»Democracy versus Dictatorship«: Die Herausforderung des Faschismus und Kommunismus in Großbritannien 1932-1937 3506775170

Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 2000

124 36 101MB

German Pages 335 Year 2001

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

»Democracy versus Dictatorship«: Die Herausforderung des Faschismus und Kommunismus in Großbritannien 1932-1937
 3506775170

Citation preview

Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart Begründet von Kurt Kluxen

Christina Bussfeld

»Democracy versus Dictatorship«: Die Herausforderung des Faschismus und Kommunismus in Großbritannien 1932-1937

Ferdinand Schöningh Paderborn • München • Wien • Zürich

Die Autorin: Christina Bussfcld, Dr. phil., geb. 1970, promovierte auf der Grundlage dieser Arbeit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (2000). Sie ist derzeit Referatsleiterin im Bereich Unternehmenskommunikation eines deutschen Großunternehmens. Titelbild:

Sir Oswald Mosley bei einem Vorbeimarsch der faschistischen englischen Frauenorganisation im Hydepark, London, 9.9.1935 (Photo: Süddeutscher Verlag, München)

%* ^b| Die Deutsche Bibliothek - CIP-F.inheitsaufnahme Bussfeld, Christina: »Democracy versus Dictatorship«: die Herausforderung des Faschismus und Kommunismus in Großbritannien 1932-1937 / Christina Bussfeld. - Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, 2001 (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-506-77517-0

Umschlaggestaltung: INNOVA GmbH, D-33178 Borchen Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier© ISO 9706

© 2001 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Gcrmany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN 3-506-77517-0

f Bayerisch« | I Staatsbibliothek I L Mannen I

INHALTSVERZEICHNIS

Vorbemerkung

9

Albkürzungsverzeichnis

11

Einleitung

13

TEIL 1: H I N T E R G R Ü N D E I.

Die 1. 2. 3.

politische Linke in England Die Tradition der politischen Linken in England Die Communist Party of Great Britain (CPGB) Die Labour Party in den dreißiger Jahren

34 34 43 53

II.

Die 1. 2. 3.

politische Rechte in England Die Tradition der politischen Rechten in England Die British Union of Fascists (BUF) Die Conservative Party in den dreißiger Jahren

61 61 70 80

TEIL 2: DIE R E A K T I O N E N AUF D E N KOMMUNISMUS E. Die Labour Party und der Kommunismus 1. »Offizielle« Reaktionen: Die Ablehnung des Kommunismus durch die Führungsgremien der Labour Party 1.1 Die Befürchtungen der Labour Party 1.2 Die Darstellung des Kommunismus in den Parteiveröffentlichungen 2. Die Unterstützung der Communist Party aus den Reihen der Labour Party 2.1 Die Sympathien der Parteilinken für die Communist Party 2.2 Die Kampagne für eine Populär Front durch den Left Book Club 3. »Inoffizielle« Reaktionen der Labour Party auf den Kommunismus 3.1 Hugh Daltons Auseinandersetzung mit der sowjetischen Planidee 3.2 Der politische Faktor »Jugend« und die Labour Party

90 90 91 99 108 108 124 132 133 137

6

Inhaltsverzeichnis

IL Die Conservative Party und der Kommunismus 1. Die Gleichsetzung von Communist Party und Labour Party als konservative Strategie 2. Der »unenglische« Charakter von Kommunismus und Labour-Sozialismus

142 144 153

TEIL 3: DIE R E A K T I O N E N AUF D E N FASCHISMUS I. Die Labour Party und der Faschismus 1. Die Motivation für die politische Offensive gegen die BUF und ihre Diskussion innerhalb der Labour Party 2. Die Darstellung des Faschismus in den Parteiveröffentlichungen 3. Die Forderung nach aktiven Maßnahmen zur Bekämpfung des englischen Faschismus

167

IL Die Conservative Party und der Faschismus 1. »Offizielle« Reaktionen: Die Ablehnung des Faschismus durch die Conservative Party 1.1 Die Befürchtungen der Conservative Party 1.2 Die Darstellung des Faschismus in den Parteiveröffentlichungen 2. »Fellow Travellers of the Right«. Die Unterstützung der BUF aus den Reihen der Conservative Party 2.1 Die Unzufriedenheit mit dem demokratischen System 2.2 »Hurrah for the Blackshirts«. Die Unterstützung der BUF 2.3 Wendepunkt Olympia 2.4 Das Scheitern der BUF als politische Alternative in der Anhängerschaft der Conservative Party 3. Die »inoffizielle« Reaktion der Conservative Party auf den englischen Faschismus

194

168 180 187

194 195 203 209 211 224 231 234 239

TEIL 4: DIE ABWEHR DES EXTREMISMUS I. Die Rolle Stanley Baldwins 1. »Englishness«. Baldwins Antwort auf die extremistischen Herausforderungen 2. Ein Vergleich mit Walter Citrine IL Die Bildung parteiübergreifender Organisationen als Reaktion auf die extremistischen Herausforderungen 1. Die Association for Education in Citizenship 2. Die Freedom and Peace Union

246 249 272 276 277 284

Inhaltsverzeichnis

7

III. Reaktionen des Staates 1. Die »wehrhafte Demokratie«: Der Public Order Act von 1936 2. Exkurs: Das Verbot der BUF 1940

289

Schlußbetrachtung

301

Bibliographie

316

Anhang

330

Sachregister

333

Personenregister

335

289 299

VORBEMERKUNG

Die vorliegende Studie entstand als Dissertation am Historischen Seminar der Universität Bonn und wurde 2000 von der Philosophischen Fakultät angenommen. Während der Arbeit an diesem Projekt habe ich sehr viel Unterstützung erhalten, für die ich herzlich danken möchte. Mit der Frage, warum Großbritannien in den dreißiger Jahren als eines der wenigen europäischen Länder demokratisch blieb, beschäftige ich mich bereits seit 1993, als ich in Lady Margaret Hall an der Universität Oxford studierte. Hier ist es vor allem Dr. David Jarvis, dem ich viel verdanke. Er stand mir stets mit Rat und Hilfe zur Seite und förderte mein Interesse an der englischen Geschichte der Zwischenkriegszeit durch kritische Fragen und zahllose Hinweise. Zudem gilt mein Dank Dr. Philip Williamson und Dr. Andrew Thorpe, die sich Zeit nahmen für meine Fragen und mir wertvolle Anregungen gaben. Eine große Arbeitserleichterung war die hilfsbereite und freundliche Unterstützung durch die Mitarbeiter des Modern Reading Room der Bodleian Library in Oxford. Mein besonderer Dank in Deutschland gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Hildebrand. Er hat mich als stets aufmerksamer Zuhörer und wohlmeinender Kritiker auf meinem Weg begleitet und mir zugleich jene Freiheit eingeräumt, die Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens ist. Ein Promotionsstipendium des Evangelischen Studienwerkes Villigst hat es mir ermöglicht, mich ohne Unterbrechung der wissenschaftlichen Arbeit an diesem Thema zu widmen. Über die materielle Förderung hinaus war es jedoch vor allem der intellektuelle Austausch mit anderen Stipendiaten, den ich bereits während des Studiums sehr geschätzt habe und für den ich sehr dankbar bin. Dr. Anne Sliwka, Dr. Dietmar Osthus und vor allem Dr. Christoph Franzen haben den Text einer kritischen Lektüre unterzogen. Für ihre konstruktive Kritik und Anregungen sei ihnen an dieser Stelle ebenfalls herzlich gedankt. München, im Januar 2001

Christina Bussfeld

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

BSP BUF

British Socialist Party British Union of Fascists

CPGB

Communist Party of Great Britain

CRD

Conservative Research Department

HZ

Historische Zeitschrift

ILF ILP LRC LSE

Imperial Fascist League Independent Labour Party Labour Representation Committee London School of Economics

NCL NCU NEC NUEC NUWM

National National National National National

SDF SDP

Social Democratic Federation Social Democratic Party

TUC

Trades Union Congress

UEP

United Empire Party

Council of Labour Citizens' Union Executive Committee Union Executive Committee Unemployed Workers' Movement

EINLEITUNG

Die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts waren geprägt durch den Siegeszug der totalitären Regime in Europa. In Italien regierte Mussolini als faschistischer Diktator, in Deutschland übernahm Hitler die Macht, und in der Sowjetunion konsolidierte Stalin ein diktatorisches Herrschaftssystem. Doch nicht nur diese drei bekanntesten Länder des europäischen Totalitarismus erteilten der Demokratie eine Absage: im Laufe der Dekade ging in Mittel-, Ostund Südosteuropa ein Land nach dem anderen zu diktatorischen Regierungsformen über. Bereits vor dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 regierten in Litauen, Polen, Spanien, Portugal, Ungarn und Jugoslawien autoritäre Regime der konservativen Rechten. Im Verlauf der dreißiger Jahre forcierten die Auswirkungen der ökonomischen Krise den Aufbau diktatorischer Herrschaftsstrukturen in Estland, Lettland, Rumänien, Bulgarien, Albanien und Griechenland. Die Demokratie erschien vielen Zeitgenossen nicht länger fähig, die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme der Zeit zu lösen. Die Diktatur hingegen übte eine Anziehungskraft aus, der sich nur wenige europäische Länder entziehen konnten, so daß in den späten dreißiger Jahren neben den Beneluxländern und Skandinavien nur noch in Frankreich, der Schweiz, der Tschechoslowakei, Irland und Großbritannien Staatsformen existierten, die als parlamentarische Demokratien bezeichnet werden können. Doch selbst in diesen Ländern verstärkten sich extremistische Tendenzen, die das Funktionieren des demokratischen Willensbildungsprozesses erheblich einschränkten. In Frankreich kam es im Februar 1934 zu Unruhen und Ausschreitungen der antiparlamentarischen Rechten, worauf die Regierung Daladier zurücktrat. Diese Ereignisse riefen wiederum eine Abwehrreaktion der Linken hervor. 1936 bildete der Sozialist Leon Blum eine sogenannte Volksfrontregierung aus Sozialisten und Radikalen, die nur mit Unterstützung der Kommunistischen Partei mehrheitsfähig war und einen erheblichen Machtzuwachs der äußersten Linken nach sich zog. In Belgien, Finnland und Schweden schließlich existierten rechtsextreme Gruppierungen, die sich am faschistischen und nationalsozialistischen Vorbild orientierten. Sie stellten insbesondere Mitte der dreißiger Jahre eine nicht zu vernachlässigende Bedrohung der Demokratie in ihren Ländern dar. Großbritannien hingegen wahrte in dieser unruhigen Zeit seine politische Stabilität: die parlamentarische Demokratie behauptete sich während der gesamten Dekade. Während auf dem europäischen Kontinent die Diktaturen erstarkten, schien Großbritannien immun gegen die »Zeitkrankheit des Extremismus«. Diese Beständigkeit des englischen Parlamentarismus angesichts der Herausforderung durch die Diktatur sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch auf der britischen »Insel der Demokratie« extremistische Parteien der

14

Einleitung

politischen Rechten und Linken gab. Doch konnten weder die British Union of Fascists (BUF) noch die Communist Party of Great Britain (CPGB) den politischen Alltag der dreißiger Jahre nachhaltig beeinflussen. Lediglich einem kommunistischen Abgeordneten gelang der Einzug ins britische Parlament; die BUF konnte keinen einzigen ihrer Kandidaten nach Westminster entsenden. Die demokratischen Parteien erwiesen sich im Kampf um die Stimmen der Wähler als Sieger und ließen die Konkurrenten vom äußersten rechten und linken Rand des politischen Spektrums in der Wählergunst weit hinter sich. Beschäftigt man sich mit der Haltung der großen demokratischen Parteien in England gegenüber der extremistischen Herausforderung durch BUF und CPGB in den dreißiger Jahren, bewegt man sich auf schwierigem begrifflichen Terrain. Begriffe wie Extremismus, Faschismus, Kommunismus und Totalitarismus - die großen »-ismen« des zwanzigsten Jahrhunderts - bedürfen der deflatorischen Klärung, um eventuelle Mißverständnisse oder Ungenauigkeiten von vornherein ausschließen zu können. Geht es darum, politische Gruppen zu charakterisieren, die die Methoden des Parlamentarismus in der politischen Auseinandersetzung grundsätzlich ablehnen, wird der Begriff des Extremismus verwendet. Mit den extremistischen Herausforderungen der dreißiger Jahre in England sind Gruppierungen gemeint, die einen radikalen Wandel der politischen, sozialen und ökonomischen Strukturen des Landes anstrebten und die auch bereit waren, mit gewalttätigen und undemokratischen Methoden an die Macht zu kommen, um anschließend jegliche Opposition ebenfalls mit Gewalt zu unterdrücken. Sowohl die CPGB als auch die BUF fallen hinsichtlich ihrer Zielsetzung unter diesen so definierten Extremismusbegriff. Diese beiden Parteien sind es auch, die im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung stehen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Reaktionen gegenüber dem englischen Faschismus und Kommunismus. Die Kennzeichnung der British Union of Fascists als Partei des englischen Faschismus ist jedoch keinesfalls ein Hinweis auf den Gebrauch eines generischen Faschismusbegriffs. Im folgenden wird kein allgemeiner Faschismusbegriff verwendet, sondern die Verschiedenheit des italienischen Faschismus vom deutschen Nationalsozialismus durch die Bezeichnung des letzteren als Nationalsozialismus verdeutlicht. 1 Da die BUF sich selbst jedoch als faschistische Partei bezeichnete und so auch im Sprachgebrauch der Zeitgenossen auftauchte, wird sie im folgenden als englischer Faschismus und ihre Mitglieder als englische Faschisten definiert. Unterstützt wird diese Charakteristik dadurch, daß sich die BUF im wesentlichen am italienischen Vorbild orientierte und sowohl hinsichtlich ihrer inhaltlichen Ausrichtung als auch ihres äußeren Auftretens vorrangig dem italienischen Faschismus nahestand. Zur Einordnung dieses so definierten Faschismusbegritfs vgl. auch Nolte, E., Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action francaise. Der italienische Faschismus. Der Nationalsozialismus, München 1979'; De Feiice, R., Die Deutungen des Faschismus, Göttingen 1980 und als Zusammenfassung Lill, R., Italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus. In: Dcrs., Oberreuter, H. (Hrsg.), Machtverfall und Machtergreifung. Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus. München 1983, S. 169-188.

Einleitung

15

Die Communist Party of Great Britain bezeichnete sich als eine kommunistische Partei und war Mitglied der Kommunistischen Internationalen. Sie ist gemeint, wenn im folgenden vom englischen Kommunismus die Rede ist. Auch der Totalitarismusbegriff wurde bereits in den dreißiger Jahren in der Auseinandersetzung mit den extremistischen Parteien verwendet. 2 Sowohl die Konservativen als auch die Labour Party nutzten ihn, um das spezifisch Neuartige des europäischen Diktaturphänomens zu benennen, das in einem starken Kontrast zur englischen Demokratie liberaler Prägung stand. Die demokratischen Parteien verglichen die europäischen Diktaturen und wandten den Totalitarismusbegriff an, um die Ähnlichkeit bestimmter Aspekte, wie die Absage an rechtsstaatliche Ordnungen, die Militarisierung des politischen Lebens oder die Forderung nach bedingungsloser Gefolgschaft eines Führers und seiner Partei zu betonen. Ursprünglich nutzte die Opposition gegen Mussolini Anfang der zwanziger Jahre den Totalitarismusbegriff zur Kennzeichnung des politischen Monopolanspruches des italienischen Faschismus. Später prägten Mussolini und seine Anhänger ihn zu einer positiv aufgefaßten Qualität des eigenen Selbstverständnisses um. 3 Erst die kritischen Beiträge italienischer und deutscher Emigranten ließen die Bezeichnung zunehmend negativ erscheinen und führten dazu, daß sie ausgeweitet wurde, um auf die Ähnlichkeit der modernen Diktaturen aufmerksam zu machen. 4 Entscheidende Bedeutung für den zunehmend pejorativen Charakter des Totalitarismusbegriffs nicht nur in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern auch in seiner öffentlichen Wahrnehmung, hatte vor allem die ab Mitte der dreißiger Jahre deutlich werdende existentielle Bedrohung der westlichen, liberaldemokratischcn Länder durch die totalitären Regime. Der Hitler-StalinPakt im August 1939 verhalf der Bezeichnung schließlich zum endgültigen Durchbruch, was auch durch eine der ersten wissenschaftlichen Konferenzen über den »totalitären Staat« unterstrichen wird, die im November desselben Jahres von amerikanischen Politikwissenschaftlern in Philadelphia abgehalten wurde. 5 2

3

4 5

Da eine ausführliche Darstellung der wissenschaftlichen Debatte um den Totalitarismusbegriff den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen würde, sei an dieser Stelle auf den aktuellen Forschungsstand verwiesen: Vgl. Jesse, E. (Hrsg.), Totahtarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Bonn 1996; Maier, H. (Hrsg.), Totalitarismus und »politische Religionen«. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn 1996; Söllner, A., Walkenhaus, R., Wieland, K. (Hrsg.), Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 1997. Vgl. dazu Petersen, J., Die Entstehung des Totalitarismusbegriffs in Italien. In: Funke, M. (Hrsg.), Totalitarismus. Ein Studienreader zur Herrschaftsanalyse moderner Diktaturen, Düsseldorf 1978, S. 105-128 und ders., Die Geschichte des Totalitarismusbegriffs in Italien. In: Maier, H. (Hrsg.)., Totalitarismus und »politische Religionen«. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn 1996, S. 15-36. Vgl. Jänicke, M., Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffs, Berlin 1971, S. 61 ff.. Vgl. Symposium on the Totalitarian State. From the Standpoints of History, Political Science, Economic^ and Sociologv (Nov. 17th, 1939). Proceedings of the American Philosophical Society, Bd. 82, Philadelphia 1940. 1935 hatte bereits eine Konferenz zum Diktaturphänomen in Minneapolis stattgefunden. Hier spielte das Totalitarismuskonzcpt jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Vgl. Ford, G. S., (Hrsg.), Dictatorship in the Modern World, Minneapolis 1935, 2. erw. Auflage London 1939.

16

Einleitung

Die Forschung zum Diktaturvergleich beschäftigte sich bisher insbesondere mit der wissenschaftlichen Theoriebildung des Totalitarismuskonzepts in akademischen Zirkeln und weniger mit der Wirkung und Wahrnehmung dieses Begriffs in der publizistischen und politischen Öffentlichkeit zeitgenössischer Demokratien. 6 Eben in dieser Hinsicht kommt der Totalitarismusbegriff in der vorliegenden Studie zum Tragen. Wenn von englischen Politikern der dreißiger Jahre der Begriff des Totalitären angewandt wurde, so geschah dies zumeist nicht in einem akademisch-wissenschaftlichen Kontext, sondern in Äußerungen, die sich an die englische Öffentlichkeit richteten. Die Beschäftigung mit den Reaktionen beider großer demokratischer Parteien auf die extremistischen Herausforderungen trägt dazu bei, die öffentliche Wahrnehmung und Deutung des Totalitarismuskonzeptes in England in den dreißiger Jahren nachzuzeichnen. 7 Dagegen wird es in der folgenden Untersuchung nicht um eine umfassende Darstellung der Entfaltung der Totalitarismusdiskussion in England gehen. Als entscheidender Faktor für die relative Bedeutungslosigkeit des Faschismus und Kommunismus in England ist das Verhalten der demokratischen Parteien gegenüber BUF und CPGB anzusehen. Doch liegt eine Antwort auf die diffizile Frage, warum ein Land demokratisch blieb, während andere der Verführungskraft der totalitären Idee erlagen, im Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Ursachen begründet. Großbritannien erlebte das Ende des Ersten Weltkrieges nicht als besiegte Nation, sondern als eine der Siegermächte. Obwohl dieser Sieg negative Entwicklungen, wie den fortschreitenden wirtschaftlichen und politischen Niedergang des Empire, nicht aufhalten konnte, mußte sich die englische Bevölkerung nicht, wie die deutsche, mit der Rolle des Verlierers abfinden. England konnte den Vcrsailler Vertrag mitgestalten, während Deutschland ihn akzeptieren mußte, ein psychologischer Effekt, der bei einem Versuch, das fast völlige Fehlen radikaler Tendenzen in Großbritannien in der Zwischenkriegszeit zu erklären, auf jeden Fall berücksichtigt werden sollte. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es in England nicht zu revolutionären Veränderungen. Die politische Vorkriegsordnung wurde weitgehend beibehalten, wobei jedoch durch die Wahlrechtsreform 1918 eine notwendige Anpassung an die Erfordernisse der modernen Massendemokratie erfolgte. Obwohl die Macht der Gewerkschaften durch den Ersten Weltkrieg ausgebaut wurde 8 , blieben sie überwiegend ihren traditionellen Prinzipien treu, die 6

8

Einen Beitrag zur Erforschung der Totalitarismusdiskussion in England in den dreißiger Jahren lieferte jedoch Huttner, M., Totalitarismus und säkulare Religionen. Zur Frühgeschichte totalitarismuskritischer Begriffs- und Theoriebildung in Großbritannien, Bonn 1999. Huttner stellt diese Frage nach dem möglichen Einfluß eines diktaturverglcichenden Ansatzes auf die Meinungsbildung politisch tonangebender Schichten in den mit Diktaturphänomenen konfrontierten Demokratien, konzentriert sich jedoch stärker auf den publizistischen und weniger auf den politischen Bereich. »The First World War cnormously enhanced the intlucnce of organized labour. Membership of the trade unions rapidly increased and their consent was seen as vital to war production - indeed to the continuance of the war itself.« Vgl. Stevenson, J., Conservatism and the Failure of Pascism in Inter-War Britain. In: Blinkhorn, M. (Hrsg.), Fascists and Conservatives. The Radical Right and the Establishment in the Twentieth Century, London 1990, S. 264-282, S. 266.

Einleitung

17

Belange der Arbeiterschaft durch Verhandlungen und Reformen innerhalb des etablierten Systems zu vertreten. Umstürzlerische Absichten waren der erstarkenden Labour Party fremd. Sie akzeptierte die Regeln des politischen Alltags in Westminster und wurde zu einer verläßlichen Stütze parlamentarischer Kontinuität. Eine revolutionäre Bedrohung der Institutionen des Staates ging somit von der englischen Arbeiterbewegung zu keiner Zeit aus. Die ökonomische Situation war zwar angespannt, doch erholte sich Großbritannien von den Rückschlägen der Weltwirtschaftskrise schneller und vollständiger als vergleichbare Industrieländer. 9 Darüber hinaus erlebte das Land die Auswirkungen der Krise zu Beginn der dreißiger Jahre nicht nach einer Phase des Booms, wie beispielsweise Deutschland, sondern nach einer relativ schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in den zwanziger Jahren. 10 Dieses Ausbleiben eines extremen Wechsels zwischen Wachstum und Rezession schwächte den Schock der Krise in Großbritannien ab und verhinderte, daß ein ähnlich intensives Krisen- oder Panikgefühl wie in Deutschland entstehen konnte. Obwohl die dreißiger Jahre lange Zeit als das Jahrzehnt wirtschaftlicher Probleme und als die Jahre hoher Arbeitslosigkeit wahrgenommen wurden, zeichnet die Forschung dieses eher düstere Bild der Jahre des Slump neu." Ausgehend von der hohen Wachstumsrate, die nach dem Höhepunkt der Krise 1931/1932 einsetzte 12 , werden die dreißiger Jahre als durchaus erfolgreiche Phase 13 der britischen Wirtschaft bezeichnet. Das Hauptproblem in den frühen dreißiger Jahren war die hohe Arbeitslosigkeit. Nach dem Zusammenbruch der Börse an der Wall Street 1929 und der Finanzkrise 1931 erreichte die Zahl der Erwerbslosen in Großbritannien im Winter 1932/33 ein Rekordhoch von drei Millionen. Wie schon in den zwanziger Jahren wurden besonders die bereits geschwächten traditionellen Industrien in Schottland und Wales durch diese Entwicklung getroffen, da ihre Exporttätigkeit stark zurückging. Von der Mitte des Jahres 1933 an erholte sich die englische Wirtschaft jedoch zusehends, ein Aufschwung, der 1937 kurz unterbrochen wurde, dann aber mit der Aufrüstung 1938/39 wiedereinsetzte. 1937 war die Zahl der Arbeitslosen auf 1,5 Millionen gefallen.14 Im selben Zeitraum verbesserte sich die Produktivitäts9

Insbesondere das Abrücken vom Goldstandard im September 1931, wodurch sich der Wechselkurs des Pfundes um circa ein Drittel verringerte, verbesserte die Exportchancen der britischen Wirtschaft. Die Folgen waren eine ansteigende Produktion bei gleichzeitig niedrigen Lebensmittelpreisen durch die Verbilligung auf dem Weltmarkt. 10 Vgl. Thorpe, A., Britain in the 1930s. The Deceptive Decade, Oxford 1992, S. 61 ff.. 1 ' Vgl. insbesondere Stevenson, J., Cook, C , The Slump. Society and Politics during the Depression, London 1979. 12 So bezeichnet Aldcroft die Jahre ab 1932 als »the largest and most sustained period of growth in the whole of the inter-war period.« Vgl. Aldcroft, D. H., The Inter-War Economy. Britain 19191939, London 1970, S. 44. 13 Das wirtschaftliche Wachstum dieser Jahre wird von einigen Historikern als grundlegendes Muster für die Wirtschaftsstrukturen der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts angesehen. Vgl. zum Beispiel Mathias, P., The First Industrial Nation, London 1971, S. 431. 14 Für eine Entwicklung der Arbeitslosigkeit in England vgl. die Tabelle im Anhang.

IS

Einleitung

rate der Industrie um fast die Hälfte 15 , und das Bruttoinlandsprodukt war um ein Viertel angestiegen. 16 Das Bild der englischen Wirtschaft in jenen Jahren hatte zwei Gesichter. Im Süden Englands »boomten« neue Wirtschaftszweige wie die Elektrotechnik, Chemie- und Autoindustrie, während im Norden vorrangig herkömmliche Industrien angesiedelt waren, die besonders hart von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise betroffen waren. 17 Die Arbeitslosigkeit im Großbritannien der Zwischenkriegszeit war und blieb ein regionales Problem, das sich hauptsächlich auf die vom Zentrum der politischen Macht weit entfernten Gebiete im Norden und Westen des Landes konzentrierte. 18 Festzuhalten bleibt, daß es neben den »hungry thirties« auch die prosperierenden dreißiger Jahre gab und sich der Lebensstandard derer, die Arbeit hatten, stetig verbesserte. 19 Diese ökonomische Entwicklung Großbritanniens in den dreißiger Jahren ist ein wichtiges Motiv zur Erklärung des politischen Scheiterns der BUF. Die Partei konstituierte sich 1932 auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Krise. Ihr Gründer, Oswald Mosley 20 , prophezeite den Zusammenbruch der Gesellschaft in politischer und ökonomischer Hinsicht und drängte deshalb auf einschneidende Veränderungen, die auch eine Abkehr vom Prinzip der Demokratie beinhalteten. In der Öffentlichkeit wurde die BUF jedoch erst 1934 verstärkt wahrgenommen, zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Wirtschaft bereits wieder erholte und der von Mosley prognostizierte Ruin Großbritanniens offensichtlich ausgeblieben war. Diese zeitliche Verzögerung in der öffentlichen Wahrnehmung der BUF um zwei Jahre nahm den angesichts der akuten Krise von 1932 formulierten Forderungen der Partei ihre Aktualität und ließ den Ruf nach drastischen Maßnahmen überflüssig erscheinen. Die Weltwirtschaftskrise rief in Großbritannien eine, im Vergleich zu den von Mosley propagierten Methoden, geradezu antagonistische Reaktion der politischen Parteien hervor. Nicht ein extremistischer Umschwung, sondern eine Koalition aus Conservative Party sowie Teilen der Liberalen und der Labour Party war Englands Antwort auf die politischen und ökonomischen Probleme zu Beginn der dreißiger Jahre. Das parteiübergreifende National Government des 15

In der gesamten Zwischenkriegszeit war die industrielle Produktivität um 61 Prozent gestiegen und das Pro-Kopf Einkommen um circa ein Drittel angewachsen, wobei diese positive Entwicklung hauptsächlich in den dreißiger Jahren erfolgte. Vgl. Aldcroft, The Inter-War Economy, S. 22; Vgl. Pollard, S., The Development of the British Economy 1914-1950, London 1962, S. 149 ff.. "' Vgl. Stevenson, Cook, The Slump, S. 9. 17 Doch selbst diese Wirtschaftszweige erholten sich ab Mitte der dreißiger Jahre; hier sind vor allem der Bergbau und die Stahlindustrie zu nennen. Vgl. Aldcroft, The Inter-War Economv, S. 169 ff.; Pollard, The Development of the British Economy, S. 161 ff.. 18 Von den 1.717.000 Arbeitslosen im Jahr 1936 waren über zwei Drittel in Schottland, Wales, Nordirland und Nordengland registriert. Vgl. Stevenson, Cook, The Slump, S. 56. 19 »The inter-war period, including the 1930s saw an appreciable rise in the Standards of comfort and welfare of working-class families, particularly those in which the wage earners were in regulär employment. This conclusion is supported by the remarkable increase in small savings, including working-class savings, showing some margin of income over bare subsistence.« Vgl. Pollard, The Development of the British Economy, S. 293. 2= Vgl. zu Mosley die Biographie von R. Skidelsky, Oswald Mosley, London 1975.

Einleitung

19

Jahres 1931, selbst als Krisenmaßnahme gedacht, verdeutlichte, daß auch das parlamentarische System flexibel auf die außergewöhnlichen Anforderungen der Situation zu reagieren wußte. Nicht zuletzt aus diesem Grund konnte die Regierung auf eine sichere Basis an Unterstützung innerhalb der Bevölkerung zählen. Dies schließt auch die Arbeitslosen ein, Symbol der wirtschaftlichen Krise und von beiden extremistischen Parteien als potentieller revolutionärer Faktor heftig umworben. Sie liefen weder zur CPGB noch zur BUF über, sondern blieben überwiegend ihren Bindungen an die konstitutionell denkende organisierte Arbeiterbewegung sowie an die Conservative Party treu. Entscheidend für die starke Stellung des National Government war wiederum die allmähliche Konsolidierung der wirtschaftlichen Lage. Es waren die Regierungsparteien, hier vor allem die das National Government dominierenden Konservativen, die vom ökonomischen Aufschwung politisch profitierten. Die englische Wählerschaft der dreißiger Jahre stand zu den demokratischen Parteien, so daß ein nennenswertes Abwandern zu extremistischen Alternativen ausblieb. Neben der nicht zu unterschätzenden Rolle, die das englische Mehrheitswahlrecht in diesem Zusammenhang spielt, ist für eine Erklärung jener Bindekraft der etablierten demokratischen Parteien der Verweis auf die lange und gesicherte Tradition des englischen Parlamentarismus sicherlich hilfreich, geht der Frage jedoch nur auf sehr allgemeine Weise nach. Zudem greift sie letztlich auf jenes, von Henry Butterfield als »whig Interpretation of history« 21 bezeichnete Geschichtsbild zurück, wonach sich Freiheit und Parlamentarismus in Großbritannien kontinuierlich und gleich einem durch die Natur vorgegebenen Gesetz auf den gegenwärtigen Zustand hinentwickelt hätten. Doch kritisierte schon Butterfield, daß diesem Entwurf zum einen die historischen Abläufe in Großbritannien widersprächen und er zum anderen das Verständnis der Vergangenheit durch den permanenten Bezug auf die Gegenwart erschwere, wenn nicht sogar unmöglich mache. 22 Geht man den Gründen für Großbritanniens demokratische Beständigkeit in den dreißiger Jahren nach, stößt man unweigerlich auf die Anziehungskraft der demokratischen Parteien. Insbesondere die Conservative Party war in den dreißiger Jahren sehr erfolgreich. Sie konnte alle Wahlen mit großen Mehrheiten für sich gewinnen und dominierte sämtliche Regierungen der Dekade. Lag in dieser Attraktivität der Konservativen für einen Großteil der englischen Bevölkerung einer der entscheidenden Gründe für die Immunität Großbritanniens gegenüber dem Faschismus? Vor die Alternative gestellt, eine starke und erfolgreiche Partei wie die Conservative Party oder aber eine politisch unbedeutende und zahlenmäßig schwache Partei wie die BUF zu wählen, entschied sich eine Mehrheit der Wähler offensichtlich für die Tories. Ist diese Stärke der Konservativen eine Erklärung für die Schwäche der BUF? Für die Labour Party kann eine ähnliche Fragestellung formuliert werden, selbst wenn sie es in den dreißiger Jahren nicht vermochte, über die Rolle einer 21 22

Vgl. Butterfield, H., The Whig Interpretation of History, London 1968 (Erstauflage 1931) Vgl. Butterfield, Whig Interpretation of History, S. 11;

20

Einleitung

Oppositionspartei hinauszuwachsen. War durch die enge Bindung der britischen Gewerkschaften an die Labour Party eine Vorherrschaft dieser Organisationen auf der politischen Linken entstanden, die zu durchbrechen eine politisch schwache Partei wie die CPGB nicht in der Lage war? Die britischen Arbeiter entschieden sich an der Wahlurne mehrheitlich für die Labour Party und nicht für die Partei der Arbeiterklasse, als die sich die CPGB bezeichnete. Kann die relative Stärke der Labour Party ein Grund für die Schwäche der CPGB gewesen sein? Die Anziehungskraft der demokratischen Parteien für die englische Wählerschaft eingehender zu untersuchen, ist deshalb Ziel der folgenden Darstellung. Berücksichtigt werden dabei in erster Linie die Reaktionen der beiden großen Parteien des demokratischen Spektrums, der Conservative Party und der Labour Party auf die beiden wichtigsten Vertreter eines anti-demokratischen Politikverständnisses in Großbritannien, der British Union of Fascists und der Communist Party of Great Britain. Conservative Party und Labour Party konnten mehr als achtzig Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen und erwiesen sich als Hauptrepräsentanten der politischen Meinung in den dreißiger Jahren. 23 Obwohl auch die Haltung der Liberalen Partei vereinzelt Erwähnung findet, wird sie, aufgrund ihrer in den dreißiger Jahren weniger bedeutenden Rolle im politischen Alltag, nicht ähnlich intensiv behandelt. Es soll gezeigt werden, wie sich die Existenz der englischen kommunistischen und faschistischen Gruppierungen auf die Politik der großen demokratischen Parteien auswirkte. Was taten diese Parteien, um ihr Wählerpotential angesichts der extremistischen Alternativen auch weiterhin zu halten? Welche Methoden wandten sie dabei insbesondere in ihrer politischen Öffentlichkeitsarbeit an? An welche Werte oder Traditionen wurde appelliert, um die Wähler von der Angemessenheit der Demokratie für die britische Insel im Angesicht des Triumphes totalitärer Regime in Europa weiterhin zu überzeugen? Von welchen politischen Strategien versprach man sich Erfolg, um die eigene Attraktivität zu erhalten oder sogar auszubauen? Wurden die BUF und die CPGB in den Verlautbarungen der großen Parteien überhaupt erwähnt oder, aufgrund ihres geringen politischen Einflusses, schlicht ignoriert? Das Hauptaugenmerk der Untersuchung liegt auf der Außendarstellung der großen Parteien gegenüber der englischen Öffentlichkeit, weshalb insbesondere ihre propagandistischen Bemühungen berücksichtigt werden sollen. Conservative Party und Labour Party sind als die Institutionen der Demokratie anzusehen, die repräsentativ für eine Mehrzahl der englischen Wähler der Zeit waren. Wenn sie auch nicht die Meinung eines jeden einzelnen wiedergaben, so sind sie dennoch ein Spiegel der politischen Mentalität des Landes in den dreißiger Jahren. Eine Analyse der Reaktionen beider großer Parteien auf BUF und CPGB läßt deshalb Rückschlüsse auf die in der englischen Gesellschaft vorhandenen Überzeugungen zu. Diese politische Mentalität wiederum, die meist nur schwer durch direkte historische Quellen zu belegen ist, kann als Vgl. dazu den Überblick über die Wahlergebnisse der Parteien im Anhang.

Einleitung

21

ein weiteres Moment für die Erklärung des Scheiterns extremistischer Parteien in Großbritannien angesehen werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung sollen jedoch die Positionen der Conservative Party und der Labour Party und nicht die Haltung der englischen Wähler gegenüber BUF und CPGB stehen. Die Sichtweise der etablierten Parteien kann zwar ein Licht auf die politische Mehrheitsmeinung der englischen Gesellschaft werfen, es ist jedoch nicht das Ziel, die politische Mentalität Großbritanniens in den dreißiger Jahren umfassend darzustellen. 24 Im Kampf um die Macht in den dreißiger Jahren schnitten die Konservativen wesentlich besser ab als ihre wichtigste Konkurrentin, die Labour Party. Während sich die englische Arbeiterpartei im Jahrzehnt vor dem Zweiten Weltkrieg fast ausschließlich in der Opposition befand, feierte die Conservative Party ihre bis zu diesem Zeitpunkt größten Wahlsiege. 25 Diese politische Ausgangskonstellation der Untersuchung wirft die Frage nach den Gründen des so eindeutigen Kräfteverhältnisses auf. Warum gelang es der Labour Party in den dreißiger Jahren nicht, aus der Oppositionsrolle in die Regierungsverantwortung zu wechseln? Bestand ein Zusammenhang zwischen den Reaktionsmustern der großen Parteien auf die extremistischen Herausforderungen und ihrem politischen Erfolg beziehungsweise Mißerfolg? Lassen sich durch mögliche Unterschiede in diesen Reaktionen Schlußfolgerungen bezüglich der Rollenverteilung als Regierungs- und Oppositionspartei ziehen? Doch ergibt sich in diesem Zusammenhang nicht nur die Frage nach den Unterschieden, sondern auch die nach den Gemeinsamkeiten der Reaktionen auf BUF und CPGB. Führte die potentielle Gefahr für die Demokratie durch extremistische Gruppen zu einem politischen Konsens unter den demokratischen Parteien, der die Grenzen zwischen Regierungs- und Oppositionsrolle weniger starr erscheinen ließ? Die Bildung des National Government 1931, das zur charakteristischen Regierungsform der gesamten Dekade werden sollte, legt diesen Schluß sicherlich nahe. Doch war lediglich eine kleine Abspaltung der Labour Party darin vertreten, wobei die Einflußmöglichkeiten dieser sogenannten National Labour Party auf die Regierungspolitik nur gering waren. Im folgenden sollen deshalb auch mögliche politische Übereinstimmungen zwischen den Konservativen als Regierungspartei und der Labour Party als Opposition Beachtung finden. Vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeiten werden einzelne Aspekte der parteiübergreifenden Abwehrreaktion in den dreißiger Jahren untersucht. Dem Erlaß des Public Order Act, einer legislativen Maßnahme des Staates zur Eindämmung extremistischer Tendenzen, stimmte 1936 eine große Mehrheit im Unterhaus zu. Nicht nur die Parteien des National Government, sondern auch die Labour Party gaben dem Gesetz ihre volle Unterstützung. 24

25

Einen solchen Beitrag liefert die Dissertation von Süsser, die faschistische und antifaschistische Haltungen in der Zwischenkriegszeit untersucht und sich insbesondere einer Analyse der spezifisch englischen politischen Kultur widmet. Süsser geht dabei jedoch weniger auf die konkreten Reaktionsmustcr der Parteien ein. Vgl. Süsser, L. D., Fascist and Anti-Fascist Attitudes in Britain between the Wars, Oxford Univcrsity 1990, unvcröffentl. DPhil Thesis. Sic erreichten bei der Wahl 1931 55% der Stimmen und 1935 47, 8 % der Stimmen.

22

Einleitung

Neben gesetzgeberischen Initiativen des Staates sollen auch parteiübergreifende Organisationen Beachtung finden, die sich dem Erhalt der Demokratie und der Abwehr des Extremismus sowohl in innen- als auch außenpolitischer Hinsicht verschrieben hatten. Anhand dieser Gruppen wird der politische Konsens der demokratischen Kräfte illustriert, der sie trennende Parteigrenzen überwinden ließ, um den extremistischen Herausforderungen entschlossen begegnen zu können. Schließlich soll der Einfluß einzelner Personen auf die ablehnenden Reaktionen ihrer Parteien gegenüber BUF und CPGB herausgearbeitet werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei der konservative Parteiführer und Premierminister Stanley Baldwin 26 , der eine wichtige Rolle nicht nur für die Antwort seiner Partei, sondern für die Reaktion der gesamten englischen Gesellschaft auf den politischen Extremismus der dreißiger Jahre spielte. Ähnliches gilt in bezug auf Labour Party und Gewerkschaften für Walter Citrine 27 , dessen Einfluß sich jedoch stärker auf die eigene Partei beschränkte und der deshalb für die Abwehr der Diktatur in Großbritannien im Vergleich zu Baldwin weniger bedeutsam war. Doch nicht nur die Reaktionen der Parteien, die in der politischen Öffentlichkeit artikuliert wurden und gewissermaßen den offiziellen Kurs der jeweiligen Partei wiedergaben, sollen bedacht werden. Es gilt, auch die Reaktionen auf BUF und CPGB zu berücksichtigen, die von der allgemeinen Parteilinie abwichen. Die Auseinandersetzung des rechten Flügels der Conservative Party mit dem englischen Faschismus und des linken Flügels der Labour Party mit dem englischen Kommunismus ist hinsichtlich der Rückwirkungen faschistischer und kommunistischer Ideen auf die politischen Einstellungen dieser Gruppen von Interesse. Auf einer inoffiziellen Ebene, also außerhalb der autorisierten Veröffentlichungen der Parteien, finden sich durchaus positive Reaktionen auf die Forderungen der beiden extremistischen Parteien. Sie lassen das angesichts ihres geringen Erfolges leicht entstehende Bild einer völligen Immunität Großbritanniens gegen totalitäre Herrschaftsstrukturen und undemokratische Ideen weniger eindeutig erscheinen. Die potentielle Anziehungskraft, die von der BUF beziehungsweise der CPGB für bestimmte Gruppen innerhalb der etablierten Parteien ausgegangen sein könnte und deren Bereitschaft, diese Parteien aktiv zu unterstützen, soll deshalb in die Analyse der Reaktionsmuster einbezogen werden. Obwohl auch außenpolitische Einflüsse auf die Reaktion gegen die extreme Rechte und Linke Beachtung finden, liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf innenpolitischen Ereignissen. Als engerer Zeitrahmen sind die Jahre von 1932, dem Gründungsjahr der British Union of Fascists, bis 1937, dem Ende der Regierungszeit Stanley Baldwins als Premierminister, gewählt worden.

Stanley Baldwin war von 1923 bis 1937 konservativer Parteiführer und hatte von März 1923 bis Oktober 1923, von 1924 bis 1929 und von 1935 bis 1937 das Amt des Premierministers inne. Vgl. zu Baldwin die Biographie von Middlemas, K., Barnes, J., Baldwin. A Biography, London 1969. Walter Citrine hatte von 1926 bis 1946 das Amt des Generalsekretärs des Trades Union Congress (TUC) inne. 1935 wurde er zum Baron geadelt.

Einleitung

23

Nach Hitlers Machtübernahme 1933 und ihren unmittelbaren Auswirkungen auf die Situation in Deutschland wurde auch in England die potentielle Gefahr des englischen Faschismus für das demokratische System ernstgenommen. Die beiden großen Parteien begannen, sich mit diesem neuen Gegner auf dem politischen Spektrum auseinanderzusetzen. 1936 erreichte die Debatte über die extremistischen Herausforderungen einen Höhepunkt, als es im Londoner East End zu heftigen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der BUF und der CPGB kam und die angespannte Situation zu eskalieren drohte. Als Reaktion auf die Straßenschlachten wurde 1936 der bereits erwähnte Public Order Act erlassen, der zu einer allmählichen Beruhigung der Lage im Londoner Osten führte. Die Auseinandersetzung mit Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus wurde nun, forciert durch den Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges 1936 und der sich zuspitzenden internationalen Lage, immer stärker durch außenpolitische Fragestellungen dominiert. Der Rücktritt Stanley Baldwins, der während seiner Amtszeit der Außenpolitik kein sonderlich großes Interesse geschenkt hatte und seine Amtsübergabe an Neville Chamberlain 28 , dessen Name eng mit der Appeasementpolitik verknüpft ist, markieren die Priorität, die man der Außenpolitik fortan in der öffentlichen und politischen Diskussion Großbritanniens einräumte. Die äußere Bedrohung durch die europäischen Diktaturen und die sich insbesondere gegen Ende der Dekade überstürzenden Ereignisse überlagerten immer stärker das Interesse an der im Vergleich dazu gering anmutenden innenpolitischen Herausforderung durch BUF und CPGB. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt der Analyse auf den Jahren vor der eigentlichen Appeascment-Debatte, die nach dem Münchner Abkommen 1938 ihren Höhepunkt erreichte. Im übrigen ist die außenpolitische Haltung Großbritanniens gegenüber den totalitären Regimen in Europa, insbesondere gegenüber dem »Dritten Reich«, in der Forschung bereits eingehend untersucht worden. 29 Im Interesse des besseren Verständnisses der Reaktionen von Conservative und Labour Party auf BUF und CPGB sollten sie in den Kontext außenpolitischer Entwicklungen eingeordnet werden. Da in der folgenden Darstellung aufgrund der Konzentration auf die Innenpolitik dieser Bereich nur in Ansätzen berücksichtigt werden kann, soll eine kurze Erläuterung der Grundzüge englischer Außenpolitik im zu behandelnden Zeitraum vorausgeschickt werden. 28

29

Neville Chamberlain war von 1931 bis 1937 als Schatzkanzler für die Conservative Party im National Government vertreten. Von 1937 bis 1940 war er Premierminister. Vgl. zu Chamberlain die Biographie von Dilks, D., Neville Chamberlain, Cambridge 1984. Eine Untersuchung der Rückwirkungen britischer Deutungen des Nationalsozialismus auf die Außenpolitik findet sich, um einen der jüngeren Forschungsbeiträge zu nennen, bei Clemens, D., Herr Hitler in Germany. Wahrnehmungen und Deutungen des Nationalsozialismus in Großbritannien 1920 bis 1939, Göttingen/Zürich 1996. Die Haltung der Konservativen Partei zur Appeasement-Politik untersucht Nick Crowson und berücksichtigt auch die Reaktionen auf Faschismus und Nationalsozialismus. Vgl. Crowson, N., Pacing Fascism. The Conservative Party and the European Dictators 1935-1940, Andover 1997.

24

Einleitung

Die Außenpolitik der dreißiger Jahre stellte letztlich den Versuch dar, die Deeskalation, die Eindämmung zwischenstaatlicher Konflikte sowie die Vermeidung kriegerischer Auseinandersetzungen der Großmächte im Konfliktfall zu forcieren. Dabei handelte es sich nicht erst um ein Konzept, das die Regierung Chamberlain in ihrer Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Politik entwickelt hatte, sondern um eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition. 30 Britische Außenpolitiker bemühten sich weitgehend, eine zurückhaltende Position hinsichtlich der Entwicklung in Europa einzunehmen und wollten jegliche Verstrickung in kontinentale Angelegenheiten vermeiden. Durch eine Politik der Zugeständnisse an die europäischen Diktatoren Mussolini und Hitler sollte der Versuch unternommen werden, die traditionelle Gleichgewichtsordnung in Europa aufrechtzuerhalten sowie den Ausbruch einer militärischen Auseinandersetzung zu vermeiden. 31 Der Völkerbund sollte so lange wie möglich als unverbindlicher Friedensmechanismus erhalten werden, wobei England selbst nicht als Sanktionsmacht des Bundes tätig wurde. Hintergrund der englischen Appeasementpolitik gegenüber dem »Dritten Reich« waren keineswegs weltanschauliche oder aber ökonomische Sympathien der nationalen Regierung mit dem Nationalsozialismus, sondern politische Überlegungen. England als Teil des sowohl außen- als auch innenpolitisch in die Krise geratenen »liberalen Systems« konnte seinen ohnehin bereits geschwächten Weltmachtstatus im internationalen Zusammenhang, seine politische Kultur und seine sozial-ökonomische Ordnung nur aufrechterhalten, wenn die von Italien, Deutschland und Japan in Frage gestellte Weltordnung der Pariser Konferenz von 1919 und ihren Folgekonferenzen nicht durch Krieg, sondern durch peaceful change verändert wurde. 32 Vehemente Unterstützung für die Ablehnung einer Verstrickung Großbritanniens in kontinentale Angelegenheiten kam zusätzlich aus den britischen Dominions, die davon überzeugt waren, daß ein Krieg zur Sicherung des Friedens in Europa in einem eklatanten Widerspruch zu den friedensorientierten Interessen des Empire stünde. 33 Eine treffende Definition des »Appeasement« gibt Paul Kennedy in seinem Aufsatz über die Kontinuität dieses Konzeptes in der englischen Außenpolitik: »Appeasement [means] the poliev of settling international [or domestic] quarreis by admitting and satisfying grievances through rational negotiation and compromise, thereby avoiding the resort to an armed conflict which would be expensive, bloody, and possiblv very dangerous.« Vgl. Kennedv, P. M., The Tradition of Appeasement in British Foreign Policy 1865-1939. In: British Journal of international Studies 2 (1976) S. 195-215, S. 195. Zu den Beweggründen dieses Konzepts sowie seinen Fehleinschätzungen vgl. Hildebrand, K., Krieg im Frieden und Frieden im Krieg. Über das Problem der Legitimität in der Geschichte der Staatengescllschaft 1931-1941. In: Historische Zeitschrift 244 (1987), S. 1-28. Vgl. Niedhart, G., Appeasement. Die britische Antwort auf die Krise des Weltreichs und des internationalen Systems vor dem Zweiten Weltkrieg. In: Historische Zeitschrift 226 (1978), S. 67-88, S. 72. Für weitere Studien zu den Bedingungsfaktoren des Appeasement vgl. auch Schmidt, G., England in der Krise. Grundzüge und Grundlagen der britischen Appeasement-Politik 1930 1937, Opladen 1981 und Mommsen, W. J., Kettenacker, L. (Hrsg.), The Fascist Challcngc and the Policy of Appeasement, London/Boston/Sydney 1983. Vgl. Meyers, R., Die Dominions und die britische Europapolitik der dreißiger Jahre. In: Hütter, H. J. (Hrsg.), Tradition und Neubeginn. Internationale Forschungen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, Köln 1975, S. 173 ff..

Einleitung

25

Der Appeasementpolitik lagen also weitreichende innenpolitische und ökonomische Faktoren zugrunde, da Großbritannien mit massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen hatte. 34 Angesichts des fortschreitenden Niedergangs des Empire wurde das Land mit der Notwendigkeit konfrontiert, seine bisherige machtpolitische und ökonomische Position neu zu definieren. England mußte in den dreißiger Jahren einen Transformations- und Anpassungsprozeß der Wirtschaft an die Weltmarktbedingungen des 20. Jahrhunderts einleiten, den andere Länder, wie Deutschland, die USA oder Japan bereits vollzogen hatten. Im Rahmen dieses Wandlungsprozesses bemühte sich das Land, in den Jahren zwischen den Weltkriegen die notwendigen Schritte zur Modernisierung, Rationalisierung und Mechanisierung der britischen Produktion zu gehen und angesichts des auseinanderbrechenden Commonwealth ein neues Gleichgewicht zwischen binnen- und außenmarktabhängigen Sektoren zu finden. Mit diesen volkswirtschaftlichen Strukturveränderungen einher gingen soziale Herausforderungen, die bewältigt werden mußten. Diese immensen ökonomischen und innenpolitischen Aufgaben zu lösen, war primäres Ziel der englischen Politik in der Zwischenkriegszeit. Die Umsetzung dieses Ziels konnte jedoch am ehesten in einer Situation außenpolitischer Ruhe geschehen. Dabei war es notwendig, eine erneute Kriegsgefahr sowie einen durch diese Bedrohung ausgelösten internationalen Rüstungswettlauf zu vermeiden, damit die sich abzeichnende Ablösung Englands von seiner »verzerrten Produktionsstruktur« 3 5 nicht wieder rückgängig gemacht wurde. Ein Krieg hätte die sozialen und ökonomischen Transformationsprozesse, die in England angeschoben worden waren, erheblich gefährdet und sollte auch aus diesem Grund in jedem Fall vermieden werden. 36 Diese innenpolitischen und ökonomischen Bedingungen sind bei einer Beurteilung der Appeasementpolitik in Betracht zu ziehen. Getragen wurde die Appeasementpolitik nicht zuletzt von der Überzeugung, daß eine behutsame Revision des Versailler Vertrages zugunsten Deutschlands schlicht ein Gebot der Fairneß sei. Diese revisionistische Einstellung, gepaart mit einem insbesondere in der Mitte der dreißiger Jahre verbreiteten Friedenswillen in der englischen Bevölkerung, bedingte unter anderem die englische Politik des Appeasement, die es den europäischen Diktatoren ermöglichte, ihre ausgreifende und letztlich auf den Krieg zulaufende Politik zu betreiben. Für zusammenfassende Darstellungen dieser Faktoren vgl. Schmidt, G., The Domestic Background to British Appeasement Policy. In: Mommsen, W. J., Kettenacker, L. (Hrsg.), The Fascist Challenge and the Policv of Appeasement, S. 101-124 und Wendt, B. J., >Economic Appeasement« - a Crisis Strategy. In: Mommsen, W. J., Kettenacker, L. (Hrsg.), The Fascist Challenge and the Policv of Appeasement, S. 157-172. Eine ausführliche Untersuchung der Ereignnisse in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges findet sich bei Watt, D. C , How War Came. The immediate origins of the Second World War, 1938-1939, London 1989. Als Folge des Aufrüstungsbooms während des Ersten Weltkrieges hatte sich in England die sogenannte »distorted produetion« entwickelt. Die Wirtschaft verzeichnete erhebliche Überkapazitäten in den von der ökonomischen Krise der Zwischenkriegszeit am stärksten betroffenen Industriezweigen wie der Montan- und Schwerindustrie. Vgl. Niedhart, Appeasement, S. 74.

26

Einleitung

Das außenpolitische Konzept Chamberlains stieß in der britischen Öffentlichkeit weitgehend auf Zustimmung. Obwohl es einige harte Kritiker der Appeasementstrategie selbst innerhalb der Conservative Party gab, änderte dies zunächst wenig an ihrer überwiegend positiven Rezeption in der Bevölkerung. 37 Nach dem Münchner Abkommen von 1938 verstärkte sich jedoch die Kritik an der Außenpolitik des National Government. Sie wurde sowohl aus den Reihen der Conservative Party als auch von der Labour Party artikuliert und zielte in dieselbe Richtung: weitere Zugeständnisse an Hitler sollten vermieden werden. 38 Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei modifizierte Chamberlain seinen Kurs in der Außenpolitik. Mit der Garantieerklärung an Polen am 31. März 1939 verließ England seinen Kurs der Nichteinmischung, womit Chamberlain auch auf die wachsende Ablehnung der Appeasementpolitik in der britischen Öffentlichkeit und Presse reagierte. 39 In die Vorüberlegungen einzubeziehen ist schließlich der Forschungsstand zu Conservative Party und Labour Party. Die Geschichte beider Parteien in der Zwischenkriegszeit ist in mehreren grundlegenden Werken umfassend bearbeitet worden. 40 Nach einem Blick über die historische Forschung, die sich mit der Conservative Party beschäftigt, drängt sich der Eindruck auf, daß weder die englischen Faschisten noch die Kommunisten die politische Strategie der Konservativen auch nur ansatzweise beeinflussen konnten. Die Frage nach der Art und Weise, wie die Tories auf die neue Konkurrenz am rechten Rand des politischen Spektrums reagierten, wird in den meisten Studien übergangen. Begründet wird diese Vernachlässigung des Gegenstandes, falls überhaupt ein Grund genannt wird, mit der geringen politischen Bedeutung von BUF und Communist Party im politischen Alltag der dreißiger Jahre. Doch erweist sich bei einer eingehenden Beschäftigung mit dem Thema die Annahme, BUF und CPGB seien aufgrund ihres politischen Mißerfolges von den Konservativen ignoriert worden, als unzulässig. Die Reaktionen auf BUF und CPGB waren vielfältig und sollten auch bei einem Erklärungsversuch für den überragenden Erfolg der Tories in den dreißiger Jahren mitberücksichtigt werden. Insbesondere Blake und Ramsden haben die Entwicklung und die erfolgreiche politische Bilanz der Conservative Party in der Zwischenkriegszeit untersucht. Der Grund für die guten Wahlergebnisse der Tories wird hier in erster Linie in der Popularität der moderaten, reformbereiten und auf den Ausgleich sozialer Unterschiede gerichteten politischen Linie Stanley Baldwins gesehen. In den Darstellungen beider Autoren wird ein möglicher Einfluß der extremi37 38 jV 40

Vgl. Mowat, C. L., Britain between the Wars, London 19684, S. 591. Vgl. Kennedy, The Tradition of Appeasement in British Foreign Policv, S. 208 ff.. Vgl. Clemens, Herr Hitler in Gcrmany, insbesondere S. 357 ff.. Vgl. zur Conservative Party Blake, R., The Conservative Party from Peel to Thatcher, Oxford 1985; Ramsden, J., Historv of the Conservative Party, Vol. III. The Age of Balfour and Baldwin 1902-1940, London 1978. Zur Labour Party vgl. das klassische Werk von G. D. H. Cole., A History of the Labour Party from 1914, London 1948; Thorpe, A., A History of the British Labour Party, London 1997.

Einleitung

27

stischen Parteien auf die politischen Konzepte und Einstellungen der Tories weitgehend ausgespart. Ähnliches gilt für den sehr detaillierten und auf viele Einzelaspekte der Parteigeschichte in diesem Jahrhundert 41 eingehenden Sammelband von Ball und Seidon über die Conservative Party. 42 In zwei Beiträgen, die sich mit der politischen Öffentlichkeitsarbeit der Conservative Party sowie ihrer Unterstützung in unterschiedlichen Bevölkerungsschichten beschäftigen, wird die Frage nach der Reaktion auf den englischen Faschismus und Kommunismus zwar kurz gestreift, jedoch nicht weiter vertieft.43 Einen ganz anderen Ansatz als Blake und Ramsden wählt McKibbin 44 , um den politischen Erfolg der Tories in der Zwischenkriegszeit zu erklären. Er stellt die Theorie der bisherigen Forschung in Frage, die davon ausgeht, daß die Konservativen deshalb so erfolgreich gewesen seien, weil sie eine Politik des sozialen Ausgleichs betrieben hätten. Für McKibbin liegt der Erfolg der Tories darin begründet, daß es ihnen gelungen sei, durch die Mobilisierung bestimmter negativer Stereotypen und Vorurteile, die organisierte Arbeiterschaft und ihre politische Vertretung, die Labour Party, so zu diskreditieren, daß die anwachsende Mittelschicht sowie die unorganisierte Arbeiterschaft ihre Stimmen nicht der Labour Party gaben. Er geht in diesem Zusammenhang jedoch nicht der Frage nach, ob die Existenz der CPGB und ihr Einfluß auf den linken Flügel der Labour Party dieser konservativen Strategie zusätzliche Nachhaltigkeit bei den Wählern verliehen haben könnte. Harrison analysiert in seiner Studie einen bestimmten Ansatz in der englischen Politik der Zwischenkriegszeit, den er als »centrist« bezeichnet. 4S Dieser auf den Ausgleich politischer und gesellschaftlicher Unterschiede zielende Politikstil wird bei Harrison als ein Faktor für das Scheitern des Extremismus in England bezeichnet. Doch unterläßt auch er es, die Verhaltensweisen von Politikern der von ihm so bezeichneten, »middle opinion« angesichts einer extremen Linken und Rechten zu untersuchen. Williamson hingegen erwähnt in seiner Biographie Stanley Baldwins neben anderen Aspekten auch die Argumentation des konservativen Parteiführers gegen den Faschismus. 46 In dem Band wird von der Darstellung von Parteistruktur und -Organisation über die Grundzüge konservativer Politik bis hin zu einer genauen Analyse der Anhängerschaft der Tories ein weit gefächerter Überblick über die Entwicklung der Conservative Party gegeben. Vgl. Ball, S., Seidon, A. (Hrsg.), Conservative Century. The Conservative Party since 1900, Oxford 1994. Vgl. Cockett, R., The Partv, Publicity and the Media. In: Ball, Seidon (Hrsg.), Conservative Century, S. 547-577, S. 548 f., Vgl. Waller, R., Conservative Electoral Support and Social Class. In: Ball, Seidon (Hrsg.), Conservative Century, S. 579-610, S. 590 f.. Vgl. McKibbin, R., Class and Conventional Wisdom. The Conservative Partv and the "Public in Inter-War Britain. In: Ders., The Ideologies of Class, Oxford 1990, S. 259-293. Vgl. Harrison, B., The Centrist Theme in Modern British Politics. In: Ders., Peacablc Kingdom. Stability and Change in Modern Britain, Oxford 1982, S. 309-377. Vgl. Williamson, P, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin. In: Bentlcy, M. (Hrsg.), Public and Private Doctrine. Essays in British Historv. Prcsented to Maurice Cowling, Cambridge 1993, S. 181-208. In seiner Biographie Stanley Baldwins widmet sich Williamson ausführlicher jener »public doctrine« des konservativen Politikers. Vgl. Williamson, P , Stanley Baldwin. Conservative Leadership and National Values, Cambridge 1999.

28

Einleitung

Schließlich existiert eine bislang unveröffentlichte Dissertation von Jarvis, die hinsichtlich der Konfrontation der Tories mit der Communist Party hilfreich ist.47 Obwohl sie sich im wesentlichen auf die Auseinandersetzung mit der Labour Party in den zwanziger Jahren konzentriert, finden sich hier auch H i n weise auf die Argumentation der Tories gegen den Kommunismus. Die Conservative Party versuchte die Labour Party als politische Konkurrenz auszuschalten, indem sie, so Jarvis, die Furcht vor Kommunismus und Bolschewismus bewußt schürte und der englischen Arbeiterpartei kommunistische Sympathien unterstellte. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß in der englischen historischen Forschung über die Geschichte der Conservative Party in den dreißiger Jahren ausführlich über die Gründe des herausragenden Erfolges dieser Partei gearbeitet worden ist, die dieser Arbeit zugrunde liegende Fragestellung dabei jedoch weitgehend ignoriert wird. Die deutsche Forschung zeichnet sich durch eine ähnliche Vernachlässigung des Themas aus. In einer ansonsten sehr detaillierten Darstellung von Bauerkämper über die Entwicklung der radikalen Rechten in England wird die Reaktion der demokratischen Parteien auf die BUF lediglich an einer Stelle kurz erwähnt. 48 Auch zur Geschichte der Labour Party liegen zahlreiche Studien vor, wobei die dreißiger Jahre, die für die Labour Party in erster Linie Jahre der Opposition waren, in der Forschung bislang tendenziell eher vernachlässigt wurden. Das Interesse konzentriert sich stärker auf die Gründerjahre der Labour Party sowie die zwanziger Jahre, da sie in diesen Jahren die Liberalen ausschalten und zur zweiten großen Partei neben den Konservativen werden konnte. 49 Eine Darstellung der Labour Party in den dreißiger Jahren legte Ben Pimlott 1977 vor.50 Schwerpunkt dieser sehr sorgfältigen Analyse ist vor allem das Scheitern des linken Parteiflügels, die Labour Party und die englische Öffentlichkeit von den eigenen politischen Vorstellungen zu überzeugen. S1 Pimlott geht in diesem Zusammenhang auch auf die Auseinandersetzungen innerhalb der Labour Party über die Frage einer Kooperation mit der Communist Party ein. Während der gesamten Dekade teilte die Diskussion über eine mögliche politische Koalition aller Parteien der politischen Linken, inklusive der Kommunisten, die Labour Party. Die Idee dieser sogenannten United Front wurde in den späten dreißiger Jahren erweitert. Der linke Flügel der Labour Party propagierte nun die Populär Front, ein Bündnis aller linken Gruppierungen, das zusätzlich Teile der bürgerlichen Parteien integrieren sollte. Da die Labour47

48

49

50 51

Vgl. Jarvis, D., Stanley Baldwin and the Ideology of the Conservative Response to Socialism 1918 1931, Universitv of Lancaster 1991, unveröffentl. PhD Thesis. Vgl. Bauerkämper, A., Die »radikale Rechte« in Großbritannien. Nationalistische, antisemitische und faschistische Bewegungen vom späten 19. Jahrhundert bis 1945, Göttingen 1991, S. 220. Vgl. McKibbin, R., The Evolution of the Labour Party 1910-1924, Oxford 1974; Cowling, M., The Impact of Labour 1920-1924, Cambridge 1971. Vgl. Pimlott, B., Labour and the Left in the 1930s, Cambridge 1977. »Throughout the decade, left-wing leaders showed a disastrous insensitivity to the realities of political power and influence within the Labour Movement.« Vgl. Pimlott, Labour and the Left in the 1930s, S. 6.

Einleitung

29

Führung jegliche Form der Koalition mit der Communist Party strikt ablehnte, befand sich die Partei in dieser Hinsicht in einem permanenten Meinungsstreit. Pimlott konzentriert sich in seiner Untersuchung vorrangig auf die parteiinternen negativen Rückwirkungen dieser Debatte, die es verhinderten, daß die Labour Party als geeinte und starke Partei nach innen und nach außen auftreten konnte. Die Art und Weise, wie die Labour Party und insbesondere die LabourFührung der englischen Öffentlichkeit gegenüber auf die Herausforderung durch die Communist Party reagierte, findet bei Pimlott hingegen keine Beachtung. Mit der Reaktion der Labour Party auf den englischen Faschismus beschäftigt sich ein in den siebziger Jahren erschienener Artikel von Newman 52 , der jedoch weniger die konkreten Verhaltensmuster der Arbeiterpartei angesichts dieser Herausforderung in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellt, sondern vielmehr eine marxistisch geprägte Kritik der streng konstitutionellen Haltung der Labour Party unternimmt. Wiehert beleuchtet in einem 1976 erschienenen Artikel die Reaktion der gesamten englischen Linken auf den Nationalsozialismus und geht im Rahmen dieser kurzen Untersuchung auch auf die Haltung der offiziellen Labour Party ein. Der Schwerpunkt ihrer Studie liegt jedoch auf einer Darstellung der Wahrnehmungen und Interpretationen des deutschen Nationalsozialismus. Die Reaktionen der englischen Linken auf die faschistische Partei im eigenen Land werden weniger intensiv behandelt. 53 Schließlich existiert eine unveröffentlichte Oxforder Magisterarbeit, die sich mit der Reaktion der Labour Party auf den englischen Faschismus beschäftigt.54 Sie ist jedoch von eher deskriptivem Charakter und geht auf mögliche parteipolitische Rückwirkungen der Existenz einer rechtsextremen Partei auf die Labour Party nur sehr oberflächlich ein. Eine Analyse der Reaktionsmuster auf beide extremistischen Herausforderungen steht auch für die Labour Party aus. Ein Vergleich der Reaktionen der Labour Party mit jenen der Tories auf die extremistischen Parteien ist in der Forschung ebenfalls noch nicht angestellt worden. Diese relative Vernachlässigung des Themas in der wissenschaftlichen Literatur bringt es mit sich, daß für die Analyse der Haltung beider Parteien gegenüber BUF und CPGB weitgehend auf Quellenmaterial zurückgegriffen wird. Um die offizielle Reaktion der Führungsgremien von Conservative Party und Labour Party auf die extremistischen Herausforderungen nachzeichnen zu können, wurden insbesondere Wahlkampfmaterialien und Veröffentlichungen der Parteien untersucht. Flugblätter, Wahlkampfbroschüren und Presseerklärungen vermitteln ein recht genaues Bild der Positionen, die die Parteien gegenüber der Öffentlichkeit einnahmen. 52

53

54

Vgl. Newman, M., Democracy versus Dictatorship. Labour's Role in the Struggle against British Fascism 1933-1936. In: History Workshop Journal 5 (1978), S. 67-88. Vgl. Wiehert, S., The Enigma of Fascism. The British Left on National Socialism. In: Bossy, J., Jupp, P. (Hrsg.), Essays presented to Michael Roberts, Belfast 1976, S. 145-158. Vgl. Silby, V E., The Labour Party and British Fascism. Reactions and Responses 1933-1943, Oxford University 1986, unveröffentl. MPhil Thesis.

30

Einleitung

In den Conservative Party Archives findet sich eine große Anzahl von Flugblättern, die sich speziell mit dem englischen und internationalen Kommunismus beschäftigen. Die englischen Faschisten hingegen werden eher selten erwähnt. Auch in den Instruktionen für Wahlkämpfe, die die Conservative Party 1931 und 1935, den beiden Wahljahren der Dekade, herausgaben, wurden die extremistischen Parteien berücksichtigt. Herausgeber dieser sogenannten Election Guides und Hints for Speakers war das Central Office, das die Parteiarbeit organisierte und koordinierte. Election Guides und Hints for Speakers richteten sich an die konservativen Wahlkämpfer im Land. In diesen Materialien, die man auch als Wahlkampfleitfaden bezeichnen könnte, teilte die Parteizentrale ihren Anhängern mit, wie sie sich und die Partei der Öffentlichkeit gegenüber darstellen sollten und skizzierte zu vielen aktuellen Themen die offizielle Einschätzung der Conservative Party. Auch hier wurden die extremistischen Parteien erwähnt, wobei erneut die Kommunisten wesentlich stärkere Berücksichtigung fanden. Weitere wichtige Quellen für die Darstellung der öffentlichen Haltung der Conservative Party sind die Wahlreden und Aufrufe konservativer Kandidaten für die Unterhauswahlen - die Election Addresses - sowie die Protokolle der jährlichen Parteitage der Tories, auf denen eine allgemeine Beurteilung der politischen Lage erfolgte. Auch in den parteieigenen Magazinen wie Man in the Street, Home and Politics, Politics in Review und Conservative Agents' Journal werden die extremistischen Parteien und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Tories mehrfach erwähnt. Man in the Street und Home and Politics richteten sich vor allem an den britischen Durchschnittsbürger und wählten deshalb einen eher volkstümlichen Zugang zu politischen Fragen. Entsprechend einfach und griffig sind dort auch die politischen Analysen und Aussagen der Conservative Party formuliert. Politics in Review und das Conservative Agents' Journal hingegen waren für ein politisch interessierteres und gebildeteres Publikum gedacht, weshalb diese Zeitschriften sich auch komplexeren Fragestellungen widmeten. Insbesondere das Conservative Agents' Journal war ein Magazin für politisch tätige Anhänger der Partei. Die »agents« organisierten die lokale Parteiarbeit, so daß sich im Conservative Agents' Journal offizielle Stellungnahmen des Central Office und Handlungsanleitungen zu politischen Themen finden lassen. Auch die Labour Party veröffentlichte diverse Flugblätter, die sich mit Faschismus und Kommunismus auseinandersetzen und Rückschlüsse auf den offiziellen Kurs der Partei zulassen. Anders als bei den Konservativen läßt sich hier jedoch keine stärkere Berücksichtigung der Communist Party beobachten. Labour widmete sich beiden extremistischen Parteien in annähernd gleicher Intensität. Zusätzlich zu Flugblättern und anderen Wahlkampfbroschüren wurden auch für die Labour Party die Protokolle der jährlich stattfindenden Parteitage eingesehen, da die Partei auf diesen Versammlungen ausführlich über politische Fragen der Zeit debattierte. Anhand der Parteitagsprotokolle der dreißiger Jahre können die zum Teil durchaus kontrovers verlaufenden Diskussionen innerhalb

Einleitung

31

der Partei über die extremistischen Herausforderungen nachvollzogen werden. Denn neben der Position der Labour-Führung lassen sich hier auch von dieser Einschätzung abweichende Meinungen innerhalb der Partei zu Tage fördern. Während die meisten Unterlagen des Central Office der Conservative Party erst ab den späten vierziger Jahren erhalten sind, kann über die Papiere des National Executive Committee (NEC), des Parteivorstandes der Labour Party, für die gesamten dreißiger Jahre verfügt werden. Insbesondere die Sitzungsprotokolle des N E C geben Hinweise auf die Einschätzung der extremistischen Parteien durch die Labour Party. Darüber hinaus findet sich in den Unterlagen des Parteivorstandes ein Aktenbestand mit dem Titel »Anti-Fascist Activity in U. K. 1933 - 1937«, in dem zahlreiche Resolutionen zum englischen Faschismus zusammengefaßt sind. Diese Äußerungen, zumeist Presseerklärungen und Rundschreiben, richteten sich in erster Linie an die Öffentlichkeit, vor allem an die eigene Anhängerschaft, und sind als Quellen einzustufen, aus denen die offizielle Haltung der Labour-Führung gegenüber BUF und CPGB ersichtlich wird. Zusätzlich sind in diesem Aktenbestand Unterlagen gesammelt, die die Aktivitäten der LabourFührung gegenüber der BUF dokumentieren. Es findet sich hier beispielsweise eine Fragebogenaktion des Parteivorstandes in ausgewählten Wahlkreisen über Umfang und Einfluß lokaler BUF-Gruppen. Neben diesen Materialien wurden die Papiere des National Council of Labour (NCL) eingesehen, eines Gremiums, das sich als Bindeglied zwischen Labour Party und Gewerkschaften verstand und in den dreißiger Jahren maßgeblich den Kurs der Partei bestimmte. Die Mitglieder des National Council of Labour rekrutierten sich zur einen Hälfte aus der Führung der Labour Party und zur anderen aus dem zentralen Gewerkschaftsvorstand, dem Trades Union Congress General Council. Auch in den Sitzungsprotokollen des N C L werden die englischen extremistischen Parteien erwähnt. Außerdem wurden die Sitzungsprotokolle des Führungsgremiums der Gewerkschaften, des Trades Union Congress General Council hinzugezogen, da die Gewerkschaften einen wesentlichen Einfluß auf die Haltung der Labour Party gegenüber den extremistischen Parteien ausübten. Im Archiv des Trades Union Congress (TUC) finden sich, ähnlich wie auch in den Beständen der Labour Party, spezielle Materialsammlungen zu Faschismus und Kommunismus. Auch auf den jährlichen Gewerkschaftskongressen wurde das Thema behandelt, so daß die Protokolle dieser Treffen neben den Parteitagsprotokollen der Labour Party berücksichtigt werden. Doch soll es nicht nur um die Außendarstellung der Parteien gegenüber der englischen Öffentlichkeit gehen, sondern zusätzlich der Versuch unternommen werden, mögliche parteiinterne Rückwirkungen der extremistischen Herausforderungen nachzuzeichnen. Da die Unterlagen des Parteivorstandes der Labour Party für die dreißiger Jahre wesentlich vollständiger erhalten sind als die des Central Office der Conservative Party, erweist es sich als entsprechend schwieriger, diesen Aspekt für die Konservativen zu beleuchten. In den Sitzungsprotokollen und Materialsammlungen des Parteivorstandes der Labour Party, des General Council der Gewerkschaften und des N C L fin-

}2

Einleitung

den sich Hinweise auf parteiinterne Diskussionen über die extremistischen Parteien. So bietet die bereits erwähnte Fragebogenaktion des N E C einen Einblick in die Befürchtungen des Parteivorstandes angesichts einer möglichen Konkurrenz durch die neue Partei am rechten Rand des politischen Spektrums. Auch mit der Anziehungskraft kommunistischer Gruppen für die eigene Anhängerschaft beschäftigte man sich in der Führung von Labour Party und Gewerkschaften und dachte darüber nach, mit welchen Mitteln man dieser potentiellen Attraktivität entgegenwirken könnte. Für die Conservative Party bieten die Bestände des Conservative Research Department (CRD), der 1929 gegründeten politischen Ermittlungsabteilung des Central Office, einen Einblick in parteiinterne Überlegungen angesichts der Existenz extremistischer Gruppierungen in England. Ähnlich wie die Labour Party beschäftigte man sich auch in den Gremien der Conservative Party intensiv mit der potentiellen Attraktivität der BUF für junge Menschen. Allerdings ist dieses Quellenmaterial recht begrenzt, so daß zusätzlich die Unterlagen von Organisationen hinzugezogen wurden, die den Konservativen nahe standen und die Partei politisch unterstützten. Insbesondere die Korrespondenz zwischen Arthur Bryant, dem Leiter der National Book Association, einem unter konservativer Regie agierenden politischen Buchklub, mit dem Leiter des Öffentlichkeitsressorts des Central Office, Patrick Gower, erweist sich in diesem Kontext als aufschlußreich. Schließlich sollen Auffassungen innerhalb der Labour Party und der Conservative Party berücksichtigt werden, die sich vom offiziellen Kurs der Parteien zum Teil erheblich unterschieden. In beiden Parteien gab es Stimmen, die die Haltung der Parteizentralen konterkarierten. Die positive Einschätzung des Faschismus in konservativen Kreisen wird vor allem in zeitgenössischen Veröffentlichungen deutlich. Eine Gruppe konservativer Sympathisanten des italienischen Faschismus publizierte regelmäßig in der English Review, einer Zeitschrift, die sich vor allem an die Tories richtete, die mit dem politischen Kurs Baldwins nicht einverstanden waren. Die in den dreißiger Jahren entstandenen Werke Leopold Amerys 55 , vor allem The Forward View von 1935, erweisen sich als sehr ergiebige Quellen, um die positiven Reaktionen einzelner Tories auf faschistische Wirtschaftskonzepte nachzeichnen zu können. Um positive Reaktionen des linken Flügels der Labour Party auf den Kommunismus zu veranschaulichen, wurden insbesondere die Veröffentlichungen des Left Book Club sowie zeitgenössische Äußerungen in Zeitschriften berücksichtigt. Der Left Book Club, eine von der Labour Party unabhängige Organisation, verstand sich als Publikationsort für Befürworter einer Kooperation mit der CPGB. Er zog viele Mitglieder des linken Flügels der Labour Party an, so daß sich in seinen Ver55

Amery war ein prominenter Vertreter des rechten Flügels der Conservative Party. Neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter für Birmingham South und Birmingham Sparkbrook von 1918 bis 1945, bekleidete er diverse Regierungsämter wie zum Beispiel das des Secretary of State for the Dominions (1925-1929) oder des Secretary of State for India (1940-1945). Während der dreißiger Jahre agierte er jedoch nicht als Regierungsmitglied, sondern tat sich vor allem als scharfer Kritiker von Baldwins Kolonialpolitik hervor.

Einleitung

33

öffentlichungen diverse Äußerungen finden lassen, die vom Kurs des Parteivorstandes erheblich abwichen. Für die positiven Rückwirkungen der ökonomischen Ideen insbesondere des Sowjetkommunismus auf die Politik der Labour Party sind vor allem Hugh Daltons 56 Aufsätze und Bücher ergiebige Quellen. Zur Darstellung der Abwehr des Extremismus in England wurden Veröffentlichungen von parteiübergreifenden Organisationen in die Untersuchung einbezogen. Dabei handelt es sich einerseits um die 1936 gegründete Association for Education in Citizenship, die sich angesichts der Existenz extremistischer Parteien im eigenen Land der verstärkten Erziehung zur Demokratie verschrieben hatte. Zum anderen sind die Aktivitäten der ebenfalls 1936 ins Leben gerufenen Freedom and Peace Union, die die englische Öffentlichkeit über die drohende Gefahr des Nationalsozialismus insbesondere in außenpolitischer Hinsicht aufklären wollte, in diesem Kontext bedacht worden. Darüber hinaus erweisen sich vor allem die Reden Stanley Baldwins als eine sehr aufschlußreiche Quelle, um die Frage nach der abwehrenden Reaktion der englischen Gesellschaft auf Faschismus und Kommunismus zu klären. Sammlungen der Reden des Premierministers erschienen in der Zwischenkriegszeit auch in Buchform, erreichten hohe Auflagen und waren entsprechend weit in der Öffentlichkeit der dreißiger Jahre verbreitet. 57 Angesichts des vielfältigen Quellenmaterials, das darauf hindeutet, daß sich sowohl die Konservativen als auch die Labour Party in den dreißiger Jahren durchaus mit den Herausforderungen des politischen Extremismus in ihrem Land beschäftigten, erscheint es verwunderlich, daß der Einfluß der BUF und der CPGB auf die Politik der beiden großen demokratischen Parteien bislang in der Forschung kaum berücksichtigt worden ist. Eine Analyse der Rückwirkungen der extremistischen Bewegungen auf die etablierten Parteien in England kann nicht nur der Erklärung des Scheiterns eines anti-demokratischen Modells auf der britischen Insel dienen, sondern zusätzlich ein neues Licht auf die politischen Kräfteverhältnisse in den dreißiger Jahren werfen. Vor allem aber soll die folgende Darstellung dazu beitragen, eine Antwort zu finden auf die Frage, warum Großbritannien in den dreißiger Jahren einen politischen Weg ging, der sich von jenem anderer europäischen Staaten zur selben Zeit so gravierend unterschied. Wieso blieb England eine »Insel der Demokratie« in einer Zeit, in der die totalitären Regime auf dem europäischen Kontinent ihren Siegeszug antraten? Die Beschäftigung mit den Reaktionen der demokratischen Parteien auf die innenpolitische extremistische Herausforderung soll ein Versuch sein, diese »Lücke« in der historischen Forschung über Großbritannien im Jahrzehnt vor dem Zweiten Weltkrieg zu verkleinern. Hugh Dalton war einer der einflußreichsten Politiker der Labour Party in den dreißiger Jahren. Er war seit 1931 Vorsitzender der Unterausschüsse des Parteivorstandes für Politik und Finanzen und konnte die politische Richtung seiner Partei maßgeblich dirigieren. 1936 wurde er Vorsitzender des N E C . Vgl. Baldwin, S., Our Inheritance. Speeches and Addresses by the Right Honourable Stanley Baldwin, London 1928, ders., On England and Other Addresses, Glasgow 1933; ders., This Torch of Freedom. Speeches and Addresses, London 1935; ders., Service of Our Lives. Last Speeches as Prime Minister, London 1937; ders., An Interpreter of England, London 1939.

TEIL 1: HINTERGRUNDE

Letztlich basiert eine Untersuchung, die sich mit den Reaktionen der großen demokratischen Parteien auf die extremistische Herausforderung in den dreißiger Jahren beschäftigt, auf der politischen Geschichte der englischen Gesellschaft zumindest der zurückliegenden einhundert Jahre. Diesen sehr breiten historischen Kontext gilt es so zusammenzufassen, daß für die Fragestellung wichtige Aspekte und Kontinuitäten verständlich werden. Von vorrangiger Bedeutung ist dabei, die beiden englischen Ausprägungen des Kommunismus und Faschismus in einen spezifisch englischen Zusammenhang einzuordnen. Konnten die beiden extremistischen Parteien der dreißiger Jahre auf gewisse Traditionen radikalen politischen Denkens in Großbritannien zurückgreifen oder handelte es sich bei BUF und CPGB um gänzlich neue Phänomene auf dem politischen Spektrum? Neben einer Darstellung der Traditionen der politischen Linken und Rechten ist die Kenntnis der Gründungsumstände, der wichtigsten politischen Forderungen, Mitgliederzahlen und anderer Basisinformationen über die englischen Kommunisten und Faschisten entscheidend, um die politische Reaktion der etablierten Parteien einschätzen zu können. Schließlich soll deutlich werden, daß sich Labour Party und Conservative Party in den dreißiger Jahren mit einer Vielzahl politischer Probleme und Herausforderungen auseinanderzusetzen hatten. BUF und CPGB waren lediglich ein Aspekt unter diversen anderen Fragestellungen, auf die eine demokratische Partei Antworten finden mußte. Die Weltwirtschaftskrise und ihre verheerenden Auswirkungen auch auf die englische Industrie, die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit und die sich im Verlauf der Dekade zuspitzende außenpolitische Situation waren wichtige Themen. Eine Darstellung der innerparteilichen Situation von Labour Party und Conservative Party in den dreißiger Jahren soll deshalb das Gesamtbild der politischen Hintergründe abrunden.

I. DIE POLITISCHE LINKE IN ENGLAND 1. D I E TRADITION DER POLITISCHEN LINKEN IN E N G L A N D

Zur wichtigsten Partei auf der linken Seite des politischen Spektrums in Großbritannien hat sich seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Labour Party entwickelt, die die parlamentarische Interessenvertretung der englischen Arbeiterbewegung begründete. Charakteristisch für die überwiegende Mehrheit der englischen Linken war eine unbedingte Befürwortung der demokratischen

I. D i e politische Linke in England

35

Ordnung und die Überzeugung, eigene Interessen mit den Mitteln des Parlamentarismus durchzusetzen. Man wollte das bestehende System nicht mit revolutionären Methoden beseitigen, sondern durch sukzessive Reformen eine bessere und gerechtere Gesellschaft schaffen. Sozialistische Zielsetzungen, wie beispielsweise die Verstaatlichung von Produktionsmitteln, nahm die Labour Party erst relativ spät, und auch dann nur sehr vorsichtig formuliert in ihre Parteistatuten auf. Da die Partei mit diesem moderaten politischen Kurs viele Menschen aus der Arbeiterklasse ansprechen konnte, blieb eine Radikalisierung ihrer Politik weitgehend aus. Bevor die Communist Party of Great Britain gegründet wurde, existierten bereits unterschiedliche radikal-sozialistische Gruppierungen, die zum größten Teil in der Labour Party aufgingen, wo sie jedoch lediglich eine Minderheit darstellten. 1 Es ist diese sehr eng mit der Labour Party verknüpfte Tradition der englischen Linken, die für eine Erklärung des Scheiterns einer radikalen oder marxistischen Politik in England heranzuziehen ist. Trotz aller Bezüge zum internationalen Sozialismus war der Labour-Sozialismus ein genuin britisches Produkt, dem vor allem keine allgemeingültige Doktrin zugrunde lag.2 Der englische »Labourismus« wird deshalb häufig auch als ein Konglomerat verschiedener Ideen- und Traditionsstränge beschrieben, das Raum für durchaus rivalisierende ideologische Konzepte ließ. 3 Obwohl auch englische Sozialisten von der Notwendigkeit einer radikalen Umgestaltung des gesellschaftlichen Systems überzeugt waren, lehnten sie den Klassenkampf als Mittel zur Verwirklichung ihrer Ziele ab. 4 Der Sozialismus linker Intellektueller, der sich gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in England herausbildete, stand in der liberal-utilitaristischen Tradition der Radikalen. Dieser liberale Radikalismus stellte als einzige politisch wirksame Kraft die staatliche Ordnung des neunzehnten Jahrhunderts grundsätzlich in Frage und vermittelte wichtige Impulse für die Ausbildung des spezifischen Sozialismus der Labour Party. Besonders deutlich wird diese geistige Verbundenheit mit dem älteren liberalen Radikalismus in den Theorien der Fabians, einer der wichtigsten sozialistischen Gruppierungen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. 5 Gegründet 1883 als Fellowship of the N e w Life standen die Fabians in der Tradition eines ethisch-religiös orientierten Sozialismus und entwickelten einen nahezu utopisch anmutenden Gesellschaftsentwurf, der auf dem moralischen Prinzip der »brotherhood« basierte: »We recognise [...] as the only and sufficient ground of 1

2

4 5

Zu nennen wären hier zum Beispiel die British Socialist Party, deren circa 5000 Mitglieder seit 1916 Mitglieder der Labour Party waren, oder die mit nur 1000 Mitgliedern sehr kleine Socialist Labour Party, die sich nicht der Labour Party anschloß, da sie deren Reformismus ablehnte. »The movement among the masses, in as far as it was Socialist at all, created a Socialism almost without doctrines.« Vgl. Cole, G. D. H., A Short History of the British Working-Class Movement 1789-1947, London 1948, S. 286-287. Vgl. Berger, S., Ungleiche Schwestern? Die britische Labour Partv und die deutsche Sozialdemokratie im Vergleich. 1900-1931, Bonn 1997, S. 198. Vgl. Cole, Short History of the British Working-Class Movement, S. 286 f.. Vgl. Bevir, M., Fabianism, Permeation and Independent Labour. In: Historical Journal 39 (1996), S. 179-196.

36

Teil 1: Hintergründe

the possibility of any social reconstruction the presence and prevailance of the spirit of brotherly love, of justice and equality.« 6 Mitglieder wie Sidney und Beatrice Webb führten die Fabian Society von ihrem anfänglichen Utopismus zu einem stärker praxisbezogenen Programm. Sidney Webb entwickelte die Theorie des Kollektivismus, eines staatlich organisierten Sozialismus, der einen sozial gerechteren Aufbau der Gesellschaft garantieren sollte. Die »social reconstruction« der Gesellschaft lag bei einer ausgewählten gesellschaftlichen Elite 7 , die dabei wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen und sozialen Ausgleich nicht länger, wie in paternalistischer Manier in der Vergangenheit geschehen, als eine Sache von Almosen der besitzenden Schichten an die Armen ansehen sollte. Getragen wurde dieses Konzept vom Glauben an einen unaufhaltsamen, durch Wissenschaft fundierten Fortschritt der Gesellschaft in Richtung Sozialismus. Charakteristisch für den demokratischen Kollektivismus der Fabians war ihre Überzeugung, daß der Umbau der Gesellschaft durch einen evolutionären Prozeß und nicht durch einen radikalen Umsturz erreicht werden müsse. Sidney Webbs Idealvorstellung war, mittels staatlicher Gesetzgebung eine graduelle Veränderung, ein »Hineingleiten in den kollektivistischen Sozialismus« zu erreichen. In seinem Aufsatz The Historie Basis of Socialism formulierte Webb seine Vorstellungen folgendermaßen: »[...] important organic changes can only be 1) democratic, and thus acceptable to a majority of the people [...]; 2) gradual, and thus causing no dislocation, however rapid may bc the rate of progress; 3) not regarded as immoral by the mass of the people [...]; 4) in this country at any rate, constitutional and peaceful.«8 Webbs Ideal der »inevitability of gradualness«, das er in den Fabian Essays und den Fabian Tracts 1889 einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich machen konnte, sollte auch für die später gegründete Labour Party zentraler Bestandteil ihrer politischen Arbeit sein. In ihrer Auseinandersetzung mit Karl Marx wird deutlich, daß unter englischen Sozialisten das Werk dieses Vordenkers der kontinentaleuropäischen Arbeiterbewegung äußerst kritisch aufgenommen wurde und in vieler Hinsicht auf Ablehnung stieß. 9 Insbesondere dem historischen Materialismus wurde eine zu pessimistische Einschätzung der menschlichen Natur vorgehalten. Die Marxsche Lehre reduziere zu Unrecht sämtliche menschliche Handlungen auf materielle Interessen. Da sie die Ursachen gesellschaftlicher Veränderung allein auf h

Vgl. Fabian Society Meetings, Minute Books, 23. November 1883. Zitiert nach Wittig, P., Der englische Weg zum Sozialismus. Die Fabier und ihre Bedeutung für die Labour Party und die englische Politik, Berlin 1982 S. 49. ' »Socialist politics, in practice, was reduced to the activities of an elite whose energies were focused on the persuasion of the governing classes.« Vgl. Callaghan, J., Socialism in Britain since 1884, Oxford 1990, S. 44. 8 Vgl. Webb, S., The Historie Basis ot Socialism. In: Fabian Essays, London 1948, S. 32 f.. "> Für die Rezeption des Marxismus in England vgl. vor allem Macintyre, S., A Proletarian Science. Marxism in Britain 1917-1933, Cambridge 1980. Da im folgenden lediglich einzelne Aspekte der unterschiedlichen Auffassungen des englischen »Labourismus« und des Marxismus beleuchtet werden, sei an dieser Stelle auf die schlagwortartige Zusammenfassung Macintyres verwiesen:

I. Die politische Linke in England

37

ökonomische Faktoren zurückführe, berücksichtige sie keinerlei individualistische oder idealistische Motive. Diese Verkürzung historischen Wandels allein auf ökonomische Bedingungen rief den Widerspruch englischer Sozialisten hervor, die bei der Forderung nach sozialer Reform dem Bewußtsein des Individuums und nicht einem deterministischen Geschichtsverständnis den Vorrang gaben. Sie bezeichneten die marxistische Rückführung aller menschlichen Handlungen auf ökonomische Motive als »eng und mechanistisch« und lehnten marxistisches Denken allgemein als »unenglisch« ab. 10 In seinem 1911 erschienenen Buch The Socialist Movement beschäftigte sich Ramsay MacDonald, einer der führenden Sozialisten der Vorkriegszeit und in den zwanziger Jahren der erste Premierminister aus den Reihen der Labour Party mit dem historischen Materialismus: »The materialist conception of history is the view that the motive for historical change has been primarily economic and that the progress of man is solely inspired by his pocket.« Diese »one-sided and inadequate doctrine« kontrastierte MacDonald mit der Auffassung der Labour-Sozialisten »that the creative powers of Society are in men's minds, not in their pockets.«" Britische sozialistische Intellektuelle standen mehrheitlich nicht in der kontinentaleuropäischen, vor allem deutschen philosophischen Tradition der Hegelschen Dialektik, sondern waren vor allem durch den von John Locke, David Hume und John Stuart Mill geprägten englischen Empirismus beeinflußt. Sie konnten auch aus der Fortentwicklung der Gedanken Hegels durch Marx keinen Erkenntnisgewinn ziehen. Die Mehrheit zeigte sich uninteressiert sowohl an der Sprache als auch dem Konzept des dialektischen Materialismus, der als zu metaphysisch, zu wenig an den gesellschaftlichen Realitäten orientiert angesehen wurde. Auch wenn einige englische Sozialisten sich bemühten, den Marxismus als philosophisches Konzept populär zu machen, blieben sie doch akademische Außenseiter. 12 Neben dem historischen Materialismus und dem philosophischen Konzept der Dialektik war es vor allem der marxistische Klassenbegriff, der den Widerspruch britischer Sozialisten hervorrief. Sie konstatierten zwar, daß der Klassenkonflikt aufgrund unterschiedlicher ökonomischer Verhältnisse existierte, wollten diesen Gegensatz jedoch nicht als politische Methode zur Umsetzung eigener Vorstellungen nutzen. 13 Angestrebt wurde vielmehr »one class«, die

Labour Socialism Marxism ethical scientific empirical systematic construetive critical idealist/educationalist materialist corporate oppositional reformist revolutionary Vgl. Macintyre, A Proletarian Science, S. 49. Vgl. Wittig, Der englische Weg zum Sozialismus, S. 134. Vgl. MacDonald, J. R., The Socialist Movement, London 1911, S. 143-145. Vgl. Macintyre, A Proletarian Science, S. 146. Vgl. Macintyre, A Proletarian Science, S. 175.

