Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht: Zugleich ein Beitrag zur einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten des EG-Vertrages [1 ed.] 9783428508839, 9783428108831

Die anhaltende Diskussion um die Struktur der Grundfreiheiten verdeutlicht, daß es im Europäischen Gemeinschaftsrecht no

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Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht: Zugleich ein Beitrag zur einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten des EG-Vertrages [1 ed.]
 9783428508839, 9783428108831

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STEFAN PLÖTSCHER

Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 90

Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht Zugleich ein Beitrag zur einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten des EG-Vertrages

Von Stefan Plötscher

Duncker & Humblot . Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 200112002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-10883-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 200 1/2002 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Juli 2001 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt in erster Linie meinem sehr verehrten akademischen Lehrer und Doktorvater, Herrn Professor Dr. Rudolf Streinz, der meinen akademischen Werdegang von Beginn des Studiums an fördernd begleitet hat. Ihm verdanke ich mein Interesse für das Europarecht sowie die Anregung des behandelten Themas und unzählige wertvolle Hinweise und Ratschläge, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit beigetragen haben. Eine große Bereicherung waren ferner die Diskussionen mit Herrn Privatdozent Dr. Wolfgang Weiß, dem ich zudem für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens danken möchte. Darüber hinaus gilt mein Dank auch Herrn Professor Dr. Gerhard Dannecker, der das Entstehen der Arbeit in vielen Gesprächen begleitet und gefördert hat. Des weiteren möchte ich mich herzlich bei Dr. Georgios Matsos, Dr. Christoph ühler LL. M., Rupert Doehner, Jörg Biermann, Artur Müller, Jan Kalbheim, Axel Mühl und Miguel Azpitarte-Sanchez bedanken, die mir alle in verschiedenster Weise durch Diskussionen und Hinweise bei der Anfertigung der Arbeit weitergeholfen haben. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Schließlich schulde ich auch dem Freistaat Bayern sowie der Universität Bayreuth Dank für ihre Unterstützung der Arbeit durch Gewährung eines Landesgraduiertenstipendiums. Die Arbeit ist meinen lieben Eltern gewidmet, die mich in meiner Laufbahn stets ermunternd und fördernd begleitet haben. Bayreuth/Charlottesville (USA), im April 2002

Stefan Plötscher

Inhaltsübersicht Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil] Grundlagen

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§ 1 "Diskriminierung" als Begriff ..... ... ............... . . .. ................... .... . . ... A. Herkunft und Entwicklung des Begriffs ................................. . ....... B. "Diskriminierung" im Europäischen Gemeinschaftsrecht ........... ... .........

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§ 2 Strukturfragen des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsbegriffs . . .. . .. .. ... . A. Modellstruktur als Ausgangspunkt .. .......... . ..... . .. ... . . .... .. . . .. .... .. .. .. B. Vorfrage: Der Anwendungsbereich des konkreten Diskriminierungsverbots .... C. Vergleichstatbestand .............. . ................. . .................... . ....... D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände ... ..... ......... . . ... . . ....... E. Rechtfertigungselement ...... . .... . .... . . . ....... . .. . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Vorsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Besondere Begriffsbildungen ...... . .. .... . . ............. .... .. . ....... .. . ... ........ A. Die sog. ,,materielle Diskriminierung" ............ . ... . ............. . ........... B. Die sog. "umgekehrte Diskriminierung" oder "Inländerdiskriminierung"

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Teil 2 Begriffsanalyse im Rahmen einzelner Diskriminierungsverbote § 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Verbot des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV .. . .... .. .. . . . .......... ..... ... . .. . . B. Wettbewerbsrechtliche Diskriminierungsverbote . ... . .... . .. . .. . ... . ..... . . .. . ..

82 82 83 94

§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 97 A. Das Merkmal der Staatsangehörigkeit ............... . . . ......................... 99 B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV) ...... . .... .. ....... 101 C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . .. . . .. 136 D. Das Sonderproblem der Inländerbenachteiligung .. . . .. . . . . ......... ... . . . ... ... . 160 § 6 Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. A. Methodische Vorüberlegungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Vergleichstatbestände ............................................................ C. Ungleichbehandlung ......... . . . . . ....... . ...... . ... . ............ . ....... . .. . .... D. Berücksichtigung sachlicher Differenzierungsgründe ... . ... . . . . .... .. . . .. . ... .. E. Subjektives Element . .... . ... . ...... . ... . . . . .. ..... . . . .. . . . .. . ..... . . . . .. .... .. ..

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10

Inhaltsübersicht

F. Das Verbot steuerlicher Diskriminierung gemäß Art. 90 EGV .. .. .......... .. .. 208 G. Das Diskriminierungsverbot für staatliche Handelsmonopole (Art. 31 EGV) ... 214 § 7 Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ...... .. .................................. 216

A. B. C. D.

Vergleichstatbestand .................. . .................. .. .......... ..... ....... Ungleichbehandlung ......................................................... . ... Rechtfertigung ............. .. .... . .............................. . ................ Die Regelung der Beweislast ........... . ...... . ...... . .... . ...... . . .......... . ..

218 221 252 259

§ 8 Die Antidiskriminierungsnorm des Art. 13 EGV . . .... . ....... . ....... . .......... . .. 260 A. Bedeutung der Vorschrift ........ .. ................... . ......... .. ............... 260 B. Die Gleichbehandlungsrichtlinien ...... ... ..... .. ......... ... .... . ..... . ..... .. . 261

Teil 3 Der gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsbegriff

268

§ 9 Integration in ein einheitliches Konzept .............................. .. .......... . .. 268

A. Die Variable des Vergleichstatbestandes .. . . ... .. ..... ... . .... ... ................ B. Der Tatbestand der Ungleichbehandlung als Basis des Diskriminierungsbegriffs ...... . ...... . .......................... . ................................... . C. Integration der verschiedenen Diskriminierungsformen ... . ..... . ............... D. Prüfungsablauf ....... . ...... ... ......... .. ...... . .......... . ......... .... ..... .. .

268 269 277 294

§ 10 Konsequenzen für die Dogmatik der Grundfreiheiten ... . . . ......................... 294

A. Diskriminierungsbegriff und Tatbestand der Grundfreiheiten ... . ...... .. ....... 295 B. Diskriminierungsbegriff und Rechtfertigungsebene .............. .. ......... .... 304

Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick § 11 Zusammenfassung

318 318

§ 12 Ausblick ........................ .. ............... . ........ . ......... .. . . ............. 320

Verzeichnis der zitierten EuGH-Entscheidungen .. .. ............ . . . .... . ............ . . 322 Literaturverzeichnis .... .. . . ..... " . . " .... , .. .. .. . .. .. . . .. . . . .. . . .. .. .. . . . .. .. . . . .. .. . ... 335 Sachwortverzeichnis ........................................ . ............................ 346

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Teil]

Grundlagen § 1 "Diskriminierung" als Begriff .. .. ........ . ..... . .................................... A. Herkunft und Entwicklung des Begriffs ........................... . ............. I. Etymologische Ursprünge des Begriffs der Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . 11. Diskriminierung als Rechtsbegriff .................................... .. .... B. "Diskriminierung" im Europäischen Gemeinschaftsrecht ....................... I. Rechtsquellen für einen gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsbegriff ........... . ........ .. .... ...... ......................... ................ 1. Primärrecht . ...... . . .. ....... . ........................................... a) Wörtliche Erwähnung .. . . .. ...... .... .. . ....................... . . .. .. b) Inhaltliche Bezugnahme auf Gleich- oder Ungleichbehandlungen .. 2. Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsprechung und Rechtsfortbildung durch den EuGH ......... . ..... 4. Sonstige Rechts(findungs)quellen ...... . ................................ 11. Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot . . ............ . ...... 1. Vertragstext .................. .. ......... . .......................... . . . ... 2. Rechtsprechung ............... . ........ .. .......... . ................ . .... 3. Literatur........... . . . . . . . .... . ....... . . .. . . .......... . . . ............ . .... 4. Bewertung ................... .. ...... . ............................... . ... III. Diskriminierung und allgemeiner Gleichheitssatz .......................... § 2 Strukturfragen des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsbegriffs . . .. . .. . . . .. .

A. Modellstruktur als Ausgangspunkt ... . ........ . ............................ . .... I. Gesetzeswortlaut .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Umschreibungen in Rechtsprechung und Literatur. .. . .. .. .. . .. . .. . .. . .. .. . B. Vorfrage: Der Anwendungsbereich des konkreten Diskriminierungsverbots .... C. Vergleichstatbestand ....... . . . .... . . . ....... .. ....... .. ... . . . .. . . .... ...... . ..... I. Vergleich...... . . . ...... . ............................ . ........ .. ............. 11. Vergleichbarkeit ................................... .. ....... . ......... . ..... 1. Vergleichbarkeit und Gleichheit ............... . . .. ... . .. . . .. ...... . ..... 2. Vergleichbarkeit als wertausfüllungsbedürftiger Begriff . . ........ .. .... 3. Konkretisierung in den einzelnen Diskriminierungsverboten ..... .. .... III. Die Sonderrolle des verbotenen Differenzierungskriteriums .. . . . ..... . .. . . 1. Logische Bedeutung des Differenzierungskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Einordnung des verbotenen Differenzierungskriteriums ..

26 26 26 26 28 29 29 30 30 31 31 32 32 33 33 35 35 36 36 37 37 38 39 40 41 41 41 42 42 43 44 45 45

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Inhaltsverzeichnis a) Rechtssetzung (generell-abstrakte Regelungen) . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . b) Rechtsanwendung (individuell-konkrete Maßnahme) ............... D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände ...... . .. ... . . . .. ...... . . . . .. . . I. Verhalten des Adressaten (Behandlung) ............. . ..... . .... . .......... 1. Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Identität des Adressaten .................... .. ..... . ..................... 3. Zweckgerichtetheit des Verhaltens . . . ... .............. . . ... ............. 11. Ungleichheit der Behandlung. .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . 1. Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der Prüfung .. ... .... . ..... .. ..... . ..... .. ........... . ..... . .. 3. Vergleichsrichtung: symmetrischer oder asymmetrischer Diskriminierungsbegriff ........ . ........... . ..... .. ........... . ..... . ..... . .......... III. Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen ("wegen" des verbotenen Differenzierungskriteriums) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handlungsbasiertes (finales) oder wirkungsbasiertes (kausales) Diskriminierungskonzept? ..................................................... 2. Tatbestandliche Anknüpfung an das verbotene Unterscheidungskriterium (unmittelbare Diskriminierung) ..................... . ............... 3. Anknüpfung an ein ,,neutrales" Kriterium (mittelbare Diskriminierung) a) Grundsatz.............. . ......... . ............ . . . .... . ....... . . . . . ... b) "Unterschiedliche" Regelung............ . ........................... aa) Das "neutrale" Kriterium als Ersatzanknüpfung ....... . ........ (1) Faktische Äquivalenz ... . .................. . ............ . .. (2) Normative Äquivalenz . . . . . . . ... . ......... . ...... . . . .... . .. bb) Fehlen eines sachlichen Grundes für das "neutrale" Kriterium. (1) Dogmatische Funktion.... . . . . . . . .. .. .... . ......... . ...... . (2) Prüfungsmaßstab und -tiefe ................................ 4. Erweiterung auf "unterschiedslose" Regelungen (mit unterschiedlicher Auswirkung)? .................. . ............ . ..... . .................. . .. 5. Ergebnisse für das Diskriminierungskonzept . . . . . . .. ..... . . .. .......... . E. Rechtfertigungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergleichbarkeit und Rechtfertigung .. ... . ... ........ . ..... . ............... 1. Konkretisierung der Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigungsprüfung als rein begriffsimmanentes Element? . . . . . . . . 11. Rechtfertigungsmaßstab .......... . ...... . ........... . ............ . .... .. ... 1. Zulässigkeit (nur) bestimmter Regelungsziele als sachliche Gründe .... 2. Zusammenhang der Differenzierung mit ihrem Regelungsziel .......... III. Die besonderen Diskriminierungsverbote . ........... . . . . . . . . .. ...... . ... . . F. Vorsatz... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Besondere Begriffsbildungen .................... .. .... . . . .................. . ... .. ... A. Die sog. "materielle Diskriminierung" . .. . . . .... .... ... . . . ..... . .. . . ... ..... . ... I. Materielle Diskriminierung und Ungleichbehandlung . .... :. .. . . . . . . . . .. . . . 1. Formelle Ungleichbehandlung .. . .. . . . . . . . ... . ...... .. . . . . . . . .... ..... . . . 2. "Materielle" Ungleichbehandlung .... . ................. . ................ 3. Abgrenzung zur mittelbaren Diskriminierung . . .... ... . . ... . . ... .... ... . 11. Materielle Diskriminierung und Vergleichsgruppenbildung . .... .. ...... . . . 1. Sog. erweiterte Vergleichsgruppenbildung .. . ... . . . .... . . . . . .. . .... . .. . . 2. Abgrenzung zur mittelbaren Diskriminierung .................. . ..... . ..

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Inhaltsverzeichnis

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111. Materielle Diskriminierung und Rechtfertigung............................ B. Die sog. "umgekehrte Diskriminierung" oder "Inländerdiskriminierung" ...... I. Problemstellung ............................................................ 1. Begriff ........................................ . .......................... 2. Entstehung und Ursachen. . .. .. .... . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . .. . .. .. . 11. Bedeutung für die Herausbildung eines einheitlichen Diskriminierungsbegriffs ........................................................................ 1. Vergleichsgruppen ............ . . .. ....................................... 2. Differenzierung ............. . ................................ . .... . ...... 3. Vergleichsrichtung .......................................................

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Teil 2 Begriffsanalyse im Rahmen einzelner Diskriminierungsverbote

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Verbot des Art. 34 Abs.2 UAbs. 2 EGV ..................................... I. Vergleichstatbestand ...................... . ................................. 1. Vergleichsraum .......................................................... a) Erzeuger und Verbraucher ........................................... b) Erzeugnisse? ......................................................... c) Beziehungen zu Drittstaaten (das Merkmal "innerhalb der Gemeinschaft") ............................................... . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleichbarer Sachverhalt .................................. . ........... a) Auf Marktteilnehmer bezogene Regelungen. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . b) Warenbezogene Regelungen ......................................... 11. Ungleichbehandlung ........................................................ 1. Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichbehandlung von Ungleichem? .................................... 111. Rechtfertigung ................................................ ... ........... 1. Bedeutung des Rechtfertigungselements ................................ 2. Rechtfertigungsmaßstab ................................................. B. Wettbewerbsrechtliche Diskriminierungsverbote .............................. ..

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Merkmal der Staatsangehörigkeit ........................................... I. Gemeinschaftsrechtlicher oder mitgliedstaatlicher Begriff ................. 11. Natürliche und juristische Personen ........................................ 111. Staatsangehörigkeit im wirtschaftlichen Sinn? ............................. B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV) .................... I. Methodische Vorüberlegungen zur Auslegung ......................... . ... 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Art. 12 EGV und die Personenverkehrsfreiheiten ........................ 11. Der Anwendungsbereich des Verbotes ................................. . ... 1. "Unbeschadet besonderer Bestimmungen" .............................. 2. "In seinem Anwendungsbereich" ........................................ 111. Vergleichstatbestand ........................................ . ......... . .....

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Inhaltsverzeichnis 1. Personen .................................... . .... . ......... . ........ .. ... 2. Verschiedene Staatsangehörigkeit .... . . .. ....... . . . ........ . ............ a) Eigene und fremde Staatsangehörige .......................... ... . . . b) Verschiedene fremde Staatsangehörige ...... . ....................... 3. Problem der erweiterten Vergleichsgruppenbildung ........ . ... ... . . . . .. IV. Ungleichbehandlung ... .. . . ...... . ............ . ............................. 1. Anknüpfungspunkt .............................. . . . ..... . . . ............. 2. Verhalten eines Adressaten . . .. . ... ... . .... . ............ . ... . ... . ........ 3. Reichweite des Vergleichs .... . . . ...... ... ....... . ......... . . . ....... . ... 4. Unmittelbare Diskriminierung.. .. . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . .. .. .. .. . . . . . . .. .. 5. Mittelbare Diskriminierung . . . . . . ...... . .. .. ...... . ... . ........ . .. . ...... a) "Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale" ... .... ..... . . ... . aa) Fallgruppen . . .......................... .. ........................ bb) Bedeutung des Merkmals ... . ... ... .. . . . . . . . . . . .. . ... .. .... . . . . . b) "Tatsächlich gleiches Ergebnis" ..................................... aa) Faktische Betrachtung . . . . .... . . . ...... .... ....... ... ............ bb) Normative Betrachtung .... . .... ... . . .. . . ... .... ..... .... .... . . . cc) Bewertung ................................. . ..... . .. .. ...... . . . .. c) Keine "sachlichen Unterschiede" . . . . ...................... . ......... aa) Relevanz des Kriteriums ........ .. ....... . ........ . ............. bb) Zulässige sachliche Gründe ........ . ...... . ........ . ....... . . . .. cc) Weitere Einschränkungen .... . .. . . . ... . . . . . . . . .. ... . ....... . .. . . dd) Ansichten im Schrifttum ................ . ........ .. ......... . ... ee) Stellungnahme.................. . ............................. . .. d) Subjektives Element . . . . . . ... . .... . . . .. . ...... .. . . . . .. . . .. . . .. .. .. .. . V. Rechtfertigung ............................... . ...... . ....... . . . . . ....... . ... 1. Absolutes oder relatives Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Rechtsprechung . . ... . .... . ... . .... . ... .. ... . ... ...... ... . . . .. . .... . .. . . . . 3. Konsequenz .. . ......... . ...... . .......................................... C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Erweiterte Vergleichsgruppenbildung ... . .. . ..... . .. . ..... . . . . . .. . .. . ... . .. 1. Ansatzpunkte in der Rechtsprechung .................................... a) "Wanderarbeitnehmer" bzw. grenzüberschreitend Tätige . ..... ... . . . aa) Klassische Situationen ... . ... . ........... . ..... . . . ....... ... . ... bb) Rückkehrerfalle ................................................. b) Ansässigkeit bzw. Ansässigkeitserfordemis ... . .... . . . .... . .. . . . . . .. c) Dienstleistungsherkunft bzw. Ort der Dienstleistungserbringung ... 2. Ansichten in der Literatur ...... .. ..... . . . . . .... ... ....... . . .. ...... . .... 3. Konsequenz . . .. .. . .. .... . . . . . . .. . . . ....... . .. . . . ........ . ...... . .. . .... . . 11. Ungleichbehandlung (Handlungs- oder wirkungsbasiertes Konzept?) ..... 1. Systematische Einordnung ... . . . . . ...... ... ........ . ...... . . . ..... . . . .... 2. Literatur... . . ... .. . .. . ... . .......... . .... . .... . . . ... . . . . . .. . .... . .. . . . . . .. 3. Ansätze in der Rechtsprechung .................. . ......... . .. . ..... . .... 4. Stellungnahme ..... .. .. . ....... . ............... . .................. . ...... III. Rechtfertigungsproblematik .... . . . . . .... . . . .. . ...... .. ........ . ..... . ...... 1. Vertypte Rechtfertigungsgründe bei spezifischer Ungleichbehandlung? a) Ausübung hoheitlicher Gewalt ....... . .. . .. . .. .. .... . . .... .... . . ... ..

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Inhaltsverzeichnis

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b) Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit 2. Sachlichkeitsprüfung bei "neutraler Differenzierung" .................. 3. Die Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeininteresses bei Beschränkungen ................................................................... D. Das Sonderproblem der Inländerbenachteiligung ................................

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. A. Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Tatbestandsebene: Freier Warenverkehr als Diskriminierungsverbot? ..... 11. Schrankendogmatik: "Unterschiedslos anwendbare Regelungen" ......... 1. Entstehungsgeschichte ................................................... 2. Bedeutung für den Diskriminierungsbegriff ............................. 111. Vorgehensweise ............................................................. B. Vergleichstatbestände ............................................................ I. Anknüpfung an die Warenherkunft bzw. Warenbestimmung ............... 1. Vergleich inländischer und ausländischer Warenherkunft bzw. -bestimmung ..................................................................... 2. Vergleich von Waren aus verschiedenen Mitgliedstaaten bzw. von für verschiedene Mitgliedstaaten bestimmte Waren ......................... 11. Weitere Vergleichsgruppen? ................................................ 1. Anknüpfung an den Warenursprung ..................................... 2. Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit bzw. Ansässigkeit der Wirtschafts teilnehmer ........................................................ C. Ungleichbehandlung ............................................................. I. Tatbestandliche Unterscheidung nach der mitgliedstaatlichen Herkunft bzw. Bestimmung der Waren (unmittelbare Diskriminierung) ............. 1. Anhaltspunkte im Normtext ............................................. a) Art. 28f. EGV ........................................................ b) Die Richtlinie 70/50/EWG der Kommission. . .. . . . .. . .. . .. .. . . . .. . .. 2. Ansätze in der Rechtsprechung des EuGH .............................. a) Tatbestandseröffnung ................................................ b) Cassis-Rechtsprechung: Das Merkmal der "unterschiedslos anwendbaren Regelung" ..................................................... c) Keck-Rechtsprechung: Das Merkmal der "rechtlich gleichen Berührung" ................................................................ 11. Tatbestandliche Unterscheidung nach anderen Kriterien (mittelbare Diskriminierung) .................................................................. 1. Ansatzpunkte ............................................................ 2. Sonderfall der Anknüpfung an Teilmengen der Vergleichsgruppen ..... a) Warenursprung ....................................................... b) Herkunft aus einer Teilregion eines Mitgliedstaates ................. 3. Weitere Anknüpfungskriterien ........................................... a) Produkteigenschaften ......................... . ...................... b) Differenzierung nach Personen ...................................... 111. Unterschiedliche Auswirkung einer Regelung (materielle Diskriminierung) ........................................................................ 1. Ansatzpunkte ............................................................ 2. Keck-Rechtsprechung: Das Merkmal der "tatsächlich (un)gleichen Berührung" .................................................................

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Inhaltsverzeichnis a) Typisierende oder faktische Betrachtung? ........................... b) Doppelbelastung .. ...... . . . .... . ... .. ....... ... ... .. . . ..... . .. . . ... .. c) Sonstige Beeinträchtigung des Marktzugangs ....... . ........ .. ..... d) Schlußfolgerung für das Diskriminierungsverständnis ...... . ... . ... 3. Cassis-Rechtsprechung ....................... . ........ ... ........ .. . . ... a) Relevanz eines Wirkungsvergleichs? ......... . ......... . . . .......... b) Schlußfolgerungen für das Diskriminierungsverständnis .... . ....... IV. Vergleichsrichtung . . . .. . . . .. . . . ... .. ... . . .. . . ........ .. . . ... . ...... . ..... . .. Berücksichtigung sachlicher Differenzierungsgründe . . . . . ........ . .. . ...... .. .. I. Mögliche Ansatzpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Normtext . . . .... . .... ... .. . .. ... . . ... . . . ....... . .... . ... . . . ...... . . . ...... 2. Relativierung des Merkmals der "Unterschiedlichkeit"? ......... .. . . ... 11. Bedeutung von Art. 30 EGV für den Prüfungsmaßstab .. . . . . . . . .. .. . . .. .. .. 1. Zielwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zielverfolgung und Willkürverbot (Art. 30 S. 2 EGV) ............... . .. III. Die differenzierte Schrankendogmatik nach der Cassis-Rechtsprechung .. Subjektives Element .. .... . . .... .... . . ... .. . . . .. . . . .. . ... ... ...... ... .. .. .... .. .. I. Das Kriterium der protektionistischen Zwecksetzung . ...... ... ....... ... .. 11. Bedeutung für den Diskriminierungsbegriff ...... . ......... . ......... . ..... Das Verbot steuerlicher Diskriminierung gemäß Art. 90 EGV ... ... . .. . .. . .. .. . I. Vergleichstatbestände ................................................. . ..... 1. "Gleichartige inländische Waren" (Art. 90 Abs. 1 EGV) ... . ............ 2. "Andere Produktionen" (Art. 90 Abs. 2 EGV) ..... . . . . . .. . . . ... .. .. . . . .. 3. Nichtbestehen einer inländischen Vergleichsgruppe ..................... 11. Ungleichbehandlung .. . ......... . ............................... . ........... 1. Belastungsvergleich . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Unmittelbarer und mittelbarer Bezug zur Warenherkunft ............... 3. Einbeziehung von steuerlichen Doppelbelastungen? ............ .. ..... 111. Sachlicher Grund . ... . ..... . ... .. .. .. . . .... . . . .. . . . .. ... ........ . .... . .... . . Das Diskriminierungsverbot für staatliche Handelsmonopole (Art. 31 EGV) ..

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§ 7 Diskriminierung aufgrund des Geschlechts . ......... . . . .... . . . ........ . ....... . . . .. . A. Vergleichstatbestand .. ....... .. ....... ... ...... . . .. ..... . . ... ...... . . ........ ... . I. Vergleichsgruppen ..... . ......... ... ...... . . . ................ ... ............ 1. Männer und Frauen . . .. .. . ... . .. ... .... . .. .. .... ... ....... .. .. . ...... .... 2. Reichweite des Vergleichs .. ..... ...... . .. . ....... .. ...... . . . . ....... .. .. 11. Vergleichbarkeit . ...... . .. . ....... .. ..... .. . . ....... . . . ...... .... ........... 1. Entgeltdiskriminierung (Art. 141 EGV) ..... .... .... .... .... ........ ... . 2. Zugang, Beschäftigungsbedingungen, Soziale Sicherheit . .. . ....... . ... B. Ungleichbehandlung ......... . ......... . ........ ... ....... .. ........ . ....... . .... I. Benachteiligung . . . .... . . .... .... . . .. ..... . .. ... .... . . .. ....... .... .... ..... . 1. Bezugspunkt des Vergleichs ... . ....... . .......... . ....... ... ....... . .... 2. Reichweite des Vergleichs ... ... . . ..... . .................. ..... ..... ... .. 3. Wesen der Benachteiligung (Formelles oder materielles Diskriminierungsverständnis?) .. . ......... . ........ .. ................ .. . . ..... .. .... 11. Bezug zum verbotenen Differenzierungskriterium des Geschlechts . . . . . . .. 1. Unmittelbare Diskriminierung . . .. . ... .. . . . . .... ... . .. ..... .... ..... . . . . . a) Tatbestandliche Anknüpfung an das Geschlecht (offene Diskriminierung) .. ... ..... ..... .. . .... . ........ . .... . ........ . ... .. ... . ..... .. ...

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Inhaltsverzeichnis b) Differenzierung nach zwingend geschlechtsbezogenen Kriterien (versteckte Diskriminierung) ........................................ 2. Mittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Problem: uneinheitliches Begriffsverständnis in der Rechtsprechung ................................................................. b) Kriterium der "geschlechtsneutralen Regelung" .................... c) Kriterium der "ungleichen Betroffenheit" ........................... aa) Relevanz des Kriteriums ........................................ bb) Typisierung oder tatsächliche Betrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Abbildung auf die Vergleichs gruppen ........................... dd) Umfang der Ungleichheit (De minimis-Grenze?) ............... ee) Subjektives Element ............................................. ff) Benachteiligung gerade wegen des Geschlechts ................. d) Kriterium der "objektiven Rechtfertigung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Zwecksetzung ................................................... (I) Fehlender Bezug zur Diskriminierung nach dem Geschlecht. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. (2) Weitere Einschränkung zulässiger Zwecke ................ bb) Inhalt der Maßnahme ........................................... cc) Bedeutung des Rechtfertigungskriteriums ...................... III. Vergleichsrichtung: symmetrischer Begriff. . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. C. Rechtfertigung ................................................................... I. Grundsätzlicher Ausschluß geschlechts bezogener Grunde. . . . . . . . . . . . . . . .. I. Lohndiskriminierung .................................................... 2. Sonstige Geschlechterdiskriminierungen ................................ 11. Ausnahmeregelungen ............................................. . ......... I. Wesensmäßige Unterschiede ............................................ a) Reichweite ........................................................... b) Dogmatische Einordnung ............................................ 2. "Affirmative action" ..................................................... a) Reichweite ........................................................... b) Dogmatische Einordnung ............................................ D. Die Regelung der Beweislast .................................................... § 8 Die Antidiskriminierungsnorm des Art. 13 EGV .................................... A. Bedeutung der Vorschrift ........................................................ B. Die Gleichbehandlungsrichtlinien ............................................... I. Unmittelbare Diskriminierung (Art. 2 Abs. 2 lit. ader RL) ................ 11. Mittelbare Diskriminierung (Art. 2 Abs. 2 lit. b der RL) ................... 1. Scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren ........ . ..... 2. Benachteiligung "in besonderer Weise" ................................. 3. Rechtfertigung ........................................................... III. Der Belästigungstatbestand (Art. 2 Abs. 3 der RL) ......................... IV. Ausnahmebestimmungen mit Rechtfertigungscharakter ................... V. Zulässigkeit sog. "positiver Diskriminierungen"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

2 Plötscher

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Inhaltsverzeichnis

Teil 3 Der gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsbegriff § 9 Integration in ein einheitliches Konzept .......... .... ............................... A. Die Variable des Vergleichstatbestandes ......................................... I. Vergleichbarkeit und allgemeines Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Vergleichbarkeit und besonderes Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Der Tatbestand der Ungleichbehandlung als Basis des Diskriminierungsbegriffs .......................... ... ...... . ............................ ... ...... ... . I. Formelle oder "materielle" Ungleichbehandlung? ......................... 11. Reichweite des Vergleichs ....................................... . .......... 1. Beschränkung auf eine Einzelbetrachtung ............................... 2. Das Problem der fehlenden Vergleichsgruppe (Potentielle Ungleichbehandlung?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Keine de minimis-Grenze .................... . . . . . . .. .. . .. .. .. .. .. . . . . . .. III. Vergleichsrichtung: Symmetrische und asymmetrische Tatbestände ... .... 1. Abgrenzung von nur typischer Wirkrichtung ....................... . .... 2. Die Grundfreiheiten ..................................................... 3. Art. 12 EGV .............................................................. c. Integration der verschiedenen Diskriminierungsformen ........ . ................ I. Die Diskriminierungsformen ............................................... I. Unmittelbare Diskriminierung . .. . . . . . . . .. .... . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . 2. Mittelbare Diskriminierung .............................. . . . . . . . . . . . . . . .. a) Anknüpfung an ein "verdächtiges" Kriterium als Grundlage einer Diskriminierungsvermutung ..... .... . . .......... . ..... . .. . ... .. ..... b) Widerlegung durch sachliche Rechtfertigung .. .......... . ........... 11. Integration in einem einheitlichen Modell .................................. 1. Das Modell der Anknüpfungsverbote ... . ......... . ....... .. . .. ...... ... 2. Die Theorie der BegTÜndungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Wirkungsunterschied (Materielle Diskriminierung) ... . .. ..... . ...... .. III. Das verhaltensorientierte (finale) Differenzierungskonzept als Lösungsvorschlag ....................................................................... 1. BegTÜndungsverbot als Ausgangspunkt . ........... .... . . ... ... .. .... .. . 2. Die Rolle des verbotenen Differenzierungskriteriums ................... a) Stufe 1: Unmittelbare, offene Differenzierung . . . . . . . . . . . .. . . . .. .. . .. b) Stufe 2: Unmittelbare, versteckte Differenzierung .. .. .. . ....... ... .. c) Stufe 3: Mittelbare Differenzierung .............................. ... . d) Stufe 4: Direkter Nachweis der Zwecksetzung ...................... e) Keine weitergehende Erfassung einer "materiellen Diskriminierung" .... .... ...... . ........ ... ..... .... ....... ... ..... . . ... .......... IV. Die "Rechtfertigungsdogmatik" ............................................ 1. Rechtfertigung einer bereits festgestellten Ungleichbehandlung wegen des verbotenen Merkmals ........................................ 2. Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nach ,,neutralen", aber "verdächtigen" Kriterien ... . ... . .... . ... . .... . ........ . ......... ..... ........ 3. Wertungswiderspruch? ................................................... D. Prüfungsablauf ............................. . .....................................

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Inhaltsverzeichnis

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§ 10 Konsequenzen für die Dogmatik der Grundfreiheiten ............................... 294

A. Diskriminierungsbegriff und Tatbestand der Grundfreiheiten ................ ... I. Grundfreiheitliche Garantien jenseits des Diskriminierungsverbots .. . . . . .. I. Prinzip gegenseitiger Anerkennung (Fälle fehlender Differenzierung) .. 2. Freiheitsrechtliche Garantie der Mobilität (Falle "wirkungsneutraler" Eingriffe) ............ . ....... ..... ............... ..... ...... ... .......... 3. Negative Eingrenzung: Die Tatbestandsausnahme nach Keck ........... a) Parallele zu den grundfreiheitlichen Garantien ...................... b) Diskriminierungsverbot in bezug auf "Verkaufsmodalitäten"? ..... 4. Zusammenfassung: Drei Dimensionen der Grundfreiheiten ............. 11. Das Merkmal "grenzüberschreitender Bezug" und der Diskriminierungstatbestand .................................... . ........................... .... .. B. Diskriminierungsbegriff und Rechtfertigungsebene ............................. I. Differenzierte oder einheitliche Schrankendogmatik? ..... . .......... . .... . 11. Unterscheidung zwischen diskriminierenden und nichtdiskriminierenden Maßnahmen. . . .. .. .. . . . . . . . . . ..... .. . . . .. .. .. . .. . .. .. .. . .. .. . .. . .. .. . .. . .. .. I. Gründe für die Schrankendifferenzierung ................ . .............. 2. Die Problematik der Eingrenzung von "mittelbaren Diskriminierungen" ..................................................................... 3. Beispielsfalle .. .................................... . ...... .. .... .. ....... a) De Agostini ................ . .................. . ...................... b) Futura Participations ................................................. c) ICI ................................................................... d) Ciola ................................................................. e) Bosman . .............................................. .... ........... f) Die Falle Decker und Kohll .................. . ........ .. ....... .... .. g) Abfallimporte ........................................................ h) Preussen Elektra .....................................................

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Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick § 11 Zusammenfassung

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§ 12 Ausblick ............................................................................. 320

Verzeichnis der zitierten EuGH-Entscheidungen ....................... .. ............. 322 Literaturverzeichnis . .. .. .. .. . . . .. .. ... .. .. .. .. ... ... . . . .. . . . .. ... .. .. . . . .. . .. . .. . .. . . . ... 335 Sachwortverzeichnis ................................................................. . ... 346

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABI. Abs. a.E. a.F. AKP-Staaten AöR Art. AuR BAT BBPS Bd. BullEU bzw. ca. CDE CMLR d. DB ders. d.h. dies. Diss. DÖV DVBI. EAG ECU EG EGKS EGKSV EGV ELRev EMRK etc. EU EuGH EuGRZ

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz am Ende alte Fassung Afrikanische, Karibische und Pazifische Staaten Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Arbeit und Rechtspolitik (Zeitschrift) Bundesangestelltentarifvertrag Beutler/Bieber/Pipkom/Streil (siehe Literaturverzeichnis) Band Bulletin der Europäischen Union beziehungsweise circa Cahiers de Droit Europeen Common Market Law Review der/des Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe das heißt diese1be(n) Dissertation Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Atomgemeinschaft European Currency Unit Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) European Law Review Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift

AbkÜfZungsveneichnis EuR EUV EuZW EWG EWGV EWS EWS f. ff. Fn. FS GA GATI gern. GG ggf. GRUR Int. GS GTE GWB Hdb. HdBStR h. M. Hrsg. HZA ICJ ICLQ i.d.F. i.d. R. InfAuslR IPRax i. R.d. i. S.v. i.V.m. JBI. JuS JZ Kap. krit. KOM KOME lit. m.a.W. MJ m.w.N.

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Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) Europäisches Währungssystem folgende fortfolgende Fußnote(n) Festschrift Generalanwalt General Agreement on Tariffs and Trade gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht - Auslands- und Internationaler Teil (Zeitschrift) Gedächtnisschrift von der Groebenffhiesing/Ehlerrnann (siehe Literaturverzeichnis) Gesetz gegen Wettbewerbs beschränkungen Handbuch Handbuch des Staatrechts der Bundesrepublik Deutschland (siehe Literaturverzeichnis: Isensee/Kirchhof) herrschende Meinung Herausgeber(in) Hauptzollamt International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly (Zeitschrift) in der Fassung in der Regel Inforrnationsbrief Ausländerrecht (Zeitschrift) Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) im Rahmen der/des im Sinne von in Verbindung mit Juristische Blätter (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kapitel kritisch Kommission Entscheidung der Kommission litera mit anderen Worten Maastricht Journal of European and Comparative Law mit weiterem Nachweis/mit weiteren Nachweisen

22 NJ NJW Nr. NVwZ NZA o.ä. RabelsZ RdA RIW/AWD

RL Rn. Rs. Rspr. RTDE S. Slg. s.o. sog. std.Rspr. Tz. u. u.a. UAbs. UEFA Urt. usw. u.U. UWG

v. verb.Rs. Verf. vgl. VO Vol. WRP WVRK ZHR zit. z.B. ZEuS ZfA

ZP ZRP

ZZP

Abkürzungsverzeichnis Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht oder ähnliches Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Internationalen WirtschaftlAußenwirtschaftsdienst (Zeitschrift) Richtlinie Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Revue Trimestrielle de Droit Europ6en Satz, Seite(n) Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften siehe oben sogenannte(r,s) ständige Rechtsprechung Textziffer und und andere, unter anderem Unterabsatz Union des associations europ6ennes de football Urteil und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom verbundene Rechtssachen Verfasser vergleiche Verordnung Volume Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht zitiert zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Arbeitsrecht Zusatzprotokoll Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Zivilprozeß

Einleitung Das Gemeinschaftsrecht kennt an zahlreichen und den verschiedensten Stellen Diskriminierungsverbote, die bereits Gegenstand umfänglicher wissenschaftlicher Betrachtung und der Rechtsprechung des EuGH waren. Gleichwohl sind Gesamtuntersuchungen, in denen die Herausarbeitung gemeinsamer Strukturprinzipien und damit die Klärung des DiskriminierungsbegrWs versucht wird, bisher selten geblieben 1. Während die Debatte in früheren Jahren dabei hauptsächlich um die Entwicklung und Strukturierung des gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatzes kreiste, wird sie in letzter Zeit zunehmend auch von anderer Seite angestoßen: dem Bemühen um eine einheitliche Dogmatik der Grundfreiheiten2 • Gerade dieses Rechtsgebiet dominiert seit den berühmten Entscheidungen Cassis und Keck geradezu die Europarechtswissenschaft und auch nach inzwischen fast 20-jähriger Beschäftigung mit ihm ist eine Klärung bislang wohl nur in Ansätzen erkennbar. Die maßgeblichen Impulse zu einer "dogmatischen Konvergenz" kamen dabei meist vom EuGH selbst. Bezeichnend ist insoweit das Urteil Gebhard, in dem der EuGH erstmals eine einheitliche Schrankendogmatik für alle Grundfreiheiten formuliert 3 • In der Literatur scheinen, nachdem die Diskussion über die Inländerbzw. umgekehrte Diskriminierung inzwischen abgeebbt ist, nun vor allem zwei Streitpunkte vorzuherrschen. Zum einen geht es eher prinzipiell um die Natur der Grundfreiheiten und damit die Frage, ob sie mehr Gleichheits- oder mehr Freiheitsrechte sind. Traditionellerweise wird hier von einer doppelten Natur, bestehend aus Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot gesprochen. Doch finden sich auch neuere Ansätze, die allein die gleichheitsrechtliche Struktur betonen4 • Zum anderen gibt aber auch die neueste Rechtsprechung zu Zweifeln am Festhalten der überkomI Zu nennen sind insofern nur Bode, Die Diskriminierungsverbote im EWG-Vertrag, 1968; Feige, Der Gleichheitssatz im Recht der EWG, 1973 sowie Mohn, Der Gleichheitssatz im Ge-

meinschaftsrecht, 1990. - Ansonsten beschränken sich die Untersuchungen durchweg auf wichtige Einzelaspekte eines Diskriminierungskonzeptes, wie die Inländerdiskriminierung (vgl. hier die Arbeiten von Epiney, Hammerl, Reitmaier und Burmester), die mittelbare Geschlechterdiskriminierung (v. a. die Arbeiten von Bieback, Blomeyer, Eichinger und Langen· feld) oder die Diskriminierung im Rahmen der Montanunion (vgl. hier Steindorjf, RabelsZ 21 (1956), 270ff. sowie die Arbeit von Zerr). 2 Vgl. hierzu nur Classen, EWS 1995, 97ff.; Eberhartinger, EWS 1997, 43ff.; Eilmansberger, JBI. 1999, 345ff. u. 434ff.; ]arass, EuR 1995, 202ff.; ders., EuR 2000, 705ff. sowie die Arbeiten von Kingreen und Hoffmann. 3 EuGH, Rs.C-55/94, Gebhard, Slg. 1995,1-4165, Rn. 37. 4 Kingreen, S. 84f.; Jarass, FS Everling, 593ff.

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Einleitung

menen Schrankendogmatik Anlaß 5 • Hier unterschied der EuGH zumindest bislang zwischen unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen, die durch die im Zuge der Cassis-Rechtsprechung entwickelten Allgemeininteressen gerechtfertigt werden können, und unterschiedlichen Maßnahmen, für die nur die vertraglich vertypten Ausnahmegründe (z. B. Art. 30 S. 2, Art. 46 Abs. 1 EGV) herangezogen werden können. Beide Streitpunkte zeigen, daß die Suche nach einer einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten bei der Klärung des zugrundeliegenden Diskriminierungsbegriffs anzusetzen hat 6 • Hierin liegt der Schlüsselaspekt auch für das Verhältnis der verschiedenen Wirkungsdimensionen der Grundfreiheiten zueinander. Doch soll die vorliegende Arbeit nicht bei den Grundfreiheiten stehen bleiben. Vielmehr soll hier der umfassendere Ansatz einer Querschnittsanalyse gewählt werden, die auch zahlreiche andere Diskriminierungsverbote des EGV einbezieht. Von Bedeutung sind hier vor allem die Art. 12 EGV, Art. 141 EGV sowie der relativ neue Art. 13 EGV, aber auch die Vorschriften zum Marktordnungs- und Wettbewerbsrecht. Der Vorteil einer solchen "horizontalen" Zusammenschau ist die Möglichkeit, zu einer einheitlichen Begriffsbildung beizutragen, die auch nicht nur als Selbstzweck zu sehen ist, sondern - nicht zuletzt wiederum für die Grundfreiheiten - zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit führen kann 7 • Für das mit einer Verfassungsordnung vergleichbare Gemeinschaftsrecht ist es - wie die Rechtsprechung zeigt - auch nicht ungewöhnlich, Strukturprinzipien aus einem Regelungsbereich in andere zu übernehmen 8 • Darüber hinaus kann ein solcher Ansatz zumindest auch einige Anregungen für die - ebenfalls bei weitem noch nicht entwickelte 9 - Dogmatik des Gleichheitssatzes im Gemeinschaftsrecht liefern. Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. In einem ersten Grundlagenteil sind - neben einer kurzen Darstellung der Geschichte des Diskriminierungsbegriffs - zunächst die prinzipiellen Fragestellungen einer Konturierung des Begriffs herauszuarbeiten. 5 Novak, DB 1997,2589,2591; Weij3, EuZW 1999, 493ff.; Streinz, JuS 1999, 1222; Hailbronner/Nachbauer, EuZW 1992, 111 f.; Nettesheim, NVwZ 1996,342,343; Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 462; Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 448; Schütz, Jura 1998,631, 637f.; Leible, § 4 B. 11. 3. d.; ähnlich auch Wernsmann, EuR 1999, 754, 760; Gundei, Jura 2001, 79. 6 Kingreen, S. 51; Streinz, FS Rudolf, 199, 216ff.; Hilson, ELRev 24 (1999), 445; Gundei, Jura 2001, 79, 80. Ebenso Bernard, ICLQ 45 (1996), 82 ("The debate about the function ofthe concept of discrimination in the law on the free movement of goods, services and persons in the Community is one of those discussions which has more to offer than meets the eye."). Eine besondere Tragweite erreicht die Problematik auch im Rahmen der Europaabkommen, deren Vorschriften im Gegensatz zu den Grundfreiheiten auf ein reines Diskriminierungsverbot begrenzt sind, vgl. hierzu Weij3, InfAuslR 2001, S. 1 f. 7 Auch der EuGH bedient sich neuerdings einem Gleichlaufargument bei den Diskriminierungsverboten, vgl. EuGH, Rs. C-281/98, Angonese, EuZW 2000, 468, Rn. 34 f.; siehe hierzu auch Forsthoff, EWS 2000, 389, 393 sowie kritisch Streinz/Leible, EuZW 2000, 459, 462. 8 Besonders deutlich wird dies an der Figur der "mittelbaren Diskriminierung", die zuerst als "versteckte Diskriminierung" i. R. d. Art. 12 EGV entwickelt später bei Art. 141 EGV Eingang fand (siehe im Folgenden unter § 2 D. III. 3. a.; § 5 B. IV. 5.; § 7 B. 11. 2. a.). 9 Kischel, EuGRZ 1997, 1.

Einleitung

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Kern wird dabei die Entwicklung einer Modellstruktur sein, die als Gerüst für die Analyse im zweiten Teil dienen soll und bereits mögliche Begriffselemente vorzeichnet. Im Anschluß wird noch auf den besonderen Begriff der "materiellen Diskriminierung" sowie kurz die Problematik der "umgekehrten Diskriminierung" einzugehen sein. Gegenstand des zweiten Teils ist sodann eine umfassende Untersuchung des Begriffsverständnisses im Rahmen wichtiger Diskriminierungsverbote, wobei ein klarer Schwerpunkt auf die Rechtsprechung des EuGH gelegt werden soll. Neben den Grundfreiheiten interessiert hier freilich auch eine Betrachtung der sog. allgemeinen Diskriminierungsverbote, der Verbote hinsichtlich Geschlechterdiskriminierungen und des mit dem Amsterdamer Vertrag geschaffenen Art. 13 EGY. Im dritten Teil wird dann auf der Basis der vorangegangenen Untersuchung der Versuch unternommen, ein eigenes Diskriminierungskonzept zu entwickeln und dessen mögliche Rückwirkungen auf die Dogmatik der Grundfreiheiten darzustellen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und dem Ausblick auf weitere offene Fragen.

Teil 1

Grundlagen § 1 "Diskriminierung" als Begriff A. Herkunft und Entwicklung des Begriffs Untersuchungen zur "Wortbedeutung" des Begriffs der Diskriminierung und seiner Entwicklung zum Rechtsbegriff in den verschiedenen Rechtsordnungen wurden bereits wiederholt und ausführlich angestellt 1. Im folgenden soll daher nur ein kurzer Abriß wiedergegeben werden, soweit er für das gemeinschaftsrechtliche Verständnis von Bedeutung sein kann. I. Etymologische Ursprunge des Begriffs der Diskriminierung

Dem sprachlichen Ursprung nach geht das Fremdwort "Diskriminierung" auf das lateinische Wort "discriminare" (abtrennen) zurück, das einerseits dem Wort "discrimen" (Trennendes, Unterschied, Abstand), andererseits den Verben "discernere" (unterscheiden, trennen) und "cernere" (scheiden) entlehnt ise. Somit liegt in der Feststellung einer Diskriminierung in ihrer ursprünglichen Wortbedeutung lediglich die Aussage, daß eine irgendwie geartete Unterscheidung oder Trennung vorgenommen wird 3, ohne daß eine nähere Qualifikation dieser Unterscheidung als positiv oder negativ enthalten wäre. Im Bereich der naturwissenschaftlich-technischen Fachsprache hat sich dieser neutrale Sinngehalt im Wortstamm bis heute weitgehend erhalten. So wird beiVgl. Jaenicke, S.24ff.; Kewenig, S.24f. m. w.N. Köbler, Stichwort "diskriminieren"; Duden, Etymologie, Stichwort "diskriminieren"; Kluge, Stichwort "diskriminieren"; Akerman, S. 3. Das lateinische Wort "cernere" (Partizip Perfekt "cretum") hat selbst wiederum seinen Ursprung in dem griechischen "ÖLaxQLvo" (diakrino; vgl. Walde/Hofmann, Stichwort "cernere"), das soviel wie "auseinander scheiden, absondern, ausscheiden, trennen", aber auch "unterscheiden", "entscheiden" oder "erklären" bedeutet (Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache, Stichwort "ÖLaxQLvw"). Hiermit ebenfalls verwandt sind "XQL'tTj~" (Richter), "xQLat~" (Streit, Auswahl, Entscheidung) und "xQL!la" (Urteil) (vgl. hierzu Walde/Hofmann, Stichwort "cernere"), woraus auch Worte wie "Kritik" oder "Krise" entstanden (siehe den Hinweis bei Troberg, in: GTE, Art. 52, Rn. 36). 3 Brockhaus Enzyklopädie (19. Aufl.), Stichwort "Diskriminierung"; Jaenicke, in: Strupp/ Schlochauer, Stichwort "Diskriminierung"; Troberg, in: GTE, Art. 52, Rn. 36. I

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A. Herkunft und Entwicklung des Begriffs

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spielsweise mit "Diskriminator" ein elektronischer Schaltkreis verstanden, der zwischen mehreren ihm zugeleiteten Größen unterscheidet bzw. eine Auswahl trifft, die "Diskriminanzanalyse" bezeichnet ein bestimmtes statistisches Trennverfahren, und eine "Diskriminante" ist ein algebraischer Ausdruck, der darüber entscheidet, ob und wie viele reelle oder komplexe Lösungen eine Gleichung hat4 • Demgegenüber hat das Wort "Diskriminierung" im alltäglichen deutschen Sprachgebrauch mittlerweile zweifellos eine negative Färbung erhalten und bedeutet heute wohl "Ungleichbehandlung", "Benachteiligung" oder gar "Herabsetzung" bzw. "Herabwürdigung"5. Meist wird dabei auf konkrete Eigenschaften oder sonstige Anknüpfungspunkte einer Person Bezug genommen (Geschlecht, Rasse, politische oder religiöse Überzeugungen, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe USW.)6. Der dem lateinischen Ursprung entsprechende neutrale Sinngehalt wird heute eher mit dem Terminus "Differenzierung" oder auch mit dem seltener gebrauchten Wort "Diskrimination" zum Ausdruck gebracht1. Auch in den meisten anderen europäischen Sprachen hat der Begriff einen ähnlichen Bedeutungswandel erfahren. Für das englische Wort "to discriminate" wird zwar meist darauf hingewiesen, es bedeute ganz allgemein nur "eine Unterscheidung treffen", unabhängig davon, ob im positiven oder negativen Sinn 8 • Dies dürfte jedoch inzwischen nur noch bedingt richtig sein. Zwar kann dem Begriff durchaus auch neutrale Bedeutung zukommen, z. B. in der Formulierung "to discriminate between". Doch hat der Terminus in der englischen Alltagssprache - möglicherweise angestoßen durch die Rechtssprache - inzwischen ebenfalls eine negative Einfärbung im Sinne von "to discriminate against" bekommen 9 , und wird inzwischen eher mit einem ambivalenten Bedeutungsgehalt verwendet. So steht "discrimination" sowohl für eine vorurteilsbehaftete, ungerechte Behandlung einer Person, ethnischen Gruppe oder Minderheit als auch für die generelle Billigkeit, Unterschiede zu erkennen bzw. Unterscheidungen vorzunehmen. Gleiches gilt für die Adjektive "discriminatory" und "discriminating"lO. Will man daher den neutralen Charakter betonen, greift man hier ebenfalls meist auf andere Vokabeln wie "distinction" oder "differentiation" zurück 11. Auch in der französischen Alltagssprache finden sich bis heute 4 Vgl. Meyers Lexikon der Technik und exakten Naturwissenschaften, Stichworte "Diskriminator", "Diskriminanzanalyse" sowie "Diskriminante". 5 StraußlHaßIHarras, Stichwort "diskriminieren, Diskriminierung", S.128f.; Duden, Etymologie, Stichwort "diskriminieren". 6 Brockhaus Enzyklopädie, Stichwort "Diskriminierung"; StraußIHaßIHarras, a. a. 0., S. 130ff. (mit Belegen). 7 So Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim u. a., 1977, Stichwort "Diskrimination" . 8 Partsch, "Discrimination against individuals and groups", in: Bemhard, Encyclopedia, Vol. I, p. 1079; eine neutrale oder gar positive Bedeutung nimmt Kyriazis, S. 74 an. 9 Vgl. Sinclair, Collins English Dictionary, Stichworte "discriminate"; Vierdag, S.48. IO A. a. 0., Stichworte "discrimination", "discriminatory" und "discriminating". 11 Kewenig, S.26f.

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§ 1 "Diskriminierung" als Begriff

noch beide Bedeutungsgehalte. So wird "discrimination" sowohl mit Trennung bzw. Unterscheidung umschrieben als auch mit Benachteiligung bzw. Entrechtung einer bestimmten (sozialen, ethnischen etc.) Gruppe l2 • 11. Diskriminierung als Rechtsbegriff Eingang in die Rechtsprache fand der Begriff der "Diskriminierung" erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, vor allem im Wettbewerbsrecht der Vereinigten Staaten 13 • Bereits in den 1870er Jahren ergingen mit den sog. "Granger-Laws" im Eisenbahnsektor erste Verbote einer diskriminierenden Preisgestaltung l4 • Auch die später erlassenen "Interstate Commerce Act" (1887), "Clayton Act" (1912) und "Robinson Patman Act" (1936) setzten sich mit der Preisdiskriminierung als den freien Wettbewerb behindernden und daher unlauteren Praktik auseinander l5 • Als Diskriminierung wird dabei eine unterschiedliche Preisgestaltung gesehen, die sich nicht durch entsprechende Kostenunterschiede rechtfertigen läßt. Aber auch sonstige diskriminierende Praktiken, wie die Benachteiligungen von Personen, Ortschaften, Gebieten oder Häfen, wurden erfaßt l6 • Der Rechtsterminus "Diskriminierung" hatte hier somit von Anfang an eine negative Einfärbung im Sinne einer willkürlichen oder unsachlichen Unterscheidung, die gegen das Recht des Bürgers auf "Gleichheit vor dem Gesetz" verstößt 17 • Man sprach erstmals von "discrimination against. .. ". Der Begriff diente durch Schaffung von Diskriminierungsverboten der Kennzeichnung eines unzulässigen Verhaltens. Anfangs wurde der Begriff in den Tatbeständen noch mit Zusätzen wie "unjust", "unlawful", "unreasonable" oder "unfair" belegt, wohingegen man diese Attribute später als überflüssig hielt, da sie etwas Selbstverständliches ausdrückten 18. Nun sollte bereits mit der Feststellung der Diskriminierung der Gesetzesverstoß feststehen. Dieser Gedanke des Diskriminierungsverbotes speziell als marktordnenden Steuerungsinstruments im Wettbewerbsrecht fand im Laufe der Zeit ebenso in den Rechtsordnungen anderer Nationen weite Verbreitung und schlug sich nicht zuletzt auch im europäischen Wettbewerbsrecht (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. d, Art. 82 Abs. 21it. c EGV) und Marktordnungsrecht (vgl. Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV) nieder. Aber auch im Bereich der Grund- und Menschenrechte erlangte der Begriff "Diskriminierung" seit Mitte des 20. Jahrhunderts im Zuge der Rassen- und Geschlechtergleichstellung in den USA eine große Bedeutung. Prägend auch für das Gatard, Hachette Dictionnaire Pratique du Fran~ais, Stichwort "discrimination". Partsch, "Discrimination against individuals and groups", in: Bemhard, EncycIopedia, Vol.I, p. 1079. 14 Akerman, S. 5. 15 Diese waren später Vorbild für gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbote; vgl. Zerr, S.3 m. w. N. 16 Akerman, S. 6. 17 Partsch, "Discrimination against individuals and groups", in: Bemhard, EncycIopedia, Vol.I, p. 1079. 18 Kewenig, S. 26, Fn. 6; Partsch, a. a. 0., p. 1079. 12 13

B. "Diskriminierung" im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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Gemeinschaftsrecht war dabei vor allem die vom dortigen Supreme Court entwikkelte "disparate impact" Theorie, die später als Konzept der "mittelbaren Diskriminierung" in das Gemeinschaftsrecht Eingang fand 19. Parallel hierzu wurde der Rechtsbegriff der Diskriminierung zudem recht bald zu Anfang des 20. Jahrhunderts durch das Völkerrecht rezipiert, wo er in wörtlicher Erwähnung erstmals in den Minderheitenschutzverträgen und Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg auftauchte und auch bei der Definition völkerrechtlicher Grundsätze des Fremdenrechts zur Anwendung kam 20 • Gegen Ende der 20er Jahre fand der Begriff dann vermehrt in internationalen Handelsverträgen Verwendung 21 • Freilich kannte das Völkerrecht zu dieser Zeit bereits zahlreiche Verbote der Ungleichbehandlung. Der Grundsatz der Meistbegünstigung, d. h. die Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit dem bestbehandelten Dritten, war als solcher schon sein längerem Bestandteil von Handelsabkommen 22 • Ebenso bestand bereits ein völkerrechtlicher Mindeststandard für die Ausländerbehandlung, wonach alle Ausländer durch einen Staat gleichzubehandeln sind, soweit nicht besondere Vergünstigungen aufgrund völkerrechtlicher Verträge zu gewähren sind 23 • Neu an der Einführung des Diskriminierungsbegriffs war nun, daß das ursprünglich positiv gefaßte Gebot der Gleichbehandlung eine negative Formulierung als Verbot der Diskriminierung erhiele4 • Seine "Hochblüte" als Terminus technicus des Völkerrechts erlangte der Begriff tatsächlich allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg, wo er vor allem mit der Herausbildung eines völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes an Bedeutung gewann 25 •

B. "Diskriminierung" im Europäischen Gemeinschaftsrecht I. Rechtsquellen für einen gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsbegriff Ausgangspunkt für die Betrachtung des Begriffs "Diskriminierung" im Gemeinschaftsrecht ist die Untersuchung seiner Rechtsquellen im Primär- und Sekundärrecht. Daneben kommt aber auch der Rechtsprechung des EuGH eine überragende Vgl. hierzu ausführlich Wisskirchen S. 29ff.; Ebsen, RdA 1993, 11, 12. Jaenicke, S. 8 ff. m. w. N.; ders., in: Strupp/Schlochauer, Stichwort "Diskriminierung", Abschnitt C.!.; Schindler, S.14ff.; Vierdag, S.49f.; Partsch, "Discrimination against individuals and groups", in: Bernhard, Encyclopedia, Vol.I, p.1079. 2\ Vgl. nur die Beispiele beiJaenicke, S. IOf. 22 Schindler, S. 21 f.; von Keller, in: Strupp-Schlochauer, Stichwort "Handelsverträge", Abschnitt B. 23 Staatslexikon, Stichwort "Diskriminierung". 24 Kewenig, S. 25; vgl. auch Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer, Stichwort "Gleichbehandlung", Abschnitt B.2.f. 25 Jaenicke, in: Strupp-Schlochauer, Stichwort "Diskriminierung", Abschnitt C.2.; Kewenig, S.14ff.; Partsch, "Discrimination against individuals and groups", in: Bernhard, Encyclopedia, Vol. I, p. 1079. \9

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§ 1 "Diskriminierung" als Begriff

Bedeutung zu, da dieser aufgrund seiner besonderen Stellung nach Art. 220 EGV die zentrale Rolle bei der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts spielt. Dabei stellt man bei erstem Hinsehen fest, daß in den meisten Femen der Begriff "Diskriminierung" wörtlich überhaupt keine Erwähnung findet. Vielmehr finden sich in zahlreichen Tatbeständen in einer mehr oder weniger deutlichen Weise Umschreibungen verbotener Ungleichbehandlungen. 1. Primärrecht

a) Wörtliche Erwähnung Im geschriebenen Primärrecht taucht der Begriff "Diskriminierung" in wörtlicher Erwähnung nur an einigen Stellen auf. Dabei enthält eine erste Kategorie von Vorschriften - neben der Festlegung ihres Anwendungsbereichs hinaus - weitere Einschränkungen. Oft werden nur Diskriminierungen erfaßt, die an ein bestimmtes Kriterium anknüpfen. Zu erwähnen sind hier das sogenannte allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV) sowie die Vorschriften über die verstärkte Zusammenarbeit (Art. 11 Abs. 1 lit. c, e EGV), die ausdrücklich auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit Bezug nehmen. Regelungen in der Verkehrspolitik (Art. 75 Abs. I, 4 EGV) und für staatliche Beihilfen (Art. 87 Abs.2 lit. a EGV) erwähnen demgegenüber Diskriminierungen aufgrund des Herkunfts- oder Bestimmungslandes der Waren bzw. Leistungen. Art. 141 Abs.2 UAbs. 2 EGV wiederum nennt Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts. Schließlich bezieht sich Art. 13 EGV als Vorschrift über Antidiskriminierungsmaßnahmen ebenfalls nur auf ganz bestimmte Diskriminierungsgrunde. Einige wenige Vorschriften, die insofern eine zweite Kategorie bilden, enthalten keine derartigen Anknüpfungspunkte für die Diskriminierung. Hier werden im Anwendungsbereich - jedenfalls dem Wortlaut nach - sämtliche Diskriminierungen untersagt. Beispiele hierfür sind die Diskriminierungsverbote im Bereich der Agrarmärkte (Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV) und der Assoziierungsverträge (Art. 183 Nr.5, 184 Abs.4, 5 EGV). Eine dritte Gruppe von Vorschriften zeichnet sich schließlich durch die attributive Einschränkung der Diskriminierung als "willkürlich" aus, wobei der Begriff dann stets im Zusammenhang mit "verschleierten Beschränkungen" Erwähnung findet. Zu nennen sind hier Vorschriften aus den Gebieten des freien Warenverkehrs (Art. 30 S. 2 EGV), der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 58 Abs. 3 EGV) und einzelstaatlicher Maßnahmen im Bereich der Rechtsangleichung (Art. 95 Abs. 6 UAbs. 1). Schließlich taucht an einer Stelle (Art. 184 Abs. 5 EGV) auch die Bezeichnung "mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung" auf.

B. "Diskriminierung" im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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b) Inhaltliche Bezugnahme auf Gleich- oder Ungleichbehandlungen

Darüber hinaus finden sich freilich zahlreiche weitere Vorschriften, die sich mit Ungleichbehandlungen o. ä. beschäftigen und daher zumindest aus inhaltlicher Sicht Diskriminierungen zum Gegenstand haben (können). Gemeint sind hier die Fälle, in denen in irgendeiner Weise die Gleichbehandlung zweier Sachverhalte vorgeschrieben bzw. deren Ungleichbehandlung untersagt wird. In diesen Bestimmungen ist dann meist die Rede von "gleichartigen Bedingungen" oder einer "Gleichstellung", so z. B. im Rahmen der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 Abs. 2 EGV) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 50 Abs. 3 EGV). Andere Vorschriften nehmen schlicht auf "gleichartige" Gegenstände Bezug bzw. verbieten eine "unterschiedliche Behandlung", so z. B. im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 Abs. 2 EGV), des Steuerrechts (Art. 90 Abs. 1 EGV), der Geschlechtergleichbehandlung im Arbeitsrecht (Art. 141 Abs.l EGV), der Ausgleichsabgaben in der Landwirtschaft (Art. 38 EGV) sowie im Kartellrecht (Art. 81 Abs. 1 lit. d, 82 Abs. 2 lit. c EGV). 2. Sekundärrecht Auch im Sekundärrecht findet der Begriff der Diskriminierung weitgehende Erwähnung, wobei hier aber die meisten Vorschriften in Ausführung der im Primärrecht angelegten Grundprinzipien ergangen sind und insoweit keine eigenständige Bedeutung haben. Hervorzuheben sind jedoch die im Sozialrecht ergangenen Richtlinien zur Gleichbehandlung der Geschlechter (Richtlinien 75/117/EWG, 76/207/EWG, 79/7/EWG, 86/378/EWG und 86/613/EWG 26 ), die jeweils "unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen" behandeln. In der wichtigen Richtlinie 97/80/EG27 ist schließlich neben einer Definition der mittelbaren Diskriminierung auch die Beweislastverteilung für die Geschlechterdiskriminierung geregelt. Eine Sonderrolle dürften zudem die zwei bislang zu Art. 13 EGV ergangenen Richtlinien 28 einnehmen. In beiden Rechtakten wird ein einheitlicher Rahmen zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in bezug auf die in Art. 13 EGV genannten Diskriminierungskriterien geschaffen. In Artikel 2 der Richtlinien findet sich jeweils eine Legaldefinition des Begriffs "Diskriminierung", die in Zukunft möglicherweise auch weitergehende Bedeutung erlangen kann 29 • 26 RL 75/117/EWG, ABI. 1975 Nr.L 45 S.19; RL 76/207/EWG, ABI. 1976 Nr.L 39 S.40; RL 79n/EWG, ABI. 1979 Nr.L6 S.24; RL 86/378/EWG, ABI. 1986 Nr.L 225 S.40, geändert durch RL 96/97/EG, ABI. 1997 Nr.L 46 S.20ff.; RL 86/613/EWG, ABI. 1986 Nr.L 259 S.56. 27 ABI. 1998 Nr.L 14 S.6. 28 Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000, ABI. L 180 S. 22ff. sowie Richtlinie 2ooon8/EG des Rates vom 27.11.2000, ABI.L 303 S.16ff. 29 Siehe hierzu im weiteren unten § 8 B.

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§ 1 "Diskriminierung" als Begriff

3. Rechtsprechung und Rechtsfortbildung durch den EuGH

Wie bereits erwähnt, wird zentrale Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, die Struktur des Diskriminierungsbegriffs vor allem im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH zu untersuchen. Dabei hat der EuGH nicht nur Aussagen zur Auslegung der - oben aufgezählten - nonnierten Diskriminierungsverbote getroffen. Vielmehr hat er darüber hinaus im Wege der Rechtsfortbildung insbesondere im Bereich der Grundfreiheiten selbst Diskriminierungsaspekte in den Prüfungsaufbau eingeführt. Zu denken ist hier vor allem an die Cassis-Rechtsprechung, wonach eine Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeininteresses nur bei "unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen"3o in Betracht kommt, und die Keck-Rechtsprechung, mit der der EuGH eine Tatbestandsausnahme bei sog. Verkaufsmodalitäten fand, die "für alle Wirtschaftsteilnehmer im Inland gelten und in- und ausländische Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich gleich berühren"31. Im Zusammenhang mit der Cassis-Rechtsprechung verwendet der EuGH dabei teilweise auch ausdrücklich die Formulierung "diskriminierend,m.

4. Sonstige Rechts(findungs)quellen Freilich dürfen bei der Entwicklung des Diskriminierungsbegriffs - trotz der vom EuGH stets betonten Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts 33 - auch andere Rechtserkenntnisquellen nicht unberücksichtigt bleiben 34 • Insbesondere über die in Art. 6 Abs. 2 EUV enthaltene Bezugnahme auf die Rechtsvorschriften der EMRK und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten fließt auch das Art. 14 EMRK zugrundeliegende Verständnis mit ein 35 . Zudem gibt es in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Verbürgung im nationalen Verfassungsrecht, die eine Gleichheit vor dem Gesetz garantiert. Allen diesen Gleichheitssätzen ist gemeinsam, daß ihnen ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung zugrunde liegt, dessen Geltungsbereich sich auf die gesamte jeweilige innerstaatliche Rechtsordnung erstreckt36 . Insofern kann auch - freilich mit der gegebenen Vorsicht - die deutsche Tradition in bezug auf Art. 3 GG für die Entwicklung eines Begriffsverständnisses herangezogen werden. Neue AnsatzStd. Rspr. seit EuGH, Rs. 113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625, Rn. 10. EuGH, verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993,1-6097, Rn. 16. 32 V gl. z. B. EuGH, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders/Niederländischer Staat, Slg. 1988, 2085, Rn. 32. 33 Vgl. nur EuGH, Rs. 6/64, Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251, Rn. 12. 34 Auch der EGKSV enthält Diskriminierungsverbote in Art.4lit. b; Art. 69 § 1 sowie Art. 70, die hier jedoch unberücksichtigt bleiben sollen; vgl. hierzu Zerr, S. 31 ff., 37 ff., 51 ff. 35 Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 3. Der EuGH folgt hier z. T. sogar unmittelbar der EGMR-Rechtsprechung; vgl. Cirkel, NJW 1998, 3332. 36 Feige, S.189. 30

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B. "Diskriminierung" im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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punkte ergeben sich für die Zukunft möglicherweise aber auch aus Art. 20 bis 23 der auf dem Gipfel von Nizza proklamierten Grundrechte-Charta37 der Europäischen Union 38 • 11. Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot Diskriminierung wird typischerweise als etwas Rechtswidriges, Verbotenes betrachtet. Auch im Gemeinschaftsrecht taucht der Begriff - wie die obige Zusammenstellung zeigt - praktisch ausschließlich in Verbotsnormen auf. Eine derartige Funktion als Verbotstatbestand entspricht durchaus auch dem herkömmlichen Wortverständnis. Dabei kann zunächst als allgemeiner Grundkonsens für die Umschreibung des Diskriminierungsbegriffs - unabhängig vom jeweils betrachteten Rechtsgebiet und ungeachtet möglicher weiterer konkretisierender Merkmale - angenommen werden, daß dieser mindestens eine Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte erfaßt, zu deren Vergleich aus irgendeinem Grund Anlaß bestehe9 • Kurz gefaßt untersagt ein Diskriminierungsverbot damit ganz allgemein die Ungleichbehandlung vergleichbarer Tatbestände 40 • Doch ist dies auch einem (positiven) Gebot ihrer Gleichbehandlung gleichzusetzen? Sicherlich ist die strukturelle Nähe des Diskriminierungsverbotes zu einem Gleichbehandlungsgebot nicht zu leugnen. Doch besteht tatsächlich deckungsgleiche Übereinstimmung? 1. Vertragstext

Betrachtet man den Vertragstext, so weisen die angeführten Verbotstatbestände äußerst unterschiedliche Formulierungen auf. Es gibt Vorschriften, die dem Wortlaut nach Diskriminierungen verbieten (wörtliche Diskriminierungsverbote), solche, die eine Gleichbehandlung gebieten (Gleichbehandlungsgebote), und solche, 37 Freilich stellt die Charta kein verbindliches Gemeinschaftsrecht dar. Dennoch genießt sie - nicht zuletzt aufgrund ihrer besonderen Entstehung in einem Konventverfahren - wohl besondere Autorität bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und für die weitere Rechtsprechung des EuGH. Vgl. unten § 12. 38 Interessant - doch im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr zu behandeln - sind darüber hinaus die in den Assoziationsabkommen enthaltenen Diskriminierungsverbote; vgl. hier zu den Europaabkommen ausführlich Weiß, InfAuslR 2001, 1 ff. 39 Kewenig, Nichtdiskriminierung, S. 51. - Freilich wird diese Formulierung teilweise dahingehend ergänzt, Diskriminierung schließe auch die Gleichbehandlung von nicht Vergleichbarem ein; vgl. hierzu z.B. EuGH, Rs.13/63, Italien/Kommission, Slg. 1963, S. 357,384. Hierauf wird noch ausführlich einzugehen sein. 40 So auch der EuGH bereits in den verb. Rs. 7 u. 9/54, Groupement des Industries Siderurgiques Luxembougeoises/Hohe Behörde, Slg. 1955/56, S. 53, 133 zu Art. 4 lit. b i.V. m. Art. 60 EGKSV.

3 Plötscher

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§ 1 "Diskriminierung" als Begriff

die eine SchlechtersteIlung untersagen (Schlechterstellungsverbote)41. Fraglich ist, welche Folgerungen aus den Unterschieden zwischen den Texten zu ziehen ist. Aus formeller Sicht zu den Diskriminierungsverboten zählen Vorschriften, die bereits dem Wortlaut nach die "Diskriminierung" innerhalb ihres jeweiligen sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs untersagen bzw. deren Abschaffung gebieten, wie Art. 12, Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 75 Abs. I EGV, oder zumindest eine "unterschiedliche Behandlung" verbieten, wie Art. 39 Abs.2, Art. 81 Abs. 1 lit. d und Art. 82 Abs. 2 lit. c EGY. Daneben finden sich aber auch Vorschriften, die - mehr oder weniger verklausuliert - die Gleichbehandlung zweier Gruppen gebieten. Zu dieser Gruppe zählen vor allem die Personenverkehrsfreiheiten. So gewähren Art. 43 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 3 EGV das Niederlassungsrecht bzw. Recht zur Erbringung von Dienstleistungen jeweils "nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen" . Schließlich verbieten einige Normen aber auch nur eine SchlechtersteIlung einer Gruppe gegenüber einer anderen (Vergleichs-)Gruppe. Beispiele sind Art. 72 EGV (Vorschriften für Verkehrsunternehmer aus anderen Mitgliedstaaten dürfen im Vergleich zu inländischen Unternehmern nicht ungünstiger gestaltet werden) und Art. 90 Abs. 1 (keine höheren Abgaben für Waren aus anderen Mitgliedstaaten als für gleichartige inländische Waren). Fraglich ist, ob aus diesen zum Teil recht deutlichen Textunterschieden zwischen den einzelnen Vorschriften des EGV auch die Konsequenz einer inhaltlichen Differenzierung zu ziehen ist. Immerhin ergibt sich aus dem Wortlaut zumindest ein Indiz für eine derartige Absicht, woraus sich dann der (Umkehr-)Schluß ziehen ließe, daß eine einheitliche Auslegung nicht gewollt ist. Dieses systematische Argument ist aber nur dann stichhaltig, wenn sich auch vor dem Hintergrund des jeweiligen Regelungszwecks tatsächlich sachliche Unterschiede nachweisen lassen. Das Gebot der "Gleichbehandlung" und die Untersagung einer "Ungleichbehandlung" haben aber schon begrifflich die gleiche Bedeutung, die nur ihre jeweils positive bzw. negative Ausformung findet. Ähnliches ergibt sich, wenn man das Diskriminierungsverbot als negativ formuliertes Gleichbehandlungsgebot auffaßt 42 . Eine inhaltliche Abweichung kann sich aber für die Normen ergeben, die eine SchlechtersteIlung untersagen, da diese lediglich die Behandlung einer Gruppe (z. B. ausländische Waren i. S. d. Art. 90 Abs. I EGV) im Verhältnis zu ihrer Vergleichsgruppe (inländische Waren) betreffen, dem Wortlaut nach aber keine Aussage über die Behandlung dieser Vergleichsgruppe im Verhältnis zu der anderen Gruppe treffen. Aus rein formaler Sicht stehen diese Vorschriften daher einer SchlechtersteIlung der Vergleichsgruppe (inländische Waren) nicht entgegen und sind daher 41 Vgl. hierzu Reitmaier, S. 16ff.; zu Art. 43 EGV: Lackhoff, S. 218ff.

Feige, S. 17.20; Bode, S.6; Kewenig, S. 51 f.; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 593; Reitmaier, S. 10. 42

B. ,,Diskriminierung" im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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asymmetrisch. Ob hierin tatsächlich eine wesentliche strukturelle Abweichung von den sonstigen Diskriminierungsverboten liegt, wird noch genauer zu untersuchen sein. Jedenfalls besteht immerhin die Gemeinsamkeit, daß allen Vorschriften ein Vergleich zugrunde liegt 43 , d. h. daß diese eine relative Struktur aufweisen. 2. Rechtsprechung

Der EuGH scheint indes durchgängig eine Identität von Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot für das Gemeinschaftsrecht zu bejahen. Wiederholt hat er beispielsweise für das in Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV normierte Diskriminierungsverbot festgestellt, dieses sei "nur der spezifische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes"44. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang in einer der ersten Aussagen, die der EuGH überhaupt zum gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsbegriff (hier zu Art. 12 EGV) getroffen hat: "Eine Diskriminierung im materiellen Sinne würde vorliegen, wenn gleichgelagerte Sachverhalte ungleich oder verschieden gelagerte gleich behandelt würden."45 Gerade diese Formulierung entspricht aber herkömmlichen Definitionen, die für den allgemeinen Gleichheitssatz genannt werden. In anderen Entscheidungen folgert er aus dem Diskriminierungsverbot sogar einen unmittelbaren Anspruch auf Gleichbehandlung 46 •

3. Literatur Soweit in der gemeinschaftsrechtlichen Literatur überhaupt eine Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung stattfindet, werden Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot allgemein als identisch angesehen47 , da sie lediglich negative und positive Formulierung ein und desselben Grundsatzes seien 48 . Einen differenzierten Ansatz wählt indes Reitmaier. Sie sieht zwar ebenfalls eine Identität zwischen Diskriminierungs- und Gleichbehandlungsgeboten gegeben, will aber hiervon die SchlechtersteIlungsverbote wegen ihrer einseitigen Wirkrichtung abgrenEuGH, Rs.8n7, Sagulo, Sig. 1977, 1495, Rn. 12. Std. Rspr. seit EuGH, verb. Rs. 117n6 u. 16n7, Ruckdeschel, Sig. 1977, 1753, Rn. 7; verb.Rs.124n6 u. 20n7, Moulins et Huileries de Pont-a-Mousson und Providence agricole de la Champagne, Sig. 1977, 1795, Rn. 16; Rs. 125n7, Koninklijke Scholten-HoniglHoojdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Sig. 1978, 1991, Rn. 26; verb. Rs. l03n7 u. 145n7, Royal Schulten-Honig und Tunnel Rejineries, Sig. 1978,2037, Rn. 26; Rs. C-56/94, SCAC, Sig. 1995,1-1769, Rn. 27. 45 EuGH, Rs.13/63, Italien/Kommission, Sig. 1963,357,384. 46 So EuGH, Rs.186/87, Cowan/Tresor Public, Sig. 1989, 195, Rn. 11 f. m. w.N. 47 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 8; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S.601; Rossi, EuR 2000,197,215; Lenaerts, CDE 1991, 3, 38; Fastenrath, JZ 1987, 170; vgl. zur ähnlichen Deutung des Begriffs im Völkerrecht: Kewenig, Nichtdiskriminierung, S.51 f. m. w.N.; ebenso Jaenicke, in: Strupp-Schlochauer, Stichwort ..Diskriminierung", Abschnitt D.; Partsch, .. Discrimination against individuals and groups", in: Bemhard, Encyclopedia, Vol. I, p. 1079. 48 Mohn, Gleichheitssatz, S. 3 m. w. N.; Zerr, S. 15 ff.; ähnlich Michael, S. 228. 43 44

3*

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§ 1 "Diskriminierung" als Begriff

zen 49 • Doch gesteht sie zu, daß auch bei diesen strukturell derselbe Vergleich anzustellen sei wie bei den Diskriminierungsverboten 50 • 4. Bewertung

Im Endeffekt zeigt sich, daß diese Diskussion vorrangig um terminologische Fragen kreist. Doch ist zu bedenken, daß sich jedenfalls im Gemeinschaftsrecht für die hier erörterten Normen die Bezeichnung Diskriminierungsverbot eingebürgert hat. Daran sollte zur Vermeidung von Unklarheiten auch festgehalten werden. So führt der Gebrauch der Termini "Gleichbehandlungsgebot" und "Schlechterstellungsverbot" nur weiter, wenn damit strukturelle Besonderheiten verbunden sind. Dies zu klären, ist Gegenstand der folgenden Abhandlung, so daß eine weitere Auseinandersetzung vorerst zurückgestellt wird. Ein struktureller Unterschied mag allerdings bereits hier aufgezeigt werden: Ein Diskriminierungsverbot beschränkt sich in sachlicher wie persönlicher Hinsicht stets auf einen bestimmten Ausschnitt des allgemeinen Gleichheitssatzes51 • So ist das Diskriminierungsverbot zwar Ausdruck desselben, erfaßt aber nur eine Teilmenge der dem Gleichheitssatz unterliegenden Fälle. Diese Feststellung wird vor allem für die Auseinandersetzung mit der sog. mittelbaren Diskriminierung noch eine Rolle spielen.

