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German Pages 23 [24] Year 1914
Table of contents :
Das wirkliche England
Das
wirkliche England Von
Dr. Edmund Zreiherrn von Yeyking Wirtlichen Geheimen Rat
Berlin )9)4 Druck und Verlag von Georg Relmer
Alle Rechte, insbesondere das der über, setzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
(Tj ls der Geistliche einer Berliner Kirche jüngst seine gedrängt VT gescharten Zuhörer vermahnte, als Christen müßten sie allen Feinden vergeben, und dann hinzusetzte, selbst die Engländer seien hiervon nicht ausgenommen, da hat der berühmte Kauzelredner einem bis ins Innerste der deutschen Volksseele gedrunge
nen Empfinden Ausdruck gegeben: von allen unseren Feinden hassen wir keinen so tief und so bitter als die Engländer.
In diesem Haß ist ein gutes Tell umgeschlagener, enttäusch ter Zuneigung enthalte». Was haben doch einst die Führer des
deutschen jugendftischen Liberalismus, der nach den Befreiungs kriegen um seine Ideale zu kämpfen begann, für England sich be geistert und in ihm den Hort bürgerlicher und politischer Freiheit gepriesen! Bis in den Beginn der Bismarckschev Ära hinein sind
in Deutschland englische Ideen und Wünsche als gemeinsame Ziele
einer höheren Humanität verherrlicht worden, obwohl doch schon
damals in einem Gladstone die britische frömmelnde Heuchelei und die Großsprecherei, die nur vor dem Schwachen nicht zurück weicht, sich enthüllt hatten. Schmerzlich und unverständlich mutet
uns heute die Erinnerung an, daß an der Doktrin des für englische Interessen wohlberechneten Freihandels die politische Treue der
parlamentarischen Gefolgschaft eines Bismarck zerschellte. Man schmeichelte sich bei uns mit der Vorstellung einer besonderen
Kulturgemeinschaft mit dem Britenvolke, und der Ausspruch ist
damals zu hören gewesen, daß wenn man kein Deutscher wäre,
4 es nur eine Nation gäbe, der man angehören wollte, das sei die
englische.
Es hat den Engländern schwere und jahrzehntelange
Anstrengungen gekostet, diese Zuneigung aus dem deutschen Gemüt auszurotten.
Seit Palmerstons, des Königs aller
Blender und Schemgrößen, Zeiten, der sich vermaß, die deutsche
Marinefiagge als Seeräuberfahne vom Meere zu treiben — was haben die Engländer nicht alles an groben Kränkungen und feinen Nadelstichen, an Hemmungen und Rücksichtslosigkeiten, an Ver
dächtigungen und Verdrehungen auf uns herabströmen lassen, ehe es ihnen gelang, die deutsche Freundschaft in Haß zu ver
wandeln. Aber vielleicht war der Irrtum über die vermeintliche Un
verbrüchlichkeit der Rassen- und Kulturgemeinschast, die Deutsch land mit England verbinden sollte, noch nicht die schlimmste
Täuschung, die wir in unserem Verhältnis zu diesem Lande er
fahren haben. Bei näherem Zusehen werden wir möglicherweise erkennen, daß das England, das sich von deutschen Idealisten nicht lieben lassen will, gar nicht so beschaffen ist, wie es seine
deutsche», für politische und bürgerliche Freiheit begeisterten Verehrer sich einst ausgemalt haben.
Und in der tatsächlichen
Beschaffenheit des aller verhüllenden Schminke und aller Weih rauchwolken entkleideten England, werden wir sicherlich auch die
Gründe und Motive finden für die dem deutschen Idealismus schier unerklärlich scheinende Mißgunst und Feindschaft, die ihre
trübe» Fluten jetzt über uns zu ergießen trachtet.
Ist England also in der Tat der Hort der politischen Frei heit und der Dolkswohlfahrt, den ftanzösische politische Schrift
steller schon vor der Revolution gepriesen und den der deutsche Liberalismus lange als Musterland und Jdealstaat ange
schwärmt und verehrt hat? Eine Tatsache dürfte allerdings als erwiesen gelten.
Eng-
5 land ist das Land gewesen, wo die parlamentarischen Formen und die Befugnisse des Parlaments am ftühestev und am stärksten
entwickelt worden sind, und wo, infolge dieses Übergewichts des parlamentarischen Faktors, die Macht des Königtums am meisten
eingeschränkt worden ist.
Seit der Vertreibung des Königs
hauses der Stuarts ist der Einfluß und die Stellung des König
tums, dessen Träger in unübertroffener Unbedeutendheit ein ander folgten, stetig gesunken, und das Parlament und dessen
die Regierung führender Majoritätsausschuß hat immer mehr
die Befugnisse der souveränen Macht an sich gerissen.
Da aber
der Parlamentarismus doch nie Selbstzweck sein kann, sondern
stets nur Mittel zur Förderung der Rechte und des Wohlergehens
des Volkes ist, so dürfen wir die Frage aufwerfen, ob, bei dieser uneingeschränkten Macht des englische» Parlaments, auch die Interessen des britischen Volkes gewahrt worden sind, und ob
namentlich die soziale Vertellung des Wohlstandes den Grund sätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit entsprochen hat und nicht
lediglich durch den Eigennutz der im Parlament vorherrschenden Gesellschaftsklasse bestimmt worden ist.