38

Teil 1: Hintergründe

Harmonie aller gesellschaftlicher Gruppen durch einen reformerischen Sozialismus zu erreichen. Der Klassenbegriff als Kampfbegriff wurde abgelehnt: »It is the anti-Socialist who makes class appeals; the Socialist makes social appeals.« 14 Während Marxisten in der Niederschlagung des Kapitalismus die Voraussetzung für den Sozialismus sahen, dachten die Sozialisten der englischen Labourtradition genau umgekehrt. Durch die Steuereinnahmen eines erfolgreichen kapitalistisch-industriellen Wirtschaftssystems sollten die Ausgaben für die Reformen getragen werden, die schließlich zu einer sozialistischen Gesellschaftsform führen würden. 15 Zu den wenigen Gruppierungen in England, die sich an den Theorien des Marxismus orientierten, zählte die 1881 gegründete Social Democratic Federation (SDF). Ihr Gründer, Henry Myers Hyndman, war Geschäftsmann und ehemaliges Mitglied der Conservative Party. Er hatte Das Kapital gelesen und bemühte sich darum, in England eine stark vereinfachte Form des Marxismus populär zu machen. Da er Marx in seinen eigenen Schriften jedoch nur sehr verzerrt wiedergab und ihn dabei noch nicht einmal zitierte, warfen ihm Marx und Engels vor, lediglich Das Kapital zu paraphrasieren und versagten ihm jede wirksame Unterstützung. 16 Dieser fehlende Beistand sowie Hyndmans autoritärer Führungsstil trugen mit dazu bei, daß die SDF im neunzehnten Jahrhundert nie mehr als 4.000 Mitglieder zählte. Auch ihre 1911 gegründete Nachfolgeorganisation, die British Socialist Party (BSP) hatte bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges von ihren anfänglich fast 40.000 Mitgliedern nahezu ein Drittel verloren. 17 1893 gründete der schottische Arbeiterführer James Keir Hardie 18 die Independent Labour Party (ILP), die zu einem wichtigen politischen Instrument in den Bemühungen um eine unabhängige Arbeitervertretung werden sollte. 19 Sie stellte im Vergleich zu den Fabians gewissermaßen die praktische Ausformung englischen sozialistischen Denkens dar. Nach den Vorstellungen der ILP sollte der Sozialismus in erster Linie eine Massenbewegung sein, deren Ziel die Verbesserung der Lage der sozial Schwachen war. Die ILP vertrat eine Art humanitären Radikalismus, der zur Durchsetzung der gerechteren Verteilung von Besitz und Wohlstand eine sozialistische Politik aufgriff.20 Charakteristisch für den Sozialismus der ILP war vor allem seine stark durch christliche Moralvorstellungen geprägte Tendenz. 21 Keir Hardie machte es sich zur Aufgabe, die Ge14

Vgl. MacDonald, The Socialist Movement, S. 149. Vgl. Thorpe, A., »The only Effective Bulwark against Reaction and Revolution«. Labour and the Frustration of the Extreme Left. In: Ders. (Hrsg.), The Failure of Political Extremism in Inter-War Britain, S. 11-27, S. 16 f.. " Vgl. Tsuzuki, C , H. M. Hvndman and British Socialism, London 1961, S. 32-66. 17 Zahlen nach Watmough, P. A., The Membership of the Social Democratic Federation 1885-1902. In: Bulletin of the Society for the Studv of Labour History 34 (1977), S. 35-40. 18 Vgl. Morgan, K. O., Keir Hardie. Radical and Socialist, London 1975. " Vgl. Ritter, G., Parlament und Demokratie in Großbritannien, Göttingen 1972, S. 133. 20 Für die politischen Forderungen der ILP vgl. Callaghan, Socialism in Britain since 1884, S. 55. 21 Der bekannteste Vertreter dieses religiös anmutenden Sozialismus war Robert Blatchford. Von seinem Erfolgswerk »Merrie England« verkauften sich allein 1894 750.000 Exemplare. Vgl. Callaghan, Socialism in Britain since 1884, S. 57. 15

I. D i e politische L i n k e in England

39

werkschaften für eine von der Liberalen Partei unabhängige Vertretung von Arbeiterinteressen im Parlament zu gewinnen. Sie verfügten mit ihrer hohen Mitgliederzahl, ihren finanziellen Möglichkeiten und ihrer bereits gut ausgebildeten Organisationsstruktur über die nötigen Mittel, einer eigenständigen Arbeiterpartei in Großbritannien den Weg zu bereiten. 22 Als die ILP 1900 gemeinsam mit der Social Democratic Party (SDP), den Fabians und den Gewerkschaften das Labour Representation Committee (LRC) gründete, hatte Keir Hardie sein Ziel zunächst erreicht. Es war gelungen, die traditionelle Verbundenheit der Gewerkschaften mit den Liberalen zu durchbrechen und sie von der Notwendigkeit einer eigenständigen Arbeitervertretung im Parlament zu überzeugen. Hatte das LRC bei der Unterhauswahl 1900 gerade 63.304 Stimmen erhalten, so verfünffachte sich sein Wähleranteil bis 1906 auf 329.748 Stimmen. 23 Trotz der Nachteile für kleine Parteien durch das britische Mehrheitswahlrecht zogen immerhin 53 Abgeordnete in Westminster ein. Mit ein Grund für den Erfolg des LRC war eine Absprache zwischen dem Sekretär des Komitees, Ramsay MacDonald, und dem Koordinator der liberalen Parteiorganisation, Herbert Gladstone. Gladstone sicherte MacDonald zu, in 30 Wahlkreisen keine liberalen Gegenkandidaten zu den Vertretern des LRC aufzustellen, um auf diese Weise die liberalen und Labour-Stimmen gegen die konservativen Kandidaten zu vereinigen.24 Nach diesem Wahlerfolg stellte das LRC gegenüber den Arbeitervertretern der Liberalen die stärkere Gruppe im Parlament und änderte auf der Jahreskonferenz 1906 seinen Namen in Labour Party. Tonangebend innerhalb dieser neuen Labour Party waren nicht sozialistische Gruppen, sondern die Gewerkschaften, in denen vor allem die ältere Generation nach wie vor durch eine starke Verbundenheit mit liberalen Prinzipien geprägt war und die keineswegs die Vorhut der sozialistischen Revolution darstellten. Die Labour Party war eine »Vernunftehe«25, in der Gewerkschafter und Sozialisten eine gemeinsame Basis für die Interessenvertretung der Arbeiterschaft sahen. So war auch die Parlamentsfraktion eine Gewerkschafts- und Sozialreform-Bewegung ohne doktrinäre Basis, die - oft mit Hilfe der Liberalen Partei - die Lage der Arbeiterschaft verbessern wollte. Bis 1918 folgte die Labour Party keinem dezidiert sozialistisch ausgerichteten Programm. Das Ziel der Partei war nach den auf dem Parteikongreß von 1906 abgeänderten Satzungen: »Eine Labourpartei im Parlament mit eigenen Fraktionssprechern und eigener Politik zu bilden und zu erhalten und die Wahl von Kandidaten zu betreiben.« 26 Anträge, die Partei möge entweder eine eindeutige programmatische Erklärung abgeben oder in ihre Satzung ausgesprochen sozialistische Ziele aufnehmen, wurden auf den jährlichen Parteitagen immer wieder abgelehnt. Dieses Abstimmungsverhalten wirft ein bezeich22 23 24 25 26

Vgl. Ritter, Parlament und Demokratie in Großbritannien, S. 132. Angaben nach Clarke, P, Liberais and Social Democrats, Cambridge 1978, S. 139. Vgl. McKibbin, R., The Evolution of the Labour Party 1910-1924, Oxford 1974, S. 20-43. Vgl. Ritter, Parlament und Demokratie in Großbritannien, S. 141. Satzung der Labour Party 1906. Zitiert nach McKenzie, R. T, Politische Parteien in England. Die Machtverteilung in der Konservativen und in der Labourpartei, Köln/Opladen 1961, S. 308.

40

Teil 1: Hintergründe

nendes Licht auf das Verhältnis zwischen den Vertretern der sozialistischen Vereinigungen und der Gewerkschaften. Letztlich stammte die überwältigende Mehrheit der Mitglieder sowie der finanzielle Rückhalt der Partei von den Gewerkschaften, die sich nicht als sozialistisch definierten. Erst 1918 erklärte es das Parteistatut als eines der Parteiziele, »[...] to secure for the producers by hand and by brain the füll fruits of their industry and the most equitable distribution thereof that may be possible upon the basis of the common ownership of the means of production, and the best obtainable System of populär administration and control of each industry and Service.«27 Es handelte sich hier um die erste verbindliche Definition einer, wenn auch sehr vorsichtig formulierten, sozialistischen Maxime in der Programmatik der Partei. 1918 wurde auch ein neues Organisationsstatut eingeführt, das die Öffnung der Partei für individuelle Mitglieder ermöglichte. In der Folge wandelte sich die Labour Party von einem Zusammenschluß unabhängiger Organisationen zu einem politischen Verband. Durch diese Bestimmungen wurde die Macht der ILP entscheidend geschwächt, da sie ihre bisherige Funktion als Rückgrat der lokalen Organisation der Labour Party einbüßte. Einige der neuen Wahlkreisorganisationen wurden zwar ein Brennpunkt des militanten Sozialismus, bildeten aber niemals ein so geschlossenes Ganzes, nie eine so radikale Minderheitsfraktion, wie es die ILP zur Zeit ihres größten Einflusses gewesen war.28 Trotz des sozialistischen Programmes von 1918 blieb die Labour Party in vieler Hinsicht ein Annex der Gewerkschaften, die mit ihren kompakten Stimmblöcken die Parteitage beherrschten. Aus diesem Grund wird ihr aus heutiger Sicht bestenfalls eine sozialistische Rhetorik zugestanden und lediglich ein rein defensives Klassenbewußtsein bescheinigt, das letztlich auf der Skepsis gegenüber Vertretern eines anderen sozialen Milieus beruhte. 29 Die gemäßigte politische Ausrichtung der Labour Party spiegelte zu einem hohen Maß die politische Haltung der englischen Arbeiterklasse wider, in der radikale und revolutionäre Tendenzen seltene Phänomene waren. 30 Als einer der Hauptgründe dieser Entwicklung wird in der Forschung die fortschreitende Differenzierung der Industrielandschaft genannt, die zu einer zunehmenden sozialen Fragmentierung der Arbeiterklasse führte und die Ausbildung einer kollektiven Identität verhinderte. 31 Vor allem die individualisierte Form der Arbeit im Dienstleistungssektor, der zu den am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweigen im edwardianischen England zählte, wirkte dem entgegen. Insbeson27

Vgl. Parteistatut der Labour Party 1918. Zitiert nach McKenzie, Politische Parteien in England, S. 315. 28 Vgl. McKenzie, Politische Parteien in England, S. 268. 2Fronts< of any kind emcrged with a bad name.« Vgl. Pimlott, Labour and the Left in the 1930s, S. 149.

I. Die Labour Party

131

the rank and file of the Labour Party would not stand the simultaneous refusal of co-operation with another working-class party, such as the Communists, and collaboration with the Liberais. Hence the present leaders of the Labour Party are driven to the most narrow Social Democratic exclusiveness as their only method of successfully resisting association with the Communist Party.«133 Stracheys Lösung lag natürlich auf der Hand, schließlich zählte er zu den bedeutendsten Verfechtern der Populär Front in England. Doch hätte eine Zusammenarbeit mit der Communist Party die gesamte politische Aussage der Labour-Führung, die auf die entschiedene Ablehnung sowohl des Kommunismus als auch des Faschismus und Nationalsozialismus zielte, ad absurdum geführt. Zudem wäre durch eine solche Kooperation der Conservative Party die denkbar beste Vorlage für ihren Wahlkampf geliefert worden. Als Konsequenz hielt sich die Labour Party bis 1940 von jeglichen Koalitionen fern und blieb in der Opposition. Während der gesamten dreißiger Jahre wurde die Labour Party mit immer neuen Kampagnen für eine Zusammenarbeit mit der Communist Party konfrontiert. Da der Parteivorstand jedoch von seiner anti-kommunistischen Position zu keinem Zeitpunkt abwich und sich das Gros der Partei dieser Haltung anschloß, bot sich der politischen Öffentlichkeit ein Bild der inneren Unruhe und Auseinandersetzungen. Die Popularität, die die Communist Party insbesondere in Intellektuellenkreisen aufgrund der Existenz einer faschistischen Partei in Großbritannien und der sich zuspitzenden internationalen Lage erreichen konnte, dividierte die Labour Party auseinander. Wurde die Gesamtpartei nach wie vor durch die gemäßigten Gewerkschaften und ihre Mitglieder dominiert, konnte es ein äußerst rühriger linker Parteiflügel für sich beanspruchen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in hohem Maße auf sich zu ziehen. In der Labour-Führung herrschte Einigkeit darüber, sowohl die Diktatur von rechts als auch von links abzulehnen. Diese Strategie wurde durch die Einheitsfrontangebote der CPGB sowie die Sympathien der Parteilinken für eine solche Politik beständig demontiert. Dennoch erwies sich die entschiedene Haltung der Labour-Führung insgesamt betrachtet als ein wirksames Mittel, der Communist Party nicht zu größerer politischer Popularität zu verhelfen. Denn letztlich akzeptierte auch die äußerste Linke den historisch gewachsenen Führungsanspruch der Labour Party als politische Vertretung der britischen Arbeiterschaft. Eine Mehrheit entschied sich dafür, innerhalb der Partei zu wirken und nicht Mitglied der CPGB zu werden. Die disziplinarischen Schritte des Parteivorstandes, Mehrfachmitgliedschaften sowohl in der Labour Party als auch in kommunistischen Organisationen unmöglich zu machen, haben zu dieser Entscheidung sicherlich ebenfalls beigetragen. Obwohl die Labour Party somit eine intensive Abwanderung ihrer eigenen Klientel zur CPGB verhindern konnte, gelang es ihr nicht, die ehemaligen Wähleranteile der Liberalen für sich zu gewinnen. Essentiell für einen Wahlsieg der Labour Party wäre es jedoch gewesen, diese Wähler zu erreichen. Nicht zu33

Vgl. Strachey, J., A People's Front for Britain? In: The Left News No. 4, August 1936.

132

Teil 2: Die Reaktionen auf den Kommunismus

letzt aus diesem Grund bemühte sich der Parteivorstand, eine moderate und beständige politische Linie voranzutreiben. Doch die anhaltenden innerparteilichen Auseinandersetzungen über die Communist Party sabotierten dieses Ansinnen und sind ein Grund dafür, daß es der Labour Party während der dreißiger Jahre mißlang, von der Opposition in die Regierungsverantwortung zu wechseln.

3. »INOFFIZIELLE« REAKTIONEN DER LABOUR PARTY AUF DEN KOMMUNISMUS

Bislang wurden zwei Reaktionsmuster der Labour Party auf den Kommunismus untersucht. Eine Reaktion war die insbesondere der Öffentlichkeit gegenüber demonstrierte strikte Ablehnung des Kommunismus durch Führungsgremien und Gewerkschaften, eine andere die offen geäußerte Sympathie für kommunistische Vorstellungen des linken Parteiflügels. Doch läßt sich über diese beiden Reaktionen hinaus noch eine dritte Verhaltensweise beobachten. Angesichts der politischen und ökonomischen Krise insbesondere der frühen dreißiger Jahre sahen sich führende Politiker der Labour Party dazu gezwungen, Reformwillen und Modernität zu signalisieren, auch um die eigene Anhängerschaft zu halten. Die Existenz von BUF und CPGB in Großbritannien verdeutlichte den demokratischen Parteien, daß beide Gruppen offensichtlich bestimmte Bedürfnisse der Bevölkerung ansprachen, für sich instrumentalisierten und aus diesem Grund auf einen gewissen Grad an Zustimmung in der Wählerschaft stießen. Sowohl Labour Party als auch Conservative Party bemühten sich deshalb, die Attraktivität der extremistischen Bewegungen bei den britischen Wählern zu mindern, indem sie Teilaspekte der Programmatik von BUF und CPGB in die eigene politische Agenda integrierten. Diese Verhaltensweise zielte einerseits darauf, die Chancen der eigenen Partei zu mehren, hatte andererseits jedoch den Effekt, daß die demokratischen Parteien das Potential des Extremismus abschwächten und somit gleichzeitig die Demokratie stärkten. Weder Labour Party noch Conservative Party verkannten die den extremistischen Parteien inhärente Anziehungskraft für bestimmte Bevölkerungsschichten und bewiesen nicht zuletzt deshalb die nötige Sensibilität, den extremistischen Parteien keinen Raum als politische Alternativen in Großbritannien zu lassen. Führende Politiker der Labour Party beurteilten nicht alle Aspekte des Kommunismus gleichermaßen als falsch, sondern nahmen eine differenziertere Position ein, als dies in den offiziellen Parteiverlautbarungen geschehen konnte. Bei aller Ablehnung des Kommunismus als politischem Ordnungsprinzip sah man doch einiges, das sich lohnte, für das eigene politische Programm zumindest zu überdenken. Da dieses dritte Reaktionsmuster der Labour Party nicht öffentlich thematisiert, sondern vielmehr in parteiinternen Positionspapieren oder individuellen Veröffentlichungen behandelt wurde, wird es als inoffizielle Reaktion bezeichnet. Es handelte sich dabei nicht um den nach außen demonstrierten, offiziellen Kurs der Partei, sondern eher um private Überlegungen. Eine genaue Differenzierung zwischen öffentlichen und privaten Äußerungen

I. Die Labour Party

133

bleibt jedoch schwierig. Einige dieser Überlegungen waren durch ihre Publikation durchaus auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich, so daß sich die Grenzen zwischen »offiziell« und »inoffiziell« teilweise verwischen können. Als Beispiele für den Niederschlag, den Elemente sowohl des Kommunismus als auch des Faschismus teilweise in den Überlegungen der Labour Party fanden, sollen das ökonomische Konzept der Planwirtschaft und das italienische Modell des korporativen Staates134 sowie die Diskussion über eine Verbesserung der Jugendarbeit in der Partei dienen. Diese »indirekten« Reaktionen veranschaulichen, daß man weder BUF noch CPGB aufgrund ihres geringen Einflusses auf konkrete politische Entscheidungen ignorierte. Die Existenz beider Parteien in Großbritannien verdeutlichte den etablierten Parteien die Notwendigkeit, den eigenen politischen Kurs teilweise zu überdenken und, den politischen und ökonomischen Gegebenheiten entsprechend, zu modifizieren. 3.1 Hugh Daltons Auseinandersetzung

mit der sowjetischen Planidee

Einer der einflußreichsten Politiker in der Labour Party der dreißiger Jahre war Hugh Dalton 135 , der Ende 1931 Mitglied des Policy Committee des Parteivorstandes der Labour Party wurde. In diesem Gremium gestaltete er maßgeblich die Programmatik seiner Partei und konnte durch die Mitarbeit im Policy Committee und im Finance Committee sowohl die wirtschaftspolitische Diskussion als auch die konkrete Ausformulierung der ökonomischen Konzeption der Führungsgremien wesentlich beeinflussen. 136 Im Juli 1932 reiste Dalton gemeinsam mit einer Gruppe des New Fabian Research Bureau für fünf Wochen in die Sowjetunion. Die Erfahrungen und Gespräche dieser Reise hinterließen einen bleibenden Eindruck 137 und inspirierten ihn, planwirtschaftliche Elemente in das ökonomische Programm seiner Partei zu integrieren. Konfrontiert mit hoher Arbeitslosigkeit insbesondere in den traditionellen Arbeiterrevieren des englischen Nordens, zeigte sich die Gruppe beeindruckt vom vermeintlichen Erfolg kommunistischer Wirtschaftspolitik in der Sowjetunion. Da die sowjetische Wirtschaft, anders als die kapitalistischen Staaten, von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise weitgehend unberührt geblieben war und durch eine aktive Beschäftigungspolitik das Problem der Ar134

135

136

137

Eine kritische Auseinandersetzung mit den korporativen Elementen des italienischen Faschismus findet sich bei Sarti, R., Fascism and the Industrial Leadership in Italy 1922-1943. A Study in the Expansion of Private Power under Fascism, Berkely 1971. Dalton war von 1929-1931 und von 1935-1959 Abgeordneter für den Wahlkreis Bishop Auckland in der Grafschaft Durham. Neben der Mitgliedschaft in den Finanz- und Politikausschüssen des N E C war er von 1936-1937 Vorsitzender des N E C . Seiner politischen Karriere vorausgegangen war eine Dozententätigkeit an der London School of Economics, der er sich auch als Politiker weiter verbunden fühlte. »More than any colleague, he was able to determine both the outlines and the details of Labours financial and economic programme. The strong theme of »planning« that ran through the Party's official policy was largely of his making.« Vgl. Pimlott, Hugh Dalton, S. 212. »I returned, aftcr five weeks of talk and travel, immensely stimulated. 1 had caught a quick but vivid glimpse of a quite new world. And this remained with me as an abiding influence.« Vgl. Dalton, The Fateful Years, S. 26.

134

Teil 2: Die R e a k t i o n e n auf den K o m m u n i s m u s

beitslosigkeit überwiegend ausschalten konnte, ergab sich eine, oberflächlich betrachtet, gute Bilanz der sowjetischen Planpolitik. Dalton, der bis 1931 Abgeordneter eines jener von der Krise geschüttelten Wahlkreise im nordenglischen Kohlenrevier gewesen war, schrieb rückblickend über die Gründe seines positiven Eindrucks: »There was no unemployment in the Soviet Union. That was the biggest claim of all that Russian planners could make, in the early thirties, to visitors from the capitalist West, from Britain, or the United States, or Germany, those lands of the despairing dole queues.« 138 Die Situation der Bevölkerung in der Sowjetunion erschien Dalton besser als diejenige der Einwohner seines heimischen Wahlkreises in Durham 1 3 9 , es gab keine »dole queues« und kein soziales Elend, sondern neue Hoffnungen, die als Erfolge des 1932 beendeten ersten und im Anschluß daran begonnenen zweiten sowjetischen Fünfjahresplans präsentiert wurden. Beeindruckt von dieser Leistung der kommunistischen Regierung kehrte Dalton nach England zurück, bereit von den Errungenschaften der Sowjetunion zu lernen. 140 Daltons Lernwilligkeit bezog sich jedoch lediglich auf den ökonomischen Bereich; die politischen Verhältnisse in der Sowjetunion stießen bei ihm nach wie vor auf tiefe Skepsis, die ausschlaggebend für seine konsequente Zurückweisung der britischen Kommunisten in den dreißiger Jahren sein sollte. 141 Es war der Mangel an politischer und individueller Freiheit, die den demokratisch geprägten Dalton abstießen. Insbesondere die Unterdrückung freier Gewerkschaften in der Sowjetunion rief seine Kritik hervor: »Trade Unionism, illegal under the Tsars, is still in its infancy. Political freedom, as we know it, they have never known. They have many difficulties still to conquer.« 142 Seine planwirtschaftlichen Ideen veröffentlichte Dalton erstmals in einem Sammelband, den Margaret Cole nach der Rückkehr der Gruppe des New Fabian Research Bureau herausgab. 143 In seinem Beitrag unterstrich Dalton die Überzeugung, daß die sowjetische Planwirtschaft wertvolle Anregungen für die Gestaltung der eigenen Gesellschaft und ihres wirtschaftlichen Fortschrittes bieten könne: »For a Community as for an individual, bold and conscious planning of life is better than weak passivity and the tarne acceptance of traditional disabilities.« 144 Primäres Ziel von Daltons Überlegungen war es, eine größere 138 139

140

141

142

143 144

Vgl. Dalton, The Fateful Ycars, S. 28. »Most of the Russians I saw looked better fed than my unemployed Durham miners and their families.« Vgl. Dalton, The Fateful Years, S. 29. »I returned from the Soviet Union, convinced that here was a most formidable people. [...] They were embarked on a vast economic experiment, which, if it sueeeeded, would revolutionise the thought and practice of the world. We could learn much from them.« Vgl. Dalton, The Fateful Years, S. 30. Die Kritik von David Caute, der vielen jener linken Rußlandreisenden vorwarf, lediglich die Erfolge der Sowjetunion sehen zu wollen und vor den dunklen Seiten des sow]etischen Regimes die Augen zu verschließen, trifft deshalb auf Hugh Dalton nicht zu. Vgl. Caute, The Fellow Travellers, S. 70. Vgl. Dalton in der North Eastern Gazette, 15. Oktober 1931. Zitiert nach Pimlott, Flugh Dalton, S. 212. Vgl. Cole, M. (Hrsg.), Twelve Studies in Soviet Russia, London 1933. Vgl. Dalton, H., A General View of the Soviet Economy, with Special Reference to Planning. In: Cole, M. (Hrsg.), Twelve Studies in Soviet Russia, S. 13-34.

I. Die Labour Party

135

Verteilungsgerechtigkeit in England durchzusetzen. Dieses Ziel jedoch, davon war er mittlerweile überzeugt, ließ sich nur durch einen übergeordneten Plan realisieren. Des Erfolges seines wirtschaftspolitischen Ansatzes in England war Dalton sich sicher; mehr noch, er war der Auffassung, daß sich ein Wirtschaftsplan in England sogar noch wesentlich effektiver als in der Sowjetunion umsetzen ließe: »It is my firm conviction that, unless we in this country also adopt the principle of economic planning on Socialist lines, we shall find no Solution of our economic troubles. And if the Russians can do it and can make much remarkable progress in so short a time how much more effectively could we in England do it.«145 Entscheidend für den Erfolg einer solchen Politik, die sich die Überwindung der Arbeitslosigkeit durch Planwirtschaft und die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien zum Ziel gesetzt hatte, war vor allem eine zügige, entschlossene und effektive Umsetzung der neuen Ideen. Dabei müsse man, so Dalton, insbesondere die Schwerfälligkeit des administrativen Apparates ausschalten. Er forderte deshalb die Einrichtung einer zentralen Planungsbehörde, der eine ausgewählte Elite von Mitarbeitern angehören sollte. Ihre Aufgabe war es, die praktische Umsetzung der theoretischen Vorgaben voranzutreiben. Dalton schlug folgende Zusammensetzung des Gremiums vor: »[...] some special machinery, analogous to the Soviet Gosplan, containing both intelligent and willing Civil Servants and Socialist >expertsslancioenergia< which I find in Italy. I w o n d e r w h e t h e r in E n g l a n d , w h e r e n o w t h e r e is so m u c h i m p o t e n c e in face of t h e e c o n o m i c crisis, w e could, t h o u g h o u r t r a d i t i o n s and institutions are different, catch s o m e t h i n g of

this spirit.«150 Mussolini suchte den positiven Eindruck Daltons vom »Elan« des faschistischen Regimes noch zu verstärken, indem er ihm zu verstehen gab, beim Faschismus handele es sich um eine Form des Sozialismus, der lediglich an die italienischen Gegebenheiten angepaßt worden sei.151 Tief beeindruckt kehrte der Labour-Politiker nach England zurück; in sein Tagebuch schrieb er: »There is no other living man whom it would have thrilled me more to meet. Ruth 152 thinks he has conquered my susceptibilities too much.« 153 Daltons positives Bild des italienischen Faschismus sollte nicht lange andauern. Als sich im Laufe der dreißiger Jahre der repressive und außenpolitisch zunehmend aggressive Charakter des italienischen Regimes herausbildete, konnten auch wirtschaftspolitische Neuerungen Dalton nicht mehr vom fascismo überzeugen. 134 Dennoch beeinflußte die Theorie einer ständischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung Daltons ökonomische Überlegungen und ging auf diese Weise auch in das wirtschaftspolitische Programm der Labour Party der dreißiger Jahre ein. Anders als Oswald Mosley ließ sich Dalton nicht zum Faschismus bekehren, sondern verfolgte stattdessen sein Ziel, ein planwirtschaftliches Modell im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie durchzusetzen, um so intensiver.153 In seinem 1935 erschienenen Buch Practical Socialism for Britain erläuterte Dalton sowohl seine eigenen Vorstellungen als auch das Programm seiner Partei, das auf dem Parteitag 1934 in der Schrift For Socialism and Peace der englischen Öffentlichkeit vorgestellt worden war. Daltons Konzept unterschied sich von den Ideen des linken Flügels dadurch, daß es nicht ursächlich an die Abschaffung des kapitalistischen Systems gekoppelt war, sondern vielmehr in ihm funktionieren sollte. Er stand in dieser Hinsicht ganz in der Tradition der Fabians, die eine allmähliche Veränderung der bestehenden Verhältnisse hin zu einer besseren Gesellschaft anstrebten. Daltons Pragmatismus, innerhalb des existierenden gesellschaftlichen Systems planwirtschaftliche Ideen umzusetzen, rief die Kritik des linken Flügels der Labour Party und der Communist Party hervor. Ähnlichkeit wies Daltons Entwurf mit den Ideen der Next Five Years' Group und der Gruppe »Political and Economic Planning« auf, deren Mitglieder sich hauptsächlich aus der Konservativen und Liberalen Partei rekrutierten. Der ent-

149 130 151 132 153 154

133

Nach Daltons Übersetzung etwa gleichbedeutend mit »Elan«. Vgl. Pimlott, The Political Diary of Hugh Dalton, S. 173. Vgl. Pimlott, Hugh Dalton, S. 214. Daltons Ehefrau, die ihn nach Italien begleitet hatte. Vgl. Pimlott, The Political Diary of Hugh Dalton, S. 174. »Dalton's Italian phase was short-lived. Within three years, he had lost all his respect for Musso lini.« Vgl. Pimlott, Hugh Dalton, S. 216. Vgl. Foote, The Labour Party's Political Thought, S. 183.

I. Die Labour Party

137

scheidende Unterschied zwischen dem Denken des Sozialisten Dalton und diesen Gruppen war das Ziel, das mit einer auf planwirtschaftlichen Prinzipien basierenden Wirtschaftsordnung erreicht werden sollte. Dalton kam es in erster Linie darauf an, durch sein Wirtschaftskonzept einen materiellen Ausgleich zwischen den sozialen Schichten in England zu schaffen. »Planning« fungierte bei ihm gewissermaßen als ein Mittel, diesen Zweck zu erfüllen.156 Die Next Five Years' Group hingegen wollte primär die krisengeschüttelte englische Wirtschaft beleben und dachte weniger über die mit diesem Problem verbundene soziale Komponente nach. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß in allen politischen Lagern angesichts der Krise der Weltwirtschaft neue ökonomische Ideen rezipiert wurden. Da die wirtschaftspolitischen Konzepte der eigenen Regierung nicht länger uneingeschränkt Erfolg zu versprechen schienen, blickte man in andere Länder, um Anregungen für den Weg aus der Krise zu erlangen. »Planning« war ein Hauptthema in der Diskussion über die Frage, wie man die wirtschaftliche Krise überwinden könne. 157 Auch die wirtschaftspolitische Konzeption der Labour Party in den dreißiger Jahren ist elementar durch planwirtschaftliche Prinzipien geprägt worden. Inspiration kam dabei nicht nur aus der Sowjetunion, sondern gleichzeitig, wenn auch zu einem geringeren Teil, aus dem faschistischen Italien. Die Vehemenz, mit der man Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus als mögliche Staats- oder Regierungsformen für Großbritannien ablehnte, schloß die Integration einiger, als progressiv und nachahmenswert angesehener Aspekte der neuen politischen Bewegungen in das winschafts- und beschäftigungspolitische Programm der Labour Party nicht aus. Entscheidend für die Fragestellung dieser Untersuchung ist jedoch die Tatsache, daß für die meisten Befürworter planwirtschaftlicher Konzepte in England feststand, diese ausschließlich auf der Basis des demokratisch-parlamentarischen Systems zu realisieren. Bei aller Anregung, die beispielsweise Hugh Dalton in der Sowjetunion und in Italien fand, stand für ihn das Festhalten an dieser englischen politischen Tradition grundsätzlich fest. 3.2 Der politische Faktor »Jugend« und die Labour Party Bei einer Befragung aller Ortsverbände der Labour Party über den Organisationsstand der BUF in den einzelnen Regionen Großbritanniens hatte der Parteivorstand im Juni 1934 als einen Punkt die Frage nach der Attraktivität der BUF für junge Menschen gestellt. Konfrontiert wurden die Führungsgremien der Partei dabei mit der Erkenntnis, daß es in erster Linie junge Menschen waren, die zu den Faschisten überliefen. So hieß es beispielsweise im Antwortbogen »For him, social planning was a means to an end far beyond economic adjustments. His own aim was a transition to a >better social order«.« Vgl. Pimlott, Hugh Dalton, S. 220. Vgl. Marwick, A., Middle Opinion in the Thirties. Planning, Progress and Political »Agreement«. In: English Historical Review 79 (1964), S. 285-298; Carpenter, Corporatism in Britain 19301945, Ritschel, D., The Politics of Planning. The Debate on Economic Planning in Britain in the 1930s, Oxford 1997.

138

Teil 2: Die R e a k t i o n e n auf den K o m m u n i s m u s

aus Plymouth: »75% of the local Fascists are young men and women of independent means.« 158 Doch nicht nur die BUF, sondern auch die Communist Party konnte auffallend viele Jungwähler in ihre Anhängerschaft integrieren. Im Laufe der dreißiger Jahre geriet sogar die Labour League of Youth, eine parteieigene Jugendorganisation, zunehmend unter kommunistischen Einfluß und stimmte 1936 auf ihrem Jahreskongreß für eine United Front aller Jugendorganisationen der Arbeiterbewegung, die auch die Young Communist League einschließen sollte. 159 Von einem Treffen des Left Book Club in Oxford im Jahr 1938 berichtete Patrick Gordon Walker von einer überwiegend jungen Teilnehmerschaft, die sich, spezifisch für Oxford, vor allem aus Studenten zusammensetzte: »The average age was very young - a good many undergraduates.« 160 Die Labour Party war sich der Bedeutung junger Wähler für ihre Zukunft durchaus bewußt. In einem 1934 erschienenen Handbuch Youth for Socialism analysierte die Arbeiterpartei die politische Bedeutung des Faktors »Jugend«. Ergebnis dieser Analyse war die Erkenntnis, daß der Erfolg einer Partei entscheidend von ihrer Fähigkeit abhänge, junge Menschen von ihrem Programm zu überzeugen: »In planning for power we must take account of the fact that over half a milhon young people become electors every year. It is obviously easier to secure their support, their minds being receptive to new ideas, than it is to win older people who have to be dislodged from old political allegiances.«161 Angesichts der potentiellen Attraktivität extremistischer Bewegungen für junge Leute wurde auch in den Reihen der Labour Party zunehmend deutlich, daß die Partei sich um diese Klientel stärker als bislang mit speziellen Angeboten bemühen müsse: »We cannot afford, however, to rest on the idle hope that youth will inevitably be found in our ranks.[...] Ways and means must be devised of mobilising young people on the widest possible scale for creative activity inside the Party.« 162 Mit der Frage, wie diese »Wege und Methoden« beschaffen sein müßten, beschäftigte sich auch der Generalsekretär des T U C . Walter Citrine stellte in einem parteiinternen Strategiepapier im August 1933 fest, daß die neuen Parteien an den extremen Rändern des politischen Spektrums insbesondere junge Leute ansprachen. Von einer Imitation des Stils dieser Parteien riet er jedoch strikt ab: »It is very difficult to think of any new methods which can be used to combat the appeal to young people of some of the new mass movements that rely largely on drilling, the wearing of uniforms, and a certain amount of pageantry. The obvious 158

Vgl. Questionnaire on Fascist Activity, Juni 1934. General Correspondence and Papers of the Labour Party, Subject File »Anti-Fascist Activity in U. K., 1933-1937«. 139 Vgl. Report of the Annual Conference of the League of Youth, Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, 12. April 1936. 160 Ygl p e a r c e , Patrick Gordon Walker. Political Diaries, S. 74. 161 Vgl. »Youth for Socialism«. Handbook on the Organisation of the Labour Party League of Youth, Juni 1934. 162 Ebenda.

I. Die Labour Party

139

Suggestion that we should do likewise is much too dangerous to adopt. It would be fatal, I think, for us to Start any movement, similar to those on the Continent, towards the use of uniforms, marching and so on. [...]The attraction of uniforms and mass movements is very largely due to the craving for colour and excitement in life. We have to find the appropriate means of satisfying this craving through the Movement, but without such relatively childish devices as coloured shirts and semi-military drill.« 163 C i t r i n e n a n n t e in diesem Z u s a m m e n h a n g v o r allem bessere S p o r t - , Freizeitu n d Bildungsangebote. Im M i t t e l p u n k t der Ü b e r l e g u n g e n stand der Sport, wie a u c h aus einer R e s o l u t i o n des L a b o u r League of Y o u t h A d v i s o r y C o m m i t t e e v o n Mai 1936 hervorgeht: »The League of Youth should make every effort to provide working-class alternatives to the existing capitalist sports organisations, recognising the fact that only a small section of the working-class Youth is politically conscious or indifferent to sport. It therefore calls upon the N E C to take up seriously in conjunction with the National Workers' Sports Association, the question of developing sports activities and physical culture on a nation-wide scale.«164 A n d e r s als die Tories, die ebenfalls eine I n t e n s i v i e r u n g der S p o r t a n g e b o t e für junge M e n s c h e n erwogen 1 6 5 , w o l l t e die A r b e i t e r b e w e g u n g diese j e d o c h nicht ausschließlich für eigene P a r t e i z w e c k e n u t z e n . Sie k o n n t e sich d u r c h a u s eine K o o p e r a t i o n mit andere n G r u p p e n vorstellen, u m J u g e n d l i c h e wieder enger an die d e m o k r a t i s c h e n Parteien zu b i n d e n : »Coming to counter attractions, the obvious thing to suggest is that the Movement should provide all kinds of facilities covcring sport, rccreation and entertainment for its younger members. This could be done without keeping these activities exclusive in the Continental sense. In other words, it need not, and should not, mean that there is no mixing with other organisations not connected with the Movement.« 166 N e b e n speziellen S p o r t a n g e b o t e n legte C i t r i n e b e s o n d e r e n Wert auf Bildungsmöglichkeiten für junge Arbeiter, aber auch auf die G e s t a l t u n g ihrer Freizeit: »If we may judge by contemporary tendencies, one of the most useful extensions on the social side of Trade Union work would be in the direction of facilities for Camping, hosteis etc. Experience in the USA, as well as Germany, seems to show that young people can be linked up with the Movement much more successfully through this means than through organising campaigns as such.« 167 D e r T U C - S e k r e t ä r w a r n t e in s e i n e m Strategiepapier davor, die Zeichen der Zeit z u v e r k e n n e n u n d zu v e r s u c h e n , j u n g e W ä h l e r mit d e n s e l b e n M e t h o d e n wie in der Vergangenheit für die A r b e i t e r b e w e g u n g z u g e w i n n e n . L a b o u r P a r "'3 Vgl. »Dictatorship and the Trade Union Movement«, August 1933. Papers of the Trades Union Congress General Council. Akte »Fascism«. 164 Vgl. League of Youth Advisory Committee Resolution on Sport, 10. Mai 1936. Labour Party National Executive Committee Minutes and Papers. 165 Vgl. zu diesem Aspekt auch S. 239 ff.. 166 Ygj »Dictatorship and the Trade Union Movement«. 167 Ebenda.

140

Teil 2: D i e R e a k t i o n e n auf den K o m m u n i s m u s

ty und Gewerkschaften dürften sich nicht scheuen, diese gesellschaftliche Gruppe auch mit bislang nicht angewandten Mitteln zu umwerben: »The modern class of the young industrial worker is quite different from that of the past, as well as being more important in these days of mechanisation. It is folly to imagine the methods which served a generation or two ago will be of any use today.«168 Dies gelte vor allem auch für junge Frauen, die sich für Mode und Kosmetik und weniger für die Programmatik der Arbeiterbewegung interessierten und deshalb den Gewerkschaftsorganisationen den Rücken kehrten. T U C und Labour Party müßten sich, so Citrine, auch mit unkonventionellen Methoden um diese gesellschaftliche Gruppe als Wählerinnen und Gewerkschaftsmitglieder bemühen: »It seems to me that quite different methods from those used in the past are especially necessary in the case of young women workers. Whether we like it or not they cannot normally be attracted by mere propaganda. The average girl who works in a factory is nowadays as much concerned as any other girl with keeping up-to-date as possible in clothes, cosmetics, and so on. Any Organisation that ignores this fact cannot hope to attract them, and while it may seem to older generations undignified to use this as a bait, it is certainly the common-sense policy.«169 Man dürfe deshalb nicht vor der Vorstellung zurückschrecken, einen gewerkschaftseigenen Kosmetikclub als Konkurrenz zu den örtlichen »Perm Clubs« 170 ins Leben zu rufen, um die besonderen Ansprüche junger Frauen parteipolitisch auszunutzen: »It is understood that in some districts a powerful competitor for the Trade Union subscription among working girls is the local >Perm. Club«. There is no reason at all why such a facility should not be givcn through the Trade Union organisations along with other facilities that attract young people. This aspect of the problem is worth very serious attention.«171 Inwiefern diese Vorstellungen Citrines realisiert worden sind, ist unklar. Weitere Hinweise auf die Einrichtung dieser Kosmetikclubs durch den TUC oder die Labour Party lassen sich in den Unterlagen beider Organisationen leider nicht finden. Fest steht jedoch, daß als indirekte Auswirkung der Existenz extremer Parteien und ihrer potentiellen Attraktivität für junge Leute sowohl die Labour Party als auch die Conservative Party dazu gezwungen wurden, die eigene Jugendarbeit zu überdenken und an die Gegebenheiten der Zeit anzupassen. Anders als dies insbesondere für Deutschland gilt, wurden Jugendlichkeit und Jugend insgesamt jedoch nicht zu bestimmenden Charakteristika der politischen Kultur Großbritanniens in der Zwischenkriegszeit. Es existierte kein der deutschen Jugendbewegung vergleichbares gesellschaftliches Phänomen, und es entwickelte sich insbesondere keine eigenständige Protestkultur in Absetzung von 168 Yg| „Dictatorship and the Trade Union Movement«. Ebenda. 170 Dies waren Kosmetikclubs, die in vielen Städten Englands jungen Frauen Kosmetik- und Modeberatung anboten. 171 Vgl. »Dictatorship and the Trade Union Movement«. 169

I. Die Labour Party

141

der Elterngeneration. 172 Auch wenn Schlagwörter wie »Youth« und »Action« auf positive Resonanz bei jungen Briten stießen, bedeutete dies nicht, daß sie in Massen zu den extremistischen Parteien überliefen. Junge Arbeitslose zeigten kein sonderliches Interesse daran, aktiv und eigenständig gegen ihre Lage zu protestieren, sondern reagierten eher mit Resignation. Folglich führte die auch in England hohe Jugendarbeitslosigkeit nicht zu revolutionären oder extremistischen Vorstellungen der jüngeren Generation. 173 Doch rückte der Faktor Jugend im Kampf um die politische Macht durch die besonderen Bemühungen von Faschisten und Kommunisten um junge Wähler auch bei den etablierten Parteien stärker in den Mittelpunkt ihrer wahlkampfstrategischen Überlegungen. Die Arbeiterbewegung lehnte es ab, kontinentale Methoden zu imitieren, um junge Menschen wieder für die Labour Party und die Gewerkschaften zurückzugewinnen. Zwar wollte die politische Linke die Bedürfnisse von Jugendlichen stärker berücksichtigen und setzte deshalb auf ein besseres Sport-, Freizeit- und Bildungsangebot, ging jedoch nicht so weit wie die Konservativen, die sogar Beobachter nach Deutschland schickten, um sich über die Jugendarbeit der Nationalsozialisten zu informieren. 174 Walter Citrine entdeckte junge Frauen als potentielle Wählerinnen für die Labour Party und forderte seine Partei deshalb zu einer besonderen Berücksichtigung ihrer Interessen auf. Fixierten die Tories sich in ihrer Reaktion auf die BUF insbesondere auf junge Männer, berücksichtigte man auf der politischen Linken auch die Attraktivität der neuen Bewegungen für junge Frauen. Aus heutiger Sicht erscheint es jedoch mehr als fraglich, ob Citrines Idee, einen gewerkschaftseigenen Kosmetikclub zu gründen, von den englischen Wählerinnen der dreißiger Jahre als ausreichend empfunden worden ist, um spezifische Fraueninteressen abzudecken. Wie die vorangegangenen Ausführungen verdeutlicht haben, können die Reaktionen der Labour Party auf den englischen Kommunismus in insgesamt drei verschiedene Muster unterschieden werden. Die Führung der Partei verweigerte sich jeglicher Form der Zusammenarbeit mit der CPGB. Diese Ablehnung erfolgte zwar durchaus auch aus taktischen Erwägungen, hauptsächlich jedoch lagen ihr tiefgreifende Differenzen in den politischen Überzeugungen beider Parteien zugrunde. Traditionell war der Großteil der Labour-Anhängerschaft marxistischen Ideen gegenüber skeptisch eingestellt und lehnte die Glaubenssätze der CPGB, wie die »Diktatur des Proletariats«, entschieden ab. Das Erstarken des europäischen Faschismus und Nationalsozialismus sowie die Existenz der BUF im eigenen Land führten nur bei einer Minderheit in der Labour 172

173

174

Vgl. Springhall, J., »Young England, Rise Up, and Listen!«. The Political Dimension of Youth Protest and Generation Conflict in Britain 1919-1939. In: Dowe, D. (Hrsg.), Jugendprotest und Generationenkonflikt in Europa im 20. Jahrhundert. Deutschland, England, Frankreich und Italien im Vergleich, Bonn 1986, S. 151-163. Vgl. Garside, W R., Youth Unemployment in 20th Century Britain. Protest, Conflict and the Labour Market. In: Dowe, D. (Hrsg.), Jugendprotest und Generationenkonflikt in Europa im 20. Jahrhundert, S. 75-81, S. 77. Vgl. S. 242 f..

142

Teil 2: Die Reaktionen auf den Kommunismus

Party zu der Schlußfolgerung, sich gegen diese Gefahr von rechts mit den Kommunisten zusammenschließen zu müssen. Eine Mehrheit kam vielmehr zu dem Ergebnis, daß sich die Forderungen von CPGB und BUF letztlich auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren ließen. Beide extremistischen Parteien wollten die britische Demokratie abschaffen und durch eine Diktatur ersetzen. Dieses Ansinnen wurde von der Labour Party, die sich stets dem demokratischen Prinzip verschrieben hatte, nachdrücklich verurteilt. Sie verstand sich überwiegend nicht als eine revolutionäre, sondern als reformerische Partei und wollte ausschließlich auf diesem Wege die Lage der englischen Arbeiterschaft verbessern. Der linke Parteiflügel und der Left Book Club propagierten hingegen eine Zusammenarbeit mit der CPGB insbesondere im Kampf gegen den englischen Faschismus. Entscheidend für das Verhalten der Parteilinken ist jedoch, daß auch sie letztlich den historisch gewachsenen Führungsanspruch der Labour Party als Partei der Arbeiter akzeptierten. Sie bemühten sich deshalb eher darum, die eigene Partei von einer stärker sozialistisch ausgerichteten Politik zu überzeugen, anstatt sie zu verlassen, um endgültig Mitglied der CPGB zu werden. Eine genauere Auseinandersetzung mit den radikalen Ideen der Parteilinken, wie zum Beispiel Stafford Cripps Theorien über eine Notstandsgesetzgebung, verdeutlicht darüber hinaus, daß diese Vorstellungen letztlich auf dem parlamentarischen Prinzip basierten. Selbst der radikale Flügel der Labour Party verließ somit nie den demokratisch-parlamentarischen Weg der politischen Willensbildung. Dieser Eindruck wird zusätzlich durch die Beschäftigung mit dem dritten Reaktionsmuster der Labour Party verstärkt, das als die Adaption einzelner Schlußfolgerungen der kommunistischen Gesellschaftsanalyse für das eigene politische Programm bezeichnet werden könnte. Die Zustimmung zu einigen kommunistischen Ideen und Methoden bedeutete nicht, daß man gleichzeitig auch die anti-demokratische und repressive Tendenz kommunistischer Regime billigte. Für die Labour Party zog die Existenz der CPGB eine fortwährende innerparteiliche Diskussion über die Frage einer Kooperation mit den Kommunisten nach sich, die die Partei stark auseinanderdividierte. Insbesondere in ihrer Außenwirkung schwächte dies eine Partei, die ohnehin seit dem Bruch der Regierung und der sich anschließenden verheerenden Wahlniederlage von 1931 mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Für ihre Hauptkonkurrentin, die Conservative Party, ergab sich somit eine durchaus günstige Position in der politischen Auseinandersetzung der dreißiger Jahre.

II. DIE CONSERVATIVE PARTY UND DER KOMMUNISMUS Nach der Erweiterung des Wahlrechts 1918 sah sich die Conservative Party in der politischen Auseinandersetzung zunehmend einer Herausforderung von

II. Die Conservative Party

143

links ausgesetzt. Die von den Tories aus strategischen Gründen erwünschte direkte Konfrontation mit der Labour Party setzte verstärkt ein175, so daß die Konservativen gegen die Labour Party um die Stimmen aus der Arbeiterschaft konkurrieren mußten. Auch in den dreißiger Jahren war die Labour Party der entscheidende politische Gegner für die Conservative Party. Im Vergleich zu ihr spielte die Communist Party aufgrund ihrer politischen Schwäche und geringen Mitgliederzahl eine unbedeutende Rolle. Sie konnte die Position der Tories nie gefährden und war deshalb keine ernstzunehmende Rivalin. Dennoch findet sich in den Wahlkampfmaterialien der Conservative Party eine große Menge an Flugblättern und Broschüren, in denen sich die Tories mit dem Kommunismus auseinandersetzten, vor seinen Gefahren für die englische Demokratie warnten und deshalb zur Wahl der Conservative Party aufriefen. Bei der Analyse dieses Materials wird deutlich, daß ein integraler Bestandteil der konservativen Strategie zur Ausschaltung ihres eigentlichen Gegners darin bestand, die Labour Party in eine politische Nähe zu den Kommunisten und ihren Zielen zu rücken. Folglich setzte sich der größere Teil des konservativen Propagandamaterials über den Kommunismus gleichzeitig auch mit dem Labour-Sozialismus auseinander. Wie bereits in der Analyse der Reaktionen der Labour Party auf den Kommunismus herausgearbeitet, waren die demokratischen Parteien mit der politischen Herausforderung durch die C P G B bereits seit den zwanziger Jahren vertraut. Ihre Reaktionsmuster in den dreißiger Jahren unterschieden sich nicht wesentlich von jenen aus den zurückliegenden Jahren. Es war konservative Taktik, die Labour Party mit Hilfe des Kommunismusvorwurfs politisch zu diskreditieren und auf diese Weise die eigene Partei als Garantin demokratischer Stabilität darzustellen. Im Mittelpunkt der konservativen Wahlkampfstrategie stand die Behauptung, daß die sozialistische Linke eine akute Gefahr für den Fortbestand des ungeschriebenen Verfassungskonsens der englischen Gesellschaft - der »Constitution« - sowie für die Demokratie und das Rechtssystem darstelle.176 Dieser Kurs wurde in den dreißiger Jahren nicht wesentlich verändert, so daß sich viele der bereits aus den zwanziger Jahren bekannten Argumente auch im folgenden Jahrzehnt wiederfinden lassen. Aus diesem Grund wird im folgenden vereinzelt auch Quellenmaterial der zwanziger Jahre herangezogen, um die Kontinuität dieser Argumentation zu illustrieren. Wie in den Führungsgremien der Labour Party befürchtet, nutzten die Tories die Kampagnen des linken Flügels für die Einheitsfront dazu, ihrem wichtigsten politischen Gegner allgemein politische Sympathien für den Kommunismus zu unterstellen. Die Conservative Party erweiterte das Spektrum der »unengliEin Eintrag im politischen Tagebuch von Thomas Jones, einem engen Vertrauten Stanley Baldwins, verdeutlicht, daß auch Baldwin die politische Auseinandersetzung vorzugsweise auf zwei Parteien reduzieren wollte. Er schätzte die neue politische Situation nach den Wahlen 1924 so ein, daß in der direkten Konfrontation zwischen einer Partei der Rechten und einer Partei der Linken, die Konservativen den Sieg davontragen würden. Vgl. Middlemas, K. (Hrsg.), Thomas Jones, Whitehall Diary, Bd. 1, London 1969, Eintragung vom 4. November 1924, S. 303. Vgl. besonders Jarvis, Stanley Baldwin and the Ideology of the Conservative Response to Socialism, S. 252.

144

Teil 2: Die Reaktionen auf den Kommunismus

sehen« Parteien auf diese Weise um die für sie entscheidende Konkurrentin, die Labour Party.

1. D I E GLEICHSETZUNG VON COMMUNIST PARTY U N D LABOUR PARTY ALS KONSERVATIVE TAKTIK

Haupttenor konservativer Parteiveröffentlichungen in den dreißiger Jahren war es, vor der Gefahr einer kommunistischen oder sozialistischen Diktatur zu warnen und gleichzeitig die eigene Partei als Bewahrerin englischer demokratischer Traditionen zu präsentieren. Die Conservative Party versuchte, den Dualismus »Democracy versus Dictatorship«, der auch in der Reaktion Labour Party auf die extremistischen Bewegungen eine zentrale Position einnahm, sehr einseitig in Richtung einer kommunistischen Bedrohung zu interpretieren. Setzt man die schlagwortartige Terminologie der Parteipropaganda fort, könnte man formulieren, daß »Democracy versus Dictatorship« in »Conservatism versus Communism« umgemünzt wurde. Obwohl sich die Labour Party nachdrücklich gegen die Diktatur sowohl von rechts als auch von links gewandt hatte, wurden ihr kommunistische Sympathien und damit gleichzeitig eine undemokratische Haltung unterstellt. Durch diese Argumentationsweise blieben letztlich nur noch die Konservativen, die den Kampf gegen die Gefahr von links ernsthaft aufzunehmen bereit waren. Die taktischen Erwägungen der Konservativen zielten darauf, eine Polarisierung der englischen Öffentlichkeit in Kommunisten und Demokraten herbeizuführen. Ihren Niederschlag fand diese Strategie zum Beispiel in der Zielsetzung der National Book Association. Dieser Buchklub war als Reaktion auf den Erfolg des Left Book Club gegründet worden, um ein ähnliches Forum intellektueller Auseinandersetzung über politische Themen der Zeit auf konservativer Seite anbieten zu können. Obwohl er formal keine Parteiorganisation der Conservative Party war, diente er den Tories als wichtiges Instrument ihrer Öffentlichkeitsarbeit und sollte konservative Überzeugungen einem breiten Publikum zugänglich machen. Im Briefwechsel zwischen Arthur Bryant, dem Vorsitzenden des Klubs, und Frederick Heath, Sekretär der Institution, wird deutlich, welches grundlegende Ziel die National Book Association verfolgen sollte: »After all it does not matter how many other publishers enter the list as long as they are definitely rightwing as opposed to left-wing in the proper meaning of the term - conservatism vs. communism, for that fundamentally is the issue.«177 Bryant erklärte in einem Brief an Heath, daß er besonders an der Mittelschicht als potentiellem Leserkreis für den Buchklub interessiert sei, da die Attraktivität linker Theorien in Intellektuellenkreisen gebrochen werden müsse: »Our one chance is to strike the middle ground [...]. There lies our only available market, and there also lies, in my opinion, the only way in which we can really undermine the Left Wing strangle hold on the Universities and the organs of intelligent opinion.«178 177 178

Vgl. Heath an Bryant, 26. Januar 1937. Bryant Papers / C39. Vgl. Bryant an Heath, 2. April 1937. Bryant Papers / C39.

II. Die Conservative Party

145

Nicht nur die Labour Party, sondern auch die Conservative Party hatte die Bedeutung der Stimmen der Mittelschicht für ihre Wahlerfolge erkannt und wollte ihre Attraktivität für diese Klientel steigern. Die Tories hofften, durch die Strategie »Conservatism versus Communism« alle Bevölkerungsschichten zu erreichen, die den Forderungen der Communist Party skeptisch gegenüberstanden. Bryant bemerkte dazu in einem Brief an Stanley Baldwin, den er für den Vorsitz der National Book Association gewinnen wollte: »I want to rope in everyone who values individual freedom and distrusts the methods of Communism and force.«179 Da Labour Party und Liberale dem Kommunismus sehr offen gegenüberstünden, seien es einzig die Konservativen, die noch an den demokratischen Traditionen Englands festhielten, schrieb Bryant an den Vorsitzenden der Partei, Douglas Hacking: »We want to rope in everybody who is prepared to fight to preserve our English individual liberty and a free form of government. And the Communist propagandists who are going all out to win over the Socialists and Liberais to their policy of dictated change, is making it that our Party is the only party that does stand for these things.«180 Auch Stanley Baldwin sah in der Betonung der kommunistischen Gefahr ein einheitsstiftendes Element für konservative und liberale Kreise. Dies geht aus einem Brief J. C. C. Davidsons, eines engen Vertrauten Baldwins und ehemaligen Vorsitzenden der Conservative Party, hervor: »From my conversation with him [Stanley Baldwin] I am quite certain that he will make every effort to obtain the Cooperation of men from as wide a circle as possible who are all prepared to agree that the common enemy is Communism and that those who stand for democracy and constitutional evolution must stand together.«181 Mit den Begriffen »individual liberty« und »constitutional evolution« sind bereits zwei zentrale Inhalte konservativer Öffentlichkeitsarbeit in den dreißiger Jahren genannt worden. Politiker der Conservative Party unterstrichen immer wieder die große Bedeutung, die in Großbritannien der Freiheit des Individuums sowie der Notwendigkeit einer evolutionären Veränderung der Gesellschaft beigemessen werde. Mit diesen traditionell liberalen Grundideen konnte sich die politische Mitte, vor allem aber die ehemaligen Wähler der Liberal Party identifizieren. In der Interpretation der Tories waren diese Werte durch die revolutionären Forderungen der Communist Party sowie des radikalen Flügels der Labour Party einer akuten Bedrohung ausgesetzt. Ihre eigene Anziehungskraft für ein breites gesellschaftliches Spektrum steigerten die Konservativen, indem sie sich als englisches Bollwerk gegen diese Gefahr von links präsentierten. Die Conservative Party positionierte sich gegenüber dem von Baldwin als »common enemy« bezeichneten Kommunismus als eine nationale, gleichsam über Partikularinteressen stehende Partei, die bereit war, englische Traditionen und Werte zu verteidigen. 179 180 181

Vgl. Bryant an Baldwin, 2. April 1937. Bryant Papers / C39. Vgl. Bryant an Hacking, 10. April 1937. Bryant Papers / C41 Vgl. Davidson an Bryant, 14. Mai 1937. Bryant Papers / C41.

146

Teil 2: Die Reaktionen auf den K o m m u n i s m u s

Ein Beispiel für diese parteiübergreifende Form der Selbstdarstellung findet sich in den Überlegungen Arthur Bryants. Er formulierte die Grundüberzeugung der Konservativen in einem solch allgemeingültigen Duktus, daß ihr letztlich kein demokratisch denkender Wähler auch nur in Ansätzen hätte widersprechen können. Über die Ziele der National Book Association notierte Bryant: »Its object is the defence of the English ideal of individual freedom against all who believe in coercion, physical or moral; its method is not angry propaganda but a good-humoured presentation of the facts on which readers can form their own conclusions. That is our native British way of doing things, and we believe it to be that which best suits the genius of our national character.«182 Ähnlich wie die durch die Conservative Party dominierte Regierungskoalition als National Government bezeichnet wurde, so erhielt auch der Buchklub der Konservativen den Namen National Book Association. Die Wirkung dieser Namengebung ist offensichtlich: die Tories stellten sich selbst als eine nationale und »überparteiliche Partei« dar, die allein englische Interessen vertrat, wobei die Wahrung nationaler Eigenheiten und Errungenschaften ausschließlich mit englischen Methoden erfolgen konnte. Diese nationale Partei signalisierte der Wählerschaft, daß man sie bedenkenlos auch als ehemalige Anhänger der Liberalen oder der Labour Party wählen könne, eine Taktik, die dazu beitrug, den Tories die breite Unterstützung der englischen Wähler zu sichern. Ihre Gegner hingegen bezeichneten die Tories als anti-nationale Parteien. Diese Argumentation findet sich beispielsweise in einem Wahlaufruf des konservativen Kandidaten für West Lewisham, Philip Dawson. Er wollte damit vor allem die Wähler der gemäßigten Linken auf seine Seite ziehen. Dawson appellierte an die patriotischen Gefühle englischer Sozialisten, wenn er sie aufforderte, die nationale Option, nämlich die Conservative Party, zu wählen: »Your choice will decide whether you intend to preserve our constitutional monarchy with parliamentary government, or whether you desire a proletarian State under the complete control of a handful of paid Trade Union officials who represent but a small section of the people, which is the policy advocated by the leaders of the -Anti-National-Socialist Party«. [...] I claim the vote of every Socialist who puts Country first.«183 Arbeiter waren bereits in den zwanziger Jahren die vorrangige Zielgruppe antikommunistischer Propaganda der Tories gewesen. Aus einem Artikel des Conservative Agents' Journal, einem parteiinternen Informationsmagazin für Wahlkämpfer, geht hervor, wie wichtig nach konservativer Einschätzung die Stimmen der Arbeiter für den Erfolg der Partei waren: »The working-class vote, and no small share of it, is essential to our success as a party, but the official Labour Party has captured the Trade Union machine [...] and daily absorbs not merely those Trade Unionists who have been Conservative or at Vgl. undatierte Notiz von Bryant. Bryant Papers / C39. Vgl. Wahlrede von Philip Dawson an seinen Wahlkreis in West Lewisham 1931. Sammlung der Wahlreden des Conservative Central Office.

IL Die C o n s e r v a t i v e Party

147

any rate non-Socialist, but a steady flow of recruits from the ranks of unorganised Labour. [...] If in the past we had failed to secure an adequate measure of workingclass support, our failure has not been due to wilful neglect of working men or their interest. [...] O u r failure is due to the undeniable fact that in the Labour Party the working men of today see greater prospects of advancement than in the Conservative Party.« 184 A u c h in den dreißiger Jahren hatte das Interesse der Conservative P a r t y an den W ä h l e r s t i m m e n der A r b e i t e r nicht nachgelassen. Sie w a r b j e d o c h n u n u m die Arbeiterschaft v o r d e m H i n t e r g r u n d zweier Gesetze, die v o n der konservativen R e g i e r u n g nach d e m Generalstreik v o n 1926 erlassen w o r d e n w a r e n . D e r Trade D i s p u t e s Act sowie der Trade U n i o n Act schränkten das Streikrecht erheblich ein u n d t r ü b t e n das Bild der Tories als H a u p t v e r t r e t e r v o n Arbeiterinteressen. N i c h t zuletzt auch u m diesen Vertrauensverlust in der Arbeiterschaft auszugleichen, bezeichnete Stanley Baldwin in einer Rede im Wahljahr 1935 die G e werkschaften als typisch englische Institutionen, die auch v o n den Konservativen als essentiell für die Interessenvertretung der A r b e i t e r angesehen w ü r d e n : »Trade Unionism is a particular English growth. This country is the native soil in which such democratic institutions are indigenious. They are an integral part of the country's life and they are a great stabilizing influence. Some in our party who take a less wide view than I, or who do not have to look forward as I do, may say they did not make things easy in 1926. [...] That may be true. It does not alter the truth of the general propositions that I laid down.« 183 H a t t e der P r e m i e r m i n i s t e r z u n ä c h s t die zentrale B e d e u t u n g der Trade U n i o n s für d e n Erhalt englischer politischer u n d gesellschaftlicher Traditionen herausgearbeitet, ging er anschließend d a z u über, vor d e r Z e r s t ö r u n g der G e w e r k schaften d u r c h k o m m u n i s t i s c h e U n t e r w a n d e r u n g z u w a r n e n . N a c h d e m Baldw i n an die patriotischen Gefühle der Gewerkschafter appelliert hatte, rief er sie d a z u auf, ihre O r g a n i s a t i o n v o n k o m m u n i s t i s c h e n Ideen frei zu halten: »Let me ask you to watch carefully the continuous efforts that are made by the Communist Party in this country to get control of and to destroy trade unionism. They do not want to destroy it for nothing. A free trade unionism is a bulwark of populär liberty. If trade unionism were destroyed you would be a long way on the road to Communism and via Communism to Fascism.«186 In vielen Materialien der Partei z u m K o m m u n i s m u s läßt sich diese H i n w e n d u n g zu T h e m e n finden, die speziell auf die Interessen der Arbeiterschicht z u geschnitten w a r e n . Die Tories w a r e n auch auf die W ä h l e r s t i m m e n der Arbeiter für ihren Machterhalt angewiesen u n d versuchten deshalb, eventuell v o r h a n d e ne Ä n g s t e vor einer k o m m u n i s t i s c h e n U n t e r w a n d e r u n g der englischen A r b e i t e r b e w e g u n g für eigene Z w e c k e z u n u t z e n . Dabei s p r a c h e n sie s o w o h l G e werkschaftsführern als auch Politikern der L a b o u r P a r t y die Berechtigung z u r 184 Vgl Conservative Agents' Journal, März 1920, S. 1-2. Vgl. Rede Baldwins in Bournemouth, 4. Oktober 1935, abgedruckt in: General Election Guide 1935. »Notes for Speakers and Workers«, S. 401. 186 Ebenda. 183

148

Teil 2: Die R e a k t i o n e n auf den K o m m u n i s m u s

Interessenvertretung der Arbeiter ab. Denn diese arbeiteten trotz aller gegenteiligen Beteuerungen auf eine sozialistische oder kommunistische Diktatur in England hin.187 Da die Conservative Party auch der Labour Party kommunistische Sympathien unterstellte, blieb letztlich nur noch die eigene Partei, die als Garantin von freien Gewerkschaften einstehen und deshalb von den Arbeitern auch gewählt werden konnte. An zahlreichen Stellen in den Veröffentlichungen der Conservative Party findet sich die Behauptung, der linke Flügel der Labour Party hege ähnliche Absichten wie die Kommunisten. Letztlich zielte die politische Strategie der Konservativen darauf, den Gegensatz »Conservatism versus Communism« auf das Verhältnis der Conservative Party zur Labour Party zu übertragen. Stanley Baldwin sprach von einer akuten Gefahr, die von den linken Vertretern in der Labour Party ausgehe, während er gleichzeitig die Bedrohung durch die Kommunisten eher herunterspielte: »I do not believe that that extreme movement of the left [the Communist Party] will have much hold in this country, but it is lying on the flanks of the extreme Socialist movement all the time and I dare not take the risk in this country of seeing that Left Wing get into power.«188 Angesichts der stets ihre demokratische Überzeugung betonenden LabourFührung mußten die Tories Argumente finden, diese Behauptung glaubwürdig erscheinen zu lassen. Deshalb erklärten sie, in der Labour Party hätten radikale Gruppierungen mittlerweile die Macht übernommen, so daß die moderate Führung letztlich keinerlei Einfluß mehr auf die politische Linie der Partei habe. Insbesondere die Thesen von Stafford Cripps über den Emergency Powers Act wurden dazu verwandt, der Labour Party diktatorische Absichten, ähnlich wie sie Kommunismus und Faschismus inhärent seien, zu unterstellen. Nach konservativer Interpretation liefe die Einführung eines Emergency Powers Act auf eine Diktatur der Labour Party hinaus. In der Argumentationshilfe Hints for Speakers, im Januar 1933 vom Parteivorstand herausgegeben, hieß es über »Recent Socialist Developments«: »The extremist section of the Socialist Party is definitely in the ascendant, and it has succeded in compelling the Socialist leaders to declare for a full-blooded Socialist policy. Moderating counsels have been renounced in favour of wild demands and threats. [...] those responsible for shaping Socialist policy no longer hesitate to advocate extreme courses and have thrown in their lot with the Left Wing.«189 Als Belege dieser Behauptung wurden Zitate von Stafford Cripps angeführt. Auf die Frage »Will the Socialist Party officially adopt the revolutionary policy?« antworteten die Tories: 187

188

189

»The Tories needed substantial working class support to form a government. [...] British working man was held up for praise and could expect sympathy from the party, but trade union and Labour Party leaders could not be countcd as British working men. Rather they were associated with foreign extremism.« Vgl. Bates, The Conservative Party in the Constituencies, S. 96. Vgl. Rede Baldwins am 14. April 1934, abgedruckt in: Politics in Review, April - J u n e 1934, S. 38. Vgl. Hints for Speakers No. 12, Januar 1933, S. 2.

II. Die Conservative Party

149

»Whatever may be the attitude of the official leaders, there is no doubt that the Socialist League's proposals have been widely accepted and enjoy influential backing. Furthermore, judging by the proceedings at the last Socialist Party Conference, Councils of moderation are likely to be rejected by the delegates in favour of extreme politics.«190 A u c h Stanley Baldwin stellte die F o r d e r u n g e n der Socialist League in den M i t t e l p u n k t seiner K o m m e n t a r e z u r L a b o u r P a r t y u n d warf ihr vor, eine D i k t a t u r etablieren zu wollen: »The gospel of gradualism has been contemptuously swept on one side. There has taken its place a new revolutionary doctrine, of which the central tenet is that British democracy, by a convenient paradox, is to find its true expression in a dictatorship of those who now represent the Labour Opposition.«191 Auffallend an dieser A r g u m e n t a t i o n ist, daß Baldwin der auch in den zwanziger J a h r e n immer wieder als »kommunistisch u n t e r w a n d e r t « diskreditierten L a b o u r P a r t y n u n attestierte, in der Vergangenheit eine Politik des »gradualism« betrieb e n zu haben. Seine Aussage w i d e r s p r a c h eklatant der konservativen P r o p a g a n da der Tories in den zwanziger J a h r e n , die L a b o u r immer als revolutionäre, u m stürzlerische u n d unenglische Kraft dargestellt hatte. Dieser W i d e r s p r u c h verstärkt den E i n d r u c k , daß es sich auch bei der B e h a u p t u n g , die F ü h r u n g der L a b o u r P a r t y setze auf einen revolutionären U m s c h w u n g , u m eine p r o p a g a n d i stische M a ß n a h m e u n d weniger u m ein Zeichen tatsächlicher B e u n r u h i g u n g handelte. Baldwin b e t o n t e , daß n u n , da das P r i n z i p der D i k t a t u r en vogue sei, auch die F ü h r u n g der L a b o u r Party beschlossen habe, den Weg des Parlamentarismus zu verlassen. Die englischen Sozialisten der L a b o u r Party wollten wie Faschisten u n d K o m m u n i s t e n die D i k t a t u r in England einführen: »By their own unequivocal admissions, they propose to set themselves up as dictators. [...] In short, they propose to arrogate to themselves a dictator's mandate to do as they please. [...] N o w the leaders of the Labour Opposition have decided to be in the fashion, but it is not a fashion, I am confident, that will catch on with the British people.« 192 D e r konservative Politiker b e g r ü n d e t e die letztgenannte Ü b e r z e u g u n g mit der d e m o k r a t i s c h e n G r u n d p r ä g u n g d e r englischen B e v ö l k e r u n g . Die E n g l ä n d e r hielten traditionell an der D e m o k r a t i e fest; D i k t a t u r sei ein d u r c h u n d d u r c h »unenglisches« Prinzip: »It is not in our tradition. We have had ten years of dictatorship in three centuries, and we have never sought a second Cromwell. We are not likely to seek one today, when our Parliamentary institutions have proved themselves to have such resilience and such reserves of power.« 193

190 191 192 193

Vgl. Flints for Speakers No. 12, Januar 1933, S. 29. Vgl. Flugblatt (1933/25) »A Socialist Dictatorship. Mr. Baldwin cxposes Revolutionary Policy« Ebenda. Ebenda.

150

Teil 2: D i e R e a k t i o n e n auf den K o m m u n i s m u s

In letzter Konsequenz sind die Methoden politischer Wahlkampfüberlegungen immer durch die Absicht geprägt, den wichtigsten politischen Gegner wirksam zu bekämpfen. Auch die politische Öffentlichkeitsarbeit der Tories in den dreißiger Jahren läßt diese Zielsetzung erkennen. Eines der dabei sehr häufig angewendeten Mittel war es, die Labour Party auf dieselbe politische Ebene mit den englischen Kommunisten und Faschisten zu stellen. Man behauptete, in der Labour Party würden extremistische Gruppen die Oberhand gewinnen, die eine sozialistische Diktatur in England planten. Die Arbeiterpartei wurde auf diese Weise als eine Anhängerin des »unenglischen« Prinzips der Diktatur dargestellt und in die Gruppe der Parteien eingereiht, die die »Constitution« zu zerstören beabsichtigten. Nicht nur führende Politiker der Conservative Party nutzten diese Argumentation, um sich gegen die Labour Party als wahrhaft englische Politiker zu profilieren. Auch in den Wahlreden konservativer Kandidaten für das Unterhaus wurden die Wähler vor die Entscheidung gestellt, entweder einer Diktatur oder aber dem von den Tories dominierten National Government ihre Stimme zu geben. N u r eine nationale Regierung sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Lage, englische politische Traditionen und Freiheiten zu garantieren, hieß es beispielsweise 1935 im Wahlaufruf des konservativen Kandidaten Thomas Ballantyne Martin an seinen Wahlkreis Camberwell: »Only a National Government is capable, at the present time, of saving this country from either a Fascist or a Socialist Dictatorship.« 194 Bereits in den zwanziger Jahren hatte man einen Analogieschluß von der stets als sozialistisch bezeichneten Labour Party zum Kommunismus hergestellt: »Communism is only a kind of Socialism under another name.« 195 Ähnlich pointiert hieß es 1922: »There is Socialism in Russia. It is called Bolshevism, but it is Socialism.«196 Obwohl sich die Labour Party nicht als »sozialistisch« bezeichnete, betonten die Tories, daß die Labour Party in Wirklichkeit nicht die Interessen der englischen Arbeiter vertrete, sondern eine sozialistische Politik nach sowjetischem Vorbild anstrebe. Zu den Irritationen, die der Name der Partei auslösen könne, hieß es beispielsweise 1929: »The name >Labour< Party is highly misleading. The Socialist Party does not represent the Labour interests. Only about one in every five workers belongs to the Socialist Party. [...] Less than 30 of the 162 Socialist MPs can show that they have ever worked for a trade. The rest are teachers, writers, lecturers, T. U. officials, or even capitalists and aristocrats.«197 Diese Lehrer, Autoren und Dozenten - die intellektuellen Abgeordneten der Labour Party - waren es nach konservativer Interpretation vor allem, die den Sozialismus nach sowjetischer Provenienz auch in England einführen wollten: »Any people must have been mislead as we were. They don't understand that 194

195 196 197

Vgl. Wahlrede von Thomas Ballantyne Martin in Camberwell 1935. Sammlung der Wahlreden des Conservative Central Office. Vgl. Flugblatt (1924/245) »Communism. A World Force«. Vgl. Flugblatt (1922/2) »What Socialism means to Women«. Vgl. Flugblatt (1929/200) »Hints for Conservative Canvassers and Workers«.

II. Die Conservative Party

151

the Labour Party is not the Party of the workers but the party of the Socialists.« 198 Sozialismus, Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus wurden in den Publikationen der Tories stets zusammenhängend behandelt, um die ideologische Nähe dieser neuen »-ismen« auf dem politischen Spektrum zu suggerieren. In einem Flugblatt mit dem Titel A Catechtsm on Socialism setzte sich die Conservative Party mit der Verwandtschaft jener Ideologien auseinander: »Fascism which exists in Italy, is really a form of Guild Socialism. [...] Nazi Socialism, which is the name adopted by Herr Hitler's party, appears to be a form of Fascism, that is to say of Guild Socialism.«199 Um die aufkommende Verwirrung zu komplettieren und gleichzeitig die geistige Nähe von Sozialismus, Faschismus und Nationalsozialismus anzudeuten, argumentierte man schließlich, daß es nicht so sehr der Faschismus als Idee sei, den die Sozialisten ablehnten, sondern im Grunde eher seine Protagonisten: »But I thought Socialists hated Fascism. - N o , it is rather that Socialists hate Fascists.«200 Auch die Frage nach der Verschiedenheit dieser Bewegungen wurde hier grundsätzlich geklärt: »There are many kinds of Socialists but really only one kind of Socialism.«201 Die Tories unterstellten damit der stets als »sozialistisch« bezeichneten Labour Party auf subtile Weise eine geistige Verwandtschaft mit den extremistischen Bewegungen der Zeit, die auch die radikale Rechte einschloß. Als einigender Faktor dieser unterschiedlichen politischen Bewegungen wurde das Streben nach einer Diktatur genannt. Selbst nachdem die Labour Party in diversen Resolutionen das eigene Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie und die Absage an jegliche Form der Diktatur veröffentlicht hatte, warf ihr die Conservative Party vor, mit dem Gedanken einer Diktatur von links zu spielen: »Although the Labour Party Conference viewed with horror the dictatorships in Italy and Germany, they looked with favour on the Russian System of Government which is one of the worst and most extreme forms of despotism.« 202 Es war genau die Situation eingetreten, die führende Labour-Politiker befürchtet hatten. Durch die starke Präsenz linker Gruppierungen auf den Parteitagen, die ihre Forderungen zwar nicht durchsetzen konnten, doch für ein hohes Maß an Diskussion und Dissens gesorgt hatten, war den Tories ein willkommenes Mittel in der Auseinandersetzung mit ihrem politischen Gegner in die Hände gespielt worden. Im Wahlkampf 1935 behauptete die Conservative Party folglich, daß in der Labour Party seit 1931 ein kontinuierlicher Radikalisierungsprozeß zu beobachten sei. Belegt wurde dies erneut mit Zitaten aus den Veröffentlichungen der Socialist League sowie den Resolutionen des Parteitages von 1934: »The Socialist Party is definitely committed to government by dictatorship methods [...] By the 1934 resolutions of Southport Parliament in the event of a Socialist raa198 199 200 201 202

Vgl. Flugblatt (1929/30) »Calling a Spadc a Spade«. Vgl. Flugblatt (1937/54) »A Catcchism on Socialism« Ebenda. Ebenda. Vgl. Hints for Speakers No. 17, Oktober 1933, S. 10.

152

Teil 2: Die Reaktionen auf den Kommunismus jority, would be robbed of its power to discuss measures in detail, the House of Lords would be abolished, and Orders in Council would largely replace ordinary legislation.«203

Anläßlich der Wahl von 1935 entschied die C P G B , in m e h r e r e n Wahlkreisen auf die Aufstellung eines eigenen K a n d i d a t e n z u verzichten, sollte d a d u r c h der Sieg des L a b o u r - K a n d i d a t e n gefährdet sein. Die C o n s e r v a t i v e P a r t y wertete dies als Beleg für ihre T h e s e , d a ß die L a b o u r P a r t y an einer engen K o o p e r a t i o n mit d e n K o m m u n i s t e n nicht zuletzt aus G r ü n d e n inhaltlicher Ü b e r e i n s t i m m u n g interessiert sei. In Politics in Review w u r d e der Vorsitzende der C o m m u n i s t Party, H a r r y Pollitt, zitiert, u m diese Z u s a m m e n a r b e i t zu illustrieren: »If the Labour Party agrees not to oppose Communists in the few districts Communism has any real backing, the Communist Party will not oppose Labour candidates elsewhere, but will do everything possible to ensure their election to Parliament.« 204 D i e Schlüsse der Konservativen w a r e n eindeutig. O b w o h l die L a b o u r Party offiziell die C o m m u n i s t P a r t y i m m e r ablehne, b e d i e n e sie sich insgeheim ihrer Unterstützung: »[...] notwithstanding that the Labour Party has officially repudiated and condemned the Communist movement, yet their candidates up and down the country welcome and are profiting by Communist support. They pose as a party which Stands for constitutional parliamentary principles. Yet they welcome the aid of a revolutionary movement which openly advocated armed revolution.« 205 G e s t ä r k t w u r d e diese A r g u m e n t a t i o n zusätzlich d u r c h die U n i t e d F r o n t - K a m pagne, die die I n t e r p r e t a t i o n der Tories n o c h zu u n t e r m a u e r n schien. In den Hints for Speakers aus d e m J a h r 1936 w u r d e ausführlich auf den Widerspruch zwischen den Aussagen der L a b o u r - F ü h r u n g u n d der politischen Praxis hingewiesen: »The >Daily Herald« may find it a >sickening spectacle« to see >Communists pretending that they are really good little democrats.« What has it to say about Labour candidates who pose as >good little democrats«, yet seek to profit by the co-operation of those who avowedly stand for the utter destruction of democratic and constitutional Government. Is it not an equally -sickening spectacle«?«206 A u c h bei den L o n d o n e r Stadtratswahlen v o n 1937 verzichtete die C o m m u n i s t P a r t y auf eine Aufstellung eigener K a n d i d a t e n , e r n e u t eine Gelegenheit für die Tories, die enge Z u s a m m e n a r b e i t zwischen L a b o u r P a r t y u n d K o m m u n i s t e n zu thematisieren: »In this respect the London County Council Elections are likely to be a repetition of the last General Elections campaign. Although at that time the Executive Committee of the Labour Party had rejeeted the idea of the United Front, Socialist candidates and local Labour Parties in a very large number of constituencies in London 203

Vgl. »General Elections 1935. Notes for Speakers and Workers«, S. 348. Vgl. Politics m Review, July-September 1935, S. 94. 205 Vgl Flugblatt (1935/6) »Communist-Socialist Election Alliance«. 206 Vgl. Hints for Speakers No. 6, April 1936, S. 33. 204

II. D i e C o n s e r v a t i v e Part y

153

and o t h e r parts of t h e c o u n t r y w e l c o m e d the s u p p o r t of the C o m m u n i s t P a r t y and t o o k füll advantage of it.« 2 0 7

Trotz dieser angeblich so profitablen Allianz zwischen Labour Party und CPGB ging das National Government als eindeutiger Sieger aus der Wahl von 1935 hervor. Deshalb sollten auch die noch zwei Jahre später ausgesprochenen vehementen Warnungen der Tories vor einem linken Bündnis als nichts anderes als Wahlkampfagitation gewertet werden. Hauptargument der konservativen Wahlkampfstrategie gegen die angeblich eng kooperierende politische Linke war es, auf den »unenglischen« Charakter sowohl der Labour Party als auch der Communist Party hinzuweisen. Beiden Parteien wurde abgesprochen, die nationalen Interessen vertreten zu können, da sie unfähig seien, die Besonderheiten der britischen Tradition zu erkennen.

2. D E R »UNENGLISCHE« CHARAKTER VON KOMMUNISMUS U N D LABOUR-SOZIALISMUS

In der politischen Öffentlichkeitsarbeit der Tories wurde das fremde und »unenglische« Erscheinungsbild von CPGB und Labour Party intensiv thematisiert. Dabei setzte sich dieses Bild aus mehreren Facetten zusammen. Ein Hauptcharakteristikum der Reaktion der Conservative Party auf den Kommunismus war die negative Beschreibung seines Internationalismus. Sowohl in der Communist Party als auch in der Labour Party seien ausländische Einflüsse tief verwurzelt, was die konservative Propaganda als Hinweis auf den mangelnden Patriotismus beider Parteien bewertete. Im Internationalismus lag nach konservativer Auffassung auch die Erklärung dafür, warum sich die politische Linke nicht für die Wahrung englischer Interessen engagierte. Da die Communist Party ihre Instruktionen aus Moskau erhalte 208 , wurde sie nicht als eigenständige Partei, sondern als englischer Ableger des sowjetischen Propagandaapparates der Komintern bezeichnet. Die Komintern wiederum betreibe eine anti-britische Politik, weshalb die Communist Party niemals für sich in Anspruch nehmen könne, englische Interessen zu vertreten: »The principal Organisation in this country through which the Communist International carries on in its campaign of anti-British propaganda is the Communist Party of Great Britain which proclaims itself as >the British section of the Communist International« which is itself the recognised foreign propaganda branch of the Soviet Government.«209 Ziel bolschewistischer Agitation sei es, die englische Politik zu diskreditieren: »The most direct form of propaganda in which the Communist Party is engaged is that of attacking the British Government and of traducing British policy and actions.«210

207 208

209 210

Vgl. »London County Council Elections 1937. Notes for Speakers and Workers«, S. 104 f.. »[...] the Communist party in this country takes its Instructions from Moscow.« Vgl. Flugblatt (1935/6) »Communist-Socialist Election Alliance«. Vgl. Hints for Speakers No. 21, Juni 1930, S. 5. Ebenda.

154

Teil 2: Die R e a k t i o n e n auf den K o m m u n i s m u s

Ein ähnlicher Zusammenhang wurde auch in bezug auf die Labour Party hergestellt. In konservativen Publikationen wurde stets darauf hingewiesen, daß die Labour Party Mitglied der »Sozialistischen Arbeiterinternationalen« 211 sei und deshalb nicht die besonderen Interessen der britischen Arbeiter wahrnehmen könne. Dem englischen Kommunismus wurde vorgeworfen, bewußt an der Zerstörung des Empire mitzuarbeiten. Gestärkt wurde dieses Argument in den dreißiger Jahren durch die Sympathiebekundungen englischer Kommunisten für sozialistische Gruppen in Indien, die für die Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien kämpften. So hieß es 1931 in einem Flugblatt der Conservative Party: »Bolshevik influence has been and still is responsible for most of the disorders in India.« 212 Der sowjetische Einfluß auf die englischen Kommunisten war ein Dauerthema in konservativen Wahlkämpfen und wurde als Beleg dafür gewertet, daß der Kommunismus keine Wurzeln im englischen Denken besitze. Er sei ein Produkt des Kontinents, hieß es in vielen Schriften und Reden, und deshalb von seiner Substanz her »unenglisch«. Besonders treffend formulierte dies Stanley Baldwin in einer Rede auf dem Parteitag des Jahres 1925: »Communism, a foreign production, is begotten of ignorance and out of misery. It is not of English origin.« 213 Charles Petrie 214 , prominentes Mitglied des rechten Parteiflügels der Tories, erwähnte in seinen Memoiren »kontinentale Einflüsse«, die sich auf die Politik der Labour Party ausgewirkt hätten. Diese Entwicklung stehe in einem Gegensatz zur traditionellen Skepsis der Tories gegenüber »fremden« Ideen: »One consequence of the metamorphosis of the Labour movement into the Socialist party has been its permeation by revolutionary ideas from the Continent. Conservatism, on the other hand [...] has always regarded anything foreign, particularly an idea, with the gravest suspicion.«213 In einer Rede in seinem Wahlkreis North Battersea, in dem ein kommunistischer Gegenkandidat antrat, erwähnte der konservative Abgeordnete Arthur Marsden 1931 ebenfalls den »unenglischen« Charakter von Communist Party und Labour Party. Er verdeutlichte den Gegensatz zwischen englischen nationalen Traditionen und den fremdartigen Ideen des Kommunismus und Sozialismus am Beispiel der Nationalflagge. Ein Sieg einer der beiden Parteien wäre gleichbedeutend mit dem Ende des Union Jack, des englischen Nationalsymbols schlechthin: 211

212

213 214

213

Bezeichnenderweise wurde der Name dieser Organisation immer auf deutsch geschrieben, um den ausländischen Charakter zu betonen. Vgl. Flugblatt (1931/50) »The Russian Threat. The Five Years Plan and the Menace of Russian Dumping «. Vgl. Parteitagsbericht 1925. Charles Petrie war ein bekannter Historiker und Journalist. Er veröffentlichte unter anderem 1931 eine Biographie über Mussolini sowie Biographien über Austen und Joseph Chamberlain (1939 und 1940). Vgl. Petrie, C , Chapters of Life, London 1950, S. 155.

II. D i e C o n s e r v a t i v e P a r t y

155

»I c a m e to Battersea nearly seven years ago, to fight the u n - E n g l i s h creeds of C o m m u n i s m and Socialism. [...] I disregard C o m m u n i s m , as it is a creed that N o r t h Battersea is never again likely to be deluded into s u p p o r t i n g . [...] Your decision is o n c e m o r e a choice b e t w e e n the U n i o n Jack and the R e d Flag.« 2 1 6

Um diesen Eindruck der fremdartigen und von außen nach England hineingetragenen Ideologien noch zu verstärken, betonten konservative Publikationen den angeblich hohen Ausländeranteil linker Gruppierungen. In Home and Politics wurde die hohe Zahl ausländischer Kinder in den »Socialist Sunday Schools« genauso behandelt 217 , wie die angeblich auffällig große Menge ausländischer Teilnehmer an Veranstaltungen zum 1. Mai 1928 in Bethnal Green in London. 218 Hier verband sich eine ohnehin schon vorhandene xenophobische Grundhaltung mit der Abneigung gegen linke politische Gruppierungen. Die tatsächliche Präsenz von Ausländern, insbesondere in der Communist Party, verstärkte diese Tendenz zusätzlich. Bei einigen Konservativen wird in diesem Kontext auch ein latenter Antisemitismus offenbar. Selbst wenn Äußerungen, die auf die jüdische Herkunft einiger kommunistischer und sozialistischer Führer zielten, als Ausnahmen anzusehen sind, wird dennoch im Denken insbesondere des rechten Diehard-Flügels der Glaube an eine bolschewistisch-jüdische Verschwörung manifest.219 Auch auf die angeblich engen Beziehungen zwischen Juden und englischen Sozialisten wurde hingewiesen. 220 Aus der Betonung des fremdartigen und nicht genuin britischen Charakters sowohl des Sozialismus als auch des Kommunismus ließ sich eine Dichotomie zwischen diesen Ideologien und dem englischen Nationalcharakter ableiten. Konservative Parteistrategen bemühten sich, diese Unvereinbarkeit angeblich typischer Merkmale linker Parteien mit den durch die Tories definierten englischen Eigenschaften und Grundwerten nachzuweisen. Als während der dreißiger Jahre unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise eine Diskussion wirtschaftspolitischer Neuerungen unter Politikern und Intellektuellen einsetzte, wurde insbesondere in den Reihen der Communist Party aber auch innerhalb der Labour Party eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien gefordert. Ihre Ablehnung linker Verstaatlichungspläne begründete die Conservative Party unter anderem damit, daß sie in einem krassen Gegensatz zu einem Grundcharakteristikum der britischen Bevölkerung stünden: »[...] the admirable British qualities of self-reliance and courage are needed to save the country from the deplorable effects of dependence on the State.«221 *•• Vgl. Sammlung der Wahlreden. 217 Vgl. Home and Politics, Januar 1925, S. 5 und April 1926, S. 2. 218 Vgl. Home and Politics, Juli 1928, S. 2. 219 Vgl. auch Lebzelter, G., Political Anti-Semitism in England, 1918-1939, London 1978, S. 13-28; Holmes, C , Anti-Semitism in British Society 1876-1939, London 1979, S. 141-151. 220 Als während des Wahlkampfcs 1924 die Jcwish Times zur Wahl der Labour Party aufrief, kommentierte die den Diehards nahestehende Morning Post die traditionelle Tolerierung von Juden in England folgendermaßen: »That tradition will be hard to sustain if English Jews are to avow themselves the sworn allies of Socialism [...] if it is seen that the admission of Jews to all the Privileges of British citizenship has merely resultcd in enabling them the better to overthrow the British social and political svstem.« Vgl. Morning Post, 25. Oktober 1924. 221 Vgl. Flugblatt (1930/25) »Call to the young Voter«.

156

Teil 2: D i e R e a k t i o n e n auf d e n K o m m u n i s m u s

Zentralistischen oder kollektivistischen Konzepten setzten die Tories stets diesen angeblich für die Engländer charakteristischen Individualismus entgegen. Stanley Baldwin sah den englischen Individualismus sogar als konstitutiv für die Größe der Nation an: »Essential principles which are the secret of our national well-being [are] liberty of thought and action, individual enterprise, initiative and adventure, freedom and justice for all. [...] In other parts of the world individual liberty is giving place to State domination; the spirit of private enterprise is overwhelmed by universal State Socialism.«222 Folgte England also den als »unenglisch« bezeichneten kollektivistischen Konzepten der Labour Party, wäre es, laut Baldwin, unweigerlich Elend, Arbeitslosigkeit und ökonomischen Krisen ausgeliefert: »This is an alien brand of Socialism. It is entirely foreign to our national character and would be destructive of all the qualities which have brought this country to the position of pre-eminence which it occupies in the world today. Our love of freedom and liberty, individual initiative and enterprise, our spirit of adventure - all these would perish under such a System of State domination. Our industrial supremacy would vanish into thin air and poverty, depression and unemployment would be our lot.«223 Eine weitere Facette des »unenglischen« Charakters von Kommunismus und Sozialismus war nach Ansicht der Konservativen die angebliche Theorielastigkeit linker Vorstellungen, die als wenig englische Neigung dargestellt wurde. Die konservative Propaganda zeichnete ein Bild des typischen Engländers, der lieber auf den »gesunden Menschenverstand« baue, als sich diffizilen Theorien zu widmen. 224 Bereits 1923 erklärte der konservative Abgeordnete für Portsmouth North, G. Falle, dies in seiner Wahlkampfrede von 1923 folgendermaßen: »An ounce of example and practice is worth a pound of theory. You will get lots of >theory< from the Socialists, but you cannot eat it.« 225 Stanley Baldwin griff diesen Gedanken in den dreißiger Jahren wieder auf. Die Einfachheit englischer Konzepte, die sich von den komplizierten Theorien des Kommunismus so wohltuend unterschieden, ließ sich seiner Ansicht nach sogar in sprachlicher Hinsicht erkennen. Selbst die Terminologie des Kommunismus sei »unenglisch«, da er sich vieler Fremdwörter bediene, anstatt englische Vokabeln zu nutzen: »It is no good trying to eure the world by repeating that pentasyllabic French derivative, Proletariat«. [...] The English language is the richest in the world in monosyllables. Four words, of one syllable each, are words which contain salvation for this country and for the whole world, and they are >Faith«, >Hope«, >Love< and >Work«.«226 222

223 224

223 226

Vgl. Flugblatt (1936/18) »A Great Cause. Mr Baldwin's Stirring Message to the Junior Imperial League«. Vgl. Broadcast Speech on General Election, November 1935. Baldwin Papers, Bd. 203. Im Grunde ist hier eine Kontinuität konservativen Denkens zu sehen, die bei Burke und seiner Ablehnung jeglicher dogmatischer Ausrichtung in der Politik bereits beginnt. Vgl. Sammlung der Wahlreden. Vgl. Rede Baldwins im Unterhaus am 16. Februar 1923, abgedruckt in: Hints for Speakers No. 13, Juli 1935.

