Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Besteuerung: Ein systematischer Wegweiser aus Deutschland für die taiwanische Verfassungs- und Steuerrechtswissenschaft [1 ed.] 9783428581894, 9783428181896

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist in Taiwan geltendes Verfassungsrecht, aber seine Rezeption, insbesondere im taiwanis

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Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Besteuerung: Ein systematischer Wegweiser aus Deutschland für die taiwanische Verfassungs- und Steuerrechtswissenschaft [1 ed.]
 9783428581894, 9783428181896

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Schriften zum Steuerrecht Band 159

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Besteuerung Ein systematischer Wegweiser aus Deutschland für die taiwanische Verfassungs- und Steuerrechtswissenschaft

Von

Yang-Sheng Chen

Duncker & Humblot · Berlin

YANG-SHENG CHEN

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Besteuerung

S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 159

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Besteuerung Ein systematischer Wegweiser aus Deutschland für die taiwanische Verfassungs- und Steuerrechtswissenschaft

Von

Yang-Sheng Chen

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V. Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2020 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 188 Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-18189-6 (Print) ISBN 978-3-428-58189-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2020 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Die Literatur konnte bis zum Februar 2020 berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt allen voran meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Markus Heintzen, der nicht nur meine Dissertation mit wertvollen Anregungen betreut hat, sondern darüber hinaus die Fertigstellung der Arbeit umfassend gefördert hat. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Philip Kunig und Frau Prof. Dr. Ai-Er Chen für die zügige Erstellung des Zweit- und Drittgutachtens. Ich bedanke mich ferner bei meinen Eltern für ihre uneingeschränkte Förderung meiner Ausbildung und ihre liebevolle Ermunterung zum Abfassen der Schrift. Für die Unterstützung bei der Bewältigung der Fallstricke der deutschen Sprache bin ich Herrn Golo Meven zu großem Dank verpflichtet. Mein ganz besonderer persönlicher Dank gebührt aber meiner Ehefrau, Hui-Ju Hsu. Ihre unschätzbare Unterstützung hat die Anfertigung der vorliegenden Arbeit erst ermöglicht. Berlin, im September 2020

Yang-Sheng Chen

Inhaltsverzeichnis Einführung 15 A. Problemstellung und Ziele der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 C. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 D. Die Zitierweise taiwanischer Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

1. Kapitel

Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 23

A. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Allgemeine Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Die Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Der Inhalt des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Legitimes Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 5. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Exkurs: Das Kriterium der Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung . . . . . . . . . . 35 I. Das „Verhältnis“ zwischen Fiskalzwecksteuern und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Steuerrechtliche Normkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Fiskalzwecknormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Lenkungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Vereinfachungszwecknormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Umverteilungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Kriterien für die Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Bisherige Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

8

Inhaltsverzeichnis 2. Kritik bisheriger Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Würdigung und eigene Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

2. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von Fiskalzwecknormen 51

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Die frühere Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Die Einheitswertbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Vermögensteuerbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Erbschaftsteuerbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Herleitung des Halbteilungsgrundsatzes und seine Folgerungen . . . . . . . . . . 59 III. Die Kehrtwende des Zweiten Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Ablehnung des Halbteilungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Erweiterung des gesetzgeberischen Handlungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . 62 C. Begrenzung von Fiskalzwecknormen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip? . . . . 63 D. Besonderheit bei Zwecksteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Rechtliche Verwendungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Abgrenzung von zweckmotivierten Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Abgrenzung von Sonderabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Die Rechtfertigung der Zwecksteuern durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip?

71

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

3. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen 75

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 B. Einschlägige Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Inhaltsverzeichnis

9

II. Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 C. Verhaltensbeeinflussung als mittelbar-faktischer Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Bloße Anknüpfung an Grundrechtsbetätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Überschreiten der Eingriffsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Lenkungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Rechtsprechung: Die Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf die Verhaltenslenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Literatur und eigene Stellungnahme: Ungeeignetheit der steuerlichen Lenkungsnormen bei Ausbleiben von Verhaltenslenkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

4. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von steuerlichen Umverteilungsnormen 89

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Begriffsbestimmung steuerlicher Umverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Das Gesamtdeckungsprinzip und die Definition steuerlicher Umverteilung . . . 90 II. Sozialstaatliche Besteuerung als ein Instrument der Umverteilung . . . . . . . . . . 93 C. Einordnung des progressiven Steuertarifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Ausfluss des Sozialstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 D. Sozialstaatliche Rechtfertigung von Umverteilungsnormen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

5. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 100

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Die Frage der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze als Kern des Problems der Verhältnismäßigkeit der Vereinfachungszwecknormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

10

Inhaltsverzeichnis II. „Frischer Wind“ durch die Entscheidungen des FG Köln und des BFH über den realitätsfernen Zinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Jüngste Entscheidung des FG Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Jüngste Entscheidung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

C. Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Das bei der Billigkeitsentscheidung implizierte Verhältnismäßigkeitsprinzip . . 108 1. Die durch allgemeine Rechtsgrundsätze konkretisierte Unbilligkeit . . . . . . . 108 2. Die durch Interessenabwägung konkretisierte Billigkeitsprüfung . . . . . . . . . 109 III. Exkurs: Billigkeitserlass als Ermessensentscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes und die ständige Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Literatur und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

6. Kapitel

Das Verhältnis zwischen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gleichheitssatz in der Besteuerung 117

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Lenkungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Stichtagsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Kompensation von Vor- und Nachteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IV. Exkurs: rein fiskalische Gründe sind keine Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . 122 C. Kontrolldichte des Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Vom traditionellen Willkürverbot zur sog. neuen Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Sog. neue Formel: Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . 124 3. Bestehen eines stufenlosen Prüfungsmaßstabs in der heutigen Zeit . . . . . . . 126 II. Strukturschwäche der Gleichheitsdogmatik bei Heranziehung von freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitserfordernissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung und ihre Differenzierungskriterien . . . . . . . . . 129 1. Trennung von internen und externen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Inhaltsverzeichnis

11

2. Ein Schwachpunkt der Differenzierung von internen und externen Zwecken? 131 3. Übertragung des Ansatzes Husters auf das Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

7. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze des Steuervollzugs  135

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Die Berücksichtigung des Kooperationsprinzips im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips beim Steuervollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 C. Freiheitsrechtliches Gebot verhältnismäßiger Steuerverfahrenslasten . . . . . . . . . . . . 138 D. Verhältnismäßigkeit bei der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Ermessenseinräumung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Schlussbetrachtung 143 A. Kernthesen zu der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 B. Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. F. alte Fassung Abs. Absatz ALR Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 AO Abgabenordnung AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art. Artikel ASOG Bln Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin AStG Außensteuergesetz Aufl. Auflage BayKAG Bayerisches Kommunalabgabengesetz BayLStVG Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz BayVwVfG Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz BB Der Betriebsberater (Zeitschrift) Bd. Band Begr. Begründer BewG Bewertungsgesetz BFH Bundesfinanzhof BFHE Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BFH / N V Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen BGHSt BHO Bundeshaushaltsordnung BK Bonner Kommentar zum Grundgesetz BStBl. Bundessteuerblatt BT-Drucks. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bzw. beziehungsweise d. h. das heißt Der Betrieb (Zeitschrift) DB DDR Deutsche Demokratische Republik DÖV Die Öffentliche Verwaltung Doppelbuchst. Doppelbuchstabe DStJG Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft e. V. Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) DStR DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

13

Entscheidungen der Finanzgerichte EFG Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz ErbStG Erg.-Lfg. Ergänzungslieferung EStG Einkommensteuergesetz und folgende f. ff. und fortfolgende FG Finanzgericht FGO Finanzgerichtsordnung Finanz-Rundschau (Zeitschrift) FR FS Festschrift Fußn. Fußnote(n) GG Grundgesetz Halbs. Halbsatz HGrG Haushaltsgrundsätzegesetz Hrsg. Herausgeber herausgegeben von hrsg. v. Handwörterbuch des Steuerrechts HwStR in der Fassung i. d. F. in Verbindung mit i. V. m. im weiteren Sinne i. w. S. Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) JA Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Jura Juristische Schulung (Zeitschrift) JuS Juristenzeitung (Zeitschrift) JZ Kap. Kapitel mit weiteren Nachweisen m. w. Nachw. MinöStG Mineralölsteuergesetz Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) NVwZ-RR OVG Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts PrOVGE RAO Reichsabgabenordnung RGBl. Reichsgesetzblatt Rn. Randnummer S. Seite sog. sogenannte(n) StrFinG Straßenbaufinanzierungsgesetz Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) StuW unter anderem u. a. und so weiter usw. vom; von v. vgl. vergleiche Vorbem. Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer VVDStRL zum Beispiel z. B. Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) ZIP Zeitschrift für das juristische Studium (Zeitschrift) ZJS

Einführung A. Problemstellung und Ziele der Untersuchung In Art. 7 bis 22 der Verfassung Taiwans werden die Grundfreiheiten und -pflichten des taiwanischen Volkes festgelegt. Die dort geregelten Freiheitsrechte erfahren in Art. 23 der Verfassung Taiwans eine Begrenzung.1 Der Artikel lautet wie folgt: „Alle in den vorhergehenden Artikeln aufgeführten Freiheitsrechte sind nicht gesetzlich beschränkt, es sei denn, dies ist erforderlich, um die Verletzung der Freiheiten anderer Personen zu verhindern, eine drohende Krise abzuwenden, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten oder das Gemeinwohl voranzutreiben.“ Wie J.-Y. Hwang zutreffend feststellt, fasst das Verfassungsgericht des Justiz-Yuans2 als das höchste Rechtsprechungsorgan in Taiwan diesen Artikel, seit der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 414, als ausdrückliche Regelung des dem deutschen öffentlichen Recht entstammenden Prinzips der Verhältnismäßigkeit mit Verfassungsrang auf.3

1 Eine vergleichbare Regelungsweise findet man in Art. 98 der Verfassung des Freistaates Bayern. Er lautet: „Die durch die Verfassung gewährleisteten Grundrechte dürfen grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Einschränkungen durch Gesetz sind nur zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheit und Wohlfahrt es zwingend erfordern. Sonstige Einschränkungen sind nur unter den Voraussetzungen des Art. 48 zulässig. Der Verfassungsgerichtshof hat Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken.“ Siehe auch C.-L. Lee, Journal of Social Sciences and Philosophy, Bd. 30 (2017), Nr. 2, S. 237 (266). 2 Der Verfassung Taiwans nach wurde die Staatsgewalt in fünf Yuans (Staatsräte) unterteilt, nämlich den Exekutiv-Yuan, den Legislativ-Yuan, den Justiz-Yuan, den Prüfungs-Yuan und den Kontroll-Yuan. Dem Justiz-Yuan kommen dabei die folgenden Kompetenzen zu: Die Interpretation der Verfassung sowie die Vereinheitlichung der Gesetze, die Rechtsprechungsgewalt, die beamtenrechtliche Disziplinargewalt und die Ausübung der Aufsicht über die Justiz und deren Verwaltung. Um seine Aufgabe der Auslegung der Verfassung und der Vereinheit­lichung der Gesetze zu erfüllen, wurde das Verfassungsgericht des Justiz-Yuans eingesetzt. Mit 15 Mitgliedern hat das Gericht die Aufgabe, die Verfassung Taiwans gesetzmäßig auszulegen, und ist deshalb im Sinne der Gewaltteilung vergleichbar mit dem Bundesverfassungsgericht. 3 J.-Y. Hwang, National Taiwan University Law Journal, Bd. 42 (2013), Nr. 2, S. 215 (218 f.). Ebenfalls weist S.-P. Hwang darauf hin, dass die Rezeption der deutschen Verfassungsrechtsdogmatik in der Entscheidungspraxis der taiwanischen Verfassungsgerichtsbarkeit spätestens seit den frühen neunziger Jahren erkennbar ist. Dabei ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip eines von vielen originär deutschen Rechtsprinzipien, welche im Rahmen der Entscheidungen des taiwanischen Verfassungsgerichts wachsende Berücksichtigung gefunden haben; siehe ­S .-P. Hwang, in: Starck / Heun / Tsai, S. 127 (128). Es wird übereinstimmend angenommen, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu den „Exportschlagern“ des deutschen Rechts gehört; siehe Möllers, Methodenlehre, § 10 Rn. 42a. Vgl. auch Barak, Proportionality, S. 181 ff.

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Einführung 

Damit ist laut Rechtsprechung und herrschender Lehre in Art. 23 der Verfassung Taiwans das Verhältnismäßigkeitsprinzip implizit geregelt.4 Wie in Deutschland wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip in Taiwan als ein Gebot begriffen, welches verlangt, dass jedes staatliche Eingriffshandeln einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.5 Dies bereitet im allgemeinen verwaltungsrechtlichen Bereich keine Probleme. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gestaltet sich freilich im materiellen Steuerrecht schwierig. Denn auch wenn der Steuerzugriff eine massive Beeinträchtigung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit darstellt, spielt nach der herrschenden Lehre in der deutschen Steuerrechtswissenschaft das Verhältnismäßigkeitsprinzip dort eine nachrangige Rolle,6 weil sich die Besteuerung wegen der Uferlosigkeit des öffentlichen Finanzbedarfs stets einer Zweck-Mittel-Relation zu entziehen droht.7 Die Verbindlichkeit des Verhältnismäßigkeitsgebots bezogen auf die Besteuerung wird zwar einerseits in der taiwanischen Steuerrechtswissenschaft weitgehend anerkannt; andererseits gibt es jedoch in Bezug auf die Anwendung der Anforderungen dieses Gebots im Einzelfall kaum detaillierte Erläuterungen.8 Die Ausführungen zur Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit im taiwanischen steuerjuristischen Schrifttum verbleiben letztlich im Groben und Allgemeinen.9 Die Rezeption des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der taiwanischen Steuerrechtswissenschaft beschränkt sich größtenteils immer noch auf die Herleitung des Verbots der Erdrosselungssteuer.10 Die weiteren Entwicklungen der Prüfungsmaßstäbe und der möglichen Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung werden bloß bis zum umstrittenen Begriff des Halbteilungsgrundsatzes nachvollzogen.11 Der einzige, der darauf hinweist, dass im Steuerrecht das 4

Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 414; M. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 85; ­K.-C. Gee, Einkommensteuer, S. 601; M.-Z. Huang, Allgemeines Steuerrecht, Bd. I, S. 13 mit Fußn. 16, 148 f.; J.-Y. Hwang, National Taiwan University Law Journal, Bd. 42 (2013), Nr. 2, S. 215 (220); K.-C. Ko, in: Hwang, Constitutional Interpretation: Theory and Practice, Bd. 7, Teil 1, S. 193 (229 f.); K.-C. Ko, Chung-Hsing University Law Review, Bd. 17 (2015), S. 31 (59). Vgl. auch die Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 476. 5 Statt vieler nur M. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 85. Vgl. auch BVerfGE 118, 168 (193). 6 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 182; Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 418. Vgl. ferner BVerfGE 115, 97 (115). 7 Vgl. Wischmeyer, Die Kosten der Freiheit, S. 31. 8 Vgl. C.-H. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 62 f.; M. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 86; K.-C. Gee, Einkommensteuer, S. 68 f.; M.-Z. Huang, Allgemeines Steuerrecht, Bd. I, S. 148 f.; M.-Z. Huang, in: Huang / Gee / Chen, Besonderes Steuerrecht, S. 40. 9 Vgl. C.-H. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 63; K.-C. Gee, Einkommensteuer, S. 68 f.; M.-Z. Huang, Allgemeines Steuerrecht, Bd. I, S. 148 f. 10 Siehe C.-H. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 63; K.-C. Gee, Einkommensteuer, S. 59; M.-Z. Huang, Allgemeines Steuerrecht, Bd. I, S. 10, Fußn. 11. 11 Siehe K.-C. Gee, Einkommensteuer, S. 282 ff.; M.-Z. Huang, Allgemeines Steuerrecht, Bd. I, S. 143; Y.-H. Huang, Public Finance Review, Bd. 36 (2004), Nr. 1, S. 151 (160 ff.).

A. Problemstellung und Ziele der Untersuchung

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Verhältnismäßigkeitsprinzip hauptsächlich im Rahmen der Vorschriften, die gesellschaftspolitische Ziele durch Steuervergünstigungen oder Steuerbenachteiligungen verfolgen, anwendbar ist, ist M. Chen.12 Aber weshalb und in wieweit diese gesellschaftspolitischen Ziele mit den von den Sozialzwecknormen zu unterscheidenden steuerrechtlichen Normkategorien im Zusammenhang stehen, ist laut M. Chen noch unklar.13 Eine zur steuerrechtlichen Literatur vergleichbare Situation besteht in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Justiz-Yuans, das bislang in keiner einzigen steuerrechtlichen Entscheidung die in Rede stehende Steuernorm wegen einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für verfassungswidrig erklärt hat.14 Dennoch existieren einige Entscheidungen des Verfassungsgerichts des ­Justiz-​Yuans, in denen eine Steuernorm für verfassungswidrig erklärt wurde, weil durch sie das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ausgehebelt werde, und die ohne seine explizite Nennung am Verhältnismäßigkeitsprinzip angeknüpft haben. Ein Beispiel dafür ist die Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701. Ihre Kernfrage ist, ob das Erfordernis, den Abzug von Krankheitskosten für die Langzeitpflege behinderter Menschen auf die im Einkommensteuergesetz vorgeschriebenen Ausgaben für Leistungserbringer zu beschränken, verfassungswidrig ist. Dazu stellt das Verfassungsgericht des Justiz-Yuans fest:15 „Art. 15 der Verfassung sieht vor, dass das Lebensrecht der Mitglieder des Volkes geschützt wird. Art. 155 der Verfassung sieht vor, dass ältere, schwache und behinderte Menschen, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen, und Opfer schwerer Katastrophen von der Regierung angemessen unterstützt und entlastet werden müssen. Die Regierung kann zahlreiche Hilfsmaßnahmen ergreifen, um das Überleben und das Leben der Menschen zu schützen. Hierzu zählen auch Steuervergünstigungen. Nach der streitigen Vorschrift dürfen von einem Steuerpflichtigen für pflegebedürftige Personen gezahlte Krankheitskosten nur dann in den Postenabzug einbezogen werden, wenn sie an die oben genannten Leistungserbringer16 gezahlt wurden. Werden die Kosten für andere rechtmäßige Gesundheitsleistungen an oben nicht aufgeführte Anbieter gezahlt, dürfen die Kosten dagegen nicht abgezogen werden. Allerdings fällt die Wahl für einen nicht aufgeführten Anbieter zumeist aufgrund der ungleichen Verteilung der medizinischen Ressourcen des Landes und aufgrund der Begrenzung der geografischen Verbreitung der oben genannten Gesundheitsdienstleister. Insofern verstößt die Vorschrift gegen das verfassungsrechtliche Gebot, 12

M. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 86. M. Chen, Allgemeines Steuerrecht, S. 86. 14 K.-C. Ko, Chung-Hsing University Law Review, Bd. 17 (2015), S. 31 (60). 15 Siehe Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701. 16 Die „oben genannten Leistungserbringer“ sind die staatlichen Krankenhäuser, die Vertragskrankenhäuser des Beamtenversicherungsplans, die Vertragskrankenhäuser des Arbeiterversicherungsplans und die Krankenhäuser mit ordnungsgemäßen, vom Finanzministerium zertifizierten Buchführungsunterlagen, siehe Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701. 13

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Einführung 

pflegebedürftigen Personen den gleichen Schutz des Lebensrechts zu gewähren. Daher sollte näher geprüft werden, ob die unterschiedlichen, in dieser Vorschrift vorgesehenen Maßnahmen gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Um mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz in Einklang zu stehen, muss nicht nur ein legitimer Zweck bestehen, sondern es muss auch ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der getroffenen differenzierenden Maßnahme und dem Zweck bestehen, den sie erreichen soll. […] Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Krankheitskosten von Pflegebedürftigen stellt eine Form des lebensnotwendigen Unterhalts dar. Sie sollten bei der Berechnung des zu versteuernden Nettoeinkommens abziehbar sein. Es sollte keinen Unterschied geben, nur weil sie an einen anderen rechtmäßigen Gesundheitsdienstleister als den oben genannten gezahlt wurden. Ob es sich um echte medizinische Kosten handelt, kann von den Finanzbehörden überprüft werden. Und aus diesen Überprüfungen sollten keine übermäßig belastenden Verwaltungskosten für die Erhebung abgeleitet werden. Deshalb ergibt sich der Vorteil für die Steuerdurchsetzung aus der Differenzierung der betreffenden Vorschrift, der zwar nicht signifikant ist, sich jedoch erheblich belastend auf das Lebensrecht von Pflegebedürftigen auswirkt. […] In Bezug auf die streitige Vorschrift über die Unterscheidung des aufgeschlüsselten Abzugs von Krankheitskosten für die Langzeitpflege bezüglich des oben genannten Gesundheitsdienstleisters und der anderen rechtmäßigen Gesundheitsdienstleister besteht kein bedeutsamer Zusammenhang zwischen den getroffenen differenzierenden Maßnahmen. Die Vorschrift steht somit im Widerspruch zum Gleichheitssatz in Art. 7 der Verfassung.“ Die juristischen Argumente der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701 lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen: Erstens sieht das Verfassungsgericht den Abzug der Krankheitskosten, die von einem Steuerpflichtigen für pflegebedürftige Verwandte, für die er unterhaltspflichtig ist, geltend gemacht werden, als Steuervergünstigung an. Zweitens verwendet das Verfassungsgericht den Gleichheitssatz als Prüfungsmaßstab, um die Frage zu beantworten, ob die zu prüfende Vorschrift das Lebensrecht verletzt. Zum ersten Punkt ist anzumerken, dass es fraglich ist, ob der Abzug für Aufwendungen von Krankheitskosten für pflegebedürftige Familienangehörige zu den Steuervergünstigungen zu zählen ist. Wenn der Steuerpflichtige seine eigenen Kosten der Pflegebedürftigkeit trägt, dann fallen sie nicht in den Bereich des verfügbaren persönlichen Einkommens, sondern in den Bereich des notwendigen Lebensunterhalts. Daher ist der Abzug der Krankheitskosten nicht im Rahmen von Steuervergünstigungen zu berücksichtigen. Nach derselben Logik sind Kosten der Pflege von Verwandten, für die eine Unterhaltspflicht seitens des Steuerpflichtigen besteht, als Minderung des persönlich verfügbaren Einkommens anzusehen und sind deshalb keine Steuervergünstigung.17

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K.-C. Ko, Chung-Hsing University Law Review, Bd. 17 (2015), S. 31 (61).

A. Problemstellung und Ziele der Untersuchung

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Zum zweiten Punkt weist der Verfassungsrichter H.-M. Chen in seinem abweichenden Sondervotum zur Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701 darauf hin, dass in diesem Fall der zutreffende Prüfungsmaßstab nicht der Gleichheitssatz, sondern das Verhältnismäßigkeitsprinzip sei. Denn es existiere ein theoretischer Widerspruch zwischen dem Gleichheitssatz als Prüfungsmaßstab und der angewandten Intensität der Kontrolldichte.18 Wenn die differenzierende Maßnahme eine personenbezogene Ungleichbehandlung sei, sollte laut H.-M. Chen eine intensivere Kontrolldichte über die Einführung des Gebots der Verhältnismäßigkeit vorherrschen. Wenn die differenzierende Maßnahme im Gegenteil dazu eine sachbezogene Ungleichbehandlung sei, sollte der Gesetzgeber einen großzügigeren Spielraum besitzen und bei der gerichtlichen Überprüfung eine reduzierte Kontrolldichte vorherrschen. Weil der Gesetzgeber zwischen abziehbaren und nicht abziehbaren Kosten nach dem Charakter der Krankenhäuser unterscheidet, sollte die Maßnahme im Einzelfall mit einer gelockerten Kontrolldichte überprüft werden, weil die Einstufung eines Krankenhauses immer nach sachbezogenen Kriterien erfolge, die von individuellen Merkmalen des jeweiligen Krankenhauses abhängen.19 Aus diesem Grund stellt H.-M. Chen fest, dass, wenn in diesem Fall der Gleichheitssatz als Prüfungsmaßstab herangezogen wird, keine Verfassungswidrigkeit der strittigen Vorschrift aufgrund der geringeren Kontrolldichte bei sachbezogenen Differenzierungen besteht. Der Auffassung H.-M. Chens nach kann eine Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift nur bei Rückgriff auf eine Prüfung einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorliegen, weil die streitige Vorschrift gegen zwei Subprinzipien des Verhältnismäßigkeitsprinzips, nämlich Erforderlichkeit und Angemessenheit, verstößt, wohingegen die Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701 einen Gleichheitsverstoß annimmt.20 Die Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 694 betrifft eine ähnliche Konstellation. Ihre Kernfrage ist, ob die Vorschriften des EStG Taiwans, nach denen nur Steuerpflichtige, die gegenüber Verwandten oder Familienangehörigen im Alter unter zwanzig oder über sechzig Jahren unterhaltspflichtig sind, berechtigt sind, eine Steuerbefreiung bei der Berechnung der Steuer zu beantragen, verfassungswidrig ist. Dort wird, wie in der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701, der Gleichheitssatz als Prüfungsmaßstab herangezogen, wobei das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass die jeweiligen Vorschriften des EStG verfassungswidrig sind. Das Abstellen auf den Gleichheitssatz ist auch hier mit dem Sondervotum zur Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 694 von H.-M. Chen zu bezweifeln.21 18 Sondervotum des Verfassungsrichters H.-M. Chen in der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701. 19 Sondervotum des Verfassungsrichters H.-M. Chen in der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701. 20 Sondervotum des Verfassungsrichters H.-M. Chen in der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701. 21 Sondervotum des Verfassungsrichters H.-M. Chen in der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 694.

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Einführung 

Die vorangegangenen Darstellungen werfen zwei verfassungsrechtliche Fragen in Hinsicht auf die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung auf. Erstens: Bei den Zweifeln, ob die Abzugsfähigkeit in Bezug auf die Krankheitskosten für pflegebedürftige Personen eine Steuervergünstigung ist, handelt es sich um einen Ausdruck wesentlicher Bedenken der Verfassungsgerichtsbarkeit, ob es verschiedene Normkategorien im Steuerrecht gibt, und, wenn ja, wie diese unterschiedlichen steuerrechtlichen Normkategorien voneinander abzugrenzen sind. Zweitens: Die Kritik aus den Sondervoten H.-M. Chens zu den Interpretationen des Justiz-Yuans Nr. 694 und Nr. 701, die da lautet, dass der Gleichheitssatz kein zutreffender Prüfungsmaßstab sei, wenn die differenzierende Maßnahme eine sachbezogene Ungleichbehandlung ist,22 wirft die Frage auf, welches Prüfungsinstrument entsprechend der jeweiligen steuerrechtlichen Normkategorie statt dessen anzuwenden ist. Diese beiden Fragen leiten zur Kernfrage der vorliegenden Untersuchung über, ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip Kontrollmaßstab im Steuerrecht für die Gesetzgebung ist.

B. Gang der Untersuchung Sowohl in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Justiz-Yuans als auch in der taiwanischen steuerwissenschaftlichen Literatur lassen sich kaum „Wegweiser“ finden, die für die beiden vorangegangen aufgeworfenen Fragen zuverlässige Lösungen bieten, und um die Kernfrage der Untersuchung, ob und in welchem Umfang das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Steuerrecht eine wesentliche Rolle spielt, zu klären. Um den verfassungsrechtlichen „Kompass“ zur Anwendbarkeit des Prinzips der Verhältnismäßigkeit in der Besteuerung für Taiwan zu kalibrieren, wird eine Untersuchung der deutschen verfassungsrechts- und steuerrechtswissenschaftlichen Diskussion über das Verhältnismäßigkeitsprinzip durchgeführt und als Vorbild der Rechtsrezeption für Taiwan herangezogen. Dies bietet sich an, da es allgemein anerkannt ist, dass die deutsche Rechtslehre und Rechtsprechung von der taiwanischen Verfassungsrechts- und Steuerrechtswissenschaft als Referenz genutzt werden.23 Die Untersuchung wird anhand der folgenden Schritte durchgeführt: Im ersten Kapitel wird die Beziehung zwischen dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und den Steuergesetzen herausgearbeitet. Dabei werden zunächst die Entwicklung und der Inhalt des Verhältnismäßigkeitsprinzips dargestellt. Anschlie 22 Siehe Sondervoten des Verfassungsrichters H.-M. Chen in den Interpretationen des Justiz-Yuans Nr. 694 und Nr. 701. 23 Vgl. S.-P. Hwang, in: Starck / Heun / Tsai, S.  127 (128).

B. Gang der Untersuchung

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ßend wird die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung, vor allem die Anwendungsschwierigkeiten bei Fiskalzwecknormen, diskutiert. Um die mögliche Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegenüber den anderen Steuernormen, die nicht zu den Fiskalzwecknormen gehören, zu untersuchen, werden die unterschiedlichen steuerrechtlichen Normkategorien und ihre Kriterien für die Einordnung einzelner Normen betrachtet. Ab dem zweiten Kapitel stellt sich in jedem der folgenden vier Kapitel die Frage, ob die Verhältnismäßigkeitserfordernisse den vier unterschiedlichen steuerrechtlichen Normkategorien Grenzen setzen können. Zunächst wird im zweiten Kapitel die Möglichkeit der Begrenzung von Fiskalzwecknormen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip erörtert. Hier wird diskutiert, ob die Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff eingreift. In diesem Zusammenhang wird der Sonderfall der Zwecksteuern beleuchtet. Im dritten Kapitel wird analysiert, wie die Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf die Verhaltenslenkung wirkt. Die Schlüsselfrage besteht hier darin, ob der Anreiz zur Verhaltensbeeinflussung einer steuerlichen Lenkungsnorm die Eingriffsschwelle überscheitet. Im vierten Kapitel wird die Problematik auf den Bereich der Vereinfachungszwecknormen übertragen. Insbesondere wird auf die überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze als aktuelles Kernproblem der Verhältnismäßigkeit der Vereinfachungszwecknormen eingegangen. Dabei wird das Verhältnis zwischen Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeitsprinzip erläutert. Im fünften Kapitel wird anfangs der Begriff steuerlicher Umverteilungsnormen untersucht. Danach wird die Beziehung zwischen dem Sozialstaatsprinzip, dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen der Umverteilungsnormen, vor allem des progressiven Steuertarifs, erörtert. Im sechsten Kapitel wird herausgearbeitet, wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen von Ungleichbehandlungen wirkt. Für die Frage, inwieweit die freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitserfordernisse im Anwendungsbereich des Gleichheitssatzes herangezogen werden können, kommt es darauf an, durch welche Differenzierungskriterien die Kontrolldichte des Gleichheitssatzes bestimmt wird. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, ob hierzu die Trennung von internen und externen Zwecken im Steuerrecht herangezogen werden kann. Im siebten Kapitel wird schließlich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beim Steuervollzug untersucht. Denn beim Steuervollzug ist es nicht der Fall, dass gravierend wirkende Vollzugsmaßnahmen umso eher zulässig sind, je höher die staatlicherseits zu erwartenden Steuerforderungen ausfallen. Deshalb ist die Zulässigkeit einer Vollzugsmaßnahme unabhängig von der Höhe der Steuerforderung, und es stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Verhältnis­ mäßigkeitsprüfung beim Steuervollzug erfolgen soll.

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Einführung 

C. Terminologie Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird teilweise auch als „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“24 oder „Übermaßverbot“25 bezeichnet. Bevor die eigentliche Untersuchung beginnt, bedarf es noch einiger Worte zur Terminologie. Während in der Literatur der Begriff „Verhältnismäßigkeit“ nicht einheitlich benutzt wird, gebraucht das BVerfG diesen Begriff zur Beschreibung der Zweck-Mittel-Rationalität,26 wobei es zuweilen die Begriffe „Übermaß“ bzw. „übermäßig“ zur Kennzeichnung des Subprinzips der Angemessenheit einsetzt.27 Allerdings verwendet das BVerfG den Begriff des Übermaßverbotes durchaus auch als Oberbezeichnung.28 Da die unterschiedlichen Begriffe die bezeichnete Sache, für sich genommen, sprachlich treffend erfassen und das Verständnis nicht erschweren, ist dies unschädlich. Um allerdings Verwirrung bezüglich der uneinheitlichen Terminologie zu vermeiden, wird in dieser Untersuchung – mit Ausnahme wörtlicher Zitate – „Verhältnismäßigkeitsprinzip“ als Oberbegriff für die Anforderungen der Zweck-Mittel-Relation staatlichen Handelns gewählt.29

D. Die Zitierweise taiwanischer Rechtsprechung und Literatur Die in dieser Untersuchung zitierte taiwanische Rechtsprechung und Literatur wurde ursprünglich in chinesischer Sprache verfasst. Sie wurden vom Verfasser dieser Untersuchung frei ins Deutsche übersetzt. Die Namen der Autoren der für den deutschen Leser in der Regel nicht verfügbaren taiwanischen chinesischsprachigen Literatur werden in dieser Untersuchung in der transkribierten Schreibweise wiedergegeben und finden sich im Literaturverzeichnis in der originalen Schreibweise. Die Titelangaben dieser Werke sind freie Übersetzungen aus dem Chinesischen, wenn der Originaltitel nicht zusätzlich mit englischem Titel vorliegt. Bei den freien Übersetzungen findet sich der Originaltitel als Ergänzung im Literaturverzeichnis. 24

Beispielsweise Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff.; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 25 Beispielsweise Kloepfer, Verfassungsrecht  I, § 10 Rn. 199; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht; Remmert, Grundlage des Übermaßverbotes; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 762 ff.; Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 ff. 26 Vgl. z. B. BVerfGE 19, 330 (337); 21, 150 (155); 26, 215 (228); 27, 211 (219); 27, 344 (352); 28, 264 (280); 30, 292 (316). 27 Vgl. z. B. BVerfGE 14, 19 (22); 15, 226 (234); 17, 306 (314); 18, 353 (362). Siehe auch Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 (570). 28 So z. B. BVerfGE 16, 194 (202). Siehe auch Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 (415). 29 Über die terminologische Verwirrung: Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 5 f.; Heintzen, DVBl. 2004, S. 721; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 15 ff.; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 8 ff.; Remmert, Grundlage des Übermaßverbotes, S. 1 ff.

1. Kapitel

Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze A. Die Ausgangslage Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt vielen als eine der höchsten und wertvollsten Errungenschaften des deutschen öffentlichen Rechts.1 In Deutschland hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip erstmals seinen Ausdruck in § 10 II 17 ALR gefunden2 und spielte bis Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts vornehmlich im Verwaltungs- und dort besonders im Polizeirecht eine Rolle.3 Seit den fünfziger Jahren hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Praxis des BVerfG unter den Schranken, die der Beschränkung der Grundrechte gezogen sind, eine beherrschende Stellung für die Kontrolle der öffentlichen Gewalt am Maßstab der Grundrechte gewonnen.4 Mit dieser Ausweitung der Anwendung hat das Prinzip die Grenze eines Maßstabs für die Eingriffsverwaltung längst überschritten: Es gilt heute als die übergreifende Leitregel für alle staatliche Maßnahmen.5 Bei allen Eingriffen ist die Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck zu beachten.6 Das Prinzip verlangt, dass jedes staatliche Eingriffshandeln einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.7 Die steuerlichen Eingriffe dürften heutzutage in der Regel für den Bürger zu den belastendsten staatlichen Eingriffe zählen. Dann sollten die steuerlichen Eingriffe auch am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips überprüft werden können. Es scheint aber paradoxerweise so zu sein, dass ausgerechnet bei Steuerzugriffen die 1

Kunig, in: Kunig / Nagata, 2006, S. 169. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 145; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 766. § 10 II 17 ALR lautet: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ 3 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445. 4 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445; Badura, Staatsrecht, C Rn. 28. Siehe auch Baer, in: FS Battis, S. 117 (119): „Dazu kommen die selteneren Fälle, in denen die Verhältnismäßigkeit deshalb keine Rolle spielt, weil es um Grundrechte geht, die keinerlei Relativierung, Abwägung oder andere Überlegung der Zweck-Mittel-Rationalität zulassen. Das gilt für das in Deutschland verfassungsrechtlich statuierte Verbot der Todesstrafe.“ 5 Schmidt-Aßmann, in: Isensee / K irchhof, HdbStR II, 3. Aufl., § 26 Rn. 87. A. A. Forsthoff, Der Staat, S. 138 ff. 6 BVerfGE 16, 194 (201 f.); vgl. Hillgruber, in: Isensee / K irchhof, HdbStR IX, 3. Aufl., § 201 Rn. 51. 7 BVerfGE 118, 168 (193). 2

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

herrschende Meinung8 die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgebots ablehnt.9 Um die Hauptfrage dieser Untersuchung, ob und inwieweit die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung gelten, zu beantworten, wird zunächst die Entwicklung und der Inhalt des Verhältnismäßigkeitsprinzips kurz vorgestellt (dazu unten B.). Danach wird ergründet, wo die Schwierigkeiten bei der Übertragung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf das Steuerrecht liegen (dazu unten C.).

B. Allgemeine Bestandsaufnahme I. Die Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Die Wurzeln des Verhältnismäßigkeitsprinzips kann man bis in die antiken Gerechtigkeitslehren zurückverfolgen, und bereits im römischen Recht fand das Prinzip positiv-rechtlichen Niederschlag.10 Die Ausformulierung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erschien zuerst in Rechtstexten des Strafrechts, und schon in der Magna Charta von 1215 wurde allen freien Bürgern der Schutz vor unverhältnismäßiger Bestrafung zugesichert.11 Das Gebot verhältnismäßiger Strafe fand erstmals in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, welche später der Französischen Verfassung vorangestellt wurde, eine Verankerung in einem Verfassungstext.12 In Preußen sah Carl Gottlieb Svarez schon in dieser Zeit das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht nur als den Hauptgrundsatz des allgemeinen Staatsrechts, sondern zugleich als ersten Grundsatz des Polizeirechts an,13 wonach der Staat „die natürliche Freiheit seiner Untertanen nur soweit einschränken [darf], als es notwendig ist, um die Sicherheit und Freiheit aller zu schützen und aufrechtzuerhalten.“14 Als einer der Verfasser des ALR vermochte er diesen Gedanken insbesondere in § 10 II 17 für das Polizeirecht festzuschreiben, in dem die Polizei darauf beschränkt wird, „die nöthigen Anstalten“ zu treffen.15 Diese Eingriffsbegrenzung wurde später durch die Rechtsprechung, vor allem des preußischen und sächsischen Oberverwaltungsgerichts, kasuistisch weitergebildet, wodurch die Polizeigewalt dadurch allmählich beschränkt wurde.16 Die Gedanken des Verhältnismäßigkeitsprinzips 8 Badura, Eigentum, S. 31 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187 ff.; Isensee, in: FS H. P. Ipsen, S. 409 (434); Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 74 ff.; Selmer, AöR 101 (1976), S. 399 (410). 9 Elicker, DVBl. 2006, S. 480. 10 Merten, in: Merten / Papier, HGR III, § 68 Rn. 6; Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / ​ Starck, GG II, Art. 20 Abs. 3 Rn. 309; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 765 f. 11 Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 20 Abs. 3 Rn. 309. 12 Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 20 Abs. 3 Rn. 309. 13 Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 766. 14 Svarez, Vorträge über Recht und Staat, S. 9 f. 15 Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 766. 16 Heintzen, Il principio di proporzionalità, S. 13; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 766.

B. Allgemeine Bestandsaufnahme 

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wurden auch im preußischen Polizeiverwaltungsgesetz von 1931, anknüpfend an § 10 II 17 ALR, statuiert, namentlich in § 41 Abs. 2 für die polizeilichen Verfügungen.17 Somit werden die Ursprünge des Verhältnismäßigkeitsprinzips allgemein im preußischen Polizeirecht gesehen.18 Heute ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip in allen deutschen Polizeigesetzen, also im einfachen Recht, enthalten. Beispielhaft lautet § 11 ASOG Bln: „(1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen haben die Ordnungsbehörden und die Polizei diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.“19

In den Polizeigesetzen meint der Begriff „Polizei“ nicht die Strafverfolgung und auch nicht nur das Handeln des einzelnen Bediensteten der Polizei, sondern vielmehr die allgemeine Ordnungsverwaltung, nämlich Eingriffsverwaltung in weiteren Sinne, auch solche, die ihre Rechtsgrundlagen in anderen Gesetzen als den Polizeigesetzen findet.20 Daher sind, so Kunig, die Polizeigesetze maßgebend für einen erheblichen Anteil des Verwaltungshandelns.21 Seinen nächsten Entwicklungsschritt verdankt das Prinzip, vom Leitprinzip des Verwaltungsrechts hin zum Verfassungsrecht, also einer ausschließlichen Bindung der Verwaltung hin zu einer Bindung auch des Gesetzgebers, dem BVerfG.22 Obwohl im Grundgesetz auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht explizit hingewiesen wird, sind die Grundrechte des Grundgesetzes gemäß Art. 1 Abs. 3 GG 17 § 41 Abs. 2 des preußischen Polizeigesetzes von 1931 lautet: „Kommen zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur wirksamen Abwehr einer polizeilichen Gefahr mehrere Mittel in Frage, so genügt es, wenn die Polizeibehörde eines dieser Mittel bestimmt. Dabei ist tunlichst das den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein von ihm angebotenes anderes Mittel anzuwenden, durch das die Gefahr ebenso wirksam abgewehrt wird. Der Antrag kann nur bis zum Ablauf der Frist für die Erhebung der Klage im Verwaltungsstreitverfahren gestellt werden.“ 18 Heintzen, Annales de la Faculté de Droit d’Istanbul, Bd. 43 (2011), S. 47 (52). 19 Siehe auch Art. 8 BayLStVG: „(1) Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen ist diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. (2) Ein durch die Maßnahme zu erwartender Schaden darf nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen. (3) Maßnahmen sind zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, daß er nicht erreicht werden kann.“ 20 Kunig, in: Kunig / Nagata, 2006, S. 169 (172). 21 Kunig, in: Kunig / Nagata, 2006, S. 169 (172). 22 Heintzen, Il principio di proporzionalità, S. 15.

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

unmittelbar geltendes und auch den Gesetzgeber verpflichtendes Recht sowie vor dem BVerfG einklagbar.23 Um grundrechtliche Freiheiten trotz gesetzlicher Einschränkungsbefugnisse vor einem faktischen Leerlaufen zu schützen, entwickelte das BVerfG das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu einzelnen Grundrechten als Schranken-Schranke. Damit ist laut Schlink die Rechtsprechung des BVerfG zu den Grundrechten durch und durch Verhältnismäßigkeitsrechtsprechung.24 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip „im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffent­ lichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“25 Das heißt, dass der Bürger jedenfalls vor unnötigen staatlichen Eingriffen in seine Freiheitssphäre bewahrt werden muss.26 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wurde nicht nur nach dem Apotheken-Urteil des BVerfG zur allgemeinen Schranken-Schranke für gesetzliche Grundrechtsein­ griffe; sondern es wurde in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vom ersten Senat des BVerfG in der Dimension der gleichheitsrechtlichen Dogmatik entscheidend fortentwickelt und ergänzt.27 Das Prinzip wurde als Maßstab für Gleichheitsgrundrechte eingeführt, indem das BVerfG mit der sog. „neuen Formel“ fragt, ob Ungleichbehandlungen im Hinblick auf das vom Gesetzgeber damit verfolgte Ziel geeignet, erforderlich und angemessen sind.28 Nach der Ansicht Paul  Kirchhofs wird der Leitgedanke ausgestalteter Freiheit und Gleichheit in der Verfassungspraxis nicht nur in einem freiheitsrechtlichen, sondern auch in einem gleichheitsrechtlichen Kontext mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zusammengeführt; das Gebot der Verhältnismäßigkeit pflege dann eine „Kultur der Rechtsfertigungsbedürftigkeit“.29

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Heintzen, Il principio di proporzionalità, S. 15. Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 445. 25 BVerfGE 19, 342 (348 f.); 43, 101 (106); 76, 1 (50 f.). 26 Hillgruber, in: Isensee / K irchhof, HdbStR IX, 3. Aufl., § 201 Rn. 51. 27 Erstmals BVerfG-Beschluss vom 7. Oktober 1980, BVerfGE 55, 72 (88): „Diese Verfassungsnorm gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“ Seitdem ist dies ständige Rechtsprechung des Ersten Senats; siehe etwa BVerfGE 74, 9 (24); 82, 126 (146); 84, 133 (157); 84, 197 (199); 84, 348 (359); 85, 191 (210); 85, 238 (244); 85, 360 (383); 87, 1 (36); 87, 234 (255); 88, 5 (12); 88, 87 (96); 95, 39 (45). 28 Heintzen, Il principio di proporzionalità, S. 15. 29 P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HdbStR XII, 3. Aufl., § 273 Rn. 75; Barak, in: Rosenfeld / Sajó, S. 738 (749). Vgl. auch Baer, in: FS Battis, S. 117 (124). 24

B. Allgemeine Bestandsaufnahme 

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II. Der Inhalt des Verhältnismäßigkeitsprinzips Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist ein Sammelbegriff und stufenweise zu prüfen, wobei aus logischen Gründen eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten ist.30 Wie oben bereits erwähnt, muss es bei allem staatlichen Handeln beachtet werden. Das heißt, dass alle Maßnahmen des Staates „unter Einsatz der ihm zur Ver­fügung stehenden Instrumente, also beispielsweise dem Erlass eines Gesetzes, eines Verwaltungsakts, als eine an den Bürger gerichtete, ihm auferlegte Verpflichtungsregelung, oder auch dem Realakt der Verwaltung, wie etwa tatsächliches Handeln eines Polizisten oder auch die Warnung einer Behörde davor, bestimmte gesundheitsgefährdende Produkte zu verwenden“,31 nur so weit gehen dürfen, als sie zur Erreichung eines legitimen Zweckes geeignet, erforderlich und angemessen sind. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt normalerweise in vier32 oder sogar nur drei33 Prüfungsschritten. Dennoch kann man die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die von Rechtsprechung34 und Literatur35 durchgeführt wird, in fünf Schritte gliedern: (1) Legitimer Zweck; (2) legitimes Mittel; (3) Geeignetheit des Mittels; (4) Erforderlichkeit des Mittels; (5) Angemessenheit. 1. Legitimer Zweck Die erste Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung betrifft die Frage, ob der staatliche Eingriff einen legitimen Zweck verfolgt. Dieser Schritt besteht aus zwei Teilsstufen:36 Erstens ist der Zweck zu identifizieren und zu benennen. Zweitens 30 Kunig, in: Kunig / Nagata, 2006, S. 169 (170); Merten, in: Merten / Papier, HGR III, § 68 Rn. 51. Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 ff. 31 Kunig, in: Kunig / Nagata, 2006, S. 169 (170). 32 So z. B. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 230 ff.; Epping, Grundrechte, Rn. 49 ff.; Gusy, Polizeirecht, Rn. 397 ff.; Hufen, Staatsrecht II, § 9 Rn. 15. Zu dieser Zahl und zu alternativen Konstruktionsweisen siehe Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 330. 33 So z. B. Arndt / Rudolf, Öffentliches Recht, Rn. 128; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 419; Kluth, JA 1999, S. 606 (609 ff.); Kunig, in: Kunig / Nagata, 2006, S. 169 (170). Dazu schreibt Kunig: „Bevor die drei Prüfschritte unternommen werden können, ist allerdings gedanklich noch eine weitere Operation nötig […]: Es muss gefragt werden, welches Ziel, welchen Zweck das auf dem Prüfstand der Verhältnismäßigkeit stehende Handeln jeweils verfolgt, denn sowohl die Geeignetheit wie auch die Erforderlichkeit und schließlich die Zumutbarkeit eines staatlichen Handelns kann nur im Hinblick auf dessen Zwecksetzung beurteilt werden.“ Ähnlich auch Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 17; Ossenbühl, Jura  1997, S. 617 (618 ff.); Voßkuhle, JuS 2007, S. 429 (430). 34 BVerfGE 120, 274 (318 f.); 118, 168 (193): „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als [legitimes] Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.“ 35 Heintzen, Il principio di proporzionalità, S. 21 f.; Klatt / Meister, JuS 2014, S. 193 (194 ff.); Schlink, in: Rosenfeld / Sajó, S. 718 (722 ff.); Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (149 ff.). Ähnlich auch Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 611 ff. Vgl. auch Merten, in: Merten / Papier, HGR III, § 68 Rn. 52 ff. 36 Klatt / Meister, JuS 2014, S. 193 (194); Voßkuhle, JuS 2007, S. 429 (430).

