Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham [Reprint 2014 ed.] 9783050056173, 9783050037479

Das Denken des englischen Theologen und Philosophen Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1347) wird herkömmlicherweise als ein D

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Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham [Reprint 2014 ed.]
 9783050056173, 9783050037479

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Hubert Schröcker Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham

Münchener Universitätsschriften Katholisch-Theologische Fakultät

Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie Herausgegeben von Michael Schmausf, Werner Dettloff, Richard Heinzmann, Ulrich Horst Band 49

Hubert Schröcker

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

ISBN 3-05-003747-4 ISSN 0580-2091 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2003

Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Bindung: N. Klotz, Jettingen-Scheppach Gedruckt in Deutschland

Inhalt

Vorwort

15

Erster Hauptteil: Der Umfang der Allmacht Einleitung 1.

19

KAPITEL

„Deus nihil potest facere inordinate": Die Dialektik von „potentia absoluta" und „potentia ordinata"

25

I.

Die Geschichte der Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes 1) Kurzer Rückblick auf die Vor- und Frühgeschichte der Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes 2) Die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht bei Wilhelm von Ockham a) Vor Avignon b) In Avignon c) Nach Avignon

29 29 33 35

II. Ockhams Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht 1) Gottes Macht „ad extra" 2) Die „duplex potentia" 3) Gott handelt „de potentia absoluta" und „de potentia ordinata" 4) Erst- und Zweitursache

44 44 44 47 49

26 26

Inhalt

6

5) Allgemeine Gesetze und Bestimmungen fur den Einzelfall 6) Die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht in ihrem Verhältnis zur Zeit III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus im Verständnis der Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" 1) Scheinbare Unterschiede zwischen Ockham und Scotus im Verständnis der Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" a) Juristische Begriffe in Ockhams Lehre von der doppelten Macht Gottes b) Die Unterscheidung „potentia absoluta " - „potentia ordinata " und die Unterscheidung „ de iure " - „ de facto " c) Das Subjekt der absoluten und ordinierten Macht d) Die innere Dynamik der Unterscheidung 2) Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Duns Scotus und Ockham im Verständnis von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" a) Vergleich zwischen Scotus und Ockham bezüglich der „potentia absoluta " b) Vergleich zwischen Duns Scotus und Ockham bezüglich der „potentia ordinata "

51 52

57

57 58 60 65 67

70 70 72

IV. „Deus nihil potest facere inordinate" 1) Das Scotische Verständnis von „Deus nihil potest facere inordinate" 2) Das Ockhamsche Verständnis von „Deus nihil potest facere inordinate" 3) Vergleich zwischen Duns Scotus und Ockham

76 77

V. Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 1

80

2.

72 74

KAPITEL:

„Deus non potest peccare": Die Allmacht Gottes und die Sünde

88

I. Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham 1) Fünf Grundtypen von Interpretationen der Ockhamschen Ethik a) Die voluntaristische Deutung b) Die rationalistische Deutung

89 89 91 92

Inhalt

7

c) Die vermittelnde Deutung d) Die Annahme einer Entwicklung e) Die Annahme von Widersprüchen und Inkohärenzen 2) Ockhams Grundgedanken zur Ethik a) Die rationale Grundlage der Ethik b) Der Freiraum für das göttliche Gebot

93 95 96 97 98 109

II. 1) 2) 3)

Das Böse und die Sünde Absolute und konnotative Begriffe Der Begriff des „malum" Der Begriff der Sünde

118 118 122 124

III. 1) 2) 3)

Kann Gott Die Sünde Die Sünde Die Sünde

126 127 132 139

eine Sünde „machen"? Gottes des Menschen des Gottmenschen

IV. Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 2 3.

142

KAPITEL

„Non potest efficere Deum": Trinität und Allmacht Gottes

147

I. Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus 1) Die Reichweite philosophischer Überlegungen zum Polytheismus a) Der Polytheismus läßt sich mit der natürlichen Vernunft weder widerlegen noch beweisen b) Es kann mehrere allmächtige Personen geben 2) Die theologische Beurteilung des Polytheismus a) Der Polytheismus ist falsch und widersprüchlich b) Gott kann keinen Gott machen

148

149 152 157 157 158

II. Die Allmacht der drei göttlichen Personen 1) Die erkenntnistheoretische Stellung des Trinitätsglaubens 2) Die Rolle der Allmacht im Trinitätsglauben

161 162 164

III. Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit Gottes 1) Das logische Problem a) Paradoxe Formulierungen in der Trinitätslehre b) Trinitarische Trugschlüsse

170 172 172 174

149

8

Inhalt

c) Trinitätstheologie und aristotelische Logik 2) Das ontologische Problem a) Die Formaldistinktion bei Ockham b) Formaldistinktion und Kontradiktionsprinzip c) Die Widerspruchsfreiheit Gottes

181 184 184 191 196

IV. Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 3

200

Zweiter Hauptteil: Die Frage nach dem Grund von Möglichkeit und Unmöglichkeit Einleitung 4.

I.

209

KAPITEL

Heinrich von Gent: Priorität der Allmacht gegenüber dem Möglichen

213

Biographische Einführung zu Heinrich von Gent

213

II. 1) 2) 3)

Die Lehre von den göttlichen Attributen Der Sinn der Attributenlehre Beschreibung der Attribute Die Regel des Anselm von Canterbury und ihre Rezeption durch Heinrich von Gent a) Die Regel des Anselm von Canterbury b) Die Rezeption der Regel des Anselm von Canterbury durch Heinrich von Gent 4) Das Verhältnis der Attribute zum göttlichen Wesen und zueinander 5) Die Ordnung der Attribute 6) Das Attribut der unendlichen Macht III. Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes 1) Die geschichtliche Herkunft der mittelalterlichen Ideenlehre a) Die Ideenlehre im vorchristlichen Denken b) Die Ideenlehre im christlichen Denken der Patristik 2) Der Sinn der Ideenlehre 3) Beschreibung der Ideen 4) Das Verhältnis der Ideen zu Gott und zueinander

215 215 217 223 224 227 230 232 234 240 240 240 241 243 245 247

Inhalt

9

5) Die Arten der Ideen a) Überlegungen, wovon es eigene Ideen gibt b) Überlegungen, wovon es keine eigenen Ideen gibt 6) Unschlüssigkeit über die unendliche Anzahl der Ideen

249 249 250 254

IV. Das Mögliche nach Heinrich von Gent 1) Die Einteilung der Möglichkeit 2) Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen a) Die „ res a reor reris " und das Widersprüchliche b) Die „ res a ratitudine " und das Fiktive 3) Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Wirklichen a) Das „esse essentiae" des Möglichen b) Das „esse existentiae" des Wirklichen

257 257

V. Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip 1) Hintergründe der Fragestellung und Grundlagen zu ihrer Beantwortung 2) Der Ursprung des Möglichen a) Die Arten des Vermögens b) Die Arten der göttlichen Eigenschaften c) Die Prinzipien der Zuordnung d) Die Rückführung des Möglichen auf seinen letzten Ursprung 3) Der Ursprung des Unmöglichen a) Heinrichs Position von 1281/82 (Quodlibet VI, qu. 3) b) Heinrichs Position von 1284 (Quodlibet VIII, qu. 3) 4) Resümee 5.

I. 1) 2) 3) 4)

261 264 266 270 270 274 275 276 278 278 279 280 282 284 285 289 293

KAPITEL

Johannes Duns Scotus: Die Widerspruchsfreiheit als Prinzip der Allmacht

295

Biographische Einfuhrung zu Johannes Duns Scotus „Scotia me genuit" „Anglia me suscepit" „Gallia me docuit" „Colonia me tenet"

295 296 296 297 298

10 II. Die Lehre von den göttlichen Attributen 1) Der Sinn der Attributenlehre 2) Beschreibung der Attribute a) Abgrenzung gegen Heinrichs Auffassung der Attribute als Relationen b) Formalitäten c) Abgrenzung gegenüber der negativen Theologie d) Schlechthin einfache Begriffe e) Univozität f ) Der Modus der Unendlichkeit 3) Die Rezeption der Regel des Anselm von Canterbury 4) Das Verhältnis der Attribute zum göttlichen Wesen und zueinander 5) Die Ordnung der Attribute 6) Das Attribut der Allmacht

Inhalt 299 299 300 300 301 303 303 305 306 307 311 314 318

III. 1) 2) 3) 4)

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes Der Sinn der Ideenlehre Beschreibung der Ideen Das Verhältnis der Ideen zu Gott und zueinander Die Arten der Ideen a) Überlegungen, wovon es eigene Ideen gibt b) Überlegungen, wovon es keine eigenen Ideen gibt 5) Die unendliche Anzahl der Ideen

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IV. Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus 1) Einteilung der Möglichkeit a) Metaphorische Möglichkeit b) Logische Möglichkeit c) Metaphysische Möglichkeit d) Reale Möglichkeit 2) Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen a) Das Mögliche b) Das Unmögliche 3) Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Wirklichen a) Die „ res rata primo modo ": Das Wirkliche b) Die „ res rata secundo modo ": Das Mögliche

344 344 345 345 347 349 351 351 356 360 361 366

Inhalt V. Das Kontradiktionsprinzip als Prinzip der Allmacht Gottes 1) Die „Lectura" - ein erster Lösungsversuch a) Der formale Grund der Möglichkeit und Unmöglichkeit b) Die zweifache „potentia Dei" 2) Die „Reportata Parisiensia" - im Ringen um die richtige Antwort a) Die Unterscheidung zwischen Macht und Intellekt b) Die Unterscheidung zwischen Priorität und Prinzipiativität 3) Die „Ordinatio" - das letzte Wort a) Beobachtungen zur Terminologie b) Die Unterscheidung zweier Instanzen 6.

11 369 370 371 373 375 375 376 380 380 383

KAPITEL

Wilhelm von Ockham: Die Simultanität zwischen Allmacht und Möglichkeit I. Die Lehre von den göttlichen Attributen 1) Der Sinn der Attributenlehre 2) Beschreibung der Attribute a) Reale Eigenschaften oder Begriffe? b) Absolute, konnotative und negative Begriffe c) Quidditative und denominative, eigentümliche und austauschbare Begriffe d) Univozität, Äquivozität und Analogie 3) Die Rezeption der Regel des Anselm von Canterbury 4) Das Verhältnis der Attribute zum göttlichen Wesen und zueinander 5) Die Bestreitung einer umfassenden Ordnung unter den Attributen 6) Das Attribut der Allmacht

391 391 391 393 393 396 397 399 403 406 409 415

II. 1) 2) 3) 4)

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes Der Sinn der Ideenlehre Beschreibung der Ideen Das Verhältnis der Ideen zu Gott und zueinander Die Arten der Ideen a) Überlegungen, wovon es eigene Ideen gibt b) Überlegungen, wovon es keine eigenen Ideen gibt 5) Die unendliche Anzahl der Ideen

417 417 419 432 434 434 436 439

III. Das Mögliche nach Ockham 1) Die Einteilung der Möglichkeit

439 439

12

Inhalt

2) Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen a) Assertorische Aussagen b) Modale Aussagen der Möglichkeit 3) Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen a) Modale Aussagen der Unmöglichkeit b) Die Frage einer ontologischen Verpflichtung IV. Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen 1) Arten der Priorität und Simultanität a) Priorität der Zeit bzw. Dauer nach b) Priorität der Natur nach c) Priorität der Ursächlichkeit nach d) Priorität der Allgemeinheit nach e) Priorität der Würde bzw. Vollkommenheit nach f ) Priorität dem Ort nach g) Priorität der Ordnung nach h) Simultanität dem Verstehen nach 2) Die relevante Art der Simultanität, veranschaulicht durch Beispiele und eine aristotelische Belegstelle a) Die aristotelische Belegstelle b) Das Beispiel von Vater und Sohn c) Das Beispiel von Ursache und Wirkung d) Das Beispiel von aktivem und passivem Vermögen 3) Die Simultanität der Allmacht und des Möglichen a) Die erste Formulierung der Lösung b) Die zweite Formulierung der Lösung c) Einschätzung der Ockhamschen Lösung Ergebnis

443 444 449 453 454 462 465 465 466 467 469 470 472 473 474 475 475 476 483 486 488 493 494 496 501 502

Anhang Literaturverzeichnis I. Primärliteratur II. Sekundärliteratur Abkürzungsverzeichnis Register

509 509 513 527 529

Helmut Madl und Bernadette Nagl gewidmet

Vorwort

Die vorliegende Studie über „Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham" entstand als Doktorarbeit an der katholisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität München. Die Dankbarkeit gebietet, an dieser Stelle einige der Personen zu nennen, die am Zustandekommen des vorliegenden Ergebnisses helfend beteiligt waren. Vor allem danke ich meinem Doktorvater, Herrn Univ.-Prof. Dr. Richard Heinzmann, dessen Erfahrung und Unterstützung meiner Arbeit sehr zugute gekommen sind. Zu danken habe ich auch allen Mitarbeitern des GrabmannInstituts an der katholisch-theologischen Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität München, in dessen Bibliotheksräumen ich nicht nur die wesentliche Literatur für mein verhältnismäßig spezielles Thema, sondern auch ein angenehmes Arbeitsklima gefunden habe. Für die Mühen des Korrekturlesens bedanke ich mich bei meiner Familie, insbesondere bei meinem Vater, und bei Emiko Aoyanagi. Für verbliebene Fehler übernehme ich selbstverständlich allein die Verantwortung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat durch ihre beträchtliche finanzielle Unterstützung die Veröffentlichung dieser Arbeit ermöglicht. Dem Akademie Verlag in Berlin sei für die Aufnahme des Buchs in die Reihe der Veröffentlichungen des Grabmann-Instituts gedankt. Gewidmet ist diese Untersuchung Helmut Madl und Bernadette Nagl, denen ich mich seit meiner Studienzeit im Graz in Freundschaft und in Dankbarkeit verbunden fühle.

Erster Hauptteil: Der Umfang der Allmacht

Einleitung

Das Denken des englischen Theologen und Philosophen Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1347) aus dem Franziskanerorden wird herkömmlicherweise als ein Denken der uneingeschränkten Allmacht Gottes dargestellt. Zwar erörtert Ockham die Macht Gottes nur selten als eigenes Thema. Doch er beruft sich in ganz verschiedenen Zusammenhängen immer wieder auf sie, sodaß sein Denken erscheint, als sei es durch und durch vom Glauben an den allmächtigen Gott geprägt. Zwar überrascht das Bekenntnis zur Allmacht Gottes bei einem christlichen Denker nicht. Doch eine neuscholastisch geprägte Darstellung der Philosophiegeschichte macht Ockhams Betonung (und angebliche Überbetonung) dieses einen Glaubensartikels zum Grund fur den Verlust der hochscholastischen Synthese von Glauben und Wissen und Ockham selbst zum Stammvater des ethischen Relativismus, des Skeptizismus, des Fideismus, des Protestantismus, des Atheismus und beinahe aller übrigen scheinbaren und tatsächlichen neuzeitlichen Verirrungen. In einer anderen Deutung der Philosophiegeschichte wertet Hans Blumenberg die Neuzeit nicht als Verfall, sondern als positive Errungenschaft, deren Legitimität er in seinem monumentalen Werk „Die Legitimität der Neuzeit" nachweisen möchte. Nach ihm findet sich bei Ockham nicht die Wurzel des neuzeitlichen Denkens, sondern die Perversion des mittelalterlichen Anliegens, gegen die Gnosis an der Güte und Vollkommenheit des Schöpfergottes festzuhalten. Die bedrängende Tyrannei eines Gottes, dessen Allmacht seine Liebe verdeckt, habe den neuzeitlichen Menschen zur Lösung vom Jenseitigen und zur Selbstkonstitution als autonomes Subjekt genötigt.'

1

Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996; Hans Blumenberg: Säkularisierung und Selbstbehauptung. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von „Die Legitimität der Neuzeit", erster und zweiter Teil. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974.

20

Erster

Hauptteil

Diese beiden Schemata der philosophiegeschichtlichen Einordnung Ockhams sind in den letzten Jahrzehnten ernsthaft hinterfragt und angezweifelt worden. Die erneute Entdeckung der Vielfalt mittelalterlicher Philosophie und der verläßliche und leicht zugängliche Text der kritischen Ockham-Ausgabe weckten Interesse an Ockham und führten zu einer Neubestimmung seiner philosophiegeschichtlichen Bedeutung. Wer die neuscholastische Einordnung Ockhams in die Philosophiegeschichte oder die Stellung, die Hans Blumenberg ihm zuweist, hinterfragen will, kann dies auf zweifache Weise tun. Einerseits kann er untersuchen, ob Ockhams Denken tatsächlich in dem behaupteten Ausmaß vom Glauben an die Allmacht Gottes geprägt ist. Andererseits kann er nachforschen, ob sein Denken wirklich den Einfluß hatte, der ihm unterstellt wird. Beide Wege werden in der Forschung beschritten. Im folgenden möchte ich vor allem auf die erste Weise vorgehen und klären, in welchem Ausmaß Ockhams Denken von seinem Glauben an den allmächtigen Gott geprägt ist. Zu diesem Zweck werden häufig Beispiele dafür diskutiert, wie abstrus oder erschreckend sich Gott nach Ockham verhalten kann. „Klassiker" sind etwa die Behauptungen Ockhams, Gott könne den Diebstahl, Ehebruch oder Gotteshaß gebieten, die intuitive Erkenntnis eines nicht-existierenden Objekts verursachen, Gerechte verdammen und Ungerechte selig machen oder sich in einem Esel inkarnieren. Ohne diesen Diskussionen noch viele weitere Bemerkungen hinzuzufügen, möchte ich die Fragestellung umkehren. Statt zu fragen, was Gott alles tun kann, frage ich, was er nicht tun kann und weshalb er es nicht tun kann. Ich frage also nach der Grenze der göttlichen Macht. Die Lehre von der Allmacht Gottes bedeutet nämlich nach Ockham wie auch nach den meistens mittelalterlichen und neuzeitlichen Theologen und Philosophen, die sich dieser Frage gewidmet haben, nicht, daß Gottes Macht schlechthin grenzenlos wäre. Sie besagt nur, daß Gott all das tun kann, was keinen logischen Widerspruch enthält. Die Grenze der Allmacht - und nach Ockham ist es ihre einzige Grenze! - bildet also das Kontradiktionsprinzip. Diese Grenze hebt die Allmacht nicht auf, weil sie sie nicht real einschränkt, sondern sie schafft im Gegenteil die Voraussetzung, um die Allmacht überhaupt sinnvoll denken zu können. Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip ist also das Thema der folgenden Ausführungen. Die Untersuchung des Prinzips, wonach Gott all das und nur das tun kann, was keinen logischen Widerspruch enthält, zerfällt in zwei Hauptteile zu jeweils drei Kapitel. Im ersten Hauptteil stelle ich Überlegungen zur Frage an, was Gott kann und was er nicht kann, wo also die Grenze der Allmacht verläuft und was Ockham als widersprüchlich und damit als unmöglich sogar für Gott erachtet. Der zweite Hauptteil fragt nach dem Grund dafür, daß das Un-

Einleitung

21

mögliche unmöglich (und entsprechend das Mögliche möglich) ist. In den drei Kapitel dieses zweiten Teils wird die Diskussion nachgezeichnet, die über diese Frage zwischen Heinrich von Gent, Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham stattgefunden hat. Im ersten Hauptteil gehe ich so vor, daß ich drei Behauptungen Ockhams betrachte, wonach Gott etwas nicht könne, nach ihrer Begründung frage und sie unter den Voraussetzungen des Ockhamschen Denkens letztlich auf das Kontradiktionsprinzip zurückführe. Aufgrund der Erkenntnisse, die sich dabei ergeben, versuche ich, die Abgrenzung zwischen dem Bereich dessen, was Gott vermag, und dem Bereich dessen, was er nicht vermag, genauer zu formulieren. Im ersten Kapitel geht es dabei um Ockhams Behauptung, daß Gott nichts „inordinate" tun könne. Dies nehme ich zum Anlaß für eine Untersuchung über Ockhams Unterscheidung zwischen der „potentia absoluta" und der „potentia ordinata" Gottes. Im zweiten Kapitel geht es um Ockhams Überzeugung, daß Gott nicht sündigen könne. Im Zusammenhang mit dieser Frage gehe ich auf die Ethik Ockhams ein. Das dritte Kapitel geht von Ockhams Behauptung aus, Gott könne keinen anderen Gott „machen". Dabei komme ich auf Fragen der Trinitätstheologie zu sprechen und untersuche, ob Ockham den Glauben an einen dreifaltigen Gott für in sich widersprüchlich gehalten hat. Selbstverständlich ließen sich außer den genannten drei Themenkreisen noch zahlreiche andere Beispiele für Handlungen angeben, die Gott ungeachtet seiner Allmacht nach Ockham nicht tun kann. Ich beschränke mich aber auf die genannte Auswahl, weil eine vollständige Erfassung und Bearbeitung aller diesbezüglichen Äußerungen Ockhams den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, jedoch nur einen sehr beschränkten Nutzen erbringen würde. Denn vielfach würden Überlegungen zu weiteren Beispielen für Handlungen, die Gott nicht setzen kann, zu ähnlichen Ergebnissen führen wie in den ohnehin behandelten Fällen. Diese kurze Übersicht über die Inhalte der folgenden Kapitel läßt schon erkennen, daß sich meine Arbeit stark von der Dissertation unterscheidet, die Cristobal Gutierrez Aranda zu einem ganz ähnlichen Thema an der Universität Malaga eingereicht hat.2 Nicht nur bin ich in Einzelfragen zu anderen Ansichten gelangt als der Verfasser jener Schrift, sondern die Anliegen der beiden Hauptteile meiner Arbeit - nämlich erstens eine detaillierte Bestimmung dessen, was nach Ockham in sich widerspruchsfrei und daher für Gott mög2

Cristobal Gutierrez Aranda: Los principios de omnipotencia y de no-contradiccion en Guillermo de Ockham. Phil. Diss. Universidad de Malaga 1987.

22

Erster

Hauptteil

lieh ist, und zweitens die Einordnung der Position Ockhams in die Diskussion über den Ursprung der Möglichkeit und Unmöglichkeit zwischen Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus - werden darin kaum berücksichtigt. Es ist also nicht überflüssig, dieses schon einmal behandelte Thema erneut aufzugreifen. Als Grundlage für meine Untersuchung dient der Text, wie er in der kritischen Ausgabe der philosophischen und theologischen Werke Ockhams vorliegt, die vom „Franciscan Institute" an der St. Bonaventure-University in New York herausgebracht wurde.3 Bei den publizistischen Werken aus Ockhams Münchner Zeit greife ich auf die „Opera Politica" zurück.4 Nur den „Dialogus", der in dieser Reihe noch nicht erschienen ist, zitiere ich, soweit möglich, nach der von Jürgen Miethke herausgegebenen Teilausgabe5 und ansonsten nach dem Nachdruck der alten Ausgabe von Melchior Goldast.6 Nicht fur alle Schriften Ockhams steht die Authentizität außer Streit. Im allgemeinen folge ich den Entscheidungen der kritischen Ausgabe. Den geäußerten Zweifeln an den Zusätzen zur „Ordinatio"7, an den beiden eucharistischen Traktaten „De corpore Christi" und „De quantitate"8, an dem einen der beiden Prologe zum Physikkommentar9, an der „Summa logicae" 10 , an den 3

4 5 6

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8 9

Guillelmi de Ockham Opera philosophica et theologica ad fidem codicum manuscriptorum edita cura Instituti Franciscani Universitatis S. Bonaventurae. St. Bonaventura, Ν. Y.: Franciscan Institute Publication 1967-1988. Guillelmi de Ockham Opera Politica. Hrsg. v. H. S. Offler. Mancunii: e typis Universitatis 1956-1997. Texte zur politischen Theorie. Exzerpte aus dem Dialogus. Lateinisch/Deutsch. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Jürgen Miethke. Stuttgart: Reclam 1995. Dialogus Magisti Guillermi de Ockham. In: Melchior Goldast: Monarchia S. Romani Imperii. Tomus II. Frankfurt 1614. Neudruck: Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1960, 392-957. Werke Ockhams zitieren ich, ohne den Namen des Verfassers zu nennen, und mit den Abkürzungen, die im Abkürzungsverzeichnis aufgelistet sind. Auf die Schriften des Heinrich von Gent und des Johannes Duns Scotus verweise ich, indem ich den Namen des Autors nenne und den Titel des Werkes gemäß dem Abkürzungsverzeichnis abkürze. Vladimir Richter: Unterwegs zum historischen Ockham. Historisch-literarische Bemerkungen zur Authentizität von Ockhams Schriften. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut für Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 137-153, 142; Vladimir Richter: Zu Ockhams Entwicklung in der Universalienfrage. Bemerkungen im Zusammenhang mit dem Problem der Chronologie, Abfassungszeit und Authentizität von Ockhams nichtpolitischen Schriften. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut für Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 105-121, 117; Volker Leppin: Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995 (FKDG 63), 17-26. Richter: Unterwegs, 142. Vladimir Richter: Zum Incipit des Physikkommentars von Ockham. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut für Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-

Einleitung

23

sieben Quodlibeta", am Epilog des „Opus nonaginta dierum" 12 , am „Dialogus" 13 , am „Compendium errorum"14, an den „Octo quaestiones de potestate papae" 15 und am „Breviloquium de principatu tyrannico" 16 kann ich nicht folgen. Die Einwände dagegen, daß die kleineren naturphilosophischen Schriften von Ockham selbst stammen, 17 sind für mich belanglos, weil es mir nicht um eine Untersuchung zu seiner Physik geht und ich mich daher auf den unbestritten echten großen Physikkommentar Ockhams beschränken kann. Aus einem ähnlichen Grund halte ich es fur unnötig, die Verfasserschaft des „EleTheologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 1-8; Richter: Unterwegs, 1 3 9 f - vgl. dagegen Jürgen Miethke: Ockhams politische Theorie. In: Wilhelm von Ockham: Dialogus. Auszüge zur politischen Theorie. Ausgew., übers, und mit einem Nachw. vers. ν. Jürgen Miethke. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992 (Bibliothek klassischer Texte), 209-242, 236f, Anm. 28. 10 Richter: Entwicklung, 116; Richter: Unterwegs, 142; Vladimir Richter: Historische Bemerkungen zu „De regulis generalibus consequentiarum" bei Ockham und Burley. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut fur Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 123-127, 124f; Vladimir Richter: Zu „De obligationibus" in der Summa logicae. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut für Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 129-135. 11 Richter: Entwicklung, 116f; Richter: Unterwegs, 142; Gerhard Leibold: Zum Problem der Finalität bei Wilhelm von Ockham. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut fur Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 9-69, 60-66. - Kritisch gegen diesen Aufsatz von Leibold äußern sich Marilyn McCord Adams: Ockham on Final Causality: Mudding the Waters. In: FrS 56 (1998) [= Essays in Honor of Dr. Girard Etzkom. Hrsg. v. Gordon A. Wilson und Timothy B. Noone], 1-46 und Stephen F. Brown: Ockham and final causality. In: Studies in Medieval Philosophy. Hrsg. ν. John F. Wippel. Washington D. C.: The Catholic University of America Press 1987 (SPHP 17), 249-272. 12 Richter: Unterwegs, 144. 13 Richter: Unterwegs, 146. 14 Richter: Unterwegs, 144f. 15 Richter: Unterwegs, 146. 16 Richter: Unterwegs, 146. 17 Gerhard Leibold: Zur Authentizität der Quaestiones in libros Physicorum Wilhelms von Ockham. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut für Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 77-96; Gerhard Leibold: Problem, 45-55; Gerhard Leibold: Zur Authentizität der naturphilosophischen Schriften Wilhelms von Ockham. In: Vladimir Richter, Gerhard Leibold: Unterwegs zum historischen Ockham. Innsbruck: Institut für Christliche Philosophie. Abteilung für die Quellenkunde der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck 1998 (Mediaevalia Oenipontana 1), 97-104; Richter: Unterwegs, 140f.

24

Erster Hauptteil

mentarium logicae" und des „Tractatus minor logicae" zu klären.18 Da es mir nicht um Spezialfragen zur Logik Ockhams geht, kann ich mich auf sein logisches Hauptwerk, die „Summa logicae", beschränken.

18

Gegen die Herausgabe dieser Texte im Band der „Opera dubia et spuria" der Ockhamausgabe spricht sich aus Jürgen Miethke: Der Abschluß der kritischen Ausgabe von Ockhams akademischen Schriften. In: DA 47 (1991) 175-185, 180-184; vgl. Leppin: Wahrheit, 273, Anm. 92.

1. KAPITEL

„Deus nihil potest facere inordinate": Die Dialektik von „potentia absoluta" und „potentia ordinata"

Charakteristisch für die Theologie des Spätmittelalters ist die Betonung der Allmacht Gottes. In diesem geistigen Umfeld verbreitete sich die sogenannte Lehre von der doppelten Macht Gottes, also die Unterscheidung seiner „potentia absoluta" von seiner „potentia ordinata". Der Ausdruck „doppelte Macht" („duplex potentia") ist etwas mißverständlich. Er meint nicht zwei real unterschiedene Mächte in Gott, sondern die eine Macht Gottes unter zwei verschiedenen Aspekten bzw. zwei verschiedene Weisen, über die eine Macht Gottes zu sprechen. Da jedoch Ockham selbst diesen mißverständlichen Ausdruck gebraucht,1 werde auch ich ihn gelegentlich verwenden. In einer ersten kurzen (und deshalb unvollständigen) Erklärung lassen sich die beiden Weisen, von der göttlichen Macht zu sprechen, folgendermaßen charakterisieren: Gemäß seiner absoluten Macht („potentia absoluta") vermag Gott alles zu tun, was in sich widerspruchsfrei ist. Gemäß seiner ordinierten2 Macht („potentia ordinata") handelt Gott nach den von ihm frei erlassenen Gesetzen, auf die er sich gewissermaßen selbst verpflichtet hat.3

1 Op., cap. 95 (OPol II 719,152; 725,376). 2 Der Ausdruck „potentia ordinata" wird deutsch meist mit „geordnete Macht" wiedergegeben. Es gibt Versuche, diese leicht mißverständliche Übersetzung durch „optionsgebundene Macht" (Lawrence Moonan: Divine Power. The Medieval Power Distinction up to its Adoption by Albert, Bonaventure, and Aquinas. Oxford: Clarendon 1994, 18-20) oder durch „anordnungsgeleitete Macht" (Volker Leppin: Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995 (FKDG 63), 50) zu ersetzen. Nach dem Vorbild von Jan P. Beckmann (Allmacht, Freiheit und Vernunft. Zur Frage nach „rationalen Konstanten" im Denken des Späten Mittelalters. In: Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen. Hrsg. v. Jan P. Beckmann, Ludger Honnefelder, Gangolf Schrimpf und Georg Wieland. Wolfgang Kluxen zum 65. Geburtstag. Hamburg: Meiner 1987, 275-293, 281) spreche ich von „ordinierter Macht". Das Fremdwort „ordiniert" schließt zwar keineswegs alle Mißverständnisse aus, läßt aber am ehesten erkennen, daß es einen lateinischen „terminus technicus" wiedergibt. 3 Vgl. Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,22-30).

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

In diesem Kapitel wird zuerst die Geschichte der Unterscheidung vor Ockham und vor allem in der biographischen und denkerischen Entwicklung Ockhams selbst dargestellt. Zweitens soll Ockhams Verständnis von „potentia ordinata" und „potentia absoluta" genauer erörtert werden. Dieses wird drittens mit der Lehre des Johannes Duns Scotus verglichen. Von den so gewonnenen Voraussetzungen her soll viertens die von Scotus und Ockham gleicherweise vertretene Ansicht, daß Gott nichts „inordinate" tun könne, erklärt werden. Abschließend ist darzustellen, was sich aus all dem für den Umfang des Bereichs ergibt, auf den sich nach Ockham die göttliche Allmacht erstreckt.

I. Die Geschichte der Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes 1) Kurzer Rückblick auf die Vor- und Frühgeschichte der Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes Die Begrifflichkeit dieser Unterscheidung entstand zu Beginn des zwölften Jahrhunderts, aber die Sache ist viel älter. Noch älter sind ihre Hintergründe. Die antike Philosophie bemühte sich um die Erklärung der Modalitäten, vor allem der Möglichkeit und der Notwendigkeit. Oft wurden sie unter Bezug auf die Wirklichkeit definiert. Zum Beispiel vertraten die Megariker, daß nur das Wirkliche möglich sei.4 Weiter verbreitet war die Umkehrung dieser Anschauung, daß nämlich alles, was möglich ist, irgendwann einmal auch wirklich sein muß, d. h., daß die Natur die Fülle ihrer Möglichkeiten ausschöpft. 5 Auch die Notwendigkeit wurde in der Antike von der Wirklichkeit her erklärt, ζ. B. in der berühmten und umstrittenen Aristotelesstelle: „Alles, was ist, ist, wenn es ist, notwendig; und alles, was nicht ist, ist, wenn es nicht ist, notwendig nicht."6 Ein solches Denken wurde mit dem Auftreten des Christentums und dem Aufkommen kritischer Reflexion über die Glaubensinhalte zunehmend in Frage gestellt. Besonders der Schöpfungsglaube konfligierte mit der antiken Lehre von Möglichkeit und Notwendigkeit. Denn ein Möglichkeitsbegriff, 4

Dies berichtet Aristoteles: Metaphysik IX 3 (1046b 29-32). Vgl. Klaus Döring: Die Megariker. Kommentierte Sammlung der Testimonien. Amsterdam: Grüner 1972 (SAPh 2), 132-135. 5 Die klassische Monographie über das sogenannte „Prinzip der Fülle" („Principle of Plenitude") ist Arthur Ο. Lovejoy: Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens. Übers, v. Dieter Turck. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985. 6 Aristoteles: Perihermeneias 9 (18a 23-24).

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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nach dem alles, was möglich ist, auch wirklich werden muß, schränkt die Allmacht des Schöpfers zu stark ein. Wenn Gott völlig souverän ist, unterlag er im Schöpfungsakt keinem anderen Einfluß als seinem eigenen Willen. Und wenn dieser göttliche Wille frei ist, hätte er die Welt gar nicht oder anders erschaffen können, d. h. die vorhandenen Möglichkeiten werden nicht ausgeschöpft. Auch der Begriff der Notwendigkeit läßt sich im christlichen Denken nicht einfach von der Wirklichkeit her erklären. Denn wenn die Existenz und Eigenart unserer Welt durch Gottes Schöpfung, d. h. in seinem Willen begründet ist, dieser Wille aber frei ist und selbst keiner Notwendigkeit unterliegt, ist auch die Schöpfung als ganze nicht notwendig, sondern kontingent. Deshalb läßt sich im christlichen Denken von der geschaffenen Wirklichkeit höchstens eine hypothetische Notwendigkeit ableiten, der Gott nicht unterworfen ist. Das schließt nicht aus, daß Gott sie nach gesetzesartigen Regeln geordnet hat; doch hängen diese von Gottes Willen ab. Daß Gott frei ist, entnahm man der Lehre von seiner Allmacht. Sie besagt in einer ersten, sehr groben Umschreibung, daß Gott alles tun kann, was er will; d. h. er unterliegt keinem äußeren Zwang und ist insofern frei. Dieser Glaubensartikel konnte sich auf biblische Grundlagen und auf alle Glaubensbekenntnisse stützen.7 Allerdings enthalten die biblischen Schriften auch Behauptungen, daß Gott dieses oder jenes nicht tun könne.8 Dafür verlangte eine vernunftgeleitete Auslegung des biblischen Textes eine Erklärung. Zumeist bestand sie darin, daß die Kommentatoren zwischen zwei Bedeutungen von „können" unterschieden. Zum Beispiel findet sich bei Augustinus (354-430) die Erklärung, wenn Gott etwas nicht könne, so nur deshalb, weil er es nicht wolle.9 An anderen Stellen unterscheidet der Kirchenvater zwischen dem, was Gott durch seine Macht kann, und dem, was er durch seine Gerechtigkeit kann.10 Solche Erklärungen wurden zum Standard der Bibelauslegung, stießen aber dort auf Widerspruch, wo sie den Eindruck erweckten, Gott könne nur das tun, was er wolle. Das wäre nichts Besonderes, weil es auch ein hinreichend bedürfnisloser Mensch könnte (ζ. B. Diogenes in seinem Faß)." Der 7 8 9 10 11

Johannes Stöhr: Allmacht (Omnipotenz) Gottes. In: HWP 1 (1971) 193-194; Thomas Pröpper: Allmacht Gottes. In: 3 LThK 1 (1993) 412—417. Gen 19,22; Mk 6,5; 2 Tim 2,13. Augustinus: De natura et gratia 7, 8 (ed. Urba-Zycha, 237,15): „potuit, sed noluit". Augustinus: Contra Gaudentium I 30, 35 (ed. Petschenig, 233,24-25): „poterat per potentiam, sed non poterat per iustitiam". Thomas von Aquin: De potentia, qu. 1, art. 7 (ed. Marietti, 22b): „Voluntas sapientis non est de impossibili: unde nullus sapiens vult nisi quod potest; nec tarnen quilibet sapiens est omnipotens"; vgl. Franz von Kutschera: Vernunft und Glaube. Berlin-New York: de Gruyter 1990, 44.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

Kardinal Petrus Damiani (1007-1072) verfocht in seiner Schrift, die herkömmlich unter dem Titel „De divina omnipotentia" zitiert wird, energisch Gottes unbegrenzte Allmacht auch über das, was er nicht will, auch über die Vergangenheit und möglicherweise sogar über das logisch Widersprüchliche.12 Die Ansicht, daß Gott mehr kann, als er tut oder will, wurde im zwölften Jahrhundert von Petrus Abälard (1079-1142) bestritten und durch die Polemik seiner Gegner umso stärker gefestigt. Abälard schien zu lehren, Gott könne nur das tun, was er tue, und nur das unterlassen, was er unterlasse; alles andere widerspräche seiner Güte und Gerechtigkeit. Damit stieß er bei seinen Zeitgenossen auf Widerspruch, der in der Verurteilung mancher seiner Thesen über die göttliche Allmacht durch das Konzil von Sens 1140 endete.13 Seine Argumentation gegen die Abälardsche Ansicht nahm der Pariser Bischof Petrus Lombardus (1095/1100-1160) in die Distinktion 42 seines ersten Buches der Sentenzen auf, die an den europäischen Universitäten im Hochund Spätmittelalter von allen Kandidaten für das Magisterium in einer Vorlesung kommentiert werden mußten. Infolgedessen nahmen alle namhaften Gelehrten dieser Zeit zur Frage Stellung, wie man theologisch richtig sagen könne, Gott könne auch das tun, was er nicht tut. Nachdem der Grundgedanke festgeschrieben war, entwickelte sich seit der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert die Terminologie.14 Gottfried von Poitiers bezog um 1210 erstmals (nach unserem Wissenstand) das Adjektiv „absoluta" auf das Substantiv „potentia". Die Gegenbegriffe zu diesem Ausdruck schwankten noch eine Weile, bis „potentia ordinata" üblich wurde. Diese Begrifflichkeit hatte einflußreiche Gegner, die sie - wie etwa Heinrich von Gent15 (ca. 1217-1293) - nicht auf Gott angewandt wissen wollten. Dennoch setzte sie sich rasch durch. Von Thomas von Aquin (1224/25-1274) wird sie zwar nicht häufig, aber regelmäßig verwendet. Auf eine parallele Entwicklung im Kirchenrecht und ihren Einfluß auf Johannes Duns Scotus (1265/66-1308) komme ich später zurück. So war die Unterscheidung im vier-

12

13

14 15

Petrus Damiani: Lettre sur la Toute-Puissance divine. Hrsg. v. Andre Cantin. Paris 1972 (SC 191). Daß Damiani der Meinung war, Gottes Macht erstrecke sich auch auf das Kontradiktionsprinzip, wurde bestritten von Lawrence Moonan: Impossibility and Peter Damian. In: AGPh 62(1980) 146-163. Verurteilt wurde der Satz: „Quod ea solummodo potest Deus facere, quae facit, vel dimittere, quae dimittit, vel eo modo tantum, vel eo tempore, et non alio" (DH 726); vgl. DH 727: „Quod Deus nec debeat nec possit mala impedire". William J. Courtenay: Capacity and Volition. A History of the Distinction of Absolute and Ordained Power. Bergamo: Lubrina 1990 (Quodlibet 8), 68-74; Moonan: Power, 49-97. Heinrich von Gent: Quodl. XIII, qu. 31 (ed. Hödl-Haverals, 255,7-11); Heinrich von Gent: Quodl. XI, qu. 2 (ed. Badius, fol. 440d); vgl. John Marrone: The Absolute and the Ordained Powers of the Pope. An Unedited Text of Henry of Gent. In: MS 36 (1974) 7-27.

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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zehnten Jahrhundert, als Wilhelm von Ockham sie aufgriff, unter den Theologen allgemein verbreitet und durchaus nicht neu.

2) Die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht bei Wilhelm von Ockham Obgleich zuvor wie danach und in verschiedenen philosophisch-theologischen Strömungen zwischen der absoluten und der ordinierten Macht Gottes unterschieden wurde, ist diese Unterscheidung fur das 14. Jahrhundert und für den Ockhamismus besonders charakteristisch aufgrund des ungewöhnlich häufigen Gebrauchs. Das gilt auch fur Wilhelm von Ockham selbst. Doch fällt auf, daß diese Unterscheidung in den verschiedenen Phasen seiner intellektuellen Entwicklung eine unterschiedliche Rolle gespielt hat. Das soll hier im Zusammenhang mit einem Abriß der Lebensgeschichte des „Venerabiiis Inceptor", soweit sie sich für uns heute noch erschließen läßt,16 dargestellt werden. a) Vor Avignon Der „Venerabiiis Inceptor" wurde um 1285 vermutlich im englischen Dorf Ockham (südwestlich von London) geboren, von dem er den Namen hat. Seine Herkunft und Jugend sind ungewiß. Da er schon als „puerulus" die Suppositionstheorie gelernt haben will,17 ist mit einem frühen Eintritt in den Franziskanerorden zu rechnen, wo sich solche Bildungsmöglichkeiten boten. Daß Ockham ein persönlicher Schüler von Johannes Duns Scotus war, ist unwahrscheinlich.18 Eine Begegnung der beiden großen franziskanischen Gelehrten ist hingegen möglich.19 Das erste gesicherte Datum ist Ockhams Weihe zum Subdiakon in der Pfarrkirche von Southwark in der Diözese Winchester durch den Erzbischof 16

17 18 19

Zur Biographie Ockhams vgl. unter anderem Leon Baudry: Guillaume d'Occam. Sa vie, ses oeuvres, ses idees sociales et politiques. Bd. I: L'homme et son oeuvres. Paris: Vrin 1949 (EPhM 39); Jürgen Miethke: Ockhams Weg zur Sozialphilosophie. Berlin: de Gruyter 1969, 1 136; Jürgen Miethke: Wilhelm von Ockham. In: „Nimm und lies". Christliche Denker von Origenes bis Erasmus von Rotterdam. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1991, 3 0 7 - 3 3 2 ; William J. Courtenay: The Academic and Intellectual Worlds of Ockham. In: The Cambridge Companion to Ockham. Hrsg. v. Paul Vincent Spade. Cambridge: Cambridge University Press 1999, 17-30. S. L. I, cap. 19 (OPh I 66,32-67,34): „Unde et apud antiquos, sicut puerulus didici, supposita termini communis alicuius duplicia sunt, scilicet per se et per accidens". Miethke: Weg, 4f. Man könnte sich höchstens auf den Satz stützen, den Ockham als Beispiel für eine Erinnerung anführt: Rep. IV, qu. 14 (OTh VII 296,4): „audivi Ioannem legere tali die". Courtenay: Worlds, 19.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

von Canterbury, Robert Winchelsey, am 26. Februar 1306. Zu diesem Zeitpunkt gehörte er dem Franziskanerorden an. Am 19. Juni 1318 stand sein Name auf einer Liste von Franziskanern, fur die vom Bischof von Lincoln, Johannes Dalderby, die Erlaubnis zur Spendung des Bußsakraments erbeten wurde. 1317-19 hielt er in Oxford die für künftige Theologieprofessoren obligatorische Vorlesung über die vier Sentenzenbücher des Petrus Lombardus. Danach hielt er sich in London (oder Reading) auf, wo in rascher Folge Aristoteleskommentare, der „Tractatus de praedestinatione", die „Summa logicae" und die sieben Quodlibeta entstanden. Vielleicht kehrte Ockham danach nochmals für kurze Zeit nach Oxford zurück. 20 Von Anfang an kennt und verwendet Ockham die Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata". Er übernimmt sie als ein allgemein akzeptiertes begriffliches Instrument und gebraucht es unhinterfragt. Öfter als seine Vorgänger wendet er es zur Beantwortung theologischer und philosophischer Fragestellungen an. Für wie selbstverständlich er die Begrifflichkeit erachtet, zeigt sich daran, daß er sie in dieser ersten Phase seines Wirkens nicht erklärt, obwohl er sie so häufig verwendet. Das fällt besonders in der dreiundvierzigsten Distinktion des Kommentars zum ersten Buch der Sentenzen auf. Darin setzt sich Petrus Lombardus kritisch mit Petrus Abälard auseinander. Diese Kontroverse hat zur Herausbildung der Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Macht Gottes wesentlich beigetragen. Sachlich geht es darin um die Frage, ob Gott auch das tun kann, was er nicht will und nicht tut. Duns Scotus trägt dem historischen Zusammenhang Rechnung, indem er in seiner „Ordinatio" in diesem Kontext die Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" vorstellt und ausführlich erklärt.21 Ockham setzt sich an derselben Stelle wortreich mit dem antiken Nezessitarismus samt den Gegenargumenten von Thomas und Scotus auseinander, erwähnt aber die Unterscheidung von ordinierter und absoluter Macht Gottes mit keinem Wort. 22 Mit den Jahren treten neben den einfachen Gebrauch der Unterscheidung immer ausführlichere Reflexionen zu ihrem Sinn. Das läßt sich gut anhand von Stellungnahmen zur Frage zeigen, ob Gott einen Menschen auch ohne Gnadenhabitus, ohne „Caritas creata", retten könne. Diese Frage hat Ockham während seiner akademischen Tätigkeit mehrfach behandelt, doch immer mit

20 21 22

Miethke: Wilhelm, 312. Scotus: Lect. I, dist. 44, qu. un. (Vat. XVII 535-536); (Vat. VI 3 6 3 - 3 6 9 ) . Ord., dist. 43, qu. 1 (OTh IV 6 2 2 - 6 4 0 ) .

Scotus:

Ord. I,

dist. 44,

qu. un.

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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der Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" gelöst. Die wahrscheinlich frühesten Ausführungen dazu druckt die kritische Ockham-Ausgabe als erste der „Quaestiones variae" ab. Der Herausgeber vermutet darin eine Quästion aus der „Reportatio" (d. h. autorisierten Vorlesungsmitschrift) zum ersten Buch der Sentenzen, die durch die „Ordinatio" verdrängt und daher leider verloren ist.23 Darin gibt Ockham die Antwort, Gott könne einen Menschen „de potentia absoluta" ohne „Caritas creata" retten, „de potentia ordinata" jedoch nicht.24 Dabei spricht er von der „potentia absoluta", ohne jemals die Widerspruchsfreiheit zu erwähnen, und von der „potentia ordinata", ohne etwas von „leges" oder einer „ordinatio" zu sagen. Er setzt also eine theologisch gebildete Hörerschaft voraus, die mit der Unterscheidung vertraut ist, und ihre hinreichende Akzeptanz unter den Theologen, sodaß er sie nicht gegen mögliche Einwände verteidigen muß. Die gleiche Frage taucht wieder in der überarbeiteten Fassung des Sentenzenkommentars auf, der „Ordinatio". Die Antwort ist die gleiche wie schon zuvor, doch wird die „potentia absoluta" auf die Widerspruchsfreiheit hin präzisiert,25 die „potentia ordinata" hingegen auf die von Gott erlassenen Gesetze bezogen. 26 Außerdem erwähnt Ockham, daß Gott alles, was er tun kann, auch entsprechend anordnen kann,27 als wolle er schon hier das spätere Mißverständnis vermeiden, Gott täte manches „inordinate". Obwohl die „Summa logicae" keine theologische Schrift ist, richtet sie sich doch an Theologen, weshalb Ockham darauf bedacht ist, theologische Fragen als Beispiele zu wählen.28 Der letzte Teil der Schrift behandelt im Anschluß an Aristoteles die Widerlegung von Fehlschlüssen.29 Als Beispiel für die Doppeldeutigkeit von Sätzen (Amphibolie) bringt Ockham das Beispiel: „Gott kann jemanden durch seine absolute Macht ohne Gnade retten, aber nicht durch seine ordinierte Macht". Das ist genau die Antwort auf die Frage, die er im Anschluß an Petrus Lombardus schon behandelt hat. Ockham er23 24 25

OTh VIII 10*. Qu. var., qu. 1 (OTh VIII 17,338-24,537). Ord., dist. 17, qu. 1 (OTh III 455,12-16): „nulla forma, nec naturalis nec supematuralis, potest Deum sie necessitare quin non includat contradictionem quod talis forma quaecumque praevia beatitudini sit in anima, et tarnen quod Deus numquam velit sibi conferre vitam aeternam".

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Ord., dist. 17, qu. 1 (OTh III 455,17-18): „quamvis de potentia ordinata aliter non potest facere propter leges voluntarie et contingenter a Deo ordinatas". Ord., dist. 17, qu. 1 (OTh III 453,17-18): „Sed quidquid potest Deus facere, potest disponere et ordinäre". S. L., Epistola prooemialis (OPh I 6,21-28). Einen Überblick über Aufbau und Inhalt dieser Schrift gibt Peter Schulthess: Wilhelm von Ockham: Summa logicae. In: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie: Mittelalter. Hrsg. v. Kurt Flasch. Stuttgart: Reclam 1998, 4 0 2 ^ 4 6 .

27 28 29

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

greift die Gelegenheit, um in diesem Kontext der Logik ein mögliches Mißverständnis zu entkräften. Wird der Satz wörtlich verstanden, als gäbe es in Gott zwei Mächte mit verschiedener Reichweite, ist er falsch. Wird er hingegen so verstanden, daß Gott einen Menschen ohne Gnade annehmen kann, weil dies keinen Widerspruch enthält, daß er jedoch beschlossen habe, dies niemals zu tun, ist der Satz richtig. 30 Bemerkenswert ist hieran weniger, daß Ockham implizit eine Erklärung der doppelten Macht Gottes gibt - das hat er, wenngleich noch kürzer, schon in der Ordinatio getan - , als daß er erstmals ausdrücklich vor einem Fehlschluß in dieser Materie warnt. Ein letztes Mal hat sich Ockham im sechsten Quodlibet zur Frage geäußert, ob ein Mensch ohne Gnade gerettet werden kann. Hier erklärt er sich in seinem akademischen Werk am ausführlichsten zur Unterscheidung. Bevor er nämlich die Frage in der gleichen Weise wie schon zuvor beantwortet, schickt er einen „articulus" voraus, in dem er die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht erstens gegen ein Mißverständnis schützen, zweitens erklären und drittens beweisen will. 31 Nähere Ausführungen zu diesem bekannten Text werden folgen. Auffällig ist wiederum der Versuch, einem falschen Verständnis der Unterscheidung vorzubeugen. Dieses befürchtete Mißverständnis ist dem Fehlschluß ganz ähnlich, den Ockham in der „Summa logicae" widerlegt hat; er besteht nämlich in der irrigen Annahme, Gott könne „inordinate" handeln. Der Überblick über diese vier verschiedenen Stellungnahmen zur selben Frage zeigt, daß Ockhams Erklärungen zur Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" immer ausführlicher werden. Dies läßt sich nicht einfach durch ein vertieftes Verständnis infolge gründlicherer Überlegungen erklären. Vielmehr legen die betonte Abwehr eines möglichen Mißverständnisses nahe, daß Ockham mit einem falschen Verständnis rechnet, ihm wohl auch selbst in seiner akademischen Tätigkeit begegnet ist und vielleicht in diesem Zusammenhang Kritik an der eigenen Auffassung erfahren hat. Allerdings ist von einer Kritik, die sich direkt an Ockhams Auffassung von der „potentia absoluta" bzw. der „potentia ordinata" Gottes gerichtet hätte, für die damalige Zeit nichts bekannt. (Auch für später ist ein klarer Nachweis schwierig.) Daß allerdings manche Schlüsse, die Ockham aus der Lehre von der absoluten Macht Gottes zieht, auch mit anderen Mitteln als denen der akademischen Diskussion kritisiert worden sind, ist seit einigen Jahren bekannt. Im Jahre 1323, also ein Jahr, bevor ein Häresieprozeß in Avignon Ockhams 30 31

S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 779,232-780,242). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 585,13-586,39).

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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vielversprechende akademische Karriere jäh beendete, trat in Cambridge ein Provinzkapitel der Magistri aus dem Franziskanerorden zusammen, stellte eine Liste von Thesen Ockhams zusammen und forderte ihren Urheber auf, sich zu seiner Auffassung der Relation zu äußern.32 Anscheinend traten Zweifel an der Rechtgläubigkeit der Ockhamschen Relationslehre auf, die eng mit Glaubensfragen wie der Trinität, Schöpfung und Eucharistie33 zusammenhängt und infolgedessen leicht dogmatische Bedenken erregen kann. Zum Ausgang der Ereignisse ist nichts bekannt; sie wurden jedenfalls bald durch Johannes Luttereis (gest. 1338) Anklage gegen Ockham an der Kurie in den Schatten gestellt. b) In Avignon Ockham wurde vorzeitig aus seinem universitären Wirken herausgerissen. Er wurde niemals Magister oder Doktor der Theologie, sondern blieb nur „Inceptor". Seine Anhänger gaben ihm immerhin den ehrenden Beinamen „Venerabiiis Inceptor". Erst später wurde er polemisch gegen Duns Scotus, den „Doctor subtilis", ausgespielt und „Doctor plus quam subtilis" genannt. Als Ockham alle Vorbedingungen erfüllte und als Magister der Theologie zugelassen werden sollte, erschien Johannes Lutterei, der kurz zuvor (nämlich 1322) durch den Bischof von Lincoln vom Amt des Kanzlers der Universität Oxford abgesetzt worden war, mit einem „Libellus contra doctrinam Guillelmi Occam" in Avignon und strengte an der päpstlichen Kurie einen Häresieprozeß gegen Wilhelm von Ockham an.34 Aus diesem Grund verbrachte dieser die Jahre 1324-28 in Avignon35 und war hauptsächlich mit seinem Verfahren 32 33 34

35

Girard J. Etzkom: Ockham at a Provincial Chapter: 1323. A Prelude to Avignon. In: AFH 83 (1990) 5 5 7 - 5 6 7 . Gegen eine Engführung auf die Eucharistielehre wendet sich Leppin: Wahrheit, 261, Anm. 29. Zu den näheren Umständen vergleiche Francis E. Kelley: Ockham: Avignon, before and after. In: From Ockham to Wyclif. Hrsg. v. Anne Hudson und Michael Wilks. [Papers presented to a conference held at the Queen's College, Oxford, Apr. 15-19, 1985] Oxford: Basil Blackwell, published for The Ecclesiastical History Society 1987 (SCH(L)S 5), 1-18. Courtenay: Worlds, 24 vermutet in Johannes Reading den Ankläger Ockhams. Nach Ockhams Flucht 1328 spricht Papst Johannes XXII. in einem Brief von einer „inquisitio" gegen Ockham, die schon mehr als ein Jahr laufe. George Knysh nimmt dies als Beleg dafür, daß Ockham ursprünglich nicht seines Häresieverfahrens wegen nach Avignon gekommen sei, sondern als angesehener Lehrer an der Hochschule des Franziskanerordens im Umfeld der päpstlichen Residenz. Vgl. Yurij [bzw. George] Dmytro Knysh: Biographical Rectifications concerning Ockham's Avignon Period. In: FrS 46 (1986) 6 1 - 9 2 ; ders.: Ockham perspectives. Winnipeg (Manitoba). The Ukrainian Academy of Arts and Sciences in Canada ( U V A N ) 1994. Dagegen wendet Jürgen Miethke ein, daß der Ausdruck „inquisitio" vieldeutig ist und nicht unbedingt ein vollständiges Inquisitionsverfahren bezeichnen muß, sondern auch für eine „Befragung" oder „Untersuchung" innerhalb eines größeren Verfahrens gebraucht wird (Jürgen

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

beschäftigt, ehe ihn sein Ordensgeneral Michael von Cesena (gest. 1342) in den Armutsstreit zwischen Papst Johannes XXII. (1244-1334, Papst ab 1316) und dem Franziskanerorden hineinzog.36 In Avignon war Ockham also hauptsächlich mit seinem Prozeß beschäftigt, jedoch nicht ausschließlich. Nebenher fand er auch Zeit, seine Quodlibeta zur Publikation zu überarbeiten. Daher ist nicht auszuschließen, daß der „articulus" über Gottes „potentia absoluta" und „potentia ordinata" erst in Avignon entstanden ist. Der Herausgeber der Quodlibeta läßt diese Frage offen. Zwar verweist er auf ein theologisches Gutachten im Prozeß gegen Ockham, das feststellt, dieser könne seine falsche These nicht durch die Einfügung der Klausel „per potentiam absolutam" retten, was zur Deutung verlockt, Ockham habe die Erklärung zur absoluten Macht Gottes hinzugefügt, um Zweifel an seiner These auszuräumen.37 Doch da diese Deutung nicht zwingend ist, die Kommission vielmehr allem Anschein nach Ockhams Bestreitung der Notwendigkeit des Gnadenhabitus, nicht seinen Gebrauch der theologischen Unterscheidung beanstanden wollte,38 läßt der Herausgeber zurecht die Frage unentschieden, wo der fragliche Passus entstanden ist. Miethke: Ockham-Perspektiven oder Engführung in eine falsche Richtung? Eine Polemik zu einer neueren Publikation zu Ockhams Biographie. In: MLJb 29/1 (1994) 61-82; vgl. auch William J. Courtenay: Ockham, Chatton, and the London Studium: Observations on Recent Changes in Ockham's Biography. In: Die Gegenwart Ockhams. Hrsg. v. Wilhelm Vossenkuhl und Rolf Schönberger. Weinheim: VCH Acta humaniora 1990, 327-337, 327f). Miethke ist hier recht zu geben. Daß die Ereignisse so abgelaufen sind, wie Knysh sie sich vorstellt, ist zwar möglich, wenigstens „de potentia Dei absoluta". Doch „frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora": Wenn sich die Äußerung des Papstes also auf ein Stadium eines Prozesses beziehen kann, der historisch bezeugt ist, ist es überflüssig, auch noch eine Franziskanerhochschule zu postulieren, von der es sonst keinerlei Zeugnisse gibt. 36

Zum sogenannten „theoretischen Armutsstreit" vgl. Miethke: Weg, 348-427; Ulrich Horst: Evangelische Armut und päpstliches Lehramt. Minoritentheologen im Konflikt mit Papst Johannes XXII. (1316-1334). Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996 (MKHS 8). Eine knappe Zusammenfassung der dramatischen Ereignisse bieten Gedeon Gäl: The Chronicle of Nicolaus Minorita. In: Editori di Quaracchi 100 dopo. Bilancio e prospettive. Atti del Colloquio Internazionale, Roma 29-30 maggio 1995, Scuola Superiore di Studi Medievali e Francescani, Pontifica Ateneo Antonianum. Hrsg. v. Alvaro Cacciotti und Barbara Faes de Mottoni. Roma: Edizioni Antonianum 1997 (Medioevo 3), 337-344; Andrö Goddu: William of Ockham. In: The History of Franciscan Theology. Hrsg. v. Kenan Β. Osborne. St. Bonaventure, New York: The Franciscan Institute 1994, 231-310, 281-289.

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OTh IX 29* unter Verweis auf Josef Koch: Neue Aktenstücke zu dem gegen Wilhelm Ockham in Avignon geführten Prozeß. In: RThAM 7 (1935) 353-380; 8 (1936) 79-93 und 168-197, 85b, 33-36: „Nec potest excusari per illam additionem, quam ponit ,de potentia Dei absoluta', quia argumentum suum eque procedit absque ilia conditione sicut cum illa". Eugenio Randi: II sovrano e l'orologiaio. Due immagini di Dio nel dibattito sulla „potentia absoluta" fra XIII e XIV secolo. Firenze: Nuova Italia 1987 (PFLFM 121. Sezione a cura del Dipartimento di Filosofia 11), 114f; Courtenay: Capacity, 124-126. Ohne ausreichenden Beleg hingegen David W. Clark: Ockham on Human and Divine Freedom. In: FrS 38 (1978) 122-160,

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Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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Auch eine spätere Bemerkung, die Ockham in München gemacht hat, schafft keine Klarheit. Im „Opus nonaginta dierum" wirft Ockham Papst Johannes XXII. vor, die absolute Macht Gottes zu leugnen, und erwähnt in diesem Zusammenhang, daß der Papst jemanden „wegen dieser Unterscheidung und dem, was hauptsächlich aus ihr folgt, bitter verfolgt." 39 Dem Charakter der Schrift entsprechend, wird kein Name genannt. Im „Tractatus contra Benedictum" behauptet Ockham sogar, Johannes XXII. habe im Zusammenhang mit der Unterscheidung jemanden, der seiner Meinung widersprochen habe, einen Häretiker genannt.40 Auch hier fällt kein Name, doch wird oft vermutet, Ockham spreche an beiden Stellen von sich selbst.41 Das mag stimmen, denn immerhin ist der Singular „quendam" im „Opus nonaginta dierum" auffällig, wo von den „impugnatores" immer im Plural gesprochen wird.42 Dennoch läßt sich diese kurze Anmerkung nicht so deuten, als wäre es beim Verfahren gegen Ockham vor allem um das richtige Verständnis der Allmacht Gottes gegangen. Die Lehre von der „potentia absoluta" ist vielmehr in den Prozeßakten, soweit sie erhalten sind, kein wichtiges Thema. Sollte also Ockham im „Opus nonaginta dierum" von seinem eigenen Prozeß gesprochen haben und nicht von anderen theologischen Kontroversen, kann es dort nicht um die „potentia absoluta" selbst gegangen sein, sondern höchstens um das, was aus der Lehre von ihr folgt. Ein Argument dafür, daß die Erklärung der absoluten und ordinierten Macht auf die Redaktion der Quodlibeta in Avignon zurückgeht, läßt sich daraus nicht gewinnen. Ausschließen läßt sich die Möglichkeit, daß jener Passus eine Reaktion auf in Avignon erhobene Kritik darstellt, gleichfalls nicht.

c) Nach Avignon 1328, also vier Jahre nach seinem Beginn, war der Prozeß gegen Ockham immer noch nicht entschieden. Manch anderes hatte sich freilich inzwischen getan. Michael von Cesena, der Ordensgeneral der Franziskaner, war am 1. Dezember 1327 an der Kurie erschienen und hatte sich bald mit dem Papst

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160: "It is an historical fact, though, that the Avignon committee decided the negotiations between God's absolute and ordained will to be dangerous". Op., cap. 95 (OPol II 719,137-139): „Unde quendam istorum impugnatorum propter illam distinctionem et ilia, quae sequuntur ex ipsa principaliter, acerbe prosequitur". Tr. Ben. Ill 3 (OPol III 233,15-17): „Quare non omnia de necessitate eveniunt, ut publice praedicavit et docuit Ioannes XXII, appellans quendam tenentem contrarium propter hoc haereticum". Eugenio Randi: Ockham, John XXII. and the Absolute Power of God. In: FrS 24 (1986) 2 0 5 216, 207; Randi: Sovrano, 114. Miethke: Weg, 153, Anm. 59.

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I. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

über das Verständnis der franziskanischen Armut zerstritten. Ockham wurde von seinem General mit der Prüfung der päpstlichen Ansichten beauftragt und kam zu dem Ergebnis, der Papst sei ein Häretiker. Infolge der Verhärtung der Positionen flohen Michael von Cesena, Wilhelm von Ockham und drei weitere Franziskaner am 26. Mai 1328 aus Avignon, erreichten ein Schiff und entkamen nach Italien. Zwar wurde Ockham mit seinen Gefährten am 20. Juni desselben Jahres vom Papst exkommuniziert, doch der Prozeß gegen ihn blieb unvollendet. Ockham ist bis heute nicht kirchlich verurteilt. In Pisa trafen die Flüchtlinge Ludwig den Bayern (1281/82-1347), der 1314 in zwiespältiger Weise zum deutschen König gewählt worden war, sich politisch gegen seinen Konkurrenten Friedrich von Habsburg (1289-1330) durchgesetzt hatte, doch vom Papst nicht anerkannt wurde. Ludwig kehrte gerade von seinem Zug nach Rom zurück, wo er sich gegen das Verbot des Papstes von einem Vertreter der römischen Bevölkerung (statt von einem Kardinallegaten) zum Kaiser hatte krönen lassen. Der politische Feind und der theologische Gegner des Papstes taten sich zusammen. Wie einige andere Gelehrte, darunter Marsilius von Padua (geboren um 1290, gestorben vor 1343) und Johannes von Jandun (1280/85-1328), lebte Ockham von 1330 bis zu seinem Tod in München im Umfeld des kaiserlichen Hofes und verfaßte polemische Schriften gegen Johannes XXII. und seinen Nachfolger Benedikt XII. (1285-1342, Papst seit 1334) sowie politische Werke über das rechte Verhältnis von Staat und Kirche. Die Ereignisse von Avignon bedeuten einen Einschnitt im Leben Ockhams und teilen sein Leben in zwei Perioden, deren Schriften sich nach Form und Inhalt deutlich voneinander unterscheiden. Die akademischen Schriften über Philosophie und Theologie, die aus der Zeit vor Avignon stammen, stehen den publizistischen Schriften über weltliche und kirchliche Politik gegenüber, die in München verfaßt wurden. Diese Unterschiede ergeben sich aus den verschiedenen Absichten und den gewandelten Umständen ihrer Abfassung. Das Denken Ockhams selbst blieb jedoch im wesentlichen denselben Prinzipien wie zuvor verpflichtet. Ockham hat sich in neue Gebiete vertieft, aber nicht gezögert, sein altes Wissen einzusetzen, wo es ihm nützlich schien. In seinen publizistischen Schriften verwendet er die Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Macht Gottes nur ein einziges Mal.43 Sein in 43

III Dial. I iii, cap. 1 (ed. Goldast 819,24-29): „Discipulus. Quamvis regulariter minime expediret totam universitatem fidelium uni capiti fideli sub Christo subesse: tarnen videtur, quod nullus catholicus debeat dubitare, quin pro necessitate temporis, vel propter excellentiam beati Petri, vel ex alia causa speciali nobis fortasse ignota, aut de potentia absoluta, Christus potuit constituere beatum Petrum caput, principem et praelatum aliorum Apostolorum et universalium fidelium. Ideo specialiter nunc scrutemur, an de facto Christus tantam beato Petro contulit digni-

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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theologischen Fragen so häufig gebrauchtes begriffliches Instrument eignet sich nicht fur die neuen Disziplinen, die Ockham bearbeitet, und den neuen Leserkreis, für den er schreibt. Während Ockham in seiner akademischen Phase die Begrifflichkeit von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" häufig gebraucht, aber nur spät und kurz erklärt hat, gebraucht er sie in den publizistischen Schriften nicht, erklärt und verteidigt sie aber an zwei Stellen vergleichsweise ausfuhrlich. Das kommt daher, daß die inzwischen unter den Theologen allgemein anerkannte Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht auf Widerspruch von höchster Stelle stieß. Papst Johannes XXII. war zwar Doktor beider Rechte, hatte aber sein Theologiestudium ohne Titel beendet 44 und neigte am Ende seines Lebens zu theologischen Sondermeinungen, die er hartnäckig mit der Autorität seines hohen Amtes vertrat. Bekannt ist seine Ansicht, die Seelen der Heiligen schauten Gott nicht sogleich nach ihrem Tod, sondern hätten erst das Jüngste Gericht abzuwarten, ein Theologumenon, das Johannes auf das Drängen der Theologen hin auf dem Totenbett halbherzig widerrief und das sein Nachfolger Benedikt XII. revidierte. Nach Ockhams Angaben hat der Papst schon vor späteren diesbezüglichen Predigten die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht mündlich bestritten.45 Öffentlich äußerte er sich in der Frage erstmals in einer Predigt, die nach dem einleitenden Bibelvers „Tulerunt iusti spolia tatem" (Hervorhebung H. Sch.). Diese Stelle übersieht Randi: Sovrano, 89; Randi: Ockham, 211.

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Louis Duval-Arnould: Jean XXII. In: Dictionnaire Historique de la Papaute. Hrsg. v. Philippe Levillain. Fayard 1994, 943-947, 944. Ockham scheut sich nicht, auf die mangelnden theologischen, philosophischen und logischen Kenntnisse des Papstes hinzuweisen; vgl. Op., cap. 71 (OPol II 596,97-110); Tr. Joh., cap. 15 (OPol III 74,3-4). Op., cap. 95 (OPol II 719,132-133). Unter den „impugnatores", die sich als Ohrenzeugen solcher Äußerungen des Papstes ausgeben, sind im „Opus nonaginta dierum" in der Regel die Mitglieder der Gruppe um Michael von Cesena zu verstehen. Es mag sein, daß Ockham mit dieser Formulierung andeutet, er selbst habe von Johannes XXII. die Äußerung gehört, die er anschließend angreift. Wo und in welchem Zusammenhang dies geschehen ist, muß offen bleiben. Klaus Bannach behauptet, indem er diese Stelle deutet, der Papst habe die strittige Äußerung „im Privatgespräch" gemacht (Klaus Bannach: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung. Wiesbaden: Steiner 1975 (VIEG 75), 21). George Knysh hingegen spricht von „consistorial debates", scheint also den Rahmen eines offiziellen Konsistoriums der Kardinäle vorauszusetzen (Knysh: Perspecives, 62, Anm. 64). Aus dem Text geht das eine sowenig wie das andere hervor, sondern nur, daß die Äußerung mündlich erfolgt ist und vermutlich in einer weniger öffentlichen Form als der Predigt. Anders als Klaus Bannach es darstellt (Bannach: Lehre, 21), behauptet Ockham nur, der Papst habe seine Ansicht in Predigten geäußert, nicht auch, daß die „impugnatores" diese Predigten „mit eigenen Ohren" gehört hätten (Op., cap. 95 (OPol II 719,132-133)). Angesichts der spärlichen und wenig konkreten Angaben, die Ockham macht, ist dies im Gegenteil für die Predigten unwahrscheinlich (anders für die weniger öffentlichen Äußerungen des Papstes).

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

impiorum" (Weish 10,20 nach der Zählung der Septuaginta, Sap. 10,19 nach der Vulgata) genannt wird.46 Im Gegensatz zu manch anderen Predigten dieses Papstes ist sie verloren. Der relevante Abschnitt ist jedoch in der „Chronica" eines ansonsten unbekannten Nikolaus Minorita zitiert,47 die vermutlich eine Materialsammlung der Münchner Franziskaner über den Streit ihres Ordens mit Johannes XXII. bildete. Von dort hat wohl auch Ockham das Zitat in seinen „Tractatus contra Benedictum" übernommen. 48 Nach den Angaben des Minoriten Nikolaus wurde die Predigt öffentlich anläßlich eines Sieges des kastilischen Königs gegen die Sarazenen gehalten,49 was die Datierung auf 1330 ermöglicht. Die Ausplünderung der Ägypter durch die Israeliten, auf die sich die Schriftstelle bezieht, mag der Papst als Parallele zum geschichtlichen Anlaß der Predigt gemeint haben; sie dient in der theologischen Literatur jedoch auch als Musterbeispiel für die Macht Gottes über die Moral. 50 Im „Opus nonaginta dierum", das der „Venerabiiis Inceptor" so nannte, weil er diese ziemlich umfangreiche Schrift um 1332 in nur neunzig Tagen vollendet hatte,51 zitiert und kommentiert Ockham Abschnitt für Abschnitt die ganze Bulle „Quia vir reprobus", in der Johannes XXII. in einem fur einen Papst ungewöhnlichem Ausmaß inhaltlich auf die Vorwürfe Michaels von Cesena eingeht. In der Frage, ob Christus auf Erden arm gewesen sei, behauptet Johannes nicht nur, daß Christus vielmehr König und Herr gewesen sei, sondern auch, daß er auf sein Königtum nicht habe verzichten können, weil er sonst gegen die Anordnung („ordinatio") Gottes des Vaters gehandelt hätte.52 An dieser knappen Bemerkung entzündet sich Ockhams ausfuhrliche Polemik. Das Stichwort „ordinatio" liefert ihm die Gelegenheit, auf die „potentia ordinata" und damit auch die „potentia absoluta" einzugehen. Er hat von Predigten erfahren, in denen der Papst diese Unterscheidung öffentlich bestritten hat, 53 bringt aber kein Zitat und nennt keinen Titel. Dieser Umstand weckt den 46

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Eugenio Randi: La Vergine e il Papa. Potentia Dei absoluta e plenitudo potestatis papale nel XIV secolo. In: History of Political Thought 5 (1984) 4 2 5 - 4 4 5 , 427, liest - entgegen dem biblischen Text - „ipsi" statt „iusti"; anders Eugenio Randi: II rasoio contra Ockham? Un sermone inedito di Giovanni XXII. In: Medioevo 10 (1983) 179-180. Nicolaus Minorita: Chronica (ed. Gäl-Flood, 8 8 1 - 8 8 2 ) . Zu dieser Schrift vgl. Gal: Chronicle. Tr. Ben. III 3 (OPol III 230,25-231,29). Nicolaus Minorita: Chronica, 881: „Item, in alia praedicatione quam fecit publice de victoria regis Castellae contra Saracenos, assumpto temate [Sap. 10,19] Tulerunt iusti spolia impiorum ...". Vgl. Ord., dist. 47, qu. un. (OTh IV 6 8 5 , 8 - 1 2 ) . Vgl. Op., cap. 124 (OPol II 8 5 7 , 4 5 9 ^ 6 0 ) . Op., cap. 95 (OPol II 715,11-12): „Ex quibus evidenter apparet ipsum [seil. Christum] regno et dominio non renuntiasse praedictis; immo videtur quod non potuerit renuntiare, et si fecissest, contra ordinationem Patris fecisset". Op., cap. 95 (OPol II 7 1 9 , 1 3 3 - 1 3 4 ) .

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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Verdacht, daß Ockhams Informationen über die neuesten Entwicklungen in Avignon zu diesem Zeitpunkt nur vage und ungenau waren. Dennoch scheut er sich nicht, diese Ansicht wie so manche andere auch dem Papst als Ketzerei vorzuwerfen und zugunsten seiner Partei polemisch zu verwenden. Daß der Papst die Unterscheidung nicht genau in der Form kritisiert, die Ockham verteidigt,54 hat wohl mit Ockhams oberflächlicher Information und polemischer Absicht zu tun. Mit der Leugnung der Unterscheidung, so wirft Ockham Johannes XXII. vor, lehre er implizit die abscheuliche Irrlehre, daß alles, was geschieht, mit Notwendigkeit geschehe.55 Ockham schließt eine ausfuhrliche Widerlegung dieser These und eine Erläuterung zum richtigen Verständnis von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" an und gibt gegen Ende jedermann, der in Logik und Theologie nicht glänzend unterwiesen ist - womit er anscheinend auch den Papst meint - den Rat, sich beim strittigen Thema auf den Sprachgebrauch der Heiligen Schrift zu beschränken und ansonsten zu schweigen. 56 Ockham spricht zwar im Plural von „Predigten"57, in denen Johannes XXII. die verketzerte Lehre vertreten haben soll, fuhrt aber niemals eine andere an als „Tulerunt iusti spolia impiorum". Vermutlich wußte er nichts von einer anderen Predigt,58 in der der Papst seine Meinung bekräftigte und sich gegen Kritik verteidigte. Im Vergleich zu Ockham sind wir heute in einer besseren Lage, denn Eugenio Randi hat den Text der Predigt des Papstes über den Psalmvers „Deus autem rex noster ante secula operatus est salutem in medio terre" (Ps 74,12 nach hebräischer Zählung; Ps 73,12 nach Septuaginta und Vulgata) veröffentlicht. 59 Gehalten wurde sie am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung. Das Jahr ist unsicher, doch vermutet der Herausgeber 1333. Für uns ist dieser Text wichtig, weil wir den vollständigen Wortlaut haben, nicht nur eine zu polemischen Zwecken zitierte Passage und weil der Prediger auf kritische Reaktionen auf seine früheren Äußerungen zum Thema eingeht.

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Randi: Sovrano, 86. Op., cap. 95 (OPol II 719,145-146). Das ist eine jener 219 Thesen, die Etienne Tempier, der Bischof von Paris, am 7. März 1277 verurteilt hat; vgl. Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277. Das Dokument des Bischofs von Paris. Eingel., übers, und erklärt v. Kurt Flasch. Mainz: Dietrich 1989 (ExCl 6), 117. Schon in seiner akademischen Phase hat Ockham die aristotelische Widerlegung einer solchen Ansicht kommentiert; vgl. In Per. I, cap. 6, §12 (OPh 11419,7-18).

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Op., cap. 95 (OPol II 728,494-496). Op., cap. 95 (OPol II 719,133). Miethke: Weg, 148, Anm. 39. Randi: rasoio.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

Wie zuvor bestreitet der Papst, daß sich die Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" auf Gott anwenden lasse, wobei er zwei verschiedene Fassungen der Unterscheidung anfuhrt.60 Auch will der Papst Thomas von Aquin, den er sehr verehrt und selbst heiliggesprochen hat, der jedoch die von Johannes abgelehnte Unterscheidung ausdrücklich verwendet und wohl nicht nur von Ockham61 als Kronzeuge gegen den Papst angeführt wurde, in seinem Sinn interpretieren.62 Wenn Ockham später die Irrtümer des Papstes Johannes zusammenstellt, fehlt zwar die Leugnung der Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Macht Gottes nicht, wohl aber die ausführliche Auseinandersetzung mit dieser These. In der „Epistula ad Fratres Minores", die er an das 1334 in Assisi versammelte Generalkapitel des Franziskanerordens richtet, um sein Verhalten zu rechtfertigen, zählt er unter den Häresien, die Johannes XXII. in seinen Predigten vertreten habe, die Leugnung der Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht an zweiter Stelle auf.63 Im ersten Teil des „Dialogus" schreibt Ockham dem Papst die Ansicht zu, daß alles aus Notwendigkeit geschehe, erwähnt in diesem Zusammenhang die Bulle „Quia vir reprobus" und den Angriff auf die theologische Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata".64 Im „Tractatus contra Ioannem" von 1335 kann er eine bestimmte Predigt nennen, in der Johannes XXII. die zu beanstandende Lehre vertreten habe, nämlich „Tulerunt iusti spolia impiorum", jedoch nur vom Hörensagen. Auch bringt er keine Zitate. Daneben beruft er sich auf die Bulle „Quia vir reprobus".65 Der „Tractatus contra Ioannem" ist die letzte große Abrechnung Ockhams mit den angeblichen Irrtümern Johannes XXII. und schon nach dessen Tod am 4. Dezember 1334 verfaßt. Zwar finden sich auch in späteren Werken ver60 61 62 63

Randi: Rasoio, 191. Op., cap. 95 (OPol II 7 2 2 , 2 4 2 - 2 4 3 ; 724,340-341). Randi: Rasoio, 194f. Ep. (OPol III 14,22-26): „Secunda est: Quod Deus nihil potest facere de potentia absoluta, nisi quod facit de potentia ordinata; et quod contradictionem includit, quod Deus aliud vel aliter facit, quam facit, et quod omnia de necessitate eveniunt, ita quod contradictionem includit, quod aliquid facit, quod praeordinatum a D e o non füerit".

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I Dial, ν, cap. 2 (ed. Miethke, 36): „Propter hoc etiam distinctionem theologorum de potentia dei absoluta et ordinata impugnat". Zur Interpretation des Dialogus vgl. Dirk Lüddecke: Veritas exagitata. Überlegungen zu Ockham politischer Lehre und ihrer Darbietung im „Dialogus". In: Gespräche lesen. Philosophische Dialoge im Mittelalter. Hrsg. v. Klaus Jacobi. Tübingen: Narr 1999, 3 2 3 - 3 4 7 .

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Tr. Joh., cap. 22 (OPol III 88,14-18): „Octavus error est: Quod Deus de potentia absoluta non potest aliud nec aliter facere quam fecit, et quod omnia de necessitate eveniunt. Quem errorem praedicavit, ut dicitur, in sermone qui incipit Tulerunt iusti spolia impiorum, etc. Hic error ex his, quae dicit in constitutione Quia vir reprobus, sequitur evidenter".

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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gleichbare Irrtumslisten, deren praktische Bedeutung jedoch stark eingeschränkt ist. Nochmals eine ausfuhrliche Auseinandersetzung mit der päpstlichen Kritik an der Unterscheidung von Gottes absoluter und ordinierter Macht bringt Ockham im „Tractatus contra Benedictum", der sich gegen den Nachfolger Johannes XXII., Benedikt XII., richtet und von ihm verlangt, sich von den angeblichen Irrtümern seines Vorgängers zu distanzieren. Das betrifft auch die Kritik Johannes XXII. an der Lehre von Gottes „potentia absoluta" und „potentia ordinata". Daß Benedikt XII., der im Gegensatz zu seinem Vorgänger erhebliche theologische Bildung besaß, die theologische Unterscheidung ablehnte, ist unwahrscheinlich; doch darauf kam es Ockham wohl auch nicht an, dem selbst die Klarstellung Benedikts zur Lehre vom Zustand der Seelen zwischen individuellem Tod und allgemeinem Gericht nicht weit genug ging.66 Inhaltlich geht der „Tractatus contra Benedictum" nicht weit über das „Opus nonaginta dierum" hinaus. Er zeichnet sich jedoch durch ein längeres Zitat aus der Predigt „Tulerunt iusti spolia impiorum" aus.67 Auch greift Ockham die Überlegungen zu Heilswegen ohne die übliche Wassertaufe auf, mit denen er schon im sechsten Quodlibet die theologische Unterscheidung beweisen wollte.68 In späteren Schriften verzichtet Ockham auf die theologische Auseinandersetzung um Gottes absolute und ordinierte Macht und begnügt sich damit, die damit verwandte Ansicht Johannes XXII. zu brandmarken, Christus hätte auf sein Königtum nicht verzichten können, weil er damit gegen die Anordnung des Vaters gehandelt hätte.69 In den „Octo quaestiones de potestate papae" wird das Thema in einem einzigen Satz abgehandelt.70 Nur das „Compendium Errorum Ioannis Papae XXII." setzt sich, seinem Thema entsprechend, nochmals gründlich, jedoch knapp mit der Predigt „Tulerunt iusti spolia impiorum" Johannes XXII. auseinander. Es bringt das Zitat aus der Predigt

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Tr. Ben. II 8 - 9 (OPol III 2 1 9 - 2 2 4 ) . Noch als Kardinal Jacques Foumier hatte Benedikt XII. fur seinen Vorgänger im Papstamt ein Gutachten über den Prozeß gegen Ockham verfaßt, das für uns zwar verloren ist, aber insgesamt nicht sehr günstig für den Angeklagten ausgefallen sein dürfte. Vgl. Josef Koch: Der Kardinal Jacques Fournier (Benedikt XII.) als Gutachter in theologischen Prozessen. In: Josef Koch: Kleine Schriften. Zweiter Band. Rom: Edizioni di Storia a Letteratura 1973 (SeL 128), 3 6 7 - 3 8 6 , 3 7 7 - 3 8 1 . Tr. Ben. III 3 (OPol III 230,25-231,29). Tr. Ben. III 3 (OPol III 233,18-29). Comp., cap. 5 (OPol IV 50,264-275); Qu. pot. VIII 7 (OPol 1 211,226-228): „Vicesima secunda est quod Christus non potuit renuntiare regno et dominio temporalium, quia, si fecisset, contra ordinationem Patris fecisset". Qu. pot VIII 7 (OPol I 214,334-335): „Quartus est quod Deus de potentia absoluta non potest aliud nec aliter facere quam fecit".

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

ein zweitesmal in Auszügen und bekämpft die darin ausgesprochene Ansicht mit biblischen und augustinischen Belegen.71 Unter Papst Klemens VI. (1292-1352, Papst seit 1342) entwickelt Ockham im Traktat „De imperatorum et pontificum potestate" seine Position weiter, indem er die Vorwürfe, die er bislang nur gegen Johannes XXII. und Benedikt XII. persönlich erhoben hat, der Kirche von Avignon (polemisch abgesetzt gegen die unfehlbare römische Kirche) insgesamt ankreidet. Folgerichtig läßt er den Angriff auf die Unterscheidung der doppelten Macht Gottes, eine Sondermeinung von Johannes XXII., fallen und führt nur die in einer offiziellen Bulle enthaltene Behauptung an, Christus hätte auf seine irdische Herrschaft nicht verzichten können, ohne gegen die „ordinatio" des Vaters zu verstoßen.72 Der Überblick über die Texte zeigt, daß Ockham das Lehrstück von der doppelten Macht Gottes hauptsächlich in der Zeit seiner akademischen Tätigkeit angewandt, jedoch in seinen politischen Schriften ausfuhrlicher erklärt hat. Bei aller nötigen Vorsicht besteht jedoch kein grundlegender Einwand dagegen, sich zur Erörterung der Ockhamschen Lehre von Gottes „potentia absoluta" und „potentia ordinata" auf die ausführlicheren Erläuterungen zu stützen, die sich vor allem im „Opus nonaginta dierum" und im „Tractatus contra Benedictum" finden. Denn mögen sich Ockhams Interessen und Wirkmöglichkeiten durch die Ereignisse in Avignon gewandelt haben, so halten sich seine grundlegenden Ansichten dennoch durch. Wir sind also nicht allein auf die mageren Angaben aus dem sechsten Quodlibet angewiesen. Ockhams Lebensende liegt wie seine Geburt im Dunkel. In der alten Münchner Franziskanerkirche stand ein Grabstein, der 1802 mitsamt der Kirche zerstört wurde. Er gab den 10. April 1347 als Todestag an, wurde aber möglicherweise erst lange nach der Bestattung errichtet. Dasselbe Datum findet sich im Nachtrag des Stifterbuches der Münchner Franziskaner von Guardian Herman Sack aus der Zeit zwischen 1420 und 1430, während im Text selbst der 9. April genannt wird. Schließlich spricht das Explizit einer am 21. Oktober 1348 vollendeten Handschrift der „Summa Logicae" von Ockham im Präteritum wie von einem Toten.73 Keine dieser Belege ist verläßlich,

71 72 73

Comp., cap. 6 (OPol IV 62,154-64,208). Pot., cap. 27 (OPol IV 346,586-588). Jürgen Miethke: Zu Wilhelm Ockhams Tod. In: A F H 6 1 (1968) 79-98, 80-82. Der Text des Explizit jener Handschrift findet sich in OPh I 26*: „Explicit logica Wilhelmi Ockham, qui fait [!] de ordine fratrum minorum. Ipse etiam fuit [!] magister Sacrae Scripturae. - Anno Christi 1348 completa est logica Wilhelmi Ockham, in die undecim milium virginum, quarum intercessio pro nobis miseris ante Deum succurrat. Amen, Amen".

Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht Gottes

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weshalb die Jahreszahl 1347 bezweifelt und Ockhams Tod mit der Pest in Verbindung gebracht wurde, die 1349 in München wütete. Daß Papst Klemens VI. am 8. Juni 1349 in einem Brief an den General des Franziskanerordens die Lossprechung der wenigen Anhänger Michaels von Cesena erlaubte, die nach dem Tod Ludwigs des Bayern noch in München übrig waren, und dabei ausdrücklich einen Wilhelm aus England erwähnt, spricht nicht gegen die Annahme, Ockham sei 1347 verstorben. Denn der hier erwähnte Wilhelm aus England („Guillelmus Anglicus") ist nicht Ockham, sondern sein „socius". Von ihm wird berichtet, er habe das alte Siegel des Franziskanerordens zurückgesandt, das vermutlich durch den Tod Ockhams in seinen Besitz gelangt war, wie Ockham selbst es durch den Tod Michaels von Cesena erhalten hatte. Übrigens wirkt die Annahme von Ockhams Versöhnungsbereitschaft zum Lebensende nach den nur kurz zuvor erfolgten heftigen Angriffen gegen das Papsttum kaum glaubwürdig. Die Belege dafür, daß Ockham am 9. oder 10. April 1347 unbußfertig verstorben ist, sind also schwach, doch es spricht nichts gegen dieses Datum.74

74

Gedeon Gäl: William of Ockham Died „Impenitent" in April 1347. In: FrS 42 (1982) 90-95. Unlängst hat Gioacchino Francesco d'Andrea die Meinung vertreten, Ockham sei nicht in München, sondern im Konvent von Casanova di Carinola gestorben und in Capua begraben (Gioacchino Francesco d'Andrea: Ipotesi sul luogo della morte e sepoltura di Guglielmo d'Ockham. In: StFr91 (1994) 89-103). Von verschiedenen Irrtümern abgesehen, die mit dieser zentralen These nichts zu tun haben, kann d'Andrea leider seine peinliche Unkenntnis der Sekundärliteratur nicht verbergen. Aus Miethke: Tod, 80 oder wenigstens aus Rudolf Höhn: Wilhelm von Ockham in München. In: FS 32 (1950) 142-155, 145f hätte er etwa vom Toten- und Stifterbuch der Münchner Franziskaner von Guardian Herman Sack aus der Zeit zwischen 1420 und 1430 erfahren können, statt einen merkwürdigen Grabstein in Capua, der erst für 1586 bezeugt ist, gegen den Münchner Grabstein auszuspielen. Wenn d'Andrea ferner die Versöhnung Ockhams mit dem Papsttum zur entscheidenden Voraussetzung seiner Theorie erklärt (Andrea: Ipotesi, 102), hätte er sich mit dem Dokument auseinandersetzen sollen, aus dem hervorgeht, daß der in der päpstlichen Korrespondenz genannte Wilhelm aus England nicht Ockham ist, sondern sein „socius". Vgl. Gäl: William. Da d'Andrea Ockhams angeblichen Sterbeort dreimal „nostro convento di Casanova di Carinola" nennt (vgl. Andrea: Ipotesi, 90, 101 und 102), also eine persönliche Beziehung andeutet, erscheint es taktisch unklug, daß er einem anderen Autor „campanilismo" (Kirchturmpatriotismus) vorwirft, weil dieser die Frage nach Ockhams Grab „nur" offenlassen will.

44

1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate "

II. Ockhams Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht Einleitend wurde bemerkt, daß sich nach Ockham Gottes „potentia absoluta" auf alles bezieht, was in sich widerspruchsfrei ist, während sich seine „potentia ordinata" nur auf das erstreckt, was die von Gott erlassenen Gesetze zulassen. Hier soll diese vorläufige und mangelhafte Bestimmung der Begriffe durch eine ausführlichere und genauere Erklärung anhand der Texte Ockhams überwunden werden, indem ich sie gegen verschiedene mögliche oder tatsächlich vorgekommene Mißverständnisse abgrenze.

1)

Gottes Macht „ad extra"

Als Ockham sich zur Definition der absoluten und ordinierten Macht Gottes anschickt, fügt er eine kleine, leicht zu übersehende Bestimmung ein. Es handelt sich um Gottes Macht „ad extra",75 also um Gottes Macht über den außergöttlichen, den geschöpflichen Bereich. Die Macht Gottes im innergöttlichen, d. h. innertrinitarischen Bereich ist damit ausgeschlossen. Sie läßt sich nicht nach „potentia absoluta" und „potentia ordinata" unterscheiden. Weshalb dies so ist und was alles im innergöttlichen Bereich unter die Allmacht fällt, ist im dritten Kapitel zu klären.76

2)

Die „duplex potentia"

Ockham spricht im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Gottes „potentia absoluta" und seiner „potentia ordinata" ausdrücklich von einer doppelten Macht („duplex potentia").77 Dieser Ausdruck ist jedoch mißverständlich. Wenig später und an allen anderen Stellen, wo Ockham die Unterscheidung erklärt, betont er, daß sie nicht so zu verstehen sei, als gäbe es in Gott zwei real verschiedene Mächte, nämlich eine, mit der er zwar „de potentia absoluta", aber nicht „de potentia ordinata" wirke, und eine andere, mit der er zwar „de potentia ordinata" wirke, aber nicht „de potentia absoluta". Denn Gott ist in höchstem Grade einfach, sodaß sich sein Wesen und seine Eigen-

75 76 77

Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,18). Vgl. Kapitel 3, II, 2). Op., cap. 95 (OPol II 725,376).

Ockhams

Unterscheidung

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Schäften in keiner Weise voneinander unterscheiden.78 Vielmehr verlagert Ockham die Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Macht von der realen auf die begriffliche Ebene. Auf die eine göttliche Macht, die mit dem göttlichen Wesen identisch ist, lassen sich verschiedene Begriffe anwenden, die sich darin unterscheiden, daß sie verschiedenes konnotieren. Nun sind Begriffe wie „potentia", „posse" und „possibile" nach Ockham vieldeutig.79 Auf Gott angewandt, bezeichnen sie manchmal ein Können, das sich auf alles bezieht, was keinen Widerspruch enthält. An anderen Stellen bezeichnen sie ein Können, das sich auf alles bezieht, was Gott beschlossen und vorherbestimmt hat. Im ersten Fall spricht Ockham von „potentia absoluta", im zweiten Fall von „potentia ordinata".80 Infolge dieser Äquivokation kann man von Gott (wie auch von Menschen 81 ) behaupten, er könne manches „de potentia absoluta", was er „de potentia ordinata" nicht könne. Das liegt jedoch nicht daran, daß Gott real über eine doppelte Macht verfugte, sondern folgt nur daraus, daß die beiden Begriffe der absoluten und der ordinierten Macht neben Gottes Macht noch anderes mitbezeichnen, nämlich das Widerspruchsfreie bzw. das nach Gottes Gesetzen Mögliche. Von dieser Basis aus beantwortet Ockham einen Einwand, den Papst Johannes XXII. in seiner Predigt „Tulerunt" von 1330 gegen die Unterscheidung erhoben hat. Demnach sind die beiden Formen der göttlichen Macht, da mit dem Wesen Gottes identisch, auch untereinander nicht unterschieden. Wie Ockham weicht der Papst von der realen Ebene zurück, aber anders als Ockham nicht auf die begriffliche Ebene, sondern auf die sprachliche. „Potentia absoluta" und „potentia ordinata" seien bloß zwei verschiedene Namen für dieselbe Sache. Zu behaupten, Gott könne manches „de potentia absoluta" tun, was er „de potentia ordinata" nicht tun könne, ist daher ebenso falsch wie die Meinung, man könne Simon erschlagen, ohne Petrus zu erschlagen, wenn Simon und Petrus derselbe Mensch (ζ. B. der Apostelfürst) ist.82 78

Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 585,15-586,18): "Haec distinctio non est sic intelligenda quod in D e o sint realiter duae potentiae quarum una sit ordinata et alia absoluta, quia unica potentia est in Deo ad extra, quae omni modo est ipse Deus"; vgl. S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 7 7 9 , 2 3 4 - 2 3 8 ) ; Op., cap. 95 (OPol II 725,375-381); Tr. Ben. III 3 (OPol III 233,37-234,1).

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Op., cap. 95 (OPol II 725,385-389); vgl. In Pr. II, cap. 7, §6 (OPh II 483,34-36): „ista nomina ,potestas',,possibile', ,posse' et huiusmodi, aequivoce accipiuntur et sunt aequivoca". Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,22-29): „Sed est sie intelligenda quod ,posse aliquid' quandoque aeeipitur secundum leges ordinatas et institutas a Deo, et illa dicitur Deus posse facere de potentia ordinata. Aliter aeeipitur ,posse' pro posse facere omne illud quod non includit contradictionem, sive Deus ordinaverit se hoc facturum sive non (...); et illa dicitur Deus posse de potentia absoluta"; vgl. Op., cap. 95 (OPol II 725,381-397). Op., cap. 95 (OPol II 726,410-417); vgl. Richard Heinzmann: Philosophie des Mittelalters. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1992 (Grundkurs Philosophie 7), 261. Zit. nach Tr. Ben. III 3 (OPol HI 231,2-13).

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate "

Die Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" ist nach Ockham aber eine begriffliche Unterscheidung, nicht eine Unterscheidung von Namen wie die zwischen Simon und Petrus. Zwar stehen auch die Begriffe bei Gott für dasselbe, nämlich das göttliche Wesen; sie bezeichnen jedoch unterschiedliche Konnotate, nämlich einerseits Gottes Macht über alles Widerspruchsfreie, andererseits seine Macht über alles, was nach seiner „ordinatio" möglich ist. Daß sich die ordinierte Macht Gottes nicht auf alles bezieht, was unter seine absolute Macht fallt, resultiert aus den Konnotaten, nicht aus den primären Signifikaten. Ockham wirft dem Papst, der von der Ockhamschen Logik schwerlich etwas verstanden hat, vor, diese Äquivokation übersehen zu haben,83 und gibt ihm den Rat, als Nichtfachmann zu Fragen der Logik und der Theologie lieber zu schweigen.84 Daneben erhebt Johannes XXII. einen zweiten Einwand gegen die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht. Gott ist unwandelbar, so argumentiert der Papst, und was er bestimmt, das geschieht. Was er daher einmal bestimmt hat, das ändert er nicht wankelmütig wieder ab. Daher ist es unmöglich, daß außer dem, was Gott beschlossen hat und was er demnach „de potentia ordinata" tut, noch etwas anderes „de potentia absoluta" geschehen kann.85 Wieder findet der Logiker Ockham in dem Argument einen Fehlschluß, diesmal jedoch keine Äquivokation, sondern eine Verwechslung von „sensus compositus" und „sensus divisus". Der assertorische Satz „Gott tut etwas ,de potentia absoluta', was er ,de potentia ordinata' nicht tut" ist tatsächlich falsch, unmöglich und widersprüchlich. Was immer Gott tut, tut er „de potentia ordinata".86 Der modale Satz „Gott kann etwas ,de potentia absoluta' tun, was er ,de potentia ordinata' nicht tut" ist jedoch doppeldeutig, je nachdem er im „sensus compositus" oder im „sensus divisus" gelesen wird. Im „sensus compositus" ist er falsch, im „sensus divisus" jedoch wahr. Im „sensus compositus" bezieht sich das Modalverb auf den gesamten Satz. Der Sinn wäre demnach: „Dies ist möglich: Gott tut etwas ,de potentia absoluta', was er ,de potentia ordinata' nicht tut". Diese Behauptung ist jedoch falsch. Denn wie eben festgestellt, ist der Satz „Gott tut etwas ,de potentia absoluta', was er ,de potentia ordinata' nicht tut" nicht möglich, sondern im Gegenteil unmöglich, weil Gott alles, was er tut, „de potentia ordinata" tut.

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Op., cap. 95 (OPol II 726,430-432). Op., cap. 95 (OPol II 728,494-496). Zit. nach Tr. Ben. III 3 (OPol III 2 3 0 , 2 9 - 2 3 1 , 3 ) . Op., cap. 95 (OPol II 727,450-454).

Ockhams

Unterscheidung

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Im „sensus divisus" bezieht sich das Modalverb hingegen nicht auf den ganzen Satz, sondern auf das, wofür sein Subjekt oder (wie hier) Prädikat supponiert. Der Sinn ist dann in bezug auf das, wofür das Prädikat supponiert: „Dies tut Gott nicht ,de potentia ordinata', er kann es aber ,de potentia absoluta' tun". Damit ist jedoch nicht gesagt, daß Gott jemals etwas anders als „de potentia ordinata" tut oder tun könnte (im „sensus compositus"), sondern wenn er es kontrafaktisch täte, würde er es „de potentia ordinata" tun.87 Denn wenn Gott wirklich täte, was er nach seiner absoluten Macht tun kann, dann hätte er dies auch seit Ewigkeit gewollt, beschlossen und vorhergewußt. Daher impliziert die Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" nicht die Veränderlichkeit des göttlichen Vorherwissens oder die Wankelmütigkeit des göttlichen Willens.

3)

Gott handelt „de potentia absoluta" und „de potentia ordinata"

In seinen theologischen und philosophischen Schriften wendet Ockham die Unterscheidung in der Regel so an, daß er die „potentia Dei absoluta" und die „potentia Dei ordinata" einander entgegensetzt. Er drückt sich meist so aus, daß Gott etwas zwar nicht „de potentia ordinata" tun kann, wohl aber „de potentia absoluta". Dadurch entsteht der Eindruck, absolute und ordinierte Macht seien einander ausschließende Gegensätze. Daß dieser Eindruck irreführend ist, ergibt sich aus Ockhams theoretischen Erklärungen zur Unterscheidung. Demnach umfaßt Gottes absolute Macht alles, was keinen Widerspruch enthält, seine ordinierte Macht jedoch, was die

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Op., cap. 95 (OPol FI 727,481-483). Das bestreitet Gijsbert van der Brink unter Verweis auf Qu. var., qu. 1 (OTh VIII 22,473-478), w o Ockham ausfuhrt, daß Gott mit zwei völlig gleichen Menschen verschieden verfahren kann - wenngleich nicht „de potentia ordinata"! - , indem er etwa den einen verdammt und den anderen rettet. Das belegt Ockham mit dem biblischen Beispiel von Jakob und Esau: Obwohl beide ihrer Natur nach völlig gleich waren, liebte Gott Jakob, haßte jedoch Esau (Mal l,2f; Röm 9,13). Das scheint zu besagen, daß Gott Jakob „non de potentia ordinata" vorgezogen habe (vgl. Gijsbert van der Brink: Almighty God. Α Study o f the Doctrine of Divine Omnipotence. Kampen: Pharos 1993, 82). Daß Gottes Liebe zu Jakob tatsächlich „non de potentia ordinata" war, darf man jedoch bezweifeln. Denn genau sagt Ockham, Gott könne zwei Menschen, die „in omnibus naturalibus et in omnibus supernaturalibus" gleich seien, nicht „de potentia ordinata" ungleich behandeln. Von Jakob und Esau sagt er jedoch nur, sie seien „in omnibus naturalibus" gleich gewesen. Vermutlich bringt Ockham, wie er es gelegentlich tut, mit der Bevorzugung Jakobs ein Beispiel, das zwar dem Wirken der „potentia ordinata" entnommen ist, den Leser jedoch, weil es außergewöhnlich ist, von Gottes Möglichkeiten „de potentia absoluta" überzeugen soll (vgl. Randi: Sovrano, 72; Marilyn McCord Adams: William Ockham. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame Press 1987 (PMS 26), 1204f sieht hier die „potentia Dei ordinata" am Werk.).

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l. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

von ihm erlassenen Gesetze erlauben. Die „potentia absoluta" ist also kein strenger Gegensatz zur „potentia ordinata", als ob eine Handlung „de potentia ordinata" nicht auch „de potentia absoluta" getan werden könnte. Denn entweder schließt die Handlung einen Widerspruch ein, dann ist sie weder „de potentia absoluta" noch „de potentia ordinata" möglich. Oder sie ist widerspruchsfrei, dann fällt sie nicht nur in den Bereich der „potentia ordinata", sondern zugleich auch in den Bereich der „potentia absoluta". Gottes absolute Macht stellt also keinen strengen Gegensatz zu seiner ordinierten Macht dar, sondern ist im Vergleich zur „potentia ordinata" der übergeordnete Begriff. Alles, was „de potentia Dei ordinata" möglich ist, kann Gott auch „de potentia absoluta" tun, doch nicht alles, was er „de potentia absoluta" tun kann, ist auch „de potentia ordinata" möglich. Wenn Ockham also in der praktischen Anwendung dieser Unterscheidung etwas für „de potentia Dei ordinata" möglich erklärt, ist dies so zu verstehen, daß Gott die betreffende Handlung nicht nur „de potentia ordinata", sondern auch „de potentia absoluta" tun kann. Wenn Ockham im Gegensatz dazu sagt, daß etwas anderes „de potentia Dei absoluta" möglich sei, meint er in der Regel, daß Gott es nur „de potentia absoluta", nicht aber „de potentia ordinata" tun könne. Denn Ockham bestreitet ausdrücklich, daß es in Gott eine ordinierte Macht gäbe, die nicht absolut ist.88 Dieses Verhältnis zwischen den Begriffen der ordinierten und der absoluten Macht wird in der Sekundärliteratur nicht immer genau beachtet. Wenn etwa darauf abgestellt wird, daß der Gedanke der „potentia absoluta" eine bloße Möglichkeit ausdrückt, während Gott tatsächlich nur „de potentia ordinata" handelt und handeln kann, wird gelegentlich behauptet, Gott könne nicht „de potentia absoluta" handeln 89 oder handle nicht „de potentia absoluta". Das sagt oder impliziert Ockham jedoch nirgendwo. Vielmehr sagt er ausdrücklich, Gott könne nicht „inordinate" handeln und alles, was er tue, geschehe „de potentia ordinata". 90 Da aber „potentia absoluta" und „potentia or-

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S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 779,234-238). Im selben Atemzug bestreitet Ockham auch, daß es in Gott eine absolute Macht gäbe, die nicht ordiniert ist. Wie dies zu verstehen ist, darauf komme ich später zurück; vgl. IV, 3). David W. Clark: William of Ockham on Right Reason. In: Spec. 48 (1973) 13-36, 32; Randi: Sovrano, 56; Brink: God, 80; Rega Wood: Ockham on the Virtues. West Lafayette, Indiana: Purdue University Press 1997 (Purdue University Press Series in the History of Philosophy), 24; Armand Augustine Maurer: The Philosophy of William of Ockham in the Light of Its Principles. Toronto: PIMS 1999 (STPIMS 133), 265. Klaus Bannach versteigt sich sogar dazu, Ockham die Ansicht zu unterschieben, „daß Gottes Allmacht niemals in Schöpfung und Heilsgeschichte eingeht" (Bannach: Lehre, 22). Dabei kann es sich wohl nur um einen „lapsus calami" handeln. Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,20-21); Op., cap. 95 (OPol II 726,428^129; 727,453-454).

Ockhams

Unterscheidung

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dinata" einander nicht ausschließen, sondern die „potentia absoluta" all das (und noch mehr) umfaßt, was auch unter die „potentia ordinata" fällt,91 läßt sich daraus nicht schließen, daß Gott nichts „de potentia absoluta" tut oder tun kann, sondern nur, daß er (wenn dies richtig verstanden wird, nämlich im „sensus compositus") nichts „de potentia absoluta" tun kann, was dann nicht auch „de potentia ordinata" geschieht.

4)

Erst- und Zweitursache

Aus der Macht Gottes, die alles vermag, was keinen Widerspruch enthält, leitet Ockham direkt das Unmittelbarkeitsprinzip ab: Alles, was Gott mittels einer Zweitursache verursachen oder erhalten kann, das kann er auch unmittelbar und ohne Zweitursachen verursachen oder erhalten.92 Dabei setzt Ockham voraus, daß die Umgehung der Zweitursache keinen logischen Widerspruch heraufbeschwört. Daher ist seine Ableitung korrekt. Es wäre jedoch ein Mißverständnis, würde man, ausgehend von diesem Gedanken, die „potentia ordinata" mit der Zweitursächlichkeit, die „potentia absoluta" hingegen mit dem alleinigen und unmittelbaren Wirken der Erstursache verbinden, wie dies Robert W. Hall zu tun scheint.93 Hier treten nämlich zwei Probleme auf. Erstens läßt sich die Bindung des direkten Wirken Gottes ohne Zweitursache an seine

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Hermann Krings: Woher kommt die Moderne? Zur Vorgeschichte der neuzeitlichen Freiheitsidee bei Wilhelm von Ockham. In: Z P h F 4 1 (1987) 3-18, 10; Andre de Muralt: La toutepuissance divine et la participation dans la theologie de la grace. Analyse structurelle des metaphysiques qui regissent la theologie de la grace chez Thomas d'Aquin, Jean Duns Scot et Guillaume d'Occam. In: Im Ringen um die Wahrheit. Festschrift der Gustav-Siewert-Akademie zum 70. Geburtstag ihrer Gründerin und Leiterin Prof. Dr. Alma von Stockhausen. Hrsg. v. Remigius Bäumer, J. Hans Benirschke und Tadeusz Guz. Weilheim-Bierbronnen: GustavSiewerth-Akademie 1997, 53-82, 76. Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 804,18-605,20). Robert W. Hall: Ockham and Natural Law. In: Les philosophies morales et politiques au Moyen Age / Moral and Political Philosophy in the Middle Ages. Actes du IXe Congres international de Philosophie Medievale, Ottawa, du 17 au 22 aoüt 1992 / Proceedings of the Ninth International Congress of Medieval Philosophy, Ottawa, 17-22 August 1992. Societe Internationale pour l'Etude de la Philosophie Medievale (S.I.E.P.M.) sous la direction de /edited by B. Carlos Bazän, Eduardo Andüjar, Leonard G. Sbrocchi. New York-Ottawa-Toronto: Legas 1995, 10411048, 1045. Ähnlich Helmar Junghans: Ockham im Lichte der neueren Forschung. BerlinHamburg: Lutherisches Verlagshaus 1968, 239; Gordon Leff: William of Ockham. The Metamorphosis of Scholastic Discourse. Manchester: Manchester University Press 1977, 455f; Jürgen Goldstein: Nominalismus und Moderne. Zur Konstitution neuzeitlicher Subjektivität bei Hans Blumenberg und Wilhelm von Ockham. Freiburg-München: Alber 1998 (Alber-Reihe Philosophie), 185.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

absolute Macht nicht aufrechterhalten. Zweitens läßt sich die Bindung der Zweitursächlichkeit an die ordinierte Macht Gottes gleichfalls nicht halten. Daß Gott nicht nur durch seine „potentia absoluta", sondern auch durch seine „potentia ordinata" direkt und ohne Zweitursache wirkt, ergibt sich aus der Betrachtung von Wundern. Wie auch immer unsere heutige Theologie sich zu diesem Thema äußern mag, müssen wir für Ockham doch ein mittelalterliches Wunderverständnis voraussetzen. Danach ist das gelegentliche Auftreten von Wundern für den Gläubigen über jeden Zweifel erhaben und wenigstens durch das biblische Zeugnis belegt. Das Wunder wird ferner als direktes Eingreifen Gottes verstanden, also als Wirken der Erstursache ohne die übliche Vermittlung durch eine Zweitursache. Nach Halls Behauptung müßte Gott sie daher durch seine absolute Macht wirken. Tatsächlich stellt Hall selbst jedoch noch auf derselben Seite fest, daß sie unter die „potentia ordinata" fallen.94 Dies behauptet er zurecht, denn alles, was wirklich geschieht, geschieht nach Gottes Bestimmung und Vorauswissen, nach den von ihm erlassenen und eingerichteten Gesetzen und seiner „ordinatio". Daher fallen Wunder, wenn sie wirklich geschehen, in den Bereich der „potentia ordinata", so sehr sie auch von der Größe der göttlichen Allmacht zeugen mögen, die noch weit mehr vermag, als sie tatsächlich wirkt. Wenn Gott aber Wunder zwar „de potentia ordinata", aber ohne Zweitursache wirkt, ist das unmittelbare Wirken Gottes nicht an seine „potentia absoluta" gebunden. Daß Gottes Wirken durch Zweitursachen sich nicht auf die „potentia ordinata" beschränkt, ergibt sich aus einer Bemerkung Ockhams zur Annahme eines Menschen zum ewigen Leben. Nach der geltenden göttlichen Heilsordnung nimmt Gott die Menschen durch die Zweitursache der „Caritas" an, die von ihm verliehen wird.95 „De potentia absoluta" könnte Gott die Menschen auch ohne die „Caritas" retten.96 Er kann jede Zweitursächlichkeit übergehen und unmittelbar tun, was faktisch nur durch die „Caritas" geschieht.97 Er kann jedoch auch „de potentia absoluta" eine andere Art der Zweitursächlichkeit 94

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Hall: Ockham, 1045; vgl. William J. Courtenay: The Dialectic o f Omnipotence in the High and Late Middle Ages. In: Divine Omniscience and Omnipotence in Medieval Philosophy. Islamic, Jewish and Christian Perspectives. Papers presented at a conference at the Ohio State University on March 3 and 4, 1982. Hrsg. v. Tamar Rudavsky. Dortrecht-Boston-Lancaster: ReidI 1985 (SyHL 25), 2 4 3 - 2 6 9 , 255; William J. Courtenay: Nominalism and Late Medieval Religion. In: Ders.: Convenant and Causality in Medieval Thought. Studies in Philosophy, Theology and Economic Practice. London: Viatorum Reprints 1984, XI, 42. Was von Wundern gilt, gilt auch von der Transsubstantiation: Sie fällt in den Bereich der „potentia ordinata", nicht der „potentia absoluta" - gegen Lothar Lies: Eucharistie in ökumenischer Verantwortung. Graz-Wien-Köln: Styria 1996, 142f. Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 5 8 8 , 7 4 - 7 6 ) . Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 587,42-43). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 5 8 7 , 4 4 - 4 8 ) .

Ockhams Unterscheidung

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einfuhren. Ockham selbst bringt das Beispiel vom Gebet eines Heiligen, durch das nach Gottes absoluter Macht ein Mensch zum ewigen Leben angenommen werden könnte.98 Der Heilige wirkt dabei als Zweitursache, und doch wird der Mensch durch ihn nur „de potentia absoluta" angenommen. Der Zusammenhang zwischen der Zweitursache und der ordinierten Macht läßt sich daher nicht als allgemeine Regel aufstellen. Gottes absolute Macht kann nicht nur unmittelbar wirken, vielmehr stehen ihr auch mannigfache Wege der Zweitursächlichkeit offen. Die Lehre von der „potentia absoluta" dient nicht nur dazu, Gott „vom Zwang der Zweitursachen" 99 zu befreien, sondern befreit ihn auch vom Zwang, alles allein tun zu müssen.

5)

Allgemeine Gesetze und Bestimmungen für den Einzelfall

Bei seiner Bestimmung der „potentia ordinata" greift Ockham im sechsten Quodlibet auf die von Gott erlassenen Gesetze („leges") zurück. Nach dem juristischen Ideal sollen Gesetze allgemein sein und nicht offen oder versteckt Einzelfälle regeln.100 So versteht auch Duns Scotus das Gesetz, nach dem er seine Auffassung der „potentia ordinata" bestimmt: Es ist ein allgemeines Gesetz.101 Innerhalb des Rahmens, den das allgemeine Gesetz vorgibt, kann Gott im Einzelfall unterschiedlich handeln, doch stets „de potentia ordinata". Auch Ockham bestimmt die „potentia ordinata" Gottes durch „leges". Doch meinen manche, daß er darunter nicht allgemeine, sondern vielmehr so spezielle Gesetze versteht,102 daß damit sein gesamtes Handeln im einzelnen geplant ist. Ähnliches betrifft dann die „ordinatio" Gottes, die in den publizistischen Werken als Bestimmungsgröße fur die „potentia ordinata" auftritt. Sie wäre nur Gottes Macht zu tun, was er eben tut.

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Ord., dist. 17, qu. 1 (OTh III 460,19-21). Gordon Leff in ders.; Volker Leppin: Ockham/Ockhamismus. In: TRE 25 (1995) 6-18, 10. Entsprechendes ist zu sagen zu Bannach: Lehre. Der Grundgedanke der Arbeit, daß die Lehre von der „potentia Dei absoluta" die schöpferische Unmittelbarkeit Gottes sichern soll, ist von der Macht Gottes, stets unmittelbar einzugreifen, zu verstehen, schließt jedoch nicht aus, daß Gott Zwischeninstanzen zum Geschöpf wie die Zweitursächlichkeit einfuhren und erhalten kann.

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Norbert Brieskorn: Rechtsphilosophie. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1990 (Grundkurs Philosophie 14), 113. Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 6-7 (Vat. VI 365,9-366,1): „Ad propositum ergo applicando, dico quod leges aliquae generales, recte dictantes, praefixae sunt a voluntate divina (...) Deus ergo, agere potens secundum illas rectas leges ut praefixae sunt ab eo, dicitur agere secundum potentiam ordinatam". Leppin: Wahrheit, 46, Anm. 173.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

Nun läßt sich den Aussagen Ockhams entnehmen, daß alles, was wirklich geschieht, „de potentia ordinata" geschieht. Doch ob umgekehrt Gott alles, was er „de potentia ordinata" vermag, auch wirklich tut, ist nicht so klar. Ockham veranschaulicht Gottes ordinierte Macht mit allgemeinen Beispielen 103 und mit Einzelfällen 104 . Er gebraucht den Ausdruck „de potentia Dei ordinata" mit dem Verb „posse" oder ohne es und mit dem bloßen Indikativ 105 und ersetzt ihn manchmal durch „de facto" 106 , womit eine Verbindung nur zu dem, was wirklich geschieht, angedeutet ist, und manchmal durch „de communi lege" 107 , was ein allgemeines Gesetz erwarten läßt. Er weiß von einer „ordinatio generalis" 108 und kennt auch eine „ordinatio specialis" 109 . Aus solchen Beobachtungen schließe ich mit Marilyn McCord Adams, daß Ockham in seiner Bestimmung der ordinierten Macht Gottes zwischen dem Bezug auf allgemeine und spezielle Gesetze, auf eine allgemeine und eine besondere „ordinatio" geschwankt hat. 110 Wie Ockham die „potentia ordinata" versteht, läßt sich, wenn überhaupt, nur fur einzelne Belegstellen ermitteln.

6)

Die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht in ihrem Verhältnis zur Zeit

Das Verhältnis zwischen dem ewigen Schöpfer und seiner Schöpfung in der Zeit ist nicht immer leicht zu denken. Wenigstens seit der Schrift „De consolatione philosophiae" des Boethius (475/80-524) verstand die Mehrzahl der mittelalterlichen Theologen unter der Ewigkeit „interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio" 111 . Ewig ist Gott demnach nicht, weil er eine endlose Abfolge von Augenblicken durchlebt; vielmehr ist für ihn jeder Augenblick des Weltgeschehens zugleich gegenwärtig. Dieser scharfsinnige, doch schwer vorstellbare Gedanke findet sich auch bei Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus, wobei letzterer ihn durch die Annahme von gleichzeitigen, aber logisch aufeinanderfolgenden Instanzen in Gott ausgleicht. Ockham hingegen

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Tr. Ben. III 3 (OPol III 233,20-26). Op., cap. 95 (OPol II 725,397-726,410). Sogar im selben Satzgefüge! Vgl. Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 588,74-76): „numquam salvabitur homo nec salvare poterit, nec umquam eliciet vel elicere poterit actum meritotium secundum leges a D e o nunc ordinatas sine gratia creata". Siehe unten III, l ) b ) ! Ord., Prol., qu. 1 (OTh I 74,2-3). Op., cap. 88 (OPol II 658,188). Op., cap. 92 (OPol II 6 6 9 , 4 4 ^ 5 ) . Adams: Ockham, 1194-1207. Boethius: Philosophiae consolatio V, pr. 6,4 (ed. Bieler, 101,8-9).

Ockhams

Unterscheidung

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lehnte neben der Scotischen Instanzentheorie auch die von Boethius herkommende Vorstellung der Ewigkeit ab, wenngleich er ihren Wortlaut retten will. Daß Gottes Dauer „tota simul" ist, bedeutet nach Ockhams Erklärung nicht, daß er die zeitliche Aufeinanderfolge in der Welt in einen einzigen ewigen Augenblick vereinigt, sondern daß es zu jedem Zeitpunkt notwendig ist, daß Gott auch zu allen anderen Zeitpunkten existiert. Wäre also ein Engel unzerstörbar, besäße auch er seine Dauer „tota simul" und wäre ebenso ewig wie Gott." 2 Doch damit kann sich auch Ockham nicht allen Problemen entziehen, die sich im Zusammenhang mit Zeit, Ewigkeit und der Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht stellen. Auch bezüglich jener mittelalterlichen Denker, die der Auffassung des Boethius folgen, wurde die Unterscheidung in der Sekundärliteratur - bei allem Wissen um das Problem 113 - in einer Weise erklärt, die auf den ewigen Gott Begriffe anwendet, die zeitliche Kategorien voraussetzen. Dies ist der Fall, wenn gesagt wird: ,JPotentia absoluta referred to the total possibilities initially open to God." 114 Die Vorstellung dahinter ist natürlich die, daß Gott ursprünglich alles tun kann, was keinen Widerspruch enthält, sich dann aber auf einen Weltenlauf festlegt, dem entsprechend er nur mehr „de potentia ordinata" handeln kann. Tatsächlich ist eine solche Vorstellung von einer göttlichen Selbstverpflichtung sehr erhellend, doch sie überträgt einen zeitlichen Ablauf auf den ewigen und unwandelbaren Gott. Die Entstehung der „potentia ordinata" aus der „potentia absoluta", der „anfänglich" offenen Möglichkeit, ist daher nach der im Mittelalter verbreiteten Auffassung der göttlichen Ewigkeit nicht als zeitliches Vorher und Nachher zu denken, sondern als logische Über- bzw. Unterordnung im einen ewigen Augenblick des göttlichen Jetzt. Daß Gott alles tun kann, was keinen Widerspruch enthält, ist die Bedingung dafür, daß die von ihm gestiftete Weltordnung aus freier Wahl und aus Gnade hervorgeht. Daß sich Gott immer schon auf einen bestimmten Weltenlauf innerhalb seiner Möglichkeiten festgelegt hat, ist hingegen die Voraussetzung, daß überhaupt etwas von der bloßen Möglichkeit ins Sein tritt. Unsere Welt setzt den freien Entschluß Gottes zu ihr und damit auch zu ihrer Weltordnung voraus, der selbst wiederum die weitere Möglichkeit der „potentia absoluta" erfordert. Ockham selbst hat mit vergleichbaren Problemen zu kämpfen. Im Gegensatz zu seinen Vorläufern schließt er zwar eine zeitliche Aufeinanderfolge für 112 113 114

Rep. II, qu. 8 (OTh V 159,18-160,12); vgl. S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 5 1 2 , 2 7 - 3 0 ) . Courtenay: Dialectic, 249; Brink: God, 75. Courtenay: Nominalism, 39; vgl. Randi: Sovrano, 69; Allster E. McGrath: Der Weg der christlichen Theologie. Eine Einführung. Aus dem Engl, übers, v. Christian Wiese. München: Beck 1997, 268f.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate'

Gott nicht aus. Doch trotz seiner eigenständigen Auffassung von der göttlichen Ewigkeit hält er an der Ansicht von der Unveränderlichkeit und Unwandelbarkeit Gottes fest, weil sich in ihnen auch für Ockham die göttliche Vollkommenheit ausdrückt." 5 Diese Unveränderlichkeit und Unwandelbarkeit gelten nicht nur für das göttliche Wesen, sondern auch für den Willen Gottes, weil dieser mit seinem Wesen identisch ist. Daher muß auch Ockham zeitliche Erklärungen für das Verhältnis von „potentia Dei absoluta" und „potentia Dei ordinata" ausschließen, nach denen der Allmächtige zuerst über eine uneingeschränkte absolute Macht verfügt, die er durch freiwillige Selbstverpflichtungen auf eine ordinierte Macht einschränkt. Vielmehr ist dies schon vor aller Zeit geschehen, als Gottes Wille sich für unsere Welt und ihre Gesetze entschieden hat; und dieser Willensentscheid Gottes ist unabänderlich. Auch in Ockhams Denken ist daher die „potentia absoluta" nicht als erster Zeitabschnitt vor späteren Festlegungen Gottes zu begreifen, sondern als logische Möglichkeit, die solche Festlegungen seit Ewigkeit ermöglicht hat. Von daher ergeben sich allerdings Fragen, die das Verhältnis verschiedener Ordnungen in der Welt in verschiedenen Epochen zum einmal festgelegten Weltenlauf betreffen, nach dem sich die „potentia ordinata" bemißt. Es gilt als das Verdienst Ockhams, diesen historischen Aspekt in die Überlegungen zur absoluten und ordinierten Macht Gottes eingeführt zu haben. 116 Dabei geht es vor allem um folgendes Beispiel: Nachdem Ockham im sechsten Quodlibet seine Unterscheidung zwischen der absoluten und der ordinierten Macht Gottes dargelegt hat, fügt er so etwas wie einen Schriftbeweis an: Er zitiert Joh 3,5: „Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Heiligen Geist wiedergeboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen." 117 Diesen Text soll der Leser offensichtlich auf die Heilsnotwendigkeit der Taufe hin verstehen. Dann stellt Ockham heraus, daß dies nur für die Zeit des Neuen Bundes gilt, nicht für den Alten Bund, als die beschnittenen Knaben, die vor dem Vernunftgebrauch und daher ohne persönliche Sünde starben, ins Reich Gottes gelangen konnten. Aus diesem Beispiel zieht Ockham zwei Lehren. Erstens: Was zur Zeit des Alten Bundes möglich war, ist auch heute noch möglich. (Gottes Macht wird nicht geringer.) Zweitens: Was zur Zeit des Alten Bundes nach den damals er-

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Ord., dist. 8, qu. 7 (OTh III 2 5 8 - 2 6 1 ) - gegen Bannach: Lehre, 223f, wo die Begriffe der Ewigkeit und der Unveränderlichkeit nicht klar auseinandergehalten werden. Mary Anne Pernoud: The Theory of the Potentia Absoluta according to Aquinas, Scotus and Ockham. In: Anton. 47 (1972) 6 9 - 9 5 , 90. Die heutigen lateinischen und deutschen Bibelausgaben haben einen etwas kürzeren Text: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen".

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Unterscheidung

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lassenen Gesetzen möglich war, ist zur Zeit des Neuen Bundes nach den heute gültigen Gesetzen nicht mehr möglich. 118 Das erste ist anscheinend von der „potentia absoluta" zu verstehen. Wenn früher die Aufnahme eines Ungetauften in den Himmel widerspruchsfrei möglich war und sogar wirklich geschehen ist, dann ist sie auch heute widerspruchsfrei und daher wenigstens „de potentia Dei absoluta" möglich. Nach den heute gültigen Gesetzen des Neuen Bundes - also „de potentia Dei ordinata" - ist sie jedoch (wie Ockham im sechsten Quodlibet vorauszusetzen scheint) nicht mehr möglich oder nur (wie er im „Tractatus contra Benedictum"" 9 ergänzt) in Ausnahmefallen möglich, nämlich im Fall der Bluttaufe, der Begierdetaufe und der Rettung unschuldiger Kinder. Also kann Gott „de potentia absoluta" etwas tun, was er (normalerweise) „de potentia ordinata" nicht tun kann. Somit ist die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Unterscheidung belegt. Dieses Beispiel und seine Deutung durch Ockham hat die Interpreten beschäftigt. Manchen scheint es anzudeuten, die Ordnung, nach der sich Gottes „potentia ordinata" bestimmt, habe zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt gewechselt. Ein solcher Wechsel der geltenden Ordnung ist jedoch keinesfalls innerhalb dieser Ordnung selbst denkbar, also auch nicht „de potentia ordinata", sondern nur „de potentia absoluta". Demnach bezeichnet die „potentia absoluta" nicht nur eine verhältnismäßig harmlose theoretische Möglichkeit, sondern eine Möglichkeit Gottes, mit der sich Gott schon einmal über die von ihm gestiftete Ordnung hinweggesetzt hat und mit der er daher Vergleichbares wiederum tun könnte.120 Doch so ist das Beispiel, das Ockham bringt, nicht zu verstehen. Vielmehr sind sowohl der Alte als auch der Neue Bund Teil des einen Weltenlaufs. Ob früher beschnittene Knaben in den Himmel aufgenommen wurden oder jetzt Getaufte gerettet werden, beides tut Gott „de potentia ordinata" und in bezug auf dieselbe „ordinatio". Ockham will nur zeigen, daß Gott, was er früher entsprechend den damals geltenden Religionsgesetzen tun konnte, „de potentia absoluta" auch heute noch tun könnte, nicht daß er tatsächlich „de potentia absoluta" gegen seine eigenen Bestimmungen handelt oder gehandelt hat.121 Der Wechsel vom Alten zum Neuen Bund soll Gottes absolute Macht belegen, geschieht selbst aber aus ordinierter Macht.

118 119 120 121

Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,31-39). Tr. Ben. III 3 (OPol III 233,20-29). Brink: God, 82. Courtenay: Capacity, 121.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate "

Wie man sich dies vorzustellen hat, zeigt ein Beispiel, das Ockham immer dann bringt, wenn er die Möglichkeit einer Veränderung durch bloßen Zeitablauf aufzeigen will. Danach könnte ein König mit ein und demselben Gesetz anordnen, daß jemand, der am Montag in seiner Schatzkammer eingedrungen sei, bestraft, aber jemand, der am Dienstag in seiner Schatzkammer eingedrungen sei, belohnt werden soll. Dann würde derselbe Eindringling, wenn er von Montag bis Dienstag in der königlichen Schatzkammer bliebe, von einem zu Bestrafenden zu einem zu Belohnenden, und zwar ohne eine Veränderung außer dem bloßen Ablauf der Zeit.122 Auf den Alten und den Neuen Bund übertragen, bedeutet dies: Die eine göttliche „ordinatio" sieht fur verschiedene Zeiten verschiedene Heilswege vor, nämlich bis zu Christus die Beschneidung, danach aber die Taufe. Daher ist eine Veränderung der Heilswege möglich (und auch wirklich geschehen), ohne daß sich Gottes „ordinatio" geändert hätte und ohne daß Gott „inordinate" gehandelt hätte. Die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht ist auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anwendbar. Eine Aufteilung von der Art, daß die Vergangenheit in den Bereich der „potentia Dei ordinata", die Zukunft hingegen in den Bereich der „potentia Dei absoluta" fallt,123 ist nicht nachvollziehbar. Ockham behauptet das nie und wendet die Unterscheidung auch nicht so an, sondern spricht über vergangene Möglichkeiten „de potentia absoluta"124 ebenso wie über künftigen (ζ. B. eschatologische) Vorgehensweisen „de potentia ordinata".125 Gott kann zwar nicht einmal „de potentia absoluta" ungeschehen machen, was einmal geschehen ist,126 doch er konnte in der Vergangenheit ebenso „de potentia absoluta" handeln, wie er tatsächlich „de potentia ordinata" gehandelt hat, denn auch damals war er frei, sich anders zu verhalten. Auch in Zukunft kann und wird Gott „de potentia ordinata" handeln, weil er seinen Bestimmungen treu bleibt. Ähnliches ist zur Ansicht zu sagen, die Unterscheidung sei nur auf die Vergangenheit anwendbar; nur für die Vergangenheit könne man unterscheiden, was „de potentia absoluta" anders geschehen hätte können und was „de potentia ordinata" tatsächlich war.127 Entgegen dieser Meinung kann Gott sich sehr wohl für die Zukunft selbst Ordnungen geben, über die er sich zwar „de 122 123 124 125 126 127

Ord., dist. 17, qu. 1 (OTh III 459,22-460,8). So Bannach: Lehre, 266. Zum Beispiel Ord., dist. 17, qu. 1 (OTh III 450,2-3): „Deus de potentia absoluta potuit fiiisse numquam incarnatus". Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 588,74-76). Vgl. auch Leppin: Wahrheit, 48, Anm. 182. Tr. Pr„ qu. 1 (OPh II 507,15-508,23). So Arnos Funkenstein: Theology and Scientific Imagination from the Middle Ages to the Seventeenth Century. Princeton, New Jesery: Princeton University Press 1986, 134. Zum Argument mit Ockhams Prinzip „Deus nullius est debitor" vgl. unten IV, 3)!

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus

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potentia absoluta" hinwegsetzen kann, die er jedoch „de potentia ordinata" einhalten wird, weil er unwandelbar ist und nicht wankelmütig. Daher läßt sich die Unterscheidung nicht nur auf die Vergangenheit anwenden, sondern auch auf die Gegenwart und Zukunft. Damit scheint mir das Verständnis der Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" bei Ockham vorerst hinreichend geklärt. Daher wende ich mich nun dem Vergleich der Ockhamschen Konzeption der Unterscheidung mit der seines Ordensbruders Johannes Duns Scotus zu.

III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus im Verständnis der Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" Die Unterscheidung zwischen der „potentia absoluta" und der „potentia ordinata" spielt sowohl bei Johannes Duns Scotus als auch bei Wilhelm von Ockham eine wichtige Rolle. Häufig findet sich jedoch die Ansicht, diese beiden franziskanischen Denker unterschieden sich stark in ihrem Verständnis und Gebrauch dieser Unterscheidung. Daher gehe ich zuerst auf vier scheinbare Unterschiede ein, die häufig behauptet werden, und versuche zu zeigen, daß sie teils gar nicht bestehen, teils nicht das Ausmaß und die Bedeutung annehmen, die ihnen zugeschrieben werden. Danach möchte ich die meiner Ansicht nach tatsächlich bestehenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Scotischen und dem Ockhamschen Verständnis von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" aufzeigen.

1)

Scheinbare Unterschiede zwischen Ockham und Scotus im Verständnis der Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata"

Die angeblichen Unterschiede im Scotischen und Ockhamschen Verständnis der doppelten Macht Gottes sind gut in den folgenden vier Punkten zusammengefaßt. 128 Erstens unterscheiden sich beide in der inneren Dynamik: Nach Scotus übersteigt die „potentia absoluta" die „potentia ordinata"; nach Ockham ist die „potentia absoluta" früher als die „potentia ordinata". 128

Randi: Sovrano, 108. Ihm folgt Alain de Libera: La philosophie midievalc. Paris: Presses Universitaires de France 1993 (Collection Premier Cycle), 423.

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l. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

Zweitens unterscheiden sie sich dem Subjekt nach. Nach Scotus läßt sich die Unterscheidung auf jeden anwenden, der „per intellectum et voluntatem" handelt; nach Ockham betrifft diese Unterscheidung nur Gott, d. h. nur die göttliche Allmacht. Drittens unterscheiden sie sich in den Manifestationen. Nach Scotus erstreckt sich die „potentia absoluta" auf alles, was einem Handelnden „de facto" möglich ist. Nach Ockham hingegen verfugt Gott „de iure" über seine „potentia absoluta", handelt aber „de facto" „de potentia ordinata". Viertens unterscheiden sich beide in den Konnotationen. Scotus drückt die Unterscheidung in ethisch-juristischen Begriffen aus, während Ockham sie durch eine logisch-philosophische Analyse erklärt. Alle vier Unterscheidungsmerkmale zwischen der Scotischen und der Ockhamschen Auffassung der „potentia absoluta" und der „potentia ordinata" erscheinen mir nicht so gut begründet, wie es in der Sekundärliteratur häufig angenommen wird. Ich gehe daher auf die einzelnen Punkte ein, jedoch in umgekehrter Reihenfolge, weil ich nämlich den ersten Punkt für den bedeutsamsten, den letzten hingegen fur den unbedeutendsten halte. a)

Juristische Begriffe in Ockhams Lehre von der doppelten Macht Gottes

Nach Eugenio Randi gebraucht Johannes Duns Scotus zur Erläuterung der Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" Begriffe aus dem ethisch-juristischen Wortfeld, Wilhelm von Ockham hingegen Begriffe einer logisch-philosophischen Analyse. Meiner Ansicht nach läßt sich dies nicht im Sinne eines Entweder-Oder, sondern höchstens im Sinne eines Mehr oder Weniger vertreten. Zwar mögen die Scotischen Ausführungen stärker von ethisch-juristischer Begrifflichkeit bestimmt sein. Doch auch bei Ockham finden sich neben Fachausdrücken der Logik so mancher juristische Ausdruck und Vergleich. Frei von juristischer Terminologie ist freilich die Stelle aus der „Summa Logicae", was jedoch weiter nicht viel zu bedeuten hat, denn zum einen ist der Abschnitt sehr kurz, zum anderen hebt Ockham gerade in diesem Werk die logischen, nicht die rechtlichen Zusammenhänge hervor. Im sechsten Quodlibet erklärt Ockham die „potentia ordinata" unter Bezugnahme auf die von Gott eingerichteten Gesetze („leges"),129 wie auch Scotus bei seiner Erklärung auf ein richtiges Gesetz („lex recta") rekurriert,130 der damit allerdings neben der „potentia ordinata" auch die „potentia absoluta" 129 130

Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,23). Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un„ n. 3 (Vat. VI 363,18).

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus

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erklärt. Seine Erklärung veranschaulicht und beweist Ockham durch zwei Beispiele mit rechtlichem Bezug. Wie Scotus das Beispiel des Fürsten anfuhrt, 131 so bringt Ockham als Beispiel den Papst, der hier in seiner besonderen Funktion als kirchlicher Gesetzgeber gesehen wird („iura statuta ab eo").132 Das zweite Beispiel vergleicht die Zeit des Alten und des Neuen Testaments, und zwar unter dem Gesichtspunkt des jeweils geltenden Gesetzes („leges tunc institutas" - „legem iam institutam").133 Im „Opus nonaginta dierum" und im „Tractatus contra Benedictum" betont Ockham, daß zum Verständnis der Unterscheidung von Gottes absoluter und ordinierter Macht exzellente Kenntnisse der Philosophie, Theologie und Logik erforderlich sind.134 Auch kehrt er stärker die logische Seite der Unterscheidung hervor. Dies ist allerdings nicht als ein Abrücken von rechtlichen Assoziationen, sondern aus dem polemischen Kontext der Äußerung zu verstehen. Denn Papst Johannes XXII., gegen den sich das „Opus nonaginta dierum" richtet und dessen Predigt „Tulerunt" gegen die Unterscheidung auch noch im „Tractatus contra Benedictum" das Ziel der Kritik Ockhams darstellt, war zwar ein ausgebildeter Jurist, in Theologie wie Philosophie aber nur mangelhaft bewandert, was Ockham zu betonen nicht müde wird,135 und in der Logik dem Verfasser der „Summa logicae" weit unterlegen. Daher ist es nur natürlich, daß Ockham die Diskussion nicht ins juristische Fach gleiten läßt, in dem der Papst Experte, er selbst jedoch nur Amateur ist, sondern die Bedeutung der Logik und Theologie betont, also jener Disziplinen, in denen er sich seinem Gegner überlegen fühlt. Immerhin steht im „Opus nonaginta dierum" der Exkurs über die absolute und ordinierte Macht Gottes innerhalb einer ausführlichen Erörterung der Herrschaft und Königswürde Christi, in die rechtliche Überlegungen stark einfließen. Auch veranschaulicht Ockham die „potentia ordinata" mit dem, was Menschen „de iure", „licite" und „debite" tun können.136 Vor allem aber haben die Ausdrücke „ordinäre" und „ordinatio" selbst eine juristische Konnotation, wenngleich sie vom Weihesakrament bis zur überarbeiteten und autorisierten Fassung eines Sentenzenkommentars auch noch so manches andere bezeichnen können. So erwähnt Ockham im sechsten Quodlibet die „leges ordinatas et institutas a Deo" 137 , und wenn er erörtert, ob Christus entgegen der

131 132 133 134 135 136 137

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 5 (Vat. VI 365,7). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 5 8 6 , 2 9 0 · Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,38f). Op., cap. 95 (OPol II 728,494-496); Tr. Ben. III, cap. 3 (OPol III 2 3 4 , 2 3 - 2 5 ) . Op., cap. 71 (OPol II 596,97-110); Op., cap. 96 (OPol II 734,232-735,238). Op., cap. 95 (OPol II 726,413-414). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,23).

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

„ordinatio" seines Vaters wenigstens „de potentia absoluta" auf sein Königtum verzichten hätte können, ist mit „ordinatio" am ehesten eine moralische und/oder rechtliche Vorschrift gemeint. Ob die Entstehung eines theologischen und eines kanonistischen Begriffs der „potentia ordinata" miteinander zusammenhängen bzw. wie die gegenseitigen Einflüsse verlaufen sind, ist bislang leider ungeklärt.138 Daß sich die Scotische Lehre von der „potentia ordinata" und der „potentia absoluta" durch ihre ethisch-juristischen Konnotationen von Ockhams Auffassung unterscheide, ist daher übertrieben. Vielmehr unterscheiden sie sich dadurch, daß Duns Scotus in einem etwas stärkeren Ausmaß als Ockham ethisch-juristische Terminologie in seine Erklärung der doppelten Macht Gottes aufgenommen hat. b)

Die Unterscheidung „potentia absoluta " - „potentia ordinata " und die Unterscheidung „ de iure " - „ de facto "

Johannes Duns Scotus faßte die Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" in eine juristische Begrifflichkeit und setzte sie in Beziehung zum Begriffspaar „de iure" und „de facto". Demnach handelt jemand „de potentia ordinata", wenn er sich an vorgegebene Gesetze hält, wenn er also „de iure" vorgeht; er handelt hingegen „de potentia absoluta", wenn er ein geltendes Gesetz übertritt, also „de facto" handelt. Eugenio Randi hat scharfsichtig im „Tractatus contra Benedictum" eine Stelle aufgespürt, in der Ockham dieselben Begriffe einander, wie es scheint, ganz anders zuordnet, als es Scotus tut. Ockham schreibt dort nämlich:

138

William J. Courtenay: Potentia absoluta/ordinata. In: H W P 7 ( 1 9 8 9 ) 1157-1162, 1158f spricht nur von Gleichzeitigkeit. Randi: Sovrano, 33-36 deutet einen juristischen Ursprung an. Ebenso Ruedi Imbach: Notule sur la liberti humaine et divine selon Guillaume d'Ockham. In: Ders.: Quodlibeta. Ausgewählte Artikel/Articles choisis. Hrsg. v. Fancis Cheneval, Thomas Ricklin, Claude Pottier, Silvia Maspoli und Marianne Mösch. Freiburg, Schweiz: Universitätsverlag 1996 (Dokimion 20), 421-434, 427; vgl. auch Berndt Hamm: Promissio, Pactum, Ordinatio. Freiheit und Selbstbindung Gottes in der scholastischen Gnadenlehre. Tübingen: Mohr 1977 (BHTh 54), 462^166; Emerich Coreth: Gott im philosophischen Denken. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001, 118f. Dominique Fouyer: La toute-puissance divine dans la perspective scotiste. Une lecture de 1 Ordinatio (Opus oxoniensis [sie! statt oxoniense]) livre I, distinction 44 - question unique (debut). In: MSR 53 (1996) 65-80 will die Bedeutung von „potentia ordinata" aus dem Vorkommen des Wortes „ordinatus" in der Vulgata (statt in der Rechtswissenschaft) erhellen. Mag die Theologie des „Doctor subtilis" auch weniger unbiblisch sein, als oft angenommen wurde (vgl. dazu Werner Dettloff: Duns Scotus/Scotismus I. In: TRE 9 (1982) 218-231, 219f), so zeugt sein Sprachgebrauch doch wenig von biblischen Wurzeln. Daher ist es willkürlich, die Stelle Prov 8,23 als Grundlage fur eine christologische Interpretation der „potentia ordinata" zu bemühen.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus

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„Deus aliqua potest de potentia absoluta, quae tarnen numquam faciet de potentia ordinata (hoc est, de facto numquam faciet)". 139 Daraus geht nach Randi hervor, daß Ockham anders als Scotus die ,,potentia ordinata" nicht mit dem „de iure" verbindet, sondern mit dem „de facto" und daß er umgekehrt die „potentia absoluta" nicht mit dem „de facto" verbindet, sondern mit dem „de iure".140 Allein dieser Wechsel in der gegenseitigen Zuordnung der beiden Begriffspaare ist nach Randi schon ein Hinweis darauf, daß Ockham unter „potentia absoluta" und „potentia ordinata" etwas ganz anderes versteht als Scotus. Der Textbefund Randis trifft zu, seine Deutung läßt jedoch ein Mißverständnis befürchten, und den daraus gezogenen Schlußfolgerungen stimme ich nicht zu. Bei der Lektüre diesbezüglicher Texte aus der Feder von Scotus und Ockham fällt viererlei auf. Erstens verbindet Duns Scotus an wenigstens einer Stelle seiner „Ordinatio" den Ausdruck „de facto" mit „de potentia ordinata",141 wie es auch Ockham in „Tractatus contra Benedictum" tut, und nicht mit „de potentia absoluta", wie es nach Eugenio Randi zu erwarten wäre. Zweitens vergleicht Ockham, wenn er im „Opus nonaginta dierum" die Unterscheidung zwischen der „potentia ordinata" und der „potentia absoluta" Gottes erklärt, sie mit dem, was Menschen „de iure" und was sie „absolute" können, und zwar in einer Weise, als setze er die Zuordnung des „de iure" zur „potentia ordinata" voraus.142 (Das „absolute" steht schon in der Wortwahl der „potentia absoluta" nahe.) Wenigstens an dieser Stelle folgt Ockham also völlig der Scotischen Zuordnung der Begriffe. Drittens lassen zahlreiche Stellen vermuten, daß Ockham nicht nur im „Tractatus contra Benedictum", sondern von der „Reportatio" seines Sentenzenkommentars an bis zum dritten Teil des „Dialogus" durchgehend den Begriff „de facto" mit der „potentia ordinata" verbunden hat. Zwar konnte ich 139 140

141 142

Tr. Ben. III, cap. 3 (OPol III 2 3 4 , 1 2 - 1 3 ) . Randi: Vergine, 444. William J. Courtenay berichtigt diesen Fehlschluß stillschweigend und behauptet stattdessen, Ockham identifiziere „de facto" und „de iure"; vgl. Courtenay: Capacity, 121. Courtenays Formulierung ist, richtig verstanden, korrekt. Scotus: Ord. I, dist. 1, pars 1, qu. 2 (Vat. II 38,2-6): „dico quod de facto erit una visio et una fruitio essentiae in tribus personis ( . . . ) quod intelligendum est de potentia ordinata". Op., cap. 95 (OPol II 726,410-417). Randi versteht hingegen das „de iure" als „de iustitia" und sieht keinen Zusammenhang mit diesem Problem; vgl. Randi: Sovrano, 59, Anm. 18. Auch könnte er, wie in einem anderen Zusammenhang (Randi: Sovrano, 76), die Bedeutung einzelner Anwendungen eines Ausdrucks geringschätzen im Vergleich zur klaren Definition. Ob er jedoch unter dieser Voraussetzung aus dem einzigen Anwendungsfall von Tr. Ben. III, cap. 3 so weitreichende Folgerungen hätte ziehen sollen?

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

eine so eindeutige Formulierung wie „de potentia ordinata, hoc est: de facto" in den akademischen Schriften nicht finden. Doch immerhin kommt der Ausdruck „de facto et de potentia ordinata" vor.143 Ein andermal gesteht Ockham eine theoretische Möglichkeit nur unter der Einschränkung zu, „nisi esset ordinatio divina in contrarium, quae de facto ordinavit (...)." 144 Stellen, in denen einem „de potentia absoluta" ein schlichtes „de facto" statt des eigentlich zu erwartenden „de potentia ordinata" gegenübersteht, häufen sich.145 Daraus geht hervor, daß auch schon für den frühen Ockham „de potentia ordinata" und „de facto" bedeutungsgleich und austauschbar waren. Viertens konnte ich weder im „Tractatus contra Benedictum" noch an einer anderen Stelle des Ockhamschen Werkes einen Beleg für die Zuordnung des Ausdrucks „de iure" zur „potentia absoluta" finden.146 Duns Scotus verbindet also den Ausdruck „de facto" in der Regel mit der „potentia absoluta", Ockham hingegen mit der „potentia ordinata". Daraus folgt jedoch nicht, daß sich Scotus und Ockham unvereinbare Vorstellungen von der absoluten und der ordinierten Macht Gottes machen. Meiner Ansicht nach sollte daraus vielmehr geschlossen werden, daß Scotus und Ockham das Wort „de facto" jeweils anders verstehen. Duns Scotus meint offenkundig jenes „de facto", dem ein „de iure" gegenübersteht. Ockham hingegen meint ein „de facto", dem ein „de possibili" gegenübersteht. Zur Erläuterung sind vielleicht einige Beobachtungen über Ockhams Gebrauch des Ausdrucks „de facto" hilfreich. Natürlich kennt und verwendet der „Venerabiiis Inceptor" das Wortpaar „de facto" - „de iure", wenngleich aus

143 144 145

146

Rep. II, qu. 15 (OTh V 358,16). Rep. IV, qu. 7 (OTh VII 124,14-16). Rep. II, qu. 10 (OTh V 230,19-231,2); Rep. IV, qu. 3-5 (OTh VII 47,7-22); Rep. IV, qu. 7 (OTh VII 130,17-131,5); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 218,10-12); Ord., Prol., qu. 7 (OTh I 187,17-19); Quodl. III, qu. 10 (OTh IX 241,37-39); Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 588,81589,85); III Dial. I iii, cap. 1 (ed. Goldast 819,27-28). Vgl. Rep. III, qu. 7 (OTh VI 195,2-6); Rep. III, qu. 8 (OTh VI 242,14-16); Rep. IV, qu. 6 (OTh VII 101,11-12); Rep. IV, qu. 7 (OTh VII 133,5-7; 135,7-10); Qu. var., qu. 2 (OTh VIII 37,225-227); Ord., Prol., qu. 11 (OTh I 344,1-10); Ord., dist. 17, qu. 3 (OTh III 477,19-21); Quodl. IV, qu. 23 (OTh IX 411, 115-117); Quodl. IV, qu. 25 (OTh IX 419,74-77); Quodl. IV, qu. 29 (OTh IX 448,59-60); Tr. corp., cap. 6 (OTh X 101,41-42). Randi: Vergine, 430, Anm. 16 zitiert den „Tractatus contra Benedictum" (OPol III 233,37234,5 und 234,10-16) und kommentiert: „Si noti il parallello tra la possibiliä de potentia absoluta e la possibiliä de iure". Das Zitat enthält jedoch den Ausdruck „de iure" gar nicht. Leonard A. Kennedy, C.S.B.: Martin Luther and Scholasticism. In: Aug(L) 42 (1992) 339-349, 347f. will von einer solchen Ausdrucksweise bei den Nominalisten wissen, gibt jedoch keine Belege an.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus

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inhaltlichen Gründen fast ausschließlich in seinen publizistischen Schriften.147 Ebenso gebraucht er jedoch auch das Wortpaar „de facto" - „de possibili".148 Noch öfter vermeidet er das schwerfällige „de possibili", indem er einem Satz mit dem „de facto" einen anderen Satz mit dem Verb „posse" oder dem Adjektiv „possibile" gegenüberstellt.149 147

Op., cap. 1 (OPol I 293,25; 294,32-33); Tr. Ben. VI, cap. 7 (OPol III 286,12-13) [Zitat aus den Glossen zum Kirchenrecht!]; Comp., cap. 7 (OPol IV 74,241.242); Tr. Ben. VI, cap. 13 (OPol III 296,32); Tr. Ben. VII, cap. 7 (OPol III 310,5.15.29); Princ., cap. 2 (OPol I 233,99); Qu. pot. I, cap. 3 (OPol I 22,43); Qu. pot I, cap. 17 (OPol I 65,204); Qu. pot. IV, cap. 3 (Οροί I 128,111); Qu. pot. IV, cap. 6 (OPol I 139,117.118); Qu. pot IV, cap. 9 (OPol I 149,82.83); Qu. pot. IV, cap. 10 (OPol I 152,28); III Dial. II i, cap. 6 (ed. Goldast 877,34); III Dial. II i, cap. 7 (ed. Goldast 878,9.15-16); III Dial. II i, cap. 10 (ed. Goldast 878,2.19-20 [sic! Richtig würde die Seite mit 880 numeriert!]); III Dial. II i, cap. 18 (ed. Miethke, 230 und 236); III Dial. II ii, cap. 23 (ed. Miethke, 322); Brev. III 5 (OPol IV 176,48^19); Pot., cap. 27 (OPol IV 327,55). Vgl. Tr. Ben. VII, cap. 1 (OPol III 303,18.19); Tr. Ben. VII, cap. 5 (OPol III 308,4) Übrigens ist der Gegenbegriff zu „de iure" gleichfalls nicht eindeutig, denn Ockham kennt auch eine Unterscheidung zwischen „de iure" und „de gratia"; vgl. Op., cap. 3 (OPol I 322,453); Op., cap. 49 (OPol II 538,124.125.127-128); Qu. Pot. VII 2 (OPol 1 168,5; 169,39); Qu. pot. VII 3 (OPol 1170,4.17).

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Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 63,20-21); Rep. IV, qu. 16 (OTh VII 348,7-8); Qu. var., qu. 6, art. 3 (OTh VIII 220,2-3); Ord., Prol, qu. 2 (OTh 1122,3); Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 122,3); Quodl. III, qu. 10 (OTh IX 240,14). Vgl. Ord., dist. 17, qu. 3 (OTh III 479,7-8); In Ph. I, cap. 8, §2 (OPh IV 99,347-348). Rep. II, qu. 15 (OTh V 350,11-12 und 17-18; 352,8-9; 357,3-5); Rep. II, qu. 16 (OTh V 366,9.12.14.16); Rep. II, qu. 20 (OTh V 446,15-16); Rep. III, qu. 1 (OTh VI 7,2-3; 19,8; 31,6-7); Rep. III, qu. 6 (OTh VI 187,6-7); Rep. III, qu. 8. (OTh VI 228,6-7); Rep. IV, qu. 1 (OTh VII 5,15-16); Rep. IV, qu. 7 (OTh VII 123,17-18); Rep. IV, qu. 8 (OTh VII 143,14148,6; 145,1-2; 147,3-5); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 207,11-16); Rep. IV, qu. 16 (OTh VII 347,21-22; 360,24); Qu. var., qu. 3 (OTh VIII 88,512-514 und 519-520; 92,596; 96,689690); Qu. var., qu. 6, art. 8 (OTh VIII 245,35-36.44); Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 411,55-57); Ord., Prol., qu. 1 (OTh I 29,25-27; 32,11; 53,20-21; 73,5-6); Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 88,910); Ord., Prol., qu. 11 (OTh I 320,15-18); Ord., dist. 1, qu. 4 (OTh 1432,1); Ord., dist. 1, qu. 6 (OTh I 503,14-15); Ord., dist. 3, qu. 4 (OTh II 440,5-6); Ord., dist. 3, qu. 9 (OTh II 551,24); Ord., dist. 4, qu. 4 (OTh II 440,5-6); Ord., dist. 17, qu. 1 (OTh III 459,11-15); Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 556,9-10); Ord., dist. 42, qu. un. (OTh IV 617,7-9); In Per. I, cap. 5, §6 (OPh II 405,35); In Ph. I, cap. 11, §4 (OPh IV 115,22-23); In Ph. II, cap. 1, §4 (OPh IV 224,259-260); In Ph. III, cap. 13, §9 (OPh IV 560,172-173); In Ph. IV, cap. 7, §6 (OPh V 86,51); In Ph. IV, cap. 14, §5 (OPh V 156,153-154); In Ph. IV, cap. 14, §7 (OPh V 162,23-26); In Ph. IV, cap. 17, §13 (OPh V 193,83-84); S. L. III-1, cap. 20 (OPh I 415,108); Quodl. I, qu. 6 (OTh IX 39,94-40,96); Quodl. I, qu. 8 (OTh IX 47,41^12); Quodl. II, qu. 7 (OTh IX 145,84-85); Quodl. III, qu. 10 (OTh IX 241,37-38); Quodl. IV, qu. 5 (OTh IX 318,92-95); Quodl. IV, qu. 7 (OTh IX 334,149-150); Quodl. IV, qu. 9 (OTh IX 342,10-343,33); Quodl. IV, qu. 14 (OTh IX 370,98-99); Quodl. IV, qu. 15 (OTh IX 373,60-61); Quodl. IV, qu. 24 (OTh IX 412,8-19); Quodl. IV, qu. 31 (OTh IX 451,8-9); Quodl. IV, qu. 32 (OTh Κ 459,108-110); Op., cap. 76 (OPol II 622,717.720); Op., cap. 77 (OPol II 627,127.133-134); Op., cap. 124 (OPol II 832,25.27); I Dial V, cap. 2 (ed. Miethke, 32); Qu. pot. I, cap. 3 (OPol I 21,3-7); Qu. pot I, cap. 17 (OPol I 63,148-149); Qu. pot. I, cap. 19 (OPol I 67,15); Qu. pot II, cap. 10 (OPol I 87,37-38); Tr. Ben. Ill, cap. 3 (OPol III 233,23.27).

149

64

1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

Ockham gebraucht also die beiden Wortpaare „de iure" - „de facto" und „de facto" - „de possibili". Er erklärt jedoch nie, welchem Wortpaar jenes „de facto" zugehört, das er mit der „potentia ordinata" verbindet. Zur Entscheidung dieser Frage sind wir daher auf indirekte Hinweise angewiesen. Aussagen zur „potentia absoluta" sind dabei nicht sehr hilfreich, denn Ockham verwendet meines Wissens im Zusammenhang mit ihr weder das Wort „de iure" noch das Wort „de possibili" jemals. Daß Ockham als Gegenbegriff zum „de facto" ein „de possibili" voraussetzt, dafür lassen sich zwei Gründe anführen. Erstens entspricht die Unterscheidung zwischen der absoluten und der ordinierten Macht Gottes (anders als beim Menschen) eher der Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, die das Wortpaar „de facto" - „de possibili" ausdrückt, als der Unterscheidung zwischen faktischem Sein und rechtlichem Sollen, für das die Ausdrücke „de facto" und „de iure" stehen. Eine Verbindung der absoluten Macht Gottes mit „de iure" ist hingegen weniger leicht zu denken. Wollte man sagen, Gott übe seine absolute Macht „zurecht" aus,150 verschiebt man den Vergleichspunkt, denn beim „de iure" geht es nicht darum, ob Gott seine Allmacht rechtmäßig besitzt, sondern darum, ob sie sich auf alle seine Möglichkeiten erstreckt, die einem Gesetz nach offen sind. Will man das „de iure" aber genau so verstehen, so verliert es seine begrifflichen Grenzen, weil sie ja nicht wie die „potentia ordinata" von Gottes „ordinatio" zu verstehen ist und Gott außer dieser (und dem Kontradiktionsprinzip) keiner Regel unterworfen ist. Da sich also ein „de possibili" zwangloser als ein „de iure" als Gegenbegriff zu „de facto" mit der „potentia absoluta" verbinden läßt, ist die unkompliziertere Deutung vorzuziehen. Zweitens müssen wir auf das „Opus nonaginta dierum" zurückkommen, wo Ockham das „de iure" wie Duns Scotus mit der „potentia ordinata" verbindet.151 Diese Stelle bleibt nur fur Randis Deutung rätselhaft, läßt sich aber zwanglos erklären. Ockham fühlte sich frei, die „potentia ordinata" mit dem „de iure" zu verbinden, weil er die „potentia absoluta" gedanklich nicht auch damit verband, sondern mit dem „de possibili".152

150 151 152

So scheint es zu verstehen Randi: Sovrano, 108; vgl. Libera: Philosophie, 423. Op., cap. 95(OPol II 726,413). Allster E. McGrath: Homo assumptus? Α Study in the Christology of the Via moderna with Particular Reference to William of Ockham. In: EThL 40 (1984) 283-297, 288 scheint die Ausdrücke „de potentia absoluta" - „de potentia ordinata" und „de possibili" - „de facto" einander korrekt zuzuordnen, was umso bemerkenswerter ist, als Ockhams Unterscheidung im Allmachtsbegriff in diesem Aufsatz nur beiläufig behandelt wird.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus c)

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Das Subjekt der absoluten und ordinierten Macht

Zusammen mit anderen sieht Eugenio Randi als einen charakteristischen Unterschied zwischen dem Scotischen und dem Ockhamschen Verständnis der „potentia absoluta" und der „potentia ordinata", daß sich nach Scotus diese Unterscheidung auf jeden mit Intellekt und Willen Handelnden anwenden läßt, nach Ockham jedoch nur auf Gott.153 Wenngleich Eugenio Randi einer richtigen Einsicht auf der Spur ist, trifft seine Formulierung doch den Sachverhalt nicht. Sowohl Duns Scotus als auch Ockham geht es hauptsächlich um die Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht. Unterschiede zwischen den beiden Denkern ergeben sich einfach daraus, daß sie von Verschiedenem sprechen. Während Scotus die „potentia absoluta" und die „potentia ordinata" ganz allgemein definiert,154 bestimmt Ockham die „potentia Dei absoluta" und die „potentia Dei ordinata".155 Doch nähert sich Scotus an Ockham an, indem er die Unterscheidung, die für jeden mit Intellekt und Willen Handelnden gilt, in einem zweiten Schritt auf Gott anwendet.156 Ebenso will Ockham, wenn er nur die „potentia Dei absoluta" und die „potentia Dei ordinata" bestimmt, keineswegs bestreiten, daß der Gegensatz von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" auch hinsichtlich der Menschen und Engel sinnvoll anwendbar und brauchbar ist.'57 Der Gegensatz zwischen Scotus und Ockham ist also in dieser Frage geringer, als manchmal angenommen wird. Daß Ockham eine allgemeine Unterscheidung zwischen der „potentia absoluta" und der „potentia ordinata" kennt, die der von ihm definierten Unter153

154

155

156

157

Randi: Vergine, 443; Eugenio Randi: A Scotist Way of Distinguishing Between God's Absolute and Ordained Power. In: From Ockham to Wyclif. Hrsg. v. Anne Hudson und Michael Wilks. Oxford 1987 (SCH(L).S 5), 46; Foyer: toute-puissance, 73, Anm. 12. Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 3 (Vat. VI 363,17-20): „In omni agente per intellectum et voluntatem, potente conformiter agere legi rectae et tarnen non necessario conformiter agere legi rectae, est distinguere potentiam ordinatam a potentia absoluta" (Hervorhebung, Η. Sch.). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 585,14f): „quaedam potest Deus facere de potentia ordinata et aliqua de potentia absoluta"; Op., cap. 95 (OPol II 725,375-378): „Quarto declarant quomodo debet intelligi distinctio theologorum dicentium in Deo esse duplicem potentiam, scilicet absolutam et ordinatam; et quomodo Deus potest aliqua facere de potentia absoluta, quae non potest de potentia ordinata"; Tr. Ben. Ill, cap. 3 (OPol III 233,37-38): „sciendum, quod ad recte intelligendum distinctionem de potentia Dei absoluta et ordinata ..." (Hervorhebungen, Η. Sch.). Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 6-7 (Vat. VI 365,9-366,3): „Ad propositum ergo applicando (...) Deus ergo, agere potens secundum illas rectas leges ut praefixae sunt ab eo, dicitur agere secundum potentiam ordinatam; ut autem potest multa agere quae non sunt secundum illas leges iam praefixas, sed praeter illas, dicitur eius potentia absoluta". Clark: Ockham, 148, Anm. 55; Heinzmann: Philosophie, 261; Fritz Hoffmann: OckhamRezeption und Ockham-Kritik im Jahrzehnt nach Wilhelm von Ockham in Oxford 1322-1332. Münster: Aschendorff 1998 (BGPhMA.NF 50), 27.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

Scheidung zwischen der „potentia Dei absoluta" und der „potentia Dei ordinate" vorausgeht, ergibt sich daraus, daß er zwar selten, aber immer wieder diese Begriffe auf Geschöpfe anwendet. In der „Reportatio" erklärt er etwa, daß die Verdammten von ihrem Gotteshaß nicht mehr ablassen und die Seligen wie auch die guten Engel nicht sündigen können, nicht einmal aufgrund ihrer „potentia absoluta".158 Seine Definition der „potentia Dei absoluta" und der „potentia Dei ordinata" schließt Ockham mit dem Vergleich zu einer analogen Unterscheidung beim Papst,159 dessen „potentia ordinata vel absoluta" er im „Dialogus" ausdrücklich erwähnt, jedoch nur für Einzelfälle und mit der Beschränkung durch göttliches Recht und Naturrecht gelten läßt.160 An dieser Stelle zeigt sich auch, daß Ockham die „potentia absoluta" des Papstes mit seiner „plenitudo potestatis" verbindet, die er häufig erörtert. Im selben Zusammenhang erwähnt Ockham die „potentia absoluta" des Papstes nochmals im „Tractatus contra Benedictum", wo er sie allerdings nicht nur beschränken, sondern gänzlich bestreiten möchte.161 Kurz sei noch daraufhingewiesen, daß Ockham einmal von dem spricht, was die Menschen „absolute" können,162 und daß er die Freiheit von der Notwendigkeit als Voraussetzung fur die Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Macht nicht nur für Gott, sondern auch für die Menschen beweist,163 wenngleich er die Unterscheidung selbst anschließend nicht ausdrücklich auf sie anwendet. Gegen einige dieser Beispiele mag man einwenden, daß sie von der „potentia absoluta" eines Menschen nur verneinend sprechen. Doch meiner Ansicht nach beeinträchtigen die negativen Formulierungen die Anwendbarkeit 158

159 160

161

162 163

Rep. II, qu. 15 (OTh V 341,14-16): „nullo modo, etiam de potentia absoluta voluntatis creatae, potest in actum peccati"; Rep. II, qu. 15 (OTh V 342,5f): „non potest voluntas creata in oppositum de potentia sua absoluta"; Rep. II, qu. 15 (OTh V 345,26-346,4): „Sed angelus bonus semper existit sub actu beatifico, nec potest ab illo cessare, sicut patet per praedicta. Igitur nunquam potest peccare de potentia sua etiam absoluta, quia actus peccati formaliter repugnat actui beatifico"; vgl. Ord., dist. 1, qu. 2 (OTh I 399, 1 lf). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586, 29f): „Sicut papa aliqua non potest secundum iura statuta ab eo, quae tarnen absolute potest". III Dial. I i, cap. 16 (ed. Miethke, 114): „lila sententia, sicut dixi, tenet, quod papa talem plenitudinem potestatis in temporalibus et spiritualibus, ut omnia per potentiam ordinatam vel absolutam possit, que non sunt contra ius divinum nec contra ius naturale, non habet regulariter et simpliciter neque a iure divino neque humano, sed ex ordinatione Christi sive iure divino habet casualiter sive in casu et secundum quid huiusmodi plenitudinem potestatis". Tr. Ben. VI, cap. 2 (OPol III 273,26-30): „Ista autem radix in quadam alia est fandata, quod scilicet papa habet a Christo plenitudinem potestatem tam in spiritualibus quam in temporalibus, ut de potentia absoluta omnia possit, quae non sunt contra legem divinam vel legem naturae". Op., cap. 95 (OPol II 726,416-417): „Aliter dicimur posse ilia, quae absolute possumus sive bene sive male"; vgl. allerdings Randi: Sovrano, 75, Anm. 48. Op., cap. 95 (OPol II 722,276-724,329); Tr. Ben. III, cap. 3 (OPol III 233,1-14).

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus

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der Unterscheidung auf Geschöpfe nicht. Zu sagen, daß die seligen Engeln nicht einmal „de potentia sua absoluta" sündigen können, ist eine Sache; zu sagen, sie hätten keine absolute Macht, ist etwas anderes. Zu sagen, der Papst, besitze keine oder nur eine eingeschränkte „potentia absoluta", ist eine Sache; zu sagen, die Unterscheidung sei auf ihn nicht anwendbar, ist etwas anderes. Daher geht aus all diesen Beispielen hervor, daß Ockham die Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" zwar nur für Gott definiert, sie aber keineswegs auf Gott beschränkt, sondern sie vielmehr wie auch Scotus für Engel und Menschen gelten läßt. Freilich bedeutet die „potentia absoluta" eines Menschen bei Ockham etwas anderes als die „potentia absoluta" Gottes. Beim Menschen umfaßt sie nämlich nicht alles, was keinen Widerspruch enthält,164 sondern ist durch die Gesetze des Naturrechts und des positiven göttlichen Rechts eingeschränkt. d)

Die innere Dynamik der Unterscheidung

Nach Eugenio Randi unterscheiden sich der Scotische und der Ockhamsche Gebrauch der Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" auch in ihrer inneren Dynamik. Damit meint er, daß nach Scotus Gottes absolute Macht seine ordinierte Macht übersteigt, nach Ockham hingegen seine absolute Macht „früher" ist als seine absolute Macht. Tatsächlich drückt sich Scotus zunächst so aus, wenn er darlegt, daß jemand „de potentia ordinata" gemäß einem Gesetz handeln kann, aber „de potentia absoluta" auch ohne oder gegen das Gesetz.165 Doch aus der folgenden Diskussion geht hervor, daß dies nicht uneingeschränkt gilt. Es macht nämlich einen Unterschied, ob das Gesetz in der Macht dessen steht, der handelt. Steht das Gesetz nicht in seiner Macht, übersteigt seine „potentia absoluta" seine „potentia ordinata", weil er gegen das Gesetz verstoßen und somit „inordinate" handeln kann.166 Steht das Gesetz hingegen in der Macht dessen, der han164

Damit begründet Alessandro Ghisalberti: Onnipotenza e Contingenza del Mondo in Guglielmo di Ockham. In: Sopra la volta del mondo. Onnipotenza e potenza assoluta di Dio fra XIII e XVII secolo. Proceedings of the Workshop of Milan, May 9 - 1 0 . Hrsg. ν. Mariateresa Beonino-Brocchieri Fumagalli. Bergamo: Lubrino 1984, 3 3 - 5 5 , 49 die Bestreitung einer „potentia absoluta" eines Menschen.

165

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 3 (Vat. VI 363,20-364,4): „et ratio huius est, quia potest agere conformiter ίIii legi rectae, et tunc secundum potentiam ordinatam (ordinata enim est in quantum est principium exsequendi aliqua conformiter legi rectae), et potest agere praeter ilIam legem vel contra eam, et in hoc est potentia absoluta, excedens potentiam ordinatam."

166

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 4 (Vat. VI 364,11-14): „Quando autem illa lex recta secundum quam ordinate agendum est - non est in potestate agentis, tunc potentia eius absoluta non potest excedere potentiam eius ordinatam circa obiecta aliqua, nisi circa illa agat inordinate".

68

1. Kapitel: „Deus nihil potestfacere

inordinate'

delt, kann er sich darüber hinwegsetzen, indem er es außer Kraft setzt und ein neues Gesetz erläßt. Dann übersteigt seine „potentia absoluta" nicht schlechthin seine „potentia ordinata" - denn was immer er tut, entspricht dem gerade geltenden Gesetz - sondern seine „potentia absoluta" übersteigt nur insoweit seine „potentia ordinata", als diese am früheren Gesetz gemessen wird.167 Im Fall Gottes steht das Gesetz, nach dem sich seine ordinierte Macht bestimmt, stets in seiner Macht.168 Daher übersteigt seine „potentia absoluta" nicht schlechthin seine „potentia ordinata". Folglich handelt Gott nicht „inordinate".169 Auch hier vermag ich keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Duns Scotus und Wilhelm von Ockham zu erkennen. Wie erwähnt, definiert Ockham nicht die „potentia absoluta" bzw. „potentia ordinata" an sich, sondern gleich die „potentia absoluta" bzw. „potentia ordinata" Gottes. Daher setzt er voraus, daß die Gesetze bzw. die „ordinatio" in der Macht des Handelnden stehen, nämlich Gottes. Wie Scotus meint Ockham, daß Gott (wenn man den Satz richtig versteht!) manches „de potentia absoluta" tun kann, was er „de potentia ordinata" nicht tut. Ockham sagt jedoch auch, daß Gott alles, was er tut, „de potentia ordinata" tut; Scotus hingegen sagt, daß Gott alles, was er tut, „ordinate" tut. Doch beide meinen damit das gleiche,170 daß nämlich bei Gott - Scotisch gesprochen - die absolute Macht die ordinierte „nicht schlechthin" übersteigt. Wie sich dies beim gewöhnlichen Menschen verhält, der das Gesetz seines Handelns nicht in seiner Macht hat, erörtert Ockham im Gegensatz zu Scotus nicht ausdrücklich. Doch läßt sich die Stelle aus dem „Opus nonaginta dierum", die von der absoluten und ordinierten Macht des Menschen handelt, so am besten verstehen, daß der Mensch „absolute", nicht aber „de iure" gegen das göttliche Gesetz handeln, d. h. sündigen könne, daß also die „potentia ab-

167

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 5 (Vat. VI 364,20-365,7): „Sed quando in potestate agentis est lex et rectitudo legis, ita quod non est recta nisi quia statuta, tunc potest aliter agens ex libertate sua ordinäre quam lex ilia recta dictet; et tarnen cum hoc potest ordinate agere, quia potest statuere aliam legem rectam secundum quam agat ordinate. Nec tunc potentia sua absoluta simpliciter excedit potentiam ordinatam, quia esset ordinata secundum aliam legem sicut secundum priorem; tamen excedit potentiam ordinatam praecise secundum priorem legem, contra quam vel praeter quam facit". Randi beachtet nicht das „nec (...) simpliciter"; vgl. Randi: Sovrano, 63.

168

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 7 (Vat. VI 365,16-366,3): „Deus ergo, agere potens secundum illas rectas leges ut praefixae sunt ab eo, dicitur agere secundum potentiam ordinatam; ut autem potest multa agere quae non sunt secundum illas leges iam praefixas, sed praeter illas, dicitur eius potentia absoluta". Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 13 (Vat. VI 369,5-8): „si faceret [seil. Deus] res alio modo quam nunc ordinatum est eas fieri, non propter hoc inordinate fierent, quia si statueret alias leges secundum quas fierent, eo ipso ordinate fierent". Vgl. Leppin: Wahrheit, 48-50; Volker Leppin: Does Ockham's Concept of Divine Power Threaten Man's Certainty of the World? In: FrS 55 (1998) 169-180, 173.

169

170

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus

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soluta" des Menschen seine „potentia ordinata" schlechthin übersteigt.171 Auch darin stimmt Ockham also mit Scotus überein. Was Eugenio Randi damit meint, daß nach Ockham die „potentia absoluta" früher sei als die „potentia ordinata", bleibt etwas rätselhaft. Ein zeitlicher Sinn des „früher" ist natürlich auszuschließen, vielmehr spricht Randi von einem logischen „früher". Sofern damit gemeint ist, daß etwas nicht wirklich getan werden kann, wenn es nicht möglich ist, oder daß etwas nur dann praktisch möglich ist, wenn es unabhängig davon grundsätzlich möglich ist, stimmt dies. Dann ist es aber kaum glaubwürdig, daß Scotus anderer Meinung war. Falls hingegen im Anschluß an manche Aussagen Ockhams über das, was der Natur nach früher ist, gemeint ist, daß die „potentia absoluta" irgendwie ohne die „potentia ordinata" bestehen kann oder daß die Behauptung der Existenz einer „potentia ordinata" die Behauptung der Existenz einer „potentia absoluta" voraussetzt, aber nicht umgekehrt, würde Ockham ein so verstandenes „früher" der „potentia absoluta" bestreiten.172 Denn wie noch zu zeigen ist, gibt es eine notwendige Entwicklung von der „potentia absoluta" zur „potentia ordinata", der sich nicht einmal Gott entziehen kann. Nach allem, was bislang angeführt wurde, besteht der Unterschied zwischen dem Scotischen und dem Ockhamschen Verständnis der Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Macht nur in den unwesentlichen Kleinigkeiten, daß Scotus stärker auf juristische Terminologien und Analogien zurückgreift als Ockham und die Unterscheidung zunächst allgemein bestimmt und dann erst auf Gott anwendet, während Ockham sie gleich auf diesen Anwendungsfall hin einfuhrt. Im folgenden sind die Bestimmungen der „potentia absoluta" und der „potentia ordinata" bei Scotus und Ockham zu vergleichen und nach weiteren Unterschieden zu untersuchen.

171 Vgl. Op., cap. 95 (OPol II 726,412-417). 172 Vgl. Krings: Moderne, 10.

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate"

2)

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Duns Scotus und Ockham im Verständnis von „potentia absoluta" und „potentia ordinata"

a)

Vergleich zwischen Scotus und Ockham bezüglich der „potentia absoluta "

Wie schon ausgeführt wurde, versteht Ockham „potentia absoluta" und „potentia ordinata" nicht als strengen Gegensatz, sondern Gottes absolute Macht umfaßt auch alles Widerspruchsfreie, also auch das, was unter seine ordinierte Macht fällt. Johannes Duns Scotus äußert sich dazu nicht überall in der wünschenswerten Klarheit. In den „Reportata Parisiensia" und in der siebten Distinktion des zweiten Buches seiner „Ordinatio" ordnet er die Begriffe einander zu, wie es auch Ockham tut: Die absolute Macht erstreckt sich auf das Widerspruchsfreie, die ordinierte Macht auf das, was mit Gottes Gesetzen übereinstimmt. Das schließt ein, daß Gott zwar nichts „inordinate" tut, doch alles auch „de potentia absoluta".173 Sogar der ausfuhrlichste Text, den uns Scotus zur Unterscheidung von absoluter und ordinierter Macht hinterlassen hat, nämlich die Distinktion 44 seiner „Ordinatio" zum ersten Buch der Sentenzen, erklärt zweimal, Gott könne „de potentia absoluta" handeln, weil er alles vermag, was keinen Widerspruch enthält,174 ohne dies freilich als Definition der „potentia absoluta" darzustellen. Demselben Text meinen manche ein anderes Verständnis von „potentia absoluta" entnehmen zu müssen, als sie es bei Ockham und an den mit diesem übereinstimmenden anderen Scotus-Stellen finden. Denn es scheint, als schlössen die Begriffe der „potentia absoluta" und der „potentia ordinata", wie Scotus sie erklärt, einander aus, sodaß, was „de potentia ordinata" mög-

173

Scotus: Rep. IV, dist. 1, qu. 5, n. 2 (Vives XXIII 559a): „Aliquid autem est possibile Deo dupliciter; vel secundum ejus potentiam absolutam, qua potest omne id quod non includit contradictionem; aut secundum potentiam ejus ordinatam, secundum quam fit omne illud quod consonat legibus divinae justitiae, et regulis sapientiae ejus; quod si fieret aliter, et secundum alias leges statutes et ordinatas a divina voluntate non inordinate fieret, sed ita ordinate sicut modo secundum ista"; Scotus: Ord. II, dist. 7, qu. un., n. 18 (Vives XII 394a): „Impossibilitas autem ex parte Dei assignatur duplex, scilicet ex parte potentiae Dei absolutae, et potentiae ordinatae. Absoluta est respectu cuiuslibet, quod non includit contradictionem (...). Potentia ordinata Dei, sicut tactum fuit in primo üb. d. 44. est ilia, quae conformis est in agendo regulis praedeterminatis a divina sapientia, vel magis a divina voluntate".

174

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un. n. 7 (Vat. VI 366,3-7); Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un. η. 11 (Vat. VI 367,20-21).

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ockham und Duns Scotus

71

lieh ist, nicht auch „de potentia absoluta" möglich ist, und was „de potentia absoluta" geschehen kann, nicht „de potentia ordinata" geschehen kann.175 Scotus bestimmt hier die absolute wie auch die ordinierte Macht anhand eines richtigen Gesetzes („lex recta"). Diesem richtigen Gesetz entsprechend handeln zu können, darin besteht die „potentia ordinata". Die „potentia absoluta" hingegen besteht darin, ohne Rücksicht auf dieses richtige Gesetze („praeter illam legem") oder gegen es („contra eam") handeln zu können. 176 Nun kann eine Handlung einem Gesetz entweder entsprechen oder nicht entsprechen, jedoch nicht beides zugleich, und in diesem Aspekt schließen sich „potentia absoluta" und „potentia ordinata" tatsächlich aus. Doch ein Verhalten gegen („contra") das Gesetz ist nur eine von zwei möglichen Betätigungsweisen der absoluten Macht neben einem Verhalten „praeter illam legem". Dieses „praeter legem" ist schwierig zu deuten. Ich verstehe es als „ohne Rücksicht auf das Gesetz". Damit läßt sich die hier vorgelegte Erklärung der „potentia absoluta" mit der in Einklang bringen, die Scotus sonst vorlegt. Denn eine „potentia absoluta", die sich nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch ohne Rücksicht auf das Gesetz betätigen kann, kann gleichwohl dem Gesetz entsprechen. Damit schließen absolute und ordinierte Macht einander nicht aus, wie sie es täten, wenn man die „potentia absoluta" auf das Handeln gegen das Gesetz beschränkte. Vielmehr bezieht sich die „potentia absoluta" auf einen größeren Bereich als die „potentia ordinata", deren Wirkmöglichkeiten jedoch in denen der absoluten Macht enthalten sind.177 Dieses Verständnis der absoluten Macht gilt für jeden, der frei handeln kann. Wird es auf Gott angewandt, läßt sich der Bereich der „potentia absoluta" näher als der des Widerspruchsfreien bestimmen. Das ist aber genau jenes Verständnis von absoluter Macht, das sich auch bei Ockham und an den anderen angeführten Stellen bei Scotus findet. Ein Unterschied zwischen Scotus und Ockham im Verständnis der „potentia absoluta" (wie im Fall der „potentia ordinata") läßt sich also ebensowenig finden wie ein Widerspruch zwischen verschiedenen Äußerungen von Scotus selbst.

175 176 177

Randi: Sovrano, 57. Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un. n. 3 (Vat. VI 363,17-364,4). Adams: Ockham, 1191.

72 b)

1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate' Vergleich zwischen Duns Scotus und Ockham bezüglich der „potentia ordinata "

Duns Scotus und Wilhelm von Ockham bestimmen die „potentia ordinata" anhand eines Gesetzes. Wie schon erörtert wurde, äußert sich Ockham nicht klar darüber, ob dieses Gesetz eine allgemeine Regel ist, die im einzelnen Spielraum läßt, oder eine bis in die Einzelheiten gehende Bestimmung für den ganzen Weltlauf. Im Gegensatz zu ihm legt sich Duns Scotus in dieser Frage fest. Er versteht das Gesetz, durch das er die „potentia ordinata" bestimmt, als allgemeines Gesetz,178 in dessen Rahmen Raum bleibt, um in speziellen Fällen besonders zu verfahren. Damit hängt ein weiterer Unterschied zwischen Scotus und Ockham zusammen. Bei Ockham ist keine Unterscheidung zwischen der Modalbestimmung „de potentia ordinata" und dem Adverb „ordinate" zu erkennen, während Scotus hier anscheinend einen Unterschied macht. Denn wie eben erwähnt, richtet sich die „potentia ordinata", wie Scotus sie versteht, nach einem allgemeinen Gesetz. „Ordinate" kann etwas hingegen auch nach Scotus sowohl nach einer allgemeinen als auch nach einer speziellen Ordnung geschehen.179 Damit sind die wichtigsten Unterschiede zwischen dem Scotischen und dem Ockhamschen Verständnis der Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" genannt. Ich komme nun zu einer Schlüsselfrage für die Auslegung dieser Unterscheidung, nämlich der Behauptung beider Denker, Gott könne nichts „inordinate" tun.

IV. „Deus nihil potest facere inordinate" Aufgrund des Vorangegangenen läßt sich nun der Satz interpretieren, daß Gott nichts „inordinate" tun könne, sondern alles, was er tut, „de potentia ordinata" tut. Diese Bemerkung Ockhams scheint sich nicht mit dem Prinzip zu vertragen, daß für Gott alles möglich ist, was keinen Widerspruch enthält. Denn darin, daß etwas „inordinate" geschieht, ist kein Widerspruch ersicht178

179

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., η. 11 (Vat. VI 367,15-17): „Potentia tarnen ordinata non dicitur nisi secundum ordinem legis universalis, non autem secundum ordinem legis rectae de aliquo particulari". Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 9 (Vat. VI 366,20-367,4): „Advertendum etiam est quod aliquid esse ordinatum et ordinate fieri, hoc contingit dupliciter: Uno modo, ordine universali (...). Secundo modo, ordine particulari (...)"; vgl. Leppin: Concept.

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inordinate'

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lieh. Nicht die „potentia ordinata" ist durch das Kontradiktionsprinzip begrenzt, sondern die „potentia absoluta". Die Grenzen der ordinierten Macht Gottes sind viel enger gesteckt, sodaß manches Widerspruchsfreie nur „de potentia absoluta", nicht „de potentia ordinata" möglich ist. - Gegen den anfänglichen Anschein der Plausibilität einer solchen Deutung soll der soeben begonnene Abschnitt zeigen, daß Ockham sein Prinzip, Gott könne alles tun, was keinen Widerspruch enthält, nicht verletzt hat. Daß Gott nichts „inordinate" tun kann, läßt sich als Ausdruck und Folge des Kontradiktionsprinzips verstehen. Gleichzeitig ist die kurze Bemerkung Ockhams „Deus nihil potest facere inordinate" ein Schlüsselsatz, an dessen Erklärung sich jede Darstellung seiner Lehre von der doppelten Macht Gottes zu bewähren hat. Anscheinend als erster hat auf die Bedeutung dieses Satzes Werner Dettloff hingewiesen, der darin freilich eine Bindung der absoluten Macht Gottes an die absolute Gutheit des göttlichen Wesens angedeutet sieht.180 Eine solche Beschränkung der absoluten Macht Gottes, von der Ockham nur wenige Zeilen später sagt, sie sei nur an das Kontradiktionsprinzip gebunden,181 geht aus dem kurzen Satz freilich nicht klar hervor. Es geht vielmehr um das subtile Wechselspiel zwischen der „potentia Dei absoluta" und der „potentia Dei ordinata". In der Formel, daß Gott nichts „inordinate" tun kann, sind sich Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham einig.182 Doch wird behauptet, daß sie für beide eine unterschiedliche Bedeutung habe.183 Eine Stellungnahme zu dieser These setzt die Darstellung des Scotischen und des Ockhamschen Verständnisses voraus, die nun erfolgen soll.

180

Werner Dettloff: Die Entwicklung der Akzeptations- und Verdienstlehre von Duns Scotus bis Luther mit besonderer Berücksichtigung der Franziskanertheologen. Münster: Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung 1963 (BGPhMA 40, Heft 2), 282; vgl. Bannach: Lehre, 19. Die Frage, die Dettloff bewegt, wie sich nämlich die göttliche Allmacht zur Ethik verhält, wird im nächsten Kapitel behandelt.

181 182

Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,24-26). Vgl. den einleitenden Einwand von Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., η. 1 (Vat. VI 3 6 3 , 9 - 1 1 ) : „Et videtur quod non: Quia tunc posset facere res inordinate. Consequens est falsum, ergo et antecedens". Die Auflösung des Einwandes lautet Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 13 (Vat. VI 369,5-7): „consequentia non valet, quia si faceret res alio modo quam nunc ordinatum est eas fieri, non propter hoc inordinate fierent". Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,20-21).

183

Courtenay: Capacity, 120.

74

1)

1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate" Das Scotische Verständnis von „Deus nihil potest facere inordinate"

Scotus greift in seiner Darlegung der Unterscheidung von „potentia absoluta" und „potentia ordinata" stark auf juristische und kanonistische Begriffe und Vorstellungen zurück. Dies gilt auch für sein Verständnis der göttlichen Unfähigkeit, „inordinate" zu handeln. Doch er definiert die Unterscheidung nicht gleich für Gott, sondern bestimmt sie zunächst allgemein für jeden, der angesichts eines Gesetzes frei und vernünftig handeln kann; erst danach wendet er sie auf Gott an. Von den Wesen, an denen sich eine absolute und eine ordinierte Macht unterscheiden lassen, können die meisten „inordinate" handeln, einige aber bezüglich mancher Gesetze nicht. Das Unterscheidungskriterium bildet die Frage, ob das Gesetz, durch das „potentia absoluta" und „potentia ordinata" bestimmt werden, in der Macht des Handelnden steht oder nicht. Wenn das Gesetz nicht in der Macht des Handelnden steht, kann dieser zwar frei dem Gesetz entsprechen (und demnach „de potentia ordinata" handeln), gegen es verstoßen oder es unberücksichtigt lassen (d. h. „de potentia absoluta" handeln). Verstößt er jedoch gegen das Gesetz, handelt er nicht „de potentia ordinata", sondern „inordinate".184 Dieser Fall gilt nicht für Gott, weil das göttliche Gesetz in seiner Macht steht. Doch alle freien Geschöpfe können, weil sie auf das göttliche Gesetz verpflichtet sind, auf seine Forderungen aber keinen Einfluß haben, hinsichtlich dieses göttlichen Gesetzes „inordinate" handeln. Wenn das Gesetz hingegen in der Macht des Handelnden steht, handelt er selbst dann „ordinate", wenn er gegen das Gesetz verstößt. Denn er setzt das bislang geltende Gesetz außer Kraft und erläßt ein neues Gesetz, demgemäß er dann „ordinate" handelt.185 Daher kann er zwar bezüglich eines bestimmten Gesetzes frei „ordinate" oder „inordinate" handeln, doch schlechthin „inordinate" handeln kann er nicht, weil das jeweils geltende Gesetz in seiner Macht

184

185

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 4 (Vat. VI 364,11-19): „Quando autem illa lex recta secundum quam ordinate agendum est - non est in potestate agentis, tunc potentia eius absoluta non potest excedere potentiam eius ordinatam circa obiecta aliqua, nisi circa illa agat inordinate. (...) Unde omnes qui subsunt legi divinae, si non agunt secundum illam, inordinate agunt". Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 5 (Vat. VI 364,20-365,7): „Sed quando in potestate agentis est lex et rectitudo legis, ita quod non est recta nisi quia statuta, tunc potest aliter agens ex libertate sua ordinäre quam lex illa recta dictet; et tamen cum hoc potest ordinate agere, quia potest statuere aliam legem rectam secundum quam agat ordinate. Nec tunc potentia sua absoluta simpliciter excedit potentiam ordinatam, quia esset ordinata secundum aliam legem sicut secundum priorem; tamen excedit potentiam ordinatam praecise secundum priorem legem, contra quam vel praeter quam facit".

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inordinate"

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steht und daher stets das erlaubt, was er tatsächlich tut. Dies gilt fur Gott schlechthin, weil die Weltordnung in seinen Händen ruht und er an kein irdisches Gesetz gebunden ist. Auch im weltlichen Bereich treten solche Fälle auf, denn fur jene Herrscher, die in ihrem Bereich frei Gesetze geben dürfen, gilt dies gleichfalls, jedoch nur bezüglich jener Gesetze, die in ihrer Macht stehen. Daher weist Duns Scotus zur Veranschaulichung ausdrücklich auf den Fürsten und das positive Gesetz hin.186 Dahinter stehen Gedanken zur Stellung des Kaisers, die das Mittelalter aus dem spätrömischen Recht übernommen hat. Nach einer (politisch übrigens völlig wirkungslosen) Bestimmung ist der Kaiser nicht an die Gesetze gebunden, sondern ihrer ledig („legibus solutus"),187 wenngleich es als angemessen galt, daß er sich freiwillig an sie hält. Außerdem hat der Wille des Kaisers Gesetzeskraft. Daher ist es dem Kaiser gerade wegen seiner überragenden Machtstellung logisch unmöglich, ein Pferd zu stehlen. Denn wenn er wünscht, daß das Pferd ihm gehört, so hat sein Wille Gesetzeskraft. Um das Tier zu stehlen, müßte er aber das Gesetz wider den Pferdediebstahl übertreten, obwohl es ihn nicht binden kann. Daß Gott nicht „inordinate" handeln kann, begründet Duns Scotus in Analogie zu den merkwürdigen Folgerungen aus der kaiserlichen Machtfulle im spätrömischen Rechtsdenken damit, daß Gott die Gesetze, nach denen seine absolute und ordinierte Macht bestimmt werden, frei erlassen und wieder aufheben kann. Wie erwähnt wurde, lockert Scotus die zu seiner Zeit schon feststehende Begrifflichkeit, indem er zwischen den Bereich der „potentia absoluta" und den Bereich „potentia ordinata" einen Bereich dessen einschiebt, was Gott „ordinate" tun kann. Letzterer umfaßt zwar den Wirkungskreis der „potentia ordinata", ist aber mit ihm nicht ausdehnungsgleich, sondern geht über ihn hinaus. Denn die „potentia ordinata" umfaßt nur, was einem allgemeinen Gesetz entspricht, während „ordinate" etwas auch nach einer partikulären Bestimmung geschehen kann, die sich auf kein allgemeines Gesetz berufen kann. Damit lassen sich auch zwei Fragen lösen, die sich aus der Scotischen Fassung der Unterscheidung ergeben, die ich jedoch bisher aufgeschoben habe. Die eine Frage betrifft das Wunder, also (nach mittelalterlicher Deutung) die Durchbrechung eines Naturgesetzes durch Gott. Da nach Ockham alles, was Gott wirklich tut, ob es nun den allgemeinen Gesetzen entspricht, an die sich Gott zumeist hält, oder nicht, durch die „potentia Dei ordinata" geschieht, 186 187

Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 5 (Vat. VI 365,7-8): „Ita posset exemplificari de principe et subditis, et lege positiva". Dieter Wyduckel: „Princeps legibus solutus". Eine Untersuchung zur frühmodemen Rechtsund Staatslehre. Berlin: Duncker & Humblot 1979 (Schriften zur Verfassungsgeschichte 30).

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

fallen auch Wunder, so sie denn vorkommen, unter Gottes ordinierte Macht. Da Scotus aber die „potentia ordinata" von allgemeinen Gesetzen her bestimmt, könnte es scheinen, als geschehe die wundersame Durchbrechung solcher Gesetze im Einzelfall nicht durch Gottes ordinierte Macht, sondern „inordinate".188 Die zweite Frage betrifft den Wechsel von einem Gesetz zu einem anderen, den Ockham am Beispiel des Alten und Neuen Bundes erörtert und von dem auch Scotus spricht, wenn er die Unfähigkeit des Fürsten und Gottes erörtert, „inordinate" zu handeln. Was Ockham betrifft, ist schon darauf hingewiesen worden, daß er darin ein Werk der „potentia ordinata" sieht. Bei Scotus scheint dies auf den ersten Blick nicht klar zu sein, denn der Wechsel von einem Gesetz zu einem anderen entspricht selbst weder dem einen noch dem anderen Gesetz, sondern scheint sich im gesetzesfreien Raum abzuspielen und daher nicht „de potentia ordinata", sondern „inordinate" zu geschehen. Doch auch nach Scotus tut Gott nichts „inordinate". Der Fehler der beiden vorgeführten Überlegungen besteht darin, daß von „Gott tut etwas nicht ,de potentia ordinata'" geschlossen wurde auf „Gott tut etwas ,inordinate'". Tatsächlich geschieht ein Wunder nach der Scotischen Begrifflichkeit nicht „de potentia ordinata", aber „ordinate" und „de potentia absoluta".189 Denn es widerspricht als einzelne Ausnahme vom natürlichen Verlauf der Dinge zwar dem allgemeinen Gesetz und entzieht sich daher der „potentia ordinata", entspricht aber dem göttlichen Willen und geschieht daher „ordinate". Gleiches gilt für den Wechsel von einem Gesetz zu einem anderen. Wenngleich er nicht selbst wieder von einem allgemeinen Gesetz geregelt ist und daher nicht „de potentia ordinata" geschieht, geht er doch, weil er dem Willen Gottes entspricht, nicht „inordinate", sondern „ordinate" vor sich.

2)

Das Ockhamsche Verständnis von „Deus nihil potest facere inordinate"

Die Frage, wie Ockham seine Anmerkung versteht, daß Gott nichts „inordinate" tun könne, sondern alles, was er tut, „de potentia ordinata" tue, ist schon angesprochen worden. Während Scotus stark auf juristische Überlegungen und Vorstellungen zurückgreift, zieht Ockham eher logische Analysen zur Deutung heran. Denn jeder Satz im Modus der Möglichkeit ist doppeldeutig 188 189

Adams: Ockham, 1196f. Vgl. Scotus: Ord. I, dist. 44, qu. un., n. 10 (Vat. VI 367,12-14): „tarn ilia quae sunt praeter ilium ordinem, quam ilia quae sunt contra ilium ordinem, possent a Deo ordinate fieri potentia absoluta".

,JDeus nihil potest facere

inordinate"

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und läßt sich entweder im „sensus compositus" oder im „sensus divisus" verstehen, je nachdem, ob sich der Modalausdruck auf den ganzen Satz bezieht oder nur auf die Verbindung dessen, wofür Subjekt und Prädikat stehen. Zum Beispiel ist der Satz „Ein Prädestinierter kann verdammt werden" doppeldeutig. Im „sensus compositus" bedeutet er „Es ist möglich, daß jemand zugleich prädestiniert ist und verdammt wird" und ist falsch. Im „sensus divisus" bedeutet er, daß eine bestimmte Person, die prädestiniert ist, verdammt werden kann; das ist richtig; doch wenn diese Person tatsächlich verdammt würde, wäre sie eben deshalb nicht prädestiniert.190 Ebenso ist der Satz „Gott kann nichts .inordinate' tun" doppeldeutig. Im „sensus divisus" bedeutet er: „Dies geschieht ,inordinate', und Gott kann es nicht tun". So verstanden ist die Aussage falsch, denn Gott kann alles tun, was keinen Widerspruch enthält, ob es nun „ordinate" oder „inordinate" geschehen mag. Im „sensus compositus" bedeutet derselbe Satz jedoch: „Es ist unmöglich, daß Gott etwas tut und dies .inordinate' geschieht". Dies trifft zu, denn alles, was Gott tut, geschieht eben dadurch, daß er es tut, „de potentia ordinata" und nicht „inordinate". Die „potentia absoluta" beschreibt den Bereich des für Gott Möglichen; was er jedoch wirklich tut, bildet den Bereich der „potentia ordinata". Nur in diesem Sinn ist Ockhams Bemerkung also zu verstehen.