II. Die Conservative Party

157

Neben diesem englischen Sinn für Pragmatismus, wie man den Charakterzug vielleicht auch bezeichnen könnte, spielte in der konservativen Darstellung des englischen Durchschnittsbürgers der »English sense of humour« eine wichtige Rolle. Für die Tories stand fest, daß dieser, kontinentalen Europäern angeblich meist nicht zugängliche, englische Humor für die Akzeptanz politischer Forderungen in der Bevölkerung äußerst bedeutend war. Wie aus der bereits zitierten Äußerung Arthur Bryants hervorgeht, sahen sie es als entscheidend an, politische Inhalte »good humoured« zu präsentieren. 227 Als ein besonders »unenglischer« und bei allen Kommunisten und Sozialisten kollektiv vorhandener Charakterzug wurde in der konservativen Propaganda folglich ihre Humorlosigkeit bezeichnet. So betitelte Man in the Street Sozialisten als »deadly serious folk, all of them«, und für die Daily Mail war diese Tendenz schon bei Karl Marx vorhanden. Er war, nach ihren Worten, »a bilious Prussian, who hated cheerfulness and hopefulness.« 228 Folgt man der konservativen Argumentation weiter, handelte es sich bei der Idee des Klassenkampfes um ein Konzept, das dem durchschnittlichen Engländer aufgrund seiner nationalen Prägung gänzlich fremd war. Klassenkampf wurde in konservativen Äußerungen mit Klassenhaß, Bürgerkrieg und Gewalt gleichgesetzt, was in völligem Gegensatz zu den Bemühungen des National Government stünde, den Ausgleich zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zu forcieren: »The real aim of Communism is to bring about civil war and armed revolution and to overthrow religion and to foment class hatred. It is a creed of hate and destruction. [...] The National Government which is based on co-operation between men and womcn belonging to the three great political partics in the State is your real safeguard against Communism, and all forms of Class Warfare.«229 Stets wurde darauf hingewiesen, daß der Kommunismus mit seiner Klassenkampftheorie unweigerlich in einem Bürgerkrieg münde. Diesen gesellschaftlichen Ausnahmezustand habe England jedoch bereits seit drei Jahrhunderten überwunden. Kommunistische Konzepte führten somit in der Interpretation der Tories zu einem gesellschaftlichen Rückschritt des Landes um dreihundert

Jahre. Zur Veranschaulichung der Konsequenzen einer sozialistischen Regierung in England verwiesen die Tories stets auf die Zustände in der Sowjetunion. Durch die Konstruktion der Analogie zwischen Kommunismus und Sozialismus konnte man stets dieses Beispiel heranziehen, um der Wählerschaft deutlich zu machen, wie das Leben im bereits existierenden Sozialismus aussah. Die Sowjetunion diente als Negativmodell eines bereits in die Praxis umgesetzten Labour-Sozialismus: »Russia provides the only example of Socialism in practice, and Russian history since 1918 is an almost continuous illustration of the failure of Socialist theory when applied to the modern State.«230 227 228 229 230

Vgl. dazu auch S. 146. Vgl. Man in the Street Dezember 1924, Daily Mail 21. Oktober 1924. Vgl. Flugblatt (1937/26) »A Gospel of Hate«. Vgl. Hints for Speakers No. 9, Mai 1935.

158

Teil 2: D i e R e a k t i o n e n auf d e n K o m m u n i s m u s

Dieses Scheitern sozialistischer Theorie und Praxis darzustellen, bildete einen Schwerpunkt der konservativen Reaktion auf Kommunismus und Sozialismus. Dabei standen bereits seit den zwanziger Jahren Schreckensbilder aus der Sowjetunion im Mittelpunkt konservativer Propaganda, die, sollte Labour an die Macht kommen, bald auch auf der britischen Insel Wirklichkeit werden könnten. In Broschüren mit Titeln wie The Piain Truth about Russia today, Our Journey to Russia oder Conditions in Moscow berichteten angebliche Augenzeugen über das nicht sonderlich angenehme Alltagsleben im bolschewistischen Rußland. 231 Berichte von Morden, Folter und Vergewaltigung standen in diesen Schilderungen im Mittelpunkt, wobei innerhalb der damaligen Grenzen des guten Geschmacks durchaus voyeuristische Interessen bedient wurden. Am Ende eines solchen Berichtes über im Bolschewismus entehrte Frauen und einer detaillierten Beschreibung der Zustände in russischen Gefängnissen, blieb es der Phantasie der Leserschaft überlassen, sich die weiteren Horrorszenen in der Sowjetunion auszumalen: »It is unnecessary to continue the description or enlarge upon the scenes of horror enacted in Russia. Imagination can complete the picture, and let us remember that this is Socialism, unstripped and bared for our inspection.« 232 Der Kommunismus wurde in erster Linie als eine moralische Gefahr dargestellt. Die Conservative Party warnte in ihren Flugblättern vor allem Frauen vor unmoralischer Unterwanderung, während sich Männer dazu aufgefordert sahen, ihre Ehefrauen und Kinder vor den verwerflichen Auswüchsen des Kommunismus zu bewahren. Insbesondere in den ersten Jahren nach der russischen Revolution behauptete die konservative Propaganda immer wieder, in der Sowjetunion würden Frauen und ihre Kinder als staatliches Eigentum betrachtet. 233 Doch nicht nur unter dem unmittelbaren Eindruck der Revolution findet sich diese Zeichnung des in die Praxis umgesetzten Sozialismus. Noch Ende der zwanziger Jahre ging man auf den moralischen Niedergang in der Sowjetunion detailliert ein. So hieß es im Flugblatt What we saw in Russia. The Report of Two British Miners über die gesellschaftliche Position von Frauen sowie den Wert von Ehe und Familie: »The women in Russia march through the streets armed with guns, singing. Women work on the roads and railways etc. The Russian women have no home life. All meals are taken in the eating houses. [...] Marriage is a farce. We could have married if we had wished, and the marriage would have continued during our stay and then have been dissolved.«234 In den dreißiger Jahren konzentrierten sich konservative Wahlkampfstrategen neben der Wiederholung dieser bereits aus den zwanziger Jahren bekannten Ar231

232 233 234

Vgl. Flugblatt (1924/7) »The Piain Truth about Russia todav. An up-to-date Account«; Flugblatt (1929/225) »Our Journey through Russia. A First-hand Account bv two British Working Men of a Journey through Russia«; Flugblatt (1924/46) »Conditions in Moscow. Extracts from the Bolshevik Persecution of Christianity«. Vgl. (1918/34) »Election Notes«, S. 58. Vgl. Flugblatt (1918/21) »What Bolshevism has done for Russia it would likc to do for you«, S. 2. Vgl. Flugblatt (1929/ 226) »What we saw in Moscow. The Report of two British Miners«.

II. Die Conservative Party

159

gumente vor allem auf den ökonomischen Aspekt des »Experiments Sozialismus«. Die Tories, die trotz der verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise mehrheitlich interventionistische Maßnahmen stets abgelehnt hatten, suchten am Beispiel der Sowjetunion das Scheitern sozialistischer Wirtschaftspolitik zu verdeutlichen. In den Notes for Speakers and Workers anläßlich der Wahl von 1935 wurde die materielle Not und das Elend der Arbeiter und Bauern in Rußland anhand eines Augenzeugenberichtes ausführlich dargestellt: »>There was no bread left in any village out of the total twenty villages to which I went. In almost every village peasants had died of hunger. There was never in Tsarist Russia a famine which hit every part of Russia as today.Plan«.«236 Auch das Conservative Agents' Journal stellte am Beispiel der Sowjetunion die negativen Folgen sozialistischer Wirtschaftspolitik dar: »Russia is the only country in the world where complete Socialism has been carried out. Poverty has not been abolished. The Standard of life of the average Russian artisan is very much lower than that of the unemployed artisan in this country.« 237 Nicht nur in materieller Hinsicht sei der sowjetische Arbeiter im Vergleich zu seinem Kollegen in einem kapitalistischen Land schlechter gestellt. Kapitalistische Länder sicherten ihren Bürgern darüber hinaus ein wesentlich größeres Maß an Freiheiten zu. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung wurde als Garantin von Bürgerfreiheiten präsentiert, die in einem sozialistischen Staat unweigerlich abgeschafft würden. Diese Vision, so die Tories, könnte auch für England Realität werden, sollte eine sozialistische Regierung an die Macht kommen: »Further, a System of terrorism exists, and the traditional privileges of capitalist countries, e. g. free press, freedom of speech and trade union rights, do not exist. [...] Socialist bureaucraey would throttle the efficiency of British industry and destroy the progress we have made through the machinery of capitalism.««238 Im Wahlkampf von 1935 faßte die Conservative Party ihre Einschätzung der Lage der Arbeiter im Sozialismus anschaulich zusammen: »The experience of Marxist Russia shows that the lot of the workers under Socialism is nothing less than State slavery and a complete loss of personal liberty.« 239 3 Vgl. * Vgl. 7 Vgl. 8 Vgl. ,9 Vgl.

»General Elections 1935. Notes for Speakers and Workers«, S. 420. »General Elections 1935. Notes for Speakers and Workers«, S. 418. Conservative Agents'Journal, Juni 1935, S. 146. Conservative Agents' Journal, Juni 1935, S. 147. »General Elections 1935. Notes for Speakers and Workers«, S. 417.

160

Teil 2: Die Reaktionen auf den Kommunismus

In der Reaktion der Conservative Party auf die CPGB stand der ökonomische Bereich jedoch nicht im Mittelpunkt des Interesses. Es wurde vor allem davor gewarnt, den politischen Überzeugungen und Forderungen der Communist Party zu folgen. Einziges Ziel des englischen Kommunismus sei es, die traditionellen Institutionen der Demokratie zu zerstören. Die Conservative Party stellte die Verteidigung dieses englischen parlamentarischen Systems in den Mittelpunkt ihrer Reaktion auf die Communist Party. Für Stanley Baldwin war es Aufgabe und Mission der Tories, die englische »Constitution« gegen die Unterwanderungsversuche der Kommunisten zu verteidigen: »In the defence, the maintenance of the Constitution, you will be fighting for one of the fundamental principles of Conservatism.« 240 Diese Verfassungstreue sei jedoch nicht nur ein konservatives Prinzip, sondern vielmehr ein englischer Grundcharakterzug, der einem jeden Engländer, ob Mitglied der Conservative Party oder nicht, zu eigen sei: »But it is not only a fundamental Conservative principle, it is a principle deep down in the hearts of millions of Englishmen who do not belong to our party or any party.« 241 An dieser Stelle wird erneut das Grundmuster konservativer Rhetorik in den dreißiger Jahren deutlich: durch die Umwidmung konservativer Auffassungen in Grundprinzipien englischen Konsensdenkens erhielten die politischen Überzeugungen der Conservative Party einen allgemeingültigen Charakter, wodurch sich der Kreis ihrer potentiellen Wähler erheblich erweitern ließ. Als Mitte der dreißiger Jahre auch in der Sowjetunion eine Verfassung erlassen wurde, wiesen die Tories darauf hin, daß diese »Constitution« in keiner Weise mit der englischen zu vergleichen sei. Schließlich könne der sowjetische Entwurf die essentiellen Freiheitsrechte einer Demokratie nicht gewährleisten: »The new Soviet Constitution professes to induce certain features of democratic countries, e. g. free speech, secret ballot, and the right to criticise. [...] But Russia remains a Dictatorship country, and the Constitution has not altered the basic System which goes by the name of the >dictatorship of the Proletariat«. Free Trade Unionism, a free Press, and free political parties will not exist in Russia despite the new Constitution.«242 Selbst wenn im Mittelpunkt der konservativen Reaktion auf den englischen Kommunismus propagandistische Überlegungen gestanden haben, wird hier deutlich, daß die Partei über diese taktischen Motive hinausgehende Gründe für die Ablehnung der CPGB besaß. Sie definierte sich selbst als eine Partei, für die demokratische Grundwerte wie freie Gewerkschaften, eine freie Presse und freie politische Parteien essentiell waren. Diese Werte waren es, die die Tories zu verteidigen angetreten waren, wobei sich dieser Wille nicht nur gegen die »Diktatur des Proletariats« richtete, sondern, wie noch zu zeigen sein wird, auch gegen die Diktaturpläne der englischen Faschisten. Für die Konservativen verstand sich die Ablehnung einer kommunistischen Partei gewissermaßen von selbst. Entscheidend aber ist, daß sie gegen die extremistische Linke dieselben 240 241 242

Vgl. Hints for Speakers No. 17, Oktober 1933. Ebenda. Vgl. Notes for Conservative Canvassers and Workers No. 12, Dezember 1936.

II. Die Conservative Party

161

Argumente anführten wie auch gegen die BUF. Die Conservative Party unterschied in ihrer offiziellen Reaktion auf den politischen Extremismus nicht danach, von welcher Seite des politischen Spektrums die potentielle Bedrohung des englischen Parlamentarismus ausging, sondern bekämpfte die Diktatur als politisches Prinzip. Bei allem propagandistischem Nutzen, den die Tories aus der Existenz der CPGB für ihre Wahlkämpfe gegen die Labour Party zogen, sollte dieses Bekenntnis der Conservative Party zum parlamentarischen System als Grundmotivation nicht außer Acht gelassen werden. Zugleich wird deutlich, wie ähnlich das Selbstverständnis der beiden großen demokratischen Parteien war. Beide gingen von einer Grundprägung der englischen Gesellschaft durch das Prinzip des Parlamentarismus aus, an die sie in ihrer Reaktion auf die extremistischen Parteien stets appellierten. Sowohl die Tories als auch die Labour Party beschworen diese politische Mentalität in ihrer Anhängerschaft und bestärkten dadurch gleichzeitig das Selbstbild Englands als freiheitlicher und parlamentarischer Nation. Eines der am häufigsten verwendeten Attribute, mit denen die Conservative Party die CPGB und ihre Zielsetzungen belegte, war der Begriff »destruction«. Die »unenglische« Communist Party wollte alles zerstören, was in England in jahrhundertelanger Tradition an politischen Institutionen und moralischen Überzeugungen gewachsen war: »All the time communism is working with one object only, and that is destruction, destruction of democratic government, destruction of monarchy, destruction of religion, destruction of liberty, destruction of Trade Unionism, destruction of the Empire.« 243 Ähnlich kommentierte auch Arthur Bryant die zerstörerische Kraft des Kommunismus. Er war von Patrick Gower, der im Parteivorstand der Conservative Party für Öffentlichkeitsarbeit zuständig war, um einen Leitartikel für eine Wahlkampfbroschüre gebeten worden. 244 Dieser Text findet sich unter dem Titel Communism, Fascism or Democracy im Nachlaß Bryants. In Bryants Entwurf heißt es: »>Communism< is a creed of world revolution based on the studies of Karl Marx, who devoted his whole life to elaborating a philosophy of destruction based on the inherent jealousy, envy and malice latent in human nature.« 245 Dieses destruktive Element wurde in der konservativen Propaganda als konstitutives Merkmal einer Bewegung dargestellt, die sich die Revolution auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Unweigerlich mit der kommunistischen Revolution verknüpft war, laut Conservative Party, die Regression sämtlicher bürgerlicher Freiheiten. Im Gegensatz zu dieser rückschrittlichen Entwicklung unter einem revolutionären Regime wurden evolutionär verlaufende Veränderungen als »Nature's way« bezeichnet. Dieser Weg sei für England bislang immer der richtige gewesen, da er zu einer stetigen Verbesserung der Verhältnisse führe: 243 244

245

Vgl. Flugblatt (1937/26) »A Gospel of Hate«. »I wonder whether you would care to contribute a special article under your name for publication on the leader page dealing with the subject of Fascism and Communism.« Vgl. Gower an Bryant, 16. Oktober 1936, Bryant Papers / C41. Vgl. Brvant, Textentwurf: Communism, Fascism or Democracy. Bryant Papers / C41.

162

Teil 2: Die Reaktionen auf den Kommunismus »Evolution means steady progress to a better State - Nature's way. Revolution means turning back; scrapping not only outworn institutions, but also those which are sound just because they have taken time to grow. Many peoples have lately taken the backwards path of Revolution. They have sacrificed blood and wealth and justice; and all have also lost that which they hoped to gain - liberty. They have found themselves enslaved to a Dictator or a State - a greedy monster that took their property, their labour, their lives and gave them - nothing. The British people know that the State is made for man, not man for the State. That is the principle for which the National Government Stands.«246

Jener konservative Weg der B e w a h r u n g traditioneller Institutionen, die m a n n u r b e h u t s a m d u r c h gelegentliche R e f o r m e n v e r ä n d e r n dürfe, w u r d e also gleichzeitig als Weg Englands bezeichnet. D a s von den Tories d o m i n i e r t e N a t i o n a l G o v e r n m e n t repräsentierte den englischen way oflife, der sich nicht d u r c h revolutionäre U m s t ü r z e u n d die Abschaffung v o n Traditionen, s o n d e r n d u r c h einen »natürlichen« u n d b e w a h r e n d e n U m g a n g mit ihnen auszeichnete. In diesem Z u s a m m e n h a n g präsentierte sich die C o n s e r v a t i v e P a r t y einmal m e h r als die Partei, die am besten d a z u geeignet war, Englands Geschicke im Einklang mit seinen Traditionen u n d Besonderheiten zu b e s t i m m e n . N e b e n d e r M i ß a c h t u n g des d e m o k r a t i s c h e n Ideals d e r Freiheit w u r d e d e m K o m m u n i s m u s vorgehalten, eine unchristliche B e w e g u n g zu sein u n d die freie Religionsausübung zu verbieten. Dieses A r g u m e n t a t i o n s m u s t e r findet sich vor allem bei Stanley Baldwin, w e n n es d a r u m ging, die Verwerflichkeit extremistischer B e w e g u n g e n zu veranschaulichen. Gleichzeitig bescheinigte der k o n s e r vative Politiker d e m K o m m u n i s m u s jedoch, seine ursprüngliche Inspiration aus d e m C h r i s t e n t u m erhalten zu haben. Seinem Vertrauten T h o m a s J o n e s berichtete er 1932 über eine gelungene Rede: »I've made a good speech lately. [...] Had they ever thought of the parallel in the origins of Mohammedanism and Bolshevism - both springing out of Christianity, one proclaiming brotherhood and the other communism, but both proclaiming death and damnation upon all unbelievers.« 247 A u c h in einer Rede im U n t e r h a u s ging Baldwin auf den religiös a n m u t e n d e n C h a r a k t e r des K o m m u n i s m u s ein. E r skizzierte anschaulich die negativen A u s w ü c h s e dieser neuen politischen Religion, die sich in b l i n d e m F a n a t i s m u s u n d brutaler Verfolgung der »Ungläubigen« manifestierten: »In recent years there has come into the world the modern development of Communism. The peculiar feature of that is that its devotees are as fanatical in fighting for a creed and dogma as any men that ever fought in any religious war at any time in the world's history. And it is a religion that has in it some of the worst features of the old religious wars, because it will brook no Opposition to its theories; it will kill rather than brook Opposition. There is that tremendous force, and it will not brook, will not realise, will not understand or allow any fact that clashes with what it wants to believe.«248

246 247 248

Vgl. Flugblatt (1935/26) »Who's for Revolution?«. Vgl. Jones, T, A Diary with Letters 1931-1950, London 1954, S. 43. Vgl. Rede Baldwins im Unterhaus, 29. Oktober 1936, abgedruckt in: Politics in Review, Oct.Dec. 1936, S. 129 f..

II. Die Conservative Party

163

Hier wird die Einstufung des Kommunismus als eine politische Religion dazu verwendet, die Schattenseite der Religiosität, einen Fanatismus aus Überzeugung, darzustellen. Im Gegensatz zum aufgeklärten und humanen Christentum, zu dem sich die Conservative Party bekannte, repräsentierte der Kommunismus einen Rückschritt im religiösen Empfinden der Menschheit. Baldwin fühlte sich an »the old religious wars« einer Zeit erinnert, die lange zurücklag und die man längst überwunden glaubte. Wie auch im Zusammenhang mit der Idee des Klassenkampfes beschwor er die Erinnerungen an die blutigen Auseinandersetzungen des Bürgerkrieges, der als Tiefpunkt in der historischen Entwicklung Großbritanniens gezeichnet wurde. Den Warnungen vor einer Bedrohung der englischen Gesellschaft durch Communist Party und Labour Party gab die Conservative Party in ihren Veröffentlichungen großen Raum. Wollte sie ihren Wählern gegenüber jedoch glaubhaft erscheinen, mußte sie diese intensive Auseinandersetzung begründen. Deshalb verwies die Partei immer wieder auf die angeblich steigende Gefahr einer kommunistischen Diktatur in Großbritannien sowie auf die Infiltration der Labour Party mit kommunistischem Gedankengut. In der Parteizeitung Politics in Review wurde 1937 aus dem Bericht des Vorstandes der CPGB zitiert, um die wachsende Popularität des Kommunismus in England zu dokumentieren und damit gleichzeitig den eigenen Propagandaaufwand zu rechtfertigen: »The Report of the Central Committee of the 14th National Congress of the Communist Party of Great Britain which opencd at the Battersea Town Hall, May 29th 1937, takcs the form of a report on the working of the party since the 13th congress and states: >The membership has doubled [from 6.500 to 12.250]. The circulation of its glorious newspaper the >Daily Worker« has doubled. The salcs of its literature and pamphlets are unprecedented in the history of the Labour movement. Its mass influence has so greatly increased that our most bitter opponents are compelled to recognize the Communist Party as a political factor to be reckoned with in every Situation that arises.« «249 Zweifelhaft bleibt jedoch, ob die Konservativen tatsächlich an diesen wachsenden Einfluß des Kommunismus in England glaubten, schließlich konnten selbst die ansteigenden Mitgliederzahlen der CPGB nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Partei letztlich nur eine unbedeutende Rolle im politischen Alltag der dreißiger Jahre spielte. Doch bot sich die Möglichkeit, den Kommunismus als »common enemy« zu stilisieren, mit dem man das eigene Lager einen, neue Wählerstimmen aus der Mitte gewinnen und mit dem man darüber hinaus die sich stets als demokratisch und »britisch« bezeichnende Labour Party wirksam bekämpfen konnte. Oberflächlich betrachtet gab die Selbsteinschätzung der Kommunisten den Konservativen eine Rechtfertigung für ihr Engagement gegen die Linke. Die Tories befanden sich jedoch in einer schwierigen Situation. Einerseits zeichnete man die Gefahr einer »roten Diktatur« als abschreckendes Beispiel, um selbst gewählt zu werden. Andererseits aber hätte das Eingeständnis einer echten Herausforderung durch den englischen Kommunismus angesichts der eigenen stabi249

Vgl. Politics in Review, April-June 1937, S. 116.

164

Teil 2: Die R e a k t i o n e n auf den K o m m u n i s m u s

len Mehrheit sowie der geringen Mitgliedschaft der CPGB unglaubwürdig gewirkt. Letztlich mutet die intensive Wahlkampfarbeit der Konservativen gegen die Gefahr von links ambivalent an, wenn man sie mit Anmerkungen konservativer Politiker kontrastiert, die die Bedeutung der Communist Party eher herunterspielten. Stanley Baldwin äußerte sich beispielsweise 1934 folgendermaßen: »I am not one who has ever been afraid in this country of Communism. Communism can only spread in a country where there exist the gravest distress and suffering, together with a people unsympathetic and a Government that will do nothing to help the people of the country to better their conditions.«250 Baldwins Argumentation verdeutlicht, warum die Tories trotz ihrer allgemeinen Warnungen vor einer Diktatur des Proletariats nie von einer ganz konkreten Gefährdung der englischen Gesellschaft durch den Kommunismus sprachen. Schließlich wäre, folgt man den Ausführungen des konservativen Politikers, die langjährige Regierungspartei selbst für ein kommunistisches Regime mitverantwortlich gewesen. Deshalb warnten die Tories zwar vor den negativen Folgen einer kommunistisch unterwanderten Labour-Regierung, es war jedoch niemals die Rede davon, daß die CPGB in England wirklich heimisch oder aber gar erfolgreich sei. Folglich bezeichnete auch Arthur Bryant, der den Kommunismus zwar als abschreckendes Instrument in der politischen Auseinandersetzung mit der politischen Linken nutzte, England als: » [...] a country where there is not the slightest danger of a violent suppression of law, order and liberty by communists.« 251 Die Wahlkampfmaterialien der Conservative Party, in denen die »rote Gefahr« gezeichnet wurde, spiegelten also nicht unbedingt die innere Überzeugung aller Tories wider, sondern sind als Ausdruck einer machtpolitischen Taktik einzustufen. Bereits in den zwanziger Jahren finden sich Beispiele dafür, daß die angebliche kommunistischen Bedrohung in erster Linie Propagandazwecken diente. So schätzte der konservative Kandidat für den Wahlbezirk Peckham, Collingwood Hughes, in seiner Wahlrede 1922 die politische Gefahr durch den Kommunismus anders ein, als dies in den offiziellen Verlautbarungen der Konservativen Partei geschah: »Communism: There are some who bid us beware of the Communists in our midst. In my opinion the influence of Communism in Britain is greatly exaggerated and is being used as a bogey to frighten persons who do not know the facts. The people of this country will be quite capable of tackling rampant Communism when its real existence is disclosed. At the moment far more important matters press for Solution.«252 Die wenigsten Tories waren davon überzeugt, daß von der Communist Party oder der Labour Party eine konkrete umstürzlerischen Gefahr ausging. Eine Beschreibung des konservativen Abgeordneten Sir Reginald »Blinker« Hall durch seinen Kollegen Archibald Salvidge verdeutlicht die kritische, wenn auch 230 231 232

Vgl. Flugblatt 1935/69 »Mr Baldwin on Dictatorship«. Vgl. Bryant, Textentwurf: Communism, Fascism and Democracy. Bryant Papers / C41 Vgl. Sammlung der Wahlreden des Conservative Central Office.

II. Die Conservative Party

165

leicht amüsierte Haltung, die in der Conservative Party gegenüber den überzeugt anti-bolschewistischen Parteimitgliedern eingenommen wurde: »He seems to live in a world of his own, entirely peopled with spies. Everyone who is not a Tory is either a German, a Sinn Feiner or a Bolshevik. Mention any politician of the left, and Blinker nods and blinks mysteriously and utters, >Wait a bit, sir, I'm watching him. 1*11 have his hide.««253 Auch der einflußreiche konservative Politiker Alfred Duff Cooper konnte in der englischen Labour Party beim besten Willen nicht die Partei erkennen, deren erklärtes Ziel es war, die englische Gesellschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern. Über die Feier der Labour Party anläßlich ihres ersten Wahlsieges im Januar 1924 schrieb er leicht enttäuscht in sein Tagebuch: »It was a very tame show. It Struck no note of revolution, but rather of respectable middle-class conformity. I ought to have been pleased, but I fear I was disappointed.« 254 Festzuhalten bleibt, daß sich die Argumente der Conservative Party gegen die extremistische Herausforderung von links inhaltlich nur sehr geringfügig von jenen der Labour Party unterschieden. In der offiziellen Reaktion der Labour Party war ebenfalls vom »unenglischen« Charakter des Kommunismus die Rede, stellte man dem Klassenkampf und der »Diktatur des Proletariats« das Prinzip eines evolutionären »gradualism« gegenüber und attestierte dem Kommunismus einen destruktiven Charakter. Auch die Labour Party warnte vor den Machenschaften Moskaus und vor der Zerstörung demokratischer Grundwerte durch die Communist Party. Für die Conservative Party ergab sich jedoch ein entscheidender Vorteil gegenüber ihrer politischen Konkurrenz. Der agile linke Flügel der Labour Party äußerte seine Sympathie für kommunistische Ideen laut, unverhohlen und häufig und lieferte den Tories starke Argumente gegen die Labour Party. Der Verweis auf pro-kommunistische Tendenzen und Forderungen nach der Einheitsfront in einigen Teilen der Partei ermöglichte es den Tories, die Labour Party als kommunistisch unterwandert beziehungsweise als scheinheilig in ihrer Verurteilung des Kommunismus darzustellen. Auf diese Weise konnten die Konservativen sowohl die Communist Party als auch die Labour Party gewissermaßen als eine Antithese zum englischen Verfassungskonsens definieren. Alle Grundüberzeugungen des englischen demokratischen Systems seien der Gefahr ausgesetzt, von einer radikalisierten Linken vernichtet zu werden. Die Dichotomie zwischen konservativ definierten englischen Wertvorstellungen und dem Kommunismus beziehungsweise Sozialismus brachte die Tories in die günstige Position, sich selbst als die Verteidiger dieser englischen Institutionen präsentieren zu können. Diese Position ist jedoch bei weitem nicht als rein defensiv einzustufen, denn es stand den Tories frei zu definieren, welche Merkmale die »Constitution« auszeichneten. In der Konsequenz konnte die eigene Konzeption vom englischen Nationalcharakter in Absetzung von den als »unenglisch« bezeichneten Vor253 234

Vgl. Salvidge, S., Salvidge of Liverpool, London 1934, S. 207. Vgl. Duff Cooper, A., Old Men Forget, London 1953, S. 122.

166

Teil 2: Die Reaktionen auf den Kommunismus

Stellungen der politischen Linken als die richtige und vor allem englische Auffassung dargestellt werden. Durch die Zeichnung der negativen Utopie einer sozialistischen englischen Gesellschaft mit ihren möglichen verwerflichen Auswüchsen erschien die Conservative Party selbst um so englischer, demokratischer, moralischer und vor allem wesentlich geeigneter, das Land zu regieren. Eine Partei, die als eine über Partikularinteressen stehende »nationale Option« auftrat, konnte das Spektrum ihrer Wählerschaft entscheidend erweitern und die politische Konkurrenz weit hinter sich lassen. Diese geschickte Taktik hatte sicherlich einen nicht unerheblichen Anteil an den Wahlsiegen der Tories, die sie in der direkten Konfrontation mit der Labour Party feiern konnten. Unter diesem Aspekt betrachtet war die Existenz einer kommunistischen Partei in England für die Conservative Party durchaus von Nutzen, da man in ihr das geeignete Mittel gefunden hatte, den eigentlichen politischen Gegner wirksam zu bekämpfen.

TEIL 3: DIE REAKTIONEN AUF DEN FASCHISMUS

I. DIE LABOUR PARTY UND DER FASCHISMUS Die Labour Party reagierte auf den englischen Faschismus mit der entschiedenen Bekämpfung der British Union of Fascists vor allem durch einen erheblichen Propagandaaufwand. In den Jahren von 1933 bis 1938 veröffentlichte die Partei eine Vielzahl von Flugblättern und Resolutionen zum Faschismus und behandelte das Thema wiederholt auf ihren Parteitagen. Dies gilt auch für den Gewerkschaftsvorstand, der ebenfalls mit mehreren Publikationen an die Öffentlichkeit trat. In diesen Veröffentlichungen lassen sich sowohl Äußerungen zu den Ereignissen in Deutschland und Italien als auch zur politischen Lage in England finden. Durch die Untersuchung der Ereignisse auf dem Kontinent wollte man Schlüsse für die Situation im eigenen Land und die eigene Politik ziehen. Besonderes Gewicht wurde auf die Analyse der Ursachen des Faschismus und Nationalsozialismus gelegt, die in England nach Möglichkeit verhindert werden sollten. Nicht nur der englische Faschismus sollte im Keim erstickt werden, auch dem Kommunismus wurde der Kampf angesagt. Die Führungsgremien der englischen Arbeiterbewegung waren der festen Überzeugung, daß die Adaption einer radikalen Haltung nach kommunistischem Vorbild die Sache der Blackshirts in England nur begünstigen könne. Aus diesem Grund besetzte die Labour Party eine »anti-extremistische« Position, die sowohl gegen den Faschismus als auch gegen den Kommunismus gerichtet war. Sie betonte ihre strikt demokratische und konstitutionelle Grundüberzeugung und unterstrich damit gleichzeitig, daß sie nicht bereit war, den traditionellen Weg des »gradualism« angesichts einer extremen Bedrohung von rechts zu verlassen. Im folgenden werden die Reaktionen von Labour Party und Gewerkschaften auf den englischen Faschismus in drei Schritten dargestellt. Zunächst wirc. gezeigt, welche politischen Motivationen und Befürchtungen der ablehnenden Reaktion zugrunde lagen. In einem weiteren Abschnitt wird die Darstellung des englischen Faschismus in den Parteiveröffentlichungen der Labour Party nachgezeichnet. Anhand dieser Publikationen können auch Rückschlüsse auf das Selbstbild der Partei sowie auf ihre Einschätzung der politischen Haltung der englischen Wählerschaft gezogen werden. Schließlich geht es um Forderungen innerhalb der Labour Party, die BUF durch staatliche Sanktionen zu bekämpfen. Die »wehrhafte Demokratie«, als die sich Großbritannien in den dreißiger Jahren erwies, wurde nicht nur von den Regierungsparteien, sondern auch von der wichtigsten Oppositionspartei der Zeit vehement gefordert und gestaltet.

168

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den F a s c h i s m u s

1. D I E MOTIVATION FÜR DIE POLITISCHE OFFENSIVE GEGEN DIE BUF

UND

IHRE DISKUSSION INNERHALB DER LABOUR PARTY

Die ersten, zumeist spontanen Reaktionen der Labour Party auf den Faschismus stehen in einem engen Zusammenhang mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland im Januar 1933. Innerhalb weniger Monate wurde auch im Ausland deutlich, daß es das Ziel der neuen Machthaber war, ihre politischen Gegner, darunter die deutsche Sozialdemokratie, rücksichtslos auszuschalten. Während die Labour Party vor 1933 dem Nationalsozialismus nur relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet hatte, änderte sich dies nun schlagartig. Die Auslöschung der SPD, der größten Partei in der Sozialistischen Internationalen, in einem Land, das viele aus eigener Anschauung kannten und dem man sich, zumindest in Ansätzen, kulturell verbunden fühlte, versetzte die Labour Party in Alarmbereitschaft. 1 Seine Besorgnis über die Situation in Deutschland äußerte der spätere Vorsitzende der Labour Party, Clement Attlee, in einem Brief an seinen Bruder am 28. Februar 1933: »I hear the conditions are awful in Germany. I fear that the Soc Dem leaders will all be murdered. There is a danger of a central fascist block.« 2 Im April 1933 hieß es in einem weiteren Brief: »The Situation on the continent is terribly serious. [...] I fear Social democracy in Germany is down and out for a generation and Austria is likely to be crushed. Thus all Europe, with the possible exception of Czecko Slovakia, that lies East of the Rhine and South of the Baltic is lost to democracy.«3 Durch das Schicksal der deutschen Genossen sensibilisiert für eine mögliche Bedrohung durch die BUF auch im eigenen Land, reagierten Labour Party und T U C auf die jüngsten politischen Entwicklungen im März 1933 mit der Publikation Democracy versus Dictatorship4. Bereits in dieser ersten öffentlichen Äußerung läßt sich die für die gesamten dreißiger Jahre als charakteristisch zu bezeichnende Haltung der Labour Party gegenüber Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus nachvollziehen. Schon ganz zu Beginn ihrer Auseinandersetzung mit dieser Thematik hatte sich die Arbeiterpartei auf eine eindeutige Position festgelegt, die Joseph Compton, Vorsitzender des Parteitages der Labour Party von 1933, folgendermaßen für die Delegierten zusammenfaßte: »Fascism Stands for Capitalism, for Subjection, for Dictatorship, for War. We stand for Socialism, for Freedom, for Democracy, for Peace. There can be no compromise on these great antitheses, no half-way house of aecomodation.« 5 Die Partei verwies auf den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen einer Diktatur, die durch alle drei Ausprägungen des europäischen Totalitarismus glei1 2 3 4

5

Vgl. Newman, Labours Rolc in the Struggle against British Fascism, S. 68. Vgl. Clement Attlee an Thomas Attlee, 28. Februar 1933. Attlce Papers. MS. Eng. c. 4792 / fol. 57 Vgl. Clement Attlee an Thomas Attlee, 3. April 1933. Attlee Papers. MS. Eng. c. 4792 / fol. 58. Vgl. »Democracy versus Dictatorship. British Labour's Call to the People«, Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, 24. März 1933. Vgl. Labour Party Conference Annual Report 1933, S. 134.

I. Die Labour Party

169

chermaßen drohe, und der Demokratie, die Grundlage der Politik von Labour Party und Trade Unions sei. Sie warnte ihre Anhängerschaft: »British Labour has led the world in its claim for Industrial Democracy and its demand for Political Democracy. Its historic task today is to uphold the principles of Social Democracy. [...] If the British Working-class, however, hesitate now between majority and minority rule and toy with the idea of Dictatorship, Fascist or Communist, they will go down to servitude such as they have never suffered.«6 Um den zunehmend als Bedrohung empfundenen extremistischen Parteien in Großbritannien politisch wirksam entgegentreten zu können, rief die Labour Party zu verstärkter Solidarität innerhalb der Arbeiterbewegung auf: »By solid unity in these Industrial, Economic and Political Movements - powerful because they are democratic - British workers can secure their own rights against the ambitious designs of any would-be Dictators there may be here at home, and give powerful encouragement to the forces of Democratic Socialism throughout the world.«7 Doch beließ es die Partei nicht bei diesem ersten, recht allgemein gehaltenen Appell an die Einheit der Arbeiterbewegung. Auf dem Parteitag in Hastings im September 1933 verabschiedeten die Delegierten zwei Resolutionen. Die erste richtete sich vor allem als Solidaritätsadresse an die Opfer des Faschismus und Nationalsozialismus und sicherte jede nur mögliche Unterstützung seitens der Labour Party zu. Die zweite Resolution beschäftigte sich weniger mit den Ereignissen in Deutschland, sondern primär mit der potentiellen Bedrohung durch den englischen Faschismus in Gestalt der BUF. Aus den Formulierungen wird deutlich, wie ernst die Delegierten diese Gefahr nahmen: »This Conference requests the National Executive Committee [...] to consider through the National Joint Council and the Co-operative Movement, what effective Steps can be taken to meet the possibility of a Fascist Dictatorship in this country and to frame a Policy for immediate and concerted action by the whole Workingclass Movement should such an emergency arise.«8 Auch der Gewerkschaftskongreß von 1934 richtete eine ähnliche Aufforderung an die eigene Führung: »Congress [...] instruets the General Council to use every possible means to combat Fascism, to prevent the militarisation of politics, and to advance and strengthen the forces of freedom and democratic progress.« 9 Die Ausarbeitung einer konkreten Strategie gegenüber dem englischen Faschismus wurde dem National Council of Labour übertragen, das sich in den folgenden Wochen und Monaten ausführlich mit der Frage beschäftigte. Im Juli 1934 berichtete es erstmals über seine Arbeit. 10 Bereits im März war das Gre6 7 8

9 lc

Vgl. Labour Party Conference Annual Report 1933, S. 134. Ebenda. Vgl. Labour Party Resolution on Fascism, Dictatorship and Democracy. Labour Party Conference, September 1933, Labour Partv National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers. Vgl. Resolution des TUC-Kongreß 1934. National Council of Labour, Minutes of Meetings. Vgl. »Statement on Fascism at Home and Abroad« des National Council of Labour vom 28. Juli 1934. General Correspondence and Political Records of the Labour Party, Subject Files - AntiFascist Activity in U. K. 1933-1937.

170

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf d e n Faschismus

mium zu der Einschätzung gelangt, daß man die BUF nicht ignorieren könne, sondern aktiv gegen die neue Partei vorgehen müsse." Eine Kampagne gegen den englischen Faschismus sollte sowohl die eigene Anhängerschaft als auch die weitere politische Öffentlichkeit ansprechen: »There should be an intensive campaign inside the Movement itself in order to educate the rank and file on the subject. This campaign should be centred in trade Union branches, trades Councils, local Labour Parties, Co-operative Guilds, etc. [...] The campaign should be carried actively into the country, not merely on our public platforms, but at street corners and other open air meetings.«12 Mittel dieser Aufklärung über die BUF und den europäischen Faschismus und Nationalsozialismus sollte in erster Linie eine intensive Publikationstätigkeit sein. Das N C L setzte auf die vermehrte Berücksichtigung des Themas in Flugblättern, Zeitungen und Zeitschriften. Darüber hinaus sollten rechtliche Schritte gegen die BUF geprüft werden: »In the second place an investigation was put in hand with the aid of legal experts, into the present State of the law regarding movements subversive of the Constitution and the democratic System, and into the possibility and desirability of new legislation being enacted for the defence of democracy.«13 Diese offensive Strategie der Labour Party gegen den Faschismus im eigenen Land sollte jedoch nicht nur als eine Reaktion auf die Resolutionen auf Parteitagen, TUC-Kongressen und anderen Zusammenkünften der englischen Arbeiterbewegung aufgefaßt werden. Sie stellte vor allem auch ein Resultat parteiinterner Überlegungen dar. Mitglieder der Führungsgremien hatten sich intensiv mit der BUF beschäftigt und waren zu dem Ergebnis gekommen, daß es parteistrategisch unklug wäre, Mosleys Partei schlicht zu ignorieren. Im August 1934 hatte die BUF mit 50.000 Mitgliedern einen Höhepunkt an Popularität erreicht. In der Führung der Labour Party verstärkte sich die Sorge, daß es der BUF womöglich gelingen könne, Mitglieder und Wählerstimmen aus der englischen Arbeiterschaft zu gewinnen. Insbesondere in den Gewerkschaften fürchtete man, daß Mosley einzelne Trades Councils unterwandern könne. Diese Sorge war nicht unbegründet. Schließlich zählte es zu einem der erklärten Ziele der Blackshirts, mittels einer eigenen Organisation, der Fascist Union of Workers, die Gewerkschaften zu infiltrieren und so die Arbeiter für sich zu gewinnen. Ein weiterer Punkt, der bemerkenswert erscheint, ist die politische Herkunft Mosleys aus der Arbeiterpartei. Auch wenn seine Karriere als zukunftsweisender Labour-Politiker nur von kurzer Dauer sein sollte, war der Faschistenführer »The Fascist Movement in this country can no longer be ignored and active Steps must be taken to oppose it.« Vgl. Bericht des National Council of Labour »Fascism at Home and Abroad«. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, März 1934. Vgl. Bericht des National Council of Labour »Fascism at Home and Abroad«. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, März 1934. Vgl. »Statement on Fascism at Home and Abroad« des National Council of Labour vom 28. Juli 1934. General Correspondence and Political Records of the Labour Party, Subject Files - AntiFascist Activity in U. K. 1933-1937.

I. Die Labour Party

171

mit der Argumentation der englischen Arbeiterbewegung vertraut und verstand es, in seine Rhetorik sozialistische Elemente zu integrieren. In dem bereits zitierten Bericht Fascism at Home and Abroad untersuchte das National Council of Labour auch die Propagandamethoden Mosleys: »Mosley like Hitler has studied the psychology of propaganda. [...] Consequently Mosley Stresses all the grievances of the inarticulate both middle class and working class.«14 Durch diese mögliche Konkurrenz um die Stimmen der Arbeiter herausgefordert, verfolgte das National Council of Labour die Propaganda der BUF in der Arbeiterschaft äußerst aufmerksam und registrierte jede neue Entwicklung, wie ebenfalls aus Fascism at Home and Abroad hervorgeht: »The BUF is making a special effort among the workers. Not only did the >Fascist Week« for February 2nd to 8th 1934 contain a front page article specially appealing to Trade Unionists, but Mosley has now started a subsidiary called the >Fascist Union of British Workers«.«15 Auf die Versuche der BUF, Stimmen aus dem angestammten Wählerreservoir der Labour Party zu gewinnen, reagierte die Partei mit einer scharfen politischen Rhetorik. Man sprach der BUF jegliche Legitimation ab, die Interessen der englischen Arbeiter zu vertreten, da dies seit über dreißig Jahren die Aufgabe der Labour Party sei. Labour Party und T U C seien die rechtmäßigen und demokratischen Repräsentanten der Arbeiterbewegung: »It is clear both from the professed objects of the Fascists and the actual events which have accompanied and followed their seizure of power, that Fascism is fundamentally opposed to the ideals and methods of the working class Movement. The workers have built up their own organisations on a democratic basis.«16 Vereinzelt existierende lokale Gruppierungen der Fascist Union of Workers verdeutlichten, daß die Faschisten unter Teilen der Arbeiterschaft durchaus einen gewissen Erfolg verbuchen konnten. Diese Entwicklung wurde von der Labour Party ernst genommen, worauf der eindringliche Ton ihrer Flugblätter hinweist. Die Partei machte immer wieder darauf aufmerksam, daß es das Ziel dieser faschistischen Arbeiterorganisationen sei, Unfrieden zu stiften und die Solidarität der Arbeiterklasse zu zerstören. Solidarität und Einheit der Arbeiter wurden in den öffentlichen Verlautbarungen der Labour Party jedoch als Stärke und Grundbedingung für den politischen Erfolg der Arbeiterbewegung dargestellt. Die Fascist Union of Workers wolle nicht die Interessen der Arbeiter vertreten, sondern ihre freiheitlich organisierten Institutionen zerstören: »We would further urge upon the Trade Unionists in particular to beware of Fascist Propaganda within the Labour Movement [...] which would appear to be to sow distrust of the leaders among the rank and file, to promote lack of confidence and lack of faith in present-day Trade Union Organisation; and, in particular, to stimulate 14

Vgl. Bericht des National Council of Labour »Fascism at Home and Abroad«. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, März 1934. 15 Ebenda. " Ebenda.

172

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus an atmosphere of confusion and doubt. We would impress upon Trade Unionists and others in the Labour Movement the necessity of instinctively regarding the fomenters of suspicion and doubt as the opponents rather than the friends of the solidarity of organised labour.« 17

Im Flugblatt Fascism. The Enemy of the People aus d e m J a h r 1935 z o g das N a tional C o u n c i l of L a b o u r einen Vergleich mit D e u t s c h l a n d u n d Italien heran, u m die Folgen der politischen F o r d e r u n g e n der B U F zu verdeutlichen. U n t e r Hitler u n d Mussolini seien sämtliche freie Arbeiterorganisationen z e r s t ö r t w o r d e n , was auch in E n g l a n d als logische Folge einer H e r r s c h a f t d e r B U F zu erw a r t e n sei: »The British Fascists, following the example of Mussolini in Italy and Hitler in Germany, have no room for a free and virile Trade Union Movement. Apparently they secured enough members in the >Fascist Union of British Workers« to secure a band. [...] This part of Fascist propaganda is a deliberate attempt to weaken the Unions as they are at present; to destroy that unity which is strength.« 18 I n s b e s o n d e r e die ö k o n o m i s c h e n Vorstellungen M o s l e y s lösten angesichts der wirtschaftlich schwierigen Zeit die Befürchtung aus, der Faschistenführer k ö n ne auch in der Anhängerschaft der L a b o u r P a r t y auf positive R e s o n a n z stoßen: »Notwithstanding the entire absence of any new constructive ideas from the Fascist Programme, and their very thinly veiled scorn for democracy and freedom, an increasing number of people who had not hitherto studied politics at home and abroad were led to believe that Fascism offered a remedy.« 19 Deshalb b e m ü h t e n sich die F ü h r u n g s g r e m i e n von L a b o u r P a r t y u n d G e w e r k schaften, mit Zahlen u n d Fakten über die tatsächliche Lage der A r b e i t e r in den L ä n d e r n des europäischen Faschismus u n d N a t i o n a l s o z i a l i s m u s einer p o t e n t i ellen Attraktivität der ö k o n o m i s c h e n K o n z e p t e der B U F gegenzusteuern: »We must and can show that Fascism is no remedy for our economic troubles; that in Italy under the control of a Fascist dictatorship, the Standard of life of the workers has fallen and continues to fall; and that Fascism in Germany and Austria has intensified and not alleviated economic confusion and suffering.«20 In What is this Fascism} w u r d e darauf hingewiesen, d a ß in Italien u n d D e u t s c h land die Arbeitslosenquote h ö h e r als in England sei, die B e z a h l u n g der Arbeiter geringer u n d die allgemeine wirtschaftliche Lage schlechter als in den d e m o k r a tischen L ä n d e r n . Dieses Insistieren auf die tatsächliche Situation der A r b e i t e r in 17

18 19

20

Vgl. »The Labour Movement and Fascism. A Special Memorandum« prepared by the Joint Consultative Committee of the London Trades Council and the London Labour Party. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, August 1934. Vgl. Flugblatt »Fascism. The Enemv of the People«, Februar 1935. Vgl. »Statement on Fascism at Home and Abroad« des National Council of Labour vom 28. Juli 1934. General Correspondence and Political Records of the Labour Party, Subject Files - AntiFascist Activity in U. K. 1933-1937. Vgl. »The Labour Movement and Fascism. A Special Memorandum« prepared by the Joint Consultative Committee of the London Trades Council and the London Labour Party. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, August 1934.

I. Die Labour Party

173

Italien und Deutschland läßt den Rückschluß zu, daß auch in englischen Arbeiterkreisen die faschistische und nationalsozialistische Propaganda über die angeblich verbesserte Lage der Arbeiterschicht rezipiert wurde. Angesichts der Krise der englischen traditionellen Industrien und den schlechten Lebensbedingungen in den betroffenen Gebieten schien es der Labour Party angebracht, potentiell positiven Eindrücken entgegenzuwirken. Man versuchte, Mosleys ökonomische Autorität, die durch die Erfolgsmeldungen der deutschen und italienischen Propaganda noch verstärkt wurde, durch die Präsentation der Wahrheit zu entkräften: »It is piain that the Corporative or Nazi State in Germany is so far no more successful in creating prosperity for the People than the Fascist State of Italy. In both freedom is dead. There is no free thought. There is no free press. There are no free Trade Unions. Spies, lies, torture and tyranny are the instruments of Government under Fascism.«21 Um den Einfluß der BUF in Arbeiterkreisen besser einschätzen zu können, verschickte die Labour-Führung einen Fragebogen an die örtlichen Verbände (Local Councils) der Labour Party und die lokalen Gewerkschaftsvertreter, in dem genaue Angaben zu den Aktivitäten der BUF vor Ort erfragt wurden. Im Dezember 1933 hatte das Exekutivkomitee eine Befragung vorgeschlagen 22 , die das National Council of Labour schließlich im Juni 1934 durchführte. J. S. Middleton, Sekretär der Labour Party, bat in einem dem Fragebogen eigens beigelegten Brief um die genaue und umgehende Beantwortung der Fragen, da sie eine wichtige Grundlage für die weitere Politik der Labour Party gegenüber der BUF darstellten. 23 Das National Council of Labour wollte unter anderem erfahren, ob es überhaupt eine örtliche Gruppe der BUF gab und, falls dies der Fall war, wie hoch ihre Mitgliedschaft eingeschätzt wurde. Weiterhin wurde nach der Häufigkeit faschistischer Demonstrationen, der Verteilung faschistischer Flugblätter und Zeitschriften und der lokalen Berichterstattung über die BUF gefragt. Besonders interessiert zeigte sich die Labour Party an den Versuchen der örtlichen BUF-Gruppen, die Gewerkschaften zu infiltrieren. 24 Auch die Bemühungen der BUF um bestimmte Zielgruppen wurden als Einzelpunkt abgefragt.25 Von den 380 eingegangen Antworten wurden schließlich 58 Wahlkreise als beobachtungswert eingestuft, da hier relativ große BUF-Gruppen existierten, die BUF spezielle Propagandabemühungen in der Arbeiterschaft unternommen 21 22

23

24

23

Vgl. Flugblatt »What is this Fascism?«, März 1935, S. 10. »A proposal was reported from the National Executive of the Labour Party that an enquiry should be made into the Fascist Acitvities in various parts of the country. It was resolved that personal letters of enquirv should be addressed to a selected number of Labour Party Agents in the Constituencies.« Vgl. National Council of Labour, Minutes of Meetings, 19. Dezember 1933. Vgl. Brief von J. S. Middleton vom 12. Juni 1934. General Correspondence and Political Records of the Labour Partv, Subject Files - Anti-Fascist Activity in U. K. 1933-1937. Vgl. Fragebogenmuster, Juni 1934. General Correspondence and Political Records of the Labour Party, Subject Files - Anti-Fascist Activity in U. K. 1933-1937. »Is there any evidence of local Fascist Movements being orgamsed in connection with women or youth?« Frage 9 des Fragebogens.

174

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf d e n Faschismus

hatte oder es sogar bekannt war, daß sich unter den Mitgliedern der Labour Party faschistische Sympathisanten oder »Spione« befanden. Letzteres wird aus dem Antwortbogen aus Bristol East ersichtlich. Auf die Frage nach der geschätzten Mitgliedschaft der örtlichen BUF-Gruppe hieß es: »I do not know its total strength. They are arranging for Intelligence Officers to get into other organisations. One was discovered in the Movement which I am associated and in all probability there are members in our own Party.« 26 Die Antwort aus Bristol East auf die Frage nach einem Engagement der BUF in den Gewerkschaften muß erhebliche Aufmerksamkeit und Beunruhigung bei Middleton ausgelöst haben, da er sie mehrfach angestrichen hatte: »I am not aware of attempts in my own area, but I have been informed by one Fascist, who is a member of the Printing Trade, [...] that 150 members of his Trade Union Branch were members of the Fascist Movement. He stated that they did not all wear blackshirts, and it was impossible to judge the growth of the Organisation, which, he assured me was considerable.«27 Wenn es auch aus einzelnen Wahlkreisen Rückmeldungen wie die aus Bristol East gab, so war doch der allgemeine Tenor der Antworten, daß die BUF zwar eine ärgerliche Erscheinung im politischen Spektrum sei28, es den Blackshirts jedoch nur sehr oberflächlich gelungen sei, die englische Arbeiterbewegung zu infiltrieren. 29 Dennoch ließ das National Council of Labour angesichts der Konkurrenz durch die Blackshirts in seiner Kampagne gegen die BUF nicht nach. Die Labour Party sah sich sogar gezwungen, eindeutig festzuschreiben, daß sich die Mitgliedschaft in der Partei nicht mit einem Engagement in einer faschistischen Organisation verbinden ließ. Das Exekutivkomitee veröffentlichte diese Entscheidung in einer Presseerklärung im Juni 1934: »The National Executive of the Labour Party, in response to requests for guidance regarding the activities of Fascists, have unanimously deeided [...] that the British Union of Fascists is an Organisation ineligible for affiliation to the Labour Party. The practical effect of this decision is to make it clear to all affiliated organisations that members of the British Union of Fascists are ineligible as individual members of the Labour Party, as delegates to the Labour Party locally or nationally, or as Candidates of the Labour Party for Parliament or Local Government elections.«30 Hintergrund dieser Entscheidung waren mehrere Anfragen an den Parteivorstand, wie in den Wahlkreisen in solchen Fällen entschieden werden solle.31 Die 26 27 28

29 30

31

Antwort auf Frage 3 aus Bristol East. Antwort auf Frage 10 aus Bristol East. Die BUF wurde gern als »nuisance« bezeichnet, ein Terminus, den man salopp auch als »Nervensäge« oder »Quälgeist« übersetzen könnte. Hier wird deutlich, daß viele der lokalen Vertreter der Labour Party die Blackshirts letztlich nicht ernst nahmen. Vgl. auch Silby, The Labour Partv and British Fascism, S. 46 f.. Vgl. Presseerklärung des National Executive Committee vom 27. Juni 1934. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers. So hieß es beispielsweise in einem Sitzungsprotokoll des Organisation Sub-Committee des National Executive Committee am 17. Januar 1934: »The Newport [Monmouth] Divisional Labour Party wrote asking for Information about the position of members of the Labour Party who join

I. Die Labour Party

175

offensive Strategie der Labour Party gegen die BUF stellte somit nicht nur eine emotionale Reaktion auf Ereignisse in Deutschland dar, sondern entsprang durchaus einer Beunruhigung der Labour-Führung angesichts der politischen Konkurrenz durch die BUF in ihrer Stammwählerschaft. Auch wenn der Einfluß der Faschisten auf Arbeiter nur als gering eingestuft wurde, war man in der Labour Party alarmiert. Diese Vorgehensweise war jedoch nicht unumstritten, barg sie doch die Gefahr, der BUF überflüssige »Publicity« zu verschaffen und sie damit politisch aufzuwerten. Man war sich durchaus darüber bewußt, daß die eigene Kampagne gegen die BUF Mosleys Partei letztlich eher nutzen denn schaden könnte. Deshalb stellte man in der Labour Party die Frage, ob es angesichts der relativ geringen Mitgliedschaft und Einflußmöglichkeiten der BUF nicht wesentlich geschickter sei, die Faschisten zu ignorieren. Auch in den beantworteten Fragebögen findet sich diese Einschätzung wieder, vor allem in jenen Wahlkreisen, in denen die BUF so gut wie keinen Einfluß hatte. In einem dem Fragebogen beigefügten Postskriptum heißt es beim Vertreter des Wahlkreises Barkston Ash in Yorkshire: »P. S. Judging by this area, we do the Fascists a Service by spending our efforts denouncing them. It gives them an advertisement which they would otherwise not obtain. To ignore them is most effective.«32 Gleichzeitig erreichten das National Executive Committee wiederholt Aufforderungen, dem Faschismus in England größere Aufmerksamkeit zu widmen. Man befand sich in einem Dilemma, wie Walter Citrine in einer Rede auf dem Gewerkschaftskongreß 1934 verdeutlichte: »We are between two fires, as it were. On the one side, if we give too much Publicity, we shall exaggerate its importance, and pcrhaps help the movement in some measure. On the other side, if we underestimate or ignore it, we are running a very considerable risk.«33 Im August 1934 hielten sämtliche Londoner Ortsvereine der Labour Party und der Gewerkschaften eine Konferenz über Faschismus und Nationalsozialismus ab. Federführend sowohl bei der Vorbereitung der Konferenz als auch bei der Formulierung der abschließend veröffentlichten Resolution war der Vorsitzende des Londoner Ortsvereines Herbert Morrison. 34 Auf der Konferenz, an der 1200 Delegierte teilnahmen, diskutierte man die Frage, wie Großbritannien der Gefahr des Faschismus begegnen könne. Im Abschlußprotokoll wurde die schwierige Situation der englischen Arbeiterbewegung folgendermaßen charakterisiert: »Naturally, the happenings abroad have raised the question whether similar happenings may oeeur in Great Britain. We are, frankly, in the difficulty if we become

12 13 14

Fascist Clubs and Organisations.« Vgl. Labour Party National Executive Committee and SubCommittee Minutes and Papers. In einer Sitzung des N E C am 27. Juni 1934 werden mehrere Briefe verschiedener Organisationen erwähnt, die den Parteivorstand um eine Stellungnahme bezüglich der Mitgliedschaft in der BUF bitten. Vgl. Antwortbogen aus dem Wahlkreis Barkston Ash Divsion of the West Riding of York. Vgl. Report of the Proceedings at the 66th Annual Trades Union Congress 1934, S. 255. Vgl. Donoughuc, Jones, Herbert Morrison, S. 223.

176

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus hysterical and neurotic about Fascism in Great Britain, and if we assume that it is already a real menace, we may give to Fascism such prominence that it may benefit from the considerable advertisement thus secured. O n the other hand, we are naturally apprehensive lest we underestimate the possibilities of a Fascist dictatorship in Great Britain and allow it to grow because our struggles against it are not sufficiently intensive.« 35

D i e eigene Partei w u r d e g e m a h n t , angesichts der Ereignisse auf d e m K o n t i n e n t nicht uberzureagieren, s o n d e r n v o r allem an den G e m e i n s i n n u n d die Vernunft des britischen Volkes zu appellieren. N u r so k ö n n e m a n auf D a u e r den Faschism u s in England bekämpfen: »Fascism will not be destroyed by mere denunciation of a highly coloured and hysterical order. To combat Fascism in that spirit would give public opinion the impression that we ourselves are neurotic, and would tend to increase the importance of Fascism in the public mind. As a whole, and over a period [...] it is the custom of the British people to respond to an appeal to reason. And it is to reason, common sense and understanding that Labour must appeal.« 36 Dieser E i n s c h ä t z u n g zufolge w a r e n die Briten ein vernunftorientiertes Volk, das einer n ü c h t e r n e n Analyse politischer Z u s a m m e n h ä n g e u n d Realitäten weit z u gänglicher war, als der ü b e r z o g e n e n Selbstdarstellung der Blackshirts. I m M i t telpunkt der eigenen Politik m u ß t e n folglich Besonnenheit, N ü c h t e r n h e i t u n d der auch v o n den Tories i m m e r wieder genannte » c o m m o n sense« stehen, w o l l te man in dieser so charakterisierten Wählerschaft auf Z u s t i m m u n g s t o ß e n . Deshalb müsse die L a b o u r P a r t y das Vertrauen der W ä h l e r in ihre d e m o k r a t i schen u n d politischen K o m p e t e n z e n stärken u n d auf diese Weise den Faschism u s in England besiegen: »White we must be vigilant and watchful for its dangers, and ready for action, Fascism cannot be fought by negative denunciation. A reasoned case against it must be argued, and what is equally important, the Community must be convinced that democratic institutions are capable of decisive and effective action in the public interest.«37 In ihrem angeblich irrationalen u n d deshalb d e m englischen W ä h l e r fremden Politikverständnis w u r d e der entscheidende G r u n d für die bisherige Schwäche der B U F in G r o ß b r i t a n n i e n gesehen: »Indeed we v e n t u r e to t h i n k that the relative weakness of the British Blackshirts is that they have not appealed to reason, but have c o n d u c t e d a p r o p a g a n d a of an irrational and theatrical character, which has not appealed t o the average c o m m o n sense of o u r Citizens.« 38 Wie bereits am Beispiel der R e a k t i o n e n g e g e n ü b e r der C P G B verdeutlicht, griff die L a b o u r P a r t y auf allgemein akzeptierte Vorstellungen über d e n briti-

33

36 37 38

Vgl. »The Labour Movement and Fascism. A Special Memorandum« prepared by the Joint Consultative Committee of the London Trades Council and the London Labour Partv. Labour Partv National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, August 1934. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

I. Die Labour Party

177

sehen Nationalcharakter zurück, die auf diese Weise eine zusätzliche Verstärkung erfuhren. Ähnlich wie auch für die Conservative Party zu beobachten, unterstrich die Labour Party Grundeigenschaften der Briten, die mit dem Erscheinungsbild und mit der Politik der englischen Faschisten kontrastiert wurden. Es ist auffallend, wie ähnlich die demokratischen Parteien die politische Haltung des britischen Durchschnittsbürgers beurteilten. Konservative wie Labour-Politiker betonten immer wieder die Besonnenheit, Rationalität und den gesunden Menschenverstand der britischen Wähler, die sie davon abhielten, ihre Stimme den extremistischen Parteien zu geben. Es drängt sich der Eindruck auf, daß in der englischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit ein Bild der eigenen Nation existierte, das es schlicht unmöglich machte, die Extremisten zu wählen und sich gleichzeitig als echter Engländer zu fühlen. Dieses Selbstbild stand bei beiden demokratischen Parteien im Mittelpunkt ihrer Reaktionen auf die extremistischen Parteien, wurde somit immer wieder ins Bewußtsein der Bevölkerung gerückt und sollte deshalb bei dem Versuch, das politische Scheitern von BUF und C P G B zu erklären, bedacht werden. Mit ihren Anmerkungen über die Strategie der Labour Party gegen die BUF wollte die Londoner Konferenz jedoch nicht Kritik an der Vorgehensweise des National Council of Labour gegen die BUF üben. Vielmehr ging es darum, auf die sich ankündigende Kampagne der Socialist League für eine United Front zu reagieren: »Such an alliance, besides stimulating confusion in our own ranks and weakening our hold over public opinion, would be ineffective in the struggle against dictatorship.« 39 Die Absage an die eindimensionale und »hysterische« antifaschistische Propaganda der CPGB, die zu einer Überschätzung des Faschismus in England führe, zielte besonders auf die Anhänger der Einheitsfront auf der Parteilinken. Ein Bündnis mit der CPGB sei das Gegenteil einer bedachten Reaktion auf den Faschismus: »Nor would Opposition to Fascism be strengthened by any alliance between the Labour Movement and the Communist Party of Great Britain, which, in any case, is small in membership and lacking in public influence.«40 Man war sich in den Führungsgremien der Labour Party der Tatsache bewußt, daß die Existenz einer faschistischen Partei insbesondere auf dem linken Labour-Flügel zu einer Annäherung an andere linke Gruppierungen in Großbritannien führen könnte, eine Entwicklung, die es auf jeden Fall zu verhindern galt. Die Solidarität und Zusammenarbeit der politischen Linken gegen die BUF sollte den institutionellen Rahmen von Labour Party, T U C und Co-operative Movement nicht verlassen. Obwohl die Labour-Führung in den dreißiger Jahren von moderaten Kräften dominiert wurde und sich insbesondere der Einfluß des T U C verstärkte, war mit George Lansbury bis 1935 ein Vertreter der Linken Parteivorsitzender. 39

40

Vgl. »The Labour Movement and Fascism. A Special Memorandum« prepared by the Joint Consultative Committee of the London Trades Council and the London Labour Party. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers, August 1934. Ebenda.

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus

178

Lansbury sympathisierte mit den Forderungen nach einer radikalen Bekämpfung des Faschismus in Kooperation mit der Communist Party 41 und erklärte sich deshalb auch bereit, auf Veranstaltungen der Socialist League öffentlich aufzutreten. Durch diese Situation wurden Konflikte geradezu herausgefordert. Im März 1933 trat Lansbury in einen hitzigen Briefwechsel mit Ernest Bevin, in dem es über Lansburys Teilnahme an einer antifaschistischen Veranstaltung der Socialist League ging. Bevin hatte Lansbury dahingehend kritisiert, daß er das National Joint Council nicht über seine Teilnahme informiert habe. Man sei sich in dem Gremium jedoch darüber einig, daß im Kampf gegen den Faschismus keine gemeinsame Sache mit Gruppierungen links von der Labour Party gemacht werden solle, Lansbury somit diese einheitliche Flaltung unterminiere. 42 Der Parteivorsitzende konterte entschieden: »The Socialist League is an affiliated Organisation to the Labour Party. [...] it has the right to carry on propaganda just the same as any other affiliated body. [...] There was no Suggestion that there would be a pronouncement of a new policy. The whole idea of the meeting [...] was that it would be an excellent opportunity of making people understand that the Labour Party's policy - not a new policy but the policy expressed in its Conference resolutions - was a definite alternative to either the chaos of bloody revolution or a Fascist dictatorship imposed by the House of Commons.«43 Insbesondere linke Gruppierungen behaupteten, das gegenwärtige National Government berge die Gefahr einer faschistischen Diktatur in England in sich, da eine wirkliche Opposition durch den Zusammenschluß von National Labour mit den Konservativen und National Liberais nicht existiere. Diese Argumentation wies die Labour-Führung offiziell zurück. Die Tatsache, daß Lansbury sie aufnahm, verdeutlicht, daß sich die fundamentalen Unterschiede zwischen den verschiedenen Flügeln der Labour Party bis in die Führungsspitze verfolgen lassen. Erst als Bevin auf dem Parteitag von 1935 Lansburys Abwahl durchsetzte, konnte die Labour-Führung eine einheitlichere Haltung sowohl der eigenen Partei als auch der englischen Öffentlichkeit gegenüber einnehmen. Diese zwiespältigen Meinungen innerhalb der Labour Party über eine angemessene Reaktion auf den europäischen Faschismus und Nationalsozialismus sowie die BUF werden auch in Hugh Daltons Memoiren erkennbar. Dalton kritisierte ausdrücklich jene Mitglieder seiner Partei, die die BUF in England als ernsthafte Bedrohung ansahen und deshalb überreagierten: »In the early nineteen thirties many supposedly intelligent members of the British Labour Party saw these sinister apocalyptic visions. These colleagues seemed to me to have taken leave of their senses and to be living in such an out-of-the-way intellectual corner that they had quite forgotten, if indeed they ever knew, what most British people are really like. It was reasonable to take a very gloomy view of the >Fascist menace« from abroad [...]. But it was quite silly to think that there was any comparable >Fascist Menace« at hörne.«44 41 42 43 44

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Schneer, George Lansbury, S. 156. Bevin an Lansbury, 8. März 1933. Lansbury Microfilm Collection, Film Nr. 28, S. 192 f. Lansbury an Bevin, 9. März 1933. Lansbury Microfilm Collection, Film Nr. 28, S. 195 f. Dalton, t h e Fateful Years, S. 43.

I. Die Labour Party

179

Obwohl diese Bemerkung aus der Perspektive der historischen Rückschau erfolgte, ist sie dennoch als charakteristisch für Dalton zu bewerten, da er bereits in den dreißiger Jahren zu einer identischen Haltung gekommen war. In einer Tagebucheintragung vom Juli 1934 heißt es: »Zilly45 [...] has been seeing Labour intellectuals of various sizes in London who teil him that I have >dropped out', »ceased to count«, etc. By which, apart from wish being father of thought, they mean that I've refrained from taking part in their silly bogey mongering publicity and vote-scaring hysterics about >Dictatorship«, etc.«46 Während Lansbury noch in seiner Funktion als Parteivorsitzender auf den Versammlungen der Socialist League gesprochen hatte, nahm die insbesondere nach 1935 von moderaten Kräften beherrschte Parteiführung eine sehr vorsichtige Haltung gegenüber antifaschistischen Veranstaltungen ein. Als sich kommunistische und faschistische Gruppierungen im Londoner East End regelrechte Straßenkämpfe lieferten, distanzierte sich die Partei entschieden von diesen Ereignissen und betonte wiederholt ihre Absage an eine United Front. Der Londoner Ortsverein der Labour Party forderte beispielsweise im September 1937 seine Mitglieder dazu auf, einer Gegendemonstration zu einem Marsch der Blackshirts von Westminster zum Londoner Stadtteil Bermondsey fernzubleiben: »The prospect of counter-demonstrations and the publicity thus securcd for the march will attract more people than would otherwisc be the case and convert an assembly which would be of no great size or significance into one of greater importance, which is exactly what the Fascists are striving for. [...] In all the circumstances the Executive advises Labour Party members and supporters to boycott the whole thing and thus rcveal the small numbers and limited importance of Fascism in London.«47 In ihrer Haltung zum Faschismus in England betonte die Labour Party zwar immer, daß sie sich ihrer Gratwanderung bewußt war, dennoch wollte man auf keinen Fall den Fehler machen, die BUF zu verharmlosen. Auch nach den Ereignissen von Olympia 48 im Juni 1934, als sich die britische Öffentlichkeit entsetzt von Mosley und den Blackshirts zurückzuziehen begann, demonstrierte die Labour Party weiterhin Wachsamkeit, wie aus einem Memorandum des National Council of Labour von Juli 1934 ersichtlich wird: »It is clear that at present there is a strong wave of public opinion against the entire Fascist policy and Organisation. Nevertheless, the National Joint Council and the Movement as a whole have not been lulled into the feeling that it is now unnecessary to take further action.«49 43

46 47

48

49

Konni Zilliacus (1894-1967). Mitglied der Informationsabteilung des Sekretariats des Völkerbundes. Vgl. Pimlott, The Political Diary of Hugh Dalton, Eintragung vom 16. Juli 1934, S. 178. Vgl. Brief der Londoner Labour Party an die Ortsvereine vom 20. September 1937. Correspondence and Political Records of the Labour Party, Subject Files - Anti-Fascist Activity in U. K. 1933-1937. Bei einer Versammlung der BUF im Londoner Stadtteil Olympia kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen BUF-Anhängern und ihren politischen Gegnern. Vgl. Ergänzung zum Memorandum »Fascism at Home and Abroad« des National Council of Labour. National Council of Labour, Minutes of Meetings, 28. Juli 1934.

180

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den F a s c h i s m u s

Zielrichtung der Politik der Labour Party gegenüber beiden extremistischen Herausforderungen war es, die eigene politische und demokratische Kompetenz zu betonen. Den Wählern müsse deutlich gemacht werden, »that the mind of Labour is reasonably clear on the social and political problems with which we are faced, and that we are capable of governing the country with decision, with public spirit and to the public advantage.«50 Nur auf diese Weise könne man der Argumentation von BUF und CPGB sinnvoll begegnen. Die Arbeiterpartei präsentierte sich in ihrer politischen Öffentlichkeitsarbeit als ein demokratisches Bollwerk gegen die Gefahr der Diktatur sowohl von rechts als auch von links.

2. D I E DARSTELLUNG DES FASCHISMUS IN DEN PARTEIVERÖFFENTLICHUNGEN

In ihrer Kampagne gegen die BUF ging es den Führungsgremien von Labour Party und Gewerkschaften vor allem um die eigene Gefolgschaft, die man vor den Gefahren des Faschismus warnen und deren Meinung man beeinflussen wollte. 51 Auf der einen Seite sollten die Folgen einer faschistischen Herrschaft in England verdeutlicht, auf der anderen Seite die Labour Party als Garantin für Demokratie und Freiheit dargestellt werden. Sowohl Labour Party als auch T U C maßen einer Analyse der Ursachen des Faschismus und Nationalsozialismus in Europa große Bedeutung bei, da sie wertvolle Anregungen für eine angemessene Reaktion der englischen Arbeiterbewegung auf die BUF vermitteln konnte. Als Hauptfaktoren für das Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland wurden in dem bereits zitierten Memorandum Dictatorships and the Trade Union Movement von Walter Citrine folgende Punkte genannt: »Factors leading up to the present Situation [were] [...] the German inexperience in the methods of democratic government, the electoral System making the clear victory of any one party impossible, the Communist attacks on the Socialist movement, the growth of nationalism due to resentment and injured pride arising out of provisions of the Versailles Treaty, and the deterioration of economic conditions due to the world depression.«52 Begründet wurde dieses vielschichtige Ursachengeflecht mit der Erkenntnis, daß die neuen rechten Bewegungen im Gegensatz zur simplistischen Analyse der Komintern nicht nur einen auf die Spitze getriebenen Kapitalismus darstellten, sondern vielmehr eine ideologische Qualität besäßen, wie sie auch dem Kommunismus und Sozialismus zu eigen sei: »It is not enough to regard Fascism merely as a capitalist dictatorship. If it were so, it would not be so dangeVgl. Ergänzung zum Memorandum »Fascism at Home and Abroad« des National Council of Labour. National Council of Labour, Minutes of Meetings, 28. Juli 1934. »There should be an intensive campaign inside the Movement itself in order to educate the rank and file on the subject.« Vgl. Ergänzung zum Memorandum »Fascism at Home and Abroad« des National Council of Labour. National Council of Labour, Minutes of Meetings, 28. Juli 1934. Vgl. »Dictatorships and the Trade Union Movement«, Summary of Memorandum. TUC General Council Minutes 1930-1940, 23. Mai 1933.

I. Die Labour Party

181

rous because it would inevitably drive workers to revolt. It is as much a creed as Communism or Socialism.«53 Ausgehend von seiner Analyse der Situation in Deutschland zog Citrine die Schlußfolgerung, daß sich in England lediglich zwei der für den Aufstieg rechter Diktaturen verantwortlichen Faktoren wiederfinden ließen. Dabei handelte es sich zum einen um die schlechte wirtschaftliche Lage und zum anderen um die Existenz einer kommunistischen Partei. Der Gewerkschaftssekretär rief dazu auf, intensiv für die Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen zu arbeiten. Gleichzeitig müsse die Labour Party stets die Unterschiede zwischen ihrer eigenen Politik und der Haltung der Communist Party hervorheben. Schließlich sei es das Ziel von Kommunisten und Faschisten gleichermaßen, in England eine Diktatur zu etablieren. Der wesentlich wichtigere Faktor war jedoch nach Citrines Einschätzung die wirtschaftliche Krise und die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit. Sie stelle eine tatsächliche Bedrohung auch in England dar: »Fascism was able to draw increasing support because of the menace, real or alleged, of Communist violence. There is no serious menace from that quarter in this country. [...] The one factor common to those countries and ourselves, apart from what is probably a temporary disappointment on the part of a number of people with regard to the working of parliamentary institutions, is economic depression and unemployment. These no doubt tend to create a position favourable to Fascism. If economic conditions were to deteriorate to a further great extent it is impossible to say what might happen.«54 Angesichts der schlechten ökonomischen Lage befürchtete Citrine, daß die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der BUF in der britischen Arbeiterschaft auf Zustimmung stoßen könnten. Im Vergleich beider extremer Bewegungen bezeichnete er den Faschismus folglich als die wesentlich ernstzunehmendere Herausforderung: »Communism has ceased to be in almost every land a serious menace for the Labour Movement. [...] It is not therefore the funetion of the General Council to waste its time talking about the menace and the possibilities of a Communist dictatorship here, but rather to apply ourselves to what may, because of the sharpening of the economic Situation, be regarded by some people as a Solution of the problems of this and of other countries.«55 Neben ihrem allgemeinen Ziel einer Verbesserung der ökonomischen Lage der Arbeiter kann auch diese Analyse die intensive theoretische Arbeit für neue Wirtschaftskonzepte in den Führungsgremien der Labour Party verstärkt haben. Schließlich wurde eine stabile wirtschaftliche Lage als ein entscheidender Faktor für den Erhalt der Demokratie angesehen. Um den englischen Wählern ein abschreckendes Bild von den Intentionen der BUF zeichnen zu können, wurden in den Veröffentlichungen der Labour33

,4 35

Vgl. »Dictatorships and the Trade Union Movement«, Summary of Memorandum. T U C General Council Minutes 1930-1940, 23. Mai 1933. Ebenda. Vgl. Report of Proceedings at the 66th Annual Trades Union Congress 1934, S. 249.

182

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus

Führung nicht nur die Ursachen, sondern auch die Konsequenzen faschistischer Herrschaft auf dem europäischen Kontinent thematisiert. In den Wahlkampfmaterialien finden sich wiederholt Verweise auf die gesellschaftliche Situation in Deutschland und Italien, die einerseits Informationszwecken dienten, andererseits aber auch eine abschreckende Funktion erfüllen sollten. Die englische Öffentlichkeit sollte darüber aufgeklärt werden, welche negativen Auswirkungen eine Machtübernahme der BUF haben könnte. Über den puren Informationszweck hinaus vermittelte diese Taktik gleichzeitig positive Impulse für den eigenen Wahlkampf, schließlich wurde die Labour Party als Garantin der englischen Demokratie dargestellt und als lichtes Gegenbild zu den dunklen Machenschaften der BUF stilisiert. Wie in ihrer Reaktion auf den Kommunismus betonte die Labour Party die Gefährdung der individuellen und allgemeinen Freiheit, die ein extremistisches Regime, gleich welcher Couleur, mit sich bringe. In der Resolution The Labour Movement and Fascism hieß es unter der Rubrik The Consequences of Fascism: »We must demonstrate, as we can in actual fact, that Fascism involves an iron dictatorship which is destructive of individual as well as public liberty; which by destroying freedom of thought is intellectually and culturally disastrous; and which subjects individuals of all classes [...] to a slave Status utterly inconsistent with human dignity.«56 Dieser Freiheitsbegriff, tief verankert in der englischen Tradition des Liberalismus, stand im Mittelpunkt der Argumentation. Durch die Warnung vor einer Zerstörung der Ideale der liberal geprägten Mittelschichten wandte sich die Labour Party nicht nur an die Arbeiter, sondern erweiterte das Spektrum ihrer Ansprechpartner. Denn in der Mittelschicht, so die Interpretation der LabourFührung, lag ein wichtiges Potential sowohl für die eigenen Wahlsiege als auch für den Erhalt der englischen Demokratie. Da die englischen Faschisten von der Labour Party als nahezu identische Kopien der deutschen Nationalsozialisten oder italienischen Faschisten dargestellt wurden, unterschieden sich auch ihre Ziele nicht von den italienischen oder deutschen Vorbildern. Logische Konsequenz einer faschistischen Herrschaft in England sei unweigerlich die Diktatur, wie die Labour Party im Flugblatt Fascism. The Enemy of the People verdeutlichte: »The Fascist Movement in Great Britain differs in nowise from its Italian, German and Austrian prototypes. Its aim is the political and economic subjection of the people, its methods the method of the blackguard and the gangster; its purpose to destroy the political and Trade Union institutions of the people, to suppress democracy and freedom, and to put the nation under the iron heel of dictatorship.«37 Auch der T U C bediente sich der Übertragung kontinentaler Entwicklungen auf die englische Situation. Auf dem TUC-Kongreß von 1935 wurde aus dem Bericht des National Council of Labour Fascism at Home and Abroad zitiert:

36

37

Vgl. »The Labour Movement and Fascism. A Special Memorandum«. Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers. Vgl. Flugblatt »Fascism. The Enemy of the People«, Februar 1935.

I. Die Labour Party

183

»If the Fascists had their way there would be in Great Britain the same brutality and violence, the same suppression of Trade Unionism and of the Socialist Movement, the same denial of free speech and free religion, the same resort to the bullying methods of dictatorship, that have signalised the triumph of Fascism abroad.« 58 U m die abschreckende W i r k u n g noch zu intensivieren, entwarf die L a b o u r Party Szenarien einer M a c h t ü b e r n a h m e der B U F , w o b e i vor allem das Schicksal »typisch englischer« Institutionen thematisiert w u r d e . D e n W ä h l e r n sollte verdeutlicht w e r d e n , daß das Land unter faschistischer Herrschaft nicht m e h r das vertraute »merrie England« sein w e r d e , s o n d e r n ein gänzlich anderer Staat. In What is this Fascism?, erschienen im M ä r z 1935, ging die L a b o u r P a r t y vor allem auf die B e d r o h u n g traditioneller I n s t i t u t i o n e n des englischen politischen Systems ein: »The >occupational< franchise will take the place of the present general franchise. [...] The present House of Lords is to be abolished. [...] Every voter would obviously be compelled to vote Fascist. [...] Having destroyed democracy and obtained control of the Government, the Fascists propose to set up a Corporate State. [...] Under the Corporate State, foreign trade will be nearly wiped out.« 59 G r o ß e A u f m e r k s a m k e i t w i d m e t e die L a b o u r P a r t y auch der M o n a r c h i e u n d einer möglichen Abschaffung dieser nationalen Institution d u r c h O s w a l d Mosley. In L a b o u r s E n t w u r f eines faschistischen England w u r d e der d r o h e n d e Verlust dieses K e r n s t ü c k s englischer Identität im Z u s a m m e n h a n g mit der Z e r s t ö r u n g des P a r l a m e n t a r i s m u s e r w ä h n t . Die Abschaffung des parlamentarischen Systems d u r c h die B U F hätte unweigerlich eine V e r ä n d e r u n g der britischen Einrichtung des »King in Parliament« z u r Folge. Mosley brachte in der Darstellung der L a b o u r Party die Säulen des britischen Selbstbildes, nämlich M o n a r c h i e und freiheitliche D e m o k r a t i e , ins Wanken: »The authority will be the authority of Mosley. He does not want to be King. Our King is King through Parliament. Mussolini and Hitler are Dictators. O u r King cannot alter the law of the land. Mussolini and Hitler can, and do. Who would want to be King if he could be a Dictator?« 60 Wollte die Arbeiterpartei ihrer Anhängerschaft die K o n s e q u e n z e n einer B U F D i k t a t u r verdeutlichen, griff sie b e w u ß t auf diese, mit vielen S y m p a t h i e n b e dachten, englischen Institutionen z u r ü c k . N e b e n der D a r s t e l l u n g der schlechten L e b e n s b e d i n g u n g e n der Arbeiter in faschistischen L ä n d e r n w a r es vor allem die B e d r o h u n g dieser Kernelemente englischer Identität, die die L a b o u r Party in den M i t t e l p u n k t ihrer A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der B U F stellte. Sie ging, wie auch in ihrer R e a k t i o n auf die C P G B , v o n einer Wählerschaft aus, die geprägt war durch den Stolz auf die eigene N a t i o n mit allen ihren Besonderheiten. Symbole dieser Besonderheiten sind die bereits in den Zitaten genannten »Säulen« britischen Selbstverständnisses wie das B e k e n n t n i s z u r Freiheit, der »King in 38

39 60

Vgl. Report of Proceedings at the 67th Annual Trades Union Congress 1935, S. 448. Der TUC übernahm das Statement »Fascism at Home and Abraod« des National Council of Labour. Vgl. Flugblatt »What is this Fascism?«, März 1935. Vgl. Flugblatt »The Spotlight on the Fascists«, November 1935.

184

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus

Parliament« aber auch das Oberhaus, das der linke Parteiflügel um Stafford Cripps abschaffen wollte. In der mit einfachen Strichen gezeichneten Skizze faschistischer Herrschaft betonte die Labour Party einen Dualismus zwischen Diktatur und Demokratie, wobei letztere durch sie selbst repräsentiert und gleichzeitig verteidigt wurde. Die Einfachheit der Darstellung findet sich sogar in der Farbsymbolik wieder: der Faschismus wurde als schwarz und todbringend beschrieben, wobei sich diese Assoziation aufgrund der schwarzen Hemden der BUF natürlich aufdrängte: »Black is the symbol of death, and in Great Britain, as elsewhere, a Blackshirt victory would be the end of all freedom, and the reign of poverty and tyranny.«61 In einem starken Kontrast zu dieser mehr als bedrohlichen Zukunftsperspektive standen Programm und Politik der Labour Party. Dabei fällt auf, daß sich die Partei darum bemühte, die eigenen Vorstellungen von politischen und ökonomischen Strukturreformen als mindestens genauso umfassend und weitreichend darzustellen, wie diejenigen der BUF. Die Labour Party sah sich dazu gezwungen, im direkten Vergleich zur BUF den eigenen Willen zu drastischen Reformen herauszustreichen, ein Hinweis darauf, daß die Labour Party das Potential Mosleys als politischer Neuerer ernstnahm. In der Außendarstellung der Arbeiterpartei läßt sich somit eine gewisse Spannung feststellen. Einerseits wurde der eigene Wille zur Veränderung überkommener Institutionen betont und andererseits an eben diesen in der Reaktion auf den englischen Faschismus festgehalten. Diesen Widerspruch versuchte die Partei zu lösen, indem sie betonte, daß das eigene Reformvorhaben auf rationale und vernünftige Weise und dem englischen »common sense« entsprechend umgesetzt werden solle: »The programme of the Labour Movement demands as drastic re-organisation of the industrial and social structure as that of the Fascists. But it bases its claim to support on an appeal to reason. All who value freedom and democratic institutions will then rally to its ranks, and make utterly impossible a victory for the black death of Fascism.«62 Der bedrohlich erscheinender Entwurf eines faschistischen Großbritannien ermöglichte es der Labour Party, das eigene politische Programm davon positiv abzusetzen und attraktiver erscheinen zu lassen. Sie nutzte die Bedrohung von rechts dazu, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Arbeiter zu intensivieren, so daß der BUF die Funktion eines identitätsstärkenden Merkmales für die Arbeiterbewegung zufiel. Angesichts der Herausforderung von rechts machte die Labour Party ihre Anhängerschaft immer wieder auf die Bedeutung der Solidarität der Arbeiterbewegung aufmerksam. Durch den Gegensatz von BUF und Labour Party, Diktatur und Demokratie, schwarz und weiß konnte die Identifikation mit der eigenen Partei zusätzlich verstärkt werden. Ihre Analyse der europäischen Entwicklung lieferte der Labour-Führung zusätzlich Argumente gegen die Einheitsfront. Schließlich wiesen die Führungsgremien stets darauf hin, daß ein Zusammenhang zwischen beiden extremisti61 62

Vgl. Flugblatt »What is this Fascism?«, März 1935 Ebenda.

I. Die Labour Party

185

sehen Parteien bestehe, so daß eine Kooperation mit der CPGB letztlich auf eine Stärkung der BUF hinauslaufe. Die Führung der Partei argumentierte mit ihrer Kampagne gegen die BUF somit gleichzeitig auch gegen die United Front und profilierte sich gegen die Parteilinke. Nicht nur die eigene Identifikation mit dem demokratischen System unterstrich die Labour Party in ihren Publikationen über den englischen Faschismus. Wie auch in ihrer Einschätzung des englischen Kommunismus betonte die Partei, daß die Diktatur der britischen Gesellschaft insgesamt fremd sei. Sie widerspreche der politischen Tradition der britischen Insel und sei deshalb ein vollkommen ungeeignetes politisches Modell für das eigene Land. Erneut wird deutlich, wie sehr die Labour Party von einer spezifisch englischen politischen Mentalität ausging und die feste Verankerung demokratischer Institutionen in England beschwor. Als einer der Hauptgründe für den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland wurde die Unerfahrenheit der Deutschen im Umgang mit der Demokratie gewertet: »The fact that we have long been used to the practice of political democracy is of great importance. Many observers believe that had the democratic Constitution of Germany been in Operation for fifty years instead of about ten years, the subsequent dictatorship would not have oecured. Democracy in many of these countries where dictatorship has arisen was either formerly non-existent or was too new and weak to survive the difficult circumstances of the time. In Great Britain it is regarded as part of our heritage. We have become so aecustomed to bringing about great changes in an orderly way that our institutions are not likely to prove so unstable as those where dictatorship has been established«''3 Die Demokratie wurde als Teil des nationalen kulturellen Erbes, als eine typisch britische Tradition dargestellt. Im Gegensatz zu dieser Tradition stand folglich die BUF, da es das erklärte Ziel der Mosley-Bewegung sei, eine faschistische Diktatur nach dem Muster ihrer kontinentaleuropäischen Vorbilder zu etablieren. Die BUF wurde als Kopie »fremder« Bewegungen bezeichnet; sie sei eine »slavish imitation« des Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus und habe keinerlei genuin britische Züge. Sollte die BUF an die Macht kommen, stelle dies, laut Labour Party, einen Bruch mit dem Erbe des englischen Parlamentarismus dar: »There can be no Fascism unless Magna Charta (1215), and all other written and unwritten guarantees of the >ancient rights and liberties of British subjeets« become Scraps of Paper. They are our birthright, won through centuries of struggle. If Fascism comes, they go!«64 Auch die Furcht vor bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen, wie sie zuletzt im 17. Jahrhundert auf der britischen Insel geherrscht hatten und eine Art »nationales Trauma« darstellten, wurde im Zusammenhang der Kampagne gegen die BUF mobilisiert: »If you once choose the Blackshirts, you will not get a chance to choose better men in their places without civil war.«65 63

64 63

Vgl. »Dictatorships and the Trade Union Movement«, Summary of Memorandum. T U C General Council Minutes 1930-1940, 23. Mai 1933. Vgl. Flugblatt »The Spotlight on the Fascists«, November 1935. Ebenda.

186

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus

Den politischen Hintergrund dieser Haltung bildeten die Auseinandersetzungen zwischen faschistischen und kommunistischen Gruppierungen im Londoner East End sowie die Ausschreitungen während des BUF-Treffens im Stadtteil Olympia. Eine parteiübergreifende Reaktion auf den Ausbruch massiver Gewalt gegen politisch Andersdenkende war die Einordnung dieser Vorgänge als gänzlich »unenglisches« Phänomen. Die englische Gesellschaft verband mit der BUF von diesem Zeitpunkt an Gewalt und Brutalität. Gewalt war gewissermaßen das nach außen sichtbare Zeichen dafür, daß der Faschismus der britischen Gesellschaft und der politischen Mentalität der Briten fremd war. Clement Attlee brachte dies in der Unterhausdebatte über die Ereignisse von Olympia am 14. Juni 1934 auf den Punkt: »Sir Oswald Mosley is really introducing into this country ideas and methods that are entirely foreign to us.« 66 Die Ausübung von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung wurde in einem Flugblatt sogar als »Vergiftung des nationalen Blutes« bezeichnet. Hier wird impliziert, daß es sich um eine Gefahr handele, die die britische Gesellschaft gewissermaßen ins »Mark« treffen könnte, sollte sie nicht ausreichend über den anti-nationalen Charakter der BUF aufgeklärt werden: »Fascism is so foreign to British tradition and British mind that there may be a tendency to regard >this blackshirt business« as a matter worthy only of derision, ridicule or contempt. But the mere introduction of Blackshirt blackguardism and brutality in our public life is a sufficiently arresting development to stir all of us out of any false sense of complacency. [...] The more we know of Fascism and Fascist methods the more we shall loathe it and the more dctermined we shall be not to allow this black plague to infect the blood-stream of our national life.«67 Ihren Aufruf zum Bekenntnis zur Demokratie verband die Labour Party mit einem Appell an das patriotische Empfinden und Nationalbewußtsein der eigenen Anhängerschaft. Die demokratische Grundgesinnung des durchschnittlichen Briten führe ihn unweigerlich zu einer entschiedenen Bekämpfung der faschistischen Unterwanderung des öffentlichen Lebens. Eines der Flugblätter zu diesem Thema hieß nicht umsonst Fascism. The Enemy of the People; die BUF wurde quasi zum »Staatsfeind Nummer Eins« erklärt. Die Labour Party griff auf ein vorhandenes Selbstbild der englischen Gesellschaft vom eigenen Nationalcharakter zurück und beschwor dieses Bild in ihrer Propaganda stets aufs Neue. Diese Darstellung entsprach dabei durchaus ihrem eigenen Selbstverständnis, da sie sich als typisch englische Ausprägung einer Arbeiterpartei verstand. Ihr reformorientierter »gradualism« und Pragmatismus hatten stets Vorrang vor revolutionären Forderungen, auch wenn ein reger linker Parteiflügel in den dreißiger Jahren versuchte, dies zu ändern. Mit ihrem moderaten Parteivorstand war die Labour Party ein typisches Produkt der in der eigenen Propaganda beschworenen britischen politischen Mentalität. Sowohl das Scheitern beider extremistischer Parteien, in die Stammwählerschaft der Labour Party einzubrechen, als auch der Sieg der moderaten Kräfte über die

Vgl. Parliamentary Debates, Fifth Scries, Bd. 290, Sp. 1929. Vgl. Flugblatt »Fascism. The Enemy of the People«, Februar 1935.

I. Die Labour Party

187

Parteilinke während der Dekade sind Belege dafür, daß die Parteiführung die eigene Anhängerschaft richtig einschätzte. Ihr Beharren auf den politischen Traditionen des eigenen Landes und die Bezeichnung des Faschismus und Kommunismus als »unenglisch« einte die Labour Party mit den Tories. Folglich ergaben sich durchaus Gemeinsamkeiten in der Reaktion beider Parteien auf die extremistischen Herausforderungen. Ein äußeres Zeichen dieser Verbundenheit ist der Public Order Act, der 1936 mit großer Mehrheit durch beide Parteien im Parlament verabschiedet wurde.

3. D I E FORDERUNG NACH AKTIVEN MASSNAHMEN ZUR BEKÄMPFUNG DES ENGLISCHEN FASCHISMUS

In ihrer offiziellen Reaktion auf den englischen Faschismus drängte die Labour Party entschieden darauf, der Gefahr von rechts auch durch legislative Schritte Einhalt zu gebieten. Insbesondere die Ereignisse von Olympia und die sich ab 1936 zuspitzende Situation im East End führten dazu, daß die Labour Party aktive Schritte des Staates forderte. Die Partei nahm in ihren Veröffentlichungen wiederholt Anstoß am paramilitärischen Charakter der Mosley-Bewegung: »[...] the Fascists find it necessary to establish a Defence Force in every branch. The Defence Forces drill, wear uniforms, obey officers with military titles, march in procession, salute, and go through other evolutions obviously designed to imitate military practices.«68 Nach Einschätzung der Labour Party entsprach die militärische Organisationsstruktur der BUF nicht den britischen Gepflogenheiten, nach denen die politische Sphäre von jeglicher Militarisierung freigehalten werden müsse. 69 Walter Smith, Vorsitzender des Parteitages von 1934, bezeichnete in seiner Eröffnungsrede das Tragen von Uniformen und die militärische Organisation der Blackshirts als fremde Elemente im britischen öffentlichen Leben: »There is no place in the British national life for any semi-militarised political movement. Experience has shown that there is no half-way house between the complete prohibition of semi-militarised politics, and the general militarisation of politics.«70 Außer der BUF halte es keine Partei in Großbritannien für notwendig, ihre öffentlichen Veranstaltungen von parteieigenen Einheiten schützen zu lassen. Es gelte, den Bereich des Politischen von paramilitärischen Tendenzen frei zu halten: 138 69

G

Vgl. Flugblatt »What is this Fascism?«, März 1935. Die Betonung dieser englischen Tradition wird besonders in der Rede Herbert Morrisons während der Unterhausdebatte zur zweiten Lesung des Public Order Act am 16. November 1936 deutlich: »It has been a tradition of British politics for a long time that our politics are civilian politics. We have carefully kept the armed forces of the Crown out of politics. We do not let our generals make political speeches anv more than we can avoid.« Vgl. Parliamentarv Debates, Fifth Series, Bd. 317, Sp. 1457. Vgl. Labour Partv Annual Report 1934, Chairman's Address »British Labour and Fascism«, S. 129.