Oder hat es sich etwa
auch in Englands Geschichte erwiesen, daß es das Königtum ist,
das den natürlichen Beruf hat, sich der Armen und Unter
drückten, oder, um mit dem Fürsten Bismarck zu reden, der „Enterbten der Gesellschaft" anzunehmen und sie gegen die
Übermacht und den Mißbrauch der Klassenherrschaft zu schützen, die im Parlament verkörpert ist?
Es ist bekannt, daß bis zu den Parlamentsreformen der Jahre 1832,1867 und 1872, die langsam die Stimmberechtigung in
Großbritannien erweiterten, von einer Vertretung des gesamten
englischen Volkes im Parlament auch nicht im entferntesten die Rede sein konnte. Die im Oberhause ausschließlich vertretenen
Großgrundbesitzer besetzten, dank Bestechung und Korruption,
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nahezu auch sämtliche Sitze des Hauses der Gemeinen mit ihren jüngeren Söhnen und Anverwandten. Wenn es je in einem Lande
so etwas wie eine rücksichtslose, selbstsüchtige Junkerherrschaft gegeben hat, so ist England der Schauplatz dafür gewesen.
Das
Unterhaus war nichts weiter als eine Filiale des im Oberhause und im Lande regierenden Adels.
In dieser unbeschränkten
Adelsherrschaft machte es durchaus keinen Unterschied, daß deren
beide Parteien, die Whigs und die Tories, in der Ausbeutung der hochbezahlten Staats- und Hofämter abwechselten.
Der Ge
schichtsverdrehung eines Lord Macaulay ist es gelungen, den deutschen Englandschwärmern einzureden, daß die Whigs Libe
rale in kontinentalem Sinne gewesen seien: in Wahrheit waren die Whigs, die hauptsächlich die Vertreibung der Stuarts und die Berufung der hannoveranischen Dynastie ins Werk gesetzt
hatten, die weitaus rücksichtsloseren in der Ausnutzung der Sraatskrippe: sie waren es namentlich, die die zu gemeinnützige» und wohltätigen Zwecken bestimmten Kirchenländereien und
Stiftungen kraft schamloser Parlamentsatte für ihre Tasche ein zogen, während die Tories, die lange der geheimen Anhänger schaft an das verttiebene Königshaus verdächtigt wurden, sich immer noch etwas bescheidener und maßvoller benahmen. Erst
als nach dem Schwinden der letzten Hoffnungen der Stuarts unter Georg ui. die Tories sich zu einer Hofpartei mit reaktio-
nären Tendenzen wandelten, griffen sie nach den goldenen Früchten der Staatsausbeutung mit derselben Rücksichtslosig
keit, wie ihre Gegenspieler, die Whigs. Noch heute, nach all den Parlamevtsreformen, sind nur
63 % der mündigen Männer in England wahlberechtigt, wäh ren- in Deutschland 84 % der männlichen mündigen Bevölke rung politisch stimmberechtigt sind.
Unsere Sozialdemokraten
würden jedenfalls an englischen Zuständen nichts zu beneiden
7 haben, da es der erst seit dem Jahre 1900 bestehenden Arbeiter partei nm mit Mühe gelungen ist, 44 Vertreter ins Parlament zu entsenden, bas 670 Mitglieder zählt. — Welche Macht heute noch die englische Junkerpartei und ihr Anhang, trotz des be
kannten Kampfes des jetzigen Kabinetts gegen das Oberhaus, ausübt, zeigte sich, als die gegenwärtige Regierung vor zwei Jahren eine Vorlage zur Verminderung der Schankwirtschaften mit der Begründung einbrachte, daß die Trunksucht des engli
schen Volkes ihm eine Ausgabe von über drei Milliarden Mark jährlich verursache. Aber das Oberhaus stellte sich auf die Seite der Destillations- und Schankwirtschaftsbesttzer, deren Ver
treter zu den größten Geldpotentaten des Landes gehören und
deshalb häufig geadelt und in das Oberhaus als erbliche Gesetz
geber berufen werden, ohne daß danach gefragt wird, auf welchen
Wegen ihr Reichtum erworben worden ist. Der berühmte kon servative Staatsmann Disraeli war es, der den Grundsatz auf gestellt hat, daß Leute, die eine Million Mark jährliches Ein
kommen beziehen, einen solchen sozialen Machtfaktor darstellten, daß es „am sichersten" sei, sie im Oberhause zu haben. So hat
denn das Haus der Lords, das sich gern als berufenen Vertreter von Thron und Altar ausgibt, dreitausend Schenken die Existenz
gerettet.
Der ehrenwerte Führer der Konservativen im Unter
hause, Mr. Balfour, erklärte, die Gesetzesvorlage sei „unehren haft", well sie die Rentabilität einer bestimmten Art von Kapital
anlagen verringere. Nach diesem Grundsätze müßte der genannte Repräsentant der englischen Konservativen allerdings zugunsten jeder vorteilhaften Kapitalanlage und jedes lukrativen Ge
werbes eintteten, z. B. auch für dasjenige, das Mr. Shaw in
seinem bekannten Stück „Mrs. Warren’s trade“ geschildert hat. Bei solcher im englischen Oberhaus vorherrschenden Ge sinnung kann es nicht wundernehmen, wenn der bekannte liberale
8 Staatsmann John Morley, der seitdem allerdings selbst ins Oberhaus versetzt worden ist, über diese Körperschaft die Äuße rung getan hat: „Hier stehen wir vor emer erdrückenden Über
macht an Vorurtelle», Unduldsamkeit, Egoismus, blindem
Klassen- und Parteigeiste; wir haben es mit ererbte» politischen Anschauungen und veralteten sozialen Stimmungen zu tun, die fich von Gründen und Beweisen nicht beeinflussen lassen,
denen die Vernunft überhaupt nicht beikommen kann und die einzig und allein durch Macht zu bestegen sind."