3)

Vergleich zwischen Duns Scotus und Ockham

Nachdem dargelegt wurde, wie Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham ihre gemeinsame Überzeugung verstehen, daß Gott nicht „inordinate" handeln könne, kehren wir zu der Frage zurück, ob derselbe Satz bei den beiden großen franziskanischen Denkern eine jeweils andere Bedeutung besitzt. Auf den ersten Blick wirken die Kontexte, in denen der Satz „Deus nihil potest facere inordinate" bei Duns Scotus und bei Ockham steht, sehr unterschiedlich. Scotus stellt ihn in überwiegend rechtswissenschaftliche Zusammenhänge, die er auf die Gotteslehre überträgt. Ockham hingegen bedient sich hauptsächlich logischer Erwägungen. Dennoch scheint mir die Annahme verschiedener Auffassungen derselben Aussage nicht zwingend. Dies ist am Verhältnis zwischen der „lex", durch die Duns Scotus die „potentia ordinata" bestimmt, und der „ordinatio", durch die Ockham denselben Begriff erklärt, zu veranschaulichen.

190

Das Beispiel bringt Ockham in Op., cap. 95 (OPol II 7 2 7 , 4 5 7 - 4 5 9 ) ; vgl. Ord., dist. 40, qu. un. (OTh IV 5 9 2 - 5 9 7 ) .

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1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

„Lex" und „ordinatio" sind nicht gleichbedeutend. Für Scotus ist die „lex" allgemein, während für Ockham die „ordinatio" allgemein oder speziell verstanden werden kann. Daher ordnet Ockham manches der „potentia ordinata" zu, was nach Scotus nicht „de potentia ordinata", sondern „ordinate" geschieht. Daß Gott nichts „inordinate" tun kann, heißt für Ockham daher, daß Gott alles, was er tut, „de potentia ordinata" tut, für Scotus aber, daß Gott alles, was er tut, „ordinate" tut. Hier gebrauchen sie verschiedene Begriffe, um dasselbe auszudrücken. Über die allgemeine „lex" bei Scotus kann Gott sich hinwegsetzen und sie damit ändern. Die „ordinatio" ist nach Ockham hingegen unveränderlich. Doch wenn Gott die „lex" ändert, gehen die jeweils für eine Zeit geltenden Gesetze als Teile in die umfassende und ins einzelne gehende „ordinatio" Gottes ein, durch die er vorausweiß und vorausbestimmt, welche Regel wann gilt. Damit fangt Ockham Überlegungen des Duns Scotus zu Veränderungen der „lex" auf. Umgekehrt anerkennt auch Scotus, daß Gott Veränderungen der „lex" nicht willkürlich und unüberlegt vornimmt, sondern sie vorherweiß und vorherbestimmt. Gleichzeitig erkennen beide Denker an, daß Gottes Vorherwissen und Vorherbestimmung ihn nicht binden, sondern seine Freiheit unangetastet lassen, wenngleich sich alles notwendig erfüllt, was Gott vorherweiß und vorherbestimmt. Von einigen wenigen Einzelheiten der Scotischen Möglichkeitslehre abgesehen, auf die das fünfte Kapitel eingehen wird, kann Scotus auch Ockhams Erklärung durch die Unterscheidung zwischen „sensus compositus" und „sensus divisus" akzeptieren, die er selbst anwendet. Auch nach Scotus kann Gott anders handeln, als er es „ordinate" tut (im „sensus divisus"); doch handelt er deshalb nicht „inordinate" und kann es auch gar nicht (im „sensus compositus"). Daher ist es kein Zufall, daß beide Denker lehren, Gott könne nicht „inordinate" handeln. Zwar erklären sie diesen Satz in unterschiedlicher Begrifflichkeit und in unterschiedlichen Zusammenhängen, doch hinter diesen Unterschieden verbergen sich größere Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Das Verhältnis zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" ist zutreffend als Dialektik, d. h. als notwendige Entwicklung von der reinen Möglichkeit der absoluten Macht zu ihrer Verwirklichung durch die ordinierte Macht beschrieben worden. Selbstverständlich erfolgt diese Entwicklung nicht in der Zeit, sondern sie ist schon vor aller Ewigkeit geschehen. Daß sie notwendig ist und zu keinem anderen Ergebnis fuhren kann, besagt die Bemerkung, daß Gott nichts „inordinate" tun kann.

,JDeus nihil potest facere

inordinate"

79

Gegen diese Annahme einer notwendigen Entwicklung von der absoluten zur ordinierten Macht hat Theo Kobusch zwei Einwände erhoben. Der erste besteht darin, daß eine notwendige Entwicklung die Freiheit Gottes beschneidet, als hätte sich dieser nicht auch auf jede andere Ordnung festlegen können.191 Damit weist Kobusch auf ein mögliches Mißverständnis hin: Darin, aufweichen Weltenlaufsich Gott festlegt, ist er frei; notwendig ist nur, daß er sich auf einen Weltenlauf festlegt. Notwendig ist die Entwicklung von der „potentia absoluta" zu einer „potentia ordinata"; aber welche Gesetze Gott einrichtet, bleibt ihm überlassen. Dagegen läßt sich nicht einwenden, er könne auch ganz darauf verzichten, Gesetze oder einen Weltenlauf einzurichten, denn dann entschließt er sich eben dazu, dies nicht zu tun, und legt sich auch damit auf eine Form der „potentia ordinata", wenngleich eine entartete, fest. Der Grund dafür, weshalb Gott nicht bei der reinen Möglichkeit der „potentia absoluta" stehenbleiben kann, sondern diese sich zu einer „potentia ordinata" verdichten muß, liegt im Kontradiktionsprinzip. Denn was Gott „de potentia absoluta" möglich ist, ist zwar widerspruchsfrei, doch die einzelnen Möglichkeiten sind nicht logisch miteinander vereinbar, d. h. sie sind nicht kompossibel. „De potentia absoluta" kann Gott Judas erretten, er kann ihn aber „de potentia absoluta" auch verdammen, denn keines von beiden enthält einen logischen Widerspruch. Doch obwohl seiner absoluten Macht beide Möglichkeiten offenstehen, kann, weil sie einander ausschließen, nicht einmal der Allmächtige beide verwirklichen, sondern nur eine von ihnen. Gott muß also eine von beiden Varianten wählen, und indem er dies tut, legt er den Weltenlauf wenigstens in diesem Punkt fest. Damit bestimmt er auch, was er „de potentia ordinata" tun kann und tut. Die „potentia absoluta" vermag also, das Widersprüchliche ausgenommen, alles, doch alles zusammen kann nicht einmal sie verwirklichen, weil sich daraus Unvereinbarkeiten und Widersprüche ergäben. Mit der brillianten Formulierung von Martin Anton Schmidt kann man daher sagen: „Gott kann nach seiner , absoluten Macht' so oder so tun, was er nach seiner .geordneten Macht' so und so tut." 192 Daher muß sich die „potentia absoluta" notwendig zur „potentia ordinata" weiterentwicklen. Der zweite Einwand geht von der nicht ganz eindeutigen und klaren Formulierung dieses Sachverhalts mit der Begrifflichkeit eines Paktes, eines Bundes, einer freien Selbstverpflichtung Gottes auf einen bestimmten Weltenlauf aus. 191 192

Theo Kobusch: Nominalismus. In: TRE 2 4 (1994) 5 8 9 - 6 0 8 , 597. Martin Anton Schmidt: Gottes Freiheit, Macht und Güte im spätmittelalterlichen Nominalismus. In: Unterwegs zur Einheit. Festschrift für Heinrich Stirnimann. Hrsg. v. Johannes Brantschen und Pietro Selvatico. Freiburg-Wien: Herder 1980, 268-291, 287 (Hervorhebungen von Μ. A. Schmidt).

80

1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate'

Demnach vermag Gott „de potentia absoluta" alles Widersprüchliche unabhängig von einer allfälligen Selbstverpflichtung; was jedoch von dieser Selbstverpflichtung zugelassen wird, bestimmt seine „potentia ordinata". Dagegen wird eingewandt, daß der nominalistisch vorgestellte Gott, der niemandem gegenüber verpflichtet ist, auch selbst keine Verpflichtungen eingehen kann.193 Nun betont Ockham immer wieder: „Deus nullius est debitor"194, fügt jedoch auch einmal einschränkend hinzu „nisi quia sic ordinavit"195. Anscheinend läßt Ockham also doch die Formulierung zu, daß Gott frei eine Verpflichtung einem anderen gegenüber eingeht, betont freilich, daß dies nur in Übereinstimmung mit der göttlichen „ordinatio" möglich ist, ja, eigentlich besteht diese freie Selbstverpflichtung Gottes in seiner Entscheidung für diese „ordinatio" und die sich daraus ergebende „potentia ordinata". Der anfängliche Verdacht, daß Gottes Unfähigkeit, etwas „inordinate" tun, den Grundsatz Ockhams einschränkt oder aufhebt, nach dem Gott alles vermag, was keinen Widerspruch enthält, hat sich also nicht bestätigt. Vielmehr kann Gott eben deshalb nichts „inordinate" tun, weil er an das Kontradiktionsprinzip gebunden ist. Daß dieses Prinzip den Umfang der absoluten Macht Gottes auf das Widerspruchsfreie begrenzt, ist ohnehin klar. Doch es besagt ebenso, daß Gott nicht alle Möglichkeiten, die er hat, verwirklichen kann, weil sie zueinander im Widerspruch stehen. Damit ist unter der Voraussetzung, daß Gott sich fur einen möglichen Weltenlauf entschieden hat, ausgeschlossen, daß etwas geschieht, was damit unvereinbar ist.196 Gott hat sich und damit seine „potentia ordinata" festgelegt.

V. Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 1 Die Frage, worauf die Allmacht Gottes sich erstreckt, ist nur scheinbar leicht zu beantworten. Gott ist allmächtig, weil er alles kann. Aber was in diesem Zusammenhang unter „alles" zu verstehen ist, dies zu entscheiden bedarf noch so mancher Überlegung. Über Ockhams Schriften verstreut, finden sich zu diesem Thema verschiedene Hinweise. Sofern ich sie für entscheidend halte, 193 194 195 196

Kobusch: Nominalismus, 597; vgl. Funkenstein: Theology, 134. Rep. IV, qu. 3 - 5 (OTh VII 55,17-18); Qu. var., qu. 1 (OTh VIII 22,484; 26,578; 27,601); Ord., dist. 41, qu. un. (OTh IV 608,16). Rep. IV, qu. 3 - 5 (OTh VII45,17-18). Courtenay: Capacity, 90.

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 1

81

werden sie in den ersten drei Kapiteln dieser Untersuchung angesprochen. Jedem dieser Kapitel folgt ein Abschnitt, in dem diese Hinweise gesammelt und einander zugeordnet werden. Dabei richte ich mich (wie schon Marilyn McCord Adams 197 ) nach dem Vorbild von Überlegungen, die in den letzten Jahrzehnten insbesondere innerhalb der analytischen Philosophie angestellt wurden und das Ziel verfolgen, eine kohärente Definition des Begriffes „Allmacht" aufzustellen. Sie gehen von einer intuitiv ansprechenden Vorstellung von Allmacht aus und wollen durch schrittweise Verbesserung anhand von (manchmal etwas merkwürdigen) Sonderfällen zu einer akzeptablen Definition kommen. Ein vergleichbarer umfassender Gedankengang findet sich bei Ockham nicht. Daher spreche ich nicht von einer „Definition" der Allmacht durch Ockham, sondern beschränke mich auf den weniger anspruchsvollen Ausdruck „Beschreibung". Wenngleich Ockham nicht zu einer Definition der Allmacht gelangt, finden sich bei ihm einzelne Überlegungen, die zur inhaltlichen Klärung dieses Begriffes und zu seiner Abgrenzung von anderen Begriffen dienen. Mein Ziel ist es, die hierfür relevanten Einsichten Ockhams zusammenzustellen und damit zu einer möglichst umfassenden Beschreibung der Allmacht in Ockhams Sinn zu gelangen. Nach einer Vorüberlegung widme ich mich den Hinweisen des ersten Kapitels. Worüber sich die Macht Gottes erstreckt, hängt davon ab, worin seine Macht besteht. Dazu gibt es aber im wesentlichen drei verschiedene Ansätze, die allerdings im christlichen Denken oft eng miteinander verknüpft sind. 1 In der Heiligen Schrift wird die Macht Gottes oft als Herrschaft oder Autorität Gottes über die Schöpfung betrachtet, die sich besonders deutlich im Wirken Gottes als Kriegsgott des Volkes Israel zeigt.198 Im Vordergrund dürfte dieser Sinn beim hebräischen Ausdruck „Zebaot" stehen, den die alten Bibelübersetzungen oft mit „allmächtig" wiedergeben. 199 Diesen Aspekt der Macht Gottes bestreitet Ockham nicht, er ist für ihn aber nicht zentral. Im theologischen Werk thematisiert er ihn nicht. Daher werde ich ihn in den folgenden Überlegungen vernachlässigen.

197 198 199

Adams: Ockham, 1151-1231. Brink: God, 48. Jan Bauke-Ruegg: Die Allmacht Gottes. Systematisch-theologische Erwägungen zwischen Metaphysik, Postmoderne und Poesie. Berlin-New York: de Gruyter 1998 (TBT 96), 3 5 8 - 3 6 4 . Vgl. beispielsweise Hag 1,2.5.7.9.14; 2,4.6-9.11.23; Sach 1,3.4.6.12.14.17; 2,12.13.15; 3,7.9.10; 4,6.9; 5,4; 6,12.15; 7,3.9.12.13; 8,1—4.6.7.9.11.14.18-21.23; 9,15; 10,3; 11,4; 12,5; 13,7; 14,16.17.21; Mal 1,4.6.8-11.13.14; 2,2.4.7.8.12.16; 3,1.5.7.10-12.14.17.19.21.

82

1. Kapitel: „Deus nihil potest facere inordinate'

2 Für viele Autoren der Patristik zeigt sich die Allmacht Gottes vor allem darin, daß er die Welt erschaffen hat und erhält.200 Im Vordergrund steht dieser Sinn beim griechischen Wort „Pantokrator", das in der Septuaginta, im Neuen Testament und in den Glaubensbekenntnissen der ersten Konzilien für „allmächtig" steht.201 Auch diesen Aspekt der Macht Gottes bestreitet Ockham nicht, ohne ihn in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zu stellen. 3 Für Ockham besteht die Macht Gottes vor allem in dem, wozu Gott fähig ist, selbst wenn er es nicht tun sollte. Allmacht ist also (grob gesprochen) die Fähigkeit, alles Mögliche zu tun.202 Dieser Sinn wird besonders mit dem lateinischen Wort „omnipotens" verbunden.203 Ein solches Verständnis von Allmacht stand jahrhundertelang in systematischen Überlegungen im Mittelpunkt. Da dies auch für Ockham gilt, werde ich diese dritte Auffassung von Allmacht in den Mittelpunkt stellen und die beiden anderen vernachlässigen. Infolge neuerer Überlegungen wurde dieser dritte Ansatz in drei Varianten ausdifferenziert. Diese Differenzierung findet sich bei Ockham allerdings so noch nicht. a Im Sinne der ersten Variante beruft sich Ockham öfters auf die Macht Gottes, wenn er behauptet, daß dieser eine bestimmte Entität erschaffen oder erhalten kann.204 So manche sehr nachdrückliche Ausführungen zur Macht Gottes fallen in solchen Zusammenhängen. Gelegentlich erweckt Ockham allerdings den Eindruck, die Macht zu erschaffen und zu erhalten sei nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung der Allmacht, von der darüber hinaus zu erwarten sei, daß sie mit den erschaffenen und erhaltenen Dingen innerhalb der Grenzen des Widerspruchsfreien nach eigenem Belieben verfahren könne, b Die zweite Variante bezieht die Allmacht auf mögliche Handlungen. Nach ihr ist allmächtig, wer alle möglichen Handlungen tun kann.

200 201

202 203 204

Brink: God, 48f. Hildebrecht Hommel: Pantokrator. Schöpfer und Erhalter. In: Ders.: Sebasmata. Studien zur antiken Religionsgeschichte und zum frühen Christentum. Band I. Tübingen: Mohr 1983 (WUNT 31), 131-177; Bauke-Ruegg: Allmacht, 269-378. Brink: God, 49. Bauke-Ruegg: Allmacht, 380-382. Quodl. II, qu. 7 (OTh IX 142,16-19): „Consequentia patet, quia minus dependet angelus a tali respectu quam effectus a sua causa, et accidens a suo subiecto, et forma a materia; sed omnia ista potest Deus facere sine aliis; igitur etc."; vgl. Quodl. IV, qu. 32 (OTh IX 457,47-57).

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 1

83

c

Die dritte Variante bezieht die Allmacht auf mögliche Sachverhalte und versteht unter ihr die Macht, alle widerspruchsfreien Sachverhalte herbeizufuhren. Die Unterscheidung dieser drei Varianten geht nicht auf Ockham zurück. Vielmehr gebraucht er Formulierungen, die bald an die eine, bald an die andere mögliche Variante denken lassen. Diesbezüglich ist zu bedenken, daß Ockham noch nicht wie wir heute von Sachverhalten gesprochen hat. Eine „Theorie vom Sachverhalt" (wie Theo Kobusch es nennt) bezog zwar von Ockham wichtige Anregungen, wurde aber erst nach ihm durch Gregor von Rimini entwickelt.205 Der aristotelischen Kategorie der Handlung („actio") entspricht nach Ockham keine eigenständige Entität, sondern sie läßt sich auf Substanzen und Qualitäten zurückführen. 206 Daher ist es nicht verwunderlich, daß Ockham die drei Varianten zur Bestimmung des Wirkungsbereichs der göttlichen Allmacht nicht so scharf trennt, wie wir es uns heute wünschen. Ockhams Formulierungen legen zwar nahe, daß er alle drei Varianten, ohne sie zu unterscheiden, vor Augen hatte. Da aber die meisten und die ausgefeiltesten Formulierungen auf die erste Variante hinweisen, die Gottes Allmacht an den Entitäten mißt, die durch sie hervorgebracht werden können, folge ich ihr künftig, wenn ich Ockhams Allmachtsvorstellungen nachzuzeichnen versuche. Oft lassen sich entsprechende Formulierungen in den anderen Varianten leicht durch Analogie erschließen. Fragt man unvorgebildete, aber gläubige Menschen, was Gott alles kann und was sie unter Allmacht verstehen, so antworten sie meist, Gott könne alles und er sei deshalb allmächtig, weil er alles könne. Diese Antwort kann sich auf biblische Belege (Gen 18,14; Ijob 42,2; Mt 19,26; Mk 10,27; Lk 1,37; 18,27) stützen, und sofern sie recht verstanden wird, stimmt sie natürlich auch. In einem ersten Versuch können wir Allmacht also folgendermaßen umschreiben: Satz 1: Gott ist allmächtig genau dann, wenn für jedes X gilt: Gott kann X. Diese erste Beschreibung leidet darunter, daß nicht spezifiziert wird, aus welchem Bereich oder aus welcher Menge die Elemente, die man fur X einsetzen darf, genommen werden sollen. Je nachdem man sich für eine Menge von Entitäten, von Handlungen oder von Sachverhalten entscheidet, entscheidet man 205

206

Theo Kobusch: Sein und Sprache. Historische Grundlegung einer Ontologie der Sprache. Leiden-New York-Kobenhavn-Köln: Brill 1987 (SPAMP XI), 3 4 6 - 3 5 2 ; Kobusch: Nominalismus, 593f. In Pr., cap. 16, § 2 (OPh II 298,13-19); Quodl. VII, qu. 4 (OTh IX 7 1 3 - 7 1 4 ) .

84

1. Kapitel: „Dens nihil potest facere

inordinate'

sich für die eine oder die andere der oben angeführten Varianten, die Allmacht Gottes als Macht, alles zu tun, zu verstehen. Aus dem genannten Grund folge ich der ersten Variante, nach der sich folgende Umschreibung der Allmacht ergibt: Satz 2: Gott ist allmächtig genau dann, wenn fur jede Entität X gilt: Gott kann X erschaffen oder erhalten. Die Disjunktion „erschaffen oder erhalten" ist deshalb nötig, damit fur die Variable X sowohl schon existierende als auch noch nicht existierende Entitäten eingesetzt werden können. Wenn die einzusetzende Entität bislang noch nicht existiert hat, wird sie erschaffen; wenn sie schon existiert, wird sie erhalten. Damit ist die Menge, deren Elemente für X eingesetzt werden dürfen, immer noch nicht hinreichend bestimmt. Zum Beispiel ist noch nicht entschieden, ob die Menge nur irgendwann tatsächlich existierende Entitäten umfaßt oder alle möglichen Entitäten. Da Ockham Gottes Macht nicht (etwa durch ein „Principle of Plenitude") auf das irgendwann tatsächlich Existierende beschränkt, 207 dürfen auch bloß mögliche Entitäten für die Variable X eingesetzt werden. Die Beschreibung läßt sich also folgendermaßen präzisieren: Satz 3: Gott ist allmächtig genau dann, wenn für jede mögliche Entität X gilt: Gott kann X erschaffen oder erhalten. Der Ausdruck „möglich" ist jedoch vieldeutig. Er läßt sich sowohl als Ausdruck einer inneren Möglichkeit wie auch als Ausdruck einer äußeren Möglichkeit verstehen. Die innere Möglichkeit besteht in der inneren Widerspruchsfreiheit. Die äußere Möglichkeit verlangt, daß Gott die Fähigkeit besitzt, die betreffende Entität zu machen. Im Zusammenhang mit den Objekten der Allmacht ist der Ausdruck „möglich" im Sinn von „logisch möglich", d. h. „widerspruchsfrei" gebraucht, denn Ockham bemerkt gelegentlich, daß Gott alles kann, was keinen Widerspruch enthält. 208 Der Ausdruck „kann" gibt hingegen keine bloß innere Möglichkeit an, sondern bezieht sich auf eine Fähigkeit Gottes. Daher kann die Beschreibung nochmals präzisiert werden: Satz 4: Gott ist allmächtig genau dann, wenn für jede widerspruchsfreie Entität X gilt: Gott ist fähig, X zu erschaffen oder zu erhalten. Dagegen kann Gott keine widersprüchlichen Entitäten machen. Er kann nichts Widersprüchliches tun und keine Widersprüche verwirklichen. 209 Das Kontra207 208 209

Ord., dist. 43, qu. 1 (OTh IV 622-640). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,24-29); Tr. corp., cap. 6 (OTh X 101,45-48). Rep. II, qu. 7 (OTh V 134,20-21): „Deus non potest facere quod duo contradictoria sint vera in eodem instanti".

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 1

85

diktionsprinzip ist eine Grenze, die sogar die göttliche Allmacht begrenzt. 210 Sie ist, wie sich in den folgenden Überlegungen zeigen wird, die einzige Grenze, die nach Ockham Gottes Allmacht begrenzt. Damit faßt Ockham den Begriff der Allmacht (wenigstens vorläufig) im Sinn der „potentia absoluta", die gleichfalls alles außer dem Widersprüchlichen vermag, und nicht im Sinn der „potentia ordinata", deren Wirkungsbereich viel enger eingeschränkt ist. Daß Gott keinen Widerspruch setzen kann, ist für Ockham so selbstverständlich, daß er dafür keinen Grund angibt. Dazu sah er sich wohl deshalb nicht veranlaßt, weil über die Unmöglichkeit eines Widerspruchs selbst für Gott unter den Theologen seiner Zeit weitestgehend Einigkeit herrschte und weil Ockham in der Nachfolge von Theologen stand, die eine wenigstens kurze Begründung für die Unfähigkeit Gottes, Widersprüche zu verwirklichen, geliefert hatten. Thomas von Aquin etwa erklärt, daß das Kontradiktionsprinzip nur eine begriffliche, keine reale Grenze für Gottes Macht ist, weil das Widersprüchliche kein „etwas" ist, das die Allmacht begrenzt, sondern eher ein „nichts", sodaß Gottes Macht, wenn sie durch das Widersprüchliche begrenzt ist, eher durch „nichts" als durch „etwas" begrenzt wird.211 Wenn ich daher die Größe der göttlichen Macht mit lokalen Metaphern ausdrücke, indem ich etwa von ihrer „Reichweite", ihrem „Wirkungskreis", ihrem „Bereich" und ihren „Grenzen" spreche, ist diese Redeweise nicht so zu verstehen, als bestünde jenseits dieser „Grenzen" ein eigener „Bereich", auf den Gottes Macht nicht zugreifen könnte. Was Gott nicht vermag, ist nichts. Selbstverständlich schließt das Kontradiktionsprinzip vom möglichen Wirkungskreis der Allmacht nicht nur das aus, was keinen offensichtlichen Widerspruch enthält, sondern auch all jenes, was einen versteckten Widerspruch 210

Damit ist noch nicht gesagt, daß das Kontradiktionsprinzip eine reale Einschränkung der göttlichen Macht bedeutet. Nach vielen Autoren soll es nur bestimmen, was überhaupt als sinnvolle Manifestation der Allmacht gelten kann. In diesem Sinn wird es von der überwiegenden Mehrheit der Philosophen und Theologen als Grenze der Macht Gottes akzeptiert, wenngleich es Ausnahmen gibt, jüngst etwa D. Goldstick: Could God Make a Contradiction True? In: RelSt 26 (1990) 3 7 7 - 3 8 7 ; Antoine Cote: God and the Principle of Non-Contradiction. In: IPQ 38 (1998) 2 8 5 - 2 9 8 . Ob hingegen die herkömmlich genannten Vertreter der Fähigkeit Gottes, Widersprüche zu verwirklichen, Petrus Damiani ( 1 0 0 7 - 1 0 7 2 ) und Rene Descartes ( 1 5 9 6 - 1 6 5 0 ) , tatsächlich diese Ansicht vertreten haben, wurde in letzter Zeit angezweifelt; vgl. Moonan: Impossibility; Brink: God, 9 3 - 1 1 5 ; Lilli Alanen und Simo Knuuttila: The Foundations o f Modality and Conceivability in Descartes and His Predecessors. In: Modern Modalities. Studies in the History of Modal Theories from Medieval Nominalism to Logical Positivism. Hrsg. v. Simo Knuuttila. Dordrecht-Boston-London: Kluwer 1987 (SyHL), 1 - 6 9 , 1 1 17.

211

Vgl. Thomas von Aquin: Summa contra gentiles II, cap. 25 (ed. Marietti, 136b—138a).

86

1. Kapitel: „Deus nihil potest facere

inordinate"

in sich trägt. Für uns ist nicht immer auf den ersten Blick (und manchmal sogar überhaupt nicht) einsichtig, worin der Widerspruch in manchem besteht, was Ockham für widersprüchlich erklärt. Zum Beispiel kann Gott nichts real Unendliches erschaffen, denn eine reale Unendlichkeit ist nach Ockham widersprüchlich.212 Auch vermag Gott nichts gegen die akzidentelle Notwendigkeit des Vergangenen. Was einmal geschehen ist, kann nachträglich nicht mehr ungeschehen gemacht werden, nicht einmal durch Gott.213 Denn würde Gott dies tun, würde er damit einen Widerspruch verwirklichen.214 Gott kann nicht bewirken, daß eine Bewegung in einem einzigen Augenblick stattfindet215 oder daß ein räumlich ausgedehnter Körper unteilbar ist.216 Er kann nicht bewirken, daß wir ein Ding evident als gegenwärtig erkennen, obwohl es abwesend ist,217 oder daß ein Mensch unfähig zu lachen ist.218 Gott kann keine Essenz ohne Existenz machen, weil sie ein und dasselbe sind.219 Gott kann auch, worauf Ockham großen Wert legt, keine real bestehenden

212 213

Quodl. III, qu. 1 (OTh IX 204,114-128); vgl. Ord., dist. 17, qu. 8 (OTh IV 550,17-19). Rep. II, qu. 8 (OTh V 153,13); Qu. var., qu. 3 (OTh VIII 91,585-586); In Per. I, cap. 6, § 8 (OPh II 416,9-10); Ord., Prol., qu. 6 (OTh 1178,2-7); Ord., dist. 30, qu. 2 (OTh IV 323,1719); Qu. Ph., qu. 32 (OPh VI 480,103-104); S. L. I, cap. 59 (OPh 1 190,69-70): „propositio talis de praeterito est necessaria, ita quod Deus non potest facere quin hoc fuit, ex quo fuit". Vgl. dazu Alfred J. Freddoso: Accidental Necessity and Logical Determinism. In: JPh 80 (1983) 257-278. Falsch ist hingegen - wenigstens was Ockham betrifft - die Behauptung von Tilman Ramelow: Gott, Freiheit, Weltenwahl. Der Ursprung des Begriffs der besten aller möglichen Welten in der Metaphysik der Willensfreiheit zwischen Antonio Perez S.J. (1599-1649) und G. W. Leibniz (1646-1716). Leiden-New York-Köln: Brill 1997 (Brill's Studies in Intellectual History 72), 12: „Daraus haben dann Occam, Gregor v. Rimini und andere Nominalisten eine Macht Gottes über die Vergangenheit abgeleitet".

214

In Ph. V, cap. 6, § 7 (OPh V 399,80-82): „non possunt continuari, nisi fieret quod praeteritum non esset praeteritum [soweit ein Zitat von Ägidius Romanus, das Ockham kommentiert:], quod est impossibile et contradictionem includit"; vgl. Tr. Pr., qu. 1 (OPh II 507,16-508,23). Rep. II, qu. 7 (OTh V 134,18-22): „motus quantum ad suum significatum totale non potest esse in istanti etiam per potentiam divinam, quia Deus non potest facere quod duo contradictoria sint vera in eodem instanti. Nunc autem motus formaliter includit multas contradictiones"; Quodl. VII, qu. 11 (OTh IX 740,75-741,77). Quodl. I, qu. 9 (OTh IX 58,195-196): „Deus non potest facere tale indivisibile [seil, in quanta], quia contradictio est tale fieri". Quodl. V, qu. 5 (OTh IX 498,61-71; vgl. 499,92-500,111). S. L. I, cap. 24 (OPh I 79,24-28): „Et sie ,risibile' est proprium homini; sie enim competit omni homini et soli et semper quod Deus non posset facere aliquem hominem existere quin ille esset risibilis, quia vere posset ridere, ita quod non includeret contradictionem ipsum ridere, et per consequens esset risibilis; hoc enim voco risibile". S. L. III-2, cap. 26 (OPh I 553,19-21): „Item, si essent duae res [seil, esse et essentia], non esset contradictio quin Deus conservaret entitatem rei in rerum natura sine existentia vel e converso existentiam sine entitate, quorum utrumque est impossibile".

215

216 217 218

219

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 1

87

Universalien machen, weil sie widersprüchlich sind.220 Gott kann keine notwendige Aussage falsch machen.221 All dies würde nämlich die Verwirklichung eines Widerspruchs beinhalten, was selbst für den allmächtigen Gott unmöglich ist.

220

221

Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 180,12-16): „illud quod nec etiam per potentiam divinam potest communicari pluribus, non est realiter commune; sed quacumque re demonstrata, illa per potentiam divinam non potest communicari pluribus, quia est realiter singularis; igitur nulla res est realiter et positive communis". Br. sum., Prol. (OPh VI 6,39-42): „Alio modo dicitur .necessarium' illud quod non potest esse falsum, licet possit non esse; et sic aliqua propositio est necessaria sicut ista quae est scita; nec Deus potest earn facere falsam".

2 . KAPITEL

„Deus non potest peccare": Die Allmacht Gottes und die Sünde

In seinem Kommentar zum ersten Buch der Sentenzen beginnt Wilhelm von Ockham die Frage, ob Gott alles tun könne, was auch ein Geschöpf tun kann, mit dem Einwand, Gott könne im Gegensatz zum Geschöpf nicht sündigen.1 Das Problem, das er damit anspricht, ist alt und aktuell zugleich: Die Vollkommenheit Gottes verlangt, daß er allmächtig ist und alles vermag. Zugleich verlangt sie aber auch, daß er im höchsten Maß gut ist, also unfähig zu sündigen. Beides scheint sich jedoch nicht miteinander vereinbaren zu lassen. Dieses Problem betrifft auch die Untersuchung der göttlichen Allmacht, um die es hier geht. Der Allmacht unterworfen ist, wie wir gesehen haben, alles, was keinen logischen Widerspruch enthält. Die Sünde enthält keinen logischen Widerspruch, denn wäre sie widersprüchlich, könnte kein Mensch sündigen. Nun können die Menschen aber sündigen und sündigen leider auch wirklich. Also ist die Sünde in sich widerspruchsfrei. Dann zählt sie aber auch zu den Dingen, die der Allmächtige vermag - im Gegensatz zu der Ansicht, daß Gott in höchstem Maß gut und daher unfähig zur Sünde ist. Soweit das Problem, um dessen Lösung sich Ockham bemüht. Daher gehe ich in den folgenden Überlegungen von Ockhams Ansichten über die Grundlagen der Moral aus, bestimme dann die zentralen Begriffe des Bösen und der Sünde näher, wende mich schließlich der zentralen Frage zu, ob Gott sündigen bzw. eine Sünde tun könne und schließe mit einer Zusammenfassung der daraus folgenden Einsichten für den Umfang der göttlichen Allmacht.

1

Ord., dist. 42, qu. un. (OTh IV 6 1 0 , 2 2 - 2 3 ) .

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

I.

89

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

Zuerst ist also nach den Grundlagen der Ethik bzw. Moraltheologie Ockhams zu fragen. In einem ersten Teil zähle ich fünf Grundtypen von Interpretationen der Ockhamschen Ethik auf. In einem zweiten Teil lege ich meine eigene Auffassung zu diesem Thema dar.

1)

Fünf Grundtypen von Interpretationen der Ockhamschen Ethik

Ockhams Ethik ist innerhalb der letzten Jahrzehnte sehr verschieden gedeutet worden. Manche Forscher beurteilen sie als voluntaristisch und positivistisch, andere hingegen als rationalistisch und naturrechtlich orientiert. Als Kennzeichen einer voluntaristischen und positivistischen Ethik werden dabei die Ansichten genannt, daß die grundlegenden ethischen Verpflichtungen auf die Gebote Gottes zurückzuführen seien, daß Gottes Wille selbst nicht an moralische Werte gebunden sei, sondern willkürlich gebieten könne, daß ferner sämtliche moralische Maßstäbe veränderlich seien und daß die Quelle unseres ethischen Wissens die Offenbarung sei. Als Kennzeichen einer rationalistischen und naturrechtlich orientierten Ethik gelten die Meinungen, daß die grundlegenden ethischen Verpflichtungen von sich her und ohne Rücksicht auf göttliche oder menschliche Gebote gelten, daß selbst Gott an moralische Werte gebunden sei, sodaß seine Willkür wenigstens durch sie eingeschränkt ist, daß ferner die grundlegenden moralischen Maßstäbe unveränderlich seien und immer gelten und daß sie sich allein durch die menschliche Vernunft begreifen ließen.2 Ockhams Ethik wurde deshalb von den einen als voluntaristisch, von anderen als rationalistisch beurteilt, weil sich in seinen Schriften sowohl Kennzeichen einer voluntaristischen als auch einer rationalistischen Ethik aufzeigen lassen. So stellt er an einer Stelle die Liebe zu Gott als die grundlegende Pflicht des Menschen heraus und füllt sie inhaltlich sogleich durch den Gehorsam gegenüber Gottes Geboten.3 An anderen Stellen fungiert hingegen die rechte Vernunft („recta ratio", ein aristotelischer Begriff) als das grundlegende Kriterium der Moral,4 sogar für Gott.5 Oft betont Ockham, daß Gott nie-

2 3 4 5

Vgl. Linwood Urban: William o f O c k h a m ' s Theological Ethics. In: FrS 33 (1973) 3 1 0 - 3 5 0 , 311. Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 2 5 5 , 6 0 - 2 5 6 , 6 7 und 2 5 7 , 8 7 - 8 9 ) . Qu. var., qu. 7, art. 4 (OTh VIII 395,451-453): „nullus actus est perfecte virtuosus, nisi voluntas per ilium actum velit dictatum a recta ratione propter hoc quod est dictatum a recta ratione". Ord., dist. 35, qu. 6 (OTh IV 512,12-13): „numquam retributio divina esset recta vel iusta nisi ratio recta hoc dictaret".

90

2. Kapitel: „ Deus non potest peccare "

mandes Schuldner und zu nichts verpflichtet sei,6 sagt jedoch auch, daß Gott nicht sündigen und nichts Böses tun könne.7 Er weiß von bemerkenswerten Ausnahmen von der Verpflichtung auf die Zehn Gebote,8 beruft sich aber auch auf ein unveränderliches Naturrecht.9 Geoffenbarte Befehle Gottes erachtet er als verbindlich,10 bestimmt aber wenigstens die niedrigeren Grade der Tugend ohne Rückgriff auf das Christentum." Eine höchst strittige Frage in der Darlegung der Ockhamschen Ethik liegt nun darin, wie sich die voluntaristischen und die rationalistischen Elemente zueinander verhalten. Erschwert werden die diesbezüglichen Untersuchungen durch den bedauerlichen Umstand, daß Ockham keinen ausfuhrlichen und systematischen Text zur Ethik verfaßt hat.12 Daher sind wir auf gelegentliche Bemerkungen angewiesen, die über sein gesamtes Werk hin verstreut sind. Ob und gegebenenfalls wie sie sich zu einem geschlossenen System zusammenfassen lassen, herrscht Uneinigkeit. Das zeigt ein Überblick über die Sekundärliteratur zur Ethik Ockhams. Zunächst gibt es zwei extreme Positionen, die entweder den voluntaristischen oder den rationalistischen Aspekt in Ockhams Äußerungen für grundlegend erklären. Die Anzeichen fur den jeweils anderen Aspekt werden dann von den angenommenen Grundprinzipien abgeleitet, ihnen untergeordnet oder 6

7 8 9

10 11 12

Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 59,6f); Rep. II, qu. 15 (OTh V 343,20); Rep. IV, qu. 1 (OTh VII 45,17; 55,17); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 198,7-8; 226,2-3); Qu. var., qu. 1 (OTh VIII 22,484; 26,578; 27,601); Qu. var., qu. 7, art. 4 (OTh VIII 389,322); Ord., dist. 41 (OTh IV 608,16); Quodl. II, qu. 4 (OTh IX 219,108). Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 59,4-7); Rep. II, qu. 15 (OTh V 342,19-21); Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 48,6-10). Rep. II, qu. 15 (OTh V 352,3-353,2); Ord., dist. 48, qu. un. (OTh IV 690,21-691,4). III Dial. II iii, cap. 6: „ius naturale primo modo est immutabile et invariabile ac indispensabile" (nach Hilary Seton Offler: The Three Modes of Natural Law in Ockham: Α Revision of the Text. In: FrS 37 (1977) 207-218, 213). Ord., dist. 47, qu. un. (OTh IV 689,11-13). Qu. var., qu. 7, art. 2 (OTh VIII 335,115-136). Möglicherweise plante Ockham die Nikomachische Ethik des Aristoteles zu kommentieren; vgl. In Pr., cap. 17, §19 (OPh II 320,27); In Ph. II, cap. 5, §12 (OPh IV 295,26); S. L. III-3, cap. 7 (OPh I 615,141). An solchen Vorhaben wurde er jedoch durch das jähe Ende seiner akademischen Karriere gehindert. Wenn man den Stellen traut, in denen Ockham ins Leere vorausverweist, läßt sich die Absicht erkennen, fast sämtliche aristotelische Schriften zu kommentieren. Ockham beabsichtigt, die Ersten Analytiken zu behandeln: In Per. II, cap. 5, §4 (OPh II 463,104-105); In El. II, cap. 7, §8 (OPh III 209,276-277); S. L. HI-1, cap. 64 (OPh I 497,2425). Ockham verweist auf seine künftige Behandlung der Metaphysik: In Pr., cap. 18, §5 (OPh II 325,23-24 und 326,52-53); In Ph., Prol., §4 (OPh IV 14,118-119); In Ph. I, cap. 1, §4 (OPh IV 35,142-144); In Ph. II, cap. 2, §3 (OPh IV 245,55); In Ph. II, cap. 5, §3 (OPh IV 282,30). Ebenso war wohl ein Kommentar zur Schrift „De anima" des Aristoteles geplant: In Ph. I, cap. 16, §6 (OPh IV 177,45.57); In Ph. II, cap. 1, §4 (OPh IV 236,636); In Ph. III, cap. 2, §8 (OPh IV 448,276-449,277). Sogar über den „Liber sex principiorum", eine Ergänzung zur aristotelischen Kategorienschrift, wollte Ockham sprechen: In Pr., cap. 12 (OPh II 243,148).

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

91

überhaupt bestritten. Die erste extreme Position erklärt die voluntaristischen Aspekte der Ockhamschen Ethik für grundlegend, die zweite extreme Ansicht die rationalistischen Elemente. a)

Die voluntaristische

Deutung

Üblicherweise wird Ockham so verstanden, als habe er die erste Möglichkeit gewählt und die rationalistischen und naturrechtlichen Gedanken seiner Ethik auf das göttliche Gebot zurückgeführt bzw. sie ihm untergeordnet. Die überspitzte Formulierung, daß Gott das Gute nicht deshalb will, weil es gut ist, sondern umgekehrt das Gute deshalb gut ist, weil Gott es will, findet sich zwar nicht bei Ockham, sondern erst bei Gabriel Biel (gestorben 1495). 13 Manche Autoren meinen jedoch, daß bei Ockham die Idee schon vorliegt, die Biel in einem griffigen Satz gefaßt hat.14 Zumindest liest man bei Ockham, daß die Weisung der „recta ratio" im göttlichen Willen begründet ist.15 Einer solchen voluntaristischen Lesart der Ethik Ockhams folgen ausnahmslos die älteren Darstellungen und auch noch so manche neuere und aktuelle Publikationen.16 13

14 15 16

Gabriel Biel: Collectorium circa quattuor libros Sententiarum I, dist. 17, qu. 1, art. 3, corollarium 1 (ed. Werbeck-Hofmann I, 423,44-45): „Nec enim, quia aliquid rectum est aut iustum, ideo Deus vult; sed quia Deus vult, ideo iustum et rectum". Etienne Gilson; Philotheus Boehner: Christliche Philosophie. Paderborn: Schöningh 1954, 632. Ord., dist. 41, qu. un. (OTh IV 610): „Sed eo ipso quod voluntas divina hoc vult, recta ratio dictat quod est volendum". Anita Garvens: Die Grundlagen der Ethik Wilhelms von Ockham. In: FS 21 (1934) 243-273 und 360-408; Louis Vereecke: L'obligation morale selon Guillaume d'Ockham. In: Ders.: De Guillaume d'Ockham ä Saint Alphonse de Liguori. Etudes d'histoire de la theologie morale moderne 1300-1787. Rom: Collegium S. Alphonsi de Urbe 1968 (BHCSR 12), 149-167, 158; Lucan Freppert: The Basis of Morality according to William Ockham. Chicago: Franciscan Herald Press 1988 [= Diss., St. Bonaventura University, New York 1961], 8If; Jürgen Miethke: Ockhams Weg zur Sozialphilosophie. Berlin: de Gruyter 1969, 305-325; Klaus Riesenhuber: Gut, das Gute, das Gut: III. Mittelalter. In: HWP 3 (1974) 937-972, 958; Gordon Leff: William of Ockham. The Metamorphosis of Scholastic Discourse. Manchester: Manchester University Press 1977, 496; Claus Urban: Nominalismus im Naturrecht. Zur historischen Dialektik des Freiheitsverständnisses in der Theologie. Mit einem Vorwort von Johann Baptist Metz. Düsseldorf: Patmos 1979 (Themen und Thesen der Theologie), 67f; Klaus Riesenhuber: Malum. In: HWP 5 (1980) 652-706, 678f; Berthold Wald: Genetrix Virtutum. Zum Wandel des aristotelischen Begriffs der praktischen Vernunft. Münster: Lit 1986 (Philosophie 2), 134-136; Louis Vereecke: La Prudenza in Guglielmo di Ockham. In: La coscienza morale oggi. Omaggio al Prof. Domenico Capone. Hrsg. v. Marian Nalepa und Terence Kennedy. Rom: Editiones Academiae Alphonsianae 1987 (Quaestiones Morales 3), 177-197, 180; Stephen Strehle: Calvinism, Federalism, and Scholasticism. A Study of the Reformed Doctrine of Convenant. BemFrankfurt am Main-New York-Paris: Lang 1988 (theol. Diss., Basel), 48-50; Taina M. Holopainen: William Ockham's Theory of the Foundation of Ethics. Helsinki 1991 (PLAS Β 20), 133-149; Bent Dalsgaard Larsen: Konceptualisme og etik hos William Ockham. In: DTT 58

92 b)

2. Kapitel: „Deus non potest peccare " Die rationalistische

Deutung

Andere Autoren bestreiten hingegen, daß Ockhams zentrales Kriterium der Moral Gottes Wille wäre, und beziehen stattdessen die zweite extreme Position, indem sie die voluntaristischen Elemente in der Ethik Ockhams von den rationalistischen ableiten und die positivistischen Gedanken den naturrechtlichen unterordnen.17 Demnach ist die Ockhamsche Ethik letztlich nicht vom göttlichen Gebot bestimmt, sondern von der „recta ratio", an die selbst Gott gebunden ist. Dafür spricht, daß die Gottesliebe nach Ockham notwendig gut sei, daß jede moralisch verdienstliche Handlung mit der „recta ratio" übereinstimmen müsse, daß die Ethik von „principia per se nota" geleitet werde und daß Ockham sich insbesondere im späteren publizistischen Werk auf das Naturrecht berufe.

(1995) 81-101; Peter Schulthess, Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Ein Handbuch mit einem bio-bibliographischen Repertorium. Zürich: Artemis & Winkler 1996, 261; Antonino Poppi: II problema deH'„intrinsice malum" in Guglielmo di Ockham. In: Ders.: Studi sull'etica della Prima Scuola Francescana. Padova: Centro Studi Antoniani 1996, 123143, 142. 17 Urban: Ethics; Dominik Perler: Prädestination, Zeit und Kontingenz. Philosophisch-historische Untersuchungen zu Wilhelm von Ockhams Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei respectu futurorum contingentium. Amsterdam: Grüner 1988 (BSPh 12), 276-285; Alessandro Ghisalberti: Amore di Dio e non-contraddizione: L'essere e il bene in Guglielmo di Ockham. In: Filosofia e Teologia nel Trecento. Studi in ricordo di Eugenio Randi. A cura di Luca Bianchi. Louvain-la-Neuve 1994 (Federation Internationale des Instituts d'Etudes Medi6vales. Textes et Etudes du Moyen Äge 1), 65-83; Rega Wood: Göttliches Gebot und Gutheit Gottes nach Wilhelm von Ockham. In: PhJ 101 (1994) 38-54, 48; Rega Wood: Ockham on the Virtues. West Lafayette, Indiana: Purdue University Press 1997 (Purdue University Press Series in the History of Philosophy); Fritz Hoffmann: Ockham-Rezeption und Ockham-Kritik im Jahrzehnt nach Wilhelm von Ockham in Oxford 1322-1332. Münster: Aschendorff 1998 (BGPhMA.NF 50), 17-35; Alessandro Ghisalberti: La fondazione dell'etica in Guglielmo di Ockham. In: Societä Internazionale di Studi Francescani. Centro Interuniversitario di Studi Francescani: Etica e Politica: Le Teorie dei Frati Mendicanti nel Due e Trecento. Atti del XXVI Convegno internazionale. Assisi, 15-17 ottobre 1998. Spoleto: Centro Italiano di Studi sull'Alto Medioevo 1999, 5989. Unklar ist mir, welche Position Klaus Bannach einnimmt. Klaus Bannach: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung. Wiesbaden: Steiner 1975 (VIEG 75), 407: „Am Zustandekommen eines ethischen Aktes sind drei Faktoren beteiligt: das göttliche Gebot, der menschliche Wille und der menschliche Intellekt. Im Sinn seiner [seil. Ockhams] Theorie kausaler Beziehungen sind diese drei Faktoren gleichrangig und voneinander unabhängig - mindestens so weit es menschlichen Willen und Intellekt angeht - Ursachen des tugendhaften Aktes". Die Bedeutung von Freiheit und Intellekt erörtert Bannach in diesem Zusammenhang ausführlich, sodaß der Eindruck einer eher rationalistischen Deutung entsteht. Die Rolle des göttlichen Gebotes bleibt ungeklärt. Auch die Andeutung der zitierten Stelle, wonach es nicht gleichrangig mit Freiheit und Intellekt sei, wird nicht weiter ausgeführt.

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham c)

93

Die vermittelnde Deutung

Da solche divergierende Interpretationen der Ockhamschen Ethik und vor allem divergierende Tendenzen im Wortlaut Ockhams selbst keine klare Entscheidung zwischen einer rationalistischen und einer voluntaristischen Deutung erhoffen lassen, gehen manche Ausleger einen Mittelweg, indem sie die positivistischen und die naturrechtlichen Elemente in seinem Denken zu verbinden suchen. Dabei gehen die einzelnen Vertreter eines solchen Mittelweges auf unterschiedliche Weise vor. Beispielsweise gibt es Versuche, die rationalistische Deutung der Ethik nur unter der Bedingung der „potentia ordinata" gelten zu lassen und ihre voluntaristische Deutung auf die „potentia absoluta" zurückzuführen. Zwar könnte Gott durch seine absolute Macht auch Unvernünftiges gebieten, doch wird er es in seiner ordinierten Macht nicht tun.18 Eine solche Vermittlung kann die voluntaristische und positivistische Seite der Ethik Ockhams jedoch nur unter der Voraussetzung ausgleichen, daß wir uns darauf verlassen können, daß das von Gott vorgesehene künftige Weltgeschehen keine unvernünftigen Gebote enthält. Eben diese Voraussetzung aber ist ungewiß. David W. Clark stellt ausführlich beide Seiten der Ethik Ockhams zusammen und gelangt dadurch zum Ergebnis, eine ausschließlich voluntaristische Lesart sei ebenso einseitig und ungenügend wie eine ausschließlich rationalistische.19 Die voluntaristischen und die rationalistischen Gedanken Ockhams zur Ethik verteilt Clark auf zwei Bereiche, sodaß die Ethik einen positivistischen und einen nicht-positivistischen Bereich umfaßt. Clark deutet auch eine Zuordnung des nicht-positivistischen Bereichs der Ethik zu einer moralischen Ordnung und des positivistischen Bereichs zu einer Heilsordnung an.20 Dabei verhält sich der rationalistische und nicht-positivistische Bereich der Ethik zu ihrem voluntaristischen und postivistischen Bereich wie die Form zum In-

18

Robert W. Hall: Ockham and Natural Law. In: Les philosophes morales et politiques au Moyen A g e / Moral and Political Philosophies in the Middle Ages. Actes du IXe Congres international de Philosophie Medievale, Ottawa, du 17 au 22 aoüt 1992 / Proceedings of the Ninth International Congress o f Medieval Philosophy, Ottawa, 17-22 August 1992. Societi Internationale pour l'Etude de la Philosophie Medievale (S.I.E.P.M.) sous la direction de / edited by B. Carlos Bazan, Eduardo Andujar, Leonard G. Sbrocchi. N e w York-Ottawa-Toronto: Legas 1 9 9 5 , 1 0 4 1 1048; Armand Augustine Maurer: The Philosophy o f William of Ockham in the Light of Its Principles. Toronto: PIMS 1999 (STPIMS 133), 5 2 5 - 5 3 9 .

19

David W. Clark: Voluntarism and Rationalism in the Ethics o f Ockham. In: FrS 31 (1971) 7 2 87, 86: „Ockham teaches a single doctrine o f ethics which includes two parts - the positive and the non-positive. Interpretations of voluntarism and rationalism, therefore, account for only part of Ockham's ethical theory".

20

David W. Clark: William of Ockham on Right Reason. In: Spec. 48 (1973) 13-36, 23; David W. Clark: Ockham on Human and Divine Freedom. In: FrS 38 (1978) 122-160, 158.

94

2. Kapitel: „ Deus non potest peccare"

halt.21 In einer späteren Stellungnahme schwächt Clark diese Zuordnung jedoch zu einem zusammenhanglosen Nebeneinander ab, zu einer bloßen Widerspruchsfreiheit, mit der sich noch kein System bilden läßt.22 Während für David W. Clark in Ockhams Ethik die rationalistischen Elemente die Form und die voluntaristischen Elemente den Inhalt darstellen, kehrt Sigrid Müller diese Zuordnung um. Ihrer Meinung nach ist der göttliche Wille zwar formal der Grund jeder ethischen Bewertung. Da aber ethische Weisungen sich stets auf die konkrete Situation beziehen und uns der göttliche Wille höchstens in allgemeinen Geboten bekannt ist (von wenigen Ausnahmen abgesehen), erfordert die Anwendung dieses Wissens auf das Verhalten in einer bestimmten Situation eine hermeneutische Leistung, die der Vernunft überlassen bleibt. Diese greift dabei auf ihre ersten notwendigen Prinzipien und auf die aus der Praxis gewonnene Erfahrung zurück und gelangt so erst zu inhaltlich konkreten Weisungen. 23 Marilyn McCord Adams liest aus Ockhams Äußerungen ein System von zwei einander überlappenden Moralitäten heraus, nämlich einer nichtpositiven Moral der natürlichen Vernunft und einer positiven Moral der Verdienstlichkeit in den Augen Gottes. Für beide sind sowohl die „recta ratio" als auch das Gebot Gottes maßgebend, jedoch nicht in gleicher Weise. Im Bereich der natürlichen und nicht-positiven Moralität ist die „recta ratio" das letzte Kriterium und die Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot davon abgeleitet: Gott müssen wir deshalb gehorchen, weil uns die „recta ratio" dies befiehlt. Im Bereich des Verdienstes in den Augen Gottes ist es umgekehrt. Letztes Kriterium der Verdienstlichkeit ist der göttliche Wille, von dem sich der Gehorsam gegenüber den Weisungen der „recta ratio" ableitet. Zu tun, was die Vernunft befiehlt, mag zwar in sich gut sein; verdienstlich ist es aber nur, weil Gott befiehlt, der „recta ratio" zu gehorchen. Daß, was die natürliche Vernunft als sittlich gut erkennt, zugleich auch verdienstlich ist, ist 21 22

23

Clark: Voluntarism, 83-85. Clark: William, 35: „He [= Ockham] divides moral doctrine into two parts - the positive and the non-positive. The harmony between these elements is not organic or hierarchical; it is simply the lack of mutual contradiction". Sigrid Müller: Die Grenzen einer philosophischen Ethik bei Wilhelm von Ockham. In: Was ist Philosophie im Mittelalter? / Qu'est-ce que la philosophic au Moyen Age? / What is Philosophy in the Middle Ages? Akten des X. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Societe Internationale pour l'Etude de la Philosophie Medi£vale, 25. bis 30. August 1997 in Erfurt. Hrsg. v. Jan A. Aertsen und Andreas Speer. Berlin-New York: de Gruyter 1998 (MM 26), 1041-1047, 1044-1047; Sigrid Müller: Handeln in einer kontingenten Welt. Zu Begriff und Bedeutung der rechten Vernunft (recta ratio) bei Wilhelm von Ockham. Tübingen-Basel: Francke 2000 (TSTP 18), 99-146; vgl. Arthur Stephen McGrade: Natural Law and Moral Omnipotence. In: The Cambridge Companion to Ockham. Hrsg. v. Paul Vincent Spade. Cambridge: Cambridge University Press 1999, 273-301.

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

95

nicht notwendig, sondern resultiert bloß aus dem Gebot Gottes, dessen Wille beschlossen hat, das in sich Gute auch als verdienstlich anzunehmen. Auch ist, was die natürliche Vernunft als sittlich gut erkennt, nicht das einzige, was als verdienstlich angenommen wird; daneben akzeptiert Gott nämlich die Befolgung des geoffenbarten positiven göttlichen Gesetzes, nach dem auch Taten als verdienstlich gelten, die ansonsten ethisch indifferent oder sogar unmoralisch wären. 24 d)

Die Annahme einer Entwicklung

Die vierte und fünfte Deutung des ethischen Denkens Ockhams geben die Hoffnung auf, alle Aussagen, die der „Venerabiiis Inceptor" an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen zu Fragen der Moral äußert, miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Antonio Poppi versucht die Widersprüche, die dabei stehenbleiben, zeitlich zu trennen. Demnach sind die frühen Ansichten Ockhams, wie sie in seinem Sentenzenkommentar ausgedrückt sind, zwar mit den späteren Äußerungen in den „Quodlibeta" nicht vereinbar, aber wenigstens muß man Ockham keine widersprüchlichen Ansichten zur selben Zeit zuschreiben. Nach dieser Deutung betont der frühe Sentenzenkommentar die voluntaristischen und positivistischen Aspekte der Ethik, die Ockham später abgeschwächt und durch rationalistische Aspekte ergänzt hat.25 Wenigstens in der Einzelfrage nach einem möglichen Gebot des Gotteshasses nehmen auch andere Autoren eine Entwicklung von einer vielleicht bewußt provokanten Formulierung, mit der ein junger Dozent die Aufmerksamkeit der Fachleute erregen wollte, zu einer deutlich abgeschwächten Position an.26 Daß sich Ockham erst in seinem publizistischen Werk ausdrücklich auf das Naturrecht beruft, würde gleichfalls zu einer solchen Entwicklung passen. 27

24

Marilyn McCord Adams: The Structure of Ockham's Moral Theory. In: FrS 46 (1986) 1 - 3 5 ; Marilyn McCord Adams: William Ockham: Voluntarist or Naturalist? In: Studies in Medieval Philosophy. Hrsg. ν. John F. Wippel. Washington, D.C.: The Catholic University of Notre Dame Press 1987 (SPHP 17), 2 1 9 - 2 4 7 , 2 3 4 - 2 4 6 ; Marilyn McCord Adams: Ockham on Will, Nature, and Morality. In: The Cambridge Companion to Ockham. Hrsg. v. Paul Vincent Spade. Cambridge: Cambridge University Press 1999, 2 4 5 - 2 7 2 , 265f.

25 26

Poppi: Problema, 133. Freppert: Basis, 124f; Wood: Gebot, 51; Martin Anton Schmidt: Gottes Freiheit, Macht und Güte im spätmittelalterlichen Nominalismus. In: Unterwegs zur Einheit. Festschrift fur Heinrich Stirnimann. Hrsg. v. Johannes Brantschen und Pietro Selvatico. Freiburg: Universitätsverlag; Freiburg-Wien: Herder 1980, 2 6 8 - 2 9 1 , 275.

27

Vgl. Clark: William, 29, Anm. 45.

96 e)

2. Kapitel: „Deus non potest peccare" Die Annahme von Widersprüchen und Inkohärenzen

Eine fünfte und letzte Deutung sieht sich nicht nur außerstande, die Unterschiede zwischen den voluntaristischen und den rationalistischen Aspekten der Ockhamschen Ethik zu überbrücken, sondern schreibt Ockham darüber hinaus auch für dieselbe Zeit unvereinbare Auffassungen über die Grundlagen der Ethik zu. Für eine solche Position sprechen die Schwierigkeiten, auf die alle Versuche, Ockhams Aussagen einheitlich zu deuten, stoßen, und die Uneinigkeit auch der Fachleute. Gegen diese Position spricht, daß Ockhams Denken im Ruf einer bemerkenswerten Kohärenz und Folgerichtigkeit steht.28 Vor allem Frederick Copleston verdächtigt Ockham der Inkohärenz in grundlegenden Fragen der Ethik. Er schreibt in seiner bekannten Philosophiegeschichte: "It would seem, then, at least at first sight, that we are faced with what amounts to two moral theories in Ockham's philosophy. On the one hand there is his authoritarian conception of the moral law. (...) On the other hand there is Ockham's insistance on right reason"29. Das gegenseitige Verhältnis dieser beiden Moraltheorien erklärt Copleston durch die Begriffe „Substruktur" und „Superstruktur": "He [= Ockham] built on the substructure of the Christian-Aristotelian tradition, and he retained a considerable amount of it, as is shown by what he says about the virtues, right reason, natural rights and so on. But he added to this substructure a superstructure which consisted in an ultra-personal conception of the moral law; and he does not seem fully to have realized that the addition of this superstructure demanded a more radical recasting of the substructure than he actually carried out"30. Daß Copleston die aristotelischen Ideen als „Substruktur" bezeichnet, ist allerdings nicht so zu verstehen, als seien sie für Ockham grundlegender oder wichtiger. Vielmehr schreibt ihm Copleston die gegenteilige Ansicht zu: "The ultimate and sufficient reason why we ought to follow right reason or conscience is that God wills that we do so. Authoritarianism has the last word"31.

28 29 30 31

Freppert: Basis, 8; Vereecke: Prudenza, 178; vgl. Μ. D. Lambert: The Franciscan Crisis under John XXII. In: FrS 32 (1972) 123-143, 142f. Frederick Copleston: A History of Philosophy. Volume III: Ockham to Suärez. London: Burns and Oates 1960 (The Bellarmin Series XIV), 107. Copleston: History, 107. Copleston: History, 109.

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham 2)

97

O c k h a m s Grundgedanken zur Ethik

Nach dem Überblick über die Grundtypen der Interpretation der Ockhamschen Ethik sollen nun Ockhams Grundgedanken, wie ich sie deute, unter Rückgriff auf Ockhams eigene Aussagen dargestellt werden. Dem seien zwei Vorbemerkungen vorangestellt. Erstens läßt sich die Ockhamsche Ethik, sofern die Textbelege nicht einseitig ausgewählt werden, weder als eindeutig rationalistisch noch als eindeutig voluntaristisch darstellen. Eine ausschließlich voluntaristische Deutung übersähe die Bindung der Moral an die „recta ratio" und an der Vernunft und Erfahrung zugängliche Prinzipien. Eine ausschließlich rationalistische Ethik würde sich darüber hinwegsetzen, daß Ockham dem göttlichen Gebot einen weiten Freiraum einräumt. Es geht also nicht um die Frage, ob die Ethik Ockhams voluntaristisch oder rationalistisch ist, sondern zu untersuchen ist vielmehr, wie weit rationalistische bzw. voluntaristische Aspekte wirken und welches Gewicht ihnen insgesamt zukommt. Zweitens ist daran zu erinnern, daß Ockham keinen ausfuhrlichen systematischen Text zur Ethik verfaßt hat. Daher muß ich im folgenden gelegentlich auf knappe oder beiläufige Äußerungen zurückgreifen. Über manche Fragen, die die heutigen Interpreten bewegen, scheint sich Ockham gar nicht oder nur indirekt geäußert zu haben. Verständlicherweise scheiden sich die Wege der Forscher gerade in solchen Fragen, zu deren Beantwortung der Rückgriff auf die Texte nicht ausreicht. Solche fruchtlosen Uneinigkeiten entstehen, indem die Interpreten in der Absicht zu systematisieren 32 von sich aus ergänzen, was Ockham offen gelassen hat. Vermeiden lassen sich diese Meinungsverschiedenheiten, wenn wir nicht nur in den Vorwörtern der Monographien und in den Vorbemerkungen der Aufsätze einräumen, daß die Ethik Ockhams lückenhaft geblieben ist, sondern auch in der systematischen Darstellung die Lücken benennen. Daß wir die Existenz von Lücken einräumen und sie benennen, bedeutet nicht den Verzicht darauf, Zusammenhänge zu erkennen und die Frage nach den Grundlagen der Ethik Ockhams anzusprechen. 33 Sogar Versuche, die aufgezeigten Lücken zu schließen, können sich als sinnvoll erweisen, wenn sie nicht beanspruchen, mehr als bloße Versuche zu sein. Da wir zu diesem Zweck nicht über unmittelbare Aussagen Ockhams zu den Einzelfragen ver-

32 33

So Müller: Grenzen, 1041; Müller: Handeln, 17. Peter King: Ockham's Ethical Theory. In: The Cambridge Companion to Ockham. Hrsg. v. Paul Vincent Spade. Cambridge: Cambridge University Press 1999, 2 2 7 - 2 4 4 , 239 gibt sich agnostisch, was den grundlegenden Charakter der Ethik Ockhams betrifft.

98

2. Kapitel: „Deus non potest peccare "

fügen, bleibt allerdings nur der unsichere Weg offen, Analogien zu Ockhams Äußerungen zu verwandten Fragen herzustellen. Unter diesen Vorbehalten scheint mir, daß in Ockhams Ethik die meisten moralischen Verpflichtungen letztlich auf göttliche Gebote zurückgehen, die grundlegenden ethischen Prinzipien aber in der Vernunft gründen. Auf diese Weise versuche ich, den voluntaristischen Aspekten, die bei Ockhams Erörterungen oft im Vordergrund stehen, ebenso gerecht zu werden wie den rationalistischen Aspekten, die den Spielraum des göttlichen Gebots zu begründen und zu umgrenzen scheinen. a)

Die rationale Grundlage der Ethik

Ockham unterscheidet zwei Teile der Moralwissenschaft („scientia moralis"). Der eine Teil ist nicht-positiv. Seine Erkenntnisse werden allein durch logische Schlüsse aus durch sich selbst oder durch Erfahung evidenten Prinzipien gewonnen. Der andere Teil ist positiv. Er umfaßt die menschlichen und göttlichen Gesetze samt allem, was aus ihnen abgeleitet werden kann. Der positive Teil der Moralwissenschaft ist nach den strengen Kriterien des Aristoteles keine beweisende Wissenschaft, denn in diesem Fall geht man nicht ausschließlich von evidenten und notwendigen Prinzipien aus, sondern auch von kontingenten Vorschriften, die nur aufgrund der Setzung durch einen Gesetzgeber Gut und Böse bestimmen. Ockham räumt ausdrücklich ein, daß auch der positive Teil der Moralwissenschaft von einer beweisenden Wissenschaft geleitet wird; die ersten Prinzipien gelten also auch fur sie, sind jedoch nicht die einzige und unmittelbare Erkenntnisquelle. Der nicht-positive Teil der Moralwissenschaft entspricht hingegen den aristotelischen Kriterien für eine beweisende Wissenschaft, die von evidenten Prinzipien ausgeht und durch logische Schlüsse zu notwendigen Schlußsätzen gelangt. Diesen Teil der Moralwissenschaft hält Ockham für sicherer als viele andere Wissenschaften, weil er auf der Einsicht in die eigenen Akte, nicht auf der Beobachtung des Verhaltens anderer beruht.34 N O T W E N D I G E U N D EVIDENTE ETHISCHE PRINZIPIEN

Bemerkenswert ist, daß Ockham seine Ethik auf evidenten Prinzipien aufbaut.35 Sie unterteilen sich in solche, die „per se nota" sind und in andere, deren Kenntnis aus der Erfahrung stammt.36 Solche „principia per se nota" sind 34 35 36

Quodl. II, qu. 14 (OTh IX 177,18-178,50). Vgl. Urban: Ethics, 3 2 2 - 3 2 6 . Quodl. II,qu. 14; Rep. III,qu. 12;vgl.Rep.III,qu. 1 0 ( O T h V I 3 1 6 , 1 6 - 1 7 ; 334,19); Quodl. IV, qu. 6.

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

99

die Grundlage jeder wissenschaftlichen Beweisführung (also auch einer wissenschaftlichen Ethik). Daher können sie selbst nicht mehr auf grundlegendere Prinzipien zurückgeführt und so bewiesen werden. Vielmehr leuchten sie unmittelbar aufgrund der Kenntnis der Termini, aus denen sie gebildet sind, und ihrer Verknüpfung ein.37 Wer bezweifelt, daß das sittlich Gute zu tun und das sittlich Schlechte zu unterlassen ist, hat noch nicht verstanden, was „sittlich gut" und „sittlich schlecht" bedeuten. Charakteristisch für die „principia per se nota" ist also nicht, daß jeder sie kennt. Nicht jeder wird ihnen zustimmen, wenn er sie nur hört,38 sondern auch hier ist das Urteil der Experten maßgeblich, die die Bedeutung der Termini und ihrer Verbindungen durchschauen. Charakteristisch für sie ist vielmehr, daß jeder vernünftige Mensch sie ohne Rückgriff auf besondere Erfahrungen oder Offenbarungen erkennen kann. Daher findet sie Ockham auch schon bei Aristoteles, der nicht auf die Offenbarung zurückgreifen konnte.39 Wichtiger als die Frage nach der Erkennbarkeit der notwendigen und evidenten ethischen Prinzipien ist für Ockham allerdings die Frage ihrer Geltung. Sie verpflichten ausnahmslos immer und jeden. Weil sie - wenigstens im Prinzip - von allen Menschen mittels der natürlichen Vernunft erkannt werden können, können sich höchstens unmündige Kinder und Geisteskranke, wenn sie dagegen verstoßen, auf ihre unüberwindliche Unwissenheit berufen (die auch für Ockham von jedem Vorwurf entschuldigt)40. Diese „principia per se nota" sind nach Ockham notwendig in dem Sinn, daß ihr Gegensatz widersprüchlich ist,41 mag dieser Widerspruch nun offensichtlich oder nur den Gelehrten zugänglich sein. Daher ist die Verneinung einer solchen „propositio per se nota" unmöglich und falsch. Die grundlegenden ethischen Prinzipien gehen also aus dem Kontradiktionsprinzip hervor. Nicht einmal Gott in seiner Allmacht kann aber einen Widerspruch verwirklichen. Daher sind diese grundlegenden Prinzipien der Ethik dem Zugriff Gottes entzogen.

37 38 39 40 41

Ord., Prol., qu. 1 (OTh I 6,15ff); Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 81,20-21): „propositio per se nota praecise cognoscitur ex notitia terminorum". Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 424,349-350): „aliquis fatuus forte non assentiret huic proposition! praedictae, - quamvis sit per se nota". Quodl. II, qu. 14 (OTh IX 177,28). Qu. var., qu. 7, art. 3 (OTh VIII 354,315-317): „illa ignorantio aut esset vincibilis aut invincibilis; si secundo modo, non est tunc ignorantia culpabilis". S. L. III-2, cap. 7 (OPh I 516,32-34): „Et sie, cum prioribus condicionibus, ad hoc quod propositio sit per se, requiritur quod ipsa sit simpliciter necessaria, ita quod nec potest nec potuit nec poterit esse falsa". Zur Frage, in welchem Sinn Ockham einer wissenschaftlichen Aussage Notwendigkeit zuspricht und in welchem Sinn nicht, vgl. Kapitel 6, III, 2), a).

100

2. Kapitel: „Deus non potest peccare'

1. LÜCKE: BESITZT GOTT MACHT ÜBER DIE NOTWENDIGEN ETHISCHEN PRINZIPIEN?

Diese Deutung scheint manchen zu widerstreben, die die voluntaristischen Aspekte der Ockhamschen Ethik stärker betonen wollen. Sie wenden ein, daß der menschliche Verstand samt seinen ersten Prinzipien von Gott sei und daher dem Willen Gottes unterliege.42 Hier stoßen wir erstmals auf eine Kontroverse unter den Interpreten, die sich aus den fragmentarischen und lückenhaften Äußerungen Ockhams nicht klar entscheiden läßt. Für einen christlichen Denker wie Ockham ist klar, daß der Mensch von Gott geschaffen ist und sich samt all seinen Fähigkeiten und Vermögen, darunter auch dem Verstand, Gott verdankt. Das bestreitet Ockham nicht. Auch räumt er ein, daß Gott keinen Widerspruch verwirklichen und deshalb die Geltung der „principia per se nota" nicht außer Kraft setzen kann. Aber wie das Verhältnis zwischen diesen ethischen Grundsätzen und dem menschlichen Verstand beschaffen ist, wird in den Texten Ockhams nicht reflektiert. Offen bleibt also etwa die Frage, ob Gott den menschlichen Verstand manipulieren kann, sodaß dieser manche Prinzipien nicht erkennen könnte (die dann höchstens noch „principia per se", nicht mehr „per se nota" wären) oder falsche Prinzipien für evident hielte. Da Ockham diesbezüglich keine klaren Aussagen macht, kann man nur indirekt und durch Analogien erschließen und so vermuten, wie Ockham diese Lücke geschlossen haben mag. Nun räumt Ockham ein, daß Gott dem Menschen so manches verbergen kann und daß der menschliche Verstand, auf sich allein gestellt, unfähig ist, so manches zu erkennen, dessen Gegensatz widersprüchlich ist.43 Doch findet sich bei Ockham kein Beispiel dafür, daß Gott dem Menschen ein „principium per se (notum)" verborgen hätte; und daß der menschliche Verstand manches Notwendige nicht erkennen kann, hat mit dessen Schwäche, nicht mit Gott zu tun. Vor allem bedenkt Ockham niemals die Möglichkeit, daß Gott dem Menschen etwas als evident vorgaukeln könnte, was es in Wahrheit nicht ist. Vielmehr stellt die Sekundärliteratur bei ihm einen erstaunlich großen Optimismus hinsichtlich der Erkenntnismöglichkeiten unserer Vernunft fest.44 Daher verläßt er sich stets auf die „principia per se nota", auf denen seine Wissenschaft beruht. Es besteht also kein Grund anzunehmen, daß Ockham eine Manipulation des menschlichen Verstandes durch Gott befürchtet hat, wenngleich sich Ock42 43 44

Holopainen: Theory, 148, Anm. 113. Zum Beispiel die Einheit und Dreifaltigkeit Gottes. Vgl. Kap. 3,1, 1) a) und 2) a) sowie II, 1)! Müller: Grenzen, 1047; Müller: Handeln, 111.

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

101

ham dazu nicht ausdrücklich äußert. Daher darf der Interpret die „principia per se nota" als die sichere Grundlage der Ockhamschen Ethik ansehen.

2. LÜCKE: GELTEN DIE NOTWENDIGEN PRINZIPIEN AUCH FÜR GOTT?

Da die grundlegenden ethischen Prinzipien nach Ockham „per se nota" sind, gelten sie nicht nur immer, sondern auch fur jeden. Deshalb gelten sie sowohl für Gott als auch fur die Menschen. Beides ist nicht ohne weiteres mit anderen Behauptungen Ockhams in Einklang zu bringen. Daß Gott selbst durch „principia per se nota" in moralischen Belangen gebunden ist, harmoniert anscheinend nicht mit Ockhams oftmals wiederholten Behauptungen, daß Gott niemandes Schuldner ist und daß er keinen Verpflichtungen unterliegt.45 (Daß Gott sich möglicherweise selbst frei und kontingent verpflichten kann, bleibt hier außer Betracht.) Daß die Menschen sich an „principia per se nota" zu halten haben, verträgt sich womöglich nicht mit ihrer Pflicht, göttlichen Geboten zu gehorchen, die in Freiheit erlassen sind. Beide Schwierigkeiten erörtert Ockham nicht. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sie unlösbar wären. Vielmehr stoßen wir hier auf eine zweite Lücke in Ockhams ethischen Lehren, die er vermutlich ausgefüllt hätte, wenn er zu einer umfassenden und systematischen Darstellung Gelegenheit gefunden hätte. Was Ockham unterlassen hat, wird in der Sekundärliteratur nur allzu bereitwillig ergänzt. Vor der Erörterung solcher Versuche, Ockhams Ansichten miteinander zu verbinden, empfiehlt es sich, die paar ethischen „principia per se nota" zu betrachten, die Ockham über sein Werk hin verstreut anfuhrt. (Eine axiomatische Zusammenstellung der Grundsätze seiner Ethik hat Ockham bedauerlicherweise nie vorgenommen.) Alles Ehrenhafte ist zu tun. Alles Unehrenhafte ist zu fliehen. 46 Der Wille muß sich der „recta ratio" angleichen. Alles Schlechte ist zu vermeiden und zu fliehen. 47

45

46 47

Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 59,6f); Rep. II, qu. 15 (OTh V 343,20); Rep. IV, qu. 1 (OTh VII 45,17; 55,17); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 198,7-8; 2 2 6 , 2 - 3 ) ; Qu. var., qu. 1 (OTh VIII 22,484; 26,578; 27,601); Qu. var., qu. 7, art. 4 (OTh VIII 389,322); Ord., dist. 41 (OTh IV 608,16); Quodl. II, qu. 4 (OTh IX 219,108). Quodl. II, qu. 14 (OTh IX 177,26-27): „omne honestum est faciendum, et omne inhonestum est fugiendum". Quodl. II, qu. 14 (OTh IX 178,40-41): „voluntas debet se conformare rectae rationi, omne malum vituperabile est fugiendum".

102

2. Kapitel: „Dem non potest peccare'

Niemand darf zum Handeln gegen das Gebot seines Gottes veranlaßt werden.48 Jedem Wohltäter muß man Wohltaten erweisen.49 Jedem Bedürftigen muß man in der äußersten Not beistehen, damit er nicht umkommt.50 Alle diese Prinzipien bezeichnet Ockham als „per se nota"; ihre kontradiktorischen Gegensätze betrachtet er also als widersprüchlich, wenngleich das durchaus nicht in jedem Fall auf der Hand liegt. Alle sind allgemeine Prinzipien, die erst auf einzelne Fälle hin konkretisiert werden müssen. Doch nicht alle wirken tautologisch und inhaltsleer. Daß alles Ehrenhafte zu tun und alles Unehrenhafte und Schlechte zu fliehen ist, ist ein inhaltsleeres analytisches Prinzip, denn es erklärt den Begriff des Ehrenhaften bzw. Schlechten, bestimmt aber nicht näher, was unter „ehrenhaft" und „schlecht" zu verstehen ist. Entsprechendes gilt für die Pflicht des Willens, sich der „recta ratio" anzugleichen, denn es wird nicht gesagt, was die „recta ratio" verlangt. Schließlich ist auch das Verbot, jemanden zum Verstoß gegen das Gebot seines Gottes zu veranlassen, insofern inhaltsleer, als es mit jedem beliebigen Inhalt des göttlichen Gebotes vereinbar ist. Anders verhält es sich mit der Pflicht, dem Wohltäter Wohltaten zu erweisen, denn der Bestandteil „bene" in „benefacere" bezieht sich nicht auf ein moralisches, sondern auf ein vormoralisches Gut. Was aber solche Wohltaten sind, wissen die Menschen aus Erfahrung, sodaß sich aus der allgemeinen Formulierung des Prinzips Anweisungen für das Verhalten ableiten lassen. Noch konkreter ist das Gebot, dem Bedürftigen in äußerster Not beizustehen, damit er nicht umkomme, für alle, die mit dem Tod oder mit Todesnot konfrontiert sind. Es mag merkwürdig erscheinen, daß Ockham solche Prinzipien mit analytischen Sätzen als „principia per se nota" gleichstellt und alle zusammen aus dem Kontradiktionsprinzip ableitet. Doch das Kontradiktionsprinzip selbst ist für Ockham kein tautologisches und inhaltsleeres Prinzip, sondern inhaltlich gefüllt.51 Neben den Grundsätzen der Ethik enthält es nämlich auch einige 48 49

50 51

Qu. var., qu. VII, art. 3 (OTh VIII 366,583-584): „nullus est inducendus ad faciendum contra praeceptum Dei sui". Qu. var., qu. 6, art. 10 (OTh VIII 281,222-225): „Et haec procedit ex principiis per se notis ut hie: ,omni benefactori est benefaciendum; sed quilibet liberans aliquem a morte est benefactor; igitur omni tali est benefaciendum'"; vgl. Qu. var., qu. 7, art. 2 (OTh VIII 330,11). Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 4 2 3 , 3 1 0 - 3 1 1 ) : „Omni indigenti extrema necessitate est benefaciendum ne pereat". Jan P. Beckmann: Zur Transformation der Metaphysik durch Kritik. In: PhJ 92 (1985) 2 9 1 - 3 0 9 , 296; Volker Leppin: Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham.

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

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metaphysische Wahrheiten und sogar christliche Glaubensartikel wie das Bekenntnis zum dreifaltigen Gott,52 das sich freilich nicht auf rein rationale Weise ableiten läßt.53 Manche ethische Grundsätze sind also analytisch und inhaltsleer, andere hingegen sind es nicht. Alle gelten jedoch allgemein und verpflichten damit (zumindest theoretisch) auch Gott, von dem Ockham doch sagt, er sei niemandes Schuldner und zu nichts verpflichtet. Einige Autoren versuchen, diese Aussagen durch den Hinweis auf den rein formalen Charakter der „principia per se nota" miteinander zu harmonisieren. 54 Weil sie nur logische Bedingungen angeben, wie von „gut" und „böse" zu sprechen ist, aber keine inhaltlichen Vorschriften enthalten, was Gott zu tun oder zu unterlassen habe, können solche allgemeinen ethischen Grundsätze auch Gott binden, ohne ihn zu etwas zu verpflichten. Doch ein solcher Harmonisierungsversuch erreicht sein Ziel nur teilweise, weil, wie wir gesehen haben, nicht alle „principia per se nota" analytisch sind. Zwar mag Gottes Gebot weitgehend bestimmen, was als gut und was als böse zu gelten hat und was die „recta ratio" zu tun gebietet, sodaß ihm die Gebote, das Gute zu tun, das Böse zu unterlassen und der „recta ratio" zu folgen, tatsächlich keine Pflichten auferlegen. Die Begriffe der Wohltat und der äußersten Not sind hingegen ohne Bezug auf Gottes Gebot definierbar. Daher können die Prinzipien, daß Wohltätern Wohltaten zu erweisen sind und daß man Bedrängten in äußerster Not beistehen muß, damit sie nicht umkommen, unabhängig von Gottes Gebot angewandt und auch auf Gott selbst bezogen werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die unumschränkte Geltung auch dieser „principia per se nota" mit der Freiheit Gottes von allen inhaltlichen Verpflichtungen der Moral unvereinbar wäre, sondern nur, daß sich diese Vereinbarkeit nicht mit der Inhaltsleere der Prinzipien begründen läßt. Vielmehr ist sie mit den spezifischen Inhalten dieser Prinzipien zu begründen, die allesamt zwar theoretisch auch fur Gott gelten mögen, doch auf ihn nicht anwendbar sind.55 Wenigstens wenn Ockham die Pflicht, Wohltätern Wohltaten zu erweisen, mit der Einschränkung versteht, daß ein jeder denen, die ihm Wohltaten er-

52 53 54 55

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995 (FKDG 63), 53: „Das weist daraufhin, daß bei Ockham das Widerspruchsprinzip, das Gottes Handeln begrenzt, durchaus material gefüllt ist". Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 119,44^15). Ord., dist. 1, qu. 5 (OTh I 4 6 4 , 2 - 6 ) ; Ord., dist. 9, qu. 1 (OTh III 2 7 5 , 1 2 - 1 3 ) ; Ord., dist. 30, qu. 1 (OTh IV 2 8 3 , 8 - 1 1 ) . Garvens: Grundlagen, 248; Clark: Voluntarism, 85; Clark: William, 28. Vgl. Urban: Ethics, 332.

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wiesen haben, Wohltaten erweisen soll, wird Gott zu nichts verpflichtet, weil er von niemandem Wohltaten empfängt. Ähnliches gilt für das Gebot, den Bedürftigen in äußerster Not beizustehen, damit sie nicht umkommen: Was für einen Menschen äußerste Todesnot sein mag, ist fur Gott, der Herr ist über Leben und Tod und sogar aus dem Tod retten kann, keine äußerste Not, vor der er jemanden bewahren müßte. Daß Ockham seine Ethik auf „principia per se nota" aufbaut, ist also mit seiner Auffassung vereinbar, daß Gott niemandes Schuldner und zu nichts verpflichtet ist. Diese Vereinbarkeit erklärt Ockham allerdings nicht selbst; die Erklärung wird vielmehr von seinen Interpreten geleistet. Man darf vermuten, daß diese damit in seinem Sinn handeln, kann sich dessen jedoch nicht völlig gewiß sein. Möglicherweise vertritt Ockham in der Ethik neben den genannten auch andere analytische oder synthetische „principia per se nota", von denen wir nichts wissen, weil sie nicht in seinen Schriften genannt oder uns nicht erhalten sind.56 Doch da wir diesbezüglich nichts Näheres wissen können, setzte ich im folgenden im Sinne einer „wohlwollenden" Interpretation die Kohärenz des Ockhamschen Denkens über die Pflichten und Pflichtenlosigkeit Gottes voraus.

3. LÜCKE: KANN DER MENSCH EINER PFLICHT ZU ZWEI MITEINANDER UNVEREINBAREN VERHALTENSWEISEN UNTERLIEGEN?

Daß Ockham seine Ethik auf „principia per se nota" aufbaut, die immer und für jeden gelten, scheint nicht nur der Freiheit Gottes von aller Pflicht zu widerstreiten, sondern auch der Pflicht des Menschen, dem göttlichen Gebot zu gehorchen, und zwar dann, wenn göttliches Gebot und „principium per se notum" demselben Menschen unvereinbare Pflichten auferlegen. Das Gebot Gottes und das Gebot der „recta ratio" stehen in der Ethik Ockhams nicht beziehungslos nebeneinander, sondern geben inhaltlich die gleichen Anweisungen. Es ist Gottes Wille, daß wir in unserem Verhalten der „recta ratio" folgen. Umgekehrt gebietet die „recta ratio", daß all das zu tun sei, was Gott von uns will. Faktisch stimmen also beide Instanzen der Moral überein, und das scheint alles zu sein, was Ockham zu diesem Thema sagt. Viele Ausleger interessieren sich jedoch für die Möglichkeit, die Ockham nicht erörtert, daß nämlich Gott durch sein Gebot einen Menschen zu etwas verpflichtet, was der natürlichen Moral entgegengesetzt ist. Zu diesem Thema 56

Ockham spricht von „vielen" Prinzipien; vgl. Quodl. II, qu. 14 (OTh IX 177,39-178,40): „multa sunt principia per se nota in morali philosophia".

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lassen sich bei Ockham einige außergewöhnliche Fälle anfuhren. So rechnet er mit der Möglichkeit, daß Gott jene Akte gebieten könne, die tatsächlich als Ehebruch, Diebstahl usw. unter das Verbot Gottes fallen und sogar im Dekalog verboten sind, der im Gegensatz zu den meisten anderen alttestamentlichen Gesetzen als auch fur die Christen verbindlich erachtet wird. Allerdings fugt Ockham hinzu, diese Akte seien, wenn sie von Gott geboten sind, verdienstlich und könnten daher nicht mehr als Diebstahl, Ehebruch usw. bezeichnet werden, weil diese Begriffe die Bosheit der entsprechenden Akte mitbezeichnen. 57 Doch wenngleich Gott nach Ockham über einzelne Gebote des Dekalogs verfügen, von ihnen dispensieren oder sogar das Gegenteil gebieten kann, kann er doch keine „principia per se nota" außer Kraft setzen, weil deren Bestreitung einen Widerspruch enthält, den nicht einmal Gott in seiner Allmacht verwirklichen kann. Dies gilt allgemein wie im Einzelfall; es ist also weder eine Aufhebung eines solchen Gesetzes noch eine Dispens von ihm möglich. Selbstverständlich beeinträchtigt eine solche Einschränkung die Glückseligkeit der Gottheit nicht, denn wie Ockham erwähnt, ist es nicht nur unmöglich, daß Gott etwas Widersprüchliches tut, sondern ebenso, daß er einen Widerspruch auch nur will.58 Nicht klar wird aus Ockhams Texten jedoch, ob Gott ein Verhalten gebieten kann, das mit einem „principium per se notum" unvereinbar ist. Eine Antwort auf diese Frage wäre für die Bewertung der Ethik Ockhams bedeutsam, weil sich an ihr entscheidet, ob sie ausnahmslos vernünftig aufgebaut ist oder in Irrationalität und Willkür umkippen kann. Hier stoßen wir also auf eine dritte Lücke in Ockhams ethischen Lehren. Sie besteht im Fehlen von so etwas wie einer deontischen Logik. Daß im Sein zur selben Zeit und in derselben Hinsicht keine Widersprüche verwirklicht sein können, ist für Ockham klar. Er entscheidet jedoch nicht, ob es Widersprüche im Sollen geben kann in dem Sinn, daß dieselbe Person zugleich und in gleicher Hinsicht einer Pflicht zu Α und einer Pflicht zu Nicht-A unterworfen sein kann, etwa einer Pflicht, die sich aus dem göttlichen Gebot ergibt, und einer Pflicht, die aus einem ethischen „principium per se notum" resultiert. Was sich aus Ockhams Text nicht entnehmen läßt, haben seine Ausleger von sich aus zu ergänzen versucht, allerdings auf unterschiedliche Weise. Philotheus Boehner, Marilyn McCord Adams und Taina Holopainen scheinen anzunehmen, daß Gott in Extremfällen dem Menschen Pflichten auferlegen 57

Rep. II, qu. 15 (OTh V 352,3-353,2).

58

Quodl. II, qu. 9 (OTh IX 154,114-155,119): „ex hoc quod voluntas creata est defectibilis, potest velle impossibile, et illud quod includit contradictionem (...). Sed voluntas Dei non est sie defectibilis, nec potest efflcaciter velle aliquod impossibile includens contradictionem".

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könnte, die zu erfüllen unmöglich und sogar widersprüchlich ist.59 Rega Wood hingegen hält dies für einen Widerspruch, den nicht einmal Gott verwirklichen kann.60 Wieder läßt sich diese Kontroverse höchstens dann beilegen, wenn es dem Ausleger der Texte gelingt, die Ansicht Ockhams indirekt zu erschließen. Im vorliegenden Fall kommt ihm gelegen, daß Ockham sich zu verwandten Fragen öfters, wenngleich niemals ausfuhrlich, äußert. 1 In Analogie zu seiner bekannten Annahme, daß Gott nichts tun kann, was einen Widerspruch einschlösse, betont Ockham, daß Gott auch nichts Widersprüchliches gebieten könne.61 Das mag aber mit Ockhams Ansicht zusammenhängen, daß Gott nichts Unmögliches wollen kann, und sich nicht ohne weiteres auf einen Konflikt zwischen einem göttlichen Gebot und einer Pflicht aufgrund eines ethischen Vernunftprinzips übertragen lassen. 2 Vom Menschen sagt Ockham, er sei nicht zu Unmöglichem verpflichtet.62 Doch daraus geht nicht klar hervor, ob er unter bestimmten Umständen durch verschiedene Pflichten zu zwei miteinander unvereinbaren, aber in sich möglichen Verhaltensweisen verpflichtet sein kann. Ockham nennt keine Regel, nach der sich die Pflicht zu Α und die Pflicht zu Β zu einer Pflicht zu A-und-B zusammenfassen läßt (und daher auch die Pflicht zu A und die Pflicht zu Nicht-A zu einer Pflicht zu A-und-Nicht-A, die als Pflicht zu Unmöglichem auszuschließen ist). Allerdings bestreitet er eine solche Regel auch nirgends. 3 Ockham sagt, daß niemand verpflichtet sei zu sündigen.63 Eine Sünde setzt eine der Tat bzw. Unterlassung entgegenstehende Verpflichtung voraus. Gäbe es eine Pflicht zur Sünde, müßte also eine Pflicht zur sündigen Tat bzw. Unterlassung und eine entgegenstehende Pflicht zugleich bestehen. Allerdings folgt daraus nicht zwingend, daß es keine widersprüchlichen Pflichten geben kann, denn jeder Verstoß gegen eine Pflicht ist zwar böse, aber Ockham sagt nicht, daß jeder Verstoß gegen eine Pflicht (vor allem jeder Verstoß gegen eine Pflicht aufgrund eines ethischen „principium per se notum") notwendigerweise eine Sünde ist.

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60 61 62 63

Philotheus Boehner: A Recent Presentation of Ockham's Philosophy. In: Ders.: Collected Articles on Ockham. Hrsg. v. Eligius Maria Buytaert. St. Bonaventure, New York 1958 (FIP.P 12), 136-156, 152f; Adams: Structure, 29; Adams: Voluntarist, 242; Holopainen: Theory, 142. Wood: Gebot, 49. Rep. I I , qu. 15 (OTh V 352,12-13; 353,10-11). Qu. var., qu. 7, art. 3 (OTh VIII 370,671): „nullus obligator ad impossibile". Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 431,491): „nullus obligator ad peccandum"; vgl. Rep. II, qu. 15 (OTh V 348,1-2).

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Es fehlen also eindeutige Grundlagen im Text, um entscheiden zu können, ob Gott nach Ockham einem Menschen den Verstoß gegen Pflichten aus den ethischen „principia per se nota" gebieten kann oder nicht. Doch wenn ich Ockhams Sorgfalt bedenke, mit der er ausschließt, daß Gott widersprüchliche Gebote erläßt oder ein Mensch zu Unmöglichem oder zur Sünde verpflichtet wird, und mit der er auch die versteckten Widersprüche dem Wirkungsbereich der göttlichen Allmacht entzieht, neige ich zur Vermutung, daß der „Venerabiiis Inceptor" das moralische Subjekt aus unvereinbaren Verpflichtungen gerettet und Gott die Fähigkeit abgesprochen hätte, ein Verhalten im Widerspruch zu einem ethischen „principium per se notum" zu gebieten. 4. LÜCKE: WODURCH IST DIE GOTTESMUTTER VON SÜNDEN FREI?

Da die grundlegenden ethischen Prinzipien „per se nota" und notwendig sind, verpflichten sie alle Menschen immer und ohne Ausnahme. Sie verpflichten auch jene Menschen, von denen der katholische Glaube bekennt, daß sie infolge einer besonderen göttlichen Gnade nicht sündigen konnten. Damit sind die Seligen im Himmel gemeint und auf Erden der Mensch Jesus Christus sowie seine Mutter Maria. Da bei den Seligen im Himmel nicht völlig klar ist, wie sie sich ethisch bewähren müssen, und der Mensch Jesus Christus aufgrund seiner Vereinigung mit der zweiten göttlichen Person einen Sonderfall darstellt, konzentrieren sich die Überlegungen Ockhams zur Sündenlosigkeit auf die Gottesmutter. Nur wenige Jahre zuvor hatte Ockhams berühmter Ordensbruder Johannes Duns Scotus die Lehre von der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter nachdrücklich verteidigt, damit eine Weichenstellung für die Dogmatisierung dieser Lehre durch Papst Pius IX. im Jahre 1854 gestellt und sich selbst als „Doctor marianus" einen Namen gemacht (neben dem häufigeren und früheren „Doctor subtilis").64 Ockham selbst scheint hinsichtlich der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter mit einer gewissen Unsicherheit der Ansicht des Duns Scotus gefolgt zu sein.65 Er erörtert diese Frage nie ausdrücklich, stellt jedoch einige Überlegungen in ihrem Umfeld an.

64

Scotus: Ord. III, dist. 3, qu. 1 (Vives XIV 159-176); Scotus: Rep. III, dist. 3, qu. 1 (Vives XXIII 2 6 1 - 2 6 7 ) ; vgl. Georg Söll: Mariologie. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1978 (HDG III 4), 174177; Franz Courth: Duns Scotus. In: Marienlexikon. Hrsg. v. Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk. 2 (1989) 2 6 1 - 2 6 2 ; Stefano De Fiores: Maria in der Geschichte von Theologie und Frömmigkeit. In: Handbuch der Marienkunde. Hrsg. v. Wolfgang Beinert und Heinrich Petri. 2., völlig neu bearb. Aufl. Band 1. Regensburg: Pustet 1996, 9 9 - 2 6 6 , 158f.

65

Vgl. den bislang einzigen Aufsatz zur Mariologie Ockhams: Eligius Maria Buytaert: The Immaculate Conception in the Writings of Ockham. In: FrS 10 (1950) 149-163.

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

Doch wenngleich sich bei Ockham keine ausdrücklichen Überlegungen über die Freiheit der Gottesmutter von der Erbsünde finden, bemüht er sich, ihre Freiheit von persönlichen Sünden zu erklären. Er legt mehrere mögliche Erklärungen vor, unter denen sich auch die folgende befindet: Wenn Gott bestimmt habe, daß die Jungfrau Maria zu keiner verdienstlichen Tat verpflichtet sei, könne sie auch nicht sündigen.66 Und er fügt hinzu: „Wenn dies wahr sein sollte, dann ist diese Schwierigkeit gelöst"67. Diese Erläuterung zur Sündenlosigkeit der Jungfrau Maria ist kurz und klar, läßt sich jedoch kaum mit dem Aufbau der Ethik aus „principia per se nota" vereinbaren. Denn diese grundlegenden ethischen Prinzipien binden auch die Gottesmutter, und nicht einmal Gott selbst könnte sie von ihnen dispensieren. Wie bei Gott können wir auch bei Maria die inhaltsleeren Prinzipien, die zu keinen bestimmten Taten verpflichten, beiseite lassen. Dann bleiben immer noch wenigstens zwei inhaltlich gefüllte Prinzipien. Von ihnen verlangt das eine, daß die Gottesmutter Bedürftigen in äußerster Not beistehe, damit sie nicht umkommen. Selbst wenn wir unterstellen wollten, daß Maria durch göttliche Fügung niemals einem Bedürftigen in äußerster Not begegenet sei, dem sie hätte beistehen können, bleibt ein zweites Prinzip, daß sie nämlich verpflichtet ist, den Wohltätern Wohltaten zu erweisen. Wenigstens dadurch werden ihr zwar allgemeine, aber in der einzelnen Situation konkretisierbare Verpflichtungen auferlegt, zumindest ihren Eltern oder Gott gegenüber (wenn wir die unwahrscheinliche, aber „de potentia Dei absoluta" nicht auszuschließende Annahme machen wollen, daß ihr sonst niemand Wohltaten erwiesen hätte). Selbst wenn Gott sie also, soweit er es vermag, von allen Sünden befreien würde, könnte die Gottesmutter gegen eine Pflicht aus einem ethischen „principium per se notum" verstoßen, sodaß ihre Sündenlosigkeit nicht hinreichend erklärt wäre, was Ockham jedoch behauptet. In den uns bekannten Texten äußert sich Ockham nicht zur Frage, wie sich seine Erklärung der Sündenlosigkeit der Gottesmutter mit der Annahme inhaltlich gefüllter „principia per se nota" in der Ethik vereinbaren läßt. Wir haben es also mit einer vierten Lücke im ethischen Denken Ockhams zu tun, die allerdings bislang von den Interpreten nicht beachtet worden ist. Freilich lassen sich auch Versuche denken, wie sie zu füllen ist. Das Problem könnte man beispielsweise zu umschiffen versuchen, indem man zwischen natürlicher Ethik und Verdienstlichkeit unterscheidet, die „principia per se nota" der natürlichen Ethik, die Sünden hingegen der Verdienst66 67

Rep. III, qu. 5 (OTh VI 156,4-7). Rep. III, qu. 5 (OTh VI 156,7).

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lichkeit zuordnet. Damit nimmt man bei Ockham die Meinung an, daß gutes und verdienstliches Verhalten zueinander in Gegensatz geraten können, was zumindest nach manchen Deutungen der Ockhamschen Ethik zwar möglich ist (allerdings nur „de potentia Dei absoluta"), aber zur merkwürdigen Annahme fuhrt, daß die Gottesmutter zwar frei von Sünden gewesen sein mag, aber nicht notwendigerweise auch frei von ethisch tadelnswertem Verhalten. Sollte jemand Ockham diese Ansicht nicht unterstellen wollen, halte ich es auch für denkbar, ihm ungeachtet seines sonst so gerühmten folgerichtigen Denkens in dieser Frage eine unbedeutende Inkohärenz zu unterstellen, zumal diese Überlegung Ockhams vom Kern der Ethik verhältnismäßig weit abliegt, sie nur als eine von mehreren möglichen Erklärungen der Sündenlosigkeit der Gottesmutter auftritt und der „Venerabiiis Inceptor" sie nur in einem kurzen Text der frühen „Reportatio" geäußert und nicht wiederholt hat. Die Ethik steht also auf einer rationalen Grundlage, indem sie wie jede andere Wissenschaft, die den strengen aristotelischen Kriterien der Wissenschaftlichkeit entspricht, von „principia per se nota" geleitet wird, die nicht alle analytisch sind, sondern auch allgemeine inhaltliche Verpflichtungen aussprechen. Ockham hat sich zu den Grundlagen seiner Ethik nicht ausführlich geäußert und daher auch nicht alle Fragen ausgeräumt. An wenigstens vier Stellen enthält seine Ethik Lücken, die sich jedoch in der Regel ergänzen lassen, ohne zu ausdrücklichen Widersprüchen zu fuhren. Daß diese Lücken und fragmentarischen Äußerungen meist Fragen zur rationalen Grundlage der Ethik betreffen, weniger ihre Konkretisierung durch positive Gebote, mag dazu beigetragen haben, daß Ockhams Ansichten zur Ethik mehr, als sie es verdienen, in den Ruf gekommen sind, positivistisch und voluntaristisch zu sein. Die rationalen Grundlagen der Ethik ermöglichen dem göttlichen Gebot einen verhältnismäßig großen Freiraum, was nun gezeigt werden soll.

b)

Der Freiraum für das göttliche Gebot

Von der „scientia moralis non positiva", die allein durch die Vernunft, d. h. durch „principia per se nota" und allgemeine Prinzipien aus der Erfahrung geleitet wird, unterscheidet Ockham eine „scientia moralis positiva", die menschliche und göttliche Gesetze umfaßt. Mit den „principia per se nota" läßt sich also noch kein sittliches Wissen bestreiten, das alles menschliche Verhalten im einzelnen regelt. Den gesamten Bereich des menschlichen Handelns bestimmen die ethischen „principia per se nota" schon deshalb nicht, weil sie, wie es nach Ock-

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ham alle affirmativen Gebote tun,68 zwar immer verpflichten, aber nicht fur jeden einzelnen Augenblick. Daß das sittlich Gute zu tun ist, schließt nicht aus, daß ein Mensch gelegentlich auch sittlich nur Indifferentes tut. Außerdem setzen diese Prinzipien, je mehr sie inhaltlich gefüllt sind, umso speziellere Anwendungsfalle voraus. So betrifft die Pflicht, Bedürftige in äußerster Not vor dem Tod zu retten, nur solche Menschen, die einem Bedürftigen in äußerster Not begegnen. Ockham lehrt also neben der nicht-positiven eine positive Moralwissenschaft. Auch deren Vorschriften verpflichten den Menschen, jedoch nur, weil sie von einer Autorität erlassen sind, der das Erlassen von Gesetzen zusteht. Über eine solche Autorität verfugt zunächst natürlich Gott, dessen Gebote die Moraltheologie (im Unterschied zu einer philosophischen Ethik) begründen. Nach Gott verfügen jedoch auch die rechtmäßigen menschlichen Herrscher über diese Autorität, und ihre Gesetze begründen die Rechtswissenschaft.69 Schließlich gibt es daneben auch noch einen Bereich völliger Indifferenz, der weder durch „principia per se nota" noch durch göttliche Gebote noch durch menschliche Gesetze geregelt ist.70 Wie dargelegt wurde, können solche Vorschriften Gottes und der Menschen keine „principia per se nota" aufheben oder ihnen widersprechen. Die positive und die nicht-positive Moral stehen daher bei Ockham nicht gleichberechtigt nebeneinander, sondern die Prinzipien der nicht-positiven Moral gelten für alles menschliche Tun. Deshalb kann nach Ockham kein Verhalten tugendhaft sein, wenn es ohne rechte Vernunft („recta ratio") geschieht, zu deren Aufgabe die Anwendung der ersten Prinzipien auf die konkrete Situation zählt.71

68

Ord., dist. 48, qu. un. (OTh IV 689,20-21; 690,11-16): „non tenetur semper implere praecepta divina affirmative. (...) Ad secundum dicendum quod non conformans se voluntati divinae pro loco et tempore quo tenetur de necessitate salutis, peccat mortaliter. Sed dictum est prius quod non quilibet pro omni tempore ad hoc tenetur, maxime quantum ad praecepta affirmativa, quamvis ad praecepta negativa pro semper teneatur"; vgl. I Dial. VI, cap. 39 (ed. Miethke, 66); III Dial. I i, Pro!, (ed. Miethke 80). Das Prinzip, daß niemand zum Verstoß gegen das Gebot Gottes veranlaßt werden darf, nimmt hier als negatives Prinzip eine Sonderstellung ein. Aber gerade weil es negativ ist, kann es nicht die gesamte Ethik regeln, obwohl es für jeden Augenblick gilt.

69

Quodl. II, qu. 14: „Scientia moralis positiva est quae continet leges humanas et divinas quae obligant ad prosequendum vel fugiendum ista quae nec bona sunt nec mala, nisi quia sunt prohibita vel imperata a superiore (cuius est leges statuere)". Qu. var., qu. 7, art. 2 (OTh VIII 338,200-202): „aliquis actus est intrinsece bonus moraliter, aliquis intrinsece malus et vitiosus, aliquis neuter sive indifferens" - gegen Ghisalberti: amore, 69; Ghisalberti: fondazione, 74f, nach dem Ockham einen ethisch indifferenten Akt nur als Abstraktion ansieht. Vgl. Müller: Handeln, 162-169.

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Die ethischen „principia per se nota" selbst werten jedoch nicht jede einzelne Tat. Daher steht ihre Wertung als geboten oder verboten den göttlichen und menschlichen Gesetzen frei, die dabei aber nicht den „principia per se nota" widersprechen, sondern diese nur ergänzen können.72 In diesem Sinn kommt der nicht-positiven Moral im Ockhamschen Denken ein Vorrang vor der positiven Moral zu. Da die „principia per se nota" notwendig sind und ihr Gegenteil einen Widerspruch einschließt, gelten sie immer. Für die göttlichen Gebote und die menschlichen Gesetze gilt dies nicht. Sie können daher abgeändert werden. Für die menschlichen Gesetze ist dies ohnehin klar. Eine Änderung der göttlichen Gebote ist gleichfalls möglich, sofern sie keine Veränderung im göttlichen Willen oder gar im göttlichen Wesen beinhaltet, wenn also ein und derselbe unveränderliche göttliche Wille für verschiedene Zeiten verschiedene Vorschriften vorsieht. Eine solche Änderung der positiven göttlichen Gesetze hat nach Ockham stattgefunden, als beim Wechsel vom Alten zum Neuen Bund die Pflicht zur Beschneidung von der Pflicht zur Taufe abgelöst wurde.73 D I E G O T T E S L I E B E ALS DER NOTWENDIG TUGENDHAFTE A K T

Ockhams Ethik beruht auf einem notwendigerweise tugendhaften Akt. Daß ein Akt notwendig tugendhaft ist, ist so zu verstehen, daß er nicht lasterhaft sein kann und daß kein Wille ihn verursachen kann, ohne daß er tugendhaft ist.74 Diesen notwendig tugendhaften Akt sieht Ockham in der Liebe zu Gott gegeben. Allerdings unterscheidet er hier zwischen „amor concupiscentiae" und „amor amicitiae". Mit einem „amor concupiscentiae" geliebt wird, was um eines anderen Zieles willen geliebt wird. Mit einem „amor amicitiae" geliebt wird, was um seiner selbst willen geliebt wird.75 Gott muß um seiner selbst willen und über alles andere hinaus geliebt werden, nur dann ist die Liebe zu Gott notwendig tugendhaft. 76 Damit, daß er als notwendig guten Willensakt die Liebe zu Gott bestimmt, steht Ockham in der biblischen Tradition, nach der die Gottesliebe das höchste Gebot ist (vgl. Mt 22,36-38; Mk 12,28-30). Diese Liebe zu Gott identifiziert Ockham verhältnismäßig rasch mit dem Gehorsam gegenüber dem gött-

72 73 74 75 76

Wood: Gebot, 48. Vgl. Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,31-39). Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 2 5 5 , 4 3 ^ 5 ) . Ord., dist. I, qu. 4 (OTh I 444,14-24). Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 255,60-256,72).

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liehen Gebot.77 Auch damit bleibt er innerhalb des biblischen Gedankengutes (Joh 14,21),78 aus dem er jedoch einseitig auswählt. Der Gehorsam Gott gegenüber nimmt also in der Ethik Ockhams eine bedeutende Stelle ein,79 wenngleich er das Wort „Gehorsam" kaum gebraucht. Freilich ist es angesichts des nicht-positiven sittlichen Wissens und der sich daraus ergebenden Verpflichtungen, von denen nicht einmal Gott dispensieren kann, ein wenig übertrieben, den Gehorsam als den einzigen moralischen Wert darzustellen, den Ockham anerkennt.80 Völlig ohne jeden Rückhalt im Text ist die Ansicht, die Moral beruhe nach Ockham insofern auf der göttlichen Macht, als der Mensch nur deshalb gehorchen müßte, weil Gott ihn zwingen oder strafen könnte, und nicht, weil der Allmächtige zugleich auch der rechtmäßige Gesetzgeber wäre.81 Die Liebe zu Gott bzw. der Gehorsam ihm gegenüber drückt sich nach Ockham darin aus, daß sich der Wille des Menschen dem göttlichen Willen angleicht. Das kann jedoch wenigstens auf zweifache Weise geschehen, erstens, indem der menschliche Wille dasselbe will wie Gott, zweitens, indem der menschliche Wille will, wovon Gott will, daß der Mensch es wolle.82 Die gehorsame Liebe zu Gott verlangt nicht, daß ein Mensch immer aktuell dasselbe will wie Gott. Häufig sind sich die Menschen ja nicht einmal im klaren darüber, was Gott will. Selbst wenn sie es wüßten, müßten sie ein affirmatives göttliches Gebot nicht jeden Augenblick erfüllen oder erfüllen wollen.83 Vor allem aber treten Fälle auf, in denen Gott zwar etwas will, aber nicht will, daß ein Mensch dasselbe auch will. Letzteres veranschaulicht Ockham an zwei Beispielen. Das erste Beispiel ist biblischen Ursprungs (Mt 27,20-26 par.): Gott wollte den Tod seines Sohnes, aber er wollte nicht, daß Juden dessen Tod wollten. (Ockham scheint von der Annahme auszugehen, daß Juden den Tod Jesu Christi gegen den Willen 77

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Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 256,85-257,88): „quia ex hoc ipso quod talem actum eliceret, Deum diligeret super omnia, et per consequens impleret praeeeptum divinum, quia hoc est diligere Deum super omnia: diligere quidquid Deus vult diligi". Vgl. Wood: Ockham, 235. Freppert: Basis, 121-125. Vereecke: Obligation, 165. Wald: Genetrix, 137, Anm. 2 bringt keinen Beleg von Ockham selbst, sondern zitiert Vereecke: Obligation, 165, der seinerseits gleichfalls keinen Beleg von Ockham selbst bringt. Ord., dist. 48, qu. un. (OTh IV 687,3-7): „Circa primum sciendum est quod voluntas potest alteri conformari tripiieiter: vel quia vult volitum ab alia voluntate, vel quia vult illud quod alia voluntas vult ipsum velle, vel quia vult illud consimili modo quo alia vult". Ord., dist. 48, qu. un. (OTh IV 689,17-21): „Quarto dico quod non quilibet tenetur se semper conformare actualiter voluntati divinae volendo omne illud quod est volitum a voluntate divina, tum quia non tenetur cognoscere omne volitum a voluntate divina, tum quia non tenetur semper implere praeeepta divina affirmativa".

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des Statthalters Pilatus durchgesetzt hätten. Die historisch-kritische Forschung neigt dazu, die Beteiligung der Römer am Prozeß gegen Jesus stärker zu gewichten.) Das zweite Beispiel stammt von Augustinus: Gott will, daß mein Vater stirbt, aber er will nicht, daß ich den Tod meines Vaters will.84 Angesichts solcher Beispiele kommt Ockham zum Schluß, daß Gott zu lieben, ihm zu gehorchen und sich seinem Willen anzugleichen nicht bedeuten kann, dasselbe zu wollen wie Gott, sondern daß es heißen muß, zu wollen, wovon Gott will, daß wir es wollen. Das gilt wenigstens von Gottes „voluntas beneplaciti", die stets in Erfüllung geht, und von jenem Willen Gottes, der sich im Gebot ausdrückt, aber nicht vom Willen Gottes, der sich in einem bloßen Rat ausdrückt.85 DIE GEBOTE DES DEKALOGS

Zur Bewertung der Ockhamschen Ethik unerläßlich, aber schwierig ist eine wenigstens grobe Abschätzung des Verhältnisses zwischen den grundlegenden Prinzipien der nicht-positiven Moral und den Vorschriften der positiven Moral. Da es dabei hauptsächlich um die Frage nach Autonomie und Theonomie im Denken Ockhams geht, können die rein menschlichen Rechte und Gesetze unbeachtet bleiben. Dabei ist zu beachten, daß die nicht-positive Moral nur sehr allgemeine (wenngleich nicht ausschließlich inhaltsleere) Prinzipien enthält, die infolge ihrer Allgemeinheit einerseits wenige, andererseits aber grundlegend sind im Vergleich zu den vielfaltigen positiven Vorschriften der göttlichen Gebote. Ein rein quantitativer Vergleich verbietet sich daher, denn es finden sich im ganzen Werk Ockhams nicht einmal genügend ethische „principia per se no-

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Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 434,573-435,583): „dico quod voluntas non semper est recta quando conformatur voluntati divinae in obiecto volito. Nam aliquando vult Deus aliquid et tarnen vult creaturam velle oppositum. Exemplum: Deus ab aeterno voluit mortem Christi et tarnen voluit Iudaeos nolle mortem eius eo modo quo mortuus est ab eis. Similiter ponit Augustinus exemplum, quia Deus vult patrem meum mori et tarnen vult me nolle mortem patris mei. Nunc autem quando volo aliquid quod Deus vult me nolle, licet illud sit volitum a Deo, tunc pecco, maxime si scirem Deum me nolle illud, quia tunc sciendo dicordo a regula cui me teneor in actibus meis conformare, et per consequens pecco". Ockham bezieht sich auf Augustinus: Enchiridion X X V I 101 (ed. Evans, 103,18-22): „Aliquando autem bona voluntate homo vult aliquid quod deus non vult, etiam ipse bona multo amplius multoque certius voluntate - nam illius mala voluntas nunquam esse potest - tanquam si bonus filius patrem vult vivere, quem deus bona voluntate vult mori".

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Ord., dist. 48, qu. un. (OTh IV 689,22-690,3): „Quinto dico quod voluntas tenetur se conformare voluntati divinae volendo ea quae voluntas Dei vult earn velle, et hoc si velit eam velle illud voluntate beneplaciti vel voluntate praecepti. Sed si vult eam velle voluntate consilii, non opportet, sicut dictum est prius".

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ta", um die zehn Gebote des Dekalogs aufzuwiegen. Doch auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten ist es schwierig, Unvergleichbares zu vergleichen. Eine angemessene Beurteilung der Ethik Ockhams ist daher eher von einem Vergleich mit den Ethiken seiner Vorläufer Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus zu erwarten. Hier zeigt sich, daß Ockham stärker als diese dazu neigt, menschliche Verpflichtungen dem Bereich der positiven Moral zuzuordnen. Zur Veranschaulichung werden in der Sekundärliteratur die Gebote des Dekalogs als Musterbeispiel herangezogen. Für Thomas von Aquin stellen sämtliche zehn Gebote unveränderliches Naturrecht dar, das der Verfugung des menschlichen und selbst des göttlichen Gesetzgebers entzogen ist.86 Johannes Duns Scotus spekuliert über mögliche Änderungen der zweiten Tafel, die die Beziehung zu den Mitmenschen betreffen, beharrt aber auf der Unabänderlichkeit wenigstens der ersten beiden Gebote, die die Beziehung zu Gott regeln.87 Wilhelm von Ockham schließlich sieht, wie wenigstens herkömmliche Darstellungen meinen, im ganzen Dekalog veränderliches positives Gesetz Gottes.88 Demnach würde er dem positiven göttlichen Gebot mehr Bedeutung einräumen, als es Thomas von Aquin und Duns Scotus vor ihm getan haben. Nun behandelt Ockham im Gegensatz zu Thomas von Aquin und Duns Scotus die Frage nie ausdrücklich, welche von den Zehn Geboten dispensabel seien und welche nicht. Er kommt nur beiläufig auf einzelne Gebote zu sprechen. Beispielsweise erklärt Ockham, daß derjenige sündige, der seine Eltern gegen den Willen Gottes ehrt.89 An einer anderen Stelle bemerkt er, daß die Akte von Haß, Diebstahl, Ehebruch und Ähnliches, wenn sie von Gott geboten wären, verdienstlich sein könnten. Allerdings fügt er gleich hinzu, daß sie dann nicht mehr als Haß, Diebstahl und Ehebruch bezeichnet werden könnten, 86

87

88 89

Thomas von Aquin: Summa theologiae I—II, qu. 100, art. 8 (ed. Marietti, 461b-462b). In De Malo, qu. 3, art. 1, ad 17 (ed. Marietti, 497b) scheint sich Thomas von Aquin allerdings der Meinung Bernhards von Clairvaux anzuschließen, wonach Gott von den Geboten der zweiten Tafel dispensieren könne. Scotus: Ord. III, dist. 37, qu. un., n. 5 (Vives XV 825b): „Ad quaestionem igitur dico quod aliqua possunt dici esse de lege naturae dupliciter: Uno modo tamquam prima principia practica, nota ex terminis, vel conclusiones necessario sequentes ex eis; et haec dicuntur esse strictissime de lege naturae. Et rationes contra primam opinionem probant quod in talibus non potest esse dispensatio, quas concedo; sed talia non sunt quaecumque praecepta secundae tabulae, quia rationes eorum quae ibi praecipiuntur vel prohibentur, non sunt principia pratica simpliciter necessaria, nec conclusiones simpliciter necessariae"; Scotus: Ord. III, dist. 37, qu. un., n. 6 (Vives XV 826a): „Duo quidem prima [seil, praecepta], si intelligantur esse tantum negativa (...) ista sunt stricte de lege naturae (...) et per consequens in istis non poterit Deus dispensare, ut aliquis possit Weite facere oppositum talis prohibiti". Urban: Ethics, 333-336. Ord., dist. 48, qu. un. (OTh IV 690,21-22): „Dicendum est quod si Deus vult eos [seil, parentes] non honorari, nec ab isto nec ab alio, iste peccat in honorando parentes suos".

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

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weil diese Begriffe den Verstoß gegen das göttliche Gebot konnotieren. 90 Aufgrund dieser Beispiele darf man vermuten, daß Ockham wie Scotus die Gebote der zweiten Tafel des Dekalogs für dispensabel durch Gott hält. Daß Ockham anders als Scotus auch die Gebote der ersten Tafel und insbesondere das Gebot, Gott zu lieben, fur dispensabel hält, scheint Ockhams vieldiskutierte These zu besagen, daß Gott einem Menschen gebieten könne, ihn zu hassen oder wenigstens nicht zu lieben, und daß unter dieser Bedingung der Gotteshaß bzw. die unterlassene Liebe zu Gott verdienstlich wäre.91 KANN GOTTESHAB VERDIENSTVOLL SEIN?

Wie genau es zu verstehen ist, daß Ockham auch die erste Tafel des Dekalogs und insbesondere das erste Gebot, das die Liebe zu Gott gebietet, der positiven Moral zuordnet, darüber wird in der Sekundärliteratur häufig spekuliert. Ockham räumte wenigstens zu Beginn seiner akademischen Lehrtätigkeit die Möglichkeit ein, daß Gott den Menschen gebieten könne, ihn zu hassen, und behauptete, daß unter dieser Voraussetzung der Gotteshaß moralisch gut und verdienstvoll sei.92 Darin mag man allerdings eine frühe, etwas unreife und vielleicht überspitzte Äußerung sehen, die Ockham in dieser Form später nicht wiederholt hat.93 Auch ist das Argument nur knapp formuliert; die Behauptung klingt apodiktisch, ist der Interpretation jedoch kaum zugänglich. In seiner spätesten akademischen Schrift, den Quodlibeta, wirft Ockham die verwandte Frage auf, ob Gott gebieten könne, daß ein Mensch ihn eine Zeitlang nicht liebe.94 Da es sich dabei um einen zu widerlegenden Einwand gegen die These des Verfassers handelt, der Akt der Gottesliebe sei notwendig tugendhaft, ist damit zu rechnen, daß das Argument letztlich abgewiesen, daß also die frühe These über den Gotteshaß, wenn sie je ernst gemeint war, widerrufen bzw. modifiziert wird. Die Antwort auf den Einwand beginnt mit einem Bedingungssatz, und unter ihren Verbformen herrscht der Irrealis vor. Das scheint darauf hinzudeuten, daß Ockham nicht mit der Möglichkeit eines solchen göttlichen Gebotes, Gott nicht zu lieben, rechnet. Dagegen steht jedoch der Einschub „sicut videtur quod potest [seil. Deus hoc praeeipere, seil, quod pro aliquo tempore non diligatur ipse] sine contradictione". Hier steht das Verb im Indikativ, und auch das „videtur" drückt keine Zweifel aus, sondern nur einen ersten Anschein. 90 91 92 93 94

Rep. II, qu. 15 (OTh V 352,2-18); vgl. Qu. var, qu. 7, art. 4 (OTh VIII 3 9 1 , 3 5 3 - 3 6 6 ) . Rep. IV, qu. 16 (OTh VII 352,5-10); Quodl. III, qu. 15 (OTh IX 256,74-257,94). Rep. IV, qu. 16 (OTh VII 352,5-10). Freppert: Basis, 124f; Wood: Gebot, 51; Schmidt: Freiheit, 275. Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 256,74-257,94).

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare'

Die Formulierungen deuten also teilweise an, daß ein solches Gebot möglich ist, teilweise, daß es nicht möglich ist. Die Erklärung fur diese scheinbare Inkonsequenz ist darin zu suchen, daß der Einwand zwei verschiedene Weisen der Liebe vermischt, die auseinanderzuhalten Ockham sich bemüht. Zu unterscheiden sind also die „dilectio super omnia" und der „armor simplex et naturalis". Was die „dilectio Dei super omnia" bedeutet, erklärt Ockham mit den Worten „diligere quidquid Deus vult diligi", „lieben, wovon Gott will, daß es geliebt werde". Diese Art der Gottesliebe kommt dem freudigen Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot gleich. Wenn die Gottesliebe so als „dilectio Dei super omnia" zu verstehen ist, kann kein Mensch einem Gebot, Gott nicht zu lieben, gehorchen. Denn dann würde er Gott lieben, weil die Gottesliebe im Gehorsam gegen das Gebot besteht. Es ergäbe sich also ein Widerspruch; und da dieser unzulässig ist, kann der Mensch auch dem Gebot nicht gehorchen.95 Es wurde die Meinung vertreten, daß dieses Gebot vom Menschen zwar nicht ohne logischen Widerspruch befolgt, von Gott aber erlassen werden könnte.96 Mir scheint jedoch, dies gehe nicht schlüssig aus dieser Stelle hervor. Vielmehr ist es unvereinbar mit der Behauptung Ockhams, daß Gott nichts Widersprüchliches gebieten kann und kein Mensch zum Unmöglichen verpflichtet ist.97 Der Einwand, daß Ockham ausdrücklich seine Annahme nennt, Gott könne ohne Widerpruch gebieten,98 daß ein Mensch ihn nicht liebe, zählt nicht. Wenngleich die Stelle etwas mißverständlich formuliert ist, scheint Ockham in ihr nicht eine Voraussetzung, die er macht, aufstellen, sondern erklären zu wollen, woher der Einwand seinen Anschein von Plausibilität gewinnt („videtur"!). Wie er einige Zeilen später ausfuhrt, kann Gott ein Gebot dieses Wortlautes erlassen und der Mensch es erfüllen, sofern darin die Gottesliebe nicht als „dilectio super omnia", sondern als „amor simplex et naturalis" verstanden wird. Das ist jedoch etwas anderes, als ein Gebot, Gott im Sinne der „dilectio super omnia" nicht zu lieben. Verstanden als „dilectio super omnia", ist die Gottesliebe also notwendigerweise gut und verdienstlich, und ein Gebot, auf diese Weise Gott nicht zu lieben, kann Gott weder erlassen noch der Mensch befolgen. Anders verhält es sich mit dem „amor simplex et naturalis", also einer bloß affektiven Zuneigung. Diesbezüglich kann Gott gebieten, daß ein Mensch ihn 95 96 97 98

Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 256,85-257,91). Boehner: Presentation, 152f. Vgl. Urban: Ethics, 348f; Schmidt: Freiheit, 275f, Anm. 25. Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 256,83f).

Die Grundlage der Moral nach Wilhelm von Ockham

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eine Zeitlang nicht lieben, sondern stattdessen so intensiv studieren soll, daß er währenddessen an Gott nicht einmal denken kann." Desgleichen kann der Mensch diesem Gebot gehorchen. Gehorcht er, so liebt er Gott mit der „dilectio super omnia", aber nicht mit dem „amor simplex et naturalis". Gehorcht er diesem Gebot nicht, liebt er Gott zwar mit dem „amor simplex et naturalis", jedoch nicht mit der „dilectio super omnia". Ein solches Verhalten, mag es auch moralisch zu mißbilligen sein, hat nichts Widersprüchliches oder Paradoxes an sich.100 Ausgehend von dieser Interpretation des Textes aus den Quodlibeta, könnte man zu den frühen Äußerungen der Reportatio zurückkehren und die Kohärenz des Ockhamschen Denkens durch den Versuch wahren, den dort als möglicherweise verdienstvoll behaupteten Gotteshaß als dem „amor simplex et naturalis" entsprechendes „odium simplex et naturale" zu deuten, nicht als der „dilectio Dei super omnia" entsprechendes „odium Dei super omnia". Die knappen Ausführungen der Reportatio zu diesem Thema widersprechen einer solchen Deutung nicht, enthalten aber auch nichts, worauf sie sich stützen könnte. Daher muß offen bleiben, ob Ockham damals knapp und provokant formuliert oder später seine Meinung geändert hat.101 Ob Gott also alle Gebote des Dekalogs einschließlich des ersten für dispensabel gehalten hat, hängt davon ab, ob das Gebot, Gott zu lieben, auf einen „amor simplex et naturalis" hin zu deuten ist oder auf eine „dilectio Dei super omnia" hin. Im ersten Fall könnte Gott von allen zehn Geboten befreien und sogar das Gegenteil anordnen. In zweiten Fall hingegen müßte Ockham ähnlich wie Scotus das erste Gebot für stets gültiges und unabänderliches Naturrecht erklären. Wie Ockham selbst die Bibelstellen, die den Dekalog enthalten, ausgelegt hat, dafür findet sich wiederum kein Anhaltspunkt in den überlieferten Texten. Doch liegt es nahe, daß Ockham, wie es auch sonst üblich ist, das erste Gebot als die Forderung nach einer Gottesliebe über alles verstand. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß Ockhams Ethik zwar mit den „principia per se nota" auf einer rationalen Grundlage steht, daß diese aber einen sehr weiten Bereich frei lassen, in dem die Anordnungen des göttlichen Gebots bestimmen, was gut, was böse und was weder gut noch böse ist. Das gilt 99

100 101

Nach der Formulierung des Einwandes: Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 2 5 6 , 7 5 - 7 7 ) : „potest praecipere quod intellectus sic sit internus circa Studium et voluntas similiter, ut nihil possit pro illo tempore de Deo cogitare". Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 257,91 f>- „Posset tarnen Deum dilligere simplici amore et naturali, qui non est dilectio Dei super omnia". Vgl. Müller: Handeln, 89, Anm. 125.

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

auch für die zehn Gebote des Dekalogs. Nur die Liebe zu Gott ist notwendig tugendhaft, sofern sie als „dilectio Dei super omnia" verstanden wird. Sie verlangt von uns Menschen zu lieben, wovon Gott will, daß wir es lieben.

II. Das Böse und die Sünde Nachdem die grundlegenden Elemente der Ethik Ockhams genannt sind, sind die Begriffe des Bösen und der Sünde zu bestimmen, um, hiervon ausgehend, die Frage zu beantworten, ob Gott sündigen kann. Da es sich in beiden Fällen um konnotative Begriffe handelt, schicke ich einige Erklärungen zur Unterscheidung zwischen absoluten und konnotativen Begriffen voraus, zumal diese Unterscheidung für das Denken Ockhams in verschiedenen Zusammenhängen von Bedeutung ist und ich im weiteren Gang der Arbeit mehrmals auf sie zurückkommen muß.

1)

Absolute und konnotative Begriffe

Absolute und konnotative Namen bzw. Begriffe unterscheiden sich nach Ockham durch die Weise, wie sie bezeichnen. Absolute Begriffe bezeichnen alles, was sie bezeichnen, auf gleiche Weise („aeque primo"). Konnotative Begriffe bezeichnen, was sie bezeichnen, teils an erster Stelle, teils an zweiter Stelle. An erster Stelle bezeichnet ein Begriff das Bezeichnete, wenn er für das Bezeichnete personal supponieren kann;102 an zweiter Stelle bezeichnet er es, wenn dies nicht möglich ist. Der Begriff „Lebewesen" („animal") beispielsweise ist ein absoluter Begriff. Er kann für alles, was er bezeichnet, in gleicher Weise personal supponieren, ζ. B. für Menschen, Rinder, Esel usw. Der Begriff „weiß" ist hingegen ein konnotativer Begriff. Er supponiert für alles, was weiß ist, und bezeichnet es also an erster Stelle. Daneben bezeichnet er jedoch auch die abstrakte Ei102

Dies sagt Ockham nirgends ausdrücklich; es läßt sich aber erschließen; vgl. Paul Vincent Spade: Ockham's Distinction between Absolute and Connotative Terms. In: Vivarium 13 (1975) 55-76, 62; Peter Schulthess: Sein, Signifikation und Erkenntnis bei Wilhelm von Ockham. Berlin: Akademieverlag 1992, 29; Cyrille Michon: Nominalisme. La thöorie de la signification d'Occam. Paris: Vrin 1994 (Sic et Non), 338. Personal supponiert ein Terminus, wenn er im Satz für das steht, was er bezeichnet (S. L. I, cap. 64 (OPh I 195,4-5)). Einfach supponiert ein Terminus, wenn er für einen Begriff steht (S. L. I, cap. 64 (OPh I 196,26-27)). Material supponiert ein Terminus, wenn er für einen gesprochenen oder geschriebenen sprachlichen Ausdruck steht (S. L. I, cap. 64 (OPh I 196,38-39)). Die Ausdrücke „personal", „einfach" und „material" gebraucht Ockham hier äquivok. Sie haben nichts mit Personen, Einfachheit oder Materie zu tun (S. L. I, cap. 64 (OPh I 197,60-65)).

Das Böse und die Sünde

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genschaft der „Weißheit", für die er nicht supponieren kann. Man kann nämlich nicht behaupten: „Die Weißheit ist weiß". Daher ist „weiß" ein konnotativer Begriff (wie es übrigens auch alle anderen konkreten Adjektiva sind, weil sie abstrakte Eigenschaften konnotieren).103 In seiner Ontologie schränkt Ockham die Entsprechung zwischen Sein und Denken bezüglich der aristotelischen Kategorientafel ein: Nur den Kategorien der Substanz und bestimmten Arten innerhalb der Kategorie der Qualität entsprechen eigenständige Entitäten („res absolutae") in der Wirklichkeit. Dazu kommen noch aus theologischen Gründen einige wenige Fälle von Relationen, die nicht ausschließlich aus ihren Relaten bestehen, was sich freilich philosophisch nicht nachweisen läßt. Alle anderen Kategorien lassen sich auf Substanz und Qualität zurückführen. 104 Da es also nach Ockham in der Realität nur Substanzen und Qualitäten (und in Ausnahmefallen Relationen) geben kann, können die absoluten Begriffe nur für diese stehen. Alles, was in andere Kategorien fallt (dazu auch jene Qualitäten, denen keine eigenständige Realität entspricht), bezeichnet gleichfalls Substanzen und Qualitäten (und in Ausnahmefällen Relationen), bezeichnet jedoch auch noch etwas anderes mit. Daher läßt es sich nur durch konnotative Begriffe ausdrücken. Diese Unterschiede wirken sich in der Gestalt der Definition der absoluten und konnotativen Begriffe aus. Da absolute Begriffe für alles, was sie bezeichnen, personal supponieren können, muß alles, was in ihre Definition gesetzt wird, im Nominativ („in recto") stehen. Anders verhält es sich bei den konnotativen Begriffen, in deren Definition das, was sie an erster Stelle bezeichnen, im Nominativ („in recto"), aber das, was sie an zweiter Stelle mitbezeichnen, in einem anderen Fall („in obliquo") steht. Was mitbezeichnet wird, muß übrigens nicht immer durch ein Nomen ausgedrückt sein. Oft enthält die Definition eines Konnotativbegriffes auch ein Verb oder eine propositionale Fügung. 105 Zum Beispiel bezeichnet der Konnotativbegriff „Schöpfung" den Schöpfer an erster Stelle, das Geschöpf an zweiter Stelle und konnotiert außerdem noch, daß das Geschöpf zuvor nicht existiert hat. Nur in

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105

S. L. I, cap. 10 (OPh I 35,5-37,51); Quodl. V, qu. 25 (OTh IX 583,15-584,33); vgl. In El. II, cap. 16, §4 (OPh III 301,56-302,94). Näheres etwa bei Theo Kobusch: Substanz und Qualität. Die Reduzierung der Kategorien nach Wilhelm von Ockham. In: Kategorie und Kategorialität. Historisch-systematische Untersuchungen zum Begriff der Kategorie im philosophischen Denken. Festschrift für Klaus Hartmann zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Dietmar Koch und Klaus Bort. Würzburg: Königshausen und Neumann 1990, 7 5 - 9 8 . In El. II, cap. 16, §4 (OPh III 3 0 1 , 6 0 - 6 2 ; 3 0 2 , 7 2 - 7 7 ) ; S. L. I, cap. 10 (OPh I 3 6 , 3 8 - 3 7 , 5 1 ) ; Quodl. V, qu. 19 (OTh IX 554,13-557,88); Quodl. V, qu. 25 (OTh IX 5 8 3 , 2 5 - 2 8 ) .

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2. Kapitel: „Deus non potest

peccare"

diesem letzten Konnotat unterscheidet sich die Schöpfung von der Erhaltung, die konnotiert, daß das Geschöpf zuvor existiert hat.106 Einem absoluten Begriff entspricht unmittelbar eine reale Entität. Daher besitzt ein absoluter Begriff eine Realdefinition („definitio exprimens quid rei"), die das Wesen dessen angibt, was der Begriff bezeichnet. Das eine Wesen läßt sich sprachlich auf verschiedene Weisen umschreiben, sodaß vom selben Wesen verschiedene, nicht synonyme Realdefinitionen gebildet werden können.107 Da dem absoluten Begriff etwas in der Wirklichkeit entspricht oder wenigstens entsprechen kann, gibt es nur vom Möglichen Realdefinitionen.108 Einem konnotativen Begriff entsprechen mehrere Dinge in der Wirklichkeit, die sich nicht durch ein gemeinsames Wesen, sondern nur begrifflich zusammenfassen lassen. Daher besitzen konnotative Begriffe nur eine Nominaldefinition („definitio exprimens quid nominis"), die statt des Wesens der bezeichneten Entität die Bedeutung eines Ausdrucks angibt. Da nach Ockhams Vorstellung von einer idealen mentalen Sprache die Bedeutung eines Begriffs (anders als die eines Ausdrucks der natürlichen Sprachen) eindeutig ist, 109 sind alle Nominaldefinitionen desselben konnotativen Begriffs synonym. Selbst Unmögliches läßt sich durch eine Nominaldefinition definieren,

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Rep. II, qu. 10 (OTh V 195,16-196,4): „Eodem modo in definitione exprimente quid rei creationis actionis non debet poni nisi Deus. Sed in definitione exprimente quid nominis (...) debet plus poni, quia (...) in tali definitione creationis actionis debet poni creatura quae connotatur per illud nomen"; Rep. II, qu. 3^1 (OTh V 75,18-22): „Si dicas quod conservare et creare differunt, dico quod quantum ad nullum positivum differunt sed quantum ad negationes connotatas, quia ,creare' connotat negationem immediate praecedentem esse, .conservare' connotat negationem interruptionis esse". Einen etwas anderen Schöpfungsbegriff setzt Ockham allerdings voraus, wenn er einräumt, daß die Welt von Ewigkeit her geschaffen sein könnte; vgl. Qu. var., qu. 3 (OTh VIII 85,464-86,481). Ockham veranschaulicht dies am Beispiel des Engels, der sich als „materiefreie Substanz", als „unzerstörbare intellektuelle Substanz" oder als „einfache, nicht zusammengesetzte Substanz" definieren läßt; vgl. Quodl. V, qu. 19 (OTh IX 5 5 5 , 3 9 ^ 5 ) ; S. L. I, cap. 10 (OPh I 36,23-29). Wie Ockham anmerkt, gilt dies nicht, wenn man unter dem „Engel" keine Natur, sondern ein Amt versteht, denn dann wäre „Engel" ein konnotativer Begriff. Der Gedanke, daß Engel nicht die Natur eines Geistes bezeichnet, sondern sein Botenamt, geht auf Tertullian zurück und wurde dem Mittelalter durch Augustinus und Gregor den Großen übermittelt. Vgl. Tertullian: De carne Christi XIV 3 (ed. Kroymann, 899,19-21); Augustinus: Enarrationes in Psalmos CHI, s. I, 15 (ed. Dekkers-Fraipont, 1488,8-12); Augustinus: De civitate Dei XV 23 (ed. Dombart-Kalb, 488,4-8); Gregor der Große: Homiliae in Evangelia II 34,8 (ed. Fiedrowicz, 656,2-9). Quodl. V, qu. 19 (OTh IX 553-557). Calvin G. Normore: Ockham on Mental Language. In: Historical Foundations of Cognitive Science. Hrsg. v. J.-C. Smith. Dordrecht-Boston-Lancaster: Kluwer 1990 (PhStS 46), 53-70, 54. Daß Ockham in einer mentalen Sprache ohne Konnotativbegriffe auskommt, wird allerdings bezweifelt; vgl. John Boler: Connotative Terms in Ockham. In: History of Philosophy Quarterly 2 (1985) 21-37; Paul Vincent Spade: Ockham, Adams and Connotation. A Critical Note of Marilyn Adams William Ockham. In: PhRev 99 (1990) 593-612; Michon: Nominalisme, 364-379.

Das Böse und die Sünde

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wie etwa: „Die Chimäre ist ein aus Mensch und Rind zusammengesetztes Lebewesen". 110 Dabei gibt es allerdings ausnahmsweise nichts, was an erster Stelle bezeichnet wird und wofür der Ausdruck supponiert; konnotiert werden die unvereinbaren Bestandteile „Mensch" und „Lebewesen".111 Innerhalb der konnotativen Begriffe hebt Ockham die Gruppe der relativen Begriffe hervor. Dabei handelt es sich um jene konnotativen Begriffe, die nicht wie die konkreten Adjektive (ζ. B. „weiß", das die „Weißheit" konnotiert) ihr eigenes Abstraktum mitbezeichnen. Beispiele sind „Vater", weil damit ein Kind mitbezeichnet ist, und „ähnlich", weil damit etwas mitbezeichnet ist, dem das ähnlich ist, was an erster Stelle bezeichnet wird.112 Die Theorie der Konnotativbegriffe gewinnt bei Ockham deshalb große Bedeutung, weil es ihm mit ihr gelingt, Zusammenhänge auf rein logischer Ebene zu erklären, fur die frühere Denker teils problematische ontologische Voraussetzungen annehmen mußten (vgl. die schon angesprochene Deutung der meisten aristotelischen Kategorien als konnotative Begriffe). Sie dient damit seinem Ideal einer einfachen und klaren Ontologie und ermöglicht es Ockham, scheinbar metaphysische Probleme auf eine rein logische Ebene zu110

Das Beispiel stammt von Ockham; vgl. Quodl. V, qu. 19 (OTh IX 556,64-65): „chimaera est animal compositum ex homine et bove". Ockhams Vorstellung von der Chimäre war allerdings nicht klar und eindeutig. Ein andermal beschreibt er sie als Mischungwesen aus Ziege und Rind (S. L. I, cap. 26 (OPh I 88,128-129)) und schon auf der folgenden Seite ähnlich wie Duns Scotus als Verbindung von Mensch und Löwe(S. L. I, cap. 26 (OPh I 89,134-135); vgl. Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 15 (Vat. XVII 533,21-25)). Isidor von Sevilla (ca. 5 6 0 636), von dem (nach Günther Binding: Chimäre. In: LMA 2 (1983) 1826-1827) das Mittelalter im allgemeinen seine Vorstellung von diesem Fabelwesen herleitet, beschreibt sie als Ziege mit Löwenkopf und Drachenschwanz (Isidor von Sevilla: Etymologiae XI 3, 36 (ed. RetaCasquero, 52). Für Ockham ist die Chimäre nicht bloß real unmöglich (wie Theo Kobusch: Paradoxon und religiöse Existenz. In: Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens. Hrsg. v. Paul Geyer und Roland Hagenbüchle. Tübingen: StauffenburgVerlag 1992 (Stauffenburg-Colloquium 21), 455-480, 456 anzunehmen scheint), sondern enthält auch den logischen Widerspruch, daß dasselbe Lebewesen den logisch unvereinbaren Gattungen „Mensch" und „Rind" zuzuordnen wäre. Vgl. Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 304,67); Quodl. II, qu. 8 (OTh IX 149,93-95); Quodl. IV, qu. 17 (OTh IX 387,156-158). In einer Zeit, als die Grenzen zwischen den Tierarten noch nicht durch gentechnische Versuche verwischt waren, konnte also die Chimäre als Musterbeispiel fur einen logischen Widerspruch dienen, was für uns heute nicht mehr so einfach nachzuvollziehen ist. Umgekehrt konnte Ockham von der Quadratur des Kreises nur mit Zirkel und Lineal innerhalb der Vorgaben der euklidischen Geometrie, - das Musterbeispiel für etwas logisch Widersprüchliches in der heutigen philosophischen Literatur! - nicht wissen, daß sie unmöglich ist. Obwohl die Frage schon seit der Antike erörtert wurde (Aristoteles kennt sie bereits und Ockham durch ihn!; vgl. In Pr., cap. 13, §8 (OPh II 261,10-11) nach Aristoteles: Kategorien 7 (7b 31-33); In El. I, cap. 18, §2 (OPh III 113,11-15) nach Aristoteles: Elenchtik 11 (171b 16)), konnte A. Lindemann erst im Jahr 1882 die Unmöglichkeit einer Quadratur des Kreises unter den genannten Bedingungen beweisen.

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Quodl. V, qu. 19 (OTh IX 553-557). Quodl. V, qu. 25 (OTh IX 584,34-46); vgl. In El. II, cap. 16, §4 (OPh III 302,95-102); S. L. I, cap. 10 (OPh 1 37,59-67).

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2. Kapitel: „Deus

nonpotestpeccare"

rückzuführen und dort verhältnismäßig unkompliziert zu durchschauen. Da die meisten Begriffe sich nach Ockham als konnotativ verstehen lassen, ist seiner Theorie eine weite Verwendbarkeit in so gut wie allen Gebieten seines Denkens gesichert. Das gilt auch für seine Überlegungen über das Böse und die Sünde.

2)

Der Begriff des „malum"

Die Begriffe des Guten und des Bösen, des „bonum" und des „malum" sind nach Ockham mehrdeutig. Im Anschluß an Leon Baudry113 lassen sich seine Unterscheidungen zu drei Arten des Guten wie des Übels zusammenfassen. In der ersten und allgemeinsten Bedeutung ist unter dem Guten dasjenige zu verstehen, was gewollt wird oder gewollt werden kann.114 Nur in diesem Sinn läßt sich das „bonum" als transzendentale Seinseigenschaft verstehen.115 Wie der Begriff „ens" bezeichnet „bonum" an erster Stelle das Seiende, sodaß beide Begriffe den gleichen Umfang besitzen und in diesem Sinn miteinander austauschbar sind. Doch anders als „ens" konnotiert „bonum" den (wirklichen oder möglichen) Willen, sodaß es nicht ein bloßes Synonym von „ens" darstellt." 6 Entsprechend dem „bonum", meint das „malum" in einer ersten Bedeutung dasjenige, was nicht-gewollt wird oder was nicht-gewollt werden kann.117 Ockham führt eine Unterteilung des „bonum" in das „honestum", das „utile" und das „delectabile" an." 8 Läßt man das Ehrenhafte („honestum"), das eher dem moralischen Bereich zuzuordnen ist, vorläufig beiseite, kann man das Nützliche („utile") und das Erfreuliche („delectabile") als das natürliche „bonum" (im Gegensatz zum transzendentalen und zum moralischen „bonum") zusammenfassen. Diesem „bonum" steht ein entsprechender Begriff des „malum" gegenüber, den Ockham an einer anderen Stelle durch das Bei113 114

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Leon Baudry: Lexique philosophique de Guillaume d'Ockham. Etudes des notions fondamentales. Paris: Vrin 1958, 31-33 und 142f. Rep. III, qu. 4 (OTh VI 146,6f>; Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 442,745f): „Mio modo bonum est idem quod volitum, vel accipitur pro omni eo quod est volibile"; Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 23,14f); Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 321,15-17). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 115,1-2); S. L. I, cap. 10 (OPh I 38,92-94): ,„Bonum' etiam, quod est convertibile cum ,ente', significat idem, quod haec oratio ,aliquid secundum rectam rationem volibile vel diligibile'". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 114,22-115,5). Zwar behauptet Ockham, daß „bonum" den Willen konnotiert, und etwas später auch, daß „volitivum" gleichfalls den Willen konnotiert (Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 123,9-12)). Doch folgt daraus nicht, wie Leppin: Wahrheit, 140, Anm. 171 meint, daß „bonum" als „volitivum" (und nicht als „volibile") zu verstehen wäre. Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 442,747-749): „Et eodem modo .malum' accipitur dupliciter: vel ut opponitur bono primo modo dicto, vel ut accipitur pro aliquo quod est nolibile vel nolitum". Qu. var, qu. 8 (OTh VIII 442,743-745): „,bonum' accipitur dupliciter. Uno modo pro bono ut dividitur in bonum honestum, utile et delectabile".

Das Böse und die Sünde

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spiel der Krankheit veranschaulicht und als „malum poenae" bezeichnet." 9 Damit greift er einen augustinischen Sprachgebrauch auf, der das moralische Übel als „malum culpae" und das natürliche Übel als „malum poenae" bezeichnet. Dahinter steht die Ansicht, daß das natürliche Übel als Strafe für ein schuldhaftes Verhalten zu verstehen sei. Als dritte tritt neben die beiden schon genannten Arten des „bonum" und des „malum" das moralisch Gute bzw. Schlechte. Das in diesem Sinn Üble bestimmt Ockham als das Tadelnswerte120 bzw. als Tat, zu deren Gegenteil jemand verpflichtet ist.121 Wie das entsprechende „bonum" zu bestimmen ist, läßt sich nicht so einfach sagen, weil Ockham keine Definition dafür angibt. Leon Baudry und Sigrid Müller versuchen eine solche in Analogie zur oben genannten Definition des moralisch Schlechten zu erschließen. Demnach bestünde das moralisch Gute darin, zu tun, was zu tun jemand verpflichtet ist.122 Da Gott nach Ockham keinen Pflichten unterliegt, gelangen Baudry und Müller von ihrer Bestimmung des Guten zur Ansicht, nach Ockham stehe Gott jenseits aller sittlichen Wertungen und könne weder gut noch böse, sondern nur indifferent handeln.123 Damit kreiden sie Ockham jedoch nur das an, was sie selbst ihm zuvor unterschoben haben. Ockham behauptet nicht, daß eine moralische Bewertung des göttlichen Handelns unmöglich wäre und er daher nur sittlich indifferent wirken könne. Zwar unterliegt Gott nach Ockham keinen sein Handeln einschränkenden sittlichen Pflichten, doch besteht das Gute nicht ausschließlich im Gehorsam gegenüber den eigenen moralischen Pflichten. Wenngleich solcher Gehorsam moralisch gut ist, gibt es daneben auch für Ockham den Bereich des Übergebührlichen, das freiwillig über die bloße Verpflichtung hinausgeht. Da Gott keinen moralischen Pflichten unterliegt, stammt alles, was er an Gutem tut, aus reiner Gnade.124 Daß aber, was Gott aus Gnade tut, nach Ockham nicht als moralisch gut, sondern nur als indifferent anzusehen wäre, leuchtet nicht ein und wird auch nicht hinreichend begründet.

119 120 121 122 123 124

In Pr., cap. 17, §15 (OPh II 319,15-17): „Sciendum quod malum dupliciter accipitur: vel pro malo poenae, et tunc malum idem est quod poenale, sicut languor est malum quoddam". In Pr., cap. 17, § 15 (OPh II 319,17): „aliquando accipitur [seil, malum] pro illo quod est vituperabile". Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 59,4f): „malum nihil aliud est quam facere aliquid ad cuius oppositum faciendum aliquis obligatur". Baudry: Lexique, 32: «le bien moral consiste ä faire ce qu'on est tenu de faire»; Müller: Handeln, 54. Baudry: Lexique, 32f; Müller: Handeln, 62f. Rep. IV, qu. 1 (OTh VII 55,17f): „Deus nullius est debitor, sed quidquid nobis facit, ex mera gratia facit".

124 3)

2. Kapitel: „Deus

nonpotestpeccare"

Der Begriff der Sünde

Auch der Begriff der Sünde ist nach Ockham ein Konnotativbegriff, der verschiedene reale Entitäten unter einem einzigen Begriff zusammenfaßt125 und von dem es daher nur eine Nominaldefinition gibt.126 Wie zahlreiche Theologen vor und nach ihm unterscheidet Ockham zwischen läßlichen Sünden und Todsünden. Dennoch steht bei ihm die begriffliche Bestimmung der Todsünde im Vordergrund, während er sich über die läßliche Sünde nur beiläufig äußert.127 Gelegentlich spricht er sogar einfach von „Sünde", wo er „Todsünde" meint.128 Durch Analogie läßt sich jedoch vermuten, wie Ockham die läßliche Sünde definiert hätte. Primär bezeichnet die Sünde einen begangenen oder unterlassenen Akt. Dieser hat in der Nominaldefinition im Nominativ zu stehen, wenngleich sich Ockham freiere Formulierungen gestattet. Dieser Akt soll nach Ockham vergangen sein, nicht als ob es nicht auch zukünftige Sünden gäbe, sondern weil nur eine vergangene Sünde jemanden zum Sünder macht und zur Strafe verpflichtet. In diesem Bestandteil der Definition ist schon die weitere Unterteilung der Sünde in zwei Unterarten angelegt, nämlich in Unterlassungssünden, die an erster Stelle einen unterlassenen Akt bezeichnen, und in Tatsünden, die an erster Stelle einen begangenen Akt bezeichnen. Hier freilich kommt es Ockham nicht sehr auf diese Unterscheidung an, sodaß er beides zu einem allgemeinen Akt des Begehens oder der Unterlassung zusammenfaßt. Die Theologen vor Ockham sahen im Übel allgemein und in der Sünde im besonderen häufig kein eigenständiges Seiendes, sondern einen Mangel, eine Privation. Ockham nimmt diese Ansicht sehr wörtlich und lehnt sie deshalb ab. Seiner Meinung nach ist nur die Unterlassungssünde eine Privation, weil nur in ihr ein Akt fehlt, der eigentlich gesetzt sein sollte. Die Tatsünde hingegen ist keine Privation, weil nichts fehlt, sondern der Akt sogar gesetzt ist, obwohl es ihn nicht geben sollte.129 Um von einem menschlichen Akt überhaupt (und von einer Sünde im besonderen) sprechen zu können, setzt Ockham zwei Bedingungen voraus. Erstens muß der Mensch (Sünder) über den Vernunftgebrauch verfügen. Wer

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Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 195,2-6): „peccatum mortale (...) nihil unum reale dicit (...). Sed dicit multa non habentia aliquam unitatem, nec per se nec per accidens". Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 195,2-3): „peccatum mortale non habet aliquod quid rei, sed tantum quid nominis". Garvens: Grundlagen, 361, Anm. 6. Etwa Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 196,22). Qu. var., qu. 7, art. 4 (OTh VIII 388,299-389,305).

Das Böse und die Sünde

125

dies nicht tut, etwa infolge von Minderjährigkeit oder Geisteskrankheit, kann auch nicht sündigen. 130 Zweitens ist jeder menschliche Akt in der Gewalt des Menschen, also auch jeder sündige Akt in der Gewalt des Sünders. Die Sünde setzt die Willensfreiheit voraus. Nur der ist ein Sünder, der seine Tat auch hätte unterlassen können. 131 Was die Sünde daher an erster Stelle bezeichnet, ist ein Akt eines freien und vernunftbegabten Wesens. Das erste Konnotat der Sünde besteht in einer Verpflichtung. Da ohne das Bestehen einer Verpflichtung keine Sünde vorliegt, kann Ockham (unter Voraussetzung des an erster Stelle Bezeichneten und der übrigen Konnotate) behaupten, die Verpflichtung mache jemanden zum Sünder. 132 Wenngleich Ockham auch hier ungezwungen formuliert, ist doch klar, daß Akt und Verpflichtung einander entgegengesetzt sein müssen, damit eine Sünde entsteht. Die durch den Begriff einer Unterlassungssünde konnotierte Verpflichtung ist also ein Gebot, das den unterlassenen Akt befiehlt. Durch den Begriff einer Tatsünde wird hingegen ein Verbot konnotiert, das den begangenen Akt verbietet. Unter der Voraussetzung, daß die Moral vernünftig ist und keine einander widersprechenden Pflichten enthält, folgt aus der der Sünde entgegenstehenden Pflicht, daß es keine Pflicht zur Sünde geben kann, was Ockham auch ausdrücklich feststellt. 133 Bis zu diesem Punkt stimmt die Definition der Sünde mit der Definition des moralisch Bösen überein. Durch ein weiteres Konnotat, das dem Bösen fehlt, unterscheidet sie sich aber von ihm. Daher ist jede Sünde notwendigerweise auch moralisch böse. Umgekehrt ist nicht alles Böse auch schon notwendigerweise eine Sünde, obwohl die beiden Begriffe faktisch (d. h. „de potentia Dei ordinata") ausdehnungsgleich sind. Das zweite Konnotat der Nominaldefinition der Todsünde ist die ewige Strafe bzw. genauer: die Verpflichtung zur ewigen Strafe. 134 Aus Tat oder Unterlassung und entgegengesetzter Verpflichtung allein resultiert noch keine Todsünde, wenn nicht auch die Verpflichtung zu ewiger Strafe dazukommt. Die Kompetenz zur Verhängung dieser Strafe kommt allein Gott zu. 135 Soll umgekehrt die Sünde getilgt werden, so geschieht dies nicht durch die Besei130

131 132 133 134 135

Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 195,18-20): „Nec est [seil, peecatum] privatio alieuius acti recti et convenientts, quia talis potest esse in carente usu rationis, puta in furioso qui tunc non peccat". Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 2 2 0 , 1 4 - 1 5 ) ; Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 226,20): „peccatum est in potestate voluntatis"; vgl. Freppert: Basis, 32. Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 198,12-13): „Obligatio igitur facit aliquem peccatorem". Qu. var., qu. 8 (OTh VIII 431,491): „nullus obligatur ad peccandum"; vgl. Rep. II, qu. 15 (OTh V 348,1-2). Dieses zweite Konnotat übersieht Freppert: Basis, 166. Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 209,2-3): „hoc, scilicet infligere poenam, sit solum in voluntate Dei".

126

2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

tigung einer Sache. Die vergangene Tat läßt sich nämlich nachträglich nicht mehr ungeschehen machen, nicht einmal „de potentia Dei absoluta".136 Getilgt wird eine Sünde vielmehr durch die Beseitigung der ewigen Strafe, indem die begangene oder unterlassene Tat schlicht nicht angerechnet wird.137 In diesem zweiten Konnotat gründet auch die Unterscheidung zwischen läßlicher Sünde und Todsünde. Denn der Begriff der Todsünde konnotiert die Verpflichtung zu ewiger Strafe, während der Begriff der läßlichen Sünde nur die Verpflichtung zu zeitlicher Strafe konnotieren dürfte. Somit lautet die Nominaldefinition der Sünde nach Ockham: Eine Sünde ist ein vergangener begangener Akt eines freien und vernunftbegabten Wesens, den zu unterlassen es verpflichtet gewesen wäre, oder ein vergangener unterlassener Akt eines solchen Wesens, den zu setzen es verpflichtet gewesen wäre, um dessentwillen es zu ewiger bzw. zeitlicher Strafe verpflichtet

III. Kann Gott eine Sünde „machen"? Ausgehend von den begrifflichen Bestimmungen des Bösen und der Sünde, kann nun die Frage beantwortet werden, ob Gott sündigen bzw. eine Sünde „machen" kann. Dabei ist zu beachten, daß es nicht ganz auf dasselbe hinausläuft, ob Ockham die Frage formuliert, ob Gott sündigen könne oder ob er eine Sünde „machen" könne. Denn wenn Gott sündigte, hätten wir es mit einer Sünde Gottes zu tun, wenn Gott aber eine Sünde „macht" („peccatum facit"), läßt sich dies auch so verstehen, daß er die Sünde eines Menschen verursacht. Noch schwieriger wird das Problem, wenn man es auf die Sünde eines Menschen bezieht, der infolge einer Inkarnation mit Gott eine einzige Person bildet. Daher gliedert sich dieser Abschnitt in drei Teile. Im ersten geht es um die Frage, ob Gott selbst Böses tun und eine eigene Sünde begehen kann. Im 136 137

138

Tr. Pr„ qu. 1 (OPh II 507,18-508,23); vgl. Quodl. II, qu. 5 (OTh IX 133,101-102); Quodl. IV, qu. 4 (OTh IX 315,22-23). Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 202,11-14): „Circa tertium dico quod peccatum deleri non est aliquam rem absolutem vel respectivam a peccatore removeri vel separari, sed est actum commissum vel omissum ad poenam aeternam non imputari". Rep. IV, qu. 3 - 5 (OTh VII 44,11-12); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 195,7-8); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 196,22-197,2); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 198,4-7); Rep. IV, qu. ΙΟΙ 1 (OTh VII 225,8-11): „Ita dico de peccato, quod non dicit aliquam unam rem realem vel rationis, sed significat et importat totum istud: actum praeteritum commissum, vel omissionem actus ad quem aliquis obligatur, propter quem talis ordinatur ad poenam aeternam".

Kann Gott eine Sünde

„machen"?

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zweiten Teil ist zu überlegen, ob und unter welchen Umständen Gott die Sünde eines Geschöpfes verursachen kann. Daran schließt sich im dritten Teil die Erörterung der Frage an, ob eine Person, die infolge einer Inkarnation Gott und Mensch zugleich ist, sündigen kann.

1)

Die Sünde Gottes

„Alles, was Gott zusammen mit einer Zweitursache machen kann, kann er auch allein machen. Gott kann zusammen mit einer Zweitursache sündigen. Also kann er auch allein sündigen". - Der Obersatz dieses Schlusses ist ein bei Ockham und seinen Zeitgenossen weit verbreitetes und allgemein anerkanntes Prinzip. Der Untersatz ergibt sich aus der Erfahrung, daß Zweitursachen (= Menschen) sündigen, und dem Glauben, daß sie es ohne die Mitwirkung Gottes nicht könnten. Muß Ockham also auch den Schlußsatz akzeptieren? Er lehnt ihn ab, bestreitet die Gültigkeit eines solchen Argumentes und betrachtet es als Trugschluß. Als Erklärung dafür, worin dieser Trugschluß besteht, merkt er nur kurz an, daß es sich um eine „fallacia figurae dictionis" handle.139 Damit verweist er auf die aristotelische Schrift „De sophisticis elenchis" über die dreizehn Arten der Trugschlüsse und ihre Widerlegungen. Dieser Text wurde von Ockham kommentiert und liegt auch dem letzten Teil seiner „Summa Logicae" zugrunde. Die „fallacia figurae dictionis" zählt zu jenen sechs Arten von Trugschlüssen, die aus der Natur unserer Sprache oder unserer Schrift folgen („fallaciae in dictione"), durch Übersetzung in eine andere Sprache häufig und durch Rückzug in eine ideale mentale Sprache immer verschwinden. Die „fallacia figurae dictionis" gehört also nicht zu den sieben Arten von Trugschlüssen, die unabhängig von jeder Sprache durch falsches Denken entstehen und selbst innerhalb einer idealen geistigen Sprache auftreten können. Die „fallacia figurae dictionis" entsteht nicht (wie etwa Äquivokation oder Amphibolie) aus der Mehrdeutigkeit eines Ausdrucks, sondern aus der Ähnlichkeit zweier Ausdrücke. Die Ähnlichkeit der Ausdrücke verleitet zum Irrtum, während ihr Unterschied den Fehler bewirkt. Wenn also eine „fallacia figurae dictionis" vorliegt, steht sie stets mit einem gültigen Schluß in Zusammenhang. Dieser gültige Schluß besteht aus anderen Termini als der Fehlschluß, doch sind die Termini des gültigen Schlusses und des Fehlschlusses einander rein sprachlich ähnlich, sodaß der Sophist durch diese sprachliche 139

Ord„ dist. 42, qu. un. (OTh IV 621,15-622,2).

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2. Kapitel: „Deus

nonpotestpeccare"

Ähnlichkeit glauben machen kann, daß der Trugschluß ebenso beweiskräftig wäre wie der gültige Schluß.140 Um den Trugschluß aufzudecken, muß der Logiker den Unterschied zwischen dem Trugschluß und dem gültigen Schluß, mit dem dieser verwechselt wurde, aufzeigen und erklären, wieso der eine gültig ist und der andere nicht.141 Ockham unterteilt die „fallacia flgurae dictionis" in drei Arten, je nachdem der entscheidende Unterschied zwischen den sprachlich ähnlichen Termini in grammatikalischen Akzidenzien142 besteht oder darin, daß sie Verschiedenes bezeichnen,143 oder darin, daß sie auf verschiedene Weise bezeichnen.144 In diese dritte Art fallen nach Ockham auch all jene Fehlschlüsse, die beweisen sollen, daß sich Gottes Allmacht mit seiner Unfähigkeit zu sündigen nicht vereinbaren läßt. Diese dritte Art der „fallacia flgurae dictionis" will Ockham wiederum in drei Unterarten einteilen,145 die er jedoch nicht mehr so genau auseinanderhält.146 Die erste Unterart besteht darin, daß die Bezeichnungsweisen von kategorematischen Ausdrücken, die fur sich selbst etwas Bestimmtes bedeuten, und synkategorematischen Ausdrücken, die nur zusammen mit kategorematischen Ausdrücken etwas bedeuten, verwechselt werden, sodaß eine Suppositionsweise mit einer anderen vertauscht wird.147 Die zweite Unterart der dritten Art der „fallacia flgurae dictionis" entsteht, weil Termini verschiedener Kategorien miteinander vertauscht werden148 bzw. weil - n o c h allgemeiner- absolute und konnotative Begriffe miteinander verwechselt werden.149 Da es sich bei den Ausdrücken „Böses" und „Sünde" nach Ockham um Konnotativbegriffe handelt, liegt der Verdacht nahe, daß die sophistischen Trugschlüsse, die die Unvereinbarkeit von Gottes Allmacht und Unfähigkeit zu sündigen beweisen sollen, in diese Unterart der „fallacia flgurae dictionis" fallen; und eben dies versucht Ockham zu zeigen. Die dritte Unterart der dritten Art der „fallacia flgurae dictionis" entsteht dann, wenn allgemeine Begriffe mit Eigennamen oder sonstigen Ausdrücken, 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149

S. L. III-4, cap. S. L. III-4, cap. S. L. III-4, cap. S. L. II1-4, cap. S. L. III-4, cap. S. L. III-4, cap. Vgl. S. L. III-4, S. L. III-4, cap. S. L. III-4, cap. S. L. III-4, cap.

10 (OPh I 791,2-792,31 und 817,780-785). 10 (OPh I 792,10-12). 10 (OPh I 792,32-793,49). 10 (OPh I 793,50-798,187). 10 (OPh I 798,188-817,779). 10 (OPh I 799,209-210). cap. 10 (OPh I 817,773-779). 10 (OPh I 799,209-800,267). 10 (OPh 1 801,268-275). 10 (OPh I 809,544-810,563).

Kann Gott eine Sünde „ machen "?

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die nur für ein einziges Individuum stehen können, vertauscht werden. 150 Im eingangs genannten Trugschluß, der zeigen soll, daß Gott sündigen kann, liegt eine „fallacia figurae dictionis" der dritten Art in ihrer zweiten Unterart vor, die durch die Vertauschung von absoluten und konnotativen Begriffen entsteht. Der Ausdruck „alles, was Gott mittels einer Zweitursache tun kann" ist nämlich nicht so zu verstehen, daß für ihn jeder Begriff eingesetzt werden kann, der für etwas steht, was Gott mittels einer Zweitursache tun kann, sondern für ihn können nur absolute Begriffe eingesetzt werden, die für etwas derartiges stehen, jedoch keine konnotativen Begriffe. 151 Wollte man das Unmittelbarkeitsprinzip „Alles, was Gott mittels einer Zweitursache tun kann, kann er auch allein tun" anders verstehen, wäre es ungültig. Der Grund dafür liegt darin, daß ein Konnotat eines konnotativen Begriffs eine zusätzliche Bedingung enthalten kann, die ein absoluter Begriff nicht enthält. Diese kann mit dem Zusammenhang, in den der konnotative Begriff gestellt wird, unvereinbar sein und so zu Widersprüchen führen. Genau das geschieht aber, wenn die konnotativen Begriffe des Bösen und der Sünde in einem Zusammenhang stehen, in dem behauptet würde, daß Gott das, was sie bezeichnen, allein und ohne Zweitursache tun könnte. Das soll nun gezeigt werden. Zunächst fragen wir also, ob Gott selbst etwas Böses (d. h. ein „malum") tun oder sündigen kann. Hier kommt es natürlich darauf an, in welchem Sinn das „malum" zu verstehen ist. Angesichts der souveränen Stellung, die Ockham dem freien Willen des Menschen zuweist und die so weit geht, daß jemand sogar seine eigene Glückseligkeit nicht-wollen kann, ist es selbstverständlich, daß Gott etwas erschaffen kann, das anschließend von jemandem nicht-gewollt wird oder wenigstens nicht-gewollt werden kann. Daher kann Gott ein „malum" im ersten Sinn machen. Auch ein „malum" im zweiten Sinn, also etwas Unerfreuliches oder eine Strafe, kann Gott bewirken. Da Ockham mit dem augustinischen Ausdruck „malum poenae" auch den damit verbundenen Gedanken übernommen hat, daß das natürliche Übel als Strafe für die Sünde zu deuten sei,152 kommt es sogar vor allem Gott als dem Richter zu, diese Art von Übeln über die Menschen zu verhängen.

150 151 152

S. L. IH-4, cap. 10 (OPh I 813,638-817,779). Ord., dist. 42, qu. un. (OTh IV 621,21-622,1): „in prima propositione distributor unum simpliciter absolutum". Ord., dist. 48, qu. un. (OTh IV 687,20-21): „quaedam sunt volita a D e o propter malum culpae praecedens in alio cuius est poena".

130

2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

Angesichts der Tradition, in der Ockham steht, ist all dies kaum verwunderlich, und Ockham macht daraus auch nicht viele Worte. Seine Überlegungen beziehen sich auf das „malum" im Sinne des moralisch Schlechten, des Bösen. Daß Gott Böses in diesem Sinn eigentlich und selbst (statt durch Menschen) tut oder auch nur tun kann, bestreitet Ockham. Doch anders als viele der ihm vorangehenden Theologen begründet er seine Meinung nicht inhaltlich, sondern formal. Nicht daß Gott wesenhaft gut sei und ihm daher jede böse Tat widerstreite, ist sein Argument, sondern daß eine böse Tat eine Verpflichtung zum Gegenteil voraussetze, die für Gott nicht gegeben sei. Damit stützt er sich auf seine Definition des moralisch Schlechten, in der die Verpflichtung ausdrücklich genannt ist: Böses tun, das heißt etwas tun, zu dessen Gegenteil jemand verpflichtet ist.153 Nun betont Ockham aber unablässig, daß Gott keinen Verpflichtungen unterliege154 und niemandes Schuldner sei.155 Dem widerspricht, wie bereits ausgeführt, nicht notwendigerweise, daß die Ethik auf „principia per se nota" gründet. Zwar kann Gott ihre Geltung nicht einschränken, aber sie verpflichten ihn zu nichts, weil sie entweder rein analytisch oder auf Gott nicht anwendbar sind. Daher kann Ockham behaupten, daß Gott niemandes Schuldner und zu nichts verpflichtet sei. Daraus folgt jedoch, daß Gott auch nichts moralisch Böses tun kann, denn das würde bedeuten, daß er etwas tun könnte, zu dessen Gegenteil er verpflichtet wäre. Tatsächlich untersteht er jedoch überhaupt keinen Pflichten, gegen die er verstoßen könnte. Also kann er selbst jedenfalls kein „malum", d. h. nichts moralisch Schlechtes tun.156 153 154 155

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Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 59,4-5); Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 48,6f): „per istam ,Deus vult malum' importatur istud ,Deus facit aliquid quod non debet'". Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 59,6f); Rep. II, qu. 15 (OTh V 343,20); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 226,2-3). Rep. IV, qu. 1 (OTh VII 45,17; 55,17); Rep. IV, qu. 10-11 (OTh VII 198,7-8); Qu. var., qu. 1 (OTh VIII 22,484; 26,578; 27,601); Qu. var., qu. 7, art. 4 (OTh VIII 389,322); Ord., dist. 41 (OTh IV 608,16); Quodl. II, qu. 4 (OTh IX 219,108); „Deus nullius est debitor". Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 59,4-7); Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 48,6-10). Wenn Ockham in Rep. II, qu. 15 (OTh V 342,19-21) schreibt: „Et tunc omne quod non includit contradictionem, nec malum culpae, potest fieri a Deo solo", ist der Zusatz „nec malum culpae" nicht als eine zweite Einschränkung der Allmacht Gottes neben der Bedingung der Widerspruchsfreiheit anzusehen, sondern als eine Erläuterung dessen, was in der Bedingung der Widerspruchsfreiheit enthalten ist. Da Gottes souveräne Stellung gegenüber der moralischen Ordnung ihm von Natur aus zukommt und nicht frei gewählt ist, stimmt es auch nicht, daß Gott nur faktisch gut ist (wie Nico Den Brök: Scotus' Theory of Contingency from a (Post)Modern Perspetive: Some Important Developments of the Notion of Contingency after Duns Scotus. In: via scoti. Methodologica ad mentem Ioannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale, Roma 9-11 marzo 1993. Hrsg. v. Leonardo Sileo. Vol.1. Roma: Paa-Edizioni Antonianum 1995, 431-444, 432 behauptet), sondern er ist notwendig gut, und es ist unmöglich, daß er böse ist.

Kann Gott eine Sünde „machen "?

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Aus demselben Grund kann Gott auch keine Sünde tun. Die Sünde, so haben wir festgestellt, ist nach Ockham ein Konnotativbegriff. Sie bezeichnet in erster Linie einen verübten oder unterlassenen Akt, konnotiert daneben jedoch auch eine Pflicht zum Gegenteil dieser Tat oder Unterlassung und die daraus folgende Verpflichtung zur Strafe. Damit ein solcher Konnotativbegriff zutreffend ausgesagt werden kann, muß er für das in erster Linie Bezeichnete supponieren, während die Konnotate entweder wirklich oder doch wenigstens der Möglichkeit nach bestehen müssen. Im Fall der Sünde scheint es, daß die konnotierten Verpflichtungen wirklich bestehen müssen und nicht nur möglicherweise, wenngleich die Strafe selbst noch nicht Wirklichkeit geworden sein muß. Denn wenn Gott die Verpflichtung zur Strafe aufhebt, hat er zugleich damit auch die Sünde vergeben, sodaß sie nicht mehr besteht. Nun kann Gott in seiner Allmacht all das setzen, was vom Begriff der Sünde in erster Linie bezeichnet wird, also die Tat oder die Unterlassung.157 Da er jedoch keiner sittlichen Verpflichtung untersteht und auch nicht unterstehen kann, sind die beiden Konnotate weder wirklich noch als Möglichkeit gegeben. Damit fehlt eine unabdingbare Voraussetzung, um von den Taten bzw. Unterlassungen Gottes jemals den Begriff der Sünde aussagen zu können. Gott selbst kann also weder Böses tun noch sündigen.158 Daß die sonstigen Voraussetzungen der Sünde, nämlich der Vernunftgebrauch und die Freiheit, bei Gott gegeben sind, tut dem keinen Abbruch. Damit ist gezeigt, daß aus dem Unmittelbarkeitsprinzip nicht folgt, daß Gott Böses tun oder sündigen könne. Denn die Begriffe des Bösen und der Sünde sind keine absoluten Begriffe, für die sich aus dem Unmittelbarkeitsprinzip gefahrlos Schlüsse ziehen ließen, sondern konnotieren Verpflichtungen. Das Bestehen solcher Verpflichtungen widerspricht jedoch der Ansicht, daß Gott notwendigerweise niemandes Schuldner ist. Da Gott nicht einmal in seiner Allmacht einen Widerspruch herbeifuhren kann, kann er auch nichts Böses und keine Sünde tun.

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Dahingehend präzisiert Ockham das Unmittelbarkeitsprinzip und schließt so die mögliche „fallacia figurae dictionis" aus: Rep. II, qu. 15 (OTh V 342,10-11); Rep. II, qu. 15 (OTh V 353,12-13): „quemlibet actum absolutum potest sine omni malo culpae causare et eius oppositum". Rep. II, qu. 15 (OTh V 3 4 3 , 1 6 - 2 2 ) [im Zusammenhang damit, daß Gott die abgefallenen Engel im Haß gegen ihn verstockt]: „Si dicas quod tunc Deus peccat et est malus, quia non vult concurrere ad actum bonum, respondeo: nunquam homo peccat nisi quia tenetur facere quod non facit vel quia facit quod non debet facere. Per istam [rationem] fit homo debitor; Deus autem nulli tenetur nec obligator tanquam debitor, et ideo non potest facere quod non debet facere nec non facere quod debet facere".

2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

132 2)

Die Sünde des Menschen

Mit diesen Ergebnissen unvereinbar erscheint, was Ockham an zwei anderen Stellen vorbringt, daß nämlich die Behauptung, Gott mache bzw. wolle etwas Böses, einzuräumen sei.159 Ja, er gesteht sogar zu, daß Gott eine Sünde „machen" könne.160 Zwar darf nicht übersehen werden, daß er beide Behauptungen nicht im eigenen Namen macht, sondern sie nur wiedergibt, wobei er ausdrücklich darauf verweist, daß die theologischen Autoritäten einem anderen Sprachgebrauch folgen.161 Jürgen Goldstein deutet dies als Erschrecken Ockhams vor der Ungeheuerlichkeit der sich ihm aufdrängenden Lösung.162 Ich sehe hier hingegen vor allem Ockhams Bemühen, mit den theologischen Autoritäten nicht nur in der Sache, sondern auch in der Formulierung übereinzustimmen, wozu er sich gelegentlich ausdrücklich bekennt,163 habe jedoch keine Bedenken, die fraglichen Behauptungen, sofern sie richtig verstanden werden, als die Ansicht Ockhams selbst anzusehen. Daß die richtige Bedeutung dieser Behauptungen nicht selbstverständlich ist, ergibt sich schon daraus, daß Ockham das Beispiel in jenem Teil der „Summa logicae" anfuhrt, in dem es um die Vermeidung und Widerlegung von Fehlschlüssen geht. Demnach liegt bei Sätzen wie „Gott tut Böses" oder „Gott tut eine Sünde" eine Amphibolie vor. Unter einer Amphibolie ist nach der Elenchtik des Aristoteles eine Mehrdeutigkeit zu verstehen, die jedoch nicht wie bei der Äquivokation einem einzigen Wort, sondern einem ganzen Satz anhaftet.164 Die Amphibolie tritt nach Ockham in drei verschiedenen Arten auf. Die erste Art liegt vor, wenn die verschiedenen Bedeutungen des fraglichen Satzes gleichberechtigt nebeneinanderstehen.165 Die zweite Art liegt vor, wenn der Satz einen eigentlichen und 159 160 161

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163 164

165

Ord., dist.47, qu. un. (OTh IV 681,3-6); S. L. III-4, cap. 6 ( O P h I 774,100-103); vgl. Quodl. III, qu. 2 (OTh IX 211,66-70). S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 773,71-76). Ord., dist. 47, qu. un. (OTh IV 684,6-11): „Haec omnia dico tantum recitative, recitando opinionem quae posset esse aliquorum, sive sit vera sive falsa sive erronea sive catholica sive haeretica. Sed sive praedicta opinio sit catholica sive haeretica, dico quod secundum intentionem Sanctorum non est concedendum quod Deus vult malum, nec quod Deus facit malum"; vgl. S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 774,94-775,113). Jürgen Goldstein: Nominalismus und Moderne. Zur Konstitution neuzeitlicher Subjektivität bei Hans Blumenberg und Wilhelm von Ockham. Freiburg-München: Alber 1998 (AlberReihe Philosophie), 275f. Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 30,3): „loquendum est ut auctores et Sancti". S. L. III-4, cap. 5 (OPh I 763,4-764,7): „fallacia amphiboliae accidit ex hoc quod aliqua oratio potest diversimode accipi absque hoc quod aliqua dictio primo diversimode accipiatur; ita quod sicut dictio est multiplex, ita tota oratio est multiplex". S. L. III-4, cap. 5 ( O P h I 764,8-10): „Secundo sciendum est quod sicut aequivocationis sunt tres modi, ita amphiboliae sunt tres modi. Primus modus est quando aliqua oratio aeque primo

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daneben noch einen uneigentlichen Sinn (oder mehrere uneigentliche Bedeutungen) hat.166 Die dritte Art liegt vor, wenn der Satz in sich eindeutig ist, aber durch den Kontext mehrdeutig wird.167 Die Sätze „Gott macht eine Sünde" und „Gott macht etwas Böses" ordnet Ockham der zweiten Art der Amphibolie zu. Ihr eigentlicher Sinn lautet: „Gott macht etwas, das eine Sünde ist" bzw. „Gott macht etwas, das böse ist". Daneben haben sie auch folgenden uneigentlichen Sinn: „Gott sündigt" bzw. „Gott tut etwas, das er nicht tun dürfte". Im ersten und eigentlichen Sinn sind sie wahr, im zweiten und uneigentlichen Sinn sind sie falsch.168 Daß die Sätze in ihrer uneigentlichen Bedeutung falsch sind, ergibt sich aus der bereits genannten Auffassung Ockhams, daß Gott niemandes Schuldner ist und keinen Verpflichtungen unterliegt. Eine solche Verpflichtung ist ja die Voraussetzung dafür, daß man von einer Sünde sprechen kann, gleichgültig welchen Akt jemand vollzieht oder unterläßt. Was hingegen mit dem eigentlichen Sinn der Behauptungen, Gott könne Böses bzw. eine Sünde machen, gemeint ist und wie er sich von der uneigentlichen Bedeutung unterscheidet, das wirkt auf den ersten Blick rätselhaft. Ockhams Erklärung, Gott könne zwar Böses machen oder wollen, doch er könne es nicht auf böse Weise („male") machen oder wollen, 169 ist nicht gerade erhellend. Einen erläuternden Hinweis entnehme ich zwei kurzen Halbsätzen, die Ockham in diesem Zusammenhang äußert: Wenn Gott etwas Böses will, dann

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et aeque proprie per se posita potest habere multos sensus". S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 771,2-6): „tunc est aliqua oratio multiplex penes secundum modum amphiboliae quando aliqua oratio proprie et ex sua primaria significatione seu impositione tantum uno modo accipitur, sed improprie et secundario potest aliter accipi et alium sensum habere". S. L. III-4, cap. 7 (OPh I 783,2-4): „Tertius modus amphiboliae est quando oratio per se prolata tantum habet unum sensum et ex hoc quod coniungitur alteri orationi potest habere plures sensus". S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 773,71-774,78): „Similiter, secundum opinionem aliquorum ista est distinguenda ,Deus facit peccatum', eo quod potest accipi proprie, et tunc non plus denotatur nisi quod Deus facit aliquid quod est peccatum. Et sic concederent earn, quia ponunt quod aliquis actus positivus est vere peccatum, sicut odire aliquem contra praeeeptum divinum est peccatum. Aliter potest accipi illa oratio improprie, secundum eos, et tunc aequivalet isti ,Deus facit aliquid quod non deberet facere' sive isti ,Deus peccat', quae est simpliciter falsa". S. L. HI-4, cap. 6 (OPh I 774,100-775,105); Ord., dist. 47, qu. un. (OTh IV 682,24-683,9): „Unde sicut, secundum Philosophum, II Ethicorum, non quicumque facit opera iusta est iustus, sed qui facit iuste opera iusta est iustus, ita qui facit malum male est malus, non autem quicumque facit malum est malus. Unde Deus, quamvis faciat illud quod est malum, et per consequens facit malum, - quia isti termini convertuntur ,malum' et ,illud quod est malum' eo quod omne malum est illud quod est malum et omne illud quod est malum est malum - , non tarnen Deus facit male malum, quia non facit quod tenetur non facere. Et eodem modo non vult malum, et ideo non est malus quamvis velit malum".

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

will er nicht selbst etwas Böses tun, sondern er will, daß ein Geschöpf etwas Böses tut.170 Nun macht es freilich einen Unterschied, ob Gott etwa in der (übrigens schwierig zu deutenden) Erzählung von der Opferung Isaaks im 22. Kapitel der Genesis den Tod Isaaks will oder ob er nur will, daß Abraham den Tod seines Sohnes will, ζ. B. als Probe seines Vertrauens und Gehorsams. Diese Erklärung scheint sich nicht auf die Sätze übertragen zu lassen, nach denen Gott etwas Böses oder eine Sünde macht. Kann er denn die Sünde eines Menschen machen? Die Antwort auf diese Frage muß verwickelt ausfallen, denn kein menschlicher Akt ist nach Ockham der Akt des Menschen allein. Vielmehr wirkt stets Gott mit. Die Weise, in der Gott an menschlichen Akten mitwirkt, beschreibt Ockham in seiner Theorie von der Erst- und der Zweitursache. Demnach geht jede Wirkung auf Gott als die Erstursache zurück. Manches wirkt die Erstursache allein und unmittelbar, anderes wirkt sie zusammen mit einer Zweitursache,171 also in unserem Fall zusammen mit dem Menschen. Dabei ist jedoch, wie Ockham nachdrücklich betont, die Erstursache nicht auf die Mitwirkung der Zweitursache angewiesen. Vielmehr kann jeder Akt, den die Erstursache durch die Vermittlung der Zweitursache hervorbringen kann, auch unmittelbar durch die Erstursache allein hervorgebracht werden. Dieses Prinzip nennt Ockham selbst die „famosa propositio theologorum", die Sekundärliteratur das „Unmittelbarkeitspostulat" oder besser (da Ockham es aus einer Glaubenswahrheit schließt und nicht nur postuliert) das „Unmittelbarkeitsprinzip". 1 72 Erst- und Zweitursache gehören im aristotelischen Schema der vier Ursachen zur Art der Wirkursache, die im Spätmittelalter einen praktischen Vorrang vor den anderen übernimmt. Nach Thomas von Aquin ist sowohl die Erstursache als auch die Zweitursache eine „causa totalis" für den Akt, genügt also, um den Akt allein hervorzubringen. Nach Wilhelm von Ockham ist je-

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Ord., dist. 47, qu. un. (OTh IV 681,6-9); S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 775,109-111): „Unus sensus est iste ,Deus vult vel potest velle aliquid quod est malum' hoc est quod male fit ab aliquo alio, puta a creatura, et tunc concederent conclusionem sub illo sensu"; vgl. Op., cap. 52 (OPol II 541,29-34). Rep. II, qu. 3 - 4 (OThV 63,2-3): „Deus est causa partialis respectu cuiuscumque effectus quem producit causa secunda". Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 604,18-605,1): „Praeterea in illo articulo fundatur illa propositio famosa theologorum ,quidquid Deus producit mediantibus causis secundis, potest immediate sine illis producere et conservare'"; vgl. Rep. II, qu. 15 (OTh V 342,10-11 und 22-24); Ord., Prol., qu. 1 (OTh I 35,8-10.14-15; 49,1-2); Ord., Prol., qu. 3 (OTh I 141,9-10); Ord., Prol., qu. 5 (OTh I 171,8-9); Quodl. IV, qu. 22 (OTh IX 404,14-17); Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 585,7-8; 587,44-^6); Quodl. VI, qu. 13 (OTh IX 632,80-82); Quodl. VII, qu. 3 (OTh IX 710,34-35); S. L. I, cap. 50 (OPh I 161,56-58); S. L. I, cap. 57 (OPh I 185,62-63).

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doch jede von ihnen eine „causa partialis".173 Erst wenn beide vorliegen, entsteht aus ihnen die Wirkung. Die Zweitursache ist also nach Ockham unfähig, irgendeinen Akt ohne die Erstursache hervorzubringen.174 Die Erstursache kann natürlich entsprechend dem Unmittelbarkeitsprinzip auf die Hilfe der Zweitursache verzichten und die gemeinsamen Wirkungen auch ohne sie hervorbringen, doch der Akt, der in diesem Fall entstünde, wäre kein gemeinsamer mehr, die verhinderte Zweitursache wäre überhaupt keine Ursache und die Erstursache wäre keine „causa partialis", sondern eine „causa totalis".175 In den menschlichen Akten wirken Erst- und Zweitursache frei zusammen. Keinesfalls kann die Zweitursache die Erstursache zwingen. Doch auch der Wille der Zweitursache ist frei, sodaß nicht einmal Gott ihn zu einer Tat oder Unterlassung bestimmen kann.176 Er könnte ihn höchstens umgehen und den Zwang seiner Macht ausüben. Doch entstünde dann kein freier Willensakt mehr, der dem Menschen moralisch anrechenbar wäre. Wenn also ein Mensch etwas Böses oder eine Sünde tut, setzt dies voraus, daß dieser Mensch einen entsprechenden Akt setzt oder unterläßt. Einen Akt setzen kann er jedoch nur, wenn Gott als Erstursache mitwirkt. Würde er nicht mitwirken, käme der Akt der Sünde überhaupt nicht zustande. 173

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Diesem Unterschied zwischen Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham widmet sich Andre de Muralt: La metaphysique thomiste de la causalite divine. In: Ders.: L'enjeu de la philosophie medievale. Etudes thomistes, scotistes, occamiennes et gregoiriennes. LeidenNew York-Kobenhaven-Köln: Brill 1991 (STGMA 24) 331-351. Thomas von Aquin äußert sich zu der Frage nicht in dieser Terminologie; vgl. jedoch Thomas von Aquin: Summa contra gentiles III, cap. 70, η. 2466 (ed. Marietti, 99): „Patet etiam quod non sic idem effectus causae naturali et divinae virtuti attribuitur quasi partim a Deo, et partim a naturali agente fiat, sed totus ab utroque secundum alium modum". Vgl. Ockham: Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 60-63). Ord., dist. 45, qu. un. (OTh IV 668,18-20): „Ergo simpliciter nulla causa secunda potest in aliquem effectum nisi concurrente immediate causa prima simpliciter, scilicet Deo". Rep. II, qu. 3 - 4 ( O T h V 63,10-14): „cuiuscumque potest Deus esse causa totalis respectu cuius est causa partialis. Quod patet, quia ipse comprehendit omnem causalitatem causae secundae, et per consequens potest eius actionem supplere, et per consequens sine alia causa potest effectum totaliter producere". Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 254,19-20): „Praeterea omnis actus alius a voluntate potest fieri a solo Deo, et per consequens non est necessario virtuosus creaturae rationali". Zum Thema „Freiheit" bei Ockham vgl. David W. Clark: Ockham on Human and Divine Freedom. In: FrS 38 (1978) 122-160; Hermann Krings: Woher kommt die Moderne? Zur Vorgeschichte der neuzeitlichen Freiheitsidee bei Wilhelm von Ockham. In: Z P h F 4 1 (1987) 3-18; Jürgen Miethke: The Concept of Liberty in William of Ockham. In: Theologie et droit dans la science politique de l'Etat moderne. Actes de la table ronde organisee par l'Ecole framjaise de Rome avec le concours du CNRS, Rome, 12-14 novembre 1987. Rome: Ecole fran^aise, Palais Farnese 1991 (CEFR 147), 89-100; Ruedi Imbach: Notule sur la liberte humaine et divine selon Guillaume d'Ockham. In: Ders.: Quodlibeta. Ausgewählte Artikel / Articles choisis. Hrsg. v. Francis Cheneval, Thomas Ricklin, Claude Pottier, Silvia Maspoli und Marianne Mösch. Freiburg, Schweiz: Universitätsverlag 1996 (Dokimion 20), 421-434.

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare'

Dabei ist jedoch zu beachten, daß der gemeinsame Akt für die Erst- und die Zweitursache in moralischer Hinsicht jeweils unterschiedlich zu bewerten ist. Der Unterschied besteht darin, daß der Mensch durch moralische Verpflichtungen gebunden ist, Gott jedoch nicht. Deshalb verletzt Gott, wenn er sich am Akt der Sünde des Sünders beteiligt, keine Verpflichtung. Damit aber fehlt ein wesentliches Element des Bösen und der Sünde, sodaß sich Gott weder das eine noch das andere zuschreiben muß. Der Mensch hingegen ist durch moralische Verpflichtungen gebunden. Daher handelt er, wenn er sie durch den mit der Erstursache gemeinsamen Akt im Wissen um sein Tun und aus freiem Willen verletzt, in böser Weise, und er sündigt, sofern er sich zusätzlich die Verpflichtung zur Strafe zuzieht.177 Daraus ergibt sich die Erklärung dafür, wie jene Sätze zu verstehen sind, die Ockham zugesteht, nämlich „Gott,macht' eine Sünde" und „Gott,macht' etwas Böses". Der gemeinsame Akt von Erstursache und Zweitursache ist nämlich tatsächlich etwas Böses und eine Sünde, wenngleich nicht die Sünde Gottes, sondern die Sünde des Menschen. Da sie Gott aber wenigstens als „causa partialis" mitverursacht, ist es nicht falsch (wenngleich auch nicht vollständig) zu sagen, Gott mache diesen Akt des Menschen. So kann Ockham zusammenfassend behaupten: „Gott ,macht' etwas, das eine Sünde ist" bzw. „Gott,macht' eine Sünde", wenngleich es sich dabei nicht um die Sünde Gottes handelt und obwohl Gott nicht sündigt. Analog kann Ockham behaupten: „Gott,macht' etwas, das böse ist" oder kurz „Gott,macht' etwas Böses", wenngleich es sich dabei nicht um Gottes böse Tat handelt und Gott es nicht auf böse Weise tut. Obwohl Gott also an jeder Sünde als Erstursache mitwirkt, genügt sein Wille nicht, damit die Sünde eines Menschen zustandekommt, sondern er ist dazu auf den freien Willen des Menschen angewiesen, der am gemeinsamen Akt mitwirken muß. Wirkt er nicht mit, so kann Gott zwar den Akt allein und ohne den Menschen hervorbringen, doch er wäre dann keine Sünde, weil er ein Akt Gottes wäre, der nicht sündigen kann, wie schon gezeigt wurde. Würde Gott dem Menschen die Hand fuhren, könnte er zwar den Akt erzwingen, doch auch dann wäre es keine Sünde, weil damit der freie Wille des Menschen nicht mehr gegeben wäre, die Willensfreiheit aber eine notwendige Voraussetzung ist, um von Sünde sprechen zu können. Würde Gott den Men177

Rep. II, qu. 15 (Oth V 3 5 3 , 3 - 6 ) ; Qu. var, qu. 7, art. 4 (OTh VIII 389,320-390,330); Quodl. III, qu. 4 (OTh IX 2 1 6 , 4 5 - 4 7 und 2 1 9 , 1 0 6 - 1 0 8 ) : „igitur potest idem actus causari immediate a D e o partialiter et inculpabiliter, et a voluntate creata culpabiliter. ( . . . ) Similiter ad illud de peccatis potest dici quod omnis res quae est peccatum, est a Deo; tarnen Deus non peccat, quia non tenetur ad oppositum, cum nullius sit debitor".

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sehen also zwingen, käme keine Sünde zustande, weder eine Sünde Gottes, weil er nicht sündigen kann, noch eine Sünde des Menschen, weil sein Wille nicht frei wäre. Daß Gott aber einen Akt des Menschen ohne dessen Wollen veranlaßt und dennoch die menschliche Freiheit wahrt, wäre ein Widerspruch, sodaß Gott dies nicht einmal „de potentia absoluta" tun könnte.178 Dagegen kann Gott sehr wohl die Sünde eines Menschen verhindern, ja nach der Überzeugung Ockhams hat Gott dies bereits mehrfach getan und fahrt fort es zu tun. Denn vor jeder Sünde bewahrt wurden erstens der Mensch Jesus von Nazaret, zweitens seine Mutter Maria, drittens die treu gebliebenen Engel und viertens die Seligen im Himmel. Über die Sündenfreiheit des Menschen Jesus von Nazaret verliert Ockham nicht viele Worte. Die Seligen und guten Engel werden nach ihm auf eine andere Weise vor der Sünde bewahrt als die Gottesmutter in ihrem Erdendasein. (Seitdem auch sie zu den Seligen im Himmel zählt, gilt für sie das gleiche wie für jene.) Die Engel und Seligen unterscheiden sich nämlich von ihr darin, daß sie schon die beseligende Schau Gottes haben, die Mutter Christi auf Erden jedoch nicht. Bezüglich ihrer Gottesschau sind die Engel, seitdem sie auf eine anfängliche Möglichkeit zum Abfall verzichtet haben, nicht frei in dem Sinn, daß sich ihr Wille von Gott abwenden könnte. Denn die Freude an der Schau Gottes ist zwar wie alle Freude ein Akt des Willens, doch ist sie nicht dem freien Willen der Engel überlassen, sondern wird von Gott unmittelbar und vollständig verursacht und erhalten. Mit dieser Gottesschau ist aber die Sünde unvereinbar, sodaß es einen Widerspruch einschlösse, wenn derselbe Engel die beseligende Gottesschau erführe und sich zugleich im Zustand der Sünde befände. Daher schließen Sünde und Gottesschau einander aus. Da Gott den Engel also in der Gottesschau erhält, verhindert er zugleich jede Sünde dieses Engels. Dies folgt jedoch, wie Ockham betont, nicht aus der Natur des Engels, sondern allein aus dem Willen Gottes.179 Für die Sündenlosigkeit der Gottesmutter gibt Ockham wenigstens drei verschiedene Erklärungen. Die erste Erklärung setzt beim Akt der Sünde an, 178 179

Quodl. III, qu. 14 (OTh IX 254,19-20): „Omnis actus alius a voluntate potest fieri a solo Deo"; vgl. Imbach: Notule, 424; Miethke: Concept, 93. Rep. II, qu. 15 (OTh V 345,20-346,4): „Sed dubium est utrum angeli boni sint impeccabiles. Respondeo quod sic, quia Deus causat in voluntate eorum actum beatificum totaliter et conservat, et non coagit ad causandum actum malum in eis. Et ideo ex sola voluntate Dei sic agente et conservante est angelus bonus impeccabilis, non autem ex natura sua. Primum probatur, quia subiecto existente sub uno contrariorum non potest recipere aliud. Sed angelus bonus semper existit sub actu beatifico, nec potest ab illo cessare, sicut patet per praedicta. Igitur nunquam potest peccare de potentia sua etiam absoluta, quia actus peccati formaliter repugnat actui beatifico".

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2. Kapitel: „Deus

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dessen beide Teilursachen der freie Wille des Menschen und die Mitwirkung Gottes sind. Keine Sünde kommt zustande, wenn Gott jedesmal seine Mitwirkung versagt, wenn die Gottesmutter eine Sünde zu tun beabsichtigt. Denn so fehlt eine notwendige Teilursache des Aktes, mit dem das entfällt, was an erster Stelle als Sünde bezeichnet wird.180 Diese Antwort bringt Ockham jedoch in verschiedene Schwierigkeiten. Eine davon ist, daß sie nur fur Tatsünden anwendbar ist, jedoch nicht für Unterlassungssünden. Für diesen Fall gibt Ockham eine neue Begründung der Sündenlosigkeit, die diesmal bei der menschlichen Freiheit ansetzt, die ja eine notwendige Voraussetzung für die Sünde ist. So kann Gott, bevor die Gottesmutter eine Unterlassungssünde begeht, als Erstursache den erforderlichen Akt allein und ohne die Mithilfe der Zweitursache setzen. Hier fällt der vielsagende Ausdruck „manutenentia"181: Gott fuhrt also gleichsam die Hand der Gottesmutter und tut ihre Pflicht für sie. Damit ist natürlich ihre Freiheit wenigstens für den Augenblick aufgehoben, sodaß die Mutter Gottes zwar keine Sünde begeht, aber auch kein gutes und verdienstliches Werk tun kann.182 Freilich folgen aus dieser Erklärung verschiedene Schwierigkeiten, die Ockham letztlich nicht alle zu entwirren vermag.183 So entschließt sich Ockham zu einer dritten Erklärung für die Sündenlosigkeit der Gottesmutter und setzt diesmal bei der im Begriff der Sünde konnotierten Verpflichtung an. Da alle wesentlichen Verpflichtungen des Menschen infolge eines göttlichen Gebots bestehen, kann Gott dieses Gebot und die daraus folgende Verpflichtung für die Gottesmutter aufheben, wenigstens für den Zeitpunkt, in dem sie tut, was unter anderen Umständen eine Sünde wäre. Wie Gott selbst nicht sündigen kann, weil er keiner Verpflichtung unterliegt, so könnte dann auch die Gottesmutter nicht sündigen, weil es für sie keine Verpflichtung gibt, gegen die sie verstoßen könnte.184 Gott wirkt also als Teilursache an der Sünde des Menschen mit, ohne jedoch selbst zu sündigen. In diesem Sinn wäre Ockham bereit zuzugestehen, daß Gott etwas Böses oder ein Sünde „machen" kann, wenn dem nicht der 180

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Rep. III, qu. 5 (OTh VI 153,11-19): „Deus sic ordinavit quod sibi [seil, beatae Virgini] coassisteret, eoagendo immediate sicut causa partialis sicut facit in omni actione, sicut dictum est in secundo, eoagendo ad omnem actum bonum et non coegit ad actum malum. Et quia nullus actus potest elici a causa secunda nisi concurrente causa prima immediate, ideo potuit bene agere et non male, nec peccare peccato commissionis, quia Deus concurrit ut causa partialis in actu bono et virtuoso, non in malo et vitioso". Rep. III, qu. 5 (OTh VI 155,1). Rep. III, qu. 5 (OTh VI 154,5-17). Rep. III, qu. 5 (OTh VI 154,17-156,3). Rep. III, qu. 5 (OTh VI 156,4-12). Zu Schwierigkeiten mit dieser Lösung vgl. oben I, 2), a), 4. Lücke.