188

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus »But for any country which is determined to preserve its liberties and to safeguard its democratic rights, there can be only one choice, and that is that no political movement shall be allowed to exist on a semi-military basis. That is the declared position of the British Labour Movement.« 71

N e b e n ihrer prinzipiellen Kritik an einer Militarisierung der Politik konzentrierte sich die L a b o u r Party auf die genaue Beobachtung der von faschistischen O r d nern immer unverhohlener ausgeübten Gewalt gegen politische Gegner auf B U F Treffen. Bereits vor den Ereignissen in O l y m p i a registrierte die Partei die brutale Vorgehensweise dieser sogenannten »Stewards«. W ä h r e n d einer Veranstaltung der B U F in der O x f o r d T o w n Hall war es bereits im N o v e m b e r 1933 zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. D e m R e k t o r des O x f o r d e r Ruskin Colleges, einer Bildungsinstitution der englischen Arbeiterbewegung, lagen eidesstattliche Erklärungen über die Ereignisse vor. Sie w u r d e n in einem Flugblatt der L a b o u r Party veröffentlicht, u m die faschistische Gewalt gegenüber einer weiteren Öffentlichkeit zu illustrieren. In dieser Publikation w u r d e behauptet, daß: »1. A man was thrown from top of the stairs to the bottom and lay there almost unconscious, but the police took no action. 2. Fascists banged the heads of some of the questioners on a stone floor, but the police did not intervene. [...] 5. A man was surrounded by five Fascists, and held by four of them, while the fifth pushed his fingers up his nostrils. 6. In two cases, hospital treatment was necessary for the injuries received.«72 Eine E i n s c h ä t z u n g der gewalttätigen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n d u r c h den R e k t o r des R u s k i n College, Barrat B r o w n , w u r d e ebenfalls in d e m Flugblatt abgedruckt, brachte sie d o c h die Befürchtungen der L a b o u r Party auf den P u n k t : »Mr Barrat Brown in a recent letter to the >Times< summed up the Situation by saying that >It is clear that the Fascist method of stewarding public meetings is designed not to protect free speech but to impress the public with an exhibition of force.< [...] The foregoing provides an ample warning of fascism«73 A u s g e h e n d von diesen Ereignissen setzte bereits 1933 in d e r L a b o u r P a r t y u n d den Gewerkschaften eine Diskussion d a r ü b e r ein, wie diesem v e r m e h r t e n A u s b r u c h von Gewalt Einhalt zu gebieten sei. D o c h stellte man zu diesem frühen Z e i t p u n k t die F o r d e r u n g nach rechtlichen M a ß n a h m e n z u n ä c h s t z u r ü c k , da m a n sich nicht n u r auf einzelne Vorfälle berufen wollte. Im Sitzungsprotokoll des T U C E d u c a t i o n C o m m i t t e e hieß es am 16. N o v e m b e r 1933: »In the course of discussion the Committee feit that the question of the behaviour of Fascists in public assemblies would, at some time, have to be taken up with the Government, but that the case should not be based upon one specific case, but should be more general.«74 Mit den Ausschreitungen auf d e m Olympia-Treffen w a r diese Situation eingetreten. Die L a b o u r P a r t y d r ä n g t e n u n massiv auf staatliche I n t e r v e n t i o n u n d 71 72 73 74

Vgl. Labour Partv Annual Report 1934, Chairman's Address »British Labour and Fascism«, S. 129. Vgl. Flugblatt »Fascism. The Enemy of the People«, Februar 1935. Ebenda. Vgl. TUC Education Committee Minutes, 16. November 1933.

I. Die Labour Party

189

rechtliche Maßnahmen, um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern und das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit zu garantieren. Olympia war auch für Walter Citrine Anlaß, rechtliche Maßnahmen gegen die BUF in Erwägung zu ziehen. Unmittelbar nach den Ereignissen in London faßte der Gewerkschaftssekretär seine Gedanken in einem Memorandum 7 5 zusammen. Dieses interne Papier bildete die Grundlage der späteren Position der Führungsgremien von Labour Party und T U C . Im Mittelpunkt von Citrines Überlegungen steht die Verbesserung der Eingriffsmöglichkeiten der Polizei bei ausbrechender Gewalt. Bislang war es den Polizeikräften untersagt, in das Geschehen auf politischen Versammlungen einzugreifen, es sei denn, dies war ausdrücklich von den Organisatoren verlangt worden. An diesem Punkt, so Citrine, müsse über Veränderungen nachgedacht werden: »One of the most important and disquieting factors is the apparent inactivity of the police. [...] I think that our legal colleagues should be asked very carefully to examine this phase of the subject and to see what remedies, if any, are open to those attending meetings against the brutality such as took place at Olympia.«76 Auch den Kernpunkt des zwei Jahre später erlassenen Public Order Act, das Verbot des Tragens von Uniformen im politischen Bereich, schloß Citrine in seine Überlegungen ein. Nach seiner Analyse war es dieser Aspekt, der den Faschisten zu ihrem Erfolg insbesondere bei jungen Leuten verhalf: »I believe a great deal of the attraction of Fascism lies in the excitement, the parades and the uniforms associated with it. [...] I cannot help feeling that the Fascist Movement is making progress in this country. It is making an appeal to the young people in particular, which would not cxist to anything like the same extent if the wearing of uniforms was prohibited.«77 Darüber hinaus ergab sich für Labour Party und T U C ein weiteres gravierendes Problem. Die BUF behauptete, der Ausbruch von Gewalt sei auf die Provokationen kommunistischer Gruppen zurückzuführen, die Widerstand gegen den Faschismus leisten wollten. Da auch die Labour Party aus ihrer erklärten Ablehnung des Faschismus nie ein Hehl gemacht hatte, warf Mosley ihr nun vor, mit diesen kommunistischen Gruppierungen zu sympathisieren. Citrine äußerte sich besorgt darüber, daß in der Öffentlichkeit dieser Eindruck entstehen könnte und forderte erneut die entschiedene Absage der gesamten Arbeiterbewegung an die kommunistische Praxis, Veranstaltungen ihrer politischen Gegner vorsätzlich zu stören: 73

76

77

Citrine äußerte sich über das Memorandum in einem Brief an William Jowitt, der 1931 Ramsay MacDonald in die National Labour Partv gefolgt war: »I have drafted a memorandum more for the purpose of co-ordinating my thoughts than for anything eise, in which I have been searching round to find out whether there is any really practical remedy for those who have been maltreated by the Fascists. I cannot help thinking that the Fascist Movement in some respects is transgressing the law.« Citrine an Jowitt, 13. Juni 1934. Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Fascism«. Vgl. »The Fascist Rowdyism at Olympia«. Memorandum von Walter Citrine, 12. Juni 1934. Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Fascism«. Ebenda.

190

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus »We ought, once more, make it perfectly clear that the National Joint Council repudiates entirely the organised interruption which is indulged in by the Communists. [...] I think there is nothing which would do more damage to our Movement than to allow the impression to be created that we have any sympathy whatever with those who try by organised interruption to break up public meetings. The Labour Movement has probably suffered more than anyone eise from the tactics which the Communists have adopted to try and disturb our meetings.« 78

D i e F ü h r u n g von L a b o u r P a r t y u n d T U C w i c h zu k e i n e m Z e i t p u n k t von ihrer entschiedenen A b l e h n u n g des E x t r e m i s m u s v o n links u n d von rechts ab. A u c h im Z u s a m m e n h a n g mit d e n A u s s c h r e i t u n g e n auf B U F - V e r a n s t a l t u n g e n w u r d e darauf geachtet, keinerlei Sympathien mit d e r C o m m u n i s t P a r t y z u zeigen, s o n d e r n sich als G e w e r k s c h a f t s b e w e g u n g u n d als d e m o k r a t i s c h e Partei eindeutig auf der Seite der D e m o k r a t i e zu plazieren. N a c h den Ereignissen von O l y m p i a k o o p e r i e r t e die L a b o u r P a r t y mit den a n d e r e n S t i m m e n in G r o ß b r i t a n n i e n , die für die E i n f ü h r u n g legislativer M a ß n a h m e n votierten. C i t r i n e w a r n t e G e w e r k schaften u n d L a b o u r Party dezidiert davor, die Situation ausschließlich für die eigenen politischen Z w e c k e a u s z u n u t z e n , s o n d e r n hielt die Z u s a m m e n a r b e i t mit allen d e m o k r a t i s c h e n Kräften für die richtige Vorgehensweise: »Should we collaborate with those who are anxious to safeguard the rights of public meetings and the democratic liberties which exist in Great Britain? I believe if we try to organise a campaign solcly as the Labour Movement, we shall not be so effectivc as though we collaboratcd with others. It might be thought that we were endeavouring to use this occasion purely for Party political purposes, and we might easily antagonise many people who are as emphatically opposed to the methods of the Fascists as wc are.« 79 D i e M o t i v a t i o n d e r L a b o u r Party, angeblich d u r c h P r o v o k a t i o n e n von K o m m u n i s t e n ausgelöste A u s s c h r e i t u n g e n auf B U F - V e r a n s t a l t u n g e n durch gesetzgeberische M a ß n a h m e n z u u n t e r b i n d e n , w u r d e s o m i t aus z w e i Q u e l l e n gespeist. Einerseits w a r m a n entsetzt über d e n A u s b r u c h v o n Gewalt, andererseits aber auch b e u n r u h i g t , daß Mosleys U n t e r s t e l l u n g e n , die L a b o u r Party s y m p a thisiere mit den k o m m u n i s t i s c h e n agents provocateurs, in der Öffentlichkeit auf G e h ö r stoßen k ö n n t e n . In seiner Rede w ä h r e n d der O l y m p i a - D e b a t t e im U n terhaus verdeutlichte C l e m e n t Attlee diesen Z u s a m m e n h a n g , indem er von ein e m » d o p p e l t e n Schaden« sprach, d e n die L a b o u r P a r t y d u r c h die Ereignisse davontrage: »We of the L a b o u r Party suffer particularly in t w o ways. First of all, we have o u r o w n meetings b r o k e n u p , and then w e are charged by the o t h e r side with the misdeeds of people outside o u r ranks.« 8 0 Attlee e r w ä h n t e n o c h einen weiteren G r u n d für die B e u n r u h i g u n g der L a b o u r Party. Man befürchtete, d a ß die eigene Anhängerschaft auf die militanten B U F - F o r m a t i o n e n mit ähnlichen O r g a n i s a t i o n e n reagieren k ö n n t e u n d sich

78

79 80

Vgl. »The Fascist Rowdyism at Olympia«. Memorandum von Walter Citrine, 12. Juni 1934. Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Fascism«. Ebenda. Vgl. Parliamentary Debates, Fifth Series, Bd. 290, Sp. 1928.

I. D i e Labour P a r t y

191

auch in England linke und rechte paramilitärische Gruppen Straßenschlachten liefern könnten: »This sort of thing ought to be stopped in its early days, because the danger is that if you let it run on you will get counteraction. The last thing we want in this country are rival gang fights. We want security. If these kinds of incidents are going to continue there will be the danger that people will be armed.«81 Wesentlich konkreter äußerte sich Walter Citrine zu diesem Thema anläßlich eines Treffens mit Innenminister John Gilmour. In der Parlamentsdebatte über die Ereignisse in Olympia am 14. Juni 1934 hatte Gilmour eine öffentliche Untersuchung der Vorfälle zwar abgelehnt, jedoch alle Parteien dazu eingeladen, ihm ihre Sicht der Dinge persönlich mitzuteilen. 82 Daraufhin stattete Citrine gemeinsam mit Attlee und weiteren Vertretern des National Council of Labour dem Innenminister am 26. Juni 1934 einen offiziellen Besuch ab. Citrine warnte Gilmour eindringlich vor einer Militarisierung der Politik, da die Führungsgremien der Labour Party und des T U C nicht mehr für das Verhalten der eigenen Mitglieder garantieren könnten, sollte die Regierung keine geeigneten Maßnahmen zur Eindämmung des englischen Faschismus ergreifen: »We have always discountenanced amongst our people any attempt to emulate the Fascists in their display of force, but we are Coming to a period when it is perfectly piain that unless a very convincing assurance can be given that these extremities [...] are going to be curbed and that the Fascist movement itself insofar as it is a potential threat to the maintainance of law and order and freedom of speech in this country is going to be restrained, unless that can be given we are not able to say how far we shall be able to restrain our constituents.«83 Hintergrund dieser Bemerkungen sind Informationen über die Gründung sogenannter Greyshirt-Gruppen innerhalb der Arbeiterschaft. Die Greyshirts wollten Mosleys Blackshirts mit ihren eigenen Methoden bekämpfen, eine Entwicklung, die im National Council of Labour mit großer Skepsis und Beunruhigung aufgenommen wurde. Man befürchtete weitere gewalttätige Ausschreitungen auf Veranstaltungen der BUF. 84 81 82 83

84

Vgl. Parliamentary Debates, Fifth Serics, Bd. 290, Sp. 1933/1934. Vgl. Parliamentary Debates, Fifth Series, Bd. 290, Sp. 1972. Vgl. Deputation reeeived by the Secretary of State for Home Affairs from the National Council of Labour, 26. Juni 1934. Notes of the meeting. Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Fascism«. Der Herausgeber des Daily Herald, W. H. Stevenson, berichtete in einem Brief an Citrine von der Gründung einer Greyshirt-Gruppicrung in Newcastle: »A development that needs to be watched - and in my opinion, scotehed - is the tendency of some of our people to form rival bodies to the Blackshirts on somewhat similar lines. I have reeeived Information that an Anti-Fascist League, known as the Greyshirts, was formed in Newcastle a month ago. It has at present a membership of 300. [...] Membership is open to men of all political creeds, and it has as its aim the defence of the working class movement against Fascism. [...] It is quite possible that there will be a clash between the Greyshirts and the Blackshirts on Sunday, June 24, when Mosley holds a rally on the Newcastle Town Moor.« Vgl. Stevenson an Citrine, 19. Juni 1934. Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Fascism«.

192

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus

Diese mögliche Entwicklung skizzierte Citrine auch für Gilmour, um die Dringlichkeit eines staatlichen Eingreifens deutlich zu machen: »Now, the reason I mention that to you is this, the power and the authority of the Trades Union Congress and the Labour Party Executive over its members is entirely a moral authority. We have no compulsory powers, we cannot prevent our members doing certain things. All that we can do is to persuade them that the course we believe ought to be followed is the right course and the mere fact that any section of our movement should be contemplating the use of force as the antidote to the Fascist extremities to me at least is a very significant factor. [...] Supposing this movement embarks upon the course which so many are urging us to embark upon, and that we too establish a military formation, that we too set up a defence force, that we too go along these lines which clearly leads as far as we can see to the clash of these forces that are organised? Supposing that happens, does anyone know quite how far they will carry us?«85 Aus den Worten Citrines wird deutlich, daß das National Council of Labour mit Schwierigkeiten rechnete, seinen strikt auf konstitutionellen Methoden basierenden Kurs gegenüber der BUF weiterhin aufrechtzuerhalten, sollte nicht seitens des Staates eine entschiedene Reaktion erfolgen. Man konstatierte einen gewissen Erklärungsnotstand den eigenen Anhängern gegenüber, die man immer wieder dazu aufgerufen hatte, keine gemeinsame Sache mit der zum radikalen Kampf gegen Mosley bereiten Communist Party zu machen. Wie konnte man sie auffordern, dem demokratischen Staat zu vertrauen, wenn dieser angesichts der immer stärker zutage tretenden Militanz der BUF hilflos erschien und tatenlos blieb? Das Beispiel der Greyshirts weist außerdem darauf hin, daß die englische Arbeiterschaft nicht immer und nicht zur Gänze mit der moderaten Linie des National Council of Labour einverstanden war. Einige wollten zu radikalen Mitteln greifen, um den Faschismus zu bekämpfen, so daß für sie die Haltung der Kommunisten durchaus attraktiv hätte sein können. Es waren also nicht nur die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten paramilitärischen Gruppen auf Englands Straßen, die das National Council of Labour fürchtete. Auch die Tatsache, daß die Führungsgremien eventuell die Kontrolle über die eigenen Anhänger verlieren und eine nicht zu unterschätzende Zahl zur CPGB überlaufen könnte, rief Unruhe hervor. Diese Hintergründe müssen bedacht werden, wenn die Haltung der Labour Party gegenüber einer gesetzlichen Intervention des Staates beurteilt werden soll. Die Demokratie mußte sich auch deshalb wehrhaft präsentieren, damit sich innerhalb der Arbeiterbewegung nicht ein Bedürfnis nach eigener Wehrhaftigkeit entwickelte. Citrine schloß seinen Appell an den Innenminister folglich auch mit der Forderung nach dem Einsatz rechtsstaatlicher Mittel. Der Öffentlichkeit müsse deutlich gemacht werden, daß die Demokratie auf ihre Weise mit dieser für Großbritannien so »abnormen« Entwicklung umgehen könne: »We think, at least, Sir John, that this abnormality which has come to our public life in the last few years merits the most careful and thorough inquiry - an inquiry 83

Vgl. Deputation reeeived by the Secretary of State for Home Affairs from the National Council of Labour, 26. Juni 1934.

I. Die Labour Party

193

which can set the public mind at rest as to the capacity for it to be dealt with by the mechanism of the law, and that is what we are Coming here to put to you, Sir.«86 Gilmour reagierte jedoch, wie bereits in seiner Rede im Unterhaus deutlich wurde, abwartend auf Forderungen nach einer offiziellen Untersuchung der Vorfälle in Olympia und sah keine Veranlassung zu einer Verschärfung bestehender Gesetze. Er äußerte auch gegenüber der Delegation des National Council of Labour Zweifel an der Effizienz eines Verbotes politischer Uniformen, da lediglich Teile der BUF Uniformen trügen und in diese Kategorie fielen. Darüber hinaus bemängelte er die wenig konkrete Form der Forderungen, die seiner Ansicht nach keine Grundlage für ein gesetzliches Vorgehen bilden könnten. 87 Bei Teilen der Gewerkschaften ließ diese abwartende Haltung der Regierung den Eindruck entstehen, das National Government stehe insgeheim auf der Seite der BUF und leite deshalb keine Maßnahmen gegen die Militarisierung der politischen Sphäre ein.88 Auf der TUC-Konferenz von 1934 wurde deshalb gefordert, die Regierung solle eine offizielle Erklärung abgeben, die sich gegen die Militarisierung der Politik richtete: »Let there be a declaration of the Government of this country against the militarisation of politics and I believe you will strike a deadly blow against the >Mosleys< and men of that type.« 89 Angesichts der Untätigkeit der Regierung wurden Zweifel an deren demokratischer Grundüberzeugung geäußert: »If the Government is sincere in the preservation of democratic rights, why do they tolerate these developments?« 90 Auch wenn in der direkten Folge des Gewaltausbruchs in Olympia keine gesetzlichen Maßnahmen eingeleitet wurden 92 , hatte die Labour Party ihren Willen zur Unterstützung solcher Schritte eindeutig signalisiert. Ihr war aus mehreren Gründen daran gelegen, Ausschreitungen in Zukunft nach Möglichkeit zu verhindern. Neben der entschiedenen Bekämpfung der BUF ging es der Partei auch um die eigene Glaubwürdigkeit bei den englischen Arbeitern, die in jedem Fall von einer Radikalisierung abgehalten werden sollten. Eine mögliche Abwanderung der eigenen Anhängerschaft zu radikalen Gruppen, die Mosley mit seinen eigenen »Waffen« bekämpfen wollten, hätte einen Verlust an Einfluß und Kontrolle der Labour-Führung nach sich ziehen können. Sie brauchte die »wehrhafte« Demokratie, um ihr Konzept der unbedingten Befürwortung demokratischer Maßnahmen bei gleichzeitiger Ablehnung der kommunistischen *h Vgl. Deputation reeeived by the Secretary of State for Home Affairs from the National Council of Labour, 26. Juni 1934. 87 Ebenda. 88 »The suspicion that the Government secretly favoured the Blackshirts at the expensc of labor was widespread at the Conference.« Vgl. Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 130. 89 Vgl. Trades Union Congress, Report of the Proceedings at the 66th Annual Trades Union Congress - Weymouth 1934, S. 255. 90 Ebenda. 91 Ein auf Forderung der Labour Party im Juli 1934 erarbeiteter Vorschlag, die Kompetenzen der Polizei auf politischen Veranstaltungen zu erweitern, scheiterte am Widerstand des Kabinetts. Vgl. auch Bauerkämper, Die »radikale Rechte« in Großbritannien, S. 209.

194

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den F a s c h i s m u s

Position gegenüber ihren Anhängern auch weiterhin glaubhaft vertreten zu können. Nicht nur die gemeinsame Verabschiedung des Public Order Act 1936 einte die Labour Party in ihrer Reaktion auf den englischen Faschismus mit der Conservative Party. Eine Analyse der offiziellen Haltung der Konservativen verdeutlicht weitere Übereinstimmungen beider Parteien.

II. DIE CONSERVATIVE PARTY UND DER FASCHISMUS 1. »OFFIZIELLE« REAKTIONEN: D I E A B L E H N U N G DES FASCHISMUS DURCH DIE CONSERVATIVE PARTY

Im Vergleich zu der Intensität, mit der sich die Labour Party der BUF widmete, werden in den offiziellen Äußerungen der Conservative Party die englischen Faschisten nur selten erwähnt. Während die Arbeiterpartei, aufgerüttelt durch das Schicksal ihrer deutschen Schwesterpartei, auf die Existenz einer faschistischen Partei in Großbritannien alarmiert reagierte, sahen die Tories in der BUF eine weniger ernstzunehmende politische Herausforderung. Deshalb ist es im Falle der Konservativen schwieriger als für die Labour Party, die offizielle Haltung der Partei gegenüber der BUF nachzuvollziehen. 92 Oberflächlich betrachtet schien sich die Conservative Party insgesamt für eine Strategie des Ignorierens entschieden zu haben, denn die BUF wurde in den offiziellen Publikationen der Partei wesentlich seltener als beispielsweise die C P G B genannt. 93 Hinweise auf eine Analyse der neuen Partei am rechten Rand des politischen Spektrums existieren also nur vereinzelt. Sie deuten aber darauf hin, daß sich die Konservativen durchaus mit der BUF beschäftigten, selbst wenn dies nicht immer nur aus einem Gefühl echter Beunruhigung, sondern zum Teil auch aus wahlkampftaktischen Überlegungen geschah.

92

93

Ramsden geht davon aus, daß sich die Konservativen aus diesem Grund nie besonders für die BUF interessiert hätten: »The Conservative party's official attitude to the British Union of Fascists is difficult to detect, because the BUF was rarely a serious enough force to merit more than passing interest.« Vgl. Ramsden, The Age of Balfour and Baldwin, S. 346. Eine Äußerung des Leiters der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit im Parteivorstand, Patrick Gower, verdeutlicht die Haltung jener Tories, die den Extremismus in England für eine Quantitc ncgligeable hielten und sich lediglich angesichts einer möglichen Aufwertung durch die öffentliche Beschäftigung mit Kommunismus und Faschismus in der englischen Presse beunruhigt zeigten: »The Fascist and Communist Movcments are negligible except from the point of view of the publicity that they may obtain in the newspapers through fighting each other.« Gower an Brvant, 16. Oktober 1936, Bryant Papers/C41.

II. Die Conservative Party

1.1 Die Befürchtungen

der Conservative

195

Party

In den Sitzungsprotokollen des National Union Executive Committee (NUEC) finden sich in den Jahren 1934, 1936 und 1938 Resolutionen konservativer Parteiverbände 94 , in denen die potentielle Gefahr durch den Faschismus thematisiert wird. So forderten die Tories aus der Northern Counties Provincial Area in einem mit großer Mehrheit verabschiedeten Beschluß im Januar 1934: »This Council views with alarm the growth of Communist and Fascist doctrines in the Northern Area, and urges the Conservative Party in the Constituencies and at Headquarters to take immediate Steps to combat these menaces.« 95 Im N U E C entschied man sich, die Resolution kommentarlos an den Parteivorsitzenden weiterzuleiten. Er sollte, falls er es für nötig hielt, entsprechende Maßnahmen initiieren. 96 Alle drei Erklärungen stammten aus den Regionen Englands, in denen BUF und Communist Party präsent waren und eine, wenn auch kleine, Rolle im politischen Alltag spielten. Die Reaktion des N U E C , die Resolutionen ohne weitere Stellungnahme weiterzuleiten, läßt darauf schließen, daß man in diesem übergeordneten Gremium die Bedrohung durch Faschismus und Kommunismus als wenig gravierend einschätzte. Doch auch an höherer Stelle in der Parteihierarchie finden sich Hinweise darauf, daß die Konservativen eine Gefährdung der eigenen Position durch die BUF nicht völlig ausschließen wollten. Die potentielle Attraktivität der Faschisten für die eigene Gefolgschaft wurde durchaus ins Kalkül politischer Überlegungen einbezogen. Auf einem Flugblatt der Conservative Party appellierte Stanley Baldwin 1934 an seine Anhänger, nicht zu Mosley überzulaufen: »I make my appeal to my own followers. I want to speak to them for a momcnt about the Fascist movement. [...] I want to mention no names, but merely want to warn those who are temptcd to believe that by leaving their own Party and joining a new body they may be able to do something more effective for the country that they and I love.«97 Der konservative Parteiführer äußerte die Befürchtung, daß die Faschisten durch mögliche Stimmenzuwächse aus der eigenen Anhängerschaft die Conservative Party schwächen und damit die Stärke und Regierungsfähigkeit des National Government in den nächsten Wahlen beeinträchtigen könnten: »[...] in proportion it draws from our own supporters, it dissipates the strength of the united vote which we all want at the next election.« 98 Das National Government wurde in konservativen Wahlkämpfen als Garantie für Stabilität, Demokratie und Ordnung in England dargestellt. Diese Regie94

93

96

97 98

In den Sitzungsprotokollen des N U E C sind im März 1934 eine Resolution der Northern Counties Provincial Area sowie im Mai 1936 und Februar 1938 Resolutionen der Metropolitan Area [London] verzeichnet. Vgl. Resolution der Northern Counties Provincial Area. Minutes of the National Union Executive Committee, 14. März 1934. »Decided to recommend that this be referred to the Chairman of the Party Organisation for such action thereon as he might think necessary.« Vgl. Minutes of the National Union Executive Committee, 14. März 1934. Vgl. Flugblatt 1934/27 »Mr Baldwin on Fascism. Danger of Class War«. Ebenda.

196

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus

rung allein sei es, die das Land vor Chaos und blutigen Auseinandersetzungen bewahre. Ähnlich wie die Labour Party versuchten die Tories, eventuell vorhandene Ängste vor den Folgen einer faschistischen Herrschaft zu intensivieren und dafür zu instrumentalisieren, die eigene Anhängerschaft zu halten. U m die möglichen Auswirkungen eines politischen Erstarkens der BUF zu verdeutlichen, wies Baldwin darauf hin, daß insbesondere die Attraktivität der Faschisten für die Mittelschicht ein Grund zur Beunruhigung sei: »Communists, such as they are, are drawn in the main from the very poor. Fascists are not, and the idea that the very poor are being singled out for being hit on the head creates a spirit that may be dangerous.« 99 In Baldwins Szenario führte die Konfrontation der beiden extremen Bewegungen letztlich zu einem blutigen Bürger- und Klassenkrieg, wie ihn England seit dem siebzehnten Jahrhundert nicht mehr erlebt habe. Sein Appell lautete folglich: »Therefore I beg followers of mine who may be tempted, to think twice and three times before they fall out of the ranks and join another pack.« 100 Diese Aufforderung kann zweifach interpretiert werden. Einerseits ist sie ein Hinweis darauf, daß trotz der allgemein zu beobachtenden Zurückhaltung in den offiziellen Reaktionen Bedenken über ein Abwandern eigener Anhänger zu Mosley durchaus existierten. Andererseits wurde hier die Angst vor dem längst für England überwunden geglaubten Zustand eines blutigen Bürgerkrieges instrumentalisiert, um die Position der Tories als konstitutioneller Partei zu stärken. Diese Vorgehensweise war ein entscheidender Bestandteil der politischen Strategie der Conservative Party in den dreißiger Jahren, so daß die propagandistische Absicht in diesem Fall als die vorrangige Motivation für Baldwins Appell zu bewerten ist. Auch andere Aspekte der Auseinandersetzung der Konservativen mit Mosleys Partei unterstreichen den Eindruck, daß wahlkämpferische Überlegungen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. Viele Tories befürchteten, daß die eigene Partei in der Öffentlichkeit mit der BUF gleichgesetzt werden könnte. Wie bereits dargestellt, reagierte die Conservative Party auf den englischen Faschismus im Vergleich zur Labour Party relativ zurückhaltend. Nicht zuletzt deshalb kursierten in der Partei Bedenken, daß die Agitation der äußersten Linken der Labour Party, die das National Government als eine Vorform des Faschismus bezeichnete, bei den Wählern eventuell Gehör finden könnte. Der Bericht eines konservativen Wahlkampfagenten aus Leicester, den Patrick Gower an Joseph Ball, Chef des Conservative Research Department, mit dem Kommentar »It is extremely interesting« weiterleitete, erwähnt diesen Zusammenhang: »As many of the Conservatives appear to be afraid of denouncing Fascism, the Labour Party are telling people the National Government supports Fascism, and to a certain extent this is making some impression on the ordinary elector.«101 Auch aus einem Brief, den Gower 1936 an Arthur Bryant schrieb, geht hervor, daß sich die Tories mit dem Vorwurf fa99 100 101

Vgl. Flugblatt 1934/27 »Mr Baldwin on Fascism. Danger of Class War«. Ebenda. Vgl. »Report of an Organizer who has been working in Leicester for the last six months«, 9. N o vember 1934. Conservative Research Department, CRD 1/7/17.

II. Die Conservative Party

197

schistischer Sympathien auseinandersetzten und als schädlich für die eigene Position einstuften: »There is too great a tendency in these days to try to divide the population of the world into two categories - Fascist and Communist. The Socialist likes to create the impression that anybody who holds views that are opposed to him and upholds orderly constitutional government is next door to becoming a Fascist.«102 Auf Unterstellungen, sie sympathisiere mit dem englischen Faschismus, reagierte die Conservative Party in ihren öffentlichen Verlautbarungen stets mit Nachdruck, wobei sich diese Ablehnung vorrangig aus ihrem politischen Selbstverständnis speiste. Die Konservativen definierten sich als eine Partei, die die englische Tradition des Parlamentarismus bewahren wollte und allein schon aus diesem Grund einer extremistischen Partei wie der BUF abweisend gegenüber stand. Um ihre demokratische Grundeinstellung zu dokumentieren, behandelte die Partei dieses Thema an prominenter Stelle in ihren Veröffentlichungen. Besonders die Unterlagen, die die Tories zur Instruktion ihrer Wahlkämpfer herausgaben, geben Einblick, wie man auf den Vorwurf der Sympathie mit Mosley reagierte. In den Notes for Conservative Canvassers and Workers von September 1936 wurde auf die Frage »Is the Conservative Party supporting the Fascist movement?« folgende Antwort gegeben: »No. The Conservative Party Stands for free democratic government which could not exist under a dictatorship. All our democratic institutions, our freedom and liberties, and our social Standards would be imperilled by a surrender to an extremist movement, eithcr of the Left or of the Right.«103 Die Konservativen versuchten zwar, die BUF so weit wie möglich zu ignorieren. Sie konnten sich jedoch einer Auseinandersetzung mit der neuen Partei der extremen Rechten nicht völlig entziehen, wollten sie nicht riskieren, daß eigene Anhänger zur BUF überliefen oder aber das konservative Schweigen Nahrung für den Verdacht der Sympathie mit den Faschisten lieferte. Auch aus diesem Grund war es für die Conservative Party wichtig, gegenüber der englischen Öffentlichkeit ihr demokratisches Politikverständnis in Absetzung von den extremistischen Parteien zu demonstrieren. Wie die Labour Party nahmen auch die Konservativen eine mögliche Anziehungskraft der BUF auf die englischen Arbeiter ernst. Mosleys Kampagne für Wählerstimmen aus der Arbeiterschicht sowie die Versuche der BUF, die Gewerkschaften durch die Gründung faschistischer Arbeiterorganisationen zu schwächen, versetzten auch die Tories in Alarmbereitschaft. Schließlich rekrutierte die Partei einen entscheidenden Anteil ihrer Wähler aus der Arbeiterschaft. Um einer potentiellen Anziehungskraft der BUF auf diese Klientel entgegenzuwirken, wurde 1935 im Election Guide darauf hingewiesen, daß in einem faschistischen Staat die Freiheit der englischen Gewerkschaften erheblich eingeschränkt werden könnte: 102 103

Gower an Bryant, 16. Oktober 1936, Bryant Papers/C41. Vgl. Notes for Conservative Canvassers and Workers No. 9, September 1936, S. 1-2.

198

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus »In the Daily Mail, January 29 1934, Oswald Mosley wrote that under the Fascist Corporate State which he aimed at establishing in Britain, both strikes and lockouts would be prohibited and that trade unions and employers' federations would be >woven into the structure of the Corporate State«. This policy means nothing less than the suppression of trade unions as at present constituted on lines of the voluntary association of workers, and the compulsory inclusion of workers in official industrial corporations forming part of the structure of the State.«104

Z u r Illustration der B e d r o h u n g gewerkschaftlicher U n a b h ä n g i g k e i t d u r c h die englischen Faschisten berichtete der Election Guide aus d e m nationalsozialistischen Deutschland: »In G e r m a n y o n M a y 2, 1933, the N a z i G o v e r n m e n t o r d e red the confiscation of the entire p r o p e r t y of the trade unions.« 1 0 5 A u c h die K o n z e p t e der B U F z u r B e k ä m p f u n g der h o h e n Arbeitslosigkeit w u r d e n im Election Guide ausführlich behandelt. D i e Konservativen verwiesen in diesem Z u s a m m e n h a n g erneut auf bereits b e s t e h e n d e faschistische u n d nationalsozialistische Staaten: »In view of the failure of fascism to liquidate u n e m p l o y m e n t in foreign countries w h a t credence can be given to Mosley's assertion that his brand of fascism will d o away w i t h u n e m p l o y m e n t in G r e a t Britain?« 1 0 6 Die Conservative P a r t y bezeichnete faschistische M e t h o d e n als u n b r a u c h b a r im Kampf gegen Wirtschaftskrise u n d Arbeitslosigkeit: »It is an undeniable fact that wages and Standards of living are higher in Britain than in any of the countries referred to, and that Britain's recovery from the world depression has been more rapid than that of any European country. Why should we come down to Continental Standards or adopt continental Systems of Government which, if judged by result, are inferior to our own?« 107 In den Materialien der Conservative P a r t y für ihre Wahlkampfagenten w u r d e n die für eine A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e m politischen G e g n e r e n t s c h e i d e n d e n A r g u m e n t e u n d I n f o r m a t i o n e n häufig in einer F r a g e - A n t w o r t - F o r m aufbereitet. Vor allem in den Fragen w u r d e n die Teile des P r o g r a m m s der B U F t h e m a tisiert, die eventuell auf positive R e a k t i o n e n in E n g l a n d s t o ß e n k ö n n t e n . In ihren A n t w o r t e n b e m ü h t e sich die Partei, einer möglichen positiven Interpretation des Faschismus d u r c h schlagkräftige G e g e n a r g u m e n t e die G r u n d l a g e zu n e h m e n . So w u r d e beispielsweise z u r F r a g e »Is t h e r e any s o u n d basis for the contention that the i n t r o d u c t i o n of Fascism w o u l d lead to a general i m p r o v e ment of wages?« in den Notes for Conservative Canvassers, n a c h d e m die Frage eindeutig verneint w u r d e , faktenreich Stellung g e n o m m e n : »The Report on Economic Conditions in Italy by the British Commercial Councillor at Rome, dated July 1933, contains the following: While the cost of living with an index figure of 93.78 in 1927 has fallen in 1932 to 78.05, a difference of 15.73 per cent, industrial wages have been reduced by much larger proportions.« 108

104

Vgl. Notes for Conservative Canvassers and Workers No. 9, September 1936, S. 1-2. Vgl. Election Guide 1935, S. 378 ff.. 106 Ebenda. 107 Ebenda. los Yg| N o t e s for Conservative Canvassers and Workers No. 3, März 1934. 103

II. Die Conservative Party

199

Diese Argumentation der Tories weist starke Ähnlichkeit mit der Vorgehensweise der Labour Party auf. Beide Parteien sahen in einer potentiellen Attraktivität der BUF für die Arbeiter eine besondere Gefahr. Angesichts der Bemühungen, mit denen die BUF die britischen Arbeiter umwarb und der zum Teil desolaten ökonomischen Lage in Teilen Großbritanniens erscheinen diese Befürchtungen nicht ganz unbegründet. Trotz ihres generellen Vertrauens in die parlamentarische und demokratische Grundprägung der englischen Bevölkerung sahen sich Labour Party und Conservative Party dazu veranlaßt, diese mögliche Anziehungskraft durch Verweise auf die angeblich miserablen ökonomischen Leistungen Italiens und Deutschlands zu entkräften. Ein Teil der englischen Öffentlichkeit artikulierte angesichts der ökonomischen und politischen Krise zu Beginn der dreißiger Jahre ein Bedürfnis nach drastischen Reformen der politischen Institutionen. Mosleys Agitation gegen das in seinen traditionellen Strukturen erstarrte System der »old gangs«, seine Forderung nach Reformen, dynamischen Veränderungen und neuen Ideen zur Lösung der Krise der englischen Gesellschaft stieß auch innerhalb des traditionellen Wählerpotentials der Conservative Party auf eine positive Resonanz. Konservative Politiker gingen daher vermehrt auf einen möglichen Reformbedarf des englischen politischen Systems ein. Obwohl die Kritik am traditionellen Regierungssystem kein »Monopol« der Faschisten war, sondern sich insbesondere auch die Linke darin hervortat, kann zwischen konservativen Anspielungen auf nötige Veränderungen und der Herausforderung durch die BUF durchaus ein Zusammenhang angenommen werden. Politics in Review, ein alle drei Monate erscheinendes konservatives Parteimagazin behandelte die Gefahr des Faschismus fortlaufend in einer Rubrik mit dem Titel »Constitution« und setzte sich hier auch intensiv mit einem möglichen Reformbedarf des politischen Systems auseinander. Ihre Beschäftigung mit dem englischen Faschismus hatte die Conservative Party zu dem Ergebnis kommen lassen, diesen Aspekt als entscheidend für die Attraktivität der BUF anzusehen. Aus einer Rede Stanley Baldwins geht hervor, wie die Anziehungskraft jener Forderungen der Blackshirts nach Veränderung eingeschätzt wurde: »The fact that they talk as they do, the fact that the press pays so much attention to what they say, shows that that feeling does exist in the country.« 109 Als Reaktion auf diese Stimmung in der englischen Öffentlichkeit wollten die Konservativen Begriffe wie »Wandel« oder »Experiment« aus ihrem politischen Sprachgebrauch nicht völlig ausschließen, sondern die eigene Reformbereitschaft betonen. 110 Kritik an der Verfaßtheit des parlamentarischen Systems und damit verbundene Forderungen nach einer Anpassung der politischen Institutionen an die Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts sollten nicht nur oppositionellen Stimmen in- und außerhalb der Conservative Party vorbehalten bleiben. Politics in Review druckte nicht zuletzt deshalb diverse Reden Stanley Baldwins ab, in denen er den eigenen Reformwillen betonte: »I myself would not hesitate 109 110

Vgl. Rede Baldwins in Preston, 14. Februar 1934, abgedruckt in Politics in Review 1 (1934), S. 42. In einer 1935 in Politics in Review abgedruckten Rede Baldwins werden die Begriffe »change« und »experiment« allein zehn Mal verwendet. Vgl. Rede Baldwins in Birmingham, 8. Juni 1935, abgedruckt in Politics in Review 2 (1935), S. 47.

200

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus

to s u p p o r t any change if I were convinced that it w o u l d be for the benefit of the people.« 1 1 1 Gleichzeitig w a r n t e er jedoch davor, in einen blinden Reformeifer zu verfallen. Veränderungen sollten nicht u n ü b e r l e g t erfolgen: »You know quite well that there are many people in this country who are beginning to cry out for something spectacular on the part of the government. There is a feeling that desires a change, without quite knowing what it wants but for the sake of change.«" 2 I n n e r h a l b eines k o n s t i t u t i o n e l l e n R a h m e n s präsentierte sich der konservative Parteiführer gegenüber dieser so g e s t i m m t e n Öffentlichkeit als d u r c h a u s reformbereit: »It behoves all of us who are true constitutionalists in the historic tradition of our great country to see that this country keeps on the existing constitutional lines, which need by no means prevent experiments, [...] or the trying of many new methods to solve problems both, old and new.«" 3 F ü h r e n d e konservative Politiker achteten darauf, den eigenen Reformwillen zu unterstreichen u n d sich als progressiv u n d offen für n e u e Wege in d e r Politik darzustellen. Ihre »Offenheit« ging sogar so weit, d a ß eine Rede des südafrikanischen P r e m i e r m i n i s t e r s , General Smuts, in der das Modell der D i k t a t u r als » t e m p o r a r y expedient« bezeichnet w u r d e , in Politics in Review abgedruckt wurde. 1 1 4 Diese Rede, die Smuts vor S t u d e n t e n der schottischen Universität St. A n d r e w s gehalten hatte, w u r d e ebenfalls u n t e r der R u b r i k » C o n s t i t u t i o n « in Politics in Review veröffentlicht u n d steht d o r t neben den Ä u ß e r u n g e n Baldwins u n d anderer konservativer Politiker. A u c h Smuts b e t o n t e die N o t w e n d i g keit zur V e r ä n d e r u n g des d e m o k r a t i s c h e n Systems: »Let me State quite clearly that I am not against experiments in human government. The extraordinary difficulties and complications of modern government call for revised methods and new experiments. [...] The machinery of democracy may call, and does call, for reform, and the methods of enabling people to exercise in freedom their influence in government may have to be altered from those at present. Our legislative machinery especially is out of gear.«" 5 Bereits auf d e m Parteitag der Konservativen 1933 hatte Stanley Baldwin die Experimentierfreude der Tories insbesondere auch in ö k o n o m i s c h e r H i n s i c h t u n terstrichen: »We are living in times when change is necessary, when it is essential. We are going through uncharted seas economically and industrially, and I myself would shrink from no methods that would help the country. [...] We are experimenting and experiments must go on.«" 6 111

Vgl. Rede Baldwins in Preston, 14. Februar 1934, abgedruckt in Politics in Review 1 (1934), S. 42. Ebenda. 113 Vgl. Rede Baldwins in Bewdley, 14. April 1934, abgedruckt in Politics in Review 2 (1934), S. 38. 114 Vgl. Rede von General Smuts in St. Andrews, 17. Oktober 1934, abgedruckt in Politics in Review 4 (1934), S. 47. 115 Ebenda. "* Vgl. Rede Baldwins auf dem Parteitag 1933, Conservative Party Conference Report 1933. 112

II. Die Conservative Party

201

Dieser propagierte Mut zur Veränderung dürfe jedoch niemals einen umstürzlerischen Charakter annehmen. »Rash experiments« wurden von Baldwin abgelehnt, wie er in einer Rede aus dem Jahr 1935 verdeutlichte: »It does not mean I am afraid of experiments, but it does mean that experiments ought not to be made until every possibility of the results of those experiments has been examined thoroughly from top to bottom.« 117 Konservative Politiker wiesen auch in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Experimente, wie sie im Ausland vorgenommen worden waren, für die englische Situation unangemessen seien. Bei aller Reformfreude betonte Baldwin, daß nicht alle als modern wahrgenommenen Ideen auch in England zu positiven Ergebnissen führten. Vielmehr warnte er vor übertriebener Erneuerungsbegeisterung nur um der Veränderung oder vermeintlichen Modernität faschistischer Konzepte willen. Reformen und neue Methoden könnten nur innerhalb des demokratischen Systems eingeführt werden. Politische Vorgehensweisen der Art, wie sie zur selben Zeit in Deutschland oder Italien zu beobachten waren, lehnten die meisten Konservativen strikt ab: »To suppose that in the modern world you can dispense with freedom in human government, that you can govern without the consent of the governed, is to fly in the face of decent human nature as well as the facts of history.« 118 Baldwin betonte stets die konstitutionelle Haltung seiner Partei, deren Denken zwar in vieler Hinsicht progressiv sei, die jedoch Veränderungen niemals außerhalb des bestehenden institutionellen Rahmens des Parlamentarismus zustimmen werde: »There are some people who speak wildly and loosely about sudden and fundamental changcs. Look out for them, and remember that our party, füll of ideas of progress today as any other party that exists, has always stood, in Disraeli's words for the maintenance of the Constitution.«"9 Die Bereitschaft zur Veränderung, um das Bestehende zu erhalten, wurde als Maxime konservativen Denkens dargestellt und durch den Bezug auf Disraeli in den traditionellen Kanon der Grundüberzeugungen der Conservative Party eingegliedert. Progressives Denken und der Wille zur graduellen Erneuerung, traditionell eher ein Charakteristikum der Labour Party, wurden auf diese Weise in die politische Rhetorik und Kompetenz der Tories aufgenommen. Konservative Politiker maßen politischen und ökonomischen Reformen große Bedeutung bei und erwähnten das Thema häufig in Reden und Aufsätzen. Diese Verhaltensweisen deuten darauf hin, daß die Tories ihre Gegner von rechts und deren Attraktivität für potentielle konservative Wähler durchaus ernstnahmen. Ein Abwandern dieser Wähler zu den Faschisten zu vermeiden, war mit ein Grund für das Hervorheben der eigenen Reformbereitschaft. Sorgen bereitete einigen Konservativen auch die Möglichkeit, daß Oswald Mosleys Partei durch einen Wahlsieg der Labour Party politisch aufgewertet 1,7 118 119

Vgl. Rede Baldwins in Birmingham, 8. Juni 1935, abgedruckt in Politics in Review 2 (1935), S. 47. Ebenda. Vgl. Baldwin in seiner Abschiedsrede von seinem Wahlkreis, 10. April 1937, abgedruckt in: Baldwin, S., Service of our Lives. Last Speeches as Prime Minister, London 1937, S. 102 f..

202

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf d e n Faschismus

werden könnte. Diese Befürchtung formulierte beispielsweise Cuthbert Headlam, konservativer Abgeordneter für Barnard Castle (North Durham), in seinem Tagebuch im Februar 1934: »Fascism may look and seem rather absurd in this country but, nevertheless, it may well come into its own event of a Socialist victory at the next General Election which may not be so impossible as most people imagine. [...] It seems to me that many of us might well fall in with a Fascist coup d'etat, preferring a bourgeois revolution to a proletarian one.«120 Die Lage der eigenen Partei im Vergleich zu ihrer politischen Hauptkonkurrentin in Gestalt der Labour Party schätzte Headlam wie folgt ein: »I think that the rise of Fascism and the spread of Communism, such as it is, are strengthening Labour - people no doubt feeling that its official policy is safer than that of any extremist.« 121 Headlams Tagebuchaufzeichnungen zeigen, daß nicht alle Tories vom unbedeutenden oder gar lächerlichen Charakter der Mosley-Bewegung überzeugt waren und die BUF, zumindest bei einigen, durchaus als ein ernstzunehmender Faktor im politischen Geschehen der Zeit angesehen wurde. In den Überlegungen Headlams geht es dabei weniger um eine direkte Konkurrenz der Konservativen mit der BUF als vielmehr um die Auswirkungen der Existenz von BUF und Communist Party auf die Attraktivität des eigentlichen politischen Gegners, der Labour Party. Doch sollte sich Headlams Einschätzung nicht bewahrheiten, da sich die politischen Mehrheitsverhältnisse in den dreißiger Jahren genau entgegengesetzt entwickelten: letztlich profitierten die Tories und nicht die Labour Party von der extremistischen Bedrohung. Sie konnten die Wahlen gewinnen, während die Labour Party durch die unterschiedlichen Standpunkte über eine angemessene Reaktion auf die englischen Faschisten stark auseinander dividiert wurde. Gegenüber der Öffentlichkeit wirkte sie zerstritten und politisch instabil, was die Tories dazu nutzten, sich selbst als einzig verbleibende zuverlässige, demokratische und nationale Partei zu präsentieren. Headlam lehnte, trotz seiner Befürchtungen angesichts extremistischer Tendenzen in England, eine intensivere Auseinandersetzung mit Mosley und der BUF ab: »My own view is that all this attention« is doing a good deal to advertise the Fascists and that it would be wiser to leave things to take their own course - after all, he is an extremist of the Right up against the extremist of the Left, and the more they go for each other the pleasanter it should be for the rest of us.«122 Mit dieser Einschätzung einer angemessenen Reaktion auf die extremistischen Parteien ist Headlam als exemplarisch für die Haltung einer Mehrheit in der Conservative Party anzusehen. Nach außen versuchte die Partei, die Faschisten weitgehend zu ignorieren und konzentrierte sich darauf, die Herausforderung Vgl. Headlam, C , Ball, S. (Hrsg.), Parliament and Politics in the Age of Baldwin and MacDonald. The Headlam Diaries 1923-1935, London 1992, Eintragung vom 13. Februar 1934, S. 292 f.. Vgl. The Headlam Diaries, Eintragung vom 7. September 1934, S. 311. Vgl. The Headlam Diaries, Eintragung vom H.Juni 1934, S. 306.

II. Die Conservative Party

203

durch Kommunismus und Sozialismus als bedrohlich darzustellen. Die Betonung einer Gefahr von links, bei gleichzeitigem Verschweigen einer Alternative rechts von der Conservative Party, stellte das Hauptmuster der offiziellen Parteireaktion auf die BUF dar. 1.2 Die Darstellung des Faschismus in den

Parteiveröffentlichungen

Circa 200 Seiten einer umfangreichen Broschüre zu den Wahlen 1935 behandelten im Kapitel »Opposition Parties« die Parteien der politischen Linken. Der CPGB widmete man davon ungefähr vierzig Seiten. Die BUF hingegen wurde auf circa zehn Seiten abgehandelt. 123 Auch das Conservative Agents' Journal setzte sich mit der BUF nur selten auseinander. Ein ähnlicher Eindruck ergibt sich nach Durchsicht des Flugblättermaterials der dreißiger Jahre: nur vier Flugblätter waren dem Faschismus gewidmet, während eine große Menge die Gefahren des Sozialismus und Kommunismus behandelte. 124 In den offiziellen Wahlaufrufen - den sogenannten »Election Addresses« - konservativer Abgeordneter für die Unterhauswahl 1935 wird nur bei insgesamt sieben Rednern die faschistische Partei erwähnt. Zudem geschieht dies immer im Zusammenhang mit der Bedrohung durch den Kommunismus. Bezeichnend ist, daß diese Kandidaten ihre Wahlkreise überwiegend im Londoner East End hatten. In einer Gegend, in der sich Faschisten und Kommunisten regelrechte Straßenschlachten lieferten, konnten selbst die Konservativen die BUF nicht länger ignorieren. In den Parteitagsprotokollen der Tories aus den dreißiger Jahren ist das Thema Faschismus ein einziges Mal verzeichnet, als der Abgeordnete W J. O ' D o novan - auch er hatte seinen Wahlkreis im Londoner East End - folgende Resolution zur Diskussion stellte: »This Conference views with concern the activities of fascist organisations in this country as a challenge to our parliamentary System and places on record its condemnation of all threatened dictatorships and persecutions of creeds.« 125 O'Donovans Antrag steht im Protokoll des Parteitags unter der Rubrik »The following motions were not reached«, was bedeutete, daß er im Plenum überhaupt nicht diskutiert worden war. Die Delegierten schätzten das Thema einer Bedrohung der englischen Demokratie durch die BUF als wenig dringlich ein. Eine Analyse der seltenen Erwähnungen der BUF in den »offiziellen« Parteischriften bringt eine der Argumentation der Labour Party sehr ähnliche Haltung der Konservativen zum Vorschein. Wie die Arbeiterpartei lehnten die Tories den englischen Faschismus in ihren öffentlichen Äußerungen ohne Einschränkungen ab und stellten sich selbst als überzeugte Demokraten dar, die bereit waren, den Parlamentarismus sowohl gegen rechte als auch gegen linke Diktaturbestrebungen zu verteidigen. Autoritären Lösungen stand die Conservative Party genauso kritisch gegenüber wie die Labour Party. Sie betonte stets, daß sie als demokratische Partei jegliche Form der Diktatur entschieden bekämpfen werde. 123 124 125

Vgl. Election Guide 1935. Vgl. Flugblättersammlung. Vgl. Protokoll des Parteitags 1935.

204

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus

In den Notes for Conservative Canvassers and Workers von September 1933 wird die Frage nach der Bewertung des englischen Faschismus durch die Conservative Party folgendermaßen beantwortet: »Fascists in this country stand for the Corporate State as it exists in Italy and Germany. But it really is a Dictatorship, pure and simple. Parliamentary institutions find no place in such a State. Trade Unionism does not exist and the freedom of the Press is destroyed.«126 Die Konservativen wiesen die englischen Wähler mit Nachdruck darauf hin, daß Mosley dieselben Methoden wie die Nationalsozialisten in Deutschland und die Faschisten in Italien anwenden wolle, um England beherrschen zu können. Das alleinige Ziel seiner Bewegung sei es, in England eine Diktatur zu etablieren und sämtliche Institutionen des englischen demokratischen Systems abzuschaffen. Besonders anschaulich kann diese Argumentation anhand des bereits erwähnten Election Guide von 1935 nachgezeichnet werden. Als Grund für die Beschäftigung mit Mosley nannte die Wahlkampfbroschüre die Entwicklung auf dem europäischen Kontinent. Sie gebe Anlaß zur Wachsamkeit auch im eigenen Land: »The development of fascist activities in Great Britain merits some consideration owing to the fact that since the War in one European country after the other, government by dictatorship has taken the place of government through democratic institutions.«127 Da im Zentrum auch des englischen Faschismus das Führerprinzip stehe, sei es Mosley, der für die politischen Aussagen der BUF verantwortlich sei und mit dem man sich in England deshalb besonders auseinanderzusetzen habe. 128 Im Mittelpunkt des Election Guide standen folglich Äußerungen des Faschistenführers, die unter dem Titel Fascist Aims abgedruckt wurden. Zusammenfassend hieß es über die Zielsetzung der BUF: »Under a Fascist regime Parliament will be rendered powerless, constituencies will be disenfranchised, free speech will be suppressed and civil liberties limited.« 129 An eben diesem Punkt setzte die konservative Kampagne an, um die Gleichheit faschistischer und radikal-sozialistischer Ziele zu verdeutlichen. Sowohl die Ideen der Socialist League als auch die Vorstellungen der Faschisten seien letztlich darauf ausgerichtet, einer Diktatur in England den Weg zu bereiten: »The Fascist plan is similar to that of Sir Stafford Cripps for a Socialist dictatorship. Both, Sir Oswald and Sir Stafford aim at taking advantage of an electoral majority to invest their respective party with complete dictatorial powers over the nation.«130 Hintergrund dieser Behauptung waren die Forderungen von Stafford Cripps, die Machtübernahme der Labour Party durch den Erlaß eines Notstandsgeset126 127 128

129 130

Vgl. Notes for Conservative Canvassers and Workers No. 5, September 1933. Vgl. Election Guide 1935, S. 375. »The basis of Fascist philosophy is subserviencc to the Leaders point of view, and in Great Britain the Leader is Sir Oswald Mosley of the British Union of Fascists.« Vgl. Election Guide 1935, S. 375. Vgl. Election Guide 1935, S. 376. Ebenda.

II. Die Conservative Party

205

zes zu ermöglichen. 131 Cripps war davon überzeugt, daß auf parlamentarischer Ebene nur auf diese Weise eine durchgreifende Veränderung des kapitalistischen Systems möglich sei. Obwohl Cripps in der Labour Party auf scharfe Kritik seiner Vorschläge stieß und sich in der Partei nicht durchsetzen konnte, nutzten die Konservativen die Ideen des »linken Abweichlers«, um der politischen Konkurrenz diktatorische Absichten zu unterstellen. 132 In einem Kapitel mit dem Titel Features of Foreign Dictatorships beschäftigte sich der Election Guide ausführlich mit den undemokratischen Zuständen in Deutschland und Italien. Diese Länder seien die Vorbilder für Mosleys politische Überlegungen: »Sir Oswald Mosley and his supporters would make of Britain an out-and-out fascist State. In view of their efforts it is important that Britons should be under no illusions as to what has been, and is being, done under the dictatorships which have been set up abroad.«133 Neben dem parlamentarischen System werde in einem faschistischen Staat, so die Tories, auch die Freiheit des Individuums einschließlich seiner religiösen Freiheit zerstört. Unter einer Diktatur falle dieser von den Konservativen häufig als »typisch englisch« und gleichzeitig als Charakteristikum des englischen Konservatismus bezeichnete Individualismus dem Zwang zur Gleichheit zum Opfer: »In countries, where dictatorships have been set up the State is, in fact, supreme: the individual citizen does not count. His only function is to act as an unthinking and obedient member of the national herd and any individual who tries to oppose the System goes under.«134 Die politischen Prinzipien der Conservative Party wurden in einem auffälligen Kontrast zu den Ideen der BUF präsentiert. Wie auch die Labour Party in ihrer Kampagne gegen Mosley stellten sich die Tories als Garanten der Demokratie britischer Prägung und als Bewahrer traditioneller Freiheiten dar: »Conservatism Stands for the preservation of the Constitution, the integrity of Parliamentary institutions, the sovereignity of the people which finds its expression in a free democracy, protection of liberty, collective bargaining, and the freedom of the Press.«135 Problematisch an dieser Taktik war jedoch, daß selbst eigene Parteimitglieder die Politik Mosleys lediglich als eine besonders radikale Interpretation konservativer Überzeugungen betrachteten. Um den fundamentalen Unterschied zwischen Faschismus und Konservatismus zu verdeutlichen, wurde in konservativen Parteiveröffentlichungen wiederholt auf den Mangel an Freiheit und Individualismus in faschistischen Diktaturen hingewiesen. Im Flugblatt »Mr Baldwin on Fascism« von 1934 wurde dies als ein gänzlich »unenglischer« Zustand dargestellt: 131

132

133 134 133

Cripps Forderungen wurden 1935 in dem Flugblatt »Can Socialism Come by Constiutional Means?« von der Socialist League veröffentlicht. In einem Brief an Cripps äußerte Walter Citrine diese Kritik folgendermaßen: »Anything which could convey the impression to the people of this country that the Labour Party was prepared to resort to extra-constitutional methods would not only be electorally disastrous, but, in my view, would be totally unjustifiable.« Vgl. Citrine an Cripps, 19. Februar 1935, Cripps Papers/554. Vgl. Election Guide 1935, S. 378 ff.. Ebenda. Vgl. Notes for Conservative Canvassers and Workers No. 5, September 1933.

206

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus »The policy of Fascism is what you may call an ultramontane Conservatism. It takes many of the tenets of our own Party and pushes them to a conclusion which, if given effect to, would, I believe, be disastrous to our country. But it has taken from the Continent one thing that is completely alien to the Englishman, and that is a desire, ultimately, to suppress Opposition and to be able to proceed by dictatorial methods.«136

Das wichtigste A r g u m e n t der C o n s e r v a t i v e P a r t y gegen die B U F war die B e h a u p t u n g , d a ß M o s l e y keine »englische«, s o n d e r n eine »ausländische« Politik betreibe. Sein politisches P r o g r a m m führe unweigerlich zu denselben Z u s t ä n d e n , w i e sie bereits in Italien u n d D e u t s c h l a n d z u b e o b a c h t e n seien. Mosleys Faschismus sei der englischen Tradition des P a r l a m e n t a r i s m u s »fremd«. F a schismus u n d K o m m u n i s m u s w u r d e n als »alien plants« bezeichnet, »for neither have their r o o t s in England«. 1 3 7 S y m p a t h i e n für faschistische Ideen w u r d e n in den öffentlichen Ä u ß e r u n g e n der Tories folglich auch als »unpatriotisch« dargestellt, d e n n w e r einer »unenglischen« B e w e g u n g folge, verrate nationale P r i n zipien. Diese H a l t u n g findet sich z u m Beispiel in einer W a h l r e d e des konservativen A b g e o r d n e t e n v o n Leeds, Vyvyan A d a m s , aus d e m J a h r 1935: »As strenously as any other person I helped to expose the un-British and dangerous character of the movement. [...] I am sure that Yorkshire is too patriotic to play with the notion of this kind of dictatorship or with that other kind which is contemplated in the writings of prominent Socialists. O u r political and personal liberty is too great a heritage to surrender to the imitators of foreign tyrannies.« 138 Eng verknüpft mit der konservativen Öffentlichkeitsarbeit gegen den englischen Faschismus war die A r g u m e n t a t i o n der Tories gegen den K o m m u n i s m u s . Wenn die Conservative Party sich mit der Gefahr des Faschismus auseinandersetzte, geschah dies meist in einem Z u s a m m e n h a n g mit d e m K o m m u n i s m u s , wobei zwischen beiden extremen Bewegungen große Ähnlichkeiten aufgezeigt wurden. Wie die L a b o u r P a r t y ging auch die Conservative P a r t y von einer G r u n d p r ä gung der britischen W ä h l e r d u r c h parlamentarische P r i n z i p i e n aus, die sie dav o n abhielt, Faschismus o d e r K o m m u n i s m u s ihre S t i m m e zu geben. Patrick G o w e r artikulierte diese E i n s c h ä t z u n g in einem Brief an A r t h u r B r y a n t 1936: »[...] the great mass of the people in this country [...] are just as much opposed to Fascism as they are to Communism and for the same reason - they both end in dictatorial Systems of government, one of the Right and one of the Left. They are both the very antithesis of the democratic System of government in which we believe.«139 A n diese so w a h r g e n o m m e n e politische Mentalität appellierte die Conservative P a r t y u n d d e m o n s t r i e r t e nicht zuletzt deshalb ihre A b l e h n u n g beider politischer E x t r e m e möglichst nachdrücklich. Wie bereits e r w ä h n t , reagierten die T o ries b e u n r u h i g t auf die K a m p a g n e d e r L i n k e n , d e m N a t i o n a l G o v e r n m e n t faschistische S y m p a t h i e n v o r z u w e r f e n . G o w e r s c h l o ß seinen Brief mit d e m H i n w e i s , d a ß es für die konservative Parteiarbeit v o n g r ö ß t e r B e d e u t u n g sei, 136 1,7 138 139

Vgl. Flugblatt 1934/27 »Mr Baldwin on Fascism. Danger of Class War«. Vgl. Flugblatt 1935/69/7 »Our Heritage of Freedom. The Menace of Dictatorships«. Radioansprache Baldwins an Schüler, März 1934. Vgl. Election Address 1935, Sammlung der Wahlkampfreden. Vgl. Gower an Bryant, 16. Oktober 1936, Bryant Papers/C41.

II. Die C o n s e r v a t i v e P a r t y

207

diesen Vorwurf entschieden zurückzuweisen: »The important thing is to convey the thought that the National Government and all its adherents are bitterly opposed to both Left and Right extremes.« 140 Es war diese Einschätzung, die als Leitlinie der offiziellen Haltung der Conservative Party gegenüber den extremistischen Herausforderungen bezeichnet werden kann. Stanley Baldwin stellte in einer Radioansprache, deren Text von der Conservative Party 1935 auch als Flugblatt veröffentlicht wurde, die extremistischen Parteien als Gefahr für die Demokratie dar. Beide hätten das Ziel, in England eine Diktatur zu errichten, und beide wollten dieses Ziel mit Gewalt erreichen: »They both alike believe in force as the means by which they can get their way and set up their dictatorship; and they further believe, as you have seen on the Continent, that having got into power - and it does not matter for the argument whether it be communist or fascist - by force, all free opinion, all opinion that does not agree with them, must be suppressed by force - in other words, kill everything that has been a growth in our people for the last eight hundred or a thousand years.«141 In seinem Aufruf für die Wahlen von 1935 brachte George Jones, konservativer Abgeordneter für Stoke Newington, die offizielle Haltung seiner Partei auf den Punkt: »Liberty is the most treasured possession of our people and we do not want any dictatorship whether Fascist, Socialist or Communist. Freedom and equality before the law represent basic principles of our political and national life and must not be endangercd.«142 Gleichzeitig betonte die Conservative Party die wechselseitigen Bezüge beider Ideologien untereinander. Nicht nur die Labour Party verglich die beiden modernen Diktaturphänomene. Auch nach konservativer Interpretation bestand ein enger Zusammenhang zwischen den beiden extremen Parteien, da ein Erstarken der einen Bewegung unweigerlich einen Anstieg an Sympathie für die andere mit sich bringe: »The Conservative Party opposes both extremes, knowing that Communism breeds Fascism and vice versa.«143 Stanley Baldwin stellte auch im eigenen Land einen Nexus zwischen der Existenz beider extremer Parteien fest, wenn auch in einer anderen Ausprägung als auf dem europäischen Kontinent. In einer Rede im Unterhaus 1936 sprach er davon, daß in Großbritannien die Existenz des nationalen und internationalen Faschismus zu einem Erstarken des Kommunismus geführt habe: »In this country, where thank God, so far these two forces are not worth together a snap of the fingers, the curious feature is that at this moment we are reversing the process of Italy and Germany, and these petty efforts of the Fascists are making Communists.«144 140 141

142 143

144

Vgl. Gower an Bryant, 16. Oktober 1936, Bryant Papers/C41. Vgl. Flugblatt 1935/69/7 »Our Heritage of Freedom. The Menace of Dictatorships«. Radioansprache Baldwins an Schüler, März 1934. Vgl. Wahlkampfrede 1935 von George Jones, Sammlung der Wahlkampfreden,. Vgl. »Questions and Answers. A simple Handbook for Political Workers«, Flugblättersammlung, (1937/54). Vgl. Rede Baldwins im Unterhaus am 29. Oktober 1936. Zitiert in: Politics m Review, OctoberDecember 1936, S. 130.

208

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus

Die Wurzel jeglichen Extremismus lag jedoch, nach konservativer Lesart, in der russischen Revolution und der Verbreitung des Kommunismus in Europa. Es sei der Kommunismus, von dem die entscheidende Gefahr ausgehe, da die faschistischen Bewegungen als Reaktionen auf das Erstarken des Kommunismus entstanden seien. Auf dieser Annahme basierte auch Arthur Bryants Analyse »Communism, Fascism and Democracy«. Bryant betonte den Zusammenhang zwischen Kommunismus und Faschismus in den Ländern des europäischen Kontinents: »Fascism as it exists on the Continent today began as a reaction of those intended for the Communist blood-bath on the Russian model.« 145 Die Propaganda gegen den Faschismus wurde also auch dazu instrumentalisiert, den eigentlichen Gegner der Konservativen, die politische Linke, zu treffen. Neben allen Übeln, die dem Kommunismus a priori innewohnten, führte er, nach konservativer Interpretation, darüber hinaus zum Faschismus. Ähnlich argumentierten auch die wenigen Abgeordneten, die die Bedrohung der englischen Demokratie durch die BUF thematisierten. Sieben Kandidaten erwähnten in ihren Wahlkampfreden den Faschismus. Sie alle setzten ihn in einen direkten Zusammenhang mit dem Kommunismus. Für das Aufkommen des Faschismus in Europa wurden sozialistische oder kommunistische Vorgängerregierungen verantwortlich gemacht: »1 am equally opposcd to socialism, communism and fascism. The dangers of fascism have been demonstrated by recent events in Italy and persccutions in Germany. Remember that past socialist governments have been directly responsible for dictatorships in Germany and Italy.«146 Faschismus als logische Konsequenz des Kommunismus war ein Argumentationsmuster, das es den Tories ermöglichte, Faschisten und Kommunisten gleichermaßen zu bekämpfen und ihren eigentlichen Herausforderer, die Labour Party, in ein ungünstiges Licht zu stellen. Schließlich wurde indirekt davor gewarnt, die in den Parteiveröffentlichungen der Tories stets als »Socialist Labour Party« bezeichnete Arbeiterpartei zu wählen. Denn folgt man der konservativen Argumentation, hätte dies einen Sieg des Extremismus in England begünstigen können. Darüber hinaus wurde der Labour Party vorgeworfen, mit dem »Auslöser« des Faschismus, der Communist Party, zusammenzuarbeiten und somit das Erstarken des Faschismus in England zu provozieren: »The Socialist Party may justly claim to be opposed to Fascism, but it cannot escape from the position that it is being actively helped and supported by the Communist Movement, which in foreign countries has been one of the chief factors in promoting the growth of Fascism.«147 In diesem Zusammenhang argumentierten die Tories gewissermaßen auf einer direkten und einer indirekten Ebene. Der direkte Vorwurf lautete, daß die La143 146

147

Vgl. Bryant, A., Communism, Fascism and Democracy. (Manuskript) Brvant Papers/C41. Vgl. Wahlkampfrede 1935 von Captain A. Hudson, Abgeordneter für North Hackney, Sammlung der Wahlkampfreden. Vgl. Notes for Speakers and Workers. London County Council Elections 1937, S. 102 f..

209

II. Die Conservative Party

bour Party mit der CPGB zusammenarbeitete; indirekt beschuldigte man sie, durch diese Kooperation dem Faschismus Vorschub zu leisten. Mit einem Argument konnten die Tories somit also gleich zwei Anliegen vermitteln, nämlich die angebliche »heimliche Koalition« der Arbeiterpartei mit der extremen Linken zu verurteilen und sie gleichzeitig als verantwortungslos im Kampf gegen die extreme Rechte darzustellen. Bei Arthur Bryant führte die Auffassung, daß der Kommunismus für die Entstehung des europäischen Faschismus verantwortlich sei, sogar zu einem gewissen Verständnis für faschistische Gewalttaten in den Ländern des europäischen Kontinents. Angesichts der drohenden oder bereits zurückliegenden kommunistischen Exzesse sei es nachvollziehbar, daß die Faschisten mit äußerster Härte reagiert hätten: »In Hungary, in Italy, in Austria, and in Southern Germany, where a Communist or semi-Communist regime was imposed for a time on war-exhausted people, the lawabiding Citizens reacted violently against the horrors and excesses which it entailed. [...] Remembering the horrors perpetrated in the name of Communism in these countries it is hard to be sorry. Nor can one easily blame the Fascists in their hour of deliverance from blood-drenched anarchy if they were sometimes guilty of actions which in a peaceful and law-abiding land like England would be unforgivable.«148 Bryant sah im Faschismus zwar kein Modell für die britische Insel, da sich hier der Parlamentarismus als beste Regierungsform in Jahrhunderten durchgesetzt habe, aber bezogen auf die europäischen Länder sei der Faschismus im Vergleich zur »kommunistischen Anarchie« die bessere Alternative: »Anything is found to be better than anarchy, and Fascism is the primitive and in such circumstances inevitable form of government that takes the place of chaos. But it is only a primitive form of rule - a drastic remedy for a desperate Situation.«149 Obwohl auch Bryant beide extremistischen Bewegungen als ungeeignet für England bezeichnete und den englischen Faschismus ablehnte, wird deutlich, warum einige Konservative den Faschismus nicht gänzlich verurteilen wollten. Viele sahen in der Bewegung der extremen Rechten ein Bollwerk gegen den Kommunismus auf dem europäischen Kontinent.

2. »FELLOW TRAVELLERS O F THE R I G H T « . D I E UNTERSTÜTZUNG DER AUS DEN REIHEN DER CONSERVATIVE PARTY

BUF

Einige Mitglieder des rechten Flügels der Conservative Party zeigten sich gegenüber manchen faschistischen Ideen durchaus aufgeschlossen und unterstützten vorübergehend sogar die BUF. Sie stellten jedoch innerhalb der Partei eindeutig eine Minderheit dar. Entscheidende Faktoren für die zeitweilige Anziehungskraft der Mosley-Bewegung auf diese Kreise waren die positive Rezeption insbesondere des italienischen Faschismus und eine tiefe Verunsiche148 149

Vgl. Bryant, Communism, Fascism and Democracy. Ebenda.

210

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus

rung, ob das parlamentarischen System in der Lage sei, auf die allgemein wahrgenommen Krise der englischen Gesellschaft angemessen und effektiv zu reagieren. Den Höhepunkt ihrer Attraktivität für konservative Kreise hatte die BUF Anfang 1934 erreicht. Doch bereits ab Mitte desselben Jahres setzte ein erheblicher Sympathieverlust ein. Als ein Katalysator dieser Entwicklung, der deshalb auch als Wendepunkt in der Geschichte der englischen Faschisten anzusehen ist, erwies sich die Großkundgebung der BUF in der Londoner Olympia Hall. Das Olympia-Treffen endete in krawallartigen Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Gegnern der BUF und leitete den wachsende Entfremdungsprozeß konservativer Kreise von der BUF ein. Für die vorübergehenden Attraktivität der BUF spielte der deutsche Nationalsozialismus eine eher untergeordnete Rolle. Im Gegenteil: viele konservative Sympathisanten der BUF zogen sich, abgestoßen von der in Deutschland offen zutage tretenden Gewalt gegen politisch Andersdenkende, von Oswald Mosley wieder zurück. Als sich auch auf den Veranstaltungen der BUF brutale Szenen abspielten, war der Bruch mit den Blackshirts irreversibel geworden. Neben der Gewaltbereitschaft des Nationalsozialismus stieß vor allem der Antisemitismus in den prinzipiell der BUF aufgeschlossen gegenüberstehenden konservativen Kreisen auf Ablehnung. Die antisemitische Kampagne Mosleys verstärkte die Rückzugsbewegung der englischen Rechten. Dennoch lassen sich in konservativen Kreisen auch positive Reaktionen auf den Nationalsozialismus finden, wobei angefügt werden muß, daß es sich hier lediglich um einzelne Personen handelte und nicht, wie beim italienischen Faschismus, um ganze Gruppierungen konservativer Bewunderer. 150 Die vorübergehende Unterstützung autoritärer Ideen nach italienischem Vorbild und die damit einhergehende positive Haltung gegenüber Mosleys BUF sollte vor dem Hintergrund der Situation des Diehard-Flügels zu Beginn der dreißiger Jahre gesehen werden. Während sich die Tories in den ausgehenden zwanziger Jahren nach außen als stark und geeint darstellen konnten, war die faschistische Bewegung schwach und in verschiedene kleine Gruppierungen zersplittert. Zu Beginn der dreißiger Jahre war dieses Bild weniger eindeutig. Der Wahlsieg der Labour Party 1929 hatte zu einer erheblichen Verunsicherung in der Conservative Party, insbesondere auf ihrem rechten Flügel, geführt. Forderungen wurden laut, die Partei, und besonders die Parteispitze, müsse verstärkt eigenständige konservative Prinzipien definieren, anstatt zu versuchen, ausschließlich von einer anti-sozialistischen Stimmung zu profitieren. 151 Doch da es Stanley Baldwin gelang, sich gegen die Kritik seiner innerparteilichen Gegner durchzusetzen und den politischen Kurs der Tories zu bestimmen, war der rechte Flügel der Conservative Party zum Zeitpunkt der Gründung der BUF empfindlich geschwächt. Auf dem Höhepunkt dieser Verunsicherung und 130 131

Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 376 f.. Diese Forderungen waren im übrigen keinesfalls neu, sondern bildeten den Grundtenor rechter Diehard-Rhetorik der zurückliegenden zwanzig Jahre. Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 33.

II. D i e Conservative Party

211

Frustration rechter Kreise innerhalb der Conservative Party betrat die BUF die politische Bühne und erschien, zumindest für eine kurze Phase, vielen von Baldwins Kritikern als eine willkommene Alternative zur Politik des National Government. Diese Unzufriedenheit einiger Konservativer mit der eigenen Partei schuf die Voraussetzung für den Erfolg der BUF während ihrer Anfangsphase. 152 Insbesondere in den Jahren 1933 und 1934 gelang es den Bewunderern des italienischen Faschismus und des korporativen Staates vorübergehend, die Meinung einer nicht zu vernachlässigenden Anzahl vor allem jüngerer Tories zu beeinflussen. 155 Wie ein Brief Lord Llyods 154 an Lord Bledisloe verdeutlicht, beunruhigte diese Entwicklung selbst einflußreiche Diehards: »It is clear to me [...] that unless some asylum is found for right-wing thought amongst all the young and middle-aged men in the party, these will break away from Conservatism to Fascism. [...] Already Mosley has drawn away a good deal of the more enthusiastic youth, and, if he were not personally somewhat distrusted and unpopulär as a personality, I am persuaded that thousands more would have joined him in despair of getting anything done on imperial and Conservative lines through the medium of the Conservative leaders.«155 2.1 Die Unzufriedenheit

mit dem demokratischen

System

Viele rechte Tories empfanden den moderaten und ausgleichenden Kurs Stanley Baldwins als Verrat konservativer Prinzipien, so daß sie sich in der eigenen Partei nicht mehr heimisch fühlten. Die Ablehnung Baldwins und des National Government sowie die Unzufriedenheit mit dem parlamentarischen System in ultrakonservativen Kreisen wurzelten jedoch nicht nur in der unmittelbaren Situation der frühen dreißiger Jahre. Vielmehr können sie als Teil einer kontinuierlichen Entwicklung interpretiert werden, die bereits in edwardianischer Zeit ihren Anfang genommen hatte. Zu Beginn der dreißiger Jahre verstärkten die Wirtschaftskrise und die ersten Auflösungserscheinungen des Empire diese Zweifel an der Effektivität der Demokratie, so daß auf der konservativen Rechten der Ruf nach einer starken Führerpersönlichkeit mit neuen politischen Ideen lauter wurde. Viscount Wolmer 156 äußerte 1933 in der Morning Post massive Zweifel, ob Baldwins politische Überzeugungen noch als echte »Tory policy« bezeichnet werden könnten: »It is time for Conservatives to ask themselves whether they and Mr Baldwin really mean the same thing [...] for [...] Mr Baldwin appears to 152

133 134

133

13,1

»The BUF relied heavily [but bv no means exclusively] upon the support of disillusioned Conservatives.« Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 43. Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 39. Lloyd war konservativer Abgeordneter und hatte verschiedene Staatsämter inne, unter anderem war er von 1925 bis 1929 High Commissioner Ägyptens und des Sudan und später Lordkanzler des House of Lords. Lord Lloyd an Lord Bledisloe, 9. Juli 1934. Zitiert nach Ramsden, The Age of Balfour and Baldwin, S. 336 f.. Wolmer gehörte zum Dichard-Flügel der Tories und stand der Organisation English Mistery nahe, die sich durch ihre offen ausgesprochene anti-demokratische Einstellung auszeichnete.

212

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus

have no conception of a positive Tory policy.« 157 Auch der Herausgeber der Morning Post, Arthur Gwynne, vermißte in der Politik des National Government die Grundwerte konservativen Denkens. Die Politik der Tories sei von der einer sozialistischen Partei kaum mehr zu unterscheiden. 158 Als Konsequenz formulierte er 1936 die Absicht, in der Berichterstattung der Morning Post die essentiellen Prinzipien des Konservatismus 159 in den Vordergrund zu stellen, um so ein Gegengewicht zum »sloppy Conservatism« Baldwins zu bilden: »Owing to the sloppiness into which the Conservative Party has fallen, I think that an insistence upon these principles is more needed today than ever. I feel sure that if they are set forth with moderation, vigour and sincerity, we shall secure as readers a surprising number of young people who are puzzled by the Socialist tendencies of some of our leaders, which have driven many of them into indifference and apathy.«160 Charles Petrie, der selbst zum Kreis der konservativen Bewunderer des Faschismus zählte 161 , stellte einen Zusammenhang zwischen der Enttäuschung einiger Tories mit der eigenen Partei und der Anziehungskraft der BUF her. In seiner Autobiographie schrieb er rückblickend: »Not the least important result of the reaction against Baldwinism was a remarkable, if temporary, upsurging of fascism. It is true that very few people actually joined Sir Oswald Mosley, but a considerable number were sympathetically inclined towards him as the membership of the January Club proved. They were not enamoured of fascism as such, but they were so weary of the drabness of the Baldwin regime that they were prepared to embrace almost any alternative. Whether, had Mosley suecceded, they would have liked what they would then have got is another matter.«162 Konservative Parteistrategen sahen jedoch die Priorität ihrer Politik in der Notwendigkeit, die politische Mitte für die Tories zu gewinnen. Demgegenüber wurde es als nachrangig eingeschätzt, die Vorstellungen der äußersten Parteirechten zu erfüllen. In einem Brief an Henry Page Croft begründete Viscount Stonehaven, von 1931 bis 1936 Vorsitzender der Conservative Party, diese Haltung des Central Office: ,57

Vgl. »Baldwin and Baldwinism«. In: Morning Post, 31. März 1933, S. 11 und 13. »I entirely agree with you that what is happening now is an attempt by a Conservative Govern ment to implement a Socialist policy.« Gwynne an Reginald Hall, 25. April 1933, Gwynne Papers/8. Diese Auffassung teilte auch John Gretton, ebenfalls ein Vertreter des Diehard-Flügels: »[we] are not getting Conservative policy but a Coalition carrying on on semi-socialistic lines.« Gretton an Page Croft, 15. Mai 1936, Page Croft Papers/1/12. 139 Gwynne verstand darunter folgende Aspekte: »Adequate security against externa! aggression and safety for our sea-borne trade. The maintenance of internal law and order that all men may reap what they have sown. Continuous and long-sighted development of our Empire trade, without which Great Britain will perish. Support of private enterprise and initiative as against State trading and the nationalisation of industries.« Vgl. Memorandum von Gwvnne über die künftige Strategie der Morning Post, Oktober 1936, Gwynne Papers/31. 160 Ebenda. I6i p e t r ie hatte sich bereits im Fasast Bulletin vom 10. Oktober 1925 als einen »British Fascist« bezeichnet und vorgeschlagen, in England vorübergehend eine Diktatur zu installieren, um die seiner Meinung nach unfähige Baldwin-Regierung zu ersetzen. 162 Vgl. Petrie, Chapters of Life, S. 168. 158

II. Die Conservative Party

213

»I cannot feel that the Party is losing its identity on account of its collaboration with people whose political views have differed fundamentally from ours in the past. On the contrary, the impression which I get from visiting members of our Organisation all over the country is that they are proud of the outstanding contribution which the Party has been able to make under the National Government through the efficiency of its Organisation. [...] it must also be borne in mind that undeniably the great majority of the Party is anxious to retain collaboration of as many Liberais and Socialists as possible, and I know there is a strong desire to appeal also for the National Government to people to whom purely Party appeal is not attractive.« 163 H ä t t e die Conservative P a r t y einen stärker nach rechts orientierten K u r s eingeschlagen, wäre die U n t e r s t ü t z u n g d e r B U F aus ihren Reihen sicherlich weniger intensiv ausgefallen. 164 Fraglich bleibt jedoch, o b die Partei mit einem solchen P r o g r a m m in den dreißiger J a h r e n eine ähnliche Erfolgsbilanz hätte aufweisen k ö n n e n , wie sie aufgrund der m o d e r a t e n Linie Baldwins erreicht w u r d e . Viele Konservative des rechten politischen S p e k t r u m s teilten die Einschätz u n g , daß n u r eine Regierung mit autoritären K o m p e t e n z e n die Krise der englischen Gesellschaft beenden k ö n n e . Von einer d i k t a t o r ä h n l i c h e n F ü h r u n g s p e r sönlichkeit, die sich nicht in die N i e d e r u n g e n des Parteiengezänks begeben müsse, u m Entscheidungen d u r c h s e t z e n z u k ö n n e n , erwartete man die Beendig u n g der politischen u n d wirtschaftlichen P r o b l e m e G r o ß b r i t a n n i e n s . Mosleys Rhetorik, in deren Z e n t r u m er den Ruf nach d y n a m i s c h e n Veränderungen stellte, stieß deshalb bei desillusionierten A n g e h ö r i g e n des konservativen politischen Establishment auf Z u s t i m m u n g . 1 6 5 Ein intellektuelles F o r u m z u r Diskussion ihrer Ideen fanden die A n h ä n g e r einer autoritären Lösung nach italienischem Vorbild in der English Review. Diese Zeitschrift, ab 1931 von D o u g l a s Jerrold herausgegeben, verstand sich vor allem als O r g a n konservativer G r u p p e n , die sich in der C o n s e r v a t i v e P a r t y Baldwins nicht mehr vertreten fühlten. Petries E r i n n e r u n g e n geben diese Selbsteinschätzung ebenfalls wider. D i e Zeitschrift definierte sich, laut Petrie »as a platform for real Toryism as o p p o s e d t o the plutocratic C o n s e r v a t i s m represented by the official p a r t y u n d e r the then M r Baldwin's u n i n s p i r i n g leadership.« 1 6 6 In der English Review finden sich die Beiträge vieler, die mit Mosleys B U F sympathisierten. So g e h ö r t e n neben C h a r l e s Petrie auch A r n o l d Wilson oder Francis Yeats-Brown zu ihrem A u t o r e n s t a m m 1 6 7 . J e r r o l d widmete sich in seinen regelmäßig erscheinenden Current Comments ausgiebig der Diskussion eines diktatorischen Modells für England. Die Schlußfolgerung des Herausgebers der English Review lautete: "•3 Vgl. Stonehaven an Page Croft, 3. Mai 1935, Page Croft Papers/1/19. Auch Douglas Jerrold vertrat diese Auffassung: »Whether the Tory retains his traditional truc bluc badge or dons a black shirt depends, perhaps, less on Sir Oswald Mosley than on the Conservative Central Office.« Vgl. English Review, Juni 1934, S. 653. 165 »He [Mosley] insisted, and this was perhaps his main attraction, that things must be done, decisions must be made on all the major problems; Mosley made frequent use of words like dynamic, action, decision.« Vgl. Jones, J. R., England. In: Roggcr, H., Weber, E. (Hrsg.), The European Right. A Historical Profile, Berkely, Los Angeles 1965, S. 29-70, S. 64. "•6 Vgl. Petrie, Chapters of Life, S. 129. 167 Vgl. auch Wrench,J. E., Francis Yeats-Brown 1886-1944, London 1948.

164

214

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus »It is because the party machines have notably failed to govern that they are losing the public confidence, and unless Parliament under universal franchise can fulfil the indispensable task of leadership, a dictatorship is not only inevitable but necessary.«168

Interessant an J e r r o l d s K o m m e n t a r ist vor allem seine E i n s c h ä t z u n g , daß die D i k t a t u r als politisches O r d n u n g s p r i n z i p auch für England angemessen sei. G e nau an diesem P u n k t lag die entscheidende Schwäche eines diktatorischen M o dells in G r o ß b r i t a n n i e n . Es w u r d e v o n den meisten politisch d e n k e n d e n M e n schen als eine »unenglische« Idee w a h r g e n o m m e n u n d so auch von d e r konservativen P a r t e i f ü h r u n g dargestellt. Dieser T e n d e n z w o l l t e n J e r r o l d u n d seine Mitstreiter in der English Review entgegentreten, i n d e m sie den starken Staat als englische Tradition aufzubauen suchten: »There is no folly more fashionable than saying that the English will never tolerate a dictatorship. Under constitutional forms of a very flimsy character the English have invariably insisted on being governed either by a close oligarchy or a virtual dictatorship. Their whole constitutional practice is directed to this end.« 169 J e r r o l d warf d e m N a t i o n a l G o v e r n m e n t selbst nach den A u s s c h r e i t u n g e n in O l y m p i a n o c h vor, lediglich am eigenen Machterhalt interessiert zu sein u n d allein aus diesem G r u n d eine K a m p a g n e gegen die B U F gestartet zu haben. M o s leys F o r d e r u n g e n hingegen w u r d e n als d r i n g e n d n o t w e n d i g e konstitutionelle Veränderungen dargestellt, die die gegenwärtige Regierung wissentlich durch eine »democracy versus violence«-Propaganda zu verhindern suche: »Today the very serious suspicion is feit that the old parties are trying, in order to secure another lease of power, to invent a bogues issue of democracy versus violence. [...] There is a real and deep feeling among many in all classes that the old parties and the old leaders are engaged in forming a united front against young parties with new ideas and younger leaders.«170 Mosleys B e h a u p t u n g , das N a t i o n a l G o v e r n m e n t sei eine »old gang« k o r r u p t e r u n d ineffektiver Politiker, stieß in konservativen Kreisen d u r c h a u s auf Z u s t i m m u n g . Jerrold führte Beispiele aus der englischen Geschichte an, u m zu verdeutlichen, d a ß bereits in der Vergangenheit versucht w o r d e n sei, wichtige gesellschaftliche V e r ä n d e r u n g e n mit d e m Vorwurf ihres »unenglischen« C h a rakters zu verhindern: »These stale jibes about foreign conceptions and un-English methods are an exact repetition of the methods by which the anti-refom leaders tried to defeat the movement which culminated with the Reform Bill of 1832, and tried later to prevent the growth of the trade union movement. These methods will certainly fail as they have always failed in the past.«171 N i c h t alle A n h ä n g e r der C o n s e r v a t i v e P a r t y ließen sich somit von der A r g u m e n t a t i o n der Parteiführung ü b e r z e u g e n , daß es sich bei einer D i k t a t u r im allgemeinen u n d der B U F im b e s o n d e r e n u m »unenglische« E r s c h e i n u n g e n h a n 168 169 170 171

Vgl. English Review, Dezember 1933, S. 569. Ebenda. Vgl. English Review, Juli 1934, S. 8. Ebenda.

II. Die Conservative Party

215

dele. Andererseits sahen sich die Sympathisanten Mosleys dazu veranlaßt, stets zu betonen, daß sich faschistische Überzeugungen durchaus mit »Englishness« verbinden ließen. Sie widersprachen entschieden jener Darstellung, die englischen Faschisten seien fremdartig und paßten nicht ins Selbstbild der durch Parlamentarismus und liberale Bürgerfreiheiten geprägten englischen Gesellschaft. Kritik an der englischen Demokratie wurde nicht nur in der English Review geäußert, sondern konnte bis in die konservative Parteipresse dringen. Sogar in der Zeitschrift des Bonar Law College in Ashridge propagierte Charles Petrie die Diktatur 172 und forderte die Abschaffung der »Auswüchse« der Französischen Revolution, um auf diese Weise wieder den »true Toryism« herzustellen: »Lastly, as the Tory looks round his world he sees discipline everywhere, save in Italy, at a discount. [...] The reaction against the ideals of the French Revolution is beginning on the Continent, and it will not be long in reaching this country. There will be no need for the Tory to put on a black shirt or a brown when that day arrives. All that has to be done is to remove from our national life and Constitution certain excrescences which the eighteenth and nineteenth centuries allowed to sap their vitality, in short, to revert to the fundamental principles of Toryism.«173 Petries Beitrag läßt jedoch erkennen, daß in der Wiederherstellung konservativer Grundprinzipien eine Aufgabe gesehen wurde, die nicht den Faschisten überlassen, sondern die von den Tories selbst in die Hand genommen werden sollte. Ein Eintritt in die BUF wäre einer Niederlage gleichgekommen, hätte man doch auf diese Weise eine genuin konservative Angelegenheit an eine andere Partei delegiert. In den Überlegungen Leopold Amerys, ebenfalls prominentes Mitglied des Diehard-Flügels, wird ein Grundmuster der politischen Haltung dieser Gruppe deutlich. Nach seinem Dafürhalten war der Grund für Englands Krise vor allem das parlamentarische System: »What is at fault is not so much the men as the machine which they have to work. [...] The nineteenth-century Cabinet System is incapable of handling the complex and urgent problems of the twentieth Century.«174 Laut Amery drohten als Konsequenz der Politik des National Government bürgerkriegsähnliche Zustände. 175 U m einer solchen Entwicklung vorzubeugen, müsse man neue politische Ideen vorantreiben, die der Situation Großbritanniens im zwanzigsten Jahrhundert gerecht wurden. Obwohl er die Einschränkung der individuellen Freiheit unter dem faschistischen Regime Mussolinis ablehnte, betonte Amery die Modernität dieser neuen politischen Bewegung: »[We] should not [...] overlook the underlying importance of [Fascism's] intellectual and moral challenge to the whole of nineteenth-century political thought or disdain 172 173 174 173

Vgl. Ashridge Journal 9 (1932), S. 21. Vgl. Ashridge Journal 15 (1933), S. 8 und 10. Vgl. Amery, L., The Forward View, London 1935, S. 442 f.. »It is towards civil war, or something not far off it, that we may well be heading if things are simply to drift along on their present course.« Vgl. Amery, The Forward View, S. 155.