III. Diskriminierung und allgemeiner Gleichheitssatz Einen ausformulierten und umfassend anwendbaren allgemeinen Gleichheitssatz wie etwa Art. 3 Abs. 1 GG kennt der EGV selbst nicht 52 • Vielmehr bestehen nur punktuelle Gleichheitsgewährleistungen, die unter anderem in den bereits genannten Normen zum Ausdruck kommen. Diskriminierungsverbote sind damit grundsätzlich spezielle Gleichheitssätze in dem Sinn, als sie einen kleinen Ausschnitt sämtlicher vom Gleichheitspostulat erfaßter Konstellationen darstellen. Gleichwohl hat der EuGH in Rechtsfortbildung auch einen allgemeinen Gleichheitssatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz anerkannt 53 , den er als "Grundprinzip der Gemeinschaft" bezeichnet 54 • Als vertragstextlicher Anknüpfungspunkt dient ihm dabei vorrangig das in Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV enthaltene allgemeine Diskriminierungsverbot, das er in ständiger Rechtsprechung als "spezifischen Ausdruck des allgemeiReitmaier, S. 17 f. Reitmaier, S. 18. 51 So auch KingreenlStörmer, EuR 1998,263, 284f. 52 Classen, JZ 1996,921,922; auch KingreenlStörmer, EuR 1998,263; Michael, S. 268. 53 Kischel, EuGRZ 1997, 1; Mohn, S.6f.; Schilling, RIW 1987, 140; ders., EuGRZ 2000, 3, 14; Pernice, in: GrabitzlHilf, Art. 164 EGV, Rn. 63. 54 Std. Rspr. seit EuGH, verb. Rs. 117n6 u. 16n7, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Rn.7. 49

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A. Modellstruktur als Ausgangspunkt

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nen Gleichheitssatzes" bezeichnet55 • Diese Anknüpfung geht bisweilen so weit, daß Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV zumindest argumentativ sogar mit dem Gleichheitssatz selbst gleichgesetzt und somit weit über seinen Anwendungsbereich hinaus ausgedehnt wird 56. Diese Herleitung des allgemeinen Gleichheitssatzes kann wiederum auch für die Herausbildung des Diskriminierungsbegriffs insofern nicht völlig ohne Bedeutung bleiben, als die Strukturprinzipien des Gleichheitssatzes daher bereits in den Diskriminierungsverboten angelegt sein müssen. Der EuGH selbst umschreibt den allgemeinen Gleichheitssatz als Gebot, vergleichbare Sachverhalte gleich und nicht vergleichbare Sachverhalte ungleich zu behandeln, wenn kein rechtfertigender Grund gegeben ist 57 • Die in dieser Aussage enthaltenen Elemente Vergleichbarkeit, Gleichbehandlung und Rechtfertigung werden auch bei der Untersuchung des Diskriminierungsbegriffs heranzuziehen sein. Doch heißt dies nicht, daß Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz (völlig) strukturidentisch sein müssen. Vielmehr ist durchaus zu beachten, daß die Vorschrift des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV insofern eine Sonderrolle spielt, als sie im Gegensatz zu fast allen anderen Diskriminierungsverboten nicht auf ein bestimmtes Unterscheidungskriterium Bezug nimmt. Gerade diese (weit verbreitete) Besonderheit einer singulären Ausrichtung des Gleichheitstatbestandes auf ein einzelnes Kriterium deutet aber auf die Notwendigkeit hin, eigene bzw. abgewandelte Strukturprinzipien für die Diskriminierung zu entwickeln, wohingegen der den Gleichheitssatz "tragende" Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV mit diesem aus struktureller Sicht gleichzusetzen sein wird.

§ 2 Strukturfragen des gemeinschaftsrechtlichen

Diskriminierungsbegriffs A. Modellstruktur als Ausgangspunkt Ausgangspunkt und Ziel sämtlicher Überlegungen ist letztlich die Reichweite des Diskriminierungsbegriffs. Um diese sinnvoll untersuchen und erfassen zu können, muß allein schon aus Gliederungsgesichtspunkten bereits eine gewisse Begriffs struktur zugrunde gelegt werden. Dabei ist freilich zu beachten, daß dies 55 So etwa EuGH, verb. Rs. 117/76 u. 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Rn. 7; verb. Rs. 124/76 u. 20/77, Moulins et Huileries de Pont-a-Mousson und Providence agricole de la Champagne, Slg. 1977, 1795, Rn. 16; Rs. 125/77, Koninklijke Scholten-Honig/Hoojdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Slg. 1978, 1991, Rn. 26; verb. Rs. 103/77 u. 145/77, Royal Schulten-Honig und Tunnel Refineries, Slg. 1978, 2037, Rn. 26. 56 Schilling, RIW 1987, 140; ähnlich auch Kingreen/Störmer, EuR 1998,263,284. 57 V gl. die soeben zitierten FundsteIlen wie auch aus neuerer Zeit EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, 1-4973, Rn. 67; Rs. C-56/94, SCAC, Slg. 1995, 1-1769, Rn. 27; Rs. C-354/95, National Farmers' Union, Slg. 1997,1-4559, Rn. 61; ebenso Schilling, EuGRZ 2000, 3, 14.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

nicht zu einem methodischen Zirkelschluß führt, zumal die Herausbildung einer einheitlichen Struktur ja erst das Ziel der vorliegenden Arbeit ist. Demzufolge soll hier von einer "Modellstruktur" gesprochen werden. Die hierin enthaltenen Elemente haben insofern Modellcharakter, als sie lediglich mögliche Strukturkategorien des am Ende zu entwickelnden Begriffs beschreiben. Ob und mit welchem Inhalt derartige Elemente im gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverständnis tatsächlich enthalten sind, bleibt hingegen der Untersuchung im zweiten und dritten Teil der Arbeit vorbehalten.

I. Gesetzeswortlaut Normtextliche Anhaltspunkte in bezug auf die Struktur des Diskriminierungsbegriffs lassen sich nur indirekt finden. Legaldefinitionen sind im gemeinschaftsrechtlichen Primärrecht nicht enthalten. Im Sekundärrecht finden sich hingegen umfangreichere Anhaltspunkte, wie z. B. in den - bereits erwähnten - Richtlinien zu Art. 13 EGY. Meist lassen sich Strukturen aber aus den tatbestandlichen Umschreibungen der Verbote entnehmen, soweit diese über die bloße Erwähnung des Terminus "Diskriminierung" hinaus weitere Merkmale enthalten. Bei erster Betrachtung zeigen sich hier Parallelen in zumindest drei Bereichen. (1) Vergleichstatbestand: Die meisten Normen umschreiben einen vorzunehmenden Vergleich von Sachverhalten, wobei einige Vorschriften hier sogar eine Vergleichbarkeit in bestimmten Elementen verlangen. Beispiele hierfür sind Art. 90 Abs.l EGV ("gleichartige inländische Waren"), Art. 141 Abs.l EGV ("bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit"l), Art. 81 Abs.llit. d, 82 Abs. 21it. c EGV ("bei gleichwertigen Leistungen"), Art. 75 Abs. 1 EGV ("für die gleichen Güter") sowie Art. 38 Abs. 1 ("gleichartige Erzeugung").

(2) Ungleichbehandlung: Kernelement ist ferner der Vergleich hinsichtlich der Behandlung zweier Sachverhalte. So sprechen Art. 39 Abs. 2 EGV von "unterschiedlicher Behandlung", Art. 75 Abs.l EGV von der Anwendung "unterschiedlicher Frachten und Beförderungsbedingungen", Art. 90 Abs. 1 EGV von "höheren inländischen Abgaben" für Importwaren als für Inlandswaren, Art. 141 Abs. 1 EGV von "gleichem Entgelt" usw. Dabei ist der Vergleich stets auf einen begrenzten Anwendungsbereich der jeweiligen Vorschrift eingeschränkt (Warenbesteuerung, Arbeitnehmerentgelt etc.). Besondere Diskriminierungsverbote verlangen zudem, daß die Ungleichbehandlung auf einem bestimmten Merkmal beruht. (3) Rechtfertigung: Ausdrückliche Hinweise auf eine mögliche Rechtfertigung finden sich zudem im Bereich der Grundfreiheiten. Art. 39 Abs. 3 und Art. 46 Abs. 1 1 Hier wurde das Merkmal der Gleichwertigkeit zwar erst durch den Amsterdamer Vertrag in den Wortlaut eingeführt, jedoch hatte der EuGH den Begriff der "gleichen Arbeit" schon früh auf "gleichwertige Arbeit" ausgedehnt: EuGH, Rs.43n5, DefrennelSabena, Slg. 1976,455,474.

A. Modellstruktur als Ausgangspunkt

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EGV nennen hier Rechtfertigungen "aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit." Allerdings beziehen sich diese Vorschriften nicht allein auf Diskriminierungsfälle, sondern stellen umfassendere Rechtfertigungstatbestände dar, so daß dies kein zwingender Hinweis für ein dem Diskriminierungsbegriff immanentes Rechtfertigungselement ist. Dennoch gibt es einige, noch näher zu untersuchende Anhaltspunkte für die Relevanz dieses Kriteriums. 11. Umschreibungen in Rechtsprechung und Literatur Auf dieser Basis hat sich in der gemeinschaftsrechtlichen Literatur und der Rechtsprechung 3 des EuGH die Umschreibung eingebürgert, Diskriminierung sei die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte bzw. die Gleichbehandlung nicht vergleichbarer Sachverhalte, ohne daß dies objektiv gerechtfertigt sei. Teilweise wird zusätzlich noch explizit auf eine Benachteiligung abgestellt4 • Obwohl diese Umschreibung auf ein verbotenes Differenzierungskriterium keinen Bezug nimmt, wird sie vom EuGH auch im Rahmen der besonderen Diskriminierungsverbote verwendet 5 • Ihre grundsätzliche Anerkennung als Grundlage aller Diskriminierungsverbote wird aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades auch nicht weiter verwundern. So finden sich ähnliche Aussagen auch für die Gleichheitssätze nationalen Verfassungsrechts, die letztlich auf allgemeine Gerechtigkeitserwägungen zurückgehen 6 • In Frage gestellt wird allerdings meist die Bedeutung des zweiten Teils der Formulierung, wonach auch die Gleichbehandlung nicht vergleichbarer Sachverhalte umfaßt ist. Im Kontext eines Diskriminierungsverbotes liegt hierin das Gebot, Unterschiedliches unterschiedlich zu behandeln, d. h. die Eigenarten des jeweiligen Sachverhaltes zu beachten. Diese Dimension kann jedoch bei solchen Diskriminierungsverboten, die an ein bestimmtes Unterscheidungskriterium (z. B. Geschlecht, Staatsangehörigkeit) anknüpfen (hier als "besondere Diskriminierungsverbote" bezeichnet), schon strukturbedingt keine Rolle spielen. Diese verbieten ja gerade die Berücksichtigung des tatsächlich bestehenden Unterschiedes in dem genannten Kriterium und enthalten so eine normative Gleichstellung, die faktische Ungleichheiten überlagert. Damit enthält das besondere Diskriminierungsverbot strukturell nur eine 2 Pernice, in: Grabitz/Hilf, Art. 164 EGV, Rn. 63; Kischel, EuGRZ 1997, 1,4; Mohn, S.47; Feige, S.190; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 EGV, Rn. 1; Hammerl, S.23. 3 EuGH, Rs. 13/63, Italien/Kommission, Slg. 1963, 357, 384; verb. Rs. 117n6 u. 16n7, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Rn. 7; Rs.96/80, Jenkins/Kingsgate, Slg. 1981, 911, Rn 11 ff.; Rs.8/82, Wagner/BALM, Slg. 1983,371, Rn. 18. 4 EuGH, Rs. 22/80, Boussac/Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427, Rn. 10; verb. Rs. 17 u. 20/61, Klöckner, Slg. 1962,653,692; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn 9; Hammerl, S. 23; Epiney, S. 20. 5 Für Art. 12 EGV: EuGH, Rs.13/63, Italien/Kommission, Slg. 1963,357,384. 6 Vgl. Kischel, EuGRZ 1997, 1, 4 mit weiteren Hinweisen auf Ansätze bei Platon und Aristoteles.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

Aussage über etwas Gleiches bzw. gleich zu Behandelndes 7 • Aber auch im Rahmen der allgemeinen Diskriminierungsverbote ist die eigenständige Bedeutung des Gebotes, Ungleiches ungleich zu behandeln, zweifelhaft. Werden nämlich - wie von diesem Gebot verlangt - die jeweiligen Eigenarten eines Sachverhalts bei der Behandlung individuell berücksichtigt, so liegt darin gerade auch eine Gleichbehandlung insofern, als sich die Maßnahme dann neutral auswirkt. Dies wird im Rahmen der Analyse im zweiten und dritten Teil noch eingehend zu untersuchen sein.

B. Vorfrage: Der Anwendungsbereich des konkreten Diskriminierungsverbots Die Verwendung des Begriffs der Diskriminierung steht durchweg im Kontext eines konkreten Diskriminierungsverbots. Daher beginnt die Auseinandersetzung zunächst mit der Klärung des Geltungs- und Anwendungsbereichs einer solchen Norm. Diese Vorfrage steht zwar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Diskriminierungsbegriff als solchem. Aber gerade deshalb ist sie besonders wichtig, um irreführende Schlußfolgerungen durch Vermischung beider Problematiken zu vermeiden 8 • Nahezu alle gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbote haben einen in sachlicher und/oder persönlicher Hinsicht eingeschränkten Geltungsbereich, den es im Einzelfall genau zu bestimmen gilt. In Betracht kommen Beschränkungen des Kreises der Adressaten (Mitgliedstaaten, Gemeinschaftsorgane, Arbeitgeber etc.), des Kreises der durch ein Verbot Berechtigten (Arbeitnehmer, Dienstleistungserbringer, Erzeuger, Verbraucher, Inverkehrbringer von Waren etc.) sowie Eingrenzungen in bezug auf das erfaßte Sachgebiet, in dem eine Diskriminierung vorliegen muß (Abgabenerhebung, Arbeitsverhältnis, Warenverkehr etc.). Eine der wenigen großen Ausnahmen stellt diesbezüglich Art. 12 EGV dar, der für den gesamten "Anwendungsbereich des Vertrages" (EGV) gilt, und daher (mißverständlich) auch allgemeines Diskriminierungsverbot genannt wird 9• Eine wichtige Rolle in Abgrenzung zum Diskriminierungsbegriff spielt die Frage des Anwendungsbereichs bei den Grundfreiheiten. Dies wird häufig übersehen oder nicht klar herausgearbeitet. Nach einhelliger Auffassung unterliegen den Grundfreiheiten nur sog. grenzüberschreitende Sachverhalte, d. h. Fälle, in denen die Ware, der Arbeitnehmer, die Dienstleistung etc. mindestens zwei Mitgliedstaaten tangiert, in Abgrenzung zu reinen Inlandssachverhalten, die sich nur innerhalb eines Mitgliedstaates abspielen. Soweit man den Grundfreiheiten den Aspekt eines Diskriminierungsverbotes zuspricht, erfaßt dieser somit nur grenzüberschreitende Sachverhalte. Kischel, EuGRZ 1997, I, 4. Ähnlich Kewenig, Nichtdiskriminierung, S. 66. 9 Ähnlich weit ist der Anwendungsbereich von Art. 4 lit. b EGKSV, der nur aHgemein auf diskriminierende Maßnahmen oder Praktiken im Montanbereich absteHt. 7

8

C. Vergleichstatbestand

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Dann stellt sich aber die Frage, ob man als Vergleichstatbestand im Rahmen der Diskriminierungsprüfung - wie dies im neueren Schrifttum zunehmend vertreten wird - grenzüberscheitende Sachverhalte inländischen gegenüberstellen darf, obwohl letztere - in dem oben genannten Sinn 10 - eindeutig nicht den Grundfreiheiten und damit dem sie ausgestaltenden Diskriminierungsverbot unterfallen. Dies wird im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Grundfreiheiten noch zu klären sein.

c.

Vergleichstatbestand I. Vergleich

Ausgangspunkt jeder Prüfung, ob ein Sachverhalt eine Diskriminierung beinhaltet, ist ein Vergleich. Diskriminierung ist kein absoluter Tatbestand, sondern benötigt stets einen Bezugspunkt. Eine Person kann im logischen Sinn nicht einfach "diskriminiert" werden, sondern immer nur "gegenüber" oder "im Vergleich zu" jemand anderem, d. h. einer Vergleichsgruppe oder -person. Diese Aussage mag zunächst banal erscheinen; sie ist aber für das Verständnis der Diskriminierung auch im Gemeinschaftsrechts wesentlich. Im Gegensatz zu diesem relativen bzw. horizontalen Charakter eines Diskriminierungsverbots stehen absolute Rechtspositionen mit vertikalem Charakter, wie sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs inzwischen die Grundfreiheiten darzustellen scheinen, die unabhängig von einem Vergleichskontext bestehen 11. So gewährt z. B. Art. 39 Abs. 3 EGV Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates gegenüber anderen Mitgliedstaaten bestimmte Einreise-, Aufenthalts- und Freizügigkeitsrechte, völlig unabhängig davon, wie diese Mitgliedstaaten ihre eigenen Staatsangehörigen behandeln. Die Prüfung derartiger Rechte ist daher strukturell anders zu erfassen als die der Diskriminierung. So gilt es hier nur, den Umfang des Rechtes einzugrenzen und zu untersuchen, ob eine ungerechtfertigte, d. h. unverhältnismäßige, Beeinträchtigung desselben vorliegt. 11. Vergleichbarkeit Die Notwendigkeit eines Vergleichs führt freilich sogleich zu der Frage, wer bzw. was denn genau zu vergleichen ist. Nach der oben erwähnten Umschreibung bedeutet Diskriminierung im Kern die Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte. Verglichen wird daher nur, was "vergleichbar" ist. Sind zwei Tatbestände nicht ver10 Daß inländische Sachverhalte vom Diskriminierungsverbot nicht erfaßt sind, bedeutet aber keinesfalls, daß auch alle Inländer aus seinem Anwendungsbereich herausfallen. Vielmehr können sich natürlich auch inländische Staatsangehörige auf die Grundfreiheiten berufen, wenn sie grenzüberschreitend tätig sind (v gl. nur die unten bei § 5 c.1. I. a. bb. diskutierten Rückkehrerflille). 11 Vgl. Kingreen/Störmer, EuR 1998, 263,268.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

gleichbar, so kommt bei deren unterschiedlicher Behandlung eine Diskriminierung nicht in Betracht. Im Wortlaut einiger Diskriminierungsverbote kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck, wie z. B. " ... unterschiedliche[r] Bedingungen bei gleichwertiger Leistung ... " (Art. 81 Abs. 1 lit. d, Art. 82 Abs. 21it. c EGV) oder" ... Grundsatz gleichen Entgelts ... bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit..." (Art. 141 Abs. 1 EGV). Doch wonach bestimmt sich diese Vergleichbarkeit? 1. Vergleichbarkeit und Gleichheit

Sicherlich nicht erforderlich ist die Gleichheit im Sinne einer Identität beider Tatbestände. Dies folgt schon aus der Bezeichnung "Vergleichbarkeit". Insoweit besteht noch weitgehende Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur l2 • Von Identität läßt sich nämlich nur bei einer ausnahmslosen Übereinstimmung in sämtlichen Elementen eines Sachverhaltes sprechen. Logisch gesehen schließt dies aber bereits aus, daß überhaupt ein Vergleich stattfinden kann. Denn verglichen werden können immer nur zwei Objekte, Sachverhalte etc., die zumindest insoweit voneinander abgrenzbar bzw. eigenständig sind, daß ein Vergleich möglich und sinnvoll ist. Dann liegt aber in eben diesem Punkt, der die Abgrenzbarkeit überhaupt erst ermöglicht, ein Unterschied (wie z. B. die zeitliche Verschiedenheit zweier Sachverhalte), der die Identität entfallen läßt. Insofern ist Identität "Einssein". Der Begriff der Identität taugt daher für die Bestimmung einer Diskriminierung nicht, da er vor allem die Individualität und Eigenständigkeit eines Sachverhaltes betont und damit jeden Vergleich ad absurdum führt. "Vergleichbarkeit" läßt demgegenüber Unterschiede zwischen den Sachverhalten in einzelnen Punkten zu. Umgekehrt bedeutet dies, daß "Vergleichbarkeit" auch nur auf einzelne Elemente des Sachverhalts bezogen sein kann 13 • Es handelt sich damit um eine relative Gleichheit. Nur bei einer Übereinstimmung zweier Sachverhalte in wesentlichen Merkmalen, kann in deren Ungleichbehandlung eine Diskriminierung liegen. 2. Vergleichbarkeit als wertausfiillungsbedürftiger Begriff

Dies zeigt, daß die Forderung nach einer "Vergleichbarkeit" der Tatbestände auch nicht als ein aus sich heraus handhabbares Tatbestandsmerkmal für die Diskriminierung verstanden werden kann. Vielmehr führt sie erst zu der entscheidenden Frage, wann die Übereinstimmungen zwischen zwei Sachverhalten praktisch die ,,kritische 12 Z. B. EuGH, verb. Rs. 3-18, 25 u. 26/58, Barbara Erzbergbau, Slg. 1960, 373, 409; Rs. 169/78, Kommission/Italien, Slg. 1980, 385, Rn. 5; Mohn, S.50 m. w. N.; Zerr, S.4; Lenaerts, CDE 1991,3,9; vgl. auch Michael, S. 226. Der EuGH verwendet dabei wie selbstverständlich die Begriffe "Vergleichbarkeit" und "Gleichartigkeit" mit identischer Bedeutung, ohne daß er dies freilich ausdrücklich feststellt (vgl. Mohn, S. 51). 13 Kewenig, Nichtdiskriminierung, S.73; vgl. auch Kischel, AöR 124 (1999), 175, 181 f.

C. Vergleichs tatbestand

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Masse" (Wesentlichkeit) erreicht haben, daß von einer Vergleichbarkeit gesprochen werden kann. Die Antwort hierauf läßt sich daher nicht dem insofern neutralen Begriff der Vergleichbarkeit entnehmen. Hier ist auf Wertungen zurückzugreifen, die quasi "von außen" an den Diskriminierungsbegriff herangetragen werden und von dessen Einbettung in den konkreten Tatbestand eines Diskriminierungsverbots abhängen. Doch bedeutet dies nicht zwingend, die Kategorie der "Vergleichbarkeit" spiele im Prüfungsaufbau für den Diskriminierungstatbestand überhaupt keine Rolle. Man muß sich nur bewußt werden, daß es sich lediglich um einen Rahmenbegriff handelt, der einer Ausfüllung mit einer bestimmten Wertung bedarf l4 • Daß sich dabei die Beurteilung, welche der untersuchten Merkmale als wesentlich genug anzusehen sind, um eine Vergleichbarkeit zu begründen, schwierig in allgemeine Regeln fassen läßt, leuchtet ein. Gleichwohl verlangt ein derart offenes Merkmal wie das der Vergleichbarkeit geradezu nach verläßlichen Direktiven, um allzu subjektiven Ergebnissen bei der Diskriminierungsprüfung vorzubeugen. Der einzige einigermaßen verläßliche Ansatz ist hierbei sie strikte Orientierung an den im Tatbestand des jeweiligen Diskriminierungsverbots vorgegebenen Konkretisierungen. 3. Konkretisierung in den einzelnen Diskriminierungsverboten

Praktisch sämtliche für das Gemeinschaftsrecht relevanten Diskriminierungsverbote enthalten dabei in ihrem Wortlaut zumindest einige Konkretisierungen, die für die Entscheidung der Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit von Sachverhaltselementen hilfreich sind. Das sicherlich perfekteste Beispiel hierfür dürfte innerhalb des Primärrechts Art. 141 EGV sein. Vergleichbar sind hier nur Arbeitnehmer (desselben Arbeitgebers), die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Letzteres ist in Art. 141 Abs. 2 UAbs. 2 EGV näher definiert. Unwesentlich für den Vergleich ist das Geschlecht das Arbeitnehmers, nach dem eine Diskriminierung gerade untersagt ist. Wie dieses Beispiel zeigt, kann es eine Konkretisierung in dreierlei Hinsicht geben: (I) Einige Vorschriften stecken bereits mit der Nennung ihres Anwendungsbereiches zumindest den äußeren Rahmen aller Sachverhalte ab, die für einen Vergleich in Frage kommen (im folgenden Vergleichsrahmen genannt). Die eigentlich verglichenen Sachverhalte (wegen der zumeist untersuchten generell-abstrakten Regelungen eigentlich Gruppen von Sachverhalten, im folgenden Vergleichsgruppen genannt) bilden dann Teilmengen dieses Vergleichsrahmens. Für Art. 141 EGV ist der Vergleichsrahmen die Gruppe aller Arbeitnehmer eines Arbeitgebers. Bei Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV wären dies alle Erzeuger bzw. Verbraucher auf dem Agrar14 So auch Kischel, AöR 124 (1999),175, 185, der die Überlegungen der Vergleichbarkeit aber allein der RechtfertigungspTÜfung zuordnen will. Michael, S. 226 hingegen will die Un gleichheit zweier Sachverhalte als Maßstab heranziehen.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

markt, bei Art. 39 Abs. 2 EGV die Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten usw. Dabei zeigt gerade das Beispiel des Art. 141 EGV, daß der Vergleichsrahmen auch immanent durch den Adressatenkreis des Diskriminierungsverbots und durch das Erfordernis der Adressatenidentität 15 begrenzt wird. So kommen für eine Diskriminierung nur die Arbeitnehmer ein- und desselben Arbeitgebers in Frage. (2) Teilweise nennen die Diskriminierungsverbote - freilich unterschiedlich konkret - auch einzelne Sachverhaltselemente, die zwischen den Vergleichsgruppen identisch sein müssen und daher wesentlich sind. Für Art. 141 Abs. 1 EGV ist dies beispielsweise die "gleiche oder gleichwertige Arbeit" (konkretisiert in Art. 141 Abs.2 UAbs. 2 EGV), für Art. 90 Abs. 1 EGV "gleichartige ... Waren", für Art. 75 Abs.l EGV ,,[die]selben Verkehrsverbindungen für die gleichen Güter" usw. (3) Meist findet sich jedoch die Nennung eines bestimmten Kriteriums, aufgrund dessen eine Diskriminierung untersagt wird (im folgenden verbotenes Dijferenzierungskriterium genannt). Für die Vergleichbarkeit wird dieses Merkmal daher als unwesentlich fingiert; mit anderen Worten, die Unterschiedlichkeit in diesem Kriterium schließt die Vergleichbarkeit der Sachverhalte in keinem Fall aus. Im nationalen Verfassungsrecht wird dies teilweise auch mit einer sog. Statusgleichheit umschrieben 16. Hauptbeispiele hierfür sind Art. 12 und Art. 39 Abs. 2 EGV. Daneben fallen hierunter aber auch Normen, die das verbotene Kriterium in seinen jeweils möglichen Ausprägungen nennen und so die Vergleichsgruppen bereits vorzeichnen. Zu erwähnen sind hier beispielsweise Art. 43 Abs. 2 EGV (" ... Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen ... "), Art. 90 Abs. 1 EGV (" ... Waren aus anderen Mitgliedstaaten ... inländische Waren ... "), Art. 141 Abs. 1 EGV (" ... Männer und Frauen ... ") usw.

III. Die Sonderrolle des verbotenen Differenzierungskriteriums Gerade die letztgenannten, an ein verbotenes Differenzierungskriterium anknüpfenden Diskriminierungsverbote nehmen konstruktiv eine zentrale Rolle ein. Diese im folgenden als besondere Diskriminierungsverbote bezeichneten Normen sind von den allgemeinen Diskriminierungsverboten abzugrenzen, die innerhalb ihres persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs jegliche Form der Diskriminierung untersagen, während erstere nur solche Diskriminierungen erfassen, die "aufgrund" eines bestimmten, näher qualifizierten Merkmals erfolgen. Diese Unterscheidung spielt für das Strukturverständnis des Diskriminierungsbegriffs eine entscheidende Rolle. Sie wird aber nicht immer in der Literatur nachvollzogen. Vielmehr wird oft einheitlich von "den Diskriminierungsverboten" gesprochen. Mißverständlich ist insbesondere die herkömmliche Bezeichnung von Art. 12 15

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Siehe dazu unten § 7 A. I. 2. Kischel, EuGRZ 1997, 1,4; Kirchhof, in: HdBStR V, § 124, Rn. 194 ff.

C. Vergleichstatbestand

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EGV als "allgemeines Diskriminierungsverbot", obwohl dieser Tatbestand an das Merkmal der Staatsangehörigkeit anknüpft I7 • Wichtig ist vor allem, daß die allgemeinen Diskriminierungsverbote strukturell eine große Nähe zum allgemeinen Gleichheitssatz aufweisen. Bei den besonderen Diskriminierungsverboten ist hingegen wegen deren Bindung an ein bestimmtes Vergleichskriterium der Vergleichstatbestand schon stark vorgezeichnet. Vor allem die dogmatische Einordnung des verbotenen Differenzierungskriteriums in eine allgemeine Diskriminierungsstruktur bereitet dabei große Schwierigkeiten. 1. Logische Bedeutung des Differenzierungskriteriums

Aus logischer Sicht gebietet das besondere Diskriminierungsverbot eine Gleichbehandlung nur für die Fälle, in denen das verbotene Differenzierungskriterium überhaupt vorliegt. So gilt beispielsweise Art. 12 EGV nur für die Gruppe der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten (S), die (aus der Perspektive eines Mitgliedstaates) aus Inländern (I) und Ausländern (A) besteht. Aus der Tatsache, daß sowohl die Inländer als auch die Ausländer eine Teilmenge der Menge der Staatsangehörigen darstellen (I ? S ? A ? S) folgt dann eine logische Gleichheit (I, A ? S), die eine Pflicht zur Gleichbehandlung auslöst. Eine Ungleichheit, die eine Ungleichbehandlung zuläßt, ist dann nur denkbar, wenn weitere Elemente bzw. Voraussetzungen beriicksichtigt werden, die Inländer und Ausländer in unterschiedlicher Weise erfüllen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn eine bestimmte Maßnahme nur hinsichtlich der Ausländer in den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbotes (D) fällt (A ? D), nicht jedoch hinsichtlich der Inländer (I ? D). Dann folgt nämlich für die Gruppe der Ausländer die Erfüllung beider Kriterien Sund D (A ? S ? D), während dies für I nicht der Fall ist (I ? S ? D). In bezug auf die Schnittmenge "Staatsangehörigkeit und Anwendungsbereich" sind In- und Ausländer daher nicht gleich und könnten daher ungleich behandelt werden l8 • 2. Dogmatische Einordnung des verbotenen Differenzierungskriteriums Die Schwierigkeit bei der praktischen Handhabung der besonderen Diskriminierungsverbote liegt freilich in der dogmatischen Einordnung des genannten Differenzierungskriteriums in den Begriff der Diskriminierung. Hierbei eröffnen sich unterschiedliche Betrachtungsebenen, je nachdem, ob auf generell-abstrakte Regelungen oder individuell-konkrete Maßnahmen abgestellt wird. Beide Akte des Adressaten werden von den Diskriminierungsverboten erfaßt. Für Art. 12 EGV folgt dies schon aus dem Wortlaut ("jede Diskriminierung"). Auch die anderen Vorschriften enthal-

17 18

Richtig daher die KlarstelJung bei Fastenrath, JZ 1987, 170, 171. Vgl. zum Ganzen Reitmaier, S.lO.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

ten hier keinerlei Einschränkungen. Anders formuliert, betreffen die Diskriminierungsverbote die Rechtssetzung und die Rechtsanwendung.

a) Rechtssetzung (generell-abstrakte Regelungen) Gesetzgeberische (d. h. abstrakt-generelle) Regelungen enthalten bereits aufgrund ihrer konditionalen Struktur, d. h. die Bindung von Rechtsfolgen an Tatbestandsvoraussetzungen ("wenn ... , dann ... "), zwingend Differenzierungen. Nur für einen Teil aller denkbaren Sachverhalte greift die Rechtsfolge ein. Die (formalen) Differenzierungskriterien sind dem Tatbestand der Regelung unmittelbar zu entnehmen. Hauptproblern der Prüfung einer besonderen Diskriminierung ist daher die Frage, ob diese explizit vorgenommene unterschiedliche Behandlung von Sachverhalten mit dem verbotenen Merkmal im Zusammenhang steht. Dabei geht es nicht um den Vergleich einzelner Sachverhalte, sondern um eine gruppenweise Betrachtung. Die Prüfung des diskriminierenden Charakters von gesetzgeberischen Maßnahmen setzt wegen deren Geltung für eine Vielzahl von Sachverhalten die Bildung von Vergleichsgruppen voraus. Hierbei wird die Dimension des verbotenen Differenzierungskriterium als Basis für die Vergleichsgruppenbildung relevant. Das verbotene Kriterium ist selbst das tertium comparationis, aus dem die Vergleichsgruppen abzuleiten sind 19 • Beispielsweise folgt aus dem in Art. 12 EGV enthaltenen Merkmal der Staatsangehörigkeit ein Vergleich von Inländern und Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten. Daneben besteht - wie gesehen - auch die Möglichkeit, daß diese Vergleichsgruppen in der Norm ausdrücklich genannt sind, wie z. B. in Art. 141 Abs. 1 EGV ("für Männer und Frauen"). Freilich sind die Vergleichsgruppen zudem insgesamt durch den Geltungsbereich des Diskriminierungsverbot (Vergleichsrahmen) begrenzt. Der Vergleich selbst ist dann hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Maßnahme anzustellen. Nur wenn diese für die beiden Vergleichsgruppen unterschiedlich ausfallen, kommt eine (besondere) Diskriminierung in Betracht 20 •

b) Rechtsanwendung (individuell-konkrete Maßnahme) Im Unterschied dazu betrifft eine konkrete Einzelmaßnahme - schon per definitionem - nur einen einzigen Sachverhalt. Um feststellen zu können, ob diese Maßnahme diskriminierenden Charakter hat, kann nur ein Vergleich dieses Sachverhaltes mit einem anderen, anders behandelten Sachverhalt weiterhelfen. Ausgangspunkt ist daher der Vergleich zweier Einzelsachverhalte aufgrund der Feststellung 19 Ähnlich zu Art. 3 Abs.2, 3 GG: Sachs, in: HdBStR V, § 126, Rn. 29; Kischel, AöR 124 (1999), 175, 182f. 20 Zu dieser gruppenbezogenen Sicht Sacksofky, S. 312 ff.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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einer Ungleichbehandlung. Die Bildung von Vergleichsgruppen kommt nicht in Betracht. Eine derartige Ungleichbehandlung ist dann nur zulässig, wenn die beiden Sachverhalte im wesentlichen nicht vergleichbar sind. Hauptproblern ist dann freilich festzulegen, worin ein derartiger wesentlicher Unterschied liegen kann. Das besondere Diskriminierungsverbot gebietet hier eine Einschränkung, indem es ein Berufen auf das in seinem Tatbestand genannte Differenzierungskriterium ausschließt. Hieraus ergibt sich eine generelle Wertung, wonach die beiden Sachverhalte trotz ihrer bestehenden Unterschiede in diesem Kriterium als gleich zu behandeln sind. Es wird punktuell eine Gleichheit fingiert (Statusgleichheit) bzw. das betreffende Kriterium qua Rechtsnorm als unwesentlich angesehen. Wichtige Konsequenz ist, daß die Ungleichbehandlung sehr wohl noch auf andere Gesichtspunkte gestützt werden kann, die nichts mit dem verbotenen Kriterium zu tun haben. Die besonderen Diskriminierungsverbote wurden daher (zumindest insoweit treffend) auch als Begründungsverbote bezeichnet, da sie letztlich eine bestimmte Begründung der Ungleichbehandlung untersagen 21 • Insofern stellt das besondere Diskriminierungsverbot auch nur einen Spezialfall des allgemeinen Diskriminierungsverbotes bzw. Gleichheitssatzes dar 22 • Während letzteres ohne nähere Spezifizierung die Gleichbehandlung bei "vergleichbarer Lage", "gleichwertigen Leistungen" oder innerhalb einer bestimmten Gruppe verlangt, nennt ersteres ein bestimmtes Kriterium, aus dem die Unvergleichbarkeit grundsätzlich nicht geschlossen werden darf. Daraus wird teilweise aber auch eine Verschärfung des Begründungsmaßstabes abgeleitetz3 , da dieses Kriterium wegen seiner expliziten Erwähnung im Verbotstatbestand entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nur unter sehr engen Voraussetzungen als Basis für eine Differenzierung fungieren kann. Insgesamt sind besondere Diskriminierungsverbote gegenüber den allgemeinen Verboten daher in bezug auf ihre Reichweite ein "Weniger"; sie können aber hinsichtlich ihrer Wirkungstiefe durchaus ein "Mehr" sein.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände I. Verhalten des Adressaten (Behandlung)

Diskriminierung ist primär Gegenstand von Verboten. Aus dem Verbot der Diskriminierung folgt ein Sollensgebot in Hinblick auf ein bestimmtes Verhalten, näm2\ Kingreen, S. 141 ff.; vgl. auch Huster, S. 313ff.; Michael, S. 229; für Art. 3 Abs. 2,3 GG Podlech, S. 94ff.; ebenso wohl PierothlSchlink, Rn. 447. 22 In diese Richtung Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 40. Vgl. insoweit auch Michael, S. 228, der im Gleichheitssatz eine Summe von Differenzierungsverboten sieht. 23 Kischel, EuGRZ 1997, 1,8.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

lich Diskriminierungen zu unterlassen 24 • Voraussetzung dieses Rechtsbefehls ("Du sollst nicht diskriminieren!") ist aber zweierlei: zum einen bedarf es eines Adressaten, d. h. eines Rechtssubjektes, das diesem Befehl unterliegt, zum anderen ist die Diskriminierung nichts anderes als ein Verhalten des Adressaten. Diese Aussagen mögen zwar zunächst trivial erscheinen, sind aber bei genauerem Hinsehen einige der zentralen Kemgehalte eines Rechtsbegriffs "Diskriminierung", aus denen sich mehrere grundlegende Feststellungen treffen lassen. 1. Zurechenbarkeit

Bloße Zustände der Ungleichheit allein können demzufolge nicht Gegenstand des Diskriminierungsvorwurfs sein. Solange sich nicht feststellen läßt, daß die innerhalb einer Gruppe von Vergleichsobjekten (Personen, Waren etc.) bestehenden ungleiche Zustände, z. B. unterschiedliche Wettbewerbspositionen, auf das Verhalten eines Rechtssubjekts zurückzuführen ist, kann auch nicht von einer Diskriminierung gesprochen werden. Diskriminierung setzt mithin voraus, daß die Ungleichheit dem Adressaten zurechenbar ist. Dies wirft in der Folge natürlich die Frage nach den Kriterien für diese Zurechnung auf. Neben einem objektiv nachweisbaren Zusammenhang wird dabei zum Teil auch ein subjektives Element verlangt, wie eine bestimmte Zwecksetzung oder die Vorhersehbereit bzw. gar Absicht hinsichtlich einer Benachteiligung. Sicher sind dabei aber jedenfalls die äußeren Grenzen der Zurechenbarkeit. Eine Diskriminierung ist nämlich nur insoweit möglich, als überhaupt die Handlungskompetenzen des Adressaten reichen. So kann in einer Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte schon aus logischen Gründen keine Diskriminierung liegen, wenn der Adressat nur die Befugnis hat, einen der beiden Sachverhalte zu regeln 25 • Tatsächlich liegt dann der Unterschied in der Verhaltensweise des Adressaten darin, daß er nur einen der beiden Sachverhalte einer Regelung unterwirft, während er den anderen Sachverhalt überhaupt nicht regeln kann bzw. darf, weil dies seine rechtlichen Möglichkeiten übersteigt. 2. Identität des Adressaten

Anders gewendet, läßt sich aus dem relationalen Gehalt des Diskriminierungsbegriffs auch schließen, daß die Einwirkung auf die zu vergleichenden Sachverhalte durch ein und denselben Akteur zu erfolgen hat26• Das im Diskriminierungsverbot 24 Dies spiegelt sich auch im Strukturelement der - gleichen oder unterschiedlichen - Behandlung wider. Dahinter verbirgt sich letztlich das Verständnis der Gleichheitsrechte als Abwehrrechte gegenüber dem jeweiligen Adressaten, vgl. hierzu Sachs, DÖV 1984,411,414 m. w. N.; Kingreen/Störmer, EuR 1998, 263f. 25 Podlech, S.130; Fastenrath, JZ 1987, 170, 177.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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enthaltene Gebot der Gleichbehandlung ist für den Adressaten dieses Gebots nur erfüllbar, wenn er die Behandlung beider Sachverhalte kontrolliert bzw. diese ihm zuzurechnen ist. Dies wird noch relevant werden bei der Frage, wie Ungleichheiten einzuordnen sind, die aus den Unterschieden zwischen den einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten folgen. 3. Zweckgerichtetheit des Verhaltens Jedes Verhalten ist in irgendeiner Weise zweckgerichtet und damit willensgesteuert. So banal diese Aussage zunächst klingen mag, wird auch sie für die folgende Untersuchung noch von Bedeutung sein. Nimmt ein Adressat nämlich nach einem bestimmten Kriterium eine Unterscheidung vor, das an sich in bezug auf die Vergleichstatbestände "neutral" erscheint, sich aber dennoch spezifisch ungleich auswirkt, so stellt sich die Frage, ob dies noch von der Zwecksetzung der entsprechenden Maßnahmen umfaßt sein muß, und wenn ja, nach welchen Kriterien dies zu bestimmen ist.

11. Ungleichheit der Behandlung 1. Benachteiligung

In der Ausgangsformulierung wurde bislang lediglich auf eine ungleiche Behandlung abgestellt. Diese Ungleichheit dürfte sich dabei kaum auf eine bloße "Andersbehandlung" beschränken. Vielmehr muß eine der Vergleichsgruppen qualitativ oder quantitativ gegenüber der anderen benachteiligt werden 27 • Dies führt freilich zu der Frage, worin im einzelnen dieser Nachteil liegen muß. Hierzu finden sich im EG-Recht - ebenso wie im nationalen Recht - keine näheren Hinweise. Anders ist dies hingegen z. B. nach Art. 14 EMRK, der die G1eichbehandlung hinsichtlich der in der Konvention festgelegten Rechte verbürgt. Demgegenüber scheint der gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsbegriff einer Berücksichtigung aller Interessen offenzustehen 28. So ist im einzelnen fraglich, ob für den Nachteil ein Schaden (materieller oder immaterieller Art) erforderlich ist oder bereits die Gefahr eines Schadens oder sogar eine Beeinträchtigung von Chancen ausreicht. Ein sicherer Fall dürfte jedenfalls die unterschiedliche Auferlegung von Pflichten oder Gewährung von Rechten sein. 26 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 11; Kokott, Steuerrecht, 1, 6 m. w. N.; Zerr, S.4; Fastenrath, JZ 1987, 170, 178; Bleckmann, NJW 1985,2856,2857 m. w. N. zum all-

gemeinen Gleichheitssatz. 27 Für Art. 12 EGV: von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 9; EuGH, Rs.22/80, Boussac!Gerstenmeier, Slg. 3427, 3436; sowie für den EGKSV: EuGH, verb. Rs. 17 und 20/61, Klöckner, Slg. 1962, 653, 692. 28 Bleckmann, RIW 1985,917. 4 Plölscher

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

Des weiteren ist zu klären, ob auch schon jede noch so kleine Ungleichbehandlung für eine Einschlägigkeit des Diskriminierungstatbestandes genügt oder ob hier von einer Erheblichkeitsschwelle ("de minimis"-Grenze) auszugehen ist. Eine derartige Tatbestandsbeschränkung ist dem Gemeinschaftsrecht - wie die Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht (Art. 81,82 EGV) und die Praxis der Kommission im Bereich der Beihilfenaufsicht (Art. 87, 88 EGV)29 zeigt - durchaus nicht fremd. 2. Reichweite der Prüfung

Insbesondere bei gesetzgeberischen Maßnahmen ist zu klären, welche Umstände in den beschriebenen Vergleich zur Feststellung einer Gleichheit oder Unterschiedlichkeit in der Behandlung einzubeziehen sind. Vergleicht man nur die unmittelbaren Rechtsfolgen einer isolierten staatlichen Maßnahme (Gesetz o. ä.) in bezug auf die Vergleichsgruppen, so kann dabei zwar durchaus eine Ungleichbehandlung festzustellen sein. Im einfachsten Fall besteht diese bereits in einer formalen (tatbestandlichen) Anknüpfung an ein bestimmtes Unterscheidungskriterium. Unberücksichtigt bleibt dann aber jede mögliche Kompensation durch anderweitige Maßnahmen des Adressaten - und somit an sich der Gesamtzusammenhang des Systems seiner staatlichen Regelungen -, durch die ein solch vordergründiger Befund wieder relativiert oder sogar aufgehoben würde. Das Problem ist daher, ob eher auf die Behandlung aufgrund einer isolierten staatlichen Maßnahme oder auf das Gesamtergebnis mehrerer Maßnahen zu schauen ist. Die Kriterien für eine solche Eingrenzung des anzustellenden Vergleichs sind dabei aufgrund wertender Betrachtung zu ermitteln. Damit im Zusammenhang steht auch die in eine ähnliche Richtung zielende Frage, ob eine Ungleichheit in der Behandlung eher aus einer formalen Unterscheidung oder einer unterschiedlichen Auswirkung der Maßnahme im Ergebnis abzuleiten ist. Dabei geht es nicht um die Einbeziehung anderer (u. U. kompensierender) staatlicher Maßnahmen auf der Ebene der (formell angeordneten) Rechtsfolgen, sondern um die prinzipielle Berücksichtigung auch weitergehender Folgen, die vor allem aus dem Zusammentreffen der Maßnahme mit den tatsächlichen Gegebenheiten resultieren (sog. materielle Diskriminierung). Im Gegensatz zu der vorigen Betrachtung, die sich (im Interesse des Gesamtzusammenhangs) auf eine Ausdehnung auf der Maßnahmenseite erstreckte, geht es hier nun um die Folgenseite. Nach dieser Sichtweise könnte eine Ungleichbehandlung auch dann vorliegen, wenn eine indifferent ausgestaltete Regelung (z. B. ein allgemein geltendes betriebliches Rauchverbot) sich aufgrund tatsächlicher Umstände unterschiedlich nachteilig auswirkt (im Beispiel nur die Raucher zu einer Veränderung ihres Verhaltens zwingt). Ob diese Auslegung dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverständnis entspricht, wird noch zu klären sein. Jedenfalls zöge auch diese begriffliche Erweiterung die Frage nach den Kriterien nach sich, wie eine derartige "unterschiedliche Auswirkung" zu 29

Vgl. die De-minimis-Bekanntmachnung der Kommission, ABI. 1996 Nr. C 68 S. 9ff.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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ermitteln ist und wie weit dieser "Wrrkungsvergleich" reicht. Angesprochen ist damit einerseits eine Tatsachenfrage, die mittels tatsächlicher Feststellungen (Beweiserhebung durch Statistiken etc.) zu klären ist. Andererseits sind hier aber auch schwierige Wertungen nötig, die neuerliche Fragen im Hinblick auf eine handhabbare Konturierung des Diskriminierungsbegriffs nach sich ziehen. 3. Vergleichsrichtung: symmetrischer oder asymmetrischer Diskriminierungsbegriff

Ein Problem, das noch in Zusammenhang mit der sog. umgekehrten Diskriminierung eine Rolle spielen wird, ist die Vergleichsrichtung bei der Feststellung der Ungleichbehandlung. Beschränkt sich der Diskriminierungsbegriff lediglich auf die SchlechtersteIlung einer bestimmten Vergleichsgruppe oder kann in der Benachteiligung jeder beliebigen Vergleichsgruppe eine Diskriminierung liegen? Diese vor dem Hintergrund der bislang neutral gewählten Formulierung "Ungleichbehandlung" eher sonderbar anmutende Überlegung hat im Rahmen der Grundfreiheitendogmatik möglicherweise ihre Berechtigung. Hier stellt sich die Frage, ob die entsprechenden Verbote von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit nur eine SchlechtersteIlung von Ausländern gegenüber Inländern oder darüber hinaus auch die umgekehrte Situation der Inländerbenachteiligung erfassen. Für den Diskriminierungsbegriff ergäben sich aus der in der ersten Alternative genannten Beschränkung auf Fälle bloßer SchlechtersteIlungen durchaus erheblich konstruktive Konsequenzen. Im einzelnen wird hierauf an gegebener Stelle noch zurückzukommen sein. III. Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen ("wegen" des verbotenen Differenzierungskriteriums) Zusätzliche Anforderungen an die Dogmatik ergeben sich bei den besonderen Diskriminierungsverboten. Hier stehen die Vergleichsgruppen fest; die Ungleichbehandlung muß gerade zwischen ihnen stattfinden ("wegen"). Doch fraglich ist, worin diese Ungleichbehandlung im einzelnen bestehen kann. Hier ist grundsätzlich zwischen Einzelmaßnahmen und Rechtsnormen zu unterscheiden. Während bei ersteren sich die ungleiche Behandlung zweier Sachverhalte aus den Maßnahmen selbst, d. h. ihrem Inhalt, Gegenstand, Intensität etc., unmittelbar ergibt, ist die Sachlage bei Normen aufgrund ihrer Geltung für eine abstrakte Vielzahl von Fällen ungleich schwieriger. Hier ist grundsätzlich fraglich, ob die Ungleichbehandlung in der Anordnung verschiedener Rechtsfolgen für die relevanten Vergleichsgruppen oder in einer entsprechenden Auswirkung der Rechtsnorm insgesamt liegen muß.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

1. Handlungsbasiertes (finales) oder wirkungsbasiertes (kausales) Diskriminierungskonzept?

Damit ist die zentrale Frage angesprochen, welches Modell dem Diskriminierungsbegriff letztlich zugrunde liegt: Steht hinter dem Diskriminierungsvorwurf vorrangig die Feststellung eines unerwünschten und daher rechtswidrigen Verhaltens oder geht es eher primär um die Beseitigung eines als ungerecht empfundenen Zustandes? Setzt Diskriminierung eine unterschiedliche Einwirkung auf eine bestehende Situation voraus oder kommt es auf die unterschiedliche Auswirkung eines ansonsten vielleicht indifferenten Verhaltens des Adressaten an? Ist Diskriminierung mithin ein finaler oder ein kausaler Begriff?30 Je nach Standpunkt bestehen hier erhebliche Unterschiede in der Reichweite eines Diskriminierungsverbotes. Kommt es nämlich allein auf die Auswirkungen einer Regelung an, so fließen in die Prüfung des Diskriminierungstatbestandes auch die konkreten Sachumstände ein, auf die eine Norm Anwendung findet. So kann es vorkommen, daß sich ein- und dieselbe Regelung in einem Fall unterschiedlich bzw. diskriminierend auswirkt, in einem anderen jedoch nicht. Damit geht es letztlich um die Frage, inwieweit ein gegebener tatsächlicher Zustand die rechtliche Bewertung einer Rechtsnorm beeinflussen kann. Für das handlungsbasierte Diskriminierungskonzept käme es hingegen vorrangig auf die Ausgestaltung der Norm an, die letztlich Ausdruck zweckgerichteten Verhaltens des Normgebers ist. Die tatsächlichen Verhältnisse spielten hier nur insoweit eine Rolle, als sie für diese Zwecksetzung bedeutsam sind. Entscheidungserheblich wird die genannte Fragestellung aber erst bei den besonderen Diskriminierungsverboten, da hier - wie oben dargelegt - die Vergleichsgruppen in ihrer Ausprägung durch das verbotene Differenzierungskriterium bereits festliegen. Die Ungleichbehandlung muß "aufgrund" oder "wegen" des verbotenen Kriteriums erfolgen, so daß es maßgeblich auf den Zusammenhang mit diesem Merkmal ankommt. Unterscheidungen nach anderen Kriterien werden hingegen schon tatbestandlich nicht erfaßt, so daß das Verbot nur singuläre Geltung hat. Aus dieser Einengung erwächst dann zwangsläufig die Frage, wie besagter Zusammenhang beschaffen sein muß. Die hiermit angesprochene Problematik einer Ausdehnung des Diskriminierungsbegriffs auf sog. mittelbare Diskriminierungen stellt sich somit strukturbedingt nur bei den besonderen Diskriminierungsverboten 31. Demgegenüber erfassen allgemeine Diskriminierungsverbote grundsätzlich alle Arten gesetzgeberischer Differenzierungen, aus denen dann die relevanten Ver30 Bernard, ICLQ 45 (1996), 82, 97 ff.; ders., Discrimination Law, S. 77,83 f., 88 f.; Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 447 f.; vgl. zu der parallelen Problematik bei Art. 3 Abs. 2,3 GG Sachs, in: HdBStR V, § 126, Rn. 65 ff.; sowie zur Frage eines ..faktischen Gleichheitssatzes" Bleckmann, Struktur, S. 90ff. 31 Bieback, S.13f.; Kischel, EuGRZ 1997, 1,8.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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gleichsgruppen gebildet und auf ihre Vergleichbarkeit hin untersucht werden können. Die Notwendigkeit eines Rückbezugs auf ein bestimmtes Unterscheidungskriterium besteht nicht. Daher kann sich die Prüfung hier stets an der formalen Ausgestaltung der untersuchten Vorschrift orientieren, ohne auf deren Auswirkung abstellen zu müssen. 2. Tatbestandliehe Anknüpfung an das verbotene Unterscheidungskriterium (unmittelbare Diskriminierung)

Sicherlich am leichtesten zu beurteilen ist der Fall, daß eine Regelung das verbotene Unterscheidungskriterium bereits in ihrem Tatbestand enthält und daran je nach Vorliegen oder Nichtvorliegen unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft. Beispiele wären Rechtsnormen, die Gehaltszulagen nur für männliche Arbeitnehmer (Art. 141 EGV) oder bestimmte Vergünstigungen nur für eigene Staatsangehörige (Art. 12 EGV) vorsähen. Der erforderliche Zusammenhang mit dem verbotenen Differenzierungskriterium ist hier eindeutig, da er bereits durch formale Untersuchung des Regelungstatbestandes offen zu ersehen ist. Zu untersuchen ist dann, ob im konkreten Fall eine andere Rechtsfolge einschlägig wäre, wenn das verbotene Kriterium (z. B. Staatsangehörigkeit) in einer anderen Ausprägung (Inländer statt Ausländer) vorläge 32 • Hierzu müssen unterschiedliche Rechtsfolgen für die Vergleichsgruppen unmittelbar angeordnet sein. Gebräuchlich sind daher die Bezeichnungen "offene", "formale" oder "unmittelbare" bzw. "direkte" Diskriminierung. Im folgenden wird die Bezeichnung "unmittelbare Diskriminierung" gewählt, um vor allem den Aspekt des Zusammenhangs mit dem verbotenen Differenzierungskriterium zu unterstreichen. Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß Fälle der unmittelbaren Diskriminierung von dem jeweiligen besonderen Diskriminierungsverbot erfaßt sind 33 • Hinsichtlich ihres Tatbestandes werfen sie auch keine weiteren Probleme auf, da sie durch rein formale Untersuchung des relevanten Tatbestandes geprüft werden können. Eine Auseinandersetzung mit den Wirkungen der Regelung findet grundsätzlich nicht weiter statt. Ebenso ist eine etwaige Diskriminierungsabsicht - unabhängig davon, ob man sie als für den Diskriminierungstatbestand erforderlich ansieht - jedenfalls durch die formale Ausgestaltung der Regelung indiziert. Weitere Probleme entstehen daher lediglich im Bereich der Rechtfertigung, auf die noch einzugehen sein wird. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 8. Vgl. nur beispielsweise hinsichtlich der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit Epiney, in: CaJliess{Ruffert, Art. 12 EGV, Rn. 13; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 12 f.; Lenz, in: Lenz, Art. 12 EGV, Rn. 5 sowie hinsichtlich Geschlechterdiskriminierungen Krebber, in: CaJliess{Ruffert, Art. 141 EGV, Rn. 39ff.; LangenjeldlJansen, in: Grabitz/Hilf, Art. 119 EGV, Rn.lOff.; Curall, in: GTE, Art. 119, Rn. 34f. 32 33

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

3. Anknüpfung an ein "neutrales" Kriterium

(mittelbare Diskriminierung)

a) Grundsatz Freilich sind die Fälle unmittelbarer Diskriminierung aufgrund ihrer klaren Erkennbarkeit und nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen Gemeinschaftsrechtsbewußtseins der Mitgliedstaaten tendenziell sehr selten geworden. Viel eher liegt die Versuchung nahe, bei Schaffung einer mitgliedstaatlichen Regelung die ausdrückliche Anknüpfung an das verbotene Kriterium dadurch zu umgehen, daß für die Differenzierung fonnal ein Ersatzkriterium gewählt wird, das jedoch im Ergebnis exakt' typischerweise oder tatsächlich denselben Effekt hat wie eine Differenzierung nach dem verbotenen Kriterium. Der EuGH sah daher schon recht bald die Notwendigkeit einer erweiterten Auslegung des Diskriminierungsbegriffs 34 • Präzedenzfall ist insoweit das Urteil Sotgiu, in dem er erstmalig die Rechtsfigur der "versteckten Fonn der Diskriminierung" anerkannte. Hier hatte der EuGH zu entscheiden, ob die Diskriminierungsverbote des Art. 12 EGV und des zu Art. 39 Abs. 2 EGV ergangenen Art. 7 VO 1612/68 auch eine unterschiedliche Behandlung wegen des Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat erfassen. Obwohl besagte Vorschriften dem Wortlaut nach allein auf die Staatsangehörigkeit Bezug nehmen, bejahte er eine Diskriminierung, denn verboten seien "auch alle versteckten Fonnen der Diskriminierung, die durch Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen [wie eine offensichtliche Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit]"35. Diese Auslegung sei geboten, um die Grundprinzipien der Gemeinschaft zu wahren; sie folge aus der Präambel der VO 1612/68, die eine "rechtliche und tatsächliche" Gleichbehandlung der Arbeitnehmer verlange. Eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit liege aber dann nicht vor, wenn "die [... ] Regelung sachliche Unterschiede in der Lage der Arbeitnehmer berücksichtigt"36. Dem Grundsatz nach entspricht diese Aussage heute ständiger Rechtsprechung auch zu anderen Diskriminierungsverboten 37.

34 Hierbei dürfte auch die "disparate impact" Rechtsprechung des D.S. Supreme Courts einigen Einfluß gehabt haben; vgl. Wisskirchen, S. 29 ff. 35 EuGH, Rs. 152(73, Sotgiu/Deutsche Bundespost, Slg. 1974, 153, Rn. 11. 36 EuGH, a. a. 0., Rn. 12. 37 V gl. exemplarisch zur Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit: EuGH, Rs. 61(77, Kommission/Irland, Slg. 1978, 417, Rn. 78f.; Rs.237n8, CramlToia, Slg. 1979, 2645, Rn. 12; Rs.22/80, Boussac/Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427, Rn. 9; Rs. C-29/95, Pastoors und TransCap, Slg. 1997,1-285, Rn. 16; zur Geschlechter-Diskriminierung erstmals EuGH, Rs.96/80, Jenkins/Kingsgate, Slg. 1981,911, Rn.9ff.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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b) "Unterschiedliche" Regelung Der Diskriminierungsbegriff wird somit über die Fälle tatbestandlicher Differenzierung nach dem verbotenen Kriterium hinaus auch auf im Ergebnis unterschiedliche Behandlungen der relevanten Vergleichsgruppen erweitert. Ausgangspunkt ist dabei stets eine sog. "unterschiedliche Regelung", d. h. die Anknüpfung an ein bestimmtes, "neutrales" Unterscheidungskriterium, dessen Anwendung sich aber wie eine Differenzierung nach dem verbotenen Kriterium auswirkt. Die grundsätzliche Richtigkeit dieser Ausdehnung wird für sämtliche besonderen Diskriminierungsverbote des Gemeinschaftsrechts heute nicht mehr in Frage gestellt 38 . Sie läßt sich beispielsweise für Art. 12 EGV bereits aus dem Wortlaut begründen, der "jede" Diskriminierung erfaßt. Auch die teleologische Auslegung der Diskriminierungsverbote aus Gründen der Staatsangehörigkeit bzw. die Berücksichtigung deren "effet utile" legt nahe, für die Prüfung der Diskriminierung nicht nur die formale Ausgestaltung einer Maßnahme zu berücksichtigen 39. Aus dogmatischer Sicht läßt sich diese Ausdehnung nur durch eine Lockerung der Anforderungen an den Zusammenhang mit dem verbotenen Differenzierungsmerkmal erreichen. Dies führt unwillkürlich zu dem Problem, wo hier im einzelnen die Grenze zu ziehen ist40 • Je weiter man sich nämlich von dem explizit genannten verbotenen Differenzierungskriterium löst und Differenzierungen aufgrund anderer Kriterien einbezieht, desto stärker nähern sich die besonderen den allgemeinen Diskriminierungsverboten an. Zudem fällt dann im Rahmen der Grundfreiheiten die weitere Abgrenzung zum Tatbestand der "Beschränkung" schwer41 . Hinsichtlich der genauen Kriterien bestehen aber vor allem in der Rechtsprechung des EuGH große Unklarheiten. Über die formelhafte Wiederholung der Sotgiu-Aussage hinaus finden sich nämlich nur sehr wenige konkrete Aussagen über den genaueren Gehalt der einzelnen Merkmale. Vielmehr orientiert sich der EuGH wohl eher an bestimmten Fallgruppen und bedient sich dem Konstrukt der "versteckten Diskriminierung" meist nur zur argumentativen Untermauerung, ohne freilich deren Anwendungsvoraussetzungen herauszuarbeiten oder gar zu subsumieren. Hinzu kommt eine nicht immer einheitliche Verwendung der gebräuchlichen Bezeichnungen für diese Diskriminierungsfälle. So spricht der EuGH meist von "versteckten Formen der Diskriminierung"42 oder auch nur von "Diskriminierung"43. Vgl. Rossi, EuR 2000,197,211. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der interpretatorischen Herleitung der versteckten Diskriminierung findet sich bei Hintersteininger, S. 26ff. 4ü Daher gibt es auch vereinzelte Stimmen gegen eine solche Ausdehnung und für ein Festhalten an einem strikt formalen Diskriminierungsbegriff: so z. B. wohl Schöne, RIW 1989, 450,454. 41 Lackhoff, S. 226 f. 42 Etwa EuGH, Rs. C-360/89, Kommission/Italien, Slg. 1992,1-3401, Rn. 11 ; verb. Rs. 62 u. 63/81, Seco/EVI, Slg. 1982,223, Rn. 8; Rs.C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996,1-2617, Rn. 17. 38

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

Die Literatur hingegen behandelt die Ungleichbehandlung nach einem nicht ausdrücklich verbotenen Kriterium, die aber ausschließlich, typischerweise oder tatsächlich zur Schlechterstellung nach einem verbotenen Kriterium führt, als mittelbare Diskriminierung 44 , während andere sie als versteckte Diskriminierung 45 oder gar als materielle Diskriminierung 46 bezeichnen. Teilweise wird zwischen den Begriffen versteckte und mittelbare Diskriminierung ausdrücklich unterschieden 47 , teilweise werden sie aber auch als Synonyme verstanden 48 • Im folgenden soll hier einheitlich die Bezeichnung "mittelbare Diskriminierung" gewählt werden. Geht man von der klassischen Formel der Sotgiu-Rechtsprechung aus, die auch in der Literatur allgemein gebräuchlich ist, so besteht die mittelbare Diskriminierung im Groben aus zwei Elementen: (I) einer Anknüpfung an ein "neutrales" Kriterium, die aber einer Unterscheidung nach dem verbotenen Kriterium entspricht, und (2) dem Fehlen eines - wie auch immer gearteten - sachlichen Grundes für die Anwendung des "neutralen" Kriteriums. Damit ist freilich noch nichts Genaueres über die Reichweite des Diskriminierungsbegriffs gesagt. Doch kann diese Umschreibung zur Strukturierung der im folgenden zu untersuchenden Problemstellungen herangezogen werden. aa) Das "neutrale" Kriterium als Ersatzanknüpfung Das erste der genannten Elemente betrifft die Frage, wie eng der Zusammenhang mit dem verbotenen Differenzierungskriterium sein muß. Das eine mittelbare Diskriminierung begründende "neutrale" Kriterium muß einen bestimmten Bezug zu dem verbotenen Merkmal aufweisen, so daß beide in gewisser Hinsicht als äquivalent bzw. austauschbar anzusehen sind. Sicherlich am einfachsten ist eine derartige Äquivalenz noch bei einer begriffslogischen Verwandtschaft beider Kriterien zu begründen. Gemeint sind Fälle, in deSo z. B. in EuGH, Rs. 96/80,Jenkins/Kingsgate, Slg. 1981,911, Rn. IOff. Feige, S. 36 Fn. 130; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 12; Kischel, EuGRZ 1997,1,8; Kewenig, S.176ff.; Kokott, Steuerrecht, S.I, 17; Daniele, ELRev 22 (1997), 191 f.; Barnard, Discrimination Law, 63, 68 f. m. w. N. 45 Schnichels, S. 89 ff.; ähnlich Trautwein, Jura 1995, 191, 192 ("verschleierte Diskriminierung"). 46 Reitmaier, S.45; ähnlich wohl auch Streinz/Leible, IPRax 1998, 162, 163; dies., EuZW 2000, 459, 462; Schlachter, S. 82 ff. trennt zwischen formellem und materiellem "Ursprung" der Diskriminierung; Gundei, Jura 2001, 79, 80 wiederum stellt "unmittelbar/formal/rechtlieh" diskriminierenden Maßnahmen "mittelbare/materielle/faktische" Diskriminierungen gegenüber. 47 Schnichels, S. 94, wonach die versteckte Diskriminierung die Frage betreffe, wie die Diskriminierung zustande komme, während bei der mittelbaren Diskriminierung allein darauf abgestellt werde, in welchen Sachbereichen die Benachteiligung verboten sei. Demzufolge sei auch eine Kombination, z. B. in der Form einer offenen, mittelbaren Diskriminierung möglich. 48 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 12; Zuleeg, in: GTE Art. 6 EGV, Rn. 4; Streinz, FS Rudolf, 199,218. 43 44

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nen das "neutrale" Kriterium eine homogene Teilmenge aus den durch das verbotene Kriterium gebildeten Vergleichsgruppen abgrenzt, da es mit letzterem zwingend verbunden ist. Ein Beispiel in bezug auf das Verbot der Geschlechterdiskriminierung wäre eine Regelung, die an das Merkmal der Schwangerschaft anknüpft. Die Besonderheit an dieser Konstellation ist, daß bereits aufgrund der zwingenden Natur der Sache eine der durch das "neutrale" Kriterium der Schwangerschaft gebildeten Gruppen (Schwangere) ausschließlich Angehörige einer der beiden Vergleichsgruppen (Frauen) enthält. Diese Fälle sind derart eindeutig vom Begriffsgehalt der Diskriminierung umfaßt, daß sie teilweise sogar noch zu den Fällen unmittelbarer Diskriminierung gezählt werden 49 • Aus ihnen wird auch ersichtlich, daß sich für die Begründung des Zusammenhangs zwischen "neutralem" und verbotenen Differenzierungskriterium grundsätzlich zwei verschiedene Argumentationslinien anbieten, die ggf. zu kombinieren sind: (a) zum einen eine rein tatsächliche Korrelation der durch die Kriterien jeweils gebildeten Gruppen (faktische Äquivalenz), (b) zum anderen eine intrinsische, wertungsbezogene Verwandtschaft beider Kriterien (normative Äquivalenz)50. (1) Faktische Äquivalenz Faktische Äquivalenz meint einen rein tatsächlichen, statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen einer an das betreffende "neutrale" Kriterium anknüpfenden Regelung mit einer Unterscheidung nach dem verbotenen Kriterium. Als Maßstab hierfür kommt nur die tatsächliche Auswirkung der Regelung in Betracht, vor dem Hintergrund eines kausalen Diskriminierungsverständnisses. Im einzelnen könnte und müßte dann sowohl über den konkreten Eintritt bestimmter Folgen als auch über den kausalen Zusammenhang mit der untersuchten Maßnahme Beweis erhoben werden. In der Praxis könnte dies vor allem durch statistische Untersuchungen erfolgen. Dieser Linie folgt der EuGH - ohne den Erörterungen in den nachfolgenden Kapiteln vorgreifen zu wollen - vor allem in seiner Rechtsprechung zu den Vorschriften über die Geschlechterdiskriminierung. In zahlreichen Entscheidung zu Teilzeitregelungen stellt er regelmäßig darauf ab, ob "ein erheblich geringerer Prozentsatz Frauen als Männer vollzeitbeschäftigt ist"51. Mit dieser Formel stellt der EuGH im So z. B. Bieback, S. 75 f.; vgl. auch unten § 7 B.II. 1. b. Im genannten Beispiel sind 100% der Schwangeren Mitglieder einer der geschlechtsbezogenen Vergleichsgruppen, der Frauen (faktische Äquivalenz). Dies beruht auf einem zwingenden Zusammenhang von Schwangerschaft und Geschlecht aus der Natur der Sache heraus (normative Äquivalenz); vgl. zu diesem Problem hinsichtlich der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit auch Schnicheis, S. 90f. 51 Vgl. beispielsweise EuGH, Rs.170/84, Bilka/Weber von Hartz, Slg. 1986, 1607, Rn. 29; Rs. 171/88, Rinner-Kühn/FWW Spezial-Gebäudereinigung, Slg. 1989, 2743, Rn. 11; Rs. C-102/88, Ruzius-Wilbrink/BedrijJsvereiniging voor Oberheidsdiensten, Slg. 1989, 4311, Rn. 14. 49

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

Grunde die Voraussetzung einer statistisch signifikanten Korrelation von den Merkmalen "Teilzeitbeschäftigung" und "Geschlecht" auf. Auch im Bereich der auf die Staatsangehörigkeit bezogenen Diskriminierungsverbote finden sich zumindest einige wenige Parallelen hierzu. So bezog sich der EuGH im Fall Sotgiu und einigen weiteren Entscheidungen auf das "tatsächlich gleiche Ergebnis" , zu dem die Anwendung des "neutralen" Kriteriums führt 52 • Diese Formulierung legt zumindest nahe, es komme ihm auf die tatsächlich eingetretene Wirkung an. Echte statistische Vergleiche stellt der EuGH allerdings nur in seiner Rechtsprechung zu den Fremdsprachenlektorenfallen an, vor allem um zu begründen, daß "im wesentlichen" Angehörige anderer Mitgliedstaaten von einer Regelung negativ betroffen sind 53 •

(2) Normative Äquivalenz Bei näherer Betrachtung stellt sich aber die Frage, ob eine bloße faktische Äquivalenz als Basis für den Diskriminierungsbegriff genügen kann. Immerhin hängen die tatsächlichen Auswirkungen der Anwendung eines Differenzierungskriteriums nicht unmaßgeblich auch von den gegebenen Umständen ab, auf die eine Regelung trifft. Daher ist nicht ausgeschlossen, daß sich exakt dieselbe Regelung in einem Fall identisch, in einem anderen Fall hingegen unterschiedlich für die Vergleichsgruppen auswirkt. In Gegenüberstellung zur faktischen Äquivalenz meint die normative Äquivalenz hier die Herstellung eines Zusammenhangs von "neutralem" und verbotenem Kriterium mittels eines typisierenden Wertungsvorganges. Hier wird also nicht nach der tatsächlichen Auswirkung im konkreten Einzelfall gefragt, sondern nach einem normativem Bezug. Der EuGH vertritt diesen Ansatz überwiegend in seiner Rechtsprechung zu den an die Staatsangehörigkeit abknüpfenden Diskriminierungsverboten. Zwar zitiert er auch hier fortlaufend seine Formel von der "tatsächlich gleichen Auswirkung". Doch spielen dabei die konkreten Zahlenverhältnisse meist keine Rolle. Nur so läßt sich die Rechtsprechung beispielsweise zu regional differenzierenden Tatbeständen erklären. So nahm er im Falle einer italienischen Regelung, wonach bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge Unternehmen mit Sitz in der betreffenden Region (!) zu bevorzugen waren, eine versteckte Form der Diskriminierung an. Dabei sei irrelevant, daß diese Vorschrift auch italienische - nicht in der Region ansässige - Unterneh52 EuGH, Rs. 152n3, SotgiulDeutsche Bundespost, Slg. 1974, 153, Rn. 11; sowie z. B. Rs.C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996,1-2617, Rn. 18f.; Rs.C-131/96, Mora Romero, Slg. 1997, 1-3659, Rn.33; Rs. C-266/95, Merino Garcia, Slg. 1997,1-3279, Rn. 33. 53 Dabei genügte dem EuGH offenbar bereits, daß in der Gruppe der durch eine Regelung benachteiligten Fremdsprachenlektoren nur 25 % eigene Staatsangehörigen waren: EuGH, Rs. 33/88, Allue u. a./Universita degli studi di Venezia, Slg. 1989, 1591, Rn. 12.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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men benachteilige. Sie begünstige dennoch "im wesentlichen" in Italien ansässige Unternehmen, da für diese eine "weitaus höhere Wahrscheinlichkeit" bestehe, daß sie ihre Haupttätigkeit in der Region ausübten 54 • Ähnliches äußerte der EuGH auch in zahlreichen weiteren Urteilen 55 • In der neueren Rechtsprechung zeichnet sich sogar die Tendenz zu einer noch weitergehenderen Abstraktion ab. So stellte der Gerichtshof beispielsweise im Fall Bachmann erstmals allein auf die Frage ab, ob die Gefahr bestehe, daß sich eine Regelung zu Lasten der Ausländer auswirkt 56 • Diese Linie wurde kurz darauf mit sehr grundsätzlichen Ausführungen in 0' Flynn bestätigt 57 • Offenbar soll also auch bereits ein hypothetischer Zusammenhang genügen, solange er nicht völlig fernliegend ist. Mit der ursprünglichen Forderung einer "tatsächlich gleichen Wirkung" hat dies nur noch wenig gemein. Die Schwierigkeit bei der Vorgehensweise des EuGH liegt - wie sich noch zeigen wird - darin, daß klare Kriterien für die von ihm vorgenommene Typisierung nur schwer erkennbar werden. Die meist am Einzelfall ausgerichteten Ausführungen lassen kaum Verallgemeinerungen zu. Vielmehr tastet sich der EuGH - wie es scheint - in bezug auf die erfaßten "neutralen" Kriterien anhand von bestimmten Fallgruppen (Wohnsitz, Muttersprache etc.) voran, in denen er dann "im wesentlichen", "hauptsächlich", "überwiegend" usw., eine (benachteiligende) Wirkung in bezug auf Ausländer diagnostiziert. In der Literatur wird diese Linie meist unwidersprochen nachvollzogen 58• Doch gibt es auch konträre Ansätze. So vertritt beispielsweise Epiney die Ansicht, es müsse ein bestimmter inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem verbotenen Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit und dem in der Norm enthaltenen Element bestehen, der in einem materiellen Bezug zu einem oder mehreren Mitgliedstaaten zu sehen sei 59. Dies umfasse beispielsweise territoriale Aspekte (z. B. Wohnsitz) wie kulturelle Aspekte (z. B. Sprache). Darüber hinaus sei aber auch zu fordern, daß sich das "neutrale Kriterium" ebenso wie die Staatsangehörigkeit als ein personales Element darstelle. Regelungen, die ausschließlich an Sachen anknüpften, könnten von vornherein keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit begründen 60 • Im Ergebnis soll es daher weniger auf den quantitativen Zusammenhang im Sinne der Auswirkung einer Regelung ankommen, als EuGH, Rs.C-360/89, Kommission/Italien, Sig. 1992,1-3401, Rn. 8f. Siehe dazu unten § 5 B. IV. 5. b. bb.; vgl. auch das Urteil EuGH, Rs. C-274/96, Bickel und Franz, Sig. 1998,1-7637, Rn. 25 f.; hierzu Streinz, JuS 1999, 490f. 56 EuGH, Rs. C-204/90, Bachmann, Sig. 1992, 1-249, Rn. 9; ähnlich auch schon Rs. C-175/88, Biehl, Sig. 1990,1-1779, Rn. 14. 51 EuGH, Rs.C-237/94, O'Flynn, Sig. 1996,1-2617, Rn. 18f. 58 So z. B. Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 41; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 17 f. 59 Epiney, S. 105 f. 60 Epiney, S. 106; ähnlich auch EuGH, verb. Rs. 80 u. 159/85, Nederlandse Bakkerij Stichting u. a./Edah BV, Sig. 1986, 3359, Rn. 22. 54

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vielmehr auf den inhaltlichen Bezug des angewandten Kriteriums zu dem der Staatsangehörigkeit 61 • bb) Fehlen eines sachlichen Grundes für das "neutrale" Kriterium Als zweites, quasi ausschließendes Begriffse1ement der mittelbaren Diskriminierung wird in Rechtsprechung und Literatur meist in irgendeiner Weise geprüft, ob für die Anwendung des "neutralen" Kriterium ein sachlicher Grund besteht. Ist dies der Fall, so soll es an einer (mittelbaren) Diskriminierung fehlen. Um diese Aussagen ranken sich gleich mehrere Fragestellungen.