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

ist eine Bewertung anhand der Frage durchzuführen, ob dieser Zweck rechtlich legitim und damit zulässig ist. Ohne die präzise Benennung aller relevanten Zwecke kann die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht fortgeführt werden. Daher muss am Anfang der Prüfung eine vollständige Erfassung der verfolgten Zwecke stehen.37 Der Zweck des Mittels ist objektiv zu bestimmen und durch Auslegung der jeweils der staatlichen Maßnahme zugrundeliegenden Rechtsnorm nach ihrem Wortlaut, ihrer Systematik, ihrer Historie sowie ihrem Ziel zu ermitteln. Alle denkbaren Rechtfertigungsgründe sind deshalb in Betracht zu ziehen. Der gesetzgeberische Wille und der explizit geregelte Gesetzeszweck sind zwar Ausgangsund Anhaltspunkt, die nicht vom Gesetzgeber bedachten Rechtfertigungsgründe können aber auch zur Begründung eines legitimen Zwecks in Betracht kommen.38 Häufig werden es mehrere Zwecke sein, denen eine Maßnahme dient.39 Im Laufe des Herausarbeitens des Zwecks ist danach zu fragen, ob jeder dieser Zwecke den Eingriff zu rechtfertigen imstande ist. Die Voraussetzung eines rechtmäßigen Zwecks begrenzt dabei den Gesetzgeber weniger als die Verwaltung und Rechtsprechung.40 Im weiten verfassungsrechtlichen Rahmen hat der Gesetzgeber die Freiheit der Zweckwahl. Demgegenüber sind die verfolgten Zwecke durch die gesetzlich bestimmten Aufgaben für die Verwaltung vorbestimmt; die Rechtsprechung ist noch enger darauf verpflichtet, dass sie für den jeweils vorgegebenen Fall aus dem vorgegebenen Recht eine Lösung zu finden hat.41 Aufgrund der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers einerseits und der Bindung der Verwaltung sowie Rechtsprechung andererseits kann die Rechtmäßigkeit der Zweckverfolgung beim Gesetzgeber vermutet werden, solange die Rechtswidrigkeit nicht aus den Normen des Grundgesetzes selbst begründet werden kann; bei Verwaltung und Rechtsprechung muss die Recht­ mäßigkeit hingegen begründet werden.42 2. Legitimes Mittel Die Legitimität des Mittels muss isoliert geprüft werden. Das bedeutet, dass das tatsächlich eingesetzte Mittel so wie vorangegangen der Zweck präzise zu benen­nen und anschließend rechtlich zu bewerten ist.43 Denn wenn der vom Staat verfolgte Zweck rechtlich legitim ist, muss das gewählte Mittel als solches auch

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Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 617. Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 614. 39 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 617. 40 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 450. 41 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 450. 42 Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, S. 450. 43 Klatt / Meister, JuS 2014, S. 193 (195). Vgl. auch Heintzen, Il principio di proporzionalità, S. 22; Schlink, in: Rosenfeld / Sajó, S. 718 (722); Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (150). 38

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vom Staat eingesetzt werden dürfen.44 Dies gilt für alle staatlichen Gewalten, insbesondere für die Eingriffsverwaltung und den eingreifenden oder die Verwaltung zu Eingriffen ermächtigenden Gesetzgeber. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur an die Verfassung gebunden ist, wohingegen sich Verwaltung und Rechtsprechung nur der ihnen nach Gesetz und Recht vorgegebenen Instrumente bedienen dürfen.45 Obwohl die Legitimität des Mittels in der Regel zu bejahen sein dürfte, kann in Einzelfällen ein Mittel per se unzulässig sein.46 Beispielsweise ist das Mittel der Zensur als Eingriff in die Pressefreiheit durch Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG verboten, sodass eine Rechtfertigung eines solchen Mittels von vornherein ausscheidet.47 Allerdings kann ein verfassungsillegitimes Mittel auch den vom Staat verfolgten Zweck erreichen. Im Grundgesetz gilt dies für die Abschaffung der Todesstrafe (Art. 102 GG), das Verbot, festgehaltene Personen seelisch oder körperlich zu misshandeln (Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG), sowie das an die Polizei gerichtete Verbot, aus eigener Machtvollkommenheit jemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam zu halten.48 Ansonsten ver­bietet das Grundgesetz, wie schon ausgeführt, das Mittel der Zensur als Eingriff in die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG) oder die Einrichtung von Vorschulen (Art. 7 Abs. 6 GG), sodass eine Rechtsfertigung eines solche Mittels gegenüber den entsprechenden Freiheiten schon von vornherein ausscheidet.49 Die beiden oben genannten Schritte, nämlich die Punkte 1 und 2, werden von einigen Vertretern des Schrifttums50 als Voraussetzung oder Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung gesehen. Sie gehören nicht zur eigentlichen Prüfungsreihenfolge der Verhältnismäßigkeit, sondern besitzen eine „Filterfunktion“ für die folgende Geeignetheitskontrolle.51 Heintzen weist darauf hin,52 dass dies unschädlich sei, weil beide Punkte auf Rechtsnormen außerhalb des Verhältnismäßigkeitsprinzips verweisen, die Zwecke oder Mittel verbieten und dies unabhängig vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

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Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (150). Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 331; Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (150). 46 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 613. 47 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 613. 48 Merten, in: Merten / Papier, HGR III, § 68 Rn. 55. 49 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 613. 50 Beispielsweise Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 60; Ossenbühl, Jura 1997, S. 617 (618); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 149; Sodan, in: Sodan, Grundgesetz, Vorbem. Art. 1 Rn 62; Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG II, Art. 20 Abs. 3 Rn. 314; Voßkuhle, JuS 2007, S. 429 (430). 51 Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 777. Vgl. auch Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 79. 52 Heintzen, Il principio di proporzionalità, S. 22. 45

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

3. Geeignetheit Mit dem Kriterium der Geeignetheit53 des Mittels zur Zielerreichung54 beginnt die eigentliche Verhältnismäßigkeitsprüfung.55 Geeignetheit oder Eignung bedeutet, dass eine Maßnahme zur Erreichung oder Förderung des bestimmten Zwecks in irgendeiner Weise dienlich ist. Ein vom Staat eingesetztes Mittel ist dann im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, wenn mit seiner Hilfe der Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.56 Nicht geprüft wird dagegen, ob das benutzte Mittel das bestmögliche ist57 und ob es in jedem Einzelfall Wirkung entfaltet.58 Überdies hat das BVerfG dem Gesetzgeber vor allem im Rahmen von wirtschaftlichen oder sozialen Lenkungsentscheidungen einen weiten, gerichtlich nur in begrenztem Umfang nachprüfbaren Pro­ gnosespielraum bzw. eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Ungewissheit über die Auswirkungen eines Gesetzes eingeräumt59 und festgestellt, dass das vom Gesetzgeber angewandte Mittel nur dann nicht geeignet und daher unverhältnismäßig ist, wenn es „objektiv untauglich“60, „objektiv ungeeignet“61 oder „schlechthin ungeeignet“62 sei.63 Daher gibt es in der Rechtsprechung nur äußerst selten Fälle, in denen staatliche Maßnahmen an der Geeignetheitsprüfung scheitern.64 4. Erforderlichkeit Erweist sich das eingesetzte Mittel als zur Zweckerreichung geeignet, so folgt nunmehr die Prüfung seiner Erforderlichkeit.65 Denn nur was geeignet ist, kann auch erforderlich sein.66 Ein Mittel ist erforderlich, wenn es kein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel gibt.67 In der Prüfung der Erforderlichkeit ist dann zweierlei nötig, nämlich (1) ob es mindestens ein weiteres milderes alternatives Mittel gibt und (2) ob das 53

Synonym werden verwendet: Eignung, Tauglichkeit. In dem Zusammenhang der Zweck-Mittel-Relation meinen die Wörter Zweck, Ziel und Erfolg dasselbe. 55 Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (150). Vgl. auch Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 618. 56 BVerfGE 115, 276 (308). 57 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 84; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 150. 58 BVerfGE 65, 157 (175). 59 Vgl. BVerfGE 90, 145 (173); 110, 141 (157). 60 BVerfGE 16, 147 (181). 61 BVerfGE 17, 306 (317). 62 BVerfGE 19, 119 (127); 73, 301 (317). 63 Hufen, Staatsrecht  II, § 9 Rn. 20; Sodan, in: Sodan / Ziekow, § 24 Rn. 39; Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (150). 64 Beispielweise BVerfGE 17, 306 ff.; 19, 330 ff.; 55, 159 ff. 65 Synonym wird verwendet: Notwendigkeit. 66 Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 339; Sodan, in: Sodan / Ziekow, § 24 Rn. 41. 67 BVerfGE 30, 292 (316). 54

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mildere alternative Mittel auch mindestens genauso wirksam oder effektiv wie das vom Staat verwendete Mittel ist.68 Ein milderes alternatives Mittel liegt vor, wenn es das betroffene Grundrecht weniger stark belastet als das tatsächlich eingesetzte Mittel.69 Ein solches milderes Alternativmittel kann im Ergebnis die Erforderlichkeit eines Eingriffs widerlegen, wenn es ebenso wirksam oder effektiv ist.70 Im Rahmen der Kontrolle von Gesetzen sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit auch solche Mittel einzubeziehen, die nicht Teil der Erwägungen des Gesetzgebers waren. Bei der Kontrolle der Maßnahmen der Exekutive ist die Prüfung hingegen auf diejenigen der Verwaltung durch die Gesetze zur Verfügung gestellten Instrumente beschränkt.71 Bei der zweiten im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit zu untersuchender Fragestellung sind gegebenenfalls alle relevanten Zwecke zu erörtern. Wenn ein einfachgesetztes Mittel, welches mehrere Zwecke verfolgt, wegen einzelner Zwecke nicht erforderlich ist, so scheitert es nicht schon bei der Erforderlichkeitsprüfung. Der verworfene Zweck wird dann nur nicht bei der Prüfung der Angemessenheit berücksichtigt.72 Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung setzt sich der weite legislative Prognose- und Einschätzungsspielraum fort. Das heißt, dass es dem Gesetzgeber grundsätzlich zuzubilligen ist, das legitime Zwecke verfolgende Mittel frei zu wählen, mit dem diese Zwecke am besten oder wahrscheinlichsten erreicht werden können.73 Die Erforderlichkeitsprüfung muss, worauf Michael und Morlok richtig hinweisen, den Effektivitätsstandard staatlichen Handels zugrunde legen und darf ihn nicht durch eine Gesamtabwägung, ähnlich der folgenden Angemessenheitsprüfung, relativieren, weshalb ein Mittel, das zwar wesentlich weniger in Grundrechte eingreifen würde, aber nur einen der verfolgten Zwecke nicht in gleichem Maß erreichen würde, die Erforderlichkeit eines Eingriffs nicht widerlegen kann.74 Eine staatliche Maßnahme kann nur dann auf der Stufe der Erforderlichkeit für unzulässig erklärt werden, wenn die sachliche Gleichwertigkeit zur Zweck­erreichung bei dem als Alternative vorgeschlagenen geringeren Eingriff in jeder Hinsicht eindeutig feststeht.75

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Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (151). Vgl. auch Kluth, JA 1999, S. 606 (609). Wienbracke, ZJS 2013, S. 148 (151). 70 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 620. Nach Michael und Morlok ist es ausreichend, dass ein Mittel statt in ein spezielles Freiheitsrecht „nur“ in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) eingreift; siehe Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 620. 71 Kluth, JA 1999, S. 606 (609). 72 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 621. 73 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 621. 74 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 622. 75 BVerfGE 30, 292 (319); 81, 70 (91); 126, 331 (362). 69

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

5. Angemessenheit Wenn festgestellt wurde, dass das gewählte Mittel zur Zweckverwirklichung geeignet und erforderlich ist, so folgt auf der letzten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Beurteilung der Angemessenheit.76 Hier geht es um die Frage, ob Zweck und Mittel in einer vernünftigen Relation stehen. Eine solche liegt nur vor, wenn der Nutzen des sich als geeignet und erforderlich in dem vorher beschriebenen Sinne darstellenden Eingriffs für den Staat nicht außer Verhältnis zu der Belastung für den Bürger steht bzw. – positiv formuliert – die Schwere des Eingriffs in einem proportionalen Verhältnis zu dem Gewicht der durch die Maßnahme geförderten Gemeinwohlbelange steht.77 Um eine angemessene Relation zu finden, findet eine Abwägung zwischen Mittel und Zwecken statt. Die Abwägung folgt einer Grundidee: „Je intensiver der Eingriff in das Grundrecht ist, desto höher sind die Anforderungen an die Wichtigkeit des verfolgten Zwecks.“78 Aus diesem Grund besteht die Abwägung aus drei Schritten:79 Erstens werden Mittel und Zwecke jeweils abstrakt nach normativen Kategorien geordnet und bewertet. Zweitens sind Mittel und Zwecke jeweils konkret zu bewerten. Und drittens ist schließlich festzustellen, ob die Wichtigkeit des Zwecks die Intensität des Eingriffs rechtfertigt. In dem ersten Schritt entsteht eine dreistufige Skala mit den Stufen „leicht“, „mittel“ und „schwer“, um die Intensität des Eingriffs und die Wichtigkeit des Zwecks zu gewichten. Hinsichtlich der Zuordnung des Eingriffs zu einer dieser Stufen kann auf die Schutzbereichsprüfung zurückgegriffen werden, d. h. eine gewisse Abstufung ergibt sich aus der Zuordnung zu verschiedenen Schutzberei­chen des Grundrechtsschutzes.80 Die schwächste abstrakte Wertigkeit hat die allgemeine Handlungsfreiheit. Stärker sind die mit qualifizierten Gesetzesvorbehalten versehenen Grundrechte geschützt. Am höchsten sind die vorbehaltlosen Grundrechte geschützt.81 Die Zwecke lassen sich ebenso normativ abstrakt bewerten. Laut Michael sollte hinsichtlich der Zwecke herausgearbeitet werden, wie wichtig ihre Erreichung jeweils für die Gemeinschaftsgüter ist, und darauf verwiesen werden, ob und in welchen Umfang sie gegebenenfalls ihrerseits verfassungsrechtlich geschützt werden.82

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Alternativ wird auch von Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, Proportionalität oder Zumutbarkeit gesprochen. 77 Merten, in: Merten / Papier, HGR III, § 68 Rn. 71; Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / ​ Starck, GG II, Art. 20 Abs. 3 Rn. 314. 78 Klatt / Meister, JuS 2014, S. 193 (196). 79 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 623 ff. 80 Michael, JuS 2001, S. 654 (659). 81 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 624. 82 Michael, JuS 2001, S. 654 (659).

B. Allgemeine Bestandsaufnahme 

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Zwecke, welche dem Schutz von Verfassungsgütern dienen, verdienen gegebenenfalls den höchsten Rang, und verfassungsrechtliche Zwecke bei Eingriffen in Grundrechte mit Gesetzvorbehalt haben die Eigenschaft, dass sie die Rechtfertigung tendenziell erleichtern.83 Es ist möglich, dass in diesen Fällen Eingriffe auch mit sonstigen Zwecken des öffentlichen Interesses gerechtfertigt werden können. Eine abstrakte Bewertung könnte damit zwischen dem besonders wichtigen Gemeinwohlbelang und weniger wesentlichen Zielen vorgenommen werden. Und, soweit sich ein Belang nicht aus der Verfassung herleiten lässt und ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt dies aber auch nicht erfordere, sei laut Michael insoweit auf die Wertungen des Gesetzgebers zu rekurrieren.84 In einem zweiten Schritt sind Mittel und Zwecke jeweils konkret festzustellen. Die konkrete Bewertung des Mittels besteht aus der Frage, wie oft, wie lange und wie intensiv die Maßnahme in das betroffene Grundrecht eingreift. Jede Maßnahme setzt eine Grundrechtsbeeinträchtigung voraus, wobei es im Rahmen der Abwägung auf den Grad dieser Beeinträchtigung ankommt. Dies ist auf der einen Seite aus der Sicht des Betroffenen zu beurteilen. Die Bewertung der Beeinträchtigung richtet sich nach persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Begleitumständen des Betroffenen. Neben der persönlichen Beeinträchtigung des Betroffenen ist möglichweise auch bedeutsam, wie stark die objektiven Funktionen des Grundrechts konkret betroffen sind und ob die Beeinträchtigung durch begleitende, kompensatorische Maßnahmen gegebenenfalls stufenweise abgemildert wird.85 Auf der anderen Seite sind der Grad der Zweckerreichung sowie der damit verbundene konkrete Gemeinwohlgewinn zu bestimmen. Laut Michael und Morlok ist hierbei, soweit es sich um eine Prognose handelt, im Rahmen des Vertretbaren die Einschätzung des eingreifenden Hoheitsträgers zugrunde zu legen.86 Nach dieser abstrakten und konkreten Einzelbewertung des Mittels und der Zwecke ist in einem dritten Schritt eine Abwägung der Zwecke und Mittel gegeneinander nötig. Ergibt sich aus den abstrakten und konkreten Erwägungen eine klare Tendenz für die Abwägung, brauchen die überwiegenden Gesichtspunkte den weniger erheblichen nur gegenübergestellt zu werden. Wenn die Tendenz demgegenüber nicht eindeutig ist, hängt die weitere Argumentation wesentlich von der Kontrolldichte ab. Weil das BVerfG nicht die Aufgabe hat, in Abwägungsfragen seine Meinung an die Stelle der Wertungen anderer staatlicher Organe zu setzen, ist im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle im Zweifel im Ergebnis keine Verfassungswidrigkeit festzustellen. Die Stufe der Angemessenheit determiniert nicht alle Wertungsfragen, die die grundrechtliche Freiheit berühren; vielmehr ist sie als Kontrollmaßstab zu verstehen, der Spielräume für Wertungen begrenzt, ohne solche Spielräume auszuschließen. Es geht nicht um die Suche nach 83

Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 624. Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 624. 85 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 625. 86 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 625. 84

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

der „verhältnismäßigsten“ Lösung, sondern nur um die Verhinderung „unverhältnismäßiger“ Maßnahmen.87

III. Exkurs: Das Kriterium der Zumutbarkeit Auf die Frage, ob die „Zumutbarkeit“ nach der Rechtsprechung des BVerfG ein eigenständiges Element des Verhältnismäßigkeitsprinzips darstellt, scheint es keine eindeutige Antwort zu geben.88 In vielen Entscheidungen sieht das BVerfG die Zumutbarkeit als äußerste Grenze der Angemessenheit an.89 Demgegenüber sieht es die Zumutbarkeit in manchen Entscheidungen als unabhängiges Merkmal an, wenn es ausdrücklich vom Grundsatz „der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit“ spricht.90 Weiterhin tritt in mancher Entscheidung die „Zumutbarkeit“ an die Stelle der „Angemessenheit“91 oder wird als bloßer rhetorischer Ausdruck benutzt und weist gegenüber der Angemessenheit keinen eigenen Sinngehalt auf.92 Auch im Schrifttum gibt es diesbezüglich unterschiedliche Auffassungen. Eine Ansicht lautet, dass man die Zumutbarkeit nicht aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip lösen sollte und sie deswegen als eigenständiger Verfassungsmaßstab abzulehnen ist. Denn hierin liege eine Gefahr der Erosion und Verunsicherung grundgesetzlicher Strukturen.93 Die Gegenauffassung sieht die Zumutbarkeit als separaten Verfassungsmaßstab an. Insoweit meint Ossenbühl, dass das Verbot der Unzumutbarkeit, als eine aus einem Verfassungsprinzip resultierende Konkretisierung, nicht nur „einen so grundsätzlichen, unumstößlichen und gewichtigen Charakter hat“, sodass es „als unmittelbarer Bestandteil des betreffenden Verfassungsprinzips erscheint“, sondern auch den Bürger vor der Verletzung der „Eigenständigkeit der Persönlichkeit“ schützen soll. Deshalb soll es den Einzelnen in den Stand versetzen, „sich selbst treu zu bleiben, sich nicht selbst verleugnen zu müssen und nach eigenen Grundsätzen, Anschauungen und Wertauffassungen leben zu können“.94 Die Ansicht von Merten geht in eine ähnliche Richtung. Er ist der Auffassung, dass die 87

Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 626. Merten, in: Merten / Papier, HGR III, § 68 Rn. 75 f. Vgl. auch Lücke, DÖV 1974, S. 769 (770); Reimer, in: Jestaedt / Lepsius, S. 60 (70 ff.). 89 BVerfGE 67, 157 (178); ähnlich etwa BVerfGE 30, 292 (316); 36, 47 (59); 61, 291 (312); 67, 157 (178); 68, 155 (171); 71, 183 (197); 72, 26 (31); 77, 303 (332); 78, 77 (85 f.); 78, 249 (285); 79, 256 (270); 81, 156 (189); 85, 226 (236 f.); 90, 145 (173); 91, 207 (225). Siehe auch Ossenbühl, in: Rüthers / Stern, S. 315 (316 f.). 90 BVerfGE 67, 209 (218); 77, 1 (44); 119, 394 (417). Siehe auch Ossenbühl, in: Rüthers / Stern, S. 315 (317 f.). 91 BVerfGE 41, 378 (397 f.); 78, 38 (50 f.); 85, 360 (377 ff.). 92 BVerfGE 17, 306 (317). 93 Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 157 f., 283, 286, 296 mit der Fußn. 150. Vgl. auch Lücke, DÖV 1974, S. 769 (770 f.); Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit, S. 41 ff. 94 Ossenbühl, in: Rüthers / Stern, S. 315 (326). 88

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung 

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Zumutbarkeit ihre unabhängige Position aus der Angemessenheit gewinnen könne, wenn sie konkret-individuell geprägt werde und als „zusätzliches Korrektiv für eine bei genereller Abwägung noch verfassungsmäßige Relation zwischen Mittel und Zweck“ gesehen werde.95 Aber wie Ossenbühl selbst schon anmerkt, ist ein Teil der Bedeutungen und Funktionen des Verbots der Unzumutbarkeit „unmittelbar durch den Schutz der Grundrechte gewährleistet und über die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auch in der einfachen Rechtsordnung umgesetzt“. Und in diesem Zusammenhang wird die verfassungsrechtliche Verortung des Verbots der Unzumutbarkeit in den Grundrechtsgarantien vorgenommen.96 Außerdem werden die Mittel und Zwecke im zweiten Schritt der Angemessenheit konkret festgestellt sowie im nächsten Schritt abgewogen. Damit werden die konkreten Konstellationen der Eingriffe des Einzelnen in diesen beiden Schritten der Angemessenheit schon aufgezeigt und geprüft. Das Verbot der Unzumutbarkeit als ein „konkret-individuell“ orientiertes und zusätzliches Korrektiv ist deshalb überflüssig und unnötig. Eigentlich könnte die Angemessenheit die Zumutbarkeit perfekt implizieren, wenn man die Angemessenheit wie folgt beschreibt: Bei einer Abwägung zwischen der Schwere der Mittel sowie dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Zwecke muss die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein.

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung I. Das „Verhältnis“ zwischen Fiskalzwecksteuern und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Heute stellt das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei staatlichen Eingriffen unzweifelhaft eine wesentliche Prüfungsregel im verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Rang dar. Doch im Steuerrecht ist bekanntlich vieles anders. Wie oben bereits erwähnt, verneint die herrschende Meinung eine Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Bereich der Besteuerung. Der Auffassung Papiers nach setzt die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in erster Linie voraus, dass überhaupt ein legitimer Zweck als Eingriffsgrund besteht. Der mit der Steuererhebung überwiegend verfolgte primäre Zweck ist die Einnahmeerzielung zur Finanzierung der Staatstätigkeit, und dieser Zweck ist als solcher verfassungslegitim. Das Problem liegt darin, dass die Einnahme­

95 96

Merten, in: Merten / Papier, HGR III, § 68 Rn. 76. Ossenbühl, in: Rüthers / Stern, S. 315, (326 f.).

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

erzielung nie Selbstzweck, sondern nur vordergründiger Eingriffsgrund oder Zwischenziel eines anderen Ziels ist.97 Zwar sind laut Papier durchaus verfassungsillegitime Zielvorstellungen bei den für Art und Höhe der Lasten, die den Bürgern auferlegt werden, maßgeblichen politischen Entscheidungen über Art, Umfang und Aufteilung des zu finanzierenden Aufgabenkatalogs denkbar. Jedoch geraten die Eingriffsziele der zu finanzierenden Staatsaufgaben bei der Steuererhebung wegen des im Haushaltsrecht geltenden Prinzips der Gesamtdeckung (Non-Affektionsprinzip) im Steuerrecht in den Hintergrund, schließlich wird primär auf die Einnahmeerzielung und erst sekundär auf die jeweils dahinterstehenden Zwecke abgestellt. Allerdings ändert dies an dem oben aufgestellten Grundsatz, dass auf dieser Ebene durchaus verfassungsillegitime Zielvorstellungen denkbar sind, nichts.98 Diese wirken sich nur nach seiner Ansicht nicht stets aus. Denn nach dem Gesamtdeckungsprinzip sind sämtliche Einnahmen des Staates von der Zweckbindung gelöst. Sie bilden eine freie, einheitliche Deckungsmasse für alle staatlichen Ausgaben.99 Eine Zweckbindung des Steueraufkommens sei daher unvereinbar mit diesem haushaltrechtlichen Prinzip, und es sei nicht feststellbar, ob ein bestimmter Steuerbetrag für eine aus dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsprinzips illegitime Aufgabe verwendet wird.100 Vergleichbare Konstellationen, in denen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Schwierigkeiten bereitet,101 existieren nicht nur bei dem von der Verhältnismäßigkeitsprüfung abgeleiteten „Erfordernis eines legitimen Zweckes“, sondern auch bei den weiteren Subprinzipien des Verhältnismäßigkeitsprinzips wie der Geeignetheit und Erforderlichkeit. Denn der bei den ausschließlich und vorwiegend der Finanzierung der Staatsaufgaben dienenden Steuern maßgebliche fiskalische Zweck wird mit dem Mittel der Steuererhebung sicherlich erreicht.102 Ebenso existiert im Hinblick auf diese Einnahmeerzielung kein den Betroffenen weniger belastendes, aber gleich wirksames Mittel, sodass der Steuerzugriff immer erforderlich ist.103 97

Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 76 f. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 77. 99 Vgl. § 7 HGrG: „Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel für alle Ausgaben. Auf die Verwendung für bestimmte Zwecke dürfen Einnahmen beschränkt werden, soweit dies durch Gesetz vorgeschrieben oder im Haushaltsplan zugelassen ist.“ 100 Dennoch seien nach der Rechtsprechung des BVerfG Zwecksteuern finanzverfassungsrechtlich zulässig. Diese Rechtsprechung wird durch das Urteil des BVerfG vom 20. April 2004, BVerfGE 110, 274 (294), bestätigt. Laut diesem Urteil ist die Zweckbindung von Einnahmen verfassungsrechtlich unbedenklich. Dem Grundsatz der Gesamtdeckung des Haushalts komme kein Verfassungsrang zu. Das Gesamtdeckungsprinzip ist hiernach kein Verfassungsprinzip; siehe v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 286 (314, Fußn. 110); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 2 Rn. 16. 101 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 182. 102 Vgl. Bettermann / L oh, BB 1969, S. 70 (72). 103 Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 78. 98

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung 

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Beim Steuerzugriff versagt die von dem Verhältnismäßigkeitsprinzip weiter verlangte Angemessenheit als eine mögliche Eingriffsschranke. Zuerst bleiben die hintergründigen Zwecke der Finanzierung der Staatsaufgaben nach wie vor außer Betracht. So soll ausgeschlossen werden, dass „die Höhe der Steuerbelastung zu den damit erzielten und der Belastung doch genau entsprechenden Einnahmen des Staates außer Verhältnis steht.“104 Zweitens könnte man der Meinung sein, dass der Grund der staatlichen Einnahmeerzielung jedenfalls keinen schweren Eingriff rechtfertigt, wenn der Steuerzugriff erdrosselnd wirkt, also die Grenze zumutbarer Belastung überschreitet. Aber vor dem Hintergrund dieser Ansicht ist, wegen der Abstraktion der Staatstätigkeit vom zu finanzierenden Zweck, eine Abwägung zwischen Eingriff und Nutzen undenkbar.105 Auch Birk ist der Meinung, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip gegenüber dem Steuerzugriff ein ineffizienter Maßstab sei. Er drückt dies terminologisch mit dem Begriff der Belastungswirkung der Besteuerung aus.106 Denn die bloße Einnahmeerzielung könne nur mit dem indifferenten Ziel der staatlichen Finanzierung begründet werden. Außerdem, wenn man von einem Zweckverständnis, das an die Aufteilung der steuerlichen Wirkungsweisen anknüpft, ausgehe, bedürfe es kaum weiterer Ausführungen, da sich die steuerliche Belastung weder am Gebot der Geeignetheit noch am Gebot der Erforderlichkeit der Mittel messen lasse, weil die Besteuerung stets geeignet und erforderlich sei, um den Finanzbedarf der Staatstätigkeit zu decken.107 Ebenso könnten bei der Prüfung der Angemessenheit, nämlich bei der in der Zweck-Mittel-Relation liegenden Abwägung, wegen des Mangels der möglichen Bewertung des Ertragsziels keine differenzierten Aussagen über die Gewichtigkeit der gegenüberstehenden Interessenlagen gemacht werden.108 Auf den Punkt gebracht wird die herrschende Meinung über die Anwendungsproblematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegenüber den Steuerzugriffen durch einen Satz von Isensee:109 „Der konventionelle Maßstab zur Begrenzung von Grundrechtseingriffen – das Übermaßverbot – versagt vor der Steuer, weil sie sich nicht in das übliche Zweck-Mittel-Schema fügt.“ Jedoch bedeutet dies nicht, dass bei der Besteuerung das Verhältnismäßigkeitsprinzip generell außer Betracht bleiben kann. Denn das Schrifttum wendet dieses teilweise auf bestimmte Normgruppen bei Steuergesetzen an, wobei entweder zwei, drei oder vier steuerrechtliche Normkategorien zu unterscheiden sind.110 Um die verschiedenen Grundmotive der 104

Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 78. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 78. 106 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187 ff. 107 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 189. 108 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 192, Fußn. 52. 109 Isensee, in: FS H. P. Ipsen, S. 409 (434). 110 Siehe Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 192 f.; Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 6 ff.; Heintzen, in: v. Münch / Kunig, GGK II, Art. 105 Rn. 33; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 19 ff.; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 80 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 74 ff. 105

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

Steuergesetze genauer herauszuarbeiten, sind Fiskalzwecknormen, Lenkungsnormen, Umverteilungsnormen sowie Vereinfachungszwecknormen zu unterscheiden.

II. Steuerrechtliche Normkategorien 1. Fiskalzwecknormen Wenn eine Steuernorm dazu dient, den notwendigen Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte zu decken, wird sie als Fiskalzwecknorm bezeichnet. Bei Fiskalzwecknormen werden die mit der Auferlegung staatlicher Steuerlasten verbundenen Auswirkungen möglichst gerecht verteilt. Damit treffen diese Normen konkrete Steuerwürdigkeitsentscheidungen nach einem Maßstab, und in diesem Zusammenhang sind selbstverständlich Grundrechte zu berücksichtigen.111 In aller Regel wird hierzu auf das Gebot der gleichen Belastung abgestellt. Dies führt zu der Frage, was dies konkret heißt. Im Laufe der Jahrhunderte war der Maßstab der gleichen Belastung unterschiedlich. In der frühen Aufklärungsphilosophie erkannte man, dass primäre Aufgabe der Staatsgewalt sei, Sicherheit und Frieden zu gewährleisten, weil ohne den Staat der Einzelne schutzlos wäre und ein Krieg aller gegen alle herrschte. So waren die Steuern der Preis der erkauften Sicherheit, und die steuerliche Leistung des Bürgers sollte dem staatlich gebotenen Vorteil entsprechen. So war der Maßstab der steuerlichen Lastenverteilung das sog. Äquivalenzprinzip. Doch wurde bereits in der Aufklärungszeit neben dem oben geschriebenen Verteilungsprinzip eine andere Verteilungslehre entwickelt. Im Gegensatz zu dem Äquivalenzprinzip fragte diese Lehre nicht danach, was der Staat dem Bürger gibt, sondern was der Einzelne dem Staat geben kann. Die Verteilungslehre ist der Prototyp des Prinzips der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.112 Es findet sich vor allem in der Literatur des 19. Jahrhunderts wieder und lässt sich in zwei Grundüberlegungen ausdrücken: In der Theorie vom gleichen Opfer sowie in der Forderung nach sozialer Umverteilung.113 Die Opfertheorie basiert auf dem Gedanken, dass die Steuer ein Opfer des Einzelnen für den Staat sei und dieses Opfer gleichwertig sein müsse. Hier kommt die Frage auf, was die Gleichwertigkeit des Steueropfers bedeutet. Aus dieser Grundsatzfrage entwickelte die Finanzwissenschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts 111

Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 8; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 20. Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 9. Nach Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 9 hat dieser Maßstab steuerlicher Lastenverteilung tiefe historische Wurzeln: „Schon Aristoteles, der im Staat nicht nur eine Verbindung zur gegenseitigen Förderung oder Hilfe sah, sondern ein höheres Ganzes, das dazu diene, das Gute im Leben zu erreichen, meinte, bei der Umlegung der Last dürfte nicht krämerhaft nach Gegenleistung gefragt werden; vielmehr müsse der viel Besitzende viel, der wenig Besitzende wenig beitragen.“ 113 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 10. 112

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung 

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die sog. Grenznutzentheorie.114 Nach der Grenznutzentheorie nimmt der Nutzen zwar auch mit steigendem Einkommen zu, die Höhe des Nutzenzuwachses aber fällt („Erstes Gossen’sches Gesetz“).115 Übertragen auf das konsumtiv verwendete Einkommen bedeutet dies laut Birk, dass „der Nutzen eines Einkommenszuwachses um einen bestimmten Betrag eine ganz verschiedene Wertigkeit aufweist, je nachdem, ob er auf einem niedrigen Einkommensniveau (also zur Befriedigung von Grundbedürfnissen verwendet werden muss) oder zu einem sehr hohen Einkommensniveau erfolgt (also für die Befriedigung von Luxusgütern zur Verfügung steht)“.116 Dennoch wurde die Übertragbarkeit der Gossen’schen Gesetze auf die Entwicklung des individuellen Einkommens in der Finanzwissenschaft später verneint, weil man den Nutzen nicht verbindlich messen konnte und man bei Anwendung der Grenznutzentheorie nicht klären könne, ob der Tarif progressiv, degressiv oder proportional verlaufen soll. Deshalb traten in der Folgezeit andere Begründungsansätze an die Stelle der Theorie vom gleichen Opfer.117 Der nachfolgende Besteuerungsmaßstab, nach Birk, verlangte sowohl die Gleichheit der Nutzeneinbuße als auch Umverteilung. Das heißt, wenn „alle gleichmäßig an den Steuerlasten teilnehmen müssen, dann müsse die Besteuerung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Güterverteilung Rechnung tragen, indem sie zum einen entsprechend der verschiedenen Einkommens- und Vermögenslagen des Einzelnen differenziert, zum anderen auch die ungerechten Verteilungsverhältnisse in gewissem Umfang korrigiert.“118 Insofern folgt als Grundprinzip die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, woraus die Forderung nach einer progressiven Einkommensteuer abgeleitet werden könne.119 In dieser Hinsicht orientieren sich die Fiskalzwecknormen grundsätzlich am Gebot der steuerlichen Lastengleichheit, nämlich am Leistungsfähigkeitsprinzip.120 Insgesamt werden die Fiskalzwecknormen deshalb auch Lastenausteilungsnormen genannt, und insoweit orientieren sich Fiskalzwecknormen nicht an einer Zweck-Mittel-Relation.121 2. Lenkungsnormen Im Gegensatz zu den Fiskalzwecknormen zielt der Gesetzgeber bei den Lenkungsnormen nicht auf die Finanzierungsmittel zur Umsetzung des Gebots der gleichen Belastung ab, sondern nutzt sie primär als Instrument zur Verfolgung 114

Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 11. Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 37. 116 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 11. 117 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 11. 118 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 12. 119 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 12. 120 Jedoch orientieren sich die Fiskalzwecknormen z. B. bei der Gewerbesteuer und der Grundsteuer auch am Äquivalenzprinzip; siehe Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 20. 121 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 192 f.; Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 7. Vgl. Vogel, StuW 1977, S. 97 (99). 115

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

wirtschafts- und sozialpolitischer Lenkungseffekte.122 Deshalb steht, laut Papier, bei diesen im Hauptzweck lenkenden und intervenierenden Steuern ein Sachzweck im Vordergrund.123 Der Ertragszweck ist demnach entweder nur Nebenzweck oder besteht sogar überhaupt nicht.124 Birk zufolge gibt es zwar keine eigene Ideengeschichte für Lenkungsnormen, sondern deren Einsatz beruht auf einer langen Tradition.125 Die sog. Nachtigallensteuer hat Geschichte geschrieben. Um die Nachtigallen in den Königlichen Gärten vor einer Gefangennahme zu schützen, wurde das Halten von Nachtigallen 1844 von der Stadt Potsdam besteuert, sodass wegen der hohen Besteuerung seit dem Jahre 1897 keine Nachtigall mehr bei der Stadt angemeldet war. Allerdings wurden die Steuerbestimmungen zu Präventivzwecken beibehalten. Bei den Lenkungsnormen handelt es sich damit um eine Form der Verhaltensbeeinflussung.126 Alternativ hätte die Stadt Potsdam im obigen Beispiel mittels eines Verwaltungsakts das Halten von Nachtigallen verbieten können. Allerdings kann der Gesetzgeber mit diesem „steuerlichen Druck“ „den Grad der Verhaltensbeeinflussung variieren und den wechselnden wirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprechend dosieren.“127 Hier nutzt also der Gesetzgeber eine Steuer nicht als Finanzmittel, sondern als Mittel, um Verwaltungszwecke zu erreichen. Die Lenkungsnormen werden darum auch als steuergesetzliches Wirtschaftsrecht bezeichnet.128 Von daher scheint eine politischen Gestaltungsvorstellungen dienende Steuer bzw. Steuererhöhung eher eine „Beurteilung der Verfassungslegitimität des verfolgten Sachzieles, der Geeignetheit des dafür angewandten Mittels, seiner Erforderlichkeit und seiner Angemessenheit im Verhältnis zur Eingriffsschwere zuzulassen“.129 Sofern also eher eine Betrachtung des mit der Steuer verfolgten Lenkungszwecks stattfindet und nicht eine Betrachtung der bloßen Beschaffung finanzieller Mittel zur Finanzierung der Staatstätigkeit, bietet sich folglich ein Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip an.

122

Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 193; Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 14. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 80. 124 Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 80. Die Lenkungsnormen werden auch als steuerinterventionistische Normen bezeichnet; siehe Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 193. 125 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 15. 126 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 15. 127 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 16. 128 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 16. 129 Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 80. Siehe auch Heintzen, in: v. Münch /  Kunig, GGK II, Art. 105 Rn. 33: „Der Hauptzweck der Steuer ist die Erzielung öffentlicher Einnahmen (Fiskalzweck); daneben können Steuern weiteren wirtschafts- und sozialpolitischen Lenkungszwecken dienen.“ 123

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung 

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3. Vereinfachungszwecknormen Außer den oben genannten zwei Normgruppen gibt es noch eine weitere Art steuerrechtlicher Normen, nämlich die Vereinfachungszwecknormen bzw. die gesetzlichen Typisierungen und Pauschalierungen. Dies bedeutet, dass aus technischökonomischen Gründen der Gesetzgeber die Steuerrechtsanwendung vereinfachen, praktikabler oder ökonomischer gestalten kann, indem auf aufwendige Einzelfallermittlungen verzichtet wird, um Überkompliziertheit und Undurchführbarkeit eines Steuergesetzes zu vermeiden.130 Die Vielzahl von gesetzlichen Typisierungen, Pauschalisierungen, Freibeträgen, Freigrenzen und Durchschnittssätzen ist daher vor dem Hintergrund der Entlastung der Steuerverwaltung zu sehen. Zwischen Typisierung und Pauschalierung kann man begrifflich unterscheiden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG bedeutet Typisierung, bestimmte, in wesentlichen Elementen gleich geartete Sachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sein mögen, können generalisierend vernachlässigt werden.131 Das heißt, wenn der Gesetzgeber die typischen Fälle in einem Tatbestand erfasst und die abweichenden gegenüber diesen gleichbehandelt, liegt eine Typisierung vor. Wenn hingegen die rechnerischen Grundlagen schematisiert werden, so spricht man von Pauschalierung. Wenn der Gesetzgeber z. B. Pauschbeträge einräumt, behandelt er ungleiche Sachverhalte gleich, weil Steuerpflichtigen derselbe Abzugsbetrag gewährt wird und dies unabhängig davon ist, ob im Einzelfall ein Aufwand entstanden ist oder nicht. Daher müssen die diese Ungleichbehandlungen bewirkenden Normen vor Art. 3 Abs. 1 GG durch Vereinfachungszwecke gerechtfertigt werden, indem der Verwaltung der Normvollzug erleichtert wird.132 Zudem können die Vereinfachungszwecknormen nicht nur der Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit, sondern auch der materiellen Gerechtigkeit dienen, indem nicht nur der gut informierte Kenner des Steuerrechts in den Genuss der ihm zustehenden Abzugstatbestände gelangt, sondern jeder, dem solche zustehen. Also profitiert neben der Verwaltung auch der Steuerpflichtige von diesen Vereinfachungszwecknormen. Hinzu kommt noch, dass die Vereinfachungszwecknormen bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen: Der Gesetzgeber darf für eine typisierende gesetzliche Reglung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den Durchschnittsfall als Maßstab zugrunde legen.133 Darüber hinaus muss die Regelung verhältnismäßig, also zur Vereinfachung geeignet, erforderlich und angemessen sein.134

130

Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 23. BVerfGE 111, 115 (137). 132 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 208. 133 BVerfGE 122, 210 (238). 134 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  456. 131

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

Soweit in Einzelfällen unbillige Härten auftreten, kommt ein Billigkeitserlass nach §§ 163, 227 AO in Betracht.135 4. Umverteilungsnormen Abweichend von der herrschenden Meinung benutzt Tipke die Terminologie „Lenkungsnormen“ als einen Unterbegriff der „Sozialzwecknormen“, welche nicht nur die Steuergesetze, die durch gezielte Steuerbelastung oder -entlastung ein bestimmtes Gemeinwohlverhalten des Steuerpflichtigen stimulieren wollen, erfassen, sondern auch „Umverteilungsnormen“, die Wohlstandskorrekturen im Interesse eines sozialen Ausgleichs bezwecken, wie z. B. der progressive Einkommensteuertarif. Und weil entweder Lenkungsnormen oder Umverteilungsnormen dem Gemeinwohl dienen, heißt der Oberbegriff der Lenkungs- und Umverteilungsnormen, nach seiner Ansicht, Sozialzwecknormen.136 Dennoch ist nach der Ansicht Wernsmanns die gemeinsame Erfassung von Umverteilungsnormen und Lenkungsnormen nicht sachgemäß. Denn beide Unterbegriffe verfolgen unterschiedliche Zwecke. Während Lenkungsnormen eine Verhaltensbeeinflussung bezwecken, zielen Umverteilungsnormen, etwa der progressive Einkommensteuertarif, auf eine Wohlstandskorrektur von reich zu arm. Dann liegt die damit verbundene Frage sozialer Umverteilung mit dem Mittel des Steuerrechts einerseits mehr in der Nähe der Steuerwürdigkeitsentscheidung und andererseits von der Idee her näher bei Gerechtigkeitsfragen als bei der Instrumentalisierung des Steuerrechts für außerfiskalische Zwecke.137 Wernsmann benutzt die folgenden Argumente, um zu begründen, dass nicht eine selbständige Normkategorie für das Steuerrecht als Umverteilungsinstrument geprägt werden muss:138 – Wenn eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vorliegt, so ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann. – Wenn das Steuerrecht als Umverteilungsinstrument (was z. B. beim progressiven Tarif der Fall ist) in Betracht kommt, so ist die Ungleichbehandlung daraufhin zu überprüfen, ob sie nach Art und Ausmaß mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist. – Die Erforderlichkeit einer Rechtfertigung vor dem Gleichheitssatz allein führt nicht dazu, dass zwingend eine eigenständige Normkategorie gebildet werden muss.

135 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 148; Heintzen, Annales de la Faculté de Droit d’Istanbul, Bd. 43 (2011), S. 47 (53). 136 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 77 ff. Siehe auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 21. 137 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 84. 138 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 84 f.

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung 

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Wenn es zutreffend wäre, dass Umverteilungsnormen und Lenkungsnormen nicht in derselben Kategorie zusammengefasst werden können, so wäre das oben erwähnte Ergebnis nicht so überzeugend. Denn auf die Frage, wann eine eigenständige Normkategorie gebildet werden sollte, gibt es begrifflich nicht „die“ einzig richtige Antwort. Sie hängt jeweils davon ab, welche Ziele man verfolgt. So ist das Hauptanliegen dieser Untersuchung herauszufinden, ob und inwieweit die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung gelten. Wenn das Steuerrecht in einigen Fällen als Umverteilungsinstrument in Betracht kommt, spielt das Verhältnismäßigkeitsprinzip möglicherweise eine Rolle, um dies zu rechtfertigen. Daher soll in dieser Untersuchung diese Kategorie getrennt behandelt werden.

III. Kriterien für die Einordnung Wie oben bereits erwähnt, scheint es, dass bei den Lenkungsnormen, anders als bei den Fiskalzwecknormen, die wesentliche Einschränkung, dass dort der auf Einnahmeerzielung gerichtete Zweck stets legitim ist, der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht entgegensteht, sodass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als materielle Schranken-Schranke wieder seine Effektivität erlangen kann.139 Um die Hauptfrage dieser Untersuchung zu beantworten, muss man folglich bei den Fiskalzwecknormen die Frage stellen, ob die Anforderungen des Prinzips der Verhältnismäßigkeit für diese Normkategorie überhaupt sinnvoll erscheinen. Wenn die Antwort positiv wäre, dann stellt sich die Frage, ob man das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei Fiskalzwecknormen anwenden kann. Andererseits muss man bei Lenkungsnormen die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Bereich der unterschiedlichen Grundrechte, in die eingegriffen wird, auf verschiedene Weise konkretisieren. Und obwohl es, vor allem nach der Ansicht Tipkes, drei verschiedene steuerrechtliche Normkategorien gibt,140 können die Vereinfachungszwecknormen vernachlässigt werden, weil sie keinen Gegensatz zu Fiskalzweck- und Lenkungsnormen bilden und nicht neben den Fiskalzweck- und Lenkungsnormen stehen. Sie vereinfachen dann entweder Fiskalzweck- oder Lenkungsnormen und gehören mithin selbst einer dieser beiden Normgruppen an.141 Ob eine Vereinfachungszwecknorm demnach für ihr verfolgtes Ziel geeignet, erforderlich und angemessen ist, sollte man noch individuell prüfen. Im Ergebnis erscheint daher zur Abgrenzung nur die Frage zweckmäßig, was die tauglichen Kriterien zur Abgrenzung von Fiskalzweck- und Lenkungsnormen sind.

139

Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 80. Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 77 ff. 141 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 84. 140

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

1. Bisherige Ansätze Einer der ersten systematischen Versuche diesbezüglich stammt von Vogel. Er schlägt vor, dass die Abgrenzung142 im Steuerrecht nach der Rechtsfolge der Steuernormen erfolgen soll. Dabei geht er von dem Unterscheid zwischen subjektiver und objektiver Abgrenzung aus. Dennoch werde bei der subjektiven Abgrenzung die zu prüfende Norm mit einer beliebigen anderen gesetzlichen Basis verglichen, sodass das Ergebnis weitgehend von der Wahl dieses Vergleichspaares abhänge. Deshalb verzichtet er auf das Kriterium subjektiver Abgrenzung.143 Für die sodann notwendige objektive Abgrenzung meint Vogel, dass die steuergesetzlichen Auswirkungen der Lenkungsfunktion durch die objektive Abgrenzung von den Regelungen getrennt werden müssten, die sich allein aufgrund der Lastenausteilungsfunktion ergäben.144 Denn es seien regelmäßig mehrere zumindest vertretbare, insofern „gleich gerechte“ Lösungen nebeneinander möglich. Die Lenkungsnormen zeichneten sich dadurch aus, dass sich ihre Auswirkungen nicht mehr als Ausgestaltung austeilender Gerechtigkeit begreifen ließen. Daher müsse, so Vogel, die Basis für die objektive Abgrenzung jeweils diejenige Regelung sein, die sich unter den der zu prüfenden noch am nächsten kommenden Möglichkeiten „gerade noch“ als Ausprägung austeilender Gerechtigkeit verstehen lasse.145 Die Einordnung als Lenkungsnorm sei deshalb nicht möglich, wenn die zu beurteilende Regelung auch als Erwägung austeilender Gerechtigkeit denkbar wäre. Dies müsse selbst dann gelten, wenn der Gesetzgeber die Regelung in eindeutiger Lenkungsabsicht getroffen habe.146 Dieser Ansatz führt dazu, dass einige einkommensteuerliche Normen, die herkömmlich als Lenkungsnormen eingeordnet werden, von Vogel als Fiskalzwecknormen angesehen werden. Er nennt den Spendenabzug gemäß § 10b EStG als Beispiel, den die herrschende Meinung147 für eine Lenkungsregelung hält, weil er zu der Feststellung kommt, dass die aufgrund der Progression mit dem Einkommen steigende Entlastung mit dem angenommenen Lenkungscharakter der Regelung nicht vereinbar wäre.148 Tipke hat einen anderen Ansatzpunkt als Vogel. Er meint, dass man sich nicht an den Rechtsfolgen einer Steuernorm orientieren, sondern nach dem gesetzgebe 142 Vogel verwendet den terminus „Abschichtung“; siehe Vogel, StuW 1977, S. 97. Vgl. auch Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 80. 143 Vogel, StuW 1977, S. 97 (100 f.). 144 Vogel, StuW 1977, S. 97 (107). 145 Vogel, StuW 1977, S. 97 (107). 146 Vogel, StuW 1977, S. 97 (107). 147 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 1070; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 20 Rn. 15; P. Kirchhof, Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, S. 57; Zitzelsberger, StuW 1985, S. 197 (200). 148 Vogel, StuW 1977, S. 97 (108 f.).