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Sprachgebrauch der Heiligen entgegenstünde. Ferner kann Gott den Menschen zu jedem Akt zwingen, muß dabei jedoch dessen Freiheit aufheben, sodaß kein Mensch gegen seinen freien Willen von Gott zu einer Sünde gezwungen werden kann. Jedoch kann Gott die Sünde eines Menschen verhindern, indem er entweder den Akt, den der Begriff der Sünde an erster Stelle bezeichnet, vereitelt oder die notwendige Bedingung der menschlichen Freiheit aufhebt oder die konnotierte Verpflichtung beseitigt.

3)

Die Sünde des Gottmenschen

Daß Gott weder selbst sündigen noch die Sünde eines Menschen „machen" kann, hat mit dem unendlichen Abstand zwischen Gott und seinem Geschöpf zu tun. Die Sünde gehört zum Bereich der vernünftigen Geschöpfe, keinesfalls aber zum Bereich Gottes. Gott kann also nicht sündigen. Weil Gott, obwohl er an den menschlichen Sünden mitwirkt, zugleich über sie erhaben ist, kann ihm keine Sünde eines Menschen zur Last gelegt werden. Nun kann zwar kein Mensch den unendlichen Abstand zwischen Gott und seinen Geschöpfen überwinden, doch Gott kann dies tun und hat es nach christlicher Ansicht in der Inkarnation auch getan, indem er in Jesus Christus die menschliche Natur in hypostatischer Union angenommen hat. Da aufgrund des Abstandes zwischen Gott und Mensch ausgeschlossen wurde, daß Gott sündigen oder eine Sünde „machen" kann, ergibt sich die Frage, ob die Möglichkeit einer Überwindung dieses Abstandes durch Gott auch in der Frage neue Perspektiven auftut, ob Gott sündigen könne. Kann also ein GottMensch sündigen? Dieser Fall unterscheidet sich von den vorangegangenen, weil hier die menschliche und die göttliche Natur so eng miteinander verbunden sind, daß sich von der göttlichen Natur manche Behauptung machen läßt, die im vorangegangenen Fall nur für die menschliche Natur gerechtfertigt wäre. Der dogmatische Hintergrund, vor dem Ockham seine Überlegungen präsentiert, ist die Lehre von der sogenannten Idiomenkommunikation. In den christologischen Streitigkeiten des vierten Jahrhunderts wurde im Ringen um das rechte Verhältnis zwischen der bleibenden Verschiedenheit der beiden Naturen in Christus und ihrer Einheit in einer einzigen Person die folgende Sprachregelung vereinbart: Aussagen, die sich unmittelbar nur auf die menschliche Natur Christi beziehen, dürfen wegen der Vereinigung dieser menschlichen mit der göttlichen Natur auch von der zweiten göttlichen Person getroffen werden. Umgekehrt dürfen Aussagen, die sich unmittelbar nur auf die göttliche Natur Christi beziehen, wegen der Vereinigung dieser göttlichen

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

mit der menschlichen Natur auch für letztere getroffen werden. So darf, um ein bekanntes Beispiel anzuführen, die Jungfrau Maria als Gottesmutter bezeichnet werden, obwohl sie nicht die zweite göttliche Person als solche geboren hat, sondern nur insofern deren Gottheit mit der Menschennatur Jesu vereinigt war, der von Maria geboren ist. Ockham begreift die Idiomenkommunikation als reine Sprachregelung, wie für ihn überhaupt die Sprache dem oft unlogischen und willkürlichen Gebrauch der Sprecher folgt. Daher unterscheidet er zwischen Bestimmungen, die der göttlichen Natur infolge ihrer Vereinigung mit der menschlichen Natur zukommen, und anderen, die ihr trotz dieser Vereinigung nicht zukommen. Der Grund dafür ist der unhinterfragbare Sprachgebrauch.185 Die Fähigkeit zu sündigen fällt dabei in die erste Gruppe. Wenn sich eine göttliche Person also mit einer menschlichen Natur vereinigt und diese sündigen kann, darf der Theologe die Behauptung, daß Gott sündigen könne, nicht zurückweisen. Nun liegt der Fall Jesu Christi nicht ganz so, wie es dieser grundsätzlichen Feststellung entspräche. Von ihm bezeugt die Heilige Schrift, daß er in allem uns gleich war außer der Sünde (Hebr4,15). Dieser biblischen Vorgabe entspricht Ockham, indem er den Menschen Jesus Christus unter jene Personen rechnet, die Gott wie die Gottesmutter und die seligen Engel vor jeder Sünde bewahrt. Die Vereinigung des göttlichen Wortes mit ihm rechtfertigt also die Behauptung, daß Gott sündigen könne, nicht. Das meint Ockham auch gar nicht, wenn er aufgrund der Idiomenkommunikation zugesteht, daß Gott sündigen könne. Vielmehr spielt er das im Spätmittelalter nicht ungewöhnliche Gedankenspiel mit einer neuerlichen Inkarnation einer göttlichen Person.186 In diesem hypothetischen Fall könnte sich Gott mit einem Menschen vereinigen, der die beseligende Schau Gottes, mit der die Sünde unvereinbar ist, nicht genießt und den Gott auch sonst auf keine Weise an der Sünde hindert. Dieser Mensch könnte sündigen. Wenn sich Gott mit ihm „de potentia absoluta" in hypostatischer Union vereingte,

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Rep. III, qu. 10 (OTh VI 324,1-6): „Aliqua sunt praedicabilia de natura assumpta quae eo ipso quod dicuntur de natura assumpta, dicuntur de Deo, puta pati, mori, comedere et huiusmodi. Aliqua sunt quae eo ipso quod dicuntur de natura assumpta, negantur a Deo, puta ens finitum et limitatum, ens per participationem. Et causa istorum est quia sic homines utuntur vocabulis"; vgl. Ord., dist. 5, qu. 1 (OTh III 3 7 , 1 7 - 2 2 ) ; Quodl. I, qu. 10 (OTh IX 6 3 , 2 3 - 2 4 und 2 9 30). Berüchtigt sind in diesem Zusammenhang Ockhams Behauptung, Gott könne sich auch in einen Esel oder Stein inkarnieren; vgl. Rep. III, qu. 1 (OTh VI 33,17-34,16). Dieser Gedanke findet sich übrigens schon bei Duns Scotus; vgl. Scotus: Ord. III, dist. 2, qu. 1, n. 13 (Vives XIV 123a).

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könnte man daher unter Berufung auf die Idiomenkommunikation behaupten, daß Gott sündigen könne.187 Ockham gesteht diese Schlußfolgerung zu. Er meint, daß sie in genau diesem speziellen Sinn einer hypothetischen hypostatischen Union mit einem fehlbaren Menschen keine anderen Schwierigkeiten macht als die Ansichten, daß Gott gelitten habe, geschlagen wurde und gestorben sei, die in der kirchlichen Verkündigung für unbedenklich gehalten werden. Er gibt allerdings auch zu, daß die Behauptung einer möglichen Sünde Gottes schrecklich und schlimm klingt. Die Kommission, die in Avignon seine Lehren auf ihre Rechtgläubigkeit hin zu überprüfen hatte, war derselben Meinung.' 88 Hier macht sich Ockham seine anfangliche Berufung auf den willkürlichen Gebrauch der Sprache zunutze, indem er diese Behauptung verneint mit der pragmatischen Begründung ihres schrecklichen Klangs und des möglichen Irrtums derer, die die Eigenheiten dieses speziellen hypothetischen Falles nicht durchschauen.' 89 Ockham gesteht die Behauptungen, daß Gott sündigen könne bzw. daß er eine Sünde „machen" könne, jeweils für einen genau bestimmten Fall zu. Der Theologe darf behaupten, daß Gott sündigen könne, wenn er den hypothetischen Fall vor Augen hat, daß sich eine göttliche Person mit einem Menschen in hypostatischer Union vereinigt, der sündigen kann, sodaß diese Fähigkeit zur Sünde infolge der Idiomenkommunikation auch von Gott ausgesagt werden darf. Ferner darf man behaupten, daß Gott eine Sünde „machen" kann, wenn er als Erstursache „causa partialis" eines Aktes ist, der eine Sünde ist, weil die mitverursachende Zweitursache damit gegen ihre Pflicht verstößt 187

Rep. III, qu. 10 (OTh VI 328,18-329,8): „Aliud dubium est quia videtur quod praedicta quae dicuntur de natura assumpta non dicuntur de Deo, quia aliter sequitur quod Filius Dei posset esse filius adoptivus, posset praedestinari ad gloriam, posset dici creatura, posset incipere esse, posset peccare. Istud ultimum probatur, quia de hoc videtur magis dubium, quia Deus posset assumere naturam humanam sine actu fruitionis. Sed ipsa sic assumpta potest in omnem actum in quem potest sine unione, et potest vere mereri ex quo non est comprehensor sed viator; et sic potest mereri, ita demereri; et si natura talis potest demereri, potest peccare. Et ista praedicata conveniunt Deo per te, igitur Deus potest damnari quod videtur satis absurdum"; vgl. dazu Rep. III, qu. 10 (OTh VI 350,2-4): „Eodem modo dico quod ,Deus potest peccare'. Si assumeret naturam humanam sine aliquibus donis, et natura esset sibi derelicta, posset peccare".

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Josef Koch: Neue Aktenstücke zu dem gegen Wilhelm Ockham in Avignon geführten Prozeß. In: RthAM 8 (1936) 168-197, 185, art. 15: „Dicimus quod in auribus simplicium dictus articulus male sonat et videtur irreverentiam contra Deum continere. De veritate tarnen conclusionis sunt opiniones inter doctores".

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Rep. III, qu. 10 (OTh VI 350,4-6): „Nec est hoc magis inconveniens quam quod Christus patitur, verberatur et moritur. Quia tarnen illud abhorret audire homo et male sonat, ideo negatur"; vgl. kurz zuvor zu analogen Behauptungen Rep. III, qu. 10 (OTh VI 3 5 0 , 1 - 2 ) : „sed propter haereticos negatur, ne detur eis occasio errandi".

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare "

und dafür Strafe verdient. Daß Gott selbst sündigt schließt Ockham hingegen aus, weil sich daraus der Widerspruch ergäbe, daß Gott gegen seine Pflicht verstieße, obwohl er keinen Pflichten unterliegt. Man kann daher nicht behaupten, daß Gott, indem er nicht sündigen könne, eine Einschränkung seiner Allmacht hinnehmen müsse, die nicht durch das Kontradiktionsprinzip begründet sei. Vielmehr liegt der Grund, weshalb Gott nicht sündigen kann, im Kontradiktionsprinzip; nur ist der Widerspruch, den eine Sünde Gottes enthält, nicht so einfach zu entdecken.

IV. Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 2 Was sich aus den Erkenntnissen des vorangegangenen Kapitels für den Umfang der göttlichen Allmacht ergeben hat, wurde in der folgenden Beschreibung vorläufig zusammengefaßt: Satz 4: Gott ist allmächtig genau dann, wenn für jede widerspruchsfreie Entität X gilt: Gott ist fähig, X z a erschaffen oder zu erhalten. Die Überlegungen dieses zweiten Kapitels lassen sich nicht ohne weiteres mit dieser vorläufigen Bestimmung der Reichweite der göttlichen Macht im ersten Kapitel vereinbaren. Daher müssen die dortigen Erkenntnisse den Ergebnissen des zweitens Kapitels gegenübergestellt und durch sie verbessert werden. Eine Sünde ist eine widerspruchsfreie Entität. Also müßte sie Gott, sofern er allmächtig nach der Beschreibung von Satz 4 ist, eine Sünde „machen" können, was Ockham nur zugibt, wenn Gott als Teilursache zusammen mit einem freien Geschöpf wirkt. Die Beschreibung von Satz 4 trifft also noch nicht genau das, was sich Ockham unter Gottes Allmacht vorstellt. Die Gründe, weshalb Gott weder selbst sündigen noch die Sünde eines Menschen bewirken kann, wurden schon erörtert. Sie haben wiederum mit dem Kontradiktionsprinzip zu tun. Weil der Begriff der Sünde ein Konnotativbegriff ist, kann Gott zwar bewirken, wofür er supponiert, aber manches, was er konnotiert, kann Gott unmöglich bewirken (wobei eine logische Unmöglichkeit gemeint ist). Man kann man nun versuchen, diese Überlegung, die Ockham an einem konkreten Beispiel vorführt, zu verallgemeinern. Eine solche Lösung verlangt, daß in Erörterungen über die Reichweite der Macht Gottes nur absolute Begriffe verwendet, konnotative Begriffe aber aus solchen Überlegungen verbannt werden. Denn setzt man in die Beschreibung der Allmacht nach Satz 4 Konnotativbegriffe ein, droht die Gefahr, ohne Rücksicht auf mögliche Kon-

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 2

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notate von absoluten Begriffen auf Konnotativbegriffe zu schließen und somit eine „fallacia figurae dictionis" zu begehen, also einen Trugschluß, dessen Schlußsätze falsch sein können. Demnach ist die Beschreibung folgendermaßen zu modifizieren: Satz 5: Gott ist allmächtig genau dann, wenn für jede widerspruchsfreie Entität X, die sich mit ausschließlich absoluten Begriffen beschreiben läßt, gilt: Gott ist fähig, X m erschaffen oder zu erhalten. Mit einer solchen Beschreibung lassen sich die anfangs genannten Schwierigkeiten ausräumen, weil sie entstehen, indem eine Entität mittels eines Konnotativbegriffs beschrieben wird. Fraglich ist allerdings, ob die Beschreibung von Satz 5 nicht zu weit ist. Denn im allgemeinen wird vom Allmächtigen erwartet, daß er auch so manche Entitäten erschaffen kann, deren Beschreibungen Konnotativbegriffe enthalten. Abraham etwa erwartete von Gott einen Sohn, obwohl „Sohn" ein Konnotativbegriff ist. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß Ockham die Vorstellung von einer idealen mentalen Sprache vertritt, in der alle Konnotativbegriffe durch absolute Begriffe umschrieben sind. So kann man auch in den Beschreibungen der Entitäten, Handlungen und Sachverhalte, die vom Allmächtigen erwartet werden, versuchen, die Konnotativbegriffe durch absolute Begriffe zu ersetzen. Ockham scheint den Anspruch zu erheben, daß dies möglich ist, gibt aber fur eine solche Rückführung kein einziges Beispiel. Da sie alles andere als einleuchtend und selbstverständlich ist, zweifeln viele, ob sie sich tatsächlich durchführen läßt. Diese letzte Frage lasse ich auf sich beruhen. Ich gehe im folgenden davon aus, daß Ockham die Rückführung aller Konnotativbegriffe auf absolute Begriffe für möglich gehalten hat. Die Konnotate der Konnotativbegriffe lassen sich grob in zwei Arten einteilen. Die erste Art umfaßt solche Konnotate, die sich sprachlich durch ein Nomen beschreiben lassen, also durch ein Substantiv oder ein Adjektiv, denen (sofern sie nicht selbst Konnotativbegriffe sind und weiter analysiert werden müssen) in der Wirklichkeit eine Substanz oder eine absolute Qualität entspricht. Die zweite Art umfaßt Konnotate, deren sprachliche Beschreibung ein Verb enthält und denen in der Wirklichkeit keine Entität, sondern ein Sachverhalt entspricht. Einen Konnotativbegriff der ersten Art für die Variable X in einer Allmachtsdefinition einzusetzen, ist ungefährlich. Selbst wenn man vom Allmächtigen nicht verlangt, daß er eine Entität direkt erschaffen kann, die sich durch einen Konnotativbegriff beschreiben läßt, kann Gott erstens die Entität erschaffen, die der Begriff an erster Stelle bezeichnet, und zweitens zugleich, aber völlig unabhängig davon auch das, was er konnotiert. Damit kann der Konnotativbegriff von dem ausgesagt werden, was er an erster Stelle bedeutet.

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare"

Zum Beispiel kann Gott etwas „Ähnliches" erschaffen, obwohl „ähnlich" ein Konnotativbegriff ist, indem er etwas Weißes erschafft und zugleich etwas anderes Weißes, sodaß beide einander ähnlich sind. Und selbst wenn Ockham verbieten wollte, daß Konnotativbegriffe in seine Allmachtsdefinitionen eingesetzt werden, verringert sich der Umfang der göttlichen Macht nicht, weil Gott die an erster Stelle bezeichnete absolute Entität und die konnotierte absolute Entität unabhängig voneinander erschaffen kann. Konnotativbegriffe, die ein Nomen, aber kein Verb konnotieren, bereiten also keine Schwierigkeiten. Der Grund dafür ist in der Stellung zu suchen, die das Individuum in Ockhams Ontologie einnimmt. Nach Ockham ist jede Entität individuell. Das bedeutet, daß sie unabhängig von jeder anderen geschöpflichen Entität von Gott geschaffen und auch wieder vernichtet werden kann. Daher kann Ockham das Unmittelbarkeitsprinzip mit dem Glauben an die Allmacht Gottes begründen. Das Unmittelbarkeitsprinzip besagt, daß Gott als die Erstursache alles Absolute, das er mittels einer Zweitursache hervorbringen kann, auch allein und ohne Zweitursache hervorbringen und erhalten kann.190 Denn nur das Widerspruchsfreie kann überhaupt hervorgebracht werden; ist es aber widerspruchsfrei, kann es auch von Gott allein hervorgebracht werden. Doch nicht selten konnotiert ein Konnotativbegriff einen Sachverhalt. Dabei können Probleme auftreten, die Ockhams Ontologie bei konnotierten Nomina ausgeschlossen hat. Denn absolute Entitäten kann Gott stets unabhängig voneinander erschaffen und wieder vernichten. Aber Sätze kann er nicht immer unabhängig voneinander falsch oder wahr machen, ohne das Kontradiktionsprinzip zu verletzen. Zwar ist vom Allmächtigen zu erwarten, daß er widerspruchsfreie Sachverhalte herbeiführen kann; aber er kann nicht zur selben Zeit zwei miteinander unvereinbare Sachverhalte herbeifuhren, weil er sonst das Kontradiktionsprinzip verletzen würde. Wenn daher die Beschreibung einer Entität, einer Handlung oder eines Sachverhaltes, die für die Variable X eingesetzt werden sollen, zwei Konnotativbegriffe enthält, die miteinander unvereinbare oder einander widersprechende Sätze konnotieren, verlangt der Satz 4 mehr von Gott, als sogar ihm zuzumuten ist. Dasselbe gilt, wenn ein konnotierter Satz mit einem ausdrücklich behaupteten oder stillschweigend vorausgesetzten Satz unvereinbar ist. Solche Verwicklungen lassen sich vermeiden, wenn keine Konnotativbegriffe in die Beschreibung der Allmacht eingesetzt werden dürfen. Unter der Voraussetzung, daß Gottes Allmacht nicht nur widerspruchsfreie Entitäten er190

Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 604,13-605,20).

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 2

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schaffen und erhalten, sondern auch widerspruchsfreie Sachverhalte verwirklichen kann, bedeutet dies keine unnötige Einschränkung der Macht Gottes. Denn er kann in den meisten Fällen die Entität erschaffen, die der Begriff an erster Stelle bezeichnet, und zugleich den Sachverhalt herbeiführen, den der Begriff konnotiert. Dann kann der Konnotativbegriff von dem ausgesagt werden, was er an erster Stelle bezeichnet, selbst wenn er nicht in die Beschreibung des Elements eingehen dürfte, das in den Definitionen für die Variable X eingesetzt werden soll. Ausgeschlossen werden nur jene Fälle, die durch das Verbot der Konnotativbegriffe ausgeschlossen werden sollen, daß nämlich zwei konnotierte Sätze bzw. ein konnotierte und ein ausdrücklich oder stillschweigend vorausgesetzter Satz miteinander unvereinbar sind. Zu beachten ist, daß das eigentliche Problem nichts mit der Unterscheidung zwischen absoluten und konnotativen Begriffen zu tun hat. Entscheidend ist beispielsweise, daß Gott nicht zugleich zu etwas verpflichtet und zu nichts verpflichtet sein kann; daß der Begriff der Sünde konnotiert, daß der Sünder zu etwas verpflichtet ist, trägt nur dazu bei, daß der Widerspruch, der sich eingeschlichen hat, in der Formulierung „Gott kann sündigen" nicht ausdrücklich genannt und daher leicht übersehen wird. Deshalb bleibt die einzige Grenze der göttlichen Allmacht, die Ockham anerkennt, nach wie vor das Kontradiktionsprinzip. Der Satz 5 (genauer: ihm analoge Überlegungen, die sich statt auf die Erschaffung und Erhaltung von Entitäten auf die Durchführung von Handlungen oder auf die Verwirklichung von Sachverhalten beziehen) schließt einige Handlungen bzw. Sachverhalte aus, die der Allmächtige nach dem Satz 4 tun bzw. verwirklichen können müßte. Neben dem schon genannten Beispiel des Sündigens führt Ockham hier an, daß Gott nicht sterben kann und dennoch allmächtig ist.191 Gott kann auch nicht zwei weiße Gegenstände machen, ohne daß sie einander ähnlich sind,192 oder zwei Quantitäten, ohne daß sie einander entweder gleich oder ungleich sind.193 Gott kann keine Relation ohne ihr Subjekt machen.194 Denn „sterben", „ähnlich", „gleich", „ungleich" und „Relati191 192

193

194

Ord., dist. 42, qu. un. (OTh IV 622,5-8). Rep. II, qu. 1 (OTh V 9,10-13; vgl. 37,1-4): „Exemplum: similitudo non dicit aliud nisi duo alba vel significat unam albedinem connotando aliam. Et ex hoc sequitur quod Deus non potest facere duo alba nisi sint similia, quia similitudo est ipsa duo alba". Rep. II, qu. 2 (OTh V 4 2 , 3 - 6 ) : „ex inseperabilitate non arguitur identitas, quia aequalitas et inaequalitas sunt relationes distinctae a fundamentis, et positis duobus quantis, non potest Deus facere quin sint aequalia vel inaequalia". Rep. IV, qu. 9 (OTh VII 155,19-22): „Ad secundum potest dici quod non est simile, quia respectus necessario dicit habitudinem et ordinem ad subiectum suum, ideo non potest poni sine

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2. Kapitel: „Deus non potest peccare "

on" sind Konnotativbegriffe, die konnotieren, was sich mit anderen ausdrücklich genannten, konnotierten oder stillschweigend vorausgesetzten Sachverhalten nicht vereinbaren läßt.

subiecto, sicut potest accidens absolutum"; vgl. Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 78,25-79,26): „omnes illae formae respectivae quae non possunt fieri sine subiecto per potentiam Dei".

3. KAPITEL

„Non potest efficere Deum": Trinität und Allmacht Gottes

„Während noch das Handeln Gottes widerspruchsfrei sein muß, kann für das Sein Gottes aufgrund der von Ockham allein für diesen Fall [seil, in der Trinitätslehre] aus der Dunsschen Konzeption übernommenen distinetio formalis Widersprüchliches verifiziert werden." 1 Mit diesem Satz will der Verfasser einer neueren Monographie über Ockham anscheinend sagen, daß weder das allmächtige Handeln Gottes noch das Widerspruchsprinzip etwas mit der Trinitätslehre Ockhams zu tun haben. Ließe sich diese Ansicht halten, hätte Ockham sein Prinzip konsequent durchgehalten, daß Gottes Allmacht alles und nur das vermag, was keinen logischen Widerspruch enthält, und weitere Überlegungen wären nicht nötig. Dagegen glaube ich den Texten Ockhams die Meinung entnehmen zu müssen, daß auch innertrinitarische Hervorgänge in gewissem Sinn unter die Allmacht Gottes fallen. Daher lassen sich die Lehre von der Allmacht Gottes und von der Dreifaltigkeit seines Wesens nicht streng voneinander trennen. Darauf beziehen sich die Überlegungen des zweiten Abschnitts dieses Kapitels. Das hat jedoch Konsequenzen für den zweiten Teil der oben zitierten These. Denn wenn sich Gottes Allmacht auch auf innertrinitarische Hervorgänge beziehen läßt und Ockham die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes für widersprüchlich gehalten hat, hätte er damit sein Prinzip verletzt, daß Gott alles und nur das machen kann, was keinen Widerspruch enthält. Im Gegensatz zu den Problemen der letzten beiden Kapitel würde dieser Grundsatz jedoch nicht dadurch verletzt, daß Gott etwas (wenigstens scheinbar) Widerspruchsfreies nicht tun könnte, nämlich „inordinate" handeln oder sündigen, sondern dadurch, daß Gott einen Widerspruch verwirklicht, indem er nämlich dreifaltig 1

Volker Leppin: Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995 (FKDG 63), 241.

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

ist. Daher ist im dritten Abschnitt dieses Kapitels zu prüfen, ob Ockham die Trinitätslehre tatsächlich fur widersprüchlich gehalten hat. Diese Ansicht werde ich bestreiten. Im Vorfeld dieser Überlegungen ist Ockhams Meinung zu einem Polytheismus mehrerer allmächtiger Götter zu klären. Ich hoffe, daß manche Fragen der Ockhamschen Trinitätslehre und ihres Verhältnisses zur göttlichen Allmacht durch den Vergleich mit Fragen eines hypothetischen Polytheismus und seines Verhältnisses zur göttlichen Allmacht bei Ockham klarer werden. Indem ich innerhalb eines Kapitels über die Trinitätslehre Ockhams einen Abschnitt über den Polytheismus vorausschicke, will ich jedoch weder andeuten, daß die Dreifaltigkeitslehre ein halber oder ganzer Tritheismus wäre, noch, daß Wilhelm von Ockham eine solche Ansicht vertreten hätte.2 Dreifaltigkeit und Polytheismus sind streng voneinander zu unterscheiden. Die christliche Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes besagt, daß es einen einzigen Gott in drei Personen gibt. Die heidnische Lehre des Polytheismus (bzw. Tritheismus) besagt, daß es viele (bzw. drei) Götter gibt. Eine Vorbemerkung zum vorliegenden Kapitel scheint angebracht. Die umfangreichen Erörterungen trinitarischer Fragen, die uns von Ockham überliefert sind, stehen in einem argen Mißverhältnis zur Aufmerksamkeit, die diesem Thema in der Sekundärliteratur gewidmet wird. Die schon 1985 von Franz Courth vermißte Monographie zur Trinitätslehre Ockhams existiert bis heute nicht.3 Meine folgenden Ausführungen werden von dieser Forschungslage weder unbeeinträchtigt bleiben, noch können sie den Mangel aus eigener Kraft ersetzen. Vielmehr gehe ich an Ockhams Trinitätslehre mit der besonderen Fragestellung heran, die durch das Thema meiner Arbeit vorgegeben ist.

I.

Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus

Charakteristisch für Ockhams Position zur Frage nach der Möglichkeit einer polytheistischen Weltanschauung ist die Unterscheidung zwischen dem, was die Philosophie mittels der menschlichen Vernunft allein erkennen und (vor allem!) nicht erkennen kann, und der Erkenntnis, über die die Theologie infolge der Offenbarung verfugt. Daher beginne ich damit, die verhältnismäßig

2 3

Vgl. Ord., dist. 33, qu. un. (OTh IV 4 1 7 , 1 8 - 4 1 8 , 7 ) . Franz Courth: Trinität in der Scholastik. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1985 (HDG II, Faszikel lb), 146, Anm. 49.

Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus

149

geringen Möglichkeiten philosophischer Einsicht zu bestimmen, die Ockham der auf sich allein gestellten Vernunft zugesteht, und komme dann zur den tieferen Einsichten, die er der Offenbarung entnimmt.

1)

Die Reichweite philosophischer Überlegungen zum Polytheismus

Da Ockham sich als christlicher Theologe auf den Monotheismus festgelegt hat, betrachtet er die Ansicht von der Existenz mehrerer Götter vor allem hinsichtlich der Frage, ob diese sich mit der Vernunft allein widerlegen lasse. Seine diesbezüglichen Ansichten sollen zunächst allgemein dargestellt werden. Danach gehe ich (mit Rücksicht auf den Gesamtduktus dieser Arbeit) genauer auf das Argument von Duns Scotus, wonach es aus rein logischen Gründen nicht zwei allmächtige Personen geben kann, und auf Ockhams Kritik daran ein. a)

Der Polytheismus läßt sich mit der natürlichen Vernunft weder widerlegen noch beweisen

Für die größten Denker des Mittelalters lassen sich manche Aussagen über Gott nicht nur durch die Offenbarung und die Theologie gewinnen, sondern auch durch die Vernunft allein, d. h. durch die Philosophie. Daneben erkennen sie jedoch meistens an, daß es Glaubensinhalte gibt, die den Menschen nur durch die Offenbarung bekannt sind und sich durch die Vernunft allein nicht erfassen lassen. Nach der Ansicht des Johannes Duns Scotus, der in dieser Frage wie in so vielen anderen den Hauptgesprächspartner für Wilhelm von Ockham abgibt, kann ein Mensch zum Beispiel mit der Vernunft allein einsehen, daß Gott existiert und daß es nur einen einzigen Gott gibt.4 Das Glaubensgeheimnis der Dreieinigkeit ist der menschlichen Vernunft hingegen unzugänglich. 5 Wilhelm von Ockham folgt Duns Scotus in der Ansicht, daß die menschliche Vernunft, auf sich allein gestellt, die Existenz Gottes erkennen kann.6 Er folgt Scotus auch in der Lehre, daß die Trinität ein Glaubensgeheimnis darstellt, das der menschlichen Vernunft verborgen bleiben muß, wenn ihr nicht

4 5

6

Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 1 - 3 (Vat. II 125-243); Scotus: Tract, (ed. Kluxen). Scotus: Ord. I, dist. 1, pars 1, qu. 2, n. 58 (Vat. II 42,14-43,9); Scotus: Lect., Prol., pars 1, qu. un., n. 22 (Vat. XVI 8,22-23): „Nullus enim effectus sensibilis probat Trinitatem, quia probare per simile est causa erroris, cum sit maior diversitas". Ord., dist. 2, qu. 10 (OTh II 354,16-356,12).

150

3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

die göttliche Offenbarung zu Hilfe kommt.7 Anscheinend folgte er ihm in der ersten Fassung seiner „Ordinatio" auch noch zögernd in der Ansicht, daß die bloße menschliche Vernunft einsehen könne, daß es nur einen einzigen Gott gibt.8 Doch ein späterer Einschub erklärt die Begründung für ein bloßes Wahrscheinlichkeitsargument, keinen streng wissenschaftlichen Beweis.9 Spätestens im ersten Quodlibet widerspricht Ockham der Meinung von Duns Scotus und hält einen Beweis der Einzigkeit Gottes mit der menschlichen Vernunft für unmöglich.10 Der Polytheismus ist durch die Vernunft allein nicht zu widerlegen. Dies belegt Ockham durch ein subtiles Wechselspiel mit zwei ähnlichen begrifflichen Beschreibungen Gottes, die jedoch in einem entscheidenden Punkt unterschiedliche Implikationen haben. Unter Gott kann man nämlich einerseits ein Wesen verstehen, das besser und vollkommener ist als jedes andere Wesen." Dies ist eine theologische Beschreibung Gottes. Andererseits kann man unter Gott ein Wesen verstehen, im Vergleich zu dem kein anderes besser oder vollkommener ist.12 Dies ist eine philosophische Beschreibung Gottes. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Beschreibungen Gottes besteht darin, daß der philosophische Gottesbegriff die Möglichkeit von mehreren gleich vollkommenen höchsten Wesen zuläßt, während der theologische Gottesbegriff sie ausschließt. Setzt man die theologische Beschreibung Gottes voraus, wonach dieser ein Wesen ist, das besser und vollkommener ist als jedes andere Wesen, dann läßt sich nicht beweisen, daß solch ein Wesen existiert. Wenn es sich allerdings beweisen ließe, daß ein solches Wesen existiert, ließe sich auch zeigen, daß es nur ein solches Wesen gibt. Gäbe es nämlich zwei, so müßte ein jedes von ihnen besser sein als das andere und daher zugleich auch nicht besser, sondern schlechter als das andere, was ein Widerspruch ist.13 Setzt man hingegen die philosophische Beschreibung Gottes voraus, wonach dieser ein Wesen ist, im Vergleich zu dem kein anderes Wesen besser 7

8 9 10 11 12 13

S. L. III-1, cap. 4 (OPh I 371,182-184): „philosophi non cognoverunt tres personas esse in divinis, quia ad notitiam istius propositionis ,tres personae sunt in divinis' nullo modo poterant devenire"; vgl. Ord., dist. 1, qu. 5 (OTh I 464,5-7). Ord., dist. 2, qu. 10 (OTh II 356,14-357,8); vgl. Ord., Prol., qu. 8 (OTh I 217,12-13); Ord., dist. 3, qu. 2 (OTh II 413,16-414,4). Ord., dist. 2, qu. 10 (OTh II 357,8-9). Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 1-11). Zu Ockhams Entwicklung in der Frage, ob sich die Einzigkeit Gottes mit der Vernunft allein beweisen läßt, vgl. Leppin: Wahrheit, 155, Anm. 263. Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 1,17-2,19): „hoc nomen ,Deus' potest habere diversas descriptiones: una est quod Deus est aliquid nobilius et melius omni alio a se". Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 2,19-20): „alia descriptio est quod Deus est illud quo nihil est melius nec perfectius". Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 2,22-3,41).

Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus

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oder vollkommener ist, läßt sich zwar beweisen, daß (mindestens) ein solcher Gott existiert, aber nicht, daß es nur einen einzigen Gott gibt. An dieser Stelle scheint Ockham Gott so zu beweisen, daß er aus einer Stufenordnung der Vollkommenheit in der Welt auf ein höchstes Wesen schließt. Wenn es nämlich in der Welt Wesen verschiedener Vollkommenheit gibt, stellt sich eine Alternative: Entweder gibt es ein höchstes Wesen (oder mehrere gleich vollkommenen höchste Wesen!), oder es gibt zu jedem Wesen ein anderes vollkommeneres Wesen. Die zweite Variante führt jedoch zu einem unendlichen Regreß, der in einer Welt mit einer nur endlichen Zahl von Wesen auszuschließen ist. Also gibt es ein höchstes Wesen (oder mehrere gleich vollkommene höchste Wesen!), und das ist Gott.14 An anderer Stelle folgt Ockhams Gottesbeweis der Struktur der kosmologischen Beweise und geht von der Wirkursächlichkeit aus. Im Gegensatz zu anderen sieht Ockham jedoch nichts Unmögliches in einem unendlichen Regreß von zeitlich aufeinanderfolgenden Ursachen. Zum Beispiel hält er ein unendlich lange existierendes Menschengeschlecht fur möglich, in dem jeweils eine endliche Anzahl von Menschen die nächste Generation zeugt und anschließend stirbt.15 Anders verhält es sich nach Ockham mit jenem Zweig der Wirkursächlichkeit, die nicht die Entstehung der Seienden, sondern ihre Erhaltung betrifft. Denn auch die erhaltenden Ursachen bilden eine Ursachenkette, in der jedoch anders als bei den hervorbringenden Ursachen jedes Glied zugleich mit dem nächsten Glied existieren muß. Daher ist ein unendlicher Regreß ausgeschlossen, weil dann unendlich viele Ursachen zugleich existieren müßten. Daß aber eine unendliche Anzahl von Dingen zugleich existiert, enthält einen Widerspruch. Da also ein unendlicher Regreß von erhaltenden Ursachen ausgeschlossen ist, muß es (mindestens) eine erste erhaltende Ursache geben, und diese ist Gott.16 Mit dieser philosophischen Beschreibung Gottes läßt sich also ein Gottesbeweis fuhren, aber es läßt sich nicht nachweisen, daß es nur einen solchen Gott gibt.17 Ferner kann die menschliche Vernunft, auf sich allein gestellt, erkennen, daß es faktisch weder zwingende Beweise noch zwingende Widerlegungen des Monotheismus gibt. Daß sich der Monotheismus grundsätzlich 14 15

Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 3,54-59). Ord., dist. 2, qu. 10 (OTh II 355,3-9): „Cuius ratio est quia difficile vel impossibile est probare contra philosophos quod non sit processus in infinitum in causis eiusdem rationis quarum una potest esse sine alia, sicut posuerunt hominem generantem ante hominem generatum in infinitum; et difficile est probare per productionem quod unus homo non possit produci ab alio sicut a causa totali"; vgl. In Ph. V, cap. 3, § 5 (OPh V 364,59-60).

16 17

Ord., dist. 2, qu. 10 (OTh II 354,16-356,12). Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 3,43-44): „unitas Dei non potest evidenter probari accipiendo ,Deum' secundo modo".

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

nicht widerlegen und der Polytheismus grundsätzlich nicht beweisen läßt, ist für Ockham eine Glaubenswahrheit. Sie impliziert jedoch, daß auch die natürliche Vernunft keine im strengen Sinn beweiskräftigen Argumente für den Polytheismus liefern kann. Daß sich mit der Vernunft allein der Monotheismus auch nicht beweisen und der Polytheismus nicht widerlegen läßt, kann Ockham gleichfalls nur durch den faktischen Mißerfolg aller diesbezüglichen Versuche belegen. Daher stellt er in Aussicht, alle Beweise für den Monotheismus als fehlerhaft zu widerlegen.18 Beispielhaft führt er das an den sieben Argumentationen vor, mit denen Duns Scotus den Polytheismus widerlegen wollte und die Ockham seinerseits als unzureichend verwirft.19 b)

Es kann mehrere allmächtige Personen geben

Von diesen sieben Argumentationen betrifft die vierte Gottes unendliche Macht und die siebte seine Allmacht. Duns Scotus unterscheidet nämlich zwischen unendlicher Macht und Allmacht. Unendliche Macht besitzt Gott, weil er unmittelbar oder durch Zweitursachen alles vermag, was weder einen Widerspruch enthält noch notwendig ist. Allmächtig ist Gott, weil er alles vermag, was weder einen Widerspruch enthält noch notwendig ist, und zwar nach seinem Belieben auch unmittelbar. Gottes unendliche Macht läßt sich nach Scotus rein philosophisch beweisen, Gottes Allmacht hingegen ist für die natürliche Vernunft nicht erkennbar und kann nur durch die Offenbarung geglaubt werden.20 In der vierten21 Argumentation für die Einzigkeit Gottes erklärt Duns Scotus, daß keine zwei Wesen unendliche Macht besitzen können. Denn eine unendliche Macht ist die Totalursache einer jeden Wirkung. Nun kann aber keine Wirkung zwei Totalursachen besitzen. Also kann es auch keine zwei unendlichen Mächte geben und folglich, da ein jeder Gott unendliche Macht besitzen müßte, auch nicht zwei Götter,22 sondern es gilt für die göttliche Weltherrschaft das Wort Homers: „Nicht gut ist die Vielzahl der Herrschaf-

18 19 20 21 22

Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 3,44-52). Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 4,60-11,238). Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un„ n. 8 - 9 (Vat. VI 342,21-343,13). Leon Baudry: Guillaume d'Occam. Critique des preuves scotistes de l'unicite de Dieu. In: AHDL 28 (1953) 99-112, 107f. Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 3, n. 172 (Vat. VI 230,13-231,2): „Quantum ad quartam viam de potentia infinita, arguo sie: non possunt esse duae causae totales eiusdem effectus in eodem ordine causae; sed infinita potentia est causa totalis respectu cuiuscumque effectus in ratione primae causae; ergo nulla alia potest esse in ratione causae primae respectu alicuius effectus, et ita nulla alia causa, infinita in potentia".

Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus

153

ten", das schon Aristoteles auf den einen unbewegten Beweger übertragen hat.23 Dieses Argument hält Wilhelm von Ockham nicht fur überzeugend. Eine Unterscheidung zwischen unendlicher Macht und Allmacht, wie sie Scotus voraussetzt, findet sich bei Ockham nicht. In seiner Kritik geht er auch nicht darauf ein, daß sich seiner Meinung nach die Unendlichkeit der göttlichen Macht durch die menschliche Vernunft allein nicht beweisen läßt,24 während Duns Scotus sie (im Unterschied zur Allmacht) für beweisbar hält und in seinem Argument für die Einzigkeit Gottes als bewiesen voraussetzt. Die aristotelischen Argumente für die unendliche Macht des unbewegten Bewegers hält Ockham nicht für ausreichend.25 Allerdings gibt er selbst ein Argument an, das aber keinen philosophischen Beweis im strengen Sinn darstellt, sondern nur überzeugen soll.26 Daß Gott unendliche Macht besitzt, dessen ist sich Ockham also nur durch den Glauben gewiß.27 Im vorliegenden Zusammenhang sieht Ockham von einer Auseinandersetzung über die Beweisbarkeit der unendlichen Macht Gottes ab und greift das Argument des Duns Scotus mit anderen Einwänden an. Ockham trifft eine Unterscheidung im Begriff der Totalursache. Damit kann einerseits die hinreichende Ursache gemeint sein. Eine hinreichende Ursache („causa sufflciens") bringt ihre Wirkung selbst dann hervor, wenn von allem anderen abgesehen wird.28 Andererseits kann mit der Totalursache die genaue Ursache („causa praecisa") gemeint sein. Eine genaue Ursache bringt ihre Wirkung selbst dann hervor, wenn von allem anderen abgesehen wird (darin der hinreichenden Ursache gleich), und ohne sie kann eine solche Wirkung nicht hervorgebracht werden. 29

23

Scotus: Tract. IV, concl. 11, n. 97 (ed. Kluxen, 130): „Tertia propositio sie probatur de potentia infinita: Si essent duae potentiae infinitae, utraque esset prima respectu eorundem, quia dependentia essentialis est ad naturam et aeque ad quodlibet in natura. Ad duo prima non possunt eadem dependere - ex sextadeeima tertii. N o n bona ergo pluralitas prineipatuum, quia aut impossibilis aut uterque prineeps erit diminutus et partialiter prineipans; et tunc est quaerere virtute cuius unius coniunguntur in prineipiando"; vgl. Aristoteles: Metaphysik XII 10 (1076a 4); Homer: Ilias II 204 (trans. Voß, 37).

24 25 26 27 28

Quodl. II, qu. 2 (OTh IX 112-117). Quodl. VII, qu. 17 (OTh IX 7 6 6 - 7 7 4 ) . Quodl. VII, qu. 18 (OTh IX 774,14-775,18). Quodl. VII, qu. 18 (OTh IX 7 7 4 , 1 1 - 1 4 ) unter Verweis auf Ps 145 (144),3. Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 8,171-174): „Ad aliud de quarta via dico quod causa totalis dupliciter describitur: uno modo dicitur causa totalis illud quo posito, omni alio circumscripto, potest effectus sufficienter produci; et isto modo, causa totalis dicitur causa sufficiens".

29

Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 8,174-177): „alio modo dicitur causa totalis illud quod potest aliquem effectum sufficienter producere, et sine quo non potest talis effectus produci; et sie causa totalis et causa praecisa sunt idem".

154

3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

Versteht man die Totalursache als hinreichende Ursache, kann dieselbe Wirkung zwei Totalursachen (d. h. zwei hinreichende Ursachen) besitzen.30 Somit schlägt das Scotische Argument fehl. Versteht man die Totalursache hingegen als genaue Ursache, kann dieselbe Wirkung nicht zwei verschiedene Totalursachen (d. h. zwei verschiedene genaue Ursachen) besitzen.31 Dennoch gelingt der Beweis des Scotus auch in diesem Fall nicht, denn es läßt sich nicht beweisen, daß etwas in dem Sinn die Totalursache einer Wirkung ist, daß es ohne eben diese Ursache nicht hervorgebracht werden könnte.32 Die siebte33 in der Reihe der Argumentationen, mit denen Johannes Duns Scotus beweisen wollte, daß es nur einen Gott gibt, geht von der göttlichen Eigenschaft der Allmacht aus und ist daher im Kontext dieser Studie von besonderem Interesse. Im Anschluß an Richard von St. Viktor34 behauptet dieses Argument des Duns Scotus, daß es höchstens einen Allmächtigen geben kann. Duns Scotus und Ockham sind sich beide bewußt, daß diese Argumentation zugunsten des Monotheismus nicht streng auf der Vernunft beruht, weil sie von der Annahme ausgeht, daß Gott allmächtig ist.35 Dies ist jedoch nach Scotus ebenso wie nach Ockham ein Glaubenssatz, der sich nicht beweisen läßt.36 Die ganze Argumentation steht also unter der Voraussetzung einer nicht im strengen Sinn gewußten, sondern nur im Glauben angenommenen Prämisse.37 Unter dieser Voraussetzung möchte Scotus den Monotheismus begründen, indem er mit der Vernunft allein beweist: Wenn Gott allmächtig ist, dann 30

31 32 33 34 35

36 37

Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 9,178-181): „Primo modo loquendo, dico quod idem effectus numero potest simul habere duas causas totales, sicut idem calor numero potest simul produci a sole et ab igne, et a duobus ignibus. Et concede quod α et b possunt esse causae totales unius effectus". Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 9,182-183): „Secundo modo, contradictio est quod idem effectus numero habeat duas causas totales". Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 9,183-184): „nec potest demonstrari quod a vel b sit causa totalis, isto modo loquendo". Vgl. Baudry: Critique, 109f; Marilyn McCord Adams: William Ockham. Vol. I. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame Press 1987 (PMS 26), 1208-1218. Richard von St. Viktor: De Trinitate I, cap. 25 (ed. Ribaillier 105,1-106,16). Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 3, n. 178 (Vat. II 234,3-7): „De septima via, scilicet omnipotentia, videtur quod non sit per rationem naturalem demonstrable, quia omnipotentia - ut alias patebit - non potest concludi ratione naturali ut catholici intelligunt omnipotentiam, nec concluditur ex ratione infinitae potentiae"; vgl. Scotus: Rep. I A, dist. 2, qu. 4, n. 102 (ed. WolterAdams, 316); Ockham: Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 11,230-231): „Ad ultimum, de septima via, dico quod non potest demonstrari quod Deus sit omnipotens, sed sola fide tenetur". Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un. (Vat. VI 341-349); Ockham: Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 104,25105,21). Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 3, n. 179 (Vat. II 234,8): „Tarnen ex omnipotentia credita arguitur sie propositum".

Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus

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kann es nicht zwei Götter geben. Es kann nicht zwei allmächtige Wesen geben; denn wenn es sie gäbe, könnte jeder von beiden nach dem Belieben des eigenen Willens unfehlbar alles hervorbringen, was möglich (d. h. weder unmöglich noch notwendig) ist, aber auch alles, was möglich ist, verhindern und zerstören. Jedes allmächtige Wesen will aber, was es will, frei und kontingent. Also kann das eine allmächtige Wesen etwas hervorbringen, was das andere verhindern will. Da ein allmächtiges Wesen alles Widerspruchsfreie hervorbringt, das es will, wird das erste allmächtige Wesen seinen Willen durchsetzen. Dann geht aber der Wille des zweiten Wesens nicht in Erfüllung. Da nur deijenige allmächtig ist, der nicht nur hervorbringen kann, was er will, sondern es auch nach Belieben verhindern kann, und da daher jemand, gegen dessen Willen etwas entsteht, das er verhindern will, nicht allmächtig genannt werden kann, ist das zweite Wesen - entgegen der Beweisannahme - nicht allmächtig. Daher kann es nach Scotus nicht zwei allmächtige Wesen geben, und unter der Voraussetzung (die aus dem Glauben stammt), daß ein jeder Gott allmächtig ist, kann es nicht zwei Götter geben.38 Scotus verteidigt seine Argumentation noch gegen den Einwand, daß zwei allmächtige Wesen ohne jede Notwendigkeit stets in ihrem Willen übereinstimmen, also gleichsam durch einen Pakt.39 Doch Ockham geht darüber hinweg und richtet seine Kritik ausschließlich gegen das Hauptargument. Duns Scotus setzt voraus, was er an anderer Stelle schon bewiesen zu haben glaubt, daß sich nämlich mit der Vernunft allein beweisen läßt, daß Gott der Welt gegenüber frei und kontingent handelt.40 Nach Ockham liegt die entscheidende Schwäche der Scotischen Argumentation in eben dieser Voraussetzung. Das Problem besteht nach Ockham nicht darin, daß sie faktisch falsch ist. Ockham will keinen Determinismus lehren, sondern betont im Gegenteil die Freiheit des allmächtigen Gottes stark. Das Problem mit der Vor38

Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 3, n. 180 (Vat. II 235,1-10): „sicut omnipotens per suum velle potest producere quodcumque possibile, ita suo nolle potest impedire vel destruere omne possibile; sed si a est omnipotens, potest velle omnia alia a se esse, et ita suo velle ipsa in esse producere. Non necesse est autem quod b velit omnia ilia esse quae vult a, quia voluntas b contingenter se habet ad ilia, sicut voluntas a ad ilia quae b vult, si est Deus. Si autem b nolit ilia esse, ergo nullum illorum est. Ergo si sint duo omnipotentes, uterque illorum faceret alium nullipotentem, non destruendo ilium, sed prohibendo per suum nolle esse volitorum ab alio".

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Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 3, n. 181 (Vat. II 235,11-236,7); Scotus: Rep. I A, dist. 2, qu. 4, n. 102 (ed. Wolter-Adams, 316). Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 1-2, n. 79-80 (Vat. II 176,16-177,4): „Item, aliquid causatur contingenter; ergo prima causa contingenter causat, ergo volens causat. Probatio primae consequentiae: quaelibet causa secunda causat in quantum movetur a prima; ergo si prima necessario movet, quaelibet alia necessario movetur et quidlibet necessario causatur; igitur si aliqua causa secunda contingenter movet, et prima contingenter movebit, quia non causat causa secunda nisi in virtute primae causae in quantum movetur ab ipsa".

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

aussetzung, die Scotus macht, besteht vielmehr darin, daß auch sie sich nicht mit der menschlichen Vernunft allein beweisen läßt.41 Da es Scotus aber darum geht, die Einzigkeit Gottes mit der natürlichen Vernunft zu beweisen,42 schlägt seine Argumentation fehl. Wenn es zwei allmächtige Wesen gibt, könnte nämlich der Wille des einen sich „naturaliter", d. h. notwendigerweise (und eben nicht frei und kontingent) dem Willen des anderen angleichen. Unter dieser Voraussetzung ist es ausgeschlossen, daß ein allmächtiges Wesen das andere machtlos macht, indem es etwas hervorbringt, was das andere verhindern will.43 Ockham unterscheidet zwischen absoluter und bedingter Notwendigkeit. Absolut notwendig ist, wessen Gegensatz einen Widerspruch enthält. Bedingt notwendig ist ein Bedingungsgefuge, das notwendig ist, in dem aber sowohl der Vordersatz als auch der Schlußsatz kontingent ist.44 Daß sich das hypothetische zweite allmächtige Wesen dem Willen seines Gefährten in der Allmacht angleicht, ist absolut notwendig, weil dessen Gegenteil eben jenen Widerspruch enthält, auf den Scotus (nach Ockham voreilig) sein Argument aufgebaut hat. Daß das hypothetische zweite allmächtige Wesen will, was es faktisch will, ist nur bedingt notwendig, weil es von den kontingenten Willensentscheidungen des ersten allmächtigen Wesens abhängt. Daher kann auch das zweite allmächtige Wesen zwar bedingt notwendig, aber absolut kontingent handeln. Bemerkenswert ist, daß sich iur Ockham Allmacht und wenigstens bedingte Notwendigkeit nicht ausschließen. Wie aus dem folgenden Abschnitt hervorgeht, lassen sich für ihn sogar Allmacht und absolute Notwendigkeit miteinander vereinbaren. 41

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Ord., dist. 43, qu. 1 (OTh IV 363,10-12 und 15-16): „Ideo quantum ad istum articulum dico quod non potest ratione naturali probari quod Deus est causa rerum contingenter agens. (...) Circa secundum articulum dico quod tenendum est quod Deus est causa contingenter agens". Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 3, n. 165 (Vat. II 226,5-10): „Videtur tarnen quod illa unitas posset naturali ratione ostendi, et hoc sumendo viam (...) septimo ex ratione omnipotentiae". Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 11,232-237): „potest dici quod voluntas unius est naturaliter ita conformis alteri et concors, quod naturaliter, quidquid unus vult, alius vult necessario. Et ideo si a vult aliquid esse, b non potest nolle illud esse, vel velle illud non esse, quia non potest demonstrari quod b vult illud libere et contingenter et indifferenter. Et ideo non sequitur quod a potest facere b nullipotentem". Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,13-24): „Circa primum dico quod duplex est necessitas: scilicet absoluta et ex suppositione. Necessitas absoluta est quando aliquid est simpliciter necessarium, ita quod eius oppositum esse verum includit contradictionem. Et sie haec est absolute necessaria ,homo est risibilis', ,Deus est' et huiusmodi, quia contradictio et [sie!] quod haec sint falsa et eorum opposita sint vera. Necessitas ex suppositione est quando aliqua conditionalis est necessaria, quamvis tarn antecedens quam consequens sit contingens. Sicut haec est necessaria ,si Petrus est praedestinatus Petrus salvabitur', et tarnen tarn antecedens quam consequens est contingens. Vel quando aliqua talis consequentia est necessaria, tunc dicitur necessitas ex suppositione".

Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus 2)

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Die theologische Beurteilung des Polytheismus

Nach Ockham kann die Philosophie nicht beweisen, daß es nur einen Gott und nur eine allmächtige Person gibt. Doch denkt Ockham nicht daran, die Frage offen zu lassen und die Möglichkeit des Polytheismus zuzugestehen. Vielmehr greift er als Theologe auf die Offenbarung zurück, von der er eine klare Antwort erhält. Diese Antwort soll zunächst dargestellt werden. Anschließend möchte ich auf Ockhams Antwort auf ein mögliches „de potentia absoluta"Argument eingehen: Kann Gott (wenigstens „de potentia absoluta") einen zweiten Gott machen? a)

Der Polytheismus ist falsch und widersprüchlich

Da Ockham sich als Theologe, nicht ausschließlich als Philosoph versteht, stützt er sich in seinen Überlegungen zum Polytheismus nicht auf die menschliche Vernunft allein, sondern auch auf die christliche Offenbarung. Die Antwort der Theologie zieht in den Augen Ockhams gegenüber den Aussagen der Philosophie vor, wie er öfters Lehren der Theologie zusammen mit der Wahrheit der Ansicht des Philosophen gegenüberstellt.45 Die Antwort des Glaubens, die sich in den Glaubensbekenntnissen niedergeschlagen hat, lautet: Es gibt nur einen einzigen Gott. Aus diesem Grund müssen jede Widerlegung des Monotheismus und jeder Beweis für den Polytheismus fehlschlagen, denn beweisen lassen sich nur wahre Sachverhalte und widerlegen lassen sich nur falsche Sachverhalte.46 Daß es nur einen Gott gibt, ist eine Glaubenswahrheit. 47 Nach Ockham lassen sich Glaubenswahrheiten von den Menschen nicht beweisen, solange sie auf Erden leben.48 Hingegen kann der Selige, der Gott schaut, auch die Glaubenswahrheiten beweisen, die er zuvor in seinem Erdendasein als unbeweis45

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In El. II, cap. 7, § 15 (OPh III 217,30-218,33): „Et forte numquam est instantia, secundum intentionem Aristotelis; quamvis secundum theologos et rei veritatem sit instantia in divinis"; In Ph. IV, cap. 17, § 10 (OPh V 179,23-26): „ista quantitas maior et minor non distinguuntur realiter a substantia secundum intentionem Philosophi, quidquid sit dicendum secundum veritatem theologiae"; Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 9 5 , 9 - 1 1 ) ; In Per. I, cap. 6, § 15 (OPh II 4 2 1 , 1 0 - 4 2 2 , 1 6 ) ; S. L. I, cap. 22 (OPh I 73,66-70); S. L. III-1, cap. 4 (OPh I 370,146-152); S. L. III-3, cap. 32 (OPh 1 7 1 0 , 5 1 - 5 4 ) . Der Beweis ist ein Syllogismus, der wissen macht; vgl. Ord., Prol., qu. 5 (OTh I 174,6-7): „Ita omnes per demonstrationem intelligunt syllogismum facientem scire". Wissen gibt es aber nur vom Wahren; vgl. In Ph., Prol., § 2 (OPh IV 5,29): „scientia uno modo est certa cognitio rei veri". Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 1,11): „quod tantum sit unus Deus est articulus fidei". Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 117,11-12): „non possunt demonstrari [seil, articuli fidei] a viatore, quia nec demonstratione quia nec propter quid".

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3. Kapitel „Nonpotest efficere Deum "

bar nur geglaubt hat.49 Daß es nur einen Gott gibt, läßt sich also in unserem Erdendasein nicht beweisen, wie es sich auch nicht widerlegen läßt. Daß der Monotheismus fur uns unbeweisbar ist, kann selbst wiederum vom Menschen nur im Glauben angenommen werden. Für die Unbeweisbarkeit spricht zwar das faktische Mißlingen aller philosophischen Beweisversuche, aber ein philosophischer Beweis läßt sich für die Unbeweisbarkeit des Monotheismus und die Unwiderlegbarkeit des Polytheismus nicht führen.50 Daß sich der Polytheismus nicht widerlegen läßt, bedeutet jedoch nicht, daß seine Ansicht über die göttliche Wirklichkeit möglich wäre. Vielmehr ist es notwendig, daß nur ein Gott existiert, und unmöglich, daß es mehr als einen Gott gibt.51 „Notwendigkeit" ist hier im strengen Sinn zu verstehen, sodaß das Gegenteil des Notwendigen einen Widerspruch enthält. „Unmöglichkeit" ist dementsprechend als Widersprüchlichkeit zu verstehen. Zu bestreiten, daß es nur einen Gott gibt, hieße, sich in einen Widerspruch zu verwickeln.52 Es gibt nach Ockham also Ansichten, in denen ein Widerspruch verborgen ist, deren Widersprüchlichkeit sich aber auf keine Weise mit der menschlichen Vernunft allein aufdecken läßt. Die Widersprüchlichkeit des Polytheismus ist dafür ein Beispiel. Ebenso gibt es notwendige Sachverhalte, deren Notwendigkeit aber für unsere Vernunft unerkennbar ist. Als Beispiel dafür dient die Notwendigkeit des Monotheismus.53 b)

Gott kann keinen Gott machen

Man könnte nun versuchen, wenigstens die Möglichkeit des Polytheismus mit einem „de potentia absoluta"-Argument zu verfechten. Denn der allmächtige Gott kann alles machen, was keinen Widerspruch enthält. Der Gottesbegriff enthält aber keinen Widerspruch.54 Also kann Gott einen anderen Gott machen. Der Schlußsatz einer solchen Argumentation ist, wie Ockham zutreffend erkannt hat, problematisch. Doch löst Ockham dieses Problem nicht, wie gelegentlich zu lesen ist, indem er Gottes Allmacht auf das Kontingente be49

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Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 118,14-20). Vgl. Martin Lenz: Himmlische Sätze: Die Beweisbarkeit von Glaubenssätzen nach Wilhelm von Ockham. In: Bochumer Philosophisches Jahrbuch fur Antike und Mittelalter 3 (1998) 99-120. Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 3,43-52). In Ph. I, cap. 4, § 5 (OPh IV 56,85-86): „non sunt plures dii nec esse possunt". Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 119,44—45): „oppositum istius articuli [seil. ,Deus est trinus et unus'] includit contradictionem". Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 119,44-54). Ob Ockham dieser Prämisse zustimmen kann, muß erst noch untersucht werden. Ich nehme hier also das Ergebnis der noch ausstehenden Untersuchung vorweg.

Zum Vergleich: Die Allmacht Gottes und der Polytheismus

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schränkt,55 sodaß ein notwendigerweise existierender Gott von ihr ausgenommen wäre. Vielmehr erhebt er keine grundsätzlichen Einwände dagegen, daß sich die göttliche Allmacht auch auf das Notwendige erstreckt. Das Problem eines „de potentia absoluta"-Arguments für die Möglichkeit des Polytheismus besteht nach Ockham vielmehr in zwei Punkten. Erstens läßt es sich nicht gut mit dem vereinbaren, was Ockham über den Polytheismus sagt. Denn wenngleich der „Venerabiiis Inceptor" es für unmöglich erklärt, philosophisch die Ansicht zu widerlegen, daß es zwei (oder mehr) Götter gibt, hält er sie doch aufgrund der Offenbarung für falsch, unmöglich und widersprüchlich. Würde Gott jedoch einen anderen Gott machen, ließe sich das wohl nur so verstehen, daß danach zwei Götter existierten. Denn die Variante, nach der Gott einen anderen Gott macht und im selben Augenblick zu existieren aufhört (oder wenigstens aufhört, Gott zu sein), läßt sich aufgrund der Notwendigkeit und Unveränderlichkeit Gottes ausschließen. Wenn Gott also einen anderen Gott macht, kann er bewirken, daß zwei Götter existieren, d. h. er könnte die Verwirklichung eines Widerspruchs herbeiführen. Freilich läßt sich dieser Widerspruch nicht durch die Vernunft, sondern nur durch die Offenbarung entdecken. Schon durch die Vernunft allein entdecken läßt sich hingegen der zweite problematische Punkt in der Ansicht, Gott könne einen anderen Gott machen. Denn das Ergebnis einer solchen Tat wäre ein „gemachter Gott". Doch von einem Gott zu behaupten, er wäre gemacht, ist falsch. 56 Damit wäre nämlich implizit behauptet, daß ein Gott von einem anderen Gott abhängig wäre. Doch abhängig kann nur ein Geschöpf sein; Gott aber widerspricht jede Abhängigkeit.57 Daher würde Gott, wenn er einen anderen Gott machte, einen zweiten Widerspruch verwirklichen. Würde Ockham diese beiden Widersprüche als möglich zugeben, müßte er einräumen, daß Gott zwar direkt nichts Widersprüchliches machen, aber wenigstens indirekt durch sein Tun Widersprüche verwirklichen kann. Der Gott, den Gott hypothetisch macht, ist zwar selbst widerspruchsfrei, doch daß er zusammen mit dem ersten Gott existiert, ist ebenso widersprüchlich wie der Umstand, daß er ein gemachter Gott ist. Das Problem entsteht also daraus, daß Ockhams Bestimmung des Bereichs, über den sich die göttliche Allmacht erstreckt, bislang nicht genau angibt, ob sie nur das in sich Widersprüchliche 55

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Adams: Ockham, 1154f; Wilhelm Vossenkuhl: Vernünftige Kontingenz. Ockhams Verständnis der Schöpfung. In: Die Gegenwart Ockhams. Hrsg. v. Wilhelm Vossenkuhl und Rolf Schönberger. Weinheim: VCH, Acta humaniora 1990, 7 7 - 9 3 , 81. Rep. III, qu. 10 (OTh VI 316,5-7): „tunc est praedicatio falsa, quia denotatur quod Deus sit factus, quod falsum est". Ord., dist. 35, qu. 2 (OTh IV 441,4): „omnis dependentia repugnat Deo".

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

ausschließt oder auch allfällige versteckte Widersprüche, die aus seiner Existenz oder Erschaffung resultieren. Diese Präzisierung holt Ockham nunmehr nach, indem er jeden Widerspruch, den versteckten und indirekten ebenso wie den offenen und direkten, ausschließt. Angesichts des Beispiels vom gemachten Gott erklärt Ockham die These, wonach der Allmächtige alles zu machen vermag, was keinen Widerspruch enthält, für zu weit und schränkt sie ein: Nicht alles vermag Gott zu machen, sondern nur alles Machbare („factibile"), das keinen Widerspruch enthält. Das wiederum konkretisiert Ockham durch die Erklärung, daß Gott alles andere als Gott machen kann, sofern es keinen Widerspruch umfaßt.58 Die Lösung, die Allmacht Gottes auf das Machbare zu beschränken und ihren Bezug auf alles Widerspruchsfreie abzulehnen, mag überraschen. Ockham selbst beruft sich mehrfach auf jenes Verständnis der Allmacht, das er hier ablehnt, daß nämlich Gott alles vermag, was keinen Widerspruch enthält.59 Andererseits bezieht Ockham die hier vorgenommene Präzisierung an anderen Stellen ein, wenn er den Umfang der göttlichen Macht bestimmt. Hier ist ein Nachtrag zu den Ausführungen über die „potentia absoluta" aus dem ersten Kapitel anzubringen. Ockham erklärt sie wörtlich nicht als die Fähigkeit Gottes, alles Widerspruchsfreie zu tun, sondern als die Fähigkeit, alles zu tun, von dem es keinen Widerspruch enthält, daß es gemacht wird, also alles, dessen Gemacht-Werden widerspruchsfrei ist.60 Damit ist aber alles ausgeschlossen, was nicht machbar ist. Dieses „fieri" in der Bestimmung der absoluten Macht Gottes bzw. seiner Allmacht, das das Gegenbeispiel vom gemachten Gott ausschließt, findet sich auch sonst gelegentlich in völlig anderen Zusammenhängen, wo ihm eigentlich keine Bedeutung zukäme, bei Ockham.61 Übrigens ist die Formulierung, daß der Allmächtige alles vermag, dessen Gemacht-Werden keinen Widerspruch enthält, glücklicher als die erste Fassung, wonach Gott alles Machbare machen kann, das keinen Widerspruch enthält. Glücklicher ist sie deshalb, weil sie klarstellt, daß auch hier das Kon58

Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 36,4-10): „Ad probationem dico quod omnipotentia, sicut modo loquimur, non respicit omne illud quod non includit contradictionem, hoc est dictu, omnipotens non potest efficere omne illud quod non includit contradictionem, quia non potest efficere Deum. Omnipotens tarnen potest efficere omne factibile quod non includit contradictionem, et omne aliud a Deo quod non includit contradictionem".

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Beispielsweise Rep. II, qu. 15 (OTh V 342,19-21): „omne quod non includit contradictionem, nec malum culpae, potest fieri a Deo solo"; S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 779,232-780,242); Tr. corp., cap. 6 (OTh X 101,45-48). Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,24-26): „Aliter accipitur ,posse' pro posse facere omne illud quod non includit contradictionem fieri" (Hervorhebung Η. Sch.). Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 604,13-17).

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Die Allmacht der drei göttlichen Personen

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tradiktionsprinzip die einzige Grenze der göttlichen Macht ist und daß ihm keine „Machbarkeit" (was immer das heißen mag) an die Seite tritt. Machbar, wie das Wort hier zu verstehen ist, ist also das, dessen Gemacht-Werden widerspruchsfrei ist. Machbar ist daher hier nicht so zu verstehen, daß es jemanden gibt, der es machen kann; in diesem Fall wäre nämlich die Bestimmung der Grenze der Allmacht als Unfähigkeit zu machen, was nicht machbar ist, zirkulär und damit wertlos.62 Damit ist ausgeschlossen, daß Gott einen Gott machen kann, weil Gott nicht machbar („factibile") ist. Ein gemachter Gott ist in sich widersprüchlich, also kann kein Gott gemacht werden, und Gott kann keinen anderen Gott machen. Auch stellt es einen Widerspruch dar, daß zwei Götter existieren. Was aber nicht ohne Widerspruch sein kann, kann auch nicht ohne Widerspruch gemacht werden. Also kann Gott keinen anderen Gott machen. Auch die absolute Macht Gottes kann die Möglichkeit des Polytheismus nicht durch die Hintertür einfuhren. Mit der natürlichen Vernunft ist der Polytheismus fur Ockham also weder beweisbar noch widerlegbar. Daß mehrere Personen zugleich allmächtig sind, schließt er nicht aus. Die christliche Offenbarung lehrt jedoch, daß es notwendigerweise nur einen Gott gibt. Der Polytheismus ist also widersprüchlich, obwohl sich seine Widersprüchlichkeit nicht mit der Vernunft allein einsehen läßt. Gott kann keinen Gott machen. Um darauf zu beharren, schränkt Ockham ein zu weites Verständnis von der göttlichen Allmacht ein.

II. Die Allmacht der drei göttlichen Personen Der Polytheismus darf mit dem Monotheismus nicht verwechselt werden, aber ein trinitarischer Monotheismus ähnelt dem Tritheismus insofern, als es beide mit drei allmächtigen göttlichen Personen zu tun haben. Daher dürfen wir die Erkenntnisse Ockhams über den Polytheismus in seinem Verhältnis zur göttlichen Allmacht mit der Rolle vergleichen, die die Allmacht in der Ockhamschen Trinitätslehre spielt. Dabei dürfen wir freilich nicht nur mit Ähnlichkeiten rechnen, sondern müssen auch auf Unterschiede gefaßt sein. Daß es etwa zwar nicht mehrere Götter, aber doch mehrere allmächtige Personen geben kann, ist entscheidend für die christliche Lehre von drei allmächtigen Personen in dem einen göttlichen Wesen. Daß der Monotheismus 62

Vgl. Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 15, art. 3 (ed. Marietti, 140b).

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3. Kapitel „Nonpotest efflcere Deum "

für die Vernunft zwar unbeweisbar, aber logisch notwendig ist, läßt nach der diesbezüglichen Stellung des Trinitätsdogmas fragen. Diese Frage bildet des Thema des sich anschließenden Unterabschnitts. Daß Gott keinen Gott machen kann, läßt die Frage aufkommen, ob eine göttlichen Person eine andere hervorbringen kann. Darum geht es im zweiten Unterabschnitt.

1)

Die erkenntnistheoretische Stellung des Trinitätsglaubens

Im theologischen Denken Ockhams nimmt das Trinitätsdogma in mancher Hinsicht die gleiche Stellung ein wie der Monotheismus und ist insofern gar nicht mit dem Polytheismus zu vergleichen. Öfters faßt Ockham sogar Trinität und Monotheismus zu einem einzigen Glaubensartikel zusammen: „Deus est unus et trinus".63 Wie der Monotheismus ist das Trinitätsdogma mit dem bloßen menschlichen Verstand in unserem Erdendasein unbeweisbar.64 Infolgedessen übersteigt es die Erkenntnismöglichkeiten der heidnischen Philosophen, denen ein solcher Glaubenssatz völlig unbekannt war.65 Den einzigen Weg zur Erkenntnis der drei Personen in dem einen göttlichen Wesen bildet die Offenbarung. Da diese Erkenntnisquelle jedoch für den Theologen Ockham vollkommen sichere und gewisse Einsichten liefert, ist der Trinitätsglaube unzweifelhaft wahr. Er stellt ferner einen notwendigen Glaubensartikel dar, insofern er nicht falsch sein kann und sein Gegensatz einen Widerspruch enthält.66 Daß sein Gegensatz widersprüchlich ist, läßt sich allerdings mit der Vernunft allein nicht erkennen. Der Satz, daß Gott dreifaltig ist, ist sogar noch verläßlicher als etwa der Satz, daß der Mensch ein Lebewesen ist. Denn letzterer ist nur wahr, solange es wenigstens einen Menschen gibt, für den Subjekt und Prädikat des Satzes stehen können. Gibt es keinen Menschen mehr, dann ist es nach Ockham weder wahr noch falsch, daß der Mensch ein Lebewesen ist. Anders verhält es sich bei der Aussage, daß Gott dreifaltig ist. Denn im Unterschied zum Menschen und zu den anderen Geschöpfen existiert Gott immer und mit Notwen-

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Beispielsweise Ord., Prol., qu. 1 (OTh I 5 , 2 - 3 ) ; Ord., Prol., qu. 12 (OTh I 335,13; 3 5 9 , 1 0 - 1 1 ) ; Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 117,3^ί; 118,24-25). Quodl. II, qu. 3; Ord., dist. 1, qu. 5 (OTh I 4 6 4 , 5 - 6 ) : „non possumus cognoscere ex puris naturalibus istam propositionem ,Deus est trinus'"; vgl. Ord., dist. 1, qu. 5 (OTh I 4 6 6 , 1 0 - 1 2 ) ; Ord., dist. 9, qu. 1 (OTh III 2 7 5 , 1 2 - 1 3 ) . S. L. III-1, cap. 4 (OPh I 3 7 1 , 1 8 2 - 1 8 4 ) : „philosophi non cognoverunt tres personas esse in divinis, quia ad notitiam istius propositionis ,tres personae sunt in divinis' nullo modo poterant devenire"; vgl. Ord., dist. 30, qu. 1 (OTh IV 2 8 3 , 8 - 1 1 ) . Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 119,44-54).

Die Allmacht der drei göttlichen Personen

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digkeit. Es kann also nicht vorkommen, daß er einmal nicht mehr existiert. Daher ist die Aussage, daß Gott dreifaltig ist, notwendig im dem Sinn, daß er immer wahr ist; der Satz, daß der Mensch ein Lebewesen ist, ist hingegen nur in der Weise notwendig, daß er niemals falsch sein kann. Die einzelnen Artikel des christlichen Glaubens lassen sich nach Ockham nicht mit der Vernunft allein einsehen, sondern nur durch die Offenbarung. Doch wenn die Offenbarung der Vernunft zu Hilfe kommt, unterscheiden sich die Glaubensartikel voneinander. Einige kann die Vernunft aus sich zwar nicht erkennen, doch wenn sie geoffenbart werden, bereiten sie der Vernunft keine ernsthaften Verständnisschwierigkeiten. Andere sind nur schwer oder gar nicht einzusehen. Für die „Weltweisen" und heidnischen Philosophen ist die Wahrheit solcher Glaubensartikel nicht bloß unentscheidbar, sondern68 diese Glaubenswahrheiten erscheinen ihnen sogar falsch und unmöglich, obwohl sie tatsächlich wahr und notwendig sind. Das gilt wenigstens für Heiden, die nicht unter Christen aufgewachsen und wie Christen erzogen sind. 69 Der Glaubensartikel, daß es nur einen Gott gibt, scheint auf keine ernsthaften Verständnisschwierigkeiten zu treffen. Im Unterschied dazu ist der Glaube daran, daß Gott dreifaltig ist, für Ockham nur sehr schwer zu verstehen und einzusehen. 70 Schwierig einzusehen ist vor allem, daß die Person des Vaters mit dem göttlichen Wesen real identisch ist und ebenso die Person des Sohnes und die Person des Heiligen Geistes, 71 daß aber der Vater, der Sohn und der 72 Heilige Geist voneinander real unterschieden sind. Der Vater ist das göttliche Wesen, und das göttliche Wesen ist der Sohn, aber der Vater ist nicht der 67 68

Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 5 9 0 , 1 6 - 1 8 ) . S. L. III-1, cap. 1 (OPh I 360,29-34): „Et sie articuli fidei nec sunt prineipia demonstrationis nec conclusiones, nec sunt probabiles, quia omnibus vel pluribus vel maxime sapientibus apparent falsi. Et hoc aeeipiendo sapientes pro sapientibus mundi et praecise innitentibus rationi naturali, quia illo modo aeeipitur .sapiens' in descriptione probabilis".

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Rep. III, qu. 9 (OTh VI 2 7 9 , 1 8 - 2 0 ) : „unus paganus nutritus inter Christianum potest omnes articulos fidei credere, et Deum super omnia diligere". Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 17,13-18); Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 78,4-7); Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 175,4-6): „ita est singulare et excedens omne intellectum quod non sequitur: essentia una numero est Filius, Pater non est Filius, igitur Pater non est essentia".

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Ord., dist. 34, qu. un. (OTh IV 421^124). Ord., dist. 3, qu. 10 (OTh II 562,4-5): „quamvis sit distinetio realis inter divinas personas". Falsch ist Gordon Leffs Behauptung, daß Ockham zwischen den göttlichen Personen einen formalen Unterschied annimmt; vgl. Gordon Leff: William of Ockham. The Metamorphosis of Scholastic Discourse. Manchester: Manchester University Press 1977, 411. In seinen publizistischen Schriften wirft Ockham Papst Johannes XXII. vor, in seiner Predigt über den Bibelvers „Gaudete in Domino semper" (Phil 4,4) am 17. Dezember 1329 den realen Unterschied zwischen den göttlichen Personen geleugnet zu haben und damit der sabellianischen Häresie verfallen zu sein. Ep. (OPol III 14,21); Comp., cap. 6 (OPol IV 6 1 , 1 2 7 - 1 2 8 ) ; Tr. loh., cap. 22 (OPol III 88,8-9).

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3. Kapitel „Nonpotest efficere Deum"

Sohn. Diesen merkwürdigen Umstand drückt Ockham aus, indem er zwischen den göttlichen Personen und dem göttlichen Wesen zwar reale Identität, zugleich aber einen formalen Unterschied behauptet. 73 Infolge dieser denkerischen Schwierigkeiten würde ein heidnischer Philosoph, der sich allein auf die Vernunft stützt und jeden Autoritätsbeweis ablehnt, die Dreifaltigkeit für unmöglich halten. 74

2)

Die Rolle der Allmacht im Trinitätsglauben

Die Frage, ob sich die Allmacht Gottes auch auf innertrinitarische Hervorgänge bezieht, setzt einen Überblick über die wichtigsten Unterschiede voraus, die nach Ockham den innertrinitarischen vom außergöttlichen Bereich trennen. Ein erster Unterschied ist eher terminologischer Natur. Während man, wenn in der Welt der Geschöpfe etwas entsteht, von „machen" („facere") oder „erschaffen" („creare") spricht, sind diese Begriffe für den Hervorgang göttlicher Personen auseinander unangemessen, weil sie beinhalten, daß, was entsteht, einmal nicht war oder wenigstens nicht sein müßte. Stattdessen spricht man beim Hervorgang des Sohnes aus dem Vater von „zeugen" („generare") und beim Hervorgang des Heiligen Geistes aus dem Vater und dem Sohn (die Ockham infolge der Erweiterung des Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses im Abendland lehrt 7 5 ) von „hauchen" („spirare"). Der Sohn ist also nach dem Glaubensbekenntnis „gezeugt, nicht geschaffen" („genitus, non factus"), und entsprechend ist der Heilige Geist gehaucht, nicht gemacht. Der gemeinsame Oberbegriff für „zeugen", „hauchen" und „machen" ist „hervorbringen" („producere"). Mit ihm lassen sich die beiden innertrinitarischen Hervorgänge zusammenfassend bezeichnen. Ebenso kann er als allgemeiner Begriff auf die ewige Entstehung von göttlichen Personen und die zeitliche Entstehung der Geschöpfe angewandt werden.

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Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 364-366). Ord., dist. 30, qu. 1 (OTh IV 283,8-11): „Sicut qui vellet praecise inniti rationi sibi possibili, et qui nollet recipere quamcumque auctoritatem, diceret quod impossibile est tres personas realiter distinctas esse unam rem simplicissimam". Ord., dist. 11, qu. 1 (OTh III 345-361, bes. 345,20-346,3 und 358,2-5): „In ista quaestione, secundum veritatem Ecclesiae determinatam, est conclusio certa, quod Spiritus Sanctus procedit a Patre et Filio, quamvis de ista conclusione inter catholicos aliquando fuit altercatio. (...) Ideo tenendo eandem veritatem cum determinatione Ecclesiae, dico - principaliter propter auctoritates Sanctorum et determinationem Ecclesiae - quod Spiritus Sanctus producitur a Patre et Filio".

Die Allmacht der drei göttlichen Personen

165

Ein zweiter Unterschied betrifft die Modalitäten, in denen sich außergöttliche und innertrinitarische Hervorgängen abspielen. „Ad extra" wirkt Gott stets kontingent. 76 Was er tut, könnte er auch unterlassen oder anders tun. Die Zeugung des Sohnes durch den Vater „ad intra" geschieht hingegen mit Notwendigkeit. 77 Ebenso wird der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn „ad in78

tra" mit Notwendigkeit gehaucht. Diese Notwendigkeit ist nicht als Zwang zu verstehen, als widerspräche sie dem Willen des Vaters. Die Hervorgänge in Gott sind auch nur dann als unfrei zu bezeichnen, wenn79der Begriff der Freiheit so bestimmt wird, daß er Kontingenz einschließt. Die Notwendigkeit von Zeugung und Hauchung sichert aber, daß es nicht von der Willkür des Vaters abhängt, ob Sohn und Heiliger Geist existieren und der dreifaltige Gott somit der ist, der er ist. Damit kommen wir auf die Frage zurück, wie sich die göttliche Allmacht zu den innertrinitarischen Hervorgängen verhält, ob sie nur das Wirken Gottes „ad extra" betrifft oder auch sein Wirken „ad intra" umfaßt, ob sie nur das betrifft, was Gott machen („facere") kann, oder auch das, was er „hervorbringen" („producere") kann, ob sie sich nur auf das Kontingente erstreckt oder auch auf das Notwendige. Zum letzten Punkt dieser Frage meinen so manche Philosophen unseres Jahrhunderts, daß es sinnlos wäre, von einer Macht Gottes über das Notwen80

dige zu sprechen. Auch Johannes Duns Scotus, dessen Lehren Ockham häufig kritisiert und noch häufiger stillschweigend übernimmt, schloß vom Bereich, auf den sich die göttliche Allmacht erstreckt, nicht nur das Widersprüchliche aus, sondern auch das aus sich Notwendige. 81 Es liegt also nahe, bei Ockham eine ähnliche Ansicht zu vermuten. 82

76 77 78 79

80

81

Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,32-33): „Quod probo, quia secundum Sanctos Deus nihil agit ad extra de necessitate". Ord., dist. 6, qu. un. (OTh III 9 6 , 9 - 1 0 ) : „Secundo modo, dico quod Pater non genuit Filium voluntate, quia non genuit Filium contingenter". Ord., dist. 10, qu. 2 (OTh III 340,19-21): „Manifestum est enim quod omnes concedunt quod Spiritus Sanctus producitur necessario". Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 345,9-10): „ita necessario producitur Spiritus Sanctus sicut Filius"; Ord., dist. 10, qu. 2 (OTh III 341,6-10): „Si autem intelligatur quod .liberum' sit idem quod ,contingens' vel .indifferens', sicut mihi videtur esse de intentione auctorum, sie dico quod si voluntas aliquid velit necessario, non vult illud libere. Et ideo sie Spiritus Sanctus non producitur libere, sicut nec contingenter". Beispielsweise Richard Swinburne: The Coherence of Theism. Oxford: Clarendon Press 1977 (Clarendon library of logic and philosophy), 152; Franz von Kutschera: Vernunft und Glaube. Berlin-New York: de Gruyter 1990, 44, Anm. 6. Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 9 (Vat. IV 3 4 3 , 7 - 1 1 ) : „Alio modo ,omnipotens' accipitur proprie theologice, prout omnipotens dicitur qui potest in omnem effectum et quodcumque possibile (hoc est in quodcumque quod non est ex se necessarium nec includit contradictionem), ita

166

3. Kapitel „Nonpotest efficere Deum"

Tatsächlich geht Ockham einen anderen Weg. Er erklärt die ganze Frage, ob sich die göttliche Allmacht nur auf den geschöpflichen oder auch auf den innertrinitarischen Bereich erstrecke, zu einer „difficultas verbalis", zu einem 83

Streit um bloße Worte, der sich durch die Unterscheidung zweier verschiedener Begriffe von Allmacht lösen lasse. Das klingt für unsere Ohren stark nach Pragmatismus; aber was wir heute noch von den damaligen theologischen Diskussionen zu verwandten Fragen erahnen können, weist darauf hin, daß Ockham hier eine beinahe theatralische Souveränität in theologischen Streitfragen zur Schau trägt, indem er ein gerade damals höchst umstrittenes Problem leichthin für einen bloßen Streit um Worte erklärt. Im Jahre 1314, also nur kurze Zeit, bevor Ockham seine Sentenzenvorlesung hielt (1317— 1319), verurteilten die Professoren in Oxford acht Sätze, unter ihnen einen, der Ockhams Ausführungen zum Thema so verblüffend ähnlich ist, daß diese angebliche Häresie in den Augen Ockhams wohl gleichfalls als bloße „difficultas verbalis" zählt.84 Duns Scotus, für den das aus sich Notwendige nicht in den Wirkbereich der Allmacht fallt, hat Ockhams Lösung in gewisser Weise schon vorgebaut, indem er in der zwanzigsten Distinktion seiner „Ordinatio" zum ersten Buch der Sentenzen daneben einen uneigentlichen Begriff der Allmacht zugelassen hat, nach dem diese sich auch auf Notwendiges und vor allem auf innertrinitarische Vorgänge erstreckt.85 Ockham übernimmt von Scotus den Grundgedanken, gibt jedoch die Wertung der beiden Allmachtsbegriffe als eigentlich und uneigentlich auf und stellt sie zunächst als im Prinzip gleichberechtigt nebeneinander. - inquam - immediate quod sine cooperatione cuiuscumque alterius causae agentis" [Hervorhebung Η. Sch.]. 82 So Adams: Ockham, 1154f. 83 Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 28,16): „magis est difficultas vocalis quam realis". 84 Girard J. Etzkorn: Codex Merton 284: Evidence of Ockham's Early Influence in Oxford. In: From Ockham to Wyclif. Hrsg. v. Anne Hudson und Michael Wilks. Oxford: Blackwell 1987 (SCH(L).S 5), 31-42, 32f: „Articuli subscripti fuerunt reprobati tamquam erronei a M. theologie Oxonie anno domini 1314: (...) 3. quod etsi Filius nullam creaturam produceret vel produxisset vel producere potuisset, cum Pater omnem creaturam creabilem in priori originis Verbo non producta produceret, Filius nihilominus esset omnipotens quia haberet eandem vim et potentiam cum Patre sicut Spiritus Sanctus est omnipotens quamvis non possit producere Filium sicut Pater potest, quia non obstante hoc, tamen haberet eandem vim et eandem potentiam cum Patre". 85 Scotus: Ord. I, dist. 20, qu. un., n. 31 (Vat. V 316,4-13): „Sed tunc restat dubitatio quomodo potentia generandi dicatur ,potentia\ cum non sit respectu alicuius possibilis secundum praedicta. Respondeo. Possibile potest sumi adhuc magis extendendo quam ut opponitur necessario ex se, dicendo illud esse possibile quod opponitur necessario a se, - et hoc modo omne originatum esset possibile, sed nec sic videntur sancti communiter loqui nec philosophi. Et hoc modo posset concedi Filium esse possibilem, quia originatum, et ita potentiam correspondentem activam huic termino esse .potentiam'".

Die Α Ilmacht der drei göttlichen Personen

167

Wir müssen bei Ockham also zwei verschiedene Allmachtsbegriffe unterscheiden. Nach dem ersten Allmachtsbegriff ist unter Allmacht eine „potentia productiva" zu verstehen, 86 also eine Macht, etwas hervorzubringen. Wie schon bemerkt wurde, ist der Begriff „hervorbringen" („producere") so allgemein, daß er sich sowohl auf die Schöpfung als auch auf die Zeugung bzw. Hauchung der göttlichen Personen beziehen kann. Verstanden als „potentia productiva", wirkt die Allmacht daher sowohl im innergöttlichen als auch im außergöttlichen Bereich, sowohl „ad intra" als auch „ad extra". 87 Damit bezieht sich die göttliche Allmacht, wenn ihr Begriff so gefaßt wird, nicht nur auf das Kontingente, sondern auch auf das Notwendige. In diesem Sinn kann Gott zwar, wie zuvor gezeigt wurde, keinen Gott „machen"; wohl aber kann infolge der Differenz zwischen den Begriffen „machen" und „hervorbringen" eine göttliche Person eine andere „hervorbringen". 88 Der zweite Allmachtsbegriff sieht in der Allmacht eine „potentia effectiva vel causativa", die nicht alles umfaßt, was „hervorgebracht" werden kann, sondern nur das „Machbare". Der Begriff „machen" („facere") kann aber, wie erwähnt, den Hervorgang der göttlichen Personen nicht beschreiben. Daher ist die Allmacht nach einem solchen Verständnis auf das Wirken Gottes in der 89 Welt („ad extra") beschränkt. Da die Welt kontingent und Gott allein not90

wendig ist, fällt in diesem Sinn nur das Kontingente, nicht auch das Notwendige in den Bereich der göttlichen Macht. Ockham nennt also zwei Allmachtsbegriffe. Nach dem einen gehört die Fähigkeit zur Zeugung des Sohnes und zur Hauchung des Geistes zur Allmacht, nach dem anderen nicht. An sich stehen beide Begriffe gleichberechtigt nebeneinander, weil der Gebrauch der Wörter im Belieben der Sprechenden steht.91 Dennoch läßt Ockham den ersten der beiden Allmachtsbegriffe fallen und macht sich den zweiten zu eigen. Denn wenngleich die Wörter im Belieben der Sprechenden stehen, so stehen sie doch nicht im Belieben eines jeden 86 87 88

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91

Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 28,19). Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 28,19). Daher ist es irreführend, wenn Marilyn McCord Adams den Satz „non potest efficere Deum" (Ord. I, dist. 20, qu. un. (OTh IV 36,7) mit „it cannot produce God" übersetzt (Adams: Ockham, 1155). Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 2 9 , 2 0 - 2 1 ) : „potentia effectiva vel causativa, quae est solum respectu factibilium et ad extra". Br. sum., Prol. (OPh VI 6,38-39): „sie nihil est necessarium nisi solus Deus"; S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 521,27-30): „Uno modo dicitur aliquid necessarium, perpetuum et incorruptibile quia per nullam potentiam potest ineipere vel desinere esse; et sic solus Deus est perpetuus, necessarius et incorruptibilis". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 530,12); In Pr., cap. 9, § 1 (OPh II 183,36); S. L. III-l, cap. 28 (OPh 1 4 3 2 , 5 1 - 5 2 ) : „voces sunt ad placitum".

168

3. Kapitel „Nonpotest efficere Deum "

einzelnen, sondern der Theologe muß sich sowohl in den Inhalten als auch in 92

seiner Wortwahl den Vorgaben der theologischen Autoritäten fugen. Die Kirchenväter und vor allem Augustinus, dessen antiarianische Schrift „Contra Maximinum" in diesem Zusammenhang mehrfach zitiert wird, verwenden aber den zweiten Allmachtsbegriff und verwerfen den ersten. Daher erklärt auch Ockham nur den zweiten Allmachtsbegriff als für die Theologie maßgeblich.93 Dabei ist sich Ockham allerdings bewußt, daß die Kirchenväter mit ihrer 94 Sprachregelung nur zeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen haben. Augustinus, auf den sich Ockham hier hauptsächlich stützt, entschied sich für seinen Allmachtsbegriff in der Auseinandersetzung mit dem arianischen Bischof Maximinus (360/65 - Mitte 5. Jhdt.), der Gott Vater für mächtiger als 95

Jesus Christus erklärte. Im Hintergrund des Denkens Ockhams könnte auch die Verurteilung eines Satzes von Petrus Abälard stehen, der meinte, der Vater sei volle Macht, der Sohn nur eine gewisse Macht, der Heilige Geist aber gar keine Macht.96 In der Auseinandersetzung mit solchen Irrlehrern kann der erste Allmachtsbegriff zu Mißverständnissen führen. Denn wenn sich die Allmacht auch auf die innertrinitarischen Hervorgänge bezieht, sind Vater und Sohn einander an Macht nicht gleich. Der Vater kann nämlich etwas tun, was der Sohn nicht tun kann, nämlich den Sohn zeugen. Hingegen kann der Vater alles tun, was der Sohn tun kann. Daher besitzt er mehr Macht als 97 der Sohn. Entsprechendes gilt für das Verhältnis beider zum Heiligen Geist. Noch bedenklicher hört sich die weitere Folgerung Ockhams an, daß unter Voraussetzung des ersten Allmachtsbegriffs der Sohn (wie auch entsprechend der Heilige Geist) nicht allmächtig ist, denn er kann nicht alles hervorbringen, was hervorgebracht werden kann, weil er sich selbst nicht zeugen kann. Also

92 93 94

95 96 97

Ord., Prol., qu. 10 (OTh I 287,6); Ord., dist. 1, qu. 2 (OTh I 3 9 5 , 8 - 9 ) : „cum voces sint ad placitum et ideo utendum est eis sicut utuntur auctores". Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 3 0 , 2 - 6 ) . Interessantes zu Ockhams Aristotelesauslegung, nach deren Prinzipien im allgemeinen auch sein Umgang mit den Texten der Kirchenväter erfolgt, findet sich an unerwarteter Stelle, nämlich bei Rolf Schönberger: Relation als Vergleich. Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik. Leiden-New York-Köln: Brill 1994 ( S T G M A 43), 2 7 1 - 2 7 9 . Augustinus: Contra Maximinum II, cap. 12,1. (PL 42, 766): „Hoc et de potentia sapis, quod scilicet sit quidem potens et Filius, sed potentior Pater Filio". DH 721: „Quod Pater sit plena potentia, Filius quaedam potentia, Spiritus Sanctus nulla potentia". Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 28,15-29,4).

Die Allmacht der drei göttlichen Personen

169

besitzt er nicht Macht über alles, dessen Hervorgebracht-Werden widerspruchsfrei denkbar ist, und ist deshalb nicht allmächtig. 98 Nimmt man hingegen den zweiten Allmachtsbegriff, fur den nur das Wirken Gottes „ad extra" relevant ist, sind alle drei göttlichen Personen einander an Macht gleich und auch alle drei gleichermaßen allmächtig, weil jede von ihnen „ad extra" wirken kann, was auch die beiden anderen „ad extra" wirken können." Diese unterschiedlichen Implikationen der beiden Allmachtsbegriffe machen an sich noch keine Häresie aus, sondern beschreiben dieselbe Wirklichkeit nur infolge äquivoker Begriffe in jeweils anderen Formulierungen. Doch ein Nebeneinander beider Allmachtsbegriffe öffnet gefahrlichen Mißverständnissen Tür und Tor. In einer längeren Passage arbeitet Ockham heraus, daß der Arianer Maximinus Formulierungen gebrauchte, wie sie der erste Allmachtsbegriff zuläßt, dabei aber den zweiten Allmachtsbegriff verwendete und so seine häretische Lehre mit scheinbar orthodoxen Formulierungen tarnte. Die Antwort des Augustinus war daher, sich (und damit die ganze ihm folgende abendländische Tradition einschließlich Ockhams) auf den zweiten Allmachtsbegriff festzulegen. Damit schuf er erst für die Debatte mit Maximinus die nötige Voraussetzung einer gemeinsamen Begrifflichkeit, mußte aber Formulierungen als irrig verwerfen, die er bei einem etwas anderem Sinn derselben Wörter zugestehen könnte. 100 Daß Gott ein Gott in drei Personen ist, ist für Ockham zwar notwendig, aber nur für den Gläubigen erkennbar. Faßt man den Allmachtsbegriff so, daß er sich auch auf die notwendigen innertrinitarischen Hervorgänge der göttlichen Personen auseinander erstreckt, sind diese drei Personen einander an Macht nicht gleich, und nur der Vater ist allmächtig. Schließt man hingegen den innertrinitarischen Bereich von der Allmacht aus und beschränkt sie auf das Kontingente, sind die drei Personen einander an Macht gleich und alle drei allmächtig. Ockham erklärt diesen zweiten Begriff der Allmacht für maßgeblich, weil er dem Sprachgebrauch der theologischen Autoritäten entspricht, deren Entscheidung freilich der historisch bedingten Situation der Auseinandersetzung mit dem Arianismus entstammt.

98 99 100

Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 2 9 , 5 - 9 ) . Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 2 9 , 1 9 - 2 3 ) . Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 30,7-34,12).

170

3. Kapitel „Non potest efflcere Deum "

III. Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit Gottes Nach dem vorangegangenen Abschnitt entschied sich Ockham aus eher pragmatischen Gründen für einen Allmachtsbegriff, der sich nur auf das Wirken Gottes „ad extra" bezieht, ließ aber einen anderen Allmachtsbegriff, der die innertrinitarischen Vorgänge miteinbezieht als möglich gelten. Diese Möglichkeit gilt es nun weiter zu verfolgen. Wenn Gottes Allmacht nur durch das Kontradiktionsprinzip begrenzt ist, sich aber auf das Wirken Gottes „ad intra" beziehen kann, dann muß der dreifaltige Gott in sich selbst frei von Widersprüchen sein. Hielte Ockham umgekehrt den Trinitätsglauben für widersprüchlich, verstieße er gegen seinen Grundsatz, daß das Widersprüchliche (und nur das Widersprüchliche) für Gott unmöglich ist. Nun scheint es manchen Ockhamforschern, daß der „Venerabiiis Inceptor" die Trinitätslehre tatsächlich für widersprüchlich gehalten habe. In diesem Sinn äußerten sich Autoren wie Carlo Giacon und - mit Vorbeh a l t - Kurt Flasch.101 Diese Stellungnahmen können heute jedoch nicht mehr ohne weiteres als relevant angesehen werden, weil sie sich vor allem auf die Schrift „Centiloquium" stützen, die nicht länger als authentisches Werk Ockhams angesehen wird. Zwar enthält sie stark ockhamistisch geprägtes Gedankengut, doch gerade bezüglich des Verhältnisses zwischen Logik und Trinitätslehre scheint sie von den Auffassungen abzuweichen, die den echten Schriften Ockhams zu entnehmen sind.102 Daher können Texte aus dem „Centiloquium" allein die Ansicht nicht belegen, daß Ockham den Glauben an die Dreieinigkeit Gottes für widersprüchlich gehalten habe. Nun meinen neuere Autoren, eben dies ohne Rückgriff auf das „Centiloquium" und unter ausschließlicher Verwendung authentischer Texte zeigen zu können. Im Anschluß an englischsprachige Forscher103 sieht Volker Leppin in 101

102

103

Carlo Giacon: Guglielmo di Ockham. Saggio storico-critico sulla formazione e sulla decadenza della scolastica. Tomo secondo. Milano: Vita e Pensiero 1970 (PUCSC Scienze Filosofiche. Vol. 34), 631-634; Kurt Flasch: Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues. Problemgeschichtliche Stellung und systematische Bedeutung. Leiden: Brill 1973 (SPAMP 7), 91 f. Philotheus Boehner: The Medieval Crisis of Logic and the Author of the Centiloquium Attributed to Ockham. In: Ders.: Collected Articles on Ockham. Hrsg. v. Eligius Maria Buytaert. St. Bonaventure, New York 1958 (FIP.P 12), 351-372; Philotheus Boehner: On a Recent Study of Ockham. In: Ders.: Collected Articles on Ockham. Hrsg. v. Eligius Maria Buytaert. St. Bonaventure, New York 1958 (FIP.P 12), 33-42. Armand Augustine Maurer: Method in Ockham's Nominalism. In: Ders.: Being and Knowing. Studies in Thomas Aquinas and Later Medieval Philosophy. Toronto: PIMS 1990 (Papers in Mediaeval Studies 10), 403-421, 414f; Marilyn McCord Adams: Ockham on Identity and Distinction. In: FrS 36 (1976) 5-74, 70-74; Adams: Ockham, 491; vgl. Armand Augustine Maurer: William of Ockham. In: Individuation in Scholasticism. The Later Middle Ages and

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit

Gottes

171

Ockhams Rückgriff auf die Formaldistinktion in der Trinitätslehre die „Grundlage für die punktuelle Negation des Widerspruchsprinzips" 104 . Gott sei demnach „in einzigartiger Weise vorlogisch strukturiert".105 Der Ausdruck „vorlogisch" wird in einer Anmerkung zu einem „a-logischen Sonderbezirk in Gott" präzisiert.106 Leppin hält das „Handeln" und das „Sein" Gottes auseinander und kann so trotz der von ihm festgestellten bewußten Widersprüchlichkeit der Ockhamschen Trinitätslehre keine Beeinträchtigung des Grundsatzes Ockhams erkennen, daß Gottes Handeln widerspruchsfrei sei.107 Das ist jedoch nur unter der Voraussetzung möglich, daß Gottes Macht sich nicht auf die Zeugung des Sohnes bzw. die Hauchung des Heiligen Geistes in Gott bezieht, denn eben mit der Zeugung und Hauchung entsteht, wie Leppin Ockham deutet, ein Widerspruch. Zwar schränkt auch Ockham seinen Allmachtsbegriff so ein, aber nur aus pragmatischen Gründen und im Zusammenhang mit einer konkreten Frage. Ob auch die Stellen, nach denen das Widersprüchliche der Macht Gottes entzogen ist, eben diese Einschränkung voraussetzen, bleibt fraglich. Sollte dem aber nicht so sein, folgt aus Leppins Auffassung von der bewußten Widersprüchlichkeit der Ockhamschen Trinitätslehre die Konsequenz, daß Gott Widersprüche verwirklichen kann und seine Macht eben doch nicht durch das Kontradiktionsprinzip begrenzt ist. Daher sind einige Überlegungen zum Verhältnis des Trinitätsglaubens zum Widerspruchsprinzip erforderlich. Das Problem hat eine ontologische und eine logische Seite. In ontologischer Hinsicht geht es um die Frage, ob der dreifaltige Gott in sich widersprüchlich ist, in logischer Hinsicht darum, ob und gegebenenfalls wie sich widersprüchliche Aussagen über den dreifaltigen Gott verhindern lassen. Ich

the Counter-Reformation 1150-1650. Hrsg. ν. Jorge J. E. Gracia. Albany: State University of N e w York Press 1994 ( S U N Y Series in Philosophy), 380; Armand Augustine Maurer: The Philosophy o f William of Ockham in the Light o f Its Principles. Toronto: PIMS 1999 (STPIMS 133), 76f. Nicht klar ist mir, was Cristobal Gutierrez Aranda diesbezüglich denkt. Er identifiziert Gott mit der Allmacht und die Schöpfung mit der Widerspruchsfreiheit. Will er damit sagen, daß Gott nicht widerspruchsfrei wäre? Vgl. Cristobal Gutierrez Aranda: Los principios de omnipotencia y de no-contradiccion en Guillermo de Ockham. Phil. Diss. Universidad de Malaga 1987, 152. Ebenso unklar ist mir die Bemerkung von Andre Goddu: William of Ockham. In: The History of Franciscan Theology. Hrsg. v. Kenan Β. Osborne. St. Bonaventura, N e w York: The Franciscan Institute 1994, 2 3 1 - 3 1 0 , 238: "The affirmation of God's freedom and power ist constrained most often by the principle o f non-contadiction" (Hervorhebung Η. Sch.). Impliziert "most often" „nicht immer"? 104 105 106 107

Leppin: Leppin: Leppin: Leppin:

Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit,

240, Anm. 393. 241. 241, Anm. 399. 241.

172

3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

beginne mit der logischen Frage und lasse mich von ihr zu ihren ontologischen Voraussetzungen zurückfuhren.

1)

Das logische Problem

Der Anschein, daß Ockham die Trinitätslehre für widersprüchlich gehalten hätte, stammt (neben dem ihm fälschlich zugeschriebenen „Centiloquium") teils aus scheinbar paradoxen Formulierungen, die er gebraucht, wenn er über die Dreifaltigkeit spricht, vor allem aber aus den Erörterungen über trinitarische Trugschlüsse, die seiner Meinung nach die Logik des Aristoteles zuläßt. Daher beginne ich mit der Erklärung einer paradox klingenden Formulierung Ockhams, die dieser aber nicht als förmlichen Widerspruch verstanden hat. Anschließend erörtere ich Ockhams Auflösungen der trinitarischen Trugschlüsse, um schließlich vor diesem Hintergrund Ockhams Stellung zur aristotelischen Logik zu bestimmen. a)

Paradoxe Formulierungen in der Trinitätslehre

Paradox klingen vor allem die beiden Sätze „Gott zeugt Gott" („Deus generat Deum") und „Gott zeugt Gott nicht" („Deus non generat Deum"). Da sie einander zu widersprechen scheinen, Ockham aber innerhalb derselben Quästion beide zugesteht,108 sieht Leppin in ihnen einen Beleg für angebliche bewußte Widersprüche in Ockhams Trinitätslehre.109 Ockham gesteht tatsächlich beide Behauptungen zu. Daß Gott Gott zeugt, ist wahr, weil der Vater den Sohn zeugt und sowohl der Vater als auch der Sohn Gott ist. Daß Gott nicht Gott zeugt, ist gleichfalls wahr, weil weder der Sohn noch der Heilige Geist das göttliche Wesen oder irgendeine göttliche Person zeugen, selbst aber Gott sind. Dies belegt Ockham, indem er die besondere Suppositionsweise des Wortes „Gott" („Deus") darlegt. Es supponiert nämlich personal in erster Linie für die göttlichen Personen,110 kann aber, weil diese mit dem göttlichen Wesen real identisch sind, auch für dieses Wesen stehen.111 Unter dieser Voraussetzung ist der Widerspruch zwischen den Aussagen „Gott zeugt Gott" und „Gott zeugt Gott nicht" nur ein scheinbarer. Denn in der ersten Aussage supponiert das Wort „Gott" an der Subjektsstelle für den 108 109 110 111

Ord., dist. 4, qu. 1 (OTh III 14,2-11). Leppin: Wahrheit, 241 f. Ord., dist. 4, qu. 1 (OTh III 12,1-6). Ord., dist. 4, qu. 1 (OTh III 12,12-22).

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit Gottes

173

Vater und an der Prädikatsstelle für den Sohn. In der zweiten Aussage supponiert es aber an der Subjektstelle für den Sohn oder den Heiligen Geist.112 Daher betreffen die beiden Aussagen nicht dieselben göttlichen Personen. Da sie real verschieden sind," 3 kann von ihnen Gegensätzliches ausgesagt werden, ohne daß ein formaler Widerspruch entsteht. Ein hinzugefugtes „nicht" reicht nicht aus, um eine Aussage in ihr Gegenteil zu verwandeln; vielmehr müssen Subjekts- und Prädikatsausdruck in einem Satz und seinem Gegensatz für dasselbe stehen. Allenfalls kann man den Satz „Gott zeugt nicht" aus dem pragmatischen Grund vermeiden, daß ihn die Häretiker falsch verstehen." 4 Dagegen mag man nun einwenden, daß Gott Vater, der einen Gott zeugt, und Gott Sohn, der keinen Gott zeugt, zwar real verschieden sein mögen, aber mit dem einen göttlichen Wesen identisch sind, weshalb Subjekt und Prädikat doch für dasselbe stehen. Auf einer rein logischen oder sprachlichen Ebene weist Ockham diesen Einwand zurück. Trotz der Identität des göttlichen Wesens mit den göttlichen Personen darf der Christ weder behaupten, daß das göttliche Wesen zeuge, noch, daß es gezeugt werde." 5 Besteht man jedoch darauf, daß die göttliche Person, die zeugt, und die göttlichen Personen, die nicht zeugen, mit dem göttlichen Wesen real identisch sind, wechselt man von der logisch-sprachlichen Ebene auf die ontologische Ebene. Eben deshalb belegen die sprachlichen Formulierungen, die Ockham gebraucht, allein nicht den angeblichen Widerspruch in seiner Trinitätslehre, sondern erst der Rückgriff auf die dadurch ausgedrückte ontologische Annahme, daß die drei göttlichen Personen voneinander real verschieden, doch mit dem göttlichen Wesen real identisch sind. Auf die Frage, ob Ockham dies für widersprüchlich gehalten habe, komme ich später zurück. Daß Ockham die einander scheinbar widersprechenden Aussagen „Gott zeugt Gott" und „Gott zeugt Gott nicht" beide zugestanden hat, kann jedoch für sich allein eine bewußte Widersprüchlichkeit der Ockhamschen Trinitätslehre nicht belegen.

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S. L. 11, cap. 3 (OPh I 256,39-44): „Ex istis patet quod si ista propositio ,Deus generat Deum' sit indefinita, secundum unam opinionem superius dictam, debet simpliciter concedi quod Pater, qui est Deus, generat Deum. Et eodem modo de virtute sermonis posset ista concedi ,Deus non generat Deum', quia haberet unam singularem veram, scilicet ,Filius non generat Deum', similiter,Spiritus Sanctus non generat Deum'". Ord., dist. 19, qu. 2 (OTh IV 23,20): „personae realiter distinguuntur". S. L. II, cap. 3 (OPh I 256,50-54): „Tarnen forte aliqui Sancti aliquando negant tales ,Deus non generat', ,Deus non spirat' propter aliquos haereticos, ne scilicet videantur negare istam ,Deus generat Deum'. Tarnen de virtute sermonis non oportet secundum istam opinionem; secundum autem aliam opinionem aliter debet dici". Ord., dist. 5, qu. 1 (OTh III 2 5 - 4 7 , vgl. bes. 3 6 , 1 2 - 1 3 ) : „Ideo dico aliter ad quaestionem quod essentia divina nec generat nec generatur".

174 b)

3. Kapitel „Non potest efficere Deum " Trinitarische Trugschlüsse

In der christlichen Rezeption der aristotelischen Logik bemerkte man im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, daß gewisse Typen von Schlüssen und Folgerungen, die Aristoteles zugelassen hatte, falsche Schlußsätze liefern, wenn sie auf Inhalte des christlichen Glaubens angewandt werden, ζ. B. auf die Christologie oder die Eucharistielehre. Besonders kritische Probleme ergaben sich im Zusammenhang mit dem Glauben an einen dreifaltigen Gott. Aufgrund solcher Schwierigkeiten wurden verschiedene Denker zu grundsätzlichen Überlegungen über das Verhältnis zwischen dem Glauben und der aristotelischen Logik angeregt. Auch Ockham äußert sich zu dieser in seinen Tagen aktuellen Frage. In diesem Zusammenhang legt Ockham sein Augenmerk auf Argumentationen nach dem sogenannten „syllogismus expositorius" und dem „dictum de omni et de nullo".

D E R „SYLLOGISMUS EXPOSITORIUS"

Unter einem „syllogismus expositorius" versteht Ockham einen Schluß aus zwei singulären Prämissen, deren Termini nach der dritten aristotelischen Schlußfigur angeordnet sind.116 Ein Schluß der dritten Schlußfigur liegt vor, wenn der Mittelbegriff in beiden Prämissen Subjektstellung einnimmt." 7 Ferner muß - zusätzlich zu allen allgemeineren Regeln der Syllogistik - der Untersatz affirmativ sein.118 Nach diesem Schema ergeben sich Schlüsse wie zum Beispiel: Dieser Mensch ist der Dichter der Äneis. Dieser Mensch ist Vergil. Vergil ist der Dichter der Äneis. Ebenso müßte nach Aristoteles der folgende Schluß gelten:

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117 118

S. L. III-1, cap. 5 (OPh I 403,4-8): „Unde sciendum est quod syllogismus expositorius est qui est ex duabus praemissis singularibus, dispositis in tertia figura, quae tarnen possunt inferre conclusionem tam singularem quam particularem seu indefinitam sed non universalem, sicut nec duae universales in tertia figura possunt inferre universalem". S. L. III-1, cap. 2 (OPh I 362,19): „Tertia figura est quando medius terminus subicitur in utraque [seil, propositione]". S. L. III-l, cap. 14 (OPh I 398,17-18): „in tertia figura semper debet minor esse affirmativa"; vgl. S. L. III-l, cap. 16 (OPh I 404,45-51).

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit

Gottes

175

Dieses göttliche Wesen ist der Vater. Dieses göttliche Wesen ist der Sohn. Der Sohn ist der Vater. Nichtsdestoweniger kann Ockham den Schlußsatz nicht anerkennen, weil die göttlichen Personen voneinander real unterschieden sind. Die Prämissen muß er jedoch akzeptieren, weil die göttlichen Personen mit dem göttlichen Wesen real identisch sind. Die allgemeine Gültigkeit des „syllogismus expositorius" ist für Ockham gleichfalls unbezweifelbar, weil diese Schlüsse evident und „per se nota" sind.119 Daher bleibt ihm nur der Ausweg zu behaupten, daß mit dem zweiten Beispiel entgegen dem ersten Anschein und anders als im ersten Beispiel überhaupt kein „syllogismus expositorius" vorliegt.120 Stattdessen handelt es sich nach Ockham bei dieser Argumentation um eine „fallacia accidentis". Die „fallacia accidentis" ist die siebte in der Reihe der dreizehn Arten von Trugschlüssen, die Aristoteles in seiner Schrift „De sophisticis elenchis" aufzählt. Nach Ockham ist sie die erste „fallacia extra dictionem", also ein Trugschluß, dessen Fehler nicht auf der Natur der sprachlichen Zeichen beruht, sondern im Denken selbst.121 Den Anschein der Wahrheit erweckt eine „fallacia accidentis" dadurch, daß ein Terminus von einem anderen ausgesagt wird, wodurch der Eindruck entsteht, daß für den einen all das gilt, was für den anderen auch gilt.122 Der Fehler besteht aber darin, daß nicht notwendig alles, was für den einen Terminus gilt, in gleicher Weise auch für den anderen gilt, der von ihm ausgesagt wird.123 Zur Widerlegung einer „fallacia accidentis" muß man erstens daraufhinweisen, daß die Folgerung nicht notwendig ist,124 und zweitens im einzelnen begründen, warum sie nicht gilt.125 119

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123

124

S. L. II, cap. 27 (OPh I 336,72-74): „syllogismi expositorii, qui sunt ex se evidentes, frequenter negantur a modernis theologis, et ideo contra tales non est disputandum, cum negent per se nota". S. L. III-1, cap. 16 (OPh I 404,32-33): „Ex isto patet quare iste syllogismus non est expositorius". S. L. III-4, cap. 11 (OPh I 818,2-3): „Post fallacias in dictione dicendum est de fallaciis extra dictionem, inter quas primo ponitur fallacia accidentis". S. L. III-4, cap. 11 (OPh I 818,11-14): „causa apparentiae istius fallaciae est identitas praedicationis unius termini cum alio, hoc est, causa quare decipit: quia videmus unum terminum de alio praedicari affirmative vel negative, credimus quod quidquid dicitur de uno, dicetur de reliquo". S. L. III-4, cap. 11 (OPh I 818,15-18): „Causa non-existentiae est, quia quamvis unus terminus praedicetur de alio, non est necesse quod quidquid dicitur de accidente, hoc est de uno illorum, quod propter hoc dicatur de reliquo; vel non est necesse eodem modo dici de reliquo quo unum illorum dicitur de alio". S. L. III-4, cap. 11 (OPh I 818,19-22): „Et ideo responsio generalis ad omnes paralogismos

176

3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

Die speziellen Begründungen, die zur Widerlegung der „fallacia accidentis" nötig sind, stützen sich nach Ockham am besten auf die Regeln, die Aristoteles in seinen Ersten Analytiken angibt - mit einer Ausnahme: Zur Widerlegung der trinitarischen Trugschlüsse muß man bedenken, daß das eine und einfache göttliche Wesen drei verschiedene göttliche Personen umfaßt. Da Aristoteles davon nichts ahnte und auch nichts ahnen konnte, verabsäumte er es, eine Regel zur Vermeidung solcher Fehlschlüsse anzugeben.126 Was Aristoteles versäumt hat, das will Ockham ergänzen. Daher gibt er eine Regel an, durch die sich jene trinitarischen Trugschlüsse entlarven lassen, die unter dem Anschein des „syllogismus expositorius" auftreten, in Wahrheit aber nur „fallaciae accidentis" sind. Meist formuliert er die Regel so: Ein „syllogismus expositorius" liegt nur dann vor, wenn in den Prämissen das Subjekt (d. h. der Mittelbegriff des „syllogismus expositorius") nicht für eine einzige Entität („res") steht, die mit mehreren real unterschiedenen Entitäten („res") real identisch ist.127 Faktisch ist das eine Einschränkung des „syllogismus expositorius" auf den außertrinitarischen Bereich, weil die einzige Entität, die mit mehreren real verschiedenen Entitäten real identisch ist, das göttliche Wesen ist, das mit den drei göttlichen Personen real identisch ist. Für den geschöpflichen Bereich kann man also Schlüsse ziehen, ohne solche Rücksichten zu nehmen.128 Wozu die Mißachtung dieser Regel fuhrt, zeigt der oben angeführte trinitarische Fehlschluß. „Dieses göttliche Wesen ist der Vater" stimmt zwar ebenso

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128

accidentis est dicere quod non est necesse sequi conclusionem ex praemissis, hoc est, non est necesse praedicatum conclusionis dici de subiecto conclusionis propter unionem illorum in praemissis cum aliquo uno". S. L. III-4, cap. 11 (OPh I 819,28-31): „Sed praeter istam responsionem generalem oportet, secundum Aristotelem, proferre ,ut', hoc est oportet assignare aliquam regulam evidentem specialem quare non sequitur, et pro diversis oportet diversas regulas speciales assignare". S. L. IH-4, cap. 11 (OPh I 820,81-821,88): „Quando igitur accidit fallacia accidentis penes istum modum arguendi ex propositionibus mere categoricis et mere de inesse et mere de praesenti facile est scire per regulas Aristotelis, traditas in I Priorum, de uniformi generatione syllogismorum de inesse, praeterquam in uno casu, scilicet in divinis, ubi concedendum est quod una res simplex est plures personae, quae inter se sunt distinctae realiter, de quibus tectum est prius, quia in talibus terminis est frequenter fallacia accidentis et non in aliis". Wie aus den folgenden Beispielen hervorgeht, gilt dies auch für den „syllogismus expositorius". S. L. III-l, cap. 16 (OPh I 403,9-13): „ad propositionem singularem, quae debet esse in syllogismo expositorio, requiritur quod subiectum supponat pro aliquo quod non est plures res quaecumque, nec est idem realiter cum aliquo quod est plures res, sive relativae sive absolutae, et praecise pro uno tali"; vgl. S. L. III-1, cap. 16 (OPh I 404,41^4); vgl. S. L. III-4, cap. 11 (OPh 1822,120-125). S. L. III-l, cap. 16 (OPh I 404,44—47): „Et quia in creaturis nulla una res numero est plures res realiter quaecumque, ideo generaliter quando arguitur ex propositionibus singularibus praedicto modo, fit syllogismus expositorius, hoc addito quod minor sit affirmativa"; vgl. S. L. III— 4, cap. 11 (OPh 1822,127-129).

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit

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wie „Dieses göttliche Wesen ist der Sohn", weil der Ausdruck „dieses göttliche Wesen" für eine Entität steht, die sowohl mit der Entität, für die „Vater" steht, real identisch ist als auch mit der Entität, für die „Sohn" steht. Die Ausdrücke „Vater" und „Sohn" stehen aber für real unterschiedene Entitäten, sodaß der Schlußsatz falsch ist. Hier sieht Ockham einen ähnlichen Fehler wie im Trugschluß: Ein Mensch ist Sokrates. Ein Mensch ist Piaton. Piaton ist Sokrates. Gemeinsam ist beiden Trugschlüssen, daß der Mittelbegriff als Grundlage für den angeblichen Schluß eine Einheit vortäuscht, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Der Allgemeinbegriff „Mensch" täuscht über die realen Unterschiede zwischen Piaton und Sokrates ebenso hinweg wie das gemeinsame göttliche Wesen über die realen Unterschiede zwischen den trinitarischen Personen. Diese Gemeinsamkeit drückt Ockham aus, indem er zwischen dem Begriff des göttlichen Wesens und den Namen der göttlichen Personen von einer Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit („prioritas communitate") spricht. Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit besitzt der allgemeinere Begriff im Verhältnis zum unter ihm stehenden spezielleren Begriff, also zum Beispiel der Begriff „Lebewesen" im Verhältnis zum Begriff „Mensch". Diese Priorität beinhaltet, daß von allem, wovon der speziellere Begriff bejahend ausgesagt werden kann, auch der allgemeinere Begriff bejahend ausgesagt werden kann, daß jedoch nicht umgekehrt von allem, wovon der allgemeinere Begriff bejahend ausgesagt werden kann, auch der speziellere Begriff bejahend ausgesagt werden kann.129 Das göttliche Wesen ist kein Allgemeinbegriff, sondern bezeichnet eine real existierende und darum (nach Ockhams bekannter Lehre) individuelle Entität. Dennoch besitzt das göttliche Wesen gegenüber den göttlichen Personen eine Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit. Dementsprechend kann von allem, wovon der Name einer göttlichen Person ausgesagt werden kann, auch der Begriff des göttlichen Wesens ausgesagt werden, aber nicht von allem, wovon der Begriff des göttlichen Wesens ausgesagt werden kann, kann der Name einer göttlichen Person ausgesagt werden.130

129 130

Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 299,8-28); In Pr„ cap. 18, § 5 (OPh II 3 2 6 , 2 7 ^ 6 ) . Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 301,7-18). Allerdings scheint Ockham in Ord., dist. 5, qu. 1 (OTh III 3 6 , 1 1 - 3 8 , 2 0 ) eine Ausnahme begründen zu wollen.

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3. Kapitel„Nonpotest

efficereDeum"

Daher ist im Trugschluß „Dieses göttliche Wesen ist der Sohn; dieses göttliche Wesen ist der Vater; also ist der Vater der Sohn" der Mittelbegriff zwar, wie es der „syllogismus expositorius" verlangt, singulär. Aber weil der Begriff des göttlichen Wesens gegenüber den Namen der göttlichen Personen Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit besitzt, unterläuft ihm der gleiche Fehler wie dem Trugschluß mit dem partikulären Mittelbegriff „Ein Mensch ist Sokrates; ein Mensch ist Piaton; also ist Piaton Sokrates". Freilich unterscheiden sich die beiden Trugschlüsse in einem entscheidenden Punkt: Der Allgemeinbegriff „Mensch" faßt eine Vielzahl von individuellen Menschen rein begrifflich zusammen, ohne daß ihm über diese hinaus eine eigenständige Wirklichkeit entspräche. (Darin besteht der „Nominalismus", der Ockhams Position in der Universalienfrage charakterisiert.131) Daß hingegen das eine göttliche Wesen mit den drei real unterschiedenen göttlichen Personen real identisch ist, stellt kein bloß sprachliches, sondern ein ontologisches Phänomen dar.132 Die Logik muß ihm Rechnung tragen, doch rein logisch läßt sich das Problem nicht bewältigen. Neben der logischen Sonderstellung der Trinitätslehre ist daher auch die seinsmäßige Sonderstellung der Dreifaltigkeit zu thematisieren. Zu diesem Zweck greift Ockham auf den Begriff der Formaldistinktion zurück.

131

Manche Autoren meinen, der Ausdruck „Nominalismus" sei als Bezeichnung für Ockhams Position in der Universalienfrage mißverständlich. Stattdessen wurden Ausdrücke wie „realistischer Konzeptualismus", „Singularismus" usw. vorgeschlagen; vgl. Philotheus Boehner: The Realistic Conceptualism of William Ockham. In: Ders.: Collected Articles on Ockham. Hrsg. ν. Eligius Maria Buytaert. St. Bonaventura, New York 1958 (FIP.P 12), 156-174; Peter Schulthess: Sein, Signifikation und Erkenntnis bei Wilhelm von Ockham. Berlin: Akademieverlag 1992, 131-149 und 274-296. Da bislang keiner dieser Termini so geläufig ist wie „Nominalismus", behalte ich letzteren Ausdruck vorläufig bei. Damit behaupte ich jedoch nicht, daß fiir Ockham die Universalien bloße Namen sind. Vielmehr sind seiner Meinung nach die Begriffe („conceptus") allgemein, insofern sie mehrere reale Gegenstände bezeichnen; und welche Gegenstände ein Begriff (im Gegensatz zu einem bloß konventionellen Namen) bezeichnet, hängt nicht vom denkenden Menschen bzw. der sprachlichen Gemeinschaft ab.

132

Leppin: Wahrheit, 241; ähnlich Rolf Schönberger: Realität und Differenz. Ockhams Kritik an der distinctio formalis. In: Die Gegenwart Ockhams. Hrsg. v. Wilhelm Vossenkuhl und Rolf Schönberger. Weinheim: VCH, Acta humaniora 1990, 97-122; Desmond Paul Henry: Ockham and the Formal Distinction. In: FrS 25 (1965) 285-292; vgl. Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 364,16-22): „Igitur quod illud idem negetur de Patre et affirmetur de essentia non potest hoc contingere propter aliquam diversitatem modorum grammaticalium vel logicalium, igitur praecise hoc erit ratione alicuius modi non-identitatis inter illud quod significatur per Patrem et illud quod significatur per essentiam; igitur inter Patrem et essentiam est ex natura rei aliquis modus non-identitatis".

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit

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DAS „DICTUM DE OMNI" UND DAS „DICTUM DE NULLO"

Ähnliches wie für den „syllogismus expositorius" gilt für das „dictum de omni" und das „dictum de nullo", aus denen sich die einleuchtendsten Schlußweisen ergeben. Das „dictum de omni" besagt, daß, was fur alles gilt, auch für das einzelne gilt. Das „dictum de nullo" besagt, daß, was für nichts gilt, auch für das einzelne nicht gilt.133 So schließt man nach dem „dictum de omni" zum Beispiel: Jeder Mensch ist sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Sokrates ist sterblich. Aristoteles würde zugestehen, daß man in der ersten Schlußfigur gleichfalls schließen dürfte: Jedes göttliche Wesen ist der Vater. Der Sohn ist das göttliche Wesen. Der Sohn ist der Vater. Wiederum ist der Schluß für Ockham höchst problematisch. Als Christ kann er die erste Prämisse nicht bestreiten, denn es gibt nur ein einziges göttliches Wesen, und dieses ist mit dem Vater real identisch. Auch die zweite Prämisse kann er nicht bestreiten, denn auch mit dem Sohn ist das göttliche Wesen real identisch. Den Schlußsatz kann er jedoch nicht zugestehen, weil die göttlichen Personen voneinander real unterschieden und in keiner Weise miteinander identisch sind. Ebenso ist es ihm verwehrt, das „dictum de omni" (und entsprechend das „dictum de nullo") anzugreifen, weil es evident und sicher ist.134 Es bleibt ihm daher nur der Ausweg, entgegen dem ersten Anschein zu bestreiten, daß in einer solchen Argumentation wirklich ein Schluß nach dem

133

S. L. III-1, cap. 2 (OPh I 363,41-50): „Est autem dici de omni quando nihil est sumere sub subiecto, quin de eo dicatur praedicatum. Quod est sic inteligendum: non quod praedicatum conveniat cuilibet de quo dicitur subiectum, - tunc enim non esset dici de omni nisi in propositionibus veris - , sed sufficit quod per talem propositionem denotetur quod nihil sit sumere sub subiecto, quin de eo dicatur praedicatum. Et hoc denotatur per omnem propositionem universalem affirmativam. Dici de nullo est quando per eam denotatur quod de quocumque dicitur subiectum, quod ab eo removetur praedicatum. Et hoc denotatur per omnem propositionem universalem negativam, sive sit vera sive falsa".

134

S. L. III-1, cap. 4 (OPh I 376,332-334): „omnis syllogismus regulatus per dici de omni vel de nullo est simpliciter bonus et de se evidens, nec indigens aliqua probatione".

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

„dictum de omni" vorliegt;135 sondern es handelt sich um eine „fallacia accidentis".136 Wiederum steht dahinter die Ansicht, daß in Gott eine einzige Entität (nämlich das göttliche Wesen) mit drei real verschiedenen Entitäten (nämlich den drei göttlichen Personen) real identisch ist. Könnte man alles, wovon man „göttliches Wesen" aussagen kann, auch „Vater" nennen, läge eine korrekte Argumentation nach dem „dictum de omni" vor. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil, wie erwähnt, den Begriff des göttlichen Wesens im Vergleich zu den Namen der göttlichen Personen die Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit („prioritas communitate") auszeichnet. Daher läßt sich vom Sohn zwar wahrheitsgetreu „göttliches Wesen" aussagen, man kann ihn aber nicht „Vater" nennen.137 Könnte man umgekehrt vom Sohn alles aussagen, wovon sich „göttliches Wesen" aussagen läßt, wäre die Argumentation schlüssig. Doch auch dies verhindert die Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit, die den Begriff des göttlichen Wesens im Vergleich zu den Namen der göttlichen Personen auszeichnet. „Göttliches Wesen" läßt sich daher zwar vom Vater aussagen, aber den Sohn kann man nicht „Vater" nennen.138 Da also zwar sowohl der Vater als auch der Sohn mit dem göttlichen Wesen identisch ist, aber weder der Name „Vater" noch der Name „Sohn" fur alles steht, womit das göttliche Wesen identisch ist, läßt sich das „dictum de omni" nicht anwenden. Eine eigene allgemeine Regel dafür, wann das „dictum de omni" gilt und wann nicht, gibt Ockham nicht an. Doch in Analogie zum „syllogismus expositorius" darf man vermuten, daß sie besagen würde: Das „dictum de omni" liefert immer dann gültige Schlüsse, wenn der Mittelbegriff nicht für eine Entität steht, die mit mehreren real unterschiedenen Entitäten real identisch ist.139 Aristoteles, der als Heide und vor Christi Geburt von der Existenz einer solch merkwürdigen Entität nichts ahnen konnte, berücksichtigt eine solche Regel nicht.140 Da solche Entitäten im geschöpflichen Bereich nicht auftreten, darf man das „dictum de omni" bedenkenlos anwenden, solange man trinitarische

135

S. L. III-l, cap. 4 (OPh I 370,148-152): „Sed theologi, qui ponunt - secundum veritatem - unam rem numero esse plures res, quia dicunt quod essentia divina simplex et indivisibilis est plures res distinctae realiter, habent dicere quod praedicti discursus non valent, nec regulantur per dici de omni vel de nullo".

136

S. L. III-4, cap. 11 (OPh I 821,88-89): „Unde hic est fallacia accidentis ,omnis essentia divina est Pater; Filius est essentiae divina; ergo Filius est Pater'". S. L. III-1, cap. 4 (OPh I 370,153-371,160). S. L. III-l, cap. 4 (OPh I 371,161-168). Vgl. S. L. III-l, cap. 4 (OPh I 371,169-172). Vgl. auch die besondere Regel S. L. III-4, cap. 11 (OPh 1 8 2 1 , 9 0 - 9 3 ) . S. L. III-l, cap. 4 (OPh I 3 7 0 , 1 4 6 - 1 4 8 ) .

137 138 139 140

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Fragen ausnimmt.141 Ausnahmen erzwingen nur die unfehlbaren theologischen Autoritäten, also die Heilige Schrift und lehramtliche Festlegungen der Kirche.142 Entsprechende trinitarische Trugschlüsse lassen sich auch nach dem Vorbild einer Argumentation nach dem „dictum de nullo" aufstellen und analog lösen. c)

Trinitätstheologie und aristotelische Logik

Ockham ergänzt und verbessert also die aristotelische Logik, damit sie für den christlichen Glauben anwendbar wird. Ergänzung und Kritik, Verbesserung und Ablehnung liegen jedoch nahe beieinander. Daher stellt sich die Frage, ob Ockham die aristotelische Logik überhaupt oder zumindest für die Dreifaltigkeitslehre ablehnt. Diese Frage legt sich insbesondere nahe durch den Vergleich mit dem Ockham zugeschriebenen und Ockhamschen Gedankengut wenigstens nahestehenden „Centiloquium" und mit dem kurz nach Ockham lehrenden Dominikanertheologen Robert Holkot (gest. 1349). Beide lehnen den „syllogismus expositorius" und das „dictum de omni" als allgemeine formale Regeln der Logik ab. Wenn es sich dabei nämlich um allgemeine formale Regeln handelte, müßten sie unabhängig vom Inhalt für jede Anwendung gelten. Nun bietet aber die Trinitätslehre Anwendungsbeispiele, in denen „syllogismus expositorius" und „dictum de omni" trotz formaler Richtigkeit keine gültigen Schlüsse liefern. Daher sind sie durch Gegenbeispiele widerlegt. Die Logik des Aristoteles gilt für die Trinitätslehre nicht, und insofern sie Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, gilt sie überhaupt nicht.143 141 142 143

S. L. III-1, cap. 4 (OPh I 380,103-106). S. L. III-l, cap. 4 (OPh I 380,101-103). Robert Holcot: Conf., det. 10 (ed. Gelber, 67,61-68,75): „Secundo est inquirendum an logica Aristotelis, sive ilia quae est inventa a philosophis et tradita ab Aristotele et tractatur communiter in scholis, sit formalis vel non. Et dicitur quod non, quia paucae regulae vel nullae quas tradit Aristoteles in libro Priomm et alibi tenent in omni materia. Causa est quia Aristoteles non vidit quod aliqua res esset una et tres, et ideo dedit tales regulas, scilicet quod medio existente hoc aliquid, necesse est extrema coniungi, et quaecumque uni et eidem sunt eadem, ipsa inter se sunt eadem, et quod contradictoria praedicta non verificantur de eadem re. Et alias multas dedit quae non sunt verae in omni materia quia capiunt instantiam in terminis quibus utimur in divinis. Ideo dicitur quod illae regulae non sunt formales, quia sermo concludens per se concludit in omni materia, sicut dicit Commentator contra Parmenidem, 1 Physicorum, commento 25. Unde, si Aristoteles vidisset quod aliqua res fuisset tres res et tarnen una, excepisset illam rem a regulis illis et consimilibus"; Centiloquium, § 55 (OPh VII 4 6 5 , 8 0 - 4 6 6 , 9 0 ) : „Ad primum ergo istorum dicitur negando discursum [seil, expositorium]. Quia quamvis multis appareat in materia naturali et in materia creata, non tarnen tenet in materia increata, et praeeipue in propositionibus sive terminis divinae Trinitatis. Unde quia Aristoteles non invenit aliquos alios terminos vel aliquam aliam materiam in quibus non tenuerit iste discursus, nec ad

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

Anders sieht Ockham die Sache. Seiner Meinung nach ist die aristotelische Logik korrekt, aber unvollständig. Alle Regeln die Aristoteles angegeben hat, insbesondere der „syllogismus expositorius" und das „dictum de omni", gelten ausnahmslos. Es gibt nur in der Trinitätslehre Argumentationen, die den Eindruck eines „syllogismus expositorius" oder eines „dictum de omni" erwecken, es in Wahrheit aber nicht sind. Aristoteles, der als vorchristlicher Heide von trinitarischen Trugschlüssen nichts ahnte, konnte diese Fälle unmöglich vorhersehen. Wenn Aristoteles von der Dreifaltigkeit Gottes gewußt hätte, hätte er vermutlich für die sich daraus ergebenden logischen Schwierigkeiten vorgesorgt. Da er es aber selbst nicht tun konnte, löst Ockham die Probleme für ihn. Selbstverständlich läuft Ockhams Verbesserung darauf hinaus, daß manche Argumentationsweisen für die Trinitätslehre nicht gelten. Ockham läßt also eine Ausnahme von den Regeln der aristotelischen Logik zu. Das ist aber keine Einschränkung der aristotelischen Logik, denn ausgenommen wird nur, woran Aristoteles bei der Formulierung seiner Regeln gar nicht dachte. In dem ganzen Bereich, den der große griechische Philosoph durch seine logischen Gesetze bestimmt hat, bleiben diese ausnahmslos gültig. Nur der seither durch die christliche Offenbarung neu entdeckte Bereich wird ausgenommen, auf den sich Aristoteles selbst nie bezogen hat und für den er, wenn er davon gewußt hätte, seine logischen Regeln angepaßt hätte, wie es Ockham gleichsam an seiner Stelle tut. Ockham nimmt diese Anpassung nicht auf die naheliegende Weise vor, die das „Centiloquium" und Robert Holkot gewählt haben. Er formuliert nicht so, als erklärte er die Regeln der aristotelischen Logik für einzelne Begriffe wie „Vater", „Sohn", „Heiliger Geist", „göttliches Wesen" und „trinitarische Person" ausdrücklich für ungültig. Er setzt auch nicht ausdrücklich eine Ausnahme für den trinitarischen Bereich fest. Denn wenn Ockham auf diese Weise formulierte, müßte er bekennen, daß die Regeln des Aristoteles individuelle Ausnahmen zulassen und daher nicht formal sind. Das Kennzeichen eines „discursus formalis" in der mittelalterlichen Logik ist nämlich universelle Gültigkeit eines Beweisschemas unabhängig von den verwendeten Termini.144 Stattdessen ergänzt Ockham die aristotelische Logik durch eine zusätzliche Regel, wonach die Mittelbegriffe eines „syllogismus expositorius" und eines

144

istam materiam sanctae Trinitatis potuit devenire, ideo generaliter posuit sine aliqua exceptione in omnibus praedictum discursum valere. Sed post tempus Aristotelis, sancta Trinitate divinitus revelata, a summis doctoribus theologicis inventum est praedictum discursum instantiam pati. Quia inveniuntur termini in quibus non tenet, utpote termini divinae essentiae et Trinitatis". Boehner: Crisis, 352-354.

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Beweises nach dem „dictum de omni" bzw. dem „dictum de nullo" nicht für eine einzelne Entität stehen dürfen, die mit mehreren real verschiedenen Entitäten real identisch ist. Dabei nennt er die kritischen Begriffe „Vater", „Sohn", „Heiliger Geist", „trinitarische Person" und „göttliches Wesen" nicht und sagt auch nicht, daß es hier um den Dreifaltigkeitsglauben geht, obwohl faktisch eine solche Entität, die mit mehreren real unterschiedenen Entitäten real identisch ist, nur das göttliche Wesen ist, das mit den real unterschiedenen trinitarischen Personen real identisch ist. Dadurch erreicht Ockham, daß die ergänzte aristotelische Logik immer noch formal ist. Würde er individuelle Ausnahmen festlegen, wären die Regeln nicht mehr unabhängig von den in den Beweisen verwendeten Termini gültig. Da er die individuellen Ausnahmen aber mit einer allgemein formulierten Regel zusammenfaßt, die - „per impossibile" - auch fur Geschöpfe gelten würde, wenn diese zugleich eins und dreifaltig wären,145 tatsächlich aber nur für Gott gelten, gelingt es ihm, den Bereich der Dreifaltigkeit vom „syllogismus expositorius" und vom „dictum de omni" auszunehmen, ohne ihn zu nennen. Daher gelten immer noch alle Regeln der Logik unabhängig von den verwendeten Termini.' 46 Die aristotelische Logik ist nach ihrer Ergänzung und Verbesserung durch Ockham also immer noch formal. Ist sie aber auch immer noch aristotelisch? Diesbezüglich kann man wohl geteilter Meinung sein. Wer in der Logik ein System von Regeln sieht, das aus seinen einzelnen Elementen aufgebaut wird, wird die Hinzufugung, Streichung oder Abänderung einer einzelnen Regel folgerichtig als Änderung des ganzen Systems begreifen. Ockham hätte somit die aristotelische Logik nicht ergänzt oder verbessert, sondern abgeschafft und durch ein neues System ersetzt. Doch unter dem Gesichtspunkt geistiger Urheberschaft ist es weit übertrieben, Ockham als den Erfinder einer neuen oder gar nicht-aristotelischen Logik darzustellen. Ungeachtet der Verdienste, die sich der „Venerabiiis Inceptor" um die Logik erworben hat, geht der größte Teil seiner „Summa logicae" doch auf aristotelische Vorbilder zurück. Diesen Umstand hätte Ockham 145

Vgl. Ockhams Gedanken zur Möglichkeit einer Trinität im Geschöpf - Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 18,6-10): „Ita enim credo facile tenere trinitatem personarum cum unitate essentiae in creaturis sicut in Deo propter quascumque rationes in oppositum, quia credo quod pro statu isto aeque posset satisfieri rationibus probantibus non esse tres personas in una essentiae in creaturis sicut in Deo".

146

Gegen Klaus Bannach: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung. Wiesbaden: Steiner 1975 (VIEG 75), 2, Anm. 2, der den Unterschied zwischen individuellen Ausnahmen von einem logischen Gesetz und Ausnahmen durch eine neue allgemeine und formale Regeln verwischt.

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selbst auch weder bestritten noch bestreiten wollen. Ockham hat die aristotelische Logik also nicht aufgegeben oder eingeschränkt, sondern sie unter Wahrung ihres formalen Charakters auf einen zentralen Gedanken des Christentums hin erweitert.

2)

Das ontologische Problem

Wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht, kam Ockham mit den logischen Problemen zurecht, die der Glaube an den dreifaltigen Gott ihm aufgab. Allerdings beruhen die Lösungen der logischen Schwierigkeiten auf der Voraussetzung, daß sich auch die ontologischen Schwierigkeiten lösen lassen. Vor allem ist vorausgesetzt, daß sich widerspruchslos eine Entität denken läßt, die mit drei real voneinander unterschiedenen Entitäten real identisch ist. Um diesen Gedanken auszudrücken, übernimmt Ockham von Johannes Duns Scotus den Begriff der Formaldistinktion, dessen Erläuterung der erste Gedankengang der folgenden Überlegungen gilt. Ein zweiter Gedankengang geht der Frage nach, ob nach Ockham jede Formaldistinktion einen Verstoß gegen das Kontradiktionsprinzip beinhaltet. Schließlich soll geprüft werden, ob Ockham den Glauben an den dreifaltigen Gott fur widersprüchlich gehalten hat. a)

Die Formaldistinktion bei Ockham

Um das Verhältnis zwischen dem einen göttlichen Wesen und den drei göttlichen Personen zu beschreiben, fuhrt Ockham den Begriff der Formaldistinktion ein. Das göttliche Wesen ist mit jeder der drei göttlichen Personen real identisch, aber es ist formal von ihnen unterschieden. Um zu verstehen, wie die Einheit des göttlichen Wesens und die Verschiedenheit der göttlichen Personen miteinander zu vereinbaren sind, sind also einige Ausführungen zur Rolle der Formaldistinktion in Ockhams Denken erforderlich. Wie merkwürdig gespalten Ockhams Verhältnis zur Formaldistinktion ist, zeigt besonders der Vergleich mit seinem großen Ordensbruder Johannes Duns Scotus. Duns Scotus hat weder den Gedanken noch den Begriff der Formaldistinktion erfunden. Beide stammen aus einer ihm vorausgehenden, hauptsächlich von Franziskanern geprägten Tradition.147 Scotus selbst zögert sogar, die Aus147

Hans Kraml: Beobachtungen zum Ursprung der „distinctio formalis". In: via scoti. Methodologica ad mentem Joannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale, Roma 9 11 marzo 1993. Hrsg. v. Leonardo Sileo. Vol. I. Roma: Paa-Edizioni Antonianum 1995, 3 0 5 318.

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drücke „Formaldistinktion" oder „formaler Unterschied" zu gebrauchen und spricht lieber von „formaler Nicht-Identität".148 Dennoch wurde die Formaldistinktion zu einem Kennzeichen des Scotismus, weil Scotus häufig und konsequent Formalitäten und die zwischen ihnen bestehenden formalen Identitäten und Nicht-Identitäten zur Lösung metaphysischer und theologischer Probleme einsetzte, während die konkurrierenden Thomisten und Ockhamisten eine solche Unterscheidung gänzlich oder weitgehend ablehnten. Formale Nicht-Identität besteht nach Scotus beispielsweise zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Personen,149 zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Vollkommenheiten, 150 zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Ideen,151 zwischen den Universalien und den individuierenden Bestimmungen der Einzeldinge usw.152 Anders als Scotus möchte Ockham die Annahme von Formaldistinktionen möglichst vermeiden. Jede Formaldistinktion im geschöpflichen Bereich lehnt er ab,153 insbesondere die zwischen den Universalien und den individuierenden Bestimmungen der Einzeldinge,154 mit der Duns Scotus den Universalienrealismus in einer abgeschwächten Form retten wollte. Was Gott betrifft, so bestreitet der „Venerabiiis Inceptor", daß zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Vollkommenheit bzw. den göttlichen Ideen eine formale NichtIdentität besteht.155 Nur einen formalen Unterschied zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Personen gibt auch Ockham zu.156 Die Formaldistinktion steht in der Mitte zwischen zwei anderen Arten des Unterschieds, nämlich des realen Unterschieds und des begrifflichen Unterschieds. Herkömmlicherweise verstand man unter einem realen Unterschied einen Unterschied, der ohne Rücksicht auf das Denken besteht, unter einem begrifflichen Unterschied hingegen einen Unterschied, der durch das Denken

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Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1-4, n. 4 0 4 (Vat. II 357,8-10): „Numquid igitur debet concedi aliqua ,distinctio'? Melius est uti ista negativa ,hoc non est formaliter idem', quam, hoc est sie et sie .distinetum'".

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Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 , n. 403 (Vat. II 357,3-7). Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 209 (Vat. IV 269,10-12); Scotus: Ord. I, dist. 3 3 - 3 4 , qu. 1-3, n. 2 (Vat. VI 243,12-244,4). Vgl. Kap. 5, III, 3! Scotus: Ord. II, dist. 3, pars 1, qu. 5-6, n. 188 (Vat. VII 4 8 4 , 1 - 5 ) . Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 19,24-25); S. L. I, cap. 16 (OPh I 56,66-67): „in creaturis nulla est talis distinetio formalis, sed quaecumque in creaturis sunt distineta, realiter sunt distineta". Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 160-224); S. L. I, cap. 16 (OPh I 54-57). Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 3—49); Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 2 0 , 1 1 - 1 2 und 2 2 - 2 3 ; 2 5 , 1 - 6 ) . Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 3 5 8 - 3 7 9 ) .

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

zustande kommt. So wurden vor Ockham oft begriffliche Unterschiede zwischen real identischen Entitäten gemacht. 157 Ockham übernimmt zwar die Ausdrücke „realer Unterschied" und „begrifflicher Unterschied", faßt sie aber ein wenig anders, als dies vor ihm üblich war. Für ihn ist nämlich ein realer Unterschied ein Unterschied zwischen realen Entitäten, ein begrifflicher Unterschied hingegen ein Unterschied zwischen Gedankendingen. 158 Dieses neue Verständnis des begrifflichen und des realen Unterschieds hat zwei Konsequenzen. Erstens können sich unter der Voraussetzung, daß dasselbe nicht zugleich ein Gedankending und eine reale Entität sein kann, nicht zwei Dingen, die real voneinander unterschieden sind, zugleich begrifflich voneinander unterscheiden, wie auch zwei Dinge, die sich begrifflich voneinander unterscheiden, sich nicht zugleich real voneinander unterscheiden können.' 59 Zweitens gibt es neben der realen Unterscheidung zwischen zwei realen Entitäten und der begrifflichen Unterscheidung zwischen zwei Gedankendingen eine dritte Art des Unterschieds, die weder als realer noch als begrifflicher Unterschied im strengen Sinn zu bestimmen ist, nämlich der Unterschied zwischen einer realen Entität und einem Gedankending. 160 Dazu kommt nach Ockham in der speziellen theologischen Frage nach dem Verhältnis des einen göttlichen Wesens zu den drei göttlichen Personen der formale Unterschied. Dieser unterscheidet sich vom begrifflichen Unterschied dadurch, daß er nicht zwischen Gedankendingen besteht, sondern ähnlich wie der reale Unterschied nur zwischen realen Entitäten („res") und unabhängig von jedem Denken. Daher bezeichnet Ockham die Formaldistink-

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Beispielsweise sind die göttlichen Personen nach Thomas von Aquin mit dem göttlichen Wesen real identisch, aber von ihm begrifflich unterschieden, vgl. Thomas von Aquin: Summa thologiae I, qu. 28, art. 2 (ed. Marietti, 153a). Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 78,4-12): „excepta distinctione vel non-identitate formali quae est ex natura rei et quae est difficillima ad intelligendum et quae non est ponenda nisi ubi fides compellit, nihil distinguitur ab aliquo nisi sicut ens reale ab ente reali; et omnis talis distinctio est distinctio realis, nec plus dependet ab intellectu quam ipsa entitas dependet ab intellectu. Vel distinguitur sicut ens rationis ab ente rationis; et omnis talis distinctio est distinctio rationis, quae identitatem realem simpliciter excludit, sicut ens rationis non potest esse ens reale". Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 75,5-6): „nihil reale potest distingui nec esse idem ratione cum aliquo reali". Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 78,12-17): „Vel distinguitur sicut ens reale ab ente rationis vel e converso; et ista distinctio stricte et proprie nec est realis nec rationis, sicut nec ipsa distincta nec sunt entia realia nec entia rationis, sed est quasi media, quia unum extremum est ens reale et aliud est ens rationis; qualiter autem debeat vocari non euro ad praesens, quia hoc est in voluntate loquentium"; Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 173,13-16); Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 370,18-20).

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tion auch als eine besondere Art des realen Unterschieds. 161 Vom realen Unterschied im engeren Sinn unterscheidet sich der formale dadurch, daß er nicht zwischen zwei oder mehreren real verschiedenen Entitäten besteht, sondern zwischen zwei real miteinander identischen Entitäten - oder sollte man besser sagen: zwischen einer einzigen realen Entität und ihr selbst? Charakteristisch für die Formaldistinktion ist also nach Ockham nicht (wie man vielleicht in Analogie zum begrifflichen Unterschied zwischen Gedankendingen und zum realen Unterschied zwischen realen Entitäten annehmen könnte und wie von Scotus und den Scotisten tatsächlich vertreten wurde), daß sie streng genommen nur zwischen verschiedenen Formalitäten bestehen könnte, die in ein und derselben realen Entität enthalten sind. Dies bestreitet Ockham vielmehr ausdrücklich. In Gott gibt es zwar formale Unterschiede, aber keine Formalitäten, in denen diese Unterschiede gründen, 162 sondern was immer unterschieden ist, ist durch sich selbst, nicht durch etwas anderes unterschieden. 163 Ein formaler Unterschied besteht nach Ockham also zwischen realen Entitäten, jedoch nicht wie ein realer Unterschied zwischen Entitäten, die voneinander real unterschieden sind, sondern zwischen Entitäten, die miteinander real identisch sind. Sie sind aber nicht schlechthin identisch, sondern formal unterschieden, weil die eine von ihnen mit einer dritten realen Entität real identisch, die zweite aber von der dritten real unterschieden ist. Zwischen A und Β liegt also eine Formaldistinktion vor, wenn Α und Β real identisch sind, Β mit C real identisch ist, aber Α von C real unterschieden ist. Beispielsweise sind in Gott die Person des Vaters und das göttliche Wesen formal unterschieden, weil der Vater und das Wesen miteinander real identisch sind, das Wesen aber auch mit den Personen des Sohnes und des Heiligen Geistes real identisch ist, von denen sich der Vater real unterscheidet. 164 Dieses Verständnis der Formaldistinktion hat einige merkwürdige Konsequenzen. Eine davon ist, daß das Gesetz von der Transitivität der Identität bei 161

162 163 164

Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 370,20-371,3): „distinctio realis est duplex: una quae est distinctio rerum; alia est distinctio qua unum, puta b, non est formaliter a, et dicitur distinctio realis, quia est ex natura rei, sed primo modo non est realis. Ideo nego istam consequentiam: omnis res est ens reale vel ens rationis, igitur omnis distinctio vel est realis vel rationis. Est enim distinctio media, quamvis inter ens reale et ens rationis non sit medium". Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 368,1-370,13). Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 369,12-370,13); Ord., dist. 5, qu. 1 (OTh III 36,24-37,2); vgl. Sandra Edwards: Some Medieval Views on Identity. In: NSchol 51 (1997) 62-74, 70-74. Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 19,10-15): „Immo distingui formaliter non est aliud, sicut ego teneo distinctionem formalem, et hoc est quid nominis ipsius, scilicet quod unum illorum est aliqua res absoluta vel relativa et alterum non est illa res, sicut essentia est Filius et Pater non est Filius, ideo essentia et Pater distinguuntur formaliter, ex quo sunt una res, quia essentia est Pater".

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

Formaldistinktionen nicht gilt. Dieses Gesetz besagt nämlich: Wenn Α mit Β identisch ist und Β mit C identisch ist, dann ist auch Α mit C identisch. Wenn aber zwischen real identischen Entitäten eine Formaldistinktion besteht, kann es geschehen, daß Β sowohl mit Α als auch mit C identisch, Α aber dennoch von C real unterschieden ist, daß ζ. B. das göttliche Wesen sowohl mit dem Vater als auch mit dem Sohn real identisch, der Vater aber dennoch vom Sohn real unterschieden ist. In diesem Fall ist also das Gesetz von der Transitivität der Identität nicht erfüllt.165 Keine Konsequenzen ergeben sich hingegen für das Gesetz von der Symmetrie der Identität, wonach Α nicht mit Β identisch sein kann, ohne daß Β mit Α identisch ist. Am Gesetz der Symmetrie der Identität scheint Ockham, selbst wo Formaldistinktionen im Spiel sind, weder implizit noch explizit gezweifelt zu haben.166 Eine weitere Konsequenz der Formaldistinktion besteht darin, daß das Gesetz von der UnUnterscheidbarkeit des Identischen bei Formaldistinktionen nicht gilt. Dieses Gesetz besagt nämlich: Wenn Α und Β real identisch sind und Α eine beliebige Eigenschaft F besitzt, dann besitzt auch Β dieselbe Eigenschaft F. Was also identisch ist, läßt sich nicht durch verschiedene Eigenschaften unterscheiden. Wenn aber zwischen Α und Β bei realer Identität ein formaler Unterschied besteht, kann es vorkommen, daß zwar Α eine Eigenschaft F besitzt, aber Β dieselbe Eigenschaft F nicht besitzt. Zum Beispiel sind das göttliche Wesen und die zweite göttliche Person miteinander real identisch, aber dennoch ist zwar die zweite göttliche Person gezeugt, jedoch nicht das göttliche Wesen.167 Aufgrund der Formaldistinktion lassen sie sich also voneinander unterscheiden, obwohl sie real identisch sind. In diesem Fall ist also das Gesetz von der UnUnterscheidbarkeit des Identisch nicht erfüllt.168 Dagegen folgen aus der Formaldistinktion keinerlei Konsequenzen für das Gesetz von der Identität des Ununterscheidbaren, das besagt: Wenn jede Eigenschaft F, die auf Α zutrifft, auch auf Β zutrifft, dann sind Α und Β miteinander identisch. Ockham selbst anerkennt dieses Prinzip.169

165 166 167 168 169

Ord., dist. 33, qu. un. (OTh IV 416,9-11 und 420,20-24); vgl. Adams: Identity, 67f. Gegen Adams: Identity, 66-69; Adams: Ockham, 1001 und 1006. Mit der Leugnung der Transitivität der Identität kann man die angeführten Texte Ockhams hinreichend erklären. Vgl. Ord., dist. 5, qu. 1 (OTh III 36,12-15). Adams: Identity, 68f. Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 174,6-8): „Igitur si in creaturis ab eadem re, vel ab eodem pro eadem re, potest omnino idem vere negari et vere affirmari, nulla distinctio realis potest probari in eis"; Quodl. VI, qu. 8 (OTh IX 615,85-88).

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Vergleicht man Scotus und Ockham hinsichtlich der Formaldistinktion, fallt auf, daß Ockham in der Annahme solcher formaler Unterschiede sehr zurückhaltend ist. Das hat Folgen für das Verständnis und den Erklärungswert der Formaldistinktion. Wenn Duns Scotus den Unterschied zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Personen als formal beschreibt, stellt er ihn in eine Reihe mit zahlreichen anderen formalen Nicht-Identitäten in Gott und in der Schöpfung. Wenn Ockham den Unterschied zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Personen gleichfalls als formal beschreibt, gibt er ihm dadurch eine Stellung, wie sie kein anderer Unterschied in Gott oder in der Welt hat. Geht man davon aus, daß das Verstehen von noch Unbekanntem auf Parallelen zu schon Bekanntem angewiesen ist, dient die Scotische Lehre von der Formaldistinktion dazu, den Unterschied zwischen dem Wesen und den Personen in Gott verständlich zu machen. Die Ockhamsche Lehre von der Formaldistinktion kann diese Aufgabe nicht erfüllen, denn nach ihr ist die Formaldistinktion einzigartig, unvergleichlich und daher auch schwer verständlich. Sie macht die Dreifaltigkeit nicht verständlich, sondern ist nach Ockham genau so schwierig zu vertreten wie die Dreifaltigkeit selbst.' 70 Man mag sich fragen, weshalb Ockham sie dann vertritt. Diese Frage läßt sich zweifach formulieren, nämlich erstens als Frage nach dem Erkenntnisgrund, der ihn zur Annahme von Formaldistinktionen bewog, und zweitens als Frage nach dem Sinn, der dieser Annahme in einem größeren Zusammenhang des Denkens und Glaubens zukommt. Die Frage nach dem Erkenntnisgrund wurde von Ockham mehrfach ausdrücklich beantwortet. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn im Zusammenhang des Denkens und Glaubens zeigt sich eher indirekt. Ockham gibt ausdrücklich an, woher er von der Formaldistinktion in Gott weiß. Alles Wissen speist sich seiner Meinung nach nämlich aus den drei Quellen der Vernunft, der Erfahrung und der Offenbarung. 171 Nun läßt sich die Dreifaltigkeit Gottes weder erfahren noch mit der Vernunft allein erfassen. Außerdem läßt sich ein so schwieriger Gedanke, wie es die Formaldistinktion ist, schwerlich mit der Erfahrung oder der Vernunft allein begründen. Also stammt das Wissen von ihr aus der Offenbarung. Die Inhalte der Offenbarung erkennen wir nach Ockham auf wiederum dreifachem Weg. Wir können sie erstens in der Heiligen Schrift lesen, zwei170

171

Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 17,15-18): „tarnen est [seil, distictio formalis] difficillima ad ponendum ubicumque, nec credo earn esse faciliorem ad tenendum quam trinitatem personarum cum unitate essentiae". Ord., dist. 30, qu. 1 (OTh IV 290,1-3): „nihil debet poni sine ratione assignata nisi sit per se notum vel per experientiam scitum vel per auetoritatem Scriturae Sacrae probatum"; vgl. Rep. IV, qu. 7 (OTh VII 119,17-18).

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum"

tens den lehramtlichen Entscheidungen der Kirche entnehmen und drittens aus beidem folgern. 172 Schrift und lehramtliche Entscheidung sind so gewiß, daß sich jeglicher Verstand in die Gefangenschaft ihrer Autorität begeben muß,173 wie Ockham im Anschluß an 2 Kor 10,5 formuliert. Wegen Schrift, Lehramt und dem, was aus beidem folgt, sieht sich Ockham auch zur Annahme von Formaldistinktionen zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Personen genötigt.174 Der Begriff der Formaldistinktion ist wörtlich und ausdrücklich natürlich weder in der Heiligen Schrift noch in den Urkunden des unfehlbaren kirchlichen Lehramtes enthalten, sondern wird nur von Ockham aus den Inhalten beider gefolgert. Neben der Frage, woher Ockham von der Formaldistinktion in Gott weiß, ist auch ihr Sinn im Zusammenhang des Denkens und Glaubens von Interesse. Nicht von der Hand zu weisen ist die Antwort, daß die Formaldistinktion das Geheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit nicht erklären, sondern in philosophischer Sprache ausdrücken soll175 und eben deshalb ebenso unbegreiflich sein muß wie die Dreifaltigkeit selbst. Ockham selbst bemerkt, daß sich die Formaldistinktion nicht aus einsichtigeren Voraussetzungen belegen läßt, sondern schlicht expliziert, was im Glauben an den dreifaltigen Gott implizit schon enthalten ist.176 Mir scheint, daß Ockham eben dadurch, daß er das trinitarische Mysterium mit einem mysteriösen philosophische Begriff ausdrückt, zugleich ein weiteres Ziel erreicht: Er weist dem Geheimnis seinen Platz in einem größeren Zusammenhang an und steckt ihm damit gewisse Grenzen. Wenn das Unerklärliche und kaum Verständliche am dreifaltigen Gott in Unterschied und Identität zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Personen besteht, dürfen wir hoffen, die Verhältnisse der Personen zueinander und zu den Geschöpfen, des Wesens zu den Vollkommenheiten und alles andere, was sich ohne Rückgriff auf Formaldistinktionen beschreiben läßt, wenigstens durch 172

173 174

175 176

Ord., dist. 1, qu. 5 (OTh 1455,17-20): „sed fides non compellit ad aliquid ponendum nisi quod habetur ex Scriptura Sacra vel ex determinatione Ecclesiae vel evidenter et formaliter infertur ex talibus". Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 17,19-18,1): „ex creditis traditis in Scriptura Sacra vel determinatione Ecclesiae, propter cuius auctoritatem debet omnis ratio captivari". Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 17,18-19; 18,15-17): „non debet poni [scil. distinctio formalis] nisi ubi evidenter sequitur ex creditis traditis in Scriptura Sacra vel determinatione Ecclesiae. (...) ex traditis in Sacra Scriptura evidenter sequitur quod essentia divina non est formaliter relatio, sicut post patebit". Michael Jordan: What's New in Ockham's Formal Distinction? In: FrS 45 (1985) 97-110, 110. Quodl. I, qu. 2 (OTh IX 16,112-115): „Et tunc dico quod non est ibi aliqua probatio per aliquod medium evidentius, sed solum est illatio ab explicito ad implicitum, quia aliud non intelligo per ilia distinctionem formalem".

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit

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die Offenbarung zu verstehen. Und selbst das, was aus den Formaldistinktionen folgt, können wir zwar nicht klären, aber wenigstens so formulieren, daß sich der logisch einsichtige Schluß, die für uns begreiflichen Prämissen ohne Formaldistinktion und die für uns unbegreiflichen Prämissen mit Formaldistinktion auseinander halten lassen. Der Begriff der Formaldistinktion dient Ockham also als philosophischer Ausdruck für das Glaubensgeheimnis der Dreifaltigkeit, und eben indem er den Begriff der Formaldistinktion dazu verwendet, weist er dem Geheimnis sein Platz im Gesamt des Geoffenbarten und damit auch gewisse Grenzen zu. b)

Formaldistinktion und

Kontradiktionsprinzip

Formaldistinktionen hängen nach Ockham mit Widersprüchen zusammen. Die Aufgabe des folgenden Abschnitts ist es zu erklären, worin dieser Zusammenhang besteht. Ockham führt die Formaldistinktion im Zusammenhang mit den Widersprüchen ein, die sich von der Person des Vaters und vom göttlichen Wesen wahrheitsgemäß aussagen lassen, obwohl beide real identisch sind. Da sich diese Widersprüche nicht als rein logische oder grammatische Zufälligkeiten wegerklären lassen, muß neben der realen Identität zwischen Wesen und Person auch eine Weise der Nicht-Identität bzw. des Unterschieds bestehen, und zwar die Formaldistinktion.177 Dies kann man nun auf zweifache Weise verstehen, und es wird in der Sekundärliteratur auch tatsächlich in zweifacher Weise gedeutet. Einerseits kann dies im Anschluß an Philotheus Boehner und Helmar Junghans178 bedeuten, daß die Formaldistinktion ungeachtet der realen Identität einen hinreichend großen Unterschied zwischen dem Wesen und den Personen in Gott setzt, daß von ihnen Widersprüchliches ausgesagt werden kann, ohne daß das Kontradiktionsprinzip verletzt wird. Demnach stand Ockham vor der Alternative, entweder die Formaldistinktion einzuführen oder Widersprüche in Gott zuzugestehen, und indem er sich für die Formaldistinktion entschied, wahrte er das Kontradiktionsprinzip auch im trinitarischen Bereich. Andererseits kann man mit Volker Leppin179 in der Formaldistinktion den philosophischen Ausdruck und vielleicht auch die Legitimation für eine Ausnahme vom Kontradiktionsprinzip sehen, so daß, wo immer eine Formaldistinktion gesetzt wird, zugleich auch ein Widerspruch behauptet wird. Wenn 177 178 179

Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 3 6 4 , 7 - 2 2 ) . Boehner: Crisis; ähnlich Helmar Junghans: Ockham im Lichte der neueren Forschung. BerlinHamburg: Lutherisches Verlagshaus 1968, 117f. Leppin: Wahrheit, 23 9 - 2 4 3 .

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

nun Ockham die Formaldistinktion in der Schöpfung bestreitet, in der Trinität aber behauptet, mag er zwar die Schöpfung für widerspruchsfrei halten, doch den Glauben an die Dreifaltigkeit erklärt er für widersprüchlich. Wie die Formaldistinktion läßt sich auch der Gedanken, der ihr zugrunde liegt, auf zweifache Weise deuten, nämlich der Gedanke, daß mehrere reale Entitäten voneinander real unterschieden sind, aber jede von ihnen mit ein und derselben realen Entität real identisch ist, daß also konkret drei real voneinander unterschiedene Personen mit ein und demselben Wesen real identisch sind. Einerseits läßt sich diese seltsame Konstruktion so deuten, als sollten in die Einheit des göttlichen Wesens hinreichende Unterschiede eingeführt werden, um von ihm Entgegengesetztes aussagen zu können, ohne das Kontradiktionsprinzip zu verletzen. Andererseits läßt sich dieser Gedanke auch so verstehen, als sollten die Unterschiede zwischen den Personen so auf die Einheit des Wesens übertragen werden, daß sie dort widersprüchliche Aussagen über dasselbe und somit eine Ausnahme vom Kontradiktionsprinzip rechtfertigen. In diesem Zusammenhang mag es interessant sein, die Frage, ob Ockhams Trinitätslehre widersprüchlich ist oder nicht, vom Standpunkt der systematischen Theologie her zu erörtern, die hauptsächlich beschäftigt, wie Gottes Wesen tatsächlich beschaffen ist, und nicht, was Ockham darüber gedacht hat. Ockhams Grundgedanke, eine Entität sei mit drei real unterschiedenen Entitäten real identisch, (und mit dem Grundgedanken seine ganze Trinitätstheologie) mag unter einem solchen Blickwinkel sehr verdächtig erscheinen. Ich verfolge aber nur das bescheidenere Ziel, herauszufinden, ob Ockham selbst sein Denken über den dreifaltigen Gott für widerspruchsfrei gehalten hat. Zu diesem Zweck wird häufig herangezogen, was Ockham über die Formaldistinktion außerhalb trinitarischer Fragestellungen äußert. Wie erwähnt, lehnt Ockham im geschöpflichen Bereich jeglichen formalen Unterschied bei gleichzeitiger realer Identität ab. Formale Unterschiede zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Vollkommenheiten bestreitet er gleichfalls. In diesem Zusammenhang versteigt er sich sogar zu der Behauptung, über ein Argument zu verfügen, das sich gegen jegliche Formaldistinktion in gleicher Weise richtet.180 Entgegen dem ersten Anschein lehnt Ockham dann aber doch nicht jede Formaldistinktion ab. Vielmehr räumt er sie in der Mitte derselben

180

Ord, dist. 2, qu. 1 (OTh II 14,8-10): „Contra istam opinionem arguo primo per unum argumentum quod est aequaliter contra distinctionem vel non-identitatem formalem ubicumque ponatur".

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Distinktion als Antwort auf einen möglichen Einwand ein181 und löst mit ihr die letzte Frage der Distinktion.182 Dieses scheinbar entscheidende und dann doch eingeschränkte Argument beruht auf der Prämisse: Wo immer es Unterschiede gibt, kann Widersprüchliches ausgesagt werden. Widersprüche belegen aber eine Differenz zwischen realen Entitäten oder eine Differenz zwischen Gedankendingen oder eine Differenz zwischen einer realen Entität und einem Gedankending. In Zusammenhängen, in denen wir es mit keinen Gedankendingen zu tun haben, belegen Widersprüche daher immer reale Unterschiede.183 Wovon also nichts Widersprüchliches ausgesagt werden kann, das ist, so scheint es, real identisch; wovon Widersprüchliches ausgesagt werden kann, das ist real unterschieden. Es scheint also keinen Platz für eine Formaldistinktion zu geben. Ockham begnügt sich aber nicht damit festzustellen, daß Widersprüche einen realen Unterschied belegen; er versucht auch zu erklären, weshalb dies so ist: Es gibt nämlich bei den Widersprüchen keine Grade und Abstufungen, 184 sondern ein Widerspruch ist genau so aussagekräftig wie jeder andere. Dies läßt sich auf zweifache Weise deuten: Entweder belegen alle Widersprüche einen realen Unterschied, oder kein Widerspruch belegt einen realen Unterschied. Nun scheint Ockham sich für die erste Alternative zu entscheiden und zu behaupten, daß alle Widersprüche einen realen Unterschied belegen. Bei ihm heißt es nämlich, der Widerspruch sei das stärkste Mittel, um einen realen Unterschied zu beweisen.185 Doch nehmen wir diese Behauptung nicht vorschnell als Versicherung, daß Widersprüche reale Unterschiede belegen und damit indirekt formale Unterschiede ausschließen, sondern verweilen wir einen Moment beim Superlativ „via potissima"! Er besagt nur, daß es kein stärkeres Mittel gibt, um einen realen Unterschied zu beweisen, aber nicht notwendigerweise, daß der Widerspruch zu diesem Zweck ein sehr starkes Mittel ist. Ockham überlegt auch von der anderen Seite her: Würde man Formaldistinktionen zugestehen, gäbe es keine philosophisch einwandfreie Möglichkeit 181 182 183

Ord, dist. 2, qu. 6 (OTh II 174,24-175,10). Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 364,7-10). Ord, dist. 2, qu. 1 (OTh II 14,10-16): „ubicumque est aliqua distinctio vel non-identitas, ibi possunt aliqua contradictoria de illis verificari; sed impossibile est contradictoria verificari de quibuscumque, nisi ilia vel ilia pro quibus supponunt sint distinctae res vel distinctae rationes sive entia rationis vel res et ratio; sed si omnia ilia sint ex natura rei, non sunt distinctae rationes nec res et ratio; igitur erunt distinctae res".

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Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 15,6-7); Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 174,8-9): „Confirmatur, quia omnia contradictoria habent aequalem repugnantiam". Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 174,5-6): „Contradictio est via potissima ad probandum distinctionem rerum".

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mehr, einen realen Unterschied zu belegen. Zwar würden unter dieser Voraussetzung Widersprüche immer noch Unterschiede belegen, doch kein Mensch könnte entscheiden, ob diese Unterschiede reale Unterschiede oder nur formale Unterschiede bei realer Identität wären.186 Nimmt man etwa eine Formaldistinktion in Gott an, könnte man ebenso gut auch eine in den Geschöpfen annehmen, sodaß in den Geschöpfen ein einziges Wesen ebenso mit drei Personen vereinbar wäre wie in der Dreifaltigkeit.187 Diese Folgerung erscheint Ockham jedoch zu unvernünftig, als daß er sie zugestehen könnte. Er hält daher daran fest, daß wenigstens manche Widersprüche für den Philosophen reale Unterschiede belegen. Wenn dies aber manche tun, dann tun dies alle Widersprüche, weil es in den Widersprüchen keine Grade und Abstufungen gibt. Also belegen alle Widersprüche reale Unterschiede, und es gibt für den Philosophen keine bloß formalen Unterschiede bei realer Identität. Zu beachten ist, daß Ockham die gegenteilige Annahme nicht deshalb verwirft, weil aus ihr etwas Unmögliches oder klar Falsches folgt, sondern weil sie zu unvernünftigen Behauptungen führt. Wenn daher der Theologe aufgrund seiner höheren Einsicht entgegen der Meinung des Philosophen doch Formaldistinktionen einräumt, impliziert er damit nicht notwendigerweise etwas Falsches, Unmögliches oder gar einen Widerspruch. Nun muß sich der Theologe ebenso wie der Philosoph vor der Gefahr hüten, unnötig eine Formaldistinktion anzunehmen, denn dann verbaut auch er sich jeden Weg, um durch einen Widerspruch einen realen Unterschied zu belegen, weil er mit ebenso guten Gründen einen nur formalen Unterschied annehmen könnte.188 Daher darf der Theologe nur dann eine Formaldistinktion 186

Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 16,4-14): „Confirmatur ista ratio, quia qua ratione tu dicis quod aliquod idem potest vere negari de sapientia divina et vere affirmari de bonitate divina, non obstante reali identitate, propter solam distinctionem formalem, eadem facilitate dicam universaliter quod esse et non-esse verificantur de α et b propter distinctionem formalem, non obstante quod sint idem realiter; et ita perit omnis via probandi distinctionem vel non-identitatem realem inter quaecumque. Si enim dicas, quod asinus non est rationalis et homo est rationalis, igitur homo et asinus distinguuntur realiter; dicam quod non sequitur, sed sufficit quod distinguantur formaliter"; vgl. Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 174,3-5); Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 17,13-15).

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Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 18,5-10): „et eam [seil, distinctionem formalem] universaliter nego in creaturis, quamvis posset teneri in creaturis sicut in Deo. Ita enim credo facile tenere trinitatem personarum cum unitate essentiae in creaturis sicut in Deo propter quascumque rationes in oppositum, quia credo quod pro statu isto aeque posset satisfieri rationibus probantibus non esse tres personas in una essentia in creaturis sicut in Deo". Vergleichbar ist in diesem Punkt das bekannte Ökonomieprinzip Ockhams „frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora" (Beispielsweise S. L. I, cap. 12 (OPh I 43,34-35)). Ockham begründet mit ihm so mache These in philosophischen und sogar theologischen Zusammenhängen; dennoch gesteht er zu, daß Gott nicht daran gebunden ist, und weiß aus der Offenba-

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zugestehen, wenn ihn die Offenbarung dazu zwingt. Zwingen können ihn aber nicht die fehlbaren, sondern nur die unfehlbaren Offenbarungsquellen, nämlich die Heilige Schrift und die verbindlichen Lehrentscheidungen der Kirche. Daher dürfen formale Unterschiede ausschließlich dann angesetzt werden, wenn dies in der Heiligen Schrift oder in einer lehramtlichen Entscheidung der Kirche enthalten ist oder evident aus ihren Inhalten folgt.189 Die Offenbarung verlangt aber nach Ockham den Rückgriff auf Formaldistinktionen nur in einem einzigen Fall. Dieser betrifft nicht den geschöpflichen Bereich und auch nicht die meisten theologischen Fragen. Daher belegen Widersprüche im geschöpflichen Bereich reale Unterschiede; und umgekehrt läuft die unnötige Annahme einer Formaldistinktion im geschöpflichen Bereich praktisch auf eine Verletzung des Kontradiktionsprinzips hinaus. 190 Vielmehr handelt es sich bei der einzigen theologisch unumgänglichen Formaldistinktion um den bekannten und (als einzig mögliches Beispiel) schon oft angeführten Fall der formalen Unterschiede zwischen dem göttlichen Wesen und den drei göttlichen Personen.191 Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Autorität der Offenbarung den Gläubigen zur Annahme einer Formaldistinktion zwingen kann. Doch diese Annahme impliziert entgegen dem ersten Anschein nichts Unmögliches oder Widersprüchliches, sofern die Formaldistinktion selbst nicht unmöglich und widersprüchlich ist; und dies betrifft vor allem ihren Grundgedanken, daß eine reale Entität mit mehreren real voneinander unterschiedenen Entitäten real identisch ist. Dies ist erst zu zeigen; doch daß Ockham in der Trinitätslehre auf Formaldistinktionen zurückgreift, kann allein die Widersprüchlichkeit des Grundgedankens nicht beweisen. rung, daß sich Gott auch nicht immer daran hält. Vgl. Jan P. Beckmann: Ontologische Prinzip oder methodologische Maxime? Ockham und der Ökonomiegedanke einst und jetzt. In: Die Gegenwart Ockhams. Hrsg. v. Wilhelm Vossenkuhl und Rolf Schönberger. Weinheim: VCA, acta humaniora 1990, 191-207. 189

Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 17,18-19): „non debet poni [seil, distinetio formalis] nisi ubi evidenter sequitur ex creditis traditis in Scriptura Sacra vel determinatione Ecclesiae"; vgl. Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 78,4-6); Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 175,6-8); Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 3 7 0 , 1 6 - 1 7 ; 374,24-25).

190

Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 174,2-3); S. L. I, cap. 16 (OPh I 5 4 , 1 1 - 1 3 und 55,22): „in creaturis numquam potest esse aliqua distinetio qualiscumque extra animam nisi ubi res distinetae sunt. ( . . . ) eidem rei creatae non possunt convenire opposita".

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Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 374,16-25): „Et universaliter, quando ita est, tunc est illa distinetio [seil, formalis] possibilis; sed numquam ita est nisi in Deo, et ideo est in solo Deo ponenda. Unde dico quod non potest esse distinetio formalis, nec talis contradictio verificari, nisi ubi sunt distinetae res realiter, quod solum est possibile de personis divinis, quia sunt tres personae realiter distinetae et tarnen sunt una res, quia sunt una essentia numero. Et ideo cum non sit possibile in creaturis quod plures res distincatae realiter sint una res, ideo in creaturis non est talis distinetio ponenda; nec umquam est ponenda ubi credita non compellunt".

3. Kapitel „Nonpotest efficere Deum"

196 c)

Die Widerspruchsfreiheit Gottes

Hielt Ockham also den Glauben an die Dreifaltigkeit Gottes für widersprüchlich? Diese Frage ist nicht leicht zu entscheiden. Meines Wissens macht Ockham dazu keine ausdrücklichen Angaben. Dieses Schweigen allein entscheidet allerdings noch nichts. Sollte Ockham nämlich tatsächlich die Widersprüchlichkeit der Dreifaltigkeit angenommen haben, wäre er in seiner Zeit wohl gut beraten gewesen, sich darüber nicht allzu deutlich zu äußern, sondern seine Ansicht mittels der etablierten Redeweise von der Formaldistinktion nur verhüllend anzudeuten; denn ein unumstrittenes Dogma für widersprüchlich zu erklären, wäre vielleicht sogar fur einen so kühnen Denker und unerschrockenen Dozenten wie Ockham gefahrlich geworden, der sonst nicht vor gewagten Schlußfolgerungen zurückschreckte. Wenn Ockham hingegen den Glauben an den dreifaltigen Gott für widerspruchsfrei hielt, konnte er diese Ansicht fur so normal halten, daß er keinen Grund sah, sie umständlich zu begründen oder auch nur ausdrücklich festzustellen, selbst wenn er seine Trinitätslehre mit ein paar paradox klingenden Formulierungen würzte. Aus den bisherigen Überlegungen hat sich, obwohl dies in der Sekundärliteratur manchmal so dargestellt wurde, kein entscheidendes Argument dafür ergeben, daß Ockham die Trinitätslehre für widersprüchlich hielt.192 Daß er die Aussagen „Deus generat Deum" und „Deus non generat Deum" beide gleicherweise zugesteht, besagt nichts. Den „syllogismus expositorius" und das „dictum de omni" bezweifelt Ockham nicht. Die Annahme einer Formaldistinktion zwischen den trinitarischen Personen und dem Wesen Gottes impliziert nicht notwendigerweise, daß das Kontradiktionsprinzip verletzt wird. Da Ockham sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich äußert, da aber auch kein Gegenargument entscheidet, glaube ich, aus einigen Bemerkungen Ockhams zu verwandten Themen erschließen zu dürfen, daß er das Dogma von der Dreifaltigkeit Gottes für widerspruchsfrei gehalten hat. Diesbezüglich gibt es mehrere Hinweise.

192

Zusätzlich zu den diskutierten Beispielen könnte sich jemand vielleicht auf den rätselhaften Text in Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 119,44-54) beziehen. Die Übersetzer (William of Ockham: Quodlibetal Questions. Volume 1: Quodlibets 1-4. Translated by Alfred J. Freddoso and Francis E. Kelley. New Haven & London: Yale University Press 1991, 102f.) legen im Anschluß an die bei Walter Chatton zusammengefaßte Formulierung des Arguments, auf das Ockham antwortet, (Chatton: Reportatio, Prol., qu. 3, art. 4 (ed. Wey, 206,36-50)) einen korrigierten Text vor, mit dem sich eine Widersprüchlichkeit des Glaubens an den dreifaltigen Gott nicht begründen läßt.

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit Gottes

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Einen ersten Hinweis konnte ich der Arbeit von Volker Leppin selbst entnehmen. Er fuhrt eine Stelle aus dem „Dialogus" an, wo Ockham zwischen den Lehren verschiedener Päpste Widersprüche feststellt und daraus schließt, daß wenigstens einer von ihnen Falsches lehrt, denn „contraria autem non sunt a catholicis recipienda".193 Weil sich diese Behauptung nicht mit Leppins Ansicht vereinbaren läßt, daß Ockham in der Trinitätslehre bewußt Widersprüche behaupte, versteht er diese Äußerung als überspitzte Formulierung in einem polemischen Zusammenhang.194 Ferner mag man bedenken, daß der Satz nicht aus der akademischen Tätigkeit Ockhams stammt und daß ihn Ockham nicht im eigenen Namen ausspricht, sondern dem „Magister" seines Dialogs in den Mund legt. Aber solange die Annahme, Ockham habe den Glauben an den dreifaltigen Gott für widersprüchlich gehalten, nicht so gründlich belegt ist, wie Leppin meint, darf man in dieser späten und nicht ganz eindeutigen Äußerung doch wenigstens einen Hinweis darauf sehen, daß der „Venerabiiis Inceptor" von der Widerspruchsfreiheit auch der Trinitätslehre ausgegangen ist. Einen zweiten Hinweis entnehme ich der Bemerkung Ockhams, daß der Glaubensartikel von Gottes Dreifaltigkeit notwendig ist und sein Gegenteil einen Widerspruch enthält.195 Zwar mag, wer Ockham einen Verstoß gegen das Kontradiktionsprinzip zutraut, ihm auch zutrauen, daß er einen Widerspruch nicht nur für faktisch verwirklicht, sondern darüber hinaus auch für notwendig erklärt und daß er zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzte Behauptungen fur gleichermaßen widersprüchlich hält. Dennoch sind solche Annahmen so ungewöhnlich und befremdlich, daß ich zögere, sie Ockham zu unterstellen, und lieber vermute, daß er nicht die Dreifaltigkeit Gottes, sondern nur ihre Bestreitung für widersprüchlich gehalten hat. Einen dritten Hinweis entnehme ich dem Argument, mit dem Ockham von der vorläufigen Beschreibung der Allmacht, wonach Gott alles machen kann, was keinen Widerspruch enthält, zur verbesserten Beschreibung übergeht, wonach Gott alles machen kann, dessen Gemacht-Werden widerspruchsfrei ist. Das Argument beruft sich nämlich darauf, daß nach der vorläufigen Definition der Allmächtige einen Gott machen könnte, was Ockham jedoch ablehnt.196 Diese Argumentation läßt sich nur unter der Voraussetzung halten, daß der Gott, der angeblich gemacht wird, widerspruchsfrei ist. 193 194 195

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I Dial. 5, cap. 5 (ed. Goldast 4 7 5 , 2 9 - 3 0 ) . Leppin: Wahrheit, 314, Anm. 299. Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 119,44-45); Quodl. II, qu. 3 (OTh IX 122,132-123,3): „Aliqua enim [seil, propositio] est necessaria et immediata, quae tarnen non potest cognosci evidenter nisi mediante experientia. Et sie est in proposito de ista ,Deus est Trinitas'". Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 36,4-10).

198

3. Kapitel „Non potest efflcere Deum "

Dagegen kann man zwar einwenden, daß Ockham von dem angeblich gemachten Gott nicht sagt, daß er auch dreifaltig ist. Aber wenigstens frühe Anhänger verstanden es wohl so. Denn der „Tractatus de principiis theologiae"197 und eine Pariser Handschrift der „Ordinatio" Ockhams198 formen das Argument so um, als müßte Gott nach der vorläufigen Definition der Allmacht sich selbst machen können, weil er selbst widerspruchsfrei sei. Dieser widerspruchsfreie Gott ist aber, weil es nur diesen einen gibt, zugleich der dreifaltige Gott. Daher nehme ich diesen Gedanken als Hinweis darauf, daß Ockham die Dreifaltigkeit Gottes nicht für widersprüchlich gehalten hat. Einen vierten Hinweis enthält Ockhams Argumentation gegen die Trinitätslehre des Thomas von Aquin, die er für widersprüchlich (wenigstens dem Wortlaut nach) erklärt.199 Man darf bezweifeln, daß Ockham einen solchen Vorwurf gegen Thomas erhoben hätte, wenn er in der eigenen Trinitätslehre die er noch dazu in derselben Quästion darlegt! - bewußt ebenfalls einen Widerspruch vertreten hätte. Einen fünften Hinweis scheint mir die Regel zu geben, wonach aus dem Unmöglichen alles Beliebige folgt („ex impossibile sequitur quodlibet"). Ockham kennt diese Regel.200 Wenn er sie anwendet, zeigt sich, daß er „unmöglich" als „widersprüchlich" versteht.201 Nach dieser Regel läßt sich das Kontradiktionsprinzip nicht einfach punktuell außer Kraft setzen, sondern wer einmal einen Widerspruch zugestanden hat, muß jeden beliebigen Unsinn (samt seinem Gegenteil202) zugeben, wozu Ockham selbstverständlich nicht bereit ist. Da Ockham aber diese Schlußregel als formal richtig anerkennt, müßte er, sofern er konsequent denkt, jedwede Ausnahme vom Kontradiktionsprinzip ausschließen, auch in der Trinität.

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Tractatus de principiis theologiae, princ. I (OPh VII 507,4-6): „Nota quod non dico quod Deus potest facere omne quod non includit contradictionem, quia tunc posset facere seipsum. Ipse enim non includit contradictionem". Abgedruckt in OTh IV 611, Anm. 1: „Omnipotentia Dei non dicitur ex hoc quod potest facere omnia quae esse non implicat contradictionem quia ipsum scilicet Deum esse non implicat contradictionem et tarnen Deus non potest facere se ipsum esse". Ord., dist. 2, qu. 11 (OTh II 360,5-7): „Contra istum modum ponendi [seil. Thomae] arguo: videtur enim iste modus loquendi impropriissimus et, de virtute sermonis, includens contradictionem". S. L. III-3, cap. 38 (OPh I 730,88-731,92): „aliae regulae dantur, quod ,ex impossibili sequitur quodlibet' et quod .necessarium sequitur ad quodlibet' (...). Sed tales consequentiae non sunt formales, et ideo istae regulae non sunt multum usitatae". Quodl. III, qu. 1 (OTh IX 204,126-128): „Sed antecedens includit contradictionem, ideo nihil potest ex illo antecedente demonstrative probari, sed solum inferri, sicut ex impossibili quodlibet"; vgl. Quodl. III, qu. 1 (OTh IX 206,173-175; 207,216-217). Quodl. III, qu. 1 (OTh IX 207,216-217).

Die Allmacht und Widerspruchsfreiheit Gottes

199

Als sechsten Hinweis nehme ich, daß Ockham einige Male bestreitet, daß seine Erklärungen zum Verhältnis von Wesen und Personen in Gott Widersprüche rechtfertigte. Diese Texte sind allerdings manchmal schwierig zu deuten, weil er auf Einwände antwortet, die er nicht zitiert, und weil der eine Teil von ihnen von den Herausgebern nicht identifiziert werden konnte, der andere Teil nicht im Druck vorliegt. Solche Einwände scheinen vor allem darauf insistiert zu haben, daß vom göttlichen Wesen und den göttlichen Personen Widersprüchliches ausgesagt werden kann, obwohl doch die Begriffe „Wesen" und „Vater" dasselbe bezeichnen. Ockham antwortet darauf immer wieder: Damit ein Widerspruch entsteht müssen die Begriffe „Wesen" und „Vater" in jeder Hinsicht für dasselbe („pro eodem omnino") supponieren. Nun ist zwar, wofür beide supponieren, miteinander real identisch, aber nicht in jeder Hinsicht dasselbe, denn der Begriff „Wesen" supponiert für eine Entität, die mit dem Sohn und dem Heiligen Geist real identisch ist, während der Begriff „Vater" für eine Entität supponiert, die zwar mit dem Wesen real identisch, aber vom Sohn und dem Heiligen Geist real unterschieden ist. Ockham erkennt also in den Argumenten seiner Gegner eine „fallacia accidentis".203 Auf einen Einwand in einer Frage, die den Kern seiner Trinitätslehre betrifft, gesteht Ockham also nicht ein, daß er vom im jeder Hinsicht selben („idem omnino") widersprüchliche Aussagen zuläßt, sondern beharrt darauf, daß die Aussagen einander nicht widersprechen. Das klingt so, als diene ihm die Formaldistinktion zur Vermeidung des Widerspruchs, nicht zu seinem Ausdruck und zu seiner Rechtfertigung. Obwohl sich durch ein bloßes Zitat die Frage, ob Ockham den Glauben an den dreifaltigen Gott für widersprüchlich gehalten habe, weder positiv noch negativ entscheiden läßt, deuten die soeben aufgezählten sechs Hinweise doch darauf hin, daß er keine Ausnahmen vom Kontradiktionsprinzip und keinen „a-logischen Sonderbereich" zuläßt, auch nicht in Gott. Der Grundgedanke seiner Trinitätslehre, daß das eine und einfache göttliche Wesen mit drei voneinander real unterschiedenen Personen real identisch ist, mag zwar „extrem paradox"204 formuliert sein. Ockham selbst hält ihn für besonders schwer verständlich, sieht in ihm aber keinen Widerspruch. Die Formaldistinktion dient ihm also nicht dazu, eine Ausnahme vom Kontradiktionsprinzip auszudrükken, zu erklären oder zu rechtfertigen, sondern Ockham führt sie trotz ihrer Problematik ein, weil er nur durch sie widersprüchliche Aussagen vom göttlichen Wesen vermeiden kann. 203 204

Quodl. I, qu. 2 (OTh IX 1 3 , 4 0 - 1 4 , 5 2 . 5 3 - 5 5 . 5 9 - 6 2 ; 15,82-92; 17,132-18,171). Schönberger: Realität, 107f.

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3. Kapitel „Non potest efflcere Deum "

Das Kontradiktionsprinzip bestimmt also für Ockham, was schlechthin unmöglich ist, sodaß es die einzige Grenze für die göttliche Macht darstellt. Selbst wenn Ockham trinitarische Hervorgänge nicht grundsätzlich als Ausdruck der Allmacht ausschloß, bestätigt sich in der Ansicht von der Widerspruchsfreiheit des dreifaltigen Gottes das Prinzip, daß nicht einmal der Allmächtige einen Widerspruch verwirklichen kann.

IV. Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 3 Ockhams Einsichten über den Umfang der Allmacht Gottes, wie sie im ersten und zweiten Kapitel dargestellt wurden, wurden folgendermaßen zusammengefaßt: Satz 5: Gott ist allmächtig genau dann, wenn für jede widerspruchsfreie Entität X, die sich mit ausschließlich absoluten Begriffen beschreiben läßt, gilt: Gott ist fähig, X zu erschaffen oder zu erhalten. Das dritte Kapitel enthält Überlegungen, die die Reichweite der göttlichen Macht betreffen und mit dem Satz 5 noch nicht angemessen erfaßt werden können. Daher gehe ich nochmals auf die Frage ein, was Gott alles nach Ockhams Ansicht vermag und was nicht. Ockham schränkt im Zusammenhang mit der Frage, ob Gott einen Gott machen könne, den Bereich ein, auf den sich die göttliche Allmacht erstreckt: Gott kann nicht alles machen, was keinen Widerspruch enthält, sondern nur alles, dessen Gemacht-Werden keinen Widerspruch enthält, nur alles widerspruchsfrei Machtbare, also keinen Gott. Damit erweist Ockham den Satz 5 als zu weit und schränkt ihn ein. Zu weit ist dieser Satz deshalb, weil er, wenn die Variable X durch den widerspruchsfreien Begriff „Gott" ersetzt wird, verlangt, daß Gott, um allmächtig zu sein, auch einen Gott machen können soll. Aber daß ein Gott gemacht wird, enthält einen Widerspruch. Ockham schlägt also eine Verbesserung der Beschreibung der Allmacht in folgender Weise vor: Satz 6: Gott ist allmächtig genau dann, wenn für jede Entität X, die sich mit ausschließlich absoluten Begriffen beschreiben läßt, gilt: Wenn die Aussage „X wird gemacht" widerspruchsfrei ist, ist Gott fähig, X zu erschaffen oder zu erhalten. Die Bedingung, daß die Entität X widerspruchsfrei sein soll, konnte fallengelassen werden, denn falls sie einen Widerspruch enthält, ist auch die Aussage

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 3

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wird gemacht" widersprüchlich. Auch der Satz 6 verlangt also vom Allmächtigen nicht, daß er widersprüchliche Entitäten machen kann. Diese Verbesserung der Beschreibung der Allmacht löst das Problem, daß Gott keinen Gott machen kann. Zwar kann für die Variable X der Begriff „Gott" eingesetzt werden, denn er ist (an sich, wenngleich nicht für uns205) kein konnotativer Begriff. Aber die Aussage „Gott wird gemacht" ist in sich widersprüchlich. Daher kann nicht einmal der Allmächtige einen Gott machen; aber daß er keinen Gott machen kann, schränkt seine Allmacht nicht ein. Ockham hat also den merkwürdigen Umstand herausgefunden, daß es Entitäten gibt, die zwar in sich widerspruchsfrei sind und existieren können, aber nicht widerspruchsfrei gemacht werden können. Wohl unabhängig von Ockham hat John Leslie Mackie (1917-1981) dieselbe Entdeckung im zwanzigsten Jahrhundert nochmals gemacht.206 John L. Mackie ging allerdings noch einen Schritt weiter als Ockham, indem er die Möglichkeit von Entitäten erwog, die zwar in sich widerspruchsfrei sind und die auch widerspruchsfrei gemacht werden können, die aber nicht widerspruchsfrei von Gott gemacht werden können, sondern nur von Geschöpfen.207 Gelegentlich äußert sich Ockham, als setzte auch er diesen weiteren Schritt voraus.208 Doch dieser Eindruck täuscht, wie aus einem Text der „Ordinatio" hervorgeht. Denn Ockham macht die Bedeutung von Allmacht an dem fest, worauf sie sich erstreckt; anders als Thomas von Aquin und Ägidius Romanus (um 1243-1316) weigert er sich jedoch, bei der Bestimmung der Bedeutung von Allmacht den Träger dieser Eigenschaft zu berücksichtigen. In der Dreifaltigkeit hat der Sohn keine andere Allmacht als der Vater. Entweder vermögen alle göttlichen Personen gleich viel, oder sie sind nicht alle allmächtig.209 205

Ord., dist. 22, qu. un. (OTh IV 56,9-13): „Dico ergo quod ,aliquid nomen distincte aliquid significare' potest intelligi uno modo quod non significet aliquid aliud nec connotet nec det intelligere ex vi instituitionis aliquid aliud. Et isto modo potest Deus distincte significari, quantumcumque Deus non sic concipiatur a nobis".

206

John Leslie Mackie: Omnipotence. In: The Power of God. Readings on Omnipotence and Evil. Hrsg. v. Linwood Urban und Douglas N. Walton. N e w York: Oxford University Press 1978, 7 3 - 8 8 , 76f.

207 208

Mackie: Omnipotence, 77f. Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 604,13-17): „Quod probo primo per articulum fidei: ,Credo in Deum Patrem omnipotentem'. Quem sic intelligo quod quodlibet est divinae potentiae attribuendum quod non includit manifestam contradictionem; sed istud fieri a Deo non includit contradictionem; igitur etc."; Op., cap. 95 (OPol II 725,389-390): „Unde in quibusdam locis denotant vel important [scil. vocabula ,potest', .possibile', ,potentia'] omnia ilia, quae non repugnant D e o facere".

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Ord., dist. 20, qu. un. (OTh IV 29,10-18): „Ex hoc patet quod opinio non valet quae ponit quod potentia generandi pertinet ad omnipotentiam Patris et non ad omnipotentiam Filii. Cuius ratio est quia quando dico ,omnipotentia', intelligitur signum distributivum cum distribuibili.