216

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus to consider h o w o u r ancient institutions can gain n e w life and strength from t h e o r ganic c o n c e p t i o n w h i c h will increasingly d o m i n a t e the new era.« 1 7 6

Trotz aller Anregungen, die Amery durch faschistische Ideen erhielt, forderte er für England ein genuin englisches Konzept: »What is needed is not a compromise between out-of-date policies, but a new political creed. [...] It must be historic and organic, based upon our individual history and upon the laws of organic growth, not on the abstract rights of the individual voter or of the omnipotent State. It must be neither Communist or Fascist, Capitalist or Socialist, but essentially English.«177 Zu ganz ähnlichen Schlußfolgerungen kam auch Frank Fox in seinem Buch Parliamentary Government. A Failure? Er votierte ebenfalls für eine Adaption faschistischer Prinzipien, allerdings unter britischen Vorzeichen: »Should we, then, set out to imitate Italy? In principle, yes. In method, not necessarily. All that was suitable [and probably necessary] for a Latin nation might not be suitable [nor necessary] for the British nation. [...] But the Italian regime has succeeded so wonderfully in taking a country from the verge of ruin - a position to which it had been brought by exactly the same political evils as afflict Great Britain today that its line of action must command close and sympathetic consideration.«178 In rechten konservativen Kreisen wurde der italienische Faschismus somit als wertvoller Ideenlieferant für die politische Reform des eigenen Landes angesehen. Bei einer Umsetzung dieser Ideen achtete man jedoch strikt darauf, eine der britischen Situation angemessene Lösung zu finden. Diese Einstellung ist mit eine Erklärung für das nur vorübergehende Interesse an Oswald Mosley. Die BUF war zu eng an ihren italienischen und deutschen Vorbildern orientiert, so daß sie schließlich selbst bei den Diehards als »unenglische« Erscheinung wahrgenommen wurde. Denn bei aller Bewunderung teilten die meisten Diehards die Auffassung, daß eine Beschränkung traditioneller englischer Freiheiten, wie zum Beispiel der Versammlungs- oder Pressefreiheit, kein wünschenswerter Zustand sei.179 Die Unzufriedenheit konservativer Kreise mit der politischen Situation in England stand somit in einem engen Zusammenhang mit dem positiven Eindruck, den einige Tories vom faschistischen Italien und dem »Duce« gewonnen hatten. Neben der English Review bot vor allem die Saturday Review den Bewunderern des italienischen Diktators ein Forum. 180 Die Artikel in der Saturday Review zeichneten sich durch eine weniger intellektuelle, als eher »volkstümliche« Beschäftigung mit Mussolini aus. So wurde er unter anderem als Tierund Vogelfreund gepriesen.181 In der Saturday Review finden sich auch diverse l7h

Vgl. Amery, The Forward View, S. 137. Vgl. Amery, The Forward View, S. 155 f.. 17a Yg] p O X i p^ Parliamentary Government. A Failure?, London 1930, S. 149 f.. 179 Vgl. zum Beispiel Fox, Parliamentarv Government. A Failure?, S. 25. 180 Die Besitzerin dieser Zeitschrift war die exzentrische Lady Houston, die sogar ihren Hund nach dem verehrten italienischen Diktator »Benito« genannt hatte. Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 25. 181 »[He] sets an example of kindness to animals and birds«. Vgl. Saturday Review, 10. Februar 1934, S. 146 ff.. " 177

II. Die Conservative Party

217

Hinweise darauf, daß man im europäischen Faschismus und Nationalsozialismus vor allem die Mittel sah, den gefürchteten Sozialismus und Kommunismus einzudämmen. 182 Hitler und Mussolini wurden folglich als Beschützer der westlichen Welt vor dem Bolschewismus dargestellt. 183 Vor allem anderen stießen die ökonomischen Neuerungen des italienischen Faschismus auf Interesse in England. Leopold Amery setzte sich intensiv mit den ökonomischen Konzepten des italienischen korporativen Staates auseinander und zeigte sich von der Neuorganisation der ökonomischen Verhältnisse in Italien positiv beeindruckt. In seinem Buch The Forward View, erschienen 1935, schrieb er: »The Fascist movement was, first and foremost, a reassertion of Italian patriotism, a justification of the men who had fought and bled for Italy. It was in the next place a determination to suppress social and industrial anarchy, not from the point of view of one class or another, but in the national interest.«184 Amery äußerte sich bewundernd über den organischen und einheitlichen Staat in Italien, in dem Klasseninteressen zugunsten der Gesamtheit aufgehoben seien: »The conception of the korporative« or >functional< basis of representation is by far the most practical and fruitful contribution which Mussolini has made to progress in the art of government.« 185 In der Entwicklung des korporativen Staates lag für Amery das Hauptverdienst Mussolinis, ein Konzept, das er für England gerne übernehmen wollte. Aufbauend auf seiner Analyse des italienischen Systems entwickelte er ein korporatives Modell auch für Großbritanniens Wirtschaft, wobei er eine stärkere Kontrolle der wirtschaftlichen Entwicklung durch staatliche Institutionen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte: »Our task is to convince our workers that it is not the capitalist Organisation of industry, as such, that is at fault, but the absence of national direction and control; that it is not capitalism but laisser-faire that is the enemy.«186 Als nationale Kontrollinstanz der wirtschaftlichen Entwicklung wollte Amery eine dritte Kammer im englischen Parlament, »a Chamber or House of Industry« etablieren, die aus Wirtschaftsexperten und Vertretern der einzelnen Interessengruppen bestehen sollte. 187 Amerys Überlegungen unterschieden sich von den Ideen anderer Gruppierungen, wie zum Beispiel der Next Five Years' Group um Harold Macmillan, dahingehend, daß sie einem autoritären Regierungsmodell nicht gänzlich ablehnend gegenüberstanden. »Zwischen den Zeilen« lassen sich bei Amery durch182

In einer Biographie über Lady Houston heißt es, sie bewundere Mussolini vor allem »because he had dosed the Italian Socialists and Communists with castor-oil. In one of her letters to the Duce, she invited him to come over herc and treat the English Reds and Pinks in the same fashion.« Vgl. Wentworth, J., Lady Houston, DBE. The Woman who Won the War, London 1958, S. 21. 183 »History will record that nothing but this movement would have saved Germany from Bolshevism.« Vgl. Tennant, E. W. D., »Flerr Hitler and his Policy«. In: Saturday Review, März 1933, S. 362. 184 Vgl. Amery, The Forward View, S. 133. 183 Vgl. Amerv, The Forward View, S. 450. ] h * Vgl. Amerv, The Forward View, S. 404. 187 Vgl. Amerv, The Forward View, S. 412, 451 ff..

218

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus

aus autoritäre A n k l ä n g e finden, die in ihrer Radikalität j e d o c h bei w e i t e m nicht an die Ü b e r z e u g u n g e n Mosleys heranreichten. A m e r y bezeichnete das Parteiensystem als ineffektiv u n d bewertete individuelle Rechte o d e r F o r d e r u n g e n als unwesentlich im Vergleich z u m G e s a m t w o h l des Staates. Er befürwortete eine »[...] national policy [to] get away from the disintegrating influence of party politics and restore a national System of government based on a national outlook [...] whose inspiration must be sufficient not only to carry into power those who most directly advocate it, but also to secure the conformity, however reluctant, of those who oppose it.«188 A m e r y w a r einer der wenigen Konservativen, der seine Vorstellungen einer korporativen Wirtschaftsstruktur eng am italienischen Vorbild orientierte. Bei aller H o c h a c h t u n g für die Leistungen des » C o r p o r a t e State« in anderen L ä n d e r n wir d in den meisten Urteilen eine tiefsitzende Skepsis gegenüber einer Einführung des Systems im eigenen L a n d offenbar. In einem Artikel im Ashridge Journal formulierte H u g h Sellon diese Zweifel an der E i g n u n g des italienischen Modells für die englische Gesellschaft. Er äußerte den Vorbehalt, daß bei einer Ü b e r t r a g u n g traditionelle englische G r u n d werte verloren gehen k ö n n t e n , u n d betonte, daß jedes Land seine ihm angemessene Regierungsform u n d politische M e t h o d e entwickeln müsse. F ü r G r o ß b r i tannien sei dies traditionell das System der parlamentarischen Demokratie: »There are warnings that should, I think, be given to those who are so füll of admiration for the Italian Corporate State that they believe that it could, in its present form, be transplanted into other countries. [...] The fate of the British parliamentary system in Italy should warn those who would transplant Italian Fascism into England. Institutions must be native to the soil of a country and to the temper of its inhabitants.« 189 D e r H a u p t g r u n d für die A b l e h n u n g des faschistischen Modells für England lag in der Gefahr eines möglichen Verlustes individueller Freiheitsrechte. Dieser englische Individualismus w u r d e häufig angeführt, w e n n es d a r u m ging, A r g u mente für die U n a n g e m e s s e n h e i t des Faschismus in E n g l a n d zu nennen. A u c h in Sellons Artikel, der stellenweise zu d u r c h a u s positiven Urteilen über die Leistungen Mussolinis in Italien k a m , findet sich diese A n m e r k u n g : »There is a weakness latent in Fascist Italy just as there is in Nazi Germany, and that is the danger of what has been called »Statolatry« - the glorification of the regimented State, to the virtual suppression of all individuals and all sectional interests.«190 In den M o n a t e n O k t o b e r u n d N o v e m b e r 1933 kulminierte die anti-demokratische S t i m m u n g auf der politischen Rechten. Die Ereignisse dieses Herbstes verdeutlichen gleichzeitig exemplarisch die U n a t t r a k t i v i t ä t einer faschistischen D i k t a t u r für diese Kreise. Im September 1933 ü b e r n a h m Francis Yeats-Brown, d e r v o r h e r bereits häufig in der English Review publiziert hatte u n d bis 1931 188 189 190

Vgl. Amery, The Forward View, S. 155 ff.. Vgl. Ashridge Journal, September 1933, S. 19. Ebenda.

II. Die Conservative Party

219

stellvertretender Herausgeber des Spectator gewesen war, den Posten als Herausgeber der konservativen Zeitschrift Everyman. Zur selben Zeit versuchte eine Gruppe auf der äußersten Rechten der Conservative Party unter der Führung von Lord Lloyd, gegen Baldwin und MacDonald zu intrigieren und das National Government zu stürzen. Dieses Ansinnen wurde von der English Review nachhaltig unterstützt. Nach zeitgenössischen Aussagen befürworteten im Herbst 1933 circa 50 bis 60 konservative Abgeordnete die Absetzung Baldwins. 191 Die anti-demokratische und die anti-Baldwinsche Bewegung schlössen sich zusammen, eine Union, die in der Tätigkeit von Yeats-Brown als Herausgeber einer konservativen Parteizeitschrift ihr Symbol fand. Yeats-Brown machte aus seiner vollen Zustimmung zu autoritären Methoden und dem italienischen Modell des korporativen Staates keinen Hehl und nutzte Everyman, um seine Ideen nun auch in einem weiteren Leserkreis innerhalb der Conservative Party zu verbreiten. Im November 1933 war in der Zeitschrift zu lesen: »The hope of order in Europe depends on the abolition of democracy and the establishment of Corporate States.«192 Yeats-Brown wollte den italienischen Faschismus zwar nicht in Reinform übernehmen, doch war er von der Notwendigkeit einer vorübergehenden Diktatur überzeugt: »Italian Fascism would not work in England but we must be governed by a small group of men, or one man with dictatorial powers, for a period of years. [...] Our parliamentary System is out of date.« 193 In Everyman wurde die Einführung eines korporativen Systems und die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie gefordert. Der Herausgeber war sich allerdings der Vorbehalte gegenüber »fascist ideas« bei vielen Konservativen bewußt. Er legte deshalb großen Wert darauf, das Konzept des rechten Flügels als eine eigenständige und unabhängige politische Entwicklung darzustellen und distanzierte sich bewußt von den englischen Faschisten: »Fascism is a foreign culture. We do not wear black shirts, nor are we in any way associated with Sir Oswald Mosley beyond sharing some of his ideas.«194 Die Anhänger einer radikalen Reform des englischen politischen Systems bis hin zur Diktatur hatten ihr Grundproblem, jene Fremdheit faschistischer Ideen, erkannt und bemühten sich folglich darum, einen englischen Eindruck bei den Konservativen zu erwecken. Es war diese Erkenntnis, die auch Yeats-Brown auf dem englischen Charakter seines korporativen Konzeptes bestehen ließ und die demonstrative Distanz zu Oswald Mosley und der BUF bewirkte. N u r auf diese Weise konnte man einen größeren Kreis an Zustimmung für die Kritik an der bestehenden Regierungsform erreichen. 195 Die Versuche, konservative Kreise von der Notwendigkeit eines korporativen Wirtschaftssystems nach italienischem Vorbild sowie einer vorübergehenden 191 192 193 194 195

Vgl. Cowling, M., The Impact of Hitler, Cambridge 1975, S. 117 und 455. Vgl. Everyman, 10. November 1933. Vgl. Everyman, 29. September 1933. Vgl. Everyman, 6. Oktober 1933. »This must have been in order to attract the average Englishman, and indeed the average Tory MP, to reforming parliamentary administration«. Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 45.

220

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf d e n F a s c h i s m u s

diktatorischen Regierung zu überzeugen, schlugen jedoch fehl. Sobald man in der Conservative Party erkannt hatte, daß in Everyman die offizielle konservative Parteipolitik herausgefordert wurde, entließ man Yeats-Brown aus seinem Amt. In seiner letzten Ausgabe von Everyman merkte er an, in der Partei hieße es, »I went a little too far«.196 Auch der Versuch der English Review im November 1933 zusammen mit Lord Lloyd einen Stimmungsumschwung in der Conservative Party gegen Baldwin herbeizuführen, scheiterte. Obwohl man es geschafft hatte, bei einem abendlichen Dinner 350 mit dem National Government unzufriedene Tories zu versammeln, konnte man sie nicht von der Dringlichkeit einer Adaption autoritärer Prinzipien in England überzeugen. Die gemeinsame Ablehnung Baldwins führte nicht zu einer ähnlich geschlossenen Haltung in der Frage einer Veränderung des politischen Systems. 197 Viele der Anwesenden waren Abgeordnete der Conservative Party, die sich zwar für einen Führungswechsel, nicht jedoch für die Abschaffung der Grundlage ihrer politischen Existenz, des Parlamentarismus, aussprachen. Bei aller Kritik an den bestehenden politischen und ökonomischen Verhältnissen dachten selbst die tendenziell mit Mosley sympathisierenden Tories niemals daran, mit der parlamentarischen Tradition ihres Landes grundsätzlich zu brechen. 198 Wie auch die Reaktion auf die ökonomischen Konzepte insbesondere des italienischen Faschismus gezeigt hat, schreckte man auf dem rechten Flügel der Conservative Party vor der Einschränkung der Freiheit des Individuums in einem autoritären Regime zurück. Bei aller Zustimmung betonte man stets, daß eine solche Beschneidung der individuellen Bürgerrechte nicht im Einklang mit der politischen Tradition Großbritanniens stehe und deshalb keine englische Lösung darstelle. Diese Prägung durch einen parlamentarischen Grundkonsens, der das Festhalten an als englisch bezeichneten Grundrechten, wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit beinhaltete, läßt sich auf dem rechten politischen Spektrum ebenso ausmachen wie auf dem linken Flügel der Labour Party. Selbst die Personen innerhalb der demokratischen Parteien, die dem englischen Kommunismus und Faschismus nicht gänzlich ablehnend gegenüberstanden, waren niemals gewillt, das parlamentarische System abzuschaffen. In diesem Zusammenhang ist jedoch bedeutsam, den Begriff des Parlamentarismus zu verwenden und nicht ausdrücklich von Demokratie zu sprechen. Aus den Reihen der Conservative Party wurde heftige Kritik an der Ausweitung des Wahlrechts 1918 geäußert. Auch die sich 1928 anschließende Gewährung des Stimmrechtes für unverheiratete Frauen unter dreißig Jahren, von seinen Gegnern als »flapper vote« bezeichnet, wurde von vielen Konservativen als gefährliche Entwicklung eingeschätzt. 199 Trotz einer Grundüberzeugung, daß das parlamentarische System einer Diktatur letztlich vorzuziehen sei, bedeutete dies somit nicht, daß alle Tories ein gleiches und uneingeschränktes Wahlrecht befürworteten. 196 1,7 198 199

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Everyman, 10. November 1933. Süsser, Fascist and Anti-Fascist Attitudes in Britain between the Wars, S. 46. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 48. zu diesem Aspekt Close, The Collapse of Resistance to Democracy.

II. Die Conservative Party

221

Dennoch, und dies ist entscheidend, wollte man selbst auf dem rechten Flügel der Conservative Party zu keinem Zeitpunkt zu einer autoritären Staatsform nach faschistischer Manier überwechseln. Konzepte dieser Art hatten in den Reihen der Konservativen keine Chance, eine Mehrheit zu gewinnen. Neben der Grundüberzeugung, daß der Parlamentarismus der traditionelle politische Weg Großbritanniens sei, spielte sicherlich auch die Wahrung der eigenen Interessen eine Rolle für die Ablehnung der Diktatur. Schließlich zog man politische Privilegien und gesellschaftliches Ansehen zu einem großen Teil aus Positionen als Abgeordneter oder als Lord in einer der beiden Kammern des englischen Parlaments. Hätte man dieses über Jahrhunderte hinweg aufgebaute System zugunsten eines autoritären Regimes abgeschafft, wäre nicht gewährleistet gewesen, daß die einmal gewonnene gesellschaftliche Position erhalten bliebe. Der Nationalsozialismus war von relativ geringer Bedeutung für die Attraktivität korporativer Ideen und autoritärer Staatsmodelle unter englischen Konservativen. 200 Er wurde lediglich als ein Beispiel des neuen »Trends« zur Diktatur angesehen, weshalb man sich vorrangig mit dem italienischen Faschismus als Urheber der neuen politischen Bewegung beschäftigte. Auch eine zeitliche Komponente spielt hier eine Rolle, da die meisten konservativen Bewunderer des Faschismus bereits Mitte des Jahres 1934 von ihren Sympathiebekundungen Abstand genommen hatten. Die Nationalsozialisten waren hingegen zu diesem Zeitpunkt erst ein Jahr an der Macht, so daß die Beschäftigung mit dieser neuen Diktatur in konservativen Kreisen wesentlich oberflächlicher als die Auseinandersetzung mit Mussolinis Italien verlief. Insbesondere die Gruppe um die English Review lehnte den Nationalsozialismus strikt ab. Hauptgrund dieser Ablehnung war vor allem der als »barbaric« bezeichnete Antisemitismus der Hitler-Bewegung. Douglas Jerrold schrieb in einem seiner »Current Comments« über Deutschland: »I am appalled by the revival of the persecution of the Jews. [...] The German anti-Jewish campaign [...] has perhaps irreparably damaged the prestige of the new regime in this country.« 201 Auch Charles Petrie widersprach der Vergleichbarkeit des italienischen Faschismus mit dem deutschen Nationalsozialismus entschieden. Außer der Tatsache, daß beide Bewegungen eine Reaktion auf die verkrustete und modernisierungsbedürftige demokratische Ordnung darstellten, ließen sich seiner Ansicht nach keine Vergleiche ziehen. Vor allem die Gleichsetzung von Mussolini und Hitler lehnte er als »an impertinence« ab. Petrie schrieb im Mai 1933 in einem Artikel in der Saturday Review. »Fascism Stands for the legacy of Roman civilisation, for the family, for religion, and for discipline. None of this has any appeal for the Nazis who would apply eugenic 200

201

»It is fascinating to note how little those who, in 1933-34, reacted against the shortcomings of democracy and turned to dreams of Corporatism, Fascism or dictatorship, concerned themselves with Germany. The Nazis were at best one of many Fascist regimes, and at worst an embarrassment.« Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 58. Vgl. English Review, Juli 1933.

222

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus tests t o the relations of the sexes, w h o wish religion t o be a d e p a r t m e n t of State, and w h o appear to prefer e m o t i o n a l i s m t o the practice of self-control.« 2 0 2

Im Kreis der »Italophilen«, in dem man sich so aufgeschlossen gegenüber den Ideen des italienischen Faschismus zeigte, war die Ablehnung des Nationalsozialismus ein verbreitetes Phänomen. Das Vorgehen Hitlers gegen die eigenen Gefolgsleute während des »Röhm-Putsches« 1934 und die sich mehrenden Informationen über die Verfolgung der Juden in Deutschland verstärkten diese Ablehnung zusätzlich. Entscheidend für die zustimmenden Reaktionen einiger Teile der Conservative Party zu den Ideen der BUF war das italienische Modell. Dennoch finden sich auch positive Kommentare über den Nationalsozialismus in England. 203 Vor allem die vermeintliche Verbesserung der sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland rief zustimmende Reaktionen hervor. 204 Lord Rothermere schrieb noch 1939, zu einem Zeitpunkt, als Hitlers Regime in England aufgrund seines aggressiven außenpolitischen Auftretens bei den meisten ehemaligen Sympathisanten bereits jeglichen Kredit verspielt hatte, in seiner Essaysammlung Warnings and Predictions über die Leistungen des Nationalsozialismus: »It is not uncommon to find in the Left-wing Press references to Herr Hitler's >lunacy« and his >illusions of grandeur«. In what does this fancied lunacy and illusion of grandcur consist? In the fact that Herr Hitler and his immediate colleagues have raised Germany from the poverty, ignominy and disruption in which they found her in 1933 to a position of European dominance? In the fact that instead of some 67,000,000 impoverished Germans occupying 183,381 Square miles they are now 79,000,000 Germans occupying without unemployment 227,750 Square miles. In the fact that Germany from the disgrace of defeat in 1918 had risen to a commanding position in the Councils of the world in 1938, with the Treaty that bound her to degradation torn up forever. [...] It is no illusion of grandeur. It is grandeur.«205 Rothermeres Bewunderung dieser »grandeur« hatte unter anderem dazu geführt, daß er mit George Ward Price einen begeisterten Anhänger des Nationalsozialismus zum Auslandskorrespondenten der Daily Mail in Berlin gemacht hatte und die Zeitung insgesamt als Sprachrohr deutschfreundlicher Kreise in den dreißiger Jahren etablierte. Doch selbst Rothermere unterschied zwischen den Vgl. Petrie, C , »Fascism and the Nazis«. In: Saturday Review, 20. Mai 1933. Aufgrund der untergeordneten Rolle, die der Nationalsozialismus für die positiven konservativen Reaktionen auf die BUF spielte, soll an dieser Stelle nur kurz auf die Perzeption des HitlerRegimes in England eingegangen werden. In der Forschung liegen mittlerweile mehrere umfassende Studien zur Beurteilung des Nationalsozialismus in England vor, auf die für eine ausführlichere Darstellung verwiesen sei. Vgl. neben Griffiths, Fellow Travellers of the Right auch Schwarz, A., Die Reise ins Dritte Reich. Britische Augenzeugen im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1939, Göttingen 1993; Weale, A., Renegades. Hitler's Englishmen, London 1994 und Granzow, B., A Mirror of Nazism. British Opinion and the Emergence of Hitler, London 1964. »Der soziale Bereich des NS-Regimes fand wie kein anderer Aspekt des Dritten Reiches das Wohlwollen und die Anerkennung sowohl von Sympathisanten des Nationalsozialismus, Fürsprechern Deutschlands, anfangs >neutralen< Beobachtern und sogar Kritikern Hitlers.« Vgl. Schwarz, Die Reise ins Dritte Reich, S. 383. Vgl. Harmsworth, H. S., Vt. Rothermcrc, Warnings and Predictions, London 1939, S. 88.

II. Die Conservative Party

223

inneren Angelegenheiten Deutschlands und der außenpolitischen Gefahr, die für England vom Hitler-Regime ausging. Er befand sich in der ambivalenten Situation, einerseits die Innenpolitik Hitlers positiv zu würdigen, andererseits aber einer der erklärten Befürworter einer Aufrüstung der englischen Luftwaffe angesichts der drohenden außenpolitischen Gefahr durch Deutschland zu sein. Von den deutschfreundlichen Organisationen der dreißiger Jahre konnte vor allem die Anglo-German Fellowship ein breites Spektrum der englischen Gesellschaft ansprechen, so auch mehrere Mitglieder der Conservative Party. Vorsitzender der Anglo-German Fellowship war das Oberhausmitglied Lord Mount Temple, der von 1924 bis 1929 als Wilfried Ashley Transportminister im Kabinett Baldwins gewesen war. Weitere Beteiligte waren die konservativen Abgeordneten Lt.-Col. Sir Thomas Moore, Lt.-Col. Sir Assheton Pownall, sowie Lord Londonderry, Sir Alfred Knox und eine Anzahl von Bankiers und Vertretern der Londoner City. Die Organisation war weniger an der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts in England interessiert, auch wenn dies von deutscher Seite natürlich intendiert war, sondern verstand sich eher als eine Gesellschaft zur Völkerverständigung und zur Wahrung der guten Wirtschaftskontakte mit Deutschland. In ihrem ersten Jahresbericht betonte die Anglo-German Fellowship: »The Anglo-German Fellowship is non-political, and membership does not necessarily imply approval of National Socialism, but the Fellowhip does ask of its members co-operation in the work of establishing these contacts and removing causes of misunderstanding.«206 In der Zeitschrift der Vereinigung, der Anglo-German Review, warb Lord Mount Temple 1936 um Verständnis für den Nationalsozialismus, was jedoch die Adaption nationalsozialistischer Ideen für England nicht einschloß: »The Fellowship bases its attitude on the sound doctrine that the political institutions of a country are the expression of the character of its people conditioned by the circumstances of geography and history peculiar to it. If these institutions are different from our own, it does not necessarily follow that they are bad for the country concerned.«207 Auch in diesem Aufruf wird erkennbar, daß den meisten Engländern die Nachahmung ausländischer Bewegungen als unpassend für ihr eigenes Land erschien. Deshalb betonte Mount Temple, daß sich der Nationalsozialismus gänzlich vom englischen System unterscheide, Deutschland jedoch auch in einer ganz anderen historischen Tradition stehe als England. Hinweise für die Propagierung des Nationalsozialismus als Modell auch für England finden sich in den Veröffentlichungen der Anglo-German Fellowship nicht. Mount Temple war lediglich an der Freundschaft mit einem Volk gelegen, bei dem er viele Gemeinsamkeiten mit seinem eigenen aufzeigte: »And there is much in common between the two peoples, quite apart from blood kinship, the common love of sport, of bodily prowess, or fresh air, the possession 206 207

Vgl. Anglo-German Fellowship, Annual Report 1935-1936. Vgl. Anglo-German Review, 1 (1936), S. 19.

224

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus of technical skills, of high courage and a d v e n t u r e . [...] T h e same value is placed o n Service t o t h e Community, o n personality, o n individual achievement, o n national traditions and leadership.« 2 0 8

Als die antisemitischen Exzesse in Deutschland jedoch immer stärker in den Vordergrund der Innenpolitik rückten, kündigte Lord Mount Temple seinen Rücktritt vom Vorsitz der Organisation an. Bereits im Vorfeld hatte das Fellowship-Mitglied E. W D. Tennant in einem Brief an Joachim von Ribbentrop Julius Streicher und seine antisemitische Hetze als das größte Hindernis einer deutsch-englischen Freundschaft bezeichnet: »I have told you on many occasions I consider that Herr Streicher is the world's public enemy N o . 1 and far and away the main obstacle to better Anglo-German relations.« 209 In seinem offiziellen Rücktrittschreiben nannte auch Mount Temple den Antisemitismus sowie die Verfolgung der Kirchen als Hauptgründe für seine Niederlegung des Vorsitzes der Anglo-German Fellowship. 210 Selbst unter germanophilen Konservativen setzte sich im Verlauf der dreißiger Jahre eine zunehmende Entfremdung von Hitler-Deutschland durch. 2.2 »Hurrah for the Blackshirts«. Die Unterstützung

der BUF

Nachdem die BUF ihre Kundgebungen, die anfänglich nur in London stattfanden, auf das gesamte Land ausgedehnt hatte und sich ein Anstieg ihrer Mitgliedszahl abzuzeichnen begann, wurde sie zunehmend auch von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. 211 Am 22. April 1934 sprach Mosley anderthalb Stunden ohne Unterbrechung in der Royal Albert Hall in London. Im Mittelpunkt seiner Rede stand die Versicherung, daß die BUF mit friedlichen Mitteln in England an die Macht kommen und diese nach parlamentarischen Prinzipien innerhalb eines korporativen Staates ausüben wolle. 212 Dieses Festhalten am englischen Parlamentarismus ist charakteristisch für die frühe Propaganda der BUF, da Mosley zu diesem Zeitpunkt bewußt den rechten Flügel der Conservative Party umwarb. Der ausführliche Bericht über Mosleys Rede in der Daily Mail des nächsten Tages füllte eine ganze Seite. Der Auftritt des Faschistenführer wurde als ein überwältigender Erfolg dargestellt: »Mosley proved himself last night the paramount political personality in Britain. At his great meeting in the Albert Hall the Blackshirt movement was caught up on such a wave of deepseated emotion as must sweep it on to victory. [...] If he can win so completely the support of such an audience as faced him last night, he can win the country.«213

208 209 2,0

211 2,2 213

Vgl. Anglo-German Review, 1 (1936), S. 20. Vgl. Tennant an Ribbentrop, 7. September 1935. Ashley Papers. Vgl. Stellungnahme Mount Templcs zu seinem Rücktritt, abgedruckt in The Times, 19. November 1938. Vgl. Benewick, The Fascist Movement in Britain, S. 98. Vgl. Cross, The Fascists in Britain, S. 99. Vgl. Daily Mail, 24. April 1934.

II. Die Conservative Party

225

Am nächsten Tag, in der Daily Mail vom 25. April 1934, schrieb der bereits als Mitglied der Anglo-German Fellowship erwähnte konservative Abgeordnete für Ayr, Colonel Thomas Moore, über die BUF: »Surely there cannot be any fundamental difference of outlook between the Blackshirts and their parents, the Conservatives. The BUF is largely derived from the Conservative party. [...] Our instincts are the same: loyalty to the throne and love of the country. The Blackshirts have what the Conservatives need.«214 Mosleys Konzept, sein Programm als eine Spielart des englischen Konservatismus darzustellen, war also aufgegangen. Die BUF bemühte sich nun, das positive Echo auszunutzen, um möglichst viele einflußreiche und angesehene Konservative auf ihre Seite zu ziehen. Ein Versuch, der BUF ein »seriöses Image« und somit eine gewisse Attraktivität auch für einflußreiche konservative Kreise zu verschaffen, war die Gründung des January Club. Robert Forgan, Mosleys Stellvertreter und, wie der Parteiführer, ehemaliger Abgeordneter der Labour Party gründete den Club im Dezember 1933. Als Forum für Intellektuelle sollte er die Möglichkeit bieten, »moderne Methoden der Staatsführung zu diskutieren.« 215 Der Klub existierte ungefähr zwei Jahre. Auf monatlich stattfindenden Dinnerparties hielten Mosley, Forgan oder ein nicht der BUF angehörender Redner Vorträge, an die sich jeweils eine Diskussion anschloß. Aus der Zielsetzung des January Club wird ersichtlich, daß die BUF nach Möglichkeit versuchte, den Eindruck eines politisch neutralen Diskussionsforums zu erwecken, um nicht von vornherein im konservativen Lager als faschistische und deshalb »unenglische« Einrichtung wahrgenommen zu werden. So sollten die Aufgaben des Klubs darin bestehen: »1) To bring men together who are interested in modern methods of government. 2) To provide a platform for leaders of fascist and corporate State thought. The club however, will not formulate any policy of its own. 3) To enable those who are propagating fascism to hear the views of those who, while sympathising with and students of twentieth-century political thought, are not themselves fascists.«216 Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft wurde also nicht eine überzeugt faschistische Einstellung, sondern lediglich Interesse an den Ideen des Faschismus genannt. Der Klub erhielt deshalb auch den unverfänglichen Namen January Club nach dem Monat des ersten Treffens im Januar 1934. Sowohl der Vorsitzende als auch der erste Sekretär, Sir John C. Squire und Captain H. W Luttman-Johnson, gehörten nicht der BUF an. Seine Mitglieder rekrutierte der January Club aus sehr vielfältigen Quellen. Unter anderem stieß der January Club auf das Interesse der Gefolgschaft der English Review wie Squire, Petrie und Yeats-Brown, die ihre Bewunderung des italienischen Faschismus in der Einrichtung vertraten. Auch Mitglieder der 214 213

2,6

Vgl. Daily Mail, 25. April 1934. Im Originaltext lautete die Zielsetzung »to inquire upon modern methods of government«. Vgl Cross, The Fascists in Britain, S. 100. Vgl. Statuten des January Club. Zitiert nach Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 51.

226

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus

Conservative Party nahmen an den Sitzungen des Klubs teil. So sprach Lord Lloyd auf einem Treffen im Mai 1934, allerdings unter der Bedingung, daß seine Rede nicht publik gemacht wurde. Andere Konservative, die zu diesem Zirkel gehörten, waren Lord Erskine 217 , Lord William Scott 218 und Lord Midleton 219 , der seine Londoner Wohnung für die Treffen des January Club zur Verfügung stellte. Auf dem Höhepunkt seiner Aktivitäten konnte der January Club nahezu 200 mehr oder weniger einflußreiche Persönlichkeiten des britischen Establishment zu seinen Mitgliedern zählen. 220 Robert Forgans Strategie, dem January Club einen neutralen Anstrich zu geben und eine engere Verbindung mit der BUF nach Möglichkeit zu vermeiden, konnte somit, zumindest zeitweise, einen gewissen Erfolg verbuchen. In der Rückschau erklärte der Klubvorsitzende John Squire die Motivation, dem January Club beizutreten, folgendermaßen: »The members, who belonged to all political parties, were for the most part in sympathy with the fascist movement. They believed that the existing democratic System of government in Britain must be changed, and although the change was unlikely to come about suddenly, as it had in Italy or Germany, they regarded it as inevitable.«221 Bereits im Vorfeld der offiziellen Gründung des January Club hatte Forgan mehrere Abendgesellschaften dieser Art veranstaltet, bei denen unter anderem auch der Schriftsteller Cecil Roberts anwesend war. Er skizzierte rückblickend, aus welchen Kreisen sich die Teilnehmer dieser Veranstaltungen rekrutierten: »I found myself in a mixed Company, very few of whom I knew, but there were some well-known persons, among them the poct-critic J. C. Squire. [...] Others were political candidates, barristers, business directors. They were mostly in their middle forties, united by one thing, their present discontent.«222 Als Hauptmotiv für das Interesse am Faschismus wird auch hier die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Regierung deutlich. Dieses allgemeine Interesse jedoch gleichzusetzen mit einer vorbehaltlosen Unterstützung der BUF wäre auch für die Mitglieder des January Club falsch. Roberts berichtet weiter über eine militante Rede des Sekretärs der BUF auf einer Veranstaltung, die bei ihm eine so ablehnende Reaktion hervorrief, daß er frühzeitig den Raum verließ und sich nun über die Unmöglichkeit eines Eintrittes in die BUF sicher war: 217 218 219 220

221

222

Konservativer Abgeordneter für Weston-super-Marc Konservativer Abgeordneter für Roxburgh und Sclkirk ab 1935. Kriegsminister von 1900 bis 1903, Minister für indische Angelegenheiten von 1903 bis 1905. »Wing-Commander Sir Louis Greig, who was a regulär attender, was a Gentleman Usher in Ordinary to the King, Lord Metcalfe was dose friend of the Prince of Wales. Lord Iddesleigh, Lord Francis Hill, Lord and Lady Russell of Liverpool, Sir Philipp Magnus, Sir Thomas Roberts, the Hon. Charles G. Bruce [the hero of Everest], Colonel Ivan Guthrie of Guthrie, and many others show, how widc the interest in fascism spread.« Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 52. Squire war in den zwanziger Jahren Herausgeber des London Mercury, einer Zeitschrift, die bekannt war für ihre Begeisterung für Mussolini. Weiterhin betätigte er sich als Publizist und Literaturkritiker. Vgl. Howarth, P, Squire, >most generous of men«, London 1963, S. 247. Vgl. Roberts, C , Sunshine and Shadow 1930-1946, London 1972, S. 111.

II. Die Conservative Party

227

»The effect of this tirade was to kill any thought of belonging to a party that harboured such a man. [...] Going down into Piccadily I was accosted by Squire. [...] I asked him what he thought of the meeting. >I'd sooner take rat poison than join with a fellow like that. [...] Who the hell is the reptile anyhow?««223 Es ist charakteristisch für die Haltung konservativer Kreise, daß man dem Faschismus generell zwar durchaus positive Seiten abgewinnen konnte, diese Zustimmung aber nicht zwingend auch eine aktive Unterstützung der BUF einschloß. Die englischen Faschisten spürten diese ambivalente bis ablehnende Haltung seitens des konservativen Establishment gegenüber ihrer Organisation und reagierten darauf mit kritischen Anmerkungen. So wurde beispielsweise Cecil Roberts aus den Reihen der BUF vorgeworfen, er »flirte« lediglich mit dem Faschismus, anstatt sich wirklich zu ihm zu bekennen. 224 In der geschichtswissenschaftlichen Forschung über die BUF wird der January Club in erster Linie als eine Unterorganisation der BUF bezeichnet, die es sich zum Ziel gesetzt habe, »das Establishment politisch zu unterwandern« 225 oder »sich im Establishment bekannt zu machen«. 226 Sollte der January Club tatsächlich eine Unterorganisation der BUF gewesen sein, so ist recht wahrscheinlich, daß sich nicht alle Mitglieder dieser Tatsache auch bewußt gewesen sind. 227 Robert Forgan kann durchaus in der Lage gewesen sein, den Klub zu »kontrollieren«, wie er es ausdrückte 228 , war jedoch nur einer von mehreren Hauptverantwortlichen. Die anderen, Squire, Yeats-Brown und Luttman-Johnson, gehörten nicht der BUF an. Der January Club konnte nicht dazu beitragen, nennenswerte Teile der Conservative Party zum Faschismus zu bekehren. Diesen Eindruck gewann auch der MI5, der sich insbesondere an der Attraktivität des January Club für die Streitkräfte und den rechten Flügel der Conservative Party interessiert zeigte. In beiden Fällen war jedoch der Einfluß der BUF, den Erkenntnissen des MI5 zufolge, minimal. 229 Einen ihrer wichtigsten Sympathisanten gewann die BUF zu Beginn des Jahres 1934, als sich Lord Rothermere öffentlich mit den Faschisten solidarisierte. Rothermere, der dem Diehard-Flügel nahestand, besaß ein rechtsgerichtetes Presseimperium. In seinen Zeitungen 230 , der Daily Mail, The Evening Standard, The Sunday Dispatch und The Sunday Pictorial fand die BUF fortan ein öffent223 224 223 226 227 228 229

230

Vgl. Roberts, C , Sunshine and Shadow 1930-1946, London 1972, S. 111. Vgl. Fascist Week, Mai 1934. Vgl. Cross, The Fascists in Britain, S. 100. Vgl. Skidelsky, Oswald Mosley, S. 322. Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 50. Vgl. Benewick, The Fascist Movement in Britain, S. 94. Vgl. PRO H O 144/20141/300-6 und PRO H O 144/20141/117. Zitiert nach Thurlow, Fascism in Britain, S. 101. Für eine detaillierte Darstellung der Aktivitäten des MI5 vgl. Thurlow, R., State Management of the British Union of Fascists in the 1930s. In: Cronin, M. (Hrsg.), The Failure of British Fascism. The Far Right and the Fight for Political Recognition, London/Basingstoke 1996, S. 29-52. Über die Rolle der Zeitungen Rothermeres in dieser Zeit vgl. auch Curran, J., Smith, A., Wingate, P. (Hrsg.), Impacts and Influences. Essays on Media Power in the Twentieth Century, London 1987. Darin besonders Jeffrey, T , McClelland, K., »A World fit to live in. The Daily Mail and the Middle Classes 1918-1939, S. 27-52.

228

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus

liches Forum. Die Daily Mail unterstützte die BUF vor allem, indem sie über die Treffen der Faschisten ausführlich auf der Titelseite berichtete und die BUF kostenlos für ihre Veranstaltungen werben ließ. Außerdem erschienen regelmäßig Leitartikel und Reportagen über die Mosley-Bewegung und ihre Ziele. Im Evening Standard fand sogar ein Leserwettbewerb zur Frage »Why I like the Blackshirts« statt. Als Preis für die besten 250 Einsendungen gab es Eintrittskarten für das BUF-Treffen im April 1934 in der Royal Albert Hall. Am 15. Januar 1934 erschien in der Daily Mail ein Leitartikel des Herausgebers mit dem Titel »Hurrah for the Blackshirts«, in dem Rothermere seine Haltung gegenüber den Faschisten verdeutlichte. Die Besorgnis über den fortschreitenden Niedergang des Empire und die Ablehnung der Kolonialpolitik Baldwins hatten ihn zu der Überzeugung geführt, das Überleben Großbritanniens als Weltmacht sei abhängig von der Existenz einer gut organisierten »party of the Right with the same directness of purpose and energy of method as Hitler and Mussolini have displayed«. 231 Da es Rothermere selbst mit der United Empire Party nicht gelungen war, die Politik der Konservativen nachhaltig zu beeinflussen, sah er in Mosley und der BUF ein Instrument zur Durchsetzung einer Politik der wirtschaftlichen und politischen Stärkung des Empire. Mosleys ökonomische Konzeption ging ebenfalls von einer Vertiefung der Handelsbeziehungen innerhalb des Empire aus 232 , so daß sich Rothermeres und Mosleys Standpunkte in dieser Hinsicht recht ähnlich waren. Desweiteren einte den Presselord mit der BUF sein überzeugter Anti-Kommunismus und Anti-Sozialismus. Noch 1939 schrieb Rothermere: »The destiny which both Hitler and Signor Mussolini know themselves to be fulfilling is that of defenders of Europe against Communism.« 231 Rothermeres wichtigste ideologische Feinde in England waren Sir Stafford Cripps und die Socialist League, deren Mitglieder er als »predatory Communists« und »revolutionary Socialists« bezeichnete und denen er die alleinige Verantwortung für die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der BUF und ihren politischen Gegnern zuschrieb. 234 Aufgrund des von ihm als schwach eingeschätzten National Government prophezeite er als Resultat der nächsten Wahl eine von Stafford Cripps geführte Regierung. 235 In Mosley sah Rothermere die einzig mögliche Alternative zu einer solchen Konstellation. Bereits zu Beginn der Kooperation zwischen Mosley und Rothermere war jedoch erkennbar, daß sie in anderen Punkten stark divergierten. Rothermere interessierte sich wesentlich mehr für Konservatismus, Anti-Kommunismus und Anti-Sozialismus als für den Faschismus und definierte die Rolle Mosleys und der BUF als die einer erstrebenswerten Alternative zur moderaten Politik Baldwins. Er sah in der BUF eine Art radikalen oder militanten Flügel der Konser231 232 233 234 235

Vgl. Daily Mail, 15. Januar 1934. Vgl. Nugent, The Ideas of the British Union of Fascists, S. 141 ff.. Vgl. Harmsworth, H. S., Vt. Rothermere, Warnings and Predicitions, S. 144 f.. Vgl. Daily Mail, H.Juni 1934. »The idea of an alternative to Sir Stafford Cripps seems to have obsessed Rothermere. His political pereeption was never particularly deep and his articles at the time displayed an almost hysterical fear of Red Revolution.« Vgl. Cross, The Fascists in Britain, S. 96.

II. Die Conservative Party

229

vativen und weniger eine eigenständige faschistische Partei. 236 Die Politik der BUF sei: » [...] the sort of policy that the Conservative party ought to stand for but does not, owing to sentimental and weak-kneed leadership.« 237 Rothermere wollte den Eindruck erwecken, die BUF habe im Grunde nichts mit dem Faschismus gemein, was unter anderem dazu führte, daß in seinen Zeitungen die Mitglieder der BUF nie als »Fascists«, sondern stets als »Blackshirts« bezeichnet wurden. Die Übereinstimmungen zwischen Faschisten und Konservativen standen im Vordergrund der Berichterstattung: »Sir Oswald Mosley at his meetings has only expressed, with one or two exceptions, views that are identical with those of robuster minds in the Conservative party. Like them, he Stands for law, order, free speech and English methods.« 238 Wie auch anderen konservativen Anhängern faschistischer Ideen in England ging es Rothermere letztlich darum, die Conservative Party herauszufordern. Eine umfassende Veränderung des englischen parlamentarischen Systems, die unausweichliche Konsequenz einer BUF-Herrschaft, strebte Rothermere nicht an. Aus diesem Grund wurden die faschistischen und nationalsozialistischen Regierungen Italiens und Deutschlands als erfolgreiche Modelle für ihre Ursprungsländer dargestellt, die Idee des korporativen Staates und eine Diktatur nach italienischem oder deutschem Vorbild als politische oder ökonomische Ordnungsprinzipien für England jedoch abgelehnt. Rothermere favorisierte ein kapitalistisches Wirtschaftssystem und wollte an der englischen Tradition des Parlamentarismus festhalten. 239 Der Presselord unterschied sich in dieser Haltung nicht wesentlich von der Einstellung anderer konservativer Bewunderer des englischen Faschismus. Auch Rothermere wollte die »English liberties«, wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, erhalten und lehnte ihre Einschränkung in faschistischen Ländern strikt ab. Er bezeichnete die Politik der Blackshirts als »sound, commonsense Conservative doctrine« 240 und schien die faschistischen Elemente der BUF-Programmatik schlicht zu ignorieren 241 , was Cross zu der Annahme veranlaßte, daß Rothermere nie auch nur einen Satz in Mosleys The Greater Britain gelesen habe. 242 Die anerkennende Darstellung der BUF in seinen Zeitungen setzte letztlich Rothermeres Widerstand gegen die durch Baldwin geprägte Politik der Konservativen fort, eine Einschätzung, die sogar der Vorsitzenden der BUF teilte. Im Juli 1934 schrieb Mosley in einem offenen Brief an Rothermere: »You are in accord with many aspects of our policy, such as the strong maintenance of the British Empire, notably in India, and the creation of a British Air Force 236 237 238 239

240 241

242

Vgl. Benewick, The Fascist Movement in Britain, S. 99. Vgl. The Sunday Dispatch, 22. April 1934. Vgl. Daily Mail, H.Juni 1934. Vgl. Daily Mail, 19., 26. und 31. Januar 1934, 20. Februar 1934, 2. Mai 1934, 7. Juni 1934, 3. Juli 1934. Vgl. Daily Mail, 2. Mai 1934. »He turned a blind eye to the character of the movement.« Vgl. Addison, P., Patriotism under Pressure. Lord Rothermere and British Foreign Policy. In: Peele, G., Cook, C. (Hrsg.), The Politics of Reappraisal, London/Basingstoke 1977, S. 189-208, S. 197. Vgl. Cross, The Fascists in Britain, S. 96.

230

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus second t o n o n e in the world.[...] You [...] are a C o n s e r v a t i v e and w o u l d like to see a revived C o n s e r v a t i v e party.« 2 4 3

Für den Presselord war die BUF in erster Linie eine Erneuerungsbewegung der Jugend Englands, die sich anschickte, das verkrustete System der »old gangs« zu reformieren, ohne es jedoch gänzlich abschaffen zu wollen. Folglich wurde insbesondere die Jugendlichkeit der Mosley-Bewegung in den Artikeln der Rothermere-Presse immer wieder hervorgehoben. In den jungen Blackshirts sah man die so dringend benötigten Reformer der veralteten Tory Party, wie in dem bereits erwähnten Beitrag von Thomas Moore »The Blackshirts Have what the Conservatives Need« deutlich wird. Nachdem in seinem Artikel von den »Blackshirts, and their parents, the Conservatives« die Rede war und somit die Verwandtschaft beider Parteien etabliert war, beschrieb Moore die Blackshirts auf geradezu hymnische Weise: »What is there that gives apparent dignity and intelligence to its wearer? For certainly some inward feeling, or it may be the outward covering, does give an air of self-respect and assurance to all these young people. The men were a fine example of healthy and intelligent mind in healthy and well-made body; the girls, straight-eyed, vivacious and comely, well matched their male comrades.«244 Rothermeres anfängliche Unterstützung und Begeisterung für die Blackshirts ließ jedoch relativ schnell wieder nach. 245 Bereits im Februar 1934 wurde berichtet, Rothermere habe sein Engagement für Mosley nicht mehr als »Crusade«, sondern lediglich als »incident« bezeichnet. 246 Sein endgültiger Bruch mit der BUF wurde durch die gewalttätigen Ausschreitungen auf dem großen BUFTreffen im Londoner Stadtteil Olympia im Juni 1934 forciert. Rothermere betonte in seiner Antwort auf den offenen Brief Mosleys, daß er gehofft habe, den Führer der BUF als Verbündeten der »Conservative forces« zu gewinnen, um den Sozialismus bei den nächsten Wahlen zu besiegen. Er hege zwar immer noch den Wunsch, dieses Ziel mit Mosley zu erreichen, betonte jedoch, daß die Situation in England in keiner Weise mit derjenigen in Italien und Deutschland zu vergleichen sei.247 Nach den Ereignissen von Olympia war Rothermere zu der Erkenntnis gelangt, daß er, wollte er weiterhin Einfluß innerhalb der Conservative Party ausüben, seine Kampagne für die BUF aufgeben mußte. Die Blackshirts waren nicht länger eine positive Alternative zum »schwachen« Führungsstil Baldwins. Ähnlich wie auch die Mitglieder des January Club wollte Rothermere seine Verbindungen zur Conservative Party nicht aufgeben und zog sich deshalb von Mosley zurück. Die BUF und die Rothermere-Presse blieben auf einer freundschaftlichen Basis. Über die Faschisten wurde noch bis zum Herbst 1935 relativ regelmäßig berichtet. Obwohl die Artikel nicht mehr so eindeutig Mosleys Position unter243 244 243 246 247

Mosley an Rothermere, 12. Juli 1934, abgedruckt in Daily Mail, 19. Juli 1934. Vgl. Daily Mail, 25. April 1934. Vgl. Benewick, The Fascist Movement in Britain, S. 101. Vgl. The Yorkshire Post, 23. Februar 1934, The Times, 24. Februar 1934. Rothermere an Mosley, 12. Juli 1934, abgedruckt in der Daily Mail, 19. Juli 1934.

II. Die Conservative Party

231

stützten, gab Rothermere dem BUF-Anführer nach wie vor Gelegenheit, Artikel in seinen Zeitungen zu veröffentlichen. In der Berichterstattung über die englischen Faschisten wurde nun aber tendenziell der anti-kommunistische Kampf der BUF betont. 248 2.3 Wendepunkt

Olympia

Das Treffen in der Olympia Hall in London am 7. Juni 1934 kann als Wendepunkt in der Geschichte der faschistischen Bewegung in England angesehen werden und stellt das definitive Ende der »seriösen« Anfangsphase der BUF dar.249 Auf dieser großen Kundgebung der BUF, bei der 12.000 Menschen anwesend waren, kam es zu krawallartigen und gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Faschisten und Antifaschisten. Diese Ausbrüche von Gewalt schienen von Mosley, Hauptredner auf der Veranstaltung, geradezu provoziert worden zu sein. Die Taktik des Faschistenführers beruhte darauf, sein Recht auf freie Meinungsäußerung dahingehend einzufordern, daß er seine durch 24 Lautsprecher übertragene Ansprache bereits bei der kleinsten Unterbrechung sofort abbrach. Daraufhin wurde der Urheber der Störung mit dem Saalscheinwerfer ausgemacht und umgehend von faschistischen »Ordnern« aus der Halle geschafft. Diese Prozedur wiederholte sich während des gesamten Abends, so daß die Stimmung immer gespannter wurde und die Methoden des Saalverweises dementsprechend brutaler ausfielen. 250 Viele ehemals von Teilen der faschistischen Ideologie angezogene Konservative wurden nun durch die massive Gewalt, mit der faschistische »Ordner« auf die Störungen durch den politischen Gegner reagierten, abgestoßen. Drei konservative Abgeordnete, W J. Anstruther-Gray, J. Scrymgeour-Wedderburn und T. J. O'Connor, die Zeugen der Kundgebung waren, beschrieben die Ereignisse in Olympia am nächsten Tag in der Times: »Men and women were knocked down and were still assaulted and kicked on the floor. [...] These methods of securing freedom of speech may have been effective, but they are happily unusual in England, and constitute in our opinion a deplorable outrage on public order.«251 Ein weiterer Augenzeuge war Geoffrey Lloyd, Abgeordneter für Ladywood und enger Mitarbeiter Stanley Baldwins. Er gab in seinem Brief an die York:hire Post das Entsetzen vieler Konservativer wider: »I was appalled by the brutal conduct of the fascists [...]. I saw several respectablelooking people, who merely rose in their places and made no struggle, treated with the unmerciful brutality that I have described. [...] It was a deeply shocking scene for an Englishman to see in London.«252 248 249 23: 231 252

Vgl. Daily Mail, 1. November 1934, 19. Dezember 1934, 4. Januar 1935. Vgl. Thurlow, Fascism in Britain, S. 101. Vgl. Cross, The Fascists in Britain, S. 111. Vgl. The Times, 8. Juni 1934. Vgl. Geoffrey Lloyd an die Yorkshire Post. Zitiert nach Cross, The Fascists in Britain, S. 113

232

Teil 3: Die Reaktionen auf den Faschismus

In anderen Zeitungen und in diversen Sondersendungen der BBC wurde ähnlich über die BUF berichtet. 253 Das Olympia-Treffen stand im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Auch in einer Debatte im Unterhaus am 14. Juni 1934 widmete man sich ausführlich den Ausschreitungen auf dem Faschistentreffen. In den Redebeiträgen der Abgeordneten aller Fraktionen wird deutlich, daß die Stimmung nun endgültig gegen die BUF umgeschlagen war. Auffallend ist die immer wieder geäußerte Einschätzung, die Anwendung von Gewalt gegen politisch Andersdenkende sei eine gänzlich »unenglische« Methode. Besonders betont wurde dabei der Umstand, daß sich die faschistischen »Ordner« gleich zu mehreren auf einzelne, wehrlose »Störer« gestürzt hätten, ein Verhalten, das sich unter keinen Umständen mit dem Prinzip des fair play verbinden ließ. Die BUF hatte erheblich gegen den englischen Moralkodex des »gentlemanly behaviour« verstoßen. Viele durch ihre Erziehung im Sinne dieses Kodex in den Public Schools geprägte Tories reagierten auf das Abweichen von festgefügten englischen Grundwerten mit offener Abscheu, wie auch aus den diversen Wortmeldungen während der Unterhausdebatte deutlich wird. Geoffrey Lloyd unterstrich noch einmal sein bereits in der Yorkshire Post geäußertes Entsetzen: »As the meeting went on I saw things which made my blood boil as an Englishman and a Tory. After the meeting I consulted with my friends, and I found that in some cases they had seen worse examples of brutality than I had, and that is why I decided to speak out. I spoke from my heart and I do not regret it.«254 Insbesondere Anstruther-Gray betonte den Verstoß gegen den englischen Kodex des fair play, was bei ihm sogar zu einer innerlichen Solidarisierung mit den von den Faschisten als »Kommunisten« bezeichneten Störern des BUF-Treffens führte: »I have been brought up in my short political life to look upon Communists as an anathema and to regard it as criminal to break up political meetings. Frankly, if anybody had told me an hour before the meeting at Olympia that I should find myself on the side of the Communist interrupter, I would have called that man a liar. Yet after I had been watching for 20 minutes the methods of the Fascist Stewards I found myself involuntarily on the side of the interrupter almost every time and especially because I was far from sure that every interrupter was a Communist. Personally I believe that several were merely ordinary, decent Englishmen Standing up and appealing for fair play. [...] when it comes to seeing eight or 10 men kicking and beating a man on the ground then everything British in me swells on the side of the fellow who is not getting fair play.«255 Der konservative Abgeordnete Vyvyan Adams sprach in seinem Redebeitrag bereits kurz nach dem Olympia-Treffen einen Aspekt an, der der BUF in den nächsten Jahren immer stärker zum Nachteil gereichte. Mosleys Partei wurde in den Reihen der Conservative Party als Imitation des kontinentaleuropäischen Faschismus und Nationalsozialismus angesehen: »He is pursuing precisely the 233 234 233

Vgl. Cross, The Fascists in Britain, S. 110. Vgl. Hansard Parliamentary Debates, Fifth Series, Bd. 290, Sp. 1936. Vgl. Hansard, Sp. 2004.

II. D i e C o n s e r v a t i v e P a r t y

233

same technique as his highly unpleasant prototypes abroad in various countries on the Continent.« 256 Die »foreign methods« der BUF entsprächen nicht dem englischen Politikverständnis, das maßgeblich für die Größe Großbritanniens verantwortlich zeichne, wie Anstruther-Gray anmerkte: »I do not see why we should allow these foreign methods. It is British methods which have made us the foremost country in the world, and it is up to us to see that they are not usurped.« 257 Noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse von Olympia führte die Sorge, fremde Bewegungen könnten mit »unenglischen« Methoden bürgerkriegsähnliche Zustände auch auf der britischen Insel entzünden, bei einigen Mitgliedern der Conservative Party zu einer vorsichtig formulierten Forderung nach legislativen Maßnahmen. Damit sollte eine erneute Eskalation von Gewalt in Zukunft vermieden werden. Vyvyan Adams sprach bereits zu diesem Zeitpunkt das Tragen politischer Uniformen als zentrales Problem an, ein Gedanke, der 1936 im Public Order Act wiederaufgenommen werden sollte: »I am not allowed to do more than merely hint at possible legislation, but I feel in my own heart that the real centre of the problem, and its real Solution, lies in dealing with political uniforms.« 258 Einige Parlamentsabgeordnete aus den Reihen der Konservativen nahmen jedoch nach wie vor Mosley und die Blackshirts in Schutz. Sie merkten an, die BUF habe lediglich ihr Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit gegen linke Extremisten verteidigt. So sprach Michael Beaumont, konservativer Abgeordneter für Aylesbury, als ein »überzeugter Antidemokrat« 259 , der sich, typischerweise, nicht als Faschist bezeichnete: »I am not a Fascist, but as an avowed admirer of Fascism in other countries, I am naturally intcrested in the movement and its application in this country.« 260 Laut Beaumont sei es falsch, die BUF als »gang of thugs« zu bezeichnen. Es gebe eine Reihe »respectable, reasonable and intelligent people« in der Bewegung. 261 Auch andere Konservative äußerten sich auf ähnliche Weise. So verglich der Abgeordnete für South Islington, Howard, die Faschisten mit den Kommunisten und kam zu dem Ergebnis, daß sich bei den Blackshirts eine positive Auslese der Jugend Englands sammle: »I do admire the tens of thousands of young men who have joined the Blackshirt movement. They are the best dement in this country.« 262 H . K. Haies, konservativer Abgeordneter für Hanley, betonte, daß zu den Faschisten »some of the most cultured members of our society« gehörten, die angesichts der Untätigkeit und »Lethargie« des National Government zu den Blackshirts übergelaufen seien. 263 Auch der Journalist Robert Bruce Lockhart schrieb in sein Tagebuch, daß nach dem BUF-Treffen in Olympia 236 257 258 259 260 M 262 263

Vgl. Hansard, Vgl. Hansard, Vgl. Hansard, Vgl. Hansard, Ebenda. Vgl. Hansard, Vgl. Hansard, Vgl. Hansard,

Sp. 1996. Sp. 2006. Sp. 1998. Sp. 1940. Sp. 1941. Sp. 2018. Sp. 2033.

234

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf den Faschismus

der rechte Flügel der Conservative Party in seinem Urteil über Mosley gespalten sei. 264 Mosleys Unterstützer im konservativen Lager sollten jedoch kontinuierlich weniger werden. Vor allem durch die Adaption einer immer stärker durch antisemitische Züge geprägten Kampagne verspielte Mosley seinen letzten Kredit. Neben Lord Rothermere zogen sich nun auch andere ehemalige Sympathisanten von der BUF zurück. Nachdem Francis Yeats-Brown auf einer BUF-Veranstaltung mit Mosleys offen vorgetragenem Antisemitismus konfrontiert worden war, bekannte er: »[Mosley] should be left alone. I am sick of him. Mosley is too vain to ever be any good, and not human enough.« 265 In der Öffentlichkeit wurde die BUF mehr und mehr mit der Gewalt gleichgesetzt, die in den Zeitungen aus Deutschland berichtet wurde. Olympia war das entscheidende Ereignis in diesem wachsenden Entfremdungsprozeß der englischen Gesellschaft von der BUF. Das anfängliche, zum Teil wohlwollende Interesse, das Mosley entgegengebracht worden war, schlug nun um in eine allgemeine Ablehnung der englischen Faschisten. 2.4 Das Scheitern der BUF als politische Alternative in der Anhängerschaft Conservative Party

der

Obwohl der Faschismus in Großbritannien vorübergehend eine nicht unerhebliche Zahl von Bewunderern fand und sich das Land keinesfalls als immun gegen die neue Bewegung auf der extremen Rechten erwies, konnte die BUF zu keinem Zeitpunkt mit einer breiten Unterstützung aus konservativen Kreisen rechnen. Mosley sprach mit seinem Programm durchaus einige Bedürfnisse und Überzeugungen des Diehard-Flügels der Tories an. Seine Forderungen nach der Priorität des Empire in der Wirtschaftspolitik, die Betonung eines nationalistischen und patriotischen Politikverständnisses mit dem eingängigen Slogan »Britain First« und nicht zuletzt die auf Dynamik, Entschlossenheit und Zielstrebigkeit setzende politische Rhetorik des englischen Faschistenführers stießen bei einigen Konservativen auf Zustimmung. 266 Auch die von Mosley stets betonte Loyalität der BUF zur englischen Monarchie verleitete rechte konservative Kreise dazu, die BUF als Spielart des englischen Konservatismus anzusehen. Mit dieser Annahme untrennbar verknüpft war die Hoffnung der Diehards, daß man mit Mosley eine Revitalisierung der als lethargisch und schwach empfundenen Conservative Party forcieren könne. Bei aller Zustimmung zu einigen Aspekten der faschistischen Programmatik und trotz der Resignation angesichts der Politik der eigenen Partei, wollten jedoch selbst die Diehards einer Ein-

»[...] Harry teils me that opinion in Carlton Club is very divided. There are a lot of anti-Baldwin rebels.« Vgl. Young, K. (Hrsg.), The Diarics of Sir Robert Bruce Lockhart, London 1973, S. 297. Eintragung vom 9. Juni 1934. Vgl. Yeats-Brown an Rosalind Constable, 1. November 1934. Zitiert nach Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 57. »Mosley's stated objeets were traditional to the Right.« Vgl. Jones, England, S. 64.

II. Die Conservative Party

235

schränkung der traditionellen englischen Bürgerfreiheiten nicht zustimmen und das parlamentarische Grundprinzip nicht abschaffen.267 Eine wichtige Rolle für die Entscheidung, weiterhin in der Conservative Party zu bleiben und sich nicht der BUF anzuschließen, spielte darüber hinaus die Erkenntnis, daß im englischen Mehrheitswahlrecht lediglich die großen Parteien die Chance hatten, den politischen Alltag zu bestimmen. 268 Das Scheitern der unterschiedlichen Splitterparteien, die sich auf dem Diehard-Flügel zu verschiedenen Zeiten gebildet hatten, mag die Loyalität zur Conservative Party zusätzlich verstärkt haben. Diese Verbundenheit mit der eigenen Partei, die man selbst bei größter Unzufriedenheit nicht verlassen konnte, wollte man weiterhin politische Macht ausüben, kann als das Ergebnis eines gewissen erzieherischen Wertes des Mehrheitswahlrechtes gewertet werden. Hervorzuheben bleibt, daß jene desillusionierten Tories nicht wegen Stanley Baldwin, sondern trotz seiner Präsens an der Parteispitze bei den Konservativen blieben und es in Kauf nahmen, einer Partei anzugehören, mit deren gegenwärtiger Politik sie unzufrieden waren. Als man in BUF-Kreisen erkannte, daß die moralische Unterstützung aus dem rechten Lager der Tories vor allem deshalb erfolgte, weil die Diehards in der BUF einen radikalen Ableger der eigenen Partei sahen, betonten die englischen Faschisten die Eigenständigkeit ihrer Bewegung. Obwohl die BUF durchaus an Unterstützung aus der konservativen Fraktion interessiert war, rekrutierte sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer Anhängerschaft aus dem Lager der politischen Linken. Diese Klientel wäre der BUF verlorengegangen, hätte sie nicht die Unterschiede zwischen ihren eigenen Forderungen und den Vorstellungen der Tories betont. In einem Brief an die Fascist Week begründete das BUF-Mitglied C. P. Chenevix Trench seine Ablehnung einer zu engen inhaltlichen Anlehnung an die Tories, »[...] because our ideals and our policy are poles apart from the bourgeois-minded and reactionary Tory Party.« Eine Kooperation mit den Tories nähme den Faschisten jede Option »of Converting Socialists and Communists, who provide our most valuable recruits. It lowers our ideals and utterly destroys the revolutionary spirit which has made us the most active political force in the country.« 269 Dieses revolutionäre Element in der Programmatik der BUF war es schließlich auch, das viele Diehards davon abhielt, sich umfassender mit dem englischen Faschismus zu identifizieren. Sie wollten das existierende politische System nicht abschaffen, sondern definierten es als einen Teil der britischen Tradition, die es zu bewahren gelte. Trotz aller Kritik am Zustand der englischen Demokratie trat die Prägung durch den Parlamentarismus in den Vordergrund und verhinderte das Überlaufen zur BUF.

267

Vgl. Jones, England, S. 66. 268 p u r e j n e g e n a u c r c Analyse des englischen Wahlrechts und seinen Auswirkungen vgl. Butler, D., The Electoral System in Britain 1918-1951, London 1953; Craig, F. W S. (Hrsg.), Minor Parties at British Parliamentary Elections 1885-1974, London 1975. 26i Vgl fasast Week, 4.-10. Mai 1934. Zitiert nach Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 54.

236

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus

Mit einer ähnlich ambivalenten Haltung begegneten die Tories auch den ökonomischen Vorstellungen der BUF. Angesichts der Wirtschaftskrise hatten sich in den frühen dreißiger Jahren in beiden politischen Lagern Gruppierungen gebildet, die neue ökonomische Modelle propagierten, um langfristig die Probleme der englischen Wirtschaft zu lösen. Wie Mosley in seinem wirtschaftspolitischen Programm, berücksichtigten auch diese Gruppen planwirtschaftliche und korporative Überlegungen. Sowohl die Next Five Years' Group als auch die gleichzeitig gegründete Gruppe Political and Economic Planning lehnten totalitäre Tendenzen jedoch strikt ab. Hier fanden Tories, die mit dem wirtschaftspolitischen Kurs des National Government unzufrieden waren, ein Forum für ihre Ideen und Forderungen. Demokratisch orientierte Diskussionszirkel waren wesentlich populärer als die auf autoritäre Methoden setzende BUF. 270 Die Diehards wiederum, die von der nationalistischen und patriotischen Rhetorik Mosleys angesprochen wurden, stimmten mit seinem ökonomischen Programm zumeist nicht überein. Sie lehnten insbesondere die Kontrolle ökonomischer Prozesse ab und waren eher am Aufbau eines von staatlichen Kontrollinstanzen unabhängigen kapitalistischen Systems interessiert. 271 Mosleys interventionistische Vorstellungen wurden mit den wirtschaftspolitischen Modellen der politischen Linken gleichgesetzt und allein schon deshalb von vielen Diehards abgelehnt. Selbst diejenigen, die Mosleys wirtschaftspolitischen Ideen zustimmten, wie beispielsweise Leo Amery, waren wiederum mit seinem autoritären Führungsprinzip nicht vollkommen einverstanden. Charakteristisch für das rechte politische Spektrum in England war seine starke Diversifikation. 272 Dies gilt sowohl für politische als auch ökonomische Überzeugungen, so daß man nur in sehr wenigen Punkten mehrheitlich übereinstimmte. Nicht zuletzt deshalb gestaltete es sich für eine Partei wie die BUF so schwierig, mehr als nur einzelne Personen auf ihre Seite zu ziehen. 273 Neben diesen gravierenden inhaltlichen Divergenzen verhinderte es vor allem die Beurteilung der BUF als eine »unenglische« Organisation, daß der englische Faschismus eine Alternative zum »liberal-flavoured Conservatism« Baldwins werden konnte. Das Erscheinungsbild der englischen Faschisten mit ihren schwarzen Hemden sowie der paramilitärische Charakter der BUF waren äußere Symbole ihrer Fremdheit und ließen viele rechte Tories vor Mosleys Bewegung zurückschrecken. 274 Hätte die BUF stärker versucht, sich unabhängig vom 270 271 272

273

274

Vgl. Stevenson, Conservatism and the Failure of Fascism in Inter-War Britain, S. 280. Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 87. Diesen Aspekt betont auch Jones und macht ihn für die gesamte Zwischenkriegszeit geltend: »The reactions of members of the prewar Right [...] varied with every major issue. [...] Men who were bitterly hostile on one issue united on another.« Vgl. Jones, England, S. 58. »Right-Wing beliefs often ran contrary rather than parallel to one another, and one of the important consequences of this was that it created specific ideological barriers to the growth of Fascism in Britain.« Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 139. Die schwierige Frage einer »Parteiuniform« hatte Harold Nicolson bereits 1931 erfaßt, als es darum ging, eine gemeinsame Kleidung für die Jugendorganisation der New Party zu entwerfen. Nicolson schlug damals »grey flannel trousers and shirts« vor, ein Kleidungsstil, der in nichts dem martialischen Charakter faschistischer Organisationen entsprochen hätte. Er konnte seinen Vorschlag jedoch nicht durchsetzen. Vgl. Nicolson, Diaries and Letters, S. 91.

II. Die Conservative Party

237

europäischen Faschismus und Nationalsozialismus zu entwickeln und eine eigenständige Ausprägung faschistischer Ideen zu forcieren, hätte sie eventuell eine intensivere Unterstützung durch die konservative Rechte verzeichnen können. 275 Sowohl die Labour Party als auch die Tories gingen von einer Grundprägung der englischen Gesellschaft durch die Ideen des Parlamentarismus sowie des Fair Play aus. Mosley unterlief durch das martialische und paramilitärische Auftreten seiner Partei sowie durch seine Forderungen nach autoritären Lösungen das Selbstbild Großbritanniens. Diese Einschätzung wird auch in der Autobiographie Petries erkennbar, in der er rückblickend über das Scheitern der BUF schrieb: »Mosley failed because of his methods, not because of his ends. His continued flirtation with Hitler and Mussolini caused his movement to be regarded as something not far removed from a foreign conspiracy: had he put his followers into blue pullovers instead of black shirts much would have been forgiven him.«276 Obwohl die BUF stets bemüht war, sich als »the Party of Patriotism« darzustellen, wurde sie im konservativen Lager als ausländische Erscheinung empfunden, ein Widerspruch, der geradezu zwingend auf das Scheitern des Faschismus in dieser gesellschaftlichen Gruppe hinauslief.277 Die endgültige Entfremdung erfolgte schließlich während und nach den Ereignissen von Olympia. Der Ausbruch von Gewalt auf englischem Boden rief Entsetzen hervor und zwar vor allem deshalb, weil hier gewissermaßen der »Gipfel an Fremdartigkeit« erreicht worden war. Wie intensiv dieses Gefühl in konservativen Kreisen wirken konnte, verdeutlicht ein Zitat in Reaktion auf die Ereignisse in Olympia aus der mittlerweile nicht mehr von Yeats-Brown herausgegebenen Zeitschrift Everyman: »Sir Oswald's mistake was in using methods of ejection utterly at variance with British Standards of fair play. [...] He [the Englishman] will not stand for dragooning or action that is unsportsmanlike.« 278 Letztlich war die englische Ausprägung des Faschismus zu kontinental sowohl in ihrem Erscheinungsbild als auch in den Methoden der politischen Auseinandersetzung, um die patriotisch-nationalistischen Elemente des konservativen Establishments dauerhaft erreichen zu können. Die BUF verstieß eklatant gegen den nationalen Mythos des fairen Engländers 279 , ein Konstrukt, das sich die Briten jedoch nicht nehmen lassen wollten. Als Mosley schließlich versuchte, mit einer antisemitischen Hetzkampagne die Attraktivität seiner Partei zu steigern, brachte dies der BUF zwar einige Stimmen im East End, bedeutete jedoch gleichzeitig das Ende jeglicher Unter273

»Mosley's self-conscious adoption of the style of Continental fascism generated more suspicion than support.« Vgl. Stevenson, Conservatism and the Failure of Fascism in Inter-War Britain, S. 273. 276 Vgl. Petrie, Chapters of Life, S. 168. 277 Vgl. hier auch Süsser, Fascist and Anti-Fascist Attitudes between the Wars, S. 70. 278 Vgl. Everyman, 15. Juni 1934, S. 447. 279 »The BUF appeared to offend against the British >myth of themselves« as an orderly, civilized people.« Vgl. Stevenson, Conservatism and the Failure of Fascism in Inter-War Britain, S. 277.

238

Teil 3: Die R e a k t i o n e n auf d e n F a s c h i s m u s

Stützung von Persönlichkeiten wie Rothermere, Lord Nuffield 280 oder auch Yeats-Brown. Ebenso wie die Anwendung von Gewalt gegen politische Gegner fand eine offen ausgesprochene antisemitische Grundhaltung im konservativen politischen England keine Unterstützung. Anders als in Deutschland, wo auch angesehene Mitglieder des Bildungsbürgertums antisemitische Einstellungen artikulierten 281 , wurde der Antisemitismus in Großbritannien nicht durch die geistige und gesellschaftliche Elite propagiert. Er konnte somit kein gesellschaftliches Ansehen erringen, sondern wurde vielmehr als vulgäre, dem Habitus der Oberschicht widersprechende Haltung eingeschätzt und nicht zuletzt deshalb auch von der politischen Rechten abgelehnt. 282 Dennoch bleibt festzuhalten, daß es Formen des Antisemitismus in Großbritannien gab, die auf die stillschweigende Zustimmung des konservativen Establishment zählen konnten. Doch handelte es sich hier eher um unausgesprochene Vorurteile, die zu Benachteiligungen von Juden führten 283 , als um organisierte politische Kampagnen, wie sie die BUF im East End betrieb. Liest man zeitgenössische Beschreibungen der Treffen des January Club, drängt sich an mancher Stelle der Eindruck auf, daß das Interesse am englischen Faschismus vom Londoner Establishment der dreißiger Jahre letztlich als ein gesellschaftliches Ereignis neben diversen anderen und weniger als die Teilnahme an einer politischen Veranstaltung angesehen wurde. Die Kritik am parlamentarischen System der »old gangs«, die Bewunderung der Erneuerungskraft und vermeintlichen Modernität des Faschismus, sowie des Körper- und Jugendkultes der neuen Bewegungen können zum Teil auch als eine Modeerscheinung interpretiert werden. Es war schlicht »en vogue«, ein wenig mit Mosley und seinen Ideen zu kokettieren 284 und auf einigen seiner Treffen anwesend zu sein. Ein Beispiel für diese Begeisterung, die sich weniger aus politischen als aus persönlichen oder modischen Gründen speiste, ist die englische Schriftstellerin Nancy Mitford, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Peter Rodd vorübergehend Nuffield, der Mosley in der frühen Phase der BUF vor allem finanziell unterstützt hatte, distanzierte sich in der Times öffentlich vom Antisemitismus der BUF. Vgl. The Times, 21. Juli 1934. Zu nennen wären in diesem Kontext beispielsweise die antisemitischen Tendenzen bei Heinrich von Trcitschke, Richard Wagner oder Johann Göttlich Fichte. Vgl. Lebzelter, Political Anti-Semitism in England, S. 173. »Fascist anti-Semitism was widely condemned owing to its element of rowdyism and mob violence. [...] East End Jew-baiting alienated rather than mobilised political support. This was particular relevant for the lack of active support from the politically influential radical right.« Vgl. Lebzelter, Political Anti-Semitism in England, S. 175. So blieb Juden der Zugang zu einer prestigeträchtigen Tätigkeit im Außenministerium verschlossen. Vgl. Lcbzelter, Political Anti-Semitism in England, S. 177. Auf antisemitische Tendenzen im Innenministerium unter Joynson-Hicks in den zwanziger Jahren macht Cesarani aufmerksam. Vgl. Cesarani, D., Joynson-Hicks and the Radical Right in England after the First World War. In: Kushner, T , Lunn, K. (Hrsg.), Traditions of Intolerance. Historical Perspectives of Fascism and Race Discoursc in Britain, Manchester 1989, S. 118-139. Wobei diese Bemerkung durchaus wörtlich zu verstehen ist. Mosley galt unter Zeitgenossen als notorischer »Womanizer«. Cuthbert Headlam zum Beispiel beschrieb Mosley, sehr diskret, als »the sort of man who attracts women and antagonises men.« Vgl. The Headlam Diaries, Eintragung vom 26. September 1930, S. 193.

II. Die Conservative Party

239

mit der BUF sympathisierte. 285 Das Interesse des Ehepaares für den englischen Faschismus ließ jedoch nach dem Olympia-Treffen und dem immer offener zu Tage tretenden Antisemitismus Mosleys schlagartig nach. Bereits wenige Wochen später äußerten sich beide zutiefst ablehnend über die BUF. Nancy Mitford veröffentlichte einen satirischen Roman, Wigs on the Green, in dem sie sowohl Mosley, der mit ihrer Schwester Diana verheiratet war, als auch ihre andere Schwester Unity, eine glühende Verehrerin Hitlers, der Lächerlichkeit preisgab. 286 Dieser recht oberflächliche Zugang zum englischen Faschismus, ihn gewissermaßen als den »dernier cri« der Saison anzusehen, ist eine weitere Erklärung für das Zurückschrecken des Establishments angesichts des »wahren Gesichtes« der BUF nach dem Treffen in Olympia. Mit der rohen Gewalt der Faschisten konnte man sich weit weniger identifizieren als mit der Jugendlichkeit und Entschlossenheit von Sir Oswald Mosley, der, und dies ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig festzuhalten, selbst der englischen Upper Class entstammte und somit von diesen Kreisen als einer der ihren akzeptiert wurde. In dieser Vielzahl von unterschiedlichen Perzeptionen und Divergenzen zwischen den englischen Faschisten und dem konservativen Establishment liegt der Schlüssel zur Erklärung, warum es der BUF nie gelang, eine politische und gesellschaftliche Alternative zur Conservative Party zu werden.

3. D I E »INOFFIZIELLE« REAKTION DER CONSERVATIVE PARTY AUF DEN ENGLISCHEN FASCHISMUS

Auch wenn die BUF letztlich nur sehr wenige Anhänger der Conservative Party dauerhaft für sich gewinnen konnte und die meisten ihrer konservativen Sympathisanten die Loyalität zu den Tories aufrechterhielten, war man sich in den Parteigremien der Anziehungskraft der Faschisten für bestimmte gesellschaftliche Gruppen durchaus bewußt. Ähnlich wie die Labour Party nahmen auch die Tories die große Attraktivität der BUF insbesondere für junge Männer wahr. Diese Erkenntnis löste Überlegungen aus, eine eigene Organisation zu gründen, die speziell auf die Bedürfnisse und Erwartungen junger Männer zugeschnitten war. Über eine mögliche Orientierung dieser Organisation an deutschen oder italienischen Vorbildern wurde jedoch nur innerhalb der Parteigremien diskutiert. Eine offen ausgesprochene Adaption bestimmter politischer Forderungen oder Methoden der BUF und ihrer Vorbilder hätte das Bild der strikt englischen Conservative Party, die sich von der Fremdheit der BUF bewußt distanzierte, empfindlich gestört. Parteiinterne Überlegungen, besonders attraktiv scheinende Aspekte des englischen Faschismus in das eigene Parteiprofil zu integrieren, werden deshalb als »inoffizielles« Reaktionsmuster der Tories bezeichnet. 285

Vgl. Hastings, S., Nancy Mitford, Reinbek 1994 (Erstauflage London 1985), S. 125 ff.. 286 r j e r R o r m n erregte bei der Kritik jedoch nur wenig Aufmerksamkeit. Vgl. Hastings, Nancy Mitford, S. 134.

240

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus

Durch den Aufbau einer direkten Konkurrenzorganisation zur BUF wollten die Konservativen insbesondere junge Männer an die eigene Partei binden. Dabei sollten die erfolgversprechenden Methoden der faschistischen Jugendarbeit mit ihrer Betonung von bündischen und vor allem sportlichen Elementen sowie der zentralen Bedeutung des Gemeinschaftsgedankens zur Umsetzung der eigenen Ziele nachgeahmt werden. Diese Idee war nicht völlig neu. Bereits in den zwanziger Jahren hatte es in der Partei Überlegungen gegeben, junge Männer verstärkt anzusprechen, um eine vermehrte Abwanderung zu den englischen Faschisten zu verhindern. Als besonders aktiv in dieser Hinsicht erwies sich der damalige Arbeitsminister Arthur Steel-Maitland, der bereits im Zusammenhang mit dem Einsatz faschistischer »Ordner« auf konservativen Wahlkampfveranstaltungen erwähnt worden ist. Er bemühte sich darum, eine sogenannte »Flying Brigade« aufzustellen, die speziell die Erwartungen junger Männer erfüllen sollte. Steel-Maitland und seine Mitarbeiter waren sehr erfreut über das politische Interesse junger Männer und recht zuversichtlich, sie auf die Seite der Tories ziehen zu können, wie die Notiz eines seiner Mitarbeiter verdeutlicht: »I have been delighted to see the interest young men are taking in politics just now, as manifested practically by their activity in Fascisti. This is very suggestive of open air possibilities.« 287 Auch in den dreißiger Jahren beschäftigte man sich in der Conservative Party mit der großen Begeisterung, die die BUF unter jungen Männern hervorrief. Wollten die Tories die Stimmen junger Wähler für sich gewinnen, mußten sie Angebote in ihrer Partei schaffen, mit denen sie ausdrücklich diese Gruppe ansprechen konnten. In den Unterlagen der Partei aus den dreißiger Jahren lassen sich immer wieder Aufforderungen finden, die Attraktivität der Conservative Party für junge Männer zu steigern. Auf dem Parteitag von 1934 hieß es beispielsweise: »It is desirable that every effort should be made to attract more male supporters of the Party to the Constituency Associations, and that where necessary, Men's Branches should be formed.« 288 In der April-Ausgabe des Conservative Agents' Journal von 1934 wurde zur Stärkung der Junior Imperial League, einer bereits existierenden Jugendorganisation der Conservative Party, angesichts des Abwanderns junger Wähler zu anderen Organisationen aufgerufen. Der Autor des Artikels, J. L. Rowan, forderte: »In view of the activities of other organisations which are frantically endeavouring to enrol the youth of the Nation, I am more than ever convinced that if our Party is to hold its own future, extra efforts must be made to create additional interest in the Junior Imperial League.«289 In einer Rede auf einem Treffen der Lancashire and Cheshire Agents' Association analysierte der konservative Politiker Robert Topping das Problem und kam zu dem Schluß, daß die Konservativen junge Wähler immer noch erreichen 287 288 289

Vgl. Harry Hillman an Steel-Maitland, 20. Februar 1924. Steel-Maitland/GD 193/111-1-22 Vgl. Conservative Party Conference Report 1934. Vgl. Conservative Agents' Journal, April 1934, S. 1.

II. Die Conservative Party

241

könnten, die Partei ihre Jugendorganisationen jedoch grundsätzlich verändern müsse: »I feel certain today that there is this body of Conservative men, particularly young men, throughout the country, who are desirous of entering a real political Organisation, and because we cannot provide it for them, they are looking elsewhere. I am frequently told the fascist movement is taking great numbers of young people who would otherwise belong to the Conservative party, but if my Information is right, what happens is that they go into the fascist movement in the hope that they are going to find out what they are looking for, and, not finding it, come out again. They are still available to us if we can attract them.«290 Auch aus dieser Äußerung Toppings geht das Verhaltensmuster vieler konservativer Sympathisanten der BUF hervor. Nach einer ersten Phase der Begeisterung für den englischen Faschismus wandten sich die meisten wieder von der BUF ab. Selbst das nur vorübergehende Interesse junger Männer an den Aktivitäten der englischen Faschisten verdeutlichte jedoch den Tories, daß sich die Partei intensiver als bisher um diese Wählergruppe bemühen mußte. Deshalb zielten parteiinterne Überlegungen darauf, junge Wähler mit einer eigenen Parteiorganisation für die Konservativen zu gewinnen. Ausgangspunkt der Pläne des Conservative Consultative Committee 291 war die Feststellung, daß in der Bevölkerung zunehmend ein Bedürfnis nach körperlicher und sportlicher Betätigung existiere.292 Um dieses Bedürfnis parteipolitisch ausnutzen und die Chancen der Partei insbesondere bei der Wählerschicht der jungen Männer zu vergrößern, arbeitete das Conservative Consultative Committee eng mit dem Research Department der Partei zusammen. Kingsley Wood faßte die Ziele des Consultative Committee folgendermaßen zusammen: »We have in mind the preparation of a scheme to be grafted on to the existing Conservative Political Organisation, having two objects: (a) Actual physical training and improvement of physique and (b) The consolidation of the strenght of the Conservative party.« 293 Die Konservativen wollten als direkte Konkurrenz zu den englischen Faschisten auftreten, um junge Wähler anzusprechen. Im Juni 1934 wurde beschlossen, eine eigene Organisation aufzubauen, die folgendermaßen aussehen sollte: »[...] the Committee had agreed that a new Organisation was essential and that it should aim at attracting people between 20 and 40. [...] It should be based not only on health and physique but also on citizenship.« 294 Ein spezieller Ausschuß wurde gegründet, der sich mit dem Aufbau einer solchen Organisation beschäftigen sollte. Auf dem Treffen des Conservative Consultative Committee vom 27. Juli 1934 erläuterte Kingsley Wood, Vorsitzender dieses Ausschusses, die bereits unternommenen Schritte. Die Reaktion von Samuel Hoare, dem da290 291 292

293 294

Vgl. Conservative Agents' Journal, August 1934, S. 169. Dieses parteiinterne Gremium kann als eine Art Schattenkabinett bezeichnet werden. »There is an urge for physical improvement in this country.« Vgl. Protokoll des Treffens vom 9. Oktober 1934. CRD 1/64. Vgl. Protokoll des Treffens vom 1. Juni 1934. CRD 1/64. Vgl. Protokoll des Treffens vom 27. Juli 1934. CRD 1/64.

242

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf den Faschismus

maligen Innenminister, auf Woods Ausführungen verdeutlicht die Taktik einiger Konservativer: »Make the Organisation a National Government Organisation, provide government grants towards physical training which could be secured by any Organisation able to qualify, and then make sure that our own Organisation was able to secure 95 per cent of the grants.«295 Obwohl es andere Mitglieder des Komitees gab, die sich für eine völlig parteiunabhängige Organisation aussprachen, herrschte Einigkeit über das vorrangige Ziel. Durch konservative Angebote für ihre Freizeitgestaltung motiviert, sollten junge Menschen den Tories ihre Stimmen geben: »[...] the discussion turned mainly on possible plans for harnessing the present day urge for games and physical recreation for party purposes [...]. It was agreed that this Organisation should be provided with a set of principles, so drafted as to foster patriotism and social Service combined with physical fitness in every possible way, and at the same time to exclude persons whose political views are antagonistic to our own.«296 Informationen zum Aufbau einer Organisation, deren Ziel es sein sollte, den englischen Patriotismus zu fördern, sollten jedoch ausgerechnet in jenen Ländern eingeholt werden, die sich nicht gerade durch besonders demokratisch gesinnte Regierungen auszeichneten: »Information has been collected by the Department regarding physical training formations on the Continent, particularly [...] Italy and Germany.« 297 Auch einen Besuch in Deutschland schlössen die Tories nicht aus, um dort Anregungen zu sammeln. In einer Notiz mit dem Titel Possible Methods of Investigating the Subjects approved for Examination heißt es unter der Rubrik The Improvement of the national Physique: »This appears to be a matter for original thought rather than for rescarch, although some information as to the way in which the urge for physical improvement is being harnessed in other countries would be valuable. A visit to Germany would probably furnish a good deal of information on this subject.«298 Das Ziel konservativer Parteistrategen, eine Jugendorganisation nach deutschem oder italienischem Vorbild aufzubauen, kann auch als eine Adaption ausländischer Methoden interpretiert werden. Eine Tatsache, die der offiziellen Lesart der Partei geradezu diametral gegenüberstand, da in ihr immer wieder der »unenglische« Charakter faschistischer Methoden und Ziele betont wurde. Ausgerechnet die Hüter des englischen Nationalcharakters überlegten sich also, die englische Jugend mit ähnlichen Gruppen anzusprechen, wie dies im faschistischen und nationalsozialistischen Ausland bereits geschah. Entscheidend für die Überlegungen der Conservative Party war jedoch, daß man zu keinem Zeitpunkt daran dachte, mittels einer Jugendorganisation nach deutschem oder italienischem Vorbild einem autoritären Politikverständnis auch 293 296 297 298

Vgl. Protokoll des Treffens vom 27. Juli 1934. CRD 1/64. Ebenda. Vgl. Protokoll des Treffens vom 9. Oktober 1934. CRD 1/64. Vgl. »Possible Methods of Investigating the Subjects approved for Examination«, 16. März 1934. CRD 1/64.

II. Die Conservative Party

243

in England den Weg zu ebnen. Trotz der Erkenntnis, daß die Konzepte faschistischer Jugendarbeit der eigenen Partei eventuell nutzen könnten, bedeutete die Adaption bestimmter Aspekte dieser Arbeit keinesfalls die Zustimmung zu Faschismus und Nationalsozialismus auch in politischer Hinsicht. Die Tories wollten innerhalb des bestehenden parlamentarischen Systems ihre eigenen Chancen bei bestimmten Bevölkerungsschichten mehren und ein Abwandern zu extremistischen Alternativen verhindern. Daher konnte auch die Begeisterung über die Präsentation der »gesunden deutschen Jugend« bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, die bei englischen Beobachtern eine gewisse Bewunderung für die volkssportlichen Anstrengungen der Nationalsozialisten hervorrief299, nicht den Blick für den totalitären Charakter des nationalsozialistischen Regimes verstellen. Neville Chamberlain betonte auf dem Parteitag der Conservative Party 1936: »We have no desire to exchange our form of government for that of a totalitarian State«300, rief jedoch gleichzeitig dazu auf, sich durch das deutsche Modell inspirieren zu lassen und auch in England der Volksgesundheit größere Bedeutung beizumessen: »In this matter of attention to physical development we surely may learn something from others. Nothing made a stronger impression upon visitors to the Olympic Games in Germany this ycar than the splendid condition of the German youth and though our methods are different from theirs in aecordance with our national character and traditions I see no reason why we should not be equally successful in our results.«301 Chamberlain korrespondierte mit Joseph Ball, dem Leiter des Conservative Research Department, über den Aufbau einer Organisation, die sich insbesondere der Verbesserung der Volksgesundheit durch Sportangebote widmen sollte. Ball wiederum war an den Plänen des Conservative Consultative Committee beteiligt, das eine solche Organisation parteipolitisch ausnutzen wollte. Die Vermutung liegt nahe, daß in den parteiinternen Gremien der Conservative Party darüber nachgedacht wurde, durch eine volkssportliche Organisation insbesondere junge männliche Wähler an die Konservativen zu binden. Doch wurden die Pläne des Consultative Committee nie verwirklicht. Auch der Aufbau einer staatlichen Organisation zur Förderung der Volksgesundheit wurde nicht in die Realität umgesetzt. Neben der Unangemessenheit faschistischer Methoden für konservative Ziele, wie das Tragen von Uniformen oder die Ausübung paramilitärischen Drills, geht aus einem Bericht des Research Department ein weiterer wichtiger Faktor für das Scheitern dieser verschiedenen Projekte hervor. Man fürchtete die mögliche Einschränkung der Entschei299

300

301

Der konservative Abgeordnete Arnold Wilson skizzierte 1936 ein sehr positives Bild der Hitlerjugend und äußerte den Eindruck, daß auch die englische Jugend von einer verpflichtenden militärischen Ausbildung mit sportlichen Elementen nur profitieren könne. Vgl. Wilson, A., Walks and Talks Abroad. The Diary of a Member of Parliament in 1934-1936, London 1936, S. 280 f.. Vgl. Rede Chamberlains auf dem Parteitag 1936 in Margate. CRD »Health and Physique of the Nation«. Ebenda.

244

Teil 3: D i e R e a k t i o n e n auf d e n F a s c h i s m u s

dungsmöglichkeiten des Individuums in einer staatlich kontrollierten Organisation: »This natural keenness has to be fostered very carefully and in the right way, for it is essentially personal and would not make the same ready response to a State-organised scheme - not on any political ground, but simply because of the Englishman's innate suspicion of official interference.«302 In dieser Einschätzung des englischen Nationalcharakters durch die parteiinternen Gremien der Konservativen wird erneut die zentrale Bedeutung erkennbar, die in Großbritannien der Wahrung von Freiheit und Individualismus eingeräumt wurde. Diese beiden Werte wurden als konstitutiv für die Bedürfnisse des durchschnittliche Engländers angesehen und letztlich als Teil der nationalen Mentalität aufgefaßt. Eine verpflichtende Teilnahme an einer staatlich kontrollierten Jugend- oder Sportorganisation, wie sie zur selben Zeit in Deutschland praktiziert wurde, rufe, so die Mitarbeiter des Research Department, unweigerlich Widerstand hervor: »From its considerable experience gained in all parts of the Country, the Committee considers [...] that in order to dispel the prevalent fear that official control will lead to loss of freedom and individuality, it is essential to utilise the voluntary approach.« 303 Genau wie die Reaktionen der Labour Party auf den Kommunismus können die Reaktionen der Conservative Party und ihrer Anhängerschaft auf den englischen Faschismus nach drei verschiedenen Mustern unterschieden werden. In ihrer offiziellen Reaktion, in Parteipublikationen, Reden und Flugblättern lehnte die Parteiführung den englischen Faschismus strikt ab. Zentral für diese Ablehnung war das Argument, die Ideen der BUF widersprächen der politischen Tradition Großbritanniens und somit auch den Grundüberzeugungen der eigenen Partei. Die Conservative Party definierte sich als eine durch demokratische und parlamentarische Prinzipien geprägte Partei. Aufgrund dieser Tradition sprach sie sich gegen jegliche Form des politischen Extremismus aus. Nach außen präsentierten sich die Tories als konstitutionelle Partei, die die Aufrechterhaltung der Demokratie, englischer Werte, Moralvorstellungen und Traditionen gegen die Bedrohung von rechts und links zuverlässig verteidigte. Nach konservativer Darstellung fungierten in England vor allem die Tories als Bollwerk gegen jeden Extremismus und als Bewahrer von »Englishness«. Ein weiteres Reaktionsmuster war die partielle Unterstützung der BUF durch einige Konservative. Die Zustimmung zu Mosley und den Blackshirts in Teilen der konservativen Anhängerschaft muß in einem engen Zusammenhang mit der allgemeinen Krisenstimmung zu Beginn der dreißiger Jahre gesehen werden. Insbesondere die Diehards mißtrauten dem ausgleichenden Kurs Baldwins und seiner Kooperation mit Vertretern der Labour Party im National Government. Sie sahen in Mosley in erster Linie einen Erneuerer der eigenen Partei und weniger eine parteipolitische Alternative. Als zunehmend deutlich 302

303

Vgl. »Observations on the Work of the Central Council of Recreative Physical Training«, by H. Brooke, 29. Oktober 1936. CRD »Health and Physique of the Nation«. Vgl. Memorandum des General Council of Recreative Physical Training, November 1936. CRD »Health and Physique of the Nation«.