(1) Dogmatische Funktion Äußerst fraglich ist, welche dogmatische Funktion der Prüfungspunkt eines "sachlichen Grundes" im Rahmen der Struktur des Diskriminierungsbegriffs einnimmt. Sicherlich naheliegend ist die Annahme, es handle sich um eine Art Rechtfertigungsprüfung. Liegt ein sachlicher Grund vor, so wäre die Unterscheidung nach dem "neutralen" Kriterium und damit die Diskriminierung gerechtfertigt. Diese Ansicht wird in Literatur und Rechtsprechung weithin vertreten. Doch führt sie auch zu zahlreichen dogmatischen Problemen und Widersprüchen. Zum einen begründet sie einen Strukturunterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung. Bei ersterer fände eine derartige "Sachlichkeitsprüfung" nämlich nicht statt. Vielmehr wäre hier der Diskriminierungstatbestand grundsätzlich bereits mit der formalen Anwendung des verbotenen Differenzierungskriteriums erfüllt, während bei der mittelbaren Diskriminierung nun grundsätzlich die Prüfung eines "sachlichen Grundes" in Frage käme. Einige Literaturstimmen wollen in einem solchen dogmatischen Unterschied auf der Rechtfertigungsstufe folgerichtig einen unzulässigen Wertungswiderspruch zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung erblicken und daher die Sachlichkeitsprüfung auf die unmittelbare Diskriminierung ausdehnen 62 • Andere wiederum sehen in unterschiedlichen Rechtfertigungsmaßstäben bei unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung durchaus eine zulässige Abstufung je nach "Schweregrad" des Eingriffs 63. Zum anderen läßt sich die Annahme, in der "Sachlichkeitsprüfung" liege (vor allem) ein Rechtfertigungselement, aber auch mit der dogmatischen Struktur der be61 Mit einem vergleichbaren Ansatz zum Diskriminierungsbegriff i. R. d. Europaabkommen Weij3, InfAuslR 2001, 1,3. 62 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1742f.; Zuleeg, FS Börner, 473, 481 f.; mit Einschränkung auf die Ziele des EGV als Rechtfertigungsgründe: lpsen, Gemeinschaftsrecht, § 30, Rn. 15; Rossi, EuR 2000,197, 213f. 63 von Bogdandy, in: GrabitzlHilf, Art. 6 EGV, Rn. 23; vgl. auch Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EGV, Rn.41 m. w.N. in Fn.67.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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sonderen Diskriminierungsverbote nur schwer vereinbaren. Wie dargelegt, erfassen diese nur spezifische Diskriminierungen, nämlich solche, die an ein bestimmtes Differenzierungskriterium anknüpfen. Unterzieht man nun aber auch Unterscheidungen nach einem "neutralen" Kriterium ebenfalls einer umfassenden Rechtfertigungsprüfung, so wird eben diese dogmatische Einschränkung in Wahrheit aufgegeben und die besonderen Diskriminierungsverbote bis zur Unkenntlichkeit an den allgemeinen Gleichheitssatz angenähert, der ja nicht auf bestimmte Differenzierungskriterien begrenzt ist. Diesem Problem läßt sich in seiner gesamten Tiefe auch nicht dadurch entgehen, daß etwa der Prüfungsmaßstab und -umfang der "Sachlichkeitsprüfung" großzügiger gehandhabt wird. Es bleibt dann immer noch die dogmatische Frage, warum es einer solchen Prüfung überhaupt bedarf, wenn im vorangegangenen Prüfungsschritt der mittelbaren Diskriminierung die - oben erörterte - "Äquivalenz" des neutralen Kriteriums mit dem verbotenen Kriterium bereits festgestellt wurde. Die Lösung kann nur darin liegen, daß die "Sachlichkeitsprüfung" der Ergänzung dieser "Äquivalenz" dient. Eine Differenzierung beruht nämlich auch dann nicht auf dem verbotenen Merkmal, wenn sie zwar an ein äquivalentes Merkmal anknüpft, es für die Unterscheidung nach diesem Merkmal aber sachliche Gründe gibt. Dieses Vorliegen eines sachlichen Differenzierungsgrundes kann somit auch der Widerlegung eines durch die "Äquivalenz" indizierten Zusammenhangs mit dem verbotenen Unterscheidungskriterium dienen. Ist danach eine Unterscheidung sachlich begründet, so ist ausgeschlossen, daß sie auf dem verbotenen Kriterium beruht. Dies entspricht exakt dem Gedanken des finalen Diskriminierungsverständnisses. Besteht nämlich tatsächlich ein sachlicher Grund für die Anwendung des "neutralen" Kriteriums, so beweist dies in erster Linie, daß der Gesetzgeber hier nicht nur einen "Scheinzweck" vorgeschoben hat, um das Diskriminierungsverbot zu umgehen, sondern daß er einen ernsthaften Zweck verfolgt, der trotz der aus den faktische Auswirkungen etwa resultierenden gegenteiligen Vermutung nichts mit dem verbotenen Unterscheidungskriterium zu tun hat. Dieser "Umgehungsgedanke" kommt auch in der vom EuGH gewählten Umschreibung der "versteckten" Form der Diskriminierung zum Ausdruck 64 • Im Ergebnis hat die "Sachlichkeitsprüfung" daher - wenn überhaupt, dann - erst in zweiter Linie eine Rechtfertigungsfunktion. Vorrangig dient sie der Abgrenzung von unzulässigen Diskriminierungen aufgrund des verbotenen Kriteriums und zulässigen Ungleichbehandlungen aufgrund anderer Merkmale 65 •

Zu diesem Gedanken vgl. auch Bode, S. 308f.; Feige, S.37 Rn. 131; Jaenicke, S. 104. Lenaerts, CDE 1991,3, 13f.; ähnlich wie hier, allerdings unter Annahme einer "Doppelfunktion" für die sachliche Rechtfertigung: Epiney, S. 108. 64

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(2) Prüfungsmaßstab und -tiefe Nicht minder schwierig ist die Konkretisierung des Prüfungsmaßstabes, der bei der Frage nach einem "sachlichen Grund" anzuwenden ist. Allgemeingültige Aussagen lassen sich hier wohl schwer treffen. Zwar ist zumindest sicher, daß - quasi in einer Negativauswahl - das verbotene Differenzierungskriterium selbst jedenfalls als sachlicher Unterscheidungsgrund ausscheidet66 • Doch ist dies freilich eine Selbstverständlichkeit 67 • Letztlich besteht ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum des jeweiligen Normgebers bei der Bestimmung sachlicher GTÜnde 68 • Das Gemeinschaftsrecht und das hier gebräuchliche Diskriminierungsverständnis kann nur den Rahmen vorgeben, der bei der folgenden Untersuchung der einzelnen Diskriminierungsverbote beleuchtet werden soll. Aus dogmatischer Sicht lassen sich hier aber wenigstens zwei Ansatzpunkte ansprechen. Zum einen scheint aus der soeben beschriebenen Negativauswahl zu folgen, daß der herangezogene "sachliche Grund" jedenfalls in keinerlei Zusammenhang mit dem verbotenen Unterscheidungskriterium stehen darf69 • Hier ist dann zu untersuchen, ob dieser (nicht bestehende) Zusammenhang nach denselben Kriterien zu bestimmen ist wie die - oben erörterte - "Äquivalenz". Zum anderen stellt sich die Frage, ob darüber hinaus auch eine VerhältnismäßigkeitspTÜfung zur Anwendung kommt, wie es von einigen Literaturstimmen angenommen wird 70 • Beides wird im Rahmen der folgenden Erörterungen zu den einzelnen Diskriminierungsverboten zu klären sein.

4. Erweiterung auf "unterschiedslose" Regelungen (mit unterschiedlicher Auswirkung)?

Bis hierher wurden als Fälle mittelbarer Diskriminierung nur solche Situationen gesehen, in denen eine Regelung an ein bestimmtes, "neutrales" Unterscheidungskriterium anknüpft. Es handelt sich dabei quasi um "unterschiedliche" Regelungen insofern, als sie für das jeweilige Diskriminierungsverbot (unmittelbar oder mittelbar) relevante Unterscheidungen vornehmen. Es kam also nicht allein auf eine unterschiedliche Wirkung einer Maßnahme an; vielmehr mußte diese Wirkung auch in der Ausgestaltung der Regelung irgend wie angelegt sein. 66 Insofern besteht hier eine Parallelität zu der für die Einzelfallmaßnahmen passenden Umschreibung der besonderen Diskriminierungsverbote als Unterscheidungsverbote. 67 So läßt sich beispielsweise ein Verstoß gegen Art. 12 EGV nicht mit dem Argument leugnen, für eine Differenzierung nach dem Wohnsitz liege ein sachlicher Grund in der (typischerweise ) unterschiedlichen Staatsangehörigkeit. 68 Epiney, S. 108. 69 Vgl. Garrone, RTDE 1994,425,427. 70 Reitmaier, S. 55 ff.; Epiney, S. 108.

D. Ungleiche Behandlung der Vergleichstatbestände

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Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Element für den Diskriminierungsbegriff konstitutiv ist, oder ob auch eine völlig neutral ausgestaltete Regelung, die jedoch unterschiedliche Wirkungen für die Vergleichsgruppen auslöst, erfaßt ist. Mit anderen Worten: Kommt es bei der Diskriminierung allein auf die Wirkung einer Regelung an ("gleiche Wirkung wie Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit") oder spielt auch ihre formale Ausgestaltung als Differenzierung, d. h. ihre unterschiedliche Anwendung, eine Rolle? Freilich könnte man hier argumentieren, die formale Ausgestaltung könne schon deshalb keine Rolle spielen, weil in jedem Tatbestandselement einer Regelung bereits eine Differenzierung liegt, die zwischen von der Regelung erfaßten und nicht erfaßten Sachverhalten unterscheidet. Insofern läge dann in jedem Tatbestandsmerkmal zumindest ein "neutrales Kriterium". Dennoch bleibt die Frage, ob die nach dem EuGH geforderte "tatsächlich gleiche Auswirkung" wie eine Diskriminierung nach dem verbotenen Merkmal in der formalen Ausgestaltung der Regelung angelegt sein muß. Von einigen Stimmen in der Literatur71 wird eine derartige Loslösung von der konkreten Ausgestaltung einer Regelung unter dem - oft mißverständlichen 72 Stichwort der "materiellen Diskriminierung" vertreten. Doch wenn man diesen Schritt geht, steht man vor der Schwierigkeit, daß der Diskriminierungsbegriff dann grundsätzlich auch Fälle rein zufällig unterschiedlicher Auswirkungen erfaßt, d. h. solche, in denen sich die Ungleichheit eher aus der bestehenden Situation als aus der auf sie angewandten Regelung ergibt 73 • Mit dieser Problematik hatte sich der EuGH beispielsweise im griechischen BabynahrungsfalF 4 auseinanderzusetzen. Eine griechische Vorschrift sah vor, daß Säuglingsnahrung nur in Apotheken verkauft werden durfte. Diese Handelsbeschränkung wirkte sich im konkreten Fall jedoch nur zu Lasten von Importeuren aus, da sämtliche in Griechenland verkaufte Babynahrung importiert wurde und es keine eigene Produktion gab. Folgerichtig vertrat der Generalanwalt - auf dem Standpunkt einer wirkungsorientierten Betrachtung - die Ansicht, es liege eine (mittelbare) Diskriminierung vor 75 • Der EuGH hingegen hat trotz der Auswirkungen der Regelung eine Diskriminierung hier verneint, da es vom Zufall abhinge, ob es eine eigene Produktion gebe, die Wirkungen einer solchen Verkaufsregelung mithin in Mitgliedstaaten mit eigener Produktion anders sein können. Eine Maßnahme könne aber nicht in einem Mitgliedstaat mit Art. 28 EGV vereinbar sein, in einem anderen hingegen nicht1 6 • Im 71 In dieser Richtung wohl Kingreen, S.121; Weyer, S.1l6f.. Meist wird in der Literatur aber ohnehin nicht zwischen mittelbarer und materieller Diskriminierung unterschieden. 72 V gl. dazu ausführlich unten § 3 A. 73 Siehe dazu Reitmaier, S.45. 74 EuGH, Rs.C-391/92, Kommission/Griechenland, Slg. 1995,1-1621 ff. 75 GA Lenz, zu Rs. C-391/92, a. a. 0.,1-1629. 76 EuGH, a.a.O., Rn. 17.

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Ergebnis bestand das Problem der untersuchten Regelung somit darin, daß sie lediglich zwischen Säuglings nahrung (hier Apothekenpflicht) und sonstigen Waren bzw. Lebensmittel (hier keine Apothekenpflicht) unterschied. Diese Differenzierung erwies sich aber für das hier verbotene Unterscheidungskriterium (Warenherkunft) als nicht relevant. Mit dieser Überlegung reduziert sich die Struktur des Falles zwar ebenfalls auf eine "unterschiedliche" Regelung, nur daß hier die nötige Äquivalenz zwischen "neutralem" und verbotenem Kriterium fehlt. 5. Ergebnisse für das Diskriminierungskonzept

Gleichwohl läßt sich der Rechtsprechung des EuGH - wie noch im einzelnen darzulegen sein wird - eine klare Stellungnahme zur Frage des Diskriminierungskonzeptes kaum entnehmen, wenn auch eine Tendenz hinsichtlich des handlungsbezogenen Modells erkennbar ist. So fordert der EuGH beispielsweise in seinen im Urteil Gebhard aufgestellten Grundsätzen zur Zulässigkeit von nationalen Maßnahmen, welche die Ausübung der Grundfreiheiten behindern, daß diese in nicht diskriminierender Weise angewandt werden 77. Unerheblich ist dabei offenbar, ob sich eine Maßnahme auch ungleich auswirkt. Näheres hierzu wird in den folgenden Kapiteln noch ausführlich zu untersuchen sein.

E. Rechtfertigungselement Zu den schwierigsten Fragen überhaupt im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsbegriff zählt die Rechtfertigungsproblematik. Ist der Diskriminierungstatbestand mit der Feststellung einer Ungleichbehandlung der Vergleichstatbestände bereits erfüllt? Wenn nein, welchen Kriterien unterliegt eine etwaige Rechtfertigungsprüfung? Kommt diese für alle Diskriminierungsverbote und -formen zur Anwendung?

I. Vergleichbarkeit und Rechtfertigung Im Ausgangspunkt geht es in der Rechtsprechung des EuGH bei Diskriminierungsfällen um die allgemeine gleichheitsrechtliche Forderung, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Zulässig ist damit eine Ungleichbehandlung prinzipiell nur bei nicht vergleichbaren Sachverhalten. Insofern liegt bereits in einer solchen fehlenden Vergleichbarkeit die (objektive) Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung, eine Problematik, die an sich schon in der Prüfung des Vergleichstatbestandes enthalten ist. Es stellt sich daher die Frage, ob im Rahmen des Diskriminierungsbegriffs einem Rechtfertigungselement neben dem Vergleichbarkeitselement überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommen kann. 77

EuGH, Rs.C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, 1-4165ff.

E. Rechtfertigungselement

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Betrachtet man hierzu die Rechtsprechung des EuGH, so finden sich nur vage Andeutungen in der einen oder anderen Richtung. Die methodischen Ansatzpunkte sind - wie so oft - widersprüchlich. Manchmal stellt der Gerichtshof ausdrücklich auf die "Unterschiedlichkeit" der Vergleichsobjekte ab, um bei einer Ungleichbehandlung die Diskriminierung zu verneinen, ein anderes Mal prüft er demgegenüber, ob eine ungleiche Behandlung "objektiv gerechtfertigt" ises. Insbesondere die Ausführungen des EuGH zum Merkmal der "Vergleichbarkeit" sind unklar, da er sich hiermit in seinen Entscheidungen nur begrenzt auseinandersetze 9 • Meist beschränkt sich der EuGH schwerpunktmäßig auf eine umfassende Prüfung der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, so daß zumindest fraglich erscheint, ob er dem Merkmal über seine bloße Erwähnung hinaus auch in der Sache eine besondere Bedeutung zukommen lassen will. Andererseits finden sich aber auch einige Entscheidungen zu den besonderen Diskriminierungsverboten, in denen der EuGH das Kriterium - obwohl nicht im Text des EGV erwähnt - implizit oder ausdrücklich herangezogen und als Tatbestandsmerkmal geprüft hatte so. Insgesamt ist eine Systematik dabei kaum zu erkennen. 1. Konkretisierung der Vergleichbarkeit

Sicherlich ist prinzipiell nicht zu leugnen, daß zumindest eine gewisse "Verwandtschaft" zwischen der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung und der - im Rahmen der Untersuchung der relevanten Vergleichstatbestände angestellten - Prüfung der Vergleichbarkeit zweier Sachverhalte besteht. Der Begriff der Vergleichbarkeit ist wertausfüllungsbedürftig. Die Konkretisierung für diese Wertung kann durchaus aus Rechtfertigungsüberlegungen gewonnen werden, wobei dann der anzuwendende Rechtfertigungsmaßstab freilich die entscheidende Rolle spielt. 2. Rechtfertigungsprüfung als rein begriffsimmanentes Element? Allerdings wird die gesamte Problematik überhaupt nur unter der Prämisse relevant, daß der Diskriminierungsbegriff sämtliche Rechtfertigungsfragen abhandeln 78 Vgl. hierzu nur einerseits EuGH, verb.Rs.I17/76 u. 16/77, Ruckdeschel, Sig. 1977, 1753, Rn. 7; Rs. C-56/94, SCAC, Sig. 1995, 1-1769, Rn. 27; Rs. 125/77, Koninklijke Scholten-Honig/ Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Sig. 1978, 1991, Rn. 25/27; Rs.300/86, Van Landschoot/Mera, Sig. 1988,3443, Rn. 9 sowie andererseits EuGH, Rs. 283/83, Racke/Hauptzollamt Mainz, Sig. 1984,3791, Rn. 7; Rs.43/72, Merkur/Kommission, Sig. 1973, 1055, Rn. 22; Rs. 139/77, DenkavitlFinanzamt Warendoif, Sig. 1978, 1317, Rn. 15. Ebenso Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 547 m. w. N. 79 Hierauf verweist auch Mohn, S.48. 80 Vgl. z. B. EuGH, Rs.13/63, Italien/Kommission, Sig. 1963,357,384; Rs.14/68, Walt Wilhelm, Sig. 1969,1, Rn. 12; Rs. 810/79, Überschär, Sig. 1980,2747, Rn.16f.; Rs.112/75, Hirardin, Sig. 1976,553, Rn. 9; Rs. 79/77, Kühlhaus Zentrum, Sig. 1978,611, Rn. 8; Rs. 91/78, Hansen/HZA Flensburg, Sig. 1979,935, Rn. 16.

5 Plötscher

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soll. Ist die Rechtfertigungsprüfung also bereits im Begriff der Diskriminierung enthalten oder wird sie (teilweise) von außen an den Diskriminierungstatbestand herangetragen? Mit anderen Worten ist zu fragen, ob mit der Feststellung einer Diskriminierung (Ungleichbehandlung von Vergleichbarem) der Tatbestand eines Diskriminierungsverbotes erfüllt ist oder ob es darüber hinaus noch eine weitere Rechtfertigungsprüfung gibt, die begriffslogisch auch Fälle erlaubter Diskriminierung impliziert. Dahinter steht letztlich die Frage nach dem Verhältnis von Diskriminierungsbegrijfund Diskriminierungsverbot. Wie sofort einleuchtet, können hierzu an dieser Stelle noch wenig Ausführungen gemacht werden; vielmehr ist erst eine Betrachtung der einzelnen Verbotsnormen erforderlich. Hinter dieser Fragestellung verbirgt sich auch mehr als nur ein rein begriffliches Problem. Sichtbar wird dies vor allem im Bereich der Grundfreiheiten, jedenfalls soweit man diese als zweigeteilte Tatbestände, bestehend aus Diskriminierungsund Beschränkungsverbot, ansieht. Beispielsweise enthalten die Art. 30 EGV und Art. 46 Abs. 1 EGV allgemein gehaltene Rechtfertigungstatbestände, die für die jeweilige Grundfreiheit grundsätzlich einheitlich normiert sind. Zumindest hier ist zu vermuten, daß die Annahme eines dem Begriff der Diskriminierung immanenten Rechtfertigungsmerkmals auch Auswirkungen in der Sache hätte. 11. Rechtfertigungsmaßstab Für das Diskriminierungsverständnis zentral ist die Festlegung des Rechtfertigungsmaßstabes. Ausgangspunkt ist die Überlegung, für jede Unterscheidung bzw. GJeichbehandlung einen sachlichen Grund zu fordern. Dabei sind Abstufungen hinsichtlich zweier verschiedener Dimensionen denkbar: in bezug auf die generelle Zulässigkeit bestimmter Regelungsziele als sachliche Gründe und in bezug auf die Prüfung des Zusammenhangs der vorgenommenen Differenzierung mit dem ihrem Regelungsziel. 1. Zulässigkeit (nur) bestimmter Regelungsziele als sachliche Gründe

Die großzügigste Handhabung der Rechtfertigungsprüfung besteht sicherlich darin, die Wahl eines Regelungsziels als sachlichen Grund dem jeweiligen Regelungsgeber zu überlassen. Demgegenüber ist aber auch denkbar, den Kreis möglicher sachlicher Gründe bzw. Regelungsziele zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung apriori einzuschränken bzw. einzelne Gründe auszuschließen, wie z. B. die Überlegung, ganz allgemein nur etwa "gemeinschaftslegitime" Ziele als sachliche Gründe zuzulassen. Konkrete Beispiele hierfür sind Art. 30 S. I, Art. 39 Abs. 3, Art. 46 Abs. 1 EGV, wonach Eingriffe in die jeweiligen Grundfreiheiten nur aus bestimmten Gründen gerechtfertigt sind. Ebenfalls hierher gehören freilich auch alle besonderen Diskrimi-

E. Rechtfertigungselement

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nierungsverbote, die gerade eine Berufung auf Unterschiede in bezug auf das verbotene Differenzierungskriterium als Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung untersagen (siehe dazu sogleich)8'. 2. Zusammenhang der Differenzierung mit ihrem Regelungsziel

Die Dimension im Rechtfertigungsmaßstab betrifft die Frage, wie präzise die untersuchte (differenzierende) Regelung auf ihren Regelungszweck zurückzuführen sein muß. Denkbar sind hier mehrere Abstufungen von einer einfachen Willkürkontrolle bis hin zu einer umfassenden Angemessenheitsprüfung. Beschränkt sich die Untersuchung lediglich auf die Plausibilität dieses Grundes, so findet eine reine Willkürkontrolle statt. Hier genügt in bezug auf das jeweilige Regelungsziel eine nicht völlig irrelevante Unterschiedlichkeit der Sachverhalte, um deren Ungleichbehandlung zu begründen. Im Ergebnis wird hier also eine weitgehende Einschätzungsprärogative beim Regelungsgeber belassen. Die Kontrolle beschränkt sich auf eindeutige Extremfälle. Demgegenüber steht im anderen Extrem eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche die gewählte Differenzierung in bezug auf ihr Ziel auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit hin untersucht. Hier muß beispielsweise die Benachteiligung einer Vergleichs gruppe zwingend aus dem Regelungszweck folgen, ohne daß dieser auf andere (weniger benachteiligende) Weise erreichbar wäre.

IH. Die besonderen Diskriminierungsverbote Besondere Brisanz erhält die Rechtfertigungsproblematik aber erst im Zusammenhang mit besonderen Diskriminierungsverboten, da diese ja explizit eine bestimmte Unterscheidung untersagen. Fraglich ist dann vor allem, ob im Wege der Rechtfertigung dennoch Ausnahmen zu machen sind. Dies berührt die Streitfrage innerhalb des Gemeinschaftsrechts, ob die besonderen Diskriminierungsverbote absoluten oder relativen Charakter haben 82 . In dem einen Fall begründet bereits die Unterscheidung nach dem verbotenen Kriterium einen - unwiderlegbaren - Verstoß gegen das Verbot, während in dem anderen Fall noch die Prüfung einer sachlichen Rechtfertigung möglich bleibt. 81 Hier darf sogar kein Zusammenhang des Regelungsziels mit dem verbotenen "sachlichen" Grund bestehen. 82 Bereits aus strukturellen Gründen spielt diese Problematik bei den allgemeinen Diskriminierungsverboten keine Rolle. Diese lassen sich - wie gesehen - unproblematisch als Verbot ungleicher Behandlung vergleichbarer Sachverhalte umschrieben, wobei sich im Vergleichbarkeitselement offenbar weitgehend alle Rechtfertigungsfragen abdecken lassen. Demzufolge ist beispielsweise für Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV das Begriffspaar absolutes/relatives Verbot wenig gebräuchlich; vgl. Kischel, EuGRZ 1997, 1,4.

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§ 2 Strukturfragen des Diskriminierungsbegriffs

Bestes Beispiel für diese Diskussion ist Art. 12 EGV, der dem Wortlaut nach "jede Diskriminierung" aus Gründen der Staatsangehörigkeit untersagt. Ein Teil der Literatur will hieraus auf ein absolutes Verbot schließen 83 , während andere eine Rechtfertigung generell 84 oder nur für mittelbare Diskriminierungen 85 zulassen wollen. Ähnlich umstritten ist die Auslegung von Art. 141 EGV 86 • Die Position des EuGH zur gesamten Problematik ist weithin ungeklärt 87 • Das Hauptproblem dieser Diskussion ist, daß meist nicht hinreichend der - oben angedeutete - Unterschied zwischen dem Inhalt des Diskriminierungsbegrijfs und der Reichweite des untersuchten Diskriminierungsverbotes gesehen wird. Oft findet die Argumentation hier unter impliziter Zugrundelegung eines bestimmten Diskriminierungsverständnisses statt, ohne daß dieses zuvor aufgedeckt wird. Symptomatisch hierfür ist das im Rahmen des Art. 12 EGV für einen absoluten Charakter des Verbotes angeführte Wortlautargument ("jede Diskriminierung"). Bei Lichte betrachtet, spricht dieses nämlich gerade nicht zwingend gegen die Berücksichtigung von Rechtfertigungserwägungen. Definiert man Diskriminierung beispielsweise als sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, so enthält bereits der Diskriminierungsbegriff ein immanentes Rechtfertigungselement, das dessen Reichweite sachgerecht einschränken kann. Ein weiterer, darüber hinaus gehender "Rechtfertigungsbedarf" besteht dann möglicherweise nicht mehr, so daß demzufolge tatsächlich ein Verbot "jeder" Diskriminierung als logisch konsequent erscheint. Diese Betrachtung zeigt, daß die Diskussion um den absoluten oder relativen Charakter allein die sachgerechte Bestimmung des Anwendungsfeldes bzw. der Reichweite der Diskriminierungsverbotsnorm und daher auch die Festlegung der Grenzlinie zwischen erlaubtem und verbotenen Verhalten betrifft. Diese Frage kann nur im Zusammenhang mit den Zielsetzungen und dem Regelungskontext eines Diskriminierungsverbotes gelöst werden und ist insofern von einer Bestimmung des Diskriminierungsbegriffs unabhängig. Demgegenüber ist die Aufgabe des Diskriminierungsbegrijfs, diese den Diskriminierungsverboten zugrundeliegenden Wertungen in handhabbare Prüfungskriterien bzw. Strukturelemente zu fassen, die einen gemeinsamen Standard aller Diskriminierungsverbote darstellen. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, daß er eine größere Flexibilität erlaubt. So greift die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Diskriminierungsverboten insgesamt zu kurz, da sich eine Gemeinsamkeit beider Ansichten darin finden läßt, eine RechtfertigungsReitmaier, S. 39 f., 43 f. Bleckmann, Europarecht, Rn.I742f.; Zuleeg, FS Bömer, 473, 481 f.; mit Einschränkung auf die Ziele des EGV als Rechtfertigungsgründe: Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 30, Rn. 15. 85 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 23; Forsthoff, EWS 2000, 389, 393. 86 Vgl. Currall, in: GTE, Art. 119, Rn.42ff. m. W.N. 87 Vgl. Kischel, EuGRZ 1997, 1,5 m. w. N. 83

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F. Vorsatz

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möglichkeit grundsätzlich zuzulassen und gleichzeitig hieran unterschiedlich strenge, den verschiedenen Situationen angepaßte Maßstäbe anzulegen 88 •

F. Vorsatz Fraglich ist, ob das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverständnis auch ein subjektives bzw. Vorsatzelement kennt. Muß neben die bisher erörterten objektiven Voraussetzungen der Diskriminierung auch ein entsprechender Wille hinzukommen? Ausdrücklich ist dies - soweit ersichtlich - bislang in keinem Diskriminierungstatbestand des Gemeinschaftsrechts vorgesehen worden. Auch der EuGH hält sich in seiner Rechtsprechung hier meist sehr bedeckt. Immerhin deuten aber Vorschriften wie Art. 30 S. 2 EGV und Art. 58 Abs. 3 EGV (" ... Mittel zur willkürlichen Diskriminierung ... ") daraufhin, daß subjektive Elemente bei der Ausfüllung des Diskriminierungsbegriffs nicht ganz irrelevant sind. Freilich ist die Problematik, ob der Diskriminierungstatbestand ein Vorsatzelement etwa in der Form einer Diskriminierungsabsicht enthält, deutlich von der Frage abzugrenzen, ob eine Haftung wegen gemeinschaftsrechtswidriger Diskriminierung, etwa nach Art. 288 Abs. 2 EGV, ein entsprechendes Verschulden voraussetzt 89 • Im Rahmen des Haftungstatbestandes tritt das Verschuldenskriterium, soweit es überhaupt Berücksichtigung findet 90 , neben die Voraussetzung einer Diskriminierung. Die Frage des Vorsatzelements bezieht sich aber auf die innere Struktur des Diskriminierungsbegriffs und folgt auch nicht zwangsläufig den für die außervertragliche Haftung geltenden Regeln. Im Prinzip kann sich ein etwaiges subjektives Element entweder auf alle oder nur auf einige Merkmale des Diskriminierungstatbestandes beziehen: die Ungleichbehandlung, die Vergleichbarkeit der Tatbestände, das Fehlen rechtfertigender Gründe usw. Doch läßt sich eine nähere Präzisierung hier nicht ohne den Hintergrund der konkrete Zielsetzung des jeweiligen Diskriminierungsverbotes vornehmen. Soll ein So auch Kisehel, EuGRZ 1997,1,5. Für das Gebiet des Völkerrechts ähnlich Kewenig, Nichtdiskriminierung, S.156; für den EGKSV Zerr, S. 6f. 90 Hinsichtlich der außervertraglichen Haftung nach Art. 288 Abs. 2 EGV scheint der EuGH - im Gegensatz zu seiner Rechtsprechung in den Anfangen der Gemeinschaft - auf ein Verschuldenselement als Haftungsvoraussetzung zunehmend zu verzichten und die entsprechend problematischen Fallkonstellationen unter dem Merkmal des "hinreichend qualifizierenden Verstoßes" abzuhandeln; siehe hierzu GilsdorjlOliver, in: GTE, Art. 215 EGV, Rn. 44 ff. sowie von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 215 EGV, Rn. 110, jeweils m. w. N. Zu der parallelen Problematik im Bereich der - auf ähnliche Grundsätze gestützten - Staatshaftung der Mitgliedstaaten vgl. auch EuGH, verb. Rs. C-46 u. C-48/93, Brasserie du peeheur und Faetortame, Slg. 1996,1-1029, Rn. 75 ff. (insbes. Rn. 79); verb. Rs. C-178, C-179, C-188 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, 1-4845, Rn. 28 sowie zuletzt Rs. C-424/97, Salomone HaimlKassenärztliehe Vereinigung Nordrhein, EuZW 2001, 733, Rn. 39 (siehe hierzu auch Streinz, JuS 2001, 285,286). 88 89

70

§ 3 Besondere Begriffsbildungen

entsprechendes Verhalten unterbunden werden oder kommt es eher auf die Herstellung einer bestimmten Situation an? Insgesamt steht die Problematik damit in recht engem Zusammenhang mit der - bereits erwähnten - Fragestellung, ob dem Diskriminierungsbegriff ein finales oder ein kausales Verständnis zugrunde zu legen ist. Bei der Finalität wird unterstellt, daß Handlungen, staatliche Maßnahmen, Rechtsakte usw. stets bestimmten Zwecken dienen. Dies gilt auch für den Fall, daß der Gesetzgeber für zwei Tatbestände unterschiedliche Rechtsfolgen anordnet. Der dahinter stehende Zweck wäre dann Grundlage eines Diskriminierungsverständnisses. Eine rein kausale Betrachtung würde demgegenüber auf dieses Element verzichten und allein auf die Wirkung einer Maßnahme abstellen.

§ 3 Besondere Begriffsbildungen A. Die sog. "materielle Diskriminierung" Ein Begriff, der vor allem von der Literatur l im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten neuerdings verwendet wird, ist die sog. "materielle Diskriminierung"2, freilich ohne daß auch nur annähernd Einigkeit darüber bestünde, was unter dieser recht schillernden Umschreibung konkret zu verstehen ist. Im Hintergrund steht dabei teilweise das Bestreben, die Grundfreiheiten - in Abkehr von deren herkömmlichem Modell, das zwischen einem Diskriminierungs- und einem Beschränkungsverbot unterscheidet - im Ergebnis als einen einheitlichen, weit gefaßten Diskriminierungstatbestand zu formulieren, der alle relevanten Fälle erfassen so1l3. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß die jeweiligen Autoren in Wahrheit äußerst unterschiedliche Aussagen und Problemstellungen im Rahmen der Begriffsstruktur der Diskriminierung mit der Bezeichnung "materiell" verbinden.

1 Auch der EuGH spricht in einigen Urteilen von "Diskriminierung im materiellen Sinne": vgl. EuGH, Rs.13/63,/talien/Kommission, Slg. 1963, S. 357,384; dort allerdings eher im Sinne einer Umschreibung des allgemeinen Gleichheitssatzes ("Eine Diskriminierung im materiellen Sinne würde vorliegen, wenn gleichgelagerte Sachverhalte ungleich oder verschieden gelagerte gleich behandelt würden."; a. a. O. S. 384). 2 Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30 EGV, Rn. 196; Marenco, CDE 1984, 291, 306ff.; Marenco/Banks, ELRev 15 (1990), 224, 238f.; Dejalque, CDE 1987,471,477,484; Körber, EuR 2000,932,933; Störmer, AöR 123 (1998), 541, 558f. verwendet den Begriff z.B. zur Abgrenzung von einer "prozessualen Diskriminierung" bei der Durchsetzung von Grundrechten. 3 Kingreen, S. 120ff.

A. "Materielle Diskriminierung"

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I. Materielle Diskriminierung und Ungleichbehandlung

Die Mehrzahl der Literaturstimmen will die materielle Diskriminierung in bezug auf die Art und Weise einer Ungleichbehandlung dem formellen Diskriminierungsverständnis gegenüberstellen. 1. Formelle Ungleichbehandlung

Eine Maßnahme ist danach formell diskriminierend, wenn sie mittels bestimmter Kriterien zwei Sachverhalte unterschiedlich behandelt und insofern in ihrem Geltungsanspruch Differenzierungen enthält. Diese Kriterien folgen in aller Regel aus den Anwendungs- bzw. Tatbestandsvoraussetzungen der zu untersuchenden Regelung. Nach diesem Verständnis ist Diskriminierung dann mit (expliziter) Unterscheidung gleichzusetzen. Bezieht man dies - im Sinne der besonderen Diskriminierungsverbote - auf ein bestimmtes Kriterium, liegt eine Diskriminierung nur vor, wenn die Regelung mittels eines diesem verbotenen Kriterium entsprechenden Tatbestandsmerkmals differenziert und insofern unterschiedlich anwendbar ist. Insgesamt kommt es bei der formellen Diskriminierung daher vorrangig auf die Ausgestaltung der Maßnahme an. 2. "Materielle" Ungleichbehandlung

Demgegenüber soll dem Konzept der materiellen Diskriminierung eine eher normative, wertungsbehaftete Sichtweise zugrunde gelegt werden, wobei primär auf ungleiche Auswirkungen einer Maßnahme abzustellen sei 4 , die sich freilich auch bei formal unterschiedslos ausgestalteten Regelungen ergeben können (im folgenden unter dem Stichwort Wirkungsvergleich behandelt). Danach läge ein Fall der Diskriminierung bereits dann vor, wenn sich eine bestimmte Maßnahme ungleich auf die Vergleichsgruppen - wie beispielsweise Waren in- und ausländischer Herkunft - auswirkt und so die Ausübung der Grundfreiheiten erschwert, d. h. protektionistische Wirkung entfaltet. Auf die formale Ausgestaltung der Maßnahme, insbesondere die Unterscheidung nach der Herkunft einer Ware, kommt es dabei nicht an. Dann stellt sich aber die Frage, inwieweit diese Auswirkungen noch auf die jeweilige Maßnahme bzw. den hinter ihr stehenden Adressaten zurückführbar sein müssen. Auswirkungen folgen stets aus dem Zusammentreffen der Regelung mit einem gegebenen Zustand, so daß sich mit wechselnder Situation auch die Auswirkungen ändern können. Letztlich geht es um die Untersuchung dieses Wirkungszusammenhangs von Maßnahme und Zustand, bei der vor allem normative Elemente einfließen. Im Extremfall kann der materielle Diskriminierungsbegriff dann dazu 4 Kingreen, S.126; etwas abgewandelt will Weyer, S. 170ff. auf die unterschiedliche Rechtfertigung der Wirkungen auf den Handel verschiedener Mitgliedstaaten abstellen.

72

§ 3 Besondere Begriffsbildungen

führen, unterschiedliche Zustände als Diskriminierung zu begreifen 5 • Diese Konsequenz versuchen einige dann dadurch zu mildem, daß sie für eine materielle Diskriminierung verlangen, daß eine unterschiedslos anwendbare Maßnahme, z. B. im Bereich der Warenverkehrsfreiheit, ein Erschwernis für Einfuhrwaren bezweckt oder zumindest andere plausible Zwecke nicht erkennen läßt 6 • 3. Abgrenzung zur mittelbaren Diskriminierung

Damit in engem Zusammenhang steht auch die oben bereits erörterte Problematik der mittelbaren Diskriminierung, die vielfach - Hilschlicherweise - mit der der materiellen Diskriminierung gleichgesetzt wird 7 • Zwar ist beiden Rechtsfiguren gemeinsam, daß sie letztlich auch die Auswirkungen einer Maßnahme im Blick haben. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied. Während die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Diskriminierung die Frage betrifft, ob eine Ungleichbehandlung in der Form oder allein im Ergebnis vorliegen muß, behandelt das Konzept der mittelbaren Diskriminierung die Problematik der Äquivalenz, d. h. die Frage des Zusammenhangs einer spezifischen, ausdrücklichen Differenzierung mit dem verbotenen Differenzierungskriterium bzw. die Frage, wie exakt dieser Zusammenhang ggf. nachzuweisen ist. Insofern ist eine mittelbare, formelle Diskriminierung (z. B. differenzierende Regelung, die zwar an ein anderes Merkmal als die Staatsangehörigkeit anknüpft, aber dennoch vorwiegend Ausländer benachteiligt) logisch ebenso wenig ausgeschlossen, wie eine unmittelbare, materielle Diskriminierung (allgemein geltende, nicht differenzierende Vorschrift, wie z. B. ein Verbot bestimmter Vertriebspraktiken, das aber wegen besonderer Umstände ausschließlich Ausländer trifft). II. Materielle Diskriminierung und Vergleichsgruppenbildung 1. Sog. erweiterte Vergleichsgruppenbildung

Daneben wird mit dem Schlagwort der "materiellen Diskriminierung" im Rahmen der Grundfreiheitendogmatik teilweise aber auch eine Verschiebung der Vergleichsgruppen verbunden (im folgenden als erweiterte Vergleichsgruppenbildung bezeichnet). Hierzu wird beispielsweise im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten vorgeschlagen, sich von dem dort erwähnten, aber zu eng empfundenen (verbotenen) Kriterium der Staatsangehörigkeit zu lösen und neben bzw. anstelle von in- und auslän5 Diese Konsequenz ergibt sich z. B. aus der Sichtweise Kingreens, der bereits in spezifischen Hemmnissen für den grenzüberschreitenden Verkehr, die aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen folgen, eine (materielle) Diskriminierung sehen will; vgl. Kingreen, S. 122. 6 Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30 EGV, Rn. 196; ähnlich Schilling, EuR 1994,50,69. 7 So ausdrücklich Schöne, RIW 1989,450 Fn.5; Lenaerts, CDE 1991,3,12 Fn. 31; andeutungsweise auch Müller-Graff, in: GTE: Art. 30 EGV, Rn. 196.

A. "Materielle Diskriminierung"

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disehen Staatsangehörigen andere Vergleichsgruppenpaare zu bilden 8 • Dabei soll in den Diskriminierungsbegriff auch die Ungleichbehandlung eines grenzüberschreitenden gegenüber eines vergleichbaren inländischen Sachverhaltes einbezogen werden 9 • Teilweise wird sogar die materielle Diskriminierung nur von dem eher abstrakten Gesichtspunkt einer Gleichbehandlung ungleich gearteter Tatbestände abhängig gemacht IO • Auch dahinter steht die Absicht, die herkömmlicherweise unter dem Aspekt des Beschränkungsverbotes abgehandelten Fälle der Grundfreiheiten mit einem sehr weit gefaßten Verständnis eines Diskriminierungsverbotes zu erfassen. 2. Abgrenzung zur mittelbaren Diskriminierung

Auch dieses Verständnis von materieller Diskriminierung ist strikt vom Konstrukt der versteckten bzw. mittelbaren Diskriminierung abzugrenzen. Während letztere im Grundsatz an der Relevanz des jeweils ausdrücklich verbotenen Differenzierungsmerkmals (z. B. Staatsangehörigkeit) festhält und daher jeden Fall der Anknüpfung an andere Kriterien (z. B. Wohnsitz, Muttersprache) im Wege der "Mittelbarkeit" auf dieses Merkmal zurückzuführen versucht, steht hinter der erweiterten Vergleichs gruppen bildung eine völlige Loslösung von dem einzelnen verbotenen Kriterium. Die Herleitung der für das Diskriminierungsverbot relevanten Kriterien folgt dann allein aus der Zielsetzung der jeweiligen Norm, respektive der Grundfreiheiten, ohne daß es auf einen Wirkungsvergleich ("Maßnahmen, die sich wie eine Differenzierung nach dem Kriterium XY auswirken") ankäme. Anders gewendet ließe sich in der erweiterten Vergleichsgruppenbildung auch eine zielorientierte Rechtsfortbildung sehen, während bei der mittelbaren Diskriminierung unter Rückbeziehung auf den Vertragstext noch eine - wenn auch extensive - teleologische Auslegung versucht wird ". Die Unterschiede zwischen beiden Ansatzpunkten sind weitreichender als es auf den ersten Blick erscheinen mag. So eröffnet die erweiterte Vergleichsgruppenbildung einen viel größeren Spielraum bei der Handhabung und richterlichen Fortentwicklung der Diskriminierungsverbote, die sich allein an deren Zielsetzung zu orientieren hat. Sie eröffnet unter Umständen auch die Möglichkeit, die Grundfreiheiten selbst bei Zugrundelegung eines äußerst weit gefaßten Anwendungsbereichs vollständig mit einem Diskriminierungsmodell abzudecken, ohne sich einer neben der Diskriminierung stehenden Freiheitsdimension bedienen zu müssen. Auf der anderen Seite steht freilich die Gefahr, sich bei der Vergleichsgruppenwahl dem Vorwurf 8 Ähnliches wird für das - von der Rechtsprechung entwickelte - Kriterium der Warenherkunft im Rahmen der Art. 28 ff. EGV vertreten. 9 So Kingreen, S. 84 ff. 10 Vlmer, GRUR Int. 1973,502,507; Hödl, S. 20, 26f.; Marenco, CDE 1984,291,306. " Strukturell kommt die erweiterte Vergleichsgruppenbildung somit eher einer Ausdehnung in Richtung eines wirtschaftlichen Staatsangehörigkeitsverständnisses nahe (v gl. hierzu unten § 5 A. IIL).

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§ 3 Besondere Begriffsbildungen

der Beliebigkeit auszusetzen und die Grenzen besonderer Diskriminierungsverbote allzu weit in Richtung des allgemeinen Gleichheitssatzes auszudehnen.

III. Materielle Diskriminierung und Rechtfertigung Eine dritte Wertungsebene, die mit dem Konzept der materiellen Diskriminierung verbunden und einem formellen Konzept gegenübergestellt werden kann, ist die Berücksichtigung gewisser Rechtfertigungselemente, d. h. die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine festgestellte Ungleichbehandlung tatsächlich rechtswidrig ist. Im Bereich der allgemeinen Diskriminierungsverbote ist dies sicherlich nichts Neues. Hier lassen sich Rechtfertigungsfragen - wie gesehen - strukturlogisch in das Vergleichbarkeitselement integrieren. Bei den besonderen Diskriminierungsverboten entspricht der Ansatz dem des relativen Diskriminierungsverständnisses. Hier werden Fälle, in denen z. B. eine Unterscheidung zwar auf Geschlecht, Staatsangehörigkeit etc. beruht, diese aber aus sachlichen, rechtfertigenden Gründen als nicht verbotswürdig erscheint, aus dem Diskriminierungsbegriff ausgenommen. Ein anderer Ansatz wäre die Einführung eines Vergleichbarkeitselements. Danach sind Unterscheidungen nach dem verbotenen Kriterium nur erfaßt, wenn sie sich auf eine "vergleichbare Situation" beziehen 12 • Im folgenden werden diese Fälle unter dem Stichwort des relativen Diskriminierungsbegriffs abgehandelt.

B. Die sog. "umgekehrte Diskriminierung" oder "Inländerdiskriminierung" Der Frage, ob die Diskriminierungsverbote des EG-Vertrages auch den Fall der SchlechtersteIlung von Inlandssachverhalten erfassen, galt eine der umfangreichsten Kontroversen in der Europarechtswissenschaft der 80er und 90er Jahre l3 • Die Problematik wird dabei unter den Bezeichnungen "Inländerdiskriminierung" und "umgekehrte Diskriminierung" behandelt. Beide Begriffe werden teilweise synonym gebraucht l4 • Teilweise besteht aber auch ein Streit um die Begrifflichkeit l5 , ohne daß nennenswerte Unterschiede in der Sache erkennbar werden. 12 Dieses Element enthalten z. B. die jeweils in Art. 2 Abs. 1 gegebenen Legaldefinitionen der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG. 13 Vgl. nur die im folgenden beispielhafte Aufzählung der zahlreichen Publikationen: Bleckmann, RIW 1985, 917 ff.; Burmester, Inländerdiskriminierungen im Lichte gemeinschaftsrechtlicher Lösungen, 1994; Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995; Fastenrath, JZ 1987, 170ff.; Hammerl, Inländerdiskriminierung, 1997; Hösch, EWS 1995, 8ff.; Kleier, RIW 1988, 623ff.; Lackhoff, EWS 1997, 109ff.; Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag, 1984; Schöne, RIW 1989, 450ff.; Weis, NJW 1983,2721 ff.; vgl. auch neuerdings zu einer "EU-Inländerdiskriminierung" im Welthandelsrecht: Weiß, EuR 1999, 499ff. 14 Streinz, Lebensmittelrecht, S. 111, 112; offenbar auch Schöne, RIW 1989,450,452. 15 Vgl. Hammerl, S. 52f.; Epiney, S.18, 33f.

B. "Umgekehrte Diskriminierung" oder "Inländerdiskriminierung"

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I. Problemstellung 1. Begriff

Die Bezeichnung "umgekehrte Diskriminierung" wird in der Literatur dabei für eine Vielzahl von Konstellationen verwendet. Sie ist auch in anderen Rechtssystemen und Rechtssprachen geläufig, wie z. B. im Französischen als "discrimination a rebours" 16 oder im Englischen als "reverse discrimination". Dabei ist zu unterscheiden. Unter "reverse discrimination" werden üblicherweise Situationen behandelt, in denen der Gesetzgeber gezielt eine bestimmte Gruppe gegenüber einer anderen besserstellt, um bestehenden faktischen (Wettbewerbs-)Nachteilen entgegenzuwirken. "Umgekehrt" ist die Diskriminierung deshalb, weil die sich faktisch im Vorteil befindliche Gruppe nun benachteiligt wird 17. Angeknüpft wird dabei meist allein an die Zugehörigkeit zu der benachteiligten Gruppe. In der anglo-amerikanischen Rechtsterminologie hat sich hierfür auch der Begriff der "affirmative action" eingebürgert l8 • Beispiele sind die amerikanischen Anti-Diskriminierungsgesetze und die auch in Europa bekannten Frauenförderungsmaßnahmen. Seit dem Vertrag von Amsterdam findet sich zu dieser Regelungsmaterie in Art. 13 EGV eine entsprechende primärrechtliche Ermächtigung, wonach Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen bestimmter Merkmale ergriffen werden können 19. Im Ergebnis betrifft der Fragenkreis der "affirmative action" speziell die Problematik der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bzw. Bevorzugung. Um eine völlig andere Konstellation geht es bei dem im Rahmen des Gemeinschaftsrechts gebräuchlichen Begriff der "umgekehrten Diskriminierung". Mit dieser Bezeichnung wird üblicherweise die Situation beschrieben, daß "Inländer" gegenüber "Ausländern" benachteiligt werden ("Inländerdiskriminierung"). "Umkehrt" ist diese Behandlung freilich deshalb, weil sie gerade nicht dem typischen Bild einer Ausländerbenachteiligung entspricht, die es üblicherweise mit dem Gebot der Inländerbehandlung als herkömmlichem Mittel des Wirtschaftsvölkerrechts, das auch in den Grundfreiheiten des EGV seinen Ausdruck fand 20 , zu bekämpfen gilt. Insofern impliziert die Bezeichnung "umkehrte Diskriminierung" einen "Normalfall" der Diskriminierung, nämlich den der Bevorzugung der eigenen Staatsangehörigen, Waren etc. durch einen Mitgliedstaat.

Vgl. Schlachter; S.2; Bleckmann, RIW 1985, 917ff. Reitmaier, S. 3; Hammerl, S. 51 f. 18 Vgl. hierzu Hammerl, S.52 m. w. N. aus der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court. 19 Siehe hierzu unten § 8 A. 20 Schöne, RIW 1989,450; ähnlich Weis, NJW 1983,2721. 16 17

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§ 3 Besondere Begriffsbildungen

2. Entstehung und Ursachen

Selbstverständlich kann eine derartige Besserstellung von "Ausländern" bzw. Sachverhalten mit "Auslandsbezug" zunächst auf einer einzelnen nationalen Maßnahme beruhen. Gründe für eine derartige Bevorzugung können beispielsweise wirtschaftspolitische Erwägungen sein, um ausländische Investoren oder ausländisches Kapital anzulocken. In diesem Zusammenhang interessiert aber nur eine solche Besserstellung, die sich aus dem Zusammenwirken von Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht ergibt2 1• Hier kann eine Ungleichbehandlung daraus resultieren, daß das Gemeinschaftsrecht bestimmte Vorgaben nur für Personen oder Waren aus anderen Mitgliedstaaten macht, die Regelung rein inländischer Sachverhalte aber den Mitgliedstaaten überläßt. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts ist der einzelne Mitgliedstaat dann verpflichtet, in Sachverhalten mit "Auslandsbezug" unter Außerachtiassung des eigenen Rechts die im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Rechte und Privilegien zuzugestehen, während gegenüber "Inländern" weiterhin das eigene Recht uneingeschränkt anwendbar bleibt. Die "umgekehrte Diskriminierung" hat demzufolge zwei kumulative Ursachen: (1) Zum einen beruht sie auf dem eingeschränkten Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts bzw. auf den Kompetenzschranken der Gemeinschaft.

Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und damit dessen Beachtenspflicht durch die Mitgliedstaaten reicht nur, soweit dieses gilt. Darüber hinaus verbleibt die Regelungskompetenz in vollem Umfang bei den Mitgliedstaaten. Durch dieses Auseinanderfallen können sich Unterschiede ergeben. Hauptbeispiel hierfür sind freilich die Grundfreiheiten, die - wie der EuGH in ständiger Rechtsprechung betont22 - tatbestandiich einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraussetzen. So verbietet Art. 28 EGV mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten; Art.43 EGV gewährt des Recht zur freien Niederlassung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates; usw. Diese Vorschriften berühren daher nicht das Recht der Mitgliedstaaten, einen entsprechenden Sachverhalte (abweichend) zu regeln, wenn ein derartiger Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat fehlt. Zwar stellt sich das Problem der "umgekehrten Diskriminierung" dann nicht, wenn ein gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakt einen Sachbereich mit Geltung für alle Unionsbürger umfassend regelt. Eine solche Harrnonisierungsmaßnahme gilt in 21 Siehe auch die Gegenüberstellung bei Fastenrath, JZ 1987, 170, 173 sowie die insoweit ähnliche Unterscheidung zwischen "direkter" und "indirekter Inländerdiskriminierung" bei Hammerl, S.27ff. 22 Etwa EuGH, Rs. 175/78, Saunders, Slg. 1979, 1129, Rn.ll; Rs. 180/83, Moser, Sig. 1984, 2539, Rn. 15; Rs. 298/84, Jorio, Slg. 1986,247, Rn. 14; Rs. 20/87, Ministere PubliclGauchard, Slg. 1987,4879, Rn. 12; Rs.115n8, Knoors, Sig. 1979,399, Rn. 24; Rs.52n9, Debauve, Sig. 1980, 833, Rn.9.

B. "Umgekehrte Diskriminierung" oder "Inländerdiskriminierung"

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der Regel einheitlich für alle ihr unterworfenen Sachverhalte, unabhängig davon, ob diese einen Bezug nur zu einem oder zu mehreren Mitgliedstaaten aufweisen. Allerdings sind derartige gemeinschaftsrechtliche Regelungen aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nur eingeschränkt möglich, so daß in weiten Bereichen die Regelung von Inlandssachverhalten den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt. Insofern ist die "umgekehrte Diskriminierung" auch eine Folge unvollständiger Integration 23 • (2) Zu einer "umgekehrten Diskriminierung" kann es aber nur kommen, wenn der jeweilige Mitgliedstaat seine nationalen Vorschriften in bezug auf die Inlandssachverhalte beibehält und nicht der gemeinschaftsrechtlichen Regelung anpaßt. Hier kann sich der "Inländer" mangels Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auch nicht auf dessen vorrangige Geltung berufen, so daß es dann im Ergebnis bei einer zweigespaltenen Rechtslage bleibt. Beispiele mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit in diesem Zusammenhang sind die EuGH-Entscheidungen zum Reinheitsgebot tür Bier 24 und in der Rechtssache Bosman 25 • In beiden Fällen mußten nachteilige mitgliedstaatliche Regelungen für "EG-Ausländer" wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts außer Anwendung bleiben, während sie in "rein nationalen" Fällen weiterhin gelten, zumal eine Anpassung insoweit nicht erfolgt ist. Dies zeigt, daß eine Gleichstellung hier wegen der bei den Mitgliedstaaten verbliebenen Kompetenz nur durch diese erfolgen kann. Insofern folgt die Situation der "umgekehrten Diskriminierung" gerade nicht aus der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe, sondern aus dem Umstand ihres beschränkten Anwendungsbereichs 26 •

11. Bedeutung für die Herausbildung eines einheitlichen Diskriminierungsbegriffs Ohne auf die Streitpunkte der "umgekehrten Diskriminierung" im einzelnen einzugehen, interessiert im Rahmen der vorliegenden Arbeit vor allem der begriffliche Zusammenhang. Die Frage, ob das Gemeinschaftsrecht "umgekehrten Diskriminierungen" entgegensteht, kann nämlich nur dann überhaupt problematisch werden, wenn man von einem bestimmten, diese Fallgestaltung ausklammernden Diskriminierungsverständnis ausgeht. Daß die gemeinschaftsrechtliche Unzulässigkeit nicht bereits aus der Begrifflichkeit, d. h. der Bezeichnung der "umgekehrten Diskriminierung" als "Diskriminierung" geschlossen werden darf, dürfte nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer oben beschriebenen Entstehung einleuchten. Folgerte man nämlich aus der Bezeichnungsidentität eine Begriffsidentität, so stünden die Grundfreiheiten - jedenfalls solange man diese zumindest auch als Diskriminierungsver23 Hammerl, S. 125 ff.; Streinz, Lebensmittelrecht, 111, 120f.; ähnlich Burmester, S. 103 ff.; Fastenrath, JZ 1987, 170, 172; Leible, §4 B. 111. 24 EuGH, Rs.178/84, KommissionIDeutschland, Slg. 1987, 1227ff. 25 EuGH, Rs. C-415/93, Bosman, Slg. 1995,1-4921 ff. 26 Streinz, Lebensmittelrecht, S. 111, 117; Bleckmann, NJW 1985, 2856, 2860.

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§ 3 Besondere Begriffsbildungen

bote begreift - auch "umgekehrten Diskriminierungen" entgegen. Gerade dies widerspräche aber der oben festgelegten Prämisse einer nur begrenzten Reichweite der Grundfreiheiten. Von entscheidenderer Bedeutung sind demnach die strukturellen Besonderheiten eines Diskriminierungsbegriffs, der Fälle der "umgekehrten Diskriminierung" mitumfaßt. 1. Vergleichsgruppen

In den obigen Ausführungen wurde bereits angedeutet, daß sich der für die Feststellung der "umgekehrten Diskriminierung" erforderliche Vergleich nicht allein auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit beschränkt. Vielmehr meint auch die Bezeichnung "Inländerdiskriminierung" jede SchlechtersteIlung eines Inlandssachverhaltes im weitesten Sinne. Abzustellen ist auf den Inlands- bzw. Auslandsbezug 27 • Dieser Bezug zum "Inland" kann dabei neben personalen Kriterien (Staatsangehörigkeit) auch auf territorialen Elementen beruhen 28 • Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Inlandswaren gegenüber Importwaren benachteiligt werden bzw. einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Betroffen ist hier der inländische, d. h. im Inland ansässige Produzent, ohne daß es dabei auf dessen Staatsangehörigkeit ankäme. Nach dem EuGH besteht der für die Grundfreiheiten erforderliche Auslandsbezug daher auch bei eigenen Staatsangehörigen, wenn diese sich in einer Lage befinden, die mit der eines EG-Ausländers vergleichbar ist29 • Ähnlich verhält es sich mit im Ausland erworbenen Diplomen und Berufsabschlüssen, wenn diese gegenüber entsprechenden inländischen Abschlüssen einfacher zu erlangen sind, aber dennoch als gleichwertig anerkannt werden. Im Ergebnis ist der Begriff "Inländer" im Rahmen der "Inländerdiskriminierung" demnach nicht rechtstechnisch im Sinne von "eigenem Staatsangehörigen" zu verstehen, sondern als Synonym für einen irgendwie gearteten Bezug zum eigenen Staat. Daraus folgt die Möglichkeit mehrerer verschiedener Vergleichsgruppenpaare. So kann eine SchlechtersteIlung von inländischen gegenüber ausländischen Staatsangehörigen, von Waren inländischer Herkunft gegenüber solchen ausländischer Herkunft, von Unternehmen mit Sitz im Inland gegenüber solchen mit Sitz in Ausland etc. erfolgen. Grundlage für die Vergleichsgruppenbildung sind daher bestimmte Tatsachen (Staatsangehörigkeit 30, Wohnsitz, Herkunft etc.), die Ausdruck des Inlands- bzw. Auslandsbezugs sind. Lackhojf/Raczinski, EWS 1997, 109f. Streinz, Lebensmittelrecht, S. 111, 112; Wesser, S. 30; Fastenrath, JZ 1987, 170; im Ergebnis auch Schöne, RIW 1989,450,453. 29 Std. Rspr. seit EuGH, Rs.115/78, Knoors, Slg. 1979,399,406, Rn. 17ff. 30 Die Staatsangehörigkeit ist zwar keine Tatsache im engeren Sinne (d.h. ein dem Beweis zugänglicher Umstand), sondern Rechtsfolge der Staatsangehörigkeitsgesetze. Dennoch ist sie dem Gemeinschaftsrecht als unbeeinflußbarer Umstand vorgegeben. Die Staatsangehörigkeit erfüllt daher ebenfalls eine Tatbestandsfunktion. 27

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B. "Umgekehrte Diskriminierung" oder "Inländerdiskriminierung"

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Teilweise wird "Inländer" auch denkbar weit als eine Person verstanden, die allein dem nationalen Recht unterworfen ist, ohne sich im konkreten Fall auf Privilegien berufen zu können, die aus internationalem oder supranationalem Recht, d. h. dem Gemeinschaftsrecht, folgen 3l • Konsequent zu Ende gedacht, ergeben sich nach dieser Ansicht die Vergleichsgruppen dann aus den inhaltlichen Grenzen, d. h. dem Anwendungsbereich, des Gemeinschaftsrechts. Darin liegt - im Gegensatz zu der zuvor genannten Ansicht - aber keine Tatsache, sondern eine Rechtsfrage des Gemeinschaftsrechts selbst. Diese Auffassung läuft daher unter Umständen Gefahr, die Ursache für eine "umgekehrte Diskriminierung" mit dem Begriff zu vermengen. 2. Differenzierung

Nur in wenigen Fällen liegt einer "umgekehrten Diskriminierung" eine gemeinschaftsrechtliche oder mitgliedstaatliche Regelung zugrunde, die unmittelbar oder mittelbar zwischen den genannten Vergleichsgruppen differenziert. Eine solche - teilweise auch als direkte Inländerdiskriminierung bezeichnete 32 - Situation besteht, wenn sich die Schlechterstellung des Sachverhalts mit Inlandsbezug aus der bewußten Vornahme einer Unterscheidung durch den Gesetzgeber, d. h. aus den Tatbestandsmerkmalen einer Regelung, ergibt. Dabei muß - parallel zu der Figur der mittelbaren Diskriminierung - als Differenzierungskriterium auch nicht unbedingt explizit der oben beschriebene Auslandsbezug formuliert sein; es genügte ein Kriterium, das sich jedenfalls ebenso auswirkt. Problematisch ist dann allenfalls die Prüfung, ob die untersuchte Regelung inlandsbezogene Sachverhalte tatsächlich nachteilig betrifft33 • Wie die Untersuchung der Ursachen für die "umgekehrte Diskriminierung" zeigt, ist deren Reichweite damit aber noch nicht erschöpft. In den meisten Fällen beruht sie gerade nicht auf einer expliziten Differenzierung durch einen einzelnen Gesetzgeber (EG oder Mitgliedstaat), sondern auf einer partiellen Überlagerung des nationalen Rechts durch das Gemeinschaftsrecht. Zwar könnte man argumentieren, daß im konkreten Einzelfall doch nur ein einziger Hoheitsträger handelt, nämlich der Mitgliedstaat, der in einem Fall einem Inländer einen Nachteil auferlegt, in einem anderen Fall einen Ausländer wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts von diesem Nachteil entbindet. Dennoch resultieren diese Unterschiede in der Rechtslage zwischen Fällen mit Inlands- und Auslandsbezug aus dem Zusammenwirken zweier Rechtsordnungen, der EG-Rechtsordnung und der jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung 34 • 3\ Hammerl, S. 25; im Sinne einer Unterscheidung zwischen einern und mehreren Hoheitsträgern unterworfenen Personen Wesser, S. 30. 32 So bei Hammerl, S. 27. 33 Mit Hinweis auf diese Problematik beim "Normalfall" der Ausländerdiskriminierung: Bleckmann, RIW 1985,917. 34 Schöne, RIW 1989,450,453; Bleckmann, NJW 1985,2856, 2860.

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§ 3 Besondere Begriffsbildungen

Dabei ergibt sich - unter der Prämisse einer Beschränkung der Grundfreiheiten auf grenzüberschreitende Sachverhalte - folgendes Problem: Einerseits unterliegt der Mitgliedstaat - als möglicher Adressat eines gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbotes - für In- und Auslandssachverhalte verschiedenen Maßstäben. Für Sachverhalte mit Auslandsbezug hat er die (vorrangig anwendbaren) Bestimmungen über die Grundfreiheiten zu beachten, für solche mit Inlandsbezug gilt nur das nationale Recht. Insofern treffen hier zwei verschiedene Regelungssphären aufeinander. Andererseits impliziert die Verwendung des Begriffs der ,,(umgekehrten) Diskriminierung" wegen seines Vergleichscharakters für In- und Auslandssachverhalte aber einen einheitlichen Maßstab. Die Auflösung dieses Problems kann nur darin bestehen, den Vergleich nicht auf die abstrakte rechtliche Behandlung der Vergleichsgruppen abzustellen, sondern auf deren tatsächliche Situation. Insofern müßte dann bereits in jeder faktischen Ungleichheit, respektive Wettbewerbsverzerrung, eine Diskriminierung zu sehen sein. 3. Vergleichsrichtung Schließlich setzt die Erfassung der "umgekehrten Diskriminierungen" einen symmetrischen Diskriminierungsbegriff voraus. Diskriminierungsverbote müssen beidseitig wirken und dürfen nicht nur die SchlechtersteIlung einer der beiden Vergleichsgruppen untersagen. Anders gewendet müssen die einer Vergleichsgruppe angehörenden Personen auch durch das Diskriminierungsverbot berechtigt sein. Die mit den Sachverhalten mit Auslandsbezug verglichenen Inlandssachverhalte dürfen daher nicht nur Vergleichsmaßstab sein, sondern der Diskriminierungsbegriff muß auch deren Behandlung im Vergleich der Auslandssachverhalte umfassen. Begriffslogisch sind Differenzierungen bzw. Ungleichbehandlungen ohnehin in beide Richtungen möglich. Welche der relevanten Vergleichsgruppen durch eine Maßnahme besser oder schlechter gestellt wird, ist für das Merkmal der Ungleichheit selbst noch ohne Bedeutung. Eine Asymmetrie des Diskriminierungsbegriffs im Sinne der bloßen Erfassung der Schlechterbehandlung einer Vergleichsgruppe kann daher nur dadurch zustande kommen, daß Wertungselemente aus dem jeweiligen Regelungskontext (hier: Zweck der Grundfreiheiten) in den Begriff eingebracht würden. Der Begriff hätte dann aber eine vom herkömmlichen Verständnis des Gleichheitssatzes abweichende Struktur35 • Die Problematik steht und fallt daher mit der Prämisse der Grundfreiheiten, ihr sachlicher Anwendungsbereich erstrecke sich nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Für Art. 12 EGV wird in der Literatur vielfach ein derartiger symmetrischer Diskriminierungsbegriffvertreten 36 , wobei die Lösung des Problems der "umgekehrten 35 Bleckmann, RIW 1985, 917 f. Zudem legt zumindest der Wortlaut zahlreicher Diskriminierungsverbote (wie z. B. Art. 90 Abs. 1 oder Art. 50 Abs. 3 EGV) eine solche Auslegung nahe. 36 Feige, S.48; Bode, S. 300f.; Schöne, RIW, 450, 453; Weis, NJW 1983,2721, 2723f.; sowie Reitmaier, S. 29, mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

B. "Umgekehrte Diskriminierung" oder "Inländerdiskriminierung"

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Diskriminierungen" dann freilich daran scheitert, daß die - spezielleren - Grundfreiheiten als "besondere Bestimmungen" die Anwendung dieser Norm ausschließen 37 • Auch bei Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV fehlen die Anhaltspunkte für eine asymmetrische Auslegung 38 • Hinsichtlich der Grundfreiheiten wird auf die Problematik hingegen noch zurückzukommen sein.

37 Teilweise wird auch damit argumentiert, daß die Gemeinschaft sonst über den Hebel des Art. 12 EGV unzulässig ihre Kompetenzen in den innerstaatlichen Bereich hinein erweitern könnte, vgl. Weis, NJW 1983, 2721, 2723 - a.A. Bleckmann, RIW 1985,917,921. 38 Bleckmann, RIW 1985,917,919.

6 Plötscher

Teil 2

Begriffsanalyse im Rahmen einzelner Diskriminierungsverbote Wie bereits erwähnt, enthält das Gemeinschaftsrecht unzählige Normen, die sich mit dem Oberbegriff des Diskriminierungsverbots kategorisieren lassen. Eine Darstellung aller dieser Vorschriften würde jedoch den Umfang der vorliegenden Arbeit bei weitem sprengen und würde auch nicht dem Ziel, Struktur und Gehalt des Diskriminierungsbegriffs auf die wesentlichen Elemente zurückzuführen, gerecht. Die folgende Untersuchung beschränkt sich daher auf die wichtigsten Normen des EGV als (verbindliches) Primärrecht. Soweit aus Normen des Sekundärrechts zusätzliche Erkenntnisse folgen, werden diese im Rahmen der zugehörigen primärrechtlichen Vorschriften diskutiert, deren Ausgestaltung sie bilden. Nicht weiter behandelt werden hingegen die Normen des EGKSV sowie die Grundrechte-Charta der EU.

§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote Wie im vorangegangenen Grundlagenteil dargestellt, sind allgemeine und besondere Diskriminierungsverbote zu unterscheiden. Im Gegensatz zu den letzteren basieren die allgemeinen Diskriminierungsverbote, deren wichtigste Beispiele in Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV sowie in Art. 81 Abs. 1 lit. d bzw. Art. 82 Abs. 2 lit. c EGV zu finden sind, nicht auf der Nennung eines bestimmten verbotenen Differenzierungskriteriums, sondern beziehen sich ganz allgemein auf die "Gleichbehandlung von Vergleichbarem" 1, ohne eine spezifische Vergleichsgruppenbildung vorzugeben. Diese Normen sind daher strukturell mit dem allgemeinen Gleichheitssatz identisch 2, so daß die Bezeichnung "Diskriminierungsverbot" insofern etwas irreführend ist. Besonders in der Rechtsprechung zu Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV kommt diese Strukturidentität deutlich zum Ausdruck, wenn der EuGH dort seit der Entscheidung Ruckdeschel in ständiger Rechtsprechung wiederholt, diese Vorschrift sei I Vgl. für Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV: EuGH, Rs. C-354/95, National Farmers' Union, Slg. 1997,1-4559, Rn. 61; Rs. C-56/94, SCAC, Slg. 1995, 1-1769, Rn. 27; Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994,1-4973, Rn.67; für Art. 81 f. EGV folgt die allgemeine Struktur bereits aus dem Wortlaut; vgl. für die weitgehend ähnlichen Diskriminierungsverbote im Montanunionsvertrag: Zerr, S.4 ff., 7 ff. 2 Ähnlich auch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 22.

A. Das Verbot des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV

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"spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes" , der zu den elementaren Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehöre 3 • Umgekehrt zieht der Gerichtshof selbst in Entscheidungen, die überhaupt nicht den Agrarmarkt betreffen, Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV als Anknüpfungspunkt zur Herleitung des Gleichheitssatzes als allgemeinen Rechtsgrundsatz heran 4 • Da jedoch Gegenstand der vorliegenden Arbeit vorrangig die Beschäftigung mit dem Diskriminierungsbegriff sein soll, kann auf Fragen des darüber hinausgehenden allgemeinen Gleichheitssatzes nur begrenzt eingegangen werden. So sind die Besonderheiten der Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV und Art. 81 Abs. Ilit. d bzw. Art. 82 Abs. 2 lit. c EGV in diesem Zusammenhang nur insoweit zu erörtern, als die dort enthaltenen Strukturelemente Ansatzpunkte auch für den Diskriminierungsbegriff bieten können.

A. Das Verbot des Art. 34 Abs.2 UAbs.2 EGV Bemerkenswerterweise ist nun gerade Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV dennoch eine der wenigen Vorschriften des EGV, in denen der Terminus "Diskriminierung" explizit im Wortlaut genannt wird. Danach ist bei der Verfolgung agrarpolitischer Zielsetzungen "jede Diskriminierung zwischen Erzeugern oder Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft auszuschließen". Wie sich aus dem Regelungszusammenhang ergibt, ist dieses Verbot hier nur ein Teil der mit der Gemeinsamen Agrarpolitik verfolgten Ziele und Grundsätze. Insofern kommt der Vorschrift nicht gleichzeitig die Funktion der Eingrenzung eines gesamten Regelungskomplexes zu, wie dies z. B. bei Art. 141 EGV der Fall ist. Demzufolge muß eine Auslegung auch nicht zwingend mit der Zielsetzung erfolgen, sämtliche der Gemeinsamen Agrarpolitik zuwiderlaufende Konstellationen zu erfassen. Gleichwohl ändert dies nichts daran, daß Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV eine der Zentralvorschriften der Gemeinsamen Agrarpolitik darstellt und daher in der Rechtsprechung auch breiten Raum einnimmt5• 3 Std. Rspr. seit EuGH, verb. Rs. 117n6 u. 16n7, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Rn. 7; verb. Rs. I 24n6 u. 20n7, Moulins et Huileries de Pont-a-Mousson und Providence agricole de la Champagne, Slg. 1977, 1795, Rn. 16; Rs. 125n7, Koninklijke Scholten-HonigIHoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Slg. 1978, 1991, Rn. 25/27; verb. Rs. 103 u. 145n7, Royal Schulten-Honig und Tunnel Refineries, Slg. 1978,2037, Rn. 26; Rs. C-56/94, SCAC, Slg. 1995,1-1769, Rn. 27. 4 Vgl. z.B. EuGH, Rs. C-309/89, CordorniulRat, Slg. 1994,1-1853, Rn. 24ff.; verb.Rs.201 u. 202/85, KlenschlStaatsminister für Landwirtschaft und Weinbau, Slg. 1986, 3477, Rn. 9; verb. Rs. C-267 bis C-285/88, WuidartlLaiterie cooperative, Slg. 1990,1-435, Rn. 13; ebenso Pernice, in: Grabitz/Hilf, Art. 164 EGV, Rn. 52; Mohn, S.16; Zuleeg, FS Börner, S.473, 476f.; Schilling, RIW 1987, 140; KingreenlStörmer, EuR 1998,263,284. 5 GilsdorflPriebe, in: Grabitz/Hilf, Art. 40, Rn. 71; der EuGH selbst bezeichnet die Vorschrift als eines der Grundprinzipien des EGV: so EuGH, Rs. 8n8, Milac/Hauptzollamt Freiburg, Slg. 1978, 1721, Rn. 18.

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote

Bereits aus ihrem Wortlaut ergibt sich die Einordnung als allgemeines Diskriminierungsverbot. Ein verbotenes Differenzierungskriterium - wie für besondere Diskriminierungsverbote typisch - wird nicht genannt. Ebensowenig finden sich im Wortlaut Hinweise auf die zu bildenden Vergleichsgruppen, aus denen ein solches verbotenes Kriterium dann als tertium comparationis abgeleitet werden könnte. Vielmehr will die insofern strukturoffene Vorschrift "jede Diskriminierung" erfassen. Auch die Beifügung "zwischen Verbrauchern oder Erzeugern" gibt die Vergleichsgruppen nicht vor. Wenn diesen beiden Personengruppen die Eigenschaft als Vergleichs gruppen hätte zukommen sollen, so hätte die Formulierung "Diskriminierung zwischen Verbrauchern und Erzeugern" lauten müssen. Demzufolge beschreibt diese Formulierung lediglich den Vergleichsraum, d. h. die Gruppe von Sachverhalten, innerhalb derer eine Diskriminierung vorliegen muß. Ein Interessenausgleich zwischen den beiden Gruppen ist demgegenüber Gegenstand der Regelung des Art. 33 EGV und wird von vornherein nicht vom Anwendungsbereich des hier betrachteten Diskriminierungsverbotes erfaßt 6• Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung ist die vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung gebrauchte Umschreibung, wonach der in Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV enthaltene Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet, daß "vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden, es sein denn, eine unterschiedliche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt" 7. Teilweise bezieht der EuGH aber auch die umgekehrte Formulierung mit ein und sieht eine Diskriminierung dann als gegeben an, wenn "gleiche Sachverhalte ungleich oder ungleiche Sachverhalte gleich behandelt werden"8. Zu unterscheiden sind somit die Elemente der Vergleichbarkeit, der Ungleichbehandlung und der Rechtfertigung.

I. Vergleichstatbestand 1. Vergleichsraum

a) Erzeuger und Verbraucher Als begünstigen Personenkreis nennt Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV die Gruppen der Erzeuger und Verbraucher, innerhalb derer jeweils eine Gleichbehandlung vor6 EuGH, Rs. 5/73, Balkan, SIg. 1973, 1091, Rn. 26; GilsdorflPriebe, in: Grabitz/Hilf, Art. 40, Rn. 76. 7 EuGH, Rs.245/81, Edeka/Bundesamt, SIg. 1982,2745, Rn.ll m. w.N.; Rs.15/83, Denkavit Nederland/Hoojdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, SIg. 1984, 2171, Rn. 22; verb. Rs. 279, 280, 285 u. 286/84, Rau u. a.lRat und Kommission, SIg. 1987, 1069, Rn. 28; verb. Rs. C-267 bis C-285/88, Wuidart/Laiterie cooperative, Sig. 1990, 1-435, Rn. 13; Rs. 125n7, Koninklijke Scholten-Honig/Hoojdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, SIg. 1978,1991, Rn. 25/27. 8 So z. B. in EuGH, Rs. 8/82, WagnerlBALM, SIg. 1983,371, Rn. 18; Rs. 283/83, Racke/ Hauptzollamt Mainz, SIg. 1984,3791, Rn.7.

A. Das Verbot des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV

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geschrieben ist. Damit ist zwar - wie dargelegt - noch keine Aussage über die Vergleichsgruppen getroffen, wohl aber wird der Vergleichsraum eingegrenzt. Eine Maßnahme muß daher, um von Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV erfaßt zu sein, grundsätzlich zwischen Erzeugern und Erzeugern oder zwischen Verbrauchern und Verbrauchern differenzieren. Dabei nimmt der EuGH eine äußerst extensive Auslegung vor. Vor allem der Begriff des "Verbrauchers" hat eine starke Ausdehnung in den Bereich der Zwischenhandelsstufen hinein erfahren, wobei insbesondere auch Produktimporteure erfaßt sind 9• In den Vergleichsraum ebenfalls eingeschlossen sind Personen auf der Verarbeitungsstufe. In der Rechtssache Ruckdeschel stellte der EuGH diesbezüglich zwar noch fest, daß das Diskriminierungsverbot primär die Situation zwischen den Erzeugern des gleichen Produktes erfasse, hingegen nicht mit der gleichen Deutlichkeit auf die Beziehungen zwischen verschiedenen Handelsund Gewerbezweigen im Bereich landwirtschaftlicher Verarbeitungserzeugnisse ziele 10. Doch sah er in einer späteren Entscheidung auch Ungleichbehandlungen unter Getreideverarbeitern als grundsätzlich von Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV erfaßt an 11 . Hintergrund und Leitbild dieser extensiven Rechtsprechung ist ein gewisser "Grundsatz der Gleichbehandlung aller Marktbürger" , eine Vorstellung, die mit dem herkömmlichen Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes übereinstimmt. b) Erzeugnisse?

Aus dem Wortlaut des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV folgt zunächst, daß der für die Prüfung des Diskriminierungsverbotes anzustellende Vergleich zwischen Personen stattzufinden hat, mit anderen Worten, daß für die Bejahung der Diskriminierung eine unterschiedliche Behandlung innerhalb eines Personenkreises feststehen muß. Fraglich ist, ob darüber hinaus auch eine Ungleichbehandlung von Erzeugnissen erfaßt ist. Zwar lassen sich Anhaltspunkte für eine solche Auslegung zumindest in Art. 34 Abs. 3 EGV finden, der für die gemeinsame Preispolitik gemeinsame Grundsätze und einheitliche Berechnungsmethoden vorschreibt. Diese - das Diskriminierungsverbot konkretisierende - Vorschrift knüpft mit der Preisgestaltung immerhin an eine warenbezogene Behandlung an. Andererseits steht einer Ausdehnung des Vergleichsraumes auf Erzeugnisse aber der klare Wortlaut des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV entgegen. Daher erfaßt diese Vorschrift allein personenbezogene Diskriminierungen. Gleichwohl ist eine unterschiedliche Behandlung von Erzeugnissen hier freilich nicht völlig irrelevant, zumal die einzelnen Marktteilnehmer, soweit sie sich mit diesen Erzeugnissen im Wettbewerb zueinander befinden, von einer solchen Regelung getroffen werden. Daraus folgt, daß warenbezogene Differenzierungen für das Diskriminierungsverbot allein dann relevant werden können, wenn sie in engem Zusammenhang zu den Marktteilnehmern stehen und so gleichzeitig auch zu einer EuGH, verb. Rs. C-364 u. C-365/95, T. Port, Sig. 1998,1-1023, Rn. 78 ff. EuGH, verb. Rs. 117/76 u. 16/77, Ruckdeschel, Sig. 1977, 1753, Rn. 7. 11 EuGH, Rs. 300/86, Van LandschootlMera, Sig. 1988, 3443, Rn. lOff.

