Spoon and Tamago 2: Online-Magazin, 2017). Heute wird der Sentō-Fuji nur noch von sehr wenigen Menschen, zuvorderst der älteren Generation, rezipiert. Aufgrund der langen Geschichte des Fuji in den Badehäusern lässt sich dennoch erwarten, dass die regelmäßige Konfrontation mit dem schönen Antlitz des heiligen Berges in den Sentōs in ganz Japan ihren Eindruck hinterlassen hat. Es ist anzunehmen, dass die Anwesenheit des Fuji in den öffentlichen Badehäusern über die Jahrhunderte hinweg mit dazu beigetragen hat, ihn nicht nur als nationales Symbol zu stärken, sondern ihn im Kontext der Badetätigkeit auch mit der Bedeutung des Ruhepols als Ort der freizeitlichen Entspannung aufzuladen.

Das Wahrzeichen der erstarkenden Hauptstadt Edo | 25

2.3 Das Wahrzeichen der erstarkenden Hauptstadt Edo: Der Fuji als regionales politisches Symbol Aus touristischer Sicht ist die Lage des Fuji innerhalb Japans zunächst einmal eines: sehr praktisch. Zentral auf der Insel Honshū befindet sich der Berg etwa 100 Kilometer südwestlich von Tokio an der Grenze ­zwischen den Präfekturen Yamanashi und Shizuoka. Die heutige Popularität des Berges ist auch auf seine Lage zurückzuführen, die in den vergangenen Jahrhunderten zunehmend dazu beitrug, dass er gesehen wurde: Er ist von mehreren Stationen der alten Haupthandelsstraße Tōkaidō aus sichtbar (vgl. Traganou 2004: 1). Auf den 500 Kilometern ­zwischen Kyoto und Tokio, damals Edo, lässt sich der Fuji mal nah, mal fern und in den verschiedensten landschaftlichen und städtischen Einbettungen wahrnehmen. Hierzu hatten die Reisenden ausgesprochen viel Zeit, denn bis zur Eröffnung der Route als Eisenbahnstrecke 1889 bedeutete die Tōkaidō-Route zumeist einen ausgeprägten Fußmarsch (vgl. ebd.). Obgleich die Route schon seit vielen Jahrhunderten Bestand hatte, wurde sie erst unter Tokugawa Ieyasu im Jahr 1601 durch das Einrichten von 53 Stationen entlang der Strecke etabliert (vgl. Molenaar und Uhlenbeck 2000: 24). Neben den landschaftlichen Gegebenheiten in Form von Flüssen und Bergen waren für den genauen Verlauf vor allem politische und taktische Erwägungen nach den Ausrichtungen des Shogunats ausschlaggebend (vgl. Traganou 2004: 11). Während Edo weiter erstarkte und erblühte und immer mehr Menschen ­zwischen den Städten reisten, wurde der Berg fast unbemerkt zum Wahrzeichen Edos. Gleichzeitig – aufgrund der großen kulturellen und spirituellen Bedeutung, die der Fuji bereits mitbrachte – legitimierte er förmlich die neue Hauptstadt im Osten (vgl. Scoble 2015: 56). In seinem Buch Tokyo: A Spatial Anthropology führt der Autor Hidenobu Jinnai eine in ­diesem Kontext interessante Hypothese des Historikers Kirishiki Shinjirō an. Danach spielte der Berg Fuji auch in der Stadtplanung eine Rolle. Emily Scoble fasst die These zusammen: […] that shitamachi, the downtown area or ‘low city’, and the Nihonbashi Honchō area were designed in relation Mount Fuji (sic!), an argument that may extend to the ‘high city’ as well. Shinjirō reconstructed old maps of the Nihonbashi Honchō area of the city and found that it was divided into sections so that it perfectly aligned with a view of Mount Fuji. An aerial view of the city suggests that Edo was built in relation to the mountain and its slopes. In this way, Mount Fuji became a frequent view for many inhabitants. (Scoble 2015: 58)

Dafür spricht, dass die Namen vieler Stadtteile im heutigen Tokio Referenzen auf die Sichtbarkeit des Fuji enthalten. Zum Beispiel bedeutet Fujimichō übersetzt so viel wie Ort, von dem man den Fuji sehen kann. Und über die Jahrhunderte bis heute werden in Tokio regelmäßig Beschwerden geäußert, wenn im Zuge fortschreitender Bebauung mal wieder für den einen oder die andere der Blick auf den Fuji endgültig verstellt wird (vgl. Molenaar und Uhlenbeck 2000: 22). Auch die bedeutende Nihonbashi-Brücke sieht heute nicht mehr so aus wie vor 400 Jahren und hat sich im Zuge der Stadtentwicklung an die

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Abb. 3 Hokusai, Nihonbashi bridge in Edo. Farbholzschnitt, ca. 1830 – 1832, 25,4 × 36,8 cm. Boston, Museum of Fine Arts.

heutigen Bedürfnisse des Stadtverkehrs anpassen müssen. Damals spielte sie als Startpunkt der Tōkaidō-Route im Zentrum Edos eine bedeutsame Rolle. Schließlich konnte man von ihr aus auf der einen Seite den Eingang zur Burg Edō-jō, Sitz der Regierung, sehen. Außerdem, vielleicht noch wichtiger, sah man in der Ferne auch den Fuji (vgl. Scoble 2015: 58). In seinem Holzschnitt Nihonbashi bridge in Edo (Abb. 3) zeigt Hokusai genau diese beiden Fixierpunkte der Bewohner*innen Edos in einem Bild. Während letztere an der unteren Bildkante in einem gedrungenen und trubeligen Stadtleben versunken scheinen, so vermittelt im linken oberen Bildviertel das Schloss mitsamt Fuji den erhabenen Eindruck von Ruhe, Anmut und Stärke. Das Bild illustriert, wie Edo zu jener Zeit ein Wahrzeichen gewonnen hat, während der Fuji im gleichen Zug als politisches Symbol der Hauptstadt regional legitimiert wurde.

2.4 Meiji-Restauration und Ukiyo-e: Der Fuji wird nationales Symbol Japans In jener Zeit fand der Fuji auch in der Kunst immer größere Bedeutung: Bilder sollten nun in erster Linie ästhetischen Zwecken dienen. Die ersten reinen Landschaftsdarstellungen erreichten den Kunstmarkt in den späten 1740er Jahren (vgl. Molenaar und Uhlenbeck 2000: 16). Gleichzeitig dominierte das Genre der Ukiyo-e, übersetzt als Bilder

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Abb. 4 Isoda Koryūsai, Couple Making Love. Farbholzschnitt, ca. 1770er Jahre, 18,7 × 24,9 cm. Fine Arts Museums of San Francisco.

der fließenden Welt, den Kunstmarkt Japans. Ursprünglich meinte der Begriff Ukiyo die buddhistische Idee der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit unserer Lebenswelt. Im späten 17. Jahrhundert wurde er auch für weltliche Kontexte übernommen (vgl. Bichler und Trede 2010: 7). Mit dem e für Bild wurden Ukiyo-e also die Bilder der fließenden Welt, die vor allem Krieger, Kabuki-Schauspieler und Kurtisanen, auch in erotischen Situationen (Shunga), zeigten. In Isoda Koryūsais Couple Making Love (zwischen 1770 und 1780), wie in vielen anderen Shunga, wurde der Fuji zunächst als stiller Beobachter im Hintergrund dargestellt (Abb. 4). Ab 1765 entwickelte sich das Verfahren des Holzdrucks, welches bis zum Ende des 18. Jahrhunderts seine Perfektion erreichte (vgl. ­Woodson 1998: 32). In denselben Dekaden wurde auch der Weg für Landschaftsdarstellungen weiter geebnet. Das hat mehrere Gründe. Zunächst wurden nach über 200 Jahren die Restriktionen für Reisen durch das Land weiter gelockert, so dass auch gewöhnliche Menschen ohne große Mittel das Land bereisen konnten. Dadurch war das Interesse an Landschaftsdarstellungen stark angestiegen und die Verleger*innen erwarteten von den Holzschnitt-Künstler*innen Landschaften. Diese bekamen sie (vgl. Bouquillard 2007: 6 – 7). Gleichzeitig wurde die Zensur der verlockenden Darstellungen des vergnüglichen Lebens immer weiter verschärft, z. B. wurden erotische Bilder verboten und auch die Porträts von Kurtisanen mussten fortan ganz bestimmten Kriterien entsprechen (vgl. Bouquillard 2007: 6). Der Reiz der Produktion dieser Darstellungen ging verloren, da sie nicht mehr lukrativ waren. So mussten sich die Künstler*innen andere Motive suchen. In dieser fruchtbaren Zeit, als der Holzschnitt seine Perfektion erreichte und Landschaftsdarstellungen recht plötzlich sehr gefragt waren, waren zwei Holzschnittmeister bereits lange etabliert. Sie lieferten die Landschaften mitsamt Fuji, die wir bis heute kennen: Hokusai und Hiroshige. Menschen auf der ganzen Welt kommen beim Gedanken an den Berg Fuji in der Kunst zuerst auf die japanischen Holzschnitte, die den Berg mal im Hintergrund und auch ab und an ganz prominent als Hauptsujet zeigen. Seit etwa 1765,

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Abb. 5 Hokusai, The Great Wave off Kanagawa. Farbholzschnitt, um 1830, 25,7 × 37,9 cm. New York: The Metropolitan Museum of Art.

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als der Vielfarbendruck erfunden wurde, wurden zunehmend Bilder des Fuji produziert, die nach und nach den japanischen und schließlich internationalen Markt erreichten (vgl. Molenaar und Uhlenbeck 2000: 16). Hokusai, 1760 geboren, war in jener Zeit schon fast 70 Jahre alt und stand im Zenit seines Schaffens (vgl. ebd.). Mit 69 Jahren begann er seine legendäre Serie 36 Ansichten des Berges Fuji, die bereits 1829 in Produktion ging. Die Serie wurde auf 36 Bilder angesetzt, da serielle Produktionen damals üblicherweise eine Variation von 36 Stück aufwiesen (vgl. ebd.). Tatsächlich aber wurden im Verlauf des großen Erfolges der Reihe noch zehn weitere Blätter hinzugefügt. Zu den 36 Vorderansichten gesellten sich schließlich zehn Rückansichten des Fuji. Somit ergibt die Reihe einen Blick auf den Berg aus allen Perspektiven, zu allen Jahreszeiten und Tageszeiten, inszeniert durch verschiedenste Tätigkeiten der Bewohner*innen Edos und mal gänzlich für sich allein stehend. Hokusai hat hiermit nicht nur den Fuji in seiner Ganzheit dargestellt, sondern auch alle Aspekte des japanischen Lebens abgebildet (vgl. Davidson 1993: 1). Es sind jedoch die ersten drei Motive der Reihe, die als Hokusais Meisterwerke gelten. Bis heute haben sie als die bekanntesten japanischen Bilder aller Zeiten selbst ikonische Bedeutung gewonnen (vgl. Bouquillard 2007: 11). Es handelt sich um die Werke, die bekannt sind unter den Titeln Die Große Welle von Kanagawa (Abb. 5), Klare Morgendämmerung bei Südwind (Abb. 6), auch bekannt als Roter Fuji, und Gewitter unterhalb des Gipfels (Abb. 7). Insbesondere die letzteren beiden fallen durch eine besondere Imposanz des Fuji auf, wie er majestätisch und erhaben im Vordergrund prangt, ohne Menschen im Bild. Es ist auffällig, dass sich diese zwei Bilder im Aufbau ausgesprochen ähnlich sind. In beiden baut sich der Fuji in der rechten Hälfte des Vordergrundes steil zum oberen Bildrand hin auf, während sich im Hintergrund Wolken auftürmen. Dennoch ist die Wirkung der beiden Holzschnitte sehr unterschiedlich. Der rote Fuji (Abb. 6), wie der Name schon sagt, ist in zarten rötlichen Erdfarben abgetönt, dort, wo die Sonne seinen oberen Teil erreicht. Der untere Part deutet durch ein kaltes Grün einerseits eine üppige Vegetation an, mag aber durch einen weißen Reif, der beide Farben voneinander trennt, auch als schattige Region interpretiert werden, die von der Sonne noch nicht erwärmt wird. Im Hintergrund türmen sich vor einem ungebrochenen Blau die Schäfchenwolken auf. Dadurch wird die ruhige und erhabene Präsenz des Fuji noch unterstützt. Solch eine Harmonie weist das dritte Blatt der Reihe (Abb. 7) keineswegs auf. Die zwei unteren Drittel des Berges sind in ein dunkles Rot-Schwarz getaucht, das im unteren rechten Viertel nur kontrastiv durch ein Geflecht roter Strichflächen gebrochen wird. Dieses darf angesichts des Titels als Blitze interpretiert werden. Im Hintergrund des Fuji deuten sich weiße Wolken vor strahlendem Himmel an und lindern die unbehagliche Stimmung, die der imposante Berg im Vordergrund erzeugt. Der Himmel deutet die Hoffnung auf eine bessere Zeit an. So dominant der Fuji in den beiden beschriebenen Bildern ist, so klein wird er im ersten Blatt der Reihe (Abb. 5) dargestellt. Im wohl bekanntesten japanischen Holzschnitt weltweit (vgl. Guth 2015: 1 – 2) nimmt der Fuji eine vermeintlich untergeordnete Rolle ein. Die große Welle, die sich bedrohlich in der linken Bildhälfte auftürmt, droht den Fuji jeden Moment zu überrollen. Während er nicht in realer Gefahr

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Abb. 6 Hokusai, Fine Wind, Clear Morning (Red Fuji). Farbholzschnitt, ca. 1830, 25,7 × 38 cm. London, The British Museum.

Abb. 7 Hokusai, Thunderstorm Beneath the Summit. Farbholzschnitt, ca. 1830, 24,1 × 63,5 cm. Honolulu, Honolulu Museum of Art.

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ist, so sind es die Insass*innen der drei Boote im Vordergrund sehr wohl. Der Gefahr sind sie sich offensichtlich bewusst, denn sie ducken sich weg und kauern sich am jeweiligen Ende des Bootes zusammen. Dient der heilige Berg hier als letzte Instanz der Hoffnung zur Rettung, wie er eisern am Horizont verharrt und des Geschehens Zeuge wird? Oder ist das Bild eher als eine Herausforderung an den doch eigentlich unsterblichen Berg zu verstehen (vgl. Guth 2015: 2)? Diese Uneindeutigkeit, zusammen mit der ewigen mythologischen Frage nach dem Kreislauf von Zerstörung durch die Natur und Wiederaufbau, die das Bild stellt, macht es zum am meisten reproduzierten nicht-westlichen Kunstwerk (vgl. Guth 2015: 1). Nach dem großen Erfolg dieser Reihe begann Hokusai die Arbeit an seinem Buch Hundert Ansichten des Berges Fuji und brachte auf diese Weise viele weitere Abbildungen des Fuji in Umlauf. Auf den nun fahrenden Zug sprang Hiroshige, ein Zeitgenosse Hokusais, auf. Er lebte etwas ­später, von 1797 bis 1858. Zunächst erlangte der Holzschnittkünstler zu jener Zeit, als Hokusai seine 36 Ansichten des Fuji herausbrachte, Ansehen durch seine Reihe Die 53 Stationen des Tōkaidō. Der Fuji steht dort zwar nicht im Mittelpunkt, ist aber in einigen Bildern enthalten. Etwa zwanzig Jahre nach Hokusais Erfolg brachte Hiroshige dann recht zügig aufeinanderfolgend zwei Reihen namens 36 Ansichten des Berges Fuji heraus, 1852 und 1858. Als Hiroshiges eigentliches Meisterwerk wird aber seine Reihe 100 berühmte Ansichten von Edo verehrt, der nicht genau 100 Blätter zugehörig sind, sondern 118 (vgl. Molenaar und Uhlenbeck 2000: 22). Neunzehn Ansichten daraus präsentieren den Fuji entweder als Motiv im Hintergrund oder als zentrales Element, das die Komposition dominiert (vgl. ebd.). Zwölf von diesen neunzehn Blättern zeigen den Fuji von bedeutsamen Punkten Edos aus betrachtet und stilisieren ihn so zum zentralen Moment der Edo-Erfahrung hoch. Diese Bilder lassen sich auch mit der These übereinbringen, dass die Stadtplanung die Möglichkeiten zur Fuji-Betrachtung miteinbezog. Mindestens zehn Stellen in der Stadt scheinen explizit der Fuji-Betrachtung gewidmet zu sein (vgl. ebd.). So zeigt auch das erste Blatt der Serie, Nihonbashi im Schnee bei klarem Wetter (Abb. 8), den Fuji. Hiroshiges Bild enthält ähnliche Momente wie Hokusais Ansicht der Brücke, die bereits in Kapitel 2.3 beschrieben wurde. Auch Hiroshige stellt das profane Alltagsleben im Vordergrund dar, während im Hinter­ grund die Burg Edos thront, über die sich nur der Fuji noch emporhebt. Die ­Brücke, das Zentrum Japans, von der aus alle Entfernungen gemessen wurden, nimmt bei Hiroshige aber eine sehr viel größere Fläche ein. Beinahe auf der horizontalen Mitte des Bildes reckt sie sich empor und gibt den Einwohner*innen Edos Geleit über den tiefblauen, klaren Fluss. Zwar wird Hiroshige als japanischer Meister der Landschaftskunst angesehen, wozu auch seine überzeugende Einbindung der westlichen Zentralperspektive beiträgt (vgl. Bouquillard 2007: 11). Versierte Kunsthistoriker*innen behaupten aber, die Perfektion Hokusais, wie sie mitunter in den drei ersten Bildern seiner 36 Ansichten des Fuji offenbar wird, habe Hiroshige nie erreichen können (vgl. ebd.). H. Byron Earhart betont allerdings, dass Hiroshige zwei wesentliche Dinge zum heutigen Status des Berges Fuji als Ikon beigetragen hat:

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Abb. 8 Hiroshige, Clear Weather After Snow at Nihonbashi Bridge. Farbholzschnitt, 1856, 36 × 24 cm. Cambridge, Harvard Art Museum. Mit freundlicher Genehmigung des Harvard Art Museums.

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First, by including Fuji pictures in his series Fifty-three Stages of the Tōkaidō, he provided graphic confirmation of Fuji’s image as the dominant feature of this central landscape. Second, in his series of Edo prints, his treatment of the mountain in many of these pictures shows Fuji reigning over Edo or Edo subsuming Fuji, although these themes frequently coincide. (Earhart 2011: 102)

Bei aller Wertschätzung der Holzschnittkünstler darf nicht übersehen werden, dass für die stark zunehmende Beliebtheit der Holzschnitte und damit auch der bildlichen Reproduktion des Ikons Fuji in den 1830er Jahren die Einführung eines Pigments namens Preußisch Blau sehr zuträglich war (vgl. Smith II 2005: 235). Seit 1829 wurde das Pigment zunächst beispielsweise für Fächer verwendet. Schon kurz darauf verlieh es auch in Holzschnitten dem Himmel und den Gewässern faszinierende Tiefe, die auch nicht merklich verging, weil das chemische Pigment eine lange Haltbarkeit mitbrachte (vgl. Bouquillard 2007: 11). Die sonst verwendeten natürlichen Pigmente leuchteten nicht so sehr und verblassten viel schneller. Ab 1831 wurde explizit Werbung für die Erzeugnisse mit d ­ iesem Pigment gemacht und es ist gerade jene Zeit, in der Hokusai mit der Arbeit an seinen legendären 36 Ansichten des Fuji begann. Zehn Stücke der Reihe wurden in ­diesem strahlenden Blau aufgelegt, mit so herausragendem und nachhaltigem Erfolg, dass Smith sogar von einer „Blue Revolution“ spricht (vgl. Smith II 2005: 235). Es lässt sich also sagen, dass ein chemisches Pigment aus Holland mitverantwortlich für den heutigen Status des erhabenen Berges Fuji ist. Neben den Holzschnitten gab es auch noch andere künstlerische und handwerkliche Erzeugnisse, die den Fuji zeigten, wie z. B. Metall- und Lackarbeiten sowie Ornamente in allen Formen (vgl. Earhart 2011: 105). Der Bedeutung der Holzschnitte in der Kommerzialisierung des Fuji zu jener Zeit kommen diese jedoch nicht bei. Als die wichtigsten Meilensteine zur Verbreitung des Fuji in der westlichen Hemisphäre lassen sich die Öffnung Japans durch Commodore Matthew C. Perry (1853 – 54) und die Meiji-Restauration (1868) nennen (vgl. Earhart 2011: 110). Gerade während der Meiji-Zeit (1868 – 1912) entwickelte sich ein intensiver kultureller Austausch ­zwischen Japan, Europa und Amerika. Er gründete sich auch auf die japanischen Holzschnitte (vgl. Bouquillard 2007: 12). Dieser kulturelle Austausch hatte eine zuvorderst kommerzielle Komponente, die der Weiterentwicklung der japanischen Kunst im Sinne einer Avantgarde entgegenstand (vgl. Inaga 1993: 68). Der Verbreitung des Fuji und seiner Stärkung als Ikon war die voranschreitende Kommerzialisierung der Holzschnitte aber sehr zuträglich. So wurden die Holzschnitte von europäischen Intellektuellen gesammelt und von Künstler*innen zur Inspiration genutzt (vgl. Bouquillard 2007: 12). Japonistische Gruppen fanden sich zusammen und institutionalisierten ihr Streben nach japanischem Kulturgut. Der Laden La Porte Chinoise, der chinesische und japanische Waren anbot, wurde 1862 in Paris eröffnet. Einer der Kunden war Philippe Burty (1830 – 1909), welcher zu den ersten und aktivsten Japonist*innen gehörte (vgl. Earhart 2011: 112 – 113). Zusammen mit einer Gruppe anderer Pariser Japonist*innen gründete er 1867 einen Dining Club namens Société du Jing-lar (vgl. ebd.). Die Mitgliedskarte Burtys ist bis heute erhalten und für diese Arbeit besonders interessant: Neben weiteren Japan-assoziierten Elementen wie einem Origami-Kranich

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Abb. 9 Vincent van Gogh, Portrait of Père Tanguy. Öl auf Leinwand, 1887, 65 × 51 cm. Paris, Musée Rodin.

und einer Frau in japanischer Kleidung zeigt die Karte auch den Fuji. Dieser thront in der Mitte des oberen Drittels erhaben über allem anderen. Dabei stößt er Rauch aus, der als eine große Wolke einen zierlichen Rahmen für den Namen des Mitglieds Burty schafft, welcher in dieser Weise als einziges Element der Karte den Fuji noch übersteigt – ja aus dem Fuji hervorgeht. Darüber, wie die europäischen Künstler*innen durch die japanische Kunst nach der Öffnung Japans beeinflusst wurden und w ­ elche Auswirkungen dies wiederum auf die japanische Kunst selbst hatte, wurden bereits viele Abhandlungen geschrieben. Dazu gehören Japonismus in der westlichen Malerei 1860 – 1920 von Klaus Berger, Das imaginäre Japan in der Kunst: „Japanbilder“ vom Jugendstil bis zum Bauhaus von Claudia Delank und Im Wettstreit mit dem Westen: Japans Zeitalter der Ausstellungen 1854 – 1941 von Daniel Hedinger. Der Fuji mag dabei auch eine Rolle gespielt haben, schließlich ist er gerade in jenen Holzdrucken seit den 1830er Jahren von Hokusai und Hiroshige präsent, w ­ elche auch im Westen so begehrt waren. Interessanterweise übernahmen Künstler*innen wie Monet und Rivière selbst die Idee, eine Serie über einen einzelnen Bildgegenstand

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herzustellen, so wie es auch Hokusai und Hiroshige zum Fuji machten (vgl. Bouquillard 2007: 8). Henri Rivière (1864 – 1951) stellte eine Druckserie aus 36 Ansichten des Eiffelturms an. Dabei handelt es sich um 36 Lithografien, die den Eiffelturm unter der Maske einer japanischen Holzschnitt-Ästhetik zeigen. Während auch andere Künstler*innen sich an der perspektivischen Darstellung der japanischen Holzschnitte versuchten, so gibt es bei ihnen nur wenige konkrete Verweise auf den Fuji. Das vielleicht herausragendste Beispiel für ein direktes Bildzitat des Fuji durch europäische Künstler*innen hat wohl der niederländische Maler Vincent van Gogh (1853 – 1890) geliefert (vgl. Earhart 2011: 214). Dies ist das Bild Porträt des Père Tanguy (Abb. 9) aus dem Jahr 1887, das den Mentor van Goghs zeigt. Tanguy selbst hatte eine umfassende japanische Sammlung und offenbar mitten darin porträtiert van Gogh ihn. Auf diese Weise findet innerhalb des Bildes eine starke Verdichtung japanischer Sujets statt, hervorgerufen durch die lückenlose Drängung japanischer Holzschnitte im Hintergrund. Van Gogh, der auch in anderen Werken z. B. Hiroshige durch ein Bild im Bild zitiert (vgl. Earhart 2011: 214), zeigt hier das volle Aufgebot dessen, wofür japanische Holzschnitte in Europa zu jener Zeit geschätzt wurden: Wir sehen eine Kurtisane auf der rechten Seite des Bildes und einen Kabuki-Schauspieler auf der linken Seite. In den Ecken oben links und oben rechts sehen wir Landschaftsdarstellungen, wovon eine eine verschneite Gegend zeigt, während die auf der rechten Seite durch eine blühende Kirsche hervorsticht. Tanguy sitzt frontal mit Blick zum Betrachter im Zentrum des Werks und verdeckt Teile der Bilder im Hintergrund, so auch das Bild in der Mitte am oberen Rand. Dieses zeigt den Fuji groß und in seiner vollen Pracht. Die Ausläufer des Berges laufen auf die Hutkanten Tanguys zu, so dass eine recht eigenwillige Form entsteht, in welcher der Hut und der Fuji zu einem Kegel verschmelzen. Während sich die Assoziation eines Sombreros nur schwerlich vermeiden lässt, so scheint die naheliegendere Interpretation zu sein, dass von all jenen zitierten Sujets japanischer Holzschnitte und damit ferner der dargestellten Symbole Japans der Fuji das oberste und bedeutsamste ist. Die Reproduktionen des Fuji im westlichen Kulturgut beschränkten sich jedoch nicht nur auf die Malerei, sondern fanden sich auch in der Literatur und in der Musik wieder. Hier sticht das Gedicht Der Berg von Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) hervor, in welchem er Hokusais ewige Beschäftigung mit dem heiligen Berg abhandelt: Der Berg Sechsunddreißigmal und hundertmal hat der Maler jenen Berg geschrieben weggerissen, wieder hingetrieben (sechsunddreißigmal und hundertmal) zu dem unbegreiflichen Vulkane, selig, voll Versuchung, ohne Rat, – während der mit Umriß Angetane seiner Herrlichkeit nicht Einhalt tat:

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tausendmal aus allen Tagen tauchend, Nächte ohnegleichen von sich ab fallen lassend, alle wie zu knapp; jedes Bild im Augenblick verbrauchend, von Gestalt gesteigert zu Gestalt, teilnahmslos und weit und ohne Meinung –, um auf einmal wissend, wie Erscheinung, sich zu heben hinter jedem Spalt. (Rilke 1918: 116)

Rilke thematisiert in erster Instanz die vielbeschriebene Obsession Hokusais für den heiligen Berg (vgl. Davidson 1993: 2). Hokusai dient hier als Vehikel, durch das die Größe des Berges sowie das ihm innewohnende Mysterium transportiert werden. Anders als bei Rilke dient der Fuji bei Claude Debussy (1862 – 1918) weniger als Element des Interesses und des mystischen Zaubers, sondern vielmehr als Mittel zur Vermarktung. Sein Orchesterstück La Mer (zu Deutsch: Das Meer) aus den Jahren 1903 bis 1905 wurde schließlich mit Hokusais großer Welle auf dem Cover verkauft. Dabei ist die Varianz der verschiedenen Cover seines Stückes, die mit der Zeit den Markt erreichten, erstaunlich. So zeigen nicht alle Fassungen das Original Hokusais. Einige kommen auch ohne die Fischerboote und sogar ohne den Fuji aus. Auch gänzlich andersartige Neuinterpretationen des ikonischen Holzschnittes finden sich; so werden z. B. die Welle und der Fuji mitsamt Möwen vor einem orangefarbenen Abendhimmel gezeigt. Diese Reproduktionen des Fuji durch die westlichen Künste und Marketingabteilungen dürfen nicht als Initiatoren des Aufstiegs des Fuji zum nationalen Symbol Japans missverstanden werden. Der Zusammenhang ist, dass der Fuji im Westen zuvorderst durch seine Präsenz in den Ukiyo-e als Symbol Japans aufgeladen und fortlaufend als ­dieses bestärkt wurde. Das führte nur beiläufig und in zweiter Instanz zu Zitaten seitens der Japonist*innen in ihrer Kunst; diese sind damit eher als Indikatoren für die weitreichende Bedeutung des Fuji in jener Zeit zu verstehen. Die Rolle der westlichen Japonist*innen in der Etablierung des Fuji als Symbol Japans war eine andere: Hokusais Erfolg und ferner auch die Glorifizierung seiner 36 Ansichten des Fuji sind eng an die französische Kunstkritik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebunden (vgl. Inaga 2003: 83). Hokusai war der erste japanische Künstler, dessen Werke Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Westen entdeckt wurden (vgl. Machotka 2009: 19). Innerhalb kürzester Zeit fungierte Hokusai als Ikon, das international nicht nur die japanische Kunst repräsentierte, sondern gleich die ganze Nation Japan (vgl. ebd.). Durch die Aufwertung der Ukiyo-e, insbesondere der Landschaftsdarstellungen Hiroshiges und Hokusais, seitens der Japonist*innen bekam der Fuji als Repräsentant Japans also immensen Aufschwung. Genauso wie und auch durch Hokusai wurde er zum Symbol einer ganzen Nation: zum Symbol Japans.

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2.5 Die Kreation, Gefährdung und Neuschaffung einer japanischen Identität: Der Fuji als Symbol des imperialen Nationalstaats Japan Die Anerkennung durch den Westen wurde seitens japanischer Offizieller wiederum für die Beförderung im Entstehen befindlicher Ideologien zur nationalen Identitätsbildung verwendet (vgl. Earhart 2011: 117). Die fortlaufende Stärkung des Fuji als nationales Symbol ist als wichtiges Beiwerk ­dieses Prozesses anzusehen (vgl. ebd.). Während sich der Westen weiterhin an den japanischen Holzschnitten erfreute, nahm das Interesse daran in Japan zugunsten von handkolorierten Fotografien schon während der Meiji-Zeit wieder ab (vgl. Molenaar und Uhlenbeck 2000: 114). Der Fuji blieb dabei eines der wichtigsten Motive. Die Veränderungen der Kunst zu jener Zeit betrafen aber nicht nur die Neuerung der Fotografie, sondern hatten auch Gründe abseits des technischen Fortschritts. Mit der Öffnung des Landes seit der Meiji-Restauration vervielfachten sich die Möglichkeiten für die Produktion von Kunst und eine bisher ungeahnte Heterogenität der Darstellungen wurde sichtbar. So entwickelte sich seit der mittleren Meiji-Zeit (1883 – 1897) die Schule der Nihonga. Nur ein Kernpunkt dieser Zusammenführung alter und neuer (westlicher) Traditionen ist der Fokus auf Pinsel und Tinte für die überzeugende Vermittlung von Emotionen (vgl. Traganou 2004: 188). Die japanische Regierung förderte die Etablierung und Fortführung dieser gleichzeitig alten und neuen Schule, wenn auch vielerlei Kritik seitens der Bürger*innen und der Gelehrten daran aufkam: Es sollten doch bitte die tatsächlich traditionellen Ideale wiederaufgebaut und alle, zuvorderst westlichen, Neuerungen seit der Restauration verbannt werden (vgl. Earhart 2011: 188). Diese Kritik passt zur fast ironisch anmutenden Tatsache, dass besonders der junge amerikanische Philosoph und Kunstkenner Ernest Fenollosa die Regierung freundlich in Richtung der Verbreitung der Nihonga beraten haben soll (vgl. Traganou 2004: 188): His understanding of the Japanese situation was distorted by his Western perspective. In pre-Meiji Japan, particular class segments of society, and given style was loosely but generally considered to embody the ethos of a given group. Fenollosa held the view common in the late nineteenth-century West, that art represented nation. To him, the atomization of Japan’s traditional schools of painting and their stylistic and social continuities with the recent feudal past made them ineligible to represent the Japanese nation. Thus, the need for a reformist art movement, one that would transform tradition into a new, national painting. (Weston 2004: 23)

Die erfundene Schule diente dazu, die neue, als einig gedachte nationale Identität des Landes zu unterstützen und zu stärken. Eine Konsequenz daraus ist gleichzeitig als Bedingung des Erfolges der neuen Schule anzusehen: ein erstarkender konservativer Nationalismus (vgl. Traganou 2004: 188, 195). In der späten Meiji-Zeit gab es nur wenige nennenswerte Darstellungen des Fuji. Erst in den 1920er und 1930er Jahren fand eine Art Revival des Landschaftsgenres statt, an dem

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Abb. 10 Hasui Kawase, Nishiizu Kishō. Farbholzschnitt, 1937, 39,05 × 28,58 cm. Los Angeles County Museum of Art.

der Verleger Watanabe Shōzaburō maßgeblich beteiligt war. Die Landschaften des 20. Jahrhunderts ähnelten denen Hokusais und Hiroshiges nun nicht mehr sehr. Insbesondere der konturenlose Druck war dafür verantwortlich: Es ließen sich nun Drucke erstellen, in denen die Farben ineinanderflossen und nicht mehr flächig voneinander getrennt waren (vgl. Molenaar und Uhlenbeck 2000: 114). Um die neue Art des Druckens zu verbreiten, stellte Watanabe Künstler an, ­welche die klassischen ­Themen der Ukiyo-e, nämlich schöne Frauen, Kabuki-Schauspieler und darüber hinaus Landschaften, wieder aufgriffen (vgl. Brown 2008 1: 9). Damit war auch der Fuji als Motiv für die neue Art des Druckens, genannt Shin-Hanga, sehr gefragt. Die neuen Bilder sollten schließlich, wie auch damals die Ukiyo-e, dem Auge gefallen. Neu hinzu kam der Anspruch, der großen Nachfrage aus dem Westen zu entsprechen. Zum Meister der Landschaftsdarstellungen innerhalb der Shin-Hanga stieg der Künstler Hasui Kawase (1883 – 1957) auf. Viele seiner Drucke zeigen den Fuji. Oft schmückt er den Hintergrund einer Landschaft, z. B. eines Sees oder eines Reisfeldes, und viele Male steht er auch im Zentrum. Nishiizu Kishō aus dem Jahr 1937 (Abb. 10) zeigt den Fuji in der Mitte des Bildes mit schneebedeckter Spitze, umsäumt von einer blühenden Kirsche. Während der hellblaue Mittagshimmel fast gänzlich durch das Geäst mit rosa Blüten strukturiert ist, gibt der Baum in der Mitte den Blick auf den heiligen Berg frei. Das untere Bildviertel wird ausgefüllt durch einen strahlend blauen See mit fließendem Farbverlauf bis in die Tiefe. Nur ein kleines Boot treibt auf dem See vor der Kulisse eines Hügels, der malerisch die Landschaft z­ wischen See und Fuji begrünt.

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Mit ­diesem Blatt wartet Hasui also mit allem auf, was die Landschaft der Region Fuji zu bieten hat. Der Aufbau ist wenig komplex und reicht trotz der Kirsche im Vordergrund nicht ansatzweise an die feine Verspieltheit Hiroshiges heran. Und doch waren diese Holzschnitte genau das, wonach der Markt im In- und Ausland zu jener Zeit verlangte. Nicht zufällig stammen fast alle Fuji-Bilder Hasuis aus den Jahren 1930 bis 1945: Es war die Zeit des erstarkenden Nationalismus und schließlich die des Krieges (vgl. Brown 2008 2: 29). Interessanterweise wurde und wird der Fuji auch als Grund dafür herangezogen, dass die Japaner*innen sehr naturverbunden ­seien. Denn wer so einen prächtigen Berg in der Landesmitte genießen kann, wer könnte da nicht die größte Liebe zur Natur entwickeln? So jedenfalls argumentierte D. T. Suzuki (1870 – 1966), der mit für die Popularisierung des Zen-Buddhismus im Westen verantwortlich ist (vgl. Earhart 2011: 4). Zwar haben wissenschaftliche Abhandlungen deutlich herausgestellt, dass Auffassungen über die Natur in Japan genauso heterogen sind wie die in anderen Ländern auch (vgl. z. B. Asquith und Kalland 1997: 8). Trotzdem sind ­solche scheinbar naiven Aussagen über die angebliche Naturverbundenheit der Japaner*innen durch den Fuji eine große Gefahr. Immerhin ist eine ­solche Behauptung, die eine gewisse Reinheit impliziert, überaus wertvoll für jeden Nihonjinron-Diskurs zur Überlegenheit und Besonderheit der „japanischen Rasse“, so dass die imperialistischen Tendenzen jener Vorkriegszeit sich auch daran nähren konnten (vgl. Earhart 2011: 4). Earhart fasst die Relevanz so zusammen: „The nationalistic or patriotic ‚mantra‘ of Fuji will be encountered during the modern epoch, when Fuji too was pressed into service to shore up essentialist views of Japanese ‘naturism’ and ultranationalism.“ (Earhart 2011: 4 – 5) So wie der Fuji lange an der Stärkung von Ideologien beteiligt war und zur Referenz der nationalen Identität diente (vgl. Earhart 2011: 118), so wurde der Berg mit dem Zweiten Weltkrieg zum Symbol des imperialen Nationalstaats Japan. Die Priester des Sengen-Schreins am Fuji integrierten diesen in die Hierarchie des Staatsschintoismus und Erziehende verwendeten Texte, Lieder und Bilder zum Fuji aller Art, um den Kindern beizubringen, dass er der Stolz der Nation ist (vgl. Bernstein 2008: 63). Nach diesen Entwicklungen ist es nicht überraschend, dass der Fuji mit verschiedenen Absichten im Zweiten Weltkrieg verzwecklicht wurde. Seit jeher ließ er sich äußerst flexibel als nationales Symbol inszenieren – sei es spirituell, künstlerisch oder politisch. Nun spielte er erneut unterschiedliche Rollen auf verschiedenen Bühnen und wurde auch für konträre Zwecke instrumentalisiert (vgl. Earhart 2011: 169). Bereits im Jahr 1937, als der Krieg in China ausbrach, hatte der Fuji seine erste Hauptrolle inne: Ein nationaler Wettbewerb wurde ausgerufen, in dem die Bevölkerung dazu aufgerufen wurde, zu einem vorgegebenen Musikstück – dem Patriotischen Marsch, der das Volk mobilisieren sollte – einen Liedtext zu verfassen. Von den über 50.000 Einsendungen der Bürger*innen gewann, im Original in japanischer Sprache, dieser Text: Behold, the skies of the eastern sea Sparkling high in the dawn Vivid with the life of the heavens The Eight Great Islands are full of hope

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The figure of Fuji in the clear skies Towering through the morning clouds Is the pride of our Japan An invincible nation (Autor unbekannt; zitiert nach Kohara 2011: 75 – 76)

Nach d ­ iesem Erfolg und der großen Beliebtheit des nationalen Wettbewerbs wurde im Jahr 1938 ein Bildmagazin zur inneren Politik namens Shashin Shuho etabliert: On the cover of the inaugural edition (February 16, 1938), children are seen singing ‘Patriotic March’ against the backdrop of the mountains of Takachiho; they are holding sheet music printed with the image of Mt. Fuji […]. It was a montage that paired two sacred mountains – Mt. Fuji, the symbol of the national polity, and Takachiho, the mountainous area in Miyazaki, Kyushu where the gods were said to have descended to earth. (Kohara 2011: 76)

Der Begriff national polity ist eine Übersetzung des japanischen Begriffs kokutai, welcher „zweifellos einer der bedeutsamsten Schlüsselbegriffe für das Staatsverständnis des modernen Japan [ist]. […] Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde das Konzept des kokutai als Ausdruck für Japans einzigartiges Nationalwesen schließlich zum ideologischen Angelpunkt eines religiös argumentierenden Ethnozentrismus und Exzeptionalismus.“ (Wachutka 2016: 65; Hervorhebungen im Original) Der Berg Fuji wurde hier zu nichts weniger als zum Symbol der nationalen Einheit und Stärke des Volkes stilisiert. Schon zu Beginn des Krieges war der Fuji als Symbol für den Patriotismus also allgegenwärtig und diente der japanischen Regierung dazu, den Rückhalt im eigenen Land zu gewinnen und zu stärken. Im Verlauf des Krieges wurde der Fuji weiter für Propaganda für das eigene Volk verwendet. Jedoch machte sich auch die Propaganda auf amerikanischer Seite die immense Bedeutung des Fuji als nationales Symbol Japans zunutze und verwendete diese Verbindung gegen Japan. So erfolgte ein Teil des massiven Flyerabwurfs über japanischen Truppen durch die Alliierten mit dem Ziel, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hervorzurufen. Diese Flyer nämlich zeigten auch den Fuji, beispielsweise im Hintergrund zu einer dargestellten M ­ utter mit Kind im Arm unter einer Kirschblüte (vgl. Earhart 2011: 173 – 174). Auf diese Weise sollte die japanischen Truppen Heimweh und Nostalgie überkommen, damit sie geschwächt würden. Höchst interessant ist, dass der Fuji selbst hingegen nicht als Ziel möglicher Angriffe in irgendeiner Art und Weise dargestellt worden ist. Amerikanische Anthropolog*innen und andere Wissenschaftler*innen, die in die dortige Propaganda-Maschinerie einbezogen waren, rieten davon ab, die japanischen Truppen oder die Regierung mit Propagandamaterial zu konfrontieren, welches den ­Kaiser oder den Fuji unter Angriff oder Bedrohung zeigen würde. Es wurde erwartet, dass auf diese Weise die Stärke und der Widerstand auf der japanischen Seite nur wachsen würden, sobald die Einheit der Nation bedroht würde (vgl. Earhart 2011: 173). Darstellungen des Fuji im Visier oder unter Beschuss gab es zwar, sie scheinen aber eher der inneramerikanischen Propaganda gedient zu haben

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oder kamen in Karikaturen vor (vgl. ebd.). Somit wurde der Fuji von allen Parteien als nationales und heiliges Symbol Japans während der Mobilisierung zum und im Zweiten Weltkrieg anerkannt und sogar gestärkt – auch international. Die Ambivalenz, mit welcher der Fuji in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seitens der Japaner*innen selbst wie auch seitens der Alliierten instrumentalisiert wurde, hielt bis in die Zeit der Besatzung an. Ein kurioses Element der Zensur durch die Besatzung war das Verbot an japanische Filmemacher*innen, den Fuji im Film zu zeigen. Er wurde als zu mächtiges Symbol des japanischen Nationalismus und Ultranationalismus angesehen und ein Wiederaufflammen dieser Strömungen sollte nach der Kapitulation Japans vehement verhindert werden (vgl. Earhart 2011: 176). Das Argument seitens der Filmemacher*innen, der Fuji sei ein Symbol der japanischen Bürger*innen, nicht jedoch des Nationalismus, wurde nicht anerkannt (vgl. ebd.). Aufgrund dieser Endgültigkeit ist es umso irritierender, dass d ­ ieses Zensurgesetz sich tatsächlich nur auf Filme, nicht aber auf andere Medien bezog. Die wohl weitreichendste Ambivalenz der Verwertung des Symbols Fuji in der Besatzungszeit stellt aber der Gebrauch der Besatzer*innen selbst dar: Der Fuji wurde von den Alliierten zum Symbol der Einigung Amerikas und Japans nach dem Krieg gemacht. Die Auswüchse und Übersteigerungen dieser Vereinnahmung des Fuji beschreibt H. Byron Earhart sehr trefflich: Every other American military group in Japan has been represented in some form with the shape of Fuji. The Command Submarine Group Seven, the American submarine group stationed in Japan, has a cap with a badge featuring a light blue Fuji (with the classic three-domed snow-clad peak) in the background, a red Shinto torii (sacred archway) in the middle ground, and in the foreground a submarine flanked by two dolphins. In other words, the dolphins (attendants of the Greek deity Poseidon) are joined by a classic Japanese holy/ideal mountain and a Shinto sacred archway to oversee an American submarine group based in Japan. (Earhart 2011: 178)

Regelmäßig wurden die alliierten Truppen mit dem und durch den Fuji repräsentiert. Auch Münzen, die den Fuji zeigten, wurden in der Nachkriegszeit durch die Besatzer*innen geprägt (vgl. Earhart 2011: 178). Eines der wohl dramatischsten Nachkriegsbilder (Abb. 11) zeigt den Fuji abermals als Ziel durch ein U-Boot-Periskop (vgl. Earhart 2011: 179). In dieser Darstellung lässt sich der Fuji als begehrte Trophäe interpretieren und schließlich als sehr wertvolles Souvenir des beendeten Krieges. Die eklatanteste Vereinnahmung des Fuji durch die Besatzer*innen geht auf den 2. September 1945 zurück – die Zeremonie zur Kapitulation Japans unter den Alliierten. Die Zeremonie fand auf dem Militärschiff Missouri in der Bucht Tokios statt (BBC : Online-Artikel, o. D.), mit dem Fuji im Hintergrund. Für diesen Festakt wurde eine sehr bildintensive Broschüre erstellt. Diese Bilder sollten erneut durch ihre so einfache wie starke Symbolik mittels solcher Elemente wie dem Fuji und der Sonne in Bild und Schrift ausdrücken, dass Amerika Japan dominierte. Der Fuji war darin als das Symbol Japans schlechthin zu verstehen (vgl. Earhart 2011: 180).

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Abb. 11 Urheber*in unbekannt, Snow-capped Fujiyama, Japan’s famous and sacred volcano, is photographed through the periscope of an American submarine. Abdruck aus der Zeitschrift Life, 10. 05. 1943, 35,5 × 26,5 cm.

Ein für die bis heute fortbestehende nationalistisch geprägte Fuji-Darstellung bedeutender Künstler der Nachkriegszeit ist Yokoyama Taikan. Auch wenn er selbst sehr unter dem Einfluss des Krieges gelitten hat, blieb seine nationalistische Einstellung intakt (vgl. Earhart 2011: 189). Es scheint, als versuchte er durch das repetitive Malen des Fuji als alleinstehendes und unverletzbares Symbol der nationalen Einheit und Integrität Japans die Verluste des Krieges zu negieren: „Despite his intense patriotism, Taikan’s published works contain nothing more overtly propagandist than his countless views of Mount Fuji—as though by painting it over and over again he was reciting a patriotic mantra.“ (Earhart 2011: 189) All dies zusammengenommen lässt sich sagen, dass das Symbol Fuji durch die Kriegsund Besatzungszeit hindurch bestehen blieb. Es wurde zwar auf verschiedenste Weisen genutzt, wurde aber dadurch in seiner Wirkmacht nur noch stärker. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ließ der Fuji dabei seine Bedeutung als spirituelle Größe und Sehnsuchtsort zunächst hinter sich und fungierte nach innen als Symbol der nationalen Einheit und nach außen als Symbol des imperialen Nationalstaats Japan. Beide Symboliken trägt der Fuji bis heute in sich.

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2.6 Rückbezug auf die Moderne und Exotisierung: Der Fuji als Träger komplexer Symboliken Seit der Besatzungszeit und verstärkt gegen ihr Ende im Jahr 1952 setzte sich der Trend der Moderne um das Image des Fuji in japanischen Darstellungen zunächst fort. Die alten Holzschnitte fanden wieder Verwendung, beispielsweise jene Hokusais auf Postkarten und als Briefmarken. Außerhalb Japans wurde der Fuji in Bilderzeugnissen insbesondere zur Exotisierung Japans nutzbar gemacht (vgl. Earhart 2011: 182). In derselben Zeit, in der Japan als Wirtschaftsmacht an Akzeptanz gewann und internationale Verbindungen knüpfte, verstärkte sich im Westen das Interesse an der als sehr fremd empfundenen Kultur (vgl. Earhart 2011: 181). Die Folge war eine Unmenge ausländischer Briefmarken und anderer Produkte mit, so angenommen, klassischen Sujets. Tatsächlich hatten diese Produkte wieder einmal den Charakter von Sammelsurien japanischer Symboliken, die mehr oder weniger miteinander in Verbindung standen. H. Byron Earhart nennt diesen westlichen Japan-Stereotypen jener Zeit Fujiyama-Samurai (ebd.). Die Popularität solcher Erzeugnisse, insbesondere Briefmarken, die nun von aller Welt herausgebracht wurden, trug deutlich zur Exotisierung Japans bei (vgl. Earhart 2011: 182). Gleichzeitig verstärkten sie die Etablierung des Fuji als Symbol Japans noch. Die weit verbreiteten Bilder des Fuji in der Propaganda, auf Briefmarken etc. hatten einen sehr großen Einfluss auf die allgemeine Wahrnehmung und Stärke des Ikons. Nachdem das Symbol Fuji sogar aus dem Krieg gestärkt hervorging, blieb der Berg in der Nachkriegszeit ein beliebtes Motiv der japanischen Künstler*innen. In jener Zeit der Postmoderne ist eine Explosion der Darstellungsweisen in den bildenden Künsten zu beobachten. Künstler*innen holten sich ihre Inspirationen zwar weiterhin in der japanischen Moderne, jedoch wurde der Blick auch gen Westen gerichtet. Ein nennenswerter Künstler jener Zeit ist der Maler und Holzschneider Munakata Shiko (1903 – 1975), der es eindrucksvoll vermag, dem Holzschnitt ein postmodernes Antlitz zu verleihen. Dazu greift er auf die etablierten Drucktechniken zurück, indem er seine Blätter mit dominanten schwarzen Flächen strukturiert. Hinein setzt er Farbflächen, mal separiert, mal ineinander verlaufend, wie sie dem europäischen Expressionismus des beginnenden 20. Jahrhunderts entliehen scheinen. Die Resultate dieser Fusionen sind expressive Landschaftsansichten, die durch ihre Farbgebung fast zu entschweben drohen. Durch die starre schwarze Struktur des Drucks werden sie jedoch geerdet. Ebenso das Sujet betreffend bedient sich Munakata alter wie neuer Motive. So stellte auch er, wie die alten Meister der Edo-Zeit zur Blüte des Holzschnitts, verschiedene Stationen der Tōkaidō dar. Eine Vielzahl an Blättern zeigt den Fuji. Dabei enthalten einige seiner Bilder Referenzen auf bestimmte Ansichten der alten Meister. Yoshiwara, Aki Fugaku (Abb. 12) beispielsweise zeigt eine Perspektive auf den Fuji von einem Standpunkt aus, den auch Hiroshige für eine Ansicht wählte (vgl. Munakata 2011: 77). Wie auch Hiroshige einen unkonventionellen Bildaufbau mochte, so präsentiert Munakata hier im Vordergrund des Bildes dominant und in Tiefschwarz einen Baumstamm, von dem mehrere dicke Äste abgehen. Darüber hinaus nehmen mehrere Blätter, verteilt über das ganze Bild,

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Abb. 12 Munakata Shiko, Yoshiwara, Aki Fugaku. Handkolorierter Holzschnitt, 1963 – 64, 492 × 385 cm.

viel Raum ein. Während es ansonsten wenig strukturiert ist, verbleiben zwei diametral zueinander angeordnete Elemente im Bild, die der Beschreibung bedürfen. So thront in der linken oberen Ecke des Bildes der Fuji. Er wird zwar recht klein dargestellt, aber doch erhaben und unangetastet durch die Sprunghaftigkeit und Durchwachsenheit des Rests des Bildes. Anmutig schön zeigt er sich in der unteren Hälfte durch das tiefe Druckschwarz, wobei die obere Hälfte durch eine weiße Fläche, die nach unten hin einem frischen Blau weicht, die schneebedeckte Spitze des Fuji zeigt. Die schwarze Kontur schützt den Berg vor der ihn umgebenden Aufgeregtheit und bewahrt ihn vor der sich wandelnden Umgebung. Dem gegenüber findet sich in der unteren rechten Hälfte des Bildes eine kleine Familie aus Vater, ­Mutter und Kind. Während der Vater, westlich gekleidet, den Blick in Richtung seiner Frau zum rechten Bildrand hinwendet, so scheint sie, in Kimono und Obi gekleidet, unbeeindruckt von der ungestümen Mitte des Bildes zum altehrwürdigen Berg aufzuschauen. Die starke vertikale Mittelachse des Bildes, der schwarze Baum und das bunte, ihn umgebende Chaos, vermögen den Blick der Frau zum Fuji weder aufzuhalten noch abzulenken. So erhaben, beständig und unveränderlich der Fuji in ­diesem Bild erscheint, so stellt Munakata ihn auch in seinen anderen Werken dar. Festzuhalten gilt, dass sich bei ihm und auch bei anderen Künstler*innen der Nachkriegszeit die Darstellungsmethoden signifikant geändert haben, der Fuji aber in seiner Symbolkraft und in seiner Stärke nichts eingebüßt hat. Jetzt werden die Rückbezüge auf

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die Edo-Zeit und die Erschütterungen der letzten Jahrzehnte zusammengebracht mit dem westlichen Blick, so dass der Fuji fortan komplexe Symboliken beinhaltet. Diese beeinflussen sich in ihrer Pluralität gegenseitig und kommen in verschiedenen Kontexten immer wieder unterschiedlich stark zur Geltung.

2.7 Konsum und Sexualisierung: Der Fuji als Werbeversprechen Die Beständigkeit der Symbolkraft setzt sich in verschiedensten Kontexten bis in die Gegenwart weiter fort. Dabei ist es nicht einfach, die Arten und Weisen, in denen der Fuji heute verwendet wird, zu ordnen. Anschlussfähig ist seine Verwendung als profitträchtiges Image, wie es seit der Öffnung Japans in den Westen vermarktet wird. Seine komplexen Symboliken finden heute Einzug in unterschiedlichste Formen von Konsumgut. Eine wichtige Rolle spielt der Fuji in der Populärkultur, wo ihm immer wieder Auftritte in alter, symbolträchtiger Manier gewährt werden. Angesichts des großen Sortiments an japanischen Manga und Animes stellt sich kaum die Frage danach, ob und wo der Fuji gezeigt wird, sondern eher, wo nicht. Ein im Kontext dieser Arbeit besonders anschauliches Beispiel für einen Manga mit Fuji ist der Zombie-Horror-Manga I am a Hero von Hanazawa Kengo. In dieser Reihe aus den Jahren 2009 bis 2017 wird eine ausbrechende Zombie-Apokalypse illustriert und den einzigen Schutz verspricht die Spitze des Fuji. Nur der heilige Berg kann die Menschen davor bewahren, auch zu Zombies zu werden. In ­diesem Zusammenhang darf ein besonderer Wald am nordwestlichen Fuß des Fuji nicht unerwähnt bleiben und erst recht nicht sein zweifelhafter Ruf. Dieser Wald namens Aokigahara gilt schließlich als ultimativer Ort für den Suizid (vgl. Lidz 2017: Online-Artikel im Magazin Smithsonian). Dies ist nicht nur auf seine Orientierungslosigkeit stiftende Struktur zurückzuführen. Auch diverse Mythen, Legenden und nicht zuletzt fiktive Erzählungen unterschiedlichster Ursprünge tragen dazu bei (vgl. ebd.). Diese düstere Konnotation des Fuji macht ihn für die heutige Populärkultur zu einem interessanten Schauplatz, der immer wieder abgerufen wird. Auch in Computer- und Konsolenspielen ist der Fuji anzutreffen. Nennenswert ist an ­ iesem Echtzeitdieser Stelle Command & Conquer: Alarmstufe Rot aus dem Jahr 1996. In d Strategiespiel gilt es, verschiedene Kriegsszenarios zu durchspielen. Auch Japan kommt als Gegner in einer Mission vor. Schon das Auswahlmenü der englischen Version arbeitet mit starken Begriffen und Symboliken. So wird die rot-weiße, aufgehende Sonne für die Flagge der fiktiven Nation Empire of the Rising Sun, wie Japan hier betitelt wird, verwendet. Während der Begriff Fuji in der deutschen Version nicht vorkommt, so heißt das entsprechende Kapitel in der englischsprachigen Fassung Mt. Fuji – To Tame A Living God. Wohlgemerkt wird von Visualisierungen des Berges abgesehen. Benannt wird der Berg jedoch in jenem Moment, in welchem der Angriff auf den K ­ aiser befohlen wird. Dieser habe sich schließlich auf den heiligen Berg zurückgezogen, womit der Fuji gleichsam, wie im oben beschriebenen Zombie-Manga, die letzte Instanz des Rückzugs symbolisiert. Command & Conquer ist keine japanisch produzierte Reihe.

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Überaus viele Beispiele finden sich in allen Genres. So geben sich auch die Simpsons in einer Folge dem augenscheinlich „traditionellen“ japanischen Dasein hin: Die Hauptfiguren Homer und Bart tragen Kimonos und halten sich in einem Tatami-Raum auf. Während Homer bedacht Tee einschenkt, bringt Bart den Fuji auf die Leinwand. Hier sei nur angemerkt, dass der Bildaufbau, für den Bart sich entschieden hat, an den roten Fuji Hokusais angelehnt ist. Das wohl in den letzten Jahren in der deutschen Kulturlandschaft präsenteste Vorkommen des Fuji hat Doris Dörrie mit ihrem Film Kirschblüten-Hanami im Jahr 2008 erwirkt. Allein im Vorspann des Films werden neun Darstellungen des Fuji, offenbar aus dem 20. Jahrhundert, gezeigt, womit die Bedeutung des Berges für den Film schon angekündigt wird. Dies wird noch unterstützt durch die ersten Sätze im Film. Hierbei handelt es sich um die Worte der Frau des Hauptprotagonisten, ­welche plötzlich verstirbt, noch bevor sie sich ihren Traum einer Japanreise erfüllen konnte: Ich wollt’ immer mit ihm nach Japan fahr’n. Einmal den Fuji sehen. Die Kirschblüte. Mit ihm. Denn ohne meinen Mann was zu seh’n – das kann ich mir gar nicht vorstellen. Das wäre so, als hätte ich es gar nicht wirklich gesehen. Wie soll ich denn leben ohne ihn? (Dörrie 2008: 00:00:58)

Den nie erfüllten Traum seiner verstorbenen Frau nachholend reist der Witwer kurzerhand nach Japan. Der Fuji nimmt schließlich eine besondere Rolle ein, als auch der Witwer an einem See am Fuße des Fuji verstirbt. Prominent im Hintergrund scheint der Fuji dem Tod nicht nur beizuwohnen, sondern ihn erst zu erlauben. Im gesamten Film nimmt der Fuji auf übergeordneter Ebene die Rolle des Symbols des Landes Japan ein, jedoch übersteigt der Fuji diese Rolle in diesen Szenen noch: Der Berg fungiert hier auch als individuelles Symbol der ewigen Liebe ­zwischen den beiden Verstorbenen. In diesen Beispielen deutet sich also an, dass sich zur immer wieder neu reproduzierten, etablierten Auffassung des Berges als ehrwürdiges und heiliges nationales Symbol Japans heute weitere Möglichkeiten hinzugesellen. Zwar strömen weiterhin Filme auf den japanischen und internationalen Markt, die den Fuji in der bekannten Rolle zeigen, z. B. Journey to Mt. Fuji von Cris Ubermann aus dem Jahr 2015. Hier geht es um eine spirituelle Reise zum Berg Fuji. Neben solchen konventionellen sowie individuellen Verwendungen wie im oben beschriebenen Film Kirschblüten-Hanami fallen die neueren Darstellungen insbesondere durch eine wachsende Ungezwungenheit auf. Sie sind weniger ernst, kaum mehr andächtig, sondern ganz im Gegenteil: nahbar und verspielt. Auch hier finden sich zahllose Beispiele. Um zunächst bei den Filmen zu bleiben, soll Sukiyaki Western Django von Miike Takashi aus dem Jahr 2007 erwähnt werden, der in der Eingangsszene mit einem ganz besonders imposanten Fuji aufwartet. Während der Film an einem Schauplatz in einer beliebigen Wüste zu spielen scheint, prangt im Hintergrund der Szene unübersehbar Hokusais roter Fuji in fulminanter Größe. Hinzugefügt wird dem Blickfang noch eine übergroße, strahlende Sonne (Abb. 13). Den Fuji hier als Symbol Japans und als Träger der entsprechenden Bedeutung zu verstehen, wird der Szene wie dem ganzen Film nicht gerecht. Eher lässt sich die Darstellung als

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Abb. 13 Miike Takashi, Sukiyaki Western Django. Film, 2007, Still: Minute 01:50.

spielerisches Symbol einer Tagseszeitensituation verstehen. Immerhin erscheint der rote Fuji gerade durch die aufgehende Sonne rot, wie Hokusai es schon im ursprünglichen japanischen Titel des Bildes verrät. Der Stand der Sonne spielt in Western insbesondere zum Austragen von Duellen eine entscheidende Rolle und auch in der hier illustrierten Szene kommt es letztlich zum Showdown. Hokusais roter Fuji wird auch in einem Werbespot zum Toyota Crown von 2016 zitiert (Abb. 14). Der Film, der für den japanischen Markt konzipiert worden ist, wartet mit allem auf, was das klassische Tradition trifft auf Moderne-Sujet in Bezug auf Japan hergibt. In der High-Tech-Limousine bahnt sich der Mittfünfziger-Geschäftsmann seinen Weg durch anmutige Geishas, telefonierende Manager, Samurai etc. Der kurze Spot ist übersät mit symbolisch aufgeladenen Figuren und Objekten. Es entspricht der Dichte des Films, hier mit gleich zwei Schwergewichten der japanischen Kulturgeschichte in einem aufzufahren: der Holzschnittkunst und dem Fuji. Generell wird der Fuji heute oft zu Werbezwecken herangezogen. Interessant ist, dass er, wie auch in den beiden zuvor besprochenen Beispielen, sehr oft durch Hokusais Bilder gezeigt wird. So wies eine ganzseitige Anzeige die Leser*innen des Magazins Gourmet im August 1996 (Abb. 15) freundlich hin: „Little by little our waters are looking less like art and more like trash“ (Guth 2015: 163). Eingebunden ist der Text in eine Reproduktion der großen Welle von Kanagawa. Die kleinere Welle vor der sich aufbäumenden großen Welle besteht in ­diesem Fall vielmehr aus Müll als aus Wasser. Der Fuji weist, zwar mit kleiner Präsenz, vehement mit seiner Spitze auf den Text hin, wohl um selbst nicht auch im Müll unterzugehen. Christine M. E. Guth, die eine umfassende Abhandlung über das Ikon der großen Welle Hokusais abgefasst hat, beschreibt auch überzeugend die Verwendung des Bildes für die Soft-Power-Initiativen 3 der japanischen Regierung im Rahmen 3

Der Begriff Soft Power bezieht sich auf die Wege, auf denen durch die Wertschätzung der Kultur einer anderen Nation gleichzeitig das Erreichen weiterer politischer Ziele unterstützt wird (vgl. McLelland 2017: 6).

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Abb. 14 Werbespot zum Toyota Crown. 2016, Still: Minute 00:19.

von Cool Japan-Kampagnen (vgl. Guth 2015: 164 – 167). Der Flyer zur Yōkoso-Kampagne von 2005 (Abb. 16) zeigt die Welle so, wie Hokusai sie dargestellt hat. Anders ist nur der weite Himmel über der Welle: ein hoher, offener Raum, der Freiheit für die Gedanken lässt – und auch für den Text. In sehr abgewandelter Form schließlich findet sich die Welle mitsamt Fuji in einer Kühlschrankwerbung von Panasonic wieder. Als Welle sind hier knackig grüne Salatblätter aufgetürmt, während der Fuji im Hintergrund wie eine Art Pudding mit einer Spitze aus Vanillesoße anmutet. Zweifelsohne ist diese Aufmachung des Ikons witzig; die Darstellung verdeutlicht, dass das heilige Symbol heute durchaus ironisch verwendet werden darf. Wird der Fuji hingegen in westlicher Werbung verwendet, so droht das Abrutschen in orientalische Stereotype, wie Earhart trefflich zusammenfasst: The sexual undertones of Fuji are so pervasive and self-evident that even in a local American newspaper, an ad for ‘Fuji Spa Massage’ required only the explanation ‘We Do It Best’. In other words, the popular notion of the term ‘Fuji’ has also come to imply a sexually available oriental (not necessarily Japanese) female, apparently a fringe benefit of the perception of the mountain when viewed from the perspective of Western orientalism through the lens of the ‘Fujiyama-geisha’ stereotype. (Earhart 2011: 184; Hervorhebung im Original)

Darüber hinaus beschreibt er, dass der Fuji wohl nicht nur im Westen einen sexuellen Unterton hat. Mindestens schon seit dem Mittelalter ist der Vulkan in Japan durch die Konnotationen von Hitze und Eruption unmittelbar verbunden mit dem Gedanken an sexuelles Verlangen und Triebhaftigkeit (vgl. Earhart 2011: 185). Auch die Geschichte der Ukiyo-e mit sexuellen Darstellungen vor einem Fuji im Hintergrund (vgl. Kapitel 2.4) mag hierzu beitragen. Neben der Populärkultur und der Werbung finden wir noch in einer dritten großen Kategorie der heutigen kommerzialisierten Alltagswelt eine Vielzahl erstaunlicher FujiDarstellungen. Sie stechen heraus, weil sie immer häufiger der Bedeutungskomponente

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Abb. 15 Urheber*in unbekannt, Little by little our waters are looking less like art and more like trash. Ganzseitige Anzeige in der Zeitschrift Gourmet. 1996, Größe unbekannt.

Abb. 16 Urheber*in unbekannt, Willkommen in Japan-Broschüre am Flughafen Narita inkl. Flughafenkarte. 2005, Größe unbekannt.

des erhabenen und heiligen Berges entbehren. Gemeint sind Merchandise- und andere Konsumartikel. Auf der einen Seite finden wir viele Waren, die sich in der Darstellung des Fuji erschöpfen, und auf der anderen Seite viele Produkte, die sich mit einer Abbildung des Fuji zieren. Auf der Website Spoon and Tamago – Japanese Art, Design and Culture wurde eine Auswahl der Artikel zusammengetragen, mit denen man den Fuji in sein Haus bringen kann (vgl. Spoon and Tamago 1: Online-Magazin, o. D.). Hierzu zählen Origami-Blätter, die, richtig gefaltet, jedes Tierchen wie der schneebedeckte Fuji aussehen lassen. Es gibt auch Süßigkeiten in Fuji-Form oder Teeschalen, die sich umgedreht in hübsche, abermals schneebedeckte, dreidimensionale Abbildungen des Berges verwandeln. Dreidimensional sind auch die Fujis, ­welche aus aufgeblätterten Büchern emporklimmen: Die vielen sogenannten Pop Up-Bücher ermöglichen es, den Fuji im eigenen Wohnzimmer aus bedrucktem dickem Papier grazil aufzubauen. So schmücksam sind, je nach Geschmack und Talent der Tätowierer*innen, auch die unzähligen Tätowierungen auf der Haut der Menschen in aller Welt. Das Motiv Fuji scheint bei Japaner*innen wie

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bei Nicht-Japaner*innen gleichermaßen beliebt zu sein. In der Form des Tattoos wird der Fuji nun wieder seiner stärksten Symbolfunktion gerecht, nämlich der als Symbol Japans. Diese Rolle spielt er auch auf den Titeln unzähliger japanbezogener Druckerzeugnisse. Angefangen bei Kochbüchern zur japanischen Küche über Romane und Sachbücher bis hin zu Reiseführern scheint der Fuji als Symbol Japans marketingbezogen sehr lukrativ zu sein. Besonders erstaunlich sind die Kataloge der Anbieter von Japanreisen. Hier findet sich mitunter über viele Seiten hinweg keine einzige Doppelseite ohne Fuji-Abbildung – oft zusammen mit Kirschblüte, Spiegelung im See und ähnlich bedeutungsschwangeren Begleitmotiven. Zu den Symboliken der letzten Jahrhunderte kommt in den letzten Jahren also besonders deutlich ein werbender Aspekt hinzu. Es scheint, als ließe sich heute alles zum Thema Japan noch besser verkaufen, wenn es mit dem Fuji verbunden ist. Der Fuji fungiert nun als äußerst effektiver Werbeträger; für eine Reise nach Japan selbst genau wie für entsprechende Produkte und Dienstleistungen. Innerhalb dieser kommerziellen Stereotypisierung ist besonders die Komponente der sexuellen Exotisierung kritisch zu betrachten.

2.8 Müll auf zertrampelten Pfaden: Der Fuji als touristischer Sehnsuchtsort Schon der erste Fujizuka vom oben bereits erwähnten Landschaftsgärtner Tanaka wurde 1779 feierlich eröffnet. Festivitäten für neue religiöse Stätten sowie Fujizuka-Parks wurden zum Standard. Noch heute wird jährlich die Fuji-Saison, das heißt die Zeit ab dem 1. Juli bis Mitte September, offiziell eröffnet (vgl. Yamanashi: Online-Artikel auf der offiziellen Website der Präfektur Yamanashi, o. D.). Nur in dieser Zeit darf der Fuji offiziell erklommen werden; er ist von Laienbergsteiger*innen nur saisonal zu betreten. In den erwähnten zehn Wochen wird hierzu eine umfassende Infrastruktur entlang der Stationen bis zum Gipfel errichtet. Es sind die einzigen Wochen, in denen die Spitze nicht schneebedeckt ist, so dass eine laientouristische Erkundung weniger gefährlich ist. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden: Als geografisches Phänomen betrachtet ist der Fuji ein Vulkan. Zwar schläft er seit seinem letzten Ausbruch im Jahr 1707, doch wird er von Geolog*innen weiterhin als aktiver Vulkan eingestuft (vgl. Britannica 1: Enzyklopädischer Online-Artikel, o. D.). Während diese Tatsache den Menschen der westlichen Hemisphäre weniger bekannt ist, wird diese Gefahr den japanischen Bürger*innen regelmäßig ins Bewusstsein gerufen. Ein Ausbruch des Fuji wäre fatal, so wie auch der gravierende Ausbruch 864 es war (vgl. Earhart 2011: 4). Laut Evakuierungsplan der Präfektur Shizuoka wären 567.000 in der Region Fuji lebende Personen von einem Ausbruch unmittelbar betroffen und müssten ihre Häuser verlassen. Weitere 130.000 Menschen müssten möglicherweise evakuiert werden (vgl. The Japan Times: Online-Artikel auf der Website der japanischen Tageszeitung, 30. 01. 2013). 470.000 könnten darüber hinaus durch das hohe Maß an vulkanischer Asche in der Luft zur Flucht gezwungen werden (vgl. Lidz 2017: Online-Artikel im Magazin Smithsonian).

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Abb. 17 Marion und Christoph Aistleitner, Mount Fuji above Lake Kawaguchi (Kawaguchi-ko) in Japan. Fotografie, 2014, Größe unbekannt.