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

So könnte Ockham nicht argumentieren, wenn er bereit wäre zuzugestehen, daß ein allmächtiges Wesen ungeachtet seiner Allmacht manches nicht vermag, was andere können. Das weist darauf hin, daß er im Gegensatz zu John L. Mackie Gott (bzw. eine göttliche Person) nicht in der Definition bzw. Beschreibung der Allmacht nennen wollte. Damit vermeidet Ockham die Kritik, der John L. Mackie nicht entgangen ist, daß nämlich ein Kriterium der Allmacht, das sich dem einzelnen Träger dieser Eigenschaft anpaßt, es gestatten würde, auch verhältnismäßig machtlose Personen allmächtig zu nennen. Als Musterbeispiel gilt das sogenannte McEar-Problem: Wenn eine (zugegeben merkwürdige) Person namens McEar dadurch bestimmt ist, daß ihr einzig die Handlung, sich am rechten Ohr zu kratzen, logisch möglich ist, und sie diese Handlung tatsächlich ausführen kann, vermag McEar jede Handlung, von der es widerspruchsfrei denkbar ist, daß McEar sie tut. Daher müßte McEar - nach einem der Einzelperson angemessenen Allmachtskriterium - allmächtig genannt werden, obwohl die meisten Menschen ihn für ausgesprochen machtlos erachten würden.210 Indem Ockham sich weigert, bei der Bestimmung der Allmacht den Träger dieser Eigenschaft zu berücksichtigen, vielmehr verlangt, daß jeder Allmächtige gleich viel (wenn nicht gar das gleiche) können muß, vermeidet er das McEarProblem. Die von Ockham abgelehnte Allmachtsdefinition, durch die das McEarProblem heraufbeschworen wurde, sollte verhindern, daß von Gott verlangt wird, daß er sündigen, sterben, irren usw. können soll, um allmächtig zu sein. Dieses Problem löst Ockham anders. Er schließt aus, daß vom Allmächtigen solche unangemessenen Tätigkeiten erwartet werden, weil sie durch Konnotativbegriffe beschrieben werden und ihre Auflösung in absolute Begriffe verborgene Widersprüche enthüllen würde. Worin die Überlegenheit der Lösung Ockhams besteht, wird allerdings nicht ganz klar. Wenn er die Konnotativbegriffe vollständig durch absolute Begriffe ersetzt, müßte er entweder doch wie John L. Mackie die Allmacht je nach dem einzelnen Träger dieser Eigenschaft bestimmen oder eine eigene

210

Et tunc quaero: aut fit distributio pro potentia aut pro obiecto potentiae, et sive sie sive sie, quidquid sibi addatur, pro eisdem fit distributio. Ergo pro eisdem fit distributio quando dicitur .omnipotentia Patris' et quando dicitur .omnipotentia Filii'. Et ita potentia generandi pertinet ad omnipotentiam utriusque vel neutrius". Ockham richtet sich gegen Thomas von Aquin: De potentia, qu. 2, art. 5 (ed. Marietti, 34b-36a); Ägidius Romanus: Sent. I, dist. 20, qu. 2, ad 1 (ed. Ventiis, 1521, fol. 115d). Richard R. LaCroix: The Impossibility of Defining „Omnipotence". In: PhSt 32 (1977) 181— 190, 187. Ohne den Namen „McEar" zu gebrauchen, bringt dasselbe Beispiel schon Alvin Plantinga: God and Other Minds. Α Study of the Rational Justification of Belief in God. 2. Aufl. Ithaca-London: Cornell University Press 1969,170.

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 3

203

Lösung des Problems der Sünde, des Irrtums und des Todes Gottes bieten. Tatsächlich tut er weder das eine noch das andere, sondern läßt es beim Ausschluß der Konnotativbegriffe bewenden. Ockhams Reflexionen sind zwar beeindruckend, erfassen aber die letzten Voraussetzungen der von ihm vertretenen Lösung nicht. Schließlich sind noch die Erfordernisse zu beachten, die von der Trinitätstheologie aus an das Verständnis der Allmacht Gottes erhoben werden. Während bisher immer nur undifferenziert von der Allmacht Gottes die Rede war, ist nun auch der Sinn von Allmacht, in dem die einzelnen göttlichen Personen allmächtig sind, zu bestimmen. Dies tut Ockham, indem er zwei Allmachtsbegriffe voneinander unterscheidet. Diese Unterscheidung folgt einerseits der Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Kontingenz, andererseits der Unterscheidung zwischen dem innergöttlichen und dem außergöttlichen Bereich. Obwohl Ockham die Unterscheidung zwischen zwei Allmachtsbegriffen auf zwei verschiedenen anderen Unterscheidungen aufbaut, fuhren sie doch nur zu ein und derselben Unterscheidung im Allmachtsbegriff. Denn es kann nach Ockham nur eine notwendige Entität geben, und diese ist Gott. 2 " Also sind alle Entitäten außerhalb Gottes kontingent, sodaß sich der Begriff der Allmacht nicht unterscheidet, ob in ihm nun kontingente Entitäten oder Entitäten außer Gott genannt sind. Ockham kannte einen engen und einen weiten Begriff der Allmacht. Der enge Allmachtsbegriff verlangt unter anderem die Fähigkeit, göttliche Personen hervorzubringen. Allmacht bezieht sich also auch auf das Notwendige und den innergöttlichen Bereich. Da der Satz 6 diesbezüglich keine Einschränkungen umfaßt, kann er mit zwei Abänderung übernommen werden. Die erste Abänderung besteht darin, daß statt von Gott von einer göttlichen Person Ρ gesprochen wird. Es geht also nicht mehr um die Allmacht des einen göttlichen Wesens oder der drei göttlichen Personen zusammen, sondern um die Allmacht jeder einzelnen Person. Die zweite Abänderung bezieht sich auf die Ausdrücke „machen" und „erschaffen", die durch den umfassenderen Ausdruck „hervorbringen" ersetzt werden müssen. Denn daß eine göttliche Person gemacht oder erschaffen wird, enthält einen Widerspruch. Daß der Sohn und der Heilige Geist hervorgebracht werden, ist hingegen nicht nur widerspruchsfrei, sondern sogar not-

211

Br. sum., Prol. (OPh VI 6,38-39); S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 521,27-30): „Uno modo dicitur aliquid necessarium, perpetuum et incorruptibile quia per nullam potentiam potest incipere vel desinere esse; et sic solus Deus est perpetuus, necessarius et incorruptibilis".

204

3. Kapitel „Nonpotest efficere Deum"

wendig. Nur dem Vater widerspricht es, hervorgebracht zu werden. Daraus entsteht folgende Beschreibung der Allmacht: Satz 7: Eine göttliche Person Ρ ist allmächtig genau dann, wenn für jede Entität X, die sich mit ausschließlich absoluten Begriffen beschreiben läßt, gilt: Wenn die Aussage „X wird hervorgebracht" widerspruchsfrei ist, ist die göttliche Person Ρ fähig, X hervorzubringen bzw. zu erhalten. Weitgehend stimmen bei Ockham die Begriffe der Allmacht und der „potentia absoluta" miteinander überein, insofern sie beide an das Kontradiktionsprinzip gebunden sind. Doch so wie „Allmacht" im Satz 7 gefaßt wird, läßt sich die „potentia absoluta" nicht verstehen. Ihr Sinn ist nämlich die Unterscheidung von einer „potentia ordinata", mit der sie aber zusammenfallt, wo Notwendigkeit herrscht. Aufgrund dieser Voraussetzung konnte Ockham Papst Johannes XXII. Nezessitarismus unterstellen, weil dieser die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung zwischen Gottes absoluter und ordinierter Macht bestritt. Daher beschränkt Ockham die „potentia absoluta" auf das kontingente Wirken Gottes „ad extra"212 und unterscheidet sie so vom Allmachtsbegriff, der sich auch auf innertrinitarische Hervorgänge anwenden läßt. Der andere Allmachtsbegriff Ockhams ist dem Begriffsumfang nach weiter, weil er darauf verzichtet, von einer allmächtigen Person die Fähigkeit zu verlangen, bestimmte notwendige Entitäten hervorzubringen. Satz 8: Eine göttliche Person Ρ ist allmächtig genau dann, wenn für jede kontingente Entität X, die sich mit ausschließlich absoluten Begriffen beschreiben läßt, gilt: Wenn die Aussage „X wird hervorgebracht" widerspruchsfrei ist, ist die göttliche Person Ρ fähig, X hervorzubringen. Ebensogut kann man nach Ockham formulieren: Satz 9: Eine göttliche Person Ρ ist allmächtig genau dann, wenn für jede Entität X, die sich mit ausschließlich absoluten Begriffen beschreiben läßt, außer Gott gilt: Wenn die Aussage „X wird hervorgebracht" widerspruchsfrei ist, ist die göttliche Person Ρ fähig, X hervorzubringen.

212

Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586,18) spricht im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata" von der Macht Gottes „ad extra", allerdings ohne sie klar mit der „potentia absoluta" zu identifizieren. Vgl. Quodl. VI, qu. 1 (OTh IX 586, 2 4 - 2 9 ) , w o sich die „potentia absoluta" wegen des „fieri" nicht auf innergöttliche Hervorgänge beziehen kann.

Ertrag: Der Umfang der Allmacht - Teil 3

205

Da nach Ockham Gott die einzige notwendige Entität ist, die sich denken läßt, sind die Allmachtsbegriffe, die die Sätze 8 und 9 beschreiben, ausdehnungsgleich. Doch noch eine weitere Definition ist mit diesen beiden ausdehnungsgleich. Der Ausdruck „machen" bzw. „erschaffen" unterscheidet sich vom Ausdruck „hervorbringen" dadurch, daß er nur außerhalb Gottes anwendbar ist, nicht aber für die innertrinitarischen Hervorgänge. Ersetzt man daher „hervorbringen" durch „machen" oder „erschaffen", ist die Bedingung, die durch die Sätze 8 und 9 angegeben wird, nur dann erfüllt, wenn für die Variable X kontingente Entitäten (= Entitäten außer Gott) eingesetzt werden. Daher können die zusätzlichen Bedingungen der Sätze 8 und 9 fallengelassen werden, wenn wir von „hervorbringen" zu „machen" zurückkehren. Das Ergebnis dieser Veränderung ist uns schon bekannt. Es ist, leicht verändert, der Satz 6: Satz 10: Eine göttliche Person Ρ ist allmächtig genau dann, wenn für jede Entität X, die sich mit ausschließlich absoluten Begriffen beschreiben läßt, gilt: Wenn die Aussage „X wird gemacht" widerspruchsfrei ist, ist die göttliche Person Ρ fähig, X zu erschaffen oder zu erhalten. Von einem a-historischen Standpunkt aus wäre Ockham bereit, die Allmachtsbegriffe, die durch die Sätze 8, 9 und 10 und durch den Satz 7 beschrieben werden, gleichberechtigt nebeneinander bestehen zu lassen. Aus pragmatischen Gründen verwirft er aber den Satz 7 und erkennt nur die Sätze 8, 9 und 10 als maßgeblich an. Zusammenfassend ist zu Ockhams Bestimmung des Bereichs, auf den sich die Allmacht erstreckt, folgendes zu bemerken: Erstens bestimmt Ockham die Allmacht bald über mögliche Entitäten, bald über mögliche Handlungen, bald über mögliche Sachverhalte. Die Unterschiede zwischen diesen Ansätzen nimmt er (wie viele Christen) nicht wahr; wahrscheinlich konnte er sie zu seiner Zeit auch nicht so wahrnehmen wie heutige Philosophen und Theologen. Zweitens: Die ausgefeiltesten Überlegungen über die Reichweite der göttlichen Macht stellt Ockham anhand von Allmachtsbegriffen an, die Allmacht über mögliche Entitäten bestimmen. Sie führen zur an sich akzeptablen, aufgrund der christlichen Tradition aber zu verwerfenden Beschreibung der Allmacht durch den Satz 7 und zur an sich wie auch für die christliche Tradition annehmbaren Beschreibung durch die Sätze 8, 9 und 10. Drittens: Bei allen Verfeinerungen der Allmachtsbeschreibungen erkennt Ockham doch nur eine einzige Grenze der göttlichen Macht an, auf die sich sämtliche Einzelfälle zurückführen lassen. Diese einzige Grenze der Allmacht setzt das Kontradiktionsprinzip. Gott vermag alles, nur kann er auf keine Wei-

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3. Kapitel „Non potest efficere Deum "

se, sei sie auch noch so indirekt, einen Widerspruch verwirklichen. Diese grundlegende Überzeugung teilt Ockham mit so gut wie allen scholastischen Autoren, wenngleich die Meinungen darüber, was konkret widersprüchlich ist, gelegentlich auseinandergehen.

Zweiter Hauptteil: Die Frage nach dem Grund von Möglichkeit und Unmöglichkeit

Einleitung

„Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" Mit dieser ebenso wichtigen wie schwierigen Frage haben die Philosophen spätestens seit dem Mittelalter bis in unsere Gegenwart gerungen. Ich maße mir nicht an, sie zu klären oder Entscheidendes zu ihrer Klärung beizutragen. Doch setzt die Antwort auf diese Frage die Antwort auf eine andere Frage voraus, nämlich: „Warum ist überhaupt etwas möglich und nicht vielmehr nichts?" Auch diese Frage ist auf den folgenden Seiten nicht zu klären. Ich möchte aber zu ihrer Klärung beitragen, indem ich drei Antwortversuche darstelle, wie sie von drei Denkern des hohen und späten Mittelalters gegeben wurden. Aus den Überlegungen des ersten Hauptteils geht hervor, was Gott nach der Auffassung Wilhelms von Ockham alles vermag und was er nicht vermag. Ungeachtet aller Sonderfalle gilt die Regel: Gott vermag alles, was keinen Widerspruch enthält, und er vermag nichts, was einen Widerspruch einschließt. Die „Grenze" der Allmacht ist also das Kontradiktionsprinzip. Der zweite Hauptteil untersucht, ob sich ein Grund fur diese Grenze der göttlichen Macht angeben läßt und worin dieser gegebenenfalls besteht. Dabei widme ich mich vor allem den Überlegungen, die Ockham in der zweiten Quästion der 43. Distinktion seiner „Ordinatio" zum ersten Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus anstellt. Darin gewinnt Ockham seine eigene Position in der kritischen Auseinandersetzung mit den Lösungen, die er bei Heinrich von Gent und bei Johannes Duns Scotus findet. Heinrich von Gent, der unseres Wissens erstmals ausdrücklich die Frage gestellt hat, worauf die Möglichkeit des Möglichen und die Unmöglichkeit des Unmöglichen zurückzufuhren sei, erklärt die geschöpfliche Möglichkeit durch die Macht Gottes, die geschöpfliche Unmöglichkeit in seiner frühen Position durch sich selbst, in seiner späten Position ebenso durch die Macht Gottes wie die Möglichkeit. Johannes Duns Scotus fuhrt hingegen Möglichkeit wie Unmöglichkeit formal auf das Mögliche bzw. Unmögliche selbst, prinzipiativ aber auf den göttlichen

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Zweiter Hauptteil

Intellekt zurück. Wilhelm von Ockham schließlich erklärt die geschöpfliche Möglichkeit und die göttliche Macht sowie die geschöpfliche Unmöglichkeit und das göttliche Unvermögen für der Natur nach zugleich. Daher zerfallt der zweite Hauptteil der vorliegenden Arbeit in drei Kapitel. Das erste von ihnen (und insgesamt vierte) stellt die Position des Heinrich von Gent vor. Das zweite Kapitel dieses Hauptteils (zugleich das fünfte Kapitel dieser Arbeit) ist dem Lösungsversuch des Johannes Duns Scotus gewidmet. Das letzte Kapitel präsentiert schließlich die Antwort Wilhelms von Ockham. Diese drei Kapitel sind größtenteils parallel aufgebaut. Abgesehen von einer biographischen Einleitung fur Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus, die für Ockham nicht mehr nötig ist, umfassen sie jeweils vier Abschnitte, die sich damit beschäftigen, was der jeweilige Denker erstens von den göttlichen Attributen und Eigenschaften, zweitens von den ewigen Ideen im Geist Gottes, drittens von den Arten und dem ontologischen Status des Möglichen und viertens vom Grund der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit gelehrt hat. Dieser letzte Abschnitt bildet dabei in dem jeweiligen Kapitel das Ziel der Darstellung. In ihm soll die Frage nach dem Verhältnis der göttlichen Allmacht zum Möglichen und zum Unmöglichen eine Antwort finden. Wilhelm von Ockham behandelt diese Frage nur an einer einzigen Stelle seines Werks ausdrücklich. Im Gegensatz zu ihm äußern sich Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus zur Frage nach dem Ursprung des Möglichen und des Unmöglichen an verschiedenen Stellen ihres Schrifttums. Da diese unterschiedlichen Äußerungen voneinander abweichen, versuche ich in den folgenden beiden Kapiteln die Unterschiede zu dokumentieren und die denkerische Entwicklung dieser beiden Gelehrten nachzuzeichnen. Die Allmacht Gottes und das Kontradiktionsprinzip bestimmen einen jeweils eigenen Begriff der Möglichkeit. Denn einerseits ist möglich, was irgendjemand vermag. Alles aber, was irgendjemand vermag, vermag auch Gott. Daher ist in diesem Sinn alles möglich, was Gott vermag. Andererseits gilt auch als möglich, was in sich widerspruchsfrei ist und somit das Kontradiktionsprinzip erfüllt, das den Widerspruch ausschließt. Diese beiden Möglichkeitsbegriffe sind nach Ockham wenigstens dem begrifflichen Umfang nach gleich. Aufgrund dieser Zusammenhänge geht in den folgenden drei Kapiteln den Überlegungen des jeweils letzten Abschnitts zur Frage nach dem Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip und zum Grund der Möglichkeit des Möglichen bzw. der Unmöglichkeit des Unmöglichen ein Abschnitt voran, der Überlegungen zur Lehre von der Möglichkeit und dem Möglichen anstellt. In diesen Fragen gelten vor allem die Beiträge des Johannes Duns Scotus als wegweisend.

Einleitung

211

Ein erster Unterabschnitt legt die verschiedenen Einteilungen und Unterscheidungen innerhalb des Möglichen dar. Anschließend soll der ontologische Status bestimmt werden, den der jeweilige Denker dem bloß Möglichen zuerkennt. Um dieses Ziel zu erreichen, gehe ich in zwei Schritten vor und vergleiche den Status des Möglichen in zwei Unterabschnitten mit dem Status des Wirklichen und dem des Unmöglichen. Gott selbst weiß und erkennt alles, was möglich ist. Seine Erkenntnis erfolgt durch die ewigen Ideen, die sich im göttlichen Geist befinden. Die Ideenlehre läßt uns einen Blick in die ersten Prinzipien der wirklichen und bloß möglichen Geschöpfe tun und erlaubt daher Einblicke in erste Gründe der Möglichkeit. Diese Einblicke erweisen sich als relevant für die Bestimmung des Verhältnisses der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit zur göttlichen Allmacht, das davon nicht unberührt bleibt, wie sich ein Denker die Ideen im Geist Gottes vorstellt. Aus diesem Grund lasse ich in allen drei Kapiteln des zweiten Hauptteils dem Abschnitt über die Möglichkeit einen Abschnitt über die Ideen im Geist Gottes vorangehen. Dabei stelle ich erstens den Sinn vor Augen, den die Ideenlehre nach Meinung des jeweils zu behandelnden Denkers erfüllen soll. Zweitens bestimme ich, was unter einer solchen Idee zu verstehen ist. Drittens untersuche ich, wie sich die Ideen zueinander und zum göttlichen Wesen verhalten. Viertens bespreche ich die Aufzählungen der jeweiligen Denker, wovon es im göttlichen Geist Ideen gibt und wovon es solche Ideen nicht gibt. Schließlich geht es auch noch darum, ob die Anzahl der Ideen endlich ist oder unendlich. Die Ideenlehre setzt den göttlichen Intellekt voraus. Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip setzt die göttliche Allmacht voraus. Intellekt und Allmacht gelten als Attribute Gottes. Überhaupt entscheidet sich der Charakter jeder Gotteslehre daran, was sie über Gott sagt. Erlaubt sie allgemeine Aussagen über Gott, die nicht zeitgebunden sind, schreibt sie Gott bestimmte Eigenschaften zu. Das Verhältnis der göttlichen Allmacht zum Möglichen und Unmöglichen bleibt daher nicht davon unberührt, was ein Denker über die göttlichen Attribute im allgemeinen lehrt. Um das Folgende besser verstehen zu können, beginne ich daher jedes der nächsten drei Kapitel mit einem Abschnitt über die Lehre des zu behandelnden Denkers von den göttlichen Attributen. Dabei zeigt sich, daß die beiden Lehrstücke von den Ideen im göttlichen Geist und von den göttlichen Attributen, Eigenschaften und Vollkommenheiten einander in mancher Hinsicht entsprechen. Zunächst wird in den drei folgenden Kapiteln als Grundlage dessen, was folgt, nach dem Sinn einer solchen Attributenlehre gefragt. Zweitens soll bestimmt werden, was unter göttlichen Attributen zu verstehen ist. In diesem Zusammenhang kommen Heinrich von Gent, Johannes Duns Scotus und Wil-

212

Zweiter Hauptteil

helm von Ockham auf eine Regel zu sprechen, die von Anselm von Canterbury stammt und die Unterscheidung zwischen Gottes absoluten und relativen Vollkommenheiten erlaubt. Da ihre unterschiedliche Rezeption ein bezeichnendes Licht auf die Attributenlehre dieser drei Denker wirft, soll sie in einem dritten Unterabschnitt eigens thematisiert werden. Viertens geht es um das Verhältnis der göttlichen Attribute zueinander und zum göttlichen Wesen. Fünftens fragt sich, ob unter den verschiedenen Attributen eine bestimmte Ordnung besteht und wie diese gegebenenfalls beschaffen ist. Ein sechster und letzter Unterabschnitt widmet sich ausdrücklich dem Attribut der unendlichen Macht bzw. Allmacht, das in unserem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist. Diesem Plan entsprechend, beginne ich den zweiten Hauptteil mit dem Kapitel über Heinrich von Gent und dieses Kapitel mit einer biographischen Einführung, die uns zu seinem Denken hinführen soll.

4 . KAPITEL

Heinrich von Gent: Priorität der Allmacht gegenüber dem Möglichen

I.

Biographische Einführung zu Heinrich von Gent

Wie bei so vielen mittelalterlichen Gelehrten tritt auch bei Heinrich von Gent sein Leben hinter seinem Werk zurück.1 Biographische Angaben sind spärlich. Das Geburtsjahr ist unbekannt; es soll 1217 gewesen sein. Sein Beiname gibt seine Herkunft aus der flämischen Stadt Gent (oder wenigstens aus ihrer Umgebung) an. Heinrich stammt aus einfachen Verhältnissen: Sein Vater war Schneider. Nach ersten Bildungsschritten in seiner Heimat studierte Heinrich von Gent in Paris. Dort hörte er, wie er später erwähnte,2 1264 (oder Anfang 1265) eine Predigt des Kardinal Gui Foucois (um 1200-1268, seit 1265 Papst unter dem Namen Klemens IV.). Zunächst studierte er an der Artistenfakultät, dann an der theologischen Fakultät, wo er seit 1275 „magister actu regens" war und es bis 1291/92 blieb. Er entzog sich nicht der äußerst anspruchsvollen Aufgabe, jeweils im Advent und in der Fastenzeit eine Disputation „de quoli-

1 Jean Ribaillier: Henri de Gand. In: D S p 7 / l (1969) 197-210; Raymond Macken: Heinrich v. Gent. In: LMA 4 (1989) 2091-2092; Raymond Macken: Heinrich v. Gent. In: J LThK 4 (1995) 1386-1387; Raymond Macken: La vie d'Henri de Gand. In: Henricus de Gandavo: Quodlibet I. ed. R. Macken. Leuven: University Press: Leiden: Brill 1979 (Henrici de Gandavo Opera Omnia V), VII-XII; Matthias Laarmann: Deus, primum cognitum. Die Lehre von Gott als dem Ersterkannten des menschlichen Intellekts bei Heinrich von Gent (f 1293). Münster: Aschendorff 1999 (BGPhMA 52), 18-32. 2 Quodl. XIII, qu. 14 (ed. Decorte, 149,2-9): „Hinc etiam iamdiu, occasione disputationum et altercationum quas magistri Parisienses habebant inter se de perfectione statuum maiori vel minori, audivi dominum papam d e m e n t e m , cum adhuc esset legatus, ad dirimentum dictas altercationes in quadam praedicatione sua praeferre simpliciter statum praelatorum statui religiosorum, .licet forte', ut dicebat, ,ipsi praelati non congruerent in omnibus suo statui, sed essent multi ex eis congruentius subditi quam praelati'. Et hoc dicebat exponendo illud Ecclesiastes Xo: ,Vidi servos in equis et principes ambulare super terram"'.

214

4. Kapitel: Heinrich von Gent

bet" zu halten, also ohne thematische Vorgaben über beliebige Fragen aus dem Publikum zu disputieren. Daraus entstanden seine fünfzehn Quodlibeta. Neben diesen gelten die „Quaestiones ordinariae" als sein zweites Hauptwerk, das aus seiner gewöhnlichen Lehrtätigkeit hervorgegangen ist und auch als „Summa" bezeichnet wird. Sein Ehrentitel „Doctor sollemnis" stellt ihn in eine Reihe mit den anderen Gelehrten seiner Zeit, die durch ähnliche ehrende Bezeichnungen hervorgehoben worden sind. Heinrich von Gent war Weltkleriker. Dem zunehmenden Einfluß der Bettelorden an der Universität von Paris mißtraute er. Die vermeintlichen oder tatsächlichen Rechte des Weltklerus wußte er nachdrücklich zu verteidigen. Die Rezeption des aristotelischen Gedankengutes und damit die Linie des Thomas von Aquin drängte Heinrich kurz nach dessen Tod zugunsten einer stärkeren Orientierung an Augustinus zurück. Heinrichs Verhältnis zur Verurteilung von 1277 ist unklar. Am 7. März dieses Jahres verurteilte der Pariser Bischof Etienne Tempier auf die Anregung des Papstes Johannes XXI. (nach 1210-1277, Papst ab 1276) hin 219 radikal-aristotelische Thesen, die seiner Meinung nach an der Artistenfakultät der Universität von Paris gelehrt wurden. Aus einer Bemerkung Heinrichs geht hervor, daß er in diesem Zusammenhang an irgendeiner Professorenversammlung teilgenommen hat.3 Ob dies die Theologenkommission war, von der sich der Bischof beraten ließ, geht aus dieser Bemerkung nicht hervor. Heinrich selbst war von der Verurteilung wenigstens insofern betroffen, als er einige Ansichten, die er zunächst als vertretbar dargestellt hatte, nach 1277 für unhaltbar erklären mußte.4 Neben seiner Lehrtätigkeit erhielt er kirchliche Ämter und Würden in seiner Heimat. Zunächst war er Kanoniker; 1276 oder 1277 wurde er Archidiakon von Brügge, 1279 Archidiakon von Tournai. In verschiedenen Streitfallen zwischen kirchlichen, politischen und universitären Institutionen wirkte Heinrich als Vermittler, Schlichter oder Schiedsrichter. Er bemühte sich um das Beginentum, dem auch eine seiner Schwestern anhing. Im Zusammenhang mit den Streitigkeiten zwischen den Bettelorden und dem Weltklerus entstand 1290 auf einer Synode in Paris ein Disput zwischen 3

4

Heinrich von Gent: Quodl. II, qu. 9 (ed. Wielockx, 67,21-24): „In hoc enim concordabant omnes magistri theologiae congregati super hoc, quorum ego eram unus, unanimiter concedentes quod substantia angeli non est ratio angelum esse in loco secundum substantiam"; vgl. Laarmann: Deus, 28. Pasquale Porro: Ponere statum. Idee divine, perfezioni creaturali e ordine del mondo in Enrico di Gand. In: Mediaevalia. Textos e Estudios 3 (1993) 109-159; Ludwig Hödl: Einheit und Ganzheit des Menschen im theologischen Verständnis des Heinrich von Gent ( t 1293). In: Die Einheit der Person. Beiträge zur Anthropologie des Mittelalters. Richard Heinzmann zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Martin Thurner. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1998, 283-299.

Die Lehre von den göttlichen Attributen

215

Heinrich von Gent und der päpstlichen Legation. Da Heinrich sich dem verhängten Diskussionsverbot nicht ohne weiteres fugen wollte, ließ ihn der päpstliche Legat Kardinal Benedetto Gaetani (um 1235-1303, seit 1294 Papst unter dem Namen Bonifaz VIII.) von seinem Magisteramt suspendieren. Doch weil Heinrich an der Universität Rückhalt fand und sich der Kirche gegenüber grundsätzlich loyal verhielt, wurde seine Suspension rasch wieder zurückgenommen. Kurz darauf (1291/92) gab er seinen Lehrstuhl auf. Am 29. Juni 1293 starb Heinrich von Gent und wurde in der Kathedrale von Toumai beigesetzt.

II. Die Lehre von den göttlichen Attributen 1)

Der Sinn der Attributenlehre

Nach dem englischen Dominikanertheologen Thomas von Sutton (ca. 1250ca. 1315) besteht die Begründung für die Lehre von den göttlichen Attributen darin, daß der Mensch Gott nicht in seinem Wesen begreifen kann. Daher nähert er sich nach und nach von verschiedenen Seiten der göttlichen Vollkommenheit, die in sich durch einen einzigen menschlichen Gedanken nicht zu begreifen ist, indem er ihre verschiedenen Eigenschaften einzeln und nacheinander betrachtet und so zwar nicht das göttliche Wesen selbst erfaßt, wohl aber etwas von ihm in seinen Eigenschaften. 5 Auch nach Heinrich von Gent soll die Lehre von den göttlichen Attributen und Eigenschaften Aussagen und damit, soweit es auf Erden möglich ist, auch Erkenntnisse über das göttliche Wesen ermöglichen, das in sich unserem Verstand unzugänglich ist.6 Doch wenn Thomas von Sutton fortfährt, daß es göttliche Attribute nur für den menschlichen und nicht oder nur uneigentlich auch für den göttlichen Verstand gäbe,7 widerspricht Heinrich. Dagegen wendet er ein, daß die Attribute auf die Erkenntnis des göttlichen Intellektes zurückgehen, nicht auf den menschlichen Intellekt. Gott besaß nämlich seine At-

5

Thomas von Sutton: Quodlibet II, qu. 2 (ed. Schmaus, 167,81-84): „intellectus noster non potest propter suam imperfectionem cognoscere una conceptione perfectionem essentiae divinae, ideo necesse habet earn intelligere diversis conceptionibus, quae sunt diversae rationes, quas accipit ex creaturis et attribuit deo".

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Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 1 (ed. Macken, 30,35-36): „Iuxta ea igitur quae vidimus in creaturis, conicere debemus ea quae intelligere debemus in Creatore". Thomas von Sutton: Quodlibet II, qu. 2 (ed. Schmaus, 168,102-124; vgl. bes. 168,119-120): „Ergo per intellectum divinum non est proprie loquendo distinctio attributorum".

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

tribute schon, als noch kein menschlicher Intellekt geschaffen war; 8 und auch nachdem der menschliche Intellekt geschaffen ist, erkennt er die Attribute des göttlichen Wesens nicht in sich, sondern nur durch den Bezug auf eine geschöpfliche Wirklichkeit. 9 Die einzelnen Attribute entstehen zwar erst durch die Betrachtung des Intellekts, hängen aber nicht vom menschlichen Intellekt ab und bestehen schon seit Ewigkeit. Dafür gibt Heinrich von Gent zwei Gründe an. Erstens geht der Begriff des Vollkommenen stets dem Begriff des Unvollkommenen voran. Die Vollkommenheit der göttlichen Attribute ist also die Voraussetzung dafür, daß die gleichen Eigenschaften in unvollkommener Weise in den Geschöpfen auftreten können. 10 Zweitens ist Gott in sich dreifaltig, denn der Vater zeugt seit Ewigkeit den Sohn und beide zusammen (entsprechend dem „filioque", das im Abendland in den Text des Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses eingefügt wurde) hauchen den Heiligen Geist. Diese beiden innertrinitarischen Hervorgänge setzen wenigstens die Attribute des Intellekts und des Willens voraus. Denn der Sohn wird vom Vater durch den Intellekt gezeugt, der Heilige Geist aber vom Vater und Sohn durch den Willen gehaucht." Der Sinn der Lehre von den göttlichen Attributen ist also ein dreifacher. Erstens soll sie uns eine gewisse beschränkte Kenntnis Gottes ermöglichen. Zweitens soll sie eine notwendige Voraussetzung für die Trinitätstheologie schaffen. Drittens wird sie in der Schöpfungslehre vorausgesetzt. Erschlossen wird sie freilich auf dem umgekehrten Weg. Aus den innertrinitarischen Hervorgängen und aus den begrenzten Vollkommenheiten im geschöpflichen Bereich schließt Heinrich auf die Attribute in Gott.

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Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53i): „Unde si nullo modo diversitas attributorum esset in deo nisi ex consideratione intellectus creati, bene verum esset quod dicit opinio illorum, sed sie (ut dictum est) non diceretur ullo modo sapiens aut bonus aut aliquid huiusmodi ab aeterno nisi secundum genus causae efficientis, et hoc in habitu tantummodo, ut expositum est in dicta quaestione. Illud autem falsum est, quia formaliter debent poni in deo, et hoc ab aeterno". Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53h): „intellectus creatus nihil omnino circa divinam essentiam concipit, nisi ex aliquo modo sibi correspondent! in creaturis, non solum rationem attributi, sed etiam rationem divinae essentiae aut esse eius". Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53i): „tum quia in creatura habent rationem imperfecti et in deo rationem perfecti (ratio autem perfecti semper absolute praecedit rationem imperfecta et est ratio illius, non autem econverso"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 42, qu. 2 (ed. Hödl, 41,40-51). Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53i): „tum quia differentia attributorum fundamentalis est respectu distinetionis personarum, quae nullo modo dicenda est esse in deo ex aliquo respectu ad creaturas".

Die Lehre von den göttlichen A ttributen 2)

217

Beschreibung der Attribute

Aussagen von Gott lassen sich nach Heinrich von Gent auf verschiedene Weise treffen, einerseits durch ein Gleichnis („per similitudinem"), andererseits durch Eigenschaften („per proprietatem").12 Was von Gott durch ein Gleichnis ausgesagt wird, stellt nicht eigentlich eine Eigenschaft dar, sondern die Übertragung einer geschöpflichen Bestimmung auf Gott, also eine Metapher.13 So wird Gott im Einklang mit dem biblischen Sprachgebrauch als Löwe bezeichnet, weil er stark ist, als Lamm, weil er sanft ist, usw. 14 Da die eingeschränkte Vollkommenheit eines jeden Geschöpfes in der uneingeschränkten Vollkommenheit Gottes enthalten ist, ist auch jedes Geschöpf in gewisser Hinsicht dem göttlichen Wesen ähnlich und kann daher durch ein Gleichnis von ihm ausgesagt werden.15 Die Möglichkeiten, etwas als Eigenschaft von Gott auszusagen, sind hingegen begrenzt. Will man von Gott univok sprechen, kann man keine geschöpfliehe Eigenschaft von ihm aussagen. 16 Spricht man analog von Gott, lassen sich von ihm wenigstens allgemeine Bestimmungen und manche Attribute aussagen.17

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Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 37,52-54): „Quantum ergo pertinet ad hanc primam quaestionem, dicendum quod attributionem rei alieuius praedicamenti fieri Deo dupliciter potest intelligi: vel per similitudinem, vel per proprietatem". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. R. Macken, 37,54-59): „Per similitudinem res aeeepta a creaturis aliquando Deo attribuitur, quae per proprietatem suae naturae esse in Deo non potest, et est ista attributio non proprie attributio, sed magis translatio quaedam ad aliquid per similitudinem illam explicandum, unde res praedicamentorum, in quantum sic Deo attribuuntur, non proprie, sed communiter et translative, dicuntur attributa". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 37,78-38,81): „Primo modo Deus dicitur leo propter leonis fortitudinem, quia ipse fortis est, et ovis propter ovis mansuetudinem, quia ipse mansuetus est; et haec est translationis attributio magis usitata in sacra Scriptura; largo tarnen modo dicta attributio"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53d). Als biblische Belegstellen ließen sich Joh 1,29.36 und Offb 5,5 anfuhren. Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 38,82-86): „Secundo modo nomine cuiuslibet creaturae potest Deus nominari, non solum quia idea eius est in ipso Deo, sed quia ratio perfectionis eius propria in Dei perfectione includitur, in qua fundatur ratio idealis in quantum concipitur a divina sapientia, ut infra declarabitur. Et est similiter attributio largo modo dicta". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 40,48-50): „Primo modo nulla res creata cuiuscumque praedicamenti Deo potest attribui, quia in nullo potest univocari Creator cum creatura, ut infra dicetur". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 41,65-70): „Secundo modo subdistinguendum. Aut enim intelligitur attributio facienda sub ratione nominis appropriati creaturae, aut sub ratione alieuius nominis generalis. Isto secundo modo omnia quae sunt in creaturis, Deo possunt attribui. Primo autem modo aliqua ex creaturis Deo possunt attribui ex aliquibus praedicamentis, et aliqua non, et ex aliquibus nulla, et ex nullo omnia".

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

Heinrich von Gent unterscheidet zwischen den Ausdrücken „Eigenschaft" („proprietas"), „Attribut" („attributum") und „Notion" („notio"), wenngleich er diese Unterscheidungen nicht streng durchzieht. Der allgemeinste Begriff unter diesen dreien ist jener der Eigenschaft („proprietas"), 18 der sich auf alles beziehen kann, was vom göttlichen Wesen oder einer göttlichen Person ausgesagt wird. Die Notionen („notiones") dagegen sind auf Eigenschaften einzelner göttlicher Personen beschränkt und betreffen nicht das Wesen. 19 Umgekehrt sind die Attribute („attributa") auf Eigenschaften des göttlichen Wesens beschränkt und betreffen nicht die Personen. Doch nicht alle Eigenschaften des göttlichen Wesens sind Attribute, sondern nur jene, die in den Geschöpfen eine Vollkommenheit schlechthin ausdrücken und deshalb auf Gott übertragen werden. 20 Relative oder negative Eigenschaften Gottes lassen sich hingegen nicht im eigentlichen Sinn als Attribute bezeichnen. Das göttliche Wesen ist einzig und in sich ungeteilt. Dennoch besitzt es viele verschiedene Eigenschaften und Attribute. Im geschöpflichen Bereich läßt sich die Vielzahl von Eigenschaften an einem einzigen Träger leicht als Vielzahl von Akzidentien an einer Substanz erklären. Doch Gottes vollkommene Einfachheit verbietet es, eine solche Erklärung auf das Wesen Gottes und seine vielen Attribute zu übertragen. Wie sich die Vielzahl der göttlichen Eigenschaften sonst erklären läßt, wird daher zum beständigen Problem der Attributenlehre. 21 Heinrich setzte sich mit christlichen, jüdischen und islamischen Theologen auseinander, die den Grund für die Vielzahl der Attribute Gottes in der Vielzahl der Geschöpfe sahen. Daher erachteten sie eine gewisse Bezogenheit der Attribute auf die Geschöpfe als grundlegend und charakteristisch für sie. In diesem Zusammenhang nennt Heinrich zwei Ansichten, von denen er die erste beim persischen Muslim Avicenna (Ibn Sina, 973/980-1037) und beim Juden Moses Maimonides (1135-1204) findet. Nach ihnen nennt man Gott nur deshalb gerecht, weil er uns gerecht macht, und deshalb weise, weil er uns weise macht, und Entsprechendes gilt für alle anderen göttlichen Eigenschaften. 22 18 19 20

21 22

Vgl. Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 150b). Heinrich von Gent: Summa, art. 55, qu. 5 (ed. Badius, fol. 108q). Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 45,84-85): „nihil potest Deo attribui quod non sit simpliciter dignitatis et perfectionis alicuius"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 1, ad. 3 (ed. Macken, 34,29-32); Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 48,55-59). Vgl. unten den Unterabschnitt 4)! Moses Maimonides: Führer der Unschlüssigen. Buch I, cap. 52 (trans. Weiss, I 169f); vgl. Avicenna: De philosophia prima VIII, cap. 6 (ed. Van Riet, 413,78-82): „Dicitur etiam bonitas id

Die Lehre von den göttlichen Attributen

219

Das Gegenteil hält Heinrich für zutreffend: Nicht erst, wenn er uns gerecht und weise macht, nennen wir ihn gerecht und weise, sondern daß Gott selbst gerecht und weise ist, ist die Voraussetzung dafür, daß er uns gerecht und weise machen kann. Außerdem wäre „gerecht machend" eine äquivoke Bedeutung des Ausdrucks „gerecht" und „weise machend" eine äquivoke Bedeutung des Ausdrucks „weise", sodaß Avicenna und Maimonides auf diese Weise nur scheinbar erklären, in Wahrheit aber bestreiten, daß sich Eigenschaften vom Geschöpf auf den Schöpfer übertragen lassen.23 Die zweite Ansicht ähnelt der, die Gottfried von Fontaines (vor 1250— 1306/9) vertrat, ein etwas jüngerer Kollege Heinrichs an der theologischen Fakultät von Paris. Er führte die begrifflichen Unterscheidungen zwischen den göttlichen Attributen auf reale Unterschiede von Geschöpfen zurück.24 Unter den Einwänden Heinrichs gegen eine solche Auffassung findet sich auch der, daß sich unter einer solchen Voraussetzung die Attribute nicht von den Ideen unterscheiden ließen.25 Denn die Ideen werden durch Relationen zu den Geschöpfen („ad extra") gebildet.26 Darin unterscheiden sie sich von den Attributen, denn diese hängen nicht mit den Geschöpfen zusammen, sondern beruhen auf Relationen „ad intra".27 Nicht weil Geschöpfe weise, gerecht usw. sind, spricht man von Weisheit, Gerechtigkeit usw. in Gott, sondern die Weisheit, Gerechtigkeit usw. der Geschöpfe geht auf die Weisheit, Gerechtigkeit usw. Gottes zurück.28 Die Ideen der Geschöpfe entsprechen der Vollkommenheit Gottes nur in dem bestimmten Grad, in dem sie die göttliche Vollkommenheit nachahmen. Die attributalen Eigenschaften, die den Geschöpfen mit Gott gemeinsam sind, entsprechen der göttlichen Vollkommenheit durch ge-

quod attribuit rebus suas perfectiones et suas bonitates. Iam autem claruit quod oportet ut necesse esse per se attribuat omne esse et omnem perfectionem essendi; hoc igitur modo est etiam bonitas cui non subintrat imperfectio nec malitia". 23

Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53c): „Et sic sequeretur quod omnia huiusmodi attributa deo attribuerentur secundum genus causae efficientis tantum, secundum quod opinati sunt Avicenna et Rabbi Moyses, ut patet ex supra determinatis circa significata attributorum, et sic non diceretur iustus nisi quia facit nos iustos, neque sapiens nisi quia facit nos sapientes. Quod falsum est, quia contrarium magis est verum. N o n enim nos faceret sapientes nisi prius sapiens esset, et sic de aliis. Et praeterea ista attributio non fit per proprietatem, sed per similitudinem et metaphoram tantum".

24 25 26 27

Gottfried von Fontaines: Quodlibet VII, qu. 1 (ed. Wulf-Hoffmans, 272f). Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 153y). Vgl. unten III, 3)! Heinrich von Gent: Summa, art. 68, qu. 5 (ed. Badius, fol. 232c): „In quo omnino diffenint rationes attributales a rationibus idealibus, quae a nullo intellectu omnino et in nullo statu intelligi possunt absque habitudine ad correspondentia illis in creaturis".

28

Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 152o): „Secundum naturam ergo et secundum rectam rationem intelligendi priores sunt rationes attributorum in deo quam in creatura".

220

4. Kapitel: Heinrich von Gent

schöpfliche Vollkommenheiten schlechthin, bei denen von aller Begrenztheit gerade abgesehen wird.29 Göttliche Attribute sind Begriffe („rationes"), die zunächst Vollkommenheiten schlechthin in den Geschöpfen ausdrücken und dann auf den Schöpfer übertragen werden.30 Der Begriff des Attributs verbindet in sich also zwei Bestandteile, nämlich das göttliche Wesen und einen Begriff. Damit ein Attribut entsteht, wird der Begriff gewissermaßen dem göttlichen Wesen „hinzugefugt". Was dabei hinzugefugt wird, kann nichts Absolutes und Positives sein, denn dadurch entstünde eine Zusammensetzung in Gott, die der völligen Einfachheit des göttlichen Wesens widerspräche.31 Reales Sein besitzt von den beiden Bestandteilen, dem Wesen und dem Begriff, nur das göttliche Wesen, sodaß man behaupten kann, das Attribut sei das göttliche Wesen, d. h. es ist mit dem Wesen real identisch. Aber vom göttlichen Wesen an sich unterscheidet sich ein Attribut, weil es dieses göttliche Wesen nur unter einem bestimmten Begriff ist. Zugleich unterscheiden die verschiedenen Begriffe, unter denen sie das eine göttliche Wesen fassen, die verschiedenen Attribute voneinander.32 Attribute unterscheiden sich also begrifflich voneinander und vom göttlichen Wesen.

29

Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 151ik): „Sed illis solummodo respondet perfectio idealis in-deo, inquantum sunt limitatae et gradus habentes, quod est ratio imperfectionis, cui nihil absolute existens in deo potest respondere, quia nihil imperfectionis est in eo. Si ergo eis respondet aliquid in deo, hoc est solummodo inquantum perfectum in deo habet respectum ad imperfectum in creatura. Perfectionibus autem quae in creaturis sunt, ut quibus perficiuntur in bene esse, respondet attributum in deo, ut sunt perfectiones in creaturis simpliciter et absolute et melius est simpliciter esse ipsum quam non ipsum".

30

Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 65,51-59): „Sciendum est ergo iuxta praedeterminata, quod nomina attributorum prima impositione imposita sunt rebus, quae in creaturis dicunt aliquid quod est perfectionis et dignitatis simpliciter, quod melius est omnino esse ipsum quam non ipsum, et a creaturis transferuntur ad Creatorem, non secundum naturam rei significatae, quia ilia non habet inesse Creatori, sed secundum rationem illam nobilitatis, quae supereminenter habet esse in Creatore circa ipsam divinam essentiam, in quantum habet in se rationes omnium perfectionum in quantum simpliciter perfectiones sunt in creaturis, ut infra videbitur".

31 32

Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 66,75-86). Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 66,67-74): „Et ista duo, scilicet essentia et huiusmodi ratio, in uno simplici conceptu conclusa constituunt attributum, et attributum ambo in significato nominis sui continet. Ita tarnen quod formaliter imponatur nomen ab illa ratione, per quam differt ab essentia ut absolute consideratur, et a quolibet alio attributo. Unde et quasi formaliter est constitutiva attributi, quod continet in se essentiam quasi materialiter: attributum enim nihil aliud est quam ipsa divina essentia sub ratione tali, et sic ratio attributi est quasi secundum rationem aliquid additum super divinam essentiam".

Die Lehre von den göttlichen

Attributen

221

Alle Attribute bezeichnen das göttliche Wesen entweder negativ oder relativ,33 oder vielmehr: Jedes Attribut bezeichnet Gott in einer gewissen Weise relativ und in einer gewissen Weise negativ. 34 Die Eigenschaften Gottes sind stets in gewisser Weise negativ. Das gilt ganz offensichtlich für Beispiele wie „unkörperlich" oder „unsterblich".35 Doch gerade was sich auf so offensichtlich negative Weise von Gott aussagen läßt wie die „Unsterblichkeit" oder die „Unendlichkeit" zählt Heinrich nicht zu den Attributen im strengen Sinn. Diese umfassen nur positive Eigenschaften Gottes, denn es handelt sich bei ihnen um Vollkommenheiten schlechthin, die sich nur positiv fassen lassen. Daher sind göttliche Attribute im eigentlichen Sinn für Heinrich positive Eigenschaften Gottes.36 Doch im Anschluß an Pseudo-Dionysius Areopagita und seine negative Theologie schreibt Heinrich auch den positiven Aussagen über Gott einen gewissen negativen Sinn zu, insofern die geschöpflichen Unvollkommenheiten von Gott ausgeschlossen werden und seine Erhabenheit über sie hervorgehoben wird. Die strenge Form der negativen Theologie, die nur Verneinungen von Gott gelten lassen will, kritisiert Heinrich allerdings zugleich, indem er neben dem negativen Sinn solcher Aussagen auch an einem positiven Sinn festhält.37 Die Eigenschaften Gottes sind stets in gewisser Weise relativ. Negative Bezeichnungen beziehen sich auf Geschöpfe, insofern sie deren Unvollkommenheiten von Gott ausschließen.38 Aber auch positive Bezeichnungen sind

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Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 67,91-93): „immo omnia attributa, quantum est de ratione propria attributi, aut significant negative, aut in respectu". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 67,99-03 und 68, 24-25): „Et quod amplius est, hie sciendum est, quod et ipsae negationes de Deo dictae et ipsi attributae non sunt negationes absolutae, sed relativae, ita quod secundum hoc absolute dicendum est quod omnia divina attributa, sive negative sive positive dicta significant de Deo non aliquid absolute, dico de relatione formali attribui, sed tantummodo in respectu. (...) Secundum primum modum omnia divina attributa de Deo significant aliquid negative". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 69,67-72): „lila vero nomina quae a negatione sive privatione secundum vocem imponuntur, ut sunt incorporeum, immortale, et huiusmodi, quia non negant a Creatore nisi quod secundum veritatem defectus aliquis est in creaturis - ex eis enim quae in se habet, nihil potest ab eo vere negari - , patet quod huiusmodi negatio non est nisi relativa ad creaturas, et cum hoc non est nisi ad insinuandum alicuius contrarii veram positionem". Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 52ab): „negatio nihil dignitatis ponit, quod necessario ponunt attributa in deo. (...) secundum quod supra ostensum est in determinando de attributis, nihil in deo habet rationem attributi, etiam quod negatione exprimitur, ut immortale, infinitum, quin omnia ponantur in deo ad exprimendum et movendum intellectum ad concipiendum aliquid positive". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 68,24-69,66). Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 69,67-72).

222

4. Kapitel: Heinrich von Gent

relativ, denn sie drücken ein Verhältnis zwischen Gott und den Geschöpfen aus („Schöpfer", „Richter" usw.). 39 Allerdings bezeichnet Heinrich auch solche relativen Eigenschaften Gottes nicht im eigentlichen Sinn als Attribute, denn Attribute drücken Vollkommenheiten schlechthin aus, die Gott seit Ewigkeit von sich aus zukommen, nicht erst in der Zeit und durch den Bezug zu einem zeitlichen Geschöpf. Daher sind Attribute zwar keine relativen Eigenschaften, drücken aber wenigstens insofern einen relationalen Aspekt aus, als sie jene geschöpflichen Qualitäten aufzeigen, in denen Gott seinen Geschöpfen ähnlich ist, sie allerdings auch weit übertrifft. 40 Der Kritik Heinrichs an Avicenna, Maimonides und Gottfried läßt sich entnehmen, daß diese Relationen, die Gott mit den Geschöpfen verbinden, nicht das Charakteristische der Attribute ausmachen. Denn auch eine Idee ist nach Heinrich eine Relation zwischen Gott und einem Geschöpf. Charakteristisch für die Attribute ist vielmehr die Relation zwischen dem göttlichen Wesen und dem göttlichen Intellekt, der das Wesen unter einem bestimmten Begriff erfaßt. 41 Göttliche Attribute lassen sich mit den Ideen und den göttlichen Personen vergleichen. Gemeinsam ist den Attributen, Ideen und Personen erstens, daß sie mit dem göttlichen Wesen real identisch sind, sich aber begrifflich von ihm unterscheiden, 42 und zweitens, daß sie durch Relationen konstituiert werden. Doch es gibt auch Unterschiede. Von den göttlichen Personen (samt ihren personalen Eigenschaften) unterscheiden sich die Ideen und die Attribute dadurch, daß sie nicht durch reale, sondern bloß durch begriffliche Relationen konstituiert werden. Daher unterscheiden sich die trinitarischen Personen untereinander auch real, wenngleich sie sich vom göttlichen Wesen nur begrifflich unterscheiden lassen. Von den Ideen, aber nicht von den Personen unter-

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Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 70,02-06): „Exemplum de secundo modo est, quod Deus dicitur praedestinator, creator, iudex, primus, potens, secundum quod de ultimis duobus dicit AVICENNA, ubi supra: ,Si de Deo dicitur quod est primus, non intelligitur nisi relatio huius esse ad esse alterius. Cum vero dicitur potens, non intelligitur per hoc nisi quia necesse esse relatum est ad id quod debet esse aliud a se'". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 71,7-72,35). Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 72,36-37): „Alio vero modo attributa sub ratione relationis significant in comparatione ad intellectum Dei, sub alia et alia ratione concipientem eius esse essentiam". Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 2 (ed. Badius, fol. 54t): „sola enim ratione attributa inter se et ab essentia et a proprietatibus notionalibus et a personis differunt, quemadmodum etiam sola ratione differunt essentia, personae et notiones inter se".

Die Lehre von den göttlichen

Attributen

223

scheiden sich die Attribute dadurch, daß sie durch Relationen begründet werden, die innerhalb des göttlichen Wesens bleiben und sich nicht nach außen auf die Geschöpfe richten.43 Daher geht auch nicht die Vielzahl der Attribute, die Gott trotz der Einheit seines Wesens charakterisieren, auf die Vielzahl der Geschöpfe zurück. 44 Die Attribute werden vielmehr durch Relationen des göttlichen Wesens „ad intra" gebildet. Diese Relationen sind keine realen Relationen, denn reale Relationen sind in Gott nur jene, die die trinitarischen Personen konstituieren. Also werden die göttlichen Attribute durch begriffliche Relationen des göttlichen Wesens „ad intra" konstituiert.45 Weil der göttliche Intellekt das göttliche Wesen aufgrund verschiedener gedanklicher Relationen zwischen Wesen und Intellekt unter verschiedenen Begriffen erfassen kann, erkennt er die verschiedenen Attribute des Wesens. 46

3)

Die Regel des Anselm von Canterbury und ihre Rezeption durch Heinrich von Gent

Der geschaffene Intellekt kann ohne Erleuchtung durch die Offenbarung die göttlichen Attribute nicht direkt erkennen, sondern nur indirekt, indem er die entsprechenden Eigenschaften an den Geschöpfen wahrnimmt, sie als Vollkommenheiten schlechthin erkennt und auf Gott überträgt.47 Mit diesem Gedanken spielt Heinrich von Gent auf das Prinzip an, das er an anderer Stelle als „regula Anselmi", als Regel des Anselm von Canterbury (1033/34-1109)

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Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 152q): „Est ergo ut in summa colligamus iam exposita, in simplici unitate divinae essentiae triplex pluralitas et distinctio. Quaedam differentium sola ratione per respectum ad creaturas extra, ut sunt rationes idealium perfectionum. Quaedam vero differentium sola ratione respectu ad intra, ut sunt rationes attributorum. Quaedam autem differentium re relativa ad intra, ut sunt personae et personales proprietates." Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 152o): „Quare neque pluralitatem eorum et distinctionem per respectum ad creaturas ullo modo sumere oportet, nisi inquantum intelliguntur ab intellectu naturali creato". Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 152q). Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53k): „Accipitur autem illa pluralitas ex consideratione intellectus circa divinam essentiam, ut cadit in eius consideratione non quasi simplicis intelligentiae, sed quasi considerantis earn sub rationibus quorundam respectuum ad seipsam, sub quibusdam rationibus aliorum respectuum, considerando scilicet ipsam sub ratione veri in respectu ad seipsam sub ratione intellectus, et seipsam sub ratione voluntatis, in respectu ad seipsam sub ratione boni". Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 151n): „Intellectus enim creatus lumine solo naturali illas rationes sapientiae, bonitatis, et huiusmodi non potest cognoscere deo inesse, nisi ex eis quae videt in creaturis esse nobilitatis et perfectionis simpliciter".

224

4. Kapitel: Heinrich von Gent

bezeichnet. 48 Damit bezieht er sich auf das fünfzehnte Kapitel der Schrift „Monologion", die der spätere Erzbischof von Canterbury 1076 als Prior des Klosters Bec verfaßt hat. Von diesem Prinzip läßt sich Heinrich auch bei seinen Ausführungen zum Verhältnis der göttlichen Allmacht zum Kontradiktionsprinzip leiten. Außerdem ist die unterschiedliche Anselmrezeption bei Heinrich von Gent, Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham symptomatisch für die Unterschiede in ihrer Attributenlehre. Daher soll zuerst die „regula Anselmi" dargestellt werden und anschließend das, was Heinrich von Gent daraus gemacht hat.

a)

Die Regel des Anselm von Canterbury

In dem zitierten Kapitel erörtert Anselm die Frage, welche Eigenschaften von Gott wesenhaft („substantialiter") ausgesagt werden können. Dabei stehen wesenhaft aussagbare Eigenschaften im Gegensatz zu relativ aussagbaren Eigenschaften. 49 Eine relative Eigenschaft kommt Gott aufgrund seines Bezugs zu etwas anderem zu. Solche Bestimmungen können ihm zukommen oder auch nicht; sie beeinträchtigen jedoch niemals seine Größe und Vollkommenheit. Denn Änderungen oder Unvollkommenheiten der relativen Eigenschaften stammen nicht von Gott, sondern vom Bezugspunkt, durch den sie von Gott ausgesagt werden. Wesenhafte Eigenschaften Gottes sind hingegen solche, die sein Wesen bzw. seine Natur direkt bezeichnen, nicht erst infolge eines Bezugs auf etwas anderes. Deshalb sind sie auch ein Kriterium, an dem sich die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit ihres Trägers entscheiden kann. Daher führt Anselm das Prinzip ein, auf das sich spätere Denker als die „regula Anselmi" berufen. Es dient dazu, Eigenschaften, die die Vollkommenheit ihres Trägers beeinträchtigen und daher von Gott nicht wesenhaft ausgesagt werden können, von den anderen zu unterscheiden, die auch nicht 48

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Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 42,22). Da Heinrich selbst von der „regula Anselmi" spricht, muß man sie nicht vom Namen des Anselm von Canterbury lösen und mit dem des Heinrich von Gent verbinden, wie es Allan B. Wolter tut, indem er sie als „Ghentian norm" bezeichnet; vgl. Allan B. Wolter: Ockham and the Textbooks: On the Origin of Possibility. In: FS 32(1950) 70-96, 73. Anselm von Canterbury: Monologion (ed. Schmitt, 28,8-9): „Itaque de relativis quidem nulli dubium, quia nullum eorum substantiale est illi de quo relative dicitur". Zum „Monologion" vgl. Hansjürgen Verweyen: Anthropologische Vermittlung der Offenbarung: Anselms ,Monologion'. In: Fides quaerens intellectum. Beiträge zur Fundamentaltheologie. Max Seckler zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Michael Kessler, Wolfhart Pannenberg und Hermann Josef Pottmeyer. Tübingen: Francke 1992, 149-158.

Die Lehre von den göttlichen Attributen

225

das geringste Maß an Unvollkommenheit beinhalten und Gott deshalb zukommen. Es gibt nämlich, fuhrt Anselm aus, Eigenschaften, die zu besitzen schlechthin besser ist, als sie nicht zu besitzen: „ut ipsum omnino melius sit quam non ipsum"50. Andere Eigenschaften sind hingegen so beschaffen, daß es für manche Träger besser ist, sie zu besitzen, für andere hingegen besser, sie nicht zu besitzen.51 Gott ist in höchstem Maß vollkommen. Seine Vollkommenheit steht im Zentrum des Denkens Anselms und begründet seinen Gottesbegriff 52 und in weiterer Folge seinen Gottesbeweis.53 Daher können von Gott auch nur jene Eigenschaften wesenhaft ausgesagt werden, die stets eine Vollkommenheit beinhalten. Umgekehrt sind alle Wesenseigenschaften von ihm auszuschließen, die unter gewissen Umständen eine Unvollkommenheit bedeuten. Wenn man also Anselms Einteilung der wesenhaften Eigenschaften in zwei Gruppen mit seinem Gottesbegriff in Verbindung bringt, der vom Gedanken der Vollkommenheit bestimmt ist, ergibt sich das Kriterium dafür, welche Eigenschaften Gott zugeschrieben werden dürfen und welche nicht. Es lautet: Jede Eigenschaft, die zu besitzen schlechthin, d. h. für jeden Träger, besser ist, als sie nicht zu besitzen, kommt Gott notwendigerweise zu. Hingegen darf Gott keine Wesenseigenschaft zugeschrieben werden, die insofern eine Unvollkommenheit besagt, als es für manche Träger nicht besser ist, sie zu besitzen, als sie nicht zu besitzen.54 Darin besteht, was Heinrich von Gent als „regula Anselmi" bezeichnet. Anselm hält es für angebracht, dieses sein Prinzip durch drei Hinweise zu erläutern. Erstens setzt er eine scharfe Trennung, einen kontradiktorischen Gegensatz zwischen den Eigenschaften voraus, keinen fließenden Übergang. Die Eigenschaften, von denen er spricht, bestehen entweder darin, wahr zu

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Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 28,27). Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 28,27-28): „aut tale ut non ipsum in aliquo melius sit quam ipsum". Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 1 (ed. Schmitt, 13,3-11): „Quod sit quiddam optimum et maximum et surranum omnium quae sunt. Si quis unam naturam, summam omnium quae sunt, solam sibi in aeterna sua beatudine sufficientem, omnibusque rebus aliis hoc ipsum quod aliquid sunt aut quod aliquomodo bene sunt, per omnipotentem bonitatem suam dantem et facientem, aliaque perplura quae de deo sive de eius creatura necessarie credimus, aut non audiendo aut non credendo ignorat: puto quia ea ipsa ex magna parte, si vel mediocris ingenii est, potest ipse sibi saltem sola ratione persuadere"; vgl. Anselm von Canterbury: Proslogion, c?p. 2 (ed. Schmitt, 101,4-5). Anselm von Canterbury: Proslogion, cap. 2 - 3 (ed. Schmitt, 101-103). Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 29,17-19): „sicut nefas est putare quod substantia supremae naturae sit aliquid, quo melius sit aliquomodo non ipsum, sie necesse est ut sit quidquid omnino melius est quam non ipsum"; vgl. Anselm von Canterbury: Proslogion, cap. 5 (ed. Schmitt, 104,14-17).

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

sein, oder nicht wahr zu sein, körperlich zu sein, oder nicht körperlich zu sein usw. 55 Zweitens sind die kontradiktorisch entgegengesetzten Eigenschaften nur am selben Träger zu vergleichen. Es geht darum, ob es für dasselbe Individuum besser ist, weise zu sein, als es nicht zu sein. Es geht nicht darum, ob es besser ist, ein ungerechter Mensch zu sein, der weise ist, als ein gerechter Mensch, der nicht weise ist. Entscheidend ist nur, ob es für denselben Menschen, wie gerecht oder ungerecht er auch sein mag, besser ist, weise zu sein, als es nicht zu sein.56 Dieser zweite erklärende Hinweis ist durch den dritten zu ergänzen. Zwar darf während des Vergleichs zwischen den beiden kontradiktorisch entgegengesetzten Eigenschaften der Träger nicht gewechselt werden, doch nur wenn ein solcher Vergleich bei allen möglichen Trägern positiv ausfällt, bestimmt er eine wesenhafte Eigenschaft Gottes. Lassen sich umgekehrt zwei Beispiele angeben, bei denen der Vergleich unterschiedlich ausfällt, darf eine solche Eigenschaft Gott nicht zugeschrieben werden. Das erläutert Anselm am Beispiel der Eigenschaft, Gold zu sein, die zu besitzen zwar für das Blei besser wäre, jedoch nicht für den Menschen, 57 denn natürlich steht ein lebendes und vernünftiges Wesen über dem toten Metall, so wertvoll es auch sein mag. Mit dieser Überlegung meint Anselm nun alle Eigenschaften Gottes bestimmen zu können, für die er eine Reihe von Beispielen anfuhrt: Leben, Weisheit, Macht und Allmacht, Wahrheit, Gerechtigkeit, Seligkeit, Ewigkeit

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Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 28,28-30): ,„Ipsum' autem et ,ηοη ipsum' non aliud hic intelligo quam verum, non verum; corpus, non corpus; et his similia". Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 28,32-33): „Quamvis enim iustus non sapiens melior videatur quam non iustus sapiens, non tarnen est melius simpliciter non sapiens quam sapiens". Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 29,3-9): „Melius autem est in aliquo non ipsum quam ipsum, ut non aurum quam aurum. Nam melius est homini esse non aurum quam aurum, quamvis forsitan alicui melius esset aurum esse quam non aurum, ut plumbo. Cum enim utrumque, scilicet homo et plumbum, sit non aurum: tanto melius aliquid est homo quam aurum, quanto inferioris esset naturae, si esset aurum; et plumpum tanto vilius est, quanto pretiosius esset, si aurum esset". Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 29,29-31): „Quare necesse est eam [seil, summam essentiam] esse viventem, sapientem, potentem et omnipotentem, veram, iustam, beatam, aeternam, et quidquid similiter absolute melius est quam non ipsum".

Die Lehre von den göttlichen b)

Attributen

227

Die Rezeption der Regel des Anselm von Canterbury durch Heinrich von Gent

Heinrich von Gent nimmt die Gedanken des Anselm von Canterbury auf, 59 nicht ohne dessen Überlegungen zu überarbeiten und zu verfeinern. Dabei ist auf Heinrichs Ideenlehre zu verweisen, nach der jede Idee einer Art der Geschöpfe ein Bezug der Nachahmbarkeit der göttlichen Vollkommenheit ist.60 Alles, was ist, hat also etwas von der Vollkommenheit Gottes in sich. Dennoch kann nicht alles in gleicher Weise von Gott ausgesagt werden. An dieser Stelle will Heinrich die denkbaren Eigenschaften der möglichen Geschöpfe erstens unter dem Aspekt der Vollkommenheit, zweitens unter ihrem Aspekt als Eigenschaft der jeweiligen Natur bzw. des jeweiligen Wesens und drittens unter dem Aspekt ihrer Beschränktheit betrachten.61 Was zur ersten und zur dritten Betrachtungsweise zu sagen ist, überrascht kaum. Jede absolute Vollkommenheit muß Gott wesenseigentümlich zukommen, allerdings nur unter der Bezeichnung der Vollkommenheit, nicht unter der Bezeichnung des Geschöpfes, in dem sie anzutreffen ist: Gott ist gut, weise usw.; er ist nicht Stein, Holz, Fleisch oder Gebein. 62 Betrachtet man hingegen die notwendige Beschränktheit jeder geschöpflichen Vollkommenheit, darf sie unter diesem Aspekt nicht von Gott ausgesagt werden (außer uneigentlich im Gleichnis) 63 , wie ihm überhaupt nichts zugeschrieben werden kann, was irgendeine Unvollkommenheit oder Unwürdigkeit besagt.64

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Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 46,2-3): „Dictam regulam de attribuendis Deo per proprietatem et non attribuendis consideravit Anselmus"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 71,7-9). Vgl. unten III, 3)! Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 41,78-80): „In qua quidem est considerare tria, scilicet rationem ipsius perfectionis simpliciter et absolute, et rationem proprietatis essentiae et naturae, cuius est perfectio, et rationem limitationis in gradu competenti creaturae". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 41,81-42,87): „Considerando quamcumque creaturam in quacumque re cuiuscumque praedicamenti primo modo, esse eius est aliquid dignitatis et nobilitatis simpliciter, quare cum omne tale, ut dictum est, Deo debet attribui, hoc modo quaelibet res cuiuscumque praedicamenti Deo habet per proprietatem attribui, sed non sub nomine proprio creaturae, ut carnis vel ossis, ligni vel lapidis, sed sub communi nomine dignitatis, exprimentis scilicet dignitatem perfectionis cuiuscumque". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 43,20): „nullo modo Deo attribui potest nisi per similitudinem". Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 43,7-17): „Tertio modo, licet esse creaturae cuiuscumque aliquid dignitatis in se habet ratione perfectionis propriae, quia tarnen, ut propria est et in gradu creaturae existit, limitationem habet, et sie aliquid indignitatis et ignobilitatis habet ex natura suae essentiae, ratione qua creatura est diversa et divisa ab essentia divina, et per hoc est quid diminutum in natura et essentia sua, quod appellatur esse creaturae proprium, hoc igitur modo, et ut sic significetur esse creaturae sub proprio vocabulo, quod a propria essentia creaturae ut creatura est, ei imponitur, veluti lignum, lapis, caro, os, et huiusmodi, quia nihil

228

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Relevant wird die „regula Anselmi" bei Heinrich erst, wenn man die denkbaren Eigenschaften als Eigenschaften der jeweiligen Natur bzw. des jeweiligen Wesens betrachtet. Denn unter diesem Blickwinkel besagen manche geschöpfliche Eigenschaften, so sehr ihr Träger der geschöpflichen Begrenztheit unterliegen mag, eine absolute Vollkommenheit 65 und können daher auch von Gott ausgesagt werden, wenngleich nur analog.66 Andere geschöpfliche Eigenschaften besagen hingegen keine absolute Vollkommenheit 67 und können daher nicht von Gott ausgesagt werden.68

Daß die Vollkommenheit schlechthin einer Wesenseigenschaft darin besteht, daß sie zu besitzen besser ist, als sie nicht zu besitzen, führt Heinrich nicht weiter aus. Dieser Angelpunkt der Überlegungen Anselms geht in Heinrichs Text zunächst nur durch ein längeres Zitat aus dem Anselmschen „Monologion" ein.69 Dasselbe Zitat enthält auch Anselms Beispiel vom Gold und Blei, das besagt, für das Blei sei es „vielleicht" („forsitan") besser, Gold zu sein, als es nicht zu sein, jedoch nicht für den Menschen. 70 Unter Schonung seiner Autoritätsstelle weist Heinrich auf das relativierende „vielleicht" („forsitan") hin71 und verbindet mit diesem Hinweis eine doppelte Kritik am Beispiel Anselms. quod imperfectionis aut indignitatis alicuius est, Deo attribui potest, nulla res creaturae cuiuscumque praedicamenti sub suo proprio nomine creaturae per proprietatem potest Deo attribui". 65 Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 43,31-44,34): „Ad cuius intellectum sciendum, quod quaedam sunt res praedicamentorum aliquorum, quibus de natura et proprietate essentiae suae convenit aliquid quod est simpliciter dignitatis et nobilitatis, quantumcumque sit ipsa rei essentia limitata in quantum est creatura". 66 Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 45,68-71): „Res praedicamenti cuiuscumque de primo modo per proprietatem Deo potest attribui secundum idem significatum nominis, analogice tarnen, ut infra patebit. Quidquid enim est simpliciter et absolute dignitatis et perfectionis, Deo tribuendum est"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 49,91-95). 67 Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 44,34-36): „quaedam autem aliae sunt res in quolibet praedicamento, quibus de natura sua et proprietate essentiae suae non convenit aliquid quod est dignitatis simpliciter aut nobilitatis". 68 Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 45,83-46,88): „Res vero cuiuscumque praedicamenti de secundo modo, nullo modo per proprietatem Deo potest attribui, quia nihil potest Deo attribui quod non sit simpliciter dignitatis et perfectionis alicuius, quia quidquid ei attribuitur, ipse est per suam substantiam, qui perfectissimus est et nobilissimus et dignissimus, cui nihil convenire potest nisi supereminenter et per superabundantiam dictum, iuxta doctrinam DIONYSII". 69 Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 46,5): „melius sit quam non ipsum"; vgl. jedoch Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 71,9 und 72,32-33). 70 Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 47,15-17): „melius est homini esse non aurum quam aurum, quamvis forsitan alicui melius esset esse aurum quam non aurum, ut plumbo". 71 Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 47,25-26): „Propter quod, credo, dixit: ,forsitan

Die Lehre von den göttlichen Attributen

229

Hinter dem ersten Kritikpunkt steht das Anliegen, eine Vollkommenheit schlechthin nicht mit der spezifischen vollendeten Gestalt einer Art zu verwechseln. Denn im Hinblick auf seine spezifische vollendete Gestalt wäre es für das Blei keineswegs besser, Gold zu sein. Denn wenn das Blei Gold wäre, wäre es eben kein Blei mehr. 72 Der zweite Kritikpunkt betrachtet das Beispiel des Bleis nicht in sich, sondern in seiner Stellung innerhalb der hierarchischen Weltordnung. Wenn alles Blei Gold wäre, wäre das Universum insgesamt nicht besser, denn seine Vollkommenheit drückt sich gerade in der Fülle der verschiedenen Arten aus, der geringen nicht weniger als der hochstehenden. 73 Beide Kritikpunkte laufen also darauf hinaus, daß die Regel Anselms zu weit ist, um als Kriterium zur Entscheidung zu dienen, welche Eigenschaften von Gott ausgesagt werden können. Denn in einem gewissen Sinn ist es für alles in der Welt besser, daß es ist, als daß es nicht ist.74 Auf diese Einwände antwortet Heinrich mit einer deutenden Erklärung der Regel, die ihren wahren Sinn darlegen soll. Zu diesem Zweck unterscheidet er zwei Weisen, in denen einem Subjekt Eigenschaften zugesprochen werden können. Wenn ihm die Eigenschaft „per essentiam" zukommt, ist sie notwendig mit seinem Wesen verbunden. (Zum Beispiel ist „animal rationale" notwendig mit „homo" verbunden.) Wenn ihm die Eigenschaft nur „per denominationem" oder „per inhaerentiam" zukommt, ist sie ein bloßes Akzidens, das in der Substanz enthalten sein kann oder auch nicht. (In dieser Weise ist etwa „albus" mit „homo" verbunden.) 75

72

Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 4 7 , 2 3 - 2 5 ) : „Non tarnen sequitur ex hoc quod plumbum esset melius plumbum, vel quod plumbum esse aurum esset melius plumbo quam esse plumbum, sicut patet ex eo quod supra dictum est de oliva"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 4 4 , 4 9 - 4 5 , 6 7 ) ; Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 4 7 , 3 2 - 3 5 ) .

73

Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 4 7 , 2 6 - 2 9 ) : „Nec etiam ex hoc sequitur quod melius esset universo, si totum plumbum conversum esset in aurum, quia tunc deficeret ei una species, et melius et pretiosius est universo quod in ipso sint plumbum et aurum, quam quod omne plumbum esset aurum"; Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 4 7 , 3 5 38). Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 47,30-32): „Ex quo, ut videtur, apparet quod nulla sit divisio ANSELM1 praedicta, quoniam nihil est invenire in creaturis, quin non ipsum in aliquo melius sit quam ipsum".

74

75

Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 47,39-48,45): „Et est dicendum ad intellectum regulae, quod esse ipsum potest dici aliquid de alio, et similiter non ipsum, dupliciter: vel per existentiam, vel per denominationem. Per existentiam, dicendo: ,Hoc est hoc per essentiam", ut quod ,homo est animal rationale'. Per denominationem, dicendo: ,Hoc est hoc per inhaerentiam', ut quod ,homo est albus', quia homo nihil est re nisi id quod re est animalitas cum rationalitate, non autem est re id quod est albedo, sed albedo inest ei".

230

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Die Einwände, auf die Heinrich antwortet, sind nur berechtigt, wenn man betrachtet, was von den Geschöpfen „per essentiam" ausgesagt wird. Es geht aber nicht um Substanzen, die in sich besser sind als die unvereinbare Verbindung zweier Substanzen, wie der erste Kritikpunkt nahelegt. Es geht auch nicht um Substanzen, die eine Art repräsentieren und dadurch das Universum bereichern, wie der zweite Kritikpunkt behauptet. Es geht vielmehr um Eigenschaften, die von verschiedenen Substanzen ausgesagt werden und, sofern sie das Kriterium der Regel bestehen, auf Gott übertragen werden können. 76 Schließt man von der Regel des Anselm von Canterbury aus, was „per essentiam" ausgesagt wird, und beschränkt sie auf das, was „per denominationem" ausgesagt wird, hält Heinrich sie für richtig. Die Akzidentien der Geschöpfe können, sofern es für jegliches besser ist, sie zu besitzen, als sie nicht zu besitzen, und sie somit eine Vollkommenheit schlechthin darstellen, auf Gott übertragen und von ihm ausgesagt werden. 77 Allerdings sind solche Akzidentien der Geschöpfe in Gott keine Akzidentien mehr, sondern sie sind mit seinem Wesen in jeder Hinsicht identisch.

4)

Das Verhältnis der Attribute zum göttlichen Wesen und zueinander

Ein Attribut ist das göttliche Wesen, insofern es unter einem bestimmten Begriff vom göttlichen Intellekt erkannt wird. Da Heinrich von Gent den Relationen kein eigenständiges Sein zuspricht, das über das Sein der Relata hinausgeht, 78 besitzen die Attribute kein eigenes Sein außer dem Sein des 76

Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 48,46-51 und 60-64): „Primo modo procedit obiectio. Nihil est enim in creaturis, quod omnino, id est cuilibet universaliter, melius est esse ipsum quam non ipsum. Immo non est aliquid, quin cuilibet alten melius sit non esse ipsum quam esse ipsum, sive illud ipsum fuerit substantia sive accidens. Melius enim est plumbo non esse angelum quam esse; similiter non esse secundum rem accidens illud quod est sapientia, quam esse, ut patet ex dictis. (...) Et tunc non valet exemplum ANSELMI de non ipso quod melius est alicui quam ipsum, ut homini non esse aurum quam aurum, quia de substantiis nihil ad istam regulam. Sed debet sumi exemplum de non ipso, ut non esse amarum melius est vino quam esse amarum, quamvis, sine, forte melius est alicui esse amarum quam non esse, ut absinthio".

77

Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2 (ed. Macken, 48,52-59): „Secundo modo regula est vera, et illo modo est intelligenda. Hoc enim modo, sive per possibile, sive per impossibile, melius esset cuilibet rei quod esset sapiens, quam non sapiens, iustum quam non iustum, et huiusmodi. Unde de accidentibus in creaturis, quae iuxta dictam regulam aliquid nobilitatis simpliciter important, intelliguntur summe Deo attribuenda. Unde et sola talia a creaturis ad Deum translate, proprie attributa dicenda sunt, et sunt quasi dispositiones in Deo, et verae dispositiones accidentales in creaturis".

78

Vgl. unten III, 5)!

Die Lehre von den göttlichen Attributen

231

göttlichen Wesens, das mit dem göttlichen Intellekt identisch ist. Die Attribute sind daher mit dem göttlichen Wesen real identisch. Die Begriffe der Attribute und des göttlichen Wesens sind jedoch nicht synonym. Der Unterschied in der Bedeutung entsteht dadurch, daß ein Attribut das göttliche Wesen unter einem bestimmten Begriff („ratio") bezeichnet, unter dem der Intellekt Gottes sein Wesen begreift. Die Attribute unterscheiden sich also durch diesen Begriff bzw. durch die Relation des Begreifens zwischen dem göttlichen Wesen und dem göttlichen Intellekt vom göttlichen Wesen in sich. Dieser Unterschied ist nicht real, denn ein bloßer Begriff kann keinen realen Unterschied begründen, sondern nur einen begrifflichen Unterschied. Daher ist der Unterschied zwischen dem göttlichen Wesen und seinen Attributen rein begrifflicher Natur. Die Attribute sind also mit dem göttlichen Wesen real identisch, begrifflich aber von ihm unterschieden.79 Dem einen göttlichen Wesen steht die Vielzahl göttlicher Attribute gegenüber. Diese Vielzahl geht darauf zurück, daß der göttliche Intellekt das eine göttliche Wesen auf vielfältige Weise, d. h. unter vielen verschiedenen Begriffen, erfaßt. Diese verschiedenen Begriffe bilden die Attribute Gottes. Die Unterschiede zwischen ihnen sind nicht real, denn bloße Begriffe können keine realen Unterschiede begründen, sondern nur begriffliche Unterschiede. Daher unterscheiden sich die einzelnen Attribute Gottes begrifflich voneinander. Ihre Vielzahl bringt keine Unterschiede oder Teile in die Einheit und Einfachheit des göttlichen Wesens. Die begrifflichen Unterschiede zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Attributen bzw. zwischen den verschiedenen göttlichen Attributen lassen Grade und Abstufungen zu. Vom göttlichen Wesen unterscheiden sich die Attribute stärker als voneinander. Manche Attribute sind dem göttlichen Intellekt zugeordnet, andere dem göttlichen Willen und wieder andere beiden gleichermaßen. Die dem Intellekt zugeordneten Attribute unterscheiden sich von den Attributen, die dem Willen zuzuordnen sind, stärker als voneinander.80

79 80

Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 152p): „Intelligit etiam se esse intelligentem et intellectum et ista omnia esse idem re et sola ratione intelligendi differre". Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 2 (ed. Badius, fol. 54v): „minus differunt attributa inter se quam ab essentia, et minus ilia quae pertinent ad voluntatem inter se, quam different ab illis quae pertinent ad intellectum".

232 5)

4. Kapitel: Heinrich von Gent Die Ordnung der Attribute

Die göttlichen Eigenschaften und Attribute stehen in einer bestimmten Ordnung zueinander. Diese Ordnung bestimmt auf weite Strecken den Aufbau der „Summa" des Heinrich von Gent. Zunächst unterscheidet er Eigenschaften, die Gott allein zukommen, von Attributen, die Gott und den Geschöpfen gemeinsam sind, wenngleich sie von beiden nur analog ausgesagt werden können.81 Zu den Eigenschaften, die Gott allein zukommen und die mit seinem Wesen einhergehen, zählt vor allem die Einfachheit („simplicitas"), aus der seine Unwandelbarkeit („immutabilitas") folgt, die wiederum seine Ewigkeit („aeternitas") nach sich zieht.82 Neben den Eigenschaften, die Gott allein zukommen, nennt Heinrich Attribute, die Gott und den Geschöpfen zumindest durch Analogie gemeinsam sind. Bei ihnen unterscheidet er Attribute, die zum Intellekt („intellectus") gehören, von Attributen, die zum Willen („voluntas") gehören, und nennt schließlich auch Attribute, die zu beiden gehören. 83 Zum Intellekt gehören vier Attribute, erstens die Intelligibilität („intelligibile"), zweitens der Intellekt selbst („intellectus"), drittens das Wissen des Intellekts („notitia intellectus") und viertens das Verstehen selbst („intelligere"). 84 Daher ist erstens die Intelligibilität („intelligibile") ein göttliches Attribut. Da Gott aber, insofern er intelligibel ist, auch wahr ist, ist auch die Wahrheit („verum") ein göttliches Attribut. 85 Zweitens findet sich in Gott der Intellekt, also das Vermögen, das die intellektive Tätigkeit vollzieht. Daher sind das Vermögen („potentia") allgemein und der Intellekt („intellectus") im besonderen göttliche Attribute. 86

81

82

83 84 85 86

Heinrich von Gent: Summa, art. 21 (ed. Badius, fol. 123): „Et quia deus consideratur ut in se existens et ut a quo omne aliud procedens, ideo circa ipsum dubitanda sunt duo. Primum de eis quae conveniunt deo in se. Secundum de eis quae conveniunt ei in comparatione ad creaturas". Heinrich von Gent: Summa, art. 28 (ed. Badius, fol. 164i): „Proprietates vero illae quae sequuntur divinam essentiam principaliter ratione qua essentia est, sunt tres per ordinem naturalem se habentes, ad quas omnes aliae, si quae sunt, reducuntur. Conveniunt autem illae tres divinae essentiae ratione qua est ipsum purum divinum esse. Deus ei ex singularitate et puritate sui esse primo habet in se simplicitatem, deinde ex simplicitate habet immutabilitatem, et tertio ex immutabilitatem aeternitatem , ut patebit singula persequendo". Heinrich von Gent: Summa, art. 33 (ed. Macken, 122,7-14). Heinrich von Gent: Summa, art. 33 (ed. Macken, 122,15-20). Heinrich von Gent: Summa, art. 33 (ed. Macken, 123,21-23). Heinrich von Gent: Summa, art. 35 (ed. Wilson, 3,3-8).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

233

Drittens ist in Gott das Wissen des Intellekts vorhanden. Da Wissen ein Habitus ist, ist einerseits der Habitus („habitus") im allgemeinen ein göttliches Attribut und andererseits das Wissen („scientia") im besonderen. 87 Viertens gibt es in Gott das Verstehen als Akt des göttlichen Intellekts. Daher sind der Akt („actus") im allgemeinen und das Verstehen („intelligere") im besonderen göttliche Attribute.88 Neben den Attributen, die zum göttlichen Intellekt gehören, besitzt Gott auch jene Attribute, die zum göttlichen Willen gehören. Entsprechend den Attributen, die zum Intellekt gehören, sind dem göttlichen Willen vier Attribute zugeordnet, nämlich erstens „gewollt" bzw. „erstrebbar" („volitum, ut ipsum volibile sive appetibile"), zweitens der Wille als Vermögen zu wollen („voluntas tamquam potentia volendi"), drittens der habitus des Wollens („habitus volendi") und viertens der Akt des Wollens („actus volendi").89 Gott ist also erstens „wollbar" bzw. liebenswert („volibile sive amabile") und, insofern er liebenswert ist, auch gut („bonus").90 Insofern er gut ist, ist er auch vollkommen („perfectus"). Insofern er vollkommen ist, ist er auch ganz („totus"). Insofern er ganz ist, ist er auch unendlich („infinitus"). Liebenswürdigkeit, Gutheit, Vollkommenheit, Ganzheit und Unendlichkeit sind also göttliche Attribute.91 Zweitens ist der Wille („voluntas") als Vermögen zu wollen ein göttliches Attribut. Drittens ist als Attribut in Gott der Habitus des Wollens, also die Liebe („amor"). 92 Viertens ist als Attribut in Gott der Akt des Wollens, also das Wollen bzw. Lieben in sich („velle sive amare secundum se").93 Zu Intellekt und Willen zusammen gehört das Wollen bzw. Lieben im Vergleich zum Intellekt. Da gewissermaßen in beidem Gottes Seligkeit („beatitudo") besteht und sein Erfreuen („delectatio"), gehören die „Liebe", die „Seligkeit" und das „Erfreuen" zu jenen göttlichen Attributen, die zu Intellekt und Willen zusammen gehören.94 Ohne sie den anderen Personen abzusprechen, lassen sich die Attribute einzelnen göttlichen Personen zuordnen. Da innerhalb der Dreifaltigkeit der Sohn durch den Intellekt gezeugt wird, setzt er das Attribut des Intellekts voraus. Daher ordnet Heinrich der zweiten trinitarischen Person den Intellekt zu

87 88 89 90 91 92 93 94

Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich

von von von von von von von von

Gent: Gent: Gent: Gent: Gent: Gent: Gent: Gent:

Summa, Summa, Summa, Summa, Summa, Summa, Summa, Summa,

art. 37 art. 39 art. 41 art. 41 art. 41 art. 46 art. 47 art. 47

(ed. (ed. (ed. (ed. (ed. (ed. (ed. (ed.

Wilson, 144,3-8). Wilson, 170,3-9). Hödl, 3,3-13). Hödl, 3,14-17). Hödl, 3,27-4,32). Hödl, 128,3). Badius, fol. 25). Badius, fol. 25).

234

4. Kapitel: Heinrich von Gent

samt allen Attributen, die auf ihn zurückgeführt werden können. Da der Heilige Geist durch den Willen gehaucht wird, setzt er das Attribut des Willens voraus. Daher ordnet ihm Heinrich den Willen zu samt allen Attributen, die auf ihn zurückgeführt werden können. 95 Attribute, die dem Intellekt zugeordnet sind, unterscheiden sich von den dem Willen zugeordneten Attributen mehr als untereinander. Ebenso unterscheiden sich Attribute, die dem Willen zugeordnet sind, stärker von den dem Intellekt zugeordneten Attributen als untereinander. 96 Unter den Attributen, die zum göttlichen Intellekt gehören, zählt Heinrich das Vermögen zu Verstehensakten im besonderen und das Vermögen („potentia") im allgemeinen auf. In diesem Zusammenhang kommt er auf die göttliche Eigenschaft der Macht zu sprechen, die unter allen Attributen im folgenden eigens herausgegriffen werden soll.

6)

Das Attribut der unendlichen Macht

Verglichen mit Duns Scotus und Ockham spricht Heinrich von Gent selten von der Allmacht („omnipotentia") Gottes. Der große Teil seiner „Summa", der sich mit den göttlichen Attributen beschäftigt, enthält keinen Artikel über die Allmacht, sondern nur einen über die Macht („potentia") Gottes. Allerdings ist diese Macht nach Heinrich unendlich. Anders als Thomas von Aquin 97 und Duns Scotus unterscheidet er also nicht zwischen Allmacht und unendlicher Macht. Daher sollen in dieser Untersuchung als Heinrichs Allmachtslehre seine Ausführungen zur unendlichen Macht Gottes dargestellt werden. Unter der „potentia", die in Gott vorhanden ist, ist nicht die Potenz zu verstehen, die in der aristotelischen Metaphysik dem Akt gegenübergestellt wird. Diese „potentia" ist nämlich mit dem Akt unvereinbar. Da Gott aber reiner Akt ist, kann es in ihm keine Potenz geben. Unter der „potentia" Gottes ist

95

Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 1 (ed. Badius, fol. 152p): „Cum enim filius procedit naturaliter nascendo tanquam verbum conceptum in intellectu modo intellectualis operationis, Spiritus sanctus procedit liberaliter spirando tanquam amor conceptus in voluntate modo operationis voluntariae, et non econverso spiritus sanctus naturaliter nascendo etc. neque filius liberaliter spirando etc. Quod omnino non esset verum, nisi esset aliqua distinctio et pluralitas intellectus et eius operationis et aliorum quae pertinent ad ipsum et voluntatis et eius operationis et aliorum quae pertinent ad ipsam. Quae communiter pertinent ad divina attributa, et ad quae omnia attribute habent reduci, ut alibi determinavimus"; vgl. Summa, art. 51, qu. 1 (ed. Badius, fol. 53k).

96 97

Heinrich von Gent: Summa, art. 51, qu. 2 (ed. Badius, fol. 54v). Thomas von Aquin: De potentia, qu. 1, art. 7, resp. (ed. Marietti,23a).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

235

vielmehr ein Vermögen zu verstehen, das mit dem reinen Akt vereinbar und nur begrifflich von ihm unterschieden ist.98 Heinrich schließt sogar vom Akt auf die „potentia" Gottes. Weil von Gott Akte wie das Verstehen oder das Wollen ausgesagt werden können, muß man in ihm auch das Vermögen zu verstehen oder das Vermögen zu wollen voraussetzen." Weil Gott einen Akt setzt, läßt sich erkennen, daß er ein aktives Vermögen besitzt.100 Weil Gott verschiedene Akte setzt, muß man auch von verschiedenen aktiven Vermögen sprechen.101 Weil sich manche Akte Gottes „ad intra" beziehen und jeder Tätigkeit ein Erleiden entspricht, das ein passives Vermögen voraussetzt, nimmt Heinrich auch ein passives Vermögen in Gott an, das sich allerdings vom aktiven Vermögen nicht real oder intentional, sondern nur begrifflich unterscheidet.102 Beispielsweise besitzt Gott das passive Vermögen, gut, weise usw. zu sein. Es gibt also mehrere verschiedene passive Vermögen in Gott.103 Heinrich ist sich allerdings bewußt, daß seine Rede von passiven Potenzen in Gott ungewöhnlich und möglicherweise anstoßerregend ist.104 Daß auch das, was er damit meint, anstößig wäre, bestreitet Heinrich allerdings. Daß Gottes Macht unendlich ist, ist nach Heinrich (wie für Duns Scotus, aber anders als für Ockham) keine reine Glaubenswahrheit, sondern läßt sich auch mit der Vernunft allein erkennen. Heinrich ist sich der Zustimmung aller antiken Philosophen sicher, wenngleich diese ihre diesbezüglich richtige Erkenntnis oft in falsche Zusammenhänge gestellt haben.105 Das belegt das Beispiel des Aristoteles, der die Unendlichkeit des Wirkens des unbewegten Bewegers nicht nur hinsichtlich der zeitlichen Dauer (in einer ewigen Welt, wie Aristoteles meint), sondern auch hinsichtlich seiner Kraft vertreten hat.106 Also muß nicht nur der Katholik, sondern auch jeder Philosoph zugestehen, daß die Macht Gottes unendlich ist.107 98 99 100 101 102 103 104 105 106

Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 1, ad 1 (ed. Wilson, 8,2-10,45). Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 1 (ed. Wilson, 8,92-00). Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 4 (ed. Wilson, 3 1 , 2 1 - 2 4 ) . Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 5 (ed. Wilson, 4 0 , 2 5 - 2 9 ) . Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 2 (ed. Wilson, 16,77-17,00). Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 3 (ed. Wilson, 28,98-00). Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 2 (ed. Wilson, 17,1): „tarnen non est usitatum sie loqui". Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 44,35^46). Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 60,12-14): „Ex quo patet plane quod intentionis PHILOSOPHI est quod primus motor, quem Deum appellamus, sit infinitus, non solum duratione et actione infinita secundum tempus, sed etiam quod sit infinitus vigore". 107 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 61,36-38): „Sic ergo absolute dicendum, quantum ad praesens pertinet, quod potentia activa Dei ex se et simpliciter est infinita, et quod non solum sentire debet hoc catholicus, sed etiam quilibet philosophus".

236

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Heinrich von Gent unterscheidet zwischen einem ersten Akt in Gott, der innerhalb des göttlichen Wesens bleibt, wenngleich er dort keine Veränderung bewirkt, und einem zweiten Akt, durch den Gott nach außen auf die Schöpfung wirkt. Das Vermögen hinsichtlich des ersten Aktes ist ein passives Vermögen. Das Vermögen hinsichtlich des zweiten Aktes ist ein aktives Vermögen. 108 Relevant zur Untersuchung der Allmacht ist nur das aktive Vermögen. Das aktive Vermögen in Gott ist sachlich in jeder Hinsicht mit dem göttlichen Wesen identisch.109 Da das göttliche Wesen hinsichtlich seiner Vollkommenheit unendlich ist, ist auch Gottes aktives Vermögen der Vollkommenheit nach unendlich. 110 Offen bleibt zunächst noch die Frage, ob es auch seiner Kraft nach unendlich ist. An dieser Stelle erläutert Heinrich, was er mit „Kraft" („vigor") meint. Unter „aktivem Vermögen" („potentia activa") versteht er einfach alles, wodurch jemand handeln oder einen Akt wählen kann. Tüchtigkeit („virtus") ist das Vermögen in seinem höchsten Grad der Vollkommenheit, die es in einem bestimmten Individuum haben kann. Intensität („intensio") ist das Vermögen in einem beliebigen Grad der Vollkommenheit, die jedoch nicht in einem bestimmten Individuum, sondern in seinem Wesen besteht. Kraft („vigor") schließlich ist die Wirksamkeit („efficacia") in der Art, einen Akt zu wählen. Kraft ist also eine Intensität, setzt darüber hinaus jedoch auch noch eine Relation zum Akt voraus hinsichtlich der Weise, ihn zu wählen. 111 Um die Frage, ob Gott seiner Kraft nach unendlich ist, zu beantworten, unterscheidet Heinrich zwischen einer Betrachtungsweise des aktiven Vermögens Gottes in bezug auf den Akt, den es hervorbringen kann, und in bezug

108 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 4 (ed. Wilson, 31,25-39). 109 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 5, ad 1 (ed. Wilson, 41,60-42,66): „omne posse in Deo unum et idem est sicut sua essentia, et hoc vel secundum rem, qua est ipsum esse quod est ipsa divina essentia, vel in ratione respectus unius, in quantum omnium posse divinorum respectuum reducuntur ad posse esse Dei, quod habet ad eius esse. Nihilominus tarnen diversa posse bene possunt esse in Deo secundum diversos respectus suos quos habet ad diversos actus sibi correspondentes, reductos ad actum essendi Dei, de quibus infra videbitur". 110 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 46,78-87): „De potentia vero activa dicendum quod, cum fundatur super actum primum et perfectionem eius cuius est, ita quod gradum perfectionis illius in natura et essentia sua sequitur gradus perfectionis in vigore perfectiorem enim caliditatem sequitur perfectior potentia caleficiendi - , omnis igitur formalis perfectio in Deo super quam fundatur potentia activa, est infinita perfectione, quia re penitus est id ipsum quod divina essentia, ut habitum est supra, et illa omnino est infinita perfectione, ut infra videbitur. Omnis igitur potentia activa in Deo, ut comparatur ad subiectum cuius est et in quo fundatur, infinita est perfectione, sicut est et ipsa divina essentia, et cetera huiusmodi attributa". 111 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 47,4-17).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

237

auf das, was durch einen solchen Akt hervorgebracht werden kann.112 Betrachtet man das aktive Vermögen Gottes in bezug auf den Akt, den es hervorbringen kann, so ist nochmals zu unterscheiden, ob es sich um einen Akt Gottes „ad intra" oder um einen Akt „ad extra" handelt, ob er also nur Gott selbst betrifft oder auch die Geschöpfe." 3 Alle Akte Gottes „ad intra" sind real mit dem göttlichen Wesen identisch, das selbst unendlich ist. Deshalb sind alle Akte Gottes „ad intra" unendlich. Daß Gott sie herbeifuhrt, zeugt daher von einem unendlichen Vermögen nicht nur hinsichtlich der Vollkommenheit, sondern auch hinsichtlich der Kraft. 114 Betrachtet man das aktive Vermögen hinsichtlich der Akte Gottes „ad extra", also in bezug auf die Geschöpfe, so unterscheidet Heinrich, ob es sich um einen Akt der Schöpfung handelt, durch den ein Geschöpf im Sein hervorgebracht wird, oder um einen Akt, der ein schon erschaffenes Geschöpf betrifft. 115 Ein Akt der Schöpfung zeugt von unendlicher Macht nicht nur hinsichtlich der Vollkommenheit, sondern auch hinsichtlich der Kraft. Denn je größer der Gegensatz zwischen einem Akt und dem ihm zugeordneten passiven Vermögen ist, umso größer ist das aktive Vermögen, das benötigt wird, um das passive Vermögen in den Akt zu überfuhren. Zwischen Nichts und Sein besteht aber ein unendlich großer Gegensatz. Daher zeugt es von unendlich großer Kraft, daß Gott Seiendes aus dem Nichts erschaffen kann.116 Wenn es sich nicht um einen Akt der Schöpfung handelt, sondern um einen Akt, der ein schon erschaffenes Geschöpf betrifft, unterscheidet Heinrich nochmals. Denn entweder handelt es sich um einen vorübergehenden zeitli112 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 4 6 , 8 8 - 9 5 ) : „Sed praeter istum modum infmitatis communem cum essentia et aliis attributis eius habet alium modum infinitatis respectu actus secundi ad quem est ut principium eius, et non solum ex respectu ad ipsum actum, sed ex respectu ad ipsum productum per actum, quando ipsum procedit ex actu, quod respicit mediante actu. Si igitur consideratur potentia Dei activa in respectu ad actum, et mediante actu in respectu ad productum per actum, possumus secundum hoc distinguere duplicem respectum potentiae, unum ad actum, alium ad productum per actum". 113 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 4 6 , 9 6 - 9 7 ) : „Si primo modo, aut ergo ad actum manentem intra divinam essentiam, aut transeuntem extra ad creaturas". 114 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 46,98-47,04): „Si primo modo, cum actiones omnes illas cuiusmodi sunt intelligere, gubemare, spirare, necesse sit ponere infinitas, cum re sint id ipsum quod divina essentia quae est infinita, ut infra patebit, necesse est ponere quod potentia Dei ordinata ad huiusmodi actus eliciendos sit infinita perfectione et vigore, sicut ipsa essentia et alia eius attributa. Actum enim infinitum perfectione elicere non potest nisi potentia infinita vigore". 115 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 4 7 , 1 8 - 2 0 ) : „Si vero potentia Dei activa consideretur in respectu ad actum transeuntem extra, aut ergo est actus quo creatura producitur in esse, aut est actus circa creaturam iam secundum actum in esse productam". 116 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 47,21-48,37).

238

4. Kapitel: Heinrich von Gent

chen Akt oder um einen ewig bestehenden Akt.117 Aus einem vorübergehenden zeitlichen Akt läßt sich nicht auf eine unendliche Kraft oder auf ein unendliches aktives Vermögen schließen. 118 Ein ewig bestehender Akt zeugt hingegen von einem unendlichen aktiven Vermögen nicht nur hinsichtlich der Vollkommenheit, sondern auch hinsichtlich der Kraft. 119 Mit „ewigen" Akten Gottes „ad extra" meint Heinrich zum Beispiel die Erhaltung einmal geschaffener Geschöpfe, 120 also Akte, die zwar in der Zeit begonnen haben, aber (wenigstens in manchen Fällen, etwa bei unsterblichen Engeln) beständig anhalten. Zwar setzt Aristoteles die Ewigkeit der Welt voraus und kann daher von Akten des unbewegten Bewegers ausgehen, die schon seit Ewigkeit bestehen. Doch Heinrich von Gent lehnt nicht nur als Christ die behauptete Ewigkeit der Welt ab, sondern beansprucht, diese aristotelische These mit rein philosophischen Argumenten widerlegen zu können. 121 Doch obwohl Heinrich bestreitet, daß es Akte Gottes „ad extra" gibt, die seit Ewigkeit bestehen, reicht ihm die Annahme von Akten Gottes „ad extra", die in Ewigkeit weiterbestehen werden, aus, um auf die Unendlichkeit der göttlichen Macht zu schließen. Bisher ist Heinrich von Gent der Betrachtungsweise des aktiven Vermögens Gottes in bezug auf den Akt, der von ihm hervorgebracht werden kann, gefolgt. Nun bedenkt er noch die andere Möglichkeit und betrachtet das aktive Vermögen Gottes in bezug auf das, was durch den Akt hervorgebracht werden kann. Wie zuvor unterscheidet er zwischen dem, was Gott „ad intra" hervorbringen kann, und dem, was er „ad extra" hervorbringen kann.122 „Ad intra" werden in Gott die zweite und die dritte trinitarische Person hervorgebracht. Da diese hinsichtlich der Vollkommenheit unendlich sind, zeugt ihre Zeugung bzw. Hauchung von einem unendlichen aktiven Vermögen hinsichtlich der Kraft, 123 die wenigstens der Person des Vater zukommt. 117 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 48,38-41): „Si vero potentia Dei activa consideretur respectu actus circa creationem iam productam in esse, ille potest esse actus temporalis transiens, ut est motus lapidis de loco ad locum, aut est actus aeternaliter perseverans". 118 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 48,41-43): „Ex primo actu nullo modo potest argui infinitas vigoris in divina potentia, eo quod talis actus finitus scilicet est et determinatus et limitatus in perfectione sua". 119 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 50,91-51,06). 120 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 50,94-95): „ut est actus conservationis et gubernationis creaturarum". 121 Heinrich von Gent: Quodl. I, qu. 7 - 8 (ed. Macken, 27-46). 122 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 48,46-48): „Si vero potentia divina consideretur in respectu ad productum per actum, tunc distinguendum est sicut iam distinctum est de actu: aut enim consideratur respectu producti intra se, vel extra". 123 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 48,49-52): „Si primo modo, tunc dicendum quod respectu illius ponendum est potentiam Dei esse infinitam vigore, quia productum est

Die Lehre von den göttlichen

Attributen

239

Die Geschöpfe, die Gott „ad extra" hervorbringt, betrachtet Heinrich wiederum in zweifacher Hinsicht. Ein einziges Geschöpf für sich allein kann, weil es stets beschränkt bleibt, nicht von einem unendlichen Vermögen zeugen. 124 Die unendliche Reihen dessen, was Gott erschaffen hat, noch erschaffen und in Ewigkeit erhalten wird, beweist hingegen, daß das aktive Vermögen Gottes hinsichtlich der Kraft unendlich ist.125 Im Vergleich zu Duns Scotus und Ockham fällt an Heinrichs Ausführungen zur Macht Gottes auf, daß er ausschließlich von dem, was Gott tatsächlich tut, auf die Größe seiner Macht schließt. Es fehlen aber völlig Spekulationen über das, was Gott in seiner Allmacht zwar tun könnte, aber nicht zu tun beschlossen hat. Dazu paßt Heinrichs Stellung zur Unterscheidung zwischen „potentia absoluta" und „potentia ordinata". Er kennt sie zwar, will sie aber nicht auf Gott anwenden. Denn Heinrich setzt voraus, daß Gott in höchstem Grad gut und angemessen handelt. Könnte er stattdessen „de potentia absoluta" anders handeln, erwiese sich dieses sein mögliches Handeln nicht in jeder Hinsicht als gut und angemessen, d. h. Gott könnte sündigen. Daher kann Gott nichts „de potentia absoluta" tun, was er nicht auch „de potentia ordinata" tun kann.126 Anders als mit Gott verhält es sich mit dem menschlichen Gesetzgeber. Da dieser sündigen kann, kann er auch „de potentia absoluta" tun, was unangemessen wäre. 127 Im konkreten Zusammenhang denkt Heinrich an den Papst, der durch seine „potentia absoluta" Mönchen Privilegien gewähren kann, die unangemessen sind, 128 und der (aus der Sicht des Weltklerikers Heinrich von

infinitum perfectione, ut est quaelibet persona divina, sicut dictum est de ipsa potentia comparata ad actus quos intra Deum elicit". 124 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 48,53-49,59): „Si vero consideretur in respectu ad productum extra, scilicet in creaturis, aut ergo ad singulum productorum secundum se, aut ad universa producta et producenda secundum ordinem, unum post alteram in infinitum. Si primo modo, cum quodlibet productum in creatura sit limitatum in sua essentia, et nullum tale potest attestari super infinitate vigoris in sua causa efficiente, respectu talis igitur product! nullo modo possumus conicere infinitatem vigoris in divina potentia activa". 125 Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 6 (ed. Wilson, 50,91-51,6). 126 Heinrich von Gent: Quodl. XIII, qu. 31 (ed. Hödl-Haverals, 255,7-11): „Licet enim circa Deum non contingat distinguere inter potentiam absolutam et ordinatam - ,Deus enim eo quod peccare non potest, nihil potest de potentia absoluta, nisi illud possit de potentia ordinata: omnis enim potentia sua, quocumque modo vadit in actum, ordinata est'"; vgl. Heinrich von Gent: Quodl. XI, qu. 2 (ed. Badius, fol. 440d); vgl. John Marrone: The Absolute and the Ordained Powers of the Pope. An Unedited Text of Henry of Ghent. In: MS 36 (1974) 7-27. 127 Heinrich von Gent: Quodl. XIII, qu. 31 (ed. Hödl-Haverals, 256,23-25): „Dico ergo de legislatore, qui est homo purus potens peccare et malum agere, quod de potentia absoluta bene potest statuere vel Privilegium concedere, ad quod sequitur secundo modo inconveniens predictum". 128 Heinrich von Gent: Quodl. XIII, qu. 31 (ed. Hödl-Haverals, 257,48-49): „Unde dico quod papa posset de potentia eius absoluta modo tale Privilegium fratribus concedere".

240

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Gent) den Bettelorden tatsächlich unangemessene Vorrechte eingeräumt hat. Daß jemandes „potentia absoluta" über seine „potentia ordinata" hinausgeht, zeugt also von der Anfälligkeit für Fehlverhalten. Daher läßt sich diese Unterscheidung nur auf unvollkommene Geschöpfe, nicht aber auf den vollkommenen Schöpfer sinnvoll anwenden. Dessen Macht erweist sich nicht darin, daß er statt angemessen auch unangemessen handeln könnte, sondern eben darin, daß er stets höchst angemessen handelt.

III. Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes 1)

Die geschichtliche Herkunft der mittelalterlichen Ideenlehre

Obwohl die Lehre von den Ideen im Mittelalter eng mit speziell theologischen Gedanken, besonders denen der Allwissenheit und der Schöpfung, verbunden war, stammt sie ursprünglich nicht aus einem christlichen Kontext. Sie kommt vielmehr aus der griechischen Philosophie platonischer Prägung und wurde von dort durch die Kirchenväter ins christliche Denken übernommen und an 129

das Mittelalter weitergereicht. Daher gliedert sich der folgende Abschnitt nach der vorchristlichen Herkunft und der christlichen Übernahme der Ideenlehre. a)

Die Ideenlehre im vorchristlichen

Denken

Die Vorgeschichte der spätmittelalterlichen Ideenlehre beginnt im Alten Griechenland. Als erster Philosoph sprach Demokrit von Ideen, 130 womit er jedoch die Atome meinte. Doch erst Piaton (427-347 v. Chr.) machte Ideen zum zentralen Gegenstand philosophischer Überlegungen. Er bezeichnete mit diesem Ausdruck die unveränderlichen und transzendenten Wirklichkeiten, die den Begriffen unseres Denkens entsprechen. Ideen sind die unräumlichen, unzeitlichen und unveränderlichen131 Urbilder, an denen alle materiellen Gegenstände, die wir 132 sinnlich wahrnehmen, teilhaben. Ideen sind der ewige Grund des Wech129 130

131 132

Vgl. Matthias Baltes: Idee (Ideenlehre). In: RAC 17(1996) 213-246. Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. v. Hermann Diels und Walther Kranz. Bd. II. 9. Aufl. Berlin: Weidmannsche Verlagsbuchhandlung 1959. Es handelt sich um die Fragmente 68 A 57 (99,1); 68 Β 5i (138,24); 68 Β 141 (170,3); 68 Β 167 (178,14). Piaton: Phaidon 78 d3-8. Piaton: Phaidon 100 c3-7.

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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133

selnden und Veränderlichen, das einige Urbild des Vielfältigen und Zerstreuten, das Geistig-Allgemeine im Gegensatz zum Sinnlich-Besonderen, 134 das wahrhaft Seiende 135 im Vergleich zu dem, was sich uns vordergründig aufdrängt. Im Blick auf die Ideen hat nach dem platonischen Dialog „Timaios" der Demiurg die Welt geschaffen. 136 Ideen sind nur dem Geist im Denken zugänglich, doch sinnlich nicht erfaßbar. 137 Wir lernen sie nicht kennen, sondern haben sie immer schon erkannt; sie sind dem menschlichen Geist apriorisch gegeben. Deshalb lernen wir sie nicht kennen, sondern 138 erinnern uns höchstens wieder an sie, nachdem wir sie vergessen haben. Die Ideen bilden einen eigenen Seinsbereich und haben ihren eigenen „überhimmlischen Ort" 139 , wo sie von ihren irdischen Abbildern getrennt und unabhängig bestehen. Eine zusammenfassende Darstellung der platonischen Ideenlehre findet sich in den „Epistulae morales ad Lucilium" des römischen Philosophen, Dichters und Staatsmannes Lucius Annaeus Seneca (4-65 η. Chr.). Einige Zitate aus diesem Text finden sich in Heinrich von Gents und in Ockhams Darstellung der Ideenlehre.

b)

Die Ideenlehre im christlichen Denken der Patristik

Als das Christentum die soziale Welt des Abendlandes schon zu einem großen Teil erobert hatte und dabei war, sich auch seine geistige Welt anzueignen, war das platonische Denken wieder aktuell. Zwar hatte sich die Akademie, die Piaton begründet hatte, einem Skeptizismus zugewandt. Doch Plotin (204269 n. Chr.) und seine Schüler griffen das Denken Piatons wieder auf, deuteten es wohl auch im eigenen Sinn um und schufen den Neuplatonismus. In dieser Zeit wurden die platonischen Ideen häufig als Erkenntnisinhalte aufgefaßt, für die ein angemessen ehrwürdiger Intellekt postuliert werden mußte. So entstand der Gedanke, daß die platonischen Ideen als die ewigen Ideen im Geist Gottes zu verstehen seien. Auf wen diese Auffassung letztlich zurückgeht, läßt sich heute nur mehr schwer nachvollziehen. Xenokrates 140 133 134 135 136 137 138 139 140

Piaton: Timaios 37 e6. Piaton: Politeia 511 c 7 - d 1. Piaton: Politeia 597 d2; Phaidros 247 e3. Piaton: Timaios 29 a5. Piaton: Politeia 511 b3-4; Phaidon 79 d l - 7 . Piaton: Menon 82 b 9 - 8 5 b7. Piaton: Phaidros 247 c3. Hans Joachim Krämer: Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Piatonismus zwischen Piaton und Plotin. 2., unveränd. Aufl. Amsterdam: Grüner 1967,

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

(396-314 v.Chr.), Varro 141 (116-27 v. Chr.), Eudor von Alexandrien 142 (1. Jhdt. v. Chr.), Philo von Alexandrien 143 (um 15 v. Chr.-50 n. Chr.) und Seneca (4-65 η. Chr.) werden am häufigsten genannt. Spätestens in einem neuplatonischen Handbuch des Alkinous ist dieser Gedanke belegt. 145 Der Neuplatonismus trat gelegentlich in direkte Konkurrenz zum Christentum. Doch zugleich verband sich oft auch das platonisch-neuplatonische mit dem christlichen Denken, wirkungsgeschichtlich besonders einflußreich in der Person des Kirchenvaters Aurelius Augustinus (354-430 n. Chr.), dem nach einer manichäischen und einer skeptischen Phase der Neuplatonismus den Weg zur Taufe gebahnt hatte. Er rezipierte in der 46. Frage seines Buches der 83 Fragen die platonische Ideenlehre und schuf damit den grundlegenden Bezugstext für sämtliche mittelalterlichen Ideenlehren. 146 Nun paßt die platonische Ideenlehre nicht so ohne weiteres in den Rahmen, den der christliche Glaube vorgibt. Vor allem besteht der Christ darauf, daß alles außer Gott von ihm geschaffen und abhängig ist. Das scheint sich jedoch mit der Selbständigkeit und Ewigkeit der platonischen Ideen nicht zu vertragen. Die Leistung des Augustinus bestand also vor allem darin, daß er sich die Ideenlehre in einer solchen Gestalt aneignete, daß sie für Jahrhunderte einen festen Platz im Denken des Christentums fand. Er griff die Ansicht jener Platoniker auf, die die Ideen als Gedanken Gottes ansahen. Damit wahrte er erstens ihre Vollständigkeit, denn der allwissende Gott erkennt alles, zweitens ihre Ewigkeit, denn der unwandelbare Gott denkt stets dasselbe, drittens ihre

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142 143 144

145 146

21-126. Krämer bringt zwar zahlreiche indirekte Argumente, aber keinen einzigen direkten Beleg. Bei Augustinus: De civitate Dei VII 28 (ed. Dombart-Kalb, 210,18-23): „Dicit enim [seil, vir doctissimus et acutissimus Varro] se ibi multis indieiis collegisse in simulacris aliud significare caelum, aliud terram, aliud exempla rerum, quas Plato appellat ideas; caelum Iovem, terram Iunonem, ideas Minervam vult intelligi; caelum a quo fiat aliquid, terram de qua fiat, exemplum secundum quod fiat". Dabei ist vorauszusetzen, daß die aus der Stirn des Jupiter hervorgegangene Minerva als die Gedanken Gottes gedeutet wird. - Wer Varro eine solche Neuerung nicht zutraut, schreibt sie gewöhnlich seinem Lehrer Antiochos von Askalon (um 130-68 v. Chr.) zu. Wolfgang L. Gombocz: Die Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters. München: Beck 1997 (GPh 4), 35. Philo von Alexandrien: Über die Weltschöpfung, §§ 15-25 (ed. Cohn-Heinemann-AdlerTheiler, 1 32-35). Seneca: Epistuale morales 65, 7 (ed. Rosenbach, 540): „Haec exemplaria rerum omnium deus intra se habet numerosque universorum, quae agenda sunt, et modos mente conplexus est: plenus his figuris est, quas Plato ideas appellat, inmortales, inmutabiles, infatigabiles". Alkinoos: Didaskalikos 9,2 (ed. Dillon, 16); vgl. Roland Kany: Albinos. In: 3 LThK 1 (1993) 341-342; Gombocz: Philosophie, 93-95. Augustinus: De diversis quaestionibus octoginta tribus, qu. 46 (ed. Mutzenbecher, 70-73).

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Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

geistige Natur, denn als Gedanken sind sie immateriell, viertens ihre Unräumlichkeit, Unzeitlichkeit und Transzendenz, denn sie haben an der Überweltlichkeit Gottes teil. Zögernd scheint der Kirchenvater auch eingeräumt zu haben, daß es keine Ideen von Individuen, sondern nur von Arten gebe. 147 Ferner verortete Augustinus die Ideen innertrinitarisch in der Person des Sohnes, der zugleich als die göttliche Weisheit auftritt. 148 Doch greift Augustinus in einem entscheidenden Punkt korrigierend in die platonische Ideenlehre ein. Zwar sind die Ideen ungeschaffen wie Gott selbst, aber nicht selbständig, sondern so von Gott abhängig wie das Gedachte vom Denkenden. Diese Vorentscheidungen des Augustinus bestimmten die mittelalterliche 149

Aufnahme der Ideenlehre. Sie wurde zunächst im Zusammenhang mit der Schöpfungslehre thematisiert, die im zweiten Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus und den Kommentaren dazu erörtert wurde. In der Hochscholastik und auch noch bei Wilhelm von Ockham erhielt sie ihren Platz jedoch in den Kommentaren zur 35. und 36. Distinktion des ersten Buches der Sentenzen, wurde also im Zusammenhang mit der Erkenntnis Gottes besprochen. 150

2)

Der Sinn der Ideenlehre

Nach Heinrich von Gent nötigen vier Argumente dazu, in Gott Ideen anzunehmen. 151 Erstens braucht Gott Ideen, um anderes als sich selbst zu erkennen, und 152

zwar als anderes, wie Heinrich sogleich hinzufugt. Denn sich selbst erkennt er als den vollkommenen Gegenstand seines Erkennens ohnehin. Auch anderes, insofern es in der Vollkommenheit seines Wesens enthalten ist, erkennt er 147

Augustinus: Epistola XIV ad Nebridium, 4 (ed. Goldbacher, 34-35): „Mihi videtur, quod quantum ad hominem faciendum attinet, hominis quidem tantum, non meam vel tuam ibi esse rationem; quo autem ad orbem temporis, varias hominum rationes in illa sinceritate vivere. Itaque quilibet homo una ratione, qua homo intelligitur, factus est".

148 149

Vgl. Augustinus: Tractatus in Johannis Evangelium I, 17 (ed. Willems, 10,1-27). Einige Hinweise zur Wirkungsgeschichte des Augustinus in der Ideenlehre gibt Martin Grabmann: Des heiligen Augustinus Quaestio de ideis (De diversis quaestionibus LXXXIII qu. 46) in ihrer inhaltlichen Bedeutung und mittelalterlichen Weiterwirkung. In: Martin Grabmann: Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik. Band II. München: Hueber 1936, 2 5 - 3 4 .

150

Maarten J. F. M. Hoenen: Propter dicta Augustini. Die metaphysische Bedeutung der mittelalterlichen Ideenlehre. In: RThAM 64 (1997) 2 4 5 - 2 6 2 . Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 33,7-8): „Et sie dico quod oportet ponere ideas esse in Deo, et hoc propter quattuor, ut perfecte explicemus necessitatem ponendi eas". Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 33,9-11): „Primo enim oportet eas ponere ad cognoscendum alia a se [seil. Deo] perfecte secundum rationem qua alia, et plures ideas in D e o secundum dictum modum ut omnia alia a se perfecte cognoscat".

151 152

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

ohne Ideen. Doch anderes als anderes kann er nicht direkt, sondern nur durch die Vermittlung der Ideen als Erkenntnismittel („ratio cognoscendi") erfassen. Daß Gott es erfaßt, geht aus dem Glauben an die göttliche Allwissenheit hervor, die also implizit auch die Ideenlehre enthält. Da die Dinge außerhalb Gottes vielfaltig sind, ist auch eine Vielzahl von Ideen im göttlichen Geist anzunehmen. Zweitens erklären die Ideen nicht nur Gottes Erkenntnis, sondern begründen auch die archetypische Welt, die aus Wesenheiten („essentiae") besteht, die erst durch die göttliche Erkenntnis ihr eigentümliches Sein („esse essentiae") erhalten. Da jeder untersten Art („species specialissima") eine eigene Idee entspricht und es natürlich viele verschiedene Arten gibt, folgt daraus, daß es auch viele verschiedene Ideen geben muß. Gott würde sich nicht von Ewigkeit her vollkommen erkennen, wenn er sich nicht als Prinzip des anderen erkennen würde, selbst wenn noch gar kein Geschöpf erschaffen ist. Durch die Ideen erkennt er sich als mögliche Wirkursache von Geschöpfen und als ihre Exemplarursache.153 Die Exemplarursache ist die fünfte Art der Ursache neben den vier aristotelischen Ursachen. Sie wurde im antiken Denken eingeführt, um jene Art von Ursächlichkeit zu beschreiben, die den platonischen Ideen zukommt. 154 In der mittelalterlichen Rezeption, die vielfach die Übereinstimmung von Piaton und Aristoteles betont, wird die Exemplarursache oft mit der aristotelischen Formalursache identifiziert. Drittens muß man in Gott Ideen annehmen, weil die Vollkommenheiten der Geschöpfe in Gott enthalten sein müssen. Dieses Argument klingt erklärungsbedürftig. Auch schränkt es Heinrich sogleich ein, indem er einräumt, daß man dabei auf den Begriff der Ideen verzichten könne. Indem Heinrich auf seine Erklärung der Ideen als Bezüge der Nachahmbarkeit der göttlichen Vollkommenheit verweist, erklärt er die Vollkommenheit eines Geschöpfs in Gott und seine Idee zwar als begrifflich verschieden, aber sachlich nicht unterschieden. Wer also zugibt, daß die Vollkommenheiten der Geschöpfe in Gott enthalten sind - und Heinrich setzt voraus, daß seine Gesprächspartner das zugeben - , der muß auch die Ideen im göttlichen Geist anerkennen, selbst wenn er sich um den Begriff herumdrücken mag. 155

153 154

155

Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 34,15-27). Seneca: Epistulae morales 65, 7 (ed. Rosenbach, 540): „His quintam Plato adicit exemplar, quam ipse idean vocat", nachdem Seneca zuvor (Epistulae morales 65, 4 - 6 ) die aristotelischen vier Ursachen aufgezählt und erklärt hatte. Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 38,22-25): „Tertio vero necesse est ponere ideas, licet non sub ratione idearum, quia necesse est ponere in eo [seil. Deo] rerum perfectiones, quibus est rerum singularium propria mensura. Differunt enim sola ratione rei idea et perfectio in Deo".

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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Viertens schließlich muß man Ideen in Gott annehmen, um die Schöpfung erklären zu können. Dieses vierte Argument läßt sich allerdings auf das erste zurückfuhren. Denn Heinrich schließt von der Schöpfung auf ihre Voraussetzung zurück, daß Gott die Geschöpfe zuvor als Hervorzubringende („producenda") erkannt hat, und verweist dann auf das erste Argument, nach dem Gott zur Erkenntnis der Geschöpfe der Ideen bedarf. 156 Zusammenfassend stellt Heinrich fest, daß man die Ideen annehmen muß, um die Erkenntnis Gottes und die Schöpfung zu erklären, oder genauer: um zu erklären, daß Gott mehrere von ihm verschiedene Dinge als von ihm verschieden erkennen und sie erschaffen kann. 157 Mit seiner Ideenlehre weiß sich Heinrich im Einklang mit Piaton, zumindest so, wie Augustinus Piaton interpretiert hat. Daher kritisiert er die aristotelische Kritik an den platonischen Ideen und gibt sich verwundert, daß selbst Christen (die es besser wissen 158 müßten) in dieser Frage Aristoteles folgen.

3)

Beschreibung der Ideen

Die Gründe, die Heinrich von Gent veranlassen, Ideen im Geist Gottes anzunehmen, geben zugleich vor, wie diese Ideen zu bestimmen sind, damit sie die ihnen zugedachten Aufgaben erfüllen können. Die Ideen im Geist Gottes sollen erstens die umfassende Erkenntnis des Allwissenden erklären. Sie sind also Erkenntnismittel („rationes cognoscendi"), mit deren Hilfe Gott anderes als sich selbst erkennt. Dahinter steht der antike Gedanke, daß ein vollkommenes Wesen nur vollkommene Erkenntnisgegenstände erkennt. (Zum Beispiel denkt der aristotelische unbewegte Beweger nur das Vollkommenste, nämlich das Denken, so daß er als „Denken 159

des Denkens" zu bestimmen ist. ) Dieser antike Gedanke verträgt sich nicht ohne weiteres mit der christlichen Vorstellung, wonach Gott selbst das ge156

Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 4 4 , 1 8 - 2 2 ) : „Quarto et ultimo necesse est ponere in D e o ideas propter productionem rerum in existentia actuali, quia non posset plura diversa et distincta producere nisi sic ea producenda cognosceret, ut processit primum argumentum. Cognitio autem talis secundum praedicta non est nisi per ideas".

157

Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 44,30-45,36): „Sic ergo breviter dicendum est ad quaestionem quod, si in Deo non esset idea, non posset aliquid extra se, ut aliud est ab ipso, cognoscere, et per consequens nec aliquid omnino extra se in esse producere, et si in Deo non essent plures ideae, non posset scire plura extra se, nec per consequens producere. Unde ponere ipsum Deum esse et ideas non habere, est ponere nihil extra se cognoscere aut producere, et ita nec Deum esse."

158 159

Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 3 7 , 1 1 - 2 1 ) . Aristoteles: Metaphysik XII 9 (1074b 3 4 - 3 5 ) .

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

ringste Wesen in der Welt nicht nur erkennt, sondern darüber hinaus auch liebend fur es sorgt. Durch die Annahme der Ideen als Erkenntnismittel versucht Heinrich von Gent, die antike und die christliche Vorstellung miteinander zu vereinbaren. Dies geschieht auf folgende Weise: Als das vollkommenste Wesen erkennt Gott primär nur den vollkommensten Erkenntnisgegenstand, nämlich sich selbst. Daß er seine eigene Vollkommenheit vollständig erfaßt, schließt ein, daß er auch erkennt, in welch vielfältiger Weise sie in mehr oder weniger beschränktem Grad nachgeahmt werden kann. Nachgeahmt wird die Vollkommenheit Gottes von den wirklichen oder zumindest möglichen Geschöpfen, wenn auch nur in beschränkter und unvollkommener Weise; und es gibt kein Geschöpf, das Gott nicht in einer wie auch immer beschränkten Weise nachahmt. So erkennt Gott, indem er sich selbst erkennt, zugleich auch alle möglichen (und wirklichen) Geschöpfe, ohne daß dadurch die Vollkommenheit seiner Erkenntnis beeinträchtigt würde. Denn die Ideen sind real mit dem göttlichen Wesen identisch und von ihm nur begrifflich unterschieden. Daneben tritt in den Tagen des Heinrich von Gent eine zweite Auffassung von der Funktion der göttlichen Ideen in der Erkenntnis, die Gott von den Geschöpfen hat. Diese Auffassung weist schon auf die Entwicklung der folgenden Jahrzehnte voraus und wird von Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham übernommen. Nach ihrer Vorstellung sind die Ideen im göttlichen Geist nicht nur Erkenntnismittel, sondern selbst Erkenntnisgegenstände. Heinrich von Gent selbst sieht zwar nicht in den Ideen die Erkenntnisgegenstände, nimmt aber als Gottes Erkenntnisgegenstände absolute Wesenheiten an, die durch die Ideen konstituiert werden und eine archetypische Welt bilden. Während Duns Scotus und Ockham einen solchen Erkenntnisgegenstand als „idea" bezeichnen, unterscheidet Heinrich ihn als „ideatum" oder „exemplatum" von seiner „idea" oder seinem „exemplar".160 Drittens sollen die Ideen nach Heinrich von Gent erklären, wie die Vollkommenheit Gottes in den Geschöpfen enthalten ist. Gott ist das Urbild der Geschöpfe, die ihn in begrenztem Ausmaß nachahmen. Jedem Grad, in dem Gottes Vollkommenheit von einem Geschöpf nachgeahmt werden kann, entspricht dabei eine Art, und jede Art ahmt die göttliche Vollkommenheit in dem ihr eigenen Ausmaß nach. Jede Stufe der Nachahmbarkeit hat ihre eigene Idee. Die einzelnen Ideen sind daher die Relationen der Nachahmbarkeit der göttlichen Vollkommenheit in den einzelnen Stufen der untersten Arten der Geschöpfe. 160

Vgl. Lambert Marie de Rijk: Un tournant important dans l'usage du mot idea chez Henri de Gand. In: Idea. VI. Colloquio Internazionale, Roma, 5 - 7 gennaio 1989. Atti a cura di M. Fattori e M. L. Bianchi. Roma: Ateneo 1990 (Lessico Intellettuale Europeo LI), 89-98, 94f.

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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Viertens schließlich sollen die Ideen erklären, wie sich das eine göttliche Wesen in der großen Vielzahl unterschiedlicher Geschöpfe ausdrückt, ohne daß damit Unterschiede in das einfache und einheitliche göttliche Wesen selbst hineingetragen werden. Denn die Ideen sind mit dem göttlichen Wesen real identisch und nur begrifflich von ihm unterschieden. 161 Ideen sind also nach Heinrich von Gent die Mittel der allumfassenden Erkenntnis Gottes. Sie sind zugleich die Relationen der Nachahmbarkeit der göttlichen Vollkommenheit durch die verschiedenen, unterschiedlichen und vielfältigen Arten der Geschöpfe.

4)

Das Verhältnis der Ideen zu Gott und zueinander

Wie andere mittelalterliche Theologen mußte Heinrich von Gent die Lehre von den Ideen im göttlichen Geist mit zwei grundlegenden Überzeugungen der Theologie seiner Tage in Einklang bringen. Die erste von ihnen besagt, daß Gott in keiner Weise einem bedingenden oder verursachenden Einfluß seitens eines Geschöpfes unterliegt; die zweite hält fest, daß das göttliche Wesen vollkommen einfach ist und keine Vielheit oder Zusammensetzung kennt. Die erste grundlegende Überzeugung, daß Gott keinem bedingenden oder verursachenden Einfluß eines Geschöpfes unterliegt, nötigt Heinrich von Gent dazu, den Status der Ideen weiter zu klären. Denn Ideen sind die Gegenstände des göttlichen Erkennens. Das Erkennen richtet sich (wie bis Kant weitestgehend unstrittig war) nach der Wirklichkeit; ja, die Wirklichkeit übt einen bedingenden und verursachenden Einfluß auf die Erkenntnis aus. Ist also die göttliche Erkenntnis von den Ideen verursacht? Heinrich von Gent antwortet, indem er eine Voraussetzung eines solchen Einwandes flir den Fall der göttlichen Erkenntnis abweist: Nicht die Wirklichkeit des Erkannten ist die Voraussetzung für das Erkennen Gottes; vielmehr verhält es sich umgekehrt: Erst durch die Erkenntnis Gottes tritt das Geschöpf ins Sein. Heinrich unterscheidet also ein rezeptives und ein kreatives Erkennen. Das erste hängt von seinem Erkenntnisgegenstand ab und wird von ihm geformt. Das zweite konstituiert erst seinen Gegenstand, auf den es sich nur richtet,

161

Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 1 (ed. Badius, fol. 300b): „idea nihil aliud sit quam ipsa divina essentia"; Heinrich von Gent: Summa, art. 68, qu. 5 (ed. Badius, fol. 23 lx): „in ipsa etiam divina essentia est pluralitas et distinctio idearum secundum rationem ex habitudine sola ad correspondentia eis in creaturis extra".

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

ohne von ihm abzuhängen. Auf die erste Weise erkennt Gott nur sein eigenes Wesen, während er auf die zweite Weise seine Schöpfung erkennt.162 Dies fuhrt zu der weiteren Frage, ob in dieser zweiten Weise der Erkenntnis die Unvollkommenheit seines Erkenntnisobjekts die göttliche Vollkommenheit beeinträchtigt. Heinrich von Gent löst das Problem, indem er ein primäres Erkenntnisobjekt von einem sekundären unterscheidet, das vom primären abgeleitet ist. Der primäre Gegenstand des göttlichen Erkennens ist wiederum nur das Wesen Gottes selbst. Sein sekundärer Gegenstand ist hingegen die Schöpfung, denn ohne diese zu erkennen, wäre Gott höchst töricht.163 Indem Gott sich selbst als sein primäres Erkenntnisobjekt erkennt, erkennt er sich, wie er in sich ist; er erkennt sich also in seiner Vollkommenheit. Daß er seine eigene Vollkommenheit vollständig erfaßt, schließt ein, daß er auch erkennt, in welch vielfaltiger Weise seine eigene Vollkommenheit in mehr oder weniger beschränkter Weise nachgeahmt werden kann. Nachgeahmt wird die Vollkommenheit Gottes von den wirklichen oder zumindest möglichen Geschöpfen. So erkennt Gott, indem er sich selbst erkennt, zugleich auch alle möglichen und wirklichen Geschöpfe. Das göttliche Wesen ist vollkommen einfach und ohne jede Zusammensetzung. Die Ideen im Geist Gottes sind jedoch vielfältig. Daher stellt sich Heinrich die Frage, ob sie eine unangemessene Vielfalt ins göttliche Wesen hineintragen. Der göttliche Geist umfaßt nicht bloß eine Idee, sondern eine Vielzahl davon. Zwar erkennt er primär nur sein eigenes Wesen, das ein einziges ist; doch bedeutet das keineswegs, daß er bloß eine Idee besäße. Denn sekundär erkennt er die Nachahmbarkeit seiner Vollkommenheit durch die Geschöpfe. Diese Nachahmbarkeit ist aber in vielen Stufen und Graden möglich, denen ebenso viele Ideen in Gott entsprechen.164 Diese vielfaltigen Ideen sind jedoch nicht real von Gott verschieden, weil sie zunächst nur erkannt sind, aber noch keinerlei eigenes Sein erhalten haben. 165 Vielmehr ist die Idee nichts anderes als das göttliche Wesen, d. h. sie ist 162

163 164

165

Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 28,69-71): „Et scientia aequivoce dicitur de scientia sua et nostra: sua enim scientia est causa entis; ens autem est causa scientia[e] nostrae". Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 27,42-43): „Si enim nullo modo aliud a se esset obiectum cognitum ab ipso, tunc esset insipientissimus". Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 29,82-87): „Et hoc non unicus tantum quo imitabilis sit a creatura simpliciter et in universali (...), sed est plurificatus secundum essentias absolutes rerum secundum specialissimas species, et hoc ab opere intellectus". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 1 (ed. Badius, fol. 299-300b): „sed cognoscit ipsa unite cognoscendo ilia secundum quod sunt unum in ipso non distincta neque ab ipso neque ab invicem. Sed ut cognoscendo suam essentiam cognoscat ilia distincte secundum distinctionem

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

249

mit dem göttlichen Wesen real identisch. Zugleich unterscheiden sie aber die Relationen der Nachahmbarkeit des göttlichen Wesens durch die Geschöpfe vom göttlichen Wesen in sich. Diese Relationen begründen jedoch keinen realen Unterschied, sondern der Unterschied ist rein begrifflicher Natur. 166 Die Ideen sind also mit dem göttlichen Wesen real identisch, begrifflich aber von ihm unterschieden. Daher sind sie auch miteinander real identisch, begrifflich aber voneinander unterschieden.

5)

Die Arten der Ideen

a)

Überlegungen, wovon es eigene Ideen gibt

Wenn jeder Idee ein ihr eigener Grad an Vollkommenheit, an Nähe und Ähnlichkeit zu Gott entspricht, bedeutet dies nicht, daß zwei sonst völlig gleiche Individuen dennoch verschiedene Stellen in der Hierarchie des Seins einnehmen müssen. Denn Gott hat nach Heinrich von den Individuen gar keine eigenen Ideen, obwohl er sie natürlich erkennt. Ideen gibt es im göttlichen Geist nur von den untersten Arten, den „species specialissimae". Auch bei Thomas von Aquin finden sich Überlegungen bezüglich der Frage, wovon der Geist Gottes eigene Ideen enthält. Dabei schließt Thomas Ideen von den beiden Seinsprinzipien Materie und Form aus, weil sie zwar zusammen ein Seiendes bilden, aber außerhalb des Seienden, das sie zusammen bilden, nicht selbständig existieren können. 167 Anderer Meinung als Thomas ist Heinrich von Gent. Mögen Materie und Form auch nicht unabhängig voneinander existieren, sind sie doch real voneinander unterschieden. Daher nimmt Heinrich eine eigene Idee der Materie an. 169 Auch von der Form be-

quam habent inter se, oportet quod cognoscat suam essentiam ut imitabilem ab illis et secundum hoc sua essentia habet rationem ideae ut idea nihil aliud sit quam ipsa divina essentia sub ratione respectus imitabilitatis qua alia a se nata sunt earn imitari". 166

167 168

169

Summa, art. 68, qu. 5 (ed. Badius, fol. 23 lx): „In ipsa etiam divina essentia est pluralitas et distinctio idearum secundum rationem ex habitudine sola ad correspondentia eis in creaturis extra". Thomas von Aquin: De veritate, qu. 3, art. 5 (ed. Marietti, 71b). Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 6 (ed. Badius, fol. 161k): „Unde re differunt quaecunque diverses naturas et essentias important secundum rem, sive fuerint simplicia, ut materia et forma, sive composita, ut homo et asinus". Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 20,97-99): „Quod dico propter materiam, quae, etsi non esset omnino factibile secundum se extra compositionem, habet tarnen propriam ideam in D e o aliam ab idea formae, per quam est factibilis in composite".

4. Kapitel: Heinrich von Gent

250

hauptet er eine Idee, die allerdings mit der Idee des aus Materie und Form zusammengesetzten Ganzen identisch ist.170 b)

Überlegungen, wovon es keine eigenen Ideen gibt

Aus negativer Sicht hat sich Heinrich von Gent mit diesem Problem, wovon der Geist Gottes eigene Ideen besitzt, in den ersten beiden Quästionen seines siebten Quodlibets auseinandergesetzt.171 Die Ergebnisse seiner Untersuchungen faßt er in einer Liste von neun Entitäten zusammen, von denen Gott keine eigenen Ideen hat. Dabei handelt es sich um zweite Intentionen, Relationen, Künstliches, Gattungen, Artunterschiede, Individuen, Privationen, 172 " Zahlen und Widersprüchliches. Mit solchen Überlegungen steht Heinrich in einer platonisch-neuplatonischen Tradition, die schon ähnliche Listen vor173

gelegt hat. Duns Scotus und Ockham entfernen sich aus dieser Tradition, der eine, indem er mehr, der andere, indem er andere Ideen zuläßt. Von zweiten Intentionen gibt es nach Heinrich keine Ideen in Gott. Dabei sind unter zweiten Intentionen die den Arten der Dinge übergeordneten Begriffe zu verstehen. Als Beispiele nennt Heinrich Gattung, Art, Unterschied, Suppositum, Prädikat, Aussage und Syllogismus.174 Diese Begriffe kommen nicht als Dinge in der Natur vor; auch Heinrich schließt einen so groben Universalienrealismus aus, obwohl er kein Nominalist ist. Vielmehr werden die zweiten Intentionen durch den Verstand gebildet, der von der Erkenntnis dessen, was in der Natur gegeben ist, ausgeht. Daher braucht Gott, um zweite Intentionen zu erkennen, keine eigenen Ideen; vielmehr genügen dazu Ideen,

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171 172

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174

Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 21,8-9): „sie ilia idea quae est formae, est etiam totius compositi principaliter ut totius, et formae non principaliter, sed ut habet esse in composito". Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 3-35). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 18,31-33): „Dicimus igitur, breviter recolligendo, quod isti octo modi entium proprias ideas in Deo non habent: intentiones secundae, relationes, artificialia, genera, differentiae, individua, privationes et numeri". Theo Kobusch: Heinrich von Gent und die neuplatonische Ideenlehre. In: Neoplatonisme et philosophie midievale. Actes du colloque international de Corfou, 6 - 8 octobre 1995, organise par la Societe Internationale pour l'Etude de la Philosophie Midievale. Hrsg. v. Linos G. Benakis. Turnhout: Brepols 1997 (Rencontre de la philosophie medievale 6), 197-209. Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu 1 - 2 (ed. Wilson, 6,52-56): „Quo supposito, sciendum est circa secundum, quod eorum quae sunt in creaturis, quaedam sunt res aliqua naturalis, quaedam vero non sunt res, sed tantum intentiones secundae intellectus sive rationis circa res, ut sunt genus, species, differentia, suppositum, praedicatum, propositio, syllogismus et huiusmodi".

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

251

durch die er erkennt, was in der Natur gegeben ist, und der Intellekt, der daraus die zweiten Intentionen ableiten kann. Auch von Relationen hat Gott keine eigenen Ideen. Das ergibt sich aus Heinrichs Kategorienlehre.176 Nach dieser stellen unter den zehn aristotelischen Kategorien nur drei eine eigenständige Entität dar, nämlich die Substanz, die Quantität und die Qualität. Alle anderen Kategorien lassen sich zwar sprachlich aussagen, aber sachlich auf eine der drei hauptsächlichen Kategorien zurückfuhren. Insbesondere gilt das auch für die Relation, die kein von ihren Fundamenten unterschiedenes Ding aussagt. Daher erkennt Gott die Relationen, indem er ihre Relate erkennt. Diese Erkenntnis der Relate genügt ihm, um die Relation zu erkennen; also bedarf er keiner eigenen Ideen, um Relationen zu erkennen. Infolgedessen gibt es im Geist Gottes keine eigenen Ideen von Relationen. Da die restlichen aristotelischen Kategorien nach Heinrich Sonderfälle von Relationen sind, gilt Entsprechendes auch für sie. Auch Zeit, Ort, Lage, Tätigkeit, Erleiden und Habitus lassen sich auf Substanz, Quantität und Qualität zurückfuhren. Daher erkennt sie Gott, indem er erkennt, worauf sie zurückzuführen sind, und bedarf keiner eigenen Ideen von Zeit, 177

Ort, Lage, Aktion, Passion und Habitus. Auf den ersten Blick merkwürdig erscheint uns heute, daß Gott von künstlichen Dingen, von „artificialia", keine Ideen haben sollte. Doch auch diese Ansicht hat Heinrich aus der ihm vorliegenden neuplatonischen Tradition geschöpft. 178 Die sachliche Begründung läuft ähnlich wie bei den Relationen und parallel zu der bezüglich der zweiten Intentionen, macht allerdings die Voraussetzung, daß die „artificialia" auf negative Weise, d. h. durch Gewalteinwirkung, aus dem Material der natürlichen Dinge entstanden sind. Daher

175

Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 6,62-66): „De istis duobus ultimis generibus entium dico, quod non habent proprias ideas in Deo, sed solum ideas rerum naturalium circa quas intellectus concipit intentiones secundas (...). Unde Deus per simplices ideas rerum naturalium cognoscit omnes intentiones (...), quae possunt fieri circa illas ab intellectu (...)".

176

Mark G. Henninger: Relations. Medieval Theories 1250-1325. Oxford: Clarendon Press 1989, 4 0 - 5 8 ; Rolf Schönberger: Relation als Vergleich. Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik. Leiden-New York-Köln: Brill 1994 (STGMA 43), 8 7 - 1 0 2 .

177

Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 6,77-7,87): „De secundo vero modo sunt res aliorum Septem praedicamentorum, secundum modum alias a nobis expositum in quadam quaestione de praedicamentis in communi, quarum quia non est aliqua realitas propria alia a realitate aliorum trium generum super quae fiindantur (...), ideo dico quod relationes, et generaliter res Septem praedicamentorum aliorum a substantia, quantitate et qualitate, non habent proprias ideas in D e o alias ab ideis illorum praedicamentorum, super quorum res fiindantur"; vgl. Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 22,1-26,45).

178

Kobusch: Heinrich, 203.

252

4. Kapitel: Heinrich von Gent

kann Gott, indem er das Natürliche erkennt, auch das Künstliche erkennen 179

und bedarf daher keiner Ideen des Artiflziellen. Daß es von Gattung und Artunterschied keine eigenen Ideen im göttlichen Geist gibt, überrascht nicht mehr, nachdem schon allgemein die Ideen von zweiten Intentionen ausgeschlossen sind, worunter ja auch Gattung und Unterschied fallen. So begnügt sich Heinrich auch mit einer sehr summarischen Begründung. Gattung und Artunterschied unterscheiden sich von der Art nicht real, sondern nur begrifflich. Doch nur zur Erkenntnis realer Unterschiede bedarf Gott eigener Ideen. Daher kann Gott, wenn er von den „species specialissimae" Ideen hat, durch sie auch Gattung und Artunterschied 180 erkennen. Er bedarf also eigener Ideen von Gattung und Artunterschied nicht. Auch von den Individuen finden sich nach Heinrich von Gent im göttlichen Geist keine Ideen vor. Damit stellt er sich wiederum in eine lange plato181 nische Tradition, die in den Ideen gerade nur das Allgemeine gesehen hat. Allerdings stellt er sich damit gegen eine nicht unbedeutende Zahl von christlichen Denkern, die den platonischen Ideenhimmel aus theologischen Gründen um individuelle Ideen ergänzen zu müssen meinten.182 Heinrich183begründet seine Ansicht damit, daß das Individuum der Art nichts hinzufüge. Der Grund der Individuation ist nach Heinrich die Subsistenz und aktuale Existenz, die wiederum auf Gott zurückgeht, sodaß dieser als letzter Grund der Individuation zu nennen ist. 184 Das Ding selbst enthält freilich 179

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181 182

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Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 6,56-67): „si sunt res, non tarnen sunt res naturales, sed ,formae artificiales tantum quae per violentiam habent esse et fieri in substantia rerum naturalium', secundum Commentatorem super VHum Metaphysicae, ,nec habent aliquid naturalitatis nisi per materiam', ut secundum hoc propriam ideam non habent, sed solum illam quae est rei naturalis. De istis duobus ultimis generibus entium dico, quod non habent proprias ideas in Deo, sed solum ideas rerum naturalium (...) circa quas ars operatur formas artificiales. Unde Deus per simplices ideas rerum naturalium cognoscit omnes (...) formas artificiales atque violentas dispositiones, quae possunt fieri circa illas ab (...) arte". Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 8,3-7): „Et specialiter non habent ideas proprias generis et differentiae, quia non differunt nisi rem eandem quam dicit species, differentem solum secundum rationem completi et incompleti, idea autem non est ratio nisi rei sub ratione completi in natura et essentia, quae non est nisi in specie specialissima". Kobusch: Heinrich, 203. Zum Beispiel Thomas von Aquin: In I. Sent., dist. 36, qu. 2, art. 3, ad 3 (ed. Frette-Mare, 438b); De Veritate, qu. 3, art. 8 (ed. Marietti, 73b—74b); Summa theologiae I, qu. 15, art. 3, ad 4 (ed. Marietti, 92b). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 8,8-9): „Similiter neque individua sub specie, eo quod nihil rei addunt super essentiam speciei ad id quod est reale in ipsa"; Heinrich von Gent: Quodl. II, qu. 1 (ed. Wielockx, 3-8). Heinrich von Gent: Quodl. II, qu. 8 (ed. Wielockx, 51,81-02). Zur Individuation bei Heinrich von Gent vgl. Stephen F. Brown: Henry of Ghent (b. ca. 1217; d. 1293). In: Individuation in

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

253

kein positives Individuationsprinzip, das ein allgemeines Wesen zu einem bestimmten Individuum macht. Weder Materie noch Form kommt dafür in Frage. Vielmehr ist das Individuationsprinzip die doppelte Negation, die nach innen Unterscheidung und Vielheit, nach außen Identität mit anderem ausschließt.185 Doch da es von Negationen keine eigenen Ideen gibt, gibt es auch keine eigenen Ideen von Individuen. Daher reicht die Erkenntnis der Art aus, um auch die unter sie fallenden Individuen zu erkennen, sodaß Gott keiner eigenen Ideen von Individuen bedarf. Auch von Negationen und von Privationen gibt es im Geist Gottes keine eigenen Ideen. Sie haben nicht allein im göttlichen Geist, sondern schon in der dinglichen Wirklichkeit kein eigenständiges Sein, sondern treten nur als Mangel an ihren Trägern auf. Erkannt werden sie nicht durch eine eigene Idee, sondern durch die Idee des positiv Vorhandenen, das durch die Negation bzw. durch die Privation negiert wird.186 Schließlich gibt es auch von den Zahlen keine eigenen Ideen in Gott. Wohl kennt Gott die Zahlen, aber dazu bedarf er keiner eigenen Idee, weil die Erkenntnis der Zahlen schon durch andere Ideen ermöglicht wird. Darüber, wie dies je nach den verschiedenen Arten von Zahlen geschieht, äußert sich Heinrich sehr ausführlich. Der Grundgedanke scheint jedoch zu sein, daß die Zahl nur aus der Vielheit der Dinge hervorgeht, die ihrerseits schon als Ideen im göttlichen Geist vorhanden sind.187 In einem Nachtrag benennt Heinrich noch eine neunte Art von Dingen, die im Geist Gottes nicht durch eine eigene Idee repräsentiert sind. Es handelt sich dabei um fiktive Begriffe, die aus der Verbindung unvereinbarer Elemente in einer Definition entstehen. Als Beispiel dienen meist Fabelwesen, vor allem 188 der Bockhirsch , der halb ein Bock, halb ein Hirsch ist. Ein solcher Begriff

185 186 187

188

Scholasticism. The Later Middle A g e s and the Counter-Reformation 1150-1650. Hrsg. v. Jorge J. E. Gracia. Albany: State University of N e w York Press 1994 ( S U N Y Series in Philosophy), 195-219. Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 8 (ed. Badius, fol. 166m). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 10,73-75): „Negationes autem seu privationes non habent proprias ideas in Deo, quia non sunt natae cognosci nisi per ideam habitus". Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 9,47-52): „Et per hunc modum numeri de praedicamento quanitatis proprie non habent propriam ideam, sed solum illam quae est formae continuitatis, in qua unitates numeri aliquando erant continuatae aut natae erant continuari quantum est ex natura materiae et formae continuitatis, licet non ratione ulterioris formae, ut humanitatis aut asinitatis. Numerus enim proprie dictus non est nisi multitudo ex unitate profusa". Der Bockhirsch (lateinisch „hircocervus", als griechisches Fremdwort „tragelaphus") ist ein Fabelwesen, das halb Ziegenbock, halb Hirsch ist. Piaton spricht von Malern, die solche Mischwesen zeichnen (Politeia VI, 488 a6-7). Aristoteles bringt es in der Regel als Beispiel für etwas, das nicht existiert; vgl. Perihermeneias 1 (16a 16-18); Erste Analytik I 38 (49a 24); Zweite Analytik II 7 (92b 7 - 8 ) ; Physik IV 1 (208a 3 0 - 3 1 ) . In Septuaginta und Vulgata wird

4. Kapitel: Heinrich von Gent

254

entsteht durch die Verbindung der Ideen des Bockes und des Hirschen und 189 bedarf daher keiner eigenen Idee, um erfaßt zu werden. Demnach läßt Heinrich von Gent Ideen nur von untersten Arten („species specialissimae") zu, schließt aber alles aus, was darüber (Gattung, Artunterschied, zweite Intention) oder darunter (Individuen) liegt oder sonst aus den Arten ableitbar ist (Relationen, Künstliches, Privationen, Zahlen, Fiktives). Anders als Thomas nimmt Heinrich eine eigene Idee der Materie an, während die Idee der Form mit der des aus Materie und Form Zusammengesetzten identisch ist.

6)

Unschlüssigkeit über die unendliche Anzahl der Ideen

Vor dem Hintergrund von Überlegungen, wovon es Ideen gibt und wovon nicht, wird die Frage nach der Anzahl der Ideen interessant. Leider gibt Heinrich von Gent keine klare Antwort darauf. Zwar behandelt er das Problem zweimal ausdrücklich und einmal eher beiläufig, aber aus zwei Gründen wird der Interpret aus seinen Stellungnahmen nicht recht klug. Erstens ringt sich Heinrich selbst niemals zu einer eindeutigen Antwort durch, sondern legt nur Argumente vor und diskutiert sie kritisch. Zweitens läßt sich aus diesen Vorgaben zwar vermuten, wo Heinrichs Sympathien liegen, doch scheint er in seiner letzten Stellungnahme seine Meinung geändert zu haben und seine frühere Lehre zurückzuziehen.

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190

der „tragelaphus" wie ein reales Lebewesen unter den reinen und daher eßbaren Tieren aufgezählt (Dtn 14,5). Die Bedeutung des entsprechenden hebräischen Wortes an dieser Stelle, eines Hapaxlegomenon, ist unklar (Einheitsübersetzung: „Wildziege"). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 27,59-70): „Res primo modo est ,res' secundum opinionem tantum, et dicitur ,a reor, reris', quod idem est quod ,opinor, opinaris' quae tantum res est secundum opinionem, quoad modum quo ab intellectu concipitur, scilicet in ratione totius, ut est mons aureus, vel hircocervus habens medietatem cervi, medietatem hirci. Est tarnen res secundum veritatem quoad partes eius quae sunt mons et aurum et huiusmodi; aliter enim non posset totum esse in intellectu et ens secundum opinionem, nisi partes essent aliquid secundum veritatem, quia ab alio non potest moveri intellectus. Quod sic est ens, secundum totum non est res praedicamenti, sed solum secundum suas partes. Unde nec ista habent proprias ideas in Deo, et est nonus modus eorum quae dieimus non habere proprias ideas in Deo". Porro: Statum. Aus diesem Grund ist es problematisch, Heinrichs Vorstellung von der Ideenwelt als „an infinite pool of possibles from which God chooses some to be created" zu beschreiben, wie es Armand Augustine Maurer tut; vgl. Armand Augustine Maurer: The Role of Divine Ideas in the Theology of William of Ockham. In: Ders.: Being and Knowing. Studies in Thomas Aquinas and Later Medieval Philosophers. Toronto: PIMS 1990 (Papers in Medi-

255

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

Die Frage, ob man in Gott eine Unendlichkeit von Ideen oder Erkenntnisobjekten anzunehmen habe, 191 behandelt Heinrich erstmals in der dritten Quästion des fünften Quodlibets, das auf das Jahr 1280 oder 1281 zurückgeht. Die Antwort unterscheidet zwischen Erkenntnisobjekten und Ideen. Gott erkennt zwar zugleich unendlich viele mögliche Individuen, also unendlich viele Erkenntnisobjekte. Doch die Zahl der Ideen, die eineindeutig den „species specialissimae" entsprechen, scheint Heinrich für endlich und begrenzt zu halten, weil die gegenteilige Annahme seiner Meinung nach auf die von Aristoteles und den Scholastikern streng abgewiesene Möglichkeit einer aktualen Unend192 lichkeit hinausliefe. Heinrich weiß, daß die meisten Denker einer unendli193

chen Zahl von göttlichen Ideen zustimmen. Eine eigene Entscheidung der Frage nach ihrer Anzahl bleibt dennoch aus. Heinrich entzieht sich ihr, indem er einerseits auf die Schwierigkeit des Problems verweist, andererseits seine Absicht darauf beschränkt, die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf das Thema zu ziehen. 194 Vier Jahre später, in der Adventdisputation des Jahres 1284, aus der sein achtes Quodlibet hervorgegangen ist, nimmt Heinrich dasselbe Problem unter einem anderen Gesichtspunkt wieder auf. In der achten Quästion des achten Quodlibet fragt er nämlich, ob es eine vollkommenste und Gott nächste Art gebe, die von keiner höheren übertroffen werden könne. 195 Sollte die Frage verneint werden, so gibt Heinrich zu bedenken, hieße dies, die hierarchische Ordnung der Welt zu beseitigen. 196 Außerdem dürfe die Voraussetzung, daß die Ideen die unendliche Vollkommenheit Gottes in verschiedenen Graden nachahmen, nicht zu der falschen Vorstellung verführen, daß nur eine unendliche Folge von Ideen die Vollständigkeit der Nachahmbarkeit Gottes verbür-

191 192 193

194

aeval Studies 10), 3 6 3 - 3 8 1 , 370; Armand Augustine Maurer: The Philosophy of William o f Ockham in the Light of Its Principles. Toronto: PIMS 1999 (STPIMS 133), 214. Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 3 (ed. Badius, fol. 155n): „utrum in D e o sit ponere aliquam infinitatem idearum vel cognitorum". ΡΟΓΤΟ: Statum, 126-130. Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 3 (ed. Badius, fol. 157a): „communiter etiam conceditur secunda ratio de cognitione infinitarum creaturarum secundum species et infinitarum idearum in Deo". Heinrich: Quodl. V, qu. 3 (ed. Badius, fol. 156v): „Quantum ergo ad infinitatem idearum in Deo, vel ad cognita circa essentias creaturarum, non video quomodo potest in deo poni infinitas, quod tarnen propter rei profunditatem et eius elongationem a nostro intellectu negare non audeo, nec contrarium assero, sed tantum ingenia studiosorum ad tarn abditorum investigationem excito".

195

Heinrich: Quodl. VIII, qu. 8 (ed. Badius, fol. 312c): „utrum in perfectionibus essentialibus creaturarum sit status in accipiendo aliquam speciem creaturae perfectissimam, proximam in gradu naturae primo perfectissimo, supra quam non sit accipere aliam proximiorem illi".

196

Heinrich: Quodl. VIII, qu. 8 (ed. Badius, fol. 312e): „Hoc enim esset ordinem essentialem omnino interimere"; vgl. Porro: Statum, 133-135.

256

4. Kapitel: Heinrich von Gent

ge. Denn Gottes Vollkommenheit selbst ist nicht in der Weise unendlich, daß sie sich in eine endlose Anzahl von Graden abstufen ließe, sondern sie ist in höchstem Maß einfach und unteilbar. Eine endliche Anzahl der Ideen ist daher mit der Unendlichkeit der göttlichen Vollkommenheit, die sie nachahmen, 197 vereinbar. Obwohl er immer noch zur Lehre von der endlichen Anzahl von Ideen im Geist Gottes keine Alternative sieht, weicht Heinrich auch 198 im achten Quodlibet einer Entscheidung aus und überläßt sie seinem Leser. In der elften Quästion seines elften Quodlibets, das 1287 oder 1288 disputiert worden sein dürfte, berührt Heinrich nochmals dieselbe Frage, beantwortet sie jedoch ganz anders. Er behauptet nun, daß es unter den Geschöpfen keine so vollkommene Art199 geben könne, daß es darüber hinaus nicht eine noch höhere geben könnte. Damit setzt er voraus, daß unendlich viele Arten möglich sind, denen im Geist Gottes auch unendlich viele Ideen entsprechen müßten. Demnach wäre die Anzahl der Ideen in Gott unendlich - im Gegensatz zu dem, wofür Heinrich früher argumentiert hat. Ist dieser stillschweigende Meinungswechsel schon an sich auffallig, so gilt dies noch mehr für die Begründung, die Heinrich angibt. Er beruft sich auf einen in Paris verurteilten Artikel, 00 und zwar mit einer Formulierung, die an die bekannte Verurteilung von 219 Sätzen201durch den Bischof Etienne Tempier von Paris am 7. März 1277 denken läßt. Es ist unklar, welchen der 219 Artikel er meint. Verschiedene Artikel sind indirekt betroffen, aber es wurde 1277 keiner verurteilt, dem die Formulierung Heinrichs folgt. Dementsprechend enthält eine Pariser Handschrift der Quodlibeta Heinrichs an dieser Stelle die Randbemerkung: „falsum, quia articulus non reperitur".202 Dieser Fehler Heinrichs ist rätselhaft, denn man erwartet, daß er den Wortlaut der verurteilten Thesen kannte. Bevor die Umstände dieser merkwürdigen Meinungsänderung Heinrichs von Gent genauer erforscht sind, ist 203daher eine abschließende Würdigung ihrer Bedeutung noch nicht möglich.

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199 200 201 202 203

Porro: Statum, 135-137. Heinrich: Quodl. VIII, qu. 8 (Badius, fol. 313h): „De hoc tarnen nihil determino, nec ea quae hueusque proposui circa hanc quaestionem intendo proposuisse determinando, sed solummodo investigando et proponendo lectori quod mihi videtur magis applicabile animo, nihil tarnen super hoc iudicando"; vgl. Porro: Statum, 138. Heinrich: Quodl. XI, qu. 11 (ed. Badius, fol. 467v): „nulla creatura habet statum in supremo, quoniam superior ea esse potest, eo quod in infinitum semper distat a substantia increata". Heinrich: Quodl. XI, qu. 11 (ed. Badius, fol. 467v): „Sed secundum articulum quendam damnatum Parisius nulla creatura habet statum in supremo". Porro: Statum, 154. Porro: Statum, 154f. Porro: Statum, 158f.

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

257

Unabhängig davon, ob die Zahl der Ideen endlich ist oder nicht, verhelfen sie Gott zur Erkenntnis all dessen, was möglich ist; und die Anzahl des Möglichen ist unendlich. Daher hängt jede Möglichkeit mittelbar oder unmittelbar von der Konstitution der Ideen im göttlichen Geist ab. Auch das Unmögliche wird durch Ideen erkannt, wenngleich auf negative Weise. Daher rechtfertigt sich zur Erklärung des Ursprungs des Möglichen wie des Unmöglichen der Ansatz bei der Ideenlehre. Zusammenfassend ist festzustellen, daß Heinrich in der Ideenlehre von der göttlichen Vollkommenheit ausgeht, aus deren Nachahmbarkeit durch die möglichen Geschöpfe er die Ideen im Geist Gottes ableitet. Daher fuhrt er folgerichtig die Möglichkeit letztlich auf die Vollkommenheit Gottes zurück.

IV. Das Mögliche nach Heinrich von Gent 1)

Die Einteilung der Möglichkeit

In seinen Erklärungen zum Ursprung des Möglichen unterscheidet Heinrich von Gent zwischen dem objektiv Möglichen bzw. Unmöglichen und dem subjektiv Möglichen bzw. Unmöglichen und zwischen dem aktiv und passiv Möglichen bzw. Unmöglichen. Das Begriffspaar der „potentia subiectiva" und der „potentia obiectiva" rechnet Ludwig Hödl zu den neuen Begriffen, die sich durch das Wirken des Heinrich von Gent unter seinen Anhängern verbreitet haben.204 Wie Heinrich selbst andeutet, stammt diese Unterscheidung aus der Artistenfakultät und wurde von dort von den Theologen übernommen. 205 Etwas kann in zweierlei Weise in Potenz zu einem Akt sein. Entweder versteht man unter dem Möglichen das Subjekt, das ζ. B. zu einem Menschen werden kann. Dieses subjektiv Mögliche verbindet der aristotelische Hylemorphismus mit der Materie.206 Oder man versteht unter dem Möglichen das 204

205 206

Ludwig Hödl: Neue Begriffe und neue W e g e der Seinserkenntnis im Schul- und Einflußbereich des Heinrich von Gent. In: Die Metaphysik im Mittelalter. Ihr Ursprung und ihre Bedeutung. Vorträge des II. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie, Köln 31. August-6. September 1961. Im Auftrag der Societe Internationale pour l'Etude de la Philosophie Mediövale (S.I.E.P.M.) hrsg. v. Paul Wilpert unter Mitarbeit von Willehard Paul Eckert. Berlin: de Gruyter 1963 (MM 2), 6 0 7 - 6 1 5 , 607; Ludwig Hödl: Potentia obiectiva/ subiectiva (Possibile obiectivum/subiectivum). In: HWP 7 (1989) 1162-1165, 1163. Hödl: Begriffe, 611. Heinrich von Gent: Quodl. XI, qu. 3 (ed. Badius, fol. 443g): „Dicunt quod verum est de possibili subiective vel de materia subiecta extensioni".

258

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Objekt, das hervorgebracht werden kann, ζ. B. den Menschen. In diesem Sinn möglich ist die Form oder der aus Materie und Form zusammengesetzte Gegenstand.207 Da das objektiv Mögliche das Ziel und Ende einer möglichen Veränderung ist, nannte es Heinrich von Gent auch „terminativ".208 Objektive und subjektive Möglichkeit können nicht unabhängig voneinander bestehen, denn sie sind real miteinander identisch und unterscheiden sich nur durch eine Intentionaldistinktion voneinander.209 Unter einer Intentionaldistinktion versteht Heinrich eine Unterscheidung von Gehalten ein und derselben Entität, die zwar der Möglichkeit nach schon in dieser Entität enthalten sind, aber erst durch den Blick eines Intellektes aktuell voneinander unterschieden werden.210 Entsprechend dem objektiv und subjektiv Möglichen läßt sich auch das objektiv und subjektiv Unmögliche bestimmen. Objektiv unmöglich ist, was auf keine Weise hervorgebracht werden kann. Angesichts der göttlichen Allmacht beschränkt sich dieses objektiv Unmögliche auf das reine Nichts, das kein „esse essentiae" besitzt und nicht einmal durch Gott verwirklicht werden kann.211 Subjektiv unmöglich ist etwas, wenn es kein Subjekt gibt, aus dem etwas Bestimmtes gemacht werden kann. Die subjektive Unmöglichkeit unterteilt Heinrich weiter in jene subjektive Unmöglichkeit, nach der es kein Subjekt gibt, aus dem 207

Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 9 (ed. Badius, fol. 314m); Heinrich von Gent: Quodl. X, qu. 7 (ed. Macken, 152,76-81): „Dicendum quod aliquid ex se est potentiale esse dupliciter: uno modo ut solum per se subiectum transmutationis a non esse in esse, et non ut per se terminus; alio modo ut terminus eius. Primo modo in naturalibus sola materia est potentiale esse. Secundo modo sola forma educta de potentia materiae vel ipsum compositum ex materia et forma est potentiale esse".

208

Heinrich von Gent: Quodl. XI, qu. 3 (ed. Badius, fol. 443g): „Prima est de possibili subiective et obiective sive terminative. (...) Dicunt ergo primo quod possibile aliud est subiective aliud terminative, quod et nos concedimus". Heinrich von Gent: Quodl. X, qu. 7 (ed. Macken, 180,21-23): „Et sie, licet aliud sit possibile obiective et aliud subiective, sie quod unum eorum non sit sine alio, non oportet quod sit aliud et aliud nisi sola intentione"; Heinrich von Gent: Quodl. XI, qu. 3 (ed. Badius, fol. 443g). Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 12 (ed. Badius, fol. 171x-y): „ista vero quae in re eadem differunt intentione, quia ut sunt in re absolute non perfecte habent suam differentiam, sed solum ut res illa cadit in consideratione intellectus circa idem concipientis illos diversos conceptos actu suo dividendi quae secundum se sunt indivisa et ut in simplici intelligentia tantum unicum conceptual formant, unde et intentio non est nisi opus rationis inquantum intentio est. Idcirco res eadem in se et absolute in perfecta actu non habet compositionem huiusmodi intentionum nisi virtute et quasi in potentia tantum, quemadmodum genus habet in potentia quodammodo contrarias differentiae".

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Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „Dicendum ad hoc quod aliquid dicitur impossibile fieri dupliciter. Uno modo obiective tanquam illud quod habet ab alio fieri, secundum quod dicitur posse generali id quod est terminus generationis. Hoc modo quod impossibile est fieri nullum agens potest facere, et sie nihil dicitur impossibile fieri nisi purum nihil, quod non est aliquid per essentiam, non solum per existentiam. Tale impossibile nec deus potest facere".

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

259

etwas Bestimmtes durch einen jeden Handelnden gemacht werden kann, und in die andere subjektive Unmöglichkeit, nach der es kein Subjekt gibt, aus dem etwas Bestimmtes zwar durch einen Handelnden nicht gemacht werden kann, wohl aber durch einen anderen.212 Nach der ersten dieser beiden Varianten ist sogar das Nichts nur innerhalb der natürlichen Weltordnung subjektiv (und passiv) unmöglich, weil Gott auf übernatürliche Weise die Welt aus dem Nichts erschaffen und damit bewiesen hat, daß er sogar aus nichts etwas machen kann.213 Ähnlich ist es nach der zweiten Variante zwar normalerweise für Blinde subjektiv unmöglich zu sehen und für Tote aufzuerstehen, aber nicht, wo jemand mit übernatürlicher Macht handelt.214 Daher läßt sich weder in der einen noch in der anderen Art der subjektiven Unmöglichkeit eine Unmöglichkeit schlechthin begründen. 215 Als früheste Erklärung zur Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit wird meist Heinrichs sechstes Quodlibet genannt. 216 Allerdings war die Begrifflichkeit des Magisters aus Gent damals terminologisch und inhaltlich noch nicht klar ausgeprägt. Terminologisch verwendet er nicht die Formulierungen „potentia subiectiva/obiectiva" oder „possibile subiective/obiective", sondern spricht von einer „possibilitas in comparatione ad suum subiectum in quo est" (= „possibile in se" 217 ) und von einer „possibilitas in comparatione ad suum obiectum ad quod est".218 Inhaltlich bezieht er erstens die „potentia passiva in comparatione ad suum obiectum ad quod est" nicht wie die „potentia passiva obiectiva" auf eine

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Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „Alio autem modo dicitur aliquid impossibile fieri subjective, et hoc dupliciter. Uno modo quia non est aliquod subiectum in potentia de qua possit aliquid fieri respectu cuiuscumque agentis. Alio modo quia non est aliquod subiectum in potentia uno modo respectu unius agentis, est tarnen in potentia alio modo et respectu alterius agentis". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „Impossibile vero secundo modo etsi esset impossibile fieri respectu alicuius agentis et secundum aliquem ordinem et cursum rerum, non tarnen secundum omnem, ut cum aliquid dicitur fieri ex nihilo quod solum possibile est facere agentem supernaturaliter". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „Impossibile modo tertio est ubi est aliqua potentia in subiecto reducibilis ad actum per agens supematurale, non autem per agens naturale, ut quod naturaliter caecus fiat videns, aut quod mortuus resurgat". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „Isto autem secundo et tertio modo impossibile fieri non dicitur impossibile fieri simpliciter". Vgl. Hödl: Potentia, 1165, Anm. 1; Pasquale Porro: Possibilita ed esse essentiae in Enrico di Gand. In: Henry of Ghent. Proceedings of the International Colloquium on the occasion of the 700th anniversry of his death (1293). Hrsg. v. W. Vanhamel. Leuven: Leuven University Press 1996 (AMP 15), 211-253, 222f, Anm. 30; Allan B. Wolter: Scotus on the Divine Origin of Possibility. In: American Catholic Philosophical Quarterly 67 (1993) 95-107, 103. Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 44,66-67). Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 43,46-49).

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

Form, die ein gegebenes Subjekt annehmen kann, sondern auf Gott, der dem Subjekt die Form verleiht.219 Zweitens nimmt Heinrich zwar eine passive Unmöglichkeit des Geschöpfs in bezug auf das Subjekt an, die sogar für Gott gilt, jedoch gibt es für Gott keine subjektive Unmöglichkeit. Daß Heinrich zwischen der subjektiven und der objektiven Möglichkeit eine Intentionaldistinktion annimmt, aber zwischen der Möglichkeit im Vergleich zu ihrem Subjekt und der Möglichkeit im Vergleich zu ihrem Objekt einen rein begrifflichen Unterschied sieht,220 deutet die Spannung in Heinrichs Begrifflichkeit eher an, als daß sie sie belegt. Denn alles, was intentional unterschieden ist, ist auch begrifflich unterschieden, wenngleich nicht umgekehrt alles, was begrifflich unterschieden ist, auch intentional unterschieden sein muß.221 Ferner unterscheidet Heinrich von Gent zwischen aktiver und passiver Möglichkeit. Sie unterscheiden sich voneinander durch ihr unterschiedliches Verhältnis zu einem Akt. Das aktive Vermögen bezieht sich auf den Akt, insofern es handelt und einen bestimmten Akt bewirkt. Das passive Vermögen bezieht sich auf einen Akt, insofern es diesen Akt aufnimmt. Hinsichtlich eines bestimmten Aktes befindet sich das aktive Vermögen also in dem, der oder das den Akt bewirkt, das passive Vermögen in dem, der oder das den Akt aufnehmen kann.222 Von diesen beiden Varianten des Vermögens, nämlich dem aktiven und dem passiven, wird das aktive Vermögen besser und häufiger als Vermögen bezeichnet als das passive.223 Es kann keine Tätigkeit ohne entsprechendes Erleiden geben. Jeder Tätigkeit entspricht ein aktives Vermögen, und jedem Erleiden entspricht ein pas-

219 220 221 222

223

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 43,49-51): „ut potentiam passivam creaturae possumus considerare (...) in respectu ad Deum, qui aliquid potest active super ipsam". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 43,53-54): „idem est secundum rem et subiectum, differens sola ratione". Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 12 (ed. Badius, fol. 171v): „quaecunque differunt intentione differunt ratione, non econverso"; Heinrich von Gent: Summa, art. 59, qu. 2 (ed. Badius, fol. 139z). Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 2 (ed. Wilson, 15,69-16,76): „ita quod, sicut sub ratione potentiae simpliciter differt ratio potentiae passivae a potentia activa, sie diversimode convenit dici ad actum et ei, et potentiae activae; et cum potentiae activae in quantum activa est, convenit dici ad actum, ipsum agendo, et potentiae passivae convenit dici ad actum, ipsum reeipiendo, ut potentia passiva dicatur esse in aliquo ex eo quod est suseeptivum alieuius actus, et hoc ut quo perficiatur; ad quem se habet ut perfectibile in quantum dicitur esse in potentia". Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 4 (ed. Wilson, 32,47-50): „Ad cuius ampliorem intellectum sciendum quod, licet sint duo modi potentiarum distineti in naturalibus, active scilicet et passive, tarnen secundum veritatem rei et famositatem vocabuli, ilia quae est activa, verius est et dicitur potentia, quam ilia quae est passiva".

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

261

sives Vermögen. 224 Ferner gibt es kein aktives objektives Vermögen ohne ein entsprechendes passives objektives Vermögen und wenigstens in der natürlichen Ordnung der Welt kein aktives subjektives Vermögen ohne entsprechendes passives subjektives Vermögen. Auf übernatürliche Weise besteht in Gott jedoch ein aktives Vermögen, aus dem Nichts zu erschaffen, dem kein passives Vermögen in einem Subjekt entspricht. Denn das Nichts, das Gottes mögliche Schöpfertat aufnimmt, ist kein Subjekt. 225

2)

Der onto logische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen

Nach dem Blick auf die verschiedenen Begriffseinteilungen ist der ontologische Status zu untersuchen, den Heinrich von Gent dem Möglichen einräumt. Es geht also um das, was man „ontologische Verpflichtung" („ontological committment") nennen könnte, wenn man einen modernen Ausdruck von Willard Van Orman Quine 226 (1908-2001) auf das Denken des Mittelalters übertragen will. Zu diesem Zweck soll zunächst der Status des Möglichen mit dem des Unmöglichen verglichen werden. Im nächsten Unterabschnitt folgt der Vergleich des Möglichen mit dem Wirklichen. Da das Unmögliche nicht ist, ist es nichts; und da es nicht einmal sein kann, ist es reines Nichts („purum nihil"). Dieses reine Nichts tritt im Denken Heinrichs von Gent in zweifacher Form auf. Sie unterscheiden sich voneinander durch ihr Verhältnis zur „res". Diesen Begriff bietet Heinrich als Hilfe zum Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen an. Anders als der Seinsbegriff, der selbst in seiner weitesten Verwendung bei Heinrich höchstens noch das Mögliche bezeichnen kann, 227 läßt sich „res" nicht nur von allem Wirklichen und Möglichen aussagen, sondern darüber hinaus auch von manchem, was unmöglich ist. Allerdings wird dieses Wort

224

Heinrich von Gent: Summa, art. 35, qu. 2 (ed. Wilson, 19,63-66): „Nunc autem non est ponere actionem sine passione sibi respondente, quia correlative sunt. Sicut igitur omni actioni, qualiscumque sit, respondet potentia activa, sie omni passioni, qualiscumque sit, respondet potentia passiva".

225

Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304r): „Ad primum in oppositum, quia non est potentia activa cui non respondet potentia passiva, dicendum quod verum est vel obiective vel subiective, utroque modo respectu agentis naturalis quod nihil agit nisi ex subiecta materia, obiective solum respectu agentis supernaturalis quod agit ex nullo subiecto".

226

Willard Van Orman Quine: Was es gibt. In: Willard Van Orman Quine: Von einem logischen Standpunkt. Neun logisch-philosophische Essays. Übers, v. Peter Bosch. Frankfurt am MainBerlin-Wien: Ullstein 1979 (Ullstein-Bücher), 9 - 2 5 . Vgl. den Unterabschnitt 3)!

227

262

4. Kapitel: Heinrich von Gent

nicht in genau dem gleichen Sinn auf Mögliches und Unmögliches angewandt, sondern es wird dabei analog verwendet.228 Im Gegensatz zum antiken Gebrauch (vgl. „res publica") wird das Wort „res" bei Heinrich nicht durch ein Adjektiv konkretisiert, sondern höchst abstrakt und allgemein gebraucht.229 Eben deshalb kann es sowohl Mögliches als auch Unmögliches erfassen. Heinrich unterteilt die „res" so, daß diese Unterteilung einer Einteilung in das Mögliche und in Unmögliches entspricht. Die verschiedenen „res" unterscheidet Heinrich von Gent nach dem Kriterium, ob sie eine gewisse „Festigkeit" („ratitudo") besitzen oder bloß in einem ungewissen „Meinen" existieren. Bloß im „Meinen" und in der Vorstellung existiert das Unmögliche, das in seinem Begriff unvereinbare Elemente verbindet. „Festigkeit" hingegen besitzt, was wenigstens insofern möglich ist, als die Elemente, die seinen Begriffbilden, miteinander vereinbar sind. Indem Heinrich mit dieser sachlichen Unterscheidung eine etymologische Erklärung verbindet, nennt er die mögliche „res" eine „res a ratitudine" und die unmögliche „res" eine „res a reor reris". Beiläufig sei erwähnt, daß diese Herleitung des Wortes „res" als Etymologie nach heutigen Maßstäben verfehlt ist. Denn erstens taugt die Unterscheidung zwischen „reri" und „ratitudo" nichts, weil sich das Substantiv „ratitudo" über das Partizip „ratus" selbst vom Verb „reri" ableitet. Zweitens ist der Ausdruck „res" schon für die ganze Antike in der lateinischen Sprache belegt, während „reri" und „ratitudo" erst im Mittelalter auftreten. Isidor von Sevilla (um 560-636, ab ca. 600 Bischof des heutigen Sevilla), im Mittelalter in Fragen der Etymologie die Autorität schlechthin, gibt noch keine sprachliche, sondern nur eine inhaltliche Erklärung für das Wort „res" an.230 Eine Herleitung des Wortes „res" von „reri" oder von „ratitudo" kommt also nicht in Frage.231 Die Beschränkung des Urteils auf den rein etymologischen Wert dieser Erklärung würde allerdings übersehen, daß die Etymologie im Mittelalter keine ausschließlich sprachwissenschaftlichen Absichten verfolgt, sondern dem inhaltlichen Verständnis dienen will.232 Auch Heinrich von Gent will mit der

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230 231 232

Heinrich von Gent: Summa, art. 75, qu. 6 (ed. Badius, fol. 312e): „significati hoc nomine res, quod significat analogice rem dictam a ratitudine (...) et etiam rem dictam a reor reris". Jaqueline Hamesse: Res chez les auteurs philosophiques des \2° et 13e siecles ou le passage de la neutralite ä la specificite. In: Res. III0 Colloquio Internazional, Roma, 7 - 9 gennaio 1980. Hrsg. v. Marta Fattori und Massimo Bianchi. Rom: Ateneo 1982 (Lessico Intellettuale Europeo XXVI), 91-104, 103: „passage du concret ä l'abstrait". Isidor von Sevilla: Etymologiae V 25, 2 (ed. Reta-Casquero, 524): „Res sunt quae in nostra jure consistunt". Hamesse: Res, 100. Joachim Gruber; Günter Bernt: Etymologie, Etymologica. In: L M A 4 (1989) 60-61. Klaus Bannach läßt es also an Verständnis für den Sinn der Etymologie im Mittelalter fehlen, wenn er Heinrich von Gent einen „etymologischen Taschenspielertrick" vorwirft (Klaus Bannach:

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

263

zweifachen Herleitung des Wortes „res" vor allem eine sachliche Unterscheidung begründen, nicht die Geschichte eines Wortes nachzeichnen. In ähnlicher Weise greift er auch in anderen Zusammenhängen auf etymologische Erklärungen zurück.233 Im Hintergrund eines solchen Umgangs mit etymologischen Herleitungen steht die Annahme, daß jedes Ding den Namen trägt, der ihm zukommt, daß also der Name über das Wesen seines Trägers Auskunft gibt. Dieser Gedanke findet sich schon in der platonischen 234 und stoischen 235 Philosophie. Die Methode, sachliche Erklärungen mit (nicht immer korrekten) etymologischen Herleitungen zu beginnen, ist im Mittelalter weit verbreitet, beispielhaft fur spätere Jahrhunderte von Isidor von Sevilla in seinen zwanzig Büchern der „Etymologien" vorgeführt und bis heute (wenigstens aus didaktischen Gründen) beliebt. Anders als Heinrich von Gent kümmert sich Wilhelm von Ockham übrigens kaum um etymologische Herleitungen oder um die „wahre" und ursprüngliche Bedeutung von Wörtern. Die Bildung von sprachlichen Ausdrükken steht seiner Meinung nach im Belieben der Sprecher.236 Er warnt davor, eine genaue Entsprechung zwischen den Dingen und den Wörtern anzunehmen, mit denen sie bezeichnet werden. 237 Vielmehr steht er in dieser Frage in einer eher aristotelischen Tradition, die es erlaubt, Wörter, die eine Sprache nicht bereitstellt, willkürlich zu erfinden. 238

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238

Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung. Wiesbaden: Steiner 1975 (VIEG 75), 142). Beispielsweise leitet Heinrich „intentio" von „intus tentio" her (Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 6 (ed. Badius, fol. 1611)), „lapis" von „laedens pedem" und „petra" von „pede tritus" (Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 4 (ed. Macken, 58,57-58)). Vgl. Piaton: Kratylos 391 a7-b2. Vgl. Maximilian Forschner: Die ältere Stoa. In: Philosophen der Antike II. Hrsg. v. Friedo Ricken. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996 (UB 459), 24-39, 30. In Pr., cap. 9, § 1 (OPh II 183,36): „nomina sunt ad placitum"; vgl. In Por., cap. 1, § 5 (OPh II 22,53-54); In Por., cap. 1, § 6 (OPh II 24,37-40); In Pr., cap. 18, § 5 (OPh II 325,20-21); In Per. I, cap. 5, § 3 (OPh II 400,41-42 und 50); In Per. II, cap. 4, § 7 (OPh II 453,27); Ord., Prol., qu. 12 (OTh I 349,21; 357,23); Ord., dist. 1, qu. 2 (OTh I 395,8-9); Ord., dist. 2, qu. 8 (OTh II 290,3); Ord., dist. 22, qu. un. (OTh IV 47,2); Rep. III, qu. 10 (OTh VI 321,10; 346,7-9). Ord., dist. 31, qu. un. (OTh IV 405,9-14): „Unde hoc est, ut credo, quod multos decipit quod quandocumque aliquid praedicatur de aliquo, volunt quod sit aliquod abstractum importans rem illam advenientem alteri propter quam dicitur ipsum tale. Immo volunt quod tot sint res distinctae quot sunt voces significativae, ita quod tanta sit distinctio inter significata quanta est inter voces significantes". Tr. qu., qu. 1, art. 1 ( O T h X 25,455^458); Quodl. VI, qu. 20 (OTh IX 662,136-138): „cuicumque conceptui relativo potest addi casus obliquus sui correlativi, nisi contingat quod nomina nobis deficiant, et tunc licitum est fingere nomen"; vgl. Aristoteles: Kategorien 7 (7a 5-7); De anima III 2 (426a 14-15); Nikomachische Ethik II 7 (1108a 16-19).

264

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Wenn Heinrich „res" also von „reri" und „ratitudo" herleitet, kommt es ihm weniger auf die sprachgeschichtliche Seite dieser Behauptung an, sondern er will die Unterscheidung zwischen zwei Arten der „res" sachlich begründen. Diese Unterscheidung ist nun also von ihrer inhaltlichen Seite zu betrachten. a)

Die ,, res a reor reris " und das Widersprüchliche

DIE „RES Α REOR RERIS"

Als „res" gilt für Heinrich von Gent alles, wovon sich ein Begriff („conceptus") bilden läßt. Das bezieht sich nicht bloß auf die uns vertrauten Begriffe unseres täglichen Umgangs, sondern schließt auch fiktive Begriffe („conceptus fictitius")239 und Begriffe unserer Einbildungskraft („res imaginaria", „figmentum") 240 ein. Was dieser zweiten Gruppe angehört, zählt Heinrich zwar zu den „res", jedoch nicht zu den „res a ratitudine", sondern zu den „res a reor reris". Sprachlich leitet Heinrich diesen Ausdruck vom seltenen lateinischen Verb „reor, reris" her, das, wie er ohne Vertrauen auf die Lateinkenntnisse seiner Hörer und Leser hinzufügt, dasselbe bedeutet wie „opinor, opinaris", also „glauben" oder „meinen". Mit der „res a reor reris" ist also eine „res" gemeint, die (nur) im Meinen existiert, d. h. (nur) dann, wenn ein Intellekt sie denkt.241 Als Beispiel für eine „res a reor reris" nennt Heinrich den Bockhirsch, außerdem die Chimäre und den goldenen Berg.242 Solche Wesen können wir imaginieren, und wir können von ihnen fiktive Begriffe bilden. Daher handelt es sich bei ihnen um eine „res". Sie existieren jedoch nicht in der realen Wirklichkeit und können es auch nicht. Sie sind unmöglich und daher keine „res a ratitudine". Vielmehr handelt es sich bei ihnen um „res a reor reris". Die unterschiedlichen Erklärungen, die Heinrich von Gent an verschiedenen Stellen seines Werkes und zu verschiedenen Zeiten seiner Lehrtätigkeit zur Unterscheidung zwischen der „res a reor reris" und der „res a ratitudine" abgegeben hat, weisen gewisse Spannungen auf. 239 240 241

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Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 2 (ed. Badius, fol. 154d). Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 2 (ed. Badius, fol. 154d); Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 6 (ed. Badius, fol. 161k). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 27,59—61): „Res primo modo est ,res' secundum opinionem tantum, et dicitur ,a reor, reris', quod idem est quod ,opinor, opinaris' quae tantum res est secundum opinionem, quoad modum quo ab intellectu concipitur". Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 27,62-63): „ut est mons aureus, vel hircocervus habens medietatem cervi, medietatem hirci"; vgl. Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 2 (ed. Badius, fol. 154d); Heinrich von Gent: Summa, art. 24, qu. 3 (ed. Badius, fol. 138o).

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

265

An manchen Stellen hat man den Eindruck, „res a reor reris" meine ausschließlich Unmögliches und Fiktives.243 Dann sind „res a reor reris" und „res a ratitudine" als die beiden einander ausschließenden Unterarten der „res" im allgemeinen zu begreifen, die Heinrich demgemäß auch als „res communissime acceptum" bezeichnet.244 An anderen Stellen entsteht hingegen der Eindruck, die „res a reor reris" selbst sei der allgemeine Oberbegriff, der unter sich das Mögliche wie auch Unmögliches enthalte, die „res a ratitudine" ebenso wie das Fiktive.245 In diesem Fall schließen die „res a ratitudine" und die „res a reor reris" einander nicht aus, sondern jede „res a ratitudine" ist zugleich auch eine „res a reor reris", wenn auch nicht umgekehrt jede „res a reor reris" eine „res a ratitudine" ist. Die so verstandene „res a reor reris" ist indifferent gegenüber dem Sein und dem Nicht-Sein.246 Für beide Deutungen der „res a reor reris" gibt es Anhaltspunkte in den Texten Heinrichs. Die Darstellungen in der Sekundärliteratur folgen meist der 247 zweiten Lesart.

DAS WIDERSPRÜCHLICHE

Was weder eine „res a ratitudine" noch eine „res a reor reris" ist, ist schlechthin nichts („purum nihil"). 248 Mit diesem „purum nihil" sind nicht die erwähn-

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Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 6 (ed. Badius, fol. 161k); Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 2 7 , 5 9 - 6 1 ) : „Res primo modo est ,res' secundum opinionem tantum, et dicitur ,a reor, reris', quod idem est quod ,opinor, opinaris' quae tantum res est secundum opinionem" (Hervorhebung H. Sch.). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 2 7 , 5 3 - 5 8 ) : „Res autem, sive ,aliquid' sie communissime acceptum, ( . . . ) distinguitur distinetione analogica in id quod est aut natum est esse tantum in conceptu intellectus sive in ipso intellectu [= res a reor reris], et in id quod cum hoc aut est aut natum est esse in re extra intellectum [= res a ratitudine]." Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 2 (ed. Badius, fol. 154r): „sciendum, quod primus conceptus communissimus et communis ad conceptum vanum quo concipitur saltern modo privatorio id cui nihil natum est respondere in re, ut est conceptus fictitius chimaerae et hircocervi, et ad conceptum verum quo concipitur modo positivo id quod est aliquid per essentiam, et natum existere extra intellectum in rerum existentia, ut est conceptus divinae essentiae et creaturae. Primus inquam conceptus communissimus et communis ad illum conceptum, et ad istum, est conceptus quo concipitur res a reor reris dicta". Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 2 (ed. Badius, fol. 124k): „res ut dicitur a reor reris nomen est indifferens ad ens et non ens"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 28, qu. 4 (ed. Badius, fol. 167v). Walter Hoeres: Wesen und Dasein bei Heinrich von Gent und Duns Scotus. In: FS 47 (1965) 1 2 1 - 1 8 6 , 156f; Porro: Possibility, 227; Laarmann: Deus, 126f. Hingegen schwankt zwischen beiden Lesarten Jaroslaus Benes: Valor „possibilium" apud S. Thomam, Henricum Gandavensem, B. Iacobum de Viterbio. Caput II. In: DT 30 (1927) 9 4 - 1 1 7 , 104f.

4. Kapitel: Heinrich von Gent

266

ten Fabelwesen gemeint, die Heinrich zwar auch einmal so bezeichnet,249 zugleich aber als Musterbeispiele fur eine „res a reor reris" anfuhrt. Gemeint ist vielmehr das logisch Widersprüchliche, das Heinrich gleichfalls „purum nihil" nennt.250 Denn was einen logischen Widerspruch enthält, ist überhaupt keine „res", nicht einmal eine „res a reor reris".251 Nicht alles, was unmöglich ist, ist es also in gleicher Weise. Heinrich unterscheidet das in sich widersprüchliche Unmögliche von unmöglichen Figmenten. Letztere sind zwar keine „res a ratitudine", aber immerhin noch „res a reor reris". Was aber einen inneren Widerspruch enthält, ist nicht einmal eine „res a reor reris". Anders als Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham rechnet Heinrich von Gent Fabelwesen wie die Chimäre daher nicht zum in sich Widersprüchlichen, sondern nur zum Fiktiven, das nicht real existieren kann.252 b)

Die „ res α ratitudine " und das Fiktive

DIE „RES A RATITUDINE"

Wie eben erwähnt, unterscheidet Heinrich von Gent zwischen den „res a reor reris" und den „res a ratitudine". Diese Einteilung der „res" erfolgt nach dem Kriterium einer gewissen „Festigkeit" („ratitudo"). Was diese „ratitudo" nicht besitzt, ist eine „res a reor reris". Was diese „ratitudo" besitzt, nennt Heinrich eine „res a ratitudine". Diese „Festigkeit" („ratitudo") besteht darin, daß die einzelnen Elemente, aus denen der Begriff einer bestimmten „res" zusammengesetzt ist, sich miteinander zu einem einheitlichen Wesen vereinbaren lassen. Dadurch unterscheidet sich eine „res a ratitudine" von den Figmenten und Fabelwesen, die

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Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 26,49-50): „res sive aliquid, sie consideratum ut nihil sit ei oppositum nisi purum nihil". Heinrich von Gent: Summa, art. 24, qu. 3 (ed. Badius, fol. 138o): „ad id quod purum nihil est, ut Hircocervus vel Tragelaphus". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q). Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3, ad 2 (ed. Wilson, 49,6-10): „immo ex natura rei in quantum est res communissime dicta, provenit quod non habet seminale prineipium ad contradictoria esse simul, scilicet quia ipsa ex se non habet potentiam ad habendum illud. Et hoc, quia illud est tale quod non potest haben, quia nec est res etiam a reor reris dicta". Vgl. Jos Decorte: Heinrich von Gent. Von einer Ontologie der Relation zur Relationsontologie. In: Philosophen des Mittelalters. Eine Einführung. Hrsg. v. Theo Kobusch. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, 152-166, 161f. Anders Bannach: Lehre, 147; Steven P. Marrone: Revisiting Duns Scotus and Henry of Ghent on Modality. In: John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega Wood und Mechthild Dreyer. Leiden-New York-Köln: Brill 1996 (STGMA 53), 175-189, 186.

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

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wir uns ja typischerweise als unmögliche Kombinationen von Teilen wirklicher Lebewesen vorstellen. Die Vereinbarkeit ihrer Elemente macht die „res a ratitudine" möglich. Sie existiert aktuell oder ist wenigstens fähig, aktuell zu existieren.253 Fiktive oder widersprüchliche Vorstellungen sind dagegen unmöglich und unfähig, wirklich zu sein. Eine „res a ratitudine" besteht also aus Elementen, die sich miteinander zu einem einheitlichen Wesen vereinbaren lassen. Daher unterscheidet sie sich von der „res a reor reris" dadurch, daß sie ein eigenes Wesen („essentia") besitzt.254 Mit dem Wesen geht auch das Sein des Wesens („esse essentiae") einher, das Heinrich allerdings keineswegs mit der aktuellen Existenz („esse existentiae") verwechselt wissen will. Anders als fiktiven oder widersprüchlichen Vorstellungen kommt der „res a ratitudine" also stets in diesem weitesten Sinn Sein zu. Zwar besitzt jede „res a ratitudine" das „esse essentiae", aber nicht jede besitzt auch die aktuelle Existenz. Allerdings ist jede „res a ratitudine" dazu fähig, aktuell zu existieren, und alles, was aktuell existiert, ist eine „res a ratitudine". Daher ist sie dem aktuellen Sein gegenüber indifferent. 255 Möglich ist das „esse essentiae" nicht im Sinne der „potentia subiectiva", sondern im Sinne der „potentia obiectiva".256 Es ist kein existierendes Subjekt, das Träger einer Potenz wäre, sondern mögliches Objekt eines geschöpflichen Aktes oder wenigstens einer Schöpfertat Gottes. Das Wesen der „res a ratitudine" verdankt sich dem göttlichen Intellekt, der die Ideen und Urbilder aller untersten Arten, sofern sie nur möglich sind, in sich enthält. Durch sie erkennt er die Geschöpfe, selbst wenn sie noch nicht erschaffen sind. Den Erkenntnisgegenstand, den die göttliche Erkenntnis verlangt, bilden die Wesen der Dinge. Da die göttliche Erkenntnis im Gegensatz zur menschlichen das Sein des Erkannten nicht voraussetzt, sondern dem Er-

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Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 2 7 , 7 1 - 7 2 ) : „sive res nata esse vel quae est aliquid extra intellectum, quae dicitur ,res a ratitudine'". Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127o). Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 2 (ed. Badius, fol. 124k); Heinrich von Gent: Summa, art. 28, qu. 4 (ed. Badius, fol. 167v): „Et ex hoc quod sie habet esse ens per essentiam dicitur res a ratitudine. Ipsa etiam essentia ut est essentia et natura aliqua exemplata a ratione divini exemplaris, indifferens est quantum est de se ut absolute consideratur, ad esse actualis existentiae et ad non esse". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 9 (ed. Badius, fol. 318f): „ipsae essentiae rerum non sunt subiecta esse et non esse. ( . . . ) Subjective enim ipsa non est potentia ad esse vel non esse, sed obiective est in potentia ad esse"; Heinrich von Gent: Quodl. X, qu. 7 (ed. Macken, 154,37-41).

4. Kapitel: Heinrich von Gent

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kannten vielmehr das Sein verleiht, erhalten die Wesen dadurch, daß Gott sie erkennt, ihr Sein, das „esse essentiae".257 Wesen gibt es also von allem, wovon der göttliche Intellekt eine Idee enthält. Von den „res a ratitudine" und nur von ihnen gibt es Ideen im Geist Gottes.258 Da Ideen aber Bezüge der Nachahmbarkeit sind, durch die das vollkommene Wesen Gottes auf beschränkte Weise von einem Geschöpf nachgeahmt werden kann, unterscheiden sich „res a ratitudine" von Figmenten und Widersprüchen letztlich dadurch, daß diese einen bestimmten Grad der Nachahmbarkeit der göttlichen Vollkommenheit durch ein Geschöpf darstellen, jene aber nicht. DAS FIKTIVE

Figmente wie der goldene Berg oder die Fabelwesen sind keine „res a ratitudine", sondern nur „res a reor reris". Um eine wahre „res" („res secundum veritatem") handelt es sich bei diesen Beispielen, weil sie aus Elementen bestehen, die wie Berg und Gold, wie Hirsch und Ziegenbock, wie Löwe, Ziege und Schlange in unserer Welt real vorkommen.259 Figmente sind jedoch nur „res a reor reris", aber keine „res a ratitudine", weil ihnen die „ratitudo" fehlt, die eine „res" erst zur „res a ratitudine" macht. Den Figmenten und Fabelwesen geht also die Vereinbarkeit, der ihre Begriffe bildenden Elemente ab, durch die eine „res a ratitudine" charakterisiert ist.260 Aus diesem Grund sind Figmente auch unfähig, real zu existieren, und daher unmöglich.261 Die Unmöglichkeit der Figmente unterscheidet sich von der Unmöglichkeit des in sich Widersprüchlichen, und die Unvereinbarkeit der Elemente ei-

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Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 28,69-71): „Et scientia aequivoce dicitur de scientia sua et nostra: sua enim scientia est causa entis; ens autem est causa scientiafe] nostrae". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 49,11-12): „res a ratitudine dicta ex hoc est res et natura vel essentia aliqua, quod habet ideam in Deo"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127o). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 27,63-67): „Est tarnen res secundum veritatem quoad partes eius quae sunt mons et aurum et huiusmodi; aliter enim non posset totum esse in intellectu et ens secundum opinionem, nisi partes essent aliquid secundum veritatem, quia ab alio non potest moveri intellectus"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127o). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 27,59-70). Heinrich von Gent: Quodl. III, qu. 9 (ed. Badius, fol. 61o): „non est natum esse extra aliquid in rerum natura, quale circumloqui intendimus hoc nomine chimaera vel hircocervus".