Es ist hiernach verständlich, daß das gegenwärtige, zu demo
kratischen Tendenzen neigende Kabinett den Kampf um Ab
schaffung des Oberhauses begonnen hat.
Die Partei der engli
schen Radikalen erblickt in dieser Körperschaft das Haupthindernis für die Beseitigung der sozialen Rückständigkeit, unter -er das
moderne England trotz seines glänzenden materiellen Wohl standes leidet.
Nach dem Ausspruch eines Führers der demo
kratischen Gruppe der Partei soll danach gestrebt werden, daß
England in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung in Zukunft nicht nur für Millionäre, sondern auch für die breiten Schichten der Bevölkerung ein wirkliches Heim werde. Die Übermacht der englischen Junkerpartei und der Miß
brauch ihrer Machtstellung im Parlament ist nun vor allem auf dem Gebiete zutage getreten, das den Interessen des Adels am nächsten liegt, auf dem des Besitzes von Grund und Boden.
In dem wegen seiner vermeinllichen fteiheitlichen Entwicklung gerühmten England herrschen heute noch in bezug auf Grundbesttzverhältnisse und Landverpachtungen Zustände, wie sie auf
dem Kontinent Europas bereits durch die große ftanzösische Re
volution und deren Folgen hinweggefegt worden sind.
Nichts
ist in England geschehen, was mit dem großen geschichtlichen Prozesse vergleichbar wäre, der in Frankreich durch den am Bor-
9
abend der Revolution geleisteten Verzicht des stanjösischen
Adels auf seine oberherrlichen Rechte sich vollzogen und zur Schaffung von fünf Millionen freier Bauerneigentümer geführt hat, und keine soziale Evolution ist in England vor sich ge gangen, die der gewaltigen ftiedlichen Reform, die bei uns
die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung auf dem Gebiete der
Landverfassung vollbracht hat, an die Seite gestellt werden könnte.
Ja selbst bei dem jetzigen Bundesbruder und Gesinnungs genossen des auf seine Freiheit stolzen Englands, dem armen
Rußland,
steht
die
Landverfassung,
dank
den
Reformen
Alexanders IL, des letzten Europäers auf dem Zarenthrone, auf einer den englischen Zustände« überlegenen Stufe.
Erst
seit
Finanzministers
dem Jahre
Lloyd
1905,
George,
unter ist
der
Leitung
der Kampf
um
des eine
Reform der Grundbesitzvertellung begonnen worden, mit dem für diese Zustände bezeichnenden Namen:
„Liberale
Land
kampagne".
In einer im Ottober 1913 gehaltenen Rede äußerte Mr. Lloyd George, daß das jetzige System des englischen Grund besitzes es fertiggebracht habe, alle natürlichen Vorzüge des
Landlebens aufzuheben.
Die Landarbeiter hätten bisher keine
Möglichkeit gehabt, Land zu erwerben, um Nahrungsmittel
darauf zu bauen; ihre Wohnungen seien so schmutzig, dunkel und elend, daß sie Fäulnis und Krankheit ausströmten.
Das
rühre daher, daß der Grund und Boden in England zum weitaus
größten TeU einer kleinen Anzahl von Famllien gehöre, von denen etwa 600 ihre erblichen Vertreter im Hause der Lords sitzen haben.
Die hier bezeichneten Zustände sind verhältnismäßig neueren Datums und haben sich erst entwickeln können, nachdem die
IO
Adelsherrschafi, gegenüber einem rein dekorativ gewordenen Königtum, zur Machthöhe gelangt war.
Noch bis zum Jahre
1760 bestand in England der größte Teil des nutzbaren Grund und Bodens aus Gemeindeland, auf dem auch der kleine Mann seine Wohnstätte errichten, sein Vieh weiden und ein Stück als
Acker bebauen durfte. Deshalb gab es zu der Zeit in England auch noch jenen von englischen Geschichtsschreibern als Kern der
alten britischen Wehrmacht gerühmten Stand der kräftigen, selbstbewußten Aeomanry, die alteingesessene Pächter und selb
ständige Leine Bauerngrundbesitzer waren.
Etwa vom Jahre
1760 an begann die erste allmähliche und dann in immer wachsen dem Tempo zunehmende Einziehung des Gemeindelandes durch
die Großgrundbesitzer.
Diese Umwandlung war in der Tat
nichts anderes als eine unter Beobachtung von gesetzlichen Formen durchgeführte Beraubung des britischen Volkes.
Die
hierzu als Mittel verwandte legalisierende Form bestand in den
berüchtigten „Bills for enclosure“, die von dem allmächtigen
grundbesitzenden Adel im Oberhause und im Hause der Ge meinen, wo dieselbe Klasse ebenfalls eine überwiegende Majorität
besaß, zum Scheine beraten und dann zum Gesetz erhoben
wurde». Da die nach ErLärung einer „Bill for enclosure“ zum
Gesetz ernannte parlamentarische Kommission, der die Aufgabe
zufiel, an Ort und Stelle die Verteilung des in Privateigentum umzuwandelnden Gemeindelandes unter die Anlieger vorzu
nehmen, ebenfalls wieder aus den benachbarten Großgrund
besitzern des Kreises bestand, so durfte kaum erwartet werden, daß die Interessen der kleinen, an der Benutzung des Gemeinde
landes bisher betelligten Landbebauer eine ausreichende Be rücksichtigung gegenüber den Ansprüchen des grundbesitzende»
Adels finden würden.