Der heutige Fuji, so perfekt er in seiner gleichmäßigen Form aus der Ferne auch erscheinen mag, besteht aus drei Vulkanen. Sie haben sich im Laufe der vielen Millionen Jahre der Erdzeitgeschichte vor allem durch Ausbrüche und versteinerte Lava gebildet (vgl. Britannica 1: Enzyklopädischer Online-Artikel, o. D.). Der dritte und letzte Vulkan hat sich vor zehntausend Jahren geformt und überdeckt die beiden anderen weitestgehend (vgl. Earhart 2011: 4). Der Durchmesser der Grundfläche beträgt an verschiedenen Stellen ­zwischen 40 und 50 Kilometern, während der Krater einen Durchmesser von noch immer 500 Metern hat. Am Fuß der Nordseite tun sich, durch den Verlauf einstiger Lavaströme, fünf Seen auf. Sie werden auch von nicht-bergsteigenden Tourist*innen gerne besucht. Der See Kawaguchi ist für die invertierte Spiegelung des Fuji auf seiner ruhenden Wasseroberfläche bekannt (vgl. Britannica 1: Enzyklopädischer Online-Artikel, o. D.). Solche Fotografien – Abbildung 17 ist eines der vielen Beispiele aus den Wikipedia Commons – dominieren die Darstellung des Berges in Bildbänden und touristischen Werbeanzeigen. Mit mehreren Bildern dieser schönen Szenerie schmückt sich auch die UNESCO-Galerie. Dieser Moment ist aber nur ein Wegpunkt in der langen Fortführung des Motivs des sich im ruhigen Wasser spiegelnden Berges. Die Entscheidung des UNESCO-Welterbekomitees aus dem Jahr 2013, den Fuji zum Weltkulturerbe zu ernennen, mag zunächst wenig überraschen. Und doch sollte man kurz innehalten, denn anders als beispielsweise Surtsey, eine vulkanische Insel Islands, oder der

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Hawai’i Volcanoes National Park mit den zwei aktivsten Vulkanen der Welt wurde der schlafende Vulkan Fuji nicht dem Weltnaturerbe zugeordnet. In der Liste des UNESCO-Naturerbes finden sich viele weitere vulkanische Regionen und Nationalparks, jedoch ist weder der Fuji noch der Fuji-Hakone-Izu-Nationalpark aufgeführt (vgl. UNESCO 1: OnlineArtikel auf der offiziellen UNESCO-Welterbe-Website, o. D.). Öffnet man die Website der UNESCO – dort wird die Ernennung des Berges zum Weltkulturerbe begründet – so wird im Text zunächst seine Ansehnlichkeit als Naturphänomen beschrieben: „The beauty of the solitary, often snow-capped, stratovolcano, known around the world as Mount Fuji, rising above villages and tree-fringed sea and lakes.“ (UNESCO 2: Online-Artikel auf der ­ elche dieoffiziellen UNESCO-Welterbe-Website, o. D.) Auch die Fotos in der Galerie, w sen Internetauftritt des Fuji visuell ergänzt, zeigen ihn nur in seiner ästhetischen Pracht. Das Hauptbild zeigt den Berg mit schneebedeckter Spitze in der oberen Hälfte des Fotos, wie er sich vor klarblauem Himmel nur von einigen weißen Wolken umspielt im ruhigen See vor sich spiegelt. Umrahmt von den Zweigen einiger Nadelbäume im Vordergrund und ohne jedes Unruhe stiftende Indiz steht der Berg hier wunderschön und erhaben über Landschaft, Ebene und Gewässer. Die anderen Bilder zeigen den Fuji ebenfalls in seiner vollen Schönheit und im prachtvollen Wechsel der Jahreszeiten – hinter frühlingshaftem Blumenmeer auf dem einen Bild bis zur innigen Symbiose mit schneebedeckten Baumkronen auf einem anderen. Angemerkt sei, dass man den Fuji vor Ort eher wolkenverhangen und bei diesigem Wetter vorfindet. Aufnahmen wie diese bilden eher die Ausnahme. Während auch die Bilder noch keinen Verweis darauf geben, warum der Fuji dem Kulturerbe und nicht dem Naturerbe zugeordnet worden ist, lässt ironischerweise seine touristische Beliebtheit mit den entsprechenden Konsequenzen darauf schließen: „Zum Weltnaturerbe hat es der höchste Berg Japans nicht geschafft, denn vor zehn Jahren türmten sich am Fuji noch die Müllberge“ (Liew 2013: Online-Artikel auf der Website des Ostasieninstituts Ludwigshafen). Möglicherweise ist die Bewerbung zum Weltkulturerbe also nur der Alternativplan; hiervon ist auf der Website der UNESCO jedoch nichts zu lesen. Stattdessen wird der Fuji als kulturelle Institution hervorgehoben. Der Rest des Textes wie auch die Überschrift geben Auskunft: „Fujisan, sacred place and source of artistic inspiration.“ (UNESCO 2: Online-Artikel auf der offiziellen UNESCO-Welterbe-Website, o. D.) Besonders die Holzschnitte werden hier betont (vgl. ebd.): Damit sollen allein die Bildnisse des Fuji und die Beschäftigung der Holzschnittkünstler mit ihm Grund zur Auszeichnung sein. Möglicherweise hat die Ernennung zum Weltkulturerbe dazu beigetragen, dass der touristische Andrang auf den Fuji noch weiter steigt. Im Detail sind die Gründe für die ca. 300.000 Wandernden jedes Jahr (vgl. Schnabl 2018: Online-Artikel auf ZEIT ONLINE), die den Fuji erklimmen, nicht bekannt. Vielleicht reicht das japanische Sprichwort, nach dem man weise ist, wenn man den Fuji bestiegen hat (vgl. ebd.), für manche*n als Antrieb aus. Auch das Ziel, den heiligen Berg zu überwinden, könnte als sportliche Motivation hinreichend sein. Letztlich vereinen sich die individuellen Ziele der Japaner*innen wie der internationalen Tourist*innen darin, dass sie den Fuji nach vielen Jahrhunderten erneut zum touristischen Sehnsuchtsort machen. Hier symbolisiert der Fuji die ultimative Herausf­orderung zur Überwindung der eigenen Grenzen.

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2.9 Zeitgenössische Fotografie: Der Fuji als ewiges Ikon Die etablierte Abbildungsweise des Fuji als heiliger Berg und schließlich als Ikon lässt sich auch in der zeitgenössischen Fotografie wiederfinden: Weiterhin finden sich ­solche Darstellungen des Berges, die ihn schön und mächtig zeigen. Eine Vielzahl der heutigen Fuji-Bilder folgt den historisch gewachsenen Symboliken. Die Vorstellung vom Fuji als ehrwürdiges und unverletzliches nationales Symbol wird durch eine große Menge von Fotografien gestärkt und reproduziert. In diesen Werken ist die Identifikation des Fuji üblicherweise einfach und eindeutig: Der Signifikant, hier ein Berg in einer besonderen Ausgestaltung, bezeichnet offensichtlich das Signifikat Fuji. Einem Verkennen des dargestellten Berges als Fuji wird durch das Auffahren von etablierten Darstellungsweisen (z. B. die perfekte Silhouette und die schneebedeckte Spitze) sowie von starken Symbolen, mit denen der Fuji gehäuft inszeniert wird (z. B. Kirschblüten), vorgebeugt. Die Beziehung ­zwischen dem Signifikant und dem Signifikat ist in diesen Bildern also referentiell: Der Berg Fuji wird klar als dieser erkannt und schließt gleichzeitig andere Interpretationen durch die Konnotationen aus. Voraussetzung für das (Wieder-)Erkennen ist ein bereits vorangegangenes Kennen. Nun soll es um zwei dieser Bilder gehen, w ­ elche dem fortgeführten Diskurs der FujiDarstellungen entsprechen und ihn so auch in der heutigen Ausformung prägen. Dass diese beiden Bilder Fotografien sind, ist kein Zufall: Das Medium der Fotografie kommt dem Anspruch, den Fuji in all seiner Erhabenheit und Imposanz darzustellen, sehr entgegen. Nicht nur hat sich die technische Grundlage durch die digitale Technik dahin verlagert, dass das Ergebnis schon während des fotografischen Prozesses kontrolliert, gesichert und nach Anpassung der Einstellungen wiederholt werden kann. Hinzu kommen die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, die Fotografien im Nachhinein digital zu bearbeiten, um das Bild in seine endgültige Form zu bringen. Ein sehr anschauliches Beispiel so einer FujiFotografie liefert der polnische Fotograf Greg Krycinski. Sein schwarzweißes Bild Mount Fuji over the Lake Yamanaka aus dem Jahr 2014 (Abb. 18) zeigt den Berg eingebunden in eine Landschaft, die aus nicht mehr besteht als Himmel, Hügel und Wasser. Klassischer könnte der Bildaufbau kaum sein: Der Fuji wird in der horizontalen Mitte des Bildes und in der oberen Hälfte gezeigt. Damit ist der Fuji nicht ganz zentral im Bild zu sehen. Diese nur scheinbar gebrochene perfekte Symmetrie wird jedoch wiederhergestellt durch die Spiegelung des Fuji im See vor ihm. Die Wasseroberfläche, ­welche die horizontale Mittelachse des Bildes bildet, setzt sich durch Lichtreflexionen sanft von der sonst im schwarzen Schatten liegenden Uferlandschaft mitsamt ihrer Spiegelung im See ab. An ihr wird der Berg perfekt gespiegelt und erscheint auf der Oberfläche des Sees. Hier wird die Schärfe in der Abbildung des Berges sanft in der Wasseroberfläche gebrochen und es fällt auf, dass auch der Rest des Bildes zart ausgewaschen erscheint. Während herkömmliche Fotografien eine Verschlusszeit vom Bruchteil einer Sekunde aufweisen, so muss diese Aufnahme minutenlang belichtet worden sein: Die Wolken lassen eine sanfte Bewegung erkennen, wie sie sich in Richtung Horizont hinter dem Fuji verziehen.

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Abb. 18 Greg Krycinski, Mount Fuji over the Lake Yamanaka. Digitale Fotografie, 2014, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Dieses fotografische Mittel, durch eine lange Verschlusszeit eine ästhetische Verschwommenheit im Bild zu erwirken, mag zunächst wie eine nette Spielerei wirken. Es ist aber genau d ­ ieses Mittel, welches die Fotografie so sehr hervorhebt. Markant ist, dass einzig der Fuji gestochen scharf abgebildet wird. Der Wandel der Zeit scheint ihm nichts anhaben zu können, während seine Umgebung sich weiterbewegt. Diese Alleinstellung im Bild, dazu kolossal mittig angeordnet, wird noch durch die schneebedeckte Spitze unterstützt. Sie ist, zusammen mit ihrer Spiegelung im See, der einzige hellweiße Punkt im Bild, während sich die Landschaft um den Berg herum in Grautöne bis ins tiefe Schwarz abstuft. Möchte man die Wirkung des Bildes zusammenfassen, so bleibt kaum mehr zu sagen, als dass der Fuji schön ist, mächtig und erhaben wie eh und je. Er ist eine Konstante. Das Medium der Fotografie stärkt diesen Ausdruck, da es „stillschweigender Bestandteil unseres alltäglichen Umgangs mit Fotografien, tief eingegraben in die sozialen und ästhetischen Praxen“ (Wortmann 2006: 163) ist, zu erwarten, „daß Fotografien nämlich Wirklichkeit abbilden können und es gemeinhin auch tun“ (Wortmann 2006: ebd.). Einen ähnlichen Ausdruck erreicht Ken Kitano mit seinem Bild Sunrise to Sunset, Mt. Fuji, Yamanashi (Abb. 19) aus der 2007er Reihe Series One Day. Es zeigt den Berg in einer Langzeiteinstellung im Verlauf eines Tages von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Darauf weist bereits der Bildtitel hin. Die sich bewegende Sonne erscheint dabei wie ein gleißender Lichtstrahl am Himmel. Sie kontrastiert die dunklen Bereiche in der rechten Hälfte des Bildes, die während des Tages der Aufnahme nicht belichtet wurden. Umso strahlender erscheint die linke Bildhälfte, deren unterer Teil augenscheinlich aus schierem Licht besteht. Im Himmel hinter dem Fuji findet sich durch die verschiedenen Farbtemperaturen, die durch das Wandern der Sonne hervorgerufen werden, ein volles Bouquet einer Farbpalette aus verschiedenen leuchtenden Blautönen. Auch in d ­ iesem Bild erstrahlt

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Abb. 19 Ken Kitano, one day – Mt. Fuji, sunrise to sunset, Yamanashi. Chromogener Druck, 2007, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des MEM, Tokio.

der Fuji zentral und andächtig in seiner ganzen Pracht, während das astronomische Tagesgeschehen sich wie beiläufig um ihn herum abspielt. Diese beiden Fotografien, so wie viele andere, fassen die weitreichenden Symboliken des Fuji aus den letzten Jahrhunderten zusammen. Alle diese Symboliken sind beteiligt an der Entwicklung des Fuji zum ewigen Ikon.

2.10 Ausblick: Das Ikon Fuji und das Visuelle Die Geschichte der Ikonisierung des Fuji ist vor allem eine visuelle: Bilder des Fuji sind die Grundlage des Eindrucks, der uns heute vorliegt. Die historischen Pfade sollen nun aber nicht für diese Abhandlung abgeschlossen werden. Vielmehr werden sie mit Blick auf die zeitgenössischen Erzeugnisse immer wieder gebraucht, um die aktuellen visuellen Phänomene kontextualisieren und einordnen zu können. Nicht zuletzt beinhaltet jedes Kunstwerk, das den Fuji heute zeigt, auch die ganze Geschichte seiner Ikonwerdung.

Ausblick: Das Ikon Fuji und das Visuelle | 57

Über Jahrhunderte hinweg und beinahe ununterbrochen wurde der Fuji als heiliger, schöner und erhabener Berg dargestellt. Dieser Diskurs wurde in der Vergangenheit durch die entsprechenden Künstler*innen geprägt. Es darf nicht übersehen werden, dass derselbe Diskurs auch beinahe unverändert in der Gegenwart fortgeführt wird; fast so, als wären die ikonischen Darstellungen des Fuji gerade erst entstanden. Besonders eindrucksvoll lässt sich das im Mount Fuji World Heritage Center in Fujinomiya in der Präfektur Shizuoka erleben. In d ­ iesem Museum in unmittelbarer Nähe zum Berg Fuji wird seine ganze Natur- und Kulturgeschichte nachgezeichnet: seine geologische Relevanz, die umgebende Landschaft und Tierwelt, seine spirituelle Bedeutung und nicht zuletzt sein Vorkommen in der Kunst. Der tradierte ehrerbietende Diskurs wird dabei offenbar wohlbehütet und effektiv konserviert; subversive Elemente oder ein kritischer Umgang lassen sich nicht ausfindig machen. Stattdessen imponiert die Ausstellungshalle des Architekten Shigeru Ban durch das erstaunliche Ausmaß der invertierten Fuji-Silhouette. Im Wasserbecken vor der Halle wird der Bau reflektiert und lässt die ikonische Form des Fuji wieder richtig herum erscheinen. Die Übereinstimmung dieser Szenerie mit den verbreiteten Fotografien des Fuji mitsamt Spiegelung im See vor sich ist offensichtlich. So raffiniert und zeitgenössisch der Museumskomplex auch erscheinen mag, lässt sich doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Exponate und die Art der Vermittlung konservierenden Charakter haben. Ähnlich wie zu jener Zeit die Fujizuka soll die Immersion in die Ausstellungsstücke – oft audiovisuell und multimedial installiert – eine authentische Fuji-Erfahrung ermöglichen: The exhibition indeed replicates the experience of climbing the volcanic mountain, from sea level to the top, which the Japanese consider a spiritual tradition. During the ascension, the exhibition presents the 35,000-year-long relationship between Mount Fuji and humans, the natural and geologic landscape of the mountain, its flora and fauna, how it has been depicted in art. The gallery also includes an immersive movie theater in which two documentaries on the mount are projected on a 265-inch screen. To further express the religious significance of Mount Fuji for Japanese people, the center was built adjacent to the Fujinomiya torii gate of the Fujisan Hongū Sengen Taisha Shrine. (torii (sic!) are gate structures which traditionally mark the entrance od (sic!) Shintoist shrines). (Bianchini 2019: Online-Artikel auf der Inexhibit-Website)

Dementsprechend vergeblich sucht man in d ­ iesem Museum nach zeitgenössischen und/ oder kritischen Exponaten. Solche Werke finden sich eher in der internationalen Kunstszene: In den letzten Jahrzehnten kamen nach und nach Darstellungen des Fuji auf, die von ­diesem in Fujinomiya konservierten Diskurs abweichen. Auffällig ist die Häufung in den letzten Jahren: Der Fuji wird als angreifbar gezeigt, als Gefahr oder sogar offensiv sexualisiert inszeniert. Solche Darstellungen weisen darauf hin, dass die komplexen Symboliken des Fuji heute vermehrt in der Kunst aufgegriffen, verwendet und auch völlig neu gedacht werden. Dabei sind die Referenzen der heutigen Bilder auf die visuelle Kulturgeschichte des Fuji gravierend.

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Während sich der relativ stabile und bruchfreie Diskurs des Fuji als Ikon in den letzten Jahrhunderten recht einfach handhaben und historisch nachzeichnen lässt, bringt die neue Flut visueller Phänomene Probleme mit sich: Wie lassen sich diese sehr unterschiedlichen Darstellungen des Fuji bearbeiten, ohne ihre Unterschiede durch korsetthafte Kategorienbildung abzuflachen? Gleichzeitig soll die Menge dieser Kunstwerke nicht einfach als eine große Ansammlung nicht zusammenhängender Einzeldarstellungen angesehen werden. Eine Lösung ist durch die Anwendung der Begriffe aus der Diskursanalyse möglich.

3 DAV: Diskursanalyse mit Visuellen Daten

Der Fuji-Diskurs unserer Zeit ist überaus komplex und wartet mit einem umfassenden Korpus an Kunstwerken auf, die sich mit dem heiligen Berg beschäftigen. Man könnte jedes einzelne dieser Werke mit den etablierten Methoden der Kunstgeschichte untersuchen und darüber am Ende eine Zusammenfassung schreiben. Sicherlich käme man so zu einigen interessanten Analysen. Dieser Auftakt lässt bereits erahnen, was der große Nachteil dieser Herangehensweise ist: Man erhält eine ungeordnete und große Menge an Einzelanalysen. Was aber, wenn die Einzelwerke auch miteinander in Verbindung stehen und sich wichtige Informationen auch im Dazwischen befinden? Schon wird deutlich: Die etablierten Methoden der Kunstgeschichte reichen nicht aus, um den Fuji-Diskurs in seiner ganzen Komplexität zu analysieren. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der kunsthistorischen Herangehensweise: Über Jahrhunderte hinweg wurde in der kunstgeschichtlichen Tradition immer wieder die Künstler*innengeschichte zur Würdigung und zum Verständnis einzelner Werke herangezogen (vgl. Locher 2018: 202). Das Leben und Gesamtwerk einzelner Künstler*innen als biografisches Verfahren ist Teil der Disziplin (vgl. Locher 2018: 203). Insbesondere die kunstschaffende Person steht als Individuum im Vordergrund. Seltener wird ein Werk, zwar im Kontext seiner Zeit und seiner institutionellen Bedingungen, aber losgelöst von der Biografie der kunstschaffenden Person betrachtet. Die Aussagen eines Werks werden somit auf die bedeutungsstiftende Funktion des Subjekts reduziert. Was aber ist mit den Aussagen, die zwar für ein Einzelwerk (und vor dem Hintergrund der kunstschaffenden Person) unbedeutend sind, sich aber in eine Sequenz von Werken einreihen, in deren Kontext sie sehr wohl relevant sind? So drohen in der traditionellen Herangehensweise, insbesondere angesichts großer Werkmengen, Subtexte unterzugehen. Betrachtet man die Einzelanalysen sehr vieler Werke mit einem bestimmten Sujet, dann bezieht sich der Fokus der Analyse jeweils auf das Hauptthema des Einzelwerks. Zusammengenommen bilden diese schließlich eine nicht weiter verbundene Menge einzelner Aussagen. Unbehandelt bleibt die Suche nach Zusammenhängen ­zwischen den einzelnen Werken, die sich weniger durch die Hintergründe der jeweiligen Kunstschaffenden, sondern vielmehr durch die Bedingungen des jeweiligen Diskurses, etwa durch institutionelle Machtstrukturen, erklären lassen. Genauso können Elemente untergehen, die womöglich in keinem der Werke im Vordergrund stehen, jedoch sehr häufig im Hintergrund vorkommen: Elemente, denen also scheinbar im Einzelwerk keine herausstechende Bedeutung zukommt. Gerade im Diskurs des Berges Fuji in der zeitgenössischen Kunst ist das ein wichtiger Punkt. Durch eine Ansammlung von Einzelanalysen droht das große Ganze mit seinen diskursiven Verknüpfungen unerkannt zu bleiben. Daraus folgt die These, dass die etablierten kunstwissenschaftlichen Methoden für die komplexe Analyse einer so großen Menge visueller Daten nicht hinreichend sind. Und doch: Die traditionellen kunstwissenschaftlichen Methoden sind für die Analyse großer Werkmengen nicht nutzlos. Ganz im Gegenteil: Wir sind noch immer auf sie

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angewiesen. Für eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten, kurz DAV, spielen sie sogar eine entscheidende Rolle: Darum, ein Werk auch in aller Gänze als Einzelwerk zu analysieren, kommt man auch in einer DAV nicht herum. Das Argument ­dieses Kapitels lautet, dass visuelle Daten durch die Anwendung kunstwissenschaftlicher Methoden analysiert und schließlich vertextlicht werden können. Auf diese Weise können sie in die Diskursanalyse und schließlich die DAV integriert werden: Es findet dann eine Gemeinschaftsarbeit mit kunstwissenschaftlichen und diskursanalytischen Werkzeugen statt, die eine DAV erst ermöglicht. Um zu begründen, ­welche Werkzeuge herangezogen und kombiniert werden, muss ein Rückblick erfolgen. Das eben vorweggenommene erklärte Ziel des Vorhabens mag auf den ersten Blick überzeugend und vielleicht sogar ganz unkompliziert erscheinen. So einfach ist es jedoch nicht. Das liegt auch daran, dass sich in d ­ iesem Feld, das sich ­zwischen der Kunstgeschichte und der Diskurstheorie aufspannt, unzählige Beiträge aus den verschiedensten akademischen Disziplinen finden lassen, die alle Hinweise darauf geben, was eine DAV leisten muss und auf ­welche Weise sie sich entwickeln lässt. Zu nennen sind u. a. Hajo Diekmannshenkes Beiträge aus der Bildlinguistik (vgl. Diekmannshenke et al. 2011), Nina-Maria Klugs bildsemiotische Aufsätze (vgl. Klug 2013) und Gillian Roses Überblickswerk Visual Methodologies: An Introduction to Researching with Visual Materials aus dem Jahr 2012. Es gibt sogar Arbeiten, die konkret Diskursanalysen zu Bildern bzw. visuellen Daten generell behandeln, wie Die Macht der Bilder: Photographien und Diskursanalyse von Susann Fegter aus dem Jahr 2011 und Visuelle Diskursanalyse: Ein programmatischer Vorschlag zur Untersuchung von Sicht- und Sagbarkeiten im Medienwandel von Boris Traue aus dem Jahr 2013. Die Konsultation der Ansätze aus allen Fachrichtungen lohnt sich, um auszumachen, worauf genau es bei der DAV letztlich ankommt. Was funktioniert und was funktioniert nicht? Somit sollen jene Ansätze, die der DAV vorausgehen und/oder ähnliche Ziele verfolgen, an dieser Stelle Berücksichtigung finden. Zuerst müssen jedoch die Begriffe und Konzepte, mit denen gearbeitet wird, grundsätzlich geklärt werden.

3.1 Die Diskursanalyse nach Foucault Mit dem Begriff Diskurs lässt sich der Kanon der bis hierhin besprochenen Werke sehr trefflich angehen. Diese These begeht aber scheinbar eine Verletzung an den gängigen Diskurstheorien und Handreichungen zur Diskursanalyse: In dieser Arbeit geht es um visuelles Material, während die Diskurstheorie und die Diskursanalyse traditionell wie heute Texte und andere verbale Daten zugrunde legen (vgl. Klug 2013: 163). Zunächst muss also geklärt werden, inwiefern der Diskursbegriff für das Betrachten von visuellem Material, damit auch von Kunst, hilfreich ist. Dabei gilt es zu beachten, dass es eine Vielzahl von Ansätzen dazu gibt, was ein Diskurs ist und wie er zu analysieren ist.1 Auch 1

Siehe das Überblickswerk Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse von Keller et al. in zwei Bänden: Band 1: Theorien und Methoden (in der zweiten Auflage von 2006) und Band 2:

Die Diskursanalyse nach Foucault | 61

wird die Diskursanalyse in unterschiedlichen akademischen Disziplinen angewandt und weiterentwickelt, wie in der Linguistik und in der Geschichte. Der Diskursbegriff wurde seit Mitte der 1950er Jahre mit den Entwicklungen der französischen strukturalistischen und poststrukturalistischen Strömungen in ­Theorie und Forschung bedeutsam (vgl. Keller 2011: 14). Für die heutige akademische Beschäftigung mit dem Begriff Diskurs und mit der Diskursanalyse sind vor allem die Werke des Philosophen Michel Foucault richtungsweisend (vgl. Keller 2011: 16). Das Prinzip, Diskurse zu denken, stammt von Foucault; das macht ihn gleichzeitig zu einem Diskursivitätsbegründer: Diskursivitätsbegründer*innen sind „Denker, die ganz neue ‚Ordnungen der Diskurse‘ hervorgebracht und das Feld des Sag-, Sicht- und Bearbeitbaren nachhaltig verändert haben“ (Kammler et al. 2014: VII). Umso erstaunlicher ist es, dass sich Foucaults Leistungen bezüglich der Diskurstheorie kaum auf theoretische Schriften rückbeziehen lassen, sondern vielmehr auf seine praktischen Analysen selbst. Die einzige Schrift, in der er seine Methode nicht zur Anwendung bringt, sondern über sie schreibt und diese kritisch reflektiert, ist die 1969 erschienene Archäologie des Wissens. Seine anderen Bücher bezeichnet Foucault als „kleine Werkzeugkisten“ (Foucault 2002: 887). Zu diesen sagt er, die Leser mögen sich an den darin angebotenen Werkzeugen bedienen (vgl. Foucault 2002: 887 – 888). Einen Leitfaden zur gelingenden Diskursanalyse, so wie ihn die akademische Leserschaft heute von einem Diskurstheoretiker erwarten würde, hat Foucault demnach nicht angeboten. Diese Tatsache stellt jedoch kein Hemmnis dar, den Fuji-Diskurs mit den Begriffen Foucaults zu betrachten. Ganz im Gegenteil: Die Offenheit seiner Herangehensweise lädt dazu ein, sich der umfangreichen Werkzeugkiste Foucaults gerade mit Blick auf visuelle Elemente des Diskurses zu bedienen. Was also bedeutet Diskurs bei Foucault? Weil seine Verwendung des Diskursbegriffs über die Jahrzehnte in seinen verschiedenen Schriften nicht konstant ist, lässt sich bei Foucault keine prägnante Definition des Konzepts finden, die der Arbeit mit Diskursen entgegenkommt. Kammler et al. liefern in ihrem Handbuch Foucault (2014) eine Kurzdefinition, die sich auf Foucaults eigene theoretische Reflexionen bezieht: „Diskurs […] meint in der Archäologie des Wissens demnach eine Praxis des Denkens, Schreibens, Sprechens und auch Handelns, die diejenigen Gegenstände, von denen sie handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt.“ (Kammler et al. 2014: 234) Ferner erläutern sie, auf welcher Grundlage sich Diskurse durch die Methode der Diskursanalyse analysieren lassen: Diskurse folgen innerhalb bestimmter historischer Schnitte einem für sie von anderen unterscheidbarem synchronen Set von Regularitäten, das bestimmt, wie und was gedacht, geschrieben, gesprochen, gehandelt werden kann, was als wahr und was als falsch gilt: „Diskursanalyse zielt darauf, festzustellen, was faktisch gesagt wurde und dann gleichsam zu stabilen Aussagemustern kristallisierte, die nach einiger Zeit wieder zerfallen“ (Sarasin 2005, 106) und deren Gesamtheit ein Archiv […] bildet. (Kammler et al. 2014: 234; Hervorhebung im Original) Forschungspraxis (in der vierten Auflage von 2010).

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In diesen Ausführungen zum Konzept Diskurs wird deutlich, dass ein Diskurs nicht schlichtweg als ein Produkt seiner Zeit oder als Resultat einzelner Äußerungen angesehen werden darf, sondern dass er auf sich zurückwirkt. Der Ort des Diskurses ist jeweils die Gesellschaft, aus der er erwächst, ausgegangen davon, „daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird“ (Foucault 1991: 10 – 11). Die Methode der Diskursanalyse ist demnach kein statisches Unterfangen, in dem aus einer definierten Ausgangsposition heraus eine bestimmte Menge von Aussagen untersucht wird, sondern es muss auch die Bedingtheit jener einzelnen Aussagen durch den Diskurs selbst mitbedacht und gleichermaßen analysiert werden. Mit dieser Minimaldefinition und ihrer Erläuterung tut sich ein großer Raum der Foucaultschen Begriffswelt auf. So ist auch der eben verwendete Begriff Aussage nicht zu übergehen. Einerseits haben wir durch unsere gewöhnliche Verwendung d­ ieses Begriffs ein alltagsweltliches Verständnis davon. Weil der Begriff aber ein zentrales Element im Denken Foucaults darstellt, lohnt sich eine genauere Betrachtung: Für Foucault ist die Aussage die elementare Einheit des Diskurses (vgl. Foucault 1973: 116 – 117). Dabei ist die Aussage nach Foucault nicht, und das steht unserem Alltagsverständnis entgegen, auf einen wohlgeformten Satz und auch nicht auf ein gesprochenes oder geschriebenes Wort reduzierbar. Eine Aussage kann z. B. auch in Form einer Grafik auftreten und muss nicht unbedingt von einer Person sprachlich geäußert werden (vgl. Foucault 1973: 117 – 122). Somit ist denkbar, dass Aussagen auch in visueller Form, etwa als Zeichnung des Fuji, vorliegen können. In der oben zitierten Definition wird auch das Archiv angesprochen. Ebenso wie der Begriff Diskurs ist er komplex und hat sich über die Jahre verändert: „Foucaults Konzeption des Archivs changiert z­ wischen Methode und Arbeitsort, Institution und Verfahren“ (Kammler et al. 2014: 221). Im Kern scheint Foucault aber auch hier nichts Statisches zu meinen, sondern ein komplexes System. In seinen Dits et Écris schreibt er: Ich werde als Archiv nicht die Totalität der Texte bezeichnen, die für eine Zivilisation aufbewahrt wurden, noch die Gesamtheit der Spuren, die man nach ihrem Untergang retten konnte, sondern das Spiel der Regeln, die in einer Kultur das Auftreten und das Verschwinden von Aussagen, ihr kurzes Überdauern und ihre Auslöschung, ihre paradoxe Existenz als Ereignisse und als Dinge bestimmen. (Foucault 2001: 902; Hervorhebungen im Original)

Ein Archiv ist somit nicht als Gefäß für die Menge an Aussagen einer bestimmten Zeit zu verstehen, sondern als Regelwerk dafür, in welcher Gestaltung Aussagen überhaupt auftreten können. Dies lässt sich an den Fuji-Darstellungen der letzten Jahrhunderte sehr gut illustrieren. Nehmen wir an, der Fuji-Diskurs bestünde aus verschiedenerlei Aussagen. Damit ist klar, dass das Archiv nur s­ olche Aussagen überhaupt ermöglichte, die jener Zeit wiederum entsprachen. Aussagen über einen ehrwürdigen Berg, über einen heiligen Berg und über ein landschaftliches Monument ließen sich treffen und sie wurden getroffen. Das Archiv schloss jedoch, als nur ein Beispiel, Aussagen über eine Verbannung des Fuji aus dem kulturellen Kanon, weil er ein teuflischer Vulkan sei, aus. Das Archiv beschreibt schließlich die Gesamtheit von Regeln darüber, was zu einer bestimmten Zeit (ob durch

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Aussagen visueller, sprachlicher oder anderer Art) ausgesagt und überhaupt gewusst werden kann und was nicht. Es ist eine positive Beschränkung, die wiederum selbst in ständigem Wandel ist und sich regelmäßig aktualisiert. Dadurch ist das Archiv gleichzeitig nur begrenzt zugänglich (vgl. Foucault 1973: 59). Zu beachten ist dabei, dass eine bestimmte Art von Aussagen zwar prinzipiell möglich sein kann, während sie durch Zensur unterdrückt werden soll (vgl. Foucault 1977: 104). Diese Tabuisierung wirkt jedoch, ganz im Gegenteil, als Sprechanreiz, wie es Foucault am Beispiel des Umgangs mit Sexualität im 19. Jahrhundert in seinem Band Der Wille zum Wissen (1977) verdeutlicht. An dieser Stelle sei nur vorweggenommen, dass sich der Einfluss von Tabuisierungen auf einen Diskurs am visuellen Fuji-Diskurs hervorragend nachvollziehen lässt; die Vielzahl sexuell aufgeladener Darstellungen in den letzten Jahren ist eng verbunden mit der Sexualpolitik der japanischen Regierung (vgl. Kapitel 4.1). Im Gegensatz zum Archiv ist die diskursive Formation nach Foucault sehr wohl begrenzt. Eine diskursive Formation besteht stets aus einer endlichen und begrenzten Menge an Aussagen, die in einem bestimmten Feld des Wissens in einem gegebenen Zeitraum aufzufinden ist (vgl. Kammler et al. 2014: 56). So lassen sich die visuellen Aussagen der Fuji-Darstellungen aus den letzten Jahrzehnten der Edo-Zeit zusammen mit textlichen und anderen Aussagen über den Fuji jener Zeit als eine diskursive Formation verstehen. Wird d ­ ieses Verständnis der diskursiven Formation wieder auf den Diskursbegriff, wie oben erläutert, zurückgeworfen, so erschließt sich weiter, wie sich visuelle Daten damit übereinbringen lassen: Diese Darstellungen des Fuji bedingten wiederum, wie darauffolgende Fuji-Darstellungen aussehen würden. Die Inszenierungen des Fuji als mächtiges und erhabenes Symbol Japans brachten selbst weitere Werke derselben Art hervor und verfestigten somit den Diskurs. Eine Diskursanalyse des Fuji in den letzten Jahrhunderten, und zwar inklusive visueller Daten, würde also danach fragen, was faktisch über den Fuji ausgesagt wurde und sich gleichzeitig zu Aussagemustern verfestigen würde: Wie kommt es, dass eine bestimmte Aussage und nicht eine andere an ihrer Stelle getätigt wurde (vgl. Foucault 1973: 42)? Es wird deutlich, dass sich mit Foucaults Diskursvokabular hervorragend über visuelle Daten bzw. Kunst sprechen lässt. Das eigentliche Erkenntnispotenzial des Sprechens über Visuelles mit Diskursvokabular erschließt sich aber erst an der Stelle, an der Brüche auftauchen (vgl. Foucault 1991: 38). Wie verläuft der Prozess des Übergangs von einem in einen anderen Diskurszustand? Welche Ereignisse und schließlich Brüche finden statt, die diese Übergänge mit sich bringen? An dieser Stelle wird deutlich, warum Diskontinuität bei Foucault eine so große Rolle spielt. Es ging ihm nicht darum, die Einheit eines Diskurses durch seine dauerhaften Merkmale zu beschreiben, das heißt die Individualität des Diskurses zu fixieren (vgl. Kammler et al. 2014: 233). Er wandte sich auch gegen in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften oft genutzte Begriffe wie Tradition, Einfluss oder Entwicklung: „(…) [S]ie gestatten, eine Folge von verstreuten Ereignissen zu gruppieren, sie auf ein einziges und gleiches organisatorisches Prinzip zu beziehen“ ­(Foucault 1973: 34). Dies hielt er weder für zulässig noch für gewinnbringend (vgl. Foucault 1973: 33 – 34). Stattdessen sah Foucault „die Einheit eines Diskurses in der Gesamtheit von Regeln, die

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weniger vom Gegenstand in seiner Identität als von seiner beständigen Differenz, seiner Streuung Zeugnis ablegen“ (Foucault 2001: 898 – 899). Diskontinuität kann nur auf Grundlage dieser Streuung erwachsen und erst so können diskursive Teilmengen sichtbar, neue diskursive Formationen erkannt und Subdiskurse identifiziert werden. Folglich: Wenn es in dieser Arbeit heißt, der Fuji-Diskurs sei relativ homogen gewesen, so schließt das eine gewisse Varianz und Abweichung mit ein. Beispielsweise wurde der Berg Mitte des 20. Jahrhunderts zwar recht einheitlich als unsterbliches Symbol Japans gezeigt. Dennoch weichen einige Darstellungen seitens der Alliierten stark von der Flut japanischen Materials ab und markieren Randstellen dieser diskursiven Formation, indem sie den Fuji angreifbar zeigen. Dieser Randbereich zeigte zwar verhältnismäßig wenig Präsenz, doch sind es genau diese Aussagen des Diskurses, die gerade noch als zugehörig angesehen werden können, ­welche ihn in ihrer Gesamtheit sehr trefflich beschreiben. Und etwas weiter gedacht sind es gerade diese Randstellen, die eine Verschiebung eines Diskurses und eine Transformation erst ermöglichen. Dies sind die Überlegungen zur intradiskursiven Formation von Diskursen, mit denen Foucault sich zunächst auseinandersetzte. So ging es ihm in der Archäologie des Wissens darum, die internen Mechanismen der Selbstkontrolle von Diskursen zu erfassen (vgl. Kammler et al. 2014: 64). Die jeweiligen Konstitutionsregeln eines Diskurses, seine Formation und die Transformation in andere Diskurse sollten rekonstruiert werden. Foucault weitete seine Perspektive dann in seiner genealogischen Phase (vgl. Kammler et al. 2014: 237) über den Rand des Diskurses hinaus aus. Seit Die Ordnung des Diskurses (Erstveröffentlichung 1971) nahm er insbesondere extern auf den Diskurs wirkende Gesichtspunkte ins Visier und beschäftigte sich mit Macht, Ausschließung und Verknappung (vgl. ebd.). Auch diese Begriffe sind von großer Bedeutung, wenn man sie auf visuelle Daten anwendet. So lässt sich ein Fuji-Diskurs zu jedweder Zeit nur dann verstehen, wenn berücksichtigt wird, ­welche Darstellungen warum, wann, wo gezeigt und überhaupt produziert worden sind. Klassisch wird Kunst dem Genie zugeordnet, welches frei aus sich heraus schafft und mit seinen schöpferischen Fähigkeiten als göttlich begnadet gilt (vgl. Karsten 2018: 189). Folgt man Foucault, sind die Elemente eines spezifischen Diskurses aber immer an ihre Hintergründe und nicht zuletzt an bestehende Machtstrukturen gebunden. Welche Daten werden aus dem Diskurs ausgeschlossen, sind also nicht sagbar oder nicht zeigbar bzw. nicht malbar? Durch ­welche Prozesse wird (direkt und indirekt) gesteuert, was rezipiert werden kann und was nicht? Kammler et al. schreiben: Foucaults Machtkonzept fügt den Machtbegriff als Analysekategorie dort ein, wo die Ordnung der Dinge natürlich erscheint und der Blick auf ihr historisches Gewordensein verstellt ist. […] Dass sich weder die Ordnung noch die Bedeutung der Dinge aus ihrer materiellen Präsenz ergeben und dass die Dinge weder vorgegeben noch unveränderbar sind, zeigt, dass sie eingebunden sind in eine Machtgeschichte. (Kammler et al. 2014: 273)

Foucaults Machtbegriff ist somit nicht deckungsgleich mit dem alltagspraktischen Begriff, wie er z. B. in der Kleine[n] Philosophie der Macht beschrieben ist: „Macht hat, mächtig

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ist – so der vordergründigste Gedankenschritt – wer in der Lage ist, etwas zu machen“ (Mayer-Tasch 2018: 13). Foucault beschreibt Macht nicht als repressives Mittel, das sichtbar und spürbar ist und das durch eine Person ausgeführt wird. Macht ist keine Einheit, die übergeordnet eingesetzt wird und steuert. Vielmehr versteht er Macht als eine bewegliche Kraft, die in die gesellschaftlichen Institutionen eingebunden und dadurch veränderlich ist. Damit ist Macht kein zentrales System, sondern eine dezentral, von Element zu Element wirkende Kraft (vgl. Foucault 2003: 197). Eine Analyse nach Foucaults Machtbegriff kann bezogen auf visuelle Daten demnach sehr aufschlussreich sein. Sie eröffnet Fragen nach den einzelnen Akteur*innen wie Galerist*innen, Kunstkritiker*innen, Rezipient*innen sowie nach ihren übergeordneten Positionen im diskursiven Feld. Für eine gelingende Analyse müssen diese Faktoren mitgedacht werden. Der Mehrwert eines diskursanalytischen Ansatzes liegt schließlich im Einbezug der gesellschaftlichen und institutionellen Praktiken, die hinter den Kunstwerken und auch ihren Erschaffer*innen stehen; erst durch die Analyse aller beteiligten Akteur*innen, Institutionen und Hintergründe lässt sich die gesellschaftliche Wirklichkeit, produziert durch Kunst, erfassen. Schließlich, so die These, tragen visuelle Daten wesentlich zur gesellschaftlichen Wirklichkeit bei und produzieren diese (mit).

3.2 Visuelle Daten und Kunst – worum genau geht es hier eigentlich? Die Begriffe visuell und Kunst wurden bereits mehrfach in dieser Arbeit genannt. Sie bedürfen der Klärung, denn sie sind zentral. Der Begriff des Visuellen ist weiter gefasst als der Begriff der Kunst: Die bildenden Künste fallen in den Bereich des Visuellen, während das Visuelle prinzipiell alle Phänomene einschließt, die sichtbar sind. Die Hervorhebung des Visuellen ist nur in Abgrenzung zum Nichtvisuellen möglich (vgl. Mitchell 2008: 240 – 241); die visuelle Kultur untersucht schließlich die spezifisch visuelle Komponente der Kultur (vgl. Mitchell 2008: 240), das heißt die sichtbare. Mitchell konkretisiert: „Die Vorstellung, daß Visuelle Kultur eine Dimension darstellt, die sich in gewisser Weise ‚außerhalb‘ der Sprache befindet und von ihr distinkt ist, heißt also nicht, daß sie in keinem Verhältnis zur Sprache steht.“ (Mitchell 2008: 242) Somit sind das Visuelle und das Nichtvisuelle miteinander verbunden. Spezifischer als das Visuelle ist Kunst laut dem Kunsthistoriker Nils Büttner die schöpferisch-gestaltende […] Umsetzung innerer und äußerer Erscheinungsinhalte in ein diese transzendierendes Werk, das vom Betrachter als ästhetischer Wert empfunden wird […]. Seither bezeichnet K[unst] im engeren Sinne die Schöpfung bzw. die Gesamtheit jener Hervorbringungen, die allgemein für K[unstw]erke gehalten werden. K[unst] entsteht nicht allein durch Produktion, sondern auch durch Zuschreibung. Erst durch die Einbeziehung des Rezipienten als aktivem Mitschöpfer werden ästhetische Hervorbringungen zur K[unst], indem er das besondere Zeichensystem, das Form und Inhalt eines K[unstw]erks bestimmt, wahrnimmt und bewusst oder unbewusst entschlüsselt. (Büttner 2018: 195)

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Relevant für eine umfassende Diskursanalyse sind prinzipiell alle visuellen Daten. Kunst und andere visuelle Erzeugnisse können aussagekräftige Daten für eine Diskursanalyse stellen. Auf dieser Grundlage bedarf es einer Erklärung, warum sich diese Arbeit inhaltlich um Kunst dreht und nicht um visuelle Daten allgemein.2 Immerhin gibt es eine immense Menge visuellen Materials mit dem und über den Berg Fuji ohne künstlerischen Hintergrund – warum sollte man ­dieses nicht zurate ziehen? Die Antwort auf diese Frage ist mehrschichtig. Zunächst sind abermals die Begriffe Foucaults wichtig. Wie bereits beschrieben, sind nicht die fortbestehenden, homogenen Elemente des Diskurses von Interesse; es sind die Stellen, an denen Brüche entstehen. Bei der sich immer wiederholenden Darstellung des Fuji als imposanter Berg in der Landschaft vor blauem Himmel sehen die Rezipierenden vielleicht nicht mehr hin. So eine Darstellung bringt nichts Neues. Die Rezipierenden haben sich an diese Art gewöhnt, während die Abbildungen ohnehin nicht sichtbar werden; sie gehen im Diskurs unter. Im Gegensatz dazu ist zu erwarten, dass sie hinsehen, wenn der Fuji im pädosexuellen Kontext dargestellt wird oder wenn er als Vulkan ausbricht. Diese Darstellungen enthalten etwas grundlegend Neues, das für Irritation und Interesse sorgt. Aus demselben Grund erreichen sie überhaupt eine Sichtbarkeit inmitten des vielen reproduzierten und reproduzierenden Materials; betrachtet man die Machtstrukturen und internen Funktionen der Kunstszene, wird deutlich, weswegen die Reichweite insbesondere solcher oft provokativen Werke überproportional befördert wird. In ­diesem Kontext kommt unweigerlich die Frage danach auf, was historisch und gesellschaftlich dazu führte, dass genau diese Aussagen zu jener Zeit an jener Stelle sagbar geworden sind. Denn tausend Jahre vorher waren sie es nicht. Durch ihre Abweichung in der Darstellung werden ­solche Werke gleichzeitig besser sichtbar und haben mehr Wirkmacht: Es ist zu erwarten, dass sie mehr Einfluss auf den jeweiligen Subdiskurs, dem sie sich zuordnen lassen, und auf den Diskurs als Ganzes haben. Es sind nicht die 100 immer gleichen Darstellungen, die in ihrer Homogenität besonderen Einfluss auf den Diskurs ausüben, sondern es sind die wenigen Darstellungen, ­welche die Grenzen des Diskurses beschreiben und gleichzeitig herausfordern. Diese Grenzerweiterungen entspringen den künstlerischen Beschäftigungen mit dem Fuji, nicht den Werbebildern, Postkarten und Covern von Bildbänden. Deswegen werden in dieser Arbeit künstlerische Darstellungen des Fuji untersucht. Es lässt sich darüber streiten, inwiefern die bereits vorgestellten Fotografien im vorigen Kapitel von Greg Krycinski und Ken Kitano (Abb. 18 und Abb. 19) zu solchen entscheidenden „künstlerischen“ Darstellungen zählen. Sicherlich gehören sie nicht zu den außerordentlich herausfordernden Werken im Diskurs: Sie reproduzieren das tausend Jahre alte Bild des ehrwürdigen Fuji, der über alles erhaben ist. Dies betrifft jedenfalls die Ebene des Ausdrucks bzw. der Interpretation. Neu sind jedoch die Mittel, mit denen beide Künstler zu d ­ iesem Ausdruck kommen. Fotografien und Schnappschüsse des Fuji hat es seit der 2

Inhaltlich beschäftigt sich die Arbeit spezifisch mit Kunstwerken; die Methode der DAV wird aber, wie der Name bereits sagt, für visuelle Daten als übergeordnete Kategorie entwickelt.

Visuelle Daten und Kunst – worum genau geht es hier eigentlich?  | 67

Erfindung der Kamera gegeben. Die Perfektion dieser beiden Abbildungen jedoch und die Intensität des Ausschöpfens des fotografischen Werkzeugs ist eine Errungenschaft der letzten Jahrzehnte. Das Außergewöhnliche an diesen beiden Darstellungen ist nicht die Wirkung des Fuji an sich. Es ist die Illusion der außerbildlichen Realität, die durch die Anwendung des scheinbar dokumentarischen Mediums der Fotografie hergestellt wird (vgl. Blunck 2010: 19). In Analogie zur Malerei: Der Fuji würde möglicherweise als überhöht gemalt wahrgenommen werden; fotografiert bestünde die angenommene Wirklichkeit (des strahlenden und ewigen heiligen Berges) auch unabhängig vom fotografischen Prozess. Solche Werke sind also mit großer Vehemenz daran beteiligt, den lange währenden Diskurs des Ikons Fuji zu reproduzieren, zu stabilisieren und zu verwurzeln. Diese Gemeinsamkeit verbindet beide Bilder im visuellen Diskurs um den Berg Fuji. Die ikonische Darbietung geht auf die Darstellung zurück, wie Hokusai sie vor 200 Jahren etabliert hat. Nur hier impliziert das Medium der Fotografie, dass „die bildvorgängige Wirklichkeit weitestgehend unabhängig vom Akt des Fotografierens existiert“ (ebd.). Die Auswahl der visuellen Daten, die in die DAV aufgenommen werden und damit die diskursive Formation bilden, hängt einerseits von der Wahl der diskursanalysierenden Person ab. Diese Auswahl fußt auf dem Stellenwert als künstlerische Arbeiten. Für die Bedeutung im Diskurs ist darüber hinaus die Wirkmacht der einzelnen Werke entscheidend: Weist das Werk Referenzen auf die Vergangenheit, auf die Zukunft auf? Wie hängt es mit anderen Elementen des Diskurses zusammen? Und nicht zuletzt: Durch ­welche Akteur*innen und Institutionen gelangt das Werk zu seiner entsprechenden Position im Diskurs? Durch w ­ elche Mechanismen wurde und wird es sichtbar? An dieser Stelle gilt es, die etablierte kunsthistorische Quellenforschung nicht mit den Grundsätzen der Diskursanalyse durcheinanderzubringen. Die Kunstgeschichte fragt auch nach der Künstler*innengeschichte (vgl. Locher 2018: 202), das heißt: Von wem stammt das Werk? Was ist die Intention der kunstschaffenden Person? Wie ist das Werk in der Biografie des Individuums begründet? Wie aussagekräftig und bedeutsam ist es durch diesen Hintergrund? Zusammengefasst: Wie lässt sich das einzelne Werk auf das Subjekt, das es produziert hat, zurückbeziehen und dadurch gleichzeitig (mit)analysieren? Foucault hat zwar nicht über Künstler*innen gesprochen. Er hat sich aber umfassend zur Rolle des Subjekts im Diskurs und schließlich über die Bedeutung der Autor*innen Gedanken gemacht. Diese Ausführungen sind auch für die Integration visueller Daten in die Diskursanalyse aufschlussreich, ist doch der/die Autor*in als Produzent*in des Textes analog zum/zur Künstler*in als Produzent*in des Kunstwerks. Übergeordnet spielt das Subjekt, ob nun Autor*in eines Textes oder nicht, nicht die herausragende Rolle, wie sie Autor*innen, Künstler*innen und Individuen fortlaufend zugeschrieben wurde und wird. Foucault stellt die ­Theorie des Subjekts, so wie sie seit Descartes diskutiert wird, infrage. Danach ist das Subjekt ein souveränes Individuum mit autonomem Handlungswillen und Schöpferfunktion (vgl. Foucault 2003: 66). Oft missverstanden, so strebt Foucault jedoch nicht nach der Abschaffung des Subjekts oder verneint seine Existenz (vgl. Kammler et al. 2014: 293). Er beurteilt die Rolle des Subjekts jedoch anders und nimmt ihr die so oft zugesprochene vollkommene Autonomie. Natürlich stammen, auch nach Foucault, einzelne

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Aussagen unabweisbar von individuellen Subjekten. Diese Aussagen sind jedoch weniger den Personen in ihrer singulären Identität zuzuschreiben, sondern ihrer Subjektposition (vgl. Foucault 1973: 136). Das heißt, die von einem Subjekt getätigte Aussage hätte auch von einem anderen solchen gemacht werden können, und zwar von einem, das dieselbe Subjektposition einnimmt. Es ist demnach nicht das Individuum, das schöpferisch eine Aussage hervorbringt, sondern der Raum der Subjektposition, der diese Art der Aussage erst bedingt. Dieser Zusammenhang wird noch klarer, wenn Foucaults Machtbegriff hinzugenommen wird. Schließlich wird nicht dem Subjekt Macht zugesprochen, durch ­welche es seine Umgebung formt. Foucault denkt es andersherum: Das so entworfene Subjekt konstituiert sich in Kräfteverhältnissen der Macht und als Wirkung von Macht. Macht ist demnach das, was das Subjekt – in seiner je spezifischen historischen und gesellschaftlichen Form – erst hervorbringt, bildet und formt. […] Es ist Wirkung und nicht Urheber einer gesellschaftlichen Ordnung. (Kammler et al. 2014: 294)

Bezogen auf Kunst heißt das, dass Kunst viel weniger im Hinblick auf die dahinterstehenden Künstler*innen analysiert werden müsste. Was das genau bedeutet, erschließt sich aus Foucaults Darlegungen zum Begriff Autor. Er betont, dass der Autor nicht als Kategorie anzusehen ist, in die seine Aussagen entsprechend eingeordnet werden (vgl. Foucault 2001: 1014). Die Texte der Autor*innen sollten in der Diskursanalyse nicht als ganze betrachtet und auf die Autor*innen zurückgeworfen werden. Bei dieser Vorgehensweise entsteht schließlich das Problem, dass der Inhalt der Texte unter der Prämisse der gedachten Einheit der jeweiligen Autor*innen verstanden wird (vgl. Foucault 1991: 20 – 21): Es wird nur das interpretiert, was zum bisherigen Bild des Autors bzw. der Autorin passt und alles, was ihm nicht entspricht, droht unterzugehen. Kammler et al. schreiben dazu: „Will der Wissenschaftler etwas anderes oder mehr in den Texten lesen, muss er vom Autor abstrahieren“ (Kammler et al. 2014: 229). Findet diese Abstraktion von den Autor*innen nicht statt, so wird der Inhalt ihrer Texte verknappt. Für eine Diskursanalyse bedeutet das also, dass die Texte nicht mehr als Einheiten interpretiert werden dürfen und zudem unabhängig von der Autor*innenenschaft verstanden werden müssen. Diskurse sind schließlich thematisch gebunden. So erarbeitete Foucault selbst die ­Themen Strafvollzug, Wahnsinn und Sexualität zwar mit Texten, aber jeweils über die Grenzen dieser einzelnen Texte hinaus (vgl. Kammler et al. 2014: 228). Damit werden Autor*innen sowie Texte in ihrer Ganzheit unwichtiger. Foucaults Ausführungen zur Autor*innenenschaft und zur Stellung des Subjekts auf die Produktion und Analyse von Kunst anzuwenden ist erstaunlich einfach. Danach sollten auch Kunstwerke nicht entsprechend den Produzent*innen und insbesondere entsprechend den dahinterstehenden Biografien interpretiert werden, sondern gemessen am Thema der angesetzten Diskursanalyse. Später erst soll es darum gehen, wie das im Detail aussehen kann. Hier wird jedoch bereits deutlich, inwieweit Kunstwerke ohne die persönliche Biografie der dahinterstehenden Künstler*innen in der Diskursanalyse Berücksichtigung finden sollten.

Visuelle Daten und Kunst – worum genau geht es hier eigentlich?  | 69

Nicht zuletzt stellt sich noch die Frage, wie mit den Aussagen verbaler Art umzugehen ist, ­ elche die entsprechenden Künstler*innen außerhalb ihrer künstlerischen Arbeit tätigen. w Sollen diese in die Diskursanalyse mitaufgenommen werden? Künstler*innen produzieren ihre Kunst nicht nur, sondern vermitteln und verkaufen sie auch. Die Aussagen, die Künstler*innen öffentlich machen, können also von marketingstrategischer Ausrichtung sein. Das heißt, dass die Künstler*innen ihre öffentlichen Aussagen möglicherweise in jener Motivation formen, ­welche die Vermittlung und den Verkauf ihrer Kunst positiv begünstigt. Diese marketingbezogenen Aussagen sind nicht immer deckungsgleich mit dem, was die Werke durch sich selbst und aus ihrer Position im Diskurs heraus sagen. Anhand formaler Mittel lassen sich konkrete Bildaussagen sehr gut belegen und begründen. Wenn Künstler*innen wiederum eine andere Interpretation in den Vordergrund stellen, so mag das für Irritationen sorgen, ist aber kein Widerspruch. Erst recht mit Blick auf das Marketing von Kunst kommen ­solche scheinbaren Widersprüche oft zustande (vgl. Teuwsen 2016: 45 – 52). Nach dem hier verfolgten Ansatz Foucaults darf es jedoch nicht darum gehen, verborgene Ansichten aufdecken zu wollen oder nach vermuteten Wahrheiten zu forschen. Die Diskursanalyse sucht nicht nach unterstellten intrinsischen Wahrheiten, sondern fragt danach, wie Wahrheit gesellschaftlich hergestellt wird (vgl. Hirseland und Schneider 2006: 377). Das bedeutet jedoch nicht, in einer Diskursanalyse mit Visuellen Daten die Aussagen der Künstler*innen gänzlich ausschließen zu müssen. Stattdessen dürfen die verbalen Aussagen miteinbezogen werden, aber eben genau unter der Perspektive der marketingstrategischen und öffentlichkeitswirksamen Ausrichtung. Denn auf diese Art und Weise formen sie den Diskurs mit und haben Einfluss darauf, wie ein bestimmtes Werk im Diskurs verortet ist und w ­ elchen Einfluss es wiederum auf den Rest des Diskurses hat. In Analogie dazu muss auch die Frage danach beantwortet werden, ob die Biografie der Künstler*innen komplett außen vor gelassen werden soll. Die Antwort lautet: Nein, es gibt gewisse Ausnahmen. Die Biografie der Künstler*innen ist dann für die Diskursanalyse relevant, wenn einzelne Momente daraus begründen, weswegen ein Werk überhaupt sichtbar ist bzw. ­welche Institutionen daran beteiligt sind. Das heißt, rein für den Werkinhalt relevante biografische Informationen, z. B. persönlicher oder privater Natur, müssen außen vor bleiben, während biografische Elemente, ­welche die äußere Sichtbarkeit und Verbreitung des Werks beeinflussen, berücksichtigt werden sollten. Dazu gehören biografische Daten, die Machtpositionen im Diskursfeld kennzeichnen; beispielsweise sind Künstler*innen besser sichtbar, wenn sie selbst eine Institution, etwa ein Museum, leiten, wenn sie an einer Kunstakademie eine Klasse führen oder mit renommierten Preisen ausgezeichnet sind. Nach diesen vielen Thesen, wie visuelle Daten in die Diskursanalyse nach Foucault aufgenommen werden können, ohne ihm zu widersprechen, verbleibt noch zu klären: Was würde Foucault selbst eigentlich dazu sagen? Wie war sein eigener Blick auf visuelle Daten und w ­ elchen Stellenwert räumte er ihnen ein? Tatsächlich hat Foucault einige wenige Schriften zur Kunst verfasst, in denen er aber nicht diskursanalytisch arbeitet. Daher sind sie mit Blick auf die Diskursanalyse kaum relevant. Es sind gerade seine

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gesellschaftlichen Analysen, die bildwissenschaftlich interessant sind. Hier hat er weniger künstlerischen Darstellungen Raum eingeräumt als vielmehr solchen Darstellungen mit Repräsentationsfunktion (vgl. Kammler et al. 2014: 117). Mit seiner Th ­ eorie der Sichtbarkeiten legte er dar, wie visuelle Eindrücke nicht nur sinnlich gegeben, das heißt sichtbar sind sondern dass sie auch anderes erst sichtbar machen (vgl. ebd.). Im Sichtbaren manifestieren sich für Foucault Wissen und Macht. Somit war es für ihn zielführend, die Bedingungen zu analysieren, die das Erscheinen bestimmter Bilder überhaupt erst ermöglichten. Diese ­Theorie der Sichtbarkeiten hat er vor allem anhand der Architektur entwickelt: So analysierte er in Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses die Organisationsform des Raumes und was diese wiederum sichtbar macht unter Zuhilfenahme von 30 Abbildungen. Es ist das einzige Buch, in welchem Foucault Abbildungen analytisch-argumentativ genutzt hat. Vorrang hatten für ihn eindeutig Texte. Gleichzeitig würdigte er zwei Schriften des einflussreichen Kunsthistorikers Erwin Panofsky, über den an späterer Stelle noch zu sprechen sein wird (vgl. Kapitel 3.4; 3.6 – 3.8). Foucault wertete Panofskys Studien als Fingerzeig: Das Verdienst, das er Panofsky bescheinigt, signalisiert eine zu ­diesem Zeitpunkt überraschende Abkehr vom Primat der Sprache: Die Ikonologie hebe ‚das Privileg des Diskurses auf‘ (DE I, 797), um stattdessen die komplexen und wechselhaften Beziehungen ­zwischen Text und Bild zu verfolgen. (Kammler et al. 2014: 121)

Foucault bietet damit wesentliche Anknüpfpunkte für die Untersuchung der diskursiven Funktionen visueller Daten: Auch künstlerische Darstellungen lassen sich als Elemente des Diskurses sehen, die nicht nur sichtbar sind, sondern auch sichtbar machen. Außerdem manifestieren sich Wissen und Macht in der Art und Weise, wie zeitgenössische Kunst verbreitet, verkauft, gekauft und ausgestellt wird. Letztlich stellt sich also nicht die Frage danach, ob und wie visuelle Daten in die Diskursanalyse integriert werden sollen oder können. Die eigentliche Frage lautet an dieser Stelle: Warum haben sich die Disziplinen so lange den visuellen Daten in der Diskursanalyse verweigert und tun dies mitunter noch immer? Immerhin lässt sich feststellen, dass Foucaults Ausführungen in den heutigen Bildwissenschaften immer öfter herangezogen werden; gelegentlich wird er mit dem visual turn bzw. iconic turn in Verbindung gebracht (vgl. Kammler et al. 2014: 117). Es mag sein, dass Foucault sich im weiteren Verlauf seiner Arbeit selbst noch intensiver der Rolle des Visuellen für die Diskursanalyse gewidmet hätte. Leider ist es aufgrund seines frühen Todes dazu nicht mehr gekommen.

Annäherung an die Diskursanalyse mit Visuellen Daten | 71

3.3 Annäherung an die Diskursanalyse mit Visuellen Daten In der Suche nach Möglichkeiten zu einer DAV stellen sich viele Fragen. Vor allem: Wie genau sieht so eine DAV am Ende aus? Sollen die Werke auseinandergenommen und in einzelne Werkelemente aufgeschlüsselt werden? Wenn ja, wie? Wie lassen sich distinkte Elemente voneinander abgrenzen und systematisieren? Wie lassen sich die Darstellungsmodi von Kunstwerken kategorisieren und möglichst eindeutig identifizieren, so dass eine Unterscheidung erst möglich wird? Eine große Herausforderung besteht offenbar darin, nicht-gegenständliche, aber deutlich wahrnehmbare Werkelemente wie Stimmungen dingfest und für die weitere Analyse nutzbar zu machen. Die These ist, dass interpretative Vorgänge für das Vorhaben unverzichtbar sind und dass grundlegende kunstwissenschaftliche Analysemethoden auf diese Weise Teil einer DAV sein müssen. Foucault hat seine Überlegungen und Untersuchungen fast ausschließlich auf sprachliche Daten bezogen. Dennoch muss seine Diskursanalyse als Grundlage der heutigen Versuche an der DAV gewertet werden: Seine Ausführungen werden in den neueren Ansätzen immer wieder zitiert (vgl. Fegter 2011; Traue 2013; Maasen et al. 2015 u. a.), wodurch seine Überlegungen zur Diskursanalyse als Grundlage regelmäßig anerkannt werden. Mit Blick auf die heutigen Veröffentlichungen, die einen Beitrag zu einer allgemeinen DAV darstellen (wollen), lassen sich drei Kategorien grundlegend differenzieren. Diese Kategorien unterscheiden sich nicht nur durch die Disziplinen, denen die Abhandlungen entstammen. Sie verfolgen auch verschiedene Ziele. Nicht alle Abhandlungen betreiben Anstrengungen in Richtung einer DAV, aber einige liefern wichtige Beiträge. Die Einteilung lautet wie folgt: (1) Beiträge aus der Semiotik, Zeichentheorie und schließlich der Bildsemiotik. Die Autor*innen haben ihren Hintergrund in der Philosophie und/oder in der Linguistik, z. B. Klaus Sachs-Hombach mit Das Bild als kommunikatives Medium: Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft von 2013. (2) Beiträge aus den allgemeinen Bildwissenschaften und Kulturwissenschaften. Das Feld ist sehr groß und meint an dieser Stelle übergreifende Abhandlungen zu visuellen Medien, die sich grundsätzlich mit der Wirkung und Funktion von Visuellem befassen und nicht zuletzt seine Rolle in der Gesellschaft hinterfragen. Die Autor*innen kommen aus der Kunstgeschichte, aus den neueren amerikanisch geprägten Visual Studies und auch aus anderen Disziplinen, die kulturwissenschaftlichen Bezug haben. Als herausstechendes Beispiel sei W. J. T. Mitchell mit seinem Buch Bildtheorie von 2008 genannt. (3) Beiträge explizit zur Methodik einer Bilddiskursanalyse oder DAV. Das Feld der Autor*innen spannt sich ­zwischen der Kunstgeschichte und den Sozialwissenschaften auf. Zu nennen sind Nina-Maria Klug mit Bilder als Texte: Methoden einer semiotischen Erweiterung angewandter Diskursanalyse (2013), Sabine Maasen, Torsten Mayerhauser und Cornelia Renggli mit ihrem Sammelband Bilder als Diskurse: Bilddiskurse (2015), Susann Fegter mit ihrem Beitrag Die Macht der Bilder: Photographien und Diskursanalyse (2011) und Boris Traue mit seinem Artikel Visuelle Diskursanalyse: Ein programmatischer Vorschlag zur Untersuchung von Sicht- und Sagbarkeiten im Medienwandel (2013).

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3.4 Semiotik I: Warum Bilder mehr sind als Ansammlungen von ­­Zeichen Zunächst mag die Idee, visuelle Erzeugnisse in ihre einzelnen Bestandteile aufzuschlüsseln und auf diese Weise auszuwerten, recht verlockend klingen. Wäre es nicht möglich, ein Werk gänzlich zu analysieren, indem man es in alle seine Einzelteile zerlegt? Klassiker der Semiotik wie Charles Sanders Peirces Semiotische Schriften (herausgegeben in drei Bänden von J. W. Kloesel und Helmut Pape, 2000; Original in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts) und Umberto Ecos Semiotik: Entwurf einer ­Theorie der ­­Zeichen (1987 in der deutschen Ausgabe; im Original: A Theory of Semiotics, 1976) geben umfassende Anleitungen dazu, wie Kommunikation zeichentheoretisch analysiert werden kann. Die in d­ iesem Unterkapitel besprochenen Autor*innen haben u. a. auf der Grundlage von Eco und Peirce Überlegungen dazu angestellt, wie genau man Bilder auf diese Weise analysieren könnte. Und wenn ­dieses Verfahren erfolgreich wäre, könnte es auch zu einer Diskursanalyse mit Visuellen Daten beitragen. Aber, soviel sei vorweggenommen: Die entsprechenden Ansätze sind bislang nicht überzeugend. Die interdisziplinären semiotisch-bildwissenschaftlichen Abhandlungen, die für das Vorhaben der DAV relevant erscheinen, konnten zumindest hierzu keinen überzeugenden Beitrag liefern. Trotzdem lohnt sich ein genauer Blick d­ arauf. Denn während die Beiträge im Ganzen nicht zielführend sind, so zeigen sie doch, was für eine DAV keinesfalls außer Acht gelassen werden darf. In der Annäherung an Theorien zu Bildern als Ansammlungen von Zeichen ­­ stößt man zunächst auf grundlegendes begriffliches Durcheinander. So sprechen manche Autor*innen von Bildlinguistik (vgl. Diekmannshenke et al. 2011), während andere über Bild­ semiotik (vgl. Sachs-Hombach 2013) reden. Unter ersterem Begriff verstehen die Autoren ­Diekmannshenke, Klemm und Stöckl aber vor allem das Anwendungsfeld, in dem Bilder in Texte eingebunden sind. Es geht also um eine Erweiterung des bestehenden LinguistikBegriffs in Bezug auf die Hinzunahme von Bildern (vgl. Diekmannshenke et al. 2011: 9). Das ist für die DAV nicht relevant. Klaus Sachs-Hombach betont hingegen, dass die semiotische ­Theorie von der linguistischen ­Theorie zu unterscheiden sei. Bei ihm geht es in der Tat um eine bildinterne Anwendung semiotischer Methoden. Dieser Forschungszweig unterliegt regelmäßiger Kritik, die insbesondere aus anderen Disziplinen kommt: Ein […] Problem ergibt sich aus der unterstellten engen Verbindung von Bild- und Zeichenbegriff, mit der die hier vertretene semiotische Bildtheorie entsteht. Einer solchen ­Theorie wird zuweilen unterstellt, dass sie die Eigenarten der Bilder vernachlässige und sich zu sehr an der Sprache orientiere. Zuweilen wird auch generell der Zeichenstatus von Bildern infrage gestellt. Dies scheint mir jedoch weitgehend auf Missverständnissen zu beruhen. (Sachs-Hombach 2001: 13)

Diese Missverständnisse versucht der Autor auszuräumen. Die Kritik an ­diesem semiotischen Zeichenbegriff beruhe vor allem auf einer unnötigen Verengung des Zeichenbegriffs

Semiotik I: Warum Bilder mehr sind als Ansammlungen von ­­Zeichen  | 73

(vgl. Sachs-Hombach 2013: 82 – 85). Im Gegensatz zu einem engen Zeichenbegriff versteht Sachs-Hombach den Zeichenbegriff als allgemeinen Oberbegriff: Für ihn fallen nicht nur sprachliche Ausdrücke und Bilder darunter, sondern alle Gegenstände, die eine Bedeutung aufweisen (vgl. Sachs-Hombach 2001: 13). Er unternimmt auch eine Abgrenzung von der Linguistik, indem er betont, dass zwar die linguistischen Begriffe übernommen werden, dies aber in einer Verallgemeinerung zu semiotischen Grundbegriffen. Damit kommen die in seiner Bildtheorie verwendeten Begriffe zwar historisch betrachtet aus der Linguis­ tik, werden hier aber in neuem Kontext verwendet (vgl. ebd.). In seiner Auffassung von Bildern als Symbolsystemen bezieht sich Sachs-Hombach zunächst auf die Unterscheidung z­ wischen Ikon, Index und Symbol nach Peirce und auf Goodmans Symbolsystem (vgl. Sachs-Hombach 2013: 45 – 50): Danach ist jedes Symbol oder ­­Zeichen immer nur relativ zu dem System zu beurteilen, in das ein Benutzer es einordnet. Symbole sind folglich nicht intrinsisch bestimmt, sondern erst mit einer entsprechenden Verwendung, die eine Einordnung in ein spezifisches Symbolsystem einschließt. Folglich ist es auch möglich, dasselbe Symbol als Element verschiedener Systeme aufzufassen und zu interpretieren. (Sachs-Hombach 2013: 45)

Die Idee des Symbolsystems lässt sich für ihn schließlich auf Bilder übertragen, womit er einen semiotischen Bildbegriff begründet: Deshalb trifft alles, was über Zeichen ­­ allgemein gesagt wird, auch auf Bilder zu, insbesondere dass sie interne Strukturen besitzen (Syntax), dass sie auf etwas verweisen oder auf etwas Bezug nehmen (Semantik) und dass sie in umfassendere Zeichenhandlungskontexte eingebettet sind (Pragmatik). (Sachs-Hombach 2013: 73)

Sachs-Hombach bietet hier durch die Unterscheidung syntaktischer, semantischer und pragmatischer Struktur eine Möglichkeit an, wie Bilder bzw. Bildelemente systematisch eingeordnet werden können (vgl. Sachs-Hombach 2013: 85). Dabei gesteht der Autor ein, dass Bilder Eigenschaften haben können, die sich nicht mit semiotischen Kategorien erfassen lassen (vgl. Sachs-Hombach 2001: 14). An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Wozu nützt das ganze Unterfangen, wenn sich am Ende zentrale Elemente und Wirkungen des Bildes nicht beschreiben und analysieren lassen? Sachs-Hombachs Ansatz ist vielleicht auf einfache Darstellungen anwendbar, wie die Zeichnung eines Tisches oder ein Verkehrsschild – wenn auch in der Analyse solcher Abbildungen kaum jemand auf Hilfen aus der Semiotik angewiesen ist. Was aber, wenn wir ein komplexes Werk wie Greg Krycinskis Mount Fuji over the Lake Yamanaka (Abb. 18) dazu nehmen: Was die Wirkung ­dieses Werks ausmacht, lässt sich offenbar nicht erschöpfend durch semiotische Kategorien beschreiben. Die hier behandelten renommierten Autor*innen in ihren Bereichen liefern keine Beispiele, wie die Ansätze auf komplexe Bilder wie Kunstwerke angewendet werden können. Sie bleiben der ­Theorie verhaftet. Dementsprechend müssen die entsprechenden verwandten Ansätze in dieser Arbeit weitestgehend unberücksichtigt bleiben.