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

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nes fiktiven Begriffs ist keine Widersprüchlichkeit.262 Zwar sind Figmente ebenso „purum nihil" wie Widersprüchliches, aber anders als das in sich Widersprüchliche sind Figmente wenigstens „res a reor reris".263 Unmöglich und unfähig zu existieren sind sie nicht deshalb, weil sie einen Widerspruch enthalten, sondern weil sie sich nicht zu einem einzigen Wesen verbinden lassen. Figmente unterscheiden sich daher von den „res a ratitudine", weil letztere ein Wesen („essentia") und ein Sein des Wesens („esse essentiae") besitzen, Figmente jedoch nicht.264 Der Grund dafür liegt darin, daß Figmente zwar im „Meinen" eine „res" sind und der Mensch von ihnen Vorstellungen und Begriffe bilden kann, daß sie jedoch nicht im strengen Sinn gewußt oder erkannt werden können, denn was es nicht gibt, das kann man auch nicht wissen.265 Das gilt fur das menschliche Wissen ebenso wie für die göttliche Erkenntnis. Da Gott keine Figmente erkennt, verleiht seine Erkenntnis ihnen auch kein „esse essentiae". Daher haben sie kein eigenes Wesen. Das erkannte Wesen entspricht einer Idee in Gott. Da Figmente nicht erkannt werden können und kein Wesen haben, enthält der göttliche Geist auch keine Ideen oder Urbilder von ihnen.266 Figmente können die göttliche Vollkommenheit also nicht in einer bestimmten beschränkten Weise nachahmen. Darin gründet letztlich ihre Unmöglichkeit und ihre Unfähigkeit zu sein. Weil ihnen nicht ein bestimmter Grad entspricht, in dem die göttliche Vollkommenheit durch ein Geschöpf nachgeahmt werden kann, sondern sie eine Verbindung von unterschiedlichen Wesen, d. h. unterschiedlichen Stufen der Nachahmbarkeit, darstellen, können sie auch nicht ein einziges Wesen bilden und nicht aktuell existieren oder als Wesen sein. Wovon Gott aber kein Urbild in sich trägt, das kann er auch nicht erschaffen. 267 Nicht ihre Widersprüch262 263

Daher ist auch die Gemeinsamkeit, die Marrone: Revisiting, 185f zwischen Heinrich von Gent und Duns Scotus behauptet, nicht gegeben. Klaus Bannach stellt zutreffend fest, daß man die fiktive „res a reor reris" als „etwas" ansprechen kann, fügt aber fälschlich hinzu, daß sie nicht mehr als „Nichts" bezeichnet werden kann (Bannach: Lehre, 142). Doch Heinrich selbst bezeichnet sie als „purum nihil" (Heinrich von Gent: Summa, art. 24, qu. 3 (ed. Badius, fol. 138o)).

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Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 2 (ed. Badius, fol. 154d): „Res enim quaecumque sive existens sive non existens, si habet esse in deo secundum exemplarem rationem, non solum dicitur quod est res dicta a reor reris, sed etiam quod sit natura et essentia aliqua. Et ideo dicitur res a ratitudine".

265

Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 2 (ed. Badius, fol. 154d): „De quo [seil, re a reor reris dicta] dicit Philosophus: Quod non est non contingit scire"; vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 24, qu. 3 (ed. Badius, fol. 139r); Heinrich von Gent: Quodl. III, qu. 9 (ed. Badius, fol. 61o).

266

Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 2 7 , 6 8 - 7 0 ) : „Unde nec ista [seil, res a reor reris] habent proprias ideas in Deo, et est nonus modus eorum quae dieimus non habere proprias ideas in Deo"; Heinrich von Gent: Quodl. III, qu. 9 (ed. Badius, fol. 61 o). Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127o); Heinrich von Gent: Quodl. III, qu. 3 (ed. Badius, fol. 62s): „Et econtrario cum illud quod non habet exemplar in deo, non

267

270

4. Kapitel: Heinrich von Gent

lichkeit macht sie unmöglich, sondern unmöglich sind sie, weil für sie in der Stufenfolge möglicher Wesen (der „Great Chain of Beings", wenn man so will) kein eigener Platz offen ist.

3)

Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Wirklichen

Heinrich von Gent ist bereit, Mögliches wie Unmögliches mit dem Begriff „res" zu bezeichnen. Die Ausdrücke „esse" bzw. „ens" vergibt er nicht mit der gleichen Großzügigkeit, sondern beschränkt sie auf das Mögliche, also auf die „res a ratitudine".268 Aber nicht alles, was möglich ist, „ist" auf die gleiche Weise. Manches ist bloß möglich, anderes existiert auch tatsächlich. Zwar besitzen das aktuell Wirkliche und das bloß Mögliche beide das Sein („esse") in irgendeiner Weise, aber das aktuell Wirkliche hat ein Sein der Existenz („esse existentiae"), das bloß Mögliche dagegen nur ein Sein des Wesens („esse essentiae"). a)

Das „ esse essentiae " des Möglichen

Nach der Darstellung, die Heinrich von Gent selbst gibt, stammt seine Lehre vom „esse essentiae" vom persischen Arzt und Philosophen Avicenna. Tatsächlich gehen auf ihn viele Gedanken zurück, die Heinrich im Zusammenhang mit dem „esse essentiae" aufgreift. Daß aber der persische Philosoph die Lehre vom Sein des Wesens vorweggenommen hätte, läßt sich nicht behaupten. Heinrich von Gent ist also nicht nur der Hauptvertreter des „esse essentiae", sondern auch der Urheber dieses Gedankens. Avicenna unterscheidet eine zweifache Weise, wie ein Wesen verwirklicht sein kann. Entweder ist es in einem real existierenden Individuum verwirklicht und singulär, oder es wird von einem Intellekt gedacht und ist allgemein. Zu diesen beiden Seinsweisen des Individuums tritt nach Avicenna jene Be-

268

potest ipsum habere, quicquid non est in certitudine essentiae res aliqua necesse est ut non sit res aut essentia, sed purum non ens esse, quod nec factibile est a deo, quia nullius potest esse causa efficiens cuius non est formalis". Heinrich von Gent: Summa, art. 75, qu. 6 (ed. Badius, fol. 312d): „significati hoc nomine ens, vel (ut largius loquamur) significati hoc nomine res". Heinrichs Sprachgebrauch ist nicht immer konsequent. Zuweilen nennt er auch die „res a reor reris" ein „ens" wenigstens „secundum opinionem" (Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 27,65)), zuweilen behauptet er, das Fiktive sei keine „res" (Heinrich von Gent: Quodl. III, qu. 9 (ed. Badius, fol. 61o)).

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

271

trachtungsweise, die ein Wesen für sich allein unabhängig von seinem Sein in einem Individuum oder in einem Intellekt betrachtet. So gesehen, ist das Wesen weder seiend noch nicht-seiend, weder allgemein noch singulär, sondern nur es selbst.269 Das Wesen des Pferdes ist nichts anderes als das Wesen des Pferdes. 270 Diese Weise, das Wesen absolut zu betrachten, verbindet Heinrich von Gent mit der Erkenntnis Gottes. Während die menschliche Erkenntnis vom Sein ihres Erkenntnisgegenstandes abhängt, hängt die göttliche Erkenntnis von keinem geschöpflichen Sein ab. Vielmehr hängt umgekehrt das geschöpfliche Sein von der göttlichen Erkenntnis ab. Indem Gott ein Wesen erkennt, verleiht er ihm Sein.271 Dieses Sein, das Gott den Wesen verleiht, indem er sie erkennt, ist nicht das aktuelle Sein in der realen Wirklichkeit. Gott erkennt nämlich alles Mögliche, auch das, was er weder erschafft noch erschaffen will. Stattdessen handelt es sich um ein Sein, das jedem Wesen zukommt, das möglich ist, mag es aktuell existieren oder nicht. Daher bezeichnet es Heinrich als Sein des Wesens („esse essentiae") und unterscheidet es vom Sein der Existenz („esse existentiae") der aktuell existierenden Entitäten.272 Statt „esse essentiae" finden sich beim „Doctor sollemnis" auch die Ausdrücke „esse quidditativum" und „esse definitivum". 273 Eine vielbeachtete Streitfrage des hohen und späten Mittelalters betraf des Verhältnis von Wesen und Dasein, von Essenz und Existenz. Thomisten etwa bezeichneten die Unterscheidung zwischen beiden als „distinctio realis",274 Scotisten als „distinctio formalis".275 Heinrich von Gent, der zeitlich zwischen

269 270 271 272

273 274 275

Avicenna: De philosophia prima V, cap. 1 (ed. van Riet, 228-238). Avicenna: De philosophia prima V, cap. 1 (ed. van Riet, 228, 32-33): „Unde ipsa equinitas non est aliquid aliud nisi equinitas tantum". Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 28,69-71). Heinrich von Gent: Quodl. I, qu. 9 (ed. Macken, 53,64-68): „Et est hic distinguendum de esse, secundum quod distinguit AVICENNA in fine V" Metaphysicae suae, quod quoddam est esse rei quod habet essentialiter de se, quod appellator esse essentiae, quoddam vero quod recipit ab alio, quod appellator esse actoalis existentiae". Heinrich von Gent: Quodl. I, qu. 9 (ed. Macken, 53,69-54,75); Heinrich von Gent: Quodl. III, qu. 9 (ed. Badius, fol. 61o): „hoc esse proprie dicitur definitivum esse". Vgl. Thomas von Aquin: De veritate, qu. 27, art. 1, ad 8 (ed. Marietti, 513a). Vgl. Scotus: Ord. II, dist. 3, pars 1, qu. 5-6, n. 188 (Vat. VII 484,1-5): „quodcumque commune, et tarnen determinabile, adhuc potest distingui (quantumcumque sit una res) in plures realitates formaliter distinctas, quarum haec formaliter non est illa: et haec est formaliter entitas singularitatis, et ilia est entitas naturae formaliter".

272

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Thomas und Scotus steht, spricht von einer „distinctio intentionis", also von einer Intentionaldistinktion.276 Eine solche Intentionaldistinktion besteht nach Heinrich nicht nur zwischen dem Wesen und der aktuellen Existenz, sondern auch innerhalb des Wesens zwischen seinem sachlichen Gehalt („id quod est") und seinem „esse essentiae" („id quo est").277 Das „esse essentiae" unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht vom „esse existentiae". Es entspringt allein dem göttlichen Intellekt nach der Weise der Formal- bzw. Exemplarursächlichkeit, während das aktuelle Sein zwar die Tätigkeit des Intellektes voraussetzt, unmittelbar aber durch eine Entscheidung des göttlichen Willens nach der Weise der Wirkursächlichkeit verwirklicht wird.278 Der Intellekt Gottes wirkt naturhaft; sein Wille hingegen ist frei. Daher sind die Wirkungen des Intellektes notwendig, während die Beschlüsse des Willens kontingent sind.279 Da das „esse essentiae" allein vom göttlichen Intellekt abhängt, kommt es den Wesen mit Notwendigkeit zu. 280 Da anderer-

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280

Heinrich von Gent: Summa, art. 28, qu. 4 (ed. Badius, fol. 168v): „Oportet igitur in qualibet creatura inquantum creatura est, ponere ex tribus intentionibus duplicem compositionem, unam quae prima omnium est, scilicet ex eo quod res est secundum se a reor reris dicta et esse essentiae eius, et aliam ulteriorem ex eo quod est essentia quaedam et esse existentiae suae in effectu. Et sunt istae compositiones ex differentibus secundum intentionem et conceptum mentis, licet non ex differentibus re, ut habitum est ex praedeterminatis". Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127q): „in omni creatura ut creatura est, differunt essentia et esse proprium essentiae, ut non possit dici quod essentia sit ipsum esse, ut non solum ratione dicamus in creatura differre essentiam et esse proprium essentiae, sed etiam quodammodo contraria intentione". Heinrich von Gent: Quodl. I, qu. 9 (ed. Macken, 53,69-70 und 54,76-78): „Primum esse [seil, essentiae] habet essentia creaturae essentialiter, sed tarnen partieipiative, in quantum habet formale exemplar in Deo. (...) Secundum esse [seil, existentiae] non habet creatura ex sua essentia sed a Deo, in quantum est effectus voluntatis divinae iuxta exemplar eius in mente divina". Heinrich von Gent: Summa, art. 40, qu. 4 (ed. Wilson, 270,42-271,48): „Idcirco omnino necessarium est quod Deus perfecte se intelligat, intelligendo suam essentiam, quia ipsa est quod ipse; et similiter quaecumque sunt intelligibilia in ipsa, ut sunt rationes attributorum et rationes perfectionum et rationes idearum. Quare, cum non est perfecta cognitio, nisi sit distineta et propria circa unumquodque cognoscibilium, ulterius omnino necessarium est quod Deus omnium talium distinetam et propriam habeat cognitionem"; Heinrich von Gent: Summa, art. 45, qu. 3 (ed. Hödl, 118,39-119,42): „Ad quaestionem ergo dicendum simpliciter et absolute, quod divina voluntas libera est simpliciter et absolute in actu suo volendi, non distinguendo quod libertatem habet in volendo alia a se, quia nulla necessitate vult aliquod illorum, non autem in volendo se, quia habet necessitatem volendi se ipsum". Heinrich von Gent: Quodl. Ill, qu. 9 (ed. Badius, fol. 62s): „Unde cum illud quod habet exemplar in deo, non potest ipsum non habere, quicquid in certitudine sua essentia est et res aliqua, necesse est ipsum esse tale, et non potest non esse tale, et habere esse essentiae".

Das Mögliche nach Heinrich von Gent

273

seits das „esse existentiae" vom freien Willen des Schöpfers abhängt, kommt es den Geschöpfen nur in kontingenter Weise zu. Die Notwendigkeit des „esse essentiae" zeigt sich im Hinblick auf die Zeit. Da es den Wesen mit Notwendigkeit zukommt, kommt es ihnen auch von Ewigkeit her zu.281 Anders verhält es sich mit der Existenz. Nach Heinrich, der die Möglichkeit einer zwar geschaffenen, aber ewigen Welt energisch bestreitet,282 muß alles Kontingente in der Zeit begonnen haben. Daher kommt auch die aktuelle Existenz den Wesen erst ab einem bestimmten Zeitpunkt 283

ZU.

Heinrichs Lehre vom „esse essentiae" wurde früher oft als krasser Essentialismus gedeutet, als spräche sie von selbständigen Wesenheiten, die sich von ihrer aktuellen Existenz losgerissen hätten und auf eigene Faust durch ein Niemandsland von Zeit und Raum schwebten. Doch eine solche Deutung hätte Heinrich selbst mit dem Wort des Augustinus als frevelhaft („sacrilegum") von sich gewiesen, wie er auch selbständige platonische Ideen verworfen hat, die nach Heinrichs Deutung der Philosophiegeschichte niemals jemand geglaubt, sondern nur Aristoteles seinem Lehrer Piaton unterstellt hat.284 Besser als in Analogie zur aktuellen Existenz läßt sich das „esse essentiae" in Analogie zum gedanklichen Sein begreifen, denn auch das „esse essentiae" hängt von einem Intellekt ab, der es begreift. 285 Heinrich spricht von ihm sogar als von einem „esse diminutum", 286 ein Ausdruck, der sich seit einer fehlerhaften Aristotelesübersetzung als Bezeichnung für das Sein im Denken

281

282 283

Heinrich von Gent: Quodl. XI, qu. 3 (ed. Badius, fol. 449g); Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127q): „Essentia enim ut dictum est, dicitur res ex respectu ad deum inquantum ab ipso exemplatum est ab aeterno". Heinrich von Gent: Quodl. I, qu. 7 (ed. Macken, 2 7 - 4 6 ) ; Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 9 (ed. Badius, fol. 3 1 4 - 3 2 0 ) . Heinrich von Gent: Quodl. XI, qu. 3 (ed. Badius, fol. 449g); Heinrich von Gent: Summa, art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127q): „Dicitur autem existens ex respectu ad deum inquantum est effectus eius ex tempore". Vgl. auch Gordon A. Wilson: Non-Being: Evitemity and Time in the Ontology of Henry of Ghent. In: Mediaevalia. Textos e Estudios 3 (1993) 7 7 - 9 0 .

284

Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 18,53-19,58): „Quam [seil, essentiam absolute consideratam] tamen esse nullus ponit secundum se extra singularia et extra intellectum, quali tamen modo ARISTOTELES ponit PLATONEM posuisse essentias rerum et quidditates secundum se existere separatas a rebus et extra intellectum et esse ideas rerum. Quod re vera opinari sacrilegum esset, dicente A U G U S T I N O in quaestione praenotata"; vgl. Augustinus: D e diversis quaestionibus, qu. 46, 2 (ed. Mutzenbecher, 73,55-57): „Non enim extra se quidquam positum intuebatur, ut secundum id constitueret quod constituebat; nam hoc opinari sacrilegum est".

285 286

Benes: Valor, 115-117; ΡΟΓΤΟ: Possibilitä, 240f. Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 31,44-45).

274

4. Kapitel: Heinrich von Gent

eingebürgert hat287 und seinen Mangel im Vergleich zum aktuellen Sein betont. Trotz seiner Abhängigkeit von einem erkennenden Intellekt läßt sich das „esse essentiae" jedoch nicht vollständig auf das bloß gedankliche Sein zurückfuhren. Denn es gründet nicht in einem beliebigen Intellekt, der seinem Erkenntnisgegenstand ein „Gedacht-Sein" verleiht, sondern geht aus der Erkenntnis des göttlichen Intellektes hervor, der ein Sein verleiht, das die Intellekte der Engel und Menschen nicht bewirken können und das daher über das rein gedankliche Sein hinausgeht. So stellt das „esse essentiae" eine eigene Seinsweise dar, die sich weder auf das Denken noch auf die aktuelle Existenz zurückfuhren läßt. b)

Das „ esse existentiae " des Wirklichen

Was nicht nur möglich, sondern auch wirklich ist, existiert. Daher nennt Heinrich das Sein des Wirklichen „esse existentiae". Vom Wesen unterscheidet es sich nicht real, wohl aber intentional, d. h. Wesen und Existenz unterscheiden sich voneinander zwar nur durch die geistige Tätigkeit eines erkennenden Intellektes, aber die unterschiedlichen Gehalte, die dabei unterschieden werden, sind der Möglichkeit nach schon in der Sache selbst enthalten. Das „esse existentiae" ist von Gott erschaffen. Es setzt die Möglichkeit voraus, also das „esse essentiae", erschöpft sich aber nicht darin. Während das „esse essentiae" dem göttlichen Intellekt entspringt, verlangt das „esse existentiae" darüber hinaus die Tätigkeit des göttlichen Willens.288 Gott bewirkt durch seinen Willen die Existenz als Wirkursache, nicht als Formal- bzw. Exemplarursache, wie er das „esse essentiae" durch den Intellekt bewirkt.289 Da dieser Wille frei und kontingent entscheidet, ist auch das Sein, das von ihm abhängt, kontingent. Da nach Heinrich von Gent nichts, was geschaffen und kontingent ist, ewig bestehen kann, muß jede Existenz in der Zeit beginnen.

287 288

289

Armand Augustine Maurer: Ens Diminutum: a Note on ist Origin and Meaning. In: MS 12 (1950)216-222. Heinrich von Gent: Quodl. I, qu. 9 (ed. Macken, 54,76-78): „Secundum esse [= esse actualis existentiae] non habet creatura ex sua essentia sed a Deo, in quantum est effectus voluntatis divinae iuxta exemplar eius in mente divina". Heinrich von Gent: Quodl. X, qu. 7 (ed. Macken, 151,51-56): „In quantum enim ipsa [seil, essentia creaturae] se ipsa absque omni absoluto addito est similitudo divinae essentiae secundum rationem causae formalis, convenit ei esse essentiae; in quantum autem ipsa in se ipsa absque omni absoluto addito est effectus divinae essentiae vel immediate, vel mediante agente naturali secundum rationem causae efficientis, convenit ei esse existentiae".

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum

Kontradiktionsprinzip

275

Die Existenz kommt ihm „de novo" zu,290 wenngleich sie in manchen Fällen in Ewigkeit andauern kann. Zuletzt ist auf die anfangliche Frage nach dem ontologischen Rang des bloß Möglichen zurückzukommen. Es ist mittlerweile klar geworden, daß Heinrich keinen groben Essentialismus vertritt, der das bloß Mögliche ohne Unterschied neben das Wirkliche stellt. Dennoch bleibt dem Möglichen in Heinrichs Darstellung ein verhältnismäßig hoher ontologischer Rang. Das zeigt sich in den sprachlichen Ausdrücken, die er in seiner Analyse der Modalitäten gebraucht. Zwar ist das „esse essentiae" nicht mit dem „esse existentiae" zu verwechseln. Nichtsdestoweniger spricht Heinrich doch in beiden Fällen von „esse". Damit wendet er den zentralen Begriff der Ontologie auch auf das bloß Mögliche an, worin ihm Duns Scotus nur mit Zögern und mit Vorbehalt gefolgt ist, während Ockham dies bewußt vermieden hat. Noch auffälliger ist, daß Heinrich den Ausdruck „res" und in Verbindung mit ihm auch das Wort „realitas"291 auf das Mögliche ausdehnt und sogar auf Unmögliches, soferne es aus möglichen Elementen ohne Widerspruch zusammengefugt ist. Heinrichs Philosophie weist eine starke „ontologische Verpflichtung" auf.

V. Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip Nach den erfolgten Ausführungen über Heinrichs Lehre von den göttlichen Attributen, den Ideen im Intellekt Gottes und dem Möglichen komme ich zur Frage, in welchem Verhältnis die Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip steht. Zunächst sind Hintergründe der Fragestellung und die Grundlagen zu ihrer Beantwortung zu nennen. Im zweiten Abschnitt geht es um den Ursprung des Möglichen, im dritten Abschnitt um den Ursprung des Unmöglichen.

290 291

Heinrich von Gent: S u m m a , art. 21, qu. 4 (ed. Badius, fol. 127o): „ei de novo advenit esse existentiae". Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu 1 - 2 (ed. Wilson, 27,53).

276 1)

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Hintergründe der Fragestellung und Grundlagen zu ihrer Beantwortung

Vor einem halben Jahrhundert, als die moderne Ockham-Forschung noch in ihren Anfangen steckte, unterstellten die meisten neuscholastischen Handbücher Ockham unbegründet die Ansicht, er habe die innere Möglichkeit (Widerspruchsfreiheit) der Geschöpfe auf die Allmacht Gottes zurückgeführt.292 Das in sich Mögliche wäre demnach nur deshalb widerspruchsfrei, weil es von Gott erschaffen werden kann. Diese Ansicht legt nahe, daß Gott nach Belieben Mögliches unmöglich und Unmögliches möglich machen könnte, und führt so geradewegs in den Skeptizismus. Offenbar beruht dieser Irrtum der neuscholastischen Philosophiehistoriker auf fehlender Kenntnis oder unaufmerksamer Lektüre des entsprechendes Textes (Ord., dist. 43, qu. 2), der dies sei zugegeben! - damals auch nur schwer zugänglich war. Es ist das Verdienst von Allan B. Wolter, diesen Irrtum der Handbücher in einem Aufsatz aufgezeigt und durch die Edition der dieser Frage gewidmeten Quästion Ockhams widerlegt zu haben.293 Mit seinem Aufsatz gelang es Wolter zwar auf längere Sicht, den angeprangerten Irrtum über Ockhams Lehre weitgehend aus der Welt zu schaffen. Die Argumentationsstrategie seiner Apologie Ockhams wird aber Heinrich von Gent nicht gerecht. Nicht Ockham habe eine so erschreckende Ansicht vertreten, behauptet Wolter, sondern Heinrich von Gent; Ockham aber habe Heinrich genau in dieser Frage kritisiert.294 Damit wird die Ansicht Heinrichs von Gent entstellt, der zwar sagt, das Mögliche sei möglich, weil Gott allmächtig sei, damit jedoch nicht die in der Tat erschreckende Ansicht vertritt, Gott könne nach Belieben Unmögliches möglich oder Mögliches unmöglich machen. Anscheinend sieht Wolter Heinrich durch die Brille von Ockham und Duns Scotus, wie auch Ockham selbst Heinrich durch die Brille von Scotus betrachtet haben dürfte. Bekanntlich sieht aber Heinrich von Gent durch die Brille von Duns Scotus selten vorteilhaft aus. Ein Ausweg aus diesen vielfältigen Mißverständnissen kann nur durch die Beschäftigung mit den Originaltexten gelingen. Die Frage, weshalb das Mögliche möglich und das Unmögliche unmöglich sei, hat, soweit es die uns erhaltenen Texte erkennen lassen, erstmals Heinrich von Gent ausdrücklich und ausfuhrlich behandelt, und zwar in der dritten Quästion seines sechsten Quod292

293 294

Beispielsweise Josef Gredt: Elementa philosophiae aristotelico-thomisticae. Vol. II. 4., erw. und verb. Aufl. Freiburg: Herder 1926, 114: „Occam internam possibilitatem cum externa confundit docendo res dici possibiles respectu tantum divinae potentiae". Wolter: Ockham. Wolter: Ockham, 84.

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum

Kontradiktionsprinzip

277

libets.295 Dieses geht auf die Disputation zurück, die Heinrich im Zuge seiner akademischen Tätigkeit an der theologischen Fakultät von Paris entweder im Advent des Jahres 1281 oder in der Fastenzeit des Jahres 1282 gehalten hat. In dieser Quästion findet Heinrich den Ursprung des Möglichen in Gottes Allmacht, den Ursprung des Unmöglichen aber in diesem selbst. Im achten Quodlibet, 296 das auf Fragestellungen der Disputation im Advent 1284 antwortet, greift Heinrich das Problem des Grundes der Unmöglichkeit des Unmöglichen erneut auf und kommt nach recht knappen Erklärungen zu einer Lösung, die sich von jener unterscheidet, die er zwei oder drei Jahre zuvor vertreten hat. An dieser Stelle wird nämlich das Unmögliche ebenso auf Gott zurückgeführt wie zuvor schon das Mögliche. Diese beiden Texte bilden die Grundlage der folgenden Ausführungen. Neben diesen ausführlichen Texten verweist Marilyn McCord Adams auf eine kurze Bemerkung im fünften Quodlibet,297 das aus dem Advent von 1280 oder aus der Fastenzeit von 1281 stammt. Dort scheint Heinrich (wie später Duns Scotus) den Grund der Möglichkeit im Möglichen selbst zu sehen. Pasquale Porro wiederum hält es für denkbar, daß Heinrich im neunten Quodlibet, das aus der Disputation in der Fastenzeit von 1286 hervorgegangen ist, in seine alte Auffassung von 1281/82 zurückgefallen ist.298 Auf die Erörterung dieser Texte verzichte ich, denn sie sprechen die hier zu erörternde Frage zu kurz und beiläufig an, als daß man wagen dürfte, auf sie so weitgehende Schlußfolgerungen zu gründen.

295

296 297

298

Genaue Fragestellung nach Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 2 (ed. Wilson 32,9-14): „Secundum erat utrum impossibile quod attribuitur Deo respectu creaturarum, ut quod Deus non possit facere in creaturis vel in rebus contradictoria esse simul, oriatur causaliter ex parte Dei an ex parte creaturae, ut quod non potest fieri in creaturis, quia Deus non potest illud facere, an e converso". Genaue Fragestellung nach Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 1 (ed. Badius, fol. 299z): „Teritum, utrum aliquis possit agere quod impossibile est fieri". Marilyn McCord Adams: William Ockham. Band II. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame Press 1987 (PMS 26), 1069 unter Verweis auf Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 3 (ed. Badius, fol. 155p): „in omnibus quaestionibus quae tangunt potentiam activam in aliquid agendo, huiusmodi oportet tenere regulam, quod videlicet inspiciendum est ad potentiam passivam ex parte recipientis in se divinam actionem in fiendo, utrum scilicet potentiae activae in illo respondeat aliqua potentia passiva in isto, hoc est, utrum possibile sit fieri, vel esse, de quo quaeritur utrum possibile sit Deum facere". Porro: Possibiliä, 245 unter Verweis auf Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 32 (ed. Macken, 332,31-37): „Dicendum ad hoc quod, licet bene possit fieri aliquid circa rem aliquam miraculo a Deo per potentiam oboedientiae respectu Dei, quod impossibile est fieri circa illam a natura per potentiam ordinis naturae respectu cuiuscumque agentis naturalis, quod tarnen repugnat simpliciter, et secundum omnem potentiam naturae rei nullo modo a quocumque agente potest fieri circa illam, quia occurrerent contradictoria simul, scilicet posse fieri illud et non posse fieri".

278 2)

4. Kapitel: Heinrich von Gent Der Ursprung des Möglichen

In seiner Erklärung für den Ursprung des Möglichen greift Heinrich von Gent auf Gedanken zurück, die schon in den vorausliegenden Abschnitten dieses Kapitels dargestellt wurden. Im Hintergrund spielt die Lehre von den Ideen im Geist Gottes eine bedeutende Rolle. Ausdrücklich greift Heinrich die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver, objektiver und subjektiver Möglichkeit und zwischen der „potentia in comparatione ad suum subiectum in quo est" und der „potentia in comparatione ad suum obiectum ad quod est" auf. Das Kriterium, das die Frage entscheidet, ist jedoch die Regel des Anselm von Canterbury. α)

Die Arten des Vermögens

Heinrich kreuzt miteinander die Unterscheidungen zwischen aktiver und passiver Möglichkeit und zwischen Vermögen im Vergleich zum Subjekt und im Vergleich zum Objekt/Relat299. So teilt er das Vermögen („posse", „possibilitas", „potentia") in vier Arten ein. Zunächst unterscheidet er das aktive Vermögen und das passive Vermögen. Im vorliegenden Zusammenhang ordnet er das aktive Vermögen Gott und das passive Vermögen den Geschöpfen zu. Wir haben es also mit dem aktiven Vermögen Gottes und dem passiven Vermögen des Geschöpfs zu tun. Beide Arten des Vermögens betrachtet Heinrich anschließend erstens in bezug auf das Subjekt, in dem sie sich befinden, und zweitens in bezug auf das Objekt/Relat, auf das sie sich beziehen. Es sind also folgende vier Arten des Vermögens zu bedenken: 1 Das aktive Vermögen Gottes in bezug auf sein Subjekt (= Gott) 2 Das aktive Vermögen Gottes in bezug auf sein Objekt/Relat (= das Geschöpf). 3 Das passive Vermögen des Geschöpfs in bezug auf sein Subjekt (= das Geschöpf) 4 Das passive Vermögen des Geschöpfs in bezug auf sein Objekt/Relat (= Gott)300 299

300

Heinrich spricht von einem „obiectum", aber wenigstens im Fall der passiven Möglichkeit in bezug auf Gott klingt im Deutschen der Ausdruck „Relat", den Ludger Honnefelder: Possibilien I. Mittelalter. In: HWP 7 (1989) 1126-1135, 1129 gebraucht, besser als „Objekt". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Macken, 43,46-52): „Sed est advertendum, tarn ex parte possibilitatis Dei active quam creaturae passive, quod utramque est dupliciter considerare: aut in comparatione ad suum subiectum in quo est, vel in comparatione ad suum obiectum ad quod est, ut potentiam passivam creaturae possumus considerare in comparatione ad sub-

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip b)

279

Die Arten der göttlichen Eigenschaften

Die beiden Weisen des aktiven Vermögens, die sich von Gott aussagen lassen, fallen in verschiedene Gruppen göttlicher Eigenschaften, die Heinrich nach ihrer Würde („dignitas") bzw. Vollkommenheit bestimmt. Zunächst sind Attribute, die eine Vollkommenheit schlechthin darstellen, von Eigenschaften zu unterscheiden, die keine solche Vollkommenheit schlechthin bilden. 301 Das Unterscheidungskriterium bildet die Regel des Anselm von Canterbury, auf die Heinrich in diesem Zusammenhang verweist. 302 Jene göttlichen Eigenschaften, die keine Vollkommenheit schlechthin darstellen, aber dennoch von Gott ausgesagt werden, unterteilt Heinrich nochmals. Wenn sie nämlich keine Vollkommenheit schlechthin sind, sind sie entweder eine relative Vollkommenheit („dignitas non tarnen simpliciter") oder überhaupt keine Vollkommenheit („nihil dignitatis"), sondern eine privative Eigenschaft. 303 Es sind also drei Gruppen von göttlichen Eigenschaften zu betrachten: 1 Vollkommenheiten schlechthin („dignitates simpliciter") 2 Relative Vollkommenheiten („dignitates, non tarnen simpliciter") 3 Privative Eigenschaften ohne Vollkommenheit („nihil dignitatis") Den soeben aufgezählten Arten göttlicher Eigenschaften lassen sich die zuvor genannten beiden Weisen des aktiven Vermögens Gottes zuordnen. Das aktive Vermögen Gottes in bezug auf sein Subjekt ist nach der Regel des Anselm

stantiam creaturae, vel in respectu ad Deum, qui aliquid potest active super ipsam, et similiter potentiam activam Dei ad ipsum ut ad suiectum, et ad creaturam ut ad obiectum"; Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Macken, 4 5 , 9 7 - 0 1 ) : „quattuor sunt respectus secundum posse, duo secundum posse activum, unus quo posse Dei comparatur ad Deum ut cuius est, alius quo comparatur ad creaturam ad quam est, et duo secundum posse passivum, unus quo comparatur ad creaturam ut cuius est, alius secundum quem comparatur ad Deum ut ad quem est". 301

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 2 , 1 8 - 2 0 ) : „Dicendum ad hoc quod in omnibus quae D e o attribuuntur, considerandum est an id quod ei attribuitur, significat secundum rationem sui nominis aliquid quod est dignitatis simpliciter".

302

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 2 , 2 0 - 2 2 ) : „aliquid quod est dignitatis simpliciter, quod debet esse tale quid quod in quolibet simpliciter melius est esse ipsum quam non ipsum, secundum regulam Anselmi, quam alibi exposuimus". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 42,32-43,37): „Sed tale quod non est dignitatis simpliciter, est tale aut quia, etsi sit dignitatis, non tamen simpliciter et absolute melius est Deum esse ipsum quam non ipsum, aut quia non est aliquid dignitatis, quia nihil positive dicit, sed privative solum".

303

280

4. Kapitel: Heinrich von Gent

von Canterbury eine Vollkommenheit schlechthin, denn aktives Vermögen in bezug auf sich selbst zu besitzen ist stets besser, als es nicht zu besitzen.304 Gottes aktives Vermögen in bezug auf sein Objekt/Relat beinhaltet hingegen einen Bezug auf das Geschöpf und ist daher nur eine relative Vollkommenheit. Wie Gott nur aufgrund einer Relation zu seinen Dienern, den Geschöpfen, „Herr" genannt werden kann, so kann ihm auch nur aufgrund einer Relation zu seinen Geschöpfen aktives Vermögen in bezug auf sein Objekt/Relat zugeschrieben werden.305 Die Relation Gottes zum Geschöpf ist dabei nur gedanklicher Natur und verursacht keinerlei Abhängigkeit Gottes vom Geschöpf, während die Relation des Geschöpfs zu Gott real ist und das Geschöpf von Gott abhängig macht.306 Auf die privativen göttlichen Eigenschaften, die überhaupt keine Vollkommenheit beinhalten, kommt Heinrich erst später zurück, wenn er den Ursprung des Unmöglichen erkundet und dabei Gottes Unfähigkeit, Widersprüche zu verwirklichen, als privative Eigenschaft einstuft. c)

Die Prinzipien der Zuordnung

Diese vier Weisen des Vermögens bestehen nicht unabhängig voneinander, sondern aktives und passives Vermögen wie auch Vermögen in bezug auf das Subjekt und in bezug auf das Objekt/Relat sind einander zugeordnet. Um die Frage nach dem Ursprung des Möglichen zu beantworten, untersucht Heinrich die gegenseitigen Zuordnungen dieser Weisen des Vermögens, um ursprüngliche von abgeleiteten unterscheiden zu können. Zu diesem Zweck beruft er sich auf verschiedene philosophische und theologische Prinzipien. Die Reihe dieser Prinzipien beginnt als erstem Prinzip mit dem philosophischen Grundsatz, daß der Vergleich eines jeden Vermögens mit seinem

304

305

306

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 44,81-83): „posse in Deo respectu sui ipsius et in se consideratum est Deo dignitatis simpliciter et absolute - posse enim active secundum se melius est simpliciter cuicumque quam non posse". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 44,83-89): „posse hoc, ut consideratur in respectu ad creaturam, quamvis sit dignitatis, non tarnen est dignitatis simpliciter, quia nihil dignitatis simpliciter potest Deo inesse ex respectu ad creaturas, quia in se ipso nihil minus dignitatis habet si secundum se absolute consideratur, quam si consideratur in respectu ad creaturas, eo quod nihil dignitatis recipit a creaturis, quia .bonorum nostrorum non eget'". Die abschließende biblische Begründung ist Ps 15,2 nach Zählung und Textfassung der Vulgata entnommen. Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 43,40-41): „oritur iste respectus a creatura, in qua est relatio secundum rem et esse, et non a Deo, in quo est relatio secundum rationem et secundum dici".

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip

281

Subjekt begrifflich früher ist als der Vergleich mit seinem Objekt/Relat. 307 Was für einen anderen möglich sein soll, muß zuerst in sich selbst möglich sein. Für diesen Grundsatz beruft sich Heinrich auf den persischen Philosophen Avicenna. 308 Ohne dies ausdrücklich festzuhalten, setzt Heinrich in seiner weiteren Argumentation das zweite Prinzip voraus, daß dasselbe nicht nur für ein Vermögen gilt, sondern ebenso für ein Unvermögen. Auch der Vergleich eines jeden Unvermögens mit seinem Subjekt ist begrifflich früher als sein Vergleich mit seinem Objekt/Relat. Was für jeden anderen (vor allem für Gott, wenngleich nicht für jeden Menschen) unmöglich ist, muß zuerst in sich selbst unmöglich sein. Ein drittes Prinzip ist theologischer Natur. Es besagt, daß jede Vollkommenheit schlechthin (im Sinn der Regel des Anselm von Canterbury) zuerst Gott als dem zuzuschreiben ist, von dem sie ihren Ursprung hat. 309 Dieser Grundsatz wird durch eine Reihe von Prinzipien ergänzt, die gleichfalls theologischer Natur sind. Sie beziehen sich auf jene göttlichen Eigenschaften, die keine Vollkommenheiten schlechthin sind, also auf relative Vollkommenheiten und auf privative Eigenschaften ohne Vollkommenheit. Anders als Vollkommenheiten schlechthin werden sie zwar von Gott ausgesagt, ihm aber nicht an sich und zuerst zugeschrieben, sondern zuerst werden sie einem Geschöpf und erst wegen dessen Relation zu seinem Schöpfer auch Gott beigelegt. 310 Ein viertes Prinzip besagt also, daß jede relative Eigenschaft Gottes von Gott nicht zuerst ausgesagt wird, sondern nur aufgrund einer Relation zu einem Geschöpf. Ein fünftes Prinzip stellt entsprechend fest, daß jede privative Eigenschaft Gottes von Gott nicht zuerst ausgesagt wird, sondern nur aufgrund einer Relation zu einem Geschöpf.

307 308 309

310

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 3 , 5 8 - 6 0 ) : „prior secundum rationem est comparatio cuiuslibet potentiae ad subiectum quam ad obiectum". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 3 , 6 0 - 4 4 , 7 4 ) unter Verweis auf Avicenna: De philosophia prima IV, cap. 2 (ed. van Riet, 208,50-209,75). Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 42,22-26): „Quod si tale fuerit, qualia sunt ilia quae significantur nominibus divinorum attributorum essentialium, ut sunt sapientia, bonitas et huiusmodi, tunc simpliciter illud secundum se et primo Deo attribuendum tamquam illi a quo ortum habet". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 2 , 2 9 - 3 2 ) : „Si vero id quod attribuitur D e o secundum rationem sui nominis significat aliquid quod non est dignitatis simpliciter, tale etsi D e o attribuitur, hoc non est secundum se et primo, sed quia aliquid attribuitur creaturae, et ex respectu eius ad Deum illud D e o attribuitur".

282

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Ein sechstes Prinzip stellt fest, daß solche privativen Eigenschaften zuerst einem Geschöpf zukommen. Nach diesen Prinzipien lassen sich die vier Weisen des Vermögens, die Heinrich unterschieden hat, einander zuordnen, sodaß ihr Hervorgang auseinander und ihr letzter Grund zu ersehen sind. Das aktive Vermögen Gottes in bezug auf sein Subjekt (= Gott) ist eine Vollkommenheit schlechthin. Daher kommt es Gott nach dem dritten Prinzip zuerst zu, läßt sich also nicht aus der anderen Weise des göttlichen Vermögens und schon gar nicht aus den Weisen geschöpflichen Vermögens herleiten. Das aktive Vermögen Gottes in bezug auf sein Objekt/Relat (= das Geschöpf) ist nur eine relative Vollkommenheit. Nach dem vierten Prinzip kommt es Gott daher nicht an sich oder zuerst zu, sondern nur durch die Relation zu einem Geschöpf. Das aktive Vermögen Gottes in bezug auf das Geschöpf ist im entsprechenden passiven Vermögen des Geschöpfs in bezug auf Gott begründet. d)

Die Rückführung des Möglichen auf seinen letzten Ursprung

Damit läßt sich der Weg der Möglichkeit zu ihrem Ursprung zurückverfolgen. Er umfaßt vier Stufen, die allerdings keiner zeitlichen Abfolge entsprechen, sondern zeitgleich bestehende Beziehungen der Abhängigkeit ausdrücken. 1. Stufe: Auszugehen ist vom aktiven Vermögen Gottes in bezug auf das Geschöpf als sein Objekt/Relat. Ihm gegenüber hat nach dem ersten Prinzip das aktive Vermögen Gottes in bezug auf Gott als sein Subjekt den begrifflichen Vorrang, obwohl sich diese beiden Formen des aktiven göttlichen Vermögens nur begrifflich voneinander unterscheiden. Daher läßt sich Gottes Macht über das Geschöpf auf Gottes Macht in sich zurückfuhren. Allerdings erfolgt diese Rückführung nicht direkt. Beim aktiven Vermögen Gottes in bezug auf sein Objekt/Relat handelt es sich um eine relative Eigenschaft. Daher wird sie nach dem vierten Prinzip nicht zuerst von Gott ausgesagt, sondern nur aufgrund seiner Relation zu einem Geschöpf. Gott besitzt aktives Vermögen in bezug auf sein Geschöpf, weil das Geschöpf passives Vermögen in bezug auf Gott als sein Objekt/Relat besitzt. 2. Stufe: Das passive Vermögen des Geschöpfs in bezug auf Gott ist real identisch mit seinem passiven Vermögen in bezug auf sich selbst als sein Subjekt, aber begrifflich von ihm unterschieden. Nach dem ersten Prinzip besitzt der Vergleich eines Vermögens mit seinem Subjekt den begrifflichen Vorrang vor

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip

283

seinem Vergleich mit seinem Objekt/Relat. Daher besitzt das Geschöpf passives Vermögen in bezug auf Gott, weil es passives Vermögen in bezug auf sich selbst als sein Subjekt besitzt. Was für Gott möglich ist, muß zunächst in sich möglich und widerspruchsfrei sein. 3. Stufe: Das passive Vermögen des Geschöpfs in bezug auf sich selbst als sein Subjekt geht auf das aktive Vermögens Gottes in bezug auf sich selbst als sein Subjekt zurück. Weil Gott allmächtig ist, ist das Geschöpf in sich möglich. Über die Weise, in der das Mögliche aus der göttlichen Macht hervorgeht, verliert Heinrich nicht viele Worte. Da er selbst aber die Entstehung des Möglichen mit der Produktion der Gegenstände der göttlichen Ideen in Zusammenhang bringt,311 darf man vermuten, daß das Mögliche in ähnlicher Weise der göttlichen Macht entstammt wie die Ideate dem göttlichen Intellekt. Nur das ist möglich, wovon der Geist Gottes eine Idee enthält. Übertrieben würde die Parallele zwischen Possibilien und Ideen allerdings, wenn Gottes Macht, Intellekt und Wesen voreilig in jeder Hinsicht identifiziert und das Mögliche auf das göttliche Wesen zurückgeführt würde.312 Denn vom Intellekt erhalten die Ideate ihr „esse essentiae", das zwar notwendigerweise mit der Möglichkeit einhergeht, selbst aber nicht die Möglichkeit ist. Nicht Gottes Intellekt, sondern seine Macht bewirkt, daß die Wesen möglich sind. 4. Stufe: Damit sind die drei anderen Formen des göttlichen aktiven und des geschöpflichen passiven Vermögens auf das aktive Vermögen Gottes in bezug auf sich selbst als sein Subjekt zurückgeführt. Dieses läßt sich nicht noch weiter zurückfuhren. Da es sich bei ihm um eine Vollkommenheit schlechthin handelt, ist dies auch nicht erforderlich, denn nach dem dritten Prinzip wird jede absolute Vollkommenheit von Gott zuerst ausgesagt. Eine weitere Erklärung ist weder möglich noch nötig.313 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die präzise Formulierung Heinrichs: Vom aktiven Vermögen Gottes in sich ist („est") das passive Vermögen des Geschöpfs in sich, aber aufgrund des passiven Vermögens des Geschöpfs

311 312

313

Vgl. Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 49,10-15). Vgl. John F. Wippel: Thomas Aquinas, Henry of Ghent and Godfrey of Fontaines on the Reality of Nonexisting Possibles. In: Ders.: Metaphysical Themes in Thomas Aquinas. Washington, D. C.: The Catholic University of America Press 1984 (SPHP 10), 163-189, 183f. Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 45,02-06): „in ipsis est talis ordo, quoniam a posse Dei activo secundum se est posse passivum in creatura secundum se, et ex posse passivo creaturae secundum se concomitatur posse passivum creaturae respectu Dei, ex posse creaturae passive respectu Dei dicitur Deus posse active respectu creaturae".

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4. Kapitel: Heinrich von Gent

in bezug auf Gott wird das aktive Vermögen Gottes in bezug auf das Geschöpf ausgesagt („dicitur"). Im ersten Fall handelt es sich um eine reale Relation, im zweiten Fall um eine begriffliche.314 Warum ist also überhaupt etwas möglich und nicht vielmehr nichts? Im Sinne Heinrichs von Gent ist diese Frage zu beantworten: Letztlich ist das Mögliche deshalb möglich, weil Gott mächtig ist. Auffallend an Heinrichs Lösung ist die Unterteilung der göttlichen Macht nach ihren Bezügen zu Gott als ihrem Subjekt und zum Geschöpf als ihrem Objekt/Relat und ihre unterschiedliche Erklärung. Trotz aller Kritik in sonstigen Belangen folgt ihr Duns Scotus in dieser Doppelung der Allmacht, vernachlässigt allerdings die Macht Gottes in sich. Wilhelm von Ockham überwindet die Dualität im Allmachtsdenken zugunsten des relationalen Aspekts der Allmacht und spricht die Allmacht als absolute Vollkommenheit Gottes, die in Heinrichs Darstellung des Themas noch die Hauptrolle spielt, nicht mehr an.

3)

Der Ursprung des Unmöglichen

Verlangen Überlegungen zur Frage nach dem Ursprung des Möglichen Scharfsinn und Aufmerksamkeit, so ist die Frage nach dem Ursprung des schlechthin (d. h. auch für Gott) Unmöglichen auch aus religiösen Gründen heikel. Zweifel an Gottes unumschränkter Macht gelten als Frevel. Zwar ließen sich die besten christlichen Denker dadurch nicht davon abhalten, das in sich Widersprüchliche für unmöglich auch für Gott zu erklären. Aber eine Begründung dieser verbreiteten Ansicht muß darauf achten, die Größe Gottes nicht zu mindern. Weder darf sie Gott einem metaphysischen Prinzip unterordnen, wie die Götter der Griechen unter dem Schicksal standen, noch ihn wie einen Artisten behandeln, der jedes noch so haarsträubend unsinnige Kunststück bewältigen soll, das menschliche Phantasie sich ausdenkt. Heinrich von Gent, von dem die erste ausfuhrliche Auseinandersetzung mit diesem Problem stammt, war sich seiner Lösung nicht sofort sicher. Im sechsten und im achten Quodlibet entscheidet er die Frage nach dem ersten Grund des Unmöglichen in gegensätzlicher Weise. Diese Unterschiede sollen nicht verwischt werden, wie es bei manchen Erforschern Heinrichs geschehen

314

Zur Ergänzung dieser vereinfachten Darstellung vgl. Jos Decorte: Thomas Aquinas and Henry of Ghent on God's Relation to the World. In: Mediaevalia. Textos e Estudios 3 (1993) 91-107.

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum

Kontradiktionsprinzip

285

ist, um die Kohärenz, seines Denkens hervorzuheben. 315 Daher werde ich die beiden Positionen Heinrichs darstellen und dabei überlegen, worin sie sich voneinander unterscheiden und wie bedeutend diese Unterschiede sind. Wenn Heinrich vom Unmöglichen spricht, kann damit ein Zweifaches gemeint sein. Denn nicht nur das Widersprüchliche ist seiner Meinung nach für Gott unmöglich, sondern ebenso unmöglich ist es fur den Allmächtigen, Fabelwesen und andere Figmente zu erschaffen, von denen sein Geist keine Ideen enthält, obwohl solche Fabelwesen nach Heinrich keinen Widerspruch enthalten. Wenn Heinrich in den folgenden Texten nach dem letzten Grund der Unmöglichkeit des Unmöglichen sucht, versteht er unter dem Unmöglichen, wie seinen Ausführungen zu entnehmen ist,316 nicht widerspruchsfreie, aber nichtsdestoweniger unmögliche Figmente, sondern mit dem Unmöglichen meint er, was in sich einen Widerspruch enthält.

a)

Heinrichs Position von 1281/82 (Quodlibet VI, qu. 3)

In seinem sechsten Quodlibet verfolgt Heinrich von Gent die Fragen nach den Ursprüngen des Möglichen und des Unmöglichen zugleich. Daher orientiert sich seine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Unmöglichen an denselben Prinzipien wie seine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Möglichen, die soeben dargestellt worden ist. Es gibt allerdings auch charakteristische Unterschiede, die den Unterschied zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen ausmachen. DIE ARTEN DES UNMÖGLICHEN

Ebenso, wie sich das Vermögen in aktives und passives Vermögen einteilen läßt, wird auch hinsichtlich des Unvermögens ein aktives und ein passives Unvermögen unterschieden. Und ebenso, wie sich das Vermögen mit seinem Subjekt, in dem es sich befindet, und mit seinem Objekt/Relat, auf das es bezogen ist, vergleichen läßt, kann auch das Unvermögen mit seinem Subjekt, in dem es sich befindet, und mit seinem Objekt/Relat, auf das es bezogen ist, verglichen werden. Durch die Kreuzung dieser beiden Unterscheidungen mit-

315

316

Hoeres: Wesen, 159f erklärt, Heinrich gehe an beiden Stellen von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus, muß aber eine Spannung in Heinrichs Denken zugeben. Porro: Possibilitä, 245 erklärt das „impossibile simpliciter" falschlich zum subjektiv Unmöglichen. Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson 32,9-14); Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „de tali impossibili, puta quod contradictoria sunt simul in eodem".

286

4. Kapitel: Heinrich von Gent

einander ergeben sich, entsprechend den vier Arten des Vermögens, vier Arten des Unvermögens. Es sind dies die folgenden: 1 2 3 4

Das aktive Unvermögen in bezug auf sein Subjekt Das aktive Unvermögen in bezug auf sein Objekt/Relat Das passive Unvermögen in bezug auf sein Subjekt Das passive Unvermögen in bezug auf sein Objekt/Relat

Diese Einteilung ist nun auf den vorliegenden Fall anzuwenden, daß nämlich Gott unfähig ist, in bezug auf sein Geschöpf Widersprüche zu verwirklichen. Rein schematisch ergibt sich daraus: 1 Das aktive Unvermögen Gottes in bezug auf sein Subjekt (= Gott) 2 Das aktive Unvermögen Gottes in bezug auf sein Objekt/Relat (= das Geschöpf). 3 Das passive Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf sein Subjekt (= das Geschöpf) 4 Das passive Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf sein Objekt/Relat (= Gott) Der Mangel dieser schematischen Aufstellung zeigt sich, wenn in einem nächsten Schritt die beiden Weisen des aktiven Unvermögens Gottes den drei Arten göttlicher Eigenschaften (Vollkommenheiten schlechthin, relative Vollkommenheiten, privative Eigenschaften ohne Vollkommenheit) zugeordnet werden sollen: Das aktive Unvermögen Gottes in bezug auf ihn selbst als sein Subjekt läßt sich keiner der drei Gruppen göttlicher Eigenschaften zuteilen. Ein Unvermögen ist als Privation eines Vermögens zu begreifen. Der Privation, so scheint Heinrich an dieser Stelle vorauszusetzen, haftet jedoch stets Unvollkommenheit an. Daher ist kein Unvermögen eine Vollkommenheit schlechthin, die zu besitzen stets besser wäre, als sie nicht zu besitzen, und die Gott nach dem dritten Prinzip zuerst und an sich zukäme.317 Ebenso läßt sich ein aktives Unvermögen Gottes in bezug auf sich selbst als sein Subjekt nicht als relative Vollkommenheit oder als privative Eigenschaft von Gott aussagen. Denn dies ist nur infolge einer Relation zu einem Geschöpf denkbar, die aber gerade dadurch ausgeschlossen wird, daß es sich um Gottes Unvermögen in bezug auf Gott selbst als sein Subjekt handelt, also

317

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 46,36-47,41): „Descendendo ergo ad propositum dicimus de impossibili quod dicitur privative et realiter: non imponitur nisi a privatione eius quod est vere positivum, - cuiusmodi est potentia activa aut passiva - , quod in creaturis habet esse secundum se et per se et in respectu ad Deum, cui impossibile attribuitur ex respectu impossibilis in creatura ad ipsum, et nullo modo secundum se et ex se".

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum

Kontradiktionsprinzip

287

nicht um ein Unvermögen durch einen Bezug (d. h. eine Relation) zu einem Geschöpf. Da die dreifache Einteilung der göttlichen Eigenschaften vollständig ist, folgt daraus: Ein aktives Unvermögen Gottes in bezug auf sich selbst als sein Subjekt gibt es nicht und kann daher auch nicht von Gott ausgesagt werden, schon gar nicht zuerst und an sich.318 Anders verhält es sich mit dem aktiven Unvermögen Gottes in bezug auf das Geschöpf als sein Objekt/Relat. Als Unvermögen ist diese Eigenschaft die Privation eines Vermögens. Da es auf das Geschöpf bezogen ist, läßt es sich von Gott aussagen, sofern ein entsprechendes passives Unvermögen eines Geschöpfs in bezug auf Gott gegeben ist. Das aktive Unvermögen Gottes in bezug auf sein geschöpfliches Objekt/Relat ist also eine privative Eigenschaft Gottes, die zwar keinerlei Vollkommenheit ausdrückt, ihm aber durch eine Relation mit einem Geschöpf zukommt.

D I E R Ü C K F Ü H R U N G DES U N M Ö G L I C H E N A U F SEINEN LETZTEN U R S P R U N G

Wie im Fall des Möglichen forscht Heinrich von Gent die gegenseitigen Zuordnungen zwischen den drei Arten des Unvermögens aus, die nach Abzug des auszuschließenden aktiven Unvermögens Gottes in bezug auf ihn selbst als sein Subjekt verbleiben. Zu diesem Zweck greift er auf die Prinzipien zurück, mit denen er schon auf der Suche nach dem Ursprung des Möglichen gearbeitet hat. Aufgrund dieser Prinzipien verfolgt Heinrich von Gent das Unmögliche bis in seinen letzten Grund zurück. Anders als das Mögliche umfaßt der Weg des Unmöglichen nur drei Stufen, die zur ersten, zweiten und dritten Stufe des Möglichen parallel laufen. 1. Stufe: Auszugehen ist von der Feststellung, daß Gott das Widersprüchliche nicht tun kann. Es gibt ein aktives Unvermögen Gottes in bezug auf sein Objekt/Relat. Dabei handelt es sich um eine privative Eigenschaft Gottes. Nach dem fünften Prinzip wird eine solche privative Eigenschaft von Gott niemals zuerst ausgesagt, sondern immer nur aufgrund der Relation zu einem geschöpflichen Unvermögen. Gott kann das Unmögliche also deshalb nicht tun, weil das Unmögliche von Gott nicht getan werden kann, weil also ein passives Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf Gott als sein Objekt/Relat besteht.

318

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 7 , 4 7 - 4 8 ) : „nullo autem modo attribuitur [seil, impossibile] ipsi [seil. Deo] secundum se et ex se ipso".

288

4. Kapitel: Heinrich von Gent

2. Stufe: Nach dem zweiten Prinzip besitzt der Vergleich eines Unvermögens mit seinem Subjekt den begrifflichen Vorrang vor seinem Vergleich mit seinem Objekt/Relat. Daher ist das passive Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf Gott auf das passive Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf sich selbst als sein Subjekt zurückzuführen. Das Widersprüchliche kann deshalb nicht von Gott gemacht werden, weil es in sich widersprüchlich ist. 3. Stufe: An dieser Stelle enden die Erklärungen. Eine Rückführung des passiven Unvermögens des Geschöpfs in sich auf ein aktives Unvermögen Gottes in sich entfallt, weil es ein solches aktives Unvermögen Gottes in sich nicht gibt. Denn dabei müßte es sich um eine privative Eigenschaft handeln, die Gott nach dem fünften Prinzip nur aufgrund der Relation zu einem Geschöpf, niemals aber in sich zugeschrieben werden darf. Stattdessen enden die Erklärungen mit dem passiven Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf sich selbst als dem Subjekt, in dem es sich befindet. Denn nach dem sechsten Prinzip wird es zuerst und an sich vom Geschöpf ausgesagt. Was in sich widersprüchlich ist, kann einfach deshalb nicht gemacht werden, weil es in sich widersprüchlich ist. Eine weitere Begründung ist weder möglich noch erforderlich.319 Der letzte Grund der Unmöglichkeit des Unmöglichen liegt also nicht in Gott, sondern im Geschöpf. Weil das Unmögliche in sich unmöglich ist, deshalb kann es auch Gott nicht machen. Während das Mögliche möglich ist, weil Gott es machen kann, kann Gott das Unmögliche nicht machen, weil es in sich unmöglich ist. Die Rückführungen des Unmöglichen und des Möglichen auf ihre letzten Gründe laufen über drei Stufen parallel. Das aktive Vermögen bzw. Unvermögen Gottes in bezug auf sein Objekt/Relat wird auf das passive Vermögen bzw. Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf sein Objekt/Relat und dieses passive Vermögen bzw. Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf sein Objekt/Relat wiederum auf das passive Vermögen bzw. Unvermögen des Geschöpfs in bezug auf sein Subjekt zurückgeführt. An dieser Stelle endet die Parallele. Das passive Vermögen des Geschöpfs in sich läßt sich auf das aktive Vermögen Gottes in sich zurückfuhren, während das passive Unvermögen des Geschöpfs in sich keine weitere Rückführung zuläßt. Es wird vielmehr dem Geschöpf zuerst und an sich zugeschrieben. Das passive Vermögen des Geschöpfs in sich kann hingegen nicht zuerst

319

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 7 , 4 5 ^ 8 ) : „sie impossibile simpliciter primo attribuitur creaturae secundum se, et ex hoc in respectu ad Deum, ex quo demum attribuitur Deo in respectu ad creaturas, nullo autem modo attribuitur ipsi secundum se et ex se ipso".

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum

Kontradiktionsprinzip

289

und an sich dem Geschöpf zugeschrieben werden, sondern das aktive Vermögen Gottes an sich wird zuerst und an sich Gott zugeschrieben, während es ein aktives Unvermögen Gottes in sich nicht gibt.320 Wie ein Unvermögen im Geschöpf gründen kann, ohne Gottes Macht zu mindern, erläutert Heinrich durch einen Vergleich, den ich sein „Sonnengleichnis" nennen möchte. Nach dem hochmittelalterlichen Weltbild Heinrichs zigeunert die Sonne nicht als unbedeutender Stern am Rand des Universums, sondern erleuchtet das All. Doch nicht einmal sie kann jenseits der äußersten Umlaufbahn etwas erhellen. Dies beruht nicht auf einem Mangel ihrer Leuchtkraft, sondern darauf, daß sich jenseits der äußersten Umlaufbahn kein Himmelskörper mehr bewegen kann, den das Sonnenlicht erhellen könnte. Ebenso liegt der Grund dafür, daß Gott Unmögliches nicht machen kann, nicht in einem Mangel der Macht Gottes, sondern darin, daß es kein Geschöpf gibt, das in sich Widersprüche vereinigen könnte. 32 '

b)

Heinrichs Position von 1284 (Quodlibet VIII, qu. 3)

Daß Heinrich von Gent das Mögliche auf Gott, das Unmögliche aber auf das Geschöpf, beides also auf verschiedene letzte Gründe zurückgeführt hat, ist zwar aus den Prinzipien, die seine Lösung bestimmen, einsichtig, erschien jedoch später Duns Scotus als Inkonsequenz.322 Zwei bis drei Jahre nach seiner ersten Behandlung des Problems wurde Heinrich in einer weiteren Disputation dieselbe Frage erneut gestellt. Seine Antwort, enthalten im achten Quodlibet, unterscheidet sich von der eben dargelegten des sechsten Quodlibets. Zwar hält Heinrich, ohne seinen früheren Ausführungen weitere Überlegungen hinzuzufügen, nach wie vor daran fest, daß das Mögliche seinen letzten

320

321

322

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 8 , 6 6 - 7 3 ) : „non tarnen eodem modo possibile et impossibile in creatura dicuntur respectu possibilis et impossibilis in Deo, quoniam possibile in creatura passive dicitur respectu possibilis in Deo active, ut a quo habet esse in creatura, quia habet esse primo in Deo; impossibile vero in creatura passive dicitur respectu impossibilis in Deo active, non ut a quo habet esse in creatura, sed quia ex eo quod impossibile creaturae dicitur in respectu ad Deum, ideo e converso dicitur esse impossibile in Deo in respectu creaturae". Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 7 , 4 8 - 5 7 ) : „Et hoc quoniam, quemadmodum non posse illuminare aliquid extra extremam circumferentiam caeli attribuitur soli quia impossibile est ibi esse aliquid illuminabile, non quia ipse in se secundum se habeat aliquam impotentiam ad illud, immo quantum in se est, ipse sol aeque potens est ad illuminandum supra caelum sicut infra, sic non posse facere contradictoria esse simul attribuitur D e o quod impossibile est quod ipsa in se recipiant simultatem, nec est huius aliqua ratio requirenda ex parte Dei, sive ex parte idearum sive alio modo, quia non habet rationem nisi pure privativam, quae ex parte Dei secundum se inveniri non potest, ut patet in exemplo de sole". Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 10 (Vat. VI 355,13-356,4).

290

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Grund in Gott hat.323 Doch anders als zuvor findet er nun auch den Grund des Unmöglichen in Gott. In den Augen von Duns Scotus wird Heinrichs Lösung durch diese Veränderung zwar konsequent, aber leider auch konsequent falsch.324 DIE ARTEN DES UNMÖGLICHEN

Heinrich unterscheidet zunächst zwischen objektiv und subjektiv Unmöglichem und unterteilt das subjektiv Unmögliche in das für einen jeden Unmögliche und in das nur fur manche Unmögliche. Es sei auf die diesbezüglichen Erklärungen im vorangehenden Abschnitt verwiesen.325 Wenn Heinrich von Gent anschließend die Frage erörtert, worin der Grund für die Unmöglichkeit des Unmöglichen besteht, dann versteht er das Unmögliche nach der ersten seiner zuvor aufgestellten drei Arten, also als objektiv Unmögliches. Denn nur nach dieser ersten Art ist das Unmögliche schlechthin unmöglich. Die Annahme einer subjektiven Unmöglichkeit gilt nur für den natürlichen Bereich, nicht aber für den übernatürlichen und deshalb auch nicht schlechthin und allgemein.326 Heinrich sucht also den Ursprung des schlechthin Unmöglichen. Schlechthin unmöglich ist, was nicht bloß für irgend jemanden und unter gewissen Umständen, sondern stets und für jeden unmöglich ist. Da Gottes Macht unendlich ist, schließt sie alle geschöpfliche Macht in sich. Gott vermag alles, was ein Geschöpf tun kann; aber kein Geschöpf kann tun, was nicht einmal Gott vermag. Daher ist schlechthin unmöglich, was Gott nicht vermag (und daher auch kein Geschöpf). Schlechthin möglich ist hingegen, was irgendein Geschöpf (und daher auch Gott) tun kann.327

323

324 325 326 327

Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „sicut et in affirmativa non dicitur Deum possibile aliquid facere, quia illud possibile est fieri, sed econverso, quia Deus potest illud facere, ideo possibile est fieri aut obiective aut subiective". Vgl. Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 5 (Vat. VI 354,1-2). Vgl. oben IV., 1)! Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q). Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 48,75-91): „dicitur e converso impossibile active in illa altera creatura respectu prioris, quoniam ex impossibili passive unius creaturae est impossibile secundum quid respectu impossibilis active alterius creaturae, simpliciter vero est impossibile respectu impossibilis in Deo. (...) Unde quod est possibile respectu agentis creati est possibile simpliciter, non quia est possibile illi, sed quia est possibile respectu agentis increati: maior enim virtus includit minorem. Si enim sit aliquid possibile agenti increato, simpliciter est possibile, etsi non sit possibile agenti creato. Similiter, quod est impossibile agenti increato, est impossibile agenti creato, et est simpliciter impossibile, non quia est impossibile agenti creato, sed quia est impossibile agenti increato: quod enim est impossibile agenti creato, ex hoc non est impossibile simpliciter, si sit solum possibile agenti increato"; vgl.

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip

291

Dies veranschaulicht Heinrich an einem biblischen Beispiel: Daß der todkranke König Hiskija überlebt, ist zwar für Menschen unmöglich. Doch es ist nicht schlechthin unmöglich, weil Gott dem kranken König das Leben schenken kann und es nach dem biblischen Bericht auch tatsächlich getan hat (vgl. 2 Kön 20,1-11; Jes 38,1-8). 328 Aus diesen Überlegungen schließt Heinrich, daß das schlechthin Unmögliche und das für Gott Unmögliche ausdehnungsgleich sind. Gott kann nichts tun, was schlechthin unmöglich ist, und was Gott nicht tun kann, ist schlechthin unmöglich. 329 DIE RÜCKFÜHRUNG DES UNMÖGLICHEN AUF SEINEN LETZTEN URSPRUNG

Nach dieser Feststellung über den Umfang dessen, was Gott nicht tun kann, wendet sich Heinrich erneut der Frage zu, weshalb Gott das Unmögliche nicht tun kann und worin der Grund der Unmöglichkeit des Unmöglichen besteht. Anders als im sechsten Quodlibet gibt er jedoch keine Prinzipien an, nach denen sich seine Antwort auf diese Frage richtet. Es ist anzunehmen, daß es sich um dieselben Prinzipien handelt wie im sechsten Quodlibet. Insbesondere ist hier an das dritte Prinzip zu denken, daß Vollkommenheiten schlechthin (wie sie durch die Regel des Anselm von Canterbury bestimmt werden) Gott zuerst und an sich zuzuschreiben sind. Anders als zwei bis drei Jahre früher meint Heinrich mittlerweile nicht mehr, daß jedes Unvermögen notwendigerweise auch eine Privation ist und eine Unvollkommenheit beinhaltet, sodaß es von Gott nur infolge einer Relation zu einem Geschöpf ausgesagt werden kann. Zwar ist Macht in sich immer noch eine Vollkommenheit schlechthin. Aber nicht jede Fähigkeit zu irgendetwas zeugt von Macht. So kann Gott beispielsweise nicht sündigen, ohne Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol 304q): „Non ei est impossibile simpliciter nisi quod est impossibile simpliciter potenti, non autem quod est impossibile alicui non simpliciter potenti, quemadmodum non est simpliciter dulce aut amarum nisi quod est dulce aut amarum respectu gustus simpliciter bene dispositi". 328

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 3 (ed. Wilson, 4 7 , 6 1 - 6 3 und 4 8 , 7 9 - 8 2 ) : „Ezechiam enim supervivere, licet erat impossibile respectu potentiae activae creaturae, non tarnen erat impossibile simpliciter, quia non erat impossibile respectu Dei ( . . . ) Non einem sequitur: ,Ezechias non potuit supervixisse agente potentia naturali, ergo non potuit supervixisse simpliciter et absolute', sed sequeretur: ,Νοη potuit supervixisse potentia supernaturali divina agente, ergo simpliciter et absolute non potuit supervixisse'".

329

Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „ita quod nihil sit impossibile deum agere, quin illud sit impossibile fieri, et econverso nihil est impossibile fieri quin sit impossibile deum agere illud, et sie nihil potest deus agere quod est impossibile fieri. Ita quod magnum inconveniens est dicere deum posse aliquid agere secundum quemeumque cursum et ordinem rerum, quod secundum se simpliciter impossibile est fieri".

292

4. Kapitel: Heinrich von Gent

daß dies seine Allmacht einschränkt. Ebenso kann er keine Widersprüche verwirklichen, denn dies hieße, die Ordnung der Dinge zu verwirren. Die Fähigkeit dazu beweist aber gerade keine Macht, sondern Ohnmacht („impotentia").330 Umgekehrt ist die Unfähigkeit, Widersprüche zu verwirklichen, keine Privation, sondern im Gegenteil Ausdruck der göttlichen Macht. Nicht wegen eines Mangels an Macht kann Gott nichts Unmögliches tun, sondern wegen der Fülle seiner Macht. Nicht aus Ohnmacht, sondern machtvoll kann er Unmögliches nicht tun.331 Die Gründe, das Unmögliche nunmehr auf Gott zurückzufuhren, fuhrt Heinrich nur summarisch an. Es sei höchst unangemessen („magnum inconveniens"), auf Seiten des Unmöglichen den Grund für seine Unmöglichkeit zu finden. Das sei, als würde man auch das aktive Vermögen Gottes auf die innere Möglichkeit des Geschöpfs, nicht auf die Macht des Schöpfers zurückführen.332 Es geht also darum, daß Mögliches und Unmögliches konsequent gleichartigen Quellen entspringen. Vor allem aber ist nicht jedes Unvermögen ein Mangel an Macht, sondern im konkreten Fall ist Gottes Unfähigkeit zum Widersprüchlichen eher als Vollkommenheit schlechthin zu begreifen. Jedenfalls fuhrt Heinrich sie wie eine Vollkommenheit schlechthin auf Gott als ersten und unhinterfragbaren Grund zurück. So revidiert Heinrich seine frühere Darstellung und führt die Unfähigkeit, Widersprüche zu verwirklichen, ebenso wie die Fähigkeit, alles Widerspruchsfreie zu tun, auf Gott selbst zurück.333

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331

332

333

Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „immo nec in eo [seil. Deo] est potentia ad hoc facere [seil, quod contradictoria sunt simul in eodem], sicut non est in eo potentia ad peccare, quia illud esset omnem ordinem rerum confundere, quod posse non est potentiae, sed impotentiae". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „nec est propter impotentiam aut defectum potentiae, sed propter potentiae abundantiam, ut de talibus bene dicatur quod deus potenter non possit ea facere". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „Est etiam magnum inconveniens dicere de tali impossibili puta quod contradictoria sunt simul in eodem, quod non est impossibile quia deus non potest facere hoc, sed quia hoc non potest fieri, quasi restet non ex parte dei quin in ipso sit potentia activa ad hoc faciendum sed ex parte facti, quia non est in ipso potentia ad hoc fieri". Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q): „Ita quod non est verum dicere de impossibili simpliciter quod deus non potest illud facere quia non potest fieri, sed potius non potest fieri quia deus non potest facere".

Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum 4)

Kontradiktionsprinzip

293

Resümee

Heinrich von Gent fuhrt also konsequent die Möglichkeit des Möglichen auf Gottes Macht als ihren letzten Grund zurück. Wenigstens im achten Quodlibet fuhrt er auch das Unmögliche auf Gottes Macht zurück, die gerade aufgrund ihrer Vollkommenheit unfähig ist, Widersprüche zu verwirklichen. Bedeutet dies nun, daß Gott nach Heinrich, wie er gelegentlich gedeutet wurde, 334 nach Belieben Mögliches unmöglich und Unmögliches möglich machen könnte? Belieben beinhaltet eine Tätigkeit des Willens. Doch gerade der göttliche Wille wurde weder in der Produktion der Ideen noch in der Herleitung des Möglichen aus der göttlichen Macht jemals erwähnt. Daher ist das Mögliche möglich und das Unmögliche unmöglich, ohne daß Gottes Wille darüber entscheiden könnte. Gottes Wille ist zwar den Geschöpfen gegenüber frei, doch nicht frei ist er in bezug auf das göttliche Wesen. Daher kann er weder das Wesen selbst noch die aus ihm sich ergebenden Weisen bestimmen, wie es durch mögliche Geschöpfe nachgeahmt werden kann. Ebenso vermag der Wille über die mit dem Wesen real identischen Eigenschaften und Attribute Gottes nicht zu verfugen. Dazu zählt jedoch die Macht Gottes. Gott ist notwendig allmächtig. Daher kann er, was er zu tun vermag, mit Notwendigkeit. Der göttliche Wille kann zwar wählen, was geschieht. Er kann aber nicht die Möglichkeiten bestimmen, die ihm der Intellekt zur Wahl vorlegt und die in der Macht Gottes gründen. Im Rückblick auf das gesamte Kapitel scheint mir, daß ein Grundgedanke des Heinrich von Gent, der letztlich auch seine Lösung der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Macht Gottes und dem Möglichen bzw. Unmöglichen bestimmt, in der absoluten Vollkommenheit Gottes zu finden ist. Die Vollkommenheit Gottes bestimmt seine Lehre von den Ideen im göttlichen Intellekt, die er als Relationen der Nachahmbarkeit der göttlichen Vollkommenheit durch beschränkte Geschöpfe deutet. Indirekt bestimmt sie auch seine Lehre vom Möglichen und Unmöglichen, indem sich an der Vorhandenheit von Ideen in Gott entscheidet, ob etwas möglich ist, als „res a ratitudine" gilt und ein „esse essentiae" besitzt oder ob es unmöglich, fiktiv und bloß eine „res a reor reris" ist. Der Gedanke der göttlichen Vollkommenheit bestimmt auch

334

Vgl. Ludger Honnefelder: Scientia transcendes. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus-Suarez-Wolff-KantPeirce). Hamburg: Meiner 1990 (Paradeigmata 9), 71, w o allerdings eher die Meinung des Duns Scotus als die des Verfassers ausgedrückt wird.

294

4. Kapitel: Heinrich von Gent

Heinrichs Lehre von den göttlichen Attributen, was sich besonders in seiner Würdigung der Regel des Anselm von Canterbury ausdrückt. In Heinrichs Lösung der Frage nach dem Verhältnis der göttlichen Macht zum Möglichen bzw. Unmöglichen läßt sich der Ansatz bei der Vollkommenheit Gottes besonders gut darstellen. Weil Gott vollkommen ist und sich seine Vollkommenheit in geschöpflichen Grenzen nachahmen läßt, gibt es Ideen vom Möglichen. Weil Gott vollkommen ist und alle Eigenschaften in sich vereint, die eine Vollkommenheit schlechthin bedeuten, besitzt er aktives Vermögen in sich. Weil Gott aktives Vermögen in sich besitzt, ist das Mögliche möglich. Auch in der Frage nach dem letzten Grund der Unmöglichkeit des Unmöglichen bildet die Orientierung an der göttlichen Vollkommenheit den bleibenden Rahmen, nach dessen Vorgaben sich Heinrichs wechselnde Lösungen richten. Wenn er im sechsten Quodlibet den letzten Grund der Unfähigkeit Gottes, Widersprüche zu verwirklichen, im in sich Unmöglichen findet, sieht er in keiner Unfähigkeit irgendein Anzeichen von Vollkommenheit und vermeidet es daher, sie auf Gott zurückzufuhren. Wenn er im achten Quodlibet die Unfähigkeit Gottes zum Widersprüchlichen auf Gott zurückfuhrt, betrachtet er sie nicht länger als privative Eigenschaft, sondern als Anzeichen von Macht und Vollkommenheit und scheut sich daher nicht länger, sondern fühlt sich gedrängt, ihren letzten Grund in der göttlichen Vollkommenheit zu sehen. Heinrichs Position ergibt sich also konsequent aus den Voraussetzungen, von denen aus er die Fragen nach dem Verhältnis von Allmacht und Widersprüchlichkeit und nach dem Grund von Möglichkeit und Unmöglichkeit betrachtet. Da weder Johannes Duns Scotus noch Wilhelm von Ockham diese Voraussetzungen teilen, gelangen sie in derselben Frage zu anderen Ergebnissen und kritisieren ihren Vorläufer Heinrich von Gent.

5. KAPITEL

Johannes Duns Scotus: Die Widerspruchsfreiheit als Prinzip der Allmacht

I.

Biographische Einfuhrung zu Johannes Duns Scotus

Das kurze, aber schaffensreiche Leben des Johannes Duns Scotus tritt wie bei so vielen mittelalterlichen Autoren hinter seinem Werk zurück.1 Was wir davon wissen, faßt die Inschrift am Grab des „Doctor subtilis" mit den Worten zusammen: „Scotia me genuit, Anglia me suscepit, Gallia me docuit, Colonia me tenet". Damit sind die vier wichtigsten Abschnitte seines Lebensweges und Stätten seines Wirkens genannt.

1 Grunddaten zur Biographie: Andrew G. Little und Franz Pelster: Oxford Theology and Theologians c. A. D. 1282-1302. Oxford: Clarendon 1934, 261-262; Ludger Meier: Zur Biographie des Duns Skotus. In: WiWei 15 (1952) 216-221; Charles Balic: Duns Scot. In: DSp 3 (1957), 18011818, 1802f; Charles Balic: The Life and Works of John Duns Scotus. In: John Duns Scotus, 1265-1965. Hrsg. v. John K. Ryan und Bernardine M. Bonansea. Washington, D. C.: The Catholic University of America Press 1965 (SPHP 3), 1-27; Allan B. Wolter: Reflections on the Life and Works of Scotus. In: American Catholic Philosophical Quarterly 67 (1993) 1-36; William J. Courtenay: Scotus at Paris. In: via scoti. Methodologica ad mentem Joannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale. Roma 9 - 1 1 marzo 1993. Hrsg. v. Leonardo Sileo. Vol. I. Roma: Paa - Edizioni Antonianum 1995 (Medioevo 1), 149-163; Allan B. Wolter: Duns Scotus at Oxford. In: via scoti. Methodologica ad mentem Joannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale. Roma 9 - 1 1 marzo 1993. Hrsg. v. Leonardo Sileo. Vol. I. Roma: Paa - Edizioni Antonianum 1995 (Medioevo 1), 183-192; Allan B. Wolter, William A. Frank: Duns Scotus, Metaphysican. West Lafayette: Purdue University Press 1995 (Purdue University Press Series in the History of Philosophy), 1-16; Dietrich Esser: Johannes Duns Scotus. Leben, Gestalt und Verehrung. Aus dem Nachlaß hrsg. v. Herbert Schneider. Mönchengladbach 2000 (RhFr 15), 1 40.

296 1)

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus „Scotia me genuit"

Von Geburt, Herkunft und Jugend des Johannes Duns Scotus wissen wir kaum mehr, als sich aus späteren Angaben rückschließen läßt. Das erste genaue Datum aus seinem Leben ist der 17. März 1291, an dem Scotus in Northhampton vom Bischof von Lincoln, Oliver Sutton, zum Priester geweiht wurde.2 Zu diesem Zeitpunkt war Scotus schon Franziskaner. Da die Weihe in Northhampton stattfand, hielt er sich schon in England auf, vermutlich zum Studium in Oxford. Da die Priesterweihe damals ein Mindestalter von 25 Jahre voraussetzte, wurde Scotus spätestens 1266 geboren. Ähnlich wie „Ockham" wurde der Name „Duns" zwar schon vielfach als Eigenname verstanden, dürfte aber ursprünglich die Herkunft angegeben haben. Daher läßt sich aus ihm der Geburtsort des Duns Scotus erschließen, nämlich das Dorf Duns in Schottland. Die schottische Herkunft drückt sich auch im Beinamen „Scotus" („der Schotte") aus. Zwar konnte zeitweise auch ein Irländer als „Scotus" bezeichnet werden wie etwa Johannes Scotus Eriugena (ca. 810-ca. 877). Aber die Liste der im Jahre 1303 aus Frankreich verbannten Franziskaner unterscheidet zwischen Schotten und Iren und zählt Duns Scotus zu den Schotten. Vermutlich Schloß sich Duns Scotus schon in früher Jugend dem Franziskanerorden an. Über die Einzelheiten seiner Schulbildung und seines Studiums schweigen die Quellen.

2)

„Anglia me suscepit"

In der Zeit, für die uns die ersten genaueren Angaben über Duns Scotus bekannt sind, hielt er sich schon in England auf. Wie erwähnt, legt das erste urkundlich bezeugte Datum, die Priesterweihe am 17. März 1291, seinen Aufenthalt in Oxford nahe. Das nächste Mal scheint Duns Scotus in einer Urkunde vom 26. Juli 1300 auf. Sein Name steht auf einer Liste von zweiundzwanzig Franziskanern, für die der Ordensprovinzial der englischen Provinz den Bischof Johannes Dalderby von Lincoln um die Erlaubnis ersuchte, in der Beichte von Sünden loszusprechen, deren Absolution ansonsten dem Bischof selbst vorbehalten war. Der Bischof gewährte die gewünschte Erlaubnis nur acht Kandidaten. Duns Scotus war nicht darunter. Aus diesem Dokument geht hervor, daß sich Duns 2

Ephrem Longpre: L'ordination sacerdotale du bx. Jean Duns Scot. Document du 17 mars 1291. In: AFH 22(1929) 54-62.

Biographische Einführung zu Johannes Duns Scotus

297

Scotus um 1300 im Bistum Lincoln aufhielt, d. h. naheliegenderweise an der Universität Oxford. 3 Allerdings bezeichnet dieses Gesuch ihn noch nicht (wie zwei andere Kandidaten) als Magister. Eine Anmerkung in einem Manuskript läßt vermuten, daß Duns Scotus 1301 als Opponent an einer Disputation in Oxford teilgenommen hat.4 All dies weist darauf hin, daß Duns Scotus an der Universität Oxford studiert und gelehrt hat. Daneben gibt es weniger konkrete Hinweise auf eine Lehrtätigkeit in Cambridge. 5 Wann und unter welchen Umständen diese stattgefunden hat, ist unbekannt.

3)

„Gallia me docuit"

Daß Frankreich Duns Scotus gelehrt habe, ist nicht so zu verstehen, als hätte er als Student in Paris gelebt. Entgegen früheren Annahmen, spricht nichts dafür und manches dagegen, daß Duns Scotus in Paris studiert habe.6 Wahrscheinlich betrat er also zum ersten Mal französischen Boden, als er im Studienjahr 1302/3 eine Sentenzenvorlesung an der Universität von Paris hielt. Darin ist eine hohe Ehre fiir den jungen Dozenten zu sehen, nicht eine Verlegenheitslösung angesichts schlechter Aussichten in Oxford. Während Duns Scotus in Paris lehrte, erreichte der schon länger schwelende Streit zwischen König Philipp IV. von Frankreich (1268-1314, reg. ab 1285, genannt „Philipp der Schöne") und Papst Bonifaz VIII. (ca. 1235-1303, Papst ab 1294) seinen Höhepunkt. Der Papst exkommunizierte den König, weil dieser kirchliche Güter besteuerte, um seinen Krieg gegen England zu finanzieren. Gegen diese Maßnahme appellierte Philipp IV. an ein allgemeines Konzil. In diese Streitigkeiten wurden auch die Universität und die Orden verwickelt. Daraufhin befragten am 25. Juni 1303 königliche Beamte alle Franziskaner in Paris, von denen sich etwa siebzig, meist von französischer Herkunft, auf die Seite des Königs, mehr als achzig aber auf die Seite des Papstes stellten. Letztere wurden aus dem Königreich verbannt. Unter diesen Verbannten befand sich auch Johannes Duns Scotus.7 Da der Papst zwar am

3 4 5

6 7

Vgl. Little, Pelster: Theology, 262. Ephrem Longpre: Philippe de Bridlington, Ο. F. Μ. et le Bx. Suns Scot. In: AFH 22 (1929) 5 8 7 588. Scotus: Ord. I, dist. 4, pars 1, qu. un., η. 1 (Vat. IV 1,6): „Alia quaestio, de ,alius'. - Habetur in quaestione cantabrigiensi"; Andre Callebaut: Le Bx. Jean Duns Scot ä Cambridge vers 12971300. In: AFH 21 (1928) 6 0 8 - 6 1 1 . Courtenay: Scotus, 157; Wolter: Oxford, 183f. Vgl. Little, Pelster: Theology, 262.

298

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

7. September 1303 einen Überfall des französischen Kanzlers Wilhelm von Nogaret (gest. 1313) ohne unmittelbaren Schaden überstand, aber infolge der Aufregung bereits am 11. Oktober desselben Jahres starb und sein Nachfolger Benedikt XI. (1240-1304, Papst ab 1303) sich um die Beilegung des Konfliktes bemühte, waren die Verbannten schon wieder zurück, bevor das Studienjahr im Sommer 1304 endete. Wo sich Duns Scotus während seines Exils aufgehalten hat, ist ein Rätsel. Am 18. November 1304 empfahl der Generalminister des Franziskanerordens, Gonsalvus Hispanus (gest. 1313), in einem Brief an das Provinzialkapitel in Paris Johannes Duns Scotus für das Magisteramt an der Pariser Universität. Darin nennt er ihn „dilectum in Christo Patrem Ioannem Scotum, de cuius vita laudabili, scientia excellenti, ingenioque subtilissimo aliisque insignibus conditionibus suis, partim experientia longa, partim fama, quae ubique divulgata est, informatus sum". 8 Was der Generalminister mit „experientia longa" meint, läßt sich im einzelnen nur vermuten. Scotus und Gonsalvus wurden zusammen aus Frankreich verbannt. Wahrscheinlich nahm Scotus an der Disputation des Gonsalvus gegen Meister Eckhart (ca. 1260-1328) teil.9 Entsprechend der Empfehlung seines Ordensgenerals wurde Duns Scotus 1305 an der Pariser Universität „Magister actu regens" und lehrte bis 1307.

4)

„Colonia m e tenet"

Nach kurzer, aber intensiver Lehrtätigkeit in Wort und Schrift verließ Duns Scotus Paris 1307, um in Köln als Lektor im dortigen Franziskanerkloster zu wirken. Die Gründe für diesen auffallend raschen Ortswechsel sind unbekannt. Am 20. Februar 1308 unterschrieb Duns Scotus auf einem Provinzkapitel ein Dokument als „Fr. Johannes, lector Coloniae". 10 Seine Tätigkeit in Köln währte nicht lange, denn schon nach einem Jahr, am 8. November 1308, verstarb er. Sein beeindruckendes Werk schuf er also in einer Lebenszeit von nur etwa 42 Jahren. Duns Scotus wurde in Köln in der Minoritenkirche beigesetzt, wo sein Grab, zwar mehrfach versetzt, bis heute zu finden ist.

8 9

10

Andrd Callebaut: La maitrise du bx. Jean Duns Scot en 1305, son depart de Paris en 1307 durant la preparation du proces contre les Templiers. In: AFH 21 (1928) 206-239, 209. Raymund Klibansky: Commentariolum de Eckardi magisterio. In: Eckhard: Quaestiones Parisienses. Hrsg. v. Antoine Dondaine. Leipzig: Meiner 1936 (Magistri Eckhardi Opera Latina, vol. 13), XII-XXXV, XXX-XXXIII. Vgl. Esser: Scotus, 36.

Die Lehre von den göttlichen

Attributen

299

Sein Scharfsinn, den auch Ockham ausdrücklich hervorhob," brachte ihm den Ehrentitel „Doctor subtilis" („scharfsinniger Lehrer") ein. Sein anderer Ehrentitel „Doctor marianus" („marianischer Lehrer") hat vor allem damit zu tun, daß er die Lehre von der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter entgegen der herrschenden theologischen Meinung seiner Zeit und lange vor der Dogmatisierung durch Papst Pius IX. im Jahr 1864 vertrat. 1993 wurde durch Papst Johannes Paul II. bestätigt, daß Johannes Duns Scotus seit unvordenklicher Zeit als Seliger verehrt wird.12

II. Die Lehre von den göttlichen Attributen 1)

Der Sinn der Attributenlehre

Wie bei Heinrich von Gent soll auch bei Johannes Duns Scotus die Lehre von den göttlichen Attributen verschiedenen Zwecken dienen. Vor allem dient sie der Erkenntnis des in sich unbegreiflichen göttlichen Wesens durch seine Eigenschaften. Doch in diesem Punkt läßt sich eine Akzentverlagerung zwischen Heinrich von Gent und Duns Scotus feststellen, die sich im weiteren Gedankengang der Attributenlehre noch folgenschwer auswirkt. Denn nach Heinrich von Gent drücken die Attribute die vielfachen begrifflichen Aspekte („rationes") aus, in denen sich das eine göttliche Wesen zunächst durch den göttlichen und in weiterer Folge auch durch den menschlichen Intellekt denken und erfassen läßt. Nach Duns Scotus drücken sie hingegen die vielfachen begrifflichen Aspekte („rationes") aus, die in dem einen göttlichen Wesen real und ohne Rücksicht auf irgendeinen Intellekt vorhanden sind. Der Akzent verlagert sich also von der Ebene des Denkens, die freilich schon Heinrich eng auf die Wirklichkeit zu beziehen bemüht war, auf die Ebene des Seins. Daher kritisiert Duns Scotus die Theorien der Theologen, die wie Heinrich nur eine begriffliche Unterscheidung zwischen den einzelnen göttlichen Attributen annehmen, nicht nur als falsch, sondern auch als vergebliche Mühe: Wozu, fragt er rhetorisch, füllen diese Doktoren so viele Hefte, um ein Attribut aus dem anderen abzuleiten, wo doch die Erkenntnis der vielen Attribute,

11 12

Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 161,6-8): „ista opinio est, ut credo, opinio Subtilis Doctoris, qui alios in subtilitate iudicii excellebat". Vgl. Decretum Canonizationis Servi Dei Ioannis Duns Scoti, sacerdotis professi Ordinis Fratrum Minorum S. Francisci „Beati" seu „Sancti" nuncupati (1265 c - 1 3 0 8 ) . In: A A S 84 [1992], 396-399.

300

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

wenn diese nur begrifflich voneinander unterschieden sind, nichts Neues zur Erkenntnis des einen Gottes beiträgt?13 Daneben macht sich Duns Scotus einen anderen Zweck der Attributenlehre zu eigen, den schon Heinrich von Gent verfolgt hat. Wie dieser sieht auch Scotus in der Attributenlehre eine Voraussetzung fur die Trinitätslehre. Denn der innertrinitarische Hervorgang der Zeugung, durch den die Person des Sohnes konstituiert wird, geschieht durch den göttlichen Intellekt. Ebenso erfolgt der innertrinitarische Hervorgang der Hauchung, durch den die Person des Heiligen Geistes konstituiert wird, durch den göttlichen Willen. Also setzen die Hervorgänge der zweiten und der dritten trinitarischen Person die göttlichen Attribute des Intellektes und des Willens voraus. Verallgemeinert bedeutet dies: Die Lehre von der göttlichen Dreifaltigkeit setzt die Lehre von den göttlichen Attributen voraus.14

2)

Beschreibung der Attribute

a)

A bgrenzung gegen Heinrichs A uffassung der A ttribute als Relationen

Heinrich von Gent erklärt die göttlichen Attribute als Relationen zwischen dem göttlichen Wesen und dem göttlichen Intellekt. Durch diese Relationen erkennt der Intellekt das Wesen unter verschiedenen Begriffen. Anderer Meinung ist Duns Scotus. Attribute sind nach ihm keine Relationen, weder begriffliche noch reale. Begriffliche Relationen sind sie nicht, weil sie nicht nur angeben, wie sich das göttliche Wesen von einem göttlichen oder menschlichen Intellekt denken läßt, sonden vor allem, wie es - unabhängig von jedem Intellekt - ist. Sie sind aber auch keine realen Relationen, weil zwar die Attri-

13

14

Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 204 (Vat. IV 2 6 7 , 7 - 1 4 ) : „Ad quid etiam doctores qui tenent oppositam opinionem implent tot quaternos, ostendendo unum attributum ex alio, si non est inter ea nisi tantum differentia relationum rationis? Ita enim perfecte videretur Deus cognosci quantum ad omnem conceptum realem - ut cognoscitur sub uno attributo sicut si cognoscatur sub ratione omnium attributorum, quia cognitio plurium relationum rationis non facit perfectiorem cognitionem, nec aliquid facit ad perfectiorem cognitionem realem habendam de aliquo". Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 144 und n. 161 (Vat. XVII 5 3 , 8 - 1 3 und 58,3-10); Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 177 (Vat. IV 2 4 6 , 1 - 9 ) ; vgl. Scotus: Quodl., qu. 1, n. 19 (Vives X X V 46b): „duarum productionum alterius rationis non videtur posse poni idem principium formale productivum, et specialiter talium productionum, quarum una non potest poni, nisi jam altera ponatur"; vgl. Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 , n. 323 (Vat. II 3 1 9 , 1 8 - 3 2 0 , 1 3 ) zur Unterscheidung von „memoria" und „intellectus" in Gott.

Die Lehre von den göttlichen Attributen

301

bute, aber keinesfalls irgendwelche Relationen Vollkommenheiten schlechthin sind.15 Außerdem sind Attribute auch deshalb keine realen Relationen, weil sie weder „ad extra" noch „ad intra" gerichtet sind. „Ad extra" sind sie nicht gerichtet, weil es keine reale Relation Gottes „ad extra" gibt. „Ad intra" sind sie nicht gerichtet, weil man sonst im Gegensatz zu dem, was allgemein angenommen wird, reale Relationen einer göttlichen Person zu sich selbst ansetzen müßte, denn die Personen sind mit dem göttlichen Wesen identisch, und ihnen kommen alle göttlichen Attribute zu.16 Daß sich die Vertreter der Ansicht, dergemäß Attribute Relationen sind, nicht einigen können, ob es sich dabei um Relationen „ad extra" oder „ad intra" handelt, zählt Duns Scotus zu den Argumenten, die für seine eigene Position sprechen, was er mit der hübschen Sentenz kommentiert: „Ihr Kampf ist unser Frieden". 17 b)

Formalitäten

Statt als Relationen faßt Duns Scotus die göttlichen Attribute als Begriffe („rationes") auf. Trotz wesentlicher Unterschiede in ihren Attributenlehren gebrauchen auch Heinrich von Gent und Wilhelm von Ockham für die göttlichen Attribute denselben Ausdruck. Möglich ist dies nur deshalb, weil das Wort „ratio" ganz unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Daher sieht sich Duns Scotus auch zu einer Erklärung genötigt, wie er das Wort im Zusammenhang mit den innergöttlichen Unterscheidungen verstanden wissen will. Es bedeutet nämlich nicht etwas, das bloß durch einen Intellekt gebildet wird, sondern die „Washeit" („quiditas") einer Sache, die zwar das Erkenntnisobjekt eines Intellektes ist, aber schon vor jeder Tätigkeit eines Intellektes in der Sache besteht.18 Mit Nachdruck besteht Duns Scotus darauf, daß die Attri-

15

Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 188 (Vat. XVII 68,2-9): „Et arguo quod non, quia si essent, aut igitur respectus rationis, aut reales. Non rationis, quia hoc negat isla positio quae ponit quod oriuntur ex natura rei. Aut sunt reales, - quod non convenit propter duo, tum quia relatio rationis non dicit perfectionem simpliciter in quantum huiusmodi, sed ista opinio ponit quod praedicta dicunt perfectiones simpliciter".

16

Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 188 (Vat. XVII 6 8 , 9 - 1 4 ) : „tum quia si esset relatio realis, aut igitur ad intra aut ad extra: non ad extra, quia nulla relatio realis Dei est ad extra, ut post patebit; nec ad intra, quia nulla una persona ad se ipsam habet respectum realem, et istae perfectiones sunt in qualibet persona.

17 18

Videtur igitur quod non sint rationes respectivi, sed absoluti". Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 132 (Vat. XVII 48,8): „eorum impugnatio est pax nostra". Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 , n. 401 (Vat. II 355,14-17): „Potest autem vocari .differentia rationis', sicut dixit doctor quidam; - non quod ,ratio' accipiatur pro differentia formata

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

bute in der Wirklichkeit und vor jeder Tätigkeit eines Intellektes in Gott vorhanden sind.19 Was Scotus hier mit den „rationes" meint, ergibt sich auch daraus, daß er zwischen den einzelnen Attributen keine bloß begrifflichen, sondern formale Unterschiede lehrt.20 Solche Formaldistinktionen bestehen in der Wirklichkeit, aber nicht zwischen verschiedenen realen Entitäten („res"), sondern innerhalb derselben realen Entität zwischen verschiedenen Wesensgehalten, die Scotus als Realitäten („realitates")21, Formalitäten („formalitates")22 oder „rationes formales"23 bezeichnet. Formal unterschieden sind die Attribute, weil sie verschiedene Definitionen besitzen oder wenigstens besäßen, sofern sie definierbar wären.24 Da aber die Definition das Wesen („quiditas") einer Entität angibt, bestehen die Formaldistinktionen zwischen den Attributen nicht nur im Denken, sondern in der Wirklichkeit („ex parte rei") des göttlichen Wesens.25 Daher hat man sich unter den Begriffen („rationes"), die nach Scotus die göttlichen Attribute ausmachen und voneinander unterscheiden, eben solche Formalitäten bzw.

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ab intellectu, sed ut,ratio' accipitur pro quiditate rei secundum quod quiditas est obiectum intellectus". Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 172 (Vat. XVII 62,7-12); Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 192 (Vat. IV 261,3-5): „Est ergo ibi distinctio praecedens intellectum omni modo, et est ista, quod sapientia est in re ex natura rei, et bonitas in re ex natura rei, - sapientia autem in re, formaliter non est bonitas in re". Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 175 (Vat. XVII 63,3-5); Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 193 (Vat. IV 262,3-5): „est igitur aliqua non-identitas formalis sapientiae et bonitatis, in quantum earum essent distictae definitiones, si essent definibiles". Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. l ^ t , n. 275 (Vat. XVI 216,28-29); Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 189 (Vat. XVII 68,25-69,1.5); Scotus: Rep. I, dist. 8, qu. 5, n. 6 - 8 (Vives XXII 168a-b); Scotus: Rep. I, dist. 33, qu. 1, n. 10 (Vives XXII 395b-396a); Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1-4, n. 402-403 und 407 (Vat. II 356,2-5; 357,4.6; 358,6-7); Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 3, n. 106-107 (Vat. IV 201,8.12-13; 202,2.5.7.9-10); Scotus: Ord. II, dist. 3, pars 1, qu. 5-6, n. 180 sowie 188-190 (Vat. VII 479,19; 483,19-20; 484,3.5-8; 485,1.3.21); Scotus: Ord. II, dist. 3, pars 1, qu. 7, n. 237 (Vat. VII 504,10). Marilyn McCord Adams: William Ockham. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame Press 1987 (PMS 26), 934 behauptet, „that wisdom and goodness in God are not the same realities as wisdom and goodness in creatures". Der Ausdruck „realities" kann hier nicht als Scotischer Formalgrund („realitas") gemeint sein; vgl. Adams: Ockham, 938. Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1-4, n. 274 (Vat. XVI 216,9); Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 187 (Vat. XVII 67,19.23); Scotus: Rep. II, dist. 12, qu. 8, n. 4 und n. 8 (Vives XXIII 3 7 b 38a und 39b-40a); Scotus: Ord. I, dist. 24, qu. un., nota a (Vat. V 369,10; 370,1). Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. n. 272, 274 und 275 (Vat. XVI 215,21 und 23; 216,7-8; 217,4-5); Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 175 (Vat. XVII 63,8-9); Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 192 (Vat. IV 261,8 und 11). Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 193 (Vat. IV 262,4-5). Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 193 (Vat. IV 262,5-7): „Definitio autem non tantum indicat rationem causatam ab intellectu, sed quiditatem rei: est ergo non-identitas formalis ex parte rei".

Die Lehre von den göttlichen Attributen

303

Realitäten vorzustellen, wie sie in ein und derselben Entität real vorhanden sind. c)

Abgrenzung gegenüber der negativen Theologie

Duns Scotus sieht sich einer langen Tradition der sogenannten negativen Theologie gegenüber, die mit größerer oder geringerer Entschiedenheit vertritt, daß man von Gott nicht erkennen und aussagen könne, was und wie er ist, sondern nur, was und wie er nicht ist. Alle göttlichen Attribute enthalten daher, ob sie sprachlich nun bejahend oder verneinend gefaßt sind, eine verneinende Bedeutung. Duns Scotus kritisiert die negative Theologie mit einem erkenntnistheoretischen und einem religiösen Argument. Aus erkenntnistheoretischer Sicht lassen sich negative Aussagen von positiven nicht trennen. Vielmehr gehen die Verneinungen auf die Bejahungen zurück und setzen sie voraus. Wenn sich von Gott nichts bejahend aussagen läßt, läßt sich auch nichts verneinend von ihm aussagen. Da die negative Theologie an der Möglichkeit der verneinenden Rede von Gott festhält, besteht Duns Scotus auch auf der Möglichkeit, bejahend von ihm zu sprechen. Wer verneinend von Gott spricht, muß dieser Verneinung durch den Bezug auf eine Bejahung einen Sinn geben; sonst wäre überhaupt keine Gotteserkenntnis möglich. 26 Von einem religiösen Standpunkt aus ist ein Wesen, das uns nur durch Verneinungen bekannt ist, kein angemessener Gegenstand religiöser Verehrung. Lakonisch bemerkt Duns Scotus: „Negationen lieben wir nicht über alles".27 d)

Schlechthin einfache Begriffe

Göttliche Attribute sind Vollkommenheiten schlechthin. Wie Heinrich von Gent bestimmt Duns Scotus sie nach der Regel des Anselm von Canterbury, die er jedoch kritisch prüft und im Licht dieser kritischen Prüfung genauer

26 27

Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 10 (Vat. III 5,2-14); vgl. Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 3, n. 74 (Vat. IV 186,15-187,2). Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 10 (Vat. III 5,1): „Negationes etiam non summe amamus"; vgl. Olivier Boulnois: Johannes Duns Scotus. Transzendentale Metaphysik und normative Ethik. In: Philosophen des Mittelalters. Eine Einführung. Hrsg. v. Theo Kobusch. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, 2 1 9 - 2 3 5 , 225.

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

formuliert. Der Begriff einer jeden solchen Vollkommenheit schlechthin ist ein schlechthin einfacher Begriff („conceptus simpliciter simplex").28 Jeder Begriff, der sich mit einem einzigen einfachen Akt des Begreifens erfassen läßt, ist ein einfacher Begriff. Doch die einfachen Begriffe unterteilt Duns Scotus in schlechthin einfache Begriffe und in einfache Begriffe, die nicht schlechthin einfach sind. Schlechthin einfach ist ein Begriff, der sich nicht mehr auf andere einfachere Begriffe zurückfuhren läßt. Zwar einfach, aber nicht schlechthin einfach ist ein Begriff, der aus anderen für sich verständlichen Begriffen gebildet ist.29 Jede Analyse von Begriffen muß, da sie nicht ins Unendliche fortschreiten kann, bei schlechthin einfachen Begriffen enden. Diese können nicht mehr in einzelne Bestandteile aufgespalten und stückweise erklärt werden, sondern entweder erkennt sie ein Intellekt, oder er erkennt sie nicht; er erkennt sie entweder ganz oder gar nicht.30 Als Beispiel für schlechthin einfache Begriffe nennt Duns Scotus die Begriffe des Seins und der letzten Differenz („differentia ultima").31 Doch auch die Attribute Gottes erfassen wir als schlechthin einfach. Wenn sie nämlich zusammengesetzt wären, so wären sie aus schlechthin vollkommenen Bestimmungen zusammengesetzt, denn eine Zusammensetzung aus Unvollkommenem kann keine Vollkommenheit ergeben. Diese müßten ferner miteinander ein „unum per se" bilden, denn es bedeutete eine Unvollkommenheit, wenn sie nur „per accidens" eins wären. Um aber ein „unum per se" zu bilden, müßten sie sich verhalten wie Akt und Potenz. Doch eine Zusammensetzung aus Akt und Potenz ist mit absoluter Vollkommenheit unvereinbar. Daher werden alle göttlichen Attribute durch schlechthin einfache Begriffe ausgedrückt.32 28 29

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32

Scotus: Quodl., qu. 1, n. 4 (Vives XXV 10a): „omnis perfectio simpliciter est simpliciter simplex". Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 71 (Vat. III 49,8-13): „conceptus .simpliciter simplex' est qui non est resolubilis in plures conceptus, ut conceptus entis vel ultimae differentiae. Conceptum vero simplicem sed ,ηοη-simpliciter simplicem' voco, quicumque potest concipi ab intellectu actu simplicis intelligentiae, licet posset resolvi in plures conceptus, seorsum conceptibiles". Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 3, n. 148 (Vat. III 92,5-6): „tale .simpliciter simplex' omnino est ignotum nisi secundum se totum concipiatur". Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 71 (Vat. III 49,9-10). Mit der letzten Differenz ist die individuierende „haecceitas" gemeint; vgl. Ludger Honnefelder: Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus. Münster: Aschendorff 1979 (BGPhMA.NF 16), 318f. Scotus: Quodl., qu. 1, n. 4 (Vives XXV 10a): „Probatur, si est aliquo modo resolubilis in distincta, sint Α et B, neutrum potest esse perfectio simpliciter simplex, quia tunc unum non faceret per se unum cum reliquo, quia non est per se unum ex quibuscumque distinctis, nisi unum sit sicut actus, et aliud sicut potentia"; vgl. Allan B. Wolter: The Transcendentals and Their Func-

Die Lehre von den göttlichen Attributen e)

305

Univozität

Begriffe, die sowohl von Gott als auch von Geschöpfen ausgesagt werden, sind nach Thomas von Aquin wie auch nach Heinrich von Gent stets weder univok noch äquivok zu verstehen. Gebrauchte man solche Begriffe rein äquivok, könnten sie über Gott nichts aussagen, was für uns verständlich wäre. Eine agnostische Position wäre die Folge. Gebrauchte man hingegen die Begriffe, die von Gott und den Geschöpfen ausgesagt werden, univok, müßten wir uns Gott nach dem Maß der Geschöpfe, d. h. letztlich anthropomorph vorstellen, was höchst unangemessen ist. Den Mittelweg zwischen der Skylla des Agnostizismus und der Charybdis des Anthropomorphismus steuert Thomas mittels der Analogielehre, wonach unsere Begriffe zwar sowohl von Gott als auch von seinen Geschöpfen ausgesagt werden können, dabei aber nicht völlig eindeutig sind, sondern Identität in Differenz und Differenz in Identität ausdrücken. 33 Duns Scotus kritisiert und verwirft die Lehre von der Analogie, weil er stärker auf die letzte Einheit der Begriffe achtet als auf ihre vielfältigen Verwirklichungen 34 und daher auch solche Begriffe als univok auffaßt, die Thomas analog nennen würde. Univok ist für Scotus ein Begriff, der, wenn er vom selben Subjekt bejahend und verneinend ausgesagt wird, einen Widerspruch ergibt. Univok ist er auch, wenn er als Mittelbegriff in einem korrekten Syllogismus dient.35 Univozität der Begriffe ist für Duns Scotus also die Voraussetzung jeder klaren Erkenntnis und Wissenschaft. Da die Christen aber über eine wahre - wenngleich beschränkte - Erkenntnis Gottes verfügen und da die Theologen wissenschaftlich über Gott nachdenken und dabei mit Widersprüchen und Syllogismen arbeiten, sind univoke Begriffe vorauszusetzen, die sich sowohl von Gott als auch von Geschöpfen aussagen lassen.36 Selbst jene Theologen, die mit Worten die Analogie lehren, setzen, wie Scotus anmerkt, in ihrem Verhalten die Univozität ih-

33

34

tion in the Metaphysics o f Duns Scotus. St. Bonaventura, N e w York: Franciscan Institute 1946 (FIP.P 3), 169f. Thomas von Aquin: Summa contra gentiles 1, cap. 3 2 - 3 4 , n. 2 8 3 - 2 9 8 (ed. Marietti, 44a-46b); Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 13, art. 5 (ed. Marietti, 67a-68b); vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 32, qu. 2, ad 2 (ed. Macken, 5 1 , 4 2 - 4 6 ) . Richard Heinzmann: Philosophie des Mittelalters. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1992 (Grundkurs Philosophie 7), 238.

35

Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 26 (Vat. III 18,5-9): „Et ne fiat contentio de nomine univocationis, univocum conceptum dico, qui ita est unus quod eius unitas sufficit ad contradictionem, affirmando et negando ipsum de eodem; sufficit etiam pro medio syllogistico, ut extrema unita in medio sic uno sine fallacia aequivocationis concludantur inter se uniri".

36

Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1 - 2 , n. 2 7 - 4 4 (Vat III 18-29); Scotus: Lect. I, dist. 3, pars 1, qu. 1 - 2 , n. 2 1 - 3 4 (Vat. XVI 2 3 2 - 2 3 7 ) .

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

rer Begriffe voraus, wenn sie nämlich Syllogismen über Gott und die Welt aufstellen und durch sie zu einer genaueren Kenntnis über Gott zu gelangen meinen.37 Der Begriff, um den es in den Debatten um Univozität und Analogie hauptsächlich geht, ist der Begriff des Seins, denn er ist der allgemeinste Begriff überhaupt. Doch Scotus beschränkt die Univozität nicht auf ihn, sondern weitet sie auf die göttlichen Attribute aus.38 Auch bei ihnen handelt es sich ja um Eigenschaften, die wir an den Geschöpfen erkennen und von ihnen auf ihren Schöpfer übertragen. Wenn wir also von Gott sagen, daß er gut, gerecht, weise, Intellekt, Wille oder mächtig ist, sprechen wir nach Scotus univok. f)

Der Modus der Unendlichkeit

Unsere Begriffe gewinnen wir im Umgang mit den Geschöpfen. Wenn sie eine Vollkommenheit schlechthin ausdrücken, lassen sie sich auf Gott übertragen. Zu diesem Zweck wahren wir ihren formalen Gehalt, sehen aber von ihrer Beschränkung und Unvollkommenheit ab, die sie unter den Geschöpfen haben, fugen ihr vielmehr die höchste Vollkommenheit hinzu und drücken damit unsere Erkenntnisse über Gott aus.39 Scotus zitiert Augustinus, der in „De Trinitate" sagt: „Dies ist gut, und jenes ist gut. Nimm ,dies' und jenes' weg und sieh das Gute selbst! So wirst du Gott sehen".40 Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Unendlichkeit Gottes zu, die Scotus nicht zu seinen Attributen zählt, sondern als den Modus begreift, in dem die Formalitäten in Gott verwirklicht sind.41 Zwischen einer Formalität und ihrem Modus ist zu unterscheiden, weil sich zwar der Modus nie ohne Formalität, wohl aber die Formalität ohne Modus denken läßt. Der Unterschied zwischen ihnen ist allerdings weder ein realer Unterschied zwi37

38 39

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Scotus: Rep. I, dist. 3, qu. 1, n. 7 (Vives XXII 95b): „Hoc etiam Magistri tractantes de Deo, et de his, quae cognoscuntur de Deo, observant univocationem entis in modo dicendi, licet voce hoc negent". Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 2, qu. 1-2, n. 38 (Vat. III 25,3-26,3). Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 39 (Vat. III 26,4-9): „omnis inquisitio metaphysica de Deo sie procedit, considerando formalem rationem alieuius et auferendo ab illa ratione formali imperfectionem quam habet in creaturis, et reservando illam rationem formalem et attribuendo sibi omnino summam perfectionem, et sie attribuendo illud Deo". Augustinus: De Trinitate VIII, 111(4) (ed. Mountain, 272,15-16): „Bonum hoc et bonum illud. Tolle hoc et illud, et vide ipsum bonum si potes; ita deum videbis"; vgl. Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 3, n. 192 (Vat. III 118,8-9). Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 58 (Vat. III 40,10-14): „.infinitum' non est quasi attributum vel passio entis, sive eius de quod dicitur, sed dicit modum intrinsecum illius entitatis, ita quod cum dico .infinitum ens', non habeo conceptum quasi per accidens, ex subiecto et passione, sed conceptum per se subiecti in certo gradu perfectionis, scilicet infinitatis".

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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sehen „res" und „res" noch ein formaler Unterschied zwischen Formalitäten derselben „res". Die Scotisten sprechen stattdessen von einem modalen Unterschied.42 Alle Attribute treten entweder im Modus der Endlichkeit oder im Modus der Unendlichkeit auf, ohne daß sich ihre formale Natur dadurch ändert. An den Geschöpfen treten sie im Modus der Endlichkeit auf, an Gott im Modus der Unendlichkeit. Dabei impliziert in Gott ein unendliches Attribut alle anderen Attribute im Modus der Unendlichkeit.43 Um die göttlichen Attribute zu erkennen, achten wir auf die Formalgründe an den Geschöpfen, sehen von ihrer Endlichkeit ab, steigern sie in die Unendlichkeit, sagen sie so von Gott aus und erkennen dadurch die Attribute seines göttlichen Wesens. Unter den göttlichen Attributen sind also denkunabhängig in Gott vorhandene Formalgründe zu verstehen. Ihre Begriffe sind bejahend, schlechthin einfach, und kommen Gott und den Geschöpfen univok zu, den Geschöpfen allerdings nur im unvollkommenen Modus der Endlichkeit, Gott hingegen im vollkommenen Modus der Unendlichkeit.

3)

Die Rezeption der Regel des Anselm von Canterbury

Johannes Duns Scotus lehnt die Regel Anselms in ihrem Wortlaut ab und verlangt eine klärende Präzisierung in drei Punkten.44 Erstens ist die Regel Anselms nicht so zu verstehen, als vergliche sie eine Eigenschaft mit ihrem kontradiktorischen Gegenteil. Daß „weise" eine Vollkommenheit schlechthin ist, bedeutet nicht, daß Weisheit besser wäre als jede Eigenschaft, die nicht Weisheit ist 4 5 Schon Anselm selbst bemerkt, daß ein

42 43 44

45

Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 3, n. 139 (Vat. IV 2 2 2 , 2 0 - 2 1 ) : „ut distinetio realitatis et modi proprii et intrinseci eiusdem". Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 59 (Vat. III 4 1 , 2 - 3 ) : „ens infinitum includit verum infinitum et bonum infinitum, et omnem ,perfectionem simpliciter' sub ratione infiniti". Scotus: Quodl., qu. 5 (Vives X X V 216a): „Probatio majoris primae, quia secundum quod colligitur ex intentione Anselmi Monolog. 15. perfectio simpliciter est, quae in quolibet habente ipsam melius est ipsam habere, quam non ipsam habere. Haec autem regula indiget duplici expositione"; Scotus: Tract. IV, concl. 3, n. 53 (ed. Kluxen, 64): „Perfectio simpliciter dicitur quae in quolibet est melius ipsum quam non ipsum. Haec descriptio videtur nulla". So deutet Wolfgang Kluxen: Kommentar. In: Johannes Duns Scotus: Abhandlung über das Erste Prinzip. Hrsg. und übers, v. Wolfgang Kluxen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1974 (TzF 20), 135-257, 195 den kryptischen Text von Scotus: Tract. IV, concl. 3, n. 53 (ed. Kluxen, 64): „Haec descriptio videtur nulla, quia si intelligatur de affirmatione et negatione: ut est in se, affirmatio non est melior sua negatione - in se et in quolibet si in eo posset esse".

308

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Gerechter, selbst wenn er nicht weise ist, besser ist, als ein Weiser, der nicht gerecht ist.46 Zweitens ist die Regel Anselms nicht so zu verstehen, als vergliche sie die Behauptung einer Eigenschaft mit ihrer Verneinung. Denn auf jede positive Eigenschaft, so unbedeutend sie auch im Vergleich zu anderen sein mag, trifft zu, daß es besser ist, sie zu besitzen, als sie nicht zu besitzen.47 Wollte man all diese Eigenschaften Gott zuschreiben, müßte man von ihm unangemessen banal sprechen. Außerdem sind verschiedene positive Eigenschaften miteinander unvereinbar, sodaß sie unmöglich alle zugleich von Gott ausgesagt werden können. Drittens ist die Regel Anselms nicht so zu verstehen, daß dabei die Natur eines möglichen Eigenschaftsträgers samt den in ihr enthaltenen Begrenzungen berücksichtigt wird.48 Daß „weise" eine Vollkommenheit schlechthin ist, bedeutet nicht, daß es auch für einen Hund besser wäre, weise zu sein, als es nicht zu sein. Denn da die Eigenschaft der Weisheit der Hundenatur widerspricht, ist ein weiser Hund kein Hund mehr, sondern ein Widerspruch in sich, was durchaus nicht besser ist, als Hund zu sein, aber nicht weise.49 Entsprechend diesen drei Kritikpunkten formuliert Duns Scotus die Regel des Anselm neu in der Absicht, sie damit zu klären und zu präzisieren. Die ersten beiden Kritikpunkte vermeidet Scotus, indem er nicht eine Eigenschaft mit ihrem kontradiktorischen Gegenteil oder die Behauptung einer Eigenschaft mit ihrer Verneinung vergleicht. Vielmehr vergleicht er eine Eigenschaft mit allen positiven Eigenschaften, die mit ihr unvereinbar sind. Als Vollkommenheit schlechthin zählt also jede Eigenschaft, die zu besitzen besser ist, als jede beliebige mit ihr unvereinbare positive Eigenschaft zu besitzen. Schlechthin

46

Anselm von Canterbury: Monologion, cap. 15 (ed. Schmitt, 2 8 , 3 2 - 3 3 ) : „Quamvis enim iustus non sapiens melior videatur quam non iustus sapiens, non tarnen est melius simpliciter non sapiens quam sapiens".

47

Scotus: Quodl., qu. 5 (Vives X X V 216a-b); Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 1-2, n. 33 (Vat. XVII 11,16-17); Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 1, n. 23 (Vat. IV 162,21-163,4): „Ad primum dico quod ista descriptio sic debet intelligi, quod perfectio simpliciter est melius non tantum suo contradictorio (ita enim quodeumque positivum est melius et perfectius simpliciter sua negatione, immo nulla negatio est perfectio aliqua formaliter)".

48

Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 1, n. 23 (Vat. IV 163,8-11): „Considerando enim aliquid in quantum subsistit in aliqua natura, potest aliqua perfectio simpliciter esse non melior sibi, quia incompossibilis sit ut est in tali natura, quia repugnat tali naturae". Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1—4, n. 250 (Vat. XVI 208,22-24): „et ideo licet sapientia sit perfectionis simpliciter, non tarnen melius est cani esse sapiens, quia destruit naturam"; Scotus: Tract. IV, concl. 3, n. 53 (ed. Kluxen, 64).

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Die Lehre von den göttlichen

Attributen

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vollkommen ist eine Eigenschaft nur, wenn sie es wert ist, daß man für sie auf alles verzichtet, was mit ihr unvereinbar ist.50 Mit dieser Neufassung vermeidet Scotus den ersten Kritikpunkt. Er vergleicht nicht beliebige Eigenschaften, sondern nur solche, die miteinander unvereinbar sind. Dies ist die Voraussetzung für seine Ansicht, daß die verschiedenen Vollkommenheiten schlechthin miteinander vereinbar sind, 5 ' ja, daß sie im Modus der Unendlichkeit notwendig in Gott, dem „ens infinitum", vereinigt sind. 52 Scotus vermeidet zugleich auch den zweiten Kritikpunkt, indem er nur positive Eigenschaften miteinander vergleicht, nicht den Besitz und den Mangel einer positiven Eigenschaft. Den dritten Kritikpunkt vermeidet Duns Scotus, indem er die allgemeine Natur („natura") des Trägers einer Vollkommenheit schlechthin samt den ihr eigenen Grenzen unberücksichtigt läßt. Stattdessen verlangt er, daß eine Vollkommenheit schlechthin an jedem individuellen Träger („suppositum" oder „subsistens") besser sein soll als jede Eigenschaft, die mit ihr unvereinbar ist. Ob „weise" eine solche Vollkommenheit ist, entscheidet sich also nicht daran, ob es für einen Hund allgemein besser ist, weise zu sein, sondern entscheidend ist, ob es besser ist, daß ein beliebiger individueller Träger von Eigenschaften weise ist, oder nicht. Knapp formuliert Scotus, daß eine Vollkommenheit schlechthin nicht „für jegliches" (d. h. jede Natur), sondern „an jeglichem" (d. h. jedem Träger von Eigenschaften) besser ist als das mit ihr Unvereinbare. 53

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Scotus: Ordinatio I, dist. 8, pars 1, qu. 1, n. 23 (Vat. IV 163,4-5): „sed intelligitur sie ,ipsum est melius quam non ipsum' - id est .quolibet sibi incompossibili'"; Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1—4, n. 250 (Vat. XVI 208,20-22); Scotus: Lect. I, dist. 8, pars 1, qu. 1-2, n. 33 (Vat. XVII 11,17-19); Scotus: Quodl., qu. 5 (Vives XXV 216b); Scotus: Tract. IV, concl. 3, n. 53 (ed. Kluxen, 64). Scotus: Quodl., qu. 1, n. 8 (Vives XXV 17a): „Perfectio simpliciter non includit aliquid per se, cui repugnat per se ratio per se perfectionis simliciter, quia tunc non esset in quolibet melius, cum includat aliquid, cui repugnat ratio perfectionis simpliciter". Scotus: Quodl., qu. 5 (Vives XXV 211a); vgl. Wolter: Transcendentals, 167; Walter Hoeres: Der Wille als reine Vollkommenheit nach Duns Scotus. München: Pustet 1962 (SSPh 1), 28. Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 59 (Vat. III 41,1-3). Scotus: Quodl., qu. 5 (Vives XXV 216b): „Secundo intelligitur in quocumque, non pro quacumque natura, sed pro quocumque supposito, non intelligendo, ut est talis natura, vel talis, sed absolute aeeepto, ut est tale suppositum praescindendo rationem naturae, cujus est suppositum. Hoc patet, quia auro sie considerato, ut habet naturam auri, vel supposito considerate, ut subsistens in natura auri, non est melius non aurum quam aurum, quia incompossibile, ut incompossibile non est alieuius melius; destruit enim entitatem ipsius; immo melius sie est auro esse aurum, quam quodeumque incompossibile naturae auri"; Scotus: Ordinatio I, dist. 8, pars 1, qu. 1, n. 23 (Vat. [V 163,5-14); Scotus: Tract. IV, concl. 3, n. 53 (ed. Kluxen, 64): „Est, inquam, sie melius ,in quolibet' - non cuilibet, sed ,in quolibet'".

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Zusammengefaßt deutet Duns Scotus die Regel des Anselm von Canterbury folgendermaßen: Eine Vollkommenheit schlechthin ist eine Eigenschaft, die zu besitzen fur jeden individuellen Träger besser ist, als jede beliebige mit ihr unvereinbare Eigenschaft zu besitzen. Aber sogar nach all diesen Präzisierungen und Neuformulierungen kann die Regel des Anselm von Canterbury nicht die Aufgabe erfüllen, die sie bei Anselm selbst erfüllen sollte, nämlich ein Kriterium zu bieten, anhand dessen sich entscheiden läßt, welche Eigenschaften von Gott ausgesagt werden können und welche nicht von ihm ausgesagt werden dürfen. Nach Scotus beschreibt die Regel des Anselm die Vollkommenheit schlechthin zwar korrekt, aber tautologisch. Wollte der Philosoph mit ihr begründen, weshalb man Gott eine Eigenschaft zuschreibt, setzte er voraus, was er erst zu beweisen hätte.54 Das zeigt der Vergleich zwischen der Weisheit, die eine Vollkommenheit schlechthin ist, und der Natur des ersten Engels, d. h. des höchsten Geschöpfes, die keine Vollkommenheit schlechthin ist. Innerhalb des geschöpflichen Bereiches gilt gleichermaßen, daß es für jegliches besser ist, weise zu sein, als es nicht zu sein, und besser, die Natur des ersten Engels zu besitzen, als sie nicht zu besitzen. Dennoch kommt die Weisheit Gott zu, die Natur des ersten Engels jedoch nicht. Indem wir unsere Erfahrungen aus dem geschöpflichen Bereich auf Gott übertragen, können wir die Frage nach den göttlichen Attributen also nicht eindeutig entscheiden. Nun könnte der Philosoph einwenden, daß es ohne alle Rücksicht auf geschöpfliche Beschränkungen stets besser sei, weise zu sein, als es nicht zu sein, aber nicht stets besser, die Natur des ersten Engels zu besitzen, als sie nicht zu besitzen, weil es für Gott zwar besser ist, weise zu sein, als es nicht zu sein, es für ihn aber nicht besser ist, die Natur des ersten Engels zu besitzen, als sie nicht zu besitzen. Doch dann stellt sich die Frage, weshalb es für Gott besser ist, weise zu sein, als es nicht zu sein, aber nicht besser, die Natur des ersten Engels zu besitzen, als sie nicht zu besitzen. Wollte der Philosoph hierauf mit dem Hinweis darauf erinnern, daß die Weisheit eine Vollkommenheit schlechthin ist oder daß die Vollkommenheit Gottes die Weisheit, aber keine Engelsnatur erfordere, hat er im Kreis argumentiert.55

54 55

Vgl. Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 195 (Vat. IV 263,2-3): „ergo nihil aliud est regula sua nisi quod ,Deus est Deus'". Scotus: Tract. IV, concl. 4, n. 58 (ed. Kluxen, 72-74).

Die Lehre von den göttlichen Attributen 4)

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Das Verhältnis der Attribute zum göttlichen Wesen und zueinander

Für Duns Scotus ist klar, daß es nur ein einziges göttliches Wesen gibt und daß es sich durch völlige Einfachheit auszeichnet. Diese Einfachheit verbietet die Annahme realer Unterschiede innerhalb des göttlichen Wesens. Daher können zwischen ihm und den Attributen wie auch zwischen den verschiedenen göttlichen Attributen keine realen Unterschiede bestehen. Vielmehr sind die Attribute mit dem göttlichen Wesen und infolgedessen auch miteinander real identisch.56 Das Problem, wie sich die Einzigkeit und Einfachheit des göttlichen Wesens mit der Vielzahl seiner Attribute vereinbaren läßt, verschärft sich allerdings bei Johannes Duns Scotus im Vergleich zu Thomas von Aquin oder Heinrich von Gent. Dafür lassen sich zwei Gründe angeben. Der erste besteht in der Univokation der Begriffe für die göttlichen Attribute und geschöpflichen Eigenschaften. Der zweite Grund ist die „distinctio formalis a parte rei", die Duns Scotus zwischen den Attributen annimmt.57 Duns Scotus könnte als Grund für die Unterscheidung der Attribute in Gott nicht wie Thomas von Aquin angeben, daß unser beschränkter Verstand das in sich einfache göttliche Wesen in seiner Unendlichkeit nur in der Vielzahl verschiedener Begriffe zu erfassen vermag. Wie sich die Einheit dieser Vielzahl von Attributen denken läßt, geht bei Thomas in der Unbegreiflichkeit Gottes unter, der wir uns nur durch Analogie nähern können. Anders verhält es sich bei Duns Scotus. Da wir unsere menschlichen Begriffe univok auf Gott anwenden können, entspricht einem Begriff, den wir wahrheitsgemäß von ihm aussagen, eine Eigenschaft in Gott und der Vielzahl von Begriffen, die sich univok von Gott aussagen lassen, eine ebenso große Vielzahl von göttlichen Eigenschaften. Diese Vielzahl beruht also nicht auf der Begrenztheit unserer Erkenntnis, sondern gründet in Gott selbst. Jedem dieser Begriffe entspricht in der Wirklichkeit eine „Washeit" („quiditas")· Daher läßt sich die Vielzahl der Eigenschaften in Gott nicht auf den logischen Bereich beschränken, sondern ihr entspricht eine Vielzahl von 56

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Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. l ^ t , n. 4 0 0 (Vat. II 355,7-13): „Sed numquid haec distinctio dicetur realis? Respondeo: non est realis actualis, intelligendo sicut communiter dicitur, .differentia realis actualis' ilia quae est differentia rerum et in actu, quia in una persona non est aliqua differentia rerum, propter simplicitatem divinam; et sie non est realis actualis, ita non est realis potentialis, quia nihil est ibi in potentia quod non est in actu". Etienne Gilson: Simpliciti divine et attributs divins selon Duns Scot. In: A H D L 24 (1949) 9 - 4 3 , 33f; Etienne Gilson: Johannes Duns Scotus. Einfuhrung in die Grundgedanken seiner Lehre. Übers, v. Werner Dettloff. Düsseldorf: Schwann 1959, 252f.

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

„Washeiten" in Gott. Solche „Washeiten" - Formalitäten, Realitäten oder Formalgründe genannt - sind zwar nicht in Gott enthalten, wie ein Ding in einem anderen enthalten ist, also so, daß daraus eine reale Zusammensetzung folgen müßte. Aber sie sind als Formalitäten real in Gott vorhanden. Daher gibt es in Gott eine Vielzahl von Formalitäten. Zwischen ihnen bestehen Unterschiede, nämlich Formaldistinktionen.58 Obwohl sie keine realen Unterschiede zwischen den göttlichen Attributen begründen, sind es doch Unterschiede „a parte rei". Daher verschärft sich für Scotus das Problem, wie die Vielzahl der Attribute Gottes mit der Einfachheit seines Wesen zu vereinbaren ist. Thomas von Aquin und Heinrich von Gent haben die Unterschiede zwischen den Attributen als bloß begrifflich verstanden, sodaß die reale Einfachheit des göttlichen Wesens gewahrt blieb. Eine ähnlich klare Lösung steht Duns Scotus nicht offen, denn er behauptet in Gott Unterschiede, die der Tätigkeit des menschlichen und göttlichen Verstandes vorausgehen. Selbstverständlich hält Duns Scotus an der Einfachheit des göttlichen Wesens fest. Die formalen Unterschiede zwischen dem göttlichen Wesen und seinen Attributen sowie zwischen den Attributen untereinander beeinträchtigen sie nicht.59 Das Problem des Verhältnisses des einen Wesens zu seinen vielen Attributen löst er allerdings, indem er die notwendigen Anforderungen, um von Einfachheit zu sprechen, vergleichsweise bescheiden faßt und Unterschiede „a parte rei" in Gott akzeptiert. Die verschiedenen Arten der Unterschiede stellt er durch den Vergleich mit fünf verschiedenen Formen der Einheit („unitas") dar. Sie sind in ansteigender Reihenfolge geordnet. Erstens kann etwas durch ein bloßes Zusammen („aggregatio") eins sein, zweitens durch eine Ordnung („ordo"), drittens „per accidens", wie eine Substanz mit ihrem Akzidens eins ist, viertens „per se", wie das eins ist, was aus seinen Wesensprinzipien (Materie und Form, Akt und Potenz) zusammengesetzt ist. Dazu tritt fünftens die Einheit der Einfachheit („unitas simplicitatis"), die in der realen Identität, nicht in einer bloßen Vereinigung besteht.60 In dieser fünften Art der Einheit ist Gott mit seinen Attributen real identisch. Doch Duns Scotus kennt auch noch eine sechste und in gewisser Hinsicht höchste Form der Einheit, die in der formalen Identität liegt. Was in diesem 58 59 60

Vgl. Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 192 (Vat. IV 2 6 1 , 3 - 5 ) . Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 209 (Vat. IV 269,10): „Ista autem non-identitas formalis stat cum simplicitate Dei". Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 , n. 403 (Vat. II 356,7-15); Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 ^ , n. 275 (Vat. XVI 2 1 6 , 1 1 - 1 4 ) .

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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Sinn eins ist, ist nicht nur real identisch, sondern enthält einander auch in der Definition. 61 In diesem Sinn sind die göttlichen Attribute untereinander und mit dem göttlichen Wesen nicht eins, sondern sie unterscheiden sich formal voneinander. Angesichts einer solchen hierarchischen Aufstellung muß sich Duns Scotus die Frage gefallen lassen, ob die Einfachheit Gottes es nicht erfordert, in ihm die höchste Form der Einheit anzunehmen. In seiner Antwort auf diesen Einwand schränkt Scotus die Forderung nach höchster Einheit ein: Nicht die absolut höchste Form der Einheit ist erforderlich, sondern die höchste Form, die möglich ist.62 Die höchste Form der Einheit, die zwischen den göttlichen Attributen sowie zwischen dem göttlichen Wesen und seinen Attributen möglich ist, ist aber nicht die formale Identität, sondern bloß die reale Identität. Daß sich die Attribute voneinander formal unterscheiden, ist für Scotus notwendig und unausweichlich. Daher genügt der Forderung nach der Annahme höchstmöglicher Einfachheit in Gott die reale Identität. Notwendig ist die Formaldistinktion in Gott deshalb, weil er in sich notwendigerweise alle Vollkommenheit vereinigt und ihm daher jede Vollkommenheit schlechthin zukommt, und zwar im Modus der Unendlichkeit. Wie aber Weisheit und Güte im Modus der Endlichkeit keineswegs formal identisch sind, sind sie es auch im Modus der Unendlichkeit nicht, denn der Modus ändert die „Washeit" nicht. Daher unterscheiden sich in Gott formal Weisheit, Güte und ebenso alle anderen Attribute.63 Ganz ähnlich läßt sich der Unterschied zwischen den Attributen und dem Wesen Gottes begründen. Notwendig ist die Formaldistinktion in Gott auch deshalb, weil die Attribute des Intellekts und des Willens die Grundlage für die innertrinitarisehen Hervorgänge der göttlichen Personen des Sohnes und des Heiligen Geistes sind. Weil sich aber der Sohn und der Heilige Geist ebenso real voneinander unterscheiden wie die Zeugung des Sohnes und die Hauchung des Geistes, setzen sie zwischen dem Intellekt und dem Willen zwar nicht einen realen Unterschied, aber wenigstens einen Unterschied „a parte rei" voraus, also eine Formaldistinktion. 64 Die Formaldistinktionen in Gott sind also mit seiner Vollkommenheit und mit der Dreifaltigkeit gegeben. Obwohl in Gott Unterscheidungen „a parte rei" nicht zu vermeiden sind und seine Einfachheit nicht die höchste denkbare 61 62 63 64

Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1-4, n. 403 (Vat. II 356,16-357,1); Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1-4, n. 275 (Vat. XVI 2 1 6 , 1 6 - 2 2 ) . Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 202 (Vat. IV 2 6 6 , 1 1 - 1 6 ) . Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 1 9 1 - 1 9 2 (Vat. IV 260,11-261,13). Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 177 (Vat. IV 2 4 6 , 1 - 9 ) .

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Form der Einheit enthält, handelt es sich bei ihnen doch um die geringste von allen denkunabhängigen Unterscheidungen. 65 Auch wird Gott in der Einheit von keinem seiner Geschöpfe übertroffen. Denn die höchste Einheit der formalen Identität findet sich nicht in Geschöpfen, sondern nur in Formalitäten innerhalb von Geschöpfen. Duns Scotus zählt ganze sechs Formalitäten auf, die jedes Geschöpf (unabhängig von allen Eigenschaften) enthält, jedoch nicht Gott. Dabei handelt es sich um die allgemeine Materie, die individuelle Materie, die allgemeine Form, die individuelle Form, das allgemeine aus Materie und Form Zusammengesetzte und das individuelle Zusammengesetzte. 66 Da solch lange Listen von Formalitäten die Einfachheit eines Dinges nicht beeinträchtigen, konnte Duns Scotus auch Formaldistinktionen in Gott akzeptieren. Wer sich allerdings nicht auf den Standpunkt des Scotischen Denkens zu stellen vermag, dem stellt sich angesichts solcher Ausführungen die Frage: Wie soll man sich einen Unterschied vorstellen, der zwar „a parte rei", aber nicht real ist? Anscheinend stieß Scotus mit seinen Lehren schon früh auf solche Verständnisschwierigkeiten. In der „Lectura" beendet er eine ausführliche Erklärung der Formaldistinktion selbstbewußt, indem er sich ein Wort Christi zu eigen macht: „Wer es fassen kann, der fasse es (Mt 19,12). Denn daß es sich so verhält, bezweifelt mein Verstand nicht."67

5)

Die Ordnung der Attribute

Heinrich von Gent verfolgte in seiner Lehrtätigkeit den Plan einer großen „Summa", wenngleich er ihn nicht vollständig ausführen konnte. Der erhaltene Teil ist über weite Strecken hinweg nach der Ordnung innerhalb der göttlichen Attribute konzipiert, die sich so gewissermaßen schon aus dem Inhaltsverzeichnis ablesen läßt. Johannes Duns Scotus folgt in seinen wichtigsten theologischen Werken der damals schon vergleichsweise altmodischen Struktur der vier Bücher der Sentenzen des Petrus Lombardus, der zwar in den letzten Distinktionen des ersten Buches die göttlichen Attribute des Intellektes, der Macht und des Willens behandelt, aber ihrer gegenseitigen Zuordnung

65

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Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1-4, n. 397 (Vat. II 354,6-8): „Ex dictis concluditur differentia hie intenta, quae est immanifesta, nimirum quia minima in suo ordine, id est inter omnes quae praecedunt intellectionem". Scotus: Rep. II, dist. 12, qu. 8, n. 8 (Vives XXIII 39b). Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 (Vat. X V I 217,5-6): „Qui igitur potest capere, capiat, quia sic esse intellectus meus non dubitat".

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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nicht allzu große Aufmerksamkeit widmet. Daher bildet bei Duns Scotus die Ordnung der Attribute nicht das Strukturprinzip der Darstellung. Immerhin merkt Scotus in der „Ordinatio" an, daß es eine solche Ordnung der einzelnen Attribute gebe, wonach manche Attribute ihrem Begriff nach vollkommener sind als andere, wenngleich sie, insofern sie alle unendlich sind, auch an Vollkommenheit gleich sind. Doch verschiebt er genauere Erklärungen zu diesem Thema mit der Bemerkung „De hoc alias",68 verwirklicht diese Ankündigung aber innerhalb der „Ordinatio" nicht. Nur im Prolog der „Reportata Parisiensia" finden sich in einem ganz anderen Zusammenhang einige Hinweise. 69 Zwischen den Begriffen („rationes"), unter denen Gott begreifbar ist, besteht eine Ordnung. An erster Stelle steht der Begriff des Wesens („essentia"). Die anderen reihen sich, je nachdem sie dem Wesensbegriff näher oder femer sind.70 Dabei kommen die Vollkommenheiten des göttlichen Wesens vor den notionalen Akten, und diese kommen vor den trinitarischen Personen, die durch diese Akte hervorgebracht werden.71 Schließlich folgen noch gewisse Beziehungen der göttlichen Personen zueinander.72 Die Attribute folgen also aus dem Wesen, sind aber auch untereinander geordnet. Dabei geht Duns Scotus so vor, daß er jene Ordnung, die zwischen den einzelnen Eigenschaften besteht, wenn sie in einem Geschöpf real unterschieden sind, auf Gott überträgt, wo sie sich nicht real, sondern nur formal voneinander unterscheiden.73 Die Ordnung, die Duns Scotus zwischen ihnen aufstellt, folgt in den Grundzügen dem Vorbild des Heinrich von Gent, weicht aber gelegentlich auch in charakteristischer Weise von ihm ab. Auch für Sco-

68

Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 1, n. 24 (Vat. IV 163,15-20): „Ad secundum dubium dico quod requirit declarationem ,quis sit ordo perfectionum simpliciter'. Et modo, breviter, supponatur quod sit aliquis ordo perfectionis inter eas, ita quod aliqua ex ratione sui est perfectior alia praecise sumpta, licet quando quaelibet est in summo tunc sint omnes aeque perfectae, quia infinitae, - et quaelibet tunc est infinita. De hoc alias".

69 70

Scotus: Rep., Prol., qu. Scotus: Rep., Prol., qu. ordo inter rationes, sub et aliae sunt priores aut tiores".

71

Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 46 (Vives XXII 30b): „Ergo perfectiones simpliciter praecedunt actus notionales, et ipsi actus terminos notionalium ad invicem"; vgl. Scotus: Quodl., qu. 1, n. 16 (Vives X X V , 34b-36b). Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 46 (Vives XXII 31a): „Est etiam ordo notionalium ad relationes communes". Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 43 (Vives XXII 29b); Scotus: Quodl., qu. 1, η. 16 (Vives X X V 35a-b).

72 73

1, n. 4 3 - 4 6 (Vives XXII 29a-31 a). 1, n. 43 (Vives XXII 29a): „Quantum ad istum articulum dico, quod est quibus Deus est conceptibilis, ita quod ratio essentiae est omnino prima, posteriores secundum quod huic rationi propinquiores, vel ab ipsa remo-

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

tus ist die Unterscheidung zwischen Intellekt und Wille grundlegend. Dabei ist der Akt des Intellekts früher als der Akt des Willens.74 Aus der Vollkommenheit des göttlichen Wesens („natura", „essentia") folgt der Intellekt Gottes („intellectus"). Aus ihm ergibt sich der Aspekt, unter dem Gott das Objekt seines Intellekts ist. Dem folgt der Akt des Verstehens nach („actus intelligendi"), und zwar zunächst bezüglich Gottes selbst als seines Erstobjekts („circa obiectum primarium") und danach bezüglich der möglichen Geschöpfe als des Zweitobjekts des göttlichen Intellekts („circa obiectum secundarium"). 75 An anderer Stelle deutet Scotus an, daß der Intellekt auch das Attribut der Weisheit („sapientia") enthalte.76 Wie der Intellekt Gottes so folgt auch sein Wille („voluntas") aus dem göttlichen Wesen. Scotus will die Ableitung der Attribute aus dem Willen in Analogie zur Ableitung der Attribute aus dem Intellekt verstanden wissen, läßt aber in seiner knappen Darstellung die Stufe aus, in der Gott als das Objekt seines Willens auftritt. Später setzt er eine solche Stufe allerdings voraus.77 Jedenfalls ergibt sich aus dem göttlichen Willen der Akt des Wollens. Dabei geht der Akt voran, mit dem Gott sich selbst als sein Primärobjekt will. Der Akt, mit dem Gott die Geschöpfe will, also das Sekundärobjekt seines Willens, folgt nach.78 An anderer Stelle deutet Scotus an, daß der göttliche Wille auch das Attribut der Liebe („Caritas") enthält.79 Das göttliche Wesen läßt sich als erster Gegenstand seines Intellekts und Willens begreifen, das diese beiden Vermögen zu den jeweiligen Akten in bezug auf sich selbst und in bezug auf die Sekundärobjekte bewegt. Scotus begnügt sich mit dieser Andeutung. 80 Ähnlich hat auch Heinrich von Gent ar-

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Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 46 (Vives XXII 30b): „actus intellectus est prior quam actus voluntatis". Scotus: Rep., Prol. qu. 1, n. 43 (Vives XXII 29b): „si enim realiter distinguerentur natura iraraaterialis perfecta, et intellectus perfectus, et illud per quod intellectus habet objectum proportionatum sibi praesens, et ipse actus intelligendi; et ultra etiam esset alius actus circa objecta secundaria virtualiter contenta in objecto primario: esset inter ista talis ordo realis, quod essentia immaterialis perfecta esset prior realiter intellectu perfecta; intellectus perfectus prior realiter ilia ratione repraesentante objectum; et ratio ista repraesentans prior est actu intelligendi, et actus intelligendi objectum primarium, prior realiter actu intelligendi objectum secundarium".

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Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 200 (Vat. IV 265,18-20): „sicut forte intellectus continet sapientiam et intelligere, et voluntas caritatem et diligere".

77 78

Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 4 4 (Vives XXII 30b). Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 43 (Vives XXII 30a): „Similiter potest argui de natura et voluntate, et actu volendi objectum primarium et secundarium". Scotus: Ord. I, dist. 8, pars 1, qu. 4, n. 200 (Vat. IV 2 6 5 , 1 8 - 2 0 ) . Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 4 4 (Vives XXII 30b): „Consimiliter etiam potest argui ex parte objectorum, quae respiciunt intellectum et voluntatem; quia enim Deus est ens immateriale perfectum, ideo natus est esse objectum intellectus proportionati, et ulterius movere ipsum ad actum

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Die Lehre von den göttlichen Attributen

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gumentiert, daß Gott als Objekt seines Intellekts wahr und als Objekt seines Willens gut ist.81 Auffallig ist bei Duns Scotus die gegenüber Heinrich von Gent stark aufgewertete Unendlichkeit Gottes. Während Heinrich aus dem Willen Gottes seine Gutheit, aus seiner Gutheit seine Vollkommenheit, aus seiner Vollkommenheit seine Ganzheit und aus seiner Ganzheit seine Unendlichkeit herleitet,82 rückt Duns Scotus die Unendlichkeit unmittelbar an das göttliche Wesen heran und leitet umgekehrt aus ihr eine ganze Reihe anderer göttlicher Eigenschaften ab. Das entspricht ganz dem, wie Scotus auch sonst in seiner Gotteslehre vorgeht. Er beweist zunächst die Existenz eines unendlichen Seienden („ens infinitum"), weil er diesen Gottesbegriff für den angemessensten hält, den die Vernunft ohne Hilfe der Offenbarung erreichen kann, und leitet dann aus ihm ab, was sich sonst noch über Gott erkennen läßt. Die Unendlichkeit („infinitas") ist allerdings nicht eigentlich ein Attribut Gottes, sondern ein Modus seines Wesens. Sie kommt daher seinem Wesen unmittelbar zu. Aus der Unendlichkeit folgt die Einfachheit („simplicitas"). Die genaue Argumentation, wie sich die Einfachheit aus der Unendlichkeit erschließen läßt, läßt sich besser nachvollziehen als bei den meisten anderen Zuordnungen, die Scotus in diesem Zusammenhang behauptet, denn er hat sie im Rahmen seines Gottesbeweises ausführlich dargelegt.83 Aus der Einfachheit folgt die Unwandelbarkeit („immutabilitas"), und aus ihr leitet Scotus schließlich die Ewigkeit („aeternitas") und Notwendigkeit („necessitas") ab.84 Auch die Attribute des göttlichen Wesens, die notionalen Akte, durch die die trinitarischen Personen konstituiert werden, und die Eigenschaften dieser Personen stehen in einer Ordnung zueinander. Durch das Attribut des Intellekts erfolgt der notionale Akt des Sprechens („dicere"), wodurch das Wort

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circa ipsum; et ulterius quia ad actum circa ipsum, ideo movebit ad actum circa objectum secundario, quod virtualiter continetur in primo". Heinrich von Gent: Summa, art. 33 (ed. Macken, 123,21-23); Heinrich von Gent: Summa, art. 41 (ed. Hödl, 3,14-15). Heinrich von Gent: Summa, art. 41 (ed. Hödl, 3,27-4,32). Scotus: Tract. IV, concl. 10, n. 8 8 - 9 0 (ed. Kluxen, 116-124). Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 44 (Vives XXII 30a): „Consimiliter etiam licet non sit ita manifestum, tarnen videtur posse argui de quibusdam aliis intrinsecis ipsi Deo, puta si distinguerentur realiter infinitas, simplicitas, immutabilitas, aeternitas, necessitas essendi, videretur infinitas intensiva omnino prima, quia dicit modum essentiae (...). Hanc videtur sequi ordine reali simplicitas, quia infinitum est incomponibile alten, quia quocumque componibili cum altero potest esse aliquid majus, puta totum componibile. Similiter etiam incomponibile in se, quia ilia duo componentia nec possunt esse in se finita, nec infmita. Simplicitatem vero videtur sequi immutabilitas, quia immutabile non est cum termino motus componibile. Ex hac videtur sequi necessitas, sive aeternitas, quia excludit omnes possibilitates".

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

(„Verbum") hervorgeht, also die zweite göttliche Person.85 Ebenso erfolgt durch das Attribut des Willens der notionale Akt der Hauchung („spiratio"), durch den die dritte göttliche Person hervorgeht, nämlich der Heilige Geist.86 Schließlich folgen aus all dem noch gewisse Beziehungen der drei göttlichen Personen zueinander. Sie sind mit dem göttlichen Wesen eins, sodaß ihnen die Identität („identitas") zukommt.87 Da sie ferner unendlich und daher einander an Größe gleich sind, kommt ihnen die Gleichkeit („aequalitas") zu.88 Da sie die gleichen Wesenseigenschaften besitzen, besteht zwischen ihnen auch völlige Ähnlichkeit („similitudo").89 Die knappen Andeutungen, die wir von Duns Scotus zu einer Ordnung unter den göttlichen Eigenschaften besitzen, fassen mit wenigen Worten ein weites Feld theologischer Untersuchungen zusammen, das vom göttlichen Wesen über Intellekt, Wille, Unendlichkeit und die von ihnen ableitbaren Attribute zu den Eigenschaften der göttlichen Personen reicht. Dieser Entwurf stünde dem des Heinrich von Gent wohl in nichts nach, hätte der schottische Gelehrte nur die Muße gefunden, die Zusammenhänge auch im Detail zu erörtern. Zu bedauern ist vor allem, daß Duns Scotus zu erwähnen vergißt, welchen Rang in dieser gewaltigen Ordnung der göttlichen Attribute die Allmacht einnimmt.

6)

Das Attribut der Allmacht

Unter der Allmacht Gottes versteht Duns Scotus ein aktives Vermögen („potentia activa"). Es erstreckt sich über alles Mögliche, das hervorgebracht werden kann. Doch da Scotus den Begriff des Möglichen in sehr vielfältigen Be-

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Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 4 4 (Vives XXII 30b): „Secundo, potest declarari propositum de ordine perfectionum simpliciter ad actus notionales et proprietates personales. Si enim ista different realiter, memoria perfecta, quae scilicet includit intellectum et objectum, actus intelligendi sibi praesens, et actus exprimendi notitiam declarativam illius objecti, qui est dicere, et ipse notita producta, per actum dicendi, quae dicitur Verbum, esset ibi simpliciter ordo realis, quia memoria in actu perfecto esset ibi primum, dicere secundum; Verbum tertium, et quia memoria est perfecta, ideo dictiva et quia est dictiva, ideo Verbum productum". Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 4 4 (Vives XXII 30b): „Consimiliter etiam de voluntate et spiratione, et termino spirationis, comparando etiam terminos productionum". Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 46 (Vives XXII 30b-31a): „Ulterius etiam producta ista distincta simpliciter sunt idem, vel unius naturae, et hoc propter simplicitatem et indivisibilitatem illius naturae, ideo est inter ilia perfecta identitas". Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 4 6 (Vives XXII 31a): „Propter idem etiam, quia habent eamdem magnitudinem illius naturae, puta infinitatem, ideo est inter ilia perfecta aequalitas". Scotus: Rep., Prol., qu. 1, n. 4 6 (Vives XXII 31a): „quia etiam habent proprietates illius naturae easdem, ideo inter ilia est perfecta similitudo".

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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deutungen gebraucht,90 erläutert er, wie er ihn in diesem Zusammenhang meint. Dies tut er, indem er ihn gegen zwei andere Begriffe abgrenzt. Möglich ist nichts, was einen Widerspruch enthält. Das Widersprüchliche ist vielmehr in jeder Hinsicht unmöglich. Möglich ist aber auch nicht, was aus sich notwendig ist. Ferner schließt Duns Scotus Privationen, Negationen und Relationen aus, die nicht selbst ein Gegenstand der göttlichen Macht sind, sondern an ihrem Gegenstand auftreten. Alles andere aber, also alles Positive und NichtRelative, das weder widersprüchlich noch aus sich notwendig ist, ist für Gott möglich. Da Gott in dieser Weise notwendig ist, erstreckt sich die Allmacht nach Duns Scotus nicht auf Gott selbst, sondern nur auf den geschöpflichen Bereich.91 Duns Scotus unterscheidet zwischen einer philosophischen und einer theologischen Bedeutung des Wortes „Allmacht". Während in der „Lectura" noch die philosophische Bedeutung als die eigentliche („proprie") gilt92 und die theologische Bedeutung bloß allgemein verbreitet („communiter") ist,93 fehlt in der „Ordinatio" jede nähere Bewertung der philosophischen Bedeutung, während die andere als „eigentlich" („proprie") bezeichnet wird.94 Der Unterschied zwischen beiden Bedeutungen besteht in folgendem: Nach dem philosophischen Verständnis kann der Allmächtige alles Mögliche entweder mittelbar oder unmittelbar („mediate vel immediate") tun.95 Allmacht in diesem Sinn kann man auch „unendliche Macht" nennen.96 Nach dem theologischen Verständnis kann der Allmächtige alles Mögliche unmittelbar („immediate") tun, ohne daß eine Zweitursache mitwirkt.97 Relevant wird diese Unterscheidung in der Frage, ob sich die Allmacht ohne Rückgriff auf die Offenbarung mit der natürlichen Vernunft allein beweisen läßt. Diese Frage beantwortet Duns Scotus nämlich mit einer Unter90 91

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Vgl. unten IV, 1)! Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 6 (Vat. XVII 524,5-12); Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 9 (Vat. VI 343,8-10); Scotus: Quodl., qu. 7, n. 4 (Vives X X V 284a-b); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1-2, n. 7 (Vives XXII 485a-b). Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 6 (Vat. XVII 524,5). Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., η. 11 (Vat. XVII 524,29). Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 9, n. 17 und n. 19 (Vat. VI 343,7; 347,6; 347,14). Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 6 (Vat. XVII 524,5-8); Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 8 (Vat. VI 342,21-343,1); Scotus: Quodl., qu. 7, n. 4 (Vives X X V 284b); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1-2, n. 3 (Vives XXII 484a). Vgl. Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 14 (Vat. XVII 525,20-526,9); Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 1 7 - 1 8 (Vat. VI 347,4-13). Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., η. 11 (Vat. XVII 524,28-525,3); Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 9 (Vat. VI 343,7-11); Scotus: Quodl., qu. 7, n. 4 (Vives X X V 284b); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1-2, n. 3 (Vives XXII 484a).

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Scheidung. Denn es läßt sich mit der Vernunft allein beweisen, daß alles, was es gibt, (und auch alles Mögliche, das es gäbe, wenn es gemacht würde) mittelbar oder unmittelbar auf die Erstursache zurückgeht. Daher läßt sich auch mit der Vernunft allein zeigen, daß die Erstursache unendliche Macht besitzt.98 Ein solcher Beweis kann jedoch unter den Beschränkungen, die unserer Erkenntnis in unserem irdischen Zustand auferlegt sind, nicht aus Gründen erfolgen („demonstratio propter quid"), 99 sondern nur das bloße Faktum aufzeigen („demonstratio quia").100 Unbeweisbar ist hingegen, daß Gott im theologischen Sinn allmächtig ist.101 Vielmehr neigten die heidnischen Philosophen häufig der gegenteiligen Ansicht zu, daß die Erstursache nicht in dem Sinn allmächtig wäre, daß sie alles Mögliche unmittelbar vermag. Denn ihrer Meinung nach stammt aus der Zweitursächlichkeit die Unvollkommenheit, die sie nicht unmittelbar auf die Erstursache zurückfuhren wollten.102 (Dem christlichen Glauben nach mindert es die Vollkommenheit Gottes nicht, wenn er Unvollkommenes ohne Zweitursache erschafft.) Außerdem deuteten die heidnischen Philosophen ihren Grundsatz, wonach aus nichts nichts entstehe („de nihilo nihil fit") so, als könne die Erstursache nicht unmittelbar aus dem Nichts erschaffen, sondern bedürfe der Zweitursache.103 (Dem christlichen Glauben nach kann Gott aus dem Nichts erschaffen und hat es auch getan.) Schließlich glaubten die Philosophen, Gott handle mit Notwendigkeit. Wenn er daher unmittelbar ohne Zweitursache handeln könnte, würde er auch mit Notwendigkeit und immer ohne Zweitursache handeln, was er jedoch offenkundig nicht tut.104 (Nach dem christlichen Glauben handelt Gott „ad extra" kontingent.) Die Philosophen konnten also nicht erkennen, daß Gott im spezifisch theologischen Sinn allmächtig ist, sondern tendierten infolge ihrer Irrtümer zur gegenteiligen Annahme.

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99 100 101

102 103 104

Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 7 - 1 0 (Vat. XVII 524,13-26); Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 8 (Vat. VI 343,1-6); Scotus: Quodl., qu. 7, n. 27 (Vives XXV 306a); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1-2, n. 5 (Vives XXII 484b). Scotus: Quodl., qu. 7, η. 11 (Vives XXV 293a). Scotus: Quodl., qu. 7, n. 27 (Vives XXV 306a). Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 12 (Vat. XVII 525,4-5); Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 9 (Vat. VI 343,12-13); Scotus: Quodl., qu. 7, n. 19 (Vives XXV 299b-300a); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1-2, n. 4 (Vives XXII 484a). Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 10 (Vat. VI 344,9-19); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1-2, n. 4 (Vives XXII 484b). Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 12 (Vat. VI 345,4-7). Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 13 (Vat. VI 345,8-346,3); Scotus: Quodl., qu. 7, n. 16 (Vives XXV 297b-298a); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1-2, n. 4 (Vives XXII 484b).

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

321

Angesichts dieses seines negativen Urteils über die Philosophen sieht sich Duns Scotus mit verschiedenen Argumenten konfrontiert, die Gottes Allmacht, wie sie von den Theologen verstanden wird, mit rein philosophischen Gründen beweisen sollen. Sofern er sie nicht als ungenügend zurückweist, qualifiziert der „Doctor subtilis" sie als Wahrscheinlichkeitsargumente, die zwar nicht zwingen, aber überzeugen können. Die Argumente für die Allmacht sind sogar viel überzeugender als die Wahrscheinlichkeitsargumente für andere Glaubensgeheimnisse. 105 Dennoch bleibt es letztlich eine Sache des Glaubens, daß Gott in dem Sinn allmächtig ist, daß er alles Mögliche mittelbar oder unmittelbar tun kann. 106 Dieses theologische Verständnis der Allmacht drückt sich im Unmittelbarkeitsprinzip aus, wonach Gott als die Erstursache alles, was er zusammen mit Zweitursachen machen kann, auch allein und unmittelbar machen kann. Auch dieses Prinzip ist unbeweisbar und wird nur geglaubt. 107

III. Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes 1)

Der Sinn der Ideenlehre

Wie die meisten hoch- und spätscholastischen Autoren äußert sich Johannes Duns Scotus im Zusammenhang mit der göttlichen Erkenntnis (also in der 35. und 36. Distinktion der Kommentare zum ersten Buch der Sentenzen) zur Lehre von den Ideen im göttlichen Geist. Doch anders als seine Vorläufer benötigt Duns Scotus die Ideenlehre nicht, um zu erklären, wie Gott überhaupt anderes als sich selbst erkennnt. Dieses Lehrstück verliert bei ihm also eine wichtige Funktion, die es bei früheren Denkern zu erfüllen hatte. Am entschiedensten formuliert Scotus dabei im „Tractatus de Primo Principio". Dort behauptet er nämlich, wäre niemals von den Ideen gesprochen worden, wüßte man doch nicht weniger von Gottes Vollkommenheit; und er fügt hinzu, er beabsichtige nicht, sich mit dieser „griechischen" und „platonischen" Vokabel aufzuhalten. 105 106 107 108

Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 18 (Vat. XVII 527,3^»); Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., η. 15 (Vat. VI 3 4 6 , 1 1 - 1 4 ) . Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 5 2 7 , 1 - 2 ) ; Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 9 (Vat. VI 343,12). Scotus: Ord. I, dist. 42, qu. un., n. 14 (Vat. VI 3 4 6 , 4 - 1 0 ) ; Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1 - 2 , n. 7 (Vives XXII 485a). Scotus: Tract. IV, concl. 10, n. 92 (ed. Kluxen, 126): „ D e veritate tua et ideis in te [seil. D e o ] non est opus amplius pertractare propter meum propositum exsequendum. Multa de ideis di-

322

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Immer noch entschieden, doch ein wenig milder äußert sich Duns Scotus, als er in seinem Metaphysikkommentar auf die Tragweite der aristotelischen Argumente gegen die platonische Ideenlehre zu sprechen kommt: Zwar widerlegt Aristoteles jede Notwendigkeit, Ideen anzunehmen, doch bleibt ihre Möglichkeit immerhin bestehen. Nicht an allen Stellen bezieht Duns Scotus so entschieden Stellung. Vielmehr entwickelt er selbst eine Ideenlehre, wie er sie eigentlich für überflüssig erklärt hat. Doch an allen Stellen hält er daran fest, daß die Annahme von Ideen nicht dazu nötig ist, um Gottes Erkenntnis zu erklären, sondern diese ist auch ohne die Ideenlehre verständlich. Gott ist nicht auf seine Ideen angewiesen, um seine Schöpfung zu erkennen.110 Damit verabschiedet Scotus den antiken Gedanken, wonach die Erkenntnis des Unvollkommenen des vollkommenen Intellektes unwürdig sei. Dieser Gedanke hatte beispielsweise Aristoteles dazu gefuhrt, dem unbewegten Beweger die Erkenntnis der Welt abzusprechen und ihn als reines Denken seiner selbst als des einzig Vollkommenen, also als „Denken des Denkens" zu bestimmen.111 Im Christentum wirkte dieser Gedanke etwa bei Heinrich von Gent nach, der wenigstens die direkte Erkenntnis der Geschöpfe für Gottes unwürdig hielt und das Wissen Gottes um die Welt mittels der Ideen im göttlichen Geist erklären muß.112 te. Auch Duns Scotus hält das göttliche Wesen für das erste Objekt der göttlichen Erkenntnis und die Geschöpfe bloß für zweite Objekte, die nur durch das erste Objekt erkannt werden. Als Grund dafür gibt er an, daß nichts Endliches erstes Erkenntnisobjekt eines unendlichen Intellektes sein kann. 113 Doch schließt er aus, daß außer dem göttlichen Wesen noch etwas anderes zur Erkenntnis der Geschöpfe nötig sei.

109

110 111 112 113

cuntur quibus numquam dictis, immo nec ideis nominatis, non minus de tua perfectione scietur. Hoc constat, quia tua essentia est perfecta ratio cognoscendi quodcumque cognoscibile sub ratione quacumque cognoscibilis; appellet ideam, qui vult: hie ego non intendo circa Graecum illud et Platonicum vocabulum immorari". Scotus: Met. IX, qu. 11, n. 4 (Vives VII 390b): „Dicitur ideo ad quaestionem quod Philosophus probat ideas non esse necessarias ad generationem, non quin sint possibiles, et hoc sufficit Philospho". Scotus: Rep. I A , dist. 36, qu. 1-2, n. 63 (ed. Noone, 421,11-12): „essentia sua sufficit sibi ad omnimodam cognitionem habendam de quocumque". Aristoteles: Metaphysik XII 9 (1074b 34-35). Heinrich von Gent: Quodl. IX, qu. 2 (ed. Macken, 27,28-44). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 13-14 (ed. Noone, 399,11-29).

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

323

Daß ein vollkommener Intellekt unvollkommene Geschöpfe versteht, erachtet Duns Scotus nicht mehr als unwürdig, 114 sondern die Erkenntnis aller Geschöpfe ist im Gegenteil für ihn eine Vollkommenheit und sogar eine Vollkommenheit schlechthin. 115 Fern davon, Gott für unvollkommen zu halten, weil er die unvollkommenen Geschöpfe erkennt, wäre der göttliche Intellekt nach Scotus nicht in jeder Hinsicht vollkommen, wenn er nicht alles erkennen würde, mag es auch noch so gering sein. Gott erkennt also alles durch sein Wesen. Der Ideen bedarf er dabei nicht. Sie sind somit nicht sein Erkenntnismittel („ratio cognoscendi"), das Gottes Erkenntnis ermöglicht oder erklärt. Das Wort „Idee" kann er für überflüssig erklären; doch von der Sache zu sprechen, darauf verzichtet er nicht. Denn die Annahme von Ideen ist zwar nicht als Voraussetzung und Erklärung, aber als Folge der göttlichen Erkenntnis nötig. Weil Gott nicht nur sich, sondern alles Mögliche erkennt, muß auch alles Mögliche erkannt sein. Daher gibt es Ideen, die zwar nicht als Voraussetzung die Erkenntnis Gottes ermöglichen, aber durch sie hervorgebracht werden und so mit Notwendigkeit aus ihr hervorgei 116 hen.

2)

Beschreibung der Ideen

In der Frage, was unter Ideen zu verstehen sei, orientiert Scotus sich wie alle scholastischen Autoren zunächst an Augustinus. Im Anschluß an ihn beschreibt Scotus die Idee als ewigen Begriff („ratio") im göttlichen Geist, demgemäß etwas als nach seinem eigentümlichen Begriff („ratio") gebildet werden kann. 117

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116

117

Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1 - 2 , n. 17 (ed. Noone, 4 0 0 , 1 7 - 1 9 ) : „nec imperfectio in cognoscibili prohibet quin perfecte intelligat illud, quia in potentia perfection non est tale impedimentum". Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 12 (Vat. XVII 4 4 8 , 2 0 - 2 2 ) ; Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 19 (Vat. VI 2 5 2 , 1 1 - 1 3 ) : „intelligere lapidem est perfectio simpliciter, ita quod intellectus divinus non esset omnino perfectus intellectus si non intelligeret lapidem". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 66 (ed. Noone, 4 2 3 , 8 - 1 6 ) : „Sed quod aliquid coexigatur ut posterius actui divino tamquam sequens actum et constitutum per ipsum, hoc est possibile; immo est necessarium de omni actu Dei ad extra, isto modo quod finitum coexigatur ad actum infinitum, quia finitum non est sine actu infinito ut causa eius. Non igitur requiritur aliquod obiectum aliud a D e o in ratione primi motivi vel primi terminantis, sed tantum ut obiectum secundario terminans in virtute primi obiecti terminantis, sequens et constitutum per actum infinitum et dependens ab eo ut mensuratum a mensura". Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 38 (Vat. VI 260,22-25): „Sententia Augustini, in illa quaestione, potest colligi in ista descriptione ideae: 'idea est ratio aetema in mente divina, secun-

324

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Die Ideen haben also nicht nur mit der Erkenntnis Gottes zu tun, sondern dienen als Vorbilder fur die Schöpfung. Gott erschafft nicht unvernünftig, sondern vernünftig („rationabiliter"), also nach Vorbildern. Da er nicht alles nach demselben Vorbild schafft, entsprechen den einzelnen Geschöpfen auch verschiedene Ideen. Da Gott von nichts außerhalb seiner abhängt, befinden 118

sich seine Ideen im göttlichen Geist. Duns Scotus ist sich nicht klar darüber, ob seine Auffassung der Ideen mit der Meinung Piatons übereinstimmt, auf den sich Augustinus beruft. Denn Aristoteles schreibt Piaton die Meinung zu, die Ideen bestünden allein aus sich selbst, was Scotus ablehnt. (Diese Deutung gilt heute als korrekte Piatoninterpretation.) Bei Augustinus hingegen wird Piaton, findet Scotus, die seiner Meinung nach korrekte Auffassung von den Ideen im göttlichen Intellekt zugeschrieben.119 Nun erörtert Scotus vor allem zwei verschiedene Auffassungen der Ideen. Die eine erachtet die Ideen als Erkenntnismittel („ratio cognoscendi"), beschreibt sie als Relation zwischen Gott und dem Geschöpf und verlangt, daß diese Relation der Erkenntnis des Geschöpfes und seiner Erschaffung durch Gott vorausgeht. Die zweite Auffassung sieht in den Ideen Erkenntnisobjekte, die zwar an jedem Erkenntnisakt beteiligt sind, aber im Falle der göttlichen Erkenntnis nicht eigens vorausgesetzt werden müssen, weil sie ohnehin virtuell im göttlichen Wesen enthalten sind. Duns Scotus lehnt die erste Auffassung der Ideen ab und macht sich die zweite zu eigen. Gegen die Auffassung der Ideen als Erkenntnismittel wendet Scotus zunächst ein, daß Gott alles erkenne, was sich erkennen läßt, ohne dafür irgendeines anderen Erkenntnismittels zu bedürfen als seines eigenen Wesens. 120

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119

120

dum quam aliquid est formabile ut secundum propriam rationem eius'"; vgl. Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 57 (ed. Noone, 419,17-19). Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 39 (Vat. VI 261,1-8): „Deus omnia causat vel causare potest, - non irrationabiliter, ergo rationabiliter; ergo habet rationem secundum quam format. Non autem eandem omnium, - ergo singula propriis rationibus format; non autem rationibus extra se (quia non eget in efficiendo aliquo alio a se), ergo rationibus in mente sua. Nihil autem in mente sua nisi incommutabile; ergo omne formabile potest formare secundum rationem propriam sibi, aeternam in mente sua: tale ponitur idea". Scotus: Ord., dist. 35, qu. un., n. 41 (Vat. VI 262,1-6): „Istud etiam videtur concordare cum dicto Piatonis (a quo accepit Augustinus nomen ideae). Ipse enim posuit ideas esse quiditates rerum: per se existentes, et male, secundum Aristotelem, - secundum Augustinum in mente divina, et bene; unde aliquando loquitur de mundo intelligibili, secundum eum". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 63 (ed. Noone, 421,7-12): „Ad secundum dubium dico quod si aliqui respectus vel nulli numquam essent in Deo, nec rationes ideales, non minus distincte intelligeret modo Deus omnia quam nunc. Et ideo tales relationes non sunt necessariae in Deo ad hoc quod distincte cognoscat omnia, eo quod essentia sua sufficit sibi ad omnimodam cognitionem habendam de quocumque".

325

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

Daher wären solche Ideen bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls der göttlichen Vollkommenheit unwürdig. Ideen lassen sich auch nicht als Relationen auffassen, die der Erkenntnis und Erschaffung der Geschöpfe durch Gott vorangehen. Denn die Relation und ihre Erkenntnis setzen das Bestehen bzw. die Erkenntnis der Relate voraus, zwischen denen diese Relation besteht. Daher kann eine Idee, wenn sie als Relation gedeutet wird, nicht erklären, wie Gott ein Geschöpf erkennt, denn dann müßte Gott, um zunächst die Relation selbst (und durch sie das Geschöpf) zu erkennen, das Geschöpf selbst schon erkannt haben, was aber - der 121

Annahme entsprechend - nicht der Fall ist. Die Deutung der Ideen als Relationen, die Gott zur Erkenntnis und Erschaffung der Geschöpfe voraussetzt, läßt sich also nach Scotus nicht halten. Stattdessen nimmt Scotus die zweite Deutung der Ideen an, die in den Ideen die Erkenntnisobjekte selbst sieht. Am Beispiel des Steines, das er immer wieder gern heranzieht, wenn er eine geschaffene Wirklichkeit veranschaulichen will, 122 erklärt Scotus: Die Idee des Steines ist der erkannte Stein 123 selbst. Denn der erkannte Stein ist im göttlichen Intellekt wie das Erkannte im Erkennenden, und nach seinem Vorbild kann der Stein in der Wirklichkeit hervorgebracht werden. Damit ist nicht gesagt, daß der Stein, den Gott schon seit Ewigkeit erkannt hat, deshalb auch schon seit Ewigkeit existiert. Solange er bloß erkannt ist, existiert der Stein noch nicht real, sondern er ist „nichts". 124 Seine Seinsweise ist ein Sein als Erkenntnisobjekt, was das Mittelalter als „objektives" Sein bezeichnet. Diese Seinsweise ist gegenüber der realen Existenz defizient. Scotus spricht daher auch von einem „verminderten Sein" („esse deminutum"). 125 Indem Scotus die Auffassung der Ideen als Relationen und Erkenntnismittel ablehnt und sie stattdessen als Erkenntnisgegenstände auffaßt, bestreitet er nicht, daß zwischen Gott und den erkannten Geschöpfen Relationen bestehen, 121

122

123 124 125

Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 33 (Vat. VI 258,19-259,6): „Et ista quarta via potest tenere illam propositionem - quae videtur probabilis - quod ,relatio naturaliter non cognoscitur nisi cognito termino' (sed nec intellectus comparat ad aliquid nisi naturaliter prius cognito termino), quam propositionem non potest alia via tenere, quia oportet quod dicat quod ilia relatione qua comparat istam intellectionem, comparat essentiam ad aliquid non prius cognitum naturaliter". Klaus Bannach: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung. Wiesbaden: Steiner 1975 (VIEG 75), 163. Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 4 0 (Vat. VI 261,9-10); Scotus: Rep. 1 A, dist. 36, qu. 1 - 2 , n. 58 (ed. Noone, 420,11): „idea lapidis non sit nisi lapis intellectus". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1 - 2 , n. 54 (ed. Noone, 4 1 8 , 1 6 - 1 7 ) : „lapis in esse cognito tantum nihil est secundum rem". Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 4 4 (Vat. VI 2 8 8 , 6 - 1 2 ) .

326

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

die Gott erkennt. Vielmehr behauptet er dies ausdrücklich. Er bestreitet jedoch entschieden, daß diese Relationen als Erkenntnismittel der Erkenntnis der einzelnen Geschöpfe vorausgehen und sie erklären. Wie sich die Relationen zwischen Gott und den erkannten Geschöpfen zu den Ideen verhalten, beschreibt Scotus in einem Schema von vier Instanzen oder Momenten. Das Denken in Instanzen bzw. Momenten ist charakteristisch fur Duns Scotus und seine Anhänger. In der Zeit gibt es eine zeitliche Anordnung der verschiedenen Augenblicke. Gott aber ist ewig und steht außerhalb der Zeit. Dennoch nimmt Scotus auch in Gott Abläufe an. Diese finden jedoch nicht in aufeinanderfolgenden zeitlichen Momenten statt. Vielmehr laufen sie in dem einen Augenblick der Ewigkeit in geordneten Momenten der Natur ab, die Duns Scotus auch „Instanzen" („instantia") oder „Zeichen" („signa") nennt. Was logisch vorausgesetzt werden muß, geschieht in Gott in einem früheren Moment der Natur als das, was logisch erst dadurch bedingt ist. So kann Scotus die Modelle menschlicher Denk- und Entscheidungsabläufe, die in der Zeit in einer bestimmten Reihenfolge verlaufen, auf den zeitlosen göttlichen Intellekt übertragen. Dort verlaufen sie zwar nicht in der Zeit, sondern in einem einzigen ewigen Augenblick, aber sie folgen einander in einer bestimmten logischen und sachlichen Reihenfolge und daher in verschiedenen Momenten der Natur. Damit entwickelt Scotus etwas^ das in der Sekundärliteratur als eine „Psychologie" Gottes bezeichnet wurde. So erkennt Gott ein Geschöpf in einem Ablauf, der vier Momente der Natur umfaßt. Im ersten Moment erkennt Gott nur sein eigenes göttliches We127

sen. Im zweiten Moment der Natur bringt der göttliche Intellekt das Geschöpf im „intelligiblen Sein" hervor (nicht im realen Sein) und erkennt es. Damit ist das Geschöpf der Erkenntnisgegenstand Gottes und somit eine Idee des göttlichen Geistes. Zugleich entsteht eine einseitige Relation des erkannten Ge-

126

127

Allan B. Wolter: Ockham and the Textbooks: On the Origin of Possibility. In: FS 32 (1950) 70-96, 74; Simo Knuuttila: Modalities in Medieval Philosophy. London-New York: Routledge 1983 (Topics in Medieval Philosophy), 139; Lilli Alanen, Simo Knuuttila: The Foundations of Modality and Conceivability in Descartes and His Predecessors. In: Modern Modalities. Studies in the History of Modal Theories from Medieval Nominalism to Logical Positivism. Hrsg. v. Simo Knuuttila. Dordrecht-Boston-London: Kluwer 1987 (SyHL), 1-69, 32. Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 32 (Vat. VI 258,4-5): „Deus in primo instanti intelligit essentiam suam sub ratione mere absoluta"; Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 22 (Vat. XVII 452,12-13); Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 33 (Vat. XVII 456,7-8); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 63 (ed. Noone, 421,14-15).

327

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

schöpfes zum göttlichen Intellekt, dem noch keine umgekehrte Relation des göttlichen Intellektes zum erkannten Geschöpf entspricht.128 Im dritten Moment der Natur vergleicht Gott das Geschöpf mit seinem Wesen und stellt fest, daß es sein Wesen in einem bestimmten Grad nachahmt. Somit besteht eine begriffliche Relation der Nachahmbarkeit zwischen 129

dem göttlichen Wesen und dem erkannten Geschöpf. Im vierten Moment der Natur erkennt Gott die so entstandene Relation der Nachahmbarkeit und begreift sie. 130 In der Ausführung dieser Vier-Instanzen-Theorie, wie sie in der „Ordinatio" vorliegt, leitet Duns Scotus den dritten Moment der Natur mit einem zögernden „vielleicht" („forte") ein. Das ist nicht so zu deuten, als sei er sich seiner Ausführungen ungewiß, sondern besagt, daß die entscheidenden Elemente seiner Ideenlehre im ersten und vor allem im zweiten Moment enthalten sind, während der dritte und vierte Moment eigentlich entbehrlich sind. Schon im zweiten Moment liegt die Idee vor, denn Gott erkennt das Geschöpf. 131 128

129

130

131

Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 32 (Vat. VI 258,5-9): „in secundo instanti producit lapidem in esse intelligibili et intelligit lapidem, ita quod ibi est relatio in lapide intellecto ad intellectionem divinam, sed nulla adhuc in intellectione divina ad lapidem, sed intellectio divina terminat relationem .lapidis ut intellecti' ad ipsam"; Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 22 (Vat. XVII 452,13-17); Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 33 (Vat. XVII 456,8-9); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 63 (ed. Noone, 421,15-21); als Variante bietet Scotus an: Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 64 (ed. Noone, 421,25-422,3): „Sed secundum aliam viam esset dicendum quod in secundo instanti quo Deus intelligit lapidem et constituitur in esse cognito non refertur lapis ad Deum nec dependet, quia sic adhuc nihil est in re et in omni illo sive in toto instanti intelligit Deus lapidem sine omni dependentia lapidis ad ipsum". Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 32 (Vat. VI 258,9-13): „in tertio instanti, forte, intellectus divinus potest comparare suam intellectionem ad quodcumque intelligibile ad quod nos possumus comparare, et tunc comparando se ad lapidem intellectum, potest causare in se relationem rationis"; Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 22 (Vat. XVII 452,24-26); Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 33 (Vat. XVII 456,9-11); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 63 (ed. Noone, 421,21-24). Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 32 (Vat. VI 258,13-15): „et in quarto instanti potest quasi reflecti super istam relationem causatam in tertio instanti, et tunc ilia relatio rationis erit cognita"; Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 22 (Vat. XVII 452,26-28); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 64 (ed. Noone, 422,5-9). Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 33 (Vat. XVII 456,8-9): „et in secundo quiditates aliorum quae - ut sie intellectae sunt - ideae dicuntur"; vgl. Gilson: Scotus, 294; Jan P. Beckmann: Der ideentheoretische Grundansatz bei Thomas von Aquin, Joh. Duns Scotus und Wilhelm v. Ockham. In: FS 57 (1975) 366-377, 372; Jan P. Beckmann: Idee, II. Mittelalter, B. Hoch- und Spätscholastik, 11. In: HWP4 (1976) 95-99, 96; Ludger Honnefelder: Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus-Suärez-Wolff-Kant-Peirce). Hamburg: Meiner 1990 (Paradeigmata 9), 2 7 f - gegen Timothy Β. Noone: Aquinas on Divine Ideas: Scotus' Evaluation. In: FrS 56 (1998) 307-324, 315; Timothy Β. Noone: Scotus on Divine Ideas: Rep. Paris. 1-A,

328

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Der dritte und vierte Moment tragen nichts zur eigenen Ideenlehre des Duns Scotus bei, sondern geben ihr Verhältnis zu seinen Vorläufern an, mit denen er sich über die Vorstellung der Ideen als Relationen der Nachahmbarkeit auseinandersetzt.132 Duns Scotus bestreitet keineswegs, daß es solche Relationen der Nachahmbarkeit gibt und daß Gott sie erkennt. Er möchte sie aber nicht Ideen nennen und bestreitet, daß sie zur Erkenntnis der Geschöpfe beitragen können. Nicht durch Relationen der Nachahmbarkeit erkennt Gott die möglichen Geschöpfe, sondern indem er die möglichen Geschöpfe erkennt und im intelligiblen Sein hervorbringt, erkennt er nachfolgend die Relationen der Nachahmbarkeit. Solche Relationen hängen also selbst von der Erkenntnis der möglichen Geschöpfe ab und können sie nicht umgekehrt erklären. Diesen Sachverhalt drückt Duns Scotus dadurch aus, daß er die Relationen, die seine Vorläufer fiir die Ideen gehalten haben, erst im für die Ideenlehre selbst unnötigen dritten Moment einfuhrt und die Erkenntnis dieser angeblichen „Ideen" in den vierten und letzten Moment verlegt. Nichts desgleichen kann also zur Erkenntnis der göttlichen Ideen im zweiten Moment der Natur beitragen. Der entscheidende zweite Moment in der Bildung der Ideen im göttlichen Geist bleibt ein wenig knapp und rätselhaft. Scotus stellt fest, daß der göttliche Intellekt die Ideen hervorbringt („producit"), ohne über die Art und Weise weitere Worte zu verlieren. Indessen ist klar, daß es sich dabei um eine ganz andere Art des Hervorbringens handeln muß als bei der Erschaffung der Geschöpfe im realen Sein. Denn erstens bringt die Ideen der göttliche Intellekt allein hervor, während an der Schöpfung auch der göttliche Wille beteiligt ist. Da der Intellekt naturhaft und mit Notwendigkeit wirkt, der Wille dagegen frei und kontingent, stehen die Ideen nicht im Ermessen des göttlichen Willens, sondern wovon immer es Ideen gibt, davon gibt es sie mit Notwendigkeit. Zweitens werden die Geschöpfe in der Zeit erschaffen, die Ideen bestehen aber, sobald der allwissende Gott sie erkennt, also schon seit Ewigkeit. Drittens existieren die Geschöpfe, wenn sie einmal erschaffen sind, im realen Sein. Die Ideen sind dagegen nur Erkenntnisgegenstände im göttlichen Intellekt. Sie haben kein reales Sein, sondern nur ein intelligibles Sein bzw. ein Erkannt-Sein.

132

d. 36. In: Medioevo. Rivista di storia della filosofia medievale 24 (1998) 359-453, 37lf, der die Idee erst im vierten Moment gegeben sieht. Honnefelder: Scientia, 28.

329

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

Nach Johannes Duns Scotus sind also unter den Ideen die Gegenstände des göttlichen Intellektes zu verstehen. Ideen sind keine Relationen, sondern die erkannten Geschöpfe selbst in ihrer intelligiblen Seinsweise. Sie dienen zugleich als Vorbilder bei der Schöpfung. Eine Relation zwischen Gott und den Ideen entsteht erst in jenem natürlichen Moment, der ihrer Produktion folgt, und wird erst im darauffolgenden natürlichen Moment erkannt.

3)

Das Verhältnis der Ideen zu Gott und zueinander

In der Frage, wie sich die Ideen zu Gott verhalten, läßt Johannes Duns Scotus seinen ganzen Scharfsinn spüren. Er verbindet widerstrebende Positionen, identifiziert die Ideen mit dem göttlichen Wesen ebenso wie mit den erkannten Geschöpfen, spricht ihnen eine eigene Seinsweise zu und behauptet, sie seien nichts. 133

In einem gewissen Sinn sind die Ideen „nichts". Den Ausdruck „nichts" verwendet Duns Scotus aber in mehrfacher Bedeutung. Denn unter „nichts" versteht er einerseits, was nicht real existiert, weil keine Ursache es hervorgebracht hat. „Nichts" ist also, was zwar sein kann, aber nicht ist. 134 Andererseits bezeichnet Duns Scotus mit „nichts", was unmöglich sein kann, weil ihm das reale Sein widerspricht oder weil es in sich widersprüchlich ist. 135 Vor der Schöpfung waren sowohl der Mensch als auch die Chimäre nichts. Aber der Mensch war es in der ersten Bedeutung von „nichts", denn er war zwar noch nicht erschaffen, konnte aber erschaffen werden und ist seither auch tatsächlich erschaffen worden. Die Chimäre war hingegen ,nichts" in der zweiten Bedeutung des Wortes, denn sie war nicht nur faktisch nicht erschaf136 fen, sondern konnte nicht erschaffen werden, weil ihr das Sein widerspricht. Die Ideen Gottes sind „nichts" nicht in der zweiten, sondern in der ersten Bedeutung des Wortes. Als Objekte der göttlichen Erkenntnis können sie nicht widersprüchlich wie eine Chimäre sein. Denn was in sich einen Wider-

133 134 135 136

Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 54 (ed. Noone, 4 1 8 , 1 6 - 1 7 ) . Vgl. Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 58 (Vat. VI 2 9 4 , 1 5 - 1 7 ) . Vgl. Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 58 (Vat. VI 2 9 4 , 2 1 - 2 3 ) . Scotus: Lect. 1, dist. 36, qu. un., n. 39 (Vat. XVII 4 7 5 , 6 - 1 1 ) : „Ad propositum igitur dico: res antequam creetur (ut homo), nihil est, non propter repugnantiam positivi ad positivum, nec propter repugnantiam quam habet ad oppositum eius quod est nihil, scilicet ad aliquid, sed propter privationem dantis esse; chimaera autem, quod est impossibile et fictivum, dicitur esse nihil propter repugnantiam formalem ad positivum";vgl. Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 60 (Vat. VI 296,1-9).

330

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus 137

spruch enthält, läßt sich nicht begreifen. Daher hat Gott zwar die Idee des Menschen, aber nicht die Idee der Chimäre. Diese Idee des Menschen ist also nichts im ersten Sinn, jedoch nicht im zweiten Sinn des Wortes „nichts". In einem gewissen Sinn sind die göttlichen Ideen also „nichts", doch in einem anderen Sinn haben sie „Sein" in einer bestimmten Seinsweise. So jedenfalls drückt sich Duns Scotus aus, wenn er vom „esse intelligibile" oder vom 138

„esse cognitum" der Ideen spricht. Die Ideen (und darunter sind beispielsweise die bloß erkannten Steine zu verstehen) sind nicht ohne weiteres, sondern sie sind erkennbar bzw. erkannt. Sie haben also kein Sein schlechthin („esse simpliciter"), sondern nur ein Sein in gewisser Hinsicht („esse secundum quid"). 139 Die Seinsweise der Ideen bestimmt Duns Scotus als „vermindertes Sein" („esse deminutum"). Dieser Ausdruck stammt aus einer lateinischen Übersetzung der aristotelischen Metaphysik, der eine fehlerhaft übersetzte arabische Version zugrundeliegt, auf die sich auch Avicenna stützt. Obwohl in den Tagen des Duns Scotus schon längst korrekte Übersetzungen aus dem griechischen Original benutzt wurden, bürgerte sich der Ausdruck „ens deminutum" als Bezeichnung für etwas ein, das nicht real existiert, sondern nur gedacht • j 140

wird. Als Idee existiert ein mögliches Geschöpf nicht real, sondern wird nur von Gott gedacht. Es existiert nur wie das Erkannte im Erkennenden.141 Daher hat die Idee ein vermindertes Sein („esse deminutum") bzw. ein Sein in gewisser Hinsicht („esse secundum quid"). Das bedeutet nicht, daß das erkannte Geschöpf in seinem sachlichen Gehalt vermindert oder eingeschränkt ist. Auch ein bloß gedachter Mensch ist dadurch bestimmt, daß er vernünftig ist, lachen kann usw. Eingeschränkt ist nur seine Seinsweise. Homer ist gedacht, aber 137

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Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 114a): „nunquam contradictorium cum contradictorio constituit unum intelligibile"; Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 1-2, n. 137 (Vat. II 209,4-5); Scotus: Tract. IV, concl. 9, via 5, n. 79 (ed. Kluxen, 104). Beispielsweise Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un. (Vat. VI 258,6; 262,8-9; 265,2; 266,7); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2 (ed. Noone, 403,22-23; 420,25-26; 421,17-18; 424,4-5). Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 14 (Vat. VI 276,10-11); Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 44 (Vat. VI 288,6-12): „Ad secundum dico quod productio ista est in esse alterius rationis ab omni esse simpliciter, - et non est relationis tantum, sed et fundamenti; non quidem secundum esse essentiae vel existentiae, sed secundum esse deminutum (quod est ,esse' verum), quod esse est esse secundum quid etiam entis absoluti, quod tarnen ,ens absolutum' secundum istud esse deminutum concomitatur relatio rationis". Armand Augustine Maurer: Ens Diminutunr. a Note on its Origin and Meaning. In: MS 12 (1950)216-222. Scotus: Lect. I, dist. 35, qu. un., n. 30 (Vat. XVII 455,14-16); Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 40 (Vat. VI 261,13-15): „Et ista ,ratio aetema' est in mente divina ut cognitum in cognoscente, per actum intellectus divini".

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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Homer ist (im Sinne von „existiert") nicht (oder wenigstens nicht mehr). Der Schluß von einer verminderten Seinsweise auf das Sein schlechthin ist ein Fehlschluß. 142 Im Vergleich zu Heinrich von Gent ist Scotus bemüht, den ontologischen Status, den er den Ideen zuschreibt, herabzustufen. Nicht nur das „esse existentiae" spricht er ihnen ab, sondern auch das „esse essentiae", das Heinrich von Gent ihnen zugestanden hat. 143 Dennoch unterläßt er es nicht, ihnen doch irgendeine (wenn auch noch so verminderte) Form von „esse" zuzuschreiben. Zugleich erklärt er sie freilich auch für „nichts" in der weiteren Bedeutung des Wortes. Diese Erkenntnisse über den ontologischen Status der Ideen dienen zur Klärung ihres Verhältnisses zu Gott und zu seinen Geschöpfen. Als christlichem Theologen ist es Duns Scotus wichtig, von den Ideen auszuschließen, daß sie unabhängig von Gott real existieren und ewig sind. Zwar sind die Ideen ewig, weil Gott sie seit Ewigkeit erkennt und dadurch hervorbringt. Doch sie sind ewig nur als Denkobjekte Gottes; d. h. ewig sind sie, weil Gott die möglichen Geschöpfe seit Ewigkeit erkennt. 144 Da das Sein, das die göttliche Erkenntnis verleiht, kein reales Sein ist, gibt es außer Gott selbst nichts, was seit Ewigkeit real existiert. Ideen besitzen also kein eigenes reales Sein. Sie können nicht selbständig existieren, sondern brauchen, um zu sein, den göttlichen Intellekt, der sie erkennt. Dadurch sind sie gewissermaßen in das reale Sein Gottes hineingenommen. Sie sind wie das Erkannte im Erkennenden. Da Gottes Einfachheit jegliche reale Unterscheidung ausschließt, besteht kein realer Unterschied zwischen dem Erkennen und dem Erkannten 145 und damit auch nicht zwischen den Ideen und dem göttlichen Wesen. Die Ideen sind nach Duns Scotus mit dem göttlichen Wesen real identisch. Sie besitzen kein eigenes reales Sein, sondern was sie an realem Sein besitzen, ist das Sein des göttlichen Wesens, mit dem sie real identisch sind.

142

Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 34 (Vat. VI 284,18-21): „et ideo non sequitur ,Homerus est in opinione, ergo Homerus est', nec etiam .Homerus est existens in opinione, ergo Homerus est existens', - sed est fallacia secundum quid et simpliciter".

143 144

Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un. (Vat. VI 2 7 1 - 2 9 8 ) . Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 4 0 (Vat. VI 261,15-16): „quidquid autem est in Deo, secundum quodcumque esse (sive rei sive rationis), per actum intellectus divini, est aeternum".

145

Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 52 (ed. Noone, 4 1 7 , 1 3 - 1 5 ) : „Non sic est in Deo quia ibi non distinguuntur sie intellectum, sive obiectum, et intelligere, quia sunt idem realiter"; Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1 - 2 , n. 58 (ed. Noone, 4 2 0 , 8 - 1 0 ) .

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Doch nicht nur zu Gott, sondern auch zu den Geschöpfen stehen die Ideen in einer sehr engen Beziehung. Die Idee des Steines ist ja der erkannte Stein, der Stein als erkannter.146 Gemeinsam ist dem Stein als erkanntem und dem Stein als (möglicherweise) erschaffenem die inhaltliche Bestimmung. Alles, was notwendig zum Stein gehört, ist sowohl in der Idee des Steines als auch im realen Stein enthalten. Doch die Seinsweise unterscheidet sie. Als erschaffener hat der Stein reales Sein in der zeitlichen, geschöpflichen Wirklichkeit. Als erkannter hat der Stein nur ein vermindertes Sein, ein ewiges ErkanntSein im göttlichen Intellekt. Auch untereinander unterscheiden sich die Ideen. Dieselbe inhaltliche Bestimmung, die sie mit den erschaffenen Wesen verbindet, deren Ideen sie sind, unterscheidet sie voneinander. Zwei Ideen sind zwei und nicht eine, weil sie die Ideen von zwei verschiedenen Dingen sind. Da die Ideen viele sind, können sie nicht in jeder Hinsicht mit dem einen und einfachen göttlichen Wesen identisch sein. Es tritt also zu ihrer realen Identität mit dem göttlichen Wesen eine Weise der Unterschiedenheit. Über die Frage, welcher Art dieser Unterschied ist, verliert Duns Scotus keine unnötigen Worte. 147 Doch darf man der Deutung 148 folgen, die aus der Bemerkung in der „Ordinatio", das „esse simpliciter" der göttlichen Erkenntnis sei nicht formal das „esse secundum quid" ihrers Erkenntnisobjektes,149 schließt, daß zwischen Gott und seinen Ideen eine Formaldistinktion vorliegt. Daraus läßt sich ferner schließen, daß die Ideen auch voneinander formal unterschieden sind.150 Die Ideen sind also als Objekte der göttlichen Erkenntnis in Gott wie das Erkannte im Erkennenden. Sie sind mit Gott real identisch, aber formal von ihm wie auch voneinander unterschieden. Sie unterscheiden sich von den möglichen und wirklichen Geschöpfen, deren Ideen sie sind, durch ihr vermindertes Sein, stimmen mit ihnen aber in ihrer inhaltlichen Bestimmung überein. Eben diese inhaltliche Bestimmung unterscheidet sie zugleich voneinander.

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Scotus: Ord. I, dist. 35, qu. un., n. 40 (Vat. VI 261,9-10): „videtur quod ,lapis intellectus' possit dici idea"; Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 1-2, n. 58 (ed. Noone, 420,11). Vgl. Stansilav Sousedik: Der Streit um den wahren Sinn der Scotischen Possibilienlehre. In: John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega Wood und Mechthild Dreyer. Leiden-New York-Köln: Brill 1996 (STGMA 53), 191-204, 203. Gilson: Scotus, 310-12; Beckmann: Grundansatz, 373; Beckmann: Idee, 97. Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 46 (Vat. VI 289,10-11): „istud ,esse simpliciter' non est formaliter esse eius quod dicitur ,esse secundum quid'". Beckmann: Grundansatz, 373; Beckmann: Idee, 97.

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes 4)

Die Arten der Ideen

a)

Überlegungen, wovon es eigene Ideen gibt

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Wie Thomas von Aquin und Heinrich von Gent macht sich auch Johannes Duns Scotus Gedanken über die Frage, wovon im göttlichen Geist eigene Ideen anzunehmen sind. Dabei kommt er zu Ergebnissen, die von denen des „Doctor angelicus" und des „Doctor sollemnis" abweichen. Statt an diese „modernen" Theologen will sich Duns Scotus an einen „doctor antiquus" halten, nämlich an seinen Ordensbruder Bonaventura. 151 Grundsätzlich stellt Duns Scotus fest: Alles, was Gott als von anderem unterschieden erkennen kann, davon hat er auch eine eigene Idee. 152 Ausgenommen ist Gott selbst, der sich so unmittelbar gegenwärtig ist, daß man von keiner Idee sprechen kann. Da Gott allwissend ist, erkennt er alles Positive und hat daher auch von allem Positiven (außer von sich selbst) eine eigene 153 Idee. Während Thomas von Aquin und Heinrich von Gent lange Listen von Dingen vorlegen, von denen keine Ideen im göttlichen Geist vorhanden sind, läßt Duns Scotus viel eher (und daher auch viel mehr) Ideen zu als diese. IDEEN VON NUR MÖGLICHEM

Thomas von Aquin unterschied zwischen Idee als spekulativem Prinzip, das zur Erkenntnis gehört, und Idee als praktischem Prinzip, das zur Tätigkeit gehört. Als spekulatives Prinzip wird die Idee „ratio" genannt, als praktisches Prinzip „exemplar". „Rationes" gibt es von allem, was Gott als eigenständig und von anderem unterschieden erkennen kann, „exemplaria" hingegen nur

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Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 46 (ed. Noone, 441,2-3): „Respondeo ergo ad primam quaestionem cum alio doctore antiquo". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 47 (ed. Noone, 4 4 1 , 1 3 - 1 4 ) : „quidquid est obiectum distincte cognoscibile a D e o habet distinctam ideam"; vgl. Bonaventura: In I Sent., dist. 36, art. 2, qu. 1, resp. (ed. Quaracchi, I 624): „Et quia non solum in illo exemplari exprimuntur entia, sed etiam omnia cognoscibilia Deo, ideo omnia sunt in Deo vita, quae in ipso sunt". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 46 (ed. Noone, 441,2-7): „Respondeo ergo ad primam quaestionem cum alio doctore antiquo, quod idea, si accipiatur pro principio cognoscendi vel pro principio operandi (quia quaelibet idea - ut credo - utroque modo potest accipi) ipsa est distincta cuiuslibet positivi alterius a Deo, sive sit factibile in se sive in alio, sive sit respectivum sive sit absolutum"; vgl. Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 47 (ed. Noone, 441,1 ΟΙ 2).