So geschah es denn, daß aus den freien
Peomen besitzlose Landknechte wurden und ein Proletariat von
II
Landarbeitern entstand, das durch die entwürdigende Hand
habung der berüchtigten Armengesetze gerade nur vor dem
Hungertode geschützt wurde. Die Ursache für die um das Jahr 1760 einsetzende Gier des
Adels nach Landbesitz lag in der beginnenden Entwicklung einer Fabrikindusirie und der dadurch entstehenden Zunahme der städtischen Bevölkerung; hierdurch wuchs die Nachfrage nach
Nahrungsmitteln in bisher unbekannter Weise und ließ den
Wert des Grund und Bodens mit einemmal außerordentlich
steigen. Zunächst machte sich das Bedürfnis nach einer stärkeren Produktion von Vieh als Fleischnahrung für die wachsende Be völkerung fühlbar. Hieraus entstand die bekannte Umwandlung
von Acker in Weideland, wodurch viele Landbauern in England vnd Schottland ihren Erwerb verloren. Später, namentlich seit den napoleonischen Kriegen, wuchs der Bedarf an Getreide, um
das von ausländischer Zufuhr abgeschnittene England ernähren zu können, so außerordentlich, daß dann wieder eine Zunahme des Ackerbaues stattfand. Aber beide Formen der höheren Be wertung des Besitzes von Grund und Boden fanden in einer
immer rascher zunehmenden Einziehung des Gemeindelandes ihren sozialwirtschaftlichen Ausdruck, eine Umwandlung, die sich etwa bis zum Jahre 1832 vollzogen hat.
Gegen die durch den Mißbrauch der Klassenherrschaft im Parlamente entstandene Rückständigkeit der Grnndbesitzverhält-
nisse ist nun, zum erstenmal in der Geschichte Englands, das liberale Ministerium Asquith-Aoyd George ausgetreten.
Als
Programm der Landreform stellte Lloyd George die Forde
rungen auf: Errichtung eines eigenen Ministeriums für Land
wirtschaft; Festsetzung eines Minimallohnes für Landarbeiter, der ihnen die Existenzmöglichkeit gewähren und nicht niedriger
als 21 Mark pro Woche sein soll; Prüfung der von den Land-
12 Pächtern gezahlten Pachten und Zehnten; Herstellung von zu
nächst loo ooo Häuschen mit Garten und etwas Ackerland für
landwirtschaftliche Lohnarbeiter; zwangsweise Enteignung von Grundstücken für letzteren Zweck; völlige Sicherstellung der Päch ter gegen willkürliche Kündigung seitens der Großgrundbesitzer,
sobald die Pächter den Wirtschaftsbetrieb ordentlich führen.
Der Pächter müsse in Zukunft völlig geschützt werden gegen Kon
fiszierung der Verbesserungen, die er an dem von ihm bebauten
Lande ausgeführt habe, möge diese Konfiszierung nun in der Form willkürlicher Aufkündigung der Pacht, oder einer Steige rung der Pachtzahlungen, oder in Zerstörung seiner Ernten durch
Wildschaden austreten.
Am 21. Oktober 1913 erweiterte Mr.
Lloyd George das Programm seiner Landreformen dahin, daß
er die Einsetzung einer besonderen Kommission in Aussicht
stellte, die auf Anrufung der Pächter befugt sein solle, übermäßig hoch erscheinende Pachtbeträge herabzusetzen, sowie Pachten zu ermäßigen, wenn der Pächter seinen Landarbeitern höhere Löhne zahle, oder wenn in „schlechten Zeiten" ein Niederbruch der Ge treidepreise eintrete.
Die von Lloyd George angekündigten Maßregeln enthalten allerdings Eingriffe in die Rechte des Privateigentums, wie sie
in Deutschland unbekannt sind.