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Eine Grundannahme der semiotischen Bildtheorie ist jedoch äußerst relevant für die Entwicklung einer DAV : Ein Bild hat einen kommunikativen Gehalt, und zwar auch durch seine passiven Eigenschaften. Das bedeutet, dass Bilder unabhängig von der Intention der Produzent*innen etwas vermitteln können (vgl. Sachs-Hombach 2001: 71 – 72). Diese angenommene Grundeigenschaft von Bildern, unabhängig vom Subjekt der produzierenden Person etwas zu vermitteln, kommt der DAV also entgegen. Diese Annahme stärkt den Anspruch der DAV, dass der/die Künstler*in nicht als autonom sinnstiftendes Subjekt angenommen werden darf. Es gibt noch einen weiteren wichtigen Grund, weswegen der semiotische Ansatz an dieser Stelle Eingang in diese Arbeit findet. Dabei geht es um das erstmals 1957 veröffentlichte Werk Meaning in the Visual Arts von Erwin Panofsky. Es ist ein Klassiker der kunstwissenschaftlichen Bildanalyse und Referenzpunkt vieler neuerer kunstanalytischer Ansätze. Noch heute ist seine Methode Bestandteil der Grundlagenkurse vieler kunsthistorischer Institute. Panofsky schlägt für die Bildanalyse drei Ebenen vor: (1) die vorikonische Beschreibung, (2) die ikonografische Beschreibung und (3) die ikonologische Interpretation. Diese entsprechen dabei recht genau dem semiotischen System, das aus der Linguistik stammt und nun in die Bildsemiotik führt. Wie Panofsky heute Berücksichtigung in vielen Ansätzen findet, die der DAV gewinnbringend zuarbeiten, wird im weiteren Verlauf des Kapitels herausgearbeitet. An dieser Stelle gilt es als Konsequenz der bildsemiotischen Ansätze für das Vorhaben einer DAV, einen anderen Punkt festzuhalten: Für eine DAV ist es durchaus angemessen, zur qualitativen Ebene auch eine im Ansatz quantitative Komponente hinzuzunehmen. Das bedeutet, dass die Beobachtung ähnlicher Bildgegenstände über viele Werke hinweg Aufschluss darüber geben kann, was sich im Diskurs unterschwellig wiederholt und Bedeutung hat. Die Ansätze zeigen, dass Kunstwerke nicht notwendigerweise in ihrer Ganzheit in die diskursive Formation Einzug finden müssen; dies könnte sogar nachteilhaft sein. Vielmehr muss bei einer DAV in Betracht gezogen werden, einzelne Elemente der Werke voneinander abgekoppelt zu betrachten, so dass sie als Teil thematisch gebundener Diskurse Berücksichtigung finden können. Genau betrachtet ist d ­ ieses Vorgehen in der textlich basierten Diskursanalyse gängig und nicht anders durchführbar; ein Diskurs kann und muss partiell analysiert werden. Dennoch soll diese Möglichkeit an dieser Stelle mit Blick auf visuelle Daten betont werden: In der Kunstgeschichte und in den neueren Bildwissenschaften ist es bisher unüblich, ein Kunstwerk nicht im Ganzen, sondern nur Teile davon in die Analyse aufzunehmen.

3.5 Semiotik II: Warum Bilder keine Texte sind Auch die Kunsthistorikerin Nina-Maria Klug liefert einen Beitrag zur Methodik einer DAV bezogen auf Bilder. In ihrer Abhandlung Bilder als Texte: Methoden einer semiotischen Erweiterung angewandter Diskursanalyse (2013) stellt sie eine Methode vor, mit der Bilder genau wie Texte nach einem einheitlichen Schema für eine Diskursanalyse verwendet werden sollen. Damit werden Bilder und Texte als semiotisch ähnlich aufgebaute

Semiotik II: Warum Bilder keine Texte sind | 75

Darstellungsweisen behandelt. Bilder beschreibt sie in ihrem Konzept als „bildliche Texte“ (Klug 2013: 164). Zunächst klingt das Vorgehen sehr einladend und pragmatisch. Jedoch, der Titel sagt es bereits: Auch ihr Analyseraster beruht auf semiotischen Ansätzen. Und tatsächlich weist Klugs Herangehensweise Unzulänglichkeiten in Bezug auf die Berücksichtigung weniger gut fassbarer Bildelemente auf. Es lohnt sich trotzdem, ihre Methode genauer anzuschauen. Denn grundsätzlich ließen sich Bilder hervorragend in eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten integrieren, wenn sie genau wie Texte verwendet werden könnten. Wo genau zeigen sich die Probleme in ihrem Ansatz? Zunächst weist auch Klug darauf hin, wie notwendig es heute ist, endlich visuelle Daten in die Diskursanalyse zu integrieren: Eines bleibt im Rahmen der linguistischen Diskursanalyse jedoch bislang weitestgehend unberücksichtigt: Gesellschaftlich relevante Kommunikation wird zwar zu weiten Teilen, jedoch nicht ausschließlich sprachlich vollzogen. […] [Auch bildliche ­­Zeichen werden genutzt,] um gesellschaftliches Wissen zu aktualisieren und diskursiv neu zu formieren. (Klug 2013: 163 – 164)

Klug verweist also darauf, dass auch bildliche Daten ein großes Bedeutungsangebot liefern, das dem von Texten gleichkommt. Im Folgenden geht sie zur Vorbereitung ihrer Methode dazu über, Bilder als Texte zu bezeichnen. Immerhin müssten sich Texte, die Teil des Diskurses sind, nicht unbedingt des sprachlichen Zeichensystems bedienen (vgl. Klug 2013: 163). Sie argumentiert, dass auch für bildliche Texte die gängigen Merkmale der Textualität gelten (vgl. Klug 2013: 164). Das Kernstück der Abhandlung Klugs ist ihre Methode Textsemantisches Analyseraster, Abkürzung: TexSem. Die Grundlagen dazu wurden schon ab 2002 von Andreas Gardt entwickelt und von Klug bereits 2012 für Bilder erweitert. Der Ansatz hat mit ähnlichen Problemen wie die vorher beschriebenen semiotischen Ansätze zu kämpfen. Der Unterschied ist, dass Klug sehr konkret versucht, Bildern das Korsett einer Textanalyse überzustülpen. Zwar werden einige Begriffe aus dem Bereich der Bildwissenschaften bzw. der Kunstgeschichte berücksichtigt. Und zunächst scheint das Raster TexSem sehr entgegenkommend und einfach zu sein, wenn es darum geht, Bilder in die Diskursanalyse zu integrieren. Das Verlockende des Vorgehens ist, dass hier Texte wie Bilder gleichartig behandelt und nach demselben Muster in die Diskursanalyse aufgenommen werden sollen. Darin steckt aber gleichzeitig auch das Problem des Musters: Bilder sind keine Texte und sie lassen sich nicht als ­solche untersuchen. Das Raster ist sehr an sichtbare, konkret beschreibbare Bildelemente gebunden und lässt die Ebene außen vor, die erst nach einer Bildanalyse benannt werden kann. Das Muster benutzt semantische Begriffe, womit gleichzeitig rein bildnerische Mittel außen vor bleiben. Zwar werden beschreibbare Bildelemente in der Kategorie Bildzeichen durch Unterpunkte wie formreale/abstrakte Bildzeichen, Farbe, Kontraste, Harmonien oder visuelle Kollokationen abgefragt. Wie mehrere Bildelemente zusammenspielen und verschiedene Wirkungen hervorrufen (können), wird nicht deutlich. Auch wie mit unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten umgegangen werden soll, wird nicht geklärt: Sollen alle einbezogen werden und wenn ja, wie? Gleichzeitig besteht das

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Raster weitestgehend aus Kategorien, die allein auf Texte angewendet werden können, wie z. B. Phonie, Graphie oder Syntax und Flexionsmorphologie. Dadurch wird die Handhabung äußerst beschwerlich und es entsteht der Eindruck, dass man die angebotenen Begriffe und Kategorien doch erst in bildwissenschaftliche Termini zurückübersetzen muss, bevor man die Arbeit damit aufnehmen kann. Im Großen und Ganzen handelt es sich dabei doch nur um einen Leitfaden, der sich auf verbale Texte bezieht und mit dem man auf unvollständige und umständliche Art und Weise auch Bilder angehen könnte. Zwar deutet das Schema an, dass bildanalytische Verfahren notwendig sind, um es überhaupt nutzbringend anwenden zu können. Wie diese Arbeit genau verrichtet werden soll, wird jedoch nicht thematisiert. Dabei macht gerade dieser Punkt eine der größten Schwierigkeiten dabei aus, visuelle Daten für die Diskursanalyse nutzbar zu machen: Wie lässt sich nicht nur die Beschreibung, sondern auch die Analyse bildlicher Daten in die DAV integrieren? Schlussendlich bleibt das Raster, das als funktionaler Hybrid gedacht war, doch nur ein rudimentäres Hilfsmittel, das sich höchstens für sehr einfache Bilder verwenden lässt. Hier wären wir wieder bei der einfachen Zeichnung eines Tisches und dem Verkehrsschild, für die das Raster vielleicht ausreichen würde. Ziehen wir aber ein komplexeres Bild hinzu, dann kommen die Unzulänglichkeiten schnell zum Vorschein. Ein gutes Beispiel ist die zweite oben bereits behandelte Fotografie des Fuji: Ken Kitanos Sunrise to Sunset, Mt. Fuji, Yamanashi (Abb. 19) aus der 2007er Reihe Series One Day. Es wurde schon beschrieben, dass die Elemente der Darstellung, w ­ elche essenziell für die Wirkung sind, außerhalb des Bildes liegen. Und zwar ist es unumgehbar, das Produktionsmedium der Fotografie mit seinen technischen Finessen in die Bildinterpretation mitaufzunehmen. Mit TexSem können zwar die Bildelemente, etwa das Wasser und der Berg, gut beschrieben werden. Wie genau aber die Bildwirkung als ganze analysiert und ihre einzelnen Momente ausein­ andergenommen werden sollen, bleibt unklar. Unter dieser Prämisse sollte als Beispiel nochmals der Unterpunkt Farbe, Kontraste, Harmonien aus der Kategorie Bildzeichen betrachtet werden: Wie genau von der beschreibenden Ebene ausgehend eine Interpretation entstehen soll, wird nicht weiter erklärt. Abgesehen davon ist es ein offensichtliches Manko des Rasters, dass visuelle Daten nicht-bildlicher Natur, beispielsweise künstlerische Videos oder Rauminstallationen, keine Berücksichtigung finden. Die Nutzbarmachung bildlicher visueller Daten ist nur der halbe Weg zu einer Methode, jedwede Art von visuellen Daten für die Diskursanalyse nutzbar zu machen. Sonst wäre schließlich wenig gewonnen und die Diskursanalyse weiterhin eingeschränkt auf nur bestimmte Arten von Daten. Dennoch weist Klugs Ansatz in eine wichtige Richtung, wenn es darum geht, visuelle Daten für die DAV verwertbar zu machen: Es ist notwendig, die visuellen Daten in irgendeiner Art und Weise zu vertextlichen. Das heißt auch, dass am interdisziplinären Vorhaben der Entwicklung einer Methode zur DAV semiotische Überlegungen grundsätzlich beteiligt sein müssen. Klugs Ansatz ist jedoch dahingehend nicht funktionsfähig. Er verdeutlicht aber, dass kunstwissenschaftliche Methoden notwendigerweise eine Berücksichtigung finden müssen. Folglich: Interdisziplinäres Arbeiten ist der einzig mögliche Weg zu einer fundierten Methode der DAV. Zunächst müssen dafür weitere grundsätzliche Fragen geklärt werden.

Macht – Bilder – Kontext: Zur Diskursivität von Bildern | 77

3.6 Macht – Bilder – Kontext: Zur Diskursivität von Bildern Die Frage danach, was ein Bild ist und w ­ elchen Stellenwert es gesellschaftlich wie wissenstheoretisch hat, wird etwa seit den 1990er Jahren von verschiedenen Disziplinen beantwortet (vgl. Locher 2018: 204 – 205). Die Kunstgeschichte hat ihre Hoheit über das Bild verloren. Diese Tatsache hängt auch damit zusammen, dass im Kontext der medialen Globalisierung immer mehr nicht-künstlerische Bilder auf den Schirm traten und treten. Das fachbezogene kunsthistorisch geprägte Publikum wollte sich davor eher retten (vgl. Bachmann-Medick 2009: 331). Diese Haltung öffnete schließlich die Tür für neuere Disziplinen innerhalb der Kultur- und Bildwissenschaften. Sie nahmen sich aller Bilder an, ob nun der Hochkultur zuzuordnen, ob von künstlerischem Wert oder nicht (vgl. ebd.). Die Herausbildung des iconic turn zu jener Zeit geht mit der Etablierung der neuen Disziplinen einher; sie bedingen sich gegenseitig. Hier diesen Begriff des turn anzuführen, deutet bereits die Tragweite der neuen bildwissenschaftlichen Disziplinen an. BachmannMedick definiert die Bedeutung dieser Wenden: In jedem Fall sind die „Wenden“ mit ihrer Einführung neuer Leitvorstellungen und Kategorien, mit ihrem Richtungswechsel und Theoriewandel signifikant, sowohl in ihren eigenen Kontextbezügen als auch im Hinblick auf eine Umstrukturierung des „wissenschaftlichen Feldes“ in den Kultur- und Sozialwissenschaften. (Bachmann-Medick 2009: 13)

Cultural turns sind grundsätzliche Umorientierungen auf Kultur unter der Neubewertung von Symbolisierung, Sprache und Repräsentation (vgl. ebd.). Den Weg zu den cultural turns ebnete der linguistic turn, dessen Kern sich noch immer durch die cultural turns fortträgt. Der linguistic turn tritt mit dem Postulat ins Feld, dass jede Aussage über die Realität sprachlich determiniert ist. So zielt das Erkenntnisinteresse nicht (mehr) auf Aussagen über die „Realität an sich“, sondern auf die sprachliche Konstruk­tion von Realität (vgl. Bachmann-Medick 2009: 35). Seit den 1990er Jahren forderte der iconic turn dann Aufmerksamkeit für den Erkenntniswert von Bildern (vgl. Bachmann-Medick 2009: 42). Damit einher ging einerseits eine stärker werdende Ablehnung der Vorherrschaft von Sprache und Text in der Darstellung gesellschaftlicher Diskurse. Darüber hinaus veränderte sich die Leitfrage, ­welche die Bildwissenschaften (als Kunstgeschichte) bis dahin prägte: Die neue Leitfrage richtet sich freilich nicht mehr auf Bilder als Objekte von Anschauung, Interpretation und Erkenntnis. Neuerdings wird auch danach gefragt, ­welche Fähigkeit Bilder und andere visuelle Erfahrungen haben, Wissen überhaupt erst zu formen. Statt um Erkennen von Bildern geht es immer mehr um Erkennen durch Bilder und Visualität; statt darum, Bilder zu verstehen, geht es eher darum, die Welt in Bildern sowie durch spezifische Kulturen des Sehens und des Blicks zu verstehen. Auch hier bestätigt sich also wieder der für einen turn charakteristische Umschlag von der Gegenstandsebene auf die Ebene von Analysekategorien. (Bachmann-Medick 2009: 42; Hervorhebungen im Original)

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Der Stellenwert von Bildern wurde hierdurch immens gestärkt. Dabei betonen die neuen Bildwissenschaften zuvorderst die Wirkmacht, die sich eben nicht durch Sprache auszudrücken vermag. Weitestgehend gleichen sie sich in der Auffassung, Bilder ­seien mehr als Ansammlungen von Zeichen ­­ oder analoge Illustrationen, richten sich also gegen grundständig semiotische Herangehensweisen. Die Kritik daran, Bilder mit Zeichen ­­ gleichzusetzen, ist nicht der einzige Konsens der neueren Bildwissenschaften. Zwar herrscht noch Uneinigkeit über den Bildbegriff (vgl. Bachmann-Medick 2009: 346), jedoch ist den verschiedenen Ansätzen die Hoffnung gemein, durch die neuen Methoden Einsicht in die visuelle Konstruktion von Gesellschaft zu erlangen. Vor allem die amerikanischen Ansätze der Visual Culture betonen das gesellschaftliche und politische Element der Visualisierung: „Damit wird das Feld abgesteckt für eine Reflexion der sozialen, geschlechtsspezifischen Blickkonventionen bis hin zu Verbildlichungen als Vehikeln für Machtausübung und Überwachung.“ (Bachmann-Medick 2009: 348) In Analogie zu Foucaults Ausführungen ist dieser Fokus mit Blick auf die DAV sehr aussichtsreich. Als Pionier des iconic turn gilt gemeinhin W. J. T. Mitchell, der ihn 1992 proklamierte (vgl. Bachmann-Medick 2009: 329). In deutscher Sprache wurden seine älteren Arbeiten dazu im Buch Bildtheorie im Jahr 2008 veröffentlicht. Seither trägt er wesentlich zur Entwicklung der Visual Studies bei und eröffnet neue Möglichkeiten für den Umgang mit Bildern. Er stellt die These auf, dass diese komplexe Rolle von Bildern nicht durch traditionelle (textbasierte) Methoden erschöpfend analysiert werden kann. Schließlich argumentiert Mitchell, Bilder zu verstehen sei wie das Erlernen einer Sprache, die nicht natürlich ist (vgl. Mitchell 2008: 323 – 324). Er spricht Bildern sogar ein Eigenleben zu (vgl. Mitchell 2008: 336). In der Begründung seiner ­Theorie der Visuellen Kultur ist diese Auffassung von Bildern zentral. Dem Visuellen gewährt er in unserer Gesellschaft den höchsten Stellenwert: „Überhaupt in einer Kultur zu leben heißt, in einer visuellen Kultur zu leben […].“ (Mitchell 2008: 331) Das Ziel der Visuellen Kultur ist die Erforschung der visuellen Konstruktion des sozialen Feldes: Kurz, ein dialektischer Begriff von Visueller Kultur kann sich nicht mit einer Definition seines Gegenstandes als der sozialen Konstruktion des Sehfelds begnügen, sondern muß d­ arauf bestehen, die chiastische Umkehrung dieser Proposition, nämlich die visuelle Konstruktion des sozialen Feldes, zu erforschen. (Mitchell 2008: 325; Hervorhebungen im Original)

Der Stellenwert – förmlich die Macht, die Mitchell Bildern einräumt – ist erstaunlich. Er enthebt das Bild seines passiven Zustands, in welchem es an die Bedeutungsprozesse der Rezipient*innen und insbesondere der Künstler*innen gefesselt ist. Dem Bild kommt hier also diskursives Potenzial zu: Es wirkt auf den Diskurs zurück. Zwar spricht auch Mitchell zunächst von Bildern als Einzelwerken. Seine Th ­ eorie lässt sich jedoch auch auf große Bildmengen anwenden. Damit stärken Mitchells Auffassungen die These der Notwendigkeit einer DAV ungemein und verhelfen ihr zu einer entscheidenden theoretischen Grundlegung. Neben theoretischen Abhandlungen von Mitchell u. a. sind in den letzten Jahren einige methodische Handreichungen zur Arbeit mit visuellen Medien erschienen, die

Macht – Bilder – Kontext: Zur Diskursivität von Bildern | 79

zu Standardwerken in den Bildwissenschaften geworden sind (vgl. Kress und Leeuwen 2006; Rose 2012). Diese haben den Anspruch, aus den vielen neuen Ansätzen der Bildwissenschaften interdisziplinäre Handreichungen zur Arbeit mit Bildern in verschiedenen Fächern anzubieten. Sie sind eher überblickhaft. In der Suche nach einer Methodik zur DAV sind sie nur bedingt hilfreich, denn ein konkretes Vorgehen im Umgang mit großen Mengen visueller Daten wird nicht angeboten. Allerdings lassen sich einzelne Elemente daraus ziehen, die entweder das Vorhaben unterstützen, oder aber verdeutlichen, dass eine Methode zur DAV notwendig geworden ist. Eines dieser Werke ist Reading Images: The Grammar of Visual Design von Gunter Kress und Theo van Leeuwen aus dem Jahr 2006. Die Autoren schreiben zur grundlegenden Frage danach, wie Analysen stattfinden sollten: In the analysis of composite or multimodal texts (and any text whose meanings are realized through more than one semiotic code is multimodal), the question arises whether the products of the various modes should be analysed separately or in an integrated way; whether the meanings of the whole should be treated as the sum of the meanings of the parts, or whether the parts should be looked upon as interacting with and affecting one another. It is the latter path we will pursue […]. (Kress, van Leuwen 2006: 177; Hervorhebung im Original)

Zunächst mag es so erscheinen, als wäre jede andere als die von den Autoren erwählte Methode sinnlos. In der Betrachtung eines einzelnen Werks, worum es den Autoren hier schließlich geht, ist es sicherlich angemessen, einzelne Bildelemente in Verbindung mit den anderen Elementen zu betrachten und zu analysieren. Gleichzeitig, und das haben die Autoren vermutlich nicht intendiert, wirft diese Benennung einer (Schein-)Alternative mit Blick auf die DAV wichtige Fragen auf: Gibt es die Möglichkeit, dass sich in einer Analyse visuellen Materials eine Dimension ergibt, die (nur) durch quantitative Kategorien beschrieben werden kann? Die Antwort ist bereits in Kapitel 3.4 angeklungen: Für die großen Mengen visueller Daten in der DAV muss auch die quantitative Dimension berücksichtigt werden. Ein weiteres relevantes Übersichtswerk ist Visual Methodologies: An Introduction to Researching with Visual Materials (2012) von Gillian Rose. Sie stellt alle denkbaren Methoden zur Untersuchung visueller Materialien vor, die sich in den letzten Jahrzehnten heraus­ gebildet haben. Als allen Methoden gemein stellt sie heraus: [T]he image itself has its own effects. These effects are always embedded in social practices, of course, and may well be negotiated by the image’s audiences; nevertheless, it seems to me that there is no point in researching any aspect of the visual unless the power of the visual is acknowledged. (Rose 2012: 51)

Die Autorin stellt dadurch auch die Vehemenz und die Kraft des Visuellen in den Vordergrund und nicht zuletzt betont sie die Einbindung des Visuellen in die soziale Praxis. Hierdurch treten wiederum diskursive Praktiken ins Blickfeld. Beide Überblickswerke nehmen also Varianten der Diskursanalyse in den Kanon etablierter Methoden zur Analyse visueller Daten auf.

80 | DAV: Diskursanalyse mit Visuellen Daten

Die Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Mieke Bal und der Kunsthistoriker Norman Bryson leisten mit ihrer Abhandlung Semiotics and Art History einen weiteren wichtigen Beitrag zur Annäherung an die DAV. Mit Blick auf die DAV ist ihr Fokus auf den Begriff Kontext besonders interessant. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff Kontext für etwas bereits Gegebenes und für das betrachtete Phänomen zunächst Unbeeinflussbares herangezogen. Die These hier lautet, dass auch in der Kunstgeschichte unter Kontext gemeinhin der Hintergrund verstanden wird, aus dem ein Phänomen bzw. ein Kunstwerk – auch chronologisch – hervorgeht. Der Kontext wird damit konstitutiv für eine Interpretation. Für Bal und Bryson ist Kontext jedoch nicht nur in der (abgeschlossenen) Vergangenheit angesiedelt, sondern entbehrt einer damit verbundenen Passivität. Kontext ist nicht gegeben; er ist eine Praxis: Context, in other words, is a text itself, and thus consists of signs that require interpretation. What we take to be positive knowledge is the product of interpretive choices. […] For by examining the social factors that frame the signs, it is possible to analyze simultaneously the practices of the past and our own interaction with them, an interaction that is otherwise in danger of passing unnoticed. (Bal und Bryson 1991: 175)

Vom Kontext kann demnach nicht angenommen werden, er böte eine natürliche oder gegebene Grundlage für eine Interpretation. Darüber hinaus wehren sich die Autor*innen gegen die Annahme, (visueller) Text und Kontext ­seien voneinander komplett abtrennbar und unabhängig: [T]hen the ‘context’ in which the work of art is placed is in fact being generated out of the work itself, by means of a rhetorical operation, a reversal, a metalepsis, that nonetheless purports to regard the work as having been produced by its context and not as producing it. Moreover, in a further rhetorical maneuver, the work of art is now able to act as evidence that the context that is produced for it is the right one […]. (Bal und Bryson 1991: 178 – 179)

Kontext darf folglich nicht als ein Moment der Vergangenheit verstanden werden. Wird Kontext von der Gegenwart bzw. dem Moment des Entstehens eines Werks abgegrenzt, verliert er dadurch für aktuelle Diskurse (in der Kunstgeschichte) die Zugänglichkeit. Dass die Autor*innen hier selbst von „art-historical discourses“ (ebd.) sprechen, ist überhaupt beachtenswert. Schließlich legt auch die Diskursanalyse großen Wert darauf, dass die einzelnen Elemente des Diskurses sowie der Diskurs als Ganzes in wechselseitiger Verbindung mit den Strukturen stehen, in die sie eingebunden sind. Dies können beispielsweise Machtstrukturen oder andere Bedingungen des sozialen und gesellschaftlichen Gefüges sein. Bal und Bryson führen noch einen weiteren Begriff ein, welcher der Entwicklung einer Methode zur DAV dienlich ist. Es handelt sich dabei um den Begriff Intertextualität, der durch den Sprachphilosophen Mikhail Bakhtin eingeführt wurde: „It refers to the readymade quality of linguistic – and, one can add, visual – signs, that a writer or image-maker finds available in the earlier texts that a culture has produced.“ (Bal und Bryson 1991: 206)

Von der Bilddiskursanalyse zur DAV | 81

Bal und Bryson zeigen, dass der Begriff der Intertextualität eine Schnittmenge mit dem Begriff der Ikonografie nach Panofsky hat. Gleichzeitig stellen sie drei wesentliche Unterschiede heraus (vgl. Bal und Bryson 1991: 206 – 207): (1) In der ikonografischen Ansicht scheinen die historisch früheren Künstler*innen vorzugeben, ­welche Formen die historisch späteren Künstler*innen zur Verfügung haben. Beim Begriff der Intertextualität werden aber auch die historisch späteren Künstler*innen mit dem Potenzial wahrgenommen, aktiv in das überlieferte Material eingreifen zu können. Was durch das starke Konzept von Ursache und Wirkung zementiert zu sein scheint, wird hier schließlich aufgelöst: Die Passivität der späteren Künstler*innen wird ausgeschaltet und die früher schaffende Person ist nicht immer das vermeintliche „Original“. (2) In der ikonografischen Analyse soll die Bedeutung der entlehnten Motive außen vor gelassen werden. Es wird impliziert, an einem Motiv hinge nicht unbedingt eine bestimmte Wirkung. Dagegen geht das Konzept der Intertextualität davon aus, dass jedes Motiv eine Bedeutung mitbringt. Mehr noch: Gerade weil das Z ­­ eichen eine ganz bestimmte Bedeutung trägt oder Wirkung hat, wird es übernommen. Das heißt nicht, die spätere, aufgreifende kunstschaffende Person müsse diese Wirkung auf dieselbe Art und Weise reproduzieren. Jedenfalls muss sie sich aber damit auseinandersetzen. (3) Nach dem Konzept der Intertextualität kommt hinzu, dass bei der Wiederverwendung früher benutzter Formen aus anderen Texten auch der entsprechende Text übertragen wird. Anders als nach dem Konzept der Ikonografie lassen sich also nicht einzelne Formen isoliert herausgreifen; der Text haftet ihnen unweigerlich an, so dass in der Wieder­verwendung auch immer die entsprechende diskursive Geschichte mitgebracht und mindestens reflektiert werden muss. Mit ihren Ausführungen legen Bal und Bryson geradezu eine Steilvorlage zu einer Möglichkeit der DAV vor. Sie tragen zusammen mit den Beiträgen der anderen Autor*innen in ­diesem Unterkapitel wesentlich zur Grundlegung der Methode bei.3 Überzeugend legen sie dar, wie Diskursivität nicht nur Texte betrifft, sondern auch, vielleicht sogar noch viel mehr, bei Kunstwerken vorherrscht. So sind Kunstwerke bei ihnen mehr als nur Resultate ihrer Zeit und Produkte der Künstler*innen als sinnspendende Subjekte. Sie sind unlösbar diskursiv miteinander verbunden.

3.7 Von der Bilddiskursanalyse zur DAV Zu einer DAV fehlen noch einige Schritte. Zwar existieren bereits einige Abhandlungen darüber, wie eine Bilddiskursanalyse, gestützt auf Foucault, aussehen kann (vgl. Fegter 2011; Maasen et al. 2015 u. a.). Die Einschränkung auf Bilder im Gegensatz zur vollen Berücksichtigung aller visuellen Daten stellt dabei eine problematische Verengung dar. Zudem lassen einige vielversprechende Abhandlungen offen, wie genau nun zu verfahren 3 Einen Vorschlag, wie genau eine DAV auf dieser Grundlage durchgeführt werden soll, liefern sie nicht, schließlich ist das auch nicht das Ziel ihrer Abhandlung.

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sei (vgl. z. B. Traue 2013). Die hier vorgestellten Ansätze befinden sich jedoch in unmittelbarer Forschungsnähe zur Entwicklung der DAV und haben entscheidende Inspirationen geliefert. An ihnen wird deutlich, wie die unterschiedlichen Forschungstraditionen hinter der DAV zusammenfinden und ­welche Aspekte sich in der DAV vereinen. Gillian Rose führt wie Bryson und Bal den Begriff der Intertextualität in ihrem Überblickswerk zu Methodiken im Umgang mit visuellen Daten auf, und zwar im Teil zur Diskursanalyse (vgl. Rose 2012: 189 – 226). Sie erkennt Bryson und Bal als wichtige Beitragende zur Methodik einer Diskursanalyse an und geht noch weiter darauf ein, wie wesentlich Intertextualität für die DAV ist: The diversity of forms through which a discourse can be articulated means that intertextuality is important to understanding discourse. Intertextuality refers to the way that the meanings of any one discursive image or text depend not only on that one text or image, but also on the meanings carried out by other images and texts. (Rose 2012: 191; Hervorhebung im Original)

Rose stärkt so die Auffassung, Bilder dürften nicht isoliert betrachtet werden, sondern bedürften auch der mit ihnen verbundenen Bilder und/oder Texte, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Auch sie referiert Panofskys Ikonografie-Begriff und bringt ihn mit der DAV zusammen: Iconography, then, like discourse analysis, depends on intertextuality for its interpretive power. It also depends, though, on what Panofsky called ‘common sense’, and many discourse analysts also suggest that successful discourse analysis depends less on rigorous procedures and more on other qualities […]. (Rose 2012: 209)

Die Autorin lässt anklingen, dass (rein) quantitative Methoden, die üblicherweise eine rigorose Durchsetzung der Analyseraster einfordern, nicht hinreichend für eine DAV sind. Vielmehr scheint sie eine gewisse Offenheit einzufordern, mit welcher das Unterfangen erfolgreich sein kann; diese kommt auch in der DAV zum Tragen. Rose geht darüber hinaus auf die Institutionen ein, die bei einer DAV berücksichtigt werden müssen. Es handelt sich dabei um jene Machtinstitutionen, die darüber entscheiden, wie Menschen was in welchem Kontext sehen: In welcher Weise ist das Sehen jeweils institutionalisiert? Sie beschreibt, dass Museen und Galerien Macht über die Rezipierenden ausüben und folglich auch in der DAV berücksichtigt werden müssen (vgl. Rose 2012: 227). Eine DAV hat sich nach Rose schließlich nicht nur mit den Werken selbst, sondern auch mit den Modi der Ausstellung zu befassen: Wie gehen dominierende Institutionen mit Kunstwerken um? Wie ist die Seite der Produktion aufgestellt? Was sind die sozialen Rahmenbedingungen der Rezeption (vgl. Rose 2012: 259)? Sie führt nun die Schlüsselbegriffe auf, w ­ elche schon Foucault in den Vordergrund stellte: Macht, Wissen, Überwachung, Apparate und Technologie (vgl. ebd.). So kommt sie zu drei grundlegenden Fragenkomplexen, die in jeder Diskursanalyse mit Bildern behandelt werden müssen: (1) Fragen zur Bilderproduktion;

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(2) Fragen zum Bild an sich; (3) Fragen zum Publikum (vgl. Rose 2012: 346 – 347). Die Nähe zu den Ausführungen Foucaults ist frappierend; diese drei Kategorien müssen in der DAV berücksichtigt werden. Auch die Herausgeber*innen des Buches Bilder als Diskurse: Bilddiskurse (2015), Sabine Maasen, Torsten Mayerhauser und Cornelia Renggli, lehnen sich in der Einführung zu ihrem Sammelband an Foucault an: Die Beiträge in ­diesem Band gehen auf vielfältige Weise der Frage nach, wovon sich wer auf ­welche Weise zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort (k)ein Bild machen kann […] [und] der zweifachen Frage, durch ­welche soziokulturelle Ordnung diese Bild-Diskurse informiert werden und ­welche Ordnung sie selbst ko-konstituieren. Aus eben d ­ iesem Grund erlangen Bilder Relevanz für soziokulturelle Phänomene und Prozesse: Insofern es gelingt, die Prozeduren der Verknappung zu identifizieren, die die Herstellung, den Einsatz, die Zirkulation und Rezeption spezifischer Bilder informieren, sind sie nicht länger nur illustrativ, sondern indikativ und mehr noch: ko-konstitutiv für die jeweils untersuchten soziokulturellen Phänomene und Prozesse. (Maasen, Mayerhauser und Renggli 2015: 8)

Die Beiträge des Bandes setzen sich also damit auseinander, inwiefern Bilder und ihr soziokultureller Hintergrund sich gegenseitig bedingen. Die Herausgeber*innen betonen gleich zu Beginn, dass es keine einseitigen Bedingungs- und Abhängigkeitsverhältnisse gibt, wie sie mitunter in der traditionellen Bildanalyse angenommen werden. Darüber hinaus stellen sie heraus, dass sich durch die Analyse von Bilddiskursen etwas über die Gesellschaft, der sie entstammen, lernen lässt – während sie diese gleichzeitig prägen: Bilder bilden Realität nicht einfach ab, sondern beteiligen sich an der Konstruktion von gesellschaftlicher Realität; Bilder tauchen in bestimmten Macht-Wissens-Konstellationen (Dispositiven) auf, verteilen im intermedialen Zusammenspiel mit Texten oder architektonischen Formationen Sichtbarkeiten, erzeugen politische Relevanzen und ermöglichen die Verortung entsprechender Subjektpositionen. (Maasen, Mayerhauser und Renggli 2015: 19)

Foucaults macht- und subjekttheoretische Prämissen sind für ­dieses Verständnis einer Diskursanalyse der Bilder also grundlegend. Cornelia Renggli beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Frage, „wie es dazu kommt, dass zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort bestimmte Bilder und mit ihnen bestimmte Bildelemente und bestimmte Sehweisen sichtbar werden, während andere unsichtbar bleiben“ (Maasen, Mayerhauser und Renggli 2015: 23). Sie fordert demnach eine Untersuchung der Verknüpfungen von Macht und Wissen, ­welche ­solche Regelmäßigkeiten natürlich erscheinen lassen. Auch zur grundsätzlichen Rolle von Bildern für eine Diskursanalyse äußern sich die Autor*innen. Sie sagen, dass durch die Hinwendung zum Bild nicht ein Primat (Text) durch ein anderes Primat (Bild) ersetzt werden solle (vgl. Maasen, Mayerhauser und Renggli 2015: 7). Sie wollen Bilder nicht zur Hauptquelle der Analyse machen, sondern das wechselseitige Verhältnis z­ wischen Sichtbarem und Sagbarem (vgl. ebd.). Diese Klarstellung

84 | DAV: Diskursanalyse mit Visuellen Daten

betrifft auch die Möglichkeiten des Einsatzes der DAV (vgl. Kapitel 3.9; 7.2). Auch S­ ebastian Friedrich und Margarete Jäger betonen in ihrem Beitrag Die Kritische Diskursanalyse und die Bilder: Methodologische und methodische Überlegungen zu einer Erweiterung der Werkzeugkiste von 2011 die Rolle von Bildern für die Diskursanalyse. Sie dürften nicht nur als Anhängsel einer textlich ausgerichteten Diskursanalyse angenommen werden. „Angesichts der Fülle von Bildlichkeiten, die in allen Diskursen zur Anwendung kommen, ist ihre systematische Einbeziehung in die Analyse dringend erforderlich.“ (Friedrich und Jäger 2011: 1) Das Problem, dass Kunstwerke und nicht-künstlerische visuelle Daten bisher kaum Eingang in die Diskursanalyse fanden, obwohl sie es sollten, ist in diesen Abhandlungen gut beschrieben und auch mit Foucault belegt. Aber wie genau so eine Bilddiskursanalyse aussehen soll, bleibt unklar. Boris Traue trägt mit seiner Abhandlung Visuelle Diskursanalyse: Ein programmatischer Vorschlag zur Untersuchung von Sicht- und Sagbarkeiten im Medienwandel von 2013 wesentliche Erkenntnisse dazu bei, wie eine DAV aussehen kann. Zunächst begründet er die Notwendigkeit, visuelle Daten müssten in eine Diskursanalyse miteinbezogen werden, in Analogie zu den vorangegangenen Autor*innen: „Visualitäten erweisen sich […] als Bestandteile aller Wissensordnungen, die zur Formierung von sozialem Sinn sowie von Welt- und Selbstverhältnissen beitragen.“ (Traue 2013: 117 – 118) Als einer der wenigen Autor*innen spricht er von visuellen Daten und nicht nur von Bildern und öffnet den beschränkten Radius, wie er die bis hierhin besprochenen Beiträge charakterisiert. Dabei betont auch Traue die Notwendigkeit, weder nur textuelle noch nur visuelle Daten für eine umfassende Diskursanalyse heranzuziehen – jede der Varianten könne für sich nicht erschöpfend sein (vgl. Traue 2013: 119). Das bedeutet für Traue aber auch, dass Kunstwerke nicht ohne Kurator*innen- bzw. Kritiker*innentexte betrachtet werden sollten. Damit ist das Problem verbunden, dass weder festgesetzt ist, ­welche Texte genau einbezogen werden dürfen und ­welche nicht, noch, ­welche Kriterien zur Auswahl dieser potenziell einflussreichen Texte herangezogen werden sollen. Es besteht gerade bei Texten zu Kunstwerken die Gefahr, dass diese viel mehr durch marketingstrategische Interessen geprägt sind als durch das unvoreingenommene Interesse am Werk (vgl. Kapitel 3.2). In seinem Text bietet Traue einige Handreichungen an, die für eine Methode der DAV hilfreich sind, ohne aber eine konsistente Methodik vorzustellen. Im Wesentlichen geht es ihm um eine prozessorientierte Analyse, die Verengungen auf statische Ordnungen zu vermeiden sucht (vgl. Traue 2013: 122). Dabei referiert auch er Foucault: Die a-sequentielle und deshalb untergeordnete, potentiell an-archische (sic!) Verfasstheit des Bildes, zusammen mit der wenig institutionalisierten Position des Künstlers, bietet dabei […] für Foucault Anlass, dem Bild eine transgressive Potenz zuzuschreiben […][,] dem Bild wird durch seine Fiktionalisierung des Wahrnehmbaren ein Potential zugetraut, Gesellschaft zu transformieren. (Ebd.)

Traue weist Bildern also eine konstituierende Funktion in der Gesellschaft zu, die sich anhand diskursanalytischer Methoden analysieren und bestimmen lässt. Der Vorschlag

Von der Bilddiskursanalyse zur DAV | 85

einer prozessorientierten Sichtweise von Diskursen ist insbesondere seiner Einschätzung sogenannter Akteure geschuldet. So agieren Akteure im Diskurs und aus dem Diskurs heraus: „Diese Praktiken gehen einerseits aus diskursiven Regimen und den Dispositiven, die Subjektpositionen und Subjekte erst konstituieren […] hervor, andererseits wirken diese Praktiken auf die Diskurse selbst ein.“ (Traue 2013: 124) Diese Prozesse in der Veränderung der Bildproduktion können nach Traue durch DAVs nachvollzogen werden. Er beschreibt dazu die Möglichkeit der Untersuchung von Formtrajekten: Verschiedene Akteure produzieren Artefakte, die durch Publikumsreaktionen […] und Expertenreaktionen und darauf wiederum reagierende Bildproduzenten thematisiert werden. Auf diese Weise können Imitation und Variationen von Atmosphären, Stilen oder allgemeiner soziokulturellen Formen als diskursives Ereignis sichtbar werden. (Traue 2013: 131)

Diese Beschreibung einer prozessorientierten Untersuchung hilft vor allem dabei, die insti­ tutionellen Hintergründe von Diskursen in eine DAV 4 mitaufzunehmen und zu integrie­ren. Einen Vorschlag für ein genaues Vorgehen sowie für den Umgang mit Texten zu B ­ ildern liefert Traue nicht. Gleichzeitig erkennt Traue damit die notwendige Flexibilität und Offenheit an, die für das Vorhaben der DAV zentral zu sein scheint. In ihrer Abhandlung Die Macht der Bilder: Photographien und Diskursanalyse beschäftigt sich Susann Fegter mit der Möglichkeit, explizit Fotografien in die Diskursanalyse mitaufzunehmen. Auch sie rechtfertigt ihre Forderung, visuelle Daten in die Diskursanalyse zu integrieren, mit der Beobachtung, dass visuelle Daten immer wichtiger werden. So sollten auch Bilder und Fotografien als diskursive Praxis verstanden und analysiert werden (vgl. Fegter 2011: 210). Auch Fegter lehnt sich stark an Foucault an und behandelt dabei den Begriff Aussage sehr genau. Sie definiert die Aussage nach Foucault als die kleinste Einheit des Diskurses (vgl. ebd.). Diese müsse als Funktion verstanden werden. In der Analyse soll schließlich zum Vorschein kommen, was sie durch ihre entsprechende Formulierung bewirkt. Für Fegter ist der Begriff der Aussage auch auf Fotografien anwendbar, so dass sich im Sinne Foucaults vier Dimensionen ergeben: Versteht man z. B. eine Photographie als Aussage im Foucaultschen Sinne, bedeutet dies, (1) dass sie mit dem was sie zeigt und wie sie ­dieses zeigt einen Bezug auf ein Objektfeld herstellt, dessen Gegenstände „durch die Aussage selbst ins Spiel gebracht werden“ […]; (2) dass sie mit dem was sie zeigt und wie sie ­dieses zeigt in einem Verhältnis zu einem Äußerungsfeld steht, an das sie anschließt; (3) dass sie mit dem was sie zeigt und wie sie ­dieses zeigt eine „Subjektposition“ schafft, die „jedes Individuum einnehmen kann und muss, um ihr Subjekt zu sein“ […] und schließlich, (4) dass sie mit dem was sie zeigt und wie sie ­dieses zeigt in einem Anwendungsfeld steht und in dessen Operation und Strategien eingebunden ist […]. (Fegter 2011: 211)

4 Traue verwendet den Begriff Visuelle Diskursanalyse, siehe Titel des Beitrags.

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Fegter macht also deutlich, dass Foucaults Konzept der Aussage auch visuelle Aussagen miteinschließen könnte. Jedenfalls müssten Aussagen in ein sinnlich erfassbares Element inkorporiert sein (vgl. Fegter 2011: 211). Die Verwendung des Begriffs der Aussage wird für die DAV übernommen. Auch warum gerade Fotografien für die Diskursanalyse so nützlich sein sollen, legt Fegter dar. Zunächst betont sie die Unterschiede von Fotografien zur Sprache wie auch zu anderen visuellen Daten: Fotografien weisen Ähnlichkeit zum Abgebildeten auf und haben darüber hinaus wirklichkeitskonstruierenden Charakter (vgl. Fegter 2011: 211 – 212). Ihre weiteren Ausführungen zur Relevanz von Fotografien für diskursanalytische Ansätze zeigen jedoch, dass Fegter vor allem dokumentarische Fotografien meint (vgl. ebd.). Ihr scheint es nicht um künstlerische Erzeugnisse, sondern um deskriptive Fotografien zu gehen, die das Ziel haben, zu beschreiben oder zu illustrieren. Diese Eigenheit solcher Fotografien stellt sie als für die Diskursanalyse besonders nützlich heraus: Die diskursanalytischen Fragen an Photographien erweitern sich damit und beziehen sich nicht nur darauf, was, wann, wie, wo, von wem in welchem Kontext sichtbar gemacht wird, sondern auch darauf, a.) was durch Photographien (die mit dem Anspruch einer realistischen Abbildung auftreten) in besonderer Weise evident gemacht (und damit zugleich als Konstruk­tion verschleiert) wird, b.) ­welche Subjektpositionen (ggf.) durch ihre photographische Inszenierung bzw. Konstruktion in besonderer Weise „authentifiziert“ werden. Denn auch in dieser Hinsicht greift die Wirkungsweise der Photographie: sie stattet ihre Gegenstände und auch ihre bildimmanenten Subjekte mit dem Merkmal des Echten, des Realen, des „wirklich Wahren“ aus. (Fegter 2011: 213)

Fegter versteht Fotografien folglich als Medien, die scheinbare Wahrheit konstruieren und anbieten. Mit dieser Sichtweise orientiert sich Fegter weiter an Panofsky. Zwar referiert sie als Quelle den Kunsthistoriker Max Imdahl (vgl. Fegter 2011: 214); dieser hatte Panofskys Unterscheidung ­zwischen vorikonografischer und ikonografischer Bildbeschreibung bereits aufgegriffen und erweitert. Damit stärkt auch sie ­dieses Vorgehen und sieht es als für die DAV zuträglich an (vgl. ebd.). Im weiteren Verlauf ihrer Abhandlung beschreibt Fegter ein entsprechendes Verfahren, womit sie sich von vielen anderen Autor*innen zur DAV abhebt. Sie schlägt drei Arbeitsschritte vor (vgl. ebd.): (1) Eine interpretierende Beschreibung auf vorikonischer Ebene: Die Frage lautet, was aus der zweidimensionalen Konfiguration aus Linien, Formen, Flächen etc. identifiziert werden kann. (2) Eine interpretierende Beschreibung auf ikonografischer Ebene: Wofür können die dargestellten Gegenstände, Personen etc. stehen? Diese Bedeutung wird nur auf der Basis kulturellen Wissens zusätzlich sichtbar. (3) Eine interpretierende Beschreibung kompositorischer Aspekte: Es geht hier um die Frage, wie Gegenstände im Bild und zur betrachtenden Person in ein spezifisches Verhältnis gesetzt werden. Fegter fasst zusammen: Konkreter gefasst richtete sich der Analyseblick auf Regelhaftigkeiten in dem, was die Photographien zeigen und als wahr behaupten (Sachverhalte, Subjektpositionen) und wie

Von der Bilddiskursanalyse zur DAV | 87

sie d ­ ieses zeigen (durch bestimmte Motive, wiederkehrende Konnotationen, kompositorische Aspekte etc.). (Fegter 2011: 215)

Abschließend greift Fegter den zu erwartenden Vorwurf gegen d ­ ieses Vorgehen auf, welches sehr von interpretativen Vorgängen geprägt ist. Immerhin wolle die Diskursanalyse eben gerade keine interpretative Disziplin sein: Wenn Foucault auch explizit hervorgehoben hat, dass die Archäologie „keine interpretative Disziplin“ (AW:198)5 sei, insofern sie das Gesagte und Gezeigte nicht als Dokumente eines anderen verborgenen Diskurses betrachte (als intentionaler Ausdruck eines schöpferischen Subjekts zum Beispiel), sondern „jene Diskurse selbst, als bestimmte Regeln gehorchende Praktiken“ (AW:198) zu beschreiben sucht, so stellt die diskursanalytische Rekonstruktion dieser Regelhaftigkeiten doch insofern einen interpretativen Vorgang dar, als sie verstehend die sozialen Praxen beschreibt, die sie untersucht – und diese dabei wiederholt […]. (Fegter 2011: 217)

Fegter stellt sehr anschaulich heraus, dass die Diskursanalyse am Ende nicht ohne interpretative Vorgänge auskommt – sei sie nur auf textliche Daten bezogen oder nicht. Das betrifft auch schon die Arbeiten von Foucault. Womöglich liegt hier nicht einmal ein Konflikt ­zwischen der Aussage Foucaults und der Fegters vor. Es scheint, dass der Begriff der interpretativen Disziplin, der selbst wiederum überaus viele Interpretationsmöglichkeiten bietet, hier unterschiedlich gedacht wird. Auch Fegter legt es nicht darauf an, die zu untersuchenden Werke auf die ursprüngliche Absicht des produzierenden Subjekts hin zu untersuchen. Letztlich muss die Diskursanalyse folglich immer auch als interpretative Disziplin verstanden werden, jedenfalls im Kleinen. Diese Klarstellung ist auch für die DAV zentral: Dem Einwand, Kunst habe in der Diskursanalyse durch das Erfordernis der interpretativen Arbeit nichts zu suchen, lässt sich schon im Vorfeld begegnen durch die Herausstellung der Diskursanalyse als ohnehin interpretative Methode. Fegter liefert somit wichtige Anregungen dazu, wie visuelle Daten in die Diskursanalyse integriert werden können. Zwar beschäftigt sie sich ausschließlich mit Fotografien, während es der Anspruch der DAV sein muss, alle Formen visueller Daten einzubeziehen. Die Unzulänglichkeiten anderer Ansätze, die oft nur illustrative oder repräsentative Bilder berücksichtigen, weist Fegters Beitrag nicht auf. Gleichzeitig legt sie den Fokus auf Fotografien und bespricht keine anderen Medien visueller Daten, z. B. in Form von Malerei. Durch ihre Referenz auf Panofsky lässt ihr Ansatz aber zu, auch Bilder künstlerischen Ursprungs einzubeziehen. In der Anwendung ihrer Methode hat sich Fegter jedoch auf Fotografien beschränkt, die keine Kunstwerke sind. Die Berücksichtigung von Kunstwerken scheint in ihrem Ansatz aber theoretisch möglich; es fehlen auch hier weitere Hinweise, wie die Lücke ­zwischen einer Bildanalyse nach Panofsky und der tatsächlichen Verwendung für die DAV gefüllt werden kann. 5 Anmerkung der Autorin: Abkürzung für Michel Foucaults Werk Archäologie des Wissens.

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3.8 Visuelle Daten in Texte übersetzen Die bisher vorgestellten Beiträge werden den Ansprüchen an die DAV nicht vollständig gerecht. Neben den beschriebenen Problemen der einzelnen Ansätze bezogen auf eine DVA scheitern sie allesamt, wenn die Frage von illustrativen auf künstlerische Bilder ausgeweitet wird. So siedelt Fegter ihre Analyse explizit zu Fotografien außerhalb der künstlerischen Praxis an. Andere Autor*innen hingegen lassen eine eindeutige Einordnung vermissen. Dabei wäre diese insbesondere dann wichtig, wenn das Vorhaben offensichtlich nicht auf künstlerische Bilder anwendbar ist. Das Problem reicht jedoch noch weiter: In den Abhandlungen ist beinahe ausschließlich von Bildern die Rede. Bei Bildern geht es vor allem um das klassische künstlerische Medium der Malerei, aber auch um Schaubilder und eben Fotografien. Andere künstlerische Praktiken bleiben außen vor. Was ist z. B. mit der Performancekunst? Wo bleiben künstlerische Videos? Auch Kunst des dreidimensionalen Raumes – Skulpturen und Plastiken – sowie Installationen und Architektur werden in keinem der Ansätze berücksichtigt. Dabei sind es offensichtlich diese Medien, die die größte Herausforderung an die DAV herantragen: Im Gegensatz zu einer multimedialen Raum-Licht-Installation im öffentlichen Raum ist ein Gemälde doch relativ überschaubar und greifbar. Die bildbezogenen Versuche lassen sich als eine Annäherung an eine allgemeine DAV verstehen. Erschöpfend ist eine Diskursanalyse der Bilder aber nicht; Bilder sind nur ein mögliches Element der großen Menge visueller Daten. In dieser Abhandlung soll es schließlich darum gehen, nicht nur Bilder für die Diskursanalyse verfügbar zu machen, sondern jegliches visuelle Material mit diskursivem Potenzial. Von einer Diskursanalyse mit Visuellen Daten (DAV) zu sprechen, bedeutet aber nicht, dass das Ziel eine Diskursanalyse ist, die sich rein auf visuelle Daten bezieht. Das Hauptanliegen ist, dass visuelle Daten für eine Diskursanalyse nutzbar gemacht werden können, um einen entsprechenden Korpus zu erweitern. Es ist zu betonen, dass visuelle Daten kein Konkurrenzunternehmen zur etablierten Diskursanalyse mit verbalen Daten initiieren sollen. Hier soll also ein Vorgehen entwickelt werden, mit dem visuelle Daten für die Diskursanalyse aufbereitet und verwertbar gemacht werden können. Ziel ist es ausdrücklich nicht, einen sehr straffen und engen Leitfaden zu erstellen, wie es in der neueren Tradition der Diskursanalyse oft angeboten und gefordert wird, siehe z. B. Reiner Kellers Überblick der verschiedenen Ansätze in Diskursforschung: Eine Einführung für Sozial­ wissenschaftlerInnen (2011). Hier steht Foucault offensichtlich auf meiner Seite, hat er doch selbst nie ein anwendungsfertiges, explizit ausgearbeitetes Vorgehen im Sinne eines Leitfadens angeboten. Er hat seine eigenen Analysen geliefert, ohne aber die Details im Vorgehen festzulegen. Einerseits stieß und stößt dies noch immer auf Kritik (vgl. Kammler et al. 2014: 61). Andererseits ist diese Weiträumigkeit der Th ­ eorie zugleich ihr Vorteil: Auf diese Weise wohnt ihr eine gewisse Fluidität und Anpassbarkeit inne. Nicht zuletzt deutet die lange Rezeptionsgeschichte darauf hin, dass Foucaults soziologische Analysen überaus überzeugend ausgefallen sind. Auch hier geht es zunächst darum, einen theoretischen Rahmen mit einigen Handreichungen anzubieten, ohne aber ein fixes Analyseraster vorzuschreiben. Die Brauchbarkeit

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des Vorhabens scheint sich ­zwischen zwei Polen zu manifestieren; z­ wischen dem IstZustand (visuelle Daten werden nicht in die Diskursanalyse integriert, aus verschiedensten Gründen) und dem Soll-Zustand (visuelle Daten können verlustfrei in die Diskursanalyse aufgenommen werden, als gäbe es bezogen auf das Medium keine Unterschiede). Das heißt, dass eine gewisse theoretische Unschärfe von vornherein einkalkuliert werden muss – visuelle Daten lassen sich schlichtweg nicht 1:1 in verbale Daten übersetzen, denn, wie bereits oben herausgestellt: Visuelle Daten sind keine Texte. Einige Elemente visueller Daten lassen sich zwar auch semiotisch beschreiben. Für die komplexen Kategorien von Kunstwerken trifft das allerdings nicht zu. Dementsprechend anpassbar und flexibel muss das Vorhaben ausgestaltet sein. Grundlage meines Vorgehens ist, visuelle Daten durch einen zweistufigen Vorgang in eine verbale Form zu übersetzen. Hier kommen die etablierten kunstwissenschaftlichen Methoden der Werkanalyse zur Anwendung, wie sie auf Panofsky zurückgehen und durch Imdahl und andere weitergeführt wurden: Die erste Stufe entspricht einer ausführlichen und erschöpfenden Werkbeschreibung und die zweite Stufe einer entsprechenden Werkanalyse mit Interpretation auf Grundlage der Beschreibung. Das bedeutet, dass Kunstwerke nicht als Texte aufgefasst und in die Diskursanalyse aufgenommen werden, sondern dass Texte über diese Werke zunächst entstehen müssen. Folglich bilden die so ausgeführten Werkanalysen potenzielle Daten, die Teil der diskursiven Formation in einer DAV werden können. Die Werkanalyse macht zudem eher diffuse Werkelemente wie die Atmosphäre, Stimmungen, Andeutungen etc. verbal dingfest und auf diese Weise nutzbar für die DAV. Sicherlich sind an dieser Stelle Einwände seitens heutiger Diskurstheoretiker*innen zu erwarten. Eine Diskursanalyse dürfe, so die Annahme, nicht interpretativ sein. Zunächst lässt sich dagegen sagen, dass die Diskursanalyse auch traditionell nicht ohne interpretative Vorgänge auskommt, wie bereits Fegter herausgearbeitet hat (vgl. Fegter 2011: 217). Noch viel wichtiger aber ist es herauszustellen, dass die Werkanalyse mitsamt Interpretation (und erst recht die Werkbeschreibung) nicht willkürlich und höchst subjektiv ist; jedenfalls wenn sie nach fachlichen Standards durchgeführt wird. Die Annahme, dass die Analyse künstlerischer Werke wissenschaftlichen Maßstäben nicht gerecht werde, basiert möglicherweise auf verengten Begriffen von Wissenschaftlichkeit; die These hier lautet, dass die Werkbeschreibungen Fachkundiger zum selben Werk überaus ähnlich ausfallen werden. In den Kunstwissenschaften gelten Standards zur wissenschaftlichen Arbeit mit visuellen Daten, das heißt meist Kunstwerken, die sich durch die Standardwerke hindurch sehr gut nachvollziehen lassen (vgl. Belting et al. 2008; Panofsky 1983). Von entsprechend ausgebildeten Wissenschaftler*innen werden die wichtigen Werkelemente mit entsprechendem Vokabular ähnlich beschrieben und dieselben Aspekte werden als wichtig bzw. sinnstiftend erkannt. Ebenso wenig sind Interpretation und Analyse willkürlich, schließlich fußen sie auf der ausführlichen (und angenommen korrekten) Beschreibung des entsprechenden Werks. Auch hier gibt es fachliche Standards, die mitunter durch Panofskys Ausführungen, darauf aufbauende Handreichungen oder durch andere Kunsthistoriker*innen begründet werden und etabliert sind (vgl. Imdahl 1996; Panofsky 1983). Im Vordergrund steht dabei stets die Frage: Warum wirkt das Werk(element) so, wie es

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wirkt und nicht anders? Auf w ­ elche werkimmanenten Mittel lässt sich das zurückführen? Die Interpretation wird anhand der sichtbaren Mittel begründet, keineswegs willkürlich. Somit kommen Fachkundige in der Regel nicht nur zum Ergebnis einer ähnlichen Werkbeschreibung, sondern würden dasselbe Werk auch ähnlich analysieren und interpretieren. Wesentliche Unterschiede in der Interpretation insbesondere älterer Werke, so hier die These, fußen oft in der Zitation unterschiedlicher Quellen zur Historizität eines Werks. Dies führt uns wiederum auf ein wesentliches Problem traditioneller kunsthistorischer Methoden zurück, das durch die DAV umgangen werden kann. Anleitungen zur Werkbeschreibung, -analyse und -interpretation gibt es viele. Für den Zweck, visuelle Daten für die Diskursanalyse nutzbar zu machen, sind jedoch, wie sich zeigen wird, einige Elemente wichtiger als andere. Gleichzeitig ist es nicht notwendig, sich auf ein bestimmtes Vorgehen genau zu stützen, wenn davon auszugehen ist, dass diese Vorgehen alle die grundlegenden wissenschaftlichen Kriterien an die Arbeit mit Kunstwerken erfüllen. Zur Anschaulichkeit, aber auch, weil ich meine Methode im späteren Verlauf dieser Arbeit auch zur Anwendung bringen werde, schlage ich an dieser Stelle eine Anleitung vor. Dabei handelt es sich um einen Leitfaden zur Werkbeschreibung, -analyse und -interpretation, der über mehrere Jahre entstanden ist und sich in der wissenschaftlichen Arbeit mit Kunst etabliert hat. Er ist recht offen gehalten und kann ergänzt oder gekürzt werden. Im Wesentlichen stimmt er mit den Leitfäden überein, wie sie heute an Studierende der Kunstgeschichte der ersten Semester vermittelt werden. Er geht auf ­Belting, Imdahl, Panofsky und andere zurück. Der hier vorgestellte Leitfaden unterscheidet sich von denen, die nicht im Zuge einer DAV verwendet werden, in folgenden Elementen: Es ist keine Einleitung zur besseren Lesbarkeit des Texts vorgesehen, denn ein umfassender Einleitungssatz würde das Werk zu sehr unter einem bestimmten Punkt subsumieren. Auch eine abschließende Zusammenfassung wäre hinderlich und verfälschend, würde sie doch nur bereits Gesagtes wiederholen und ihm (auch quantitativ) mehr Raum geben als angemessen. Ziele des Übersetzungsprozesses sind also nicht die angenehm lesbare Beschreibung, Analyse, Interpretation und Zusammenfassung eines Werks. Stattdessen ist das Ziel ein grundständiger Text, der das zu besprechende Werk explizit und ohne stilistischen Feinschliff in seine einzelnen Elemente bzw. Subaussagen aufschlüsselt. Dabei lautet die These: Ob Analyse und Interpretation erst nach vollständiger Beschreibung erfolgen oder beides schrittweise ineinander verwoben ist, ist für die DAV unwichtig. Teil 1: Ausführliche Beschreibung a) Motive und Technik Welche Technik wurde verwendet? Was ist dargestellt? Was ist das Hauptmotiv? Gibt es außerdem noch Nebendarstellungen oder zweite und eventuell dritte Werkebenen? Gibt es weitere Motive, die nicht in Verbindung zum Hauptmotiv stehen? Welche nicht-gegenständlichen Elemente sind dargestellt? Tauchen Motive mehrfach auf? In welcher Größe werden die Elemente dargestellt? Welche Farben werden verwendet?

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b) Werkaufbau und Komposition Wie ist der Werkausschnitt – angeschnitten oder in Gesamtsicht? Ist das Hauptmotiv in einen genauer definierten räumlichen Zusammenhang gesetzt? Wie wird der Blick geführt, gibt es erkennbare Blickachsen wie Diagonale, Senkrechte etc.? Ist die Komposition ausgewogen-symmetrisch oder einseitig-asymmetrisch? Ist ein Detail besonders hervorgehoben? Gibt es Bewegung? c) Darstellungsweise und Stil Wie ist das zu Sehende dargestellt? Grafisch oder malerisch, flächig oder mit Licht und Schatten modelliert, vereinfachend-abstrahiert oder naturalistisch? Entspricht das Werk dem Stil der Epoche oder ist es abweichend? Teil 2: Werkanalyse und -interpretation mit Bezug zur Werkbeschreibung a) Wirkung und Stimmung Wie wirkt das Werk und warum? Welche Stimmung herrscht im Bild vor und woran lässt sich das formal festmachen? Gibt es unterschiedliche Stimmungen oder widersprüch­liche Elemente? b) Symbolik und Bedeutungen Enthält das Werk Symboliken und wenn ja, was bedeuten sie? Nimmt das Werk Bezug auf andere Werke? Werden bestimmte politische, kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene angesprochen? Die Beschreibung, die Analyse und die Interpretation haben somit einen Text zum Ziel, der die rein visuellen Daten in eine verbale Form bringt und so für die DAV nutzbar macht. Dieser Text stellt das Werk analytisch und auflistend dar. Wiederholungen sollten vermieden werden, so dass ein möglichst dichtes Textdokument ohne Füllwörter entsteht. Dennoch müssen die unterschiedlichen Bedeutungsebenen und Schwerpunkte der Werke deutlich gemacht werden, anstatt in einer einfachen Auflistung alle Werkelemente gleich wichtig erscheinen zu lassen. Durch diese Übersetzung der visuellen Daten in einen Text kommt es sicherlich zu Verschiebungen, denn, wie bereits erwähnt, sind visuelle und verbale Daten niemals deckungsgleich und das können sie durch keine Methode werden. Gleichzeitig ist eine Herangehensweise nötig, mit der visuelle Daten für die Diskursanalyse verwendbar gemacht werden können. Meine These ist, dass das durch ­dieses Vorgehen möglich ist. Während die oben vorgestellten Ansätze an der Übersetzung scheitern bzw. sie gar nicht erst angehen, bietet das hier beschriebene Vorgehen erstmals die konkrete Möglichkeit, visuelle Daten (und damit nicht nur Bilder) für die Diskursanalyse verfügbar zu machen. Foucaults Begriff der Aussage wird dabei für die Methode übernommen. So lässt sich beispielsweise sagen, dass ein Kunstwerk eine Aussage ist. Kunstwerke sind denkbar komplexe Aussagen, weswegen sie auch unterschiedliche Subaussagen bzw. Unteraussagen

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beinhalten können. Die Aussagen und schließlich Subaussagen lassen sich unterschiedlichen Diskursen zuordnen. Wie diese DAV in der Praxis aussieht, darum wird es ab Kapitel 4 gehen.