II. Die Conservative Party

245

wurde, daß sich der BUF-Führer stark an kontinentaleuropäischen Vorbildern orientierte, deren Methoden als fremdartig und unangemessen für das eigene Land eingeschätzt wurden, zogen sich die meisten Tories wieder von Mosley zurück. Ähnlich wie die Sympathisanten der CPGB aus den Reihen der Labour Party wollten auch die konservativen Fürsprecher Mosleys letztlich am parlamentarischen Prinzip festhalten. Als drittes Reaktionsmuster, das kein Bestandteil der offiziellen Parteireaktion war, kann schließlich die Adaption einzelner, erfolgversprechender Aspekte des englischen Faschismus bezeichnet werden. Doch handelte es sich hier nicht um eine Zustimmung zu den anti-demokratischen und repressiven Vorstellungen der BUF oder ihrer kontinentaleuropäischen Vorbilder, sondern um Überlegungen, deren Konzepte der Jugendarbeit stärker für die eigenen Jugendorganisationen zu berücksichtigen. Erstaunlich bleibt dennoch, daß man in den parteiinternen Gremien der sich stets als Inbegriff englischer Werte präsentierenden Conservative Party tatsächlich darüber nachdachte, Inspiration für eine erfolgreiche Jugendarbeit im faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland zu suchen. Wie die Labour Party ging auch die Conservative Party von einer durch liberale Bürgerfreiheiten und parlamentarische Prinzipien geprägten englischen Durchschnittsbevölkerung aus. Ein Beleg für die Richtigkeit dieser Einschätzung ist, daß die demokratischen Parteien den Großteil der Wählerstimmen in den dreißiger Jahren auf sich vereinen konnten und somit extremistischen Alternativen keinen Raum gaben. Bei den britischen Wählern stießen die Argumente der demokratischen Parteien auf breite Zustimmung. Beide Parteien gingen durchaus pragmatisch vor. Sie analysierten potentielle Stärken der extremistischen Parteien und versuchten nach Möglichkeit, besonders attraktiv scheinende Forderungen in das eigene Parteiprofil zu integrieren. Andere Aspekte des englischen Faschismus und Kommunismus, die als weniger attraktiv für die englischen Wähler galten, wurden hingegen besonders hervorgehoben. Bei beiden Parteien stand dabei im Vordergrund, die sich grundsätzlich von den Entwicklungen auf dem europäischen Kontinent unterscheidenden englischen Traditionen von Parlamentarismus, Bürgerfreiheit und Individualismus zu betonen. Diese gemeinsame Haltung gegenüber der politischen Herausforderung durch BUF und CPGB bildete den Hintergrund für die Abwehr des Extremismus in Großbritannien. Auf der Basis eines sich quer durch die Parteien ziehenden politischen Konsenses konnte es zur Bildung parteiübergreifender Organisationen kommen. Sie wollten ein demokratisches Gegengewicht zu den extremistischen Parteien im eigenen Land bilden und hatten sich dem Kampf gegen Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus verschrieben. Gleichzeitig liegt in den, bei beiden demokratischen Parteien zu beobachtenden Interpretationen der englischen politischen Mentalität sowie in ihren Vorstellungen von der Beschaffenheit des nationalen Charakters ein Schlüssel zur herausragenden Popularität eines Politikers wie Stanley Baldwin.

TEIL 4: DIE ABWEHR DES EXTREMISMUS

I. DIE ROLLE STANLEY BALDWINS Stanley Baldwin führte von 1923 bis 1937 die Conservative Party. Er verhalf ihr zu drei ihrer größten Wahlsiege im zwanzigsten Jahrhundert (1924, 1931 und 1935) und sicherte seiner Partei in der Zwischenkriegszeit die fast ununterbrochene Regierungsbeteiligung. Baldwin wurde als erster konservativer Premierminister nach der Wahlrechtserweiterung von 1918 mit einer mehrheitlich aus der Arbeiterschicht stammenden Wählerschaft konfrontiert. Er hatte als erster Politiker seiner Partei das Amt des Oppositionsführers gegen eine Labour-Regierung inne und mußte als erster konservativer Premierminister mit den politischen Auswirkungen hoher Arbeitslosigkeit kämpfen. Schließlich war er es auch, der als erster konservativer Parteiführer Antworten auf Faschismus und Kommunismus finden mußte, wobei er die mit Abstand wichtigste Rolle in der Reaktion der Conservative Party auf die extremistischen Herausforderungen spielte. Er wandte sich nicht nur öffentlich gegen den Kommunismus, sondern lehnte auch den englischen Faschismus entschieden ab. Stanley Baldwin entwickelte das Argumentationsmuster der Tories gegen jegliche Form des Extremismus und war die Persönlichkeit in seiner Partei, die am nachdrücklichsten vor der Bedrohung der englischen Demokratie durch die extremistischen Parteien warnte. Dabei erwies er sich bereits in den dreißiger Jahren als hellsichtiger Beobachter der totalitären Phänomene, auf deren Ähnlichkeit er insbesondere mit Bezug auf ihren Kontrast zum politischen System des eigenen Landes aufmerksam machte. Mitte der dreißiger Jahre hatte Baldwin eine unangefochtene Machtposition sowohl innerhalb der Conservative Party als auch in der politischen Öffentlichkeit Englands inne. Nachdem er sich gegen seine innerparteilichen Gegner durchgesetzt hatte, reichte Kritik an Baldwin geradezu an »Blasphemie« heran, wie Charles Petrie später in seinen Erinnerungen schrieb. 1 Ein Kollege Baldwins, der in Thomas Jones biographischer Skizze Baldwins zitiert wird, erinnerte sich: »If any member interrupted him while speaking in the House of Commons it seemed almost like brawling in a church.« 2 Doch nicht nur in den eigenen Reihen genoß Baldwin hohes Ansehen, selbst seine politischen Gegner schätzten ihn außerordentlich. 3 In einem Brief an sei1

2

3

»To criticise Baldwin at Conservative meetings was little short of blasphemy.« Vgl. Petrie, Chapters of Life, S. 171. Zitiert nach Jones, T , Stanley Baldwin, Dictionary of National Biographv 1941-1950, Oxford 1959, S. 50. »He retired at a time of his own choosing, burdened with honours, wreathed in the tributcs of his own gratcful partv, and showered with expressions of regret and affection from Labour and Liberal opponcnts.« Vgl. Williamson, The üoctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 182.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

247

nen Bruder Tom urteilte Clement Attlee über den konservativen Politiker: »One feels always that he understands one's point of view more than any other Tory.« 4 Baldwin traf die politischen Bedürfnisse und Erwartungen seiner Zeitgenossen und erfreute sich in weiten Teilen der Bevölkerung größter Beliebtheit, was Wickham Steed, ehemals Herausgeber der Times, zu der Einschätzung veranlaßte: »As an orator or, if he prefers it, as a >Minister of Public Opinion«, he has hardly a rival among contemporary British politicians.«5 Baldwins veröffentlichte Reden, die in preiswerten Volksausgaben erschienen, erreichten in der Zwischenkriegszeit hohe Verkaufszahlen. Diese Reden waren vorrangig nicht an ein ausschließlich politisches Publikum im Unterhaus oder in den Parteigremien gerichtet, sondern wurden häufig auf Einladung unterschiedlicher Institutionen des englischen öffentlichen Lebens, wie Universitäten, Schulen, religiösen Gruppen, Handelskammern sowie verschiedenen Vereinigungen, sogenannten »Societies«, gehalten. Folglich sind ihre Inhalte nicht nur politischer Natur, sondern greifen Themen auf, deren Spektrum sich von der Geschichte über Geographie, Literatur, Ökonomie, Religion bis hin zu ethischen Fragen erstreckt. Die Titel der Bände verraten bereits die Hauptinhalte von Baldwins Programm: 1926 erschien On England, 1928 Our Inheritance, 1935 This Torch of Freedom, 1937 Service of our Lives und 1939 An Interpreter of England. Der konservative Politiker sah die Notwendigkeit, eine Antwort auf die tiefgreifenden politischen, sozialen und ökonomischen Veränderungen zu entwickeln, die Großbritannien nach dem Ende des Ersten Weltkrieges durchlebte. 6 Baldwins Programm beinhaltete über politische Stellungnahmen weit hinausgehende moralische, religiöse und kulturelle Überlegungen, da es seiner Meinung nach in Zeiten des schnellen Wandels insbesondere der Sicherung moralischer Werte bedürfe. N u r diese festen Moral- und Wertvorstellungen könnten den englischen Wählern die nötige Verantwortung für den Umgang mit ihren neu gewonnenen politischen Möglichkeiten vermitteln: »Moral values are the foundation of a country's greatness. If moral values flourish in our common life, all will be well with the nation.« 7 Stanley Baldwin skizzierte eine Art politischen Katechismus, in dem die englische Wählerschaft eine umfassende Orientierungshilfe für fast alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens finden konnte. Integriert in diese Baldwinsche Handlungsanleitung war die Vermittlung traditioneller Moralvor* Vgl. Clement Attlee an Tom Attlee, 3. April 1933. Attlee Papcrs/MS. Eng. c. 4792, fols. 57-8. In seinem Nachruf auf Baldwin im Jahr 1947 wiederholte Clement Attlee diese Einschätzung: »I always feit, when he was speaking, that although he disagreed with us, he understood bettcr than any man on the other side the reasons and emotions that inspired our actions.« Zitiert nach Middlcmas, Barnes, Baldwin, S. 1079. 5 Vgl. Steed, W, The Real Stanley Baldwin, London 1930, S. 147. 6 Als »problem of the age« bezeichnete Baldwin die Tatsache »that our people and other peoples have attaincd a political Status in advance of their cultural Status.« Vgl. Baldwin in einer Rede in Ashridge, abgedruckt in: The Times, 2. Juli 1929. Vgl. Rede Baldwins vor der Congregational Union, 12. Mai 1931. In: Ders., This Torch of Freedom. Speeches and Addresses, London 1935, S. 87.

248

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

Stellungen. Seine Vorstellungen wurden von der englischen Öffentlichkeit der Zwischenkriegsjahre angenommen und auch über Parteigrenzen hinaus als typisch englischer und, nicht zuletzt aus diesem Grund, als unstrittiger Wertekanon akzeptiert. 8 Zu Baldwins großer Beliebtheit trug sein professioneller Umgang mit den Medien Radio und Film entscheidend bei.9 Baldwin nutzte die neu entstehenden Massenmedien äußerst geschickt, um seine politische Botschaft der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 10 Er hatte ihre Spezifik, vor allem jene des Rundfunks, erkannt und paßte sich in seinem Redestil ihren besonderen Anforderungen an. In Radioansprachen präsentierte er sich am Kamin sitzend und Pfeife rauchend, während er sein politisches Programm verkündete. Um dabei eine heimelige und alltägliche Atmosphäre zu erzeugen, saß seine Frau strickend neben ihm, und er selbst unterbrach zum Teil seinen Vortrag, um sich die Pfeife anzuzünden." Durch diese Form des »fireside oratory« gelang es Baldwin, seinen Zuhörern den Eindruck zu vermitteln, als säße er direkt neben ihnen am Kamin, so daß er die Rolle eines vertrauten Begleiters des Alltags einnehmen konnte. In einem zeitgenössischen Artikel über Baldwins Radioansprachen im Manchester Guardian wird dieser Effekt beschrieben: »The mode is a tactful one, for broadcast oratory is largely fireside oratory, and Mr. Baldwin might easily have had his feet on our fender. [...] If Mr Baldwin had nothing whatever of fresh consequence to say, he at least said it simply, pleasantly and equably.«12 Neben dem Eindruck, daß der Politiker keine abstrakte Größe, sondern ein ganz normaler englischer Bürger war, der abends im Kreis der Familie am Kamin saß, wurde durch diese Form der Präsentation gleichzeitig ein weiterer Effekt erzielt. Baldwin demonstrierte angesichts der Herausforderungen des modernen Zeitalters, angesichts der umwälzenden Veränderungen, denen sich die britische Gesellschaft seit dem Ende des Ersten Weltkrieges zu stellen hatte, eine unerschütterliche Gelassenheit. Der pfeiferauchende Politiker forderte von seinen Wählern nicht die Bereitschaft zu weitreichenden Reformen, sondern signalisierte ihnen, daß er trotz der sich wandelnden Verhältnisse mit vertrauten Mitteln und in einer gewissen Kontinuität weiterzuarbeiten gedenke. Diese Unaufgeregtheit unterschied die politische Aussage Baldwins auffallend von den ökonomischen und politischen Reformprogrammen der Labour Party sowie den revolutionären Forderungen eines Mosley oder der englischen Kommunisten. s

Williamson bezeichnet Baldwins Programm deshalb auch als »public doctrine«. Vgl. Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 184. ' Vgl. zu diesem Aspekt Ramsden, J., Baldwin and Film. In: Pronav, N., Spring, D. W. (Hrsg.), Propaganda, Politics and Film 1918-1945, London 1982, S. 126-143. 10 »He was the first modern British politician whosc persona was mediated through and by the media.« Vgl. Nicholas, S., The Construction of a National Identity. Stanley Baldwin, »Englishness« and the Mass Media in Inter-War Britain. In: Francis, M., Zweininger-Bargielowska, I. (Hrsg.), The Conservatives and British Society 1880-1990, Cardiff 1996, S. 127-146, S. 127. " Vgl. Ramsden, Baldwin and Film, S. 130-132. 12 Vgl. Manchester Guardian, 14. Oktober 1931.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

249

Gleichzeitig vermittelte Baldwin durch seine demonstrative Gelassenheit den Eindruck, anstehende Probleme bewältigen zu können. Er erschien als souveräner Repräsentant der politischen Klasse, bei dem sich die englischen Wähler in guten Händen wissen konnten. Durch die Einfachheit seiner Sprache sowie die inszenierte Alltäglichkeit insbesondere seiner Radioansprachen überwand er die Distanz zu seinen Wählern und verstand es, sich selbst, der aus einer begüterten Familie stammte und allein schon aus diesem Grund kein englischer Durchschnittsbürger war, als Mann des Volkes zu präsentieren. Diese Form der öffentlichen Selbstdarstellung hat zu einem nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen, daß Baldwin in allen Bevölkerungsschichten Sympathie sowohl für seine Person als auch für seine Partei wecken konnte. Auch im Central Office der Conservative Party war man sich dieser positiven Wirkung bewußt und bestärkte Baldwin in seinem Stil. In einer Analyse der Radioansprachen von Baldwins Konkurrenten im Wahlkampf von 1935 stellte Patrick Gower fest: »It seems to me that many of the talks have been too formal. They sound like speeches delivered in a hall rather than talks to people sitting in their armchairs at home, and I have always held the view that the more personal, intimate and friendly these talks can be, the greater the influence they will exercise, and there is nobody who can deliver a talk of this kind better than yourself.«13 Seinen großen Einfluß auf die öffentliche Meinung in der Zwischenkriegszeit nutzte Stanley Baldwin, um vor den Gefahren, die durch Nationalsozialismus, Faschismus und Kommunismus drohten, zu warnen und zum Erhalt der englischen Demokratie aufzurufen. Er berief sich dabei vor allem auf den englischen Nationalcharakter, ein Konstrukt, dessen Kern die englische politische Tradition und Geschichte, aber auch eine emotionale Verbundenheit zum Land bildeten.

1. »ENGLISHNESS«. BALDWINS ANTWORT AUF DIE EXTREMISTISCHEN HERAUSFORDERUNGEN

»He interpreted the essential spirit of England« 14 hieß es im Nachruf der Times über Stanley Baldwin. Der konservative Politiker erwarb sich in der Zwischenkriegszeit den Ruf eines Interpreter of England, wie auch der Titel eines Bandes seiner Reden lautete. »Englishness« wurde zum konstitutiven Merkmal von Baldwins Führungsstil und dominierte die politische Kultur der zwanziger und dreißiger Jahre. 15 Die Vorstellung einer spezifischen »Englishness« ist nicht erst durch den konservativen Politiker entwickelt worden, sondern war bereits im 19. Jahrhundert verbreitet. In der industrialisierten und urbanisierten viktorianischen Gesellschaft entstand eine Bewegung, die ein eng mit der englischen Countryside ver13 14 13

Vgl. Gower an Baldwin, 2. November 1935. Baldwin Papers, Bd. 203. Vgl. Lord Baldwin, A Memoir, London 1947, S. 21. Vgl. Nicholas, The Construction of a National Identity, S. 127.

250

Teil 4: Die A b w e h r des E x t r e m i s m u s

bundenes Leben in Abwendung von der modernen Existenz in den hektischen Großstädten propagierte. Es bleibt jedoch umstritten, ob diese Bewegung auch auf die politisch und ökonomisch entscheidenden gesellschaftlichen Gruppen Einfluß nehmen konnte. 16 Vielmehr muß in diesem Zusammenhang die Frage gestellt werden, ob es sich bei der eskapistisch anmutenden »back to the land«Bewegung nicht eher um eine Randerscheinung, ein von Außenseitern propagiertes Idyll handelte, das auf keinen nennenswerten Widerhall in der gesellschaftlichen Realität des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts stieß. 17 Auch in den beiden Jahrzehnten zwischen den Weltkriegen läßt sich ein starkes Interesse an der Frage nach den Spezifika des englischen Nationalcharakters oder auch nach dem Ursprung des Englischen beobachten. Das Verlagshaus Longman reagierte auf dieses Bedürfnis beispielsweise mit der Veröffentlichungsreihe English Heritage. Die BBC strahlte 1933/34 eine Serie mit 23 Gesprächsrunden und Vorträgen über den englischen Nationalcharakter aus, und die Zahl an Romanen und Essays über die Countryside, die bereits im 19. Jahrhundert sehr populär waren, wuchs weiterhin an. So begab sich H. V Morton in seinem 1927 erschienen Roman In Search of England auf die Suche nach jenem ursprünglichen Land, das als die Wiege des nationalen Charakters und der nationalen Kultur angesehen wurde. Dieses Interesse am Thema »Englishness« sollte jedoch nicht als eine Flucht vor den Bedingungen der modernen Gesellschaft, zu der sich England insbesondere während der zwanziger Jahre gewandelt hatte, interpretiert werden. Die Countryside beispielsweise wurde von der Masse der Bevölkerung letztlich nicht als ein zu schonender und mythischer Ort verehrt, sondern eher als Raum für die eigene Freizeitgestaltung genutzt. Auch das Interesse am Leben auf dem Lande sollte nicht als eine Form der Stadtflucht eingeschätzt, sondern als gegenteiliger Trend aufgefaßt werden. Die Städte nahmen letztlich vom Land Besitz und nicht umgekehrt: es entstanden die »suburbs«, die Vorstädte der Metropolen, die bislang dörfliche Strukturen zu urbanen Zentren wandelten. 18 Auch Stanley Baldwins »Englishness« sollte nicht als eine anti-moderne Erscheinung, sondern als eine Reaktion auf zeitgenössische Probleme beurteilt werden. Kernpunkt seines politischen Programms war die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des zwanzigsten Jahrhunderts und nicht etwa eine nostalgische Rückwärtsgewandtheit, die blind machte für die Gegenwart. 19 Der lfc

17

18 19

Diese These findet sich bei Wiener, der in der »Englishness«-Begcistcrung des neunzehnten Jahrhunderts den Schlüssel zu anti-modernen Tendenzen sowohl in der ökonomischen als auch politischen Entwicklung Großbritanniens des zwanzigsten Jahrhunderts sieht. Vgl. Wiener, M. J., English Culture and the Decline of Industrial Spirit 1850-1950, Cambridge 1981. Wieners These wurde insbesondere von den »Cultural Studies« rezipiert. Vgl. hierzu den Sammelband von Colls, R., Dodd, P. (Hrsg.), Englishness. Politics and Culture 1880-1920, London 1986. Vgl. zu dieser Interpretation Mandler, P, Against >Englishness«. English Culture and the Limits to Rural Nostalgia, 1850-1940. In: Transactions of the Royal Historical Society, sixth series, VII (1997), S. 155-175. Vgl. Mandler, Against -Englishness«, S. 170 ff.. Auf diesen Gegenwartsbezug von Baldwins politischem Programm macht Schwarz aufmerksam. Vgl. Schwarz, B., The Language of Constitutionalism. Baldwinite Conservatism. In: Schwarz, B. u. a. (Hrsg.), Formations of Nation and People, London 1984, S. 1-18.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

251

konservative Politiker reagierte jedoch auf den Trend eines verstärkten Interesses an der englischen Countryside und der nationalen Vergangenheit und konnte ihn, nicht zuletzt dank seiner überzeugenden Medienpräsenz, beeinflussen und formen. 20 An zentraler Stelle in Baldwins politischem Programm stand seine Vorstellung von einem spezifisch englischen Nationalcharakter, die sich anhand seiner Reden anschaulich nachzeichnen läßt. Was er als »typisch englisch« ansah, formulierte der konservative Politiker in einem Beitrag in der bereits erwähnten BBC-Serie zum englischen Nationalcharakter: »Kindliness, sympathy with the under dog, love of home! Are not these all the characteristics of the ordinary Englishman that you know? He is a strong individualist in this, that he does not want to mould himself into any common mould, to be like everybody eise; he likes to develop his own individuality.«21 Nach Baldwins Vorstellung war es dieser stark ausgeprägte Individualismus, durch den sich das angeblich so charakteristische Bekenntnis des Engländers zu politischer und geistiger Freiheit erklären ließ. In einem Vortrag in Kanada 1939 ergänzte er seine Interpretation zusätzlich um den Einfluß, den christliche Wertvorstellungen auf diese Grundhaltung ausgeübt hätten: »But you cannot begin to understand the Englishman until you try to realise the impression left on him gencration after generation by the English Bible. [...] the Hebrew spirit of consciousness of human weakness and dependence on God stamped itself on the English character. [...] So I would say that love of freedom and recognition of the individual human value were two of the outstanding qualitics which the Englishman took with him to the New World.«22 Um diese Grundeigenschaften gruppierte Baldwin weitere charakteristische Wesenszüge, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen: der typische Engländer verfügte demzufolge über einen Sinn für erfolgreiches Unternehmertum, Sparsamkeit, »common sense«, eine moderate politische Einstellung, Höflichkeit, Achtung vor Recht und Ordnung sowie Fairneß. Ein weiteres, keinesfalls zu vernachlässigendes Charakteristikum war schließlich der englische Humor, der sich von kontinentalen Ausprägungen dahingehend unterschied, daß er nicht die Form eines intellektuellen Kräftemessens annahm, sondern schlicht war und »von Herzen« kam. 23 Diese Schlichtheit spiegelte sich, laut Baldwin, auch im politischen Denken des Engländers wider. Statt sich auf diffizile politische Experimente einzulassen, verschreibe er sich einem gesunden Pragmatismus: »It is said we are impervious to ideas, and that problems of the intellect do not interest us as a people. There is truth in that, but I do not think that we are incapable of understanding. The question that arises in every Englishman's mind when a propo20 21

22

23

Vgl. dazu vor allem Nicholas, The Construction of a National Identity. Vgl. Baldwin, S., Our National Character. A Broadcast Address delivered in London, 25. September 1933. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 13 f.. Vgl. Baldwin, S., An Interpreter of England. The Falconer Lectures, delivered at the University of Toronto, April 1939, London 1939, S. 19-24. Vgl. Baldwin, An Interpreter of England, S. 19.

252

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s sition in politics o r in a n y t h i n g eise is p u t t o h i m is, >Will it work?« and he has an u n c a n n y instinct as t o w h a t will and w h a t will n o t w o r k . This attitude and this instinct preserves h i m from stränge alien forms of political upheaval t o which m o r e logical or, if y o u like, m o r e intellectual races have s u c c u m b e d . « 2 4

Insbesondere dieses Argument nutzten die Tories, um politische Ideen wie Sozialismus, aber auch Kommunismus und Faschismus, als »unenglische«, weil stark theorielastige Denkmuster, abzulehnen. In Baldwins Skizze waren diesem durchweg positiv gezeichneten Durchschnittsengländer seine typischen Eigenschaften bereits von Geburt an zu eigen, sollten jedoch durch eine sorgfältige englische Erziehung gestärkt und erhalten werden. Diese spezifisch englische Erziehung war der Grundpfeiler einer bereits in viktorianischer Zeit entwickelten Idealvorstellung von einer nationalen Kultur der »Englishness«. Maßgeblich beeinflußt waren die Vorstellungen der englischen Oberschicht von einer genuin englischen Erziehung durch das Bildungsideal der im 19. Jahrhundert entstehenden Public Schools 25 sowie der beiden großen Universitäten Oxford und Cambridge. Da in diesen Bildungsinstitutionen der Nachwuchs der Oberschicht und später verstärkt auch der Mittelschicht ausgebildet wurde, spielten sie eine entscheidende Rolle für die Ausbildung einer spezifisch englischen Kultur. 26 An den Public Schools und großen Universitäten wurde schließlich auch das Ideal des englischen Gentleman 27 entwickelt und vermittelt. Noch in der Zwischenkriegszeit hatte der größte Teil insbesondere des konservativen politischen Establishment dieses Ideal in der Jugend verinnerlicht und war dementsprechend durch die Wertvorstcllungen des »gentlemanly code« geprägt.2S Auch Stanley Baldwin, der seine Schulzeit in der Public School Harrow verbracht und sein Studium in Cambridge absolviert hatte, ist durch die in diesen Institutionen vermittelte englische Erziehung geprägt worden. Nach dem Ersten Weltkrieg, als das Wahlrecht erweitert wurde und die Labour Party erstmals Regierungsmitglieder stellte, die nicht eine solche englische Erziehung durchlaufen hatten, gerieten die Public Schools verstärkt ins Kreuzfeuer der Kritik. Wie sehr diese Bildungseinrichtungen und ihre Erziehungsideale von der Ober- und Mittelschicht als nationale Institutionen angesehen wurden, verdeutlicht ein Zitat von Bernard Darwin, einem entschiedenen Befürworter der Public Schools, aus dem Jahr 1929: »When we are eritieizing its produets, whether by way of praise or blame, it is really to a great extent the English character that we are eritieizing.« 29 24 23

26

27 28

29

Vgl. Baldwin, An Interpreter of England, S. 19. Zur Entwicklung der viktorianischen Public Schools vgl. auch Simon, B., Bradley, I. (Hrsg.), The Victorian Public School. Studies in the Development of an Educational Institution, London 1975. Vgl. Dodd, P, Englishness and the National Culture. In: Colls, R., Dodd, P. (Hrsg.), Englishness. Politics and Culture 1880-1920, London 1986, S. 1-28, S. 3 ff.. Vgl. auch Mason, P, The English Gentleman. The Rise and Fall of an Ideal, London 1982. Vgl. Rieh, P, Imperial Declinc and the Resurgence of English National Idcntity 1918-1979. In: Kushner, T , Lunn, K. (Hrsg.), Traditions of Intolerance. Historical Perspectives of Fascism and Race Discourse in Britain, Manchester 1989, S. 33-52, S. 39. Vgl. Darwin, B., The English Public School, London 1929, S. 28.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

253

Charakteristisch für Stanley Baldwins Interpretation von »Englishness« war jedoch, daß er in den Mittelpunkt seiner Aussagen gerade nicht diese elitäre Vorstellung des englischen Nationalcharakters stellte, sondern sich darum bemühte, durch den gemeinsamen Nenner der englischen Herkunft alle sozialen Schichten zu einen. »Englishness« war für Baldwin das Mittel, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, der die Arbeiterschaft mit dem urbanen Mittelstand und den konservativen Landbesitzern vereinen konnte. Baldwins volkstümlicher Vorstellung von »Englishness« zufolge war der englische Nationalcharakter in einer geradezu mythisch anmutenden Landschaft beheimatet. In einer seiner meistzitierten Reden zeichnete Baldwin die Essenz des Englischen nicht rational, beispielsweise in der nationalen Geschichte aufgehoben, sondern in ausschließlich sinnlichen und emotionalen Kategorien: »To me England is the country, and the country is England. And when I ask myself what I mean by England, when I think of England when I am abroad, England comes to me through my various senses [...]. The sounds of England, the tinkle of the hammer on the anvil in the country [...]. The wild anemones in April, the last load of hay being drawn down a lane as the twilight comes on [...]. These things strike down into the very dephts of our nature, and touch chords that go back to the beginning of time and the human race.«30 In dieser mythischen Landschaft wurzelte in Baldwins politischer Konstruktion von »Englishness« die nationale Geschichte und Tradition. Die Kontinuität der Natur wird in diesem Zusammenhang zur Metapher für eine evolutionäre und kontinuierliche Entwicklung der nationalen Geschichte, die ihrerseits die politischen Institutionen der Gegenwart hervorgebracht habe. Baldwin kultivierte ein bukolisches Idyll der vorindustriellen Gesellschaft, in der Klassengegensätze nicht existierten und soziale Kohärenz vorherrschte. Hier, wo der Grundherr in paternalistischer Manier für seine Pächter sorgte, herrschte allgemeine Zufriedenheit und waren soziale Unruhen ein unbekanntes Phänomen. Die allen Engländern gemeinsame Verbundenheit zu ihrem Land schuf in Baldwins Szenario die Chance, trennende Klassengrenzen zu überwinden, den sozialen Frieden zu wahren und in friedlicher politischer Koexistenz zu leben. Da der typische Engländer aller sozialen Schichten von einem »brotherly and neighbourly feeling« und »a profound sympathy for the underdog« 31 beseelt sei, entspreche dieses friedliche Szenario viel eher dem englischen Nationalcharakter als die »unenglische« Idee vom Klassenkampf. Klassengegensätze und -unterschiede aufzuzeigen, wurde in Baldwins Rhetorik als »class hatred« bezeichnet, der nicht dem ausgleichenden englischen Naturell entspreche: »A great deal of the propaganda that circulates in England today is alien, and all that Propaganda that has for its basis class hatred, and which is being worked so hard to-

Vgl. Rede Baldwins anläßlich des »Annual Dinner of the Royal Society of St. George«, 6. Mai 1924. In: Ders., On England, Glasgow 1933, S. 5. Vgl. Rede Baldwins anläßlich des »Annual Dinner of the Royal Society of St. George« 6. Mai 1924, S. 4.

254

Teil 4: Die A b w e h r des E x t r e m i s m u s day - n o n e of that is i n d i g e n o u s t o English soil. It is g r o w i n g here in places, b u t it c o m e s from abroad, and has c o m e principally from Russia.« 3 2

Sozialen Ausgleich zu schaffen, nach einer sozial homogenen und zufriedenen Nation zu streben - »reconciling the two nations« - , waren Grundelemente von Baldwins paternalistischer Rhetorik. 33 Er griff auf eine konservative Tradition zurück, die ein harmonisches Zusammenleben der verschiedenen sozialen Gruppen propagierte und dies am ehesten in dem bereits beschriebenen ländlichen Modell vom Grundbesitzer und seinen Pächtern verwirklicht sah.34 Vor allem Benjamin Disraelis Politikverständnis übte in dieser Hinsicht einen maßgeblichen Einfluß auf Baldwin aus. In den Mittelpunkt seiner Reden stellte Baldwin die drei, von Disraeli in seiner berühmten Rede im Kristallpalast 1872 definierten Hauptaufgaben des englischen Konservatismus: die Aufrechterhaltung der Constitution, die Wahrung des Empire sowie die Garantie des Wohlergehens der gesamten Bevölkerung. 35 Baldwin betonte, daß dies unumstößliche Axiome konservativer Politik seien, von denen die Partei niemals abweichen dürfe. Disraeli war für ihn »the great prophet [...] through whom Toryism had been illuminated, expounded and made a gospel.« 36 An seine Partei richtete Baldwin im Sinne seines Vorbildes Disraeli den Appell, den Namen »Conservative and Unionist Party«, ursprünglich als äußeres Symbol der Parteinahme für die Union mit Irland entwickelt, in einem weiteren Sinne zu entsprechen: »I want to see the spirit of scrvice to the whole nation the birthright of every member of the Unionist Party - Unionist in the sense that we stand for the union of those two nations of which Disraeli spoke two generations ago; union among our own people to make one nation of our own people at home which, if secured, nothing eise matters in the world.«37 Dieser ausgleichende und moderate Kurs des konservativen Parteiführers stieß in breiten Bevölkerungsschichten auf Zustimmung und sicherte der Conservative Party die Stimmen nicht nur ihrer angestammten Klientel, sondern zunehmend auch diejenigen der politischen Mitte. 38 Vor allem die sich neu formieren32

Vgl. Rede Baldwins anläßlich des »Annual Dinner of the Cambridge University Conservative Association«, 4. März 1927. In: Ders., Our Inheritance. Speeches and Addresses by the Right Honourable Stanley Baldwin, London 1928, S. 30. 33 In D. C. Watts kurzer Biographie des Premierministers wird dieses Bemühen um einen »nationalen Konsens« als das markanteste Charakteristikum der »Ära Baldwin« bezeichnet. Vgl. Watt, D. O , Stanley Baldwin and the Search for Consensus, London 1996, S. 6. 34 Vgl. McKenzie, Silver, Angels in Marble, S. 29. " Diese »Essenz« des englischen Konservatismus faßte Disraeli folgendermaßen zusammen: »to maintain the institutions of the country [...], to uphold the Empire of England [...], and to elevate the condition of the people.« Zitiert nach McKenzie, Silver, Angels in Marble, S. 50. 36 Vgl. Rede Baldwins in Oxford, abgedruckt in: The Times 29. Mai 1923. 37 Vgl. Rede Baldwins in der Royal Albert Hall, 4. Dezember 1924. In: Ders., On England, S. 59. 38 »His moderate, democratic tone enabled the Conservative party to compete successfully for the votes of the political center, that middle multitude of old Liberais and new voters that constituted the Swing dement in British elections after the war.« Vgl. Bright, C , Class Interest and State Policy in the British Response to Hitler. In: Fink, C , Hüll, I., Knox, M. (Hrsg.), German Nationalism and the European Response, Norman 1985, S. 207-246, S. 220.

I. D i e Rolle Stanley Baldwins

255

de soziale Schicht der im Dienstleistungssektor berufstätigen »white collar workers« wandte sich, in Absetzung von der Industriearbeiterschaft, den Tories als politischer Vertretung zu. 39 Darüber hinaus konnte Baldwin durch die besondere Betonung der durch Disraeli geprägten Tory-Tradition innerparteiliche Kritiker in ihre Schranken verweisen, die ihm vorwarfen, seine Politik unterscheide sich im Grunde nicht von der Ramsay MacDonalds. 40 McKibbin hat darauf aufmerksam gemacht, daß es den Konservativen unter Baldwin gelungen sei, ihre Vorstellungen vom idealtypischen Engländer und typisch englischen Eigenschaften zu einer »Conventional Wisdom« zu machen und dadurch insbesondere die Forderungen der organisierten Arbeiterschaft zu diskreditieren. 41 Doch darf bei dieser Interpretation der positive Eindruck, den Baldwins »Englishness« bei vielen Wählern erwecken konnte, nicht außer acht gelassen werden. Es handelte sich dabei nicht ausschließlich um eine auf die Bekämpfung des politischen Gegners gerichtete konservative Strategie, sondern stellte gleichzeitig einen optimistischen Gesellschaftsentwurf dar, der bei vielen Zeitgenossen Baldwins auf Unterstützung stieß. N u r so läßt sich die breite Zustimmung und Bewunderung, selbst über Parteigrenzen hinaus, erklären. Durch Baldwins Konzept gelang es den Konservativen, die für ihre Wahlsiege entscheidenden Wählerstimmen aus dem Lager der Liberalen zu gewinnen. Zusätzlich sprach die auf den nationalen Konsens aufbauende Rhetorik Baldwins auch neue Wähler aus der Arbeiterschicht an, die sich nicht der organisierten Arbeiterschaft zugehörig fühlten und deshalb nicht die Labour Party wählten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß ein politisches Programm, in dem die nationale Identität mit »Englishness« gleichgesetzt wurde, in ganz Großbritannien Erfolg hatte. Ein Blick auf die politische Landkarte des Vereinten Königreiches vermittelt einen ersten Hinweis, warum Baldwin eher von »Englishness« als von »Britishness« sprach. Die Tories hatten traditionell ihre Hochburgen in England, im Süden des Landes, während die Labour Party vor allem in Schottland und Wales erfolgreich war. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich auch, warum die Labour Party in ihren öffentlichen Äußerungen stets die Bezeichnungen »british« oder »Britain« verwendete. »Englishness« wurde von Baldwin jedoch nicht als differenzierender, sondern vor allem als einigender Faktor aufgefaßt und als solcher dargestellt. Er unterschied nicht zwischen »England« und »Britain«, sondern verwendete beide Bezeichnungen annähernd synonym. So kann seine sehr positiv gezeichnete Konzeption von »Englishness« auch jene Wähler angesprochen haben, die in den von der Rezession besonders hart getroffenen Regionen in Schottland oder Wales lebten. Ihnen wurde der Eindruck vermittelt, ebenfalls Teil zu haben am Erfolg einer Nation, der sich wirtschaftlich zur Zeit vorrangig im Süden bemerkbar machte. »Englishness« kann deshalb auch für Schotten und Walliser durchaus eine attraktive Form der Identitätsstiftung in ökonomisch schwerer Zeit gewesen sein. 39 40 41

Vgl. Pollard, The Development of the British Economy, S. 267. Vgl. Ramsden, The Age of Balfour and Baldwin, S. 214. Vgl. S. 71 f..

256

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus

Verstärkt wurde die Glaubwürdigkeit Baldwins durch seine betont christliche Grundhaltung. Er legte großen Wert auf Begriffe wie »Character«, »Service« und »Christianity«, was seiner Botschaft den Charakter eines allumfassenden politischen und gesellschaftlichen Katechismus und dem Premierminister gewisse »pastorale« Züge verlieh.42 Baldwin war ein sehr religiös geprägter Politiker, der seine Aufgabe als Premierminister folgendermaßen definierte: »I knew that I had been chosen as God's instrument for the work of the healing of the nation.« 43 Für Stanley Baldwin zählte die Vermittlung traditioneller Wert- und Moralvorstellungen angesichts der sich rapide wandelnden gesellschaftlichen Realität nach dem Ersten Weltkrieg zu seinen vorrangigen Aufgaben. Sein zentrales Thema in den dreißiger Jahren lautete folglich, die englischen Wähler über den wahren Charakter des Kommunismus und Faschismus aufzuklären und vor der Gefahr, die von den extremen Parteien für den englischen Parlamentarismus ausging, zu warnen: »I do not think there is any single thing more important for our people, and for those who form public opinion, than to keep our people immune, so far as they can be so kept, from the virus of either Communism or Fascism.«44 Nach Ansicht des konservativen Politikers lag der Schlüssel zur Abwehr extremistischer Tendenzen vornehmlich in einer gut informierten, wachen und vor allem verantwortlich handelnden Öffentlichkeit: »Our System of reprcsentative government and constitutional progress is being challenged by Fascism and Communism. The defence against these attacks lies in a politically educated democracy, proud of its responsibilities, adequatcly informed as to the realities of our political and economic problems, and alive to the dangers innerem in the doctrines and methods of Socialism, Communism and Fascism.«45 Dieser Aspekt wurde auch in den Parteiveröffentlichungen der Conservative Party thematisiert. Das Conservative Agents' Journal schrieb im Mai 1934: »The real danger to democracy is [...] the indifference or inconsistency of the people enfranchised. [...] The defence of democracy is a politically educated people. The alternative as we see it in Europe, is one form or other of dictatorship - Systems which rest on force, and not [to quote Mr Baldwin] >on the historical British method of moulding public opinion and arriving at great decisions by means of free debate and open discussion.««46 Als essentiell für die Abwehr des Extremismus wurde die politische Bildung und Erziehung der englischen Wählerschaft angesehen. Die Conservative Party vertraute darauf, daß die nach ihren Vorstellungen politisch gebildeten Wähler nicht für die extremistischen Parteien stimmen würden: »An instrueted electo42 43

44

43 46

Vgl. Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 190. Zitat aus einem Brief Baldwins aus dem Jahr 1938. Zitiert nach Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 199. Vgl. Rede Baldwins in seinem Wahlkreis, 10. April 1937. In: Ders., Service of our Lives. Last Speeches as Prime Minister, London 1937, S. 102. Vgl. Baldwin in einem Vorwort zu Politics in Review, 1 (1934), S. 3. Vgl. Conservative Agents' Journal, Mai 1934, S. 98 f..

I. D i e Rolle Stanley Baldwins

257

rate will not always be wise, but an uninstructed electorate will be a prey to folly. Knowledge must be the foundation of political wisdom.« 47 Natürlich wollten die Konservativen die Wähler gemäß ihren eigenen Vorstellungen von der englischen Tradition, Demokratie und Gesellschaft bilden. Eine Sensibilisierung der Wählerschaft für den Wert der Demokratie war gleichbedeutend mit politischer Erziehung, die auf die Unterstützung konservativer Auffassungen zielte. Eine Stimme für die Demokratie war automatisch eine Stimme für die Konservativen, und »Political Wisdom« zeichnete sich durch die Stimmabgabe für die Tories aus. Wie noch zu zeigen sein wird, war jedoch ein starkes Interesse an den Möglichkeiten politischer Bildung über die Parteigrenzen hinaus eine wichtige Reaktion der englischen Gesellschaft auf die Herausforderungen durch Faschismus und Kommunismus. Nicht nur die Konservativen stellten angesichts der Popularität totalitärer Herrschaftsmodelle einen erhöhten Bedarf an politischer Bildung fest, mit deren Hilfe man die Verantwortung der eigenen Bevölkerung für die Demokratie festigen wollte. Um diesem selbstgestellten Erziehungsauftrag gerecht zu werden, entwickelte die Conservative Party, maßgeblich durch Baldwin beeinflußt, insbesondere in den Jahren nach 1933 eine demokratische Antwort auf die extremistischen Herausforderungen. Ähnlich wie die Labour Party betrachteten es auch die Tories als eine wichtige politische Herausforderung der Zeit, die englische Demokratie gegen die Gefahr von rechts und links zu verteidigen. Ein besonders entschiedener Vertreter dieser Haltung war Baldwin, der es verstand, in sein bereits etabliertes politisches Konzept die extremistischen Parteien als gefährlichste Gegner des angestrebten nationalen Konsens einzuordnen und damit letztlich die eigene Position des »healer of the nation« sogar zu stärken. Die Antwort der Conservative Party auf BUF und CPGB sollte ebenso kohärent sein wie die Gesellschaftsentwürfe des Faschismus und Kommunismus und nahm schließlich selbst einen annähernd als ideologisch zu bezeichnenden Charakter an. Baldwins »demokratische Doktrin« stellte den Versuch dar, die öffentliche Meinung vollkommen gegen die totalitären Ideologien zu einen. 48 Für Baldwin, den »verspäteten Viktorianer« 49 , waren Faschismus und Kommunismus Auswüchse der sich immer schneller entwickelnden Industriegesellschaft mit ihren modernen Kommunikationsmöglichkeiten, in der die Rückbesinnung auf überlieferte Werte und Traditionen vernachlässigt wurde. 50 Der Glaube an die Beherrschbarkeit der Technik spiegelte sich nach seiner Einschätzung auch in dem Verlangen nach neuen und effizienten politischen Ideen wider: »It is only natural in an age when speed is a God that people get impatient with politics, and they think that you can effect your changes as swiftly in the 47 48 49 30

Vgl. Conservative Agents'Journal, Mai 1934, S. 98 f.. Vgl. Williamson, Stanley Baldwin, S. 324. Vgl. Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 186. »This is a mechanical age. It is a material age. [...] when you get mechanical and materialistic you are going in the right direction to feel the impact of mass Suggestion and mass movement.« Vgl. Rede Baldwins in seinem Wahlkreis, 10. April 1937. In: Ders., Service of Our Lives, S. 101.

258

Teil 4: Die A b w e h r des E x t r e m i s m u s

management of mankind and dealing with human nature than you can in dealing with mechanics.« 51 Doch entspreche ein solches, lediglich auf Effizienz abzielendes Politikverständnis nicht der englischen Tradition der Demokratie. Baldwin sprach stets von einer demokratischen und weniger von einer parlamentarischen Tradition des englischen politischen Systems, obwohl der zweite Begriff sicherlich zutreffender ist. Ein gleiches Wahlrecht für alle Menschen in Großbritannien existierte letztlich erst seit der zweiten Wahlrechtserweiterung von 1928. Baldwin selbst hatte stets auf der Seite der Befürworter der Wahlrechtserweiterungen von 1918 und 1928 gestanden 52 , so daß bei ihm durchaus von einer echten demokratischen Überzeugung ausgegangen werden kann. Die Betonung einer demokratischen Tradition weist jedoch darauf hin, daß Baldwin das Vertrauen in die auch für die britische Insel neue Massendemokratie stärken wollte. Nicht zuletzt deshalb bildete ein fast schon zum Mythos erhobener Demokratiebegriff den Kern der Argumentation des konservativen Politikers gegen die extremistischen Bewegungen. Demokratie wurde als eine englische Tradition dargestellt und zu Herz und Seele des Engländers stilisiert: »But if we once lose our democratic liberties for which our forefathers fought and suffered, we lose our character, and we lose our souls. [...] There are things which we in England [...] esteem far more than money, and those are freedom of speech and liberty of conscience. Without these things life to an Englishman is not worth having.«53 Geistige und politische Freiheit waren in Baldwins Augen ein essentieller Bestandteil der englischen Tradition und Gesellschaft: »This country without freedom would no longer be a country for an Englishman to live in. Ordered liberty will never perish from the earth so long as Englishmen are the guardians of their liberties.«54 In England sei das demokratische System über Jahrhunderte hinweg entwickelt und hart erarbeitet worden. Kein anderes Land in Europa verfüge über eine ähnlich demokratische Tradition wie Großbritannien, im Gegenteil: viele der europäischen Demokratien seien ihren Ländern regelrecht aufgezwungen worden, so daß sie dort zum Scheitern verurteilt waren: »Democracy [...] is not an indigenous plant in any country that I know of in Europe except this country [...] it is a historical fact that England is the rieh historical seed ground of the constitutional democracy which we enjoy today. [...] In this country it has been growing in one shape or form for many, many centuries with no interruption that led to serious bloodshed except the civil war in the seventeenth Century. In Germany, of course, it was a new and forced plant. They never knew what it was in our sense of the word, although many of them dreamt of it. In no other country had it any indigenous growth at all, certainly not in Russia or Italy.«55 51 32 33

34 33

Vgl. Rede Baldwins in seinem Wahlkreis, 21. April 1934. Baldwin Papers, Bd. 201. Vgl. Close, The Collapse of Resistance to Democracy, S. 909. Vgl. Baldwin in einer Rede in Preston, 14. Februar 1934, abgedruckt in: Politics in Review, 1 (1934), S. 42. Vgl. Flugblatt (1934/27) »Mr Baldwin on Fascism. Danger of Class War«. Vgl. Rede Baldwins in Ashridge, 14. Februar 1936. Baldwin Papers, Bd. 203.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

259

Laut Baldwin beweise die Geschichte, daß autoritäre Regierungsformen für Großbritannien kein adäquates Mittel der Politik seien. Man vertraue auf demokratische Methoden, um selbst schwierigste Situationen zu bewältigen: »Dictatorship is not in our tradition. We have had ten years of dictatorship in three centuries, and we have never sought a second Cromwell. We are not likely to seek one today, when our Parliamentary institutions have proved themselves to have such resilience and such reserves of power as to bring us triumphantly through the strain of the war and the post-war industrial difficulties.«56 Grundlage dieser Verbundenheit mit der Demokratie war in Baldwins Szenario der typisch englische Individualismus, den er gleichzeitig als Schlüssel für die Stärke der englischen Gesellschaft und die Macht des Empire ansah: »[...] in no nation more than the English is there a diversified individuality. We are a people of individuals, and a people of character. [...] The preservation of the individuality of the Englishman is essential to the preservation of the type of the race, and if our differences are smoothed out and we lose that great gift, we shall lose at the same time our power. Uniformity of type is a bad thing.«57 Einer von Baldwins wichtigsten Kritikpunkten an den totalitären Ideologien war der Verlust jeglicher Individualität. Er befürchtete, daß das Individuum in der mit modernen Propagandamethoden gleichgeschalteten Masse untergehen könnte. Der Gegensatz zwischen Individualität und Masse war für ihn gleichbedeutend mit dem Antagonismus von Demokratie und Diktatur: »The whole tendency of it [dictatorship] is to squeeze out the competent and independent men and to create a hierarchy used to obey.«5S Mit dieser Unterdrückung der Untertanen in physischer und intellektueller Hinsicht ging nach Baldwins Auffassung ein weiteres fundamentales Problem einer Diktatur einher. Sie könne keinen geeigneten Nachfolger des Diktators hervorbringen: »I admit a dictator can do much. When in power he may do everything. But there is one thing he cannot do, and that is create another dictator. Dictatorship is like a giant beech tree very magnificent to look at in its prime, but nothing grows underneath it.«59 Im Gegensatz zu seinem Szenario eines autoritären Staates war für Baldwin die Demokratie, trotz aller Mängel, die beste aller Regierungsformen. Gleichzeitig betonte er, daß sie auch die größte Herausforderung für ein Land darstelle, da sie ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein und Disziplin von der Wählerschaft verlange: »I have often said that it [democracy] is the hardest form of government there is. It is hard because it will never be a success unless people do believe in it and use their utmost endeavours to make it work and to make it a success. [...] Responsibility under democracy does not only rest on the leaders. It is not only my responsibility, it is the responsibility of every man and woman of adult age.«60 54 37

38 39 60

Vgl. Flugblatt (1933/25) »A Socialist Dictatorship. Mr Baldwin exposes Revolutionary Policy«. Vgl. Rede Baldwins anläßlich des »Annual Dinner of the Royal Society of St. George«, 6. Mai 1924. In: Ders., O n England, S. 4 f.. Vgl. Radioansprache Baldwins, 6. März 1934. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 21 f.. Vgl. Radioansprache Baldwins, 6. März 1934. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 22. Vgl. Rede Baldwins in Leeds, abgedruckt in: The Times 8. November 1935.

260

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

Baldwin skizzierte gegenüber seiner Wählerschaft anschaulich den Zusammenhang zwischen Freiheit und einem ausgeprägten Verantwortungsbewußtsein, ohne das kein demokratisches System existieren könne: »Freedom and discipline alone can make a living and vivifying democracy. These two words, which to the thoughtless are antinomies, have become complementary, and each is only capable of rising to the fullness of its integrity by admixture with the other. Freedom without discipline soon degenerates into licence [...]. Discipline without freedom will make in time a nation of slaves. Freedom will give the spirit, and discipline the responsibility.«61 Erneut wird deutlich, daß der konservative Politiker es für notwendig hielt, die Wählerschaft einer erst seit wenigen Jahren bestehenden Massendemokratie stets an die hohen moralischen Anforderungen zu erinnern, die eine Demokratie an sie stellte. Es war dieses Verantwortungsbewußtsein, die Idee des Dienstes für die Gemeinschaft -»the spirit of service«-, die Baldwin immer wieder beschwor. Auch darin sah er ein gemeinschafts- und identitätsstiftendes Element. Auf diese Weise könne der von ihm angestrebte soziale Ausgleich erreicht, sowie die Polarisierung der Gesellschaft vermieden werden: »What we want among our people in all ranks and classes is the spirit of service, which alone can bind us together.« 62 Eine der Quellen, aus der sich jener »spirit of service« speiste, war in Baldwins Interpretation ein demokratischer Patriotismus, den er bewußt gegen den »Fluch des Chauvinismus« absetzte. 63 Ein positiv verstandener Stolz auf die englische Nation und ihre Traditionen fungierte sogar als eine Bedingung für den Erhalt der parlamentarischen Demokratie: »Pure patriotism, which asks nothing and seeks nothing, which gives service because it >can no other«, is a necessary ingredient in the character upon which a great democracy is built. Indeed, if the word be used in its widest sense and in its highest, it comprises the whole duty of man as a Citizen.«64 Auch in seinem Bemühen um die Abwehr des Extremismus in England versuchte Stanley Baldwin ein starkes Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. In seinen Reden erinnerte er daran, daß es die Aufgabe eines jeden Engländers sei, die demokratische und freiheitliche Tradition Englands gegen Anarchie, Tyrannei oder Bürgerkrieg zu verteidigen. Von ihm als englische Errungenschaften bezeichnete Grundwerte wie Freiheit und Demokratie müßten vor fremden Ideologien geschützt werden. Rückblickend nannte Baldwin die Verbindung des »spirit of service« mit dem Kampf gegen undemokratische und deshalb »unenglische« Einflüsse »the National Unity of Spirit«: 61

a

M 64

Vgl. Rede Baldwins in der Universität Glasgow, 20. Januar 1930. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 286. Vgl. Rede Baldwins in Bradford, abgedruckt in: The Times, 30. November 1923. Die reichen, gebildeten und privilegierten Schichten der Gesellschaft hätten eine besondere Verpflichtung diesem Ideal gegenüber: »Unto whomsoever much is given, of him shall much be required.« Vgl. dazu Williamson, Stanley Baldwin, S. 295. Vgl. Rede Baldwins in der Universität Glasgow, 20. Januar 1930. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 282 f..

I. D i e Rolle Stanley Baldwins

261

»For fourteen years I preached [and I fear that t h e w o r d is applicable t o m a n y of m y Speeches] u p and d o w n G r e a t Britain, a t t e m p t i n g t o achieve a national u n i t y of spirit and a high c o n c e p t i o n of w h a t d e m o c r a c y m a y be, and calling for unselfish Service t o this ideal.« 6 5

Baldwin interpretierte den Parlamentarismus als englisches Erbe, als eine Art Vermächtnis der Vorfahren. In seinem Konzept von »Englishness« war das parlamentarische Prinzip untrennbar mit der englischen Geschichte und Tradition verbunden, da es auf natürliche Weise in die englische Gesellschaft hineingewachsen war: »[The English Parliament] was the natural outcome, through long centuries, of the common sense and the good nature of the English people, who have always preferred committees to dictators, elections to street-fighting and Talking Shops to revolutionary tribunals. [...] this is the only country [...] where parliamentary government has grown up, the only country in which it is traditional and hereditary, where it is flesh of our flesh and bone of our bone.«66 Baldwins Vertrauen in den natürlichen Ablauf der Geschichte erlaubt durchaus den Verweis auf die viktorianische Geschichtsauffassung der Whig Interpretation of history. Ähnlich wie die Whig-Historiker 67 des 19. Jahrhunderts den Gang der englischen Geschichte als eine evolutionäre Entwicklung hin zum Parlamentarismus deuteten 68 , bettete auch Baldwin die auf dieser Tradition basierende englische Demokratie in die nationale Geschichte ein. Mit seinem unerschütterlichen Glauben an die eigene Vergangenheit, die er als stetige Verbesserung der politischen Institutionen und gesellschaftlichen Zustände in Verwirklichung der Idee der Freiheit interpretierte, war er davon überzeugt, daß der englische Parlamentarismus das beste aller Regierungssysteme sei. Von seinem Standpunkt in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ausgehend, nahm der konservative Premierminister nur das wahr, was in der Entwicklung der englischen Gesellschaft auf die Gegenwart hinführte. Mit dieser Sichtweise war Baldwin, der 1888 mit einem Abschluß in Geschichte die Universität Cambridge verlassen hatte, Anhänger eines Geschichtsbildes des 19. Jahrhunderts 69 , das noch bis in die dreißiger Jahre an den großen Universitäten in England vorherrschen sollte.70 M

Vgl. Baldwin, An Interpreter of England, S. 10. Vgl. Rede Baldwins anläßlich der »Empire Parliamentary Association's Conference«, 4. Juli 1935. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 5. 67 An dieser Stelle muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Bezeichnung »Whig« in diesem Zusammenhang nicht unbedingt auch die politische Orientierung hin zu den Liberalen bedeutete. So schrieben durchaus auch Historiker, die Anhänger der Tories waren, wie zum Beispiel Froude und Stubbs, in der Schule der »Whig Historians«. 68 »Whig history that earns the name is, by definition, a success story: the story of the triumph of constitutional liberty and representative institutions.« Vgl. Burrow, J. W, A Liberal Descent. Victorian Historians and the English Past, Cambridge/London 1981, S. 3. " Eine Studie der Inhalte, die im Geschichtsstudium der Oxford History School vermittelt werden sollten, findet sich bei Soffer, R., Nation, Duty, Character and Confidence. History at Oxford, 1850-1914. In: Historical Journal 30 (1987), S. 77-104. Dort heißt es über die Oxforder Professoren: »They valued strong, moral, national character; the evolution of responsible local political institutions; and a gradual and peaceful constitutional progress. [...] The reconstruction of the past by the professors prevailed in every classroom and textbook [...].« S. 88 f.. 70 Vgl. Soffer, Nation, Duty, Character and Confidence, S. 103. 66

262

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

Baldwins »Englishness« zeichnete sich in politischer Hinsicht durch eine enge Verbundenheit mit der Demokratie und den Begriffen Freiheit und Individualismus aus. Der Constitutionalism, ein den ungeschriebenen Regeln der englischen Constitution folgender nationaler Konsens, wurde als essentieller Bestandteil des englischen Nationalcharakters dargestellt. Seine Wurzeln hatte er in der jahrhundertelangen englischen Tradition des Parlamentarismus, aber auch des englischen Liberalismus. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß der konservative Politiker Baldwin, der aus einer Familie mit eher liberaler Tradition stammte 71 , die klassischen Prinzipien des englischen Liberalismus aufgriff. Er deklarierte sie als typisch englische Tugenden, die nicht länger mit dem Attribut liberal belegt, sondern nun generell als englisch bezeichnet und als englische Antwort auf die extremistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts präsentiert wurden. In einer Epoche, für die der Strange Death of Liberal England konstatiert wurde 72 , erlebten liberale Auffassungen somit eine Ablösung von parteipolitischen Bindungen und wurden als Grundkonsens der gesamten Nation dargestellt. Durch diese Integration liberaler Vorstellungen in das politische Programm der Conservative Party wurden die Tories zu einer attraktiven O p tion für die ehemaligen Wähler der Liberalen Partei. Baldwin gelang es darüber hinaus, seine Vorstellungen von einem typisch englischen Constitutionalism als Teil des nationalen Charakters darzustellen, wobei die konservative Interpretation als englisch präsentiert werden konnte. 73 Die parteiübergreifende Zustimmung zu dieser Rückbesinnung auf angeblich typisch englische Traditionen und Wertvorstcllungen bestätigt die Annahme, daß Baldwin die politischen und moralischen Bedürfnisse seiner Zeitgenossen richtig einschätzte. Baldwins Konzept der »Englishness« war für viele Engländer eine überzeugende Antwort auf die politischen Herausforderungen der dreißiger Jahre. Darauf lassen nicht zuletzt die hohen Wahlsiege der Tories schließen. In Baldwins Interpretation stellte die Institution der englischen Monarchie einen wichtigen Bestandteil des durch Jahrhunderte hindurch gewachsenen Constitutionalism dar. Der konservative Politiker integrierte in sein Bild von der englischen Demokratie auch dieses - in der Bevölkerung sehr beliebte Element - nationaler Identität. Es gelang ihm, den Monarchen als einen wichtigen Garanten des demokratischen Systems und als Gegenbild zum modernen Diktator darzustellen: »The position of the Crown is perhaps one of the most difficult features of our Constitution to appreciate. [...] In our view it is a tremendous thing to have as the head of the State a man who is independent of and is outside politics. His presence as the Sein Vater, Alfred Baldwin, unterstützte in der Wahl von 1868 zunächst Gladstone, bevor er später ein Anhänger Disrealis wurde. Baldwins Onkel, Enoch Baldwin, war liberaler Abgeordneter für Bewdley von 1880 bis 1885. Vgl. Dangerfield, G., The Strange Death of Liberal England, London 1966 (erstmals veröffentl. 1935). »Baldwin hoped - by activating a sense of national identity - to bring the masses to an appreciation of the liberal-constitutional heritage enshrined in the nations past, preventing the tumble into political and cultural collapse.« Vgl. Schwarz, The Language of Constitutionalism, S. 14.

I. D i e Rolle Stanley Baldwins

263

c o p i n g - s t o n e , as it w e r e , of o u r Constitution is in itself a guarantee of t h e stability of o u r democracy. So long as he is there, there can be n o Fascist o r C o m m u n i s t g o v e r n ment.« 7 4

Baldwin hatte erkannt, welche bedeutende Rolle die englische Monarchie für die Identifikation der Bevölkerung mit dem politischen System spielte und wies dem König deshalb eine wichtige Funktion für den Erhalt der Demokratie zu. Das immer wieder als eine seiner besten Handlungen als Politiker gepriesene Vorgehen Baldwins in der Frage der Abdankung Edwards VIII. muß vor dem Hintergrund dieser Einschätzung gesehen werden. Für den konservativen Premierminister stand die zentrale Bedeutung, die dem Monarchen als Oberhaupt einer konstitutionellen Monarchie zukam, außer Frage. Dieser Monarch mußte in jeglicher Hinsicht ein Vorbild in der Verkörperung nationaler Tugenden sein und sollte als ein Symbol der Pflichterfüllung für die Belange des Staates agieren. Edwards Eignung für diese Rolle des integeren und verantwortungsbewußt handelnden Staatsoberhauptes ließ angesichts seiner angestrebten Ehe mit einer bereits geschiedenen Frau Zweifel zu. Seine angeblichen Sympathien für den Nationalsozialismus, die Edward insbesondere aus den Reihen der Labour Party vorgeworfen wurden, verstärkten zusätzlich die Entscheidung, ihn zur Abdankung zu nötigen. Baldwin befürchtete, daß ein solch umstrittener Monarch, wie Edward es zweifelsohne geworden wäre, den von ihm so mühsam aufgebauten nationalen Konsens empfindlich stören könnte und entschied nicht zuletzt deshalb, den aus Liebe blinden König zur Abdankung zu drängen. 75 Gegen diese englische Tradition der Demokratie wurden Faschismus und Kommunismus in Baldwins Rhetorik als fremd und »unenglisch« abgesetzt. Ein Vorteil von Baldwins gedanklichem Konstrukt der »Englishness« auch in bezug auf den Extremismus war seine Exklusivität. Durch die inhaltliche Besetzung dieses Bereiches allein durch die Konservativen konnten alle Aspekte des öffentlichen politischen Lebens, die nicht in konservative Vorstellungen paßten, als »unenglisch« bezeichnet werden. Bereits in den zwanziger Jahren hatte Baldwin diese Taktik gegenüber der Labour Party erprobt, deren Forderungen er ebenfalls als fremdartig sowie den nationalen Konsens störend bezeichnet hatte.76 Nun stellte er zusätzlich die Ideen des Kommunismus und Faschismus als »unenglische« Bewegungen dar: »These schemes are not of English origin. They belong to countries who do not know what freedom means and who have not been able to maintain Parliamentary Government. They are alien in their coneeptions, they are alien in their traditions, they are alien in their action.«77 Die kontinentaleuropäischen Diktaturen des Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus bezeichnete Baldwin als »the entire antithesis to everything 74 73 76

77

Vgl. Baldwin, An Interpreter of England, S. 41 f.. Vgl. Williamson, Stanley Baldwin, S. 327f.. »In shaping this anti-totalitarian ideology, Baldwin developed and re-directed many of the leading themes and images he had used against socialism and militant trade unionism in the 1920s.« Vgl. Williamson, Stanley Baldwin, S. 325. Eine ausführliche Untersuchung dieser Strategie findet sich bei Jarvis, D., Stanley Baldwin and the Ideology of the Conservative Response to Socialism. Vgl. Protokoll des Parteitags 1933, Eröffnungsansprache Baldwins.

264

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

for which we stand« 78 . Eine Unterwerfung Englands unter ein ähnlich geartetes System wurde als ein Akt der Feigheit, eine Verkennung der englischen Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der eigenen Tradition gewertet: »And for us in this country to think of having, for example a dictatorship - a populär form of government in many countries today - would on our part be an act of consummate cowardice, an act of surrender, of throwing in our hands, a confession that we are unable to govern ourselves.«79 Im direkten Vergleich mit anderen europäischen Demokratien, die nun von extremistischen Regimen beherrscht wurden, gewann England an nationaler Größe. Baldwin betonte die Bedeutung, die der »Insel der Demokratie« in einer zunehmend den Diktatoren verfallenden Welt zukam: »The world recognizes us today, perhaps more than it ever has, as the home of freedom.« 80 Ein wichtiger Effekt dieser Argumentation ist die Mobilisierung des Stolzes auf die Tradition und Besonderheit der eigenen Geschichte. Der konservative Politiker vermittelte der Bevölkerung Großbritanniens in den dreißiger Jahren das Gefühl, Teil einer besonderen und moralisch unanfechtbaren Nation zu sein, deren gesellschaftliche Realität Vorbild und Ideal für andere Länder war. Er rief seine Zuhörer und potentiellen Wähler dazu auf, gegen die autoritären Regime nicht nur im eigenen Interesse Widerstand zu leisten, sondern auch deshalb, weil die gesamte Welt auf England als eine letzte Bastion 81 der Freiheit und Zivilisation in Europa schaue: »There is no country in the world where lovers of freedom are not watching this country today and praying that we may stand firm and maintain our democratic Constitution and a democratic tradition that goes back over the centuries.« 82 Der konservative Parteiführer wollte bei seinen Landsleuten Stolz auf den Widerstand gegen die totalitäre Herausforderung wecken und an das nationale Selbstbewußtsein appellieren, wenn er über Kommunismus und Faschismus sagte: »I do not believe that this kind of thing will spread in this country. It is not natural to us. It does not alarm me. [...] It is democracies being unable to maintain themselves, as happened in Italy and Germany, that has led to the constitutions they have today. But after all great qualities these countries have, their democracy did not grow up from the seed through centuries of struggle and experience, as it has done with us.«83 In seiner Argumentation gegen den Extremismus betonte Baldwin gleichzeitig ein religiöses Element. Er stellte den Widerstand gegen Faschismus und Kom78 Vgl. Rede Baldwins in Ashridge, 14. Februar 1936. Baldwin Papers, Bd. 203. " Vgl. Radioansprache Baldwins, 6. März 1934. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 21. 8C Vgl. Rede Baldwins in Ashridge, 1. Dezember 1934, abgedruckt in: General Election Guide 1935, »Hints for Speakers and Workers«, S. 385. 81 Gern nutzte Baldwin auch die Metapher vom »Fels in der Brandung«, wenn er diese Funktion Englands ansprach: »And you cannot think with what anxicty they are looking to this country today as the last stronghold of freedom, Standing like a rock in a tide that is threatening to submerge the world.« Vgl. Radioansprache Baldwins, 6. März 1934. In: Ders., This Torch of Freedom, S. 23. 82 Vgl. Rede Baldwins in Leeds, abgedruckt in: The Times 8. November 1935. 83 Ebenda.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

265

munismus nicht nur als Kampf für politische Freiheit oder Redefreiheit, sondern auch als Verteidigung religiöser Freiheit dar: »If there is one thing we in this country stand for today, and have stood for and have achieved through numberless years of blood and sweat, it is intellectual and religious freedom. The great danger that faces humanity today is the danger of the loss of this freedom in England, because it is the air we breathe. [...] If freedom has to be abolished and room has to be made for the Slave State, Christianity must go because Slavery and Christianity cannot live together.«84 Auf diese Art und Weise wurde der Extremismus nicht nur politisch, sondern vor allem auch moralisch bekämpft. 85 Es war Baldwin äußerst wichtig, das Vertrauen der englischen Wählerschaft in »moral values« zu stärken. Christlich geprägte Wert- und Moralvorstellungen bemühte er auch, um die Ablehnung der extremistischen Parteien zu begründen. Deshalb führte er unter anderem an, daß sowohl die Nationalsozialisten in Deutschland als auch die Kommunisten in Rußland die freie Religionsausübung verboten hätten: »I do not want you to lose sight of certain anti-Christian movements in Europe at the present moment, and to resolve firmly that in this country at least there shall not be one inch of ground that shall even be ceded to those who fight the battle against whatever we may mean by religion.«86 Baldwin beschrieb die Diktatur als eine Bedrohung des christlichen Glaubens und setzte sie mit einer extremen Form moralischen Niederganges gleich. Erneut wurde das Ideal der Pflichterfüllung eines jeden einzelnen in den Vordergrund gestellt: Die Abwehr des Extremismus wurde zur Christenpflicht jedes Engländers erklärt und ein mögliches Scheitern des demokratischen Systems in England sogar als »Blasphemie« bezeichnet: »If we fail democracy, it will indeed be blasphemy against the Holy Ghost.« 87 In Baldwins Rhetorik erscheint der von ihm geforderte Widerstand gegen die extremistischen Bewegungen geradezu als eine Art Kreuzzug gegen die Negation christlicher Werte. Die Verteidigung der Demokratie wurde zur christlichen Mission: »This is the most effective means to replace individuality, liberty and brotherhood with dictatorship, slavery and diabolical hatred. [...] As Christian truth and ordered freedom are inseparable, the greatest issue now is to prevent Western civilisation descending into paganism.«88 Baldwin vermittelte seinen Wählern das Gefühl, sie hätten Teil an einer besonderen Aufgabe, die darin bestand, England als Hort der Freiheit und des Christentums zu erhalten. Auf diese Weise wurde der ablehnenden Reaktion gegen 84

Vgl. Flugblatt (1934/57) »In Defence of Freedom«. Vgl. zu diesem Aspekt auch Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 189. ^ Vgl. Ansprache Baldwins an die Primrose League, 3. Mai 1935, abgedruckt in: »Notes for Conservative Canvassers and Workers«, 13 (1935), S. 14. 87 Vgl. Rede Baldwins in Leeds, abgedruckt in: The Times 8. November 1935. 88 Vgl. Rede Baldwins anläßlich eines Treffens der Primrose League in Ashridge 1933. Zitiert nach Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 200.

83

266

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

neue politische Ideen eine positive Bedeutung gegeben: Ablehnung bedeutete gleichzeitig die Teilnahme am Kampf für eine moralische und christliche Gesellschaft. In diesem positiven Entwurf einer nationalen Aufgabe liegt der Schlüssel zum Verständnis für den großen politischen Erfolg des konservativen Politikers. Zum einen konnten durch die Argumentation, jeder Engländer habe aufgrund seiner nationalen Identität ein ähnliches Empfinden, trennende Klassen- und Parteigrenzen überwunden werden. Zum anderen wurde durch den Appell, die Freiheit und das Christentum zu verteidigen, der englischen Bevölkerung das Gefühl gegeben, für eine gute und gerechte Sache einzustehen. Die Engländer waren in Baldwins Szenario gewissermaßen das »auserwählte Volk« in Europa, das für die Aufrechterhaltung von Moral, Humanität, Demokratie und Christentum einstand. Baldwin sprach bei seinen Zuhörern bewußt christlich geprägte Moralvorstellungen an, um sie von der Verwerflichkeit des Extremismus einerseits und der Integrität der parlamentarischen Demokratie andererseits zu überzeugen. Die Aufwertung der Bedeutung eines jeden einzelnen im Kampf gegen die extremistischen Parteien verstärkte diesen Effekt zusätzlich. Darüber hinaus sollte in diesem Kontext beachtet werden, daß die Wählerstimmen von religiös geprägten gesellschaftlichen Gruppen einen entscheidender Faktor für die Wahlsiege der Tories darstellten. 1930 hatten die Kirchen in England einen Höchststand an Mitgliedern erreicht. 89 Durch seine wiederholt demonstrierte christliche Überzeugung kann es Baldwin durchaus gelungen sein, die überzeugt anglikanische Wählerschaft für die Conservative Party zu halten. 90 Beide extremistische Ideologien führten in Baldwins Szenarien entweder zu Anarchie, Tyrannei oder endeten im Bürgerkrieg. Gerade diese letzte Gefahr dramatisierte er, indem er Vergleiche mit dem englischen Bürgerkrieg anstellte. Er zog eine direkte Parallele von der Bedrohung durch Faschismus oder Kommunismus zu den für England als traumatisch empfundenen Ereignissen des siebzehnten Jahrhunderts: »Remember this, though we are a long way from it, and in my belief we shall never come to it, but if you do have this country divided into two private armies, each desiring to get their way by suppression, by force if necessary, of the views of their opponents, you have then all the raw material for what we have not had for 300 years, and that is civil war.«91 Die negative Vision eines erneuten Bürgerkrieges in England, eine Phase der Geschichte, die Baldwin als überwunden darstellte und der er sein positives Konzept der englischen demokratischen Tradition entgegensetzte, wäre also das Resultat eines Sieges der extremistischen Parteien. Politische Ideen des zwanzigsten Jahrhunderts hätten einen Rückschritt in der englischen Geschichte um 300 Jahre zur Folge. 89

Vgl. Currie, R., Gilbert, A., Horsley, L., Churches and Churchgoers. Patterns of Church Growth in the British Isles since 1700, Oxford 1977, S. 25-31. ,c Vgl. Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 205. " Vgl. Flugblatt (1934/27) »Mr Baldwin on Fascism. Danger of Class War«.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

267

In der konservativen Propaganda wurden die Ähnlichkeit und die wechselseitigen Auswirkungen der beiden extremistischen Parteien aufeinander betont. Sowohl die Faschisten als auch die Kommunisten, so der Tenor, würden Grundmerkmale der »Englishness« auslöschen. Ähnlich wie die Labour Party stellten auch die Konservativen mit Blick auf die europäischen Diktaturen einen Vergleich beider totalitärer Ideologien an. Auf die Gleichartigkeit beider Bewegungen ging Baldwin in einer Rede im House of Commons 1936 ein, wobei er die Kommunisten als die eigentlichen Urheber des Faschismus bezeichnete: »Communism has bred something besides itself. It has bred Fascism. [...] I do not think there was any Fascism in Italy before Communism began. The same thing is true of Germany. Force begat force, as it always does.« 92 Er verdeutlichte diesen Gedanken nochmals in einer Rede an der Universität von Toronto im April 1939: »I always doubt if you would have seen the totalitarianism of Italy or Germany had it not been for the Russian revolution and the efforts of the Bolshevik enthusiasts to spread their principles in foreign countries.« 93 Die Einschätzung des konservativen Politikers, zwischen den totalitären Phänomenen des zwanzigsten Jahrhunderts bestehe ein Zusammenhang, wenn nicht sogar ein Wechselverhältnis, erinnert an die in den letzten Jahren insbesondere von Ernst Nolte verfolgten Fragestellungen. 94 Zur Erklärung des Nationalsozialismus und Faschismus verwies nicht nur Baldwin auf den Marxismus beziehungsweise Bolschewismus, ähnliche Überlegungen stellten auch führende Politiker der Labour Party an. 95 Sie machten ebenfalls auf die Vergleichbarkcit der modernen Diktaturen und auf den Konnex zwischen Kommunismus und Faschismus aufmerksam. Diese parteiübergreifende Interpretation verdeutlicht, wie gängig die von Nolte wesentlich später postulierten Deutungsmuster bereits in den dreißiger Jahren in England waren. 96 Baldwin hatte bereits zu Beginn der dreißiger Jahre die Gemeinsamkeiten der autoritären Regime in Deutschland, Italien und Rußland erkannt und einen »Trend zur Diktatur« als Charakteristikum seiner Zeit ausgemacht. 97 So wie sich auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung der Zeit mit dem Phänomen der europäischen Diktaturen erst allmählich der Begriff des »Totalitären« durchsetzen konnte 98 , war auch der konservative Politiker zunächst unsicher, 92 93 94

95 %

97 98

Vgl. Flugblatt (1936/47) »Destroy this Growth«. Vgl. Baldwin, An Interpreter of England, S. 66. Vgl. Nolte, E., Marxismus und Nationalsozialismus. In: VfZG 31 (1983), S. 389-417; ders., Die historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie. Ärgernis oder Einsicht?. In: ZfP 43 (1996), S. 111-122. Vgl. S. 101 ff.. Auf dieses Phänomen weist auch Huttner in bezug auf die Totalitarismusinterpretationen britischer Publizisten in den dreißiger Jahren hin. Vgl. Huttner, Totalitarismus und säkulare Religionen, S. 327. Vgl. Williamson, Stanley Baldwin, S. 314. Eine Untersuchung der begriffsgeschichtlichen Entwicklung des Terminus »Totalitarimus« findet sich bei Jänicke, M., Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffs, Berlin 1971. Huttner zeichnet die publizistische Verbreitung des Begriffs in Großbritannien nach. Vgl. Huttner, Totalitarismus und säkulare Religionen, S. 29 ff..

268

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus

wie diese Regime korrekt zu bezeichnen seien.99 Zu Beginn der dreißiger Jahre nutzte er Ausdrücke wie »tyranny«, »dictatorship« oder »authoritarian government«, während er gegen Ende des Jahrzehnts schließlich zunehmend von »totalitarianism« sprach, um die Ähnlichkeit der extremistischen Bewegungen zu dokumentieren. Aus der Perspektive der historischen Rückschau betrachtet, erweist sich Stanley Baldwin in der Frage nach der Vergleichbarkeit der europäischen Diktaturen als äußerst kluger und weitsichtiger Zeitgenosse. Er verwendete bereits relativ früh den Begriff des Totalitären in seinen öffentlichen Reden, um das spezifisch Neue am Diktaturphänomen des 20. Jahrhunderts zu benennen. Geprägt durch die englischen Traditionen des Liberalismus und Individualismus, war der Politiker zutiefst skeptisch eingestellt gegenüber der Forderung nach dem neuen Menschen, den die Parteidiktaturen Europas als ihr Ziel formulierten. Baldwin lehnte von Beginn an eine positive Interpretation des totalen Machtanspruches des Staates ab und setzte ihr den englischen Individualismus liberaler Tradition entgegen. Er konfrontierte den ideologischen und politischen Totalitarismus der Zeit mit seinem Konzept der »Englishness«, das gekennzeichnet war durch ein Festhalten an demokratischen und liberalen Traditionen westlicher und vor allem angelsächsischer Prägung. Auch die Labour Party war in einem Vergleich der modernen Diktaturen zu dem Ergebnis gekommen, daß sich viele Gemeinsamkeiten zwischen den Regimen in Deutschland, Italien und der Sowjetunion aufzeigen ließen. Führende Politiker der Arbeiterpartei kontrastierten die Gesellschaftsentwürfe des Kommunismus und Faschismus mit der Besonderheit der eigenen Tradition, zeichneten dabei jedoch kein so geschlossenes Weltbild wie Stanley Baldwin mit seinem Entwurf von »Englishness«. Unbestritten war jedoch auch in der offiziellen Interpretation der Labour Party die Vergleichbarkeit zentraler Aspekte der totalitären Ideologien. In diesem Sinne können die englischen Politiker der dreißiger Jahre und unter ihnen insbesondere Stanley Baldwin als Vertreter einer frühen Totalitarismustheorie bezeichnet werden. Konfrontiert mit den extremistischen Parteien im eigenen Land und dem wachsenden Machtanspruch der autoritären Regime des europäischen Kontinents, verwiesen sie auf den Gegensatz zwischen den Idealen der liberalen westlichen Demokratien und den Forderungen der totalitären Weltanschauungen. Als frühe Vertreter der Totalitarismustheorie werden in der Forschung häufig deutsche Emigranten wie Franz Borkenau oder Sigmund Neumann angeführt, die sich aus dem amerikanischen Exil heraus mit den Diktaturphänomenen auf dem europäischen Kontinent beschäftigten. Bei Jänicke wird der von ihnen verwendete Totalitarismusbegriff als »Instrument zur Mobilisierung moralischer und materieller Abwehrkräfte, zur außen- wie innenpolitischen Integration gegen eine expansive Machtgruppierung und schließlich zur ideologischen LegitiBaldwins anfängliche Unsicherheit wird auch in einer Unterhausrede 1935 sichtbar: »[„.] what I believe are called authoritarian countries - I believe this is the right expression.« Zitiert nach Williamson, Stanley Baldwin, S. 314.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

269

mierung dieser nationalen Verteidigungsreaktion im Namen der in den westlichen Demokratien traditionsreichen Prinzipien« 100 bezeichnet. Eine ganz ähnliche, jedoch hier vor allem innenpolitische Funktion erfüllte das Gegensatzpaar Democracy versus Dictatorship in der Reaktion der englischen Parteien der dreißiger Jahre auf die politische Herausforderung durch BUF und CPGB. Besonders deutlich wird diese Funktion im Baldwinschen Konzept der »Englishness«, das sich durch den stets in den Mittelpunkt gestellten Antagonismus zwischen »englisch« und »unenglisch« für die Conservative Party gleichzeitig als durchaus erfolgreiche Variante der Wählerstimmenwerbung erwies. Für die politische Strategie der Tories brachte die von ihr gezeichnete extremistische Bedrohung letztlich Vorteile. Insbesondere ihr Parteiführer reagierte mit einer geschickten Rhetorik auf Faschismus und Kommunismus, indem er sich und seine Partei als positives Gegenbild zum Extremismus und als Inbegriff einer englischen und demokratischen Partei präsentierte. Die Konservativen garantierten ihren Wählern die Sicherung aller Werte und Grundhaltungen gegen die »unenglischen« Parteien, deren Ziel letztlich das Auslöschen der englischen Tradition und politischen Kultur sei. Faschismus und Kommunismus wurden in den offiziellen politischen Kurs der Partei, der durch das moderate und überzeugt demokratische Image Stanley Baldwins geprägt war, sozusagen als nützliche Antagonismen eingefügt. Angesichts der Bedrohung von rechts und links konnte das auf einen nationalen Konsens abzielende politische Konzept Baldwins noch wirkungsvoller präsentiert werden. Zusätzlich ergab sich die Möglichkeit, über den Umweg der Behauptung, der Faschismus sei eine direkte Reaktion auf den Kommunismus, den politischen Gegner von links zu schwächen. Die Argumentation gegen den Faschismus wurde also auch dazu genutzt, die Linke zu bekämpfen. Eines ihrer besten Ergebnisse erreichten die Konservativen folglich in den Wahlen von 1935, als die Bedrohung durch Faschismus und Nationalsozialismus zunehmend deutlicher wurde. Stanley Baldwin reagierte im Wahlkampf auf diese Stimmung, indem er das National Government als ein Bollwerk gegen den Extremismus präsentierte. Er betonte, daß sich England sowohl in ökonomischer als auch in politischer Hinsicht unter einem National Government als erfolgreiche Nation erwiesen habe, da es zum Zeitpunkt der Krise an seinen Traditionen festgehalten habe: »When we read of conditions and events in the world around us I think that we must all be filled with a sense of profound thankfulness that we are living in this country under a System of National Government. [...] We have steered clear of Fascism, Communism and Dictatorship, and we have shown the world that democratic government, constitutional methods and ordered liberty are not inconsistent with progress and prosperity.«'01 Um die positive Entwicklung Englands nicht zu beeinträchtigen und das Land vor den gefährlichen politischen Bewegungen des europäischen Kontinents zu bewahren, sei es dringend notwendig, das National Government als Regie100 101

Vgl. Jänicke, Totalitäre Herrschaft, S. 66 f.. Vgl. Ansprache Baldwins, die in den Filmbussen der Conservative Party ausgestrahlt wurde. Baldwin Papers, Bd. 205.

270

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus

rungsform aufrechtzuerhalten: »Confidence and stability such as the National Government offer are increasingly essential as a bulwark against the spread of violent and fanatical extremism now threatening the world from two sides with the dreadful possibility of Splitting the world in two.« 102 Im Verlauf der dreißiger Jahre hatte sich die schwere wirtschaftliche Krise zunehmend abgeschwächt, so daß der direkte Anlaß zur Bildung des National Government obsolet geworden war. N u n benötigten die Tories eine Begründung, warum man an dem für die eigene Partei so erfolgreichen Modell der Großen Koalition festhalten wollte. Die Bedrohung durch Faschismus und Kommunismus auch im eigenen Land lieferte hier ein überzeugendes Argument und sollte bei einer Analyse der hohen Akzeptanz der Regierungsform des National Government nicht vernachlässigt werden. 103 Die offizielle Reaktion der Conservative Party auf die extremistischen Bewegungen wurde maßgeblich durch Stanley Baldwin bestimmt. Seine Äußerungen standen an zentraler Stelle in sämtlichen Flugblättern und Broschüren, die von den Tories Mitte der dreißiger Jahre als Antwort auf den sich verstärkt artikulierenden Faschismus und Kommunismus herausgegeben wurden. Der Führer der Conservative Party besetzte in seinen Reden den gesamten Bereich von Moral, Religion und christlichen Werten für die Tories. Er formte die politische Diskussion zu einem öffentlichen Vortrag von allgemein akzeptierten und allgemeingültigen Moralvorstellungen um. Baldwin als idealtypischer Engländer sicherte sich und seiner Partei dadurch eine relativ unangreifbare Position in der politischen Auseinandersetzung, die seinen Herausforderern nur wenig Raum für Gegenargumente ließ.104 In Baldwins Argumentation hatte die Verteidigung christlicher Moralvorstellungen zentrale Bedeutung. Die Conservative Party konnte sich auf diese Weise nicht nur als eine Garantin der Freiheit, sondern sogar als die politische Partei darstellen, die alle Grundlagen einer westlichen, christlichen Zivilisation gegen autoritäre, unmoralische und menschenverachtende Regime sicherte. Es gelang ihm, sich selbst über die Rolle des Politikers hinweg auf die Stufe eines Predigers zu stellen, der als Inbegriff nationaler Tugenden wahrgenommen werden sollte. Ein Artikel über Baldwin im Spectator von 1936 verdeutlicht, daß der konservative Politiker nicht nur im eigenen Land als Garant englischer Demokratie und Freiheit angesehen wurde, sondern dies auch, zumindest nach Meinung seiner Anhänger, nach außen verkörperte. Nicht zuletzt aus diesem Grund gelte es, ihn über alle Parteigrenzen hinweg an der Macht zu halten: »He has given to his countrymen that stability combined with social progress without which Great Britain might well be endunng today some of the internal disturbances and convulsions of her neighbours. [...] To Germany he represents the solid, ID

- Vgl. Rede Baldwins in Glasgow, 18. November 1936. Baldwin Papers, Bd. 204. Eine Analyse der Unterstützung des National Government aus allen sozialen Schichten ist zu finden bei Ramsden, The Age of Balfour and Baldwin, S. 326 f.. 104 »[Baldwin] [...] created [...] a highlv effective Conservative position, which stole the doctrinal clothes of opponents to left, right and centre.« Vgl. Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin, S. 208.

103

I. Die Rolle Stanley Baldwins

271

sturdy Englishman, the cmbodiment of all our traditions of independence and agelong security. They realise there that in him is represented all that is fine and most formidable in the English character. He remains the great pillar of decency and democracy in a reeling world. His countrymen would do well to keep him as long as he feels able to do them service.«105 Dieses tugendhafte Image sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Baldwin ein äußerst durchsetzungsfähiger Politiker war. Trotz seines pastoralen Erscheinungsbildes konnte er im Wahlkampf durchaus polemisch gegen den politischen Gegner agitieren, wie auch seine Reden gegen Faschismus und Kommunismus verdeutlichen. Obwohl er stets für die innere Einheit Englands stritt, schloß sein Konzept des nationalen Konsens lange Zeit die Labour Party und die Gewerkschaften nicht ein. Die Konservativen unter Baldwin suggerierten der britischen Öffentlichkeit, daß die stets ihr demokratisches Grundverständnis betonende Labour Party diktatorische Absichten hege, und konnten die größte Konkurrentin um die Macht auf diese Weise äußerst effektiv bekämpfen. Mit seiner ausgleichenden Rhetorik integrierte der konservative Parteiführer zwar ab 1935 zunehmend auch die Labour Party, jedoch erst zu einem Zeitpunkt, als für die Tories als dominierender Partei im National Government keinerlei Gefahr mehr von der Arbeiterpartei ausging. Zudem sah man nun angesichts der wachsenden äußeren Bedrohung Englands innere Geschlossenheit als Grundvoraussetzung an, um eine erfolgreiche Aufrüstungspolitik gegen die außenpolitischen Aggressoren umsetzen zu können. Festzuhalten bleibt, daß der »nationale Prediger« Baldwin seine unumstrittene Führungsposition innerhalb der Conservative Party schwerlich ohne einen ausgeprägten Machtinstinkt hätte erreichen können. Bezeichnend ist das Urteil Henry Channons, eines Zeitgenossen Baldwins und aufmerksamen Beobachters des politischen Lebens. Die Nachwelt werde sich des Premierministers, so Channon, als »half Machiavelli, half Milton« erinnern. 106 Dieses machtpolitische Gespür Baldwins bildete die Grundlage für sein Verdienst einer überzeugten Verteidigung demokratischer Grundprinzipien in einer in vielen Ländern undemokratischen Zeit. Baldwin verkörperte das Ideal eines unumstößlich demokratisch gesinnten Politikers, der die Errungenschaften der dreihundertjährigen parlamentarischen Tradition in England zu verteidigen bereit war. Er verband diese demokratische Gesinnung mit einem Machtwillen, der dennoch nicht sein christlich geprägtes Verantwortungsbewußtsein überdecken konnte. Er war Integrations- und Identifikationsfigur in einer sowohl ökonomisch als auch politisch schwierigen Zeit. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise, des niedergehenden Empire und der sich zuspitzenden außenpolitischen Lage stärkte Baldwins »politisches Predigen« das Vertrauen der Mehrheit in die nach dem Ersten Weltkrieg etablierte Massendemokratie. 107 103

Vgl. The Spectator 156 (1936), S. 926 f.. 106 Vgl. Rhodes James, R. (Hrsg.), >Chips«. The Diaries of Sir Henry Channon, London 1967, S. 143. Auch Middlemas und Barnes betonen diesen Beitrag Baldwins für den Erhalt der englischen Demokratie: »The National Government might easily have been Britain's authoritarian response to the experience of the great depression. It was not so. Baldwin was aware of the balance between

107

272

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus

2. E I N VERGLEICH MIT WALTER CITRINE

Auch die Labour Party definierte sich in erster Linie als englische Institution, die einen eigenen Weg zur Durchsetzung von Arbeiterinteressen in der kapitalistischen Gesellschaft entwickelt hatte. Das Prinzip des »gradualism« war und blieb die politische Leitlinie der Labour Party. Aus diesem Grund besetzte sie, wie die Konservativen, eine anti-extremistische beziehungsweise anti-totalitäre Position. Als federführend in der Ablehnung extremistischer Konzepte durch die Führung der englischen Arbeiterbewegung erwies sich Walter Citrine, der, ähnlich wie Baldwin in der Conservative Party, stets vor den Gefahren des Faschismus und Kommunismus warnte. Dabei nutzte er Argumente, die stark an die Rhetorik Baldwins erinnern, konnte sich jedoch nicht wie dieser zum herausragenden Repräsentanten von »Englishness« stilisieren. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Citrine war nicht an einer nationalen Regierung beteiligt, die er als Bollwerk gegen Faschismus und Kommunismus präsentieren konnte, sondern befand sich als Gewerkschaftssekretär und Labour-Politiker in der Opposition. Er trat nicht mit solcher Regelmäßigkeit und Überzeugungskraft wie Baldwin durch Radioansprachen an die Öffentlichkeit. Baldwins Reden erschienen in fünf verschiedenen Bänden als Volksausgaben, während von Citrine kein einziger Band vorliegt. In der Öffentlichkeit der dreißiger Jahre war der Gewerkschaftssekretär wesentlich weniger präsent als der konservative Politiker. Zusätzlich mußte sich Citrine mit einem linken Flügel in den Gewerkschaften und der Labour Party auseinandersetzen, der sein politisches Programm der Mäßigung beständig unterlief und für anhaltende innerparteiliche Diskussionen sorgte. Hier setzte die Tory-Propaganda sehr erfolgreich an, um die Labour Party als dritte »unenglische« und die Constitution bedrohende Partei neben BUF und CPGB zu diskreditieren. Baldwin konnte auf ein bereits in den zwanziger Jahren aufgebautes Image als moderater, den nationalen Konsens suchender und typisch englischer Politiker zurückgreifen. Citrine als Repräsentant der Gewerkschaften wurde dagegen, beispielsweise im Generalstreik von 1926, als Gegenpart zu diesem ausgleichenden Kurs dargestellt. Da der Streik von den Tories als Angriff auf Demokratie und Verfassung sowie als eine mutwillige Störung des inneren Friedens bezeichnet wurde, 108 blieb das Bild eines nach Ausgleich und sozialem Frieden strebenden Premierministers Baldwin und der diesen Konsens bedrohenden Gewerkschaften haften. Obwohl es Citrine und anderen Politikern der Arbeiterbewegung nicht gelang, die öffentliche Meinung ähnlich stark zu beeinflussen wie der konservative Politiker, soll auf die Argumentation der Labour Party kurz eingegangen werden, um die Vergleichbarkeit der Einstellungen beider großer Parteien gegenüber den extremistischen Parteien zu dokumentieren. Bei der Durchsicht

108

efficiency and social justice, between the theory of rule and the spirit of responsible co-operation and he must be judged not so much for his technical achievements as for the part he took in the evolution of democracy in Britain.« Vgl. Middlemas, Barnes, Baldwin, S. 1077. »Trade Unionism was [...] positioned as another vested interest which thrcatened the Community.« Vgl. Schwarz, The Language of Constitutionalism, S. 13.

I. D i e Rolle Stanley Baldwins

273

des Materials, das beide Parteien als Reaktion auf BUF und CPGB veröffentlichten, fällt darüber hinaus auf, daß Citrine für Labour Party und Gewerkschaften eine ganz ähnliche Rolle spielte wie Stanley Baldwin für die Conservative Party. Citrine gestaltete den überwiegenden Teil der offiziellen Erklärungen der Arbeiterbewegung zu diesem Thema entscheidend mit oder formulierte sie sogar allein. Sowohl auf Gewerkschaftskongressen als auch in den internen Gremien der Arbeiterbewegung, wie dem National Council of Labour, war es insbesondere Citrine, der sich zur Frage des politischen Extremismus äußerte und Stellung bezog. In der politischen Öffentlichkeitsarbeit der LabourFührung übten seine Einschätzungen prägenden Einfluß aus. Wie der konservative Parteiführer war auch Citrine davon überzeugt, daß die autoritären Regime auf dem europäischen Kontinent in erster Linie aufgrund eines Mangels an demokratischer Erfahrung der jeweiligen Länder entstehen konnten. England hingegen sei geprägt durch seine demokratische Tradition, die ein Teil des nationalen Erbes sei: »There is an important difference between these countries [Italy, Hungary, Yugoslavia, Russia, Spain, Germany] and Great Britain. The fact that we have long been used to the practice of political democracy is of great importance. [...] Democracy in many of these countries where dictatorship has arisen was either formerly nonexistent or was too new and weak to survive the difficult circumstances of the time. In Great Britain it is regarded as part of our heritage. We have become so accustomed to bringing about great changes in an orderly way that our institutions are not likely to prove so unstable as those where dictatorship has been establishcd.«109 Genau wie Baldwin stellte auch der Gewerkschaftssekretär die Demokratie und eine Verbundenheit zu ihren Methoden und Prinzipien als Teil des englischen Nationalcharakters dar. Demokratie gehörte zur nationalen Identität; diesen Leitsatz hatte auch die englische Arbeiterbewegung verinnerlicht: »In Great Britain we have had such a long experience of constitutional government that a strong belief in democratic methods has become part of the national character.«110 Citrine als führender Gewerkschafter betonte genau wie der konservative Politiker Baldwin eine demokratische Tradition, obwohl doch insbesondere die Arbeiterschaft lange Zeit von dieser Demokratie aufgrund des ungleichen Wahlrechts ausgeschlossen war. Quer durch das politische Spektrum hatte sich jedoch ein Glaube an die demokratische Grundprägung der englischen Gesellschaft durchgesetzt. Der Appell an die demokratische Tradition diente somit beiden politischen Lagern als Möglichkeit, die eigene Position gegen die Herausforderung durch BUF und CPGB abzugrenzen. Auch in den Äußerungen anderer Labour-Politiker läßt sich eine große Ähnlichkeit zu Baldwins Interpretation aufzeigen. Walter Smith, Generalsekretär der Labour Party, bezeichnete im Juni 1934 die englische Demokratie als die beste Regierungsform der Welt, die es zu verteidigen und erhalten gelte: 109

Vgl. »Dictatorships and the Trade Union Movement«, Summary of Memorandum, General Council Minutes, 23. 5. 1933, Paragraph 2. IM Vgl. »Dictatorships and the Trade Union Movement«. Paragraph 29.