Aber in einem Lande, wo es
einmal zu einer solchen rücksichtslosen Ausbeutung des Eigen tumsrechts an Grund und Boden gekommen ist wie in England,
wo der Adel, uneingedenk jeder Verpflichtung des noblem« oblige, seine politische Macht in eigennützigster Weise mißbraucht hat,
da wird die Reaktion, wenn sie endlich einsetzt, fast unvermeidlicherweise besonders schroffe und radikale Formen annehmen. Die brutale Ausnutzung des eigenen Vorteils und der eigenen Machtstellung scheint nun einmal zu den Kennzeichen des engli
schen Nationalcharakters zu gehören, was sich notwendigerweise
13 in den inneren Verhältnissen des Landes genau so zeigt, wie in
seiner äußeren Politik. Der schonungslose Kampf, den der radikale Doktrinär Aoyd George und der parlamentarische Dialektiker Mr. Asquith gegen das Haus der Lords und den Großgrundbesitz unternommen
haben, äußert sich auch in der Auferlegung einer neuen Be
steuerung auf den Grundbesitz, die in vierfacher Form auftritt. Die neuen Steuern auf den Grund und Boden (New Land Tax 1910) bestehen aus 1. der Wertzuwachssteuer, die beim Besitzwechsel des Grund und Bodens erhoben wird, der durch
Verkauf, Vererbung, Neuverpachtung auf mindestens vierzehn Jahre und darüber, entsteht und mit 20 % vom erwachsenen
Mehrwert berechnet wird; 2. der Steuer auf den nicht ausgenutzten Wert des Grund und Bodens: wird von dem Mehrwerte, der dem nicht als Bauplatz benutzten Grundstück durch seine Lage
zukommen würde, soweit dieser Wert den landwirtschaftlichen
Wert übersteigt, mit einem halben Penny vom Pfund Sterling vom Mehrwerte erhoben; 3. der Rückfallssteuer (reversiern duty),
beruhend auf dem englischen Gebrauch, Grundstücke als Bau
plätze auf eine längere Zeit, z. B. auf 99 Jahre, zu verpachten; die Steuer wird vom Mehrwert des Grundstücks nach Ablauf der Baupachtperiode erhoben; 4. der Steuer auf alle Art von
Bergbaurechten. Mit einigem Recht, wie es scheint, wird diesen neuen
Steuern, die Mr. Lloyd George dem Großgrundbesitz wie in
einer Schüssel vorgesetzt hat, der Vorwurf gemacht, daß sie den
Fehler der Kompliziertheit und Unverständlichkeit tragen. Noch schärfere Angriffe werden gegen Mr. Lloyd Georges Steuer system auf Grund der Tatsache gerichtet, daß die Erhebung und
Verwaltung der neuen Steuern dem Staate bisher mehr ge kostet, als sie eingebracht haben.
Infolge der außerordent-
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lich hohen Zahl von Beamten, die jnr Überwachung und Eiujiehung der verhaßten neuen Grundsteuern für erforderlich
erachtet wird, wobei allein 4153 Einschätzer mit einem Gehalts
aufwande von 10 Millionen Mark in Ansatz kommen, haben die Kosten der Steuern 1393000 Pfund Sterling betragen, während ihr Ertrag nur 223 000 Pfund Sterling ergeben hat.
Die Opposition gegen diese Grundsteuern hat nicht versäumt,
aus dem krassen Mißverhältnis zwischen Kosten und Ertrag Kapital zu schlagen; ein unionistisches Parlamentsmitglied be
zeichnet in einem bekannten politischen Jahrbuche diese Grund steuern als einen „Wust von Narrheit und Lächerlichkeit". Die Erbitterung des Kampfes um die Lloyd Georgescheu
Grundsteuern, der in Wirklichkeit ein Teil des Kampfes gegen den Großgrundbesitz und das Oberhaus ist, hat eine weitere
Verschärfung durch die gleichzeitige, etwas überstürzte Ein führung von Reformen auf anderen Gebieten erfahren.
Das
wichtigste dieser neuen Reformgesetze ist der im Jahre 1912
publizierte „National Insurance Act“. Im wesentlichen unserer
Arbeiter-, d.h. Kranken- und Jnvaliditätsversicherung ent sprechend, ist diese englische soziale Gesetzgebung doch weit ein schneidender gewesen und als weit drückender empfunden worden,
well sie plötzlich, ohne genügende Vorbereitung der öffentlichen Meinung, von der radikal-liberalen Regierung gegen die lebhafte Opposition der Konservativen durchgesetzt worden ist.
Bei der
so hervorgerufenen Mißstimmung hat es aber auch erschwerend
mitgewirkt, daß die englische Gesellschaft gerade in ihren höheren
und regierenden Klassen nicht dazu erzogen ist, im staatlichen und sozialen Interesse Opfer zu bringen und Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen, wie es in der durch die allgemeine Wehr
pflicht und durch den ganzen Zug unserer politischen Entwicklung
zum lebendigen Staatsbewußtsein ausgewachsenen deutschen
15 Nation der Fall ist.
Bekanntlich ist in England die Einführung
der Krankenkassen vorzugsweise bei dem zur häuslichen Diener schaft der höheren Gesellschaftsklassen gehörenden Personal und
bei den zur Mitwirkung bei den Kassen herangezogenen Ärzten auf
den lebhaftesten Widerstand gestoßen. Die englische Nationalverstcherung umfaßt alle Bewohner des Landes, deren jährliches
Einkommen nicht 160 Pfund Sterling (ca. 3200 M.) übersteigt und die zwischen dem 16. und 70. Lebensjahre stehen, und ge währt Unterstützungen in Krankheitsfällen sowie auch bei Ar
beitslosigkeit; letzteres ist ein für ein größeres Staatsgebiet zum erstenmal angestelltes und somit auf seine Ausführbarkeit noch nicht erprobtes soziales Experiment. Zu den durch diese eingreifenden Reformen hervorgerufenen
Zwistigkeiten, die die britische Nation zerreißen und in der engli
schen Gesellschaft eine Erbitterung gegen das gegenwärtige Mini sterium hervorgerufen haben, von deren Schärfe man sich bei uns schwer eine Vorstellung macht, ist nun als ernstester und am
leidenschaftlichsten geführter Kampf der Kampf um die irische Selbstverwaltung getreten, um das Irish Hörnende.