3.9 Visuelle Daten und diskursive Praktiken Mit der zweistufigen Verarbeitung visueller Daten zu einem textlichen Dokument ist der erste Schritt getan, um sie für eine DAV verwendbar zu machen. Hiermit ist jedoch nur ein Anfang gemacht: Wie für verbale Daten gilt auch für vertextlichte visuelle Daten, dass sie nicht unabhängig von ihrem Ursprung und ihrer Einbettung analysiert werden, sondern als Teil des Diskurses. Und wie verbale Daten sind auch visuelle (und ferner vertextlichte visuelle) Daten immer in die diskursive Praxis eingebunden. Visuelle Daten sollen damit nicht isoliert behandelt werden, sondern zusammen mit den Modi, durch die sie in übergreifende diskursive Praktiken eingebunden sind; unmittelbar zum Werk gehören auch sein Kontext sowie seine Intertextualität. Wie ist es mit anderen Werken verbunden? Wie beeinflusst es wiederum selbst andere Werke? Kontext ist, wie bereits beschrieben, nicht als etwas Passives zu sehen, sondern als Teil des diskursiven Prozesses. Zudem wird die Bedeutung eines Werks immer durch verschiedene andere Träger mitgetragen. Dabei handelt es sich oft um ähnliche Werke, die z. B. bekannter sind; sie dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Neben dem Werk an sich sind auch die Bedingungen der Werkproduktion zu analysieren. Dazu zählt in erster Instanz die kunstschaffende Person als Akteur*in im diskursiven Feld Kunstszene. Welche Subjektposition nimmt sie ein? Welche Rolle spielt sie in der Kunstszene – ist sie anerkannt und eine Größe auf dem Kunstmarkt oder gilt sie noch als unbeschriebenes Blatt? Wird ihr so mehr oder weniger Gehör verschafft? Ist sie mit einer bestimmten Erwartungshaltung konfrontiert? Worauf fußt ihr Ruf? Schließlich sind auch die jeweiligen Bedingungen für die Künstler*innen zu betrachten, unter denen sie schaffen. In weiterer Instanz müssen auch die Rezipierenden analysiert werden bzw. die institutionell und durch Machtprozesse gewachsenen Bedingungen der Werkrezeption überhaupt. Aus diesen beiden angesprochenen Punkten um die Künstler*innen und die Rezipierenden wird eine übergeordnete Analyse unbedingt notwendig: Es geht darum, diese die einzelnen Diskurselemente verbindenden Modi und Machtstrukturen zu analysieren. Das einzelne Werk ist unweigerlich in die umgebende Struktur im diskursiven Feld eingebunden und wird dadurch mitbedingt. Gleichzeitig bedingt es selbst diese. Es stellen sich die Fragen: Wer sieht wann was in welchem Kontext und warum? Wie kann es sein, dass zu einer bestimmten Zeit bestimmte Aussagen und Subaussagen gehäuft auftauchen, während andere nicht vorkommen? Welche Rolle spielen einzelne Galerien, Museen und Vereinigungen und w ­ elche übergreifende institutionelle Rolle nehmen sie jeweils ein? Welche Rolle nehmen Galerist*innen, Kurator*innen und Kunstkritiker*innen als Akteur*innen im diskursiven Feld Kunstszene ein? Wie werden Bildbände realisiert und verbreitet? Wo

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wird Kunst aus w ­ elchen Gründen in der Öffentlichkeit ausgestellt? Welche Rolle spielt Marketing in den einzelnen Fällen, angefangen bei Galerien, über Händler*innen bis hin zum Stadtmarketing? Warum sehen Individuen in bestimmten Subjektpositionen folglich bestimmte Werke mit bestimmten Aussagen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort und andere nicht? Die Aufbereitung visueller Daten für die DAV fragt also nur in erster Instanz nach dem Werk an sich. Um visuellen Daten in der Diskursanalyse einen den verbalen Daten gleichwertigen Rang einzuräumen, bedarf es aber mehr. Wie in der traditionell verbal basierten Diskursanalyse sollen die Bedingungen der Entstehung und Rezeption und alle damit verbundenen Akteur*innen miteinbezogen werden. Dieser Punkt scheint insbesondere für kunstbezogene Diskurse relevant zu sein, weil das Auftauchen und Verschwinden einzelner Aussagen maßgeblich durch die sie umgebenden Strukturen bestimmt wird. Daraus ergibt sich die folgende grobe Struktur der Analyse: (a) Werk an sich (Beschreibung, Analyse und Interpretation), (b) Bedingungen der Produktion, (c) Bedingungen der Rezeption (vgl. Rose 2012: 346 – 347). Dabei muss die Analyse grundsätzlich als fließend angesehen werden: Eine Verengung auf statische Ordnung(en) muss ausgeschlossen bleiben. Dieses Vorgehen lässt sich auf Kunstwerke aller Art anwenden, sofern diese als Aussagen bzw. einzelne Subaussagen aus ihnen für eine bestimmte DAV als wichtig angesehen werden. Etwas komplexer könnte es sich bei abstrakten Werken darstellen, die nicht unmittelbar über eine thematische Eingrenzung als Teil des Diskurses identifiziert werden können. Sie können jedoch umweghaft Teil einer DAV werden, und zwar über ihre Bedeutung im Kontext weiterer Werke oder durch übergeordnete Machtstrukturen, beispielsweise die Position der kunstschaffenden Person im Diskurs. Für einen Überblick über das Analyseschema der DAV gilt es abschließend, das Vorgehen Foucaults mit den oben vorgestellten Elementen zusammenzufügen. Hierzu verbinde ich meinen Vorschlag zur Vorbereitung einzelner Kunstwerke für die DAV mit den typischen Arbeitsschritten, wie sie sich aus den materialen Analysen Foucaults abstrahieren lassen (vgl. Kammler et al. 2014: 236): (1) Die Abgrenzung eines Diskurses gegen andere (2) Die Bestandsaufnahme der Diskursstruktur inkl. empirisch-materieller Beschreibung, Analyse und Interpretation der visuellen Daten (3) Die Beschreibung der intra- und extradiskursiven Einbettung des Diskurses mitsamt den Bedingungen der Werkproduktion und -rezeption (4) Die Analyse seiner Dynamik: Wann taucht der Diskurs auf, wann zerfällt er, wann und wodurch wird er abgelöst? (5) Interventionsmöglichkeiten: Lässt sich eine Veränderung des Diskurses erwirken? Bevor die einzelnen Schritte beschrieben werden, muss noch eine Anmerkung gemacht werden. Und zwar wurde oben bereits beschrieben, dass eine DAV neben den vertextlichten visuellen Daten grundsätzlich auch die entsprechenden verbalen Daten beinhalten sollte, die einem bestimmten Diskurs zugehörig sind. Das können Texte aller Art

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sein, z. B. Zeitungsartikel, Interviews o. Ä. Nur so kann eine umfassende Diskursanalyse vollzogen werden, was das erklärte Ziel der Vertextlichung visueller Daten im Zuge einer Diskursanalyse ist. Dennoch kann es Anlässe geben, die diskursive Formation auf visuelle Daten zu beschränken. Im Fall der vorliegenden Arbeit am Beispiel des Fuji gibt es sogar mehrere Gründe dafür. Erstens ist der Fuji ein vor allem visuelles Phänomen. Wie in Kapitel 2 ausführlich beschrieben, gehen seine heutige Popularität und seine Stellung als Ikon Japans vor allem auf seine visuellen Eigenschaften zurück. Dies wurde besonders durch Hokusai und andere Holzschnittkünstler während der Edo-Zeit durch visuelle Praktiken stark befördert. Zweitens ist insbesondere der visuelle Teil des Fuji-Diskurses seit 2000 von besonderem Interesse, da sich in ihm Brüche manifestieren und Diskontinuität deutlich zum Vorschein kommt, wie die folgenden Kapitel zeigen werden. Drittens erlaubt eine Diskursanalyse nur mit visuellen Daten den Vergleich mit einer verbal fundierten Diskursanalyse: Zu ­welchen unterschiedlichen Ergebnissen kommen z. B. beide Analysen zum Fuji-Diskurs über dieselbe Zeit? Besonders wenn die Ergebnisse sehr verschieden ausfallen, ist das ein starkes Indiz dafür, dass visuelle Daten regulär in Diskursanalysen mitaufgenommen werden sollten. Es gibt noch einen letzten Fall, für den gilt, dass eine DAV nur die visuellen Daten berücksichtigen darf, und zwar im Zuge einer wissenschaftlichen Arbeit, in der es gerade darum geht, die Integration visueller Daten in die Diskursanalyse generell zu ermöglichen und zu bestärken. Das heißt, dass der Fokus dieser Arbeit ausdrücklich nicht darauf liegt, eine vollständige Diskursanalyse zum Berg Fuji heute, inklusive visueller und verbaler Daten, abzuliefern. Der Hauptgrund dafür ist ein logistischer: Das Vorhaben wäre in seiner Komplexität nicht zu bewältigen, da die Menge an verbalen Daten die Menge an visuellen Daten zum Berg Fuji in den letzten Jahren noch um ein Vielfaches übersteigt. Schließlich geht es in dieser Arbeit darum, der Nutzbarmachung visueller Daten für die Diskursanalyse möglichst viel Raum zu geben und gleichzeitig zu zeigen, wie eine DAV bezogen auf den Umgang mit visuellen Daten konkret aussehen kann. ­ iesem Fall mit Fokus auf die rein visuWie genau soll der ganze Prozess einer DAV, in d ellen Daten, also durchgeführt werden? Zunächst ist davon auszugehen, dass ein Thema bereits vorliegt, wie im Fall dieser Arbeit: Der Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst. Die Findung eines Themas für eine Diskursanalyse beinhaltet dabei normalerweise schon einen gewissen Überblick über die Punkte (1) bis (5): Immerhin lässt sich im entsprechenden Fall eine Diskursanalyse zu ­diesem oder jenem Thema als aussichtsreich erwarten. Das heißt gleichzeitig, dass die fünf Punkte nicht stringent aufeinander aufbauend abgearbeitet werden können oder überhaupt sollen. Dabei wirken die antizipierten Ergebnisse aus allen fünf Punkten auf die Einschätzung ein, ob und inwiefern ein Diskurs untersuchenswürdig ist. Wenn diese Einschätzung getroffen ist, sollte der Diskurs gegen andere abgegrenzt werden. Zum Thema Fuji in der zeitgenössischen Kunst stellt sich dann beispielsweise die Frage, ob nur japanische Künstler*innen aufgenommen werden sollten oder nicht. Es ergibt sich angesichts des Materials schnell, dass der Diskurs nicht auf das Land Japan eingeschränkt werden sollte, da in der einen Hälfte des Materials besonders die Aussagen nicht-japanischer Künstler*innen abweichend und damit interessant sind. Eine weitere

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Frage bezüglich der Abgrenzung stellt sich zum Berg Fuji dahingehend, ob auch Darstellungen berücksichtigt werden sollen, die dem Fuji stark ähneln oder bei denen offensichtlich ist, dass der/die Künstler*in mit der Möglichkeit spielt, dass eine s­ olche Verwechslung eintreten könnte. Hier gilt: In Einzelfällen ist es sinnvoll, diese Positionen zumindest zu behandeln, da sie auf den Fuji-Diskurs referieren. Diese Darstellungen sollten aber nicht gleichgestellt mit den „echten“ behandelt werden (vgl. Kapitel 4.2). Ist der Diskurs abgegrenzt, besteht der zweite Schritt in der Bestandsaufnahme der Diskursstruktur inklusive der empirisch-materiellen Beschreibung, Analyse und Interpretation der visuellen Daten. In erster Instanz bedeutet das die Vertextlichung dieser. Auf w ­ elche Weise diese Schritte genau vollzogen werden sollen, wurde oben bereits im Ansatz beschrieben. Dass dabei ein recht dichtes textliches Dokument ohne große Rücksicht auf die ästhetischen Bedürfnisse der Leserschaft entstehen soll, ist eine wichtige Regel in ­diesem Vorgehen. Dies bedeutet aber nicht, dass die ausgeführte und verschriftlichte Diskursanalyse (wie in dieser Arbeit) genau diese Textelemente enthalten soll. Die Übersetzungen der visuellen Daten in verbale Daten sollen vorrangig als Arbeitsgrundlage dienen und genau deswegen müssen die Dokumente auch kompakt und überschaubar ausfallen. Im ausgearbeiteten Haupttext schließlich sollen die entsprechenden Dokumente nicht wortwörtlich verwendet werden, schließlich werden in den meisten Fällen nicht alle Werkelemente gleichermaßen bedeutsam für die Diskursanalyse sein. Zudem darf und soll der möglicherweise weniger ansprechende, kompakte Schreibstil des Textdokuments einer lesefreundlichen Schreibweise in der Darstellung der Ergebnisse weichen. Auf Grundlage der Analysen und Interpretationen werden im nächsten Schritt, falls vorhanden, Subdiskurse, Subsubdiskurse etc. festgelegt: Lassen sich bestimmte Aussagen und Subaussagen des Diskurses bündeln und zu Subdiskursen zusammenfassen? Wie viele Werke beinhaltet die diskursive Formation, die untersucht werden soll? Worauf fußt die Auswahl der einzelnen Werke? Zum Thema dieser Arbeit sei vorweggenommen: Ja, es lassen sich Subdiskurse unterscheiden, die sich deutlich voneinander abgrenzen lassen, während es auch immer wieder zu Überschneidungen kommt. Der dritte Schritt der DAV dreht sich um die Beschreibung der intra- und extradiskursiven Einbettung des Diskurses mitsamt den Bedingungen der Werkproduktion und -rezeption. Im Fall des Fuji in der zeitgenössischen Kunst geht es folglich um die Klärung der bereits oben aufgeführten Fragen dazu, wer ­welche Werke wann in welchem Kontext sieht, unter ­welchen Bedingungen sie erst hergestellt wurden und so weiter. Wodurch wird der Diskurs schließlich bedingt und auf w ­ elche Weise nimmt er selbst auf sich Einfluss? Hierzu dürfen auch die Stimmen der Künstler*innen, Kurator*innen, Galerist*innen und anderen Akteur*innen herangezogen werden. Zudem kann eine Recherche über die jeweiligen Künstler*innen sinnvoll sein, um herauszufinden, w ­ elche Wirkmacht ihre Werke jeweils haben. Letztere geht z. B. darauf zurück, wo jemand studiert hat, ­welche Preise jemand gewonnen hat, wo er/sie bereits ausgestellt hat, ­welche Reichweite entsprechende Bildbände haben etc. Im vierten Schritt der DAV soll die Dynamik des Diskurses analysiert werden: Wann taucht der Diskurs auf, wann zerfällt er, wann und wodurch wird er abgelöst? So stellt sich

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im Fall Fuji die Frage, ob die Diskursanalyse zeitlich eingegrenzt werden sollte (womit eine Überschneidung zu Schritt 1 entsteht). Die Antwort lautet ja; die Geschichte des Hauptschauplatzes, Japan, weist in der jungen Vergangenheit mehrere Brüche auf. Die Diskursanalyse auf einen weiter zurückliegenden Raum auszuweiten hätte eine sehr viel größere Datenmenge zur Folge, die aber umso weniger neue Aussagen mit sich brächte. Abgesehen davon fallen unter diesen Punkt auch Eigenschaften des Diskurses, die sich nicht extern durch die Person, die diese Analyse durchführt, festsetzen lassen: Es geht darum zu erfassen, wie sich der Diskurs durch sich selbst verhält und wie er sich entwickelt; wie er sich auflöst oder durch einen anderen Diskurs abgelöst wird. Im fünften Schritt der DAV soll untersucht werden, ob es Interventionsmöglichkeiten gibt. Das heißt: Besteht die Möglichkeit, die Struktur bzw. die Dynamik des Diskurses zu beeinflussen? Diese Frage ist womöglich im Fall des Berges Fuji in der zeitgenössischen Kunst nicht ganz naheliegend. Immerhin tragen Künstler*innen aus der ganzen Welt zum Diskurs bei, wodurch Interventionen sehr komplex ausfallen dürften. Der Vollständigkeit halber muss aber auch dieser Punkt aufgenommen werden, soll doch die DAV ebenso zur Analyse anderer Diskurse mit visuellen Daten verwendet werden können. Dies sind also die Arbeitsschritte einer DAV; einer Diskursanalyse nach Foucault unter Berücksichtigung visueller Daten. Diese fünf Schritte müssen nicht formal nacheinander ausgeführt und niedergeschrieben werden. Die einzelnen Elemente bedingen sich gegenseitig und es ist gar nicht in Perfektion möglich, die Schritte (1) bis (5) sauber voneinander abzutrennen. Das ist auch nicht notwendig; Diskursanalyse bedeutet schließlich auch, anzuerkennen, dass jeder Diskurs immer in Bewegung, stets veränderlich und damit niemals völlig greifbar und vollständig zu kategorisieren ist. Dementsprechend darf auch die Analyse von der Geradlinigkeit abweichen. Hinzu kommt, dass in den Ergebniskapiteln 5 und 6 die Analysearbeit schon getan worden ist; die vorgestellten unterschiedenen Subdiskurse und Subsubdiskurse sind Resultate der vorher durchgeführten Analysen. Während in der DAV das Unterscheiden der Subdiskurse erst auf die Analysearbeit folgt, werden die Ergebnisse in d ­ iesem Text durch die theoretische Struktur der Arbeit bereits vorweggenommen.

4 Abgrenzung des Diskurses: Grundlagen für die DAV am Beispiel Berg Fuji Was ist zeitgenössische Kunst?1 Ist sie einfach das, was gerade im Jetzt passiert? Mit dieser pragmatischen Alltagsdefinition gehen Probleme einher, die für die Abgrenzung von Kunstwerken gegeneinander konstitutiv sind. Eine offensichtliche Frage ist: Wann hat das Jetzt angefangen und was war davor? Aus welchem Grund ist es sinnvoll, bezogen auf genau jenen bestimmten Punkt noch vom Davor zu sprechen und dann vom Jetzt? Schließlich: Wie lange kann und darf das Jetzt anhalten, bevor es wiederum zu einem Danach und damit zum Vorher eines neuen Jetzt wird? Offenbar ist die Definition des Begriffs zeitgenössische Kunst doch nicht so einfach wie erhofft. Ein Grund dafür ist, dass die traditionelle Kunstgeschichte ihr Interesse eher der Zeit davor widmet. Das zeigt allein der Blick auf die Websites der renommierten kunsthistorischen Fachbereiche deutscher Universitäten (vgl. z. B. das Institut der Kunst- und Bildgeschichte der HU Berlin; das Kunsthistorische Institut der Universität Bonn; das Institut für Kunstgeschichte der HHU Düsseldorf ), wo Professuren mit Ausrichtung an der Gegenwart stark unterrepräsentiert sind. Die Gründe hierfür lassen sich teilweise in den bereits besprochenen Besonderheiten der traditionellen kunstgeschichtlichen Herangehensweise finden: Das Einzelwerk spielt die zentrale Rolle, und zwar im Kontext des Lebens und Gesamtwerks der dahinterstehenden Künstler*innen (vgl. Locher 2018: 203). Dabei geht es vor allem um Quellenrecherche. Die zeitgenössische oder gegenwärtige Kunst ist jedoch noch nicht darauf festgelegt, was ihre (aussagekräftigen) Quellen sind und wie sich die entsprechenden Künstler*innen noch fortentwickeln werden. Die Einzelwerke lassen sich nicht ins jeweilige Gesamtwerk der Künstler*innen einordnen, ist ­dieses doch noch gar nicht abgeschlossen. Das passt offensichtlich nicht zum biografischen Verfahren; w ­ elche Werke die Nachwelt noch schätzen wird, lässt sich kaum absehen. Georg Imdahl schreibt in seiner Kritik zur zeitgenössischen Kunst: „Ja, die Kategorie Meisterwerk ist der Gegenwartskunst fremd geworden. […] Anders als Picasso, Matisse und Klee sind auch die zeitgenössischen Künstler dem großen Publikum kaum bekannt.“ (Imdahl 2016: Online-Artikel auf der Deutschlandfunk-­ Website) Hier bietet sich die DAV an: Sie kann dazu verhelfen, den Diskurs mit allen seinen einzelnen Elementen bereits zu ordnen, während er sich im Prozess befindet. Während sich die Methoden traditioneller Kunstgeschichte somit nur bedingt zum Erfassen der Strömungen zeitgenössischer Kunst eignen, so ist diese Möglichkeit der Einordnung gerade eine der Stärken der DAV. Was ist also zeitgenössische Kunst? Zunächst einmal ist die Frage danach an sich wertvoll, denn auf der Suche nach einer Antwort zeigt sich die Überforderung der Kunstgeschichte 1

Der Begriff der zeitgenössischen Kunst wird synonym mit Gegenwartskunst verwendet (vgl. Imdahl 2016: Online-Artikel auf der Deutschlandfunk-Website).

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mit d ­ iesem Thema; es mag auch Desinteresse sein. Bereits ein Blick in das Online-Kunstlexikon des Verlags Hatje Cantz, einem der international führenden Verlage im Bereich der Bildenden Kunst, verdeutlicht das: Die zeitgenössische Kunst wird hier nicht einmal als Stichwort gelistet. Zwar finden Verweise darauf statt, etwa durch die Unterpunkte ­Biennale Venedig oder Documenta, doch ein umfassendes Kapitel zur zeitgenössischen Kunst gibt es nicht. Stattdessen wird der Postmoderne ein Kapitel gewidmet. Sie wird hier vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verortet, ohne dass eine Abgrenzung gegen das Zeitgenössische angeboten würde (vgl. Gern 2003: Online-Kunstlexikonartikel). Künstler*innen wie der weiterhin schaffende Gerhard Richter, dessen Werke zu den teuersten dieser Zeit zählen, werden in ­diesem Kapitel gleich mit abgehandelt. Aufschlussreich ist auch das Alter des Artikels zur Postmoderne auf der Website von Hatje Cantz: Der Artikel stammt aus dem Jahr 2003. Neuere Tendenzen scheinen damit nicht gewürdigt zu werden, sei es nun Absicht oder der Trägheit in der Pflege der Website geschuldet. Auch das kompakte Überblickswerk Grundbegriffe der Kunstwissenschaft von 2018, herausgegeben von Stefan Jordan und Jürgen Müller, bietet keinen Artikel zur Gegenwartskunst an; nur einen zur Postmoderne, und zwar ohne Nennung der wichtigsten Künstler*innen unserer Zeit. Die Tate Gallery, eine einflussreiche Institution für die zeitgenössische Kunst, liefert auf ihrer Website eine Definition. Nach dieser Definition ist zeitgenössische Kunst nicht älter als zehn Jahre: The term contemporary art is loosely used to refer to art of the present day and of the relatively recent past, of an innovatory or avant-garde nature […] In the 1980s, Tate planned a Museum of Contemporary Art in which contemporary art was defined as art of the past ten years on a rolling basis. (Tate Gallery 1: Online-Artikel auf der Website der Galerie, o. D.)

Auch in der ZEIT 21/2010 wurde die Diskussion um die Gegenwartskunst sehr umfassend und überzeugend geführt. Ein wichtiges Ergebnis ist, dass die zeitgenössische Kunst als einzige Epoche nicht periodisierbar und kategorisierbar ist, was sie von allen anderen Epochen unterscheidet (vgl. Belting 2010: Online-Artikel auf ZEIT ONLINE). Sie ist nicht abgeschlossen. Weiterhin wichtig ist, dass das Sprechen von zeitgenössischer Kunst den Abschluss der Moderne impliziert, gleichzeitig aber nicht definiert, wo die Grenze ­zwischen dem Davor und dem Jetzt verläuft. Die Postmoderne mag dabei als Übergangszeit angesehen werden, deren Anfang sich zwar recht klar in der Nachkriegszeit verorten lässt, ihr Ende ist jedoch diffus. Sehr entgegenkommend am offenen Begriff der zeitgenössischen Kunst ist die Verwertbarkeit für nicht-westliche Kunst. Begriffe, Kategorien und Epochen aus der hiesigen Kunstgeschichte können möglicherweise nicht auf eine fremde Kultur übertragen werden (vgl. Büttner 2018: 199); jedenfalls dürfen sie das nicht völlig unreflektiert. Ein offener Begriff der zeitgenössischen Kunst lässt zu, sich an den politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes zu orientieren, dessen Kunstwerke behandelt werden sollen; eine einheitliche globale epochale Kategorisierung von Kunst ist weder sinnvoll noch möglich.

Wie süß: Zeitgenössische japanische Kunst | 99

4.1 Wie süß: Zeitgenössische japanische Kunst Um zeitgenössische japanische Kunst zu verstehen, muss man Murakami Takashi als einen der einflussreichsten japanischen Künstler der Gegenwart durchschauen. Hierzu ist ein Blick in die letzten Jahrzehnte der Geschichte der japanischen Gesellschaft und ihrer Kunst zweckmäßig. In Japan, wie in allen Ländern, gehen die Veränderungen der politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen schließlich mit den Veränderungen in der Kunst einher. So werden bedeutende Ereignisse und Trends in der Kunst verarbeitet. Gunhild Borggreen stellt in ihrem Text Cute and Cool in Contemporary Japanese Visual Arts von 2011 sehr anschaulich dar, in welcher Weise die zeitgenössische Kunst den Trend kawaii als kulturelles Phänomen sehr früh aufnahm und zum Gegenstand der Reflexion machte. Kawaii wird übersetzt als niedlich, süß, unschuldig, hat aber auch einen bemitleidenswerten und hilflosen Unterton (vgl. Kinsella 1995: 220). Dieses Phänomen der speziellen Art des Niedlichen ist bis heute stark mit Japan verbunden: Es kommt insbesondere im Kontext populärkultureller Darstellungen und nicht zuletzt in Mode und Design zum Tragen (vgl. Borggreen 2011: 41). Ein bekanntes Beispiel für kawaii ist Hello Kitty. Als junge Künstlerinnen seit den 1980er Jahren zuerst die Elemente von kawaii aufnahmen und künstlerisch verarbeiteten, wurde es bald zum Gegenstand der Kunstkritik in Japan. Auch junge japanische Künstler bedienten sich zunehmend am Konzept kawaii und es wurde für größere politische Kontexte nutzbar gemacht (vgl. Borgreen 2011: 46 – 47). Einen erstaunlichen Höhepunkt in dieser Entwicklung stellt das Projekt um die kawaii taishi, übersetzt in etwa die niedlichen Botschafterinnen, aus dem Jahr 2009 dar. Hier hatte das japanische Außenministerium drei junge Modeikonen dazu berufen, fortan als Multi­ plikatorinnen der japanischen Populärkultur zu fungieren (vgl. Borggreen 2011: 39 – 40). Der Fokus lag nicht nur auf der nationalen, sondern auch auf der internationalen Ebene. Auf ihrer weltweiten Tournee sollten sie junge Menschen für die japanische Populärkultur begeistern (vgl. ebd.) und damit Japans kulturellen Einfluss erhöhen. Nachdem die japanische Wirtschaft vor der Jahrtausendwende stark unter einem Abschwung gelitten hatte, setzte die japanische Regierung also, wohl etwas spät, auf das Konzept kawaii. Es hatte bis zu d ­ iesem Punkt aber schon über Jahrzehnte mehrere Phasen durchlaufen. Die Bedeutung von kawaii in der japanischen Kunst der 2000er lässt sich nicht zuletzt an einer Vielzahl von Ausstellungen und Bildbänden jener Zeit ablesen. So stellt das Buch Drop Dead Cute: the New Generation of Women Artists in Japan von Ivan Vartanian aus dem Jahr 2005 zehn junge Künstlerinnen vor, deren Arbeiten mit kawaii verbunden sind und Bezüge zur Populärkultur aufweisen. Darunter befinden sich auch Aoshima Chiho, Takano Aya und Ban Chinatsu – drei junge Künstlerinnen, die Murakami Takashis Kunstfabrik namens Kaikai Kiki entspringen. Der 1962 geborene Murakami selbst hatte seine Hochzeit in der japanischen Kunstszene in den 1990er und 2000er Jahren und ist seither der einflussreichste japanische Künstler der Gegenwart (vgl. Favell 2011: 9). Dabei spielt Murakamis Kunst nur eine Rolle in dem Netzwerk, das ihm diesen Einfluss auf die japanische und internationale Kunstszene gewährt. Als Autor und Kunstkritiker beeinflusst er auch, wie japanische Kunst im In- und Ausland reflektiert wird (vgl. Favell 2011: 13), und als Kurator

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bestimmt er, was überhaupt gesehen – was sichtbar – wird (vgl. Favell 2011: 8 – 9). Gleichzeitig formt er den künstlerischen Nachwuchs Japans (vgl. Favell 2011: 9). Um Murakamis Einfluss und seine Rolle in der japanischen Kunst zu verstehen, muss man ihn wiederum im Kontext seiner Zeit betrachten. Als Kind der Nachkriegszeit und als Sohn von Eltern, die den Zweiten Weltkrieg überstanden haben, ist der Krieg ein wesentliches Thema in seiner Arbeit (vgl. Favell 2011: 18). Schon der erste Blick in den Ausstellungsband der 2005 von ihm kuratierten Ausstellung Little Boy: The Arts of Japan’s Exploding Subculture verdeutlicht das. Die Bilder zeigen die zerstörte Stadt Hiroshima nach der Atombombe und den Atompilz. Die abgebildeten Kunstwerke zeigen Motive des Krieges und erzählen vom Kontrollverlust über nukleares Material. Auch der Titel der Ausstellung selbst referiert unmissverständlich auf den Zweiten Weltkrieg, war doch Little Boy der Spitzname für die Atombombe, die am 6. August 1945 auf Hiroshima abgeworfen wurde. Abgesehen von den Vorgängen des Krieges ist es die Art und Weise der Kapitulation Japans mitsamt ihren Folgen, die Murakamis Geschichtsbewusstsein prägen. Der Artikel Vision of a ‘superflat’ future: Takashi Murakami analyses his new exhibition in N. Y. von Nakamura Ryoko in der Japan Times Online 2005 erlaubt weitere Rückschlüsse. Murakami wird zitiert: “[Postwar Japan] gave up the idea of becoming an adult,” he continued. “And instead of reacting to its situation by starting a revolution or a rebellion, it simply accepted its role of victim and resigned itself to peace. It might not have been by the fairest of tactics, but we’ve managed to secure peace so what’s so wrong with that?” (Nakamura 2005: Online-Artikel auf der Website der japanischen Tageszeitung The Japan Times)

Wie der Titel des Artikels es bereits verrät, so ist der Begriff Superflat für die Arbeit ­Murakami Takashis von wesentlicher Bedeutung. Er geht zurück auf eine frühere Ausstellung und sein Manifest mit demselben Titel. Die Ausstellung selbst wird sehr anschaulich von Adrian Favell in seinem Buch Before and After Superflat: A Short History of Japanese Contemporary Art 1990 – 2011 beschrieben: Over two floors, the show was a sensory overload of childish art, dream characters and pachinko [venues of Japanese gambling/slot machines] style lights and colour. It offered that familiar promise of an alternative Asian modernity which first time visitors looking for Neo-Tokyo always experience. There was also a lot of sex in the show (although not so much in the catalogue), and no end of images of young Japanese girls. But it was all cartoonish, colourful and fun, albeit a little weird. It was something like being teleported unprepared in the middle of Akihabara [a part of Tokyo, that is famous for its stores with electronic devices as well as manga, anime, video and computer games. It is also perceived as an otaku cultural centre] on a busy Sunday afternoon, with curator Murakami as the laughing otaku guide. (Favell 2011: 21; Hervorhebungen und Erläuterungen im Original)

An dieser Stelle mag die Frage aufkommen, warum alle diese verspielten und kindischen Dinge in der Ausstellung sowie in seinen eigenen Werken zu finden waren. Die Antwort

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darauf ist: Murakami nimmt sein Land als kindisch wahr und als unfähig, erwachsen zu werden. Infantilisierung spielt in seinem Werk eine Schlüsselrolle: Murakami Takashi, too, connects the concept of kawaii with national traits in the catalogue for the Little Boy exhibition. Cuteness, kawaisa, becomes the core of a pre-child state that Murakami identifies in post-war Japan, linking it to what Murakami sees as a ‘culture frozen in its infancy’, leaving the Japanese as ‘truly, deeply, pampered children. And as pampered children, we throw constant tantrums while enthralled by our own cuteness’. (Borggreen 2011: 47 – 48; Referenz auf Murakami 2005: 138, 141; Hervorhebungen im Original)

Dies bedeutet, dass Murakami die Verbreitung und den Erfolg der Populärkultur auf allen Ebenen des japanischen Lebens auf das Trauma nach dem Zweiten Weltkrieg zurückführt: Die Japaner*innen ­seien dermaßen infantil, dass sie einfach nicht anders könnten, als in der verlockenden Populärkultur aufzugehen und zu verschwinden. Mit seiner Th ­ eorie fand Murakami international sehr viel Anklang, während er in der Heimat weiterhin Erfolge mit seiner Kunst und seiner Nachkommenschaft bei Kaikai Kiki feierte (vgl. Favell 2011: 8 – 10). Im weiteren Verlauf wurden viele der Kaikai-KikiKünstler*innen vor allem durch pädosexuelle Darstellungen populär, die historisch entlang der sich wandelnden Zensurvorgaben der japanischen Regierung gewachsen sind (vgl. Teuwsen 2019: 508 – 509). Die Jahre um die Jahrtausendwende bildeten für ­dieses Phänomen einen fruchtbaren Boden: So, when we consider the depiction of the female body by the Kaikai Kiki artists again, this means that this style is not unusual in Japan. It is in line with the way characters are depicted youthfully and underage due to the historical and legal conditions of the previous century. Finally, that Japanese contemporary art shows us many of these underage bodies cannot only be explained by the promotion of Cool Japan and kawaii in the 21st century, but leads back to many developments and turning points in the Japanese history. (Teuwsen 2019: 508 – 509)

Die 1990er und 2000er Jahre waren wahrlich die Zeit der Superflat. Die Bedingungen waren hervorragend, zumal auch die Regierung mehr und mehr die Populärkultur als Soft-Power-Dimension 2 erkannte und förderte (vgl. Borggreen 2011: 41 – 42). Die japanische Populärkultur verbreitete sich über alle Kontinente. Und doch ist seit der Mitte der 2000er Jahre ein Abfall des Interesses an Superflat nachweisbar (vgl. Favell 2011: 11). So überraschte eine sehr große Ausstellung 2011 in New York, die Show Bye Bye Kitty!!! Between Heaven and Hell in Contemporary Japanese Art, damit, dass sie keine*n einzige*n Kaikai-Kiki-Künstler*in beinhaltete – auch nicht Murakami Takashi selbst. Einzig 2

Der Begriff Soft Power bezieht sich auf die Wege, auf denen durch die Wertschätzung der Kultur einer anderen Nation gleichzeitig das Erreichen weiterer politischer Ziele unterstützt wird (vgl. McLelland 2017: 6).

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im Begleitkatalog wird Murakami besprochen, und zwar in Bezug auf seinen historisch bedeutsamen Einfluss auf die heutige japanische Kunst und damit die Ausstellung selbst (vgl. Elliott 2011: 5). Eine Ära schien zu Ende zu gehen. Diese Ausstellung zur zeitgenössischen japanischen Kunst in New York war von langer Hand geplant und fiel letztlich wie zufällig in eine Zeit voller Veränderungen in Japan. Die Ausstellung begann am 18. März 2011 – eine Woche nach der verheerenden Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und havarierendem Kernkraftwerk (vgl. Favell 2011: 221 – 222). Während sich die japanische Kunst also ohnehin veränderte, folgte ein massiver Einschnitt in das gesellschaftliche Leben und die politische Realität des Landes. Nun schienen das lustig Bunte und die Populärkultur nicht mehr angemessen zu sein und viele junge japanische Künstler*innen orientierten sich um. Favell spricht davon, die japanische Kunstwelt habe in jener Zeit eine Depression erlitten (vgl. Favell 2011: 223). Bis dahin dominierten die Museumskunst und Ausstellungen in Galerien, zusammengefasst unter dem Begriff White Cube-Kunst 3, die zeitgenössische Kunstszene Japans. Umgehend nach der Katastrophe jedoch initiierten viele Künstler*innen Projekte aktivistischer Kunst, die unmittelbar auf das Geschehene Bezug nahmen, darauf reagierten und es bewerteten (vgl. Favell 2011: 229). So reiste das Künstlerkollektiv Chim↑Pom am 11. April 2011, einen Monat nach der Katastrophe, zum havarierten Atomreaktor: On April 11, 2011, the one-month anniversary of the earthquake, Chim↑Pom artists trav­ eled to the Fukushima Daiichi plant wearing Hazmat suits. Collective leader Ryuta U ­ shiro describes the scene: “We parked our car at the main gate of the plant, and there is an overlook within the premises of the plant. That overlook was built to gain the residents’ understanding for the nuclear power plant, and it had become a place where people see the first sunrise of the year. […] We walked to the overlook and got out our white flag, and painted in red the rising sun of the flag, which comes from the sunrise. And then we altered the flag […] in the image of the radiation symbol.” (Frontline: Online-Artikel in der Sektion The Atomic Artists, o. D.)

Auch der japanische Künstler Kota Takeuchi setzte sich aktiv der Gefahr durch die Strahlung aus. Er engagierte sich als Helfer beim Aufräumen des havarierten Reaktors und nutzte diese Position für eine gleichsam subversive wie wirkungsvolle künstlerische Intervention: Kota positionierte sich vor einer der drei Live-Feed-Kameras, w ­ elche die Fortschritte der Aufräumarbeiten dokumentierten. Dort richtete er seinen ausgestreckten Zeigefinger als eine Geste der Beschuldigung in die Kamera. In dieser vorwerfenden Position hielt er 15 Minuten inne. Sein Gesicht war durch den Finger und den Sicherheitsanzug weitestgehend verdeckt, und während sich die Aufnahme viral verbreitete, war er lange Zeit nur 3 Der Begriff des White Cube (Weißer Würfel) bezieht sich auf die charakteristische Ästhetik von Museen und Galerien, hervorgerufen u. a. durch die reinen, weißen Wände, die kantigen Räume und das von oben strahlende, weiße Licht (vgl. Tate Gallery 2: Online-Artikel auf der Website der Galerie, o. D.).

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bekannt als der Finger Pointing Worker (vgl. Chan 2015: Online-Artikel auf der Website Art Radar zur zeitgenössischen Kunst). Wenn wir schließlich nach der Abgrenzung zeitgenössischer japanischer Kunst zu einem Davor suchen, dann muss die Dreifachkatastrophe eine Rolle spielen. Jedoch müssen auch jene Faktoren Berücksichtigung finden, ­welche die markanten Veränderungen in der zeitgenössischen Kunst erst ermöglichten. Um das Feld für d ­ ieses neue Paradigma in der Kunst zu schaffen, musste vorher eine Ermattung der Kunstszene stattgefunden haben. Also müssen wir mindestens bis in die 2000er Jahre zurückgehen, als Murakamis Superflat-Theorie auf ihrem Höhepunkt war und das Interesse daran bald wieder abflachte. Somit ließen sich sogar die Ursprünge der Kunst Murakamis mitaufnehmen: die Genese der kawaii-Kunst seit den 1980er Jahren. All dies zusammengenommen kann man den Beginn der zeitgenössischen Kunst in Japan frühestens in den 1980er Jahren ansetzen. Diese Zeit sowie die 1990er Jahre können als Übergangszeit verstanden werden. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der oben gemachten Definition wird für diese Arbeit zeitgenössische japanische Kunst ab Mitte/Ende der 2000er Jahre festgesetzt. Die meisten Darstellungen stammen aus dieser Zeit; einige Ausnahmen sind etwas älter und werden aus wichtigen Gründen dennoch als Teil der diskursiven Formation angenommen. Dabei ist es für die DAV nicht notwendig und sogar hinderlich, nur japanische Werke miteinzubeziehen. Wieso musste dann der Begriff der zeitgenössischen japanischen Kunst so genau hergeleitet werden? Das sei vorweggenommen: Die meisten künstlerischen FujiDarstellungen der letzten Jahre stammen von japanischen Künstler*innen. Das sollte nicht überraschend sein. Gleichzeitig beziehen sich auch die Darstellungen nicht-japanischer Künstler*innen auf die aktuellen Geschehnisse in Japan. Um die DAV vorzubereiten, ist schließlich eine gewisse Abgrenzung der Daten notwendig, so dass sich anhand des Begriffs der zeitgenössischen japanischen Kunst eine Abtrennung sinnvoll vornehmen lässt. Diese gilt für japanische und nicht-japanische Werke gleichermaßen. Wie bereits dargestellt, geht es in dieser Arbeit weniger darum, zu beschreiben, wie der 1000 Jahre alte Fuji-Diskurs über den heiligen Berg und das Ikon Japans auch in künstlerischen Erzeugnissen weitergeführt wird. Er wird fortgesetzt, das ist ganz klar. Interessanter sind die abweichenden Darstellungen des Fuji. Das Auftauchen dieser geht zeitlich einher mit dem Entstehen der zeitgenössischen japanischen Kunst. Neben den unzähligen Darstellungen des Fuji in seiner vollen landschaftlichen Schönheit finden sich nur sehr wenige abweichende Darstellungen vor den 2000er Jahren, und diese kommen eher aus dem Ausland als aus Japan. Jedoch gibt es von dem Künstler und Grafikdesigner Tadanori Yokoo schon aus dem Jahr 1966 ein Bild mit dem banalen Titel Brushing Teeth, das auch den Fuji präsentiert. Es zeigt eine nackte Frau frontal im Halbporträt bis knapp oberhalb des Schambereichs, wie sie mit Blick zu den Betrachtenden überschwänglich viel Zahnpasta auf ihre Zahnbürste drückt. Während sich die Menge der Zahnpasta schon wieder von der Zahnbürste löst, fixiert die junge Frau die Betrachtenden mit ihrem Blick. Ihr Haar ist in ein orangefarbenes Handtuch eingebunden, das sich kontrastiv von der Landschaft im Hintergrund absetzt. Diese Landschaft zeigt ein Gewässer mit einigen kleinen Segelbooten, einige begrünte Felsen und den Berg Fuji mit seiner charakteristischen Silhouette

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und mit schneebedeckter Spitze im oberen rechten Bildviertel. Das Weiß seiner Spitze findet sich in den Segelbooten und in der Zahnpasta auf der Zahnbürste wie im Mund der Frau wieder. Es drängt sich die Frage auf, wo die Frau sich befinden mag. Steht sie im Freien auf einem Hügel, nackt, so dass dieser Ausschnitt real möglich ist? Allein der Gedanke daran muss für das Japan der 1960er Jahre eine Provokation gewesen sein. Aber das quadratische Raster im Hintergrund impliziert eine strukturelle Grenze ­zwischen der Frau und dem Hintergrund. Steht sie in einem Sentō mit einer Fuji-Landschaft an der Wand? Hier wäre das Zähneputzen die Provokation, schließlich ist im Sentō kein Zähneputzen vorgesehen. Befindet sich das Landschaftsbild in ihrem eigenen Bad zu Hause? Auf jeden Fall war es für die 1960er Jahre höchst unüblich, den Fuji in einen gleichzeitig banalen wie obszönen Prozess wie das Nackt-Zähneputzen einzubinden. Tatsächlich ließe sich der Fuji in ­diesem Bild sogar als sexualisiert interpretieren, mit der überquellenden Zahnpastatube als sinnbildlichem Ejakulationsmoment und dem Gesicht der Frau als Resultat von Oralverkehr mit Sperma, das aus dem Mund austritt. Es besteht also eine deutliche Abweichung dieser Fuji-Darstellung von dem bis dahin stabilen Diskurs. Nur rückblickend und aus westlicher Sicht mag ­dieses Bild unaufregend sein. Eine Fuji-Darstellung von Duane Michals aus dem Jahr 1976 hingegen vermag noch immer, und das sehr viel expliziter, eine gewisse Irritation hervorzurufen. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung von 15 beschrifteten Fotografien mit dem Titel Take One and See Mount Fujiyama. Der handgeschriebene Text, der die Fotos begleitet, erzählt die Geschichte eines Mannes, der einen heißen Tag gelangweilt mit dem Lesen eines Buches zu Hause verbringt. Die ersten Bilder zeigen, wie er in einer weißen Unterhose auf dem Bett liegt. Plötzlich wird ein Umschlag mit grünen Pillen unter der Tür durchgeschoben. Darin liegt auch ein Zettel, auf dem steht: Take One and See Mount Fujiyama (Abb. 20). Von Langeweile getrieben nimmt er eine der Pillen, die offenbar bewusstseinsverändernde Substanzen erhält: Daraufhin sieht er eine riesige Frau durch die Tür kommen (Abb. 21), die sich auf sein Gesicht setzen wird (Abb. 22). Auf dem 13. Foto sieht man nun eine Form, die auch die stark vereinfachte Darstellung des Fuji sein könnte, untertitelt mit dem Satz: „Miraculously, in the darkness, he began to see the snow covered peak of Mt. Fujiyama“ (Abb. 23). Die letzten beiden Fotos der Reihe (Abb. 24 und Abb. 25) lösen durch eine weiter werdende Perspektive auf, dass es sich dabei um die über seinem erigierten Penis aufgespannte weiße Unterhose des Mannes handelt. Dass diese „Darstellung“ des Fuji aus dem Ausland kommt, ist auf mehreren Ebenen nicht überraschend. Zunächst verweist der Begriff Fujiyama auf die westliche Aussprache des Berges Fuji, die auf eine falsche Übersetzung des Zeichens für Berg zurückgeht. Gleichzeitig wäre eine so explizite Darstellung im Japan der 1970er Jahre kaum denkbar gewesen. Die sexualisierte Darstellung des heiligen Berges wäre einer Entweihung gleichgekommen. Tatsächlich kamen explizit sexualisierte Darstellungen des Fuji auch aus Japan – dies jedoch erst einige Jahrzehnte ­später. Bevor wir von der japanischen Kunst als zeitgenössische Kunst sprechen können, kamen s­ olche abweichenden Fuji-Darstellungen jedenfalls eher aus dem Ausland oder von japanischen Künstler*innen, die international tätig waren, so wie Tadanori Yokoo.

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Abb. 20 Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 3), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm.

Abb. 21 Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 6), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm.

Abb. 22 Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 11), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm.

Abb. 23 Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 13), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm.

Abb. 24 Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 14), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm.

Abb. 25 Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 15), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm.

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4.2 Die Suche nach dem Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst: Recherche und Feldforschung Für eine DAV zum Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst kommt prinzipiell jede einzelne entsprechende Darstellung des Berges Fuji aus den letzten Jahren infrage, die sich in der Welt finden lässt. Wie spürt man also alle Kunstwerke der letzten zehn bis zwanzig Jahre auf, die den Berg Fuji zeigen? Ich habe keine sichere Antwort auf die Frage, sondern kann nur erklären, wie ich versucht habe, so viele Fuji-Darstellungen wie möglich zu finden. Das große Problem besteht vor allem in den Werken der nicht-japanischen Künstler*innen. Während das Feld der Kunst aus Japan seit Mitte der 2000er Jahre immerhin begrenzt und folglich im Ansatz überschaubar ist, so ist es nahezu unmöglich, alle Fuji-Darstellungen aus anderen Ländern von zeitgenössischen Künstler*innen zu entdecken. Das hat vor allem logistische und sprachliche Gründe. Abgesehen davon ist zu erwarten, dass es von diesen Künstler*innen relativ wenige Fuji-Darstellungen gibt, was die Recherche nur noch mehr zu einer Suche nach der (eventuell nicht vorhandenen) Nadel im Heuhaufen werden lässt. Das heißt, soviel sei vorweggenommen: Die Ermittlung von Fuji-Darstellungen nicht-japanischer Künstler*innen hat nur beiläufig stattgefunden und so habe ich diese (auch sehr wenigen) Darstellungen meist eher per Zufall entdeckt. Eine Ausnahme entsteht durch international sehr renommierte Künstler*innen, deren Werke sich einfach finden ließen. Dass ich das eine oder andere Werk möglicherweise nicht finden konnte, führt für das Vorhaben dieser Arbeit jedoch nicht gleich zu Problemen; besonders wichtig ist es nur, jene Arbeiten zu finden, die eine große Sichtbarkeit haben und dementsprechend großen Einfluss im Gesamtdiskurs. Dies ist durch die Suchstrategie gewährleistet. Die Recherche von Fuji-Darstellungen japanischer Künstler*innen war besser planbar und auch ertragreicher als die Suche nach Werken anderer Künstler*innen. Sie begann damit, sich Bildbände, Bücher zu Ausstellungen und Internetauftritte international und national bekannter japanischer Künstler*innen im In- und Ausland anzusehen und schlichtweg jedes einzelne Bild nach dem Auftauchen des Berges Fuji zu untersuchen. Ergänzend habe ich eine umfassende Internetrecherche nach einschlägigen Stichworten wie Fuji, Fuji Arts, Holy Mountain Japan, Japanese landscape, Contemporary Japanese Arts etc. durchgeführt. Hierbei wurde ich von meinen Hilfskräften an der HHU Düsseldorf unterstützt: Sie konnten nochmals eigene Suchbegriffe und andere Recherchemethoden nutzbringend beisteuern. Die Suche im Internet fand in den Sprachen Deutsch, Englisch und Japanisch statt und auch Bildbände und Ausstellungsbände wurden in diesen Sprachen herangezogen, zudem einige Ausgaben in französischer Sprache. So konnte ich bereits vor meinem Japan-Aufenthalt eine Vielzahl von Fuji-Darstellungen sammeln. Meine Reise nach Japan zur Feldforschung vom 25. September 2017 bis zum 10. Oktober 2017 sollte diese Auswahl ergänzen. Meine Erwartungshaltung war, dass ich dort insbesondere in kleineren Galerien zur zeitgenössischen japanischen Kunst weitere Fuji-Darstellungen finden könnte, die ihren Weg (noch) nicht ins internationale Fahrwasser und schließlich zu mir finden konnten. Ich hoffte also, dort noch einige neue Fuji-Darstellungen

Die Suche nach dem Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst | 107

ausfindig machen zu können, die weder online zu finden noch in Bildbänden abgedruckt sind. Auch die großen etablierten Museen zur zeitgenössischen Kunst schaute ich mir an, jedoch war zu erwarten, dass mir unbekannte Werke tatsächlich eher in kleineren Galerien begegnen würden. Für den beschränkten Zeitraum meiner Reise war vorgesehen, dass ich eine längere Zeit in Tokio verbringen würde. Der Kern der Szene der zeitgenössischen japanischen Kunst manifestiert sich dort, was sich gerade in der unglaublichen Dichte an entsprechenden Galerien niederschlägt. Hier hielt ich mich zehn Tage auf. Vier weitere Tage verbrachte ich in der Kansai-Region, wo ich mir Galerien in Kyoto und Osaka anschaute. Die Dichte an Galerien für zeitgenössische Kunst ist hier geringer und gerade in Kyoto halten sich ­solche Galerien besser, die tourismusbezogen arbeiten. Das heißt, hier finden sich vor allem moderne oder ältere japanische Kunstwerke bzw. neue Imitate dieser. Die letzten beiden Tage verbrachte ich im südlichen Fukuoka, wo die Kunstszene sich deutlich vom Rest des Landes abgrenzt. Die Auswahl der zu besuchenden Galerien machte ich von mehreren Faktoren abhängig. Absolut notwendig war sicherlich der Bezug zur zeitgenössischen japanischen Kunst und damit die Aussicht darauf, dort möglicherweise eine Fuji-Darstellung zu finden. Davon abgesehen war aber auch die Erreichbarkeit der entsprechenden Galerien ein wichtiger Faktor. Wenn die Standorte weit außerhalb lagen, bedeutete das in Tokio, mehrere Stunden unterwegs zu sein. Daher fokussierte ich mich gerade dort auf die Gegenden, in denen die Dichte an Galerien sehr hoch ist, um möglichst viele von ihnen ansehen zu können. So war ich vor allem in Ginza, Roppongi und auch Chiyoda auf der Suche. Auch in Osaka, Kyoto und Fukuoka gab es im Zentrum jeweils eine Gegend, in der Galerien für zeitgenössische japanische Kunst zu mehreren zu finden waren. Hier musste ich aber sehr viel öfter Aufwand zum Besuch einzelner Galerien betreiben, die etwas fernab lagen. Insgesamt habe ich auf diese Weise während meiner Zeit in Japan knapp über 50 Galerien aufgesucht und darüber hinaus mehrere Museen. Die Hoffnung war also, in diesen Galerien und Museen möglichst viele Fuji-Darstellungen zu finden. Tatsächlich habe ich genau ein Fuji-Bild gefunden. Dies mag zuerst überraschend sein. Und ein Zufall ist ausgeschlossen, dafür ist die Zahl von über 50 (mitunter sehr renommierten) Galerien und großen Museen in vier Städten in ganz Japan zu groß. Wenn man aber darüber nachdenkt, was die Gründe dafür sein könnten, so ist ­dieses Ergebnis sehr viel weniger eigenartig. Es vermittelt nicht nur grundlegende Funktionsweisen der japanischen Kunstszene. Darüber hinaus illustriert es geradezu durch die Abwesenheit des Fuji in so vielen Werken zeitgenössischer Künstler*innen, wie stark seine Bedeutung noch immer ist. Diese These muss erklärt werden. Und zwar scheint es so zu sein, dass noch nicht etablierte Künstler*innen vor der Nutzung des Fuji in ihren Werken zurückschrecken. Er hat einen derart mächtigen Ausdruck, dass eine bis dahin unbekannte kunstschaffende Person schnell auf die Nutzung des Fuji festgelegt werden könnte. Der Fuji ist in Japan ein so einflussreiches Symbol, dass es sehr viel braucht, um eine Nutzung außerhalb der tradierten Bedeutungsdimension als heiliger, ehrwürdiger Berg möglich zu machen. Die Künstler*innen scheinen diese Herausforderung zu scheuen. Möglicherweise wollen sie verhindern, in die große Gruppe kreativer Menschen

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eingeordnet zu werden, die hübsche Bilder vom Fuji malen und diese online oder auf lokalen Märkten präsentieren und mitunter für wenig Geld verkaufen. Deshalb scheinen besonders Künstler*innen, die nicht international bekannt sind, den Fuji in ihren Werken zu meiden. Diese Einschätzung meinerseits ist im Einklang mit der des japanischen, in Düsseldorf ansässigen Künstlers Masuyama Hiroyuki. Er ist in der japanischen Kunstszene Düsseldorfs hervorragend vernetzt und so fragte ich ihn nach ihm bekannten Fuji-Darstellungen in der Düsseldorfer Kunstszene. Über die weniger bekannten japanischen Künstler*innen in Düsseldorf sagt er, sie scheuten die zu starke Wirkung und Symbolkraft des Fuji. Ihm sei niemand persönlich bekannt, der den Fuji in einem seiner Werke abgebildet hätte. Dazu muss gesagt werden, dass viele dieser Künstler*innen nur temporär in Düsseldorf sind, z. B. zum Studium an der Kunstakademie für ein Jahr oder mehrere. Eines seiner eigenen Werke fokussiert sich auf den Fuji (vgl. Kapitel 5.7). Ausgestellt wurde es bisher nicht. Dass ich in ganz Japan nur eine einzige Fuji-Darstellung gefunden habe, lädt dazu ein, sich über diese weitere Gedanken zu machen. Und es scheint kein Zufall zu sein, dass ich ihr ausgerechnet in Fukuoka begegnete. Zunächst breitet sich der Fuji-Kult seit jeher von seiner geografischen Präsenz ­zwischen den Präfekturen Shizuoka und Yamanashi her aus. Auf der südlichen Insel Kyūshū, wo Fukuoka liegt, kommt davon relativ wenig an, so dass sich auch in touristischen Regionen viel weniger Fuji-Merchandise findet als in Tokio und in der Fuji-Region. Womöglich fällt hier auch das Hemmnis geringer aus, den Fuji in den eigenen Werken darzustellen. Jedenfalls ist es nicht überraschend, gerade hier diese Fuji-Darstellung gefunden zu haben. Nach kurzer Zeit in Japan stellte sich bei mir also die Erkenntnis ein, dass ich in den kleinen Galerien eben gerade keine Fuji-Darstellungen unbekannter japanischer Künstler*innen entdecken würde, wie ich es eigentlich erhofft und erwartet hatte. Stattdessen festigte sich der Eindruck, dass der Fuji zuvorderst von international etablierten japanischen Künstler*innen dargestellt wird. So suchte ich nach Möglichkeiten, auch in Japan weitere Fuji-Darstellungen bekannter Künstler*innen aufzuspüren, die ich womöglich im Vorfeld noch nicht ermittelt hatte. Hierzu hat es sich als äußerst lohnend erwiesen, die Shops der Museen zu zeitgenössischer (japanischer) Kunst, beispielsweise im Museum of Contemporary Art Tokyo, aufzusuchen. Denn wie in Deutschland auch sind Museumsshops der großen Museen in Japan hervorragend sortiert und bieten eine breite Auswahl von Bildbänden. Auf diese Weise habe ich noch Hinweise zu weiteren Fuji-Darstellungen erhalten. Die Abwesenheit des Fuji in so vielen zeitgenössischen japanischen Werken muss auch in der DAV berücksichtigt werden. Der Berg kommt nicht einfach zufällig so selten vor. Schließlich betont diese Abwesenheit, wie dominant der sehr homogene Diskurs des Berges Fuji als unantastbarer und ehrwürdig-respektierter Berg noch immer vorherrscht. Er prägt, wie der Fuji heute in der Kunst verwendet wird. Das bedeutet gleichzeitig, dass ­solche Darstellungen, die den Fuji abweichend vom vorangegangen Diskurs zeigen, eine umso größere Wirkung haben müssen. Während der Suche nach Fuji-Darstellungen hat sich schon sehr früh eine Schwierigkeit offenbart, die generell ein Problem für jede Datensammlung zu einer DAV darstellt,

Die Suche nach dem Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst | 109

Abb. 26 Hatakeyama Naoya, Noyelles-sous Lens. Digitale Fotografie, 2009, Größe unbekannt.

und zwar die Frage danach, wann der dargestellte Gegenstand mit dem gesuchten übereinstimmt. In ­diesem Fall: Wann ist ein Berg der Fuji? Diese Frage ist, selbst bei Fotografien, nicht immer einfach zu beantworten. Nach ­welchen Kriterien sollte vorgegangen werden, um eine Bergdarstellung als Fuji-Darstellung zu identifizieren? Mitunter stellen die Werke den Fuji in den Mittelpunkt und/oder in den Titel; diese Zuordnung ist einfach und insbesondere bei nicht-fotografischen Darstellungen hilfreich. Auch lässt er sich oft anhand seiner gleichmäßigen Silhouette, der ikonischen Form, der Abwesenheit anderer Berge in der Umgebung und der schneebedeckten Spitze erkennen. Mitunter weisen auch die anderen Werkelemente auf die Identität des Fuji hin, z. B. Kirschblüten, der See etc. Allein die japanische Nationalität mancher Künstler*innen verführt dazu, Darstellungen von Bergen oder Hügeln in die DAV zum Thema Fuji aufzunehmen, die auf den zweiten Blick gar keine Fuji-Darstellungen sind. Der dargestellte Hügel im Bild Noyelles-sous Lens (Abb. 26) könnte zunächst als Fuji interpretiert werden, sieht man im Vordergrund doch die etablierten Gewässer und den Berg alleinstehend in weiter Landschaft. Auch die ruhige, abendliche Atmosphäre durch zarte Orangetöne erinnert an die klassische Darstellung des Fuji – und der Fujizuka – in den Werken der Holzschnittkünstler in der Edo-Zeit. Diese Fotografie entstammt der Reihe Terrils des japanischen Fotografen Hatakeyama Naoya. In einem Kohleabbaugebiet in Frankreich fotografierte er die Anhäufungen der Abbauprodukte, die in ihrer perfekten Symmetrie und ihrer Einsamkeit in der weiten Landschaft letztlich an den Fuji erinnern. Der Bildband Terrils zeigt eine Vielzahl solcher Abbildungen – Fuji-ähnliche Hügel, alle aus der Kamera eines Japaners. Es sind also zwei Dinge zu beachten: (1) Auch wenn eine Bildreihe wie diese weitreichende Interpretationsmöglichkeiten anbietet, lassen sich s­olche Darstellungen nicht zum Diskurs um den Berg Fuji heranziehen. (2) Es ist für das Vorhaben der DAV zentral, die eigenen kulturalistischen Tendenzen während der Forschung zu reflektieren und zu vermeiden.

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4.3 Ergebnisse der Recherche Aus der Recherche gehen 74 Werke hervor, die sich mit dem Berg Fuji beschäftigen. Weiter gefasst lässt sich auch von 225 Fuji-Darstellungen sprechen, denn vier der 74 Werke sind Bildbände, die sich explizit dem Berg Fuji widmen und somit jeweils eine Vielzahl an Abbildungen liefern. Dazu zählt der Bildband Fujisan von Masao Yamamoto aus dem Jahr 2008, der zehn Darstellungen enthält, darunter Fotografien, Abbildungen von Collagen und auch die Abbildung einer kleinen Fuji-Plastik. Der Fotograf Raoul Ries hat 2017 den Bildband Thirty-six Views of Mount Fuji herausgebracht, der sich offensichtlich auf die 36 Ansichten Hokusais bezieht. In seinem Bildband finden sich 37 Fotografien des Fuji, in denen jedoch vielmehr das Leben der Japaner*innen im Alltag im Vordergrund steht. Chris Steele-Perkins hat sich ebenfalls fotografisch mit dem Fuji beschäftigt. Sein Bildband mit dem einfachen Titel Fuji aus dem Jahr 2002 beinhaltet 96 Aufnahmen des Fuji. Diese beiden Bildbände sind jeweils recht homogen. Der Bildband Nowhere or 36 Views of Fujiyama (2010) des Multimedia-Künstlers Kanjo Také beinhaltet zwölf Darstellungen des Fuji. Hierbei handelt es sich um digitale Collagen, die sich vielen unterschiedlichen Subsubdiskursen zuordnen lassen. Die Herausforderung bei diesen Bildbänden ist, nicht nur die Einzelwerke als ­solche in der DAV zu berücksichtigen, sondern auch die Bildbände als Ganzes. Denn es darf nicht vernachlässigt werden, dass die Einzelwerke als Teil größerer Projekte potenziell deutlich mehr Wirkmacht besitzen als nicht weiter angebundene Einzelwerke anderer Künstler*innen. Beide Ebenen müssen in der DAV Berücksichtigung finden. Neben den vier Bildbänden, die sich explizit auf den Fuji beziehen, enthält der Diskurs einige Bilder aus einem weiteren Bildband mit einer Sonderstellung. Es handelt sich dabei um den Bildband mit dem Titel Magnitude 9: Des Images pour le Japon. In den sechs Monaten nach der Dreifachkatastrophe 2011 stellte der französische Künstler und Herausgeber Jean-David Moravan ein Comic-Project auf die Beine, das der Solidarität mit Japan galt (vgl. Suzuki 2019: 326). Der Band besteht ausschließlich aus unbetitelten Bildern, nur durch ein kurzes Vorwort in französischer Sprache und daneben in japanischer Sprache (in anderen Sprachen ist der Band nicht erschienen) ergänzt. In d ­ iesem Vorwort werden die Ausmaße und die Auswirkungen der Dreifachkatastrophe beschrieben und mit dem Einfluss der japanischen Populärkultur in den letzten Jahrzehnten auf die ganze Welt verglichen. Japan wird als Land der Sehnsucht dargestellt, weswegen sich eine Vielzahl von Künstler*innen an d ­ iesem (zuerst Online-)Projekt beteiligt hat. Durch das vorgegebene Comic-Genre wirkt der hier zusammengestellte Bildkanon sehr homogen. Auch thematisch werden die Bilder durch die Beschäftigung mit der Dreifachkatastrophe eng zusammengehalten. Weiterhin enthält wirklich jedes der über 200 Bilder mindestens eins der vielen international verbreiteten Symbole Japans, meist mehrere: Viele Abbildungen zeigen die Japanflagge oder Variationen der roten Sonne, und die Farbe Rot wird sehr häufig als Kontrast verwendet. Wir sehen zahlreiche Geishas, sararīman (japanische Geschäftsmänner im Anzug), Schulmädchen in Uniform, Kirschblüten, Torii, Koi-Karpfen, Samurai-Schwerter, vielfache Variationen der großen Welle, viele weitere Symbole und schließlich: zwölfmal

Ergebnisse der Recherche | 111

den Fuji. Einerseits gilt es, diese Werke in der DAV als Einzelwerke mitaufzunehmen. Gleichzeitig spielt auch für diese Werke der institutionelle und gesellschaftliche Kontext eine besonders prägende Rolle, die wahrscheinlich den inhaltlichen Einfluss der Einzelwerke bei weitem übersteigt. Deswegen sind sie, ähnlich wie bei den oben vorgestellten Bildbänden, als einem Gesamtwerk zugehörige Einzelwerke anzusehen. Ohne das übergreifende Buchprojekt wären diese Darstellungen vermutlich niemals sichtbar geworden. Auch hier sind beide strukturellen Ebenen in der DAV zu berücksichtigen. Abgesehen von diesen fünf übergreifenden Werken liegen 69 weitere zeitgenössische Fuji-Darstellungen vor. Vorherrschend ist dabei das Medium der Malerei. Die Sammlung beinhaltet jedoch auch zeichnerische Auseinandersetzungen, Installationen, Performances, digitale Darstellungen, Animationen und einen Film. So wie die Darstellungsmedien auseinanderstreben, so weisen die einzelnen Werke auch inhaltlich eine große Bandbreite auf. Der Fuji-Diskurs in der zeitgenössischen Kunst ist keineswegs homogen. Ganz im Gegenteil: Er wird charakterisiert durch eine Vielzahl von Subsubdiskursen, die einzig durch die Darstellung des Fuji in Verbindung stehen. Dennoch gibt es auch unter diesen Themenbereichen Verbindungen und nur wenige lassen sich gänzlich von den anderen abtrennen. Viele Werke lassen sich mehreren zuordnen.4 Das übergeordnete Darstellungsprinzip des Diskurses, seiner Sub- und Subsubdiskurse ist folglich das der Überlappung; das untergeordnete Prinzip ist das der Partitionierung. Es lassen sich zwei Subdiskurse voneinander abgrenzen; einer von ihnen ist größer, umfasst also mehr Aussagen und Subaussagen. Ihm lässt sich die Mehrzahl der Darstellungen von Raoul Ries und Chris Steele-Perkins zuordnen; dazu kommen auch Arbeiten von Kanjo Také sowie viele weitere Werke anderer Künstler*innen. Dieser Subdiskurs lässt sich zusammenfassen unter dem Begriffspaar Tradition–Moderne. Hierunter fallen vor allem Darstellungen, die Elemente des heutigen Lebens in Japan mit Elementen der Vergangenheit zusammenbringen. Oftmals symbolisiert der Fuji in diesen Werken das Vergangene oder das Traditionelle. Der Subdiskurs lässt sich in mehreren Subsubdiskursen beschreiben. Von ­diesem dominanten Subdiskurs lässt sich der Subdiskurs Provokationen unterscheiden; auch er besteht aus mehreren Subsubdiskursen. Gleichzeitig finden sich in diesen kleineren Themenbereichen auch immer Werke wieder, die dem großen Subdiskurs Tradition–Moderne zugeordnet sind. In diesen kleineren Subsubdiskursen wird der Fuji unter anderem sexualisiert oder verniedlicht; er wird als gefährdet und als gefährlich inszeniert. Auch im Kontext der Dreifachkatastrophe von 2011 wird er verhandelt. Einige Werke tragen zur Bedeutung des Fuji in beiden Subdiskursen bei. Dabei ist es interessant, dass das oftmals durch unterschiedliche Werkelemente bzw. Subaussagen geschieht. Meist sind es einzelne innerwerkliche Subaussagen, durch die sich ein Werk einem bestimmten Subdiskurs zuordnen lässt, während es durch andere Subaussagen auch Teil eines anderen Subdiskurses ist. Dies darf nicht als Widerspruch und Problem einer 4 Dabei darf nicht vergessen werden: Die Darstellung und Abgrenzung einzelner (Sub- und Subsub-)Diskurse gehen auf die vorangegangene DAV zurück; die Auswahl der in die DAV aufgenommenen Werke entstammt der begründeten Entscheidung der Autorin.

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DAV gewertet werden. Vielmehr ist es andersherum: Eine umfassende und gleichzeitig detaillierte DAV zeichnet sich gerade durch das Auffinden solcher Brüche und Verstre-

bungen aus. Die Diskontinuität des übergreifenden Diskurses lässt sich nur durch s­ olche scheinbaren Fehler herausstellen. Es geht gerade nicht darum, die einzelnen Werke fein säuberlich voneinander abzugrenzen und entweder dem einen oder dem anderen Subdiskurs zuzuordnen. Die eigentliche Aufgabe ist es, ihre Verbindung untereinander aufzuweisen und die Schnittmengen sowie Randbereiche der jeweiligen Subdiskurse sichtbar zu machen. Werke, die für mehrere Subsubdiskurse zentral sind, werden dabei nicht an mehreren Stellen intensiv besprochen. Das betrifft vor allem die Rahmenbedingungen, unter denen die Werke entstanden sind: Ist beispielsweise die internationale Bekanntheit einer kunstschaffenden Person dafür ausschlaggebend, dass die Werke überhaupt sichtbar sind, so wird dieser Hintergrund nur an einer Stelle referiert. Inhaltlich wird es eher der Fall sein, dass unterschiedliche Subaussagen aus demselben Werk zu verschiedenen ­Themenbereichen beitragen; eine inhaltliche Doppelung ist daher unwahrscheinlich. In den beiden folgenden Kapiteln werden die Ergebnisse dargestellt. Hierzu ist anzumerken, dass nicht alle der ausfindig gemachten Werke darin besprochen werden. Sie alle tragen zwar zum Diskurs bei; alle Analysen hier darzustellen würde jedoch den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen. Stattdessen werden für jeden Subsubdiskurs nur diejenigen Arbeiten vorgestellt, die wesentlich zur entsprechenden Bedeutungsebene beitragen. Die Kernwerke mit der größten Wirkmacht werden herangezogen und andere, weniger einflussreiche Darstellungen nur beispielhaft, um die Thesen zu stützen. Dabei kommt es auch darauf an, ­welchen Subjektpositionen diese Arbeiten jeweils entstammen und ­welche Reichweite sie dadurch haben. Auf diese Weise wird eine verdichtete DAV entstehen, die die wesentlichen Momente des Diskurses darstellt, ohne aber Redundanzen aufzuzeigen oder sich in Kleinigkeiten zu verlieren.

5 Subdiskurs I: Fuji – Tradition – Moderne

Japan – das Land ­zwischen Tradition und Moderne. In der Beschäftigung mit dem Land Japan kommt man um ­dieses Begriffspaar nicht herum. Das Label scheint marketingstrategisch sehr gewinnbringend eingesetzt werden zu können; davon zeugen diverse populärund nicht-wissenschaftliche Publikationen mit den beiden Begriffen im Titel.1 Reisekataloge, Japan-Dokumentationen im öffentlich-rechtlichen wie im privaten Fernsehen und allerhand japanbezogenes Konsumgut kommen kaum ohne diese Charakterisierung aus. Bevor es darum gehen kann, die Werke, die dem Subdiskurs Tradition–Moderne angehören, genauer zu untersuchen und in Subsubdiskursen zu ordnen, muss eine grundlegende Frage geklärt werden. Im Grunde sind es drei Fragen. Sie lauten: Was ist das denn überhaupt, die japanische Tradition? Was ist die japanische Moderne? Und wie genau spielen beide zusammen? Dieses Begriffspaar wird im westlichen Diskurs über Japan so selbstverständlich verwendet, dass es selten hinterfragt wird. Japan – das Land ­zwischen Tradition und Moderne scheint eine feste Marke zu sein. Google bringt bei dieser Suchanfrage hunderte Treffer hervor, die diese Wortkombination, vor allem in Überschriften von Artikeln und Japan-Dokumentationen, genau so abbilden. Folglich liegt zunächst die Vermutung nah, dass diese Beschreibung angemessen und gewissermaßen „korrekt“ ist. Für die westliche Nachfrage scheint es faszinierend zu sein, wie das, was mit dem alten Japan verbunden wird, etwa die Religionen, die Holzdrucke und das Handwerk, mit dem, was dem neuen Japan zugeordnet wird, wie Roboter, Hochhäuser und Populärkultur, scheinbar bruchlos miteinander einhergeht. Dabei impliziert der Begriff der Tradition zunächst einen zeitlichen Rahmen, der sich vor der Moderne erstreckt (vgl. Vlastos 1998: 2). Hinzu kommt die Bedeutungsebene, dass Tradition durch kulturelle Praktiken mit der Gegenwart verbunden ist (vgl. ebd.). Christian Tagsold wirft in seinem Buch Japan: Ein Länderporträt weitere Fragen zu ­diesem scheinbaren Konflikt auf: Wie kann es sein, dass da ein Ort existiert, an dem die Moderne nicht einfach die Tradition nach und nach auslöscht, wie es eigentlich sein müsste? Und wenn wir uns schon eingestehen, dass andernorts oder womöglich sogar bei uns Traditionen nicht vollständig durch die Moderne verdrängt wurden, bleibt doch eines offen: Warum sind die Traditionen in Japan nicht fein säuberlich abgetrennt von der Moderne, sondern gehen mit ihr scheinbar eine wilde Mischung ein? Wie kann ein schintoistischer Priester, der allein durch seine Kleidung und seinen rituellen Gestus für das Vergangene steht, ein Auto weihen, das ein Produkt der Moderne ist? (Tagsold 2015: 12) 1

Vgl. Die Kultur Japans: Tradition und Moderne von Florian Coulmas, in der 3. Auflage von 2014; der Bildband Japan: Zwischen Tradition und Moderne von Valeria Manfred de Fabians (Hrsg.) aus dem Jahr 2010; der Wandkalender 2020: Japan: Im Land der aufgehenden Sonne: Pulsierendes Leben inmitten von Tradition und Moderne und viele weitere Bücher und andere Produkte.

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Zur Klärung dieser Fragen müssen die Begriffe Tradition und Moderne des westlichen Japandiskurses dekonstruiert werden. Denn das, was der Tradition zugeordnet wird, muss erstaunlicherweise gar nicht älter sein als das, was in die japanische Moderne einsortiert wird. Japan war seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund von innenpolitischen Entscheidungen fast vollständig vom Rest der Welt abgeschlossen (vgl. Pohl 2014: 59). Seit 1853 öffnete sich das Land jedoch mehr und mehr für den Handel mit anderen Nationen, und zwar auf Druck der USA hin; die japanische Moderne begann hiermit (vgl. ebd.). Während der Meiji-Zeit, die 1868 mit der Meiji-­Restauration begann, fanden weitere gravierende Veränderungen im Land statt. Der westliche Einfluss brachte massive Umbrüche mit sich, und das in nur wenigen Jahrzehnten. Dabei hätte man meinen können, dass gerade in jener Zeit ein Umbruch z­ wischen Tradition und Moderne erfolgt wäre (vgl. Tagsold 2015: 16). Genau das ist aber nicht geschehen, sondern etwas viel Interessanteres; Japan hat bestimmte Traditionen überhaupt erst erfunden: Readers will be surprised to discover the recent origins of “age-old” Japanese traditions. Examined historically, familiar emblems of Japanese culture, including treasured icons, turn out to be modern. Much of the ritual and the rules of Japan’s “ancient” national sport, sumo, are twentieth-century creations. Prince Shōtoku’s enshrinement as an icon of Japa­ nese communal harmony dates from the 1930s and wartime spiritual mobilization […]. (Vlastos 1998: 1 – 2)

In Kapitel 2.5 wurde am Beispiel der Nihonga bereits ein Phänomen beschrieben, das sich als erfundene Tradition einordnen lässt: Unter dem Einfluss des Amerikaners Ernest Fenollosa wurden ältere Ansätze der japanischen Kunst zusammengefasst, modernisiert und mit dem Anspruch, die Einheit des japanischen Nationalstaats zu versinnbildlichen, popularisiert und verbreitet (vgl. Weston 2004: 1 – 7). Auch am Beispiel des Schintoismus lässt sich das Prinzip der erfundenen Traditionen aufzeigen: Nach westlichem Vorbild sollte eine einigende Staatsreligion geschaffen werden, die als Mittel des Machterhalts dienen würde. Hierzu wurden die vielen bis dahin verbreiteten Volksmythen zu einem umfassenden, einheitlichen System ausgebaut: dem Staats-Shintō. Die alten Mythen wurden unter dem Einfluss nationalistischer Interessen zur Staatsreligion ausgebaut unter der Behauptung, es handele sich dabei um die alte und ursprüngliche Religion Japans (vgl. Shimada 2000: 131 – 133; Tagsold 2015: 17). Tagsold klärt den nur scheinbaren Widerspruch ­zwischen Tradition und Moderne in Japan auf: Ganz deutlich wird an d ­ iesem Beispiel, dass vieles von dem, was wir heute als äußerst ursprünglich vorgestellt bekommen, eigentlich neueren Datums ist. Der Widerspruch ­zwischen Tradition und Moderne ist nur ein scheinbarer. In der Meiji-Zeit wurden viele Traditionen geradezu erfunden, um zum einen den eigenen Machtanspruch zu legitimieren. Zum anderen sollten die Menschen mit dem Ansturm der westlichen Moderne versöhnt werden, indem man ganz bewusst scheinbar uralte japanische Werte dagegenhielt. Das

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Motto hieß westliche Technik, aber japanischer Geist. Nur dass der Geist gleichzeitig mit der Technik eingeführt wurde und keineswegs der Kern der japanischen Identität war, der die Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauert hatte. (Tagsold 2015: 18)

Noch immer ist die Rezeption Japans als Gesellschaft, deren Tradition und Moderne über beständige Werte verbunden bleiben, ewiger Konsens (vgl. Vlastos 1998: 1); im Westen und nicht zuletzt auch in Japan. Dieser Stereotyp scheint den Ansprüchen beider Seiten an die Art und Weise, wie das Land Japan diskursiv verhandelt wird, entgegenzukommen, denn: Er lässt sich profitabel vermarkten. Interessant ist, dass d ­ ieses Begriffspaar gerade visuell immer wieder reproduziert und neu aufgelegt wird. Den Japan-Diskurs formt es grundlegend mit; und das betrifft auch die Kunst. Dass der Widerspruch nur scheinbar und bereits aufgelöst worden ist (vgl. Vlastos 1998; Weston 2004; Tagsold 2015), fällt dabei oft unter den Tisch. Die zeitgenössische Kunst ist nicht mit vergleichbarer Intensität an der Vermarktung orientiert wie Konsumprodukte oder Angebote zu Fernreisen; trotzdem bringen auch Künstler*innen die entsprechende Motivation mit. Schließlich wollen sie ihre Kunst verkaufen. Im Gegensatz zu eher vordergründigen Verkaufsbedarfen wie im Fall von Tischkalendern und klassischen Bildbänden verzichtet die zeitgenössische Kunst jedoch weitestgehend auf Darstellungen wie die einer Geisha, die im Begriff ist, in die Tokioter U-Bahn einzusteigen etc. Hier wird der Diskurs subtiler und origineller geführt. Dafür finden sich viele Beispiele, von denen einige spielerisch sind. Andere sprechen auch die neu entstandenen Probleme des sogenannten modernen Japan an, beispielsweise die alternde Gesellschaft und die verbreitete Einsamkeit. Während der klassische Diskurs Japan ­zwischen Tradition und Moderne also weiterhin besteht, hat er sich durch die Realität der japanischen Gesellschaft heute in viele Richtungen weiterentwickelt. Die so entstandenen Werke sind bemerkenswert. Das Archiv, das Spiel der Regeln, die über die Möglichkeiten der zeitgenössischen Kunst bestimmen, scheint sich zu erweitern. Der Fuji als ewiges Ikon bildet den Kern des Subdiskurses Tradition–Moderne. Hiermit verbunden finden sich in seinen Randbereichen weitere Bedeutungsebenen, die für Brüche sorgen und Schnittmengen zum zweiten Subdiskurs (vgl. Kapitel 6) bilden. Wie sind sie miteinander verbunden? Wer sind die beteiligten Akteur*innen? Wer rezipiert die Werke wo und unter w ­ elchen Bedingungen? Welche Künstler*innen sind an d ­ iesem Subdiskurs beteiligt? Unter w ­ elchen Bedingungen produzieren und verbreiten sie ihre Werke? Welche Wirkmacht haben die Werke und w ­ elche Informationen steuern die Kunstschaffenden auf anderen Kanälen, z. B. durch Texte in Bildbänden, Kurator*innentexte oder Interviews, selbst zum Subdiskurs bei? Wie ist es zu erklären, dass diese Werke sichtbar geworden sind? Die Klärung dieser Fragen trägt dazu bei, die komplexen Bedeutungsebenen des Ikons Fuji im Subdiskurs Tradition–Moderne heute herauszustellen. Die große Menge an Fuji-Darstellungen stellte mich vor Beginn der Analyse vor die Frage, wie sich diese grundlegend ordnen ließ. Bei der Annäherung an die Werke zeigte sich sehr schnell, dass die Symbolik des Traditionellen für die eine Hälfte des Diskurses eine zentrale Rolle spielt: Der Fuji wird hier immer wieder im Stil Hokusais inszeniert sowie im

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Kontext von Badehäusern, Tempeln und Kirschblüten. Zugleich tauchen, fast kontrastiv, in denselben Werken gehäuft die Produkte der Moderne auf, etwa Autos, Stromleitungen und Softeis in allen Farben. Erstaunlicherweise lässt sich der Diskurs also schon bei einer ersten oberflächlichen Betrachtung in zwei Subdiskurse unterteilen, von denen dieser erste sich grundlegend um den scheinbaren Widerspruch z­ wischen Tradition und Moderne in Japan dreht. Meine zentrale These in ­diesem Kapitel lautet, dass der Fuji-Diskurs in der zeitgenössischen Kunst auf diese Weise nahtlos an den bestehenden und lange zurückreichenden Diskurs anschließt und ihn gleichzeitig subversiv erweitert; diese Erweiterungen eint eine den Diskurs durchziehende latente Gesellschaftskritik. Ferner: Die Werke, die sich d ­ iesem Subdiskurs zuordnen lassen, befinden sich in einem fragilen Gleichgewicht. Sie sind durch ihr Spiel mit dem Traditionellen so unstreitig an den bestehenden Diskurs angebunden, wie durch die Inszenierung des Modernen. Somit erlangt die Ausweitung des Diskurses um etwas Neues überhaupt erst Sichtbarkeit im Gesamtdiskurs. Die Bestärkung etablierter Klischees und subtile Infragestellungen halten sich genau so in der Waage, dass diese Werke zusammen einen stabilen Subdiskurs bilden. Wie genau d ­ ieses Gleichgewicht gehalten wird lässt sich erschließen, wenn man diesen Subdiskurs weiter in kleinere Einheiten, Subsubdiskurse, unterteilt: Die sich immer wieder wiederholenden Sujets verleihen d ­ iesem Subdiskurs Bestand und laden den Fuji heute gleichzeitig mit einer Vielzahl neuer Bedeutungen auf. Und erst wenn man alle diese Subsubdiskurse zusammenfasst, lässt sich ersehen, wie die Künstler*innen ihre Gesellschaftskritik auf der visuellen Ebene subtiler Weise austragen.