274

Teil 4: Die A b w e h r des E x t r e m i s m u s » D e m o c r a c y and d e m o c r a t i c G o v e r n m e n t as w e enjoy it did n o t c o m e into existence yesterday. It has existed for a great m a n y years, and it has o n occasions, I believe, excited the envy of o t h e r people w h o have seen h o w w e w o r k o u r constitutional System, and it has w e believe given us w h a t can be t e r m e d possibly the best form of G o v e r n m e n t in the w o r l d . We are anxious to preserve t h a t . « 1 "

Neben der demokratischen Tradition bezeichnete Citrine die Freiheit als eines der wichtigsten Güter des englischen Erbes. In einer Ansprache auf einem Treffen der Freedom and Peace Union im Dezember 1936 sagte der Gewerkschaftssekretär: »We are ready to defend our democratic institutions, and the precious heritage of our liberty, against threats from whatever quarter. [...] It is vitally important to preserve the democratic institutions of our country, however imperfect they seem. The price of liberty still remains eternal vigilance.«112 Freiheit und Demokratie bildeten wie auch in der politischen Rhetorik Baldwins die beiden Schlüsselbegriffe in der Reaktion der englischen Arbeiterbewegung auf Faschismus und Kommunismus. Auf dem Gewerkschaftskongreß von 1934 beschwor Citrine diese beiden Kernpunkte in einem Duktus, der dem des »nationalen Predigers« Baldwin nicht ganz unähnlich ist: »I say to the Fascist Movement: You are creating the very forces which will destroy you. You cannot, by the imposition of force, develop and satisfy the inherent craving in the human heart for a better civilisation, for a nobler and finer life. You cannot satisfy that by force. It is through the Labour Movement, resting its faith firmly upon the principles of democracy and freedom [...] that the aspirations of the masses of our people can be satisfied.«"3 In seinen Erinnerungen bezeichnet Citrine sein Eintreten für die Wahrung der englischen freien Gewerkschaften in einer demokratischen Gesellschaft mit genau derselben Vokabel wie Stanley Baldwin seine Bemühungen um den Erhalt der Demokratie." 4 Beide nutzten das Wort »preach«, um die Intensität ihrer Anstrengungen zu verdeutlichen: »What I had seen in other countries had shown me the importance of maintaining the power of trade unionism against all form of dictatorship, whether Fascist or Communist. That had been the theme which I had preached fearlessly for many years.«" 5 Im Vergleich der Äußerungen beider Politiker werden die Parallelen deutlich, die sich sowohl inhaltlich als auch im Sprachstil ergeben. Citrine war sozusagen ' " Vgl. Deputation reeeived by the Secretary of State for Home Affairs from the National Council ol Labour, 26. Juni 1934. Notes of the meeting. Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Fascism«. 1.2 Vgl. Rede Walter Citrines anläßlich eines Treffens des »Peace and Freedom Movement- in der Royal Albert Hall, 3. Dezember 1936. Citrine Papers/10/7. 113 Vgl. Trades Union Congress, Report of the Proceedings at the 66th Annual Trades Union Congress - Weymouth 1934, S. 257. 114 Der vergleichbare Satz bei Baldwin lautet: »For fourteen years I preached [and I fear that the word is applicable to many of my Speeches] up and down Great Britain, attempting to achieve a national unity of spirit and a high conception of what democracy may be, and calling for unselfish service to this ideal«. Vgl. Baldwin, An Interpreter of England, S. 10. 1.3 Vgl. Citrine, Men and Work, S. 318.

I. Die Rolle Stanley Baldwins

275

Baldwins Gegenpart in der englischen Arbeiterbewegung, der den Kurs der Labour Party gegenüber den extremistischen Parteien mit einer ganz ähnlichen Argumentation bestimmte, wie dies Stanley Baldwin in seiner Partei gelungen war. Beide Politiker verstanden sich als Garanten der englischen Demokratie und waren bereit, sie gegen die undemokratischen Forderungen des Faschismus und Kommunismus zu verteidigen. Beiden gelang es, ihre jeweilige Partei von dieser Einschätzung zu überzeugen. So wie Baldwin für einen gemäßigten Konservatismus eintrat, wirkte auch Citrine als mäßigendes Element innerhalb der Labour Party, die er insbesondere ab Mitte der dreißiger Jahre gemeinsam mit Ernest Bevin dominierte. Eine Radikalisierung der beiden großen Parteien in eine stärker rechts beziehungsweise links orientierte Politik wußten Baldwin und Citrine mit dem Verweis auf die englischen traditionellen Werte von Demokratie und Freiheit rechtzeitig zu verhindern und wirkten deshalb entscheidend am Scheitern des Extremismus in England mit. Sie verstärkten in ihren Parteien eine Tendenz zur Mitte und bemühten sich, einen nationalen Konsens in den drängenden politischen Fragen der Zeit zu erzielen. Baldwin und Citrine reihen sich somit in die Gruppe jener Politiker ein, die Brian Harrison als »Centrists« beschreibt." 6 Ohne diese zentristische Politik in beiden großen demokratischen Parteien hätte es in der Reaktion auf den Faschismus und Kommunismus sicherlich nicht eine so weitreichende Übereinstimmung der Argumentation gegeben. Die Zentristen Baldwin und Citrine, um die zwei in diesem Zusammenhang bedeutendsten Politiker beider Parteien herauszugreifen, arbeiteten auf einen nationalen Konsens hin und sicherten auf diese Weise wesentlich den Fortbestand des demokratischen Systems in England. Politiker wie Baldwin und Citrine bereiteten bereits in den dreißiger Jahren das Fundament für den parteiübergreifenden Konsens, der die englische Gesellschaft während des Zweiten Weltkrieges gegen Hitler-Deutschland zusammenstehen ließ. Die Wartime Coalition Churchills hätte sich ohne diese Wegbereiter sicherlich nicht als so beständig und unerschütterlich auch in der schwierigen Situation des Krieges erwiesen. Noch ein weiterer Aspekt wird durch den Vergleich beider Politiker deutlich. Baldwins Rhetorik vereinnahmte das gesamte politische Spektrum. Er nahm durch seine auf Konsens setzenden, moderaten Aussagen dem politischen Gegner gewissermaßen die Argumente. Gegen Baldwins elaborierten Stil, seinen liberalen Konservatismus, in dessen Zentrum die Betonung der »Englishness« stand, konnte Citrine sich nicht profilieren, da seine Haltung jener des konservativen Parteiführers viel zu ähnlich war. Baldwin hatte die politische Auseinandersetzung erfolgreich auf die Ebene der Verkündung allgemeingültiger Wahrheiten gehoben. Dabei zeichnete sich ab, daß konservative Inhalte zunehmend mit der Wiedergabe der öffentlichen Meinung gleichgesetzt wurden. Die Haltung der beiden großen demokratischen Parteien und dabei insbesondere die Position ihrer führenden Repräsentanten weisen weitreichende Gemeinsamkeiten auf. Einmal mehr wird deutlich, daß die Vorwürfe der Konser6

Vgl. Harrison, The Centrist Theme in Modern British Politics, S. 326 ff..

276

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus

vativen, die Labour Party strebe ebenfalls eine Diktatur in England an und sympathisiere mit den Kommunisten, lediglich Wahlpropaganda waren. Für diese Interpretation spricht auch das vertraute und von gegenseitigem Respekt geprägte Verhältnis zwischen Baldwin und Citrine. Die Politiker trafen mehrere Male auf dem Regierungslandsitz Chequers zusammen, um aktuelle politische Themen zu besprechen. Diese Treffen verliefen in einer freundschaftlichen und vertrauten Atmosphäre, wie Citrine in seinen Erinnerungen rückblickend beschreibt." 7 Ohne die Nähe ihrer politischen, aber auch weltanschaulichen Standpunkte wäre eine solche private und persönliche Verbundenheit zwischen dem Konservativen und dem Gewerkschaftssekretär schwerlich zustande gekommen. Unter englischen Politikern der dreißiger Jahre läßt sich trotz der Wortgefechte, die man sich im Alltag der parlamentarischen Auseinandersetzung lieferte, und trotz aller propagandistisch gefärbten Vorwürfe ein demokratischer Konsens aufzeigen. Dieser Konsens war es auch, der Politiker jeglicher Couleur dazu bewog, sich in überparteilichen Organisationen gegen die extremistischen Herausforderungen zu engagieren.

II. D I E BILDUNG PARTEIÜBERGREIFENDER ORGANISATIONEN ALS REAKTION AUF DIE EXTREMISTISCHEN HERAUSFORDERUNGEN

Während der dreißiger Jahre entstanden parteiübergreifende Organisationen, deren Ziel es war, durch diverse Aktivitäten gegen Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus vorzugehen. Angesichts der Popularität autoritärer Regierungsformen im Ausland und der Existenz extremistischer Parteien im Inland wollte man trennende Parteigrenzen überwinden, um eine Koalition von Demokraten gegen den Extremismus zu bilden. Die Mitglieder einigten sich auf zentrale Forderungen und Schwerpunkte der Arbeit, denen alle, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit, zustimmen konnten. Einerseits entstanden Gruppen, die sich der Abwehr extremistischer Tendenzen im eigenen Land widmeten. Ein Beispiel ist hier die Association for Education in Citizenship. Sie engagierte sich vor allem im Bereich der politischen Bildung, um die Wachsamkeit der englischen Bevölkerung für die potentiellen Gefahren des Faschismus und Kommunismus zu schärfen. Andere Organisationen machten auf die wachsende Gefahr aufmerksam, die Großbritannien in außenpolitischer Hinsicht durch die aggressive Politik des Nationalsozialismus drohte. So trat beispielsweise die Freedom and Peace Union an die Öffentlichkeit, um auf die Gefährdung des internationalen Friedens und der westlichen 117

Vgl. Citrine, Men and Work, S. 323 ff..

II. Die Bildung parteiübergreifender Organisationen

277

Demokratien hinzuweisen und vor einem zu weitgehenden Appeasement gegenüber Hitler zu warnen. Beide Bewegungen sind Beispiele für die parteiübergreifende Ablehnung autoritärer Regierungskonzepte in England. Sie verdeutlichen, wie groß die Motivation der englischen politischen Öffentlichkeit war, für den Erhalt ihrer traditionellen Regierungsform, der Demokratie, zu arbeiten.

1. D I E ASSOCIATION FOR EDUCATION IN CITIZENSHIP

Die Association for Education in Citizenship wurde 1936 gegründet. Vorsitzender und wichtigster Ideengeber der Organisation war der Liberale und ehemalige Bürgermeister von Manchester Ernest Simon. Im Vorstand der Association saßen bekannte Mitglieder aller Parteien, unter ihnen William Beveridge, Arthur Bryant, G. D. H . Cole und Harold Laski. Auch unter den Vizepräsidenten findet sich eine Vielzahl von Parteizugehörigkeiten: Lord Halifax und J. C. C. Davidson kamen aus der Conservative Party, Herbert Samuel von den Liberalen und Lord Passfield (Sidney Webb) aus der Labour Party. Auch Intellektuelle wie H. G. Wells gehörten der Association als Vizepräsidenten an. Nachdem Stanley Baldwin von seinem Amt als Premierminister zurückgetreten war, übernahm er 1938 das Amt des Präsidenten der Association for Education in Citizenship. Die Vereinigung begründete die Entscheidung für Baldwin in ihrer Zeitschrift The Citizen: »Lord Baldwin was invited to aeeept this office [...] on the ground of his outstanding faith in democracy, in democratic ideals, and in education for citizenship. He has always believed that democracy is a difficult System to work and for that System to funetion successfully it is essential that there should be an educated democracy, conscious of its duties and of its rights.«"8 Neben seinem Eintreten für die demokratische Idee sprach für Baldwin vor allem seine überparteiliche Reputation. Da die Association daran interessiert war, daß alle Mitglieder den ehemaligen konservativen Premierminister in seiner neuen Funktion akzeptierten und der parteiübergreifende Charakter der Organisation weiterhin gewahrt blieb, unterstrich sie besonders diesen Aspekt: »His retirement from the Government means that he can be regarded as being above the party battle, and ensures that every member of the Association will warmly welcome him as President.« 119 In der ersten Ausgabe von The Citizen erläuterte die Vereinigung, welche Überlegungen zu ihrer Gründung geführt hatten und definierte das Ziel ihrer Arbeit. Insbesondere die zunehmende Bedrohung durch autoritäre Regime auf dem europäischen Kontinent sowie die Existenz extremistischer Bewegungen im eigenen Land waren Gründe für die Bildung einer Organisation zur politischen Erziehung. Faschismus und Kommunismus nutzten nach Erkenntnissen der Association beide moderne Propagandamethoden zur Verbreitung ihrer 118 119

Vgl. The Citizen, Nr. 6 (1938), S. 2 Ebenda.

278

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

Ideen. 120 Um einer möglichen Popularität der extremistischen Bewegungen vorzubeugen, wollte die Association eine intensive politische Bildungs- und Erziehungsarbeit vorantreiben. Ihre Ansprechpartner sollten deshalb in erster Linie Berufsgruppen sein, die mit der Erziehung der jungen Generation betraut waren: »If democracy is to survive and develop as a living force, our educational System must produce men and women loving freedom, desiring to serve the Community, and equipped with the necessary knowledge and powers of clear thinking to enable them to become effective Citizens. Many teachers and educationists realize the responsibility that is laid upon them - that is in the school, in the training College, the university, and the adult class that the future of democracy and the satisfactory working of its institutions will be determined.«121 Besondere Bedeutung maß die Organisation der öffentlichen Meinung für den Erhalt einer Demokratie bei. Man wollte das demokratische Bewußtsein der Bevölkerung schulen, da sich den undemokratischen Parteien durch die modernen Medien ganz neue Möglichkeiten boten, ihr Gedankengut zu verbreiten. Zusätzlich verstärkt wurde der Bedarf an politischer Bildung durch die sich komplexer und aus diesem Grund auch schwieriger darstellenden internationalen Zusammenhänge der modernen Welt, wie Ernest Simon in seinem Leitartikel der Erstausgabe von The Citizen anmerkte: »We are governed by public opinion; [...] public opinion is determined by education in its broadest sense. [...] Our educational System must be modified so as to turn out Citizens who know something of the complexities of the modern world [...]. We believe that public opinion depends on education, that education alone can eure all our evils.«1" Als Konsequenz setzte sich die Organisation folgendes Ziel: »To advance the study of and training in citizenship, by which is meant training in the moral qualities necessary for the Citizens of a democracy, the encouragement of clear thinking in everyday affairs and the acquisition of that knowledge of the modern world usually given by means of courses in history, geography, economics, citizenship and public affairs.«123 Diese sehr allgemein formulierte Zielvorgabe wollte man vor allem durch das Sammeln von Informationen über politische Erziehung in Großbritannien und anderen Ländern, durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für das Thema, durch den Aufbau einer Spezialbibliothek und durch Überzeugungsarbeit in den Erziehungsinstitutionen des Landes erreichen. 124 Geleitet wurden die programma120

121 122 123 124

Über die potentiellen Gefahren moderner Propagandamethoden, die von den autoritären Regimen angewandt wurden, heißt es in Ernest Simons Einleitung zum Sammelband Constructive Democracy: »Propaganda is the enemy of wisdom and judgement and therefore of democracy. In short, propaganda is one of the greatest assets of the dictator, and one of the greatest penls to democracy.« Vgl. Simon, E. (Hrsg.), Constructive Democracy, London 1938, S. 10. Vgl. The Citizen, Nr. 1 (1936), S. 1. Vgl. The Citizen, Nr. 1 (1936), S. 4 f.. Vgl. Simon, Constructive Democracy, Appendix. Ebenda.

II. Die Bildung parteiübergreifender Organisationen

279

tischen Überlegungen der Association for Education in Citizenship von der festen Überzeugung, daß nur durch eine intensive Erziehungstätigkeit der Fortbestand der Demokratie zu gewährleisten sei. Angesichts der vielfach geäußerten Unzufriedenheit mit dem etablierten demokratischen Regierungssystem müsse die Sensibilität für seinen Wert geschärft und erhalten werden. Erziehung für die Demokratie sei der entscheidende Schritt auf dem Weg zu einer stabilen demokratischen Gesellschaft. Zu dieser Erkenntnis waren auch die beiden großen Parteien in ihrer Beschäftigung mit den extremistischen Herausforderungen gelangt, so daß die neu gebildete Gruppe auf Unterstützung aus dem gesamten politischen Spektrum zählen konnte. Auch die Arbeit der Association for Education in Citizenship stellt den Versuch dar, den modernen Ideologien des Faschismus und Kommunismus eine »Ideologie der Demokratie« entgegenzusetzen. Man wollte eine ähnliche Begeisterung und Hingabe für die Ideale der Demokratie wecken, wie sie Faschismus und Kommunismus unter ihren jugendlichen Anhängern hervorriefen: »The authoritarian states are teaching the kind of citizenship in which they believe with triumphant success. Democracy must build up amongst its Citizens a devotion to its ideals comparable to the devotion of the young Communist or Fascist to their very different ideals. Success in this task is probably the test of the power of democracy to survive.«125 Die Bereitschaft junger Kommunisten und Faschisten, alles für ihre politischen Überzeugungen zu geben, löste einerseits Beunruhigung aus und führte zu der Erklärung, daß dieses Verhalten durch moderne Propagandamethoden forciert worden sei. Andererseits wurde jedoch die Dringlichkeit konstatiert, auch für das demokratische Ideal eine ähnlich geartete Hingabe hervorzurufen. Letztlich ließ sich die Association for Education in Citizenship in diesem Punkt durch das Beispiel der autoritären Staaten leiten, wenn sie auch statt faschistischer oder kommunistischer Ideen das Ideal des demokratischen Staates verkünden wollte. Angesichts der Überzeugungskraft der neuen politischen Bewegungen und ihrer modernen Propagandamethoden kam die Association zu dem Schluß, daß auch die englische Demokratie eine gewisse Modernität beweisen müsse, um auf Dauer in der Konkurrenz zu Faschismus und Kommunismus bestehen zu können. Beunruhigt zeigte sich die Association vor allem durch die Existenz der modernen Massenmedien und ihrer Nutzung für Propagandazwecke: »The dictator has today, powers of propaganda previously undreamt of; on the one hand, he can din his views unceasingly into the ears of his subjects. [...] On the other hand, he has equally far-reaching powers of preventing counter-propaganda or criticism. [...] The telegraph, the wireless, the loud Speaker, the aeroplane, have rendered possible a degree of centralised control that was unthinkable in the days of Napoleon.«126 123

12fc

Vgl. Simon, E., Hubback, E., Education for Citizenship, publ. by the Association for Education in Citizenship, London 1936, S. 11. Vgl. The Citizen Nr. 3 (1937), S. 5.

280

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

Die Organisation war sich einig, das Ideal der Demokratie gegen seine Herausforderer mittels verstärkter Erziehungs- und Bildungsprogramme zu verteidigen, um im »Rennen zwischen Erziehung und Katastrophe« 127 nicht zu unterliegen. Ein entscheidender Aspekt dieser Erziehungsarbeit war der Hinweis auf die moralische Überlegenheit der Demokratie gegenüber autoritären Regierungsformen, wie sie auch Stanley Baldwin in seinen Reden thematisierte. Die Vereinigung rückte demokratische Überzeugungen in die Nähe christlicher Wertvorstellungen: »Belief in and respect for >persons< is the key-note of true democratic politics and such belief is an integral part of the Christian faith.«128 Doch ließ die Association es nicht beim Hinweis auf den christlichen Charakter der Demokratie bewenden, sondern rief dazu auf, religiöse Erziehung zum Zweck demokratischer Bewußtseinsbildung zu nutzen. Christliche Moralvorstellungen sollten dazu instrumentalisiert werden, verantwortungsvolle Mitbürger und überzeugte Demokraten zu erziehen, wie es in einem Artikel Training for Citizenship through Religious Instruction hieß: »The fundamental problem in training for citizenship in a democratic State is how to develop in every individual the motive force which will stir him to accept the responsibilities of active citizenship [...] it is this problem that religious education rightly apprehended can solve.«129 In christlichen Moralvorstellungen ließ sich, so die Association, die spirituelle Grundlage demokratischen Selbstverständnisses finden. Ihrer Einschätzung nach war mehr als nur Pflichtbewußtsein nötig, um die Demokratie dauerhaft in der Wählerschaft zu verankern. Vor allem eine emotional geprägte moralische Überzeugung charakterisiere den »good citizen«: »The good citizen needs to be actuated by more than a sense of duty, he needs the motive of love, love of God with its consequences, love of man which transmutes that sense into a vital force; he needs, too, constant reinforcement of spiritual strength if he is to >stand in the evil day and having done all to stand«.«130 Ähnlich wie Stanley Baldwin in seinen Reden, verknüpfte man hier moralische mit politischen Vorstellungen. Auch die Association sah die Demokratie als einzig christliche und humanitäre Form der Gesellschaftsorganisation an. Die Abwehr totalitärer Ideologien wurde damit zur Verteidigung christlicher Wertvorstellungen. Zusätzlich hatte man die Bedeutung einer spirituellen Kraft erkannt, um eine ähnlich geartete Begeisterung für die Demokratie hervorzurufen, wie es den extremistischen Bewegungen unter ihrer Anhängerschaft gelungen war. Dieser spirituelle Part sollte durch den Appell an christliche Wertvorstellungen ausgefüllt werden. Ohne dies explizit zu formulieren, war die Association letztlich von der Erkenntnis geleitet, daß es sich bei den extremistischen Bewegun127

128 129 130

»As more than ever now is it appreciated that in the feared racc between education and catastrophe education must win.« Vgl. The Citizen, Nr. 8 (1938), S. 2. Ebenda. Vgl. The Citizen, Nr. 5 (1937), S. 8. Ebenda.

II. Die Bildung parteiübergreifender Organisationen

281

gen um »politische Religionen« 131 handelte. Sie konnten unter ihren Gefolgsleuten einen Grad an Begeisterung hervorrufen, wie dies einer nüchternen, säkularen Demokratie schwerlich möglich war. Aus diesem Grund griff die Association for Education in Citizenship in ihren Überlegungen zur »Erziehung für die Demokratie« auf tief verwurzelte, christlich geprägte Moralvorstellungen zurück. 1937 veranstaltete die Organisation eine Konferenz zum Thema The Challenge to Democracy. Sie fand unter Beteiligung von Intellektuellen und Politikern aller Parteien im Bonar Law College der Conservative Party in Ashridge statt und stieß in der Öffentlichkeit auf große Beachtung.132 Das wichtigste Anliegen der Konferenz bestand darin, den Schulterschluß aller demokratischen Parteien gegenüber der extremistischen Herausforderung zu demonstrieren. 133 Als Redner während der Tagung ergriffen folglich bedeutende Repräsentanten sowohl des National Government als auch der Labour-Opposition das Wort, um für den Fortbestand der englischen Demokratie zu argumentieren und demokratische Werte und Grundvorstellungen zu verteidigen. In dem 1938 veröffentlichten Tagungsband Constructive Democracy finden sich Beiträge von so unterschiedlichen Politikern wie Lord Halifax, Arthur Bryant, Lord Lothian 134 und Clement Attlee. Alle Teilnehmer der Konferenz unterschrieben die gemeinsame Erklärung The Faith of a Democrat, um ihre Einigkeit in der entschiedenen Ablehnung autoritärer Regime zu dokumentieren. Die Erklärung wurde im Tagungsband als Einleitungskapitel abgedruckt: »The following chapter was approved by the Association for Education in Citizenship as a basis for the discussion at the Ashridge Conference. Its object was to show how much there is in common between the three great political parties in England, how fundamentally they differ from dictatorships.«135 Doch legte Clement Attlee Wert auf die Feststellung, daß nach Ansicht der Labour Party eine funktionierende Demokratie auch die ökonomische Gleichstellung ihrer Bürger garantieren müsse. N u r auf diese Weise könne soziale Gerechtigkeit erreicht werden. 136 Er widersprach daher dem Absatz der Erklärung, der sich mit dem Thema Economic Democracy auseinandersetzte:

" Vgl. zu dieser Deutung Maier, H. (Hrsg.), Totalitarismus und »politische Religionen«. Konzepte des Diktaturvcrgleichs, Paderborn 1996 und für Großbritannien vor allem Huttner, Totalitarismus und säkulare Religionen. 32 Der Leiter des Bonar Law College, Arthur Bryant, versprach sich von der Konferenz vor allem einen positiven »Publicitycffekt« für die Conservative Party in Intellektuellenkreisen, die er als eher der Labour Party zuneigend beschrieb. Vgl. Bryant an Gower, 13. Juli 1937. Bryant Papers/C41. 33 Ernest Simon schrieb zu diesem Aspekt in The Citizen: »It is particularly encouraging that the leaders of all three parties hold the democratic belief that the State exists to render possible a good life for its Citizens [...] and utterly rejeet the authoritarian view that the passengers exist for the sake of the ship.« Vgl. The Citizen, Nr. 3 (1937), S. 5. 34 Zu Lord Lothians Demokratieverständnis vgl. auch Schieren, S., Vom Weltreich zum Weltstaat. Philip Kerrs (Lord Lothian) Weg vom Imperialisten zum Internationalisten, 1905-1925, Univ. Diss. Bonn 1994, S. 248 ff.. 33 Vgl. Simon, Constructive Democracy, S. 13. 36 Vgl. Attlee, C , Economic Justice under Democracy. In: Simon, Constructive Democracy, S. 113.-124.

282

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus »I regard the following chapter as a Statement of the fundamental aims of British democracy which should be generally acceptable to members of the Labour Party. I must, however, make one important exception as regards the section headed E c o nomic Democracy«. We cannot accept this, as we regard economic equality as essential to true democracy.« 137

Die Vertreter der Liberalen u n d der Conservative Party hingegen interpretierten diesen A s p e k t als keinen essentiellen Bestandteil der D e m o k r a t i e u n d stießen sich folglich nicht an der F o r m u l i e r u n g : » E c o n o m i c equality can [...] n o t be regarded as an essential aspect of democracy. Indeed, it is t o d a y the main subject of controversy in most democractic countries. We conclude, therefore, that econ o m i c equality is n o t an essential part of the faith of a democrat.« 1 3 8 A b g e s e h e n v o n dieser D i s s o n a n z läßt sich j e d o c h eine b e m e r k e n s w e r t e Gleichartigkeit der A r g u m e n t a t i o n feststellen. Alle Politiker b e t o n t e n die englische Tradition der D e m o k r a t i e , die letztlich die beste aller Regierungsformen sei u n d deshalb nicht geschwächt w e r d e n dürfe. Gleichwohl beeinflußte die Parteizugehörigkeit der R e d n e r die N u a n c i e r u n g einzelner Beiträge. D e r Konservative L o r d Halifax betonte den p r o g r a m m a t i s c h e n u n d wenig theorielastigen C h a rakter der englischen D e m o k r a t i e , die ihren Bestand garantiere: »It is difficult t o explain, and the A n g l o - S a x o n races are bad at exposition. I d o u b t if y o u w o u l d find it written in any b o o k of the British C o n s t i t u t i o n that the whole essence of British parliamentary g o v e r n m e n t lies in the intention t o make the thing w o r k . « 1 3 9 Attlee w i e d e r u m sprach von der Verbesserungswürdigkeit auch d e r englischen D e m o k r a t i e in der Frage der gerechteren Verteilung des W o h l s t a n d e s . D o c h auch seine F o r d e r u n g e n basierten auf der G r u n d v o r s t e l l u n g einer speziell englischen Tradition der D e m o k r a t i e : »I think that this country is in many respects peculiar. I think above all we have in this country one thing which is extremely valuable, and that is a habit of tolerance. [...] I think it would be a great loss to this country and to the world if our habit of tolerance should be lost in a revolution. I want my revolution, but I want a peaceful revolution. I do not want the kind of revolution that really destroys its own children and its own supporters.« 140 Als ihre wichtigsten Ziele hatte die Association definiert, das B e w u ß t s e i n der englischen Öffentlichkeit für die Frage des F o r t b e s t a n d e s der D e m o k r a t i e zu schärfen sowie die Geschlossenheit der Parteien in dieser Frage zu d o k u m e n t i e ren. Mit der Konferenz hatte sie vor allem letzteres erreicht. In einem Bericht über die Tagung im Manchester Guardian hieß es: »[the reader of the reports] must be impressed by the great amount of common ground, and with the way in which men and women of so many shades of opinion find so much to agree on about the fundamental condition of democracy and about 7 8 9 0

Vgl. Simon, Constructive Democracy, S. 13. Vgl. Simon, Constructive Democracy, S. 23. Vgl. The Viscount Halifax, The Purpose of Democracy. In: Simon, Constructive Democracy, S 37-50, S. 42. Vgl. Attlee, Economic Justice under Democracy, S. 122.

II. Die Bildung parteiübergreifender Organisationen

283

the dangers that threaten it. There is something reassuring in the thought that it is possible to gather leaders of the main British political parties and a representative sprinkling of the academic world in such a pooling of ideas. And if the results of the Symposium are not compressible in a single formula or a single code for educational application, they will at least serve the equally important purpose of stimulating discussion and focussing interest.«141 Wie in dieser zeitgenössischen Bewertung der Aktivitäten der Association for Education in Citizenship bereits anklingt, lag die Bedeutung der Organisation weniger in der Ausarbeitung konkreter Handlungsanleitungen zur politischen Erziehung als vielmehr in ihrer Öffentlichkeitsarbeit für die Demokratie. Gruppen wie die Association machten darauf aufmerksam, daß es in Anbetracht der Erfolge totalitärer Regime auf dem europäischen Kontinent notwendig sei, für den Fortbestand der Demokratie in England zu arbeiten und sie nicht als eine selbstverständliche Gegebenheit anzusehen. Gleichzeitig spiegelte die Organisation den parteiübergreifenden demokratischen Konsens der englischen Gesellschaft wider, der sich bereits in der Bildung des National Government im Jahr der Krise 1931 gezeigt hatte und, wie noch darzustellen sein wird, auch im Zuge der Einführung legislativer Maßnahmen zur Abwehr des Extremismus zum Tragen kam. Vor allem aber sind die Aktivitäten der Association, an denen sich Politiker aller großen Parteien sowie ein breites Spektrum englischer Intellektueller beteiligten, ein weiteres Beispiel dafür, daß die extremistischen Herausforderungen in der politischen Öffentlichkeit und in den Parteien eine Vielzahl von Reaktionen hervorriefen. Man ignorierte die offensichtliche Popularität autoritärer Regierungsformen in anderen Ländern und unter Teilen der eigenen Bevölkerung keineswegs, sondern setzte sich aktiv und offensiv mit der Bedrohung des demokratischen Systems auseinander. Dabei beschränkte sich diese Auseinandersetzung, wie auch das Beispiel der Association for Education in Citizenship zeigt, keinesfalls auf passives Abwarten. Vielmehr arbeitete man aktiv für den Erhalt und die Akzeptanz des englischen Parlamentarismus. Trotz einiger Differenzen über die Gewichtung einzelner Aspekte setzte sich in England eine Koalition der Demokraten durch. Insbesondere die Association for Education in Citizenship war davon überzeugt, daß auch die Demokratie moderne Methoden der Meinungsbildung anwenden müsse, um eine ähnliche Begeisterung mobilisieren zu können, wie dies den totalitären Ideologien unter ihrer Anhängerschaft offensichtlich gelang. Als Erklärung für diese »devotion« wurde die spirituelle Kraft der politischen Religionen Faschismus und Kommunismus angesehen. Deshalb bemühte sich die Organisation, auch für die Demokratie eine solche, über rationale Kategorien hinausgehende Anziehungskraft zu entwickeln. Ähnlich wie Baldwin plädierte sie für eine enge Bindung demokratischer Überzeugungen an tradierte christliche und humanitäre Vorstellungen. Dabei ließ man sich von der Erkenntnis leiten, daß die totalitären Ideologien vor allem ihr gemeinsamer Antagonismus zu einem christlich geprägten Gesellschaftsentwurf 141

Vgl. Manchester Guardian, 15. Juli 1937.

284

Teil 4: Die A b w e h r des E x t r e m i s m u s

einte. Diese Interpretation des Totalitarismus als Gegenmodell zum christlichen Glauben, als politischer oder säkularer Religion war unter englischen Intellektuellen und Publizisten der dreißiger Jahre relativ weit verbreitet. 142 Das Interesse der Mitglieder der Assocation for Education in Citizenship ging jedoch über einen rein theoretischen Aspekt hinaus. Ihre Absicht war es, die englischen Bürger zu aufgeklärten und opferbereiten Demokraten zu erziehen, um der offensichtlichen Popularität der Diktatur zu begegnen.

2. D I E FREEDOM AND PEACE U N I O N

Während sich die Association for Education in Citizenship auf innenpolitischem Gebiet engagierte, setzten sich andere Organisationen mit den autoritären Regimen und hier besonders mit dem Nationalsozialismus als ernstzunehmenden außenpolitischen Gefahren auseinander. Auch diese Gruppen legten großen Wert auf einen überparteilichen Charakter und schlössen sich zur Freedom and Peace Union zusammen, die zum Teil auch als »Focus-Gruppe« bezeichnet wurde. 143 1936 gründete Walter Citrine das World Anti-Nazi Council mit Hauptsitz in London. Diese überparteiliche Organisation stand allen Gegnern des Nationalsozialismus und Befürwortern von Freiheit und Demokratie offen.144 Nachdem das World Anti-Nazi Council in der ersten Jahreshälfte 1936 mehrere Veranstaltungen abgehalten hatte, kam man zu der Erkenntnis: »The committee of the Council feit that we needed some prominent personalities who would help us to arouse the public to an understanding of the terrible threat that the Nazis presented to peace and liberty.« 145 Aus diesem Grund traf sich der Vorstand der Organisation am 19. Mai 1936 mit Winston Churchill. Er hatte sich bereits seit geraumer Zeit für weitreichende Aufrüstungsmaßnahmen 146 angesichts der Politik Hitlers ausgesprochen und war zum heftigsten Kritiker der offiziellen Außenpolitik des National Government avanciert. Bei dem Treffen waren neben Citrine Hugh Dalton, Sir Norman Angell 147 und Margaret Bondfield 148 als Vertreter der Arbeiterbewegung anwesend. Churchill erklärte sich zur Kooperation bereit und formulierte die gemeinsamen Ziele der Anwesenden folgendermaßen: »What I think Sir Walter has in mind is that those of us so oppositely situated in politics should nevertheless try to find a common ground if possible, on which we can 142

Vgl. Huttner, Totalitarismus und säkulare Religionen. Eugen Spier veröffentlichte 1963 seine Erinnerungen an die Bewegung unter dem Titel »Focus«. Vgl. Spier, E., Focus. With an Introduction by Lady Violct Bonham Carter, London 1963. 144 Vgl. Citrine, Men and Work, S. 356. 14 ' Ebenda. 146 Churchill ging das 1934 beschlossene maßvolle Aufrüstungsprogramm des National Government nicht weit genug. 147 Journalist und Autor, Abgeordneter der Labour Party, Fricdcnsnobelpreisträgcr 1933. ,4I< Abgeordnete der Labour Party, Mitglied des T U C General Council, 1929 als Arbeitsministerin erste Frau in einem Kabinett. 143

II. Die Bildung parteiübergreifender Organisationen

285

mount a platform in Parliament, with representatives of the Tory Right and of the Socialist Left all drawn up together in pursuance of certain ideas and the Statement of these ideas which we harmoniously fall into agreement with. That is why we ought to seek some opportunity to proclaim that there are men of all classes, all sorts of conditions, all grades of human forces, from the humblest workman to the most bellicose colonel, who occupy a common ground in resisting the dangers of aggressive tyranny.« 149

Gleichzeitig einigte sich die Gruppe auf einen positiveren Namen. Fortan bezeichnete sie sich als Freedom and Peace Union oder auch als Movement for the Defence of Freedom and Peace. Im Dezember 1936 hielt die Organisation eine Großveranstaltung in der Londoner Albert Hall ab. In einem Brief an den Koordinator des bisherigen Anti-Nazi Council, A. H. Richards, betonte Churchill, daß sich die neue Gruppe nicht als Konkurrenzorganisation verstand. Vielmehr stelle sie den Versuch dar, alle Gruppierungen zusammenzufassen, die für die Verteidigung demokratischer Werte gegen äußere Aggression arbeiteten: »I do not contemplate the building up of a new and rival society, but only a welding together of those organisations and galvanising them into effective use. [...] In my view we are a focus bringing together all these different forces.«150 Churchill bemühte sich darum, das Anti-Nazi Council, das eher der Arbeiterbewegung nahestand, mit der stärker durch liberale und konservative Mitglieder geprägten Focus-Gruppe zu verschmelzen. Durch diese Bündelung der Kräfte konnte eine wesentlich größere Wirkung in der Öffentlichkeit erzielt werden. In den folgenden Monaten fanden mehrere Zusammenkünfte statt, bei denen Persönlichkeiten aller politischen Parteien anwesend waren. Zu nennen sind hier neben Citrine und Churchill Sir Norman Angell, Lady Violet Bonham Carter (Liberal), Commander Locker Lampson (Conservative), Wickham Steed (ehemaliger Herausgeber der Times) sowie Duncan Sandys (Conservative). Als zentrale Zielsetzung einigte man sich darauf, die englische Öffentlichkeit über die drohende Gefahr des Nationalsozialismus aufzuklären. 151 Außerdem machte die Freedom and Peace Union darauf aufmerksam, daß sie keineswegs eine neue Partei sei.152 Ihre Leitsätze lauteten: »To unite British Citizens irrespective of politics or creed in defence of Freedom, secured by democratic government and public law; in resistance to all efforts to diminish or destroy this Freedom by violence at home or attack from abroad; and in support of international duty to join with others in preserving peace and withstanding armed aggression.«153 149

130 131

132 133

Vgl. »Protocol of Luncheon of the World Non-Sectarian Anti-Nazi Council«, 19. Mai 1936. Papers of the Trades Union Congress General Council, File »Fascism«. Vgl. Churchill an A. H. Richards, 21. und 26. Oktober 1936. Churchill Papers/Char/311. Im Protokoll eines Treffens vom 24. Juli 1936 hieß es zu diesem Aspekt: »Both Mr Winston Churchill and Sir Walter Citrine expressed their views upon the Situation, agreed upon its dangerous character, not least in relation to this country, and dwelt on the need for the enlightenment of public opinion.« Vgl. »Memorandum on Private Lunch in Churchill's Fiat on the Topic«, 24. Juli 1936. Churchill Papers/Char/311. Ebenda. »Vgl. Objects of the >Freedom and Peace Union«. Agreed at Private Lunch Savoy Hotel«, 29. Oktober 1936. Churchill Papers/Char/311.

286

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

Im Oktober 1936 veröffentlichte die Gruppe eine maßgeblich von Wickham Steed verfaßte Erklärung. Über den Charakter der totalitären Regime hieß es dort: »Militant >totalitarian< Systems, scornful of freedom and careless of human right, spurn representative democracy and equality of citizenship. In practice and in principle these Systems trample upon the ethics of Christianity. [...] All these Systems the Communist no less than the Fascist and the Nazi - have been established and are maintained by methods tantamount to active or latent civil war.«154 Doch anders als die Association for Education in Citizenship wollte die Freedom and Peace Union angesichts dieser Gefahr nicht nur die geistigen Ressourcen der englischen Nation zur Stärkung der Demokratie mobilisieren. Das Land sollte durch konkrete Aufrüstungsmaßnahmen in eine physische Position der Stärke gegenüber den europäischen Diktatoren versetzt werden. Dabei betonte die Gruppe die Bedeutung der Kooperation mit anderen demokratischen Staaten in einem System kollektiver Sicherheit: »The propaganda and actions of these Systems abroad - especially of those Systems that cherish aggressive designs must bring on war unless they be met by firm resolve and readiness for Joint defence on the part of the peoples still free.«155 Für Winston Churchill, ein früher Gegner der Appeasement-Politik der englischen Regierung, waren verstärkte Aufrüstungsmaßnahmen der entscheidende Faktor, um Deutschlands aggressiver Außenpolitik angemessen begegnen zu können. Als sich die Labour Party auf ihrem Parteitag von 1936 dafür entschied, ein Aufrüstungsprogramm zu unterstützen, sprach Churchill der Arbeiterpartei seine ungeteilte Zustimmung aus. Auf einem Arbeitsessen der Freedom and Peace Union am 15. Oktober 1936 merkte er an: »Nothing could have been more admirable than the action of the Trades Union Congress and the representatives of the Trades Unions at the Labour Party meeting. Whether our volume of thought has been at all contributory to that decision or not I do not know, but at any rate it is in entire harmony with it, and I think the two decisions which they took - first, to draw a line against Communism, such as we drew it against Nazism, and secondly to support the principles of necessary re-armament in order that free countries should not be trampled down, are of the utmost help. [...] It shows that Labour is more alive than many of the Conservatives.«156 Es wird deutlich, warum sich der spätere Premierminister so engagiert für die Anliegen der Freedom and Peace Union einsetzte. Er sah in der Organisation eine Möglichkeit, mit Hilfe oppositioneller Stimmen das National Government zu Aufrüstungsmaßnahmen gegen Hitler zu drängen, eine Forderung, die er bislang in diversen Parlamentsdebatten mehr oder weniger erfolglos durchzusetzen gesucht hatte. Die überparteiliche Gruppe konnte ihm nun die Unterstützung bieten, die ihm seine eigene Partei unter Baldwin bislang verweigert 134

133 136

Vgl. »Manifesto, prepared by Wickham Steed«. A. H. Richards an Churchill, 6. Oktober 1936 Churchill Papers/Char/311. Ebenda. Vgl. Protokoll eines Treffens vom 15. Oktober 1936. Churchill Papers/Char/311.

II. Die Bildung parteiübergreifender O r g a n i s a t i o n e n

287

hatte. In einem Brief an seinen Sohn R a n d o l p h erläuterte C h u r c h i l l diesen Z u sammenhang: »You will remember a luncheon you attcnded at the Hotel Victoria to meet Citrine and others connected with the Anti Nazi League. This is living under another form and arrangements are now in train for an Albert Hall meeting at which I speek with Citrine in the Chair. All the Left-Wing intelligencia are Coming to look to me for protection of their ideas, and I will give it whole heartedly in return for their aid in the rearmament of Britain.« 157 Diese frühen K o n t a k t e Churchills z u L a b o u r P a r t y u n d Gewerkschaften in der Frage eines gemeinsamen Vorgehens gegen die nationalsozialistische B e d r o h u n g dürften sicherlich auch die A r b e i t der späteren Kriegsregierung erheblich erleichtert haben. D i e Loyalität der L a b o u r P a r t y im Kriegskabinett 1940 erfolgte mit d e m Wissen, daß sich C h u r c h i l l bereits Mitte der dreißiger Jahre als entschiedener G e g n e r der totalitären R e g i m e präsentiert u n d seine Bereitschaft z u r K o o p e r a t i o n mit der Arbeiterpartei signalisiert hatte. I m M i t t e l p u n k t des öffentlichen Interesses stand die F r e e d o m and Peace U n i o n , als sie am 3. D e z e m b e r 1936 in der R o y a l A l b e r t eine G r o ß v e r a n s t a l t u n g u n t e r der Schirmherrschaft der League of N a t i o n s U n i o n abhielt. 1 5 8 H a u p t r e d ner w a r e n Citrine, Churchill u n d L a d y Violet B o n h a m Carter. Sie w a n d t e n sich als Vertreter aller Parteien an die englische Öffentlichkeit, u m auf die N o t w e n digkeit einer energischen Politik der Staatengemeinschaft gegenüber den a u t o ritären Regimen aufmerksam zu m a c h e n . C h u r c h i l l verwies in seiner R e d e 1 5 9 auf die Ähnlichkeit der extremistischen Bewegungen und warnte vor den A u s w i r k u n g e n , die sich bereits in England a b zeichneten: »But the most striking fact about these new religions is their extraordinary similarity. Nazism and Communism are at each others throats wherever they exist all over the world. They even tried to carry on their struggle in the East End of London. They represent themselves as exaet opposites but they are alike as two peas.«160 Er rief deshalb dazu auf, nicht n u r im internationalen Kontext, s o n d e r n auch im eigenen L a n d den neuen »politischen Religionen« den Kampf anzusagen: »Do not let us blind our eyes to the powers which these new religions exert in the modern world. They command vast armies equipped with fearful agencies of destruction. They have converted the good gifts of science to the most insidious forms of propaganda. [...] Today they seek to divide the world between them, to ränge the men and women of every land under their garish Standards and ugly gestures, and so hurl the ancient noble nations of Christendom against one another. We have no

137 138

'' 9

",0

Vgl. Churchill an Randolph Churchill, 13. November 1936. Churchill Papers/Char/311. Vgl. Watt, D. C , Personalities and Policies, London 1965, S. 134. Churchills Biograph Martin Gilbert bezeichnet diese Rede Churchills als »a culmination of his efforts to unite all those who believed in collective security, irrespective of the political party to which they belonged.« Vgl. Gilbert, M., Prophet of Truth. Winston S. Churchill 1922-1939, London 1990 (Erstveröffentlichung 1976), S. 807 f.. Vgl. Rede Churchills am 3. Dezember 1936, abgedruckt in The Times, 4. Dezember 1936.

288

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus part in this, nor, indeed is it in our power, to interfere inside these countries. We have our own world, let us look after that.« 161

A u c h Walter Citrine b e t o n t e die N o t w e n d i g k e i t , die extremistischen B e w e g u n gen s o w o h l innerhalb des eigenen L a n d e s als auch als außenpolitische B e d r o h u n g z u bekämpfen: »Who, but the blindest among us, cannot perceive the dangers inherent in this aggressive policy? I have no use for dictators, whatever their colour or creed may be. [...] I know too much of the unhappy fate that has overtaken my fellow trade unionists within the Fascist borders to want to see any experiment made here. [...] So it is that we on this platform are combined in the defence of freedom, secured by democratic government and public law. We are equally determined to resist all efforts to diminish our freedom and to preserve peace by withstanding armed aggression.« 162 D e r G e n e r a l s e k r e t ä r des T U C legte vor allem g r o ß e n Wert auf den H i n w e i s , d a ß es sich bei der F r e e d o m and Peace U n i o n nicht u m die G r ü n d u n g einer n e u e n Partei handelte. Angesichts der A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n in der L a b o u r Party über die Frage einer Populär F r o n t b e t o n t e Citrine, daß die Versammelten als Privatpersonen u n d nicht als Vertreter ihrer Parteien redeten. 1 6 3 A u c h 1937 arbeitete C h u r c h i l l intensiv für die Ziele der F r e e d o m and Peace U n i o n . N u n versuchte er in erster Linie, m e h r U n t e r s t ü t z u n g aus den Reihen der Tories zu gewinnen. Im O k t o b e r 1937 lud er A u ß e n m i n i s t e r A n t h o n y E d e n erfolgreich dazu ein, einen Vortrag vor der G r u p p e zu halten. In seinem Einladungsschreiben an E d e n verdeutlichte C h u r c h i l l u n t e r a n d e r e m , d a ß er es für unerläßlich halte, die U n t e r s t ü t z u n g der Gewerkschaften für mögliche Aufrüs t u n g s p r o g r a m m e der R e g i e r u n g zu g e w i n n e n . D a r ü b e r hinaus ä u ß e r t e er die H o f f n u n g , d a ß G r u p p e n wie die F r e e d o m and Peace U n i o n d a z u beitragen k ö n n t e n , die G e w e r k s c h a f t e n v o n ihrer traditionellen B i n d u n g an die L a b o u r Party zu lösen: »Originally I was concerned in bringing this >focus< together in order to gather >leftwing« support for re-armament. In this we have been most successful. [...] Many of these people are very influential in Socialist and Liberal circles, but of course we always have a proportion of live Conservatives as well. [...] I may add that our contacts enable us to go right into the heart of the Trade Union world, and to act with them in the utmost harmony. Without the support of the Trade Unions, our munition programme cannot be properly executed. This aspect is of real public importance. It may well be in the future that the Trade Unionists will detach themselves from particular political parties. This would be a gain enormous to our political life.«164 A u c h w e n n es d e m späteren Premierminister nicht gelang, die traditionelle Verb u n d e n h e i t von Trade U n i o n s u n d L a b o u r Party aufzulösen, so k o n n t e er d o c h ein b e m e r k e n s w e r t breites politisches S p e k t r u m dafür gewinnen, einer energi161 162 163 164

Vgl. Rede Churchills am 3. Dezember 1936, abgedruckt in The Times, 4. Dezember 1936. Vgl. Rede Citrines am 3. Dezember 1936. Citrine Papers/10/7. Ebenda. Vgl. Churchill an Eden, 3. Oktober 1937. Churchill Papers/Char/311.

III. Reaktionen des Staates

289

scheren Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland zuzustimmen. Dieser Konsens, der später während des Zweiten Weltkrieges die englische Nation einigen sollte, deutete sich bereits in den dreißiger Jahren an und fand unter anderem Ausdruck in der Freedom and Peace-Bewegung. Natürlich waren die einzelnen Mitglieder aus jeweils ganz unterschiedlichen Motiven Mitglied der Freedom and Peace Union geworden. Churchill beispielsweise hatte in den dreißiger Jahren in seiner eigenen Partei jeglichen Kredit verspielt und engagierte sich unter anderem aus konkret machtpolitischem Kalkül in der Gruppe. Und doch stellt auch die Freedom and Peace Union den überparteilichen Versuch dar, dem Extremismus im England der dreißiger Jahre keinen Raum zu geben. Nicht nur Baldwin, auch Churchill vollbrachte in den dreißiger Jahren eine Integrationsleistung gegen die extremistische Herausforderung. Während sich Baldwin jedoch als der durch christliche Beweggründe motivierte »healer of the nation« präsentierte, handelte Churchill eher als der kraftvolle und unnachgiebige Gegner der totalitären Regime. Beide Politiker konnten jedoch Unterstützung aus allen politischen Lagern mobilisieren und die englische Gesellschaft in ihrer Ablehnung der Diktatur bestärken. Kritiker werfen der Freedom and Peace Union bzw. der Focus-Gruppe vor, ihr Einfluß auf die offizielle Regierungspolitik sei nur sehr gering gewesen, sie habe außer Eden kein Mitglied der Administration für sich gewinnen können und sei deshalb eine zu vernachlässigende Größe unter den Appeasement-Gegnern. 165 Sowohl die Association for Education in Citizenship als auch die Freedom and Peace Union beweisen jedoch, wie intensiv man sich im England der dreißiger Jahre mit der Bedrohung durch Faschismus und Kommunismus sowohl in innenpolitischer als auch außenpolitischer Hinsicht auseinandersetzte. In allen Parteien reagierte man wachsam auf die Bedrohung demokratischer Werte, setzte sich kritisch mit den neuen »politischen Religionen« auseinander und trug entscheidend dazu bei, daß die englische Gesellschaft überwiegend mit Ablehnung auf die extremistischen Bewegungen reagierte.

III. REAKTIONEN DES STAATES 1. DIE »WEHRHAFTE DEMOKRATIE«: DER PUBLIC ORDER ACT VON 1936

Ein äußeres Symbol der parteiübergreifenden Abwehr des Extremismus in England stellte der Public Order Act dar. Das Gesetz wurde 1936 vom Parlament verabschiedet und trat am 1. Januar 1937 in Kraft. Als sich die Auseinandersetzungen zwischen BUF und Communist Party verschärften, leitete die englische Demokratie auch gesetzgeberische Maßnahmen ein, um die demokratische "•3 Vgl. Watt, Personalities and Policies, S. 134

290

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

Ordnung und öffentliche Sicherheit weiterhin zu gewährleisten. Großbritannien erwies sich, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, als eine »wehrhafte Demokratie«. In die Beratungen über den Public Order Act war auch die Labour-Opposition eingebunden. Dadurch war gewährleistet, daß sich eine große parlamentarische Mehrheit für die Verabschiedung des Gesetzes aussprach. Wie bereits 1931 entschied man sich für ein parteiübergreifendes Krisenmanagement und lehnte eine Veränderung der parlamentarischen Spielregeln ab. Statt mit zunehmender Diversifizierung reagierte die Politik in England auf politisch angespannte Situationen mit einem Zusammenschluß der parlamentarischen und demokratischen Kräfte. Englische Politiker verloren jedoch nicht die nötige Aufmerksamkeit im Umgang mit gesetzlichen Maßnahmen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit beeinträchtigen könnten. 166 Bereits im April 1934 hatte das National Government ein Gesetz vorgelegt, mit dem eine mögliche extremistische Unterwanderung der englischen Gesellschaft verhindert werden sollte. Der Incitement to Disaffection Act war in erster Linie gegen die Propaganda der Communist Party innerhalb der britischen Streitkräfte gerichtet gewesen. 167 In dem Gesetz, in der Öffentlichkeit auch als Sedition Bill bezeichnet, wurde es unter Strafe gestellt »to maliciously and advisedly seduce any member of His Majesty's forces from his duty or allegiance.« 168 Nicht nur die Communist Party, sondern auch Labour Party und Gewerkschaften lehnten seine Einführung ab. Eine Reaktion auf den Incitement to Disaffection Act war die Gründung des National Council for Civil Liberties 1934, das wiederholt Kundgebungen gegen das Gesetz organisierte 169 und Protestnoten an Justizminister Inskip einreichte. Der zeitliche Zusammenfall einer insbesondere gegen die politische Linke gerichteten Gesetzesvorlage mit den BUF-Krawallen in Olympia führte zu einer Intensivierung dieses Protestes. Er konnte jedoch die endgültige Einführung des Gesetzes im November 1934 nicht verhindern. Trotz der wachsenden Bedrohung der öffentlichen Sicherheit durch die BUF und ihre paramilitärischen Organisationen reagierte das National Government nur zögernd auf die Herausforderung von rechts. Die gewalttätigen Ausschreitungen am Rande der Protestdemonstrationen des kommunistischen National Unemployed Workers' Movement, die besonders im Herbst 1932 London erschüttert hatten, wurden von dem durch konservative Politiker dominierten Kabinett als eine weit größere Gefahr für die Demokratie angesehen als die Agitation der Mosley-Bewegung. 170 Diese Haltung änderte sich auch durch den Vgl. Thurlow, State Management of the British Union of Fascists in the 1930s, S. 35. Für den genauen Inhalt des Gesetzes vgl. Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 69-74. Zitiert nach Stevenson, Cook, The Slump, S. 233. An einer Demonstration auf dem Trafalgar Square in London gegen das Gesetz nahmen über 10.000 Menschen teil. Vgl. Süsser, Fascist and Anti-Fascist Attitudes in Britain between the Wars, S. 109. In einer Beurteilung des Gesetzes schreibt Anderson deshalb: »More than anything eise, the Incitement to Disaffection Act was a produet of its time, when bolshevism appeared to the Govern-

III. R e a k t i o n e n des Staates

291

Ausbruch von Gewalt im Juni 1934 während der BUF-Kundgebung in Olympia nicht wesentlich. Bereits wenige Tage danach stellte man im Innenministerium Überlegungen an, wie sich das National Government gegenüber der zunehmenden Gewalt auf Demonstrationen und politischen Veranstaltungen verhalten solle. Innenminister Simon kam zu dem Schluß, es sei unerläßlich, die Position der Opposition zu einer möglichen Verschärfung bestehender Gesetze zu berücksichtigen: »The Government had not reached any positive conclusions as to the measures required to deal with these mischiefs. [...] they deemed it essential that in a matter which so closely affected all Parties, the view of the leaders of each Party should be taken into account before any definite proposals for legislation were made.«171 In einer Rede vor dem Parlament hatte der Innenminister bereits auf die Gefahr einer Aushöhlung der staatlichen Autoritäten durch militante Gruppierungen hingewiesen: »It is the function of the Government to preserve law and order. They would be failing in their duty if they allowed any faction, either of the Right or Left, to disturb the public peace, and they are certainly not prepared to allow their responsibilities for the maintenance of order and the preservation of our free institutions to be usurped by any private and irresponsible body, no matter what may be their avowed aims or objects.«172 Doch scheiterte ein auf Forderung der Opposition im Juli 1934 erarbeiteter Vorschlag, die Kompetenzen der Polizei auf politischen Veranstaltungen zu erweitern, am Widerstand des Kabinetts. 173 Nachdem die BUF ein ursprünglich für den 5. August 1934 vorgesehenes Treffen im Londoner Hyde Park verschoben hatte, wurde die Durchsetzung legislativer Maßnahmen gegen die Faschisten als weniger dringlich eingeschätzt. Ein Bericht des MI5, demzufolge von der BUF nach dem Prestigeverlust im Sommer keine Gefahr mehr für das parlamentarisch-demokratische Regierungssystem ausging 174 , bestätigte diese Interpretation. Nach den Ereignissen des Sommers 1934 und der nachlassenden Unterstützung ihrer Politik ging die BUF zu einer immer stärker antisemitisch geprägten Propaganda über. Gewalt und Krawalle wurden notorische Charakteristika ihrer Treffen und Kundgebungen. Die englische Öffentlichkeit setzte die Aktivitäten der BUF deshalb zunehmend mit der Störung der öffentlichen Sicherheit und des gesellschaftlichen Friedens gleich. Ab Herbst 1936 diskutierte die Regierung deshalb erneut die Einführung legislativer Maßnahmen. Auch der

171

172 173 174

ment to be more dangerous than fascism.« Vgl. Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 98. Vgl. Memorandum des Innenministers »Preservation of Public Order«, Anlage eines Briefes von A. S. Hutchinson an Stanley Baldwins Privatsekretär Geoffrey Fry, 19. Juli 1934, Baldwin Papers, Bd. 9. Vgl. Parlamentsdebatte am 11. Juni 1934, abgedruckt in Politics m Review 2 (1934), S. 123. Vgl. Bauerkämper, Die »radikale Rechte« in Großbritannien, S. 209. Ebenda.

292

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

militante Widerstand gegen die faschistische Bewegung hatte sich seit dem Olympia-Treffen verstärkt. Besonders linke Gruppen, hier vor allem die Communist Party, formierten sich zu einer antifaschistischen Protestbewegung gegen die BUF. Alle wichtigen Kundgebungen der BUF in den Jahren 1935 und 1936 waren von großen Gegendemonstrationen begleitet, in deren Verlauf es oft zu Ausschreitungen kam. 175 Mosley konzentrierte seine antisemitische Kampagne auf das Londoner East End, in dem traditionell viele Immigranten und vor allem Juden lebten. Folglich konnte die BUF ab 1936 von den dort latent vorhandenen fremdenfeindlichen Gefühlen profitieren und hohe Mitgliedergewinne in diesen Bezirken verzeichnen. Auf der anderen Seite war das East End eine Arbeitergegend, in der linke Parteien, so auch die Kommunisten, ihre Hochburgen hatten. 176 Aus diesem Grund konnte die BUF das East End nie völlig für sich gewinnen; vielmehr war sie zunehmend mit einer starken kommunistischen Gegenbewegung konfrontiert. Es gelang dem Faschistenführer jedoch, ausreichend Anhänger zu rekrutieren, um eine echte Herausforderung für die lokalen Behörden darzustellen. Trotz der zunehmenden Gewalt im East End schien es zweifelhaft, daß das National Government ohne einen konkreten Anlaß, vergleichbar etwa mit den Ereignissen von Olympia, zu legislativen Maßnahmen greifen würde. Bis zum 4. Oktober 1936 waren sowohl Regierung als auch Metropolitan Police davon überzeugt, die sich im East End bildenden Kräfte unter Kontrolle zu haben. 177 Mosleys Partei hatte Ende 1935 eine neue, der Ausstattung der SS ähnelnde Uniform erhalten. Sie plante für den 4. Oktober 1936 einen Propagandamarsch durch das East End, gegen den die Communist Party mit Unterstützung kleinerer jüdischer Verbände eine Gegendemonstration organisierte. 178 Am Tag des Marsches kam es in der Cable Street zu den bislang heftigsten Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Nach der »Battle of Cable Street« verstärkte sich der Druck gesellschaftlicher Gruppen und politischer Parteien auf das National Government, eine Gesetzgebung gegen die paramilitärischen Verbände der BUF durchzusetzen und die gewalttätigen Ausschreitungen im East End zu beenden. In der Times war zu lesen: »This sort of hooliganism must clearly be ended, even if it involves a special and sustained effort from the police authorities.« 179 In Zeitungen, die dem rechten Flügel der Conservative Party nahestanden, gab man ausschließlich den Kommunisten die Schuld an den Ausschreitungen und beurteilte die BUF wesentlich milder. Sentinel, der Kolumnist der Morning 173

I7h 177 178 179

Nach Auswertung von bislang unberücksichtigtem Material aus dem Public Record Office wird in der neueren Forschung darauf hingewiesen, daß der Ausbruch von Gewalt in den meisten Fällen von antifaschistischen Gruppen provoziert wurde, die Verurteilung der BUF in dieser Hinsicht also ungerechtfertigt sei. Vgl. Cullen, S. M., Political Violence. The Case of the British Union of Fascists. In: Journal of Contemporary History 28 (1993), S. 245-267. Vgl. Cross, The Fascists in Britain, S. 151. Vgl. Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 159. Vgl. Bauerkämper, Die »radikale Rechte« in Großbritannien, S. 210. Vgl. The Times, 5. Oktober 1936.

III. R e a k t i o n e n des Staates

293

Post, begann seinen Artikel zwar mit der Aussage, daß er die BUF nicht unterstütze, da sie ausländische oder fremde Symbole und Methoden nach England importiere, daß aber »Mosley's young men« nicht fair behandelt würden: »They are decent, clean-living young fellows - some of them Public School products, but most of them drawn from every rank and vocation, and they are loyal to King and Country.« 180 Trotz dieser zum Teil immer noch positiven Presse für die BUF stand für eine Mehrheit nun fest, daß die existierenden Gesetze nicht ausreichten, um die Eskalation der Gewalt im East End wirksam zu beherrschen. Eine Verschärfung der Situation zeichnete sich durch einen neuen Hungermarsch des National Unemployed Workers' Movement ab. Zusätzlich bot die sich ankündigende Krise um die Abdankung Edwards VIII. Stoff für weitere mögliche Ausschreitungen. N u n entschied auch das National Government, seine abwartende Position gegenüber legislativen Maßnahmen aufzugeben. Die Battle of Cable Street wirkte gewissermaßen als ein Katalysator für den Erlaß des Public Order Act.181 Neben dem sich verstärkenden Druck der öffentlichen Meinung spielte bei dieser Entscheidung sicherlich auch der Appell des Commissioner of the Metropolitan Police, Sir Philip Game, eine Rolle. Er hatte in einem Brief an Innenminister Simon gefordert, die Polizei mit weitreichenderen gesetzlichen Befugnissen gegen faschistische Provokateure auszustatten. 182 Das National Government reagierte nun sehr schnell, so daß schon am 9. November 1936 im Parlament damit begonnen werden konnte, über eine Gesetzesvorlage zu beraten. Die Schnelligkeit, mit der man den Public Order Act erarbeitet und dem Parlament zur Diskussion vorgelegt hatte, deutet darauf hin, daß das Problem trotz der Ablehnung legislativer Maßnahmen im Juli 1934 nach wie vor innerhalb der Regierung diskutiert worden war. Stanley Baldwin unterstrich die Dringlichkeit des Gesetzes bereits im Vorfeld der Beratungen in einer Unterhausrede am 3. November 1936: »If there was a Bill which in my view is the duty of the whole House to attempt to shape, it is the public order bill, because its substance touches every one of us whatever our political views may be. It is a matter of great importance and urgency.« 183 Während der zweiten Lesung der Gesetzesvorlage im Parlament am 16. N o vember betonte Innenminister Simon, daß die extremistischen Bewegungen fremde Ideologien seien. Die notwendigen Schritte zur Verteidigung der Demokratie müßten jedoch englischen Methoden entsprechen: »If these foreign doctrines get a footing in this country [...] then Parliament must secure that the methods which are employed in support are consistent with our tolerant traditions, and with a preservation of the rights of the general public.« 184 Die Regierung verstand die Gesetzesvorlage als Ausdruck ihrer Funktion als Garantin öf180 181 182

183 184

Vgl. The Morning Post, 10. Oktober 1936. Vgl. Thurlow, State Management of the British Union of Fascists in the 1930s, S. 46. Vgl. Moore, A., Sir Philip Game's »other life«. The Making of the 1936 »Public Order Act« in Britain. In: The Australian Journal of Politics and History 36 (1990), S. 62-72. Zitiert nach Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 175. Vgl. Parlamentsdebatte zur zweiten Lesung der Gesetzesvorlage am 16. November 1936, abgedruckt in Politics in Review, 4 (1936), S. 28 f..

294

Teil 4: D i e A b w e h r des E x t r e m i s m u s

fentlicher Sicherheit und politischer Stabilität. Sie bezeichnete das Gesetz als notwendige Maßnahme für den Erhalt der englischen Demokratie angesichts der Militanz von BUF und CPGB. In der Interpretation der Conservative Party tangierte das neue Gesetz das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht und sei deshalb als legitimes demokratisches Mittel zum Schutz des parlamentarischen Systems aufzufassen: »The Public Order Bill is a measure to strengthen the law without interfering with legitimate freedom of speech in public places. Recent disturbances in the East End of London and in other parts of the country due to the activities of extreme associations bent on fomenting civil strife for political ends has made this measure necessary.«185 Auch die Labour Party reagierte mit Besorgnis auf die Entwicklung in East London und stimmte auf ihrem Parteitag von 1936 mit großer Mehrheit für einen Antrag Herbert Morrisons. In der Resolution wurde, wie bereits nach den Krawallen von Olympia, ein Verbot politischer Uniformen gefordert: »We urge upon the Government that now is the moment to make a decision and to decide that anybody who wants to be a politician in Great Britain can be a politician but he has got to be a civic politician, a politician working under conditions of civil order, and that this country, knowing what has happened in other countries, will not permit militansed umformed politics to make their emergence in the free country of Great Britain.«186 Als das National Government seine Gesetzesvorlage erarbeitete, konnte die Regierung also auf die volle Unterstützung der Opposition rechnen. In der Debatte zur zweiten Lesung des Public Order Act am 16. November 1936 war es wieder Morrison, der die Einstellung der Labour Party verdeutlichte: »In a few years, if you let this thing go on, a Situation could easily be created in the East End of London of the utmost gravity and a disgrace to the fair name of Britain and to our people for their public administration in a democratic way. [...] If this House does nothing, the trouble will break out again. After this private army of the Fascists, the private army of the Communists must come.«187 Die eindeutig anti-kommunistische und staatstragende Haltung Morrisons verdeutlicht einmal mehr den politischen Konsens, der sich zwischen Regierung und Opposition in den Fragen von öffentlicher Sicherheit und Bekämpfung der extremistischen Parteien abzeichnete. Er mündete schließlich in einer parteiübergreifenden Zustimmung zum Erlaß des Public Order Act. 188 Der Public Order Act richtete sich sowohl gegen die BUF als auch gegen die CPGB. Im Innenministerium wurden die Auseinandersetzungen im East End als Konfrontation zwischen zwei politischen Bewegungen interpretiert, die glei183

Vgl. Hints for Speakers No. 21, 10. Dezember 1936, S. 1. Vgl. Labour Partv Conference Report 1936, S. 165. is? Vgl. Parliamentary Debates, Fifth Series, Bd. 317, Spalte 1460/1461. 188 »Public Order had become a public issue to a greater extent than at any time since the First World War. This debate helped to articulate a consensus of opinion about what has been callcd >the threshold of violence« permitted in British society.« Vgl. Stevenson, Cook, The Slump, S. 244. 186

III. R e a k t i o n e n des Staates

295

chermaßen gegen das parlamentarische Regierungssystem agitierten. Innenminister Simon betonte bereits in seiner ersten Kabinettsvorlage zu einer Gesetzeseinführung im Oktober 1936, daß legislative Maßnahmen die Kommunisten einschließen müßten: »Otherwise the proposals might have the aim of being directed against the Fascists only, while the rowdyism and disorder created by the political opponents of Fascism remain untouched.« 189 Entscheidend für die Einführung des Public Order Act wirkte schließlich die als äußerst bedrohlich empfundene wachsende Militanz in der Auseinandersetzung zwischen politischen Gruppierungen. Angesichts des Aufkommens von rechter und linker Gewalt konnte die Regierung nicht länger an ihrem abwartenden Verhalten festhalten, das sie nach den Krawallen von Olympia zunächst noch an den Tag gelegt hatte. Innenminister Simon charakterisierte die Zielsetzung des Gesetzes gegenüber dem Parlament folgendermaßen: »It is not aimed against particular political creeds or beliefs but is concerned solely with methods.« 190 Wichtigster Bestandteil des Gesetzes war ein Verbot des Tragens von Uniformen als Ausdruck politischer Aktivität, was insbesondere die BUF betraf. Weiterhin wurden paramilitärische Verbände durch den Public Order Act generell verboten. Zusätzlich sollten öffentliche Demonstrationen stärker kontrolliert und das Mitführen von Waffen auf öffentlichen Kundgebungen untersagt werden. In besonderen Fällen war es sogar möglich, Demonstrationen ganz zu verbieten, ein Passus des Gesetzes, den insbesondere der linke Flügel der Labour Party scharf kritisierte. 191 Auch die Kompetenzen der Polizei wurden erweitert. Polizisten war es nun erlaubt, Personen, die gesetzlich genehmigte Kundgebungen vorsätzlich störten, namentlich zu erfassen und gegebenenfalls zu inhaftieren. Die Communist Party äußerte massive Kritik am Public Order Act und warf der Labour Party vor, gegen die Interessen der Arbeiter gehandelt zu haben. Rajani Palme Dutt, gemeinsam mit Pollitt der führende Politiker der CPGB, formulierte diese Kritik im Flugblatt What Next for the Labour Party?: »The National Government is restricting civil liberties, giving open protection to Mosley's fascist Organisation, and utilizing the public indignation against Mosley in order to carry through the Public Order Bill and direct the attack against the working class and democratic rights of Organisation and propaganda.«192 Doch konnte sich die Communist Party im Lager der politischen Linken mit dieser Auffassung nicht durchsetzen. Eine Mehrheit schloß sich der Interpretation der Führungsgremien der Labour Party an, die bereits nach den Ausschreitungen von Olympia gefordert hatten, die Demokratie durch aktive Maßnahmen zu schützen. 189

190

1,1 192

Vgl. Simon, J., Cabinet Memorandum, 12. Oktober 1936. Zitiert nach Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 172. Vgl. Parlamentsdcbatte zur zweiten Lesung der Gesetzesvorlage am 16. November 1936, abgedruckt in Politics in Review, 4 (1936), S. 28-29. Vgl. Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 181 f.. Vgl. R. Palme Dutt, What Next for the Labour Party?, S. 1. Zitiert nach Anderson, Fascists, Communists and the National Government, S. 189.

296

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus

Obwohl die britische Öffentlichkeit äußerst wachsam auf mögliche Einschränkungen ihrer demokratischen Grundwerte reagierte, war 1936, anders als zuvor, die überwältigende Mehrheit in England von der Richtigkeit und Notwendigkeit legislativer Maßnahmen überzeugt. Die allgemeine Reaktion auf den Public Order Act unterschied sich ganz entschieden von derjenigen auf den Incitement to Disaffection Act. Trotz dieser breiten Zustimmung zu legislativen Maßnahmen wurde dem Erhalt der individuellen Freiheit entscheidende Bedeutung beigemessen. Auch das National Government agierte äußerst vorsichtig im Umgang mit gesetzesändernden Bestimmungen. Die zeitgenössische Kritik des National Council for Civil Liberties sowie die kritischen Anmerkungen in Teilen der geschichtswissenschaftlichen Forschung, die den Public Order Act als repressives Machtmittel reaktionärer Kräfte bezeichneten 193 , wird der Haltung des National Government nicht gerecht. 194 Ähnliches gilt für die Londoner Polizeiführung. Sie verhielt sich, entgegen der Kritik der Communist Party, in den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der BUF und den antifaschistischen Gruppen weitgehend neutral. 195 Die demokratischen Parteien trugen durch die breite Unterstützung des Gesetzes und durch das Festhalten an demokratischen Mitteln im Kampf gegen die extremistische Bedrohung maßgeblich zum Funktionieren der Demokratie bei. Conservative Party und Labour Party waren zu dem Ergebnis gekommen, daß die Absage an den englischen Faschismus und Kommunismus auch die Stärkung der Demokratie durch legislative Maßnahmen beinhalten mußte. Beide Parteien wußten um die Bedeutung einer entschlossenen Haltung des Staates gegenüber der extremistischen Gefahr. Das Vertrauen der Wähler in demokratische Institutionen durfte nicht durch eine in dieser Frage zögerlich und nachgiebig auftretende Regierung enttäuscht werden. England erwies sich 1936 zwar als eine »wehrhafte Demokratie«, rückte jedoch selbst in der direkten Konfrontation mit politischer Gewalt nicht von essentiellen demokratischen Grundwerten ab. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die öffentliche Kontrolle der Regierung durch Organisationen wie zum Beispiel das National Council for Civil Liberties. Durch den Erlaß des Public Order Act bewies das National Government seine Fähigkeit, auf die extremistischen Herausforderungen und die Militanz der BUF mit parlamentarisch-demokratischen Methoden zu reagieren. Staatliche Kontrollinstanzen wie die Polizeikräfte, aber auch der Geheimdienst erwiesen sich dabei als unverzichtbare Machtmittel. Auch wenn bei der Überwachung linker und rechter Gruppierungen eine mögliche Gefahr von links meist als wesentlich bedrohlicher eingeschätzt wurde und deshalb die geheimdienstlichen Maßnahmen zur Kontrolle der Communist Party von größerer Intensität waren, widmete man im MI5 193 194

195

Vgl. Lewis, Illusions of Grandeur, S. 159. »It should be noted that the State moved very cautiously and with the maximum degree of consensus before the law was tightened.« Vgl. Thurlow, State Management of the British Union of Fascists in the 1930s, S. 49. Vgl. Thurlow, Fascism in Britain, S. 114 ff..

III. R e a k t i o n e n des Staates

297

auch der BUF ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. 196 Erst nach den Auseinandersetzungen in der Cable Street, als die verdeckten Methoden des Geheimdienstes 197 nicht länger ausreichend erschienen, um die extremistischen Bewegungen zu kontrollieren, wurden legislative Veränderungen für angebracht gehalten. Der Public Order Act zielte darauf, die Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu beenden, ein Anliegen, das weitgehend erfüllt wurde. Durch das Gesetz konnte eine weitere Radikalisierung der politischen Auseinandersetzungen im East End verhindert werden. Erste Auswirkungen zeigten sich, als im Februar 1937 bei den Stadtratswahlen in London trotz einer antisemitischen Kampagne der BUF und diverser Gegendemonstrationen gewalttätige Ausschreitungen weitgehend ausblieben. Die BUF setzte ihre Agitation im East End zwar fort, doch reagierte das National Government nun wesentlich härter. So verhängte der neue Innenminister Samuel Hoare im Sommer 1937 ein generelles Demonstrationsverbot in den östlichen Stadtvierteln Londons, das bis zur Auflösung der BUF 1940 sukzessive verlängert wurde. 198 Zum zweiten zielte der Public Order Act darauf, den Faschisten durch das Verbot ihrer paramilitärischen Verbände ein zentrales Element der Propaganda zu entziehen. Doch konnte der Wegfall ihrer äußeren Symbole die Attraktivität der Partei nicht mindern. Die BUF gewann neue Anhänger. Ihre Mitgliedschaft stieg von 15.500 im November 1936 auf 22.500 im September 1939 an. 199 Im Vergleich zu anderen politischen Parteien ist dies zwar eine zu vernachlässigende Zahl, doch hatte der Public Order Act sein Ziel einer nachhaltigen Schwächung der BUF verfehlt. Zurückführen läßt sich dieser Mitgliederzuwachs rechtsextremer Organisationen gegen Ende der dreißiger Jahre vor allem auf die außenpolitische Entwicklung. Der Spanische Bürgerkrieg und die Existenz der von Leon Blum geführten Volksfrontregierung in Frankreich führten zu einem vorübergehenden Anstieg von Anti-Bolschewismus und Antisemitismus. Auf diese Stimmung reagierte Admiral Sir Barry Domville 1937, als er die antisemitische Organisation The Link gründete. Als Abspaltung der Anglo-German Fellowship warb sie für eine enge deutsch-britische Zusammenarbeit. Zusätzlich rief der konservative Abgeordnete Captain Ramsay den Right Club ins Leben. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verzeichneten diese und andere rechtsextreme GrupFür den geheimdienstlichen Umgang mit BUF und CPGB vgl. auch Thurlow, R., The Secret State. British Internal Security in the Twentieth Century, Oxford 1994, besonders die Kapitel 4 und 5. Der MI5 bemühte sich vor allem darum, BUF und CPGB so wenig Raum wie möglich in den englischen Medien zu lassen. Entsprechende Anweisungen gingen beispielsweise an den Direktor der BBC, Sir John Rcith. Vgl. Thurlow, R., Blaming the Blackshirts. The Authorities and the Anti-Jewish Disturbances in the 1930s. In: Panayi, P. (Hrsg.), Racial Violence in Britain 18401950, Leicester 1993, S. 112-129. Vgl. Bauerkämper, Die »radikale Rechte« in Großbritannien, S. 212. Zahlen nach Webber, Patterns of Membership and Support for the British Union of Fascists, S. 577. Webbers Urteil über den Public Order Act lautet: »[...] the best that one can say of the Public Order Act is only that it temporarily stemmed a rapid recovery [of the BUF].« Ebenda, S. 597.

298

Teil 4: Die A b w e h r des E x t r e m i s m u s

pierungen einen starken Zulauf von Sympathisanten des deutschen Nationalsozialismus sowie den Anhängern einer engagierten Appeasementpolitik gegenüber dem Deutschen Reich. 200 Auch die BUF konnte Ende der dreißiger Jahre durch die von Mosley so bezeichnete »Peace-Campaign«, die auf eine neutrale und isolationistische außenpolitische Haltung Englands zielte, neue Mitglieder gewinnen. Entscheidend für diesen Erfolg Mosleys war das auch in rechten Kreisen weit verbreitete Bedürfnis, einen erneuten Krieg auf jeden Fall zu vermeiden. 201 Andere einflußreiche Mitglieder des rechten Flügels der Conservative Party lehnten die Appeasementpolitik hingegen strikt ab. Leopold Amery und Henry Page Croft insistierten auf einer härteren Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland vor allem aufgrund der imperialen Interessen Großbritanniens. Sie waren insbesondere gegen Überlegungen der Chamberlain-Regierung, durch die Rückgabe von Kolonien an das Deutsche Reich zu einer Entspannung der Lage in Europa beizutragen. Eine Vielzahl von Beweggründen ließen Konservative zur Gruppe der Anti-Appeasers finden; die Gegner von Chamberlains Außenpolitik stellten keine ideologisch homogene Gruppe dar.202 Ab Mitte des Jahres 1938 wurde deutlich, daß die Haltung der Anti-Appeasers in der Conservative Party auf wachsende Unterstützung stieß. 203 Diejenigen, die den Krieg nach wie vor ablehnten, fühlten sich nun in ihrer Partei nicht länger vertreten. Mit dieser Entwicklung hing der Mitgliederzuwachs der BUF in den späten dreißiger Jahren ursächlich zusammen. 204 Das aggressive Gebaren Nazi-Deutschlands und die potentielle Bedrohung Großbritanniens durch den deutschen Diktator führten zu einer Spaltung der Rechten und zu einer gewissen Verwirrung bei ehemaligen Befürwortern des Faschismus und Nationalsozialismus. 205 Durch die zunehmend herausfordernde Politik Hitlers wurde die politische Rechte in England gezwungen, ihre Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland neu zu definieren. Die »deutsche Frage« vertiefte bereits existierende Brüche und verschärfte ohnehin kontroverse Meinungen auf dem rechten politischen Spektrum. 206 Entscheidend für das politische Scheitern der BUF in den späten dreißiger Jahren erwies sich somit nicht der Public Order Act, sondern ein sich verän200 201 202

203 204

205 206

Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 123-125. Vgl. Thurlow, Fascism in Britain, S. 117. »Some were old-fashioned anti-Germans. Others were specifically anti-Nazi. Others still considered the rights of self-determination which belonged to the colonies. The strongest opponents were Conservative imperialists such as Amery and Croft who believed that returning the mandated territories would undermine imperial defence.« Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 124. Vgl. Crowson, The Conservative Party and the European Dictators 1935-1940, S. 5. »[...] those who were attracted to the movement after Munich were predominantlv middle-class Tories alienated from their matural« party by the creeping victory of the anti-appeasers.« Vgl. Webber, Patterns of Membership and Support for the British Union of Fascists, S. 598. Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 126. »The Right appeared to lose its corporate identity, and by September 1939 was in considerablc disarray.« Vgl. Webber, The Ideology of the British Right, S. 47.

III. Reaktionen des Staates

299

dernder internationaler Kontext. 207 Das Gesetz hatte eher symbolische Bedeutung. Nicht der Public Order Act, sondern Deutschlands zunehmend aggressive Politik entfremdete viele ehemalige Anhänger des Faschismus von Mosley und der BUF. So wurden beispielsweise die antisemitischen Tendenzen der Anhänger Mosleys im East End nun zunehmend durch anti-deutsche Ressentiments überdeckt 208 , so daß es dort vermehrt zu Parteiaustritten kam. In der englischen Öffentlichkeit wurde die BUF immer mehr als innerer Feind apostrophiert, der als »verlängerte Arm« Hitlers in England agierte. Die Besetzung Dänemarks und Norwegens im April 1940 durch das nationalsozialistische Deutschland und die offensichtliche Bedrohung Westeuropas verstärkten diese Tendenz. Oswald Mosley konnte zwar mit seinen Forderungen, den Frieden um jeden Preis aufrechtzuerhalten, sogar bis 1940 noch Unterstützung finden. N u n wurde ihm jedoch die Wahrnehmung der BUF als Erfüllungsgehilfe Hitlers in England endgültig zum Verhängnis. 209 Besiegelt wurde das Scheitern der BUF durch das Verbot der BUF, die Internierung ihrer politischen Führung und die am 13. August 1940 beginnende »Luftschlacht« über England. Sie ließ die Bedrohung des Landes durch Hitler nicht länger als eine theoretische Option, sondern als bittere Realität erscheinen.

2. EXKURS: D A S VERBOT DER BUF

1940

Erklärtes politisches Ziel der seit Mai 1940 amtierenden Regierung Churchill war es, die Verteidigungsfähigkeit Großbritanniens zu sichern. Dieser Maxime räumte sie oberste Priorität in allen politischen Entscheidungen ein. Jegliche Einwände gegen eine Einschränkung der individuellen Freiheitsrechte und Bedenken gegen eine Inhaftierung ohne ordentliches Gerichtsverfahren wurden dadurch verdrängt. 210 Vor dem Hintergrund einer wachsenden Invasionsfurcht in der Bevölkerung wurden bereits im Mai 1940 die gesetzlichen Grundlagen für eine Internierung erweitert. Führende Mitglieder der BUF und anderer politischer Organisationen, die in den dreißiger Jahren die Expansionspolitik des nationalsozialistischen Regimes unterstützt hatten, konnten festgenommen werden. Als der Regierung Ende Mai Informationen über einen möglichen Geheimnisverrat durch Mitglieder des Right Club vorlagen, kam es zu ersten Verhaftungen.211 Im Sommer 1940 wurden die Führer des Right Club, des Link sowie anderer deutschfreundlicher Organisationen verhaftet. Nahezu 800 Mitglieder der BUF, darunter auch ihr Führer Mosley, wurden ohne Gerichtsverfahren festgenommen und ihre Organisationen aufgelöst. Die BUF wurde am 10. Juli 1940 offiziell verboten. Mit der Internierung und dem Verbot faschistischer und antisemitischer 2=7

Vgl. Griffiths, Fellow Travellers of the Right, S. 377-378. Vgl. Webber, Patterns of Membership and Support for the British Union of Fascists, S. 586. 209 Vgl. Thurlow, Fascism in Britain, S. 168. 210 Vgl. Bauerkämper, Die »radikale Rechte« in Großbritannien, S. 214. 2 " Vgl. Thurlow, Fascism in Britain, S. 189 ff.

208

300

Teil 4: Die Abwehr des Extremismus

Organisationen konnte die Churchill-Regierung gleichzeitig ihre Entschlossenheit im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland anschaulich demonstrieren. Nicht verboten wurde hingegen die Communist Party. Auch eine Internierung ihrer Mitglieder blieb aus. Eine Erklärung für diese unterschiedliche Vorgehensweise liefern unter anderem die Erkenntnisse des MI5. Nach 1939 war es den Geheimdiensten mit großem Erfolg gelungen, das Hauptquartier der Kommunisten in London zu überwachen. 212 Es lagen wesentlich bessere Informationen über die Kommunisten als über die BUF vor. Hinzu kommt, daß durch Hitlers Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 der Hitler-Stalin Pakt obsolet wurde und sich Großbritannien seit dem 12. Juli 1941 im Bündnis mit der Sowjetunion gegen Deutschland befand. Die Partei des Bündnispartners im Kampf gegen Hitler im eigenen Land zu verbieten wäre sicherlich auf Befremden nicht nur unter englischen Kommunisten gestoßen. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges ließ die Invasionsfurcht der ersten Kriegsjahre in England nach und führte dazu, daß die Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren zunehmend kritisiert und schließlich die Internierungspolitik wieder gelockert wurde. Nachdem bereits mehrere andere Internierte freigelassen worden waren, konnte auch Oswald Mosley Ende des Jahres 1943 das Internierungslager verlassen. Da ihm jedoch der Kontakt mit seinen ehemaligen Anhängern untersagt war, konnte der BUF-Gründer erst 1948 seine politischen Aktivitäten weiterführen. Drei Jahre nach Kriegsende gründete Mosley das rechtsextreme Union Movement, das, ganz wie sein Vorgänger, scheiterte, die Stimmen der englischen Wähler zu gewinnen.

12

Vgl. Thurlow, Fascism in Britain, S. 196.

SCHLUSSBETRACHTUNG

Obwohl Faschismus und Kommunismus nie zu bestimmenden Faktoren im politischen Alltag Großbritanniens werden konnten, riefen BUF und CPGB bei Labour Party und Conservative Party eine Vielzahl von Reaktionen hervor. Anders als die Vernachlässigung des Themas in der geschichtswissenschaftlichen Forschung vermuten läßt, beschäftigten sich die demokratischen Parteien eingehend mit ihren Gegnern an den äußersten Rändern des politischen Spektrums. Von einem bloßen Ignorieren der extremistischen Herausforderungen durch die englische politische Klasse kann keine Rede sein. Die Strategie beider demokratischen Parteien gegenüber BUF und CPGB bestand darin, vor den negativen Auswirkungen einer faschistischen beziehungsweise kommunistischen Herrschaft in England eindringlich zu warnen, attraktiv wirkende Aspekte der neuen politischen Parteien in das eigene Programm zu integrieren sowie in entscheidenden Fragen als demokratische Parteien zu kooperieren. Jede dieser Vorgehensweisen trug dazu bei, die eigene Anhängerschaft zu halten und die extremistischen Parteien in England nicht als mögliche Alternativen erscheinen zu lassen. Zu unterscheiden sind »offizielle« und »inoffizielle« Reaktionen. In ihrer »offiziellen« Reaktion lehnten Labour Party und Conservative Party sowohl Kommunismus als auch Faschismus nachdrücklich ab. Doch längst nicht alle Mitglieder stimmten diesem Kurs der jeweiligen Parteiführung ausnahmslos zu. Manche äußerten durchaus Zustimmung zu einigen Vorstellungen der englischen Faschisten und Kommunisten. Diese positiven Einschätzungen artikulierten sich mehrheitlich nicht in den Publikationen der demokratischen Parteien, sondern vielmehr in parteifernen Zirkeln oder nicht parteilich gebundenen Veröffentlichungsorten. Sie zeigen, daß die englische Gesellschaft der dreißiger Jahre nicht gänzlich immun gegenüber extremistischen Tendenzen war. Für manche Mitglieder in den Reihen der Conservative Party stellten einige Ideen des Faschismus durchaus attraktive politische Optionen dar. Angesichts der als dramatisch empfundenen ökonomischen und gesellschaftlichen Krise des Empire neigten diese Konservativen dazu, effektivere Formen der Problemlösung zu fordern, als sie das parlamentarische System ihrer Meinung nach bieten konnte. Es waren die Neuartigkeit, die plakativ geäußerte Modernität und Entschlossenheit sowie die schillernde Strahlkraft insbesondere des italienischen Faschismus, die manche vom demokratischen System enttäuschte Tories mit der BUF sympathisieren ließen. Erklärbar wird dieser Vorbildcharakter des italienischen Faschismus für viele desillusionierte Mitglieder des konservativen politischen Establishment, wenn man ihn vor dem Hintergrund eines massiven Vertrauensverlustes in die Kraft des demokratischen Systems betrachtet. Die Anziehungskraft der BUF auf einige ultrarechte Parteimitglieder des Diehard-Flügels ist untrennbar mit der

302

Schlußbetrachtung

Enttäuschung über den moderaten Politikstil Stanley Baldwins verbunden, der als Verrat am »true conservatism« aufgefaßt wurde. Nicht bewahrheiten sollte sich allerdings die Befürchtung einiger Konservativer, wie beispielsweise Lord Lloyd, daß auf Dauer eine große Anzahl der eigenen Mitglieder zur BUF überlaufen könnte. Denn die Zustimmung zur politischen Programmatik der englischen Faschisten erstreckte sich zumeist nur auf bestimmte Bereiche, andere Teilaspekte der faschistischen Ideologie entfremdeten konservative Sympathisanten. Neben der Gewaltbereitschaft der BUF, die als »unenglisch« empfunden wurde, ist hier vor allem der ab 1935 zusehends offen ausgesprochene Antisemitismus der Bewegung zu nennen. Auch die vorübergehende Unterstützung Mosleys durch den Pressemagnaten Lord Rothermere sollte als eine Reaktion auf den von ihm so bezeichneten »weak-kneed conservatism« Baldwins eingeordnet werden. Nachdem auf dem Olympia-Treffen im Sommer 1934 faschistische Ordner gegen politische Gegner auf brutalste Weise vorgingen, wandte sich auch Rothermere, entsetzt von der rohen Gewalt der Blackshirts, von seinem ehemaligen Protege ab. Entscheidend für das Verhalten der konservativen Sympathisanten ist, daß keiner von ihnen jemals dazu bereit war, die Conservative Party zu verlassen, um in die BUF einzutreten. Anstatt die Bindungen an die eigene Partei aufzugeben, versuchten die »fellow travellers of the right« vielmehr, die Tories zu einem stärker nach rechts gerichteten politischen Kurs zu drängen. Dieser Unwille, den Konservativen dauerhaft den Rücken zu kehren, führte dazu, daß die Unterstützung faschistischer Gruppen oft versteckt ablief. Man wollte das Engagement in faschistischen Kreisen oder das Interesse für faschistische Ideen möglichst geheim halten, damit die eigene Position in der von Baldwin dominierten Conservative Party nicht geschwächt wurde. Die Linke der Labour Party äußerte ihre Sympathien mit kommunistischen Ideen wesentlich unverhohlener. Während der dreißiger Jahre erfuhr die CPGB eine Welle an Zustimmung insbesondere aus intellektuellen Kreisen. Ausschlaggebendes Kriterium für diesen Zulauf war die in weiten Teilen der Linken als wachsende Bedrohung empfundene Existenz des Faschismus sowohl im eigenen Land als auch im europäischen Ausland. Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges 1936 und der dortige Kampf der Kommunisten gegen Franco und Hitler legte schließlich die Fronten endgültig fest: für viele stellte die Communist Party nun die einzige Partei dar, die sich dem drängendsten Problem der Zeit, nämlich dem Kampf gegen den Faschismus, wirklich engagiert widmete. Diese offensive Auseinandersetzung mit dem Faschismus wollte der linke Flügel der Labour Party schließlich auch in England forcieren, wo Mosley ab 1934 zunehmend gewalttätiger auftrat und auf den massiven Widerstand kommunistischer Gruppen stieß. Einige Mitglieder des linken Parteiflügels der Labour Party, hier ist besonders die Socialist League zu nennen, forderten deshalb von der Labour-Führung einen stärker auf Kooperation mit den Kommunisten setzenden Kurs. Die Linke der Labour Party engagierte sich während der dreißiger Jahre für die Einheitsfront, mußte jedoch feststellen, daß ihre Forderungen die strikt anti-kommunistische Haltung der Labour Party nicht beeinflussen konnten. Auch angesichts

Schlußbetrachtung

303

der Existenz einer faschistischen Partei im eigenen Land blieb die traditionell anti-marxistisch und wenig revolutionär denkende englische Arbeiterpartei ihrer politischen Linie treu und lehnte jegliche Form der Zusammenarbeit mit der C P G B mehrheitlich ab. Letztlich stießen in der Labour Party zwei unterschiedliche Interpretationen der faschistischen Bedrohung aufeinander. Ordnet man diese Interpretationen heutigen politikwissenschaftlichen Kategorien zu, so ging der linke Flügel von einem faschismustheoretisch inspirierten Modell aus, während sich in der Labour-Führung eine eher totalitarismustheoretische Einschätzung durchsetzte. Sie führte zu einer entschiedenen Ablehnung jeglicher Form der Kooperation mit der CPGB. Für die »linken Abweichler« in der Labour Party läßt sich eine ganz ähnliche Verhaltensweise aufzeigen wie für die von Baldwin enttäuschten Tories: obwohl ihre politische Meinung eklatant von den Auffassungen der eigenen Parteiführung abwich, entschieden sich die wenigsten dafür, die eigene Partei zu verlassen und Mitglied der Communist Party zu werden. Sie akzeptierten den Führungsanspruch, den die Labour Party nicht zuletzt aufgrund ihrer engen Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in der englischen Arbeiterbewegung für sich beanspruchte. Kritiker der Labour Party zogen es vor, in der Partei zu verbleiben und dort für einen stärker links orientierten politischen Kurs zu arbeiten. Dabei riskierten einige sogar den Parteiausschluß, wie Stafford Cripps im Jahr 1939. Auffällig an den politischen Entwürfen der linken Abweichler in der Labour Party bleibt jedoch, daß auch sie letztlich alle auf dem parlamentarischen Prinzip basierten. So setzten beispielsweise die Überlegungen von Cripps, den Machterhalt der Arbeiterpartei mittels einer Notstandsgesetzgebung zu sichern, einen demokratisch errungenen Wahlsieg der Labour Party voraus. Weder der linke Flügel der Labour Party noch die Diehards der Conservative Party waren bereit, den demokratischen Parteien endgültig den Rücken zu kehren, um in eine der extremistischen Parteien einzutreten. Vor die Wahl gestellt, trotz einiger, zum Teil gravierender Unstimmigkeiten Mitglied der angestammten Partei zu bleiben oder aber, BUF und CPGB durch eine aktive Mitgliedschaft zu unterstützen, entschied sich die Mehrheit für den Verbleib in den etablierten Parteien. N u r hier war eine konkrete Einflußnahme auf das politische Geschehen, die Wahrnehmung politischer und anderer Privilegien, aber auch gesellschaftliches Ansehen gesichert, so daß der Wechsel in eine andere Partei, trotz so mancher Sympathien, wenig attraktiv erschien. Ein entscheidender Grund für die Stärke und damit verbundene Attraktivität der etablierten Parteien ist das englische Mehrheitswahlrecht, das es den Splitterparteien erschwerte, politischen Einfluß auszuüben. Im Sinne des Erhalts der Demokratie kann hier durchaus von einem gewissen erzieherischen Wert des Mehrheitswahlrechts gesprochen werden. In der Auseinandersetzung mit ihren neuen Herausforderern konnten die demokratischen Parteien in England auf einen historisch gewachsenen Führungsanspruch zurückblicken. Diese Stärke wurde selbst von jenen Parteimitgliedern anerkannt, die mit den englischen Faschisten oder Kommunisten sympathisierten und erklärt gleichzeitig die Schwäche von BUF und CPGB. Festzuhalten

304

Schlußbetrachtung

bleibt, daß sich in beiden Parteien einige Mitglieder durchaus von Teilaspekten des Faschismus oder Kommunismus angezogen fühlten. Das von den Führungen beider Parteien nach außen kommunizierte Bild einer konsequent antifaschistischen und anti-kommunistischen Einstellung muß um diese Sympathisanten somit ergänzt werden. Sowohl die Labour Party als auch die Konservativen widmeten den attraktiv erscheinenden Inhalten kommunistischer und faschistischer Parteiarbeit große Aufmerksamkeit. Sie analysierten potentielle Stärken des politischen Gegners und waren bemüht, einige der Forderungen und Methoden von BUF und CPGB in das eigene Parteiprofi] zu integrieren. Die Existenz der extremistischen Parteien fand somit einen konkreten Niederschlag in der Politik der demokratischen Parteien. Diese Vorgehensweise wurde zwar nicht offiziell in den Parteiveröffentlichungen formuliert, läßt sich jedoch anhand von Beratungen interner Gremien oder unveröffentlichten Positionspapieren nachvollziehen. Beide Parteien waren sich beispielsweise der überdurchschnittlichen Attraktivität faschistischer und kommunistischer Organisationen für junge Menschen bewußt. Sie reagierten auf diese Erkenntnis mit der Feststellung, sich stärker als bislang mit jungen Wählern auseinandersetzen zu müssen. Führende konservative Parteistrategen hatten darüber hinaus das Potential erkannt, das sich durch eine gezielte Jugendarbeit für die eigenen politischen Zwecke bot. Dabei ließen die Mitglieder des Conservative Cabinet Committee keinerlei Skrupel erkennen, Anregungen für die Bildung einer parteieigenen Jugendorganisation durch die Beobachtung ähnlicher Bewegungen in den Ländern des europäischen Faschismus und Nationalsozialismus zu sammeln. Erfolgversprechende Methoden, wie sie von den Faschisten und Nationalsozialisten bereits angewendet wurden, sollten auch in England dazu dienen, die Jugend enger an die eigene Partei zu binden. Angesichts der Konkurrenz durch die BUF versuchte das Conservative Cabinet Committee, die Attraktivität der Conservative Party zu erhöhen. Gleichzeitig kann dieses Ziel jedoch als eine Adaption ausländischer Methoden interpretiert werden, ein Ansinnen, das der offiziellen Parteipropaganda geradezu diametral gegenüberstand, wurde hier doch stets der »unenglische« Charakter faschistischer Methoden und Ziele betont. Diese Unangemessenheit faschistischer Methoden für konservative Ziele mag es auch gewesen sein, die eine tatsächliche Umsetzung der Pläne des Cabinet Committee verhinderte. Auch in den Führungsgremien der Arbeiterbewegung dachte man darüber nach, was an den eigenen Institutionen verändert werden müsse, um attraktiver für junge Wähler zu werden. Anders als die Konservativen kam die Labour Party jedoch zu dem Schluß, kontinentale Methoden nicht zu imitieren und auf eine paramilitärische Organisationsstruktur grundsätzlich zu verzichten. Die eigene Attraktivität sollte vor allem durch ein verstärktes Sportangebot, durch Zeltlager, Jugendherbergen und vor allem Bildungsmöglichkeiten gesteigert und junge Menschen auf diese Weise an Labour Party und Gewerkschaften gebunden werden. Bei Walter Citrine ging der Wille zur Neugestaltung der eigenen Jugendarbeit sogar so weit, gewerkschaftseigene Kosmetik- und Modekurse anzubieten, um insbesondere junge Frauen als Mitglieder zu gewinnen.