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

von dem, was Gott irgendwann einmal tatsächlich verwirklicht.154 Es gibt also keine praktischen Ideen von allem, was weder war noch ist noch sein wird. 155 Diese Unterscheidung zwischen praktischen und spekulativen Ideen billigt Duns Scotus nicht. Seiner Meinung kann jede Idee sowohl als spekulativ als auch als praktisch betrachtet werden. 156 Daher gibt es keine Ideen, die zwar spekulativ sind, aber nicht praktisch, sondern jede spekulative Idee ist auch praktisch. Wiederum beruft sich Duns Scotus hier auf verschiedene Momente in der Entscheidungsfindung Gottes. Zunächst bringt der göttliche Intellekt die Ideen hervor. In einem weiteren Moment der Natur (nicht der Zeit!) legt er sie dem göttlichen Willen vor, der entscheidet, welche von ihnen verwirklicht werden sollen. Und erst danach kann der göttliche Intellekt zwischen Ideen, die niemals verwirklicht werden und daher rein spekulativ sind, und Ideen, die irgendwann einmal verwirklicht werden, unterscheiden. Daher lassen sich die Ideen höchstens nach der Entscheidung des Willens in solche einteilen, die verwirklicht werden, und in andere, die nicht verwirklicht werden.157 Ließe sich schon vor der Entscheidung des göttlichen Willens nur durch den Intellekt sagen, welche der Ideen jemals verwirklicht werden, so könnte der Wille entweder nur nachvollziehen, was zuvor festgesetzt worden ist, und wäre daher nicht frei, oder er würde gegen die Vernunft und daher unvernünftig und moralisch verwerflich entscheiden. Beides ist jedoch im Falle des göttlichen Willens auszuschließen.158 Scotus fugt eine neue Bestimmung des praktischen Charakters der Ideen hinzu. Praktisch sind die Ideen nicht deshalb, weil sie irgendwann einmal verwirklicht werden, sondern sie sind es auch schon dann, wenn sie durch den 159 göttlichen Willen verwirklicht werden können. In diesem Sinn sind alle 154

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Thomas von Aquin: I Sent, dist. 36, qu. 2, art. 3 (ed. Frette-Mare, 438a); Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 15, art. 3 (ed. Marietti, 92a-b); vgl. Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 4, n. 11 (ed. Noone, 428,6-22). Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 15, art. 3, ad 2 (ed. Marietti, 92b): „Ad secundum dicendum quod eorum quae neque sunt neque erunt neque fuerunt, Deus non habet practicam cognitionem, nisi virtute tantum. Unde respectu eorum non est idea in Deo, secundum quod idea significat exemplar, sed solum secundum quod significat rationem"; vgl. Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 12 (ed. Noone, 428,23-25). Daß Thomas von Aquin: De veritate, qu. 3, art. 6 (ed. Marietti, 72a-b) dieselbe Frage ähnlich wie Duns Scotus beantwortet, scheint diesem entgangen zu sein. Scotus: Rep. I A , dist. 36, qu. 3-4, n. 19 (ed. Noone, 431,16-17): „Credo enim respectu eorundem in Deo esse ideam practicam et speculativam". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, η. 18 (ed. Noone, 430,7-16). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. η. 18 (ed. Noone, 430,17-24). Scotus: Rep. I A , dist. 36, qu. 3-4, n. 51 (ed. Noone, 442,15-18): „Addo etiam quod quaelibet idea est practica suo modo, non simpliciter ita quod suum obiectum secundum earn aliquando producatur, sed quod secundum ipsam natum esset produci si hoc voluntas divina suo actu acceptaret".

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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spekulativen Ideen auch praktisch. Es gibt also nach Duns Scotus von allem Positiven (außer Gott), das als von allem anderen unterschieden erkennbar ist, eine eigene Idee, die sowohl als praktisch als auch als spekulativ angesehen werden kann. IDEEN VON TEILEN, VON MATERIE UND FORM

In der Regel bestehen die Dinge, mit denen wir zu tun haben, aus Teilen. All diese Teile erkennt Gott nach Duns Scotus durch eigene Ideen. 160 Er hat also nicht bloß Ideen vom Ganzen, durch die er mittelbar auch die das Ganze bildenden Einzelteile erkennt, sondern es gibt von den Teilen des Ganzen in Gott zwei Ideen, nämlich erstens die eigentlichen Ideen der Teile und zweitens die Idee des Ganzen, in der auch seine Teile erkennbar sind. 161 Der Grund dafür besteht darin, daß Gott, wenn er ein Ganzes erschafft, damit zugleich seine Teile erschafft, und wie ein Künstler oder Handwerker („artifex"^) nicht nur das Ganze, sondern auch seine Teile jeweils für sich erkennt. 16 Was Gott aber für sich erkennt, davon hat er auch eigene Ideen. Dieses Ergebnis ist wenig erstaunlich, solange man es sich anhand der Ideen von den Ziegeln einer Mauer oder von den Bäumen eines Waldes veranschaulicht. Doch was Duns Scotus daraus weiter folgert, war zu seiner Zeit durchaus umstritten. Zu den Teilen, von denen Gott jeweils eigene Ideen hat, zählt Scotus nämlich auch Materie und Form, aus denen nach dem aristotelischen Hylemorphismus jedes materielle Seiende zusammengesetzt ist. Jedem materiellen Gegenstand entsprechen also wenigstens drei Ideen in Gott, und zwar eine Idee der Materie, eine Idee der Form und eine Idee des aus Materie und Form Zusammengesetzten. Daß es von der Materie allein keine eigene Idee gebe, behauptet Thomas von Aquin; die Materie könne nämlich ohne die Form weder existieren noch 160

Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 57 (ed. Noone, 4 4 4 , 2 0 - 2 1 ) : „Ad tertium, cum dicitur quod partes in toto non habent proprias ideas, falsum est".

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Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 57 (ed. Noone, 444,27-445,2); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 45 (ed. Noone, 4 4 0 , 2 4 - 2 7 ) : „Item, compositum est quoddam tertium a partibus, quod nec est praecise ipsae partes coniunctim vel divisim, sed aliquid tertium ut patebit alias. Ergo ipsius erit propria idea alia ab idea utriusque partis coniunctim vel divisim". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 25 (ed. Noone, 4 3 3 , 1 4 - 4 3 4 , 4 ) : „Quia artifex producens totum et quamlibet partem eius in toto, non solum cognoscit totum per se, sed etiam cognoscit distincte quidquid est in toto ut per se pars eius; aliter produceret aliquam per se partem in toto quam non distincte cognosceret, quod est inconveniens. Sed Deus, ut artifex, non solum producit totum sed etiam quamlibet partem totius in toto distincte. Ergo quamlibet illarum partium distincte cognoscit in toto, non tantum secundum rationem totius, sed per propriam rationem cuiuslibet partis. Ergo habebit propriam ideam partis per quam cognoscit partem aliam ab illa et per quam cognoscit partes ut sunt in toto per rationem totius".

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus 163

erkannt werden. Duns Scotus bestreitet jedoch beides. Seiner Meinung nach kann die Materie auch ohne Form für sich allein existieren (wenigstens durch Gottes Allmacht). Wäre die Materie nämlich nicht „etwas", sondern „nichts", dann wäre der aus Form und Materie zusammengesetzte Gegenstand in Wahrheit aus Form und „nichts" zusammengesetzt, d. h. er wäre nicht zusammengesetzt. 164 Daher ist die Materie auch ohne Form „etwas". Sie kann im Prinzip auch ohne sie für sich existieren. Nach Scotus kann Gott die Materie nicht nur für sich allein ohne Form existieren lassen, sondern sie auch für sich allein und ohne Form erkennen. Denn Gott erkennt alles, was auch wir erkennen; doch im Gegensatz zu uns erkennt er nichts diskursiv, d. h. durch Überlegung und Ableitung aus früher Bekanntem, sondern alles, was er erkennt, erkennt er unmittelbar.165 Nun können wir (nach Aristoteles) durch metaphysische Überlegungen ableiten, daß einem Gegenstand Materie zugrunde liegt. 166 Diese Materie erkennt auch Gott, allerdings anders als wir unmittelbar und für sich ohne metaphysische Überlegungen. Was er aber für sich erkennt, davon hat er auch eigene Ideen. Also gibt es im göttlichen Intellekt Ideen von der Materie. 167 Daß es von der Form eine eigene Idee gibt, die von der Idee des aus Materie und Form zusammengesetzten Gegenstandes verschieden ist, bestreitet Heinrich von Gent. 168 Seiner Meinung nach ist die Idee der Form in erster Linie die Idee des aus Materie und Form zusammengesetzten Ganzen und erst in zweiter Linie die Idee der Form selbst. Dagegen wendet Scotus ähnlich wie 163 164

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Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 15, art. 3, ad 3 (ed. Marietti, 92b). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 21 (ed. Noone, 431,22-432,5): „materia est ex se et secundum se ens, ergo per se potest fieri et per consequens habet propriam ideam in Deo. Antecedens patet. Quia quod non est in se ens, non est ens in alio. (...) Sed materia per se et secundum se est ens in alio ut in composito. Si enim materia in composito nihil est et compositum est ex ipsa et forma compositum, ergo est compositum ex aliquo et nihilo, et ita non est compositum". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 22 (ed. Noone, 432,12-15): „Sed Deus intelligit omnia et sine discursu. Ergo cognoscit materiam secundum propriam naturam et rationem materiae ut in se est sine omni actuali analogia ad formam, et non per naturam formae. Et ita habet propriam ideam". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3^t, n. 23 (ed. Noone, 432,16-25): „Ad philosophum I Physicorum potest dici quod verum dicit de intellectu nostro, qui non cognoscit quidlibet secundum suam propriam cognoscibilitatem quia nec perfectissima nec imperfectissima in tota natura entis cognoscit, sed perfectissima in habitudine ad effectus cognoscit; nec entia deminuta nisi per entia perfectiora et sensibilia. Et ideo sie materiam non cognoscimus nisi per habitudinem ad formam quam arguimus esse aliud ens a forma, quia transfertur, eadem manens, a forma in formam et modo est sub una forma et modo sub alia sensibiliter; et aliter non cognoscimus modo aliquid". Scotus: Ord. II, dist. 12, qu. 1, n. 20 (VivesXII 566a); Scotus: Ord. II, dist. 12, qu. 2, n. 7 (Vives XII 603b). Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 8,13-9,36).

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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bei der Materie ein, daß dann die Form mit dem Zusammengesetzten zugleich untergehen müßte und nicht allein bestehen bleiben könnte, was Scotus jedoch bestreitet. Daher kann die Form fur sich allein ohne Materie bestehen und erkannt werden, und folglich gibt es von ihr eine eigene Idee im göttlichen Intellekt. IDEEN VON INDIVIDUEN

Daraus, daß Gott eigene Ideen von Materie und Form hat, schließt Scotus, daß es auch eigene Ideen aller Individuen gibt. Als Gegner dieser Ansicht zitiert er Thomas von Aquin und Heinrich von Gent. Heinrich von Gent führt er dabei zurecht an, Thomas von Aquin jedoch infolge eines Mißverständnisses. 170 In dem Text aus der „Summa theologiae", auf den allein Scotus sich bezieht, drückt Thomas zuerst seine eigene Meinung zu verwandten Fragen aus, kommt dann auf die göttlichen Ideen von Individuen zu sprechen, referiert die ablehnende Position, die er Piaton zuschreibt, und fügt ein Gegenargument an, ohne ausdrücklich festzustellen, daß er anderer Ansicht ist. 171 Dadurch erweckt er bei Scotus den Eindruck, als schließe er sich der Meinung an, die er Piaton zuschreibt. Das angefügte Gegenargument benützt der „Doctor subtilis" dazu, um die Position des Thomas als unannehmbar (weil in sich widersprüchlich) abzulehnen. 172 Allerdings macht Thomas von Aquin der platonischen Position, wie an anderer Stelle klar wird, zwei Zugeständnisse, zu denen Duns Scotus nicht bereit ist. Das erste Zugeständnis besteht darin, daß das Individuum durch Materie, von der es ja nach Thomas keine eigene Idee gibt, zum Individuum wird. Das zweite Zugeständnis besteht darin, daß sich die Absicht der Natur nicht

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Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 43 (ed. Noone, 440,10-16): „Contra hoc quod dici quod idea formae, et primo compositi et secundario sui ipsius. Quia quandocumque aliquid principaliter convenit alicui, destructo illo, non manet amplius ratio eius, quia tunc principaliter non conveniret illud illi. Sed, per te, idea formae est principaliter ipsius compositi et secundario ipsius formae. Ergo si forma esset separata et compositum corruptum, ipsa forma nullam haberet ideam, quod est falsum". Noone: Aquinas, 319f; Noone: Scotus, 378f; vgl. Tobias Hoffmann: Ideen der Individuen und intentio naturae. Duns Scotus im Dialog mit Thomas von Aquin und Heinrich von Gent. In: FZPhTh 46 (1999) 138-152, 140fund 147. Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 15, art. 3, ad. 4 (ed. Marietti, 92b). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 30-32 (ed. Noone, 435,17-436,19). Thomas von Aquin: De potentia, qu. 9, art. 1, in corp. (ed. Marietti, 226a): „materia individualis quae est singularitatis pnncipium".

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

auf das Individuum, sondern auf die Art richte.174 Duns Scotus bestreitet beides. Erstens bestreitet Scotus, daß die Materie das Individuationsprinzip ist. Ebensogut, behauptet er, könne es nämlich die Form sein. 175 Tatsächlich nimmt Duns Scotus, wie an anderer Stelle klar wird, als Individuationsprinzip eine positive individuelle Differenz an, die weder Materie noch Form noch das aus beiden Zusammengesetzte, sondern die volle Realität des Individuums selbst ist. 176 An einigen seltenen Stellen gebraucht Scotus dafür den Ausdruck „haeceitas", unter dem seine Auffassung vom Individuationsprinzip bei Schülern und Gegnern bekannt wurde.177 Zweitens bestreitet Scotus, daß sich die Absicht der Natur auf die Art, nicht auf das Individuum richte. Zur Untermauerung dieser Behauptung fuhrt er zwei Argumente an. Erstens erstreckt sich die göttliche Vorsehung nicht nur auf die Arten, sondern vor allem auf die Individuen.178 Daher erkennt Gott die Individuen für sich, also durch Ideen. Zweitens richtet sich die Ab-

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Thomas von Aquin: Summa contra gentiles III, cap. 59, η. 2351 (ed. Marietti, 79a-b): „De perfectione autem naturalis esse sunt naturae specierum, et earum proprietates et virtutes: ad naturas enim specierum intentio naturae fertur; individua enim sunt propter speciem"; Thomas von Aquin: S u m m a theologiae I, qu. 85, art. 3, ad. 4 (ed. Marietti, 421a): „Et inde est quod ultima naturae intentio est ad speciem, non autem ad Individuum, neque ad genus". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 30 (ed. Noone, 435,19-26): „Ergo sicut individuum addit materiam super esse quiditativum speciei, ita addit formam; et sicut addit condicionem raateriae, ita et formae. Et per consequens sicut natura individuatur per materiam, ita per formam. Unde sicut patet per Philosophum ibidem, materia est ita indifferens, ut corpus, et forma, sicut anima. Ergo si repugnat individuo habere ideam in Deo ratione materiae, ergo et ratione formae". Scotus: Lect. II, dist. 3, pars 1, qu. 5 - 6 , n. 164 (Vat. XVIII 280,21-23): „Respondeo ergo ad quaestionem, quod substantia materialis per aliquid positivum determinatur ad hanc singularitatem, et ad diversas singularitates secundum diversa positiva"; Scotus: Ord. II, dist. 3, pars 1, qu. 5 - 6 , n. 188 (Vat. VII 483,18-484,1): „Non est igitur ,ista entitas' materia vel forma vel compositum, in quantum quodlibet istorum est .natura', - sed est ultima realitas entis quod est materia vel quod est forma vel quod est compositum"; vgl. Allan B. Wolter: John Duns Scotus (b. ca. 1265; d. 1308). In: Individuation in Scholasticism. The Later Middle Ages and the Counter-Reformation 1150-1650. Hrsg. v. Jorge J. E. Gracia. Albany: State University of N e w York Press 1994 (SUNY Series in Philosophy), 2 7 1 - 2 9 8 . Scotus: Rep. II, dist. 12, qu. 5, n. 2, 8 und 12 (Vives XXIII 25b, 29a, 31b und 32a); Scotus: Met. VII, qu. 13, n. 9 und 26 (Vivfes VII 410a und 426a); vgl. Jan P. Beckmann: Haeceitas. In: H W P 3 (1974) 9 8 5 - 9 8 6 . Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 31 (ed. Noone, 436,2-10): „Quod etiam dicit quod individuum non est de intentione naturae et tarnen quod Providentia divina est primo circa individua, videntur contradictoria. Quia agens propter finem et non cognoscens ipsum, non agit propter finem nisi in quantum dirigatur ab agente superiori cognoscente finem. Ergo si natura producit individuum in quantum dirigitur a Deo et Dei Providentia consistit non solum in speciebus sed principaliter in individuis, oportet quod intentio naturae non solum sit circa species, sed principalius circa individua producenda".

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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sieht der Natur auf das Vollkommenere, und das ist im Vergleich zur Art das 179

Individuum. Während Duns Scotus Thomas von Aquin die Leugnung der Ideen von Individuen nur irrtümlich unterstellt hat, bestreitet Heinrich von Gent tatsächlich, daß Gott eigene Ideen von Individuen hat. Denn da das Individuum der Art nichts Wesentliches hinzufügt, braucht der göttliche Intellekt keine eigenen Ideen von Individuen, weil er diese durch die Ideen ihrer Arten vollständig erkennen kann. 180 Duns Scotus bestreitet, daß sich ein Individuum nur durch die Idee seiner Art erkennen lasse. Denn da das Individuum in der allgemeinen Art nur der Möglichkeit nach und verworren („confuse") enthalten sei, läßt es sich durch die Idee der Art nicht deutlich erkennen, sondern bedarf einer eigenen Idee. 181 Scotus ist sich bewußt, daß diese Meinungsverschiedenheit mit Heinrich von Gent auf der Meinungsverschiedenheit zwischen beiden über das Individuationsprinzip beruht. Während Heinrich den Unterschied zwischen Art und Individuum in einer doppelten Negation sieht, besteht Scotus darauf, daß das Individuum der Art etwas Positives hinzufugt. 182

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180 181

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Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 32 (ed. Noone, 436,11-19): „Item, individua et primae substantiae sunt maxime substantiae, quia quaelibet talis dicit unitatem et entitatem maxime realem. Substantia autem secunda, quae est species, non est maxime substantia, quia non est nisi in primis substantiis realiter existens. Et ita dubium est sicut de entitate, ita et de unitate eius, utrum sit realis extra animam vel non. Constat autem quod unitas et entitas individui est realis extra animam. Ergo, cum natura maxime intendat illud quod est maioris perfectionis et entitatis, mirum esset si species de eius intentione, praetermissis individuis". Heinrich von Gent: Quodl. II, qu. 1 (ed. Wielockx, 3-8); Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1 - 2 (ed. Wilson, 8,8-12). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3^1, n. 39 (ed. Noone, 438,25^139,8): „Contra hoc quod dicit quod individua non habent distinetas ideas: quia illud requirit propriam rationem cognoscendi quod per nullius alterius rationem potest distinete cognosci, sed tale est individuum. Quia si per alterius rationem posset distinete cognosci, hoc esset per rationem quiditativam speciei; sed per illam non potest distinete cognosci. Quia quod solum est commune per praedicationem nec virtualiter contineat alia nisi in potentia et confuse, non est ratio distinete cognoscendi contenta sub eo. Tale est species respectu individuorum. Ergo si debeant cognosci distinete secundum proprias rationes eorum, hoc erit per proprias et distinetas ideas eorum". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 40 (ed. Noone, 439,9-19): „Item, si perfecte cognosceretur individuum per ideam speciei, ergo quidquid positivum dicit individuum continetur in natura specifica. Et ita nihil addet super speciem nisi privationem vel negationem, et ita individuum secundum se esset non-ens. Et per consequens vel in nullo positivo differt species et individuum, vel si in aliquo different et individuum aliquid positivum addat super quiditatem speciei, secundum illud non perfecte cognoscetur per ideam speciei, sed per propriam ideam. Ipse tarnen ponit individuationem fieri per duplicem negationem quod est falsum, quia tunc individuum esset formaliter duplex negatio. De hoc alias in secundo libro".

340

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

IDEEN VON GATTUNGEN UND UNABTRENNBAREN AKZIDENZIEN

Thomas von Aquin schließt Ideen von Gattungen und unabtrennbaren Akzidenzien aus. 183 Ideen von Gattungen sind unnötig, weil die Gattung immer nur in ihren Arten verwirklicht ist. Daher reicht zur Erkenntnis der Gattung die Kenntnis der Arten durch deren Ideen aus. Ideen von unabtrennbaren Akzidenzien sind nach Thomas von Aquin gleichfalls unnötig. Damit sind Akzidenzien gemeint, die fest mit ihrem Subjekt verbunden sind. Als Beispiel nennt Timothy B. Noone die schwarze Farbe der Krähen. 184 Da unabtrennbare Akzidenzien stets mit ihrem Subjekt verbunden sind, können sie durch die Idee der Art erkannt werden und bedürfen keiner eigenen Idee in Gott. Anders verhält es sich mit abtrennbaren Akzidenzien, die ein Subjekt einmal besitzen, danach aber wieder verlieren kann. Da diese nicht zusammen mit ihrem Subjekt und durch dessen Idee erkannt werden können, bedarf der göttliche Intellekt eigener Ideen von ihnen. Johannes Duns Scotus behauptet im Gegensatz zu Thomas sowohl Ideen von Gattungen als auch Ideen von unabtrennbaren Akzidenzien. Der Grund dafür ist seine schon genannte Ansicht, daß Gott nicht nur das Ganze, sondern auch jeden seiner Einzelteile durch eigene Ideen erkennt. Zwar räumt Scotus ein, daß die Gattung niemals fur sich außerhalb ihrer Arten besteht. Doch denkt er, daß die Gattung in den Individuen der Art wie ein Teil im Ganzen enthalten ist und daher auch wie ein Teil des Ganzen durch eine eigene Idee 185

erkannt wird. Daher hat Gott Ideen von Gattungen. Ebenso denkt Duns Scotus unabtrennbare Akzidenzien wie Teile des Ganzen: Sie werden zwar mit ihrem Subjekt zusammen hervorgebracht, aber wie Teile des Ganzen und wie abtrennbare Akzidenzien für sich allein erkannt und 186 haben daher eigene Ideen in Gott.

183 184 185

186

Thomas von Aquin: Summa theologiae I, qu. 15, art. 3, ad 4 (ed. Marietti, 92b). Noone: Aquinas, 316; Noone: Scotus, 374. Vom spitzfindigen Gegenbeispiel eines Albinos kann hier abgesehen werden. Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3^4, n. 25 (ed. Noone, 433,18^134,6): „Sed Deus, ut artifex, non solum producit totum sed etiam quamlibet partem totius in toto distincte. Ergo quamlibet illarum partium distincte cognoscit in toto, non tantum secundum rationem totius, sed per propriam rationem cuiuslibet partis. Ergo habebit propriam ideam partis per quam cognoscit partem aliam ab illa et per quam cognoscit partes ut sunt in toto per rationem totius. Licet ergo natura generis nunquam fiat nisi in specie per se ipsius, tarnen est alia idea sibi propria ab idea speciei". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 27 (ed. Noone, 434,22-25): „Sed nihil est in quocumque effectu quod non causetur a Deo cognoscente, quidquid ab eo causatur. Ergo sive sit pars sive accidens inseparabile in effectu, totum cognoscit distincte et sic per distinctam ideam"; Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 28 (ed. Noone, 435,8-13).

341

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes IDEEN VON RELATIONEN, ZAHLEN U N D ARTIFIZIELLEM

Heinrich von Gent bestreitet, daß es von Relationen und von Zahlen eigene 187

Ideen gibt. Ideen von Relationen bestreitet er, weil eine Relation nichts ist, was von den Relaten verschieden wäre, sodaß Gott die Relation durch die Ideen der Relate erkennen kann. Ebenso sind Ideen von Zahlen überflüssig, weil Gott Zahlen durch die Ideen des Gezählten erkennen kann. Duns Scotus vertritt jedoch eine andere Relationslehre als Heinrich von Gent. Seiner Meinung nach stellt die Relation etwas dar, was nicht auf die Re188 late allein zurückgeführt werden kann. Daher läßt sich die Relation auch nicht durch die Ideen der Relate allein erkennen, sondern es ist eine eigene 189

Idee einer jeden Relation in Gott anzunehmen. Daß Entsprechendes auch für Zahlen gilt, erörtert Scotus zwar nicht ausdrücklich, doch geht es daraus hervor, daß er für die unendliche Anzahl der Ideen 190 das Argument anfuhrt, daß Gott jede der unendlich vielen Zahlen erkennt. Daß Heinrich von Gent auch Ideen von Artifiziellem ausschließt, referiert Scotus zwar, er geht aber auf die Fragestellung später nicht mehr ein. Vielleicht hält er dies für unnötig. Er erklärt Heinrichs Ablehnung der Ideen von Artifiziellem mit einem Averroes-Zitat, wonach Künstliches dem Natürlichen 191 nur eine Relation hinzufugt. Einer Relation entspricht nach Heinrich in Gott keine eigene Idee, nach Duns Scotus hingegen besitzt der göttliche Geist 187

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Heinrich von Gent: Quodl. VII, qu. 1-2 (ed. Wilson, 10,77-78 und 35,66-68): „Idcirco dico quod numerorum secundum quod numerus est proprie dictus, nullo modo habet rationem propriae ideae. (...) Propter quod, cum idea non est nisi rerum, idcirco relationum et respectum dicimus non esse aliquas proprias ideas". Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 4-5, n. 200 (Vat. VII 101,7-102,2): „Contra istam opinionem arguo primo sie: nihil est idem realiter alicui, sine quo potest esse realiter absque contradictione; sed multae sunt relationes sine quibus fundamenta possunt esse absque contradictione; ergo multae sunt relationes quae non sunt realiter idem cum fundamento"; zur Relationslehre von Duns Soctus vgl. Mark G. Henninger: Relations. Medieval Theories 1250-1325. Oxford: Clarendon Press 1989, 68-97; Rolf Schönberger: Relation als Vergleich. Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik. Leiden-New York-Köln: Brill 1994 (STGMA 43), 151-173. Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 38 (ed. Noone, 438,21-24): „Sed contra hoc quod ista opinio primo dicit quod respectus non dicit aliam rem a suo fundamento: hoc est universaliter in respectibus creaturarum comparatis ad creaturas falsum, sicut patebit alias". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 9 (ed. Noone, 427,16-22): „Augustinus, XII De civitate Dei cap. 18: .Licet infmitorum numerorum nullus sit numerus, non est tarnen incomprehensibilis illius intellectui cuius intelligentiae vel sapientiae non est numerus'. Ergo secundum ipsum numeri sunt vel possunt esse infiniti et simul cognosci a Deo. Numeri autem distinguuntur in infinitum specie. Ergo numerorum infmitorum sunt infinitae ideae"; Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3^1, n. 66 (ed. Noone, 446,23-24). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 33 (ed. Noone, 436,24-437,2): „Res vero artificiales non habent ideam in Deo, quia res naturales sunt tota substantia illarum, nec addunt super res naturales nisi respectum secundum Commentatorem, VII Metaphysiscae".

342

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

eigene Ideen von Relationen und vermutlich auch von einem aus einem natürlichen Gegenstand und einer Relation zusammengesetzten Artefakt. In Gott gibt es also nach Duns Scotus eigene Ideen von bloß möglichen, aber niemals verwirklichten Dingen, von den Teilen eines Ganzen, insbesondere von Materie und Form, von Individuen, von Gattungen und von unabtrennbaren Akzidenzien, von Relationen, Zahlen und schließlich von Artifiziellem. b)

Überlegungen, wovon es keine eigenen Ideen gibt

Vergleicht man die Liste der Dinge, von denen Duns Scotus eigene Ideen annimmt, mit den entsprechenden Zusammenstellungen bei Thomas von Aquin, Heinrich von Gent oder Wilhelm von Ockham, fällt auf, daß Scotus weitaus am großzügigsten verfährt und mehr Arten von Ideen als alle anderen genannten Denker annimmt. Doch auch er zieht Grenzen und gibt einiges weniges an, wovon der göttliche Intellekt keine eigenen Ideen besitzt. Ideen läßt er von allem Positiven zu, das als von allem anderen unterschieden erkennbar ist. Daher gibt es für das, was nicht erkennbar ist, keine eigenen Ideen. Nicht erkennbar ist, was nicht sein kann, alles, dem das Sein widerspricht, also auch alles in sich Widersprüchliche. Also pbt es von dem, was einen inneren Widerspruch enthält, keine eigenen Ideen. 92 Eigene Ideen gibt es nur von etwas Positivem. Damit sind Ideen von Negationen und Privationen ausgeschlossen. Sie erkennt Gott nicht durch eigene Ideen, sondern durch die Ideen dessen, was verneint oder vermindert wird. Das betrifft auch das Übel der Schuld, die nach Scotus als Privation zu begreifen ist und von der es daher keine eigene Idee in Gott gibt, obwohl Gott sie selbstverständlich erkennt.193

192 193

Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 14 (Vives XXII 493a). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 55 (ed. Noone, 443,14-24): „Aliter potest dici, secundum Augustinum IX De Trinitate cap. 10 in fine, quod privatio ex quo de se nihil ponit, non magis quam negatio. Non plus est enim aliquid caecitas in oculo quam in pede, nec cognoscetur per propriam speciem sed per speciem sui positivi, sicut quo modo est ens per suum positivum et nunquam aliter. Et ideo malum culpae, cum sit privatio quaedam boni, non cognoscitur per speciem propriam sed per speciem sui positivi. Et ideo malum nec privationes universaliter cadunt sub hac distributione .quidquid Deus distincte cognoscit, per ideam eius cognoscit'; sed tantum partes entitatis positivae quia, ut dictum est, privativa non sunt per ideas proprias cognoscibilia".

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes 5)

343

Die unendliche Anzahl der Ideen

Bei Heinrich von Gent konnten wir ein langes Zögern in der Frage feststellen, ob die Anzahl der Ideen im göttlichen Geist endlich ist oder unendlich. Jo-

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hannes Duns Scotus legt sich eindeutig fest. Im Anschluß an Bonaventura nimmt er unendlich viele Ideen an. Auf den Einwand, daß das Unendliche weder sein noch erkannt werden könne, verweist Duns Scotus auf das göttliche Wesen. Es ist unendlich und wird dennoch von Gott erkannt. Da Gott also die vollkommenere Unendlichkeit seines Wesens erkennt, erkennt er umso mehr auch die unendliche Zahl der Ideen.195 Zwar räumt Scotus ein, daß Gott Unendliches tatsächlich nicht zugleich hervorbringen kann, sondern höchstens sukzessiv. Das schließt jedoch nicht aus, daß er Unendliches zugleich erkennt und sein Intellekt somit unendlich viele Ideen enthält.196 Zur Begründung dafür, daß Gottes Geist tatsächlich unendlich viele Ideen umfaßt, verweist Duns Scotus auf seinen Grundsatz, wonach es von allem Positiven, das für sich erkannt werden kann, eigene Ideen gibt. So erkennt Gott alle wirklichen und bloß möglichen Individuen und hat von jedem von ihnen eine eigene Idee. Da unendlich viele Individuen möglich sind, hat Gott unendlich viele Ideen.197 Ebenso erkennt Gott die unendlich vielen Zahlen, die unendlich vielen Figuren (Dreieck, Viereck, Fünfeck, Sechseck, Siebeneck usw.) und die unendlich vielen Teile eines Kontinuums. Da er von all dem jeweils 198 eigene Ideen hat, ist die Anzahl seiner Ideen unendlich.

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Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 64 (ed. Noone, 446,9-10): „Ad secundam quaestionem dico consequenter cum illo doctore antiquo quod in Deo sunt infinitae ideae"; vgl. Bonaventura: In I Sent., dist. 35, art. un., qu. 5 (ed. Quaracchi, I 611-612). Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 68 (ed. Noone, 447,2-11): „Adhuc adduco rationem istam. Intellectus, qui est comprehensivus entitatis perfections, est comprehensivus entitatis imperfections vel aequalis. Sed infinitas essentiae divinae est perfectior quam infinitas idearum, sive sint obiecta cognita sive rationes cognoscendi. Sed infinitatem essentiae suae quae est causa alterius infinitatis potest comprehendere perfecte quae est infinitas ex natura rei. Ergo multo magis potest et omnem aliam infinitatem, sive sit in esse cognito sive in ratione cognoscendi, comprehendere. Si enim idea sit obiectum cognitum, cum comprehendat obiecta infinita, infinitae erunt ideae in mente sua". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 77-78 (ed. Noone, 4 5 0 , 2 4 ^ 5 1 , 1 8 ) . Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 65 (ed. Noone, 446,18-22): „Quod autem sint infinitae ideae in Deo, patet. Tum ex dictis, tum quia individua possunt esse infinita quorum quodlibet habet suam propriam ideam. Deus autem non fit de non-cognoscente cognoscens. Ergo oportet quod nunc habeat infinitas ideas indivduorum quae sunt et esse possunt". Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 9 (ed. Noone, 427,16-22); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 66 (ed. Noone, 446,23-24); Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3-4, n. 10 (ed. Noone, 427,23-428,2): „Item, hoc idem potest argui de figuris quae possunt crescere in infinitum per appositionem vel divisionem diversam in infinitum variari. Et omnes sunt simul cognitae a

344

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

IV. Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus 1)

Einteilung der Möglichkeit

Verglichen mit Heinrich von Gent und Wilhelm von Ockham verdient Duns Scotus in seiner Untersuchung und Einteilung des Begriffs der Möglichkeit den ehrenden Beinamen „Doctor subtilis" zurecht, denn seine Ausführungen zum Möglichkeitsbegriff sind ausfuhrlicher und genauer. Duns Scotus versteht unter Möglichkeit entweder eine Seinsweise („modus entis") oder ein Prinzip („principium"). Im zweiten Fall kann man auch von realer Möglichkeit sprechen, im ersten, da die Betrachtung der Seinsweisen Aufgabe der Metaphysik ist, von metaphysischer Möglichkeit. Denn obwohl der Metaphysiker auch die als Prinzip zu verstehende Möglichkeit behandelt,199 bildet das Sein den eigentlichen Gegenstand seiner Wissenschaft, sodaß die als Seinsweise verstandene Möglichkeit als die metaphysische Möglichkeit gilt.200 Daneben nennt Duns Scotus auch eine metaphorische und eine logische Möglichkeit. Ihr Verhältnis zu den bereits genannten Formen der Möglichkeit wird nicht ganz klar. Scotus sagt, von der „potentia metaphysica" sei der Ausdruck „potentia" auf die „potentia metaphorica" und auf die „potentia logica" übertragen worden.201 Ich fasse sie als eigene Formen der „potentia" neben der realen und der metaphysischen Möglichkeit auf.202 Zur metaphorischen

199 200

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Deo. Ergo infinitorum sunt infinitae ideae"; Scotus: Rep. I A, dist. 36, qu. 3 - 4 , n. 67 (ed. Nonne 447,1): „Et idem potest argui de figuris et partibus continui". Scotus: Met. IX, qu. 3-4, n. 2 (Vives VII 543b). Scotus: Met. IX, qu. 1-2, n. 2 (Vives VII 531a): „quia Metaphysicus considerat ens et passiones ejus, ideo potentia sie sumpta ad considerationem Metaphysici pertinet; et ideo propter brevitatem in sermone potest diei potentia Metaphysica". Die „potentia" als „principium" ist also keine metaphysische Möglichkeit - gegen Jan P. Beckmann: Realismus und Pragmatismus. Zum Möglichkeitsbegriff bei Duns Scotus und Peirce. In: Regnum Hominis et Regnum Dei. Acta Quarti Congressus Scotistici Internationalis. Hrsg. v. Camille Birube. Vol. I: Sectio generalis. Rom: Societas Internationalis Scotistica 1978 (StSS 6), 333-345, 336. Scotus: Met. IX, qu. 1-2, n. 2 (Vives VII 531a): „Juxta illam potentiam [seil. Metaphysicam] proprie transumitur nomen potentiae ad servandum potentiam Metaphoricam, quae est in Mathematicis, et etiam potentiam Logicam, sive quae est in Logicis, ut in propositionibus possibilibus". Vgl. Beckmann: Realismus, 335f. In ähnlicher Weise unterscheidet Scotus: Ord. I, dist. 7, qu. 1, n. 27-29 (Vat. IV 118,3-119,12) zwischen „potentia logica", „potentia, divisa contra actum" und „potentia realis". Die uneigentliche metaphorische Möglichkeit wird an dieser Stelle nicht genannt. Wer metaphorische und logische Möglichkeit zusammen mit der metaphysischen Möglichkeit der „potentia" als „modus entis" unterordnet (wie Honnefelder, Santogrossi und Marrone), wird der Gleichsetzung von metaphysischer Möglichkeit und Möglichkeit als Seinsweise nicht ganz gerecht; vgl. Honnefelder: Scientia, 22; Ansgar Santogrossi: Duns Scotus on Potency

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

345

und logischen Möglichkeit schickt Scotus kurze Erklärungen voraus, bevor ausfuhrlichere Erläuterungen zur metaphysischen und realen Möglichkeit folgen. a)

Metaphorische

Möglichkeit

Von metaphorischer Möglichkeit sprechen nach Aristoteles203 die Mathematiker. In diesem Sinn ist beispielsweise in der Geometrie die Linie der Möglichkeit nach ein Quadrat. Ebenso ist in der Arithmetik die Wurzel der Möglichkeit nach ihr Quadrat (und das Quadrat die Wurzel in „Potenz")·204 Diese Weise, von Möglichkeit zu sprechen, empfindet Duns Scotus als übertragen und uneigentlich.205 Für sein philosophisches und theologisches Denken ist sie ohne jede Bedeutung.

b)

Logische Möglichkeit

Der Ausdruck „logische Möglichkeit" („potentia logica") ist wahrscheinlich eine Neubildung, die auf Duns Scotus zurückgeht.206 Darunter versteht er die

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206

Opposed to Act in Questions on the Metaphysics, IX. In: American Catholic Philosophical Quarterly 67 (1993) 55-76, 56; Steven P. Marrone: Duns Scotus on Metaphysical Potency and Possibility. In: FrS 56 (1998) 265-289, 268. Duns Scotus nennt die „potentia logica" neben der „potentia metaphorica", als stünden sie auf einer Ebene. Daher ist die logische Möglichkeit neben der metaphorischen einzuordnen und nicht als deren Unterart aufzufassen: Beckmann: Realismus, 335f; Honnefelder: Scientia, 22; Marrone: Scotus, 268 - gegen Santogrossi: Scotus, 56. Aristoteles: Metaphysik V 12 (1019b 33-34); IX 1 (1046a 6-8). Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 2 (Vives VII 531a): „sie dicitur lineam posse in suum quadratum, et in numeris similiter radix quadrati dicitur posse in quadratum, et sie in 10. Euclidis, potentiallter commensurabiles dicuntur lineae, quarum quadrata sunt commensurabilia, quae potentia non est compositionis, quia ista non est possibilis: Linea est suum quadratum·, nec est realis, non enim ex lineis fit quadratum, sed est imaginata juxta potentialem. Si enim realiter materia est in potentia ad compositum, quod per transmutationem materiae causatur, ita imaginatur punctum fluere, et per ejus fluxum lineam causari et lineam fluere, et per ejus fluxum quadratum ejus causari"; vgl. Scotus: Ord. I, dist. 20, qu. un., η. 11 (Vat. V 308,14-17). Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 2 (Vives VII 531a): „Juxta illam potentiam [seil. Metaphysicam] proprie transumitur nomen potentiae ad servandum potentiam Metaphoricam, quae est in Mathematicis". Henry Deku: Possible Logicum. In: PhJ 64 (1956) 1-21, 15; Alanen, Knuuttila: Foundations, 35. Tilman Ramelow: Gott, Freiheit, Weltenwahl. Der Ursprung des Begriffs der besten aller möglichen Welten in der Metaphysik der Willensfreiheit zwischen Antonio Perez S.J. (15991649) und G. W. Leibniz (1646-1716). Leiden-New York-Köln: Brill 1997 (Brill's Studies in Intellectual History 72), 20f will das „possibile logicum" der Sache nach schon bei Thomas von Aquin erkennen. Er beruft sich auf Thomas von Aquin: I Sent., dist. 42, qu. 2, art. 2 (ed. Frette-Mare, 513a):„Unde quidquid non potest habere rationem entis vel non entis, illud non potest esse possibile: et ideo hoc quod est idem simul esse et non esse, est in se impossibile:

346

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

widerspruchsfreie Vereinbarkeit zweier Begriffsinhalte. 207 Daß eine solche logische Möglichkeit auch von einer realen Möglichkeit begleitet wird, ist zwar (angesichts der göttlichen Allmacht) in aller Regel der Fall, jedoch nicht erforderlich, damit man von logischer Möglichkeit sprechen kann. 208 In seinen früheren diesbezüglichen Äußerungen scheint Duns Scotus die logische Möglichkeit auf die Vereinbarkeit von Subjekt und Prädikat einer Aussage zu beschränken. 209 Später überträgt er die logische Möglichkeit von der Ebene der Aussagen auf die Ebene der einzelnen Begriffe und versteht unter ihr die Vereinbarkeit der einzelnen Merkmale eines solchen Begriffs. 210 Der Grund der logischen Möglichkeit ist der Inhalt der beiden verglichenen Begriffe. Von logischer Möglichkeit kann allerdings erst dann gesprochen werden, wenn ein Verstand die beiden Inhalte miteinander vergleicht und als vereinbar erkennt. Mit dem neuen Begriff der logischen Möglichkeit eröffnete Duns Scotus Vorstellungen, die vor ihm kaum denkbar erschienen. War früher häufig als notwendig angesehen worden, was immer ist, als unmöglich, was niemals ist, und als möglich, was irgendwann ist, war daraus weiter geschlossen worden, daß alles, was möglich ist, irgendwann wirklich werden müsse, so vermochte sich Scotus auch Möglichkeiten zu denken, die niemals realisiert werden. Wurden früher Freiheit und Kontingenz auf die Zukunft bezogen als die Freiheit, zukünftig so oder anders zu handeln, und als Möglichkeit, zukünftig so oder anders zu sein, so bestritt Scotus die Notwendigkeit des Gegenwärtigen:

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quia quod est ens et non ens, neque est ens neque non ens". Steven P. Marrone: Revisiting Duns Scotus and Henry o f Ghent on Modality. In: John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega Wood und Mechthild Dreyer. Leiden-New York-Köln: Brill 1996 ( S T G M A 53), 175-189, 184f sieht Heinrich von Gent „but a hair's breadth" von der logischen Definition des Möglichen durch Scotus entfernt, weil er in Quodl. VI, qu. 3 das Unmögliche nicht auf Gott zurückfuhrt, sondern aus sich selbst erklärt. - Aber daß das Widersprüchliche unmöglich ist, war schon lange vor Thomas, Heinrich und Scotus bekannt. Neu war die Einsicht, daß das Widerspruchsfreie auch logisch möglich ist, vgl. R o l f Schönberger: Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses. Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter, Berlin-New York: de Gruyter 1986 ( Q S P 2 1 ) , 326f. Doch gerade das belegt weder das angeführte Thomas-Zitat noch die Stelle bei Heinrich. Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 3 (Vivfes VII 53 lb): „Et illa potentia [seil. Logica] est modus quidam compositionis factus ab intellectu, causatus ex habitudine terminorum illius compositionis, scilicet quod non repugnant"; Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 , n. 188 (Vat. X V I 176, 1 5 17); Scotus: Lect. I, dist. 7, qu. un., n. 32 (Vat. X V I 4 8 4 , 4 - 7 ) ; Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. l ^ t , n. 262 (Vat. II 2 8 2 , 5 - 8 ) ; Scotus: Ord. I, dist. 7, qu. 1, n. 27 (Vat. IV 118,5-7); Scotus: Ord. I, dist. 20, qu. un., η. 11 (Vat. V 3 0 8 , 1 3 - 1 4 ) . Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 3 (Viv£s VII 531b): „Et licet communiter correspondeat sibi in re aliqua potentia realis, tarnen haec non est per se de ratione hujus potentiae"; Scotus: Lect. I, dist. 7, qu. un., n. 32 (Vat. X V I 4 8 4 , 7 - 9 ) . Scotus: Met. I X , qu. 1 - 2 , n. 2 (Vivfes VII 531a); Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 , n. 188 (Vat. X V I 176,15-17). Scotus: Ordinatio I, dist. 36, qu. un., n. 61 (Vat. VI 2 9 6 , 2 - 1 8 ) .

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

347

Frei ist demnach, wer im gegenwärtigen Augenblick etwas anderes tun kann, als er in diesem selben gegenwärtigen Augenblick tatsächlich tut. Kontingent ist, was in eben dem Augenblick anders sein kann, als es in diesem selben Augenblick ist. 2 " c)

Metaphysische

Möglichkeit112

Die metaphysische Möglichkeit bezeichnet eine Seinsweise („modus entis"), die (auch oder ausschließlich) dem zukommt, was nicht aktuell existiert. Diese metaphysische Möglichkeit unterteilt Duns Scotus in drei Arten. Er charakterisiert sie durch ihren jeweiligen Gegensatz.

METAPHYSISCHE MÖGLICHKEIT IM GEGENSATZ ZUM UNMÖGLICHEN

In einer ersten Weise ist metaphysisch möglich, was im Gegensatz zum Unmöglichen steht. Metaphysisch möglich ist, wem es nicht widerspricht zu sein. Diese Beschreibung erfüllen nicht nur Sätze, auf die Scotus die logische Möglichkeit vorerst beschränkt hat, sondern auch ein einzelner Begriff („incomplexum"). Aber auch wenn Scotus später die logische Möglichkeit auf widerspruchsfrei zusammengesetzte Begriffe ausdehnt, ist die metaphysische Möglichkeit in ihrer ersten Art der logischen sehr ähnlich,213 unterscheidet sich aber in einem Punkt von ihr. Denn logisch möglich ist eben nur das Zusammengesetzte, metaphysisch möglich auch das Einfache, das der Zusammensetzung zugrunde liegt.214 In diesem Sinn ist alles, was ist, möglich.215

METAPHYSISCHE MÖGLICHKEIT IM GEGENSATZ ZUM NOTWENDIGEN

In einem zweiten Sinn ist metaphysisch möglich, was nicht nur zum Unmöglichen und Widersprüchlichen, sondern auch zum Notwendigen im Ge-

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214 215

Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 1-2. n. 86 (Vat. II 178,14-17). Vgl. John Boler: The Ontological Commitment of Scotus's Account of Potency in His Questions on the Metaphysics, Book IX. In: John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega Wood und Mechthild Dreyer. Leiden-New York-Köln: Brill 1996 (STGMA 53), 145-160, 147-153; Marrone: Scotus, 268-274 und 280-284. Scotus: Met. IX, qu. 13, n. 3 (Vives VII 581b): „Exclusa autem potentia metaphorice et Logice sumpta, et excluso possibili, ut convertitur cum ente, cujus ratio videtur satis propinqua rationi possibilis Logice sumpta". Vgl. Honnefelder: Scientia, 12f. Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 3 (Vives VII 532a): „et sic possibile convertitur cum toto ente, nam nihil est ens, cujus ratio contradictionem includit"; vgl. Scotus: Rep. I, dist. 2, qu. 5 (Vives XXII 79a).

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

gensatz steht.216 Notwendig ist, wessen Gegenteil einen Widerspruch einschließt.217 Diese Form der Möglichkeit kann man auch Kontingenz nennen.218 Das in diesem Sinn Mögliche gibt den Bereich an, auf den sich die göttliche Allmacht erstreckt.219 POTENZ IM GEGENSATZ ZUM A K T " 0

In einem dritten Sinn, dem strengsten von allen dreien, ist metaphysisch möglich, was im Gegensatz zu einem Akt steht.221 Diese Möglichkeit ist die Potenz, die in der aristotelischen Philosophie dem Akt gegenübersteht. Während in der ersten Bedeutung der metaphysischen Möglichkeit alles Seiende auch möglich ist, ist in dieser dritten Bedeutung gerade, was wirklich (d. h. im Akt) existiert, nicht möglich.222 Aktuelle Wirklichkeit und streng gefaßte metaphysische Möglichkeit bezüglich desselben schließen einander also aus.223 Da Gott reiner Akt ist, gibt es Potenz nur im geschöpflichen Bereich, in Gott aber ist keine solche Möglichkeit vorhanden.224

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Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 3 (Vivis VII 532a): „Alio modo sumitur potentia, ut opponitur necessario"; vgl. Scotus: Rep. I, dist. 7, qu. 5, n. 7 (Vives XXII 79b): „Alio modo accipitur possibile prout opponitur necessario, et illud est possibile ad utrumlibet". Scotus: Ord. IV, dist. 12, qu. 1, n. 9 (Vives XVII 545): „Voco simpliciter necessarium, cuius oppositum includit contradictionem". Honnefelder: Scientia, 70; Marrone: Revisiting, 187; Marrone: Scotus, 269. Vgl. allerdings die zeitliche Präzisierung bei Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 1-2, n. 86 (Vat. II 178,14-16): „non voco hie contingens quodcumque non-necessarium vel non-sempiternum, sed cuius oppositum posset fieri quando illud fit"; Scotus: Tract. IV, concl. 4, n. 56 (ed. Kluxen, 70) und Scotus: Tract. II, concl. 5, n. 12 (ed. Kluxen, 16). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 7 (Vat. VI 354,12-14): „possibile, secundum quod est terminus vel obiectum omnipotentiae, est illud cui non repugnat esse et quod non potest ex se esse necessario". Vgl. Santogrossi: Scotus. Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 3 (Vives VII 532a): „Tertio modo strictissime sumitur potentia Metaphysica, prout non stat cum actu circa idem, et sic loquitur Aristoteles (...)"; Scotus: Rep. I, dist. 2, qu. 5, n. 7 (Vives XXII 79b). Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 3 (Vives VII 532a): „actus est quando res est, non ita sicut in potentia"; Scotus: Rep. I, dist. 2, qu. 5, n. 7 (Vives XXII 79b): „et sie illud quod nihil est, est possibile". Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 3 (Vives VII 532a): „tantummodo potentia Metaphysica, ultimo modo sumpta opponitur actui, quia circa idem habent fieri, et simul esse non possunt". Scotus: Ord. I, dist. 7, qu. 1, n. 28 (Vat. IV 119,4-5): „Alio modo dicitur .potentia, divisa contra actum', - et ista non est in Deo".

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus d)

Reale

349

Möglichkeit225

Die reale Möglichkeit setzt die logische Möglichkeit voraus, verlangt aber zusätzlich, daß irgendein aktives oder passives Vermögen in der Wirklichkeit vorhanden ist.226 Im Gegensatz zur metaphysischen Möglichkeit, die eine Seinsweise besagt, beschreibt Duns Scotus die reale Möglichkeit als ein Prinzip, und zwar - im Anschluß an Aristoteles 227 - als ein Prinzip des Handelns oder Erleidens.228 In naheliegender Weise läßt sich die reale Möglichkeit unterteilen in die aktive und passive Möglichkeit bzw. das aktive und passive Vermögen. Dabei ist die aktive Möglichkeit als Prinzip des Handelns zu verstehen, die passive Möglichkeit hingegen als Prinzip des Erleidens. Der aktiven Möglichkeit muß irgendeine andere Möglichkeit entsprechen, und zwar eine metaphysische, nicht bloß logische Möglichkeit. 229 Von den verschiedenen Arten der metaphysischen Möglichkeit entspricht dem aktiven Vermögen nicht die umfassendste Art, der nur das Unmögliche entgegengesetzt ist, sondern ihm entspricht die metaphysische Möglichkeit, die weder unmöglich noch aus sich notwendig ist.230 Von der aktiven Möglichkeit („potentia activa") unterscheidet Duns Scotus im Zusammenhang mit Fragen der Trinitätstheologie die „potentia productiva". Der Unterschied zwischen beiden ergibt sich aus dem Unterschied zwischen „tun/machen" („agere") und „hervorbringen" („producere"). Der Sohn und der Heilige Geist sind notwendig und werden nicht gemacht, sondern

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Vgl. Boler: Commitment, 153-157; Marrone: Scotus, 275-280 und 284-287. Scotus: Lect. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 —4, n. 188 (Vat. XVI 176,17-19): „Possibilitas autem realis dicitur de subiecto potentiae activae et passivae"; Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1-4, n. 262 (Vat. II 282,8-10): „sed possibile reale est quod accipitur ab aliqua potentia in re sicut a potentia inhaerente alicui vel terminate ad illud sicut ad terminum"; vgl. Scotus: Lect. I, dist. 7, qu. un., n. 32 (Vat. XVI 484,12-14): „et tarnen nihil reale est in compositione illa ex parte extremorum, nee potentia activa nec passiva". Vgl. Aristoteles: Metaphysik V 12 (1019a 15-17). Scotus: Ord. I, dist. 7, qu. 1, n. 29 (Vat. IV 119,6-7): „Ergo reliquitur .potentia realis' - quae dicitur .prineipium agendi vel patiendi'" - gegen Hans-Joachim Werner: Die Ermöglichung des endlichen Seins nach Johannes Duns Scotus. Bern-Frankfurt: Lang 1974, 153-156, der reale und metaphysische Möglichkeit identifizieren möchte. Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 6 (Vives VII 534a): „Ad primum potentiae activae cuicumque necessario videtur ponere aliquid possibile correspondens, quia respectu ejus, quod non est in se possibile, nulla est potentia activa; Deus autem est creativus antequam creet, ergo creabile est possibile creari, non tantum potentia Logica, quia ilia quantum est de se posset esse sine activa, ut dictum est prius; propter hoc ergo ponitur ista potentia Metaphysica in essentia possibili, aliqua entitas qualis non est in Chimaera". Scotus: Ord. I, dist. 20, qu. un„ n. 24 (Vat. V 313,11-18).

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

hervorgebracht. Daher erstreckt sich die „potentia productive" auch auf das Notwendige, die „potentia activa" jedoch nicht.231 Der „potentia productiva" scheint eine „potentia producibilis" zu entsprechen, die Duns Scotus mit der „potentia obiectiva", wie sie bei Heinrich von Gent bestimmt wird, gleichsetzt. Der „potentia activa" muß nicht notwendig eine „potentia passiva" in dem strengen Sinn entsprechen, daß etwas vorhanden ist, das eine passive Möglichkeit enthält. Aber wenigstens eine „potentia producibilis" muß ihr entsprechen.232 Ähnlich wie Heinrich von Gent unterscheidet Duns Scotus zwischen „potentia obiectiva" und „potentia subiectiva". „Potentia obiectiva" ist dasjenige, was ein aktives Vermögen, wenn es sich betätigt, hervorbringt.233 „Potentia subiectiva" ist, was durch ein aktives Vermögen verwandelt werden kann. Einem aktiven Vermögen entspricht stets eine „potentia obiectiva", aber nicht immer eine „potentia subiectiva".234 Denn nicht immer betätigt sich ein aktives Vermögen, indem es einen vorhandenen Gegenstand verändert und damit seine „potentia subiectiva" realisiert, sondern sie kann auch einen noch nicht vorhandenen Gegenstand hervorbringen. Zum Beispiel geht der Schöpfung keine „potentia subiectiva" voraus, weil ihr auch kein Gegenstand vorausgeht, in dem sie enthalten wäre. Wohl aber entspricht der Schöpfung eine „potentia obiectiva", weil sie auf einen möglichen Gegenstand hinzielt.

231

Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 2, qu. 1 - 4 , n. 262 (Vat. II 283,5-12): „Est tarnen Filius terminus potentiae productivae, quae abstrahlt a ratione potentiae effectivae, et si illa potentia dicatur simpliciter potentia terminus illius potentiae potest dici simpliciter possibile; sed illa possibilitas non repugnat necessario formaliter, licet forte possibilitas de qua philosophi loquuntur, de potentia activa et passiva, proprie repugnet necessitati ex se: sed hoc dubium est de activa, si ponerent aliquod necessarium habere principium productivum" - gegen Werner: Ermöglichung, 156, der „potentia activa" und „potentia productiva" identifizieren möchte.

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Scotus: Ord. I, dist. 5, pars 2, qu. un., n. 148 (Vat. IV 83,5-14): „Cum tertio arguitur quod ,omni potentiae activae correspondet potentia passiva' etc., respondeo: primae potentiae activae non correspondet aliqua potentia passiva, sicut patet de potentia creandi, - et hoc, loquendo proprie de potentia passiva, ut in qua vel de qua aliquid producitur; potentiae tarnen activae correspondet aliqua potentia passiva, quam ipsi vocant ,potentiam obiectivam', - quae est potentia producibilis, - et hoc modo concedo quod si Pater est fecundus active, quod Filius est producibilis, sed ex hoc non sequitur aliqua potentia quasi-materiae, sicut non sequitur in creatione" - gegen Werner: Ermöglichung, 156, der „potentia passiva" und „potentia obiectiva" identifzieren will.

233 234

Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 8 (Vives VII 536b); Scotus: Ord. I, dist. 20, qu. un., n. 28 (Vat. V 315,7). Scotus: Met. IX, qu. 2, n. 8 (Vives VII 536b); Scotus: Ord. I, dist. 20, qu. un., n. 28 (Vat. V 315,5-14).

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

2)

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Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen

Wie allgemein anerkannt wird, steht Johannes Duns Scotus an einer Wasserscheide des abendländischen philosophischen Nachdenkens über die Möglichkeit und die anderen Modalitäten. Charakteristisch für diese Stellung ist die Sorgfalt, mit der er zwei Hinsichten unterscheidet, von denen die Möglichkeit in der einen auf Gott zurückgeht, wie es Heinrich von Gent vor ihm vertreten hat, in der anderen aber in der eigenen Widerspruchsfreiheit gründet, wie in späterer Zeit häufig gelehrt wurde. Ebenso geht die Unmöglichkeit in der einen Hinsicht auf Gott zurück, gründet aber in der anderen Hinsicht in der eigenen Widersprüchlichkeit. a)

Das Mögliche

Das Mögliche ist einerseits formal aus sich selbst möglich, weil es keinen Widerspruch enthält und mit dem Sein vereinbar ist. Dies ist sein innerer Grund. Es geht jedoch andererseits wie auf sein Prinzip („principiative") auf den göttlichen Intellekt zurück, der sein äußerer Grund ist. Diese beiden Aspekte sollen nun nacheinander dargestellt und gewürdigt werden. DER INNERE GRUND: „FORMALITER EX SE"

In gewisser Weise gründet die Möglichkeit in der Widerspruchsfreiheit des Möglichen selbst. Denn möglich ist es, weil es ihm erstens nicht widerspricht zu sein und weil es zweitens nicht aus sich notwendig ist. Wenn diese beiden Bedingungen gegeben sind, kann es als Objekt der göttlichen Allmacht auftreten.235 Alles, was sich überhaupt denken läßt, ist nämlich entweder ein schlechthin einfacher Begriff („conceptus simpliciter simplex") oder ein aus anderen Begriffen zusammengesetzter Begriff, der zwar auch einfach ist, insofern der Intellekt ihn durch einen einzigen Akt begreifen kann, aber nicht schlechthin einfach, weil er sich in mehrere Begriffe auflösen läßt.236 235

Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,13-16): „habet se ipsa esse possibile in secundo instand naturae, quia formaliter non repugnat sibi esse et se ipso formaliter repugnat sibi habere esse necessarium ex se (in quibus duobus stat tota ratio omnipotentiae, correspond e d rationibus potentiae activae)".

236

Scotus: Lect. I, dist. 3, pars 1, qu. 1-2, n. 68 (Vat. XVI 250,1-12); Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 1, qu. 1 - 2 , n. 71 (Vat. III 4 9 , 7 - 1 4 ) : „Quantum ad primum, praemitto duo, - quorum primum est quod conceptus .simpliciter simplex' est qui non est resolubilis in plures conceptus, ut conceptus entis vel ultimae differentiae. Conceptum vero simplicem sed ,non-simpliciter

352

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Ein schlechthin einfacher Begriff ist stets der Begriff von etwas Möglichem. Da er noch in keiner Weise zusammengesetzt ist, kann er keine unvereinbaren Bestimmungen in sich verbinden und daher auch keinen inneren Widerspruch enthalten. Es gibt also keinen einzelnen schlechthin einfachen Begriff von etwas schlechthin Unmöglichem, wie es einen einzelnen Begriff von etwas schlechthin Notwendigem gibt, nämlich den Begriff Gottes.237 Ein aus mehreren einfacheren Begriffen zusammengesetzter Begriff ist dann möglich, wenn die Begriffe, aus denen er besteht, logisch miteinander vereinbar sind. Kein Begriff, der unvereinbare Elemente enthält, ist mit dem Sein vereinbar. Möglichkeit bedeutet also bei zusammengesetzten Begriffen logische Vereinbarkeit der begrifflichen Bestandteile miteinander und des Begriffs mit dem Sein. Diese Vereinbarkeit beruht ausschließlich auf dem Inhalt des Begriffs.238 Duns Scotus erklärt das für möglich, dem es nicht widerspricht zu sein. Dabei wird nicht erklärt, ob das Sein hier auf das reale Sein des in der Wirklichkeit Existierenden zu beschränken ist oder ob es auch das begriffliche Sein eines „ens rationis" umfaßt.239 Im zweiten Fall ist das, dem es nicht widerspricht zu sein, mit dem, dessen begriffliche Elemente miteinander vereinbar sind, identisch, denn alles Widerspruchsfreie läßt sich auch denken. Im ersten Fall gilt dies nicht, denn manchen „entia rationis" widerspricht das reale Sein, beispielsweise logischen Intentionen oder begrifflichen Relationen. Wenn Duns Scotus diese „entia rationis" nicht als möglich in dem hier relevanten Sinn auffaßt, ist nicht nur erforderlich, daß die begrifflichen Elemente, die das Mögliche bilden, miteinander vereinbar sind, sondern auch, daß das durch sie gebildete Mögliche mit dem realen Sein vereinbar ist. An der Erkenntnis, daß die Möglichkeit ausschließlich auf dem begrifflichen Inhalt des Möglichen beruht, ändert sich dadurch nichts. In dem Sinn, in dem es das Objekt der göttlichen Allmacht bildet, schließt das Mögliche außer dem Unmöglichen auch das aus sich Notwendige aus. Gemeint ist damit Gott selbst, der als einziges Wesen aus sich notwendig ist. Notwendig ist, wessen Gegenteil einen Widerspruch einschließt.240 Die Widersprüchlichkeit kommt aber, wie sogleich gezeigt wird,241 aus den unvereinbaren begrifflichen Bestandteilen des Widersprüchlichen. Daher beruhen

237 238 239 240 241

simplicem' voco, quicumque potest concipi ab intellectu actu simplicis intelligentiae, licet posset resolvi in plures conceptus, seorsum conceptibiles". Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un„ n. 18 (Vat. VI 360,15-361,5). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un„ η. 17 (Vat. XVII 534,9-11). Vgl. zu diesen beiden Formen des Seins Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 114a-b). Scotus: Ord. IV, dist. 12, qu. 1, n. 9 (Vives XVII 545). Vgl. unten b): Der innere Grund: „formaliter ex se"!

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

353

letztlich auch Notwendigkeit und Nicht-Notwendigkeit ausschließlich auf dem Inhalt dessen, was notwendig bzw. nicht notwendig ist. Der Begriff von etwas Möglichem, das nicht aus sich notwendig ist, ist also entweder ein schlechthin einfacher Begriff oder ein aus miteinander und mit dem Seinsbegriff vereinbaren begrifflichen Bestandteilen zusammengesetzter Begriff. Die Einfachheit eines Begriffs, aber auch die Vereinbarkeit seiner allfälligen Bestandteile miteinander und des aus ihnen gebildeten Begriffs mit dem Seinsbegriff oder die Unmöglichkeit seines Gegenteils beruht ausschließlich auf dem Inhalt des Begriffs selbst und läßt sich daher, sofern er definierbar ist, seiner Definition entnehmen. Daher ist alles, was möglich ist, aufgrund des inhaltlichen Gehalts seines Begriffs möglich, wobei die Richtschnur, nach der das Mögliche möglich und das Unmögliche unmöglich ist, das Kontradiktionsprinzip bildet. Das formuliert Scotus, indem er sagt, das Mögliche sei formal aus sich selbst heraus („formaliter ex se") möglich.242 Da der Grund dieser Möglichkeit ausschließlich im Möglichen selbst liegt, spricht Scotus auch vom ersten inneren Grund („ratio prima intrinseca") des Möglichen. 243 D E R AUBERE GRUND: „PRINCIPIATIVE E X INTELLECTU DIVINO"

In gewisser Weise geht das Mögliche jedoch auf Gott zurück. Duns Scotus charakterisiert das Mögliche nämlich nicht nur durch logische Widerspruchsfreiheit, sondern gesteht ihm auch einen eigenen ontologischen Status zu, also eine bestimmte Form von Sein, das er „esse possibile" nennt. Verglichen mit dem wahren Sein der geschaffenen Wirklichkeit, handelt es sich dabei freilich um eine defiziente Seinsform. Dennoch läßt es sich nicht mit den Vorgaben des christlichen Glaubens vereinbaren, daß etwas anderes außer Gott „ist", das, wenn es schon nicht geschaffen ist, nicht wenigstens auf irgendeine andere Weise auf Gott zurückgeht. Daß die Widerspruchsfreiheit seines Begriffs eine unabdingbare Voraussetzung des Möglichen darstellt, ist unbestritten. Es stellt sich jedoch die Frage nach einer äußeren Ursache, die darüber hinausgeht. Heinrich von Gent hat sie in der göttlichen Allmacht gefunden. Duns Scotus ist mit dieser Lösung jedoch nicht einverstanden, weil er den Akzent stärker auf die Widerspruchsfreiheit des Möglichen als auf seine Ermöglichung durch ein äußeres Vermögen legt. Was aber frei von Widersprüchen ist, ist es formal aus sich selbst („formaliter ex se"). Gleichsam unter Vorwegnahme der berühmten Formel 242 243

Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 7 (Vat. VI 354,16). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 12 (Vat. XVII 532,13-14).

354

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

von Hugo Grotius (1583-1645) läßt sich Duns Scotus sogar zur Behauptung hinreißen: Selbst wenn es - „per impossibile"! - Gott nicht gäbe, wäre das Widerspruchsfreie immer noch widerspruchsfrei möglich. 244 Duns Scotus fuhrt also das Mögliche zwar auf Gott als sein äußeres Prinzip zurück, aber nicht auf die göttliche Allmacht. Seiner Ansicht nach sind die göttlichen Attribute zwar allesamt mit dem göttlichen Wesen real identisch. Formal sind sie aber von ihm und voneinander unterschieden. Diese Unterscheidung liegt dem bloßen Denken voraus. Daher kann Duns Scotus folgerichtig die Rückführung der Möglichkeit des Möglichen auf die göttliche Eigenschaft der Allmacht bestreiten, sie zugleich aber aus einer anderen göttlichen Eigenschaft erklären, die zwar ebenso mit dem göttlichen Wesen real identisch ist wie die Allmacht, sich von ihr aber formal „a parte rei" unterscheidet.245 Diese Eigenschaft Gottes ist sein Intellekt. Da Duns Scotus in seiner Vorstellung vom Möglichen das Gewicht von der äußeren Möglichkeit, dem Korrelat einer Kraft oder eines Vermögens, auf die logische und die mit ihr eng verwandte metaphysische Möglichkeit verlagert, sieht er das Prinzip des Möglichen nicht länger in der Allmacht, sondern im göttlichen Intellekt. Dieser bringt durch sein Denken jene Begriffe im „esse intelligibile" hervor, die sich anschließend („anschließend" in einem nicht-zeitlichen Sinn!) als formal aus sich selbst heraus in sich widerspruchsfrei, mit dem Sein vereinbar, nicht aus sich notwendig und daher möglich erweisen. 246 Daher ist der göttliche Intellekt das erste äußere Prinzip des Möglichen. Das sagt, wie Scotus polemisch bemerkt, sogar Heinrich von Gent in seiner Ideenlehre, nach der das Mögliche als Ideat durch den göttlichen Intellekt hervorgebracht wird.247 Duns Scotus nennt den göttlichen Intellekt das erste äußere Prinzip des Möglichen und fuhrt dieses „principiative" auf den Intellekt zurück. Es ist dabei also an das Verhältnis eines Prinzips zu dem von ihm Bestimmten zu denken. Wie Scotus sich dieses Verhältnis genau vorstellt, fuhrt er nicht aus. Doch läßt sich einer bestimmten Formulierung ein Hinweis entnehmen. Am Beginn des zweiten Buches der „Reportata Parisiensia" faßt er das Ergebnis seiner Überlegungen zur dreiundvierzigsten Distinktion des ersten Buches 244 245 246 247

Scotus: Lect. I, dist. 36, qu. un., n. 62 (Vat. VI 296,16-18). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 6 (Vives XXII 489b-490a); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,7-11). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 534,9-15); Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 12 (Vives XXII 492a); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,7-11). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 6 (Vives XXII 489b-490a): „ponit enim [seil. Henricus] quod lapis ex hoc quod est exemplatus a divino intellectu, formaliter habet entitatem quidditativam, et per consequens est possibilis per hoc esse extra; per hoc enim distinguitur entitas rata ab entitate fictitia secundum ipsum".

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

355

kurz zusammen, ersetzte dabei aber das Wort „principiative" durch das Wort „causaliter".248 Dem ist zu entnehmen, daß ein prinzipiatives Verhältnis so etwas wie ein Kausalverhältnis ist.249 Allerdings bringt eine Ursache normalerweise kontingente Wirkungen hervor, während das Mögliche mit Notwendigkeit möglich ist. Außerdem existieren die Wirkungen einer Ursache im realen Sein; der göttliche Intellekt aber verleiht nur das „esse intelligibile". Daher ist es verständlich, daß Duns Scotus vorsichtig „principiative" statt „causaliter" und „principium" oder „ratio" statt „causa" sagt. Daß der göttliche Intellekt das erste äußere Prinzip des Möglichen ist und daß die Möglichkeit „principiative" auf ihn zurückgeht, bedeutet nicht, daß der Intellekt nach Belieben formal aus sich selbst Widerspruchsfreies widersprüchlich oder formal aus sich Widersprüchliches widerspruchsfrei machen könnte. Denn während der Wille Gottes frei ist und „ad extra" kontingent wirkt, ist der Intellekt ein naturhaftes Vermögen und wirkt daher mit Notwendigkeit.250 Was er im „esse intelligibile" hervorbringt, bringt er daher mit Notwendigkeit hervor, und was möglich und widerspruchsfrei ist, ist es mit Notwendigkeit. Daher geht Duns Scotus in seinem Gottesbeweis, um gemäß dem aristotelischen Wissenschaftsideal nicht beim Kontingenten, sondern beim Notwendigen anzusetzen, nicht von der Kontingenz der Schöpfung, sondern von der Notwendigkeit ihrer Möglichkeit aus.251 Unmittelbar kommt das „esse possibile" dem Möglichen zu, weil es formal aus sich selbst in sich widerspruchsfrei, mit dem Sein vereinbar und nicht aus sich notwendig ist. Der letzte äußere Grund dafür ist aber jener, aus dem der in sich widerspruchsfreie Begriff dessen, was sich als möglich erwiesen hat, hervorgegangen ist, also der göttliche Intellekt. Wie Duns Scotus zuvor formuliert hat, das Mögliche sei möglich „formal aus sich selbst" („formaliter ex se"), so fügt er als zweiten Teil einer zweigliedrigen Formel die ergänzende 248

249

250 251

Scotus: Rep. II, dist. 1, qu. 2, n. 16 (Vives XXII 529a); vgl. den Ausdruck „causa" in Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un„ n. 13 (Vat. XVII 532,22-533,7); Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 8 (Vives XXII 4 9 0 a - b ) und n. 14 (Vives XXII 492b); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un„ n. 10 (Vat. VI 355,13-356,4). Marrone: Scotus, 287; Calvin G. Normore: Scotus, Modality, Instants o f Natur and the Contingency of the Present. In: John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega Wood und Mechthild Dreyer. Leiden-New York-Köln: Brill 1996 (STGMA 53), 161-174, 169. Scotus: Lect. I, dist. 39, qu. 1-5, n. 43 (Vat. XVII 4 9 2 , 2 1 ^ 9 3 , 4 ) ; vgl. Deku: Possibile, 18; Ramelow: Gott, 2 0 und 27. Scotus: Ord. I, dist. 2, pars 1, qu. 1 - 2 , n. 56 (Vat. II 161,9-162,8); Scotus: Tract. III, concl. 1, n. 26 (ed. Kluxen, 34): „malo de possibili proponere conclusiones et praemissas. ( . . . ) Illae etiam de actu sunt contingentes, licet satis manifestae, istae de possibili sunt necessariae".

356

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Bestimmung hinzu, es sei auch möglich „prinzipiativ aufgrund des göttlichen Intellektes" („principiative ex intellectu divino").252 b)

Das Unmögliche

Wie das Mögliche besitzt auch das Unmögliche einen inneren und einen äußeren Grund. Einerseits ist es formal aus sich selbst unmöglich. Sein inneres Prinzip besteht in der eigenen Widersprüchlichkeit und Unvereinbarkeit mit dem Sein. Andererseits geht es auf den göttlichen Intellekt als sein äußeres Prinzip zurück. D E R INNERE GRUND: „FORMALITER E X S E "

Das Unmögliche ist formal aus sich selbst unmöglich. Nicht nur die Begriffe all dessen, was möglich ist, sondern auch die Figmente, die Vorstellungen des Unmöglichen, lassen sich auf einfache, nicht weiter analysierbare begriffliche Bestandteile zurückfuhren. Wie erwähnt, sind solche einfache begriffliche Elemente stets möglich.253 Scotus schließt aus, daß es einen einfachen Begriff eines unmöglichen Wesens gibt, wie es einen einfachen Begriff eines notwendigen Wesens gibt, nämlich den Gottesbegriff. Kein einfacher Begriff ist unmöglich. Was daher unmöglich ist, kann nicht deshalb unmöglich sein, weil es ein erster und einfacher unmöglicher Begriff ist oder einen solchen in seiner Definition enthält (oder wenigstens enthielte, wenn es definierbar wäre).254 Da kein einfacher Begriff unmöglich ist, sind Begriffe von Unmöglichem zusammengesetzte Begriffe. Da ihre Unmöglichkeit nicht auf unmögliche einfache Bestandteile zurückgehen kann, die es nicht gibt, setzen sich Begriffe von Unmöglichem aus in sich möglichen inhaltlichen Elementen zusammen. Solche Begriffe sind nur deshalb nicht möglich, weil die widerspruchsfreie Vereinbarkeit der einzelnen Bestandteile nicht gegeben ist. Was unmöglich ist, ist also deshalb unmöglich, weil seine begrifflichen Bestandteile miteinander nicht widerspruchsfrei vereinbar sind. Unmöglichkeit besteht also in der inneren Widersprüchlichkeit einer Vorstellung. Widersprüchlichkeit aber ist Unvereinbarkeit begrifflicher Bestandteile. Unter Unmöglichkeit ist daher die

252 253 254

Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 7 (Vat. VI 354,17). Vgl. oben 2), a): Der innere Grund: „formaliter ex se"! Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 13 (Vives XXII 492a-b); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 18 (Vat. VI 360,15-19).

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

357

Unvereinbarkeit begrifflicher Bestandteile zu verstehen. Impossibilität ist Inkompossibilität. 255 Darin unterscheidet sich Duns Scotus von Heinrich von Gent. Letzterer unterschied innerhalb des Unmöglichen das Widersprüchliche von der fiktiven, aber nicht in sich widersprüchlichen „res a reor reris". Indem Duns Scotus Unmöglichkeit mit Widersprüchlichkeit gleichsetzt, entfällt der zweite Bereich, den Heinrich innerhalb des Unmöglichen angenommen hat. Die Figmente, die Heinrich dort angesiedelt hat, vor allem die Fabelwesen, ordnet Scotus zwar immer noch dem Unmöglichen, aber - anders als Heinrich - auch dem in sich Widersprüchlichen zu. Die Chimäre ist nicht nur unmöglich, sondern auch in sich widersprüchlich, weil die Vorstellung von ihr aus zwar in sich möglichen, aber miteinander unvereinbaren Elementen zusammengesetzt ist.256 Daß einzelne Elemente einer Vorstellung miteinander unvereinbar sind, hat - ebenso wie ihre Vereinbarkeit - keinen äußeren Grund, sondern beruht allein auf der formalen Natur dieser Elemente selbst und zeigt sich durch das Kontradiktionsprinzip. Sie wären selbst dann unvereinbar, wenn es Gott „per impossibile"! - nicht gäbe. 257 In ihrer Unvereinbarkeit besteht der innere Grund der Unmöglichkeit. Daher sind die begrifflichen Elemente eines Figments „formal aus sich" („formaliter ex se") unvereinbar, und das Unmögliche ist „formal aus sich" („formaliter ex se") unmöglich. 258

D E R ÄUßERE GRUND: „PRINCIPIATIVE EX INTELLECTU DIVINO"

Wie bei der Möglichkeit des Möglichen kann man auch bei der Unmöglichkeit des Unmöglichen nach einem äußeren Grund fragen. Das ist allerdings nicht so zu verstehen, als gestünde Duns Scotus dem Unmöglichen einen eigenen ontologischen Status zu, etwa eine Art von „esse impossibile", wie er von einem „esse possibile" spricht, oder eine Weise der Realität, wie es Heinrich von Gent bezüglich der „res a reor reris" tut. Das Unmögliche und Widersprüchliche ist vielmehr schlechthin nichts. Es läßt sich auch nicht denken

255 256 257

258

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 15 (Vat. XVII 533,19-27); Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. I, n. 13 (Vives XXII 492b); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. VI 359,8-360,8). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 15 (Vat. XVII 533,21-534,4). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 9 (Vives XXII 491a): „et si Deus non esset, contradictoria contradicerent"; Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 5 (Vat. VI 353,17-354,1): „immo repugnaret sibi esse, si per impossibile Deus non esset". Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. XVII 534,7-8); Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 13 (Vives XXII 492b); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. VI 3 5 9 , 1 3 - 1 6 ) .

358

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

oder begreifen,259 wie sich das Mögliche denken oder begreifen läßt. Daher bedarf es zu seiner Erklärung auch keiner äußeren Ursache. Aber die Vorstellung des Unmöglichen besteht aus in sich möglichen, aber miteinander unvereinbaren Bestandteilen. Diese Bestandteile sind möglich, lassen sich denken, besitzen ein „esse possibile" und gehen daher „principiative" auf den göttlichen Intellekt zurück. Daher ist der Intellekt nicht nur das äußere Prinzip des Möglichen, sondern durch das Mögliche der erste äußere Grund der Unmöglichkeit. Also geht auch das Unmögliche, dessen Vorstellung durch die Verbindung der beiden unvereinbaren, aber in sich möglichen Begriffe entsteht, wenigstens auf diesem indirekten Weg auf den göttlichen Intellekt zurück.260 Was unmöglich ist, ist es infolge unvereinbarer begrifflicher Bestandteile. Die Unvereinbarkeit dieser begrifflichen Bestandteile stammt „formal" aus dem Unmöglichen selbst. Besteht man aber auf einem äußeren Grund für die Unmöglichkeit des Unmöglichen, so ist der göttliche Intellekt zu nennen, denn er ist das Prinzip der in sich möglichen, aber unvereinbaren Bestandteile, die das Unmögliche bilden. Wie das Mögliche „formal aus sich", aber „prinzipiativ aufgrund des göttlichen Intellektes" möglich ist, so ist auch das Unmögliche „formal aus sich" („formaliter ex se"), aber „prinzipiativ aufgrund des göttlichen Intellektes" („principiative ex intellectu divino") unmöglich. Duns Scotus kritisiert an der ersten Erklärung, die Heinrich von Gent für den Ursprung der Möglichkeit des Möglichen und der Unmöglichkeit des Unmöglichen gibt, die Inkonsequenz, Möglichkeit und Unmöglichkeit auf unterschiedliche Ursprünge zurückzufuhren, nämlich die Möglichkeit auf die göttliche Allmacht, die Unmöglichkeit aber auf das Unmögliche selbst. Wie die Lunge, wenn sie vorhanden ist, die Ursache der Atmung, wenn sie aber fehlt, die Ursache des Mangels der Atmung ist, so müssen nach Scotus auch Möglichkeit und Unmöglichkeit aus demselben Grund hervorgehen.261 Was Duns Scotus an Heinrich von Gent kritisiert, beachtet er in seiner eigenen Erklärung des Ursprungs des Unmöglichen. Er führt nämlich das Unmögliche auf den gleichen Ursprung zurück wie das Mögliche. Mögliches wie Unmögliches ist „formal aus sich selbst, prinzipiativ aber aufgrund des göttlichen Intellektes" möglich bzw. unmöglich.

259 260 261

Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 114a): „quod enim est sie includens contradictionem, sicut non potest esse extra animam, ita non potest esse aliquid intelligibile". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 14 (Vives XXII 493a); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. VI 359,16-17). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 13 (Vat. XVII 532,22-533,7); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 10 (Vat. VI 355,13-356,4).

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

359

ABSCHLIEßENDE WERTUNG

Beeindruckend an der Scotischen Possibilienlehre ist die Balance zwischen der Rückführung des Möglichen auf Gott und seiner Begründung in der widerspruchsfreien Natur des Möglichen selbst, die Ausgewogenheit zwischen einer ontologischen Fundierung des Möglichen in Gott und der Deutung der Möglichkeit als widerspruchsfreier Vereinbarkeit von Begriffen und Bestandteilen der Definitionen von Begriffen im Sinn einer logischen Möglichkeit. Mit der knappen, aber inhaltsschweren Formel „formaliter ex se, principiative ex intellectu divino" wird der „Doctor subtilis" seinem Ehrennamen gerecht. Angesichts der denkerischen Anstrengung, die dieser Drahtseilakt der Scotischen Metaphysik erfordert, ist es zwar zu bedauern, aber nicht verwunderlich, daß in späteren Jahrhunderten die Schüler und Interpreten des Johannes Duns Scotus die Ausgewogenheit ihres Meisters nicht durchhielten, sondern eine der beiden Seiten, die Duns Scotus (nicht ohne innere Spannung) zusammengefügt hatte, einseitig und unter Vernachlässigung der anderen hervorhoben und fur grundlegend erklärten. Darüber entstand im siebzehnten Jahrhundet ein Streit zwischen zwei Scotisten. Der italienische Konventuale Bartholomäus Mastrius262 (1602-1673) betonte in seiner Deutung der Possibilienlehre des Duns Scotus den Aspekt des „principiative ex intellectu divino", während der irische Observant John Ponce 263 (1603-1672/73, auch „Punch" genannt, latinisiert „Poncius" oder „Pontius") ihm gegenüber auf dem „formaliter ex se" beharrte.264 In unseren Tagen sieht Simo Knuuttila in Scotus den Vorkämpfer einer Theorie der rein logischen Möglichkeit gegen die antiken Konzeptionen der Modalitätenlehre.265 Calvin G. Normore hingegen deutet zusammen mit anderen die Scoti262

263 264

265

Vgl. Johannes Schlageten Mastrius. In: 'LThK 6 (1997) 1464; Bonaventura Crowley: The Life and Works of Bartholomew Mastrius, O.F.M. CONV. 1602-1673. In: FrS 8 (1948) 9 7 152. Vgl. Johannes Schlageten Ponce. In: 'LThK 8 (1999) 412; Maurice Grajewski: John Ponce, Franciscan Scotist of the Seventeenth Century. In: FrS 6 (1946) 54-92. Theo Kobusch: Sein und Sprache: Historische Grundlegung einer Ontologie der Sprache. Leiden-New York-Kobenhaven-Köln: Brill 1987 (SPAMP 11), 244-250; Jeffrey Coombs: The Possibility of Created Entities in Seventeenth-Century Scotism. In: P h Q 4 3 (1993) 447-459; Sousedik: Streit, 191-204. Simo Knuutila: Duns Scotus' Criticism of the „Statistical" Interpretation of Modality. In: Sprache und Erkenntnis im Mittelalter. Akten des VI. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Sociite Internationale pour l'Etude de la Philosophie Medievale, 29. August-3. September 1977 in Bonn. Hrsg. v. Jan P. Beckmann, Ludger Honnefelder, Gabriel Jiissen, Barbara Milnxelhaus, Gangolf Schrimpf, Georg Wieland unter der Leitung von Wolfgang Kluxen. 1. Halbband. Berlin-New York: de Gruyter 1981 (MM 13/1), 441-450; Knuuttila: Modalities, 139-149; Alanen, Knuuttila: Foundations, 32-36; Simo Knuuttila: Interpreting Scotus' Theory of Modality: Three Critical Remarks. In: via scoti. Methodologica

360

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

sehe Möglichkeitslehre als aktualistisch, insofern er das Mögliche von etwas Wirklichem abhängen läßt, nämlich dem göttlichen Intellekt.266 Wilhelm von Ockham stellt in seiner Darstellung des „status quaestionis" Duns Scotus Heinrich von Gent gegenüber. Daher betont er, als er die Antwort von Scotus in einem Satz zusammenfaßt, das, was diesen von Heinrich unterscheidet („aliter dicitur"!), nämlich den Aspekt des „formaliter ex se".267 Allerdings weiß Ockham sehr gut, daß er damit nur den halben Scotus erfaßt hat. Seine Kritik, die er an der Scotischen Lösung übt, bezieht sich ausschließlich darauf, wie Scotus Möglichkeit und Unmöglichkeit auf den göttlichen Intellekt zurückfuhrt.268

3)

Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Wirklichen

Duns Scotus greift die Unterscheidung zwischen der „res a reor reris" und der „res a ratitudine" auf, die ihm von Heinrich von Gent her vertraut ist. Statt aber diese Ausdrücke mitzuübernehmen, ersetzt er sie durch (angeblich) klarere: Statt von der „res a reor reris" spricht er von einer Realität, die im Meinen vorkommen kann („realitas opinabilis"), statt von der „res a ratitudine" von einer quidditativen Realität („realitas quidditativa").269 Was letztere betrifft, weigert sich Duns Scotus, der „res a ratitudine" eine eigene Seinsform des „esse essentiae" zuzuschreiben und diese von der Seinsweise der realen Existenz („esse existentiae") zu unterscheiden.270 An die Stelle dieser Unterscheidung, die in den Augen des Duns Scotus eine allzu essentialistische

266 267 268

269 270

ad mentem Ioannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale. Roma 9.-11. marzo 1993. Hrsg. v. Leonardo Sileo. Vol. I. Roma: Paa - Edizione Antonianum 1995, 2 9 5 303; Simo Knuuttila: Duns Scotus and the Foundations of Logical Modality. In: John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega Wood und Mechthild Dreyer. Leiden-New York-Köln: Brill 1996 (STGMA 53), 127-143. Normore: Scotus; vgl. Schönberger: Transformation, 327f; Sousedik: Streit, 198; Klaus Bannach: Gott und das Mögliche. Erläuterungen zu Scotus. In: ZThK 95 (1998) 197-216, 209f. Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 645,9-11): „Aliter dicitur quod prima ratio .impossibilis' non est ex parte Dei, sed quod illud est impossibile simpliciter propter repugnantiam eius ut fiat". Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 646,8-648,6). Daß Lilli Alanen den Unterschied zwischen Scotus und Ockham in dieser Frage nur in der Formulierung sieht, beruht darauf, daß sie - im Anschluß an Simo Knuuttila - bei Scotus den Aspekt des „formaliter ex se" für unbedeutend hält, in dem sich Ockham entschieden von Scotus abgrenzt; vgl. Lilli Alanen: Descartes, Duns Scotus and Ockham on Omnipotence and Possibility. In: F r S 4 5 (1985) 157-188, 176-182; Alanen, Knuuttila: Foundations, 32-40. Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 2, qu. un., n. 310 (Vat. Ill 188,6-189,3). Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un. (Vat. V I 2 7 1 - 2 9 8 ) .

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

361

Sichtweise des bloß Möglichen nahelegt, tritt die Unterscheidung zwischen zwei Arten der „ratitudo" bzw. zwischen zwei Arten der durch sie gebildeten „res rata". Im ersten und engen Sinn ist unter der „res rata" all das zu verstehen, was aus sich ein festes und wahres Sein („ex se firmum et verum esse") besitzt.271 Im zweiten und weiten Sinn bezeichnet „ens ratum" darüber hinaus auch alles, dem es nicht widerspricht, ein wahres Sein zu besitzen.272 Diese beiden Formen der „res rata" unterscheiden sich unter verschiedenen Gesichtspunkten. Sie unterscheiden sich erstens danach voneinander, in welcher Bedeutung von „esse" sie „sind". Sie unterscheiden sich zweitens nach dem Grund ihres Seins und drittens in ihrer Entstehung entweder durch Schöpfung oder durch Produktion aus dem Nichts. Sie unterscheiden sich viertens hinsichtlich des „nichts", aus dem sie entstehen, fünftens hinsichtlich des Prinzips, durch das sie entstehen, sechstens in der Modalität von Kontingenz bzw. Notwendigkeit, in der sich ihre Entstehung vollzieht, und schließlich siebtens in ihrem Verhältnis zur Zeit. All diese Unterschiede sollen im folgenden dargestellt werden.

a)

Die „ res rata primo modo ": Das Wirkliche

Im ersten und engeren Sinn ist unter der „res rata" all das zu verstehen, was aus sich ein festes und wahres Sein („ex se firmum et verum esse") besitzt. Dabei unterscheidet Scotus nicht wie Heinrich von Gent zwischen „esse essentiae" und „esse existentiae".273 Die beiden Formen der „ratitudo" unterscheiden sich bezüglich der Bedeutung, in der man von ihnen die Begriffe „seiend" („ens") aussagen darf. Zwar ist das „ens ratum" in seinen beiden Formen ein „ens", aber nicht jeder Sinn dieses Wortes trifft auf diese beiden Seinsweisen gleichermaßen zu. Scotus unterscheidet mehrfach verschiedene Bedeutungen von „ens". Die ausfuhrlichste und differenzierteste Darstellung findet sich in der dritten Frage seines Quodlibets, wo er vier verschiedene Verwendungsweisen des Begriffs „ens" (synonym mit „res") festhält. Sie sind geordnet von einer ganz weiten bis zu einer verhältnismäßig engen Bedeutung diese Wortes.274 271 272 273 274

Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 48 (Vat. VI 290,5-6): ,„ens ratum' aut appellator illud quod habet ex se firmum et verum esse". Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 48 (Vat. VI 290,8-10): „aut ,ens ratum' dicitur illud quod primo distinguitur a figmentis, cui scilicet non repugnat esse verum essentiae vel existentiae". Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 48 (Vat. VI 290,5-8). Vgl. Honnefelder: Scientia, 3 - 1 0 ; Andrej Krause: Sind die von Johannes Duns Scotus entwikkelten ordines essentiales auf alle Naturen anwendbar? In: ThPh 73 (1998) 3 6 4 - 3 8 2 , 3 6 5 - 3 7 4 .

362

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Im allgemeinsten und weitesten Sinn bezeichnet Duns Scotus alles als „ens", was keinen Widerspruch enthält.275 Was nicht in diesem Sinn seiend ist, ist schlechthin nichts. Wenn unter dem Seienden all das verstanden wird, was keinen Widerspruch enthält, ist alles, was möglich ist, auch seiend. Denn in all seinen verschiedenen Bedeutungen ist als notwendige Bedingung dafür, daß etwas möglich genannt werden kann, die Widerspruchsfreiheit vorausgesetzt, kraft deren das Mögliche dann auch schon als seiend in diesem weitesten Sinn gilt. Was umgekehrt die Bedingung der Widerspruchsfreiheit nicht erfüllt, ist unmöglich und kann aus dem gleichen Grund nicht als seiend bezeichnet werden, sondern nur als nichts. In einer schon engeren Bedeutung gebraucht Duns Scotus den Ausdruck „ens" für alles, was widerspruchsfrei außerhalb eines Verstandes existieren kann. Vom allerweitesten Seinsbegriff unterscheidet sich dieser, indem er das verstandesabhängige „ens rationis" ausschließt, also logische Intentionen, begriffliche Relationen und desgleichen. Das so verstandene Seiende ist es, das nach Avicenna allen Gattungen und Kategorien gemeinsam ist.276 In einer dritten Bedeutung nennt Scotus all das seiend, was real und als etwas Absolutes existiert. Auf Relationen, Umstände und Modi trifft dies nicht zu, sondern nur auf das, was in den ersten drei aristotelischen Kategorien enthalten ist, also auf Substanzen, Quantitäten und Qualitäten.277 Im vierten und strengsten Sinn ist unter „seiend" („ens simpliciter sive potissime dictum") nur das zu verstehen, was nicht bloß selbständig, sondern auch durch sich und zuerst existiert. Das läßt sich von Akzidenzien nicht behaupten, sondern dieser Seinsbegriff erfaßt ausschließlich die Substanz.278 Unter diesen vier Seinsweisen kommt dem „ens ratum primo modo" jene zu, die Duns Scotus auch als „Sein in jeder Hinsicht" oder „Sein schlechthin"

275

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277

278

Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 114a): „Ens ergo vel res isto primo modo, accipitur omnino communissime, et extendit se ad quodcumque, quod non includit contradictionem, sive sit ens rationis, hoc est praecise habens esse in intellectu considerante, sive sit ens reale, habens aliquam entitatem extra considerationem intellectus". Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 114b): „In secundo autem membro, istius primi membri, dicitur res quod habere potest entitatem extra animam. Et isto modo videtur loqui Avicenna 1. Metaph. c. 5 quod ea quae sunt communia omnibus generibus, sunt res et ens". Vgl. Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 115a): „vult ergo distinguere rem contra circumstantiam, et sic, secundum eum sola tria genera, Substantia, Qualitas et Quantitas rem monstrant, alia vero rei circumstantias. Hoc ergo nomen res, in secundo membro aeeeptum, dicit aliquod ens absolutum, distinetum contra circumstantiam, sive modum, qui dicit habitudinem unius ad alterum". Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 115a): „Ens ergo, sive simpliciter, sive potissime dictum, et hoc, sive sit analogum, sive univocum, aeeipit ibi Philosophus, pro ente cui per se et primo convenit esse, quod est substantia sola".

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

363

(„esse simpliciter") bezeichnet.279 Der Ausdruck „ens simpliciter" ist jedoch doppeldeutig, weil „simpliciter" entweder dasselbe wie „universaliter" meinen oder gegen „secundum quid" abgegrenzt werden kann. Versteht man „simpliciter" als „universaliter", dann ist das „ens simpliciter" als „ens" in seiner ersten und weitesten Bedeutung zu verstehen, in der es sich nur vom reinen Nichts („purum nihil") unterscheidet. Versteht man das „simpliciter" hingegen als Gegensatz zu „secundum quid", dann ist mit dem „ens simpliciter" die Substanz, mit dem „ens secundum quid" das Akzidens gemeint.280 Mit dem „verum et firmum esse" der „res rata primo modo" ist der zweite Gebrauch des „ens simpliciter" gemeint, der zugleich die vierte Bedeutung des „ens" darstellt. Unter der „res rata" ist also die Substanz zu verstehen. In der Auseinandersetzung mit einem Einwand gesteht Duns Scotus zu, daß eine „res rata" in diesem Sinn existieren muß. Er bestreitet jedoch, daß die Existenz in der Definition einer jeden „res rata" enthalten sein müßte. Denn durch die Definition erkennen wir zwar ihre Wesenbestandteile, aber nicht, daß die „res" auch existiert oder daß sie eine „res rata" ist.281 Die beiden Formen der „ratitudo" sind jeweils in einem anderen Grund begründet. Die erste Form des „ens ratum", also die in der Wirklichkeit existierende Substanz, erhält ihre „ratitudo" von der Wirkursache, die es im realen Sein hervorbringt.282 Während Scotus noch in der ersten Beschreibung des „ens ratum primo modo" behauptet hatte, diesem komme das wahre Sein „ex se" zu, ist daraus unter der Hand ein „non ex se, sed ab efficiente" geworden.283 Die beiden Formen des „ens ratum" entstehen auf unterschiedliche Weise, wenngleich beide auf ihrem je eigenen Weg auf Gott zurückgehen. Daher gebraucht Duns Scotus auch verschiedene Ausdrücke, um diese Entstehungen zu benennen. Das „ens ratum primo modo", also das, was real existiert, entsteht 279 280

Vgl. Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 84 (Vat. VII 44,11-13). Scotus: Ord. IV, dist. 11, qu. 3, n. 43 (Vives XVII 426b): „distinguendo non ens simpliciter, quia aut prout simpliciter accipit pro universaliter, et tunc non ens simpliciter est purum nihil, et sie ex non ente simpliciter non potest aliquid fieri, et isti non enti oppositum est quodeumque ens, quantumeumque minimum habeat de entitate. Alio modo aeeipitur ens simpliciter, prout distinguitur contra ens secundum quid, et tunc ens simpliciter est substantia, ens secundum quid est accidens. Et patet quid est non ens simpliciter oppositum isti".

281 282

Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un„ n. 49 (Vat. VI 290,13-22). Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 49 (Vat. VI 290,11-13): „Si primo modo aeeipiatur ens ratum, dico quod homo non est ex se ens ratum, sed ab efficiente, - a quo habet omne verum esse et essentiae et existentiae". Ludger Honnefelder: Die Lehre von der doppelten ratitudo entis und ihre Bedeutung für die Metaphysik des Johannes Duns Scotus. In: Deus et Homo ad mentem I. Duns Scoti. Acta Tertii Congressus Scotistici Internationalis, Vindobonae, 28 sept.-2 oct. 1970. Rom: Societas Internationalis Scotictica 1972 (StSS 5), 661-671, 666; Honnefelder: Scientia, 49.

283

364

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

durch Schöpfung („creatio"). Das „ens ratum secundo modo" wird dagegen nicht geschaffen, sondern hervorgebracht („productio").284 Hinsichtlich ihres Ausgangspunktes unterscheiden sich diese beiden Entstehungsweisen, obwohl sowohl die „productio" als auch die „creatio" aus dem Nichts erfolgen. In diesen beiden Fällen ist nämlich das „nihil", um das es geht, jeweils anders zu verstehen. Duns Scotus unterscheidet zwischen einem „nihil omni modo", das jede auch noch so defiziente Form des Seins (wie das „esse intelligibile", das „esse possibile", das „esse deminutum" usw.) verneint und das er auch als „nihil simpliciter" bezeichnet,285 und einem „nihil secundum esse existentiae", das nicht jede Seinsweise, sondern nur die der realen Existenz ausschließt und auch als „nihil secundum quid" bezeichnet wird. 286 Die Schöpfung ist christlich als Schöpfung aus dem Nichts („creatio ex nihilo") zu verstehen (vgl. 2 Makk 7,28; Rom 4,17). Daß Heinrich von Gent das „esse essentiae" als Voraussetzung für die Schöpfung nennt, wirft ihm Duns Scotus vor, weil er damit diese Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts zu leugnen scheint.287 Doch auch nach Duns Scotus geht das Geschaffene zwar aus dem Nichts hervor, aber immittelbar nicht aus dem „nihil simpliciter", sondern aus dem „nihil secundum quid". 288 Sie setzt nämlich die Möglichkeit des zu Erschaffenden voraus, die dieses zwar formal aus sich selbst, aber im „esse intellectum" des göttlichen Intellektes besitzt.289 Dieses ist jedoch eine (wenngleich defiziente) Form des Seins und nur ein „nihil secundum quid", kein „nihil simpliciter". Auch hinsichtlich ihres Prinzips unterscheiden sich die Schöpfung des „ens ratum primo modo" und die Produktion des „ens ratum secundo modo". Letzteres ist formal aus sich selbst möglich und geht auf den göttlichen Intellekt als sein erstes äußeres Prinzip zurück. Die Schöpfung setzt diese Tätigkeit des Intellektes voraus. Dazu kommen jedoch noch ein Akt des göttlichen Willens, 284 285 286

287 288

289

Vgl. Bannach: Gott, 210. Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2 (Vat. VII 44,7). Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 76 (Vat. VII 41,13-16): „distingui potest de hoc quod est ,nihilo', quod scilicet potest accipi pro nihilo omni modo, vel pro nihilo secundum esse existentiae, aliquo tarnen modo secundum esse essentiae". Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 13 (Vat. VI 276,5-8). Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 82 (Vat. VII 43,14-17): „de nihilo (id est non de aliquo) secundum esse existentiae potest Deus creare, et per consequens de nihilo (id est non de aliquo) secundum esse essentiae". - An der entsprechenden Stelle der „Lectura" vertritt Scotus die gleiche Meinung, gebraucht aber den Ausdruck „nihil simpliciter" anders und behauptet daher, die Schöpfung geschehe „de nihilo simpliciter"; vgl. Scotus: Lect. II, dist. 1, qu. 2, n. 81 (Vat. XVIII 26,13-15); vgl. auch Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 13 (Vat. VI 276,8). Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 83 (Vat. VII 44,2-3): „Nihil enim creatur quod non prius habuit esse intellectum et volitum, et in esse intellecto fuit possibile formaliter".

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

365

der das Erkannte im realen Sein zu verwirklichen beschließt, und die Ausführung dieses Beschlusses durch die göttliche Macht.290 Das „ens ratum secundo modo" entsteht also allein durch den göttlichen Intellekt und die Vereinbarkeit mit dem Sein, während das „ens ratum primo modo" neben der Vereinbarkeit mit dem Sein und dem göttlichen Intellekt auch des göttlichen Willens bedarf. Von daher ergibt sich der Unterschied hinsichtlich der Modalitäten von Notwendigkeit und Kontingenz, der zwischen der Schöpfung des „ens ratum primo modo" und der Produktion des „ens ratum secundo modo" besteht. Denn der Intellekt ist bei Gott wie bei den Geschöpfen ein naturhaftes Vermögen, das all seine Tätigkeiten im Modus der Notwendigkeit vollzieht.291 Der Wille dagegen ist in Gott wie in den Geschöpfen frei. Diese Freiheit bedeutet, daß er seine Wirkungen kontingent setzt.292 Der göttliche Wille ist daher die Quelle der Kontingenz in der Schöpfung. 293 Da an der Schöpfung der Wille Gottes beteiligt ist, erfolgt diese kontingent. Daher ist das „ens ratum primo modo" (d. h. alles, was außer Gott noch real existiert) kontingent.294 Daraus geht auch hervor, wie sich das „ens ratum primo modo" zur Zeit verhält. Es ist nicht nur kontingent, sondern auch in der Zeit entstanden. Aufgrund der Offenbarung ist dies gewiß. Die Frage, ob eine Schöpfung von Ewigkeit her denkbar wäre, war in der hochmittelalterlichen Philosophie heftig umstritten. Die enge Verbindung zwischen Ewigkeit und Notwendigkeit sowie zwischen Zeitlichkeit und Kontingenz, die seit der Antike immer wieder vertreten wurde, ist durch die Möglichkeitslehre des Duns Scotus klar überwunden. Doch auf die Frage nach einer Schöpfung seit Ewigkeit begnügt sich der „Doctor subtilis" damit, die gegensätzlichen Ansichten zu referieren und ihre Argumente kritisch zu hinterfragen. 295

290

291 292 293 294 295

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 19 (Vat. XVII 534,21-23): „Unde primo res producuntur in esse cognito, et post ostenduntur voluntati et producuntur in esse volito, et sic in esse existentiae". Scotus: Lect. I, dist. 39, qu. 1-5, n. 43 (Vat. XVII 192,21-193,4). Scotus: Ord. I, dist. 1, pars 2, qu. 2, n. 80 (Vat. II 60,6-61,3). Scotus: Lect. I, dist. 39, qu. 1-5, n. 4 4 (Vat. XVII 4 9 3 , 9 - 1 1 ) : „Oportet igitur assignare causam contingentiae in rebus ex parte voluntatis divinae". Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 7 0 (Vat. VII 39, 1-3): „Deus causat .omnia quae sunt ad extra' contingenter et ex se: et ex hoc sequitur quod non necessario". Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 3 (Vat. VII 5 0 - 9 1 ) ; Scotus: Lect. II, dist. 1, qu. 3 (Vat. XVIII 2 9 51).

366 b)

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus Die „ res rata secundo modo ": Das Mögliche

Im zweiten und weiten Sinn bezeichnet „ens ratum" über die bloßen Substanzen hinaus alles, dem es nicht widerspricht, ein wahres Sein zu besitzen. In dieser Bedeutung wird es von den bloßen Figmenten unterschieden.296 Die „res rata" ist in ihren beiden Ausformungen seiend („ens"), aber nicht im gleichen Sinn des Wortes. Im Gegensatz zum „esse simpliciter" der ersten „res rata" wird der zweiten von Duns Scotus ein „esse secundum quid" zugeschrieben.297 Nach der Beschreibung der „res rata secundo modo" kommt sie mit der zweiten, noch verhältnismäßig weiten Verwendungsweise des Ausdrucks „ens" überein, wonach all das seiend ist, dem das reale Sein außerhalb des Verstandes nicht widerspricht.298 Die zweite Form des „ens ratum", dessen „ratitudo" darin besteht, daß ihm das wahre Sein nicht widerspricht, gründet wie alle Widersprüchlichkeit und alle widerspruchsfreie Vereinbarkeit im begrifflichen Gehalt des „ens ratum". Anders als dem „ens ratum primo modo" kommt dem „ens ratum secundo modo" seine „ratitudo" formal „ex se" zu.299 Heinrich von Gent sah die „res a ratitudine", die bei aller Abgrenzung im einzelnen das Vorbild für das Scotische „ens ratum secundo modo" abgibt, in einer Relation begründet, und zwar in der Relation der geschöpflichen und folglich beschränkten Nachahmbarkeit der Vollkommenheit des göttlichen Wesens. Duns Scotus bestreitet dies erstens im allgemeinen und zweitens im besonderen. Ganz allgemein bestreitet er, daß eine „ratitudo" durch eine Relation begründet sein könnte. Denn diese Relation setzt ein Fundament voraus, das entweder ein bloßes Nichts sein müßte, was auszuschließen ist, oder etwas real Seiendes, das die „ratitudo" aber letztlich nicht begründen kann, sondern sie selbst voraussetzen muß.300 Im besonderen bestreitet Duns Scotus, daß die „ratitudo" in der beschränkten Nachahmbarkeit der göttlichen Vollkommenheit durch ein Geschöpf gründet.301 Nicht, weil es das göttliche Sein nachahmt, ist das Geschöpf ein 296 297 298 299

300 301

Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 48 (Vat. VI 290,8-10). Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 84 (Vat. VII 44,11-13): „istud tarnen .produci' non est creari, quia non creator aliquid in esse simpliciter, sed producitur ad esse secundum quid". Scotus: Quodl., qu. 3, n. 2 (Vives XXV 114b). Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 50 (Vat. VI 291,1-5): „Si secundo modo intelligatur ens ratum, dico quod homo est ex se ens ratum, quia formaliter ex se non repugnat sibi esse; sicut enim cuicumque aliquid repugnat, repugnat ei formaliter ex ratione eius, ita cui non repugnat formaliter, non repugnat propter rationem ipsius". Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 2, qu. un., n. 323 (Vat. III 194,12-195,7); Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un., n. 51-52 (Vat. VI 291,10-292,4). Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 2, qu. un., n. 322 (Vat. III 194,9-11).

Das Mögliche nach Johannes Duns Scotus

367

„ens ratum secundo modo", sondern nachdem (in einem nicht-zeitlichen Sinn!) es in seiner „ratitudo" konstituiert ist, ist es das Fundament einer Relation der Nachahmbarkeit und ahmt daher die göttliche Vollkommenheit nach.302 Die „res rata", verstanden als das Wirkliche, entsteht, indem sie von Gott geschaffen wird. Die Schöpfung endet im realen Sein,303 das der „res rata" nicht zukommt, wenn sie als das bloß Mögliche verstanden wird. Daher wird diese „res rata" auch nicht geschaffen. Stattdessen geht sie auf Gott zurück, indem sie von ihm hervorgebracht wird. Duns Scotus spricht in diesem Zusammenhang von einer Produktion („productio").304 Die Schöpfung setzt die Möglichkeit des zu Erschaffenden voraus. Sie erfolgt daher zwar aus dem Nichts, geht dabei aber nicht vom „nihil simpliciter" aus, sondern vom „nihil secundum quid". Die „productio" verlangt hingegen überhaupt keine Form der Möglichkeit, sondern indem der göttliche Intellekt seine Objekte hervorbringt, erhalten sie erst ihre Möglichkeit formal aus sich selbst. Sie setzt daher keine Möglichkeit und auch keine andere Form des geschöpflichen Seins, ob real oder vermindert, voraus. Daher geht die „productio" von einem „nihil simpliciter" aus.305 Auch hinsichtlich ihres Prinzips unterscheiden sich die Schöpfung des „ens ratum primo modo" und die Produktion des „ens ratum secundo modo". Letzteres ist formal aus sich selbst möglich und besitzt dadurch seine „ratitudo". Ihr gleichsam inneres Prinzip ist die Vereinbarkeit des begrifflichen Inhalts mit dem Sein. Das äußere Prinzip ist hingegen der göttliche Intellekt, der diese Inhalte denkt und dadurch im „esse intelligibile" hervorbringt.306 Das „ens ratum secundo modo" entsteht also allein durch den göttlichen Intellekt und die Vereinbarkeit mit dem Sein, während das „ens ratum primo modo" neben der Vereinbarkeit mit dem Sein und dem göttlichen Intellekt auch des göttlichen Willens bedarf. Von daher ergibt sich der Unterschied hinsichtlich der Modalitäten von Kontingenz und Notwendigkeit: Die Schöpfung des „ens ratum primo modo" ist kontingent, die Produktion des „ens ratum secundo modo" hingegen notwendig. Denn der Intellekt ist bei Gott wie bei den Geschöpfen ein naturhaf302 303 304 305

306

Scotus: Ord. I, dist. 3, pars 2, qu. un., n. 326 (Vat. III 196,4-197,14). Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 58 (Vat. VII 34,7): ,„Creare' est aliquid de nihilo producere in effectu". Vgl. Bannach: Gott, 210. Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 84 (Vat. VII44.7-9): „Potest aliquid produci (licet non creari) de simpliciter nihilo, id est non de aliquo secundum esse essentiae nec esse existentiae, nec secundum aliquod esse secundum quid". Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 534,9-15); Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 12 (Vives XXII 491b-492a); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,2-359,2).

368

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

tes Vermögen, das all seine Tätigkeiten im Modus der Notwendigkeit vollzieht.307 Was Gott erkennt, erkennt er mit Notwendigkeit; daher besteht das „ens ratum secundo modo" mit Notwendigkeit und geht mit Notwendigkeit aus dem göttlichen Intellekt hervor. Daraus geht auch hervor, wie sich das „ens ratum secundo modo" und ihre Produktion zur Zeit verhalten. Es ist notwendig und daher, was die Zeit betrifft, ewig. Seine Produktion geht aller Zeit voraus. Das Wirkliche ist also als „ens ratum primo modo" zu verstehen. Es ist schlechthin („simpliciter") und im engsten Sinn des Wortes seiend und bezeichnet daher ausschließlich die real existierenden Substanzen. Es existiert aufgrund seiner Wirkursache und erhält von ihr ein wahres und reales Sein. Es entsteht durch die Schöpfung Gottes, geht aus dem Nichts „secundum quid" hervor und setzt dabei die Möglichkeit des „ens ratum secundo modo" voraus. Die Schöpfung geschieht durch den göttlichen Willen und erfolgt daher auf kontingente Weise und in der Zeit. Das Mögliche ist als „ens ratum secundo modo" zu verstehen. Es besitzt nur ein Sein „secundum quid", das alles umfaßt, was real existieren kann. Es besteht formal aus sich selbst, prinzipiativ aufgrund des göttlichen Intellektes, der es zwar hervorbringt, aber nicht im realen Sein erschafft. Daher kann es auch als Nichts bezeichnet werden, wenngleich nicht als „nihil simpliciter", sondern nur als „nihil secundum quid". Seine Produktion geht vom Nichts schlechthin aus. Das äußere Prinzip dieser Produktion ist allein der göttliche Intellekt, der das „ens ratum secundo modo" mit Notwendigkeit und daher von Ewigkeit her hervorbringt. Im Vergleich zu Heinrich von Gent wertet Duns Scotus den ontologischen Status des Möglichen ab. Er argumentiert gegen das „esse essentiae" und charakterisiert die Seinsweise der Possibilien als defizient. Auch schreibt er anders als Heinrich den unmöglichen Figmenten (also der „res a reor reris") keinerlei Realität zu und läßt sie nicht als „res" gelten. Was sich aus alledem für den ontologischen Status des Möglichen ergibt, ist zwiespältig. Es scheint, als sei das Mögliche ein Amphibium zwischen Sein und Nicht-Sein. Zwar bezeichnet es Duns Scotus als „nichts", doch er schreibt ihm ebenso ein Sein zu. Weder ist das Nichts des Möglichen ein „nihil simpliciter", noch ist sein Sein ein „esse simpliciter".

307

Scotus: Lect. I, dist. 39, qu. 1-5, n. 43 (Vat. XVII 192,21-193,4).

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

369

V. Das Kontradiktionsprinzip als Prinzip der Allmacht Gottes Nach den vorangegangenen Ausführungen über die Lehre des Johannes Duns Scotus von den göttlichen Attributen, von den Ideen im Geist Gottes und von der Möglichkeit komme ich nun zu der zentralen Frage nach dem Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip. Duns Scotus kennt die unterschiedlichen Antworten des Heinrich von Gent zu dieser Frage. Er erörtert sie, bevor er seine eigene Ansicht darlegt, und übernimmt von dem Genter Gelehrten auch die grundlegende Richtung der Frage: Ist das Mögliche deshalb möglich, weil Gott es machen kann? Oder kann Gott das Mögliche machen, weil es möglich ist? Und noch wichtiger ist ihm die andere Seite derselben Thematik: Ist das Unmögliche deshalb unmöglich, weil Gott es nicht machen kann? Oder kann Gott das Unmögliche nicht machen, weil es unmöglich ist? Aus dem Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen im vorangehenden Abschnitt lassen sich schon wichtige Orientierungspunkte erkennen, von denen Duns Scotus ausgeht, um zu seiner Lösung zu gelangen. Damit ist erstens die Bedeutung der formalen Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit der begrifflichen Inhalte gemeint, an denen sich die Möglichkeit oder Unmöglichkeit entscheiden. Zweitens ist die Rückführung der begrifflichen Inhalte auf den göttlichen Intellekt zu beachten. Es handelt sich also um jene beiden Aspekte des Möglichen bzw. Unmöglichen, die Duns Scotus mit der knappen und inhaltsschweren Formel „formaliter ex se, principiative ex intellectu divino" zusammenfaßt. Diese Lösung trägt Duns Scotus jeweils in der dreiundvierzigsten Distinktion der Kommentare zum ersten Buch der Sentenzen vor, die uns von ihm überliefert sind. Doch obwohl die Antwort auf die Fragestellung im Grunde gleich bleibt, stellt sie Duns Scotus mit zunehmender Präzision und Eigenständigkeit dar. Während er in der frühen „Lectura" der Lösung des Heinrich von Gent noch mit Vorbehalt zustimmt („concordo cum praedicta opinione in conclusione" 308 ), unterläßt er in den „Reportata Parisiensia" solche Bemerkungen, und in der späten „Ordinatio", die zwar nach dem frühen Tod des schottischen Gelehrten ohne abschließende Überarbeitung auf uns gekommen ist, doch nichtsdestoweniger als sein letztes Wort in dieser Sache zu gelten hat, gibt er durch die einleitende Formel zu verstehen, daß er eine andere Antwort als Heinrich zu geben beabsichtigt („Aliter dico a prima opinione"309). Dementsprechend ist Scotus in der „Lectura" bemüht, inhaltliche Un308 309

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un„ n. 17 (Vat. XVII 534,11-12). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,2).

370

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

terschiede zu Heinrich durch Ähnlichkeiten in der Formulierung abzugleichen. In der „Ordinatio" äußert er hingegen seine Kritik offen und untersucht das Problem stärker im Zusammenhang seines eigenen Gedankengebäudes. Da den bisherigen Untersuchungen zum Ursprung der Möglichkeit und Unmöglichkeit bei Duns Scotus in aller Regel der ausgereifte Text der „Ordinatio" zugrunde lag, blieben solche zwar geringfügigen, aber nicht zu vernachlässigenden Unterschiede und Entwicklungen unbemerkt. Daher empfiehlt es sich, die drei relevanten Texte der Reihe nach darzustellen, um so die einzelnen Stationen des gedanklichen Fortschrittes des Duns Scotus aufzuzeigen.

1)

Die „Lectura" - ein erster Lösungsversuch

Wie Heinrich von Gent fragt Duns Scotus in der Formulierung seiner Fragestellung nur nach dem Unmöglichen, erklärt aber in seiner Antwort zunächst den Ursprung des Möglichen. Dabei bekennt er, in seinem Ergebnis mit der zuvor erörterten Ansicht des Heinrich von Gent übereinzustimmen, wenngleich er auch anmerkt, daß er sie anders erklärt und begründet.310 Diese Übereinstimmung mit Heinrich kann Scotus behaupten, weil er wie dieser mit dem Verweis auf Gottes Macht („potentia Dei") begründet, weshalb etwas möglich sei, gemacht oder hervorgebracht werden könne. Allerdings versteht Duns Scotus im konkreten Fall unter der „potentia Dei" etwas anderes als Heinrich von Gent. In der Frage nach dem Ursprung des Unmöglichen lagen Duns Scotus zwei unterschiedliche Antworten Heinrichs vor. Im sechsten Quodlibet führte er die Unmöglichkeit auf das Unmögliche selbst zurück. Im achten Quodlibet hingegen behauptete er, das Unmögliche könne deshalb nicht gemacht werden, weil Gott es nicht machen könne. Keine dieser beiden Lösungen übernimmt Scotus ohne Verbesserung. Stattdessen gibt er eine eigene, recht originelle Antwort: Das Unmögliche ist nicht wegen des „Nicht-Könnens" Gottes unmöglich - d a s wäre die zweite Lösung Heinrichs3" - , sondern wegen seines „Könnens".312 Somit unterscheidet sich die Scotische Lösung von beiden 310 311

312

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 534,11-13): „Et licet concordo cum praedicta opinione in conclusione, non tarnen omnino in modo ponendi". Scotus ist sich dessen bewußt, denn er gibt sie in dieser Form wieder; vgl. Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 10 (Vat. XVII 531,22-532,2): „Dicunt enim quod non ideo Deus non potest facere quia illud non potest fieri, sed quia Deus non potest facere, ideo illud non est factibile". Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 15 (Vat. XVII 533,19-21): „Ideo dico quod aliquid dicitur impossibile fieri non quia Deus illud non potest facere vel propter non-posse divinum, sed magis propter posse".

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

371

Antworten Heinrichs; doch von diesen beiden Antworten steht sie der späteren aus dem achten Quodlibet näher. Dort behauptet Heinrich zwar, das Unmögliche sei unmöglich, weil Gott es nicht machen könne, besteht jedoch zugleich darauf, daß der Grund nicht der Mangel, sondern die Fülle seiner Macht („propter potentiae abundantiam") sei und daß Gott das Unmögliche „auf machtvolle Weise nicht könne" („potenter non possit"). 313 Indem Scotus diesen Ansatz zwar kritisiert, aber zugleich auch weiterfuhrt, sieht er den Grund des Unmöglichen in der Macht Gottes. Diese überraschende Lösung erklärt Duns Scotus folgendermaßen: Das Unmögliche stellen wir uns als aus unvereinbaren Elementen zusammengesetzt vor. Diese Elemente sind aufgrund eines Vermögens Gottes möglich. Weil Gott sie hervorbringen kann und sie dann miteinander unvereinbar sind, ist das Gebilde, das wir uns als ihre Zusammensetzung vorstellen, unmöglich. Seine Unmöglichkeit geht also auf ein Vermögen („potentia") Gottes zurück.314 Wenn wir davon absehen, daß Scotus als Grund des Unmöglichen nicht wie der späte Heinrich Gottes Unvermögen, sondern ein göttliches Vermögen nennt - und dieser Unterschied wirkt nicht besonders gewichtig - , so scheint es, als griffe Scotus einfach die zweite Lösung Heinrichs erneut auf. Doch dieser Anschein trügt. Wenigstens in zwei entscheidenden Punkten weicht Duns Scotus von der Lösung des Heinrich von Gent ab. Erstens ist die Macht Gottes nicht die einzige und ausschließliche Ursache der Möglichkeit des Möglichen. Zweitens gebraucht Duns Scotus den Ausdruck „potentia Dei" an dieser Stelle in einem ungewöhnlichen Sinn, der nicht mit der Verwendungsweise Heinrichs übereinstimmt.

a)

Der formale Grund der Möglichkeit und Unmöglichkeit

Gottes Macht ist nicht die einzige Ursache dafür, daß etwas Möglich ist. Duns Scotus drückt dies aus, indem er sagt, sie sei nicht die genaue Ursache („causa praecisa") der Möglichkeit, 315 also nicht eine Ursache, deren Vorhandenheit genügt, um die Wirkung hervorzubringen, und bei deren Abwesenheit die Wirkung keinesfalls eintreten kann. Damit greift Duns Scotus eine Kritik an Heinrichs früherer Lösung (im sechsten Quodlibet) auf, wo der Genter Gelehrte das Mögliche und das Unmögliche auf verschiedene Quellen zurückgeführt hat. Duns Scotus unterstellt Heinrich, daß dieser die Macht Gottes als die genaue Ursache der Möglichkeit

313 314 315

Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 3 (ed. Badius, fol. 304q). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 15 (Vat. XVII 533,21-534,4). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., η. 17 (Vat. XVII 534,9).

372

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

angesehen habe,316 und knüpft daran seine Kritik: Wenn bei genauen Ursachen die Bejahung die Ursache einer Bejahung ist, dann ist die Verneinung die Ursache der entsprechenden Verneinung. Wenn der Steuermann durch seine Anwesenheit die Ursache für das Heil des Schiffes ist, ist er durch seine Abwesenheit die Ursache für seinen Untergang.317 Wenn die Lunge die genaue Ursache für die Atmung ist, ist das Fehlen der Lunge die Ursache für das Fehlen der Atmung.318 Wenn die Macht Gottes die genaue Ursache fur die Möglichkeit wäre, wäre der Mangel der göttlichen Macht die Ursache für die Unmöglichkeit,319 also nicht das Unmögliche selbst, wie es der frühere Heinrich vertreten hat, noch die Fülle der göttlichen Macht, wie es Duns Scotus im Anschluß an den späteren Heinrich lehren will. Gottes „potentia" ist daher nicht die genaue und nicht die alleinige Ursache für die Möglichkeit des Möglichen, sondern nur eine notwendige Voraussetzung dafür. Als die zweite notwendige Voraussetzung kommt die Widerspruchsfreiheit dazu.320 Entsprechend ist das göttliche Vermögen nicht die genaue und nicht die einzige Ursache für die Unmöglichkeit des Unmöglichen, weil als zweite notwendige Voraussetzung die Widersprüchlichkeit hinzutritt. Das Verhältnis dieser beiden Arten der Ursachen beschreibt Duns Scotus, indem er die Widersprüchlichkeit als den inneren Grund („ratio intrinseca")321 bzw. den formalen Grund („ratio formalis")322 der Unmöglichkeit, das göttliche Vermögen als ihren äußeren Grund („ratio extrinseca")323 beschreibt. Entsprechend muß die widerspruchsfreie Vereinbarkeit als innerer Grund der Möglichkeit und das göttliche Vermögen als ihr äußerer Grund gelten. Nur wenn beide Gründe zugleich gegeben sind, ist etwas möglich bzw. unmöglich. Gottes Macht kann also allein nichts Widersprüchliches möglich 316 317 318 319 320

321

322 323

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 13 (Vat. XVII 533,3-5): „causa praecisa, sicut isti dicunt, quare in creatura est potentia passiva respectu fieri ,quia in Deo est potentia activa'". Vgl. Aristoteles: Metaphysik V 2 (1013b 11-15). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., η 13 (Vat. XVII 532,24-26). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., η. 13 (Vat. XVII 532,22-533,7). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 534,9-11): „Ex hoc autem apparet quod potentia Dei non est praecisa causa quare aliquid est factibile et producibile, sed cum illa requiritur quod non sit formalis repugnantia partium". Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 12 (Vat. XVII 532,13-15): „ratio prima quare alicui repugnat esse erit intrinseca ex repugnantia formali ex quibus constituitur". Ludger Honnefelder hat zwar den Text der „Ordinatio" vor Augen, in dem in der relevanten Quästion der Ausdruck „ratio intrinseca" oder „principium intrinsecum" nicht fällt; nichtsdestoweniger erschließt er ihn korrekt als Gegenbegriff zum „principium extrinsecum"; vgl. Honnefelder: Lehre, 668; Honnefelder: Scientia, 53. Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. XVII 534,7-8): „prima tarnen ratio formalis est formalis repugnantia partius ex quibus imaginatur compositum". Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. XVII 534,5-6): „Unde prima ratio extrinseca quare huiusmodi non potest fieri, est potentia Dei".

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

373

und nichts Widerspruchsfreies unmöglich machen. Indem Duns Scotus neben der „potentia Dei" die Widerspruchsfreiheit als inneren Grund der Möglichkeit und die Widersprüchlichkeit als inneren Grund der Unmöglichkeit einführt, stellt er gegenüber Heinrich jenen Aspekt heraus, den er später mit der Formel „formaliter ex se" ausdrückt. b)

Die zweifache „potentia Dei"

Aber nicht nur darin geht Duns Scotus über Heinrich von Gent hinaus, daß er neben dem göttlichen Vermögen die Widerspruchsfreiheit als inneren Grund der Möglichkeit und die Widersprüchlichkeit als inneren Grund der Unmöglichkeit anfuhrt, sondern er versteht die „potentia Dei" auch anders, als Heinrich sie verstanden hat. Er unterscheidet die „potentia activa", durch die Gott dem Möglichen die reale Existenz verleihen kann, von jener Macht bzw. jenem Vermögen („potentia") Gottes, durch die er etwas im „esse intelligibile" hervorbringen kann.324 Mit der erstgenannten „potentia activa" ist, was kaum überraschen dürfte, Gottes Allmacht gemeint. Die zweite Macht, das Vermögen, etwas im intelligiblen Sein hervorzubringen, ist der göttliche Intellekt. Das geht erstens daraus hervor, daß Duns Scotus zweimal eine beinahe identische Formulierung gebraucht, dabei aber die Fügung „potentia Dei" durch den Ausdruck „ipsius intellectus" ersetzt.325 Zweitens geht dies auch daraus hervor, daß er im gleichen Zusammenhang den Intellekt wie zuvor die göttliche Macht in ihrer zweiten Bedeutung der „potentia activa" gegenüberstellt, durch die Gott dem Möglichen reale Existenz verleihen kann.326 Wie für Heinrich von Gent327 so gilt in der „Lectura" auch für Duns Scotus der Intellekt als eine Form des göttlichen Vermögens. Indem Duns Scotus sowohl den Intellekt Gottes als auch seine „potentia activa" als Macht oder Vermögen („potentia") bezeichnet, gelangt er in der Frage nach dem Ursprung des Möglichen zu einer Antwort, die ähnlich der 324

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. XVII 5 3 3 , 8 - 1 0 ) : „potentia activa de qua nunc loquimur, est potentia activa in Deo qua potest producere aliquid in esse existentiae, non in intellectu".

325

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. XVII 534,6): „potentia Dei qua producuntur res primo in esse intelligibili"; Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 534,13-14): „ipsius intellectus, qua res producuntur in esse intelligibili". Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 534,13-15): „prima operatio divina est ipsius intellectus, qua res producuntur primo in esse intelligibili, et non potentia activa qua aliquid producitur extra".

326

327

Vgl. Heinrich von Gent: Summa, art. 36 (ed. Wilson, 90,3-4): „Viso de potentia Dei in generali, sequitur in speciali de potentia eius intellectiva, quae intellectus dicitur".

374

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

des Heinrich von Gent klingt, sich von ihr aber grundlegend unterscheidet. Zwar fuhren beide Denker die Möglichkeit auf die „potentia Dei" zurück, aber Heinrich von Gent versteht unter diesem Ausdruck die göttliche Allmacht, Duns Scotus dagegen den göttlichen Intellekt.328 Darin läßt sich der zweite Teil der späteren Scotischen Lösungsformel erkennen, nämlich das „principiative ex intellectu divino". Indem Duns Scotus das Mögliche nicht auf Gottes Macht, sondern auf seinen Intellekt zurückfuhrt, weicht er entschieden von Heinrich von Gent ab. Noch nicht in der „Lectura", wohl aber in einer späteren Stellungnahme zur selben Frage unterscheidet er klar zwischen der Macht und dem Intellekt in Gott.329 Während für Heinrich der Unterschied zwischen diesen beiden göttlichen Attributen nur durch eine gedankliche Relation zustande kommt und rein begrifflicher Natur ist, setzt Duns Scotus zwischen ihnen eine Formaldistinktion an und gibt dem Unterschied damit eine Grundlage in der Wirklichkeit.330 Daß er das Mögliche auf den göttlichen Intellekt statt auf die göttliche Macht zurückführt, unterscheidet ihn daher deutlicher von Heinrich, als die zurückhaltenden Formulierungen in der „Lectura" glauben lassen. Von daher läßt sich auch die Frage nach dem ersten Grund der Möglichkeit des Möglichen und der Unmöglichkeit des Unmöglichen beantworten. Entscheidend fur die Antwort, die Duns Scotus in der „Lectura" auf diese Frage gibt, ist die Unterscheidung zwischen dem ersten inneren Grund und dem ersten äußeren Grund. Der erste innere Grund liegt im Möglichen bzw. Unmöglichen selbst; er besteht in der Widerspruchsfreiheit bzw. Widersprüchlichkeit. Demnach ist etwas deshalb möglich, weil es aus begrifflichen Elementen besteht, die miteinander widerspruchsfrei vereinbar sind. Unmöglich ist etwas deshalb, weil es aus begrifflichen Elementen besteht, die miteinander nicht widerspruchsfrei vereinbar sind. Der erste äußere Grund der Möglichkeit bzw. der Unmöglichkeit liegt in jenem Prinzip, das die miteinander widerspruchsfrei vereinbaren bzw. unvereinbaren begrifflichen Elemente im intelligiblen Sein hervorbringt. Dies tut ein göttliches Vermögen („potentia Dei"), jedoch nicht, wie Heinrich annahm, die Allmacht, sondern der göttliche Intellekt. Er ist der erste äußere Grund der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit. Daher läßt sich auch schon die Lösung der „Lectura" mit jener Formel beschreiben, die Duns Scotus erst später ge328 329

330

Vgl. Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un„ n. 17 (Vat. XVII 534,9-15). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 6 (Vives XXII 489b): „intellectus non est formaliter omnipotentia divina"; Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,10-11): „intellectus non est formaliter potentia activa qua Deus dicitur omnipotens". Scotus: Lect. I, dist. 8, qu. 4, n. 172-176 (Vat. XVII 62,7-63,26).

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

375

braucht: Das Mögliche ist möglich und das Unmögliche unmöglich „formaliter ex se, principiative ex intellectu divino".

2)

Die „Reportata Parisiensia" - im Ringen um die richtige Antwort

In der „Lectura" findet sich die Antwort, die Duns Scotus auf die Frage nach dem ersten Grund des Möglichen und des Unmöglichen gefunden hat, schon in ihren wesentlichen Zügen. Doch sind die später entstandenen Ausführungen zum selben Thema, wie sie sich in den „Reportata Parisiensia" und in der „Ordinatio" finden, keineswegs bloße Wiederholungen. Sie klären und vertiefen vielmehr die gefundene Lösung. Die „Reportata" gehen vor allem in zwei Punkten über die „Lectura" hinaus. Erstens unterscheiden sie klarer und ausdrücklicher als die „Lectura" zwischen dem Intellekt und der Macht Gottes. Zweitens unterscheiden sie zwischen bloßer Priorität und einem prinzipiativen Verhältnis. Beides ist so entscheidend, daß jeder einzelne dieser Punkte die Formulierung der abschließenden und umfassenden Antwort auf die Fragestellung verändert. a)

Die Unterscheidung zwischen Macht und Intellekt

Die „Reportata" unterscheiden klarer und ausdrücklicher als die „Lectura" zwischen dem Intellekt und der Macht Gottes. Schon in der „Lectura" hält Duns Scotus jene Macht Gottes, durch die er etwas in der realen Existenz erschafft, und seine andere Macht, durch die er etwas im intelligiblen Sein hervorbringt, auseinander.331 Damit ist im ersten Fall die Allmacht, im zweiten Fall der Intellekt gemeint. In der „Lectura" bezeichnet Scotus beides noch als Vermögen Gottes („potentia Dei"). Anders verhält es sich in den „Reportata Parisiensia", wo nur mehr die Allmacht, nicht mehr der Intellekt als „potentia" gilt, sondern Letzterer schlicht und unmißverständlich als „intellectus" auftritt. Zwischen diesen beiden göttlichen Eigenschaften besteht ein formaler Unterschied.332 Daher können sie ungeachtet ihrer realen Identität miteinander und mit dem göttlichen Wesen als unterschiedliche Prinzipien wirken. Was auf den Intellekt als Prinzip zurückgeht, geht nicht auf die Allmacht als Prinzip zurück; und umgekehrt gilt das gleiche.

331 332

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. 1, n. 14 (Vat. XVII 533,8-12). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 6 (Vives XXII 489b): „intellectus non est formaliter omnipotentia divina".

376

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

In der „Lectura" hat Duns Scotus das Mögliche wie das Unmögliche auf jenes göttliche Vermögen als seinen äußeren Grund zurückgeführt, das etwas im intelligiblen Sein, nicht in der realen Existenz hervorbringt, also auf den Intellekt. Dementsprechend führt er in den „Reportata" das Mögliche und das Unmögliche auf den göttlichen Intellekt als seinen ersten äußeren Grund zurück. 333 Doch infolge des engeren Gebrauchs des Wortes „potentia" und der strengen Unterscheidung zwischen „potentia" und „intellectus" bestreitet Scotus nunmehr, daß der erste äußere Grund des Möglichen bzw. Unmöglichen die göttliche Macht wäre.334 Das mag sich so anhören, als hätte Duns Scotus seine Position, wie sie in der „Lectura" vorliegt, revidiert, drückt in Wirklichkeit aber denselben Gedanken klarer und weniger mißverständlich aus. Statt zu sagen, daß Möglichkeit und Unmöglichkeit auf jene göttliche „potentia" zurückgehen, die der Intellekt ist, sagt Duns Scotus nunmehr, daß sie auf den Intellekt und nicht auf eine „potentia" Gottes zurückgehen. Damit kann Duns Scotus allerdings nicht mehr länger so tun, als stimme er in den grundsätzlichen Ergebnissen seiner Überlegungen mit Heinrich von Gent überein, der das Mögliche auf die Macht Gottes zurückgeführt hat. Eine Bemerkung dieses Inhalts, wie sie sich in der „Lectura" findet, enthalten die „Reportata" nicht. Es bleibt bei der Zusammenfassung der gegnerischen Position und den Argumenten gegen sie.

b)

Die Unterscheidung zwischen Priorität und Prinzipiativität

Die „Reportata Parisiensia" gehen also einen ersten Schritt über die „Lectura" hinaus, indem sie klarer und ausdrücklicher zwischen der göttlichen Allmacht und dem göttlichen Intellekt unterscheiden. Ferner geht Duns Scotus in ihr einen zweiten Schritt über seine frühe Position hinaus, indem er zwischen bloßer Priorität und einem prinzipiativen Verhältnis unterscheidet. Damit bestimmt er einerseits das Verhältnis zwischen dem Möglichen bzw. Unmöglichen und dem göttlichen Intellekt genauer, als es in der „Lectura" geschehen ist, und bezieht andererseits auch das Verhältnis zwischen dem Möglichen

333

334

Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 12 (Vives XXII 492a): „sed est alia ratio prior, ut intellectus, quia per quodcumque in Deo creatura constituitur in esse intelligibili, illud est sibi prima ratio essendi possibile"; Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 14 (Vives XXII 492b): „impossibilitas in impossibili reducitur ad intellectum divinum". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 12 (Vivds XXII 492a): „Dico quod potentia activa in Deo est prior potentia passiva in creatura, non quia potentia activa Dei qua dicitur omnipotens, sit prima ratio, per quam possibile est possibile in creatura. (...) ideo principiative non habet creatura esse possibile a potentia activa a Deo, quae dicitur omnipotentia, sed ab intellectu divino".

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

377

bzw. Unmöglichen und der Allmacht ein, das in der „Lectura" völlig offen geblieben ist. Duns Scotus unterscheidet also zwischen einem Verhältnis der Priorität und einem Verhältnis der Prinzipiation. Bei der Prinzipiation ist an das Verhältnis eines Prinzips zu dem von ihm Bestimmten zu denken. Dieses Verhältnis ist gleichsam als „Wirkursächlichkeit" zu verstehen, jedoch so, daß das Prinzip auch als die „Ursache" von etwas wirken kann, das bloß im „esse intelligibile" vorhanden ist. Unter der Priorität ist hingegen das Verhältnis eines irgendwie „Früheren" zum „Späteren" zu verstehen. Es läge nahe, dabei an einen zeitlichen Zusammenhang zu denken. Dies verbietet sich jedoch, weil sich die hier gesuchte Form der Priorität nicht nur auf die Existenz in der Zeit, sondern auch auf das Sein des Möglichen im göttlichen Intellekt beziehen soll, wo es schon seit Ewigkeit vorhanden ist. Daher ist an ein Verhältnis der Priorität der Natur nach zu denken, nach dem später ist, was nicht ohne das Frühere sein kann, aber früher, was ohne das Spätere bestehen kann. Im Licht dieser Überlegungen sind die geringfügigen, aber nicht unbedeutenden Veränderungen in der Fragestellung zu sehen, die sich beim Vergleich zwischen den Sentenzenkommentaren des Duns Scotus feststellen lassen. In der „Lectura" fragt er, woher das Unmögliche zuerst („primo") stamme,335 und antwortet, indem er seinen Grund („ratio") aufzeigt. Anscheinend hat er dabei nicht bedacht, daß sich die Fragestellung leicht als Frage nicht nach dem Prinzip, sondern nach der Priorität mißverstehen läßt, die er damals noch gar nicht bedacht hat. Erst in den „Reportata Parisiensia" und in der „Ordinatio" unterscheidet er zwischen Prinzipiativität und Priorität. Folgerichtig formuliert die Frage genau und eindeutig als Frage nach dem ersten Grund („prima ratio").336 Ihn interessiert also vor allem der Aspekt der Prinzipiativität, während die Priorität nur als verdeutlichende Ergänzung der Antwort zu verstehen ist. Die so verstandene Fragestellung versucht Duns Scotus zu beantworten. Zunächst bestimmt er das Verhältnis zwischen der Allmacht Gottes und dem Möglichen. Wie Heinrich von Gent gesteht er der göttlichen Macht einen Vor-

335

336

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., η. 1 (Vat. XVII 529,6-8): „Circa distinctionem quadragesimam tertiam quaeritur utrum impossibilitas fiendi sit primo ex impossibilitate factibilis vel ex parte Dei facientis". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, η. 1 (Vives XXII 488a): „Circa distinctionem quadragesimam tertiam quaeritur: Utrum prima ratio impossibilitatis rei fiendae, sit ex parte Dei, vel ex parte rei fiendae?"; Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., η. 1 (Vat. VI 351,5-7): „Circa distinctionem quadragesimam tertiam - ubi Magister improbat opiniones aliorum - quaero utrum prima ratio impossibilitatis rei fiendae sit ex parte Dei vel rei factibilis".

378

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

rang gegenüber den geschöpflichen Möglichkeiten zu. Doch anders als Heinrich bestimmt er diesen Vorrang nicht als Vorrang des Prinzips vor dem vom Prinzip Bestimmten und auch nicht als Vorrang der Ursache vor der Wirkung, sondern als bloße Priorität. Diese Zuordnung erfolgt nach dem Grundsatz, daß das, was aus sich notwendig ist, früher ist als das, was nicht aus sich notwendig ist.337 Die Allmacht Gottes ist aus sich notwendig.338 Das Geschöpf ist in seiner realen Existenz nicht notwendig, sondern kontingent. In seinem intelligiblen Sein ist es zwar notwendig, aber nicht aus sich, sondern durch Gott.339 Daher ist die Allmacht Gottes in diesem Sinn früher als das mögliche Geschöpf.340 Allerdings fugt Duns Scotus einschränkend hinzu, die Allmacht sei als absolute Vollkommenheit („secundum quod est perfectio absoluta") früher als das mögliche Geschöpf.341 Denn als absolute Vollkommenheit kommt sie nach der Regel des Anselm von Canterbury Gott mit Notwendigkeit zu. Sie ist sogar real mit dem göttlichen Wesen identisch und nur formal von ihm unterschieden. Daher hat sie (wie alle Vollkommenheiten schlechthin) teil an der Notwendigkeit des göttlichen Wesens, das als einziges aus sich notwendig ist. Also ist die Allmacht, soferne sie als absolute Vollkommenheit verstanden wird, aus sich notwendig und besitzt daher die Priorität gegenüber den möglichen Geschöpfen. An einer anderen Stelle derselben Quästion scheint Duns Scotus allerdings genau das Gegenteil zu behaupten. Dort sagt er, das Geschöpf sei noch vor („ante") der göttlichen Allmacht möglich.342 Er verweist auf den Intellekt, der das Geschöpf im „esse possibile" konstituiert und in Gott gleichfalls der Allmacht vorangeht („praecedit").343 Einen Ausgleich zwischen den beiden unvereinbaren Positionen scheint der Text nicht zu enthalten. Es mag sein, daß Scotus die Priorität des Möglichen gegenüber der Allmacht nicht selbst behaupten will, sondern sie als Argument „ad hominem" gegen Heinrich von

337 338 339 340 341 342 343

Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 12 (Vives XXII 491b): „quod est ex se necessarium, est prius illo, quod non est ex se necessarium". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 492a): „potentia autem activa Dei, ut est perfectio absoluta ejus, est ex se necesse esse sicut Deus". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 491b-492a): „Creatura secundum nullum esse suum, sive in existentia, sive in intelligi, est ex se necesse esse". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 492a): „ideo [seil, potentia activa Dei] est prior creatura secundum suum esse possibile". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 491b). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 6 (Vives XXII 489b und 490a): „ante potentiam activam Dei creatura habet esse possibile. (...) ante omnipotentiam res est possibilis". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 6 (Vivfes XXII 489b): „intellectus praecedit omnipotentiam in Deo".

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

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Gent benützt.344 Möglicherweise betrachtet er wie in der „Ordinatio" die Allmacht nicht wie kurz darauf als „perfectio simpliciter", sondern unter irgendeinem anderen Aspekt, der jedoch ungenannt bleibt. Es bleibt also ein gewisser Klärungsbedarf, wenngleich sich Duns Scotus auf die Priorität der Allmacht als Vollkommenheit schlechthin gegenüber dem Möglichen festlegt.345 Diese Priorität der Allmacht gegenüber dem Möglichen schränkt Duns Scotus jedoch sofort wieder ein. Mag die Allmacht auch „früher" sein als das Mögliche, so geht das Mögliche doch nicht „principiative" auf die Allmacht zurück, als würde erst die göttliche Macht das Mögliche möglich machen.346 „Principiative" geht das Mögliche vielmehr auf den göttlichen Intellekt zurück.347 Da die göttlichen Attribute real mit dem göttlichen Wesen und miteinander identisch sind und dies auch fur Allmacht und Intellekt in Gott gilt, könnte man höchstens sagen, das Mögliche gehe auf die göttliche Allmacht zurück, insofern diese mit dem göttlichen Intellekt real identisch ist. Doch die Formaldistinktion zwischen den Attributen Gottes erlaubt es, sie einzeln und für sich zu betrachten. Unterscheidet man daher zwischen Allmacht und Intellekt, so ist das „esse possibile" des Möglichen nicht auf die Allmacht zurückzufuhren, sondern auf den Intellekt.348 Der Intellekt ist ebenso wie die Allmacht eine Vollkommenheit schlechthin, die Gott notwendigerweise zukommt und an seiner Notwendigkeit aus sich teilhat. Daher besitzt der Intellekt auch die gleiche Priorität gegenüber dem Möglichen, die der Allmacht zukommt. Doch anders als die Allmacht bringt der Intellekt das Geschöpf im „esse intelligibile" hervor und bildet daher den ersten Grund des Möglichen. 349 In den „Reportata Parisiensia" geht Johannes Duns Scotus in der Frage nach dem ersten Grund des Möglichen und des Unmöglichen also über seine „Lec344 345

346

347 348 349

Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 6 (Vives XXII 490a): „quia hoc dicit sie opinans". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 491b): „dico quod omnipotentia, sive potentia activa in Deo, secundum quod est perfectio absoluta, est prior creatura, secundum quodeumque esse creaturae". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 492a): „Dico quod potentia activa in Deo est prior potentia passiva in creatura, non quia potentia activa Dei qua dicitur omnipotens, sit prima ratio, per quam possibile est possibile in creatura". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 492a): „ideo principiative non habet creatura esse possibile a potentia activa a Deo, quae dicitur omnipotentia, sed ab intellectu divino". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 492a): „Per omnipotentiam autem, ut distinguitur ab intellectu, non constituitur res creata in esse intelligibili, sed per intellectum". Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 12 (Vives XXII 492a): „sed est alio ratio prior, ut intellectus, quia per quodeumque in Deo creatura constituitur in esse intelligibili, illud est sibi prima ratio essendi possibile".

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

tura" hinaus, indem er erstens genauer und ausdrücklich zwischen Gottes Macht und Intellekt unterscheidet und zweitens zwischen den Verhältnissen der Prinzipiation und einer allgemeinen Priorität unterscheidet. Diese Veränderungen erlauben es ihm, die Antwort auf die Fragestellung neu und genauer zu fassen: Die Allmacht Gottes besitzt als Vollkommenheit schlechthin gegenüber dem Möglichen Priorität, wie sie das aus sich Notwendige gegenüber dem besitzt, was nicht aus sich notwendig ist. Dennoch ist die Allmacht nicht der erste Grund („ratio prima") des Möglichen oder Unmöglichen, auf den sich die Frage in ihrer genauen Formulierung richtet. Das Mögliche geht auf den Intellekt als sein Prinzip („principiative") zurück.350 Das Widersprüchliche ist aus sich widersprüchlich, das Unmögliche aus sich unmöglich.351 Über die unvereinbaren begrifflichen Elemente, die es konstituieren, geht auch das Unmögliche „principiative" auf den göttlichen Intellekt zurück.352

3)

Die „Ordinatio" - das letzte Wort

Die „Ordinatio" ist als die reifste und ausfuhrlichste Stellungnahme des Duns Scotus zur Frage nach dem Verhältnis zwischen Allmacht, Intellekt, Möglichkeit und Unmöglichkeit zu sehen. Die Erkenntnisse der anderen beiden Darstellungen werden aufgegriffen und übersichtlich und umfassend zusammengestellt. Das soll anhand von Beobachtungen zur verwendeten Terminologie gezeigt werden. Ferner fuhrt Duns Scotus einen wichtigen neuen Gesichtspunkt ein, der zu dem, was sich Scotus zuvor schon erarbeitet hat, hinzutritt, nämlich die Unterscheidung zwischen zwei zeitgleichen (weil zeitlos-ewigen), aber logisch aufeinander und auseinander folgenden Instanzen der Natur. a)

Beobachtungen zur Terminologie

Da die „Ordinatio" die reifste Form der Lösung des Duns Scotus darstellt, drückt er sich in ihr auch am besten und am genauesten aus. Daher sind einige Überlegungen zur dort verwendeten Ausdrucksweise und Terminologie erhellend. Aus diesem Grund vergleiche ich die „Ordinatio" mit den anderen Sentenzenkommentaren des Duns Scotus und stelle Unterschiede in der Formulie350 351 352

Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1 η . 12 (Vives XXII 492a). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 13 (Vives XXII 492a-b). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1., n. 14 (Vives XXII 492b-493a).

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

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rung der zentralen Gedanken fest. Anhand dieser Beobachtungen versuche ich, die hinter den gewählten Formulierungen stehenden sachlichen Anliegen zu erkennen und zu erklären, weshalb Duns Scotus in der „Ordinatio" seine Ausdrucksweise geändert hat. Änderungen der Terminologie lassen sich vor allem in der Beschreibung des Möglichen bzw. Unmöglichen und in der Beschreibung ihres Verhältnisses zum göttlichen Intellekt feststellen. Eine erste Beobachtung betrifft die Beschreibung des Möglichen bzw. des Unmöglichen. In der „Lectura" formuliert Duns Scotus zwar einerseits gegen Heinrich, schlechthin unmöglich sei nur das, dem es widerspricht zu sein.353 Andererseits scheint es kurz darauf, wenn Scotus seine eigene Lösung präsentiert, als genüge zur Möglichkeit, daß die begrifflichen Bestandteile des Möglichen einander nicht widersprechen.354 Diese beiden Beschreibungen stimmen miteinander nicht genau überein. Die zweite läßt auch die „entia rationis", also zweite Intentionen und begriffliche Relationen zu, die durch die erste ausgeschlossen sind. Duns Scotus drückt sich also nicht klar und eindeutig aus. In den „Reportata Parisiensia" wird dieses Problem dadurch gelöst, daß die engere Beschreibung des Möglichen, die die „entia rationis" ausschließt, wiederholt wird,355 die weitere Beschreibung aber nicht. In der „Ordinatio" schließlich gilt nicht nur als schlechthin unmöglich, wem es widerspricht zu sein,356 sondern es ist auch umgekehrt nichts möglich, was den Widerspruch zum Sein nicht ausschließt.357 Doch ist nach der „Ordinatio" nicht alles, was nicht unmöglich ist, auch schon möglich. Anders als in den anderen beiden Sentenzenkommentaren schließt das Mögliche dort nicht nur das Unmögliche aus, sondern auch das aus sich Notwendige.358 Mit dem aus sich Notwendigen ist dabei Gott gemeint. Schon in der „Lectura" und in den „Reportata Parisiensia" hatte Duns Scotus in der zweiundvierzigsten Distinktion des ersten Buches so jene Möglichkeit beschrieben, die seiner Ansicht nach der göttlichen Allmacht entspricht.359 In die dreiundvierzigste Distinktion war diese Einsicht aber nicht

353 354 355 356 357 358 359

Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 12 (Vat. XVII 532,11-12). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., η. 17 (Vat. XVII 534,9-11). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 9 (Vives XVII 490b). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 5 (Vat. VI 353,5-6). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,13-15). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 7 (Vat. VI 354,12-14); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 3 5 8 , 1 3 - 1 5 ) . Scotus: Lect. I, dist. 42, qu. un., n. 6 (Vat. XVII 524,5-12); Scotus: Rep. I, dist. 42, qu. 1 - 2 , n. 8 (Vives XXII 485b).

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

eingeflossen. Die „Ordinatio" holt dies nach und beseitigt damit eine Inkohärenz. Eine zweite Gruppe von Beobachtungen betrifft das Verhältnis des Möglichen bzw. Unmöglichen zum göttlichen Intellekt. Heinrich von Gent fragt, worauf Möglichkeit und Unmöglichkeit „causaliter" zurückzuführen sind.360 Johannes Duns Scotus vermeidet diese Formulierung in der Regel, weil er nur dort von einer „causa" reden will, wo etwas kontingent im realen Sein hervorgebracht wird, nicht wie das Mögliche notwendig im „esse possibile". Höchstens wenn er die Position Heinrichs erörtert, bequemt er sich auch zu dessen Ausdrucksweise.361 Allerdings fällt Scotus selbst gelegentlich in die Formulierung Heinrichs zurück.362 Statt von einer „causa" spricht Duns Scotus ab der „Lectura" vom Intellekt als vom äußeren Grund („ratio extrinseca") des Möglichen und Unmöglichen.363 Der schottische Gelehrte scheint dies als einigermaßen angemessene Beschreibung der Funktion des göttlichen Intellekts für Möglichkeit und Unmöglichkeit empfunden zu haben, denn er wiederholt den Ausdruck „ratio" (meist als „ratio prima") sowohl in den „Reportata Parisiensia" als auch in der „Ordinatio".364 Unbefriedigend daran bleibt jedoch eine gewisse Ungenauigkeit infolge der Vieldeutigkeit des Wortes „ratio". Daß sich Duns Scotus darum bemüht hat, denselben Sachverhalt treffender auszudrücken, zeigen die Formulierungen, die in den beiden späteren Sentenzenkommentaren neben den Ausdruck „ratio extrinseca" treten. Das Ergebnis dieser Suche nach einem treffenden Ausdruck für das Verhältnis des göttlichen Intellekts zu Möglichkeit und Unmöglichkeit präsentiert Duns Scotus in den „Reportata Parisiensia", wo er das Mögliche und das Unmögliche „principiative" auf den göttlichen Intellekt zurückfuhrt.365 Dieses Wort tritt in der „Lectura" noch nicht auf. Im selben Text der „Reportata" lehnt er die Ansicht Heinrichs ab, wonach die Allmacht das Prinzip des Mög-

360 361

362 363 364 365

Heinrich von Gent: Quodl. VI, qu. 2 (ed. Wilson, 32,12). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 13 (Vat. XVII 532,22-533,7); Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 8 (Vives XXII 490a-b); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 10 (Vat. VI 355,13356,4). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 17 (Vat. XVII 534,9); Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 14 (Vives XXII 493a); Scotus: Rep. II, dist. 1, qu. 2, n. 16 (Vives XXII 529a). Scotus: Lect. I, dist. 43, qu. un., n. 16 (Vat. XVII 534,5). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 6, 12 und 14 (Vives XXII 489b; 492a-b); Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 6, 17 und 19 (Vat. VI 354,9; 360,21; 361,15-16). Scotus: Rep. I, dist. 43, qu. 1, n. 6 , 1 2 und 14 (Vivfes XXII 490a; 492a-b).

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liehen sei,366 und spricht vom Intellekt als erstem Grund der Prinzipiation des Unmöglichen. 367 Auch diese Begrifflichkeit greift Duns Scotus in der „Ordinatio" wieder auf.368 Das Wort „prineipiative" geht in die zusammenfassende Formel „formaliter ex se, prineipiative ex intellectu divino" ein.369 Die Ausdrücke „prineipium" aus den „Reportata Parisiensia" und „ratio extrinseca" aus der „Lectura" werden in der „Ordinatio" zum „prineipium extrinsecum" verbunden. 370 Freilich ist die Entwicklung der Terminologie bei Duns Scotus nicht ausschließlich als Geschichte zunehmender Klärung, Genauigkeit und Sicherheit zu begreifen. So finden sich in der „Ordinatio" Anzeichen dafür, daß Duns Scotus gerade von den Wörtern „prineipium" und „prineipiative" nicht mehr völlig überzeugt war. Denn er relativiert sie mehrfach durch ein „gleichsam" („quasi") bzw. durch ein „aliquo modo". 371 Ob und gegebenfalls wie Duns Scotus seine Ansicht in diesem Punkt noch weiter geklärt und seine Ausdrucksweise präzisiert hätte, wenn er nicht durch seinen frühen Tod aus seinem Denken und Schaffen gerissen wäre, ist ebenso müßig wie interessant zu fragen. b)

Die Unterscheidung zweier Instanzen

Duns Scotus unterscheidet zwischen zwei Instanzen, von denen in der ersten das „esse intelligibile" des Geschöpfs hervorgebracht wird und es in der zweiten das „esse possibile" erhält. Dieses Denkschema, das für Scotus sehr bezeichnend ist, erlaubt es, die Beziehungen der Priorität darzustellen und sie von denen der Prinzipiation abzuheben. Damit gelingt es Duns Scotus auch, zwischen dem „esse intelligibile" und dem „esse possibile" zu unterscheiden, worum sich die anderen beiden Darstellungen nicht bemüht haben. Ferner kann er die beiden Teile der Formel „formaliter ex se" und „prineipiative ex intellectu divino" verschiedenen Instanzen zuordnen. Schließlich kann er zwischen zwei Aspekten der Allmacht unterscheiden, deren mangelnde Differenzierung die Darstellung in den „Reportata" belastet hat. Im Ausgangszustand, von dem die Produktion des „esse intelligibile" in der ersten Instanz ausgeht, liegt weder in der realen Existenz noch in der 366 367 368 369 370 371

Scotus: Rep. Scotus: Rep. Vgl. Scotus: Scotus: Ord. Scotus: Ord. Scotus: Ord.

I, dist. 43, qu. 1, n. 7 (Vives XXII 490a). I, dist. 43, qu. 1, n. 14 (Vives XXII 492b). Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 16 und 17 (Vat. VI 359,10; 3 6 0 , 9 - 1 4 ) . I, dist. 43, qu. un., n. 7 (Vat. VI 354,16-17; 359,16-17). I, dist. 43, qu. un., n. 6 (Vat. VI 354,8). I, dist. 43, qu. un., n. 6, 7 und 16 (Vat. VI 354,5.7.16; 359,17).

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Möglichkeit und nicht einmal im intelligiblen Sein ein Geschöpf vor. Alles geht vom göttlichen Wesen aus, dem auch schon in dieser ersten Instanz seine Attribute zukommen. Denn da es sich bei ihnen um Vollkommenheiten schlechthin handelt, können sie dem göttlichen Wesen nicht einmal in der ersten Instanz fehlen, ohne daß es damit seine Vollkommenheit und seine Göttlichkeit einbüßt. Also besitzt Gott in der ersten Instanz notwendigerweise seinen Intellekt und alle anderen absoluten Vollkommenheiten. Das gilt auch für seine Allmacht, sofern unter ihr eine „perfectio simpliciter" verstanden wird.372 Allerdings kann diese Allmacht merkwürdigerweise noch nicht auf etwas Mögliches bezogen sein, weil dieses erst in den folgenden Instanzen hervorgebracht werden muß. In einer ersten Instanz erkennt der göttliche Intellekt das Mögliche. Indem er dies tut, bringt er es gleichsam erst als einen begrifflichen Inhalt hervor. Dadurch erhält es eine bestimmte Seinsweise, die Scotus „esse intelligibile" nennt.373 Daher ist der göttliche Intellekt die äußere Ursache oder das Prinzip für alles, was er erkennt und dadurch im „esse intelligibile" hervorbringt. In der zweiten Instanz erweist sich dasjenige, was in der ersten Instanz durch den göttlichen Intellekt im „esse intelligibile" hervorgebracht worden ist, als möglich.374 Es erweist sich nämlich zunächst als nicht unmöglich. Denn entweder ist es schlechthin einfach, so daß es keinen inneren Widerspruch enthalten kann, oder es ist zwar aus einfacheren Teilen zusammengesetzt, doch so, daß diese miteinander widerspruchsfrei vereinbar sind. Wenn aber das, was im intelligiblen Sein hervorgebracht ist, keinen Widerspruch enthält und mit dem Sein widerspruchsfrei vereinbar ist, ist es nicht unmöglich. Ferner erweist es sich als nicht aus sich notwendig, indem es das Sein nicht schon in sich enthält. Was aber weder unmöglich noch aus sich notwendig ist, ist möglich in dem Sinn, der für die Fragestellung des vorliegenden Kapitels relevant ist. Deshalb erhält es das „esse possibile".375 Duns Scotus erklärt nicht genau, weshalb er unterscheidet zwischen einer ersten Instanz, in der etwas das „esse intelligibile" besitzt, und einer zweiten Instanz, in der es über das „esse possibile" verfugt. Vermutlich lautet die Erklärung ähnlich wie die Unterscheidung zwischen dem „esse cognitum" und dem „esse possibile", die er an anderer Stelle trifft. Zwar besitzt alles, was wenig372

373 374 375

Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,3-5): „potentia Dei ad se - id est aliqua perfectio absoluta qua Deus formaliter est potens - sit in D e o in primo instanti naturae, sicut et quaelibet alia perfectio simpliciter". Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 3 5 8 , 7 - 1 3 ) . Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,11-13). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,13-16).

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als Prinzip der Allmacht Gottes

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stens im göttlichen Geist über das „esse cognitum" verfugt, auch das „esse possibile", und alles, was möglich ist, besitzt auch das „esse cognitum". Dennoch unterscheiden sich das „esse cognitum" und das „esse possibile" formal voneinander. Denn das „esse cognitum" besagt keine bloße Möglichkeit, sondern aktuelles Sein in einem Intellekt, das freilich nur eine defiziente Seinsform sein kann. Das „esse possibile" dagegen bezeichnet eine bloße Möglichkeit, deren Inhalt davon unabhängig ist, ob er von einem Intellekt gedacht wird, sondern sich vielmehr auf das Sein schlechthin bezieht. Ferner gründet das „esse possibile" im „esse cognitum". 376 Man mag sich daher vorstellen, daß auch das „esse intelligibile" und das „esse possibile" stets zusammen auftreten, aber formal voneinander verschieden sind, insofern das erste vermindertes, intellektabhängiges Sein „in actu", das zweite jedoch Sein „in potentia", aber in Hinblick auf die reale Existenz besagt. Die Unterscheidung zwischen einer ersten Instanz, in der etwas „esse intelligibile" besitzt, und einer zweiten Instanz, in der es über „esse possibile" verfügt, ist auf Kritik gestoßen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob ein Wesen auch schon in der ersten Instanz, in der es nur das „esse intelligibile" besitzt, möglich ist oder nicht. Schon Wilhelm von Ockham stellte Duns Scotus vor die Alternative, es entweder für in sich möglich oder fur in sich unmöglich zu erklären. Im ersten Fall ist es schon möglich, bevor es das „esse possibile" erhält. Im zweiten Fall ist es unmöglich, und es ist nicht einsichtig, wie es dann noch ein „esse possibile" erlangen kann. 377 Diese Kritik vermeidet Simo Knuuttila durch die Annahme, daß das „esse intelligibile" zwar logisch in sich möglich ist, aber erst durch den Bezug zur göttlichen Allmacht zum „esse possibile" wird. 378 Mir scheint aber, daß die Möglichkeit, die Scotus mit dem „esse possibile" meint, die logische bzw. (im weitesten Sinn) metaphysische Möglichkeit ist. Die Gegenbeispiele 379 von logischen Möglichkeiten, die selbst dann bestehen, wenn Gott nicht existiert, überzeugen mich nicht. Sie sollen belegen, daß die Widerspruchsfreiheit der intelligiblen Gehalte nicht von Gott abhängt, würden aber überinterpretiert, wollte man aus ihnen ablesen, daß es Wider376

Scotus: Ord. II, dist. 1, qu. 2, n. 93 (Vat. VII 49,3-9): „Concedo enim quod omne creabile prius erat possibile ex parte sui, sed ista possibilitas vel potentialitas non fundatur in aliquo esse simpliciter sed in esse cognito (ita quod esse cognitum concomitatur potentialitas ad esse simpliciter), licet formaliter esse cognitum non sit esse possibile, quia ,esse cognitum' est esse in actu secundum quid, - esse autem possibile, est esse in potentia ad esse simpliciter, et non in actu".

377 378 379

Ord. I, dist. 43, qu. 2 (OTh IV 647,6-12). Knuuttila: Interpreting, 299; Knuuttila: Scotus, 138f; vgl. Alanen: Descartes, 176-179. Etwa Scotus: Ord. I, dist. 36, qu. un„ n. 62 (Vat. VI 296,16-18).

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5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

spruchsfreies gäbe, ohne daß der göttliche Intellekt intelligible Gehalte hervorbrächte. Darüber hinausgehende Folgerungen sind problematisch, weil Duns Scotus diese Beispiele als hypothetische Annahmen „per impossibile" im Irrealis bringt. Wer seine Beispiele unter unmöglichen Voraussetzungen bringt, muß damit rechnen, daß aus ihnen auch so manch Unmögliches folgt.380 Außerdem ist es nicht unproblematisch, sich über wörtliche Formulierungen des Duns Scotus mit dem Einwand hinwegzusetzen, es gehe ihm um die Widerlegung des Heinrich von Gent und deshalb gebrauche er - auch in seiner eigenen Lösung der Frage! - dessen Begrifflichkeit, ohne daß man ihr besondere Bedeutung zumessen dürfte.38' Im Gegenteil formuliert Duns Scotus seine Antwort mit zunehmender Eigenständigkeit und grenzt sich immer stärker von Heinrich ab, ohne seine grundsätzliche Position zu verändern. Ferner deutet die Formulierung darauf hin, daß mit dem „esse possibile" eine logische Möglichkeit gemeint ist. Denn das Ding, sagt Scotus, das in erster Instanz im „esse intelligibile" hervorgebracht worden ist, besitzt in zweiter Instanz das „esse possibile", weil ihm das Sein formal nicht widerspricht.382 Wollte man den Kausalsatz nicht auf den unmittelbar davor stehenden Hauptsatz beziehen, der über das „esse possibile" in der zweiten Instanz spricht, sondern auf das zuvor genannte „esse intelligibile" der ersten Instanz, hätte sich Duns Scotus - schonend formuliert! - grammatikalisch äußerst ungeschickt ausgedrückt. Daher legt sich die Annahme nahe, daß ein Ding im „esse intelligibile" der ersten Instanz tatsächlich nicht möglich ist. Damit ist jedoch nicht, wie Ockham angenommen hat, gesagt, daß es in sich unmöglich ist und daher niemals möglich werden kann. Vielmehr deutet man Scotus Äußerung am besten so, daß es deshalb nicht möglich ist, weil auf dieser Stufe die Kategorien der Möglichkeit und Unmöglichkeit, der Widerspruchsfreiheit und der Widersprüchlichkeit noch nicht in die Betrachtung einbezogen werden. Im „esse intelligibile" ist ein Ding daher zwar nicht möglich, aber auch nicht unmöglich, sondern liegt der Möglichkeit und der Unmöglichkeit voraus, die es erst in der folgenden zweiten Instanz erhält.383

380 381 382 383

Daher ist das „per impossibile" mehr als nur ein „schamhafter Zusatz" einer Denkweise, die sich innerlich schon von Gott gelöst hat - gegen Ramelow: Gott, 28. Knuuttila: Modalities, 140; Alanen, Knuuttila: Foundations, 33; Knuuttila: Interpreting, 299; Knuuttila: Scotus, 136. Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,11-14). Vgl. Normore: Scotus, 166; Adams: Ockham, 1077.

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht Gottes

387

Die Unterscheidung von Instanzen oder Momenten der Natur gestattet es nicht nur, prinzipiative Verhältnisse zu untersuchen, sondern noch mehr eignet sie sich dazu, Verhältnisse der Priorität zu veranschaulichen. Dies gilt vor allem dann, wenn diese Verhältnisse sich nicht rein zeitlich erfassen lassen. Um sich ein zeitliches „früher" oder „später" zu verdeutlichen, reicht es, sich Momente der Zeit vor Augen zu führen. Um sich, was viel schwieriger ist, zeitgleiche logische Prioritäten bei Duns Scotus zu erklären, empfiehlt es sich, sich nach dem Vorbild zeitlicher Momente Instanzen der Natur zu denken. Daher veranschaulicht Duns Scotus selbst auf diese Weise, in welchem Sinn wir von der Priorität der Allmacht gegenüber dem Möglichen und dem Unmöglichen sprechen dürfen und in welchem Sinn wir dies nicht dürfen. Die Allmacht kommt als „perfectio simpliciter" Gott notwendigerweise und schon im Ausgangszustand der ersten Instanz zu,384 während erst in der zweiten Instanz das Mögliche sein „esse possibile" erhält und das Unmögliche sich als unmöglich erweist. Was aber in einer früheren Instanz besteht, ist schon deshalb früher, als was in einer späteren Instanz besteht. Allein dieser Umstand reicht aus, um der Allmacht die Priorität gegenüber dem Möglichen zuzusprechen. 385 Diese Form der Priorität ist jedoch nicht so zu verstehen, als ginge die Allmacht dem Möglichen auch in irgendeiner Form der Ursächlichkeit voran oder als wäre sie als ein Prinzip der Möglichkeit zu begreifen. Denn das Mögliche geht „principiative" nicht auf die Macht, sondern auf den Intellekt Gottes zurück. Dieser ist aber formal von der Allmacht unterschieden. Prinzip des Möglichen ist daher aller Priorität ungeachtet der Intellekt und nicht die Allmacht, insofern sie Allmacht ist.386 Priorität gegenüber dem Möglichen besitzt die Allmacht also nicht, weil sie selbst irgendwie Prinzip des Möglichen wäre, sondern weil sie als absolute Vollkommenheit Gott in derselben Instanz zukommt wie der Intellekt, dem als Prinzip des Möglichen eine frühere Instanz zukommt als der Möglichkeit. Wie das „als" und das „insofern" andeuten, gilt dies nur, wenn man die Allmacht als „perfectio simpliciter" betrachtet und jeden Bezug auf ein wirkliches oder mögliches Geschöpf außer acht läßt. Nur so kann man schon von der Allmacht sprechen, bevor das Mögliche durch den göttlichen Intellekt 384 385

386

Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,3-5). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,16-19): „Non est ergo possibilitas in objecto aliquo modo prior quam sit omnipotentia in Deo, accipiendo omnipotentiam pro perfectione absoluta in Deo, sicut nec creatura est prior aliquo absoluto in Deo". Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,7-9): „tarnen per ipsam potentiam ,sub ratione qua est omnipotentia' non habet obiectum quod sit primo possibile, sed per intellectum divinum".

388

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

hervorgebracht worden ist. Betrachtet man die Allmacht unter dem Gesichtspunkt ihrer Tätigkeit, ist sie nicht nur dem göttlichen Intellekt und dem göttlichen Willen nachgeordnet, sondern auch dem Möglichen. Als Vollkommenheiten schlechthin kommen Allmacht, Wille und Intellekt Gott mit gleicher Notwendigkeit und daher auch in der gleichen Instanz zu. Aber die Allmacht kann erst wirken, wenn der Wille ein Ziel gewählt und es ihr vorgelegt hat. Daher geht die Entscheidung des Willens logisch (wenn auch nicht zeitlich) der Tätigkeit der Allmacht voran.387 Der Wille seinerseits kann seine Entscheidung erst fällen, wenn der Intellekt die möglichen Alternativen erkannt und dem Willen zur Entscheidung vorgelegt hat. Daher geht die Tätigkeit des Intellekts logisch (wenn auch nicht zeitlich) der Entscheidung des Willens voran.388 Umso mehr geht die Tätigkeit des Intellekts der Tätigkeit der Allmacht voran.389 Doch auch dem Möglichen folgt die Allmacht in ihrer Tätigkeit nach. Denn sie kann nichts wirken, was nicht in sich möglich ist. Diese innere Möglichkeit kann ihr die Allmacht selbst nicht verleihen, sondern sie stammt formal aus dem Möglichen selbst und prinzipiativ vom göttlichen Intellekt. Gegenüber der Allmacht, insofern sie tätig wird, besitzt also das Mögliche die Priorität, wenngleich es sich dabei um keine absolute Priorität handelt, sondern das Mögliche selbst wiederum auf den göttlichen Intellekt zurückzufuhren ist.390 Diese Unterscheidung zwischen zwei Aspekten, unter denen sich die Macht Gottes betrachten läßt, erinnert an Heinrich von Gent. Er hat von der Macht Gottes in sich, die eine Vollkommenheit schlechthin und ohne Bezug auf ein mögliches Geschöpf ist, die Macht Gottes in bezug auf das mögliche Geschöpf unterschieden, ohne allerdings dabei schon an die tatsächliche Betätigung dieser Macht zu denken. In der „Ordinatio" unterscheidet Duns Scotus also zwischen zwei Instanzen der Natur. In der ersten bringt der göttliche Intellekt als Prinzip das Geschöpf

387 388 389 390

Scotus: Ord. I, dist. 46, qu. un., n. 5 (Vat. VI 377,17-378,6). Scotus: Lect. I, dist. 39, qu. 1-5, n. 62-63 (Vat. XVII 500,11-25). Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 6 (Vat. VI 354,4-5): „Potentia activa qua Deus dicitur omnipotens, non est formaliter intellectus, sed quasi praesupponit actionem intellectus". Scotus: Ord. I, dist. 43, qu. un., n. 14 (Vat. VI 358,19-359,2): „Si tarnen res intelligatur esse possibilis antequam Deus per omnipotentiam producat, illud sie est verum, sed in illa possibilitate non est simpliciter prius, sed producitur ab intellectu divino". Nur in diesem Sinn gelten die Behauptungen von Neil Lewis: Power and Contingency in Robert Grosseteste and Duns Scotus. In: John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Hrsg. v. Ludger Honnefelder, Rega W o o d und Mechthild Dreyer. Leiden-New York-Köln: Brill 1996 (STGMA 53), 2 0 5 - 2 2 5 , 224: „thus the possibility of a thing is prior to the divine power" und von Ramelow: Gott, 27, nach dem „die Dinge ( . . . ) der Omnipotenz vorausliegen".

Das Kontradiktionsprinzip

als Prinzip der Allmacht

Gottes

389

im „esse intelligibile" hervor. In der zweiten Instanz erweist sich das Geschöpf im „esse intelligibile" als formal aus sich möglich und besitzt dadurch das „esse possibile". Ebenso erweisen sich Possibilien, die „principiative" auf den göttlichen Intellekt zurückgehen, formal aus sich als unvereinbar und ihre Vereinigung als unmöglich. Die Allmacht als „perfectio simpliciter" kommt Gott schon in der ersten Instanz zu. Daher besitzt sie eine Priorität gegenüber dem Möglichen, ohne daß dieses allerdings prinzipiativ auf die Allmacht zurückginge, wie sie auf den Intellekt zurückgeht. In ihrer Tätigkeit setzt die Allmacht jedoch die Möglichkeit voraus. Insofern besitzt das Mögliche ihr gegenüber eine gewisse Priorität. Somit läßt sich die geistige Entwicklung des Johannes Duns Scotus in der Frage nach dem ersten Grund der Möglichkeit und der Unmöglichkeit von einer stark an Heinrich von Gent angelehnten Formulierung seiner eigenen Antwort zur offenen Abgrenzung von ihm zusammenfassen. In der „Lectura" führt Scotus wie Heinrich das Mögliche auf eine „potentia Dei" zurück und - anders als Heinrich, doch in gewisser Nähe zu dessen späterer Antwort - das Unmögliche genauso. Er geht jedoch über Heinrich hinaus, indem er daneben als innere Ursache die Widerspruchsfreiheit des Möglichen und die Widersprüchlichkeit des Unmöglichen setzt und indem er die äußere Ursache, die „potentia Dei" nicht als Allmacht, sondern als den göttlichen Intellekt versteht. In den „Reportata Parisiensia" nennt Duns Scotus den Intellekt, auf den er Möglichkeit wie Unmöglichkeit zurückfuhrt, nicht mehr „potentia". Daher kommt er zu einer anderen Lösung als Heinrich von Gent. Die Allmacht besitzt zwar die Priorität vor dem Möglichen und dem Unmöglichen, ist aber nicht ihr Grund. In der „Ordinatio" stellt Duns Scotus seine Lösung durch eine Abfolge von zwei logischen Instanzen dar. In der Ausgangssituation liegt das göttliche Wesen vor samt seinen Attributen. Darunter befinden sich der Intellekt und die Macht. In der ersten Instanz bringt der Intellekt gleichsam als äußeres Prinzip das „esse intelligibile" hervor. Dieses erweist sich in der zweiten Instanz als „formaliter ex se" widerspruchsfrei mit dem Sein vereinbar, nicht aus sich notwendig und somit möglich. Daher kommt ihm ein „esse possibile" zu. Zwei solche mögliche Seiende können sich als aus sich unvereinbar erweisen, so daß ihre Verbindung unmöglich ist. Im Rückblick auf die vorangegangenen Überlegungen darf man vielleicht behaupten, daß das Denken des Johannes Duns Scotus geprägt ist von einem

390

5. Kapitel: Johannes Duns Scotus

Streben nach Klarheit. Das mag angesichts der eher unübersichtlichen Menge der Instanzen und Formalitäten überraschen. Aber gerade Übersichtlichkeit erfordert es, die Einzelheiten ungeklärt zu lassen, und gerade die klare Unterscheidung im einzelnen veranlaßt Duns Scotus, die verschiedenen Instanzen und Formalitäten auseinanderzuhalten. Grundlage dieses Strebens nach Klarheit ist die Überzeugung, daß unsere Welt auch in sich klar und einsichtig ist. Diese Überzeugung drückt sich einerseits in dem aus, was Walter Hoeres die „blickweise Erkenntnis" genannt hat.391 Wer einfach hinsieht, der erkennt das Wesen der Dinge ganz und auf einmal. Daher erklärt Duns Scotus in der Ideenlehre und in der Attributenlehre die Relationen, auf denen Heinrich von Gent seine Darlegungen aufbaut, für sekundär. Gott erkennt die möglichen Geschöpfe in sich, wie auch wir zwar nicht Gott selbst, aber seine Eigenschaften in ihrer endlichen Gestalt in sich und univok erkennen. Die Überzeugung von der Klarheit und Einsichtigkeit unserer Welt drückt sich ferner in der Bedeutung des Kontradiktionsprinzips aus, das klare, eindeutige und einsichtige Abgrenzungen erlaubt. In der Fülle der Inhalte stehen Duns Scotus die logischen Zusammenhänge vor Augen. Gegen die Deutung der Möglichkeit als „esse essentiae" durch Heinrich von Gent setzt Duns Scotus daher die Vorstellung von einer rein logischen Möglichkeit. Diese Klarheit und Einsichtigkeit ist fur Duns Scotus die grundlegende Struktur der Wirklichkeit überhaupt, nicht etwa bloß das Ergebnis einer Schöpfung nach „Maß, Zahl und Gewicht" (vgl. Weish 11,20). Sie entsteht nicht durch das Wirken der Allmacht, sondern eröffnet der Allmacht erst ihre Möglichkeiten. Sie wird zwar durch den Intellekt Gottes hervorgebracht, der sie aber nicht inhaltlich bestimmt, sondern dabei selbst klar und widerspruchsfrei erkennt. Daher bestimmt Duns Scotus die Widerspruchsfreiheit als das innere und den göttlichen Intellekt als das äußere Prinzip des Möglichen, das erst danach zum Gegenstand der göttlichen Allmacht wird.

391

Hoeres: Wille, 17-24.

6. KAPITEL

Wilhelm von Ockham: Die Simultanität zwischen Allmacht und Möglichkeit

I. Die Lehre von den göttlichen Attributen 1) D e r Sinn der Attributenlehre Auch bei Ockham hat die Lehre von den Attributen Gottes ihren Platz in der Gotteslehre. Sie soll in der Spannung zwischen dem in sich unerkennbaren göttlichen Wesen und der Vielfalt theologischen Wissens vermitteln. Allerdings weist Ockham den Gedanken des Thomas von Aquin zurück, das göttliche Wesen sei als ganzes unerkennbar, könne aber durch die verschiedenen Attribute teilweise erkannt werden. 1 Dagegen wendet Ockham erstens ein, daß das göttliche Wesen infolge seiner Einfachheit entweder ganz oder gar nicht erkannt werden kann, aber nicht teilweise, wie es diese Ansicht des Thomas behauptet. Zweitens kann man (unter Ockhams Voraussetzung, daß die Attribute real mit dem Wesen identisch und begrifflich nicht von ihm unterschieden sind) nicht ein Attribut erkennen, ohne zugleich auch das Wesen zu begreifen. 2 Wir begreifen Gott also entweder im Wesen und in den Attributen oder weder im Wesen noch in den mit dem Wesen real identischen Attributen, entweder ganz oder gar nicht. Da wir auf Erden Gott aber gewiß nicht

1

2

Thomas von Aquin: In I Sent., dist. 2, qu. 1, a 3 (ed. Frette-Mar6, 38b): „Unde, cum Deus secundum unam et eamdem rem sit omnibus modis perfectus, una conceptione non potest [seil, intellectus noster] integre perfectionem ejus apprehendere, et per consequens nec nominare; et ideo oportet quod diversas conceptiones de eo habeat, quae sunt diversae rationes, et quod diversa nomina imponat significantia rationes illas". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 67,9-14): „Secundo patet quod non est bene dictum quod attributa distinguuntur quia intellectus non potest totaliter divinam essentiam comprehendere et ideo particulatim earn apprehendit, quia essentia divina non est sie particulatim apprehensibilis sed vel totaliter apprehenditur vel nihil. Nec potest apprehendi sub una ratione reali quae sit realiter Deus et non sub alia".

392

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

ganz und gewiß nicht seinem Wesen nach begreifen, können uns auch die göttlichen Attribute nicht zur Gotteserkenntnis verhelfen. Heinrich von Gent, Johannes Duns Scotus und sein Schüler Wilhelm von Alnwick sahen in der Attributenlehre eine notwendige Voraussetzung für die Trinitätslehre, weil der Sohn durch den Intellekt aus dem Vater, der Heilige Geist aber durch den Willen aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, sodaß die Unterscheidung zwischen Intellekt und Wille erst die Unterscheidung zwischen den göttlichen Personen ermöglicht. Wilhelm von Ockham wendet dagegen ein, daß die Unterscheidung zwischen der Zeugung des Sohnes und der Hauchung des Heiligen Geistes die Unterscheidung zwischen dem göttlichen Intellekt und dem göttlichen Willen nicht zwingend voraussetze, denn ein und dasselbe Prinzip könne in Gott wie in den Geschöpfen ganz Unterschiedliches hervorbringen. 3 Hier liegt der Sinn der Attributenlehre also nicht. Stattdessen verhelfen die göttlichen Attribute dazu, das göttliche Wesen, mag es auch unmittelbar nicht erkennbar sein, wenigstens irgendwie mittelbar („quasi mediate") zu erkennen. Zwar vermögen wir die Eigenschaften Gottes, die mit seinem Wesen real identisch sind, ebenso wenig zu verstehen wie dieses sein Wesen selbst. Aber immerhin können wir Begriffe verstehen, die vom göttlichen Wesen ausgesagt werden können, allerdings weder ganz noch teilweise, weder real noch begrifflich mit dem göttlichen Wesen identisch sind.4 Diese Einschränkung teilt die Gotteslehre mit den weltlichen Wissenschaften, die gleichfalls über keinen unmittelbaren Zugang zu ihren Gegenständen verfügen, sondern auf die sprachliche Vermittlung ihrer Erkenntnisse angewiesen bleiben.5

3

4

5

Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 34,14-18): „Ad primam rationem pro ilia opinione dico quod distinctio emanationum divinarum non praesupponit distinctionem principium elicitivorum, nec ex natura rei, nec distinctionem rationis; sed sicut videmus in creaturis quod idem principium totaliter est principium elicitivum diversorum, ita est in divinis". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 6 7 , 1 4 - 1 8 ) : „sed praecise apprehenduntur quaedam praedicabilia de divina essentia quae non particulariter nec realiter sunt ipsa divina essentia; sed propter ilia apprehensa dicitur divina essentia apprehendi non immediate sed quasi mediate". Ord., dist. 2, qu. 4 (OTh II 134,3-9): „Ad secundum argumentum principale dico quod scientia realis non est semper de rebus tamquam de illis quae immediate sciuntur sed de aliis pro rebus tantum supponentibus. Ad cuius intellectum et propter multa prius dicta et dicenda, propter aliquos inexercitatos in logica, est sciendum quod scientia quaelibet sive sit realis sive rationalis est tantum de propositionibus tamquam de illis quae sciuntur, quia solae propositiones sciuntur".

Die Lehre von den göttlichen Attributen

393

2) Beschreibung der Attribute a) Reale Eigenschaften oder Begriffe? Nicht nur bei den göttlichen Attributen, sondern auch bei allen anderen Arten von Eigenschaften („passiones", „proprietates"), also auch im geschöpflichen Bereich, unterscheidet Wilhelm von Ockham in wenigstens zweifacher Hinsicht. Solche Eigenschaften bezeichnen nämlich einerseits, was ihrem Träger real zukommt oder inhäriert.6 Andererseits bezeichnen sie die Begriffe und sprachlichen Ausdrücke, die vom Eigenschaftsträger wahrheitsgemäß ausgesagt werden können.7 Gelegentlich unterscheidet Ockham im zweiten Fall noch zwischen Begriffen, die ausgesagt werden können, und den sprachlichen Zeichen, durch die sie ausgesagt werden. Die aussagbaren Begriffe sind Eigenschaften im eigentlichen Sinn.8 Die gesprochenen Wörter und die geschriebenen Zeichen, die zunächst für die Begriffe und dadurch auch für die von ihnen bezeichneten realen Eigenschaften stehen, gelten nur im uneigentlichen Sinn als „passiones".9 Was für die Reden von Eigenschaften allgemein und unabhängig davon gilt, ob es sich dabei um geschöpfliche oder göttliche Eigenschaften handelt, gilt auch für die Rede von den göttlichen Attributen und den attributalen Vollkommenheiten Gottes. Sie ist doppeldeutig, je nachdem von Begriffen oder realen Eigenschaften die Rede ist. Den Begriff der attributalen Vollkommenheit („perfectio attributalis") Gottes faßt Ockham auf zweifache Weise. Diese beiden Verständnisweisen würde man heute der objektsprachlichen und der metasprachlichen Ebene zuordnen. Ockham selbst hätte wohl formuliert, „perfectio attributalis" lasse sich als erste Intention wie auch als zweite Intention verstehen, also als Zeichen für ein Ding, das selbst kein Zeichen ist, wie auch als Zeichen für ein anderes Zeichen.10 6

7

8 9 10

Ord., Prol., qu. 3 (OTh I 133,15-17); Ord. dist. 18, qu. un. (OTh III 579,1-4); Ord., dist. 28, qu. un. (OTh IV 2 6 5 , 8 - 1 3 und 2 0 - 2 1 ) : „Uno modo proprietas alicuius dicitur aliqua res alicui intrinseca et propria, et sic potest dici quod haec anima est proprietas Sortis quia est intrinseca Sorti et propria sibi. Alio modo proprietas alicuius dicitur aliqua res consequens aliam et propria sibi, et sie aliquod accidens consequens Sortem et proprium Sorti potest dici proprietas Sortis. ( . . . ) Proprietas secundo modo dicta est accidens illius cuius dicitur proprietas"; vgl. Quodl. V, qu. 18 (OTh IX 550,13-15). Ord., Prol., qu. 3 (OTh I 133,17-18): „Alio modo aeeipitur passio pro illo quod praedicatur de aliquo secundo modo dicendi per se"; Ord., dist. 18, qu. un. (OTh III 575,23-25); Ord., dist. 28, qu. un. (OTh IV 265,13-18); In Pr., cap. 14, § 7 (OPh II 278,29-30); S. L. I, cap. 37 (OPh I 104,5-105,8). Quodl. V, qu. 18 (OTh IX 550,20-22); S. L. I, cap. 37 (OPh I 105,9-10): „Quamvis proprie et stricte loquendo passio non sit nisi tale praedicabile mentale et non vocale neque scriptum". Quodl. V, qu. 18 (OTh IX 550,16-19); S. L. I, cap. 37 (OPh I 105,10-11): „secundario tarnen et improprie vox vel scriptura potest sici passio". S. L. I, cap. 12 (OPh I 43,49-44,77).

394

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Wird der Begriff der Vollkommenheit Gottes objektsprachlich bzw. als erste Intention aufgefaßt, bedeutet er eine Vollkommenheit Gottes schlechthin, die real mit dem göttlichen Wesen identisch ist." Wird der Begriff der Eigenschaft bzw. Vollkommenheit Gottes hingegen metasprachlich bzw. als zweite Intention aufgefaßt, bezeichnet er Begriffe, die von Gott und von allen drei göttlichen Personen einzeln oder zusammen wahr ausgesagt werden können. 12 In diesem zweiten Sinn möchte Ockham die göttlichen Eigenschaften lieber als eigenschaftliche Begriffe oder Namen bezeichnen.13 Analog zum Wort „Vollkommenheit" („perfectio") läßt sich eine sachlich gleiche Unterscheidung fur das Wort „Attribut" („attributum") treffen. Ockham unterscheidet allerdings in der Wertung hinsichtlich ihres eigentlichen und uneigentlichen Sinnes die Vollkommenheiten und die Attribute Gottes. Eine Vollkommenheit ist nur im uneigentlichen Sinn ein Name oder Begriff, im eigentlichen Sinn hingegen eine Entität.14 Ein Attribut ist hingegen im eigentlichen Sinn ein Name oder Begriff, der von etwas ausgesagt werden kann; nur im uneigentlichen Sinn kann man mit diesem Wort auch die Realität bezeichnen, die der Begriff meint. 15 Versteht man „Attribut" im eigentlichen Sinn, sind daher Behauptungen wie „Die Weisheit ist ein Attribut Gottes" doppeldeutig und nicht in jeder Hinsicht zutreffend. Denn das Wort „Weisheit" kann in diesem Satz personal oder einfach supponieren. Wenn es personal supponiert, steht es für jene reale Entität, die es an erster Stelle bezeichnet. In diesem Fall ist die Behauptung, die Weisheit sei ein Attribut Gottes, eigentlich falsch, denn als reale Entität ist sie kein Name oder Begriff und daher kein Attribut. Wenn das Wort „Weisheit" hingegen einfach supponiert, steht es für den Begriff „Weisheit". In diesem Fall ist die Behauptung wahr, denn der Begriff „Weisheit" ist tatsächlich ein göttliches Attribut.16 11

12

13 14

Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 61,14-16): „Ideo dico aliter ad quaestionem quod perfectio attributalis potest accipi dupliciter: uno modo pro aliqua perfectione simpliciter divina quae sit realiter Deus". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 6 1 , 1 6 - 1 8 und 2 2 - 2 3 ) : „alio modo pro aliquo vere praedicabile de D e o et de omnibus tribus personis coniunctim et divisim. ( . . . ) Secundo modo dico quod non sunt nisi quaedam conceptus vel signa quae possunt vere praedicari de Deo". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 61,23-62,2): „et magis proprie deberent dici conceptus attributales vel nomina attributalia quam perfectiones attributales". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 62,2-4): „quia proprie perfectio non est nisi res aliqua, et tales conceptus non sunt proprie res, vel non sunt perfectae, quia saltern non sunt perfectiones simpliciter".

15

S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 780,263-781,267): „Similiter talis propositio 'quodlibet attributum est idem realiter cum essentia divina' est distinguenda, quia si proprie accipiatur, falsa est, quia nihil est attributum nisi quoddam praedicabile, quod non est Deus; si improprie, concedi potest, quia illud quod significat attributum est divina essentia".

16

S. L. I, cap. 65 (OPh I 198,25-30).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

395

Wilhelm von Ockham läßt es gelten, daß Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus die Attribute als „rationes" bezeichnen. Doch während Duns Scotus damit Formalitäten meint, die in Gott wirklich zu finden sind, besteht Ockham darauf, daß es sich bei den „rationes" um Gedankengebilde („entia rationis") handelt, die in Gott nicht real vorhanden sind.17 Während Ockham hinsichtlich der „passiones" unterscheidet, ob sie als Begriffe oder als gesprochene bzw. geschriebene Wörter zu verstehen sind, legt er sich bei den göttlichen Attributen diesbezüglich nicht fest. Zwar behauptet er an einer Stelle, was seine Zeitgenossen göttliche Attribute nennen, sei dasselbe, was die theologischen Autoritäten der Vergangenheit als Namen Gottes angeführt haben.18 Doch gewöhnlich läßt er es unentschieden, ob Attribute Begriffe („conceptus") des Denkens oder Wörter („nomina") der gesprochenen und geschriebenen Sprache sind, und führt beide Varianten nebeneinander an.19 Dies ist so zu verstehen, daß die verschiedenen Attribute verschiedene Begriffe sind und daher auch sprachlich verschieden benannt werden. Es wird allerdings auch die Meinung vertreten, in diesem Zusammenhang sollten Begriffe und Wörter bzw. Namen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wo es sich doch in beiden Fällen um Zeichen handelt.20 Doch ist der begriffliche Charakter der Attribute hier von Belang. Unterscheidet man nämlich zwischen Wörtern der Sprache und Begriffen des Denkens, kann Ockham die Vielzahl der Attribute nicht bloß mit der Vielzahl der Namen oder Wörter erklären, sondern muß auch eine Vielzahl der Begriffe annehmen.21 Denn eine Vielzahl von Wörtern fuhrt beim selben Begriff zur Synonymie. Die göttlichen Attribute sind aber unterschiedliche Begriffe, nicht synonyme Wörter.22

17

Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 56,1-7): „quando dicitur ,alia est ratio sapientiae et alia est ratio bonitatis', aut ratio ibi supponit pro re extra animam, aut pro aliquo ente rationis. Si primo modo, igitur si sit alia ratio sapientiae et alia ratio bonitatis, erit necessario alia res sapientiae et alia res bonitatis, et ita erunt distinctae res. Si secundo modo, igitur ratio sapientiae non est realiter in D e o nec est realiter Deus; igitur ista attribute non sunt realiter ipsa divina essentia".

18

Quodl. III, qu. 2 (OTh IX 208,9-209,14): „Sciendum est hic primo quod Sancti antiqui non utebantur isto vocabulo ,attributa', sed pro isto utebantur hoc nomine ,nomina'. Unde sicut quidam moderni dicunt quod attributa divina sunt distincta, ita dicebant antiqui et qui erant temporibus doctorum antiquorum quod nomina divina sunt distincta et diversa".

19

Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 61,23 -62,2): „magis proprie deberent dici conceptus attributales vel nomina attributalia". Vgl. Joel Biard: Guillaume d'Ockham et la theologie. Paris: Cerf 1999 (Initiantions au Moyen Äge), 27. Gordon Leff: William of Ockham. The Metamorphosis of Scholastic Discourse. Manchester: Manchester University Press 1 9 7 7 , 4 0 2 . Vgl. Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 44,22-45,7).

20 21 22

396

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

b) Absolute, konnotative und negative Begriffe Diese Begriffe und Namen göttlicher Attribute teilt Ockham in drei Gruppen ein. Allerdings erfolgt diese Einteilung nicht ganz sauber, sodaß sich gewisse Überschneidungen und Randunschärfen ergeben. Dabei handelt es sich um die folgenden drei Gruppen: Erstens bedeuten manche attributalen Begriffe das göttliche Wesen absolut und affirmativ. 23 Als Beispiele für solche Attribute nennt Ockham den göttlichen Intellekt und den göttlichen Willen. 24 Diese Beispiele sind insofern merkwürdig, als Ockham an anderer Stelle den geschöpflichen Intellekt und den geschöpflichen Willen ausdrücklich als Konnotativbegriffe bestimmt, den Intellekt sogar als Musterbeispiel für einen Konnotativbegriff anführt. 25 Intellekt und Wille stehen an erster Stelle für die Seele. Darüber hinaus konnotiert der Intellekt den möglichen Akt des Verstehens bzw. den Sachverhalt, daß die Seele verstehen kann. Der Wille konnotiert den möglichen Akt des Wollens bzw. den Sachverhalt, daß die Seele wollen kann. Kurz: Der Intellekt ist die Seele, die verstehen kann, der Wille die Seele, die wollen kann. 26 Doch nach Ockham bedeuten Begriffe nicht immer dasselbe, wenn sie von Gott und von Geschöpfen ausgesagt werden. Wenn ein konnotativer Begriff von etwas Geschöpflichem auf Gott übertragen wird und dabei seine Bedeutung ändert, ist er vielfach als absolut zu verstehen. Dies gilt für Begriffe wie „Intellekt", „Wille", „fähig zu wollen", „gut". Durch den Wegfall der Konnotate können dabei Synonymien entstehen, die bei der konnotativen Bedeutung derselben Wörter nicht vorliegen. Ändern Konnotativbegriffe wie „gut" ihre Bedeutung hingegen nicht, wenn sie auf Gott übertragen werden, sind sie nach wie vor als konnotativ zu verstehen. 27 Wenn Ockham die Begriffe von Intellekt und Wille in trinitätstheologischen Zusammenhängen ein wenig anders faßt, sind sie konnotativ. In der Tradition findet Ockham nämlich die Behauptung vorgegeben, daß der Vater den Sohn durch den Intellekt zeugt, Vater und Sohn den Geist aber durch den Willen hauchen. Da diese innertrinitarischen Hervorgänge nur im göttlichen

23 24 25 26

27

Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 62,5-6): „Isti autem conceptus attributales vel nomina attributalia quaedam important ipsara divinam essentiam absolute et affirmative". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 62,8): „Prima sunt sicut intellectus et voluntas etc.". S. L. I, cap. 10 (OPh I 38,81-86). Rep. II, qu. 2 0 (OTh V 4 3 5 , 1 1 - 1 5 ) : „Primo modo loquendo de intellectu et voluntate, dico quod distinguuntur, nam descriptio exprimens quid nominis intellectus est ista quod ,intellectus est substantia animae potens intelligere'. Descriptio voluntatis est quod est substantia animae potens velle'". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 114,22-115,5; 123,4-12).