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung 

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rischen Zweck abgrenzen soll. Wie oben erwähnt, werden im Anschluss an Tipke drei Gruppen steuerlicher Normen unterschieden, nämlich Fiskalzwecknormen, Sozialzwecknormen – mit der weiteren Unterteilung in Lenkungsnormen und Umverteilungsnormen – sowie Vereinfachungszwecknormen.149 Diese Ansicht sieht in dem primären Zweck, den der Gesetzgeber einer Norm beigemessen hat, das maßgebliche Kriterium für die Einteilung. Ein anderer denkbarer Ansatzpunkt, der von Birk vertreten wird, weist darauf hin, dass die Wirkungsweise der Steuer bei der Abgrenzung zu berücksichtigen sei. Er ist der Meinung, dass die herkömmliche verfassungsrechtliche Zuordnung der Steuer nach ihrer Zweckrichtung zu kaum lösbaren Schwierigkeiten führt und das verfassungsrechtliche Problem der Lastenverteilung nicht vollständig in den Blick bekommen kann.150 Nach Birk gelten für Steuernormen mit verschiedenen Wirkungen zweierlei Maßstäbe. Es komme deswegen für die verfassungsrechtliche Überprüfung der Steuernormen zunächst nicht auf die Zweckrichtung an, sondern auf die Wirkungsweise.151 Birk unterscheidet zwischen der wertenden Zweckebene und der rein tatsächlichen Wirkungsebene.152 Jede Steuernorm entfalte sowohl eine Belastungs- als auch eine Gestaltungswirkung.153 Die Belastungswirkung zeige sich in der finanziellen Belastung oder Entlastung der betroffenen Bürger – nämlich Geldentzug oder Verschonung vom Geldentzug.154 Unter dem Begriff der Gestaltung seien alle Wirkungen zu verstehen, die neben dem bloßen Entzug des Geldes oder anstatt der steuerlichen Belastung eintreten.155 Die Gestaltungswirkungen seien die Auswirkungen, die sich auf den sozialen Status des Bürgers, dessen Güterzuordnung, die wirtschaftlichen Funktionsabläufe, die gesellschaftlichen Strukturen usw. beziehen.156 Das Bewusstsein des Steuerpflichtigen, dass ihm jede Steuer Teile seines Einkommens wegnehme, verursache Reaktionen, die sich in einer Veränderung seines wirtschaftlichen Verhaltens ausdrücken und in seinen wirtschaftlichen Dispositionen niederschlagen. So könne die Steuer für den Einzelnen ein wirtschaftlicher Anreiz sein, sein Einkommen zu erhöhen oder seinen Konsum zu steigern, Ersparnisse zu bilden oder Investitionen zu tätigen.157 In dieser Hinsicht könnte eine Steuernorm, die der Gesetzgeber allein mit einem Ertragszweck belegt habe, Gestaltungswirkungen entfalten. Da Steuernormen stets eine doppelte Wirkungsweise entfalten, sind Belastungswirkungen und Gestaltungswirkungen getrennt nach den jeweils für sie geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäben zu 149

Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 77 ff. Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 76. 151 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 81. 152 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 70. 153 Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 21. 154 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 70; Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 3. 155 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 194; Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 5. 156 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 68. 157 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 73; Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 5. 150

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

beurteilen, sodass entsprechend die Einteilung anhand der Wirkungsweise vorzunehmen ist.158 Der vom Gesetzgeber der Steuer beigelegte Zweck bleibe allerdings für die Frage der Zurechnung bestimmter Wirkungen an den Gesetzgeber und für die Abwägung von Bedeutung.159 2. Kritik bisheriger Ansätze Obwohl das von Vogel entwickelte Konzept als methodischer Fortschritt160 bewertet wird, ist es dennoch nicht überzeugend. Erstens führt das Konzept Vogels nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen, weil Vogel von den Wirkungen auf den Zweck schließen will. Das bedeutet, wenn eine Regelung nicht mehr als Ausgestaltung austeilender Gerechtigkeit zu verstehen ist, steht dadurch ihre Eigenschaft als Lenkungsnorm noch nicht fest, weil sie auch eine Vereinfachungsnorm sein kann. Um dieses Problem zu lösen, versucht Vogel, die Auswirkungen der Lenkungsnorm von ihrem Zweck her zu bestimmen.161 Das heißt, dass sein Kriterium der Abgrenzung nicht präzise ist und durch ein anderes Kriterium ersetzt werden muss. Zweitens, wenn Vogel mit dem Allgemeininteresse an einer steuerlich begünstigten Tätigkeit die Einordnung als Fiskalzwecknorm begründet und deswegen einen Abzug von der Bemessungsgrundlage für eine Lastenausteilungsnorm hält, so ist dies eben nicht überzeugend. Denn die Lenkungsnormen bedürfen gleichfalls einer Rechtfertigung durch das Allgemeininteresse. Das Leistungsfähigkeitsprinzip schützt demgegenüber den Einzelnen vor einem steuerlichen Zugriff auf nicht vorhandenes bzw. nicht für die Steuerzahlung verfügbares Vermögen, das für existenzsichernde Aufwendungen gebunden ist. Dagegen fördern Lenkungstatbestände ein bestimmtes Verhalten steuerlich, weil dieses im gesamtstaatlichen Interesse als erwünscht erscheint. Dementsprechend ordnet die herrschende Meinung die von Vogel als Beispiel für Fiskalzwecknormen genannten Normen als Lenkungsnormen ein.162 Die Kritik an der Auffassung Tipkes konzentriert sich auf die Probleme bei der Ermittlung der gesetzgeberischen Zwecke.163 Diese Konzeption, die dem Gesetzeszweck der Norm die maßgebende Bedeutung beimisst, wird vor Schwierigkeiten gestellt, wenn der Gesetzgeber den mit einer Norm verfolgten Zweck überhaupt nicht angibt oder tatsächlich andere Zwecke verfolgt, als er aus Opportunitätsgrün 158

Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 19. Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 19. Der Zweck habe noch eine weitere Bedeutung im Rahmen der materiellen Überprüfung der Gestaltungswirkungen. Der steuerliche Gestaltungszweck fungiere als Abwägungskriterium bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips oder als „sachlicher Differenzierungsgrund“ bei der Anwendung des Gleichheitssatzes; siehe Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 202. 160 Ruppe, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument, S. 59. 161 Vogel, StuW 1977, S. 97 (107). 162 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 88. 163 Bodenheim, Zwecke der Steuer, S. 262 f. 159

C. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Besteuerung 

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den zugibt, oder wenn sich im Zeitablauf die Zwecke verändern.164 Des Weiteren könnten sogar vom Gesetzgeber ausdrücklich als Sozialzwecknormen gewollte Vorschriften in Wirklichkeit Fiskalzwecknormen sein, wenn sie der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entsprechen.165 Daher erkennt diese Ansicht an, dass in den Fällen, in denen sich die Einteilung nach dem Zweck des Gesetzes nicht ohne Weiteres vornehmen lässt, von der Normwirkung auf den Normzweck zu schließen ist.166 Die Ansicht Birks bereitet ebenfalls in der Anwendung einige Schwierigkeiten. Zunächst wird kritisiert, dass beim Erlass einer Norm oftmals nicht vorsehbar ist, welche Wirkung sie haben wird.167 Der Charakter einer Norm würde deshalb erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt und dies würde zu untragbarer Ungewissheit bei der Frage nach der Gesetzgebungs- und Ausgabenkompetenz führen.168 Außerdem wäre es möglich, dass eine Norm, mit der eindeutig Lenkungszwecke verfolgt werden, dann nicht als Lenkungsnorm qualifiziert wird, wenn sie zu keiner Verhaltensänderung führen sollte; umgekehrt wäre es denkbar, dass eine Norm, mit der der Gesetzgeber keinen Lenkungszweck verfolgt, doch Lenkungswirkungen entfaltet.169 Darüber hinaus gilt es auch noch in Betracht zu ziehen, dass nach Birk jede Steuernorm sowohl Belastungswirkung als auch Lenkungswirkung hat. Daher drängt sich folgende Frage auf: Wann geht es um eine Fiskalzweck- und wann um eine Lenkungsnorm?170

164 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 6; Vogel, in: Isensee / K irchhof, HdbStR IV, 2. Aufl., § 87 Rn. 52. 165 Auf diese Schwierigkeiten weist auch Tipke selbst hin; siehe Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 80 ff. 166 Lang, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, 16. Aufl., § 4 Rn. 26; dies findet sich in der 17. Aufl. nicht mehr. Siehe auch Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 7. 167 Bodenheim, Zwecke der Steuer, S. 216 ff. 168 Schaden, Die Steuervergünstigung als staatliche Leistung, S. 38. 169 Schaden, Die Steuervergünstigung als staatliche Leistung, S. 38. Für den ersten Fall hat Schaden § 10e EStG a. F. als Beispiel angeführt. Es sei durchaus zweifelhaft, ob er zu einer erhöhten Bautätigkeit führte. Allerdings hat § 10e EStG keine aktuelle Bedeutung mehr, weil die Vorschrift nur anzuwenden war, wenn die Anschaffung eines Gebäudes oder dessen Herstellungsbeginn vor dem 1.1.1996 lag. Und für den letzten Fall könnte die Steuerfreistellung des Existenzminimums als Beispiel gelten. Für zahlreiche Sozialhilfeempfänger sei es lange Zeit unter finanziellen Gesichtspunkten eher unattraktiv gewesen, einer Beschäftigung nachzugehen, weil sie im Falle einer niedrig dotierten Beschäftigung wegen des zu niedrigen Grundfreibetrages und der damit einhergehenden Steuerlast weniger Geld zur Verfügung gehabt hätten, als wenn sie weiter Sozialhilfeempfänger geblieben wären; siehe Schaden, Die Steuervergünstigung als staatliche Leistung, S. 38. 170 Schaden, Die Steuervergünstigung als staatliche Leistung, S. 38.

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

3. Würdigung und eigene Konzeption Die oben erwähnten Ansätze haben jeweils spezifische Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Fiskalzwecknormen und Lenkungsnormen. Allerdings können diese unterschiedlichen Bestimmungsmethoden als Indizien in einer kombinierenden Abgrenzungsmethode herangezogen werden, um die Zugehörigkeit zur jeweiligen Normenkategorie zu bestimmen. Die Überlegungen zur Abgrenzungsproblematik von Vogel werden als zu kompliziert und schwer durchführbar bewertet.171 Denn die „objektiv vorgegebene Norm“, die zur Durchführung der objektiven Abgrenzung notwendig ist, lässt sich oft nicht mit einer ausreichenden Bestimmtheit ermitteln. Das von Vogel entwickelte Konzept zeigt, dass die Ergebnisse zu stark an den Wertungspunkt des jeweiligen Interpreten gebunden sind.172 Letztlich ist das Anknüpfen an die „objektiv vorgegebene Norm“ eine verdeckte Subjektivierung bei der Abgrenzung von Fiskalzweck- zu Lenkungsnormen. Daher soll sein Konzept nicht weiterverfolgt werden. Bei der Beantwortung der Zuordnungsfrage bestehen zwischen den Auffassungen von Tipke und Birk in den Ergebnissen wenig Unterschiede. Auf der einen Seite stellt Tipke zur Einteilung der Steuervorschriften auf den gesetzgeberischen Zweck ab. Seine Ansicht orientiert sich am primären Zweck, den der Gesetzgeber der Steuernorm beigelegt hat.173 Auf der anderen Seite versteht Birk eine Steuernorm als Fiskalzwecknorm, wenn der Gesetzgeber sein Augenmerk auf die Belastungswirkung richtet oder wenn sie primär dem Zweck, Erträge zu erzielen, dient.174 Eine Lenkungsnorm sei hingegen dann gegeben, wenn es dem Gesetzgeber primär auf den Eintritt bestimmter Gestaltungswirkungen ankommt.175 Allerdings zieht Birk die Konsequenz nicht, eine vom Gesetzgeber als Fiskalzwecknorm gewollte Steuernorm allein deshalb als Lenkungsnorm zu bezeichnen, weil sie in Wirklichkeit Gestaltungswirkungen entfaltet.176 Aus diesem Gesichtspunkt lässt sich der Schluss ziehen, dass auch die Orientierung an der Wirkung einer Norm das Abgrenzungsproblem nicht eindeutig lösen kann.177 Als Konsens zwischen Tipke und Birk ist festzuhalten, dass es für die Einordnung als Lenkungsnorm auf das Vorliegen interventionistischer Ziele ankommt.178

171

Birk, Steuerrecht I, 1. Aufl., § 2 Rn. 18. In der 2. Aufl. findet sich diese Kritik nicht mehr; Birk spricht nur noch von einer „hochtheoretischen“ Überlegung. 172 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 74; Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 8; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 89. 173 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 80. 174 Birk, Steuerrecht I, § 2 Rn. 6; Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 192 f. 175 Birk, Steuerrecht I, § 2 Rn. 6; Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 192 f. 176 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 7. 177 Schaden, Die Steuervergünstigung als staatliche Leistung, S. 39. 178 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 7 f.

D. Fazit 

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Diesem Ergebnis ist zu folgen. Begrifflich sind steuerliche Lenkungsnormen solche Normen, die durch ihre Ausgestaltung eine bestimmte Verhaltensänderung bezwecken. Demgegenüber ist eine Steuernorm eine Fiskalzwecknorm, wenn sie an das Leistungsfähigkeitsprinzip anknüpft. Fraglich ist nun, bei Vorliegen welcher Kriterien derartige Zwecke unterstellt werden können, vor allem wenn der Gesetzgeber sie nicht selbst formuliert hat oder der Wille der Gesetzgebung unklar ist.179 In diesem Fall erfolgt die Abgrenzung anhand der Frage, ob eine Norm Ausdruck der jeweiligen Steuerwürdigkeitsentscheidung180 ist bzw. eine Durchbrechung derselben darstellt.181 So trifft eine Norm eine Steuerwürdigkeitsentscheidung, wenn sie bestimmte Beträge aus der Bemessungsgrundlage ausgrenzt. Es handelt sich nicht um eine subventive, sondern nur um eine technische Steuervergünstigung, weil sie nur eine gesetzestechnische Bedeutung hat. Das heißt, dass das Gesetz bestimmte Beträge ausgrenzen muss, damit die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verwirklicht wird, um zur „richtigen“ Bemessungsgrundlage zu kommen und um das konkrete Steuerobjekt tatbestandlich zu erfassen.182 Der steuerbegründende Tatbestand wird ebenfalls als eine Fiskalzwecknorm bezeichnet, wenn er an die in der Zahlungsfähigkeit zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpft. Eine Norm, die einen Abzug gebietet, wird damit dann nicht als Lenkungsnorm eingeordnet, wenn sie beispielweise an einen Indikator finanzieller Leistungsfähigkeit, wie der Einkommenshöhe, anknüpft oder mit ihr der Tatsache fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit Rechnung getragen wird.183

D. Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in Preußen der Gedanke des Verhältnismäßigkeitsprinzips zuerst in § 10 II 17 ALR festgeschrieben wurde, um die Ausübung der Polizeigewalt zu beschränken. Der Begriff „Polizei“ meinte früher die Eingriffsverwaltung i. w. S. – so wurde ein maßgebender Anteil des Verwaltungshandelns auf die Polizeigesetze gestützt, wobei das Verhältnismäßigkeitsprinzip ein Leitgedanke des Verwaltungsrechts war. Dem BVerfG verdankt das Prinzip seinen nächsten Entwicklungsschritt von einer ausschließlichen Bindung der Verwaltung hin zu einer Bindung auch des Gesetzgebers. Obwohl im Grundgesetz auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht explizit hingewiesen wird, sind die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar geltendes und auch den Gesetz 179

Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 8. Im steuerjuristischen Schrifttum ist der zentrale Maßstab der Steuergerechtigkeit das Leistungsfähigkeitsprinzip. Grundlegend: Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip. 181 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 89. 182 Birk, Steuerrecht I, § 5 Rn. 11 ff. Demgegenüber bezwecken subventive Steuervergünstigungen, dem Steuerpflichtigen aus bestimmten wirtschaftspolitischen bzw. gesellschaftspolitischen Gründen ein „Steuergeschenk“ zu geben; siehe Birk, Steuerrecht I, § 5 Rn. 13. 183 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 89. 180

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1. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Steuergesetze 

geber verpflichtendes Recht, was sich im Grunde bereits aus dem Wesen der Freiheitsgrundrechte selbst ergibt. Weiterhin wurde vom ersten Senat des BVerfG in den achtziger Jahren das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab für den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG eingeführt. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit stellt heutzutage bei staatlichen Eingriffen unzweifelhaft eine wesentliche Prüfungsregel dar. Und als ein Sammelbegriff ist das Prinzip nach einer bestimmen Reihenfolge stufenweise zu prüfen: (1) Legitimer Zweck; (2) legitimes Mittel; (3) Geeignetheit des Mittels; (4) Erforderlichkeit des Mittels; (5)  Angemessenheit. Allerdings verneint die herrschende Meinung eine Geltung dieses Prinzips im Bereich der Besteuerung. Dennoch wendet das Schrifttum dieses Prinzip auf Lenkungsnormen und Vereinfachungszwecknormen bei Steuergesetzen an, wobei vier steuerrechtliche Normgruppen, nämlich Fiskalzwecknormen, Lenkungsnormen, Umverteilungsnormen sowie Vereinfachungszwecknormen, unterschieden werden. Daher kann das Prinzip der Verhältnismäßigkeit auch bei der Besteuerung als Prüfungsmaßstab in Betracht kommen. Obwohl es verschiedene steuerrechtliche Normkategorien gibt, sind die Vereinfachungszwecknormen entweder Fiskalzweck- oder Lenkungsnormen und gehören mithin selbst einer dieser beiden Normkategorien an. Begrifflich sind steuerliche Lenkungsnormen solche Normen, die durch ihre Ausgestaltung eine bestimmte Verhaltensänderung bezwecken. Demgegenüber ist eine Steuernorm eine Fiskalzwecknorm, wenn sie an das Leistungsfähigkeitsprinzip anknüpft. Fraglich ist, bei Vorliegen welcher Kriterien derartige Zwecke unterstellt werden können, vor allem wenn der Gesetzgeber sie nicht selbst formuliert hat oder der Wille der Gesetzgebung unklar ist. Im Ergebnis ist entscheidendes Kriterium, ob eine Norm Ausdruck der jeweiligen Steuerwürdigkeitsentscheidung ist oder eine Durchbrechung derselben darstellt. Zudem ergibt bei reinen Fiskalzwecknormen eine Verhältnismäßigkeitskontrolle wenig Sinn,184 bei Lenkungsnormen ist dies hingegen anders.185

184 185

Vgl. 2. Kap. Vgl. 3. Kap.

2. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von Fiskalzwecknormen A. Problemstellung Die meisten Steuernormen sind Fiskalzwecknormen,1 und wie im letzten Kapitel dargestellt, dienen sie dem Zweck, Erträge zu erzielen, um den notwendigen Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte zu decken. Sie treffen konkrete Steuerwürdigkeitsentscheidungen nach Kriterien zuteilender Gerechtigkeit, und sie orientieren sich insoweit nicht am Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern am Leistungsfähigkeitsprinzip.2 Der haushaltsrechtliche Grundsatz der Gesamtdeckung und die dadurch bedingte Abstraktion des Steuerzugriffs verhindern die für eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit erforderliche Konkretisierung der ZweckMittel-Rationalität.3 Demzufolge ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip hier ein ineffizienter Maßstab. Dies stellt allerdings nur einen Aspekt der Problematik der Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung dar, wenn deren Gegenstand eine Fiskalzwecknorm ist. Denn vor der Prüfung der Verhältnismäßigkeit stellt sich die Frage, ob ein bestimmtes staatliches Handeln gegen Freiheitsgrundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte verstößt. Jedes in Frage kommende Grundrecht wird dann üblicherweise mittels eines dreistufigen Schemas geprüft.4 Das heißt, dass das staatliche Verhalten den Schutzbereich des Grundrechts betreffen muss und dass der Schutzbereich des Grundrechts beeinträchtigt werden muss. Deshalb gibt es vor der Ermittlung der konkreten Zwecke der Steuerzugriffe noch die Voraussetzung der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips, und zwar dergestalt, dass die Besteuerung einen Eingriff in den Schutzbereich des Eigentums darstellen muss. Aus diesem Grunde soll zunächst auf Aspekte des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie eingegangen werden.

1

Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 20. Siehe oben 1. Kap. C II 1.  3 Klawonn, Die Eigentumsgewährleistung, S. 196 m. w. Nachw. 4 Ein anderes Prüfungsschema gilt für die Gleichheitsrechte und für die Freiheitsgrundrechte in ihrer leistungsrechtlichen Funktion; siehe Epping, Grundrechte, Rn. 16 ff. 2

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG schützt alle privatrechtlichen vermögenswerten Rechtspositionen.5 Sofern sie für den Inhaber frei nutzbar oder verfügbar sind, gehören sowohl dingliche als auch schuldrechtliche Ansprüche dazu.6 Damit schützt Eigentum prinzipiell erworbenes Vermögen. In dieser Hinsicht knüpft die Besteuerung an die Eigentumsgarantie an, weil der Geldentzug eintritt, wenn der Tatbestand eines Steuergesetzes verwirklicht ist, sodass zumindest ein tatbestandsmäßiger Eingriff in das Eigentum gegeben sein sollte. Allerdings wurde dies lange Zeit überwiegend anders gesehen, was mit der Rechtsprechung des BVerfG zusammenhängt. Um die Frage zu klären, ob Art. 14 Abs. 1 GG Schranke für den staatlichen Steuerzugriff ist, sollte man daher die Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG betrachten (dazu unten B. und C.). Andererseits gibt es unter der Normkategorie Fiskalzwecknorm noch den Subbegriff „Zwecksteuern“. Nach dem Preußischen Oberverwaltungsgerichts sind Zwecksteuern Steuern, welche bei ihrer Ausschreibung nur zur Deckung im Einzelnen bezeichneter Aufwendungen bestimmt werden.7 Mit anderen Worten: bei den Zwecksteuern dient das Steueraufkommen jeweils nur der Finanzierung einer bestimmten staatlichen Maßnahme.8 Die Einnahmen der Zwecksteuern werden nicht dem allgemeinen Steueraufkommen als Deckung für die Gesamtheit der Staatsausgaben zugeführt, sondern bilden unter Durchbrechung des Gesamtdeckungsprinzips mit den aus ihnen zu bestreitenden Ausgaben einen Haushalt für sich.9 Das heißt, dass der Grundsatz der Gesamtdeckung durchbrochen wird, wodurch das Hauptargument gegen die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips entfallen könnte. Bei diesem Zusammenhang ist wiederum fraglich, ob und inwieweit die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei den Zwecksteuern, die doch wie andere Fiskalzwecknormen die Beschaffung von Finanzmitteln intendieren, zu einer Begrenzung in der Lage wäre (dazu unten D.).

5 Umstritten ist, ob und inwieweit vermögenswerte öffentlich-rechtliche Positionen Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG sein können. Das BVerfG hatte zunächst festgestellt, dass derartige Rechte nicht zum verfassungsrechtlich geschützten Eigentum gehören. Aber inzwischen erkennt das BVerfG vermögenswerten öffentlichen Rechten Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG zu, wenn im Einzelfalle ein subjektives öffentliches Recht dem Inhaber eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht; siehe BVerfGE 1, 264 (277 f.); 4, 219 (241); 14, 288 (293); 15, 167 (200); 16, 94 (111); 18, 392 (397); 24, 200 (225 f.); 40, 65 (83); 53, 257 (289); 72, 9 (19). Vgl. auch Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, S. 383. 6 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 381. 7 PrOVGE 64, 247 (252). 8 Schmölders, in: HwStR II, S. 1680. 9 Schmölders, in: HwStR II, S. 1680.

B. Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff 

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B. Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff I. Die frühere Rechtsprechung des BVerfG 1. Darstellung Ursprünglich war das BVerfG der Meinung, dass die Eigentumsgarantie schon vom Schutzbereich her für die Steuernormen nicht einschlägig ist. In der Investi­ tionshilfeentscheidung vom 20. Juli 1954 wies das BVerfG deutlich darauf hin, dass „Art.  14 GG nicht das Vermögen gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldleistungspflichten schützt. Solche Geldleistungspflichten […] berühren nicht die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes.“10 Zur Begründung seiner ursprünglichen Position führt das BVerfG aus, dass Art. 14 Abs. 1 GG mit dem Eigentum nur einzelne Vermögensgüter gewährleistet, nicht das Vermögen als Ganzes. Art. 14 Abs. 1 GG schützt mit dem Eigentum nur bestimmte Bestandteile des Vermögens; das Vermögen als Ganzes, nämlich die Zusammenfassung aller individuell zugeordneten Vermögenswerte, falle nicht in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG.11 Die dieser Auffassung weiter folgende Rechtsprechung des BVerfG (Erster ­Senat)12 war insoweit von hoher praktischer Bedeutung für das Steuerrecht, als dass der Steuerträger sich gegenüber der Auferlegung von Geldzahlungspflichten nicht auf Art. 14 GG berufen konnte.13 Denn die Steuerschuld ist nicht mit konkretisierbaren Vermögensgütern zu erfüllen, sondern aus dem Vermögen insgesamt. Sollte dies richtig sein, dann bietet Art. 14 Abs. 1 GG gegenüber der Steuer überhaupt keinen Schutz.14 Um dies zu vermeiden, relativierte der Zweite Senat im Beschluss zum Fremdrentengesetz vom 24. Juli 1962 diese bisherige kategorische Ablehnung eines Vermögensschutzes durch Art. 14 Abs. 1 GG durch den ersten Senat. Der Zweite Senat hat dies mit der Einschränkung versehen, dass „ein Verstoß gegen Art. 14 GG allenfalls dann in Betracht komm[t], wenn die Geldleistungspflichten den Pflichtigen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würden“.15 Das heißt, dass dann, wenn eine Abgabe konfiskatorische16 bzw. erdrosselnde17 Wirkung entfaltet, der Zweite Senat einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG in Betracht zieht.18 10

BVerfGE 4, 7 (17). Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 1039. 12 BVerfGE 74, 129 (148); 78, 232 (243); 81, 108 (122). 13 J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 726. 14 Vgl. BVerfGE 75, 108 (154): „Dieses Grundrecht schützt nicht, wie das Bundesverfassungsgericht stets betont, das Vermögen als solches gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldleistungspflichten […].“ 15 BVerfGE 14, 221 (241). 16 BVerfGE 23, 288 (314). 17 BVerfGE 30, 250 (272 f.). 18 Bryde, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 14 Rn. 23; Depenheuer, in: v. Mangoldt / K lein / ​ Starck, GG I, Art. 14 Rn. 167; Wieland, in: Dreier, GG I, Art. 14 Rn. 65. 11

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

2. Kritik Diese Einschränkung ist dennoch aus zwei Gründen in die Kritik geraten: Zum einen ist die einschränkende Klausel in sich widersprüchlich. Dazu hat Jörn Ipsen mit Recht darauf hingewiesen,19 dass ein Grundrecht nämlich seinem Tatbestand nach entweder einschlägig oder nicht einschlägig sei und dieser nicht zuletzt durch das geschützte Rechtsgut bestimmt werde. Wenn die Eigentumsgarantie auf jeden Fall vor einer „Erdrosselungssteuer“ schützen sollte, setzte dies logisch und grundrechtsdogmatisch voraus, dass die Eigentumsgarantie gegenüber jeder Auferlegung von Geldleistungspflichten einschlägig ist.20 Dass der Eingriff eine bestimmte Schwelle überschreiten muss und ein Grundrecht nur dann für den Fall für einschlägig zu erklären sei, lasse sich nicht vertreten. Richtig erscheint folgende Überlegung: Werden nur einzelne konkrete Rechtspositionen von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt, nicht das Vermögen als Ganzes, dann kann auch ein besonders intensiver Zugriff auf das Vermögen keinen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts darstellen. Sonst würde der Umfang des Schutzbereichs von der Qualität des Eingriffs her bestimmt, sodass die Reihenfolge von Schutzbereich und Eingriff umgekehrt würde.21 Dann zeigt sich, dass die Unterscheidung zwischen der tatbestandlichen Einschlägigkeit des Art. 14 Abs. 1 GG und einem Eingriff sich in der Auffassung der früheren Rechtsprechung des BVerfG vermengt.22 Zum anderen läuft die einschränkende Klausel leer. Das BVerfG hat in noch keinem Fall eine Steuer als erdrosselnd oder konfiskatorisch beanstandet;23 die Erdrosselungssteuer24 ist dann zutreffend mit dem Ungeheuer von Loch Ness ver­ glichen worden: Keiner hat es je gesehen, aber alle schreiben darüber.25 Obwohl das BVerfG betont, dass Art. 14 Abs. 1 GG den Steuerpflichtigen vor einem erdrosselnden oder konfiskatorischen Eingriff und einer grundlegenden Veränderung seiner Vermögensverhältnisse bewahrt, hat P.  Kirchhof bezüglich 19

J. Ipsen, in: FS Badura, S. 201 (204); J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 727. Vgl. Friauf, DStJG 12 (1989), S. 3 (22); Seer, FR 1999, S. 1280 (1283). 21 Vgl. Depenheuer, in: v.  Mangoldt / K lein / Starck, GG  I, Art. 14 Rn. 163; Heintzen, in: v. Münch / Kunig, GGK II, Art. 105 Rn. 14. 22 Vgl. Bryde, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 14 Rn. 23. 23 Sowohl in BVerwGE 110, 265 wurde eine kommunale Hundesteuersatzung, die für Kampfhunde einen achtfach höheren Steuersatz vorsieht, nicht als Erdrosselungssteuer beanstandet, als auch nicht im BGH-Urteil vom 22. September 1988 – IX ZR 263/87, NJW 1989, S. 1352 f. bei einem Einkommensteuersatz von 76,2 Prozent des zu versteuernden Einkommens in der ehemaligen DDR. 24 Das klassische Beispiel einer Erdrosselungssteuer wird in der Nachtigallensteuer gesehen, die die Stadt Potsdam im Jahr 1844 zum Schutz der Nachtigallen in den königlichen Gärten einführte. Siehe oben, 1. Kap. C II 2; Birk, Steuerrecht I, 2. Aufl., § 2 Rn. 15; Vogel / Waldhoff, in: BK, GG, Vorbem. zu Art. 104 a - 115 Rn. 392; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 27. 25 Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, S. 37; Heintzen, in: v. Münch / Kunig, GGK II, Art. 105 Rn. 14. Ähnlich auch Trzaskalik, Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts zu empfehlen?, S. 35 („Phantom“). 20

B. Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff 

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der praktischen Sinnlosigkeit von Art. 14 Abs. 1 GG im Steuerrecht, insbesondere für die Steuergesetze mit reinen Fiskalzwecken, eine andere Auffassung. Seiner Ansicht nach verkennt die These, die Eigentumsgarantie schütze nicht vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten, die Verknüpfung von Privateigentum und Steuerrecht, die durch Art. 14 GG erfolge. Wenn der Gesetzgeber nach Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG ermächtigt sei, eine Allgemeindienlichkeit des privaten und privatnützig bleibenden Wirtschaftsgutes durch Besteuerung zu verwirklichen, knüpfe die Steuerpflichtigkeit in der Tat nicht an einzelne Vermögensgüter, sondern an das Vermögen insgesamt an.26 Das heißt, dass durch Art. 14 Abs. 1 GG die Eigentümerfreiheit und damit ein bestimmter Handlungsspielraum des Eigentümers geschützt werden sollen, der durch die Auferlegung von Steuern beengt wird.27 Und um das auf der Rechtfertigungsebene ineffiziente Verhältnismäßigkeitsprinzip auf andere Weise zu konkretisieren, hat P. Kirchhof auf die in Art. 14 Abs. 2 GG enthaltene Vorgabe abgestellt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dieses „zugleich“ bedeute im Wesentlichen zu gleichen Teilen und erlaube deshalb eine Besteuerung allenfalls bis in die Nähe der hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand.28

II. Die Einheitswertbeschlüsse Mit den beiden Einheitswertbeschlüssen vom 22. Juni 1995, insbesondere aber dem Beschluss zur Vermögensteuer, ist der Zweite Senat des BVerfG, dem P. Kirchhof angehört hat, von dieser oben genannten früheren Rechtsprechung grund­legend abgerückt. Er hat eine Auslegung des Art. 14 Abs. 2 GG vorgenommen, die bezogen auf das Steuerrecht eine Halbteilung zwischen privater und öffentlicher Hand vorsieht.29 1. Vermögensteuerbeschluss Das BVerfG hatte die Vereinbarkeit des § 10 Nr. 1 VStG mit Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen und kam zu dem Ergebnis, dass die Vermögensteuer de lege lata mit dem Gleichheitssatz unvereinbar ist. Zum Zweck der Vermögensbesteuerung müssen die Vermögensgüter des Steuerpflichtigen, sofern sie nicht in Geld bestehen, bewertet, d. h. in Geld umgerechnet werden. Bei der Beschlussbegründung sind die Wertverzerrungen, die sich aus der ungleichen Bewertung von einheitswert­ 26 P. Kirchhof, Besteuerung, S. 23; P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HdbStR V, 3. Aufl., § 118 Rn. 126. 27 P. Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), S. 270 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HdbStR V, 3. Aufl., § 118 Rn. 121. 28 P. Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), S. 282; P. Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HdbStR V, 3. Aufl., § 118 Rn. 126. 29 BVerfGE 93, 121.

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

gebundenem Vermögen (Immobilien) und anderem Vermögen (z. B. Wertpapieren) ergeben, angeführt worden, weil die Ausgestaltung der Vermögensteuer zu nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen führte und diese Steuer daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß.30 Zwei unterschiedliche Methoden, nämlich die Gemeinwertmethode und die Einheitswertmethode, werden im BewG betrachtet. Der gemeine Wert ist der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre.31 Er ist realitätsnah, weil der gemeine Wert bei der jeweiligen Steuerveranlagung ermittelt wird. Im Gegensatz zur Gemeinwertmethode ist der Einheitswert ein Wert, der für mehrere Steuerveranlagungen in einem gesonderten Feststellungsverfahren festgesetzt wird. Entscheidend ist, dass die Feststellung von Einheitswerten in der Regel zeitlich vor der Steuerveranlagung liegt und darum, im Unterschied zur Festsetzung gemeiner Werte, nicht realitätsnah ist. Dieser Nachteil wird durch die mit Einheitswerten verbundene Verfahrensvereinfachung gerechtfertigt. Die Einheitswerte für Grundstücke sind in diesem vom BVerfG entschiedenen Fall letztmalig zum Jahr 1964 festsetzt worden,32 weshalb aus diesem Grund keine realitätsnahe Bewertung mehr gegeben ist. Dies führt infolge der Geldwer­ tung dazu, dass im Rahmen der Ermittlung der vermögensteuerlichen Bemessungsgrundlage Grundbesitz zu Einheitswerten bewertet und sein Wert nur noch annähernd erfasst wird, während Betriebs- und sonstiges Vermögen nach dem Gemeinwertprinzip bewertet wird und mit seinem tatsächlichen Wert in die Vermögensbesteuerung eingeht. Dies stellt nach Meinung des BVerfG eine Ungleichbehandlung dar, weil das übrige Vermögen anders als Grundvermögen diskriminiert wird.33 Zu diesem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kommt es, weil nach dem VStG für einheitswertgebundenes und für nicht einheitswertgebundenes Vermögen derselbe Steuertarif galt, sodass die Vermögensteuer einheitswertgebundenes und nicht einheitswertgebundenes Vermögen ungleich belastete. Die Inhaber einheitswertgebundenen Vermögens wurden durch Niedrigbewertungen steuerlich geschont. Das Missverhältnis wuchs in dem Maß, wie trotz Inflation die Einheitswerte nicht aktualisiert wurden. Darüber hinaus hat das BVerfG neben Art. 3 Abs. 1 auch Art. 14 Abs. 1 GG geprüft. Dazu macht es zwei grundlegende Aussagen:34 (1)  „Die verfassungsrechtlichen Schranken der Besteuerung des Vermögens durch Einkommen- und Vermögensteuer begrenzen den steuerlichen Zugriff auf die Ertragsfähigkeit des Vermögens.“ (2) „Die Vermögensteuer darf zu den übrigen Steuern auf den Ertrag 30

Vgl. Wernsmann, NJW 2006, S. 1169. Siehe § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG. 32 In den neuen Bundesländern gelten sogar die Werte der ersten Einheitswertfeststellung vom Jahr 1935. Siehe Dehne, Ober- und Untergrenzen der Steuerbelastung, S. 26, Fußn. 146. 33 Dehne, Ober- und Untergrenzen der Steuerbelastung, S. 26. 34 BVerfGE 93, 121. 31

B. Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff 

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nur hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt.“ Sollte der Steuergesetzgeber sich entscheiden, die Vermögensteuer wieder einzuführen, muss er diese als Sollertragsteuer ausgestalten, sodass ihm nur noch ein enger Gestaltungsspielraum bleibt.35 Sollertragsteuer bedeutet, dass die Vermögensteuer nur so bemessen werden darf, dass sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt lässt und aus den üblicherweise zu erwartenden, möglichen Erträgen des Vermögensstammes bezahlt werden kann.36 Durch der Begriff der Sollertragsteuer wird dem Vermögensstamm selbst steuerlicher Bestandsschutz zuteil. Dieser Begriff wird maßgeblich damit begründet, dass die Vermögensteuer als wiederkehrende Steuer auf das ruhende – in der Regel aus bereits versteuertem Einkommen gebildete – Vermögen ausgestaltet ist. Nach der Entscheidung des BVerfG greift die Vermögensteuer „in die in der Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis über ein Vermögen angelegte allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen Bereich ein (Art. 14 GG). Das bedeutet, dass das geschützte Freiheitsrecht nur so weit beschränkt werden darf, dass dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten wird. Die Zuordnung der vermögenswerten Rechtsposition zum Eigentümer und die Substanz des Eigentums müssen gewahrt bleiben.“37 Ruhendes Vermögen darf angesichts der steuerlichen Vorbelastung des Einkommens in seiner Substanz nicht angegriffen werden, und die Vermögensteuer darf somit keine Substanzsteuer sein.38 „Andernfalls führte eine Vermögensbesteuerung im Ergebnis zu einer schrittweisen Konfiskation, die den Steuerpflichtigen dadurch übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde.“39 Neben der Begrenzung auf die Sollerträge begrenzt der ­Vermögensteuerbeschluss die Steuerbelastung über das Konfiskationsverbot durch den Halbteilungsgrundsatz. Nach Art. 14 Abs. 2 GG partizipiert nicht nur die Vermögenssubstanz, son-

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Siehe BVerfGE 93, 121 (137). Siehe BVerfGE 93, 121 (137). 37 BVerfGE 93, 121 (137). 38 Siehe BVerfGE 93, 121 (137): „Nach diesen Maßstäben bleibt unter den Bedingungen des gegenwärtigen Steuerrechts, nach denen das Vermögen bereits durch die Steuern auf das Einkommen und den Ertrag, der konkrete Vermögensgegenstand meist auch durch indirekte Steuern vorbelastet ist, für eine ergänzende Besteuerung dieses mehrfach vorbelasteten Vermögens von Verfassungs wegen nur noch ein enger Spielraum.“ 39 BVerfGE 93, 121 (137). 36

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

dern auch der Vermögensertrag am Schutz durch die Verfassung.40 Wurden die Sollerträge im Verhältnis zur Gesamtsteuerbelastung nicht bereits zur Hälfte aufgezehrt, ist die Vermögensteuerbelastung verfassungskonform. Eine nähere Begründung für das Halbteilungskriterium gibt das BVerfG nicht. Man findet allenfalls Begründungsansätze, so wie etwa die Aussage, dass „der Steuergesetzgeber nicht beliebig auf Privatvermögen zugreifen darf, der Berechtigte vielmehr von Verfassungs wegen einen Anspruch [sic!] darauf hat, dass ihm die Privatnützigkeit des Erworbenen und die Verfügungsbefugnis über geschaffene vermögenswerte Rechtspositionen jedenfalls im Kern erhalten bleiben.“41 2. Erbschaftsteuerbeschluss Der Erbschaftsteuerbeschluss ist am selben Tag zusammen mit dem Vermögensteuerbeschluss ergangen. Das Gericht hat § 12 Abs. 1 und 2 ErbStG i. V. m. dem Ersten und Zweiten Teil des BewG als mit dem Gleichheitsgrundsatz aus dem Grund unvereinbar angesehen, „als sie [die Normen] die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer für Grundbesitz auf der Grundlage von zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswerten, für Kapitalvermögen hingegen zu Gegenwartswerten ansetzen.“42 Wie beim am selben Tag ergangenen Vermögensteuerbeschluss werden die Wertverzerrungen als Begründung angeführt, die aus der verschiedenen Bewertung von einheitswertgebundenem und nicht einheitswertgebundenem Vermögen entstehen.43 Darüber hinaus wird die Belastung der Unternehmensnachfolge durch die Erbschaftsteuer in dem Beschluss besonders herausgestellt. Der das Unternehmen fortführende Erbe unterliegt auf Grund der Gemeinwohlgebundenheit des Vermögens einer beschränkten Dispositionsfreiheit.44 Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass die Existenz von bestimmten Betrieben, namentlich von mittelständischen Unternehmen, durch zusätzliche finanzielle Belastungen, wie sie durch die Erbschaftsteuer auftreten, gefährdet werden könnte. Derartige Betriebe, die durch ihre Widmung für einen konkreten Zweck verselbständigt und als wirtschaftlich zusammengehörige Funktionseinheit organisiert sind, seien in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet: Sie unterliegen als Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen insbesondere durch Verpflichtungen gegenüber den Arbeitsnehmern, das Betriebsverfassungsrecht, das Wirtschaftsverwaltungsrecht und durch die langfristigen Investitionen einer gesteigerten rechtlichen 40 Bis zur Postulierung des Halbteilungsgrundsatz in Jahr 1995 sah die Rechtsprechung des BVerfG in Art. 14 Abs. 2 GG keinen Schutz des Vermögens gegenüber der Besteuerung vor; siehe Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 438 f. 41 BVerfGE 93, 121 (135). 42 BVerfGE 93, 165 (172). 43 Dehne, Ober- und Untergrenzen der Steuerbelastung, S. 29. 44 Dehne, Ober- und Untergrenzen der Steuerbelastung, S. 29.

B. Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff 

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Bindung. Die Erbschaftssteuer in dieser Ausgestaltung hätte zur Folge, dass der durch den Erbfall erworbene Vermögenszuwachs voll abgeschöpft wird. Die Erbschaftsteuerlast müsse so bemessen werden, dass die Fortführung des Betriebes steuerlich nicht gefährdet werde. Diese Verpflichtung, eine verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen, sei unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben.45 Der Zugriff des Steuergesetzgebers „auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze erst dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt“.46 3. Herleitung des Halbteilungsgrundsatzes und seine Folgerungen Der Zweite Senat des BVerfG hat mit den Einheitswertbeschlüssen eine Grundrechtsinterpretation getroffen, wonach die Vermögensteuer zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten darf, soweit die Gesamtbelastung der Sollerträge durch diese und andere Steuern, namentlich die Einkommensteuer, bei einer typisierenden Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt.47 Die Grundrechte entfalten damit nach dem Halbteilungsgrundsatz eine Schutzfunktion gegen eine übermäßige Steuerbelastung, deren Kern die Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG bildet.48 Kern dieser Auslegung und der Diskussion um eine steuerliche Obergrenze ist Art. 14 Abs. 2 GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Im Schrifttum ist versucht worden, das Halbteilungskriterium mit dem Adverb „zugleich“ in Art. 14 Abs. 2 GG zu begründen. Das Adverb „zugleich“ ist nach P. Kirchhof nicht als Zeitbegriff, sondern als Wertbegriff zu verstehen.49 Dafür spricht, dass die Steuerbelastung Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums ist. Dies setzt freilich voraus, dass man das Vermögen als Ganzes als verfassungsrechtliches Eigentum begreift, da der Steuerzugriff auf das Vermögen als solches, nicht auf konkreten Eigentumsgütern lastet. Dementsprechend ist eine Gleichwertigkeit zwischen den Besteuerungsansprüchen des Staates und der Privatnützigkeit des Erworbenen gegeben. Das bedeutet, dass die Eigentums­garantie nicht den steuerlichen Zugriff auf Eigentum verbietet, sondern ihn in einem eigentumsrechtlich konkretisierten Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt.50 Daher ist 45

BVerfGE 93, 165 (175 f.). BVerfGE 93, 165. 47 BVerfGE 93, 121. 48 Der im Vermögensteuerbeschluss festgelegte Halbteilungsgrundsatz ist wesentlich durch die vom Zweiten Senat vertretene steuerrechtliche Interpretation des Art. 14 Abs. 2 GG begründet; siehe Dehne, Ober- und Untergrenzen der Steuerbelastung, S. 30. 49 Vgl. P.  Kirchhof, VVDStRL  39 (1981), S. 282; P.  Kirchhof, in: Isensee / K irchhof, HdbStR V, 3. Aufl., § 118 Rn. 126. 50 P. Kirchhof, in: Steuern im Verfassungsstaat, S. 27 (45). 46

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

bei Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes, der eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist, eine verhältnismäßige Besteuerung gewährleistet. Daraus ergibt sich der Anspruch des Steuerpflichtigen auf die „Privatnützigkeit des Erworbenen“. Und diese ist gegeben, wenn der „Kernbestand des Erfolges“ beim Steuerpflichtigen verbleibt, er dementsprechend über sein Eigentum verfügen kann.51 Das heißt, dass die Zuordnung der vermögenswerten Rechtspositionen zum Eigentümer und die Substanz des Eigentums gewahrt bleiben müssen.52 Die Ausführungen des Zweiten Senats des BVerfG in den Einheitswertbeschlüssen wird man daher folgendermaßen verstehen müssen: (1) Das Vermögen als Ganzes fällt unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff. (2) Die Belastung ist ein Eingriff in diesen Schutzbereich. (3) Die Vermögensteuer wird als Eingriff in Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis über das Vermögen als Ganzes gewertet und an Art. 14 GG gemessen. (4) Der Eingriff lässt sich verfassungsrechtlich rechtfertigen, solange die Steuer im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums verbleibt. (5) Das ist grundsätzlich der Fall, solange die Grenze hälftiger Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand durch die steuerliche Gesamtbelastung nicht überschritten ist. Die Einheitswertbeschlüsse weichen von zwei Grundannahmen des BVerfG, die zum Teil als eiserne Grundregeln der Eigentumsgarantie qualifiziert worden sind, ab. Die erste dieser Grundannahme lautet: Nicht geschützt wird das Vermögen als Ganzes. Die zweite Grundannahmen lautet: Art. 14 GG schützt nicht vor dem Steuergesetzgeber. Letzteres ist nun anders: Die Abschaffung der Vermögensteuer ist Art. 14 GG geschuldet.