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote

Diskriminierung innerhalb dieser Personengruppe führen 12. Insofern ist die "Warendiskriminierung" dann nur eine Unterform der Diskriminierung nach Art. 34 Abs. 2 UAbs.2 EGY. So stellte der EuGH beispielsweise in der Rechtssache Milac zur Begründung einer Ungleichbehandlung gerade nicht maßgeblich auf den - allein die Erzeugnisse betreffenden - Umstand der unterschiedlichen Ausgestaltung eines Erstattungssystems ab, sondern argumentierte mit dem Marktpreis, der sich aus der Regelung ergab, und untersuchte die tatsächlichen Folgen für den Absatz der Produkte 13 • Der Sache nach liegt hierin eine Betrachtung der Wettbewerbs situation auf Erzeuger- bzw. Verbraucherebene. Im Ergebnis kommt es daher letztendlich doch allein auf einen Vergleich hinsichtlicht der Marktteilnehmer an. c) Beziehungen zu Drittstaaten (das Merkmal "innerhalb der Gemeinschaft")

Aufgrund des Zwecks der Sicherstellung des gemeinsamen Agrarmarktes innerhalb der EG, findet das Diskriminierungsverbot auf Außenbeziehungen keine Anwendung. Insofern ist der Vergleichsraum auf Marktteilnehmer innerhalb des EGRaumes beschränkt. Nach dem EuGH gibt es im Gemeinschaftsrecht keinen allgemeinen Grundsatz, der die Gemeinschaft verpflichtet, in ihren Außenbeziehungen die verschiedenen Drittländer in jeder Hinsicht gleich zu behandeln 14. Interessanterweise soll nun eine - im übrigen gemeinschaftsrechtskonforme - unterschiedliche Behandlung von Drittländern auch dann nicht von Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV erfaßt werden, wenn sie als zwangsläufige Folge zu einer unterschiedlichen Behandlung der Marktteilnehmer führe, die mit den Drittländern Handelsbeziehungen unterhalten 15 . Daher unterfallen z. B. ungleiche Festsetzungen von Gesamtkontingenten für Importerzeugnisse aus verschiedenen Drittstaaten dem Diskriminierungsverbot nicht 16. 2. Vergleichbarer Sachverhalt

Das Kriterium der "vergleichbaren Sachverhalte" ist im Wortlaut des Art. 34 AbS.2 UAbs. 2 EGV an sich nicht angelegt. Die Vorschrift spricht von Diskriminierungen "zwischen Erzeugern oder Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft". Wie oben bereits erwähnt, sind hier nicht Erzeuger und Verbrauch zu vergleichen, sonGilsdorflPriebe, in: GrabitzlHilf, Art. 40 EGV, Rn. 81 m. w.N. EuGH, Rs. 8n8, Milac/Hauptzollamt Freiburg, Slg. 1978, 1721, Rn.25. 14 EuGH, Rs. 245/81, Edeka/Bundesamt, Slg. 1982, 2745, Rn. 19; Rs. 52/81, Faust/Kommission, Slg. 1982,3745, Rn. 25; Rs. C-122/95, Deutschland/Rat, Slg. 1998, 1-973, Rn. 56. 15 EuGH, Rs. C-122/95, Deutschland/Rat, Slg. 1998, 1-973, Rn. 56, wobei der EuGH hier unspezifisch eine Verletzung des "allgemeinen Diskriminierungsverbotes" prüft, ohne den in der Sache einschlägigen Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV zu nennen; anders aber EuGH Rs. 52/81, Faust/Kommission, Slg. 1982,3745, Rn. 25. 16 EuGH, Rs. C-122/95, Deutschland/Rat, Slg. 1998, 1-973, Rn. 56; verb. Rs. C-364 u. C-365/95, T. Port, Slg. 1998,1-1023, Rn.75. 12

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A. Das Verbot des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV

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dem eine Ungleichbehandlung hat innerhalb einer dieser Gruppen (VerbrauchergruppelErzeugergruppe) stattzufinden 17. Dieser Aussage ließe sich nun einerseits die immanente Wertung entnehmen, alle Angehörigen der jeweiligen Gruppe befänden sich in derselben Situation und seien daher gleich zu behandeln. Demzufolge wäre das Element der "Vergleichbarkeit" sowie dessen Inhalt durch Art. 34 EGV bereits vorgegeben. Andererseits kann man die Nennung der "Erzeuger oder Verbraucher" auch als - insofern wertungsfreie - Festlegung des Anwendungsbereichs der Vorschrift bzw. des Vergleichsraumes auffassen. Hier bliebe dann noch Raum für eine weitere Wertung im Sinne einer allgemeinen - d. h. dem allgemeinen Gleichheitssatz entnommenen - Voraussetzung "vergleichbarer Sachverhalte". Im ersten Fall würde z. B. die einfache Ungleichbehandlung von einem Teil der Verbraucher gegenüber einem anderen Teil der Verbraucher für eine Diskriminierung genügen, während im anderen Fall sich die Verbraucher zusätzlich noch in "vergleichbarer Lage" befinden müßten.

a) AufMarktteilnehmer bezogene Regelungen Die hauptsächliche Schwierigkeit mit der Rechtsprechung in diesem Bereich ist, daß der EuGH - von seiner stereotypen Formel im Obersatz abgesehen - an keiner Stelle das Kriterium der "Vergleichbarkeit" explizit erwähnt. Vielmehr schließt er an die Feststellung einer Ungleichbehandlung innerhalb der Marktteilnehmer stets unmittelbar Ausführungen unter dem Gesichtspunkt der "objektiven Rechtfertigung" an. Dennoch entsprechen die Ausführungen in der Sache dann zumindest zum Teil einer Vergleichbarkeitsprüfung. Im Fall einer Befreiung getreideverarbeitender Betriebe von einer bestimmen Abgabe, wenn diese im eigenen Betrieb produziertes Getreide verarbeiten und auch verfüttern, sah der EuGH die darin liegende Ungleichbehandlung gegenüber industriellen Getreideverarbeitern zwar grundsätzlich durch Zwecke der Marktregulierung gerechtfertigt. Doch sei eine derartige Benachteiligung eines Industriebetriebes dann unzulässig, wenn das von ihm verarbeitete Getreide - ebenfalls zum Zwekke der Verfütterung - wieder an den Erzeuger zurückgelange, da auch dann der Markt nicht belastet werde l8 • Der EuGH verneinte daher die Rechtfertigung. Der Sache nach läßt sich dieses Argument aber auch mit einer Vergleichbarkeitsbetrachtung in Hinblick auf den Verarbeitungszweck (Verfütterung oder Verkauf) erfassen. In der Rechtsprechung zur Kontingentregelung der Bananenmarktordnung, die eine Ungleichbehandlung von Importeuren betraf, prüft der EuGH ebenfalls nicht ausdrücklich, ob diese sich in vergleichbaren Situationen befanden. Doch setzt er sich ausführlich mit dem Argument auseinander, daß die Ungleichbehandlung dem 17 18

So ausdrücklich EuGH, Rs. 5/73, Balkan, Slg. 1973, 1091, Rn.26. EuGH, Rs. 300/86, Van LandschootlMera, Slg. 1988, 3443, Rn. 11 ff.

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote

Ausgleich eines bestehenden Ungleichgewichts zwischen den Gruppen dient, das durch die Einführung der gemeinsamen Marktorganisation für Bananen geschaffen wurde. Obwohl der EuGH dies ausdrücklich unter dem Gesichtpunkt der "objektiven Rechtfertigung" prüft l9 , läßt sich hieraus auch die Anerkennung eines "Vergleichbarkeitserfordernisses" schließen. Besteht nämlich ein auszugleichendes Ungleichgewicht zwischen den Importeuren, so ist deren Lage auch nicht vergleichbar. Die Wertung, weshalb ein Bedürfnis zur Ausgleichung bestand, entnahm der EuGH richtigerweise den Zielsetzungen der Marktorganisation 20 • b) Warenbezogene Regelungen Deutlicher ist die Rechtsprechung im Bereich der warenbezogenen Regelungen. Hier verlangt der EuGH regelmäßig, daß die betroffenen Waren in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen 21 • Dies ist aber nur möglich, wenn sich beide Erzeugnisse auf demselben Markt befinden, was voraussetzt, daß diese "vergleichbar" sind. Hierbei greift der EuGH auf Kriterien der Substituierbarkeit und Komplementarität zurück. So stellte er im Fall Ruckdeschel hinsichtlich der Ungleichbehandlung bei Erstattungen für Mais, je nachdem ob er zu Stärke oder Quellmehl verarbeitet wurde, darauf ab, ob beide Erzeugnisse in ihrer spezifischen Verwendung austauschbar sind 22 • Wäre dies der Fall, so würde sich die Begünstigung eines Erzeugnisses unmittelbar auf den Absatz des anderen Erzeugnisses auswirken und dessen Erzeuger benachteiligen. Insofern ergibt sich die Vergleichbarkeit der Sachverhalte aus der unmittelbaren Konkurrenzsituation der betroffenen Erzeugnisse und damit der hinter ihnen stehenden Erzeuger 23 • Ähnlich stellt der EuGH in einem anderen Fall auf die Austauschbarkeit und damit das Wettbewerbs verhältnis von Isoglukose und anderen Stärkeerzeugnissen ab 24 • Anders (keine Vergleichbarkeit) scheint der EuGH dies hingegen zu sehen, wenn durch die unterschiedliche Behandlung zweier Erzeugnisse erst der Anreiz für eine Substitution des einen Erzeugnisses durch das andere erzeugt wird. Dies zeige nämlich, daß ohne diese Maßnahme ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Waren gerade nicht bestehe. Daher reiche der Nachweis, eine Ungleichbehandlung führe erst \9 EuGH, Rs. C-122/95, Deutschland/Rat, Slg. 1998, 1-973, Rn. 62; verb. Rs. C-364 u. C-365/95, T. Port, Slg. 1998,1-1023, Rn.8I. 20 EuGH, Rs. C-122/95, Deutschland/Rat, Slg. 1998, 1-973, Rn. 64. 2\ So in EuGH, Rs. 8/78, Milac/Hauptzollamt Freiburg, Slg. 1978, 1721, Rn. 26. 22 EuGH, verb. Rs. 117/76 u. 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Rn.8. 23 Ähnlich EuGH, Rs. 8/78, Milac/Hauptzollamt Freiburg, Slg. 1978, 1721, Rn. 26. 24 EuGH, Rs. 125/77, Koninklijke Scholten-HoniglHoojdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Slg. 1978, 1991, Rn. 29/32; vgl. auch die Ausführungen von GA Mayras in Rs. 43/72, Merkur/Kommission, Slg. 1973,1055,1089 bezüglich der (dort fehlenden) Austauschbarkeit hinsichtlich Ausgleichsbeträgen unterschiedlich behandelter Erzeugnisse.

A. Das Verbot des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV

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zur Substitution, für die Bejahung einer Diskriminierung nach Art. 34 Abs. 2 UAbs.2 EGV nicht aus 25 •

11. Ungleichbehandlung 1. Differenzierungen

Da Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV nur allgemein von "Diskriminierung" spricht, ist das darin enthaltene Element der Ungleich behandlung näher zu beleuchten. Fest steht nur - wie soeben gesehen -, daß eine Unterscheidung innerhalb der Gruppe der Erzeuger oder der Gruppe der Verbraucher stattfinden muß. Entlang welcher Grenzlinie diese Unterscheidung zu erfolgen hat, ist durch Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV als allgemeines Diskriminierungsverbot nicht weiter vorgegeben. Die Vorschrift enthält gerade keine verbotenen Differenzierungskriterien. So hat der EuGH auch Ungleichbehandlungen aufgrund der unterschiedlichsten Anknüpfungspunkte dem Verbot unterstellt, wie z. B. Diskriminierungen nach der nationalen Zugehörigkeit oder der Belegenheit eines Betriebes 26 • Sicherlich unproblematisch sind dabei die Fälle, in denen eine Marktregelung bereits tatbestandliehe Differenzierungen innerhalb der Gruppe der Erzeuger oder Verbraucher, d. h. innerhalb des Vergleichsraumes, vornimmt. Derartige Fälle sind in der Rechtsprechung eher selten, wie z. B. eine zwischen Getreideverarbeitern danach differenzierende Regelung, ob sie eigene Erzeugnisse oder in industrieller Weise Fremderzeugnisse verarbeiten 27. Einen relativ typischen Fall betrafen aber die Entscheidungen zur Bananenmarktordnung, die den Händlern für Bananen, die aus Ländern außerhalb der AKP-Staaten stammen, gewisse Einfuhrkontingente aufgrund von Referenzjahren zuteilte. Diese Regelung knüpft Rechtsfolgen unmittelbar an die Person des Marktteilnehmers (Importeur) bzw. sein Verhalten (Importaktivität in den Vorjahren). Einem Teil der Importeure wird die Einfuhr einer höheren Menge Drittlandsbananen erlaubt als einem anderen Teil bzw. ein Teil muß Ausfuhrlizenzen des Herkunftslandes nachweisen, während dies einem anderen Teil erlassen ist. Hier spricht der EuGH auch ausdrücklich von einer (offenkundigen) Ungleichbehandlung von Marktbeteiligten 28 • Nicht anerkannt hat der EuGH aber wohl das Abstellen auf eine faktische Gleichheit. In dem bereits erwähnten Fall einer Abgabe für Getreideverarbeitungsbetriebe, von der solche Betriebe ausgenommen waren, die das Getreide selbst herstellten und wieder verfütterten, wollte Generalanwalt Darmon bereits eine UngleichbeEuGH, Rs. 8/78, Milac!Hauptzollamt Freiburg, Slg. 1978, 1721, Rn. 26. EuGH, a.a.O., Rn. 18. 27 EuGH, Rs. 300/86, Van Landschoot/Mera, Slg. 1988,3443, Rn. 10. 28 EuGH, Rs. C-122/95, Deutschland/Rat, Slg. 1998,1-973, Rn. 61,63; verb. Rs. C-364 u. C-365/95, T. Port, Slg. 1998, 1-1023, Rn. 80. 25

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote

handlung unter den Verarbeitern ablehnen, da diese die mit der Abgabe verbundene finanzielle Belastung ohnehin auf die Erzeuger abwälzten und so die Abgabenlast nicht selbst trügen 29 • Diese auf das faktische Ergebnis gerichtete Sichtweise hat der EuGH aber nicht aufgegriffen, sondern eine Ungleichbehandlung bejaht 30 • Wesentlich größeren Raum nehmen in der Rechtsprechung diejenigen Fälle ein, in denen eine Marktregelung bestimmte Vergünstigungen oder Belastungen an verschiedene Erzeugnisse knüpft. Wie bereits dargelegt, kann sich die Ungleichbehandlung unter den Erzeugern oder Verbrauchern auch aus solchen, die verschiedenen Erzeugnisse betreffenden Regelungen ergeben. Der EuGH hat diesbezüglich festgestellt, daß der diskriminierende Effekt anhand tatsächlicher Umstände auf der Ebene der Erzeuger oder der Verbraucher konkret nachgewiesen werden muß. Rein theoretische Überlegungen oder gar Typisierungen reichen hierzu nicht aus. So ist nach der Entscheidung Milac zur Feststellung, ob ein differenzierend ausgestaltetes Erstattungssystem zu Benachteiligungen auf der Erzeuger- bzw. Verbraucherebene führt, konkret auf vorgelegte Statistiken zurückzugreifen 3 ]. Zudem setzt der EuGH in einigen Entscheidungen auch ausdrücklich voraus, daß unterschiedliche Situationen innerhalb der verglichenen Personengruppe der Gemeinschaft als Adressatin des Diskriminierungsverbot zuzurechnen sind. So hatte er im Fall Merkur über Ungleichheiten zwischen Exporteuren verschiedener Mitgliedstaaten hinsichtlich bestimmter Exportausgleichszahlungen zu entscheiden, die daher rührten, daß ein Mitgliedstaat die Bandbreiten für die Wechselkurse seiner Währung im damaligen EWS veränderte. Hier lehnte der EuGH eine Diskriminierung mit der Begründung ab, die durch die veränderten Wechselkurse entstandenen Ungleichheiten seien allein auf die Entscheidung eines Mitgliedstaates zurückzuführen, nicht aber auf ein Eingreifen der Gemeinschaft 32 •

2. Gleichbehandlung von Ungleichem?

Wie bereits angedeutet, bezieht der EuGH in einigen Urteilen eine "Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte" in die Umschreibung des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV ein 33 • Dem Wortlaut nach wäre dann bei fehlender Vergleichbarkeit eine Differenzierung nicht nur erlaubt, sondern auch geboten. Fraglich ist jedoch, ob dieser "Erweiterung" überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt, da in der Rechtsprechung zumindest noch kein Fall bekannt wurde, in der eine derartige unzulässiGA Darmon, Rs. 300/86, Van Landschoot/Mera, Sig. 1988,3443,3454 Tz. 7. EuGH Rs. 300/86, Van Landschoot/Mera, Slg. 1988,3443, Rn. IOff.; hier prüft der EuGH unmittelbar die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, so daß er diese - inzident - bejaht (vgl. auch Rn. 19 ff.). 3\ EuGH, Rs.8/78, MilaclHauptzollamt Freiburg, Sig. 1978, 1721, Rn.25. 32 EuGH, Rs.43/72, Merkur/Kommission, Sig. 1973,1055, 19f. 33 So z.B. in EuGH, Rs.8/82, Wagner/BALM, Sig. 1983,371, Rn. 18. 29

30

A. Das Verbot des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV

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ge Gleichbehandlung angenommen worden wäre 34 • Teilweise liegt dies bereits daran, daß der EuGH dem Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlaß agrarpolitischer Maßnahmen einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum einräumt. Dieser könne durchaus gewisse Typisierungen vornehmen und müsse nicht die Besonderheiten jedes einzelnen Unternehmens berücksichtigen 35 • Doch hat diese Bedeutungslosigkeit der "zweiten Alternative" des Gleichheitssatzes auch logische Gründe. So läßt sich jeder Fall der "Gleichbehandlung" zweier Sachverhalte im Wege der Veränderung des Vergleichspunktes, d. h. der verglichenen Behandlung, bzw. der Bildung anderer Vergleichsgruppen auch als ein Fall der "Ungleichbehandlung" darstellen. Insofern liegt in jeder (unzulässigen) Gleichbehandlung auf anderer Ebene wieder eine Ungleichbehandlung. Wird nämlich ein vorbestehender Unterschied zwischen zwei Sachverhalten in einem Merkmal M (verbotenerweise) nicht berücksichtigt, so mag zwar formal im Hinblick auf die Rechtsfolge Reine Gleichbehandlung vorliegen. Bezogen auf die mit dem Merkmal verbundene Rechtsfolge (M ? R) folgt hieraus hingegen eine Ungleichbehandlung. Illustrieren läßt sich dies an dem oben dargestellten 36 Fall der Abgabenbefreiung für selbst produziertes und verfüttertes Getreide. Hier lag einerseits eine Ungleichbehandlung gegenüber industriell verarbeitetem Getreide vor, andererseits aber auch - wegen Nichtberücksichtigung eventueller nachträglicher Verfütterung - eine (unzulässige) Gleichbehandlung innerhalb des Industriegetreides. Der EuGH stellte hingegen ausdrücklich nur auf die "unterschiedliche Behandlung" (in bezug auf die Verfütterung) ab und löste den Fall auf der Rechtfertigungsebene 37 • Auch in dem - z. T. als Beispiel für eine unzulässige Gleichbehandlung angeführten 38 - Fall Stölting führt der EuGH zwar in einem obiter dictum aus, daß die Nichtanwendung der (differenzierend ausgestalteten) sog. "grünen" Umrechungskurse auf die sog. Mitverantwortungsabgabe für Milcherzeuger (unzulässigerweise) selbst eine Diskriminierung begründen könnte 39 • Doch geht es dort - wie die Ausführungen erkennen lassen - um den Gesamtzusammenhang dieses Urnrechnungssystems, d. h. seine Geltung sowohl für die Preisfestsetzung (Richt- oder Interventionspreis) als auch für die Abgabenbemessung. Somit meint der EuGH mit "Diskriminierung" hier eine uneinheitliche Anwendung dieses Systems und demzufolge gerade eine Ungleichbehandlung 4o • 34 Kortelvan Rijn, in: GTE, Art. 40, Rn. 46; GilsdorJI Priebe, in: Grabitz/Hilf, Art. 40 EGV, Rn. 89. 35 EuGH, Rs. 139/79, MaizenalRat, Slg. 1980, 3393, Rn. 30; ähnlich Rs.43/72, Merkurl Kommission, Sig. 1973, 1055, Rn.23. 36 Siehe § 4 A. 11. 1. 37 EuGH, Rs. 300/86, Van LandschootlMera, Slg. 1988,3443, Rn. 12 f. 38 So GilsdorflPriebe, in: Grabitz/Hilf, Art.40 EGV, Rn. 89. 39 EuGH, Rs. 138/78, StöltinglHauptzollamt Hamburg-Jonas, Sig. 1979,713, Rn. 11. 40 Eine ähnliche Konstellation in bezug auf die Umrechungskurse für den in ECU ausgedrückten Zolltarif betraf EuGH, Rs.283/83, RackelHauptzollamt Mainz, Sig. 1984, 3791, Rn.7f.

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote

Insgesamt ist daher zu vermuten, daß hier der "Gleichbehandlung von unvergleichbaren Sachverhalten" keine eigenständige Bedeutung zukommt.

III. Rechtfertigung Der vom EuGH für das Diskriminierungsverbot nach Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV formulierte Obersatz enthält stets die Einschränkung, "es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre"41. Hieran schließen sich sogleich zwei Fragen an. Zum einen ist zu klären, ob diesem Rechtfertigungselement neben dem vom EuGH so sehr betonten Kriterium der "Vergleichbarkeit" überhaupt noch Bedeutung zukommt. Zum anderen ist der Maßstab für die Rechtfertigungsprüfung zu klären.

1. Bedeutung des Rechtfertigungselements

Dem Wortlaut seines Obersatzes nach scheint der EuGH zwischen dem Kriterium der Vergleichbarkeit und dem der Rechtfertigung zu differenzieren. Ob hierin auch ein Unterschied in der Sache liegt, wird in der Rechtsprechung nicht immer ganz klar. Jedenfalls ist eine Trennung der beiden Kriterien um so schwieriger, je stärker man das Diskriminierungsverbot nach Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV einem Willkürverbot annähert. So liegt dann in einer Unvergleichbarkeit von Sachverhalten stets auch ein sachlicher Grund für deren Ungleichbehandlung und umgekehrt. Geradezu exemplarisch sind die Ausführungen im Urteil Racke, wenn der EuGH dort fragt, "ob die Anwendung eines unterschiedlichen Wechselkurses [... ] durch die Unterschiedlichkeit der Sachverhalt gerechtfertigt ist"42. Bestärkt wird dieser Befund noch durch einige Entscheidungen, in denen der Gerichtshof das Vorliegen einer Diskriminierung ausdrücklich von einem willkürlichen Verhalten abhängig machen will 43 oder allein wegen "objektiver Unterschiede" zwischen den verglichenen Sachverhalten verneint 44 • Auch die Bezeichnung des Art. 34 Abs.2 UAbs. 2 EGV als "spezifischen Ausdruck des Gleichheitssatzes" spricht für eine reine Willkürbetrachtung, wonach der sachliche Unterscheidungsgrund in einer Ungleichheit der Sachverhalte zu su41 Vgl. z. B. EuGH, verb. Rs. 117/76 u. 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Rn. 7; Rs. C-56/94, SCAC, Slg. 1995,1-1769, Rn. 27; Rs. 125/77, Koninklijke Scholten-Honig/Hoojdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Slg. 1978, 1991, Rn. 25/27; Rs.3OO/86, Van Landschoot/Mera, Sig. 1988,3443, Rn. 9. 42 EuGH, Rs. 283/83, Racke/Hauptzollamt Mainz, Sig. 1984,3791, Rn.7. 43 EuGH, Rs.43/72, Merkur/Kommission, Slg. 1973, 1055, Rn. 22; Rs. 139/77, Denkavit/Finanzamt Warendorf, Slg. 1978, 1317, Rn. 15; andeutungsweise Rs.114/81, Tunnel Rejinieries/ Rat, Slg. 1982,3189, Rn.7; in Rs. 106/81, Kind/EWG, Slg. 1982,2885, Rn. 22 setzt der EuGH die Begriffe "Willkür" und "Rechtfertigung" sogar ausdrücklich gleich; vgl. auch Gilsdorjl Priebe, in: Grabitz/Hilf, Art.40 EGV, Rn. 87. 44 So in EuGH, Rs. 15/83, Denkavit Nederland/Hoojdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Slg. 1984,2171, Rn. 22.

A. Das Verbot des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV

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chen ist 45 . Im Ergebnis dürften daher die Formulierungen "nicht hinreichend objektiv gerechtfertigt" und "willkürlich" hier als synonym anzusehen sein 46 . 2. Rechtfertigungsmaßstab

Nichtsdestotrotz bietet die Erfassung der Grenzen des Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV im Wege eines Rechtfertigungselements einen klareren dogmatischen Ansatz zur Klärung des anzuwendenden Maßstabes. Im Grundsatz ist der Willkürbegriff hier nur Ausdruck des vom EuGH in diesem Zusammenhang stets betonten weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums des Gemeinschaftsgesetzgebers 47 . Sowohl in Hinblick auf die Zielwahl als auch die Zielerreichung nimmt der Gerichtshof insofern nur eine Evidenzkontrolle vor. Damit scheiden grundsätzlich nur völlig außerhalb der gemeinsamen Agrarpolitik liegende Zwecksetzungen (sachfremde Erwägungen) als Differenzierungsgrund aus. Ein fester Katalog apriori ausgeschlossener "Gründe" existiert damit nicht. Als Rechtfertigung genügt bereits, wenn die betreffende Maßnahme "auf objektiven, den Erfordernissen des gesamten Funktionierens der gemeinsamen Marktorganisation angepaßten Kriterien beruht"48, oder lediglich den wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung trägt 49 . Eine Differenzierung kann dabei sogar naturgemäß mit dem Ziel der Marktintegration verbunden sein, wenn sie in Hinblick auf unterschiedliche Ausgangspositionen vor Einführung einer gemeinsamen Marktorganisation vorgenommen wird 50 . Hinsichtlich der Zielerreichung beschränkt sich der EuGH dann oft auf eine bloße Geeignetheitsprüfung, d. h. eine Untersuchung der Deckungsgleichheit von angegebenem Ziel und vorgenommener Differenzierung. Deutlich wird dies wiederum im Fall der Abgabe für industriell verarbeitetes Getreide. Das dort zu untersuchende Unterscheidungskriterium der Verarbeitungsform (Industrie oder Eigenverbrauch) war nicht geeignet, die Zielsetzung (Entlastung der Märkte) hinreichend genau abzubilden, da es nicht berücksichtigte, daß auch industriell verarbeitetes Getreide an den Lieferanten als Futtermittel zurückgeführt werden kann und so ebenfalls keine Belastung des Marktes darstellt 51 . Eine Rechtfertigung war daher zu verneinen. 45 So GilsdorflPriebe, in: Grabitz/Hilf, Art. 40 EGV, Rn. 87.

Küchel, EuGRZ 1997, 1,5; Borchardt, in: Lenz, Art. 34, Rn. 83; Mohn, S.17; Schilling, RIW 1987, 140. 47 EuGH, Rs. 106/81, KindIEWG, Slg. 1982, 2885, Rn. 24; verb. Rs. C-267 bis C-285/88, WuidartlLaiterie cooperative, Slg. 1990,1-435, Rn. 18; Rs. 84/87, Erpelding, Slg. 1988,2647, Rn. 27; GilsdorjlPriebe, in: Grabitz/Hilf, Art. 40 EGV, Rn. 72; Küchel, EuGRZ 1997, 1,5. 48 EuGH, Rs.C-56/94, SCAC, Slg. 1995,1-1769, Rn. 28. 49 EuGH, Rs. 230/78, EridanialMinister für Landwirtschaft und Forsten, Sig. 1979,2749, Rn. 18; Rs. 139/79, MaizenalRat, Sig. 1980,3393, Rn. 30; verb. Rs. 117/76 u. 16/77, Ruckdesehel, Sig. 1977, 1753, Rn.9. 50 EuGH, verb. Rs. C-364 u. C-365195, T. Port, Sig. 1998, 1-1023, Rn. 83. 51 EuGH, Rs. 300/86, Van LandschootlMera, Sig. 1988,3443, Rn.ll ff. 46

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote

Darüber hinaus sind aber auch Ansätze zu einer umfassenderen Verhältnismäßigkeitsprüfung erkennbar52 , wobei hier freilich die Grenzen wegen des zugrundegelegten Spielraums des Gesetzgebers fließend sind. Generell sind die Ausführungen des EuGH hier umso pauschaler, je größer das "Ermessen" des handelnden Gemeinschaftsorgans ist 53 . Strenger fallen die Anforderungen insbesondere bei regionalen oder sektoralen Differenzierungen aus 54 . Hier muß die Maßnahme prinzipiell auf solchen (objektiven) Kriterien beruhen, die eine ausgewogene Verteilung der Vorund Nachteile auf die Betroffenen gewährleisten und nicht nach den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten unterscheiden 55 . Umgekehrt gebietet Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV dann aber auch nicht die völlig gleichförmige Ausgestaltung der Marktinstrumente, sondern nur, daß Vor- und Nachteile aller Wirtschaftsbeteiligten insgesamt in demselben Verhältnis stehen 56. Im übrigen genügt es aber, wenn die Zielsetzung nicht offensichtlich auch ohne oder mit einer geringeren Benachteiligung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers erreicht werden kann 5?

B. Wettbewerbsrechtliche Diskriminierungsverbote Die zweite Gruppe der hier zumindest dem Ansatz nach interessierenden allgemeinen Diskriminierungsverbote findet sich im Wettbewerbsrecht. Auch die Art. 81 Abs. 1 lit. d EGV und Art. 82 Abs. 2 lit. c EGV knüpfen ihrer Struktur nach nicht an ein bestimmtes Unterscheidungskriterium an, sondern erfassen insofern vergleichsoffen jede "Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichen Leistungen". Gleichwohl wird im Wettbewerbsrecht davon gesprochen, der EGV enthalte im Gegensatz zu Art. 4 lit. b EGKSV 58 kein "allgemeines Diskriminierungsverbot"59. Doch bezieht sich der dabei zugrunde gelegte Terminus "allgemein" nicht wie hier auf die Struktur des jeweiligen Gleichheitssatzes, sondern auf dessen personalen und sachlichen Anwendungsbereich 60 • Anders als die Vorschriften des MontanuniKritisch hierzu Herdegen, CMLR 1985,683, 686ff. Mohn, S. 18; EuGH, verb. Rs. 63 bis 69n2, Wehrhahn/Rat, Slg. 1973, 1229, Rn. 18ff.; Rs.106/81, Kind/EWG, Slg. 1982,2885, Rn. 24 f. 54 Gilsdorf/Priebe, in: GrabitzlHilf, Art. 40 EGV, Rn. 90ff.; Borchardt, in: Lenz, Art. 34 EGV,Rn.84. 55 EuGH, Rs. 153n3, Holtz & Willemsen/Rat und Kommission, Slg. 1974, 675, Rn. 13; Rs. 8n8, Milac/Hauptzollamt Freiburg, Slg. 1978, 1721, Rn. 18; Rs. 106/83, Sermide/Cassa Conguaglio Zucchero, Slg. 1984, 4209, Rn. 28; Rs.203/86, Spanien/Rat, Slg. 1988, 4563, Rn.25. 56 Borchardt, in: Lenz, Art. 34 EGV, Rn. 84. 57 So wohl EuGH, Rs. C-56/94, SCAC, Slg. 1995, 1-1769, Rn.28. 58 Vgl. hierzu Köhler, Wegbegleitende Texte, S. 103 ff.; zur Preisdiskriminierung im Bereich der Montanunion siehe auch Steindorff, RabelsZ 21 (1956), 270ff. 59 Gleiss/Hirsch, Art. 85 (1), Rn. 373; Schröter, in: GTE, Art. 85, Rn. 160. 60 Hier besteht eine Parallele zu der auch für Art. 12 EGV üblichen Umschreibung als "allgemeines Diskriminierungsverbot", die ebenfalls nur den prinzipiell uneingeschränkten Gel52 53

B. Wettbewerbsrechtliche Diskriminierungsverbote

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onsvertrages gelten die wettbewerbsrechtlichen Diskriminierungsverbote des EGV lediglich für marktbeherrschende Unternehmen sowie im Falle von Unternehmensabsprachen. Nach der hier verwendeten Terminologie handelt es sich hingegen bei allen Vorschriften um allgemeine Diskriminierungsverbote. Ähnlich wie bei Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV kommt dem Diskriminierungstatbestand dabei - im Hinblick auf den geregelten Sachbereich - bei weitem keine abschließende Funktion zu. Sowohl hinsichtlich wettbewerbswidriger Absprachen nach Art. 81 EGV als auch des Mißbrauchstatbestands nach Art. 82 EGV stellt er lediglich ein Regelbeispiel unter mehreren dar. Diese äußerst eingeschränkte Bedeutung kommt vor allem bei Art. 81 EGV zum Ausdruck. Meist wird dort nämlich einer (koordinierten) Ungleichbehandlung ein einheitlich abgesprochenes System zugrunde liegen, so daß neben dem - insofern wesentlich weiter reichenden - Art. 81 Abs. 1 lit. a EGV für den Diskriminierungstatbestand (lit. d) nur ein geringer eigenständiger Anwendungsbereich verbleiben wird 61 • Aber auch die umfassende Generalklausel des Art. 82 Abs. 1 EGV ermöglicht es grundsätzlich, das Vorliegen einer Diskriminierung nach Art. 82 Abs. 2 lit. c EGV offen zu lassen. Von Relevanz wird dies bei der umstrittenen 62 Frage nach dem Verhältnis des wettbewerbsrechtlichen Diskriminierungsverbots zu Art. 12 EGV bei Maßnahmen, die an die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz (dann mittelbare Diskriminierung nach Art. 12 EGV) des Geschäftspartners anknüpfen. Kommission und EuGH greifen hier nämlich zur Bejahung des wettbewerbsrechtlichen Verstoßes regelmäßig direkt auf die Generalklausei nach Art. 82 Abs. 1 EGV zurück 63 , ohne daher das Konkurrenzverhältnis von Art. 82 Abs. 2lit. c EGV und Art. 12 EGV wirklich lösen zu müssen. Trotz dieser vielleicht eingeschränkten Funktion umschreiben die Diskriminierungsverbote dennoch einen klassischen Fall 64 wettbewerbswidrigen Verhaltens. Ihrem Wortlaut nach enthalten sie drei Elemente: gleichwertige Leistungen, die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen gegenüber Handelspartnern sowie deren Benachteiligung im Wettbewerb. Die Struktur ist damit insofern mit der des Art. 34 Abs.2 UAbs.2 EGV bzw. der des allgemeinen Gleichheitssatzes identisch, als eine "Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte" vorausgesetzt wird. Ob die Verbote hier darüber hinaus auch eine unzulässige Gleichbehandlung erfassen, ist - ähnlich wie bei Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV - sehr streitig 65 • Richtigerweise dürfte dies tungsbereich dieser Vorschrift zum Ausdruck bringen soll (vgl. hierzu unten die Einleitung zu §5 B.). 61 Dies zeigt auch die Spruchpraxis des EuGH, der sich teilweise allein auf Art. 81 Abs. 1 Iit. a EGV stützt und die Diskriminierungsfrage dahingestellt sein läßt; vgl. z. B. EuGH, Rs. 260/82, NSO/ Kommission, Sig. 1985, 3801, Rn.42f. 62 Vgl. Schröter, in: GTE, Art. 86 EGV, Rn. 179 m. w.N. 63 Z. B. EuGH, Rs. 155n3, Sacchi, Sig. 1974,409, Rn. 16ff.; Rs.7/82, GVLlKommission, Sig. 1983,483, Rn.47, 52ff.; KOM E 71/224/EWG, GEMA I, ABI. 1971, L 134, S.15, 21; E 81/l030/EWG, GVL, ABI. 1981, L 370, S.49, 55. 64 Vgl. z. B. im deutschen Recht den parallelen § 20 GWB. 65 Gegen eine derartige Erweiterung: Canenbley, S. 119f.; Gleiss/Hirsch, Art. 85 (1), Rn. 381; ähnlich wohl auch Weij3, in: CalliesslRuffert, Art. 82, Rn. 53; Grill, in: Lenz, Art. 82,

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§ 4 Allgemeine Diskriminierungsverbote

schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschriften zu verneinen sein. Zudem ist es nicht Aufgabe der hier angesprochenen Unternehmen, bei Abwicklung ihrer privaten Geschäfte "individualisierende Gerechtigkeit" zu üben 66 • Vielmehr sind Eingriffe in deren Handlungsfreiheit ihrerseits auf das Erforderliche zu begrenzen. Voraussetzung einer Diskriminierung ist die Gleichwertigkeit, d. h. die Vergleichbarkeit, der Leistungen. Maßstab hierfür sind deren wesentliche Merkmale wie insbesondere alle preisbildenden Eigenschaften. Der Vergleich hat dabei auf einheitlicher Grundlage zu erfolgen 67 • Zusätzlich müssen sich auch die Diskriminierten, d.h. die betroffenen Handelspartner in vergleichbarer Lage befinden. Erforderlich ist, daß sie miteinander im Wettbewerb stehen, d. h. auf dem gleichen Markt tätig sind und gleiche oder gleichartige Erzeugnisse herstellen oder gleichartige Funktionen im Vertrieb haben 68 • Unternehmen verschiedener Handelsstufen befinden sich damit grundsätzlich nicht in vergleichbarer Lage 69 • Umgekehrt begründet die bloße Ansässigkeit in einem anderen Mitgliedstaat noch keine Unvergleichbarkeit 70 . Als zweites Merkmal wird auch hier eine Ungleichbehandlung, d. h. die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen gegenüber Handelspartnern verlangt. Dieser Begriff ist inhaltlich völlig offen und erfaßt insbesondere Preisdifferenzierungen, Lieferverweigerungen oder Vorzugsbehandlungen. Derartige Verhaltensweisen müssen aber - wie aus dem Zusatz im Wortlaut der Vorschriften folgt - grundsätzlich geeignet sein, Wettbewerber zu behindern oder Märkte abzuschotten bzw. aufzuspalten 71. Sie muß gegen "Handelpartner" gerichtet sein, wobei selbstverständlich auch potentielle Lieferanten oder Abnehmer einzubeziehen sind, zumal auch eine Verweigerung von Geschäftsbeziehungen den Wettbewerb stören kann 72 • Nach dem Wortlaut zwar ausgeschlossen sind Ungleichbehandlungen von Verbrauchern 73 sowie die Einwirkung auf Geschäftpartner, ihre Geschäftspartner ihrerseits ungleich zu behandeln (sog. "mittelbare Diskriminierung"74). Doch können diese KonstellaRn. 34 - a. A. Schröter, in: GTE, Art. 86 EGV, Rn. 180; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82 EGV, Rn. 163; ähnlich auch EuGH, Rs. 13/63, Italien/Kommission, Slg. 1963,357,384 (allerdings hinsichtlich Schutzmaßnahmen nach Art. 226 EGV a. F.). 66 So Canenbley, S. 120. 61 EuGH, verb. Rs. 110, 241, 242/88, Lucazeau u. a./Sacem u. a., Slg. 1989, 2811, Rn. 33. Unterschiedliche Transportkosten könnten so Preisunterschiede rechtfertigen; vgl. Weiß, in: CalliesslRuffert, Art. 82, Rn. 58. 68 Schröter, in: GTE, Art. 86, Rn. 186; Gleiss/Hirsch, Art. 85 (1), Rn. 377. 69 Canenbley, S. 112; Gleiss/Hirsch, Art. 85 (1), Rn. 377. 10 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-18/93, Corsica Ferries ltalia, Slg. 1994,1-1783, Rn.43ff.; Jung, in: Grabitz/Hilf, Art. 82, Rn. 166. 11 Schröter, in: GTE, Art. 82, Rn. 184 und Gleiss/Hirsch, Art. 85 (1), Rn. 382 folgern daraus, daß die Unterschiede objektiv von einigem Gewicht, d. h. spürbar, sein müssen. 12 Weiß, in: CalliesslRuffert, Art. 82, Rn. 54. 13 Insofern fehlt es an einer Benachteiligung .. im Wettbewerb"; vgl. Weiß, in: CalliesslRuffert, Art. 82, Rn. 57. 14 Diese Bezeichnung hat nichts mit der - noch ausführlich zu analysierenden - mittelbaren Diskriminierung im Rahmen der besonderen Diskriminierungsverbote zu tun ...Mittelbar" ist

B. Wettbewerbsrechtliche Diskriminierungsverbote

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tionen von den jeweiligen Generalklauseln (Art. 81 Abs. 1, Art. 82 Abs.l EGV) erfaßt sein 75. Ob daneben ein eigenständiger Prüfungspunkt der sachlichen Rechtfertigung existiert, ist streitig. Allgemein abgelehnt wird jedenfalls eine Interessenabwägung, die das betroffene Unternehmen - etwa wegen Vorliegens besonderer Umstände - von seiner Gleichbehandlungspflicht in bezug auf gleichwertige Leistungen (insgesamt) frei werden läßt16• Eine Ungleichbehandlung ist somit prinzipiell nur bei fehlender Gleichwertigkeit der Leistungen zulässig. Etwa vorgebrachte Differenzierungsgründe sollten daher vorrangig unter diesem Aspekt untersucht werden 77 • Daß darüber hinaus auch das im Tatbestand der Art. 81 Abs. 1 lit. d EGV und Art. 82 Abs. 2 lit. c EGV ebenfalls genannte Kriterium der Beeinträchtigung im Wettbewerb als "Hülle" für Rechtfertigungsüberlegungen fruchtbar gemacht werden kann 78 , erscheint hingegen eher zweifelhaft. Das Wettbewerbsverhältnis der Unternehmen findet nämlich ebenfalls bereits im Rahmen der Gleichwertigkeit bzw. der Bildung des Vergleichstatbestandes Berücksichtigung. Ein eigenständiges Rechtfertigungselement ist daher abzulehnen.

§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit Die im EG-Vertrag am auffallendsten formulierten Diskriminierungsverbote sind diejenigen, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen. Im ausdrücklichen Wortlaut ist diese Diskriminierungsform zwar eigentlich nur in Art. 12 EGV zu finden ("Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit"). Aber auch die Regelungen zu den Personenverkehrsfreiheiten enthalten zumindest ähnliche Formulierungen. Nach Art. 39 Abs. 2 EGV umfaßt die Arbeitnehmerfreizügigkeit die "Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung". Art. 43 Abs. 2 EGV formuliert das Recht zur Niederlassung "nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen" sowie Art. 50 Abs. 3 EGV das Recht zur Dienstleistungserbringung in einem anderen Mitgliedstaat "unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt." Ergänzend gebietet schließlich Art. 294 EGV eine Gleichstellung von eigenen und fremden Staatsangehörigen hinsichtlich Gesellschaftsbeteiligungen. hier nämlich nicht der Zusammenhang mit einem verbotenen Differenzierungskriterium, sondern eher die "Täterschaft", d. h. die Beeinflussung durch den Adressaten; ähnlich Zerr, S. 17 f.; Bleckmann, Struktur, S. 60f. 75 Jung, in: GrabitzlHilf, Art. 82 EGV, Rn. 167; Weiß, in: CalIiesslRuffert, Art. 82, Rn.57. 76 Schröter, in: GTE, Art. 86, Rn. 182. 77 So auch die Vorgehensweise in EuGH, Rs. 27/76, United Brands/Kommission, Slg. 1978, 207, Rn. 223 ff. 78 So ausdrücklich Canenbley, S. 101 ff., der im Gegenzug das Merkmal der "Gleichwertigkeit" auf rein formale Kriterien begrenzen will. 7 Plötscher

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

Die Gesamtheit dieser Regelungen und deren Bedeutung in der Gemeinschaftsrechtsordnung scheint auf ein einheitliches Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts hinzudeuten, das Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit untersagt. Diesen Ansatz verfolgt offenkundig der EuGH, der diesen Diskriminierungsverboten wohl ein generelles Prinzip des Gemeinschaftsrechts entnimmt I. Ihre gemeinsame Grundlage ist letztlich das Integrationsziel der Gemeinschaft 2 und damit das Bestreben, auf der Andersstaatlichkeit 3 basierenden Benachteiligungen und Hürden entgegenzuwirken. 4 Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß die genannten Normen hinsichtlich des Systemzusammenhangs und der RegeIungsbereiche in zwei höchst unterschiedliche Kategorien zerfallen. Art. 39 Abs. 2, Art. 43 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 3 EGV bzw. die sie konkretisierenden Vorschriften des Sekundärrechts stehen nämlich in einem unselbständigen Regelungszusammenhang mit den jeweiligen Grundfreiheiten. Hier ist das Diskriminierungsverbot insofern lediglich ein - wenn auch zentraler - Aspekt des übergeordneten Freizügigkeitsrechts 5 • Demgegenüber beinhaltet Art. 12 EGV seinem Wortlaut nach ein reines Diskriminierungsverbot, das hiervon losgelöst offenbar völlig unabhängige und eigenständige Anwendung tindet 6 • Dieser Strukturunterschied kann für die Auslegung und das Diskriminierungsverständnis nicht unberücksichtigt bleiben. Auf ihn wird daher später noch einzugehen sein.

I Vgl. nur GA Jacobs zu verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phil Col/ins u. a., Sig. 1993,1-5145, Tz. 9ff.; ähnlich EuGH, Rs. 1/72, FrillilBelgien, Sig. 1972,457, Rn. 19; Rs. 147/79, Hochstrass/Gerichtshof, Sig. 1980, 3005, Rn.7; Rs. 41/84, Pinna/Caisse d' allocations familiales de la Savoie, Sig. 1986, 1, Rn. 21. 2 Bereits im ersten Erwägungsgrund in der Präambel zum EGV wird der Wille bekräftigt, "die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen"; vgl. zu dieser Funktion des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch Lenaerts, CDE 1991, 3, 21 ff. 3 Vgl. zu diesem Begriff Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 6oof.; Hintersteininger, S.24f. 4 Dieses Oberzie1 der Staatenintegration bezieht sich aber nicht nur auf den - mit dem Merkmal der Staatsangehörigkeit angesprochenen - Personenverkehr. Vielmehr geht es ebenso auch um eine Integration der Märkte für Produkte, d. h. Waren und Dienstleistungen, zu einem Binnenmarkt (vgl. Art. 3 lit. c EGV). Da bei Produkten jedoch eine Kategorisierung nach dem Merkmal der Staatsangehörigkeit untauglich ist, erfolgt die staatliche Zuordnung hier freilich zwangsläufig nach territorialen Merkmalen, wie z. B. der Herkunft. Unter dem Aspekt der Diskriminierung aus Gründen der Andersstaatlichkeit lassen sich somit die Diskriminierungsverbote des Art. 12 EGV sowie diejenigen der Grundfreiheiten zusammenfassen. 5 Ob sich die Grundfreiheiten vollständig als Diskriminierungsverbote darstellen lassen, bleibt hier noch einmal dahingestellt. Doch auch dann stünde das dort formulierte Diskriminierungskonzept unter dem Einfluß der mit den Grundfreiheiten verfolgten Zwecksetzung des Binnenmarktes. 6 Bernard, Discrimination Law, S. 77,88.

A. Das Merkmal der Staatsangehörigkeit

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A. Das Merkmal der Staatsangehörigkeit Die gemeinsame Grundlage der hier genannten Diskriminierungsverbote ist, daß sie im Ausgangspunkt an das Merkmal der Staatsangehörigkeit anknüpfen. Die Tragweite der Vorschriften hängt demzufolge vor allem von der Auslegung dieses Merkmals ab. I. Gemeinschaftsrechtlicher oder mitgliedstaatlicher Begriff Um die Einheitlichkeit der Rechtsordnung und der Rechtsanwendung zu wahren, werden im Gemeinschaftsrecht gebrauchte Begriffe grundsätzlich autonom ausgelegt. Mitgliedstaatliches Recht bzw. das dort vorherrschende Begriffsverständnis ist für den EuGH dabei lediglich Erkenntnisquelle, aber nicht verbindlich. So kommt gemeinschaftsrechtlichen Begriffen ein eigenständiger Charakter zu. Auf das in zahlreichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gebrauchte Kriterium der Staatsangehörigkeit läßt sich dieses Verständnis nur bedingt übertragen, solange die Regelungskompetenz für das Staatsangehörigkeitsrecht noch bei den Mitgliedstaaten verblieben ist. Trotz der mit dem Vertrag von Maastricht eingeführten "Unionsbürgerschaft" existiert bislang noch keine "europäische Staatsangehörigkeit". Wie ein Blick in Art. 17 Abs. 1 EGV zeigt, knüpft die Definition der Unionsbürgerschaft an die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates an 7• Diese wird ergänzt, aber nicht ersetzt. Gerade hierin zeigt sich besonders der Charakter der Europäischen Union als bloßer Staatenverbund, der allenfalls Vorstufe zu einem europäischen Bundesstaat sein könnte. Der Gemeinschaft kommt also nicht die Kompetenz zur Zu- oder Aberkennung der Staatsangehörigkeit zu. Die Bestimmung der Reichweite bzw. der Voraussetzungen für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit bleibt der alleinigen Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten vorbehalten, die die Staatsangehörigkeit im Einklang mit den Regeln des Völkerrechts bestimmen könnenS. Dennoch knüpft das Gemeinschaftsrecht an das Vorliegen einer Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates für die betreffende Person bestimmte - gemeinschaftseigene - Rechtspositionen. Insofern enthalten gemeinschaftsrechtliche Normen Verweisungstatbestände. Die Reichweite dieser Verweisung ist aber Gegenstand des Gemeinschaftsrechts und seiner Auslegungsmethoden. Daraus ergibt sich zumindest eine gewisse Einwirkung in Hinblick auf die Voraussetzungen, unter denen die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates anzuerkennen ist. Das Gemeinschaftsrecht modifiziert hier also die herkömmlichen völkerrechtlichen Regeln. So darf das Recht eines Mitgliedstaates die Wirkungen der Staatsangehörigkeit eines Wilkinson, Discrimination Law, S.123, 126. Vgl. die Erklärung zum EUV zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates, ABI. 1992 C 191 S. 98; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 EGV, Rn. lO. 7

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

anderen Mitgliedstaates nicht dadurch einengen, daß es für deren Anerkennung zusätzliche Voraussetzungen aufstellt 9• 11. Natürliche und juristische Personen Die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen richtet sich daher nach dem insofern modifizierten nationalen Recht. Für den Bereich der Niederlassungsfreiheit stellt Art.48 EGV Gesellschaften und juristische Personen, die einen Erwerbszweck verfolgen, in bezug auf die Staatsangehörigkeit gleich, wobei die Bezeichnung Staatszugehörigkeit gebräuchlich ist. Der Vorschrift wird ein allgemeiner Regelungsgehalt entnommen, der für das gesamte Gemeinschaftsrecht Anwendung findet lO • Im Gegensatz zur Staatsangehörigkeit natürlicher Personen sind die Voraussetzungen des Begriffs der "Staatszugehörigkeit" gemeinschaftsrechtlich genau definiert. Die Gesellschaft muß nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet sein und ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihre Hauptniederlassung im Gemeinschaftsgebiet haben. Freilich ist aber bis heute streitig ll geblieben, ob dem Gemeinschaftsrecht Vorgaben darüber zu entnehmen sind, ob sich die Staatszugehörigkeit innerhalb des Gemeinschaftsgebiets nach dem hauptsächlichen Verwaltungs sitz einer Gesellschaft (sog. Sitztheorie) oder nach dem Ort oder dem Recht ihrer Gründung bzw. Inkorporation (sog. Gründungstheorie) richtet. Soweit der EuGH diese Frage überhaupt anspricht, stellt er - zumindest für die Vergleichsgruppenbildung - auf das Kriterium des Sitzes 12 ab l3 • 111. Staatsangehörigkeit im wirtschaftlichen Sinn? Fraglich ist, ob den an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht sogar ein eigenständiges Staatsangehörigkeitsverständnis zugrunde liegt, das über eine bloße Verweisung in das jeweilige mitglied staatliche Recht hinausreicht. Sicherlich entspricht eine Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit im klassischen staatsrechtlichen Sinne dem vom Völker9 EuGH, Rs. C-369/90, Micheletti/Delegadon dei Gobierna en Cantabria, Sig. 1992, 1-4239, Rn. 10. 10 Zuleeg, in: GTE, Art. 6, Rn. 11; Streinz/Leible, IPRax 1998, 162, 167. 11 Siehe die Übersicht bei Forsthoff, EuR 2000, 167, 171 ff., 175 ff. 12 Vgl. EuGH, Rs.270/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Rn. 18; ebenso: Rs. C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993,1-4017, Rn. 13; Rs. C-264/96, ICI, Sig. 1998,1-4695, Rn. 20; Rs.C-307/97, Saint-Gobain ZN, Sig. 1999,1-6161, Rn.35 - vgl. nun auch das entsprechende Vorabentscheidungsersuchen des BGH, Beschluß v. 30.3.2000, VII ZR 370/98, EuZW 2000, 278 ff. 13 Für die Staatszugehörigkeit von Schiffen legt der EuGH in Anlehnung an Art. 9 VO 4055/86 das Flaggenstaatsprinzip zugrunde (vg. Rs. C-379/92, Peralta, Sig. 1994, 1-3453, Rn. 43); doch ist zu beachten, daß Schiffe als Sachen selbst nicht Elemente des Vergleichstatbestandes sein können: EuGH, Rs.C-246/89, KommissionIVereinigtes Königreich, Sig. 1991, 1-4585, Rn. 28 f.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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recht her bekannten Gebot der Inländerbehandlung. Dort steht hauptsächlich die Gleichheit der Staaten im Vordergrund, die unter anderem Ausdruck in dem Verbot findet, die jeweiligen Staatsangehörigen zu benachteiligen. Im Gemeinschaftsrecht ist schon wegen seiner Eigenständigkeit ein abweichendes Begriffsverständnis nicht von vornherein ausgeschlossen. Insbesondere im Bereich der Grundfreiheiten hat sich gezeigt, daß mit dem Kriterium der formalen Staatsangehörigkeit nicht alle relevanten Fälle erfaßbar sind. Hierauf wird später noch zurückzukommen sein.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV) Eine der grundlegendsten Vorschriften des gesamten Gemeinschaftsrechts ist das sogenannte allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 12 EGV. Die Vorschrift verbietet im Anwendungsbereich des EGV - unbeschadet sonstiger Vorschriften - jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist sehr allgemein gehalten. So verwundert es nicht, daß Art. 12 EGV - nicht zuletzt auch wegen seiner systematischen Stellung im Teil über die Grundsätze des EGV - vielfach als "Leitmotiv" des Vertrages angesehen wird, das sich in verschiedenen Konkretisierungen durch den Vertrag zieht und Interpretationsmaxime aller weiteren Bestimmungen ist l4 • Zudem hat der EuGH in seiner äußerst umfänglichen Rechtsprechung zu Art. 12 EGV vielfach Aussagen getroffen, die über dessen eigentlichen Gehalt hinaus allgemeine Bedeutung haben 15. Die Vorschrift eignet sich somit grundsätzlich als Ausgangspunkt der Betrachtung zum Diskriminierungsbegriff l6 • Gleichwohl bleibt zu beachten, daß Art. 12 EGV - wie schon aus dem Wortlaut folgt - nicht jede Diskriminierung erfassen will, sondern nur solche wegen der Staatsangehörigkeit. Insofern bleibt die Vorschrift trotz ihres "Signalcharakters" auf einen einzigen Bezugspunkt (Staatsangehörigkeit) beschränkt. Daher handelt es sich gerade nicht um ein allgemeines, sondern wegen dieser singulären Anknüpfung um ein besonderes Diskriminierungsverbot, das aus der Gesamtmenge möglicher unzulässiger Ungleichbehandlungen strukturell nur diejenigen erfaßt, die "aus Gründen" der Staatsangehörigkeit erfolgen 17 • Die vom EuGH vielfach für Art. 12 EGV gewählte Bezeichnung "allgemeines Diskriminierungsverbot" ist somit irreführend. 14 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 1; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn.4f.; Lenz, in: Lenz Art. 12 EGV, Rn. 1; Küchel, EuGRZ 1997, 1; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 592; SchweitzerlHummer, Rn. 1053. 15 Mohn, S. 8. 16 Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 5 sieht in ihr sogar eine grundlegende "Interpretationsmaxime" für den gesamten EGY. 17 Vgl. zu dieser Abgrenzung von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 6f.; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 6; auch der EuGH betrachtet Art. 12 EGV (lediglich) als "besondere Ausformung" des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (siehe GA Mayras zu Rs.147/79, HochstrassIGerichtshof, Slg. 1980,3005, 3024f.).

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

I. Methodische Vorüberlegungen zur Auslegung 1. Wortlaut

Ein Hauptproblem bei der Präzisierung des Diskriminierungselements in Art. 12 EGV ist der knappe Wortlaut. Zwar ist Art. 12 EGV eine der wenigen Vorschriften des EGV, deren Textfassung den Terminus "Diskriminierung" expressis verbis enthält. 18 Auch in der französischen und englischen Fassung wird der Begriff "discrimination" verwendet. Im Gegensatz zu den sonstigen Vorschriften über Diskriminierungsverbote (wie z. B. Art. 39 Abs. 2 EGV) wird der Begriff im Vertragstext - abgesehen von der Nennung der Staatsangehörigkeit als Vergleichskriterium - aber nicht weiter spezifiziert, d. h. seine einzelnen Struktur- und Tatbestandsmerkmale finden keine Erwähnung. Eine Legaldefinition wird nicht gegeben. Obwohl mit dem Vertrag von Maastricht in Art. 12 Abs. 2 EGV eine Kompetenz für den Gemeinschaftsgesetzgeber zur näheren Ausgestaltung des Diskriminierungsverbotes geschaffen wurde, ist diese Vorschrift bislang von geringer praktischer Bedeutung geblieben l9 • Aufgrund des vielschichtigen Bedeutungsgehaltes des Wortes "Diskriminierung" rallt daher gerade bei Art. 12 EGV wegen des Fehlens zusätzlicher Kriterien eine Eingrenzung schwer. Während beispielsweise Art. 141 EGV von "gleichem Entgelt" und "gleicher oder gleichwertiger Arbeit" spricht und damit zumindest einen Bezugspunkt für den anzustellenden Vergleich liefert, bezieht sich Art. 12 EGV ausdrücklich auf "jede" Diskriminierung. Die einzige Einschränkung liegt - wie erwähnt - darin, daß "aus Gründen der Staatsangehörigkeit" diskriminiert werden muß. 2. Art.t2 EGV und die Personenverkehrsfreiheiten

Wegen dieser Knappheit des Wortlauts kommt somit der ohnehin für das Gemeinschaftsrecht besonders bedeutsamen systematisch-teleologischen Auslegung ein noch größeres Gewicht zu. Naheliegend ist hierbei freilich - wie oben bereits angedeutet - ein Rückgriff auf die etwas näher ausformulierten Vorschriften zu den Personenverkehrsfreiheiten, die ebenfalls eine (Un-)Gleichbehandlung anknüpfend an die Staatsangehörigkeit zum Gegenstand haben. Vor allem der EuGH scheint dieser Vorgehensweise zuzuneigen. Häufig führt dies sogar dazu, daß er Art. 12 EGV und die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten undifferenziert nebeneinander heranzieht, 18 Daneben sind dies noch die Art. 11 Abs. llit. c, e; 13; 30 S. 2; 31 Abs. I; 34 Abs. 2 UAbs. 2; 58 Abs. 3; 75 Abs. 1,4; 87 Abs. 2 lit. a; 95 Abs.6 UAbs. I; 183 Nr.5; 184 Abs. 4, 5 EGY. 19 Epiney, in: CalliesslRuffert, Art. 12 EGY, Rn. 45; dies ändert freilich nichts an dem ungeheuren Potential dieser Kompetenznorm. Im Gegensatz zu Art. 12 Abs. 2 EGY hat der Gemeinschaftsgesetzgeber aber seine Kompetenz nach Art. 13 EGY genutzt, um den Diskriminierungsbegriff bei Anknüpfung an andere Kriterien als die der Staatsangehörigkeit zu präzisieren.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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um so einen Verstoß gegen "das Diskriminierungsverbot" zu begTÜnden 20 • Dabei bleibt freilich völlig unklar, ob und wie Art. 12 EGV von den anderen Diskriminierungsverboten abzugrenzen ist, und vor allem, wie dem Umstand Rechnung zu tragen ist, daß Art. 12 EGV seinem Wortlaut nach (nur) "unbeschadet besonderer Bestimmungen" gilt 21 • In jüngeren Entscheidungen scheint der EuGH hier deutlicher abzugrenzen 22 • Gleichwohl werden in den Urteilen, in denen der EuGH Art. 12 EGV selbständig anwendet, fast durchgängig die zu den Grundfreiheiten entwickelten Vorverständnisse unreflektiert herangezogen 23 • Umgekehrt sieht der EuGH in Art. 12 EGV aber auch einen Auslegungsgrundsatz, der auf die speziellen Diskriminierungsverbote ausstrahlt 24 • Trotz dieser dem ersten Anschein nach engen Verwandtschaft zwischen Art. 12 EGV und den Diskriminierungsverboten der Personenverkehrsfreiheiten, ist doch die Eigenständigkeit des Art. 12 EGV nicht zu leugnen und in unzutreffender Weise oft nicht klar herausgestellt worden. Im Gegensatz zu den Grundfreiheiten ist der Diskriminierungsbegriff für Art. 12 EGV schon dem Wortlaut nach tatbestandlich konstituierend. Während hinsichtlich der Grundfreiheiten zumindest umstritten ist, ob die Diskriminierung die einzige Eingriffsform darstellt oder aber als ein Unterfall neben einem Aspekt der "Beschränkung" steht, umfaßt der Schutzbereich von Art. 12 EGV bereits dem Wortlaut nach eindeutig nur Diskriminierungen. Eine Weiterentwicklung zu einem Beschränkungsverbot im Wege der Rechtsfortbildung wird hier im allgemeinen ausgeschlossen 25 • Das Merkmal der Diskriminierung hat 20 Vgl. beispielsweise EuGH, Rs.l/78, Kenny/lnsurance Officer, Slg. 1978, 1489, Rn.8ff., 18 ff.; Rs. 59/85, Reed, Slg. 1986, 1283, Rn. 1,6; Rs. C-45/93, Kommission/Spanien, Slg. 1994, 1-911, Rn. 10; Rs. C-131/96, Mora Romero, Slg. 1997,1-3659, Rn. 12; Rs. C-334/94, KommissionIFrankreich, Slg. 1996, 1-1307, Rn. 17. 21 Symptomatisch hierfür ist beispielsweise das Urteil EuGH, Rs. 186/87, Cowan/Tresor Public, Slg. 1989, 195, Rn. 14ff., in dem der EuGH die Dienstleistungsfreiheit prüft, dabei zunächst die Subsidiarität von Art. 12 EGV feststellt (a. a. 0., Rn. 14), dann die Einschlägigkeit von Art. 49 EGV zu bejahen scheint (a. a. 0., Rn. 17), schließlich aber doch Art. 12 EGV weiterprüft und einen Verstoß hiergegen feststellt; ähnlich: EuGH, Rs. C-334/94, Kommission/ Frankreich, Slg. 1996,1-1307, Rn. 13ff. In EuGH, Rs.C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg. 1996,1-4661,1-4675, Rn.14 prüft der Gerichtshof sogar unmittelbar Art. 12 EGV, "ohne daß es erforderlich wäre, die besonderen Diskriminierungsverbote der Art. 30,36,59,66 EGV [a. E] zu prüfen". Siehe auch Streinz/Leible, IPRax 1998, 162, 165 f.; ebenso kritisch von Borries, EuZW 1994,474. 22 Vgl. EuGH, Rs. C-336/96, Gilly, Slg. 1998,1-2793, Rn. 37 f., wo Art. 39 EGV als lex specialis gegenüber Art. 12 EGV vorrangig zur Anwendung gelangt; ähnlich: EuGH, Rs. C-20/92, Hubbard, Slg. 1993,1-3777, Rn. 10; EuGH, Rs.C-246/89, KommissionIVereinigtes Königreich, Slg. 1991, 1-4585, Rn. 17f.; Rs. C-20/92, Hubbard, Slg. 1993, 1-3777, Rn. 10; Rs. C-131/96, Mora Romero, Slg. 1997, 1-3659, Rn. 11 f.; Rs. C-55/98, Vestergaard, Slg. 1999, 1-7641, Rn.16f.; vorbildlich Rs. C-411/98, Angelo FerlinilCentre hospitalier de Luxembourg, EuZW 2001,26, Rn. 39-47. 23 Vgl. beispielsweise EuGH, Rs.C-I77/94, Perfili, Slg. 1996,1-161, Rn. 17. 24 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 56; EuGH, Rs. 175/78, Saunders, Slg. 1979,1129, Rn. 7ff.; Rs.136/78, Auer, Slg. 1979,437, Rn. 17ff. 25 Absolut h. M., vgl. hierzu von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 20f.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

somit für Art. 12 EGV eine viel entscheidendere Bedeutung. Wegen dieses strukturellen Unterschiedes liegt die Einheitlichkeit des Diskriminierungsverständnisses zumindest nicht auf der Hand und bedarf einer näheren Herleitung. Im folgenden soll daher zunächst eine gesonderte Analyse des Begriffsverständnisses im Rahmen von Art. 12 EGV erfolgen und anschließend (allein) die Abweichungen in den Personenverkehrsfreiheiten aufgezeigt werden 26 •

11. Der Anwendungsbereich des Verbotes Eine oft diskutierte Fragestellung ist die des Anwendungsbereichs von Art. 12 EGV. Nach ihrem Wortlaut gilt die Norm "unbeschadet besonderer Bestimmungen [des EG-]Vertrages" und nur "im Anwendungsbereich [des Vertrages]". Doch betrifft diese Einschränkung grundsätzlich nur das Diskriminierungsverbot, nicht jedoch den Gehalt des Diskriminierungsbegrijfs, der selbst nur Tatbestandsvoraussetzung für Art. 12 EGV ist. Die Frage, ob eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit vorliegt, stellt sich nämlich erst auf einer zweiten Prüfungsebene, wenn auf der ersten Ebene der Anwendungsbereich des Art. 12 EGV bejaht wurde. Gleichwohl soll auf diesen kurz eingegangen werden.

1. "Unbeschadet besonderer Bestimmungen"

Grundsätzlich gilt Art. 12 EGV seinem Wortlaut nach nur subsidiär gegenüber "besonderen Bestimmungen". "Unbeschadet" bedeutet insoweit "vorbehaltlich"27. Voraussetzung dafür ist allerdings prinzipiell, daß sich diese vorrangigen Diskriminierungsverbote ebenfalls auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit beziehen, da sonst überhaupt keine Norrnkonkurrenz besteht 28 • Damit scheidet beispielsweise eine Subsidiarität gegenüber Art. 90 Abs.l EGV oder Art. 141 EGV aus. Ähnliches dürfte auch gegenüber allgemeinen Diskriminierungsverboten, wie z. B. Art. 34 Abs.2 UAbs. 2 EGV, gelten. Ein Konkurrenzverhältnis kommt damit prinzipiell nur hinsichtlich der Personenverkehrsfreiheiten in Betracht, soweit man davon ausgeht, daß diese ebenfalls konzeptuell an die Staatsangehörigkeit anknüpfen 29 • 26 Gleichwohl bleibt es - wegen der diffusen Handhabung durch den EuGH - mitunter nicht aus, bei der Untersuchung von Art. 12 EGV auch auf Rechtsprechung zu den Personenverkehrsfreiheiten zurückgreifen zu müssen. 27 EuGH, Rs. 8/77, Sagulo, Slg. 1977, 1495, Rn. 11; von Bogdandy, in: GrabitzIHilf, Art. 6 EGV, Rn.55; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn.11 f.; StreinzlLeible, IPRax 1998, 162, 165; KingreenlStörmer, EuR 1998,263,265; ähnlich Brüggemann, S. 81 f.; Steichen, S. 12; Leible, § 4 B. 11.1. b. 28 Wohl auch von Bogdandy, in: GrabitzIHilf, Art. 6 EGV, Rn. 57. 29 Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 9. Vgl. zu der hier angesprochenen Problematik der Vergleichsgruppenbildung die Ausführungen unten § 5 C. I.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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Von einer derartigen Subsidiarität gegenüber den Diskriminierungsverboten der Art. 39 Abs. 2, 43 Abs. 2 und 50 Abs. 2 EGV geht seinen grundsätzlichen Ausführungen nach der EuGH aus 30. Gleichwohl ist die Rechtsprechung alles andere als einheitlich. In einigen Fällen hat er zwar konsequenterweise einen Rückgriff auf Art. 12 EGV wegen Vorrangigkeit der Personenverkehrsfreiheiten verweigert 3l • In anderen Entscheidungen prüft er jedoch trotz Bejahung einer Subsidiarität am Maßstab des Art. 12 EGV weiter 32 oder läßt die Frage einfach dahinstehen 33 • Nicht selten wendet er sogar Art. 12 EGV völlig undifferenziert neben oder in Verbindung mit dem spezielleren Diskriminierungsverbot an 34• Doch verneint der EuGH regelmäßig den Rückgriff auf Art. 12 EGV jedenfalls dann, wenn eine Ausnahmebestimmung von speziellen Verbotsnormen, wie z. B. Art. 39 Abs. 3 EGV, eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit zuläßt 35 • Richtigerweise dürfte danach abzugrenzen sein, ob die Diskriminierung einen spezifischen Bezug zur Ausübung der Grundfreiheit aufweist 36 • Fraglich ist auch das Verhältnis zu Art. 28 EGV, da die Warenverkehrsfreiheit an sich nur an Differenzierungen innerhalb von Waren anknüpft. Doch läßt der EuGH hier im Rahmen seiner Keck-Rechtsprechung auch personale Elemente einfließen. Teilweise wird daraus eine Subsidiarität von Art. 12 EGV auch zu Art. 28 EGV abgeleitet 37 • Meines Erachtens geht dies zu weit. Personale Anknüpfungen im Rahmen von Art. 28 EGV sind nur im Wege der mittelbaren Diskriminierung möglich, d. h. sie wollen den Fall erfassen, daß Ungleichbehandlungen von Personen sich auf Warenströme auswirken 38 • EuGH, Rs.186/87, Cowan/Tresor Public, Slg. 1989, 195, Rn. 14. Ausdrücklich in EuGH Rs. C-246/89, KommissionIVereinigtes Königreich, Slg. 1991, 1-4585, Rn. 17f.; Rs.C-20/92, Hubbard, Slg. 1993,1-3777, Rn. 10; Rs.C-336/96, Gilly, Slg. 1998,1-2793, Rn. 37f.; ebenso Generalanwalt Jacobs in Rs. 305/87, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 1461, Tz. 14; im übrigen vgl. oben Fn. 22. 32 EuGH, Rs.186/87, Cowan/Tresor Public, Slg. 1989, 195, Rn. 14 und 20; vgl. auch Wolf, JZ 1994, 1151, 1153f. mit Hinweis auf den Widerspruch zwischen Rs.C-20/92, Hubbard, Slg. 1993, 1-3777, 1-3793, Rn. 11 ff. und Rs. C-398/92, Mund & Fester, Slg. 1994, 1-467, Rn. 14 ff. 33 EuGH, verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phil Collins u. a., Slg. 1993, 1-5145, Rn. 27; Rs. C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg. 1996,1-4661, Rn. 14; Rs. C-323/95, Hayes, Slg. 1997,1-1711, Rn. 16; Rs. C-112/96, Saldanha und MTS, Slg. 1997,1-5325, Rn. 17ff.; kritisch hierzu Streinz/Leible, IPRax 1998, 162, 165f. 34 Siehe oben Fn. 20. 35 EuGH, Rs.C-112/91, Werner, Slg. 1993,1-429, Rn. 20; ähnlich auch EuGH, Rs.90n6, Van AmeydelUCl, Slg. 1977, 1091, Rn. 27 sowie Rs. C-41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, 1-1979, Rn. 36, wonach mit Art.43 und 49 EGV in Einklang stehende Regelungen auch mit Art. 12 EGV vereinbar sind. 36 Streinz/Leible, IPRax 1998, 162, 165f. mit Verweis auf von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 60; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 7 will einen Rückgriff auf Art. 12 EGV als allgemeine ..Auslegungsmaxime" offenbar immer zulassen, obwohl er a. a. 0., Rn. 8 von einer Subsidiarität ausgeht. 37 So offenbar von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn.58. 38 V gl. hierzu unten § 6 B. II. 2.; § 6 C. II. 3. b. 30 31

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

2. "In seinem Anwendungsbereich"

Mit dem Merkmal des Anwendungsbereichs prüft der EuGH durchweg nur pauschal, ob eine Regelung die wirtschaftliche Betätigung von Wirtschaftsteilnehmern berührt 39 • Manchmal zieht er dabei recht enge Parallelen zu den Anwendungsvoraussetzungen der Grundfreiheiten. So verneinte er im Fall Werner, der einen in Deutschland beschäftigten deutschen Staatsangehörigen betraf, der lediglich seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt hatte, mangels grenzüberschreitenden Bezugs die Einschlägigkeit von Art. 12 EGV 40 • Doch genügt ihm darüber hinaus auch jeder irgendwie geartete Zusammenhang zu den Marktfreiheiten und den Wettbewerbsverhältnissen in der Gemeinschaft. Damit ist die Reichweite bedeutend weiter als die gemeinschaftlichen Regelungskompetenzen 41 • Ein Bezug kann sogar noch bei Entschädigungsregelungen für Opfer von Gewalttaten gegeben sein, wenn eine Person in Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts betroffen ist 42 , obwohl die Gemeinschaft für das hier betroffene Strafverfahrens- oder Deliktsrecht keine originären Normsetzungsbefugnisse besitzt 43 • Exemplarisch sind auch die Ausführungen im Urteil Phil Coltins. Hier stellte der EuGH bezüglich der Anwendbarkeit des Vertrages für Immaterialgüterrechte einerseits auf deren wirtschaftliche Bedeutung für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, andererseits auf das Bestehen eines Sekundärrechtsaktes bezüglich der Verwertung solcher Rechte ab 44 • Im Fall Gravier genügt dem EuGH für die Anwendung von Art. 12 EGV auf eine Regelung über Studiengebühren, daß der Vertrag überhaupt Vorschriften über die Bildungspolitik (Art. 149 f. EGV) enthält, die freilich auch die für eine wirtschaftliche Betätigung wichtige Berufsausbildung umfassen 45 • Insgesamt bedient sich der EuGH somit einer relativ undifferenzierten, eher summarischen Betrachtungsweise. Insbesondere das Verhältnis zu den Personenverkehrsfreiheiten erreicht eine doppelte Bedeutung: einerseits stecken diese den Anwendungsbereich des Vertrages ab, andererseits gelten sie aber auch vorrangig gegenüber Art. 12 EGV 46 • Seine praktische Bedeutung erlangt dieser daher nur in FälEuGH, Rs. C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg. 1996,1-4661, Rn. 14. EuGH, Rs. C-112/91, Werner, Slg. 1993,1-429, Rn. 16, 20. 41 Ausdrücklich EuGH, Rs. 293/83, GravierlStadt Lüttich, Sig. 1985,593, Rn. 19 ff. - a. A. hingegen Störmer, AöR 123 (1998),541, 554f., der eine wirksam ausgeübte Kompetenz voraussetzt - zum neuerdings vom EuGH gesehenen Zusammenhang mit Art. 18 EGV vgl. Toner, 7 MJ (2000), 158, 176ff. 42 EuGH, Rs.186/87, CowanlTresor Public, Sig. 1989, 195, Rn. 17, 19. 43 Wie weit diese Rechtsprechung des EuGH geht, zeigt sich auch in Rs. C-398/92, Mund & Fester, Sig. 1994,1-467, Rn. 14ff., wo selbst das Zivilprozeßrecht (hier § 917 Abs. 2 ZPO) in das Gravitationsfeld des Art. 12 EGV gerät; kritisch hierzu Schack, ZZP 1995,47, 49f.; Wolf, JZ 1994, 1151 ff. 44 EuGH, verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phi! Co/lins u. a., Sig. 1993,1-5145, Rn. 22ff.; vgl. hierzu ausführlich Heimsoeth, S. 38 ff. 45 EuGH, Rs. 293/83, GravierlStadt Lüttich, Sig. 1985,593, Rn. 21,23 f. 46 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 56. 39

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B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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1en, die keine unmittelbare Berührung zu einer wirtschaftlichen Betätigung aufweisen, sondern eher das allgemeine Integrationsziel der EG betreffen 47 •

IB. Vergleichstatbestand 1. Personen

Da Art. 12 EGV als relevantes Differenzierungskriterium die Staatsangehörigkeit nennt, kommen als "Rahmen" für die Vergleichsgruppenbildung ausschließlich Personen in Betracht. Wie dargelegt, schließt dies auch juristische Personen ein 48 , wobei insoweit auf die Staatszugehörigkeit abzustellen ist. Von der in Art. 12 EGV genannten Diskriminierung nicht umfaßt sind hingegen Gegenstände wie Waren, Dienstleistungen, Kapital, Zahlungsströme etc., die somit für die Bildung der Vergleichsgruppen nicht in Frage kommen 49 • Dieser "Rahmen" für die Vergleichsgruppenbildung beschränkt sich allerdings nur auf Staatsangehörige der EG-Mitgliedstaaten und schließt Drittstaatler damit grundsätzlich aus 50 • Der Wortlaut des Art. 12 EGV ist zwar neutral und enthält keine weiteren Angaben. Man könnte sogar im Gegenschluß zu Art. 43 Abs. 2 und Art. 50 Abs.2 EGV, die jeweils auf die "Angehörigen eines Mitgliedstaates" Bezug nehmen, eine umfassendere Reichweite von Art. 12 EGV vermuten 51 • Doch ist hier als Grenze die in Art. 12 EGV genannte Einschränkung "im Anwendungsbereich des Vertrages" zu beachten. Die Zielsetzung des Vertragswerkes ist jedoch auf die Integration (nur) der Mitgliedstaaten gerichtet. Hieraus folgt zwar nicht zwingend, aber doch naheliegend eine qualitative Abstufung gegenüber Drittstaaten und ihren An47 Dies wurde deutlich im Fall EuGH, Rs. C-85/96, Martinez Sala, Sig. 1998, 1-2691, Rn. 59 ff., wo der Gerichtshof bereits bei einem einfachen (legalen) Aufenthalt eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat die Eröffnung des "An wendungsbereichs des Vertrages" unter Rückgriff auf die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft (hier Art. 17 Abs. 2 EGV) bejahte und so zu einer Anwendbarkeit von Art. 12 EGV kam. 48 Streinz/Leible, IPRax 1998, 162, 167. 49 So ausdrücklich EuGH, Rs. C-221/89, Factortame, Sig. 1991,1-3905, Rn. 28. Ebenso Zuleeg, in: GTE, Art. 6 EGV, Rn.4 unter Hinweis auf EuGH, verb. Rs. 80 u. 159/85, Nederlandse Bakkerij Stichting u. a./Edah BV, Sig. 1986, 3359, Rn. 22. - Doch schließt dies freilich grundsätzlich nicht die Möglichkeit aus, daß sich entsprechende Differenzierungen dennoch unterschiedlich auf Personen verschiedener Staatsangehörigkeit auswirken, auch wenn diese Fälle schwer vorstellbar sind (vgl. aber den Fall Factortame, a. a. 0., Rn. 29). Siehe auch EuGH, Rs. C-93/89, Kommission/Irland, Sig. 1991,1-4569, Rn. 10, wo der EuGH ausdrücklich klarstellt, daß sich der Vorwurf gegen eine nationale Vorschrift nicht auf eine Ungleichbehandlung von Schiffen, sondern von deren Besitzern richtet; ebenso: Rs. C-246/89, KommissionIVereinigtes Königreich, Sig. 1991, 1-4585, Rn. 28ff.; demgegenüber stellt der EuGH in Rs. C-379/92, Peralta, Sig. 1994, 1-3453, Rn.43 wiederum direkt auf die Staatszugehörigkeit von Schiffen ab. 50 So auch Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 19 m. w.N.; Lenz, in: Lenz, Art. 12, Rn.2. 51 Gegen dieses Argument aber Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 19.