Es ist
bekannt, daß vor wenigen Monaten England wegen dieser iri
schen Frage dicht vor dem Bürgerkriege stand, weil die in der nördlichen Provinz Irlands, Ulster, ansässigen Protestanten sich
offen anschickten, mit Waffengewalt der Einführung der vom Parlamente beschlossenen Gesetze Widerstand zu leisten, während die den konservativen Gesellschaftsklassen angehörenden Offiziere der in Irland stationierten Regimenter ungestraft die Weigerung
aussprachen, die Anordnungen der Regierung gegen die Rebellen in Ulster zur Ausführung zu bringen. Mit Staunen mußte der in der Verehrung vor englischem Sinn für Gesetzlichkeit und vor der Unverletzbarkeit der Parlamentsautorität auferzogene, poli tisch zurückgebliebene deutsche Staatsbürger wahrnehmen, daß
i6 die offene Rebellion der Ulsterprotestanten und die Meuterei des
Offizierkorps der englischen Eliteregimenter in der englischen beste» Gesellschaft nicht vnr gebilligt, sondern als Beweis be sonderer Loyalität gepriesen wurde, ja daß ergraute Staats
männer und Generäle, wie der dereinstige Mzekönig von Indien und Minister des Auswärtigen, Lord Lansdowne, und der Feld
marschall Lord Roberts, die Ulsterrebellen in ihren Vorbereitun gen zum bewaffneten Widerstände gegen die Staatsgewalt er
mutigten und bestärkten.
Es konnte keinem Zweifel unter
liegen, daß, wenn das irische Homerulegesetz nach Berechnung
leitender Parlamentsführer im Februar 1915 in Kraft treten würde, mit dem Ausbruch einer Revolution in Irland gerechnet
werden mußte.
Wenn man zu den Verlegenheiten, in welche England durch
eine an sich zumeist gerechtfertigte, aber verspätete und deshalb
überstürzte Reformgesetzgebung geraten war, noch hinzurechnet, daß im Jahre 1913 an der Londoner Fondsbörse eine tiefgehende,
erschütternde Krisis geherrscht hat, die teils auf politischen Ur sachen, wie dem Balkankriege, teils auf wirtschaftlichen, wie Streiks in den aftikanischen Minendistrikien und dem Mutter
lande, beruhte, so gelangt man zum Schluß, daß England kurz vor Ausbruch des jetzigen Krieges sich in der Lage des bekannten Helden eines Dickensschen Romans befand, der in den Ver
legenheiten, in die er geraten war, seine ganze Hoffnung auf die
eine Chance setzte, daß plötzlich etwas Unerwartetes geschehen werde, um ihn aus seinem Dilemma zu befteien. Das Jahrbuch
der Dally Mail für 1914 bezeichnet das Jahr 1913 als eines der
schlimmsten, das die Londoner Fondsbörse je dnrchgemacht habe, in welchem britische Konsols auf den unerhörten Kursstand von 72 % gesunken seien.
Der politische und soziale Zustand Englands vor Ausbruch
17 des Krieges war in der Tat derart, daß in wohlinformierten
Londoner Kreisen die Befürchtung offen ansgesprochen wurde, eine soziale Revolution siehe nahe bevor, bei der eine Beteiligung der Massen des Volkes zu besorgen sei. Der im Jahre 1912 zum Ausbruch gekommene große Streik der Kohlenbergwerksarbeiter,
die sich schließlich mit der allgemeinen englischen Arbeiterunion
vereinten, war ein drohendes Symptom der in der Tiefe brodeln den sozialen Unruhe.
Bekanntlich erwuchs aus der Agitation
der allgemeinen Arbeilerunion eine Bewegung auf Erlangung höherer Löhne im ganzen Lande, und die Unzuftiedenheit der Arbeiter äußerte sich in allen Erwerbszweigen in Massensireiks.
Dabei war es für die englische Bewegung charakteristisch, daß die
Forderung auf Erhöhung der Lohnsätze bei den niedrigsten Ar beiterklassen begann, sich aber allmählich auf alle Zweige des Handels und der Industrie erstreckte und schließlich die quali
fizierten Arbeiter der besser bezahlten Betriebe, ja sogar die
Telegraphen-, Post- und Eisenbahnbeamten, bis zu den Polizei, beamten, zu Streikdrohungen veranlaßte.
Die Unzuftieden
heit, die in den unteren Arbeiterklassen seit jeher vorhanden war, hatte ersichtlich auch auf die höheren Stufen, ja bis in die der
Mittelüassen, übergegriffen.
In diesen Kreisen aber, wo das
Verständnis für stemdländische Zustände bereits zu finden ist, hatte der Vergleich der eigenen unbeftiedigenden Lage mit dem
Wohlstände derselben Klassen und Stände in Deutschland bittere Gefühle des Neides erweckt.
Die Wohlhabenheit der
deutschen Arbeiter wurde den mißmutigen englischen Mittel
klassen zu einem Dorn im Auge. — Nach einer in konservativen englischen Kreisen oft gehörten
Behauptung sind es seit jeher die liberalen Kabinette gewesen, die England in Kriege gestürzt haben, trotz der meist den Konservativen
zugeschriebenen chauvinistischen Tendenzen. Die hinter dieser AnH e v k t n g, DaS wirkliche England.
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schuldigung versteckte Bosheit will wohl andeuten, daß die Libe
ralen, wenn sie eine Zeitlang an der Regierung gewesen sind, im Lande eine solche Verwirrung anzurichten pflegen, daß ihnen als einziges Mittel, um sich am Ruder zu erhalten, nichts anderes
übrig bleibt, als ein auswärtiger Krieg.