III. Die Kehrtwende des Zweiten Senats Der im Jahr 1995 aufgestellte Halbteilungsgrundsatz ist, wie oben erwähnt, mit Art. 14 Abs. 2 GG begründet worden, wonach der Gebrauch des Eigentums zugleich dem privaten Nutzen und dem Allgemeinwohl dient.53 Dennoch blieb der Erste Senat des BVerfG zu einem späteren Zeitpunkt seiner Rechtsprechung treu, demgemäß Steuerbelastungen nur an der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, nicht aber an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen seien;54 auch der BFH zeigte sich in Bezug auf eine Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes skeptisch.55 Nach den Einheitswertbeschlüssen ergingen zunächst keine Urteile des Zweiten Senats mehr zu Fragen der grundrechtlichen Begrenzung des Steuergesetzgebers. Erst das Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen die den Halbteilungsgrundsatz ablehnende

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Dehne, Ober- und Untergrenzen der Steuerbelastung, S. 31. BVerfGE 93, 121 (137). 53 BVerfGE 93, 121 (138). 54 BVerfGE 95, 267 (300); 96, 375 (397). 55 BFHE 189, 413 (417 ff.). 52

B. Eigentumsgarantie als Schranke für den staatlichen Steuerzugriff 

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Entscheidung des BFH vom August 1999 zur Einkommen- und Gewerbesteuer nutzte der Zweite Senat für einen erneuten Beschluss zu dieser Fragestellung. 1. Ablehnung des Halbteilungsgrundsatzes Der Zweite Senat reduzierte in dem Beschluss vom 18. Januar 2006 den Halbteilungsgrundsatz so weitgehend, dass für ihn, wenn er überhaupt noch Gültigkeit besitzt, nur ein kleiner Anwendungsbereich bleibt. Zunächst betont er, dass sich den Ausführungen im Beschluss vom 22. Juni 1995 keine Belastungsobergrenze entnehmen lasse, die unabhängig von der Vermögensteuer Geltung beanspruchen könne und auf andere Steuerarten – wie die Einkommen- und Gewerbesteuer – übertragbar wäre. In der Entscheidung werde der „Halbteilungsgrundsatz“ allein aus der vermögensteuerspezifischen Belastungssituation entwickelt und beziehe sich daher nur auf solche Belastungen, die mitursächlich auf eine Vermögensteuerbelastung zurückzuführen seien, bei der also die Vermögensteuer zu den übrigen Steuern „hinzutritt“.56 Der Senat interpretiert die Entscheidungen aus dem Jahre 1995 restriktiv.57 Denn seiner Auffassung zufolge sei der Inhalt der Einheitswertbeschlüsse allein die Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens durch eine Vermögensteuer, die neben der Einkommensteuer erhoben werde.58 Entsprechend knüpften die verwendeten Begriffe, wie etwa Vermögensstamm oder Substanz des Vermögens, nicht an Begriffe des Einkommen- und Gewerbesteuerrechts an und seien vor dem Hintergrund einer hinzutretenden Vermögensteuerbelastung zu verstehen.59 Allein auf dieses Zusammentreffen der Vermögensteuer mit den übrigen Steuern soll sich nach Ansicht des Senats der Halbteilungsgrundsatz als Belastungsobergrenze bezogen haben. Die daraus entstehende Belastungswirkung sei demgegenüber nicht ohne Weiteres mit der Belastungswirkung vergleichbar, die durch die Einkommen- und Gewerbsteuer oder allein durch die Einkommensteuer entstehe. Während eine hinzutretende Vermögensteuer gerade darauf angelegt sei, die vermögenswerten Rechtspositionen, die in ihrer Bemessungsgrundlage zusammengefasst werden, jährlich wiederholend und unabhängig vom tatsächlichen Ertrag als Besteuerungsobjekt heranzuziehen, zielten Einkommen- und Gewerbe(ertrag) steuer gerade darauf ab, einen tatsächlichen Hinzuerwerb nur einmal, im Jahr seiner Entstehung, steuerlich zu erfassen.60 Diese inhaltlich eindeutige Aussage des Zweiten Senats, dass der Halbteilungsgrundsatz schon deshalb vorliegend keine

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BVerfGE 115, 97 (108). Vgl. Heintzen, in: Kunig / Nagata, 2009, S. 65 (68 ff.). 58 BVerfGE 115, 97 (108). 59 BVerfGE 115, 97 (109). 60 BVerfGE 115, 97 (109). 57

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

Rolle spiele, weil keine Vermögensteuerbelastung im Raum stand, hat ausgereicht, um das vorliegende Verfahren zu entscheiden.61 Trotz dieser Restriktion wird der Zweite Senat doch in seiner Absage an den Halbteilungsgrundsatz klar und deutlich:62 Der Beschluss führt aus, dass der Gesetzgeber das in Art. 14 GG angelegte Spannungsverhältnis zwischen der Garantie des Eigentums und dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung problem- und situationsbezogen jeweils zu einem interessengerechten Ausgleich zu bringen habe. Auch mit Blick auf die gesetzliche Auferlegung von Steuern könne Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG nicht mit Hilfe des Adverbs „zugleich“ als ein striktes, grundsätzlich unabhängig von Zeit und Situation geltendes Gebot hälftiger Teilung zwischen Eigentümer und Staat gedeutet werden.63 Obwohl der Senat schon darauf hingewiesen hat, dass die Vermögensteuer nicht Gegenstand dieses Verfahrens sei, schließt er diese Entscheidung mit einem solchen Hinweis: Im Übrigen könne dahinstehen, ob die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende Belastungsobergrenze bei einer Vermögensteuer, die zur Einkommen- und Gewerbesteuer hinzutrete, typischerweise „in der Nähe einer hälftigen Teilung“ zu finden sei.64 2. Erweiterung des gesetzgeberischen Handlungsspielraums Der Zweite Senat versucht in seinem Beschluss einen Mittelweg. Er vertritt – entgegen der ständigen Rechtsprechung des Ersten Senats – in dieser Entscheidung ausdrücklich die Auffassung, dass zumindest in den Fällen, in denen eine Steuer an einen Erwerbstatbestand anknüpft, sie in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie fällt. Er stellt ausdrücklich fest:65 „Ist es der Sinn der Eigentumsgarantie, das private Innehaben und Nutzen vermögenswerter Rechtspositionen zu schützen, greift auch ein Steuergesetz als rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie ein, wenn der Steuerzugriff tatbestandlich an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft und so den privaten Nutzen der erworbenen Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt.“ Dies bedeutet, dass der Senat

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Sacksofsky, NVwZ 2006, S. 661. Obwohl die Formulierung des Halbteilungsgrundsatzes auch in den Leitsatz 3 der Entscheidung im Jahr 1995 aufgenommen wurde, stellte der Zweite Senat über die Relativierung der Geltungskraft hinaus fest, dass den Ausführungen zur absoluten Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung keine Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG zukomme. Denn es habe sich um ein bloßes obiter dictum handelt. Als verfassungsrechtliche Belastungsobergrenze ergebe sich der Halbteilungsgrundsatz weder aus dem Tenor noch aus den ihn tragenden Gründen; siehe BVerfGE 115, 97 (109). Vgl. Wernsmann, NJW 2006, S. 1169. 63 BVerfGE 115, 97 (114). 64 BVerfGE 115, 97 (118). 65 BVerfGE 115, 97 (111). 62

C. Begrenzung von Fiskalzwecknormen 

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den Schutz des Vermögens als solches weiter offenlassen will.66 Denn jedenfalls seien die Einkommen- und Gewerbesteuer als Beeinträchtigung konkreter subjektiver Rechtspositionen zu qualifizieren.67 Diese Steuerarten knüpfen nämlich an den Bestand des Hinzuerworbenen und insofern an vermögenswerte Rechte im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG an, indem Zugänge an geldwerten Gegenständen und dinglichen oder obligatorischen Rechten steuerlich erfasst werden.68 Der erfolgte Hinzuerwerb von Eigentum im Sinne des Art. 14 GG sei tatbestandliche Voraussetzung für die belastende Rechtsfolgenanordnung.69 Zudem belässt der Zweite Senat dem Gesetzgeber einen weiten Einschätzungsspielraum, da nach dem Verständnis des Senats aus dem in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Maßstab, der lediglich den Rahmen der Abwägung kennzeichnet, sich keine allgemeinverbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung („Halbteilungsgrundsatz“) ableiten lasse, sondern vielmehr die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auch bei der Schrankenbestimmung durch Auferlegung von Steuerlasten, die an vermögenswerte Rechtspositionen anknüpfen, durch die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit begrenzt werde.70 Das bedeutet, dass Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nach Auffassung des Senats dann gerechtfertigt sind, wenn sie verhältnismäßig sind. Die anzustellende Verhältnismäßigkeitskontrolle erweitert nach der Auffassung des Zweiten Senats den ohnehin sehr weiten Handlungsspielraum des Gesetzgebers sogar noch, weil, abgesehen vom Fall der erdrosselnden Steuern, die Geeignetheit und die Erforderlichkeit einer Steuererhebung mit dem Zweck der Beschaffung von Finanzmitteln immer bejaht werden könne; allein aus dem Element der Unangemessenheit können sich im Einzelfall Obergrenzen für eine Steuerbelastung ergeben.71

C. Begrenzung von Fiskalzwecknormen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip? Die Frage, ob Art. 14 Abs. 1 GG vor der Auferlegung von Steuern schützt, ist nach dem Gesagten umstritten.72 Eine Antwort auf diese Frage könnte sich aus einer chronologischen Analyse der Entscheidungen des BVerfG ergeben. Der Schutz 66

Sacksofsky, NVwZ 2006, S. 661 (662). BVerfGE 115, 97 (112). 68 BVerfGE 115, 97 (112). Vgl. Dederer, in: BK, GG, Art. 14 Rn. 175. 69 BVerfGE 115, 97 (112). 70 BVerfGE 115, 97 (114). Siehe auch BVerfGE 115, 97 (114 f.): „Soweit im Einzelfall keine vermögenswerte Rechtsposition betroffen ist, gilt der gleiche Maßstab zur Rechtfertigung einer Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 1 GG, der ebenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle hinreichend Spielraum für die Gewichtung der Freiheitsbeeinträchtigung und des rechtfertigenden öffentlichen Interesses lässt.“ 71 BVerfGE 115, 97 (115). 72 Siehe 2. Kap. A. 67

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

bereich des Art. 14 GG wird herkömmlich auf bestimmte Eigentumsobjekte beschränkt. Daraus folgt, dass Art. 14 Abs. 1 GG nicht vor der staatlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten schützt, weil das fluktuierende Vermögen als solches nicht in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie fällt.73 Der Erste Senat hatte eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts lediglich dann in Betracht gezogen, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie eine erdrosselnde Wirkung hätten.74 Gegen diese zu enge und dogmatisch inkonsistente Schutzbereichsbestimmung, wonach die Reihenfolge von Schutzbereich und Eingriff umgekehrt wird, sind schon lange Einwände im Schrifttum erhoben worden.75 Ob das Vermögen als Ganzes von Art. 14 Abs. 1 Satz  1 GG geschützt wird, wollte das BVerfG im Beschluss vom 18. Januar 2006 offenlassen; es bejaht aber, dass der Geldentzug in den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt, wenn die Geldleistungspflicht an von der Eigentumsgarantie geschützte vermögenswerte Rechtpositionen anknüpft.76 Dennoch können sich aus der Rechtsprechung des BVerfG weder absolute noch im Einzelfall wirksame quantitative Obergrenzen der Besteuerung ableiten lassen. Deshalb vermeidet der Zweite Senat, trotz der Entscheidung, den Schutzbereich von Art. 14 GG bei Steuern, die an Ertrag anknüpfen, als eröffnet anzusehen, eine quantitative Begrenzung des Steuergesetzgebers. Allerdings hat das Verständnis des Zweiten Senats in dieser Entscheidung aus dem Jahr 2006 73

BVerfGE 95, 267 (300). BVerfGE 95, 267 (300). 75 Sacksofsky, NVwZ 2006, S. 661. Vgl. Wieland, in: Dreier, GG I, Art. 14 Rn. 65 ff. Laut Dederer könnte sich die Rechtsprechung des Ersten Senats bezüglich einer erdrosselnden Wirkung einer hoheitlich auferlegten Geldleistungspflicht mit folgender Überlegung, ohne dogmatische Kunstgriffe, „retten“ lassen: Obwohl Steuerzugriffe prinzipiell keine bestimmten, von Art. 14 Abs. 1 GG als Eigentum geschützten Rechtspositionen belasten, sei die Eigentumsgarantie in den Konstellationen, in denen der Steuerschuldner für die Erfüllung der Steuerpflichten praktisch gezwungen werde, sämtliche eigentumsfähigen Rechtspositionen aufzulösen, betroffen; dann greifen die Steuerpflichten wegen ihres Umfangs notwendig faktisch auf alle Eigentumsgegenstände zugleich zu. Werde die vom Ersten Senat geforderte „erdrosselnde Wirkung“ in diesem Sinne verstanden, erscheine seine Rechtsprechung wohl noch als dogmatisch plausibel; siehe Dederer, in: BK, GG, Art. 14 Rn. 172. A. A. Wernsmann, NJW 2006, S. 1169 (1172 f.). Laut Wernsmann liege kein Widerspruch vor, wenn angenommen werde, dass eine erdrosselnde Steuer gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen könnte. Denn die Argumentation, dass der Schutzbereich berührt sei, könne nicht von der Intensität des Grundrechtseingriffs abhängig sein und beruhe auf einer unzulässigen Vermengung der Belastungs- und Gestaltungswirkung. Führe in dem Beispiel der Nachtigallensteuer (siehe oben 1. Kap. C II 2) die enorme Höhe der Steuer auf das Halten von Nachtigallen dazu, dass niemand mehr eine Nachtigall halte, so gehe von der Androhung der Steuer – die begrifflich mangels Aufkommenswirkung schon keine mehr ist, sondern ein Verbot – eine verhaltensbeeinflussende Wirkung aus; diese führe im konkreten Fall zur Aufgabe des Eigentums an den Nachtigallen. Deshalb sei in diesem Fall Art. 14 Abs. 1 GG betroffen. Mit einem Vermögensentzug habe dieser Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG aber nichts zu tun. 76 Sacksofsky, NVwZ  2006, S. 661 (662). Dies wurde bisher nur in der Literatur, nicht aber vom BVerfG so vertreten. Vgl. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 17; Papier, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 14 Rn. 169 f. 74

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den Vorteil, dass die Begründung einer Schutzbereichseröffnung im Falle der erdrosselnden Wirkung von Steuern nunmehr keine dogmatischen Kunstgriffe mehr erfordert, weil der „Mittelweg“ des Schutzbereichs eröffnet ist.77 Trotz der dogmatischen „Rettung“ verändert die grundrechtsdogmatische Neuausrichtung des Schutzbereichs auf der Schrankenebene nichts an der Ungeeignetheit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Fiskalzwecknormen. Hier ist allgemein anerkannt, dass die Maßstäbe des verfassungslegitimen Zwecks, der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit bei dem intendierten Zweck, Einnahmen zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfs zu erzielen, zu unflexibel sind, um die Basis für ein Zweck-Mittel-Schema, wie sie jede Kontrolle der Verhältnismäßigkeit darstellt, zu bieten. Die Staatsfinanzierung als rein instrumentelle Staatsaufgabe ist vordergründig stets ein verfassungslegitimer Zweck; Steuern sind prinzipiell geeignet, dieses Ziel zu fördern. Auch sind weniger belastende Mittel im Sinne der Erforderlichkeit nicht ersichtlich.78 Und vor allem: Obwohl der Auffassung des BVerfG zufolge sich eine Obergrenze für eine Steuerbelastung im Rahmen einer Gesamtabwägung in der Angemessenheit finden könnte, versagt nach herrschender Lehre die im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit anzustellende Zweck-Mittel-Rationalität, namentlich die Inbeziehungsetzung von Eingriffsschaden und Eingriffsnutzen. Wegen der Abstraktheit der Größe „Geld“, der Uferlosigkeit des öffentlichen Finanzbedarfs sowie der instrumentellen Beziehung zu den damit zu finanzierenden Sachaufgaben muss das traditionelle grundrechtsdogmatische Instrumentarium hier versagen.79 Kurz gesagt: Es spielt durch diese Berücksichtigung des Finanzierungszwecks im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Ergebnis keine Rolle, ob man Geldleistungspflichten als Eingriff in Art. 14 GG oder nur in Art. 2 Abs. 1 GG80 ansieht.

D. Besonderheit bei Zwecksteuern Dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Gesamtdeckung zufolge muss das Steueraufkommen als Deckungsmittel für alle Staatsausgaben dienen. Eine Zweckbindung der Einnahmen ist dementsprechend mit dem Non-Affektationsprinzip nicht vereinbar, wonach die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegenüber einer Fiskalzwecksteuer relativ gesehen wirkungslos ist.81 Allerdings sind nach der Rechtsprechung des BVerfG „Zwecksteuern“, deren Verausgabung für einen bestimmten Zweck gesetzlich festgelegt ist, finanzverfassungsrechtlich 77

Vgl. Sacksofsky, NVwZ 2006, S. 661 (662). Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (305). 79 Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (305). Vgl. ferner Kirchhof, in: Merten / Papier, HGR III, § 59 Rn. 36; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 78; Wischmeyer, Die Kosten der Freiheit, S. 31. 80 Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 99. 81 Vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 182. 78

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

zulässig.82 Obwohl die Zwecksteuer nicht im Zentrum des Abgabensystems liegt, sondern höchstens im Randbereich positivrechtlich verwirklicht ist,83 muss sie in dieser Untersuchung wegen ihrer rechtlichen Verwendungsbindungen und der Durchbrechung des Grundsatzes der Gesamtdeckung verdeutlicht werden.

I. Typologie 1. Rechtliche Verwendungszwecke Ein typischer Fall der rechtlichen Einnahmenbindung einer Steuer in der geltenden Steuerordnung ist die Mineralölsteuer. Die Bindung erfolgt seit dem Jahre 1960 über das Straßenbaufinanzierungsgesetz.84 Nach dessen Art. 1 sowie 3 muss das Aufkommen mittlerweile85 in Höhe von 50 vom Hundert für Zwecke des Straßenwesens nach näherer Spezifizierung eines als Anlage zum Bundeshaushaltsplan auszustellenden Straßenbauplans verwendet werden.86 Es existieren weitere Beispiele für Zwecksteuern: Für das gesamte Aufkommen aus der Besteuerung des Heizöls bestand eine spezielle Zweckbindung dahingehend, dass, nach näherer Bestimmung durch den Bundeshaushaltsplan, dieses Aufkommen zur Finanzierung energiewirtschaftlicher Maßnahmen zur Anpassung des Steinkohlebergbaues an die veränderte Lage auf dem Energiemarkt und zu energiepolitischen Zwecken verwendet werden sollte; die Zweckbindung dieses Steueraufkommens wurde im Jahre 1989 aufgehoben.87 Die (Pferde-)Rennvereine, die einen Totalisator betreiben, erhalten gemäß § 16 des Rennwett- und Lotteriegesetzes88 eine Zuweisung in Höhe von bis zu 96 vom Hundert des Aufkommens der Totalisatorsteuer nach § 10 und der Buchmachersteuer nach § 11 und haben diese Beträge „zu Zwecken der öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde zu verwenden“. 82

BVerfGE 36, 66 (70 f.); 49, 343 (353 f.); 65, 325 (344). Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (291). 84 Gesetz v. 28.3.1960, BGBl. I 1960. Vgl. Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 114; Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (292 f.). Die Mineralölsteuer wurde im Jahr 2006 durch die Energiesteuer abgelöst. Das Mineralölsteuergesetz bzw. das Energiesteuergesetz regeln nur die Steuererhebung. Die Zweckbindung erfolgt unverändert über Art. 1 StrFinG, sodass sich inhaltlich über die Neuregelung keine Änderungen ergeben. 85 Nach Art. 1 Satz 1 StrFinG sind 46 Prozent des Aufkommens im Rechnungsjahr 1964, 48 Prozent im Rechnungsjahr 1965 und 50 Prozent in den folgenden Rechnungsjahren für Zwecke des Straßenwesens zu verwenden. 86 Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (293). 87 Nach Art. 4 des Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes v. 26. April 1960, BGBl. I 1960, 241, geändert durch das Änderungsgesetz v. 28. April 1971, BGBl. I 1971, 377. Siehe dazu Teichner, in: Teichner / Alexander / Reiche, MinöStG / MinöZoll, Vorbem. MinöStG Rn. 15; Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (293). 88 RGBl. I 1922, 335, 393. 83

D. Besonderheit bei Zwecksteuern 

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Neben konkreten Verwendungsbindungen finden sich gelegentlich vergleichsweise abstrakte Verwendungsbindungen in Präambeln zu Gesetzen; diese können nach deutscher Rechtstradition auch normative Wirkung entfalten. Der Eingangssatz des Feuerschutzsteuergesetzes vom 1. Februar 193989 sah vor: „Zur Förderung des Feuerlöschwesens und des vorbeugenden Brandschutzes wird von den Feuerversicherungsunternehmungen eine Feuerschutzsteuer als Reichssteuer erhoben.“ Waldhoff weist richtig darauf hin, dass solche recht allgemein gehaltenen Formulierungen nahtlos in allgemeine Zweckbestimmungen im Sinne ihrer Rechtfertigung durch Benennung des allgemeinen Gesetzeszwecks übergehen können, sodass die Verwaltungsvorschrift Nr. 1.1 zu § 8 BHO90 erfordere, dass die Zweckbindung im Gesetz „ausdrücklich“ vorgeschrieben sein müsse.91 2. Abgrenzung von zweckmotivierten Steuern Die positivrechtlich verankerten Verwendungsbindungen von Zwecksteuern müssen sich, nach Auffassung Waldhoffs, von den politischen Verwendungsabsichten zweckmotivierter Steuern unterscheiden; nur die rechtliche Bindung des Steueraufkommens kann zu Zwecksteuern führen, da Zwecksteuern und zweck­motivierte Steuern von unterschiedlicher Konstruktion und Intensität sind.92 Obwohl beide mit bestimmten öffentlichen Maßnahmen verknüpft sind, deren spezielle Kosten den Grund für ihre Erhebung bilden, erscheint als der wesentliche Unterschied die Verwendung der jeweiligen Steuereinnahmen: Während die zweckmotivierten Steuern zusammen mit allen übrigen Fiskalsteuern zu den allgemeinen Deckungsmitteln zu zählen sind, sind Zwecksteuern, haushaltrechtlich gesprochen, spezielle Deckungsmittel.93 Bestes Beispiel für eine Verknüpfung von politischen Zwecken mit einer Steuer ist, laut Waldhoff, der während der Wiedervereinigung eingeführte Solidaritätszuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, der in dem Gesetzentwurf der CDU / CSU und FDP in einer eher allgemeinen Form begründet wurde:94 „Vor dem Hintergrund der jüngsten Veränderungen in der Weltlage (Entwicklung im Mittleren Osten, in Südost- und Osteuropa und in den neuen Bun 89

RGBl. I 1939, 113. Dieses Gesetz galt bis 1979. § 8 BHO betrifft den Grundsatz der Gesamtdeckung. Die Verwaltungsvorschrift 1.1 zu § 8 BHO bestimmt, dass eine Beschränkung bestimmter Einnahmen auf die Verwendung für bestimmte Zwecke (Zweckbindung) durch Gesetz nur vorliegt, wenn im Gesetz eine Zweckbindung ausdrücklich vorgeschrieben ist. 91 Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (294). 92 Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (297). Die Verwendungsbindung ist zu einer Verwendungsabsicht abgeschwächt, wenn Aufgabenanlässe auf einer niedrigen Stufe als Begründung und somit Rechtfertigung einer Steuer etwa in den Gesetzmaterialien oder -beratungen erscheinen; siehe Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (295 f.). 93 Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 50. 94 BT-Drucks. 12/220. Die politische Legitimation des Solidaritätszuschlags vergeht mit dem zeitlichen Abstand zu den Anlässen seiner Einführung; siehe Waldhoff, StuW  2002, S. 285 (296). 90

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

desländern), die die Bundesrepublik Deutschland verstärkt in die Pflicht nehmen, müssen zur Finanzierung der zusätzlichen Aufgaben die Haushaltseinnahmen des Bundes verbessert werden.“ Da eine rechtliche Zweckbindung des Aufkommens nicht vorliegt und der Steuerzuschlag überhaupt in den allgemeinen Staatshaushalt fließt, ohne dass offensichtlich würde, mit wem „Solidarität“ geübt werden soll, ist dies keine Zwecksteuer.95 Dennoch ist die Abgrenzung zwischen Verwendungsbindung und Verwendungsabsicht nicht immer einfach. Beispielsweise liegt an der Grenze zu einer rechtlichen Verwendungsbindung eine mittelbare rechtliche Rückkopplung der Vorschriften über die Erstattung der Stromsteuer in § 10 Abs. 2 StromStG und der Mineralölsteuer in § 25a MinöStG, „welche die Entlastung bestimmter Betriebe von diesen Steuern mit deren Entlastung durch die Absenkung der zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge verbindet. Danach werden Unternehmen des produzierenden Gewerbes durch Erlass, Erstattung oder Vergütung nur insoweit von der Stromsteuer ausgenommen, als die Belastung durch diese Steuer um mehr als 20 Prozent über der Entlastung liegt, die das Unternehmen durch die Reduzierung des Arbeitgeberanteils an den Rentenversicherungsbeiträgen gewinnt.“96 Derartige Rückkopplungen werden in der Literatur als Zwecksteuer bewertet, weil in Verbindung mit der Widmung des Aufkommens die Zweckbestimmung nach dem expliziten Willen des Gesetzgebers einer normativen Zweckbindung gleichkommt.97 Waldhoff weist aber zutreffend darauf hin, dass hier nur eine politische Verknüpfung vorliegt, da sie durch eine regelungstechnisch zweifelhafte und die Qualität einer rechtlich strikten Verwendungsbindung nicht erreichende Rückkopplung ergänzt wird.98 3. Abgrenzung von Sonderabgaben Eine weitere Schwierigkeit existiert bei der Abgrenzung der Zwecksteuern von den Sonderabgaben. In der Regel werden Steuern und nichtsteuerliche Abgaben zunächst gemäß § 3 AO nach dem Kriterium, ob die Geldleistung der Abgabepflichtigen „eine Gegenleistung für eine besondere Leistung“ des Staates darstellt, begrenzt. Den Sonderabgaben als „steuerähnlichen Abgaben“ stehen jedoch die sonstigen nicht steuerlichen Abgaben gegenüber.99 Dazu hat das BVerfG aus der Perspektive der Sonderabgaben in der Entscheidung zur Fehlbelegungsabgabe 95

Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (296). Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (296). 97 Herdegen / Schön, Ökologische Steuerreform, S. 42. Vgl. auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 2 Rn. 16. Das BVerfG bestätigte in seinem Urteil vom 20. April 2004, BVerfGE 110, 274 (294) die Verknüpfung des Strom- und Mineralölsteueraufkommens mit der Senkung der Rentenversicherungsbeiträge. Dabei wies das BVerfG allerdings nicht darauf hin, ob die Verknüpfung eine politische oder rechtliche ist. 98 Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (296 f.). 99 Bei den Vorzugslasten, nämlich Gebühren und Beiträgen, fehlt die für Sonderabgaben charakteristische Steuerähnlichkeit; siehe dazu Jarass, DÖV 1989, S. 1013 (1015). 96

D. Besonderheit bei Zwecksteuern 

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deutlich festgestellt:100 „Wesentliches Merkmal einer Sonderabgabe ist, dass sie eine Geldleistungspflicht begründet, der keine Gegenleistung der öffentlichen Hand entspricht. Aus diesem Grund gerät jede Sonderabgabe zwangsläufig in Konkurrenz zu dem verfassungsrechtlich umfassend geregelten Institut der Steuer, mit dem sie jedenfalls insoweit übereinstimmt, als sie den Betroffenen eine Geldleistungspflicht ‚voraussetzungslos‘ […] auferlegt.“ Daher haben Steuern und Sonderabgaben ein gemeinsames Merkmal: „eine korrespondierende Gegenleistung der öffentlichen Hand“ wird nicht berücksichtigt.101 Daher ergibt sich der Unterschied von Sonderabgaben zu Steuern aus der eingehenden Bestimmung des Zwecks, für den diese Finanzmittel verwendet werden sollen. Das Aufkommen einer Steuer fließt in den allgemeinen Haushalt ein und kann nach Belieben verwendet werden.102 Zu den Steuern gehören allerdings auch Zwecksteuern, deren Aufkommen nur in einem begrenzten Bereich verwendet werden kann.103 Ihre Abgrenzung von Sonderabgaben ist darum nicht einfach. Das BVerfG grenzt sie dadurch ab, dass es sich dann um eine Steuer und nicht um eine Sonderabgabe handelt, „wenn das Aufkommen aus der Abgabe einem ‚öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen‘ endgültig zufällt und von diesem mindestens in den Grenzen, die für Zwecksteuern gelten, frei verwendet werden kann.“104 Diese Auffassung wird auch von Jarass vertreten und verallgemeinert. Er ist der Meinung, dass die Abgrenzung der Zwecksteuern von Sonderabgaben von der Konkretisierung des Verwendungszwecks abhängt. Während die Zwecksteuer eine „allgemeine Aufgabe“ erfüllt, erfüllt die Sonderabgabe vielmehr eine „besondere Aufgabe“.105 Dieses Kriterium krankt, laut Heun, dennoch daran, dass die Übergänge zwischen allgemeinen, spezifizierten und „hochspezifizierten“ Zweck­bindungen von Abgaben so fließend sind, dass sie keine klare Abgrenzung zwischen Zwecksteuern sowie Sonderabgaben ermöglichen.106 Aus dem Grund, dass eine Unterscheidung zwischen Zwecksteuern und Sonder­ abgaben anhand äußerer Merkmale nicht unzweifelhaft möglich ist, wird der ge 100

BVerfGE 78, 249 (267). Vgl. BVerfGE 78, 249 (267). 102 Jarass, DÖV 1989, S. 1013 (1017). 103 Jarass, DÖV 1989, S. 1013 (1017). Vgl. auch BVerfGE 7, 244 (254); 49, 343 (353 f.); 65, 325 (344). 104 BVerfGE 55, 274 (305). 105 Jarass, DÖV  1989, S. 1013 (1018). Siehe auch BVerfGE  55, 274 (310 f.): „Durch ihre Zweckbindung weist die Berufsausbildungsabgabe zwar eine gewisse Ähnlichkeit zur Zwecksteuer auf. Sie unterscheidet sich aber von ihr schon insoweit, als vom Aufkommen der Zwecksteuer eine allgemeine, von der Berufsausbildungsabgabe dagegen eine besondere Aufgabe, deren Bewältigung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in der herausragenden, spezifischen Verantwortung der Gruppe der Arbeitgeber liegt, finanziert werden soll. Im Übrigen ist, worauf die Bundesregierung zutreffend hinweist, eine so ‚hochspezifizierte Zweckbindung‘, wie sie der Gesetzgeber bei der Berufsausbildungsabgabe festgelegt hat, bei einer Zwecksteuer schwerlich vorstellbar. Soweit steuerliche Zweckbindungen überhaupt als zulässig gelten, haben sie erfahrungsgemäß allgemeineren Charakter.“ 106 Heun, DVBl. 1990, S. 666 (672). Vgl. auch Selmer, in: FS Mußgnug, S. 217 (230). 101

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

setzgeberische Regelungswille in der Literatur als der einzige Maßstab für die Zuordnung gesehen. So ist beispielsweise Osterloh der Ansicht, dass der Gesetz­ geber selbst entscheiden und in der tatbestandlichen Ausgestaltung erkennbar machen könne, ob er im Rahmen seiner finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzen die Abgabepflichtigen als Steuerbürger in Anspruch nehmen oder ob er im Rahmen seiner allgemeinen Sachkompetenzen nichtsteuerliche Sonderlasten begründen wolle.107 Zudem ist Thiemann der Meinung, dass eine Abgabe als nichtsteuerlich zu qualifizieren sei, wenn der Gesetzgeber einen besonderen, außersteuerlichen Belastungsgrund in Anspruch nehmen und nicht lediglich die allgemeine, als solche keiner Rechtfertigung bedürftige Steuerpflicht konkretisieren wolle.108 Nach Thiemann liegt eine Sonderabgabe vor, wenn für die Finanzierung eines bestimmten Staatshandelns eine Gruppe von Abgabepflichtigen als solche in Anspruch genommen wird und diese Inanspruchnahme ihren Rechtsgrund in einer besonderen Finanzierungsverantwortung findet. Ob dies im Verhältnis zur Alternative der Zwecksteuer der Fall sei, sei mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden zu klären.109 Eine Zwecksteuer liegt dann speziell nahe, wenn es ausdrücklich an einem zur Rechtfertigung einer Sonderabgabe geeigneten Zusammenhang zwischen der Gruppe der Abgabepflichten und der Verwendung des Abgabeaufkommens fehlt.110 Allerdings existiert im Schrifttum auch eine Gegenmeinung. Nach dieser lasse die objektive Ordnungsfunktion der Finanzverfassung kein Wahlrecht des Gesetzgebers dahingehend zu, ob er eine öffentliche Aufgabe mittels einer Steuer oder einer parafiskalischen Sonderabgabe finanziere.111 Entsprechend der Entscheidung des BVerfG stellt auch Siekmann die Ausweichmöglichkeit nicht in das Belieben des Gesetzgebers, sondern versagt ihm verfassungsrechtlich, „eine öffentliche Abgabe nach seiner Wahl im Wege der Besteuerung oder durch Erhebung einer ‚parafiskalischen‘ Sonderabgaben zu finanzieren.“112 Siekmann muss sich aber fragen lassen, ob seine Auffassung, die ein Wahlrecht des Gesetzgebers verneint, nicht unterschiedliche Dinge vermischt, weil ein Wahlrecht, also ein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, etwas anderes ist als die Frage nach der Zulässigkeit einer Sonderabgabe. Denn dass der Gesetzgeber nicht willkürlich eine öffentliche Aufgabe durch eine Sonderabgabe finanzieren darf und die Sonderabgaben seltene Ausnahmen113 bleiben müssen, ist klar. Es stellt sich nicht die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber ein Finanzmittel auswählen darf, sondern die Frage, ob eine Sonderabgabe den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen entsprechen kann. 107

Osterloh, JuS 1982, S. 421 (425). Thiemann, AöR 138 (2015), S. 77 f. 109 Thiemann, AöR 138 (2015), S. 78. 110 Thiemann, AöR 138 (2015), S. 78. 111 Droege, Die Verwaltung 46 (2013), S. 313 (322). Vgl. auch BVerfGE 55, 274 (300 ff.). 112 Siekmann, in: Sachs, GG, Vorbem. Art. 104a Rn. 160; BVerfGE 67, 256 (275 f.). Vgl. auch Ossenbühl, DVBl. 2005, S. 667. 113 Vgl. P Kirchhof, in: FS Friauf, S. 669 (671 ff.). 108

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II. Die Rechtfertigung der Zwecksteuern durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip? Die Fiskalzwecknormen verfolgen den Zweck, dem Staat finanzielle Einnahmen zu beschaffen. In dieser Beziehung können sich die Fragen des Verhältnismäßigkeitsprinzips sinnvollerweise nicht stellen: Will der Staat vom Steuerpflichtigen eine Steuerleistung in bestimmter Höhe, so versteht es sich von selbst, dass zu diesem Zweck nur eine Zahlung in genau dieser Höhe verhältnismäßig ist.114 Denn die Staatsfinanzierung als allgemeines Besteuerungsziel bietet kein Leitmotiv für den Steuergesetzgeber und die Steueranwendung.115 Bei den Zwecksteuern ist dies jedoch nicht der Fall. Die auf der Staatsrechtslehrertagung 1980 in Innsbruck vorgetragene Kritik von v.  Arnim an der herrschenden Ansicht könnte bei der Überprüfung der Zwecksteuern einen Impuls geben. Die Hauptthese seines Innsbrucker Referats lautet:116 „Die Erhebung von Steuern für öffentliche Ausgaben ist nur dann gerechtfertigt und mit Art. 14 GG vereinbar, wenn sie zum Wohle der Allgemeinheit erfolgt. Dies setzt voraus, dass die finanzpolitischen Entscheidungen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit i. w. S. entsprechen. Wirtschaftlichkeit bedeutet Verhältnismäßigkeit zwischen Steuerbelastung und Ausgabengewicht und verlangt, zugespitzt formuliert, dass die am wenigsten dringliche Ausgabe noch die Erhebung der am schwersten belastenden Steuer rechtfertigt.“ Der These v. ­Arnims zufolge ist bei Zwecksteuern eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführbar, und die Frage: „Wie hoch darf der Steuerzugriff in der Spitze sein?“ könnte sich nur in einem Verfahren des wechselseitigen Abwägens zwischen Besteuerung und Mittelverausgabung beantworten lassen.117 Laut Elicker führt der Vorgang der juristischen Abwägung zwischen der Aufbringung der Steuermittel und ihrer Verwendung nicht nur zu Aussagen in Bezug auf das Verhältnis der absoluten Höhe der Steuerbelastung zur Dringlichkeit der konkret wahrgenommenen Aufgabe; die Abwägung demonstriere auch, dass eine bestimmte Wirkung des Steuerzugriffs selbst im Licht „zwingender“ Staatsaufgaben als unangemessen zu bewerten sein kann.118 Dies setzt allerdings voraus, dass das Argument der Trennung von Einnahmenund Ausgabenseite, wonach sich der Blick auf die jeweils andere Seite verbietet, nicht einem Denkverbot gleichkommen muss.119 Schon v.  Arnim weist darauf hin, dass eine Prüfung bei der Steuererhebung ausscheiden muss: „Wäre jede Erhebung von Steuermitteln, aus denen auch irgendeine öffentliche Verschwendung finanziert wird, eigentumswidrig, so gäbe es wahrscheinlich kaum noch verfassungsgemäße Steuern.“120 Dies bedeutet, nach der Analyse Waldhoffs, dass auch 114

Herzog, in: FS 75 Jahre RFH – BFH, S. 105 (109). P. Kirchhof, in: Steuern im Verfassungsstaat, S. 27 (43). 116 v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 286 (316). 117 Vgl. Elicker, DVBl. 2006, S. 480 (486). 118 Elicker, DVBl. 2006, S. 480 (486). 119 Elicker, DVBl. 2006, S. 480 (486). 120 v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 286 (316). 115

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

die Vertreter eines Durchgriffs auf die Ebene der Steuerverwendung im Rahmen der freiheitsgrundrechtlichen Messung steuerlicher Regelungen Folgendes einräumen müssen: Es müsse grundsätzlich bei der Gesamtdeckung bleiben, und als Prüfungsmaßstab sei die Gemeinwohlbindung der Steuerverwendung schließlich wieder entscheidend.121 Dies bereitet freilich Probleme, denn nach Mußgnug sei das „Wohl der Allgemeinheit“ ein vager Begriff. Es gäbe keine materiellen Kriterien, aus denen sich herleiten ließe, ob eine öffentliche Ausgabe dem Gemeinwohl diene. Das Verfassungsrecht müsse daher auf anderen Wegen für die am Gemeinwohl orientierte Legitimation der öffentlichen Ausgaben und der zu ihrer Finanzierung eingeführten Geldleistungspflichten sorgen.122 Die Konkretisierung des Gemeinwohls sei Sache eines geordneten Verfahrens parlamentarischer Entscheidung.123 Wenn von Zweckbindung freie Steuern zum Nutzen aller zur Gesamtdeckung des Ausgabenbedarfs der öffentlichen Daseinsvorsorge erhoben werden, fördern diese öffentlichen Abgaben das „Gemeinwohl“. Allerdings steht die Gemeinnützigkeit bei den Zwecksteuern in Frage, weil sie nur für spezialisierte Sonderaufwendungen erhoben sowie verausgabt werden.124 Beispielsweise befriedigte die Mineralölsteuer mit ihrem zweckgebundenen Teil vorrangig die Forderung der Kraftfahrer nach einer Verbesserung des Straßenwesens. An die Stelle der Gemein­ nützigkeit der allgemeinen Steuern könnte bei den Zwecksteuern eine begrenzte Gruppennützigkeit treten.125 Allerdings weist Mußgnug zutreffend darauf hin, dass auch die allgemeinen Steuermittel zu einem guten Teil Ausgaben von ähnlich ausgeprägter Gruppennützigkeit decken. Daher schließen Gemeinwohl und Gruppenwohl einander nicht aus.126 Steuerrechtfertigung aus der Gemeinwohlverantwortung des Staates bedeutet, dass die Allgemeinheit der Steuer als Kern der Staatsfinanzierung der relativen Belastungsgleichheit der Steuerbürger entspricht.127 Aus diesem Grund soll etwa in keinem Fall die Zulässigkeit einer Popularklage des einzelnen Steuerpflichtigen gegen die Verschwendung öffentlicher Mittel ohne Rechtsänderung durch Auslegung geltenden Rechts konstruiert werden können.128 Bei den Zwecksteuern ist auch Jarass der Meinung, dass der Verwen 121

Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (306). P. Kirchhof, Diskussionsbemerkung, VVDStRL 42 (1984), S. 287, der auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Köln 1983 schon erwähnte: „Historisch war die Haushaltgesetzgebung ursprünglich eine Entscheidung über Finanzierungsziele und Finanzierungsmittel: Der Haushaltgesetzgeber bewilligte die Mittel, die benötigt wurden, um die finanzstaatlichen Ziele zu erreichen. Heute sind wir uns alle einig, an der Trennung von Verwaltungsrecht und Haushaltsrecht festzuhalten, weil sie einen hohen rechtsstaatlichen Gehalt hat: Die Trennung des Haushaltsrechts vom Steuerrecht gewährleistet, dass der Staat kontinuierlich Einnahmen erzielt, ein Haushaltskonflikt deshalb nicht die Finanzierbarkeit der laufenden Verbindlichkeiten des Staates gefährdet.“ 122 Mußgnug, in: FS Forsthoff, S. 259 (277). 123 Mußgnug, in: FS Forsthoff, S. 259 (277). 124 Mußgnug, in: FS Forsthoff, S. 259 (288). 125 Mußgnug, in: FS Forsthoff, S. 259 (288). 126 Mußgnug, in: FS Forsthoff, S. 259 (288 f.). 127 Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (306). 128 Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (306).

E. Fazit 

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dungszweck keinen rechtlichen Einfluss auf das Abgabenschuldverhältnis hat.129 In Ergebnis führt die Trennung der Besteuerung von einer konkreten Gegenleistung und von Finanzierungspflichten dazu, dass dem Staatsrecht die Aufgabe zukommt, die Besteuerungsgewalt zu begrenzen.130

E. Fazit Um die Voraussetzung der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Fiskalzwecknormen zu klären, wird in diesem Kapitel zunächst die Fragediskutiert, ob die Besteuerung einen Eingriff in den Schutzbereich des Eigentums darstellt. Das BVerfG lehnte es in seinen früheren Entscheidungen ab, mit Art. 14 GG das Vermögen gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldleistungspflichten zu schützen. Dennoch stellte der Zweite Senat des BVerfG mit den beiden Einheitswertbeschlüssen fest, dass das Vermögen als solches unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff fällt und dass der Eingriff sich verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt, solange die Grenze hälftiger Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand durch die steuerliche Gesamtbelastung nicht überschritten ist. Freilich leitete der Zweite Senat mit seinem Beschluss von 2006 eine Kehrtwende ein, d. h. er reduzierte den sog. Halbteilungsgrundsatz so weitgehend, dass für ihn nur ein kleiner Anwendungsbereich verbleibt. Denn seiner Auffassung zufolge ist der Inhalt der Einheitswertbeschlüsse allein die Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens durch eine Vermögensteuer, die neben der Einkommensteuer erhoben wird.131 Zudem belässt der Zweite Senat dem Gesetzgeber einen weiten Einschätzungsspielraum, da nach dem Verständnis des Senats aus dem in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Maßstab, der lediglich den Rahmen der Abwägung kennzeichnet, sich keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung ableiten lässt, sondern vielmehr die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auch bei der Schrankenbestimmung durch Auferlegung von Steuerlasten, die an vermögenswerte Rechtspositionen anknüpfen, nur durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt wird. Im Ergebnis lassen sich aus der Rechtsprechung des BVerfG weder absolute noch im Einzelfall wirksame quantitative Obergrenzen der Besteuerung ableiten. Dennoch hat das Verständnis des Zweiten Senats in der Entscheidung aus dem Jahr 2006 den Vorteil, dass die Begründung einer Schutzbereichseröffnung im Falle der erdrosselnden Wirkung von Steuern nunmehr keine dogmatischen Kunstgriffe mehr erfordert. Trotz der dogmatischen „Rettung“ verändert diese grundrechtsdogmatische Neuausrichtung des Schutzbereichs auf der Schrankenebene nichts an der Ungeeignetheit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Fiskal­ 129

Jarass, DÖV 1989, S. 1013 (1018). Vgl. auch P. Kirchhof, ZIP 1984, S. 1423 (1426). Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (306 f.). 131 Zu dem noch verbliebenen Anwendungsbereich siehe auch 2. Kap. B III 1.  130

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2. Kap.: Grenze von Fiskalzwecknormen 

zwecknormen. Wegen der Abstraktheit der Größe „Geld“, der Uferlosigkeit des öffentlichen Finanzbedarfs sowie der instrumentellen Beziehung zu den damit zu finanzierenden Sachaufgaben muss das traditionelle grundrechtsdogmatische Instrumentarium hier versagen. Auch bei den von zweckmotivierten Steuern sowie den von Sonderabgaben abzugrenzenden Zwecksteuern ist das der Fall. Obwohl die Einnahmen der Zwecksteuern nicht dem allgemeinen Steueraufkommen als Deckung für die Gesamtheit der Staatsausgaben zugeführt werden, räumt v. Arnim auf der Ebene der Verwendung im Rahmen der freiheitsgrundrechtlichen Prüfung von Steuernormen ein, dass es im Grundsatz bei der Gesamtdeckung bleibt und dass als Prüfungsmaßstab wieder die Gemeinwohlbindung der Steuerverwendung entscheidend ist. Während Zwecksteuern, auch wenn sie nicht haushaltsflüchtig sind, zur Gruppennützigkeit neigen, weist das Gemeinwohl auf die Staatsbürger in ihrer Gesamtheit und daher auf die Deckung aller Ausgaben für diese Gesamtheit hin. Steuerrechtfertigung aus der Gemeinwohlverantwortung des Staates bedeutet Finanzierung der Aufgaben des Staates im Interesse der Allgemeinheit.132 Bei den Zwecksteuern nimmt der Verwendungszweck keinen rechtlichen Einfluss auf das Abgabenschuldverhältnis.

132

Waldhoff, StuW 2002, S. 285 (306).

3. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen A. Problemstellung Der Gesetzgeber darf Lenkungsnormen aus Gründen des Gemeinwohls im Steuerrecht einsetzen und so durch gezielte Steuerentlastung oder -belastung das Verhalten des Steuerpflichtigen beeinflussen. Eine Lenkungsnorm darf nicht unerkennbar in einer Fiskalzwecknorm versteckt sein; das BVerfG verlangt, dass der Lenkungszweck mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet sein muss.1 Das heißt auch, dass Fiskalzwecknormen sich nicht in Lenkungsnormen umdeuten lassen. Die Lenkungsnorm muss von einer entweder anhand des Gesetzestextes oder der Gesetzesmaterialien erkennbaren gesetzlichen Entscheidung getragen sein.2 Wenn die Begründung eines Lenkungszwecks innerhalb des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens fehlt, darf nach der Auffassung des BVerfG ein solcher Zwecke zur Rechtfertigung nicht unterstellt werden. Das Gericht lässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsfreiraum; als Ausgleich unterliegt der Gesetzgeber aber einem erhöhten Begründungszwang.3 Dies bedeutet nicht, dass die Differenzierung allein nach dem historischen Willen des Normsetzers vorgenommen werden sollte,4 sondern dass auch die objektive Wirkung einer Norm, die erst ex post feststell- und messbar ist, über ihren Lenkungscharakter entscheidet. Dann muss sich eine Lenkung im Gesetzestext abzeichnen und in der objektiven Wirkung der Norm niederschlagen.5 Obwohl bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kontrolle von Lenkungsnormen nahezu jede Stufe der nach Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung gegliederten Prüfungsfolge eine Rolle spielen kann, werden die Fragen des Schutzbereichs in diesem Kapitel nicht ausführlich diskutiert, sondern nur Beispiele benannt (dazu unten B). Denn Lenkungsnormen können in den Schutzbereich eines jeden Freiheitsrechts eingreifen.6 Die 1

BVerfGE 93, 121 (148). BVerfGE 122, 210 (238). 3 Breinersdorfer, DStR 2010, S. 2492 (2495); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 21. 4 Denn der Normsetzer nennt in Zweifelsfällen zur Rechtfertigung seiner Abgaben alle denkbaren Ziele; siehe F. Kirchhof, in: Merten / Papier, HGR III, § 59 Rn. 15. 5 F. Kirchhof, in: Merten / Papier, HGR III, § 59 Rn. 15. Vgl. auch BVerfGE 93, 121 (148); 99, 280 (296 f.). 6 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 45 f. 2

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3. Kap.: Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen  

Konstellationen sind allerdings in Hinsicht auf die anderen zwei Prüfungspunkte, nämlich Eingriff und Rechtfertigung, anders. Hier lassen sich spezifische Probleme finden. Dies wird nachfolgend erläutert. Erstens: Wenn eine steuerliche Lenkungsnorm das Verhalten der Steuerpflichtigen in der Weise beeinflusst, dass einige der potentiellen Steuerpflichtigen auf das besteuerte Verhalten wegen der gesetzlichen „Androhung“ der Lenkungsnorm verzichten, so ist fraglich, ob dies einen Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht darstellt. Denn eine steuerliche Lenkungsnorm verbietet das besteuerte Verhalten nicht, sodass in dieser Hinsicht ein klassischer Eingriff ausscheidet.7 Dennoch können steuerliche Lenkungsnormen, die zum Verhaltensverzicht führen, einen mittelbar-faktischen Eingriff darstellen, vor dem die Grundrechte in ähnlicher Weise schützen wie vor klassischen Eingriffen.8 Zweitens: Besonderheiten weist die Verhältnismäßigkeitsprüfung bezüglich der Anreize für Verhaltensänderungen auf. Nach Papier ist ein Steuergesetz schon dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn auch nur einer seiner Zwecke verhältnismäßig ist, und das ist fast immer der Fall, da gemäß § 3 Abs. 1 Halbs. 2 AO ein Steuergesetz ohne Fiskalzweck nicht vorstellbar ist.9 Die Gegenauffassung geht jedoch davon aus, dass bei steuerlichen Lenkungsnormen der mit der Lenkung verfolgte Zweck am Verhältnismäßigkeitsprinzip isoliert zu messen sei.10 Dies wirft die Frage auf, ob steuerliche Lenkungsnormen sowohl hinsichtlich des Fiskalzwecks als auch hinsichtlich des Lenkungszwecks der Rechtfertigung bedürfen (sog. doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung).11 Schwerpunkte in Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Lenkungsnormen sind dann Eingriff (dazu unter C.) und Rechtfertigung (dazu unter D.).

7

Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  569. Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  569; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 353 f.: „Die Grundrechte können ihre Aufgabe, die Staatsgewalt effektiv zu begrenzen, nur dann erfüllen, wenn nicht nur rechtliche, sondern auch bloß faktische Einwirkungen des Staates an ihrem Maßstab kontrolliert werden. Daher besteht Einigkeit darüber, dass die grundrechtliche Freiheit auch gegen anders als durch klassischen Eingriff erfolgende Einwirkungen geschützt werden muss.“ Vgl. auch BVerfGE 105, 279 (299 ff.); P. Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares“ Einwirken, S. 189 ff. 9 Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 91 f. 10 Bryde, in: v. Münch / Kunig, GGK  I, Art. 14 Rn. 65, „Steuer- und Abgabenrecht“; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 100; Herzog, in: FS 75 Jahre RFH – BFH, S. 105 (112); Jachmann-Michel / Vogel, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG III, Art. 105 Rn. 31; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, S. 86, 88, 89; F. Kirchhof, in: Merten / Papier, HGR III, § 59 Rn. 37 ff.; P. Kirchhof, in: FS Friauf, S. 669 (680); Selmer / Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 (1165). 11 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  575. 8

B. Einschlägige Freiheitsrechte

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B. Einschlägige Freiheitsrechte I. Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Freiheit des Bürgers in einem für die moderne arbeitsteilige Gesellschaft besonders wichtigen Bereich: Er gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als „Beruf“ zu ergreifen und zur finanziellen Grundlage seiner Lebensführung zu machen.12 „Beruf“ im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG ist jede auf Dauer angelegte, selbständige oder unselbständige Tätigkeit,13 die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient oder dazu beiträgt.14 Art. 12 Abs. 1 GG konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung15 und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab.16 Sofern Steuergesetze berufliche Tätigkeiten belasten, kann Art. 12 Abs. 1 GG betroffen sein. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG voraus, dass die gesetzlichen Vorschriften infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und – objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen.17 Steuernormen, die keinen unmittelbaren Berufsbezug haben, besitzen eine berufsregelnde Tendenz, wenn sie nach Entstehungsgeschichte und Inhalt im Schwerpunkt Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden.18 Selbst wenn sich eine Steuernorm im Bereich beruflicher Tätigkeiten auswirkt, fehlt eine berufsregelnde Tendenz, soweit die Norm weder nach der Intention des Gesetzgebers den Entschluss zur Wahl oder zur Art der Ausübung eines solchen Berufs motivierend steuert noch objektiv eine solche berufspolitische Wirkung hat.19 Insgesamt kann man mit den Worten von Jarass zusammenfassen, dass bei Steuernormen, die der Verhaltungsbeeinflussung dienen, die berufsregelnde Tendenz regelmäßig bejaht wird, wenn sie auf die Regelung beruflicher Aktivitäten 12

BVerfGE 7, 377 (397). Vgl. BVerfGE 7, 377 (398 f.); 54, 301 (322). 14 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 5. Vgl. auch BVerfGE 105, 252 (265); 110, 304 (321); 111, 10 (28); 115, 276 (300). 15 BVerfGE 9, 73 (77); 13, 181 (185); 30, 292 (334); 54, 301 (313); 103, 172 (182 f.). 16 BVerfGE 82, 209 (223). Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 47: „Dem Wortlaut nach schützt Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nur die ‚Wahl‘ des Berufs, während nach Satz 2 die ‚Berufsausübung‘ geregelt werden kann. Diese Konstruktion ergibt nur einen Sinn, wenn man die Berufsfreiheit des gesamten Art. 12 Abs. 1 GG als einheitliches Grundrecht ansieht, dessen Schutzbereich sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung umfasst.“ Siehe auch Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 1. 17 BVerfGE 13, 181 (185 f.); 16, 147 (162); 29, 327 (333); 37, 1 (17); 47, 1 (21); 81, 108 (121 f.); 98, 83 (97). 18 BVerfGE 97, 228 (254). 19 BVerfGE 37, 1 (17 f.). Laut Jarass kann Letzteres insbesondere wegen der geringen Höhe einer Abgabe ausgeschlossen sein; siehe Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, S. 81 f. 13

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3. Kap.: Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen  

zielen bzw. im Wesentlichen nur Berufstätigkeiten betreffen und wegen ihrer Höhe berufsbezogene Entscheidungen nicht nur im Einzelfall zu beeinflussen vermögen.20 Beispielsweise hat nach diesen Kriterien das BVerfG in seinen Entscheidungen festgestellt, dass einerseits die Schankerlaubnissteuer, die Sonderbesteuerung des Werkfernverkehrs und die Straßengüterverkehrssteuer in den Schutzbereich der Berufsfreiheit fallen,21 aber dass andererseits die Streichung der Begünstigung wissenschaftlicher Nebeneinkünfte nicht den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt.22

II. Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) In Bezug auf einen Vermögensentzug, der mit dem Steuerzugriff verbunden ist, stellt sich die Frage, ob dieser vor der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) oder bloß vor der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerechtfertigt werden muss. Nach dem oben Gesagten23 ist der Schutzbereich von Art. 14 GG dann eröffnet, wenn in einem Steuergesetz als rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) der Steuerzugriff tatbestandlich an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft und so den privaten Nutzen der erworbenen Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt.24 Daran könnte es bei indirekten Steuern fehlen, wohingegen dies bei direkten Steuern fast immer erfüllt sein wird.25 Die Einkommensteuer als direkte Steuer knüpft an den Hinzuerwerb von Eigentum und Vermögen an. Der „Broterwerb“ durch berufliche Betätigung ist indes nicht durch Art. 14 Abs. 1 GG, sondern durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Entsprechend kann Art. 14 GG, im Verbund mit Art. 12 GG, ein Seitenstück zur allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG bilden.26

III. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Nach den bisherigen Überlegungen kann die Auferlegung von Geldleistungspflichten in die Berufsfreiheit oder in die Eigentumsgarantie eingreifen. Vielfach ist das aber nicht der Fall.27 Wenn das Vermögen als Ganzes nach einer Ansicht

20

Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, S. 81 f. BVerfGE 13, 181 (186); 16, 147 (162); 37, 1 (17). 22 BVerfGE 81, 108 (122). 23 Siehe oben 2. Kap. B. 24 BVerfGE 115, 97 (111). 25 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  542. 26 F. Kirchhof, in: Merten / Papier, HGR III, § 59 Rn. 62. A. A. Wernsmann, in: Hübschmann / ​ Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  543. 27 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, S. 86. 21

C. Verhaltensbeeinflussung als mittelbar-faktischer Eingriff

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nicht durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt wird,28 so ist es bedeutsam, dass für die öffentlich-rechtlichen Geldleistungspflichten generell das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig ist. Es sichert umfassend und sachlich nicht beschränkt die allgemeine Handlungsfreiheit ab.29 Soweit kein spezielles Freiheitsrecht einschlägig ist, stellen Steuerzugriffe einen Eingriff in dieses Grundrecht dar.30

C. Verhaltensbeeinflussung als mittelbar-faktischer Eingriff Steuerliche Lenkungsnormen, die dem klassischen Eingriffsbegriff entsprechen, sind in der Praxis kaum vorstellbar,31 da sich steuerliche Lenkungsnormen dadurch auszeichnen, dass sie den Steuerpflichtigen nicht zu einem bestimmten Verhalten zwingen. Steuerliche Lenkungsnormen sind in Hinsicht auf die von ihnen ausgelöste Verhaltensbeeinflussung kein klassischer Eingriff.32 Auch im Schrifttum gibt es die Feststellung,33 dass steuerliche Lenkungsnormen selten in die Kategorie des klassischen Eingriffs einzuordnen seien, weil ein Eingriff nur dann „unmittelbar“ sei, wenn ein Ge- oder Verbot förmlich auferlegt werde oder wenn eine Norm „direkt“ wirke, ohne dass ein Umsetzungsakt erforderlich sei. Dies bedeutet, dass steuerliche Lenkungsnormen die Merkmale des klassischen Eingriffs „final“, „unmittelbar“, „rechtliche Wirkung“ sowie „mit Befehl oder Zwang angeordnet“ nicht erfüllen.34 Vielmehr treten die freiheitsgrundrechtlichen Auswirkungen der Lenkungsnormen nur als mittelbare Folge der gesetzlichen Regelung ein. Beispielsweise nimmt die Verpackungsteuer zwar nur Einfluss in Bezug auf die Art und Weise der Berufsausübung, aber dennoch ist das BVerfG der Ansicht, dass sie an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist.35 Insoweit stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich ihre Wirkungen noch als erweiterter Eingriff quali­fizieren lassen.