Die Lehre von den göttlichen

397

Attributen

Wesen begründet sind, vermag Ockham dies nur so zu verstehen, daß Wille und Intellekt hier an erster Stelle für das göttliche Wesen stehen und daß ferner der Intellekt die aktive Zeugung und der Wille die aktive Hauchung konnotiert. 28 Aus diesem Grund sind auch diese beiden Begriffe von Intellekt und Wille konnotativ. Zweitens bedeuten manche Begriffe das göttliche Wesen konnotativ, indem sie etwas anderes konnotieren. 29 Gemeint ist damit wohl eine konnotative und affirmative Bezeichnungsweise, denn auch die negativen Begriffe, die eine eigene Gruppe bilden, sind konnotativ. Als Beispiel nennt Ockham „prädestinierend" („praedestinans"), „schaffend" („creans") und „fähig zu schaffen" („creativum"). 30 Wie die anderen Konnotativbegriffe stehen sie für etwas an erster Stelle, von dem sie ausgesagt werden können. Dies ist das göttliche Wesen. Ferner bezeichnen sie als Konnotativbegriffe auch etwas an zweiter Stelle, und zwar in diesem Fall etwas anderes, als sie an erster Stelle bezeichnen („aliquid aliud"). Da sie an erster Stelle für das göttliche Wesen stehen, konnotieren sie also ein Geschöpf. Daher ist die Zahl solcher Begriffe groß, weil sie zwar alle ausschließlich für das eine göttliche Wesen stehen, aber sich voneinander dadurch unterscheiden, daß sie Verschiedenes konnotieren. Drittens bezeichnen manche Attribute das göttliche Wesen negativ, indem sie etwas von ihm bestreiten. 31 Als Beispiele nennt Ockham „unzerstörbar" und „unsterblich". 32 Als negative Begriffe sind auch sie konnotativ. c) Quidditative und denominative, eigentümliche austauschbare Begriffe

und

Ockham unterscheidet zwischen quidditativen und denominativen Begriffen. Quidditative Begriffe sagen uns vollständig, was etwas ist, und nichts anderes.33 Denominative Begriffe sagen uns, wie etwas beschaffen ist. Denominative Begriffe haben eine Nominaldefinition, in der ein Bestimmungsstück in einem anderen Fall als dem Nominativ („in obliquo") steht.34 Quidditative Begriffe haben hingegen eine Realdefinition, deren Bestimmungsstücke im

28 29 30 31 32 33 34

Ord., dist. 7, qu. 2 (OTh III 141-146). Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 62,7): „quaedam connotative connotando aliquid aliud". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 62,8-9): „Secunda sicut praedestinans, creans vel creativum". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 62,7-8): „et quaedam negative". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 6 2 , 9 - 1 0 ) „Tertia sicut incorruptibile et immortale etc.". Ord., dist. 3, qu. 3 (OTh II 419,20-22): Quodl. V, qu. 7 (OTh IX 505,48-50). Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 316,7-9): „omnis conceptus denominativus habet definitionem exprimentem quid nominis, in qua ponitur aliquid in recto et aliquid in obliquo".

398

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Nominativ stehen.35 Manche göttliche Attribute sind nach Ockham quidditativ, andere sind hingegen denominativ. Von den drei Arten der Attribute, die Ockham locker unterschieden hat, sind die zweite und die dritte denominativ. Denn weder ein negativer Begriff noch ein Konnotativbegriff, der neben Gott noch etwas anderes bezeichnet, drückt angemessen aus, was Gott ist. Hingegen sind die Begriffe der ersten Gruppe quidditativ. Da ihrer viele sind, bestreitet Ockham die Auffassung von Duns Scotus, daß wir von Gott nur einen einzigen quidditativen Begriff haben könnten. 36 Unter einem eigentümlichen Begriff („conceptus proprius") Gottes versteht Ockham einen Begriff, der nur von Gott und von niemand sonst wahrheitsgemäß ausgesagt werden kann. Von den drei Gruppen von Attributen, die Ockham grob unterscheidet, enthalten nur die zweite und die dritte Gruppe Begriffe, die Gott eigentümlich sind. Doch sind diese Begriffe entweder, wie in der dritten Gruppe, negativ, oder, wie in der zweiten Gruppe, auf andere Weise konnotativ oder wenigstens zusammengesetzt. Die Begriffe aus der ersten Gruppe der Attribute sind hingegen affirmativ und konnotieren nichts außerhalb Gottes. Sie sind aber nicht Gott eigentümlich, weil sie nicht für Gott allein stehen, sondern auch für Geschöpfe supponieren oder wenigstens supponieren können. Höchstens kann man aus mehreren solchen Begriffen einen zusammengesetzten Begriff bilden, der Gott eigentümlich ist.37 Einen Begriff, der nicht konnotativ, sondern absolut, nicht verneinend, sondern bejahend, nicht zusammengesetzt, sondern einfach und darüber hinaus auch noch dem, wofür er steht, eigentümlich ist, gibt es auf Erden weder von Gott38 noch von einem Geschöpf. 39 Der Selige im Himmel, der Gott unmittelbar schaut, besitzt einen solchen Begriff von Gott.40 Allerdings ist unter den genannten Einschränkungen nur ein einziger solcher Begriff möglich.41 Manche Begriffe sind miteinander austauschbar, sodaß von allem, wovon der eine Begriff ausgesagt werden kann, auch der andere ausgesagt werden kann und umgekehrt. Als Musterbeispiele gelten die transzendentalen Begrif35

Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 316,9-12): „Tunc quaero de una parte illius definitionis: aut habet definitionem consimilem exprimentem quid nominis, aut non. Si non, habetur propositum, quia talis necessario est quidditativus".

36 37 38 39 40 41

Ord., dist. Ord., dist. Quodl. V, Quodl. V, Quodl. V, Quodl. V,

3, qu. 3 (OTh 11418-431). 2, qu. 9 (OTh II 3 1 5 , 3 - 1 1 ) . qu. 7 (OTh IX 505,52-506,55). qu. 7 (OTh IX 506,63-68). qu. 7 (OTh IX 506,57-61). qu. 7 (OTh IX 504,19-505,36).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

399

fe („res", „unum", „aliquid", „verum", „bonum"), die mit dem Seinsbegriff austauschbar sind. Austauschbarkeit hängt nach Ockham von der denominativen oder quidditativen Aussageweise von Begriffen ab. Quidditative Begriffe von einem absolut einfachen Wesen, wie es Gott ist, sind nicht miteinander austauschbar. Denn würde man austauschbare quidditative Begriffe von Gott annehmen, so würden diese Begriffe in jeder Hinsicht dasselbe bedeuten und somit nicht zwei austauschbare Begriffe, sondern miteinander identisch und daher nur ein einziger Begriff sein.42 Austauschbare Begriffe, die zwar für dasselbe stehen, aber nicht miteinander identisch sind, sind hingegen typischerweise Begriffe, die zwar für dasselbe supponieren, aber entweder aus verschiedenen Teilbegriffen zusammengesetzt sind oder Verschiedenes konnotieren.43 Daher sind die Attribute, die Gott allein und eigentümlich, aber auf negative Weise oder durch Konnotation von etwas außerhalb Gottes bezeichnen, miteinander austauschbar. Nicht austauschbar sind die quidditativen Attribute der ersten Gruppe. d) Univozität, Äquivozität und Analogie Da wir Gott quidditativ durch Begriffe erkennen, die ihm und Geschöpfen gemeinsam sind, stellt sich die Frage, ob diese Begriffe, wenn sie von Gott ausgesagt werden, dieselbe Bedeutung haben, wie wenn sie von einem Geschöpf ausgesagt werden, ob wir also von Gott und Geschöpfen in univoker, äquivoker oder analoger Rede sprechen. Während die hochmittelalterliche Tradition diese Frage auf univoke oder analoge Begriffe bezogen hat und ihre ontologischen Implikationen betont werden, 44 bestreitet Ockham, daß mit ihr ontologische Behauptungen verbunden wären,45 und bezieht die Univokation im eigentlichen Sinn auf die Wörter, durch die Begriffe ausgedrückt werden und nur in abgeleiteter und uneigentlicher Weise auf die Begriffe selbst.46 In der Frage, ob wir von Gott und Geschöpfen univok, äquivok oder analog sprechen, läßt sich Ockham nicht einfach und undifferenziert auf eine der 42 43 44 45

46

Ord., dist. 3, qu. 3 (OTh II 4 2 0 , 9 - 2 1 ) . Ord., dist. 3, qu. 3 (OTh II 4 3 0 , 5 - 1 8 ) . Bela Weissmahr: Ontologie. 2., durchges. Aufl. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1991 (Grundkurs Philosophie 3), 9 2 - 9 5 . Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 312,2-4): „Circa secundum dico quod nullum univocum est de essentia suorum univocatorum, nec ponit aliquid in eis realiter, nec facit compositionem cum eis nec cum aliquo quod est in eis"; vgl. Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 333,3-16). Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 3 0 6 , 1 8 - 1 9 und 307,3-5): „Circa primum dico quod ,univocum' proprie accipitur pro voce univoca. ( . . . ) Et ita, extendendo nomen univoci, potest improrie dici quod aliquis conceptus est univocus, quia aliquis conceptus est unus".

400

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

drei Antworten festlegen, sondern er unterscheidet, und zwar einerseits hinsichtlich der Attribute, andererseits hinsichtlich der Bedeutung der Begriffe „univok", „äquivok" und „analog". Zunächst ist zwischen konkreten und abstrakten Attributen zu unterscheiden.47 Als Unterscheidungskriterium zwischen konkreten und abstrakten Wörtern nennt Ockham die verhältnismäßig oberflächliche Regel, daß beide Wörter gleich beginnen, aber unterschiedlich enden. Ferner besitzt das abstrakte Wort immer oder wenigstens in den meisten Fällen mehr Silben als das konkrete. Schließlich ist das konkrete Wort meist ein Adjektiv, das abstrakte dagegen ein Substantiv.48 Aufschlußreicher sind die Beispiele, die Ockham anfuhrt: „iustus", „fortis" und „animal" sind konkrete Wörter, „iustitia", „fortitudo" und „animalitas" sind die entsprechenden abstrakten Ausdrücke. Manchmal sind abstrakte und konkrete Ausdrücke synonym in dem Sinn, daß sie in jeder Weise dasselbe bedeuten, ob die Sprecher dies nun wissen oder nicht.49 So bedeuten fur den nominalistischen Philosophen (egal, wie andere darüber denken mögen) die abstrakten Ausdrücke „humanitas", „animalitas" und „equinitas" genau dasselbe wie ihre konkreten Entsprechungen „homo", „animal" und „equus".50 In anderen Fällen unterscheiden sich konkrete und abstrakte Ausdrücke hinsichtlich ihrer Bedeutung.51 So bedeutet manchmal das Abstraktum ein Akzidens oder eine Form und das Konkretum das Subjekt, dem dieses Akzidens oder diese Form inhäriert - oder umgekehrt.52 Manchmal steht das Konkretum für einen Teil und das Abstraktum für das Ganze - oder umgekehrt. 53 Manchmal inhärieren sie einander weder noch beinhalten sie einander, sondern verhalten sich wie Ursache und Wirkung, wie Zeichen und Bezeichnetes oder wie der Ort und das in ihm Enthaltene.54

47 48

49 50 51 52 53 54

Vgl. Leon Baudry: Lexique philosophique de Guillaume d'Ockham. Etudes des notions fondamentales. Paris: Vrin 1958, 7f. S. L. I, cap. 5 (OPh I 16,5-12): „Et est advertendum quod concretum et abstractum sunt nomina consimile principium secundum vocem habentia, sed non consimiliter terminantur, sicut patet quod ,iustus* et ,iustitia', ,fortis' et .fortitudo', .animal' et ,animalitas' a simili littera vel syllaba incipiunt, sed non terminantur in consimilem. Et semper vel frequenter abstractum plures habet syllabas quam concretum, sicut in praedictis exemplis apparet. Concretum etiam, ut frequenter, est adiectivum et abstractum substantivum". S. L. I, S.L.I, S . L . I, S. L. I, S.L.I, S. L. I,

cap. cap. cap. cap. cap. cap.

6 6 5 5 5 5

(OPh (OPh (OPh (OPh (OPh (OPh

119,3-14). 119,21-24). I 16,14-17,23). I 17,25-25). 1 17,35-36). I 18,48-57).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

401

Von Gott sprechen wir sowohl mit konkreten als auch mit abstrakten Ausdrücken. Wir sagen von ihm, er sei weise („sapiens"), aber auch, er sei die Weisheit („sapientia") usw. Aber während wir abstrakte Wörter wie „Weisheit" univok gebrauchen, verwenden wir konkrete Wörter wie „weise" äquivok, wenn wir sie auf Gott anwenden. Abstrakte Wörter sagen wir von Gott univok aus. Doch erfolgt die Univokation nicht immer auf dieselbe Weise. Ockham zählt drei verschiedene Arten des Univoken auf. Von ihnen gestattet es nur die dritte Art, dasselbe Wort univok von Gott und Geschöpfen auszusagen. Auf die erste Art ist ein Allgemeinbegriff univok, wenn er sich auf Dinge bezieht, die einander in allem Wesentlichen ähnlich ohne jede Unähnlichkeit sind. Die einzigen Allgemeinbegriffe, die einer so strengen Anforderung entsprechen, sind die Begriffe der untersten Arten („species specialissimae"). 55 Auf die zweite Art nennt man einen Allgemeinbegriff univok, wenn er sich auf Dinge bezieht, die einander weder völlig ähnlich sind noch völlig unähnlich, sondern in mancher Hinsicht ähnlich und in anderer Hinsicht unähnlich. So sind Art und Gattung, die verschiedenen Arten derselben Gattung oder die Eigenschaften desselben Subjekts univok.56 Auf die dritte Art schließlich ist ein Allgemeinbegriff univok, wenn er sich auf Dinge beziehen kann, die weder im Wesentlichen noch im Akzidentellen Ähnlichkeit miteinander besitzen.57 Nur in diesem Sinn lassen sich Begriffe univok von Gott und Geschöpfen aussagen.58 Diese dritte Art der Univokation - die einzige, die sich auch auf Gott anwenden läßt - wird nach Ockham auch Analogie genannt, denn sie steht in der Mitte zwischen der Äquivokation und der reinen Univokation. Sie ist keine Äquivokation, weil es bei ihr um einen einzigen Begriff geht und nicht um viele. Sie ist aber auch keine reine Univokation, weil sie keine Univokation auf die erste oder die zweite Weise ist.59 Daher merkt er auch an, daß die Heiligen und die Philosophen, ob sie nun an der Univokation festgehalten oder sie verworfen haben, diese dritte Art der Univokation behauptet haben.60 Dafür, daß wir von Gott überhaupt univok sprechen, kennt Ockham nur ein einziges Argument, auf das er all die vielen anderen zurückführt, die er vor al55 56 57 58 59

60

Rep. III, qu. 10 (OTh VI 335,19-336,10). Rep. III, qu. 10 (OTh VI 336,11-337,11). Rep. III, qu. 10 (OTh VI 337,12-14). Rep. III, qu. 10 (OTh VI 337,14-338,2). Rep. III, qu. 10 (OTh VI 338,10-16). Vgl. Volker Leppin: Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995 (FKDG 63), 149, Anm. 221 gegen Paola Müller: Nominare l'essenza divina. La distinzione XXII dell' Ordinate di Ockham. In: RFNS 81 (1989) 2 2 4 - 2 5 4 , 240. Rep. III, qu. 10 (OTh VI 338,2^1).

402

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

lern bei Duns Scotus findet. Denn alle (oder wenigstens alle, an die sich Ockham wendet) räumen ein, daß wir von Gott und von den Geschöpfen wissen. Wir begreifen Gott aber nicht, wie er in sich ist, sondern nur in einem Begriff, der ihn und andere gemeinsam erfaßt, einem Begriff, der in sich einer, aber auf Gott und Geschöpfe univok anwendbar ist.61 Während abstrakte Begriffe von Gott und Geschöpfen univok (auf die dritte Art der Univokation) ausgesagt werden, beziehen sich die ihnen entsprechenden konkreten Begriffe nur äquivok auf den Schöpfer und sein Geschöpf. Sagen wir nämlich von einem Geschöpf, es sei weise, so meinen wir, es habe die Weisheit als Akzidens. Dasselbe aber läßt sich von Gott nicht behaupten, in dem es keine Akzidenzien gibt. Wenn wir von ihm behaupten, er sei weise, so meinen wir, er existiere als die Weisheit. Das ist aber etwas anderes, als die Weisheit als Akzidens zu besitzen. Daher gebrauchen wir konkrete Ausdrücke wie „weise" äquivok, wenn wir sie von Gott und Geschöpfen gleicherweise aussagen.62 Doch wie es verschiedene Arten der Univozität gibt, lassen sich auch verschiedene Bedeutungen des Ausdrucks „Äquivokation" angeben. Im Anschluß an Boethius unterscheidet Ockham zwischen der zufalligen Äquivokation („aequivocatio a casu") und der absichtlichen Äquivokation („aequivocatio a consilio"). 63 Zufallig äquivok sind Wörter, die zufallig gleich klingen, obwohl sie Unterschiedliches bezeichnen. 64 Absichtlich äquivok sind Wörter, die zwar Unterschiedliches bezeichnen, aber infolge einer Ähnlichkeit oder Proportion der bezeichneten Gegenstände oder infolge eines sonstigen zweckmäßigen Grundes gleich klingen.65 Wenn wir konkrete Attribute äquivok von Gott und Geschöpfen aussagen, geschieht dies nicht aus bloßem Zufall, sondern in bezug auf den entsprechenden abstrakten Begriff, der von Gott und Geschöpfen univok ausgesagt wird. Konkrete Attribute werden also äquivok ausgesagt, aber nicht zufällig, sondern mit Absicht. Doch die absichtliche Äquivokation gilt (übrigens nicht

61 62 63

Rep. III, qu. 10 (OTh VI 340,17-341,19). Quodl. II, qu. 4 (OTh IX 123,11-124,22 und 124,32-34). Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 326,17-327,1): „De aequivoco, quod - sicut dictum est prius - aequivocum dupliciter accipitur, scilicet pro aequivoco a casu et pro aequivoco a consilio"; vgl. Ord., dist. 2, qu. 4 (OTh II 138,22-139,25); In El. I, cap. 2, § 7 - 8 (OPh III 2 0 - 2 4 ) ; S. L. I, ca. 13 (OPh I 45,25-41); Quodl. IV, qu. 12 (OTh IX 353,11-14).

64

Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 327,1-4): „Aequivocum a casu est illud nomen quod imponitur multis et cuilibet primo, ita uni ac si non imponeretur alteri, ut hoc nomen Sortes impositum multis a diversis". Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 327,14-17): „Aequivocum a consilio dupliciter potest accipi: uno modo quando propter aliquam similitudinem vel proportionem diversorum inter se vel propter aliquam talem convenientiam idem nomen diversis imponitur sine unitate conceptus".

65

Die Lehre von den göttlichen Attributen

403

nur bei Ockham) als Analogie.66 Also werden die konkreten Attribute zwar auf andere Weise als die abstrakten, doch wie diese auf analoge Weise von Gott und Geschöpfen ausgesagt. Ockham läßt sich also nicht so leicht festlegen in der Frage, ob wir unsere Begriffe von Gott univok, äquivok oder analog aussagen. Seiner Meinung nach sagen wir konkrete Begriffe äquivok und abstrakte Begriffe univok von Gott aus, doch jeweils in einer Form, die er auch als analog gelten läßt. In der Frage, ob uns eine univoke Redeweise von Gott möglich ist, schließt sich Ockham daher Duns Scotus an, der bejahend antwortet. Damit stellt er sich aber nicht gegen die thomistische Lehrmeinung, wonach wir von Gott nur analog sprechen können. Unter Attributen versteht Ockham also Begriffe oder Wörter bzw. Namen, die vom göttlichen Wesen und allen drei göttlichen Personen wahrheitsgemäß ausgesagt werden können. Wenn sie affirmativ sind und nichts außerhalb Gottes konnotieren, sind sie quidditativ, aber, sofern sie nicht zusammengesetzt sind, Gott nicht eigentümlich, sondern bezeichnen neben Gott noch Geschöpfe. Wenn sie konkret sind, tun sie dies auf äquivoke Weise, wenn sie abstrakt sind, tun sie es auf univoke Weise. Doch in beiden Fällen ist Ockham bereit, auch von Analogie zu sprechen. Sind die Attribute negativ oder konnotieren sie etwas Außergöttliches, können sie Gott zwar eigentümlich sein, bezeichnen ihn aber nicht quidditativ.

3) Die Rezeption der Regel des Anselm von Canterbury Wilhelm von Ockham kommt auf die Regel des Anselm von Canterbury zu sprechen, während er das Verhältnis des einen göttlichen Wesens zur Vielzahl seiner Eigenschaften bestimmt. Vor ihm lösten die meisten Denker das Problem, indem sie zwischen dem Wesen und den Eigenschaften Gottes reale Identität bei formaler oder begrifflicher Unterschiedenheit annahmen. Ockham hingegen möchte in der Attributenlehre ohne scotistische Formaldistinktion auskommen und bestreitet zugleich, daß real existierende Entitäten begrifflich verschieden sein können.67 (Das können nämlich nur Begriffe.) Daher spaltet er den Begriff der Vollkommenheit schlechthin auf, wie er auch 66

67

Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 3 2 8 , 1 6 - 1 8 und 329,8-9): „Sed de analogo potest distingui, quod uno modo accipitur secundum quod est aliquod nomen impositum multis propter consimilem proportionem quam habent diversa ad illa. ( . . . ) Ad propositum dico quod analogum primo modo est aequivocum simpliciter, non tarnen a casu sed a consilio". Vgl. unten 4)!

404

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

die Begriffe der Vollkommenheit und des Attributs aufspaltet. Auf der objektsprachlichen Ebene versteht er unter „perfectio simpliciter" eine erste Intention; auf der metasprachlichen Ebene eine zweite Intention, also einen Begriff von Begriffen. Versteht man „perfectio simpliciter" als objektsprachlichen Begriff bzw. als erste Intention, steht dieser Ausdruck für eine vollkommene Entität, die wesenhaft keine Unvollkommenheit enthält.68 Dieser Begriffsbestimmung in der „Ordinatio" fügt Ockham im „Tractatus de praedestinatione" noch die Bedingung hinzu, einer Vollkommenheit schlechthin dürfe keine andere Vollkommenheit hinzugefugt werden können. 69 Sie muß also jede mögliche Vollkommenheit schon in sich enthalten. In diesem Sinn gibt es nur eine einzige Vollkommenheit schlechthin, nämlich das göttliche Wesen selbst. Daß ein Geschöpf in diesem Sinn schlechthin vollkommen wäre, enthält einen Widerspruch und ist daher unmöglich. Versteht man „perfectio simpliciter" hingegen metasprachlich als zweite Intention bzw. als Begriff von Begriffen, dann bezeichnet er jeden Begriff, aus dem durch keine formale Folgerung folgt, daß das, wovon dieser Begriff wahrheitsgemäß ausgesagt werden kann, unvollkommen ist.70 Einige Zeilen später fügt Ockham hinzu, daß darüber hinaus aus allem, was mit einer Vollkommenheit schlechthin unvereinbar sei, formal folge, daß es unvollkommen sei.71 Nochmals verschärft wird die Bedingung im „Tractatus de praedestinatione", nach dem nicht nur aus dem, was mit einer Vollkommenheit schlechthin unvereinbar ist, sondern schon aus jeder Negation einer Vollkommenheit schlechthin folgt, daß die betreffende Entität unvollkommen ist.72 Konnotativbegriffe, die etwas Unvollkommenes konnotieren und folglich implizieren, stellen daher keine Vollkommenheit schlechthin dar.73 68

69 70

71 72 73

Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 98,3-9): „Ad ultimum dico quod ,perfectio simpliciter' dupliciter accipitur. Uno modo proprie pro aliqua una re perfecta nullam includente imperfectionem essentialiter, nec necessario aliquam imperfectionem annexam habente; et isto modo nulla est .perfectio simpliciter' nisi essentia divina. Nec sie aliqua ,perfectio simpliciter' potest competere alicui creaturae, quia talis .perfectio simpliciter' unica est omni creaturae repugnans". Tr. Pr., qu. 2 (OPh II 531,312-313): „Dico quod aliquando aeeipitur perfectio simpliciter pro perfectione quae est Deus, cui non potest addi alia perfectio". Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 98,9-14): „Aliter aeeipitur ,perfectio simpliciter' large et improprie pro omni conceptu ad quem consequentia formali non sequitur illud esse imperfectum de quo illud verificatur; sicut non sequitur formaliter a est sapiens, igitur a est imperfectum; nec sequitur a est bonum, igitur a est imperfectum, et sie de multis talibus". Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 19-21): „et ex quolibet sibi incompossibili sequitur formaliter ipsum esse imperfectum". Tr. Pr., qu. 2 (OPh II 531,314-316): „Aliquando aeeipitur pro aliquo conceptu, ex cuius negatione ab aliquo sequitur ipsum esse imperfectum". Ord., dist. 43, qu. 1 (OTh IV 639,22-640,4): „Ad secundum dico quod nulla perfectio simpliciter, - quae ideo dicitur ,perfectio simpliciter' quia ex ista non sequitur illud esse imperfectum de

Die Lehre von den göttlichen Attributen

405

Diese zweite Bedeutung von „perfectio simpliciter" bringt Ockham in Zusammenhang mit der Regel des Anselm von Canterbury. Demnach lassen sich von Gott all jene Begriffe aussagen, (a) aus denen nicht folgt, daß unvollkommen ist, wovon sie wahrheitsgemäß ausgesagt werden, (b) deren unvereinbare Gegenteile implizieren, daß unvollkommen ist, wovon sie wahrheitsgemäß ausgesagt werden können74 und, wie man nach dem „Tractatus de praedestinatione" ergänzen könnte, (c) deren Negation impliziert, daß unvollkommen ist, wovon sie wahrheitsgemäß ausgesagt werden kann. Daneben führt Ockham im Zusammenhang mit trinitätstheologischen Fragen eine weitere Unterscheidung der „perfectio simpliciter" an. In der einen Bedeutung bezieht sie sich auf die Dreifaltigkeit insgesamt, also auf das göttliche Wesen und auf jede der drei göttlichen Personen. In diesem Sinn sprechen auch Heinrich von Gent und Duns Scotus von Vollkommenheiten schlechthin. In der anderen Bedeutung bezieht sich die „perfectio simpliciter" - im Gegensatz zum sonst üblichen Sprachgebrauch, der hier von Notionen sprechen würde - auch auf einzelne trinitarische Personen allein. Diesen Sprachgebrauch rechtfertigt Ockham mit dem Hinweis, daß es sich dabei um Eigenschaften des schlechthin Vollkommenen und daher irgendwie auch um schlechthin vollkommene Eigenschaften handelt.75 Ockhams Interpretation der Regel des Anselm von Canterbury ist dem Vorbild von Duns Scotus verpflichtet, denn auch Ockham vergleicht nicht einfach die Setzung und Negation einer Eigenschaft, sondern überlegt, ob eine Unvollkommenheit aus dem Begriff der in Frage stehenden Eigenschaft folgt oder aus dem, was mit ihr unvereinbar ist.76 Doch geht er in dreifacher Hinsicht über Duns Scotus hinaus.

74 75

76

quo verificatur si non connotet aliquid imperfectum - , repugnat alten quin illi duo conceptus de eodem verificentur. Sed si connotet aliquid imperfectum, non oportet quod una non repugnat alteri. Et ita est in proposito". Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 98,17-18): „Et sic intelligit Anselmus quod ,in quolibet est melius ipsum quam non ipsum'". Ord., dist. 7, qu. 3 (OTh III 154,20-155,4): „Ad argumentum principale dico quod .perfectio simpliciter' dupliciter aeeipitur. Vel pro aliqua perfectione quae est simpliciter summa et infinita, carens et incompossibilis omni imperfectioni; et isto modo generatio est perfectio simpliciter. Vcl quia est in quolibet simpliciter perfecto vel vere competit simpliciter perfecto, hoc est omni supposito simpliciter perfecto; et isto modo nulla relatio in divinis est perfectio simpliciter". Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 98,17-24): „Et sie intelligit Anselmus quod ,in quolibet est melius ipsum quam non ipsum', quia scilicet ex tali non sequitur formaliter illud esse imperfectum de quo verificatur, et ex quolibet sibi incompossibili sequitur formaliter ipsum esse imperfectum. Sicut ex hoc quod a est sapiens non sequitur formaliter quod a est imperfectum, et ex quolibet cui repugnat formaliter esse sapiens sequitur formaliter ipsum esse imperfectum de quo verificatur, et ita aliquid esse melius".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Erstens bezieht sich Ockham nicht mehr, wie es seine Vorgänger getan haben, unmittelbar auf die reale Vollkommenheit, sondern wechselt auf die begriffliche Ebene, für die allein die Regel des Anselm von Canterbury gilt. Diesen zweiten Begriff einer Vollkommenheit schlechthin bezeichnet er ausdrücklich als weit und uneigentlich.77 Zweitens fällt auf, daß Ockham Vollkommenheit nicht an einem Maß des Guten mit vielen Stufen mißt, sodaß zwischen Besserem und Schlechterem zu vergleichen wäre, sondern nur fragt, ob etwas Unvollkommenes folge oder nicht. Der graduelle Unterschied zwischen Gut und Schlecht ist also durch eine scharfe Grenze zwischen Vollkommen und Unvollkommen ersetzt. Drittens spricht Ockham in einem erweiterten Sinn auch bei Eigenschaften, die nur einzelnen göttlichen Personen zukommen, von Vollkommenheiten schlechthin.

4) Das Verhältnis der Attribute zum göttlichen Wesen und zueinander In der Frage nach dem Verhältnis zwischen den göttlichen Eigenschaften und dem göttlichen Wesen stellt sich Ockham bewußt gegen die Meinungen fast aller Theologen. Denn abgesehen von den Scotisten, die zwischen dem Wesen und den Attributen Formaldistinktionen lehren, behauptet die gängige Meinung, daß die Attribute zwar real mit Gott identisch, aber begrifflich von ihm unterschieden sind.78 Ockham bestreitet jedoch sowohl die Scotische Ansicht von der Formaldistinktion als auch die sonst verbreitete Meinung von der begrifflichen Unterscheidung bei realer Identität. Die Scotische Theorie bestreitet Ockham, indem er außer der Formaldistinktion zwischen den göttlichen Personen und dem göttlichen Wesen jeden formalen Unterschied ablehnt. Das gilt allgemein, insbesondere aber für den Unterschied zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Eigenschaften bzw. Vollkommenheiten. 79 Mit den Versuchen, einen gedanklichen Unterschied bei realer Identität anzunehmen, setzt sich Ockham ausführlicher auseinander. Doch scheitert diese Lösung daran, daß sich nach Ockhams Auffassung nichts, was real iden-

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Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 98,10): „large et improprie". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 50,17-51,2): „Ad istam quaestionem est opinio multorum, et omnium praeter illos qui ponunt quod distinguantur ex natura rei, quod perfectiones attributales sunt ipsa divina essentia realiter, sed inter se et ab essentia divina distinguuntur sola ratione". Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 14-20).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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tisch ist, begrifflich unterscheiden kann.80 Unter einer realen Unterscheidung versteht Ockham nämlich die Unterscheidung zwischen zwei realen Entitäten („res"). Unter einer begrifflichen Unterscheidung versteht er die Unterscheidung zwischen zwei begrifflichen Entitäten („entia rationis"). Unter der Voraussetzung, daß nichts zugleich ein „ens reale" und ein „ens rationis" sein kann, läßt sich daher nichts, was real identisch ist, begrifflich unterscheiden. 8 ' Angesichts dieser Auffassung von den Arten der Unterscheidungen ist es für Ockham verfehlt, zwischen dem göttlichen Wesen und den göttlichen Attributen reale Identität bei begrifflicher Unterscheidung anzunehmen. Daß Ockham über all seine Vorläufer so streng urteilt, weckt die Neugierde auf seine eigene Ansicht zum Verhältnis der göttlichen Eigenschaften zum göttlichen Wesen. Heikel ist insbesondere die Frage, wie sich die Einheit und Einfachheit des göttlichen Wesens mit der Vielzahl seiner Attribute vereinbaren läßt. Die Antwort darauf ist zweigeteilt nach den beiden Arten, wie sich die Ausdrücke „Attribut" und „attributale Vollkommenheit" verstehen lassen. Versteht man nämlich den Begriff der göttlichen Vollkommenheit im eigentlichen und den des Attributs im uneigentlichen Sinn, beide also objektsprachlich bzw. als erste Intentionen, dann ist mit ihnen ein „ens reale" gemeint, das irgendwie wirklich in Gott vorhanden ist. Als „ens reale" kann es sich von Gott weder begrifflich unterscheiden noch mit ihm begrifflich identisch sein. Die attributale Vollkommenheit kann also nur entweder real von Gott unterschieden oder real mit Gott identisch sein. Mit Ausnahme der Unterscheidung zwischen den drei göttlichen Personen gibt es aber in Gott keine realen Unterscheidungen. Anders als die Akzidenzien von ihrem Subjekt unterscheiden sich die göttlichen Attribute also nicht real vom göttlichen Wesen, das im höchsten Grad einfach und ohne Zusammensetzung ist.82 Daher ist eine attributale Vollkommenheit, wenn sie für ein „ens reale" steht, mit dem göttlichen Wesen real identisch und in keiner Weise - nicht begrifflich, nicht real und auch nicht formal - unterschieden. Die Redeweise, eine solche Vollkommenheit sei „im" göttlichen Wesen, muß deshalb als ungenau erachtet

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Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 58,11-15); vgl. Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 75,4-11): „Ad quaestionem respondeo, secundum praedicta in praecedenti quaestione, quod nihil reale potest distingui nec esse idem ratione cum aliquo reali, ita quod sicut distinctio rationis et identitas rationis se habent ad entia rationis, ita differentia realis et identitas realis se habent ad entia realia, et hoc forte non excludendo distinctionem formalem et identitatem ubi debet poni. Ideo dico quod nulla res nec a se ipsa nec a quacumque alia potest distingui vel esse eadem secundum rationem". Ord., dist. 2, qu. 3 (OTh II 7 4 - 9 9 ) . Quodl. V, qu. 18 (OTh IX 551,34): „Deo non inhaeret aliqua res extra".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

werden, weil sie nicht bloß „im" göttlichen Wesen, sondern das göttliche Wesen ist.83 Infolge der Transitivität der Identitätsrelation folgt daraus, daß auch alle einzelnen attributalen Vollkommenheiten, objektsprachlich verstanden, miteinander real identisch sind. Es gibt also nur eine einzige attributale Vollkommenheit, die das göttliche Wesen ist.84 Das Problem, wie sich die Vielzahl der göttlichen Attribute mit dem göttlichen Wesen vereinbaren läßt, stellt sich unter diesen Voraussetzungen nicht, denn es gibt keine Vielzahl attributaler Vollkommenheiten, die der Einheit und Einfachheit des göttlichen Wesens widersprechen könnten, sondern nur ein einziges „Attribut". Auch beeinträchtigt kein Unterschied zwischen dem Wesen und dem Attribut die Einfachheit Gottes, weil ein solcher Unterschied nicht vorhanden ist. Versteht man den Begriff des Attributs im eigentlichen und den Begriff der attributalen Vollkommenheit im uneigentlichen Sinn, beide also metasprachlich bzw. als zweite Intentionen, stehen diese Begriffe für andere Begriffe. Dann ist mit ihnen nämlich jeder Begriff gemeint, der von Gott und den drei göttlichen Personen einzeln und gemeinsam ausgesagt werden kann. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich die Arten der Unterscheidungen zwischen dem Wesen und den Attributen sowie zwischen den Attributen untereinander angeben. Denn untereinander unterscheiden sich die Attribute, als Begriffe verstanden, wie sich ein Begriff von einem anderen unterscheidet. Die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Begriffen ist nach Ockham aber die begriffliche Unterscheidung.85 Der Grund fur diese Unterscheidung der Attribute liegt unmittelbar darin, daß die Attribute einfach verschiedene Begriffe sind.86 Doch lassen sich begriffliche Unterscheidungen stets auf Unterscheidungen „a parte rei" zurückführen. Denn verschiedene Begriffe sind entweder real verschiedenen Dingen gemeinsam oder konnotieren real (oder in Ausnahmefallen wenigstens formal) verschiedene Dinge.87 83 84

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Nach Ockham kann nichts „in" sich selbst enthalten sein; vgl. In Ph. IV, cap. 4, § 9 - 1 4 (OPh V 3 2 - 4 1 ) . Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 61,18-21): „Primo modo dico quod non sunt plures perfectiones attributales, sed tantum est ibi una perfectio indistincta re et ratione, quae proprie et de virtute sermonis non debet dici esse in Deo vel in divina essentia, sed est omnibus modis ipsa divina essentia". Quodl. III, qu. 2 (OTh IX 211,58-62). Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 68,1-15; 70,10-12): „ista distinctio attributorum, proprie loquendo et de virtute sermonis, accipitur ex parte ipsorum attributorum absolute et secundum se". Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 70,18-20): „omnia attributa vel connotant aliqua distincta realiter vel sunt communia aliquibus distinctis realiter"; vgl. Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 127,10-18).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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In der Frage, inwiefern eine reale Unterscheidung zwischen den attributalen Begriffen anzunehmen ist, scheint sich Ockhams Denken zusammen mit der Universalienfrage entwickelt zu haben. Solange er den Universalien eine „objektive" Existenzweise zuschreibt, die er von der „subjektiven" Existenzweise der realen Entitäten unterscheidet, nennt er die Attribute wie alle Namen und Begriffe nur begrifflich unterschieden. In den „Quodlibeta", wo Ockham den Universalien eine „subjektive" Existenzweise zuschreibt, wie sie die realen Entitäten besitzen, nimmt er zwischen den Attributen sowohl eine begriffliche als auch eine reale Unterscheidung an.88 Zwischen dem göttlichen Wesen und seinen Attributen läßt sich, wenn die Attribute fur Begriffe stehen, keinerlei Identität behaupten. Denn keine reale Entität ist in irgendeiner Weise mit einer begrifflichen Entität identisch.89 Wesen und Attribut unterscheiden sich also voneinander. Ihr Unterschied ist allerdings weder real, als würden sich zwei reale Entitäten voneinander unterscheiden, noch begrifflich, als würden sich zwei Begriffe voneinander unterscheiden. Das Wesen und seine Attribute unterscheiden sich vielmehr voneinander durch jenen mittleren Unterschied, mit dem sich eine reale Entität von einem Gedankending unterscheidet. Da keinerlei Identität zwischen dem göttlichen Wesen und den attributalen Begriffen besteht, kann Ockham unbesorgt einräumen, daß es eine Vielzahl solcher Begriffe gibt, ohne daß ihr Verhältnis zu dem einen und einfachen göttlichen Wesen dadurch zum Problem würde. 90

5) Die Bestreitung einer umfassenden Ordnung unter den Attributen Anders als Heinrich von Gent, der die einzelnen göttlichen Attribute einander genau zuordnet und nach dieser Ordnung weite Teile seiner „Summa quaestionum ordinarium" aufbaut, und auch anders als Johannes Duns Scotus, der eine Ordnung unter den göttlichen Attributen behauptet und skizziert, bestreitet Wilhelm von Ockham, daß sich eine Ordnung unter den einzelnen Attributen aufstellen läßt, sodaß sie sich auseinander ableiten ließen.91 Da einer sol88

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Quodl. III, qu. 2 (OTh IX 209,34-210,36); vgl. Armand Augustine Maurer: The Philosophy of William of Ockham in the Light of Its Principles. Toronto: PIMS 1999 (STPIMS 133), 201, Anm. 33. Dies gilt wenigstens für Ockhams frühe Phase. Doch auch in seiner späteren Phase, in der er den Begriffen eine „subjektive" Seinsweise zuschreibt, ist keine begriffliche Entität mit dem göttlichen Wesen identisch. Ord., dist. 2, qu. 2 (OTh II 10-22). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 119,16-18): „non est talis ordo illorum conceptuum qualis requiritur ad demonstrationem simpliciter et a priori".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

chen Ordnung die Schlüsse folgen, durch die der Theologe beweist, daß einzelne Attribute Gott zukommen, läßt sich ein Attribut, das nicht in einer solchen Ordnung enthalten ist, auch nicht beweisen. Eine Ordnung zwischen den Attributen aufzustellen, bedeutet also anzugeben, ob und wie sie bewiesen werden können; und eine solche Ordnung zu bestreiten, bedeutet, ihre Beweisbarkeit zu bestreiten. Ockham sieht wie Duns Scotus die Ableitbarkeit göttlicher Attribute als Musterbeispiel für das wissenschaftliche Vorgehen in der Theologie überhaupt an und beurteilt es daher kritischer, als Duns Scotus es tut. Duns Scotus betrachtet die göttlichen Eigenschaften nicht, wie sie in Gott eins sind, sondern so, wie sie in den Geschöpfen real voneinander unterschieden sind. Die Ordnung, die sich dann ergibt, gilt ihm auch als die Ordnung der Attribute.92 Ockham hingegen bestreitet, daß die Ordnung zwischen Eigenschaften, wie sie sich außerhalb Gottes finden, der Ordnung ihrer Begriffe entspräche, mit denen wir auch von Gott sprechen.93 Beispielsweise verhalten sich die Begriffe einer Substanz und ihrer Akzidenzien selbst nicht wie Substanz und Akzidens zueinander. Wenn es also unter den Attributen Gottes eine Ordnung gibt, ist sie begrifflicher Natur.94 Der Grund dafür, daß viele Attribute nicht beweisbar sind, besteht jedoch nicht darin, daß wir von Gott nicht vernünftig oder nur ungeordnet reden oder denken könnten. Vielmehr besteht der Grund in den strengen Anforderungen, die Ockham an die Wissenschaft und damit an die Beweise stellt, die sie begründen. Denn Ockham versteht unter Wissenschaft („scientia") die evidente Erkenntnis einer notwendigen Wahrheit, die sich mittels eines Syllogismus aus Prämissen begründen läßt.95 Als wissenschaftlich können also nur notwendige Urteile gelten und nur solche Urteile, die sich mittels eines Syllogismus aus Prämissen begründen lassen.96 Als wissenschaftlich im strengen Sinn gelten außerdem nur bezweifelbare Urteile.97 Die unbezweifelbaren „propositiones per se notae" schließt Ockham hingegen von der Wissenschaft aus,

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Scotus: Rep., Prol., qu. 1, art. 4, η. 43 (Vives XXII 29b): „Quaecumque enim ordinem realem haberent aliqua distincta realiter, similem ordinem secundum rationem habent, ubi essent distincta ratione, nisi esse reale tollatur praecise propter diminutum esse prioris". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 120,23-121,12). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 121,11-122,2; vgl. bes. 121,11-12): „non est semper consimilis ordo in rebus et in conceptibus". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 87,20-88,2): „Dico quod scientia (...) est notitia evidens veri necessarii, nata causari per praemissas applicatas ad ipsum per discursum syllogisticum". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 76,13-16): „Circa primum dico quod propositio scibilis scientia proprie dicta est propositio necessaria, dubitabilis, nata fieri evidens per propositiones necessarias evidentes, per discursum syllogisticum applicatas ad ipsam". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 81,2-82,2).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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nicht weil sie falsch oder unzuverlässig wären - das Gegenteil ist der Fall! sondern weil sie der wissenschaftlichen Erörterung nicht bedürfen.98 Daß viele Attribute unbeweisbar sind, liegt nicht daran, daß die Aussagen, durch die sie von Gott ausgesagt werden, nicht notwendig wären, oder daran, daß sie sich nicht durch Syllogismen begründen ließen, sondern es liegt daran, daß sie unbezweifelbar sind. Daß zwischen den göttlichen Attributen insgesamt keine Ordnung besteht, schließt nicht aus, daß einzelne Attribute doch beweisbar und auseinander ableitbar sind. Um darzulegen, welche diese sind, trifft Ockham verschiedene Unterscheidungen zwischen den Attributen. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen der Erkenntnis Gottes, wie er in sich ist, und der Erkenntnis Gottes, wie sie uns in unserem irdischen Leben möglich ist. Im ersten Fall erkennt der Selige Gott deutlich („distincte").99 Im zweiten Fall erkennen wir Gott in einem zusammengesetzten Begriff.100 Ockham faßt seine Ansicht zur Ordnung und Beweisbarkeit der Attribute in sechs Konklusionen zusammen. Von ihnen handeln die ersten fünf von der Beweisbarkeit der Attribute für jemanden, der Gott in sich erkennt. Die sechste und letzte Konklusion handelt von den Attributen Gottes, wie wir ihn in unserem irdischen Dasein erkennen. Ferner unterteilt Ockham das, was sich von Gott aussagen läßt, in Dinge („res") und Begriffe („conceptus").101 Diese Unterscheidung setzt Ockhams frühe Lehre voraus, wonach den Dingen der Wirklichkeit eine „subjektive" Existenzweise, den Universalien im besonderen und den Gegenständen unserer Erkenntnis im allgemeinen aber eine eigene „objektive" Seinsform zukommt. Nach Ockhams späterer Ansicht, wonach den Universalien und den „entia rationis" nur eine „subjektive" Seinsweise zukommt, können nicht die Dinge („res"), sondern ausschließlich die Begriffe ausgesagt werden. In diesem Sinn fugt Ockham eine nachträgliche Korrektur seiner früheren Position an.102 Von den fünf Konklusionen, die von den Attributen Gottes handeln, wie er in sich ist, beziehen sich die ersten beiden auf Dinge, die von Gott ausgesagt werden, die nächsten drei auf Begriffe, die von ihm ausgesagt werden. Von den beiden Konklusionen, die von Gott aussagbare Dinge betreffen, handelt die erste von Dingen, die mit dem göttlichen Wesen identisch sind, die zweite von Dingen, die mit einer der drei göttlichen Personen identisch sind.

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Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 76,21-77,20). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 112,6-7): „sie intelligens distincte Deura sub ratione deitatis". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 117,15-16): „de conceptu composito proprio D e o qualem nos habemus de facto". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 110,14-16): „Tertio, dico quod respectu praedicabilium de Deo potest subici vel res ipsa quae Deus est vel aliquis conceptus praedicabilis de re illa". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 110,19-111,4).

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Nach der ersten Konklusion läßt sich kein Ding, das Gott innerlich und mit dem göttlichen Wesen identisch ist, von Gott beweisen.103 Dafür führt Ockham Argumente an, spricht dabei aber nicht von „begründen" oder „beweisen", sondern von „überzeugen" („persuaderi").104 Dieses Überzeugungsargument lautet: Das göttliche Wesen ist real identisch mit allem, was real Gott ist. Wenn aber zwei Dinge - ungenau gesprochen, denn in Wahrheit ist es nur ein und dasselbe Ding - real identisch sind, ist es unmöglich, daß jemand beide intuitiv oder abstraktiv erkennt, an ihrer Identität aber zweifelt. 105 Eine unbezweifelbare Aussage aber bedarf keines Beweises und ist daher im strengen Sinn auch nicht beweisbar.106 Für jemanden, der Gott erkennt, wie er in sich ist, ergibt es eine aufgrund der verwendeten Termini selbstverständliche Aussage („propositio per se nota"), wenn von Gott etwas ausgesagt wird, was mit ihm real identisch ist. „Propositiones per se notae" sind aber nicht das Ergebnis, sondern die Voraussetzung allen Beweisens und daher selbst unbeweisbar. Nur in unserem irdischen Leben können wir solche Behauptungen anzweifeln.107 Außerdem kann nichts, was mit dem göttlichen Wesen real identisch ist, früher von etwas anderem als dem göttlichen Wesen ausgesagt werden. Der Beweis geht aber vom Früheren zum Späteren. Also lassen sich solche Attribute nicht beweisen.108 Ebenso läßt sich gemäß der zweiten Konklusion kein Ding, das einer göttlichen Person innerlich ist, von ihr beweisen, weil jede Person mit allem, was ihr innerlich ist, ebenso real identisch ist, wie das göttliche Wesen es mit all seinen Attributen ist.109 Auch bei diesen Notionen ergeben sich „propositiones per se notae" für den, der Gott in sich erkennt.110 Nach den beiden Konklusionen, die von Dingen handeln, die sich von Gott aussagen lassen, folgen drei Konklusionen, die sich auf Begriffe beziehen, die von Gott aussagbar sind. Von diesen drei Konklusionen betrifft die erste quidditative Begriffe; die zweite und dritte betreffen negative und andere konnotative Begriffe. Außerdem betreffen die erste und zweite Konklusion allge103 104 105 106 107 108 109 110

Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 111,6-9). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 111,10); vgl. Robert Guelluy: Philosophie et Theologie chez Guillaume d'Ockham. Louvain: Nauwelaerts; Paris: Vrin 1947 (DGMFT II 39), 158. Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 111,10-16). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 76,21-77,10). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 112,4-113,9). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 111,17-21). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 113,10-13). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 113,14-114,10).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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meine Begriffe, die sowohl Gott als auch Geschöpfen zukommen; die dritte betrifft Begriffe, die Gott eigen sind. Die Konklusion, die von allgemeinen quidditativen Begriffen handelt, die Gott und Geschöpfen gemeinsam sind, - insgesamt ist es die dritte Konklusion - behauptet, daß sich solche Begriffe von Gott nicht apriorisch („a priori") und aus ihren Gründen („demonstratione propter quid") beweisen lassen. 1 " Der Grund dafür besteht darin, daß solche Begriffe unmittelbar in Gott und das Geschöpf eingeteilt werden. Die Weisheit beispielsweise wird unmittelbar in die geschaffene und die ungeschaffene Weisheit unterteilt. Nun ist jede Aussage unmittelbar, in der von einem allgemeinen Begriff etwas ausgesagt wird, worin dieser unmittelbar unterteilt wird. Unmittelbare Aussagen lassen sich aber nicht apriorisch und aus Gründen beweisen. Daher sind Aussagen wie „Gott ist die Weisheit" unmittelbar und somit unbeweisbar.112 Ob solche Attribute, wenn sie sich schon nicht apriorisch („a priori") und aus Gründen („demonstratione propter quid") beweisen lassen, wenigstens aposteriorisch („a posteriori") und in ihrer Faktizität („demonstratione quia") beweisbar sind, läßt Ockham offen. Da er jedoch in den einleitenden Bemerkungen zu seiner Antwort auf die Problemstellung an die Unterscheidung zwischen der „demonstratio quia" und der „demonstratio propter quid" erinnert hat," 3 darf man vermuten, daß sie hier relevant ist. Wer Gott in sich erkennt, kann zwar keinen Grund angeben, weshalb Gott weise ist; doch er kann das Faktum aufzeigen, daß Gott weise ist. Nach der Konklusion über die allgemeinen quidditativen Begriffe folgt eine Konklusion - insgesamt ist es die vierte - über negative und andere konnotative Begriffe, die jedoch gleichfalls allgemein sind und sowohl Gott als auch Geschöpfen zukommen. Sofern sie bezweifelbar sind, können sie vom göttlichen Wesen bewiesen werden.114 Denn solche Begriffe werden unmittelbar nicht von Gott selbst, sondern von etwas ausgesagt, was Gott und Geschöpfen gemeinsam ist. Dieses Gemeinsame ermöglicht als Mittelbegriff einen Syllogismus, durch den sich negative und andere konnotative Begriffe von Gott 111

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Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 114,11-14): „Tertio conclusio est ista: quod conceptus communes praedicabiles in quid de D e o et creaturis non possunt de divina essentia in se demonstrari a priori, nec de conceptu proprio sibi et simplici, si talis sit possibilis"; vgl. Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 103,6—16). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 104,10-18; 114,15-21). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 109,9-11): „Ideo dico aliter ad istam quaestionem. Circa quam sciendum primo quod demonstratio quaedam est quia et quaedam propter quid". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 115,6-9): „Quarta conclusio est: quod conceptus connotativi et negativi communes Deo et creaturis possunt de divina essentia demonstrari; et hoc si aliqui tales sint de divina essentia in se cognita dubitabiles".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

beweisen lassen.115 Konnotativ und allgemein ist etwa der Begriff „gut", der sich von Gott vielleicht („forte") durch den folgenden Syllogismus beweisen läßt: Alles Seiende ist gut. Gott ist seiend. Also ist Gott gut." 6 Von den negativen und den anderen konnotativen Begriffen sind manche auch Gott eigen. Dazu zählen die Attribute der Ewigkeit, der Unendlichkeit und der Unsterblichkeit. Gemäß der fünften Konklusion können sie nicht apriorisch von Gott bewiesen werden." 7 Denn ließen sich solche Begriffe syllogistisch von Gott beweisen, bedürfte es eines Mittelbegriffs, dem das zu beweisende Attribut früher zukommt als Gott. Einen solchen Mittelbegriff kann es nicht geben, weil er entweder ein Ding oder ein Begriff sein müßte. Ein Ding kann er nicht einmal nach Ockhams früherer Theorie sein, denn kein anderes Ding als Gott ist ewig, unendlich usw. Ein Begriff kann er auch nicht sein, weil diese Attribute keinem Begriff früher zukommen als Gott.118 Der Beweis eines negativen oder eines anderen konnotativen Attributs ist auch durch seine Definition nicht möglich. Zwar besitzen diese Attribute wie alle konnotativen Begriffe eine Nominaldefinition. Für den Beweis ist es jedoch nötig, daß derjenige, der den Beweis führt, die Nominaldefinition kennt. Dann aber kann er nicht die Prämisse wissen und zugleich an der Konklusion zweifeln. Statt eines Syllogismus erhielte man nur die Wiederholung derselben Aussagen in anderen Worten." 9 Negative Begriffe sind unvollkommener als positive. Daher bestreitet Ockham die Ansicht von Duns Scotus, wonach der vollkommenste Gottesbegriff der des „unendlichen Seienden" („ens infinitum") wäre. Denn abgesehen davon, daß er zusammengesetzt und nicht einfach ist, enthält er im Teil „unendlich" eine Negation.120

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Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 115,10-15): „Hoc patet, quia omne commune praedicabile adaequate de aliquo communi potest demonstrari de quolibet contento sub illo communi per illud commune tamquam per medium. Sed tales conceptus praedicantur primo et adaequate de aliquo communi ad Deum et creaturas; ergo per illud commune tamquam per medium possunt demonstrari de quolibet contento". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 115,15-17): „Et ideo forte haec est demonstratio, et aliquo modo a priori: omne ens est bonum; Deus est ens; ergo Deus est bonus". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 116,1-5): „Quinta conclusio est: quod conceptus connotativi et negativi proprii Deo non sunt de divina essentia in se demonstrabiles a priori. Et ideo esse creativum, esse omnipotens, esse aeternum, infinitum, immortale, et sie de aliis, non sunt de divina essentia in se demonstrabiles". Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 116,6-13). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 116,14-117,13). Ord., dist. 3, qu. 3 (OTh II 422,11^24,13).

Die Lehre von den göttlichen Attributen

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Anders als mit Gott in sich verhält es sich mit unseren zusammengesetzten, aber Gott eigenen Begriffen (wie „höchstes Gut", „unbewegter Beweger", „reiner Akt" usw.). Nach der sechsten Konklusion können Attribute von ihnen bewiesen werden, sofern sie bezweifelbar sind. Dabei dienen Gott in sich, die Personen, die Notionen oder allgemeine Begriffe, die Gott und Geschöpfen gemeinsam sind, als Mittelbegriffe. 121 So ist also doch eine gewisse Ordnung der Attribute möglich, die jedoch nicht den Eigenschaften Gottes in sich entspricht. Denn in sich ist Gott völlig einfach und ohne jede Unterscheidung. Nur eine logische Ordnung der Attribute bzw. eine Ordnung hinsichtlich unseres Erkenntnisvermögens ist denkbar.122 Wie eine solche Ordnung im einzelnen aussieht, läßt sich den Schriften Ockhams nicht entnehmen.

6) Das Attribut der Allmacht Von besonderem Interesse für diese Arbeit ist unter den Attributen Gottes seine Allmacht. Im Anschluß an Duns Scotus rechnet sie Ockham zu jenen göttlichen Eigenschaften, die eine Beziehung Gottes „ad extra" ausdrücken. 123 Unter all den im vorangehenden Unterabschnitt genannten Einteilungen gehört die Allmacht zu den von Gott aussagbaren Begriffen, nicht zu den von ihm aussagbaren Dingen („res"). Unter den Begriffen zählt sie zu den konnotativen, nicht zu den absoluten Begriffen. Ferner zählt sie zu den Gott eigenen Begriffen, nicht zu denen, die Gott und Geschöpfen gemeinsam sind. Daher läßt sich auch nicht beweisen, daß Gott allmächtig ist.124 Daß Gott allmächtig ist, läßt sich nicht beweisen. Dies gilt sowohl für den Seligen, der Gott erkennt, wie er in sich ist, als auch für uns, die wir Gott nur durch einen zusammengesetzten Begriff erkennen. Für den Seligen, der Gott erkennt, wie er in sich ist, läßt sich die göttliche Allmacht nicht beweisen, weil sie von Gott unmittelbar ausgesagt wird. Daher läßt sich zwischen der Allmacht und dem göttlichen Wesen nichts denken, das als Mittelbegriff eines Syllogismus dienen kann. Das zeigt Ockham zuerst allgemein und anschließend für einen besonderen Fall auf.

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Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 117,14-24). Ord., dist. 2, qu. 1 (OTh II 34,3-6): „Ultra dico quod non est talis ordo, ita quod unum realiter sit propinquus essentiae quam aliud; unum tarnen potest nobis esse prius notum praedicari de Deo vel de pronomine demonstrante Deum quam aliud"; Ord., dist. 35, qu. 1 (OTh IV 432,5-12). Vgl. Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 104,25-105,2). Ord., Prol., qu. 2 (OTh I 116,1-5).

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Ganz allgemein gibt es keinen Mittelbegriff, durch den wir die Allmacht des göttlichen Wesens oder einer göttlichen Person beweisen können. Denn ein solcher Mittelbegriff müßte (nach Ockhams früherer Position) entweder ein Ding („res") oder ein Begriff sein.125 Doch keines von beidem ist möglich. Um ein Ding kann es sich nicht handeln, denn in Gott gibt es an Dingen nur sein Wesen, die drei Personen und die sie konstituierenden Relationen. Da aber die Allmacht dem Wesen früher zukommt als den Personen und Relationen, läßt sie sich nicht durch eine Person oder Relation vom Wesen beweisen, sondern kommt dem Wesen unmittelbar zu.126 Doch auch ein Begriff kann nicht den Mittelbegriff eines Syllogismus bilden, der die Allmacht Gottes beweist. Denn keinem Begriff kommt die Allmacht früher zu als Gott.127 In Ermangelung eines geeigneten Mittelbegriffs läßt sich daher die Allmacht des göttlichen Wesens nicht beweisen. Nicht nur ist es unmöglich, die Allmacht des göttlichen Wesens zu beweisen. Auch die Allmacht einer göttlichen Person läßt sich nicht beweisen, nicht einmal durch die Allmacht des göttlichen Wesens. Denn wer um die Allmacht des Wesens weiß, kann an der Allmacht der Personen nicht zweifeln. 128 Im besonderen läßt sich die Allmacht Gottes nicht durch seinen Willen und Intellekt beweisen. Denn in diesem Fall müßte die Allmacht zuerst dem göttlichen Intellekt oder Willen und erst durch sie dem göttlichen Wesen zukommen. In Wahrheit kommt sie aber dem göttlichen Wesen unmittelbar zu.129 Wie sich für den Seligen, der Gott erkennt, wie er in sich ist, die Allmacht nicht beweisen läßt, so läßt sie sich auch nicht für uns in unserem irdischen Leben beweisen. Der Grund dafür liegt jedoch nicht wie beim Seligen in der Unmittelbarkeit der Allmacht zu Gott und in ihrer Unbezweifelbarkeit, sondern in der Begrenztheit unseres Erkenntnisvermögens. Denn um zu beweisen, daß Gott allmächtig ist, müßte gezeigt werden, daß Gott alles, was möglich ist, allein und unmittelbar hervorbringen kann. Dies läßt sich aber mit philosophischen Mitteln nicht beweisen. Denn zu diesem Zweck müßte man entweder nachweisen, daß Gott frei und kontingent handelt und daher mehr tun kann, als er tatsächlich tut, oder man müßte unter der Annahme, daß Gott mit Notwendigkeit tut, was er „ad extra" tut, nachweisen, daß er alles allein und unmittelbar hervorbringt. Weder das eine noch das andere läßt sich aber nachweisen. Daß Gott alles allein und unmittelbar hervorbringt, läßt sich schon deshalb nicht beweisen, 125 126 127 128 129

Ord., Ord., Ord., Ord., Ord.,

Prol., Prol., Prol., Prol., Prol.,

qu. qu. qu. qu. qu.

2 2 2 2 2

(OTh (OTh (OTh (OTh (OTh

I I I I I

105,1-5). 105,5-14). 105,14-17). 105,18-21). 124,12-24).

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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weil es schlicht falsch ist und die Philosophen dies auch wissen. 130 Doch auch, daß Gott, was er tut, frei und kontingent tut, läßt sich nicht beweisen.131 Die Beweise, mit denen Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus die Freiheit des göttlichen Handelns an der Schöpfung beweisen wollten, schlagen fehl.132 Doch was für die Vernunft unbeweisbar ist, kann dennoch Gegenstand des Glaubens sein. So stellt Ockham als Theologe fest, man habe daran festzuhalten, daß Gott kontingent handelt.133 Entsprechend ist die göttliche Allmacht für Ockham ein Gegenstand des Glaubens, nicht einer philosophischen Beweisführung. Allerdings widerstreitet ein solcher Glaube der Vernunft auch nicht, sondern die Vernunft kommt ihm entgegen. Denn sie kann die Allmacht zwar nicht mit Gewißheit, wohl aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erkennen.134

II. Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes Auf den Abschnitt über die göttlichen Attribute im Denken Ockhams folgt nun ein Abschnitt über seine Ideenlehre. Diesbezüglich finden sich seine wichtigsten Texte in der fünfunddreißigsten Distinktion der „Ordinatio" im Zusammenhang mit der Frage, wie Gott die Geschöpfe erkennt. Daher konzentriere ich mich auf die dort vorgetragenen Ansichten. Weil der zentrale Text über das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Unmöglichen, die zu verstehen die folgenden Ausführungen über Ockhams Lehre von den Ideen im Geist Gottes helfen sollen, gleichfalls aus der „Ordinatio" stammt, ist die Konzentration auf Ockhams frühe Position zweckmäßig.

1) Der Sinn der Ideenlehre Ockham lehnt die vier Argumente, mit denen Heinrich von Gent die Notwendigkeit der Annahme von Ideen in Gott begründet hat, ab. Dies gilt besonders für das erste Argument, wonach Gott der Ideen bedürfe, um die Geschöpfe zu erkennen, sodaß unter der Idee ein Erkenntnismittel („ratio cognoscendi") 130 131 132 133 134

Ord., Ord., Ord., Ord., Ord.,

dist. dist. dist. dist. dist.

42, 43, 43, 43, 42,

qu. qu. qu. qu. qu.

un. (OTh IV 617,5-11). 1 (OTh IV 636,10-14). 1 (OTh IV 623-636). 1 (OTh IV 636,15-20). un. (OTh IV 620,23-621,4).

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Gottes zu verstehen wäre. Damit steht Heinrich von Gent noch weitgehend im Bann des antiken Grundsatzes, wonach der vollkommenste Intellekt nur das vollkommenste Objekt erkennen kann, also Gott nur sich selbst erkennt. Er bemüht sich daher um eine Erklärung, wie Gott, indem er direkt nur sein eigenes Wesen sieht, indirekt auch seine Geschöpfe erkennt. Für Ockham (wie auch fur Duns Scotus) ist hingegen die Allwissenheit Gottes - auch bezüglich aller individuellen Einzelheiten! - eine Vollkommenheit, die mit dem Wesen Gottes selbst gegeben ist. Daher vermißt er keine weitere Erklärung dafür, daß Gott die Schöpfung erkennt, sondern stellt lapidar fest: „Weil Gott Gott ist, erkennt Gott alles".135 Ähnlich wie Duns Scotus versteht Ockham die Ideen daher nicht, wie sie Heinrich von Gent noch verstanden hat, als Erkenntnismittel („ratio cognoscendi"). Vielmehr folgt er Duns Scotus und begreift die Ideen als Erkenntnisobjekte, also als die von Gott erkannten Geschöpfe.136 Weshalb spricht Ockham also von den Ideen im göttlichen Geist? Zunächst läßt sich dafür ein pragmatischer Grund angeben, nämlich die Autorität des Augustinus. Ockham bemüht sich, mit den Kirchenvätern, unter denen der Bischof von Hippo durch seinen weiten Einfluß im abendländischen Mittelalter hervorragt, inhaltlich oder wenigstens in der Formulierung übereinzustimmen. Augustinus aber hat in einem wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Text die platonischen Ideen im göttlichen Geist angesiedelt. Daher folgt ihm Ockham darin, wenngleich sich seine Erklärungen der Art und Weise, wie sie sich in Gott befinden, mit den Worten des Augustinus nur krampfhaft und mit seinen Gedanken gar nicht vereinbaren lassen. Der Aufbau der Sentenzenvorlesung sah einen Abschnitt über das Wissen Gottes vor. In diesem Zusammenhang war in den Jahrzehnten vor Ockham eine Erklärung über die Ideen im Geist Gottes im Anschluß an Augustinus üblich geworden. Dieser Gewohnheit Schloß sich auch Ockham an. Den sachlichen Grund dafür, Ideen in Gott anzunehmen, findet Ockham bei Augustinus, der die rhetorische Frage stellt: „Wer wagte zu sagen, Gott hätte alles unvernünftig („inrationabiliter") geschaffen?".137 Ockham setzt al135 136

137

Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 506,22-23): „Ex hoc ipso quod Deus est Deus, Deus cognoscit omnia". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 490,21^191,2): „Circa tertium dico quod ideae non sunt ponendae ut sint rationes cognoscendi ipsas creaturas ab eis differentes, quia praeter ipsam divinam essentiam - quae est omnibus modis ipsa cognitio - non sunt aliqua quae possunt esse ratio cognoscendi creaturas, et ideo non sunt plures rationes cognoscendi creaturas"; Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 483,16-484,15; 507,2-3). Augustinus: De diversis quaestionibus, qu. 46, 2 (ed. Mutzenbecher, 72,49-50): „quis audeat dicere deum inrationabiliter omnia condidisse?"

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so (mit Augustinus) voraus, daß Gott auf vernünftige Weise („rationabiliter") schafft und wirkt. Vernünftiges Schaffen und Wirken verlangt aber zweierlei, nämlich erstens die Fähigkeit zu wirken bzw. zu schaffen und zweitens ein (gegebenenfalls nur gedankliches) Vorbild („exemplar"), an dem sich Gott orientieren kann. Die Fähigkeit Gottes zu wirken bzw. zu schaffen setzt Ockham in diesem Zusammenhang als selbstverständlich voraus. Die Vorbilder, an denen sich Gott beim Schöpfungsakt orientiert, sind die Ideen. Daher nimmt Ockham Ideen im göttlichen Geist an, um zu erklären, wie Gott vernünftig wirkt und schafft. 138

2) Beschreibung der Ideen Indem Ockham den Ideen in Gott die Rolle von Vorbildern zuweist, die Gottes Wirken als rational ausweisen sollen, bewegt er sich noch weitgehend in augustinischen Gedanken und Ausdrücken. In seinen Überlegungen, was unter Ideen zu verstehen sei, damit diese ihre Aufgabe erfüllen können, bringt er wichtige Beiträge aus seinem eigenen Denken, die sich nicht auf Vorbilder in der Tradition zurückführen lassen. Dazu zählt die Unterscheidung zwischen absoluten und konnotativen bzw. relativen Begriffen. „Idee" ist nach Ockham kein absoluter Begriff, der alles, was er bezeichnet, auf gleiche Weise bezeichnet, sondern ein konnotativer Begriff, der etwas an erster Stelle bezeichnet und etwas konnotiert. Innerhalb der Gruppe der konnotativen Begriffe zählt „Idee" zu den relativen Begriffen.139 Diese bezeichnen etwas an erster Stelle und an zweiter Stelle etwas anderes (jedoch nicht das Abstraktum des primären Signifikats) - oder dasselbe auf andere Weise. 140

138

Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 492,13-493,2): „Ideo dico quod ideae sunt ponendae praecise ut sint exemplaria quaedam ad quae intellectus divinus aspiciens producat creaturas. Cuius ratio est quia, secundum beatum Augustinum ubi supra, propter hoc praecise ponendae sunt ideae in Deo, quia Deus est rationabiliter operans. Unde dicit beatus Augustinus: ,Quis audeat dicere Deum omnia irrationabiliter condidisse?', quasi dicat nullus. Sed ad rationabiliter operandum non requiritur nisi virtus productive et operativa et exemplar ad quod aspiciat in operando, et ideae non sunt ipsa virtus productiva vel creativa producentis. Igitur sunt ipsa exemlaria, et ita ut sint exemplaria sunt ponendae".

139

Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 485,18-486,1): „Circa primum sciendum quod idea non habet quid rei quia est nomen connotativum, vel relativum secundum alium modum loquendi. Nam omnis idea necessario est alicuius idealis vel ideati idea. Et ideo non praecise significat aliquid unum, sed significat unum et connotat aliquid aliud vel illud idem quod significat". S. L. I, cap. 10 (OPh I 37,59-61): „Huiusmodi etiam nomina sunt omnia nomina relative, quia semper in sua deftnitione ponuntur diversa idem diversis modis, vel distincta, significantia".

140

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Dem relativen Begriff kann immer der entsprechende korrelative Begriff in einem anderen Fall als dem Nominativ hinzugefügt werden. So ist zum Beispiel „ähnlich" ein relativer Begriff, weil man stets sagen kann, das Ähnliche sei dem Ähnlichen ähnlich. Ebenso ist „Vater" ein relativer Begriff, weil man immer sagen kann, der Vater sei Vater seines Kindes. Auch „Idee" ist ein solcher relativer Begriff. Jede Idee ist eine Idee von etwas, und das, wovon eine Idee Idee ist, (das Ideat) wird durch den Begriff der Idee konnotiert. Zugleich steht der Begriff „Idee" auch für etwas an erster Stelle: Jede Idee ist etwas, und das, was eine Idee ist, bezeichnet sie an erster Stelle. Da es sich um einen relativen Begriff handelt, gibt es von der „Idee" keine Realdefinition, sondern nur eine Nominaldefinition. Ockham gibt allerdings zunächst keine Definition im strengen Sinn, sondern nur ein Beschreibung. Diese unterscheidet sich von der Definition dadurch, daß sie nicht nur die wesensnotwendigen Elemente enthält, sondern darüber hinaus auch akzidentelle Bestimmungen.141 In seiner Beschreibung der Idee lehnt sich Ockham wieder stark an die ihm vorliegende Tradition an. Im Anschluß an Augustinus beschreibt Ockham die Idee als etwas, das von einem verständigen und wirkmächtigen Prinzip erkannt ist, einem Prinzip, das etwas im realen Sein hervorbringen kann, indem es auf diese Idee blickt.142 Diese Beschreibung ergänzt Ockham in Anlehnung an Seneca. Dabei steht Seneca im gleichen Rang wie Augustinus, nicht etwa als philosophische unter der theologischen Autorität. Denn in Unkenntnis der historischen Verhältnisse zählt Ockham Seneca zu den Heiligen.143 Dazu kam es, weil insbesondere in der Ethik das Christentum viel vom stoischen Gedankengut Senecas übernommen hatte, weil ein gefälschter Briefwechsel zwischen Seneca und dem Apo141

142

143

S. L. I, cap. 28 (OPh I 90,2-8): „Descriptio autem definitio est mixta ex substantialibus et accidentalibus. Verbi gratia ,homo est animal rationale, erecte ambulativum, latas habens ungues', secundum Damascenum, ubi prius. Ex quo patet quod aliquis sermo praecise componitur ex praedicabilibus per se primo modo, et ille est definitio; aliquis ex illis quae non praedicantur per se primo modo, et ille aliquando est descriptio; aliquis componitur ex utriusque, et ille est descriptiva definitio". Es ist daher nicht ganz richtig, wenn Armand Maurer, Volker Leppin und Joel Biard die folgende Beschreibung als Definition ausgeben; vgl. Armand Augustine Maurer: The Role of Divine Ideas in the Theology of William of Ockham. In: Ders.: Being and Knowing. Studies in Thomas Aquinas and Later Medieval Philosophers. Toronto: PIMS 1990 (Papers in Medieval Studies 10), 363-381, 371; Maurer: Philosophy, 216; Leppin: Wahrheit, 115, Anm. 30; Biard: Guillaume, 74. Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 486,1-4): „Et propter hoc habet tantum quid nominis et potest sic describi: idea est aliquid cognitum a principio effectivo intellectuali ad quod ipsum activum aspiciens potest aliquid in esse reali producere". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 501,15-16): „Et sic extensive loquitur Seneca de causa, et similiter alii Sancti".

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stel Paulus dessen Interesse am christlichen Glauben zu belegen schien, was auch durch die Autorität des Kirchenvaters Hieronymus (347/8^19/20 n. Chr.) bestätigt wurde, und weil Seneca als Opfer des Kaisers Nero in die Nähe der ersten christlichen Märtyrer gerückt wurde.144 Unter Berufung auf ein Seneca-Zitat beschreibt Ockham die Ideen, indem er den Begriff des Vorbildes („exemplar") einfuhrt. Seneca schrieb den platonischen Ideen eine Exemplarursächlichkeit zu, die er als fünfte neben die vier aristotelischen Arten der Ursächlichkeit stellte.145 Ockham bezieht sich auf diese Stelle, wenn er die Ideen als erkannte Vorbilder beschreibt, im Blick auf die der Erkennende etwas im realen Sein hervorbringen könne.146 Nachdem er zunächst nur eine Beschreibung des Begriffes der Idee gegeben hat, fugt Ockham die eigentliche Definition an. Als Konnotativbegriff bezeichnet „Idee" etwas an erster Stelle und etwas an zweiter Stelle. An erster Stelle bezeichnet der Begriff „Idee" ein Geschöpf. Daneben konnotiert er erstens dasselbe Geschöpf und zweitens die göttliche Erkenntnis bzw. das Erkennende (so Ockhams distanzierte Formulierung - statt: den Erkennenden).147 Etwas vereinfacht bedeutet dies: Die Ideen sind Geschöpfe, sie sind Ideen von Geschöpfen, und sie sind (wenngleich in einem anderen Sinn) Ideen der göttlichen Erkenntnis. In gewisser Hinsicht sind die Ideen das Gegenstück jenen Attributen, deren Begriff etwas Außergöttliches konnotiert. Während die Ideen an erster Stelle für die Geschöpfe stehen und Gott konnotieren, stehen die Attribute an erster Stelle für Gott und konnotieren die Geschöpfe. Insgesamt bezeichnen also sowohl die Ideen als auch die Attribute Gott und die Geschöpfe zusammen. Sie unterscheiden sich jedoch durch das voneinander, wofür sie an erster Stelle stehen, d. h. supponieren können. Weil die Attribute an erster Stelle für Gott stehen, sind Aussagen wie „Der göttliche Wille ist mit dem göttlichen Intellekt identisch" oder „Gott ist fähig zu erschaffen" möglich. Weil die Ideen an erster Stelle für die Geschöpfe stehen, kann Ockham behaupten, die Ideen

144 145 146

147

Vgl. Matthias Laarmann: Seneca II. In: LMA 7 (1995) 1751. Seneca: Epistulae morales 65, 4 - 7 (ed. Rosenbach). Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 486,19-487,3): „Item, ista descriptio patet per Senecam, Epistola 66 [sie!], ubi enumeratis quattuor causis positis ab Aristotele, dicit sic: ,His quintum Plato adicit exemplar quam ideam vocat; hoc enim est ad quod aspiciens artifex illud quod destinavit efficit. Nihil autem ad rem pertinet utrum foris habeat exemplar ad quod referat oculus, an intus quod ipse concipit'. Ex ista auetoritate patet quod ideae sunt quaedam exemplaria cognita, et quod ad illas respiciendo potest cognoscens aliquid producere in esse reali". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 0 , 1 5 - 1 7 ) : „Unde idea importat ipsammet creaturam in recto et etiam ipsammet in obliquo, et praeter hoc importat ipsam divinam cognitionem vel cognoscens in obliquo".

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seien die Geschöpfe selbst, und bestreiten, daß sie in irgendeiner Hinsicht mit Gott identisch sind. Außerdem unterscheiden sich Attribute, die Außergöttliches konnotieren, und göttliche Ideen, weil Gott in ihren Definitionen verschieden genannt wird. Denn während die Attribute für das göttliche Wesen stehen, konnotieren die Ideen den göttlichen Intellekt. Die Bestimmung dessen, was der Begriff „Idee" bedeutet, mag zunächst verwirrend klingen. Verhältnismäßig einfach zu erklären ist noch, weshalb Ockham als zweites Konnotat den Akt des göttlichen Erkennens („cognitio") und das Erkennende (also Gott) unentschieden nebeneinander stellt. Für Ockham macht es nämlich keinen großen Unterschied, ob man die eine oder die andere Formulierung wählt. Denn das Erkennen als Akt läßt sich selbst nur durch einen konnotativen Begriff beschreiben, der sich (jedenfalls nach Ockhams Behauptung) durch absolute Begriffe ersetzen und dadurch letztlich auf die erkennende Substanz und ihre absoluten Qualitäten zurückführen läßt.148 Daher kann Ockham die Frage offen lassen, ob das Erkennende oder der Akt der Erkenntnis das zweite Konnotat ist, denn welche Formulierung auch immer jemand wählt, er drückt stets denselben Begriffsinhalt aus. Größere Verständnisschwierigkeiten enthalten das erste Konnotat des Begriffs der Idee und das, was er an erster Stelle bezeichnet. Daß er an erster Stelle ein Geschöpf bezeichnen soll, besagt, daß der Begriff „Idee" in einer Aussage personal für das Geschöpf supponieren kann, daß also das Geschöpf die Idee ist.149 Mit dieser Rede, wonach die Ideen der Geschöpfe die Geschöpfe selbst sind, drückt sich Ockham etwas mißverständlich aus. Er läßt es nämlich offen, ob es Ideen nur von dem gibt, was tatsächlich geschaffen ist, geschaffen wurde oder geschaffen werden wird (dem „ideatum"), oder ob es Ideen darüber hinaus auch von allem gibt, was geschaffen werden kann (dem „ideale"). Diese Alternative, die noch bei Scotus als Frage über das göttliche Wesen und die letzten Gründe der Wirklichkeit betrachtet wurde, behandelt er als rein sprachliche Entscheidung, ob man ein bloß mögliches, aber niemals real existierendes Geschöpf als Idee bezeichnen wolle. Da die Verwendung der Wörter für Ockham im Prinzip im Belieben der Sprechenden steht, der Gläubige sich jedoch zugleich in der Formulierung theologischer Sachverhalte (und philosophischer Sachverhalte, sofern diese von religiösen Vorgaben berührt sind) dem Sprachgebrauch der theologischen Autoritäten anzugleichen hat, nennt Ockham wie diese auch das bloß mögliche Geschöpf „Idee". Nicht nur

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In Pr., cap. 16, § 2 (OPh II 298,13-299,34); Quodl. VII, qu. 3 (OTh IX 7 0 9 - 7 1 3 ) . Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 490,17-18): „Et ideo de ipsamet creatura est praedicabilis ut ipsa sit idea".

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Gottes

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von den wirklichen Geschöpfen gibt es also Ideen, sondern von allen möglichen Geschöpfen. 150 Wenn Ockham von möglichen Geschöpfen spricht, meint er nicht (wie Duns Scotus) die innere Möglichkeit der Geschöpfe, also ihre Widerspruchsfreiheit, wenngleich diese natürlich stets vorausgesetzt ist. Stattdessen bezieht er sich auf die äußere Möglichkeit, die besagt, daß jemand die Fähigkeit besitzt, die Geschöpfe hervorzubringen. Das geht daraus hervor, daß Ockham, wenn er von den möglichen Geschöpfen spricht, nicht den Ausdruck „possibile" („möglich") gebraucht, der sowohl die innere als auch die äußere Möglichkeit ausdrücken kann. Sondern er gebraucht die Wörter „producibile" („hervorbringbar") und „factibile" („machbar")151 und setzt damit voraus, daß es jemanden gibt, der das mögliche Geschöpf hervorbringen kann.

150

Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 500,18-501,2): „Verumtamen hie posset esse una difficultas vocalis utrum scilicet idea dicatur respectu ideati vel respectu idealis, hoc est, utrum praecise debeat vocari idea quando Deus secundum earn aliquid producit actualiter, an etiam sive producat sive non producat secundum earn, dum tarnen possit secundum earn producere. Et quantum ad hoc potest dici quod magis est de usu Sanctorum vocare ideam, etiam quamvis Deus non producat secundum earn actualiter. Et ideo ab aeterno res fuerunt ideae, sed non ab aeterno fuerunt actualiter existentes". Ebenso mißverständlich wie Ockham selbst formuliert Klaus Bannach, wenn er Ockham die Ansicht zuschreibt, „daß es in Gott genau so viele Ideen gibt, wie es Geschaffenes gibt" (Klaus Bannach: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung. Wiesbaden: Steiner 1975 (VIEG 75), 234). Ähnlich Peter Schulthess: Sein, Signifikation und Erkenntnis bei Wilhelm von Ockham. Berlin: Akademie 1992, 30: „In obliquo signifiziert sie [seil, die Idee] auch die creatura, aber insofern sie geschaffen ist" - statt: insofern sie geschaffen werden kann. Es ist also zu betonen: „Von allem, was geschaffen werden kann, gibt es jeweils verschiedene Ideen" (Bannach: Lehre, 237; Hervorhebung H. Sch.); „es gibt in Gott Ideen, die niemals in die Wirklichkeit übergehen" (Bannach: Lehre, 239).

151

Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 488,18-20; 489,15-16; 505,9-10); Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 493,7): „ipsae ideae sunt ipsaemet res a Deo producibiles"; Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 493,8-9): „omnium rerum factibilium sunt distinetae ideae". Es ist daher mißverständlich zu behaupten, der Begriff „Idee" bezeichne direkt das Geschöpf und indirekt seine „Hervorbringbarkeit" (englisch „producibility") durch Gott (vgl. Harry R. Klocker: Ockham and the Divine Ideas. In: MSM 57 (1979/80) 348-360, 358; Harry R. Klocker: Ockham and the Divine Freedom. In: FrS 45 (1985) 245-261, 254) bzw. er bezeichne an erster Stelle das Geschöpf selbst und an zweiter Stelle das Geschöpf als hervorbringbar (vgl. Andre Goddu: William of Ockham. In: The History of Franciscan Theology. Hrsg. v. Kenan Β. Osborne. St. Bonaventura, New York: The Franciscan Institute 1994, 231-310, 262). Weil nach Ockham auch die nur hervorbringbaren Geschöpfe Ideen sind (vgl. Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 493,7)), steht vielmehr der Begriff „Idee" an erster Stelle fur das hervorbringbare Geschöpf (und konnotiert dasselbe hervorbringbare Geschöpf zugleich). Der umgekehrte Fehler unterläuft Maurer: Role, 373 - ob die erweiterte Formulierung in Maurer: Philosophy, 218 diesem Mangel abhelfen soll, ist mir nicht klar - und Cyrille Michon: Nominalisme. La theorie de la signification d'Occam. Paris: Vrin 1994 (Sic et Non), 480. Sie meinen, der Begriff der Idee bezeichne an erster Stelle das hervorbringbare Geschöpf und konnotiere das hervorgebrachte Geschöpf. Da es von allem Machbaren Ideen gibt (vgl. Ord., dist. 35, qu. 5

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Weil die Ideen auf ihre mögliche Verwirklichung hin angelegt und somit machbar („factibile") sind, sind sie auch praktisch.152 Im Vergleich zu Heinrich von Gent und Duns Scotus, für die Ideen zunächst spekulativ sind und praktisch erst dann, wenn Gott erwägt, nach ihnen zu erschaffen,153 schwächt Ockham ihren spekulativen Charakter ab und ordnet sie insgesamt auf das Wirken Gottes hin. Daher ist seine Vorstellung von den Ideen genauer durch den Ausdruck „factibile" getroffen als durch (im großen und ganzen) umfanggleiche Begriffe wie „denkbar" oder „widerspruchsfrei". Deijenige, der das Geschöpf hervorbringen und ins Sein rufen kann, ist natürlich Gott; und die Fähigkeit, alle machbaren Geschöpfe zu erschaffen, ist in seiner Allmacht enthalten. Daher besteht bei Ockham ein Zusammenhang zwischen dem Glauben an die göttliche Allmacht und der Lehre von den ewigen Ideen im Geist Gottes. Indem Gott alle möglichen Geschöpfe erschaffen kann, sind sie machbar bzw. hervorbringbar, und daher gibt es von jedem von ihnen auch eine Idee im göttlichen Geist. Da dies in Ockhams Beschreibung der Ideen nur stillschweigend vorausgesetzt, aber nicht ausdrücklich erwähnt wird, kann man sie in seinem Sinn verdeutlichen und den Allmächtigen als zusätzliches Konnotat einfuhren.154 Daher setzen die Ideen im Geist Gottes die göttliche Allmacht voraus. Aber weder stellt Ockham damit die Rationalität der Schöpfung in Frage, als ginge die Erkenntnis der möglichen Geschöpfe nicht ihrer Erschaffung im realen Sein voraus, sondern die Erschaffung der Geschöpfe ihrer Erkenntnis

152

153

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(OTh IV 493,8-9)), konnotiert der Begriff „Idee" das machbare Geschöpf (und bezeichnet es zugleich an erster Stelle). Ord., dist. 35, qu. 6 (OTh IV 513,4-9): „Verumtamen, secundum istum modum loquendi quo dico quod ideae in mente artificis creati sunt practicae, quia scilicet notitia agendorum per illas ideas est practica, ita potest dici quod ideae in mente divina sunt practicae quia notitia agendorum per illas ideas est practica". Heinrich von Gent: Quodl. V, qu. 4 (ed. Badius, fol. 158n); Heinrich von Gent: Summa, art. 36, qu. 3 (ed. Badius, fol. 235v); Heinrich von Gent: Quodl. VIII, qu. 1 (ed. Badius, fol. 300d): „Sed sciendum est quod secundum rationes ideales deus alia a se intelligit dupliciter. Uno modo secundum quod sunt essentiae vel existentiae quaedam in se. Alio modo secundum quod sunt quaedam operabilia a deo. Primo modo cognoscit illa notitia pure speculativa, et ideae ut sunt rationes cognitionis illorum hoc modo sunt ideae pure speculativae. (...) Secundo autem modo secundum aliquos cognoscit illa scientia practica et per ideas practices"; Scotus: Ord. I, dist. 38, qu. un. (Vat. VI 303-308). Dies tut Andre de Muralt: La metaphysique occamienne de l'idee. In: Ders.: l'enjeu de la Philosophie Medievale. Etudes thomistes, scotistes, occamiennes et gregoriennes. Leiden-New YorkKobenhaven-Köln: Brill 1991 (STGMA 24), 168-255, 255. In seiner Zusammenfassung der Bedeutung des Ockhamschen Ausdrucks „Idee" verzichtet Andre de Muralt allerdings darauf, die göttliche Erkenntnis ausdrücklich zu nennen, und erweckt dadurch den falschen Eindruck, in der Ideenlehre ließe sich die Allwissenheit Gottes durch seine Allmacht ersetzen. Doch in der Allmacht allein ist die Allwissenheit, d. h. die tatsächliche (und nicht bloß mögliche) Erkenntnis aller möglichen Geschöpfe, nicht vollständig enthalten - gegen Muralt: Idee, 240.

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durch Gott,155 noch vertritt er damit einen Voluntarismus, als bestimmte der göttliche Wille, wovon es Ideen gäbe, statt daß der göttliche Verstand dem Willen die Ideen aller möglichen Geschöpfe vorlegte, damit dieser unter ihnen einige zur Verwirklichung auswähle.156 Vielmehr ist Gott seinem Wesen nach allmächtig. Indem er die möglichen Geschöpfe hervorbringen kann (wenigstens durch seine „potentia absoluta"), sind diese hervorbringbar bzw. machbar. Daher erkennt sie der göttliche Verstand, sodaß es von ihnen Ideen im Geist Gottes gibt. Unter diesen Ideen wählt der göttliche Wille jene aus, die im realen Sein erschaffen werden sollen. Diese werden zur bestimmten Zeit auch tatsächlich erschaffen, und zwar durch die Allmacht Gottes, aber nur, insofern sie zur „potentia ordinata" beschränkt ist. Auffällig an Ockhams Nominaldefinition des konnotativen Begriffs „Idee" ist ferner, daß darin zweimal vom Geschöpf die Rede ist. Auf den ersten Blick würde man doch meinen, wenn das Geschöpf in dieser Definition genannt werden muß, dann sollte es doch ausreichen, es nur einmal anzuführen. Auch in der Sekundärliteratur wird die zweite Nennung des Geschöpfes gelegentlich wie eine überflüssige Wiederholung gestrichen.157 Für Ockham ist es jedoch durchaus denkbar, daß die Nominaldefinition eines konnotativen bzw. relativen Begriffs zweimal dasselbe enthält, einmal als das, was an erster Stelle bezeichnet wird, und einmal als etwas, das konnotiert wird. Ockham sagt, „Idee" sei ein konnotativer bzw. relativer Begriff, und rekapituliert dann kurz, was dies bedeutet: „Deshalb bezeichnet [der Begriff „Idee"] nicht genau etwas Einziges, sondern er bezeichnet das eine und konnotiert etwas anderes oder dasselbe, was er bezeichnet". 158

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So Muralt: Idee, 241. Muralt beruft sich auf Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 504,3): „illas [seil, ideas] aspicit [seil. Deus] in producendo". Der Satz besagt jedoch nicht, daß Gott die Ideen erkennt, insofern er sie verwirklicht. Vielmehr erkennt Gott zuerst, was er später erschafft, und hat auch noch bei der Schöpfung vor Augen, was er zuerst erkannt hat: Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 504,2-3): „Deus ipsasmet creaturas praecognoscit, quas postea producit, et illas aspicit in producendo". Gott erkennt freilich auch mögliche Geschöpfe, die er niemals erschaffen wird, aber erschaffen kann; doch darum geht es an dieser Stelle nicht; vgl. die Formulierung des Einwandes, auf den der soeben zitierte Text die Antwort ist: Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 6 , 3 - 5 ) - Er spricht von der „res producta", nicht von der „res producibilis".

156 157

So Muralt: Idee, 242. Frederick Copleston: A History of Philosophy. Volume III: Ockham to Suärez. London: B u m e s and Oates 1960 (The Bellarmin Series XIV), 89: "In the first place, the term 'idea' is a connotative term. It denotes directly the creature itself; but it connotes indirectly the divine knowledge or knower".

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Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 485,21-486,1): „Et ideo non praecise significat [scil. idea] aliquid unum, sed significat unum et connotat aliquid aliud νel illud idem quod significat' [Hervorhebung Η. Sch.]. Falsch ist also die Behauptung, als Konnotativbegriff bezeichne die

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Diese zweimalige Nennung desselben in einer einzigen Nominaldefinition ist keineswegs so überflüssig, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Denn wenngleich in der Definition eines relativen Begriffs zweimal dasselbe genannt werden kann, so wird dabei doch nicht zweimal dasselbe auf dieselbe Weise bezeichnet, sondern vielmehr zweimal dasselbe auf jeweils verschiedene Weise.159 Wenn also in der Umschreibung des relativen Begriffs „Idee" das Geschöpf zweimal genannt wird, so wird es doch nicht zweimal auf dieselbe Weise genannt. Der Unterschied zwischen den beiden Weisen, in denen das (hervorbringbare bzw. machbare) Geschöpf genannt wird, besteht in Folgendem: An erster Stelle bezeichnet der Begriff der Idee das Geschöpf im objektiven Sein („esse obiective"), während das erste Konnotat desselben Begriffes sich auf das Geschöpf im subjektiven Sein („esse subiective") bezieht. Dabei sind die Ausdrücke „subjektiv" und „objektiv" nicht so zu verstehen, wie sie heute zumeist verstanden werden, sondern wie sie von Ockham gemeint wurden. Subjektiv existiert eine Entität demnach, wenn sie als Subjekt in der realen Wirklichkeit existiert. Objektiv existiert eine Entität hingegen, wenn sie als Objekt des Denkens (und deshalb im Denken und nicht notwendigerweise auch in der realen Wirklichkeit) existiert. Daher bezeichnet die Idee an erster Stelle das mögliche Geschöpf, das von Gott erkannt wird und infolgedessen „objektiv" (also als Denkgegenstand) existiert.160 Derselbe Begriff konnotiert das mögliche Geschöpf, insofern es „subjektiv", also als Subjekt in der realen Wirklichkeit, existiert oder wenigstens existieren kann.161 Mit dieser Unterscheidung zwischen der objektiven und der subjektiven Seinsweise der Geschöpfe versucht Ockham, verschiedene Probleme der Ideenlehre zu lösen. Das Problem, wie die Vielzahl der Ideen mit dem einen und einfachen göttlichen Wesen vereinbar sein soll, in dem sie sich befinden,

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Idee etwas an erster Stelle und konnotiere etwas anderes (so Bannach: Lehre, 229) [Hervorhebung H. Sch.]. S. L. I, cap. 10 (OPh I 37,59-61): „Huiusmodi etiam nomina sunt omnia nomina relativa, quia semper in sua definitione ponuntur diversa idem diversis modis, vel distincta, significantia". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 488,6; 493,5-7); Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 497,15-17): „Ad primum istorum dico quod ideae non sunt in Deo realiter et subiective sed tantum obiective, sicut omnes creaturae ab aeterno fuerunt in Deo quia ab aeterno fuerunt cognitae a Deo". Andri de Muralt meint umgekehrt, der Begriff „Idee" stehe an erster Stelle für das Geschöpf und konnotiere es, insofern es erkannt sei (vgl. Muralt: Idee, 200). Es sei zugestanden, daß sich Ockham in diesem Punkt gelegentlich dunkel ausdrückt, weil es nämlich dasselbe Geschöpf ist, das erkannt wird und „subjektiv" existiert oder existieren kann. Aber das von Ockham und Muralt häufig gebrauchte „in recto" bedeutet „im Nominativ", und die Bestimmung „cognitum" steht in Ockhams Ausführungen im Nominativ und in keinem anderen Fall (vgl. etwa Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 486,2)).

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

All

ist für Ockham nicht weiter schwierig, denn die Ideen befinden sich nur objektiv, nicht subjektiv im Geist Gottes. Daß aber der eine und einfache Geist Gottes zahllose verschiedene mögliche Geschöpfe erkennt, beeinträchtigt seine Einheit und Einfachheit nicht.162 Ebenso erklärt Ockham mit der „objektiven" Seinsweise der Ideen, wie Augustinus die Ideen „ewig", „unveränderlich" und „wahr" nennen konnte.163 Ewig und unveränderlich sind die Ideen nämlich keineswegs, weil die Geschöpfe ewig und ohne Veränderung existierten, sondern nur im uneigentlichen Sinn, daß Gott sie schon von Ewigkeit her erkennt und diese Erkenntnis sich nicht ändert.164 Ebenso sind die Ideen nicht im eigentlichen Sinn wahr, sondern sie werden nur wahrhaft von Gott begriffen. 165 Notwendig sind die Ideen schließlich nicht deshalb, weil die Geschöpfe notwendig existierten, sondern weil sie, ob sie nun tatsächlich existieren oder nicht, notwendig von Gott erkannt sind.166 Schließlich erklärt Ockham mit der Unterscheidung zwischen der „objektiven" und der „subjektiven" Seinsweise, weshalb die Ideen, obwohl sie die Geschöpfe sind, zugleich deren Vorbilder und Ursachen sein können. Denn ein wirklich existierendes Haus kann nicht Vorbild seiner selbst sein, sondern höchstens Vorbild für ein anderes Haus - und auch das nur, wenn ein Baumeister es wahrgenommen hat. Aber ein Haus, das „objektiv" im Geist eines Architekten existiert, kann verwirklicht werden, wobei das „objektiv" existierende Haus Vorbild für das „subjektiv" existierende Haus ist. Ebenso sind die „objektiv" im Geist Gottes existierenden Geschöpfe als Ideen Vorbilder für

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Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 488,4-6): „aut ideae sunt in mente divina subiective aut objective. Non subiective, quia tunc essent ibi plura subjective, quod est manifeste falsum. Igitur sunt ibi tantum obiective".

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Augustinus: De diversis quaestionibus, qu. 46 (ed. Mutzenbecher, 71,26-30): „Sunt namque ideae principales quaedam formae vel rationes rerum stabiles atque incommutabiles, quae ipsae formatae non sunt ac per hoc aetemae ac semper eodem modo sese habentes, quae divina intelligentia continentur"; Augustinus: De diversis quaestionibus, qu. 46 (ed. Mutzenbecher, 73, 6 1 - 6 2 ) : „non solum sunt ideae, sed ipsae verae sunt, quia aeternae sunt et eiusdem modi atque incommutabiles manent".

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Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 498,3-13); Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 504,10-12): „Veramtamen, secundum usum Sanctorum, conceditur quod ideae sunt ab aeterno, hoc est, sunt aeternaliter intellectae a Deo". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 499,9-500,4): „Et si dicatur quod in eadem auctoritate dicitur quod ,verae sunt quia aetemae sunt' ( . . . ) dico quod improprie accipit Augustinus quando dicit quod ,verae sunt', scilicet pro illis quae vere intelliguntur. ( . . . ) Sic dico in proposito quod quando Augustinus dicit quod ideae vere sunt, debet intelligi sie: vere sunt intellectae a D e o ab aeterno, qui ab aeterno vere est".

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Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 500,14-17): „Et necessario sunt ideae, non tarnen necessario sunt existentes actualiter, sed contingenter. Unde necessario sunt intellectae a D e o et ita necessario sunt ideae; non tarnen necessario sunt existentes in rerum natura".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

die „subjektiv" in der Wirklichkeit existierenden Geschöpfe. 167 Die Exemplarursächlichkeit der Ideen unterscheidet sich daher von den vier eigentlichen (nämlich den aristotelischen) Arten der Ursächlichkeit dadurch, daß in ihr ein Geschöpf sich in gewisser Weise selbst verursachen kann, insofern es erkannt werden und „objektiv" existieren muß, bevor es erschaffen werden und „subjektiv" existieren kann.168 Ideen sind fur Ockham die Geschöpfe, insofern sie gedacht sind, und existieren daher „objektiv". Die Rede von einer „objektiven" Seinsweise läßt die Frage nach dem ontologischen Status der Ideen aufkommen. Wenn das „objektive" Sein eine eigenständige Seinsform darstellt, ist das erkannte, aber noch nicht erschaffene Geschöpf als Idee im göttlichen Geist ein Seiendes. Wenn sich das „objektive" Sein auf nichts weiter als den göttlichen Erkenntnisakt zurückführen läßt, kommt dem erkannten, aber noch nicht erschaffenen Geschöpf noch kein Sein zu, sondern es ist „nichts". In der 35. Distinktion seiner „Ordinatio" spricht Ockham diese Frage noch nicht an. In der folgenden 36. Distinktion räumt er ein, daß die Geschöpfe, solange sie nur erkannt, aber nicht erschaffen sind, „nichts" sind.169 Ähnliche Formulierungen kehren auch in den späteren Werken wieder. 170 „Nichts" kann aber nach Ockham auf dreifache Weise verstanden werden. Erstens als universaler negativer synkategorematischer Ausdruck, der sein Bezugswort schon enthält. Demnach heißt „nichts" im Satzzusammenhang „kein 167

Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 503,16-504,6): „Ad secundum patet prius quod aliquid potest esse exemplar sui ipsius. Unde sicut una domus extra cognita potest esse exemplar alterius domus fiendae, quia est illud ad quod artifex aspicit ut consimilem domum producat, ita si artifex ipsam domum cognosceret in particulari, ita quod nihil aliud concurreret quod esset simile domui fiendae, posset ipsam domum fiendam in particulari cognoscendo ita perfecte vel perfectius cognoscere, sicut si cognosceret unam aliam domum, et per consequens ipsamet domus praecognita esset exemplar sui ipsius. Et sie est de Deo, quia Deus ipsasmet res praecognoscit, quas postea producit, et illas aspicit in producendo. Et quia illas aspicit in producendo, ideo dicitur rationaliter operans quia perfecte seit, non tantum in universali sed etiam in particulari et distinetissime, quid operatur".

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Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 501,10-22): „Ad istud dico quod proprie loquendo, nihil est causa nisi sit causa aliquo quattuor modorum positorum ab Aristotele. Et ideo idea vel exemplar non est proprie causa. Extendendo tarnen nomen .causae' ad omne illud cuius cognitio praesupponitur cognitioni alieuius, sic potest idea vel exemplar esse causa. Et sic extensive loquitur Seneca de causa, et similiter alii Sancti. Et isto modo non est inconveniens quod idem sit causa sui ipsius, sicut non est inconveniens quod necessario illud quod debet produci debeat praecognosci. Quia non est aliud ,esse causa', sie loquendo de causa, quam praecognosci, ut secundum ipsum fiat ipsummet vel aliud consimile quod sit proprium m 11 i et non alteri factibili. Et sie dicit beatus Augustinus quod .singula propriis sunt creata rationibus'".

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Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 547,21-22): „Dico ergo quod esse repraesentatum vel esse cognitum creaturae ab aeterno fuit nihil". Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 607,67-68): „Unde Deus ab aeterno vidit omnes res factibiles, et tarnen tunc nihil fiierunt".

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Seiendes". „Nichts läuft", bedeutet also: „Kein Seiendes läuft".171 Zweitens ist „nichts", was kein reales Sein hat.172 In diesem Sinn sind nach Ockhams Auffassung die Ideen nichts; und in diesem Sinn waren die Geschöpfe nichts, bevor sie erschaffen wurden, obwohl sie erkannt waren. Drittens ist „nichts", wem das reale Sein widerspricht. Damit sind unmögliche und widersprüchliche Wesen wie die Chimäre gemeint. 173 Von solchem „nichts" hat Gott keine Ideen, und die Ideen, die Gott hat, sind nicht auf diese Weise „nichts". Ähnlich wie das Wort „nichts" hat auch das Wort „sein" eine mehrfache Bedeutung. Erstens kann es ein synkategorematischer Ausdruck für die „copula" im Satz sein („A ist B"). Zweitens kann es die Existenz („esse existere") bezeichnen. In diesem Sinn „sind" nach Ockhams Auffassung die Ideen vor der Schöpfung nicht. Drittens kann „sein" auch von allem ausgesagt werden, dem die reale Existenz nicht widerspricht, unabhängig davon, ob sie ihm aktuell zukommt oder nicht. In diesem Sinn „sind" die Ideen von Ewigkeit her.174 Daß mögliche Geschöpfe vor der Schöpfung „nichts" waren, ist für Ockham kein Hindernis, von ihnen Ideen anzunehmen. Denn es ist möglich, ein Geschöpf selbst dann zu erkennen, wenn es nicht existiert. Man kann es abstraktiv erkennen, d. h. man kann erkennen, was es ist.175 Ebensogut kann man es intuitiv erkennen, d. h. man kann über die bloß abstraktive Erkenntnis hinaus erkennen, ob es ist. 176 Daher ist die intuitive Erkenntnis eines existieren-

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Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 547,6-9): „Ideo dico quod ,nihil' multipliciter accipitur. Uno modo syncategorematice, et sie est unum signum universale negativum includens suum distribuibile, - secundum modum loquendi logicorum-, sicut dieimus ,nihil currit', .nihil est intelligens'". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 547,10-15): „Aüo modo accipitur categorematice pro aliquo quod dicitur esse unum nihil. Et hoc potest aeeipi dupliciter. Quia uno modo .nihil' accipitur et dicitur illud quod non est realiter nec habet aliquod esse reale. Et isto modo dicendum est quod angelus ab aeterno fuit nihil quia nullum esse reale habuit, quia nullum esse fuit ab aeterno nisi solus Deus". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 547,15-19): „Aliter accipitur .nihil' pro illo quod non tantum non habet esse reale, sed etiam sibi repugnat esse reale. Et isto modo dicimus quod chimaera est nihil. Et sic non fuit homo nihil ab aeterno, quia numquam sibi repugnavit esse in rerum natura". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 545,10-14): ,,ly esse ibi non potest stare illo modo quo stat in dicto propositionis, quia non potest assignari propositio cuius potest esse dictum. Et ideo opportet quod stet pro esse-existere, vel pro esse cui non repugnat esse in rerum natura". Ord., Prol., qu. 1 (OTh I 38,9-10): „Notitia autem abstractiva potest esse naturaliter ipsa re nota simpliciter destructa". Quodl. V, qu. 5 (OTh IX 496,17-19): „alio modo per hoc [scil. differunt] quod per notitiam intuitivem non tantum iudico rem esse quando est, sed etiam non esse quando non est; per abstractivam neutro modo iudico".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

den und gegenwärtigen Gegenstandes ebenso denkbar wie die intuitive Erkenntnis eines nicht existierenden Gegenstandes. In der intuitiven Erkenntnis eines existierenden Gegenstandes erkennt jemand, was der Gegenstand ist, und darüber hinaus, daß er ist. In der intuitiven Erkenntnis eines nicht existierenden Gegenstandes erkennt jemand, was der Gegenstand ist, und darüber hinaus, daß er nicht ist.177 Die Möglichkeit eines täuschenden Gottes (oder wenigstens eines täuschenden „genius malignus" wie bei Rene Descartes) vertritt Ockham in diesem Zusammenhang nicht.178 Die intuitive Erkenntnis eines nicht existierenden Gegenstandes ist für uns Menschen auf Erden nur „de potentia Dei absoluta" möglich. 179 Gott aber erkennt stets alle möglichen Geschöpfe unabhängig davon, ob sie existieren oder nicht.180 Genauer: Gott erkennt von den existierenden Geschöpfen, daß sie existieren, und von den nicht existierenden, aber möglichen Geschöpfen, daß sie nicht existieren.181 Geschöpfe, die nicht existieren können (wie etwa die in sich widersprüchliche Chimäre), kann Gott hingegen nicht erkennen,

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Quodl. V, qu. 5 (OTh IX 496,20-25): „Probo primum, quia licet sit inconveniens quod eadem notitia sit causa totalis unius iudicii et iudicii contrarii respectu eiusdem passi, tarnen non est inconveniens quod sit causa partialis unius iudicii quando res existit, et similiter causa partialis iudicii contrarii quando res non existit; et sie est in proposito". Jürgen Miethke: Wilhelm von Ockham. In: „Nimm und lies". Christliche Denker von Origenes bis Erasmus von Rotterdam. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1991, 307-332, 316; Leppin: Wahrheit, 76, Anm. 338; Jürgen Goldstein: Nominalismus und Moderne. Zur Konstitution neuzeitlicher Subjektivität bei Hans Blumenberg und Wilhelm von Ockham. FreiburgMünchen: Alber 1998 (Alber-Reihe Philosophie), 217 - gegen Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, 223; Andre de Muralt: Epoche - Malin Genie - Theologie de la toute-puissance divine. Le concept objectif sans objet. Recherche d'une structure de pensee. In: Ders.: La Metaphysique du phenomene. Les origines medievales et l'ilaboration de la pensee phinomenologique. Paris: Vrin 1985, 105-137; Rolf Schönberger: Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses. Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter. Berlin-New York: de Gruyter 1986 (QSP21), 329; Ruedi Imbach in: Wilhelm von Ockham: Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft. Hrsg., übers, und kommentiert von Ruedi Imbach. Stuttgart: Reclam 1987, 133; Peter Schulthesse und Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Ein Handbuch mit einem bio-bibliographischen Repertorium. Zürich: Artemis & Winkler 1996, 260. Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 604,11-13; 606,46^47): „In ista quaestione pono duas conclusiones: prima est quod cognitio intuitive potest esse per potentiam divinam de obiecto non existente. (...) Secunda conclusio est quod naturaliter cognitio intuitiva non potest causari nec conservari, obiecto non existente". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 559,11-13); Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 560,2-4): „Nunc autem ita est quod, sive esse intelligibile creaturae sit sive non sit, ipsum semper a Deo intelligitur"; Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 607,67-68). Ord., Prol., qu. 1 (OTh I 39,7-10): „Patet etiam ex praedictis quomodo Deus habet notitiam intuitivam omnium, sive sint sive non sint, quia ita evidenter cognoscit creaturas non esse quando non sunt, sicut cognoscit eas esse quando sunt".

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denn sie zu erkennen schlösse einen Widerspruch ein,182 den zu verwirklichen nicht einmal der Allmächtige vermag. Ockhams Ideenlehre ist also eng mit der Annahme einer „objektiven" Existenzweise verknüpft, wie sie nach den frühen Äußerungen Ockhams auch den Universalien zukommt. Doch in diesem Punkt seiner Universalienlehre vollzog Ockham eine grundlegende Wende, indem er ihnen in seinen späteren Werken anstatt der „objektiven" die „subjektive" Existenzweise als Qualitäten des Geistes zusprach. Diese Wende betraf nicht nur die Universalien, sondern zugleich führte Ockham auch alle anderen „entia rationis" aus der „objektiven" Seinsweise auf „entia realia" in „subjektiver" Seinsweise zurück. Daher liegt die Frage nahe, wie sich diese Veränderung in der Universalienlehre auf die Ideenlehre auswirkt. Leider sind diesbezüglich nur Vermutungen möglich, weil Ockham eine Überarbeitung oder Neuformulierung seiner Ideenlehre vom Standpunkt der „qualitas mentis"-Theorie der Universalien nicht vorgenommen hat. Marilyn McCord Adams meint, daß eine solche Neufassung der Ideenlehre ebenso gewichtigen Einwänden ausgesetzt sei wie jene, die Ockham dazu bewogen haben, seine frühere Theorie von der „objektiven" Existenz aufzugeben. 183 Womöglich besteht darin der Grund dafür, daß Ockham eine neuerliche Darstellung seiner Ideenlehre unterlassen hat. Ockhams Bestimmung des Begriffs der Idee läßt sich also folgendermaßen zusammenfassen: „Idee" ist ein Konnotativbegriff, der an erster Stelle für das von Gott erkannte (und daher „objektiv" im göttlichen Geist existierende) hervorbringbare bzw. machbare Geschöpf steht, daneben dasselbe hervorbringbare bzw. machbare Geschöpf, insofern es real und „subjektiv" existiert oder wenigstens real und „subjektiv" existieren kann, sowie den Akt des Erkennens bzw. Gott als den Erkennenden konnotiert.

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Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 606,61-607,66): „Ad argumentum principale dico quod contradictio est quod visio sit, et tarnen quod illud quod videtur non sit in effectu nec esse possit. Ideo contradictio est quod chimaera videatur intuitive, sed non est contradictio quod illud quod videtur nihil sit in actu extra causam suam, dummodo possit esse in effectu vel aliquando fuit in rerum natura". Marilyn McCord Adams: Ockham's Nominalism and Unreal Entities. In: PhRev 86 (1977) 144-176, 163-166; vgl. Maurer: Role, 375; Maurer: Philosophy, 220f.

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3) Das Verhältnis der Ideen zu Gott und zueinander Alle wichtigen Theologen in den Jahrzehnten vor Ockham identifizierten die Ideen auf irgendeine Weise mit dem göttlichen Wesen. Dessen ist sich Ockham bewußt.184 Doch gegen den Konsens der Theologen, den er als fehlbare, aber gewichtige Autorität ansieht,185 bestreitet Ockham diese Ansicht. Sein Hauptargument besteht darin, daß es unendlich viele verschiedene Ideen gibt, aber nur ein göttliches Wesen. Daher können nicht alle diese verschiedenen Ideen mit dem göttlichen Wesen identisch sein.186 Tatsächlich gab es Versuche, nur eine einzige Idee in Gott anzusetzen (und in ihr die zweite göttliche Person zu erkennen).187 Allerdings waren solche Versuche mit dem Wortlaut der vorgegebenen Texte der theologischen Autoritäten kaum zu vereinbaren, weshalb sie Ockham ebenso ablehnt wie zurückhaltendere Lösungsansätze, wonach die vielen Ideen nur gedanklich, intentional oder formal, aber nicht real vom einen göttlichen Wesen verschieden sind. Dabei stützt Ockham seine Kritik vor allem auf die Schwierigkeiten, die er in der Annahme solcher Unterscheidungen sieht. Neben dem Gegensatz zwischen der Einheit Gottes und der Vielzahl der Ideen bringt Ockham ein weiteres Argument, das die ausschließlich „objektive" Seinsweise der Ideen in Gott und die „subjektive" Seinsweise des göttlichen Wesens gegeneinander ausspielt. Weil die Ideen ausschließlich „objektiv" in Gott sind, das göttliche Wesen aber „subjektiv" existiert, sind beide nicht identisch.188 Da die Ideen nicht mit dem göttlichen Wesen identisch sind, sind sie die wirklichen oder möglichen Geschöpfe selbst.189 Die Geschöpfe sind aber entweder tatsächlich von Gott geschaffen und existieren dann „subjektiv" in der

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Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 480,1-3): „Circa primum concordant multi doctores et fere omnes in una conclusione communi, quod scilicet idea est realiter divina essentia et tantum differt ratione ab ea". Leppin: Wahrheit, 218f. Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 481,7-8): „Si detur primum [seil, quod idea dicit praecise divinam essentiam], igitur sicut est tantum una essentia, ita erit tantum una idea, quod nulli istorum [seil. Henricus Gandavensis et eiusdem sequaces] dicunt". Vgl. Wolfgang Hübener: Idea extra artificem. Zur Revisionsbedürftigkeit von Erwin Panofskys Deutung der mittelalterlichen Kunsttheorie. In: Festschrift für Otto von Simson zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Lucius Grisebach und Konrad Renger. s.l.: Propyläen 1977, 27-53, 36-39. Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 488,3-7): „Secundo ostendo quod divina essentia non est idea, quia quaero: aut ideae sunt in mente divina subiective aut obiective. Non subjective, quia tunc essent ibi plura subiective, quod est manifeste falsum. Igitur sunt ibi tantum obiective; sed essentia divina non est tantum obiective; ergo non est idea". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 488,15-490,4).

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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realen Wirklichkeit, oder sie sind bloß möglich und von Gott erkannt, sodaß sie „objektiv" und als Ideen im göttlichen Geist existieren. Im ersten Fall sind sie reale Entitäten („entia realia"), im zweiten Fall dagegen begriffliche Entitäten („entia rationis"). Das Verhältnis der „subjektiv" existierenden Geschöpfe, die Gott tatsächlich erschaffen hat, zu Gott ist leicht zu bestimmen. Da sie ebenso wie Gott reale Entitäten sind, unterscheiden sie sich wie eine reale Entität von einer anderen realen Entität. Diesen Unterschied nennt Ockham einen realen Unterschied. Daher unterscheidet sich Gott real von seinen Geschöpfen. Aus demselben Grund unterscheiden sich auch die tatsächlich geschaffenen und „subjektiv" existierenden Geschöpfe voneinander real. Die Ideen, d. h. die „objektiv" im göttlichen Geist existierenden Geschöpfe, stehen zu Gott in einem anderen Verhältnis. Sie sind nicht real mit Gott identisch.190 Sie sind aber auch nicht real von Gott unterschieden.191 Sie sind nicht real mit Gott identisch, also nicht in der Weise, wie eine reale Entität mit sich selbst identisch ist, weil sie keine realen Entitäten sind, sondern nur „entia rationis". Sie unterscheiden sich auch nicht real von Gott, also in der Weise, wie sich eine reale Entität von einer anderen unterscheidet, weil sie „entia rationis", keine realen Entitäten sind. Aus analogen Gründen sind die Ideen weder im strengen Sinn begrifflich von Gott unterschieden noch begrifflich mit ihm identisch. Denn ein begrifflicher Unterschied ist ein Unterschied zwischen zwei „entia rationis". Gott aber ist kein „ens rationis", sondern eine reale Entität. Daher unterscheidet sich Gott von den Ideen durch jene mittlere Unterscheidung, mit der sich ein „ens rationis" von einem „ens reale" unterscheidet. Die Ideen unterscheiden sich gleichfalls nicht real voneinander, denn was nicht „subjektiv" und real existiert, kann sich nach Ockham auch nicht real von etwas anderem unterscheiden.192 Ebenso sind sie nicht real miteinander 190

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Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 537,3-9): „Secundo videndum est quomodo perfectiones creaturarum distinguuntur a Deo. Circa quod dico quod numquam fuerunt realiter idem cum Deo. Hoc patet, quia illud quod potest non esse idem realiter cum aliquo, numquam est idem realiter cum eodem, quia impossibile est quod aliquid fiat aliud a se. Sed perfectiones creaturarum, si producantur extra ab aeterno, non sunt idem realiter cum Deo; igitur etc.". Indem ich diesen Text als Belegstelle fur Ockhams Ideenlehre heranziehe, setze ich voraus, daß die „perfectiones creaturarum" die „objektiv" in Gott existierenden Geschöpfe sind; vgl. Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 533,5-9); Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 533,25-534,6). Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 537,10-14): „Secundo dico quod non distinguebantur ab aeterno realiter a Deo. Hoc patet quia illud quod non est aliquid reale non potest ab aliquo distingui realiter; sed creaturae non fuerunt ab aeterno aliqua realiter; igitur non distinguebantur ab aeterno a D e o realiter". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 537,14-15): „Per idem patet quod non distinguebantur realiter inter se ab aeterno quia non fuerunt aliqua realia".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

identisch, denn nur ein „ens reale" kann mit sich selbst real identisch sein.193 Sondern zwei Ideen unterscheiden sich voneinander wie ein „ens rationis" von einem anderen „ens rationis". Diese Unterscheidung nennt Ockham eine begriffliche Unterscheidung. Ideen unterscheiden sich also begrifflich voneinander. Die Ideen sind daher nach Ockham weder real mit Gott identisch, noch real von ihm unterschieden; sie sind im strengen Sinn weder begrifflich mit Gott identisch noch begrifflich von ihm unterschieden, sondern sie unterscheiden sich von ihm durch jene mittlere Unterscheidung, durch die sich ein „ens rationis" von einem „ens reale" unterscheidet. Untereinander sind die Ideen weder real miteinander identisch noch real voneinander unterschieden, sondern als „entia rationis" unterscheiden sie sich begrifflich voneinander.

4) Die Arten der Ideen Nicht alles, wofür es in der deutschen (oder lateinischen) Sprache ein Wort gibt, ist durch eine eigene Idee im göttlichen Geist vertreten. Wie Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus stellt Ockham einige Klassen von Dingen auf, von denen es eigene Ideen gibt, und andere, die keine eigenen Ideen haben. a) Überlegungen, wovon es eigene Ideen gibt Wovon es Ideen gibt, das entscheidet sich nach Ockham daran, ob etwas als eigenständige und von allem anderen unterschiedene Entität geschaffen oder hervorgebracht werden kann. Daraus folgt von manchen Entitäten, daß es von ihnen eigene Ideen in Gott gibt, und von anderen, daß von ihnen keine eigenen Ideen existieren. Da die Ideen wirkliche oder mögliche Geschöpfe sind, gibt es von allem, was als ein eigenständiges und von anderen unterschiedenes Geschöpf geschaffen werden kann, eine eigene Idee, also von jedem „factibile" bzw. „producible". 194

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Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 537,16-21): „Et si quaeratur an fuerunt idem realiter, dicendum quod non. Quia hoc est verum, quod quaecumque possunt pro quocumque instanti distingui realiter, numquam sunt idem realiter; sed perfectiones creaturarum, quando producuntur extra a Deo, distinguuntur realiter; igitur impossibile est quod sint idem realiter". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 3 , 8 - 9 ) : „omnium rerum factibilium sunt distinctae ideae, sicut ipsae res inter se sunt distinctae".

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Deshalb gibt es für den „Nominalisten" Ockham nur Ideen von Individuellem. Denn nur Individuelles kann in der realen Wirklichkeit hervorgebracht werden, während allgemein nur ein Begriff sein kann.195 Daß ein Universale nicht als bloßer Begriff, sondern auch in der Wirklichkeit existiert, enthält einen Widerspruch, den nicht einmal Gott verwirklichen kann.196 Daher kann kein Universale in der realen Wirklichkeit hervorgebracht werden, und folglich gibt es von ihm auch keine Idee in Gott. Sollte Piaton anderer Ansicht gewesen sein - und wie unsere heutige Piatonkenntnis zeigt, war er tatsächlich anderer Ansicht! - , so befand er sich im Irrtum, befindet Ockham; und er vergißt nicht hinzuzufügen, daß der Kirchenvater Augustinus, an dessen Autorität das Mittelalter nicht zu rühren wagte, Piaton zwar in vielem anderen, aber nicht in diesem Irrtum gefolgt sei.197 Jedoch ist Ockhams Beteuerung, wie er selbst habe auch Augustinus keine Ideen von Allgemeinem behauptet, theologiegeschichtlich haltlos, wie wir heute wissen und auch das Mittelalter zum größten Teil wußte. In diesem Punkt weist ein Vergleich große Unterschiede zwischen Heinrich von Gent, Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham auf. Die Entwicklung fuhrt von bloß allgemeinen Ideen über die Verbindung von allgemeinen und individuellen Ideen zu ausschließlich individuellen Ideen. Dies hängt mit den unterschiedlichen Ansichten zum Individuationsprinzip zusammen. Heinrich von Gent sah das Individuationsprinzip in der bloßen Negation, die dem Allgemeinen nichts Positives hinzufügt. Daher ließ er nur Ideen von den untersten Arten, also von Allgemeinem, zu und bestritt ausdrücklich Ideen von Individuen. Johannes Duns Scotus nimmt formale Realitäten des Allgemeinen und dazu ein positives Individuationsprinzip an, das unter der Bezeichnung „haeceitas" bekannt geworden ist. Nach seiner Ansicht verfugt Gott daher über Ideen sowohl von Allgemeinem als auch von Individuen. 195

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Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 3 , 1 2 - 1 4 ) : „Quarto sequitur quod ideae sunt primo singularium, et non sunt specierum, quia ipsa singularia sola sunt extra producibilia et nulla alia"; Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 505,9-10). Ord., dist. 2, qu. 6 (OTh II 180,12-16): „illud quod nec etiam per potentiam divinam potest communicari pluribus, non est realiter commune; sed quacumque re demonstrate, ilia per potentiam divinam non potest communicari pluribus, quia est realiter singularis; igitur nulla res est realiter et positive communis". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 505,10-18): „Et si Plato dicat quod ideae sunt specierum et non singularium, intelligendum est quod hoc dixerit quia forte fuit illius opinionis quod Deus non intellexit singularia sed tantum species singularium. Et tunc voluit dicere quod ideae non sunt singularium, hoc est, non sunt per ipsa singularia, quia tunc non sunt singularia intellecta secundum eum, sed sunt specierum, hoc est species singularium sunt ideae. Sed in hoc erravit, si hoc posuit. Nec in hoc ipsum sequitur beatus Augustinus, sed in aliis in quibus non erravit".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Für Wilhelm von Ockham schließlich ist kein Individuationsprinzip nötig, weil alles, was real existiert, aus sich heraus individuell ist und nur eine nachträgliche Abstraktion zu allgemeinen Begriffen führt. Daher bestreitet er jede Idee von etwas Allgemeinem und erkennt nur Ideen von Individuellem an. Nach Ockham hat Gott also von allem, was gemacht werden kann, eigene Ideen. Aber auch von den wesentlichen Teilen solcher möglichen Geschöpfe gibt es eigene Ideen. Dabei denkt Ockham vor allem an Materie und Form.198 Denn anders als Thomas von Aquin, aber wie Duns Scotus meint Ockham, daß Gott wenigstens „de potentia absoluta" Form und Materie trennen und eine Materie ohne Form oder eine Form ohne Materie als eigenes Seiendes erhalten kann.'99 b) Überlegungen, wovon es keine eigenen Ideen gibt Ockham zählt nicht nur Arten von Dingen auf, von denen der göttliche Intellekt eigene Ideen besitzt, sondern stellt auch einiges zusammen, wovon es in Gott keine Ideen gibt. Für den „Nominalisten" Ockham gibt es nur Ideen von Individuen. Daraus geht schon hervor, daß es keine eigenen Ideen von Universalien gibt, also keine Ideen von Art, Gattung und Artunterschied. Höchstens könnte man, nach der „qualitas mentis"-Theorie, die Ockham hier als eine Möglichkeit anfuhrt und später als einzig denkbare Möglichkeit selbst vertritt, Universalien als „subjektiv" in der Seele existierende Qualitäten verstehen, von denen es dann auch Ideen gibt, allerdings nicht, insofern sie für mehrere reale Entitäten stehen und allgemein sind, sondern nur, insofern sie real existieren und individuell sind.200 Ferner gibt es für Ockham keine eigenen Ideen von Negationen und Privationen.201 Diese Ansicht kennen wir schon von Heinrich von Gent und Duns Scotus. Da Negationen und Privationen nichts Eigenständiges in der Wirklichkeit entspricht, sondern sie nur Negationen von etwas anderem oder Privationen an etwas anderem sind, bedarf Gott keiner eigenen Ideen, um sie zu erkennen. Es genügen ihm die Ideen von dem, was verneint wird bzw. woran Mangel besteht. 198 199 200

201

Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 3 , 9 - 1 1 ) : „Alia conclusio sequitur quod materiae et formae et universaliter partium essentialium et integralium omnium sunt distinctae ideae". Rep. II, qu. 11 (OTh V 2 4 5 , 1 6 - 1 8 ) : „Patet in unione formae cum materia quando primo sunt unita et post separata per potentiam divinam". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 3 , 1 4 - 1 7 ) : „Quinto sequitur quod generis et differentiae et aliorum universalium non sunt ideae, nisi poneretur quod universalia essent quaedam res subjective existentes in anima et solum communia rebus extra per praedicationem". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 3 , 1 7 - 1 9 ) : „Sexto sequitur quod negationum, privationum ( . . . ) non sunt ideae".

Die Lehre von den Ideen im Geist Gottes

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Im selben Atemzug, in dem er Ideen von Negationen und Privationen ausschließt, bestreitet Ockham auch Ideen des Übels („malum") und der Schuld. Daß Duns Scotus im gleichen Zusammenhang die Schuld als Privation erklärt hat, verlockt zur Annahme, Ockham führe sie gleichfalls zur Veranschaulichung der umfassenderen Bestimmung der Privation an. Doch daß das Übel und die Schuld Privationen seien, sagt Ockham nirgends, und von der Sünde, die ein moderner Autor in seiner Paraphrase dieser Stelle gleich miteinbezieht,202 bestreitet er ausdrücklich, daß sie stets eine Privation sei. Nur die Unterlassungssünde läßt sich als Fehlen der geschuldeten Tat erklären, die anderen Sünden hingegen sind gesetzte Taten.203 Keine Ideen hat Gott also nicht nur von Negationen und Privationen, sondern, wie Ockham im selben Satz erklärt, auch von allem, was keine von anderen Entitäten unterschiedene Entität ist.204 Dies bezieht sich nicht nur auf Negationen und Privationen, sondern auf alle konnotativen Begriffe: Ihnen entspricht nicht eine eigene, von anderen unterschiedene Entität, sondern eine Entität an erster Stelle und ein Konnotat an zweiter Stelle. Beide können jedoch (wenigstens in aller Regel) an sich auch völlig unabhängig voneinander existieren, wenngleich dann der Konnotativbegriff nicht mehr anwendbar wäre. Daher hat Gott von nichts, was durch einen Konnotativbegriff ausgedrückt wird, eigene Ideen. Es gibt also keine eigenen Ideen von bestimmten konkreten Nomina, etwa von etwas Weißem, sondern nur von der Wand, die weiß ist, und allenfalls noch von der konkreten Weißheit, die wenigstens „de potentia Dei absoluta" auch unabhängig von der Wand existieren könnte. Es gibt keine eigenen Ideen von relativen Begriffen oder Relationen205, nur von den Relaten. Es gibt keine eigenen Ideen von allem, was in andere Kategorien außer die der Substanz und der Qualität fällt. Es gibt zwar Ideen von den einzelnen Seienden, aber nicht von ihren transzendentalen Eigenschaften der Einheit, Wahrheit und Gutheit. Es gibt keine 202 203

204 205

Maurer: Role, 377; Maurer: Philosophy, 224. Qu. var., qu. 7, art. 4 (OTh VIII 388,299-389,302): „Ex hoc etiam patet quomodo peccatum dicitur privatio, quia peccatum ommissionis formaliter est privatio, et aliud peccatum, commissionis, non est privatio, sed actus positivus quem voluntas tenetur non elicere, et ideo est peccatum". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 3 , 1 7 - 1 9 ) : „Sexto sequitur quod negationum, privationum, mali, culpae et huiusmodi, quae non sunt res distinctae ab aliis rebus, non sunt ideae". Zu Ockhams Relationslehre vgl. Marilyn McCord Adams: William Ockham. Volume I. Notre Dame, Indiana: University of Notre Dame Press 1987 (PMS 26), 2 1 5 - 2 7 6 ; Mark G. Henninger: Relations. Mediaeval Theories 1250-1325. Oxford: Clarendon 1989, 119-149; Rolf Schönberger: Relation als Vergleich. Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik. Leiden-New York-Köln: Brill 1994 (STGMA 43), 1 9 0 206; Beatrice Beretta: Ad aliquid. La relation chez Guillaume d'Occam. Fribourg: Editions Universitaires Fribourg Suisse 1999 (Dokimon 22).

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

eigenen Ideen von Seelenvermögen und Akten. Es gibt schließlich, wie schon erklärt, keine eigenen Ideen von Negativem oder Privativem, auch nicht von Unendlichem und von Figmenten.206 In Ockhams Aufzählung von Dingen, von denen der göttliche Geist Ideen enthält bzw. nicht enthält, spricht er einige Punkte nicht an, die Heinrich von Gent oder Johannes Duns Scotus genannt haben. Das betrifft die Frage, ob Gott eigene Ideen von Artifiziellem, von Relationen, von Zahlen und von Widersprüchlichem hat. Vermutlich verzichtet Ockham darauf, diese Fragen ausdrücklich zu behandeln, weil sie sich aufgrund der Voraussetzungen, die er macht, verhältnismäßig klar beantworten lassen. Gott hat zwar eigene Ideen von allem Artifiziellen, aber nicht vom Artifiziellen als solchem.207 Zwar vergleicht Ockham das Schöpferwirken Gottes mit dem Blick auf die Ideen in seinem Geist mit der Arbeit eines Handwerkers oder Künstlers („artifex") nach einem Vorbild.208 Zwar teilt Ockham die machbaren Dinge („factibilia") in natürliche und künstliche ein.209 Aber diese Einteilung geschieht nur im Hinblick auf die konnotierte Entstehung durch die Natur oder durch ein Vernunftwesen,210 während sich Artifizielles und Natürliches an sich nicht voneinander unterscheiden und die Herstellung eines Artefakts aus einem natürlichen Gegenstand ihm keine neue Form hinzufugt. 2 " Daher sind die artifiziellen Gegenstände keine eigenen Entitäten, die sich von den natürlichen Gegenständen unterscheiden; und folglich erkennt sie Gott auch nicht durch eigene Ideen, die von denen der natürlichen Gegenstände unterschieden wären. 206 207

208 209

210 211

Vgl. Schulthess: Sein, 30f. Zum Artifiziellen bei Ockham vgl. Henri Adrien Krop: Artificialia und Naturalia nach Wilhelm von Ockham. Wandlungen in dem Begriff der Unterscheidung zwischen Kunst und Natur. In: Mensch und Natur im Mittelalter. Hrsg. v. Albert Zimmermann und Andreas Speer. 2. Halbband. Berlin-New York: de Gruyter 1992 (MM 21/2), 952-964. Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 484,17-21; 489,9-16; 505,19-506,6). In Ph. II, cap. 1, § 1 (OPh IV 213,25-214,33): „Circa primam partem primo dividit [seil. Aristoteles] factibilia et exemplificat de uno membro, dicens quod de numero entium quae sunt factibilia, quaedam fiunt ex natura, hoc est naturaliter, alia autem a casu, alia autem propter alias causas. (...) Intelligendum est quod Philosophus intendit istam divisionem quod quaedam sunt artificialia et quaedam naturalia". S. L. III-2, cap. 34 (OPh I 571,34-36): „Sed hoc numquam verum est nisi quando definitum est connotativum, cuiusmodi sunt omnia nomina artificialium". In Ph. II, cap. 1, § 4 (OPh IV 217,31-37): „Circa primam totam partem praecedentem est primo sciendum quod quando artifex operator producendo artificialia, non producit aliquam formam absolutam inhaerentem rei naturali - sicut quando calidum producit calidum, producit unam formam absolutam inhaerentem subiecto et ab eo totaliter et realiter distinetam - , ita quod quando fit domus vel idolum vel statua vel lectus et huiusmodi, non est aliqua res de novo secundum se totam producta".

Das Mögliche bei Ockham

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Von Zahlen besitzt Gott nach Ockham keine eigenen Ideen. Denn Zahlen sind keine eigenständigen Dinge, die Gott hervorbringen könnte. Vielmehr erklärt Ockham Zahlen als die gezählten Dinge. 212 Die Zahl Drei ist nichts, was real existiert oder was wenigstens durch die Macht Gottes real existieren könnte, sondern drei Menschen oder drei Tiere sind zusammen (aber nicht einzeln für sich!) die Zahl Drei. Daher besitzt Gott zwar von allem, was sich zählen läßt, eigene Ideen, aber nicht von den Zahlen selbst. Auch von Widersprüchlichem gibt es keine Idee im Geist Gottes, denn wie schon ausführlich aufgezeigt, kann niemand - nicht einmal Gott, nicht einmal „de potentia absoluta" - einen Widerspruch verwirklichen. Nicht einmal eine intuitive Erkenntnis des Widersprüchlichen gibt es. Was aber Gott weder erkennen noch erschaffen kann, davon hat er auch keine Idee. Daher hat er keine Ideen von Widersprüchlichem.

5) Die unendliche Anzahl der Ideen Von allem, was gemacht oder hervorgebracht werden kann, besitzt der göttliche Geist eine eigene Idee. Es gibt aber unendlich viele verschiedene Ideen, die Gott erschaffen kann. Gott kann sogar von jeder Art unendlich viele Individuen schaffen. 213 Daher ist die Zahl der Ideen im göttlichen Geist unendlieh. 214

III.

Das Mögliche nach Ockham

1) Die Einteilung der Möglichkeit Die Einteilung des Möglichen kommt bei Ockham im Vergleich zu Duns Scotus zu kurz. Die Scotischen Neuerungen in der Möglichkeitslehre nimmt er nicht auf, und auch seine eigene Einteilung des Möglichen wirkt beinahe schematisch und blaß. Zwar erklärt Ockham so manches für möglich; aber

212

213 214

Ord., dist. 19, qu. 1 (OTh IV 19,5-6); Ord, dist. 24, qu. 2 (OTh IV 9 6 , 1 4 - 1 5 ) ; In Pr„ cap. 10 (OPh II 2 2 0 , 4 1 6 - 4 2 0 ) ; S. L. I, cap. 4 4 (OPh I 138,166-167): „numerus nihil aliud est quam ipsae res numeratae". Ord., dist. 44, qu. un. (OTh IV 655,11-12): „inflnita individua eiusdem rationis cum illis quae modo sunt, posset Deus producere". Ord., dist. 35, qu. 5 (OTh IV 4 9 3 , 1 9 - 2 1 ) : „Septimo sequitur quod Deus habet infinitas ideas sicut ab eo sunt infinitae res producibiles".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

seine Ausführungen darüber, was Möglichkeit bedeutet, erweisen sich als weniger ergiebig als die des Heinrich von Gent oder des Johannes Duns Scotus, sodaß ein Scotus-Experte von einer „Einschränkung und Verarmung in der Theorie der Modalitäten" bei Ockham gesprochen hat.215 Weniger wertend, könnte man diesen Umstand auch als „Vereinfachung" bezeichnen. Ockham nimmt bahnbrechende Neuerungen, die Duns Scotus in der Modalitätenlehre vorgenommen hat, nicht auf, sondern fällt teilweise sogar hinter Scotus zurück. Dies betrifft im Zusammenhang mit der logischen Möglichkeit die Notwendigkeit des Gegenwärtigen und die Möglichkeit simultaner Alternativen. Duns Scotus hatte angesichts der logischen Möglichkeit die Notwendigkeit des Gegenwärtigen bestritten. Ferner hatte er die Freiheit als die Möglichkeit verstanden, in genau dem Augenblick, in dem jemand auf die eine Weise handelt, anders handeln zu können, und die Kontingenz als die Möglichkeit, daß etwas in genau dem Augenblick, in dem es auf eine bestimmte Weise ist, anders sein kann. Gegen das Verständnis von Freiheit und Kontingenz als Möglichkeit simultaner Alternativen wendet Ockham ein, daß Scotus damit Möglichkeiten behauptet, die sich nicht realisieren lassen. Denn auch Scotus gibt zu, daß unmöglich jemand dasselbe zugleich tun und nicht tun kann, selbst wenn es in dem Augenblick, in dem er etwas tut, die Alternative gibt, es nicht zu tun.216 Veranschaulicht wird dies durch das Beispiel eines Engels, der schon im ersten Augenblick seines Daseins sündigt. Nach Scotischen Vorstellungen kann man nun argumentieren: Die Sünde setzt die Freiheit voraus, auch anders handeln zu können. Also hatte der Engel in dem ersten Augenblick seines Daseins, als er sündigte, zugleich auch die Möglichkeit, nicht zu sündigen, womit die Möglichkeit simultaner Alternativen ausgewiesen ist.217 Doch Ockham entgegnet: Die Freiheit des Engels besteht nicht darin, daß er in demselben Augenblick, in dem er sündigt, die Sünde unterlassen kann, sondern darin, daß er in einem der folgenden Augenblicke aufhören kann zu sündigen.218 Ohne daß Ockham darauf einginge, wurde dieses Gedankenexperiment durch die Annahme fortgesetzt, daß der Engel in einem folgenden Augenblick gar nicht mehr existiert. Wir haben es also mit einem Engel zu tun, der nur ei215

216 217 218

Ludger Honnefelder: Wilhelm von Ockham. Die Möglichkeit der Metaphysik. In: Philosophen des Mittelalters. Eine Einführung. Hrsg. v. Theo Kobusch. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, 2 5 0 - 2 6 8 , 267. Tr. Pr., qu. 3 (OPh II 533,24-534,30). Tr. Pr., qu. 3 (OPh II 534,56-535,62). Tr. Pr., qu. 3 (OPh II 535,62-69).

Das Mögliche bei Ockham

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nen einzigen Augenblick lang existiert und in diesem einen Augenblick sündigt. Gemäß einer an Duns Scotus orientierten Position, nach der die Freiheit des Engels darin besteht, daß er zugleich die Möglichkeit besitzt, nicht zu sündigen, ist diese Annahme, so merkwürdig sie uns erscheinen mag, kohärent. Gemäß einer an Ockham orientierten Position, nach der die Freiheit des Engels noch einen späteren Augenblick voraussetzt, in dem er die Möglichkeit, nicht zu sündigen, auch verwirklichen kann, ist die Vorstellung der Sünde eines Engels, der nur einen einzigen Augenblick lang existiert, inkohärent.219 Gegen Duns Scotus behauptet Ockham auch die überkommene Vorstellung der Notwendigkeit des Gegenwärtigen. Diese Vorstellung geht auf Aristoteles zurück, der im neunten Kapitel seiner Schrift „Perihermeneias" behauptet hat: Alles, was ist, ist, wann es ist, mit Notwendigkeit.220 In seinem Kommentar zu diesem Text erklärt Ockham den Satz für dem Wortlaut nach („de virtute sermonis") falsch, aber richtig nach der Aussageabsicht des Aristoteles („secundum intentionem Philosophi"). Dem Wortlaut nach falsch ist der Satz, weil nicht alles, was ist, notwendig ist, sondern so manches auch kontingent.221 Der Satz liefe also, wörtlich verstanden, auf die Behauptung eines umfassenden Determinismus oder Nezessitarismus hinaus, was nach Ockham gewiß falsch ist. Doch was Aristoteles damit (nach Ockhams Interpretation) gemeint hat, war dies: Die Aussage „Von allem, was ist, wird notwendigerweise das Sein ausgesagt, wenn jener Zeitpunkt ist" - oder kurz: Wenn es Zeit ist, dann ist es. Zwar ist dieser Schluß nicht allgemein gültig („formalis"), aber er drückt in einem nachvollziehbaren Sinn die Notwendigkeit des Gegenwärtigen aus: Wenn jetzt etwas ist, dann wird es später stets wahr sein zu behaupten, daß es zum jetzt gegenwärtigen Augenblick war.222 Der Scotische Begriff der logischen Möglichkeit und die mit ihm verbundenen Gedanken haben also bei Ockham kaum Spuren hinterlassen. Während Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus umfangreiche Einteilungen der Begriffe des Möglichen und der Möglichkeit aufstellen, fallen die entsprechenden Ausführungen Ockhams verhältnismäßig knapp und ohne 219

220 221 222

Überlegungen über den Engel, der nur einen einzigen Augenblick existiert, stellt im Anschluß an Duns Scotus und Ockham nicht mit historischem, sondern mit systematischem Interesse an Arthur E. Falk: The Forbearance o f an Instantaneous Angel: Time, Possibility and Free-Will. In: M S M 61 (1983/84) 101-116. Aristoteles: Perihermeias 9 (19a 2 3 - 2 4 ) . In Per. I, cap. 6, § 13 (OPh II 4 2 0 , 2 6 - 3 7 ) . In Per. I, cap. 6, § 13 (OPh II 4 2 0 , 3 7 ^ 9 ) .

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Tiefgründigkeit aus. Vor allem bemüht er sich, das Mögliche vom Wirklichen, Notwendigen und Unmöglichen abzugrenzen. Selbst in seinem weitesten Sinn ist das Mögliche mit dem Unmöglichen unvereinbar. Ob es darüber hinaus auch mit dem Notwendigen unvereinbar ist oder nicht, darin unterscheiden sich zwei verschiedene Begriffe des Möglichen. Im ersten Verständnis umfaßt der Begriff zwar nicht das Unmögliche, wohl aber das Notwendige. Im zweiten Verständnis des Begriffs schließt er sowohl das Unmögliche als auch das Notwendige aus.223 Ebenso lassen sich zwei Begriffe des Kontingenten unterscheiden. Meist ist jedoch unter dem Möglichen das im weiteren Sinn Mögliche zu verstehen, das auch das Notwendige einschließt, unter dem Kontingenten hingegen das im engeren Sinn Mögliche, das mit dem Notwendigen unvereinbar ist.224 Einige Zeit später unterteilt Ockham den Begriff des Möglichen (im weiteren Sinn, wonach er das Notwendige nicht ausschließt) weiter nach seinem Bezug zum Wirklichen. Daraus ergibt sich eine dreifache Einteilung. In einem ersten Sinn ist möglich, was wirklich ist.225 Wenn Ockham einige Zeilen später dieses Mögliche mit dem Notwendigen identifiziert,226 dann geschieht dies in der Auslegung des Aristoteles und unter der Voraussetzung seines Prinzips, daß alles, was ist, wenn es ist, notwendig ist. In einem zweiten Sinn steht das Mögliche im Gegensatz zum Wirklichen. Möglich ist demnach, was zwar nicht wirklich ist, dem es allerdings auch nicht widerspricht, wirklich zu sein.227 In seiner dritten Bedeutung umfaßt das Mögliche sowohl alles, was wirklich ist, als auch das, was es zwar nicht ist, aber sein kann. Unvereinbar ist das in diesem Sinn Mögliche nur mit dem Unmöglichen. In diesem Sinn umfaßt das Mögliche also alles, was im ersten und im zweiten Sinn möglich ist.228

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In Per. II, cap. 5, § 4 (OPh II 466,181-186): „Quinto notandum quod .possibile', et similiter .contingens', dupliciter accipitur ad praesens. Uno modo dicitur .possibile' illud quod non est impossibile, et sie omne necessarium est possibile. Alio modo est illud quod nec est necessarium nec impossibile, et sie haec non est possibilis ,homo est animal', nec aliqua propositio necessaria". In Per. II, cap. 5, § 4 (OPh II 466,186-189): „Et eodem modo potest .contingens' aeeipi illis duobus modis. Verumtamen, ut frequenter, accipitur .contingens' pro illo quod non est necessarium nec impossibile et .possibile' pro illo quod non est impossibile". In Per. II, cap. 7, § 6 (OPh II 483,27-28): „uno modo dicitur .possibile' illud quod est actu". In Per. II, cap. 7, § 6 (OPh II 483,30-31): „Primum .possibile' est idem quod necessarium". In Per. II, cap. 7, § 6 (OPh II 483,28-29): „Alio modo dicitur .possibile' illud quod non est actu sed sibi non repugnat esse actu". In Per. II, cap. 7, § 6 (OPh II 483,29-30 und 32): „Alio modo dicitur .possibile' illud quod non est impossibile. (...) tertium est commune utrique".

Das Mögliche bei Ockham 2)

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Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen

Johannes Duns Scotus kritisiert Heinrich von Gent dafür, daß dieser das „esse essentiae" des Möglichen allzu realistisch verstanden hätte. Ockham wiederum wirft Duns Scotus vor, sich selbst zuschulden kommen zu lassen, was er Heinrich vorwirft. Denn auch Scotus spricht von einem „esse possibile" und einem „esse intelligibile", und wenngleich er darauf besteht, daß es sich dabei nur um eine verminderte Form des Seins handelt, so schreibt er dem bloß Möglichen doch „Sein" zu. Das mag auf den ersten Blick hin unfair erscheinen, denn auch Ockham versteht ähnlich wie Scotus unter dem „esse" in seiner weitesten Bedeutung das Seiende, dem es nicht widerspricht, real zu existieren. Allerdings fügt er sogleich hinzu, daß dieser Sprachgebrauch unüblich ist.229 Anstelle dieser uneigentlichen Redeweise zieht er es vor, statt vom „esse possibile" eines Geschöpfes zu sprechen, zu sagen, das Geschöpf sei möglich und könne in der Realität existieren.230 Sieht man von der uneigentlichen Redeweise ab, ist für Ockham klar: Wie das Unmögliche nicht „ist", „ist" auch das bloß Mögliche nicht. Wenn Aristoteles zwischen dem „ens in potentia" und dem „ens in actu" unterscheidet,231 versteht Ockham dies nicht wörtlich. Er legt nämlich den großen griechischen Philosophen wohlwollend aus, unterschiebt ihm dabei häufig seine eigene Meinung und macht so Aristoteles gleichsam zu einem Nominalisten. Die Aussageabsicht des Philosophen richtet sich nach Ockham also nicht darauf, die Zahl der Seienden einzuteilen in Seiende, die nur im Akt sind, und Seiende, die nur in Potenz sind. Vielmehr ist alles, was ist, im Akt; und nichts, was seiend ist, ist bloß in Potenz.232 Stattdessen wollte Aristoteles, wie Ockham ihn deutet, mit der Unterscheidung zwischen „ens in actu" und „ens in poten-

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Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 538,3-7): ,,,esse' potest multipliciter accipi: vel pro esseexistere vel pro esse quod convertitur cum ente cui non repugnat esse in rerum natura, - sed sie non est multum usitatum - , vel in propositione aeeipitur secundum quod est copula uniens praedicatum cum subiecto". Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 650,3-6): „Nec est proprius modus loquendi dicere quod esse possibile convenit creaturae, sed magis proprie debet dici quod creatura est possibilis, non propter aliquid quod sibi conveniat sed quia potest esse in rerum natura". Aristoteles: Physik III 1 (200b 2 6 - 2 7 ) ; Metaphysik V 7 (1017a 3 5 - b 2). In Ph. III, cap. 2, § 1 (OPh IV 4 1 5 , 1 3 - 2 5 ) : „Notandum est hic quod non est intentio Philosophi dicere quod de numero entium aliquod sit ens tantum in actu et aliquod sit ens tantum in potentia, quia omne ens est in actu et nullum ens est in potentia"; vgl. Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 67,19-20); S. L. I, cap. 38 (OPh I 108,54-56).

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

tia" sagen, daß Prädikate von ihren Subjekten mit dem Verb „est" als Kopula ausgesagt werden können, aber auch mit dem Verb „potest esse".233 Diese Behauptung ist für Ockhams Lehre vom Möglichen charakteristisch. Verglichen mit Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus sind die Ausführungen, die unmittelbar vom Möglichen, Wirklichen und Unmöglichen handeln, wenig ergiebig. Statt Erörterungen über das Wirkliche, das Mögliche und das Unmögliche selbst finden sich - vor allem in der „Summa logicae" gründliche Überlegungen dazu, wie wir über das Wirkliche, das Mögliche und das Unmögliche denken und sprechen. Ockham nähert sich also ontologischen Fragen, indem er bei der Sprache ansetzt. Dies bedeutet nicht, daß er unmittelbaren Aussagen ausweichen oder Metaphysik durch Logik ersetzen wollte. Vielmehr gilt nach ihm grundsätzlich für alle Wissenschaften, daß der, der sie betreibt, zunächst nur Sätze weiß und erst durch die Sätze die Dinge selbst kennt.234 Daher gehört zu jeder Wissenschaft auch die Untersuchung ihrer Begriffe.235 Wendet dagegen jemand ein, er wolle nicht über Begriffe, sondern über die Dinge selbst sprechen, erwidert ihm Ockham, ohne klare Begriffe sei dies unmöglich.236 Um Ockhams Ansichten über das Wirkliche und das Mögliche zu verstehen, darf man nicht vernachlässigen, was er über unsere Rede und unser Denken vom Wirklichen und Möglichen gelehrt hat. a)

Assertorische Aussagen

Ockham unterscheidet verschiedene Formen von Sätzen. Wichtig ist im folgenden die Unterscheidung zwischen assertorischen Sätzen („de inesse") und modalen Sätzen („de modo").237 Modale Sätze unterscheiden sich weiter nach ihrer Modalität. Zu ihnen zählen klassische Modalitäten wie die Möglichkeit („de possibili"), die Unmöglichkeit („de impossibili"), die Notwendigkeit („de 233

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In Ph. III, cap. 2, § 1 (OPh IV 4 1 6 , 3 0 - 3 4 ) : „Sed est intentio Philosophi quod praedicabilia tarn substantialia quam accidentalia de aliquibus praedicantur per hoc verbum ,est' vel per aliquod verbum aequivalens, et de aliquibus praedicantur per hoc verbum .potest' cum hoc verbo .esse'"; vgl. S. L. I, cap. 38 (OPh I 108,57-66). Ord., dist. 2, qu. 4 (OPh II 137,16-17 und 2 0 - 2 1 ) : „nihil scitur nisi complexum. ( . . . ) Tertio modo [seil, scientia est de rebus], quod res sint illa pro quibus partes sciti supponunt, et sie scientia realis est de rebus"; vgl. In Ph., Prol., § 4 (OPh IV 11,9-10). In Ph., Prol., § 4 (OPh IV 12,41-43): „scientia realis non est de rebus, sed est de intentionibus supponentibus pro rebus, quia termini propositionum scitarum supponunt pro rebus". Vgl. Ord. I, dist. 2, qu. 1 (OTh II 47,3-6): „Si dicas: nolo loqui de voeibus sed tantum de rebus, tarnen hoc non est possibile nisi mediantibus voeibus vel conceptibus vel aliis signis". S. L. II, cap. 1 (OPh 1 2 4 2 , 3 3 - 3 5 ) : „Alia divisio propositionis est quod quaedam est propositio de inesse et quaedam de modo vel modalis. Propositio modalis est illa in qua ponitur modus. Propositio de inesse est illa quae est sine modo".

Das Mögliche bei Ockham

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necessario") und die Kontingenz („de contingenti"). Daneben läßt Ockham auch andere Bestimmungen von Sätzen als Modalitäten gelten, etwa „Es wird gewußt, daß ..." oder „Es gilt ,per s e \ daß ..." Im gegenwärtigen Zusammenhang wichtig sind vor allem die assertorischen Sätze („de inesse") sowie die Sätze über Mögliches („de possibili") und über Unmögliches („de impossibili").238 Diese Sätze unterscheiden sich voneinander wiederum, je nachdem sie bejahend oder verneinend sind,239 je nachdem sie universal, partikulär, singulär oder indefinit sind240 und je nachdem sie von Gegenwärtigem („de praesenti"), Zukünftigem („de futuro") oder Vergangenem („de praeterito") handeln. Einfache Sätze bestehen aus einem Subjekt und einem Prädikat, die durch eine Kopula miteinander verbunden sind.241 Die Begriffe, die in einem Satz die Modalität, Zeitstufe oder Verneinung ausdrücken, rechnet Ockham dabei zur Kopula. Subjekt und Prädikat sind also nur indirekt davon betroffen. Wählen wir als Beispiel der Einfachheit halber einen singulären affirmativen assertorischen Satz, nämlich „Sokrates ist ein Mensch" („Sortes est homo") oder „Gott ist" („Deus est"), wobei „ist" keine Kopula, sondern das Prädikat ist. Die Wahrheit eines Satzes entscheidet sich nach Ockham daran, wofür Subjekt und Prädikat im Satz stehen oder, wie sich Ockham ausdrückt, „supponieren". Wahr ist ein bejahender Satz, wenn Subjekt und Prädikat für dasselbe supponieren. Ein universaler bejahender Satz ist wahr, wenn das Prädikat für alles supponiert, wofür auch das Subjekt supponiert.242 Ein partikulärer bejahender Satz ist wahr, wenn das Prädikat wenigstens für ein Individuum supponiert, für das auch das Subjekt supponiert.243 Ein verneinender partikulärer Satz ist hingegen wahr, wenn entweder das Subjekt fur nichts supponiert oder das Subjekt für irgendetwas supponiert, wofür das Prädikat nicht suppo-

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S. L. II, cap. 1 (OPh I 242,36-243,62). S. L. II, cap. 1 (OPh I 244,77-78): „Alia divisio propositionum est quod quaedam est affirmativa et quaedam negativa". S. L. II, cap. 1 (OPh I 244,79-80): „Alia divisio est quod quaedam est universalis, quaedam particularis, quaedam indefmita, quaedam singularis". S. L. II, cap. 1 (OPh I 241,7-8): „Propositio categorica est ilia quae habet subiectum et praedicatum et copulam". S. L. II, cap. 4 (OPh I 260,54-57): „Est igitur primo sciendum quod ad veritatem talis propositionis universalis ( . . . ) requiritur quod praedicatum supponat pro omnibus iIiis pro quibus supponit subiectum". S. L. II, cap. 3 (OPh I 255,9-12): „Et ad veritatem talium [seil, propositionum indefinitarum vel particularium] sufficit quod subiectum et praedicatum supponant pro aliquo eodem, si sit propositio affirmativa et non addatur signum universale a parte praedicati".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

niert.244 Entsprechend müßte - in einem Fall, den Ockham auslässt - ein verneinender allgemeiner Satz wahr sein, wenn entweder das Subjekt für nichts supponiert oder wenn das Prädikat für nichts supponiert, wofür auch das Subjekt supponiert.245 Der Satz „Sokrates ist ein Mensch" ist also dann wahr, wenn sowohl das Subjekt (also der Name „Sokrates") als auch das Prädikat (also das Wort „Mensch") für dasselbe Individuum stehen, nämlich Sokrates. Der Satz „Gott ist" ist dementsprechend dann wahr, wenn es ein Individuum gibt, für das sowohl das Subjekt (also „Gott") als auch das Prädikat (also „ist" oder „seiend") supponiert. Da dies nach Ockhams Überzeugung tatsächlich der Fall ist, ist der Satz „Gott ist" wahr. Ockham unterscheidet die Sätze unter anderem auch danach, ob sie von Gegenwärtigem („de praesenti"), Zukünftigem („de futuro") oder Vergangenem („de praeterito") handeln. Die heutige Logik nimmt auf solche zeitlichen Unterschiede wenig Rücksicht und betrachtet die Gegenstände der Logik meist als zeitlos. Bei Ockham hingegen können Subjekt und Prädikat in Sätzen über Vergangenes nicht nur für gegenwärtige, sondern auch für vergangene Entitäten, und in Sätzen über Zukünftiges nicht nur für gegenwärtige, sondern auch für zukünftige Entitäten stehen.246 Wenn im Einzelfall nicht klar ist, ob das Subjekt nur für Gegenwärtiges oder auch für Zukünftiges oder Vergangenes steht, treten Schwierigkeiten eigener Art auf.247 Sätze über Wirkliches sind also für Ockham zeitlich bestimmt. Je nachdem, wann sie geäußert werden und in welcher Zeitstufe sie stehen, kann ihr Wahrheitswert wechseln. Das behauptet Ockham zwar unmittelbar nur für die Sätze über das Wirkliche; es sagt aber auch etwas über die Wirklichkeit aus, für die in diesen Sätzen Subjekt und Prädikat stehen: Sie ist zeitlich und durch Entstehen, Vergehen und Veränderung gekennzeichnet. 244

S. L. II, cap. 3 (OPh I 255,13-16): „Sed si talis [propositio indefinita vel particularis] sit negativa, requiritur quod subiectum et praedicatum non supponant pro omni eodem, immo requiritur quod subiectum pro nullo supponat, vel quod supponat pro aliquo pro quo praedicatum non supponit".

245

Vgl. Alfred J. Freddoso: Ockham's Theory of Truth Conditions. In: Ockham's Theory of Propositions. Part II of the Summa Logicae. Translated by Alfred J. Freddoso and Henry Schuurman. Introduction by Alfred J. Freddoso. Notre Dame-London: University of Notre Dame Press 1980, 1-76, 18. S. L. II, cap. 7 (OPh 1269,3-8): „Et est primo sciendum quod quaelibet propositio de praeterito et de futuro, in qua subicitur terminus communis vel pronomen demonstrativum cum termino communi vel terminus discretus importans aliquod compositum, est distinguenda, eo quod subiectum potest supponere pro eo quod est vel pro eo quod fuit, si sit propositio de praeterito, aut pro eo quod est vel pro eo quod erit, si sit propositio de futuro". Vgl. S. L. II, cap. 7 (OPh I 269-272).

246

247

Das Mögliche bei Ockham

447

Allerdings sind nicht alle Sätze über Wirkliches in gleicher Weise zeitlich bestimmt. Manche Sätze sind kontingent, und ihr Wahrheitswert hängt vom Zeitpunkt ab, zu dem sie geäußert werden. Andere sind notwendig, und bei ihnen spielt (von der akzidentellen Notwendigkeit des Vergangenen abgesehen) der Zeitpunkt ihrer Äußerung keine Rolle. Hier ist die ontologische Notwendigkeit des Seienden von der logischen Notwendigkeit der Sätze zu unterscheiden, mit denen wir über Seiendes sprechen.248 In ontologischer Hinsicht ist eine reale Entität notwendig, wenn sie immer und mit Notwendigkeit ist und nicht nicht-sein kann. In diesem Sinn ist Gott allein notwendig und alles Außergöttliche kontingent.249 Wenn Ockham von notwendigen Sätzen spricht, dann denkt er nicht an die ontologische Notwendigkeit, als müßte der Satz immer und mit Notwendigkeit (also wie Gott) bestehen. 250 Vielmehr denkt er an die logische Notwendigkeit. Die logische Notwendigkeit eines Satzes besteht nicht darin, daß dieser Satz immer wahr ist. Denn da ein Satz nach Ockham nur dann einen Wahrheitswert besitzt, wenn er existiert, könnte ein Satz nur dann mit Notwendigkeit wahr sein, wenn er auch mit Notwendigkeit existierte. Er könnte also nur dann logisch notwendig sein, wenn er auch ontologisch notwendig wäre. Da aber kein Satz ontologisch notwendig ist, ist auch keiner in dem Sinn notwendig, daß er immer wahr ist. Freilich ist ein Satz, der nicht existiert auch nicht falsch, sondern wie der Satz selbst nicht existiert, existiert auch sein Wahrheitswert nicht. Notwendig ist ein Satz also nur dann, wenn er zwar nicht immer wahr, aber doch niemals falsch ist. Derselbe Gedanke läßt sich auch so ausdrücken: Notwendig ist ein Satz, der immer, wenn er existiert, wahr ist.251 Schließlich ist etwas notwendig, wenn es einen Widerspruch einschließt, daß das Gegenteil wahr ist.252 248

249 250

251

252

Jan P. Beckmann: Wilhelm von Ockham. München: Beck 1995 (Beck'sche Reihe 533), 7 9 f gegen Honnefelder: Wilhelm, 264, der Ockham die Ansicht unterstellt, Modalitäten könnten ausschließlich als Modi der Aussage aufgefaßt werden. Br. sum., Prol. (OPh VI 6,38-39); S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 521,27-30); Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,16-18); Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,32-33). S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 512,21-25): „Quod non est sic intelligendum quod propositiones illae [seil, necessariae] sunt quaedam entia perpetua et incorruptibilia. Hoc enim falsum est. Solus enim Deus est perpetuus et incorruptibilis, nec aliquid aliud a D e o potest esse simpliciter perpetuum et incorruptibile quin per aliquam potentiam posset fieri non-ens". S. L. II, cap. 9 (OPh I 275,72-74): „Tarnen de propositione necessaria est sciendum quod propositio non propter hoc dicitur necessaria quia semper sit vera, sed quia est vera si sit et non potest esse falsa". Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,14-16): „Necessitas absoluta est quando aliquid est simpliciter necessarium, ita quod eius oppositum esse verum includit contradictionem".

448

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Die in diesem Sinn notwendigen Sätze sind von sehr verschiedener Natur. Erstens sind Sätze notwendig, die eine wahre Aussage über einen notwendigen Gegenstand machen. Beispielsweise sind die Sätze „Gott ist" und „Gott ist dreifaltig" notwendig, weil der Sachverhalt, den sie ausdrücken, mit Notwendigkeit besteht, und sie aus diesem Grund niemals falsch sein können. 253 Auf diese Weise sind allerdings nur Sätze über Gott notwendig, weil Gott allein notwendig und alles anderen kontingent ist.254 Abgesehen von Sätzen über Gott sind auch Sätze notwendig, die nicht die Wirklichkeit in ihrer Kontingenz zum Inhalt haben, sondern die ihr zugrunde liegende Möglichkeit aussagen. 255 In gewisser Weise als notwendig gelten auch Aussagen, die auf die erste Weise „per se" sind. In ihnen gibt das Prädikat die Definition des Subjekts oder wenigstens einen Teil von ihr an. Allerdings genügen diese Sätze nicht den streng angewandten Kriterien der Notwendigkeit, wie sie Ockham aufgestellt hat. Denn ein Satz wie „Jeder Mensch ist ein Lebewesen" ist nicht notwendigerweise immer, wenn er geäußert wird, wahr. Wenn es nämlich keinen Menschen gibt, supponiert das Subjekt für nichts. Weil es für nichts supponiert, supponiert es auch nicht für dasselbe wie das Prädikat, sodaß das Kriterium für einen wahren affirmativen Satz nicht erfüllt ist. Daher sind solche Sätze nicht im strengen Sinn notwendig, sondern im strengen Sinn notwendig sind sie nur unter einer Voraussetzung oder im Modus der Möglichkeit, ζ. B. „Wenn es einen Menschen gibt, ist der Mensch ein Lebewesen" oder „Jeder Mensch kann lachen". 256 Ockham unterscheidet zwischen absoluter und bedingter Notwendigkeit. Absolute Notwendigkeit liegt vor, wenn es einen Widerspruch enthält, daß das Gegenteil wahr ist. 257 Bedingte Notwendigkeit liegt in einem Bedingungsgefüge vor, in dem zwar sowohl die Bedingung als auch die Folge daraus in sich kontingent, aber miteinander notwendig verbunden sind. 258 Wiederum spricht Ockham nur von der Notwendigkeit von Sätzen, teilt uns damit aber indirekt auch etwas über die Notwendigkeit des wirklich Sei253 254 255 256

257 258

Vgl. S. L. II, cap. 9 (OPh I 275,74-79); Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,17). Br. sum., Prol. (OPh VI 6,38-39); S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 521,27-30); Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,16-18); Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,32-33). Vgl. S. L. III-2, cap. 7 (OPh I 516,41-43): „Verumtamen propositiones de possibili et eius aequivalentes, compositae ex talibus terminis, sunt per se". S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 513,54-56): „Haec enim simpliciter est necessaria ,si homo est, animal est'; et ista ,si homo ridet, animal ridet'; et ista ,omnis homo potest ridere', si subiectum stet pro his quae possunt esse". Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,13-18). Quodl. VI, qu. 2 (OTh IX 590,19-21): „Necessitas ex suppositione est quando aliqua condicionalis est necessaria, quamvis tarn antecedens quam consequens sit contingens".

449

Das Mögliche bei Ockham

enden mit. Unter ihnen ist Gott allein notwendig, während alles andere, was von ihm geschaffen ist, kontingent hervorgebracht wird. Allerdings können gewisse Zusammenhänge und Sachverhalte, die kontingente Geschöpfe betreffen, durchaus notwendig sein. Bejahende assertorische Sätze sind wahr, wenn in ihnen Subjekt und Prädikat für dasselbe Seiende supponieren. Daß solche Sätze in den Zeitstufen der Vergangenheit und der Zukunft stehen können, setzt voraus, daß alles, was ist, in der Zeit ist. Unter allem Seienden ist Gott allein notwendig, doch gibt es verschiedene Formen notwendiger Sätze. b)

Modale Aussagen der Möglichkeit

Wie wir über Wirkliches sprechen können, so können wir auch über bloß Mögliches sprechen. Um die Frage nach der Wahrheit solcher Sätze über Mögliches zu entscheiden, gelten einige besondere Regeln, weil in diesen Sätzen Subjekt und Prädikat auch auf besondere Weise supponieren können. Das läßt sich an einem Beispiel zeigen. Als Musterbeispiel für das bloß Mögliche, aber nicht Wirkliche nennt Wilhelm von Ockham den Antichristen.259 Dieses 259

Vgl. E . Lohmeyer: Antichrist. In: R A C 1 ( 1 9 5 0 ) 4 5 0 - 4 5 7 ; E . Lohse, G. Jenschke: Antichrist. In: H W P 1 ( 1 9 7 1 ) 3 8 1 - 3 8 5 ; Sven S. Hartman, Otto Böcher, Gustav A d o l f Benrath, Gottfried Seebaß, Jörg Salaquarda: Antichrist. In: T R E 3 ( 1 9 7 8 ) 2 0 - 5 0 ; Raoul Manselli, Georg J e n s c h ke, Walter Ulimann und J o s e f van Ess: Antichrist. A. Theologie und Politik. In: L M A 1 ( 1 9 8 0 ) 7 0 3 - 7 0 5 ; Karlheinz Müller, Martin Häusler, B e m d J. Ciaret, Gosbert Schüssler: Antichrist. In: 4BThW,

3LThK

22-24;

1 ( 1 9 9 3 ) 7 4 4 - 7 4 7 ; Johann Michl und Johannes B . Bauer: Antichrist. In: J o s e f Finkenzeller:

Antichrist. In: Lexikon

der katholischen

Dogmatik.

Hrsg. v. W o l f g a n g Beinert. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1997 (Akzente), 1 8 - 1 9 . Das Wort „Antichrist"

kommt

im

Neuen

Testament

nur

in

den

Johanneischen

Briefen

vor

(1 J o h 2 , 1 8 . 2 2 ; 4 , 3 ; 2 Joh 7 ) und meint einen (oder mehrere) Widersacher Christi in der „letzten Stunde" (1 Joh 2 , 1 8 ) . Indem sich in ihm Vorstellungen verschiedener apokalyptischer G e stalten verschmolzen, gewann der vage Ausdruck an Konturen, sodaß bisweilen ganze „ A n tichristologien" entfaltet wurden. Identifikationen mit bestimmten Personen - wie den Kaisern Nero ( 3 7 - 6 8 , Kaiser ab 5 4 ) oder Friedrich II. ( 1 1 9 4 - 1 2 5 0 , Kaiser ab 1 2 2 0 ) - oder Institutionen - wie dem Römischen Reich oder dem Papsttum - wurden zu meist polemischen Z w e c k e n immer wieder versucht, konnten sich aber nicht dauerhaft durchsetzen. Eine knappe, aber repräsentative und einflußreiche

Darstellung

verfaßte

der Abt A d s o von

Montier-en-Der

( 9 1 0 / 1 5 - 9 9 2 ) für die Königin Gerberga; vgl. Karl F. Werner: Adso. In: L M A 1 ( 1 9 8 0 ) 1 6 9 170. Nach seinem Traktat heißt der Antichrist Antichrist, weil er in allem Christus entgegengesetzt ist. Er stammt aus dem jüdischen Stamm Dan (vgl. Gen 4 9 , 1 7 ) , wird nicht wie Christus von einer Jungfrau, sondern durch Beischlaf, nicht wie Christus durch den Heiligen Geist empfangen, sondern durch den Teufel gezeugt und heißt daher auch „Sohn des Verderbens" (vgl. 2 Thess 2,3). Der Antichrist wird in Babylon geboren und in Betsaida und Chorazin (vgl. Mt 1 1 , 2 1 ) von bösen Zauberern aufgezogen. Dann kommt er nach Jerusalem, erbaut den salomonischen Tempel von neuem und läßt sich dort als Gott verehren. Durch Terror, B e s t e chung und Wundertaten verfuhrt er die Gläubigen, und die ihm widerstehen, verfolgt er bis auf

450

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Beispiel ist insofern etwas ungenau, als der Antichrist nicht nur existieren kann, sondern in Zukunft auch einmal existieren wird, also nicht bloß möglich, sondern auch zukünftig wirklich ist. 260 Nichtsdestoweniger gibt er ein gutes Beispiel ab für ein Wesen, das zwar gegenwärtig nicht existiert, aber existieren kann.261 Gut ist das Beispiel vor allem deshalb, weil nicht allgemein von möglichen Menschen, Tieren usw. gesprochen wird, sondern von einem möglichen Individuum. Denn nach Ockhams Nominalismus ist das Allgemeine unmöglich und nur das Individuelle möglich. Ockham sucht nach einem Kriterium, anhand dessen sich die Frage nach der Wahrheit von Sätzen über Mögliches wie „Der Antichrist kann sein" entscheiden lassen. Zunächst führt er die Wahrheit von modalen Sätzen über Mögliches auf die mögliche Wahrheit von assertorischen Sätzen zurück. Ein modaler Satz über Mögliches ist also wahr, wenn ein ihm entsprechender assertorischer Satz möglicherweise wahr ist.262 Der Satz „Der Antichrist kann sein" ist also dann wahr, wenn der Satz „Der Antichrist ist" möglicherweise wahr ist. Strittig unter den Interpreten ist die Frage, ob an dieser Stelle Ockhams Erklärungen, wann modale Sätze wahr sind, enden263 oder ob es noch einen tieferen Grund ihrer Wahrheit gibt. Ein solcher tieferer Grund könnte ein Kri-

260 261

262 263

den Tod. Sein Auftreten fällt zeitlich mit dem Ende des Römischen Reiches zusammen, dessen Würde für Adso vorerst noch im Frankenreich besteht. Sobald aber dessen letzter König auf dem Ölberg in Jerusalem Krone und Zepter niederlegt, richtet der Antichrist seine Herrschaft auf. Die Juden verführt er, indem er sich als Messias ausgibt, die Christen, indem er sich in den Tempel Gottes, die Kirche, setzt (vgl. 2 Thess 2,4). Zur Predigt gegen ihn werden die Propheten Henoch und Elija ausgesandt (vgl. Offb 11,3-10). Sie gewinnen zwar Israel für den Glauben, werden aber nach dreieinhalbjähriger Tätigkeit vom Antichristen ermordet. Da entbrennt der Zorn Gottes gegen ihn, und er wird auf dem Ölberg am Ort der Himmelfahrt in seinem Zelt auf seinem Thron von Jesus Christus „mit dem Hauch seines Mundes" (vgl. Jes 11,4; 2 Thess 2,8) getötet (oder vom Erzengel Michael in der Kraft Jesu Christi). Anschließend hat, wer vom Antichrist verführt worden ist, noch vierzig Tage Zeit, um vor dem Gericht Buße zu tun. (Vgl. Adso: Tractatus de Antichristo (ed. Verhelst, 22-29)) Solche Schilderungen waren in der Zeit Ockhams weit verbreitet (vgl. Manselli: Antichrist, 704f). Allerdings kommt es ihm nicht auf die Einzelheiten an. Wichtig ist, daß der Antichrist ein Wesen ist, das in der aktuellen Gegenwart nicht existiert, aber existieren kann. (Ockham sieht also nicht wie einige franziskanische Spiritualen in Johannes XXII., dem Papst seiner Tage, den Antichristen.) Vgl. S. L. I, cap. 59 (OPh I 190,51-53): „haec est vera ,Antichristus erit ante diem iudicii', et tarnen in Antichristo, cum sit nihil, non est talis res". S. L. I, cap. 38 (OPh I 108,62-63): „.Antichristus potest esse ens' sive .Antichristus est ens in potentia'"; vgl. Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 561,16-21); Qu. var., qu. 3 (OTh VIII 78,323324); In Per. II, cap. 5, § 9 (OPh II 356,41-42); In El. II, cap. 10, § 2 (OPh III 265,75-76); In Ph. III, cap. 2, § 1 (OPh IV 416,36-37); S. L. III-4, cap. 6 (OPh I 780,262); S. L. III-4, cap. 13 (OPh 1 831,15-832,34). Vgl. S. L. II, cap. 9 (OPh I 273,13-19). So Freddoso: Theory, 60.

Das Mögliche bei Ockham

451

terium dafür angeben, wann ein assertorischer Satz, auf den der modale Satz über Mögliches zurückzuführen ist, möglicherweise wahr ist, und sich dazu wiederum der Suppositionstheorie bedienen. Denn auch in Sätzen über bloß Mögliches supponieren Subjekt und Prädikat. 264 Das Subjekt kann dabei entweder nur für Wirkliches oder auch für Mögliches supponieren.265 Supponiert es nur für Wirkliches, handelt es sich um eine modale Aussage „in sensu divisionis".266 Kann das Subjekt auch für bloß Mögliches supponieren, handelt es sich um eine modale Aussage „in sensu compositionis". 267 Die Verwechslung des „sensus divisus" mit dem „sensus compositus" kann zu Fehlschlüssen und Paradoxien führen, weil modale Sätze der Möglichkeit auf unterschiedliche Weise auf möglicherweise wahre assertorische Sätze zurückgeführt werden müssen, je nachdem sie „in sensu divisionis" oder „in sensu compositionis" zu verstehen sind. Der Satz „Das Weiße kann schwarz sein" ist, im „sensus compositus" verstanden, zurückzuführen auf die Möglichkeit des Satzes „Das Weiße ist schwarz". Da es aber unmöglich ist, daß Weißes schwarz ist, ist es auch falsch, daß Weißes schwarz sein kann. Im „sensus divisus" ist derselbe Satz jedoch zurückzuführen auf die Möglichkeit des Satzes „Dies kann schwarz sein", wobei „dies" für dasselbe supponiert wie „das Weiße" im ursprünglichen Satz. Das trifft zu, wenn ein gegenwärtig schwarzer Gegenstand gemeint ist, der jedoch weiß werden kann. Daher ist es im „sensus divisus" wahr, daß das Weiße schwarz sein kann.268 Ockham stellt also ausdrücklich fest, daß Subjekt und Prädikat eines Satzes nicht immer für wirklich Existierendes supponieren müssen, sondern durchaus auch für bloß Mögliches stehen können.269 Es läßt sich allerdings nicht eindeutig belegen, daß er die Wahrheit von modalen Sätzen über Mögliches danach entscheidet, ob in ihnen Subjekt und Prädikat für dieselbe mögli264

265

266 267 268 269

S. L. I, cap. 72 (OPh I 215,38-40): „Pro quo est intelligendum quod tunc terminus supponit personaliter quando supponit pro suis significatis, vel pro his quae fuerunt sua significata vel erunt vel possunt esse". S. L. I, cap. 72 (OPh I 216,51-55): „Similiter pro his quae possunt esse significata et non sunt non potest supponere nisi respectu verbi de fiituro, et ideo illa propositio est distinguenda, eo quod terminus potest supponere pro his quae sunt vel pro his quae possunt esse vel contingunt esse". Vgl. S. L. II, cap. 9 (OPh I 273,19-25). Vgl. S. L. II, cap. 9 (OPh I 273,13-19). Vgl. In El. I, cap. 3, § 6 (OPh III 39,150-155); In El. II, cap. 5, § 8 (OPh III 186,51-60); S. L. II, cap. 10 (OPh I 278,78-80); S. L. III-l, cap. 20 (OPh I 4 1 4 , 1 0 1 - 1 0 3 ) . S. L. I, cap. 72 (OPh I 2 1 5 , 3 8 - 4 0 und 216,51-53): „Pro quo est intelligendum quod tunc terminus supponit personaliter quando supponit pro suis significatis, vel pro his quae fuerunt sua significata vel erunt vel possunt esse. ( . . . ) Similiter pro his quae possunt esse significata et non sunt non potest supponere nisi respectu verbi de possibili vel de contingenti".

452

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

che Entität supponieren. Doch wird häufig angenommen, daß ein solches Kriterium für die Wahrheit von Sätzen über Mögliches von Ockham beabsichtigt war oder doch auf seiner Linie lag.270 Damit geht Ockham allerdings eine ontologische Verpflichtung auf bloß Mögliches ein. In modalen Sätzen der Möglichkeit stehen Subjekt und Prädikat meist nicht für wirklich Existierendes und oft auch nicht für Zukünftiges und Vergangenes, sondern auch für Mögliches, das niemals war, ist oder sein wird. (Hier hinkt das Beispiel vom Antichristen. Als besseres Beispiel wählt die Sekundärliteratur öfters den möglichen ältesten Sohn einer kinderlosen Person.271) Aus der Wirklichkeit läßt sich auf die Möglichkeit schließen.272 Ein umgekehrter Schluß von der bloßen Möglichkeit auf die Wirklichkeit ist hingegen unzulässig. 273 Das Mögliche umfaßt also das Wirkliche und zwar in allen Zeitstufen. Das Zukünftige und das Vergangene sind ebenso wie das Gegenwärtige möglich. Doch das Mögliche umfaßt noch mehr als das, was in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirklich ist. Daß die Möglichkeit die Wirklichkeit umfaßt, beinhaltet, daß die Möglichkeit in gewisser Weise zeitlos ist. Zwar ist für uns manches in einer konkreten Situation möglich, was früher unmöglich war oder es auch später wieder sein wird; doch was an sich möglich ist, hängt nicht von der Zeit ab (abgesehen davon, daß, was einmal geschehen ist, unmöglich wieder ungeschehen gemacht werden kann). Vielmehr ist, was einmal möglich ist, immer möglich, und was einmal schlechthin unmöglich ist, ist immer unmöglich. Daher sind modale Sätze über Mögliches auch notwendig.274 Die Modalität, in der das existiert, worüber ein Satz spricht, ist nämlich nicht notwendigerweise die Modalität des Satzes selbst. Ein Satz kann etwas über etwas Kontingentes aussagen, ohne selbst kontingent zu sein; er kann etwas über etwas Notwendiges aussagen, ohne selbst notwendig zu sein; er kann etwas über etwas Unmögliches aussagen, ohne selbst unmöglich zu sein, usw. 275 270 271 272 273

274

275

Elizabeth Karger: Would Ockham Have Shaved Wyman's Beard? In: FrS 40 (1980) 244-264 - gegen Freddoso: Theory, 43-61. Beispielsweise Jeffrey Croombs: The Possibility of Created Entities in Seventeenth-Century Scotism. In: PhQ 43 (1993) 447^459,447. S. L. III-3, cap. 11 (OPh I 637,11): „Sed ilia de inesse semper infert suam de possibili". S. L. III-3, cap. 11 (OPh I 637,7-9): „Circa illas de possibili est primo sciendum quod ilia de possibili, sive sumatur in sensu divisionis sive in sensu compositionis, non infert suam de inesse". Vgl. S. L. III-2, cap. 7 (OPh I 516,41-43) - gegen das, was Cristobal Gutierrez Aranda: Los principios de omnipotencia y de no-contradiccion ein Guillermo de Ockham. Phil. Diss. Universidad de Malaga 1987, 152 zu behaupten scheint. Vgl. S. L. III-2, cap. 5 (OPh I 513,53-54): „propositiones condicionales et de possibili et aequivalentes eis possunt esse necessariae".

Das Mögliche bei Ockham

453

Vielmehr sind gerade wahre Sätze über Mögliches notwendig 276 in dem Sinn, daß sie nicht falsch sein können bzw. daß sie wahr sind, wann immer sie existieren. Denn was möglich ist, ist mit Notwendigkeit möglich. Dies gilt etwa von den Behauptungen, der Mensch könne lachen oder er könne Bildung annehmen. Daraus folgt, daß das Mögliche nicht geschaffen ist. Denn der Begriff der passiven Schöpfung steht für das Geschöpf und konnotiert erstens den Schöpfer und zweitens den Sachverhalt, daß das Geschöpf vor dem Augenblick des Schöpfungsaktes nicht existiert hat. Ist damit die reale Existenz gemeint, so existiert das Mögliche weder vor noch nach einem allfälligen Schöpfungsakt. Ist damit nur das Möglich-Sein gemeint - was nach Ockham nur ein uneigentlicher Sprachgebrauch wäre hat das Mögliche schon von jeher, also auch vor einem allfälligen Schöpfungsakt, existiert. In jedem Fall ist die Möglichkeit als solche nicht von Gott geschaffen. Ob und gegebenenfalls wie sie entsteht, darüber macht Wilhelm von Ockham im Gegensatz zu Duns Scotus keine Angaben. In der bejahenden assertorischen Aussage supponieren also Subjekt und Prädikat nur fur Wirkliches, nämlich für Gegenwärtiges und allenfalls auch für Vergangenes oder Zukünftiges. In modalen Sätzen über Mögliches können sie hingegen auch für bloß Mögliches supponieren. Da alles, was ist, war oder sein wird, auch möglich ist, aber nicht umgekehrt alles Mögliche auch wirklich wird, ist das Wirkliche zeitlich bestimmt, während das Mögliche alle Zeiten umfaßt und zeitunabhängig möglich ist. Sätze über Mögliches sind stets notwendig, während Sätze über Wirkliches häufig kontingent sind. Das Wirkliche (außer Gott) ist geschaffen, das Mögliche ist es nicht.

3)

Der ontologische Status des Möglichen: Vergleich des Möglichen mit dem Unmöglichen

Wilhelm von Ockham gesteht zwar zu, daß in einem weiten und ungebräuchlichen Sinn alles als seiend bezeichnet werden könne, dem das reale Sein nicht widerspricht, also auch das Mögliche. Doch besteht er im allgemeinen darauf, daß das „ens in potentia" kein Seiendes („ens") ist, sondern ein Nichts („nihil"). Wie das Mögliche ist auch das Unmögliche nichts. Man darf sich, wie Ockham betont, nicht vorstellen, es gäbe gleichsam eine Welt aus Un-

276

S. L. I, cap. 24 (OPh 1 80,61-68).

454

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

möglichem, wie es eine Welt aus Seiendem gibt.277 Da also nicht nur das bloß Mögliche nichts ist, sondern auch das Unmögliche, stellt sich die Frage, wie sich Möglichkeit und Unmöglichkeit voneinander unterscheiden. Nach Ockham sind Mögliches und Unmögliches zwar beide nichts, aber sie sind es nicht in der völlig gleichen Bedeutung des Wortes. Denn ähnlich wie Duns Scotus unterscheidet Wilhelm von Ockham zwischen zwei Bedeutungen des Ausdrucks „nichts" („nihil"). Damit kann nämlich zum einen das gemeint sein, was nicht real existiert und kein reales Sein hat. In diesem Sinn kann man sagen, ein Engel sei von Ewigkeit her nichts.278 Ockham bemerkt, daß die Heiligen meistens diesen Sinn von „nichts" gebrauchen.279 Vermutlich denkt er dabei an die christliche Lehre der Schöpfung aus dem Nichts. In diesem Sinn ist alles, was möglich, aber nicht wirklich ist, nichts. Zum anderen gilt nur als nichts, was das reale Sein nicht bloß nicht besitzt, sondern was diesem realen Sein sogar widerspricht. In diesem Sinn ist die Chimäre nichts. Doch vom Menschen kann man nicht behaupten, daß er vor seiner Schöpfung in diesem Sinn nichts war. Denn wenngleich er nicht aktuell existiert hat, widerspricht (und widersprach) ihm die Existenz doch nicht.280 In diesem Sinn ist also nur das Unmögliche und Widersprüchliche nichts. a)

Modale Aussagen der Unmöglichkeit

Wie sich besser begreifen läßt, welchen Unterschied Ockham zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen macht, wenn man darauf achtet, wie wir nach Ockham über das Wirkliche und das Mögliche sprechen, so empfiehlt es sich auch, dem Unterschied, der im Denken Ockhams zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen besteht, durch die Betrachtung der Art und Weise nachzugehen, wie wir nach Ockham über Mögliches und Unmögliches sprechen. Da über unsere Rede vom Möglichen im vorangehenden Unterabschnitt 277

278

279 280

S. L. II, cap. 14 (OPh I 287,21-26): „Unde non est imaginandum quod sicut sunt quaedam entia significata per tales terminos .homo*, .animal', ,album', ,calidum', .longum', ,breve' et huiusmodi, ita sunt quaedam non-entia et impossibilia, distincta ab entibus, significata per tales terminos ,chimaera', .hircocervus' et huiusmodi, quasi esset unus mundus ex impossibilibus sicut est unus mundus ex entibus". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 547,11-15): „Quia uno modo .nihil' accipitur et dicitur illud quod non est realiter nec habet aliquod esse reale. Et isto modo dicendum est quod angelus ab aeterno fuit nihil quia nullum esse reale habuit, quia nullum esse fuit ab aeterno nisi solus Deus". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 547,19-20): „Primo modo loquuntur Sancti de nihilo ut frequentius". Ord., dist. 36, qu. un. (OTh IV 537,15-19): „Aliter accipitur .nihil' pro illo quod non tantum non habet esse reale, sed etiam sibi repugnat esse reale. Et isto modo dicimus quod chimaera est nihil. Et sic non fuit homo nihil ab aeterno, quia numquam sibi repugnabat esse in rerum natura".

Das Mögliche bei Ockham

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schon einiges gesagt wurde, komme ich gleich zu unserer Rede vom Unmöglichen. Die Unmöglichkeit ist als Verneinung der Möglichkeit zu verstehen. Daher gelten für sie vielfach die gleichen Grundsätze wie für die Möglichkeit. Doch lassen sich in einigen entscheidenden Punkten Unterschiede feststellen. Wie Sätze über Mögliches von der Zeitstufe ihres Prädikats unabhängig sind, so sind auch Sätze über Unmögliches nicht von einer Zeitstufe abhängig. Denn was einmal in sich (und nicht bloß für jemanden oder in einer bestimmten Situation) unmöglich ist, das ist immer unmöglich. (Dabei muß man allerdings von der Unmöglichkeit absehen, einmal Geschehenes wieder ungeschehen zu machen.) Wie modale Aussagen der Möglichkeit, wenn sie wahr sind, mit Notwendigkeit wahr sind, so sind sie, wenn sie falsch sind, mit Notwendigkeit falsch; und infolgedessen sind modale Aussagen der Unmöglichkeit, wenn sie wahr sind, mit Notwendigkeit wahr und daher notwendig. Wie Ockham die Wahrheit von modalen Sätzen über Mögliches durch die mögliche Wahrheit von assertorischen Sätzen erklärt, so erklärt er die Wahrheit von modalen Sätzen über Unmögliches durch die unmögliche Wahrheit von assertorischen Sätzen, also durch assertorische Sätze, die unmöglich wahr sein können. Wie bei der Rückführung von modalen Sätzen über Mögliches auf mögliche assertorische Sätze auf die Unterscheidung zwischen dem „sensus compositus" und dem „sensus divisus" zu achten ist, so ist auf die gleiche Unterscheidung auch bei der Rückführung von modalen Sätzen über Unmögliches auf unmögliche assertorische Sätze zu achten. Ein Satz wie „Das Weiße kann unmöglich schwarz sein" bedeutet, im „sensus compositus" verstanden, daß der Satz „Das Weiße ist schwarz" unmöglich ist; in diesem Sinn trifft er zu. Wird er hingegen im „sensus divisus" verstanden, bedeutet er, daß der Satz „Dies ist schwarz" unmöglich wäre, wobei mit „dies" dasselbe gemeint ist, was gegenwärtig weiß ist. Falls es sich dabei um etwas Weißes handelt, das sich verfärben und schwarz werden kann, ist die Behauptung „in sensu diviso" falsch. In einer modalen Aussage der Möglichkeit supponieren Subjekt und Prädikat für Mögliches oder Wirkliches. Wenn sie für dasselbe supponieren, ist die Aussage wahr. In einer modalen Aussage der Unmöglichkeit hingegen lassen sich zwei Fälle denken. Entweder supponieren sowohl Subjekt als auch Prädikat für Mögliches, aber nicht für dasselbe, sondern das Subjekt steht für etwas anderes als das Prädikat. Subjektsbegriff und Prädikatsbegriff sind in diesem Fall miteinander unvereinbar. Oder entweder der Subjektsbegriff oder der Prädikatsbegriff steht für überhaupt nichts (und damit auch nicht für dasselbe wie der Prädikatsbegriff). Dieser Fall tritt ein, wenn an der Subjekts- bzw.

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Prädikatsstelle ein fiktiver Terminus (wie „Chimäre") steht, der in sich einen Widerspruch enthält. Für diese zweite Möglichkeit stellt Ockham interessante Überlegungen an. Das Unmögliche ist nichts, was ist, nicht einmal etwas, das man im strengen Sinn denken könnte. Vielmehr tritt es nur in den Vorstellungen auf, die wir Menschen uns machen. Doch schon die Begriffe und Wörter, mit denen wir uns das Unmögliche vorstellen und darüber sprechen, sind merkwürdig. Vom Unmöglichen gibt es keine Realdefinition, die sein Wesen nach Gattung und Artunterschied adäquat erfassen würde. Denn hätte es ein solches Wesen, wäre es auch real möglich. Vom Unmöglichen gibt es nur eine Nominaldefinition, die nicht ein einzelnes Ding bezeichnet, sondern die Bedeutung eines Ausdrucks, der verschiedenes bezeichnet.281 Doch auch unter den vielfältigen Arten der Nominaldefinition sind die Definitionen des Unmöglichen ungewöhnlich. Denn Nominaldefinitionen bezeichnen etwas an erster Stelle, für das sie normalerweise auch personal supponieren können, und etwas anderes an zweiter Stelle. Definitionen des Unmöglichen bezeichnen zwar auch verschiedenes, können aber für nichts personal supponieren.282 Denn wenn es etwas gäbe, wofür sie personal supponieren könnten, dann könnte man davon auch behaupten, daß es unmöglich wäre. Da es aber nichts Unmögliches geben kann, können Definitionen von Unmöglichem für nichts personal supponieren. Daß Begriffe von Unmöglichem für „nichts" personal supponieren, bedeutet jedoch nicht, daß sie nicht personal supponieren könnten. Wenn sie perso-

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Quodl. V, qu. 19 (OTh IX 555,54-556,59): „Secundo differunt in hoc quod definitio exprimens quid rei solum est possibilium, definitio exprimens quid nominis etiam impossibilium. Nam .vacuum', ,non-ens', .impossibile', .infinitum extensive', .chimaera', ,hircocervus' habent tales definitiones, quia istis nominibus correspondent aliquae orationes significantes idem quod istae dictiones"; vgl. S . L . I , cap. 26 (OPh I 88,113-121); S. L. III-3, cap. 23 (OPh I 682,9-12). S. L. II, cap. 14 (OPh I 286,14-287,21): ,,ita per tales terminos fictos, cuiusmodi sunt .chimaera', .tragelaphus', .vacuum', .infinitum' et huiusmodi, nihil significatur nisi quod significatur per terminos alios, sicut patet ex definitionibus exprimentibus quid nominis eorum. Tamen non eodem modo significantur res per istos terminos et alios, sed sic significantur per alios quod pro illis rebus alii termini supponere possunt, isti autem termini non possunt pro eis supponere, sicut nec definitiones exprimentes quid nominis eorum"; vgl. Lambert Marie de Rijk: Logic and Ontology in Ockham. Some Notes on his View of the Categories of Being and the Nature of Its Basic Principles. In: Ockham and Ockhamists. Acts of the Symposium organized by the Dutch Society for Medieval Philosophy Medium Aevum on the occasion of its 10th anniversary (Leiden, 10-12 September 1986). Hrsg. v. E. P. Bos und Η. A. Krop. Nijmegen: Ingenium Publishers 1987 (Artistarium. Supplementa IV), 25-39,29.

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nal supponieren, stehen sie nur nicht für „etwas", sondern für „nichts".283 Die Definition von etwas Unmöglichem ist daher so beschaffen, daß sie an erster Stelle „nichts" bezeichnet, aber verschiedenes konnotiert, was miteinander unvereinbar ist. Infolge der besonderen Definition des Unmöglichen sind auch Sätze, in denen Begriffe von Unmöglichem die Subjekts- oder die Prädikatsposition einnehmen, besondere Sätze. Sie zählen nämlich zu den exponiblen Sätzen. In seiner „Summa logicae" unterscheidet Wilhelm von Ockham zwischen „kategorischen" und „hypothetischen" Sätzen, wie es Ockham nennt, also zwischen einfachen Sätzen und Sätzen, die aus mehreren einfachen (kategorischen) Sätzen zusammengesetzt sind.284 Heute würde man statt von hypothetischen eher von molekularen Sätzen sprechen. Einen Sonderfall in dieser Einteilung stellen die exponiblen Sätze dar, die zwar zu den kategorischen Sätzen zählen, in ihrer Bedeutung aber mehreren einfachen Sätzen gleichkommen. Sie müssen, will man ihren Sinn durchschauen, als Konjunktion zweier oder mehrerer kategorischer Sätze ausgelegt werden.285 In welchen Fällen dies auf welche Weise zu geschehen hat, dafür gibt Ockham verschiedene Regeln an. Allerdings weiß er auch, daß sich in dieser Frage nicht jeder Einzelfall durch allgemeine Regeln erfassen läßt, und begnügt sich daher mehrfach damit, Expositionen von Sätzen bloß durch Beispiele zu veranschaulichen. Zu diesen exponiblen Sätzen zählen (neben den exklusiven, exzeptiven und reduplikativen Sätzen) auch all jene, deren Subjekt oder Prädikat ein konnotativer Begriff ist.286 Dabei unterscheiden sich die Expositionen je nach der Natur der konnotativen Begriffe, sodaß Ockham keine allgemeinen Regeln 283

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S. L. I, cap. 72 (OPh I 219,135-138): „Et si dicatur: ista non stant simul ,supponit' et ,pro nullo supponit', quia sequitur .supponit, igitur pro aliquo supponit', dicendum est quod non sequitur, sed sequitur .supponit, igitur denotatur pro aliquo supponere, vel denotatur pro nullo supponere'"; vgl. Elizabeth Karger: Reference et non-existence dans la semantique de Guillaume d'Ockham. In: Lectionum Varietas. Hommage ä Paul Vignaux ( 1 9 0 4 - 1 9 8 7 ) . Hrsg. v. Jean Jolivet, Zenon Kaluza und Alain de Libera. Paris: Vrin 1991 (EphM 65), 155-176, 175. S. L. II, cap. 1 (OPh I 241,6-10): „una divisio propositionum est quod propositionum alia est categorica, alia hypothetica. ( . . . ) Propositio hypothetica est ilia quae ex pluribus categoricis est composita". S. L. II, cap. 1 (OPh I 243,69-72): „Tertia diviso propositionum categoricum potest esse ista quod aliqua propositio categorica est aequivalens propositioni hypotheticae, quamvis sit categorica, alia autem non est sie aequivalens propositioni hypotheticae"; S. L. II, cap. 11 (OPh I 279,5-8): „Et est sciendum quod quaelibet categorica ex qua sequuntur plures propositiones categoricae tamquam exponentes earn, hoc est exprimentes quid illa propositio ex forma sua importat, potest dici propositio aequivalens propositioni hypotheticae". S. L. II, cap. 11 (OPh I 279,8-11): „Huiusmodi sunt, sicut dictum est prius, propositiones exclusivae et exceptivae et reduplicativae. Huiusmodi etiam sunt omnes propositiones in quibus ponuntur termini connotativi et relativi".