Diese Behauptung
könnte im vorliegenden Fall eine Bestätigung erhalten, da, ange sichts des in der
irischen Frage unausbleiblich bevorstehen
den Bürgerkrieges, dem Ministerium Asquith-Lloyd George-
Churchill der Eintritt eines auswärtigen Krieges äußerst will
kommen sein mußte. Die Entscheidung darüber aber, auf welche Seite England
bei einem internationalen Konflikte sich stellen und zu wessen Gunsten es eventuell die Waffen ergreifen solle, diese Ent
scheidung war, wie wir jetzt erkannt haben und wie es heute wohl von keiner Seite mehr bestritten werden dürfte, bereits unter dem
persönlichen Einfluß König Eduards getroffen worden.
Der
König, dessen sportliche und andere Liebhabereien ihn den
Herzen seiner so sehr zum Snobismus geneigten Untertanen teuer machten, und der seinen Untertaninnen kein größeres Glück bescheren konnte, als wenn er sie, wenn auch nur dem Scheine
nach, in ihrem Rufe kompromittierte, hat aus stimm Haß gegen Deutschland und dessen Herrscher nie ein Hehl gemacht, auch
ohne daß seine Pariser Freundinnen und seine dänische Ge mahlin den kleinlich eitlen und nachtragenden Herrn gegen den
gemeinsamen Feind aufzuhetzen nötig gehabt hätten. Wenn aber diese fürstliche Mißlaune, die sonst längst vergessen wäre, tiefere
Wurzeln auf englischem Boden geschlagen hat, so liegt das an der Eifersucht und dem Neide der gewerbe- und handeltreibenden
englischen Nation gegen den deutschen Handel und namentlich gegen die deutsche Exportindustrie.
Der fleißige und mit be
scheidenen Lebensansprüchen auftretende deutsche Konkurrent,
19 nicht nur in London sondern auch in Shanghai und Valparaiso, ja an allen Handelsplätzen der Welt, wurde dem gesättigten
und auf eine milde Tätigkeit mit sportlichen Unterbrechungen
eingestellten englischen Kaufherrn und Kommis unbequem und schien ihn, wenn er nur mitkommen wollte, zu größeren An
strengungen zu nötigen, als sie vor Austreten der deutschen
Konkurrenj erforderlich gewesen waren.
Es kam hinzu, daß
in den letzten zwei Jahren vor Ausbruch des jetzigen Krieges der
Geschäftsbetrieb in der Tat, wie bereits erwähnt, flau gewesen war und Handel und Verkehr darniederlagen, was fteilich nicht bloß in England, sondern in der ganzen Welt der Fall war. Aber die Mißstimmung gegen den Druck der deutschen Kon
kurrenz war nun einmal bei den Engländern so gestiegen, daß nicht viel gefehlt hätte, daß die Deutschen auch für den Eintritt ungünstiger Witterung verantwortlich gemacht worden wären.
In dem Momente, wo die aus den geschllderten überstürzten Reformen entstandenen inneren Mißhelligkeiten auch wirtschaft
liche Schwierigkeiten herbeizuführe» drohten, mußte der ver haßte deutsche Mitbewerb als besonders austeizend und drückend
empfunden werden.
So war in der Tat auch die Stimmung
in englischen gewerbetreibenden Kreisen für einen Ausbruch der
Feindschaft gegen Deutschland vorbereitet. — Wie die jetzt in Brüssel zutage gekommenen diplomatischen Attenstücke erweisen, hatten die mit der Führung der auswärtigen
Geschäfte Englands betrauten wenigen Personen den militärischen Anschluß an Frankreich und Rußland schon seit langem
vereinbart und durch Armee- und Marinekonventionen fest gelegt. Sogar über den abenteuerlichen Plan einer Überführung russischer Truppen auf englischen Schiffen nach der pommerschen
Küste hatte man sich bis ins einzelne verständigt. Die anderen Mitglieder des Kabinetts, von ihren Ressortsorgen vollauf in
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Anspruch genommen, haben sich um die auswärtigen Abmachun gen Sir Edward Greys und Winston Churchills, die das Land
zur Teilnahme am Weltkriege verpflichteten, wenig gekümmert
und waren schwerlich überhaupt darüber unterrichtet, wie der
Rücktritt der zur demokratischen Gruppe gehörenden Minister nach der Kriegserklärung zu beweisen scheint. Wenn aber der sehr
ehrenwerte Staatssekretär des Auswärtigen, Sir Edward Grey, das Vorhandensein dieser auswärtigen militärischen Konven
tionen wiederholt abgeleugnet und damit vor dem Parlament seiner eigenen Nation eine bewußte Unwahrheit gesprochen hat,
so ist der sehr Ehrenwerte damit nur den Traditionen seiner Vorgänger im Amte gefolgt, die, wie Lothar Bucher in seinem
klassischen Buche „Der Parlamentarismus, wie er ist" erzählt hat, bereits zur Zeit des Krimkrieges das Parlament in bezug auf die auswärtige Politik des Kabinetts stets belogen und selbst auf Interpellationen
ihrer Parteisteunde
über auswärtige
Fragen bestenfalls zweideutige und ausweichende Antworten
erteilt haben.
Hiernach durften wir nicht erwarten, daß Sir
Edward Grey Deutschland gegenüber seiner anerzogenen Ge wohnheit untreu werden und uns die Wahrheit sagen werde, als er mit jenen französischen und russischen Abmachungen in
der Tasche die Stirn hatte, den Ausspruch zu tun, daß Deutsch land der Krieg erklärt werde, well es die Neuttalität Belgiens
verletze. Wenn nie ein deutscher Soldat Belgiens Grenze über schritten hätte, so würde England uns doch den Krieg erklärt
haben. Angesichts der Tatsache, daß Belgien schon seit geraumer
Zeit einen einem neuttalen Staate durchaus unstatthaften Pakt mit Frankreich und England geschlossen hatte, der Belgien zum
Bundesgenossen jener beiden Länder machte, ist es nicht genug zu bedauern, daß Deutschland mit dem hinterher schwer auszu
löschenden Vorwurf belastet worden ist, daß es die belgische
Neutralität ohne Berechtigung verletzt habe.