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gehörigen. Diesem Grundsatz steht auch nicht entgegen, daß im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten auch Familienangehörigen von Gemeinschaftsbürgem Rechtspositionen gewährt werden, selbst wenn diese Drittstaatsangehörige sind. Hier handelt es sich nämlich um nur "abgeleitete" Rechte, deren Schutzzweck - wenn auch mittelbar - allein auf die eigentlich geschützten Gemeinschaftsangehörigen abzielt 52 • Damit bleibt es bei der Beschränkung des "Vergleichsrahmens" auf Staatsangehörige der Mitgliedstaates 53 • 2. Verschiedene Staatsangehörigkeit

Aus den Darlegungen im Grundlagenteil ergibt sich, daß die relevanten Vergleichsgruppen aus unterschiedlichen Ausprägungen des verbotenen Differenzierungskriteriums zu bilden sind. Für Art. 12 EGV kommen dabei Gruppen von Personen mit jeweils verschiedener Staatsangehörigkeit in Betracht. Hier sind in bezug auf den adressierten Mitgliedstaat zwei Konstellationen denkbar: a) Eigene und fremde Staatsangehörige Als unstreitiger Befund beinhaltet das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV das klassische Gebot der Inländerbehandlung entsprechend einer Gleichstellung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten mit den eigenen Staatsangehörigen des verpflichteten Mitgliedstaates 54 • Dies bestätigt auch ein Vergleich mit dem Wortlaut von Art. 43 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 3 EGY. b) Verschiedene fremde Staatsangehörige Interessanter ist die Frage, ob die genannten Vorschriften - in Parallele zum völkerrechtlichen Meistbegünstigungsgrundsatz - auch eine Gleichbehandlung verschiedener Staatsangehöriger anderer Mitgliedstaaten gebieten. Art. 12 läßt eine

52 Etwas ungenau insofern Zuleeg, in: GTE, Art. 6 EGV, Rn. 16 und Geiger, Art. 12 EGV, Rn. 5, die jeweils auf den "Anwendungsbereich des EGV" abstellen wollen. Dies ist zwar insofern richtig, als dieser den Kreis der unter dem Gemeinschaftsrecht Berechtigten festlegt. Doch geht es hier um die Bildung der für den Gleichheitssatz relevanten Vergleichsgruppen, die auf einer anderen Ebene stattzufinden hat (vgl. hierzu auch unten § 5 c.1. 1. a. bb.). 53 Ausführlich Steichen, S.18ff.; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn.20; einzige Ausnahme bilden Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, wenn eine Nationalität die eines EG-Mitgliedstaates ist; vgl. EuGH, Rs. C-122/96, Saldanha und MTS, Sig. 1997, 1-5325, Rn. 15. 54 EuGH, Rs.186/87, Cowan/Tresor Public, Sig. 1989, 195, Rn.lOff. zur Entsprechung des Diskriminierungsverbots mit dem Gebot der Gleichbehandlung unter dem Gesichtspunkt der Staatsangehörigkeit; hinsichtlich juristischer Personen EuGH, Rs. C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Sig. 1996,1-4661, Rn. 17.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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solche Auslegung zumindest vom Wortlaut her ZU 55 • Auch der zugrundeliegende Integrationszweck spricht für eine Pflicht, fremde Mitgliedstaaten auch untereinander gleichzubehandeln, bedenkt man, daß die Europäische Gemeinschaft einen gegenüber den herkömmlichen völkerrechtlichen Freihandelsabkommen intensiveren Zusammenschluß darstellen soll. Der EuGH hatte sich mit dieser Konstellation bereits in einer sehr frühen Entscheidung aus dem Jahre 1963 56 zu befassen. In Rede stand hier eine Ermächtigung der Kommission an Frankreich, ausschließlich auf italienische Erzeugnisse eine Sonderabgabe zu erheben. Der Fall betraf damit an sich nicht unmittelbar Art. 12 EGV, sondern eher die Grundsätze der Warenverkehrsfreiheit. Gleichwohl untersuchte der EuGH hier einen Verstoß gegen "das Diskriminierungsverbot" , wobei nicht ganz klar wird, ob er hier eine Art allgemeinen Rechtsgrundsatz oder - wie die Parteien und der Generalanwalt - Art. 12 EGV (früher: Art. 7 EWGV) meinte 57 • Doch unabhängig davon zeigt das Urteil jedenfalls, daß auch der EuGH in die Vergleichsgruppenbildung eine Gegenüberstellung zweier anderer Mitgliedstaaten einbeziehen will, was dann auch den Vergleich zweier fremder Staatsangehöriger umfaßt. 3. Problem der erweiterten Vergleichsgruppenbildung Von dieser Vergleichsgruppenbildung nach der Staatsangehörigkeit löst sich der EuGH mit der Einbeziehung versteckter Diskriminierungen nur scheinbar. Zwar werden hier auch Regelungen erfaßt, die formell an den Wohnsitz, die Ansässigkeit, eine Tatbestandserfüllung im Inland usw. anknüpfen, und somit die Obergruppe der Arbeitnehmer nach anderen Kriterien aufteilen. Jedoch beruht die darin liegende Ausdehnung des Diskriminierungsbegriffs stets auf einer Rückbeziehung auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit, dadurch daß die Anwendung derartiger "neutraler" Kriterien tatsächlich zu demselben Ergebnis führen muß wie die der Staatsangehörigkeit, um von dem besonderen Diskriminierungsverbot erfaßt zu sein 58 • Grundlage ist somit eine gewisse Ergebnis-Äquivalenz beider Differenzierungskriterien. Fraglich ist aber darüber hinaus, ob es bei den genannten Vergleichsgruppen bleibt, oder ob hier noch weitere Konstellationen erfaßt sind. Insbesondere im Hinblick auf die Personenverkehrsfreiheiten finden sich einige Literaturstimmen, die eine Loslösung von dem zu eng empfundenen Kriterium der Staatsangehörigkeit unter (ergänzender) Bildung anderer Vergleichsgruppenpaare befürworten 59 • Im Bereich des Art. 12 EGV gibt es hierfür bislang keinen Beleg. Hier hält der EuGH prinzipiell an den nach der Staatsangehörigkeit im staatsrechtlichen Sinne 55 Ebenso auch Art. 39 Abs. 2 EGV, während Art.43 Abs.2 und Art. 50 Abs. 2 EGV als Vergleichsgruppe jeweils nur Staatsangehörige des adressierten Mitgliedstaates nennen. 56 EuGH, Rs. 13/63, Italien/Kommission, Slg. 1963, 357 ff. 57 A. a. O. S. 373 f. (Parteien), S. 408 ff. (General anwalt), S. 384 (EuGH). 58 Grundlegend EuGH, Rs. 152/73, SotgiulDeutsche Bundespost, Slg. 1974, 153, Rn. 11. 59 Siehe dazu unten § 5 C. I. 2.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

gebildeten Vergleichsgruppen fest. Deutlich wird dies beispielsweise in der Entscheidung Pesca Valentia, wo der Gerichtshof eine Ungleichbehandlung, die allein innerhalb der Gruppe der Inländer stattfindet, ausdrücklich nicht als von Art. 12 EGV erfaßt sah 60 • Nur scheinbar eine Erweiterung ist die Aussage in der Entscheidung Phil Collins, wonach Art. 12 EGV eine "Gleichbehandlung der Personen, die sich in einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation befinden, mit den Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaates" verlangt 61 • Zwar könnte man danach vennuten, für die Vergleichsgruppenbildung komme es auf die "gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation" an. Doch läge eine Diskriminierung dann aber schon bei jeder Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts vor, was im Ergebnis dem Diskriminierungsbegriff völlig seine eigenständige Bedeutung entzöge 62 • IV. Ungleichbehandlung 1.

Anknüpfungspunkt

Nähere Anhaltspunkte, worauf sich eine Ungleichbehandlung beziehen muß, enthält Art. 12 EGV nicht. Vielmehr sollen nach dem Wortlaut ("jede") offenbar alle nur denkbaren Vergleichsmomente erfaßt werden. Grenze ist somit auch hier allein der "Anwendungsbereich des Vertrages". Die Gleichbehandlung muß dabei nicht nur im erwerbswirtschaftlichen Bereich erfolgen. So bezieht sich Art. 12 EGV auch auf die auf Grundlage der Unionsbürgerschaft (Art. 18ff. EGV) gewährten Rechtspositionen. Hier dringt das Gemeinschaftsrecht sogar in Felder vor, die besonders eng mit dem typischen Charakter des Merkmals der Staatsangehörigkeit verbunden sind 63 • So kann die Ungleichbehandlung ganz allgemein in der spezifischen Vorenthaltung oder Gewährung bestimmter Vorteile oder der unterschiedlichen Auferlegung von Nachteilen bestehen. Fraglich ist, ob die Unterschiede bzw. Benachteiligungen im Sinne einer de minimis-Grenze von einer bestimmten Erheblichkeit sein müssen. Von Bogdandy will dies aus der Entscheidung Boussac folgern 64 • Dort hatte der EuGH einen Verstoß gegen Art. 12 EGV durch die im deutschen Zivilprozeßrecht vorgesehene Beschränkung des Mahnverfahrens auf Zahlungsansprüche, die in einheimischer Währung (damals noch die Deutsche Mark) ausgedrückt sind, im Kern mit der Begründung abgelehnt, daß eine Geltendmachung von FremdwährungsanEuGH, Rs. 223/86, Pesca Valentia, Slg. 1988, 83, Rn. 20. EuGH, verb. RS.C-92 u. C-326/92, Phil Collins u.a., Slg. 1993,1-5145, Rn. 32; ähnlich auch schon in Rs.186/87, CowanlTresor Public, Slg. 1989, 195, Rn. 10. 62 V gl. zu der ähnlichen Problematik in bezug auf das Merkmal des "grenzüberschreitenden Sachverhalts" unten § 5 C. I. 2. sowie § 10 A. 11. 63 Geiger, Art. 17 EGV, Rn. 3. Dies wird auf der Rechtfertigungsebene bei der Betrachtung der Wesensmerkmale der Staatsangehörigkeit noch eine Rolle spielen (vgl. unten § 5 B. V. 3.). 64 von Bogdandy, in: GrabitzlHilf, Art. 6 EGV, Rn. 9. 60 61

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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sprüchen ja noch im ordentlichen Verfahren erfolgen könne 65 • Ob sich hieraus allerdings tatsächlich das Erfordernis einer de minimis-Grenze ergibt, ist meines Erachtens sehr zweifelhaft, da sich die genannten Ausführungen des EuGH - wie auch die Schlußanträge des Generalanwaltes zeigen 66 - allein auf die Frage der mittelbaren Diskriminierung bezogen, konkret, ob ein "tatsächlich gleiches Ergebnis" wie eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit vorliegt. Hier spielen freilich die praktischen Auswirkungen der Regelung bei der Indizwirkung eine Rolle; doch begründen sie keine generelle Notwendigkeit einer bestimmten Erheblichkeit 67 • Im Bereich der Personenverkehrsfreiheiten hat der EuGH zudem eine entsprechende de minimis-Grenze wegen deren integrativen Zwecks ausdrücklich abgelehnt 68 , eine Argumentation, die auch für Art.t2 EGV gelten muß. 2. Verhalten eines Adressaten Aus zahlreichen Äußerungen des EuGH folgt, daß er von einem verhaltensbezogenen Diskriminierungsbegriff ausgeht, d. h. daß die Ungleichbehandlung einem bestimmten Adressaten zurechenbar sein muß 69 • So betont er in ständiger Rechtsprechung, eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit liege nicht bereits bei Ungleichheiten oder Verzerrungen vor, die sich allein aus den Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergeben können 70. Art.t2 EGV soll damit gerade keine Harmonisierung im Wege des Diskriminierungsverbots bewirken 71. Das (im Ergebnis eine der VerEuGH, Rs. 22/80, Boussac/Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427, Rn. 13 f. GA Mayras, a. a. 0., S. 3445f. 67 So können u. U. sogar bereits rein formale Unterschiede ausreichen: vgl. EuGH, Rs. C-45/93, Kommission/Spanien, Slg. 1994, 1-911, Rn.9; ähnlich Rs. 186/87, Cowan/Tresor Public, Slg. 1989, 195, Rn. 11. 68 EuGH, Rs.167/73, Kommission/Frankreich, Slg. 1974,359, Rn.45/47. 69 Dabei richten sich Art. 12 EGV sowie die Personenverkehrsfreiheiten durchaus nicht nur an die Mitgliedstaaten, sondern auch an Private; vgl. nur EuGH, Rs.36/74, Walrave/Union Cycliste Internationale, Slg. 1974, 1405, Rn. 16/19; Rs.C-415/93, Bosman, Slg. 1995,1-4921, Rn. 82ff. und neuerdings Rs. C-281/98, Angonese, EuZW 2000, 468, Rn.30ff. sowie Rs. C-411/98, Angelo Ferlini/Centre hospitalier de Luxembourg, EuZW 2001,26, Rn. 50. 70 EuGH, Rs. 223/86, Pesca Valentia, Slg. 1988, 83, Rn. 18; vgl. ebenso Rs. 14/68, Walt Wilhelm, Sig. 1969, 1, Rn. 13; Rs. 1/78, Kenny/Insurance Officer, Slg. 1978, 1489, Rn. 18; Rs. 308/86, Lambert, Slg. 1988,4369, Rn.21 f.; verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993,1-6097, Rn. 6; Rs. C-177/94, Perfili, Slg. 1996,1-161, Rn. 17; verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phi! Collins u.a., Slg. 1993,1-5145, Rn. 30 (hier jeweils unter der ergänzenden Voraussetzung, daß die "Rechtsordnungen auf alle ihnen unterworfenen Personen nach objektiven Merkmalen und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Betroffenen anwendbar sind"). 71 EuGH, Rs. 126/82, Smit/Commissie Grensoverschrijdend Beroepsgoederenvervoer, Slg. 1983,73, Rn. 27; Rossi, EuR 2000,197,210; Fastenrath, JZ 1987, 170, 171; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn.43; ähnlich Kokott, Steuerrecht, S.I, 5f.; Wernsmann, EuR 1999, 754, 757 spricht daher von "Kästchengleichheit"; vgl. aber auch die scharfe Kritik an der hier teils zu weit geratenen Rechtsprechung bei Schack, ZZP 1995,47 ff. 65

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gleichsgruppen benachteiligende) Zusammentreffen von Regelungen zweier Mitgliedstaaten genügt für eine Diskriminierung nicht. Ebenso wenig steht Art. 12 EGV entgegen, daß ein Mitgliedstaat auf einem bestimmten Sachgebiet strengere Vorschriften anwendet als ein anderer, solange diese für alle der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates unterliegenden Personen einheitlich gelten 72 • Die Zurechenbarkeit findet ihr Ende aber auch an den Kompetenzgrenzen eines Adressaten. Ergibt sich eine Ungleichbehandlung aus der Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm, so liegt dennoch keine Diskriminierung vor, wenn der betroffene Mitgliedstaat zu einer weitergehenden Regelung überhaupt nicht befugt ist. Im Fall Peralta verneinte der EuGH dementsprechend eine Diskriminierung bei einem italienischen Verbot der Verklappung von Giftstoffen, das nur für italienische Hoheitsgewässer und Schiffe unter italienischer Flagge galt 73 • Ähnlich läßt sich auch die wiederholte Aussage im Bereich des Steuerrechts interpretieren, wonach diejenigen Differenzierungen aus dem Diskriminierungsverbot ausscheiden sollen, die allein aus dem steuerrechtlichen Territorialitätsprinzip folgen 74 • Anders hingegen die Aussagen im Fall Phi! Collins: Das deutsche Urheberrecht gewährte grundsätzlich für alle künstlerischen Darbietungen - unabhängig vom Aufführungsort - seinen Schutz, nicht jedoch für Ausländer, wenn die Darbietung im Ausland stattfand. Diese (personale und territoriale) Einschränkung sah der EuGH hier offenbar nicht durch die Kompetenzgrenzen der Bundesrepublik vorgegeben. Er bejahte demzufolge einen Verstoß gegen Art. 12 EGV 75 • 3. Reichweite des Vergleichs

Der EuGH geht dabei ausnahmslos von einer gegebenen generell-abstrakten Regelung aus, ohne eine etwa abweichende Behördenpraxis zu berücksichtigen. Selbst wenn von einer diskriminierenden (und damit gemeinschaftsrechtswidrigen) Norm extensive Ausnahmen oder Befreiungen gewährt werden, um im Ergebnis doch zu einer Gleichbehandlung zu kommen, führt dies nicht zum Entfallen des Diskriminierungsvorwurfs 76. Grund dafür ist die "textlich unveränderte Fortgeltung" und damit der fortbestehende "Rechtsschein" einer solchen Norm, der die Betroffenen zunächst davon abhält, ihre nach Gemeinschaftsrecht bestehenden Rechte geltend zu EuGH, Rs. 223/86, Pesca Valentia, Slg. 1988,83, Rn. 18. EuGH, Rs. C-379/92, Peralta, Slg. 1994, 1-3453, Rn. 47 f. 74 EuGH, Rs. C-250/95, Futura Participations und Singer, Slg. 1997,1-2471, Rn. 22; doch läßt sich dies ebenso als Fall eines "sachlichen Grundes" auffassen; vgl. auch Kokott, Steuerrecht, S. 1, 6,17. 75 EuGH, verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phil Collins u.a., Slg. 1993,1-5145, Rn. 32f. 76 EuGH, Rs. C-22l/89, Factortame, Slg. 1991,1-3905, Rn. 38; ähnlich: Rs. 167n3, Kommission/Frankreich, Slg. 1974,359, Rn. 6/12, 41/42; Rs.C-175/88, Biehl, Slg. 1990,1-1779, Rn. 18; Rs. C-35l/90, Kommission/Luxemburg, Slg. 1992,1-3945, Rn. 16f.; Rs. 82n7, Niederländische StaatsanwaltschaftlVan Tiggele, Slg. 1978, 25, Rn. 16/20; Rs.27/80, Fietje, Slg. 1980,3839, Rn.14 (hier zu Art. 28 EGV). 72

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machen 77 • Demzufolge sah der EuGH eine Ungleichbehandlung auch schon darin, daß eigenen Staatsangehörigen ein bestimmter Vorteil aufgrund eines Gesetzes gewährt wird, während für Ausländer ein entsprechender Regierungsbeschluß notwendig war, selbst wenn darin auch nur ein formaler Unterschied liegen sollte 78. Gleiches gilt auch, wenn eine an sich diskriminierende Regelung zwar die Möglichkeit vorsieht, auf der Basis einer Ermessensentscheidung im jeweiligen Einzelfall zu einer Korrektur zu kommen, aber nicht eine entsprechende Pflicht normiert 79 • Im Urteil Commerzbank wird zudem deutlich, daß die Ungleichbehandlung auf der Ebene der individuellen Einzelregelung zu untersuchen und keine "Gesamtbilanz" zu ziehen ist. In Rede stand eine Regelung, die bei Rückzahlung nicht geschuldeter Steuer grundsätzlich einen Zuschlag (als eine Art Verzinsung) vorsah, dafür aber einen steuerlichen Sitz im Inland verlangte. Als Argument gegen eine (mittelbare) Diskriminierung ließ der EuGH dabei nicht gelten, ausländische Gesellschaften würden ohnehin in diesem Fall sogar bestimmte Steuerbefreiungen genießen. Vielmehr stellte er auf eine isolierte Gleichbehandlung bei der Rückzahlung ab, unabhängig von deren Ursache 80. Die Maßgeblichkeit einer "Einzelbetrachtung" ergibt sich schließlich auch aus der "Kohärenz"-Rechtsprechung 8 \. Hier hat der EuGH Argumente, die auf eine Einheitlichkeit der Steuersystematik abzielen, erst auf der Rechtfertigungsebene herangezogen 82 • Für die Ungleichbehandlung selbst sind sie daher irrelevant. 4. Unmittelbare Diskriminierung Wie im Grundlagenteil angedeutet, kommt die Anwendung von Art. 12 EGV zunächst ohne weiteres für Maßnahmen in Betracht, die tatbestandlich und damit unmittelbar an das Merkmal der Staatsangehörigkeit (der Staatszugehörigkeit bei juristischen Personen 83 ) anknüpfen. Da diese Fälle bei der Frage der Ungleichbehand-

77 So EuGH, Rs. 167n3, Kommission/Frankreich, Sig. 1974, 359, Rn.4I/42; Rs. C-351/90, Kommission/Luxemburg, Slg. 1992,1-3945, Rn. 18. 78 EuGH, Rs. C-45/93, Kommission/Spanien, Sig. 1994, 1-911, Rn.9. 79 EuGH, Rs. C-175/88, Biehl, Sig. 1990,1-1779, Rn. 18. 80 EuGH, Rs.C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993,1-4017, 18f. 8\ Etwa EuGH, Rs. C-264/96, ICI, Slg. 1998, 1-4695, Rn. 29 f.; Rs. C-279/93, Schumacker, Slg. 1995,1-225, Rn.40ff.; Rs.C-80/94, Wielockx, Slg. 1995,1-2493, Rn. 24; Rs.C-294/97, Eurowings Luftverkehr, Slg. 1999,1-7447, Rn.4l; vgl. zum Ganzen Wernsmann, EuR 1999,754, 761 ff. (insbes. 770f.) und Kokott, Steuerrecht, S. I, 8 m. w. N. 82 Zur Relevanz eines solchen Systemgedankens auch für den allgemeinen Gleichheitssatz vgl. Küchel, AöR 124 (J 999), 175, 195 ff. 83 EuGH, Rs. C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg. 1996,1-4661, Rn. 17.

8 Plölscher

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

lung keine weiteren Fragen aufwerfen, liegt dort das Problem - wie die Rechtsprechung zeigt - meist auf der Ebene des sachlichen Differenzierungsgrundes 84 . Ein Fall unmittelbarer Diskriminierung liegt auch vor, wenn eine Regelung tatbestandlieh nur einen Teil der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten benachteiligt. Dies hat der EuGH beispielsweise für die Konstellation entschieden, daß eine bestimmte Leistungsgewährung vom Bestehen eines Gegenseitigkeitsabkommen mit dem Mitgliedstaat abhängig gemacht wurde, dem der Betroffene angehört 85 . Auch hier wird zwingend an die Staatsangehörigkeit angeknüpft, da zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschieden wird und sich darüber hinaus in der Gruppe der Benachteiligten ausschließlich Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten finden. Fraglich ist, wie Fälle einzuordnen sind, in denen die Anknüpfung an ein bestimmtes Kriterium zwingend zur Benachteiligung ausschließlich von Ausländern (oder Inländern) führt. Vieles spricht dafür, diese Situation ebenfalls wie eine unmittelbare Diskriminierung zu behandeln 86 . Der EuGH scheint eher der mittelbaren Diskriminierung zuzuneigen. Im Fall Mora Romero gebrauchte er für eine Regelung, die an die Ableistung des Wehr- oder Ersatzdienstes in Deutschland bzw. nach deutschem Recht anknüpfte, die für die mittelbare Diskriminierung typische Formel, daß die Norm zu dem gleichen Ergebnis wie eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit führe 87 . Doch liegt die Annahme einer unmittelbaren Diskriminierung hier mindestens ebenso nahe, zumal die Wehrpflicht als Staats bürgerpflicht in direktem Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit steht. Die eigentliche Problematik dieser Fälle findet sich dann ebenfalls auf der Rechtfertigungsebene. 5. Mittelbare Diskriminierung

Interessanter ist hier die Reichweite der Vorschrift im Bereich der mittelbaren Diskriminierung. Grundsätzlicher Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Auslegung ist der Wortlaut des Art. 12 EGV ("jede Diskriminierung")88 sowie eine Auslegung anhand des "effet utile"89 . Daß diese Vorschrift (ebenso wie die Personenverkehrsfreiheiten) bei einer Differenzierung nach scheinbar "neutralen" Kriterien Siehe hierzu unten § 5 B. V. EuGH, Rs.186/87, Cowan/Tresor Public, Sig. 1989, 195, Rn. 12; Rs.1/72, Frilli/Belgien, Slg. 1972,457, Rn. 19. 86 Zu dieser Einordnung der parallelen Situation im Bereich der Geschlechterdiskriminierung vgl. § 7 B. 11. 1. b. 87 EuGH, Rs. C-131196, Mora Romero, Slg. 1997,1-3659, Rn. 32f.; allerdings deuten die weiteren Ausführungen in Rn. 35 eher an, daß nur die in der betroffenen VO 1408/71 angelegten Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen sind; dieser (strenge) Maßstab wiederum spricht eher für eine unmittelbare Diskriminierung. 88 Rossi, EuR 2000, 197, 21Of. 89 Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EGV, Rn. 15 m. w. N .. Vgl. auch allgemein zum Argument des "effet utile" in der Rechtsprechung Streinz, PS Everling, 1491 ff. 84 85

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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zur Anwendung kommen kann, hat der EuGH erstmals in dem bereits erwähnten Urteil Sotgiu entschieden. Dem Fall zugrunde lag eine mitgliedstaatliche Regelung, die bestimmte Rechtsfolgen an den Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat knüpfte. Hierin sah der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 12 EGV und des zu Art. 39 Abs.2 EGV ergangenen Art. 7 va 1612/68. Hierzu führte er aus: "Die Vorschriften [... ] verbieten nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen."9O

Und weiter: "Dies wäre allerdings nicht der Fall, wenn die Voraussetzungen [... ] den sachlichen Unterschieden der Lage Rechnung tragen, in der sich die Arbeitnehmer befinden [... ]"91

In mehr oder weniger großen Abwandlungen bezieht der EuGH diese Formulierung seitdem in ständiger Rechtsprechung - sowohl zu Art. 12 EGV als auch den Personenverkehrsfreiheiten - in den Wortlaut seiner Entscheidungen ein 92 • Soweit ersichtlich verwendet er dabei stets die Bezeichnung "versteckte" oder auch "verschleierte Form der Diskriminierung"93, obwohl er das der Umschreibung nach parallele Rechtsinstitut im Rahmen anderer Diskriminierungsverbote auch "mittelbare Diskriminierung" nennt 94 • Im folgenden soll um der Einheitlichkeit der Begriffswahl willen ebenfalls von "mittelbarer Diskriminierung" gesprochen werden. Der Struktur nach bestehen die Formulierungen des EuGH meist aus zwei Teilen: (1) der Feststellung einer Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale als der EuGH, Rs. 152/73, SotgiulDeutsche Bundespost, Slg. 1974, 153, Rn. 11. A.a.O., Rn. 12. 92 Zu Art. 12 EGV: EuGH Rs.143/87, Stanton/Inasti, Slg. 1988,3877, Rn. 9; verb.Rs.154 u. 155/87, RSVZ/Wolf, Slg. 1988, 3897, Rn. 9; Rs. C-29/95, Pastoors und Trans-Cap, Slg. 1997, 1-285, Rn. 16; Rs. C-131196, Mora Romero, Slg. 1997,1-3659, Rn. 32f. - zu Art. 39 Abs. 2 EGV: EuGH Rs.237/78, Cram/Toia, Slg. 1979,2645, Rn. 12; verb. Rs. 62 u. 63/81, Seco/EVI, Slg. 1982,223, Rn. 8; Rs. 41/84, Pinna/Caisse d' allocations jamiliales de la Savoie, Slg. 1986, 1, Rn. 23; Rs. 33/88, Allue u. a.!Universitii degli studi di Venezia, Slg. 1988, 1591, Rn. 11; Rs. 20/85, Roviello/Landesversicherungsanstalt Schwaben, Slg. 1988, 2805, Rn. 14; Rs.C-175/88, Biehl, Slg. 1990,1-1779, Rn. 13; Rs.C-ll1/91, Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, 1-817, Rn. 9; Rs. C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, 1-225, Rn. 26; Rs. C-237/94, 0' Flynn, Slg. 1996,1-2617, Rn. 18f.; Rs. C-266/95, Merino Garcia, Slg. 1997,1-3279, Rn. 33; Rs. C-15/96, Schönig-Kougebetopoulou, Slg. 1998,1-47, Rn.21; Rs. C-350/96, Clean Car Autoservice, Slg. 1998, 1-2521, Rn. 27 f. - zu Art. 43 Abs.2 EGV: EuGH Rs. C-3/88, Kommission/Italien, Slg. 1989,4035, Rn. 8; Rs. C-221189, Factortame, Slg. 1991, 1-3905, Rn. 30, 32; Rs. C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993,1-4017, Rn. 14; Rs. C-107/94, Asscher, Slg. 1996, 1-3089, Rn. 38 f. - zu Art. 50 Abs. 2 EGV: EuGH Rs. C-360/89, Kommission/Italien, Slg. 1992, 1-3401, Rn.lI; Rs.C-224/97, Ciola, Slg. 1999,1-2517, Rn.13f. 93 So z.B. in EuGH, Rs. 33/88, Allue u.a.!Universitii degli studi di Venezia, Slg. 1988, 1591, Rn. 11. 94 In der Rs. C-237/94, 0' Flynn, Slg. 1996,1-2617, Rn.18 gebraucht der EuGH sogar beide Formulierungen gleichwertig nebeneinander. 90

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

Staatsangehörigkeit, die tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen, und (2) der Untersuchung sachlicher Gründe für die Unterscheidung.

a) "Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale" aa) Fallgruppen Die Fälle, in denen nach dem EuGH trotz Anwendung eines anderen Unterscheidungskriteriums vom Vorliegen einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit auszugehen ist, lassen sich kaum in einen abschließenden Katalog fassen. Doch sind einige Grundstrukturen erkennbar. Recht eindeutig sind zunächst Situationen, in denen zwar nach der Staatsangehörigkeit differenziert wird, diese Unterscheidung aber nicht an den eigentlich Berechtigten, sondern bei Familienangehörigen anknüpft. Relevant wird dies allerdings weniger im Rahmen von Art. 12 EGV als bei den Personenverkehrsfreiheiten, deren personaler Anwendungsbereich jeweils auf grenzüberschreitend Erwerbstätige begrenzt ist. Grundlegend ist hierzu die Entscheidung Cram/Toia. Eine französische Vorschrift machte die Gewährung einer Beihilfe für Familienmütter u. a. davon abhängig, daß deren unterhaltsberechtigte Kinder die französische Staatsangehörigkeit besitzen. Die Kinder selbst waren nach der hier relevanten VO 1408/71 zwar keine Berechtigten. Doch sah der EuGH in der Regelung eine mögliche "versteckte Form" der Diskriminierung, wegen der nachteiligen Rückwirkungen für die Mütter95 • Eine zweite große Fallgruppe sind Vorschriften, die nach dem (früheren oder gegenwärtigen) Wohn- 96 , Aufenthalts- 97 , oder Beschäftigungsort98 bzw. der Ansässigkeit 99 unterscheiden. Auf der Basis der gegenwärtigen Situation in der Gemeinschaft, daß die Mehrheit aller Personen im eigenen Land wohnt und arbeitet, wirken sich derartige Regelungen meist unterschiedlich für verschiedene Staatsangehörige aus, so daß der EuGH hier grundsätzlich ebenfalls von einer mittelbaren Diskriminierung ausgeht. Parallel zu dem soeben erwähnten Fall Cram/Toia gilt dies auch bei der Anknüpfung an den Wohnsitz von Familienangehörigen 100. Relevant wurden 95 EuGH, Rs.237/78, CramlToia, Sig. 1979, 2645, Rn. 12f.; zu dieser Fallgruppe auch Schnichels, S. 93 f. 96 EuGH, Rs. 152/73, SotgiulDeutsche Bundespost, Sig. 1974, 153, Rn. 11 f.; Rs. C-1l1/91, KommissioniLuxemburg, Sig. 1993, 1-817, Rn. 10; Rs. C-224/97, Ciola, Sig. 1999, 1-2517, Rn. 14; Rs. C-279/89, KommissionIVereinigtes Königreich, Sig. 1992, 1-5785, Rn. 42; Rs. C-350/96, Clean Car Autoservice, Sig. 1998,1-2521, Rn. 29. 97 EuGH, Rs. C-349/87, Paraschi, Sig. 1991,1-4501, Rn. 24. 98 EuGH, Rs. C-15/96, Schönig-Kougebetopoulou, Sig. 1998, 1-47, Rn. 22 f.; Rs. C-419/92, Schotz, Sig. 1994,1-505, Rn. 11. 99 EuGH, Rs. C-330/91, Commerzbank, Sig. 1993,1-4017, Rn. 14f.; Rs. C-175/88, Biehl, Sig. 1990,1-1779, Rn.l3f. \00 EuGH, Rs. 41/84, PinnalCaisse d' allocations familiales de la Savoie, Sig. 1986, 1, Rn. 24; Rs. C-266/95, Merino Garcia, Sig. 1997, 1-3279, Rn. 35.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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derartige geographische Anknüpfungen vor allem in steuer- und sozialrechtlichen Entscheidungen. In einigen Fällen genügte dem EuGH sogar auch ein nur irgendwie gearteter territorialer Bezug zu einem Mitgliedstaat, um eine mittelbare Diskriminierung zumindest in Erwägung zu ziehen, wie z. B. bei Regelungen, die an den Ort der Vornahme einer Handlung lOl oder die Zugehörigkeit zum inländischen Bildungssystem 102 anknüpften. Schließlich unterwirft der Gerichtshof selbst Unterscheidungen nach dem Wohnsitz in Teilgebieten eines Mitgliedstaates dem für die mittelbare Diskriminierung stets betonten Rechtfertigungszwang, wonach sie in bezug auf ihre Zwecksetzung einheitlich für alle Staatsangehörige gelten müssen lO3 • In einer dritten Fallgruppe lassen sich Regelungen zusammenfassen, die an kulturelle oder politische Elemente anknüpfen. Beispiele sind hier Differenzierungen nach der Muttersprache lO4 oder nach der Wahrung, in der eine Geldschuld eingefordert werden kann l05 , bei denen der EuGH zumindest die Möglichkeit einer (mittelbaren) Diskriminierung angedacht hat. Eindeutiger ist aber der Fall einer italienischen Vorschrift, wonach öffentliche Aufträge nur an Unternehmen in mehrheitlich staatlichem oder öffentlichem Besitz vergeben werden durften 106. Faßt man vorläufig zusammen, so ist sämtlichen Fällen zumindest gemein, daß die genannten Kriterien einen gewissen "inneren" Bezug zur Staatsangehörigkeit aufweisen und daher apriori "verdächtig" erscheinen 107. Gleichwohl nimmt der EuGH in einigen Entscheidungen auch bei an sich "unverdächtigen" Unterscheidungskriterien eine mittelbare Diskriminierung an, wie z. B. hinsichtlich der Befristung von Arbeitsverträgen für Fremdsprachenlektoren. Die betreffende Regelung knüpfte hier lediglich an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe an. Doch stellte sich heraus, daß die meisten der benachteiligten Lektoren tatsächlich Ausländer waren, was dem EuGH hier genügte grundsätzlich von einer mittelbaren Diskriminierung auszugehen 108. Noch deutlicher sind die Ausführungen zu einer irländischen Vorschrift, die den Fischfang für Schiffe ab einer bestimmten Größe und Motorstärke innerhalb einer festgelegten Zone untersagte. Diese in bezug auf die Staatsangehörigkeit absolut "neutral" erscheinende Vorgabe betraf aber tatsächlich einen Großteil der niederländischen und französischen Flotte, während irische und 101 EuGH, Rs.C-237/94, O'Flynn, Sig. 1996,1-2617, Rn. 20 (Bestattungen); Rs.C-131/96, Mora Romero, Sig. 1997, 1-3659, Rn. 32f. (Ableistung von Wehrdienst); Rs. 20/85, Roviello/ Landesversicherungsanstalt Schwaben, Sig. 1988,2805, Rn.14f. (Erbringung sozialversicherungsrechtlicher Beitragszeiten). 102 EuGH, Rs. C-27/91, Le Manoir, Sig. 1991,1-5531, Rn. 11; Rs. C-278/94, Kommission/ Belgien, Sig. 1996,1-4307, Rn. 27 ff. 103 Vgl. EuGH, Rs.182/83, Fearon/Irish Land Commission, Sig. 1984,3677, Rn. 10. 104 EuGH, Rs.C-379/87, Groener, Sig. 1989,3967, Rn.19ff. 105 EuGH, Rs. 22/80, Boussac/Gerstenmeier, Sig. 1980, 3427, Rn. 9 ff. 106 EuGH, Rs. C-3/88, Kommission/Italien, Sig. 1989,4035, Rn. 8f.; vgl. auch Garrone, RTDE 1994,425,429. 107 So Garrone, RDTE 1994,425,429,431; mit ähnlicher "Typisierung" Schnichels, S. 90f. 108 EuGH, Rs. 33/88, Allue u. a.lUniversita degli studi di Venezia, Sig. 1989, 1591, Rn. 12.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

britische Boote wegen ihrer mehrheitlich deutlich geringeren Größe kaum erfaßt wurden. Hieraus folgerte der EuGH das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (bzw. der Staatszugehörigkeit der Schiffe) 109. Ob einem derart weitem Begriffsverständnis zu folgen ist, mag hier noch einmal dahingestellt bleiben. bb) Bedeutung des Merkmals Trotz dieser scheinbaren Unterschiede der Fallgruppen zeigt sich doch zumindest eine Gemeinsamkeit. Stets ist es ein bestimmtes, in der betreffenden Regelung enthaltenes Tatbestandsmerkmal, aus dem sich die unterschiedliche Betroffenheit verschiedener Staatsangehöriger, d. h. der Vergleichsgruppen, ergibt. Obwohl der EuGH dies nicht ausdrücklich erwähnt, scheint damit - trotz der Erweiterung auf eine Wirkungsbetrachtung - die formale Ausgestaltung der untersuchten Maßnahme nach wie vor eine gewisse Bedeutung zu haben. Die relevanten unterschiedlichen Wirkungen lagen nämlich durchweg in der Regelung selbst begründet. Fälle, in denen der Gerichtshof davon losgelöst allein auf die Wirkung abstellt, sind hingegen zumindest im Rahmen des Art. 12 EGV nicht bekannt.

b) "Tatsächlich gleiches Ergebnis" Will man die erwähnten Fallgruppen auf eine einheitliche Basis bringen, so stößt man in der Rechtsprechung fortlaufend auf die schon erwähnte Formel des "tatsächlich gleichen Ergebnisses", die Maßstab dafür sein soll, wann die Anknüpfung an ein bestimmtes Kriterium der Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit gleichkommt. aa) Faktische Betrachtung Das Attribut "tatsächlich" deutet dabei zunächst auf eine rein faktische Betrachtung hin. Danach wäre im Wege einer Art Beweiserhebung wohl zu klären, ob und wie sich eine bestimmte Regelung für die Vergleichsgruppen auswirkt. Dabei liegt nahe, wie bei der Geschlechterdiskriminierung auf statistische Erhebungen zurückzugreifen. Ein Beispiel für den Rückgriff auf derartige faktische Argumentationsmuster sind die Fremdsprachenlektorenfalle. Hier sieht der EuGH in der gesetzlichen Befristung der Arbeitsverträge für Fremdsprachenlektoren, während die Beschäftigung anderer Arbeitnehmer an Universitäten grundsätzlich unbefristet erfolgt, regelmäßig eine "verschleierte Form der Diskriminierung". Als Begründung dafür, daß "im wesentlichen" Arbeitnehmer, die anderen Mitgliedstaaten angehören, betroffen seien, führt er an, daß im konkreten Fall nur 25 % der Fremdspra109

EuGH, Rs. 61n7, Kommission/Irland, Slg. 1978,417, Rn. 69 f.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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chenlektoren eigene Staatsangehörige (hier: Italiener) seien ilO • Die mittelbare Differenzierung wird hier also explizit auf tatsächliche Zahlenverhältnisse gestützt. Auch bei einem Fall zum Wohnsitzkriterium begründet der EuGH die mittelbare Diskriminierung damit, daß die "große Mehrheit" der Staatsbürger eines Landes dort auch ihren Wohnsitz hat 111. Einige andere Entscheidungen enthalten ähnliche Formulierungen 112. Dem Wesen nach läuft dieses Verständnis auf eine einfache Beweislastregelung hinaus in bezug auf die Frage, ob ein Zusammenhang mit dem verbotenen Merkmal der Staatsangehörigkeit besteht. Wenn der EuGH dabei ein "gleiches" Ergebnis wie bei einer Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit verlangt, kann damit freilich nicht völlige Identität der Ergebnisse gemeint sein, da die mittelbare Diskriminierung ansonsten kaum über die unmittelbare hinausreichte. Gemeint ist wohl vielmehr ein "gleichwertiges" Ergebnis ll3 , welches offenbar zumindest dann vorliegt, wenn eine "große Mehrzahl" der von der Norm geregelten Fälle Ausländer nachteilig betrifft 1l4 • Wie gesehen, nimmt der EuGH eine solche statistische Signifikanz schon dann an, wenn in der bevorzugten Gruppe nur 25 % Inländer sind 115, unabhängig davon, ob sich unter den Benachteiligten neben Gemeinschaftsbürgem auch Drittstaatler befinden. bb) Normative Betrachtung Doch sind diese statistischen Betrachtungen hier insgesamt eher Ausnahmefälle. Trotz seiner Wortwahl ("tatsächlich gleiches Ergebnis") stellt der EuGH nämlich 110 EuGH, Rs. 33/88, Allue u. a.lUniversitil degli studi di Venezia, Slg. 1989, 1591, Rn. 12; verb. Rs. C-259, C-331 u. C-332/91, Allue u. a., Slg. 1993,1-4309, Rn. 12. Die Ausführungen nehmen aber nicht darauf Bezug, ob Ausländer von der Regelung nachteiliger betroffen sind als Inländer; vielmehr wird lediglich der Ausländeranteil in der benachteiligten Gruppe festgestellt, ohne daß dies mit der bevorzugten Gruppe in Beziehung gesetzt wird. Ähnlich auch die Ausführungen von GA Lenz, Schlußanträge zu verb. Rs. C-259, C-331 u. C-332/91 , Allue u. a., Slg. 1993,1-4309, Tz.18. 111 EuGH, Rs. C-279/89, KommissionIVereinigtes Königreich, Slg. 1992, 1-5785, Rn. 42. 112 EuGH, Rs.61/77, Kommission/Irland, Slg. 1978, 417, Rn. 79 ("erheblicher Teil"); Rs. 143/87, Stanton/Inasti, Slg. 1988, 3877, Rn. 9 sowie verb. Rs. 154 u. 155/87, RSVZ/Wolf, Slg. 1988, 3897, Rn. 9 ("ausschließlich oder hauptsächlich Nichtbelgier" benachteiligt); Rs. C-272/92, Spotti, Slg. 1993, 1-5185, Rn. 18 ("ganz überwiegend ausländische Staatsangehörige"); vgl. neuerdings auch EuGH, Rs. C-205/98, Kommission/Österreich, EuR 2000, 952, Rn. 67 f. u. 87 ["Brennerautobahn"] sowie Rs. C-411/98, Angelo Ferlini/Centre hospitalier de Luxembourg, EuZW 2001, 26, Rn.58. 113 Vgl. auch die Schlußanträge von GA Mayras in Rs. 22/80, Boussac!Gerstenmeier, Slg. 1980,3427,3443. 114 So von Bogdandy, in: GrabitzlHilf, Art. 6 EGV, Rn. 17, allerdings unter offenbar unzutreffendem Hinweis auf EuGH, Rs.C-129/92, Owens Bank/Bracco, Slg. 1994,1-117, Rn. 16; vgl. auch zuletzt EuGH, Rs.C-281/98, Angonese, EuZW 2000, 468, Rn.41. 115 EuGH, Rs. 33/88, Allue u. a.lUniversitil degli studi di Venezia, Slg. 1989, 1591, Rn. 12.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

meist gerade nicht auf die Tatsachen des jeweiligen Einzelfalls ab und verlangt auch keinen konkreten Nachweis der Benachteiligung einer Vergleichsgruppe. Nur teilweise läßt sich dies wenigstens mit dem Charakter des oft zugrundeliegenden Vorabentscheidungsverfahrens erklären, wenn der EuGH die tatsächliche Prüfung dort nationalen Gerichten überläßt '16 • In der Mehrzahl der Fälle geht er nämlich viel eher von einer typisierenden Betrachtungsweise aus, indem er lediglich die Eignung eines Kriteriums prüft, eine derartige Benachteiligung herbeizuführen. Meist stellt er dabei nur pauschal fest, daß eine Voraussetzung von eigenen Staatsangehörigen leichter oder wahrscheinlicher erfüllt werden kann, als von Angehörigen fremder Mitgliedstaaten 117, ohne daß es tatsächlich konkret im Einzelfall zu einer Benachteiligung gekommen sein muß. Umgekehrt genügt ihm oft auch eine "im wesentlichen" nachteilige Betroffenheit von Ausländern ohne zahlenmäßige Spezifizierung" 8 . Die Spitze dieser Entwicklung scheint erreicht, wenn der EuGH, zumindest dem Wortlaut seiner Entscheidungen nach zu urteilen, schon die bloße Möglichkeit bzw. "Gefahr" einer ungleichen Auswirkung für die Vergleichsgruppen genügen lassen Will" 9. Deutlich sind hier die Ausführungen in der Rechtssache 0' Flynn. Kriterium für die mittelbare Diskriminierung sei allein, ob eine Vorschrift sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken könne und folglich die Gefahr bestehe, daß sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt. Sodann stellt der EuGH fest: "Ob tatsächlich ein größerer Anteil von Wanderarbeitnehmern negativ betroffen ist, braucht nicht festgestellt zu werden, denn es genügt die Eignung der Vorschrift, eine solche Wirkung hervorzurufen."'2o Bei dieser Typisierung löst sich der EuGH gelegentlich auch völlig von den Tatsachen des Falles. Im Urteil Roviello hatte er über eine Vorschrift zu entscheiden, wonach bei der Bestimmung des Anspruchs auf Erwerbsunfahigkeitsrente auf den bisherigen Beruf des Versicherten nur abzustellen war, wenn eine Mindestbeitragszeit im Inland erbracht war. Hierzu führt der EuGH aus, diese Vorschrift erfasse ,,[ihrer] Natur nach im wesentlichen Wanderarbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaa116 So in EuGH, Rs. 107/83, Ordre des avocats au barreau de Paris/ Klopp, Slg. 1984, 2971, Rn. 14. 117 EuGH, Rs.20/85, Roviello/Landesversicherungsanstalt Schwaben, Slg. 1988, 2805, Rn. 15; Rs. C-27/91 , Le Manoir, Slg. 1991,1-5531, Rn. 11; Rs. C-ll1/91, Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, 1-817, Rn. 10; Rs.41/84, Pinna/Caisse d' allocations familiales de la Savoie, Slg. 1986, 1, Rn. 24; GA Lenz zu Rs. C-237/94, 0' Flynn, Slg. 1996,1-2617, Tz. 24. 118 EuGH, Rs. C-266/95, Merino Garcia, Slg. 1997,1-3279, Rn.35. Daß dann auch einige Inländer nachteilig betroffen sind, führt nach Bernard, ICLQ 45 (1996), 82, 87 auch nicht etwa zu einer Umkehrdiskriminierung. 119 So ausdrücklich in EuGH, Rs.C-175/88, Biehl, Slg. 1990,1-1779, Rn. 14.; Rs.C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, 1-249, Rn. 9; Rs. C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, 1-225, Rn. 28; Rs. C-107/94, Asscher, Slg. 1996,1-3089, Rn. 39 - kritisch hierzu Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573,2576. 120 EuGH, Rs.C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996,1-2617, Rn. 18.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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ten", da diese benachteiligt würden, wenn sie im Ausland eine höher qualifizierte Tätigkeit ausgeübt haben. Daß allerdings in umkehrter Konstellation (Tätigkeit im Ausland schlechter qualifiziert) auch eine Bevorzugung möglich ist, könne "diese Diskriminierung weder beseitigen noch aufwiegen" 121. Im Ergebnis prüft der EuGH eine Diskriminierung, ohne in irgendeiner Weise auf die tatsächliche Häufigkeit beider Konstellationen einzugehen. Die Grenze der mittelbaren Diskriminierung ist für den EuGH allerdings offenbar erreicht, wenn lediglich eine Ungleichbehandlung innerhalb einer Vergleichsgruppe, wie z. B. der Inländer, geltend gemacht wird. In Pesca Valentia lehnte er hier eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ab, da die betroffene Regelung eine Bevorzugung bestimmter einheimischer Unternehmen zugunsten anderer ebenfalls einheimischer Unternehmen vorsah 122. Deutlich wird dies auch im Fall Konstantinidis, der eine deutsche Regelung betraf, die für den Rechtsverkehr eine Übertragung von griechischen Namen in die lateinische Schreibweise in Abweichung von der phonetischen Übersetzung vorschrieb. Der Generalanwalt sah hierin eine mittelbare Diskriminierung, da Deutsche in der Regel keine Namen in griechischen Buchstaben führten und so tendenziell mehr Ausländer von der Maßnahme betroffen seien 123. Der EuGH hingegen ging auf dieses Argument nicht ein, sondern sprach nur allgemein von einer "Behinderung" (hier der Niederlassungsfreiheit) 124 und löste den Fall damit offenbar im Bereich eines Beschränkungsverbotes. Doch läßt sich dem Argument des Generalanwaltes bereits entgegnen, daß die grundsätzliche Pflicht zur Umschreibung griechischer Buchstaben aus den Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen folgt. Die eigentliche Frage ist vielmehr, welches Umschreibungsverfahren zu verwenden ist. Hierzu fehlt es aber an der inländischen Vergleichsgruppe, da deutsche Namen gerade keiner Übertragung bedürfen. Daher ist dem EuGH im Ergebnis zuzustimmen, daß kein Diskriminierungsfall vorliegt. Betrachtet man die hier angesprochenen Fälle genauer, so zeigt sich, daß der vom EuGH verwendete Wortlaut oft auf ein wesentlich extensiveres Verständnis hindeutet, als offenbar tatsächlich bezweckt ist. In den meisten Fällen, in denen der EuGH auf die "Gefahr" einer besonderen Benachteiligung einer Vergleichsgruppe abstellt, tut er dies in Verbindung mit Überlegungen zu sozialtypischen Verhaltensmustern von Wanderarbeitnehmern und grenzüberschreitend Tatigen. Relevant wird dies vor allem in steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Entscheidungen. Hier argumentiert der Gerichtshof oft mit persönlichen und familiären Bindungen, die dazu führen, daß die betreffenden Personen bestimmte Tatbestände nicht im Inland, sondern 121

EuGH, Rs.20/85, RoviellolLandesversicherungsanstalt Schwaben, Slg. 1988, 2805,

Rn.15.

EuGH, Rs. 223/86, Pesca Valentia, Slg. 1988, 83, Rn.20. GeneralanwaltJacobs zu: Rs. C-168/91, Konstantinidis, Slg. 1993, 1-1191, Tz. 20. 124 EuGH, a. a. 0., Rn. 15 f. 122 123

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

in ihrem Heimatland erfüllen, so daß sich Maßnahmen, die an den Ort dieser Tatbestandserfüllung anknüpfen, grundsätzlich zu ihrem Nachteil auswirken 125 • cc) Bewertung Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, daß der EuGH im Rahmen der mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bei der Feststellung des "tatsächlich gleichen Ergebnisses" nahezu ausnahmslos auf sozialtypische Verhaltensmuster Bezug nimmt. Dogmatisch gesehen geht diese Vorgehensweise weit über eine einfache Beweislastregelung hinaus. Die vom Gerichtshof angewandte Typisierung läßt ein Berufen auf den konkreten Einzelfall und damit einen Gegenbeweis gerade nicht mehr zu. Grundlage ist vielmehr eine wertende Betrachtung, die sich im Ergebnis eher der oben diskutierten erweiterten Vergleichsgruppenbildung 126 annähert 127. Doch führt sie andererseits dennoch nicht zu einer völligen Loslösung vom Merkmal der Staatsangehörigkeit, wie die - nun zu diskutierende - vom EuGH grundsätzlich angewandte Prüfungsstufe möglicher sachlicher Differenzierungsgründe zeigt. c) Keine "sachlichen Unterschiede"

aa) Relevanz des Kriteriums Seit dem Urteil Sotgiu prüft der EuGH im Anschluß nämlich auch, ob die entsprechende Regelung sachlichen Unterschieden Rechnung trägt bzw. sich durch objektive, von der Staatsangehörigkeit unabhängige Erwägungen rechtfertigen läßt. Ist dies der Fall, so soll eine (mittelbare) Diskriminierung ausscheiden 128 • Trotz dieser generellen Aussage finden sich allerdings auch einige Entscheidungen, in denen der EuGH auf dieses Kriterium überhaupt nicht eingeht und die mittelbare Diskriminierung offenbar allein auf der Basis der eben dargestellten Ergeb125 EuGH, Rs. C-349!87, Paraschi, Slg. 1991, 1-4501, Rn. 24 f. (Neigung von Wanderarbeitnehmem, bei Krankheit in ihr Heimatland zurückzukehren, wodurch sie im Inland keine entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Beitragszeiten erwerben können); Rs. C-204/90, Bachmann, Slg. 1992,1-249, Rn.9 (Wanderarbeitnehmer behalten ihre (Sozial-)Versicherungen typischerweise im Heimatland bei); Rs.C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996,1-2617, Rn.20f. (Wanderarbeitnehmer bestatten ihre Angehörigen in der Regel im Heimatland); Rs. C-l 07/94, Asscher, Slg. 1996,1-3089, Rn. 38 f. (Einkommen wird in der Regel im eigenen Heimatland erzielt); ähnlich: Rs. C-279!93, Schumacker, Slg. 1995, 1-225, Rn. 28; Rs. C-175/88, Biehl, Slg. 1990,1-1779, Rn. 14. 126 Siehe § 3 A. H. 1. sowie § 5 B. HI. 3. 127 V gl. auch zu den Personenverkehrsfreiheiten unten § 5 C. I. 128 EuGH, Rs. C-350/96, Clean Car Autoservice, Slg. 1998,1-2521, Rn. 31; ebenso EuGH, Rs.237n8, CramlToia, Slg. 1979,2645, Rn. 14.

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nisbetrachtung untersuchen möchte 129. Symptomatisch hierfür ist die Entscheidung Ciola, in der er bereits wegen der Anknüpfung an das Kriterium des Wohnsitzes eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit bejahte, die Prüfung sachlicher Gründe dann sogar verweigerte und nur die generelle Rechtfertigung nach der hier einschlägigen Vorschrift des Art. 46 EGV prüfte 130. Ob der Rechtsprechung hier eine einheitliche Linie entnommen werden kann, ist daher fraglich. Klar ist jedenfalls, daß der EuGH in den Fällen faktischer Betrachtungsweise, wie z. B. den Fremdsprachenlektorenurteilen, durchweg auch sachliche Differenzierungsgründe untersuchte I3I. Dies entspricht auch dem Charakter einer Beweislastregel. Wenn sich nämlich für die Anwendung eines "neutralen" Kriteriums sachliche Gründe anführen lassen, so ist das aus der Wirkungsbetrachtung folgende Indiz, daß eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit vorliegt, widerlegt. Im Bereich der rein typisierenden Betrachtungsweise ist dies hingegen nicht unbedingt zwingend. Hier könnte prinzipiell bereits aus der typischerweise gegebenen Auswirkung unwiderleglich auf den Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit geschlossen werden. Dennoch läßt der EuGH auch hier grundsätzlich eine Untersuchung sachlicher Differenzierungsgründe zu. Falls sich in einigen Urteilen hierzu dennoch keine Aussagen finden lassen, so liegt dies meist daran, daß ein entsprechender Parteivortrag fehlt. Doch ist freilich auch zu konstatieren, daß sich der EuGH in keinem einzigen Urteil direkt mit der dogmatischen Funktion der Sachlichkeitsprüfung beschäftigt, so daß allenfalls gelegentlich Rückschlüsse aus seinen Äußerungen versucht werden können. Beispielhaft sind die sehr unklaren Ausführungen in der Entscheidung 0' Flynn. Hier hatte das vorlegende Gericht - wie der EuGH selbst zunächst ausdrücklich feststellte - nur nach dem Vorliegen einer (mittelbaren) Diskriminierung und nicht nach der sachlichen Rechtfertigung gefragt. Der EuGH - wie zuvor der Generalanwalt l32 - sah sich hier offenbar zu einer Erörterung der Rechtfertigungsproblematik erst nach einer umständlichen (erweiternden) Auslegung der Vorlagefrage und nach dem Hinweis imstande, dem Vorlagegericht "eine möglichst vollständige und nützliche Antwort" geben zu wollen 133 • Würde man in der sachlichen Rechtfertigung ein Tatbestandselement des Diskriminierungsbegriffs sehen, so wäre sie von der Vorlagefrage inzident umfaßt und es hätte dieser Erörterungen 129 So EuGH, Rs.61/77, Kommission/Irland, Slg. 1978, 417, Rn. 78/80; ebenso auch Lenaerts, CDE 1991, 3, 12. 130 EuGH, Rs. C-224/97, Ciola, Slg. 1999,1-2517, Rn. 14, 16. 131 Vgl. z. B. EuGH, Rs. 33/88, Allue u. a./Universitii degli studi di Venezia, Slg. 1989, 1591, Rn. 13 ff.; hier prüfte der Gerichtshof die Erwägung, daß Lektoren sprachlich auf dem neuesten Stand sein sollen. 132 GA Lenz zu Rs. C-237/94, 0' Flynn, Slg. 1996,1-2617, Tz. 33. 133 EuGH, a. a. 0., Rn. 24 f.

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nicht bedurft. Doch bleibt fraglich, ob der EuGH diesen feinsinnigen dogmatischen Unterschied überhaupt gesehen hat. Meines Erachtens zeigt die Mehrzahl der Entscheidungen vielmehr, daß das oben erwähnte "tatsächlich gleiche Ergebnis", d. h. eine unterschiedliche Auswirkung je nach Staatsangehörigkeit, nur ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für die Bejahung einer Diskriminierung ist 134 • In der Entscheidung Fearon machte der EuGH (hier zu Art. 43 EGV) unmißverständlich deutlich, daß z. B. ein Wohnsitzerfordernis - das sich ja üblicherweise unterschiedlich für In- und Ausländer auswirkt - dann "keinen diskriminierenden Charakter" aufweist, wenn es bezogen auf seine Zwecksetzung (hier Sicherstellung, daß Grundstücke den sie bewirtschaftenden Personen gehören) gleichermaßen für In- und Ausländer gilt 135. Strukturell kommt dies zwar keiner Beweislastregelung, aber doch einer Verteilung der Argumentationslast gleich. Typischerweise der Staatsangehörigkeit gleichstehende Kriterien begründen danach einen widerleglichen Diskriminierungsverdacht, der durch eine vernünftige Begründung für die Anwendung dieser Kriterien entkräftet werden kann. Im Ergebnis geht es daher um die Feststellung der Ursache eines Wirkungsunterschiedes, die nachweislich in der einzelnen mitgliedstaatlichen Regelung und nicht bloß in der fehlenden Harmonisierung mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen 136 liegen muß. bb) Zulässige sachliche Gründe Fraglich ist, welche Anforderungen in bezug auf die generelle Beschaffenheit "sachlicher Gründe" zu stellen sind. Eine Zulassung sämtlicher nur denkbarer Erwägungen als Begründung für eine Differenzierung würde Art. 12 EG V hinsichtlich der "neutralen, aber verdächtigen" Kriterien dem allgemeinen Gleichheitssatz oder zumindest einem Willkürverbot annähern. Daher sind positiv wie negativ eingrenzende Kriterien erforderlich. In positiver Hinsicht scheint der EuGH jedoch grundsätzlich jede vernünftige Zwecksetzung als sachlichen Grund zu akzeptieren. Zumindest sind die Fälle, in denen er als Rechtfertigung angeführte Argumente apriori als unzulässig verwirft, eher selten. Ausnahme ist insofern der Fall Cram/Toia, in der er die vorgebrachte bevölkerungspolitische Zielsetzung als "sachlichen Grund" zurückwies, weil die hier betroffene va 1408/71 diese nicht kenne 137. Demnach wäre zu fordern, daß das entsprechende Ziel zumindest grundsätzlich vom Gemeinschaftsrecht als legitim anerkannt wird. 134 So auch Schnicheis, S.90f.; Thömmes, GS Knobbe-Keuk, 795, 811; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 53. 135 EuGH, Rs.182/83, Fearonllrish Land Commission, Slg. 1984,3677, Rn.W. 136 So wohl die Überlegung in EuGH, Rs. C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, 1-249, Rn. 11 f. 131 EuGH RS.237/78, CramlToia, Slg. 1979,2645, Rn. 15ff.

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Deutlichere Ansatzpunkte finden sich hier aber in bezug auf Negativkriterien. So darf der vorgebrachte "sachliche Grund" selbst jedenfalls nicht in Zusammenhang mit dem Merkmal der Staatsangehörigkeit stehen. Deutlich wird dies beispielsweise bei einer Regelung, die nach dem Sitz einer Gesellschaft differenziert, zumal der Sitz nach der Rechtsprechung des EuGH bereits grundsätzliches Anknüpfungsmoment bei der Bestimmung der Staatszugehörigkeit ist J38 • Demzufolge darf der Regelungszweck selbst nicht auf dem unterschiedlichen Sitz beruhen l39 • Mit anderen Worten: der Zweck darf nicht selbst bereits diskriminatorisch, d. h. auf die Staatsangehörigkeit bezogen, sein. Darüber hinaus muß die betreffende Vorschrift in bezug auf ihren Zweck aber auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit Anwendung finden 140. Umgekehrt entfallt aber auch der Diskriminierungsvorwurf, wenn ein Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit nicht erkennbar ist l41 • cc) Weitere Einschränkungen Sehr uneinheitlich sind hingegen die Aussagen hinsichtlich der Zweck-MittelRelation und damit der Frage, in welchem Verhältnis der vorgebrachte "sachliche Grund", d. h. die Zwecksetzung, zur konkreten Ausgestaltung der Regelung, d. h. dem "neutralen" Differenzierungskriterium stehen muß. In zahlreichen Fällen bleiben die Ausführungen des EuGH dabei nur sehr kursorisch und oberflächlich. Erwähnt wird meist nur die Notwendigkeit eines "Zusammenhangs" von Unterscheidungsmerkmal und Regelungsziel 142 • Der Sache nach bleibt es aber dann bei einer bloßen Geeignetheitsprüfung und damit letztlich einer Willkürkontrolle. Ein Beispiel ist die Verwerfung des Treueaspektes bei einer tarifvertraglichen Bonusregelung, die auf die allgemeine Zugehörigkeit zum inländischen öffentlichen Dienst abstellt. Beim Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber innerhalb des öffentlichen Dienstes entfiel diese Prämie gerade nicht, so daß die Vorschrift in bezug auf den Treueaspekt inkonsequent war 143 • Entscheidend ist daher die Konsistenz bzw. Widerspruchsfreiheit der Regelung, ein Gedanke, der sich der Sache nach in einigen Urteilen wiederfindet 144. Er taucht auch in den FremdspraVgl. oben § 5 A. 11. EuGH, Rs.270/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986,273, Rn. 18. 140 EuGH, Rs.182/83, Fearon/lrish Land Commission, Slg. 1984,3677, Rn. 10. 141 EuGH, Rs.251/83, Haug-Adrion/Frankfurter Versicherungs-AG, Slg. 1984, 4277, Rn. 16f. 142 So z. B. in EuGH, Rs. C-221/89, Factortame, Slg. 1991,1-3905, Rn. 32. 143 EuGH, Rs.C-15/96, Schönig-Kougebetopoulou, Slg. 1998,1-47, Rn.27. 144 So beispielsweise in EuGH, Rs.237n8, Cram/Toia, Slg. 1979,2645, Rn. 15ff., wo bevölkerungspolitische Zielsetzungen als sachlicher Grund angeführt werden, aber letztlich aus der angefochtenen Regelung überhaupt nicht klar ersichtlich werden; auch in Rs. C-274/96, Bickel und Franz, Slg. 1998,1-7637, Rn. 25 f. hält er die getroffene Regelung über die Gerichtssprache nicht ausnahmslos als durch Zwecke des Minderheitenschutzes gegeben; vgl. hierzu Streinz, JuS 1999, 490f. 138

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chenlektorenf,illen auf. Die Befristung der Arbeitsverträge wurde hier mit der Notwendigkeit begründet, die Lektoren müßten auf dem neuesten Stand sein und dürften daher nicht allzu lange außerhalb ihres Mutterlandes bleiben. Demgegenüber wurde dieses Kriterium bei der Einstellung der Lektoren in aller Regel nicht berücksichtigt. Auch hierin liegt eine Inkonsequenz, weshalb der EuGH einen entsprechenden sachlichen Grund ablehnte l45 . Doch geht der EuGH hier und in einigen anderen Fällen noch weiter und untersucht, ob der angegebene Zweck nicht auch mit anderen Mitteln erreicht werden kann, d. h. ob er wirklich erforderlich ist. Damit nähert er sich bereits einer klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Falle der Fremdsprachenlektoren erwähnt er so auch andere Möglichkeiten, sprachlich auf dem Laufenden zu bleiben 146. Auch in Clean Car Autoservice prüft der EuGH, ob das dort genannte Ziel nicht auch mit "weniger einschneidenden Maßnahmen" erreicht werden kann l47 . Hier verlangt er sogar ausdrücklich, daß die gewählten Differenzierungskriterien mit dem angegebenen Zweck "in angemessenem Verhältnis stehen"148. Doch legt der EuGH auch hier nicht wirklich strenge Maßstäbe an. Dies mag zwar unter anderem daran liegen, daß die Mehrzahl der Urteile im Vorabentscheidungsverfahren ergingen, und daher ohnehin ein weiter Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum für die nationalen Gerichte verbleiben muß. Doch ist dies nicht der alleinige Grund. Wenn die Prüfung der Zweck-Mittel-Relation nämlich allzu streng gehandhabt würde, so führte dies im Ergebnis zu einem enonnen Rechtfertigungsdruck für an sich "neutrale" Differenzierungen. Eine derartige Reichweite, die sich schon deutlich der Vorstellung des allgemeinen Gleichheitssatzes annähert, kommt der Vorschrift des Art.l2 EGV aber eindeutig nicht zu. Insofern ist äußerst fragwürdig, wenn der EuGH teilweise auch im Rahmen des Art. 12 EGV die eher an den allgemeinen Gleichheitssatz erinnernde Fonnulierung verwendet, daß eine Diskriminierung vorliege, wenn "unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird"149. Ohnehin bleibt hier in den entsprechenden Entscheidungen völlig offen, welche Konsequenzen der EuGH aus dieser Umschreibung für den Diskriminierungsbegriff ziehen will. Eine konkrete Subsumtion nimmt er jedenfalls durchweg nicht vor. EuGH, Rs. 33/88, Allue u.a./UniversitG degli studi di Venezia, Sig. 1989, 1591, Rn.13f. A. a. 0., Rn. 14; ähnlich strenge, an der Verhältnismäßigkeit orientierte Voraussetzungen stellt der EuGH auch im Fall "Allue 11" (verb. Rs. C-259, C-331 u. C-332/91, Allue u. a., Sig. 1993,1-4309, Rn. 15ff.) auf. 147 EuGH, Rs. C-350/96, Clean Car Autoservice, Sig. 1998, 1-2521, Rn. 36. 148 EuGH, a. a. 0., Rn. 31. 149 So z. B. bereits in EuGH, Rs. 13/63, Italien/Kommission, Sig. 1963, 357, 384; ähnlich Rs. C-279/93, Schumacker, Sig. 1995,1-225, Rn. 30; Rs. C-I07 /94, Asseher, Sig. 1996, 1-3089, Rn.40; im Anschluß daran auch Wernsmann, EuR 1999,754,758. 145

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Vielmehr betrachtet er die genannte Formulierung offenbar lediglich als Grundlage für die Untersuchung eines Vergleichbarkeitselements, auf das er vor allem in steuerrechtlichen Fällen zurückgreift. So hält er hier die Lage von Gebietsansässigen und -fremden grundsätzlich für nicht vergleichbar und daher eine Unterscheidung nach der Ansässigkeit für unbedenklich. Anders sei dies nur, wenn ein Gebietsfremder den überwiegenden Teil seines Einkommens im Inland erzielt, da er dann persönliche Abzüge in seinem Wohnsitzstaat nicht mehr wirksam geltend machen kann und so gegenüber Gebietsansässigen benachteiligt ist 150. Offenbar sieht der EuGH in dieser Konstellation die Differenzierung nach der Ansässigkeit als willkürlich an. Diese Ausführungen geben allerdings zahlreiche Rätsel auf. An sich könnte man vermuten, der EuGH verfolge mit der Untersuchung der "Vergleichbarkeit" im Ergebnis nichts anderes als eine Sachlichkeitsprüfung. Der sachliche Grund für die Differenzierung läge in der Notwendigkeit einer Abgrenzung der Steuerhoheit verschiedener Staaten. Dieser Zweck dürfte dann aber selbst nicht auf eine Art und Weise verfolgt werden, die - in bezug auf die ansonsten angewandten Besteuerungsprinzipien (Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, Progression etc.) - auf eine (mittelbare) Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit hinausläuft. Die alleinige Anknüpfung an die Ansässigkeit würde allerdings den Umfang steuerlicher Berücksichtigung der persönlichen Situation davon abhängig machen, daß der überwiegende Teil des Einkommens im Wohnsitzland erzielt wird. Hierin läge dann eine Ungleichbehandlung nach dem Wohnsitz und mittelbar auch der Staatsangehörigkeit. Doch geht diese Überlegung des EuGH hier zu weit. Sie steht mit der eigenen Aussage des Gerichtshofs im Widerspruch, wonach Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen nicht zu einer Diskriminierung führen können. So folgt eine etwaige Benachteiligung von Personen, die in einem Mitgliedstaat wohnen, in einem anderen aber ihr wesentliches Einkommen erzielen, dadurch daß sie ihre persönlichen Abzüge weder im Wohnsitzstaat noch im Einkommensstaat effektiv geltend machen können, gerade aus der fehlenden Abstimmung der Rechtsordnung beider Staaten. Die Lage ist insofern mit dem Problem der Doppelbesteuerung vergleichbar. Wie dort entsteht der besondere Nachteil aus dem (unglücklichen) Zusammentreffen der Rechtsordnungen. Art. 12 EGV ist hierauf nicht anwendbar. In Betracht kommt allenfalls ein Verstoß gegen das Beschränkungsverbot im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten 151. Im Ergebnis bleibt es daher bei einer an Geeignetheit und Erforderlichkeit angelehnte Prüfung. Ein Verg1eichbarkeitselement ist der Struktur des Art. 12 EGV fremd. 150 EuGH, Rs. C-279/93, Schumacker, Sig. 1995, I-225, Rn.3! ff., 36f.; Rs. C-175/88, Biehl, Sig. 1990, I-I779, Rn. 16; Heydt, Steuerrecht S.25, 34 hält das Ansässigkeitskriterium im materiellen Recht hingegen generell für unzulässig. - Auch in anderem Zusammenhang rekurriert der EuGH auf dieses Element der "gleichen Situation", wie neuerdings in Rs.C-205/98, Kommission/Österreich, EuR 2000, 952, Rn. 69 ff. 151 Siehe dazu unten § 5 C. H.4.

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dd) Ansichten im Schrifttum Im Schrifttum wird oft nur pauschal auf die vom EuGH erwähnte Rechtfertigung durch "objektive Gründe" verwiesen, ohne daß näher auf die Funktion dieses Kriteriums oder den anzuwendenden Prüfungsmaßstab eingegangen würde l52 . Soweit diese Fragen dennoch behandelt werden, besteht bereits über die dogmatische Einordnung der Sachlichkeitsprüfung Uneinigkeit. Einige Autoren gehen - wohl eher stillschweigend - sogar davon aus, daß der Diskriminierungstatbestand bereits mit einer ungleichen Betroffenheit der Vergleichsgruppen vollendet ist, und untersuchen dann nur noch die "Rechtfertigung" dieser "Diskriminierung"153. Andere wiederum folgen der hier vertretenen Linie und sehen in der Sachlichkeitsprüfung eine (ergänzende) Untersuchung des Bezugs zur Staatsangehörigkeit und damit ein Tatbestandselemene 54 . Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes wird sowohl die alleinige Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips 155 sowie der Rückgriff auf ein Vergleichbarkeitselement l56 als auch eine Kombination aus sachlichem Grund und Verhältnismäßigkeit l57 vorgeschlagen. Im allgemeinen besteht jedoch zumindest Einigkeit darüber, daß sich der Kreis möglicher Rechtfertigungsgründe - abgesehen davon, daß kein Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit bestehen darf - nicht von vornherein eingrenzen läßt l58 . Den Adressaten des Art. 12 EGV ist insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzugestehen. ee) Stellungnahme Die Problematik beim Rechtfertigungsmaßstab ist die richtige Balance. Werden die Anforderungen hier zu leicht festgelegt, so werden u. U. Maßnahmen aus dem 152 So z. B. die Ausführungen bei Lenz, in: Lenz, Art. 12 EGV, Rn.7; Epiney, in: Calliess/ Ruffert, Art. 12 EGV, Rn. 38, 42, die sich allein mit der generellen Möglichkeit einer Rechtfertigung bei unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung auseinandersetzt; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 EGV, Rn. 4 f. läßt die Rechtfertigungsfrage sogar gänzlich unbehandelt. 153 Rossi, EuR 2000, 197, 211 ff.; Lenz, in: Lenz, Art. 12 EGV, Rn. 6 f.; ähnlich Roth, WRP 2000,979, 980f.; zu den Art. 39ff. EGV; Wölker, in: GTE, Art. 48 EGV, Rn. 13. 154 Epiney, S.108f.; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 53; ebenso wohl auch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 18; Garrone, RDTE 1994,425,427, 432f., der zwischen "distinction indirecte" und "discrimination indirecte" unterscheidet und letztere nur bei fehlender Rechtfertigung als gegeben ansieht (a. a. 0., 447 f.). 155 Rossi, EuR 2000,197, 214f. 156 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 18. 157 Garrone, RDTE 1994,425, 447f.; wohl auch Epiney, S.108.; dies., in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EGV, Rn. 42, wo sie aber eher das Merkmal des "sachlichen Grundes" betont; Reitmaier, S. 55 ff. behandelt das Problem unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzabgrenzung von EG und Mitgliedstaaten, kommt so aber auch zu einer - der Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechenden - Güterabwägung. 158 Rossi, EuR 2000, 197,214; Epiney, S.108; zumindest dem Wortlaut nach etwas enger von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV, Rn. 18, der auf "Gründe des Allgemeinwohls" abstellt.