5.1 Altern und Einsamkeit in Japan: Der Fuji als ewiger Freund und treuer Begleiter (Subsubdiskurs 1.1) Zur Einführung in den Subdiskurs Tradition–Moderne und in den ersten Subsubdiskurs soll an dieser Stelle ein Bild vorgestellt werden, in welchem unterschiedliche bedeutsame gesellschaftliche ­Themen des heutigen Japans im Feld Tradition–Moderne verhandelt werden. Es handelt sich um die Fotografie Nedobashi, Higashiyama von Raoul Ries (Abb. 27) aus dem Bildband Thirty-six Views of Mount Fuji von 2017. Das Bild zeigt den schneebedeckten Berg Fuji vor einem klaren, mit weißen Wolken behangenen, blauen Himmel. Jedoch wird er durch mehrere gen Himmel ragende hohe Netze fast vollständig verstellt. Diese Netze gehören zu einer Driving Range; das ist eine eingezäunte Anlage, die oft an einen Golfplatz angebunden ist und dem Üben langer Abschläge dient. So werden die Bälle durch die Netze abgefangen. Auch wenn d ­ ieses Gestell optisch weitestgehend durchlässig ist, so wird der Blick der Betrachtenden durch die symmetrische Struktur der Gerüste, zentral in der oberen Hälfte des Bildes, zunächst gefangengenommen. Erst auf den zweiten Blick fällt eine einzelne Person in der vorderen Mitte des Bildes ins Auge und das, obwohl sie eine deutlich sichtbare rote Maschine schiebt, ­welche einen starken farblichen Kontrast zum Rest des Bildes bildet. Schließlich scheint sich das Bild, von der roten Maschine abgesehen, an einer sorgsam komponierten Farbpalette aus verschiedenen

Altern und Einsamkeit in Japan (Subsubdiskurs 1.1) | 117

Abb. 27 Raoul Ries, Nedobashi, Higashiyama. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Abtönungen einer Skala von Weiß über Blau bis hinein in dunkle Grautöne zu orientieren: Es wirkt dadurch sehr harmonisch. Das Weiß des schneebedeckten Fuji spiegelt sich punktsymmetrisch im Schnee im Vordergrund des Bildes und findet sich dort wieder. Die Winterlandschaft besticht durch diese große, nahezu unberührte Schneedecke ­zwischen der Golf Range im Mittelgrund und dem Parkplatz im Vordergrund, auf dem der Mann mit seiner Maschine arbeitet. Durch Reflexionen in der Mittagssonne stellen sich die Schneeflächen und -hügel im kompletten Bildbereich in verschiedenen Abstufungen von einem klaren Weiß über ein blaustichiges Weiß bis zu einem hellen Grau dar. Diese Farben finden sich auch in den Wolken am Himmel wieder. Einzig der Fuji scheint an seiner Spitze, unmittelbar von der Sonne beschienen, noch ein kleines bisschen weißer zu sein als alles andere im Bild. Das dunkle Grau der Netze und Gerüste der Golf Range findet sich im Asphalt des Parkplatzes wie im Fuß des Fuji und in der im Mittelgrund und Hintergrund angesiedelten winterlich-kargen Vegetation wieder. Während letztere auch ins Grüne hineingeht, so weist der Fuß des Fuji abermals einen Blaustich in seinem Grau auf. Dieser findet sich auch in den Pfützen auf dem Asphalt im Vordergrund wieder. Außerdem wird das flächige Grau des Asphalts durch die fischgrätenartigen Parkplatzmarkierungen unterbrochen. Diese Struktur wird kontrastiv in den schwarzen Zäunen

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vor dem weißen Schnee gespiegelt. Auch wird das flächige Weiß des Schnees unterbrochen durch schmale, dunkle Wege, kleine kümmerliche Pflänzchen und mehrere dunkle Laternen, die aus der Schneefläche herausragen. Insgesamt zeichnet sich die Fotografie durch sehr harte, eckige, symmetrische Strukturen aus. Einen Gegenimpuls scheint die Silhouette des Fuji zu setzen. Diese steigt vom oberen Drittel des rechten Bildrandes an steiler werdend bis zur Spitze des Fuji auf. Diese Struktur vermag durch die Betrachtenden aber kaum wahrgenommen zu werden, denn die sich perspektivisch in den linken Vordergrund hinein aufbauende Driving Range nimmt diese Linie auf und überführt sie über den Fuji hinweg in die symmetrisch-architektonische Struktur der Driving Range. Neben dem roten Farbfleck findet sich im Vordergrund noch ein weiterer Bruch, und zwar ein Bruch mit der eckigen, rechtwinkligen Struktur, die den Rest des Bildes durchzieht. Im unteren rechten Bereich führt glatt ein weißer Pfeil als Fahrbahnmarkierung um die Ecke. Interessanterweise leitet er den Blick geradezu auf die Figur mit der roten Maschine, gleichsam unauffällig wie markant im Vordergrund. Durch ­dieses Zusammenspiel entwickelt die Fotografie, trotz der imposanten Driving Range und des ewigen Fuji im Hintergrund, eine gewisse tragische Komik: Der Mann läuft mit seiner Maschine geradewegs und offensichtlich in die falsche Richtung auf den auf ihn gerichteten Pfeil zu. Die Tragikomödie bekommt auch dadurch Aufwind, dass die Arbeit des Mannes ganz überflüssig zu sein scheint. Warum nur vollzieht er in der Kälte und in der Einsamkeit der Landschaft diese Arbeit? Kein einziger der vielen Parkplätze ist besetzt und auch ansonsten drückt sich keinerlei menschliches Leben im Bild aus.2 Im Mittelgrund sieht man zwar die Silhouette einer Stadt. Aber das Bild ist, bis auf den Mann mit seiner roten Maschine, menschenleer. Der Mann wirkt verloren. In ­diesem Bild, wie in so vielen anderen aus dem Subdiskurs Tradition–Moderne, lässt sich der Berg Fuji als treuer Begleiter interpretieren. Dies ist nicht nur durch seine Bedeutung als jahrhundertealtes Ikon Japans naheliegend. Hier ist es auch der Bildaufbau, der mit dem Berg Fuji im Hintergrund an die alten Holzschnitte aus der Edo-Zeit erinnert. Ein derartiger Bildaufbau mit einem banalen, aber dominanten Element, das den Fuji ganz selbstbewusst verstellt, hätte auch von Hiroshige stammen können. Die Art und Weise, wie hier das Ewige des Berges Fuji mit dem einfachen Alltag der kleinen Menschen zusammengebracht wird, lässt sich genau so auch bei Hokusai finden (vgl. Abb. 3). Im Gegensatz zu den alten, als traditionell gedachten Holzschnitten finden sich in dieser Fotografie aber einige Hinweise auf das sogenannte Moderne. Ganz offensichtlich ist das zunächst die im oberen Bildbereich prangende Driving Range. Wie sie hier den Berg verstellt, erinnert sie an die Mahnungen vieler Tokioter Bürger*innen, die sich immer wieder beschweren, wenn ein weiteres Hochhaus von einer Wohnung in Tokio aus den Blick auf den Fuji in der Ferne versperrt (vgl. Kapitel 2.3). Auch lässt sich die 2 Zum Unterschied der japanischen Arbeitsmoral zu der in westlichen Nationen vgl. Sengoku 1985: Willing Workers: the Work Ethics in Japan, England and the United States. Ältere Generationen japanischer Arbeiter*innen sind eher bereit, sich überdurchschnittlich intensiv und fleißig in ihre Arbeit einzubringen (vgl. Sengoku 1985: ix).

Altern und Einsamkeit in Japan (Subsubdiskurs 1.1) | 119

kleine leuchtend rote Maschine als Verweis auf die Moderne interpretieren, das heißt in ­diesem Fall auf die technologisierte Gesellschaft des heutigen Japans. Genau betrachtet steckt in dieser Figur aber noch viel mehr. Dieses Bild ruft eine gewisse Irritation hervor: Warum macht diese Person nur diese scheinbar sinnlose Arbeit dort an d ­ iesem menschenverlassenen Ort? Die Antwort beinhaltet etwas ganz Essenzielles über das heutige, über das moderne Japan: Obwohl das Land übervölkert ist, leiden die Menschen gleichzeitig unter Einsamkeit. Nicht nur die intensive Technologisierung der Gesellschaft, sondern auch die Veränderungen in den sozialen Strukturen und nicht zuletzt die Überalterung der Gesellschaft führen dazu, dass immer mehr Japaner*innen einsam sind (vgl. Tagsold 2015: 148 – 164). Der Fuji fugiert hier jedoch als Konstante, die den Japaner*innen immer treu zur Seite steht. Somit referiert dieser Subsubdiskurs auf die komplexen, in Kapitel 2 beschriebenen Symboliken, mit denen der Fuji über die letzten Jahrhunderte aufgeladen wurde und die ihn noch immer prägen. Raoul Ries’ fotografische Reihe Thirty-six Views of Mount Fuji aus den Jahren 2015 und 2016, der das eben besprochene Werk entstammt, macht einen hervorragenden Startpunkt für die DAV aus. Ries, in London und Luxemburg ansässig, interessiert sich für die Fotografie von Menschen und Orten. Er geht der Frage nach, wie sich die Geschichte dieser Menschen und ihre Charakteristiken wahrnehmen und in einer Fotografie rekonstruieren lassen (vgl. Ries: Website des Fotografen, o. D.). Für seine Bildserie über den Berg Fuji hat er den renommierten Fotografiepreis Bourse CNA erhalten und damit international für Aufsehen gesorgt. Der Bildband wird auch in Deutschland in verschiedenen Buchhandlungen geführt; selbst in solchen ohne Kunstbezug. Das an sich ist erstaunlich und für zeitgenössische Kunst sehr selten. Zur Wahrnehmung der Reihe trägt auch Ries’ hochwertige Homepage bei, auf der die Fotografien in bester Qualität dargestellt werden. Wenn man in die Suche per Google nicht „Fuji 36“ (dann kommt man nur auf Hokusai), sondern „Fuji thirty-six“ eingibt, so gelangt man auch recht schnell zum entsprechenden Bildband und zur Homepage von Ries. Was also zeigt sich den Rezipierenden in dieser Reihe? Nur auf der Homepage handelt es sich um genau 36 Werke. Der Bildband beinhaltet ein weiteres Bild gleich zu Anfang; wie eine Art Einstimmung, bevor es richtig losgeht. Es ist interessant, dass auch Hokusai die Zahl 36, ­welche die Reihe in seinem Titel zierte, nicht einhielt (vgl. Kapitel 2.4). Ebenso wie bei Hokusai ähneln sich Ries’ einzelne Werke sehr stark in ihrem Aufbau: Im Vordergrund gehen die Menschen ihrer alltäglichen Beschäftigung nach. Vor allem im Mittelgrund wird ein jahreszeitlicher Bezug dargestellt und mitunter finden sich Elemente des banalen, alltäglichen, des fließenden Lebens. Im Hintergrund wartet immer der Berg Fuji auf – mal mehr, mal weniger präsent – und scheint über das Alltagsleben und den Verlauf der Zeit erhaben zu sein. Dabei ist zu beachten, dass es in den wenigsten Werken in ­diesem Subdiskurs explizit um den Fuji geht. Aber die FujiDarstellungen werden dafür verwendet, andere Th ­ emen anzusprechen, die im heutigen Japan politisch und gesellschaftlich sehr wichtig und dringend sind. Der Fuji hat somit verschiedene Bedeutungen im Subdiskurs. Das bedeutet, dass die Gesamtheit der Fuji-Darstellungen in d ­ iesem Subdiskurs sehr genau spiegelt, womit sich Japaner*innen

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Abb. 28 Raoul Ries, Hina-Station, Yoshiwara-chi. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

heute auseinandersetzen müssen, im Kontrast zu dem, was traditionell vielleicht besser gewesen sein mag. Dabei deckt Ries ein unglaubliches Spektrum dessen ab, was den Subdiskurs Tradition– Moderne ausmacht. Interessanterweise scheinen seine Werke auf den ersten Blick gar nicht ­dieses kontrastive Element in sich zu tragen. Das liegt zuvorderst an der harmonisierenden Einheitlichkeit der Darstellungen: Immer ist schönes Wetter, der Himmel ist blau und wie schon im bereits vorgestellten Bild beschrieben scheinen die Fotografien sich streng an eine vorgegebene Farbpalette aus aufeinander abgestimmten Weiß-, Blau-, Grau- und Grüntönen zu halten. Darüber hinaus finden sich bei ihm, und damit ist er eher die Ausnahme, kaum Stereotypen und Symbole, wie sie gerade im medialen und marketingstrategischen Diskurs um Japan als Land ­zwischen Tradition und Moderne zuhauf vorkommen. In Ries’ Fotografien tauchen Geishas, Kunstfiguren aus der Populärkultur, Koi-Karpfen oder Sumoringer nicht auf. Bei ihm kommt das Zusammenspiel von Tradition und Moderne durch zunächst unscheinbare Alltagsgegenstände und -situationen zum Tragen. So ist der Fuji häufig durch Stromleitungen verhangen und Strommasten und ähnliche Gerätschaften strukturieren die Ausschnitte. Diese spielen in Ries’ Bildern eine besondere Rolle; sie tragen eine Bedeutungskomponente bei, die die Wirkung des Fuji als verlässlicher

Altern und Einsamkeit in Japan (Subsubdiskurs 1.1) | 121

Abb. 29 Raoul Ries, Fujinomiya-shiyakusho, Fujinomiya. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Freund und Beistand abschwächt. Das lässt sich anhand von Hina-Station, Yoshiwarachi (Abb. 28) gut zeigen. Hier verstellt gleich ein ganzes Netz an Leitungen den Himmel und auch den Blick auf den Fuji. Den Aspekt der Moderne kennzeichnen auch die vielen neuen und hochglänzenden Autos im Bild. Gleichzeitig steht ein Mann nahezu verloren an einer Straßenkreuzung. Er scheint sich das Geschehen auf der Straße anzusehen, ohne im Begriff zu sein, weiterzugehen oder die Straße zu überqueren. Er wirkt einsam inmitten einer hoch technologisierten und künstlichen Umwelt. Die Strommasten verbergen den Berg Fuji hier fast vollständig; die neuzeitlichen technologischen Errungenschaften, symbolisiert durch die Strommasten, lassen ihn in seiner Rolle als treuer Begleiter verblassen. Das Thema der Einsamkeit vermittelt Ries in anderen Fotografien gehäuft im Kontext des Themas Altern. Das Bild Fujinomiya-shiyakusho, Fujinomiya (Abb. 29) zeigt die wenig ansehnliche Rückseite eines Gewerbebetriebes mit aluverkleideten Fassaden hinter Paletten voller Kisten. Nicht nur ist die gräuliche Farbe des Gebäudes an sich trist. Das Wellblechdach am Rand des Gebäudes dunkelt zudem die unteren Bereiche ab, was der ganzen Szenerie noch mehr den Eindruck schierer Trostlosigkeit verleiht. Würde man ihn nicht suchen, dann sähe man den Fuji im Hintergrund, hinter dem Gebäude, hinter Wolken und auch hinter Stromleitungen überhaupt nicht. Weiter unten im Bild, entlang

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einer dunkelgrau verfärbten Betonwand, bahnt sich eine alte Frau langsam ihren Weg den Bürgersteig entlang. Scheinbar ist sie einer leichten Steigung ausgesetzt, denn es wirkt überaus beschwerlich, wie sie ihr Rollator-ähnliches Gefährt mit integriertem Sitz dort entlangschiebt: mit tief gebücktem Rücken und an den Griffen Halt suchend. Sie ist der einzige Mensch weit und breit. Obwohl der Bildausschnitt nicht allzu viel Raum zeigt, so wirkt der Weg doch unendlich lang. Die Frau scheint den Fuji nicht zu bemerken. Der zuvor zugesprochenen Bedeutung des Fuji als treuer Begleiter über alle Zeiten kann er hier nicht gerecht werden. Während dieser Subsubdiskurs einerseits die Symbolkraft des Fuji als ewiger Freund und treuer Begleiter stärkt, stellt er sie gleichzeitig infrage.

5.2 Zukunftsvisionen: Der Fuji als Relikt vergangener Generationen (Subsubdiskurs 1.2) Der zweite Subsubdiskurs steht in direktem Zusammenhang zur sich verändernden Bedeutung des Fuji im Zuge der Moderne, der Zeit der Mobilisierung und der Zeit des Zweiten Weltkrieges. In jener Zeit wurde der Fuji als politisches Symbol erfunden und aufgeladen; zuerst als Symbol Edos und schließlich des Nationalstaats Japan (vgl. Kapitel 2.3 bis 2.5). Die daher rührende Symbolkraft ist von historischer Art und wird von der (Nachkriegs-) Generation möglicherweise anders aufgenommen als von jungen Japaner*innen. Aus dieser Perspektive eröffnet eine Stadtansicht mit Fuji, wie sie auf einem Ausstellungs­plakat (Abb. 30) in einem der bedeutendsten Museen für zeitgenössische Kunst in Japan zu sehen war, einen neuen Themenbereich. Dieses Plakat zeigt eine Collage des japanischen Künstlers Kiyonori Kikutake, aufbereitet durch das Grafikdesign des Museumsmarketings. Man sieht eine Stadtlandschaft mit einem Fluss im unteren Bildteil. Auf der angrenzenden Wiese liegen Menschen auf Handtüchern oder spazieren daran vorbei. Den dominanten Mittelgrund des Bildes prägen mehrere graue, gen Himmel strebende Bauten, augenscheinlich vor allem aus Beton erbaut, mit nur wenigen fensterartigen Strukturen. Vor dem blauen Himmel mit weißen Wolken im Hintergrund sieht man die schneebedeckte Spitze des Fuji. Er spielt in ­diesem Bild eine sehr untergeordnete Rolle; die kuriosen, sich in den Himmel drehenden Bauten aus Glas, Metall und Beton lenken von ihm ab. Oberhalb des Fuji prangt im oberen Drittel ein grüner, nach oben hin ins Weiß abgestufter Balken. Zwei Bauten ragen in ihn hinein, ohne aber die Schrift zu verdecken: Hier stehen in großen lila und weißen Lettern die wichtigsten Informationen zur Ausstellung wie Datum, Titel etc. in den Sprachen Englisch und Japanisch. Was wir hier sehen, ist eine Dystopie; es ist keine Vision des zukünftigen Japans, wie man es sich wünschen würde. Vielmehr wirken die Gebäude menschenfeindlich und martialisch, bieten keine Möglichkeit, sie sich anzueignen. Es ist unklar, wie sie zu verwenden sind; typische Elemente wie Türen und Fenster sind nicht eindeutig zu identifizieren. Abgesehen von den grünen Wiesen im Vordergrund, auf denen sich Menschen tummeln, wirkt diese Stadt eher wie ein Aufbewahrungsort für Menschen, den sie nicht selbst geschaffen haben, sondern der für sie kreiert wurde. Ungleich verstörender mag für

Zukunftsvisionen: Der Fuji als Relikt vergangener Generationen (Subsubdiskurs 1.2) | 123

Abb. 30 Urheber*in unbekannt, Werbeplakat der Ausstellung Metabolism, The City of the Future: Dreams and Visions of Reconstruction in Postwar and Present-Day Japan, 2011, Größe unbekannt.

japanische Rezipient*innen die Tatsache sein, dass es sich bei den dargestellten Menschen offensichtlich nicht um Japaner*innen handelt, sondern durchweg um westlich aussehende Menschen. Der Fuji im Hintergrund fungiert hier nicht als ehrenwertes Symbol für die geeinte Nation Japan oder als Wahrzeichen der Stadt. Stattdessen verbleibt er wie ein verlassenes Relikt längst vergangener Generationen am Horizont. Nicht nur bleibt er hinter den künstlich aussehenden grünen Hügeln im Mittelgrund zurück. Die ihn umgebenden Gebäude überragen ihn um ein Vielfaches. Dieses Bild ziert das Plakat für die Ausstellung Metabolism, The City of the Future: Dreams and Visions of Reconstruction in Postwar and Present-Day Japan, die 2011 – 2012 im renommierten Mori Art Museum in Tokio gezeigt wurde. Der Titel verweist auf die Dekade des Metabolismus, die bedeutendste japanische Architekturrichtung der Nachkriegszeit. Hier erlangte Japan internationale Anerkennung (vgl. Adam et al. 2017: 10). Die im Bild dargestellten Bauten scheinen tatsächlich an den metabolistischen Baustil angelehnt zu sein. Die zukunftsgerichtete, optimistische Dynamik der metabolistischen Dekade wird hier jedoch nicht transportiert; das Bild wandelt sich zu einer Dystopie. Als ­solche fand das Bild im Mori Art Museum unglaubliche Verbreitung. Die Plakate hingen bis Oktober 2016 und hängen möglicherweise bis heute an gut sichtbaren Stellen im Museum. Hier wird also offen zur Schau getragen, was heute sagbar ist: dass der Fuji ein verkümmertes Relikt alter Zeit ist. Dies spricht dafür, dass das Archiv des Fuji-Diskurses sich erweitert.

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Abb. 31 Simon Urwin, Bather in a traditional sentō (public bathhouse). Digitale Fotografie, 2017, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Massentourismus und Fotografie: Der Fuji als Souvenir (Subsubdiskurs 1.3) | 125

Dieses Bild nimmt auch deswegen eine besondere Stellung im Diskurs ein, weil es eine sehr negative Wirkung mitbringt. Es erzählt davon, dass die (Post-)Moderne die Tradition überrollt und vergessen macht. Damit markiert das Bild einen Randbereich des Diskurses, der von anderen Künstler*innen nicht derart heftig ausgetestet wird. Thematisch völlig anders gelagert, aber von ebenso großem Einfluss, ist Simon Urwins Bather in a traditional sentō (public bathhouse) (Abb. 31) aus seiner preisgekrönten Porträtreihe. Mit seinen Fotografien ist Urwin in bekannten Museen und Galerien in der ganzen Welt vertreten und auch in hoch aufgelegten Büchern wie dem Lonely Planet sieht man seine Fotos (vgl. Productionparadise 2018: Online-Plattform für Film und Fotografie). Ebenso sind seine Fotografien online weit verbreitet und bekommen über die sozialen Medien wie Facebook und Instagram viel Zuspruch. Das hier besprochene Bild zeigt einen jungen Mann in einem japanischen Badehaus. Wie in vielen solcher Sentōs sieht man im Hintergrund den Fuji. Der Unterschied zu vielen älteren und konventionellen Fotografien von Sentōs ist hier aber nicht nur in der ausgesprochen hochwertigen Qualität der Fotografie begründet. Auch findet man in wenigen solcher Darstellungen industriell gefertigte Pflegeprodukte in ihren Plastikverpackungen vor, wie es hier der Fall ist. Auf diese Weise bringt Urwin die Moderne in das traditionelle Badehaus, das auch noch den Fuji beherbergt. Urwin verhandelt das Zusammenspiel Tradition–Moderne zusätzlich durch den Verweis auf die junge Generation Japaner*innen. Denn es ist in Japan, im Gegensatz zu einigen Jahrzehnten zuvor, nicht mehr verbreitet, öffentliche Badehäuser aufzusuchen. Und das gilt besonders für die jüngeren Menschen, die heute zu Hause in den Genuss eines eigenen Badezimmers kommen (vgl. Clark 1994: 52; 66 – 67). Hier erweckt Urwin jedoch den Eindruck, der Fuji werde durch die junge Generation gewissermaßen revitalisiert. Einerseits steht der Fuji auch hier für eine Bedeutung ein, die sich Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts ausprägte. Ein Widerspruch ­zwischen Tradition und Moderne entsteht dabei jedoch nicht. Stattdessen zeichnet Simon Urwin, im Gegensatz zu Kiyonori Kikutake, ein Wunschbild, in dem Tradition und Moderne auch durch die junge Generation harmonisch im Einklang fortgeführt werden. In seiner Symbolkraft als Referenz auf die vergangenen Generationen über die Epochen hinweg wird der Fuji hier gestärkt.

5.3 Massentourismus und Fotografie: Der Fuji als Souvenir (Subsubdiskurs 1.3) Die Fotografie nimmt im visuellen Diskurs des Berges Fuji in der zeitgenössischen Kunst eine wichtige Stellung ein. Während der Diskurs vor 200 Jahren fast ausschließlich durch Holzschnitte getragen wurde, liegen heute viele Aussagen in Form von Fotografien vor. Die größte Wirkmacht geht heute von Fotografien bzw. Fotograf*innen aus. Der Brite Chris Steele-Perkins hat sich fotografisch intensiv mit dem Berg Fuji auseinandergesetzt. Für seine Arbeiten wurde er mit vielen Kunstpreisen, darunter dem renommierten World Press Award, ausgezeichnet. Wie er zum Thema Fuji kam, ist auf seiner Website beschrieben,

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und weil in ­diesem Text auch von „modern Japan“ die Rede ist, lohnt es sich, das Zitat in aller Ausführlichkeit wiederzugeben: The impetus for this three-year project began when Steele-Perkins was offered a gift from his Japanese wife of a book of the nineteenth-century master printmaker Katsushika Hokusai, 36 Views of Mount Fuji. Struck by the verisimilitude of the prints as historical documents of the life of the peoples around the mountain: woodcutters, fishermen, peasants, aristocrats, as well as their beauty and spiritual aspect, Steele-Perkins began to research further. He found that most Japanese photographers preferred classic images of the sacred mountain where the elegiac perfection of the peak was the punctum of the work, in opposition to the approach of Hokusai. Steele-Perkins then set out to record a twenty-first century response through the eyes of a sympathetic gaijin. The ensuing work depicts Fuji as a cultural nexus: a dynamic social phenomenon where tourism, farming, industry, religion, urbanization, locomotion, housing and recreation, traditional ceremony and religion all are framed by the potent national symbol of the mountain. Fuji as seen by Steele-Perkins emerges as a meditation about modern Japan, and Japanese life. The exquisite images offer a fresh and surprising view of Japan’s iconic mountain, and a keyhole of understanding into Japanese worldview as seen by an outsider who has penetrated its diversity with astonishing clarity, metaphysical insight, and profound complicity. (Steele-Perkins: Website des Fotografen, o. D.; Hervorhebung durch die Autorin)

Wie Raoul Ries bezieht sich also auch Steele-Perkins auf Hokusai und die Art und Weise, wie der Holzschnittkünstler das Alltagsleben der Japaner*innen unter der ewigen Anwesenheit des Fuji dargestellt hat. Genau wie Ries kommt ihm durch sein hohes Ansehen als Fotograf eine entscheidende Rolle im Diskurs zu. Sein Bildband Fuji aus dem Jahr 2002 enthält über 100 Bilder, die inhaltlich nur grob geordnet sind. Der Fuji ist nicht auf allen zu sehen. Er hat sie nach Jahreszeiten sortiert und demnach vier Kategorien namens autumn, winter, spring, summer (in dieser Reihenfolge) erstellt. Durch einige visuelle jahreszeitliche Bezüge, z. B Schnee oder Kirschblüten, lassen diese sich oft auch unabhängig davon zuordnen. Insgesamt hat Steele-Perkins ähnliche Bereiche des Alltagslebens abgedeckt wie Ries. Überschneidungen gibt es beim Thema Städtebild, wobei Steele-Perkins auf die Überrepräsentation von Strominfrastruktur weitestgehend verzichtet. Nur etwa ein Viertel der Bilder zeigt Strommasten und dann meist in einer untergeordneten, kaum wahrnehmbaren Rolle. Lediglich in Bildern, in denen das moderne Städteleben das Thema ist, setzt er die Strommasten gezielt ein; allein dann kommt ihnen eine konstruktive Rolle zu. Zu den Themen Motorisierung, Müll/Schrott und Baustellen enthalten beide Bildbände viele Subaussagen. Auch das Leben der Japaner*innen in ihrer alltäglichen Umgebung, etwa in ihren Gärten, und während ihrer Freizeitbeschäftigungen vor allem am Wasser und nicht zuletzt Friedhöfe stellen beide in jeweils einer kleinen Anzahl an Bildern dar. Die Bildbände weisen aber auch Unterschiede auf. Dabei hat Steele-Perkins mehr Raum für Variationen, da er fast dreimal so viele Fotografien zeigt wie Ries. So behandelt er in

Massentourismus und Fotografie: Der Fuji als Souvenir (Subsubdiskurs 1.3) | 127

jeweils einem oder in mehreren Bildern auch die ­Themen Militär, Badekultur, Landwirtschaft und Industrie. Trotzdem ist es auffällig, dass Steele-Perkins andere Fokusse setzt als Ries. Während bei Ries beispielsweise das Thema Altern recht dominant ist und in d ­ iesem Zusammenhang auch das Thema Einsamkeit – Ries stellt oft einzelne Personen in seinen Bildern dar –, konzentriert Steele-Perkins sich vielmehr auf Gruppenaktivitäten und das Zusammenleben der Japaner*innen im Miteinander. Hier und da werden einzelne Kinder dargestellt, vor allem zeigt er sie aber zusammen mit anderen Kindern oder mit ihrer Familie. Insgesamt zehn Fotografien zeigen das moderne Japan aus der Perspektive der Kinder. Möglicherweise ist dieser Unterschied durch das jeweilige Alter der Fotoreihen erklärbar: Ries’ Fotografien sind 15 Jahre ­später entstanden. Im Gegensatz zu Ries’ Reihe ist bei Steele-Perkins das Thema Tourismus besonders stark vertreten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Steele-Perkins’ Bildband viel weniger einheitlich gestaltet ist als jener von Ries. Wie bereits beschrieben, decken Ries’ Fotografien eine bestimmte Farbpalette ab. Auch darüber hinaus sind sie im Aufbau und in der Darstellungsart eher homogen. Die Bilder wirken wie aus einer äußeren Perspektive heraus fotografiert und die Rolle des Fotografen scheint im Geschehen keine Rolle zu spielen. Schließlich ist offensichtlich, dass jedes einzelne Bild perfekt komponiert ist. Bei Steele-Perkins ist das anders. Bei der Betrachtung seiner Fotografien entsteht das Gefühl, der Fotograf sei in das Geschehen involviert. Zwischen der Kamera und dem Abgebildeten ist häufig keine Distanz wahrnehmbar, so dass auch die Betrachtenden sich viel mehr in das Geschehen involviert fühlen können als bei Ries. Gleichzeitig weisen Steele-Perkins’ Fotografien inhaltlich und formal eine viel breitere Varianz untereinander auf. Es entsteht eine größere Menge an Subaussagen. Ein wichtiges Beispiel, das gleichzeitig einen der deutlichsten Unterschiede zu Ries’ Fotografien markiert: Bei SteelePerkins ist der Fuji nicht in jedem Bild am Horizont zu sehen. Stattdessen ist er auch manchmal auf einem Bild im Bild versteckt. Oder er ist überhaupt nicht erkennbar, da sich die fotografierte Szene unmittelbar auf ihm abspielt. Diese besonderen Bilder des Fuji finden sich vor allem dort wieder, wo Steele-Perkins’ Werke konkret Subaussagen über den Fuji-Tourismus beitragen. Dieser Thematik lassen sich allein 19 Fotografien aus dem Bildband zuordnen. Der Fuji fungiert in ­diesem Subsubdiskurs als moderne Pilgerstätte. Dabei symbolisiert er in den Fotografien nur ausnahmsweise einen Ort der Kontemplation, wie in den Kapiteln 2.1 und 2.2 beschrieben. Seine vordergründige Bedeutungsebene in ­diesem Themenbereich ist die des Souvenirs im Kontext des Massentourismus (vgl. Kapitel 2.8). Steele-Perkins’ Bild Tourist shops at Fifth Station (Abb. 32) beinhaltet dabei gleich zwei Besonderheiten: dass sich das Geschehen auf dem Fuji abspielt, der Berg also nicht am Horizont sichtbar ist, und dass der Fuji als Bild im Bild gleichzeitig visuell deutlich erkennbar vorhanden ist. Zuerst erinnert die Szene an eine übliche Abbildung von Menschen an einem touristisch interessanten Ort, wo es ein Angebot von Versorgung und Sitzmöglichkeiten gibt: Im Vordergrund sitzen eine ältere Dame und ein älterer Herr, die in sportlicher Funktionskleidung und mit Rucksäcken ausgestattet Rast zu machen scheinen. Über ihnen sieht man die übergroße Nachbildung eines Softeises; Softeis gehört in Japan zu jedem Ausflug

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Abb. 32 Chris Steele-Perkins, Tourist shops at Fifth Station. Fotografie, 2001, Größe unbekannt.

Massentourismus und Fotografie: Der Fuji als Souvenir (Subsubdiskurs 1.3) | 129

Abb. 33 Chris Steele-Perkins, Queue on narrow section of climb. Fotografie, 2001, Größe unbekannt.

dazu, vielleicht wie in Deutschland die Pommes mit Wurst.3 Bis in den Mittelgrund hinein sitzen und stehen einige weitere Personen in Wanderausrüstung, die pausieren und keinen besonderen Tätigkeiten nachzugehen scheinen. Ansehnliche Blumenbeete sorgen für eine angenehme Atmosphäre und eine stilisierte Skulptur zweier junger Wanderer soll wohl die sportliche Motivation erhöhen. Ganz zentral im Bild sieht man ein Schild mit einer Darstellung des Fuji, die sehr an Hokusais Darstellungen in den ersten Blättern (Abb. 6 und Abb. 7) erinnert. Insgesamt wirkt die Fotografie unangenehm gedrungen; die wenigen Freiräume im Bild, die vielen Personen und bunten Objekte erwecken den Eindruck eines lauten, überfüllten, kleinen Platzes. Dass es sich hier nicht um eine Szene in einem Vergnügungspark handelt, lässt sich nur am Hintergrund erkennen: Statt einer Naturoder Städtelandschaft sieht man zunächst nichts als Wolken. Es scheint, als würde sich die Szene auf einer Plattform abspielen, die über den Wolken schwebt. Schließlich geht es, siehe Bildtitel, um eine der Stationen am Berg Fuji, die während des langen Aufstiegs Möglichkeiten zur Rast bieten. Dass es sich hier um den Berg Fuji handelt, lässt sich nur im Kontext des Bildbandes bzw. am Titel der Fotografie erkennen. Mit einem Ort der Kontemplation, als welcher der Fuji vor über tausend Jahren zunehmend an Bedeutung gewann, hat diese Szenerie nichts zu tun. Stattdessen zeigt das Bild die jetzt veränderte Bedeutung des Fuji: Er ist ein Ort des Massentourismus und -konsums geworden. Wir sehen hier die Fuji-Pilgerreise in ihrer modernen Inszenierung. Diese Interpretation stützt das Bild Queue on narrow section of climb (Abb. 33). Es zeigt, wie sich die Tourist*innen in bunter High-Tech-Trekking-Ausstattung gedrängt den Berg hochschlängeln. Hier ist nichts von der Romantik zu erkennen, von der Reiseanbieter*innen in ihren Angeboten zum Besteigen des Fuji werben. Auch die meditative Praxis, welcher der Aufstieg ursprünglich im frühen Bergkult der chinesischen und japanischen religiösen Praktiken galt (vgl. Kapitel 2.1), lässt sich hier schwerlich erkennen. 3 Das sind die persönlichen Beobachtungen der Autorin.

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Während sich der Fuji bei Ries immer etwas Majestätisches am Horizont in der Ferne bewahrt, so wird er hier bei Steele-Perkins gänzlich entzaubert. Von seinem erhabenen Antlitz ist nichts zu sehen; nur, wie er von den Ketten der Wegegeländer förmlich zerstochen ist und von den Schuhen der Tausenden von Tourist*innen zertrampelt. Selbst das rote Torii am oberen Rand des Bildes gibt dem Berg nichts der meditativen Ruhe zurück, sondern erinnert eher an ein Plastikobjekt in einem Freizeitpark. Diese Aussagen im Subsubdiskurs gehen stark mit der Bedeutung des Fuji laut UNESCO (vgl. Kapitel 2.8) einher: Der Fuji ist als natürlicher Ort mehr eine Müllhalde als ein Ort der Kontemplation; aufgesucht wird er als Kulturerbe und wird damit zu nichts weiter als einem Souvenir der Tourist*innen. Fast alle Bilder von Steele-Perkins, die den Fuji-Tourismus thematisieren, zeigen die zu große Flut an Tourist*innen, die verschandelte Infrastruktur zur Bewältigung der Tourist*innenscharen und die modernen Elemente des Fuji-Kults, die bunt sind und kitschig und dem traditionellen Bild des meditativen Fuji-Aufstiegs zu widersprechen scheinen. Alle diese Bilder sind entmystifizierend und degradieren den Fuji vom Ikon zu nichts mehr als einem Souvenir. Und doch zeigt Steele-Perkins genau ein Bild, in dem die Hoffnung, die manch eine*r beim Gedanken an einen Fuji-Aufstieg haben mag, doch noch Erfüllung findet: Girl with dog, early morning (Abb. 34) zeigt nur eine einzige Person, wie sie von einer Aussichtsplattform aus den Blick über die weite Landschaft schweifen lässt. Sie wird in Rückansicht gezeigt, ist also von den Rezipierenden abgewandt und scheint diesen Moment ganz für sich allein zu haben und zu genießen. Diese Ansicht erinnert, sicherlich nicht ganz zufällig, an Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer von 1818. Als einer der herausragenden Künstler*innen der europäischen Romantik perfektioniert Friedrich in jenem Bild die nach innen gewandte Selbsterkenntnis des Menschen, die er angesichts der intensiven Naturerfahrung zu machen vermag (vgl. Lowis und Pickeral 2015: 80). Im Grunde thematisiert Friedrich etwas, wozu auch der Bergaufstieg (des Fuji oder anderer Berge) ursprünglich in China und s­ päter in Japan dienen sollte: Meditation und Kontemplation (vgl. Kapitel 2.1). Beinahe komisch wird das starke, durch Friedrich geprägte ikonische Bild des Wanderers auf dem Berg bei Steele-Perkins jedoch gebrochen durch den Hund im Rucksack der Person, welcher im klassischen Halbporträt seinen Blick am Fotografen vorbei rechts aus dem Bild hinausführt. In der traditionellen Variante des Bergaufstiegs wäre es undenkbar gewesen, ein Tier mitzuführen. Selbst Frauen war der Aufstieg nicht erlaubt. In ­diesem Bild setzt sich Steele-Perkins also damit auseinander, wie traditionelle Praktiken mit den Eigenschaften der modernen japanischen Gesellschaft, hier dem Bedürfnis, kleine Haustiere zu führen, zusammenfinden. Was die Bedeutungsebene des Fuji in ­diesem Subsubdiskurs betrifft, hat das Tier im Rucksack eine abschwächende Wirkung: Der erste Eindruck und die Aussage über einen Ort der Kontemplation wird humoristisch gestört, auf eine banale Ebene zurückgeführt und somit abgeschwächt. Tourismus am Berg Fuji war bereits im visuellen Fuji-Diskurs vor 200 Jahren ein wichtiges Thema (vgl. Kapitel 2.2 und 2.8). Es wurde jedoch sehr viel subversiver verhandelt und auch einheitlicher: Dem Tourismus wurde damals noch nichts Negatives angelastet und wer wollte (und durfte), sollte den Fuji ruhig besteigen. Andernfalls sollten die

Massentourismus und Fotografie: Der Fuji als Souvenir (Subsubdiskurs 1.3) | 131

Abb. 34 Chris Steele-Perkins, Girl with dog, early morning. Fotografie, 2001, Größe unbekannt.

verbreiteten Fujizuka das Erlebnis nachempfinden lassen (vgl. Kapitel 2.2). Im heutigen visuellen Diskurs des Berges Fuji in der Kunst macht Tourismuskritik hingegen einen sehr wichtigen Punkt aus. Aussagen wie Steele-Perkins’ Werke markieren sehr deutlich den Randbereich des Diskurses, wo das Bild des Fuji als Sehnsuchtsort entzaubert und er in eine vom Tourismus überlaufene Region verwandelt wird. Auf diese Weise wird erneut der Eindruck verstärkt, dass sich im Subdiskurs Tradition–Moderne der Tenor ändert. Der Weg führt weg von einer Romantisierung der Harmonie der scheinbaren Gegensätze zu einem Eindruck der die Tradition rücksichtslos überrollenden Moderne. Die Bilder in ­diesem Subdiskurs zeigen: Der Tourismus mit allen seinen negativen Konsequenzen ist die neue Form des Pilgerns. Ries verhandelt das Thema Tourismus im Subdiskurs Tradition–Moderne in seinen Fotografien weniger intensiv als Steele-Perkins. Zwar hat es Tourismus rund um den Fuji schon sehr lange gegeben (vgl. Kapitel 2.1, 2.2 und 2.8). Ries trägt mit seinen Bildern aber insbesondere Aussagen über die technologische und damit die moderne Komponente des Tourismus rund um den Fuji heute zum Diskurs bei. Im Bild Nakahara, Higashiyama (Abb. 35) steht sehr prominent im rechten Vordergrund ein großer Reisebus, angeschnitten

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Abb. 35 Raoul Ries, Nakahara, Higashiyama (1). Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt.

vom Bildrand. Das sonst schöne Panorama des schneebedeckten Fuji vor blauem Himmel wird somit zerstört. Der Bus ist dermaßen dominant, dass er sogar von dem Strommast und seinem Geflecht aus Stromleitungen im linken Bereich des Bildes abzulenken vermag. Die Bedeutung des Fuji als Souvenir wird hier auch von Ries bestärkt: Der motorisierte Tourismus mag zwar den Zweck verfolgen, Tourist*innen die Möglichkeit zu geben, den Fuji als Ort der Naherholung (vgl. Kapitel 2.2) aufzusuchen und ihn in seiner kulturellen Bedeutung wertzuschätzen. Letztlich wird dieser Versuch aber gerade durch diese eingesetzten Mittel korrumpiert: Der Reisebus wirkt dominant und schwer und lässt im Bild keinen Raum mehr für den Fuji. Interessanterweise stellt Ries ein Bild zur Verfügung, das in etwa an derselben Stelle wie das zuvor beschriebene (Abb. 35) geschossen wurde. Es trägt denselben Titel (wie bei allen anderen Fotografien von Ries ist der Titel der Entstehungsort): Nakahara, Higashiyama (Abb. 36). Der Unterschied ist, dass der Bus nicht mehr mitten im Bild steht, sondern stattdessen eine Gruppe von jungen Erwachsenen aufgetaucht (möglicherweise aus dem Bus ausgestiegen) ist. Diese Gruppe wird durch einen Wall aus schmutzigem, geräumtem Schnee vom Fotografen getrennt. Es fällt auf, wie beschäftigt die jungen Menschen alle sind. Zunächst könnte man annehmen, dass sie die schöne Aussicht auf den Berg genießen würden, denn das war vermutlich das Ziel der Reise. Jedoch richten gerade einmal zwei Personen der über 25 Anwesenden, wenn überhaupt, den Blick zum Fuji. Alle anderen schauen auf ihr Handy, fotografieren sich oder andere vor dem Berg und das mitunter mit Selfie-Sticks. Dieses Bild stärkt die Bedeutung des Fuji als Souvenir in ­diesem Subsubdiskurs vehement: Alles, was für die Personen im Bild zu zählen scheint, ist das perfekte Bild vom und/oder mit dem Fuji. Sobald es im Kasten ist, erlischt das Interesse am Berg. Die Bedeutung der Technologie Fotografie für diesen Themenbereich stärkt Ries darüber hinaus mit der Fotografie Ryuga-take, Nebara. Das Bild ähnelt den alten Holzschnitten nicht nur im Aufbau, sondern auch in den Inhalten: Es wirkt wie ein Rückbezug auf das Japan vor 200 Jahren. Die Fotografie zeigt einen weitläufigen gepflegten Park am Fuß

Heilige Stätten und Matsuri: Der Fuji als religiöses Requisit (Subsubdiskurs 1.4) | 133

Abb. 36 Raoul Ries, Nakahara, Higashiyama (2). Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt.

des Fuji mit gedeihender und blühender Vegetation. Zwar blühen keine Kirschblüten. Aber die Wiesen sind bedeckt von kleinen rosa Blumen, die sehr an das für Fotos von japanischen Parks typische Kirschblütenmeer erinnern. Fast ebenso bedeckt sind die Wege durch die vielen Parkbesucher*innen. Und in ihnen manifestiert sich schließlich der große Unterschied ­zwischen dieser Darstellung und den vielen alten Holzschnitten, die auch Parks zeigen: Wie auf dem zuvor beschriebenen Bild sind die Menschen mit ihren Handys und hier auch Kameras beschäftigt. In der linken Bildmitte ist gar ein ganzes Kamerateam mit einer Filmkamera anwesend. Das Bild fasst die Bedeutung des Fuji für diesen Subsubdiskurs hervorragend zusammen: Er ist ein wertvolles Souvenir in der hoch technologisierten japanischen Gesellschaft. Die Bedeutungen der Erholung und der Kontemplation sind der Historie des Fuji als religiöse und spirituelle Stätte zum Trotz zweitrangig geworden.

5.4 Heilige Stätten und Matsuri: Der Fuji als religiöses Requisit (Subsubdiskurs 1.4) Steele-Perkins behandelt ein wichtiges Thema des japanischen Alltags sehr umfassend, welches bei Ries überhaupt keine Rolle spielt. Hier geht es um religiöse und andere ­rituelle Praktiken und um Matsuri (japanische Feste). 16 Fotografien finden sich zu d­ iesem Thema in seinem Bildband. Die Werke bilden einen eigenen Subsubdiskurs, weil sie distinkte Aussagen zum Subdiskurs beitragen. Der Fuji hat hier die Bedeutung eines rituellen Requisits, auf dessen historisch geprägte spirituell-religiöse Ebene (vgl. Kapitel 2.1) Bezug genommen wird. Von den 16 Fotografien zeigen mehrere den bunten Schmuck, der zu Feierlichkeiten an den entsprechenden Orten, in Parks oder entlang von Straßen, angebracht wird. Das sind Papierblumen, Lampions oder auch Windspiele in Form von Koi-Karpfen.

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Abb. 37 Chris Steele-Perkins, Eating ice cream, Oshino Hakkai. Fotografie, 2001, Größe unbekannt.

Dazu und auf anderen Bildern zeigt Steele-Perkins Gruppen von Personen, die mehr oder weniger ritualisierten Praktiken nachgehen, ­welche von einigen Rezipient*innen solcher Bildbände möglicherweise mit der Beschreibung der japanischen Traditionen versehen würden. Auch finden sich Darstellungen von Gruppen und Familien, die den Festivitäten frönen oder aber gemeinsam Schreine oder Tempel in der Nähe des Fuji besuchen. Das Bild Eating ice cream, Oshino Hakkai (Abb. 37) zeigt im Mittelgrund eine kleine Tempelanlage mit allem, was Tourist*innen sich davon erhoffen: mehrere kleine, zierliche Tempelbauten, korrekt zugeschnittene Bäume, eine hübsche Brücke und einen See, der sich bis in den vorderen Bereich des Bildes hinein erstreckt. Das alles übertrifft nur die Aussicht auf den Berg Fuji im Hintergrund. Im linken Vordergrund sieht man, recht präsent im Bild, eine seitlich angeschnittene Frau mit zwei Softeis in der Hand. Eines davon ist grün und vermutlich das gerade an touristisch frequentierten Orten sehr beliebte Matcha-Eis mit grünem Tee. Das andere Eis ist pink und wahrscheinlich Sakura-Eis, Kirschblüteneis, das oft mit Matcha-Eis zusammen angeboten wird. Hinter ihr sieht man ein junges Mädchen, vermutlich ihre Tochter, die auch ein Sakura-Eis isst. Vermutlich ist noch eine weitere Person außerhalb des Bildes, deren Eis die ­Mutter hält, Teil der Gruppe. Hier scheinen die banale Alltagskleidung der beiden Personen wie auch der anderen Tourist*innen im Hintergrund in Kombination mit dem künstlich gefärbten Softeis – eigentlich eine amerikanische Erfindung (vgl. Gelaterista: Online-Artikel in der Sektion Grundlagen, o. D.) – die Wirkung der traditionellen Elemente im Bild zu konterkarieren. Es ist interessant, dass die beiden Personen im Vordergrund von der Szenerie im Hintergrund gänzlich abgewandt sind. Eine Vermischung des Traditionellen und des Modernen findet hier am ehesten im amerikanischen Softeis mit den vermeintlich traditionellen japanischen Zutaten statt. Auch wenn die Szene überaus banal und weltlich erscheint, so lässt sich doch eine bestimmte Bedeutungsebene des Fuji ablesen: Durch seine Geschichte

Heilige Stätten und Matsuri: Der Fuji als religiöses Requisit (Subsubdiskurs 1.4) | 135

Abb. 38 Chris Steele-Perkins, ‘Oni’ (a demon) at setsubun festival, Fuji-Taisha, Fujinomiya. Fotografie, 2001, Größe unbekannt.

als heiliger Berg erhöht er die religiöse Stätte und wertet sie durch seine Anwesenheit auf. Als Relikt verhilft er dieser Kulisse zu mehr religiöser Authentizität 4. Viele Fotografien von Steele-Perkins, wie auch die letzten beschriebenen, enthalten einen subversiven Humor. Immer stellt der Fotograf mehr oder weniger verdeckt die Frage an Japan: Nun sag, wie hast du’s mit der Tradition? Am deutlichsten kommt dies in dem Bild “Oni” (a demon) at setsubun festival, Fuji-Taisha, Fujinomiya (Abb. 38) hervor, in welchem der Fuji die Bedeutung als Requisit in ­diesem Subsubdiskurs unterstützt. Er findet sich nur nach zielstrebiger Suche: hinter einer Tempelanlage und den Ästen eines Baumes versteckt im Hintergrund. Das Bild zeigt die Szene eines Volksfestes an einem Tempel. Das bunt geschmückte Tempelgelände wird hier durch eine Vielzahl von Besucher*innen eingenommen. Alle tragen Alltagskleidung. Sie stehen herum oder unterhalten sich vergnügt in kleinen Gruppen miteinander. So banal diese Szene auf den ersten Blick erscheinen mag, so kurios wirkt im Kon­ trast die Figur im rechten Vordergrund. Die rechte Hälfte des Bildes wird fast komplett durch diese frontal (mit der bemalten Maske) in die Kamera blickende, als Oni (übersetzt Dämon) verkleidete Person ausgefüllt. Während der Rest des Bildes sich durch eine deut­ liche Tiefenstruktur auszeichnet, so wirkt der Oni geradezu aufgeklebt oder digital ins Bild 4 Zum Begriff der Authentizität vgl. Kapitel 2.2.

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hereingeschnitten, so absonderlich und fremdartig erscheint er hier. Eine gewisse Komik kommt durch den Gesichtsausdruck der Maske zustande. Zwar entspricht die Maske im Großen und Ganzen der üblichen Darstellungsweise eines Oni: das Gesicht ist rot, die Haare sind schwarz und der Kopf trägt zwei Hörner (vgl. Baird 2001: 174). Eigentlich sollten vier Schneidezähne spitz aus dem Mund herausragen; hier ist es, vielleicht aus Gründen des zu vermeidenden Bastelaufwandes, nur einer. Ein Oni schaut üblicherweise sehr grimmig drein (vgl. ebd.) und auch die Maske soll offenbar diesen Eindruck erwecken: Die Augenbrauen sind zusammengezogen und die Mundwinkel zeigen nach unten. Und obwohl sich die erhoffte Wirkung antizipieren lässt, kommen dieser grimmige Ausdruck und die vielleicht sogar gewünschte etwas gefährliche Wirkung nicht auf. Dafür ist es vermutlich nicht ausreichend, dass nur die Augenbrauen nach unten gezogen sind, während die Augen von ­diesem Gemütsausdruck unbeirrt bleiben. Zudem wirkt der Mund nicht grimmig, denn die Mundwinkel lassen sich kaum als heruntergezogen erkennen. Eher sieht der Mund mit seiner orangefarbenen Umrandung wie ein Hot-Dog-Brötchen aus und wirkt schließlich etwas dümmlich anstatt grimmig. Diesen Eindruck verstärkt ganz außerordentlich das Schielen der Maske; es ist zwar auch in klassischen Darstellungen mitunter vorzufinden, jedoch führt es hier in Zusammenarbeit mit den anderen ungünstigen mimischen Eigenschaften der Maske zu ­diesem wohl eher unerwünschten Ausdruck der Verwirrtheit und Dümmlichkeit. Es ist, als würde der Oni fragen: Wo bin ich? Und was mache ich eigentlich hier? Damit scheint es, als hätte die Tradition auf d ­ iesem Fest, ­zwischen all den völlig alltäglich gekleideten Menschen, eigentlich gar keinen Platz mehr. Wie der Oni sind die anderen als traditionell gedachten Elemente, zu denen auch der Fuji gehört, hier nichts weiter als Requisiten für ein „authentischeres“ Matsuri. Diese Aussagen nehmen im Diskurs eine wichtige Position ein. Und zwar h ­ interfragen sie, ob die sogenannten Traditionen in Japan überhaupt noch das halten, was sie versprechen. Oder sind sie bereits von der Moderne überrollt worden und nur noch leere Formen, die aus der Gewohnheit heraus noch mitgetragen werden? Auch d ­ ieses kritische Moment markiert einen Randbereich des Subdiskurses, dessen Kern noch immer von der H ­ armonie ­zwischen Tradition und Moderne ausgeht. Steele-Perkins’ Arbeit ist nicht durchdrungen von klischeehaften Symbolen des traditionellen oder auch des modernen Japans, wie Oni, Kirschblüten und Tempel auf der einen und Softeis und Populärkultur auf der anderen Seite. Aber er arbeitet sehr gezielt mit diesen Subaussagen und so durchzieht die Symbolik des klassischen Tradition-Moderne-Gegensatzes seinen ganzen Bildband. Es finden sich auch Fotografien, die kitschige Plastikfiguren mit übergroßen Augen zeigen und wunderschöne Landschaftsaufnahmen mitsamt Fuji. Eine von ihnen zeigt den Fuji auch hinter Kirschblüten. Nicht zuletzt weisen gerade die oben beschriebenen Fotografien zum Thema Religion, Feste und Rituale die verbreiteten Japan-Symboliken aus beiden Lagern sehr verdichtet auf und nicht selten vermischen sich die Aussagen und Subaussagen dazu. Wie der Fuji werden sie zu Requisiten eines Theaterstückes, das den Subdiskurs Tradition–Moderne darstellt. So bietet Steele-Perkins’ fotografische Reihe rund um den Berg Fuji eine hervorragende Grundlage zur Untersuchung ­dieses Subdiskurses.

Scheideweg ­zwischen Tradition und Moderne (Subsubdiskurs 1.5) | 137

Als Teile eines Bildbandes eines international renommierten und ausgezeichneten Fotografen erreichen diese Bilder ein breites Publikum. Nicht zuletzt ist Steele-Perkins’ Mitgliedschaft in der Fotoagentur Magnum Photos dafür verantwortlich. 1947 gegründet, zeichnet sich die Agentur seit vielen Jahrzehnten durch überzeugenden Fotojournalismus aus. Viele der Mitglieder fotografieren weltweit und haben den Anspruch, nicht das Oberflächliche, das Künstliche und das einfach Dekorative zu zeigen. Sie haben den Anspruch, Menschen und Gegebenheiten zu interpretieren (vgl. Magnum Photos: Online-Artikel auf der Website der Vereinigung, o. D.). Ihre Fotografien erscheinen in der Presse, in Magazinen, Büchern, Ausstellungen und Galerien weltweit. Aufgenommen wird nur, wer einstimmig durch die anderen Fotograf*innen Zustimmung erfährt. Die Süddeutsche Zeitung fasst die Bedeutung der Magnum-Fotograf*innen 2008 in einem Artikel zusammen: Auf diese Weise entstanden Bilder, die zeigen, dass die Welt das ist, was die Menschen aus ihr machen. Sie sind es, die Revolutionen beginnen, Städte bauen, Kriege führen, die morden, trauern, lachen, spielen. Es klingt selbstverständlich, dass es so ist, aber man muss es sehen. Wie Che Guevara Zigarre raucht. Wie Marilyn Monroe sich für The Misfits schminkt. Wie James Dean mit hochgeschlagenem Kragen bei Regen über den Times Square geht. Wie die Sowjets in Prag einmarschieren. Wie die Blume im Gewehrlauf des amerikanischen Soldaten steckt. Wie die Hutus ihre blutigen Macheten zurückgelassen haben, auf einem Haufen, bevor sie flüchteten. Es gibt Fotos, mit denen hat die Agentur sich ins Gedächtnis der Menschheit geschrieben. Es geht in ihnen schlicht um alles, und manchmal mussten die Fotografen dafür mit ihrem Leben einstehen. (Jauer 2008: Online-Artikel auf der Website der Süddeutschen Zeitung)

Der fotografische Nachwuchs orientiert sich an den Magnum-Fotograf*innen, während die Magnum-Fotografie der letzten Jahrzehnte bereits das historische und kulturelle Gedächtnis weltweit prägt. Die Magnum-Fotograf*innen bestimmen folglich mit, wie Kulturen wahrgenommen werden. Im heutigen Fotografie-Diskurs haben sie viel Macht und Einfluss auf das, was sichtbar ist und sichtbar wird. Dementsprechend prägt SteelePerkins das Bild Japans durch seinen Bildband. Nicht zuletzt trägt er damit umfassende Aussagen über den Berg Fuji zu d ­ iesem Diskurs bei. Darüber hinaus betont dieser Bildband, wie bedeutsam der Berg auch heute noch für die Japaner*innen ist.

5.5 Scheideweg z­ wischen Tradition und Moderne: Der Fuji als Symbol für das Traditionelle (Subsubdiskurs 1.5) Die bereits beschriebenen Themenbereiche verorten den Fuji alle mehr oder weniger explizit im Traditionellen. Dabei nehmen sie unterschiedlich Bezug auf die visuelle Kulturgeschichte des Fuji, wie in Kapitel 2 beschrieben. Im Subsubdiskurs ­dieses Kapitels wird der Fuji sehr konkret als Symbol für das Traditionelle eingesetzt, was zu der Frage führt: Welche Bedeutung hat das Traditionelle heute noch? Auch die Bedeutung von

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Abb. 39 Gaban Goto, o. T. 2011, Material und Größe unbekannt.

anderen Japan-Symbolen und Zitate von Stereotypen spielen in d ­ iesem Themenbereich eine sehr viel größere Rolle als in den anderen Subsubdiskursen. Hier findet man vor allem Werke vor, die offensiv mit den markanten Symbolen umgehen und die mit diesen Aussagen den Diskurs prägen. Deswegen ist es wichtig, sich auch diese Werke anzusehen. So beinhaltet beinahe jedes Werk aus dem Bildband Magnitude 9: Des images pour le Japon eines oder mehrere dieser starken Symbole. Zwar geht es in dem Bildband nicht hauptsächlich um den Fuji, sondern um die Dreifachkatastrophe von 2011. Es ist aber nicht überraschend, dass in d ­ iesem Kontext und insbesondere von nicht-japanischen Künstler*innen auf Sinnbilder wie den Fuji zurückgegriffen wird. Es werden die aus westlicher Sicht prägnanten Japan-Symbole verwendet, womit ein eindeutiger Bezug zum Land hergestellt werden soll. Wir sehen den Punkt der japanischen Flagge, Kirschblüten, Variationen der großen Welle, Koi-Karpfen, Geishas, Torii etc. – und zwölfmal eben auch den Fuji. In ­diesem Bildband ist das Ikon also eines der vielen etablierten allgemeinen Symbole für das Land Japan.5 Als Beispiel für ein besonders symbolisch aufgeladenes Werk aus d ­ iesem Bildband wird hier das von Gaban Goto (Abb. 39) besprochen. Es ist unbetitelt. Zunächst fällt auf, dass das ganze Bild im Comic-Stil gezeichnet ist, wie es auch auf die anderen Bilder des Bandes zutrifft. Es zeigt im rechten Vordergrund ein junges Mädchen, das auf einer im gräulichen Wasser treibenden verbogenen Metallplatte steht. Sie trägt eine übergroße rundliche Kapuze, die an den Kopf eines Kaninchens mit weißen Ohren erinnert. Auf dem Arm der weißen Jacke ist ein rotes Kreuz abgebildet, das suggeriert, dass sie eine Krankenschwester ist oder zu einer Hilfsorganisation gehört. Auf dem Rücken hat sie einen Rucksack, der übervoll mit den klassischen Symbolen Japans bepackt ist: Sushi, ein Origami-Kranich, ein Torii, ein Oktopus, ein Kabuki-Schauspieler, ein Miniatur-Fuji 5

Vgl. Symbols of Japan von Merrily Baird (2001).

Scheideweg ­zwischen Tradition und Moderne (Subsubdiskurs 1.5) | 139

und nicht zuletzt ein riesiger Baumstamm, der sich bis in die obere linke Ecke des Bildes erstreckt. An ihm und an den zarten Ausläufern einiger Äste erblühen rosa Kirschblüten. Neben dem Mädchen auf der Platte steht rechts noch eine winzige Figur im blau-weißen Anzug. Viel mehr sieht man von ihr nicht, denn Kopf und Gesicht sind weitestgehend durch eine graue Gasmaske verdeckt. Durch den erhobenen rechten Arm scheint es, als gäbe die Figur dem Mädchen Anweisungen. Im Hintergrund sieht man bis auf ein flächiges Grau nur die leichten Andeutungen von Wolken oder Rauch; möglicherweise als Hinweis auf die Katastrophe. Einerseits lässt sich ­dieses Bild so deuten, dass Tradition (in Form des ­Rucksackinhalts) und Moderne (die Figur mit der Gasmaske als Hinweis auf die technische Komponente der Dreifachkatastrophe 2011: das havarierte Kernkraftwerk Fukushima ­Daiichi (vgl. Brown 2018: 1)) im Gegensatz stehen und ein konfliktvolles Verhältnis haben. In dieser Interpretation wäre der ganze Rucksackinhalt eher als Ballast zu deuten. Aber auch eine andere Sichtweise ist möglich: Demnach wäre das Rückbeziehen auf alles das, was Tradition ausmacht, für eine Regeneration der Nation Japan nach der Katastrophe förderlich. Insbesondere die letzte Art der Interpretation durchzieht das Buch wie ein (durch die immer wieder vorkommende japanische Flagge im wahrsten Sinne des Wortes) roter Faden. Dies ist gemessen am Zweck des Buches nicht überraschend, soll der Bildband doch ein Gefühl von globaler Gemeinschaft und nicht zuletzt das Gefühl von Hoffnung erwirken. Dementsprechend wird der Fuji hier nicht allein als Symbol für das Traditionelle, sondern gleichzeitig als Symbol der Hoffnung stilisiert. Nicht nur hat der Fuji auch diese Katastrophe unbeschadet überstanden; als Symbol der Hoffnung steht er weiterhin erhaben am Horizont, jederzeit sichtbar. Kritisch hinterfragt wird das Symbol oder seine Nutzung hier und im gesamten Buch jedoch nicht: Die Aussagen, die zum Fuji-Diskurs beitragen, sind homogen und erweitern den Diskurs kaum. Stattdessen trägt der Bildband zur Zementierung hergebrachter Japan-Klischees bei, während er gleichzeitig den tradierten Diskurs um den Berg Fuji stärkt. Dennoch ist es wichtig, auch ­solche Werke zu untersuchen: Sie bilden weiterhin die Grundlage für subversivere Arbeiten wie beispielsweise die Projekte von Ries und Steele-Perkins und erst recht jene, die im zweiten Subdiskurs, Provokationen, vorgestellt werden. Die Künstler*innen dieser Werke verweisen schließlich auf klassische Darstellungen des Fuji wie in Magnitude 9, ohne ­welche ihre Arbeiten nicht funktionieren würden: Der Fuji kann nur so lange als Werkzeug der Kritik verwendet werden, wie er an anderer Stelle in seiner klassischen Funktion benutzt wird. Der Bildband hat in Frankreich recht weite Verbreitung gefunden, wobei sein Einfluss kaum über das Land hinausreicht. Das mag unter anderem daran liegen, dass der spärliche Text nur in den Sprachen Französisch und Japanisch vorliegt. Einfluss hat der Bildband auf den Diskurs damit kaum und tatsächlich liegt er eher als isoliertes Projekt vor; weder finden sich Referenzen auf ihn im restlichen Diskurs, noch referiert er auf etwas, das außerhalb der bewährten Klischees zum Thema Japan und Hokusais großer Welle liegt. Aussagen über weniger medial inszenierte Th ­ emen des heutigen Japans, wie das Thema Altern, kommen nicht vor.

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Abb. 40 Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 04:41.

Abb. 41 Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 01:51.

Während der Fuji als Symbol Japans im Bildband Magnitude 9 kaum hinterfragt wird, sieht das in einer Videoinstallation von Tabaimo aus dem Jahr 2000 ganz anders aus. Dieses Werk behandelt die Frage danach, w ­ elche Rolle der Fuji als Symbol für das traditionelle Japan heute überhaupt noch spielt. Es heißt Japanese Bathhouse-Gents und zeigt genau das, was der Titel verspricht: ein japanisches Badehaus, Männerabteilung. Fast immer stellt Tabaimo ihre Videos raumfüllend aus, so dass von Videoinstallationen zu sprechen ist. Hier können die Rezipierenden einen Raum betreten, in dem das japanische Badehaus visuell und auditiv installiert und damit inszeniert ist. Auf diese Weise wird den Rezipierenden eine besonders intensive und umfassende Erfahrung des Werks ermöglicht. Das mehrere Minuten lange Video gibt Einblick in ein typisches japanisches Badehaus, in dem sich nacheinander mehr oder weniger unübliche Szenen abspielen. Eine Konstante ist jedoch deutlich erkennbar: Das Landschaftsgemälde mitsamt Berg Fuji an der Hinterwand des Sentōs ist die meiste Zeit sichtbar. Zwar gehört in ein Sentō traditionell tatsächlich ein großes Bild an der Wand und hier wird oft der Fuji dargestellt (vgl. Kapitel 2.2). Die Darstellung liegt jedoch normalerweise nicht in der Art Hokusais vor, wie es in ­diesem Werk zu sehen ist (Abb. 40). Sehr deutlich lässt sich der Fuji erkennen, wie Hokusai ihn in seinen 36 Ansichten auf dem zweiten Blatt (Abb. 6) dargestellt hat. Nur am Rande sei hier noch erwähnt, dass auch die Macher*innen der Toyota-Crown-Werbung von 2016 (vgl. Kapitel 2.7) sich für diese Darstellung des Fuji entschieden haben. Rein zeitlich könnte dies als Referenz auf Tabaimo eingestuft werden; die Verbindung scheint aber nicht zulässig zu sein. Stattdessen steht diese parallele Referenz auf Hokusai als Ursprung eher dafür, wie präsent Hokusai auch im heutigen Fuji-Diskurs noch immer ist und wie nachhaltig sein Einfluss sich gestaltet. Tabaimos Werk enthält noch weitere Querverweise: Es taucht eine Schildkröte auf (Abb. 41), die in ihrer Darstellung offensichtlich an verschiedene Schildkrötendarstellungen Hokusais (Abb. 42) angelehnt ist. Sowieso sind Schildkröten wie andere Tiere auch im Badehaus verboten; hier stellt sich nun die Frage, ob sich daran etwas ändert, wenn die Schildkröte im Gewand Hokusais auf den Plan tritt. Tabaimos Videoinstallation trägt also Subaussagen darüber zum Diskurs bei, dass das Traditionelle im Raum der Moderne durchaus Konflikte produzieren kann.

Scheideweg ­zwischen Tradition und Moderne (Subsubdiskurs 1.5) | 141

Abb. 42 Hokusai, Three Terrapins. Farbholzschnitt, 1798, 17,4 × 15,4 cm. Private Kollektion, Japan.

Der Fuji und die Hokusai’sche Schildkröte gelten noch als die eher unauffälligen Elemente des Werks. Brisanter wird es mit dem Mann, der sich im Vorraum zum Bad per Reißverschluss an seinem Rücken die Haut vom Körper abstreift (Abb. 43). Glücklicherweise – und überraschenderweise – hat er darunter eine zweite Haut. Diese zunächst sehr irritierende Geste darf als Referenz auf ein anderes Werk der Künstlerin betrachtet werden: In hanabi-ra (Abb. 44) sieht man einen nackten Mann von hinten, der am ganzen Körper tätowiert ist. Es ist derselbe Mann wie im hier besprochenen Video. Diese Referenz mag eine Anspielung darauf sein, dass es in japanischen Badehäusern nicht gestattet ist, Tattoos zu zeigen (vgl. Rödel 2004: 88). Diese Praxis ändert sich nur langsam; heute ist es mitunter erlaubt, mit Tattoos ins Badehaus zu gehen, wenn man diese verbirgt, etwa durch Pflaster. Ursprünglich galt diese Praxis dem Ausschluss von Mitgliedern der japanischen Mafia (Yakuza) und anderen Kriminellen, die sich durch Tätowierungen zu erkennen gaben (vgl. ebd.). Weil sich die Menschen heute in Japan und anderswo aus allen möglichen Gründen tätowieren lassen, scheint diese Barriere zum japanischen Badehaus überholt und wird dementsprechend immer wieder kritisiert. Auf diese Weise dient der ominöse Mann, der sich die eine Haut von der anderen abschält, als stiller Kritiker der überkommenen Praxis im traditionellen japanischen Badehaus. Abgesehen von Tieren und Tattoos im Badehaus werden in d ­ iesem Werk noch andere Tabus gebrochen. Wie bereits am Anfang des Kapitels beschrieben wurde, gilt Sumo als eine traditionelle japanische Sportart. Dabei ist sie recht jung, wurde sie doch erst im 20. Jahrhundert durch Regeln und Rituale institutionalisiert (vgl. Vlastos 1998: 1 – 2). Japans Sumo-Sport ist in höchstem Maße ritualisiert. Dass in d­ iesem Werk zwei Sumoringer

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Abb. 43 Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 03:37.