28

So z. B. BVerfGE 74, 129 (148); 78, 232 (243); 81, 108 (122). Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  546. 30 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, S. 86. Vgl. auch F. Kirchhof, in: Merten / Papier, HGR III, § 59 Rn. 78. 31 Dafür ist die Erfüllung der Merkmale Finalität, Unmittelbarkeit, Regelungswirkung und Imperativität erforderlich; siehe BVerfGE 105, 279 (299 f.). Vgl. auch Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 175 ff.; Epping, Grundrechte, Rn. 392. 32 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 353. 33 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 51. 34 Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 292. 35 BVerfGE 98, 106 (117). 29

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3. Kap.: Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen  

I. Bloße Anknüpfung an Grundrechtsbetätigung In seiner früheren Rechtsprechung sah das BVerfG in Bezug auf die Berufsfreiheit davon ab, die von einem Beschwerdeführer behauptete Beeinträchtigung eines „Grundsatzes der Konkurrenz- und Konzentrationsneutralität“ zu prüfen,36 da es sich in dieser Hinsicht um eine Frage der Wirtschaftspolitik handele und das Grundgesetz keine wirtschaftspolitische Neutralität verlange.37 Steuergesetze könnten nur unter bestimmten Voraussetzungen den Schutzbereich der Berufs­ freiheit berühren: Es müsse sich um eine erdrosselnde Maßnahme handeln.38 Diese Formel wird z. B. in einer Kammerentscheidung vom 1. März 1997 angewendet, nach der in dem zu entscheidenden Fall ein Eingriff zunächst zu bejahen sei, im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung einer Berufsausübungsregelung für eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG im Ergebnis aber die Bejahung der Unmöglichkeit der Berufsausübung für eine Grundrechtsverletzung erforderlich wäre.39 Das bedeutet faktisch – wenn auch juristisch unsauber –, dass ein Eingriff nur dann als gegeben angesehen wird, wenn durch die gerügte Norm die Ausübung eines bestimmten Berufs unmöglich gemacht würde. Häufiger stellt das BVerfG darauf ab, ob die zu prüfende steuerliche Norm infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Berufsausübung steht; anderenfalls verneint das Gericht die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit wegen mangelnder berufsregelnder Tendenz.40 Es stellt also darauf ab, ob die Ausübung eines bestimmten Berufs beeinflusst werden soll oder ob das Steuergesetz nur formal an berufliche Tätigkeiten anknüpft.41 Damit ist das BVerfG bezüglich der Berufsfreiheit der Auffassung, dass es an einem spezifischen Bezug zur Berufsfreiheit fehlt, wenn ein für alle geltendes Steuergesetz angewendet wird.42 Dies wird in der Literatur ebenso vertreten und teils weiter verallgemeinert. Laut Epping schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Freiheit der beruflichen Betätigung vor be 36 Bei dem Grundsatz der Konkurrenz- und Konzentrationsneutralität handelt es sich um ein Erfordernis der Umsatzsteuer als allgemeiner Verbrauchsabgabe; siehe BVerfGE 12, 341 (347). 37 BVerfGE 12, 341 (347). 38 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 50 f. 39 BVerfG, Beschluss vom 1. März 1997 – 2 BvR 1599/89, JZ 1997, S. 843 (845). 40 BVerfGE 13, 181 (186); 16, 147 (162); 37, 1 (17); 38, 61 (79); 42, 374 (384); 47, 1 (21); 98, 83 (97); 113, 128 (145); 123, 132 (139). 41 Vgl. BVerfGE 37, 1 (18). 42 BVerfGE 98, 83 (97); 98, 106 (117). Siehe auch BVerfGE 126, 268 (284): „Im Übrigen wird das Grundrecht der Berufsfreiheit durch die Versagung des Abzugs von Kosten eines häuslichen Arbeitszimmers nicht verletzt, da eine in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG eingreifende […] berufsregelnde Tendenz der einkommensteuerrechtlichen Regelung nicht erkennbar ist. Weder knüpft sie an bestimmte Berufe an, noch zielt sie auf Förderung und Lenkung bestimmter Berufstätigkeiten. Vielmehr erfasst sie jegliche auf Einnahmenerzielung gerichtete Tätigkeit mit dem Ziel, den Nettoertrag dieser Tätigkeit nach dem Maßstab finanzieller Leistungsfähigkeit gleichmäßig zu bestimmen.“

C. Verhaltensbeeinflussung als mittelbar-faktischer Eingriff

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rufsspezifischen Einschränkungen. Der Beruf bündele vielfältige Handlungen zu dem Zweck, die Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Somit privilegiere die Berufsfreiheit nicht jedes einzelne Verhalten, wenn es beruflich ausgeübt wird; geschützt werde der Beruf an sich.43 Einer Handlung, die unabhängig von einer beruflichen Betätigung verboten sei, komme nicht dadurch ein besonderes Gewicht zu, dass sie zum Gegenstand eines Berufes gemacht wird.44 In diesem Zusammenhang führt Jarass aus, dass, wenn z. B. die wirtschaftliche Verwertung von Kunst besteuert wird, in der bloßen Anknüpfung des Steuerzugriffs an diese Betätigung noch kein Eingriff in die Kunstfreiheit liege. Nur wenn der Staat Einfluss auf Kunstinhalte nehme oder eine freie künstlerische Betätigung praktisch unmöglich mache und wenn die Besteuerung in ihrer Wirkung einem klassischen Grundrechtseingriff in die Verhaltensfreiheit ähnele, dann erst sei ein Eingriff in den Schutzbereich des spezifischen Grundrechts gegeben.45 Wernsmann ist ebenfalls der Meinung, dass die bloße Anknüpfung der Besteuerung etwa an künstlerische Betätigung für die Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit nicht ausreicht.46 Er ist entsprechend dem zutreffenden Beschluss des BVerfG vom 19. November 1989,47 der Ansicht, dass, wenn in der Verwertung künstlerischer oder wissenschaftlicher Schöpfungen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt, diese besteuert werden kann, ohne dass die Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit berührt wären. Ferner finde laut Wernsmann ein Umschlagen in einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Kunstfreiheit erst dann statt, wenn die künstlerische Tätigkeit durch die Androhung der Steuer verbotsähnlich behindert werde.48 Dies setzt eine Verhaltensbeeinflussung durch eine Lenkungsnorm von einer bestimmten Intensität voraus. Kurz gesagt: In der bloßen Anknüpfung des Steuerzugriffs an eine Grundrechtsbetätigung liegt gerade noch kein Eingriff.

II. Überschreiten der Eingriffsschwelle Die Verhaltungsbeeinflussungen durch Lenkungsnormen treten, zusätzlich zum Geldentzug, bei demjenigen ein, der wegen der Existenz einer Norm auf das steuerlich belastete Verhalten verzichtet oder ein steuerlich begünstigtes Verhalten wählt, sodass schon durch ihre bloße Existenz eine Lenkungsnorm das Verhalten der Steuerpflichtigen beeinflussen kann.49 Wernsmann weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die Existenz der Lenkungsnormen in diesen 43

Epping, Grundrechte, Rn. 380. Epping, Grundrechte, Rn. 380. 45 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 120. 46 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 347. 47 BVerfGE 81, 108 (116). 48 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  571. 49 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 348. 44

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3. Kap.: Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen  

Fällen die Freiheitsrechte der Steuerpflichtigen beeinträchtigen kann, auch wenn es in diesen Fällen gerade nicht zu einem Geldentzug durch Besteuerung kommt, und dass Freiheitseinschränkungen auch von solchen „motivationsbestimmenden“ staatlichen Einwirkungen ausgehen können; daher bedürfen auch diese vor der Verfassung der Rechtsfertigung, soweit die Eingriffsschwelle überschritten ist.50 Die weiteren in diesem Zusammenhang von Wernsmann geäußerten Ansichten zum Eingriffscharakter von Lenkungsnormen sind aber letztlich nicht über­ zeugend. Seine Argumente lauten wie folgt: „Wird etwa das Halten eines Kampfhundes mit 30.000 Euro im Jahr besteuert, so wird wohl nahezu jeder Eigentümer eines solchen Hundes das Eigentum an diesem aufgeben. Es liegt dann – durch die ‚Androhung‘ der Steuer – ein mittelbarer Eingriff in das Eigentum (dann an dem Kampfhund, nicht am Vermögen, aus dem die Steuer im Falle des Behaltens des Hundes gezahlt wird) vor, der in gleicher Weise der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf wie ein sog. klassischer Eingriff.“51 Er stellt entsprechend fest,52 dass es keinen mittelbar-faktischen Eingriff gäbe, wenn die Steuer auf das Halten des Kamphundes nicht so hoch sei, dass sie typischerweise zum gleichen Ergebnis wie ein polizeirechtliches Verbot des Haltens von Kampfhunden führe.53 Demzufolge meint Wernsmann, dass das BVerfG in seiner Entscheidung von 18. Januar 2006 eine unzutreffende Vermengung von Vermögensentzug und Verhaltensbeeinflussung betrieben habe und die Frage, ob das Vermögen von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sei, offengelassen habe.54 Allerdings zeigt Wernsmann damit lediglich noch einmal den Widerspruch in der früheren Rechtsprechung des BVerfG auf, wonach der Umfang des Schutzbereichs von der Qualität des Eingriffs her bestimmt werde, wodurch die Reihenfolge von Schutzbereich und Eingriff umgekehrt wird.55 Aber ob eine Verhaltens­ beeinflussung einer steuerlichen Lenkungsnorm als mittelbar-faktischer Eingriff gesehen werden kann, ist keine Voraussetzung für die Eröffnung des Schutz­ bereichs eines Freiheitsrechts. Es ist im Schrifttum schon vielfach zutreffend 50

Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 348 f. Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  572. 52 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 572. Siehe auch Wernsmann, NJW 2006, S. 1169 (1172 f.). 53 Der Gestaltungsspielraum des Satzungsgeber ist erst dann überschritten, wenn eine erdrosselnde Wirkung erreicht und damit faktisch die Abschaffung des Kamphundes aus finanziellen Gründen erzwungen würde. Dementsprechend meint der BVerwG, dass der einer Kommune als Steuersatzungsgeberin zustehende Gestaltungsspielraum nicht überschritten ist, wenn die Hundesteuersatzung für Kamphunde einen achtfach höheren Steuersatz vorsieht. Dennoch kommt einem Steuersatz für das Halten eines Kampfhundes in Höhe von 2.000 Euro, der sich auf 26-fache des Hundesteuersatzes für einen Nichtkampfhund beläuft und der den durchschnittlichen sonstigen Aufwand für das Halten eines solchen Hundes deutlich übersteigt, eine erdrosselnde Wirkung zu; siehe BVerwGE 110, 265 (270); 150, 225 230 f. Vgl. auch Waldhoff, in: Ehlers / Fehling / P ünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. III, § 67 Rn. 250. 54 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  573. 55 Siehe oben 2. Kap. B I. 51

C. Verhaltensbeeinflussung als mittelbar-faktischer Eingriff

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darauf hingewiesen worden, dass die Frage, ob ein Schutzbereich berührt sei und ob eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung vorliegt, nicht von der Intensität des Grundrechtseingriffs abhängig sein kann.56 Die Intensität eines Eingriffs hat somit mit der Eröffnung des Schutzbereichs eines Freiheitsrechts nichts zu tun. Außerdem beruhen die Argumente Wernsmanns auf einem Missverständnis von den Gegenständen steuerlicher Lenkungsnormen. Während nach Wernsmann die erdrosselnde Nachtigallensteuer einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG an dem Vermögensgegenstand „Nachtigallen“ darstellen würde, greift diese Steuer eigentlich nicht in eine konkret durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition ein, sondern in die Willensbildung des Steuerpflichtigen. Die freiheitsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit entsprechender Eingriffe in die Willensbildung hat das BVerfG etwa in seinem Urteil vom 15. Dezember 1983, wegen einer staatlichen Beeinträchtigung der Willensbildung des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung, anerkannt.57 Im Hinblick auf diese Perspektive muss die Frage gestellt werden, ab welcher Intensität der von einer steuerlichen Lenkungsnorm auf die Willensentschließung des Steuerpflichtigen ausgehende Einfluss als ein mittelbar-faktischer Eingriff in ein Freiheitsrecht gesehen werden kann. Es ist also stets zu prüfen, wann die Eingriffsschwelle überschritten wird und ab wann die von einer steuerlichen Lenkungsnorm ausgehende Verhaltensbeeinflussung rechtfertigungsbedürftig ist.58 Der Rechtfertigungsbedarf wird von Teilen des Schrifttums nur dann angenommen, wenn die Besteuerung einer direkten Verhaltenssteuerung durch Ge- oder Verbote nahekommt; daher ist eine mittelbare staatliche Einwirkung erst bei einer

56

So etwa Depenheuer / Froese, in: v.  Mangoldt / K lein / Starck, GG  I, 7. Aufl., Art. 14 Rn. 166; Heintzen, in: v. Münch / Kunig, GGK II, Art. 105 Rn. 14; J. Ipsen, in: FS Badura, S. 201 (204); F. Kirchhof, in: Merten / Papier, HGR III, § 59 Rn. 47. 57 BVerfGE 65, 1 (42 f.). Dort hat das Gericht ausgeführt: „Individuelle Selbstbestimmung setzt aber […] voraus, dass dem Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. […] Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demo­k ratischen Gemeinwesens ist.“ 58 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  573.

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3. Kap.: Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen  

erhöhten Betroffenheitsintensität grundrechtsrelevant.59 Steuerliche Lenkungsnormen kommen in ihrer Intensität in der Regel nicht Ge- oder Verboten nahe. Lenkungsteuern zeichnen sich, worauf Wernsmann zutreffend hinweist, vielmehr durch eine „Wahlmöglichkeit“ dahingehend aus, dass der Steuerpflichtige entweder auf das steuerbelastete Verhalten verzichten kann oder eine höhere steuerliche Belastung akzeptiert. Insoweit ist diese Auffassung, da sie einen Rechtfertigungsbedarf erst beim Eintreten bestimmter Auslöser in Form von schweren Eingriffen sieht, zu eng.60 In der Literatur wird ein anderer Maßstab vorgeschlagen: Unter einem Eingriff im Sinne des „modernen Eingriffsbegriffs“ wird hiernach jedes staatliche Handeln verstanden, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich gemacht.61 Wernsmann befürwortet zwar diese Ansicht, da nach diesen Kriterien die Grundrechtsbeeinträchtigung von einem rechtlich irrelevanten Betroffensein danach abgegrenzt werden kann, ob dem Grundrechtsberechtigten der Grundrechtsgebrauch wirklich unmöglich gemacht oder lediglich erschwert wird.62 Allerdings wird diese Art der Bestimmung der Grenze zwischen Beeinträchtigung und Belästigung von Kingreen und Poscher als schwierig handhabbar angesehen.63 Gewiss ist, dass ein Eingriff dann vorliegt, wenn er ein gewisses Maß an Intensität aufweist bzw. intendiert.64 Dies kann anhand der Rechtsprechung des BVerfG nachvollzogen werden: Zum einen sieht das Gericht die Verpackungsteuer als einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG an, weil sie Einfluss auf die Art und Weise der Berufsausübung nimmt;65 zum anderen verneint das BVerfG in zwei Kammerbeschlüssen mittelbar-faktische Eingriffe in das Grundrecht auf Familie aufgrund der Normierung einer kommunalen Zweitwohnungsteuer, da der finanzielle Aufwand für die Zweitwohnungsteuer weder gezielt noch typischerweise das Zusammenleben in der Familie belastet und auch die Höhe der Zweitwohnungsteuer nicht zu einer derart einschneidenden Belastung führt, dass hierdurch ein gravierender finanzieller Druck auf die Wahl des vorwiegenden Aufenthalts ausgeübt wird.66 Die Zweitwohnungsteuer wird auch bezüglich des Schutzbereichs der Freizügigkeitsgarantie im Bundesgebiet vom BVerfG nicht als ein Eingriff gesehen, weil die Beeinträchtigungen der Wahl des Wohnorts von Zielsetzung und Wirkung her nicht einem normativen und direkten Eingriff gleichkommen.67 59

Erichsen, in: Isensee / K irchhof, HdbStR VI, 2. Aufl., § 152 Rn. 80; Jarass, NJW 1983, S. 2847. 60 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 355. 61 Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 294. 62 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 355. 63 Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 298. 64 Epping, Grundrechte, Rn. 568. 65 BVerfGE 98, 106 (117). 66 BVerfG, Beschluss vom 17. Februar – 1 BvR 529/09, NVwZ 2010, S. 1022 (1025); BVerfG, Beschluss vom 17. Februar – 1 BvR 2664/09, NVwZ-RR 2010, S. 457 (458). 67 BVerfG, Beschluss vom 17. Februar – 1 BvR 529/09, NVwZ 2010, S. 1022 (1025).

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Lenkungsnormen

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Abschließend kann daher festgestellt werden, dass ein Eingriff in ein Freiheitsrecht nicht schon dann angenommen werden kann, wenn an das Innehaben von Eigentum bzw. die Ausübung eines Berufs angeknüpft wird,68 sondern erst dann, wenn das Verhalten bei einer Lenkungsteuer mit einer erheblichen Beeinträchtigung verknüpft wird.69

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Lenkungsnormen Obwohl das Verhältnismäßigkeitsprinzip dem Vermögensentzug kaum Grenzen setzt,70 werfen die Meinungsunterschiede über die doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung folgendes Problem auf: Müssen steuerliche Lenkungsnormen nicht nur hinsichtlich des Vermögensentzugs, sondern auch hinsichtlich ihres Anreizes zur Verhaltensbeeinflussung gerechtfertigt sein? Gibt es die Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die Verhaltenslenkung?

I. Rechtsprechung: Die Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf die Verhaltenslenkung Diese Frage hat das BVerfG in einigen Fällen geprüft.71 Beispielweise hat das Gericht schon bei der Schankerlaubnissteuer festgestellt, dass die Schankerlaubnissteuerordnung den an reine Ausübungsregelungen zu stellenden Anforderung genügt, da an der Erhebung von Schankerlaubnissteuern gewichtige Interessen der Allgemeinheit bestehen.72 Dennoch findet in der Entscheidung – ohne dass die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Steuer zur Verhaltenslenkung geprüft wird – eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Wirts und dem Allgemeinwohlinteresse statt.73 68

Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  574. Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 294. Vgl. auch Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 356. 70 Siehe oben 1. Kap. C I. 71 BVerfGE 16, 147 (172 ff.); 38, 61 (86 ff.). 72 BVerfGE 13, 181 (190). Unabhängig davon müssen nach den Rechtfertigungskriterien der Drei-Stufen-Theorie diese Berufsausübungsregelungen vernünftigen Gründen des Allgemeinwohls dienen und zu deren Erreichung gerechtfertigt sein. Zu den Grundlagen der DreiStufen-Theorie siehe BVerfGE 7, 377 (402 f., 406 ff.). 73 Zur materiellen Rechtfertigung führt das BVerfG aus: „Die Einnahmen aus dem Ausschank alkoholischer Getränke stellen bei Gast- und Schankwirtschaften in aller Regel den größten Teil aller Einkünfte aus dem Verkauf von Getränken dar. Dem Interesse des Wirts an möglichst großem Alkoholkonsum stehen aber nicht unerhebliche gesundheitspolitische, sozialpolitische und volkswirtschaftliche Interessen der Allgemeinheit gegenüber. Wenn trotzdem die Erlaubnis zum Ausschank von Getränken erteilt und damit die Möglichkeit eröffnet wird, das Bedürfnis von Gästen nach Geselligkeit und Genuss alkoholischer Getränke zur Erwerbsquelle zu machen, so erscheint es nicht unangemessen, die Allgemeinheit durch eine besondere, einmalige Steuer hieran zu beteiligen.“ Siehe BVerfGE 13, 181 (190). Vgl. auch Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 388 f. 69

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3. Kap.: Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen  

In seinem Beschluss vom 14. Mai 1986 hat das BVerfG die Vorschriften des AStG, das die „Steuerflucht“ ins Ausland eindämmen soll und mithin ein typischer Fall einer verhaltenslenkenden Besteuerung ist, auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft.74 Das BVerfG weist zunächst darauf hin, dass die Wohnsitzverlegung eines Deutschen in das Ausland verfassungsrechtlich nicht durch Art. 11 GG, sondern nur durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sei.75 Dann stellte das Gericht fest: „Auf den Entschluss, den Wohnsitz zu verlegen, dadurch einzuwirken, dass eine fortwirkende inländische Steuerpflicht nach der Wohnsitzverlegung eintritt, ist jedenfalls dann kein unverhältnismäßiges Mittel zur staatlichen Steuerung des Verhaltens Einzelner, wenn diese Wohnsitzverlegung […] auch nicht annähernd dem Handeln des typischen Auswanderers gleichkommt.“76 Im Ergebnis sah es das Fortwirken der inländischen Steuerpflicht in Bezug auf die Verhinderung der Wohnsitzverlegung als verhältnismäßig an.77 Obwohl bei der Frage der etwaigen Notwendigkeit einer doppelten Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Lenkungsteuernormen das BVerfG bisweilen die Verhältnismäßigkeit auch und gerade bezüglich der Verhaltenslenkung prüft, lässt die Rechtsprechung des BVerfG noch keine klare Linie erkennen.78

II. Literatur und eigene Stellungnahme: Ungeeignetheit der steuerlichen Lenkungsnormen bei Ausbleiben von Verhaltenslenkung? Zu der Frage, ob steuerliche Lenkungsnormen hinsichtlich ihrer Verhaltensbeeinflussung verhältnismäßig sein müssen, liegen in der Literatur unterschiedliche Meinungen vor. Nach Auffassung Siekmanns dürfen Lenkungsnormen im Gegensatz zu den Gebühren und den Beiträgen auch Personen auferlegt werden, die von den verfolgten Zielen keinen Vorteil haben. Diese Lenkungsteuern dürften aus rechtsstaatlichen Gründen indes nicht ungeeignet zur Erreichung des angestrebten Zwecks sein.79 Friauf ist der ähnlichen Meinung, dass die im Einzelfall von einer 74

BVerfGE 72, 200 (245). BVerfGE 72, 200 (245). 76 BVerfGE 72, 200 (245). In diesem Zusammenhang rechtfertigte das BVerfG die Bestimmungen des AStG vor Art. 2 Abs. 1 GG auf der nachfolgenden Seite: „Der von der erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht ausgehende – und beabsichtigte – steuerliche Druck [lässt] dem Betreffenden noch genügend Spielraum, sich für oder gegen die Wohnsitzverlegung zu entscheiden. Auch wenn er bei seinem Entschluss zur Wohnsitzverlegung bleibt, wird durch die neue Steuerpflicht nicht der gesamte, bei der Pflege der wirtschaftlichen Inlandsinteressen erzielte Ertrag zugunsten des deutschen Staats abgabepflichtig, geschweige denn die Substanz der hierfür verwendeten Wirtschaftsgüter entzogen.“ Siehe BVerfGE 72, 200 (246). 77 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 389. 78 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  575; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 387 m. w. Nachw. 79 Siekmann, in: Sachs, GG, Vorbem. Art. 104a Rn. 87. 75

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Lenkungsnormen

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steuerlichen Lenkungsnorm betroffenen Grundrechte für den Gesetzgeber einen am jeweils verfolgten Lenkungszweck orientierten Rechtfertigungszwang begründen.80 Mit anderen Worten: Bei einer Verhaltenslenkung verlangt Friauf, dass eine Lenkungsteuer zu deren Erreichung an den Maßstäben der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit gemessen werden muss. Wenn eine Lenkungsteuer, wie etwa die Tabaksteuer oder Steuern auf alkoholische Getränke, kaum Verhaltensänderungen eintreten lassen, dann müssten Siekmann sowie Friauf zur Verfassungswidrigkeit mangels Geeignetheit zur Zielerreichung kommen.81 Im Gegensatz zu den oben genannten strengen Ansichten von Siekmann und Friauf weist Wernsmann darauf hin, dass sich die Frage nach der materiellen Rechtfertigung einer steuerlichen Lenkungsnorm nicht mehr stellen lasse, wenn das Steuergesetz keinerlei Verhaltensänderungen bei den Einzelnen hervorrufen könne.82 Denn seines Erachtens stellt sich nicht die logisch nachrangige Frage, ob die Rechtfertigung gelingt, wenn diese Lenkungsnorm bezüglich der Gestaltungswirkung, nämlich Verhaltensverzicht oder -änderung, schon gar keiner Rechtfertigung bedürfe, da verhaltensbeeinflussende Wirkungen nicht auftreten. Wenn der Gesetzgeber kundgebe, dass er mit einer Steuer lenken wolle, so führe dies allein rechtlich nicht zu dem Rechtfertigungsbedürfnis.83 Diese Sichtweise Wernsmanns erscheint zutreffend. Denn anders als die oben genannte Gegenmeinung behauptet sie nicht, dass etwa die Tabaksteuer oder andere besondere Verbrauchsteuern ungeeignet sind, das Lenkungsziel zu erreichen, wenn diese Steuern zu keinerlei Verhaltensänderungen führen und damit für die Verhaltensänderung irrelevant sind. Dann widerspricht seine Ansicht der Prüfungsfolge der Verhältnismäßigkeit nicht, weil, wenn kein Eingriff vorliegt, die Steuernormen nicht darauf überprüft werden müssen, ob sie zur Erreichung eines bestimmten Ziels geeignet sind.84 Daher kann die Steuer trotzdem weiter erhoben werden, wenn die angeblich beabsichtigte Verhaltenslenkung ausbleibt, denn, wo keine Wirkung eintritt, bedarf diese auch keiner Rechtfertigung.85 Im Ergebnis kann man zusammenfassen:86 – Wenn die Wirkungen (Anreiz zur Verhaltensbeeinflussung) einer steuerlichen Lenkungsnorm die Eingriffsschwelle nicht überschreiten, dann bedarf die Lenkungsnorm nur hinsichtlich des Vermögensentzuges einer materiellen Recht-

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Friauf, DStJG 21 (1998), S. 85 (96). Vgl. Friauf, DStJG 21 (1998), S. 85 (91, 96); Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 390 f. 82 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 391; Wernsmann, in: Schön / Beck, S. 161 (170). Ähnlich auch Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 91 f. 83 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 391; Wernsmann, in: Schön / Beck, S. 161 (171). 84 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 391. Vgl. auch Wernsmann, in: Schön / Beck, S. 161 (171). 85 Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 390. 86 Vgl. Gawel, StuW  2001, S. 26 (30 f.); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 574; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 392. 81

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3. Kap.: Grenze von steuerlichen Lenkungsnormen  

fertigung. Dabei zieht die Verhältnismäßigkeitsprüfung freiheitsrechtlich kaum Grenzen. – Wenn die Wirkungen einer steuerlichen Lenkungsnorm die Eingriffsschwelle überschreiten, dann müssen die Lenkungswirkungen hinsichtlich der Verhaltenslenkung verhältnismäßig sein.

E. Fazit Laut herrschender Lehre müssen sich steuerliche Lenkungsnormen prinzipiell nicht nur hinsichtlich des Vermögensentzugs, sondern auch hinsichtlich des Anreizes zur Verhaltensbeeinflussung rechtfertigen lassen, d. h. es findet eine doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Indes setzt die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einerseits dem Vermögensentzug freiheitsrechtlich kaum Grenzen. Andererseits lässt sich durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung wegen des Vorliegens eines bestimmten Lenkungszwecks doch eine Grenze ziehen. Dies setzt aber voraus, dass ein Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht vorliegt. Allerdings kann ein Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht nicht angenommen werden, wenn bloß an das Innehaben von Eigentum oder die Ausübung eines Berufs angeknüpft wird, sondern erst dann, wenn das Verhalten bei einer Lenkungsteuer mit einer erheblichen Beeinträchtigung verknüpft ist. Dies bedeutet, dass die bloße Anknüpfung des Steuerzugriffs an eine Grundrechtsbetätigung gerade noch keinen Eingriff darstellt und dass das Überschreiten einer Eingriffsschwelle erforderlich ist. Obwohl die Abgrenzung zwischen Beeinträchtigung und Belästigung schwer durchführbar ist, liegt ein Eingriff dann vor, wenn das staatliche Verhalten ein gewisses Maß an Intensität aufweist oder der Eingriff intendiert ist. Der Meinungsstreit über die doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung wirft folgende Frage auf: Wann ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die Verhaltenslenkung notwendig? Richtigerweise gilt Folgendes: Wo keine Wirkung eintritt, bedarf diese auch keiner Rechtfertigung. Wenn eine Lenkungsnorm keinen Anreiz zur Verhaltensbeeinflussung auslöst, bedarf daher die Norm materiell keiner doppelten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Nur wenn die Wirkungen einer steuerlichen Lenkungsnorm die Eingriffsschwelle überschreiten, müssen die Lenkungswirkungen hinsichtlich der Verhaltenslenkung verhältnismäßig sein.87

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Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 392 f.

4. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von steuerlichen Umverteilungsnormen A. Problemstellung Steuerliche Umverteilungsnormen intendieren eine Wohlstandskorrektur im Interesse eines sozialen Ausgleichs.1 Diese Wohlstandskorrektur durch Umverteilung ist ein Sozialzweck, der auf der Einnahmenseite des Staatshaushalts sowie eventuell auf dessen Ausgabenseite normiert sein kann.2 Die Umverteilung wird entweder durch den progressiven Einkommensteuertarif3 oder durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer, bei der ihre Umverteilungsfunktion zur Fiskalzweckfunktion hinzutritt, bewirkt.4 Die Verwendung des Steueraufkommens ist dennoch nach dem haushaltsrechtlichen Gesamtdeckungsprinzip von der Steuererhebung isoliert zu betrachten. Unter der Geltung des Gesamtdeckungsprinzips kann die Verwendung von Steuermitteln für einzelne staatliche Aufgaben grundsätzlich nicht zur Beurteilung der staatlichen Einnahmenerzielung durch Steuern herangezogen werden.5 Dies bedeutet, dass die Besteuerung als solche allein keine Umverteilung darstellen kann, weil gemäß der Trennung von Besteuerung und Sozialtransfer steuerliche Umverteilungsnormen bloß eine Seite der Umverteilung regeln können: Entweder die Wohlstandsminderung durch Besteuerung oder die Wohlstandmehrung durch Steuervergünstigung.6 Um die Beziehung steuerlicher Umverteilungsnormen zum Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu sichern, muss man zuerst einen wesentlichen Einwand der Ansicht diskutieren, die auf dem Gesamtdeckungsprinzip beruht und die die Zuordnung des steuerlichen Zugriffs innerhalb einer bestimmten Steuer, wie der Erbschaftsteuer, oder den progressiven Einkommensteuertarif zu einem sozialstaatlichen Zweck7

1

Siehe oben 1. Kap. C. II. 4.  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 212. 3 Vgl. oben 1. Kap. C. II. 4.  4 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 212; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, S. 411. 5 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294). 6 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294); Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, S. 401. 7 Laut dem Sondervotum der Bundesverfassungsrichter Baer, Gaier und Masing zur vieldiskutierten Erbschaftsteuerentscheidung vom 17. Dezember 2014 habe das Grundgesetz mit seiner Verpflichtung aller öffentlichen Gewalt auf das Sozialstaatsprinzip die Ausrichtung auf soziale Gerechtigkeit zu einem leitenden Prinzip aller staatlichen Maßnahmen erhoben. Die Erbschaftsteuer diene deshalb nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern sei 2

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4. Kap.: Grenze von steuerlichen Umverteilungsnormen 

ablehnt.8 Dafür werden die folgenden Gedankenschritte durchgeführt: Erstens soll der Begriff der Umverteilung durch Steuern als Ausgangspunkt bestimmt werden. Zweitens wird auf dieser Grundlage die Frage erörtert, ob die Besteuerung ein Instrument der Umverteilung darstellen kann (dazu unter B.). Weil darüber hinaus die gleichmäßige Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwingend nur eine proportional mit der individuellen Leistungsfähigkeit steigende absolute Belastung verlangt, nicht aber einen progressiv steigenden Steuersatz,9 soll auch die Progression eingeordnet werden, um die Frage zu klären, ob ein progressiver Steuertarif als Umverteilung zu verstehen sein kann (dazu unter C.). Schließlich stellt sich die Kernfrage dieses Kapitels, ob und inwieweit das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Rolle bei steuerlichen Umverteilungsnormen spielen kann (dazu unter D).

B. Begriffsbestimmung steuerlicher Umverteilung Die Frage nach dem Instrumentarium steuerlicher Umverteilung lässt sich in zwei Teilaspekte untergliedern. Einerseits stellt sich die Frage, ob Umverteilung eine Aufgabe der Besteuerung ist, also ob sich das Ziel der sozialstaatlichen Umverteilung als Maßstab für die Besteuerung eignet. Andererseits stellt sich die Frage danach, welche Rolle Steuern in einem solchen Prozess spielen.10

I. Das Gesamtdeckungsprinzip und die Definition steuerlicher Umverteilung Ob die sozialstaatliche Vermögensumverteilung eine Aufgabe der Besteuerung ist, zieht etwa Mellinghoff in Zweifel. Er meint, dass das Sozialstaatsprinzip davon handle, den Bedürftigen ein soziales Existenzminimum und soziale Teilhabe zu verschaffen. Dieses Prinzip nehme eine Perspektive des staatlichen Leistens ein, aber dagegen nicht eine Perspektive, die die Umverteilung im Blick habe.11 Mellinghoff weist darauf hin, dass, obwohl zum einen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums gelte, zum anderen aber auch das Gesamtdeckungsprinzip zu beachten und demgemäß strikt zwischen Einnahmen und Ausgaben zu trennen sei. Dadurch

zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum über die Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst; siehe BVerfGE 138, 136 (252 f.). 8 Osterloh-Konrad, StuW 2017, S. 305 (308). 9 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). 10 Osterloh-Konrad, StuW 2017, S. 305 (306). 11 Mündlicher Diskussionsbeitrag auf dem ifst FORUM vom 30. Mai 2017 zum Thema „Umverteilung in Deutschland: Was ist die Aufgabe des Steuersystems?“; siehe Nayin, isftSchrift 519 (2017), S. 21. Vgl. auch Suttmann, Die Flat Tax, S. 178 ff.

B. Begriffsbestimmung steuerlicher Umverteilung

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habe das Sozialstaatsprinzip etwas mit der Ausgabenseite zu tun und gelte damit nicht für die Wegnahme, also nicht, um Einnahmen zu erzeugen.12 Dagegen ist Jachmann-Michel der Ansicht, eine ökonomisch verstandene Umverteilung könne darin gesehen werden, dass ein Steuerpflichtiger als Mitglied der staatlichen Allgemeinheit mehr Steuern zahle und somit ein anderer weniger zahlen müsse, soweit man die Verwendung der Steuermittel ausklammere und lediglich die Seite der Steuererhebung betrachte. Umverteilung durch Steuern sei danach als sozial motivierte Abweichung von der Regelbesteuerung zu begreifen.13 Die in diesen Erwägungen zum Ausdruck kommende Auffassung Jachmann-Michels, dass als außerfiskalischer Zweck einer Steuer, neben der Verhaltenslenkung, die Umverteilung möglich ist, erscheint vertretbar. Denn auf der einen Seite können die Begriffe der „Besteuerung nach Leistungsfähigkeit“ und der „steuerlichen Gerechtigkeit“ nur durch die Begrenzung auf einen rein fiskalischen Zweck, d. h. ohne Umverteilungs- und Lenkungszwecke, bestehen.14 Wenn es als Aufgabe der Besteuerung aufgefasst wird, ein bestimmtes makroökonomisches Verteilungsergebnis zu erreichen, kann es eine spezifisch steuerliche Gerechtigkeit nicht geben.15 Dies ergibt sich daraus, dass diese Verteilung, die die Belastungsgleichheit bloß nach der jeweiligen tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen betrachtet, eine rein ökonomische ist.16 Auch Tipke ist ähnlicher Meinung, nämlich dass, obwohl das Leistungsfähigkeitsprinzip steuerlich dem Sozialstaatsprinzip entspricht,17 die proportionale Besteuerungsgleichheit oder der Abzug unvermeidlicher privater Aufwendungen nicht der Umverteilung oder dem Lastenausgleich oder einem sonstigen Sozialzweck dienen.18 Auf der anderen Seite kann die Besteuerung über eine Steuerbemessung nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit hinaus durch den Umverteilungszweck zur Er 12

Siehe Nayin, isft-Schrift 519 (2017), S. 21. Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294). Laut Loritz lasse sich der progressive Tarif nicht mit dem Sozialstaatsprinzip rechtfertigen, da das, was dem Gutverdienenden qua Steuer genommen werde, häufig dem Schlechtverdienenden nicht zugutekomme; siehe Loritz, Einkommensteuerrecht, § 34 Rn. 1209. Demgegenüber weist Tipke richtigerweise darauf hin, dass, obwohl das gesamte Progressionsaufkommen kleineren Einkommensbeziehern durch Transfers nicht zugutekommt, sich die Progression auch dadurch auswirkt, dass kleinere Einkommensbezieher weniger Steuern zu zahlen haben, wenn die Besserverdienenden mehr zahlen; siehe Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 404. 14 Elschen, StuW 1991, S. 99 (112). 15 Elschen, StuW 1991, S. 99 (112). 16 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294). Soweit Umverteilung allein via Besteuerung stattfinden soll, müsste Letztere eine Steuerbelastung in Abweichung von der gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechend bewirken; siehe ­Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294). 17 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 402. 18 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, S. 795. Die Ansicht Tipkes bedeutet, laut JachmannMichel, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip selbst als im Sozialstaatsprinzip angelegtes Kriterium für die proportionale Gleichheit keine Umverteilungszwecke impliziert; siehe ­Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294). 13

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4. Kap.: Grenze von steuerlichen Umverteilungsnormen 

reichung sozialer Gleichheit motiviert sein.19 Eine solche Wohlstandskorrektur via Umverteilung bedeutet eine sozial motivierte Wohlstandsminderung oder -mehrung, die von der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit abzuspalten ist.20 Dies bedeutet auch, dass steuerliche Umverteilung ein Ziel von eigenständiger Relevanz ist und dass der Begriff der Umverteilung durch Besteuerung eher nicht unter dem Aspekt der gleichmäßigen Belastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit betrachtet werden muss, sondern aufgrund der sozialen Aspekte der Umverteilung, sodass die Normen, die etwa den progressiven Einkommensteuertarif oder die Erbschaftssteuer festlegen, der Kategorie der Umverteilungsnormen zuzuordnen sind.21 Damit die Zielsetzung einer am Sozialstaatsprinzip orientierten Umverteilung via Steuern nicht dem Gesamtdeckungsprinzip widerspricht, bedarf es eines Perspektivwechsels von der Ausgaben- auf die Einnahmenseite oder von „unten“ nach „oben“.22 Demnach ist dieser Perspektivwechsel konsistent, wenn sich die Aufgabe des Sozialstaatsprinzips nicht darin erschöpft, dem Bürger seine Existenz zu sichern, sondern darüber hinaus einer zunehmenden Ungleichheit in der Gesellschaft entgegenzuwirken.23 Mit anderen Worten: Das Sozialstaatsprinzip darf für einen auf sozialen Ausgleich zielenden Sozialstaat nicht nur durch das menschenwürdige Existenzminimum nach „unten“ zielen, sondern muss auch das Wachsen der Einkommens- und Vermögensdisparitäten durch stärkere Belastung nach „oben“ eindämmen.24 Wenn diese Gedanken im Steuersystem, wo die proportionale Belastungsgleichheit nach Leistungsfähigkeit Maßstab ist, in Erwägung gezogen werden, kann man die steuerliche Umverteilung, wie etwa Neumark, derart begreifen, dass eine Umverteilung via Besteuerung immer dann vorliegt, wenn „die interindividuelle Verteilung der Steuerlasten über das zur Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes erforderliche Maß hinaus einen progressiven Verlauf nimmt, um auf diese Weise eine […] Redistribution von Einkommen und Vermögen zu erreichen, und zwar im Sinne einer Verringerung der Unterschiede in der durch Markt­ mechanismus und Marktmacht herbeigeführten primären Verteilung.“25

19

Jachmann-Michel, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung, S. 19. Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294). 21 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (294 f.). 22 Bryde, in: FS v. Zezschwitz, S. 321 (330); Osterloh-Konrad, StuW 2017, S. 305 (309). 23 Osterloh-Konrad, StuW 2017, S. 305 (309). Ähnlich auch Bryde, in: FS v. Zezschwitz, S. 321 (330). 24 Bryde, in: FS v. Zezschwitz, S. 321 (330). 25 Neumark, Steuerpolitik, S. 195. 20

C. Einordnung des progressiven Steuertarifs 

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II. Sozialstaatliche Besteuerung als ein Instrument der Umverteilung Nach der Begriffsbestimmung steuerlicher Umverteilung lässt sich demnach feststellen, dass der Umverteilungszweck ein selbständiger Zweck ist.26 Er schafft ein zusätzliches verfassungsrechtliches Rechtfertigungsbedürfnis. Die Rechtfertigung einer solchen sozial motivierten Umverteilung durch Besteuerung jenseits der proportionalen Belastungsgleichheit gemäß der Leistungsfähigkeit kann nicht aus der Verwendungsentscheidung entstehen, sondern aus einer erhöhten sozialen Verantwortung für das Staatsganze, weil nur dies der haushaltsrechtlichen Trennung von Ausgaben und Einnahmen der Steuermittel entspricht.27 Das Zwischenfazit kann man an dieser Stelle so formulieren: Wenn der Einsatz des Steuerrechts zur Verwirklichung der Redistribution ein legitimes Ziel ist, dann stellen Umverteilungsnormen ein sinnvolles Instrument des Sozialtransfers im Steuersystem dar.28

C. Einordnung des progressiven Steuertarifs Die gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit fordert lediglich eine proportional mit der individuellen Leistungsfähigkeit steigende absolute Belastung, nicht aber einen progressiv steigenden Steuersatz. Dies führt zu der Frage, wie eine Progression im Sinne der Unterscheidung zwischen Fiskalzweck- und Umverteilungsnormen zu begreifen sein kann.29

I. Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips Jachmann-Michel ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber die der sozialen Verantwortung des Einzelnen entsprechende Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Einkommen entweder proportional oder progressiv steigend festlegen kann, wobei er im Prinzip eine Einschätzungsprärogative habe. Dies könne innerhalb der gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Maßstab für die Prüfung von Fiskalzwecknormen herangezogen werden.30 Jachmann-Michel ist weiterhin der Ansicht, dass weder die Erkenntnis, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip keine konkreten Aussagen zur Gestaltung von Steuertarifen liefere,31 noch, dass die gleichmäßige Besteuerung nach der wirtschaftlichen 26

Vgl. Elschen, StuW 1991, S. 99 (112). Osterloh-Konrad, StuW 2017, S. 305 (309). 28 Vgl. Bryde, in: FS v. Zezschwitz, S. 321 (331); Osterloh-Konrad, StuW 2017, S. 305 (309). 29 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). 30 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). 31 Vgl. Becker, in: FS Klein, S. 379 (383). 27

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4. Kap.: Grenze von steuerlichen Umverteilungsnormen 

Leistungsfähigkeit bereits durch einen proportionalen Steuersatz gewahrt werden könne, zur Annahme zwinge, eine Steuerprogression bewege sich außerhalb des Bereichs der gleichmäßigen Besteuerung.32 Dies bedeutet für Jachmann-Michel, dass eine Steuerprogression nur dann als umverteilend zu qualifizieren sei, wenn sie evident nicht mehr von Aspekten einer erhöhten sozialen Verantwortung des Einzelnen getragen wäre und dass progressive Steuertarife in der Regel als Fiskalzwecknormen betrachtet werden müssten.33 Dies erscheint nicht überzeugend. Ihrer Meinung nach sei einerseits die Festlegung der progressiven Tarifregelung eine Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips, wobei Letzteres wiederum in der Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers liege.34 Demzufolge kann eine Steuerprogression eine gleichmäße Besteuerung nach Leistungsfähigkeit darstellen, in der der wirtschaftlich Leistungsfähigere einen höheren Prozentsatz etwa seines Einkommens als Steuer zu zahlen hat als der wirtschaftlich Leistungsschwächere.35 Die Ansicht JachmannMichels steht damit der Auffassung des BVerfG nahe, welche die Steuerprogression als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips ansieht.36 Jachmann-Michel weist im Gegensatz dazu auch darauf hin, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip nur verlange, dass der Besserverdienende proportional oder gleichbleibend mehr als der Schlechterverdienende bezahle, aber nicht verlange, dass er progressiv mehr zahle.37 Eine durchgehende Begründung für die Steuerprogression bestehe nicht, weil eine Steuerprogression auf die jeweiligen Interessen und Machtverhältnisse ausgerichtet und von politischer Zweckmäßigkeit bestimmt sei.38 Dies bedeutet jedoch nicht, dass, obwohl hinsichtlich der Abbildung der Leistungsfähigkeit dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zuzugestehen sei,39 diese kein Leitprinzip habe. Jachmann-Michel selbst stellt ebenfalls klar, dass der Steuergesetzgeber das Sozialstaatsprinzip als Optimierungsgebot aus­zugestalten habe, während er das Leistungsfähigkeitsprinzips in der jeweiligen Tarifregelung konkretisiere.40 Die Ansichten Jachmann-Michels enthalten einen Widerspruch in sich selbst. Man kann nicht die Ansicht vertreten, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip kei 32

Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (296). 34 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). 35 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). 36 Vgl. BVerfGE 8, 51 (68 f.); Loritz, Einkommensteuerrecht, § 34 Rn. 1209. 37 Jachmann-Michel, StuW  1998, S. 293 (295). Mangels eindeutiger Konkretisierbarkeit liefert das Leistungsfähigkeitsprinzip keinen brauchbaren Maßstab für die Verteilung der Steuern; siehe Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 39 ff. 38 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (296). Vgl. auch Becker, in: FS Klein, S. 379 (386); Loritz, Einkommensteuerrecht, § 34 Rn. 1210. 39 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (296). 40 Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). Vgl. auch Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 402. 33

C. Einordnung des progressiven Steuertarifs 

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nen progressiven Tarif verlange, und gleichzeitig der Meinung sein, dass die der sozialen Verantwortung des Einzelnen entsprechende Leistungsfähigkeit durch einen progressiven Tarif innerhalb der gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgebildet werden kann. Dieser Widerspruch kann nicht einfach durch eine Einschätzungsprärogative des Steuergesetzgebers beseitigt werden.