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Diskriminierungsbegriff fä1schlicherweise ausgesiebt, die dennoch spezifisch auf die Staatsangehörigkeit ausgerichtet sein können. Werden die Maßstäbe allerdings allzu streng angelegt, so führt der daraus folgende höhere Rechtfertigungsdruck für an sich "neutrale" Differenzierungen im Ergebnis zu einer starken Ausweitung von Art. 12 EGV hin zu einem allgemeinen Gleichheitssatz 159. Zwischen beiden Extremen ist ein Komprorniß zu suchen, der meist vom jeweiligen Einzelfall abhängen wird. Die Lösung liegt richtigerweise wohl darin, sich stets den Zweck der Rechtfertigungsprüfung vor Augen zu führen. Sie hat den durch die Feststellung eines "tatsächlich gleichen Ergebnisses" indizierten Bezug zu dem Merkmal der Staatsangehörigkeit zu widerlegen 160. Damit kommt es vor allem darauf an, die Ernsthaftigkeit der in der Regelung angelegten Ziele zu überprüfen. Werden diese selbst nicht konsequent verfolgt, so ist die betreffende Maßnahme willkürlich und ihr Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit in jedem Fall nicht sicher auszuschließen. Darüber hinaus muß eine Rechtfertigungsprüfung jedoch nur insoweit vorgenommen werden, als dies zur Entkräftung des genannten Indizes notwendig ist. Freilich muß diese Untersuchung dann um so strenger ausfallen, je signifikanter sich die Betroffenheit der Vergleichsgruppen durch ein "neutrales" Kriterium darstellt. Insoweit ist durchaus Raum für eine graduelle Abstufung des Rechtfertigungsmaßstabes. Den Extremfall stellt dann die bereits geschilderte Situation dar, in der eine Regelung ausschließlich fremde Staatsangehörige trifft, und die daher als unmittelbare Diskriminierung zu behandeln ist 161.

d) Subjektives Element Grundsätzlich spielen subjektive Elemente in den Ausführungen des EuGH keine Rolle. Teilweise nimmt er aber dennoch zumindest auf die Zwecksetzung einer Regelung Bezug. In einem Fall verneinte er die Diskriminierung mit der Begründung, es handele sich um unterschiedslos geltende Rechtsvorschriften, "deren Inhalt und Ziele nicht die Annahme gestatten, daß sie zu diskriminierenden Zwecken erlassen worden sind oder derartige Wirkungen entfalten" 162. Doch sind dies bislang Einzelfälle geblieben, die jedenfalls nicht die Aussage zulassen, das subjektive Moment sei generelles Prüfungskriterium. V. Rechtfertigung Mit der vorangegangenen Prüfungsstufe wurde das Vorliegen einer Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit untersucht. Fraglich ist, ob dies stets den Hierin liegt auch der von Reitmaier, S. 52 ff. m. w. N. betonte Normkonflikt. Ähnlich auch Epiney, S. 108, die der Sachlichkeitsprüfung aber insoweit eine Doppelfunktion zuerkennt. 161 V gl. oben § 5 B. IV.4. 162 EuGH, Rs. 221/85, Kommission/Belgien, Slg. 1987,719, Rn. 11. 159

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9 Plötscher

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Diskriminierungsvorwurf des Art. 12 EGV auslöst oder ob auch hier entsprechende Rechtfertigungsgründe Berücksichtigung finden können. 1. Absolutes oder relatives Diskriminierungsverbot

Im Schrifttum wird dies unter der Fragestellung diskutiert, ob Art. 12 EGV ein absolutes oder relatives Diskriminierungsverbot ist. Hier wird vielfach bereits aus dem Wortlaut (,jede Diskriminierung") geschlossen, daß damit die Berücksichtigung rechtfertigender Erwägungen ausgeschlossen ist, d. h. daß für den Tatbestand bereits eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit genügt, ohne daß es auf sachliche Differenzierungsgründe ankäme l63 . Doch liegt hierin ein Zirkelschluß, der auf der unzureichenden Trennung von DiskriminierungsbegrW und Diskriminierungsverbot beruht l64 . Wird nämlich bereits der Begriff der Diskriminierung durch Sachlichkeitserwägungen "relativiert", so bleibt es trotz dieser Einschränkung bei einem Verbot "jeder" Diskriminierung 165. Aus dem Wortlaut des Art. 12 EGV ist damit keine zwingende Aussage zu gewinnen. Gleichwohl findet sich in der Literatur eine weit verbreitete Ansicht, die von einem "absoluten" Charakter des Art. 12 EGV ausgeht und sich dabei auf systematisch-teleologische Erwägungen stützt. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, den jeweiligen Vergleich in Bezug auf ein "tertium comparationis" anzustellen. Eine Gleichbehandlung kann immer nur auf diesen bestimmten Einzelaspekt hin untersucht werden. Art. 12 EGV enthalte dabei bereits durch die Nennung des Kriteriums der Staatsangehörigkeit die Wertung, daß die Berücksichtigung eines Unterschiedes in diesem Punkt als sachlicher Differenzierungsgrund von vornherein ausscheidet (Statusgleichheit) 166. Zudem widerspreche auch die allgemeine Zielsetzung des Vertrages auf Integration der Mitgliedstaaten der Annahme, Ungleichbehandlungen wegen der Staatsangehörigkeit könnten gerechtfertigt sein 167. Schließlich lasse sich auch ein Urnkehrschluß aus Vorschriften wie Art. 30 S. 2, Art. 39 Abs. 3, 4, Art. 46 Abs. 2, Art. 86 Abs. 2 EGV ziehen, da Art. 12 EGV expressis verbis keine dementsprechenden Ausnahmen enthält l68 . Viele wollen dann aber zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung unterscheiden, wobei eine Rechtfertigung nur für letztere möglich sein SOll169. Feige, S.44ff.; Reitmaier, S. 35,43 f.; offenbar auch Drobnig, RabelsZ 1970, 636, 642. Vgl. hierzu auch oben § 2 E. I. 2. 165 In eine ähnliche Richtung - allerdings nur in bezug auf mittelbare Diskriminierungen - offenbar Reitmaier, S.43; von Bogdandy, in: GrabitzlHilf, Art. 6 EGV, Rn. 25; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn.55. 166 V gl. hierzu Reitmaier, S. 37; Kischel, EuGRZ 1997, 1,4. 167 Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EGV, Rn.41; Reitmaier, S.43f. 168 Reitmaier, S. 39 ff. 169 von Bogdandy, in: GrabitzlHilf, Art. 6 EGV, Rn. 23; vgl. auch Epiney, in: CalJiess/Ruffert, Art. 12 EGV, Rn.41 m. w.N. in Fn.67; Kokott, Steuerrecht, S.I, 11; Forsthoff, EWS 2000, 389, 393; von Borries, EuZW 1994,474,475; Barnard, Discrimination Law, 63, 75 f. 163

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Die Gegenansicht sieht hierin allerdings wiederum einen Wertungswiderspruch und vertritt daher die Auffassung, daß Art. 12 EGV als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes generell die Möglichkeit rechtfertigender Erwägungen eröffne 170. Teilweise wird das relative Verständnis auch mit der Notwendigkeit einer flexiblen Handhabung vor dem Hintergrund der bei den Mitgliedstaaten verbliebenen Handlungsspielräume begründet 171. 2. Rechtsprechung

Der EuGH setzt sich mit der Problematik freilich nur andeutungsweise auseinander 172 • Interessant ist hier vor allem die Rechtsprechung zu formal nach der Staatsangehörigkeit differenzierenden Regelungen. Die Äußerungen in bezug auf die Rechtfertigungsproblematik bei mittelbarer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit wurden ja bereits ausführlich erörtert. In früheren Entscheidungen finden sich hier tatsächlich Aussagen, die auf eine dem allgemeinen Gleichheitssatz angenäherte Auslegung hindeuten. Danach komme es für die Diskriminierung auf eine ungleiche Behandlung gleichgelagerter Sachverhalte oder eine Gleichbehandlung verschieden gelagerter Fälle an 173. Doch sind derartige Ausführungen im Bereich der speziellen Diskriminierungsverbote wie Art. 12 EGV vereinzelt geblieben. Ob daraus ein relatives Begriffsverständnis abzuleiten ist, dürfte ohnehin fraglich sein, zumal der EuGH Art. 12 EGV in Zusammenschau mit Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV erwähnt, wenn er Verstöße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz untersucht. Gleichzeitig versteht er Art. 12 EGV aber wiederum (nur) als einen Ausdruck des Gleichheitssatzes I74 • In der neueren Rechtsprechung unterläßt der EuGH es demgegenüber regelmäßig, etwaige rechtfertigende Umstände zu prüfen, sobald eine Ungleichbehandlung aus \70 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1742f.; Zuleeg, FS Bömer, 473, 481 f.; ders., in: GTE, Art. 6 EGV, Rn. 3; Rossi, EuR 2000, 197,213 f.; Epiney, S. 94 ff.; Oppermann, Rn. 492; Schack, ZZP 1995,47,51; Wolf, JZ 1994, 1151, 1155; Brüggemann, S. 76; Heimsoeth, S.59f., der allerdings unzutreffend eine Strukturparalle1ität mit Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV annimmt; ähnlich auch Lenaerts, CDE 1991, 3, 10 - mit Einschränkung auf Ziele des EGV als Rechtfertigungsgründe: lpsen, Gemeinschaftsrecht, § 30, Rn. 15; StreinzlLeible, IPRax 1998, 162, 168 - für das Steuerrechts Steichen, S. 13 f., 31 ff. unter Rückgriff auf den Gedanken der "Vergleichbarkeit" . \7\ Rossi, EuR 2000, 197, 212f. 172 Kritisch hierzu z. B. in bezug auf die apodiktisch kurze Begründung in EuGH, verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phi! Collins u. a., Slg. 1993,1-5145, Rn. 30ff.: Schack, JZ, 1994, 144,146. \73 EuGH, Rs. 13/63, ItalieniKommission, Slg. 1963, 357, 384. In Rs. C-411/98, Angelo FerlinilCentre hospitalier de Luxembourg, EuZW 2001,26, Rn. 51 greift er zwar auf die Formulierung zurück, doch gleichzeitig bejaht er einen Fall der mittelbaren Diskriminierung (a. a. 0 ., Rn. 57f.), so daß die Berücksichtigung eines Rechtfertigungselements freilich nichts ungewöhnliches ist (siehe oben § 5 B. IV. 5. c.). \74 Hierin ist Reitmaier, S. 42 f. zuzustimmen.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

Gründen der Staatsangehörigkeit bejaht wurde 175 • Teilweise stellt er bei Vorliegen dieser Voraussetzungen sogar ausdrücklich den Diskriminierungstatbestand fest. 176. Dem stehen wiederum Aussagen gegenüber, in denen nichtsdestotrotz gewisse Rechtfertigungsüberlegungen zumindest anklingen. Anders als noch im Fall Data Delecta, in dem er das zu Gunsten der Zulässigkeit einer Ausländerprozeßkostensicherheit ins Feld geführte Argument der Abhängigkeit der Vollstreckung im Ausland von internationalen Abkommen noch mit dem lapidaren Hinweis zurückwies, die gemeinschafts rechtliche Gleichbehandlungspflicht könne nicht vom Vorliegen internationaler Abkommen abhängen 177, ging er in der Folgeentscheidung Saldanha im Grundsatz auf die zur Rechtfertigung angeführten Vollstreckungsschwierigkeiten ein. Er hob maßgeblich darauf ab, daß nach der betreffenden Regelung auch die Inländer, die kein vollstreckungsfahiges Vermögen im Inland besitzen, keine Sicherheit leisten müßten 178 • Der Sache nach entspricht dies einer Geeignetheitsprüfung. In diese muß aber nur eingetreten werden, wenn eine Rechtfertigung prinzipiell zugelassen wird. In einem anderen Fall behandelt der EuGH auch die bereits oben im Rahmen der Ungleichbehandlung angesprochenen Kompetenzgrenzen des Adressaten unter dem Stichwort der "sachlichen Rechtfertigung"I79. Dennoch haben auch diese Entscheidungen eher Einzelfallcharakter. Im Gros der Fälle steht für den EuGH offenbar die Diskriminierung mit einer auf die Staatsangehörigkeit bezogenen Ungleichbehandlung fest. 3. Konsequenz

Für den kategorischen Ausschluß einer sachlichen Rechtfertigung besteht meines Erachtens auch bei einer festgestellten Ungleichbehandlung nach der Staatsangehörigkeit kein zwingender Grund. Das Hauptproblern der Diskussion um den absoluten oder relativen Charakter von Art. 12 EGV ist, daß nicht von einheitlichen Begrifflichkeiten ausgegangen wird. Die hier angesprochene Rechtfertigungsproblematik wird so oft mit der - oben dargelegten - Sachlichkeitsprüfung im Rahmen der Untersuchung einer mittelbaren Ungleichbehandlung verwechselt. Da in der Literatur fast durchweg nur pauschal von "der Rechtfertigung" die Rede ist, verwundert es nicht, wenn einige Autoren dann der vermittelnden Ansicht, wonach nur die "mittelbare Diskriminierung", 175 Vgl. Epiney, in: CalliesslRuffert, Art. 12, Rn. 63 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg. 1996,1-4661, Rn. 16ff.; Rs.293/83, GravierlStadt Lüttich, Slg. 1985,593, Rn. 21 ff.; verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phil Collins, Slg. 1993,1-5145, Rn. 32; Rs. C-129/92, Owens BanklBracco, Slg. 1994,1-117, Rn. 17. 176 So in EuGH, Rs. 293/83, GravierlStadt Lüttich, Slg. 1985,593, Rn. 15. 177 EuGH, Rs. C-43/95, Data Delecta und Forsberg, Slg. 1996,1-4661, Rn. 20f. 178 EuGH, Rs. C-122/96, Saldanha und MTS, Slg. 1997,1-5325, Rn. 27ff. 179 EuGH, verb. Rs. C-92 u. C-326/92, Phil Collins u.a., Slg. 1993,1-5145, Rn. 29.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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nicht aber die "unmittelbare" rechtfertigbar sein soll, f.ilschlicherweise einen Wertungswiderspruch vorwerfen. In Wahrheit liegt beiden "Rechtfertigungselementen" eine völlig verschiedene Zielrichtung und auch dogmatische Funktion zugrunde '80 • So geht es bei der Untersuchung der sog. "mittelbaren" Diskriminierung gerade nicht um die Rechtfertigung einer Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit, sondern einer solchen nach "neutralen" Kriterien. Hier liegt auf der Hand, daß dann nicht dieselben Maßstäbe anzulegen sind wie bei einer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit. Zudem dient die Sachlichkeitsprüfung dort auch nicht einer "Relativierung" von Art. 12 EGV, wie dies weitverbreitet irrtümlich angenommen wird, sondern der Feststellung, ob überhaupt eine Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit vorliegt. Die gegenteilige Auffassung beruht hier meist auf einem abweichenden Verständnis von "mittelbarer Diskriminierung". Läßt man nämlich - entgegen der hier vertretenen Ansicht - für die Diskriminierung bereits die bloße unterschiedliche Auswirkung auf die Vergleichs gruppen genügen, so kommt dem Rechtfertigungselement in der Tat eine einheitliche Funktion zu. Doch erweitert diese Ansicht die beschränkte Reichweite von Art. 12 EGV unzulässigerweise in Richtung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die an dieser Stelle zu behandelnde Rechtfertigungsproblematik bezieht sich somit allein auf Regelungen, deren Bezug zur Staatsangehörigkeit bereits feststeht und die damit eine entsprechende Ungleichbehandlung bezwecken. Hier besteht in der Tat die Hauptschwierigkeit darin, daß Art. 12 EGV mit der Nennung des Kriteriums der Staatsangehörigkeit eine Wertung vorgibt, die eine dementsprechende Zwecksetzung gerade untersagt l81 • Damit wird auch die Basis dafür entzogen, aus einer Verschiedenheit der Staatsangehörigkeit in einem konkreten Fall auf eine fehlende Vergleichbarkeit zu schließen. Für die Anlehnung an eine etwaige gleichheitssatzähnliche Struktur bleibt demzufolge kein Raum. Zwingende Konsequenz wäre an sich das absolute Diskriminierungsmodell. Wenn daher überhaupt Raum für eine Rechtfertigung bleiben kann, dann nur dort, wo dieses Postulat der Gleichheit verschiedener Staatsangehöriger (Statusgleichheit) an faktische oder systembedingte Grenzen stößt. Im Gegensatz zu tatsächlichen Eigenschaften, wie z. B. dem Geschleche 82 , handelt es sich aber bei dem Merkmal der Staatsangehörigkeit um eine Schöpfung des Rechts selbst. Sie ist nichts anderes als die rechtliche Sonderbeziehung eines Staates zu den Mitgliedern des Staatsvolkes. Die Ausgestaltung dessen, was einen Staatsangehörigen wesensmäßig ausmacht, ist damit der Rechtsordnung nicht apriori zwingend vorgegeben, sondern unterliegt selbst der Gestaltungsmacht des Rechtssetzers. Dies läßt sich am Beispiel 180 Vgl. hierzu und zum folgenden auch die durchweg zutreffenden und aufschlußreichen Ausführungen bei Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 53 ff. 181 Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EGV, Rn.41. 182 Siehe dazu unten § 7 C. 11. 1.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

des Wahlrechts veranschaulichen. Aus der Beschränkung dieses traditionell originären Staatsbürgerrechts auf eigene Staatsangehörige würde grundsätzlich niemand auf einen Verstoß gegen Art. 12 EGV schließen, ist es doch gerade Ausdruck der erwähnten Sonderrechtsbeziehung zwischen dem Staat und seinen Angehörigen. Doch garantiert Art. 19 Abs. 1 EGV inzwischen ein kommunales Wahlrecht auch für EG-Ausländer. Der Kerngehalt der Staatsangehörigkeit wird damit durch das Recht (hier den EGV) selbst gestaltet 183 . Zwar könnte man nun argumentieren, auch diese Gestaltungsfreiheit sei wieder durch übergeordnete Prinzipien, wie z. B. den völkerrechtlichen Grundsatz des "genuine link" beschränkt l84 • Doch stellt sich hier, konsequent zu Ende gedacht, dann weniger die Problematik der Rechtfertigung als vielmehr die der Kompetenzzuordnung und Rangordnung von Normen. Dies ist dann aber weniger Gegenstand des eher abstrakt angelegten Diskriminierungsbegriffs als vielmehr mit Hilfe des Tatbestandsmerkmals "im Anwendungsbereich des Vertrages" zu lösen. Doch bestehen nicht dennoch faktische Grenzen für das Gleichheitspostulat? Zu denken wäre hier an die Tatsache der (noch) nicht vollständig verwirklichten Integration der Mitgliedstaaten. Aus der hiermit angesprochenen Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen erwächst vor allem die Notwendigkeit von Kollisionsregeln. Im internationalen Privatrecht wird dabei nicht selten im Rahmen des Personalstatuts gerade an die Staatsangehörigkeit angeknüpft. Ob darin prinzipiell ein Verstoß gegen Art. 12 EGV gesehen werden kann, zumindest wenn dies im Ergebnis zu einer Anwendung unterschiedlicher Rechtsfolgen führt, ist äußerst umstritten l85 • Hier erscheint es nach meinem Dafürhalten sinnvoll, unter dem Regime des Art. 12 EGV eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit nicht generell zu verbieten. Im Bereich des Personalstatuts kommt man kaum umhin, zur Abgrenzung auf personale Elemente zurückzugreifen, will man nicht zu einer - oft wenig sachgerechten - unterschiedslosen Anwendung der lex fori kommen 186. Hier könnte man nun zwar fordern, auf von der Staatsangehörigkeit unabhängige Merkmale (Wohnsitz, kulturelle Bindung etc.) abzustellen. Doch verlagert dies die Problematik nur auf die Ebene der "mittelbaren Ungleichbehandlung"l87. Zudem kann eine Kollisionsregel 183 Insoweit ist auch die mitgliedstaatliche Definitionsmacht eingeschränkt, vgl. Schulz, S.72ff. Ferner prägt der Begriff der "Unionsbürgerschaft" ein eigenes Gleichheitsideal; so Bernard, Discrimination Law, S. 77,91 f. 184 Siehe hierzu die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 6.4.1955 im Fall Nottebohm (leI Reports 1955, S. 4 ff.), wo auf eine "genuine connection" zwischen Staat und Bürger abgestellt wird (a. a. 0., S. 23). Vgl. hierzu auch Verdross/Simma, § 1194; Schweitzer, Rn. 544. 185 Vgl. nur die zahlreichen Nachweise bei Leible, § 4 E. 111. und Freitag, S. 390 f. sowie auch Drobnig, RabelsZ 34 (1970), S.636, 638ff. 186 Ebenso Leible, § 4 E. III. mit dem Hinweis, eine generelle Bejahung eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot würde - konsequent zu Ende gedacht - zu einer ausnahmslosen Herrschaft des lex fori-Prinzips, mindestens aber zu einem fakultativen Kollisionsrecht führen und damit das Internationale Privatrecht insgesamt in Frage stellen. 181 So auch die Kritik bei Freitag, S. 396f.

B. Das sog. allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV)

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niemals mehr als eine Näherung für eine Vielzahl unterschiedlicher Fälle sein. Mangels anderweitiger tauglicher Kriterien bleibt daher oft nur die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als einfachem und leicht festzustellendem Kriterium. Jedenfalls muß die Verwendung dieses Kriteriums dann zulässig sein, wenn sie die wirklichen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den jeweiligen Rechtsordnungen ausdrückt 188. Im Ergebnis besteht daher wegen der aus mangelnder Harmonisierung mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen folgenden Notwendigkeit von Kollisionsnormen grundsätzlich ein sachlicher Grund für ein an die Staatsangehörigkeit anknüpfendes Personalstatut l89 • Dies gilt freilich nicht, wenn das Kollisionsrecht über die Notwendigkeit der bloßen Abgrenzung hinaus auch das Sachrecht unmittelbar modifiziert und so zu einer generellen Privilegierung eigener Staatsangehöriger führt 190. Hier resultiert die Ungleichheit gerade nicht aus den Unterschieden der Rechtsordnungen, sondern aus einer einseitigen Anknüpfung aufgrund politischer Zielsetzungen 191. Doch ist festzuhalten, daß über diese kollisionsrechtlichen Fälle hinaus wohl kein Raum für die Berücksichtigung sachlicher Differenzierungsgründe bleibt. Strukturellliegt Art. 12 EGV damit zwar ein relativer Diskriminierungsbegriff zugrunde. Wegen der Besonderheit des Merkmals der Staatsangehörigkeit als rechtlichem Konstrukt bleiben diese "Relativierungen" allerdings äußerst begrenzt 192. 188 V gl. Kreuzer, in: Gemeinsames Privatrecht, S.457, 506 f.; Leible, § 4 E. III. Ähnlich auch EuGH, Rs. C-246/89, KommissionIVereinigtes Königreich, Sig. 1991,1-4585, Rn. 35 zu Art.43 EGV bezüglich der Aufteilung nationaler Fischfangquoten allein unter Schiffen eigener Staatszugehörigkeit. 189 In der Praxis dürfte diese Ausnahme dennoch keine große Rolle spielen, da die meisten Anwendungsfalle des Personalstatuts (Familienrecht, Erbrecht, Geschäftsfähigkeit etc.) zumindest dem Grundsatz nach ohnehin nicht im "Anwendungsbereich des Vertrages" liegen werden (vgl. z. B. EuGH, Rs. C-430/97, Johannes, Sig. 1999,1-3475, Rn. 27; insofern unzutreffend Forsthoff, EWS 2000, 389, 393, der hier einen Rechtfertigungsgrund (!) für den "Kernbereich persönlicher Lebensführung" konstruiert; differenzierend Leibte, § 4 E. IlI.). Im Bereich der Personenverkehrsfreiheit hat der EuGH einen entsprechenden sachlichen Grund aber für die parallele Problematik des steuerrechtlichen Territorialitätsprinzips grundsätzlich anerkannt: Rs. C-250/95, Futura Participations und Singer, Sig. 1997,1-2471, Rn. 22; ebenso hinsichtlich Kollisionsregeln in Doppelbesteuerungsabkommen Rs. C-336/96, Gilly, Sig. 1998, 1-2793, Rn. 30. 190 So die h. M. zu dem sog. privilegium germanicum in Art. 38 EGBGB a. F., wonach aus einer im Ausland begangenen unerlaubten Handlung gegen einen Deutschen keine weitergehenden Ansprüche geltend gemacht werden konnten als nach deutschem Recht begründet; vgl. hierzu ausführlich Leible, § 4 E. III. m. w. N. 191 Eine an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Kollisionsnorm muß daher allseitig, d. h. für alle Beteiligten nach denselben Kriterien, ausgestaltet sein, um keinen Verstoß gegen Art. 12 EGV zu begründen; ebenso Freitag, S. 392f. m. w. N.; Kreuzer, in: Gemeinsames Privatrecht, S.457, 506. 192 Auch eine (analoge) Heranziehung der in Art. 30, 39 Abs.3 und 46 Abs.l EGV normierten Rechtfertigungsgedanken ist innerhalb des Art. 12 EGV bereits wegen des eindeutigen Wortlauts und aus systematischen Gründen abzulehnen. Freilich bedeutet dies nicht, daß ein legitimes Bedürfnis nach ausländerrechtlichen Sonderregelungen unerfüllt bleiben muß. Nur be-

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c.

§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

Die Untersuchung der Struktur des Diskriminierungsaspekts ist gerade im Bereich der Personenverkehrsfreiheiten besonders schwierig. Das ihnen zugrundeliegende Diskriminierungsverständnis ist eng mit dem Anwendungs- und Regelungsbereich dieser Freiheiten verbunden. Zwar liegt den Personenverkehrsfreiheiten - wie auch der Warenverkehrs- und Kapitalverkehrsfreiheit - das gemeinsame Ziel der Schaffung einer gemeinschaftlichen Grundordnung des Gemeinsamen Marktes bzw. Binnenmarktes zugrunde, in dem Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu beseitigen sind (Art. 3 lit. c EGV). Doch entzündet sich gerade an dieser Zwecksetzung der noch bis heute andauernde Dogmatikstreit, ob in den Grundfreiheiten ein über ein Diskriminierungsverbot hinausgehendes Beschränkungsverbot zu erblicken ist oder ob der Wirkungsbereich der Freiheiten sinnvollerweise mit einem - wenn auch weit verstandenem - Diskriminierungsgedanken erfaßt werden kann. Somit überschneiden sich an dieser Stelle zwei zu trennende Problemkreise, zum einen die Frage nach der Reichweite der Grundfreiheiten, zum anderen, wie diese Reichweite in Beziehung zu dem angewandten Diskriminierungsverständnis steht. Insofern bedingt die - für die vorliegende Arbeit freilich allein interessierende - Diskriminierungsfrage auch das Gesamtkonzept der Grundfreiheiten und wird von diesem umgekehrt auch bestimmt. Die folgende Betrachtung soll für die genannten Personenverkehrsfreiheiten weitgehend einheitlich erfolgen, zumaI auch der EuGH im Hinblick auf die Diskriminierung hier ausdrücklich von übereinstimmenden Grundsätzen ausgeht l93 •

I. Erweiterte Vergleichsgruppenbildung Das aus dogmatischer Sicht schwierigste Problem im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten ist das der Vergleichsgruppenbildung. Geht man vom Wortlaut der betreffenden Vorschriften aus, so scheint es auch hier allein auf die Staatsangehörigkeit anzukommen. Die jeweils berechtigten Arbeitnehmer, Erwerbstätigen oder Dienstleistungserbringer sind danach den "eigenen Staatsangehörigen" der betroffenen Mitgliedstaates gleichzustellen. Würde es dabei bleiben, so könnten hier die oben zu Art. 12 EGV getroffenen Aussagen unverändert übertragen werden. Doch steht dem aber möglicherweise die Zielsetzung der Grundfreiheiten entgegen, wonach alle "grenzüberschreitenden Sachverhalte" zu erfassen sind. darf es hierzu ausdrücklicher vertraglicher Einschränkungen in den jeweiligen Sachnormen. Selbst für den im Fall Mart[nez Sala (v gl. oben § 5 B. H. 2. Fn. 47) angesprochenen wichtigen Bereich des Unionsbürgerrechts existiert hier mit dem Verweis in Art. 18 Abs. 1 EGV auf die ,,[im] Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen" eine ausreichende Rechtfertigungsgrundlage, die von außen an das Diskriminierungselement des Art. 12 EGV herangetragen wird. 193 EuGH, Rs. C-107/94, Asseher, Sig. 1996,1-3089, Rn. 29.

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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1. Ansatzpunkte in der Rechtsprechung

In der Rechtsprechung lassen sich diesbezüglich einige Anhaltspunkte finden, auch wenn sich der EuGH selbst niemals ausdrücklich mit der Frage der Vergleichsgruppenbildung beschäftigt und seine Aussagen daher meist recht vage bleiben.

a) "Wanderarbeitnehmer" bzw. grenzüberschreitend Tätige aa) Klassische Situationen Eine Reihe von Urteilen des EuGH zu Art. 39 Abs. 2 EGV scheint zumindest in die Richtung veränderter Vergleichs gruppen zu deuten, wenn der EuGH hier auf die Gruppe der "Wanderarbeitnehmer" abstellt. Insbesondere bei Ausführungen zur versteckten Diskriminierung findet sich oft sinngemäß die Formulierung, die Anwendung eines bestimmten Kriteriums treffe "im wesentlichen Wanderarbeitnehmer"194, ohne daß der EuGH im weiteren auch einen Bezug zum Merkmal der Staatsangehörigkeit herstellte. In anderen Urteilen spricht er demgegenüber - insofern inkonsequent - einmal von Nachteilen für Ausländer, ein anderes Mal von einer Benachteiligung von Wanderarbeitnehmern l95 . Einen Verstoß gegen Art. 39 Abs. 2 EGV sah der EuGH z. B. in einer Vergütungsregelung des BAT, die für den Zeitaufstieg in bestimmten Vergütungsgruppen nur Vorbeschäftigungen im Anwendungsbereich des BAT berücksichtigte. Wegen der Nichtanrechnung ausländischer Beschäftigungszeiten wirke sich die Regelung offensichtlich zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern aus; sie sei daher diskriminierend 196. Dabei hielt es der EuGH ausdrücklich für irrelevant, daß die Vorschrift selbst auch Deutsche träfe, die eine Vorbeschäftigung zwar im öffentlichen Dienst, aber außerhalb des BAT, nachweisen könnten 197. Hier vergleicht der EuGH hinsichtlich der Auswirkungen nicht In- und Ausländer, sondern faßt die Wanderarbeitnehmer offenbar als eigene, von der Staatsangehörigkeit unabhängige Kategorie. Sehr widersprüchlich sind die Ausführungen im Fall Paraschi. Hier hatte der EuGH bei einer Regelung, die bei den Voraussetzungen für den Erwerb einer Invaliditätsrente danach unterschied, ob ein Tatbestand in Inland erfüllt wurde, einer194 EuGH, Rs.41/84, Pinna/Caisse d' allocations familiales de la Savoie, Slg. 1986, 1, Rn. 24; Rs. 20/85, Roviello/Landesversicherungsanstalt Schwaben, Slg. 1988,2905, Rn. 15 f.; Rs. C-15/96, Schönig-Kougebetopoulou, Slg. 1998,1-47, Rn. 23; Rs. C-237/94, 0' Flynn, Slg. 1996,1-2617, Rn. 18; Rs.C-266/95,Merino Garcia, Slg. 1997,1-3279, Rn.35. Garonne, RDTE 1994,425, 436f. spricht hier sogar von einer Vergleichskategorie "sui generis". 195 EuGH, Rs. C-349/87, Paraschi, Slg. 1991,1-4501, Rn. 23 und 24; Rs. C-175/88, Biehl, Slg. 1990, 1-1779, Rn. 14 und 16; Rs. C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, 1-249, Rn.9; für eine entsprechende Vergleichsgruppenbildung daher Bernard, ICLQ 45 (1996), 82, 87 f. 196 EuGH, Rs. C-15/96, Schönig-Kougebetopoulou, Slg. 1998,1-47, Rn. 23; auch GA Jacobs, I-52 Tz. 11 ff. 197 EuGH, a. a. 0., Rn. 24.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

seits eine unmittelbare Diskriminierung wegen der "Geltung für Versicherte" verneint l98 , obwohl die Regelung eindeutig Wanderarbeitnehmer benachteiligte. Andererseits stellt der Gerichtshof dann bei der Prüfung der mittelbaren Diskriminierung nicht auf die Vergleichsgruppe fremder Staatsangehöriger, sondern nun doch auf die Wanderarbeitnehmer ab 199. In der Rechtssache Scholz hatte der EuGH in der Nichtberücksichtigung der Vorbeschäftigung einer Deutschen außerhalb Italiens bei der Einstellung in den italienischen öffentlichen Dienst eine mittelbare Diskriminierung gesehen, die gegen Art. 39 Abs. 2 EGV verstoße. Die Besonderheit bestand hier darin, daß die Betroffene später durch Heirat die italienische Staatsangehörigkeit erlangt hatte. Hier führt der EuGH aus, Art. 39 EGV gelte für alle Gemeinschaftsbürger, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen, unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz 2°O. Dies ließe sich durchaus so interpretieren, daß es dem EuGH vorrangig auf die Benachteiligung von Wanderarbeitnehmern, unabhängig von der Staatsgehörigkeit, ankäme. Daß eine solche Auslegung nicht zwingend ist, zeigen jedoch die Ausführungen des Generalanwaltes, der explizit auf die Staatsangehörigkeit abstellt, und die Benachteiligung von Ausländern darin sieht, daß diese ihre Berufserfahrung regelmäßig in ihrem Heimatland sammeln 20I . Auch andere Entscheidungen hingegen lassen zumindest Zweifel an der eigenständigen Bedeutung des Begriffs "Wanderarbeitnehmer" für den Vergleich aufkommen. Im Urteil 0' Flynn, in dem der EuGH zu dogmatischen Fragen der mittelbaren Diskriminierung ausführlicher Stellung nimmt, sieht er als mittelbar diskriminierend unter anderem unterschiedslos geltende Voraussetzungen an, "die von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern."202 Zu prüfen war eine britische Vorschrift, wonach ein Bestattungsgeld (Sozialleistung) nur für im Vereinigten Königreich stattfindenden Bestattungen zu zahlen war. Hierin sah der EuGH eine besondere Benachteiligung der Wanderarbeitnehmer, während der Generalanwalt noch auf Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten abgestellt hatte 203 • Einen offenen Widerspruch scheint der EuGH darin aber nicht zu sehen. Insgesamt bleibt daher unklar, ob der EuGH mit seinen Ausführungen tatsächlich eine Abkehr vom Unterscheidungskriterium der Staatsangehörigkeit beabsichtigt. Zwar mag dem Begriff "Wanderarbeitnehmer" ein von der Staatsangehörigkeit losgelöster Gehalt zukommen. Doch zwingend ist das nicht, zumal der EuGH in seiner Begriftlichkeit nicht immer präzise bleibt. So ist bislang keine Entscheidung beEuGH, Rs. C-349/87, Paraschi, Sig. 1991,1-4501, Rn.l7. A. a. 0., Rn. 24; ähnlich auch schon EuGH, Rs. 20/85, Roviello/Landesversicherungsanstalt Schwaben, Sig. 1988,2805, Rn. 14f. 200 EuGH, Rs. C-419/92, Scholz, Sig. 1994,1-505, Rn. 9. 201 GA Jacobs, Schlußanträge zu Rs.C-419/92, Scholz, Sig. 1994,1-505, Tz.l7. 202 EuGH, Rs.C-237/94, O'Flynn, Sig. 1996,1-2617, Rn. 18f. 203 GA Lenz, Schlußanträge zu Rs. C-237/94, 0' Flynn, Slg. 1996, 1-2617, 1-2625. 198

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C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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kannt, in der im Wege der im Rahmen der versteckten Diskriminierung angestellten Typisierung nicht auch eine Abbildung auf nach der Staatsangehörigkeit gebildete Vergleichs gruppen stattfinden könnte. bb) Rückkehrerfälle Eine Fallgruppe, an denen sich die Frage der Vergleichsgruppenbildung aber entscheiden könnte, sind die - im folgenden so bezeichneten - Rückkehrerfälle. Mit Rückkehrern sind dabei Angehörige des betroffenen Mitgliedstaates gemeint, die in Anwendung ihres Freizügigkeitsrechts in einem anderen Mitgliedstaat tätig waren und nun in ihren Heimatstaat wieder unter Anwendung dieses Rechts zurückkehren möchten. Hier kommen grundsätzlich zwei verschiedene Vergleichsgruppen in Betracht. Zum einen könnte maßgeblich auf den Grenzübertritt abgestellt werden, so daß die Rückkehrer somit mit anderen inländischen Staatsangehörigen zu vergleichen wären, die ansässig geblieben sind. Möglich ist zum anderen aber auch eine Gegenüberstellung der Rückkehrer mit den ausländischen Wanderarbeitnehmern bzw. grenzüberschreitend Tätigen. Maßgeblicher Bezugspunkt wäre dann die Staatsangehörigkeit. In regelmäßiger Wiederholung sieht der EuGH diese Fälle als von den Grundfreiheiten erfaßt, wobei er wörtlich darauf abstellt, daß sich die betreffenden Personen "gegenüber ihrem Herkunftsland in einer Lage befinden, die mit derjenigen aller anderen Personen, die in den Genuß der durch den Vertrag garantierten Rechte und Freiheiten kommen, vergleichbar ist"204. Diese Formulierung erinnert dem Grundsatz nach an eine gleichheitsrechtliche Struktur, so daß es nahe läge anzunehmen, dem EuGH käme es für den Vergleich nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf den Grenzübertritt an. Doch ist zu beachten, daß sich die Fallgruppe mit einer erweiterten, d. h. am Grenzübertritt orientierten, Vergleichsgruppenbildung gerade nicht erfassen läßt. Die Rückkehrer verlangten hier keine Gleichstellung mit den "seßhaften", d. h. nicht grenzüberschreitend tätigen Inländern, sondern sie forderten eine Behandlung wie die übrigen Ausländer. Damit erfolgte eine Ungleichbehandlung hier aber in Wirklichkeit entsprechend der Staatsangehörigkeit, nur jetzt ausnahmsweise zuungunsten der Inländer 205 . Im Ergebnis ist daher bei den Grundfreiheiten zwischen der Ebene des Anwendungsbereichs (grenzüberschreitender Sachverhalt) und der Ebene der Vergleichs204 EuGH, Rs. 115/78, Knoors, Slg. 1979, 399, Rn. 24/26; Rs. C-61/89, Bouchoucha, Slg. 1990,1-3551, Rn. 13; Rs. C-I9/92, Kraus, Slg. 1993,1-1663, Rn. 15; Rs. C-I07/94, Asseher, Slg. 1996,1-3089, Rn. 32. 205 Dies verkennt z. B. Bröhmer, in: CaJliesslRuffert, Art. 43 EGV, wenn er bei den Rückkehrerfällen eine auf dem Grenzübertritt beruhende Diskriminierung sehen will.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

gruppenbildung (In- und Ausländer) zu unterscheiden 206 . Die Rückkehrer können sich prinzipiell auf die Grundfreiheiten berufen, da sie grenzüberschreitend tätig wurden. Benachteiligt sind sie jedoch gegenüber den übrigen grenzüberschreitenden Ausländern und nicht gegenüber ihren "seßhaften" Landsleuten. Die hier angeführten Urteile betreffen daher unmittelbar nur den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich der Freizügigkeit insgesamt, der sich freilich nicht in einem Diskriminierungsverbot erschöpfen muß. Die Beeinträchtigung eigener Staatsangehöriger ließe sich dann aber ebenso einem das Diskriminierungsverbot übersteigenden Beschränkungsaspekt der Grundfreiheit zuordnen. Davon geht offenbar auch der EuGH aus, wenn er im Fall Kraus ausführt, Art. 39 EGV stehe "einer Regelung [... ] entgegen, die zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, die aber geeignet ist, die Ausübung der durch den EWG-Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten [... ] zu behindern oder weniger attraktiv zu machen."207 Ob diese Fälle "umgekehrter Diskriminierung" letztlich noch vom Diskriminierungsbegriff erfaßt werden oder dogmatisch einem "Beschränkungsverbot" zuzuordnen sind 208 , hängt zudem davon ab, ob man von einem symmetrischen oder asymmetrischen Diskriminierungsverständnis ausgeht 209 . Im Ergebnis besteht daher im Bereich der Arbeitnehmer-Freizügigkeit kein zwingender Grund, von der Vergleichsgruppenbildung nach der Staatsangehörigkeit abzuweichen. b) Ansässigkeit bzw. Ansässigkeitserfordernis

Eine größere Bedeutung in bezug auf die Vergleichsgruppenbildung scheint für den EuGH allerdings im Rahmen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit das Merkmal der Ansässigkeit zu spielen. In einigen Entscheidungen formuliert er ausdrücklich, die Dienstleistungsfreiheit umfasse "das Gebot der Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Leistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstandes, daß er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem die Dienstleistung erbracht werden SOll"21O. Gelegentlich nimmt er So auch die Kritik von Bernard, Discrimination Law, S. 77, 91. EuGH, Rs. C-I9!92, Kraus, Slg. 1993,1-1663, Rn.32 (Hervorhebung durch den Yerf.). 208 Für die Zuordnung zu einem Beschränkungsverbot Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573, 2574; Zuleeg, FS Everling, 1717, 1722f.; Steindorjf, EuR 1988, 19,23; Wägenbaur, EuZW 1991, 427,432 - a. A. (Zuordnung zu einem weit verstandenem Diskriminierungsverbot) Everling, DB 1990, 1853, 1855f.; Roth, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E.l, Rn. 64; ähnlich Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 460 mit einer vom konkreten Fall (Inländer) abstrahierenden Betrachtungsweise. 209 Siehe dazu unten § 5 D. und § 9 B. 111. 2. 210 EuGH, verb.Rs.110 u. I11n8, Ministere public und ASBL/van Wesemael, Sig. 1979,35, Rn. 27; Rs. 279/80, Webb, Sig. 1981, 3305, Rn. 14; Rs. C-288/89, Collective Antennevoorziening Gouda, Sig. 1991,1-4007, Rn. 10; Rs. C-360/89, KommissionIItalien, Sig. 1992,1-3401, Rn. 7; Rs. C-17/92, Distribuidores Cinematograjicos, Sig. 1993, 1-2239, Rn. 13; ähnlich 206

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C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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dabei auch auf das ähnliche Kriterium des ständigen Aufenthaltsortes Bezug 211 • Offenbar sollen die Vergleichs gruppen hiernach alternativ gebildet werden können. In anderen Urteilen unterscheidet der Gerichtshof demgegenüber zwischen Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit und (unterschiedslos für einheimische Dienstleistende und solche aus anderen Mitgliedstaaten geltenden) Beschränkungen 212 • Hier scheint der Differenzierung nach der Ansässigkeit keine originäre Bedeutung zuzukommen. Noch ohne weiteres einleuchtend ist die Berücksichtigung der Ansässigkeit bei juristischen Personen. Diese sind nach Art.48 EGV - zumindest wenn sie einen Erwerbszweck verfolgen - natürlichen Personen gleichzustellen. Bei der Bestimmung der für Art. 12 EGV und die Grundfreiheiten wichtigen Staatszugehörigkeit nimmt der EuGH dann regelmäßig auf den (Haupt-)Sitz der Gesellschaft Bezug 213 . Hier ist das Merkmal der Ansässigkeit bereits von vornherein - zumindest partiell- gleichbedeutend mit dem Kriterium der Staatszugehörigkeit und stellt damit nicht wirklich eine Erweiterung bzw. Verschiebung der Vergleichsgruppen dar. Auch ein Rückbezug im Wege des Konstruktes der "mittelbaren Diskriminierung" ist dann nicht erforderlich 214 • Die Unterscheidung nach der Ansässigkeit ist eine solche nach der Staatszugehörigkeit2 15 • Doch geht die Rechtsprechung dem Wortlaut nach anscheinend darüber hinaus, wenn der EuGH - wie in einigen Entscheidungen der Fall 216 - auf die Ansässigkeit von Unternehmen abstellt, da der Unternehmensbegriff an sich unabhängig von der verb. Rs. 62 u. 63/81, Seco/EVI, Slg. 1982,223, Rn.8; im Ergebnis auch: Rs. C-211/91, Kommission/Belgien, Slg. 1992,1-6757, Rn. 6 - anders aber offenbar EuGH, Rs. 90/76, Van AmeydelUCI, Slg. 1977, 1091, Rn. 29, wo die Unterscheidung nach der Ansässigkeit nicht als Diskriminierung i. S. d. Art. 43,49 EGV gesehen wurde. 211 EuGH, Rs. 33/74, van Binsbergen/Bedrijfsvereniging Metaalnijverheid, Slg. 1974, 1299, Rn.101l2. 212 So in EuGH, Rs.C-76/80, Säger, Slg. 1991,1-4221, Rn. 12. 213 EuGH, Rs. 270/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986,273, Rn. 18; Rs. C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993, 1-4017, Rn. 13; Rs. C-264/96, ICI, Slg. 1998, 1-4695, Rn. 20; Rs. C-307/97, Saint-Gobain ZN, Slg. 1999,1-6161, Rn. 35; vgl. Thömmes, GS Knobbe-Keuk, 795,802. Auch das Urteil EuGH, Rs.C-217/97, Centros, Slg. 1999, 1-1459ff. dürfte hieran nichts geändert haben; vgl. hierzu u.a. Forsthoff, EuR 2000, 167ff. 214 A.A. aber offenbar Gundei, Jura 2001,79,85, der auch hinsichtlich juristischer Personen bei einer Anknüpfung an den Sitz nur eine "faktische Diskriminierung" annnehmen will. 215 Deutlich wird dies in einer Entscheidung bezüglich einer italienischen Vorschrift, die regional ansässige Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugte. Der EuGH ging hier zwar von einer mittelbaren Diskriminierung aus, aber nicht weil an die Ansässigkeit angeknüpft wurde, sondern wegen der regionalen Differenzierung. Die Regelung begünstige "im wesentlichen in Italien ansässige Gesellschaften" (Rs.C-360/89, Kommission/Italien, Slg. 1992,1-3401, Rn. 12). Damit nimmt der EuGH einen Rückbezug auf die mitgliedstaatliche Ansässigkeit vor. Gleichwohl sah der den relevanten Art. 49 EGV (nur) als Verbot von "Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit" (Rn. 11). Zu erklären ist dies nur mit der Identität von Sitz und Staatszugehörigkeit bei juristischen Personen. 216 EuGH, Rs. C-360/89, Kommission/Italien, Slg. 1992, 1-3401, Rn. 8 f.

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Frage des Rechtsträgers definiert wird. Zwar wirkt sich dies noch nicht im Bereich der Personengesellschaften aus, da diese nach Art. 48 Abs. 2 EGV noch vom gemeinschaftsrechtlichen Terminus der "juristischen Person" umfaßt sind 217 • Anders ist dies aber zweifelsohne bei Einzelunternehmern, d. h. erwerbs wirtschaftlich tätigen natürlichen Personen. Hier läßt sich das Merkmal der Ansässigkeit eindeutig nicht mehr als gleichbedeutend mit der Staatsangehörigkeit verstehen, so daß dann tatsächlich eine Erweiterung der Vergleichsgruppenbildung in Betracht kommen kann 218 • Dennoch bleibt fraglich, ob der EuGH diesen Schritt vollzieht. In der Mehrzahl der Fälle, in denen bei natürlichen Personen bezüglich der Ansässigkeit (bzw. des Wohnsitzes) differenziert wurde, griff der EuGH auf die für die mittelbare Diskriminierung üblichen Formulierungen zurück und nahm dabei einen Rückbezug auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit vor. Meist argumentiert er auch hier mit der typischerweise gegebenen Gefahr, daß sich eine Unterscheidung nach dem Kriterium des Wohnsitzes hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirkt 2l9 • In Seco/EVI ordnet er so die Unterscheidung nach der Ansässigkeit ausdrücklich der mittelbaren Diskriminierung ZU220. Dies wäre freilich nicht notwendig, würde er von vornherein von einer erweiterten Vergleichsgruppenbildung nach der Ansässigkeit ausgehen. Ebenso sind auch einige steuerrechtlichen Entscheidungen, wie im Fall Wielockx, zu verstehen. Hier prüft der EuGH, ob sich hinsichtlich des Wohnsitzkriteriums für die Bestimmung der unbeschränkten Steuerpflicht Gebietsansässige und -fremde in einer vergleichbaren Situation befinden 221 . Strukturell ist eine derartiges Vergleichbarkeitselement aber eher in der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung zu verorten 222 • Als weiteres Argument gegen eine Erweiterung der Vergleichs gruppen läßt sich zumindest für den Bereich der Niederlassungsfreiheit anführen, daß diese gerade auf eine Gleichbehandlung innerhalb der im Inland ansässigen Unternehmer abzielt, so daß die Ansässigkeit als Verbotskriterium vielfach untauglich ist 223 • Eine Sonderrolle spielen aber offenbar die Fälle der Dienstleistungsfreiheit. Hier bezieht der Gerichtshof - wie bereits angesprochen - ausdrücklich auch Ungleichbehandlungen aufgrund des Umstandes ein, daß der Leistungserbringer oder Leistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als demjenigen, in dem die Dienstleistung erbracht werden so1l224. Anscheinend kommt es nun also Geiger, Art.48 EGV, Rn. 2. Nach Art. 58 Abs. 1 lit. a EGV gilt dies freilich nicht für die - hier sonst nicht weiter relevante, da als reines Beschränkungsverbot ausgestaltete - Kapitalverkehrsfreiheit. 2\9 EuGH, Rs. C-279/93, Schumacker, Slg. 1995,1-225, Rn. 28; Rs. C-107 /94, Asscher, Slg. 1996,1-3089, Rn. 38; Rs.C-224/97, Ciola, Slg. 1999,1-2517, Rn. 14. 220 EuGH, verb.Rs. 62 u. 63/81, Seco/EVI, Slg. 1982,223, Rn. 8. 22\ EuGH, Rs.C-80/94, Wielockx, Slg. 1995,1-2493, Rn. 18ff. 222 Siehe hierzu oben § 5 IV. 5. c. cc. 223 A.A. für das materielle Steuerrecht hingegen wohl Heydt, Steuerrecht, S. 25,34. 224 Siehe oben Fn. 210. 2\7

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C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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doch auf die Ansässigkeit an. Freilich ist ohne weiteres einsichtig, daß auch eine SchlechtersteIlung Gebietsfremder dem Liberalisierungsgebot des Art. 49 EGV entgegenstehen kann 225 • Doch würde eine derartige Differenzierung auf jeden Fall bereits durch das Konstrukt der mittelbaren Diskriminierung erfaßt, da eine Benachteiligung der im Ausland ansässigen Dienstleistenden auf jeden Fall typischerweise Ausländer trifft. Hierin liegt aber auch nur ein Rückbezug auf die Staatsangehörigkeit, dessen sich der EuGH sogar teilweise bedient226 • Für die hier angesprochene Problematik der Vergleichsgruppenbildung ist aber entscheidend, ob in einer Unterscheidung nach der Ansässigkeit auch eine unmittelbare, d. h. im Zweifel der Rechtfertigung nicht zugängliche, Ungleichbehandlung gesehen werden kann. Von der angeführten Formulierung abgesehen, entzieht sich der EuGH diesbezüglich weitgehend einer klaren Aussage. Er beschränkt sich eher auf eine pauschale Argumentation mit dem "effet utile" der Art. 49ff. EGV, wonach ein Ansässigkeitserfordemis die Dienstleistungsfreiheit "jeder Wirksamkeit berauben" würde 227 • Dem Wortlaut nach klingt dies allerdings eher nach der Betrachtung eines Beschränkungs- als eines Gleichheitsaspektes. Zudem umschreibt die obige Formulierung des EuGH inhaltlich an sich nur die Tatsache, daß eine Leistung grenzüberschreitend erbracht wird. Es ist gerade Wesensmerkmal der (aktiven) Dienstleistungsfreiheit, daß der Dienstleistende in einem anderen als seinem Ansässigkeitsstaat tätig wird. Diese Voraussetzung ist im Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 EGV bereits zur Umschreibung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheit enthalten, wobei im übrigen dort von "Beschränkungen" und nicht von "Ungleichbehandlungen" oder "Diskriminierungen" die Rede ist. Erst in Art. 50 Abs. 2 EGV, d. h. nachdem der Anwendungsbereich eröffnet ist, spricht der Vertrag von einer Gleichbehandlung nach der Staatsangehörigkeit. Andererseits erwähnt der an sich nur für die Übergangszeit geltende, aber nach wie vor im Vertrag enthaltene 22S Art. 54 EGV das Verbot einer "Unterscheidung Troberg, in: GTE, Art. 59 EGV, Rn. 10. So greift der EuGH beispielsweise in dem zur sog. "passiven" Dienstleistungsfreiheit ergangenen Urteil Ciola in bezug auf die Ansässigkeit des Dienstleistungsempjängers nach wie vor auf das Konstrukt der mittelbaren Diskriminierung zurück (Rs. C-224/97, Ciola, Sig. 1999, 1-2517, Rn. 14). Doch hält er dies selbst nicht widerspruchsfrei durch, wenn er in Rn.16 Vorschriften erwähnt, "die nicht unterschiedslos [... ] ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des Empfangers anwendbar und somit diskriminierend sind" (Hervorhebung durch den Verfasser). Offenbar folgt hier doch aus der Anwendung des Wohnsitzkriteriums unmittelbar die Diskriminierung, ohne daß es eines Rückbezugs auf die Staatsangehörigkeit bedürfte. 227 EuGH, Rs. 33/74, vanBinsbergen/Bedrijfsvereniging Metaalnijverheid, Sig. 1974, 1299, Rn. 10/12; Rs.39/75, Coenen/Sociaal-Economische Raad, Sig. 1975, 1547, Rn. 5/7; Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Sig. 1986,3755, Rn. 52; ähnlich Rs. C-101/94, Kommission/Italien, Sig. 1996,1-2691, Rn.3l. 228 Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die meisten Vorschriften zur Übergangszeit bei der Revision durch den Amsterdamer Vertrag gestrichen wurden. 225

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nach Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsort"229. Diese Fonnulierung deutet auf einen Doppelcharakter der Dienstleistungsfreiheit hin. Sie spricht letztlich dafür, eher die - in Art. 60 EGV definierte - Dienstleistung als "Produkt" in den Vordergrund zu stellen und von einer Produktverkehrsfreiheit auszugehen. Der personale Aspekt (und damit das Kriterium der Staatsangehörigkeit) hat insofern mehr eine Hilfsfunktion, als die Dienstleistungserbringung freilich untrennbar mit Personen verbunden ist. Folgt man dieser Auslegung, so lassen sich Parallelen zur Warenverkehrsfreiheit ziehen. Das Merkmal der Ansässigkeit des Dienstleistungserbringers entspräche dann dem dort für die Diskriminierung relevanten Kriterium der Herkunft oder Bestimmung 230 . Eine Schlechterbehandlung von nicht im Inland ansässigen Unternehmern ist demzufolge originär unzulässig und läßt sich dann bereits als unmittelbare Diskriminierung erfassen. Die Residenzpflicht könnte man dann als einen Extremfall ansehen, der strukturell nun einem "Einfuhrverbot" bzw. "Ausfuhrverbot" für Dienstleistungen gleichkommt, zumal danach nur im Inland ansässige Unternehmer die Leistung erbringen oder im Inland ansässige Personen die Leistung abnehmen dürfen 231. Dies erklärt auch die meist strengen Maßstäbe, die der EuGH diesbezüglich auf der Rechtfertigungsebene anlegt 232 • Somit ist davon auszugehen, daß der EuGH im Bereich der Dienstleistungsfreiheit eine doppelte Vergleichsgruppenbildung - nach der Staatsangehörigkeit wie nach der Ansässigkeit - vornimmt. c) Dienstleistungsherkunft bzw. Ort der Dienstleistungserbringung

Aus dem Umstand, daß die Dienstleistungsfreiheit neben dem personenbezogenen auch einen produktbezogenen Aspekt beinhaltet, ergibt sich noch eine weitere Sonderproblematik. Relevant wird dies vor allem dann, wenn nicht die "Träger" der Dienstleistung (Personen)233 die Grenze überschreiten, sondern nur die Dienstlei229 Hervorhebung durch den Verfasser. Hierauf verweist auch EuGH, Rs. 39n5, Coenen/Sociaal-Economische Raad, Sig. 1975, 1547, Rn. 8/11; ähnlich EuGH Rs. C-260/89, ERT, Sig. 1991,1-2925, Rn. 19. 230 Siehe dazu § 6 B.1. 231 Die angedeutete Parallelität zwischen Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit zeigt sich auch in der Rechtsprechung, wonach Ansässigkeitspflichten für Hersteller grundsätzlich Art. 28 EGV zuwiderlaufen; vgl. hierzu Troberg, in: GTE, Art. 59 EGV, Rn. 11 Fn. 10 mit zutreffendem Hinweis auf EuGH, Rs.247/81, KommissionIDeutschland, Sig. 1984, 1111, Rn.4, IOff.; Rs. 155/82, Kommission/Belgien, Sig. 1983,531, Rn. 14ff. 232 V gl. insoweit die oben in Fn. 227 angeführten Urteile - anders aber der Ausnahmefall EuGH, Rs. C-l 06/91, Ramrath, Sig. 1992, 1-3351, Rn. 27 ff., wo der EuGH das Ansässigkeitserfordernis bereits mit der Notwendigkeit einer Einhaltung von Standesrecht gerechtfertigt sah. 233 Neben den Dienstleistungserbringern sind hier auch die Empfänger von der Dienstleistungsfreiheit und damit vom Diskriminierungsverbot erfaßt; vgl. EuGH, verb. Rs. 286/82 u. 26/83, Luisi und CarbonelMinistero dei Tesoro, Slg. 1984,377, Rn.l0ff.; Rs.186/87, Cowan/ Tresor Public, Slg. 1989, 195, Rn. 15, 17.

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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stung selbst (sog. Korrespondenzdienstleistung). Beispiele sind internationale Werbemaßnahmen, Femdienstleistungen über Telefon oder Internet etc. Spätestens hier verliert die Anknüpfung an das personale Kriterium der Staatsangehörigkeit bei der Vergleichsgruppenbildung ihren Sinn. Vielmehr ähnelt die Dienstleistungsfreiheit hier wegen des "Produktaspekts" noch eher der Warenverkehrsfreiheit, so daß es naheliegt, als möglichen Anknüpfungspunkt für die Diskriminierung entsprechend auf die Dienstleistungsherkunft abzustellen 234 . Der EuGH hat diesen Schritt in seinen Urteilen zwar nicht ausdrücklich vollzogen. Doch gibt es einige unmißverständliche Hinweise, wie z. B. die Aussage im Fall ERT, daß ein Fernsehmonopol dann gegen Art. 49 ff. EGV verstößt, wenn es zu einer "Diskriminierung von einheimischen und ausländischen Fernsehsendungen"235 führt. In Vestergaard spricht er sogar von einer "nach Artikel [49] EG-Vertrag verbotene[n] Ungleichbehandlung je nach dem Ort der Erbringung der Dienstleistung"236. Im Urteil Kohl! wiederum, dem eine Regelung zugrunde lag, die offen nach dem Ort der Dienstleistungserbringung differenzierte, ging der EuGH auf die Frage der Diskriminierung überhaupt nicht ein, sondern sprach nur allgemein von einer "Behinderung des Dienstleistungsverkehrs"237. Im Endeffekt gilt meines Erachtens aber auch hier dasselbe wie das oben zur Ansässigkeit Ausgeführte. Soweit der Produktaspekt der Dienstleistung betroffen ist, d. h. wenn es um die "Behandlung" der Dienstleistung als solcher geht, sind Vergleichsgruppen nach der Herkunft zu bilden. Diese richtet sich dann entweder nach dem Ort der Leistungshandlung (bei Korrespondenzdienstleistungen) oder nach der Ansässigkeit des Dienstleistungserbringers (aktive Dienstleistungsfreiheit) bzw. des Dienstleistungsempfangers (passive Dienstleistungsfreiheit). 2. Ansichten in der Literatur In der Literatur wird die Problematik vereinzelt unter dem Schlagwort "materielle Diskriminierung" diskutiert, das freilich sehr schillernd verwendet wird und nichts mit der hier gewählten Begrifflichkeit zu tun hat. Zu nennen ist dabei vor allem der unter anderem von Kingreen vertretene Ansatz, die Grundfreiheiten insgesamt als weit verstandene Diskriminierungsverbote zu fassen. Grundlage hierfür ist eine vom Kriterium der Staatsangehörigkeit losgelöste, allein auf den Grenzübertritt abstellende Vergleichs gruppen bildung, die einer Gegenüberstellung von grenzüberschreitenden und inländischen Sachverhalten entspricht 238 • So wohl auch GundeI, Jura 2001, 79, 84. EuGH, Rs. C-260/89, ERT, Slg. 1991,1-2925, Rn. 20 (Hervorhebung durch Verf.). 236 EuGH, Rs. C-55/98, Vestergaard, Slg. 1999,1-7641, Rn. 22. 237 EuGH, Rs. C-158/96, Kohll, Slg. 1998,1-1931, Rn. 33ff. 238 Kingreen, S.118ff., 138ff.; ebenso aber auch Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, Art. 43 EGV, Rn. 18; ähnlich Fastenrath, JZ 1987, 170. 234 235

10 Plötscher

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Darüber hinaus findet eine explizite Auseinandersetzung mit der Vergleichsgruppenbildung erstaunlich selten statt. Oft wird nur pauschal von "diskriminierenden Maßnahmen" gesprochen, ohne die Vergleichsbasis näher zu klären 239 • Einige Autoren verwenden die Merkmale des Grenzübertritts und der Staatsangehörigkeit undifferenziert nebeneinander240 • Andere gehen mehr oder weniger offen von einem engeren Vergleichstatbestand aus 241 und wollen lediglich im Bereich der Dienstleistungs- und/oder Niederlassungsfreiheit zusätzlich auf das Kriterium der Ansässigkeit zurückgreifen 242 • 3. Konsequenz Im Ergebnis besteht meines Erachtens bislang in keinem einzigen Fall ausreichender Anlaß, vom Kriterium der Staatsangehörigkeit (bzw. Staatszugehörigkeit) abzurücken, soweit bei der Vergleichsgruppenbildung Personen in Rede stehen. Selbst die oben angeführte Sonderproblematik bei der Dienstleistungsfreiheit bildet keinen eigentlichen Ausnahmefall, da es dort an sich nicht um die Behandlung von Personen, sondern um eine solche von Produkten geht. Eine ausschließliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit macht dann freilich keinen richtigen Sinn. Die mitgliedstaatliche Zuordnung muß in diesen Fällen somit auf der Basis der Dienstleistungsherkunft erfolgen. Diese drückt sich unter anderen auch dadurch aus, daß der Dienstleistungserbringer in einem anderen Staat ansässig ist als demjenigen, in dem die Leistung erbracht werden soll. Alle anderen Fälle, in denen die Personenverkehrsfreiheiten im eigentlichen Sinne betroffen sind, lassen sich ohne weiteres durch eine Rückbeziehung auf die Staatsangehörigkeit im Wege der mittelbaren Diskriminierung darstellen. Bei jeder Regelung, die auf irgendeine Weise nach der "Grenzüberschreitung" unterscheidet, ist bei Zugrundelegung der vom EuGH angewandten typisierenden Betrachtung in der Regel eine unterschiedliche Auswirkung für In- und Ausländer zu diagnostizieren, die den notwendigen Bezug zur Staatsangehörigkeit zumindest indiziert. So z. B. bei Eberhartinger, EWS 1997,43. Eilmansberger, JBI. 1999,345, 348f.; wieder anders Garrone, RDTE 1994,425, 436ff., der mit einer "discrimination al' egard des migrants" eine völlig neue Kategorie einführen will. 24\ RandelzhoJer, in: Grabitz/Hilf, Art.48 EWGV, Rn. 28; Scheuer, in: Lenz, Art. 39 EGV, Rn. 32 ff.; Brüggemann, S. 77; Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 50, Rn. 36 f., 56 f., der auch bei der Dienstleistungsfreiheit allein von der Staatsangehörigkeit als maßgeblichem Kriterium ausgeht. 242 Jarass, EuR 1995,202,211 ff.; ders., EuR 2000, 705, 709; ders., FS Everling, 593, 595; Roth, WRP 2000,979,982; Hakenberg, in: Lenz, Art. 49/50 EGV, Rn. 21; Roth, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E.I, Rn. 118; ähnlich auch der Ansatz von Troberg, in: GTE, Art. 59 EGV, Rn. 7 f., der neben offener Diskriminierung und nicht-diskriminierendem Verhalten eine eigene Fallgruppe der "Residenzptlicht" bildet - a. A. aber für die Niederlassungsfreiheit Lackhoff, S.215ff.; Scheuer, in: Lenz, Art. 43 EGV, Rn.5f.; Troberg, in: GTE, Art. 52 EGV, Rn. 39; RandelzhoJer, in: Grabitz/Hilf, Art. 52 EWGV, Rn. 37, der in Wohnsitzerfordernissen eine versteckte Diskriminierung sieht. 239

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II. Ungleichbehandlung (Handlungs- oder wirkungsbasiertes Konzept?) Hinsichtlich des Merkmals der Ungleichbehandlung wird im Rahmen der Grundfreiheiten vor allem dessen Reichweite diskutiert. Fraglich ist, ob der Diskriminierungsbegriffvon einem handlungsbezogenen Verständnis gelöst und zu Gunsten einer wirkungsbezogenen Auslegung erweitert werden muß. Mit anderen Worten: Liegt eine Diskriminierung bereits bei einer bloßen "faktischen Schlechterstellung" bzw. einer "im Ergebnis ungleichen Auswirkung" einer Maßnahme vor? Worin muß eine solche Wirkung dann liegen? 1. Systematische Einordnung

Gemeint sind damit Fälle, die sich gerade nicht mehr mit dem oben dargelegten Verständnis von "mittelbarer Diskriminierung" erfassen lassen. Dort wurde mit dem Kriterium des "gleichen Ergebnisses" zwar ebenfalls bereits auf die Wirkungen einer Maßnahme Bezug genommen. Doch beruhten diese dort ausnahmslos auf einer in der jeweiligen Regelung (formal) enthaltenen Differenzierung, die nur nicht direkt an das verbotene Merkmal (Staatsangehörigkeit, Dienstleistungsherkunft) anknüpfte. Die hier zu erörternde Problematik betrifft hingegen diejenigen Auswirkungen, die gerade nicht mehr in der unterschiedlichen Ausgestaltung, d. h. in den Tatbestandselementen, einer Maßnahme angelegt sind 243 • Es geht demzufolge hier allein um inhaltlich neutral ausgestaltete und daher (im eigentlichen Sinne) unterschiedslos anwendbare Vorschriften. Eine unterschiedliche Wirkung auf die Vergleichsgruppen, d. h. eine irgendwie geartete Benachteiligung von Personen oder Dienstleistungen anderer Mitgliedstaaten, kann sich dann nur aus einem Unterschied in den tatsächlich bestehenden Umständen ergeben, auf den die entsprechende Regelung trifft. Für das Diskriminierungsverständnis bedeutet dies, daß bei einer derartigen "faktischen" Betrachtung gerade in der Nichtberücksichtigung dieses vorbestehenden Unterschieds bei der Ausgestaltung einer Regelung eine Diskriminierung zu sehen wäre. Etwas verkürzt wäre der Vorwurf dann der einer Gleichbehandlung von Ungleichem. Der Diskriminierungsbegriff ginge im allgemeinen Gleichheitssatz auf. 2. Literatur

In der neueren Literatur scheint ein solch extensives, an den bloßen Wirkungsunterschied anknüpfendes, d. h. kausales, Diskriminierungsverständnis im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten zunehmend Anhänger zu finden 244 • Hintergrund ist 243 Eilmansberger, JBI. 1999,345,349 spricht insoweit von einer "intrinsischen" Bevorzugung bzw. Wirkung. 244 Kingreen, S.120f.; KingreenlStörmer, EuR 1998,263, 266f.; Steindorjf, Gleichheitssatz, S.14ff.; Bernard, ICLQ 45 (1996), 82, 84; ders., Discrimination Law, S. 77, 89f., 95; Everling,

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dabei teilweise das Ziel, die Grundfreiheiten insgesamt zu effektuieren und ihren Wirkungsbereich auszudehnen. Doch setzt dies voraus, daß man an deren gleichheitsrechtlicher Struktur festhält und eine freiheitsrechtliche Dimension ablehntz45 • Klar ist, daß sich ein solches Verständnis zumindest teilweise vom Wortlaut des Vertragstextes lösen muß, der in den Rechtsgewährleistungen der Art. 39 Abs. 3, Art. 43 Abs. I sowie Art. 49 EGV gerade keinen horizontalen Vergleich normiert, sondern eher von "Beschränkungen" spricht. Die wohl herrschende Gegenauffassung entnimmt sämtlichen Personenverkehrsfreiheiten daher anknüpfend an die Rechtsprechung neben dem Aspekt des Diskriminierungs- auch ein Beschränkungsverboe46 • Das eigentliche Problem der mittelbaren Diskriminierung besteht dann aber darin, eine brauchbare Abgrenzung zwischen diesen beiden Aspekten zu finden 247, die jedenfalls bei einer differenzierten Schrankensystematik 248 auch notwendig ist. Soweit eine entsprechende Auseinandersetzung stattfindet, bemüht man sich daher, die mittelbare Diskriminierung auf faßbare Kriterien zurückzuführen und nicht jeden Wirkungsunterschied genügen zu lassen. Festgemacht wird dies beispielsweise anhand besonderer Anforderungen an die Signifikanz der Auswirkung 249 , an der Art der getroffenen Regelung 250 oder an DB 1990, 1853, 1855 f. (hinsichtlich des Falles Klopp); wohl auch: Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, Art. 43, Rn. 19; Trautwein, Jura 1995, 191, 192; vgl. zu Art. 12 EGV: Rossi, EuR 2000, 197, 21Of.; Epiney, S. looff.; dies., in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EGV, Rn. 6; Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729,732, 738f.; ders., in: Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E.I, Rn. 62; Hai/bronner, JuS 1991,917,919; Nachbaur, EuZW 1991,470,471; Kokott, Steuerrecht, S.I, 18; Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 451 f.; Barnard, Discrimination Law, 63, 66 - kritisch hiergegen schon Ulmer, GRUR Int. 1973,502, 507f.; ebenso Reitmaier, S.47f.; Schack, ZZP 1995,47, 49ff.; sowie hinsichtlich der Europaabkommen Weij3, InfAuslR 2001, 1,3. 245 So jedenfalls bei Kingreen, S. 83ff., 120ff.; Kingreen/Störmer, EuR 1998,263, 287f.; ähnlich auch Jarass, FS Everling, 593, 597 ff., der von "Grundgleichheiten" spricht, trotzdem aber einen engeren Diskriminierungsbegriff vertritt (vgl. Fn. 249); zu Art. 43 ff. EGV auch Everling, DB 1990, 1853, 1857. 246 Vgl. nur Bleckmann, DVBI. 1986,69, 72f.; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, Art.43, Rn. 28; Classen, EWS 1995,97,98 u. 104; Eberhartinger, EWS 1997,43, 44f., 48; Everling, GS Knobbe-Keuk, 607, 612, 616; Hailbronner/Nachbauer, EuZW 1992, 105, 109; Hakenberg, in: Lenz, Art. 49/50, Rn. 23; Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 m. w. N.; Lackhojf/Raczinski, EWS 1997, 109, 115 m. w. N.; Leible, § 4 A. 11.; Scheuer, in: Lenz, Art.43 EGV, Rn. 7 ff.; Schneider, NJ 1996,512,514; Steindorff, EuR 1988, 19, 26ff., 32; Streinz, FS Rudolf, 199, 207f.; Wernsmann, EuR 1999,754,755; Wilkinson, Discrimination Law, S. 123, 132; BBPS, 9.6.2 f.; - a. A. noch Randelzho/er, in: Grabitz/Hilf, Art. 52, Rn. 43 b - wieder anders mit differenzierendem Ansatz: Roth, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E.I, Rn. 126 ff. - vgl. auch die Übersicht bei Zuleeg, FS Everling, 1717, 1722. 247 Vgl. Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 50 EGV, Rn. 56f.; Lackhoff, S. 226f.; Gundei, Jura 2001,79, 80m.w.N.; vgl. zu den Unklarheiten der AbgrenzungauchKokott,Steuerrecht,S.I,18. 248 V gl. hierzu unten § 5 C. 111. 249 So wohl Jarass, EuR 1995,202,213, wenn er die Diskriminierung entfallen lassen will, wenn eine Regelung "in erheblichem Unfang auch [... ] Inländer bzw. im Inland ansässige Personen erfaBt." (ebenso ders., FS Everling, 593, 597; ders., EuR 2000, 705, 710). Damit grenzt er trotz seines gleichheitsrechtlichen Verständnisses der Grundfreiheiten die "rein faktische SchlechtersteIlung" deutlich von der (mittelbaren) Diskriminierung ab (ders. EuR 1995,202,

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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das eher wertende Kriterium einer "intrinsischen" oder "dem Wesen nach" gegebenen Bevorzugung innerstaatlicher Vorgänge 251 • 3. Ansätze in der Rechtsprechung

Eine aussagekräftige Analyse der Rechtsprechung ist hier wegen der uneinheitliehen Wortwahl und Argumentationsweise des EuGH besonders schwer. So läßt sich aus der häufigen Verwendung des Begriffs "Beschränkung" oder "Beeinträchtigung"252 nicht zwingend darauf schließen, der Gerichtshof wolle eine Diskriminierung verneinen und den Fall im Rahmen eines Beschränkungsverbotes lösen. Doch gibt es zumindest einige Entscheidungen, in denen der EuGH ausdrücklich vom Vorliegen einer nichtdiskriminierenden Maßnahme ausgeht und dennoch einen Verstoß gegen die Personenverkehrsfreiheit bejaht 253 • Andererseits ergibt sich ein möglicher Ansatzpunkt aus der Parallelität von Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit und der dort gebräuchlichen Keck-FormeI 254 , die der EuGH erstmals im Fall Alpine Investments heranziehe 55 . Danach käme es im Bereich der "Ausübungsmodalitäten" auf eine "tatsächlich gleiche Berührung" der Vergleichs gruppen an. Doch nimmt der EuGH auch hier trotz einer Wirkungsneutralität einen Verstoß gegen Art. 49 EGV an, wobei er auf die Beeinflussung des Zugangs zum Markt anderer Mitgliedstaaten abhebt 256. Dies spricht jedenfalls gegen den Ansatz, mit einem weiten Diskriminierungsverständnis alle denkbaren Konstellationen erfassen zu wollen. Für diese Frage am bedeutendsten sind die Situationen der Doppelbelastung, d. h. der Benachteiligung ausländischer Wirtschaftsteilnehmer dadurch, daß an sie gewisse Anforderungen, die sie im Heimatland bereits erfüllt haben, im Inland nun - durch eine einheitlich geltenden Vorschrift - nochmals gestellt werden. Beispiele hierfür sind bestimmte Genehmigungsanforderungen, Befähigungsnachwei215 f.). Ähnlich auch Garrone, RDTE 1994,425,431 f.; LackhoJflRaczinski, EWS 1997, 109, 112f. m. w. N. 250 Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 50, Rn. 37. 251 Brechmann, in: Calliess/Ruffert, Art. 39, Rn.46; Streinz, FS Rudolf, 199,218 f.; Eilmansberger, JBI. 1999,345, 349f., der offenbar damit an die Absicht des Gesetzgebers anknüpfen will; ebenso Reitmaier, S. 47 f.; andeutungsweise auch Scheuer, in: Lenz, Art. 43 EGV, Rn.5. 252 So in EuGH, Rs. C-288/89, Collective Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, 1-4007, Rn. 12; Rs. C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991,1-4069, Rn. 16; Rs. C-76/90, Säger, Slg. 1991,1-4221, Rn. 12 (hierscheintderEuGH deutlicherabzugrenzen)u. Rn.14; Rs.C-351/90, Kommission/Luxemburg, Slg. 1992, 1-3945,Rn.14; Rs.C-384/93,AlpineInvestments, Slg. 1995, 1-1141, Rn. 30; Rs. C-250/95, Futura Participations und Singer, Slg. 1997,1-2471, Rn. 24. 253 So z.B. in EuGH, Rs.C-76/90, Säger, Slg. 1991, 1-4221, Rn. 12ff.; Rs.C-222/95, Parodi, Slg. 1997,1-3899, Rn. 19; in Rs. C-379/92, Peralta, Slg. 1994,1-3453, Rn. 49 ff. untersucht der Gerichtshof zumindest "Beschränkungen", die sich auch aus einer nichtdiskriminierenden Regelung ergeben können. 254 VgI. hierzu unten §6 C.1.2.C. 255 EuGH, Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995,1-1141, Rn. 36f. 256 EuGH, a. a. 0., Rn. 35, 38.