Abb. 44 Tabaimo, hanabi-ra. Videoinstallation, 2002, Still: Minute 02:57.

zuerst kämpfen und sich dann küssen (Abb. 40) – und das auch noch in einem Sentō –, ist ein großer Affront. Und schließlich isst auch noch der eine den anderen Sumoringer in einem doch irgendwie blut- und gewaltlosen, fast schon banalen und schnellen Vorgang einfach auf. Tabaimo stellt damit den hohen Status des Sumoringens in Japan infrage. Frauen sind im Sumo nicht für die offiziellen Wettkämpfe zugelassen; es gibt keine Liga für Frauen (vgl. Tierney 2007: 80). Immerhin dürfen sie das Sentō besuchen, wo aber die Bereiche für Männer und Frauen räumlich getrennt sind. Bei Tabaimo klettern mehrere nackte Frauen einfach über die Trennwand in den Männerbereich (Abb. 45) und begeben sich in dasselbe Bad, in dem schon andere Personen sitzen. Diese irritieren wiederum dadurch, dass sie völlig bekleidet im Wasser verharren (Abb. 46). Dabei tragen sie weder Bade- noch Freizeitkleidung, sondern formelle Kleidung, ­welche sich der Büroarbeit zuordnen lässt. Sie schwitzen. Dadurch merkt Tabaimo wiederholt kritisch an, dass vieles, was heute in Japan praktiziert wird, längst überholt ist und nicht dem Lauf der Zeit entspricht. Die zu Schweißausbrüchen führende Businesskleidung mag hier als ­­Zeichen für die straffen Hierarchien in der japanischen Arbeitswelt gelten. Tabaimos Werk ist überladen mit Elementen, die einen wichtigen, kritischen Beitrag zum Subdiskurs Tradition–Moderne beitragen. Sie verhandelt das Thema Tradition–Moderne in ihrem Werk gleichermaßen provokativ wie subversiv. Einerseits arbeitet sie offensiv mit Tabubrüchen. Die Subaussagen, die sie allein durch ­dieses Werk beiträgt, erweitern den

Scheideweg ­zwischen Tradition und Moderne (Subsubdiskurs 1.5) | 143

Abb. 45 Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 02:16.

Abb. 46 Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 02:02.

Diskurs enorm und sind in seinen Randbereichen anzusiedeln. Diese Tabubrüche können und sollten als Kritik an den gesellschaftlichen Normen und Verhältnissen in Japan interpretiert werden, die oftmals überholt, in positiven Worten gesprochen traditionell, scheinen. Und gleichzeitig deuten die Vorkommnisse in dem Werk an, dass diese traditionellen Werte, Umgangsformen und Regeln sich nicht verlustfrei in die Moderne übertragen lassen. Es kommt zu Überschneidungen und Verletzungen; siehe die allen Barrieren trotzenden Frauen und den im heißen Wasser hochgeschlossen angezogenen, schwitzenden Prototypen eines japanischen Geschäftsmannes. Und w ­ elche Rolle spielt der Fuji in dieser Szenerie? Er beobachtet das Geschehen, ohne einzugreifen und ohne eingreifen zu können; wie ein taten- und hilfloser Gott in der Theodizee. Vielleicht deutet die Darstellungsweise nach Hokusai auch an, dass selbst der Fuji damit übereinstimmt, dass gewisse Traditionen, ­seien sie nun in Wahrheit neu und/oder sowieso erfunden oder nicht, im heutigen Japan keine so große Rolle mehr spielen sollten. Dabei befindet er sich hier selbst in ­diesem offenbaren Spalt z­ wischen Tradition und Moderne. Auf diese Weise werden hier zwei wichtige Dinge in Gegenseitigkeit verhandelt: der Status von Traditionen im heutigen Japan und der gegenwärtige Status des eigentlichen Symbols des traditionellen Japans, des Fuji, selbst.

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Tabaimo ist eine der international erfolgreichsten japanischen Künstler*innen. Ihre Videoinstallationen hat sie in den großen Museen für zeitgenössische Kunst in der ganzen Welt ausgestellt und war bei der Biennale in Venedig 2011 vertreten. In entsprechenden Bildbänden und Artikeln zur zeitgenössischen japanischen Kunst wird sie immer wieder aufgeführt. Nur ein Beispiel dafür ist der Band Great New Wave: Contemporary Art from Japan von Lisa Baldissera und Sara Knelman aus dem Jahr 2008. Das heißt, dass die Künstlerin in der Szene durchaus eine große Reichweite besitzt und auf der ganzen Welt ­vielerorts gesehen wird. Darüber hinaus erreicht sie besonders durch ihren Status als Medienkünstlerin viele Menschen über ihre Videos online. Bei YouTube erhält sie für ihre Videos tausende bis hin zu zehntausende Klicks (vgl. z. B. Moderna Museet 2009: Dokumentation über die Künstlerin mit Interview auf YouTube). Auch auf Instagram ist sie vertreten und beeinflusst somit eine (junge) Zielgruppe, die sonst kaum für Kunst erreichbar ist. Es kommt hinzu, dass Tabaimo mit ihrem Japanese Bathhouse-Gents Teil einer großen Show wurde, bei der die international renommierten israelischen Desi­gner*innen Mirit ­Weinstock, Sasson Kedem und Alla Eisenberg ihre neuesten Kollektionen vorführten. Begleitet wurden sie von der ebenfalls international bekannten israelischen Tanzkollaboration BatSheva; die Tänzer*innen der Gruppe trugen während ihrer Performance die Kleidung der entsprechenden Designer*innen. Diese Show namens Furo wurde in Israel im Jahr 2008 (und 2012 erneut) über mehrere Wochen hinweg regelmäßig in einem extra dafür aufwendig gestalteten Pavillon aufgeführt und war ein großer Erfolg. Ein Video der Show auf YouTube hat über 16.000 Klicks (vgl. Batsheva Dance Company 2012: Dokumentation der Performance auf YouTube). Berichtet wurde darüber auch in der israelischen Tageszeitung Haaretz, die als Leitmedium des Landes gilt. Hier steht: Furo, Japanese for bathhouse, combines Japanese-style video clips by Tabaimo on three giant screens, dance segments performed by Batsheva dancers wearing Western-style designer clothes, and a lovely soundtrack by Ehud Fishoff that mixes East and West. (Mainemer 2008: Online-Artikel auf der Website der israelischen Tageszeitung Haaretz; Hervorhebung im Original)

Dieser Ausschnitt aus dem Artikel zeigt bereits, welcher Hintergrund den Kollektionen gegeben werden sollte: eine Art Multikulti-Mischung aus den Klischees aus Ost und West. Gleichzeitig ist die Musik zur Show nicht das, was man unter „lovely soundtrack“ gemeinhin verstehen würde. Es handelt sich nicht um ein zartes Zupfen auf dem Shamisen, das z. B. in Japan-Dokumentationen eingesetzt wird, sondern um intensive Elektro-Beats. Dass sich (japanische) Künstler*innen mit Modedesigner*innen zusammentun, ist dabei nichts Neues. Das beste Beispiel geben die beiden Giganten ihrer jeweiligen Szene ab: der japanische Künstler Murakami Takashi und Louis Vuitton. 13 Jahre lang hat die Kollaboration ­zwischen ihnen bestanden und beide haben davon enorm profitiert (vgl. Ghorashi 2015: Online-Artikel auf der Kunstplattform ART news). Dieses Vorgehen ist sicherlich clever, lässt sich doch auf diese Weise jeweils eine Zielgruppe erreichen, an die sonst nur schwierig heranzukommen ist.

Wiedergeborener Gott: Der Fuji als Produkt der Moderne (Subsubdiskurs 1.6) | 145

Wie Tabaimo den Fuji in ihrem Video und darüber hinaus in den sozialen Netzwerken und den Tanzinstallationen zeigt, findet also über verschiedene Kanäle Einzug in die ganze Welt. Sie ist eine Künstlerin mit verhältnismäßig großer Wirkmacht, ­welche vor allem durch die Affinität zu Medien und die Nutzung der entsprechenden Kanäle zustande kommt. Einerseits läuft der Fuji dabei Gefahr, neben dem Tradition-ModerneSubdiskurs auch noch im klassischen Ost-West-Diskurs unterzugehen. Dabei passiert mit ­diesem Video, wie es online verbreitet wird und sogar in die Tanzszene Einzug findet, etwas ganz Besonderes: Subversiv und vehement wird im Diskurs an der erhabenen Rolle des Fuji gerüttelt. Im visuellen Diskurs um den Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst nimmt Tabaimos Werk folglich eine wichtige Position ein; sowohl inhaltlich begründet als auch durch ihre Verbreitung in der Kunstszene und darüber hinaus. Werke wie ihres gehören zu den machtvollen Aussagen in den Randbereichen des Diskurses, die eine Verschiebung und sogar Brüche andeuten. Um die Diskursstruktur zu erfassen, ist es somit notwendig, sich diese Werke anzusehen, die zu solchen Verschiebungen und Brüchen beitragen.

5.6 Wiedergeborener Gott: Der Fuji als Produkt der Moderne (Subsubdiskurs 1.6) An dieser Stelle soll ein Künstler vorgestellt werden, der durch sein Werk intensiv am Subdiskurs Tradition–Moderne beteiligt ist, dessen Werke aber auch wesentliche Aussagen zum im nächsten Kapitel vorgestellten Subdiskurs Provokationen beitragen. Es handelt sich um den Düsseldorfer Multimedia-Künstler Kanjo Také. Wie Steele-Perkins und Ries hat auch er eine ganze Reihe zum Berg Fuji geschaffen. Sie heißt wie der entsprechende Bildband: Nowhere or 36 Views of Fujiyama. An die Zahl 36 hält auch er sich nicht; seine Reihe besteht aus zwölf Arbeiten. Jedes dieser einzelnen Werke besteht wiederum aus zehn quadratischen Tafeln, die nebeneinander angeordnet zu mosaikartigen Panoramalandschaften zusammenwachsen. Der Berg Fuji kommt in jedem der Werke vor. Neben ­diesem die einzelnen Werke der Reihe einenden Motiv und dem Format stimmen die Arbeiten in ihrem Medium überein: Sie alle sind Collagen aus digitalen Fotografien, die nochmals digital bearbeitet sind. Nicht alle zwölf Werke sollen besprochen werden. Das erste Werk mit dem Titel Hokkaido kann noch am ehesten als eine klassische Fuji-Darstellung durchgehen, die den etablierten Diskurs stabilisiert: Hinter einer geröllartigen, rötlich abgetönten Landschaft tut sich recht klein im vierten Bild von links der Fuji am Horizont empor. Witzig ist, dass im roten Meer im Vordergrund nicht die Fischerboote wie bei Hokusai zu sehen sind, sondern Ruderboote mit einer männlichen Besatzung, die doch sehr westlich anmutet. Dieses Werk dient gewissermaßen als Referenzgrundlage für die anderen elf Werke. Besonders die Werke 2, Mirror, 3, Rhenus, und 6, Adam sind für den Subdiskurs Tradition – Moderne bedeutsam, indem sie wesentliche Elemente zum hier besprochenen Themen­bereich beitragen. Diese Werke behandeln jeweils Gegenstände der heutigen

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Abb. 47 Kanjo Také, Mirror. 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Abb. 48 Kanjo Také, Mirror (Detail). 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

I­ ndustrie- und High-Tech-Kultur und verhandeln den Fuji als Reflexion und sogar Produkt der modernen Gesellschaft. Diese Subaussage findet sich in Takés Bildband vielfach, womit der bestehende Fuji-Diskurs deutlich erweitert wird. In Mirror (Abb. 47 und Abb. 48) sieht man den Fuji als Reflexion in einer verspiegelten Front von etwas, das durch den länglichen Ausschnitt nicht erkennbar ist. Es mag sich um ein Rohr handeln, um die Front eines Gebäudes oder etwas ganz anderes. Durch das gebrochene Licht in der Fläche entsteht gleichzeitig eine wellenförmige Verzerrung, die sich durch die ganze Struktur hindurchzieht. Zusammen mit der gräulich-blauen Färbung des Bildes entsteht der Eindruck von Wasser. Und auch hier setzt Také wieder, fast unsichtbar, ein kleines westlich verzerrtes Hokusai’sches Ruderboot in die Fläche. Wie Kiyonori Kikutake in seiner futuristischen Stadtansicht mit Fuji (vgl. Kapitel 5.2) inszeniert auch Také das Material der Moderne: glänzendes Metall. Der Fuji ist hier nur als eine Reflexion in dieser Substanz sichtbar; er wirkt wie eine überarbeitete und zeitgemäß-neue Version seiner selbst. Dies findet in der Aussage, dass der Fuji ein Produkt der Moderne ist, Einzug in den Diskurs. Obwohl Rhenus (Abb. 49 und Abb. 50) tatsächlich Wasser zeigt, findet sich hier kein Ruderboot. Stattdessen sehen wir den Ausschnitt eines länglichen Frachters, der offenbar Schutt über einen Fluss (Rhenus = lateinisch für Rhein) befördert. Neben einigen

Wiedergeborener Gott: Der Fuji als Produkt der Moderne (Subsubdiskurs 1.6) | 147

unauffälligen Geröllhügeln im Bild ist in einem der Ausschnitte deutlich ein Schutthaufen als der Berg Fuji zu erkennen. Damit wird der Fuji hier unverkennbar als Abfallprodukt der Industrie den Fluss herunter transportiert. Im Zuge der fortschreitenden Moderne wurde er entsorgt. Den Diskurs erweitert hier die sonst kaum vorkommende Aussage, dass der Fuji nicht mehr benötigt wird. Také lässt darüber nachdenken, inwieweit die Symbole der Vergangenheit heute noch Wert haben, womit er im Diskurs nicht alleinsteht. Das Thema Müll wiederum wird auch bei Ries angesprochen, jedoch aus einer anderen Perspektive, die eher auf den japanischen Alltag abzielt. Sehr viel positiver und jenseits von Müll wird der Fuji bei Také wiederum in Adam (Abb. 51 und Abb. 52) verhandelt. Das Werk ist eine Bildcollage aus Gitterkonstruktionen, die sich dem Stahlbau zuordnen lassen. Dominiert wird das Bild durch rechtwinklige Strukturen; im dritten Quadrat von links wird diese Struktur jedoch von der leicht ansteigenden Silhouette des Berges durchbrochen. Der Fuji besteht hier aus Gittern und Stahlstreben. Hier wird dem Fuji also sein Status als Naturmonument genommen und er wird aus Eisen und Stahl wiedergeboren; von Menschenhand. Diesen Eindruck unterstützt noch das Skizzenpapier mitsamt Hand und Bleistift im rechten Teil des Bildes und ebenso wird der Eindruck durch den Bauarbeiter im linken Teil gestärkt. Nicht zuletzt betont der Titel den Aspekt der Schöpfung in aller Deutlichkeit: Adam. Dieses Werk ist als Aussage zu sehen, dass der Fuji nunmehr ein konstruiertes Produkt der Gesellschaft ist. Möglicherweise referiert Také damit auf die Ernennung des Fuji zum Weltkulturerbe und auf das Problem des Tourismus in der Region Fuji (vgl. Kapitel 2.8). Dabei ist es interessant zu sehen, dass der Fuji in seinem Werk einmal, in Rhenus, als Abfallprodukt der modernen Gesellschaft und hier zuletzt als optimiertes und funktionales Konstrukt dieser gehandelt wird. Diese zwei Aussagen scheinen sich auszuschließen, finden jedoch beide widerspruchsfrei Raum im komplexen Diskurs des Fuji in der zeitgenössischen Kunst. Také verhandelt den heiligen Berg in seinem Bildband also im Licht der heutigen Industriegesellschaft und trägt so bemerkenswerte Aussagen zum Subdiskurs Tradition– Moderne bei. Auch seine Aussagen siedeln sich im Randbereich des Diskurses an; sie stellen kritische Fragen zum Wert des traditionellen Japans in der Moderne und fragen schließlich, ­welche Rolle der Fuji überhaupt noch spielt. Wo aber treten diese Aussagen im Diskurs auf? Das heißt: Wer sieht diese Bilder wo und unter w ­ elchen Bedingungen? Hierzu ist es wichtig zu wissen, dass Také neben einigen anderen Standorten vor allem

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Abb. 49 Kanjo Také, Rhenus. 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Abb. 50 Kanjo Také, Rhenus (Detail). 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

in Düsseldorf angesiedelt ist. Die Stadt weist eine große Zahl Bürger*innen japanischer Abstammung auf, die in der Stadt ein hohes Ansehen haben (vgl. Tagsold 2011: 144 – 145). Gleichzeitig verfügt die Stadt über eine florierende Kunstszene mit einer Vielzahl von Galerien, Museen und einem Publikum, das bereit ist, für Kunst viel Geld zu bezahlen (vgl. Teuwsen 2023: ohne Seitenangabe). Dementsprechend profitiert Také davon, in seinen Werken japanbezogene Sujets aufzugreifen; sie kommen gut bei potenziellen Kund*innen an. Seine Arbeiten zeigt Také aber nicht nur in zwei Düsseldorfer Galerien, sondern ebenso an verschiedenen Standorten international. Auch auf der Biennale in Venedig war er 2018 vertreten. An dieser Stelle muss eine andere Station seiner Ausstellungstätigkeit aber nachdrücklich erwähnt werden, die dem oben Beschriebenen entgegenzustehen scheint: 2015 hat Také auf dem Düsseldorfer Japan-Tag sein Video Sakura auf einer großen LED-Wand gezeigt. In dem Video kontrastiert er lokale Ikonen und Phänomene Düsseldorfs mit den Stereotypen Japans; er stellt beispielsweise Karneval dem Kabuki-Theater gegenüber und Fußball dem Sumo. Ganz erwartungsgemäß präsentiert er auch den Berg Fuji, und das gleich dreimal. Etwas versteckt und doch gleich zu Beginn des Videos in der Einleitung findet sich der Fuji in einem Emblem mit Hund zur Begrüßung; dies ist eine eher parodistische Darbietung des heiligen Berges. Auch der erste Moment des eigentlichen

Wiedergeborener Gott: Der Fuji als Produkt der Moderne (Subsubdiskurs 1.6) | 149

Videos (0:53) gilt dem Fuji: Také zeigt ihn zwar farblich verzerrt, aber doch klassisch, bis er von einer heranfliegenden Skulptur, vermutlich aus einem der Düsseldorfer Gärten, verdeckt wird. In der Mitte des Videos (4:54) kommt der Fuji erneut vor; auch hier zeigt Také ihn im Kontext einer Flusslandschaft, nur dass weder Ruderboote noch Frachter von ihm ablenken, sondern eine touristische Bootstour. Im Gegensatz zu den Werken in seinem Bildband stellt Také den Fuji in d­ iesem Video sehr klassisch dar. Er inszeniert ihn als Symbol und Ikon Japans. Diese Aussage stabilisiert den lange andauernden Diskurs, anstatt ihn zu erweitern. Was d ­ ieses Video mit der Tanzinstallation, in die Tabaimo involviert ist (vgl. Kapitel 5.5), gemein hat, ist die Verhandlung des Ost-West-Kontrasts. Diese Zementierung des Fuji als Japan-Symbol ist durch den Japan-Tag und auch durch die Verbreitung der Videos online einer Vielzahl von Rezipierenden ausgesetzt. Durch die starke Anlehnung an die japanische Populärkultur des Japan-Tags steht dabei besonders eine junge, für digitale Medien empfängliche Zielgruppe im Vordergrund, die den Fuji hier schließlich in seiner klassischen, traditionellen Rolle rezipiert. Anders ist es bei Takés Bildband inklusive der Ausstellung der entsprechenden Werke in Galerien: Die Zielgruppe ist älter und prinzipiell kunstaffin (vgl. Teuwsen 2023: ohne Seitenangabe). Gerade zu Takés Zielgruppe gehören viele Japaninteressierte, die möglicherweise an die konventionelle Darstellungsweise des Fuji gewöhnt sind. Hier findet demnach vielmehr eine subversive Unterwanderung des Subdiskurses Tradition–Moderne statt, wenn dieselbe Personengruppe nun mit den vom Kerndiskurs abweichenden Aussagen über den Fuji konfrontiert wird. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass diese Tendenz in Takés Fuji-Darstellung auch in der internationalen Wahrnehmung überwiegt. Denn der Japan-Tag, bei dem sein Video gezeigt wird, welches eher zur Zementierung der Klischees und der anerkannten Darstellungsweise des Fuji beiträgt, scheint eher ein regionales Phänomen zu sein. Alles in allem ist es erstaunlich, wie Také derart unterschiedliche Aussagen zum Diskurs beiträgt. Er arbeitet dabei sehr zielgruppenorientiert und vermarktet sowohl seine subversiven Werke wie seine konventionellen Fuji-Darstellungen äußerst geschickt. Také stabilisiert den Fuji-Diskurs also, während er ihn gleichzeitig wieder zum Bröckeln bringt. Was alle Darstellungen Takés gemein haben, verbindet ihn wiederum mit den meisten anderen Künstler*innen, die zum Subdiskurs Tradition–Moderne beitragen: Sie alle beziehen sich zurück auf Hokusai.

150 | Subdiskurs I: Fuji – Tradition – Moderne

Abb. 51 Kanjo Také, Adam. 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Abb. 52 Kanjo Také, Adam (Detail). 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

5.7 Von Damals über Früher bis Jetzt: Der Fuji als historisch gewachsenes Monument (Subsubdiskurs 1.7) Vielleicht mag es bis zu dieser Stelle noch gar nicht aufgefallen sein: Die bisher vorgestellten Arbeiten, die sich dem Subdiskurs Tradition–Moderne zuordnen lassen, stellen ausschließlich Aussagen über den Fuji im Heute dar. Zwar referieren die verwendeten Symbole und andere Bildelemente auf Vergangenes, Traditionelles – ob nun als erfundene Tradition oder nicht. Hokusai kommt als Referenz immer wieder vor. Aber die Geschichte des Fuji selbst und seine Präsenz in der Zeit vor dem letzten Jahrhundert bleiben abgesehen von Hokusai ausgespart. Das Thema wird von vielen Künstler*innen, die den Fuji einmal oder immer wieder darstellen, außen vor gelassen. Das ist eigentlich überraschend, blickt man auf die lange und abwechslungsreiche visuelle Kulturgeschichte des Ikons zurück. Umso interessanter ist es, dass einige Künstler*innen sich auf die Historizität des Fuji und nur darauf konzentrieren, wenn sie sich mit dem Berg in ihrer Kunst auseinandersetzen. Die Aussagen, die auf diese Weise zustande kommen, nehmen im Diskurs eine wesentliche Rolle ein: Mehr als alle anderen stärken die Aussagen in ­diesem Themenbereich den Kern des Diskurses und festigen die Darstellung des Fuji als erhabenes, historisch gewachsenes

Von Damals über Früher bis Jetzt (Subsubdiskurs 1.7) | 151

und ewiges Ikon Japans, dem komplexe Symboliken innewohnen. Der Fuji hat in diesen Werken die Bedeutung eines Monuments: Seine heutige Ikonizität wird aus seiner eigenen Geschichte heraus begründet und legitimiert. Gleichzeitig finden sich auch hier subversive Tendenzen, die den Diskurs infrage stellen, den sie stärken. Deswegen müssen für eine umfassende DAV des Berges Fuji in der zeitgenössischen Kunst auch diese Werke genau betrachtet werden. Einer der einflussreichsten Künstler*innen, die den Subdiskurs Tradition–Moderne um einen gezielten Blick auf die Geschichte des Berges Fuji erweitern, ist Yamaguchi Akira. Interessant ist, dass das Thema Tradition–Moderne nicht nur inhaltlich die Werke Yamaguchis prägt. Auch formal, also in der Wahl seiner malerischen Mittel, verwendet Yamaguchi die heute verbreiteten Techniken und Materialien der Malerei, genauso wie die traditionellen. Ausnahmsweise ist das, was in Yamaguchis Bildern mit dem Alten und dem Traditionellen assoziiert wird, tatsächlich alt. Malerisch-formal bezieht er sich auf die späte Heian-Zeit des 12. und frühen 13. Jahrhunderts. Dabei soll aber nicht unterschlagen werden, dass diese Malweise, genannt Yamato-e, wiederum nicht ohne ihre Vorläufer in der chinesischen Malerei denkbar wäre (vgl. Mason 2004: 112). Yamaguchis Referenzen auf den damaligen Yamato-e-Stil sind deutlich sichtbar: Auch er zeigt eine Aneinanderreihung vieler kleinerer Szenen aus der Vogelperspektive. Die Gebäude sind oft unbedacht und legen so den Blick auf das Innere frei. Wie als szenische Raumteiler fungieren immer wieder flächige Wolkenschwaden in gelblicher Farbe, die sich vor allem über das Geschehen legen, sich seltener auch darin verirren. Inhaltlich mischt Yamaguchi dabei Szenen, die aus den alten Bildern entnommen sein könnten, mit den Elementen der Moderne. In seinem Bildband The Big Picture findet sich eine Vielzahl dieser Art von Bildern, in denen oft auch der Fuji am Horizont abgebildet ist. In einem der Bilder, in dem ein japanisches Badehaus dargestellt ist, sieht man sogar ein Fuji-Gemälde an der hinteren Wand. Alle diese Darstellungen haben gemein, dass der Fuji dieselbe Rolle einnimmt wie eh und je: Schweigsam verweilt er im Hintergrund und beteiligt sich nicht weiter am Geschehen. Gleichzeitig wird er in seiner Wirkung als Monument gestärkt, wodurch der Subdiskurs Tradition–Moderne gefestigt wird. Dass in den Szenen vom Fuji abgesehen nicht alles so läuft, wie es der alte Stil der Bilder zunächst erwarten lässt, sieht man aber erst auf den zweiten Blick. In den meisten Szenen stellt Yamaguchi zwar traditionell anmutende Gebäude, Personen und Gegenstände dar. Aber Yamaguchi mischt auch U-Bahn-Zugänge, angeleinte Hunde und Menschen in westlicher Kleidung bei. Die alten

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Samurai und mehrspurige Straßen finden auf kuriose Weise zu einer stimmigen Komposition zusammen. Selbst ein Atomkraftwerk findet sich. Es ist die klassische TraditionModerne-Imagination schlechthin. Yamaguchi ist nicht nur in Japan ein bekannter und renommierter Künstler; auch international ist er anerkannt. Vertreten wird er durch die einflussreiche Mizuma Gallery, die 1994 in Tokio gegründet wurde. Zunächst war Mizuma regional auf Japan ausgerichtet, vertritt seit 2000 aber auch mehr und mehr Künstler*innen aus anderen ostasiatischen und südostasiatischen Ländern. Heute hat die Galerie ihren Hauptsitz in Singapur (vgl. Mizuma Gallery: Online-Artikel auf der Website der Galerie, o. D.). Viele japanische Künstler*innen verdanken Mizuma ihre Bekanntheit. Durch seine Zugehörigkeit zu Mizuma hat Yamaguchi, neben vielen anderen Größen der japanischen Kunstszene, die Möglichkeit, in den renommiertesten Häusern auszustellen; vor allem in Japan. Yamaguchi war auch in der Ausstellung BYE BYE KITTY !!! Between Heaven and Hell in Contemporary Japanese Art 2011 in New York vertreten. Diese Ausstellung hat weltweites Interesse auf sich gezogen, da sie eine Art Paradigmenwandel in der zeitgenössischen japanischen Kunst ausruft. Der Titel sagt es bereits: Es soll Schluss sein mit niedlich und süß (kawaii). Das heißt, dass die Ausstellung einerseits auf Künstler*innen setzte, die entsprechend ihren Fokus nicht auf die Populärkultur legten, wie es vor allem Murakami Takashi mit seiner Kaikai-Kiki-Gefolgschaft propagierte (vgl. Kapitel 4.1). Darüber hinaus sollte die Ausstellung auch wegweisend sein: Der Titel ist nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ zu verstehen. Zuerst aufgeführt wurde die Ausstellung von März bis Juni 2011 in New York in den Galerieräumen der Japan Society. Diese Nicht-Regierungsorganisation setzt sich die japanisch-amerikanische Freundschaft zum Ziel und bietet zu d ­ iesem Zweck ein weitreichendes Sprach-, Kultur- und Wirtschaftsprogramm an. Die Vorsitzenden und Verantwortlichen sind einflussreiche Persönlichkeiten aus den entsprechenden Bereichen. Die Reichweite der Japan Society ist insbesondere in den USA hoch. Dementsprechend wertvoll ist die Möglichkeit, als Künstler*in Teil dieser Ausstellung zu sein. Nicht zu unterschätzen ist dabei der Zeitraum, in dem die Ausstellung stattgefunden hat: Sie begann genau eine Woche nach der verheerenden Dreifachkatastrophe am 11. März 2011. Wie schon in Kapitel 4.1 beschrieben, wehte seit der Katastrophe ein anderer Wind in der japanischen Kunstszene. Das Niedliche und Comichafte waren nicht mehr so gefragt, sondern stattdessen Kunst mit ernsteren Sujets, etwa Natur und Umwelt. Genau in diese Strömung passte die Ausstellung. Es wirkt wie ein kurioser Zufall, dass die drei Hauptthemen der Show Critical Memory, Threatened Nature und The Unquiet Dream hießen. Auf diese Weise hat die Ausstellung zu genau dieser Zeit perfekt in die Erwartungen an die zeitgenössische japanische Kunst gepasst und die beteiligten Künstler*innen wurden entsprechend aufgewertet. Auch Yamaguchi hat enorm von der Beteiligung an der Ausstellung profitiert. Mit seiner Kunst erreicht Yamaguchi also eine große Zielgruppe in Japan und auch international. Zwar handelt es sich dabei hauptsächlich um klassische Museumsgänger*innen. Hier ist sein Einfluss durch die Institutionen, die ihn punktuell oder dauerhaft bestärkt

Von Damals über Früher bis Jetzt (Subsubdiskurs 1.7) | 153

haben, aber verhältnismäßig groß. Sein Bild des Fuji ist damit deutlich im visuellen Diskurs vertreten mit der Konsequenz, dass der Blick auf die Historizität des heiligen Berges im Diskurs vorhanden bleibt. Der Fuji hat hier eine monumentale Bedeutung. Yamaguchis Verweise auf das moderne Japan sind dabei als witzige Anspielungen zu sehen, die nur wenig kritisches Potenzial aufweisen. So trägt Yamaguchi vor allem s­ olche Aussagen zum Diskurs bei, die ihn im Kern stärken. Noch viel einflussreicher als Yamaguchi ist die indonesische Fotografin und Regisseurin Fiona Tan. Im Jahr 2016 hat sie mit ihrem Film Ascent über den Berg Fuji ein Publikum weltweit erreicht und großes Aufsehen erregt. Über alle Kontinente hinweg ist sie mit ihren Arbeiten bekannt, in denen sie sich mit dem Einfluss von Bildern auf Erinnerung, Zeit und Geschichte beschäftigt (vgl. Francke 2019: 7). Ihre Werke hat sie in der ganzen Welt ausgestellt, darunter auf der Biennale und auf der Documenta. Ihr Film über den Fuji besteht aus mehreren tausend Fotografien aus privater Hand und aus dem Izu Photo Museum. Während Tan die Bilder zeigt, wird eine Geschichte erzählt, die auf der Homepage der Künstlerin zusammengefasst wird: The beautiful and mysterious Mount Fuji is the site for an adventure of the imagination for a western female writer and her soulful male Japanese correspondent. We go on a metaphorical journey with them up the mountain, crossing geographical, temporal and cultural divides. Employing a collection of dazzlingly varied still images spanning the history of photography, the mountain becomes a breathtaking cultural monolith, inspiring the writer to uncover different paths and to muse on the significance of its dominant presence in Japanese history, religion and philosophy. By combining fiction and documentary, the film is able to explore the intersections between Japanese and western art and popular culture, from Van Gogh’s passion to the perspectival simplicity of Japanese designs to Hokusai’s woodblock print of “The Wave”. Evoking both the insight and lyricism of Chris Marker’s Sans Soleil and emotional complexity of Alain Resnais’ Hiroshima Mon Amour, Fiona Tan’s wonderful film captures the paradox of existing in time and space without movement. Profound stillness. (Tan 2016: Zusammenfassung des Films auf der Website der Künstlerin)

Das recht lange Zitat über die Beschreibung des Projekts auf der Homepage Tans ist an dieser Stelle aus mehreren Gründen aufschlussreich. Zunächst ist es ein wesentlicher Teil des Diskurses, denn überall dort, wo der Film beworben wird, wird eine Beschreibung des Inhalts mitgeliefert. Das unterscheidet das Medium Film in der Diskursanalyse grundsätzlich von Bildern: Während die Rezipierenden Bildern in erster Instanz zunächst allein und ohne Handreichung ausgesetzt sind, führt bei einem Film üblicherweise die Beschreibung (ob nun auf einer Internetseite, in der Programmvorschau des Kinos oder durch einen guten Freund) überhaupt erst dazu, dass der Film angesehen wird. Die Beschreibungen, die sich online und in Programmheften zu ­diesem Film finden lassen, sind dabei sehr ähnlich und stellen vergleichbare Elemente in den Vordergrund. Das führt zum zweiten Grund, die Beschreibung hier aufzuführen: Sie ist gespickt mit aufgeladenen Begriffen und Phrasen, ­welche auf die Ost-West-Dichotomie abzielen. Die Historizität des Berges

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Abb. 53 Raoul Ries, Asamamachi, Arakura. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt.

Von Damals über Früher bis Jetzt (Subsubdiskurs 1.7) | 155

156 | Subdiskurs I: Fuji – Tradition – Moderne

ist also nur ein Thema ­dieses Films. Auf der anderen Seite wird auch verhandelt, wie der Fuji damals und heute an der Annäherung ­zwischen Japan und dem Westen beteiligt war und ist. Und wieder taucht Hokusai als Referenz auf. Kritisch hinterfragt wird die Rolle des Fuji in der Geschichte bis heute in dem Film kaum. Er wird als ewiges, gottgleiches Ikon inszeniert, das über die Geschichte, über Raum und Zeit erhaben ist und auf diese Weise, historisch gewachsen, zum Monument evolviert ist. Durch ihren weitreichenden internationalen Einfluss trägt Tan vehement dazu bei, dass der lange andauernde Fuji-Diskurs stabil bleibt; seine monumentale Bedeutung wird gestärkt. Die Weiterführung des etablierten Diskurses belegt sie förmlich mit der lange zurückreichenden, vor allem visuellen Kulturgeschichte des Fuji. Dadurch wird die Verortung ihrer Aussagen im Kern des Diskurses noch weiter unterstützt. Davon abweichende Aussagen trägt sie nicht zum Diskurs bei. Der japanische Künstler Masuyama Hiroyuki weist ein ähnliches Projekt wie Fiona Tan vor. Auch er trägt damit wesentlich zur Stärkung des Kerns des Diskurses bei. Masuyama zeigt den Fuji ebenfalls in einer Zusammenschau aus historischen Bildern. Es gibt nur einen Unterschied: Er deckt auch den Zeitraum vor der Fotografie ab, wofür er Zeichnungen, Gemälde und Holzdrucke verwendet. In seinem Video Mount Fuji, 1400 – 2013 zeigt er die chronologische Entwicklung des Fuji im Bild. Dabei wählt er die Darstellungen so aus, dass sich der Fuji jeweils überlagert. Auf diese Weise entsteht, fast wie in einem Daumenkino, ein sich nur leicht bewegender und sich verändernder Fuji, während sich die Szenerie im Vordergrund stetig im Zuge der fortschreitenden Technologisierung verändert. Zuerst sehen wir unterhalb des Fuji die Überlagerungen flächiger gelblicher Wolken des Yamato-e. Gleichzeitig unterliegt der Fuji gerade zu Anfang des Videos großen Veränderungen, hat sich seine Darstellungsweise doch, wie in Kapitel 2 beschrieben, in den ersten Jahrhunderten der Fuji-Bilder sehr stark verändert. Letztlich findet er in ­diesem Video zu seiner natürlichen, flach abfallenden Form; auch Masuyama nimmt dabei den Umweg über Hokusais Ansichten, Blatt 2 und 3 (Abb. 6 und Abb. 7) aus seiner berühmten Serie. Im weiteren Verlauf wird auch die handkolorierte Fotografie zitiert und Kriegsszenarien tauchen ebenfalls auf. Schließlich: ein Auto, ein Motorrad, ein Shinkansen (japanischer Hochgeschwindigkeitszug). Das letzte Bild des Videos zeigt den Fuji mit einer Stadtlandschaft im Vordergrund; fast so, wie auch Ries ihn im letzten Bild seiner Serie (Abb. 53; nachfolgend beschrieben) zeigt. Beide tragen somit die Aussage zum Diskurs bei, dass der Fuji heute nicht mehr hauptsächlich ein Naturmonument ist, sondern vielmehr menschlich, sogar städtisch geprägt. So unterstreichen sie unterschwellig den Status des Fuji als Weltkulturerbe und als Monument, das sich vor allem auf seine Kulturgeschichte (vgl. Kapitel 2) beruft. Masuyama zeigt seine Werke in den großen Museen in Deutschland und Europa. Ihn zeichnet aus, dass er seine Videos, in denen er sich mit dem Verhältnis von Reise, Raum und Zeit auseinandersetzt, auch online ausstellt. Auch hatte er einen Auftritt im ZDF. Hierdurch hat er also eine gewisse Reichweite, wenn er auf diese Weise auch eher die klassische Zielgruppe an Kunstinteressierten erreicht. Das Fuji-Video hingegen wurde noch nicht ausgestellt; er zeigte es mir persönlich bei einem Besuch in seinem Atelier. Bald soll

Der gegenwärtige visuelle Fuji-Diskurs: Was heute sagbar und zeigbar ist  | 157

es in einer entsprechenden Ausstellung veröffentlicht werden. Auf diese Weise trägt auch Masuyama Aussagen zum Diskurs bei, nach denen der Fuji im Kontext seiner Historizität als Monument erhalten bleibt. Den Subdiskurs Tradition–Moderne inhaltlich abschließend muss ein letztes Werk von Raoul Ries besprochen werden; passenderweise auch das letzte in seinem Bildband bzw. in seiner Reihe: Asamamachi, Arakura (Abb. 53). Hier hat der Fuji, im Gegensatz zu den anderen vorgestellten Werken des Fotografen, eine enorme Präsenz. Im Bild nimmt er die ganze obere Hälfte ein, hier, ohne auch nur von einer einzelnen Wolke verdeckt zu werden. Der Bildaufbau ähnelt, soweit es möglich ist, den Blättern 2 und 3 (Abb. 6 und Abb. 7) der Reihe Hokusais: Der Fuji baut sich vom linken Rand her sukzessive auf und findet mit seiner schneebedeckten Spitze sein Ende kurz vor dem oberen Rand des Bildes im rechten Bilddrittel. Warum nur „soweit es möglich ist“? Weil es sich bei Ries’ Bildern um Fotografien handelt und bei Hokusais nicht: Hokusai stellt den Fuji in den Blättern 2 und 3 nicht ganz naturalistisch dar, sondern mit einer stärkeren Steigung. Daher muss Ries im Bildaufbau davon abweichen. Die Abweichung in der Steigung ist nicht der einzige Unterschied, der sich in diesen knapp 200 Jahren z­ wischen den Darstellungen ergeben hat und auch nicht der wichtigste. Viel bedeutender ist, dass Ries hier am Fuß des Fuji eine Stadtlandschaft zeigt. Die untere Bildhälfte ist über und über, nahezu lückenlos, bedeckt von kleinen bis mittelgroßen Häusern. Sie weisen eine große Homogenität auf. Im Kontrast zu diesen kleinen Häuschen wirkt der Fuji monumental. Während er in den meisten anderen Bildern dieser Reihe in den Hintergrund gedrängt und auf verschiedene Arten und Weisen verdeckt, mitunter sogar unsichtbar gemacht wird, erstrahlt er hier in voller Größe wie eh und je. Womöglich gerade deswegen stellt sich auch angesichts ­dieses Bildes kein Gefühl des Konflikts ­zwischen Tradition und Moderne ein. Vielmehr erweckt das Bild, trotz dieser Fülle an Häusern, einen ausgesprochen ruhigen und geordneten Eindruck. Immerhin wacht der Fuji weiterhin über das Land, wie er es schon immer getan hat. Ries schließt seine Reihe also mit der Aussage, dass in Japan Tradition und Moderne harmonisch versöhnt sind und das Monument Fuji weiterhin seinen Platz in der japanischen Gesellschaft haben wird.

5.8 Der gegenwärtige visuelle Fuji-Diskurs: Was heute sagbar und zeigbar ist Der Subdiskurs Tradition–Moderne trägt zum übergreifenden visuellen Fuji-Diskurs zweierlei sehr unterschiedliche, fast schon gegensätzliche Aussagen bei. Einerseits sind es ­solche, die den seit Jahrhunderten bestehenden Diskurs stabilisieren und fortführen. Die daran beteiligten Akteur*innen sind in vielen Fällen nicht-japanische Künstler*innen. Diese Häufung ist nicht zufällig, sondern Ausdruck einer wesentlichen Neuerung dessen, was in der zeitgenössischen Kunst heute über den Fuji sagbar ist. Immerhin stammen die früheren, vom Kerndiskurs abweichenden Werke aus den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gerade von westlichen bzw. westlich geprägten Künstler*innen. Was

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außerhalb Japans und was innerhalb Japans über den Fuji sagbar war, unterschied sich sehr. Heute aber scheint sich das Bild leicht verkehrt zu haben: Viele der nicht-japanischen Beiträge zum visuellen Fuji-Diskurs stabilisieren den fest verwurzelten Diskurs um den Berg Fuji als Ikon und Monument Japans. Daran sind jedenfalls Tan, Masuyama (der seit vielen Jahren in Deutschland lebt) und die Beitragenden zum Projekt Magnitude 9 beteiligt. Die entsprechenden Werke kritisieren den heiligen Berg und ferner die japanische Gesellschaft, wenn überhaupt, nur sehr vorsichtig und subtil. Die andere Art der Aussagen, die hier beigesteuert wird, ist von subtil-fragender bis hin zu deutlich kritischer Natur. Subtile Kritik findet sich vor allem bei Ries, während Steele-Perkins und Také das ehrwürdige Symbol offensiver angreifen und mit ihren Aussagen verdeutlichen, dass das Archiv um den Berg Fuji gewachsen ist und den Akteur*innen heute mehr Möglichkeiten bietet. Am meisten greift innerhalb des Subdiskurses Tradition–Moderne aber die japanische Künstlerin Tabaimo das bestehende Bild des Fuji an und trägt mit ihrer umfassenden Gesellschaftskritik, die sich in ihrem Video vor den Augen des Fuji abspielt, wesentlich zur steigenden Diskontinuität im Diskurs bei. Die Japanerin hinterfragt das japanische Ikon und kritisiert die japanische Gesellschaft aus ihrer eigenen Mitte heraus. Dies hat sicherlich eine ungleich stärkere Wirkung, als wenn die Kritik nur von außen kommt. Eine unterschwellige Gesellschaftskritik wird dabei auch von vielen anderen hier vertretenen Künstler*innen ausgeübt; sei es bezogen auf den Umgang mit Atomenergie (Magnitude 9), den Umgang mit Tourismus (Steele-Perkins) oder das große, offene Thema der alternden Gesellschaft (Ries). Die Aussagen des Subdiskurses Tradition–Moderne eint, dass sie auf Basis der Repräsentationen des Fuji mitsamt seinen multiplen Bedeutungskontexten aus den letzten Jahrhunderten die neuen Entwicklungen der japanischen Gesellschaft kritisieren. Nicht nur wird die Frage danach gestellt, w ­ elche Bedeutung der Fuji als Ikon Japans heute noch hat, sondern auch: Wie ist es um die japanische Gesellschaft bestellt und ­welche Zukunft liegt vor ihr? Die Künstler*innen, die zu ­diesem Subdiskurs Kernaussagen beitragen, gehen dabei vorsichtig vor. Während sie ihre Kritik äußern, flechten sie gleichzeitig stabilisierende Elemente in den Subdiskurs mit ein. Die Kritik an den bestehenden Verhältnissen und parallel die Festigung dieser befinden sich in einem fragilen Gleichgewicht, wodurch eine besondere Spannung entsteht: Die Werke zeugen von einem zwar vorsichtigen, jedoch deutlich ungewissen Blick auf die Zukunft der japanischen Gesellschaft. Getragen wird der Subdiskurs dabei vom Wechselspiel der Elemente, w ­ elche der Tradition zugeschrieben werden und jenen, die mit der Moderne assoziiert sind. Nicht zuletzt dadurch erlangen die Arbeiten eine beträchtliche Sichtbarkeit im Diskurs; der scheinbare Konflikt ­zwischen Tradition und Moderne bezogen auf Japan ist noch immer eine Art Bestseller (vgl. Kapitel 5.0). Darüber hinaus eint die Künstler*innen, die Kernaussagen zu d ­ iesem Subdiskurs beitragen, dass sie einflussreiche Machtpositionen im Feld der zeitgenössischen Kunst vertreten. Als bereits etablierte Größen der Kunstszene gelangen ihre Werke sehr schnell in die Öffentlichkeit und werden medial auf unterschiedlichen Kanälen verbreitet.

Der gegenwärtige visuelle Fuji-Diskurs: Was heute sagbar und zeigbar ist  | 159

All dies zusammengenommen lässt sich festhalten, dass der Subdiskurs Tradition– Moderne für den Gesamtdiskurs zentral ist. Er macht jedoch nur die eine Hälfte des übergreifenden visuellen Diskurses um den Berg Fuji aus. In der zweiten Hälfte lassen sich erstaunliche Aussagen finden, die den heiligen Berg bis aufs Äußerste provozieren und damit aufzeigen, wie ungemein das Feld des Sagbaren und des Zeigbaren bereits erweitert worden ist. Und, soviel sei vorweggenommen: Hier stammen die meisten Aussagen tatsächlich von japanischen Künstler*innen.

6 Subdiskurs II: Provokationen

Der große Subdiskurs Tradition–Moderne durchzieht den visuellen Diskurs um den Berg Fuji in der heutigen Zeit bis in seine Randbereiche. Kaum ein Werk lässt sich finden, das diese Thematik ausschließt. Das mag daran liegen, dass die Aufrechterhaltung der scheinbaren Dichotomie z­ wischen Tradition und Moderne für verschiedene Akteur*innen in allen Sphären der japanischen und nicht-japanischen Gesellschaft ziemlich lukra­ tiv sein kann (vgl. Kapitel 5.0). Auf unterschiedliche Arten und Weisen profitieren sie von der Erhaltung und Wiederbestärkung. Das ist auch in der zeitgenössischen Kunst der Fall: So hervorragend wie sich das Thema medial vermarkten lässt, so beliebt ist es auch bei Japanliebhaber*innen mit Kunstinteresse. Gleichzeitig finden sich auch auf der inhaltlichen Ebene viele Gründe für die große Popularität des Themas: Dem Ikon Fuji wohnt eine lange (visuelle) Kulturgeschichte inne und damit auch die immer wieder neu aufgelegte Verhandlung dessen, was Tradition und was Moderne ist. Daraus folgt, dass sich der zweite große Subdiskurs Provokationen nicht ohne den ersten denken lässt. Nicht nur überschneiden sich die beiden Subdiskurse an vielen Stellen, da sie gemeinsam den übergreifenden Diskurs bilden. Darüber hinaus bedingen sich beide Subdiskurse gegenseitig und sind untrennbar aneinandergebunden. Der Subdiskurs Provokationen funktioniert nicht ohne den ersten: Der Subdiskurs Tradition–Moderne fungiert für ihn als Grundlage und Austragungsort der Angriffe. Gleichzeitig wird der erste Subdiskurs durch den hier besprochenen immer wieder bestärkt, schließlich erhöhen die vielen Referenzen auf ihn seine Sichtbarkeit. Beide agieren wie Antagonisten im selben Spiel. Dabei wird im in d ­ iesem Kapitel besprochenen Subdiskurs sehr viel offensiver Kritik ausgedrückt, als es im Subdiskurs Tradition–Moderne der Fall ist. Bei Ries, Steele-Perkins u. a. sind diese Anstöße oft subtil und an vielen Stellen spielerisch. Es werden vorsichtig Fragen gestellt. In dem hier behandelten Subdiskurs Provokationen ist das anders: Mittels Fuji wird massive Kritik an den verschiedenen Phänomenen der heutigen japanischen Gesellschaft geäußert. Diese Aussagen lassen sich als Angriffe verstehen. Gleichzeitig wird die Position des Fuji als heiliger Berg und Ikon Japans, erhaben über alles Gegenwärtige, vehement infrage gestellt. Dennoch: Das bedeutet nicht, dass alle hier aufgeführten Werke aggressiv wären. Aber auch diese gibt es; die Varianz der Darstellungsformen ist insgesamt enorm groß. Dementsprechend müssen zuerst die Fragen beantwortet werden, was Provokation und Tabu im kulturwissenschaftlichen Feld Japan bedeuten und wie ­solche Provokationen grundsätzlich funktionieren. Kunstwerke haben eine ungeheure Macht (vgl. Teuwsen 2018: 138). Das beinhaltet die Macht, Menschen zu verletzen, sie zu kränken und zu provozieren (vgl. Mitchell 2008: 371). Wodurch aber erlangt ein Kunstwerk diese Eigenschaften und wird somit

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zu einem „anstößigen“ (Mitchell 2008: 378) Werk? Mitchell fasst die drei wesentlichen Eigenschaften zusammen, die anstößige Bilder 1 ausmachen: 1. Anstößige Bilder sind extrem instabile Wesen, deren Fähigkeit, Schaden anzurichten, von komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen abhängt. […] Die Anstößigkeit eines Bildes ist nicht in Stein gehauen, sondern ergibt sich aus der gesellschaftlichen Interaktion ­zwischen einem spezifischen Objekt und Gemeinschaften, die selbst unterschiedliche oder gegensätzliche Haltungen zu ­diesem Objekt einnehmen können. 2. Anstößige Bilder erregen nicht alle auf die ­gleiche Weise Anstoß. […] Einige verletzen moralische Tabus und sittliche Maßstäbe, andere sind ein politischer Affront, beleidigen die Ehre der Nation oder erinnern ungebeten an eine schmachvolle Vergangenheit. […] 3. Wenn ein Bild sehr viele Leute vor den Kopf stößt, wird sich früher oder ­später jemand an das Gesetz wenden und damit an Richter, Gesetzgeber und die Polizei. […] (Mitchell 2008: 377 – 379)

Das bedeutet: Ein Werk, von dem sich eine Person provoziert fühlt, kann von einer anderen Person individuell als banal empfunden werden. Für den Kontext dieser Arbeit sind Mitchells Ausführungen jedoch dahingehend noch bemerkenswerter, dass er die Bedeutung des gesellschaftlichen Kontexts betont. Das schließt die Möglichkeit ein, dass ein Werk in der japanischen Rezeption unauffällig beurteilt wird und gleichzeitig international einen Tabubruch darstellt. Oder andersherum: Was für die japanische Kunst­ rezeption als Provokation aufgefasst wird, kann international mitunter als völlig konform wahrgenommen werden. Ein hervorragendes Beispiel ist die kontroverse Debatte zum Thema fiktionale pädosexuelle Darstellungen, die im Verlauf des Kapitels wieder aufgenommen wird: Nicht nur gesellschaftlich tabuisiert, sondern gesetzlich verboten sind s­ olche Darstellungen in den meisten Ländern der Welt; in Japan nicht (vgl. McLelland 2015: 18 – 19).2 Ein weiteres anschauliches Beispiel kommt zwar nicht aus dem Bereich der bildenden Kunst, wird aber auch im Verlauf des Kapitels wieder aufgegriffen: Tattoos. Während Tätowierungen in Europa und den USA seit den 1990er Jahren zum Mode-Trend gehören, werden tätowierte Menschen in Japan mitunter noch immer diskriminiert (vgl. Rödel 2004: 88). Künstler*innen, die durch ihre Werke bewusst Provokationen verursachen, zielen darauf ab, dass ihre Kunst gesehen wird (vgl. Teuwsen 2018: 136). Provokante Kunst kann folglich als Form des Protests gewertet werden (vgl. ebd.), mit dem Resultat der Prüfung des eigenen Gewissens auf Seiten der Betrachtenden (vgl. Favrod 1990: ohne Seitenangabe). Die entsprechenden Werke haben damit die Möglichkeit, einen Diskurs um normative Fragen zu erweitern. 1

Mitchell spricht explizit von „Bildern“; hier werden seine Ausführungen auf Kunstwerke allgemein übertragen. 2 Dabei ist zu beachten, dass es hierzu auch in Japan eine intensive Debatte gibt, der Fall also offen ist (vgl. McLelland 2017: 1 – 3).

Subdiskurs II: Provokationen | 163

In der Analyse der Fuji-Darstellungen zeigte sich von Anfang an deutlich, dass sich jene Werke, ­welche nicht dem Subdiskurs Tradition–Moderne zugeordnet werden können, in ihrer provokativen Funktion entsprechen. Dabei fiel auf, dass sich die Darstellungen überaus unterschiedlicher Formen der Provokation bedienen, ­welche sich wiederum durch die Verwendung bestimmter Sujets unter gemeinsamen Oberbegriffen subsumieren l­assen. Bei genauer Betrachtung dieser Subsubdiskurse wird deutlich: Die Themenbereiche des Subdiskurses Provokationen beziehen sich auf genau die Diskussionen, ­welche heute in der japanischen Gesellschaft kontrovers geführt werden. Dabei sind die Subsubdiskurse miteinander verbunden und einzelne Werke lassen sich selten isoliert nur einem davon zuordnen; das ist auch nicht der Anspruch dieser Diskursanalyse mit Visuellen Daten. Stattdessen soll herausgestellt werden, wie sie zusammenhängen und wiederum im übergreifenden visuellen Diskurs des Fuji positioniert sind. Auf diese Weise entsteht ein umfassendes Bild des Gesamtdiskurses. Die ­Themen der Subsubdiskurse zeigen auch, dass die Vermarktung provokanter Kunst belohnt wird. Hier werden Werke von Künstler*innen sichtbar, die nicht, wie beispielsweise Raoul Ries oder Chris Steele-Perkins, zu den Größen der Kunstszene gehören. Dabei ist es kein Zufall, dass die am weitesten verbreiteten und die sichtbarsten Werke d ­ ieses Subdiskurses von japanischen Künstler*innen stammen. Der Paradigmenwechsel in der japanischen Kunst nach der Dreifachkatastrophe 2011 (vgl. Kapitel 4.1) hat die Grundlage dafür geschaffen, dass japanische Künstler*innen noch viel mehr als zuvor mit ihren Werken direkte Kritik äußern und so erheblich provozieren. Meine zentrale These in ­diesem Kapitel lautet, dass sich eine Vielzahl der aktuellen ­Themen, ­welche in den letzten Jahren kontrovers auf allen Ebenen der japanischen Gesellschaft diskutiert werden, in ­diesem Subdiskurs abbildet und dass der Anteil ­dieses Subdiskurses in den letzten Jahren gemessen am Gesamtdiskurs überproportional gewachsen ist. Der Subdiskurs veranschaulicht, was heute in der japanischen Gesellschaft – in erster Instanz über den Fuji und in zweiter Instanz über die japanische Gesellschaft generell – sagbar geworden ist. Dabei zeigen die Themenbereiche sehr anschaulich, dass es trotzdem nicht möglich ist, beliebig zu provozieren; entheben sich die Werke der Grundlage gesellschaftlicher Realität, so werden sie gegenstandslos. Vielmehr beziehen sich die einzelnen Aussagen der Subsubdiskurse zurück auf den tradierten und weitestgehend beständigen Fuji-Diskurs, wie er im Subdiskurs Tradition–Moderne verhandelt wird. Erst diese Basis verleiht den dargestellten Provokationen eine gewisse Glaubwürdigkeit; sie provozieren Fragen, die schon im Subdiskurs Tradition–Moderne subtil, wenn auch noch vorsichtig, gestellt werden. Durch die Analyse der einzelnen Themenbereiche wird sich das Bild der kontrovers verhandelten aktuellen ­Themen in der heutigen japanischen Gesellschaft vervollständigen.

164 | Subdiskurs II: Provokationen

6.1 Winzig und zwergenhaft: Der Fuji als schutzloses Objekt (Subsubdiskurs 2.1) Darstellungen des Fuji als mächtiger, erhabener Berg prägten den Diskurs und prägen ihn bis heute. Gerade mit dem scheinbar nicht anfechtbaren Attribut der Größe spielen die Künstler*innen jedoch neuerdings. Dabei kommt es zu Darstellungen, die den Fuji nahezu winzig aussehen lassen: In seiner zwergenhaften Abbildung kann er hier leicht übersehen werden. Erstmals hat er nicht die beschützende Funktion, mit der er besonders in der Zeit der Mobilisierung aufgeladen wurde (vgl. Kapitel 2.5). Stattdessen ist er selbst der, der beschützt werden muss; z. B. vor der Zerstörung durch die Hand oder den Fuß des Menschen. Solche Aussagen über den heiligen Berg erweitern den visuellen Diskurs über seine Randbereiche hinaus. Ein außergewöhnliches Beispiel für diese Sichtweise auf den Fuji ist die fotografische Reihe Chairs to look at Mt. Fuji von Yamaguchi Akira (Abb. 54). Der Künstler wurde bereits im vorigen Kapitel vorgestellt (vgl. Kapitel 5.7): Üblicherweise malt er weitläufige Landschaften im Yamato-e-Stil. Hier sehen wir aber zwei Bilder, von denen eines die Nahperspektive des im anderen abgebildeten Ausschnitts ist. Die Fotografie mit dem größeren Ausschnitt zeigt im Hintergrund drei Ledersessel vor einem in den Raum hineinragenden weißen Brett. Die zwei mittig im Bild zu sehenden Elemente scheinen so bedeutungslos zu sein, dass sie fast wie zufällig vorhanden wirken. Das zweite Bild, das diese beiden Elemente in Nahaufnahme zeigt, betont aber, dass sie eine Kernaufgabe im Werk erfüllen. Es handelt sich hierbei um silberne, flache Erhebungen am Boden; die eine sehr niedrig und flach an den Rändern abfallend, die andere deutlich herausstehend. Die Nahaufnahme zeigt: Die Spiegelung eines Ledersessels in ­diesem winzigen Objekt sieht aus wie eine stilisierte Darstellung des Berges Fuji und das sogar mit schneebedeckter Spitze. Schließlich spiegelt sich das Licht in den schwarzen Ledersesseln weiß. Dieser gespiegelte Sessel scheint sich außerhalb des Bildes links im Raum zu befinden. Die drei abgebildeten Sessel scheinen dabei jene zu sein, von denen aus man diese Spiegelung und damit den Fuji erkennen kann: Chairs to look at Mt. Fuji. Nicht nur ist der Fuji, als Reflexion des Sessels, hier äußerst fragil dargestellt: Ein Verschieben des Sessels, ein Gegenstand oder eine Person im Weg würde die Spiegelung und so den Fuji zerstören. Zudem befindet er sich mitten im Raum und ist sicherlich Tritten ausgesetzt. Hier wird er zu einem schutzlosen, hilfsbedürftigen Objekt, dessen Existenz jederzeit gefährdet ist. Dabei hätte man ohne den Bildtitel nicht vermutet, dass hier der Fuji dargestellt werden soll; durch den Titel wird die Interpretation jedoch einfach. Es gibt noch einen weiteren Hinweis darauf, dass hier der Fuji abgebildet sein könnte. Dieser wird ersichtlich, wenn man in Betracht zieht, wo diese Rauminstallation ausgestellt wurde: in der Ausstellung Tokaido Landscapes – the Path from Hiroshige to Contemporary Artists im Vangi Sculpture Garden Museum in Shizuoka, 2011. Hierzu gibt es auch einen Katalog, welcher Abbildungen der ausgestellten Werke der sehr bekannten beteiligten zeitgenössischen Künstler*innen enthält. Darüber hinaus zeigt der Band Bilder H ­ iroshiges und zudem eine Übersicht von der Edo-Zeit bis heute über die Darstellung der berühmten

Winzig und zwergenhaft: Der Fuji als schutzloses Objekt (Subsubdiskurs 2.1) | 165

Abb. 54 Yamaguchi Akira, Chairs to look at Mt. Fuji. Installationsansicht der Ausstellung New Tōkaidō Landscapes: Yamaguchi Akira and Takezaki Kazuyuki im Vangi Sculpture Garden Museum, Shizuoka, Japan, 2011.

Handelsstraße Tōkaidō. Auch beinhaltet der Katalog einen Essay eines der einflussreichsten japanischen Kunstkritiker: Sawaragi Noi. Durch seinen Beitrag erhöht er den Künstler zu einem Nachfahren Hiroshiges: Der Essay trägt den Titel Hiroshige’s Descendants, ­Yamaguchi Akira and Takezaki Kazuyuki. Somit hat das Werk eine einflussreiche Position im Diskurs. Nicht nur stammt es von einem der bedeutendsten zeitgenössischen japanischen Künstler, der zudem noch von der Mizuma Gallery vertreten wird und für die Ausstellung BYE BYE KITTY!!! Between Heaven and Hell in Contemporary Japanese Art berücksichtigt wurde (vgl. Kapitel 5.7). Die Subsumierung unter dem Thema Tōkaidō, die damit verbundene Referenz auf Hiroshige und die Unterstützung durch die Ausführungen Sawaragis führen dazu, dass das Werk eine relativ große Wirkmacht hat. Diese wird noch erhöht durch die von den meisten Teilen des Diskurses abweichende Aussage, dass der Fuji ein kleines schutzloses Objekt ist. Zu ­diesem Subsubdiskurs trägt auch der japanische Künstler Yamamoto Masao eine Aussage bei. Das Moment der Winzigkeit tritt hier auf eine andere erstaunliche Weise hervor. Die Fotografie ist Bestandteil des einzigen Bildbandes zum Thema Fuji, der bis hierhin noch nicht besprochen worden ist. Der Titel des Bandes lautet Fujisan; das ist der japanische Begriff für den Berg Fuji. Er stammt aus dem Jahr 2008. Es wäre auch passend gewesen, diesen Bildband im vorigen Kapitel zum Subdiskurs Tradition–Moderne und im Speziellen zum Themenbereich mit dem Fokus auf Historizität in Kapitel 5.7 zu analysieren. Denn der Bildband enthält zehn Fotografien des Fuji, von denen neun wie Dias oder ältere analoge Fotografien anmuten. Sie wirken wie Bilder des Fuji aus längst vergangenen Zeiten. Dazu tragen die starken Kontraste bei. Auch sind alle diese Bilder in den Farben gehalten, die an diese Medien erinnern: Manche Bilder kommen in kalten Farben wie Blautönen und einem stechenden Weiß daher, während andere eher in

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Abb. 55 Yamamoto Masao, o. T. 2008, Material und Größe unbekannt.

rötlichen und bräunlichen Farben abgetönt sind und damit an die Fotografien der 70er Jahre erinnern. Diese neun Bilder zeigen alle mehr oder weniger reguläre Landschaftsansichten mit dem Fuji. In einem Bild findet sich sogar, wie bei Hiroshige oder bei Steele-Perkins, eine Kirschblüte im Vordergrund. Drei Bilder wiederum scheinen eher durch experimentelle Varianten der Fotografie den Fuji nachzustellen, statt ihn tatsächlich abzubilden. Alle zusammen machen eine stimmige und in sich schlüssige Reihe aus. Interessant ist an dieser Stelle jedoch das zehnte Bild in dem Band, das auch den Abschluss der Reihe auf der letzten Seite ausmacht (Abb. 55). Anders als alle anderen Bilder findet es sich als Hochglanzfotografie ausgeschnitten und eingeklebt im Band wieder. Es zeigt, auf einer Tischkante aus dunkelbraunem Holz, einen winzigen Tetraeder. Er erstrahlt in intensivem Blau, nur ist die Spitze rundherum schneeweiß. Offenbar handelt es sich um eine winzige Nachbildung des Fuji. Es ist die einzige Fotografie in dem Band, die sich farblich im Heute verorten lässt und gleichzeitig die einzige Fotografie, die einen künstlerisch oder handwerklich geschaffenen Gegenstand abbildet. Also handelt es sich genau genommen um die Fotografie eines Objektes. Mit den anderen Fotografien gemeinsam hat das Bild wiederum, dass es einen Teil der Geschichte des Berges erzählt. Zwar sieht man das d ­ iesem Bild, im Gegensatz zu den anderen in den Farben der Vergangenheit,

Winzig und zwergenhaft: Der Fuji als schutzloses Objekt (Subsubdiskurs 2.1) | 167

Abb. 56 Yamaguchi Akira, Sights of Mishima – Milestone. Japanische Tinte, Wasserfarbe auf Papier, 2011, 38,2 × 28,7 cm.

kaum an. Dabei sehen wir hier offensichtlich eine Referenz auf die Fujizuka, die in der Edo-Zeit als Nachbildungen des Fuji allen Menschen Zugang zum heiligen Berg ermöglichen sollten (vgl. Kapitel 2.2). Die Fujizuka zu jener Zeit waren nur nicht so klein, dass man sie in der Hosentasche hätte verschwinden lassen können. Darin unterscheidet sich diese letzte Fotografie auch von den anderen Bildern in ­diesem Bildband: Es ist das einzige Mal, dass der Fuji nicht als landschaftliches Monument präsentiert wird. Er ist hier eine winzige Miniatur. Der Tetraeder scheint aus Papier gebastelt worden zu sein, worauf die sichtbaren Papierkanten hindeuten. Das verleiht ihm eine große Fragilität; durch nur einen Handschlag oder einen Fußtritt ließe sich dieser Miniatur-Fuji zerquetschen. Gleichzeitig könnte der kleine Berg durch nur einen k­ urzen Luftstoß von der Kante geweht werden; ebenso wie das Bild an sich, wäre es nicht im Buch befestigt. Dass der Bildband gerade mit der Interpretation endet, dass der Fuji zerbrechlich und schutzlos ist, ist vielsagend. So führt die lange Kulturgeschichte des Fuji schließlich zu dieser winzigen Reproduktion seiner selbst in der Gegenwart. Diese Darstellung hat nichts Erhabenes, Ewiges oder gar Göttliches mehr, sondern der Fuji bedarf des Schutzes. Wie Yamaguchi Akira wird auch Yamamoto Masao von der Mizuma Gallery in Japan vertreten. Darüber hinaus stellt er in einer Vielzahl von Galerien in den USA und in Europa

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aus. Selbst in Brasilien werden seine Werke gezeigt und vertrieben. Zwar leben auch in Brasilien viele Bürger*innen japanischer Abstammung. Trotzdem ist es eher unüblich, dass zeitgenössische japanische Künstler*innen dort Fuß fassen können. Wie auch Yamaguchi Akira stellt Yamamoto Masao international aus und gilt als einer der bekanntesten japanischen zeitgenössischen Künstler*innen. Diese Arbeit ist nicht seine einzige zum Berg Fuji; in vielen anderen Reihen kommt der Fuji auch vor. Dabei spielt er gerne, so wie im Bildband Fujisan, mit den konventionellen Wahrnehmungsweisen und Darstellungen des Fuji. So leistet er einen wesentlichen Beitrag zum visuellen Diskurs um den Berg Fuji, wodurch dieser ausgeweitet wird. Interessanterweise ergibt sich dort eine inhaltliche Schnittmenge mit Yamaguchi Akira: Auch er behandelt in einem seiner Werke die Fujizuka. Das Bild stammt ebenfalls aus dem oben besprochenen Band Tokaido Landscapes – the Path from Hiroshige to Contemporary Artists. Ganz eindeutig bezieht er sich in seinem Bild Sights of Mishima – Milestone (Abb. 56) auf die Fuji-Imitate. Mit Referenz auf Hiroshige zeigt Yamaguchi hier den Fuji im Hintergrund, während der Vordergrund durch einen kleinen grünen Hügel dominiert wird, welcher die Silhouette des Fuji im Hintergrund exakt spiegelt. Dieser Hügel hat mit schätzungsweise drei bis vier Metern Höhe gerade die Größe, bei der Fujizuka anfingen (vgl. Kapitel 2.2). Dass genau mittig darauf ein einzelner Baum platziert ist, ist sicherlich unüblich und hier als humoristische Anmerkung zu verstehen. Bei ­diesem Bild handelt es sich wohl eher um eine Karikatur des Fuji; das wird auch durch den weiteren Hügel bzw. Fujizuka mitsamt Baum im linken Mittelgrund deutlich. Wenn auch die Fujizuka zur Zeit Hiroshiges sehr verbreitet waren, so wurden sie doch nicht unmittelbar beieinander errichtet. Yamaguchi parodiert hier also das Phänomen der Fujizuka und verniedlicht die kleinen Hügel und ferner den Fuji, so wie es auch bei Yamamoto Masao der Fall ist. Folglich tragen beide wesentliche Aussagen zum Diskurs bei, die sich bisher nicht finden ließen. Dass der Fuji klein und winzig ist, war über Jahrhunderte hinweg nicht sagbar, denn damit einher geht die Herabsetzung der japanischen Nation, ist der Fuji doch eigentlich das ewige und unantastbare Symbol der nationalen Einheit. Beide Künstler bringen anschauliche Beispiele dafür, wie die Autorität des Fuji untergraben und angegriffen wird, ohne dass Aggressionen oder offensichtliche Tabubrüche manifest werden. Sie agieren sehr vorsichtig und bringen ihre Aussagen subversiv in den Diskurs mit ein. Dass diese Werke große Provokationen darstellen, wird erst nach sehr genauer Betrachtung offensichtlich. Dies ist in mehreren anderen Themenbereichen anders.