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dafür angibt, sondern Beispiele, nach deren Vorbild sich die analogen Fälle lösen lassen.287 Ein Beispiel lautet: „Sokrates ist weiß" („Sortes est albus"). Da „weiß" („albus") ein Konnotativbegriff ist, der die weiße Farbe („albedo") konnotiert, muß der Satz folgendermaßen exponiert werden: „Sokrates existiert" („Sortes est") und „Dem Sokrates inhäriert die weiße Farbe" („Sorti inest albedo"). 288 Was für KonnotativbegrifFe im allgemeinen gilt, gilt für negative, privative und unendliche Begriffe ebenso wie für fiktive Begriffe, denn all diese sind Konnotativbegriffe: Auch sie müssen, will man sie verstehen, in wenigstens zwei Sätzen exponiert werden. 289 Einer dieser exponierenden Sätze muß affirmativ sein und den Ausdruck „etwas" („aliquid") oder ein Wort vergleichbarer Bedeutung enthalten. 290 Das führt bei fiktiven Begriffen zu merkwürdigen Ergebnissen, die zu berücksichtigen sind, wenn wir Aussagen über den ontologischen Status des Unmöglichen treffen wollen. Das soll an einigen charakteristischen Beispielen gezeigt werden. Das erste von ihnen ist der Satz „Die Chimäre ist seiend" („chimaera est ens"). Dieser Satz ist zu exponieren durch die beiden Sätze „Die Chimäre ist etwas" und „Dies ist seiend". Von diesen beiden Sätzen ist aber der erste falsch, mag der zweite wahr sein oder nicht. Da der eine der beiden exponierenden Sätze falsch ist, ist - was übrigens von Anfang an zu erwarten war - auch der exponierte Satz falsch. Der erste der beiden exponierenden Sätze ist aber deshalb falsch, weil in ihm, obwohl er bejahend ist, Subjekt und Prädikat nicht für dasselbe supponieren. Sie supponieren nicht für dasselbe, weil der Subjektsbegriff für gar nichts supponiert. Denn da der Subjektsbegriff „Chimäre" zwar manches bezeichnet, aber für nichts personal supponieren kann, ist unabhängig vom Prä-

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S. L. II, cap. 11 (OPh I 281,45-48): „Sed diversae propositiones habent diversas exponentes propter diversos terminos connotativos vel relativos, et ideo sufficiet dicere de aliquibus, quia per illas potest sciri, proportionaliter, de aliis quomodo exponantur". S. L. II, cap. 11 (OPh I 281,53-55): „Sicut ad veritatem istius ,Sortes est albus' requiritur quod haec sit vera ,Sortes est' et quod haec sit vera ,Sorti inest albedo'". S. L. II, cap. 12 (OPh 1283,3-7): „Non solum autem propositiones in quibus ponuntur termini connotativi vel relativi sunt aequivalentes propositionibus hypotheticis, sed etiam propositiones in quibus ponuntur termini negativi, privativi et infiniti sunt aequivalentes propositionibus hypotheticis, quia etiam omnes tales termini sunt vere connotativi"; S. L. II, cap. 14 (OPh 1286,3-7): „Sicut propositiones in quibus ponuntur termini negativi et privativi habent plures exponentes, ita propositiones in quibus ponuntur figmenta, hoc est in quibus ponuntur termini ficti quibus nihil correspondet a parte rei tale quale finguntur significare, plures habent exponentes. Tales enim termini vere sunt connotativi". Vgl. S. L. II, cap. 12 (OPh 1283,22-25): „Unde quaelibet propositio in qua ponitur terminus infinitus habet duas exponentes: unam affirmativam, in qua iste terminus ,aliquid' in singulari vel in plurali, vel aliquis alius terminus aequipollens tali, subicitur vel praedicatur".

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dikatsbegriff das Wahrheitskriterium der Supposition von Subjekt und Prädikat für dasselbe nicht erfüllt. Da dies unabhängig vom Prädikatsbegriff gilt, läßt es sich für alle bejahenden Sätze verallgemeinern, in denen das Wort „Chimäre" (und entsprechend jedes andere, das für Unmögliches steht) in personaler Supposition als Subjekt auftritt: Sie besitzen wenigstens zwei exponierende Sätze, von denen mindestens einer falsch ist, und sind daher selbst dem Wortlaut nach falsch.291 Daher ist jeder affirmative Satz mit einem unmöglichen bzw. fiktiven Begriff als Subjekt mit Notwendigkeit falsch. Nichtsdestoweniger kann Ockham auch dem Satz „Die Chimäre ist seiend" einen wahren Sinn abgewinnen. Freilich darf aus dem genannten Grund das Wort „Chimäre" dabei nicht für nichts stehen. Es steht aber nur dann für nichts, wenn es personal supponiert. Aber statt personal für das zu stehen, was es bezeichnet, kann ein Begriff auch einfach oder material supponieren, also für sich selbst oder fur ein gesprochenes oder geschriebenes sprachliches Zeichen stehen. Wenn der Begriff „Chimäre" einfach oder material supponiert, ist der Satz wahr, denn „Chimäre" steht in diesem Fall für den Begriff „Chimäre" oder das Wort „Chimäre", die als Wort bzw. als Begriff tatsächlich seiend sind, sodaß Subjekt und Prädikat in diesem bejahenden Satz für dasselbe supponieren und das Kriterium für seine Wahrheit erfüllen. 292 Ähnliches gilt für scheinbar selbstverständlich wahre Behauptungen wie „Die Chimäre ist eine Chimäre" („chimaera est chimaera"). Wie jeder andere bejahende Satz mit einem fiktiven Begriff als Subjekt ist sie falsch, weil in ihr der Begriff von etwas Unmöglichem personal supponiert. Der Satz ist nämlich zu exponieren durch die beiden Sätze „Die Chimäre ist etwas" und „Dies ist eine Chimäre", von denen wenigstens der erste falsch ist und den ganzen exponiblen Satz falsch macht.293 Ebenso ist der Satz „Die Chimäre ist ein aus Ziege und Rind zusammengesetztes Tier" („chimaera est animal compositum ex capra et bove") falsch, wenn das Wort „Chimäre" personal supponiert, mag er auch noch so selbstverständlich erscheinen. Richtig ist hingegen der Satz „,Chimäre' und ,aus Ziege und Rind zu291

S . L . I I , cap. 14 (OPh I 287,26-33): „Sed quidquid imaginabile significatur per hoc nomen ,chimaera' significatur per aliquem terminum de quo in propositione de inesse vel de possibili praedicatur esse; tarnen hoc nomen .chimaera' pro iilo non potest supponere. Propter quod quaelibet propositio affirmativa, in qua subicitur hoc nomen .chimaera' significative sumptum vel praedicatur, vel aliquid consimile, est falsa de virtute sermonis, quia habet aliquam exponentem falsam"; vgl. S. L. III-2, cap. 2 (OPh I 507,5-11).

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Quodl. III, qu. 4 (OTh IX 217,73-76): „Similiter ista .chimaera est aliquid', .chimaera est ens' est falsa de virtute sermonis, quia in istis supponit personaliter; si tarnen supponat simpliciter, verae sunt omnes tales"; vgl. In Per I, Prooem., § 9 (OPh II 365,52-60). S. L. II, cap. 14 (OPh I 287,36-288,51).

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sammengesetztes Tier' bedeuten dasselbe", denn darin supponieren Subjekt und Prädikat einfach und stehen daher für denselben Begriff.294 Als affirmativ gilt schließlich auch der Satz „Die Chimäre ist nicht-seiend" („chimaera est non-ens"). Daher ist er auch entgegen dem ersten Anschein falsch, wie es alle affirmativen Sätze sind, in denen das Subjekt für etwas in sich Unmögliches steht. Der Grund dafür wird durch die Exposition klar. Da „Chimäre" als fiktiver Begriff konnotativ ist, muß der Satz exponiert werden durch die beiden Sätze „Die Chimäre ist etwas" und „Dies ist nicht-seiend". Der erste Satz ist schon als falsch erwiesen und macht durch seine Falschheit auch den exponierten Satz „Die Chimäre ist nicht-seiend" falsch.295 Es mag seltsam erscheinen, daß Ockham sowohl den Satz „Die Chimäre ist seiend" als auch den Satz „Die Chimäre ist nicht-seiend" für falsch erklärt. Um dies verständlich zu machen, sind zwei Hinweise nötig. Erstens ist die Chimäre unmöglich und widersprüchlich. Daher darf man sich nicht darüber wundern, daß von ihr Prädikate ausgesagt werden, die einen Widerspruch ergäben, wenn die Chimäre wirklich existierte.296 Zweitens sind die Sätze „Die Chimäre ist seiend" und „Die Chimäre ist nicht-seiend" einander nicht auf dieselbe Weise entgegengesetzt wie die Sätze „Die Chimäre ist seiend" und „Die Chimäre ist nicht seiend" („chimaera non est ens") oder die Sätze „Die Chimäre ist nicht-seiend" und „Die Chimäre ist nicht nicht-seiend" („chimaera non est non-ens"). Während sich die Prädikate „seiend" und „nicht-seiend" beide von der Chimäre verneinen lassen, läßt sich keines von beiden zugleich von ihr bejahen und verneinen.297 Von den beiden Sätzen „Die Chimäre ist seiend" und „Die Chimäre ist nicht seiend" muß also nach Ockham genau einer wahr und einer falsch sein. Da der erste von beiden, wie schon ausgeführt, falsch ist, muß der zweite wahr sein. Somit gilt: „Die Chimäre ist nicht seiend". Ebenso gilt, weil „Die Chimäre ist nicht-seiend" falsch ist, als wahr: „Die Chimäre ist nicht nichtseiend". 298

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S. L. I, cap. 26 (OPh I 8 8 , 1 2 2 - 1 2 9 ) . S. L. II, cap. 14 (OPh I 287,33-35): „Ista enim est falsa de virtute sermonis .chimaera est nonens' et quaelibet consimilis, quia quaelibet talis habet istas exponentes .chimaera est aliquid' et ,illud est non-ens'". S. L. II, cap. 12 (OPh 1 2 8 4 , 3 8 - 5 3 ) . Die dort verhandelten Beispiele „chimaera est homo" und „chimaera est non-homo" habe ich ohne Beeinträchtigung ihrer Kernaussage, w i e mir scheint, auf „chimaera est ens" und „chimaera est non-ens" übertragen. S. L. II, cap. 12 (OPh I 284,53-57): „Unde quamvis nec ,homo' nec ,non-homo' dicatur de chimaera, tarnen homo vere afFirmatur vel negatur de chimaera, unde altera istarum est vera .chimaera est non-homo', .chimaera non est non-homo'". Vgl. S. L. II, cap. 12 (OPh I 2 8 4 , 5 3 - 5 7 ) .

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Diese Einsicht läßt sich gut mit dem Kriterium vereinbaren, an dem sich nach Ockham die Wahrheit von verneinenden Sätzen zeigt. Während bejahende Sätze wahr sind, wenn Subjekt und Prädikat für dasselbe supponieren, sind verneinende Sätze wahr, wenn Subjekt und Prädikat nicht für dasselbe supponieren. 299 Da fiktive Begriffe wie „Chimäre" für nichts supponieren, können sie nicht für das supponieren, wofür der andere Teil des Satzes supponiert. Daher sind verneinende Sätze mit Begriffen von Unmöglichem als Subjekt stets aufgrund der Termini und daher mit Notwendigkeit wahr, wie die entsprechenden bejahenden Sätze stets und mit Notwendigkeit falsch sind.300 Zwar läßt sich nichts, was einen Widerspruch enthält, sinnvoll denken, wohl aber läßt sich ein Begriff denken, der Unmögliches bezeichnet. Da alles Wissen und alle Wissenschaft sich unmittelbar auf Begriffe und nur durch ihre Vermittlung auf die Dinge selbst bezieht, kann es sogar ein Wissen und womöglich sogar eine Wissenschaft („scientia") vom Unmöglichen geben. Denn wenn sich das Unmögliche selbst nicht sinnvoll wissenschaftlich behandeln läßt, können wir doch mit den Begriffen vom Unmöglichen umgehen, und das reicht aus, um zu einem sicheren Wissen zu gelangen. Als Beispiel für solch ein wissenschaftlich gesichertes Wissen vom Unmöglichen nennt Ockham die Aussage: „Alles Unmögliche widerstreitet dem Notwendigen". 301 In modalen Sätzen der Möglichkeit supponieren die Termini für Mögliches oder Wirkliches. Wenn der Satz bejahend und wahr ist, stehen sie für dasselbe mögliche Individuum oder dieselben möglichen Individuen. In modalen Sätzen der Unmöglichkeit supponieren der Subjekts- und der Prädikatsbegriff entweder für Wirkliches bzw. Mögliches - allerdings nicht für dasselbe, sondern vielmehr für Unvereinbares oder wenigstens einer dieser Begriffe ist fiktiv und supponiert für nichts. Daher sind bejahende Aussagen mit fiktiven Begriffen stets und mit Notwendigkeit falsch und verneinende Aussagen mit fiktiven Begriffen stets und mit Notwendigkeit wahr.

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Vgl. S. L. II, cap. 3 (OPh I 255,9-17). S. L. III-2, cap. 2 (OPh I 507,5-11). In Ph., Prol., § 4 (OPh IV 12,68-13,72): „sie etiam de impossibilibus potest esse scientia. Nam hoc commune .impossibile' est commune omnibus impossibilibus, et de isto communi supponente pro impossibilibus aliquid vere praedicatur; nam haec est vera ,omne impossibile repugnat necessario', et ita de hoc communi ,impossibile' aliquid necessario praedictur et vere sciatur".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

b) Die Frage einer ontologischen

Verpflichtung

Das Mögliche und das Unmögliche sind zwar beide nichts, unterscheiden sich aber voneinander dadurch, daß das Mögliche sein kann, das Unmögliche nicht. Im Satz unterscheiden sich ihre Begriffe dadurch voneinander, daß der Begriff des Möglichen für verschiedene mögliche Wesen stehen kann und, je nachdem Subjekt und Prädikat für dieselben oder für verschiedene dieser möglichen Wesen supponieren, bejahende bzw. verneinende Sätze wahr oder falsch macht, daß der Begriff des Unmöglichen aber nicht für irgendwelche Wesen supponieren kann und dadurch bejahende Sätze falsch und verneinende Sätze wahr macht. Begriffe von Möglichem supponieren also personal für Mögliches, Begriffe von Unmöglichem supponieren aber weder für Mögliches noch für Unmögliches. Sie supponieren nicht für Mögliches, weil sie als Begriffe von Unmöglichem dazu unfähig sind. Sie supponieren auch nicht für Unmögliches, weil es Unmögliches „nicht gibt". Daher supponieren sie für nichts. (Sie supponieren allerdings auch nicht für „das Nichts", weil auch damit etwas Unmögliches bezeichnet wäre, für das kein Begriff supponieren kann.) Dies ist - alles in allem - ein recht merkwürdiges Ergebnis. Mögliches und Unmögliches sind beide nichts, aber nichts ist nicht gleich nichts. Es scheint als setze Ockham mit seiner Lehre von der Supposition für bloß mögliche Entitäten voraus, daß „es etwas gibt", das möglich, aber zugleich nichts ist. Weil seiner Meinung nach das Universale unmöglich und nur das Individuelle möglich ist, ist alles Mögliche individuell. Da unendlich viele Individuen möglich sind, ist die Anzahl der möglichen Individuen unendlich. Daraus folgt also die merkwürdige Vorstellung, daß Ockham im Nichts unendliche Heerscharen möglicher Individuen voraussetzt. Daß das bloß Mögliche individuell ist, bedeutet nicht, daß es nicht auch ganze Arten gäbe, die bloß möglich, aber nicht wirklich sind. Vielmehr erklärt es Ockham ausdrücklich für wahrscheinlich, daß Gott in der Welt noch andere Arten verwirklichen könne.302 Das ist jedoch nicht so zu verstehen, als erschüfe Gott eine allgemeine Art, sondern er kann nur Individuen erschaffen, die einander so ähnlich sind, daß sie sich durch einen allgemeinen Artbegriff zusammenfassen lassen. Daß dies bei möglichen Individuen ebenso gelingt wie bei wirklichen, zeigt sich schon daran, daß Ockham wenigstens zwei Arten kennt, die nur durch ein einziges wirkliches Individuum repräsentiert sind, nämlich zum ei-

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Ord., dist. 44, qu. un. (OTh IV 655,6-8); Quodl. VII, qu. 18 (OTh IX 774,14-775,2).

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nen die Sonne, zum anderen den Phönix. 303 Dennoch sind die Wörter, die sie bezeichnen, keine Eigennamen, sondern allgemeine Artbegriffe, denn obwohl sie nur von einem einzigen Individuum ausgesagt werden, sind doch wenigstens „de potentia Dei absoluta" - mehrere Sonnen und mehrere Phönixe möglich. 304 Sätze von Möglichem unterscheiden sich also von Sätzen von Unmöglichem dadurch, daß in den ersten Subjekt und Prädikat für gewisse mögliche Individuen supponieren, in den zweiten jedoch nicht. Begriffe von Möglichem unterscheiden sich von Begriffen von Unmöglichem dadurch, daß die ersten für mögliche Individuen supponieren können, die zweiten jedoch nicht. Diesen Umstand benennt die Sekundärliteratur, indem sie Ockhams Denken mit einem modernen Begriff auszudrücken versucht, mit der Rede von der „ontologischen Verpflichtung" („ontological committment"), die auf Willard Van Orman Quine zurückgeht. Allerdings ist dieser Ausdruck inzwischen so verbreitet, daß sein Inhalt nicht mehr eindeutig gebraucht wird. Mißt man die ontologische Verpflichtung allein daran, was ein Denker ausdrücklich als „seiend" bezeichnet, liegt bei Ockham keine ontologische Verpflichtung auf bloß Mögliches vor, weil er es nicht als im eigentlichen Sinn seiend, sondern als nichts bezeichnet. 305 Mißt man sie an dem, was ein Denker als seiend voraussetzen muß, geht Ockham gleichfalls keine ontologische Verpflichtung ein, weil er das Mögliche nicht als eigentlich seiend, sondern nur als möglich voraussetzt. Mißt man die ontologische Verpflichtung schließlich daran, was ein Denker überhaupt voraussetzen muß, damit seine Behauptungen als wahr gelten, läßt sich eine ontologische Verpflichtung bei Ockham nicht belegen, weil er die Supposition für bloß Mögliches nicht ausdrücklich als Wahrheitskriterium modaler Aussagen anfuhrt. Doch darf man erstens vermuten, daß Ockham eine solche ontologische Verpflichtung in engen Grenzen nicht als belastend empfunden hätte. 306 Zweitens lassen sich verschiedene Einzelprobleme in der Interpretation seiner Tex-

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S. L. III-4, cap. 10 (OPh I 807,456-459): „Et hoc ubicumque terminus non significat plura; sicut non sequitur ,sol est corpus, igitur soles sunt corpora'; nec sequitur ,phoenix est animal, igitur phoenices sunt animalia', et hoc propter falsam implicationem in consequente"; vgl. S. L. II, cap. 4 (OPh I 261,72-101). Zum Phönix vgl. Manfred Hutter: Phönix. In: 3 LThK 8 (1999) 266; Joachim Graber; Josef Engemann: Phoenix. In: LMA 6 (1993) 2 1 0 6 - 2 1 0 7 . S. L. I, cap. 22 (OPh I 73,67-68): „Quamvis enim non sit nisi unus sol, possunt tarnen per divinam potentiam esse plures"; vgl. Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 308,2-3): „nihil potest esse in re quin saltem per divinam potentiam aliquid possit fieri sibi simillimum". Adams: Ockham, 401. Arthur Stephen McGrade: Plenty of Nothing. Ockham's Committment to Real Possibles. In: FrS 45 (1985) 145-156.

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te am leichtesten durch die Annahme vermeiden, daß Ockham eine ontologische Verpflichtung auf bloß Mögliches eingegangen ist. 307 Ockham scheint also eine ontologische Verpflichtung auf bloß Mögliches eingegangen zu sein, eine ontologische Verpflichtung auf Unmögliches aber ausgeschlossen zu haben. Dies entspricht nicht unbedingt dem Bild, das man sich heute von Ockham macht. Er gilt eher als ein Denker, der durch sein Ökonomieprinzip die überflüssige Annahme von Entitäten radikal abbaut. Als Quine den Gedanken des „ontological committment" einführte und seine weitestgehende Reduzierung als Ideal philosophischer Theorien proklamierte, ordnete er sein Anliegen zwar nicht philosophiegeschichtlich ein, verband es aber mit den „alten Nominalisten" 308 und berief sich auch auf „Ockhams Rasiermesser". 309 Doch anscheinend kann Ockham, der Namenspatron des Rasiermessers, der als Hauptvertreter des Nominalismus gilt, für eine solche Position nicht vereinnahmt werden. Was aus heutiger Sicht enttäuschend wirkt, sieht ganz anders aus, wenn man Ockham mit seinen Vorläufern Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus vergleicht. Während Heinrich sogar dem Unmöglichen zwar nicht Sein, wohl aber Realität und dem Möglichen das „esse essentiae" zugesprochen und Duns Scotus das bloß Mögliche zwar einerseits als nichts, doch andererseits als „esse possibile" eingestuft hat, spricht Ockham konsequent dem bloß Möglichen jegliches Sein ab. Daß er in seiner Suppositionslehre dennoch Mögliches voraussetzt und somit eine ontologische Verpflichtung darauf eingeht - und nicht einmal das eindeutig und ausdrücklich - , stellt vor Ockhams geistesgeschichtlichem Hintergrund einen vergleichsweise geringen Mangel dar.

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Elizabeth Karger: Consequences et inconsequences de la supposition vide dans la logique d'Ockham. In: Vivarium 16 (1978) 46-55; Karger: Ockham, 244-264; Adams: Ockham, 4 0 0 416; Karger: Reference, 170f; Michon: Nominalisme, 299-332; Matthias Kaufmann: Begriffe, Sätze, Dinge. Referenz und Wahrheit bei Wilhelm von Ockham. Leiden-New York-Köln: Brill 1994 (STGMA 40), 113-117 - gegen Freddoso: Theory, 43-61. Williard Van Orman Quine: Was es gibt. In: Williard Van Orman Quine: Von einem logischen Standpunkt. Neun logisch-philosophische Essays. Übers, v. Peter Bosch. Mit einem Nachwort von Peter Bosch. Frankfurt am Main-Berlin-Wien: Ullstein 1979 (Ullstein-Bücher), 9-25, 21. Quine selbst bestreitet jedoch, ein Nominalist zu sein; vgl. Willard Van Orman Quine: Wort und Gegenstand (Word and Object). Aus dem Engl, übers, v. Joachim Schulte in Zusammenarbeit mit Dieter Birnbacher. Stuttgart: Reclam 1988, 419, Anm. 5. Quine: Was, 9.

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

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IV. Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen Während für Heinrich von Gent die Allmacht den Grund der Möglichkeit darstellt und während für Johannes Duns Scotus die Widerspruchsfreiheit des Möglichen das innere Prinzip und der göttliche Intellekt das äußere Prinzip der Möglichkeit und damit auch der Allmacht bildet, sind nach Wilhelm von Ockham das Mögliche und die göttliche Macht bzw. das Unmögliche und das göttliche Unvermögen der Natur nach zugleich. Weder ist die Möglichkeit früher als Gottes Macht, noch ist Gottes Macht früher als die Möglichkeit. Weder ist die Unmöglichkeit früher als ein Unvermögen Gottes, noch ist ein göttliches Unvermögen früher als die Unmöglichkeit. Um diese Behauptung zu erklären, stelle ich im ersten Unterabschnitt die verschiedenen Bedeutungen zusammen, die Ockham den entscheidenden Wörtern „früher" („prius") und zugleich („simul") gibt. Der zweite Unterabschnitt klärt, in welchem Sinn Ockham diese Ausdrücke in der hier relevanten Fragestellung verstanden wissen will. Schließlich wird Ockhams Erklärung zum Verhältnis zwischen Allmacht und Kontradiktionsprinzip dargelegt.

1) Arten der Priorität und Simultanität Ein entscheidendes Begriffspaar in Ockhams Ausführungen über den Ursprung des Möglichen und Unmöglichen bilden die Begriffe der Priorität und Simultanität. Darauf weist schon die Fragestellung hin: Kommt es Gott früher zu, das Unmögliche nicht machen zu können, als dem Unmöglichen, von Gott nicht gemacht werden zu können? Da der Begriff der Priorität („prius"), mit dem die Fragestellung formuliert wird, und der Begriff der Simultanität („simul"), mit dem die Antwort gegeben wird, Fachbegriffe sind und von Ockham nicht immer im gleichen Sinn gebraucht werden, sind zunächst ihre möglichen Bedeutungen zu klären.310 Eine vollständige Liste der möglichen Bedeutungen vorzulegen, dazu sieht sich Ockham aufgrund des konventionellen Charakters der menschlichen Sprache außerstande. 3 " Aber recht umfangreiche Zusammenstellungen gibt er im Anschluß an Aristoteles Metaphysik 312 und Kategorienschrift 313 im Kom310 311

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Vgl. zum folgenden Bannach: Lehre, 196f; Baudry: Lexique, 2 1 2 - 2 1 5 und 2 5 0 - 2 5 2 . In Pr., cap. 18, § 5 (OPh II 325,18-21): „Notandum est hie primo quod aliqui nituntur dare sufficientiam istorum modorum. Sed hoc vanum est, quia ista distinctio non est nisi aequivoci, quia est ad placitum, sicut omnis vox est ad placitum". Aristoteles: Metaphysik V 11 (1018b 9 - 1 0 1 9 a 14). Aristoteles: Kategorien 12-13 (14a 2 6 - 1 5 a 12).

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mentar zu letzterer314 und in der „Ordinatio"315. Da sich Ockhams Verwendung der Begriffe „früher" und „später" in Nuancen über die Jahre hinweg gewandelt haben, orientiere ich mich vor allem an der Darstellung in der „Ordinatio", aus der auch der Text über den Ursprung des Möglichen und des Unmöglichen stammt, den zu verstehen diese Überlegungen helfen sollen. Auf spätere Äußerungen Ockhams greife ich zur Ergänzung und zum Vergleich zurück. a) Priorität der Zeit bzw. Dauer nach An erster Stelle nennt Ockham in allen Aufzählungen das der Zeit bzw. der Dauer nach Frühere („prius secundum durationem" bzw. „prius tempore"). Mit Aristoteles empfindet er dies als den eigentlichen Sinn des Wortes. Α ist der Zeit bzw. Dauer nach früher als B, wenn Α früher entstanden ist als B. Der Zeit nach früher ist also das Ältere (Ρ l). 316 Manchen Arten der Priorität entspricht eine Art der Simultanität, anderen hingegen nicht. Zwei Dinge sind nämlich nur dann zugleich, wenn ihnen beiden etwas Drittes entspricht. Wenn beispielsweise zwei Dingen ein gemeinsamer Zeitpunkt entspricht, liegt Simultanität hinsichtlich der Zeit vor.317 Später unterteilt Ockham die zeitliche Simultanität in drei Unterarten. Wird der Begriff in seiner eigentlichen Bedeutung gebraucht, sind Α und Β der Zeit nach zugleich, wenn Α und Β zum gleichen Zeitpunkt entstehen (S l). 318 Im strengen Sinn sind Λ und Β der Zeit nach zugleich, wenn in jedem Zeitpunkt, zu dem Α existiert, auch Β existiert und in jedem Zeitpunkt, zu dem Β existiert, auch Α existiert. Handelt es sich bei Α und Β um vergängliche We314 315 316

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In Pr., cap. 18 (OPh II 3 2 1 - 3 3 2 ) . Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 2 9 8 - 3 0 0 ) . Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 298,8-9); In Pr., cap. 18, § 1 (OPh II 321,10-322,13): „Primo modo et maxime proprie secundum tempus, nam unum dicitur esse prius altera secundum quod est antiquius et senius alio. Sed nihil est senius et antiquius alio nisi secundum tempus, igitur secundum tempus dicitur esse aliquid prius alio". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 311,11-15): „Ad illud quod secundo obicitur, dico quod proprie loquendo numquam est simultas aliquorum duorum nisi propter aliquod tertium idem correspondens utrique illorum quae dicuntur esse simul. Sicut aliqua dicuntur esse simul quia sunt in eodem loco, aliqua quia sunt in eodem tempore". Später erklärt es Ockham zu einer Frage sprachlicher Konvention, ob einem „Früher" und „Später" auch ein „Zugleich" entspricht; vgl. In Pr., cap. 19, § 3 (OPh II 3 3 1 , 3 2 - 3 6 ) : „Tertio notandum est quod non omni priori opponitur simul, et ideo plures modos prions ponit Philosophus quam illius quod est simul. Et hoc est quia utrumque istorum nominum est aequivocum nomen ad placitum, et de talibus potest aliquid opponi alteri in uno significato et non in altera". In Pr., cap. 19, § 1 (OPh II 329,8-10): „Primus est quod illa dicuntur simul esse simpliciter et proprie quorum generatio est in eodem tempore, quia neutrum est prius vel posterius alio, et ideo dicuntur esse simul secundum illud tempus".

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sen, sind sie in diesem strengen Sinn der Zeit nach zugleich, wenn Α und Β zum gleichen Zeitpunkt entstehen und zum gleichen Zeitpunkt vergehen (S 2).319 Im weiten Sinn sind Α und Β hingegen der Zeit nach zugleich, wenn es irgendeinen Zeitpunkt gibt, in dem sowohl Α als auch Β existiert. Ob es dagegen Zeitpunkte gibt, in denen Α ohne Β oder Β ohne Α existiert, ist für diese weite Fassung des Begriffs unerheblich (S 3). 320

b) Priorität der Natur nach Als zweite Art der Priorität fuhrt Ockham das der Natur nach Frühere an („prius natura"). Er bestimmt den Begriff klar, hält aber seine Begrifflichkeit nicht mit gleicher Klarheit durch. Noch in derselben Quästion merkt er an, daß auch das Frühere der Vollkommenheit nach als der Natur nach früher bezeichnet werden kann.321 Im Kategorienkommentar kommen zwei weitere Arten dazu.322 So wie Ockham den Begriff im Sentenzenkommentar faßt, ist Α der Natur nach früher als B, wenn zwar Α ohne B, aber Β nicht ohne Α sein kann.323 Diese Formulierung präzisiert Ockham, indem er einen Zeitindex einfügt: Der Natur nach früher ist Α nur dann, wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt t sein kann, ohne daß Β im selben Zeitpunkt t existiert (P 2). 324 In diesem Sinn sind nach Aristoteles die Materie früher als die Form, die Substanz früher als ihre abtrennbaren Akzidentien und die Teile früher als das Ganze.325 Daß Ockham hier die Ansicht des Aristoteles vorschiebt und nicht im eigenen Namen spricht, hat seinen Grund. Denn Aristoteles rechnet nicht 319

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In Pr., cap. 19, § 1 (OPh II 329,11-16): „sciendum est quod aliqua dicuntur simul tempore strictissime, et sunt ilia quae pro omni tempore sunt simul, ita quod neutrum secundum nullum tempus est prius vel posterius alio, et si sint in tempore ita quod exceduntur a tempore, eorum generatio est simul et similiter eorum corruptio est simul. Et sic loquitur Philosophus in proposito". In Pr., cap. 19, § 1 (OPh II 329,16-18): „Aliter dicuntur aliqua simul large, quia sunt in aliquo eodem tempore, quamvis non in omni eodem tempore, sicut filius et pater aliquando sunt simul". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 310,4-5): „Verumtamen ,prius natura' aeeipitur aliquando pro priori dignitate et perfectione"; vgl. In Per. II, cap. 7, § 9 (OPh II 485,8). In Pr., cap. 18, § 5 (OPh II 326,25^16 und 327,54-63). Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 298,10-11): „Prius natura est illud quod potest esse sine posteriori sed non e converso", vgl. Rep. IV, qu. 3 - 5 (OTh VII 42,14-43,2); Qu. var., qu. 3 (OTh VIII 93,623-626). Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 312,1-4): „aliquid dicitur esse prius natura alio quia potest esse simpliciter in aliquo tempore vel instanti, alio non existente in eodem tempore vel instanti". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 298,14-22): „Et isto modo, secundum intentionem Philosophi, materia est prior natura forma, et subiectum est prius accidente, saltern separabili. (...) Isto autem modo partes sunt priores toto, illae scilicet quae possunt esse sine toto, non e converso".

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mit der Möglichkeit, daß der allmächtige Gott Materie und Form oder ein Akzidens und sein Subjekt voneinander trennt. Ockham aber gesteht zu, daß durch Gottes Macht alles, was geschaffen und absolut ist (dessen Begriff also nichts konnotiert), ohne alles andere, was geschaffen ist, existieren kann. Daher besteht im strengen Sinn zwischen Geschöpfen keine Priorität der Natur nach, sondern nur zwischen Gott und seiner Schöpfung. Denn diese kann unmöglich ohne ihren Schöpfer sein. 326 Um den Begriff der natürlichen Priorität für die Naturphilosophie anwendbar zu machen, weitet ihn Ockham aus. In diesem weiteren Sinn ist Α der Natur nach früher als B, wenn nach den Naturgesetzen zwar Α ohne B, aber Β nicht ohne Α sein kann (P 3). So kann sich ein Christ den aristotelischen Sprachgebrauch zu eigen machen. 327 Der natürlichen Priorität entspricht eine natürliche Simultanität. Das setzt voraus, daß den beiden Dingen, die zugleich sind, etwas Drittes entspricht. Das sind aber nach Ockham keine „natürlichen Momente" oder Instanzen, wie sie Duns Scotus annimmt, sondern Zeitpunkte. Von der Simultanität hinsichtlich der Zeit unterscheidet sich die natürliche Simultanität dadurch, daß beide Dinge, die zugleich sind, nicht bloß faktisch zum selben Zeitpunkt existieren, sondern das eine auch zugleich mit dem anderen existieren muß. Daher ist A der Natur nach zugleich mit B, wenn Α zu keinem Zeitpunkt ohne Β und Β zu keinem Zeitpunkt ohne Α sein kann (S 4). 328 Bei einer späteren Gelegenheit schließt Ockham den trivialen Fall aus, daß Α nur deshalb der Natur nach zugleich mit Β sein könnte, weil Α mit Β identisch ist, und verlangt, daß es sich bei Α und Β um real unterschiedene Entitäten handelt. 329

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 310,7-12): „Ad aliam probationem dico quod concessa illa propositione quod omne absolutum creatum potest esse sine quocumque alio per potentiam divinam, nihil est prius natura alio absoluta simpliciter et absolute loquendo nisi solus Deus, quia nullum est absolutum, excepto Deo, quin sine illo quodcumque aliud poterit esse per potentiam divinam"; vgl. Quodl. VI, qu. 21 (OTh IX 6 6 3 , 1 3 - 1 5 ) . Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 310,12-14): „Verumtamen naturaliter loquendo aliquid est prius natura alio, quia per naturam hoc potest esse sine illo et non e converso. Et sic loquitur Philosophus"; vgl. In Pr„ cap. 18, § 5 (OPh II 3 2 6 , 4 7 - 5 3 ) . Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 311,18-312,1): „Et quando dicitur quod conceditur quod aliqua sunt simul natura, dico quod hoc non est nisi propter tempus connotatum per talem simultatem. Unde illa dicuntur esse simul natura quorum unum non potest esse in quocumque tempore nisi in eodem sit alteram. Et ita tempus connotatur per simultatem naturae, et ideo non assignabuntur alia instantia quam instantia temporis". Ord., dist. 30, qu. 1 (OTh IV 297,21-22): „quando unum non potest sine alio, et tarnen distinguuntur realiter, hoc est quia sunt simul natura".

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c) Priorität der Ursächlichkeit nach Eine eigene Art der Priorität bildet die Priorität der Ursächlichkeit nach („prius causalitate"). Von der zeitlichen Priorität unterscheidet sie sich, weil Ockham (unter Berufung auf Aristoteles, aber anders als später David Hume, 1711-1776) Ursachen behauptet, die zeitgleich mit ihrer Wirkung auftreten. Von der natürlichen Priorität unterscheidet sie sich, weil die Ursache nicht ohne Wirkung sein kann.330 Bliebe sie nämlich ohne Wirkung, wäre sie keine Ursache, denn die Wirkung wird in der Definition der Ursache genannt.331 Der Ursächlichkeit nach ist Α früher als B, wenn Α die Ursache von Β und Β die Wirkung von Α ist (P 4).332 Im Kategorienkommentar nimmt Ockham die natürliche Simultanität bei einem gleichzeitigen kausalen Abhängigkeitsverhältnis in die Definition auf. So kann er Α auch früher als Β nennen, wenn zwar aus der Aussage existiert" die Aussage existiert" ebenso folgt wie umgekehrt aus der Aussage „5 existiert" die Aussage „Λ existiert", aber Α auf irgendeine Weise die Ursache von Β ist (P 5). Ockham spricht hier auch von Priorität der Natur nach.333 Da Ockham seine Überlegungen zu den Arten der Priorität im Zusammenhang mit trinitarischen Fragen anstellt, erweitert er die Priorität hinsichtlich der Ursächlichkeit begrifflich. Denn Gott verursacht zwar die Schöpfung, aber die innertrinitarischen Hervorgänge des Sohnes aus dem Vater und des Heiligen Geistes aus dem Vater und dem Sohn lassen sich nicht mit dem Begriff der Ursächlichkeit fassen. Stattdessen spricht Ockham, wo er die Priorität einer göttlichen Person einer anderen gegenüber meint, die aus der ersten hervorgeht, von einer Priorität des Ursprungs („prioritas originis"). Priorität des Ursprungs und Priorität der Ursächlichkeit faßt er mit dem Begriff der Priorität der Produktivität („prius productivitatis") zusammen. 334

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 299,2-5): „Et patet distinctio istius modi a modis praecedentibus quia, secundum Philosophum, aliquando causa et causatum sunt simul duratione. Et etiam causa non est prior natura causato, quia non potest esse sine causato".

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Ord., dist. 41, qu. un. (OTh IV 6 0 5 , 1 4 - 1 7 ) ; S. L. I, cap. 10 (OPh I 37,48-51); S. L. III-3, cap. 26 (OPh I 691,37): „Et sie defmitur causa, quia ,causa est res ad cuius esse sequitur aliud ens'"; Quodl. III, qu. 21 (OTh IX 2 8 5 , 9 - 1 0 ) . Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 298,23-299,1): „Prius causalitate est omnis causa respectu sui causati". In Pr„ cap. 18, § 5 (OPh II 3 2 5 , 2 - 7 und 327,54-59). Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 2 9 9 , 1 - 2 . 5 - 7 und 301,3-7): „Et non tantum est prius causalitate, sed etiam - et isto modo - est prius produetivitate. ( . . . ) Et secundum rei veritatem isto modo, scilicet produetivitate, Pater est prior Filio, et tarnen nec duratione nec natura. ( . . . ) Sed tertius modus, puta prius causalitate, - extendendo causalitatem ad produetivitatem attribuitur Patri respectu Filii et Spiritus Sancti. Et ista prioritas vocatur prioritas originis, quia Filius realiter originatur a Patre".

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Dem Ursprung nach ist eine göttliche Person A also früher als eine andere göttliche Person B, wenn Α Β zeugt oder haucht (P 6). Der Produktivität nach ist Α früher als B, wenn Α Β hervorbringt (Ρ 7). Eine den Prioritäten der Ursächlichkeit oder des Ursprungs entsprechende Simultanität gibt es nach dem Sentenzenkommentar nicht.335 Ebenso lehnt Ockham „Momente bzw. Instanzen des Ursprungs" ab, die Duns Scotus in Analogie zu seinen „Momenten bzw. Instanzen der Natur" gleichfalls vertreten hat.336 Doch anders als im Sentenzenkommentar läßt er im Kategorienkommentar eine Simultanität zu, die dem der Ursächlichkeit nach Früherem entspricht (bzw., wie er es dort nennt, dem der Natur nach Früheren). Demnach sind Α und Β der Natur nach zugleich, wenn aus der Aussage existiert" die Aussage ,ß existiert" und aus der Aussage existiert" die Aussage „A existiert" folgt, aber weder Α die Ursache von Β noch Β die Ursache von Λ ist (S 5).337 d) Priorität der Allgemeinheit nach Im Gegensatz zu den bisher genannten Arten der Priorität beschränkt sich das der Allgemeinheit nach Frühere („prius communitate") auf den begrifflichen und den sprachlichen Bereich. In diesem Sinn ist früher, wovon die Folgerung nicht umgekehrt werden kann. Diese Art der Priorität beschreibt Ockham auf zwei verschiedene Weisen. Nach der ersten Beschreibung ist der Begriff Α der Allgemeinheit nach früher als der Begriff B, wenn zwar aus der Aussage ist Β" die Aussage „X ist A", aber aus der Aussage ist A" nicht die Aussage „X ist B" folgt (P 8). In diesem Sinn ist der allgemeine Begriff früher als der unter ihm stehende spezielle Begriff, beispielsweise „Lebewesen" früher als „Mensch".338

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 311,15-17). Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 311,15-18): „Et ideo non est proprie concedendum quod aliqua sunt simul perfectione vel causalitate vel origine. Et ideo in talibus non sunt proprie instantia nec signa". In Pr., cap. 19, § 2 (OPh II 329,2-4): „Hic ponit secundum modum, quod aliqua dicuntur simul naturaliter inter quae convertitur consequentia secundum esse, ita tarnen quod neutrum est causa alterius". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 299,8-19): „Prius communitate est illud a quo non convertitur consequentia. Sed hoc potest intelligi multipliciter. Uno modo, quia ad afFirmationem alicuius de alio sequitur affirmatio alterius de eodem universaliter et generaliter sed non e converso. Et ilia se semper habent sicut superius et inferius, et hoc vel per se vel aliquo modo per accidens, quamvis necessario. Et ista communitas numquam est inter res, secundum quod res distinguitur a signis et conceptibus, sed est inter conceptus et inter signa, vel inter rem et conceptum et signum. Et isto modo conceptus animalis est prior conceptu hominis, et haec vox .animal'

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Nach der zweiten Weise, das der Allgemeinheit nach Frühere zu beschreiben, ist Α in diesem Sinn früher als B, wenn zwar aus der Aussage ist F" die Aussage ,ß ist F\ aber aus der Aussage ,Ji ist F" nicht die Aussage „A ist F" folgt (P 9). Anders als die erste Beschreibung läßt die zweite eine Priorität der Allgemeinheit nach zu, bei der das Frühere nicht ein allgemeiner Oberbegriff zum Späteren ist. Beispielsweise ist in diesem Sinn die Substanz früher als ihr Akzidens und der Teil früher als das Ganze. 339 Ein besonderer Fall der Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit liegt vor, wenn von Α und Β die Existenz ausgesagt wird. Dann ist Α früher als B, wenn zwar aus der Aussage ,JB existiert" die Aussage existiert", aber aus der Aussage existiert" nicht die Aussage ,JB existiert" folgt (P 10). Ockham merkt an, daß sich diese Weise der Priorität nicht von der natürlichen Priorität zu unterscheiden „scheint". 340 Wenn er später im Kategorienkommentar verschiedene Weisen der Priorität als natürlich bezeichnet, findet sich auch jene darunter, die der Sentenzenkommentar noch als Priorität der Allgemeinheit nach anfuhrt.341 Dennoch unterscheiden sich die Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit und die natürliche Priorität, wie Ockham sie zuvor bestimmt hat, in wenigstens zwei Punkten. Erstens bestimmt Ockham die natürliche Priorität auf der Ebene des Seins, je nachdem etwas ohne etwas anderes sein kann oder nicht. Die Priorität hinsichtlich der Allgemeinheit bestimmt er auf der Ebene der Logik, je nachdem sich von einer Aussage auf eine andere schließen läßt.342 Zweitens gibt es innerhalb des dreifaltigen Gottes kein „früher" oder „später" hinsichtlich der Natur, wohl aber ein „früher" oder „später" der Allgemeinheit nach. Das göttliche Wesen kann niemals ohne Personen sein, aber

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ex institutione est prior hac voce ,homo'. Et ita est de colorato respectu albi, et de homine respectu hominis albi, et de multis talibus"; vgl. Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 332,3-6). Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 299,19-24): „Aliter contingit quando ad unum respectum alicuius praedicati sequitur aliud respectus eiusdem, et maxime respectu esse. Et isto modo substantia est prior respectu accidente, quia sequitur ,accidens est, ergo substantia est', et non sequitur e converso. Similiter pars est prior toto, quia sequitur ,totum est, ergo pars est', sed non e converso.". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 299,25-28): „Sed iste modus non videtur differre a secundo modo, puta a priori natura, nisi iste modus magis generaliter assumatur, scilicet respectu aliquorum aliorum praedicatorum quam respectu esse"; vgl. In Pr., cap. 18, § 2 (OPh II 322,2-26). In Pr., cap. 18, § 5 (OPh II 326,25-28): „Tertio notandum quod aliter accipitur hic ,prius natura' et in V Metaphysicae. Unde sicendum est quod a philosophis tripliciter accipitur ,prius natura'. Uno modo illud a quo non convertitur consequentia sive respectu esse sive respectu alterius praedicati". Vgl. In Pr., cap. 13, § 6 (OPh II 259,10-20).

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dennoch lassen sich Schlüsse vom Wesen auf die Personen ziehen, während die umgekehrten Schlüsse von einer Person auf das Wesen nicht gelten.343 Eine Art der Simultanität, die dem der Allgemeinheit nach Früheren entspricht,344 gibt Ockham erst im Kategorienkommentar an, wenngleich er einschränkt, daß es sich dabei um einen höchst ungewöhnlichen Gebrauch des Ausdrucks „zugleich" handelt.345 In diesem Sinn sind zwei Arten Α und Β zugleich, wenn beide verschiedene Arten ein und derselben Gattung sind (S 6). Zum Beispiel sind Landtiere, Wassertiere und Flugtiere in diesem Sinn zugleich, weil sie die drei Arten sind, in die sich die Gattung des Lebewesens einteilen läßt. Zugleich sind sie nur, weil keine dieser Arten früher als die andere ist. Auch in diesem Fall spricht Ockham von Simultanität der Natur nach.346

e) Priorität der Würde bzw. Vollkommenheit nach Als fünfte Art zählt Ockham die Priorität der Würde nach („prius dignitate" bzw. „prius perfectione") auf. In diesem Sinn ist Α früher als B, wenn Α vollkommener ist als B. Er unterteilt diese Weise der Priorität in zwei Unterarten, je nachdem etwas seiner Natur nach vollkommener ist als etwas anderes oder nur durch menschliche Konvention als vollkommener gilt. Im ersten Fall ist A 343

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 301,2-3 und 7-12): „Circa secundum dico quod primus et sedundus [= prius secundum durationem et prius natura] nullo modo possunt reperiri in Deo per respectum ad intra. (...) Quartus modus, scilicet prioritas communitatis quae est nonconvertibilis consequentiae, aliquo modo in divinis invenitur. Et ista est prioritas essentiae respectu notionalium et respectu personarum, quia formaliter sequitur ,a est Pater, ergo a est essentia', sed non sequitur e converso, quia non sequitur ,Filius est essentia, ergo Filius est Pater'"; Vgl. Ord., dist. 2, qu. 9 (OTh II 332,6-7). In Pr., cap. 19, § 3 (OPh II 331,37-41): „Quarto notandum quod istud ,simul' opponitur .priori secundum consequentiam', et ideo dicit Philosophus quod genera non sunt simul cum suis speciebus, sed sunt priora illa prioritate consequentiae, quando scilicet genus et sua species supponunt personaliter et non simpliciter". In Pr., cap. 19, § 3 (OPh II 330,12-331,20): „Notandum est hie quod iste modus est magis extraneus quam aliquis alius, quia in isto modo ilia quae dicuntur simul natura, sunt necessario simul secundum esse, nec ad esse unius sequitur esse alterius, qualitercumque supponat. Et ideo sciendum quod ilia quae dicuntur simul natura isto modo, accidentaliter sunt simul natura et contingenter, sicut multa quae dicuntur simul tempore, sunt contingenter simul. Et ideo dicendum est quod quando aliqua dividunt aliquod genus, tunc sunt simul natura isto modo, quia neutrum est prius natura alio; quando autem non dividunt idem genus, non sunt simul". In Pr., cap. 19, § 3 (OPh II 330,2-9): „Hie ponit tertium modum, dicens quod illa dicuntur esse simul naturaliter quae ex eodem genere e diverso dividuntur. Talia autem sunt quae sunt membra unius divisionis alicuius generis, sicut gressibile, volatile, aquatile, quia animal dividitur per ista, et nullum istorum est prius altera vel posterius, sed videntur esse simul natura quamvis singulum eorum dividatur in species, et ita ilia dicuntur simul natura quae dividunt idem genus".

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der Würde nach früher als B, wenn Α aufgrund seiner Natur vollkommener ist als Β (Ρ 11). Im zweiten Fall ist Α der Würde nach früher als B, wenn Α infolge menschlicher Willensakte vollkommener ist als Β (Ρ 12).347 Beispielsweise gilt nur aufgrund zwischenmenschlicher Konvention die königliche Würde als höher und in diesem Sinn als „früher" als die des Grafen, dessen Würde seinerseits nur aus Konvention die des Ritters übertrifft. 348 Ockham schließt sich der Meinung des Aristoteles an, nach der diese Verwendungsweise des Ausdrucks „Priorität" die uneigentlichste ist.349 Eine Simultanität der Würde oder der Vollkommenheit im eigentlichen Sinn gibt es nicht.350 f ) Priorität dem Ort nach Die sechste Art der Priorität bildet das dem Ort nach Frühere („prius secundum locum"). Es bestimmt sich durch Nähe oder Ferne zu einem bestimmten Bezugspunkt, der von der Natur vorgegeben oder vom Menschen gesetzt sein kann. Im ersten Fall ist Α dem Ort nach früher als B, wenn Α näher an einem natürlichen Bezugspunkt ist als Β (Ρ 13). In diesem Sinn ist das Feuer früher als die Luft, die Luft früher als das Wasser, das Wasser früher als die Erde, denn in dieser Reihenfolge ordnen sich nach der aristotelischen Physik die Elemente unter natürlichen Bedingungen von oben nach unten. Im zweiten Fall ist Α früher als B, wenn Α näher an einem vom Menschen gesetzten Bezugspunkt ist als Β (Ρ 14). (Man mag sich das Ziel einer Rennbahn vorstellen.) Da im zweiten Fall der Bezugspunkt willkürlich gewählt sein kann, ist es möglich, daß hinsichtlich verschiedener Bezugspunkte Α früher als Β und Β zugleich früher als Α ist.351 Über eine der lokalen Priorität entsprechende Simultanität verliert Ockham nicht viele Worte. Doch seinem Grundgedanken nach sind zwei Dinge zu-

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 300,1-2): „Prius dignitate est omne perfectius respectu imperfections, et hoc sive ex natura rei sive ex voluntate humana"; vgl. In Pr., cap. 18, § 4 (OPh II 324,2-325,7). Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 300,3): „rex est prior comite, et comes milite". In Pr., cap. 18, § 4 (OPh II 325,7-8): „Tarnen dicit Philosophus quod iste modus est alienissimus"; nach Aristoteles: Kategorien 12 (14b 7 - 8 ) .

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 311,15-17): „Et ideo non est proprie concedendum quod aliqua sunt simul perfectione vel causalitate vel origine".

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 300,4-12): „Prius secundum locum contingit dupliciter: vel per comparationem ad aliquid unum quod naturaliter est primum, aut ad aliquid unum quod statuitur primum. Primo modo ignis est prior aere, et aer aqua, et aqua terra. Secundo modo idem respectu eiusdem potest esse prius et posterius propter diversa quae statuuntur prima. Et hoc dicit Aristoteles, V Metaphysicae, ubi dicit: ,Hoc quidem - supple dicitur prius - secundum locum in exsistendo proprinquius, aut natura alicui loco determinato, ut medio, aut ultimo, aut sicut evenit'".

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gleich, wenn beiden ein Drittes entspricht, etwa ein gemeinsamer Ort.352 Wie Ockham später im Physikkommentar schreibt, sind Α und Β dem Ort nach zugleich, wenn sich Α und Β am selben Ort befinden (S 7). In diesem lokalen Sinn sind etwa Materie und Form oder Substanz und Akzidens ein und desselben Gegenstandes zugleich, weil sie am selben Ort auftreten. 353 g) Priorität der Ordnung nach Mit dem Früheren dem Ort nach ist Ockham die anfangs angekündigte Liste von sechs Arten der Priorität354 vollständig durchgegangen. Dennoch fügt er eine siebte Art der Priorität hinzu, nämlich das der Ordnung nach Frühere („prius secundum ordinem"). Diese Priorität liegt vor, wenn zwei Bestimmungen zu Dingen gehören, die untereinander geordnet sind. In diesem Sinn ist Α früher als B, wenn Α eine Bestimmung von C und Β eine Bestimmung von D ist und C in irgendeiner Hinsicht früher als D ist (P 15). In diesem Sinn sind die Wirkungen einer Ursache früher als die Wirkungen einer ihrer Wirkungen, weil die Ursache der Ursächlichkeit nach früher ist als die Wirkung. Ebenso sind die Eigenschaften der Teile früher als die Eigenschaften des Ganzen, weil die Teile der Natur nach früher sind als das Ganze.355 Was Ockham später im Kategorienkommentar der Ordnung nach Früher nennt, trägt zwar den gleichen Namen, hat ansonsten aber nichts mit dem zu tun, was im Sentenzenkommentar so heißt. Was der Ordnung nach früher ist, kann sich nämlich auch nach dem richtigen Aufbau einer Rede oder der richtigen Darstellung einer wissenschaftlichen Disziplin richten. Dann ist Α früher

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Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 311,11-15): „proprie loquendo numquam est simultas aliquorum duorum nisi propter aliquod tertium idem correspondens utrique illorum quae dicuntur esse simul. Sicut aliqua dicuntur esse simul quia sunt in eodem loco, aliqua quia sunt in eodem tempore". In Ph. V, cap. 5, § 2 (OPh V 376,4-377,11): „simul secundum locum dicuntur ilia quae sunt in uno loco primo et proprio, non tantum in uno loco communi. Et isto modo materia et forma sunt simul, et subiectum et suum accidens sunt simul. (...) Sciendum est quod ,simul' accipitur multis modis, tarnen hie accipit solum secundum illam significationem secundum quam illa sunt simul quae non distant localiter". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 298,5-7): „Tarnen inter alios, isti videntur esse magis famosi et noti, scilicet prius duratione, prius natura, prius causalitate, prius communitate et prius dignitate et prius secundum locum". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 300,13-23): „Praeter istos modos est unus modus prioritatis quo aliqua dicuntur ordinari secundum prius et posterius praecise propter aliqua habentia ordinem inter se quorum illa sunt, sicut passiones partis et totius possunt dici ordinari, si quae sint tales. (...) Et eodem modo si aliqua duo ordinantur sicut causa et causatum: si causa habeat aliquos effectus, et similiter causatum habeat aliquos effectus, effectus causae possunt dici priores effectibus ipsius causati isto modo".

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

475

als B, wenn Α in einer richtig aufgebauten Rede oder in einer richtig dargestellten wissenschaftlichen Disziplin vor Β behandelt wird (P 16).356 h)

Simultanität dem Verstehen nach

Später und in ganz anderen Zusammenhängen nennt Ockham auch noch die Simultanität hinsichtlich des Verstehens („simul intellectu"). Damit ist nicht gemeint, daß etwa eine Sache nicht ohne eine andere zu begreifen wäre.357 Vielmehr sind zwei Bestimmungen dann dem Verstehen nach zugleich, wenn man nicht eine wahrheitsgemäß von etwas aussagen kann, ohne zugleich bestimmt und im einzelnen zu wissen, daß auch die andere Bestimmung wahrheitsgemäß von etwas ausgesagt werden kann.358 Zwei Bestimmungen Α und Β sind also dem Verstehen nach zugleich, wenn man nicht behaupten kann ist A", ohne zugleich von einem bestimmten Y zu wissen: „Y ist 5 " (S 8). In diesem Sinn sind die relativen Begriffe zugleich, etwa „Vater" und „Sohn", „Herr" und „Diener" oder „ähnlich". Man kann nicht von jemandem wissen, daß er ähnlich ist, ohne zugleich zu wissen, daß er jemand Bestimmten ähnlich ist.359

2)

Die relevante Art der Simultanität, veranschaulicht durch Beispiele und eine aristotelische Belegstelle

Angesichts von sieben verschiedenen Arten der Priorität, die sich in sechzehn Abschattungen nuancieren lassen, und angesichts von acht Arten der Simultanität liegt die Frage nahe, welche dieser vielen Bedeutungen für die Distinktion 43, Quaestio 2 der „Ordinatio" Ockhams relevant sind. Ockham selbst erklärt nicht ausdrücklich, in welchem Sinn er die Wörter hier gebraucht. Streng genommen läßt sich das „prius" und „simul" der 43. Distinktion auf keine der eben aufgezählten Fassungen dieser Begriffe zurückführen. Stattdessen bestimmt Ockham diese Ausdrücke durch Beispiele und durch einen Verweis auf Aristoteles. 356 357 358

359

In Pr., cap. 18, § 3 (OPh II 324,2-20). Quodl. VI, qu. 21 (OTh IX 663,22-24): „Similiter per ,esse simul intellectu' non intelligitur quod una res non potest intelligi sine alia, quia quaelibet res sine alia potest perfecte intelligi". Quodl. VI, qu. 21 (OTh IX 663,24-26): „sed intelligitur sic: quod impossibile est scire unum illorum quae sunt simul intellectu verificari de aliquo, nisi sciatur determinate et in speciali quod aliud verificatur de aliquo". Quodl. VI, qu. 21 (OTh IX 663,28-31): „Sicut impossibile est scire aliquem esse servum nisi cognoscatur dominus cuius est servus, et impossibile est scire aliquem esse similem nisi sciatur evidenter et in particulari cui est similis".

476

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Zunächst hält Ockham fest, daß es um Priorität bzw. Simultanität hinsichtlich der Natur geht.360 Damit fallen schon mehrere Arten der Priorität bzw. Simultanität weg. Es handelt sich nicht um zeitliche oder lokale Priorität, nicht um Priorität des Ursprungs und nicht um Priorität der Allgemeinheit oder der Ordnung nach, weil Ockham in diesen Fällen nicht von Priorität der Natur nach sprechen würde. Ebenso handelt es sich nicht um Simultanität der Zeit oder dem Ort nach, weil Ockham diese nicht als Formen natürlicher Simultanität gelten läßt. a)

Die aristotelische

Belegstelle

Ockham veranschaulicht die natürliche Simultanität durch drei Beispiele. Der Natur nach zugleich sind aktives und passives Vermögen, Ursache und Wirkung sowie Vater und Sohn.361 Besonders ausführlich geht er an dieser Stelle wie auch an anderen Stellen auf das dritte Beispiel ein. Im gleichen Zusammenhang erklärt er, welche Art der natürlichen Simultanität er meint, indem er darauf verweist, wie zwei Relate nach dem siebten Kapitel der aristotelischen Kategorienschrift der Natur nach zugleich sind.362 Schlägt man zum Vergleich Ockhams Kommentar zu jener Aristotelesstelle auf, stellt man überrascht fest, daß Ockham dort bestreitet, daß Vater und Sohn im eigentlichen und wörtlichen Sinn der Natur nach zugleich sind. Denn wenn die Ausdrücke „Vater" und „Sohn" personal supponieren und für die Menschen stehen, für die sie in einem Satzzusammenhang stehen, dann sind diese Menschen in einem strengen Sinn nicht einmal der Zeit nach zugleich und daher auch nicht der Natur nach. Das Gleiche gilt, wenn die Ausdrücke „Vater" und „Sohn" material supponieren und für sich selbst, also die sprachlichen Lautgebilde oder die Schriftzeichen „Vater" und „Sohn" stehen. Auch diese sind nicht notwendigerweise der Zeit nach zugleich und daher auch nicht der Natur nach. Vater und Sohn sind daher in der strengen und wörtlichen Bedeutung des Wortes nicht der Natur nach zugleich.363 Es liegt also

360 361

362 363

Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 649,8). Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 648,10-12 und 14): „Et in omnibus relativis quae vocantur relative secundum potentiam activam et passivam, vel causam et effectum, semper correlativa sunt simul natura. (...) pater et filius sunt simul natura". Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 648,14-16): „illo modo quo loquitur Philosophus in Praedicamentis, cap. ,De ad aliquid', de simultate naturae"; vgl. Aristoteles: Kategorien 7 (7b 15-20). In Pr., cap. 13, § 6 (OPh II 259,10-13 und 21-25): „Intelligendum est hie quod ipsa nomina relativa non sunt vere et proprie simul natura, sicut nec sunt semper simul duratione; eodem modo illa de quibus verificantur non sunt simul natura, sicut ille homo qui est pater et ille homo qui est filius non sunt simul natura. (...) Et hoc est possibile quantumcumque nec termini nec res pro quibus termini supponunt sint simul natura. Sicut isti termini .pater' et .filius' non

Die Simultanität der Macht Gottes und des

Möglichen

ΜΊ

keine natürliche Simultanität in dem Sinn vor, als ob ein Vater nicht ohne Sohn oder ein Sohn nicht ohne Vater leben könnte (d. h. keine natürliche Simultanität im Sinn von S 4). Ockham stellt zwar fest, daß sich die aristotelische Behauptung in ihrem wörtlichen Sinn nicht vertreten läßt, wirft aber Aristoteles damit keinen Fehler oder Irrtum vor, sondern betont, daß der Stagirite selbst seine Behauptung auch gar nicht so verstanden wissen wollte, und erinnert an das hermeneutische Prinzip, daß Zitate in dem Sinn zu verstehen seien, den ihr Autor gemeint hat.364 Statt des zu verwerfenden wörtlichen Verständnisses der Stelle bietet Ockham eine andere Deutung an, die, wie er meint, sowohl der Wahrheit als auch der Aussageabsicht des Aristoteles entspricht. Damit wechselt Ockham von der ontologischen auf die logische Ebene. Zwei relative Begriffe Α und Β sind deshalb der Natur nach zugleich, weil aus der Aussage existiert zum Zeitpunkt t" durch eine formale Folgerung die Aussage ,Ji existiert zum Zeitpunkt /" und aus der Aussage )r ß existiert zum Zeitpunkt /" durch eine formale Folgerung die Aussage ,^4 existiert zum Zeitpunkt t" folgt. Dabei sollen Α und Β personal supponieren.365 Daraus folgt durch Kontraposition, daß Α und Β dann und nur dann der Natur nach zugleich sind, wenn aus der Aussage ,^4 existiert zum Zeitpunkt t nicht" die Aussage existiert zum Zeitpunkt t nicht" und aus der Aussage ,Ji existiert zum Zeitpunkt t nicht" die Aussage existiert zum Zeitpunkt t nicht" folgt. 366 In diesem Sinn ist also auch die natürliche Simultanität in der zweiten Quästion der 43. Distinktion in Ockhams „Ordinatio" zu verstehen. Es handelt sich daher nicht um eine Art der Simultanität, wie sie zuvor aufgezählt wurde.

364

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sunt simul natura, quia unus potest esse alio non existente. Et similiter illi homines pro quibus isti termini supponunt non sunt simul natura, quia unus est ante alium". In Pr., cap. 13, § 6 (OPh II 2 5 9 , 1 3 - 1 4 und 2 9 - 3 3 ) : „Nec hoc intendit Philosophus. ( . . . ) Et ideo de virtute sermonis haec est falsa ,relativa sunt simul natura', sive iste terminus .relativa' supponat pro nominibus sive pro rebus. Sed secundum ilium intellectual quem habuit Philosophus de ea est vera. Et certe, sermones authentic· non sunt sumendi in sensu quem faciunt, sed in sensu secundum quem fiunt et dicuntur". In Pr., cap. 13, § 6 (OPh II 259,14-19): „per hoc quod dicit relativa esse simul natura, intelligit [seil. Philosophus] quod esse existere pro eodem tempore necessario praedicatur de uno relativo pro quo praedicatur de alio et e converso, ita quod inter propositionem affirmantem esse de uno relativo et propositionem affirmantem esse de alio sit consequentia formalis, et eodem modo e converso"; vgl. Ord., dist. 30, qu. 3 (OTh IV 358,7-16); Ord., dist. 30, qu. 5 (OTh IV 3 9 0 , 2 2 - 2 4 ) . In Pr., cap. 13, § 6 (OPh II 2 5 9 , 1 9 - 2 0 ) : „et quod ad negationem esse de uno sequitur negatio esse de alio"; S. L. I, cap. 53 (OPh I 176,45-177,49). (X => Υ ) => ( - Y => - X ) und (Υ = > X) => ( - X = > - Y ) ; daher [(X = > Y) et (Υ = > X)] => [ ( - X = > - Ύ ) et ( - Y = > - X ) ] . Außerdem ( - X => - Y ) = > ( — Υ => — X ) => (Υ => X) und ( - Y = > - X ) => ( — X = > — Υ ) = > (X => Y), daher [ ( - X => - Y ) et ( - Y => - X ) ] => [(X => Y) et (Υ => X)].

478

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Weder geht es um die Arten einer gemeinsamen Gattung, noch geht es im strengen Sinn um wechselseitige Folgerung von Existenzaussagen bei gleichzeitiger Abwesenheit eines kausalen Verhältnisses, sondern hier reicht schon die wechselseitige Folgerung von Existenzaussagen; die Abwesenheit eines kausalen Verhältnisses ist nicht erforderlich.367 Auffallend ist an dieser Bestimmung fur uns heute dreierlei. Erstens die zeitliche Einschränkung auf einen Zeitpunkt t, zweitens die Forderung nach personaler Supposition der Begriffe und drittens die Präzisierung, wonach die Folgerung eine formale sein soll. Auffallend ist für uns heute zunächst die zeitliche Einschränkung, durch die die Existenz von Α bzw. Β auf einen Zeitpunkt t festgelegt wird. Sie ist in der mittelalterlichen Logik nicht ungewöhnlich. Das mag daher kommen, daß die Logiker des Mittelalters ihre Schlüsse hauptsächlich auf vergängliche Dinge angewandt haben, während heutige Logiker bei ihren Überlegungen häufig unvergängliche (ζ. B. mathematische) Gegenstände im Auge haben.368 Die Forderung nach personaler Supposition muß richtig verstanden werden. Ockham merkt an, daß man in einem strengen und wörtlichen Sinn weder bei personaler noch bei materialer oder einfacher Supposition behaupten könne, A und Β seien der Natur nach zugleich. Von zwei voneinander unterschiedenen geschöpflichen Dingen kann stets das eine ohne das andere existieren. Aber auch zwei Begriffe können unabhängig voneinander gedacht oder zwei sprachliche Ausdrücke unabhängig voneinander gesprochen oder geschrieben werden. Sie sind also weder der Zeit noch der Natur nach zugleich.369 Der Natur nach zugleich sind sie nur in dem Sinn, daß aus der Aussage existiert zum Zeitpunkt t" durch formale Folgerung die Aussage ,JB existiert zum Zeitpunkt i" und aus der Aussage ,ß existiert zum Zeitpunkt t" durch 367

368

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In Pr., cap. 19, § 2 (OPh II 329,7-330,11): „Sciendum quod magis stricte loquitur hic Philosophus de ,simul natura' quam superius in capitulo de ad aliquid, quia ibi potest esse simultas naturae quamvis aliquid importatum per unum sit causa alterius import at i. Nam pater et filius sunt simul natura, sicut ibi loquitur, et tarnen ille qui est pater est causa illius qui est filius". Das „sicut ibi loquitur" kann höchstens bedeuten, daß Vater und Sohn in dem Sinn der Natur nach zugleich sind, von dem Aristoteles im entsprechenden Kapitel des Kategorienkommentars spricht, nicht daß er dort auch das Beispiel von Vater und Sohn anfuhrt. Dieses stammt aus Aristoteles: Metaphysik V 15 (1021a 23-24). Darauf machte mich Dr. Klaus Rodler von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mündlich aufmerksam. Matthias Kaufmann: Nochmals: Ockhams Consequentiae und die materiale Implikation. In: Argumentationstheorie. Scholastische Forschungen zu den logischen und semantischen Regeln korrekten Folgerns. Hrsg. v. Klaus Jacobi. Leiden-New York-Köln: Brill 1993 (STGMA 38), 223-232,226. In Pr., cap. 13, § 6 (OPh II 259,10-13).

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

479

formale Folgerung die Aussage , r 4 existiert zum Zeitpunkt t" folgt. Dabei ist es jedoch erforderlich, daß in den beiden Aussagen existiert zum Zeitpunkt t" und existiert zum Zeitpunkt i" die beiden Begriffe Α und Β personal supponieren. 370 In seiner Bestimmung der natürlichen Simultanität fordert Ockham auch, daß die Aussagen, die Α und Β die Existenz zusprechen, auseinander durch eine formale Folgerung („consequentia formalis") folgen sollen. Daß es sich um eine Folgerung („consequentia") handeln soll, besagt, daß es um einen verkürzten Syllogismus geht, dessen eine Prämisse nicht genannt, sondern nur stillschweigend vorausgesetzt wird. 371 Eine solche stillschweigend vorausgesetzte Prämisse wird auch „Mittel" („medium") genannt. 372 Daß diese Folgerung formal sein soll, schließt eine materiale Folgerung („consequentia materialis") aus. Diese Klausel ist in den meisten Fällen bedeutungslos, sodaß Ockham sie, wenn es ihm nicht auf exakte Formulierungen ankommt, wegfallen läßt.373 Doch gerade in dem Fall, auf den es hier ankommt, reicht eine materiale Folgerung nicht aus, sondern es ist nötig, auf einer formalen Folgerung zu bestehen. Sich für praktische Zwecke einen Begriff von einer materialen Folgerung zu verschaffen, fällt vergleichsweise leicht. Schwierig ist es hingegen, formale und materiale Folgerungen exakt zu beschreiben. Diese Schwierigkeiten sind teils textkritischer Natur, teils betreffen sie das Verhältnis der formalen bzw. materialen Folgerung bei Ockham zur strikten bzw. materialen Implikation in der gegenwärtigen Logik. Die Fragen zur Textkritik sind nicht einmal durch die kritische Ausgabe der „Summa logicae" abschließend geklärt. Da sie Wörter wie „non" und „nec" betreffen, steht und fällt der Sinn eines Satzes mit den Entscheidungen dieser Fragen. Ockham unterscheidet zwei Arten der formalen Folgerung. Die erste gilt aufgrund eines äußerlichen Mittels, d. h. aufgrund eines Mittels, das sprach-

370

Ord., dist. 30, qu. 5 (OTh IV 390,22-24): „Hoc est, si esse existere praedicetur de uno relativo, non pro se sed pro re, sequitur quod esse existere consimiliter praedicatur de alio extremo eodem modo supponente".

371

S. L. III-3, cap. 1 (OPh 1 587,4-6): „Habito de syllogismo in communi et de syllogismo demonstrative, agendum est de argumentis et consequentiis quae non servant formam syllogisticam".

372

Vgl. S. L. III-2, cap. 23 (OPh I 545,53-54): „sed vocatur hic medium omne illud per quod devenit ratio in notitiam prius ignoti". Vgl. Quodl. VI, qu. 2 0 (OTh IX 6 6 1 , 1 1 4 - 1 1 9 ) ; Quodl. VI, qu. 21 (OTh IX 6 6 3 , 1 5 - 2 1 ) .

373

480

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

lieh nicht mit den Termini der Folgerung selbst formuliert wird.374 Gemeint ist damit eine logische Regel. Die zweite Art der formalen Folgerung gilt unmittelbar durch ein innerliches Mittel, mittelbar hingegen durch ein äußerliches Mittel. 375 Dieses äußerliche Mittel betrifft nach der Lesart von Philotheus Boehner, dem sich auch die Herausgeber der „Summa logicae" angeschlossen haben, die allgemeinen Bedingungen der Aussagen, jedoch nicht Wahrheit oder Falschheit, Notwendigkeit oder Unmöglichkeit. 376 Nach der anderen Lesart, die im Anschluß an ältere Autoren jüngst von Franz Schupp vertreten wurde, betrifft dieses äußerliche Mittel jedoch gerade nicht die allgemeinen Bedingungen der Aussagen wie Wahrheit oder Falschheit, Notwendigkeit oder Unmöglichkeit. 377 Ferner gilt die materiale Folgerung nach der Lesart von Franz Schupp, die bis auf Jan Salamucha zurückgeht, aufgrund der verwendeten Termini und eines äußerlichen Mittels, das die allgemeinen Bedingungen der Aussagen betrifft.378 Nach dem Text der kritischen Ausgabe gilt sie hingegen aufgrund der Termini und (zwar aufgrund eines äußerlichen Mittels, aber) nicht aufgrund eines äußerlichen Mittels, das die allgemeinen Bedingungen der Aussagen betrifft.379 374

375

376

377

378

379

S. L. III-3, cap. 1 (OPh I 589,46-50): „Consequentia formalis est duplex, quia quaedam tenet per medium extrinsecum, quod respicit formam propositionis. Sicut sunt tales regulae ,ab exclusiva ad universalem de terminis transpositis est bona consequentia'; ,ex maiore de necessario et minore de inesse sequitur conclusio de necessario' et huiusmodi". S. L. III-3, cap. 1 (OPh I 589,50-54): „Quaedam tenet per medium intrinsecum immediate, et mediate per medium extrinsecum (...), cuiusmodi est ista ,Sortes non currit, igitur homo non currit'". S. L. III-3, cap. 1 (OPh I 589,52-53): „respiciens generales condiciones propositionum, non veritatem vel falsitatem, nec necessitatem vel impossibilitatem"; vgl. Philotheus Boehner: Does Ockham Know of Material Implication? In: Ders.: Collected Articles on Ockham. Hrsg. ν. Eligius Maria Buytaert. St. Bonaventura, New York 1958 (FIP.P 12), 319-351, 341f, Anm. 9. Es wäre also zu lesen: „NON respiciens generales condiciones propositionum, UT veritatem vel falsitatem, necessitatem vel impossibilitatem"; vgl. Franz Schupp: Zur Textrekonstruktion der formalen und materialen Folgerung in der kritischen Ockham-Ausgabe. In: Argumentationstheorie. Scholastische Forschungen zu den logischen und semantischen Regeln korrekten Folgerns. Hrsg. v. Klaus Jacobi. Leiden-New York-Köln: Brill 1993 (STGMA 38), 213-221, 214; Jan Pinborg: Logik und Semantik im Mittelalter. Ein Überblick. Mit einem Nachwort von Helmut Kohlenberger. Stuttgart: Fromann-Holzboog 1972 (Problemata), 173. Schupp: Textrekonstruktion, 214: „Consequentia materialis est quando tenet praecise ratione terminorum et ratione alieuius medii extrinseci respicientis praecise generales condiciones propositionum"; vgl. Jan Salamucha: Die Aussagenlogik bei Wilhelm Ockham. In: FS 32 (1950) 97-134,108, Anm. 30. S. L. III-3, cap. 1 (OPh I 589,55-58): „Consequentia materialis est quando tenet praecise ratione terminorum et NON ratione alieuius medii extrinseci respicientis praecise generales condiciones propositionum; cuiusmodi sunt tales ,si homo currit, Deus est'; ,homo est asinus, igitur Deus non est' et huiusmodi".

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

481

Da Franz Schupp seine Lesart über das bislang bekannte Handschriftenmaterial hinaus durch einen von Ockhams „Summa logicae" abhängigen anonymen „Liber consequentiarum" aus dem vierzehnten Jahrhundert stützen kann, 380 neige ich seiner Lesart zu.381 Der zweite Problemkreis um Ockhams materiale und formale Folgerung betrifft ihren Zusammenhang mit der materialen und der strikten Implikation in der gegenwärtigen Logik. Die materiale Implikation unterscheidet sich von der strikten dadurch, daß sie ausschließlich durch Wahrheitsfunktionen bestimmt ist, während sich die strikte Implikation auf inhaltliche oder logische Zusammenhänge zwischen Vordersatz und Folgesatz beruft. 382 Im Sinn der materialen Implikation ist ein Bedingungsgefüge wahr, wenn der Vordersatz falsch oder der Folgesatz wahr ist. Falsch ist es nur dann, wenn der Vordersatz wahr und der Folgesatz falsch ist. Auch Ockham kennt Folgerungen, die nicht von einem sachlichen oder logischen Zusammenhang zwischen dem Vordersatz und dem Folgesatz abhängen. Wer seine Logik in modernen Kategorien ausdrücken will, kommt daher mit der strikten Implikation allein nicht aus. Indem Ockham über die strikte Implikation hinausging, nahm er teilweise vorweg, was wir heute als materiale Implikation bezeichnen. 383 Andererseits stimmt Ockhams materiale Folgerung in mehrfacher Hinsicht nicht mit der heutigen materialen Implikation überein. Erstens werden materiale Implikationen in der gegenwärtigen Logik als Teil der Objektsprache verstanden. Ockham dagegen rechnet sie zur Metasprache, die nicht über die Dinge selbst, sondern über die Sätze, die etwas über die Dinge aussagen, und ihr gegenseitiges Verhältnis spricht.384 Zweitens spricht die heutige Logik auch dann von materialer Implikation, wenn Vordersatz und Folgesatz voneinander unabhängig sind und nur entsprechende Wahrheitswerte aufweisen. Ockham hingegen spricht nur dann, wenn sie voneinander unabhängig sind, von materialer Folgerung, ansonsten aber immer von formaler Folgerung. Der Begriff der materialen Implikation ist umfangreicher als der Begriff der strikten Implikation. Die materiale Fol-

380 381

Schupp: Textrekonstruktion, 2 1 3 - 2 1 5 . Vgl. Kaufmann: Consequentiae, 230, Anm. 25; Peter Schulthess: Wilhelm von Ockham: Summa logicae. In: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Mittelalter. Hrsg. v. Kurt Flasch. Stuttgart: Reclam 1998, 4 0 2 - 4 4 6 , 438f.

382

Marilyn McCord Adams: Did Ockham Know of Material and Strict Implication? A Reconsideration. In: FrS 33 (1973) 5 - 3 7 , 25f. Kaufmann: Consequentiae, 229. Kaufmann: Consequentiae, 230.

383 384

482

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

gerung hingegen ist ein kurioser Sonderfall, der nur der Vollständigkeit halber neben der formalen Folgerung aufgezählt wird, die den Normalfall darstellt.385 Ockhams materiale Folgerung und die materiale Implikation der gegenwärtigen Logik lassen sich also weder miteinander gleichsetzen noch voneinander trennen. Wesentliche Gedanken, die der Konzeption der materialen Implikation zugrundeliegen, lassen sich schon bei Ockham nachweisen. Aber kein Begriff, den Ockham gebraucht, stimmt in allen Merkmalen mit dem der materialen Implikation überein.386 Während es also schwierig ist, für Ockhams Unterscheidung zwischen materialer und formaler Folgerung die Textbasis zu erarbeiten und sie inhaltlich modernen Begriffen zuzuordnen, fallt es vergleichsweise leicht, sich für praktische Zwecke einen Begriff von einer materialen Folgerung zu verschaffen. Alle Beispiele, die Ockham anführt, verteilen sich auf zwei Gruppen. Die erste Gruppe umfaßt die Folgerungen, die nach der Regel erfolgen, daß aus dem Unmöglichen alles Beliebige folgt („ex impossibili sequitur quodlibet"). Die zweite Gruppe umfaßt die Folgerungen, die nach der Regel erfolgen, daß das Notwendige aus allem Beliebigen folgt („necessarium sequitur ad quodlibet").387 Daß Ockham (wenigstens in der von Franz Schupp vertretenen Textfassung) bei der materialen Folgerung von allgemeinen Bedingungen von Aussagen spricht und sich dabei neben Möglichkeit und Unmöglichkeit auch auf Wahrheit und Falschheit bezieht, legt nahe, daß er auch Folgerungen nach den Regeln „ex falso quodlibet" („Aus dem Falschen folgt alles Beliebige") und „verum ad quodlibet" („Das Wahre folgt aus allem Beliebigen") als material anerkennt. Doch lassen sich bei ihm keine Beispiele materialer Folgerungen belegen, die nach diesen beiden Regeln erfolgen. Allerdings gilt für Ockham nicht jede Folgerung, die nach der Regel „ex impossibili sequitur quodlibet" oder nach der Regel „necessarium sequitur ad quodlibet" erfolgt, als material. Vielmehr muß sie genau („praecise") aufgrund der allgemeinen Bedingungen der Aussagen gelten. Erfolgt sie bloß unter anderem auch 385 386

387

Adams: Ockham, 489f; Kaufmann: Consequentiae, 229f. Kaufmann: Consequentiae, 231 gegen Boehner: Ockham, der die materiale Implikation mit Ockhams „consequentia materialis" gleichsetzen will, gegen M. Mullick: Does Ockham Accept Material Implication? In: Notre Dame Journal of Formal Logic 12 (1971) 117-124, der die materiale Implikation mit Ockhams „consequentia ut nunc" gleichsetzen will, und gegen Adams: Implication, 35, die die materiale Implikation mit Ockhams „consequentia" gleichsetzen will. S. L. III-3, cap. 38 (OPh I 730,88-731,92): „Aliae regulae dantur, quod ,ex impossibili sequitur quodlibet' et quod ,necessarium sequitur ad quodlibet'; et ideo sequitur ,tu es asinus, igitur tu es Deus', et sequitur ,tu es albus, igitur Deus est trinus et unus'. Sed tales consequentiae non sunt formales, et ideo istae regulae non sunt multum usitatae".

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

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aufgrund einer solchen Regel, läßt sich aber zugleich auch aus anderen Regeln oder aus Inhalten begründen, zählt sie nicht als material. Beispielsweise gilt der Schluß „Dieser Mensch ist ein Hund, also kann dieser Mensch bellen" zwar aufgrund der Regel, wonach aus dem Unmöglichen alles Beliebige folgt. Zugleich gilt er aber auch durch das innere Mittel „Jeder Hund kann bellen". Daher zählt dieser Schluß nicht als materiale, sondern als formale Folgerung, mag er auch die Regel „ex impossibili sequitur quodlibet" erfüllen.388 b)

Das Beispiel von Vater und Sohn

Der Natur nach zugleich in dem hier relevanten Sinn sind Α und Β also, wenn aus der Aussage „A existiert zum Zeitpunkt t" durch eine formale Folgerung die Aussage existiert zum Zeitpunkt /" und aus der Aussage ,ß existiert zum Zeitpunkt durch eine formale Folgerung die Aussage tTA existiert zum Zeitpunkt f" folgt, wobei die Begriffe Α und Β personal supponieren. Ebenso folgt, wenn Α und Β im relevanten Sinn der Natur nach zugleich sind, bei personaler Supposition der Begriffe Α und Β durch formale Folgerungen aus der Aussage ,^4 existiert zum Zeitpunkt t nicht" die Aussage existiert zum Zeitpunkt t nicht" und aus der Aussage existiert zum Zeitpunkt t nicht" die Aussage existiert zum Zeitpunkt t nicht". Der Natur nach zugleich sind, wie Ockham nach dem Vorbild des Aristoteles anmerkt, die meisten relativen Begriffe mit den ihnen entsprechenden korrelativen Begriffen. Ockhams Musterbeispiel in diesem Zusammenhang sind die Begriffe von Vater und Sohn. Vater und Sohn sind der Natur nach zugleich. Denn daraus, daß es zu einem Zeitpunkt t einen Vater gibt, folgt durch eine formale Folgerung, daß es zum gleichen Zeitpunkt t auch seinen Sohn gibt; und daraus, daß es zu einem Zeitpunkt t einen Sohn gibt, folgt durch eine formale Folgerung, daß es zum selben Zeitpunkt t auch seinen Vater gibt. Dabei sollen die Begriffe „Vater" und „Sohn" personal supponieren. Daraus, daß es zu einem bestimmten Zeitpunkt t einen Vater nicht gibt, folgt umgekehrt, daß es zum selben Zeitpunkt t seinen Sohn nicht gibt; und daraus, daß es zu einem bestimmten Zeitpunkt t einen Sohn nicht gibt, folgt - immer durch formale Folgerung und bei personaler Supposition - , daß es zum selben Zeitpunkt t seinen Vater nicht gibt. Ockhams Beispiel wirkt für uns gekünstelt und unzulänglich. Gekünstelt wirkt die Festlegung auf einen Zeitpunkt t, als wäre ein Waisenkind nach dem Tod seiner Eltern nicht mehr deren Kind oder der Vater nach dem Tod seines Sohnes nicht mehr dessen Vater. Ein „nachgeborener" Sohn, der erst nach 388

Adams: Implication, 24.

484

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

dem Tod seines Vaters zur Welt gekommen ist, wäre dann sogar niemals jemandes Sohn gewesen. Möglicherweise hat ein Kind zwar keinen Vater, aber einen Großvater. Solche Vorstellungen erscheinen uns zwar äußerst merkwürdig, doch offenbar gebraucht Ockham wenigstens in diesem Zusammenhang die Ausdrücke „Vater" und „Sohn" so, daß ihre natürliche Simultanität auch temporale Gleichzeitigkeit umfaßt.389 Ockhams Beispiel wirkt außerdem unzulänglich. Selbstverständlich kann jemand Vater sein, ohne einen Sohn zu haben, nämlich dann, wenn er eine Tochter hat. Ebenso kann jemand Sohn sein, ohne einen Vater zu haben, nämlich dann wenn er eine Mutter hat. Dies gilt wenigstens fur den radikal zeitbezogenen Gebrauch der Ausdrücke „Vater" und „Sohn", den wir bei Ockham in diesem Zusammenhang festgestellt haben: Jemand kann Sohn sein, ohne daß sein Vater noch lebt, nämlich dann, wenn zumindest seine Mutter noch lebt. Wir müssen also, wenn Ockhams Beispiel zutreffen soll, den Ausdruck „filius" als „Sohn oder Tochter" und den Ausdruck „pater" als „Vater oder Mutter" verstehen.390 Daß „Vater" und „Sohn" der Natur nach zugleich sind, hat damit zu tun, daß es sich bei ihnen um relative Begriffe handelt. Da es sich um ein Begriffspaar handelt, in dem der erste Begriff eine bestimmte Relation zum zweiten und der zweite eine entsprechende Relation zum ersten ausdrückt, spricht Ockham von korrelativen Begriffen.391 Relative Begriffe sind eine Unterart der konnotativen Begriffe. Wie diese stehen sie in einem Satz zwar fur Bestimmtes, bezeichnen aber mehr. Sie bezeichnen an erster Stelle, wofür sie im Satz stehen, an zweiter Stelle etwas anderes oder dasselbe auf andere Weise. Was sie konnotieren, wird in ihrer Nominaldefinition genannt. Dabei kann es sich um Entitäten ebenso wie um Sachverhalte, um Seiendes ebenso wie um nicht Seiendes handeln.392 Die Nominaldefinition des Vaters lautet: Ein Vater ist ein Mensch, der einen anderen Menschen gezeugt hat. An erster Stelle bezeichnet der Begriff „Vater" also einen bestimmten Menschen. Darüber hinaus konnotiert er einen anderen Menschen (nämlich den Sohn bzw. die Tochter). Offenbar verlangt der Begriff „Vater" (wie Ockham ihn in diesem Zusammenhang versteht), daß der konnotierte Mensch aktuell existiert und nicht bloß möglich ist. Schließ389 390

391 392

Vgl. Ord., dist. 30, qu. 4 (OTh IV 3 6 8 , 1 4 - 1 6 ) : „nihil plus importatur per Sortem esse patrem Piatonis nisi Sortem genuisse Platonem et utrumque existere actualiter". Elizabeth Karger: Causalite Divine et Toute-Puissance. In: La Puissance et son Ombre. De Pierre Lombard a Luther. Hrsg. v. Olivier Boulnois. Paris: Aubier 1994, 3 2 1 - 3 5 6 , 344, Anm. 48; Michon: Nominalisme, 371, Anm. 2. Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 648,12). S. L. I, cap. 10 (OPh I 3 5 - 3 8 ) .

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

485

lieh konnotiert der Begriff „Vater" auch den Sachverhalt, daß der eine Mensch den anderen gezeugt hat.393 Die Nominaldefinition des Sohnes lautet entsprechend: Ein Sohn ist ein Mensch, der von einem anderen Menschen gezeugt (oder geboren) worden ist. An erster Stelle bezeichnet der Begriff „Sohn" also einen bestimmten Menschen. Darüber hinaus konnotiert er einen anderen (aktuell existierenden, nicht bloß möglichen) Menschen, nämlich den Vater (bzw. die Mutter), und schließlich auch den Sachverhalt, daß der eine Mensch den anderen gezeugt (oder geboren) hat. Zwar kann derselbe Mensch zugleich Vater und Sohn sein, aber wenn sie sich auf dasselbe Verwandtschaftsverhältnis beziehen, stehen die Begriffe „Vater" und „Sohn" im Satz für verschiedene Menschen. Nichtsdestoweniger bezeichnen sie dasselbe, nämlich erstens den Menschen, der Vater ist, zweitens den Menschen, der Sohn ist, und drittens den Sachverhalt, daß der eine den anderen gezeugt hat. Die Aussagen „Der Vater existiert zum Zeitpunkt t" und „Der Sohn existiert zum Zeitpunkt f" bedürfen, um wahr zu sein, beide der Existenz des Vaters, der Existenz des Sohnes und des Sachverhaltes der Zeugung des Sohnes durch den Vater. Sie sind nicht identisch, weil die erste Aussage etwas über den Vater, die zweite etwas über den Sohn aussagt und beide Begriffe für verschiedene Personen stehen; aber sie sind äquivalent, insofern sie dasselbe bezeichnen. 394 Daher kann auch durch eine formale Folgerung von der ersten Aussage auf die zweite und von der zweiten auf die erste geschlossen werden. Somit sind Vater und Sohn der Natur nach zugleich. Ockham erwägt den Einwand, daß damit zuerst der Vater durch den Sohn definiert wird und anschließend der Sohn durch den Vater. Damit liefe die Definition im Kreis und könnte weder erklären, was ein Vater ist, noch, was ein Sohn ist.395 Auf diesen Einwand erwidert Ockham, daß nicht der Vater zuerst durch den Sohn und anschließend der Sohn durch den Vater definiert

393

394

395

In Pr., cap. 12, (OPh II 245,185-188): „iste homo, ex hoc ipso quod genuit, posito filio, sine omni relatione adveniente sibi, sed per hoc solum quod iste homo ineipit esse qui dicitur filius suus"; vgl. Ord., dist. 30, qu. 4 (OTh IV 368,14-16); In Pr., cap. 7, § 1 (OPh II 159,54-58). In Ph. III, cap. 6, § 1 (OPh IV 480,54-61): „Sicut quidquid importatur per unum correlativum, importatur per reliquum, tarnen non eodem modo, quia illud quod importatur per unum in recto, importatur per reliquum in obliquo et e converso. Et propter hoc movere et moveri habent diversas definitiones in tantum etiam quod non competunt eidem nec de eodem praedicantur; sicut quidquid importatur per hoc nomen ,pater' importatur per hoc nomen ,filius' et e converso, quamvis non eodem modo, sicut alias dictum est". Quodl. VI, qu. 24 (OTh IX 674,43-675,56).

486

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

wird, sondern beide werden zugleich und in bezug aufeinander definiert, aber nicht durch einander.396 c)

Das Beispiel von Ursache und Wirkung

Neben dem Beispiel von Vater und Sohn, auf das er am häufigsten und ausführlichsten zurückgreift, fuhrt Ockham zur Veranschaulichung der natürlichen Simultanität auch das Beispiel von Ursache und Wirkung an. Dabei handelt es sich um eine Verallgemeinerung des Beispiels von Vater und Sohn, denn der Vater ist die Ursache des Sohnes. Ursache und Wirkung sind in dem angegebenen Sinn der Natur nach zugleich, denn aus der Aussage „Die Ursache existiert zum Zeitpunkt t" folgt durch eine formale Folgerung „Die Wirkung existiert zum Zeitpunkt t", und aus der Aussage „Die Wirkung existiert zum Zeitpunkt t" folgt ebenso die Aussage „Die Ursache existiert zum Zeitpunkt f".397 Ebenso folgt aus der Aussage „Die Ursache existiert zum Zeitpunkt t nicht" durch eine formale Folgerung die Aussage „Die Wirkung existiert zum Zeitpunkt t nicht". Dabei supponieren die Begriffe „Ursache" und „Wirkung" stets personal. Der Grund dafür besteht darin, daß es sich bei „Ursache" und „Wirkung" um Konnotativbegriffe handelt, die so aufeinander bezogen sind, daß die Wirkung in der Definition der Ursache und die Ursache in der Definition der Wirkung genannt ist. Denn Ursache ist, auf dessen Existenz etwas anderes folgt.398 Entsprechend ist eine Wirkung, was aus der Existenz oder Tätigkeit eines anderen folgt. Neben diesem physikalischen und metaphysischen Begriff der Ursache spricht Ockham auch in logischen Zusammenhängen von „causa". Dann meint er mit diesem Begriff aber keine Entität, von der die Existenz einer anderen Entität abhängt, sondern eine Aussage, aus der eine andere Aussage folgt. Allerdings weist Ockham darauf hin, daß dieses Verhältnis in der Folge396

397 398

Quodl. VI, qu. 24 (OTh IX 676,75-677,97). Vgl. dazu den ähnlichen Vorwurf von Andre de Muralt: La toute-puissance divine, le possible et la non-contradiction. In: Ders.: L'enjeu de la philosophic midievale. Etudes thomistes, scotistes, occamiennes et gregoriennes. Leiden-New York- Kobenhaven-Köln: Brill 1991 (STGMA 24), 256-272, 259-265. Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 648,10-12): „Et in omnibus relativis quae vocantur relativa secundum (...) causam et effectum, semper correlative sunt simul natura". Ord., dist. 41, qu. un. (OTh IV 605,14-17): „Circa secundum de ,causa' distinguo quod dupliciter accipitur. Uno modo pro re aliqua habente aliam rem tamquam effectum, et isto modo potest dici causa 'illud quo posito aliud ponitur, et non ponitur illud aliud sine eo'"; In Ph. VII, cap. 3, § 4 (OPh V 629,7-630,9); S. L. I, cap. 10 (OPh I 37,48-51): „sicut si quaeres, quid significat hoc nomen ,causa', potest dici quod idem quod haec oratio ,aliquid ad cuius esse sequitur aliud' vel .aliquid potens producere aliud', vel aliquid huiusmodi"; vgl. Tr. Pr., qu. 1 (OPh 11519,315-318).

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

487

rung von Aussagen häufig mit einem Ursächlichkeitsverhältnis zwischen dem einhergeht, wovon die Aussagen sprechen.399 Diese Doppeldeutigkeit des Wortes „causa" macht eine Behauptung Ockhams verständlich, die ansonsten recht absonderlich scheinen muß. Er stellt nämlich fest, daß Ursache und Wirkung der Natur nach zugleich sind und man von der einen auf die andere schließen könne, und fährt dann fort, daß keines von beiden mehr Ursache sei als das andere.400 Damit ist selbstverständlich nicht gemeint, daß die Ursache hinsichtlich ihrer Wirkung nicht mehr Ursache wäre als die Wirkung hinsichtlich der Ursache. Ungeachtet ihrer natürlichen Simultanität besitzt die Ursache hinsichtlich der Ursächlichkeit die Priorität gegenüber der Wirkung.401 Ockham spricht vielmehr von den Existenzaussagen über Ursache und Wirkung, nicht über die Ursache und die Wirkung, von denen diese Aussagen handeln. 402 Aus der Aussage, die Ursache existiere, folgt die Aussage, die Wirkung existiere, ebenso, wie umgekehrt aus der Aussage, die Wirkung existiere, die Aussage folgt, daß die Ursache existiert. Daher ist keine der beiden Aussagen mehr Ursache für die andere als umgekehrt. Wie auch sonst verlangt Ockham beim Beispiel von Ursache und Wirkung als notwendige Voraussetzung für natürliche Simultanität zeitliche Simultanität. Daß aber Ursache und Wirkung gleichzeitig auftreten, ist keineswegs unumstritten. David Hume etwa sah als den charakteristischen Unterschied zwischen Ursache und Wirkung an, daß die Ursache zeitlich früher auftritt als die Wirkung, und bestritt infolgedessen die Möglichkeit einer Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung 403 Anders als der schottische Empirist räumt der englische Nominalist ein, daß wenigstens manche Ursachen zeitgleich mit ihren Wirkungen existieren.404 Doch auch er kommt diesbezüglich um gewisse Unterscheidungen nicht herum.

399

400 401 402 403

404

Ord., dist. 41, qu. un. (OTh IV 605,17-606,6): „Alio modo accipitur causa, non pro re aliqua respectu alterius rei, sed magis denotat quamdam prioritatem unius propositionis ad aliam secundum consequentiam. ( . . . ) unde quando ab una propositone ad aliam est consequentia naturalis et non e converso, tunc potest aliquo modo dici quod antecendens est causa consequentis et non e converso. Verumtamen hoc vel raro vel numquam continguit nisi quia in re aliquid est causa alterius, vel potest esse vel fuit"; vgl. Tr. Pr., qu. 1 (OPh II 519,318-322). Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 648,12-14): „Et ideo quia sunt [seil, causa et effectus] simul natura et mutuo se inferunt, neutrum est magis causa alterius quam e converso". Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 298,23-299,5). Vgl. kurz darauf Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 648,21): „non est una propositio magis causa alterius quam e converso". David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch I, Teil 3, Abschnitt 2 (zit. nach: David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur (A Treatise o f Human Natur). Übers, v. Theodor Lipps. Hrsg. v. Reinhard Brandt. Hamburg: Meiner 1973 (PhB 283), 102). Ord., dist. 9, qu. 3 (OTh III 299,3-4): „secundum Philosophum, aliquando causa et causatum sunt simul duratione"; vgl. Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 61,6-7).

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

Ockham unterscheidet zwischen unmittelbarer Ursache („causa immediata") und entfernter Ursache („causa remota"). Eine unmittelbare Ursache liegt vor, wenn die Wirkung existiert, sobald die Ursache existiert, und wenn die Wirkung nicht existiert, sobald die Ursache nicht existiert.405 Was Ockham an einer anderen Stelle als genaue Ursache („causa praecisa") bezeichnet und als eine Sonderform der Totalursache anfuhrt, beschreibt er ganz ähnlich.406 Die Existenz einer entfernten Ursache ist hingegen nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung fur die Existenz ihrer Wirkung. Aus ihr allein folgt die Wirkung noch nicht.407 Hinsichtlich des zeitlichen Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden sich unmittelbare Ursache und entfernte Ursache voneinander. Die unmittelbare Ursache tritt stets zeitgleich mit ihrer Wirkung auf. Die entfernte Ursache kann ihrer Wirkung hingegen vorausgehen. Beispielsweise ist der erste Mensch Adam eine entfernte Ursache Ockhams, geht ihm aber zeitlich weit voraus. Eben deshalb anerkennt Ockham als Ursache im eigentlichen Sinn nur die unmittelbare Ursache. Denn würde er als Ursachen im strengen Sinn auch entfernte Ursachen zulassen, müßte er zugeben, daß Nicht-Seiendes (d. h. nicht mehr Seiendes) Ursache von Seiendem ist.408 d)

Das Beispiel von aktivem und passivem Vermögen

Als drittes Beispiel für natürliche Simultanität fuhrt Ockham das Verhältnis zwischen aktivem und passivem Vermögen („potentia activa et passiva") an. Dieses Beispiel ist insofern von besonderem Interesse, als Ockham damit den Bereich des Wirklichen verläßt und in den Bereich des Möglichen übergeht. Damit nähert er sich dem Problem des Ursprungs des Möglichen, dessen Lösung all diese Vorüberlegungen dienen sollen. Allerdings handelt sich Ockham damit auch schon manche Schwierigkeiten ein, die eine glatte Lösung der Frage nach dem Ursprung des Möglichen erschweren. Aktives und passives Vermögen sind also der Natur nach zugleich. Das bedeutet, daß bei personaler Supposition der Subjektsbegriffe aus der Aussage „Ein aktives Vermögen existiert zum Zeitpunkt t" durch formale Folgerung 405 406

407 408

Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 60,22-24): „illa causa dicitur immediata qua posita potest poni effectus et qua non posita non potest poni". Quodl. I, qu. 1 (OTh IX 8,174-177): „alio modo dicitur causa totalis illud quod potest aliquem effectum sufficienter producere, et sine quo non potest talis effectus produci; et sie causa totalis et causa praecisa sunt idem". Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 61,4-5): „ad eius praesentiam non sequitur effectus". Rep. II, qu. 3 - 4 (OTh V 61,3-7): „Et ex hoc sequitur quod causa remota non est causa, quia ad eius praesentiam non sequitur effectus. Aliter Adam posset dici causa mei; quod non est verum quia non-ens non potest dici causa entis".

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

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die Aussage folgt „Ein passives Vermögen existiert zum Zeitpunkt t" und umgekehrt aus der Aussage „Ein passives Vermögen existiert zum Zeitpunkt t" ebenso die Aussage „Ein aktives Vermögen existiert zum Zeitpunkt t" folgt. Was aber bedeuten Behauptungen von der Art, ein bestimmtes Vermögen existiere? Väter und Söhne, Herren und Diener laufen als reale Wesen auf unseren Straßen herum. Ein aktives oder passives Vermögen aber läßt sich nicht sinnlich wahrnehmen, sondern besteht einzig in dem Sachverhalt, daß jemand etwas kann oder daß jemand etwas mit sich machen läßt. Während Heinrich von Gent dem Möglichen eine eigene Weise des Seins zugestanden hat, während Johannes Duns Scotus von einem „esse possibile" spricht, kritisiert Ockham solche Redeweisen als entweder falsch oder doch höchst metaphorisch. Daher ist es für ihn problematisch von der „Existenz" des Möglichen oder eines Vermögens zu sprechen. Entsprechend problematisch müßte es für ihn auch sein, aus Existenzaussagen über bloß Mögliches zu folgern und damit eine natürliche Simultanität festzustellen. Schon Aristoteles mußte seine Ansicht, wonach Relativa mit den ihnen entsprechenden Korrelativa der Natur nach zugleich sind, aufgrund von Einwänden einschränken, die das bloß Mögliche betreffen. Nach dem großen griechischen Philosophen sind daher nicht alle, sondern nur die meisten Relativa mit ihren Korrelativa der Natur nach zugleich. Er nennt jedoch Ausnahmen. 409 Wilhelm von Ockham schließt sich dieser Meinung des Aristoteles an. Aristoteles unterscheidet drei Arten der Relation. Diese Arten veranschaulicht er hauptsächlich durch Beispiele unter Verzicht auf ausführliche Erklärungen. Die erste Art umfaßt quantitative Verhältnisse. Das Musterbeispiel ist das Verhältnis des Doppelten zu seiner Hälfte. 410 Die zweite Art der Relation betrifft all jenes, was wie das Aktive und das Passive aufeinander bezogen ist. Dabei unterscheidet Aristoteles zwischen Tätigkeit und Vermögen. Das Tätige und das, was diese Tätigkeit erleidet, stehen zueinander ebenso in Relation wie das, was zur Tätigkeit fähig ist, zu dem, was die entsprechende Tätigkeit zu erleiden vermag. 4 " Die dritte Art der Relation umfaßt jene Relationen, bei denen zwischen den Relaten nicht völlige Gleichartigkeit besteht. Als Musterbeispiel gilt die Relation zwischen dem Maß und dem Meßbaren. Ein Maß setzt voraus, daß es auch etwas zu messen gibt; aber das Meßbare ist selbst dann meßbar, wenn es gerade kein Maß gibt, das es messen könnte. 412 Andere Beispiele sind die Re-

409 410 411 412

Aristoteles: Aristoteles: Aristoteles: Aristoteles:

Kategorien 7 (7b Metaphysik V 15 Metaphysik V 15 Metaphysik V 15

15-8a 12). (1020b 2 6 - 2 8 und 1020b 3 2 - 1 0 2 1 a 14). (1020b 2 8 - 3 0 und 1021a 14-26). (1020b 3 0 - 3 2 und 1021a 2 6 - 1 0 2 1 b 11).

490

6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

lation des Wißbaren zum Wissen und des sinnlich Wahrnehmbaren zur Sinneswahrnehmung.4 13 Was Aristoteles an Beispielen für Relationen nennt, deren Relate nicht der Natur nach zugleich sind, fallt unter die dritte Art der Relation. Daraus, daß es Wissen gibt, folgt zwar, daß es auch Wißbares gibt; aber daraus, daß etwas wißbar ist, läßt sich nicht ohne weiteres schließen, daß es auch tatsächlich gewußt wird. Wissen gibt es nur, wo wirklich etwas gewußt wird; Wißbares „gibt es" jedoch auch dort schon, wo etwas nur gewußt werden kann. Daß das eine Relat im Modus der Wirklichkeit, das andere im Modus der Möglichkeit steht, verhindert es, daß man von natürlicher Simultanität sprechen kann. Die Relation zwischen dem aktiven und dem passiven Vermögen, nach deren Vorbild Ockham in der 43. Distinktion seiner „Ordinatio" das Verhältnis zwischen der Macht Gottes und dem Möglichen deutet, fallt in die zweite Art der Relation. Sie beziehen sich aufeinander nach der Weise des Aktiven und des Passiven. Während in der dritten Art der Relation das eine Relat im Modus der Wirklichkeit, das andere im Modus der Möglichkeit steht, bezeichnet das aktive Vermögen wie auch das passive Vermögen gleicherweise eine Möglichkeit. Daher ist folgende Frage an Ockhams Deutung dieser Aristoteles-Stelle zu erheben: Zeigt Aristoteles (nach Ockhams Interpretation) durch seine Beispiele, daß alle Relativa in der ersten und der zweiten Art der Relation der Natur nach zugleich sind, die Relativa in der dritten Art der Relation jedoch nicht? Oder ist der Stagirite (nach Ockham) vielmehr so zu interpretieren, daß zwar keine Relativa in der dritten Art der Relation der Natur nach zugleich sind, wobei jedoch die Möglichkeit offen bleibt, daß es auch in den anderen beiden Arten der Relation Relativa gibt, die nicht der Natur nach zugleich sind? Die Angaben, die Ockham zu dieser Frage an verschiedenen Stellen seines Werkes macht, lassen sich nicht widerspruchsfrei miteinander vereinbaren. An manchen Stellen scheint es, als seien alle Relativa in der zweiten Art der Relation der Natur nach zugleich. An anderen Stellen entsteht hingegen der Eindruck, daß nur manche Relativa in der zweiten Art der Relation der Natur nach zugleich sind, andere hingegen nicht. An den Belegstellen für die erste dieser beiden Ansichten scheint Ockham anzunehmen, daß in der dritten Art der Relation die unterschiedlichen Modalitäten der Relate ihre natürliche Simultanität vereiteln. Dieser Grund läßt sich auf das aktive und passive Vermögen nicht übertragen, weil beide im gleichen Modus stehen, nämlich dem der Möglichkeit. Entsprechend bestimmt Ockham das aktive und passive Vermögen, die der zweiten Art der Relation ange413

In Pr., cap. 13, § 7 - 1 0 (OPh II 260,1-262,6).

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

491

hören, als der Natur nach zugleich.414 Auf der nächsten Seite erklärt er ebenso das Machbare („factibile") und das zu machen Fähige („factivum") für der Natur nach zugleich.415 Natürliche Simultanität liegt daher bei allen Relationen der ersten und der zweiten Art vor, jedoch bei keiner Relation der dritten Art. 4 ' 6 Entsprechend großzügig ist bei der Bestimmung dessen vorzugehen, was der Natur nach zugleich ist. Zwar wird man nicht aus der Existenz des aktiv Möglichen auf die Existenz des passiv Möglichen schließen können, weil in beiden Fällen nur von Möglichem, nicht von Wirklichem die Rede ist. Wohl aber kann man daraus, daß etwas aktiv möglich ist, schließen, daß etwas Entsprechendes passiv möglich ist, und umgekehrt. Dies scheint auszureichen, um von natürlicher Simultanität zu sprechen. So unterscheidet Ockham auch zwischen konnotativen Begriffen, die etwas Wirkliches konnotieren und nur im Fall der realen Existenz dieses Konnotats wahrheitsgemäß ausgesagt werden können, und anderen konnotativen Begriffen, die etwas bloß Mögliches konnotieren und selbst dann wahrheitsgemäß ausgesagt werden können, wenn das Konnotat bloß möglich ist.417 Nach den Belegstellen für die andere Aristoteles-Deutung ist, was die Annahme einer natürlichen Simultanität bei Relationen der dritten Art verhindert, nicht die Ungleichheit der Modalitäten der Relate, sondern der Modus der Möglichkeit des einen Relats. Erst recht kann man daher keine natürliche Simultanität dort annehmen, wo nicht nur das eine Relat, sondern sogar alle beide im Modus der Möglichkeit stehen.418 Nicht nur bei allen Relationen der dritten Art verbietet sich die Annahme einer natürlichen Simultanität, sondern auch bei einigen Relationen der zweiten Art.419 Darunter fallt auch die Relation des aktiven Vermögens zum passiven Vermögen. Musterbeispiel ist jedoch das, was fähig ist zu erwärmen („calefactivum"), und das, was fähig ist, er-

414 415 416

417 418 419

Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 648,10-12). Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 6 4 9 , 8 - 1 1 ) . Ord., dist. 30, qu. 3 (OTh IV 359,13-17): „In aliis autem modis semper [!] sequitur, si ,esse existere' praedicatur de uno extremo, quod praedicatur de alio et e converso. Et isto modo differ! tertius modus a primis et non aliter, quia relative primorum modorum sunt simul natura, non autem relativa tertii modi"; Quodl. VI, qu. 19 (OTh IX 654,70-72): „Sed in primo modo et secundo [seil, relativorum] est universaliter [!] verum, si esse existere praedicatur de uno extremo, quod praedicatur de reliquo et econverso". Rep. III, qu. 7 (OTh VI 215,10-216,9). Vgl. In Ph. II, cap. 6, § 7 (OPh IV 304,12-305,39). Quodl. VI, qu. 20 (OTh IX 6 6 1 , 1 2 7 - 1 3 2 ) ; Quodl. VI, qu. 21 (OTh IX 665,70-72): „Ex quo sequitur quod nec relativa secundum dici sunt simul natura et intellectu, nec relativa tertii modi, nec omnia relativa secundi modi".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

wärmt zu werden („calefactibile"). 420 Man sollte annehmen, daß Gleiches auch für das zu machen Fähige („factivum") und das Machbare („factibile") gilt. Natürliche Simultanität liegt also weder bei den Relativa der dritten Art noch bei allen Relativa der zweiten Art vor. Dennoch gibt es zwischen beiden einen Unterschied. Bei den Relativa der dritten Art liegt anstelle der natürlichen Simultanität natürliche Priorität vor. Das Relativum im Modus der Möglichkeit kann ohne das entsprechende Relativum im Modus der Wirklichkeit bestehen; das Umgekehrte ist jedoch nicht der Fall. Daher besitzt das Relativum im Modus der Möglichkeit natürliche Priorität gegenüber dem Relativum im Modus der Wirklichkeit. Zwischen Relativa der zweiten Art, wo beide Relativa im Modus der Möglichkeit stehen, besteht hingegen weder natürliche Simultanität noch natürliche Priorität.421 Auf die Frage, ob zwischen dem aktiven und dem passiven Vermögen in der zweiten Art der Relation natürliche Simultanität besteht, antwortet Ockham also an verschiedenen Stellen seines Werkes unterschiedlich. Natürliche Simultanität nimmt er im Sentenzenkommentar 422 und im sechsten Quodlibet423 an. Die gegenteilige Behauptung findet sich ausdrücklich im sechsten Quodlibet, 424 wird aber auch in den Aristoteleskommentaren 425 und in der „Summa logicae" 426 angedeutet. Wie Ockham im sechsten Quodlibet in zwei aufeinanderfolgenden Quästionen gegenteilige Behauptungen aufstellen konnte, ist mir rätselhaft. Insgesamt deutet der Textbefund auf eine Entwicklung der Lehre Ockhams hin. Während die frühen Äußerungen von natürlicher Simultanität zwischen allen Relaten der ersten und zweiten Art der Relation sprechen, neigt er später dazu, in der zweiten Art der Relation Ausnahmen einzuräumen. Eine eindeutige Position scheint Ockham allerdings nicht erreicht zu haben: Gerade seine spätesten Äußerungen zum Thema im sechsten Quodlibet erweisen sich als inkohärent.

420

421 422 423 424 425 426

In Pr., cap. 13, § 10 (OPh II 262,12-14): „Similiter calefactivum et calefactibile non sunt simul natura; non enim sequitur .calefactivum est, igitur calefactibile est'"; vgl. In Pr., cap. 13, § 1 0 (OPh II 262,27-33); In Ph. II, cap. 6, § 7 (OPh IV 3 0 5 , 3 5 - 3 7 ) ; S. L. I, cap. 53 (OPh I 177,55-56); S. L. III-3, cap. 3 (OPh I 596,21-22). In Pr., cap. 13, § 10 (OPh II 2 6 2 , 1 5 - 2 6 ) . Ord., dist. 30, qu. 3 (OTh IV 359,13-17). Quodl. VI, qu. 19 (OTh IX 6 5 4 , 7 0 - 7 2 ) . Quodl. VI, qu. 2 0 (OTh IX 6 6 1 , 1 2 7 - 1 3 2 ) ; Quodl. VI, qu. 21 (OTh IX 6 6 5 , 7 0 - 7 2 ) . In Pr., cap. 13, § 10 (OPh II 2 6 2 , 7 - 1 4 ) . S. L. I, cap. 53 (OPh I 177,50-58); S. L. III-3, cap. 3 (OPh I 596,19-23).

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen 3)

493

Die Simultanität der Allmacht und des Möglichen

Diesen Begriff der natürlichen Simultanität, der nunmehr hinreichend geklärt ist, verwendet Ockham, um in der Frage nach dem Ursprung des Möglichen und des Unmöglichen eine vermittelnde Lösung zwischen Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus zu erreichen. Zu diesem Zweck stellt er schon die Frage so, daß sie seiner Antwort entgegenkommt. Die Frage nach dem Grund der Möglichkeit und der Unmöglichkeit stellt er zurück. Er fragt nicht wie Heinrich von Gent, woher das Mögliche und das Unmögliche kausal („causaliter") stammen. Er fragt nicht wie Duns Scotus nach ihrem ersten Grund („prima ratio"). Sondern er fragt, ob es Gott früher („prius") zukomme, das Unmögliche nicht machen zu können, als es dem Unmöglichen zukommt, von Gott nicht gemacht werden zu können.427 Damit lenkt Ockham die Aufmerksamkeit von einer theologischen und ontologischen Ebene auf die logische Ebene,428 in der es zunächst um den rechten Gebrauch von begrifflichen Zuordnungen geht, mit denen dann erst die theologischen und ontologischen Probleme gelöst und Scheinprobleme aufgedeckt werden. In der Form, in der er sich die Frage gestellt hat, beantwortet sie Ockham knapp und klar: Nein, es kommt Gott nicht früher zu, das Unmögliche nicht machen zu können, als dem Unmöglichen, von Gott nicht gemacht werden zu können. 429 Außerdem beantwortet er noch zwei weitere Fragen, die ausdrücklich gar nicht formuliert wurden. Zum einen: Nein, es kommt dem Unmöglichen nicht früher zu, nicht gemacht werden zu können, als es Gott zukommt, das Unmögliche nicht machen zu können. Zum anderen: Nein, es kommt Gott nicht früher zu, das Mögliche machen zu können, als es dem Möglichen zukommt, von Gott gemacht werden zu können.430 Man darf vermuten, wie die Antwort auf jene naheliegende Frage lauten wird, die Ockham hier weder ausdrücklich stellt noch beantwortet: Nein, es kommt dem Möglichen nicht

427 428

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Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 640,16-17): „Secundo quaero utrum prius conveniat D e o non posse facere impossibile quam impossibili non posse fieri a Deo". Vgl. Beckmann: Wilhelm, 142; Jan P. Beckmann: Allmacht, Freiheit und Vernunft. Zur Frage nach „rationalen Konstanten" im Denken des Späten Mittelalters. In: Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen. Hrsg. v. Jan P. Beckmann, Ludger Honnefelder, Gangolf Schrimpf und Georg Wieland. Wolfgang Kluxen zum 65. Geburtstag. Hamburg: Meiner 1987, 2 7 5 - 2 9 3 , 280f. Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IX 649,1-4): „Et quando quaeritur an primo conveniat D e o non posse facere impossibile quam conveniat impossibili non posse fieri a Deo, dico quod non prius convenit D e o non posse facere impossibile quam convenit impossibili non posse fieri a Deo". Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IX 649,4-8): „Nec etiam prius convenit impossibili non posse fieri quam D e o non posse facere impossibile. Et eodem modo dico de affirmativis quod non prius convenit D e o posse facere possibile vel creaturam quam creaturae posse fieri a Deo".

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

früher zu, gemacht werden zu können, als es Gott zukommt, das Mögliche machen zu können. Verschiedentlich ist zu lesen, Ockham habe die Frage, ob der Macht Gottes gegenüber dem Möglichen die Priorität zukommt, für sinnlos gehalten.431 Sollte damit gemeint sein, daß sich diese Frage nicht klar beantworten lasse, trifft dies nicht zu. Vielmehr läßt das vierfache Nein Ockhams an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Sinnlos ist die Frage nur, wenn sie dem Antwortenden einzig die Alternative läßt, entweder Gottes Macht (bzw. seinem Unvermögen) oder dem Möglichen (bzw. Unmöglichen) die Priorität einzuräumen. Denn dann bleibt die Simultanität als jener dritte Weg ausgeschlossen, den Ockham einzig für richtig hält. Aber in dieser Form stellt Ockham selbst die Frage nicht. Dieser dritte Weg besteht darin, weder Gottes Macht (bzw. seinem Unvermögen) noch dem Möglichen (bzw. Unmöglichen) die Priorität einzuräumen, sondern zwischen beiden natürliche Simultanität anzunehmen. Diese Lösung stellt Ockham in zwei verschiedenen Formulierungen vor. Erstens spricht er von natürlicher Simultanität zwischen dem zu machen Fähigen („factivum") und dem Machbaren („factibile"). Zweitens spricht er von natürlicher Simultanität zwischen den Sachverhalten, daß Gott das Mögliche machen kann und daß das Mögliche gemacht werden kann. a)

Die erste Formulierung der Lösung

Das zu machen Fähige und das Machbare, das Faktive und das Faktible, sind der Natur nach zugleich. Weder ist etwas der Natur nach früher fähig zu machen, als etwas machbar ist, noch umgekehrt.432 Für diese Behauptung beruft sich Ockham auf Aristoteles. Damit mag sich der „Venerabiiis Inceptor" auf die Behauptung der natürlichen Simultanität zwischen den meisten Relativa beziehen, die er noch eine Seite zuvor angeführt hat. Eine Stelle, in der diese allgemeine Darstellung ausdrücklich auf das Faktive und das Faktible hin konkretisiert würde, läßt sich hingegen bei Aristoteles nicht finden.433 In dieser Formulierung der These Ockhams fallen die seltenen Ausdrücke „factivum" und „factibile" auf. Das Machbare („factibile") unterscheidet sich 431 432

433

Allan B. Wolter: Ockham and the Textbooks: On the Origin of Possibility. In: FS 32 (1950) 70-96, 83; Beckmann: Wilhelm, 142; Baudry: Lexique, 202: Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IX 649,8-11): „sed simul natura, eo modo quo secundum Philosophum factivum et factibile sunt simul natura, hoc est, non prius est aliquid factivum quam aliquid est factibile nec e converso". Davon hat mich Dr. Klaus Rodler von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften überzeugt. Für die Mühen seiner Nachforschungen sei ihm herzlich gedankt.

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

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sowohl im Inhalt als auch im Umfang geringfügig vom Möglichen („possibile"), an dessen Stelle es getreten ist. Dem Umfang nach unterscheidet sich das Machbare vom Möglichen, weil Gott zwar möglich (weil auch wirklich und sogar im höchsten Grad notwendig) ist, aber nicht machbar. Denn ein gemachter Gott ist ein Widerspruch in sich. Dem Inhalt nach unterscheidet sich das Machbare vom Möglichen, weil es anders als das bloß Mögliche auf einen möglichen Akt des Machens bzw. auf jemanden, der es möglicherweise macht, verweist. Was die Wendung „possibile fieri" mit zwei Worten ausdrückt, was der (sachlich identische) Ausdruck „possibile fieri a Deo" mit vier Worten bezeichnet, ist in dem einen Wort „factibile" schon enthalten. Das Machbare ist also ein konnotativer - genauer: relativer - Ausdruck, der das zu machen Fähige konnotiert. In dieser Hinsicht stehen „factivum" und „factibile" in einer Reihe mit den Wortpaaren „pater filius", „causa - effectus" und „potentia activa - potentia passiva", den Beispielen für natürliche Simultanität, die allesamt Relativa in der zweiten Art der Relation, d. h. wie das Aktive und das Passive aufeinander bezogen sind. In einer anderen Hinsicht unterscheiden sich die Begriffe „factivum" und „factibile" zusammen mit dem Wortpaar „potentia activa - potentia passiva" von den Paaren „pater - filius" und „causa - effectus". Während bei „pater filius" und „causa - effectus" beide Korrelativa im Modus der Wirklichkeit stehen, stehen bei „factivum - factibile" wie auch bei „potentia activa - potentia passiva" beide Korrelativa im Modus der Möglichkeit. Damit geht die Schwierigkeit einher, wie die natürliche Simultanität zwischen dem Machbaren und dem zu machen Fähigen genau zu bestimmen ist. Streng genommen müßte man, um von natürlicher Simultanität zwischen dem „factivum" und dem „factibile" sprechen zu dürfen, behaupten, daß sich aus der Aussage „Ein zu machen Fähiges existiert zum Zeitpunkt t" durch eine formale Folgerung die Aussage ergibt „Ein Machbares existiert zum Zeitpunkt i" und umgekehrt aus der Aussage „Ein Machbares existiert zum Zeitpunkt i" durch eine formale Folgerung die Aussage folgt „Ein zu machen Fähiges existiert zum Zeitpunkt wobei die Wörter „zu machen Fähiges" und „Machbares" in den beiden Aussagen personal supponieren. Nun kann man aber bei bloßer Möglichkeit nicht von Existenz sprechen. Daher muß man angesichts der bloß möglichen Konnotate der korrelativen Begriffe sich mit einem schwächeren Kriterium für die natürliche Simultanität zufrieden geben: Das zu machen Fähige und das Machbare sind der Natur nach zugleich, weil sich aus der Aussage „Etwas ist fähig zu machen zum Zeitpunkt t" durch eine formale Folgerung die Aussage ergibt „Etwas ist machbar zum Zeitpunkt f" und umgekehrt aus der Aussage „Etwas ist mach-

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

bar zum Zeitpunkt t" durch eine formale Folgerung die Aussage folgt „Etwas ist fähig zu machen zum Zeitpunkt i". Somit erweist sich Ockham hier als weniger streng als an anderen Stellen, an denen er die natürliche Simultanität zwischen aktivem und passivem Vermögen und damit auch zwischen dem Machbaren und dem zu machen Fähigen bestreitet. Da für ihn das „calefactivum" gegenüber dem „calefactibile" der Natur nach weder früher noch später noch zugleich ist, sondern keines dieser Verhältnisse zwischen ihnen besteht, müßte dasselbe auch für das „factivum" gegenüber dem „factibile" gelten. Eine Klärung dieses Spezialproblems der Relationslehre wie auch eine Revision des Sentenzenkommentars in diesem Sinn ist allerdings unterblieben. Sie hätte wohl eine so gründliche Überarbeitung der Frage nach dem Verhältnis zwischen der göttlichen Macht und der geschöpflichen Möglichkeit mit sich gebracht, daß sie dem Positionswechsel des Heinrich von Gent im gleichen Zusammenhang kaum nachgestanden wäre. b)

Die zweite Formulierung der Lösung

Seine Antwort auf die Frage nach dem Prioritätsverhältnis zwischen dem Möglichen (bzw. Unmöglichen) und der göttlichen Macht (bzw. dem Unvermögen Gottes) formuliert Ockham auch noch auf eine andere Weise. Er sagt nämlich: Weder kommt es Gott früher zu, das Mögliche machen zu können, als es dem Möglichen zukommt, von Gott gemacht werden zu können, noch kommt es dem Möglichen früher zu, von Gott gemacht werden zu können, als es Gott zukommt, das Mögliche machen zu können, sondern beides ist der Natur nach zugleich. Während Ockham in der Formulierung mit den Ausdrücken „factivum" und „factibile" nur die positive Seite der Frage betrachtet hat, wendet er sich in der zweiten Formulierung auch der negativen Seite zu: Weder kommt es Gott früher zu, das Unmögliche nicht machen zu können, als es dem Unmöglichen zukommt, von Gott nicht gemacht werden zu können, noch kommt es dem Unmöglichen früher zu, von Gott nicht gemacht werden zu können, als es Gott zukommt, das Unmögliche nicht machen zu können, sondern beides ist der Natur nach zugleich. Während Ockham in allen vorangegangenen Beispielen natürliche Simultanität sprachlich nur von Nomen behauptet hat, setzt er hier ein solches Verhältnis zwischen Aussagen an. Von ihnen kann man zwar Existenz dann aussagen, wenn sie material supponieren, aber gerade wenn sie material supponieren, sind sie keinesfalls der Natur nach zugleich. Natürliche Simultanität setzt personale Supposition voraus. Statt von diesen Aussagen Existenz auszusagen, wird man daher eher von der Geltung dieser Aussagen sprechen.

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen

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Die Aussagen, daß Gott das Mögliche machen kann und daß das Mögliche von Gott gemacht werden kann, sind also der Natur nach zugleich, weil daraus, daß die Aussage gilt, daß Gott das Mögliche machen kann, durch eine formale Folgerung folgt, daß die Aussage gilt, daß das Mögliche von Gott gemacht werden kann, und daraus, daß die Aussage gilt, daß das Mögliche von Gott gemacht werden kann, durch eine formale Folgerung folgt, daß die Aussage gilt, daß Gott das Mögliche machen kann. Ebenso sind die Aussagen, daß Gott das Unmögliche nicht machen kann und daß das Unmögliche nicht von Gott gemacht werden kann, der Natur nach zugleich, weil daraus, daß die Aussage gilt, daß Gott das Unmögliche nicht machen kann, durch eine formale Folgerung folgt, daß die Aussage gilt, daß das Unmögliche nicht von Gott gemacht werden kann, und daraus, daß die Aussage gilt, daß das Unmögliche von Gott nicht gemacht werden kann, durch eine formale Folgerung folgt, daß die Aussage gilt, daß Gott das Unmögliche nicht machen kann. Diese Folgerungen sind nicht besonders spektakulär. Ockham schließt nur von der aktiven Formulierung auf die entsprechende passive Formulierung, was eher nach einer grammatikalischen Sprachübung für Lateinschüler aussieht, als daß es eines bedeutenden Logikers würdig wäre. Es fällt jedoch auf, daß Ockham bei den passiven Formulierungen manchmal die Bestimmung „von Gott" („a Deo") hinzusetzt, manchmal aber fortläßt und sich mit den Aussagen begnügt, daß das Mögliche gemacht oder das Unmögliche nicht gemacht werden kann. Darin ist mehr als bloße Ungenauigkeit zu sehen. Daß Ockham sich solche Schwankungen erlauben darf, beruht auf dem Unmittelbarkeitsprinzip, das Ockham auch die „famosa propositio theologorum" nennt: Alles, was Gott zusammen mit einer Zweitursache tun kann, kann er auch allein und ohne sie tun. 434 Außerdem ist vorausgesetzt, daß die Zweitursache allein und ohne Erstursache gar nichts tun und nicht einmal sein kann. Daß alles, was von Gott gemacht werden kann, gemacht werden kann, ist trivial. Doch aufgrund des Unmittelbarkeitsprinzips gilt auch, daß alles, was gemacht werden kann, von Gott gemacht werden kann.435 Daß alles, was nicht gemacht werden kann, von Gott nicht gemacht werden kann, ist trivial. Doch aufgrund des Unmittelbarkeitsprinzips gilt auch, daß alles, was von Gott nicht gemacht werden kann, überhaupt nicht gemacht werden kann, auch nicht von einem Geschöpf. Nun leitet Ockham das Unmittelbarkeitsprinzip aus dem Glaubensartikel von der Allmacht Gottes ab. Es ist daher im höchsten Grad gewiß, läßt sich

434 435

Quodl. VI, qu. 6 (OTh IX 604,13-605,20). Wenigstens gilt dies von allem, was sich mit einem absoluten Begriff beschreiben läßt - vgl. das zweite Kapitel!

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

aber mit der menschlichen Vernunft allein nicht erkennen. Daher kann der Mensch unabhängig von der Offenbarung auch nicht erkennen, daß das, was gemacht werden kann, von Gott gemacht werden kann, und daß das, was von Gott nicht gemacht werden kann, überhaupt nicht gemacht werden kann. Daß aus der Aussage „Das Mögliche kann gemacht werden" die Aussage folgt „Gott kann das Mögliche machen", ist daher nur für den Glauben einsichtig. Da diese Folgerung aber notwendig vorausgesetzt werden muß, um von natürlicher Simultanität sprechen zu können, ist auch die natürliche Simultanität zwischen der Macht Gottes und dem Möglichen nur dem Gläubigen zugänglich, nicht für die menschliche Vernunft allein. Ebenfalls nur für den Glauben einsichtig ist, daß aus der Aussage „Gott kann das Unmögliche nicht machen" die Aussage folgt: „Das Unmögliche kann nicht gemacht werden". Da diese Folgerung notwendig vorausgesetzt werden muß, um von natürlicher Simultanität zwischen dem Unmöglichen und dem, was Gott nicht machen kann, zu sprechen, ist auch diese natürliche Simultanität nicht der auf sich selbst gestellten Vernunft, sondern nur dem Glauben zugänglich. Gleichfalls nur dem Glauben zugänglich ist die Aussage, daß Gott das Mögliche machen könne, denn weder Gottes Allmacht noch seine unendliche Macht lassen sich nach Ockham streng wissenschaftlich beweisen. Was die Aussage „Das Mögliche kann gemacht werden" betrifft, so ist zu unterscheiden zwischen zwei Weisen, das Mögliche zu verstehen. Wenn damit das Widerspruchsfreie gemeint ist, läßt sich nicht zeigen, daß es für alles Widerspruchsfreie jemanden gibt, von dem es gemacht werden kann. Ist mit dem Möglichen hingegen das gemeint, was auf ein aktives Vermögen bezogen ist (das „factibile" also), impliziert schon der Begriff, daß es gemacht werden kann. Die Aussage „Das Mögliche kann gemacht werden" ist daher in diesem Fall schon aufgrund der in ihr gebrauchten Begriffe und ihrer Verknüpfung notwendig. Anders verhält es sich mit der Aussage „Das Unmögliche kann nicht gemacht werden". Sie ist nicht nur für den Gläubigen einsichtig, sondern auch für die Vernunft, und zwar unabhängig davon, ob mit dem Unmöglichen das in sich Widersprüchliche gemeint ist oder nur dasjenige, was auf kein aktives Vermögen bezogen ist. Diese Aussage ist also notwendig und ihr Gegenteil widersprüchlich. Das gilt umso mehr auch für den in dieser allgemeinen Formulierung enthaltenen Spezialfall: „Gott kann das Unmögliche nicht tun". Heinrich von Gent und Johannes Duns Scotus kennen eine Macht Gottes in sich ohne Bezug auf das Mögliche und eine Möglichkeit in sich ohne Bezug auf ein geschöpfliches oder göttliches Vermögen. Ockham lehnt eine Macht Gottes in sich, die in keiner Weise auf das Mögliche bezogen ist, ab. Es gibt

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keine aktive Macht Gottes ohne entsprechendes passives Vermögen im Geschöpf. 436 Eine Möglichkeit in sich im Sinne der reinen Widerspruchsfreiheit lehnt Ockham jedoch nicht ab. Vielmehr lehnt er zwar die Scotische Redeweise von einem „esse possibile" als unpassend ab,437 schließt sich jedoch dessen Grundgedanken an, daß das Mögliche (im Sinn des Widerspruchsfreien) aus sich heraus möglich ist.438 Ähnlich wie Duns Scotus meint Ockham also, daß zwar aktive und passive Möglichkeit aufeinander bezogen und daher der Natur nach zugleich sind, daß aber, was in sich widersprüchlich ist, aufgrund seiner eigenen Natur widersprüchlich ist und, was in sich widerspruchsfrei ist, aufgrund seiner eigenen Natur widerspruchsfrei ist. Während Duns Scotus aber in seiner Behandlung des Themas nach dem Verhältnis des in sich Widersprüchlichen bzw. Widerspruchsfreien zur Macht Gottes fragt, untersucht Ockham das Verhältnis zwischen dem aktiven Vermögen Gottes und dem passiven Vermögen des Geschöpfs. Nach Ockham erfordert die natürliche Simultanität, daß die wechselseitige Folgerung der Existenzaussagen formal sei. Eine bloß materiale Folgerung reicht nicht aus. Da die materiale Folgerung in der Logik Ockhams kaum mehr als ein kurioser Sonderfall ist, fällt diese Forderung in den allermeisten Fällen nicht ins Gewicht. Aber der Fall, mit dem wir es hier zu tun haben, ist eine Ausnahme: Bei ihm kommt es darauf an, daß nicht bloß eine materiale, sondern eine formale Folgerung vorliegt. Da die beiden Aussagen „Das Unmögliche kann nicht gemacht werden" und „Gott kann das Unmögliche nicht machen" notwendig sind, kann man sie gültig durch die Regel folgern, daß das Notwendige aus allem Beliebigen folgt („necessarium sequitur ad quodlibet"). Doch obwohl diese Regel in vie-

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Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 644,14-17): „impossibile est activum - qualitercumque consideretur, dummodo sit activum - quin respectu alicuius dicatur activum. Igitur necessario illud ,posse activum' respectu alicuius est posse activum". Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 650,3-6): „Nec est proprius modus loquendi dicere quod esse possibile convenit creaturae, sed magis proprie debet dici quod creatura est possibilis, non propter aliquid quod sibi conveniat sed quia potest esse in rerum natura". Ord., dist. 43, qu. 2 (OTh IV 649,23-650,1): „Et ideo ,esse possibile' convenit creaturae ex se, non realiter tamquam aliquid sibi inhaerens, sed vere est possibilis ex se, sicut homo ex se est non-asinus". Während Ockham also Duns Scotus folgt, indem er die Möglichkeit „formaliter ex se" bestimmt, übernimmt er die bei Scotus komplementäre Bestimmung „principiative ex intellectu divino" nicht - gegen Lilli Alanen: Descartes, Duns Scotus and Ockham on Omnipotence and Possibility. In: FrS 45 (1985) 157-188, 176-182; Lilli Alanen, Simo Knuuttila: The Foundations of Modality and Conceivability in Descartes and His Predecessors. In: Modern Modalities. Studies in the History of Modal Theories from Medieval Nominalism to Logical Positivism. Hrsg. v. Simo Knuuttila. Dortrecht-Boston-London: Kluwer 1987 (SyHL), 1-69, 32-40.

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

len Fällen typische Beispiele für materiale Folgerungen liefert, ist die Folgerung, die sie in diesem Fall begründet, nicht als material anzusehen, sondern als formal. Denn material heißt eine Folgerung nur dann, wenn sie „genau" d. h. ausschließlich - aufgrund der allgemeinen Bedingungen der Sätze, nämlich aufgrund von Wahrheit oder Falschheit, von Möglichkeit oder Notwendigkeit gilt. Wenn sie sich hingegen auch noch (wie die formalen Folgerungen) mit anderen Regeln begründen läßt, zählt sie als formal. Die Regeln, auf die Ockham im hier relevanten Fall zurückgreifen kann, sind einerseits der einfache Wechsel von der aktiven zur passiven Formulierung und andererseits die „famosa propositio theologorum", also das Unmittelbarkeitsprinzip. Aus diesem Grund besteht zwar zwischen den notwendigen Aussagen „Das Unmögliche kann nicht gemacht werden" und „Gott kann das Unmögliche nicht machen" natürliche Simultanität, nicht jedoch zwischen beliebigen, inhaltlich unzusammenhängenden notwendigen Aussagen (wie „Junggesellen sind unverheiratet", „2 + 2 = 4", „Gott ist dreifaltig", „Jeder Mensch ist ein Lebewesen"), die sich auseinander nur durch eine materiale Folgerung schließen lassen. Zur Frage, ob unter das Mögliche, wie es hier zu verstehen ist, auch das Notwendige fällt, äußert sich Ockham nicht klar. Die natürliche Simultanität zwischen der göttlichen Macht und dem Möglichen drückt er in zwei Formulierungen aus. Die erste von ihnen legt nahe, daß das Mögliche in dem hier relevanten Sinn das Notwendige ausschließt. Die zweite Formulierung hingegen läßt für einen solchen Ausschluß des Notwendigen keinen Grund erkennen. Geht man von Ockhams erster Formulierung mit den beiden Termini „factivum" und „factibile" aus, scheint es, als falle unter die göttliche Macht nur das Kontingente. Denn die Termini leiten sich vom Verb „facere" her, das sich auf die Geschöpfe in ihrer Kontingenz, nicht auf Innergöttliches in seiner Notwendigkeit bezieht. Die zweite Formulierung spricht von natürlicher Simultanität zwischen Sachverhalten bzw. Aussagen, nicht zwischen Gegenständen, die gemacht werden können. Aussagen über Notwendiges können jedoch unter bestimmten Umständen mit Aussagen über die göttliche Macht der Natur nach zugleich sein. Dementsprechend wählt Ockham in der zweiten Formulierung seiner Lösung nicht den Begriff „factibile", sondern den weiteren Ausdruck „possibile".

Die Simultanität der Macht Gottes und des Möglichen c)

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Einschätzung der Ockhamschen Lösung

Die Macht Gottes und die Möglichkeit des Möglichen sind also der Natur nach zugleich. Ebenso sind die Unfähigkeit Gottes, das Unmögliche zu tun, und die Unmöglichkeit des Unmöglichen der Natur nach zugleich. Weder ist auf seiten der göttlichen Macht der Grund für die geschöpfliche Möglichkeit zu finden, noch läßt sich in der geschöpflichen Möglichkeit (bzw. Unmöglichkeit) der Grund für die Macht Gottes (und ihre Grenzen) finden. Daß Gott etwas kann und daß etwas möglich ist, das sind die beiden Seiten ein und desselben Sachverhaltes. Damit gibt Ockham eine verhältnismäßig nüchterne Lösung für ein schwieriges und beinahe haarspalterisches Problem. Dennoch ist seine Antwort in einer bestimmten Hinsicht weniger befriedigend als die seiner Vorläufer. Heinrich von Gent fragte nach dem Grund des Möglichen und fand ihn in der Macht Gottes. Johannes Duns Scotus fragte nach dem Grund der genauen Reichweite der göttlichen Macht und fand ihn formal in der Natur der Geschöpfe selbst, prinzipiativ aber im göttlichen Intellekt. Indem Ockham das passive Vermögen des Geschöpfes und die aktive Macht Gottes bzw. das passive Unvermögen des Geschöpfes und das aktive Unvermögen Gottes zu den zwei Seiten ein und desselben Sachverhaltes erklärt, erspart er es sich, das eine als Grund für das andere oder umgekehrt das andere als Grund für das erste auszuweisen. Infolgedessen kann er jedoch gar keinen Grund für die Möglichkeit des Möglichen oder die Unmöglichkeit des Unmöglichen angeben. Die Frage, warum überhaupt etwas möglich ist und nicht vielmehr nichts, bleibt offen. Ockham stellt sie nicht einmal mehr. Das Mögliche ist eben möglich, und das Unmögliche ist es nicht. Ob sich dafür noch ein Grund angeben läßt und, falls dem so sein sollte, worin er besteht, darauf findet sich bei Ockham keine Antwort mehr. Dieses Ergebnis liegt auf der Linie der zuvor dargestellten Ockhamschen Gedanken: Ockham geht mit einigen schwierigen ontologischen bzw. theologischen Fragen höchst elegant um, indem er sie auf eine logische oder sprachliche Ebene verlagert und als logische oder semantische Probleme behandelt. Diese Vorgehensweise führt zu bestechend einleuchtenden Ergebnissen, wo seine Vorgänger bloß um Worte gestritten haben oder sich über logische Zusammenhänge nicht im klaren waren. Auf diese Weise klärt Ockham viele Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Lehre von den ewigen Ideen im göttlichen Geist, indem er sie einfach mit den möglichen Geschöpfen identifiziert und nur ihre Begriffe durch Konnotate voneinander unterscheidet. Ebenso löst er viele Schwierigkeiten in der Lehre von den göttlichen Attributen, indem er sie als Namen Gottes oder auf Gott anwendbare Begriffe deutet, die

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6. Kapitel: Wilhelm von Ockham

sich nur durch ihre Konnotate oder ihre anderen Signifikate voneinander unterscheiden. Daß Gott Ideen von allem besitzt, was möglich ist, geht also darauf zurück, daß etwas möglich ist und daß Gott außerdem existiert und es erkennt. Daß Gott Macht besitzt, geht darauf zurück, daß Gott existiert und daß außerdem etwas möglich ist, das er machen kann. Dieselbe Vorgehensweise führt jedoch zu unbefriedigenden Ergebnissen, wo tiefere metaphysische Schwierigkeiten vorliegen, die sich nicht einfach durch eine Klärung von Ausdrücken und durch Zurückführung auf logische Regeln lösen lassen. Auf diese Weise vermeidet es Ockham zwar, von „Sein" oder „Realität" des bloß Möglichen zu sprechen, geht aber dennoch ontologische Verpflichtungen ein, die er selbst nicht begründet, hinterfragt oder reflektiert. Entsprechendes gilt für die Existenz Gottes, für seine Macht und für das Mögliche. Daß es Gott gibt und daß er allmächtig ist, das ist für Ockham einfach so und muß so sein. Das Widerspruchsfreie ist möglich und das Widersprüchliche unmöglich. Ockham stellt logische Beziehungen zwischen solchen Aussagen her und weist Regeln nach, nach denen sie auseinander gefolgert werden können. Eine inhaltliche Erklärung für die durch solche Aussagen bezeichneten Sachverhalte findet sich bei Ockham jedoch nicht. Er begründet auch nicht, warum er im Gegensatz zu Heinrich von Gent und zu Johannes Duns Scotus auf die Frage nach dem Grund der Möglichkeit und der Unmöglichkeit keine Antwort liefert, sondern er stellt einfach die Frage nicht.

Ergebnis Ockhams Denken wurde als ein Denken der göttlichen Allmacht charakterisiert. Wie aus den vorangegangenen Ausführungen hervorgeht, finden sich bei ihm tatsächlich zahlreiche Überlegungen, die Gottes Macht betreffen. Gele439

gentlich betonen sie ihre Größe und Unermeßlichkeit. Doch andere Stellen beschränken sie auf das in sich Widerspruchsfreie. Diesem abschließenden Abschnitt bleibt die Aufgabe überlassen, die bisher zusammengetragenen Erkenntnisse zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Gegen den Vorwurf, alle Gewißheit in den Ordnungen des Seins, der Erkenntnis und des Heils durch die Betonung der uneingeschränkten Macht Gottes zu beseitigen, wird Ockham von den ihm wohlgesonnenen Philosophie439

Beispielsweise Tr. corp., cap. 6 (OThX 101,45-48): „Et ista opinio secunda sine praeiudicio alicuius videtur mihi probabilior et magis consona theologiae, quia magis exaltat Dei omnipotentiam, nihil ab ea negando nisi quod evidenter et expresse implicat contradictionem".

Ergebnis

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und Theologiehistorikern auf dreifache Weise verteidigt. Erstens wird behauptet, Ockham gefährde die genannten Ordnungen gar nicht, weil auch Gott stets daran gebunden sei, nach einer Ordnung zu handeln. Andere, die sich dieser Argumentation nicht anschließen, vertreten, daß Ockham die Gewißheit in den genannten Ordnungen nicht gefährde, weil ihre Beseitigung „de potentia absoluta" rein hypothetisch gemeint sei und nichts mit dem tatsächlichen Verhalten Gottes zu tun habe. Eine dritte Gruppe, die sich auch dieser Argumentation nicht anschließt, erklärt schließlich, daß Gottes Macht zwar manches in den Ordnungen des Seins, der Erkenntnis und des Heils umstoßen kann, daß aber wenigstens grundlegende Prinzipien in diesen Bereichen der Macht Gottes entzogen und durch das Kontradiktionsprinzip gesichert sind. Im Licht der Erkenntnisse, die im Verlauf der bisher dargestellten Überlegungen zutage getreten sind, scheint mir, daß zwar jede der genannten drei Gruppen sich auf Belege bei Ockham beruft, daß diese Belege bei sachgemäßer Interpretation jedoch nur im Fall der dritten Verteidigungsstrategie Ockham wirksam von den gegen sein Denken erhobenen Vorwürfen entlasten können. Die erste Argumentation behauptet, Gott sei stets an eine Ordnung gebunden. Tatsächlich behauptet Ockham, Gott könne nicht „inordinate" handeln und alles, was er tue, tue er „de potentia ordinata". Ich furchte aber, daß hier zwei verschiedene Begriffe von Ordnung im Spiel sind. Der Vorwurf, Ockham gefährde die Ordnung des Seins, der Erkenntnis und des Heils, scheint unter „Ordnung" so etwas wie Regelmäßigkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit zu verstehen. Die Aussagen Ockhams, daß Gott nicht „inordinate" handelt und daß alles, was er tut, „de potentia ordinata" geschieht, legt Gott jedoch keineswegs auf Regelmäßigkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit fest. Eine solche Deutung scheint mir weit überzogen. Vielmehr bedeuten diese Äußerungen, daß Gott nichts tut, ohne dieses sein Verhalten vorher erkannt und beschlossen zu haben (vgl. das erste Kapitel). Gott handelt stets einem ihm bekannten Plan gemäß, der bei Ockham auch unter dem Begriff „ordo" auftritt. Eine wirksame Verteidigung gegen den Vorwurf an Ockham, durch ein Denken der uneingeschränkten Macht Gottes jede Gewißheit in den Ordnungen des Seins, der Erkenntnis und des Heils zu beseitigen, läßt sich kaum führen, wenn unter dem „ordo" ein nicht näher bestimmter Plan Gottes zu verstehen ist. Sie läßt sich nur fuhren, wenn unter der „Ordnung" etwas wie Regelmäßigkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit zu verstehen wäre. Wer unter der Furcht vor einem allmächtigen „Willkürgott" leidet, wird sich nicht schon allein durch die Versicherung trösten lassen, daß dessen Verhalten ei-

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nem Plan entspricht. (Gerade die ärgsten Tyrannen haben ihre Grausamkeiten besonders genau geplant!) Er wird sich höchstens durch die Versicherung trösten lassen, daß der scheinbare „Willkürgott" sich in Wahrheit an Regeln hält und berechenbar, sogar in einem gewissen Grad verläßlich handelt. Doch gerade diesen Trost weiß Ockham, wie ich ihn interpretiert habe, nicht zu bieten. Beruht die erste Argumentationsstrategie zur Entlastung Ockhams entscheidend auf einer Überinterpretation gewisser Zitate Ockhams und schlägt somit fehl, bleibt vorerst eine zweite Argumentation offen. Diese verteidigt Ockham, indem sie darauf hinweist, daß Gott die Ordnungen des Seins, der Erkenntnis und des Heils nur hypothetisch („de potentia absoluta"), jedoch nie auch tatsächlich („de potentia ordinata") durchbricht. Auch dieser Versuch, Ockham zu verteidigen, beruft sich auf seine Versicherung, Gott tue alles, was er wirklich tut, „de potentia ordinata". Die „potentia absoluta" gibt nur seine Möglichkeiten an. Gott hat sich für sein Verhalten auf einen Plan festgelegt, von dem er zwar „de potentia absoluta" abweichen könnte, von dem er aber weder abweichen will noch wird. Dieser Plan ist uns Menschen auf Erden höchstens insoweit bekannt, als er die Vergangenheit betrifft. Der Teil, der sich auf die Zukunft bezieht, ist uns hingegen stets verschlossen. Selbst wenn ihn uns Gott durch eine Offenbarung eröffnet, wie er ihn Ockhams Ansicht nach den Propheten eröffnet hat, ist unsere Einsicht gering und vor allem unverläßlich. Zwar ist es für Ockham undenkbar, daß Gott die prophetischen Voraussagen nicht erfüllt. Aber Gott könnte dennoch etwas ganz anderes tun, als wir erwarten, wenn wir diese prophetischen Voraussagen hören oder lesen. Diese könnten nämlich noch einen anderen Sinn haben, als wir meinen. 440 Eine solche Vieldeutigkeit gilt nach Ockham für alle Formulierungen von Prophezeiungen. Daher ist keine Vorhersage verläßlicher, als es im Alten Griechenland die notorisch vieldeutigen

440

Als Beispiel nennt Ockham die Prophezeihung des Propheten Jona an die Bewohner von Ninive: „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!" (Jona 3,4). Die Zerstörung Ninives ist nicht eingetroffen, und dennoch behält die Prophezeihung ihre Richtigkeit, denn sie ist elliptisch formuliert. Gemeint ist eigentlich: „Wenn ihr euch nicht bekehrt, dann ist Ninive in vierzig Tagen zerstört". Da die Bewohner Ninives sich aber bekehrten, wurde ihre Stadt nicht zerstört; vgl. Tr. Pr., qu. 1 (OPh II 513,175-182): „Et tarnen Prophetae non dixerunt falsum, quia omnes prophetiae de quibuscumque füturis contingentibus füerunt conditionales, quamvis non semper exprimebatur condicio. Sed aliquando fuit expressa, sicut patet de David et throno suo [Ps 132(131), 1 l f | ; aliquando subintellecta, sicut patet de Ninive destructione a Iona prophetata: Adhuc post quadraginta dies et Ninive subvertetur [Jona 3,4], nisi scilicet poeniterent; et quia poenituerunt, ideo non fuit destructa".

Ergebnis

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Sprüche des Delphischen Orakels waren. Der Einblick in den Plan Gottes für die Zukunft bleibt uns versagt. 441 Aus diesem Grund verteidigt auch die zweite Argumentation Ockham letztlich nicht wirksam gegen den Vorwurf, die Ordnungen des Seins, der Erkenntnis und des Heils durch seine Betonung der uneingeschränkten Macht Gottes zu gefährden. Denn wer sich vor einem allmächtigen und grausamen „Willkürgott" furchtet, wird sich zwar durch den Hinweis auf den hypothetischen Charakter möglicher göttlicher Grausamkeiten oder unsinniger Verhaltensweisen beruhigen lassen, wenn er den verläßlichen Plan Gottes für die Zukunft einsehen und aus ihm erkennen kann, daß dieser keine solche Grausamkeiten oder unsinnigen Verhaltensweisen enthält. Da wir aber aufgrund unserer Unkenntnis der Zukunft nicht ausschließen können, daß die müßige „Hypothese" von heute zur grausamen Realität von morgen wird, verliert ein solcher Trost seinen Wert. Um Ockhams Denken gegen den Vorwurf zu verteidigen, die Gewißheit der Ordnungen des Seins, der Erkenntnis und des Heils zu zerstören, bleibt also noch die dritte Argumentation, wonach grundlegende Prinzipien des Seins, der Erkenntnis und des Glaubens der Macht Gottes und damit auch der ihm unterstellten Willkür entzogen sind. Solche Prinzipien können nur im Kontradiktionsprinzip, der einzigen Grenze der göttlichen Macht, verankert sein. Nun lassen sich tatsächlich eine Reihe von Prinzipien angeben, die im Kontradiktionsprinzip gründen und der göttlichen Macht entzogen sind. Beispielsweise unterliegt es nicht der Macht Gottes, daß Junggesellen unverheiratet und Schimmel weiß sind, sondern sofern die Ausdrücke dieser Sätze in ihrer üblichen Bedeutung gebraucht sind, besteht kein Zweifel daran. Jedoch sind solche Aussagen tautologisch und somit in gewisser Weise nichtssagend. Sie erklären ein Wort, beschreiben aber nicht die Wirklichkeit. Wenn alle Prinzipien, die der göttlichen Macht entzogen sind, ausschließlich solche tautologischen Aussagen liefern, ist auch diese dritte Verteidigung Ockhams gegen die Vorwürfe wegen seiner Betonung der uneingeschränkten Macht Gottes gescheitert. Denn wer sich vor einem allmächtigen Willkürgott 441

Diese Deutung der Ockhamschen Lösung zum Problem der „futura contingentia" weicht ab von der jüngsten deutschsprachigen Monographie zum Thema; vgl. Dominik Perler: Notwendigkeit und Kontingenz. Das Problem der futura contingentia bei Wilhelm von Ockham. In: Die Philosophie im 14. und 15. Jahrhundert. In memoriam Konstanty Michalski ( 1 8 7 9 - 1 9 4 7 ) . Hrsg. v. Olaf Puta. Amsterdam: Grüner 1988 (BSPh 10), 3 9 - 6 5 ; Dominik Perler: Prädestination, Zeit und Kontingenz. Philosophisch-historische Untersuchungen zu Wilhelm von Ockhams Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei respectu futurorum contingentium. Amsterdam: Grüner 1988 (BSPh 12). Daß uns nach Ockham das Wissen um die Zukunft versagt bleibt, wird allerdings auch Dominik Perler nicht bestreiten.

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furchtet, läßt sich nicht durch die Versicherung trösten, daß dieser wenigstens an tautologische Prinzipien gebunden ist, daß er etwa den Gotteshaß nicht zugleich gebieten und nicht gebieten kann. Einen Trost böte es höchstens, daß er den Gotteshaß nicht gebieten könne (wie er es nach Ockham in einem bestimmten Sinn tatsächlich nicht kann). Ob Ockham einen erschreckend und schrankenlos allmächtigen Gott lehrt, hängt also davon ab, ob das Kontradiktionsprinzip ausschließlich rein tautologische Prinzipien begründet oder ob es auch gewisse Inhalte enthält, die als solche der göttlichen Macht entzogen wären. Daß Letzteres der Fall ist, geht aus dem ersten Teil meiner Studie hervor. Die im Kontradiktionsprinzip gründenden und aus ihm hervorgehenden Prinzipien sind zwar zum Teil inhaltsleer, aber zum Teil auch inhaltlich gefüllt. Und diese Inhalte sind dem Zugriff der göttlichen Allmacht entzogen. Dafür sind an verschiedenen Stellen der vorangehenden Überlegungen drei Gruppen von Beispielen aufgetreten. Im Kontradiktionsprinzip begründet und der göttlichen Allmacht entzogen ist erstens die Artenordnung. Ob zwei Individuen derselben Art angehören, hängt davon ab, ob sie einander in höchstem Grad ähnlich sind. Ob zwei Individuen einander ähnlich sind, hängt davon ab, ob sie gleiche Eigenschaften besitzen. Doch nach Ockham kann es Gott unbeschadet seiner Allmacht nicht verhindern, daß zwei Individuen mit gleichen Eigenschaften einander ähnlich sind. Also hängt es auch nicht von seiner Macht ab, welcher Art ein Individuum zugehört. Daß die Artenordnung das Kontradiktionsprinzip inhaltlich füllt und somit konkretisiert, zeigt sich besonders in Ockhams Bewertung von Fabelwesen wie der Chimäre. Wir können uns merkwürdige Kreuzungen verschiedener Tierarten sehr gut vorstellen. Dennoch schließt sie Ockham als unmöglich und in sich widersprüchlich aus mit der Begründung, daß kein Wesen zwei verschiedenen Arten angehören kann. Das Kontradiktionsprinzip umfaßt also gewisse inhaltliche Aspekte unserer Wirklichkeit und sichert sie gegen den Zugriff der göttlichen Macht. Im Kontradiktionsprinzip begründet und der göttlichen Macht entzogen sind zweitens manche ethischen Prinzipien, die nicht auf einer mehr oder weniger willkürlichen Setzung durch Gott oder einen menschlichen Gesetzgeber beruhen, sondern immer und mit Notwendigkeit gelten. Von diesen Prinzipien sind einige inhaltsleer wie das Prinzip, daß das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen ist. Andere hingegen sind inhaltlich gefüllt wie etwa das Prinzip der Dankbarkeit, wonach Wohltätern Wohltaten zu erweisen sind. Da auch sie im Kontradiktionsprinzip gründen, sichern sie einen weiteren sensiblen und wichtigen Bereich unseres Lebens vor dem Zugriff der göttlichen Macht.

Ergebnis

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Im Kontradiktionsprinzip begründet und der göttlichen Macht entzogen sind drittens gewisse Glaubenssätze, wenngleich ihre Notwendigkeit der Einsicht der natürlichen Vernunft ohne Hilfe durch die Offenbarung unzugänglich ist. Zu ihnen zählen der Glaube, daß es nur einen einzigen Gott gibt, und das speziell christliche Glaubensgeheimnis, daß Gott dreifaltig ist. Vor allem bei diesem letzten Beispiel ist ausgeschlossen, daß es sich dabei um eine inhaltsleere, tautologische Aussage handelt. Vielmehr zeigt sich an diesem Beispiel, wie speziell die Inhalte sind, die das Kontradiktionsprinzip enthält und somit vor dem Zugriff der göttlichen Macht sichert. Eine vollständige Aufzählung aller im Kontradiktionsprinzip enthaltenen Inhalte läßt sich den Schriften Ockhams nicht entnehmen. Daher muß die Frage, worüber sich die göttliche Macht erstreckt und worüber nicht, in vielen Einzelheiten ungeklärt bleiben. Es besteht Grund zu der Annahme, daß Ockham der göttlichen Allmacht noch einige weitere unerschütterliche, aber inhaltsreiche Prinzipien entgegensetzt. Somit unterliegen zwar einerseits große Bereiche unseres Lebens der göttlichen Macht, doch sind ihr andererseits auch einige sehr wichtige Bezirke unserer Existenz entzogen. In der Unklarheit der Frage, wo zwischen beiden die Grenze verläuft, verliert auch die Frage nach der angeblichen Willkür Gottes ihre Konturen. Daß Ockham einen „Willkürgott" angenommen hätte, läßt sich aus seinen Texten daher nicht belegen. Daß er eine solche Deutung seines Gottesbildes nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat, hat andere verleitet, sie ihm zuzuschreiben. Daß das Kontradiktionsprinzip Inhalte enthält, die der Macht Gottes entzogen sind, mag zwar den Vorwürfen gegen Ockhams angebliches Denken der uneingeschränkten und verunsichernden Allmacht Gottes ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen, führt jedoch zu einer anderen Schwierigkeit. Diese ist mit der Frage verbunden, weshalb Gott das in sich Widersprüchliche nicht vermag. Unter der Annahme, daß das Kontradiktionsprinzip inhaltsleer ist, erwiese sich eine solche Frage als müßig. Man könnte darauf antworten, wie häufig geantwortet wird: Das Kontradiktionsprinzip ist die Voraussetzung dafür, daß sich die göttliche Allmacht überhaupt vernünftig denken läßt, enthält aber keine inhaltlichen Begrenzungen der Allmacht. Eine solche Argumentation ist nicht mehr möglich, sobald das Kontradiktionsprinzip nun doch inhaltliche Begrenzungen der Allmacht enthält. Anders als Heinrich von Gent, der die Allmacht samt ihren Grenzen aus der göttlichen Vollkommenheit erklärt, und anders als Johannes Duns Scotus, der das Mögliche wie auch das Unmögliche ontologisch begründet, bestimmt Ockham das Mögliche und die göttliche Macht sowie das Unmögliche und die Unfähigkeit

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Gottes, es zu machen, als der Natur nach zugleich. Gerade durch diesen Wechsel von der ontologischen auf die logische Ebene entzieht sich der „Venerabiiis Inceptor" der Forderung, auf die Henricianisch-Scotische Frage nach dem Grund der Unmöglichkeit des Unmöglichen eine Antwort zu geben. Seine geschickte Argumentation mit der natürlichen Simultanität läuft auf die einfache Beteuerung hinaus, daß das Widersprüchliche unmöglich ist, auch für Gott. Ockhams Hörer und erste Leser mögen hierin kein Problem gesehen und Ockham nicht zu genaueren Erklärungen gedrängt haben. Immerhin schien die Ansicht, wonach Gott nichts Widersprüchliches vermag, von den Theologen allgemein akzeptiert zu sein. Dennoch steckt gerade hier die zuvor angedeutete Schwierigkeit, in die Ockham gerät. Einerseits sieht Ockham das Kontradiktionsprinzip nicht als inhaltsleer, sondern als inhaltlich gefüllt an. Andererseits gibt er keine hinreichende Antwort auf die Frage nach dem Grund der Unmöglichkeit des Widersprüchlichen, das selbst Gott nicht verwirklichen kann. Nimmt man beides zusammen, so folgt: Das Kontradiktionsprinzip setzt der Macht Gottes nicht bloß formale Grenzen, sondern schränkt seine Möglichkeiten auch inhaltlich ein, ohne daß Ockham einen Grund dafür angibt. Ockham scheint ohne Erklärung oder Begründung wirkliche Schranken der Allmacht zu bestimmen. Immer wieder wurde dem scharfsinnigen Franziskaner aus England vorgeworfen, er übersteigere den Glaubensartikel von der göttlichen Allmacht. Man sollte dem gegenteiligen Verdacht nachgehen, daß er von Gottes Macht zu gering denkt. Freilich bewegen wir uns hier im Bereich von Folgerungen aus Ockhamschen Prinzipien und gehen nicht mehr dem Wortlaut seiner Schriften nach. Die Schwierigkeit, auf die wir hier gestoßen sind, scheint Ockham nicht gesehen und daher auch nicht erörtert und womöglich beseitigt zu haben. Vergeblich ist im Rückblick die Frage, ob er uns tiefere Einsichten verschafft hätte, wenn ihm in einer von außen unbeeinträchtigten Gelehrtenlaufbahn die Überarbeitung und Klärung seines Denkens vergönnt gewesen wäre. Doch leider erging es dem Denken Ockhams über die Allmacht und das Kontradiktionsprinzip ähnlich, wie es so manchen bewundernswerten Zeugnissen des christlichen Glaubens im Mittelalter ergangen ist: Wie viele Kathedralen und Summen ist es unvollendet geblieben.

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Abkürzungsverzeichnis Werke Wilhelms von Ockham Br. sum. Brev. Comp. Cons. Dial. Ep. In El. In Ph. In Per. In Por. In Pr. Op. OPh OPol Ord. OTh Pot. Princ. Qu. Ph. Qu. pot. Qu. var. Quodl. Rep. II Rep. III Rep. IV S. L. Sum. Tr. Ben. Tr. corp. Tr. loh.

Brevis summa libri Physicorum Breviloquium de principatu tyrannico Compendium errorum Ioannis Papae XXII Consultatio de causa matrimonial· Dialogus Magistri Guillermi de Ockham Epistola ad Fratres Minores Expositio super libros Elenchorum Expositio in libros Physicorum Aristotelis Expositio in librum Perihermenias Aristotelis Expositionis in libros artis logicae prooemium et expositio in librum Porphyrii de Praedicabilibus Expositio in librum Praedicamentorum Aristotelis Opus nonaginta dierum Opera Philosophica Opera Politica Scriptum in librum primum Sententiarum (Ordinatio) Opera Theologica De imperatorum et pontificum potestate An Princeps pro suo succursu, scilicet guerra, possit recipere bona Ecclesiarum etiam invito Papa Quaestiones in libros Physicorum Aristotelis Octo quaestiones de potestate Papae Quaestiones variae Quodlibeta Septem Quaestiones in librum secundum Sententiarum (Reportatio) Quaestiones in librum tertium Sententiarum (Reportatio) Quaestiones in librum quartum Sententiarum (Reportatio) Summa logicae Summulae philosophiae naturalis Tractatus contra Benedictum Tractatus de corpore Christi Tractatus contra Ioannem

528 Tr. pr. Tr. qu.

Anhang Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei respectu füturorum contingentium Tractatus de quantitate

Werke Heinrichs von Gent Quodl. Summa

Quodlibet Summa (Quaestiones ordinariae)

Werke Johannes Duns Scotus Lect. Met. Ord. Quodl. Rep. Tract.

Lectura Quaestiones subtilissimae super libros Metaphysicorum Aristotelis Ordinatio Quaestiones quodlibetales Reportata Parisiensia Tractatus de primo principio

Alle anderen Abkürzungen richten sich nach Siegfried M. SCHWERTNER: Internationales Abkürzungsverzeichnis fur Theologie und Grenzgebiete. 2. Aufl. Berlin-New York: de Gruyter 1994 (TRE).

Register

I. Personenregister

Abraham 134, 143 Adam 488 Adams, Marilyn McCord 52, 81,94, 105,277, 431 Ägidius Romanus 201 Alkinous 242 Alnwick, Wilhelm von 392 Anselm von Canterbury 212, 223-28, 277, 307,310 Aristoteles 31, 99, 132, 153, 172, 174—176, 179-182, 235, 238, 244f, 273, 322, 324,336, 3 4 5 , 3 4 9 , 4 4 1 43, 465-67,469, 473, 475, 477, 483, 489f, 494 Augustinus, Aurelius 27, 113, 168f, 214, 242f, 245, 306, 323,418-20,427,435 Averroes 341 Avicenna 218f, 222, 270, 281, 330, 362 Baudry, Leon 123 Benedikt XI. 298 Benedikt XII. 3 6 f , 4 1 f Biel, Gabriel 91 Blumenberg, Hans 19f Boehner, Philotheus 105, 191, 480 Boethius 52f, 402 Bonaventura 333, 343 Bonifaz VIII. 215,297

Christus 3 8 , 4 1 , 5 6 , 5 9 , 107, 112f, 137, 139, 140, 168, s. auch Sohn, zweite göttliche Person Clark, David W. 93f Copleston, Frederick 96 Courth, Franz 148 Dalderby, Johannes 30, 296 Demokrit 240 Descartes, Rene 430 Dettloff, Werner 73 Diogenes 27 Dionysius Areopagita 221 Duns Scotus, Johannes 21 f, 26, 2 8 - 3 0 , 3 3 , 5 1 - 5 3 , 5 7 62, 64f, 67-78, 107, 114, 117, 147, 149, 152-156, 165f, 184f, 187, 189, 2 0 9 211,224, 234f, 239,246, 250, 266, 272, 275f, 284, 289f, 294-319, 321-47, 349-90, 392, 395, 402f, 405, 409f, 415, 417f, 4 2 2 24,434—41,443f, 453, 464f, 468, 470, 489,493, 498f, 501 f, 507f Eckhart 298 Eriugena, Johannes Scotus 296 Eudor von Alexandrien 242 Flasch, Kurt 170 Foucois, Gui s. Klemens IV.

Friedrich von Habsburg 36 Gaetani, Benedetto 5. Bonifaz VIII. Giacon, Carlo 170 Goldast, Melchior 22 Goldstein, Jürgen 132 Gonsalvus Hispanus 298 Gottfried von Fontaines 218, 222 Gottfried von Pointiers 28 Gregor von Rimini 83 Grotius, Hugo 354 Gutierrez Aranda, Cristobal 21 Hall, Robert W. 49f Heinrich von Gent 21 f, 28, 209-219, 221-24, 227-30, 232-41, 243-67, 270-75, 276-87, 289-94, 299-301, 305, 31 lf, 314-18, 322, 331, 333, 336f, 339-44, 350, 353f, 357f, 360f, 364, 366,368-73,376-79,382, 386, 388f, 395, 398, 405, 409, 417f, 424, 434f, 436, 438, 440f, 443f, 464f, 489, 493,496, 498, 501 f, 507f Hieronymus 421 Hiskija 291 Hödl, Ludwig 257 Hoeres, Walter 390 Holkot, Robert 181 f Holopainen, Taina M. 105

530

Anhang

Homer 152,330 Hume, David 469, 487

Miethke, Jürgen 22 Müller, Sigrid 94, 123

Ibn Ruschd s. Averroes Ibn Sina s. Avicenna Isaak 134 Isidor von Sevilla 262f

Nero 421 Nikolaus Minorita 38 Noone, Timothy B. 340 Normore, Calvin G. 359

Jesus Christus s. Christus Johannes XXI. 214 Johannes XXII. 34-42, 44-46, 59, 204 Johannes Paul II. 299 Johannes von Jandun 36 Johannes Lutterel 33 Judas Iskariot 79 Junghans, Helmar 191

Ockham, Wilhelm von 19-26, 28-73, 75-78, 80-145, 147-206, 209-212, 224, 234f, 239, 2 4 1 , 2 4 3 , 2 4 6 , 250, 263, 266, 275f, 284, 294, 299, 301,342, 344, 360,385, 3 9 1 - 4 5 7 , 4 5 9 79, 481-94, 496-508

Klemens IV. 213 Klemens VI. 42f Knuuttila, Simo 359, 385 Kobusch, Theo 7 9 , 8 3 Leppin, Volker 170-172, 191, 197 Ludwig der Bayer 36, 43 Mackie, John L. 20 l f Maimonides, Moses 218f, 222 Marsilius von Padua 36 Mastrius, Bartholomäus 359 Maria, Gottesmutter 107-109, 137f, 140, 299 Maximinus 168f Michael von Cesena 34-36, 38, 43

Paulus, Apostel 421 Petrus, Apostel 45f Petrus Abälard 28, 30, 168 Petrus Damiani 28 Petrus Lombardus 28, 30f, 243,314 Philipp IV. 297 Philo von Alexandrien 242 Pilatus, Pontius 113 Pius IX. 107,299 Piaton 177f, 240f, 244f, 273, 324, 337, 435 Plotin 241 Ponce, John 359 Poppi, Antonio 95 Porro Pasquale 277

Randi, Eugenio 39, 58, 60f, 64f, 67, 69 Richard von St. Victor 154 Sack, Herman 42 Salamucha, Jan 480 Schmidt, Martin Anton 79 Schupp, Franz 480-82 Scotus, Johannes Duns s. Duns Scotus, Johannes Seneca 241f,420f Simon s. Petrus, Apostel Sokrates 177-79 Tempier, Etienne 214, 256 Thomas von Aquin 28, 30,40, 52, 85, 114, 134, 198, 201, 214, 234, 249, 272, 305, 31 lf, 333, 337, 339f, 342, 391,417, 436 Thomas von Sutton 215 Varro 242 Vergil 174 Wilhelm aus England 43 Wilhelm von Nogaret 298 Wilhelm von Ockham s. Ockham, Wilhelm von Winchelsey, Robert 30 Wolter, Allan Β. 276 Wood, Rega 105 Xenokrates 241

Quine, Willard Van Orman 261, 463f

531

Register

II. Sachregister

Ähnlichkeit 2 1 7 , 2 2 1 , 3 1 8 Akt 124, 126, 131, 134-37, 139, 234-37,260, 304, 3 1 2 , 3 4 8 , 4 2 2 , 438, 443 Akzidens 218, 229f, 312, 362f, 400-402, 407, 410, 471,474 -

abtrennbares 467f unabtrennbares 340, 342 Allmacht 19f, 25-28, 35, 50, 58, 64, 79-83, 85, 87f, 99, 105, 107, 112, 128, 14245, 147-149, 152-161, 164-171, 197f, 200-205, 210-212, 234f, 239, 258, 275-77, 283f, 292-94, 318-21,336, 346, 348, 351, 353f, 358,369, 3 7 3 83,385, 3 8 7 - 9 0 , 4 1 5 - 1 7 , 424f, 4 3 1 , 4 6 5 , 4 6 7 , 497f, 502f, 505-8 Amphibolie 31, 127, 132f Analogie 2 1 7 , 2 2 8 , 2 3 2 , 2 6 2 , 305f, 311, 399-401, 403 Antichrist 449f, 452 Äquivokation 45f, 127, 132, 169,219 Äquivozität 3 0 5 , 3 9 9 ^ 0 3 zufall ige 402 absichtliche 402 Artifizielles 250f, 254, 340, 342,438 Artunterschied 250, 252, 254, 436 Atheismus 19 Atome 240 Attribute 210f, 215-223, 2 3 0 34, 293f, 299-304, 306f, 311-17, 3 5 4 , 3 7 9 , 3 8 4 , 389f, 3 9 1 - 4 0 0 , 4 0 2 - 4 , 406-15, 417, 421f, 501 Aussage: assertorische 46,444f, 449-51,453,455 exponible 457-60 modale 46, 76, 444f, 4 4 9 55,461,463

notwendige 447f, 452f Avignon 29, 32-36, 39, 42, 141 Begriff 220, 222, 231,264, 299f, 3 1 1 , 3 1 5 , 3 2 3 , 346f, 352f, 392-95, 399, 403f, 406, 408-12, 415f, 444 absoluter, 118-20, 128f, 131, 142f, 145,200, 202, 204f, 3 9 6 , 4 1 9 , 4 2 2 abstrakter 400^403 allgemeiner 401,412-15, 435f austauschbarer 397-99 denominativer 397-99 eigentümlicher 397f, 403, 413-15 einfacher 398 konkreter 400-403 konnotativer 45f, 115, 118-122, 124, 128f, 131, 142-46, 201-3, 396-99, 403f, 412-15, 419-22, 4 2 5 , 4 3 1 , 4 3 7 , 457f, 460, 484-86, 491,495, 50 lf -

korrelativer 420,483f, 489, 495 negativer 397f, 403, 4 1 2 14 quidditativer 397-99, 403, 412f relativer 121, 419f, 425f, 437, 475, 483f, 489f, 492, 494f schlechthin einfacher 303f, 307, 351-53,356, 384 Bettelorden 2 1 3 , 2 4 0 Bibel 27, 39, 50, U l f , 117, 181, 189f, 195 Bockhirsch 253,264 Böses s. „malum" Chimäre 120, 264, 266, 329, 357, 429f, 454, 456, 4 5 8 61,506

„de communi lege" 52 „de facto" 52, 58, 60-64 „de iure" 5 8 - 6 2 , 6 4 , 6 8 „de possibili" 62-64 Definition 1 1 9 , 3 0 2 , 3 1 3 , 3 5 3 , 356, 363, 448, 469, 485f -

Nominaldefinition 120, 124, 126,397,414, 420f, 425f, 456, 485f Realdefinition 120,397, 420,456 Dekalog 90, 105, 113-15, 117f Demiurg 241 Determinismus 441 Dialektik 78 „dictum de nullo" 174,179, 181, 183 „dictum de omni" 174, 179183, 196 ehrenhaft 101 f, 122 Eigenschaft, göttliche 217-19, 221,232, 299, 44f, 311, 403,405-7,410,415 negative 218,221 positive 221 relative 218, 221 f, 224 wesenhafte 224f, 227 Einheit 304, 312f Empfängnis, unbefleckte 107, 299 Engel 5 3 , 6 5 - 6 7 , 137, 140, 238, 310, 440f, 454 „ens rationis" 352, 381, 395, 4 0 7 , 4 0 9 , 4 1 1 , 431,433f Entität 82-84, 119f, 123, 14245, 176f, 180, 183f, 186f, 192f, 195, 1 9 9 - 2 0 1 , 2 0 3 205, 250, 302f, 394, 403f, 407,409, 426, 433f, 4 3 6 38, 446f, 452, 462, 464, 484, 486 Erfahrung 189 Erkenntnis 100 göttliche 322f, 417f, 421 f, 424,427f, 431

532 intuitive eines nicht-existierenden Gegenstandes 20, 429f Erstursache s. Ursächlichkeit/ Erstursache „esse cognitum" 330 „esse definitivum" s. „esse essentiae" „esse derainutum" 325, 330, 332, 364, 367, 443 „esse essentiae" 244, 258; 267-75, 283,293, 331, 360f, 364, 368, 390,443, 464 „esse existentiae" 267, 27075, 331, 360f „esse intelligibile" 326, 354f, 364, 367, 373, 375-77, 379, 383f, 386, 389,443 „esse possibile" 443, 464, 489, 499 „esse quidditativum" s. „esse essentiae " Ethik 21,58,60,89-114, 117f Etymologie 262f Eucharistie 33, 174 Ewigkeit 47, 52-54, 78, 216, 235, 238f, 242, 244, 273, 275, 325, 328, 331,365, 368,427, 429 Exemplarursache s. Ursächlichkeit/Exemplarursache „factibile" 160f, 167, 423426, 431,434, 438,491f, 494-96, 498, 500 „factivum" 491 f, 494-96, 500 „fallacia accidentis" 175f, 180, 199 „fallacia figurae dictionis" 127-129, 143 Fehlschluß s. Trugschluß Figment s. Fiktives Fiktives 253f, 264-69, 285, 293, 356, 357, 366, 368, 438, 456, 458-61 Folgerung 470, 486 formale 404,441,477-83, 485f, 488, 495,497, 499f materiale 479-83,499f Form 249f, 253, 312, 314, 335-38, 342,400, 436,

Anhang 438,467f, 474 Formaldistinktion s. Unterschied, formaler Formalität 185,187,299-303, 306f, 312f, 390, 395,435 Formalursache s. Ursächlichkeit/Formalursache Franziskanerorden 19, 29f, 33f, 40,42f, 296 Freiheit 27,53,56,66,71, 74f, 78-80, 101, 103, 108, 125f, 129, 131, 135-39, 155f, 165,272-74, 293, 328, 334, 346, 355, 365, 416f, 440f Gattung 250, 252, 254, 340, 342, 362, 436 Gebot 89,91-93,95-98, 101107, 109-117, 125, 138 Gegenwart 56f, 346f Gehorsam 89, 111, 113, 116f, 123 Gesetz 27, 31,44f, 48, 50-52, 55, 58-60, 67f, 70-79, 95, 98, 109-111,113f Gnade 30-34, 53, 123 Gott 19,21,25,27, 31, 34f, 46-51,56, 65, 67-71,7480, 83-86, 88f, 91, 99101, 103-108, 114, 116, 123, 125-127, 129-131, 133-44, 147, 159-61,200, 203,271,305-7, 348, 351, 354,369,402,415,49398, 502, 508 -

-

-

allwissend 240, 244f, 328, 333,418 dreifaltig 21,33,44, 103, 147-149, 161-166, 169173, 176, 180-184, 189192, 194-198, 201, 203f, 216, 233, 300,313,349, 392, 396, 405,448,471, 507 einfach 44,218,220,232, 247,311-13,317,331,391, 399,407-409,415,426f einzig 150f, 153, 156f, 163,311 ewig 52f, 232, 317, 325 frei 27, 53, 56, 78, 80

-

-

-

-

-

ganz 233, 317 gerecht 27f, 218f glückselig 105 gut 28, 73, 88, 130, 233, 316 höchstes Wesen 151 Intellekt 21 Of, 215f,222f, 231-34, 267,272, 274, 283, 293, 299f, 313f, 316f, 323-29, 331,334, 337, 339, 342f, 351, 354f, 358, 360, 364, 367-69, 373-85, 387-90, 392, 396f,416, 418,422,465, 501 Liebe 233,316 Macht 27, 32, 38, 4 0 , 4 4 46, 49,51,55, 81 f, 85, 112, 168f, 171,200, 209, 232, 234f, 282f, 290, 292294,314,319, 365, 37077, 379f, 387, 388f, 494, 496, 498-502, 505-8 notwendig 317, 352, 447449 unendlich 233, 235, 306, 317,414 unwandelbar 46, 53, 57, 159, 232,317 Vorherwissen 46f, 50, 78 wahr 232,317 weise 310,316 Wesen 44—46, 54, 73, 111, 114, 161, 163f, 172f, 175180, 182-192, 195f, 199, 203, 21 lf, 215f, 218, 220, 222-224, 230f, 235f, 243, 247-49, 268, 283, 293, 299f, 302, 311-13, 31518, 322-24, 326f, 329, 33lf, 343f, 366, 378f, 384, 389, 39lf, 394, 397, 399, 403-409,411 f, 415f, 418, 422, 425f, 432, 47lf Wille 27, 54, 89,91 f, 94, 104, 111-13, 216, 231-34, 272, 274, 293, 300, 313f, 316,318, 328, 334,355, 364f, 367f, 388, 392, 396f, 416,425 Wissen 233 s. auch Ursächlichkeit/Erstursache

533

Register Gotteshaß 95, 115-17, 505 Gottmensch 139 gut 9If, 98f, 103, 110, 116f, 122f „haecceitas" 185,338,435 Handlung 82f, 143, 145, 164f, 167, 171 Hauchung, innertrinitarischer Hervorgang 164f, 167, 171,238, 300,318,392, 470 Heilige 139 Heilige Schrift λ. Bibel Heiliger Geist, dritte göttliche Person 54, 163-165, 167f, 171-173, 182f, 187, 199, 203,216, 234, 300,313, 3 1 8 , 3 4 9 , 3 9 2 , 396,469 Hervorgänge, innertrinitarische 147, 164-170, 200, 204, 216, 233f, 300, 313, 350, 392, 396, 469; s, auch Zeugung, Hauchung Idee, göttliche 185, 21 Of, 219f, 227, 240-57, 267-69, 278, 283, 285, 293f, 321-43, 3 5 4 , 3 9 0 , 4 1 7 - 2 9 , 431-39, SOlf Identität 45, 3 1 8 , 4 2 2 , 4 3 2 begriffliche 3 9 2 , 4 0 7 , 4 3 3 f formale 185,312-14 reale 163, 175-180, 183f, 186f, 191-195, 199,220, 222, 230, 246, 249, 258, 2 8 2 , 3 1 1 , 3 1 3 , 331,354, 375,378, 3 9 l f , 403, 4 0 6 408,412, 433f Symmetrie der 188 Transitivität der 188,408 des Ununterscheidbaren 188 UnUnterscheidbarkeit des Identischen 188 Idiomenkommunikation 13941 Implikation materiale 479, 481 f strikte 479,481 Indifferentes 110,117,123 Individuation 252f

Individuationsprinzip 338f, 435f Individuum 243, 249f, 252, 254f, 270f, 337-39, 342f, 435f, 439,445f, 4 5 0 , 4 6 1 63, 506 Inkarnation 20, 126f, 139f „inordinate" 21, 26, 31 f, 48, 56, 67, 70, 72-78, 80, 147, 503 Instanzen 52f, 380, 383-90, 468, 470 Intellekt 273, 301 f, 304, 312, 351,385, 396 Intention, erste 393f, 404, 407 Intentionen, zweite 250-252, 254,352, 362, 381,393f, 404, 408 Kategorematisch 128 Kategorien 83, 119, 121, 128, 251,362, 437 Kompossibilität 79, 346, 352f, 356f, 369, 384, 389 Kontingenz 27, 101, 155f, 158, 165, 167, 169, 203f, 272-74, 320, 328, 346, 348, 3 5 5 , 3 6 1 , 3 6 5 , 367f, 377,416f, 440-42, 445, 447-49, 452f, 500 Kontradiktionsprinzip 20f, 64, 73, 79f, 84f, 99, 102, 142, 144f, 147, 160f, 170f, 184, 191f, 195-197, 199f,205, 209f, 224, 275, 353, 357, 369, 390, 465, 503, 505-7 Künstliches .s. Artißzielles Liebe zu Gott 89,92, 111-13, 115-17 „amor amicitiae" 111 „amor concupiscentiae" 111 „dilectio super omnia" 116-18 „amor simplex et naturalis" 116f Logik 24, 32, 39, 46, 58f, 69, 170-172, 174, 178, 18184,444, 471,499 deontische 105

Lücke 97, IOOf, I04f, 107-9 machbar j. „factibile" Macht absolute 21, 25f, 28-32, 34—42,44-80, 85, 93, 108f, 126, 137, 140, 15761,204, 239f, 425,430, 436f, 439, 463, 503f ordinierte 21, 25f, 28-32, 3 4 - 4 2 , 4 4 - 8 0 , 8 5 , 93, 125, 204, 239f, 425, 503f unendliche 152f, 212, 234f, 320, 498 „malum" 88, 90, 98f, lOlf, 105f, 117f, 121 f, 125f, 128-130, 132-136, 138, 437 „malum culpae" 123 „malum poenae" 123,129 Materie 249f, 253, 312, 314, 335-38, 342, 436, 467f, 474 McEar-Problem 202 Megariker 26 Mensch 65-69, 88, IOOf, 104, 106f, 116, 124, 126f, 132, 135-137, 139, 140f, 151, 162, 177,215 Modus 306f, 309, 313, 317, 362 Möglichkeit 26f, 45, 53, 55f, 62, 64, 69, 76-79, 82-84, 100, 120, 131, 155, 158, 170, 209-211,257, 2 6 l f , 265, 267, 270f, 274-78, 280-85, 287-90, 292-94, 3 1 8 - 2 0 , 3 2 3 , 3 3 3 , 339, 344, 346, 351-60, 362, 364, 367, 368-90,416, 422f, 426, 429f, 432, 434, 439-45, 4 4 7 - 5 5 , 4 6 1 - 6 6 , 488-502, 504, 507f -

-

äußere 84,423 „formaliter ex se" 351, 353-55, 358-60, 364, 3 6 6 69, 373, 375, 383, 388f innere 8 4 , 2 7 6 , 2 9 2 , 4 2 3 logische 8 4 , 3 4 4 - 4 6 , 3 4 9 , 354, 359, 385f, 390, 440f metaphorische 344f metaphysische 344f, 3 4 7 -

534 49, 354, 385 „principiative ex intellectu divino" 351, 353f, 356, 358f, 364, 367-69, 374f, 383,388 reale 344-46, 349 Moral 38, 88f, 91, 93-95, 97f, 103f, 110, 114, 125 Moment s. Instanz Monotheismus 149, 151 f, 154, 157f, 161 f München 35f,38,42f -

Nachahmbarkeit 246-48, 25557, 268f, 293f, 327f, 366f Naturrecht 66f, 89-93, 95, 114,117 Negation 253,303,319,342, 404,414, 435f Neuscholastik 19, 276 Neuzeit 19 Nezessitarismus 30, 39f, 204, 441 Nichts 259,261,320,325, 329-31, 361, 363f, 36668, 428f, 453f, 457,462 reines 258, 261, 265f, 269 Nominalismus 400, 434, 436, 443, 450, 464 Notion 218,315,317,405, 412,415 Notwendigkeit 26f, 39f, 66, 78f,99f, 111, 152, 155f, 158f, 162f, 165-167, 169, 175, 197, 203-5, 272f, 293, 319f, 323, 328, 34650, 352, 355, 361,365, 367f, 378-81, 384, 38789, 410f, 416, 427, 441f, 444, 448f,452f, 455,461, 480, 482, 498-500, 506f absolute 448 akzidentelle des Vergangenen 86,447 bedingte 448 des Gegenwärtigen 346, 440f Ockham-Ausgabe 20,22,31, 479f Offenbarung 89f, 95, 99, 148150, 152, 157, 159, 161-

Anhang 163, 189, 191, 194, 223, 317,319, 365,498, 504, 507 Ökonomieprinzip 464 „ontological committment" 261,275, 452, 463f, 502 „ordinatio" 38,41f, 46, 50-52, 56, 59f, 62, 64, 68, 77f, 80 Ordnung 312,502-5 Ordnung der Attribute 212, 232, 314f, 409-11,415 Papst 33-43, 45, 59, 66f, 197, 239 Person, göttliche 161,163165, 167-169, 172-180, 182-192, 195f, 199, 2014,218, 222, 238, 301,313, 315,317, 392, 394,403, 405-408, 411 f, 415f, 469, 471 f Philosophie 59,148-150, 152f, 157-159, 162-164, 193f, 205,263,273,31921, 401, 416f Phönix 463 Physik 23 Polytheismus 148-150, 152, 157-159, 161f; s. auch Tritheismus Positivismus 89, 92f, 95, 98, 109 „possibilitas in comparatione ad suum obiectum ad quod est" 259f, 278 „possibilitas in comparatione ad suum subiectum in quo est" 259f, 278 „potentia absoluta" s, Macht, absolute „potentia activa":260f, 476, 488-91,496, 499 „potentia obiectiva" 257-61, 267, 278, 290, 350 „potentia ordinata" s. Macht, ordinierte „potentia passiva":260f, 476, 488-91,496, 499 „potentia subiectiva" 257-61, 267, 278, 290, 350 Potenz 234, 304, 312, 348, 443

„principia per se nota" 92, 94, 97-111, 113f, 117, 130 Priorität 465f, 475 der Allgemeinheit nach 177, 180, 470f, 476 der Natur nach 467-69, 471, 476, 492-94 der Ordnung nach 474, 476 dem Ort nach 473, 476 der Produktivität nach 469f der Ursächlichkeit nach 469, 487 dem Ursprung nach 469f, 476 der Vollkommenheit bzw. Würde nach 467, 472 der Zeit bzw. Dauer nach 466, 469, 476 Privation 124, 250, 253f, 286f, 29 lf, 309, 319, 342,436 „propositio per se nota" 175, 410,412 Protestantismus 19 Qualität 83, 119,251,362, 422, 431, 436f Quantität 145,251,362 Rationalismus 89-98, 109, 117 „recta ratio" 89, 91 f, 94, 96f, 101-104, 110 Regel des Anselm von Canterbury 212,223-30, 278-81,291,294, 309, 319, 342, 378, 403,405f Regreß, unendlicher 151,304 Relation 33, 119, 145, 219, 221,223,230, 236, 246f, 249-51,254, 280-82, 28488, 291,300f, 319, 32429, 340, 342, 352, 362, 366f, 374, 381,390,416, 437, 489-92, 495f Relativismus, ethischer 19 „res" 36lf „res absoluta" 119 „res a ratitudine" 262, 264-70, 293, 360, 366 „res a reor reris" 262, 264-69,

535

Register 293, 357, 360, 368 „res rata primo modo" 361— 65, 367f „res rata secundo modo" 361, 364-68 Sachverhalt 83, 143-46,205 Satz s. Aussage Schöpfung 26f, 33, 52, 8If, 84, 100, 1 !9f, 164, 167, 189, 192,216,218, 236f, 240, 243, 245, 248, 274, 324, 328f, 350, 355, 361, 364f, 367f, 419, 429, 453f, 468f Schrift, Heilige s. Bibel Selige 137, 157,398,411, 415f Sens, Konzil von 28 „sensus compositus" 46f, 76, 78, 451,455 „sensus divisus" 46f, 76, 78, 451,455 Simultanität 465f, 475 - der Natur nach 468-70, 472,476-78, 483-501,507 - dem Ort nach 473f, 476 - dem Verstehen nach 475 - der Zeit bzw. der Dauer nach 466f, 476, 478, 487 Skeptizismus 19,276 Sohn 476f, 483-86, 489 Sohn, zweite göttliche Person 163-165, 167f, 171-174, 177-180, 182f, 187f, 199, 201,203, 300,313,318, 349, 392, 396f, 432, 469 Sonne 463 Sonnengleichnis 289 Sprache 45, 120, 127, 143, 217, 263, 392,395, 422, 444,465 Strafe 125f, 131 Status, ontologischer 211, 261, 270, 275, 331,351,353, 357f, 428, 443, 453, 458 Substanz 83, 119, 218, 229f, 251,312, 362f, 368, 410, 422, 437 Sünde 21,68, 88,90, 106109, 118, 121, 124-129, 131-142, 145, 147,202f,

239, 291,296, 437,440f Supposition 29, 118f, 121, 128, 131,142, 172f, 199, 398f, 421 f, 445,448f, 451, 453, 455-64,476-79,483, 486, 488, 495f Syllogismus 305f, 410f, 41315,479 „syllogismus expositorius" 174-176, 178-183, 196 synkategorematisch 128, 428f Synonymie 395f,400 Taufe 41,54,55 Trinität s. Gott/dreifaltig Tritheismus 148, 161 Trugschluß 127, 128,451, j. auch Amphibolie, Äquivokation, „fallacia accidentis ", „fallacia flgurae dictionis", „sensus compositus", „sensus divisus " trinitarischer 172, 174, 176-178, 181 f Tugend 90, 111, 115, 118 Unendlichkeit 86, 151, 153, 211,236-39, 255-57, 307, 309,311,313,315,317, 322, 340, 343, 432,438f, 462 Universalien 87, 178, 185, 250, 409, 411,431,435f, 462 Univozität 217,305-7,311, 390, 399-403 Unmittelbarkeit 319-21,416 Unmittelbarkeitsprinzip 49, 127, 129, 131, 134f, 144, 321,497,500 Unmöglichkeit 20,46, 85, 99, 105-107, 116, 120, 142, 155, 158f, 170, 194f, 198, 200, 21 Of, 257,261f,265f, 267-70,275-77, 280f, 284f, 287-94, 319, 329, 346f, 349, 351-53, 356-58, 360, 362,369-77, 379-87, 389,404,417,442,444f, 450,452-66,480, 482f, 493 f, 496-502, 506-8

-

„formaliter ex se" 356-58, 360, 369, 373, 375, 383 „principiative ex intellectu divino" 356, 357, 358, 369, 374, 375, 383 Unterschied, begrifflicher 46, 185f, 219f, 222, 231,235,244, 246, 249, 252, 260, 282, 299, 302,312, 374, 403, 406-9, 432-34 formaler 147, 164, 171, 178, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 271, 302, 307,311-15, 332, 354, 374f, 378f, 385, 387, 403, 406-8, 432 intentionaler 258, 260, 272, 274, 432 modaler 307 realer 163, 173, 175, 177f, 183-187, 192-195, 199, 219, 222, 271,306,31113,315,331,407-9, 43234, 468 Ursächlichkeit 15,355,400, 469, 478,486-88 Erstursache 49-51, 134136, 138, 151, 320f, 497 Exemplarursache 244, 272, 421,428 Formalursache 244 Zweitursache 49-51, 127, 129, 134-136, 138, 141, 144, 152-54,319-21,497 Vater 113, 121, 476f, 483-86, 489f Vater, erste göttliche Person 163-165, 168f, 172-180, 182f, 187f, 191, 199, 201, 204,216,392, 396, 469 Vergangenheit 56f, 86, 124, 126, 504 Vernunft 124,126,131 natürliche 99, 148-159, 161-164, 189, 235,317, 319f, 498, 507 Verpflichtung 80, 90,98f, 101, 103f, 106-109, 112f, 123, 125f, 130f, 133, I35f, 138f

Anhang

536 Vollkommenheit 151,245, 249, 304, 313, 315f, 322, 339 absolute 212,228-30, 378-80, 384, 387-89 göttliche 54, 88, 185,215221,223-225, 227f, 233, 240, 243f, 246-48, 25557, 268, 293f, 317,321, 325, 366f, 393f, 404, 4079, 507 privative 279-81, 286-88, 294 relative 212, 279-82, 286, 294 schlechthin 279-84,286, 291,292, 301, 303f, 30610,313, 323,394, 403-7 Voluntarismus 89-98, 100, 109, 425 Wesen 120,267-74,363 Widerspruch 20, 28, 32, 4549, 53, 70, 72f, 77, 79f,

84-88, 95f, 99f, 102, 1057, 109, 111, 115-117, 129, 131, 142, 145, 147, 150152, 156, 158-162, 165, 170-173, 184, 191-201, 206, 209f, 250, 264f, 268f, 280, 284f, 287-89, 29294, 305,319, 329, 330, 337, 342, 347, 348,351f, 355-57, 362, 366, 372-74, 380f, 384, 386, 389,404, 429,431,435,439,442, 447,453f, 456,460f, 495, 498f, 502, 506, 508 Widerspruchsfreiheit 31, 44, 46, 55, 70, 73, 79f, 84, 94, 142-45, 147, 155, 160, 168, 170, 192, 196-98, 200, 203, 205, 276, 283, 292, 346, 351,353-355, 359, 372-74, 384-86, 389f, 423f, 465, 498f, 502 Widerspruchsprinzip s. Kontradiktionsprinzip

Wille lOlf, 111-113, 122, 135, 136, 137, 396 Wirklichkeit 64, 78, 119f, 211, 247, 261, 267, 270f, 274f, 302, 325, 360f, 363, 367, 442-44, 446f, 449-54, 462 Wissenschaft 410,461 Wohltäter 102^1, 108,506 Wunder 50, 75, 76 Zahl 250, 253f, 340, 342f, 439 Zeit 52-56, 69, 78, 273f, 326, 328,361,365, 368,377, 446f, 449, 453,455, 46668, 477f, 483 Zeugung, innertrinitarischer Hervorgang 164f, 167f, 171f, 196, 238, 300, 392, 396f, 470 Zukunft 56f, 346, 504f Zweitursache s. Ursächlichkeit/Zweitursache

Die Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes ab Band 44 im Akademie Verlag (Vorangegangene Bände beim Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn)

Band 44 Thomas Linsenmann: Die Magie bei Thomas von Aquin (ISBN 3-05-003550-1) Band 45 Martin Thumer: Gott als das offenbare Geheimnis nach Nikolaus von Kues (ISBN 3-05-003582-X) Band 46 Ulrich Horst: Die Gaben des Heiligen Geistes nach Thomas von Aquin (ISBN 3-05-003655-9) Band 47 Georgij Avvakumov: Die lateinische Theologie des Hochmittelalters in der Auseinandersetzung mit dem Ritus der Ostkirche (ISBN 3-05-003715-6) Band 48 Nicolaus Cusanus zwischen Deutschland und Italien. Herausgegeben von Martin Thurner (ISBN 3-05-003583-8)