II. Ausfluss des Sozialstaatsprinzips Im Gegensatz zur oben erwähnten Ansicht, meint Tipke, dass der Gleichheitssatz allein keinen progressiven Tarif verlangt, auch wenn die Gleichheit an der steuerlichen Leistungsfähigkeit gemessen wird und das Leistungsfähigkeitsprinzip selbst bereits sozialstaatlich geprägt sei.41 Denn obwohl es nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip klar ist, dass höhere Einkommen auch höher besteuert werden müssen, sei aber nichts darüber ausgesagt, ob die Besteuerung ebenso schnell wie das Einkommen (proportional), langsamer (degressiv) oder schneller als das Einkommen (progressiv) anwachsen soll, und gar nichts über den Grad einer eventuellen Progression.42 Das heißt, dass nicht nur eine proportionale, sondern auch eine degressive Besteuerung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar ist.43 Sofern der Ansicht, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip keinen progressiven Tarif verlange, zuzustimmen ist,44 kann es nicht sein, dass die Steuerprogression als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips in Betracht gezogen wird. Weil eine Progression mit dem sozialstaatskonform interpretierten Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar sein kann und weil Letzteres selbst schon durch das Sozialstaatsprinzip geprägt ist, leitet sich laut Tipke keine progressive Steuer allein aus dem Gleichheitssatz ab.45 Dies bedeutet, dass eine progressive Besteuerung durch die sozialen Gesichtspunkte der Gerechtigkeit gerechtfertigt werden kann, wenngleich ein progressiver Tarif nicht ein zwingendes – sondern ein zulässiges und mögliches – Mittel der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit ist.46 Diesbezüglich weist Tipke zutreffend darauf hin, dass, da „die Gerechtigkeit zwei Kom­ ponenten hat, nämlich die Gleichheitskomponente und die soziale Komponente, […] man sich darauf einigen können [dürfte], dass Steuerprogression – wenn auch nicht zwingend – ein Ausfluss sozialer Gerechtigkeit ist. Zieht man das Sozialstaatsprin 41

Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 403. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 154. 43 Vgl. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 154; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8 Rn. 802; Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 404, Fußn. 567. A. A. Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  509. 44 Loritz, Einkommensteuerrecht, § 34 Rn. 1209. 45 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 403. Vgl. auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 211; Tipke, in: FS Zeidler, Bd. I, S. 717 (722). 46 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 403 f. Vgl. auch Raupach, DStJG 29 (2006), S. 1 (2 f.). 42

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4. Kap.: Grenze von steuerlichen Umverteilungsnormen 

zip in Betracht und damit die umfassende soziale Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit der gesamten sozialen Ordnung, so lässt sich auch die Progression rechtfertigen.“47 Demgemäß findet die soziale Gerechtigkeit in einer gleichmäßigen Besteuerung nach Leistungsfähigkeit weder Grenze noch Leitbild.48 Allerdings ist festzuhalten, dass in Sozialstaaten im Prinzip der Bedarf des Staates dazu zwingen wird, das Sozialstaatsprinzip durch Steuerprogression zu berücksichtigen.49 Auch Bryde ist der Meinung, dass der Sozialstaat in der Regel die Ausgestaltung des Steuersystems progressiv vornehmen wird und von dem, der mehr verdient, sowohl absolut als auch relativ einen größeren Beitrag zu verlangen habe.50 Wenngleich sich ein bestimmter Progressionsverlauf steuerwissenschaftlich nicht aus dem Sozialstaatsprinzip ableiten lässt und der Grad der Progression im Ermessen des Gesetzgebers liegt,51 ist eine Steuerprogression als umverteilend zu qualifizieren, „wenn bzw. wie sie stärker ist, als das[s] [es] zur Verwirklichung des Postulats einer Besteuerung nach Leistungsfähigkeit erforderlich wäre.“52 Das Maß der Umverteilung kann durch die Progression mit ihrem Grad wachsen, wobei dem Steuergesetzgeber in Hinsicht auf den Grad der Progression eine Einschätzungsprärogative zusteht.53 Normen, die eine Steuerprogression festschreiben, werden mithin als Umverteilungsnormen angesehen sowie als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips begriffen.54

D. Sozialstaatliche Rechtfertigung von Umverteilungsnormen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip Wie schon vorher erwähnt, ist der Umverteilungszweck ein eigenständiger Zweck und schafft ein verfassungsrechtliches Rechtfertigungsbedürfnis.55 Aus Art. 20 Abs. 1 GG ergibt sich der Gestaltungsauftrag an den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen.56 Nach dem BVerfG bestimmt Art. 20 Abs. 1 GG indessen nur das „Was“, also das Ziel einer gerechten Sozialordnung; er lässt aber für das „Wie“, d. h. für die Erreichung des Ziels, alle Wege offen.57 Das Sozialstaats 47

Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 405. Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 403. 49 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 405. 50 Bryde, in: FS v. Zezschwitz, S. 321 (331). 51 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 405. 52 Neumark, Steuerpolitik, S. 187. 53 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 403. Vgl. auch Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (295). 54 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 403. 55 Siehe oben 4. Kap. B II. 56 BVerfGE 97, 169 (185); Gramm / Pieper, Grundgesetz, S. 101; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 210. 57 BVerfGE 22, 180 (204). 48

D. Sozialstaatliche Rechtfertigung von Umverteilungsnormen 

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gebot ist im Wesentlichen auf einen Ausgleich sozialer Ungleichheiten zwischen den Menschen ausgerichtet und dient vornehmlich der Erhaltung und Sicherheit der Menschenwürde, dem obersten Grundsatz der Verfassung.58 Im Hinblick auf das Steuerrecht verhindert das Sozialstaatsprinzip i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, dass das Existenzminimum steuerlich belastet wird.59 Denn wenn laut Tipke das Sozialstaatsgebot sicherstellen muss, dass jedem Bürger aufgrund sozialer Mindeststandards Sozialhilfe gewährleistet wird, so folgt daraus, dass das, „[w]as der Bürger für seine Existenz braucht, […] ihm nicht weggesteuert werden [darf].“60 Auf der einen Seite dient das Sozialstaatsprinzip der Rechtfertigung steuerlicher Umverteilung unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten. Erstens: Die Erbschaftund Schenkungsteuer erfasst den Vermögenstransfer zwischen der Bereicherung des Zuwendungsempfängers und der Entreicherung des Zuwendenden.61 Dies bedeutet, dass diese Steuer das zugewendete Einkommen in Gestalt der Bereicherung belasten möchte und nicht das erwirtschaftete Einkommen.62 Nach der Rechtsprechung des BVerfG will der Gesetzgeber durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer den wirtschaftlichen Vorgang des Substanzübergangs63 oder des Substanzzugewinns64 besteuern. Dieser durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer belastete, transferierte Vermögensbestand ist der Maßstab steuerlicher Leistungsfähigkeit.65 Die Erbschaft- und Schenkungsteuer wird wegen des Vorliegens eines Transfers steuerlicher Leistungsfähigkeit bei Zuwendung als Fiskalzwecksteuer betrachtet.66 Denn der Staat nimmt den Vermögenstransfer zum Anlass, den Vermögensbestand umzuverteilen.67 Die Erbschaft- und Schenkungsteuer hat mithin neben ihrer Fiskalzweckfunktion zusätzlich einen Umverteilungszweck.68 Zweitens: Weil das wirtschaftliche Leistungsfähigkeitsprinzip nur zu proportionalen oder gleichbleibenden Fiskalzwecknormen führt,69 kann die Umverteilung in Bezug auf einen progressiven Tarif nicht durch die Normen des Prinzips gleichmäßiger Besteuerung nach Leistungsfähigkeit gerechtfertigt werden.70 Die Steuerprogression ist vielmehr eine Ausprägung der umverteilenden Sozialstaatlichkeit.71

58

BVerfGE 35, 348 (355 f.). Vgl. auch Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 420. Vgl. BVerfGE 125, 175 (175 Leitsatz 1); Gramm / Pieper, Grundgesetz, S. 102. 60 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 402. 61 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 41. 62 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 38. 63 BVerfGE 67, 70 (86). 64 BVerfGE 117, 1 (34). 65 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 40 f. 66 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 212. 67 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 212. 68 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 212. 69 Birk, StuW 2005, S. 346 (347 f.); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 212. 70 Siehe oben 4. Kap. A. 71 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 212. 59

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4. Kap.: Grenze von steuerlichen Umverteilungsnormen 

Auf der anderen Seite findet jedoch die sozialstaatliche Umverteilung ihre Obergrenzen im Spannungsverhältnis zu den freiheitlichen Grundrechten, insbesondere im Bereich von Art. 12 Abs. 1 sowie von Art. 14 Abs. 1 GG.72 Dies führt unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 22. Juni 1995 dazu, dass, wenn die aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG erwachsenden Grenzen der Besteuerung, insbesondere das Postulat einer maximal hälftigen Besteuerung des privatwirtschaftlich Erworbenen, abgeleitet werden können,73 sich aus dem Halbteilungsgrundsatz eine Limitierung der Gestaltungsfreiheit des Steuernormgebers ergibt.74 Allerdings hat sich, wie oben bereits erwähnt, der Zweite Senat des BVerfG im Beschluss vom 18. Januar 2006 von der Idee der Besteuerungsobergrenze aus dem Halbteilungsgrundsatz distanziert und den Handlungsspielraum des Steuergesetzgebers erweitert.75 Dies bedeutet, dass das BVerfG, neben dem Verbot der Erdrosselungsteuer, mit der Reduzierung des Halbteilungsgrundsatzes zu einer dogmatisch zutreffenderen Position zurückgekehrt ist. Obwohl demnach keine verbindlichen Obergrenzen festgesetzt werden, verzichtet das BVerfG auf die verfassungsrechtliche Abwägungskontrolle zu übermäßigen Steuerbelastungen nicht.76 Dazu weist Hey richtig darauf hin, dass die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit begrenzt werde.77 Auch das BVerfG ist der Auffassung, dass allein aus der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, nämlich im Rahmen einer Gesamtabwägung zur Angemessenheit der Steuerbelastung, sich Obergrenzen für eine Steuerbelastung ergeben können.78 Abschließend ist das Verhältnis zwischen der sozialstaatlichen Rechtfertigung steuerlicher Umverteilung und der angemessenen Steuerbelastung dahingehend zu bestimmen, dass zum einen zwar die steuerlichen Umverteilungsnormen durch das Sozialstaatsprinzip ihre Legitimität erhalten können, zum anderen das Sozialstaatsprinzip dem Steuergesetzgeber eine relativ große Gestaltungsfreiheit bei der Umsetzung überlässt. Damit verleiht das Sozialstaatsprinzip dem Steuergesetzgeber die Möglichkeit zur Flexibilität.79 Nur die allgemeine Pflicht des Staates zu einem sozialen Ausgleich lässt sich aus dem Sozialstaatsprinzip entnehmen, nicht jedoch die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und im welcher Weise ein solcher Ausgleich vorzunehmen ist.80 Zudem sind die Obergrenzen des umverteilenden Steuerzugriffs stets durch die Erwägung der verhältnismäßigen Gesamtsteuerlast am Ausmaß des relevanten Grundrechteingriffs zu orientieren.81 72

Vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 210. Jachmann-Michel, StuW 1998, S. 293 (296). Vgl. auch BVerfGE 93, 121 (138). 74 Jachmann-Michel, StuW 1996, S. 97 (102). 75 Siehe oben 2. Kap. B III. Vgl. auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 195. 76 BVerfGE 115, 97 (116). 77 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 196. 78 BVerfGE 115, 97 (115). 79 Raupach, DStJG 29 (2006), S. 1 (3). 80 BVerfGE 87, 1 (35); 103, 242 (259). 81 Vgl. Jachmann-Michel, StuW 1996, S. 97 (106). 73

E. Fazit

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E. Fazit Die Ergebnisse der vorigen Überlegungen lassen sich in drei Thesen zusammenfassen. Erstens: Umverteilung ist neben fiskalischen und verhaltenslenkenden ­Zwecken einer Steuer ein Ziel von eigenständiger Bedeutung und stellt ein sinnvolles Instrument des Sozialtransfers im Steuersystem dar. Denn das Sozialstaatsprinzip darf in einem auf sozialen Ausgleich zielenden Staat, neben dem Existenzminimum nach „unten“, auch das Wachsen der Einkommens- und Vermögensdisparität durch Belastung nach „oben“ umfassen. Außerdem widerspricht die Zielsetzung einer Umverteilung durch Steuern dem Gesamtdeckungsprinzip nicht. Deshalb liegt eine Umverteilung durch Besteuerung vor, wenn die interindividuelle Verteilung der Steuerlasten über das zur Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes notwendige Maß hinaus progressiv ansteigt, um auf diese Weise eine Redistribution zu erreichen. Zweitens: Normen, die eine Steuerprogression festschreiben, sind Umverteilungsnormen und Ausfluss des Sozialstaatsprinzips. Weil der Gleichheitssatz und das Leistungsfähigkeitsprinzip keinen progressiven Tarif verlangen, wird die Steuerprogression nicht als Ausfluss des Leitungsfähigkeitsprinzips angesehen wird. Zudem wird ein Sozialstaat in der Regel die Ausgestaltung des Steuer­ systems progressiv vornehmen, wobei dem Gesetzgeber in Hinsicht auf den Grad der Progression eine Einschätzungsprärogative zusteht, d. h. in einem Sozialstaat wird der Bedarf des Staates dazu zwingen, dass Sozialstaatsprinzip via Steuerprogression zu berücksichtigen. Drittens: Das Sozialstaatsprinzip dient der Rechtfertigung steuerlicher Umverteilung. Freilich findet die sozialstaatliche Umverteilung ihre Obergrenzen im Spannungsverhältnis zu den freiheitlichen Grundrechten. Obwohl nach herrschender Meinung keine verbindlichen Obergrenzen festgesetzt werden können, sind die Obergrenzen des umverteilenden Steuerzugriffs durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip am Ausmaß des relevanten Grundrechteingriffs zu orientieren.

5. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen A. Problemstellung Das Steuerrecht enthält eine Vielzahl von Vereinfachungszwecknormen, nämlich vor allem Typisierungen und Pauschalierungen.1 Diese Normen dienen hauptsächlich dazu, das Massenfallrecht Steuerrecht praktikabler zu gestalten und auf diese Weise auf kostspielige Einzelfallermittlungen verzichten zu können.2 Weil die Vereinfachungszwecknormen zur Gleichbehandlung von Ungleichem führen, müssen sie vor Art. 3 Abs. 1 GG durch die Praktikabilität der Norm und die Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt sein. Typisierungen und Pauschalierungen als Vereinfachungszwecknormen fixieren eine Durchschnittsnormalität. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Vereinfachungszwecknormen setzt darum stets voraus, dass der Gesetzgeber tatsächlich den „typischen Fall“ realitätsgerecht erfasst hat.3 Die vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung wird unter dieser Bedingung vom BVerfG prinzipiell zugelassen.4 Nach der Rechtsprechung der BVerfG darf der Gesetzgeber einen steuererheblichen Vorgang um der materiellen Gleichheit willen im typischen Lebensvorgang erfassen und individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen.5 Und nach herrschender Lehre muss das Bedürfnis nach einer Typisierung bestimmte Voraussetzungen erfüllen, d. h. die Typisierung oder Pauschalierung muss zur Vereinfachung geeignet sein und sie darf nicht unverhältnismäßig sein.6 Bei der Ausgestaltung von Vereinfachungszwecknormen kann damit auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielen. Wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip

1 Zur Definition der Vereinfachungszwecknormen, insbesondere Typisierungen und Pauschalierungen, siehe oben 1. Kap. C II 3.  2 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  451. 3 Birk, Die Verwaltung 35 (2002), S. 91 (96 ff.); Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 208. Vgl. auch BVerfGE 96, 1 (6 f.); 101, 297 (310). 4 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 147. Vgl. auch BVerfGE 13, 331 (341); 21, 12 (27); 64, 119 (128); 65, 325 (354 f.); 71, 146 (157); 75, 108 (162); 82, 60 (91 ff.); 82, 126 (151 f.); 84, 348 (359 f.); 87, 153 (172); 96, 1 (6 f.); 127, 224 (245 f.). 5 BVerfGE 96, 1 (7). 6 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 209; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 147; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 454. Vgl. auch BVerfGE 103, 310 (319).

B. Die Frage der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze 

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die Vereinfachungszwecknormen gestaltet oder begrenzt, wird in dem ersten Teil dieses Kapitels diskutiert (dazu unter B). Einerseits darf der Gesetzgeber für eine Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen und sich nicht von Erwägungen leiten lassen, die mit einer zulässigen Typisierung in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen.7 Deshalb müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit stehen.8 Andererseits ist bei einer gesetzlichen Typisierung das steuerlich zu verschonende Existenzminimum grundsätzlich so zu bemessen, dass es in möglichst allen Fällen den existenznotwendigen Bedarf abdeckt, also keine Steuerpflichtigen infolge einer Besteuerung darauf verwiesen werden, ihren existenznotwendigen Bedarf durch Inanspruchnahme von Staatsleistungen zu decken.9 Wenn in Einzelfällen unbillige Härten gegeben sind, so kann ein Billigkeitserlass gemäß §§ 163 oder 227 AO in Betracht kommen.10 Um der Exekutive die Möglichkeit zu belassen, Gerechtigkeit im Einzelfall herzustellen, erlässt der Gesetzgeber diese Billigkeitsvorschriften, die als Prototypen für viele dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geschuldete Ausnahmeklauseln angesehen werden.11 Weil allerdings der Zusammenhang von Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeitsprinzip selbst Vertretern der Steuerrechtswissenschaft kaum bewusst ist,12 behandelt der zweite Teil dieses Kapitels die Frage, ob und inwieweit das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei den Billigkeitserlassen eine Rolle spielt (dazu unter C).

B. Die Frage der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze als Kern des Problems der Verhältnismäßigkeit der Vereinfachungszwecknormen I. Hintergründe Um eine in den Grenzen der verfassungsrechtlichen Restriktionen zulässige Lösung für Vereinfachungszwecknormen zu entwickeln, werden in den wiederkehrenden Steuervereinfachungsdebatten zum Teil große Hoffnungen in eine Vereinfachung durch Typisierungen und Pauschalierungen gesetzt. Dennoch sind die 7

BVerfGE 122, 210 (240). Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 148. 9 BVerfGE 87, 153 (154 Leitsatz 3). 10 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 148. Vgl. auch BVerfGE 16, 147 (177); 21, 54 (71); 27, 375 (385); 38, 61 (95). 11 Heintzen, Annales de la Faculté de Droit d’Istanbul, Bd. 43 (2011), S. 47 (53). Vgl. auch Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 48 f. 12 Heintzen, Annales de la Faculté de Droit d’Istanbul, Bd. 43 (2011), S. 47 (53 f.). 8

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

Grenzen einer Vereinfachungsgesetzgebung bisher nicht hinreichend ausgelotet.13 Ferner sind nicht nur die gegen die steuerfreie Kostenpauschale der Abgeordneten eingelegten Verfassungsbeschwerden gescheitert,14 wobei bei dieser Pauschalisierung eine realitätsgerechte Erfassung von deren Höhe nicht gegeben ist,15 sondern es weigerte sich auch die Rechtsprechung, Schlussfolgerungen aus der anhaltenden Niedrigzinsphase zu ziehen, obwohl die steuergesetzlichen Zinstypisierungen in Höhe von sechs Prozent (§ 238 AO und § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG) offensichtlich realitätsfern sind.16 Beispielweise hat der 3. BFH-Senat noch in seinem Urteil vom 9. November 201717 die Höhe der Nachforderungszinsen (§ 233a Abs. 1 Satz  1 i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) für in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume als verfassungsgemäß beurteilt, weil sie weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen würden.18 Nach dem Urteil des BFH sei die Zinshöhe auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verfassungswidrig.19 Da mit den Nachzahlungszinsen potentielle Liquiditäts- oder Zinsvorteile abgeschöpft werden sollen, müssten zur Prüfung der Realitätsgerechtigkeit des Zinssatzes die Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten der Steuerpflichtigen umfassend betrachtet werden. Auf die Zinssätze sei daher kurz- und langfristiger Einlagen und Kredite abzustellen. Auf der Grundlage von Daten der Deutschen Bundesbank ergeben sich für 2013 Zinssätze, die sich in einer Bandbreite von 0,15 Prozent bis 14,70 Prozent bewegten. Obwohl der Leitzins der Europäischen Zentralbank bereits seit 2011 auf unter einem Prozent gefallen sei, könne somit nicht davon ausgegangen werden, dass der gesetzliche Zinssatz die Bandbreite realitätsnaher Referenzwerte verlassen habe. Daran verändere auch die verbesserte EDV-Technik nichts. Selbst wenn mit dieser ein variabler Zinssatz umgesetzt werden könne, folge daraus nicht die Unverhältnismäßigkeit des festen Zinssatzes.20 Dies bedeutet allerdings nicht, dass keine Begrenzung der Ausgestaltung der Typisierungen oder Pauschalierungen nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip erfolgen kann. In diesem Fall ist vielmehr maßgebend, dass der Zinssatz der Nachforderungszinsen für in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch in der Bandbreite vernünftiger Werte liegt; deshalb verstößt die Zinshöhe nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

13

Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 149. BVerfGK 17, 438. 15 Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 209. 16 Hey, FR 2016, S.485. Vgl. auch Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, § 6a Rn. 51. 17 BFHE 260, 9.  18 BFHE 260, 9 (14 ff.). 19 BFHE 260, 9 (15 ff.). 20 BFHE 260, 9 (20); Wendl, DStRK 2018, S. 106. 14

B. Die Frage der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze 

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II. „Frischer Wind“ durch die Entscheidungen des FG Köln und des BFH über den realitätsfernen Zinssatz Jüngst haben der 10. Senat des FG Köln und der 9. Senat des BFH „frischen Wind“ in die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des steuerlichen Rechnungs­ zinsfußes in Höhe von sechs Prozent gebracht. In dem Vorlagebeschluss vom 12. Oktober 201721 hält das FG Köln § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG i. d. F. des Jahres 2015 insoweit für verfassungswidrig, als bei der Berechnung des Teilwerts einer Pensionsverpflichtung ein Zinssatz von sechs Prozent anzuwenden ist, aber dieser Zinssatz erheblich höher als die marktüblichen Zinsen liegt. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht dem BVerfG die Sache vorgelegt.22 Auch gewährt der BFH in der Entscheidung vom 25. April 201823 wegen schwerwiegender verfassungsrechtlicher Zweifel an der Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab 2015 eine Aussetzung der Vollziehung. Obwohl dies nicht schon das Ende der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze bedeutet, kann zumindest aufgrund der Argumentationen der beiden Beschlüsse die folgende Frage gestellt werden: Wie gestaltet oder begrenzt das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Vereinfachungszwecknorm? 1. Jüngste Entscheidung des FG Köln Das FG Köln hat das Hauptsacheverfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung mit der Verfassung vereinbar ist,24 wonach zur Berechnung der Pensionsrückstellungen ein Rechnungszinsfuß von sechs Prozent anzusetzen sei.25 Zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes hat das FG Köln genauere Maßstäbe und Kriterien gefordert. Es sei zwar grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl müsse er jedoch sachgerecht

21

FG Köln, DStR 2017, S. 2792. Hennigfeld, DB 2018, S. 156. 23 BFHE 260, 431. 24 Wenn ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält, so hat es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Das dem BVerfG vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der von ihm angenommenen Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes – jedenfalls im Hauptsacheverfahren – erst nach deren Feststellung durch das BVerfG ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird; siehe BVerfGE 86, 382 (389); BFHE 260, 431 (433 f.). 25 Hennigfeld, DB 2018, S. 156 (157). 22

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

treffen. Die Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletze, ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierten Prüfungsmaßstabs, der vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reicht. Differenzierungen bedürften stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen seien.26 Demzufolge werden der jeder Typisierung inhärenten Ungleichbehandlung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen gesetzt. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler dürfe ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der durch Typisierung bewirkten Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als Grenze der Typisierung folge, dass die Typisierungsspielräume zugunsten der Erreichung des Vereinfachungszwecks umso größer seien, je mehr die Finanzverwaltung auf tatsächliche und / oder rechtliche Ermittlungshindernisse treffe. Wenn die tatsächlichen Voraussetzungen der Besteuerung dagegen leicht nachprüfbar und zweifelsfrei objektivierbar seien, so verschärfe sich der Maßstab verfassungskonformer Typisierung.27 2. Jüngste Entscheidung des BFH Die Frage der Verhältnismäßigkeit steuergesetzlich typisierter Zinsen ist nicht nur im Zusammenhang mit Pensionsrückstellungen Gegenstand der Diskussion, sondern auch im Bereich der Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis; in § 238 AO wird insofern ein Zinssatz in Höhe von sechs Prozent pro

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FG Köln, DStR 2017, S. 2792 (2795). FG Köln, DStR 2017, S. 2792 (2796 f.). Nach der Entscheidung des FG Köln führt § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG zu einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Pensionslasten würden anders als anderweitiger Aufwand nicht als voll abzugsfähig anerkannt und damit im Hinblick auf das im Bilanzsteuerrecht geltende Realisationsprinzip ungleichbehandelt. Diese Ungleichbehandlung wiege umso schwerer, soweit die Vorschrift nicht nur sichere, quasi garan­tierte Zinserträge antizipiere, sondern unrealistisch hohe zukünftige Zinserträge zugrunde lege. Der Rechnungszinsfuß sei 1981 auf sechs Prozent angehoben worden. Im Gesetzgebungsverfahren gehe man davon aus, dass der Rechnungszinsfuß im Rahmen der allgemeinen Renditeerwartungen liegt, welche die pensionsverpflichteten Unternehmen auf längere Sicht mit dem durch die Rückstellungen gebundenen Kapital erwirtschaften könnten. Die Vorschrift verstoße inzwischen jedoch gegen das Willkürverbot, da der Zinsfuß von sechs Prozent bereits seit Jahren nicht mehr der Realität entspreche. Deshalb komme es zu einer Verletzung des Gebots realitätsgerechter Typisierung. Andererseits dürfe der Gesetzgeber zwar typisierende Regelungen schaffen, er müsse aber in angemessenen Zeiträumen prüfen, ob seine Typisierung noch realitätsgerecht sei. Aus Sicht des FG wäre eine Überprüfungspflicht alle fünf Jahre angemessen; siehe Hennigfeld, DB 2018, S. 156 (157). 27

B. Die Frage der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze 

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Jahr festgelegt.28 Obwohl die Rechtsprechung diese Verzinsung bislang noch für verfassungsgemäß gehalten hat, hat der 9. Senat des BFH die Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab dem Jahr 2015 in seinem jüngsten Beschluss angezweifelt. Nach Ansicht des Senates ist die angegriffene Zinshöhe in § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO durch ihre realitätsferne Bemessung mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip verfassungswidrig. Der Senat hat mit folgender Argumentationen seine Zweifel begründet: Zuerst hat der Senat auf seine Bewertungsmaßstäbe hingewiesen, nach denen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen müssen und dass sich eine gesetzliche Typisierung realitätsgerecht am typischen Fall orientieren müsse.29 Laut dem Beschluss überschreitet der gesetzlich festgelegte Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für den Streitzeitraum angesichts der zu dieser Zeit bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße. Das Niedrigzinsniveau stellte sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung, verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern sei struktureller und nachhaltiger Natur.30 Der Senat führt weiter aus, dass eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht bestehe. Denn einerseits könnten auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz im Sinne des § 247 BGB nicht mehr entgegenstehen.31 Andererseits rechtfertige das Telos der Verzinsung die gesetzliche Zinshöhe nicht. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrig­zinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.32 Überdies weist der Senat darauf hin, dass die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein sanktionierender, rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung wirke. Die Abschaffung

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Hennigfeld, DB 2018, S. 156 (157). BFHE 260, 431 (434). 30 BFHE 260, 431 (435). 31 BFHE 260, 431 (435 f.). 32 BFHE 260, 431 (436). 29

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

der Vier-Jahres-Grenze33 rechtfertigte der Gesetzgeber im Jahre 1999 mit den Erwägungen der Steuergerechtigkeit und der Vereinfachung der Zinsberechnung; Steuerpflichtige sollten die relative Zinsbelastung nicht mehr durch Verzögerungen des Ablaufs einer Außenprüfung vermindern können. In einem strukturell niedrigen Zinsumfeld wirke der unbefristete Zinslauf für den Steuerpflichtigen verschärfend. Dessen Belastung werde umso größer, je später die Steuer festgesetzt werde. Eine sachliche Rechtfertigung für die nicht realitätsgerechte Belastung bestehe bei summarischer Prüfung nicht. Insbesondere ist hier der Zweck der Verzinsungspflicht, potentielle Nutzungsvorteile abzuschöpfen, nur dann gegeben, wenn der Zinssatz den realen Zinssätzen entspricht.34

III. Stellungnahme In welchen Fällen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungsmaßstab von Vereinfachungszwecknormen herangezogen werden kann, kann anhand von zwei jüngeren Entscheidungen des FG Köln und des BFH können Konstellationen abgeleitet werden. Beispielsweise ist, wie oben erwähnt, der Zweck der Verzinsung von Steuernachforderungen die Abschöpfung des Liquiditäts- oder Zinsvorteiles, den der Steuerzahler dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht „an sich“ dem Steuergläubiger zusteht.35 Auf diese Weise sollen Belastungsunterschiede, die sich aus verschiedenen Steuer­ zahlungszeitpunkten ergeben, nivelliert werden. Ein überhöhter Zinssatz kann jedoch nach der Ansicht des 9. BFH-Senats nicht durch den der Typisierung zugrunde liegenden Vereinfachungszweck gerechtfertigt sein.36 Dies bedeutet allerdings nicht schon das Ende des überhöhten gesetzlich festgelegten Zinssatzes. Erstens gibt es noch Unstimmigkeiten zwischen den Gerichten. Beispielsweise hat der 3. Senat des BFH noch im November 2017 in einem anderen Fall für den Verzinsungszeitraum 2013 die Nachforderungszinsen als verfassungsgemäß beurteilt. Zweitens ist die Feststellung, dass ein realitätsferner Zinssatz verfassungswidrig ist, Aufgabe des BVerfG.37 Aber auf der anderen Seite hat der bayerische Gesetzgeber, anders als der Bundesgesetzgeber, auf die Unverhältnismäßigkeit der Verzinsungsregelung von sechs 33

Laut der Entscheidung des 9. BFH-Senats wird die Belastung des Steuerpflichtigen im Einzelfall noch dadurch verschärft, dass mit dem Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999) vom 22. Dezember 1999 die bis dahin geltende zeitliche Begrenzung des Zinslaufs auf maximal vier Jahre aufgehoben worden ist; siehe BFHE 260, 431 (437). 34 BFHE 260, 431 (438). 35 Hey, FR 2016, S. 489. Vgl. Seer, DB 2014, S. 1945 (1947). 36 Hey, FR 2016, S. 489 f. 37 Hey, FR 2016, S. 491.

B. Die Frage der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze 

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Prozent jährlich durch Regelungen wie in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst.  dd BayKAG reagiert. Diese von der bayerischen Kommunalverwaltung anzuwendende Norm ist durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 11. März 2014 mit Wirkung ab 1. April 2014 dahingehend geändert worden, dass für den im Anwendungsbereich des BayKAG heranzuziehenden Zinssatz insoweit nicht mehr § 238 Abs. 1 Satz 1 AO maßgebend ist, sondern die Höhe der Zinsen zwei Prozentpunkte beträgt.38 Bei Art. 49a Abs. 3 BayVwVfG hat der bayerische Gesetzgeber auch einen variablen Erstattungszinssatz von drei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich angeordnet. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die jüngsten Entscheidungen des FG Köln und des BFH deutlich darauf hindeuten, dass es eine Zweck-Mittel-Relation bei Vereinfachungszwecknormen gibt und dass die Rechtfertigungsgründe der jeweiligen Vereinfachungszwecknormen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen müssen.39 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip kann einen Prüfungsmaßstab solcher Normen darstellen. In diesen Fällen der Verzinsung kommt eine Herabsetzung auf der Grundlage von §§ 163, 227 AO nicht in Betracht, weil nach ständiger Rechtsprechung sowohl des BVerfG als auch des BFH Billigkeitsmaßnahmen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen dürfen.40 Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des Gesetzes unterlaufen werden kann. Müssten solche Maßnahmen ein Ausmaß erreichen, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig.41 Insgesamt kann man sagen, dass der Billigkeitserlass nicht geeignet ist, ein Gesetz als Ganzes in Frage zu stellen oder seine Verfassungsmäßigkeit zu retten.42 Wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip durch die §§ 163, 227 AO im Einzelfall eine Rolle spielen kann, wird in den weiteren Teilen dieser Untersuchung diskutiert.43

38

BFHE 260, 431 (435 f.). Vgl. Seer, DB 2014, S. 1945 (1949). 40 BVerfGE 48, 102 (116); BFH, BStBl. II 1972, S. 83; BStBl. II 1975, S. 51; BStBl. II 1981, S. 608; BStBl. II 1991, S. 498 (500); BStBl. II 1993, S. 3. Vgl. auch Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 19; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 330. 41 BFH, BFH / N V 2001, S. 1659 (1660). Vgl. auch Hey, FR 2016, S. 491. 42 v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn.  286. 43 Siehe unter 4. Kap. C. 39

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

C. Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeit I. Begriff Ein Billigkeitserlass ist der Verzicht des Steuergläubigers auf den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis.44 Unter dem Begriff der Billigkeit ist die Gerechtigkeit oder Vernünftigkeit im Einzelfall zu verstehen,45 also das, was nach Lage der besonderen Umstände des Falls als angemessen, sachlich begründet und persönlich zumutbar erscheint.46 Billigkeitsmaßnahmen bewirken eine Abweichung von der Typengerechtigkeit, die durch die abstrakt-generellen (Steuer-)Gesetze verwirklicht wird, deren Befolgung im konkreten Einzelfall allerdings zu Ergebnissen führen kann, die als Unrecht empfunden werden.47 Um bei der Anwendung der abstrakt-generellen Regelungen der Gesetze unbillige Ergebnisse zu vermeiden, kennt das Steuerrecht die Billigkeitserlasse (§§ 163, 227 AO), die im Einzelfall Gerechtigkeit herbeiführen sollen.48 In Folge der in der AO vorgenommenen Trennung zwischen dem Festsetzungsund dem Erhebungsverfahren kennt die AO zwei gleichartige Vorschriften, die aus § 108 RAO 1919 und § 131 RAO 1931 hervorgegangen sind49 und die eine Korrektur des steuerlichen Ergebnisses aus Billigkeitsgründen ermöglichen.50 § 163 Abs. 1 Satz 1 AO regelt den Billigkeitserlass im Steuerfestsetzungsverfahren und § 227 AO den Billigkeitserlass im Erhebungsverfahren. Trotz unterschiedlicher Rechtsfolgen decken sich die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser beiden Vorschriften.51

II. Das bei der Billigkeitsentscheidung implizierte Verhältnismäßigkeitsprinzip 1. Die durch allgemeine Rechtsgrundsätze konkretisierte Unbilligkeit Was als unbillig anzusehen ist, lässt sich nicht von einer allgemein gültigen Norm erfassen.52 Es hängt vielmehr davon ab, ob die Festsetzung oder Erhebung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall den Gerechtigkeits 44

Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, S. 195. Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 329. Vgl. auch Henkel, Rechtsphilosophie, S. 421. 46 BGH, BB 1964, S. 620 (621); NJW 1973, S. 142. 47 Rüsken, in: Klein, AO, § 163 Rn. 30. 48 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 3. 49 Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, S. 196; Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 1. Vgl. auch v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn.  4 ff. 50 Fritsch, in: Koenig, AO, § 227 Rn. 1; Rüsken, in: Klein, AO, § 163 Rn. 1. Vgl. auch v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn.  4 ff. 51 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 163 AO Rn. 1; Rüsken, in: Klein, AO, § 163 Rn. 1a. Vgl. auch BFH, BFH / N V 2012, S. 161, 163. 52 Elsen, StuW 1959, S. 499 (502 f.). 45

C. Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeit

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postulaten widerspricht.53 Dabei erfordert die Billigkeitsprüfung eine Gesamtbeurteilung aller Normen und Umstände, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Einzelfall maßgeblich sind.54 Bei der Prüfung eines geltend gemachten Erlassanspruches können außer dem Anspruch aus den die Steuerschuldverhältnisse regelnden Vorschriften auch andere Rechtsnormen zu berücksichtigen sein, insbesondere allgemeine Rechtsgrundsätze.55 Da allgemeine Rechtsgrundsätze unmittelbar aus dem Rechtsprinzip ableitbar sind und keine weiteren sozialen Gegebenheiten voraussetzen, gehören sie zum ethischen Mindestgehalt und normativen Fundament einer jeden Rechtsordnung.56 Um zu einer im Einzelfall gerechten Billigkeitsentscheidung zu gelangen, kann auf die Gerechtigkeitsidee und allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden.57 Eine Billigkeitsprüfung darf sich somit nicht in Überlegungen zur richtigen Gesetzesanwendung erschöpfen, sondern muss sich auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze erstrecken.58 2. Die durch Interessenabwägung konkretisierte Billigkeitsprüfung Als Konsequenz der Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall wurden die §§ 163, 227 AO als Ausdruck von allgemeinen Rechtsgrundsätzen geschaffen.59 Dazu gehören vornehmlich die Grundsätze von Treu und Glauben, das Vertrauens­ prinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip, insbesondere die Angemessenheit oder die sog. Zumutbarkeit.60 Diese Rechtsgrundsätze tragen zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit bei.61 Ihre Berücksichtigung verlangt zur Verwirk­ lichung der Einzelfallgerechtigkeit innerhalb eines konkreten Steuerschuldverhältnisses eine Abwägung der Interessen.62 Unbilligkeit stellt die Ausnahme dar, weil die Einziehung eines Anspruchs aus dem Steuerverhältnis grundsätzlich nicht unbillig ist. Dann muss die Frage des Ausnahmefalls, also ob es sich bei der in Frage stehenden Steuerbelastung um einen als typische Folge der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung hinzunehmenden Normalfall handelt oder ob sich die Einziehung in dem zu entscheidenden Einzelfall, unter Zuhilfenahme aller Ge 53

Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, S. 197. BFHE 176, 3 (6). 55 BFHE 163, 313. 56 Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht I, § 25 Rn.  4. 57 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 3. 58 BFH, BFH / N V 2004, S.  754. 59 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 3. Das Prinzip der Gerechtigkeit im Einzelfall hat nach BVerfGE 7, 194 (196) Verfassungsrang oder steht sogar über der geschriebenen Verfassung. 60 Die Angemessenheit kann die Zumutbarkeit bereits implizieren; siehe oben 1. Kap. B III. 61 v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn. 118, 170. Vgl. auch Lemaire, in: Kühn / v. Wedelstädt, AO / FGO, § 227 Rn. 17. 62 v.  Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn. 172. Ähnlich auch Krabbe, in: Koch / Scholtz, AO, § 227 Rn. 9. 54

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

rechtigkeitsmaßstäbe (allgemeiner Rechtsgrundsätze oder verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen) als abnorm und für den Steuerpflichtigen damit als unzumutbar erweist, unter gegenseitiger Abwägung der schutzwürdigen Interessen der öffentlichen Hand und des Steuerpflichtigen beantwortet werden.63 Bei einer Billigkeitsentscheidung besteht das Interesse der öffentlichen Hand darin, dass das erwartete Steueraufkommen nicht geschmälert wird.64 Darum sind auch das allgemeine Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung65 und die Haushaltslage des Steuergläubigers angemessen zu berücksichtigen.66 Dazu weisen Elsen und Loose zutreffend darauf hin, dass eine besonders ungünstige Haushaltslage eines Ertragsberechtigten bei Gemeindesteuern relevant werden kann, wenn beispielsweise ein Großbetrieb in einer kleinen Gemeinde den Erlass der Gewerbesteuer beantragt. Dieser Steuerausfall kann sich allein oder zusammen mit anderen Maßnahmen auf die Haushaltsführung schwerwiegend auswirken.67 Weil die Haushaltslage bloß angemessen zu berücksichtigen ist, kann sie für sich allein aber niemals die Ablehnung eines Erlassantrags rechtfertigen.68 Auf der anderen Seite geht das Interesse des Steuerpflichtigen dahin, dass die gegen ihn gerichteten Ansprüche mit seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Einklang stehen und überdies deren Einziehung nicht früheren Handlungen der Finanzbehörde widerspricht.69 Obwohl nach Rechtsprechung des BFH die Grundsätze von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes für die Interessenabwägung von erheblicher Bedeutung sind,70 sind diese Grundsätze jedoch nicht mit der Billigkeit identisch.71 Hierbei spielt also das Verhältnismäßigkeitsprinzip, insbesondere die Angemessenheit,72 eine entscheidende Rolle.73 Denn um zu einer Billigkeitsentscheidung zu gelangen, ist eine Interessenabwägung notwendig. Aus dem Bezug des Grundrechtsschutzes auf die bestehenden rechtlichen74 63

v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn.  127; Loose, in: Tipke / ​ Kruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 28. 64 Elsen, StuW 1959, S. 499 (503). 65 BFH, BFH / N V 1990, S. 213 (214). 66 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 29. 67 Elsen, StuW 1959, S. 499 (503 f.); Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 29. 68 Nach einem Urteil des OVG Rheinland-Pfalz, KStZ 1962, S. 100 soll die Gemeinde alle für die Ausübung des Ermessens in Betracht kommenden Umstände berücksichtigen. „Denn die Abwägung der Umstände des Einzelfalles gehört zum Wesen einer Ermessensentscheidung. Zu diesen Umständen, deren Berücksichtigung bei einem Steuererlass […] neben der Ertragsminderung in Betracht kommt, gehört nicht nur der Finanzbedarf der Gemeinde, sondern auch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuergegenstandes.“ 69 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 30. 70 BFH, BStBl. III 1958, S. 409 (411). 71 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 30. 72 Vgl. 1.  Kap. B II 5.  73 Vgl. BFH, BFH / N V 1990, S. 213 (214); Elsen, StuW 1959, S. 499 (503 f.). 74 Die Angemessenheit hat einen Bezug zum „Rechtlichen“, während die Geeignetheit und die Erforderlichkeit eine Frage des „Tatsächlichen“ sind; siehe Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 101.

C. Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeit

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Möglichkeiten, hier nämlich den Fällen einer Billigkeitsentscheidung, die von den gegenläufigen Interessen der öffentlichen Hand und des Steuerpflichtigen abhängt, folgt die Angemessenheit.75 So wird die Angemessenheit im Schrifttum auch als „eigentliches Abwägungsgebot“ bezeichnet76 und bereits von der von einer Interessenabwägung abhängigen Billigkeitsentscheidung impliziert.

III. Exkurs: Billigkeitserlass als Ermessensentscheidung? Die Ermessensentscheidung ist als ein „Abwägungsprozess“, der alle einschlägigen öffentlichen und individuellen Interessen einbeziehen muss, zu verstehen und wird deshalb als eine in besonderem Maße die Einzelfallgerechtigkeit verbürgende Entscheidung betrachtet.77 Wenn der Billigkeitserlass als Ermessensentscheidung angesehen wird, dann kann ohne Weiteres eine enge Beziehung zwischen Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeitsprinzip hergestellt werden. 1. Die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes und die ständige Rechtsprechung des BFH Obwohl die Frage, ob ein Billigkeitserlass eine Ermessensentscheidung ist oder ob es sich um eine Koppelung von unbestimmten Rechtsbegriffen mit einer Ermessensentscheidung handelt, streitig war, ist für die Praxis durch den Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 197178 entschieden, dass es sich um eine „einheitliche Ermessensentscheidung“ handelt.79 Der Gemeinsame Senat geht davon aus, dass die §§ 163, 227 AO entsprechende Vorschriften zu § 131 RAO 1931 sind und damit Ermessensvorschriften sind. Die Entstehungsgeschichte des § 131 RAO 1931 zeige, dass er vom Gesetz­ geber als Ermessensvorschrift konzipiert worden sei.80 Der Begriff „unbillig“ – für sich und dogmatisch betrachtet – könne zwar in die Kategorie der unbestimmten Rechtsbegriffe eingeordnet werden, es besteht aber für den Gemeinsamen Senat zwischen dem Begriff „unbillig“ und der Rechtsfolge „können“ eine unlösbare Verbindung. Daraus schließt der Senat, dass der Begriff „unbillig“ in den Ermessensbereich hineinrage und damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Er 75

Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 f. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100. 77 Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht I, § 31 Rn.  38. 78 BFHE 105, 101. Die Entscheidung betraf zwar § 131 RAO, ihre Aussagen werden jedoch unverändert auf §§ 163, 227 AO übertragen; siehe v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn. 113, Fußn. 4. 79 BFHE 105, 101 (110). Vgl. auch v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn. 113; Rüsken, in: Klein, AO, § 163 Rn. 20. 80 BFHE 105, 101 (108). 76

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

messensausübung bestimme.81 Daher kommt der Senat mit seiner Entscheidung zu folgendem Schluss: Es macht „vom Ergebnis her keinen bedeutsamen Unterschied, ob der Rechtsschutz dadurch erlangt wird, dass die Verwaltungsgerichte zwar von einer Ermessensentscheidung ausgehen, diese aber auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Billigkeit überprüfen, oder dadurch, dass die Gerichte zwar von einer Rechtsentscheidung ausgehen, zur Vermeidung einer ‚uferlosen‘ Kontrolle der Verwaltung sich aber auf eine ‚taktvolle und behutsame Rechtskontrolle‘ beschränken […]. Berühren sich somit im Ergebnis die verschiedenen Auffassungen, so verdient doch die von der reinen Ermessensentscheidung den Vorzug, weil sie die Gerichte nicht dazu zwingt, im Rahmen des § 131 RAO, der einen der Verwaltung eigenen Funktionsbereich bestimmt, an die Stelle der Exekutive zu treten und statt ihrer zu entscheiden.“82 Der BFH folgt in ständiger Rechtsprechung dieser zu § 131 RAO entwickelten Auffassung auch bezüglich § 227 AO83 und kommt sogar in seiner jüngsten Entscheidung des Großen Senats vom 28. November 201684 auf Grundlage der Analyse von Literatur und Rechtsprechung zum selben Ergebnis, dass die Entscheidung über Billigkeitserlasse im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung sei, es sich aber nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen handele.85 Denn das Tatbestandsmerkmal „unbillig“ sei ein im gerichtlichen Verfahren überprüfbarer Rechtsbegriff oder, mit anderen Worten, die „gesetzliche Voraussetzung“ für eine behördliche Ermessensentscheidung.86 Deshalb komme ein dieses Merkmal einschließendes behördliches Ermessen nicht in Betracht und auch keine durch eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift herbeigeführte Ermessensreduktion auf Null.87 Der Meinungsstreit ist aber nicht beigelegt, sondern eher weiter geschürt worden. Der BFH selbst erwähnt die Entscheidungen des BVerwG in dem oben erwähnten Beschluss des Großen Senats und behauptet, dass diese Gegenauffassung des BVerwG mit der eigenen identisch sei.88 So meint der BFH:89 „In gleicher Weise geht die Rechtsprechung des BVerwG zu Billigkeitsmaßnahmen gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 oder § 227 AO von einer uneingeschränkten Überprüfbarkeit des Merkmals der ‚Unbilligkeit‘ aus. Mit den BVerwG-Urteilen vom 29. September 1982 […] und vom 9. März 1984 […] wurde die Entscheidung der Behörde, die geltend gemachte sachliche Unbilligkeit der Einziehung der Lohnsummensteuer 81

BFHE 105, 101 (109). BFHE 105, 101 (111). 83 Etwa BFH, BFH / N V 2010, S. 1160; BFH / N V 2012, S. 1411; 1486 (1489). 84 BFHE 255, 482. 85 BFHE 255, 482 (499). 86 Vgl. BFHE 248, 485 (503). 87 BFHE  255, 482 (501 f.). Vgl. auch Desens, ZIP  2017, S. 645 (648); Kahlert / Schmidt, ZIP 2017, S. 503 (504). 88 BFHE 255, 482 (501). 89 BFHE 255, 482 (501). 82

C. Billigkeitserlass und Verhältnismäßigkeit

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sei nicht gegeben, voll überprüft. Mit seinen Urteilen vom 4. Juni 1982 […] hat das BVerwG die sachliche Unbilligkeit der Einziehung der Grundsteuer in jenen Fällen verneint, ohne den Begriff des ‚Ermessens‘ zu erwähnen. Ebenso hat das BVerwG in einem aktuellen Urteil vom 19. Februar 2015 […] die in jenem Fall geltend gemachte sachliche Unbilligkeit der Einziehung der Gewerbesteuer eingehend geprüft und verneint, ohne ein behördliches Ermessen und eine daraus folgende nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Behördenentscheidung zu erwähnen.“ Das BVerwG geht allerdings vielmehr davon aus, dass der Begriff „unbillig“ ein von den Gerichten voll nachprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff sei. Der Grund, weshalb das BVerwG das Ermessen in solchen Entscheidungen nicht erwähnt, liegt darin, dass, wenn die Interessenabwägung zu dem Ergebnis führt, dass die Festsetzung oder Erhebung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall unbillig ist, für weitere Ermessenserwägungen kein Raum bleibt. Die Entscheidung des Großen Senats des BFH ist eher eine dogmatisch unbefriedigende Mischung zwischen den Positionen, die von einer einheitlichen Ermessensentscheidung ausgehen, und denen, die das Merkmal „unbillig“ als einen unbestimmten Rechtsbegriff ansehen.90 2. Literatur und Stellungnahme Im Schrifttum werden die Regelungen des Billigkeitserlasses als sog. Koppelungsvorschriften, die auf der Tatbestandsseite einen unbestimmten Rechtsbegriff („nach Lage des Einzelfalls unbillige Einziehung“) und auf der Rechtsfolgeseite eine Ermächtigung der Exekutive zur Ermessensausübung enthalten, begriffen.91 Die Unbilligkeit ist daher tatbestandliche Voraussetzung des Erlasses, und auf der Tatbestandsseite kann kein Verwaltungsermessen eingeräumt werden.92 Nach Loose behilft sich die Rechtsprechung damit, das Ermessen der Behörden an weitere Voraussetzungen zu knüpfen, und das bedeutet, dass es doch gerichtlich überprüfbar wird.93 Dazu weist Kruse zutreffend darauf hin, dass die Deduktionen des Gemeinsamen Senats ein dogmatisch unsauberer Kompromiss seien.94 Denn wenn die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung ist, wäre es inkonsistent, dass die Behördenseite einer „weitgehenden 90 Dazu BVerwGE 3, 121 (123); 18, 247 (251); 23, 25 (29); 44, 339 (342);74, 315 (323); 85, 177 (184 f.); 106, 263 (271); 108, 64 (70). Ähnlich auch Pump, in: Pump / Lohmeyer, AO, § 227 Rn. 7. 91 v.  Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn.  115; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 331; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 5 AO Rn. 90. 92 Frotscher, in: Schwarz / Pahlke, AO / FGO, § 163 Rn. 15; Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 22. 93 Loose, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 227 AO Rn. 22. 94 Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, S. 196 f.

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

Nachprüfbarkeit“ durch die Gerichte unterworfen sei. Jedoch geht die Rechtsprechung, laut v. Groll, unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit de facto regelmäßig viel weiter.95 Um die Inkonsistenz zwischen Theorie und Praxis zu beseitigen, wird im Schrifttum der Vorschlag gemacht, dass, wenn die Unbilligkeit der Besteuerung zu bejahen sei, es eine Ermessensreduktion auf Null gebe und somit nur eine bestimmte Rechtsfolge als rechtmäßig anzunehmen sei.96 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Regelungen der Billigkeitserlasse unausweichlich, so wie es der BFH interpretiert, Ermessensvorschriften sein müssen. Denn auf der einen Seite kann wegen der Unbestimmtheit des Begriffes „Unbilligkeit“ eine klare Grenze zwischen dem unbestimmten Rechtsbegriff und dem Rechtsfolgenermessen nicht gezogen werden. Deshalb „verbraucht“ der Tatbestand in einer Billigkeitsentscheidung bereits alle relevanten Gesichtspunkte, und auf der Rechtsfolgenseite bleibt kein Raum mehr für Ermessensausübung.97 Das Ermessen wird vom Tatbestand der Norm her erfasst. Um auf der Grundlage der vollen gerichtlichen Nachprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs „unbillig“ die Auslegung und Anwendung des Tatbestandes gerichtlich vollständig zu kontrollieren, bezieht der Rechtsanwender bereits auf der Ebene des Tatbestandes alle denkbaren Gesichtspunkte in seine Erwägung ein.98 Auf der anderen Seite muss das in einer Verwaltungsrechtsnorm verwendete Wort „kann“ nicht unentbehrlich eine gesetzliche Ermessensgewährung darstellen, sondern es kann auch nur als Kompetenzbestimmung zu verstehen sein, die einer Behörde die Befugnis erteilt, eine bestimmte Maßnahme zu treffen.99 Ist somit nach den vorstehend beschriebenen Auffassungen das in den §§ 163, 227 AO verwendete Tatbestandsmerkmal „unbillig“ ein im gerichtlichen Verfahren vollständig überprüfbarer Rechtsbegriff, insbesondere wenn die Vorschriften ausdrücken, dass die Behörde eine bestimmte Entscheidung bei Vorliegen der Voraussetzungen treffen muss, dann ist die richtige Interpretation des Wortes „kann“ nicht im Sinne eines „Ermessens-Kanns“, sondern eines „Befugnis“- oder „KompetenzKanns“.100 Bei den Normen bezüglich der Billigkeitserlasse handelt es sich mithin um Muss-Vorschriften,101 und ihre Beziehung zum Verhältnismäßigkeitsprinzip

95

v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn.  117. v. Groll, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 227 AO Rn.  118a; Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 433 f. 97 Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 433. 98 Vgl. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 431. 99 Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 434; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 5 AO Rn. 55. 100 Vgl. BVerwGE 23, 25 (29); 44, 339 (342); 74, 315 (323); 85, 177 (184 f.); 108, 64 (70); Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 434 ff. 101 Dies bedeutet nicht, dass dieses „Kann“ seine Bedeutung verliert, weil, wenn die Verwal­ tung von einem Gesetz dispensieren will, sie trotzdem einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedarf; siehe Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 436. 96

D. Fazit

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kann deswegen nicht darüber hergestellt werden, dass man Billigkeitserlasse als Ermessensentscheidung ansieht.