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se oder Dokumentationsptlichten 257 • Der EuGH verneint in derartigen Konstellationen häufig eine Diskriminierung. Exemplarisch ist die Entscheidung im Fall Parodi, in dem sich eine ausländische Bank gegen das generelle Genehmigungsbedürfnis für Bankgeschäfte wehrte, auch wenn sie in ihrem Heimatmitgliedstaat bereits eine derartige Genehmigung besaß 258 • Der EuGH geht hier ausdrücklich von einem nichtdiskriminierenden Charakter der Regelung aus, sieht andererseits aber in dem aus der doppelten Genehmigungspflicht resultierenden Nachteil eine Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs 259 • Ganz ähnliche Argumentationsketten finden sich auch in anderen Entscheidungen zu Genehmigungserfordernissen 26o , Befähigungsnachweisen 261 sowie in einem Fall betreffend ausländischer Werbung im niederländischen Kabelfernsehen. Hier führte der EuGH aus, Beeinträchtigungen, die dadurch entstünden, daß innerstaatliche Rechtsvorschriften auch ausländische Dienstleister erfassen, die aber auch den Vorschriften ihres Herkunftsstaates genügen müssen, seien - mangels Harmonisierung - hinzunehmen. Sie fielen nur unter Art. 49 EGV, wenn sie nicht durch Allgemeinwohlinteressen gerechtfertigt seien 262 • Die Parallele zur Cassis-Rechtsprechung im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit ist unverkennbar. In den "Doppelbelastungsfällen" sieht der EuGH hier eindeutig eine eigenständige, von den Diskriminierungsfällen losgelöste Kategorie, wie insbesondere in der abweichenden Rechtfertigungsdogmatik deutlich wird263 • Vollkommen entgegengesetzt hingegen die Aussage im Fall Seco/EVI: hier wurde ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Arbeitgeber zur Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung für Arbeitnehmer verpflichtet, mit deren Hilfe er vorübergehend im Inland Leistungen ausführte, obwohl er auch in seinem Sitzstaat entsprechende Abgaben zu entrichten hatte. In dieser Doppelbelastung sah der EuGH nun eine mittelbare Diskriminierung, da sich die Abgabenpflicht im Inland ungleich auswirke 264 • Merkwürdigerweise prüfte er die Rechtfertigung dann aber wiederum nach der gerade dargelegten Anlehnung an die Cassis-Rechtsprechung 265 • Ähnlich unklar 257 Zu letzterem vgl. den Fall EuGH, Rs. C-250/95, Futura Participations und Singer, Slg. 1997, 1-2471, Rn. 24 ff., den der Gerichtshof zweifelsohne im Bereich des Beschränkungsverbotes löst; ganz ähnlich nun auch EuGH verb. Rs. C-369 u. C-376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, 1-8453, Rn. 56ff. 258 Der Fall betraf einen Rechtstreit vor Inkrafttreten der Bank-Koordinierungsrichtlinie (89/646/EWG, ABI. 1989 Nr. L 386 S. I ff.), die die Rechtslage inzwischen harmonisiert hat. 259 EuGH, Rs. C-222/95, Parodi, Slg. 1997,1-3899, Rn. 19. 260 EuGH, Rs. C-76/90, Säger, Slg. 1991,1-4221, Rn. lU.; ähnlich Rs. 279/80, WeM, Slg. 1981,3305, Rn. 16f. 261 EuGH, Rs. C-340/89, Vlassopoulou, Slg. 1991,1-2357, Rn. 15. 262 EuGH, Rs. C-288/89, Collective Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991,1-4007, Rn. lU.; interessanterweise grenzt der EuGH diese Beeinträchtigungen sowohl absatztechnisch als auch in der Wortwahl ("zweitens") deutlich von den Diskriminierungsfallen ab. Nahezu wortgleich auch EuGH, Rs. C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991,1-4069, Rn. 16. 263 V gl. hierzu unten § 6 C. IlI. 3. a. a. E. 264 EuGH, verb. Rs. 62 u. 63/81, Seco/EVI, Slg. 1982, 223, Rn. 8 f. 265 EuGH, a. a. 0., Rn. 10. Die Besonderheit war hier auch, daß sich die Arbeitnehmer von der genannten Versicherungspflicht befreien lassen konnten, die Arbeitgeber dann aber weiter-

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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sind Äußerungen, wonach es auf die Eignung ankommen soll, "eine Diskriminierung ... zu bewirken"266. Im Fall Webb hingegen zitiert der Gerichtshof zunächst seinen Obersatz zur Diskriminierung, um dann aber festzustellen, daß dies nicht impliziere, daß jede für Inländer geltende Regelung nun auch für zeitlich begrenzte Tätigkeiten (von Ausländern) anzuwenden sei 267 . Die nachfolgende Rechtfertigungsprüfung ähnelt auch hier der Cassis-Linie 268 • Man könnte vermuten, der EuGH wollte nun ein Differenzierungsgebot installieren. Doch schloß er im Fall Alpine Investments wiederum aus der Benachteiligung des grenzüberschreitenden Handels aufgrund einer fehlenden Differenzierung gerade nicht auf das Vorliegen einer Diskriminierung, sondern maß der Regelung ausdrücklich einen nichtdiskriminierenden Charakter bei 269 . 4. Stellungnahme

Betrachtet man nun die hier relevanten Fälle, so gibt es im Ergebnis keinen zwingenden Grund, von einer Erweiterung des Diskriminierungsbegriffs auf reine Wirkungsunterschiede auszugehen. Der Aspekt einer "sonstigen Beeinträchtigung" durch eine faktische Benachteiligung des grenzüberschreitend Tätigen, die sich in der Regel in einer Verschlechterung seiner Wettbewerbs position äußert, läßt sich auch durch das Konstrukt des eher freiheits- als gleichheitsrechtlich ausgerichteten Beschränkungsverbots erfassen. Dieses Konzept ist zudem aus mehrerlei Gründen einem "weiten Diskriminierungsverbot" überlegen. So gibt es einige Entscheidungen des Gerichtshofs, die sich auch mit einem weit verstandenen Diskriminierungsbegriff nicht mehr erklären lassen. Im Fall Bosman sah der EuGH die bei einem grenzüberschreitenden Wechsel von Fußballspielern zu zahlenden Transferentschädigungen als Verstoß gegen Art. 39 EGV, obwohl dasselbe System auch für Inlandswechsel galt und eine unterschiedliche Wirkung nicht hin zur Beitragszahlung verpflichtet blieben (a. a. 0., Rn. 3, 10). Hierin läge dann aber doch bereits eine unterschiedliche Ausgestaltung der Norm, so daß es auf einen Wirkungsunterschied überhaupt nicht mehr ankäme. 266 EuGH, Rs. 96/85, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 1475, Rn. 11; Rs. C-351/90, Kommission/Luxemburg, Slg. 1992,1-3945, Rn. 14. Hier ging es um nationale Verbote einer Zweitniederlassung, worin der EuGH eine grundsätzlichen Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit sah. Ob er dies mit einem weiten Diskriminierungsverständnis erreicht, bleibt allerdings zumindest im zweitgenannten Fall fraglich. Hier hob der EuGH nämlich maßgeblich auf eine bestehende Ausnahmeregelung ab, deren Geltung auf Inlandsunternehmen beschränkt war (a.a. 0., Rn. 15ff.). Auch im Fall Rs. C-260/89, ERT, Slg. 1991,1-2925, Rn. 22, 26 erwähnt der EuGH zwar die "diskriminierende Auswirkung" eines Fernsehmonopols, stellt dann aber die Prüfung in den Vorbehalt des nationalen Richters (a.a.O., Rn. 23). Die "Auswirkung" liegt für ihn damit offenbar lediglich darin, daß eine konkrete diskriminierende Handhabung des Monopols bewiesen sein muß. Darin ist aber keine Erweiterung zu erkennen. 267 EuGH, Rs. 279/80, Webb, Slg. 1981,3305, Rn. 14, 16; ähnlich auch Rs. 107/83, Ordre des Avocats au Barreau de Paris/Klopp, Slg. 1984,2971, Rn. 18. 268 A. a. 0., Rn. 17, wo der EuGH Vokabeln wie "Beschränkung" und "Allgemeininteresse" gebraucht. 269 EuGH, Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995,1-1141, Rn. 35.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

feststell bar ist 270 • In dieselbe Richtung gehen die Aussagen in Alpine Investments 271 • Das hier behandelte Verbot des sog. cold calling galt innerhalb eines Mitgliedstaat einheitlich für sämtliche Dienstleistungen. Es wirkte sich auch nicht nachteiliger für grenzüberschreitende Tätigkeiten aus. Dennoch sah der EuGH in beiden Fällen richtigerweise eine unzulässige Beeinträchtigung des Marktzugangs in einem anderen Mitgliedstaat. Mit diesen Entscheidungen ist jedoch ein gleichheitsrechtliches Verständnisses der Personenverkehrsfreiheiten nicht mehr zu vereinbaren. Ohnehin läßt sich die unterschiedliche Reichweite von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit mit einem horizontalen Vergleichsmaßstab nur schwer abbilden. Deutlich wird dies bei Zulassungs- oder Genehmigungserfordernissen. Während hier ein und dieselbe Regelung im Rahmen der Art. 43 ff. EGV noch angemessen und somit zulässig erscheint, kann sie doch gleichzeitig dem Zweck der Art. 49ff. EGV zuwiderlaufen. Die Unterschiedlichkeit der Wirkung auf die Vergleichsgruppen ist aber in beiden Fällen die gleiche, nur der Maßstab (dauerhafte oder vorübergehende Tätigkeit) ist ein anderer. Dem ließe sich nur beikommen, wenn man den Diskriminierungsbegriff auf das Gebot erweiterte, nicht Vergleichbares unterschiedlich zu behandeln, und so dem allgemeinen Gleichheitssatz gleichstellte. Doch wäre auch damit nicht viel gewonnen, da der Maßstab für die Vergleichbarkeit ja nicht aus sich selbst heraus existiert, sondern aus einer weiteren Wertung, nämlich dem Ziel oder - anders ausgedrückt - dem Inhalt der jeweiligen Grundfreiheit zu entnehmen ist. Allerdings legt man dabei insgeheim doch wieder einen absoluten Bezugspunkt (die Freiheit sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen oder grenzüberschreitende Dienstleistungen zu erbringen) zugrunde. Daher ist es konsequenter, von Anfang an von einer absoluten Rechtsgewährleistung der Personenverkehrsfreiheiten auszugehen, und die Diskriminierung dabei nur als besondere Eingriffsform zu verstehen. Zudem zeigt diese Überlegung auch, daß eine gleichheitssatzähnliche Struktur dem Diskriminierungsgedanken grundsätzlich fremd ist. Ein Diskriminierungsverbot will so gerade die Anwendung eines bestimmten, stigmatisierenden Kriteriums pönalisieren. Es ist demzufolge generell nicht geeignet, darüber hinaus auch Aussagen über die Nichtanwendung einer etwa gebotenen Unterscheidung zu treffen. Gegen ein Gleichheitsverständnis der Personenverkehrsfreiheiten spricht auch eine Betrachtung der Rechtsfolgenseite. So ist ein Gleichheitsgebot insofern stets neutral, als es selbst an sich keinerlei Aussage darüber enthält, wie ein Zustand der Ungleichheit zu beseitigen ist. Eine Angleichung ist hier entweder auf dem unteren oder dem oberem Niveau oder gar einem Zwischenniveau denkbar. Besonders schwierig werden Aussagen hingegen bei den angesprochenen Fällen der Doppelbelastung. Diese resultiert in der Regel daraus, daß der Betroffene den Erfordernissen zweier Rechtsordnungen gleichzeitig genügen muß. Aus der Sichtweise einer gleichheitsrechtlichen Struktur würde es hier genügen, wenn irgendeiner der beiden 270 271

EuGH, Rs. C-415/93, Bosman, Slg. 1995,1-4921, Rn. 104. Vgl. oben § 5 C. 11. 3.

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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involvierten Staaten eine Ausnahmeregelung erließe, um die Doppelbelastung zu beseitigen. Ein Diskriminierungsansatz wäre hier insofern neutral. Jedoch ist zweifellos anerkannt, daß den Grundfreiheiten hier prinzipiell das Anerkennungs- oder Herkunftslandprinzip zugrunde liegt. "Nachzugeben" hat insoweit immer der Zielstaat, indem er die Erfordernisse, die der Betroffene in seinem Heimatstaat bereits erfüllt hat, beim Erlaß seiner Regelungen berücksichtigt. Der Ausgleich hat somit asymmetrisch allein zu Lasten des Bestimmungslandes stattzufinden. Aus einer rein gleichheitsrechtlichen Betrachtung läßt sich eine solche Wertung aber nicht entnehmen 272 • Das Prinzip der Anerkennung im Bereich von Verkehrsfähigkeitsvorschriften fußt demzufolge auf einer freiheitsrechtlichen Betrachtung. Schließlich ist festzustellen, daß die hier erörterten Doppelbelastungen - und die dadurch hervorgerufene Benachteiligung grenzüberschreitend Tätiger - allein aus dem (unglücklichen) Zusammenwirken zweier verschiedener Mitgliedstaaten entstehen. Für Art. 12 EGV hat der EuGH jedoch selbst konstatiert, daß Belastungen, die einzig auf den Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen beruhen, keine Diskriminierungen darstellen 273 • Da die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten insofern Spezialtatbestände sind, ist diese Aussage auch für sie gültig 274 • Sie ergibt sich aber auch aus einer Kompetenzbetrachtung. Würde man hier die absolute Wirkungsneutralität einer Rechtsnorm verlangen - und genau dies besagt ja letzten Endes das erweiterte Diskriminierungsverständnis -, so erreichte man konsequent zu Ende gedacht eine zwangsweise Harmonisierung mitgliedstaatlicher Rechtsvorschriften im Wege des Diskriminierungsverbots 275 , ohne daß dafür eine Gemeinschaftskompetenz, wie etwa Art. 95 EGV, eingriffe. Im Ergebnis bleibt es daher bei der hier vertretenen rein handlungsbezogenen Sichtweise. Auf einen reinen Wirkungsvergleich kommt es nicht an. Für die Abgrenzung zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsaspekt der Personenverkehrsfreiheiten bedeutet dies, daß die Trennlinie hauptsächlich dort verläuft, wo unterschiedliche Wirkungen einer Maßnahme nicht mehr auf ihre formale Ausgestaltung, d. h. die verwendeten Differenzierungskriterien, zurückgeführt werden können, sondern vielmehr auf dem Fehlen einer Unterscheidung (z. B. Nichtberücksichtigung von Vorbelastungen) oder dem Zusammentreffen verschiedener Rechtsordnungen beruhen.

Ebenso Kokott, Steuerrecht, S.I, 6f. Vgl. oben §5 B.IV.2. 274 So ausdrücklich EuGH, Rs.C-I77/94, Peljili, Slg. 1996,1-161, Rn.17; im Ergebnis auch Rs. C-379j92, Peralta, Slg. 1994,1-3453, Rn. 34; vgl. auch Rs. 155/80, Oebel, Slg. 1981, 1993, Rn.9; RS. 14/68, Walt Wilhelm, Slg. 1969, I, Rn. 13. 275 Vgl. hierzu nur die Kritik bei Schack, ZZP 1995, 47ff. 272

273

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

IH. Rechtfertigungsproblematik Die dritte große Schwierigkeit, die erhebliche Auswirkungen auf das Diskriminierungsverständnis im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten hat, betrifft die Frage der dogmatischen Einordnung und Abgrenzung von Rechtfertigungsüberlegungen. Im Gegensatz zu Art. 12 EGV enthalten die Vorschriften hier ausdrücklich normierte Ausnahme- und Rechtfertigungstatbestände in Art. 39 Abs. 3, 4 EGV sowie Art. 45, 46 Abs. 1 EGV (ggf. i. V. m. Art. 55 EGV), die allerdings grundsätzlich für den gesamten grundfreiheitlichen Tatbestand zur Anwendung kommen. Ausnahme ist hier nur Art. 46 Abs. 1 EGV, der seinem Wortlaut nach allein bei "Sonderregelungen für Ausländer", d. h. unterschiedlichen Regelungen, relevant wird. Insgesamt stellt sich hier die Frage der Einordnung in die Struktur des Diskriminierungsbegriffs und des Verhältnisses zu sonstigen vom EuGH zu den Personenverkehrsfreiheiten entwickelten Rechtfertigungsdogmatiken. 1. Vertypte Rechtfertigungsgründe bei spezifischer Ungleichbehandlung?

Ähnlich wie bei Art. 12 EGV betrifft die eigentlich hier zu erörternde Rechtfertigungsproblematik nur die Fälle, in denen das Vorliegen einer spezifischen Ungleichbehandlung, d. h. der notwendige Zusammenhang zu dem jeweils verbotenen Kriterium (Staatsangehörigkeit, Dienstleistungsherkunft) bereits feststeht. Allerdings stellt sich die Frage nach einem absoluten oder relativen Charakter des Diskriminierungsbegriffs nicht mit derselben Schärfe wie bei Art. 12 EGV, da mit den eben genannten vertypten Rechtfertigungstatbeständen jedenfalls Korrekturmöglichkeiten bestehen. Zu klären bleibt aber deren Verhältnis zum Diskriminierungsbegriff.

a) Ausübung hoheitlicher Gewalt Ihrer Formulierung nach sind die genannten Vorschriften an sich durchweg als Ausnahmevorschriften zu den grundfreiheitlichen Gewährleistungen insgesamt angelegt. Deutlich wird dies vor allem in den Regelungen hinsichtlich Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt in Art. 48 Abs.4 EGV und Art. 45 Abs. 1 EGV (ggf. i.V. m. Art. 55 EGV). Die Literatur sieht hierin konstruktiv eine Bereichsausnahme von den Grundfreiheiten, die bereits deren Anwendbarkeit überhaupt ausschließtz76 • Bezogen auf den Diskriminierungsbegriff ist diese Deutung jedoch nicht unbedingt zwingend. Bei den Ausführungen zu Art. 12 EGV wurde festgestellt, daß die Nennung des Kriteriums der Staatsangehörigkeit zwar eine grundsätzliche Wertung der Statusgleichheit beinhaltet, diese Wertung aber ihre Grenze an den wesensmäßigen Eigenheiten finden kann, die mit der Staatsangehörigkeit verbunden ist. Freilich un276 Scheuer, in: Lenz, Art. 39, Rn. 83 sowie Art. 55 EGV, Rn. 1; Wölker, in: GTE, Art. 48 EGV, Rn. 114; Troberg, in: GTE, Art. 55 EGV, Rn. 1.

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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terliegen diese im Laufe der Zeit auch Veränderungen. Doch hat der EuGH selbst festgestellt, Tätigkeiten, die mit der Ausübung hoheitlicher Gewaltz77 verbunden sind, setzten "ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraus, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen"278. Anders formuliert würde dies bedeuten, das Postulat der Status gleichheit stößt hier an vorgegebene Grenzen. Es ist nicht zu übersehen, daß diese Schlußfolgerung einer begrenzenden Wertung auch ihre Schwächen hat. Wie oben zu Art. 12 EGV bereits dargelegt, zeigt vor allem das Beispiel des Art. 19 Abs.l EGV, daß vermeintlich zum Kembestandteil der Staatsangehörigkeit gehörende Positionen selbst nicht unveränderlich feststehen müssen und bei fortschreitender Integration zunehmend verschwinden. Hinzu kommt, daß das hier entworfene Modell auch nicht die Bedeutung der Art. 39 Abs. 4, Art. 45 Abs. 1 EGV für eher freiheitlich angelegten Rechte wie die des Art. 39 Abs. 3 EGV erklären kann. Im Ergebnis ist daher nicht davon auszugehen, daß die genannten Vorschriften lediglich gesetzlich vertypte Fälle eines dem Diskriminierungsbegriff immanenten Sachlichkeitskriteriums bilden. Vielmehr begründen sie eine gesondert zu untersuchende Prüfungsebene im Rahmen der Grundfreiheiten.

b) Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit Noch schwieriger ist die Einordnung der in Art. 39 Abs. 3 EGV und Art. 46 Abs. 1 EGV (ggf. i.V. m. Art. 55 EGV) angelegten Rechtfertigungsüberlegungen. Auch die dort genannten Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit könnten im Sinne einer Relativierung des Diskriminierungsbegriffs verstanden werden. Eine Diskriminierung läge danach nur bei einer nicht aus diesen Gründen rechtfertigbaren Ungleichbehandlung nach der Staatsangehörigkeit bzw. Dienstleistungsherkunft vor. Dieser Schluß liegt vor allem bei Art. 46 Abs. 1 EGV nahe, der die Rechtfertigung dem Wortlaut nach spezifisch bei "Sonderrege1ungen für Ausländer" und damit offen nach der Staatsangehörigkeit unterscheidenden Vorschriften vorsieht. Doch versagt diese Überlegung schon bei Art. 39 Abs. 3 EGV, der allgemein auf "Beschränkungen" abzielt. Eine Rechtfertigungsnorm für die in Art. 39 Abs. 2 EGV erwähnten Ungleichbehandlungen findet sich dort nicht. Selbst Art. 46 Abs. 1 EGV wird in der Literatur daher meist als eine Ausnahmebestimmung zu der Rechtsgewährleistung der Personenverkehrsfreiheit insgesamt gesehen 279 • 277 Auf diesen Kembereich öffentlicher Verwaltung sind die genannten Vorschriften ja beschränkt: vgl. z. B. EuGH, Rs. 149/79, Kommission/Belgien, Sig. 1980, 3881, Rn. 10; Rs. 225/85, Kommission/Italien, Sig. 1987, 2625, Rn.7; Rs. 307/84, Kommission/Frankreich, Sig. 1986, 1725, Rn. 12. 278 EuGH, Rs. C-290/94, Kommission/Griechenland, Sig. 1996, 1-3285, Rn. 2; Rs. 149/79, Kommission/Belgien, Sig. 1980,3881, Rn. 10. 279 Scheuer, in: Lenz, Art.46 EGV, Rn. 1 f.; Randelzhofer, in: Grabitz/Hilf, Art. 56 EGV, Rn.I.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

Gegen eine Einbeziehung der genannten Normen als vertypte, dem Diskriminierungsbegriff immanente Sachlichkeitserwägungen spricht aber, daß sie primär auf Ziele abstellen, die keine innere Beziehung zur Staatsangehörigkeit aufweisen. Es handelt sich insofern um übergeordnete Erwägungen und Wertungen. Der Grund für die Berücksichtigung öffentlicher Sicherheit, Ordnung und Gesundheit liegt nicht darin, daß hier der stigmatisierende Charakter der betreffenden Vorschrift entfiele oder abgeschwächt wäre. Vielmehr sind sie Ausdruck einer Interessenkollision zwischen dem gemeinschaftlichen Integrationsziel und anderweitiger Schutzinteressen der Mitgliedstaaten. Dieser Konflikt betrifft jedoch die Rechtsgewährleistung der Personenverkehrsfreiheiten insgesamt und ist somit außerhalb der Begriffsstruktur der Diskriminierung zu lösen. 2. Sachlichkeitsprüfung bei "neutraler Differenzierung"

Legt man die zu Art. 12 EGV getroffenen Aussagen zugrunde, so ist klar, daß den Art. 39 Abs. 3,4 EGV sowie Art. 45,46 Abs. I EGV (ggf. i.V. m. Art. 55 EGV) für die Sachlichkeitsprüfung im Rahmen des Konstrukts der "mittelbaren Differenzierung" keine Bedeutung zukommt. Hier geht es um die Rechtfertigung einer Verwendung "neutraler", aber "verdächtiger" Kriterien (wie z. B. Wohnsitz, Muttersprache etc.). Eine "Sonderregelung für Ausländer", wie in Art.46 Abs. I EGV vorausgesetzt, liegt gerade nicht vor. Diese dogmatische Unterscheidung bringt der EuGH schon quasi modellhaft in seiner Entscheidung Clean Car Autoservice zum Ausdruck. Gegenstand war ein Verbot, für ein im Inland ansässiges Gewerbe eine Person mit ausländischem Wohnsitz als Geschäftsführer zu bestellen. Nach Feststellung, daß sich diese Regelung hauptsächlich zum Nachteil von Ausländern auswirkt, untersuchte der Gerichtshof zunächst ob das Wohnsitzerfordernis auf "objektiven ... Erwägungen" beruht 280 • Bereits aus dem Fehlen solcher Gründe folgert er in einem Zwischenschritt das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung 281 • Erst im Anschluß daran untersuchte er, ob die Maßnahme des weiteren nach Art. 39 Abs. 3 EGV gerechtfertigt ist 282 • Hierin wird klar, daß es sich um zwei unterschiedliche Prüfungsebenen der Rechtfertigung handelt. Zudem bestätigt die Entscheidung die oben getroffene Aussage, daß Art. 39 Abs.3 EGV für den Diskriminierungsbegrijfkeine Rolle spielt und daher erst nach Vorliegen einer Diskriminierung zu prüfen ist.

EuGH, Rs. C-350/96, Clean Car Autoservice, Sig. 1998,1-2521, Rn. 31 ff. EuGH, a. a. 0., Rn. 38. 282 EuGH, a. a. 0., Rn. 39 ff. 280 281

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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3. Die Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeininteresses bei Beschränkungen

Neben den soeben behandelten Vorschriften des EGV hat der EuGH teilweise im Wege der Rechtsfortbildung eine eigenständige Rechtfertigungsdogmatik installiert, die zu einer weiteren Wechselwirkung mit der Herausbildung des Diskriminierungsbegriffs führt. Exemplarisch sind insoweit die Ausführungen im Urteil Gebhard, wonach die Grundfreiheiten beeinträchtigende Maßnahmen folgende Voraussetzungen erfüllen müssen: "Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist."283 Dem Wortlaut nach sind diese Grundsätze damit zunächst auf reine Beschränkungsfalle angelegt2 84 . Für den Diskriminierungsbegriff interessant ist dabei freilich die erste Anwendungsvoraussetzung dieser Rechtfertigungskonstruktion, d. h. ob eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand von "Allgemein interessen" jenseits der vertragstextlich vorgesehenen Gründe auch im Diskriminierungsbereich stattfinden kann. Der EuGH zieht hier in Anlehnung an seine Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit als Abgrenzung oft auch das Merkmal der "Unterschiedslosigkeit" heran 285 . Sicherlich ausgeschlossen ist dies im Falle einer unmittelbaren Diskriminierung, da hier Vorschriften wie Art. 46 Abs. 1 EGV dem Wortlaut nach wohl abschließend sind 286 . Eine Überschneidung ist aber im Bereich mittelbarer Diskriminierung denkbar 287 . Die Rechtsprechung des EuGH ist hier äußerst uneinheitlich 288 . So stellt er tatsächlich auch in einigen - z. T. neueren - Entscheidungen zu "neutralen", aber speEuGH, Rs.C-55/94, Gebhard, Slg. 1995,1-4165, Rn. 37. Vgl. z.B. EuGH, Rs.C-76/90, Säger, Slg. 1991,1-4221, Rn. 14ff.; Rs.279/80, Webb, Slg. 1981,3305, Rn. 19. 285 EuGH, verb. Rs. C-259, C-331 u. C-332/91, Allue u.a., Slg. 1993,1-4309, Rn. 15. 286 Insofern mißverständlich sind hier die Ausführungen des EuGH im Urteil Bosman zu den Ausländerklauseln, die zweifelsohne einen Fall unmittelbarer Ungleichbehandlung darstellen. Der Gerichtshof hatte hier nach seiner Gliederungsüberschrift allgemein das "Vorliegen von Rechtfertigungsgründen" untersucht (Rs.C-415/93, Bosman, Slg. 1995,1-4921, Rn. 121), dabei dann aber eher mit "nichtwirtschaftlichen Gründen" argumentiert, die "nur den Sport als solchen betreffen" (Rn. 127). M. E. handelt es sich dabei strukturell eher um eine Bereichsausnahme der Grundfreiheiten wegen fehlender Kompetenz der Gemeinschaft im Bereich Kultur als um einen Rechtfertigungsgrund im eigentlichen Sinne, bei dem es um die Durchsetzung höherrangiger Interessen geht. Belegt wird dies jedenfalls auch das Zitat von Rs. 13n6, Donal Mantero, Slg. 1976, 1333, Rn. 14/16. Siehe zum Ganzen auch unten § 10 B. 11. 3. e. 287 Streinz, Europarecht, Rn. 672; HailbronnerlNachbauer; EuZW 1992, 105, 111 f.; Nettesheim, NVwZ 1996, 342, 343; Barnard, Discrimination Law, 63, 70; vgl. auch Roth, in: Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E.I, Rn. 125, der bei versteckten Diskriminierungen Allgemeininteressen heranzieht; ebenso Schnicheis, S. 103. 288 Vgl. auch Gundei, Jura 2001, 79, 81; Leibte, §4 B.II.3.d. 283

284

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

zifisch unterschiedlich wirkenden Differenzierungen auf die genannten "Allgemeininteressen" und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ab, ohne daß es ihm dabei primär auf die Prüfung des Zusammenhangs zur Staatsangehörigkeit anzukommen schien 289 • Teilweise bleibt es aber auch nur bei der bloßen Nennung einer solchen Rechtfertigungsmöglichkeit, ohne daß sie im Ergebnis relevant würde 290 • Vielfach sind die Ausführungen jedoch widersprüchlich und dogmatisch nicht klar strukturiert 291 • Im Fall Bachmann, der ein Verbot steuerlicher Abzugsfähigkeit von Versicherungsprämien, die an im Ausland ansässige Versicherer gezahlt wurden, betraf, erwog der EuGH zunächst eine mittelbare Diskriminierung292 , lehnte diesbezüglich ein Rechtfertigungsargument der betroffenen Regierung ab, um dann schließlich festzustellen, daß eine Benachteiligung der Wanderarbeitnehmer auf dem Fehlen einer Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten beruhe293 • Dennoch hielt er auch hier Art. 39 EGV für einschlägig, sprach im folgenden von "Beeinträchtigung" und untersuchte dann die Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeininteresses 294 • Nur oberflächlich betrachtet liegt hierin eine dogmatische Durchbrechung. Tatsächlich geht der EuGH aber offenkundig von einem "Nichtdiskriminierungsfall" aus, zumal als Ursache für eine Beeinträchtigung allein die Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen diagnostiziert wurde 295 • 289 EuGH, Rs. 33n4, van Binsbergen/Bedrijfsvereniging Metaalnijverheid, Sig. 1974, 1299, Rn. 12ff.; verb. Rs. C-259, C-331 u. C-332!91, Allue u. a., Slg. 1993, 1-4309, Rn. 15ff.; Rs. C-264/96, ICI, Sig. 1998, 1-4695, Rn. 28. In Rs. C-158/96, Kohll, Slg. 1998, 1-1931, Rn. 33 ff. macht sich der EuGH sogar überhaupt nicht die Mühe einer Abschichtung von diskriminierenden Maßnahmen, sondern bejaht nur eine Behinderung aufgrund der Erschwernis von grenzüberschreitenden Leistungen. Allerdings beschränkt er die Rechtfertigungsprüfung - zumindest der Sache nach - gleichwohl auf Art. 46 Abs. 1 EGV (a. A. Weiß, EuZW, 1999, 493, 497). Mißverständlich auch EuGH, verb. Rs. 110 u. Illn8, Ministere Public und ASBLlvan Wesemael, Sig. 1979, 35, Rn. 27 ff., da der Gerichtshof hier zwar den Obers atz zur Diskriminierung verwendet, die zu untersuchende Maßnahme (Genehmigungspflicht für Vermittlungstätigkeit) aber einheitlich galt, worin ja gerade die Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit lag. Da somit das Beschränkungsverbot betroffen ist, erscheint der Rückgriff des EuGH auf "Allgemeininteressen" (Rn. 28) nur konsequent. In der Literatur wird dies teilweise fehlinterpretiert. Ähnlich verwirrend nun auch EuGH, Rs. C-281/98, Angonese, EuZW 2000, 468, Rn.42 ff. 290 EuGH, Rs. C-360/89, Kommission/Italien, Sig. 1992,1-3401, Rn. 14. 291 Vgl. auch die Kritik bei Hailbronner/Nachbauer, EuZW 1992, 105, 111; Novak, DB 1997,2589, 2592ff.; Weiß, EuZW 1999,493, 496f.; ders., InfAuslR 2001,1,2; Gundei, Jura 2001, 79, 81 mit Verweis auf die sich direkt widersprechenden Ausführungen in EuGH, Rs. C-484/93, Svensson und Gustavsson, Sig. 1995,1-3955, Rn. 15 und Rn. 16. 292 EuGH, Rs. C-204/90, Bachmann, Slg. 1992,1-249, Rn. 9. 293 EuGH, a. a. 0., Rn. 11. 294 EuGH, a. a. 0., Rn. 13, 14ff. 295 Grundlage dessen ist die im weiteren Verlauf der Entscheidung angeführte "Kohärenzüberlegung", d. h. die Tatsache, daß dem Abzugsverbot für Prämien eine Steuerfreiheit der Versicherungsleistungen gegenübersteht und das Steuersystem somit insgesamt neutral ausgestaltet ist (vgl. EuGH, a. a. 0., Rn. 21 ff.); ebenso EuGH, Rs. C-300/90, Kommission/Belgien, Slg. 1992,1-305, Rn. 14ff. Obwohl der EuGH dieses "Kohärenz"-Argument (vgl. hierzu Werns-

C. Die Diskriminierungsverbote der Personenverkehrsfreiheiten

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Dem stehen aber auch Entscheidungen gegenüber, in denen der EuGH die Rechtfertigungsmöglichkeiten auch bei mittelbaren Diskriminierungen ausdrücklich oder zumindest der Sache nach auf die EG-vertraglich vorgesehenen Bestimmungen beschränktz96 • Im Fall Collective Antennevoorzienning Gouda findet sich sogar eine klare Trennung zwischen den Diskriminierungsfällen, für die z. B. allein Art. 46 Abs. 1 EGV gelte, und den Situationen sonstiger Behinderung der Freiheiten, die sich vor allem aus fehlender Harmonisierung ergebe und die der VerhäItnismäßigkeitsprüfung anhand von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses unterliege 297 • Bei genauerer Betrachtung lassen sich so derzeit sämtliche Entscheidungen des EuGH noch auf der Basis der herkömmlichen Rechtfertigungsdogmatik erklären, ohne daß es eines Rückgriffs auf die "Allgemeininteressen" auch im Diskriminierungsbereich bedürfte. Die meisten Mißverständnisse, die hier bestehen, rühren von einem zu weit gefaßten Diskriminierungsverständnis her 298 • Richtigerweise sind nämlich sämtliche Fälle eines bloßen Wirkungsunterschiedes zwischen den Vergleichsgruppen, die nicht auf einer bestimmten Differenzierung beruhen, aus dem Diskriminierungsbereich auszuklammern. Betroffen sind davon vor allem Situationen, in denen die Personenverkehrsfreiheiten dadurch beeinträchtigt sind, daß die besondere Lage der grenzüberschreitend Tätigen (z. B. die Vorbelastung mit bereits im Herkunftsstaat erfüllten Anforderungen) oder der nur vorübergehende Charakter einer Dienstleistung gerade nicht berücksichtigt wurden. Hier kommt es zwar zu einer Benachteiligung der aus der Grundfreiheit Berechtigten. Doch liegt keine Diskriminierung zugrunde. So ist der Rückgriff auf Allgemeininteressen widerspruchsfrei möglich. mann, EuR 1999, 754, 761 ff.) sowohl hier als auch in zahlreichen anderen steuerrechtlichen Entscheidungen (Rs. C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, 1-225, Rn. 40ff.; Rs. C-80/94, Wielockx, Slg. 1995, 1-2493, Rn. 23 ff.; Rs. C-107/94, Asscher, Slg. 1996, 1-3089, Rn. 50 ff.; Rs. C-264/96, ICI, Slg. 1998, 1-4695, Rn. 29) stets als Rechtfertigungsgrund behandelt, liegt sein tieferer Sinn m. E. richtigerweise allein darin, die eigentliche Ursache für eine bestehende Benachteiligung festzustellen. Ist eine Regelung in sich steuersystematisch nämlich schlüssig (d. h. "kohärent"), so beruhen die relevanten Nachteile allein auf dem (unglücklichen) Zusammentreffen verschiedener Steuerrechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Dogmatisch ist das "Kohärenz" -Argument daher eher ein Zurechnungskriterium. Als sachliche Konsequenz fallen dann vor allem die klassischen Fälle der Doppelbesteuerung aus dem Diskriminierungsbegriff heraus. 296 EuGH, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders/Niederländischer Staat, Slg. 1988, 2085, Rn. 32; ebenso Rs. C-224/97, Ciola, Slg. 1999,1-2517, Rn. 16, bei der der EuGH selbst vom Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung ausgeht. Der Sache nach beschränkt ist die Prüfung bei Rs. C-101/94, Kommission/Italien, Slg. 1996, 1-2691, Rn. 25 ff. sowie Rs. C-158/96, Kohll, Slg. 1998,1-1931, Rn. 33 ff. 297 EuGH, Rs. C-288/89, Collective Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, 1-4007, Rn. 11-13; nahezu wortgleich auch Rs. C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991,1-4069, Rn. 15-17. In diesem Sinne ist auch die Argumentation in verb. Rs. C-34 bis C-36/95, De Agostini und TV-Shop, Sig. 1997,1-3843, Rn. 50ff. zu verstehen. 298 So versteht eine nicht geringe Anzahl von Autoren unter mittelbarer Diskriminierung bereits das bloße Vorliegen einer unterschiedlichen Auswirkung auf In- und Ausländer: so offenbar z. B. Weij3, EuZW, 1999,493,497.

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§ 5 Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit

D. Das Sonderproblem der Inländerbenachteiligung Bereits angesprochen wurde die Besonderheit für die Personenverkehrsfreiheiten, die sich daraus ergibt, daß sie nur grenzüberschreitende Sachverhalte erfassen. Inländer bzw. im Inland Ansässige, die niemals (in wirtschaftlichem Sinne) die Grenze überschritten haben, können sich auf die Grundfreiheiten nicht berufen 299 • Für den Diskriminierungsbegriff erwächst hieraus die Frage, wie sich dies auf die zugrundezulegende Vergleichsrichtung auswirkt 3°O. Die Problematik hängt dabei entscheidend davon ab, inwieweit zwischen dem Merkmal des "grenzüberschreitenden Sachverhaltes" und dem nach dem jeweiligen Diskriminierungsverbot untersagten Differenzierungskriterium Deckungsgleichheit besteht 301 • Sind beide identisch, so führt die Ausklammerung der Inlandssachverhalte zumindest im Ergebnis zu einer einseitigen Wirkrichtung der Grundfreiheiten. Hauptbeispiel hierfür ist das Diskriminierungsverbot der Dienstleistungsfreiheit, das - wie hier vertreten - unter anderem an das Merkmal der Ansässigkeit und damit an die Herkunft bzw. Bestimmung der Dienstleistung anknüpft. Anders ist dies bei den sonstigen Personenverkehrsfreiheiten, die hinsichtlich Diskriminierungen auf die Staatsangehörigkeit Bezug nehmen. Die bereits angesprochenen Rückkehrerfälle belegen hier, daß Inländer in bestimmten Konstellationen trotz ihrer Inländereigenschaft von den Personenverkehrsfreiheiten erfaßt werden. Im Ergebnis scheint hier also eine beidseitige Wirkrichtung festzustellen zu sein. Doch in Wirklichkeit liegt dies nur an einem anderen Inländerbegriff. Definiert man "Inländer" nämlich als "Person, die nicht grenzüberschreitend tätig ist oder war", so wird schnell klar, daß die Diskriminierung solcher "Inländer" weiterhin von den Grundfreiheiten unberührt bleibt. Diese Betrachtung zeigt, daß das Festhalten an einem symmetrischen Diskriminierungsbegriff für die Dienstleistungsfreiheit schon von vornherein nicht viel Sinn macht. Hier ist die (nach der Herkunft bzw. Bestimmung) zu bildende inländische Vergleichsgruppe vollständig aus dem Anwendungsbereich der Grundfreiheit ausgenommen. Selbst wenn man zwischen der Anwendungs- und der Diskriminierungsebene trennen wollte, liefe die Annahme einer beidseitigen Wirkungsrichtung der Diskriminierung leer. 299 Std.Rspr., vgl. nur EuGH Rs.175/78, Saunders, Sig. 1979, 1129, Rn.lOf.; Rs.52/79,Debauve, Sig. 1980, 833, Rn. 9; verb. Rs. 35 u. 36/83, Morson und Jhanjan, Sig. 1982, 3723, Rn. 16f.; Rs. 180/83, Moser, Sig. 1984,2539, Rn. 15; Rs. 20/87, Ministere PubliclGauchard, Sig. 1987,4879, Rn. lOf.; verb. Rs. C-330 u. C-33l/90, Lopez Brea und Hidalgo Palacios, Sig. 1992,1-323, Rn.7; Rs.C-332/90, Stehen, Sig. 1992,1-341, Rn. 10; Rs.C-381/89, Batista Morais, Sig. 1992,1-2085, Rn. 7; Rs.C-370/90, Singh, Sig. 1992,1-4265, Rn.16f.; Rs.C-I12/9I, Werner, Sig. 1993,1-429, Rn. 16, 20. 300 Vgl. hierzu schon §3 B.II.3. 301 Dahinter steht letztlich die Frage nach dem zugrundeliegenden Inländerbegriff; vgl. hierzu Hammerl, S. 23 ff.; ähnlich Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EGV, Rn. 33 f.

D. Das Sonderproblem der Inländerbenachteiligung

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Aber auch für die an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Diskriminierungsverbote der anderen Personenverkehrsfreiheiten folgt im Ergebnis nichts Gegenteiliges. Zwar bilden die hier von den Grundfreiheiten erfaßten "Rückkehrer" eine Teilmenge der Vergleichsgruppe ,,(Staatsangehörigkeits-)Inländer". Deren Benachteiligung ließe sich durchaus auch als Ungleichbehandlung im Vergleich zu den (ebenfalls) grenzüberschreitenden Ausländern auffassen, die wegen bestimmter Rechtspositionen, wie z. B. die Anerkennung ihrer Diplome etc., besser gestellt wären. Im Ergebnis liefe dies tatsächlich auf ein auch zugunsten von Inländern wirkendes Diskriminierungsverbot hinaus, wobei dann die Ebene des Anwendungsbereichs der Grundfreiheit (grenzüberschreitender Sachverhalt) von der Ebene des Eingriffs in Form der Diskriminierung (Staatsangehörigkeit) zu trennen wäre 302. Doch läßt diese Betrachtung vollkommen außer acht, daß die zum Vergleich herangezogenen Ausländer mit der Anerkennung z. B. ihrer Befähigungsnachweise eine Sonderbehandlung erfahren, die sich - im Gefolge der Cassis- Rechtsprechung - selbst wiederum aus einer Wirkungsdimension der Grundfreiheiten ergibt. Auf dieses Anerkennungsprinzip berufen sich in Wirklichkeit auch die "Rückkehrer". Die dabei mitschwingende Gleichbehandlung mit den ausländischen grenzüberschreitend Tätigen ist letztlich nur Begleiteffekt. Dies zeigt, daß die Rückkehrerfälle gerade nicht auf der Anwendung des Diskriminierungsverbotes beruhen können 303 • Ein Hinweis auf eine beidseitige Wirkrichtung, d. h. ein symmetrisches Diskriminierungsverständnis kann ihnen daher auch nicht entnommen werden. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, daß den Personenverkehrsfreiheiten lediglich ein einseitig wirkender, d. h. asymmetrischer, Diskriminierungsbegriff zugrunde liegt.

§ 6 Warenverkehrsfreiheit Betrachtet man die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit im Text des EGV (relevant sind hier nur die Art. 28 ff. EGV), so taucht der Begriff "Diskriminierung" in wörtlicher Erwähnung nur an zwei Stellen auf. In Art. 30 S. 2 EGV wird die "willkürliche Diskriminierung" als Grenze für eine Rechtfertigung gemäß Art. 30 S. 1 EGV genannt. In der Spezialnorm des Art. 31 Abs. 1 EGV wird hinsichtlich staatlicher Handelsmonopole "jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten" untersagt. Hingegen 302 Eine solche Sichtweise deutet EuGH sogar in Rs. C-379/92, Peralta, Slg. 1994, 1-3453, Rn. 27 f. an, nur freilich in völlig anderem Zusammenhang, da dort zweifelsohne ein reiner Inlandssachverhalt in Rede stand und nicht - wie bei den Rückkehrerfällen - ein Inländer mit "Auslandsberührung" . 303 So auch Knobbe-Keuk, DB 1990,2573, 2574-a. A. aber Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 460 freilich mit einem völlig gegenteiligen Ansatz, bei dem vom konkreten Einzelfall (Inländer) abstrahiert und nur der generelle "diskriminatorische Effekt" einer Regelung zu Lasten der Ausländer betrachtet werden soll.

11 PIÖlscher

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

scheint der Anwendungsbereich bzw. Tatbestand der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EGV) selbst dieses Merkmal- auch in bloß umschreibender Form - nicht zu beinhalten. Vielmehr ist hier von "mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen" und "Maßnahmen gleicher Wirkung" die Rede. Gleichwohl zeigt die Rechtsprechung und die allgemeine Diskussion im Schrifttum, daß Diskriminierungselemente für das Verständnis der Warenverkehrsfreiheit von zentraler Bedeutung sind 1. Dabei tauchen diese in der Rechtsprechung sowohl auf Tatbestandsebene - d. h. im Rahmen der Bestimmung des Anwendungsbereichs - als auch auf der Ebene der Rechtfertigung - im Rahmen einer differenzierten Schrankendogmatik - auf. Einerseits führte der EuGH für Art. 28 EGV bekanntlich im Gefolge des Urteils Cassis de Dijon sog. "immanente Schranken" der Warenverkehrsfreiheit ein. Danach sind Unterschiede nationaler Regelungen über die Vermarktung hinzunehmen, soweit diese Bestimmungen unterschiedslos gelten 2, und notwendig sind, um "zwingenden Erfordernissen" gerecht zu werden 3 • Andererseits formulierte der EuGH mit seinem Urteil Keck und Mithouard eine Tatbestandsausnahme bzw. "Konkretisierung" für die hinsichtlich des Anwendungsbereichs von Art. 28 EGV maßgeblichen Dassonville-Formel. Danach sind "Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten" nicht geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel im Sinne der Dassonville-Formel zu beeinträchtigen, "sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tatigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren"4. Beide Formeln enthalten ihrer Struktur nach Gleichheitselemente, die für das Diskriminierungsverständnis bedeutsam sein können, deren Gehalt aber bis heute nicht vollständig geklärt ist.

A. Methodische Vorüberlegungen I. Tatbestandsebene: Freier Warenverkehr als Diskriminierungsverbot? In dieser Komplexität der Rechtsprechung, die von Ausnahmen und Gegenausnahmen geprägt ist, drückt sich letztlich das Grundproblem der Warenverkehrsfreiheit aus: Läßt sie sich eher als Freiheits- oder eher als Gleichheitsrecht verstehen? I Vgl. die umfassende Auseinandersetzung bei Weyer, S. 87 ff., Hoffmann, S. 34 ff. und Hödl, S. 34 ff.; Kingreen, S. 115 ff. will die Grundfreiheiten sogar generell bloß als - weit gefaßte - Diskriminierungsverbote verstehen. 2 Dieses Element erwähnte der EuGH erstmals in Rs.113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625ff. 3 Grundsatz seit Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, Rn. 8 (Cassis de Dijon). 4 EuGH, verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993,1-6097, Rn. 16.

A. Methodische Vorüberlegungen

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Erschöpft sich ihr Gehalt in einem Diskriminierungsverbot 5 oder umfaßt er auch ein Verbot sonstiger (nicht diskriminierender) Beeinträchtigungen? Der Vertragstext selbst spricht hier freilich recht abstrakt von "mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen" und "Maßnahmen gleicher Wirkung". Es stellt sich also die Frage, wie diese Kriterien auszulegen sind. Für den Diskriminierungsbegriff ist dabei entscheidend, in welchem Verhältnis er zu diesem Tatbestand einer Behinderung des innergemeinschaftlichen, grenzüberschreitenden Warenverkehrs steht, zumal hierzu weitere Anhaltspunkte - sieht man einmal von Art. 30 S. 2 EGV ab - im Vertragstext fehlen. Unabhängig vom individuellen Begriffsverständnis dürfte hier noch unbestritten sein, daß die (wie auch immer verstandene) Diskriminierung ausländischer Waren gegenüber inländischen Erzeugnissen jedenfalls zumindest als ein Unterfall des Art. 28 EGV, d. h. einer HandeIsbeschränkung, anzusehen ist. Dies folgt schon aus Art. 30 S. 2 EGV, wonach "willkürliche Diskriminierungen" stets gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoßen. Unklar und umstritten ist nun, ob es bei dieser Funktion als Unterfall bleibt oder ob nicht die gesamte Reichweite der Warenverkehrsfreiheit strukturell mit dem Diskriminierungsverständnis erfaßt werden kann und soll. Für die Auseinandersetzung mit dem Diskriminierungsbegriff stellt sich im folgenden somit stets das Problem, daß die Diskussion in Rechtsprechung und Literatur von äußerst unterschiedlichen Vorverständnissen aus geführt wird 6• Will man nämlich Art. 28 EGV als reines Diskriminierungsverbot verstehen, so muß man zwangsläufig - um alle relevanten Fallgruppen zu erfassen - von einer extensiveren Auslegung des Diskriminierungsbegriffs ausgehen, als wenn man dessen Rolle auf die eine (Unter-)Fallgruppe reduziert. So ist beispielsweise zu betonen, daß bei Zu5 So z. B. MarencolBanks, ELRev 15 (1990),224,238 f.; KingreenlStörmer, EuR 1998,263, 285f. 6 Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 448 f. m. w. N.; vgl. auch Gundei, Jura 2001, 79, 80; Die größte Schwierigkeit im Umgang mit dem Diskriminierungsbegriff ist auch hier die völlige Uneinheitlichkeit der in der Literatur verwendeten Terminologie. So ist die Rede von "offener Diskriminierung", "formeller Diskriminierung", "versteckter Diskriminierung", "materieller Diskriminierung", wobei jeder Interpret die einzelnen Begriffe wiederum jeweils mit unterschiedlichen Attributen versieht. Das eindrucksvollste Beispiel hierfür ist das Konzept der "materiellen Diskriminierung". Dies scheint zum Auffangbecken für die unterschiedlichsten Fragestellungen geworden zu sein, so z. B. ob generell auf die Auswirkungen einer Maßnahme abzustellen ist, ob Diskriminierung auch die Gleichbehandlung nicht vergleichbarer Fälle umfaßt, ob generell ein Vergleichbarkeitskriterium zugrunde zu legen ist oder ob ein sachlicher Grund zu prüfen ist. So verwundert es nicht, wenn z. B. Müller-Graf! in diesem Zusammenhang darauf abstellen will, ob eine Maßnahme eine Erschwernis für Einfuhren bezweckt oder mangels plausibler anderer Zwecke auf eine Einfuhrerschwerung gerichtet zu sein scheint (Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30 EGV, Rn. 196), während z. B. Weyer unterschiedliche ungerechtfertigte Auswirkungen auf den Handel verschiedener Mitgliedstaaten heranzieht (Weyer, S. 118, 170ff.). Zurückzuführen ist diese Begriffsverwirrung letztlich auf das Schweigen des EuGH, der zu seinem Diskriminierungskonzept bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen bzw. sich lediglich auf allgemeine Aussagen beschränkt hat.

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

grundelegung des letztgenannten Verständnisses mit der Beurteilung einer Maßnahme als "nicht diskriminierend" noch keinerlei Aussage darüber getroffen ist, ob sie insgesamt nicht doch dem Tatbestand des Art. 28 EGV unterfällt, eben in bezug auf andere Fallgruppen. Anders gewendet besteht das Problem darin, ob sich der Schutz- bzw. Regelungszweck der Warenverkehrsfreiheit dogmatisch sinnvoller, umfassender und widerspruchsfreier in einer gleichheitsrechtlichen oder in einer freiheitsrechtlichen Struktur fassen läßt.

11. Schrankendogmatik: "Unterschiedslos anwendbare Regelungen" Die Untersuchung wird weiterhin dadurch verkompliziert, daß der EuGH Diskriminierungselemente in unterschiedlicher Funktion gebraucht. So formuliert er im Rahmen seiner Cassis-Rechtsprechung bekanntermaßen, daß eine "Maßnahme gleicher Wirkung" bei "unterschiedslos anwendbaren Regelungen" nicht vorliege, wenn diese aus zwingenden Erfordernissen gerechtfertigt ist und hierfür keine Gemeinschaftsregelung besteht. Dem Merkmal der "Unterschiedslosigkeit" kommt demnach hier keine Tatbestands-, sondern eine Abschichtungsfunktion im Rahmen der Schrankendogmatik zu.

1. Entstehungsgeschichte

Im Urteil Cassis de Dijon selbst ging es dabei noch um das prinzipielle Problem, ob Art. 28 EGV auch Warenverkehrshindernissen entgegensteht, die allein aus der Unterschiedlicbkeit der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten folgen? Dies hat der EuGH zumindest für den Fall verneint, daß "diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutzes."8 Insoweit sind Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten mangels Harmonisierung hinzunehmen. In diesen Fällen soll nach dem EuGH dann eine Maßnahme trotz einfuhrbehindernder Eignung im Sinne der Dassonville-Formel keine Maßnahme gleicher Wirkung sein 9 • Dogmatisch entspricht dies einer immanenten Schranke des Tatbestandes des Art. 28 EGY. Im Cassis-Urteil selbst war die Anwendung dieser SchranVgl. Glöckner, EuR 2000, 592, 596; Ahlfeld, S.43. EuGH, Rs. 120nS, Rewe-Zentral-AGIBundesmonopolverwaltung für Branntwein, Sig. 1979, S. 649, Rn. S. Später hat der Gerichtshof allerdings einschränkend klargestellt, daß zumindest die Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes allein nach Art. 30 EGV zu prüfen ist, da dieser Grund dort ausdrücklich genannt wird und Art. 30 EGV auch bei lediglich beschränkenden, d. h. unterschiedslosen, Regelungen eingreift; vgl. EuGH, verb. Rs. C-l u. C-176/90, Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivia, Sig. 1991,1-4151, Rn. 13. 9 Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30 EGV, Rn. 190. 7

8

A. Methodische Vorüberlegungen

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ke noch nicht an ein Diskriminierungselement geknüpft. Allerdings schränkte der EuGH dies in der Folgerechtsprechung IO schon sehr bald ein. Die Unterscheidung zwischen unterschiedslos und unterschiedlich anwendbaren Regelungen fand schließlich in einem Urteil von 1981 11 endgültig Eingang in die Rechtsprechung 12. Hierbei ging es um eine irische Vorschrift, die den Import und Verkauf von im Ausland hergestellten Souvenirs mit irischen Motiven nur erlaubte, wenn die Waren mit einem Herkunftsnachweis oder dem Hinweis "foreign" versehen waren. Für einheimische Produkte galt dieses Erfordernis nicht. Der EuGH verweigerte hier ein Berufen auf Cassis-Gründe (Lauterkeit des Handelsverkehrs, Verbraucherschutz) mit dem Argument, die Regelung gelte nicht unterschiedslos für einheimische wie eingeführte Erzeugnisse und habe daher diskriminierenden Charakter 13 • 2. Bedeutung für den Diskriminierungsbegriff

Zweck des Merkmals der "Unterschiedslosigkeit" ist nicht die Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 28 EGV. Vielmehr ist gerade umgekehrt die Konsequenz aus der Cassis-Rechtsprechung, daß auch "unterschiedslose" Maßnahmen den Art. 28 ff. EGV unterfallen und sich einer Rechtfertigungsprüfung stellen müssen. Das Merkmal dient demzufolge einer Abschichtung verschiedener Fallgruppen innerhalb der Warenverkehrsfreiheit, die der EuGH einer unterschiedlichen Schrankendogmatik unterwirft. Die Formulierung "unterschiedslos anwendbar" ist dabei nichts anderes als die Umkehrung des hier zu beleuchtenden Diskriminierungselements. Zu fragen ist somit, welche Maßnahmen nicht "unterschiedslos anwendbar" sind 14. Diese "unterschiedlichen" Regelungen bilden die hier gemeinte Fallgruppe der Diskriminierungen. Zur Reichweite dieses Diskriminierungselements nimmt der EuGH nur selten ausdrücklich Stellung. Meist beschränkt er sich auf die bloße Erwähnung. Hier sind Rückschlüsse aus der vom EuGH angelegten Schrankenprüfung zu ziehen. 10 Auch in der ersten Folgesache, Rs. 130/80, Kelderman, Slg. 1981, 527, Rn. 6 ff., bleibt das Kriterium der Unterschiedslosigkeit unerwähnt. In Rs. 788/79, Gil/i und Andres, Slg. 1980, 2071, Rn. 6 wurde die unterschiedslose Geltung einer Regelung im Zusammenhang mit immanenten Schranken aus Cassis zwar vom vorlegenden Gericht angeführt, vom EuGH jedoch (noch) nicht ausdrücklich aufgegriffen; hier prüft der EuGH direkt nur die rechtfertigenden Allgemeinwohlbelange und verneint diese. 11 EuGH, Rs.113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625, Rn. 10; seitdem ständige Rechtsprechung. 12 Entstehungsgeschichtlich dürfte das Element auf die Richtlinie 70/50/EWG (siehe unten § 6 C.!. 1. b.) zurückzuführen sein, auch wenn sie vom EuGH in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich genannt wird; vgl. Schütz, Jura 1998,631,632. 13 EuGH, Rs.I13/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625, Rn.lI. 14 Die Richtlinie 70/50/EWG spricht hier in Art. 2 Abs. 1 treffend von "andere(n) als unterschiedslos auf inländische und eingeführte Waren anwendbare Maßnahmen" (s.o.).

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

Wendet er Rechtfertigungselemente der Cassis-Formel an, so deutet dies auf eine implizite Verneinung der "Unterschiedlichkeit" hin. Voraussetzung hierfür ist freilich, daß der EuGH seine differenzierte Schrankendogmatik konsequent durchhält 15. In weiterer Konsequenz ist zu auch berücksichtigen, daß eine weite Auslegung des Diskriminierungselements ("unterschiedlich") hier eine Beschneidung der Möglichkeiten bewirkt, Interessen des Allgemeinwohls "als Rechtfertigung" zu berücksichtigen, und so zu einer tendenziell stärkeren Einwirkung durch Art. 28 EGV auf das Recht der Mitgliedstaaten führt. Umgekehrt zwingt ein sehr enges Diskriminierungsverständnis die Mitgliedstaaten weniger, auf den restriktiv gehandhabten Art. 30 EGV zurückzugreifen, und beläßt ihnen unter Berufung auf Allgemeinwohlinteressen größere Handlungsspielräume. Insofern hängt die Auslegung des Diskriminierungselements unmittelbar mit der Abgrenzung der Kompetenzen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zusammen. Im Bereich der unterschiedlichen Maßnahmen steht den Mitgliedstaaten keinerlei Handlungsbefugnis mehr zu; diese sind - vorbehaltlich einer Prüfung von Art. 30 EGV - immer verboten. Im Bereich der unterschiedslosen Maßnahmen hingegen folgt die Handelsbeschränkung nach der These des Gerichtshofs primär aus der Rechtszersplitterung wegen verbliebener mitgliedstaatlicher Kompetenzen (mangelnde Harmonisierung) und ist daher, soweit sie zur Erreichung von Allgemeininteressen notwendig ist, hinzunehmen 16 •

IH. Vorgehensweise Trotz dieser funktionalen Vielschichtigkeit der Diskriminierungselemente soll in der folgenden Untersuchung - dem allgemeinen Konzept der Arbeit entsprechend - vor allem eine Differenzierung und Analyse anhand der begrifflichen Reichweite vorgenommen werden. Aus dieser Betrachtung heraus sind dann mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Begriffsverständnis des EuGH zu entwickeln. Erst nach dessen Klärung können der Anwendungspraxis brauchbare Prüfungskriterien bei der Auslegung des Diskriminierungsbegriffs geliefert und vernünftigerweise Konsequenzen für die Struktur der Warenverkehrsfreiheit als Ganzes gezogen werden.

Siehe dazu unten § 6 D.m. EuGH, Rs. 272/80, Frans-Nederlandse Maatschappij voor Biologische Producten, Slg. 1981,3277, Rn. 12. 15

16

B. Vergleichstatbestände

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B. Vergleichstatbestände I. Anknüpfung an die Warenherkunft bzw. Warenbestirnrnung Im Gegensatz zu allen anderen besonderen Diskriminierungsverboten nennt der Vertragstext im Rahmen der Art. 28 ff. EGV kein verbotenes Unterscheidungskriterium. Insbesondere in Art. 30 S. 2 EGV ist lediglich allgemein von "willkürlicher Diskriminierung" die Rede. Anhaltspunkte für die Wahl der Vergleichs gruppen lassen sich daher allein dem Regelungszweck der Warenverkehrsfreiheit entnehmen, Hindernissen im Handel zwischen den Mitgliedstaaten entgegenzuwirken. Hier liegt nahe, hauptsächlich auf einen Vergleich von Waren(strömen), d. h. auf die Warenherkunft und -bestimmung abzustellen. Die Warenverkehrsfreiheit zielt als Teil des Binnenmarktes auf eine Integration nationaler Märkte ab und erfaßt damit Maßnahmen die das Verhältnis dieser Märkte zueinander betreffen. Ein nationaler Markt wird im allgemeinen durch den Handel mit Waren beschrieben, deren Herkunft bzw. Bestimmung der jeweilige einzelne Mitgliedstaat ist. Innerhalb eines Binnenmarktes, in dem Waren frei zirkulieren können, dürfen diese Kriterien hingegen keine Rolle mehr spielen. Dieser Gedanke findet sich auch im Wortlaut des Vertrages, der Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote und -beschränkungen erfaßt (vgl. Art. 30 S. 1 EGV). So liegt dem Begriff der Einfuhr beispielsweise das Kriterium der Herkunft zugrunde. Mit Herkunft ist demnach der jeweilige örtliche Ausgangspunkt der Ware im Rahmen des einzelnen Handelsgeschäftes gemeint, der nicht immer auch dem Herstellungsort (Ursprung) der Ware entspricht. Gleiches gilt für die Bestimmung der Ware in bezug auf den Begriff der Ausfuhr. 1. Vergleich inländischer und ausländischer Warenherkunft bzw. -bestimmung

Diese Unterscheidungsmerkmale verwendet der EuGH auch in seiner Rechtsprechung. In den meisten Urteilen, in denen er sich mit Diskriminierungselementen auseinandersetzt, vergleicht er dabei die Gruppe der "inländischen Erzeugnisse" mit der Gruppe von "Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten". Hauptbeispiele hierfür sind v. a. die Rechtsprechung zu den unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen, aber auch die in der Grundsatzentscheidung Keck und Mithouard zur Tatbestandsausnahme für Verkaufsmodalitäten entwickelte Rückausnahme. Dahinter läßt sich das aus dem Wirtschaftsvölkerrecht her bekannte Prinzip der Inländerbehandlung erblicken. Dieselbe Vergleichsgruppenbildung liegt auch der auf Art. 33 Abs. 7 EGV a. F. gestützten Richtlinie 70/50/EWG der Kommission zugrunde, die in Art. 2 Abs. 1 "inländische und eingeführte Waren" gegenüberstellt. Allerdings birgt diese Begriffswahl durchaus auch Anlaß zu Mißverständnissen und ist daher kritisiert worden. Während die Formulierung "eingeführtes Erzeugnis"

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

eindeutig auf die Herkunft der Ware Bezug nimmt, ist die Umschreibung "inländisehe Ware" nicht eindeutig. Sie könnte auch als auf den Ursprung bezogen gedeutet werden 17. Teilweise verwendet der EuGH die noch zweideutigere Bezeichnung des "einheimischen Erzeugnisses"18. Gleichwohl ergibt sich aus den sonstigen Aussagen des Gerichtshofs, daß allein die Herkunft der Ware entscheidend ist 19 . Im Bereich des Art. 29 EGV kommt in entsprechender Weise ein Vergleich der für den Inlandsmarkt bestimmten Waren mit Exportwaren in Betracht. Die Relevanz einer derartigen Vergleichsgruppenbildung hat der EuGH in seiner Grundlagenentscheidung Groenveld bejaht 20 • 2. Vergleich von Waren aus verschiedenen Mitgliedstaaten bzw. von für verschiedene Mitgliedstaaten bestimmte Waren

Prinzipiell denkbar wäre jedoch auch eine Diskriminierung der Waren verschiedener Mitgliedstaaten, d. h. die Bevorzugung der Importwaren aus Mitgliedstaat A gegenüber denen aus Mitgliedstaat B bei der Einfuhr in Mitgliedstaat C bzw. umgekehrt einer Ausfuhr in den Mitgliedstaat A gegenüber einer solchen in den Staat B. Eine Fallgruppenbildung fände dann jeweils innerhalb der Importwaren bzw. Exportwaren statt. Diese Konstellation entspricht der Struktur nach dem völkerrechtlichen Prinzip der Meistbegünstigung. In der Rechtsprechung wird eine solche Fallgruppenbildung zumindest angedeutet. In der Rechtssache Dassonville 21 hatte der EuGH beispielsweise über eine belgisehe Vorschrift zu befinden, nach der die Einfuhr von mit einer Ursprungsbezeichnung versehenen Waren von besonderen Nachweisen aus dem Ursprungsland anhängig gemacht wurde. Einen derartigen Nachweis konnte sich der Importeur freilich wesentlich leichter beschaffen, wenn die betreffende Ware direkt aus dem Ursprungsstaat eingeführt wurde als wenn der Import aus einem anderen Mitgliedstaat erfolgte. Im Ergebnis bejahte der Gerichtshof eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 28 EGY. Entscheidendes Moment war dabei ein Vergleich des Imports aus dem Ursprungsmitgliedstaat (sog. Direktimport) und des Imports aus einem anderen Mitgliedstaat (sog. Parallelimport), m. a.W. ein Vergleich zwischen verschiedenen (Herkunfts-)Mitgliedstaaten 22 • Die Auswirkungen für Waren inländischer Herkunft wurden für den Vergleich nicht herangezogen. Vgl. Weyer, S. 140. EuGH, Rs.65/75, Tasca, Sig. 1976,291, Rn. 26ff.; verb. Rs. 88 bis 90/75, SADAM, Sig. 1976, 323, Rn. 33 f. 19 Vgl. dazu unten §6 B.I!.l. 20 EuGH, Rs. 15/79, Groenveld, Sig. 1979, 3409, Rn. 9. 21 EuGH, Rs. 8/74, Dassonville, Sig. 1974,837, Rn.2ff. 22 Freilich ging der EuGH hier nicht so weit, Art. 28 EGV als Diskriminierungsverbot aufzufassen. Vielmehr stellte er allein auf die handelsbeschränkende Wirkung der Regelung ab und prüfte nur auf der Rechtfertigungsebene (im Rahmen des Art. 30 S. 2 EGV), ob eine "willkürliche Diskriminierung" gegeben ist und bejahte diese (a. a. O. S. 852). Ob hieraus eine par17 18

B. Vergleichstatbestände

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Darüber hinaus ist sogar eine Kombination der zuvor 23 und der hier genannten Vergleichsgruppen denkbar. Ein Vergleich muß demzufolge nicht unbedingt zwischen Waren aus sämtlichen anderen Mitgliedstaaten und denen eigener Herkunft erfolgen. So hat der EuGH in einer Entscheidung, die allerdings zu Art. 90 EGV erging, eine Diskriminierung problemlos bei einer Regelung bejaht, die Inlandswaren mit Waren nur einiger Mitgliedstaaten gleichstellte und Waren anderer Mitgliedstaaten hingegen schlechter behandelte 24 • In den meisten Fällen bleibt aber zweifelhaft, ob einer Vergleichsgruppenbildung zwischen verschiedenen anderen Mitgliedstaaten eigenständige Bedeutung zukommt. So liegt bereits nach den Gesetzen der Logik bei einer unterschiedlichen Behandlung von Waren aus verschiedenen Herkunftsstaaten zwingend auch eine unterschiedliche Behandlung in- und ausländischer Waren. Werden Waren aus Staat A anders behandelt als solche aus Staat B, so gibt es in bezug auf die Waren im Importstaat 1 drei Möglichkeiten: entweder A wird wie 1 behandelt, dann besteht eine unterschiedliche Behandlung von B und I, oder B wird wie 1 behandelt, so daß es einen Unterschied zwischen A und I gibt, oder A, Bund 1 werden jeweils unterschiedlich behandelt. In jedem Fall besteht dann auch ein Unterschied in der Behandlung inländischer (I) und ausländischer (A oder B) Waren. Relevant kann die eigenständige Vergleichsgruppenbildung zwischen anderen Mitgliedstaaten dann u. U. nur für eine Rechtfertigungsprüfung werden, wenn diese bei Ungleichbehandlungen von Waren auf verschiedenen anderen Mitgliedstaaten anderen Anforderungen unterliegt als bei solchen von in- und ausländischen Waren.

11. Weitere Vergleichsgruppen? 1. Anknüpfung an den Warenursprung

Fraglich ist, ob neben der Warenherkunft auch eine entsprechende Vergleichsgruppenbildung nach dem Ursprung, d. h. nach dem Herstellungsort der Ware, erfolgen kann, mit anderen Worten, ob die Warenverkehrsfreiheit auch Regelungen erfaßt, die nach dem Warenursprung differenzieren. Das Merkmal des Ursprungs entspricht dabei nicht immer zwangsläufig auch dem der Herkunft, wie die Beispiele von Drittlandswaren oder Reimporten zeigen 25 • Betrachtet man den Zweck der Warenverkehrsfreiheit, so spielt der Warenursprung für sich genommen keine eigenständige Rolle. Vielmehr kommt es allein allele Wertung für die Tatbestandsebene zu ziehen wäre, ist aufgrund der eingrenzenden Funktion des Art. 30 S. 2 EGV eher zweifelhaft. 23 Siehe oben unter § 6 B. I. 1. 24 EuGH, verb. Rs. C-367 bis C-377/93, Roders, Sig. 1995, 1-2229, Rn. 23. 25 Dieser Unterschied wird in der Literatur oft nicht gesehen bzw. konsequent durchgehalten; vgl. Weyer, S.149, 163f.

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

auf die Ermöglichung und Nichtbeeinträchtigung des grenzüberschreitenden Warenhandels im Binnenmarkt an. Entscheidend ist damit nicht der ursprüngliche Herstellungsort der Ware, sondern der ihr im jeweiligen Handelsgeschäft unmittelbar gegebene Ausgangsort, d. h. ihre Herkunft. Nur wenn die Herkunft der Ware im Ausland liegt, kommt es zu dem für die Warenverkehrsfreiheit maßgeblichen Grenzübertritt. Die Wortwahl in der Rechtsprechung ist hier, wie bereits angedeutet, nicht immer eindeutig. Oftmals stellt der EuGH den "importierten Erzeugnissen" die Vergleichsgruppe der "einheimischen" oder "inländischen" Waren bzw. Produktionen gegenüber. Doch zeigt die Rechtsprechung an mehreren Stellen, daß der Sache nach damit gleichwohl nicht der Ursprung der Waren gemeint ist. Wird nämlich eine Gleichbehandlung von Waren bezogen auf ihren Ursprung festgestellt, so vermag dies die Art. 28 ff. EGV noch nicht auszuschließen, wenn eine Ungleichbehandlung nach der Herkunft vorliegt. Deutlich wird dies in der Rechtsprechung zu sog. Reimporten, da hier Ursprung und Herkunft der Waren auseinanderfallen. So hat der EuGH hinsichtlich einer nationalen Preisbindungsregelung für Bücher, die sowohl für im Inland verlegte, als auch für nach der Ausfuhr in einen anderen Mitgliedstaat wieder reimportierte Erzeugnisse galt, eine Benachteiligung des Absatzes von Importwaren gesehen und daher einen Verstoß gegen Art. 28 EGV angenommen 26 • Der Gerichtshof bejahte somit eine Diskriminierung, obwohl eine Ungleichbehandlung von 'in bezug auf den Warenursprung gebildeten Vergleichsgruppen - im Inland direkt abgesetzte Bücher und reimportierte Bücher - nicht vorlag. In eine ähnliche Richtung geht auch eine Entscheidung zur Diskriminierung parallel ein- oder wiedereingeführter Kraftfahrzeuge. Hier verneinte der EuGH ausdrücklich die Relevanz des Herstellungsortes. Vielmehr stelle in bezug auf Art. 28 EGV ein im Inland hergestelltes Fahrzeug, das ausgeführt und anschließend im Wege der Paralleleinfuhr wieder eingeführt werde, ebenso ein eingeführtes Erzeugnis dar, wie ein in einem anderen Mitgliedstaat hergestelltes Fahrzeug, das anschließend direkt in das Inland überführt werde 27 • Im Ergebnis werden also Reimporte und eingeführte Erzeugnisse innerhalb einer Vergleichsgruppe zusammengefaßt. Dies ist nur möglich, wenn es allein auf die Warenherkunft ankommt28 • Gleichwohl wird freilich in den meisten Fällen eine Ungleichbehandlung nach dem Warenursprung einer solchen nach der Herkunft gleichkommen. Doch ist dies der Struktur nach dann eine Frage der mittelbaren Diskriminierung 29 •

26

27 28 29

EuGH, Rs. 229/83, LeclerclAu bte vert, Sig. 1985, 1, Rn. 26ff. EuGH, Rs.C-240/95, Schmit, Slg. 1996,1-3179, Rn. 10. Ebenso Weyer, S. 149f. V gl. unten § 6 C. 11. 2. a.

B. Vergleichstatbestände

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2. Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit

bzw. Ansässigkeit der Wirtschaftsteilnehmer Eine große Problemfrage ist, ob Art. 28 EGV neben der Ungleichbehandlung von Waren auch eine solche von Personen erfaßt. Wäre dies der Fall, so müßten auch diesbezüglich Vergleichsgruppen, wie z. B. nach der Staatsangehörigkeit oder der Ansässigkeit, gebildet werden. Einen Ansatzpunkt in diese Richtung bietet Art. 2 Abs. 3 lit. g der Richtlinie 70/50/EWG der Kommission, die daran anknüpft, ob eine Regelung die Vermarktung eines Produktes von der Bedingung abhängig macht, daß auf dem Gebiet des Einfuhrmitgliedstaates ein Vertreter bestellt wird. Gemeint sind damit Vorschriften, die den Vertrieb von Importwaren Personen vorbehalten, die im Inland ansässig sind. Virulent wurde dies bei einer Entscheidung über eine belgisehe Vorschrift, die genau diese Bedingung in bezug auf die Zulassung bestimmter Pßanzenschutzmittel vorsah. Diese konnte nur jemand erhalten, der in Belgien ansässig und als Hersteller, Importeur, Eigentümer oder Konzessionsinhaber für das Inverkehrbringen des Produkts verantwortlich ist 30 • Die genannte Regelung sah dabei keinerlei Unterschied zwischen einheimischen und importierten Erzeugnissen vor. Differenziert wurde somit ausschließlich nach der Ansässigkeit der Vertriebsperson und nicht nach der Warenherkunft. Leider ging der EuGH in diesem - vier Jahre nach "Cassis de Dijon" erlassenen - Urteil mit keinem Wort auf die Fragen des Begriffs der Diskriminierung oder der "Unterschiedslosigkeit" ein. Er stellte nur auf die "unstreitig" gegebene Beeinträchtigung der Einfuhr ab, die für ihn offenbar aus der im Niederlassungserfordernis liegenden Benachteiligung ausländischer Hersteller zu sehen ist 31 • Auch die daran anschließende Rechtfertigungsprüfung nach Art. 30 EGV aus Gründen des Gesundheitsschutzes läßt (noch) keine Rückschlüsse auf das Diskriminierungsverständnis zu, zumal damit nicht zwingend die Rechtfertigungsmöglichkeit aus Cassis-Gründen verneint wird. Nimmt man die Aussagen des Generalanwalts hinzu, so scheint es allerdings allein auf die handelsbeeinträchtigende Wirkung auf Warenströme anzukommen 32, die aber auch durch eine Diskriminierung von Personen ausgelöst werden kann 33 • Strukturell kommt der Fall damit einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Warenherkunft nahe, da sich hier die Differenzierung nach der Ansässigkeit unterschiedlich für in- und ausländische Waren auswirkt. Eine Lösung ist dogmatisch daher durchaus auch ohne Rückgriff auf eine erweiterte (dann an personalen Kriterien orientierte) Vergleichsgruppenbildung möglich. EuGH, Rs.155/82, Kommission/Belgien, Sig. 1983,531, Rn.2. EuGH, a. a. 0., Rn. 7. 32 Vgl. GA Rozes, a. a. 0., S. 549 f. 33 Dies kann durchaus darauf hindeuten, daß der Diskriminierungsbegriff für den EuGH im Rahmen des Art. 28 EGV lediglich eine "Hilfsfunktion" entfaltet. 30

31

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

Eine weitere Andeutung in Richtung einer personenbezogenen Vergleichsgruppenbildung findet sich aber in der ersten Rückausnahme der Keck-Formel. Danach fallen diejenigen Regelungen über Verkaufsmodalitäten nicht in den Anwendungsbereich des Art. 28 EGV, die "für alle Wirtschaftsteilnehmer im Inland gelten"34. Auch hier fällt auf, daß der EuGH offenbar eine Gleichbehandlung von Personen verlangt 35 . Zum Beispiel stellt er im Urteil Hünermund, in dem er das Eingreifen der Keck-Ausnahme bejahte, unter anderem fest, daß die betroffene Regelung "für alle Apotheker im Zuständigkeitsbereich der Apothekenkammer" , d. h. im Anwendungsbereich der Regelung, gelte 36 . Kehrt man diese Überlegung um, so erlaßt Art. 28 EGV auch Fälle, in denen die zu untersuchende Maßnahme innerhalb der Wirtschaftsteilnehmer differenziert, z. B. danach, mit welchen Produkten die Betreffenden handeln. Dies überrascht um so mehr, als die Warenverkehrsfreiheit als Produktverkehrsfreiheit im Gegensatz zu den Personenverkehrsfreiheiten (Art. 39 ff., 43 ff. EGV) ja auf Erzeugnisse abzielt. Tatsächlich klingen insbesondere in der Bezugnahme auf eine Tätigkeit der Wirtschaftsteilnehmer im Inland Konstellationen an, die typischerweise von der Niederlassungsfreiheit her bekannt sind. Andererseits ist aber eine derartige Verknüpfung der "Freiheit der Produkte" mit der Freiheit für sie "transportierende" Personen ebenfalls grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, wie die Regelungsmaterie der Dienstleistungsfreiheit zeigt, auch wenn Dienstleistungen ihrer Natur nach freilich wesentlich stärker mit der Person des Erbringers verbunden sind als Waren mit der Person des Herstellers oder Händlers. Daß der EuGH hier dennoch vorrangig die Nichtdiskriminierung hinsichtlich Waren im Auge hat, zeigt jedoch die zweite Rückausnahme der Keck-Formel ("tatsächlich wie rechtlich gleiche Berührung in- und ausländischer Erzeugnisse"). Ohnehin erscheint zweifelhaft, ob der EuGH das von ihm formulierte Kriterium überhaupt wörtlich nimmt, oder nicht vielmehr ebenfalls auf eine gleiche Geltung hinsichtlich der Waren abstellt. Des weiteren ist bemerkenswert, daß der EuGH die geforderte Gleichbehandlung nur auf solche Wirtschaftsteilnehmer bezieht, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben. Zum Teil wurde hieraus geschlußfolgert, die Grundsätze des Keck-Urteils seien auf reine "Inlandssachverhalte" beschränkt. Grenzüberschreitende Sachverhalte - wie z. B. der internationale Versandhandel - seien hingegen hiervon nicht erlaßt, da 34 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Sig. 1993,1-6097,1-6131, Rn. 16. 3S In der Literatur wird diese Problematik kaum behandelt (zumindest andeutungsweise Gundei, Jura 2001, 79,84). Die meisten Ausführungen scheinen das Merkmal völlig unproblematisch auf eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Waren zu beziehen; so ausdrücklich Hödl, S. 146; ebenso Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30, Rn. 257, der als Beispiel hier ein Werbeverbot anführt, das nur ausländische Arzneimittel trifft. Dieser Aspekt wird aber gerade von der zweiten Rückausnahme der Keck-Formel (tatsächlich wie rechtlich gleiche Berührung in- und ausländischer Erzeugnisse) erfaßt. 36 EuGH, C-292/92, Hünermund u. a., Sig. 1993,1-6887, Rn. 23.

B. Vergleichstatbestände

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hier - auch bei "Verkaufsmodalitäten" - der Kernbereich von Art. 28 EGV betroffen sei 37 • Insbesondere fielen daher auch Regelungen hinsichtlich des grenzüberschreitenden Marketings nicht über die Keck-Formel aus dem Anwendungsbereich von Art. 28 EGV heraus 38 • Entscheidend dürfte aber gleichwohl der Zweck sein, den der EuGH mit der Keck-Einschränkung verfolgte. Es geht um die Gewährleistung des Marktzugangs bzw. einheitlicher Bedingungen hinsichtlich des Marktzugangs für in- und ausländische Produkte. Wesen des Warenverkehrs ist gerade die Grenzüberschreitung durch die Produkte. Diese kann ungehindert nur erfolgen, wenn Wirtschaftsteilnehmer, die mit Importwaren handeln, nicht in irgendeiner Form nachteiligeren Vorschriften unterliegen als andere Wirtschaftsteilnehmer. Dann liegt aber dem Vergleich von Personengruppen in Wahrheit auch ein Vergleich von Waren in- und ausländischer Herkunft zu Grunde. Die Formulierung des EuGH ließe sich daher auch so interpretieren, daß die geforderte gleiche Geltung der staatlichen Maßnahme in allgemeiner Weise auf alle Wirtschaftstätigkeit im Inland und damit letztlich auf die Handelsströme gerichtet ist 39 • Aus Vorläuferentscheidungen zum Keck-Urteil läßt sich zudem ersehen, daß der EuGH mit dem Kriterium der einheitlichen Geltung nationaler Vorschriften vor allem verbindet, daß diese nicht den Handelsverkehr regeln bzw. beeinflussen 4o • Sobald eine mitgliedstaatliche Maßnahme auf den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr abzielen soll, kann sie in aller Regel nicht mehr so gestaltet werden, daß sie unterschiedslos für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt. Insofern stünde dann zumindest doch der Sachbezug gegenüber einem Personenbezug im Vordergrund. Dennoch läßt sich nicht in letzter Konsequenz klären, welchen Aussagewert der EuGH dann der "gleichen Geltung für inländische Wirtschaftsteilnehmer" in Abgrenzung zur zweiten Rückausnahme der Keck-Formel beimißt. Im Ergebnis dürfte aber festzuhalten sein, daß im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit einer Vergleichsgruppenbildung nach Personen ebenfalls nur untergeordnete Bedeutung zukomme! und sie lediglich insoweit relevant ist, als eine entsprechende Ungleichbehandlung einer Differenzierung nach der Warenherkunft gleichkommt. Strukturell handelt es sich auch hier um Fragen der mittelbaren Diskriminierung. 37 Roth, in: Marktwirtschaft und Wettbewerb im sich erweiternden europäischen Raum, S.31. 38 Roth, a. a. 0., S. 32. 39 So offenbar Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 28 EGV, Rn. 28. 40 EuGH, Rs. C-93/92, CMC Motorradcenter, Slg. 1993, 1-5009, Rn. 10. 41 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt GA Warner in seinen Schlußanträgen zu Rs. 59n5, StaatsanwaltschaftlManghera, Slg. 1976,91, 107, hier freilich in Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 31 Abs. I EGV. Die Warenverkehrsfreiheit (und daher auch Art. 31 EG V) betreffe nicht Diskriminierungen zwischen Angehörigen der Mitgliedstaaten als Personen, sondern Diskriminierungen von Waren, die dann von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten hergestellt oder vertrieben werden.

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

c.