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Der Staatssekretär des Auswärtigen, Sir Edward Grey, der auf dem Gebiete des Angelsports eine Autorität ist und
ein Werk über das Angeln mit künstlichen Wegen geschrieben
hat, soll von den Verhältnissen und Zuständen im außerengli-
schen Europa nichts wissen, da er den Kontinent, mit Ausnahme von Paris, nie betreten hat. Wenn Sir Edward Grey in seinem
genannten Werke den hohen Reiz der Nervenaustegung rühmt, den es ihm verschafft, einen unerwartet starken Fisch mit einer
kleinen Angelrute und einer dünnen Schnur gefangen zu haben, so könnte man fast glauben, daß der angelnde Staatssekretär auch in seiner auswärtigen Politik es für die Höhe der Kunst erachtet, auf den Fang starker Fische mit schwachen Mitteln
ausjugehen. Von Sir Edward Grey und der Presse, die ihre Informa
tionen über auswärtige Verhältnisse sich bei ihm holt, rührt denn
auch die erstaunliche Behauptung her, daß der eigentliche Zweck des gegenwärtigen Krieges die Bekämpfung des deutschen Mili-
tarismus sei.
Wir können dem im Anlocken von Fischen mit
falschen Fliegen so bewanderten Staatssekretär das Zugeständnis
machen, daß diese Behauptung, so sicher sie auch den Zweck ver folgt, Deutschland ju verdächtigen und ungerecht anjuschuldigev,
nicht bloß aus englischer Verleumdungssucht und absichtlicher
Entstellung entstanden ist, sondern daß sie zu einem großen Tell
auf einer völligen Unkenntnis der besten und höchsten Kräfte beruht, die in unserer Nation sich wirksam erweisen.
Es wäre
ja auch ganz vergebliche Mühe, Engländer darüber belehren ju
«ollen, mit welchen idealen sittlichen Kräften und namentlich
auch mit welcher intellektuellen Höhe dasjenige in Deutschland eng jvsammenhängt, was sie unseren MUitarismus nennen. Es genügt zu erkennen, daß es die für die Engländer und den
ganzen mit ihnen verbundenen Klüngel völlig unerwartete und
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sie schmerzlich überraschende Größe der kriegerischen Kraft der deutschen Nation und deren fester Wille zum Siege ist, die ihnen
im gegenwärtigen Moment zum wesentlichen Objett ihres Hasses geworden ist, und die sie deshalb unter demHetzrufe „Militaris
mus" in der Welt zu verschreien trachten. Der deutsche Militaris
mus, der mindestens ebensolange besteht wie das Deutsche Reich und so lange bestehen bleiben wird, als es eine deutsche
Nation gibt, hat noch keinem anderen Volke Unrecht getan, sondern er hat den Frieden in der Welt vier Jahrzehnte hindurch
auftecht erhalten und würde es heute noch getan haben, wenn Neid gegen das Aufblühen Deutschlands und Unkenntnis des deutschen sittlichen und physischen Krastvorrats sich nicht zu
heimtückischem Überfall auf uns vereinigt hätten. — Aber einen
anderen Machtfaktor gibt es in der Staatenwelt, der nicht mit so gutem Gewissen wie der deutsche Militarismus auf seine Banner den Spruch schreiben könnte: „Laß dich nicht gelüsten
nach deines Nächsten Hab und Gut".
Das ist die britische so
genannte Vorherrschaft zur See. Sie ist es, die den Unstieden seit Jahren in die Welt getragen hat, die schwache Nationen bedrückt und unter ihre Macht zwingt, die ihre feierlichen Ver
sprechungen bricht, wenn derjenige, dem sie gegeben worden,
zu schwach ist, um ihre Erfüllung zu erzwingen; sie ist es, die alle
völkerrechtlichen Bestimmungen, denen die britische Regierung selbst zugesiimmt hat, in der brutalsten Weise mißachtet, sobald
es ihr im Augenblick vortellhast erscheint, und die auf dem Meere
unverhüllte Piraterie treibt; sie ist es, die dem berechtigten Drange nach Ausbreitung des großen deutschen Volkes in der
außereuropäischen Welt überall hämisch und mit Knochenneid entgegengetreten ist, die unsere Bestrebungen nach Erwerbung
von Flottenstützpunkten stets zu vereiteln gesucht hat, die sich mit jedem Feinde Deutschlands, den sie irgendwo hat auftreiben
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können, gegen uns verbunden und juletzt sich vor der Sünde gegen den Geist unserer Kultur nicht gescheut, die gelbe Rasse
gegen uns und unser Kulturwerk zu Hetzen — sie ist es, die wir niederwerfen müssen, wenn wir Friede, Luft jum Atmen und
Raum ju ruhiger Entwicklung uns sichern wollen. England ist unser schlimmster Feind, ihn wollen wir bekämpfen, bis wir
ihn überwunden haben! Das gebe uns der große Alliierte, der hinter den deutschen Bataillonen, hinter unseren Schiffen und
Unterseeboten und hinter unserem gesegneten Mllitarismus steht!