D. Fazit Nach herrschender Meinung darf der Gesetzgeber für eine Vereinfachungszwecknorm, nämlich vor allem für Typisierungen und Pauschalierungen, keinen atypischen Fall als Leitbild wählen und sich nicht von Überlegungen, die mit einer zulässigen Typisierung in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen, leiten lassen. Demnach setzt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Vereinfachungszwecknormen voraus, dass Vereinfachungszwecknormen bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, d. h. die Typisierung oder Pauschalierung muss zur Vereinfachung geeignet sein und sie darf nicht unverhältnismäßig sein. Die Grenzen einer Vereinfachungsgesetzgebung sind jedoch bisher nicht hinreichend ausgelotet. Nimmt man die Frage der überhöhten steuergesetzlichen Zinssätze als Beispiel des Problems der Verhältnismäßigkeit der Vereinfachungszwecknormen, weisen die jüngsten Entscheidungen des FG Köln und des BFH deutlich darauf hin, dass eine Zweck-Mittel-Beziehung in solchen Verzinsungsregelungen besteht und dass die Rechtfertigungsgründe der jeweiligen Vereinfachungszwecknormen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen müssen. Deshalb soll das Prinzip der Verhältnismäßigkeit einen Prüfungsmaßstab für solche Normen darstellen. Andererseits vermögen abstrakt-generelle Gesetze nur für eine generalisierende Gerechtigkeit zu sorgen. Um bei der Anwendung der abstrakt-generellen Regelungen der Gesetze unbillige Ergebnisse zu vermeiden und um der Exekutive die Möglichkeit zu belassen, Gerechtigkeit im Einzelfall herzustellen, kennt das Steuerrecht die Billigkeitserlasse, die als Prototypen für viele dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geschuldete Ausnahmeklauseln gesehen werden. Wenn bei einem Erlass gemäß §§ 163 oder 227 AO eine unbillige Härte in Betracht kommt, ist entscheidend, ob die Festsetzung oder Erhebung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall den Gerechtigkeitspostulaten widersprechen würde. Um zu einer im Einzelfall gerechten Billigkeitsentscheidung zu gelangen, kann auf die Gerechtigkeitsidee und allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden. Diese Rechtsgrundsätze tragen zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit bei. Ihre Berücksichtigung verlangt zur Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit innerhalb eines konkreten Steuerschuldverhältnisses eine Interessenabwägung. Dies bedeutet, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bereits bei der Billigkeitsentscheidung impliziert ist. Obwohl Ermessensentscheidungen zwar als Abwägungsprozesse zu verstehen sind und obwohl die Billigkeitserlasse nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu den einheitlichen Ermessensentscheidungen gezählt werden, sind die Vorschriften über Billigkeitserlasse als Koppelungsvorschriften zu begreifen. Wegen der Un-

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5. Kap.: Grenze von steuerlichen Vereinfachungszwecknormen 

bestimmtheit des Begriffes „Unbilligkeit“ kann eine klare Grenze zwischen dem unbestimmten Rechtsbegriff und dem Rechtsfolgenermessen nicht gezogen werden. Der Tatbestand in einer Billigkeitsentscheidung „verbraucht“ deshalb bereits alle relevanten Gesichtspunkte, und auf der Rechtsfolgenseite verbleibt damit kein Raum mehr für eine Ermessensausübung. Das in den §§ 163, 227 AO verwendete Tatbestandsmerkmal „unbillig“ ist somit ein im gerichtlichen Verfahren vollständig überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. Die richtige Auslegung des Wortes „kann“ ist dann nicht im Sinne eines „Ermessens-Kanns“, sondern eines „Kompetenz-Kanns“. Die Beziehung einer Billigkeitsentscheidung zum Verhältnismäßigkeitsprinzip kann deswegen nicht über die Konstruktion eines Billigkeitserlasses als Ermessensentscheidung hergestellt werden. Sie ist implizit in der Interessenabwägung bei der Billigkeitsprüfung enthalten.

6. Kapitel

Das Verhältnis zwischen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gleichheitssatz in der Besteuerung A. Problemstellung Hinsichtlich der Prüfungsfolge bei Gleichheitsverstößen sind sich Schrifttum und Rechtsprechung uneins. Bestimmte Vertreter des Schrifttums sind der Ansicht, dass staatliche Maßnahmen grundsätzlich zuerst an den Freiheitsrechten zu messen seien und erst danach an Gleichheitsrechten gemessen werden können, denn die Freiheitsrechte verbieten bestimmte Norminhalte schon „an sich“, während die Gleichheitsrechte eine staatliche Maßnahme nur „relativ“ verbieten, d. h. entsprechend der Behandlung einer Vergleichsgruppe.1 Darüber hinaus kann nach dieser Ansicht eine Kontrolle am Maßstab der Freiheitsrechte unter Umständen im Rahmen der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung präjudiziell wirken.2 Indes ist nach der Rechtsprechung des BVerfG der Gleichheitssatz bereichsspezifisch anzuwenden.3 Für den Sachbereich des Steuerrechts gilt die Besonderheit, dass weder der Zweck der Besteuerung, den staatlichen Haushalt mit Finanzmitteln auszustatten, noch die Verwendung des Steueraufkommens Anknüpfungspunkte darstellen oder ihr Grenzen ziehen.4 Weil jede Steuer zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen wird, ist sie geeignet, den Fiskalzweck zu fördern. Der in der Besteuerung liegende Eingriff in die Vermögens- und Rechtssphäre des Steuerpflichtigen gewinnt seine Rechtfertigung daher auch und gerade aus der Gleichheit der Lastenzuteilung.5 Dementsprechend spielt das Gleichheitsgebot in der verfassungsrechtlichen Praxis der Überprüfung von Steuergesetzen als Prüfungsmaßstab eine hervorragende Rolle unter den Grundrechten.6 Der Gleichheitssatz ist ein Grundelement der Steuergerechtigkeit und lässt sich als das Gebot der Rechtanwendungsgleichheit, aber auch als das Gebot der Rechtssetzungsgleichheit verstehen, d. h. nicht nur die 1

Erichsen, Jura 1992, S. 142 (147 f.); Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 15, Fußn. 59; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 210; Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz, S. 168 f. Vgl. auch BVerfGE 59, 128 (156). 2 Kulosa, Verfassungsrechtliche Grenzen steuerlicher Lenkung, S. 15, Fußn. 59; Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz, S. 169. 3 BVerfGE 84, 239 (268); 110, 274 (292). Vgl. auch Papier, DStR 2007, S. 973 (975). 4 BVerfGE 84, 239 (268 f.). 5 BVerfGE 84, 239 (269); 93, 121 (134). 6 F. Kirchhof, StuW 2002, S. 185 (187); Schuppert, in: FS Zeidler, Bd. I, S. 691 (709).

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6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

Finanzbehörden und die Finanzgerichte müssen die Steuergesetze gleichmäßig anwenden, sondern der Steuergesetzgeber muss die steuerliche Lastenverteilung auch gleichmäßig verwirklichen.7 Deshalb wird der Gleichheitssatz als Magna Charta des Steuerrechts bezeichnet.8 Bis zu diesem Punkt wurden die Rechtfertigungsgründe für steuerliche Ungleichbehandlungen in den Normkategorien von Umverteilungsnormen9 und von Vereinfachungszwecknormen10 dargestellt. Dort ist offensichtlich zutage getreten, dass bei der Bewertung von Ungleichbehandlungen in den verschiedenen Normkategorien das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine wichtige Rolle spielt. Zudem wendet das BVerfG im Binnenbereich einzelner Steuern grundsätzlich das Gebot verhältnismäßiger Gleichheit an, wohingegen das Gericht bei der Auswahl der Steuergegenstände die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers anerkennt und diese lediglich auf offensichtliche Ungerechtigkeiten im Wege der Willkürkontrolle überprüft.11 Daher ist es erforderlich, das Verhältnis zwischen dem Gleichheitssatz und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Besteuerung zu klären. Behält man diese Fragestellung im Hinterkopf, ergeben sich in Bezug auf die Gleichheitsprüfung von Steuergesetzen zwei Probleme. Erstens: Gibt es außer den Rechtfertigungsgründen „steuerliche Umverteilung“ und „steuerliche Vereinfachung“ noch andere mögliche Rechtfertigungsgründe für steuerliche Ungleichbehandlungen? Zweitens: Was ist der Grund dafür, dass das BVerfG bei Ungleichbehandlungen im Bereich des Steuerrechts grundsätzlich strengere Anforderungen an die Kontrolldichte stellt, wozu es in diesem Rahmen Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte überprüft? Diese Frage bezieht sich auf die Bindungsintensität des Gleichheitssatzes und die Formulierung des Prüfungsmaßstabes in der Praxis des BVerfG. Deshalb werden im Folgenden nach der oben genannten Reihenfolge zunächst die möglichen Rechtfertigungsgründe (dazu unter B.) und dann die richtigerweise anzuwendenden verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung steuerlicher Ungleichbehandlungen (dazu unter C.) behandelt.

7

Birk, in: Tipke / Bozza, S. 103 (104); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 110; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 435 f. Vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 358 f.; Epping, Grundrechte, Rn. 769. Zur Herkunft und geschichtlichen Entwicklung des Gleichheitssatzes: Hufen, Staatsrecht II, § 39 Rn. 1 f. 8 Herzog, in: Präsidium des Bundes der Steuerzahler, S. 10 (11); Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  411. 9 Vgl. oben 4. Kap. E. 10 Vgl. oben 5. Kap. D. 11 BVerfGE 84, 239 (269); 93, 121 (136); 101, 132 (138); 101, 151 (155); 105, 17 (46); 117, 1 (30); 121, 108 (119 f.); 122, 210 (230 f.); 123, 1 (20); 126, 268 (277); 127, 224 (245); 137, 350 (366); 138, 136 (181). Vgl. auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 125; Huster, in: ­Friauf / ​Höfling, GG, Art. 3 Rn. 151; Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 110.

B. Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen im Steuerrecht 

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B. Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen im Steuerrecht Wie im vierten und fünften Kapitel schon gezeigt wurde, können steuerliche Ungleichbehandlungen durch das Ziel des Sozialtransfers und der Vereinfachung gerechtfertigt werden. Obwohl aus Gründen des Abbaus sozialer Ungleichheiten12 oder der Praktikabilität der Norm sowie der Verwaltungsvereinfachung13 Ungleichbehandlungen von Gleichem oder Gleichbehandlungen von Ungleichem gerechtfertigt werden können, müssen diese Gründe bezogen auf ihr Ziel geeignet, erforderlich und angemessen sein.14 Das bedeutet, dass, um soziale Ungleichheiten abzubauen, Umverteilungsnormen nicht auf absolute soziale Egalität zielen dürfen, sondern mit den durch die Grundrechte geschützten Vermögensverhältnissen abgewogen werden müssen.15 Es bedeutet weiter, dass, um das Massenfallrecht praktikabler zu gestalten, die Härten aus Vereinfachungszwecknormen lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen dürfen sowie die Verstöße gegen den Gleichheitssatz nicht besonders intensiv ausfallen dürfen.16 Außerdem weist die ständige Rechtsprechung des BVerfG darauf hin, dass die Vorteile der Steuernormen, die von dem Gleichheitssatz abweichen, im rechten Verhältnis zu der mit ihnen notwendig verbundenen Ungleichheit stehen müssen.17 Steuerliche Ungleichbehandlungen setzen deshalb für ihre Wirksamkeit voraus, dass sie durch hinreichende rechtfertigende Gründe unterstützt werden. Demzufolge sollen die weiteren Arten möglicher Rechtfertigungsgründe für steuerliche Ungleichbehandlungen nachfolgend untersucht werden.

I. Lenkungsziele Eine steuerliche Lenkungsnorm liegt vor, wenn der Gesetzgeber sich der Steuer nicht als Finanzierungsmittel bedient, sondern die Steuer als Mittel einsetzt, um den Steuerpflichtigen bewusst zu einem bestimmten Verhalten anzureizen.18 Die

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Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 210. Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  453. 14 Vgl. Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  454. 15 Vgl. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 210. 16 BVerfGE 26, 265 (275 f.); 45, 376 (390); 63, 119 (128); 79, 87 (100); 82, 60 (97); 82, 126 (152); 84, 168 (183); 84, 348 (359 f., 365); 91, 93 (115); 100, 138 (174); 103, 310 (319); 126, 233 (263 f.); 133, 377 (413); ständige Rechtsprechung des BVerfG. 17 BVerfGE 21, 12 (27); 110, 274 (292); 117, 1 (31); 120, 1 (30); 123, 1 (19); 133, 377 (413). 18 Siehe oben 2. Kap. C II 2. Weil fast jede steuerliche Norm in irgendeiner Form das Verhalten der Einzelnen beeinflusst, kann ganz allgemein gesagt werden, dass nur solche Steuerrechtsnormen als steuerliche Lenkungsnormen zu bezeichnen sind, die Verhaltensanreize bezwecken. Demgegenüber werden die Steuerrechtsnormen, die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Auswirkungen provozieren, weiter als Fiskalzwecknormen angesehen. Wenn ein Lenkungsziel im Gesetzgebungsverfahren nicht ausdrücklich angegeben wird, darf ein sol 13

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6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

Steuerpflichtigen werden dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhalten aber durch die Sonderbelastung eines unerwünschten Verhaltens oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden.19 Wenn ein Steuergesetz Lenkungsziele zulässigerweise verfolgt, so muss, nach der Rechtsprechung des BVerfG, ein solcher Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen20 und seinerseits wiederum gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Weiterhin müssen Vergünstigungstatbestände jedenfalls ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweisen.21 Für eine erkennbare gesetzgeberische Entscheidung genügt es, „wenn diese anhand der üblichen Auslegungsmethoden festgestellt werden kann. Lenkungszwecke können sich etwa aus den Gesetzesmaterialien ergeben. Möglich ist außerdem, den Zweck aus einer Gesamtschau der jeweils vom Gesetzgeber normierten Steuervorschriften zu erschließen. Ziele des Gesetzgebers können sich darüber hinaus aus dem Zusammenhang ergeben, in dem das Gesetz mit dem regelnden Lebensbereich steht. Stets müssen sich die so erkannten Lenkungsziele jedoch auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückführen lassen.“22

II. Stichtagsregelungen Gleichheit bedeutet, worauf Starck hinweist, zunächst Gleichheit der Menschen in einem bestimmten Zeitabschnitt, der von der Geltungsdauer des Gesetzes umgrenzt wird. „Je länger ein Gesetz gilt, umso mehr besteht Gleichheit in der Zeit.“23 Gesetzliche Regelungen, vor allem die dem Bürger Ansprüche gewähren, enthalten allerdings in der Regel Stichtage.24 Die Legislative ist damit befugt, die Geltung begünstigender bzw. belastender Regelungen an einen Stichtag zu binden.25 Als Zusammenstellung aller rechtlich relevanten Termine, Fristen, Lebensaltersstufen usw.26 setzen Stichtagsregelungen bestimmte zeitliche Begrenzungen für bestimmte Norminhalte, etwa Grenzen von finanziellen Leistungen und Verches zur Rechtfertigung nicht unterstellt werden. Vgl. auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 21; Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 65 f., 91; Wernsmann, in: FS Kirchhof, Bd. II, § 152 Rn. 1. 19 BVerfGE 122, 210 (231). Vgl. auch BVerfGE 98, 106 (117); 117, 1 (31 f.). 20 BVerfGE 93, 121 (147 f.); 99, 280 (296); 105, 73 (112 f.); 110, 274 (293); 117, 1 (32 f.); 122, 210 (231 f.); 135, 126 (151 f.). 21 BVerfGE 105, 73 (113); 117, 1 (33); 122, 210 (232). 22 BVerfGE 135, 126 (152). Vgl. auch BVerfGE 62, 169 (183 f.); 99, 280 (296 f.); 110, 274 (296 f.); 116, 164 (191 ff.). 23 Starck, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, 6. Aufl., Art. 3 Rn. 255. 24 Starck, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, 6. Aufl., Art. 3 Rn. 26. 25 Boysen, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 3 Rn. 95; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / ​ Starck, GG I, Art. 3 Rn. 212. 26 Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 3 Rn. 200, Fußn. 1.

B. Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen im Steuerrecht 

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günstigungen.27 Sie werden daher als Sonderform einer Typisierung „in der Zeit“ bezeichnet.28 Indessen ist es nicht zu vermeiden, dass jede Stichtagsregelung gewisse Härten mit sich bringt.29 Um die mit der formellen Starrheit eines Stichtags verbundene unvermeidliche Härte zu rechtfertigen, muss nach der Rechtsprechung der BVerfG die Einführung eines Stichtags überhaupt notwendig sein, und es darf die Wahl des Zeitpunktes nicht willkürlich sein, sondern muss sich am gegebenen Sachverhalt orientieren, d. h. sachlich vertretbar sein.30 Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber darf grundsätzlich Stichtagsregelungen treffen, aber es müssen sich die Ungleichbehandlungen aus dem unterschiedlichen Zeitpunkt rechtfertigen, in dem ein bestimmter Sachverhalt verwirklicht wird.31 In besonderen Lagen kann ferner die Notwendigkeit bestehen, die generelle Durchsetzung einer belastenden Regelung durch eine Übergangsregelung abzumildern.32

III. Kompensation von Vor- und Nachteilen Soweit eine an einer Stelle benachteiligende Regelung grundsätzlich auch mit einer Vergünstigung an anderer Stelle ausgeglichen werden kann, kann eine Rechtfertigung auch im Wege der Saldierung der Vor- und Nachteile erfolgen.33 Nach der Rechtsprechung des BVerfG wird bei einer vom Gesetzgeber erkennbar gewollten Kompensation steuerlicher Vor- und Nachteile eine folgerichtige Ausgestaltung des Vergünstigungstatbestandes im Sinne hinreichender gegenseitiger Abstimmung gefordert.34 Demgegenüber weist Hey mit strengeren Kriterien darauf hin, dass zwischen den zum Ausgleich gebrachten Vor- und Nachteilen ein bestimmter innerer Zusammenhang bestehen muss, d. h. Gleichheit lässt sich nur als Relation zwischen unterschiedlichen Personen oder Sachverhalten im Hinblick auf bestimmte gemeinsame Merkmale (tertium comparationis) erklären.35 Für das Steuerrecht muss demnach laut Hey die Saldierung von Vor- und Nachteil in einer Person zusammenfallen und der zu rechtfertigende Nachteil unter einen gemeinsamen 27

Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 119. Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 3 Rn. 47; Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 113; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 458. 29 BVerfGE 3, 58 (148). 30 BVerfGE 3, 31 (38); 29, 283 (299); 44, 1 (21 f.); 47, 85 (94); 58, 81 (126); 66, 234 (244); 71, 364 (397); 75, 78 (106); 76, 256 (362); 80, 297 (311); 87, 1 (43); 101, 239 (270); 117, 272 (301); 123, 111 (128); 126, 369 (399). 31 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  459. 32 BVerfGE 21, 173 (184); 47, 85 (94); 71, 364 (391 f.). Vgl. auch Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 39; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art. 3 Rn. 212. 33 Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 129; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp /  Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 460. 34 BVerfGE 116, 164 (187). Vgl. auch BVerfGE 105, 73 (112 f.). 35 Hey, AöR 128 (2003), S. 226 (242). 28

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6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

Oberbegriff (genus proximum) als Bezugspunkt fallen.36 Z. B. kann bei Beziehern höherer Einkünfte aus Kapitalvermögen der Nachteil, dass die Werbungskosten durch den Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 801 Euro abgedeckt sind, typisierend durch den niedrigeren proportionalen Tarif von 25 Prozent ausgeglichen werden.37

IV. Exkurs: rein fiskalische Gründe sind keine Rechtfertigungsgründe Die Durchbrechung einer gesetzgeberischen Grundentscheidung kann nach der Rechtsprechung des BVerfG durch den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung nicht gleichheitsrechtlich gerechtfertigt werden.38 Denn unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die getroffene Belastungsentscheidung bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes folgerichtig belastungsgleich umgesetzt werden.39 Demgemäß bedürfen Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag.40 Das fiskalische Ziel kann damit nicht dadurch erfüllt werden, dass sich der Staat seine Einnahmen wahllos bei irgendwem beschafft; dies ist gerade nicht als besonderer sachlicher Grund anzuerkennen.41 Ungleiche Belastungen durch konkretisierende Ausgestaltung der steuerlichen Grundentscheidungen können daher nicht allein mit dem staatlichen Finanzbedarf oder einer knappen Haushaltslage gerechtfertigt werden.42

C. Kontrolldichte des Gleichheitssatzes Im Steuerrecht gibt es einerseits keinen Einwand dagegen, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip die spezifische Konkretisierung des Gleichheitssatzes darstellt; andererseits kann die gleiche Zuteilung steuerlicher Lasten aus unterschiedlichen 36

Hey, AöR 128 (2003), S. 226 (242 f.). Wernsmann, Beihefter zu DStR 2009, S. 101 (102). 38 BVerfGE 6, 55 (80); 19, 76 (84 f.); 82, 60 (89); 87, 153 (172); 116, 164 (182); 122, 210 (233); 126, 268 (281). Vgl. auch Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 130; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  447; Wernsmann, DStR 2007, S. 1149 (1152). 39 BVerfGE 84, 239 (271); 93, 121 (136); 99, 88 (95); 99, 280 (290); 141, 1 (40); 145, 106 (144). 40 BVerfGE 141, 1 (40); 145, 106 (144). Vgl. auch BVerfGE 105, 73 (125); 107, 27 (46 f.); 110, 412 (433); 116, 164 (180 f.); 122, 210 (231); 123, 111 (120 f.); 124, 282 (294 f.); 126, 268 (277 f.); 126, 400 (417); 127, 1 (27 f.); 132, 179 (189); 137, 350 (366); 138, 136 (181); 139, 1 (13); 139, 285 (309 f.). 41 Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  447. 42 BVerfGE 105, 17 (45); 116, 164 (182); 122, 210 (233); 141, 1 (41); 145, 106 (145). 37

C. Kontrolldichte des Gleichheitssatzes

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Gründen, wie z. B. Typisierungen oder Lenkungszielen, vom Leistungsfähigkeitsprinzip als Verteilungsmaßstab abweichen.43 Obwohl das BVerfG tendenziell eine Sichtweise einnimmt, die im Binnenbereich einzelner Steuern einen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab verwendet, der sich am Gebot der Verhältnismäßigkeit orientiert,44 steht der Grund dafür, dass das BVerfG bei Ungleichbehandlungen im Bereich des Steuerrechts grundsätzlich strengere Anforderungen an die Bindungsintensität stellt, noch in Frage. Damit eine handhabbare Überprüfung steuerlicher Ungleichbehandlungen am Gleichheitssatz kein Wunschtraum bleibt, ist die Dogmatik der Gleichheitsprüfung nachfolgend zu erörtern.

I. Vom traditionellen Willkürverbot zur sog. neuen Formel 1. Willkürverbot In der frühen Rechtsprechung hat das BVerfG den allgemeinen Gleichheitssatz strukturell wesentlich anders als die freiheitsrechtlichen Grundrechte und unter dem prägenden Einfluss von Leibholz, selbst von 1951 bis 1971 Richter des Zweiten Senats am BVerfG, als bloßes Willkürverbot verstanden.45 Das Gebot, dass „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln“46 ist, wie es schon im berühmten Urteil vom 23. Oktober 1951 heißt, ist verletzt, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss.“47 Was auch in die etwas abgewandelte Formel gefasst wird, dass der Gleichheitssatz verbiete, „wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln“.48 Willkürlich ist die Maßnahme aber nicht, wenn sie im Rahmen eines freien Ermessens des Gesetzgebers unter mehreren gerechten Lösungen im konkreten Fall nicht die „zweckmä 43

Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 154. Siehe oben 6. Kap. A. 45 Leibholz, Die Gleichheit, S. 72 ff., 78 ff. Hesse spricht hier von einer „unter dem Aspekt ihrer Tragweite wohl einzigartige[n] Rezeption einer wissenschaftlichen Lehrmeinung durch die Rechtsprechung.“ Siehe Hesse, AöR 109 (1984), S. 174 (186). Vgl. Boysen, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 3 Rn. 15; Englisch, in: Stern / Becker, GK, Art. 3 Rn. 11; Hesse, in: FS Lerche, S. 121 (122 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 189, Fußn. 84; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art.  3 Rn.  89. 46 BVerfGE 3, 58 (135 f.). Vgl. auch BVerfGE 27, 364 (371 f.); 67,186 (195); 78, 104 (121); 86, 81 (87). 47 BVerfGE 1, 14 (52). 48 BVerfGE 49, 148 (165). Vgl. auch BVerfGE 4, 144 (155). In jüngerer Zeit wird die Formel wieder aktualisiert: „Das Willkürverbot ist verletzt, wenn die (un-) gleiche Behandlung zweier Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt.“ Siehe BVerfGE 141, 1 (39). 44

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6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

ßigste“, „vernünftigste“ oder „gerechteste“ gewählt hat, vielmehr nur dann, wenn sie überhaupt nicht am Gerechtigkeitsgedanken orientiert ist49 oder wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden lässt.50 Dies bedeutet, dass das Willkürverbot nur evidente Unsachlichkeit und Ungerechtigkeit erfasst und sich durch eine beschränkte Kontrollintensität auszeichnet.51 Im Ergebnis hat die Reduktion des Gleichheitssatzes auf ein Willkürverbot für die Sicherung der Gestaltungsspielräume einer demokratisch legitimierten Legis­ lative gegenüber der Judikative eine primär kompetenzrechtliche bzw. funktionell-rechtliche Bedeutung: „Dem Parlament wird hiernach die Kompetenz zur Konkretisierung der für die Anwendung des Gleichheitssatzes notwendigen Gerechtigkeitsmaßstäbe zugewiesen, dem Gericht nur die Kontrolle des ‚evident‘ Ungerechten.“52 Diese Reduktion der Kontrolldichte führt weiter dazu, dass das Gebot der Gleichbehandlung in weitem Umfang leerläuft, weil der öffentlichen Gewalt nur in Ausnahmefällen eine völlig unsachliche bzw. ungerechte Maßnahme vorgeworfen werden kann.53 Das BVerfG billigte deshalb in den sechziger und siebziger Jahren einerseits unter der Herrschaft der Willkürkontrolle dem Gesetzgeber einen weiten Handlungsspielraum zu; andererseits wurde das Gericht bei Anwendung dieser sog. „alten Formel“54 wegen ihres „Minimalismus und Quietismus“55 sowie wegen „Verharmlosung“56 der Gleichheitskontrolle kritisiert.57 2. Sog. neue Formel: Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung Mit dem Beschluss vom 7. Oktober 1980 führte der Erste Senat des BVerfG einen strengeren Kontrollmaßstab bei der Anwendung des Gleichheitssatzes ein.58 Nach seiner neuen Formulierung prüfte der Senat den Ausschluss verspätet vorgebrachter Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsverfahren gemäß § 528 Abs. 3 ZPO a. F. darauf, ob „eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Grup 49

BVerfGE 3, 58 (151 f.); 42, 64 (72); 71, 255 (271). Vgl. auch Heun, in: Dreier, GG I, Art. 3 Rn. 20. 50 BVerfGE 4, 144 (155). 51 Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 784; Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 9. 52 Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 10. Vgl. weiter Wollenschläger, in: v. Mangoldt / Klein / ​ Starck, GG I, Art. 3 Rn. 91. 53 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 62. 54 P. Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 3 Rn. 266, Fußn. 2; Sachs, Verfassungsrecht II, Kap. 15 Rn. 21. 55 Zacher, AöR 93 (1968), S. 341 (357). 56 Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 (139). 57 Vgl. Boysen, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 3 Rn. 16; Heun, in: Dreier, GG I, Art. 3 Rn. 21; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 62; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 3 Rn. 30; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 438. 58 BVerfGE 55, 72 (88 ff.). Vgl. auch Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 28; P. Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 3 Rn. 241.

C. Kontrolldichte des Gleichheitssatzes

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pen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“59 Im Unterschied zur früheren Formulierung kommt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr lediglich bei Fehlen eines sachlichen Grundes in Betracht, sondern es kommt hiernach auch auf das Ausmaß der Differenzierung an.60 Infolgedessen verstößt der Gesetz­geber gegen Art. 3 Abs. 1 GG, „wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt“.61 Obwohl die sog. neue Formel anlässlich von Fällen personenbezogener Ungleichbehandlungen entwickelt wurde, dehnte das BVerfG ihre Anwendung in der Folgezeit auf weitere Fallgruppen aus.62 In der Entscheidung vom 26. Januar 1993 weist der Erste Senat darauf hin, dass die strengere Bindung nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt ist. „Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird.“63 Dabei weist die ständige Rechtsprechung des BVerfG darauf hin, dass sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber ergeben, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.64 Anders ausgedrückt: Die Kontrolldichte wird nach der Intensität der Ungleichbehandlungen und des Eingriffs in die Rechtssphäre des Einzelnen nuanciert.65 Obwohl der Zweite Senat die sog. neue Formel zunächst teilweise übernommen hat, betonte er die Gemeinsamkeit zwischen der alten und der neuen Formel.66 Beispielsweise wies der Senat sowohl auf „die Eigenart des zu regelnden Sach­ bereichs“67 als auch darauf hin, dass „eine vom Gesetz vorgenommene unterschied­ liche Behandlung sich – sachbereichsbezogen – auf einen vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund zurückführen“68 lassen müsste. Seither verwendet er 59

BVerfGE 55, 72 (88). Classen, Staatsrecht II, § 17 Rn. 25; P. Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 3 Rn. 265. 61 BVerfGE 102, 68 (87). 62 Vgl. Heun, in: Dreier, GG I, Art. 3 Rn. 22; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 63; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art. 3 Rn. 94. 63 BVerfGE 88, 87 (96). 64 Siehe etwa BVerfGE 101, 54 (101); 103, 310 (318); 110, 274 (291); 112, 164 (174); 116, 164 (180); 122, 210 (230); 126, 268 (277); 128, 1 (89); 129, 49 (68); 145, 20 (87). 65 Heun, in: Dreier, GG I, Art. 3 Rn. 22. 66 Heun, in: Dreier, GG I, Art. 3 Rn. 22; Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR V, § 125 Rn. 46; Sachs, in: Stern, Staatsrecht Bd. IV/2, S. 1545; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art. 3 Rn. 95. Vgl. auch BVerfGE 75, 108 (155 ff.). 67 BVerfGE 75, 108 (157). 68 BVerfGE 75, 108 (157). 60

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6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

einen differenzierenden Prüfungsmaßstab im Rahmen des Gleichheitssatzes. Dessen Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkür­ verbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche präzisieren.69 Da der Zweite Senat die Differenzierung hauptsächlich nicht anhand der sog. alten und der neuen Formel vornimmt, sondern den Rechtfertigungsstandard nach der Eigenart des Sachbereichs und den Umständen des Einzelfalls bestimmt, wird das Willkürverbot tendenziell neben der sog. neuen Formel weitergeführt.70 3. Bestehen eines stufenlosen Prüfungsmaßstabs in der heutigen Zeit Anders als der Zweite Senat des BVerfG, der die sog. neue Formel sogar als Beispielfall des Willkürverbots ansieht, scheint der Erste Senat beide Formeln in der jüngsten Zeit in den nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erfolgenden verallgemeinernden Prüfungsmaßstab einzubeziehen, obwohl er zu Anfang zu einer tatbestandlichen Trennung zwischen der Willkür- und der sog. neuen Formel tendierte.71 In seiner Entscheidung vom 21. Juni 2011 weist der Erste Senat darauf hin, dass zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen hinreichend gewichtige Sachgründe für eine Differenzierung notwendig sind, wodurch der Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers vom Regelungsgegenstand und den Differenzierungsmerkmalen abhängt.72 „Dabei gilt ein stufenloser[,] am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter[,] verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen 69

Vgl. BVerfGE 75, 108 (157); 93, 315 (348 f.); 110, 412 (432); 113, 167 (215). Bereits seit BVerfGE 17, 122 (130). Vgl. auch Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR V, § 125 Rn. 46. 70 Boysen, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 3 Rn. 15; Heun, in: Dreier, GG I, Art. 3 Rn. 22; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art. 3 Rn. 95. 71 Britz, NJW 2014, S. 346 (347); Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 26; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn.  445a. Vgl. auch P. Kirchhof, in: Maunz / ​ ­Dürig, GG, Art. 3 Rn. 433. 72 BVerfGE 129, 49 (68 f.): „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können.“ Vgl. auch Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art.  3 Rn.  99.

C. Kontrolldichte des Gleichheitssatzes

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sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen.“73 Damit rückt die jüngste Rechtsprechung des BVerfG von der strikten Trennung zwischen der Willkür- und der sog. neuen Formel ab und gelangt hin zu einem gleitenden Prüfungsmaßstab von durch unterschiedliche Elemente abgestuften Anforderungen,74 die „von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können.“75 Zudem kann sich eine strengere Bindung des Gesetzgebers aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger der Einzelne Einfluss auf die Erfüllung der Merkmale hat oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern.76 Im Ergebnis sieht das BVerfG beide Ansätze nicht als zueinander widersprüchlich an und kombiniert die Formeln zu einem stufenlosen, am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierten verfassungsgerichtlichen Abwägungsmaßstab.77

II. Strukturschwäche der Gleichheitsdogmatik bei Heranziehung von freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitserfordernissen Wie oben dargelegt, zeigt die jüngste Rechtsprechung des BVerfG, dass es seinen Prüfungsmaßstab des Gleichheitssatzes als eine Übertragung der Verhältnismäßigkeitserfordernisse ansieht.78 Die Struktur der konkreten Rechtfertigungsprüfung im Einzelfall ergibt sich in Anlehnung an die verhältnismäßigkeitsrechtlichen Teilschritte, namentlich Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit.79 Mit anderen Worten: Die Gleichheitsprüfung des BVerfG nähert sich in den neueren Entscheidungen strukturell dem freiheitsrechtlichen Eingriffsmodell an.80 73 BVerfGE 145, 20 (86 f.). Siehe auch BVerfGE 107, 27 (46); 126, 400 (416); 129, 49 (69); 132, 179 (188); 138, 136 (180); 139, 285 (309). 74 Boysen, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 3 Rn. 16; Sachs, in: Stern, Staatsrecht Bd. IV/2, S. 1537; Sachs, Verfassungsrecht II, Kap. 15 Rn. 30. 75 BVerfGE 145, 20 (87). Siehe auch BVerfGE 138, 136 (180); 139, 285 (309). 76 BVerfGE 129, 49 (69); 132, 179 (188 f.); 133, 1 (14); 138, 136 (180 f.); 139, 285 (309); 145, 20 (86 f.); 145, 20 (87). Vgl. auch Sachs, Verfassungsrecht II, Kap. 15 Rn. 27 ff. 77 So BVerfGE 130, 131 (142); 132, 179 (188); 133, 1 (14); 134, 1 (20); 137, 1 (20); 138, 136 (180). Vgl. auch Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 30. Ähnlich: Britz, NJW 2014, S. 346 (350 f.). Darüber hinaus weist Wernsmann darauf hin, dass, obwohl die Willkürformel in eine gleitende Skala integriert wird, sie weiterhin hinsichtlich ihrer Rechtfertigungsanforderungen großzügiger interpretiert wird; siehe Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 4 AO Rn. 445a. 78 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 116. Dass es sich um die „Ausdehnung verfassungsgerichtlicher Kontrolle auf die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ handelt, wurde bereits im Sondervotum des Bundesverfassungsrichters Katzenstein in BVerfGE 74, 9 (30) festgestellt. 79 Britz, NJW 2014, S. 346 (350). 80 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 801; Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 64.

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6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

Dennoch bilden die traditionelle Dogmatik des Gleichheitssatzes und die der Freiheitsrechte „zwei parallele Linien“, d. h. die Dogmatik des Gleichheitssatzes ist anders strukturiert als die der Freiheitsrechte.81 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Dogmatik der Freiheitsrechte stellt sich als Zweck-Mittel-Rationalität dar und verlangt, dass (1) ein legitimer Zweck verfolgt werden muss, (2) dieser Zweck durch ein legitimes Mittel erreicht werden muss, (3) dieses Mittel ferner geeignet sein muss, den Zweck zu erreichen, (4)  weiter das Mittel zur Zweck­ erreichung erforderlich sein muss sowie schließlich (5) der Zweck und das Mittel in einem vernünftigen Verhältnis stehen müssen, was durch eine Gesamtabwägung zwischen der beeinträchtigten Freiheit und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der verfolgten Ziele festzustellen ist.82 Mit der letztgenannten Angemessenheitsprüfung wird der Konflikt zwischen den kollidierenden Rechtgütern aufgelöst. Demgegenüber dient das Gebot der Gleichbehandlung der Rechtfertigung relevanter Unterschiedlichkeit zwischen verschieden behandelten Personen oder Sachverhalten.83 Anders ausgedrückt: Weil der Gleichheitssatz von vornherein nur gegen unsachliche Differenzierungen schützen soll und daher, anders als die Freiheitsrechte, kein beschränkungsfähiges prima facie-Recht ist,84 ist die Anwendbarkeit des Eingriffsmodells in der Gleichheitsprüfung per definitionem unvorstellbar.85 Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass, wenn eine Ungleichbehandlung ausschließlich an die Unterschiede mehrerer Vergleichspersonen oder -sachverhalte anknüpft und diese Unterschiede anhand bestimmter interner Gerechtigkeitsmaßstäbe, wie etwa der Leistungsfähigkeit im Steuerrecht,86 gemessen werden, es laut Heun an einem Ziel im Sinne der Zweck-Mittel-Beziehung fehlt.87 Dies bedeutet auch, dass sich „die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung häufig nicht in das Schema der Zweck-Mittel-Relation pressen lässt.“88 Deshalb ist die Ungleichbehandlung nicht ein Mittel, mit welchem ein unterscheidbarer Zweck verfolgt wird; es handelt sich vielmehr um die Frage, ob die Ungleichbehandlung einem bestimmten Verteilungsmaßstab entspricht, was bereits Aristoteles als geo-

81

Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR V, § 125 Rn. 32. Vgl. oben 1. Kap. B II. 83 Huster, in: Kempny / Reimer, S. 91 (95); Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 73; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, GG I, Art. 3 Rn. 115. 84 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 277. 85 Huster, JZ 1994, S. 541 (542 f.). 86 Huster, Rechte und Ziele, S. 165; Machado, Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot, S. 120. 87 Heun, in: Dreier, GG  I, Art. 3 Rn. 28; Heun, in: Merten / Papier, HGR  II, § 34 Rn. 44. Ähnlich auch Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR V, § 125 Rn. 32; Sachs, Verfassungsrecht II, Kap. 15 Rn. 36; Sachs, JuS 1997, S. 124 (129); die Ablehnung einer Heranziehung der freiheits­ rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung findet sich schon bei Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 29 ff. 88 Heun, in: Merten / Papier, HGR II, § 34 Rn. 44. Vgl. auch Kempny / Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 141 ff. 82

C. Kontrolldichte des Gleichheitssatzes

129

metrische Proportionalität bezeichnet hat,89 die der austeilenden Gerechtigkeit zugrunde liegt.90 Diesbezüglich weist Huster darauf hin, dass die Ähnlichkeiten zwischen dem Gebot verhältnismäßiger Gleichheit und der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung oft nur an der sprachlichen Oberfläche bestehen.91

III. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung und ihre Differenzierungskriterien Demgegenüber wird im Schrifttum teilweise vertreten, dass sich der Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Dogmatik der Gleichheitsprüfung einfügt. Laut Sachs geht diese verbreitete Gleichsetzung von Gleichheitsrechten und Freiheitsrechten bezüglich der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu weit. Wenn die Verschiedenheit der beteiligten Personen oder Sachverhalte eine bestimmte Bedeutung für die Erreichbarkeit gesetzlich verfolgter Gemeinwohlzwecke hat und folglich in Bezug auf die Verfolgung externer Ziele gerechtfertigt werden muss, dann kann eine Gleichheitsprüfung nach den Erfordernissen der Verhältnismäßigkeit infrage kommen.92 Nachfolgend sollen daher der Ansatz der Trennung von internen und externen Zwecken im Schrifttum zum dogmatischen Verhältnis von Gleichheitsprüfung und Verhältnismäßigkeitsprüfung erörtert werden. 1. Trennung von internen und externen Zwecken Zu dieser Frage unterscheidet Huster in Anlehnung an Dworkin93 interne und externe Zwecke von Ungleichbehandlungen, um das Problem zu lösen, dass die unterschiedlich zu rechtfertigenden Arten von Ungleichbehandlungen bei dem traditionellen dogmatischen Modell des Gleichheitssatzes nicht hinreichend berücksichtigt werden.94 Laut Huster können interne und externe Normzwecke in 89

Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 162. Huster, in: Kempny / Reimer, S. 91 (96 f.); Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 73. 91 Huster, in: Kempny / Reimer, S. 91 (96 f.); Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 74. 92 Sachs, Verfassungsrecht II, Kap. 15 Rn. 36; Sachs, JuS 1997, S. 124 (129). 93 Bei der Rechtfertigung von Ungleichheiten hat Dworkin hauptsachlich zwischen Prinzipienargumenten und Argumenten der Zielsetzung (policy) differenziert. Laut Dworkin rechtfertigen Prinzipienargumente eine politische Entscheidung, indem sie zeigen, dass die Entscheidung ein bestimmtes Recht eines Individuums oder einer Gruppe respektiert oder sichert. Argumente der Zielsetzung rechtfertigen eine politische Entscheidung, indem sie zeigen, dass die Entscheidung ein bestimmtes kollektives Ziel der Gemeinschaft als Ganzes fördert oder schützt; siehe Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 145 ff., 158 ff.; Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 82 ff., 90 ff. 94 Huster, Rechte und Ziele, S. 165 ff.; Huster, JZ  1994, S. 541 (544, 546); Huster, in: Kempny / ​Reimer, S.  91 (99); Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 75 f. Vgl. auch M ­ achado, Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot, S. 120. 90

130

6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

der Gleichheitsdogmatik in die Gegenüberstellung von „Gerechtigkeit und Nützlichkeit“95 bzw. „Rechte und Ziele“96 eingeordnet werden.97 Da solche Ungleichbehandlungen den Unterschieden der verschieden behandelten Personen entsprechen, sind sie in dem Sinne Selbstzweck, als dass sie einer ihnen immanenten Gerechtigkeit Rechnung tragen möchten; es handelt sich damit um interne Zwecke. Wenn dagegen andere Ziele mit der Ungleichbehandlung verfolgt werden, die mit diesen Unterschieden in keinem Zusammenhang stehen und zu einer materiellen Ungleichbehandlung führen, liegen externe Zwecke vor.98 Demzufolge beruhen Ungleichbehandlungen einerseits dann auf internen Zwecken, wenn sie im Dienste der Gerechtigkeit stehen, die nicht ein „Ereignis“ ist, das durch Ungleichbehandlungen verursacht wird, sondern ein Charakteristikum dieser Handlungen.99 Ungleichbehandlungen lassen sich andererseits dann als externe Zwecke bezeichnen, wenn sie auf das Allgemeinwohl zielen und dadurch ein kollidierendes rechtliches Interesse, das mittels dieser Ungleichbehandlungen verfolgt wird und das mit ihnen noch abgewogen werden muss, berücksichtigen möchten.100 Mit der Ungleichbehandlung wird damit ein in den vorgefundenen Unterschieden begründeter interner Zweck verfolgt; demgegenüber werden Ungleichbehandlungen als Mittel zur Verfolgung sonstiger externer Zwecke des Gemeinwohls genutzt.101 Das Gebot verhältnismäßiger Gleichheit kann somit bei einer echten Zweck-Mittel-Rationalität bei der rechtlichen Prüfung von Ungleichbehandlungen herangezogen werden.102

95

Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 40. Vgl. auch Huster, Rechte und Ziele, S. 206. Huster, Rechte und Ziele, S. 215. 97 Huster, Rechte und Ziele, S. 215. 98 Huster, Rechte und Ziele, S. 215. 99 Huster, Rechte und Ziele, S. 173; Huster, JZ 1994, S. 541 (544). 100 Huster, in: Kempny / Reimer, S. 91 (99); Huster, JZ 1994, S. 541 (544). 101 Epping, Grundrechte, Rn. 802 f. 102 Vgl. Huster, in: Kempny / Reimer, S. 91 (99). Ähnlich auch Blome, JA 2011, S. 486 (489 f.); Epping, Grundrechte, Rn. 802 ff.; Englisch, in: Stern / Becker, GK, Art. 3 Rn. 125 ff.; Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 528 ff.; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 799 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht Bd. IV/2, S. 1438 (1538 f., 1567 ff.). Dieser Ansatz findet sich bereits bei Kloepfer, Gleichheit, S. 59 ff. und bei v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 157 f.: „Dies führt dazu, dass schon irgendein für die Ungleichbehandlung sprechendes Argument den Gleichheitsverstoß ausschließen kann, sofern dieses Argument nicht neben der Sache liegt oder sonst offensichtlich falsch ist. Es bleibt kein Raum mehr für Fragen, wie z. B. die, ob es sich um einen besonders krassen und eklatanten Gerechtigkeitsverstoß handelt, ob der Gerechtigkeitsverstoß zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderlich ist oder ob es noch andere gleichfalls geeignete Mittel gibt, die zu keiner oder nur einer geringeren Beeinträchtigung der Gerechtigkeit führen würden, und ob der Gerechtigkeitsverstoß nicht unverhältnismäßig schwer ist im Vergleich zu den mit der Maßnahme angestrebten Zielen. Denn ein solcher Gerechtigkeitsverstoß liegt in der Sache ex definitione gar nicht mehr vor. Dadurch, dass einer der kollidierenden Werte, nämlich der der Gerechtigkeit, vorab ‚weggezaubert‘ wird, erübrigt sich eine Abwägung. Der Abwägungsprozess wird auf diese Weise von vornherein zu Lasten der Gerechtigkeit abgeschnitten.“ Ferner auch Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 97: 96

C. Kontrolldichte des Gleichheitssatzes

131

2. Ein Schwachpunkt der Differenzierung von internen und externen Zwecken? Dieser Ansatz von Huster wird indes teilweise im Schrifttum kritisiert. Zum einen kann die Trennung von internen und externen Differenzierungszwecken im konkreten Fall unter Abgrenzungsschwierigkeiten leiden. Er ist nicht nur deshalb angreifbar, weil laut Pietzcker die internen Zwecke, als sachbereichsbezogene Gerechtigkeitsmaßstäbe, auf bestimmte, geschichtlich herausgebildete Wertungen zurückgreifen, die sich nur schwer von externen Zwecken differieren lassen,103 sondern auch, weil „umgekehrt in externen Zielen auch Gerechtigkeitsgesichtspunkte zum Ausdruck kommen, die einen kleinräumig geschnittenen Sachbereich überschreiten mögen, aber bei Verlagerung des Blickpunkts auf eine übergreifende Ebene Gerechtigkeitserwägungen im Hinblick auf diesen umfassenderen Sachbereich zum Ausdruck bringen können.“104 Zudem sind die bereichsspezifischen Gerechtigkeitskriterien, z. B. das Leistungsfähigkeitsprinzip, „in hohem Maße selbst noch konkretisierungsbedürftig. Bei der Konkretisierung können wiederum externe Ziele eine Rolle spielen.“105 Deshalb fließen beide Kategorien, nämlich interne und externe Differenzierungszwecke, bisweilen ineinander.106 Die Kritik dieser Ansichten fußt damit zentral auf dem Problem, dass es schwierig ist, eindeutig abzugrenzen, ob eine Differenzierung internen oder externen Zwecken, nämlich Gerechtigkeits- oder Nützlichkeitserwägungen, dient oder nicht.107 Obwohl dieser Schwachpunkt von Huster selbst nicht vollständig geleugnet wird, weist er zu Recht darauf hin, dass die grundsätzliche Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken nicht infrage zu stellen ist. Denn in der Mehrzahl der Fälle ist es eindeutig, ob eine Differenzierung Gerechtigkeits- oder Nützlichkeitsüberlegungen folgt, insbesondere wenn im jeweiligen Regelungsbereich eine nähere Analyse der Zwecke erfolgt und dabei die Fundamentalprinzipien erkennbar werden, die zu der Einordnung als interner oder externer Zweck geführt haben.108

„Dennoch hat das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in der Gleichheitsprüfung seinen Platz: Maßnahmen, insbesondere Rechtssätze, welche von der an sich wünschenswerten und vom GG grundsätzlich vorgeschriebenen und nach den im GG enthaltenen Wertungen bestimmten Gleichheit abweichen, sind als Eingriffe in die Gleichheit zu bewerten.“ 103 Kempny / Reimer, in: Kempny / Reimer, S. 169 (170); Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR V, § 125 Rn. 36. Ähnlich auch Rüfner, in: BK, GG, Art. 3 Rn. 98. 104 Pietzcker, in: Merten / Papier, HGR V, § 125 Rn. 36. Vgl. ferner Boysen, in: v. Münch / Kunig, GGK I, Art. 3 Rn. 59. 105 Heun, in: Merten / Papier, HGR II, § 34 Rn. 30. 106 Heun, in: Merten / Papier, HGR II, § 34 Rn. 30; Wollenschläger, in: v. Mangoldt / K lein / ​ Starck, GG I, Art. 3 Rn. 119. 107 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 84. 108 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 84 f. Vgl. auch Heun, in: Dreier, GG I, Art. 3 Rn. 30; Huster, Rechte und Ziele, S. 218 f., 220 f.