Ungleichbehandlung

Wie bereits erwähnt, verwendet der EuGH in seiner Rechtsprechung zu Art. 28 EGV unterschiedliche Fonnulierungen und Strukturelemente mit gleichheitsrechtlichem Gehalt. Diese sind vor allem für den praktischen Rechtsanwender hauptsächliche Orientierungspunkte bei der Bestimmung der Reichweite eines in der Warenverkehrsfreiheit enthaltenen (oder diese vielleicht sogar ausfüllenden) Diskriminierungsverbotes. Hier finden sich Ansätze sowohl für eine fonnale Betrachtung als auch für das Anstellen eines Wirkungsvergleiches. Die Schwierigkeit für die folgende Untersuchung ist dabei, daß der EuGH für die Tatbestandseröffnung des Art. 28 EGV selbst nicht auf Diskriminierungselemente zurückgreift. Diese verwendet er vielmehr im Rahmen von Eingrenzungen des Tatbestandes und zudem mit unterschiedlicher Funktion, teilweise zur Abschichtung in bezug auf die Rechtfertigungsprüfung (differenzierte Anwendung der "zwingenden Erfordernisse" der Cassis-Rechtsprechung) und teilweise zur Begründung von Tatbestandsausnahmen (Ebene der Tatbestandseröffnung). Gerade diese verschiedene funktionale Einordnung erschwert die strukturierte Analyse der vom EuGH gebrauchten Begriffselemente. Zudem führt sie nicht zwingend zu einem einheitlichen Begriffsverständnis, sondern eröffnet die Möglichkeit einer differenzierten Begriffsbildung bzw. legt diese möglicherweise sogar nahe. Wie auch bei den meisten anderen Diskriminierungsverboten stehen sich hier im Grundansatz eine fonnelle und eine materielle Begriffsbildung gegenüber, die freilich die im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit notwendigen Spezifizierungen erfahren müssen.

I. Tatbestandliche Unterscheidung nach der mitgliedstaatlichen Herkunft bzw. Bestimmung der Waren (unmittelbare Diskriminierung) Regelungen, die bereits tatbestandiich Waren mit Herkunft aus einem oder Bestimmung für einen anderen Mitgliedstaat gegenüber jeweiligen inländischen Waren benachteiligen, stellten praktisch die "Urfonn" einer Handelsbeeinträchtigung nach Art. 28 bzw. 29 EGV dar. Sie sind stets von der Warenverkehrsfreiheit erfaßt. 1. Anhaltspunkte im Normtext

a) Art.28[ EGV Ein erster Ansatzpunkt für die Relevanz solcher unmittelbarer Diskriminierungen findet sich bereits im Tenninus der mengenmäßigen Einfuhr- bzw. Ausfuhrbeschränkungen in Art. 28 und 29 EGV. Derartige Beschränkungen betreffen der Natur der Sache nach nur solche Waren, die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten

C. Ungleichbehandlung

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überschreiten, d. h. ein- oder ausgeführt werden. Sie beinhalten typischerweise bereits spezifische Behinderungen des grenzüberschreitenden Warenhandels und damit Fälle eines Sonderrechts für Waren ausländischer Herkunft oder Bestimmung, während inländische Waren derartigen Beschränkungen dann nicht unterliegen 42 • Hier liegt eine tatbestandliche Anknüpfung an die Herkunft oder Bestimmung von Waren bereits in der Festlegung des Anwendungsbereichs der betreffenden Norm. b) Die Richtlinie 70/50/EWG der Kommission Deutlichere Hinweise in bezug auf das Begriffsverständnis finden sich in der auf Art. 33 Abs. 7 EGV a. F. gestützten Richtlinie 70/50/EWG der Kommission 43 • Darin wird eine gesetzliche Definition des Begriffs "Maßnahme gleicher Wirkung" nach Art. 28 EGV gegeben, die auf die Antwort auf eine schriftliche Anfrage von Deringer 44 zurückgeht. Diese Richtlinie erwähnt zunächst "andere als unterschiedslos anwendbare Maßnahmen" (Art. 2 Abs. 1), welche ausnahmslos von Art. 28 EGV erfaßt sein sollen, wenn sie Einfuhren verhindern oder gegenüber einheimischen Waren verteuern oder erschweren, d. h. eine Benachteiligung für Importwaren vorsehen. Nach Art. 2 Abs. 2 sind solche Maßnahmen "anders als unterschiedslos anwendbar", "die die Einfuhr oder den Absatz der eingeführten Waren auf jeder Handelsstufe einer anderen Bedingung als einer Formalität unterwerfen, welche allein für eingeführte Waren gefordert wird, oder von einer unterschiedlichen Bedingung abhängig machen, die schwieriger zu erfüllen ist als die für inländische Waren geforderte." Zudem sind Maßnahmen erfaßt, die "die inländischen Waren begünstigen oder diesen einen anderen Vorzug als eine Beihilfe einräumen, unabhängig davon, ob dieser an Bedingungen geknüpft ist oder nicht." Beide Formulierungen entsprechen einer rein formellen Sichtweise der Diskriminierung gleich aus mehreren Gründen. Zunächst meint "einer anderen Bedingung als einer Formalität unterwerfen" nichts anderes als eine tatbestandliche Differenzierung nach der Warenherkunft, womit freilich ein Unterschied in der Sache und nicht bloß in der Verfahrensweise ("Formalität") verbunden sein muß. Somit ist allein auf den Regelungszweck bzw. Inhalt der Maßnahme abzustellen. Die zu untersuchende Regelung selbst muß eine unterschiedliche Rechtsfolge vorsehen, d. h. unterschiedlich auf verschiedene Tatbestände einwirken. Dies ist aber nur denkbar, wenn eine Regelung auch tatbestandlich differenzierend an die Warenherkunft anknüpft oder ein Sonderrecht für eine der Vergleichsgruppen vorsieht. In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn die Richtlinie daneben darauf abstellt, ob eine Bedingung für ausländische Waren "schwieriger zu erfüllen" ist. So auch Weyer, S.91. RL 70/50 der Kommission vom 22.12.1969, gestützt auf Art. 33 Abs.7 EGV a.F. AbI. 1970 L 13, S. 29; vgl. hierzu auch Schütz, Jura 1998,631,632. 44 Antwort auf Anfrage Nr.64 von Deringer, ABI. 1967, Nr. L 169, S. 12. 42

43

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

Auch hier ist ausdrücklich von unterschiedlichen Bedingungen die Rede, nicht jedoch von unterschiedlichen Auswirkungen ein und derselben Bedingung. Auch die in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie genannten Beispiele für "andere als unterschiedslos anwendbare Maßnahmen" beziehen sich fast ausnahmslos auf Sonderregelungen für Importwaren, die diese gegenüber einheimischen Waren benachteiligen 45 • Doch trotz dieser starken Betonung der formalen Ausgestaltung einer Maßnahme, bezieht die Richtlinie in Art. 3 Abs. 1 - unter engen Voraussetzungen 46 - auch "unterschiedslos anwendbare Maßnahmen" ein. Dies steht aber mit dem eben dargelegten formellen Diskriminierungsverständnis nicht unbedingt in Widerspruch, denn nach dem Wortlaut der Richtlinie kommt es hier maßgeblich auf "beschränkende Wirkungen auf den Warenverkehr" an, die den für solche Hande1sregelungen eigentümlichen Rahmen überschreiten müssen. Der Struktur nach liegt darin ein vertikaler und kein horizontaler Maßstab. Die Wirkungen für den Warenverkehr werden nicht zu einem Vergleichstatbestand (wie z. B. Inlandswaren) ins Verhältnis gesetzt, sondern einer eigenständigen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen (vgl. Art. 3 Abs.2 47 ). Über den - formell verstandenen - Diskriminierungsaspekt hinaus verweist die Richtlinie somit auf eine freiheitsrechtliche Dimension, nicht aber auf eine Erweiterung des Diskriminierungsbegriffs.

2. Ansätze in der Rechtsprechung des EuGH

a) Tatbestandseröffnung In seiner frühesten Rechtsprechung bezog sich der EuGH unter Rückgriff auf die in der Richtlinie 70/50/EWG angelegte Systematik bereits bei der Frage des Anwendungsbereichs maßgeblich auf eine Diskriminierungsprüfung, wobei er vorrangig auf die tatbestandiich unterschiedliche Behandlung inländischer und importierter Waren abstellte 48 • 45 Es finden sich allerdings vereinzelt bereits auch Hinweise auf ein weitergehendes Diskriminierungsverständnis. In Art. 2 Abs. 3 lit. d und e der Richtlinie werden Preisregelungen aufgeführt, die eine Preiserhöhung zur Berücksichtigung der Einfuhrkosten unmöglich machen oder aus denen sich ein Einfuhrhindernis ergibt. Art. 2 Abs. 3 lit. f erfaßt zudem Maßnahmen, die "eine eingeführte Ware in ihrem Wert herabsetzen und dadurch ihren Eigenwert vermindern oder ihre Verteuerung bewirken." Zumindest dem Wortlaut nach, schließen diese Beispiele aber - über Fälle formeller Diskriminierung hinaus - auch Regelungen ein, die unterschiedslos für alle Waren gelten, sich aber faktisch unterschiedlich auswirken. 46 Insbesondere beschränkt sich die Richtlinie hier auf Maßnahmen über die Vermarktung von Waren (insbesondere Form, Ausmaße, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, identifizierung, und Aufbereitung), d. h. rein produktbezogene Regelungen. 47 Hiernach ist zu prüfen, ob die beschränkende Wirkung in bezug auf das angestrebte Ziel erforderlich und verhältnismäßig ist. Die Parallele zur späteren Cassis-Formel ist unverkennbar. 48 Schütz, Jura 1998, 631, 633 f.

C. Ungleich behandlung

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Bereits in seiner ersten Entscheidung zum Warenverkehr hatte sich der EuGH mit einer Regelung auseinanderzusetzen, die eine Einfuhrsperre von Schweinefleischerzeugnissen jeglicher Herkunft anordnete, während der entsprechende inländische Handel nicht untersagt wurde 49 . Der Gerichtshof hielt die Warenverkehrsfreiheit für einschlägig und prüfte nur noch die Rechtfertigung nach Art. 30 EGY. Deutlicher und insoweit grundlegend ist die Aussage in Rewe-Zentralfinanz. Hier sah der EuGH bei einer Anordnung von phytosanitären Untersuchungen von importierten Äpfeln an der Grenze den Anwendungsbereich des Art. 28 EGV eröffnet. Für diese Regelung sei kennzeichnend, daß sie eine Bedingung aufstellt, die allein für Importwaren gilt 50 . Dieser Gedanke findet sich auch in einigen weiteren Entscheidungen des Gerichtshofs 51 . In der Entscheidung United Foods aus dem Jahre 1981 nimmt er hierauf sogar als eine "ständige Rechtsprechung" Bezug, wonach Art. 28 EGV die Beseitigung aller Hindernisse bezwecke, insbesondere "derjenigen, die sich spezifisch auf eingeführte Erzeugnisse beziehen oder die unter verschiedenen Voraussetzungen für eingeführte und für inländische Erzeugnisse bestehen, so daß die Vermarktung eingeführter Erzeugnisse erschwert oder verteuert wird"52. Auch hier ist ein Bezug zum Verständnis der unmittelbaren Diskriminierung in Richtlinie 70/50/EWG unverkennbar 53 . Freilich verzichtet der EuGH in den meisten Fällen seit Einführung der Dassonville-Formel bei der Prüfung des Anwendungsbereichs des Art. 28 EGV inzwischen insgesamt auf Diskriminierungselemente und so auch auf das Merkmal der formal unterschiedlichen Ausgestaltung einer Regelung. Hier nimmt der EuGH - offenbar in Anlehnung an seine Rechtsprechung zu Beeinträchtigungen des zwischenstaatlichen Handels nach Art. 81 Abs. 1 EGV 54 - allgemeiner und umfassender lediglich auf eine handelsbeschränkende Wirkung Bezug 55 . Allerdings bediente sich der EuGH im Urteil Dassonville selbst noch bei der Tatbestandseröffnung des Art. 28 EGV eines Diskriminierungselements. Hinsichtlich nationaler Maßnahmen zur Be49 EuGH, Rs. 7/61, Kommission/Italien, Sig. 1961, 693ff.; der Gerichtshof begnügte sich hier aber noch mit der Feststellung einer mengenmäßigen Beschränkung (a. a. 0., S. 718). 50 EuGH, Rs. 4/75, Rewe-Zentraljinanz/LandwirtschaJtskammer, Sig. 1975, 843, Rn. 3 f. 51 EuGH, Rs.104/75,De Peiper, Sig. 1976,613, Rn. 19ff.; Rs.35/76, Simmenthal, Sig. 1976, 1871, Rn. 12ff.; Rs. 153/78, KommissionIDeutschland, Sig. 1979, 2555, Rn. 2; Rs.251/78, Denkavit, Sig. 1979,3369, Rn. 11. 52 EuGH, Rs. 132/80, United Foods und van den Abeele/Belgien, Sig. 1981,995, Rn. 21. 53 Weyer, S. 93; siehe auch Rs.4/75, Rewe-Zentraljinanz/LandwirtschaJtskammer, Sig. 1975, 843, Rn.3. 54 Leible, in: Grabitz/Hilf, Art. 28 EGV, Rn. 13. 55 Aber auch bereits vor dem Urteil Keck und Mithouard greift der EuGH gelegentlich bei der Prüfung der Tatbestandseröffnung des Art. 28 EGV auf Diskriminierungselemente zurück. In Rs. C-93/92, CMC Motorradcenter, Sig. 1993,1-5009, Rn.10 beispielsweise verneinte er die Einschlägigkeit der Warenverkehrsfreiheit hinsichtlich der deutschen Rechtsprechung in bezug auf die Haftung aus culpa in contrahendo mit der Begründung, diese Rechtsfigur gelte ohne Unterschied für alle der deutschen Rechtsordnung unterliegenden Vertragsbeziehungen und solle nicht den Handelsverkehr regeln.

12 P1ötscher

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kämpfung unlauteren Wettbewerbs führt er dort nämlich aus, diese seien zulässig, wenn sie "sinnvoll" seien und keine "Behinderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten" bewirkten, "mithin von allen Staatsangehörigen erbracht werden [könnten]"56. "Behinderung" im Sinne der Dassonville-Formel verstand der EuGH hier offenbar nicht als eine absolut das Absatzvolumen beschränkende, sondern (zumindest auch) als diskriminierende Wirkung 57 . Diese Grenze hat der EuGH aber spätestens mit der Cassis-Entscheidung überwunden, zumal er dort auch für unterschiedslose Maßnahmen eine Rechtfertigung verlangt. Den Begriff der "Behinderung" im Rahmen der Dassonville-Formel definiert er nun als Bestehen eines Einfuhrhemmnisses im Sinne einer das Einfuhrvolumen reduzierenden Wirkung 58 . Demgegenüber stellt der EuGH im Rahmen des Art. 29 EGV seit der Grundlagenentscheidung Groenveld maßgeblich darauf ab, ob eine Regelung formal zwischen dem Binnenhandel eines Mitgliedstaates und seinem Außenhandel unterscheidet. Maßnahmen, die für alle Waren gelten, unabhängig davon, ob sie für den nationalen Markt oder die Ausfuhr bestimmt sind, sind nach ständiger Rechtsprechung von Art. 29 EGV grundsätzlich nicht erfaßt59 . In späteren Entscheidungen nimmt er teilweise aber auch auf eine "willkürliche Ungleichbehandlung"60 oder darauf Bezug, ob die Maßnahme eine "spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme bezweckt oder bewirkt"61. Beide Formulierungen schließen jedenfalls die tatbestandliehe Differenzierung nach der Warenbestimmung ein.

b) Cassis-Rechtsprechung: Das Merkmal der "unterschiedslos anwendbaren Regelung" Geht man vom Wortlaut aus, so liegt auch der Schrankendogmatik nach Cassis das Verständnis einer unmittelbaren Diskriminierung zugrunde. Eine Regelung ist dann "unterschiedslos anwendbar", wenn ihr Geltungsanspruch nicht zwischen inländischen und ausländischen Waren differenziert. Umgekehrt gewendet, liegt eine unterschiedliche Regelung dann vor, wenn sie von ihren Tatbestandsmerkmalen her 56 EuGH, Rs. 8/74, Dassonville, Sig. 1974,837, Rn.6 (Hervorhebung durch Verf.). 57 Sehr str., vgl. z. B. einerseits Dörr, RabelsZ 54 (1990), 677, 680ff., andererseits Roth, in:

Marktwirtschaft, 21,24, der diese Wertung in der Keck-Entscheidung wieder auftauchen sehen will, allerdings ohne Prüfung der Sinnhaftigkeit der Maßnahme, so daß Art. 28 EGV für Vertriebsregelungen auf ein Diskriminierungsverbot reduziert werde. 58 Roth, a. a. 0., S. 25 f., m. w. N. 59 EuGH, Rs. 15/79, Groenveld, Sig. 1979,3409, Rn. 7 f. Interessanterweise sah es der EuGH hier sogar als unbeachtlich an, wenn die Regelung zum Ziel haben sollte, einen besonderen Qualitätsstandard für Exportwaren zu erhalten, solange die Maßnahme nur unterschiedslos anwendbar ist (a. a. 0., Rn. 8); ähnlich Rs. 15/83, Denkavit NederlandlHoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten, Sig. 1984,2171, Rn. 16. 60 EuGH, Rs. 53/76, Procureur de la RepubliquelBouhelier, Sig. 1977, 197, Rn. 13/15. 61 Grundlegend EuGH, Rs.155/80, Oebel, Sig. 1981, 1993, Rn. 15; vgl. auch Müller-Graff, in: GTE, Art. 34, Rn. 18 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

C. Ungleichbehandlung

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an eine in- bzw. ausländische Warenherkunft anknüpft. Doch ist die vom EuGH gebrauchte Wortwahl dabei nicht immer eindeutig bzw. konsistent 62 . So verwendet er in einigen Entscheidungen statt "unterschiedslos" auch den Begriff "nicht diskriminierend"63. Auch in den anderen Sprachfassungen der Urteile ist hier keine einheitliche Linie zu erkennen ("without discrimination"64; "applicable [... ] without distinction"65). Gleichwohl stellt der EuGH nach einer verbreiteten Ansicht in der Literatur auf ein rein formales Verständnis ab 66 • Hierfür spricht zumindest eine Reihe von Entscheidungen, in denen der EuGH Allgemeininteressen im Sinne der Cassis-Formel bereits deshalb geprüft hat, weil eine Regelung tatbestandlieh nicht an die Warenherkunft anknüpfte. Beispiele hierfür sind allgemein geltende Produkt- 67 , Vermarktungs- 68 , Verpackungs- 69 , Werbebestimmungen 70 oder sonstige allgemein geltende Normen 71 . Umgekehrt genügte ihm für die Vemeinung einer "Unterschiedslosigkeit" in zahlreichen Entscheidungen bereits, daß eine nach der in- und ausländischen Wa62

Barnard, Discrimination Law, 63, 68 ff.

63 EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Sig. 1995,1-4165 ("in nicht diskriminierender Weise an-

gewandt"). 64 EuGH, Rs.113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625, 1639 (englische Fassung). 65 EuGH, Rs. 261/81, RaulDe Smedt, Slg. 1982,3961, Rn. 12 (englische Fassung nach CELEX). 66 Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30 EGV, Rn. 195 m. w. N.; Ahlfeld, S. 71 f.; Mögele, RIW 1983,676,678; Dörr, RabelsZ 54 (1990), 677, 684; Zuleeg, FS Everling, 1717, 1720. 67 EuGH, Rs. 178/84, KommissionIDeutschland, Sig. 1987, 1227, Rn. 28 f. (Reinheitsgebot für Bier); Rs. 27/80, Fietje, Slg. 1980, 3839, Rn. 10 ff. (Bezeichnungsvorschriften); Rs. 193/80, Kommission/Italien, Sig. 1981, 3019, Rn. 19ff. (Bezeichnung "Essig" nur für Weinessig); Rs.274/87, KommissionIDeutschland, Sig. 1989, 229, Rn. 5 (Fleischerzeugnisse); wegen Rückgriffs auf Art. 30 EGV offengelassen in Rs. 53/80, Kaasfabriek Eyssen, Slg. 1981,409, Rn. 12 ff. (Zusatzstoffverbot). 68 EuGH, Rs. 25/88, Strafverfahren gegen Wurmser u. a., Slg. 1989, 1105, Rn. 9ff. (Prüfpflicht bei Inverkehrbringen von Produkten); Rs. C-391/92, Kommission/Griechenland, Slg. 1995,1-1621, Rn. 16ff. (Apothekenpflicht für Säuglingsnahrung); Rs. C-39190, Denkavit, Sig. 1991,1-3069, Rn. 18 ff. (Pflicht zur Angabe von Fuuermiuelrohprodukten); Rs. C-51/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, 1-3599, Rn. 30 (Pflicht zur zusätzlichen Angabe bestimmter Zutaten). 69 EuGH, Rs. 261/81, RaulDe Smedt, Sig. 1982,3961, Rn. 12 (Würfelform für Margarine); Rs. 16/83, Prantl, Slg. 1984, 1299, Rn.21 (Bocksbeutel); Rs. 179185, KommissionIDeutschland, Slg. 1986,3879, Rn. 9ff. (PetilIant de raisin). 70 EuGH, Rs.C-362/88, GB-INNO-BM, Sig. 1990,1-667, Rn.7 (Werbung mit Preisnachlässen); Rs. C-292/92, Hünermund, Sig. 1993,1-6787, Rn.23 (Apothekenwerbung); Rs.C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993,1-2361, Rn. 13 (Preisgegenüberstellungen); verb. Rs. C-34 bis C-36/95, De Agostini undTV-Shop, Slg. 1997,1-3843, Rn.45 (Werbeverbot in bezug auf Minderjährige); verb. Rs. C-l u. C-176/90, Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivla, Slg. 1991,1-4151, Rn. 12f. (Werbeverbot für Alkoholika); Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, 1-1923, Rn. 15 ff. 71 EuGH, Rs. C-93/92, CMC Motorradcenter, Sig. 1993, 1-5009, Rn. 10 (vertragliche Haftung). 12*

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renherkunft differenzierende Regelung vorlag 72 , ohne daß er etwa weiter geprüft hätte, ob hierfür ein sachlicher Grund besteht. Die formale Ungleichbehandlung kann dabei durchaus auch auf einem gesetzestechnischen Verweis auf eine andere Rechtsordnung beruhen. So bejahte der EuGH die Diskriminierung bei einer deutschen Vorschrift, die hinsichtlich des Mindestalkoholgehaltes für Wermutwein die Bestimmungen des Herstellungsstaates für anwendbar erklärte, obwohl das deutsche Recht ansonsten für in Deutschland hergestellte Weine eine solche Mindestgrenze nicht vorsah 73. Dies läßt sich wohl damit begründen, daß die deutsche Vorschrift durch ihren Verweis auf die Rechtsnormen des Herstellungsstaates implizit eine formale Unterscheidung nach in- und ausländischer Herkunft vornimmt. Ähnliches gilt für eine mitgliedstaatliche Regelung, die generell nur für einheimische Produkte anwendbar ist und damit keinerlei grenzüberschreitenden Bezug aufweist. Auch in dieser tatbestandlichen Begrenzung liegt eine formale Unterscheidung, die relevant wird, wenn die betreffende Vorschrift eine Begünstigung vorsieht, die wegen eben dieser Begrenzung inländischen Waren vorbehalten bleibr7 4 • Schwieriger ist die Beurteilung aber schon für den (klassischen) Fall eines Sonderrechts für Importprodukte, wie z. B. das Erfordernis spezieller Einfuhrlizenzen oder Kontrollen. Hier wird zwar ebenfalls formal nach der Warenherkunft differenziert. Konsequenterweise prüft der EuGH daher etwaige Rechtfertigungen auch nur an Art. 30 EGV und nicht an den Cassis-Gründen 75. Doch fehlt es hier meist an einem sinnvollen Vergleichstatbestand. Eine vergleichbare Regelung kann nämlich für inländische Waren in der Regel schon aus der Natur der Sache heraus (fehlender Grenzübertritt als Anknüpfungspunkt) kaum wirksam getroffen werden. Mit einer formalen Gleichbehandlung ist vor dem Hintergrund des Regelungszwecks des Art. 28 EGV demzufolge wenig gewonnen. Aus diesem Dilemma bieten sich nur zwei Auswege: entweder sieht man die "Sonderrechtsfälle" als eine eigenständige - von Diskriminierungen abzugrenzende - Fallgruppe innerhalb der Warenverkehrsfreiheit an oder man wählt unter Zugrundlegung eines materiellen Diskriminierungsbegriffs für den anzustellenden Vergleich einen anderen Bezugspunkt. c) Keck-Rechtsprechung: Das Merkmal der "rechtlich gleichen Berührung"

In der Grundsatzentscheidung Keck und Mithouard aus dem Jahre 1993 schloß der Gerichtshof die Anwendbarkeit von Art. 28 EGV für Regelungen von VerkaufsmoEuGH, Rs. C-434/85, Allen & HanburyslGenerics, Slg. 1988, 1245, Rn. 35. EuGH, Rs. 59182, Schutzverband gegen Unwesen in der WirtschaftIWeinvertriebs-GmbH, Slg. 1983, 1217, Rn.8f. 74 EuGH, verb. Rs. C-321 bis C-324/94, Pistre u. a., Slg. 1997,1-2343, Rn.45ff. 75 EuGH, Rs.124/81, KommissionIVereinigtes Königreich, Slg. 1983,203, Rn. 12ff. 72

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C. Ungleichbehandlung

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dalitäten unter anderem unter der Voraussetzung aus, daß diese "den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich [... ] in der gleichen Weise berühren. ,,76 Generell besteht über die Auslegung des in der Keck-Rechtsprechung verwendeten Wortlautes große Unsicherheit. Kehrt man allerdings die hier genannte Formulierung um, so bedeutet dies, daß der Tatbestand des Art. 28 EGV jedenfalls in- und ausländische Waren "rechtlich ungleich berührende" Maßnahmen einschließt. Inhaltlich kann damit nur die Anordnung unterschiedlicher Rechtsfolgen für diese Verg1eichsgruppen gemeint sein. Dies wiederum setzt eine tatbestandliche Differenzierung nach der Warenherkunft voraus, so daß der Umschreibung zumindest der Gedanke der unmittelbaren Diskriminierung zugrunde liegt. Insoweit führt der EuGH hier die bereits erwähnte Rechtsprechung fort, wonach Sonderregelungen für Importwaren, die diese nicht mit einheimischen Erzeugnissen gleichstellen, dem Tatbestand des Art. 28 EGV unterfallen. So verneinte er die Bereichsausnahme nach Keck z. B. für ein deutsches Werbeverbot, das für importierte, nicht in Deutschland zugelassene Arzneimittel galt, auch wenn diese in ihrem Herkunftsstaat zugelassen und damit verkehrsfähig waren 77. Auch in der - teilweise als "Vorläufer" des Keck-Urteils gesehenen 78 - Entscheidung in der Rechtssache Tor/aen 79 stellte der EuGH bezüglich eines nationalen Sonntagsverkaufsverbots fest, daß dieses in gleicher Weise für in- und ausländische Waren gelte, und somit der Vertrieb eingeführter Erzeugnisse nicht stärker erschwert werde als der von einheimischen Erzeugnissen 80 • Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß den Regelungen der Warenverkehrsfreiheit mindestens das Strukturelement der unmittelbaren Ung1eichbehandlung zugrunde liegt. 11. Tatbestandliche Unterscheidung nach anderen Kriterien (mittelbare Diskriminierung) Neben der unmittelbaren Diskriminierung kommen auch die Fälle in Betracht, in denen die Anknüpfung an andere Kriterien als die mitgliedstaatliche Warenherkunft bzw. Warenbestimmung einer direkten tatbestandlichen Unterscheidung nach diesem Merkmalen entspricht. EuGH, verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993,1-6097, Rn. 16. So z. B. in der Rs. C-320/93, Ortscheit, Slg. 1994,1-5243, Rn. IOff. 78 So Hödl, S. 146. 79 EuGH, Rs. C-145/88, Torfaen Borough Council/B & Q pie, Slg. 1989, 3851, Rn. 11. 80 Jedoch zog der EuGH hier noch nicht die Konsequenz, die Anwendbarkeit von Art. 28 EGV (im Sinne einer Bereichsausnahme) zu verneinen, sondern betrachtete im folgenden die Regelung vielmehr als "unterschliedslos" im Sinne der Cassis-Rechtsprechung und schloß daher eine allgemeine VerhältnismäßigkeitspTÜfung an. Deshalb wurde auch bezweifelt, ob die Entscheidung Torfaen überhaupt ein "Vorläufer" des Keck-Urteils ist (weitere Nachweise hierzu bei Hödl, S. 147). 76

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§ 6 Warenverkehrsfreiheit

1. Ansatzpunkte

Hinweise für eine derartige Ausdehnung des Diskriminierungsverständnisses finden sich vor allem in der sekundärrechtlichen Ausgestaltung von Art. 28 EGV durch die Richtlinie 70/50/EWG. In Art. 2 Abs. 2 wird hier nicht nur auf Regelungen Bezug genommen, die Waren einer "Bedingung" unterwerfen, "welche allein für eingeführte Waren gefordert wird", sondern auch auf solche, die eine "unterschiedliche Bedingung" aufstellen, "die schwieriger zu erfüllen ist als die für inländische Waren aufgestellte"sl. Nach dieser Formulierung kommt es nicht allein auf die formale Anknüpfung an die mitgliedstaatliche Warenherkunft an. Auch das Abstellen auf die "unterschiedliche Anwendbarkeit" in Art. 2 Abs. 1 schließt jedenfalls nicht aus, daß auch eine Differenzierung nach anderen, aber gleichwertigen Kriterien relevant werden kann. Die Untersuchung der Rechtsprechung auf eine der mittelbaren Diskriminierung entsprechende Begriffsbildung ist allerdings besonders problematisch, da der EuGH - wie bereits dargelegt - zur Tatbestandseröffnung grundsätzlich nicht auf Diskriminierungselemente Bezug nimmt. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich aber auch im Bereich der Cassis-Rechtsprechung. Hier fehlt es fast durchweg an klaren Stellungnahmen. Insbesondere ist nicht klar, ob der EuGH diese Fallgruppen schrankendogmatisch ebenfalls von der Cassis-Formel erfaßt sieht oder nicht S2 , d. h. ob das Merkmal der "unterschiedlichen Anwendbarkeit" auch mittelbare Diskriminierungen umfassen soll. Hier bleibt dann nur die Möglichkeit, aus der Anwendung oder Nichtanwendung "immanenter Schranken" durch den EuGH Rückschlüsse auf sein Verständnis hinsichtlich des Begriffs der "unterschiedlichen Anwendbarkeit" zu ziehen. Dabei ist insgesamt festzustellen, daß die Begrifflichkeit der "mittelbaren" oder "versteckten" Diskriminierung im Rahmen der Art. 28 ff. EGV vom EuGH selbst an sich überhaupt nicht verwendet wird. Dennoch gibt es einige Fallgestaltungen, die zumindest strukturell der Situation einer mittelbaren Diskriminierung - wie bislang herausgearbeitet S3 - gleichkommt. 2. Sonderfall der Anknüpfung an Teilmengen der Vergleichsgruppen

Einen Sonderfall stellen dabei zunächst diejenigen Maßnahmen dar, die an Unterscheidungsmerkmale anknüpfen, die sich bereits immanent nur auf eine Teilmenge der hier für den Vergleich relevanten Inlandswaren und Import- bzw. Exporterzeugnissen beziehen. Hier ist in der Regelung bereits notwendig angelegt, daß nicht alle Elemente der Vergleichsgruppen von der Unterscheidung betroffen sind. Hervorhebungen durch den Verfasser. NowaklSchnitzler, EuZW 2000, 627 ff. 83 Siehe oben §2 D. III.3.; §5 B.IV.5 . 81

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c. Ungleichbehandlung

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a) VVarenursprung Typisches Beispiel ist dabei eine Maßnahme, die nach dem Warenursprung differenziert. Wie bereits ausgeführt, knüpft die Warenverkehrsfreiheit ihrem Schutzzweck nach grundsätzlich an die Herkunft der Waren an. Allerdings weisen Maßnahmen, die nach dem Warenursprung, d. h. nach dem ursprünglichen Herstellungsort, differenzieren, eine enge Verwandtschaft zu herkunftsbezogenen Regelungen auf. Waren mit Herkunft aus einem anderen Mitgliedstaat haben in der Regel auch einen ausländische Ursprung. Waren mit ausländischem Ursprung haben, sobald sie die Grenze überschreiten, zwingend auch eine ausländische Herkunft. Sie bilden somit eine Teilmenge einer Vergleichsgruppe. Bevorzugt demnach eine Regelung Waren mit inländischem Ursprung, so umfaßt dies zwar unter anderem auch reimportierte Erzeugnisse. Doch ändert dies nach der Rechtsprechung nichts an der daraus folgenden Benachteiligung von Waren ausländischer Herkunft. Umgekehrt entfallt eine "unterschiedslose Anwendbarkeit" ebenfalls schon dann, wenn Waren inländischen Ursprungs benachteiligt werden. Ein solcher Nachteil trifft nämlich auch reimportierte Waren, während andere eingeführte Erzeugnisse der Belastung nicht unterliegen 84 • Im Ergebnis behandelt der EuGH Differenzierungen nach dem Waren ursprung und solche nach der Warenherkunft als äquivalent, da sie typischerweise stets dieselben Auswirkungen haben. b) Herkunft aus einer Teilregion eines Mitgliedstaates Ein weiterer Fall der Anknüpfung an eine Teilmenge der relevanten Vergleichsgruppen (Waren in- und ausländischer Herkunft) sind Vorschriften, die zwar nach der Herkunft von Waren unterscheiden, diese Differenzierung aber nicht "entlang der Staatsgrenzen" vornehmen, sondern nach regionaler Zuordnung. Maßgebliches Kriterium ist dann nicht die mitgliedstaatliehe, sondern eine regionale Herkunft. Dies führt dazu, daß beispielsweise die Gruppe der durch diese Maßnahme benachteiligten Erzeugnisse nicht nur aus Importwaren, sondern auch aus einem Teil der inländischen - eben nicht aus der betreffenden Region stammenden - Waren besteht. Die Ungleichbehandlung betrifft somit schon begriffsimmanent beide Vergleichsgruppen nicht in gleicher Weise. Strukturell ist auch diese Situation der Ausgangslage einer mittelbaren Diskriminierung sehr nahe, bei der sich die Frage nach dem ("Beruhens-") Zusammenhang mit dem "verbotenen" Kriterium der mitgliedstaatlichen Warenherkunft stellt. Für den EuGH besteht hier offenbar durchweg kein Grund, am Vorliegen einer Diskriminierung bzw. einer "unterschiedlich anwendbaren" Regelung zu zweifeln. Der Umstand allein, daß neben Importwaren auch einige inländische Waren benach84

EuGH, Rs. 229/83, Leclerc!Au bLe vert, Slg. 1985, 1, Rn. 26ff.

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teiligt würden, soll in keinem Fall genügen, die "Unterschiedslosigkeit" der Maßnahme zu begründen 85 . Entscheidend ist dabei wohl nur, daß zumindest einige inländische Waren besser behandelt werden. Offenbar scheint es dem Gerichtshof hier meist zu genügen, daß eine Regelung überhaupt an die Warenherkunft anknüpft. Denkbar wäre daher, hier sogar von einem Fall unmittelbarer Diskriminierung auszugehen. Andererseits finden sich aber auch Entscheidungen, in denen der EuGH trotz Anknüpfung an die Warenherkunft eine Diskriminierung unter Anwendung von Sachlichkeitserwägungen verneint. Eindrucksvollstes Beispiel hierfür ist der Belgische Müllfa1l 86 , der eine Regelung der belgischen Teilregion Wallonien betraf, wonach die Verbringung und Entsorgung von nicht aus Wallonien stammenden Abfällen in den dortigen Müllverwertungsanlagen untersagt war. Trotz dieser formalen "Unterschiedlichkeit" der Regelung nach der Warenherkunft nahm der EuGH hier eine Rechtfertigung nach dem Cassis-Grund des Umweltschutzes an, ohne auf Art. 30 EGV zurückzugreifen. Da der EuGH weiterhin an der schrankendogmatischen Unterscheidung von "unterschiedlichen" und "unterschiedslosen" Regelungen festhalten wollte, erreichte er die Anwendbarkeit der Cassis-Formel durch einen Kunstgriff: Bei der Beurteilung, ob die betreffende Regelung "diskriminierend" ist, sei die Besonderheit der Abfälle und dabei auch der in Art. 174 Abs. 2 UAbs. 1 EGV genannte Grundsatz der Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen an ihrem Ursprung zu berücksichtigen. Dogmatisch gesehen entspricht dies einer Art Sachlichkeitsprüfung. Der EuGH spricht daher auch nicht von "unterschiedslos", sondern von "nicht diskriminierend"87. Erklären ließe sich dies unter Umständen mit dem Gedanken der mittelbaren Diskriminierung. Die vorliegende wallonische Regelung unterschied zwar formal nach der Warenherkunft 88 , allerdings nicht zwischen belgischen und nicht-belgischen, sondern zwischen wallonischen und nicht-wallonischen Abfällen. Maßgebliches Differenzierungskriterium war daher die regionale Herkunft und somit letztlich die Nähe des Entsorgungsortes zum Entstehungsort der Abfälle. Denkbar wäre dann, den ("Beruhens-") Zusammenhang mit dem "verbotenen" Kriterium der Warenherkunft aus einem anderen Mitgliedstaat zu verneinen. Der EuGH sah hier in dem Prinzip der Entsorgungsnähe einen sachlichen Differenzierungsgrund, so daß es demzufolge an der Vergleichbarkeit von in Entsorgungsnähe entstandenem und sonstigem Abfall fehlt. Folge wäre, daß die untersuchte Differenzierung eben nicht auf dem verbotenen Kriterium beruht. Doch ist diese Interpretation keineswegs zwingend. Mindestens genauso nahe liegt die Vermutung, der EuGH verschiebe den Diskriminierungsbegriff hier ins ge85 EuGH, verb. Rs. C-1 u. C-176/90, Aragonesa de Publicidad Exterior und Publiv{a, Sig. 1991,1-4151, Rn. 24. 86 EuGH, Rs. C-2/90, Kommission/Belgien, Sig. 1992,1-4431 ff. 87 EuGH, a. a. 0., Rn. 34, 36. 88 Nach dem EuGH sind auch Abfälle als Waren i. S. d. Art. 23 ff. EGV anzusehen, sogar ohne daß es auf deren Wiederverwertbarkeit ankäme; a. a. 0., 1-4478, Rn. 23 ff.

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samt in Richtung eines Willkürelements und greife auf einen allgemeinen Prüfungspunkt eines sachliches Grundes zurück 89 • Hierfür spricht zumindest der bislang singuläre Charakter der Entscheidung. In eine ähnliche Richtung geht allerdings auch der Fall Bluhme 90 • Hier untersagte eine dänische Vorschrift das Halten (und damit auch den Import) von Bienenarten auf einer bestimmten Insel, wenn diese dort nicht zuvor heimisch waren. Der EuGH prüfte eine Rechtfertigung aus Gründen des Tierschutzes nach Art. 30 EGY. Da diese Vorschrift für alle dem Tatbestand des Art. 28 EGV unterfallenden Regelungen gilt, wird nicht deutlich, ob auch eine Rechtfertigung nach Cassis (unter Annahme einer "unterschiedslos anwendbaren" Regelung) möglich wäre 91 • Aufschlußreich sind aber die Ausführungen des Generalanwalts, der hier zunächst eine Ungleichbehandlung (und damit die Möglichkeit einer Diskriminierung) nach der Herkunft der Bienen, je nachdem ob sie von der Insel stammen oder nicht, annimmt. Daß dabei auch andere inländische Bienen benachteiligt werden, schließe die Diskriminierung nicht apriori aus 92 • Dennoch handelt es sich aber um eine Differenzierung nach der Warenherkunft aus einem Teilgebiet eines Mitgliedstaates. Folglich prüft der Generalanwalt das Vorliegen eines sachlichen Differenzierungsgrundes, den er in der Verhinderung einer Durchmischung der Bienenarten sieht; er nimmt daher eine "unterschiedslose" Maßnahme an 93 • Dies zeigt, daß in Wirklichkeit aufgrund der Unterschiedlichkeit der Bienen und nicht aufgrund deren Herkunft differenziert wird. Es fehlt also an dem relevanten Zusammenhang mit der (mitgliedstaatlichen) Warenherkunft. Auch hier besteht strukturell eine erstaunliche Nähe zur den der mittelbaren Diskriminierung zugrundeliegenden Überlegungen. 3. Weitere Anknüpfungskriterien

Neben den Fällen einer Bezugnahme auf Teilmengen der Vergleichsgruppen kommt freilich auch eine Anknüpfung an völlig "neutrale" Kriterien in Betracht, die anderweitig einer Ungleichbehandlung nach der Warenherkunft gleichkommt. Der EuGH selbst verwendet im Rahmen der Art. 28 ff. EGV hierfür allerdings nicht die Bezeichnung "mittelbare Diskriminierung". Vielmehr stellt er meist gleich unmittelbar auf den "handelsbeschränkenden Charakter" einer Vorschrift ab.

Vgl. hierzu unten § 6 D. EuGH, Rs. C-67/97, Bluhme, Slg. 1998, I-8033ff. 91 Zu der äußerst schwierigen Frage des Konkurrenzverhältnisses der immanenten Schranken nach der Cassis-Formel und der Rechtfertigungsgründe nach Art. 30 EGV vgl. MüllerGraf!, in: GTE, Art. 30, Rn. 208. 92 GA Fennelly, Rs. C-67/97, a.a. 0., I-8045f. 93 A.a.O., I-8047f. 89

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a) Produkteigenschaften Zu denken ist zunächst an Fälle, in denen eine Regelung an bestimmte Produkteigenschaften anknüpft und dementsprechend verschiedene Rechtsfolgen vorsieht. Klassisches Beispiel sind Verkehrsfähigkeitsvorschriften, aber auch Differenzierungen, die lediglich die Vermarktung eines Produktes betreffen. Das Hauptproblem hierbei ist jedoch, daß es in aller Regel an einer Verbindung zur Warenherkunft fehlt. Prinzipiell können Produkte mit den bestimmten geforderten Eigenschaften überall hergestellt werden, ohne daß es auf ihre Herkunft (oder vielleicht sogar ihren Ursprung ankäme). Eine Differenzierung nach Produkteigenschaften trifft somit Waren verschiedener Herkunft gerade nicht in typischer Weise unterschiedlich, und umgekehrt sind etwaige Wirkungsunterschiede grundsätzlich nicht bereits in der Anknüpfung an die Wareneigenschaft angelegt. Allerdings sind Ausnahmen denkbar, vor allem dann, wenn - wie z. B. bei einigen Bodenschätzen - die Qualität der Ware von ihrem geographischen Ursprung abhängt. Auch der Umstand, daß - wie vor allem bei Lebensmitteln nicht selten - ein Produkt, das aus einer bestimmten Region stammt, traditionell bestimmte einzigartige Merkmale aufweist oder nach einem festgelegten Verfahren hergestellt wird, kann den geforderten Zusammenhang von Produkteigenschaft und -herkunft begründen. Strukturell der mittelbaren Diskriminierung zumindest nahe kommt daher der Fall eines in einer Teilregion Spaniens (Katalonien) geltenden Werbeverbots für Getränke mit einem Alkoholgehalt über 23 %. Die Regelung knüpfte nicht an die Warenherkunft, sondern an ein "neutrales" Kriterium (Alkoholgehalt) an. Die Besonderheit war aber hier, daß der größte Teil der katalanischen Produktion alkoholischer Getränke aus solchen mit geringerem Alkoholgehalt bestand und daher von dem Verbot nicht betroffen war 94 • Somit kam die Regelung einer Benachteiligung nach der Warenherkunft im Ergebnis zumindest nahe. Der EuGH selbst prüfte hier interessanterweise aber nur, ob eine "willkürliche Diskriminierung" im Sinne des Art. 30 S. 2 EGV vorliegt. Auf die Frage der "Unterschiedslosigkeit" mußte er hier nicht eingehen, da allein eine Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes in Rede stand und dieser ohnehin im Rahmen des Art. 30 EGV Berücksichtung findet. Im Ergebnis sah er in der Grenzsetzung bei 23 % vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes einen sachlichen Differenzierungsgrund. Der Umstand der tatsächlich stärkeren Begünstigung der katalanischen Produktion genüge nicht zur Begründung einer willkürlichen Diskriminierung. Wertet man dieses Argument darüber hinaus auch auf die Frage der mittelbaren Diskriminierung, so folgte aus dem festgestellten sachlichen Grund dann das Fehlen eines Zusammenhangs mit dem verbotenen Differenzierungskriterium der Warenherkunft.

94 EuGH, verb. Rs. C-l u. C-176/90, Aragonesa de Publicidad Exterior und Publivia, Slg. 1991,1-4151, Rn. 22.

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b) Differenzierung nach Personen Auch eine fonnal unterschiedliche Behandlung von Personen kann sich für Waren in- und ausländischer Herkunft unterschiedlich auswirken, wie der bereits erwähnte Fall des Ansässigkeitserfordernisses des Antragstellers im Rahmen der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zeigt 95 • In diesem Fall finden sich zwar wiederum keine expliziten Aussagen des EuGH zur Diskriminierungsfrage. Doch rekurriert der Gerichtshof auf der Rechtfertigungsebene auf Art. 30 EGV, was zumindest nach der Cassis-Dogmatik der Annahme einer "Unterschiedlichkeit" nicht widerspricht. In einem ähnlichen Sinne dürfte sicherlich auch die erste Rückausnahme der Keck-Fonnel zu sehen sein, wonach die Tatbestandsausnahme nur bei Regelungen greift, die "für alle Wirtschaftsteilnehmer im Inland" gelten. Zwar zielt die Warenverkehrsfreiheit ihrem Schutzzweck auf (grenzüberschreitende) Warenströme ab. Doch sind diese freilich auch mit den sie transportierenden Personen verbunden. Eine wie auch immer geartete Belastung bzw. Benachteiligung von Importeuren schlägt in aller Regel auch auf die Situation der Importwaren durch. Dies zeigt auch die Bejahung der Diskriminierung bei Ansässigkeitserfordernissen. Für den EuGH spielt dabei auch keine Rolle, wenn eine Regelung generell nur Teilmengen der betroffenen Handelsgeschäfte erfaßt. So nahm er beispielsweise eine Diskriminierung von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten im Falle einer Vorschrift an, die in einer bestimmten Region ansässigen Unternehmen, in denen die relevanten Produkt hergestellt wurden, einen Anteil von 30 % an öffentlichen Lieferaufträgen vorbehielt. Daß nur ein Teil des Auftragsvolumens betroffen war, sah . der Gerichtshof als unerheblich an 96 • Zusammenfassend ist hier festzuhalten, daß der EuGH in den Begriff der "Unterschiedlichkeit" auch Fälle mittelbarer Diskriminierung einbezieht und diese somit vor allem von einer Berücksichtigung "zwingender Erfordernisse" ausschließt.

III. Unterschiedliche Auswirkung einer Regelung (materielle Diskriminierung) Fraglich ist, ob und inwieweit es darüber hinaus allein auf die unterschiedliche Auswirkung einer Regelung auf die Vergleichs gruppen ankommt, ohne daß die formelle Ausgestaltung eine Rolle spielt.

95 EuGH, Rs. 155/82, Kommission/Belgien, Slg. 1983, 531, Rn. 7; siehe hierzu oben § 6 B. II.2. 96 EuGH, Rs. C-21/88, Du Pont de Nemours ltaliana, Slg. 1990,1-889, Rn. 11.

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1. Ansatzpunkte

Einige nonntextliche Anhaltspunkte hierfür lassen sich möglicherweise der bereits erwähnten Richtlinie 70/50/EWG entnehmen. In den in Art. 2 Abs. 3 lit. d bis f genannten Beispielen für eine "andere als unterschiedslos anwendbare Maßnahme" wird unter anderem darauf abgestellt, ob Regelungen notwendige Preiserhöhungen für Importwaren "unmöglich machen", Preise so festsetzen, daß "sich hieraus ein Einfuhrhindernis ergibt", oder Importwaren "in ihrem Wert herabsetzen" oder "ihre Verteuerung bewirken". Dem Wortlaut nach wird hier durchweg nicht auf die formale Ausgestaltung, sondern auf die Wirkung einer Regelung für eingeführte Erzeugnisse abgestellt. Sieht man diese Vorschriften allerdings im Kontext der gesamten Richtlinie, insbesondere in Abgrenzung zu dem die "unterschiedslos anwendbaren" Maßnahmen ausdrücklich regelnden Art. 3, so bestehen jedenfalls Zweifel, ob es hier auf einen Wirkungsvergleich, d. h. einen horizontalen Maßstab, ankommen soll. Genausogut ist denkbar, daß die Richtlinie hier nur auf die isolierte Wirkung für die Importwaren, d. h. eine vertikale Betrachtung, Bezug nimmt. Ein anderer Anhaltspunkt für einen Wirkungsvergleich wird von der Literatur teilweise in der Fonnulierung "Maßnahme gleicher Wirkung" in den Art. 28 f. EGV gesehen 97 . Auch hier gilt derselbe Einwand, da von einem Vergleichsaspekt in den Vorschriften jedenfalls nicht die Rede ist. Ohnehin bezieht sich die "gleiche Wirkung" dort auf die im ersten Satzteil genannten "mengenmäßigen Einfuhr-/Ausfuhrbeschränkungen". Der Tenninus "Beschränkung" beinhaltet indes einen vertikalen Maßstab, der ohne Vergleichspunkt auskommt. Dementsprechend folgt auch der EuGH mit der Anwendung seiner DassonvilleFonnel grundsätzlich diesem vertikalen Ansatz, wobei die betreffende Maßnahme auf ihre Eignung zu einer handels beeinträchtigenden Wirkung hin zu untersuchen ist. 2. Keck-Rechtsprechung: Das Merkmal der "tatsächlich (un)gleichen Berührung" Gleichwohl deutet der Gerichtshof mit der zweiten Rückausnahme der in seinem Urteil Keck und Mithouard gefundenen Tatbestandsausnahme die Relevanz auch eines Wirkungsvergleichs an. Neben der - oben untersuchten - "rechtlich gleichen Berührung" verlangt der EuGH für Regelungen über Verkaufsmodalitäten, die aus dem Anwendungsbereich der Art. 28 ff. EGV herausfallen sollen, daß diese "den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten [... ] tatsächlich in der gleichen Weise berühren."98 Über die Auslegung und die Reichweite dieses Merkmals besteht viel Unsicherheit, da es bereits vom Wortlaut her vage und schwer greifbar ist. In der Literatur 97 98

So offenbar Weyer, S. 108; ähnlich Mögele, RIW 1983,676,678. EuGH, verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993,1-6097, Rn. 16.

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wird darunter teilweise die Einführung einer Spürbarkeitsgrenze 99 , teilweise aber auch die Einführung eines materiellen Diskriminierungsbegriffs verstanden 100. Betrachtet man die vom EuGH gewählte Formulierung, so ist die "tatsächliche" von der "rechtlich gleichen" Berührung zu unterscheiden. Dies läßt sich nur so verstehen, daß es hier nicht nur auf die Anordnung gleicher Rechtsfolgen für die Vergleichsgruppen, sondern auch auf eine gleiche Auswirkung der Norm ankommt.

a) Typisierende oder faktische Betrachtung? Dabei scheint der EuGH das Merkmal der "Tatsächlichkeit" interessanterweise eher als ein normatives Element zu sehen, das in gewissem Sinn abstrakt, d. h. losgelöst von den Tatsachen im konkreten Fall, zu beurteilen ist. So nahm er hinsichtlich des griechischen Verbots, Säuglingsmilch außerhalb von Apotheken zu verkaufen, eine rechtlich und tatsächlich gleiche Berührung im Sinne der Keck-Formel an, obwohl Griechenland selbst keine Säuglingsmilch herstellte, und die Regelung somit allein ausländische Produkte traf lO1 • Dies hielt der EuGH - entgegen der Auffassung des Generalanwalts 102 - für einen "tatsächlichen, rein zufälligen" Umstand, der unerheblich bleibe, da ansonsten dieselbe Maßnahme in einem Mitgliedstaat Art. 28 EGV unterfiele, in anderen hingegen nicht 103. Der EuGH verneinte somit die "unterschiedliche tatsächliche Berührung" nicht mit dem - ja ebenfalls naheliegenden - Argument, es fehle an einer (nämlich der nationalen) Vergleichsgruppe, um eine Unterschiedlichkeit festzustellen, sondern er bediente sich einer Art typisierenden Betrachtung, die eher auf die in der Vorschrift angelegte Eignung, eine nationale Produktion zu schützen, abstellt. Dem EuGH kommt es m. a.W. darauf an, ob sich die Vorschrift in einer Verschiebung der Wettbewerbssituation (d. h. der Marktchancen) von Importwaren in Konkurrenz zu einheimischen Produkten auswirkt.

b) Doppelbelastung Wie die Rechtsprechung des EuGH zeigt, zielt die Formel der "tatsächlich gleichen Berührung" insbesondere auf Doppelbelastungsfälle ab, d. h. Situationen, in denen ein Hersteller ausländischer Waren neben den Vorschriften des Ursprungsmitgliedstaates auch auf die (ggf. abweichenden) Vorschriften des Einfuhrmitglied99 Schilling, EuR 1994,50, 60f.; vgl. auch Ahlfeld, S.44f. m. w. N.; mit eingehender Kritik Hödl, S.153ff. 100 So wohl schon Zuleeg, FS Everling, 1717, 1720; vgl. auch Hödl, S. 148 m. w. N. 101 EuGH, Rs. C-391j92, Kommission/Griechenland, Slg. 1995,1-1621, Rn. 16; vgl. auch oben §2 D.I1I.4. 102 GA Lenz sprach sich noch wegen der fehlenden Vergleichsmöglichkeit für eine spezifische Auswirkung für Importwaren aus und lehnt die Anwendung der Keck-Formel daher ab, a.a.O., Slg. 1995,1-1621,1-1629. 103 EuGH, a. a. 0., Rn. 17.

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staates stößt, die er zusätzlich zu beachten hat lO4 • In diesem Fall kann sich eine Vorschrift, die zwar für alle im Inland vertriebenen Produkte einheitlich bzw. unterschiedslos gilt, für inländische und eingeführte Erzeugnisse dennoch unterschiedlich auswirken, denn gerade diese Doppelbelastung führt typischerweise zu einem Wettbewerbsnachteil (Anpassungszwang, höhere Kosten) ausländischer gegenüber einheimischen Produkten und Produzenten, die nur den Anforderungen einer einzigen Rechtsordnung unterliegen. So verneinte der EuGH z. B. im Urteil Mars 105 hinsichtlich des Verbots, die Verpackung eines Schokoriegels mit einem bestimmten Werbeaufdruck zu versehen, die Anwendung der Keck-Ausnahme. Das streitige Verbot zwinge in dem Einfuhrmitgliedstaat zu einer abweichenden Gestaltung der Verpackung und führe damit zu Mehrkosten für Importwaren. Trotz unterschiedsloser Geltung für alle Erzeugnisse sei die Vorschrift daher "geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern" 106. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß die eigentliche Ursache für derartige Doppelbelastungen nicht in der betreffenden Vorschrift des Einfuhrmitgliedstaates, sondern in dem Zusammentreffen mit einer abweichenden Vorschrift des Ausfuhrmitgliedstaates liegt. Folglich sind beide Staaten zusammen Verursacher eines solchen Handelshemmnisses. Dieses beruht allein auf der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen. Insofern knüpft der EuGH hier an seine Cassis-Rechtsprechung an, die Handelshemmnisse aufgrund solcher Unterschiede im Rahmen des Art. 28 EGV einer Rechtfertigungsprüfung vorbehält. Umgekehrt gewendet, bedeutet daher die Einordnung der Doppelbelastungsfalle unter den Begriff der "tatsächlich ungleichen Berührung", daß für den im Rahmen dieses Begriffs durchzuführenden Vergleich auf das Gesamtergebnis bzw. die Gesamtsituation abzustellen ist, d. h. neben den unmittelbaren Wirkungen einer nationalen Vorschrift auch "Vorbelastungen" (die Ausgangslage im Herkunftsstaat) zu berücksichtigen sind 107. Nach eigener Aussage will der EuGH mit der Tatbestandsausnahme nach der Keck-Formel ausdrücklich die Fälle von Art. 28 EGV ausschließen, in denen mitgliedstaatliche Maßnahmen nicht geeignet sind, den Marktzugang für ausländische Erzeugnisse zu versperren oder stärker als für inländische Waren zu behindern 108. Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 446 u. 454. EuGH, Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, 1-1923ff. 106 EuGH, a. a. 0., Rn. 13. Aus dieser Formulierung ließe sich schließen, daß der EuGH in seiner Keck-Entscheidung nur eine Präzisierung der Dassonville-Formel sieht. 107 Im Ergebnis wäre dann jeder faktische (Wettbewerbs-)N achteil für Importwaren erfaßt; so z. B. Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30, Rn. 259 - hiergegen Dörr, RabelsZ 54 (1990), 677, 686f. unter Berufung auf EuGH, verb. Rs. 60 u. 61/84, Cineteque, Slg. 1985,2605, Rn.2lf. lOS EuGH, verb.Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993,1-6097, Rn. 17; vgl. auch die Parallelausführungen in EuGH, Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995,1-1141, Rn. 38; Generalanwalt van Gerven sieht daher in Art. 28 EGV ein Verbot von Regelungen mit 104 105

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Eine solche Eignung kommt den Maßnahmen aber gerade dann zu, wenn bei ihrer Anwendung etwaige "Vorbelastungen" der eingeführten Erzeugnisse nicht beachtet werden. Hier kann die Maßnahme wegen des durch sie geschaffenen Wettbewerbsnachteils für solche Erzeugnisse nicht aus dem Anwendungsbereich des Art. 28 EGV ausgeschlossen werden. Vom Ergebnis her erklärt diese Sichtweise auch die Abweichung des EuGH vom Generalanwalt im Fall des Apothekenzwangs für Säuglingsmilch 109. Diese Regelung betrifft nämlich allein den innerstaatlichen Vorgang des Verkaufs, für den in diesem Fall keine "Vorbelastungen" aus dem Herkunftsstaat bestehen können und aus dem sich daher auch keine Rückwirkung auf die Wettbewerbssituation der Ware ergibt. In den oben angesprochenen Vergleich der Gesamtsituation fließen somit nur solche "Vorbelastungen" eines Erzeugnisses aufgrund der Situation im Herkunftsstaat ein, die derart mit dem Erzeugnis gekoppelt sind, daß sie praktisch mit ihm "die Grenze überschreiten" und so mit in den Wirkungsbereich der Vorschriften des Einfuhrmitgliedstaates fallen. Nur dann können sie in Verbindung mit diesen Vorschriften zu einer Doppelbelastung für die Importwaren, d. h. zu einem Widerspruch zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, führen. Eine solche Vorbelastung ist freilich ohne weiteres bei Vorschriften des Herkunftsstaates denkbar, die das Produkt selbst betreffen (Bezeichnung, Form, Abmessungen, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, Etikettierung, Verpackung etc. 110), wohingegen dies bei Regelungen über die Art und Weise des Verkaufs (z. B. Ladenschlußgesetze) aufgrund ihrer Ortsgebundenheit grundsätzlich nicht der Fall ist. 111. Eine Doppelbelastung kann sich aber auch aus unvereinbaren Vermarktungsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten ergeben. So können sich z. B. bestimmte Werbeverbote auf ausländische Produkte ungleich schwerer auswirken, wenn diese auf ein gemeinschaftsweit einheitliches Marketingkonzept (sog. Euro-Marketing) hin angelegt sind 112. Für Wirtschaftsteilnehmer, die Produkte allein im nationalen Markt vertreiben, ist es tendenziell leichter, ein hierfür zulässiges Marketingkonzept zu implementieren, als für gemeinschaftsweit operierende Hersteller bzw. Händler, marktabschottender oder marktaufsplittemder Wirkung (Schlußanträge zu Keck und Mithouard, a. a. 0 .,1-6121 Tz. 8). 109 EuGH, Rs. C-391192, Kommission/Griechenland, Sig. 1995, 1-1621 ff. lID Diese Beispiele nennt der EuGH selbst in Rs.C-315/92, Clinique, Sig. 1994,1-317, Rn.13 . 111 Hieraus ergibt sich, daß sich Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei produktbezogenen Vorschriften stets auch "tatsächlich ungleich" auswirken, und so bereits aufgrund dieses Kriteriums aus der Keck-Rechtsprechung herausfallen. Dies wirft die - hier nicht weiter interessierende - Frage auf, worin dann überhaupt die Eingrenzungsfunktion des vorn EuGH gebrauchten Begriffs der "bestimmten Verkaufsmodalitäten" liegt. Diese wirken sich ja auch bei Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich aus. 112 V gl. hierzu nun EuGH, Rs. C-405/98, Konsumentombudsmannen/Gourmet International Products AB, EuZW 2001 , 251, Rn.21, 39.

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deren Produkte sich durch die notwendige Anpassung an jeweilige Vertriebsvorschriften verteuern und u. U. ihre Wettbewerbsrahigkeit verlieren 113. Als Beispiele hierfür aus dem "Post-Keck-Zeitalter" sind zum einen das - oben erwähnte - Urteil Mars anzuführen, zum anderen die Entscheidung in der Rechtssache Clinique. Hier hatte der EuGH das Verbot, ein Produkt unter einer bestimmten Bezeichnung zu vertreiben, wegen des damit verbundenen Erfordernisses der Werbeumstellung als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 30 EGV angesehen 114 •

c) Sonstige Beeinträchtigung des Marktzugangs Mit den Doppelbelastungsfällen ist aber der Begriffsinhalt der "tatsächlich ungleichen Berührung" noch nicht erschöpft. Bedenkt man den Zweck, den der EuGH mit diesem Kriterium verfolgt, so sind sämtliche Fälle einer Behinderung des Marktzugangs im Rahmen des Art. 28 EGV zu erfassen. So formulierte der EuGH schon in einer recht frühen Entscheidung, daß eine unterschiedslos geltende Höchstpreisregelung grundsätzlich noch keine "Maßnahme gleicher Wirkung" im Sinne von Art. 28 EGV darstelle, eine solche Wirkung aber dann entfalten könne, wenn der Höchstpreis derart festgesetzt wird, daß der Absatz von Einfuhrerzeugnissen unmöglich gemacht oder gegenüber einheimischen Produkten erschwert wird l15 • Ähnlich entschied der EuGH später auch hinsichtlich staatlicher Preisregelungssysteme 116. Eine solche Behinderung kann sich aber auch ergeben, wenn ein bestimmtes Werbeverbot Anbietern jede effektive Möglichkeit nimmt, ein ausländisches Produkt auf dem Markt zu plazieren ll7 • Andeutungen hierfür lassen sich dem Urteil im Fall De Agostinil1 8 entnehmen. Hier hatte der EuGH eine schwedische Wettbewerbsregelung zu untersuchen, die jegliche Form der Fernsehwerbung verbot, die auf Kinder unter 12 Jahren abzielt. Hiergegen hatte ein britischer Fernsehsender und eine italienische Verlagsgruppe geklagt, die bestimmte Sammler-Zeitschriften bewarben und in Schweden vertreiben wollten. Wenngleich der EuGH die Feststellung, ob eine "rechtlich wie tatsächlich gleiche Berührung" vorliegt, letztlich (im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens) dem nationalen Gericht überließ, schien er doch einer Ablehnung der Keck-Ausnahme zuzuneigen. Es lasse sich "nicht ausschließen, daß das vollständige Verbot einer Form der Förderung des Absatzes eines Erzeugnisses in einem Mitgliedstaat, das dort regelmäßig verkauft wird, stärkere Auswir113 In der Literatur wird daher in diesen Konstellationen die Keck-Ausnahme unter anderem auch mit dem - allerdings sehr ungenauen - Argument der faktischen Diskriminierung abgelehnt; vgl. hierzu Müller-Graf!, in: GTE, Art. 30, Rn. 259. 114 EuGH, RS.C-315/92, Clinique, Slg. 1994,1-317, Rn. 24. 115 EuGH, Rs. 65n5, Tasca, Slg. 1976,291, Rn. 26/28. 116 EuGH, Rs. 231/83, CulletlLeclerc, Slg. 1985, 305, Rn. 23. ll7 Ebenso Leible, EuZW 2001, 253, 254 m.w.N. 118 EuGH, verb. Rs. C-34 bis C-36/95, De Agostini und TV-Shop, Slg. 1997, 1-3843 ff.; bestätigt und präzisiert durch Rs. C-405/98, KonsumentombudsmannenlGourmet International Products AB, EuZW 2001, 251 ff.

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kungen auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten [habe]". So sei die Femsehwerbung für die Kläger hier die einzige wirksame Möglichkeit, in den schwedischen Markt einzudringen l19 • Diese Argumentation zeigt sehr deutlich, daß der EuGH in dem Keck-Kriterium der "rechtlich wie tatsächlich gleichen Berührung" lediglich eine andere Formulierung für die Gewährleistung des Marktzugangs sieht. 120 Der Fall De Agostini erreicht dabei noch nicht die Qualität einer Situation der Doppelbelastung, da hier gerade keine "Vorbelastung" aufgrund abweichender Anforderungen aus dem Herkunftsstaat bestand. Vielmehr betraf das Werbeverbot grundsätzlich eine spezifisch inländische Situation, für die es eine derartige Vorbelastung aufgrund der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen nicht geben kann. Eine solche könnte man allenfalls in der Situation der unterschiedlichen Werbemöglichkeiten für in- und ausländische Produkte sehen. Schon ohne das Werbeverbot bestand für Waren aus anderen Mitgliedstaaten nämlich offenbar ein Wettbewerbsnachteil darin, daß ihnen eine kleinere Palette an Werbemöglichkeiten offenstand als inländischen Produkten. Das Werbeverbot "verschärft" diesen - aus der Natur des Marktes vorgegebenen - Nachteil zu einem Marktausschluß. Dennoch ist hier dieser Marktausschluß und nicht eine gegebene Vorbelastung entscheidendes Moment. Eine weitere relevante Dimension ist, ob die betreffende Regelung Schutzwirkungen für heimische Erzeugnisse entfaltet 121.

d) Schlußfolgerung für das Diskriminierungsverständnis Die Betrachtung zeigt insgesamt, daß der EuGH mit dem Merkmal der "tatsächlich gleichen Berührung" nicht primär diskriminierende Behandlungen im Auge hat, d. h. Regelungen, die für die Vergleichs gruppen bereits unterschiedliche Rechtsfolgen anordnen. Vielmehr geht es dem Gerichtshof hier um die Vermeidung EuGH, a.a.O., 1-3891, Rn.42f. Daneben finden sich im Urteil De Agostini auch Ausführungen zur Beweislast hinsichtlich einer "rechtlich wie tatsächlich gleichen Berührung", die allerdings insgesamt äußerst widersprüchlich sind. So baut der EuGH seine Ausführungen zunächst auf der Feststellung auf, unterschiedliche Auswirkungen für in- und ausländische Produkte ließen sich nicht ausschließen (a. a. 0., Rn.42). Dies scheint für eine grundsätzliche Vermutung gegen ein Eingreifen der Keck-Ausnahme zu sprechen. Später führt er jedoch aus, das geprüfte nationale Verbot falle "nicht unter Art. 30 EGV [a. F.l, sofern nicht nachgewiesen wird, daß dieses Verbot den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich nicht in gleicher Weise berührt." (a. a. 0., Rn.44, Hervorhebung durch den Verfasser) Hier scheint der EuGH nun davon auszugehen, eine ungleiche Berührung müsse im Einzelfall nachgewiesen werden, so daß offenbar eine Vermutungfür ein Eingreifen den Keck-Formel besteht. Ein klare Linie läßt sich hier jedenfalls nicht erkennen. Zumindest stellt der EuGH fest, daß diese Tatsachenfrage - im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens - vom nationalen Gericht zu klären ist (a. a. 0., Rn. 43). 121 Vgl. EuGH, Rs. 16/83, Prantl, Slg. 1984, 1299, Rn. 22; vor diesem Hintergrund zweifelhaft EuGH, Rs. C-254/98, TK-Heimdienst, Slg. 2000, 1-151 ff. (siehe unten Fn. 145). 119

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13 Plötscher

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von Verzerrungen in der Wettbewerbssituation und damit eher um das Ziel der Marktgleichheit und Neutralität. Bezeichnend ist vor allem, daß der EuGH selbst die Forderung der "rechtlich sowie tatsächlich gleichen Berührung" an keiner Stelle mit dem Terminus "Diskriminierung" in Zusammenhang bringt. Er verfolgt hier vielmehr zwei unterschiedliche begriffliche Gleichheitskonzepte. Wie dargelegt, zielt die Keck-Formel nämlich hauptsächlich auf die Erfassung von Doppelbelastungsfallen. Die Ursache für derartige Handelshemmnisse liegt in der mangelnden Harmonisierung im Binnenmarkt, d. h. in der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen 122. Nun schließt der EuGH interessanterweise in ständiger Rechtsprechung (u. a. sogar im Keck-Urteil selbst l23 ) bei Ungleichheiten, die allein auf dieser Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen beruhen, das Vorliegen einer Diskriminierung kategorisch aus 124. Eine Diskriminierung kann nach dem Begriffsverständnis des EuGH somit immer nur innerhalb einer Rechtsordnung erfolgen. Auf den Punkt gebracht, stellt sich dann aber vor allem die Folgefrage, ob das Kriterium der ,,rechtlichen wie tatsächlich gleichen Berührung" mit dem Diskriminierungsbegriff überhaupt übereinstimmt. Wie sich hingegen aus den Überlegungen zu den Doppelbelastungsfallen ergibt, geht das Merkmal "rechtlich wie tatsächlich gleich berühren" dem Umfang nach weit über das herkömmliche Verständnis von Diskriminierung hinaus, zumal es insbesondere auf die Situation beider Vergleichsgruppen (in- und ausländische Waren) abzielt. Es stellt sich daher die Frage, ob der EuGH hier von einem erweiterten Diskriminierungsbegriff (sozusagen einer "faktischen Diskriminierung") ausgeht, oder das Keck-Merkmal losgelöst vom Diskriminierungsbegriff verwendet. Vieles spricht für die zweite Alternative, d. h. daß der EuGH das Merkmal "tatsächlich wie rechtlich gleich berühren" gerade nicht mit der Diskriminierung gleichsetzen wollte. Immerhin erwähnt er weder diesen Begriff noch verwendet er die sonst im Diskriminierungsbereich übliche Wortwahl. Nach der obigen Auslegung umfaßt insbesondere die "tatsächliche Berührung" auch Auswirkungen einer Regelung aufgrund von Doppelbelastungen, d. h. letztlich aufgrund von Unterschieden zwischen den nationalen Rechtsordnungen. Diesen Fall schloß der EuGH aber bislang in ständiger Rechtsprechung aus dem Anwendungsbereich des Begriffs der Diskriminierung aus. Auch im Keck-Urteil selbst findet sich die Aussage, "der Umstand, daß Unternehmen mit Verkaufstätigkeit in unterschiedlichen Mitgliedstaaten unterschiedlichen Rechtsvorschriften unterliegen, So Hödl, S. 156. EuGH, verb.Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993,1-6097, Rn. 8. 124 Vgl. etwa EuGH Rs. 308/86, Ministere PubliclR . Lambert, Slg. 1988,4369, Rn. 21 f.; verb.Rs.185 bis 208/78, VanDam, Slg. 1979,2345, Rn. 10; Rs.155/80, Oebel, Slg. 1981, 1993, Rn.9 f.; Rs. 126/82, SmitlCommissie Grensoverschrijdend Beroepsgoederenvervoer, Slg. 1983, 73, Rn. 27 - a. A. Bernard, ICLQ 45 (1996), 82, 92 f., der in diesen Fällen von "indirect discrimination" bei Zugrundelegung eines wirkungsbasienen Konzeptes spricht; ebenso Hilson, ELRev 24 (1999), 445, 454. 122

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nach denen der Weiterverkauf zum Verlustpreis teils verboten, teils zulässig ist, [schaffe] keine Diskriminierung im Sinne von Artikel? EWG-Vertrag ... ". Auch wenn sich diese Aussage unmittelbar nur auf Diskriminierungen nach der Staatsangehörigkeit bezieht, so zeigt sie doch, das der EuGH - immanent - voraussetzt, daß eine Diskriminierung stets nur innerhalb einer Rechtsordnung stattfinden kann. Als zweites Argument gegen eine Gleichsetzung von "Diskriminierung" und "rechtlich wie tatsächlich gleicher Berührung" läßt sich anführen, daß der EuGH auch im Urteil Keck ausdrücklich an den Cassis-Grundsätzen festhält. Behinderungen des freien Warenverkehrs, die sich aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen ergeben, können bei unterschiedsloser Anwendbarkeit im Allgemeininteresse gerechtfertigt sein. Schon aus Gründen der Logik folgt daraus, daß der Begriff der "Unterschiedlichkeit" enger sein muß als die "rechtlich oder tatsächlich ungleiche Berührung" 125. Da das Kriterium hier Voraussetzung der Bereichsausnahme ist, heißt dies umgekehrt gewendet für den Tatbestand des Art. 28 EGV, daß er auch im Bereich der "Verkaufsmodalitäten" (z. B. Marketingkonzept) derartige Hemmnisse durch Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen erfassen will. Damit geht aber nicht zwingend einher, den Tatbestand des Art. 28 EGV als weites (!) Diskriminierungsverbot zu verstehen, sondern hier ist der Beschränkungsaspekt gemeint. Preis einer solchen Sichtweise wäre die Uneinheitlichkeit der "Gleichheitselemente", da nun die "rechtlich wie tatsächlich gleiche Berührung" über das herkömmliche Diskriminierungsverständnis hinausgeht. In der Konsequenz wäre dem Keck-Urteil dann konkludent eine Anknüpfung an den grenzüberschreitenden Aspekt eines Sachverhaltes inhärent. Mit dem Merkmal "rechtlich wie tatsächlich gleich berühren" will der EuGH demnach Art. 28 EGV nicht in ein - äußerst weit verstandenes - Diskriminierungsverbot verwandeln, sondern die Fälle beschreiben, die spezifisch eine Behinderung des grenzüberschreitenden Warenhandels beinhalten. Mit der Keck-Rechtsprechung ist daher keine Einschränkung des Art. 28 EGV zu einem Diskriminierungsverbot verbunden. Nichtdiskriminierung ist eine Prämisse für die Anwendbarkeit von Ausnahmen, aber keine Rechtfertigung für Eingriffe 126. 3. Cassis-Rechtsprechung

Bereits angedeutet wurde die Frage, ob der EuGH auch das im Rahmen der Cassis-Rechtsprechung gebräuchliche Merkmal der "unterschiedlichen Anwendbarkeit" entsprechend ausdehnt, und -losgelöst von der formalen Ausgestaltung einer Regelung - im Sinne eines reinen Wirkungsvergleichs auffaßt. Zur KlarsteIlung: 125 Glöckner, EuR 2000, 592, 597 f. - a. A. aber offenbar Schütz, Jura 1998, 631, 639 f.; KingreenlStörmer, EuR 1998,263,268; SchweitzerlHummer, Rn. 1123. 126 Matthies, FS Everling, S. 803,816.

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Hier geht es nun nicht um die Frage der Tatbestandseröffnung des Art. 28 EGV, sondern um den Anwendungsbereich der "immanenten Schranken" nach Cassis. Dem Wortlaut nach scheint das Kriterium der unterschiedslosen "Anwendbarkeit" eher auf ein formelles Verständnis hinzudeuten. Die Anwendung einer Norm betrifft die Frage, wie auf einen bestehenden, gegebenen Sachverhalt mit rechtlichen Mitteln eingewirkt wird. Die Frage, welches Resultat, d. h. welche Auswirkungen dies in Zusammentreffen mit einer gegebenen Situation hat, spielt dabei an sich keine Rolle. Andererseits wäre auch eine extensivere Deutung denkbar, die einen materiell verstandenen Begriff der Anwendbarkeit dem - insoweit engeren und formaleren - Terminus der unterschiedslosen "Geltung" gegenüberstellt. Doch spricht hiergegen wiederum die Historie der Cassis-Rechtsprechung, die - jedenfalls ursprünglich - dazu diente, die Warenverkehrsfreiheit gerade auf solche Fälle auszudehnen, in denen sich eine Behinderung des Handelsverkehrs allein aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen ergibt 127. a) Relevanz eines Wirkungsvergleichs? In diese Richtung deutet zumindest eine Entscheidung zum Irreführungsverbot des deutschen Wettbewerbsrechts (§ 3 UWG), soweit dieses zuließ, einem Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat die Benutzung eines dort rechtmäßig verwendeten Firmensignets zu untersagen, weil das Signet von einer einheimischen, inzwischen aber aufgelösten, Unternehmensgruppe verwendet wurde. Der EuGH verneinte hier eine Anwendbarkeit der Cassis-Grundsätze, die auf nationale Rechtsvorschriften nur anwendbar seien, wenn diese "unter dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten als unterschiedslos auf einheimische wie eingeführte Erzeugnisse anwendbar angesehen werden können." 128 Doch läßt sich diese Formulierung noch als Präzisierung dessen verstehen, worin die formale Benachteiligung liegen muß. Etwas deutlicher sind aber einige Entscheidungen zu Preisbindungsvorschriften. Hier hatte sich der EuGH unter anderem mit einer französischen Regelung zur Buchpreisbindung auseinanderzusetzen, die zwar nicht zwischen einheimischen und importierten Büchern differenzierte l29 , aber sog. Reimporte (d.h. in Frankreich verlegte Bücher, die nach Export und Verkauf im Ausland wieder eingeführt werden) erfaBte, für die dann eine Bindung an den vom französischen Verleger bestimmten Preis vorgeschrieben war. Trotz formal unterschiedsloser Ausgestaltung sah der EuGH hierin eine "Erschwerung des Absatzes reimportierter Bücher", da 127 So die std. Rspr. seit EuGH, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AGIBundesrnonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, Rn. 8. 128 EuGH, Rs. 177/83, KohllRingelhan & Rennett, Slg. 1984,3651, Rn. 14 - Hervorhebung durch den Verfasser. 129 EuGH, Rs. 229/83, Leclere/Au bte vert, Slg. 1985, 17, Rn. 26.

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der im Ausland erzielte Preisvorteil nicht weitergegeben werden könne. In der Folge verweigerte er dann eine Rechtfertigung nach den Cassis-Gründen 130 und ging demzufolge von einer "unterschiedlichen" Regelung aus. Dies läßt sich wohl nur mit einem an der Wirkungsbetrachtung orientierten Diskriminierungsbegriff erklären 131. In einem weiteren Fall sahen französische Vorschriften Mindestpreise für Erdölerzeugnisse vor, ohne nach der Warenherkunft zu unterscheiden. Hier prüfte der EuGH über diese formal unterschiedslose Geltung hinaus plötzlich auch, ob die Vorschriften nicht eine diskriminierende Wirkung dadurch entfalten, daß die Preise so festgesetzt werden, daß importierte gegenüber den einheimischen Erzeugnissen faktisch benachteiligt werden, indem der Absatz weniger gewinnbringend wird oder etwaige Wettbewerbsvorteile neutralisiert werden, da derartige Preis- und somit Wettbewerbsvorteile dann nicht an die Endverbraucher weitergeben werden könnten 132. Auch hier verweigerte der EuGH im Ergebnis dann einen Rückgriff auf die "zwingenden Erfordernisse" der Cassis-Formel. Doch sind diese Entscheidungen bislang weitgehend Einzeif