6.2 Nach dem Kampf: Der Fuji als Wunde einer ganzen Nation (Subsubdiskurs 2.2) Zwischen dem in Kapitel 6.1 beschriebenen Subsubdiskurs und ­diesem besteht eine große Schnittmenge: Auch hier wird der Fuji nicht stark und erhaben gezeigt, sondern verletzlich. Die Künstler*innen wählen als Mittel der Darstellung hier jedoch nicht die Erniedrigung des Fuji über seine Größe. Stattdessen wird die Verletzlichkeit auf anderen Wegen attribuiert: Der Fuji ist beschädigt, zerfließt oder ruft wortwörtlich nach Hilfe. Die

Nach dem Kampf: Der Fuji als Wunde einer ganzen Nation (Subsubdiskurs 2.2) | 169

unterschiedliche Ausrichtung ist mitunter begründet durch die Datierung der Aussagen: Die im vorigen Kapitel besprochenen Werke entstanden vor der Dreifachkatastrophe 2011, die hier besprochenen Werke nach der Katastrophe oder in unmittelbarer Reaktion darauf. Im letzteren Fall sind die Werke aus dem Bildband Magnitude 9 für diesen Subsubdiskurs prägend. So zeigt das Bild von Viins eine Stadtlandschaft im Vordergrund des Fuji, unter der roten Sonne von zwei großen Wellen umrahmt. Die Wellen werden jeden Moment auf die Szene niederfallen und nicht nur die Stadt, sondern auch den Fuji bedecken. Darunter liest man in großen Blockbuchstaben: „HELP“. Der Fuji steht hier für eine große Hilflosigkeit und Überforderung; aus eigener Kraft scheint das Ikon nicht mehr zu seiner früheren Stärke zurückkehren zu können. Der Fuji ruft stellvertretend für die ganze Nation um Hilfe. Das Bild von Mobidic geht noch einen Schritt weiter und zeigt den Fuji noch verletzter: Hier sieht man eine junge Frau – vermutlich soll sie als Japanerin interpretiert werden –, die ihren Kimono repariert und an den gerissenen Stellen wieder zusammennäht. Der Kimono ist übersäht mit klassischen Japansymbolen: Sonne, Koi, Kirschblüte – und nicht zuletzt ist der Fuji abgebildet. Auch das Stoffstück mit dem Fuji darauf war gerissen, und nun sieht man den Berg, wie er mit roten Fäden wieder zusammengeflickt ist. Zwar sind beide Teile wieder vereint, die Verletzung ist aber deutlich sichtbar. Der Fuji verbleibt hier als genähte, jedoch noch deutlich sichtbare Wunde. Dass der Faden die Farbe Rot hat, ist sicherlich kein Zufall, sondern deutet auf die Nationalfarbe Japans als die Farbe der aufgehenden Sonne hin. Eine mögliche Deutung könnte sein: Nur wenn die Nation Japan zusammenhält, dann ist eine Wiederherstellung der alten Stärke möglich. Dass der Fuji verletzt und mit der Bedeutung einer nationalen Wunde gezeigt wird, kommt im Diskurs äußerst selten vor. Die wenigen Aussagen, die über den verletzten Fuji von Künstler*innen beigetragen werden, sind aber gerade deswegen so bedeutsam für den Diskurs, weil sie sich dem über Jahrhunderte etablierten Kern der Fuji-Darstellung widersetzen. In vielen Abbildungen steht seine Stärke noch immer im Vordergrund, ob diese nun durch den Bildinhalt gefördert oder infrage gestellt wird. Dabei wird häufig vergessen, dass der Fuji ein Vulkan ist und von Geolog*innen noch immer als aktiv eingestuft wird. Dieser Aspekt kommt auch in d ­ iesem Subsubdiskurs zur Geltung: Mehrere Bilder tauchen in Magnitude 9 auf, die den Fuji als eine Art Vulkan darstellen. Das Bild von Anais Bernabé zeigt den Fuji dunkelrot mit Strömen blutroter Lava übersät. Diese Lava scheint sich jedoch nur teilweise aus dem Vulkan Fuji zu ergießen; ein anderer Teil fließt aus der roten Sonne oberhalb des Fuji. Im oberen Teil dringt von links wieder die große Welle Hokusais ins Bild und auch die Darstellung des Berges ist hier vergleichbar mit Hokusais Darstellung des Fuji: Auf dem dritten Blatt seiner Reihe mit dem Titel Gewitter unterhalb des Gipfels (Abb. 7) zeigt Hokusai den Fuji mit roten Blitzen versehen, die an Lavaströme erinnern. Bei Bernabé wirkt der Fuji als Vulkan jedoch nicht kraftvoll, sondern traurig und zerfließend. Er hat seine ursprüngliche Stärke verloren und es scheint, als könne er seine alte Fassung nicht wiedergewinnen; als würde er förmlich auslaufen, und zwar endgültig. Die Lava kann auch als Tränen interpretiert werden, genauso als Blut. Auch hier symbolisiert der Fuji die verletzte Nation Japan nach der Dreifachkatastrophe im März 2011.

170 | Subdiskurs II: Provokationen

Abb. 57 Narahashi Asako, Kawaguchiko. Digitale Fotografie, 2003, Größe unbekannt.

Diese Aussagen sind im Diskurs kaum vertreten und erweitern ihn dementsprechend. Dabei ist zu beachten: Die Bilder aus Magnitude 9 nehmen im Diskurs inhaltlich zwar eine wichtige Stellung ein. Sie sind aber an das Buchprojekt gebunden und finden darüber hinaus kaum Rezeption. Es finden sich im Grunde keine Referenzen auf sie, so dass sie nicht über solch große Wirkmacht verfügen, wie Werke von international renommierten Künstler*innen mit einer größeren Reichweite. Zu solchen Künstler*innen gehört Narahashi Asako. Sie zeigt in ihrer fotografischen Reihe half awake and half asleep in the water den Fuji auf eine sehr verletzliche Art und Weise. Der Bildband setzt sich aus einer Reihe von Fotografien zusammen, die das Festland vom Wasser aus zeigen. Dabei präsentiert die Fotografin eine große Varianz an Bildinhalten und das nicht nur in Japan: Wir sehen Steinformationen, Strandgebiete, hohe Gebäude, bewaldete Felsen und mehrfach den Fuji. Für ein Auge, das üblicherweise mit medialer Hochglanzfotografie und per Photoshop perfektionierten Bildern konfrontiert wird, sind diese Aufnahmen zunächst ungewöhnlich. Sie sind verwackelt und verschwommen. Die Wellen und das Spritzwasser reflektieren das Licht und erwecken den Eindruck eines Lichtteppichs, der sich durch die Bilder zieht. Implizit entsteht der Eindruck, selbst in ­diesem Wasser zu schwimmen und mit den Wellen zu kämpfen. Dadurch allein entsteht ein signifikantes Gefühl der Unsicherheit und des Unwohlseins in den Betrachtenden. In zwei Fotografien des Fuji verläuft die Horizontlinie nicht parallel zu den Bildrändern, wodurch es scheint, als ob der Berg zu kippen droht. Er scheint auf den Wellen zu schwimmen und auf einem Bild mag er sogar jeden Moment von einer Welle in der rechten Bildhälfte überschwemmt werden (Abb. 57). Die Referenz auf die Große Welle von Kanagawa (Abb. 5) ist hier offensichtlich und so geht auch diese zeitgenössische Fuji-Darstellung auf Hokusai zurück. Bei Hokusai deutete sich bereits an, was Narahashi heute vollendet: Sie trägt die Aussage zum visuellen Diskurs bei, dass der Fuji gefährdet ist und droht, unterzugehen. Angesichts der Referenz auf Hokusai, des Status der zitierten Blätter und seines eigenen Status als Ikon Japans (vgl. Kapitel 2.4) darf der Fuji hier ebenfalls als Symbol für die angeschlagene Nation Japans interpretiert werden.

Militarismus und Potenz (Subsubdiskurs 2.3) | 171

Sicherlich stellt Narahashi den Fuji nicht so drastisch und den Zustand der Nation Japan nach der Dreifachkatastrophe 2011 nicht so hoffnungslos dar, wie einige Künstler*innen im Bildband Magnitude 9. Als in Japan und international angesehene Künstlerin, ausgezeichnet mit mehreren Fotografiepreisen, verfügt sie jedoch über eine weitaus höhere Reichweite. So trägt auch sie wichtige Aussagen zum Diskurs bei, nach denen der Fuji und damit die ganze Nation verletzt und gefährdet ist.

6.3 Militarismus und Potenz: Der Fuji als Symbol männlicher Dominanz (Subsubdiskurs 2.3) Zwei besonders aufschlussreiche Subsubdiskurse behandeln den Fuji im Kontext von Sexualität; im hier vorgestellten ist der Fuji männlich konnotiert, in Kapitel 6.4 weiblich. Hier lassen sich Werke verorten, in denen der Fuji neben anderen starken Japansymbolen im Kontext von Sexualität inszeniert wird, und Werke, in denen er im Kontext sexueller Handlungen anthropomorphisiert wird. Nicht zuletzt erscheint der Fuji selbst als Penis. Ganz offensichtlich leben diese beiden Themenbereiche von offenen Provokationen und etablieren so eine wichtige und starke Position in den Randbereichen des Gesamtdiskurses. Eines der eindrucksvollsten Bilder der ersten Kategorie stammt von Shohei Otomo. Es trägt den Titel Moterdi (Abb. 58) und stammt aus dem Jahr 2007. Die Zeichnung zeigt einen Mann mit Gasmaske auf einem Motorrad, das im vorderen Bereich aus einem riesigen, blutroten, erigierten Penis besteht. Aus der Eichel des Penis geht eine japanische Flagge hervor. Lenkradstange, Scheinwerfer und zudem ein Megafon sind vorne am Schaft des riesigen Genitals montiert. Weil das Vorderrad fehlt, während der Penis nach oben zeigt, entsteht die Assoziation eines sich aufbäumenden Pferdes. Das Motorrad ist bis auf das höchst auffällige Geschlechtsteil kaum geschmückt; an der rechten Seite findet sich jedoch deutlich sichtbar eine Art Plakette, die den Fuji vor der aufgehenden Sonne zeigt. Es ist jene Darstellung der Sonne, die auf die japanische Militärflagge referiert. Sie gilt als Symbol des imperialistischen Japans ­zwischen 1870 und 1945 und wurde in jener Zeit offiziell verwendet (vgl. Taylor 2015: Online-Artikel auf der Website der amerikanischen Tageszeitung The Washington Post). Während in Deutschland die Symbole aus der Zeit des Nationalsozialismus, beispielsweise das Hakenkreuz, heute nicht mehr dargestellt werden dürfen, wird die Flagge jener Zeit in Japan noch immer verwendet. Das sorgt regelmäßig für Konflikte mit den Nachbarländern Japans (vgl. ebd.). Dabei argumentiert Japan damit, dass die Motive schon vor der Zeit des Imperialismus verwendet wurden und daher die Verwendung heute nicht einzig als Verweis auf diese Zeit zu sehen sei (vgl. ebd.). In dieser Darstellung Shoheis ist die Flagge jedoch offensichtlich als Referenz auf die Zeit des Imperialismus in erster Instanz und in zweiter Instanz als Verweis auf den sehr umstrittenen, immer noch stattfindenden Gebrauch in Japan zu interpretieren. Schließlich macht auch der Fahrer einen militärischen Eindruck: Er hat hoch geschnürte Springerstiefel an, seine Arme sind bandagiert und sein durchtrainierter Oberkörper ist nackt. Dazu trägt er einen Helm und die oben bereits genannte Gasmaske. Seine Augen

172 | Subdiskurs II: Provokationen

Abb. 58 Shohei Otomo, Moterdi. Kugelschreiber auf Papier, 2007, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie.

Militarismus und Potenz (Subsubdiskurs 2.3) | 173

sind durch eine rot leuchtende Brille verborgen, jedoch impliziert seine Körperhaltung, dass er den Blick provozierend und von oben herab den Betrachtenden zuwendet. Das Blutrot des Penis findet sich nicht nur in der Sonne auf dem Emblem, in der Flagge, in einigen Hupen am Motorrad und in der Brille wieder. Vor allem dringt die Farbe durch das Torii am linken Bildrand hervor, das der Fahrer mit seinem Gefährt gerade durchquert zu haben scheint. Der Rest des Bildes ist schwarz-weiß. Darüber hinaus sind im Hintergrund, aus einem Meer aus Rauchschwaden emporsteigend, ein Strommast und Stromleitungen abgebildet. Dieses Bild enthält mehr als eine Referenz auf den immer wieder erstarkenden Nationalismus in Japan. Dazu zählt nicht nur die japanische Flagge, die prominent durch den im Bild sehr dominanten Penis emporgehoben wird. Die Militärflagge in Verbindung mit dem Fuji und dem Torii im Hintergrund lassen sich als Referenzen auf die Zeit der Mobilisierung in den 1930er Jahren (vgl. Kapitel 2.5) deuten. Das Megafon in Kombination mit dem Torii erinnert an Versammlungen, Aufmärsche und die schwarzen Wägen der japanischen Nationalist*innen, wie sie am Yasukuni-Schrein auf sich aufmerksam machen und rassistisches Gedankengut verbreiten. Die Umgebung des Schreins wird schließlich von Nationalist*innen immer wieder zur Verbreitung nationalistischer Parolen vereinnahmt (vgl. Tagsold 2015: 56), nicht zuletzt von Veteranen (vgl. Takenaka 2015: 183). Dabei liegt der Schrein, in dem gefallenen Militärangehörigen – auch Kriegsverbrechern – gedacht wird (vgl. Zöllner 2009: 433), geografisch in unmittelbarer Nähe zum Stadtteil Fujimi; wörtlich ein Ort, von dem aus man den Fuji betrachten kann. Der Penis als Symbol der Männlichkeit weist in ­diesem Zusammenhang des Nationalismus auf eine männlich konnotierte Kriegsthematik hin. Der Fuji wird hier zwar nur sehr klein dargestellt, ist aber als Symbol äußerst präsent im Bild vertreten. Durch den erigierten Penis und die nationalistischen Referenzen wird ihm an dieser Stelle ein deutlich männlicher Charakter zugeschrieben. Dieser männliche Charakter wohnte dem Fuji auch schon während der Zeit der Mobilisierung und des Zweiten Weltkrieges inne, als er die Kraft und Stärke der ganzen Nation Japan symbolisieren sollte (vgl. Kapitel 2.5). Es ist wie ein Wiederauferstehen des Fuji in seiner alten Stärke; in seiner alten Potenz. Der Fuji wird hier ebenso alleinstehend dargestellt wie damals unzählige Male von dem nationalistischen Künstler Yokoyama Taikan, der diese Darstellungsweise wesentlich mitgeprägt hat (vgl. ebd.). Die Ebene der Sexualisierung stärkt den Ausdruck des Fuji an dieser Stelle ungemein und gleichzeitig erhält der Berg auf diese Weise eine weitere Bedeutungsebene. Aussagen über einen sexualisierten Fuji bzw. über den Fuji im Zusammenhang mit aggressiver Sexualität und männlicher Dominanz eröffnen in den Randbereichen des Diskurses eine weitere Position, an der Verschiebungen und Brüche möglich werden und entstehen. Es ist nicht das einzige Bild Shoheis, in dem er auf äußerst provokante Art und Weise aktuelle Th ­ emen der japanischen Gesellschaft verhandelt und entsprechende Aussagen zum Diskurs beiträgt. Dabei ist Shoheis Reichweite, besonders bezogen auf eine junge Zielgruppe, erstaunlich. Mit seinem comicnahen Zeichenstil und durch das Medium des Kugelschreibers spricht er die Sehgewohnheiten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen vermutlich besonders stark an. Das und die Tatsache, dass seine Werke in den

174 | Subdiskurs II: Provokationen

Abb. 59 Kanjo Také, Perla. Zehn Diasec C-Prints, 2010, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

Abb. 60 Kanjo Také, Perla (Detail). Zehn Diasec C-Prints, 2010, je 100 × 100 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

sozialen Netzwerken und auf Bildplattformen wie Pinterest und Instagram so verbreitet sind, bedingen sich gegenseitig. National und international wird er insbesondere online von vielen Menschen rezipiert und seine Kunst wird auf diese Weise verbreitet. Dazu finden sich online viele Berichte und Dokumentationen über diesen Künstler, der oft Tabus bricht. Damit hat er eine recht einflussreiche Stellung im Diskurs. Auch Kanjo Také (vgl. Kapitel 5.6) stilisiert den Fuji zum Symbol männlicher Potenz hoch, wenn auch ohne militärische Komponente und in einer eher humoristischen Weise. Seine Reihe Nowhere or 36 views of Fujiyama besticht durch eine unkonventionelle Herangehensweise an den heiligen Berg. In beinahe jedem Bild stellt er den Fuji auf ungewöhnliche Weise dar, so dass er den Diskurs durch verschiedene Aussagen enorm erweitert. Das Werk Perla (Abb. 59 und Abb. 60) mutet zunächst wie eine Art Eislandschaft auf einem fotografischen Negativ an. Bei genauerer Betrachtung sieht man, dass es sich um durcheinandergewürfelte Herren- und Damenunterwäsche handelt. Auf der vierten Tafel von links sieht man auch den Berg Fuji, der sich hier als erigierter Penis unter aufgespannten Boxershorts identifizieren lässt. Ähnlich wie bei Shohei ist der Fuji hier männlich konnotiert; in d ­ iesem Fall wird das Geschlechtsteil nicht nur durch den Fuji begleitet, sondern der Fuji besteht förmlich aus dem männlichen Geschlechtsorgan. Dies ist eine deutliche Referenz auf das zuvor besprochene Werk von Duane Michals aus dem Jahr 1976: Take one and see Mt. Fujiyama (vgl. Kapitel 4.1). Mit einigem zeitlichen Abstand greift Také die

Fuji-Geisha-Erotik und Pädosexualität (Subsubdiskurs 2.4) | 175

Idee, den Fuji als Phallus darzustellen, also erneut auf. Die Aussage Shoheis zur männlichen Dominanz des Fuji wird hier bestärkt, wenn auch ohne militärischen Kontext; im Gegensatz zu Shoheis Bild bleibt die Darstellung Takés unpolitisch.

6.4 Fuji-Geisha-Erotik und Pädosexualität: Der Fuji als (pädo-)sexuelle Einladung (Subsubdiskurs 2.4) Obwohl Shoheis Werk vor allem durch ein übergroß dargestelltes männliches Geschlechtsteil auffällt, lässt sich schwerlich von Erotik sprechen. Das war im Kontext von FujiDarstellungen lange Zeit anders. Über seine gesamte Geschichte hinweg wurde der Fuji sexualisiert bzw. im Kontext von Sexualität dargestellt, z. B. in den Shunga der Edo-Zeit (vgl. Kapitel 2.4 und 2.7). Dabei steht das Moment der Erotik im Vordergrund, während aggressive Tendenzen vermieden werden. Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete der Fuji insbesondere in der Vermarktung orientalischer Produkte oder Dienstleistungen oft eine (sexuelle) Verfügbarkeit der japanischen oder generell asiatischen bzw. orientalischen Frau (vgl. Kapitel 2.7). Hierauf spielt Chinatsu Ban mit Twin Mt. Fuji (Abb. 61) aus dem Jahr 2004 an. Das Bild zeigt zwei junge Mädchen, deren Oberkörper jeweils durch eine stilisierte Form des Fuji mit schneebedeckter Spitze dargestellt werden. Beide Mädchen fassen sich mit einer Hand in den eigenen Schritt; hier kommt jeweils eine rosa-weißliche Unterhose mit Schleife zum Vorschein. Es könnten auch Windeln sein. Beide Mädchen haben gerötete Wangen, gespreizte Beine und schauen den Betrachtenden frontal ins Gesicht. Hier wird der Fuji anthropomorphisiert und bedeutet gleichzeitig die sexuelle Verfügbarkeit der jungen Mädchen, vielmehr Kinder. Nur auf den ersten Blick wirkt die Darstellung harmlos und niedlich; genauer betrachtet fungiert der Fuji hier als eine Einladung zu einem pädosexuellen Angebot. Die sexuell konnotierte Symbolkraft des Fuji, die Jahrhunderte zurückreicht (vgl. Kapitel 2.4), wird hier auf Kinder übertragen; dies dürfte zumindest im Westen als Tabubruch interpretiert werden (vgl. Kapitel 6.0). Die Darstellung von Pädosexualität, ob nur angedeutet wie hier oder als explizit dargestellter sexueller Akt mit Kindern, ist in der japanischen Kunst der 2000er Jahre besonders durch Murakami Takashis Anhänger*innen verbreitet (vgl. Kapitel 4.1). Dabei stechen die Künstler*innen des Kollektivs Kaikai Kiki hervor, zu denen auch Chinatsu Ban zu jener Zeit zählte. Verbreitung findet das Werk vor allem

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Abb. 61 Chinatsu Ban, Twin Mt. Fuji. Acryl auf Leinwand, 2004, 130,3 × 162 cm. Marianne Boesky Gallery, New York.

über die Kanäle von Kaikai Kiki und damit verbundene Ausstellungen und Bildbände. Dabei ist interessant, dass der Fuji bei den Kaikai-Kiki-Künstler*innen erstaunlich selten vorkommt. Als Aussage über den Fuji als Einladung zu pädosexuellen Übergriffen nimmt ­dieses Werk eine herausragende Position im visuellen Diskurs des Berges ein. Diese Position ist nur sehr spärlich besetzt, obwohl sie mit einem bedeutenden Problem der heutigen japanischen Gesellschaft korrespondiert. In Japan ist pädosexuelles Material schließlich, wenn auch „nur“ in fiktionaler Form oder ohne penetrative Darstellungen, legal verfügbar. Weder der Besitz noch die Verbreitung werden strafrechtlich verfolgt (vgl. McLelland 2015: 18 – 19). Diese Position im Diskurs ist somit höchst politisch: Möglicherweise wird die lange zurückreichende, auch sexuell konnotierte Bedeutung des Fuji durch Chinatsu Ban hier dazu verwendet, auf diese hochaktuelle Thematik in der japanischen Gesellschaft hinzuweisen. Andere Künstler*innen greifen die erotische Bedeutungsebene des Fuji auf, ohne den komplexen und (jedenfalls international) tabubehafteten Bereich der Pädosexualität zu berühren. Auch diese Werke sind für das Erfassen des Gesamtdiskurses wichtig; nicht zuletzt, weil sie einen immer größeren Bereich einnehmen. Zudem war es historisch betrachtet nicht durchweg sagbar, den Fuji in einem sexuellen Zusammenhang zu beschreiben. Die Verbreitung erotischer Werke generell endete im Zuge der Meiji-Restauration als Konsequenz genereller Moralisierungstendenzen (vgl. McLelland 2015: 198). Folglich wurde auch der Fuji nicht mehr sexuell konnotiert gezeigt. Heute können viele Werke unter der Vermarktungsformel der Fujiyama-Geisha-Erotik (vgl. Kapitel 2.7) subsumiert werden. Hierzu lassen sich einige Bilder aus dem Bildband Magnitude 9 zuordnen, beispielsweise das Bild von Serge Birault (Abb. 62). Offenbar bleibt hier absichtlich ungeklärt, ob die abgebildete Frau nur auf dem Berg Fuji sitzt oder ob dieser auch in sie eindringt. Auch abgesehen von d ­ iesem Bildband finden sich einige Werke: Ai Yamaguchi bringt mehrfach den Fuji mit jungen nackten Frauen zusammen. Takano

Fuji-Geisha-Erotik und Pädosexualität (Subsubdiskurs 2.4) | 177

Abb. 62 Serge Birault, o. T. 2011, Material und Größe unbekannt.

Aya, auch ein Mitglied von Kaikai Kiki, zeigt den Fuji mitsamt der großen Welle, wie beide aus dem Körper eines jungen Mädchens hervorgehen. Am deutlichsten bedient dabei Také das Fujiyama-Geisha-Prinzip in seinem Werk Edo: Eine nackte, asiatisch anmutende Frau räkelt sich mit offenen Haaren unter Wasser, umgeben von Fächern und begleitet vom Fuji. Abgesehen von den am Bildband Magnitude 9 beteiligten Künstler*innen finden die gerade besprochenen nationale und internationale Verbreitung. Während der männlich konnotierte Fuji eher provozierend wirkt, wie bei Shohei, so erscheint der Fuji in seiner weiblich konnotierten Darstellung eher gemäßigt, so dass kritische und subversive Bedeutungsebenen, wie bei Chinatsu Ban, möglicherweise nicht als ­solche erkannt werden. Damit steht der Fuji heute erneut für die Verfügbarkeit weiblicher Sexualität. Diese Darstellungen bestärken den bestehenden Diskurs einerseits: Sie zementieren die Idee der sexuellen Verfügbarkeit japanischer und generell asiatischer Frauen (vgl. Kapitel 2.7). Gleichzeitig testen sie, was im Kontext von Sexualität heute über und durch den Fuji sagbar ist. Auf diese Weise führen sie dem Diskurs eine große Menge an Aussagen mit sexuellen Implikationen zu, die in dieser Menge in den letzten Jahrzehnten nicht ansatzweise vorzufinden war. So erlebt die eigentlich überholte Fujiyama-Geisha-Erotik ein Revival und ebnet den Weg für neue sexistische Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst wie in der japanischen Gesellschaft. Möglicherweise wirken diese Werke auch subversiv, werden kritisch aufgefasst und führen zur Prüfung des eigenen Gewissens (vgl. Kapitel 6.0). Ohnehin

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nimmt der Diskurs bereits vorherrschende Tendenzen aus der gesellschaftlichen Realität auf, wie es besonders die Beispiele des Umgangs mit Nationalismus und der Verbreitung pädosexuellen Materials zeigen.

6.5 Die Rückkehr des Vulkans: Der Fuji als Bedrohung durch die Natur (Subsubdiskurs 2.5) In der Zeit der Mobilisierung und des Zweiten Weltkrieges hatte der Fuji eine besondere Symbolkraft: Er versinnbildlichte den starken, geeinten und intakten Nationalstaat und fungierte als mächtiges (auch natürliches) Symbol gegen die Bedrohung von außen (vgl. Kapitel 2.5). Seit der Dreifachkatastrophe 2011 finden sich mehr und mehr Darstellungen des Fuji im visuellen Diskurs, die ihn nicht mehr als friedlichen Bewahrer der japanischen Nation zeigen. Ganz im Gegenteil: Er selbst stellt die Bedrohung dar. Diese Aussagen erweitern den Gesamtdiskurs und markieren Brüche im lange Zeit stabilen Diskurs des Fuji als Ikon Japans. Für diesen Subsubdiskurs hat das Werk Joanie Lemerciers eine große Bedeutung. Er zeigt den Fuji als Vulkan. In seiner audiovisuellen Installation Paysages Volcaniques von 2014 inszeniert er dabei gleich zwei Vulkane: den Eyjafjallajökull in Island und den Fuji. Beide Vulkane werden in der Ausstellung im selben Raum gegenübergestellt und warten mit einer außergewöhnlichen räumlichen Präsenz auf. Beachtenswert ist, dass es sich bei den inszenierten Vulkanen nicht um plastische 3D-Gebilde handelt, sondern um Zeichnungen, die durch eine geschickte Lenkung von Licht und Klang real erscheinen. Dabei werden beide Vulkane unterschiedlich in Szene gesetzt: Der Eyjafjallajökull bricht aus mit Lava und Gesteinsbrocken. Beim Fuji dagegen wird der Ausbruch durch das von unten nach oben wandernde Licht nur angedeutet (Abb. 63). Gleichzeitig werden um ihn herum Bambusse illuminiert und ab und an wechselt die getragene Musik zu disruptivem Lärm. Auf diese Weise erscheint der Fuji zwar in sich ruhend, aber doch als eine latente Gefahr; ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann, wenn er nur will. Durch die gemeinsame Inszenierung mit dem Eyjafjallajökull wird dieser Ausdruck immens intensiviert. Der Künstler bestärkt mit seiner Darstellung des Fuji als potenter Vulkan also einerseits den bestehenden Diskurs des ewigen und starken Ikons Japans. Gleichzeitig deutet er an, dass der Fuji in seiner Stärke und Größe nicht nur friedvoll anzusehen ist. Als Vulkan wohnt ihm die Möglichkeit inne, jederzeit Unheil, Zerstörung und Tod über die Menschen in seiner Umgebung zu bringen. Der Fuji kann hier weiterführend als Symbol für die (japanische) Natur interpretiert werden – mit Referenz auf nationalistische Tendenzen in der japanischen Gesellschaft, die wiederum durch die Liebe zur Natur und letztlich auch zum Fuji begründet werden (vgl. Kapitel 2.5). Auf diese Weise würde der Fuji verdeutlichen, wie gefährlich diese Tendenzen für die japanische Gesellschaft sind. Die Aussage des gefährlichen Fuji ist sehr selten im Diskurs vertreten und umso bedeutender ist es, dass sie von Lemercier, einer internationalen Größe der Lichtkunst, zum Diskurs beigetragen wird. Seine Werke werden weltweit ausgestellt, so dass er ein breites

Die Rückkehr des Vulkans: Der Fuji als Bedrohung durch die Natur (Subsubdiskurs 2.5) | 179

Abb. 63 Joanie Lemercier, FUJI. Zeichnung, Installation, Klang, 2013, Still: Minute 00:46.

Publikum erreicht. Von seinen Arbeiten werden regelmäßig hochwertige Videos aufwendig produziert, die gleichzeitig über die großen Online-Videoplattformen und andere Websites Verbreitung finden. Damit erreicht er auch ein jüngeres Publikum, welches möglicherweise offener für audiovisuelle Formate in der Kunst ist als für traditionelle Bildmedien. Nur kurze Zeit nach der Dreifachkatastrophe 2011 finden sich nun s­ olche Aussagen im Diskurs wieder, dass der Fuji und folglich die Natur eine Bedrohung für die Nation s­ eien. Hierbei spielt nicht die technische Komponente der Katastrophe (das havarierte Atomkraftwerk, vgl. Kapitel 5.5) die entscheidende Rolle. Vielmehr mag die hier dargestellte Naturgewalt auf die naturbezogenen Komponenten der Dreifachkatastrophe referieren: das Erdbeben und den darauffolgenden Tsunami. Etwas weitergedacht kann die Darstellung des Fuji als gefährlicher Vulkan auch auf die die Gemeinschaft gefährdenden Tendenzen aus der japanischen Mitte hindeuten. Es gibt eine weitere sehr aufwendig produzierte Arbeit einer international renommierten Künstlerin, die den Fuji als Vulkan zeigt, und auch diese ist nach der Dreifachkatastrophe 2011 entstanden. Sie nimmt eine wichtige Stellung im Diskurs ein: Es ist erstaunlich, wie dieser seltenen Aussage – dass der Fuji ein gefährlicher Vulkan und dadurch eine Bedrohung durch die Natur ist – gleich zweimal dermaßen nachdrücklich Ausdruck verliehen wird. Aoshima Chiho, eines der bekanntesten Mitglieder von Murakami Takashis Kaikai Kiki (vgl. Kapitel 4.1), erreicht dies, indem sie auf hochwertige und langwierig produzierte Videoproduktionen setzt. Das Kernstück ihrer großen Ausstellung Rebirth of the World 2015 im Seattle Art Museum ist ein im Loop laufendes, computeranimiertes Video mit dem Titel Takaamanohara (Abb. 64). Es spielt offensichtlich auf die Dreifachkatastrophe von 2011 an: Man sieht eine Stadtlandschaft, die durch einen Tsunami zerstört wird und sich schließlich ganz langsam regeneriert. Was diese Animation von der Realität 2011 unterscheidet, ist, dass bei Aoshima nicht ein Erdbeben die Katastrophe ausgelöst hat. Bei ihr ist es ein Vulkan, der ausbricht, und dieser Vulkan lässt sich durch seine ikonische Silhouette und die visuelle Referenz auf die Darstellungen Hokusais als der Fuji identifizieren. Auf diesen Vulkanausbruch hin überrollt ein Tsunami die Landschaft. Die Wasserfront und die Lava verwüsten die Natur; die Gebäude fangen Feuer und schwanken hilflos

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Abb. 64 Aoshima Chiho, Takaamanohara. Computeranimiertes Video, 2015, Still: Minute 04:46.

im Rauch und in den Flammen. Der Himmel verfärbt sich blutrot und trägt so zu dem Untergangsszenario bei, das Aoshima hier konstruiert. Dermaßen aggressiv und zerstörerisch wird der Fuji in keinem anderen Werk dargestellt; weder in der zeitgenössischen Kunst noch in der Kunst der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte. Aoshima zeigt erstmals den einst unantastbaren, heiligen Berg und Bewahrer der geeinten Nation als Gefahr für Natur, Städte und nicht zuletzt die Menschen, die in seiner Region leben. In der Animation sterben Menschen; letztlich werden aber alle Charaktere wieder regeneriert, so dass aus der scheinbaren Dystopie eine Utopie wird: Aoshima erzählt von einer in die Natur eingebundenen menschlichen Gesellschaft, ­welche durch Naturkatastrophen nicht zerstört werden kann, sondern gestärkt aus ihnen hervorgeht. Der Fuji ist mächtig, stark und zerstörerisch und doch kann er das Leben nicht auslöschen. So führt Aoshima dem Diskurs die vehemente Aussage zu, dass der Fuji eine Gefahr ist; ferner: dass die Natur eine Gefahr darstellt. Auch hier ließe sich noch weiterdenken: Symbolisiert der Fuji hier die japanische Gesellschaft, dann zeichnet ­dieses Bild des ausbrechenden Fuji das Schreckensszenario einer Nation, die sich selbst von innen heraus zerstört. Dass Aoshima diese Subaussagen auch relativiert, ändert nicht, dass sie in den Randbereichen des Diskurses, unterstützt durch die Aussage Lemerciers, eine starke Position schafft. Hier entsteht ein Bruch, der sagbar macht, dass der Fuji nicht mehr das Symbol für die Einigkeit der Nation ist, sondern dass er als Objekt der Natur, als die Natur, auch unverhofft Zerstörung anrichten, Zerstörung bedeuten kann. Bei Aoshima lohnt sich ein genauerer Blick auf die Hintergründe der Künstlerin und die Art und Weise, wie sie vermarktet wird. Wie bereits beschrieben, ist sie ein Mitglied von Murakami Takashis Künstlerfabrik Kaikai Kiki. Von einigen Künstler*innen der Anfangsphase hat man nach 2011 nicht mehr viel gehört und stattdessen umfasst das Kollektiv nun mehrere Künstler*innen, die nicht von Anfang an dabei waren. Aoshima ist schon sehr lange Mitglied und weiterhin international bekannt. Das liegt sicherlich nicht zuletzt an den ­Themen, die sie bearbeitet. Wie in Kapitel 4.1 beschrieben, hat in der zeitgenössischen japanischen Kunst seit 2011 eine Art künstlerischer Paradigmenwechsel stattgefunden. Die Th ­ emen, mit denen Murakami seine Mitglieder bis dahin in

Die Rückkehr des Vulkans: Der Fuji als Bedrohung durch die Natur (Subsubdiskurs 2.5) | 181

die Öffentlichkeit gebracht hat, waren nicht mehr sehr gefragt. Sehr schnell wurden in Japan sowie international Arbeiten zu Th ­ emen wie Natur und Umwelt von den japanischen Künstler*innen gefordert. Damit geht das Interesse an individuellen Stellungnahmen seitens der Künstler*innen zu den besagten Th ­ emen und darüber hinaus einher. So wurde auch Raum geschaffen für Arbeiten, die einen deutlichen Bezug zum Schintoismus aufweisen, Japans Naturreligion. Hier lässt sich auch das Gros der Arbeiten Aoshimas aus der Ausstellung Rebirth of the World einordnen. Mystisch anmutende Himmelsdarstellungen, androgyne, engelsgleiche Wesen und eine Natur, die durch und durch belebt scheint, erwecken zusammen den Eindruck einer Parallelwelt, in der sich die Grenze ­zwischen Leben und Tod, z­ wischen Beseeltem und Unbeseeltem auflöst. Allein der Titel des Videos, Takaamanohara, ist eine mehr als offensichtliche Referenz auf den Schintoismus. Wörtlich bedeutet Takaamanohara so viel wie Ebene des hohen Himmels. Das ist im Schintoismus der Ort, an dem die Götter geboren werden und wohnen (vgl. Britannica 2: Enzyklopädischer Online-Artikel, o. D.). Diese spirituellen Anspielungen und der Bezug zum Schintoismus werden im offiziellen Video zur Ausstellung (vgl. Kaikai Kiki 2015: Dokumentation auf YouTube) geschickt inszeniert. Das Video wurde von Kaikai Kiki im Zusammenhang mit der ersten Ausstellung in Seattle im Jahr 2015 produziert. In den sieben Minuten geht es vordergründig um die Dokumentation der Entstehung der Animation. Gleichzeitig wird die Künstlerin vorgestellt und erläutert, weswegen ihr das Thema der Arbeit so wichtig ist. Was dabei wie eine unprätentiöse Kunstdokumentation daherkommt, ist tatsächlich aber vielmehr. Hierbei handelt es sich um ein durch und durch konzeptioniertes Marketingprodukt. Es geht weit über die Vermarktung der Ausstellung hinaus. Dies wird allein in der Anfangssequenz deutlich: Wir sehen eine kleine, enge Fußgängergasse in einer japanischen Stadt mit einer ansehnlichen Pagode im Hintergrund. Die Passant*innen sind in Kimonos gekleidet, was im japanischen Alltag sehr ungewöhnlich ist, ähnlich wie in Deutschland normalerweise nicht nur Dirndl und Lederhosen tragende Passant*innen unterwegs sind. Wahrscheinlich wurde die Aufnahme an einem Feiertag gemacht oder gezielt inszeniert. In der nächsten Szene wird ein Torii als Eingang zu einem schintoistischen Tempel gezeigt, ein Blick auf das Tempelinnere geworfen und erst dann wird zum ersten Mal die Künstlerin präsentiert. Sie spaziert scheinbar gedankenverloren über einen Friedhof und dann durch einen Bambushain. Zu der Aufnahme eines Spinnennetzes vor einem grünen, waldigen Hintergrund erzählt sie von ihrem Wunsch, mit der Natur zu verschmelzen. Während sie von unten mit Blick gen Himmel, durch die dicken Bambushalme hindurch, inszeniert wird, berichtet sie davon, wie sie nach ihrem Tod eins mit der Natur sein will. Die ersten zwei Minuten der siebenminütigen Dokumentation befassen sich damit, die Künstlerin auf Friedhöfen, in Tempeln und in der Natur zu zeigen, wie sie über den Tod, angebunden an schintoistische Jenseitsdarstellungen, referiert. Erst dann sieht man die Künstlerin die Ausstellungshalle betreten. Szenen von ihr vor ihren Werken und Nahaufnahmen der Arbeiten wechseln sich ab mit Szenen an den vorher angesprochenen Orten. Ständig begleitet die Künstlerin die Werke durch ihre Erläuterungen; sie erklärt, inwiefern ihre bereits vorgestellten Ideen ihre Kunst beeinflussen

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und prägen. Schließlich wird die Entwicklung der Animation Takaamanohara dokumentiert, während die Künstlerin ebenfalls ausführt, w ­ elche Bedeutung das Video hat. Dabei wird die positive Komponente deutlich: Nicht Katastrophen und Desaster s­ eien Thema ihrer Animation, sondern Regeneration. Damit trifft sie sicherlich den Nerv der Rezipient*innen, denn nach der Dreifachkatastrophe hatten Werke, die Hoffnung spenden und sich bestenfalls auch noch auf die Natur bezogen, in Japan Hochkonjunktur; vgl. den Bildband Magnitude 9. Das Video wurde allein auf YouTube 21.000 Mal angeklickt (vgl. Kaikai Kiki 2015: Dokumentation auf YouTube). Auch durch die Anbindung an die Marketingmaschinerie von Murakamis Kaikai Kiki erlangt die Aussage Aoshimas weitreichende internationale Verbreitung. Die Werke in ­diesem Themenbereich greifen die Stellung des Fuji als Symbol und Hüter der japanischen Nation immens an. Auf die eine oder andere Weise macht er hier einfach nicht, was er machen soll und was er seit vielen Jahrhunderten sehr verlässlich tat: die Japaner*innen beschützen und ihnen durch seine Anwesenheit Stärke und Zuversicht verleihen. Stattdessen mutiert der Fuji zu einem unberechenbaren Gott, der selbst zur Bedrohung der einst unter ihm geeinten Nation wird. Die Aussagen referieren auf die lange zurückliegende aktive Tätigkeit des Vulkans. Der letzte Ausbruch fand 1707 statt (vgl. Kapitel 2.8); historisch ebenso bedeutsam ist der Ausbruch im Jahr 864, als der Fuji für dermaßen viel Tod, Verwüstung und Angst sorgte, dass fortan nach Möglichkeiten gesucht wurde, den zornigen Gott zu beschwichtigen (vgl. Kapitel 2.1). Dieser Subsubdiskurs trägt also wesentlich zur Verschiebung der Grenzen des bisher beständigen, übergreifenden Diskurses bei und eröffnet dabei eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Fuji als natürliche Bedrohung darzustellen und darüber hinaus: als Bedrohung der Gesellschaft durch sich selbst. Hierzu tragen die Aussagen Aoshimas und Lemerciers gleichermaßen bei. Gleichzeitig mag der Themenbereich Tendenzen der japanischen Gesellschaft aufzeigen, dem Phänomen Natur nach der Dreifachkatastrophe 2011 wieder mehr Bedeutung beizumessen.

6.6 Die Dreifachkatastrophe 2011: Der Fuji als Anti-AtomenergieDemonstrant (Subsubdiskurs 2.6) Der Beginn der zeitgenössischen japanischen Kunst aus heutiger Sicht lässt sich in den Jahren vor der Dreifachkatastrophe 2011 verorten und seine Ursprünge reichen noch Jahrzehnte weiter zurück (vgl. Kapitel 4.1). Nach dem Niedergang von Superflat haben immer mehr künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema Natur in der zeitgenössischen japanischen Kunst stattgefunden. Seit 2011 wird besonders die Dreifachkatastrophe intensiv thematisiert (vgl. ebd.). Unzählige solcher Werke fluten die japanische und internationale Kunstszene; einige davon zeigen auch den Fuji. Der Bildband Magnitude 9 ist hier ganz klar zu nennen und mehrere Bilder daraus wurden bereits an verschiedenen Stellen in dieser Arbeit besprochen. So ist der Bildband ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich die beiden Subdiskurse und schließlich die einzelnen

Die Dreifachkatastrophe 2011 (Subsubdiskurs 2.6) | 183

Subsubdiskurse überlagern und auf diese Weise auch das dichte Netz des Diskurses um den Fuji in der zeitgenössischen Kunst knüpfen. Es zeigt sich, dass das Thema der Dreifachkatastrophe in der neuesten japanischen Kunst eine zentrale Rolle spielt, weswegen es auch den visuellen Diskurs um den Berg Fuji in den letzten Jahren entscheidend mitprägt. Daher muss ein besonderes Augenmerk auf jenen Aussagen des Diskurses liegen, ­welche die Dreifachkatastrophe konkret ansprechen. Aussagen dazu prägen auch andere Themenbereiche, wie bereits in den Kapiteln 6.2, 6.5 und anderen besprochen. In ­diesem Subsubdiskurs ist der Fuji darüber hinaus noch in einer weiteren Rolle wirksam: als Anti-Atomenergie-Demonstrant. Das Bild von Gaban Goto, überladen mit Japansymbolen auf dem Rücken des jungen Mädchens im Hasenkostüm, wurde bereits analysiert (vgl. Kapitel 5.5). Wie d ­ ieses Bild zeigen viele andere Bilder aus dem Bildband den Fuji zusammen mit diversen Symbolen für die Dreifachkatastrophe: Tsunamiwellen, unermessliche Verwüstung und nicht zuletzt eine Gasmaske. Diese Werke bringen nichts wesentlich Neues in den Diskurs ein, sondern bestärken die bestehenden Tendenzen, während sie gleichzeitig wenig Reichweite haben. Deswegen finden sie hier keine weitere Berücksichtigung. Verhältnismäßig hohen Einfluss und internationale Bekanntheit hingegen hat Manabu Ikeda; er gehört zu den renommiertesten zeitgenössischen japanischen Künstlern, die in der Szene eine tragende Rolle spielen. Manabu reagiert mit seinem Bild Rebirth (Abb. 65) unmittelbar auf die Dreifachkatastrophe von 2011. Zwischen 2013 und 2016 arbeitete er fast täglich daran. Dass der Titel mit dem Namen der Ausstellung Aoshima Chihos, Rebirth of the World, in dem Begriff der Wiedergeburt (vgl. Kapitel 6.5) übereinstimmt, ist dabei nicht überraschend. So wie die Werke Aoshimas grundsätzlich von Hoffnung und Versöhnung geprägt sind, so ist es auch d ­ ieses Bild von Manabu. Zunächst sei gesagt, dass diese Arbeit mit den Maßen 300 × 400 cm unglaublich viel Inhalt liefert und in ihrer Komplexität kaum zu erfassen ist. Manabu zeichnet mit einer winzigen Feder, und dementsprechend filigran sind seine Zeichnungen. Hier zeigt er einen alten, starken Baum an einer Küste, wie er den von rechts ins Bild strömenden Wellen trotzt. Dieser Baum scheint schon sehr alt zu sein: Er hat nicht nur sehr dicke Wurzeln, sondern verfügt auch über einen überaus breiten Stamm und kräftiges Astwerk. Die Krone des Baumes zeichnet sich durch ein prachtvolles Blütenmeer aus, das sich aus den verschiedensten Blumensorten zusammensetzt. Besonders das linke obere Bildviertel dominieren rosafarbene Blüten, die eine warme Atmosphäre bewirken. Auch die insgesamt aufstrebende Richtung im Bild, durch den Aufbau des Baumes und insbesondere die Vertikalen im Stamm zentral im Bild erzielt, bewirkt eine als positiv und optimistisch empfundene Stimmung. Der Baum scheint zwar mit den Fluten zu kämpfen, geht letztlich aber in voller Pracht daraus hervor. Wenn man sich die Details im Bild ansieht, so erkennt man über die gesamte Zeichnung verteilt unzählige Szenen individueller Schicksale. Manabu bildet kleine Boote mit Menschen ab, Straßen, Fahrzeuge und Straßenschilder, die allesamt des Bodens enthoben und ineinander gedreht sind, sowie kleine Gruppen von Menschen, die Aufräumarbeit leisten. Inhaltlich wird also der Alltag der Menschen in der Region Fukushima angesprochen, wie

184 | Subdiskurs II: Provokationen

Die Dreifachkatastrophe 2011 (Subsubdiskurs 2.6) | 185

Abb. 65 Manabu Ikeda, Rebirth. Stift, Acryl und Aquarell auf Leinwand, 2016, 300 × 400 cm. Kollektion des Saga Prefectural Art Museum, Digital Archive: TOPPAN PRINTING CO., LTD., ©️IKEDA Manabu. Mit freundlicher Genehmigung der Mizuma Art Gallery, Tokio/ Singapur.

186 | Subdiskurs II: Provokationen

sie mit der Verarbeitung der Katastrophe beschäftigt sind. Dass in d ­ iesem Bild auch der Fuji vorkommt, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Tatsächlich muss man es schon darauf anlegen, ihn zu finden. Wie so vieles andere Kulturgut und so viele weitere Symbole Japans ist auch der Fuji in dem Gewirr an Ästen, Blättern, Blüten und nicht zuletzt Chaos zu entdecken. Nur winzig klein tut er sich am oberen Bildrand in der linken Hälfte empor; auf die Seite gedreht und vom Boden losgelöst. Während das Bild sich in verschiedenen kleinen und mehr oder weniger unabhängigen Szenen abspielt, beinhaltet es ein verbindendes Element: Durch und durch ist es von strahlend weißen Vögeln durchzogen, die sich als Friedenstauben oder noch eher als Kraniche interpretieren lassen. Mal als einzelne Tiere, mal als ganze Schwaden halten sie das Werk zusammen und symbolisieren Frieden und Hoffnung bzw. als Kraniche Langlebigkeit und eine glückliche Zukunft (vgl. Baird 2001: 104). Damit führt Manabu dem Diskurs eine pazifistische Aussage zu: Wenn auch nur als eines von ganz vielen Elementen im Bild, so stimmt der Fuji hier in den friedlichen Protest mit ein. Zusammen mit allen anderen Symbolen, die sich im Bild finden lassen, und den hunderten von weißen Vögeln wird der Diskurs durch Manabus Werk um eine demonstrative Ebene erweitert. Manabu Ikeda wird, wie viele der bekanntesten zeitgenössischen japanischen Künstler*innen, durch die Mizuma Gallery vertreten. Dadurch findet er in der Kunstszene weite Verbreitung und bekommt die Möglichkeit, seine Kunst in der ganzen Welt auszustellen. Er lebt in den USA und stellt seine Kunst vor allem dort und in Japan aus. Online ist er weit verbreitet und spricht durch seinen beeindruckenden Zeichenstil auch eine jüngere Zielgruppe an. Auf YouTube und anderen Plattformen haben seine Videos jeweils mehrere tausend bis zehntausend Klicks. Eines der beliebtesten Videos mit mehr als 30.000 Klicks auf YouTube ist eine Besprechung seines Werks History of Rise and Fall durch den renommierten Kunsthistoriker und Spezialisten für japanische Kunst Joe Earle (vgl. JapanSocietyNYC 2011: Werkbesprechung auf YouTube). Das Video ist eingebunden in das Marketing der Ausstellung BYE BYE KITTY !!! Between Heaven and Hell in Contemporary Japanese Art 2011 in New York. Immerhin ist Manabu mit einigen Werken auch in dieser Ausstellung und im dazugehörigen Bildband vertreten; damit wird er zu einem der einflussreichsten japanischen Künstler unserer Zeit erhoben. Wichtig ist, dass es insbesondere die Künstler*innen aus dieser Ausstellung sind, ­welche sich auch über 2011 hinaus in der Kunstszene behaupten können. Es sind diese Kunstschaffenden, die sich schon vor der Katastrophe 2011 an Th ­ emen orientiert haben, die kawaii hinter sich lassen. Dabei mag es nicht überraschen, dass es dieselben sind, die mitunter auch die Dreifachkatastrophe thematisieren. Die Bilder aus dem Band Magnitude 9 und Manabus Rebirth sind in der Folge der Dreifachkatastrophe 2011 entstanden. Dieser Art gibt es unzählige Darstellungen und einige davon zeigen auch den Fuji. Bezogen auf die Anti-Atomkraftbewegung gibt es in Japan aber auch ein Vor-dem-Jahr-2011 und dies spiegelt sich auch in der jeweiligen Kunst wider. Auch Manabu Ikeda hat schon vor 2011 zum Thema Atomenergie gearbeitet. Generell bevorzugt er gesellschaftlich aktuelle ­Themen, wobei er oft die Beziehung ­zwischen Mensch/Gesellschaft und der umgebenden Natur behandelt. Seine Werke regen zum

Die Dreifachkatastrophe 2011 (Subsubdiskurs 2.6) | 187

Abb. 66 Manabu Ikeda, Claw Marks. Stift und Acryl auf Papier, 2010, 22 × 27 cm. Fotografie: Miyajima Kei. ©️IKEDA Manabu. Mit freundlicher Genehmigung der Mizuma Art Gallery, Tokio/Singapur.

Nachdenken an und provozieren einen gedachten Konflikt ­zwischen Kultur und Natur bzw. dem, was jeweils als diese empfunden wird. In seinem Werk Claw Marks (Abb. 66) von 2010 wird der Fuji nicht als winziges Element in einem riesigen Bild gezeigt, wie in Rebirth, sondern als Hauptobjekt. Obwohl es vor der Dreifachkatastrophe entstanden ist, ist es für den hier besprochenen Subsubdiskurs bedeutend: Manabu zeigt die klassische Silhouette des Fuji mitsamt schneebedeckter Krone groß und zentral mittig im Bild. Unmittelbar werden die Betrachtenden dabei auf die Oberfläche des Fuji gestoßen: Es handelt sich nicht um eine naturalistische Abbildung der felsigen Oberfläche des Berges. Stattdessen zeichnet Manabu einen Fuji, der bis auf den Schnee gänzlich aus Elektronik zu bestehen scheint. Die Struktur und Farbigkeit der Oberfläche erinnert stark an die Oberfläche eines Computerprozessors mit seinen unzähligen Datenleitungen. Diese technischen Elemente und die kegelähnliche Form mit gekappter Spitze lassen noch eine andere Interpretation zu: Bei dem Hauptobjekt könnte es sich auch um einen

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stilisierten Atomreaktor handeln. Hierfür würden auch die unzähligen weißen Friedenstauben bzw. Kraniche sprechen, die das Monument umkreisen. Wahrscheinlich treffen beide Interpretationen zu, so dass es sich bei dem Kegel um eine Art Atomreaktor in Form des Fuji handelt. Nimmt man noch den Titel des Bildes hinzu: Claw Marks, so bestätigt sich diese Doppeldeutung. Denn einerseits können die weißen Schwaden als Schneespuren betrachtet werden, die den Fuji von der Spitze her nach unten auslaufend umspielen. Oder aber es handelt sich um die Spuren eine Kralle; das wäre die wörtliche Übersetzung des Titels. In der Tat sehen die weißen Spuren aus wie eine Art Kralle, die den ikonischen Kegel umschließt und bedrängt. Diese Kralle konnotiert offenbar Gefahr. Die Doppeldeutigkeit der Darstellung erschwert eine einheitliche oder eindeutige Interpretation. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Einerseits enthält das Bild die Subaussage, dass der Fuji in Gefahr ist und gewissermaßen beschützt werden muss; möglicherweise lässt der Fuji sich hier als Symbol Japans interpretieren, womit die ganze Nation in Gefahr geglaubt werden muss. Damit ergibt sich hier eine Überschneidung mit dem oben beschriebenen Subsubdiskurs zum gefährdeten Fuji (vgl. Kapitel 6.2). Neu ist die explizite Beschreibung einer Bedrohung durch die Technologisierung, hier konkret: Atomenergie. Das Bild wirkt dadurch wie eine Vorahnung der Dreifachkatastrophe 2011 und gleichzeitig wie eine Mahnung. Erweitert wird der Diskurs dabei durch den Einbezug der technischen Komponente. Manabu bringt eine gewisse Ernsthaftigkeit in den Diskurs ein; der Fuji fungiert als letzte Instanz und als Mahnmal bezogen auf die nahende Zukunft. So trägt Manabu eine sehr starke und vehemente Aussage zum Diskurs bei, die ihn erweitert: Der Fuji, weiter gefasst als japanische Gesellschaft, demonstriert gegen eine Zukunft aus Atomenergie mitsamt den verheerenden Konsequenzen. Auch wenn man historisch noch weiter zurückgeht, finden sich immer wieder Andeutungen zum Thema Atomenergie und das auch in Verbindung mit dem Fuji. Sie dürfen als Vorreiter des aktuellen Diskurses aufgefasst werden, so dass auch sie an dieser Stelle berücksichtigt werden müssen. Ein herausragendes Beispiel stammt von Nara Yoshitomo: Es handelt sich dabei nicht nur um eine sehr offensichtliche Darstellung, sondern gleichzeitig um einen Appell. Die Zeichnung stammt aus dem Jahr 1998 und trägt den Titel No Nukes! (In the Floating World) (Abb. 67). Das Bild im Comicstil zeigt einen anthropomorphisierten, angestrengten, vielleicht sogar wütenden Berg Fuji mit unzufriedenem Gesicht. Er blickt herab auf einen Fluss vor sich, in dem ein gelbes, großes Peace-Zeichen treibt, vorbei an einer Art Armee aus nur wenigen kleinen Figuren, die den Holzschnitten der Edo-Zeit entsprungen zu sein scheinen. Die Soldaten sind in einem älteren Stil gezeichnet und nicht zeitgemäß gekleidet oder bewaffnet. Im Hintergrund des Fuji ist ein Atompilz abgebildet. Die aufsehenerregendsten Elemente im Bild sind aber die beiden großen Schriftzüge: „No Nukes“ in der oberen rechten Ecke und „Love and Peace“ entlang des unteren Bildrandes. Offenbar geht es hier noch nicht um Protest gegen Atomenergie generell, sondern der Fokus liegt zu jener Zeit auf Atomwaffen. Dies entspricht auch den Entwicklungen der Anti-Atomkraft-Protestkultur in Japan; heute, das heißt seit 2011, beziehen sich die Proteste vor allem auf Atomenergie (vgl. AFP 2012: Online-Artikel auf ZEIT ONLINE).

Die Dreifachkatastrophe 2011 (Subsubdiskurs 2.6) | 189

Abb. 67 Nara Yoshitomo, No Nukes! (In the Floating World). Überarbeiteter Farbholzschnitt, Fuji Xerox Papier, 1999, 29,7 × 40,2 cm. Kollektion des Bernard Buffet Museums.

Wie Manabu bringt Nara den Fuji als eine mahnende (und dabei ernstgenommene) Instanz in den Diskurs ein: Sogar mit Worten demonstriert der Fuji hier für eine Welt ohne Atomwaffen. Diese Verwendung des Ikons ist im hier dargestellten Subsubdiskurs besonders auffällig und gleichzeitig nicht überraschend. Dabei kommt Nara, noch viel mehr als Manabu, eine herausragende Position im Diskurs zu. Er gehört derselben Generation Künstler*innen an wie Murakami Takashi und teilt mit ihm die Erfahrung der Kindheit im Nachkriegsjapan (vgl. Favell 2011: 18; 23 – 26). Beide arbeiten sehr unterschiedlich und haben doch ähnlichen Erfolg in Japan und international (vgl. Favell 2011: 49 – 63). Ein zwar kleiner, aber doch wichtiger Unterschied zu Murakami ist, dass Nara für die Ausstellung BYE BYE KITTY !!! Between Heaven and Hell in Contemporary Japanese Art berücksichtigt wurde. Im Ausstellungskatalog kommt ihm dabei sogar die besondere Position des letzten Beitrags zu, also die endgültige Ansage, das Niedliche müsse aus der japanischen Kunst vertreiben werden: Wir sehen einen von Nara entworfenen Grabstein, der mit niedlichen Objekten, Blumen und zwei Hello-Kitty-Figuren geschmückt ist. Somit kommt Naras Werk auch heute eine wichtige Stellung im Diskurs zu. Gleichzeitig ist er mit seinen eingängigen, comichaften Darstellungen kleiner, putziger (und oft verärgerter) Kreaturen besonders beliebt bei der jüngeren Generation (vgl. Favell 2011: 26 – 31). Wie Murakami sorgt auch Nara für die Verbreitung einer großen Menge Künstler-Merchandise und so für die Vermittlung seiner Kunst und der damit verbundenen Aussagen (vgl. Favell 2011: 63 – 64). So kommen auch politische Aussagen wie „No Nukes“ in Umlauf. Niwa Yoshinori trug zwar nicht zur Ausstellung BYE BYE KITTY!!! Between Heaven and Hell in Contemporary Japanese Art bei, reagierte aber ebenso unmittelbar und auf außerordentliche Weise auf die Dreifachkatastrophe 2011. Bei Niwa spielen der Fuji und er selbst die Hauptrollen der Anti-Atomkraft-Demonstrant*innen. Der Performance-Künstler nimmt regelmäßig an politisch motivierten Demonstrationen teil und verwendet diese für unterschiedliche Zwecke. Von seinen Aktionen produziert er Videos, die er online,

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z. B. auf diversen Videoplattformen, verbreitet. So nahm er 2012 an einer Demonstration mitten in Tokio teil, bei der es um den Protest gegen Atomenergie ging (vgl. Niwa Yoshinori 2014: Dokumentation der Performance auf Vimeo). Jeden Freitag fand diese Demonstration vor dem Gebäude des Premierministers statt. Niwa lief mit – und einmal lief er einfach weiter. Er führte seinen Weg unmittelbar weiter fort bis zur Spitze des Fuji. Mit sich trug er nur eine große rote Flagge, ein Megafon und einen Rucksack; den ganzen Weg beschritt er zu Fuß. Der Fuji fungiert hier mindestens als Vehikel des Protests; wenn nicht sogar selbst als Demonstrant. Das Video gewinnt durch das Erklimmen des Fuji eine besondere Relevanz. Der Künstler profitiert von der Bekanntheit, vom Ansehen des Fuji und von seiner langen politischen Geschichte (vgl. Kapitel 2.3 bis 2.5), wenn er den Berg förmlich auf seine Seite zieht. Gleichzeitig verdient der Künstler durch das Besteigen des Fuji Respekt, ist doch der Aufstieg nicht einfach. Es ist denkbar, dass die Performance weniger eindrucksvoll in Erinnerung bliebe, wäre der Künstler einfach zu Fuß zu einem beliebigen anderen Ort gelaufen oder auf einen weniger bekannten (und wohl auch kleineren) Berg gestiegen. Insgesamt geht es dem Künstler hier also nicht darum, etwas über den Fuji auszusagen. Es ist eher die Frage, inwiefern die Darstellung des Fuji in dem Video Marching from the Prime Minister’s Office to the Top of Mt. Fuji in Demonstration, 2012 zum Diskurs beiträgt. Zunächst mag es paradox erscheinen, dass der jahrhundertealte visuelle Diskurs des Berges gerade durch ein Protestvideo weitergeführt und gestärkt wird. Jedoch ist genau dies der Fall: Gerade weil der Künstler diese Wirkung des Berges als politisches Symbol Japans kennt, macht er davon Gebrauch. Der Fuji wird als nationales Symbol Japans bestätigt, während das Werk dem Diskurs gleichzeitig die Aussage des Fuji als Anti-AtomenergieDemonstrant zufügt. Inwiefern das Video tatsächlich bekannt ist, ist dabei aber fraglich. Im Internet ist es zwar relativ weit verbreitet. Dabei mag es gar nicht besonders wichtig sein, ob alle Benutzer*innen die Aufnahme komplett ansehen oder auch nur teilweise. Allein der ausgedehnte Titel Marching from the Prime Minister’s Office to the Top of Mt. Fuji in Demonstration, 2012 besticht mit seinen Begriffen und bewirkt das oben Beschriebene, auch ohne die Notwendigkeit des Anschauens. Gleichzeitig wird das Video durch die vielen einschlägigen Stichworte als Suchbegriffe sicherlich oft auch als „Beifang“ in anderen, thematisch verwandten Suchen gefunden. Damit kommt dem Künstler eine gewisse Relevanz im Diskurs zu. Dieser Subsubdiskurs verdeutlicht, dass insbesondere seit 2011 politische Aussagen ganz spezifischer Art den Diskurs bereichern und ausweiten. Der Fuji wird – Jahrzehnte nach Ende der Besatzungszeit – wieder politisiert und ferner: politisch instrumentalisiert. Dementsprechend erfüllt dieser Themenbereich noch mehr als alle anderen die Erwartungen an provokative Kunst: Er fungiert gleichzeitig als Protest (vgl. Kapitel 6.0). Dabei darf nicht übersehen werden, dass der Diskurs durch die gesellschaftlichen Verhältnisse in Japan mitbestimmt wird. Glaubt man dem visuellen Diskurs um den Berg Fuji, speziell dem hier besprochenen Subsubdiskurs, dann bringt die Dreifachkatastrophe seit 2011 eine wachsende Politisierung der japanischen Gesellschaft mit sich.

Devianz: Der Fuji als Aggressor (Subsubdiskurs 2.7) | 191

Abb. 68 Tabaimo, Japanese BathhouseGents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 06:33.

6.7 Devianz: Der Fuji als Aggressor (Subsubdiskurs 2.7) Darstellungen von deviantem Verhalten, von polizeilichen Aggressionen, aber auch von gesellschaftlich unerwünschten Tattoos kommen im visuellen Diskurs um den Berg Fuji immer wieder vor. Selten sind sie Kern eines Werks; trotzdem nehmen sie eine wichtige Rolle im Diskurs ein, denn durch die mit diesen Aussagen einhergehenden Tabubrüche ergeben sich Verschiebungen und Brüche im Diskurs. Interessanterweise wird im Diskurs mehrfach Gewalt seitens eines Polizisten dargestellt. Eine ­solche Darstellung ist auch Teil des Videos Japanese Bathhouse-Gents von Tabaimo aus dem Jahr 2000 (vgl. Kapitel 5.5). Hier betritt ein Polizist jenes Badehaus mit der Hokusai-inspirierten Fuji-Malerei im Hintergrund. Es herrscht großes Durcheinander: Männer und Frauen sind im selben Raum, Schildkröten tummeln sich, Sumoringer küssen sich und dann isst der eine den anderen auch noch auf. Manch eine*r sitzt angezogen, schwitzend im heißen Bad. Ein Mann streift sich seine zweite Haut mühelos vom Körper. Der Polizist ist voll uniformiert. Er zieht seine Waffe und sorgt für „Ordnung“ (Abb. 68). In Übereinstimmung mit dem Fuji agiert er somit weit über seine Befugnisse als Polizist hinaus. In ­diesem Badehaus wurden Tabus gebrochen – aber wurden hier wirklich Verbrechen begangen? In Übereinstimmung mit der Interpretation in Kapitel 5.5 ließe sich der Fuji hier als Auftraggeber des Polizisten interpretieren: Während der Fuji selbst dazu verdammt ist, reglos an der Hinterwand zu verharren, handelt der Polizist in seinem Namen, als Wächter des Traditionellen. Auch Shohei Otomo zeigt einen Schutzmann, der sich offenbar nicht so verhält, wie man es erwarten oder wünschen würde. In A-Officer A (Abb. 69) zeigt er frontal einen Polizisten mit provokanter Mimik und gezogener Waffe. Es gibt von ­diesem Bild noch eine zweite Version, die der Künstler abgewandelt hat: Wie auch in seinem anderen Bild kommt in jener Version die japanische Militärflagge vor (vgl. Kapitel 6.3) und auch hier

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Abb. 69 Shohei Otomo, A-Officer A. Kugelschreiber auf Papier, 2011, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie.

Abb. 70 Shohei Otomo, A-Officer A (Variante). Kugelschreiber auf Papier, 2011, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie.

ist im Hintergrund der Fuji zu sehen (Abb. 70). Die Strahlen der Sonne füllen die obere Hälfte des Bildes hinter dem prominent platzierten und großen Fuji aus und es wirkt, als würde der Berg diese Sonne und ferner die Militärflagge beschützen, indem er sich vor sie stellt. Sie werden zusammen als Gesamtgeschehen verteidigt durch den Polizisten. Shohei kombiniert also eine polizeiliche Haltung, die über den reinen Staatsdienst hinausgeht, mit der Militärflagge, die nicht zuletzt als Symbol für Japans heutige nationalistische Tendenzen gesehen werden muss. Der Fuji wird hier als harmonisch in diese Komposition einfließende Instanz dargestellt. Shohei zeigt ihn als nationales und politisches Symbol Japans (vgl. Kapitel 2.3 bis 2.5). Wie der Polizist ist der Fuji als Aggressor zu interpretieren, der nationalistische Tendenzen verteidigt. Shohei neigt in dieser Darstellung zu Übertreibungen. Dies betrifft einerseits die Figur des Schutzmannes. Nur seine Uniform lässt darauf schließen, dass es sich um einen Polizisten handelt. Körperhaltung und Gesichtsausdruck lassen eher auf einen Verbrecher schließen, oder aber einen Proll, der mimisch provoziert. Auch die Darstellung des Fuji im Hintergrund ist überhöht. Dabei ist auffällig, dass der Fuji und die ihn umspielenden Wolken nicht mit Kugelschreiber gezeichnet zu sein scheinen wie der Rest des Bildes. Die großen Pinselstriche deuten auf Öl- oder Acrylfarbe hin. Auf diese Weise wirkt der Fuji weniger hart; die Konturen sind zarter. Er erscheint dadurch älter als der Rest des Bildes,

Devianz: Der Fuji als Aggressor (Subsubdiskurs 2.7) | 193

Abb. 71 Shohei Otomo, Subculture Girl. Kugelschreiber auf Papier, 2015, Größe unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie.

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weswegen seine Rolle als (ewiges) nationales Symbol Japans deutlich gestärkt wird. Insgesamt bewirken die verschiedenen Überhöhungen im Bild gemeinsam einen gewissen ironischen Charakter: Eigentlich passen der Polizist im Vordergrund, wie er provokativ den Mund verzieht, und der weich gemalte Fuji im Hintergrund kaum zusammen. Die Zeichnung lässt sich nur schwer als ernst gemeintes Bild zur Beförderung nationalistischer Tendenzen verstehen; in Wahrheit ist es eine Parodie. Damit kommt der Arbeit eine kritische Rolle zu: Shohei stellt darin die Gesinnung der japanischen Polizei infrage und hinterfragt die Verwendung klassischer Symboliken – des Fuji und der Sonne – bezogen auf ihr nationalistisches und provozierendes Potenzial. Auf diese Weise stellt Shohei in seinen anderen Bildern noch Weiteres infrage; der Fuji vor der aufgehenden Sonne im Militärflaggenstil kommt bei ihm dabei gehäuft vor. Noch öfter findet man die Strahlen der Sonne allein im Hintergrund. Dabei spielt S­ hohei immer wieder mit den bekannten Japansymbolen und -klischees wie Geishas, SamuraiSchwertern etc. Viele seiner Protagonist*innen sind tätowiert, womit auf ein von der gesellschaftlichen Grundordnung abweichendes und gewissermaßen rebellisches Verhalten hingewiesen wird (vgl. Kapitel 5.5). Auch ­dieses nicht gesellschaftskonforme Element der Tätowierung nutzt Shohei zur Provokation und stellt es in Subculture Girl (Abb. 71) dem Fuji gegenüber. Hier ist der heilige Berg sogar auf dem Rücken der ganzkörpertätowierten Frau verewigt; gemessen an der klassischen Rolle des Fuji ein Widerspruch in sich. Shohei provoziert damit aufs Äußerste und regt zum Nachdenken über den gesellschaftlichen Umgang Japans mit der eigenen Kultur und Geschichte an; nicht zuletzt über den Umgang mit der eigenen Kriegsvergangenheit. Auf diese Weise entsteht im visuellen Diskurs um den Berg Fuji eine markante Überlappung mit dem Subdiskurs Tradition – Moderne. Auch Tabaimos Werk zeigt, dass sich diese Überschneidung kaum vermeiden lässt. Denn wird die japanische Gesellschaft und/oder ihre Geschichte kritisiert, so führt der einfachste Weg über genau jene Elemente, die sich typischerweise dem Subdiskurs Tradition–Moderne zuordnen lassen. Dabei ist der Fuji mit seiner langen Kulturgeschichte ein offensichtlicher Kandidat. Mit solchen Aussagen wird der visuelle Diskurs des Fuji einerseits gestärkt und die Auffassung gefestigt, dass er noch immer als Ikon und nationales sowie politisches Symbol Japans anzusehen ist. Gleichzeitig werden die Randbereiche des Diskurses durch die Benutzung als Provokationswerkzeug und Darstellung als Aggressor ausgeweitet. Schließlich ist die Nutzung des Symbols gegen die japanische Gesellschaft selbst bisher nicht vorgekommen; der Fuji wendet sich hier in der Verbindung mit Ganzkörpertätowierten und zwielichtigen Polizisten (beide lassen an Yakuza denken) zum ersten Mal aggressiv und explizit gegen die japanische Allgemeinheit. Dies ist ein deutliches ­­Zeichen für die Verschiebung des Diskurses und für eine Erweiterung dessen, was über den Fuji und durch den Fuji sagbar geworden ist.

Devianz: Der Fuji als Aggressor (Subsubdiskurs 2.7) | 195

Abb. 72 Philipp Lachenmann, Some Scenic Views (after Hokusai). Videoinstallation: drei Flachbildschirme, Video per DVD. Drei Videos: Hand (9 Minuten), Movie (90 Minuten), Boat (27 Minuten), alle geloopt (hier: Ausstellungsansicht), 2000. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers.

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6.8 Fuji-Spiritualität reloaded: Der Fuji als Missionar (Subsubdiskurs 2.8) Die Bedeutung des Fuji im Kontext von Spiritualität und Religiosität führt weit zurück an den Beginn seiner visuellen Kulturgeschichte und noch darüber hinaus (vgl. Kapitel 2.1). Einige zeitgenössische Werke greifen diese Bedeutung auf. Diesem Subsubdiskurs lassen sich verhältnismäßig wenige Werke zuordnen; diese sind aber oft von umso größerer Vehemenz. Drei davon sollen an dieser Stelle genauer vorgestellt werden, wenn es darum geht, wie auf die religiöse Komponente der Kulturgeschichte des Fuji in der zeitgenössischen Kunst referiert und seine ursprüngliche Symbolik als heiliger Berg neu aufgelegt wird. Die weit zurückreichende Kulturgeschichte des Fuji erzählt viele Geschichten über Spiritualität und Religiosität. Dementsprechend bedeutsam sind die Aussagen der heutigen Künstler*innen zu d ­ iesem Thema im Diskurs. Nicht weiter behandelt werden dabei die vielen Werke aus Magnitude 9; hier wimmelt es von religiösen Andeutungen und Referenzen in Form von Torii oder Pagoden in Kombination mit dem Berg Fuji. Sie tragen jedoch nichts Neues zum Diskurs bei und bestehen vorwiegend aus Wiederholungen und Kopien. Diskurserweiternd ist hingegen Philipp Lachenmanns Videoinstallation Some ­Scenic Views (after Hokusai) aus dem Jahr 2000 (Abb. 72). Das Werk an sich mag zunächst unscheinbar erscheinen: Es handelt sich um drei Flachbildschirme, die übereinander angeordnet sind und Videoaufnahmen des Fuji in seinem landschaftlichen Umfeld zeigen. Das obere Video zeigt eine per Hand aufgenommene Einstellung, das mittlere Video eine stationär gedrehte Szene, und unten zeigt der Künstler den Fuji von einer Kamera gefilmt, die auf einem dahintreibenden Boot installiert ist. Die Videos sind von unterschiedlicher Länge. Insgesamt geht es hier neben dem inhaltlichen Thema Fuji auch um die Verhandlung des Mediums Video. In dieser Hinsicht mag das Werk für diese Arbeit nicht sehr aussagekräftig sein. Interessant wird es erst durch den Ort der Ausstellung: Das Werk wurde (auch) in der St.-Lukas-Kirche in München gezeigt: Replacing the triptych altar piece in the church of Saint Lucas with a vertical arrangement of screens introduced into the religious context a Buddhism-like equality of pictures which formed a strong contrast to the horizontal triptychs of traditional Christian hierarchy and its center-focussed visual program. (Lachenmann: Beschreibung der Installation auf der Website des Künstlers, o. D.)