132

6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

3. Übertragung des Ansatzes Husters auf das Steuerrecht Im Steuerrecht läuft die Verhältnismäßigkeitsprüfung aus Gründen des dort geltenden Gesamtdeckungsprinzips, wonach die konkrete Steuer nicht zweck­ gebunden ist, weitgehend ins Leere.109 Aus diesem Grund gewinnt der Eingriff in die Vermögens- und Rechtssphäre des Steuerpflichtigen seine Rechtfertigung laut dem BVerfG aus der Gleichheit der Lastenzuteilung:110 „Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes.“111 Obwohl die steuerrechtsspezifischen Anforderungen des Gleichheitssatzes vom BVerfG, wie soeben beschrieben, konkretisiert werden, ist es doch offensichtlich, dass die Differenzierung der Verteilung der Steuerbelastung auch mit anderen Gründen als der verschiedenen Leistungsfähigkeit gerechtfertigt wird. Als solche Gründe kommen, außer den bereits erwähnten Umverteilungs- und Vereinfachungszwecken, namentlich Lenkungsziele, Stichtage sowie die Kompensation von Vor- und Nachteilen beim Steuerschuldner in Betracht.112 Da solche Rechtfertigungsgründe nicht auf den Gleichheitssatz als Grundsatz der Steuergerechtigkeit, sondern auf das Sozialstaatsgebot, Praktikabilitätserwägungen und andere wirtschaftliche oder gesellschaftliche Zielsetzungen Bezug nehmen, kann in diesem Kontext eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nur dann im Rahmen einer Gleichheitsprüfung erfolgen, wenn solche externen Zwecke verfolgt werden.113 Eine Zusammenfassung der steuerrechtsspezifischen Anforderungen des Gleichheitssatzes findet sich in der folgenden Formulierung im Urteil des BVerfG vom 10. April 2018: „Die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätze zur Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht verlangen auch auf der Ebene der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Wertbemessung. […] Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrecht 109

Vgl. oben 1. Kap. C I. BVerfGE 84, 239 (268 f.); 110, 274 (292). 111 BVerfGE 126, 268 (278); 127, 224 (245). 112 Vgl. Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 154. 113 Huster, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 3 Rn. 154; Huster, in: Kempny / Reimer, S. 91 (99). Vgl. auch Sachs, JuS 1997, S. 124 (129). 110

D. Fazit

133

licher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen.“114

D. Fazit Dass steuerliche Ungleichbehandlungen wegen des Ziels der sozialen Umverteilung oder der praktikablen Verwaltungsvereinfachung vom Leistungsfähigkeitsprinzip abweichen können und dass diese rechtfertigenden Gründe in Bezug auf das Ziel der Ungleichbehandlungen geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen, wurde bereits im vierten und fünften Kapitel dargelegt. In diesem Kapitel werden Lenkungsziele, Stichtage sowie die Kompensation von Vor- und Nachteilen neben den erwähnten Rechtfertigungen als weitere Kategorie von Gründen, die eine steuerlichen Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen vermögen, aufgezeigt. Andererseits ist ein rein fiskalisches Ziel nicht als besonderer sachlicher Grund anzuerkennen, weil ein staatlicher Finanzbedarf nicht dadurch befriedigt werden kann, dass der Staat sich die Einnahmen wahllos bei irgendwem beschafft. Um die zutreffenderweise anzuwendenden verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe bei der Überprüfung steuerlicher Ungleichbehandlungen zu ermitteln, wird die historische Entwicklung der Gleichheitsprüfung des BVerfG, namentlich vom traditionellen Willkürverbot zur sog. neuen Formel, in diesem Kapitel überprüft. Und obwohl in der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG die strikte Trennung zwischen der Willkür- und der sog. neuen Formel aufgegeben wurde und nun ein stufenloser, am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierter, verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab angewendet wird, lässt sich die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung oft nicht in das Schema der Zweck-Mittel-Relation pressen, d. h. die Heranziehung der freiheitlichen Verhältnismäßigkeitserfordernisse besteht nur an der sprachlichen Oberfläche. Dennoch kann die Strukturschwäche der Gleichheitsdogmatik durch die Unterscheidung von internen und externen Differenzierungszwecken, nämlich Gerechtigkeits- und Nützlichkeitserwägungen, überwunden werden. Ungleichbehandlungen lassen sich demnach dann als interne Zwecke bezeichnen, wenn sie der Gerechtigkeit dienen, die nicht ein „Ereignis“ ist, das durch Ungleichbehandlungen verursacht wird, sondern ein Charakteristikum dieser Handlungen. Ungleichbehandlungen beruhen dagegen dann auf externen Zwecken, wenn sie auf das Gemeinwohl zielen und dadurch ein kollidierendes Rechtsgut, das mittels dieser Ungleichbehandlungen verfolgt wird und das mit ihnen noch abgewogen werden muss, berücksichtigen. Das Gebot verhältnismäßiger Gleichheit wird dann im Rahmen einer Zweck-Mittel-Relation in Bezug auf die Ungleichbehandlungen berücksichtigt. 114

BVerfG, NJW 2018, S. 1451 (1453); ebenso BVerfGE 138, 138 (180); 139, 285 (309).

134

6. Kap.: Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz in der Besteuerung

Denn im Steuerrecht wird die Differenzierung der Verteilung der Steuerbelastung auch mit Gründen, die außerhalb der auf horizontale und vertikale Steuergerechtigkeit abzielenden Gleichheit der Lastenzuteilung liegen, gerechtfertigt. Damit kann im Rahmen der Gleichheitsprüfung im Binnenbereich einzelner Steuern eine Verhältnismäßigkeitskontrolle stattfinden, da mit diesen Erwägungen externe Zwecke verfolgt werden. Diese bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die in Bezug auf das verfolgte Ziel und das Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.

7. Kapitel

Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze des Steuervollzugs  A. Problemstellung Obwohl das Hauptziel des Steuerverfahrensrechts die Verwirklichung des materiellen Steuerrechts ist, hat es als rechtsstaatliches Verfahren gleichzeitig die grundrechtlichen Freiheiten des Steuerpflichtigen zu schützen.1 Daher sind in dieser Untersuchung die Beziehungen zwischen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Steuervollzug besonders zu würdigen. Mittel des Steuervollzugs sind u. a. die Steuererklärungspflicht, die Außenprüfung, Kontenabfragen und der Erlass des Steuerbescheids.2 Nach Kube ist ihr Ziel gemäß § 85 AO „die Sicherstellung der gesetzentsprechenden Besteuerung im Einzelfall und damit die Herstellung tatsächlicher Lastengerechtigkeit“.3 Denn die Finanzbehörden müssen die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festsetzen und erheben. Insbesondere müssen sie sicherstellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden. Anders als im Vorangegangenen beschriebenen materiellen Steuerrecht, aber sehr ähnlich dem klassischen Polizeirecht, steht im Steuervollzug der konkret greifbaren staatlichen Eingriffsmaßnahme eine auf den Steuerpflichtigen bezogene Zielsetzung in einem Zweck-Mittel-Verhältnis gegenüber. Deshalb kann in Betracht gezogen werden, dass der Steuervollzug durch eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden muss.4 Die Schwierigkeit der Prüfung liegt allerdings darin, dass die Zulässigkeit einer Vollzugsmaßnahme unabhängig von der Höhe der Steuerforderung ist. Denn anders als die Steuerhinterziehung, die die Strafgerichte nach Maßgabe der Höhe des hinterzogenen Betrags ahnden,5 wird die Gewichtung der Eingriffsintensität des Steuervollzugs nicht davon abhängig gemacht, wie hoch der von Fall zu Fall avisierte Steuerertrag ausfällt.6 Eine wie

1

Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 8. Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (174). Vgl. auch Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 472. 3 Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (174). 4 Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (174). 5 Grundlegend: BGHSt 53, 71. Vgl. auch BGHSt 57, 123. 6 Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (175). 2

136

7. Kap.: Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze des Steuervollzugs   

in den Strafentscheidungen des BGH beschriebene Proportionalität kommt bei der Durchführung der Besteuerung nicht in Betracht, weil dies zu dem Ergebnis führen würde, dass, je größer die staatlicherseits zu erwartende Steuerforderung ausfällt, eine umso belastender wirkende Vollzugsmaßnahme zulässig wäre. Auf der anderen Seite könnte bei Forderungen im Bagatellbereich mit einer entsprechenden Großzügigkeit vollzogen werden.7 Dies würde bedeuten, dass die gesetzentsprechende Besteuerung nicht in allen Fällen durchgesetzt werden müsste, was nicht mehr mit den Grundsätzen der Besteuerung, namentlich der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit, vereinbar wäre.8 Es stellt sich daher die Frage, nach welchen Kriterien die Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere die Abwägung, bei der Durchführung der Besteuerung erfolgen soll (dazu unter B. und C.). Neben den oben erwähnten Mitteln ist die Vollstreckung gegebenenfalls auch ein Instrument des Steuervollzugs. Die Vollstreckung im Sinne der AO ist ein staatliches Verfahren, das die Rechtsverwirklichung durch behördliche Maßnahmen im Wege behördlichen Zwangs bewirkt.9 Laut herrschender Lehre hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Vollstreckung aufgrund der Eingriffsintensität zentrale Bedeutung.10 Denn die Zwangsvollstreckung greift in empfindlicher Weise in die Freiheitsgrundrechte des Steuerschuldners ein, sodass jeder Vollstreckungseingriff zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet und erforderlich sein muss und nicht außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zum verfolgten Zweck stehen darf.11 Wie die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen der Einleitung oder der Durchführung der Zwangsvollstreckung im Einzelnen berücksichtigt werden kann, wird nachfolgend erläutert (dazu unter D.).

B. Die Berücksichtigung des Kooperationsprinzips im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips beim Steuervollzug Um diese Frage zu klären, muss man sich auf eines der Strukturprinzipen des Steuervollzugs, nämlich das Kooperationsprinzip, besinnen. Obwohl sich Kooperation im Allgemeinen Verwaltungsrecht als normativer Begriff in vielfältigen 7

Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (175). Vgl. Rätke, in: Klein, AO, § 85 Rn. 1; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 2. 9 Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, Vorbem. §§ 249 AO Rn. 10; Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn.  41. 10 Beermann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 249 AO Rn.  49; Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, Vorbem. §§ 249 AO Rn. 11a; Fritsch, in: Koenig, AO, Vorbem. §§ 249–346 Rn. 3; Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 140 ff.; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 373; Werth, in: Klein, AO, Vorbem. § 249 Rn. 6. 11 Fritsch, in: Koenig, AO, Vorbem. §§ 249–346 Rn. 3; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 373; Werth, in: Klein, AO, Vorbem. § 249 Rn. 6. Vgl. auch BVerfGE 78, 232 (245). 8

B. Die Berücksichtigung des Kooperationsprinzips 

137

rechtlichen Ausgestaltungsformen des Verfahrens und der Entscheidungsteilhabe niederschlägt,12 lassen sich allein aus diesem Begriff keine Rechtsfolgen ableiten.13 Deshalb muss die Bedeutung des Kooperationsprinzips den sachbereichsspezifischen Bedingungen des Steuerrechts, insbesondere des Massenvollzugs, angepasst werden.14 Weil die Finanzbehörden aus eigener Wahrnehmung nur wenig zum Sachverhalt beitragen können und weil der gesetzliche Auftrag gleichmäßiger und gesetz­ mäßiger Besteuerung nur in Kooperation mit dem Steuerpflichtigen erfüllt werden kann, d. h. die Finanzbehörde in der Regel nicht in der Lage ist, den gesetzlich zutreffenden Steueranspruch alleine durchzusetzen,15 ist Steuervollzug keine allein staatliche Aufgabe. Daher ist die Finanzverwaltung zur Durchsetzung der Grundentscheidungen des materiellen Steuerrechts zwingend von der Kooperation mit dem Steuerpflichtigen abhängig.16 Demzufolge bedarf der Steuervollzug der Kooperation von Steuerbehörde und -pflichtigem umso mehr, je mehr das Steuer­ gesetz eine Erfassung der individuellen Leistungsfähigkeit anstrebt.17 Ohne die Kooperation würde der Sicherstellungsauftrag im Massenfallrecht zum Leerlaufen der Besteuerung führen. Daher zeichnet sich die AO einerseits im Vergleich zum allgemeinen Verwaltungsrecht durch an Anzahl und Intensität auffällig ausgeprägten Mitwirkungspflichten und andererseits aber auch durch die Schätzungsbefugnis aus, die die staatliche Gewährleistungsverantwortung erst ermöglichen.18 In diesem Kontext weist Drüen zutreffend darauf hin, dass die Mitwirkung des Steuerpflichtigen beim Steuervollzug kein Notbehelf ist, sondern kooperatives Verwaltungshandeln im Steuerrecht den Normalzustand darstellt.19 Unter Berücksichtigung der Kooperation zwischen Finanzverwaltung und Privaten kann das Verhältnismäßigkeitsprinzip nun wieder dem Steuervollzug Grenzen setzen. Damit kann das Kooperationsprinzip im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips beim Steuervollzug berücksichtigt werden.

12 Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, GVwR, Bd. I, § 12 Rn. 71. 13 Drüen, FR 2011, S. 101 (103). 14 Drüen, FR 2011, S. 101 (103). Vgl. auch Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 456. 15 Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 4. 16 Drüen, FR 2011, S. 101 (104). 17 Drüen, FR 2011, S. 101 (104). 18 Drüen, FR 2011, S. 101 (104). 19 Drüen, FR 2011, S. 101 (104).

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7. Kap.: Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze des Steuervollzugs   

C. Freiheitsrechtliches Gebot verhältnismäßiger Steuerverfahrenslasten Obwohl die Frage, ob der Steuervollzug die Freiheitsrechte verletzt, nicht von der Höhe der Steuerforderung abhängt, bleibt ein kooperativer Steuervollzug staatliche Freiheitsverkürzung.20 Weiterhin können Grundrechte, worauf Fehling richtigerweise hinweist, von Seiten des Kooperationspartners durch informelle Verständigungen gefährdet werden, wie nachfolgend erörtert wird. Denn „die Verleitung zur Kooperation kann einen (faktisch-indirekten) Grundrechtseingriff darstellen, wenn das Kooperationsangebot wie meist von einer mehr oder minder ausgeprägten Drohung mit andernfalls zu ergreifenden ordnungsrechtlichen Alternativmaßnahmen begleitet wird.“21 Hieraus folgt, dass, auch wenn ein Besteuerungsakt auf Kooperation basiert, er immer noch ein mit Zwangsgewalt durchgesetzter Grundrechtseingriff, vor dem die Freiheitsrechte schützen, bleibt.22 Dies bedeutet, dass für jedes staatliche Eingriffshandeln, inklusive dem kooperativen Steuervollzug, eine Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die grundrechtlichen Freiheitsrechte zu fordern ist und dass der verfassungsrechtliche Kooperationsrahmen für den Steuervollzug durch das am Maßstab der Verhältnismäßigkeit auszurichtende Zusammenwirken von Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen dirigiert wird.23 Weil die administrative Ermittlungstätigkeit nicht Selbstzweck, sondern stets Mittel zum Zweck einer recht- und verhältnismäßigen Verwaltungsentscheidung ist,24 ist die Wahrheitsermittlung im Steuerrecht nicht um jeden Preis geboten. Daraus folgt nach den Erwägungen des Kooperationsprinzips, dass, je gutwilliger der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nachkommt, desto einschränkender und zuvorkommender die Finanzbehörde zu agieren hat.25 Mit anderen Worten: Für die Steuerverwaltung verlangt die Angemessenheit die Wahrung der Privatsphäre des Steuerpflichtigen und eine Grenze der Beweiserhebung im Verhältnis zum Verfahrensaufwand.26 In diesem Zusammenhang bietet die AO unter bestimmten Voraussetzungen auch einen schonenden Ausweg, nämlich die Schätzung der Steuer, wobei zwar Abstriche beim Ziel der gesetzmäßigen Steuerdurchsetzung gemacht werden, aber auch die Eingriffsintensität in Grenzen gehalten wird.27 Damit dieses Argument nicht zirkulär erscheint, ist darauf hinzuweisen, dass § 162 AO Abs. 1 20

Drüen, FR 2011, S. 101 (109). Fehling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, GVwR, Bd. II, § 38 Rn. 61. 22 Drüen, FR 2011, S. 101 (109). 23 Drüen, FR 2011, S. 101 (109). Vgl. auch Remmert, in: Ehlers / P ünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 37 Rn. 7; Fehling, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, GVwR, Bd. II, § 38 Rn. 73, 107. 24 Drüen, FR 2011, S. 101 (109). 25 Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (175). 26 Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (175). 27 Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (176). 21

D. Verhältnismäßigkeit bei der Vollstreckung

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Satz 1, der die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen regelt, in dieser Hinsicht nicht als Forderung des gesetzentsprechenden Steuervollzugs aufzufassen ist.28

D. Verhältnismäßigkeit bei der Vollstreckung I. Ermessenseinräumung Die Zwangsvollstreckung ist ein staatliches Verfahren zur Rechtsverwirk­ lichung von Gläubigerrechten gegen Schuldner durch die Anwendung behördlicher Zwangsgewalt.29 Das dem Rechtstaatsprinzip entnommene und mit Verfassungsrang ausgestattete Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt auch bei solchem staatlichen Handeln.30 Denn dem Wortlaut des § 249 Abs. 1 Satz 1 AO nach gibt es ein Ermessen der Vollstreckungsbehörde beim „Ob“ der Vollstreckung. Dann ist die Entscheidung über die Einleitung der Vollstreckung ein Entschließungsermessen.31 Hat sich die Vollstreckungsbehörde dazu entschlossen, zu vollstrecken, kommt ihr bezüglich des „Wie“ der Vollstreckung ein Auswahlermessen zu, das sich auf die Vollstreckungsmaßnahme im Einzelfall bezieht.32 Daher hat, laut Hummel, die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Ermessensentscheidung im Rahmen der Einleitung und der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens Bedeutung.33 Im Schrifttum wird allerdings die Auffassung vertreten, dass die Finanz­ behörden in der Regel nur nach § 85 AO zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bei der Durchsetzung des verwirklichten Steueranspruchs verpflichtet seien; nur bei den Entscheidungen, in welchen Vermögensgegenstand die Vollstreckungsbehörde und in welchem Umfang sie vollstrecke, besitze sie einen weiten Ermessensspielraum.34 Nach dieser Ansicht besteht grundsätzlich eine Vollstreckungspflicht für Steuern seitens der Behörden.35 28

Kube, in: Jestaedt / Lepsius, S. 157 (176). Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, Vorbem. §§ 249 AO Rn. 10; Hummel, in: Hübschmann / ​Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn.  41; Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, S. 354. 30 Fritsch, in: Koenig, AO, Vorbem. §§ 249–346 Rn. 3; Werth, in: Klein, AO, Vorbem. § 249 Rn. 6. 31 Beermann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 249 AO Rn.  45; Canz, BB 2014, S. 1181 (1183); Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 141. 32 Beermann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 249 AO Rn.  45. 33 Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 140. 34 Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 371. Ähnlich auch Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 249 AO Rn. 11; Fritsch, in: Koenig, AO, § 249 Rn. 7; Lemaire, in: Kühn / v. Wedelstädt, AO / FGO, § 249 Rn. 3; Szymczak, in: Koch / Scholtz, AO, § 249 Rn. 8; Werth, in: Klein, AO, Vorbem. § 249 Rn. 1; offenlassend BFHE 199, 511 (518). 35 Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 249 AO Rn. 11; Troidl, in: Engelhardt / App / Schlatmann, VwVG / VwVZG, § 249 AO Rn. 1. 29

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7. Kap.: Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze des Steuervollzugs   

Gegen diese verbreitet vertretene Ansicht wendet Beermann zutreffend ein, dass zwischen der Geltendmachung von Steueransprüchen und der Steuervollstreckung unterschieden werden muss. Der Grund liegt darin, dass die Durchsetzung eines Steueranspruchs via Vollstreckung stets über dessen Geltendmachung hinaus geht und somit zu eigenständigen Eingriffen in den Rechtsbereich des Vollstreckungsschuldners führt.36 Dies bedeutet, dass sich aus § 85 AO keine Pflicht zur Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen herleiten lässt und dass die Vollstreckung deshalb nicht nur eine Form der Geltendmachung von Steueransprüchen ist.37 Zwar dient § 85 AO zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Steuererhebung, womit, um dies zu erreichen, die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens regelmäßig ermessensfehlerfrei ist.38 Dennoch besteht bei Ermessensentscheidungen stets die Pflicht, das Entschließungsermessen sachgerecht auszuüben.39 Daher kann man, laut Hummel, auch von einem „intendierten Ermessen“ sprechen.40 Andererseits schließt die Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung allein keinesfalls aus, auf Grund von Besonderheiten im Einzelfall auf die Einleitung der Vollstreckung verzichten zu können.41 Wenn beispielsweise Möglichkeiten der Aufrechnung bestehen, wäre es ermessensfehlerhaft, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen und dennoch Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen.42

II. Ermessensausübung Im Hinblick auf die oben erwähnten Punkte stellt sich die Frage der Geeignetheit bei der Entscheidung über die Einleitung einer Vollstreckungsmaßnahme. Wenn sich vor Einleitung einer solchen Maßnahme ergeben hat, dass die Vollstreckung gemäß Abschn. 20 Abs. 4 Satz 1 VollstrA nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Steuerschuldners aussichtlos erscheint, so fehlt nicht nur der ins Auge gefassten Vollstreckungsmaßnahme, sondern eventuell auch jeder anderen Vollstreckungsmaßnahme die Geeignetheit, den angestrebten Erfolg zu erreichen.43 36

Beermann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 249 AO Rn.  47. Neumann, in: Gosch, AO / FGO, § 249 Rn. 29. 38 Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 141. 39 Neumann, in: Gosch, AO / FGO, § 249 Rn. 29. Ähnlich auch Dißars, in: Schwarz / Pahlke, AO / FGO, § 249 Rn.  11. 40 Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 141. Zum Begriff des intendierten Ermessens siehe Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 5 AO Rn. 13. 41 Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 141; Neumann, in: Gosch, AO / FGO, § 249 Rn. 29. 42 Vgl. Neumann, in: Gosch, AO / FGO, § 249 Rn. 29. 43 Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 249 AO Rn. 14; Hummel, in: Hübschmann / Hepp / ​ Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 143. Ergänzend weist Hummel darauf hin, dass die Aussichtslosigkeit einer erfolgreichen Vollstreckungsmaßnahme die Verpflichtung zur Abgabe einer Vermögensauskunft und einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 284 AO 37

E. Fazit

141

Wenn im Einzelfall mehrere Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht gezogen werden können, verlangt die Erforderlichkeit bei der Beurteilung des geringstmöglichen Eingriffs, dass die Finanzbehörde zwischen mehreren Mitteln das für den Vollstreckungsschuldner am wenigsten beeinträchtigende Mittel wählt.44 Ob eine Vollstreckungsmaßnahme gegenüber einer oder mehreren anderen das mildere Mittel ist, hängt von der jeweiligen Sachlage ab. Dabei verstößt beispielsweise die Pfändung des Bankkontos gegen das Gebot zur Auswahl des mildesten Mittels, wenn die Behörde nicht zuvor andere Möglichkeiten der Vollstreckung geprüft hat.45 Wenn eine Vollstreckungsmaßnahme zur Förderung der angestrebten Steuer geeignet und erforderlich ist, so kann sich im Einzelfall die Frage stellen, ob von deren Einleitung oder Durchführung abgesehen werden muss, weil sie nicht dem Kriterium der Angemessenheit genügt. Eine Forderungspfändung ist deshalb unangemessen, „wenn die Aussichtlosigkeit der Pfändung feststeht oder ‚ins Blaue hinein‘ Forderungen gepfändet werden.“46 Denn soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig oder außer Verhältnis zum Erfolg ist, kann die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung nach § 258 AO angeordnet werden.47 Bei der Abwägung weist Hummel zutreffend darauf hin, dass die Verletzung der Angemessenheit nur bei zu schwerwiegenden Nachteilen des Vollstreckungsschuldners führenden Eingriffen in Betracht kommen kann, weil das Interesse an der Finanzierung des Staates im Rahmen einer gleichmäßigen Besteuerung ins Verhältnis zu den Nachteilen des Vollstreckungsschuldners aus der Vollstreckung im Einzelfall gesetzt werden muss.48 Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist es nicht zutreffend, wenn der Vollstreckungsschuldner ein Haus wegen einer Steuerforderung von 550 DM verliert49 oder wenn ein niedriger oder durchschnittlicher Taschengeldanspruch wegen einer hohen Steuerforderung gepfändet wird.50

E. Fazit So wie bei der Verwirklichung des materiellen Steuerrechts muss auch beim Steuerverfahrensrecht das Gebot der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Die Schwierigkeit der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Steuerverfahrens liegt darin, dass die Zulässigkeit einer Vollzugsmaßnahme unabhängig von der Höhe ausschließt; siehe Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 143. 44 Vgl. Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 249 AO Rn. 16; Hummel, in: Hübschmann / ​ Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 144. 45 Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 249 AO Rn. 16. 46 Canz, BB 2014, S. 1181 (1182). Vgl. auch BFHE 192, 232. 47 Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 145. 48 Hummel, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Vorbem. §§ 249–346 AO Rn. 145. 49 BGH, NJW 1973, S. 894. 50 Drüen, in: Tipke / K ruse, AO / FGO, § 249 AO Rn. 14. Vgl. auch FG Berlin, EFG 1991, S. 589.

142

7. Kap.: Die Verhältnismäßigkeitserfordernisse als Grenze des Steuervollzugs   

der Steuerforderung ist. Wäre dies nicht der Fall, wären gravierend wirkende Vollzugsmaßnahmen umso eher zulässig, je höher die staatlicherseits zu erwartenden Steuerforderungen ausfallen. Um dies zu vermeiden, wird das Kooperationsprinzip als grundlegendes Strukturprinzip des Steuervollzugs im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt. Denn die Finanzbehörden sind prinzipiell nicht in der Lage, den gesetzlich zutreffenden Steueranspruch alleine durchzusetzen. Deshalb ist die Steuerverwaltung zur Durchsetzung der Grundentscheidungen des materiellen Steuerrechts zwingend auf die Kooperation mit dem Steuerpflichtigen angewiesen. Hieraus folgt, dass, je mehr das Steuergesetz eine Erfassung der individuellen Leistungsfähigkeit anstrebt, umso mehr der Steuervollzug der Kooperation von Steuerbehörde und -pflichtigem bedarf. Daher gelangt man zu folgendem Ergebnis: Auch wenn ein Besteuerungsakt auf Kooperation basiert, ist er ein mit Zwangsgewalt durchgesetzter Grundrechtseingriff, vor dem die Freiheitsrechte schützen. Daher muss sich der verfassungsrechtliche Kooperationsrahmen für den Steuervollzug an dem am Maßstab der Verhältnismäßigkeit auszurichtenden Zusammenwirken von Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem orientieren. Und weil die administrative Ermittlungstätigkeit nicht Selbstzweck, sondern stets Mittel zum Zweck einer recht- und verhältnismäßigen Verwaltungsentscheidung ist, ist die Wahrheitsermittlung im Steuerrecht nicht um jeden Preis geboten: Entsprechend den Erwägungen des Kooperationsprinzips muss die Finanzbehörde umso zurückhaltender und zuvorkommender agieren, je umfassender der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nachkommt. Die Vollstreckung ist gegebenenfalls ein Mittel des Steuervollzugs, und sie ist im Sinne der AO ein staatliches Verfahren, das die Rechtsverwirklichung durch behördliche Maßnahmen im Wege behördlichen Zwangs darstellt. Die von Teilen des Schrifttums vertretene Auffassung, dass die Finanzbehörden zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verpflichtet sind, den verwirklichten Steuer­ anspruch durchzusetzen, also kein Entschließungsermessen besteht, überzeugt nicht. Denn die Geltendmachung von Steueransprüchen und die Steuervollstreckung sind zu unterscheiden. Aus § 85 AO ergibt sich kein Zwang zur Vollstreckung. Es besteht deshalb bei Ermessensentscheidungen stets eine Pflicht, das Entschließungsermessen sachgerecht auszuüben. Die Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung schließt für sich nicht aus, auf Grund von Besonderheiten im Einzelfall auf die Einleitung der Vollstreckung zu verzichten. Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip muss jeder Vollstreckungseingriff geeignet und erforderlich sein, seinen Zweck zu erreichen, und darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten. Die Vollstreckung soll nicht angesetzt werden, wenn sie nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des Steuerschuldners von vornherein nicht geeignet ist, ihren Zweck zu erreichen. Ob eine Vollstreckungsmaßnahme gegenüber einer oder mehreren anderen das mildere Mittel ist und ob die Einleitung oder Durchführung der Vollstreckung außer Verhältnis zum Erfolg steht, hängt von der jeweiligen Sachlage ab und hat in jedem Einzelfall von der Vollstreckungsbehörde entschieden zu werden.

Schlussbetrachtung Dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht Selbstzweck ist, sondern ein Grundrechte gewährleistendes Gebot, welches jedes staatliche Eingriffshandeln durch das Verlangen nach einem legitimen Zweck der Maßnahme und nach deren Geeignetheit, Erforderlichkeit sowie deren Angemessenheit beschränkt, wird wohl übereinstimmend angenommen. Das Prinzip ist nicht nur für die Verfassungsgerichtsbarkeit von überragender Bedeutung, sondern auch in Taiwan seit den frühen neunziger Jahren ein „Importschlager“ des deutschen Rechts. Obwohl der herrschenden Meinung nach das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine nachrangige Rolle im Steuerrecht spielt, weil sich Steuern wegen der Abstraktheit der Größe „Geld“ und der Ufer­ losigkeit des öffentlichen Finanzbedarfs nicht in das übliche Zweck-Mittel-Schema fügen, durchzieht es, wie in dieser Untersuchung gezeigt wurde, unterschiedliche steuerrechtliche Normkategorien in vielfältiger Weise. Dies soll abschließend anhand von Kernthesen sowie einem Ausblick der Ergebnisse der Untersuchung aufgezeigt werden, um eine verfassungsrechtliche Referenz zur Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der taiwanischen Besteuerung zu bieten.

A. Kernthesen zu der Untersuchung Im ersten Kapitel zeigt die Untersuchung: 1. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist nach einer bestimmen Reihenfolge stufenweise zu prüfen: (1) Legitimer Zweck; (2) legitimes Mittel; (3) Geeignetheit des Mittels; (4) Erforderlichkeit des Mittels; (5) Angemessenheit. Bei reinen Fiskalzwecknormen ergibt eine Verhältnismäßigkeitskontrolle wenig Sinn. Allerdings kann das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei anderen steuerrechtlichen Normgruppen als Prüfungsmaßstab in Betracht kommen. 2. Um die verschiedenen Grundmotive der Steuergesetze genauer herauszuarbeiten, sind Fiskalzwecknormen, Lenkungsnormen, Umverteilungsnormen sowie Vereinfachungszwecknormen zu unterscheiden. Obwohl es verschiedene steuerrechtliche Normkategorien gibt, sind die Vereinfachungszwecknormen entweder Fiskalzweck- oder Lenkungsnormen und gehören mithin selbst einer dieser beiden Normkategorien an. Daher scheint zur Abgrenzung die Frage zweckmäßig, was die Kriterien zur Abgrenzung von Fiskalzweck- und Lenkungsnormen sind. 3. Begrifflich sind steuerliche Lenkungsnormen solche Normen, die durch ihre Ausgestaltung eine bestimmte Verhaltensänderung bezwecken. Demgegenüber ist eine Steuernorm eine Fiskalzwecknorm, wenn sie an das Leistungsfähigkeitsprin-

144

Schlussbetrachtung 

zip anknüpft. Fraglich ist, bei Vorliegen welcher Kriterien derartige Zwecke unterstellt werden können, vor allem wenn der Gesetzgeber sie nicht selbst formuliert hat oder der Wille der Gesetzgebung unklar ist. Entscheidendes Kriterium ist, ob eine Norm Ausdruck der jeweiligen Steuerwürdigkeitsentscheidung ist oder eine Durchbrechung derselben darstellt. Im zweiten Kapitel wird sodann das Verhältnis zwischen den Verhältnismäßigkeitserfordernissen und den Fiskalzwecknormen untersucht. Wobei sich Folgendes herausgestellt hat: 4. Das BVerfG lehnte es in seinen früheren Entscheidungen ab, mit Art. 14 GG das Vermögen gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldleistungspflichten zu schützen. Dennoch stellte der Zweite Senat des BVerfG mit den beiden Einheitswertbeschlüssen fest, dass das Vermögen als solches unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff fällt und dass sich der Eingriff verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt, solange die Grenze hälftiger Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand durch die steuerliche Gesamtbelastung nicht überschritten ist. Freilich leitete der Zweite Senat mit seinem Beschluss von 2006 eine Kehrtwende ein, d. h. er reduzierte den sog. Halbteilungsgrundsatz so weitgehend, dass für ihn nur ein kleiner Anwendungsbereich verbleibt. 5. Zudem belässt der Zweite Senat dem Gesetzgeber einen weiten Einschätzungsspielraum, da nach dem Verständnis des Senats aus dem in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Maßstab, der lediglich den Rahmen der Abwägung kennzeichnet, sich keine allgemeinverbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung ableiten lässt, sondern vielmehr die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auch bei der Schrankenbestimmung durch Auferlegung von Steuerlasten, die an vermögenswerte Rechtspositionen anknüpfen, nur durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt wird. Im Ergebnis lassen sich aus der Rechtsprechung des BVerfG weder absolute noch im Einzelfall wirksame quantitative Obergrenzen der Besteuerung ableiten. 6. Das Verständnis des Zweiten Senats in der Entscheidung aus dem Jahr 2006 hat den Vorteil, dass die Begründung einer Schutzbereichseröffnung im Falle der erdrosselnden Wirkung von Steuern nunmehr keine dogmatischen Kunstgriffe mehr erfordert. Trotz der dogmatischen „Rettung“ verändert diese grundrechtsdogmatische Neuausrichtung des Schutzbereichs auf der Schrankenebene nichts an der Ungeeignetheit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Fiskalzwecknormen. Wegen der Uferlosigkeit des öffentlichen Finanzbedarfs sowie der instrumentellen Beziehung zu den damit zu finanzierenden Sachaufgaben muss das traditionelle grundrechtsdogmatische Instrumentarium hier versagen. 7. Während Zwecksteuern, auch wenn sie nicht haushaltsflüchtig sind, zur Gruppennützigkeit neigen, weist das Gemeinwohl auf die Staatsbürger in ihrer Gesamtheit und daher auf die Deckung aller Ausgaben für diese Gesamtheit hin. Steuerrechtfertigung aus der Gemeinwohlverantwortung des Staates bedeutet

A. Kernthesen zu der Untersuchung

145

Finanzierung der Aufgaben des Staates im Interesse der Allgemeinheit. Bei den Zwecksteuern nimmt der Verwendungszweck keinen rechtlichen Einfluss auf das Abgabenschuldverhältnis. Im dritten Kapitel werden die steuerlichen Lenkungsnormen am Verhältnismäßigkeitsprinzip überprüft. Die Ergebnisse zeigen: 8. Steuerliche Lenkungsnormen müssen sich nicht nur hinsichtlich des Vermögensentzugs, sondern auch hinsichtlich des Anreizes zur Verhaltensbeeinflussung rechtfertigen lassen, d. h. es findet eine doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Dies setzt voraus, dass ein Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht vorliegt. Ein Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht wird angenommen, wenn das Verhalten bei einer Lenkungsteuer mit einer erheblichen Beeinträchtigung verknüpft ist. Dies heißt, dass die bloße Anknüpfung des Steuerzugriffs an eine Grundrechtsbetätigung gerade noch keinen Eingriff darstellt und dass das Überschreiten einer Eingriffsschwelle erforderlich ist. 9. Wenn eine Lenkungsnorm keinen Anreiz zur Verhaltensbeeinflussung auslöst, bedarf die Norm daher materiell keiner doppelten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Nur wenn die Wirkungen einer steuerlichen Lenkungsnorm die Eingriffsschwelle überschreiten, müssen die Lenkungswirkungen hinsichtlich der Verhaltenslenkung verhältnismäßig sein. Das vierte Kapitel widmet sich dem Verhältnis zwischen den Verhältnismäßigkeitserfordernissen und den steuerlichen Umverteilungsnormen. Hierbei gelangt man zu folgendem Ergebnis: 10. Umverteilung ist neben fiskalischen und verhaltenslenkenden Zwecken einer Steuer ein Ziel von eigenständiger Bedeutung und stellt ein sinnvolles Instrument des Sozialtransfers im Steuersystem dar. Denn das Sozialstaatsprinzip darf in einem auf sozialen Ausgleich zielenden Staat, neben dem Existenzminimum nach „unten“, auch das Wachsen der Einkommens- und Vermögensdisparität durch Belastung nach „oben“ umfassen. Deshalb liegt eine Umverteilung durch Besteuerung vor, wenn die interindividuelle Verteilung der Steuerlasten über das zur Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes notwendige Maß hinaus progressiv ansteigt, um auf diese Weise eine Redistribution zu erreichen. 11. Normen, die eine Steuerprogression festschreiben, sind Umverteilungsnormen und Ausfluss des Sozialstaatsprinzips. Weil der Gleichheitssatz und das Leistungsfähigkeitsprinzip keinen progressiven Tarif verlangen, wird die Steuerprogression nicht als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips angesehen. Zudem wird ein Sozialstaat in der Regel die Ausgestaltung des Steuersystems progressiv vornehmen, wobei dem Gesetzgeber in Hinsicht auf den Grad der Progression eine Einschätzungsprärogative zusteht. 12. Das Sozialstaatsprinzip dient der Rechtfertigung steuerlicher Umverteilung. Freilich findet die sozialstaatliche Umverteilung ihre Obergrenze im Spannungs-

146

Schlussbetrachtung 

verhältnis zu den freiheitlichen Grundrechten. Obwohl nach herrschender Meinung keine verbindlichen Obergrenzen festgesetzt werden können, sind die Obergrenzen des umverteilenden Steuerzugriffs durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip am Ausmaß des relevanten Grundrechteingriffs zu orientieren. Im fünften Kapitel wird das Verhältnis zwischen den Verhältnismäßigkeits­ erfordernissen und den steuerlichen Vereinfachungszwecknormen untersucht. Als Ergebnis lässt sich folgendes festhalten: 13. Der Gesetzgeber darf für eine Vereinfachungszwecknorm keinen atypischen Fall als Leitbild wählen und sich nicht von Überlegungen, die mit einer zulässigen Typisierung in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen, leiten lassen. Demnach müssen die Vereinfachungszwecknormen zur Vereinfachung geeignet sein, und sie dürfen nicht unverhältnismäßig sein. 14. Um bei der Anwendung der abstrakt-generellen Regelungen der Gesetze unbillige Ergebnisse zu vermeiden und um der Exekutive die Möglichkeit zu belassen, Gerechtigkeit im Einzelfall herzustellen, kennt das Steuerrecht die Billigkeitserlasse, die als Prototypen für viele dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geschuldete Ausnahmeklauseln gesehen werden. Um zu einer im Einzelfall gerechten Billigkeitsentscheidung zu gelangen, kann auf die Gerechtigkeitsidee und allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden. Diese Rechtsgrundsätze tragen zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit bei. Ihre Berücksichtigung verlangt zur Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit innerhalb eines konkreten Steuerschuldverhältnisses eine Interessenabwägung. Dies bedeutet, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bereits bei der Billigkeitsentscheidung impliziert ist. 15. Wegen der Unbestimmtheit des Begriffes „Unbilligkeit“ kann eine klare Grenze zwischen dem unbestimmten Rechtsbegriff und dem Rechtsfolgenermessen nicht gezogen werden. Der Tatbestand in einer Billigkeitsentscheidung „verbraucht“ deshalb bereits alle relevanten Gesichtspunkte, und auf der Rechtsfolgenseite verbleibt damit kein Raum mehr für eine Ermessensausübung. Die Beziehung einer Billigkeitsentscheidung zum Verhältnismäßigkeitsprinzip kann deswegen nicht über die Konstruktion eines Billigkeitserlasses als Ermessensentscheidung hergestellt werden. Sie ist implizit in der Interessenabwägung bei der Billigkeitsprüfung enthalten. Im sechsten Kapitel wird untersucht, welches Verhältnis zwischen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gleichheitssatz in der Besteuerung besteht. Die Ergebnisse zeigen: 16. Dass steuerliche Ungleichbehandlungen wegen des Ziels der sozialen Umverteilung oder der praktikablen Verwaltungsvereinfachung vom Leistungsfähigkeitsprinzip abweichen können und dass diese rechtfertigenden Gründe in Bezug auf das Ziel der Ungleichbehandlungen geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen, wurde bereits im vierten und fünften Kapitel dargelegt. Neben den erwähnten Rechtfertigungen werden Lenkungsziele, Stichtage sowie die Kompen-

A. Kernthesen zu der Untersuchung

147

sation von Vor- und Nachteilen als weitere Kategorie von Gründen, die die steuerlichen Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen vermögen, aufgezeigt. 17. Ungleichbehandlungen lassen sich als interne Zwecke bezeichnen, wenn sie der Gerechtigkeit dienen, die nicht ein „Ereignis“ ist, das durch Ungleich­ behandlungen verursacht wird, sondern ein Charakteristikum dieser Handlungen. Ungleichbehandlungen beruhen dagegen dann auf externen Zwecken, wenn sie auf das Gemeinwohl zielen und dadurch ein kollidierendes Rechtsgut, das mittels dieser Ungleichbehandlungen verfolgt wird und das mit ihnen noch abgewogen werden muss, berücksichtigen. Das Gebot verhältnismäßiger Gleichheit wird dann im Rahmen einer Zweck-Mittel-Relation in Bezug auf die Ungleichbehandlungen berücksichtigt. Denn im Steuerrecht wird die Differenzierung der Verteilung der Steuerbelastung auch mit Gründen, die außerhalb der auf horizontale und vertikale Steuergerechtigkeit abzielenden Gleichheit der Lastenzuteilung liegen, gerechtfertigt. Aus diesen Gründen kann im Rahmen der Gleichheitsprüfung im Binnenbereich einzelner Steuern eine Verhältnismäßigkeitskontrolle stattfinden, da mit diesen Erwägungen externe Zwecke verfolgt werden. Im abschließenden siebten Kapitel wird der Steuervollzug am Verhältnismäßigkeitsprinzip überprüft. Es zeigte sich Folgendes: 18. Die Schwierigkeit der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Steuerverfahrens liegt darin, dass die Zulässigkeit einer Vollzugsmaßnahme unabhängig von der Höhe der Steuerforderung ist. Wäre dies nicht der Fall, wären gravierend wirkende Vollzugsmaßnahmen umso eher zulässig, je höher die staatlicherseits zu erwartenden Steuerforderungen ausfallen. Um dies zu vermeiden, wird das Kooperationsprinzip als grundlegendes Strukturprinzip des Steuervollzugs im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt. Hieraus folgt, dass, je mehr das Steuergesetz eine Erfassung der individuellen Leistungsfähigkeit anstrebt, umso mehr der Steuervollzug der Kooperation von Steuerbehörde und -pflichtigem bedarf. 19. Der verfassungsrechtliche Kooperationsrahmen muss sich für den Steuervollzug an dem am Maßstab der Verhältnismäßigkeit auszurichtenden Zusammenwirken von Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem orientieren. Und weil die administrative Ermittlungstätigkeit nicht Selbstzweck, sondern stets Mittel zum Zweck einer recht- und verhältnismäßigen Verwaltungsentscheidung ist, ist die Wahrheitsermittlung im Steuerrecht nicht um jeden Preis geboten: Entsprechend den Erwägungen des Kooperationsprinzips muss die Finanzbehörde umso zurückhaltender und zuvorkommender agieren, je umfassender der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nachkommt. 20. Bei Ermessensentscheidungen besteht stets eine Pflicht, das Entschließungsermessen sachgerecht auszuüben. Die Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung schließt für sich nicht aus, auf Grund von Besonderheiten im Einzelfall auf die Einleitung der Vollstreckung zu verzichten. Die Vollstreckung soll nicht angesetzt werden, wenn sie nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des

148

Schlussbetrachtung 

Steuerschuldners von vornherein nicht geeignet ist, ihren Zweck zu erreichen. Ob eine Vollstreckungsmaßnahme gegenüber einer oder mehreren anderen das mildere Mittel ist und ob die Einleitung oder Durchführung der Vollstreckung außer Verhältnis zum Erfolg steht, hängt von der jeweiligen Sachlage ab und hat in jedem Einzelfall von der Vollstreckungsbehörde entschieden zu werden.

B. Bewertung und Ausblick Mit den oben dargestellten Kernthesen können nun die zwei in der Einführung gestellten Fragen beantwortet werden und zugleich ein normativer Rückblick auf die Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701 gewährt werden. Zunächst wird klar, dass die Abzugsfähigkeit in Bezug auf die Krankheits­kosten für pflegebedürftige Personen keine Steuervergünstigung ist. Denn die Ausgestaltung der streitigen Norm bezweckt keine bestimmte Verhaltensänderung. Die Steuernorm, die den Abzug für Aufwendungen von Krankheitskosten für pflegebedürftige Familienangehörige anbietet, knüpft vielmehr an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit an. Damit ist die strittige Norm nicht als Lenkungsnorm, sondern als eine Fiskalzwecknorm und dann wegen des nach dem Charakter der Krankenhäuser unterschiedlichen Abzugs weiter als Vereinfachungszwecknorm einzuordnen. Demzufolge ist ein angemessener Prüfungsmaßstab im Fall der Interpretation des Justiz-Yuans Nr. 701 der Gleichheitssatz, weil dort eine vom Leistungsfähigkeitsprinzip abweichende steuerliche Ungleichbehandlung wegen der praktikablen Verwaltungsvereinfachung besteht. Zwar wendet das Verfassungsgericht des JustizYuans in seiner Interpretation Nr. 701 in diesem Fall mit dem Gleichheitssatz den richtigen Prüfungsmaßstab an. Die dabei erfolgte Verhältnismäßigkeitsprüfung lässt sich allerdings nicht mit dem Argument des Gerichts begründen, dass in der Ungleichbehandlung ein erheblicher Grundrechtseingriff liegt, sondern damit, dass ein erkennbarer externer Zweck mit der Verwaltungsentscheidung verfolgt wurde. Die deutsche Rechtslehre wurde bereits seit langer Zeit weitgehend von der taiwanischen Rechtswissenschaft als Referenz herangezogen. Die Rechtsrezeption des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der taiwanischen Steuerrechtslehre beschränkt sich jedoch nur auf die Herleitung des Verbots der Erdrosselungssteuer. Diese Untersuchung hat zum Ziel, der taiwanischen Verfassungs- und Steuerrechtswissenschaft einen angemessenen „Kompass“ für die künftige Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Bereich der Besteuerung zur Verfügung zu stellen und zu „kalibrieren“, der damit als eine Art verfassungs- und steuerrechtlicher „Wegweiser“ in Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Justiz-Yuans angeführt werden kann. Zugleich kann es hoffentlich dazu beitragen, dass das Verfassungsgericht des Justiz-Yuans in der Zukunft bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Steuerrecht die deutsche Rechtslehre stärker berücksichtigt und so im Einzelfall zu sachgerechteren Ergebnissen kommt.

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Sachverzeichnis Abwägung  32 ff., 37, 46, 63, 71, 73, 85, 98, 109 ff., 136, 141, 144 – Interessen  109 ff., 146 Allgemeine Handlungsfreiheit  57, 60, 78 f. Angemessenheit siehe Verhältnismäßigkeit Anreiz  21, 45, 76, 85, 87, 145

Gesamtdeckung 36, 52, 65 f., 72, 74, 89 f., 92, 99, 132 Gestaltungswirkung  45 f., 48, 64 Gleichheitssatz  18 ff., 42, 46, 55, 95, 99, 102, 104 f., 117 ff., 122 ff., 132, 145 f., 148 Gruppennützigkeit  72, 74, 144

Belastungswirkung  37, 45, 47, 61 Berufsfreiheit  77 f., 80 Billigkeit / Unbilligkeit  112 ff. – Entscheidung  108 ff., 115 f., 146 – Erlass  21, 42, 101, 107, 108 f., 111 ff., 146 – Maßnahme  107, 108, 112 f. – Prüfung  109, 116, 146

Halbteilungsgrundsatz  59 ff., 73, 98, 144

Eigentumsgarantie 21, 52, 53 ff., 59 f., 62, 64, 78 Eignung siehe Verhältnismäßigkeit Eingriff – Begriff  79, 84 – mittelbar-faktisch  76, 82, 84 – Schwelle  21, 81 ff., 87 f. – Verwaltung  23, 25, 29, 49 Einschätzungsprärogative  28, 30, 93 ff., 99, 145 Erdrosselungssteuer  16, 54, 148 Erforderlichkeit siehe Verhältnismäßigkeit Ermessen – Ausübung  113 f., 116, 140, 146 – Einräumung 139 – Entscheidung  111 ff., 115 f., 139 f., 142, 147 – Reduktion auf Null  112, 114 Existenzminimum  17, 47, 90, 92, 97, 99, 145

Kompensation  121, 132 f. Kontrolldichte  19, 21, 33, 118, 122 ff., 131 Kooperationsprinzip  136 ff., 142, 147 Lastengleichheit  39, 132 Legitimer Zweck siehe Verhältnismäßigkeit Legitimes Mittel siehe Verhältnismäßigkeit Leistungsfähigkeit 21, 38 f., 46 f., 49 f., 59, 90 ff., 99, 123, 128, 131 ff., 137, 142 f., 147 Lenkung – Norm  21, 39 f., 42 ff., 75 f., 79, 82 f., 85 ff., 119, 143, 145, 148 – Verhalten  21, 85 ff., 91, 145 – Ziel  87, 119 f., 123, 132 f., 146 Neue Formel  123 ff., 133 Non-Affektion siehe Gesamtdeckung Pauschalierung  41, 100 ff., 115 Polizeirecht  23 ff., 135 Praktikabilität  100, 105, 119 – Erwägung 132 Progression  44, 90, 93, 95 f., 99, 145 – Steuer  94 ff., 99, 145 Redistribution  92 f., 99, 145

Fiskalzwecknorm 21, 38 f., 43, 45 ff., 51 f., 63, 71, 73, 75, 93, 97, 143 f., 148 Geeignetheit siehe Verhältnismäßigkeit Gerechtigkeit  41, 44, 46, 51, 91, 95 f., 101 f., 108 f., 115, 129 ff., 146 f.

Sonderabgabe  68 ff., 70, 74 Sozialstaatsprinzip  21, 90 ff., 94, 95 ff., 145 Sozialzwecknorm  17, 42, 45, 47 Steuertarif  21, 56, 90, 93 f. – Einkommen  42, 89

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Sachverzeichnis

Steuervollzug  21, 135 ff., 142, 147 Stichtagsregelung  120 f. Typisierung  41, 100 ff., 104 ff., 115, 121, 123, 146 Übermaßverbot siehe Verhältnismäßigkeit Umverteilung  39, 90 ff., 96 ff., 118, 145 – Norm  21, 38, 42 f., 50, 89 ff., 96 ff., 118 f., 143, 145 – Zweck  91, 93, 96 f. Ungleichbehandlung  19 ff., 26, 41 f., 56, 104, 117 ff., 122 ff., 125 f., 126, 128 ff., 132 f., 146 ff. Vereinfachungszwecknorm 38, 41, 43, 45, 100 ff., 106 f., 115, 118 f., 143, 146, 148 Verhaltensbeeinflussung  40, 79, 81, 83, 85, 87 f., 145 Verhaltenslenkung siehe Lenkung

Verhältnismäßigkeit – Angemessenheit  19, 22, 27, 32 ff., 37, 40, 50, 63, 65, 87, 98, 109 ff., 127, 138, 141, 143 – Erforderlichkeit  37, 42, 85, 141 – Geeignetheit / Eignung  27, 30, 36 f., 40, 50, 63, 65, 85 ff., 127, 140, 143 f. – Legitimer Zweck  27, 35, 128, 143 – Legitimes Mittel  27 ff., 50, 128, 143 – Übermaßverbot  22, 37 Vollstreckung  136, 139 ff., 147 f. Willkürverbot  104, 123 ff., 130, 133 Zinssatz  21, 102 ff. Zumutbarkeit  34 f., 109 Zweck – interner und externer  21, 129 ff. Zweckmotivierte Steuer  67, 74 Zwecksteuer  21, 52, 65 ff., 74, 144 f.