Schlußbetrachtung

305

Neben ihrer betonten Modernität und Jugendlichkeit waren es vor allem die ökonomischen Konzepte des Faschismus und Kommunismus, mit denen sich die demokratischen Parteien auseinandersetzten. Insbesondere korporatistische Ideen entwickelten sich, gepaart mit planwirtschaftlichen Überlegungen und John Maynard Keynes New Theory, zu einer konkreten Alternative zur klassischen Politik des Freihandels, deren Effektivität angesichts der angespannten Wirtschaftslage auch von Mitgliedern der etablierten Parteien angezweifelt wurde. Die Tories begegneten den populistischen Forderungen der BUF, das verkrustete politische und ökonomische System der »old gangs« zu reformieren, indem sie sich selbst ebenfalls als experimentierfreudig und reformbereit darstellten. Sie hatten die Anziehungskraft des Rufes nach einer Erneuerung der Gesellschaft erkannt und integrierten ihn in die eigene politische Rhetorik, um ein mögliches Abwandern konservativer Wähler zur BUF zu verhindern. Dieses Verhalten deutet darauf hin, daß man die Forderungen der englischen Faschisten in der politischen Auseinandersetzung nicht als belanglos abtat. Doch erfolgte das Bekenntnis des eigenen Neuerungswillens auf der Basis einer unbedingten Befürwortung der demokratischen Ordnung, was den entscheidenden Unterschied zwischen Conservative Party und BUF darstellte. Die Konservativen nahmen dem Ruf nach Erneuerung die revolutionäre und alles verändernde Stoßrichtung: sie postulierten die Notwendigkeit der Veränderung, um das Bestehende erhalten zu können. Mit dieser abgeschwächten Version politischen und ökonomischen Reformeifers sprach die Conservative Party die wenig umstürzlerisch gesinnten englischen Wähler wesentlich stärker an, als dies den Faschisten gelingen konnte. In der Labour Party ließ man sich von den ökonomischen Ideen des Kommunismus inspirieren und versuchte, planwirtschaftliche Elemente in das eigene wirtschaftspolitische Programm zu integrieren, um für den linken Flügel der Partei attraktiv zu bleiben. Die strikte Ablehnung der »Diktatur des Proletariats« schloß eine genaue Analyse der Methoden insbesondere des Sowjetkommunismus nicht aus und führte zu einer intensiven Beschäftigung mit planwirtschaftlichen Ideen in den dreißiger Jahren. Festzuhalten bleibt jedoch, daß es sich hier nicht nur um ein für die Labour Party zu beobachtendes Phänomen handelt. Vielmehr läßt sich in den dreißiger Jahren ein verstärktes Interesse am »economic planning« in fast allen politischen Parteien wiederfinden. Ihre aufmerksame Beobachtung jener Teilaspekte faschistischer und kommunistischer Programmatik, die auch für die englischen Wähler attraktiv erscheinen könnten, hatte die demokratischen Parteien dazu bewogen, sich ebenfalls auf diesen Gebieten zu profilieren. Gleichzeitig wurde der vielfach geäußerte Vorwurf, die Demokratie reagiere unbeweglich angesichts der krisenhaften Entwicklung, durch diese Vorgehensweise abgeschwächt und den extremistischen Parteien die Möglichkeit genommen, von dieser Behauptung politisch zu profitieren. Als wichtigste Reaktion auf die extremistische Herausforderung ist jedoch die entschiedene Ablehnung sowohl der BUF als auch der CPGB einzuordnen. Diese Haltung war die Basis aller »offiziellen« Reaktionen von Labour Party

306

Schlußbetrachtung

und Conservative Party auf den englischen Faschismus und Kommunismus. Beide Parteien gingen von einer spezifisch englischen politischen Mentalität und Kultur aus, an die sie in ihren offiziellen Kampagnen gegen BUF und C P G B stets appellierten und die den Mittelpunkt der Argumentation gegen die undemokratischen Parteien bildete. Labour Party und Conservative Party bedienten sich dabei sehr ähnlicher Mechanismen. Bei einer Analyse fällt auf, daß die Argumentationsweise der beiden Parteien zum Teil bis in den einzelnen Wortlaut übereinstimmte. Im Mittelpunkt dieser Argumentation stand die Behauptung, sowohl die Konzepte der BUF als auch die der Communist Party seien dem englischen Nationalcharakter fremd und entsprächen in keiner Weise der englischen politischen Tradition und Mentalität. Faschismus und Kommunismus wurden von beiden Parteien als fremdartige, »unenglische« Ideologien, Importe aus Deutschland, Italien und Rußland dargestellt. Sie seien als politische Ordnungsprinzipien für die britische Insel gänzlich ungeeignet. Die demokratischen Parteien verknüpften in ihrer Ablehnung die Begriffe demokratisch und englisch und verwendeten sie annähernd synonym. Auf diese Weise wurde die angeblich typisch englische demokratische Grundeinstellung stets aufs Neue beschworen und damit im Bewußtsein der Wähler verankert. Will man die Richtigkeit dieser Einschätzung der politischen Mentalität der englischen Gesellschaft belegen, braucht man letztlich nur auf die Wahlergebnisse der dreißiger Jahre zu blicken: der Erfolg der demokratischen Parteien gibt ihrer Interpretation recht. Mit der Gleichsetzung von demokratisch und englisch verschreckten Labour und die Tories nicht etwa ihre Wähler, sondern konnten auch weiterhin auf sichere Mehrheiten setzen. BUF und CPGB hingegen haftete stets die Aura des Fremden und Unenglischen an. Ab Mitte der dreißiger Jahre sah die englische Öffentlichkeit angesichts der außenpolitisch immer aggressiver agierenden faschistischen und nationalsozialistischen Mächte Mosleys BUF zusehends als inneren Feind an und distanzierte sich immer stärker von ihm. Durch diese Entwicklung wurde die Argumentation der demokratischen Parteien zusätzlich gestärkt. Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Communist Party: die Moskauer Schauprozesse und ihre Auswirkungen auf die Auseinandersetzungen in Spanien initiierten eine sich verstärkende Abstandsbewegung der politischen Linken. Insbesondere in den Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme reagierte die Labour Party alarmiert auf die Existenz einer faschistischen Partei im eigenen Land. In ihrer großangelegten Kampagne gegen die BUF ging es der englischen Arbeiterpartei vor allem um die eigene Gefolgschaft, die man vor den Gefahren des Faschismus warnen und deren Meinung man beeinflussen wollte. Ziel sollte sein, auf der einen Seite die Folgen einer faschistischen Herrschaft in England zu verdeutlichen, auf der anderen Seite die Labour Party als Garantin für Demokratie und Freiheit darzustellen. Man wollte die potentielle Attraktivität der Mosley-Partei für die eigene Anhängerschaft keinesfalls unterschätzen und sich gleichzeitig in der Konkurrenz mit den Faschisten um die Stimmen der englischen Arbeiter behaupten. Andererseits befand sich die Parteiführung in der schwierigen Situation, daß die BUF durch ihre häufige

Schlußbetrachtung

307

Erwähnung in den Parteiveröffentlichungen unnötig aufgewertet und dadurch in den eigenen Reihen ein Bedrohungsgefühl forciert wurde. Bei vielen LabourAnhängern führte diese Beunruhigung angesichts einer Gefahr von rechts zu Forderungen, den Kampf gegen die BUF entschiedener und in Kooperation mit den Kommunisten zu führen. Diese Haltung wiederum stellte einen eklatanten Widerspruch zum offiziellen Kurs der Partei dar und war dem äußeren Erscheinungsbild der Labour Party äußerst abträglich: die Partei erschien zerstritten und wenig geschlossen. Die Labour-Führung wußte um diese Gratwanderung zwischen einem fatalen Unterschätzen der BUF und der unnötigen Publicity, die ihre Kampagne Mosley verschaffte. Sie entschied sich jedoch bewußt für die intensive Auseinandersetzung mit der BUF, um ein Erstarken des Faschismus in England zu verhindern. Als Basis ihrer Argumentation gegen die englischen Faschisten hob die Labour Party stets den Gegensatz von Demokratie und Diktatur hervor, wobei die Demokratie als Teil des nationalen kulturellen Erbes dargestellt wurde. In einem deutlichen Widerspruch zu dieser englischen Tradition stand im Verständnis der Arbeiterpartei die BUF. Es sei das erklärte Ziel der Mosley-Bewegung, eine faschistische Diktatur nach dem Muster ihrer kontinentaleuropäischen Vorbilder zu etablieren. In den Augen der Labour Party war die BUF eine Imitation des Nationalsozialismus und des Faschismus und trug keinerlei genuin englische Züge. Ganz ähnlich argumentierte die Labour-Führung auch in bezug auf die Communist Party. Forderungen nach revolutionären Veränderungen oder aber gar nach der »Diktatur des Proletariats« wurden stets mit dem Argument abgelehnt, daß sie nicht der englischen Tradition des Sozialismus entsprächen und in einem deutlichen Widerspruch zu den Prinzipien der englischen Arbeiterbewegung stünden. In ihren offiziellen Publikationen versagte die Labour Party einem diktatorischen Herrschaftsmodell grundsätzlich die Zustimmung, ungeachtet von welcher Seite des politischen Spektrums es installiert werden sollte. Die Antithese »Democracy versus Dictatorship« war Kern der Kampagne der Labour Party gegen die extremistischen Bewegungen sowohl von rechts als auch von links. Hätte sie sich in irgendeiner Form auch nur annähernd im Kampf gegen die BUF mit der Communist Party solidarisiert, wäre diese Argumentation in sich zusammengebrochen. Man hatte in den Führungsgremien der Labour Party die Notwendigkeit erkannt, kategorisch Position zu beziehen, und diese Position mußte die Absage an die Kommunisten beinhalten, auch wenn dies zu heftiger Kritik seitens des linken Parteiflügels führte. Obwohl diese linken Gruppierungen nie den offiziellen Kurs der Labour Party oder gar konkrete parteipolitische Entscheidungen beeinflussen konnten, boten sie für die Tories genau die benötigte Projektionsfläche, um die Labour Party politisch wirksam zu bekämpfen. Die konservative Reaktion auf den Kommunismus muß deshalb in einem engen Zusammenhang mit den wahlkampfstrategischen Absichten der Tories in bezug auf die Labour Party gesehen werden. Da das politische Schicksal der Liberalen Partei nach der Parteispaltung von 1918 und dem Bruch der Koalition mit den Tories 1922 durch ihren stetigen

308

Schlußbetrachtung

Niedergang bestimmt wurde, war die Labour Party die eigentliche Gegnerin der Konservativen. Sie galt es zu bekämpfen, um die eigene Position auszubauen. Demgegenüber stellte die CPGB eine so schwache und unbedeutende Gruppe dar, daß die Conservative Party sie im Grunde hätte vernachlässigen können. Doch konnte der Kommunismus dazu instrumentalisiert werden, die Labour Party zu diskreditieren. 1 Durch die Gleichsetzung der Ziele von Communist Party und Labour Party konnte letztere als radikal und umstürzlerisch dargestellt und auf diese Weise in die Gruppe der »unenglischen« Parteien eingereiht werden. Die Tories hingegen präsentierten sich als die einzig verbleibenden Garanten englischer Traditionen und der politischen Ordnung sowie als Hüter der Constitution. In den Mittelpunkt ihrer politischen Öffentlichkeitsarbeit stellten sie folglich den Gegensatz »Conservatism versus Communism«. Obwohl das Erscheinungsbild der offiziellen Labour Party alles andere als revolutionär war, ging dieses Konzept der Tories auf: geschwächt durch die fortwährende Auseinandersetzung mit dem linken Parteiflügel und in ihrer Glaubwürdigkeit als überzeugt demokratische Partei durch die konservative Propaganda ständig demontiert, verlor die Labour Party sämtliche Wahlen der dreißiger Jahre und verbrachte neun Jahre in der Opposition. Auch den Faschismus lehnte die Conservative Party in ihrer offiziellen Reaktion grundsätzlich ab, wobei die Argumentation der Tories ganz ähnlichen Prämissen folgte wie gegen den Kommunismus. Hauptargument auch gegen rechts war die Betonung des fremden und deshalb für England unangemessenen Charakters der faschistischen Ideologie. Gegenüber der englischen Öffentlichkeit versuchten die Konservativen jedoch, die Faschisten weitgehend zu ignorieren und konzentrierten sich darauf, die Herausforderung durch Kommunismus und Sozialismus als bedrohlich darzustellen. Die Betonung einer Gefahr von links bei gleichzeitigem Verschweigen einer Alternative rechts von der Conservative Party war das Hauptmuster der offiziellen Parteireaktion auf den politischen Extremismus. Entscheidende Impulse für die Haltung der Conservative Party gegenüber den extremistischen Herausforderungen gingen vom langjährigen Parteiführer und Premierminister Stanley Baldwin aus. Er setzte in den zwanziger und dreißiger Jahren seinen politischen Kurs eines zu Reformen bereiten und auf sozialen Ausgleich bedachten Konservatismus bei den Tories durch, wirkte in den dreißiger Jahren erfolgreich im National Government und entwickelte sich zum beherrschenden Politiker in seiner Partei. Baldwin besetzte in seiner politischen Rhetorik die Bereiche Moral, Tradition und christliche Wertvorstellungen ausschließlich für die Konservativen. Vor allem aber stellte er seine Konzeption vom englischen Nationalcharakter und von englischen Grundwerten als allgemeingültig dar. Es gelang dem konservativen Parteiführer, sein Konstrukt von »Englishness« als ein feststehendes moralisches Prinzip und als unumstößliche Wahrheit zu etablieren. Auf diese Weise schuf er Eine ähnliche Funktion attestiert Thorpe dem sowjetischen Stalinismus der Nachkriegszeit, der es den Konservativen ermöglichte, die Labour Party effektiv zu bekämpfen und in der Opposition zu halten. Vgl. Thorpe, A., Stalinism and British Politics. In: History 83 (1998), S. 608-627, S. 627.

Schlußbetrachtung

309

weniger ein politisches Programm, als einen alle Bereiche des Lebens umfassenden »politischen Katechismus« oder, um Williamsons Bezeichnung zu nutzen, eine »public doctrine« 2 . Seine Reden hatten Ähnlichkeit mit sonntäglichen Predigten, und Baldwin selbst verließ den Status des Politikers und wurde zum Prediger. Diese politische Mission Baldwins machte ihn nicht nur für seine Gegner relativ unangreifbar, sondern sprach zu einem hohen Maße auch die Wählerschaft an, so daß er den Tories sichere Mehrheiten verschaffen konnte. Baldwin präsentierte sich und die eigene Partei in den Zeiten der Krise mit demonstrativer Gelassenheit als unerschütterliche Garanten von Kontinuität. Sein Bekenntnis zu den traditionellen Eckpfeilern des englischen Gesellschaftssystems koppelte er jedoch an den Willen, notwendige Veränderungen durchzusetzen, um das Bestehende weiterhin zu erhalten. Dieses Programm wirkte im Vergleich zu den Plänen der Labour Party in den politisch und ökonomisch unruhigen dreißiger Jahren auf die Wähler geradezu wohltuend beruhigend. Die umfassenden Reformpläne der politischen Linken, die bereits in den dreißiger Jahren ihr Konzept vom Weifare State entwickelten, stießen erst nach dem Sieg Großbritanniens im Zweiten Weltkrieg auf die breite Zustimmung der englischen Bevölkerung. In den dreißiger Jahren gelang es der Conservative Party, die Arbeiterpartei als angebliche Kollaborateurin der CPGB zu dämonisieren und durch einen moderaten und liberalen Konservatismus das Wählerreservoir der Liberalen Partei für sich zu vereinnahmen. Auf diese Weise deckte sie ein breites Spektrum innerhalb der englischen Wählerschaft ab, das sich bis in die Arbeiterschaft erstreckte und es der Labour Party unmöglich machte, parlamentarische Mehrheiten zu gewinnen. Baldwins Argumentation gegen Faschismus und Kommunismus basierte darauf, die Methoden des Faschismus und Kommunismus im wesentlichen gleichzusetzen. Ziel beider Ideologien sei es letztlich, eine Diktatur in England zu errichten und die englische demokratische Tradition zu zerstören. Er betonte immer die Gemeinsamkeiten beider Bewegungen und nannte in seinen Reden meist die eine nicht, ohne auch die andere zu erwähnen. Die Zusammenhänge zwischen Faschismus und Kommunismus wurden sogar noch weitergeführt: das Aufkommen des Faschismus war nach konservativer Interpretation ursächlich mit dem Kommunismus verbunden. Da immer wieder betont wurde, daß der Faschismus letztlich eine Reaktion auf den Kommunismus sei, machte man letzteren somit für die Existenz des Faschismus verantwortlich und stellte ihn als das eigentliche Übel dar. Auf diese Weise wurde in der konservativen Parteipropaganda, über den »Umweg« des Faschismus, gleichzeitig der Gegner auf der extremen Linken bekämpft. Auch die Labour Party griffen die Tories erneut indirekt an, da sie unter anderem sozialistische Vorgängerregierungen als einen Grund für das Erstarken des europäischen Faschismus und Nationalsozialismus bezeichneten. Kommunismus und Faschismus wurden in das politische Programm Baldwins als Gegenbilder zur eigenen Partei integriert. Sie verkörperten demnach Unmoral, Gewalt, Diktatur, Unterdrückung, die Abschaffung des Christentums 2

Vgl. Williamson, The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin

310

Schlußbetrachtung

und entsprachen deshalb in keiner Weise den Überzeugungen des typischen Engländers. Die extremistischen Bewegungen erschienen als gänzlich »unenglisch« und wurden so negativ gezeichnet, daß der moralische und vor allem englische Charakter, den die Conservative Party ohnehin in ihrer Propaganda für sich beanspruchte, durch diesen Kontrast besonders deutlich zum Vorschein kam. Der politische Erfolg der Tories in den dreißiger Jahren kann folglich auch durch ihre Reaktion auf die extremistischen Herausforderungen erklärt werden. Es gelang den Konservativen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, diese Ideologien als »nützliche Antagonismen« zu ihrer eigenen Haltung aufzubauen, sie in die eigene politische Rhetorik als Gegenbilder zu integrieren. Da die Labour Party eine politische Richtung vertrat, die der moderaten Linie Baldwins viel zu ähnlich war, konnte sie nicht völlig glaubhaft als negatives Gegenbild zu den Konservativen dargestellt werden. So waren es die extremistischen Bewegungen, die als dringend benötigte politische Gegensätze die Funktion des Gegners ausfüllten, gegen den sich die Konservativen überzeugend profilieren konnten. In Absetzung von Kommunismus und Faschismus erschien die Conservative Party um so moralischer, christlicher, vertrauenswerter, englischer und vor allem wählbarer. Das Aufkommen des Extremismus in England kann deshalb, um es überspitzt zu formulieren, sogar als »Wahlhelfer« für die Conservative Party fungiert haben. Auch die Labour Party lehnte Faschismus und Kommunismus gleichermaßen ab und begründete ihre Haltung mit recht ähnlichen Argumenten wie die Tories. Der »uncnglische« Charakter beider Bewegungen wurde auch in der Propaganda der Arbeiterpartei in den Mittelpunkt gestellt. Doch gestaltete es sich für die Labour-Führung als äußerst schwierig, gegen das bereits seit Jahren sorgsam aufgebaute »Image« der Konservativen als der englischen und konstitutionellen Partei schlechthin wirksam anzukämpfen. Zeit ihres Bestehens wurde der Labour Party von den Konservativen vorgeworfen, nicht der englischen politischen Tradition zu entsprechen, eine »unenglische« Partei zu sein, die den politischen Konsens in der englischen Gesellschaft vorsätzlich stören und Unfrieden zwischen den sozialen Schichten säen wolle. Und obwohl linke radikal-sozialistische Gruppen innerhalb der Labour Party die politischen Entscheidungen der eigenen Partei nicht beeinflussen konnten, unterminierten ihre Äußerungen immer wieder das von der Parteiführung so sorgsam aufgebaute Bild der konstitutionellen, anti-kommunistischen, englischen Labour Party. Diese Diskrepanz war ein Punkt, an dem die konservative Parteipropaganda stets ansetzte, um die Labour Party als eine kommunistisch unterwanderte Partei darzustellen. Die Versuche der Labour Party, als mindestens genauso englisch wie die Tories zu erscheinen, muteten nicht zuletzt deshalb im Vergleich zu Baldwins kraftvoller Rhetorik eher schwach an. Auch wenn es ihr während der dreißiger Jahre nicht gelang, die Macht der Tories zu durchbrechen, stand für die Führung der Labour Party fest, ihr Heil nicht in einer stärker auf radikale Lösungen setzenden Politik zu suchen. O b wohl der linke Flügel angesichts des Faschismus verstärkt auf einen solchen

Schlußbetrachtung

311

Kurs drängte, verließ sich die Labour Party weiterhin auf ihren traditionellen Weg des gradualism innerhalb des parlamentarischen Systems. Zieht man die mehrheitlich nur wenig militante und radikal eingestellte Anhängerschaft der Labour Party in Betracht, ist die Einstellung der Führungsgremien nur als konsequent zu bewerten. Eine radikale politische Linie nach Provenienz der Socialist League hätte sicherlich noch mehr Wähler aus der Arbeiterschaft zu den Tories wechseln lassen. Auch die mit jeweils großer Mehrheit auf den Parteitagen verabschiedeten Absagen an eine Kooperation mit den Kommunisten zeigt, daß der Kurs der Arbeiterpartei die Stimmung in der Arbeiterschaft wiedergab. Die Labour Party war auch in den dreißiger Jahren mehrheitlich durch die Gewerkschaften dominiert, die eher in der liberalen Tradition standen und wenig Interesse für revolutionäre Tendenzen zeigten. Sie hätte sich jedoch stärker darum bemühen können, mit der Politik des National Government unzufriedene Tories und Liberale aus der Regierung herauszulösen. Insbesondere die gegen Ende der dreißiger Jahre sehr umstrittene außenpolitische Haltung der Regierung hätte eine Chance bieten können, eine neue Koalition von Appeasementgegnern in Westminster zu bilden. Doch blieb diese Möglichkeit nicht zuletzt deshalb ungenutzt, weil sich die Labour Party während der gesamten dreißiger Jahre in internen Auseinandersetzungen über eine Zusammenarbeit mit der CPGB aufrieb. Die Labour-Führung betonte in ihrer Ablehnung, daß sie sich ausschließlich die Kooperation mit den Gewerkschaften und dem Co-operative Movement vorstellen könne. Eine Zusammenarbeit mit den Anti-Appeasern hätte diese Argumentation gegenüber der eigenen Anhängerschaft unglaubwürdig erscheinen lassen. Durch den fortwährenden inneren Machtkampf zwischen Parteiführung und linkem Flügel wurde die Labour Party in eine Position gedrängt, die jeder Form von Koalition skeptisch gegenüberstand. In dieser unfreiwilligen politischen Isolation verharrte die Arbeiterpartei bis zu ihrem Eintritt in Churchills Kriegskabinett 1940. Während die Existenz der extremistischen Bewegungen die Position der Tories also stärkte, indem sie Stanley Baldwins Politik der gesellschaftlichen Einigung zusätzliche Aktualität verlieh, dividierte sie die Labour Party immer weiter auseinander. Die vorangegangene Interpretation der Reaktionen auf Faschismus und Kommunismus muß jedoch vor dem Hintergrund des Scheiterns beider Bewegungen in England gesehen werden. Ein ganz wesentlicher Grund für dieses Scheitern liegt wiederum in der demokratischen Gesinnung von Conservative Party und Labour Party. Durch ihr Handeln nahmen die demokratischen Parteien BUF und CPGB viel von der Attraktivität, die ihre Vorbilder auf dem europäischen Kontinent ausstrahlen konnten. Maßgeblich definiert und personifiziert wurde die Haltung der Konservativen durch ihren Parteiführer Baldwin. Auch in der Arbeiterbewegung gab es einzelne herausragende Persönlichkeiten wie Herbert Morrison, besonders aber Walter Citrine, die sich entschieden gegen jede Form des Extremismus wandten und sich mit ihrem ganzen politischen Einfluß für die Sache der Demokratie einsetzten.

312

Schlußbetrachtung

Baldwin stand als Politiker für die Garantie demokratischer Grundüberzeugungen und christlicher Werte ein und bot damit vielen Menschen in England angesichts einer schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage Identifikationsmöglichkeiten. Er war eine charismatische Persönlichkeit, die das Ideal eines demokratischen, auf politischen Ausgleich bedachten und, dies ist entscheidend, »englischen« Politikers verkörperte. Seine große Beliebtheit, selbst beim politischen Gegner, machte ihn zu einer Integrationsfigur, die die gesamte politische Mitte, die Rechte und sogar Teile der Linken auf sich vereinen konnte. Diese Beliebtheit, forciert durch Baldwins politische Strategie, führte einerseits zu den herausragenden Wahlsiegen der Tories, andererseits jedoch bedeuteten diese Siege auch die Gewährleistung der Demokratie in England. Sein Konzept eines gesellschaftlichen Konsenses wäre jedoch zum Scheitern verurteilt gewesen, wäre er nicht in der Labour Party und in den Gewerkschaften auf Gleichgesinnte gestoßen. Die Politiker der Labour Party verstanden sich ebenso wie Baldwin als Garanten der Demokratie und erkannten ihre Verantwortung für die Wahrung des parlamentarischen Systems. Sowohl bei den Konservativen als auch bei der Labour Party war die Ablehnung des Faschismus untrennbar mit der Argumentation gegen den Kommunismus verbunden, und so war es der Extremismus, sowohl von rechts als auch von links, der von beiden Parteien entschieden bekämpft wurde. Vor diesem Hintergrund konnte es zu einer »Koalition von Demokraten« kommen, die sich parteiübergreifend der Verteidigung englischer Traditionen wie Parlamentarismus, Individualismus und Freiheit verschrieben hatte und in Absetzung von den totalitären Regimen eine spezifisch »demokratische Doktrin« für England entwickelte. Die Bildung überparteilicher Organisationen wie der Association for Education in Citizenship oder der Peace and Freedom Union sind ein Resultat dieser Haltung der englischen politischen Klasse. Politiker aller Parteien einte die Auffassung, in den neuen politischen Ideologien Gegenpole zur eigenen, christlich geprägten demokratischen Gesellschaftsordnung zu sehen. In ihrer Analyse der totalitären Phänomene kamen viele zu der Erkenntnis, in Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus »politische Religionen« zu sehen, die unter ihren Anhängern einen Grad an Begeisterung und Hingabe hervorriefen, wie dies sonst nur religiöse Gruppierungen vermochten. Das in der Forschung erst in den letzten Jahren zu neuer Aktualität aufgestiegene Erklärungsmodell des Totalitarismus als säkularer Religion war unter englischen Politikern der dreißiger Jahre eine verbreitete Theorie, das Neue und Bedrohliche der extremistischen Parteien begreifbar zu machen. Bereits in den dreißiger Jahren war in der englischen Gesellschaft ein politischer Konsens etabliert worden, der sich anhand der ablehnenden Reaktionen der beiden großen demokratischen Parteien sowie durch die Arbeit der parteiübergreifenden Organisationen darstellen läßt. Persönlichkeiten wie Stanley Baldwin oder auch Walter Citrine beteiligten sich maßgeblich an der Aus- und Weiterbildung einer gemeinsamen Position gegenüber Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus. Als Großbritannien 1940 in den Zweiten Weltkrieg eintrat, konnte Winston Churchill auf diesen Konsens in einer Nation zurückgreifen, die bereits seit mehreren Jahren gelernt hatte, in den totalitären

Schlußbetrachtung

313

Regimen des europäischen Kontinents die entscheidenden Gegner des eigenen Wertesystems zu sehen. Baldwin, Citrine und die anderen Gegner des Extremismus waren somit Wegbereiter für den immer wieder als beispiellos dargestellten moralischen Zusammenhalt Englands während der Kriegsjahre. Dies schmälert das Verdienst Churchills, die Nation mit »Blut, Schweiß und Tränen« zum Sieg über Hitler-Deutschland geführt zu haben, keineswegs, zeigt jedoch, daß die Identifikation mit Parlamentarismus und Demokratie als englische Grundwerte ein gängiger Topos in der englischen Politik gewesen ist. Parteiübergreifend wurden die extremistischen Parteien in England als fremdartige Ideologien aufgefaßt, die »von außen« nach England hineingetragen worden waren. 3 Diese Einschätzung ist als der entscheidende Grund für das Scheitern des Extremismus auf der britischen Insel anzusehen. Die Wahrnehmung von Faschismus und Kommunismus als »unenglisch« und als nicht der jahrhundertelangen englischen parlamentarischen Tradition entsprechend basierte auch auf der Prägung der englischen Gesellschaft durch eine spezifische politische Kultur. In dieser politischen Kultur mit ihrem Ethos des Fair Play und eines durch christliche Wertvorstellungen beeinflußten »gentlemanly code« waren die radikalen Methoden von BUF und CPGB gesellschaftlich geächtet. Der Ausbruch von Gewalt zwischen Faschisten und Kommunisten auf Englands Straßen und der daraus resultierende Entfremdungsprozeß vieler Konservativer, die der BUF vorher relativ wohlwollend gegenüberstanden, muß in diesem Zusammenhang gesehen werden. Dies gilt auch für das Scheitern der Communist Party, größere Unterstützung für ihre Forderung einer »Diktatur des Proletariats« in England zu mobilisieren. Die englische Linke hatte sich seit Beginn des Bestehens der Labour Party einer Interessenvertretung der Belange der Arbeiter innerhalb des parlamentarischen Systems verschrieben und reagierte angesichts ihrer militanten Methoden und radikalen Forderungen ablehnend auf die Kommunisten. Obwohl die spezifisch englische Mentalität meist nur schwer durch direkte historische Belege nachzuweisen ist, spielte sie, wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, eine nicht zu vernachlässigende Rolle für das Scheitern eines totalitären Modells in Großbritannien. Beide demokratischen Parteien appellierten in ihrer Reaktion auf BUF und CPGB an diese politische Grundhaltung ihrer Wählerschaft. Ihr anhaltender Erfolg in den Wahlen und die daraus resultierende demokratische Kontinuität der englischen Gesellschaft unterstreichen anschaulich, daß Labour Party und Conservative Party in ihrer Betonung von englischen Werten wie Parlamentarismus, Freiheit und Individualismus die Mentalität der Bevölkerung richtig eingeschätzt hatten. Das Fundament dieser Haltung bildete zum einen ein Geschichtsbewußtsein, das den gesellschaftlichen Konsens als Resultat einer kontinuierlichen historischen Entwicklung der englischen Nation definierte. Dieser Zustand gesellschaftlichen Ausgleichs wurde niemals, weder von der Linken noch von der Rechten, völlig in Frage gestellt. Zum anderen war die jahrhundertelange PräAuch Süsser sieht in der Perzeption der Faschisten als »unenglisch« einen wichtigen Grund für das Scheitern der BUF. Vgl. Süsser, Fascist and Anti-Fascist Attitudes between the Wars, S. 352.

314

Schlußbetrachtung

gung der englischen Gesellschaft durch den Parlamentarismus die Basis für jene parteiübergreifend artikulierte Einstellung, den Extremismus als Modell für die britische Insel abzulehnen. Anders als dies beispielsweise in Preußen der Fall war, wurde das englische parlamentarische System, das zwar bis 1918 nicht als eine volle Demokratie bezeichnet werden kann, aber dennoch nach den Regeln des Parlamentarismus funktionierte, auch durch die konservativen ländlichen Eliten getragen. Sie bezogen gesellschaftliches Ansehen und ihre Privilegien aus ihrer Tätigkeit als Abgeordnete in Westminster. Im Vergleich zur preußischen Adelsopposition, die gegen den Absolutismus unterlag, hatte sich der englische Landadel ein förmliches politisches Mitspracherecht sichern können. Durch diese Möglichkeit zur konkreten Einflußnahme wurde die Identifikation mit diesem so gestalteten Staat gestärkt. Die Traditionsbildung der Gentry verlief somit der Tendenz nach völlig anders als die des preußischen Adels, der nicht in den parlamentarischen Alltag eingebunden war und sich eher durch Politikferne auszeichnete. Traditionen bewahren - eine konservative Maxime - bedeutete in England also die Aufrechterhaltung des parlamentarischen Systems. Die umstürzlerische Rhetorik eines Oswald Mosley schreckte deshalb viele Konservative ab. Hinzu kam, daß viele Konservative ehemals durch die Liberale Partei entwickelte Vorstellungen mittlerweile als englische und ihrer parteipolitischen Bindung entledigte Werte akzeptierten. Dies gilt vor allem für die Idee der Freiheit des Individuums. In dieser Freiheit sahen die Tories genauso wie die Anhänger der Labour Party einen englischen Grundwert, der durch die extremistischen Parteien bedroht wurde. Auch die Arbeiterpartei hatte sich der Wahrung des englischen Parlamentarismus verschrieben. Geprägt durch den pragmatischen Ansatz, die Belange der Arbeiter auch in einer kapitalistischen Gesellschaft vertreten zu können und durch sukzessive Reformen eine Verbesserung dieses Systems herbeizuführen, reagierte sie skeptisch auf die revolutionäre Ideologie des Marxismus und Kommunismus. Die englischen Gewerkschafter waren bereits im 19. Jahrhundert als politische Kraft insbesondere von der Liberalen Partei ernstgenommen worden. Ihre Interessen wurden von den Liberalen auch in Westminister vertreten, bis schließlich mit der Labour Party eine spezifische Arbeiterpartei ins Leben gerufen wurde. Da die Labour Party von Beginn ihres Bestehens an in den parlamentarischen Entscheidungs- und Willensbildungsprozeß integriert war, konnte sie sich wesentlich stärker mit dem politischen System identifizieren als beispielsweise ihre durch Sozialistengesetze verfolgte Schwesterpartei in Deutschland. Diese so geprägte englische Gesellschaft erwies sich in den dreißiger Jahren schließlich auch als eine »wehrhafte Demokratie«, die mit der Einführung des Public Order Act auf ihre Bedrohung durch extremistische Bewegungen reagierte. Auch wenn das Gesetz letztlich nur symbolische Bedeutung für die Schwächung der BUF und der CPGB hatte, ist darin dennoch ein Zeichen für die Entschlossenheit der englischen Demokratie zu sehen, ihre Grundwerte innerhalb der von ihr selbst festgesetzten Grenzen zu verteidigen.

Schlußbetrachtung

315

Obwohl das Scheitern des Extremismus in Großbritannien durch viele verschiedene Faktoren bedingt war, hat die Darstellung der Rolle Stanley Baldwins verdeutlicht, daß die Existenz von überzeugt demokratischen Führungspersönlichkeiten für den Erhalt des demokratischen Systems einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert einnahm. Es bliebe letztlich die spekulative Frage zu stellen, ob im damals beginnenden Medienzeitalter ein überzeugter Demokrat mit einer charismatischen Persönlichkeit den Verfall der Weimarer Republik zumindest hätte aufhalten können. Der frühe Tod Gustav Stresemanns im O k t o ber 1929, der eine solche Integrationsfigur eventuell hätte werden können, könnte in dieser Hinsicht durchaus als Unglücksfall für Weimar bezeichnet werden. Ein Vergleich mit Deutschland müßte jedoch vor allem die Unterschiede in den politischen Kulturen und Traditionen beider Länder berücksichtigen. Abgesehen von allen ökonomischen und politischen Erklärungsmodellen liegt in diesen Unterschieden ein ganz entscheidender Grund für die Unangemessenheit extremistischer Konzepte für Großbritannien. Die Reaktionen der demokratischen Parteien in England auf die extremistischen Herausforderungen zeigen, daß man quer durch das politische Lager niemals wirklich daran dachte, vom parlamentarischen Weg abzuweichen. Bei aller Kritik an der Demokratie herrschte doch ein gesamtgesellschaftlicher Konsens darüber vor, an dieser fordernden und manchmal auch schwierigen Staatsform festzuhalten. Und so gab Stanley Baldwin die Meinung der Mehrheit seiner Landsleute wieder, als er 1935 formulierte: »Today democracy is fighting hard for its life [but] I believe that [...] with all its faults, which are many, there has not yet been devised a bettcr system of government.« 4

V»l. Rede Baldwins in Liverpool, abgedruckt in The Times. 5. November 1935

BIBLIOGRAPHIE

I. QUELLEN 1. A R C H I V M A T E R I A L

Archives of the British Labour Party (Bodleian Library Oxford, Microfiche-Collection) Labour Party National Executive Committee and Sub-Committee Minutes and Papers (1933-1939) General Correspondence and Political Records of the Labour Party, Subject Files-AntiFascist Activity in U. K. (1933-1937) Parliamentary Labour Party Executive Committee Minutes (1930-1937) Flugblättersammlung The Labour Party Annual Conference Reports (1933-1938) The Papers of the Trades Union Congress General Council (Modern Records Centre, University of Warwick) General Council Minutes (1933-1939) Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Fascism« Papers of the Trades Union Congress General Council, Akte »Communism« Education Committee Minutes (1933-1938) Reports of Proceedings at Annual Trades Union Congress (1933-1938) The Papers of the National Council of Labour (Modern Records Centre, University of Warwick) Minutes of Meetings (1933-1939) Papers of the National Council of Labour, Akte »Fascism« Papers of the National Council of Labour, Akte »Communism« Conservative Party Archives (Bodleian Library Oxford) Minutes of the National Union Executive Committee (1933-1938) Minutes of Central Council Meetings (1933-1938) Conservative Research Department (CRD) Parteitagsprotokolle (1933-1938) Sammlung der offiziellen »Election Addresses« Flugblättersammlung Election Guides 1931, 1935

Bibliographie

317

Notes for Conservative Canvassers and Workers Hints for Speakers Nachlässe W. W. Ashley Papers (University of Southampton Library) Clement Attlee Papers (Bodleian Library, Oxford) Stanley Baldwin Papers (University Library, Cambridge) Arthur Bryant Papers (Liddle Hart Centre for Military Archives, King's College, London) Winston Churchill Papers (Churchill College, Cambridge) Walter Citrine Papers (London School of Economics Library) Stafford Cripps Papers (Nuffield College, Oxford) Hugh Dalton Papers (London School of Economics Library) Patrick Hannon Papers (House of Lords Record Office, London) Patrick Gordon Walker Papers (Churchill College, Cambridge) Howell Arthur Gwynne Papers (Bodleian Library, Oxford) George Lansbury Papers (London School of Economics Library) Henry Page Croft Papers (Churchill College, Cambridge) Arthur Ponsonby Papers (Bodleian Library, Oxford) Arthur Steel-Maitland Papers (Scottish Record Office, Edinburgh) Parlamentsdebatten Hansard's Parliamentary Debates, Fifth Series, Bd. 290 Hansard's Parliamentary Debates, Fifth Series, Bd. 317

2. ZEITUNGEN UND ZEITSCHRIFTEN Anglo-German Review Ashridge Journal Home and Politics Everyman Fortnightly Review Conservative Agents' Journal Home and Politics Left Book Club News Manchester Guardian Man in the Street Politics in Review The Birmingham Mail The Blackshirt The Citizen The Daily Herald The Daily Mail The Daily Telegraph The English Review The Fascist Bulletin The Fascist Week

Bibliographie

318 The The The The The The The The The The

Left News Morning Post New Clarion New Leader Patriot Saturday Review Spectator Sunday Dispatch Times Yorkshire Post

3. Z E I T G E N Ö S S I S C H E L I T E R A T U R

Amery, L.: The Forward View, London 1935. Atholl, Duchess of: Searchlight on Spain, London 1938. Baldwin, S.: Our Inheritance. Speeches and Addresses by the Right Honourable Stanley Baldwin, London 1928. Baldwin, S.: On England and Other Addresses, Glasgow 1933. Baldwin, S.: This Torch of Freedom. Speeches and Addresses, London 1935. Baldwin, S.: Service of Our Lives. Last Speeches as Prime Minister, London 1937. Baldwin, S.: An Interpreter of England, London 1939. Brockway, F.: Inside The Left, London 1942. Cole, G. D. H.: The World of Labour. A Discussion of the Present and I'üture of Trade Unionism, London 1928. Cole, M. (Hrsg.): Twelve Studies in Soviet Russia, London 1933. Cripps, S.: The Struggle for Peace, London 1936. Dalton, H.: Unbalanced Budgets, London 1934. Dalton, H.: Practical Socialism for Britain, London 1935. Darwin, B.: The English Public School, London 1929. Durbin, E. F. M.: The Politics of Democratic Socialism, London 1940. Ford, G. S. (Hrsg.): Dictatorship in the Modern World. Minneapolis 1935, 2. erw. Auflage London 1939. Fox, F.: Parliamentary Government. A Failure? London 1930. Harmsworth, H. S.: Viscount Rothermere. Warnings and Predictions, London 1939. MacDonald, J. R.: The Socialist Movement, London 1911. Mac Neill Weir, L.: The Tragedy of Ramsay MacDonald, London 1938. Mosley, O.: Blackshirt Policy, London 1933. Mosley, O.: The Greater Britain, London 21934. Percy, Lord Eustace: Democracy on Trial. A Preface to an Industrial Policy, London 1931. Planning for Employment. A Preliminary Study by Some Members of Parliament, London 1933. Salvidge, S.: Salvidge of Liverpool, London 1934. Simon, E., Hubback, E.: Education for Citizenship, publ. by the Association for Education in Citizenship, London 1936. Simon, E. (Hrsg.): Constructive Democracy, London 1938. Steed, W: The Real Stanley Baldwin, London 1930. Strachey, J.: The Coming Struggle for Power, London 1932.

Bibliographie

319

Symposium on the Totalitarian State. From the Standpoints of History, Political Science, Economics and Sociology (Nov. 17th, 1939). Proceedings of the American Philosophical Society, Bd. 82, Philadelphia 1940. Ward-Price, G.: I know these Dictators, London 1937. Webb, S.: What happened in 1931. A Record. In: Political Quarterly 3 (1932), S. 1-17. Webb, S. U. B.: Soviet Communism. A New Civilization? 2 Bde., London 1935. Wilson, A.: Walks and Talks Abroad. The Diary of a Member of Parliament in 19341936, London 1936.

4. T A G E B Ü C H E R

Barnes, J., Nicholson, D. (Hrsg.): The Empire at Bay. The Leo Amery Diaries 1929-1945, London 1988. Headlam, C. M., Ball, S. (Hrsg.): Parliament and Politics in the Age of Baldwin and MacDonald. The Headlam Diaries 1923-1935, London 1992. Jones, T: A Diary with Letters 1931-1950, London 1954. Middlemas, K. (Hrsg.): Thomas Jones. Whitehall Diary, Bd. II (1926-1930), London 1969. Nicolson, N . (Hrsg.): Harold Nicolson. Diaries and Letters 1930-1939, London 1966. Pearce, R. (Hrsg.): Patrick Gordon Walker. Political Diaries 1932-1971, London 1991. Pimlott, B. (Hrsg.): The Political Diary of Hugh Dalton 1918-40, 1945-60, London 1986. Ramsden, J.: Real Old Tory Politics. The Political Diarics of Robert Saunders, Lord Bayford 1910-1935, London 1984. Rhodes James, R. (Hrsg.): »Chips«. The Diaries of Sir Henry Channon, London 21993. Rhodes James, R.: Memoirs of a Conservative. J. C. C. Davidson's Memoirs and Papers 1910-1937, London 1969. Vincent, J. (Hrsg.): The Crawford Papers. The Journals of David Lindsay, Twenty-Seventh Earl of Crawford and Tenth Earl of Balcarres 1872-1940, during the years 1892 to 1940, Manchester 1984. Young, K. (Hrsg.): The Diaries of Sir Robert Bruce Lockhart, London 1973.

5. M E M O I R E N U N D A U T O B I O G R A P H I E N

Amery, L.: My Political Life. Bd. I u. IL, London 1953-1955. Citrine, W: Men and Work. An Autobiography, London/Melbourne/Sydney 1964. Dalton, H.: The Fateful Years. Memoirs 1931-1945, London 1957. Duff Cooper, A.: Old Men Forget, London 1953. Leese, A.: Out of Step. Events in the two Lives of an Anti-Jewish Camel Doctor, Guildford 1951. Mosley, O.: My Life, London/Edinburgh 1968. Macmillan, H.: Winds of Change 1914-1939, London 1966. Pakenham, F.: Born to Believe, London 1965. Petrie, C : Chapters of Life, London 1950. Roberts, C : Sunshine and Shadow 1930-1946, London 1972. Spier, E.: Focus. With an Introduction by Lady Violet Bonham Carter, London 1963.

320

Bibliographie

II. LITERATUR Abrams, M.: Must Labour Lose, London 1960. Addison, P: Patriotism under Pressure. Lord Rothermere and British Foreign Policy. In: Peele, G., Cook, C. (Hrsg.): The Politics of Reappraisal 1918-1939, London/Basingstoke 1977, S. 189-208. Aldcroft, D. H.: The Inter-War Economy. Britain 1919-1939, London 1970. Alter, P : Der britische Generalstreik von 1926 als politische Wende. In: Schieder, T. (Hrsg.): Beiträge zur britischen Geschichte im 20. Jahrhundert, Beiheft 8 der Historischen Zeitschrift, München 1983, S. 89-116. Anderson, G.: Fascists, Communists and the National Government. Civil Liberties in Great Britain 1931-1937, Columbia/London 1983. Bagehot, W: The English Constitution, London 1963. Baker, D, The Extreme Right in the 1920s. Fascism in a Cold Climate, or >Conservatism with Knobs on«? In: Cronin, M. (Hrsg.): The Failure of British Fascism. The Far Right and the Fight for Political Recognition, London/Basingstoke 1996, S. 12-28. Ball, S.: Baldwin and the Conservative Party. The Crisis of 1929-1931, London 1988. Ball, S.: The National and Regional Party Structure. In: Ball, S., Seidon, A. (Hrsg.): Conservative Century. The Conservative Party since 1900, Oxford 1994, S. 169-220. Ball, S.: Local Conservatism and Party Organisation. In: Ball, S., Seidon, A. (Hrsg.): Conservative Century. The Conservative Party since 1900, Oxford 1994, S. 261-314. Barnes, J.: Ideology and Factions. In: Ball, S., Seidon, A. (Hrsg.): Conservative Century. The Conservative Party since 1900, Oxford 1994, S. 315-345. Bates, J. W. B.: The Conservative Party in the Constituencies 1918-1939, Oxford University 1994, unvcröffentl. DPhil Thcsis. Bauerkämper, A.: Die »radikale Rechte« in Großbritannien. Nationalistische, antisemitische und faschistische Bewegungen vom späten 19. Jahrhundert bis 1945, Göttingen 1991. Beckett, F.: Enemy within. The Rise and Fall of the British Communist Party, London 1995. Benewick, R.: The Fascist Movement in Britain, London 1977. Berger, S.: Ungleiche Schwestern? Die britische Labour Party und die deutsche Sozialdemokratie im Vergleich, 1900-1931, Bonn 1997. Bevir, M.: Fabianism, Permeation and Independent Labour. In: Historical Journal 39 (1996), S. 179-196. Blake, R.: The Conservative Party from Peel to Thatcher, Oxford 1985. Blinkhorn, M. (Hrsg.): Fascists and Conservatives. The Radical Right and the Establishment in the Twentieth Century, London 1990. Branson N , Heinemann M.: Britain in the Nineteen Thirties, London 1971. Branson, N.: History of the Communist Party of Great Britain. Bd. 2: 1927-1941, London 1985. Brewer, J, Fascism and Crisis. In: Patterns of Prejudice 13 (1979), S. 1-7. Bright, C : Class Interest and State Policy in the British Response to Hitler. In: Fink, C , Hüll, I. V., Knox, M. (Hrsg.): German Nationalism and the European Response, Norman 1985, S. 207-246. Brookshire, J.: The National Council of Labour, 1921-1946. In: Albion 18 (1986), S. 4369. Brookshire, J.: Clement Attlee, Manchester 1995. Brown, K. D.: The Anti-Socialist Union 1908-1949. In: Ders. (Hrsg.): Essays in AntiLabour History. Responses to the Rise of Labour in Britain, London 1974, S. 234-261.

Bibliographie

321

Buber-Neumann, M.: Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Ein Bericht aus der Praxis der Komintern 1917-1943, Stuttgart 1967. Buchanan, T.: The Spanish Civil War and the British Labour Movement, Cambridge 1991. Buchanan, T : Britain and the Spanish Civil War, Cambridge 1997. Bullock, A.: The Life and Times of Ernest Bevin. Bd. I: »Trade Union Leader« 18811940, London 1960. Burrow, J. W : A Liberal Descent. Victorian Historians and the English Past, Cambridge/London 1981. Butler, D.: The Electoral System in Britain 1918-1951, London 1953. Butterfield, H.: The Whig Interpretation of History, London 1968 (Erstauflage 1931). Callaghan, J.: Socialism in Britain since 1884, Oxford 1990. Carpenter, L. P : Corporatism in Britain 1930-1945. In: Journal of Contemporary History 11 (1976), S. 3-25. Caute, D.: The Fellow Travellers. A Postscript to the Enlightenment, London 1973. Ceadal, M.: Pacifism in Britain 1914-1945. The Defining of a Faith Oxford 1980. Cesarani, D.: Joynson-Hicks and the Radical Right in England after the First World War. In: Kushner, T , Lunn, K. (Hrsg.): Traditions of Intolerance. Historical Perspectives of Fascism and Race Discourse in Britain, Manchester 1989, S. 118-139. Chester, L., Fay, S., Young, H.: The Zinoviev Letter, London 1967. Clarke, P: Liberais and Social Democrats, Cambridge 1978. Clemens, D.: Herr Hitler in Germany. Wahrnehmungen und Deutungen des Nationalsozialismus in Großbritannien 1920 bis 1939, Göttingen/Zürich 1996. Close, D. H.: The Collapse of Resistance to Democracy. Conservatives, Adult Suffrage, and Second Chamber Reform 1911-1928. In: Historical Journal 20 (1977), S. 893-918. Coates, D.: The Labour Party and the Struggle for Socialism, Manchester 1978. Cole, G. D. H.: A Short History of the British Working-Class Movement 1789-1947, London 1948. Cole, G. D. H.: A History of the Labour Party from 1914, London 1969. Coleman, B.: The Conservative Party and the Frustration of the Extreme Right. In: Thorpe, A. (Hrsg.): The Failure of Political Extremism in Inter-War Britain, Exeter 1989, S. 49-66. Colls, R.: Englishness and the Political Culture. In: Colls, R., Dodd, P. (Hrsg.): Englishness. Politics and Culture 1880-1920, London/New York/Sydney 1986, S. 29-61. Cook, C , Taylor, I.: The Labour Party. An Introduction to its History, Structure and Politics, London 1980. Coupland, P: The Blackshirted Utopians. In: Journal of Contemporary History 33 (1998), S. 255-272. Cowling, M.: The Impact of Hitler, Cambridge 1975. Cowling, M.: The Impact of Labour, Cambridge 1971. Craig, F. W. S.: Minor Parties at British Parliamentary Elections 1885-1974, London 1975. Crockett, R.: The Party, Publicity and the Media. In: Ball, S., Seidon, A. (Hrsg.): Conservative Century. The Conservative Party since 1900, Oxford 1994, S. 547-577. Cross, C : The Fascists in Britain, London 1961. Crossman, R. H. S. (Hrsg.): The God that Failed, London 1950. Crowson, N.: Facing Fascism. The Conservative Party and the European Dictators 19351940, Andover 1997. Cullen, S. M.: The Development of the Ideas and Policy of the British Union of Fascists 1932-1940. In: Journal of Contemporary History 22 (1987), S. 115-136. Cullen, S. M.: Political Violence. The Case of the British Union of Fascists. In: Journal of Contemporary History 28 (1993), S. 245-267.

322

Bibliographie

Cunningham, H.: Leisure in the Industrial Revolution, 1780-1880, London 1980. Cunningham, H.: The Conservative Party and Patriotism. In: Colls, R., Dodd, P. (Hrsg.): Englishness. Politics and Culture 1880-1920, London/New York/Sydney 1986, S. 283307. Currie, R., Gilbert A., Horseley, L.: Churches and Churchgoers. Patterns of Church Growth in the British Isles since 1700, Oxford 1977. Dangerfield, G.: The Strange Death of Liberal England, London 1966 (Erstveröffentl. 1935). De Feiice, R.: Die Deutungen des Faschismus, Göttingen 1980. Desmarais, R. H.: The British Government's Strikebreaking Organisation and Black Friday. In: Journal of Contemporary History 6 (1972), S. 112-127. Desmarais, R. H.: Strikebreaking and the Labour Government of 1924. In: Journal of Contemporary History 8 (1973), S. 165-175. Dilks, D.: Neville Chamberlain, Cambridge 1984. Dodd, P: Englishness and the National Culture. In: Colls, R., Dodd, P. (Hrsg.): Englishness. Politics and Culture 1880-1920, London/New York/Sydney 1986, S. 1-28. Donoughue, B., Jones, G. W: Herbert Morrison. Portrait of a Politician, London 1973. Durbin, E.: New Jerusalems. The Labour Party and the Economics of Democratic Socialism, London/Boston/Melbourne 1985. Eatwell, R.: The Labour Party and the Populär Front Movement in Britain in the 1930s, Oxford University 1975, unveröffentl. DPhil Thesis. Estorick, E.: Stafford Cripps, London 1949. Fishman, N : The British Communist Party and the Trade Unions 1933-1945, Aldershot 1995. Foote, G.: The Labour Party's Political Thought. A History, London 21986. Fyrth, J.: Britain, Fascism and the Populär Front, London 1985. Fyrth, J.: The Signal was Spain. The Spanish Aid Movement in Britain 1936-1939, London 1986. Garside, W. R.: Youth Unemployment in 20th Century Britain. Protest, Conflict and the Labour Market. In: Dowe, D. (Hrsg.): Jugendprotest und Generationenkonflikt in Europa im 20. Jahrhundert. Deutschland, England, Frankreich und Italien im Vergleich, Bonn 1986, S. 75-81. Gilbert, M.: Prophet of Truth. Winston S. Churchill 1922-1939, London 1990 (Erstveröffentl. 1976). Girvin, B.: The Party in Comparative and International Context. In: Ball, S., Seidon, A. (Hrsg.): Conservative Century. The Conservative Party since 1900, Oxford 1994, S. 695-711. Glynn, S., Oxborrow, J.: Inter-War Britain. A Social and Economic History, London 1976. Granzow, B.: A Mirror of Nazism. British Opinion and the Emergence of Hitler, London 1964. Griffin, R.: British Fascism. The Ugly Duckling. In: Cronin, M. (Hrsg.): The Failure of British Fascism. The Far Right and the Fight for Political Recognition, London/Basingstoke 1996, S. 141-165. Griffiths, R.: Fellow Travellers of the Right. British Enthusiasts for Nazi Germany 19331939, London 1980. Harmer, H.: The Failure of the Communists. The National Unemployed Workers' Movement 1921-1939. A Disappointing Success. In: Thorpe, A. (Hrsg.): The Failure of Political Extremism in Inter-War Britain, Exeter 1989, S. 29-47. Harrison, B.: The Centrist Theme in Modern British Politics. In: Ders.: Peacable Kingdom. Stability and Change in Modern Britain, Oxford 1982, S. 309-377.

Bibliographie

323

Hastings, S.: Nancy Mitford, Reinbck 1994 (Erstveröffentl. London 1985). Herrmann, P. W : Die Communist Party of Great Britain. Untersuchungen zur geschichtlichen Entwicklung, Organisation, Ideologie und Politik der CPGB von 19201970, Meisenheim am Glan 1976. Hildebrand, K.: Krieg im Frieden und Frieden im Krieg. Über das Problem der Legitimität in der Geschichte der Staatengesellschaft 1931-1941. In: Historische Zeitschrift 244(1987), S. 1-28. Hollins, T. J.: The Conservative Party and Film Propaganda between the Wars. In: English Historical Review 96 (1981), S. 359-369. Holmes, C : Anti-Semitism in British Society 1876-1939, London 1979. Hope, J.: British Fascism and the State 1917-1927. A Re-Examination of the Documentary. In: Labour History Review 3 (1992), S. 72-83. Hörne, A.: Macmillan 1894-1956. Volume I of the Official Biography, London 1988. Howarth, P: Squire, »Most Generous of Men«, London 1963. Howkins, A.: Class Against Class. The Political Culture of the Communist Party of Great Britain, 1930-1935. In: Gloversmith, F. (Hrsg.): Class, Culture and Social Change. A New View on the Thirties, Brighton 1980, S. 240-257. Huttner, M.: Totalitarismus und säkulare Religionen. Zur Frühgeschichte totalitarismuskritischer Begriffs- und Theoriebildung in Großbritannien, Bonn 1999. Jänicke, M.: Totalitäre Herrschaft. Anatomie eines politischen Begriffs, Berlin 1971. Jarvis, D.: Stanley Baldwin and the Ideology of the Conservative Response to Socialism 1918-1931, Lancaster University 1991, unveröffentl. PhD Thesis. Jarvis, D.: Conservatism and Class Politics in the 1920s. In: English Historical Review 111 (1996), S. 59-84. Jeffrey, T., McClelland K.: A World fit to live in. The Daily Mail and the Middle Classes 1918-1939. In: Curran, J., Smith, A., Wingatc, P (Hrsg.): Impacts and Influenccs. Essays on Media Power in the Twentieth Century, London 1987, S. 27-52. Jesse, E. (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Bonn 1996. Jones, B.: The Russia Complex. The British Labour Party and the Soviet Union, Manchester 1977. Jones, J. R.: England. In: Rogger, H., Weber, E. (Hrsg.): The European Right. A Historical Profile, Berkely/Los Angeles 1965, S. 29-70. Jones, T : Stanley Baldwin. In: Dictionary of National Biography 1941-1950, Oxford 1959. Jupp, J.: The Radical Left in Britain 1931-1941, London 1982. Kendali, W: The Revolutionary Movements in Britain 1900-1921. The Origins of British Communism, London 1969. Kennedy, P. M.: The Tradition of Appeasement in British Foreign Policy 1865-1939. In: British Journal of International Studies 2 (1976), S. 195-215. Kennedy, P: The Pre-War Right in Britain and Germany. In: Kennedy, P, Nicholls, A. (Hrsg.): Nationalist and Racialist Movements in Britain and Germany before 1914, Oxford 1981, S. 1-20. Kingsford, P: The Hunger Marchers in Britain 1920-1940, London 1982. Klugmann, J.: History of the Communist Party of Great Britain. Bd. 1, London 1968. Laybourn, K.: The Rise of Labour. The British Labour Party, 1890-1979, London 1988. Lebzelter, G.: Political Anti-Semitism in England 1918-1939, London 1978. Lebzelter, G.: Anti-Semitism. A Focal Point for the British Right. In: Kennedy, R., Nicholls, A. (Hrsg.): Nationalist and Racialist Movements in Britain and Germany before 1914, Oxford 1981, S. 88-105.

324

Bibliographie

Lebzelter, G.: Henry Hamilton Beamish and the Britons. Champions of Anti-Semitism. In: Lunn, K., Thurlow, R. (Hrsg.): British Fascism. Essays on the Radical Right in Inter-War Britain, London 1980, S. 41-56. Lewis, D. S.: Illusions of Grandeur. Mosley, Fascism and British Society 1931-1981, Manchester 1987. Lewis, J.: The Left Book Club. A Historical Record, London 1970. Lill, R.: Italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus. In: Ders., Oberreuter, H. (Hrsg.): Machtverfall und Machtergreifung. Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus, München 1983, S. 169-188. Linehan, T. P: East London for Mosley. The British Union of Fascists in East London and South-West Essex 1933-1940, London 1996. Lloyd, T. O.: Empire, Weifare State, Europe. English History 1906-1992, Oxford 41993. Lunn, K : British Fascism. A Failure of Imagination? In: Cronin, M. (Hrsg.): The Failure of British Fascism. The Far Right and the Fight for Political Recognition, London/ Basingstoke 1996, S. 166-180. Lyman, R. W: The First Labour Government, London 1957. Macfarlane, L. J.: The British Communist Party. Its Origin and Development until 1929, Worcester/London 1966. Macintyre, S.: Little Moscows. Communism and Working-Class Militancy in Inter-War Britain, London 1980. Macintyre, S.: A Proletarian Science. Marxism in Britain 1917-1933, Cambridge 1980. Macmillan, H.: The Past Masters. Politics and Politicians 1906-1939, London 1975. Mahon, J.: Harry Pollitt. A Biography, London 1976. Maier, H. (Hrsg.): Totalitarismus und »politische Religionen«. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn 1996. Mandle, W. F.: Anti-Semitism and the British Union of Fascists, London 1968. Mandler, R: Against >Englishness«. English Culture and the Limits to Rural Nostalgia, 1850-1940. In: Transactions of the Royal Historical Society, sixth series, VII (1997), S. 155-175. Marquand, D.: Ramsay MacDonald, London 1977. Martin, R.: Communism and the British Trade Unions 1924-1933. A Study of the National Minority Movement, Oxford 1969. Marwick, A.: Middle Opinion in the Thirties. Planning, Progress and Political »Agreement«. In: English Historical Review 79 (1964), S. 285-298. Mason, P: The English Gentleman. The Rise and Fall of an Ideal, London 1982. McDonald, G.: The Defeat of the General Strike. In: Peele, G., Cook, C. (Hrsg.): The Politics of Reappraisal 1918-1939, London/Basingstoke 1977, S. 64-87. Mclvor, A.: Political Blacklisting and Anti-Socialist Activity Between the Wars. In: Bulletin of the Society for the Study of Labour History 53 (1988), S. 18-27. Mclvor, A.: A Crusade for Capitalism. The Economic League 1919-1939. In: Journal of Contemporary History 4 (1988), S. 631-655. McKenzie, R., Silver, A.: Angels in Marble. Working Class Conservatives in Urban England, London 1968. McKenzie, R. T : Politische Parteien in England. Die Machtverteilung in der Konservativen und in der Labourpartei, Köln/Opladen 1961. McKibbin, R.: The Evolution of the Labour Party 1910-1924, Oxford 1974. McKibbin, R.: The Economic Policy of the Second Labour Government 1929-1931. In: Past and Present 68 (1975), S. 95-123. McKibbin, R.: Class and Conventional Wisdom. The Conservative Party and the »Public« in Inter-War Britain. In: Ders.: The Ideologies of Class, Oxford 1990, S. 259-293.

Bibliographie

325

McKibbin, R.: Why was there no Marxism in Britain? In: Ders.: The Ideologies of Class, Oxford 1990, S. 1-41. Meyers, R.: Die Dominions und die britische Europapolitik der dreißiger Jahre. In: Hütter, H. J. (Hrsg.): Tradition und Neubeginn. Internationale Forschungen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, Köln 1975, S. 173f.. Middlemas, K., Barnes, J.: Baldwin. A Biography, London 1969. Middlemas, K.: Politics in Industrial Society. The Experience of the British System since 1911, London 1979. Moore, A.: Sir Philip Game's »other life«. The Making of the 1936 Public Order Act in Britain. In: Australian Journal of Politics and History 36 (1990), S. 62-72. Morgan, K.: Against Fascism and War. Ruptures and Continuities in British Communist Politics 1935-1941, Manchester 1989. Morgan, K. O.: Keir Hardie. Radical and Socialist, London 1975. Morgan, K.: Harry Pollitt, Manchester 1993. Mowat, C. L.: Britain between the Wars, London 4 1968. Mühlberger, D. (Hrsg.): The Social Basis of European Fascist Movements, London 1987. Naylor, J. F.: Labour's International Policy. The Labour Party in the 1930s, Boston 1969. Newman, M.: Democracy versus Dictatorship. Labour's Role in the Struggle against British Fascism 1933-1936. In: History Workshop Journal 5 (1978), S. 67-88. Newton, K.: The Sociology of British Communism, London 1969. Nicholas, S.: The Construction of a National Identity. Stanley Baldwin, »Englishness« and the Mass Media in Inter-War Britain. In: Francis, M., Zweininger-Bargielowska, I. (Hrsg.): The Conservatives and British Society 1880-1990, Cardiff 1996, S. 127-146. Niedhart, G.: Appeasement. Die britische Antwort auf die Krise des Weltreichs und des internationalen Systems vor dem Zweiten Weltkrieg. In: Historische Zeitschrift 226 (1978), S. 67-88. Nolte, E.: Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action franc,aise. Der italienische Faschismus. Der Nationalsozialismus, München 51979. Nolte, E.: Marxismus und Nationalsozialismus. In: VfZG 31 (1983), S. 389-417. Nolte, E.: Die historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie. Ärgernis oder Einsicht? In: ZfP 43 (1996), S. 111-122. Nugent, N : The Ideas of the British Union of Fascists. In: Ders., King, R. (Hrsg.): The British Right. Conservative and Right Wing Politics in Britain, London 1977, S. 133164. Otto, F.: Die Keynesianische Revolution in Großbritannien 1929 -1948. Zur Entwicklung der Finanzpolitik im Spannungsfeld von wirtschaftswissenschaftlicher Herausforderung, politischem Reformwillen und institutioneller Beharrungskraft, Berlin 1996. Palla, M.: Fascismo e stato corporativo. Un'inchiesta della diplomazia britannica, Milano 1991. Paulmann, J.: Staat und Arbeitsmarkt in Großbritannien. Krise, Weltkrieg, Wiederaufbau, Göttingen/Zürich 1993. Pearce, R.: Attlee, London 1997. Pelling, H.: The British Communist Party. A Historical Profile, London 2 1975. Pelling, H.: A Short History of the Labour Party, London/Basingstoke 1961. Petersen, J.: Die Entstehung des Totalitarismusbegriffs in Italien. In: Funke, M. (Hrsg.): Totalitarismus. Ein Studienreader zur Herrschaftsanalyse moderner Diktaturen, Düsseldorf 1978, S. 105-128. Petersen, J.: Die Geschichte des Totalitarismusbegriffs in Italien. In: Maier, H. (Hrsg.).: Totalitarismus und »politische Religionen«. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn 1996, S. 15-36.

326

Bibliographie

Phillips, G.: The Diehards. Aristocratic Society and Politics in Edwardian England, Cambridge/Mass. 1979. Pimlott, B.: Labour and the Left in the 1930s, Cambridge 1977. Pimlott, B.: Hugh Dalton, London 1985. Pollard, S.: The Development of the British Economy 1914-1950, London 1962. Pugh, M.: Populär Conservatism in Britain. Continuity and Change 1880-1987. In: Journal of British Studies 27 (1988), S. 254-283. Ramsden, J.: History of the Conservative Party. Bd. III: The Age of Balfour and Baldwin 1902-1940, London 1978. Ramsden, J.: The Making of Conservative Party Policy. The Conservative Research Department since 1929, London 1980. Ramsden, J.: Baldwin and Film. In: Pronay, N , Spring, D. W (Hrsg.): Propaganda, Politics and Film 1918-1945, London 1982, S. 126-143. Rawnsley, S.: The Membership of the British Union of Fascists. In: Lunn, K., Thurlow, R. (Hrsg.): British Fascism, London 1980, S. 150-165. Renton, D.: Red Shirts and Black. Fascists and Anti-Fascists in Oxford in the 1930s, Oxford 1996 (=Ruskin College Occasional Publication, No. 5). Rieh, P: Imperial Decline and the Resurgence of English National Identity 1918-1979. In: Kushner, T , Lunn, K. (Hrsg.): Traditions of Intolerance. Historical Perspectives of Fascism and Race Discourse in Britain, Manchester 1989, S. 33-52. Ritschel, D.: A Corporatist Economy in Britain? Capitalist Planning for Industrial SelfGovernment in the 1930s. In: English Historical Review 106 (1991), S. 41-65. Ritschel, D.: The Politics of Planning. The Debate on Economic Planning in Britain in the 1930s, Oxford 1997. Ritter, G.: Parlament und Demokratie in Großbritannien, Göttingen 1972. Rohrwasser, M.: Der Stalinismus und die Renegaten. Die Literatur der Exkommunisten, Stuttgart 1991. Rubinstein, W D.: Henry Page-Croft and the National Party 1917-1922. In: Journal of Contemporary History 9 (1974), S. 129-148. Samuels, S.: The Left Book Club. In: Journal of Contemporary History 1 (1966), S. 65-86. Sarti, R.: Fascism and the Industrial Leadership in Italy 1922-1943. A Study in the Expansion of Private Power under Fascism, Berkely 1971. Schieren, S.: Vom Weltreich zum Weltstaat. Philip Kerrs (Lord Lothian) Weg vom Imperialisten zum Internationalisten, 1905-1925, Univ. Diss. Bonn 1994. Schmidt, G.: England in der Krise. Grundzüge und Grundlagen der britischen Appeasement-Politik 1930-1937, Opladen 1981. Schmidt, G.: The Domestic Background to British Appeasement Policy. In: Mommsen, W J., Kettenacker, L. (Hrsg.): The Fascist Challenge and the Policy of Appeasement, London/Boston/Sydney 1983, S. 101-124. Schneer, J.: George Lansbury, Manchester/New York 1990. Schwarz, A.: Die Reise ins Dritte Reich. Britische Augenzeugen im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1939, Göttingen 1993. Schwarz, B.: The Language of Constitutionalism. Baldwinite Conservatism. In: Schwarz, B. u. A. (Hrsg.): Formations of Nation and People, London 1984, S. 1-18. Searle, G.: Critics of Edwardian Society. The Case of the Radical Right. In: O'Day, A. (Hrsg.): The Edwardian Age. Conflict and Stability 1900-1914, London/Basingstoke 1979, S. 79-96. Searle, G.: The Revolt from the Right in Edwardian Britain. In: Kennedy, P , Nicholls, A. (Hrsg.): Nationalist and Racialist Movements in Britain before the 1914, Oxford 1981, S. 21-39.

Bibliographie

327

Seidon, A.: Conservative Century. In: Ball, S., Seidon, A. (Hrsg.): Conservative Century. The Conservative Party since 1900, Oxford 1994, S. 17-63. Selwyn, S.: Hitler's Englishman. The Crime of Lord »Haw-Haw«, London 1987. Silby, V. E.: The Labour Party and British Fascism. Reactions and Responses 1933-1943, Oxford University 1986, unveröffentl. MPhil Thesis. Simon, B.: Bradley, I. (Hrsg.): The Victorian Public School. Studies in the Development of an Educational Institution, London 1975. Skidelsky, R.: Politicians and the Slump. The Labour Government of 1929-1931, London 1967. Skidelsky, R.: The Reception of the Keynesian Revolution. In: Keynes, M. (Hrsg.): Essays on John Maynard Keynes, Cambridge 1975, S. 89-107. Skidelsky, R.: Oswald Mosley, London 1975. Skidelsky, R.: Great Britain. In: Woolf, S. J. (Hrsg.): European Fascism, London 1968, S. 259-260. Soffer, R.: Nation, Duty, Character and Confidence. History at Oxford 1850-1914. In: Historical Journal 30 (1987), S. 77-104. Söllner, A., Walkenhaus, R., Wieland, K. (Hrsg.): Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Berlin 1997. Springhall, J.: »Young England, Rise Up, and Listen!«. The Political Dimension of Youth Protest and Generation Conflict in Britain 1919-1939. In: Dowe, D. (Hrsg.): Jugendprotest und Generationenkonflikt in Europa im 20. Jahrhundert. Deutschland, England, Frankreich und Italien im Vergleich, Bonn 1986, S. 151-163. Stevenson, J.: The Politics of Violence. In: Peele, G., Cook, C. (Hrsg.): The Politics of Reappraisal 1918-1939, London/Basingstoke 1977, S. 146-165. Stevenson, J., Cook, C : The Slump. Society and Politics during the Depression, London 1979. Stevenson, J.: Conservatism and the Failure of Fascism in Inter-War Britain. In: Blinkhorn, M. (Hrsg.): Fascists and Conservatives. The Radical Right and the Establishment in the Twenticth Century, London 1990, S. 264-282. Storm-Farr, B.: The Development and Impact of Right-Wing Politics in Britain 19031932, New York/London 1987. Summers, A.: The Character of Edwardian Nationalism. Three Populär Leagues. In: Kennedy, R., Nicholls, A. (Hrsg.): Nationalist and Racialist Movements in Britain before 1914, Oxford 1981, S. 70-81. Süsser, L. D.: Fascist and Anti-Fascist Attitudes in Britain between the Wars, Oxford University 1990, unveröffentl. DPhil Thesis. Symons, J.: The Thirties. A Dream Revolved, London 1975. Thayer, G.: The British Political Fringe. A Profile, London 1965. Thompson, N : The Anti-Appeasers. Conservative Opposition to Appeasement in the 1930s, Oxford 1971. Thorpe, A.: The only Effective Bulwark Against Reaction and Revolution. Labour and the Frustration of the Extreme Left. In: Ders. (Hrsg.): The Failure of Political Extremism in Inter-War Britain, Exeter 1989, S. 11-27. Thorpe, A.: Britain in the 1930s. The Deceptive Decade, Oxford 1992. Thorpe, A.: The British General Election of 1931, Oxford 1991. Thorpe, A.: A History of the British Labour Party, London 1997. Thorpe, A.: Comintern »Control« of the Communist Party of Great Britain, 1920-1943. In: English Historical Review 113 (1998), S. 637-662. Thorpe, A.: Stalinism and British Politics. In: History 83 (1998), S. 608-627. Thurlow, R.: The Return of Jeremiah. The Rejected Knowledge of Sir Oswald Mosley in the 1930s. In: Lunn, K., Thurlow, R. (Hrsg.): British Fascism. Essays on the Radical Right in Inter-War Britain, London 1980, S. 100-112.

328

Bibliographie

Thurlow, R.: Fascism in Britain. A History 1918-1985, Oxford 1987. Thurlow, R.: The Failure of British Fascism. In: Thorpe, A. (Hrsg.): The Failure of Political Extremism in Inter-War Britain, Exeter 1989, S. 62-84. Thurlow, R.: Blaming the Blackshirts. The Authorities and the Anti-Jewish Disturbances in the 1930s. In: Panayi, P. (Hrsg.): Racial Violence in Britain 1840-1950, Leicester 1993, S. 112-129. Thurlow, R.: The Secret State. British Internal Security in the Twentieth Century, Oxford 1994. Thurlow, R.: State Management of the British Union of Fascists in the 1930s. In: Cronin, M. (Hrsg.): The Failure of British Fascism. The Far Right and the Fight for Political Recognition, London/Basingstoke 1996, S. 29-52. Todd, N.: In Excited Times. The People against the Blackshins, Newcastle upon Tyne 1995. Tomlinson, J.: Public Policy and the Economy since 1900, Oxford 1990. Tsuzuki, C : H. M. Hyndman and British Socialism, London 1961. Watkins, K. W: Britain Divided. The Effect of the Spanish Civil War on British Political Opinion, London/Edinburgh/Paris 1963. Watmough, P. A.: The Membership of the Social Democratic Federation 1885-1902. In: Bulletin of the Society for the Study of Labour History 34 (1977), S. 35-40. Watt, D. C : Personalities and Policies, London 1965. Watt, D. C : How War Came. The Immediate Origins of the Second World War, 19381939, London 1989. Watt, D. C : Stanley Baldwin and the Search for Consensus, London 1996. Weale, A.: Renegades. Hitler's EngÜshmen, London 1994. Webber, G. C : Patterns of Membership and Support for the British Union of Fascists. In: Journal of Contemporary History 19 (1984), S. 575-606. Webber, G. C : The Ideology of the British Right 1918-1939, London 1986. Webber, G. O : The British Isles. In: Mühlberger, D. (Hrsg.): The Social Basis of European Fascist Movements, London 1987, S. 140-154. Webber, G. C : Intolerance and Discretion. Conservatives and British Fascism 1918-1926. In: Kushner, T., Lunn, K. (Hrsg.): Traditions of Intolerance. Historical Perspectives of Fascism and Race Discourse in Britain, Manchester 1989, S. 155-172. Wendt, B. J.: >Economic Appeasement«-a Crisis Strategy. In: Mommsen, W. J., Kettenacker, L. (Hrsg.): The Fascist Challenge and the Policy of Appeasement, London/ Boston/Sydney 1983, S. 157-172. Wentworth, J.: Lady Houston, DBE. The Woman Who Won the War, London 1958. Wiehert, S.: The Enigma of Fascism. The British Left on National Socialism. In: Bossy, J., Jupp, P. (Hrsg.): Essays presented to Michael Roberts, Belfast 1976, S. 145-158. Wiener, M. J.: English Culture and the Decline of Industrial Spirit 1850-1980, Cambridge 1981. Williamson, P: Safety First. Baldwin, the Conservative Party and the 1929 General Election. In: Historical Journal 25 (1982), S. 385-409. Williamson, P: A »Bankers' Ramp«? Financiers and the British Political Crisis of August 1931. In: English Historical Review 49 (1984), S. 770-806. Williamson, P: National Crisis and National Government. British Politics, the Economy and Empire 1926-1932, Cambridge 1992. Williamson, P: The Doctrinal Politics of Stanley Baldwin. In: Bentley, M. (Hrsg.): Public and Private Doctrine. Essays in British History. Presented to Maurice Cowling, Cambridge 1993, S. 181-208. Williamson, P: Stanley Baldwin. Conservative Leadership and National Values, Cambridge 1999.

Bibliographie

329

Wilson, K. M: A Study in the History and Politics of the Morning Post 1905-1926, Lampeter 1991. Winkler, H. R.: Paths not taken. British Labour and International Policy in the 1930s, Chapel Hill/London 1994. Wittig, P : Der englische Weg zum Sozialismus. Die Fabier und ihre Bedeutung für die Labour Party und die englische Politik, Berlin 1982. Wrench, J. E.: Francis Yeats-Brown 1886-1944, London 1948.

ANHANG

1. MITGLIEDERZAHLEN Mitgliedschaft der British Union of Fascists (BUF) von 1934 bis 1939 Datum

Geschätzte Mitgliederzahl

Quelle

Februar 1934 August 1934 Oktober 1935 März 1936 November 1936 Dezember 1938 September 1939

17.000 50.000 5.000 10.000 15.500 16.500 22.500

»News Chronicle«, 6.2.34 H O 144/20142/107-122 H O 14420145/14-17 H O 144/20147/378-387 H O 144/21062/403-407 H O 144/21281/112-144 Aussage von J. Anderson, Parlamentsdebatte vom 25. 7. 1940, Bd. 363, Spalte 966.

Quelle: Webber, G. C : Patterns of Membership and Support for the British Union of Fascists. In: Journal of Contemporary History 19 (1984), S. 575-606, S. 577.

Mitgliedschaft der CPGB von Juni 1931 bis August 1945 1931 1932 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1942

1943 1944 1945

Juni September November Februar Oktober Mai September September März Januar März Juni Juli August August

2.576 6.263 5.400 6.500 11.500 12.250 15.750 18.000 20.000 27.000 46.751 59.319 47.000 45.000 45.435

Quelle: Fishman, N.: The British Communist Party and the Trade Unions 1933-1945, Aldershot 1995, Appendix I.

Anhang

331

Die Mitgliederzahl der Conservative Party wird für die dreißiger Jahre etwa auf 2,25 Millionen, die der Labour Party auf circa 2 Millionen geschätzt. Vgl. McKenzie, R.T., British Political Parties, London 1964, S. 187. Genaue Zahlen existieren für die Zeit vor 1945 nicht, da die Parteien keine Mitgliedsregister führten.

IL WAHLERGEBNISSE Wahlen 1931

Conservative/ National Samuel Liberal Labour

Stimmen

Sitze (MPs)

Prozentanteil

13.129.417 1.403.102 6.649.630

521 33 52

60,5 6,5 30,6

Stimmen

Sitze (MPs)

Prozentanteil

11.810.158 1.422.116 8.352.491

432 20 154

53,7 6,4 37,9

Wahlen 1935

Conservative Liberal Labour

Quelle: T O . Lloyd: English History 1906-1992, Oxford M993

Anhang

332

III. ARBEITSLOSIGKEIT IM ANTEIL AN DER GESAMTEN ARBEITNEHMERSCHAFT VON 1920 BIS 1938 Groß-

USA

Deutschland

Kanada

britannien 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938

1,8 9,6 8,1 6,6 5,8 6,4 7,1 5,5 6,1 5,9 9,3 12,6 13,1 11,7

9,9 9,2 7,9 6,7 8,1

3.9 11,4

7,2 3,0 5,3 3,8 1,9 3,9 4,3 3,1 8,7 15,8 23,5 24,7 21,6 20,0 16,8 14,2 18,9

1,7 1,2 0,7 4,5 5,8 3,0 8,0 3,9 3,8 5,9 9,5 13,9 17,2 14,8

8,3 6,5 4,8 2,7 1,3

Quelle: A. Maddison: Economic Growth in the West, London 1964, S. 220

5,8 4,4 3,2 4,5 4,4 3,0 1,8 1,7 2,9 9,1 11,6 17,6 19,3 14,5 14,2 12,8

9,1 11,4

SACHREGISTER

Anglo-German Fellowship: 223ff., 225, 297 Antisemitismus: 64, 68, 77f., 155, 238, 291 Appeasement: 23ff., 129, 286 Association for Education in Citizenship: 33, 276-284,286,289,312 Battle of Cable Street: 292f. Birmingham Proposais: 71 f., 75 Bonar Law Memorial College: 80, 215, 181 British Commonwealth Union: 63, 68 British Fascists: 64ff., 67ff. Britons Society: 64f. Diehards: 61f., 63f., 67, 84, 86, 155, 210f., 216, 234f., 244, 301f., 303 Economic League: 63 Economic Planning: 59, 76, 87, 129f., 133ff., 305 Englishness: 215, 249f„ 253, 255, 261f., 268, 272, 308f. Emergency Powers Act: 109, 111, 148, 204f. Fahians/Fabianism: 35f., 38, M Fascist Union of Workers: 17lf. Freedom and Peace Union: 33, 274, 276, 284 289,312 Fünfjahresplan: 50f., 133f., 159

Liberal Party: 18, 20, 39, 55, 60, 80ff., 111, 129, 255, 307, 309 Marxismus: 36ff., 41, 43f., 57, 76, 111 Mehrheitswahlrecht: 235, 303 MI 5: 69, 227, 291, 296f., 300 Münchner Abkommen: 23, 26, 129 National Book Association: 32, 144ff. National Citizens' Union: 63, 67f. National Council for Civil Liberties: 290,. 296 National Council of Labour: 58, 60, 94, 97, 101, 114, 117, 169ff., 173f., 177, 179, 182f., 191 f., 273 National Government: 18, 21, 51, 55f., 70, 86f., 115, 117, 119, 126f., 150, 211, 214, 236, National Minority Movement: 45ff., 95 National Party: 62 National Unemployed Workers' Movement: 48f., 95, 290, 293 New Conservatism: 81 f. New Party: 72ff. Next Five Years' Group: 86f., 130, 136f., 217, 236 Oktoberrevolution: 43, 97, 158, 208 Olympia Meeting: 179, 186ff., 190, 210, 230ff., 237f., 290f., 295, 302

Generalstreik: 46, 57, 113, 147, 272 Greyshirts: 191 f.

Public Order Act: 21, 23, 187, 189, 194, 233, 289f., 293 - 299, 314

Hitler-Stalin-Pakt: 15, 53, 100, 300

Right Club: 297, 299

Imperial Fascist League: 66f. Incitement to Disaffection Act: 290, 296 Incitement to Mutiny Act: 49 Independent Labour Party: 38, 40, 50, 54, 57, 60, 119f., 124

Schauprozesse, Moskauer: 52, 121, 306 Social Democratic Föderation: 38 Socialist League: 57f., 108ff., 116f., 119ff., 177ff., 228 Spanischer Bürgerkrieg: 23, 51, 116, 121, 125, 297, 302 Syndikalismus: 41 f., 52, 76

January Club: 212, 225ff., 230, 231ff., 238 Komintern: 43ff., 47, 49, 51, 91, 94, 97, 100, 111, 115f. Labour League of Youth: 115f., 138f. Labour Representation Committee: 39 League of Nations Union: 87 Left Book Club: 32, 52, 120, 124ff., 128ff., 142, 144

The Link: 297, 299 Totalitarismus: 15f., 103f., 114f., 267f., 283f., 289, 312 Union Movement: 300 United Empire Party: 84 United Front: 28, 45, 50f., 91, 94, 102, 105, 107, 115,118ff., 122, 126, 152, 165, 177ff., 184f.

334 Unity Campaign: 119ff., 121, 123 Versailler Vertrag: 16, 25 Wahlrechtsreform: 16, 220, 252, 258 Weifare State: 54, 309

Sachregister Weltwirtschaftskrise: 17f., 34, 54f., 70, 269f.. 271, 281, 286, 290ff., 308 Whig Interpretation of History: 19, 261 World Anti-Nazi Council: 284f. Working Class Toryism: 82

PERSONENREGISTER

Adams, Vyvyan: 206, 232f. Amery, Leopold: 32, 81, 84f., 215ff., 236, 298 Angell, Norman: 284f. Anstruther-Gray, W.J.: 231 ff. Ashley, Wilfried: 223f. Attlee, Clement: 54, 58, 100, 110, 168, 190f., 247, 281f. Baldwin, Stanley: 22, 261., 33, 55, 63, 79, 81, 84f., 87ff., 145ff., 148ff., 156ff., 162ff., 195f., 199ff., 207f., 210f., 219f., 228f., 236, 244f., 246 - 271, 277, 280, 286, 289, 293, 302f., 308ff., 31 Off., 313,315 Ball, Joseph: 196,243 Beaverbrook, Lord: 69, 84 Bevan, Aneuran: 73, 112, 124f. Beveridge, William: 277 Bevin, Ernest: 58, 60f., 113, 178, 275 Blum, Leon: 13, 119,297 Bondfield, Margaret: 284 Bonham-Carter, Violct: 285, 287 Borkenau, Franz: 267 Brockway, lenncr: 57, 124 Bryant, Arthur: 32, 244ff., 161, 164, 196, 206, 209,277,281 Chamberlain, Neville: 23, 26, 86f., 89, 129, 243, 298 Churchill, Winston: 56, 87, 123, 129, 275, 284ff., 286ff., 289, 299, 312f. Citrine, Walter: 22, 58, 60, 9lf., 93f., 96f., 102ff., 107, 109ff., 112f., 123, 138ff., 175, 180f., 189ff., 272 - 276, 284f., 287f., 304, 311 ff. Cole, G.D.H.: 41, 59, 76, 277 Cole, Margaret: 134 Cripps, Stafford: 54, 57, 60, 109ff., 116ff., 120f., 123f., 126, 148, 184, 204f., 228, 303 Dalton, Hugh: 33, 58f., 60f., HOL, 133«, 178f., 284 Davidson, J.C.C.: 80f., 88, 145, 277 Disraeli, Benjamin: 201, 254f. Domville, Barry: 297 Duff Cooper, Alfred: 84f., 165 Eden, Anthony: 129, 288 Edward VIII.:'88, 263, 293 Forgan, Robert: 225ff.

Franco, Francisco: 121, 302 Game, Philip: 293 Gilmour, John: 191ff. Gladstone, Herbert: 39 Gollancz, Viktor: 52, 144ff. Gordon Walker, Patrick: 124ff., 129f., 138 Gower, Patrick: 32, 161, 196, 206f., 249 Gwynne, Arthur: 212 Hannon, Patrick: 68ff. Headlam, Cuthbert: 202f. Hitler, Adolf: 13, 23f., 26, 53, 60, 87, 89, 151, 172, 217, 221f., 228, 239, 298f., 300, 302, 313 Hoare, Samuel: 88, 241 f., 297 Jerrold, Douglas: 213f., 221 Jones, Thomas: 162, 246 Joyce, William: 66 Joynson-Hicks, William: 68 Keir Hardie, James: 38ff. Kerr, Philip: 281 Keynes, John Maynard: 55, 71, 73, 87, 305 Lansbury, George: 57, 60, 177ff. Laski, Harold: 123, 125ff., 277 Leese, Arnold: 64ff. Lloyd, Geoffrey: 84,2311. Lockhart, Robert Bruce: 233f. Luttman-Johnson, H.W.: 225f. McDonald, Ramsay: 37, 39, 54ff., 57, 71f., 87, 219 McKibbin, Ross: 83f., 255 Macmillan; Harold: 72f., 84, 86, 217 Marx, Karl:36ff., 157, 161 Mitford, Nancy: 238f. Mitford, Unity: 239 Morrison, Herbert: 58, 60, 90, 94, 1021'., 106, 123f., 175f., 294, 311 Mosley, Diana: 239 Mosley, Oswald: 18, 71ff., 136, 170ff., 175, 179, 183f., 186, 189, 193, 196ff., 199, 204ff., 21 Off., 214L, 216, 218f., 224f., 228ff., 213ff., 234, 236ff., 239, 244f., 248, 292f., 298ff., 302, 306f., 314 Mussolini, Benito: 13, 15, 24, 60, 74, 88, 112, 135f., 172, 215«., 218, 221, 228

336

Personenregister

Neumann, Sigmund: 268 Newbold, Walton: 45 Nicolson, Harold: 72«. Nolte, Ernst: 267 Orman, Rotha Linton: 65 Orwell, George: 125 Page Croft, Henry: 62«., 84f., 212, 298 Palme Dutt, Rajani: 45, 229 Petrie, Charles: 154, 212f., 215, 221, 225, 237, 246 Pollitt, Harry: 45, 116f., 120, 123, 125f., 152 Roberts, Cecil: 226f. Rothermere, Lord: 78, 84, 222f., 227«., 234, 238, 302 Saklatvala, Shapurji: 45

(

Simon, Ernest: 277«. Smith, Walter: 187, 273f. Spender, Stephen: 52 Stalin j o s e p h : 52f., 94, 100, 119f., 125 Steed, Wickham: 247, 285 Steel-Maitland, Arthur: 67f., 240 Strachey, John: 71, 73, 114, 125«., 127f., 130t. Stresemann, Gustav: 315 Squire, John O , 225f. Topping, Robert: 240f. Webb, Beatrice: 36, 51 Webb, Sidney: 36,51 Wood, Kingsley: 68, 241 f. Young, Allan, 71,73 Yeats-Brown, Francis: 213, 218«., 225f., 23-4, 237f.

Bayerisch« Staatsbibliothek München