Lachenmann fügt dem Fuji durch den Ausstellungsort seiner Videoinstallation also einen religiösen Kontext hinzu. Dies ist ausgesprochen selten im heutigen Diskurs, obwohl der Fuji ursprünglich erst durch religiöse Praktiken an Ansehen und Interesse gewonnen hat (vgl. Kapitel 2.1). Bei Lachenmann ist offensichtlich, dass es sich hierbei nicht in erster Linie um eine Würdigung des Fuji als heiliger Berg handelt. Vielmehr ist es eine deut­ liche Provokation: Ein christliches Werk in einer christlichen K ­ irche wurde ersetzt durch

Fuji-Spiritualität reloaded: Der Fuji als Missionar (Subsubdiskurs 2.8) | 197

Abb. 73 Nara Yoshitomo, Little Pilgrims. Fiberglas, Baumwollkleidung, Acrylfarbe (hier: Ausstellungsansicht), 1999, jeweils 72 × 50 × 42,5 cm. Fotografien von Homma Takashi. Meridian Galerie, New York.

Aufnahmen des heiligen Berges Japans; und das auch noch in einer (technisch basierten) Videoinstallation. Schließlich geht es in dieser Ausstellung nicht um den Fuji. Hier werden christliche Bräuche herausgefordert und die K ­ irche als heiliger Ort wird durch ein anderes, fremdes Heiligtum eingenommen. Lachenmann erweitert den visuellen Diskurs des Fuji an dieser Stelle folglich durch eine Darstellung des Fuji als Missionar und Eindringling in fremde religiöse Räume; mit ihm dringt, fast beiläufig im Titel erwähnt, das zweite Ikon Japans in ­dieses Refugium ein: wieder einmal Hokusai. Bei Nara Yoshitomo (vgl. Kapitel 6.6) erfolgt die Einbringung der religiösen Konnotation des Fuji in den heutigen Diskurs weniger übergriffig und gewaltsam, sondern subtiler. Zunächst mag der Zusammenhang mit dem Fuji dabei überhaupt nicht ersichtlich sein: Es geht um seine Little Pilgrims (Abb. 73). Die kleinen Pilger finden sich gedrängt in einer Ecke der Ausstellungshalle zusammen; ihre entspannten und doch konzentrierten Gesichtsausdrücke bei geschlossenen Augen zusammen mit den nach vorne ausgestreckten Armen deuten auf eine meditative Praxis hin. Dabei wirken sie einerseits wie durch eine höhere Macht angetrieben, andererseits sich durch die Enge der räumlichen Situa­ tion gegenseitig behindernd. Diese Figuren kommen bei Nara regelmäßig vor, so dass sich an dieser Stelle nicht von einem konkreten Werk sprechen lässt. Genau genommen ist es eine Vielzahl von Werken, in denen die kleinen Pilger immer wieder auftauchen. Auch hat Nara Merchandise zu ihnen entwickelt, so dass sich die Fans des Künstlers die Figürchen auch mit kleinem Geld kaufen können. Durch den Titel der Figuren und das Auftauchen in Kontexten, die sich auf die Holzschnitte der Edo-Zeit und die Edo-Zeit generell beziehen, ist die Referenz auf die alte religiöse Komponente des Fuji einfach. Gleichzeitig scheinen die kleinen Pilger hier im Sinne der Soft Power (vgl. Kapitel 4.1) als Missionare japanischer Populärkultur tätig zu sein. Der chinesische Künstler He Yunchang regt explizit zum Nachdenken über die spirituelle Vergangenheit des Fuji an. In seiner Performance Dream Journey – From Fukuoka Asian Art Museum to Mount Fuji aus dem Jahr 2009 arbeitet er sich – offenbar nackt – aus

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einem Haufen aus 999 Steinen hervor. Dabei schreibt er auf jeden Stein etwas über einen möglichen spirituellen Aufstieg. Auch He bezieht sich also zurück auf die Zeit, in welcher der Fuji vor allem ein Ziel für Pilgernde war (vgl. Kapitel 2.1). Während der Künstler im Vordergrund mit den Steinen beschäftigt ist, lässt sich hinter ihm, scheinbar in weiter Ferne, der Fuji sehen. Kann der Künstler seinem Ruf folgen? He führt dem Diskurs damit die Aussage zu, dass der Fuji noch immer missionarisch tätig ist, indem er die Sehnsucht nach spirituellem Aufstieg weckt. Für die Einschätzung, inwiefern diese im Diskurs eher selten vertretenen Darstellungen heute Verbreitung finden, ist es wichtig, einen Blick darauf zu werfen, ­welche Positionen die dahinterstehenden Künstler*innen jeweils einnehmen. Über Nara wurde bereits gesagt, dass er eine entscheidende Rolle in der zeitgenössischen japanischen Kunst einnimmt (vgl. Kapitel 6.6). Es ist davon auszugehen, dass seine kleinen Pilger sich weltweit verbreiten. Ob dabei die Referenz auf den Fuji jeweils ersichtlich ist, ist fraglich. Auch Lachenmann ist international bekannt und anerkannt, wenn auch er sicherlich nicht den Einfluss hat, den Nara aufweist. Es ist davon auszugehen, dass seine Videoinstallation vor allem eine kunstaffine Zielgruppe erreicht. Etwas anders sieht das bei He Yunchang aus. Mit seiner Kunst polarisiert er in der Kunstszene wie in den sozialen Medien weltweit. Er gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten chinesischen Künstler*innen unserer Zeit und macht besonders durch im wahrsten Sinne des Wortes einschneidende Performances auf sich aufmerksam. Diese finden immer öffentlich statt, werden per Video dokumentiert und erreichen in den sozialen Medien, auf YouTube etc. hunderte, tausende und teilweise zehntausende Klicks (vgl. z. B. He Yunchang 2013: Dokumentation einer Performance auf YouTube). Zu seinen legendären Performances gehört eine Aktion, bei welcher er sich eine Rippe entnehmen lässt und daraus eine Kette produziert. Auch seine Performance One Meter Democracy (vgl. ebd.) ist weltweit berühmt: Ohne Betäubung lässt er sich in Begleitung von 25 Personen einen 1-Meterlangen, tiefen Schnitt an der rechten Seite seines Körpers setzen. Der Verweis auf die politische Situation in China liegt dabei nah. All diese Aufmerksamkeit führt dazu, dass auch die Bilder Hes vor dem Fuji online weite Verbreitung finden. Damit ist ihm einiger Einfluss im visuellen Diskurs des Fuji gewiss. Der Verweis auf die ursprünglich überaus bedeutsame religiöse Komponente des Fuji erweitert den Diskurs auf eine besondere Art und Weise. Die hier zu verortenden Aussagen bilden eine starke Referenz auf die Vergangenheit des Fuji. Während die meisten Referenzen auf die Vergangenheit im heutigen visuellen Diskurs des Fuji nicht über Hokusai hinausgehen, reichen diese Referenzen mehr als tausend Jahre zurück. So weit zurück reichen selbst die Werke nicht, die sich hauptsächlich dem Subsubdiskurs zur Historizität des Fuji zuordnen lassen. Dennoch besteht eine große Schnittmenge ­zwischen ihnen, betonen sie doch beide die Geschichte des heiligen Berges und wie er zu dem geworden ist, was er heute ist. Hier ist er zudem missionarisch tätig und bringt die japanischen Ideen von Spiritualität fast wie schon die Populärkultur in den Westen.

Kleine Neuheiten, große Wirkung? – Der Diskurs im Wandel | 199

6.9 Kleine Neuheiten, große Wirkung? – Der Diskurs im Wandel Der Subdiskurs Provokationen enthält eine Vielzahl von Subsubdiskursen, die auf unterschiedliche Arten und Weisen provozieren. Sie stellen aktuelle soziale und politische Phänomene in Japan infrage und kritisieren gesellschaftliche Praktiken aufs Äußerste. Damit greifen sie das lange Zeit solide Fundament an, welches durch die immer wieder neu aufgelegte Verhandlung dessen, was sich z­ wischen Tradition und Moderne abspielt, geprägt wird. In den Darstellungen des Subdiskurses Provokationen fungiert der Fuji als Vehikel, durch welches diese Aussagen Gestalt annehmen. Zwar wird auch die Rolle des Fuji für die Nation Japan hinterfragt und angegriffen. In erster Instanz sind die Implikationen der hier analysierten Werke aber viel weiter gefasst; die Bedeutungen, ­welche der Fuji in diesen Darstellungen hat, gehen über seinen Status als Ikon Japans weit hinaus. Mittels des Fuji werden Aussagen über die japanische Gesellschaft im Ganzen sagbar, die bis vor einigen Jahren noch nicht sagbar waren. Angesichts der Tatsache, dass diese Aussagen gut die Hälfte des Gesamtdiskurses ausmachen, wird sehr deutlich: Die Verschiebung, ­welche der Diskurs in den letzten Jahren durchlaufen hat, muss immens sein. Deutlich sichtbar haben hier nicht nur an der einen oder anderen Stelle leichte Bewegungen stattgefunden; die Veränderung der Diskursstruktur in so kurzer Zeit ist erheblich. Foucault betont, dass es gerade ­solche vom Kern abweichenden Aussagen sind, denen eine besondere Bedeutung zukommt (Foucault 2001: 898 – 899). Als Diskursanalytiker*in sollte man sie sich also genau ansehen. Diese Aussagen sind es, die Diskontinuität herbeiführen: Sie können den Diskurs erweitern und schließlich auch im Kern verändern. Die Analyse des Subdiskurses Provokationen ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Es ist auffällig, dass dieser Subdiskurs vor allem durch japanische Künstler*innen getragen wird, die mit ihren Aussagen den übergreifenden Diskurs enorm ausweiten und auch bewegen. Somit erhebt sich die offene Kritik an der japanischen Gesellschaft, an politischen und anderen Akteur*innen aus der eigenen Mitte heraus; sie wirkt damit umso schlagfertiger. Möglicherweise gelingt deswegen die Verbreitung der entsprechenden Werke in den sozialen Medien und auf verschiedensten Online-Plattformen so hervorragend; kritische und provokante Kunst japanischer Künstler*innen hat besonders seit der Dreifachkatastrophe 2011 eine hohe Nachfrage erlebt (vgl. Kapitel 4.1). Das bedeutet in der Konsequenz, dass der Paradigmenwechsel in der japanischen Kunst zu jener Zeit den Nährboden dafür geschaffen hat, dass sich der Diskurs in dermaßen kurzer Zeit so sehr fortentwickeln konnte. Auf diese Weise lässt sich bestens illustrieren, inwiefern ein Diskurs und die Gesellschaft mit all ihren Sphären wechselseitig aufeinander Einfluss nehmen und nur zusammen gedacht werden können. Um die Veränderungen und Verschiebungen des visuellen Diskurses um den Berg Fuji in den letzten Jahren sichtbar zu machen, reicht es dennoch nicht, die Randbereiche, das heißt den Subdiskurs Provokationen, allein in Augenschein zu nehmen. Es ist notwendig, auch das große Ganze genau zu betrachten. Somit ist die noch ausstehende Zusammenführung der beiden Subdiskurse Tradition–Moderne und Provokationen der einzige Weg, den Diskurs als Ganzes darzustellen und zu analysieren.

7 Und wie geht es weiter?

Der Fuji – Ikon und ewiges Symbol Japans. Das Bild des Fuji in den Holzschnitten der Edo-Zeit, auf den Katalogen der Reisebüros und in den Darstellungen fleißiger Instagram-­ Fotograf*innen ist noch immer ein weitestgehend einheitliches. Wie ­heterogen der Diskurs heute ist, das mag zunächst verborgen bleiben. Auch ist vielen zeitgenössischen Werken die (subversive) Kritik, die sie mitführen, nicht immer gleich anzusehen. Bei Ries, Steele-Perkins und vielen anderen mag es vordergründig so scheinen, als hätte sich im Diskurs um den heiligen Berg wenig verändert. Diese Illusion muss jedoch aufgegeben werden, wenn man die Werke einer eingehenden Prüfung unterzieht. Dies wurde in der vorliegenden Arbeit durch die Methode der Diskursanalyse mit Visuellen Daten getan. Nicht nur wurden die einzelnen Werke analysiert und die Analysen in der Darstellung der Subdiskurse und Subsubdiskurse zusammengebracht. Auch wurden die Bedingungen der Werkproduktion und -rezeption berücksichtigt, um herauszufinden, w ­ elche Wirkmacht die einzelnen Werke im Diskurs haben. Vor allem wurden die einzelnen Aussagen als Teile eines übergreifenden Diskurses betrachtet, die inhaltlich miteinander in Verbindung stehen und den visuellen Diskurs um den Berg Fuji erst ausmachen. Verknüpfungen untereinander wurden herausgestellt und Referenzen aufeinander herausgearbeitet. Rückbezüge auf die Fuji-Darstellungen der letzten Jahrhunderte und auf die über tausend Jahre alte Kulturgeschichte des Fuji wurden expliziert. Zudem erhebt die Datensammlung, auf der die vorgestellte diskursive Formation beruht, einen Anspruch auf weitestgehende Vollständigkeit; jedenfalls was die wirkmächtigen Werke anbelangt. Aufgrund der umfassenden vorangegangenen Recherche ist davon auszugehen, dass fast alle bedeutsamen Werke der zeitgenössischen Kunst der letzten Jahre in dieser Arbeit berücksichtigt wurden; das heißt nicht, dass auch alle besprochen wurden. Dazu fehlt der Raum. Außerdem ähneln sich viele Werke bzw. die relevanten Subaussagen in ihnen, so dass dasselbe mehrfach besprochen würde, was Redundanzen zur Folge hätte. Schließ­ elche die wichtigsten Aussagen im lich wird in der DAV eine Verdichtung angestrebt, w Diskurs betont und in den Vordergrund stellt. Die besprochenen Werke repräsentieren damit den Gesamtdiskurs. Abschließend soll den zentralen Aussagen des Diskurses noch einmal besondere Aufmerksamkeit zukommen. Und sicherlich stellt sich die Frage: Was bedeuten die Ergebnisse der Analyse ferner für die heutige japanische Gesellschaft? Eine knappe Antwort soll schon an dieser Stelle erfolgen: sehr viel. So wie der visuelle Diskurs durch die japanische Gesellschaft mitgeprägt wird, so wirkt er auch auf sie zurück. Was das inhaltlich genau bedeutet, dazu sollen in ­diesem Kapitel einige Annäherungen erfolgen. Nicht zuletzt soll in dieser Schlusssequenz nochmals die in dieser Arbeit entwickelte und angewandte Methode kritisch betrachtet werden: Wird die DAV den Ansprüchen gerecht? Kann sie das bislang leere Fach im Werkzeugkoffer der heutigen Diskursanalytiker*innen füllen? Die Antwort lautet ja; und sie lautet in bestimmten Punkten auch nein. Bevor diese abschließende Prüfung der Methode aber erfolgt, muss noch etwas für diese

202 | Und wie geht es weiter?

Arbeit ganz Wesentliches erfolgen: Die Anwendung muss durch die Zusammenführung der Ergebnisse abgeschlossen werden.

7.1 Zusammenfassung, oder: Diskursanalyse mit Visuellen Daten – der Berg Fuji in der Zeitgenössischen Kunst Bis zu d ­ iesem Punkt hat die Analyse des visuellen Diskurses um den Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst in den beiden vorangegangenen Kapiteln 5 und 6 stattgefunden. Im fünften Kapitel ging es um den Subdiskurs Tradition–Moderne, der mit seinen Subsubdiskursen den Kern des Gesamtdiskurses bildet. Dieser Kern ist seit Jahrhunderten stabil, indem er den Fuji auf verschiedenste Weisen immer wieder in seiner Rolle als Ikon und Symbol Japans stärkt. Heute wird der Subdiskurs durch zweierlei Aussagen geprägt: Die einen führen den Diskurs fort und befördern ihn, während die anderen den Fuji als Ikon und Symbol Japans (mehr oder weniger subversiv) angreifen. In ­diesem fragilen Gleichgewicht vollbringt es dieser Subdiskurs, eine latente Gesellschaftskritik unter dem Dach des scheinbaren Konflikts z­ wischen Tradition und Moderne auszutragen. An dieser eher zurückhaltenden Kritik sind vor allem nicht-japanische Künstler*innen beteiligt, die sich durch besonders einflussreiche Machtpositionen im Feld der zeitgenössischen internationalen Kunst auszeichnen. Das sechste Kapitel handelte vom Subdiskurs Provokationen, der ebenfalls in mehrere Subsubdiskurse unterteilt ist. Denn so sehr sich die meisten Aussagen in ­diesem Subdiskurs darin gleichen, dass sie eine Provokation im stabilen und über Jahrhunderte bestehenden Diskurs darstellen, so sehr unterscheiden sie sich in der Art und Weise, wie genau sie das tun; sie verwenden verschiedene darstellerische Mittel und beziehen sich auf ganz unterschiedliche Th ­ emen der heutigen japanischen Gesellschaft. Dementsprechend verlaufen die Subdiskurse analog zu den kontrovers diskutierten Problemen: Der Diskurs bildet diese ab, indem mittels Fuji massive Kritik an den bestehenden Verhältnissen geäußert wird; und zwar vor allem von japanischen Künstler*innen. Wie die beiden Subdiskurse zusammenhängen, wurde bereits an mehreren Stellen angedeutet: Der Subdiskurs Tradition–Moderne bildet den Kern und der Subdiskurs Provokationen bezieht sich durch seine einzelnen Subsubdiskurse darauf. Die Gesamtsicht auf den Diskurs ist bis zu dieser Stelle aber noch ausgeblieben. Dies bedeutet, dass noch ein letztes Stück Analysearbeit ansteht: Die bereits gewonnenen Daten und die Teilanalysen müssen zusammengeführt und auf der Metaebene zusammengebracht werden. Hierzu lohnt es sich, den Blick nochmals auf den Leitfaden zu werfen, wie er in Kapitel 3 dokumentiert ist. Nach d ­ iesem Leitfaden soll die DAV hier abgeschlossen werden. Das Analyseschema der Diskursanalyse mit Visuellen Daten gibt folgende Arbeitsschritte vor: (1) Die Abgrenzung eines Diskurses gegen andere (2) Die Bestandsaufnahme der Diskursstruktur inkl. empirisch-materieller Beschreibung, Analyse und Interpretation der visuellen Daten

Zusammenfassung, oder: Diskursanalyse mit Visuellen Daten | 203

(3) Die Beschreibung der intra- und extradiskursiven Einbettung des Diskurses mitsamt den Bedingungen der Werkproduktion und -rezeption (4) Die Analyse seiner Dynamik: Wann taucht der Diskurs auf, wann zerfällt er, wann und wodurch wird er abgelöst? (5) Interventionsmöglichkeiten: Lässt sich eine Veränderung des Diskurses erwirken? (1) Die Abgrenzung des Diskurses um den Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst gegen andere Diskurse ist in erster Instanz nicht schwierig. Inhaltlich lässt er sich genau am konkreten Gegenstand des Berges festmachen. Besonders entgegenkommend sind dabei Fotografien, auf denen der Fuji sicher zu identifizieren ist. Hier sind besonders Ries und Steele-Perkins zu erwähnen. Dasselbe trifft auf Videoaufnahmen oder Zusammenschnitte aus Fotografien zu, wie bei Lachenmann im ersten Fall oder Tan im zweiten Fall. Aber auch gemalte Bilder und Zeichnungen bereiten normalerweise keine Schwierigkeiten bei der Identifikation des Fuji. Nicht wenige haben z. B. den Begriff Fuji im Titel, oder aber Hokusai, worüber die Identifikation ebenso erfolgen kann. Ansonsten weisen die Werke eine große Konformität in der Darstellung des Fuji auf: Der Berg wird mit seiner ikonischen Silhouette und schneebedeckter Spitze gezeigt. Kein anderer Berg in der Welt wird in der Kunst so illustriert wie der Fuji. Es scheint, als habe er ein Patent auf diese Darstellungsweise, die wiederum nicht zuletzt durch Hokusai geprägt wurde. Eine Abgrenzung muss dahingehend unternommen werden, dass einige Künstler*innen den Fuji abzubilden scheinen, es aber nicht tun. Das beste Beispiel hierfür sind die Arbeiten Hatakeyamas, die in Kapitel 4.2 vorgestellt wurden. Allein weil der Fotograf Japaner ist und Hügel ablichtet, gerät er unter Generalverdacht, dass es sich dabei nur um den Fuji handeln könne; oder aber, dass er bewusst oder unbewusst mit dieser Verwechslung spielt. Seine Serie lässt sich allerdings anderen Diskursen zuordnen, die eine Untersuchung wert sind. Dabei könnte es beispielsweise um die Rezeption japanischer Künstler*innen in der Düsseldorfer Kunstszene gehen; gleichzeitig ein sehr schönes Beispiel für eine Diskursanalyse, die auf verbale Daten wie visuelle Daten gleichermaßen setzt. Jedenfalls ist der hier analysierte visuelle Diskurs um den Berg Fuji abzugrenzen von Diskursen, die sich nicht konkret mit dem Fuji befassen. Ein anderer Diskurs hat inhaltlich eine große Schnittmenge mit dem hier analysierten. Es handelt sich um den überaus umfassenden Diskurs von der scheinbaren Dichotomie ­zwischen Tradition und Moderne. Ihn prägen verbale wie visuelle Elemente gleichermaßen, und zwar über viele Jahre, Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte hinweg. Dabei wird die Schnittmenge gerade durch das visuelle Element deutlich: Die verbreiteten Sinnbilder für diesen scheinbaren Gegensatz finden sich in der Kunst genauso wie in allen anderen visuellen Medien. Koi-Karpfen und Hightech, die Geisha in der U-Bahn, Stromleitungen und Kirschblüten oder Softeis und der Fuji sind gleichermaßen verbreitet. Im Grunde lässt sich dieser Tradition–Moderne-Diskurs vom Fuji-Diskurs einzig durch den Fokus des letzteren auf nur den Fuji abgrenzen; der Fokus wird in der Analyse zur Eingrenzung durch die analysierende Person bestimmt. Auf diese Weise ist der hier behandelte Diskurs sehr viel kleiner und abgesehen davon zunächst auf visuelle Daten fokussiert. Der in Kapitel

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5 analysierte Subdiskurs Tradition–Moderne zum Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst ist damit selbst Subdiskurs des übergeordneten, nicht auf visuelle Daten beschränkten Diskurses Tradition–Moderne. Letzterer ist wiederum als so groß einzuschätzen, dass er sich kaum überblicken lässt. Zeitlich lässt sich der untersuchte Diskurs durch die Beschränkung auf zeitgenössische Kunst sehr gut einschränken; durch den großen Einschnitt durch die Dreifachkatastrophe 2011 ist die zeitgenössische Kunst relativ einfach von der vorangegangenen Zeit abgrenzbar. Zusätzlich werden Aussagen mitaufgenommen, die einige Jahre vor der Dreifachkata­ strophe entstanden sind. (2) Die Diskursstruktur wurde schon an mehreren Stellen in dieser Arbeit erläutert. Das hat den Grund, dass sie durch ihre einzelnen Elemente – in Form von Aussagen, Subsubdiskursen und Subdiskursen – geprägt wird und somit wieder auf sich zurückwirkt. Dadurch kommt der Diskursstruktur eine entscheidende Rolle zu, die immer wieder reflektiert werden sollte. Im Kern des Diskurses steht das umfassende Geflecht um die Tradition-Moderne-Dichotomie, nach welcher entsprechend auch ein ganzer Subdiskurs benannt ist. Der zweite Subdiskurs, Provokationen, ist ähnlich umfangreich. Er unterscheidet sich vom ersten aber grundlegend durch seine interne Struktur. Denn seine einzelnen Aussagen sind vor allem in ihrer Wirkung und in ihrem Kontext homogen: Sie provozieren, indem sie Fragen stellen, gesellschaftliche Strukturen hinterfragen und offen kritisieren. Das bedeutet, dass hier der Fuji mit seiner lange aufrechterhaltenen Wirkmacht vor allem als Werkzeug gebraucht wird. Der Fuji dient mitunter als Mittel zum Protest, oft als Mittel der Auflehnung, mindestens jedoch als Vehikel für abweichende Haltungen gegenüber der Realität der japanischen Gesellschaft bzw. Politik. Dabei fällt auf, dass die Subsubdiskurse hier weniger Bezüge untereinander aufweisen. Es ist eher so, dass sie sich auf verschiedene Bereiche des anderen Subdiskurses, Tradition–Moderne, beziehen. Möchte man sich den Diskurs bildlich vorstellen, so ist der Vergleich mit einer nicht begrenzten Collage recht passend. Folglich wäre der Subdiskurs Tradition–Moderne zentral im Kern vorzufinden. Die einzelnen Aussagen treten gebündelt auf und lassen diesen Subdiskurs wie ein recht stimmig zusammengestelltes Zentrum aussehen. Zwischen den einzelnen Aussagen bestehen viele Bezüge, sie liegen beieinander und überlappen sich. Viele Aussagen treten gehäuft auf und sind gebündelt im Kern der Collage sichtbar. Das übergeordnete Darstellungsprinzip des Diskurses, seiner Sub- und Subsubdiskurse ist demnach das der Überlappung; das untergeordnete Prinzip ist das der Partitionierung. Die Aussagen des Subdiskurses Provokationen wären in dieser Collage nicht notwendigerweise zusammen angeordnet. Sie gruppieren sich als Themenbereiche um den zentralen Subdiskurs Tradition–Moderne herum; manche der Subsubdiskurse sind also auch benachbart bzw. weisen Schnittmengen untereinander auf. Sie bestehen aus wenigen Aussagen, die sich teilweise überschneiden. Größer sind jedoch die Schnittmengen der einzelnen Subsubdiskurse mit den Aussagen des Subdiskurses Tradition–Moderne. Das ist nicht zuletzt deswegen der Fall, weil sich Provokationen per definitionem auf etwas beziehen. Schließlich wird das, was im Subdiskurs Tradition–Moderne abgebildet wird, im Subdiskurs Provokationen aufgenommen und angegriffen; oder aber es wird als Werkzeug

Zusammenfassung, oder: Diskursanalyse mit Visuellen Daten | 205

verwendet, um damit andere Zustände zu kritisieren. Dementsprechend überkreuzen sich die einzelnen Aussagen in den Randbereichen des Subdiskurses Tradition–Moderne mit denen des zweiten Subdiskurses. Auch wiederholen sich Aussagen an einigen Stellen, wenn sie mehrere Anknüpfpunkte zu verschiedenen anderen Aussagen im Gesamtdiskurs aufweisen. Der Fuji ist noch immer ein überaus starkes Symbol, das potenziell zum Gelingen einer Provokation beiträgt. Für den Diskurs insgesamt bedeutet das, dass viele der Aussagen wie Antagonisten miteinander verbunden sind. Sie bedingen und begründen sich gegenseitig; der Subdiskurs Tradition–Moderne fungiert dabei als Grundlage und Austragungsort der Angriffe durch den Subdiskurs Provokationen. Das bedeutet auch, dass der Diskurs vor allem durch den Subdiskurs Provokationen erweitert wird. Die darin enthaltenen Aussagen markieren die Randbereiche des Diskurses. Die jeweiligen Subsubdiskurse enthalten im Vergleich zu denen des Subdiskurses Tradition – Moderne relativ wenige Aussagen. Dafür sind diese umso spezieller und aussagekräftiger eben dadurch, dass sie vom Gros der Darstellungen abweichen. Sie enthalten viel Neues. Während der Kern des Diskurses den übergreifenden Diskurs auch stabilisiert, so sind es gerade die Randbereiche, die ihn erweitern, die ihn verschieben und schließlich Brüche ermöglichen. Auf diese Weise kommt den Werken des Subdiskurses Provokationen eine viel bedeutendere Rolle zu, was die Aussicht auf die weitere Entwicklung des Diskurses angeht. Dabei ist zu beachten, dass eine derartige Ausweitung bis hin zur radikalen Verschiebung des Gesamtdiskurses nur auf Grundlage des Paradigmenwechsels in der zeitgenössischen japanischen Kunst im Nachgang der Dreifachkatastrophe 2011 möglich wurde. Eine wichtige Konsequenz daraus ist: Über die letzten Jahre wächst der Anteil des Subdiskurses Provokationen gemessen am Gesamtdiskurs überproportional schnell und deutlich sichtbar; es ist zu erwarten, dass diese Tendenz sich nach dieser Arbeit weiter fortsetzt. Aussagen, die über die Subdiskurse hinweg miteinander verbunden sind, referieren nicht unmittelbar und direkt aufeinander. Es ist möglich, sie in der Diskursstruktur durch die inhaltlichen Schnittmengen vernetzt darzustellen. Die Künstler*innen reagieren aber nur sehr selten konkret aufeinander oder setzen bewusst Referenzen auf andere Werke. Verbreitet ist jedoch der Rückbezug auf Werke und Phänomene in der Vergangenheit. Hier ist insbesondere Hokusai mit seinen 36 Ansichten des Fuji zu nennen. Einerseits taucht das Ikon Die Große Welle von Kanagawa (Abb. 5), das heißt die Verbindung der Welle mit dem Fuji, immer wieder auf. Noch markanter werden aber die Blätter 2 und 3 der Reihe (Abb. 6 und Abb. 7) zitiert, in denen Hokusai den Fuji mit seiner ikonischen Silhouette in den Vordergrund stellt. Diese Bilder prägen und normieren die Darstellung des Fuji bis heute. Dementsprechend verbreitet ist diese Darstellungsweise auch im heutigen visuellen Diskurs des Fuji. Zudem enthält der Diskurs sehr viele Aussagen, die nur mit Blick auf die (visuelle) Kulturgeschichte des Fuji verständlich sind: Dabei geht es beispielsweise um Tourismus als die neue Form des Pilgerns, Fuji-Spiritualität generell und Nationalismus. (3) Der visuelle Diskurs des Berges Fuji in der zeitgenössischen Kunst ist thematisch sehr stark eingegrenzt und somit gut abgrenzbar. Die zeitgenössische Kunst ist dabei ein recht einfach zu erschließendes Feld. Immerhin geht es den meisten Künstler*innen (aus monetären und/oder ideologischen Gründen) darum, ihre Kunst zu zeigen und möglichst

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zu verbreiten. Kunst ist sichtbar. Dadurch ist es hier viel einfacher, bestenfalls alle oder zumindest die meisten Elemente des Diskurses ausfindig zu machen und die einzelnen Aussagen in die Analyse zu integrieren. Das unterscheidet den hier untersuchten Diskurs wesentlich von sehr vielen anderen, die einer eher künstlichen Abgrenzung von anderen Diskursen bedürfen. Nimmt man den verbal basierten Diskurs zum Berg Fuji heute hinzu, wird man direkt mit ­diesem Problem konfrontiert: Hier lassen sich sehr viel mehr Daten finden, als in einer Analyse Raum vorhanden ist, während gleichzeitig damit zu rechnen ist, dass nicht alles gefunden werden kann, was bedeutsam ist. Wie bereits beschrieben, hängen der visuelle und der verbal basierte Diskurs um den Berg Fuji eng zusammen. Auch hier ist der eine Teil ohne den anderen nicht denkbar; man könnte auch von ein und demselben Diskurs sprechen, der wiederum unterteilt ist in u. a. den visuellen Subdiskurs. Der visuelle Anteil ist, wie bereits beschrieben, relativ klar abgrenzbar. Der verbal basierte Anteil ist sehr weit verstreut. Hinzu kommt in ­diesem Fall das Problem der verschiedenen Sprachen, das den visuellen Diskurs weniger betrifft. Hier können sich zwar Sehkonventionen unterscheiden, aber die Kanäle, durch die Künstler*innen produzieren, sind verständlich, es sind wenige und sie sind gleichzeitig öffentlich und gut auffindbar. Dasselbe gilt für die Rezipierenden: Noch immer findet die Verbreitung von Kunst klassischerweise in der (mitunter exklusiven) Kunstszene statt. Museen werden jedoch zunehmend auch von der breiten Öffentlichkeit besucht. Nicht zuletzt, weil die Museen üblicherweise staatlich gefördert sind und einen Bildungsauftrag erfüllen sollen, werden Marketing und Programm heute immer öffentlichkeitswirksamer gestaltet. Etwas anders sieht das noch im Kontext von Galerien oder anderen Institutionen aus, denen es eher um den Handel von Kunst geht als um das Zeigen. Hier ist die Zielgruppe kleiner, denn sie sollte zahlungsfähig sein. In den letzten Jahren kommt weiterhin das Medium des Internets hinzu. Hierdurch wird die heutige Kunst auch immer mehr von einer jungen Zielgruppe rezipiert. Dabei gilt es zu bedenken, dass die entsprechenden Künstler*innen üblicherweise schon ein Standing in der klassischen Kunstszene haben, bevor sie ihre Kunst im Internet erfolgreich verbreiten können. So wie die Rezipierenden der Werke des hier untersuchten Diskurses zumeist der klassischen Kunstszene entstammen, so haben die Künstler*innen üblicherweise regulär Kunst (oder Design, Fotografie etc.) an einer etablierten Hochschule studiert. Das bedeutet, dass der Diskurs durch eine akademisch gebildete Schicht geprägt ist. Zwar stammen die Werke aus der ganzen Welt. Doch nur wenige, privilegierte Personen haben überhaupt die Möglichkeit, Aussagen zum Diskurs beizutragen. Dadurch lässt sich der hohe Anteil des Subdiskurses Provokationen am Gesamtdiskurs recht gut erklären, bilden die renommierten Kunstakademien weltweit doch vor allem dazu aus, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. Die Ausbildungsorte der zeitgenössischen Künstler*innen üben also viel Macht auf den Diskurs aus. Zur Untersuchung der Machtstrukturen ist es auch notwendig, sich die dahinterstehenden Organisationen anzusehen. Diese wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln besprochen: ­Magnum Photos, Kaikai Kiki, die Mizuma Gallery und andere. Auch diese Institutionen üben durch ihre internen Selektionsprozesse viel Macht auf den Diskurs aus: Sie bestimmen mit, was

Zusammenfassung, oder: Diskursanalyse mit Visuellen Daten | 207

produziert und was letztlich gesehen werden kann. Vielen Rezipierenden bleibt dieser Hintergrund unsichtbar. All dies zusammengenommen bedeutet, dass der visuelle Diskurs um den Berg Fuji sehr viel weniger zufällig strukturiert und inhaltlich geprägt ist, als es zunächst wirken könnte. Er wird übergeordnet durch institutionell bedingte Machtstrukturen gesteuert. Es wurde bereits beschrieben, dass zwar wenige der beitragenden Künstler*innen untereinander vernetzt sind und gezielt Verweise aufeinander in den Diskurs miteinbringen. Aber sie alle eint, dass sie denselben Bedingungen unterworfen sind, die ihre Kunstproduktion überhaupt ermöglichen und schließlich beeinflussen; sie nehmen sehr ähnliche Subjektpositionen ein. Zu den einenden Rahmenbedingungen gehört darüber hinaus die ewige Konfrontation mit der ikonischen Darstellung des Fuji der letzten Jahrhunderte; dass der Subdiskurs Tradition–Moderne immer noch so stabil ist, lässt sich auch damit begründen. Dass die entsprechenden Künstler*innen alle daran mitwirken, diesen Subdiskurs als zentralen Kern des übergreifenden Diskurses stabil zu halten, wird ihnen nicht bewusst sein. Zu beachten ist dabei, dass insbesondere westliche Künstler*innen wie Fiona Tan dazu beitragen, den lange währenden Diskurs zu stärken und aufrechtzuerhalten, während die schärfsten Provokationen vor allem von jungen japanischen Künstler*innen stammen. (4) In der Frage nach der Dynamik des visuellen Diskurses des Fuji spielen mehrere Momente in der jüngeren japanischen Geschichte eine Rolle. Es ist durchaus bemerkenswert, dass der Diskurs über Jahrhunderte hinweg äußerst stabil war und sich kaum verändert hat, während er in den letzten Jahrzehnten und insbesondere in den letzten Jahren enorm erweitert und sogar verschoben wird. Der erste für den Diskurs relevante Einschnitt erfolgte mit der Wirtschaftskrise in Japan seit den 1980er Jahren. Grundlegende Gewissheiten gingen auf lange Sicht verloren, womit gleichzeitig der Weg für das Infragestellen anderer etablierter Sicherheiten geebnet wurde. So eine Sicherheit war auch der Berg Fuji; vielmehr seine gewachsene Bedeutung als Symbol der japanischen Gesellschaft. Der zweite, für den Diskurs noch bedeutendere Einschnitt ist die Dreifachkatastrophe von 2011. Es hat förmlich ein Paradigmenwechsel in der japanischen Kunst stattgefunden, der auch großen Einfluss auf den visuellen Diskurs des Fuji hat. Viele der hier besprochenen Werke stammen aus der Zeit nach der Katastrophe. Beide genannten Ereignisse haben sich in Japan abgespielt. Es ist nicht überraschend, dass darauf in den Werken der japanischen Künstler*innen mehr oder weniger unmittelbar reagiert wurde und wird. Das bedeutet aber nicht, dass die nicht-japanischen Künstler*innen dadurch unbeeinflusst blieben. Denn in der visuellen Beschäftigung mit dem Fuji spielt auch sein Hintergrund eine Rolle: Die Verhandlung des Fuji bedeutet gleichzeitig immer eine Verhandlung der japanischen Gesellschaft. Zudem lag seit 2011 international ein besonderer Fokus auf Japan, womit auch weltweit die künstlerische Beschäftigung mit dem Land wieder Aufwind erhielt. Ein Beispiel ist der Bildband Magnitude 9: Mit der internationalen Berichterstattung gingen vielerlei Benefizprojekte einher. Die Medien wurden erneut überschwemmt mit den Symbolen Japans: mit Kirschblüten, mit Geishas, mit dem Fuji. Dies findet sich entsprechend auch in der zeitgenössischen Kunst

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nicht-japanischer Künstler*innen wieder; sei die Aufnahme d ­ ieses Themas nun durch die eigene innere Motivation oder monetär begründet. In den letzten Jahren ist der Diskurs in Bewegung. Derweil kämpft Japan mit schwerwiegenden gesellschaftlichen und politischen Problemen: Die Konflikte um die Atomenergie, die alternde Gesellschaft und nicht zuletzt die immer wieder aufflammenden nationalistischen Tendenzen sind nur einige ­Themen. Sie sind konfliktbelastet. Wenn man den visuellen Diskurs um den Fuji betrachtet, wird deutlich, dass die darin enthaltenen Erweiterungen und Verschiebungen bisher mit den Entwicklungen in Japan einhergehen. Dementsprechend ist zu erwarten, dass der Diskurs auch weiterhin Veränderungen unterworfen sein wird. Voraussichtlich werden sich die provokanten Aussagen über den Fuji und mittels des Fuji weiterhin mehren, so dass dieser Subdiskurs im Verhältnis zum Subdiskurs Tradition–Moderne weiterhin überproportional anschwellen wird. Die Schnittmengen mit anderen, benachbarten Diskursen werden dabei größer werden. Der Kernsubdiskurs Tradition–Moderne wird dabei erhalten bleiben; aufgrund der sich ausdehnenden Randbereiche ist aber zu erwarten, dass sein relativer Anteil am Gesamtdiskurs kleiner werden wird. Er wird kaum neue Aussagen aufzeigen, sondern weiterhin vor allem reproduktiv und bestätigend fungieren. Dass der Diskurs zerfallen wird, das heißt dass der Fuji kein wesentliches Thema in der zeitgenössischen Kunst mehr sein wird, ist sehr unwahrscheinlich. Das alte Symbol Japans kann nicht so schnell gestürzt werden. (5) Es ist eine Sache, dass der visuelle Diskurs um den Berg Fuji nicht von sich aus zerfallen wird. Gibt es aber die Möglichkeit, ihn durch gezielte Interventionen zu ­beeinflussen? Die Frage nach Interventionsmöglichkeiten gehört für Foucault zu einer Diskursanalyse dazu und das ist berechtigt: Es gibt Diskurse, die durch einseitige ­Machtverhältnisse gesteuert werden und die derart negative Implikationen haben, dass über Interventionsmöglichkeiten nachgedacht werden muss. Mitunter lassen sich durchführbare Interventionen formulieren, die eine Veränderung initiieren können. Das ist hier nicht der Fall. Einerseits lässt sich der Diskurs als Abbild der Reaktion auf gesellschaftliche ­Themen und Verhältnisse in Japan deuten. Gleichzeitig wirken letztere auf den Diskurs zurück. Das bedeutet aber nicht, dass sich durch einen gezielten Einfluss auf den Diskurs die gesellschaftliche und politische Realität in Japan gezielt beeinflussen ließe. Es geht hier letztlich nicht um den Fuji, sondern um das, was dahintersteht. Der Fuji ist ein Werkzeug, das die verborgenen Ebenen vermittelt. Zwar wirken die Werke auch auf die japanische Gesellschaft zurück, steuern lässt sich dies jedoch nicht; der Diskurs lässt sich nicht analog durch das gezielte Veröffentlichen diverser Fuji-Darstellungen beeinflussen. Dazu sind zu viele Institutionen und Künstler*innen in der ganzen Welt involviert, einige einschneidende Stationen in der jüngeren japanischen Geschichte ausschlaggebend und von bleibendem Einfluss, und nicht zuletzt steuert die komplette Kulturgeschichte Japans mitsamt der des Fuji den Diskurs mit. Über Interventionsmöglichkeiten nachzudenken, ist hier also nicht zielführend.

DAV: Unzulänglichkeiten, Potenziale und Ausblick | 209

7.2 DAV: Unzulänglichkeiten, Potenziale und Ausblick Es gibt zwei Möglichkeiten, eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten durchzuführen (vgl. Kapitel 3.9). Von der ersten Möglichkeit wird in dieser Arbeit Gebrauch gemacht: Die visuellen Daten zum Thema des Diskurses werden zusammengetragen und die darin enthaltenen Aussagen zeichnen den Diskurs. Hauptsächlich besteht der Diskurs dann aus visuellen Daten. Die zweite Möglichkeit umfasst mehr: Hier geht es darum, verbale Daten mit visuellen Daten zusammenzubringen. Genau genommen kann das wiederum auf zwei unterschiedliche Arten getan werden: (1) Man erweitert eine bestehende und womöglich bereits abgeschlossene Diskursanalyse, die ausschließlich verbale Daten berücksichtigt, um visuellen Daten. Dies kann in gewissen Fällen angebracht sein, zumal viele aktuelle und wichtige Diskursanalysen noch immer visuelle Daten ausschließen, während letztere faktisch eine wichtige Rolle im entsprechenden Diskurs spielen. Das heißt, eine bis dahin unvollständige Analyse kann durch das Einbringen visueller Daten vervollständigt werden. (2) Gleich von Beginn an werden verbale Daten und visuelle Daten gleichermaßen einbezogen. Das ist die sinnvollere Variante, denn auf diese Weise kann ein Diskurs bestmöglich abgebildet und untersucht werden. Wird eine Diskursanalyse mit Visuellen Daten angestrebt, so ist die Trennung ­zwischen verbalen und visuellen Daten als Ausgangsmaterial nicht scharf. Dies kann anhand der vorliegenden Arbeit anschaulich illustriert werden. Es ist nur ein Teil der Arbeit, die visuellen Daten für sich und werkimmanent zu analysieren. Zu den visuellen gehören aber jeweils auch verbale Daten, z. B. Informationen über die Verbreitungswege und das dahinterstehende Marketing. Diese sind unentbehrlich, um die jeweilige Position einer bestimmten Aussage im Diskurs zu bestimmen. Zu einer Diskursanalyse mit Visuellen Daten gehören also immer auch verbale Daten. Hinzu kommt: Die visuellen Daten werden durch das hier vorgestellte Vorgehen vertextlicht und liegen letztlich ebenfalls als verbale Daten vor. Wenn die Möglichkeit der umfassenden Diskursanalyse mit verbalen und visuellen Daten vorzuziehen ist – warum wird hier nur der visuelle Diskurs um den Berg Fuji (unterfüttert mit den notwendigen verbalen Daten) untersucht? Es gibt zwei Antworten auf diese Frage. Die erste ist, dass es ein Ziel dieser Arbeit ist, die Methode der Diskursanalyse mit Visuellen Daten überhaupt zu begründen und schließlich anzuwenden. Das heißt: Ausnahmsweise liegt der Fokus hier ganz bewusst auf der Aufbereitung visueller Daten und der Frage danach, wie man sie generell für eine Diskursanalyse nutzbar macht. Dementsprechend viel Raum wurde der Bearbeitung visueller Daten hier eingeräumt. Die zweite Antwort ist pragmatisch: In dieser Arbeit ist schlichtweg kein Raum für eine vollumfängliche Diskursanalyse um den Berg Fuji in den letzten Jahren. Die Texte, die im Bereich Marketing, in verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, in der Kunstwissenschaft und in vielen weiteren Bereichen dazu allein aus den letzten Jahren vorliegen sind in ihrer Quantität schlichtweg nicht durchdringbar. Ein solches Vorhaben ist unüberschaubar groß. Selbst wenn man die Analyse einschränken würde auf den Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst, käme eine Unmenge an Daten zusammen. Hier sollten

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nämlich Künstler*inneninterviews, sämtliche Ausstellungskataloge, Kurator*innentexte etc. mit herangezogen werden. Wenn es nach den Zielen einer Diskursanalyse, nicht zuletzt nach Foucault, geht, dann sollten sicherlich so viele wesentliche Daten miteinbezogen werden wie möglich. Dennoch hat eine Diskursanalyse, die sich vornehmlich auf visuelle Daten bezieht, auch ihre Daseinsberechtigung. Die vorliegende Arbeit belegt auch diese These. Dieses Vorgehen eignet sich genau dann, wenn der visuelle Anteil des Diskurses besonders groß und prägend ist. Bei einem Thema aus dem Bereich Kunst ist das die Regel. In kaum einem anderen Bereich ist ein Diskurs so sehr durch visuelle Daten geprägt. Ist der Diskurs hauptsächlich verbal basiert, dann ist eine DAV, die sich hauptsächlich auf visuelle Daten stützt, nicht angemessen. Das bedeutet, dass die hier angewendete Methode sich hauptsächlich für thematisch abgrenzbare Kunstdiskurse eignet. Möglicherweise kommen auch Th ­ emen des Marketings infrage oder weiter gefasst Bereiche aus den Bildwissenschaften bzw. generell Diskurse, die visuell geprägt sind und deren Kernaussagen in visueller Form vorliegen. Es wurde bereits erklärt, inwiefern die Methode dem Thema gerecht wird. Abschließend soll aber auch danach gefragt werden, ob das Thema der Methode gerecht wird. Sicherlich kann sie durch die Analyse des visuellen Diskurses um den Berg Fuji zur Anwendung gebracht und vorgestellt werden. Nach Abschluss der Analyse zeigt sich jedoch: Andere ­Themen könnten die Möglichkeiten und Potenziale der Methode noch besser unter Beweis stellen. Es ist bereits angeklungen, dass die einzelnen Aussagen des hier behandelten Diskurses zwar oft inhaltlich ähnlich und denselben institutionellen Rahmenbedingungen unterworfen sind. Sie beziehen sich aber kaum direkt aufeinander und die Referenzen, die sich ausfindig machen lassen, reichen vor allem in die Vergangenheit und nicht zu im Diskurs benachbarten Aussagen. Dabei ist gerade das das große Alleinstellungsmerkmal der Methode DAV, die sie vor allem von vielen kunstwissenschaftlichen Herangehensweisen unterscheidet: Diese Analyse lebt vor allem von der Dichte der vorgestellten Werke und den Erkenntnissen, ­welche Positionen die Aussagen im Diskurs jeweils für sich und miteinander einnehmen. Die DAV könnte ganz anders aussehen zu visuell basierten Th ­ emen, in denen viel mehr Querverweise, Referenzen und Verbindungen vorliegen. Ein Beispiel wäre ein Thema wie Pädosexualität in den Werken der zeitgenössischen japanischen Kunst. Hier spielt Murakami Takashi mit seiner Firma Kaikai Kiki eine zentrale Rolle. Er hat durch seinen Einfluss entscheidend mitgeprägt, wie Pädosexualität in der japanischen Kunst der letzten 20 Jahre dargestellt wird, dass sie überhaupt dargestellt wird. Gleichzeitig arbeitet Murakami mit anderen Künstler*innen zusammen und ist Kurator. Er übt enorme Macht auf die japanische Kunstszene aus und dieser Einfluss lässt sich auch in der Analyse des visuellen Diskurses zu dem Thema verfolgen und nachzeichnen. Wenn es also um eine Diskursanalyse zu einem bestimmten Thema in der Kunst geht und diese visuell basiert sein soll, so eignen sich manche ­Themen besser als andere. Generell hat sich die Arbeit mit der Methode als sehr leichtgängig erwiesen. Entgegenkommend ist, dass kein sehr strenger Leitfaden vorliegt, etwa zur Werkanalyse. Hier eignen sich alle Vorgehen, die etablierten fachlichen Standards folgen. Das kommt jenen Diskursanalytiker*innen entgegen, die schon lange kunstwissenschaftlich arbeiten und ihre eigenen

Der Fuji und Japan | 211

Vorgehensweisen nicht von Grund auf ändern wollen. Gleichzeitig eröffnet das kunstwissenschaftlich unerfahrenen Diskursanalytiker*innen die Möglichkeit, Personen in die Arbeit miteinzubeziehen, die sich der Werkanalysen entsprechend annehmen können. Hierzu ist nur wenig Einarbeitung in die Methode nötig, so dass eine Zusammenarbeit schnell eingerichtet werden kann. Das ist ein Vorteil der Methode. Dieser wenig strenge Leitfaden wird sicherlich von einigen Leser*innen ebenso als nachteilig eingeschätzt. Noch immer ist die Annahme recht weit verbreitet, dass nur ­solche Methoden wissenschaftlich sind, die ganz stringent vorgegeben sind und entsprechend angewendet werden. Dafür, dass (und warum) das hier nicht notwendig ist, wurde bereits in Kapitel 3.8 argumentiert. Möglich ist es ohnehin nicht (vgl. ebd.). Gleichzeitig bedeutet das nicht, man müsse bei der DAV keine Regeln befolgen. Die fünf Schritte der DAV müssen – ob chronologisch, iterativ oder in einer anderen Reihenfolge – alle durchgeführt werden. Gleichzeitig muss zur Werkanalyse ein Leitfaden herangezogen werden, der auf die Schule nach Panofsky, Imdahl etc. zurückgeht. Sollte noch immer Kritik an der Methode verbleiben: Die einzige Alternative wäre es, weiterhin keine visuellen Daten in die Diskursanalyse zu integrieren. Zwar bieten auch einige der anderen in dieser Arbeit vorgestellten Methoden wichtige Ansatzpunkte oder sind möglicherweise für ähnliche Vorhaben zielführend, für eine umfassende DAV ist jedoch keine davon ergiebig. Angesichts der sich immer mehr visuell gestaltenden Umwelt sind wir jedoch darauf angewiesen, visuelle Daten in die Diskursanalyse zu integrieren. Eine Ablehnung wäre fortschrittsverweigernd. Daher soll an dieser Stelle nochmals abschließend für die Akzeptanz von visuellen Daten in der Diskursanalyse und damit für die hier entwickelte und vorgestellte DAV plädiert werden.

7.3 Der Fuji und Japan Japan, wie hast du’s mit dem Fuji? Die vorgelegte Analyse zeigt, dass der Fuji weiterhin als nationales Symbol Japans und als Ikon fungiert. Dass er gerade im Kontext von Provokationen auftaucht, könnte dazu verleiten, anzunehmen, dass sein Image bröckelt. Es ist aber genau das Gegenteil der Fall: Weil der Fuji noch immer so ein starkes Symbol ist, wird er als Werkzeug der Provokation und schließlich des Protests eingesetzt. Gleichzeitig wird seine Position in der Gesellschaft als verbindendes Element ­zwischen Tradition und Moderne im entsprechenden Subdiskurs neu verhandelt. Obwohl diese Verhandlungen hier sehr viel subversiver stattfinden, geht doch daraus hervor, dass sich das Ansehen des Fuji verändert. Das heutige Japan ist durch seine vielen gesellschaftlichen Probleme nicht nur einem generellen Wandel, sondern auch einem Sinneswandel unterworfen. Immer mehr Sicherheiten verfallen und so kann auch der Fuji nicht mehr für jene Sicherheit sorgen, die er bis dato gespendet hat. Auch das zeigt diese Arbeit sehr deutlich. Es ist zu erwarten, dass der Fuji weiterhin intensiv in künstlerischen Werken verhandelt wird. Das zu verfolgen wird spannend sein, denn dabei geht es nicht nur um den Fuji, sondern um die Nation Japan generell; um ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft.

Nachtrag

Bei der Vielzahl der Werke, die in dieser Arbeit besprochen wurden, ist wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, dass ein Werk fehlt: Es ist ­dieses eine Bild des Fuji, das ich während meiner Recherche in Japan doch noch gefunden habe. Es stammt von Takagi Tomomo; der Titel lautet Teapopts with Mt. Fuji (Abb. 74). Es wurde bis hierhin noch nicht besprochen, weil es für den rein visuellen Diskurs des Berges Fuji keine besondere Rolle spielt. Weder trägt es etwas zum Subdiskurs Tradition–Moderne bei, noch beinhaltet es Provokationen. Stattdessen ist es bunt und fröhlich und zeigt den Fuji irgendwie „ganz normal“. Genau genommen malt die Künstlerin ein Bild im Bild. Auf ­diesem Bild ist der Fuji inmitten einer Landschaft zu sehen. Umrahmt wird es von einem bunten Durcheinander von verschiedensten Gegenständen wie kleinen Töpfchen und vielerlei nicht identifizierbaren Dingen. Die Grüntöne lassen an eine Art Dschungel denken. Sie bilden einen Kontrast zu den Neonfarben in der Darstellung, mit denen auch der Fuji gemalt ist. Insgesamt erweckt das Bild eine freundliche und unbeschwerte Atmosphäre. Trotz seiner Neonfarben ist es unauffällig und unverdächtig. Es gehört zu den wenigen künstlerischen Werken, die kein großes Aufheben um den heiligen Berg machen: Er ist einfach da und nichts weiter. Offenbar ist es in Fukuoka, auf der südlichen Insel, noch möglich, so ein Bild in einer Galerie zu zeigen. Die Stadt hat das Image, dass dort alles etwas lockerer genommen wird als im Zentrum Japans, also in Tokio und auf der Hauptinsel Honshū generell (vgl. Tagsold 2015: 37 – 38). Die Werke, die aus dem Zentrum kommen oder von internationalen Künstler*innen stammen, befassen sich eher kritisch mit dem Fuji oder beschäftigen sich mit der (scheinbaren) Dichotomie Tradition–Moderne. Oder eben: Sie befassen sich überhaupt nicht mit dem Fuji, weil er noch immer ein sehr starkes Symbol ist, mit dem in einem Werk entsprechend umgegangen werden muss.

214 | Nachtrag

Abb. 74 Takagi Tomoko, Teapots with Mt. Fuji, Öl auf Leinwand, 2017, 45,5 × 53 cm. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der ARTCOURT Gallery.

Danksagung

Nach vielen Jahren intensiver Arbeit bin ich überaus glücklich, nun endlich ­dieses Buch vor mir liegen zu sehen. Damit ist der Moment gekommen, mich bei denjenigen Personen und Institutionen zu bedanken, ohne ­welche diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Besonderer Dank gilt Prof. Dr. Christian Tagsold, der mir über viele Jahre beratend zur Seite stand, mich in jeder Hinsicht unterstützt und immer wieder bestärkt hat. Auch Prof. Dr. Shingo Shimada möchte ich für die hilfreichen inhaltlichen Gespräche und die kon­ struktive Kritik danken. Darüber hinaus danke ich Dr. Martin Temmen und Dr. Bernhard Fisseni für das unermüdliche Korrekturlesen meiner Arbeit und die intensiven Diskussionen, die mich aus der einen oder anderen Sackgasse befreit haben. Auch danke ich meinen Studierenden, die mich nicht nur überaus fleißig mit populärkulturellen Darstellungen des Fuji versorgten, sondern auch wertvolles inhaltliches Feedback lieferten. Besonders durch die Gespräche mit Sebastian Sabas und Simon Stein konnte ich meine Arbeit wesentlich aufwerten. Meiner wissenschaftlichen Hilfskraft Marina ­Sammeck danke ich für die hartnäckige und überaus erfolgreiche Suche nach künstlerischen FujiDarstellungen in der ganzen Welt, ­welche die Arbeit außerordentlich bereichern. Meinen Forschungsaufenthalt in Japan im Jahr 2017 hätte ich ohne die finanzielle Förderung durch die HHU Düsseldorf nicht realisieren können; mein Dank gilt den Heine Research Academics und der Frauenförderung der Philosophischen Fakultät. Von der philGRAD möchte ich außerdem Dr. Simone Brandes, die zu jeder Zeit ein offenes Ohr für mich hatte, mich immer wieder bekräftigte und mich nach meiner einsamen CoronaDisputation so herzlich empfing, von Herzen danken. Für die Unterstützung in der aufregenden Zeit vom Manuskript zum fertigen Buch möchte ich vor allem Dr. Christin Ruppio danken, die mir zu jedem der vielen notwendigen Schritte wertvolle Hinweise geben konnte. Korcan Yeşil gilt besonderer Dank, denn durch seine Hilfe konnte ich mich dem lange Zeit prokrastinierten Angstgegner Bildrechte endlich stellen. Abschließend möchte ich mich bei all jenen lieben Menschen aus meinem Freundes- und Familienkreis bedanken, die mich über so viele Jahre hinweg begleitet haben und immer für mich da sind. Ihr wisst, wer ihr seid. ♡

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Kapitel 1 keine Abbildungen Kapitel 2 Abb. 1: Kakugyō, o. T. Datierung, Material und Größe unbekannt. Quelle: Earhart 2011, S. 41. Abb. 2: Hiroshige, Meguro Shin-Fuji. Farbholzschnitt, 1857, 39 × 26 cm. Boston, Museum of Fine Arts. Quelle: Wikimedia Commons, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/ba/Utagawa_Hiroshige_I%2C_published_by_ Uoya_Eikichi_-_New_Fuji%2C_Meguro_%28Meguro_Shin-Fuji%29 %2C_ from_the_series_One_Hundred_Famous_Views_of_Edo_%28Meisho_Edo_ hya…_-_Google_Art_Project.jpg. CC0 1.0-Lizenz. Abb. 3: Hokusai, Nihonbashi bridge in Edo. Farbholzschnitt, ca. 1830 – 1832, 25,4 × 36,8 cm. Boston, Museum of Fine Arts. Quelle: Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.­org/wiki/File:%E5 %86 %A8%E5%B6%BD%E 4%B8%89%E5%8D%81%E5%85%AD%E6%99%AF_%E6%B1%9F%E6%88 %B8%E6%97%A5%E6%9C%AC%E6%A9%8B-Nihonbashi_in_Edo_(Edo_ Nihonbashi),_from_the_series_Thirty-six_Views_of_Mount_Fuji_(Fugaku_ sanj%C5%ABrokkei)_MET_DP141092.jpg. CC0 1.0-Lizenz. Abb. 4: Isoda Koryūsai, Couple Making Love. Farbholzschnitt, ca. 1770er Jahre, 18,7 × 24,9 cm. Fine Arts Museums of San Francisco. Quelle: Molenaar und Uhlenbeck 2000, S. 17, Abb. 9. Abb. 5: Hokusai, The Great Wave off Kanagawa. Farbholzschnitt, um 1830, 25,7 × 37,9 cm. New York: The Metropolitan Museum of Art. Quelle: Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%E3%80%8C %E5%AF%8C%E5%B6%BD%E4%B8%89%E5%8D%81%E5%85%AD%​E6% 99%AF_%E7%A5%9E%E5%A5%88%E5%B7%9D%E6%B2%96%E6%B5%A A%E8%A3%8F%E3%80%8D-Under_the_Wave_off_Kanagawa_(Kanagawa_ oki_nami_ura),_also_known_as_The_Great_Wave,_from_the_series_Thirtysix_Views_of_Mount_Fuji_(Fugaku_sanj%C5%ABrokkei)_MET_DP130155. jpg. CC0 1.0-Lizenz. Abb. 6: Hokusai, Fine Wind, Clear Morning (Red Fuji). Farbholzschnitt, ca. 1830, 25,7 × 38 cm. London, The British Museum. Quelle: Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Red_Fuji_southern_wind_clear_ morning.jpg. CC0 1.0-Lizenz. Abb. 7: Hokusai, Thunderstorm Beneath the Summit. Farbholzschnitt, ca. 1830, 24,1 × 63,5 cm. Honolulu, Honolulu Museum of Art. Quelle: Wikimedia

228 | Abbildungsverzeichnis

Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11:

Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17:

Abb. 18: Abb. 19:

Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lightnings_below_ the_summit.jpg. CC0 1.0-Lizenz. Hiroshige, Clear Weather After Snow at Nihonbashi Bridge. Farbholzschnitt, 1856, 36 × 24 cm. Cambridge, Harvard Art Museum. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Harvard Art Museums. Vincent van Gogh, Portrait of Père Tanguy. Öl auf Leinwand, 1887, 65 × 51 cm. Paris, Musée Rodin. Quelle: Wikimedia Commons, https://commons.­wikimedia. org/wiki/File:Van_Gogh_-_Bildnis_P%C3%A9re_Tanguy.jpeg. CC0 1.0-Lizenz. Hasui Kawase, Nishiizu Kishō. Farbholzschnitt, 1937, 39,05 × 28,58 cm. Los Angeles County Museum of Art. Quelle: Newland 2008: S. 106. Urheber*in unbekannt, Snow-capped Fujiyama, Japan’s famous and sacred volcano, is photographed through the periscope of an American submarine. Abdruck aus der Zeitschrift Life, 10. 05. 1943, 35,5 × 26,5 cm. Quelle: Kohara 2011: S. 52, Abb. 44. Munakata Shiko, Yoshiwara, Aki Fugaku. Handkolorierter Holzschnitt, 1963 – 64, 492 × 385 cm. Quelle: Munakata 2011: S. 77. Miike Takashi, Sukiyaki Western Django. Film, 2007, Still: Minute 01:50. Werbespot zum Toyota Crown. 2016, Still: Minute 00:19. Urheber*in unbekannt, Little by little our waters are looking less like art and more like trash. Ganzseitige Anzeige in der Zeitschrift Gourmet. 1996, Größe unbekannt. Quelle: Guth 2015: S. 163, Abb. 4.15. Urheber*in unbekannt, Willkommen in Japan-Broschüre am Flughafen Narita inkl. Flughafenkarte. 2005, Größe unbekannt. Quelle: Guth 2015: S. 167, Abb. 4.16. Marion und Christoph Aistleitner, Mount Fuji above Lake Kawaguchi (Kawaguchi-ko) in Japan. Fotografie, 2014, Größe unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fuji_Kawaguchi_457. JPG. CC0 1.0-Lizenz. Greg Krycinski, Mount Fuji over the Lake Yamanaka. Digitale Fotografie, 2014, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Ken Kitano, one day – Mt. Fuji, sunrise to sunset, Yamanashi. Chromogener Druck, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des MEM, Tokio.

Kapitel 3 keine Abbildungen Kapitel 4 Abb. 20: Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 3), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm. Quelle: Michals 1976: ohne Seitenangabe.

Abbildungsverzeichnis | 229

Abb. 21: Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 6), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm. Quelle: Michals 1976: ohne Seitenangabe. Abb. 22: Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 11), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm. Quelle: Michals 1976: ohne Seitenangabe. Abb. 23: Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 13), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm. Quelle: Michals 1976: ohne Seitenangabe. Abb. 24: Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 14), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm. Quelle: Michals 1976: ohne Seitenangabe. Abb. 25: Duane Michals, Take One and See Mount Fujiyama. Serie aus 15 beschrifteten Fotografien (hier No. 15), 1976, jeweils 8,9 × 13 cm. Quelle: Michals 1976: ohne Seitenangabe. Abb. 26: Hatakeyama Naoya, Noyelles-sous Lens. Digitale Fotografie, 2009, Größe unbekannt. Quelle: Hatakeyama 2011: ohne Seitenangabe. Kapitel 5 Abb. 27: Raoul Ries, Nedobashi, Higashiyama. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 28: Raoul Ries, Hina-Station, Yoshiwara-chi. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Ries 2007. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 29: Raoul Ries, Fujinomiya-shiyakusho, Fujinomiya. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Ries 2007. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 30: Urheber*in unbekannt, Werbeplakat der Ausstellung Metabolism, The City of the Future: Dreams and Visions of Reconstruction in Postwar and PresentDay Japan, 2011, Größe unbekannt. Abb. 31: Simon Urwin, Bather in a traditional sentō (public bathhouse). Digitale Fotografie, 2017, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 32: Chris Steele-Perkins, Tourist shops at Fifth Station. Fotografie, 2001, Größe unbekannt. Quelle: Steele-Perkins 2001, S. 117. Abb. 33: Chris Steele-Perkins, Queue on narrow section of climb. Fotografie, 2001, Größe unbekannt. Quelle: Steele-Perkins 2001, S. 119. Abb. 34: Chris Steele-Perkins, Girl with dog, early morning. Fotografie, 2001, Größe unbekannt. Quelle: Steele-Perkins 2001, S. 123. Abb. 35: Raoul Ries, Nakahara, Higashiyama (1). Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Ries 2007, ohne Seitenangabe.

230 | Abbildungsverzeichnis

Abb. 36: Raoul Ries, Nakahara, Higashiyama (2). Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Ries 2007, ohne Seitenangabe. Abb. 37: Chris Steele-Perkins, Eating ice cream, Oshino Hakkai. Fotografie, 2001, Größe unbekannt. Quelle: Steele-Perkins 2001, S. 66. Abb. 38: Chris Steele-Perkins, ‘Oni’ (a demon) at setsubun festival, Fuji-Taisha, Fujinomiya. Fotografie, 2001, Größe unbekannt. Quelle: Steele-Perkins 2001, S. 50/51. Abb. 39: Gaban Goto, o. T. 2011, Material und Größe unbekannt. Quelle: Collectif. 2011, S. 167. Abb. 40: Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 04:41. Quelle: Tabaimo 2007. Abb. 41: Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 01:51. Quelle: Tabaimo 2007. Abb. 42: Hokusai, Three Terrapins. Farbholzschnitt, 1798, 17,4 × 15,4 cm. Private Kollektion, Japan. Quelle: Clark 2017: S. 60. Abb. 43: Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 03:37. Quelle: Tabaimo 2007. Abb. 44: Tabaimo, hanabi-ra. Videoinstallation, 2002, Still: Minute 02:57. Quelle: Tabaimo 2007. Abb. 45: Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 02:16. Quelle: Tabaimo 2007. Abb. 46: Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 02:02. Quelle: Tabaimo 2007. Abb. 47: Kanjo Také, Mirror. 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 48: Kanjo Také, Mirror (Detail). 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 49: Kanjo Také, Rhenus. 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 50: Kanjo Také, Rhenus (Detail). 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 51: Kanjo Také, Adam. 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 52: Kanjo Také, Adam (Detail). 2010, Reihe aus zehn Diasec C-Prints, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 53: Raoul Ries, Asamamachi, Arakura. Digitale Fotografie, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Kapitel 6 Abb. 54: Yamaguchi Akira, Chairs to look at Mt. Fuji. Installationsansicht der Ausstellung „New Tōkaidō Landscapes: Yamaguchi Akira and Takezaki Kazuyuki“ im

Abbildungsverzeichnis | 231

Vangi Sculpture Garden Museum, Shizuoka, Japan, 2011. Quelle: Munakata et al. 2011, S.123. Abb. 55: Yamamoto Masao, o. T. 2008, Material und Größe unbekannt. Quelle: Yamamoto 2008, ohne Seitenangabe. Abb. 56: Yamaguchi Akira, Sights of Mishima – Milestone. Japanische Tinte, Wasserfarbe auf Papier, 2011, 38,2 × 28,7 cm. Quelle: Munakata et al. 2011, S.131. Abb. 57: Narahashi Asako, Kawaguchiko. Digitale Fotografie, 2003, Größe unbekannt. Quelle: Narahashi 2013, ohne Seitenangabe. Abb. 58: Shohei Otomo, Moterdi. Kugelschreiber auf Papier, 2007, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie. Abb. 59: Kanjo Také, Perla. Zehn Diasec C-Prints, 2010, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 60: Kanjo Také, Perla (Detail). Zehn Diasec C-Prints, 2010, je 100 × 100 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 61: Chinatsu Ban, Twin Mt. Fuji. Acryl auf Leinwand, 2004, 130,3 × 162 cm. ­Marianne Boesky Gallery, New York. Quelle: Kaikai Kiki 2009, S. 68/69. Abb. 62: Serge Birault, o. T. 2011, Material und Größe unbekannt. Quelle: Collectif. 2011, S. 41. Abb. 63: Joanie Lemercier, FUJI. Zeichnung, Installation, Klang, 2013, Still: Minute 00:46. Quelle: https://joanielemercier.com/fuji/. Abb. 64: Aoshima Chiho, Takaamanohara. Computeranimiertes Video, 2015, Still: Minute 04:46. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=5427YXnyKXY. Abb. 65: Manabu Ikeda, Rebirth. Stift, Acryl und Aquarell auf Leinwand, 2016, 300 × 400 cm. Kollektion des Saga Prefectural Art Museum, Digital Archive: TOPPAN PRINTING CO., LTD., ©️IKEDA Manabu. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung der Mizuma Art Gallery, Tokio/Singapur. Abb. 66: Manabu Ikeda, Claw Marks. Stift und Acryl auf Papier, 2010, 22 × 27 cm. Fotografie: Miyajima Kei. ©️IKEDA Manabu. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung der Mizuma Art Gallery, Tokio/Singapur. Abb. 67: Nara Yoshitomo, No Nukes! (In the Floating World). Überarbeiteter Farbholzschnitt, Fuji Xerox Papier, 1999, 29,7 × 40,2 cm. Kollektion des Bernard Buffet Museums. Quelle: Goto 1999, ohne Seitenangabe. Abb. 68: Tabaimo, Japanese Bathhouse-Gents. Videoinstallation, 2000, Still: Minute 06:33. Quelle: Tabaimo 2007. Abb. 69: Shohei Otomo, A-Officer A. Kugelschreiber auf Papier, 2011, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie. Abb. 70: Shohei Otomo, A-Officer A (Variante). Kugelschreiber auf Papier, 2011, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie.

232 | Abbildungsverzeichnis

Abb. 71: Shohei Otomo, Subculture Girl. Kugelschreiber auf Papier, 2015, Größe unbekannt. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der SHDW Galerie. Abb. 72: Philipp Lachenmann, Some Scenic Views (after Hokusai). Videoinstallation: Drei Flachbildschirme, Video per DVD. Drei Videos: Hand (9 Minuten), Movie (90 Minuten), Boat (27 Minuten), alle geloopt (hier: Ausstellungs­ ansicht), 2000. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. Abb. 73: Nara Yoshitomo, Little Pilgrims. Fiberglas, Baumwollkleidung, Acrylfarbe (hier: Ausstellungsansicht), 1999, jeweils 72 × 50 × 42,5 cm. Fotografien von Homma Takashi. Meridian Galerie, New York. Quelle: Goto 1999, ohne Seitenangabe. Kapitel 7 keine Abbildungen Nachtrag Abb. 74: Takagi Tomoko, Teapots with Mt. Fuji, Öl auf Leinwand, 2017, 45,5 × 53 cm. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der ARTCOURT Gallery.